Theologie und Gebet bei Luther: Untersuchungen zur Psalmenvorlesung 1532-1535 [Reprint 2013 ed.] 3110179792, 9783110179798, 9783110903645

Die grundlegende Monographie über das Gebet bei Luther hat als Quellenbasis Luthers bislang in der Forschung als Ganze w

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Theologie und Gebet bei Luther: Untersuchungen zur Psalmenvorlesung 1532-1535 [Reprint 2013 ed.]
 3110179792, 9783110179798, 9783110903645

Table of contents :
Vorwort
I. Einleitung: Thema, Methode und Gliederung der Arbeit
II. Der Begriff „fromm“
1. „fromm“ im Sinn von „iustus per opera sua“
2. „fromm“ im Sinn von „iustus per opus dei“
3. „fromm“ im Sinn von „pius“
4. „fromm“ im Sinn einer „cooperatio cum deo“
5. Zusammenfassung
III. Luthers Beten – ein Forschungsbericht
IV. Die dritte Psalmenvorlesung als Gebet
V. Gebete in der dritten Psalmenvorlesung
1. Gebete mit der Anrede Gottes in der 2. Person
2. Gebete ohne die Anrede Gottes in der 2. Person
VI. Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung
1. Die kerygmatische Gestalt des Lobens und Dankens
2. Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens
3. Das gute Werk der zweiten Tafel des Dekalogs als Gestalt des Lobens und Dankens
4. Dankbarkeit als Eigenschaft des Glaubens
5. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
1. Quellen
2. Hilfsmittel
3. Sonstige Literatur
Bibelstellenregister
Personenregister

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Matthias Mikoteit Theologie und Gebet bei Luther

Theologische Bibliothek Töpelmann Herausgegeben von O. Bayer · W. Härle · H.-P. Müüer

Band 124

W G DE

Walter de Gruyter · Berlin · New York

Matthias Mikoteit

Theologie und Gebet bei Luther Untersuchungen zur Psalmenvorlesung 1532 — 1535

W DE G Walter de Gruyter · Berlin · New York

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die U S - A N S I - N o r m über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN 3-11-017979-2 Bibliografische Information Der Deutseben Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über h t t p : / / d n b . d d b . d e abrufbar.

© Copyright 2004 by Walter de Gruyter G m b H & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Umschlaggestaltung: Christopher Schneider, Berlin

Meinen Eltern

„ Ista mea servitus, quae tibi gratias aget: Docebo de te. " [,, Dies ist mein Dienst, der dir Dank sagt: Ich will lehren von dir. "]

Luther in seiner dritten Psalmenvorlesung im Kommentar zu Ps 51,15 WA 40 11,440,1 Of.

Vorwort

Für Luther bestand die höchste Form seines Dankes gegenüber Gott darin, öffentlich theologisch zu arbeiten. Man entspricht also Luthers Anliegen, wenn man seinen theologischen Gedanken öffentlich nachgeht. Das Verständnis fur seine Theologie erschließt sich dabei erst, wenn man erkennt, daß das Danken für sie konstitutiv ist, weil ihr Gegenstand und ihr modus loquendi und vivendi auf dem Weg des Dankens gefunden wurden. Um das Verständnis der Theologie Luthers zu befördern, habe ich in der vorliegenden Arbeit Luthers Beten unter besonderer Berücksichtigung der Gebetsarten des Lobens und des Dankens anhand eines umfangreichen Textkomplexes erforscht. Die Arbeit wurde im Januar 2003 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster unter dem Titel „Theologie und Gebet bei Luther am Beispiel seiner dritten Psalmenvorlesung (1532-1535) dargestellt" als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung habe ich sie geringfügig überarbeitet. Ich danke Herrn Professor D. Dr. Martin Brecht, D. D., an dieser Stelle herzlich, daß er den Entstehungsprozeß der Arbeit so freundlich begleitet und mich stets ermutigt hat, die von mir gewählte Verfahrenstechnik weiterzuentwickeln. Mein Dank gilt ihm auch für die Erstellung des Erstreferats. Herrn Professor Dr. Albrecht Beutel danke ich für die Abfassung des Korreferats. Anteil an meiner wissenschaftlichen Ausbildung während des Studiums hatten vor allem Herr Professor Dr. Wolf-Dieter Hauschild und Herr Professor Dr. Oswald Bayer. Ersterer öffnete mir den Zugang zur Kirchen- und Dogmengeschichte, durch letzteren lernte ich, interdisziplinär zu denken. Beide trugen maßgeblich dazu bei, daß ich als Student ein Stipendium von der Studienstiftung des deutschen Volkes erhielt. Ich möchte auch ihnen an dieser Stelle herzlich danken. Mein besonderer Dank richtet sich außerdem an Herrn Superintendent Dr. Christof Windhorst, der mich bei der Fertigstellung der Arbeit in der Schlußphase durch Gewährung von Freiräumen unterstützt hat.

Vili

Vorwort

Gern bekunde ich Herrn Professor Dr. Oswald Bayer, Herrn Professor Dr. Wilfried Härle und Herrn Professor Dr. Hans-Peter Müller meine Freude darüber, daß sie meine Arbeit in die von ihnen herausgegebene Reihe „Theologische Bibliothek Töpelmann" aufgenommen haben. Dem Verlag, namentlich Herrn Dr. Albrecht Döhnert, danke ich für die angenehme Kooperation, der Evangelischen Kirche von Westfalen und dem Kirchenkreis Herford für die Bewilligung von Druckkostenzuschüssen und Frau Studienrätin Monika Pesch für die Hilfe bei der Anfertigung der Druckvorlage. Schließlich danke ich allen, die für mich gebetet haben. In Jesus Christus gebe ich mit Luther Gott die Ehre zurück: WA Br 6,311,9-312,11 (Nr. 1934): „... sit Christo gratia, qui omnia tribuit abunde et plus, quam sperare aut petere audemus." [„... Christus sei Dank, der alles reichlich gibt und mehr, als wir zu hoffen oder zu bitten wagen."] Hiddenhausen, im Advent 2003

Matthias Mikoteit

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

VII

I.

Einleitung: Thema, Methode und Gliederung der Arbeit

II.

Der Begriff „fromm"

14

1. „fromm" im Sinn von „iustus per opera sua" a) iustitia civilis b) fiducia suae iustitiae c) sentire se purum a peccatis

16 16 20 24

2. „fromm" im Sinn von „iustus per opus dei" a) iustificari b) credere Euangelio

26 26 29

3. „fromm" im Sinn von „pius"

32

4. „fromm" im Sinn einer „cooperado cum deo" a) opera nostra ex opere dei b) opera nostra in ecclesia, politia, oeconomia

36 36 41

5. Zusammenfassung

45

III. Luthers Beten - ein Forschungsbericht

1

48

χ

Inhaltsverzeichnis

IV. Die dritte Psalmenvorlesung als Gebet

58

V.

Gebete in der dritten Psalmenvorlesung

73

1. Gebete mit der Anrede Gottes in der 2. Person

73

2. Gebete ohne die Anrede Gottes in der 2. Person a) Optativsätze b) Indikativsätze

84 84 94

VI. Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

102

1. Die kerygmatische Gestalt des Lobens und Dankens a) Loben b) Danken c) Loben beziehungsweise danken

103 104 119 134

2. Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens a) Loben aa) Kontemplatives Lobpreisen? bb) „Ego confiteor me peccasse" cc) „Gott lob" etc dd) „Ego accepi, Dominus dedit" b) Danken aa) „Deo gratia" etc Exkurs: „Dei gratia" bb) „Ago Deo gratias" cc) „Ego accepi, Dominus dedit"

141 142 142 157 170 178 183 183 191 197 211

Inhaltsverzeichnis

c) Loben beziehungsweise danken aa) Kein Unterschied zwischen dem Loben in Gebetsgestalt und dem Danken in Gebetsgestalt bb) Die Formen des Lob- und Dankgebets cc) Der Vorgang des Lobens und Dankens, der in Gebeten Gestalt gewinnt d) Das Loben und Danken, das Beichten und das Bitten aa) Das Beichten als Loben und Danken bb) Das Beichten und das Bitten cc) Das Loben und Danken und das Bitten 3. Das gute Werk der zweiten Tafel des Dekalogs als Gestalt des Lobens und Dankens a) Loben und danken und gute Werke tun b) Mit guten Werken loben und danken c) Beispiele von guten Werken, mit denen gelobt und gedankt wird

XI

220 220 224 229 240 240 248 253

265 265 269 277

4. Dankbarkeit als Eigenschaft des Glaubens

280

5. Zusammenfassung

295

Literaturverzeichnis

303

1. Quellen

303

2. Hilfsmittel

305

3. Sonstige Literatur

306

Bibelstellenregister

323

Personenregister

332

I. Einleitung: Thema, Methode und Gliederung der Arbeit

Luther hatte zeitlebens eine besondere Vorliebe für den Psalter. Diese entwickelte sich auf dem Hintergrund seiner monastischen Erfahrungen. Seine Aufmerksamkeit war nach seinem Eintritt ins Kloster durch den liturgischen Gebrauch des Psalters in der Konventsmesse und vor allem im Stundengebet auf denselben gelenkt worden1. Die reformatorische Entdeckung wirkte sich auf das Verständnis und die Auslegung des Psalters aus, änderte jedoch nichts am hohen Stellenwert, den dieser fur ihn besaß. In seiner zweiten Vorrede auf den Psalter aus dem Jahr 1528 begründete Luther seine Hochschätzung desselben folgendermaßen. Er nannte ihn „ein kleine Biblia ... darynn alles auffs schonest vnd kuertzest, so yn der gantzen Biblia stehet, gefasset vnd zu einem feinen Enchiridion odder handbuch gemacht vnd bereitet ist"2. Als „kleine Biblia" habe er die Funktion, ein „feine(r), helle(r), reine(r) Spiegel" zu sein, „der dir zeigen wird, was die Christenheit sey, ia du wirst auch dich selbs drinnen, vnd das rechte Gnotiseauton [„Erkenne dich selbst"; Inschrift des Apollotempels in Delphi] finden, dazu Gott selbs, vnd alle Creaturn"3. Er war denn auch davon überzeugt, daß der Psalter „aller heiligen buechlin" ist4. In der Vorrede zur Neuburger Psalterausgabe von 1545, die Pfalzgraf Ottheinrich veranlaßt hatte, brachte Luther zum Ausdruck, daß der Psalter einen festen Platz im Alltag jedes Christen einnehmen sollte: „BILlich solt ain yeder Christ, so beten vnd andechtig sein will, jm den Psallter lassen sein taeglich Betbueechlin sein, Vnd auch wol gut were, das ain yglicher Christ, denselben so ueebet, vnd so leustig darinnen wuerde, das Er jne von wort zu wort auswendig koendte, vnd jmmer inn dem munde hette, so oft im etwas fuer keme zureden

1 Vgl. hierzu die Schilderung des Klostertags des Kleriker-Novizen Luther in Scheel, Martin Luther 11, 27-48. 2 WA D B 10 1,98,22-24. 3 W A D B 101,104,7-9. 4 WA DB 101,102,23.

2

Einleitung: Thema, Methode und Gliederung der Arbeit

oder zuthun, das er aynen spruch darauß fuernn vnd anziehen koendte, als ain Sprichwort."5 Für Luther stand fest, daß der biblische Psalter das Gebetbuch der Christen ist. Für ihn stand außerdem fest, daß er weder durch die mittelalterliche Gebetbuchliteratur noch durch die neu entstehenden evangelischen Gebetssammlungen, ja nicht einmal durch evangeliumsgemäße Psalmenparaphrasen Konkurrenz erhalten darf6. In der Schrift „Eine einfaltige Weise zu beten für einen guten Freund" aus dem Jahr 1535 kam Luther auf seinen eigenen alltäglichen Umgang mit dem Psalter zu sprechen. Er schilderte den Moment im Alltag, in dem er zum Psalter griff: „..., wenn ich fuele, das ich durch frembde geschefft oder gedancken bin kalt und unluestig zu beten worden, wie denn das fleisch und der teuffei allwege das gebet wehren und hindern, Neme ich mein Pselterlein, lauffe jnn die kamer oder, so es der tag und zeit ist, jnn die kirchen zum hauffen [„unter die Leute"] und hebe an, die Zehen Gebot, den Glauben und, darnach ich zeit habe, ettliche sprueche Christi, Pauli oder Psalmen muendlich bey mir selbs zu sprechen, aller ding [„genauso"], wie die kinder thun." 7 Luther gab gegenüber seinen Zeitgenossen zu erkennen, daß er den Psalter immer wieder sehr gern als Anleitung zum Gebet verwendete. Der Psalter war für ihn nicht nur in der Theorie das beste aller Gebetbücher. Er war es für ihn auch in der Praxis. Er dachte in erster Linie an die immense praktische Bedeutung, die der Psalter fur ihn hatte, als er bekundete, daß er den Psalter „seer lieb"8 habe. Macht man sich klar, daß sich Luthers Wertschätzung des Psalters in einem intensiven Umgang mit dem Psalter im Lebensalltag dokumentierte, dann wundert man sich nicht darüber, daß Luther an der Wittenberger Universität insgesamt drei Psalmenvorlesungen hielt. Die erste Psalmenvorlesung („Dictata super psalterium" [„Diktate den Psalter betreffend"]), wahrscheinlich seine erste Vorlesung als Bibelprofessor überhaupt9, fand in den Jahren 1513 bis

5 WA DB 1011,155,1-6. 6 Vgl. WA DB 10 11,155,13-156,8. Zur Gebetbuchliteratur in der Reformationszeit siehe Althaus d. Ä., Forschungen, 11-59. 7 WA 38,358,5-359,3. Vgl. WA 38,373,4-7. 8 WA 38,364,19. 9 Zu der Frage nach dem Beginn der Vorlesungstätigkeit Luthers siehe Brecht, Martin Luther I, 129.

Einleitung: Thema, Methode und Gliederung der Arbeit

3

1515 statt und behandelte den gesamten Psalter. Die zweite Psalmenvorlesung („Operationes in psalmos" [„Arbeiten über die Psalmen"]), die er in den Jahren 1518 bis 1521 veranstaltete und die ursprünglich ebenfalls den gesamten Psalter zum Gegenstand haben sollte, mußte er bei der Auslegung von Ps 22 abbrechen10. Die dritte Psalmenvorlesung hielt Luther in den Jahren 1532 bis 1535. Er gab gleich zu Beginn der Vorlesung zu verstehen, daß er nur eine Auswahl von Psalmen zu behandeln gedächte1 '. Er begann denn auch nicht mit Ps 1, sondern mit Ps 2. Daraufhin widmete er sich den Pss 51 und 45, dann den Pss 120-134, den sogenannten Stufenpsalmen, und schließlich dem Ps 90. Den Ps 2 wählte Luther wohl aus, um sich und seine Hörer des Sieges Christi angesichts der Fülle der Bedrohungen zu vergewissern. Für den Ps 51 entschied er sich, weil dieser die „loci principales in religione Christiana"12 [„Hauptstücke in der christlichen Religion"] thematisiert, nämlich „poenitenti(a), fide(s) seu iustificati(o)"13 [„Buße, Glaube oder Rechtfertigung"]. Die Auswahl von Ps 45 begründete er mit dem Satz: „Volumus etiam aliquid leti audire vel dicere."14 [„Wir wollen auch etwas Fröhliches hören oder sagen."] Erfreulich war der Ps 45 für Luther aus stilistischen Gründen. Es gefiel ihm, daß der heilige Geist die ,,un(a) re(s)" [„eine Sache"], um die es ihm überall in der Schrift geht, „quae vocatur fides"15 [„die Glaube genannt wird"], in geschmückter Rede dargestellt hat, indem er eine schöne Allegorie geschaffen hat16. Den Block der 15 Stufenpsalmen zog Luther vermutlich aus zwei Gründen heran: Zum einen konnte er mit der Auswahl dieser großen Psalmengruppe den Vorwurf zurückweisen, die Auswahl der Psalmen für die Vorlesung sei letztlich willkürlich. Zum anderen fand er in den Stufenpsalmen gewissermaßen den Kern des Psalters. Er kam wahrscheinlich nicht erst gegen Ende der Vorlesung

10 Über den Abbruch der Vorlesung und die Vollendung der Auslegung von Ps 22 (Zählung der Lutherbibel!) auf der Wartburg siehe Gerhard Hammers Ausführungen in A WA 1,165-177. 11 WA 40 II, 194,6f.; 195,1-3. Vgl. auch WA 40 11,211,1; 315,2f.; 472,2-4; WA 40 111,9,2-7. 12 WA 40 11,315,12. 13 WA 40 11,472,5. Vgl. WA 40 11,315,11 f. 14 WA 40 II,472,5f. 15 WA 40 11,472,7-9. 16 Vgl. WA 40 11,472,6-473,15.

4

Einleitung: Thema, M e t h o d e und Gliederung der Arbeit

zu dem Schluß, daß die Stufenpsalmen gleichsam eine „Summa earum rerum, quae doceri"17 [„Summe der Gegenstände, die gelehrt werden"], darstellen. Mit dem Ps 90, dem „psalmu(s) Mosi"18 [„Psalm des Mose"], der zur Auseinandersetzung mit dem Tod anleitet, konnte er die Auswahl der Psalmen thematisch abrunden. Als Luther zu Beginn der Auslegung der Stufenpsalmen betonte, daß er sich aufgrund seiner angeschlagenen Gesundheit kein „opus" vornehmen wollte19, ermunterte er nicht etwa seine Hörer dazu, die Schlüssigkeit des Vorlesungsaufbaus oder gar die Ernsthaftigkeit des ganzen Unternehmens der Vorlesung in Frage zu stellen. Er deutete an dieser Stelle lediglich an, daß er mit der dritten Psalmenvorlesung nicht den neuerlichen Versuch unternehmen würde, den Psalter als ganzen auszulegen, um schließlich doch noch einen eigenen vollständigen Kommentar im Druck erscheinen lassen zu können. Luthers Umgang mit dem Psalter ist in der Lutherforschung unter vielen verschiedenen Aspekten erforscht worden. Gegenstand extensiver monographischer Untersuchungen waren oft die erste oder die zweite Psalmenvorlesung. Die dritte Psalmenvorlesung Luthers wurde zwar teilweise zur Darstellung und Interpretation von Luthers Theologie herangezogen, aber es sind doch nur wenige größere Arbeiten über sie erschienen. Die beiden umfangreichsten Monographien beschäftigen sich mit einzelnen Abschnitten dieser Vorlesung. Die im Jahr 1994 veröffentlichte Dissertation von Matthias Schlicht behandelt lediglich den Abschnitt der dritten Psalmenvorlesung, in dem sich Luther mit dem Ps 90 beschäftigte. Sie trägt den Titel „Luthers Vorlesung über Psalm 90. Überlieferung und Theologie". Der Verfasser untersucht im ersten Teil20 das Verhältnis zwischen der Nachschrift, die an sechs Tagen von Georg Rörer, am siebten Tag von Veit Dietrich angefertigt und von Rörer später als ganze leicht überarbeitet wurde, und dem Text, den Veit Dietrich im Druck herausbrachte. Dabei kommt er zu dem Schluß, daß dem Druck, der auf Dietrichs intensiver Bearbeitung der Nachschrift fußt, „kein Quellenwert für die Wiedergabe dessen zugesprochen werden (kann), was Luther einst in seiner

17 W A 40 111,470,3. 18 W A 40 111,594,3. 19 W A 40 III,9,2f. Vgl. W A 40 11,195,2; W A 4 0 III,472,3f. 20 Schlicht, Luthers Vorlesung über Psalm 90, 17-123.

Einleitung: Thema, Methode und Gliederung der Arbeit

5

Vorlesung von 1534/35 gesagt hat"21. Dietrich habe „am Ende alle Charakteristika des Vorlesungsstils Luthers getilgt", „sei es durch Auslassung, sei es durch Umformulierung". Man könne auch „Einfügungen aus Dietrichs Feder nachweisen, mit denen er Luther Aussagen in den Mund legte, die dieser ursprünglich nie gesagt hatte"22. Der Verfasser betont zu Recht, daß das Ergebnis des ersten Teils seiner Arbeit auch „für die anderen Editionen Dietrichs eine kritische Relevanz" habe. Er kommt zu dem Schluß, daß „allen Druckeditionen Dietrichs ein Quellenwert abzuerkennen" sei. Die Nachschriften Rörers seien allein die zuverlässige Basis für die wissenschaftliche Darstellung von Luthers Auslegungen23. Im zweiten, kleineren Teil seiner Arbeit erforscht der Verfasser ausgehend von Luthers Darlegungen zu „argumentum" [„Gegenstand/Inhalt"] und „titulus" [„Titel"] des Psalms den Gesamtduktus der Auslegung von Ps 9024. Er bemängelt daraufhin, daß man in der Lutherforschung oft Einzelaspekte von Luthers Auslegung dargestellt hat, ohne auf den Gesamtduktus derselben zu achten25. Am Ende lotet er wiederum die Relevanz seines Ergebnisses für die künftige Forschung aus. Er fordert, daß auch bei der inhaltlichen Erschließung der „vorhergehenden Vorlesungen" Luthers - gemeint sind wohl die übrigen Abschnitte der dritten Psalmenvorlesung - die Aufmerksamkeit auf Luthers „argumentum"- und „titulus"-Darlegungen gerichtet werden soll. So könnten „Einseitigkeiten in weiteren Darstellungen der Lutherforschung, die sich auf die späten Vorlesungen beziehen", vermieden werden26. Die im Jahr 1997 erschienene Habilitation von Jack Edmund Brush untersucht den Abschnitt der dritten Psalmenvorlesung, in dem Luther den Ps 51 kommentiert. Sie trägt den Titel „Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis. Luthers Verständnis des 51. Psalms". Brush geht von der „argumentum"-Darlegung Luthers aus. Luther sagte an einer Stelle der Auslegung, die „cognitio dei et hominis" [„Erkenntnis Gottes und des Menschen"] sei das „subiectum" beziehungsweise „argumentum" der Theologie27. Nach Brush sprach Luther an

21 Schlicht, a.a.O., 123. 22 Schlicht, a.a.O., 122. 23 Schlicht, a.a.O., 123. 24 Schlicht, a.a.O., 127-163. 25 Schlicht, a.a.O., 163-177. 26 Schlicht, a.a.O., 177. 27 WA 4 0 11,327,11-328,3.

6

Einleitung: Thema, Methode und Gliederung der Arbeit

dieser Stelle sowohl vom „argumentum" des Psalms wie auch vom „argumentum" der Theologie schlechthin28. Nachdem der Verfasser die vorreformatorische Auslegungsgeschichte29 sowie Luthers Auslegung des Psalms bis 151730 dargestellt hat, unterzieht er den Kommentar zu Ps 51, der der dritten Psalmenvorlesung entstammt, einer theologischen Analyse31. Analysiert wird Luthers Verständnis der „cognitio dei et hominis" unter dem Gesichtspunkt des „peccatum radicale" [„Grundsünde"]32 und unter dem des „fructus gratiae" [„Gnadenfrucht"] 33 . Bei dieser Analyse wird immer zugleich auch die gegenwärtige systematische „Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis" in den Blick genommen. Die vorliegende Arbeit unterscheidet sich von diesen beiden Untersuchungen insofern, als sie den Blick nicht nur auf einzelne Abschnitte der dritten Psalmenvorlesung, sondern auf die Vorlesung als ganze lenkt. Sie nimmt dabei die Tatsache ernst, daß sich für Luther mit dem Psalter das Thema „Beten" in besonderer Weise verband. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich also zugleich mit Luthers Beten und mit der dritten Psalmenvorlesung. Sie ist der Versuch, Luthers Beten an seiner dritten Psalmenvorlesung darzustellen. Die Perspektive der Darstellung von Luthers Beten ergibt sich aus seiner programmatischer Äußerung zu Beginn der dritten Psalmenvorlesung34. Der allererste Satz der Vorlesung lautete: „Omnis praedicatio vel lectio sacrae theologiae est ipsum verissimum sacrificium laudis vel Eucharistia vel gratiarum actio, quod est Summum sacrificium et summus cultus in novo Testamento."35 [„Jede Verkündigung oder Lesung der heiligen Theologie ist eigentlich ein wirklich wahres Lobopfer oder eine Eucharistie oder eine Danksagung, welches das höchste Opfer und der höchste Gottesdienst im Neuen Testament ist."] In diesem Satz wies Luther als akademischer Theologe sogleich auf sein Theologieverständnis hin. Er beschrieb das Betreiben der Theologie als ein Gott lobendes und Gott dankendes Beten. Indem er diesen Satz an den Anfang der

28 29 30 31 32

Brush, Brush, Brush, Brush, Brush,

Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis, 5. a.a.O., 8-78. a.a.O., 79-125. a.a.O., 126-237. a.a.O., 136-204.

33 Brush, a.a.O., 204-229. 34 W A 4 0 11,193,2-195,4. 35 WA 4 0 11,193,2-4.

Einleitung: Thema, Methode und Gliederung der Arbeit

7

dritten Psalmenvorlesung stellte, deutete er an, daß sein betender Umgang mit dem Psalter mit dem Beginn der akademischen Veranstaltung nicht beendet ist, sondern daß er sich im Gott lobenden und Gott dankenden Beten fortsetzt. Aufgrund der Hervorhebung der Gebetsakte des Lobens und Dankens in der Einleitung der Vorlesung konzentriert sich die Arbeit auf die Darstellung dieser Gebetsakte. Die übrigen Gebetsakte wie die des Anbetens, des Klagens, des Beichtens und des Bittens werden behandelt, wenn dies für die Darstellung der Gebetsakte des Lobens und Dankens von Belang ist. Weil sich Luther in der dritten Psalmenvorlesung, wie gleich der erste Satz zeigt, bewußt als theologischer Fachwissenschaftler äußerte, ist es sinnvoll, bei der Untersuchung der dritten Psalmenvorlesung auf Luthers Beten hin die Frage nach seinem Theologieverständnis zu berücksichtigen. Man sollte der Frage nach dem Theologieverständnis den Stellenwert geben, den Luther ihr selbst gab. Bei dem Versuch, Luthers Beten an der dritten Psalmenvorlesung darzustellen, ist deshalb die Frage nach Luthers Theologieverständnis leitend. Wenn diese Arbeit den Titel „Theologie und Gebet bei Luther" trägt, dann wird damit angezeigt, daß das Gebet bei Luther niemals ohne Theologie und die Theologie bei ihm niemals ohne Gebet ist. Das Beten findet bei ihm an dem Ort statt, an dem er Theologie treibt, und das Treiben der Theologie an dem Ort, an dem er betet. Die Frage nach Luthers Beten muß damit notwendigerweise die Frage nach seinem Theologieverständnis aufwerfen. Gleichwohl ist klar, daß es sich im folgenden weder um eine Monographie über die Theologie Luthers noch um eine solche über sein Theologieverständnis handelt36. Es liegt eine Monographie über das Gebet bei Luther vor, die freilich viele Implikationen enthält, die teils fur eine Darstellung einzelner Aspekte seiner Theologie, teils fur eine Darstellung seines Theologieverständnisses relevant sind. Die vorliegende Arbeit bezieht sich, wie gesagt, auf die dritte Psalmenvorlesung als ganze. Es ist in der Lutherforschung bisher unüblich, die dritte Psalmenvorlesung als eine Einheit anzusehen. So spricht man denn auch nicht von der „dritten Psalmenvorlesung" Luthers, sondern von Luthers „Vorlesung" über Ps 2, von seiner „Vorlesung" über Ps 51, über Ps 45, über die Stufenpsalmen, über Ps 90. Summarisch redet man von Luthers „späten Psalmen-

36 Die Literatur zur Theologie und zum Theologieverständnis Luthers wird daher in dieser Arbeit nur sporadisch rezipiert.

8

Einleitung: Thema, Methode und Gliederung der Arbeit

Vorlesungen" 37 . Grund hierfür ist schlicht und einfach die Überlieferungsgeschichte der dritten Psalmenvorlesung 38 . Veit Dietrich redigierte den Text auf der Grundlage von Georg Rörers Nachschrift und gab ihn in einzelnen Teilen heraus. Der heutige Sprachgebrauch rührt daher, daß er diese einzelnen Teile im Titel der Ausgabe entweder als „Enarratio" [„Erklärung/Auslegung"] oder als „Praelectio" [„Vorlesung"] oder als „Commentarli" [„Kommentare"] bezeichnete. Dietrich veröffentlichte die Teile der Vorlesung in den dreißiger und vierziger Jahren nacheinander, aber nicht der Reihenfolge ihres Entstehens entsprechend. Er konnte das Material für die Einzelausgaben auch neu kombinieren. So verband er die Teile der Vorlesung, die den Ps 51 und den Ps 130 behandeln, in einer Ausgabe miteinander, weil es die bedeutendsten Bußpsalmen waren. Daß Dietrich nicht am ursprünglichen Zusammenhang der Vorlesung interessiert war, liegt auf der Hand. Aber muß deshalb der ursprüngliche Zusammenhang der dritten Psalmenvorlesung auch heute in Frage gestellt werden? Gewiß haben die bearbeiteten Psalmen jeweils ein ganz besonderes Profil - sonst hätte Luther sie j a nicht „ausgewählt" - , und gewiß hat die Auslegung daher bei Luther jeweils einen ganz besonderen Duktus, der beachtet werden will. Doch finden sich nicht auch in den „Dictata super psalterium" und in den „Operationes in psalmos" ganz unterschiedliche Psalmen, die Luther ganz unterschiedlich auslegte? Darf man denn die „Dictata" oder die „Operationes" als einheitliche Texte betrachten und sie einheitlich unter einem Thema behandeln? Die erste und die zweite Psalmenvorlesung unterscheiden sich von den theologisch-exegetischen Vorlesungen Luthers, die ihnen folgen beziehungsweise vorangehen39, hinsichtlich der zugrundeliegenden biblischen Textart. Konstitutiv für die Einheit der ersten und der zweiten Psalmenvorlesung ist nicht die Zahl der behandelten Psalmen, nicht die Reihenfolge, in der sie behandelt werden, sondern die biblische Textart „Psalm", auf die Bezug genommen wird. Gleiches gilt für die „dritte Psalmenvorlesung". Es ist die

3 7 Vgl. das Sachregister in Brecht, Martin Luther III, 4 6 8 . 3 8 Zu den Überlieferungsfragen siehe W A 4 0 I I , 1 8 7 - 1 9 2 . 3 1 3 f . 4 7 1 ; W A 4 0 111,1-8.476-483. 3 9 Zu Luthers Vorlesungstätigkeit bis 1 5 3 0 siehe Brecht, Martin Luther I, 1 2 9 - 1 3 7 . 2 7 5 - 2 8 4 ; ders., Martin Luther II, 2 4 0 - 2 4 5 .

Einleitung: Thema, Methode und Gliederung der Arbeit

9

Einheit der zugrundeliegenden Textart „Psalm", die die Einheit der „späten Psalmenvorlesung" konstituiert. Die dritte Psalmenvorlesung eignet sich gerade wegen ihrer Vielgestaltigkeit hervorragend zur Erforschung von Luthers Beten. Weil Luther in ihr Stücke seines altvertrauten Gebetbuchs auslegte, ist das Thema Beten in der Auslegung all dieser Stücke präsent. Das Thema Beten begegnet in den unterschiedlichsten Auslegungszusammenhängen. Die Vielgestaltigkeit der dritten Psalmenvorlesung bringt es mit sich, daß viele unterschiedliche Aspekte des Themas Beten bei Luther erkennbar und erforschbar werden. Die vorliegende Arbeit befaßt sich mit Stellen aus sämtlichen Auslegungskomplexen innerhalb der dritten Psalmenvorlesung. Am häufigsten bezieht sie sich auf die Auslegungen der Pss 2, 45, 51, 90, 122, 124, 127, 128, 130, 132 und 134, weil diese Auslegungen besonders gut verwertbares Material enthalten. Jeder Hinweis auf eine Textstelle ist mit der Angabe des Psalmverses verbunden, der Luther bei der Formulierung derselben vor Augen stand, so daß sich der Leser der Arbeit auch dann eine Vorstellung vom Kontext einer Stelle machen kann, wenn im Rahmen der Arbeit auf den Kontext nicht sonderlich eingegangen wird. Als Quellentext wird die Nachschrift von Rörer und nicht die Ausgabe von Dietrich benutzt40. Zur Begründung dieser Entscheidung sei auf die oben referierten Forschungsergebnisse von Matthias Schlicht verwiesen. Daß die Nachschrift dem Originalwortlaut Luthers näher kommt als der von Dietrich edierte Text, beweist allein schon die Tatsache, daß sich in ihr viel mehr drastische Ausdrücke und anstößige Aussagen finden. Rörer hat die Nachschrift teilweise in einer Art Telegrammstil verfaßt, was ihre Lesbarkeit erschwert. Das Verfahren der Verkürzung brachte es möglicherweise mit sich, daß er bisweilen Begriffe notierte, die Luther nicht verwendet hatte. Man kann jedoch davon ausgehen, daß Rörer die zentralen Begriffe nicht anders füllte als Luther41. Die Nachschrift ist auch hinsichtlich der deutschen

4 0 Zu Ps 2: W A 4 0 11,193-312; zu Ps 51 : WA 4 0 11,315-470; zu Ps 45: WA 4 0 11,472-610; zu den Stufenpsalmen Pss 120-134: WA 4 0 111,9-475; zu Ps 90: WA 4 0 111,484-594. 41 Luther lobte 1527 in seiner Vorrede zum ersten Teil der deutschen Ausgabe seiner „Operationes" - sie enthält die Auslegung der ersten neun Psalmen - den Übersetzer Stephan Roth: W A 23,389,17-23: „Weil aber etliche diese meine .xxij: Psalmen, von mir gelesen und ausgelegt, auch begeren, hab ich mirs lassen gefallen, das sie der wirdige Magister Stephan Rodt von Zwickaw verdeudscht und ynn den druck gebe, als der bey uns lange

Einleitung: Thema, Methode und Gliederung der Arbeit

10

Einsprengsel authentisch. Luther hat in der Vorlesung überwiegend lateinisch, aber manchmal auch deutsch gesprochen42. Die dritte Psalmenvorlesung erstreckte sich über den Zeitraum vom 5. März 1532 bis 31. Mai 1535. Luther unterbrach sie mehrmals - meist aus Krankheitsgründen - für längere Zeit. Aus Rörers Kollegheft geht hervor, daß Luther die Auslegung von Ps 125 nach dem 20. Januar 153343 abbrach und erst wieder am 30. Juni 153344 fortsetzte. Nach Beendigung der Auslegung der Stufenpsalmen am 27. Oktober 153345 pausierte Luther sogar ein ganzes Jahr lang. Er begann die Auslegung von Ps 90 erst am 26. Oktober 153446. Diese brach er nach dem 10. November 153447 ab. Er pausierte bis zum 8. März 153548 und danach bis zum 31. Mai 153549, also bis zu dem Tag, an dem er die dritte Psalmenvorlesung schließlich beendete. Die Darstellung von Luthers Beten an der dritten Psalmenvorlesung erfolgt unter Berücksichtigung des Zeitraums, in dem diese Vorlesung stattfand. Das heißt: Es werden Quellentexte aus diesem Zeitraum, die zu anderen Quellengattungen gehören, herangezogen, um die Darstellung abrunden zu können. So kommt es zur Auswertung der überlieferten Briefe und Tischreden Luthers aus dieser Zeit sowie zur Auswertung der oben bereits erwähnten Gebetsanleitung

gewest, alle unsere weisse zu leren und reden erfaren und ynn unser Theologia geuebt ist, derhalben ers besser und deutlicher kan an tag bringen denn sonst ander auslendissche, die nicht so lang und teglich umb uns sein moegen." Er erkannte an, daß Stephan Roth mit der theologischen Begrifflichkeit Luthers vertraut war. Was für Roth zutraf, galt noch mehr für Georg Rörer. Trotz des ausgesprochenen Lobs war Luther nicht ganz zufrieden mit der Übersetzung. Rörer, der den Druck betreute, brachte daraufhin Korrekturen an (vgl. WA 23,387). 42 Die Sprachmischung kommt auch in Rörers Predigtnachschriften vor, obwohl doch feststeht, daß Luther die Predigten ganz auf deutsch gehalten hat. Die lateinische Sprache ist kürzer und einfacher als die deutsche und dient daher dem schnellen Mitschreiben besser als jene. Daß Rörers Nachschriften der lateinischen Vorlesungen deutsche Einsprengsel enthalten, kann man nicht mit dem Hinweis auf das schnelle Schreiben erklären. Birgit Stolt meint daher sogar: „Ihr Umfang [= der Umfang der deutschen Einsprengsel] muß größer gewesen sein, als die Texte ersehen lassen." (dies., Luthers Rhetorik des Herzens, 15) 43 44 45 46 47 48 49

WA WA WA WA WA WA WA

40 40 40 40 40 40 40

111,149,15. 111,164,1. 111,469,8. 111,484,2. 111,554,10. 111,568,9. 111,580,5.

Einleitung: Thema, Methode und Gliederung der Arbeit

11

„Eine einfältige Weise zu beten ...", die Anfang 1535 entstand50. Da die Briefe genau datiert werden können, fällt die Auswahl leicht51. Da sich die Gesamtzahl der Tischreden, die im Zeitraum der Vorlesung gesprochen wurden, nicht genau ausmachen läßt, werden alle herangezogen, die aus der ersten Hälfte der 1530er Jahre stammen52. Gelegentlich fällt der Blick auch auf andere Texte Luthers, die in etwa diesem Zeitraum entstammen. Um die Ergebnisse der Auswertung in einen größeren Zusammenhang zu stellen, werden zudem Texte des frühen Luther beachtet. Texte der vorreformatorischen kirchlichen Tradition werden nur im Ausnahmefall zitiert. Der spätmittelalterliche Hintergrund wird bei der Darstellung von Luthers Beten freilich immer wieder in Augenschein genommen. Wo es nötig erscheint, wird der Wert einer Quelle diskutiert. Die analytische Methode, die zur Darstellung von Luthers Beten fuhrt, läßt sich wie folgt beschreiben: Das Interesse richtet sich zunächst auf bestimmte Begriffe und Sprachformen Luthers. Es wird dabei in Rechnung gestellt, daß Luther in fast all seinen Äußerungen Bibelausleger war. Analysiert werden Begriffe, die das Beten - insonderheit das Loben und Danken - bezeichnen, sowie Sprachformen, in denen sich das Beten - insonderheit das Loben und Danken - äußert. Vorausgesetzt wird hierbei, daß das Beten aus Sprechakten, und zwar aus spezifischen, nämlich aus religiösen, das heißt: auf Gott ausgerichteten Sprechakten besteht. Vorausgesetzt wird fernerhin, daß die Sprechakte des Betens jeweils einen Außen- und einen Innenaspekt haben. Vorausgesetzt wird auch, daß die „Sprech"-Akte des Betens nonverbale sein können. Die Analyse der Begriffe, die die Sprechakte des Betens bezeichnen, sowie die Analyse der Sprachformen, die auf die Sprechakte des Betens hinweisen, ermöglicht die Analyse der Sprechakte des Betens als solcher. Die Sprechakte des Betens können schließlich in ihrer inneren Struktur zur Darstellung gelangen. Aufgrund des vorgegebenen thematischen Schwerpunkts werden in der vorliegenden Arbeit lediglich die Sprechakte des religiösen Lobens und Dankens in ihrer inneren Struktur beschrieben.

50 W A 38,358-375. Zur Datierung siehe VI.2.a)aa), Anm. 155. 51 W A Br 6,273-569; W A Br 7,1-186. Nachträge: W A Br 12,138-188.488f.; WA Br 13,173-175. 52 WA TR 1,3-614; W A TR 2,3-672; WA TR 3,1-333.

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Einleitung: Thema, Methode und Gliederung der Arbeit

Die sprachliche Analyse, die die Darstellung des Betens und insbesondere der Gebetsakte des Lobens und Dankens bei Luther zum Ziel hat, kann nur dann ein sinnvolles Ergebnis erbringen, wenn sie sich in all ihren Teilen mit einer theologischen Analyse verbindet. Die sprachwissenschaftliche Betrachtungsweise verbindet sich in der vorliegenden Arbeit mit der theologisch-systematischen. Beide Betrachtungsweisen hinwiederum verbinden sich mit der historischen. Die Arbeit enthält eine Vielzahl historisch-biographischer Bezugnahmen sowie Hinweise zur Sprachgeschichte, zur Frömmigkeitsgeschichte und zur Theologiegeschichte. Zum Aufriß der Arbeit sei dies angemerkt: Bevor die Darstellung von Luthers Beten an seiner dritten Psalmenvorlesung beginnt, kommt es in den nächsten beiden Kapiteln (II.-III.) zu einer Annäherung an die Thematik. Zuerst erfolgt eine Klärung hinsichtlich der Kategorie „Frömmigkeit". Die Erforschung von Luthers Beten wird sicherlich von vielen in erster Linie als eine Angelegenheit der „Frömmigkeitsgeschichte" beziehungsweise der „frömmigkeitsgeschichtlichen Forschung" angesehen. Man setzt voraus, daß das Beten „ein zentrales Element christlicher Frömmigkeit"53 ist. War es das aber auch für Luther? Wie dachte er über das Verhältnis von Gebet und „Frömmigkeit"? Um Luthers Verständnis des Gebets im Horizont seines Frömmigkeitsverständnisses erfassen zu können, muß letzteres untersucht werden. Dies kann durch die Überprüfung der Stellen in der dritten Psalmenvorlesung geschehen, an denen die Wörter „fromm" oder „Frömmigkeit" oder ihre deutschen oder lateinischen Synonyme vorkommen. Der Einfachheit halber beschränkt sich die Untersuchung auf die Überprüfung der Stellen, an denen das deutsche Wort „fromm" begegnet (II.). Nach der frömmigkeitstheologischen Verortung des Gebets bei Luther wird über den Forschungsstand zum Thema „Gebet bei Luther" berichtet (III.). Die folgenden drei Kapitel (IV.-VI.) bilden den Hauptteil der Arbeit. Im ersten Kapitel des Hauptteils wird der Einleitungsabschnitt der dritten Psalmenvorlesung ausfuhrlich interpretiert, in dem Luther zum Ausdruck bringt, daß seine Vorlesung ein Gebet darstellt (IV.). Im darauffolgenden Kapitel wird der Versuch unternommen, die Aussage Luthers anhand der Vorlesung zu verifi-

53 Jung, Frömmigkeit, 21.

Einleitung: Thema, Methode und Gliederung der Arbeit

13

zieren (V.). Danach erfolgt auf der Grundlage der Vorlesung die Darstellung von Luthers Beten am Beispiel seines Lobens und Dankens (VI.). Um die Verstehbarkeit der Arbeit zu erleichtern, werden sämtliche zitierten lateinischen Texte sowie meistens auch die zitierten lateinischen Begriffe und Ausdrücke ins Neuhochdeutsche übersetzt. Ebenfalls übersetzt werden einzelne schwer verständliche frühneuhochdeutsche Wörter.

II. Der Begriff „fromm"

Bei der Untersuchung des Begriffs „fromm" in der dritten Psalmenvorlesung Luthers kann es sich nur um die Aufklärung eines Ausschnitts der Bedeutungsnuancen handeln, die dieses Wort im allgemeinen Sprachgebrauch Luthers besitzt. Dies liegt einerseits an der ziemlich begrenzten Zahl der Fundstellen im überwiegend lateinischen Text1, andererseits daran, daß die deutschen und lateinischen Entsprechungen zu „fromm" jeweils fur sich umfassend analysiert werden müßten, was den Aufgabenhorizont dieser Arbeit überschreitet. Im folgenden steht denn auch das philologische Interesse gar nicht einmal im Vordergrund. Die philologische Analyse wird von Anfang an in systematisch orientierter Abzweckung vollzogen. Leitend ist die Frage nach der Grundstruktur von Luthers Frömmigkeitsverständnis nach der dritten Psalmenvorlesung. Wenn zur Entfaltung dieser Grundstruktur statt des Adjektivs „fromm" das Substantiv „Frömmigkeit" in interpretierenden Passagen häufig benutzt wird, dann ist dieses logischerweise immer nur als Substantivierung dessen zu verstehen, was Luther mit dem Adjektiv jeweils aussagt. Die verschiedenen Kategorien zur Organisation einer derartigen Analyse werden dem lateinischen Text beziehungsweise Kontext der Fundstellen entnommen. Auf diesem Weg sollen Verzerrungen der Darstellung durch neuzeitliche philosophische Begriffe vermieden werden 2 . Besonders geeignet erscheint hier die Verwendung der fur Luther wichtigsten und sinnvollsten

1

Zu nennen sind hier insgesamt dreiunddreißig Stellen: WA 4 0 11,215,7 (zu Ps 2,3); 239,3 (zu Ps 2,6); 266,4 (zu Ps 2,8); 333,4; 340,1 ; 341,4; 348,1 (zu Ps 51,3); 520,3 (zu Ps 45,7); WA 4 0 111,12,2 (zu den Stufenpsalmen); 129,11.16.18 (zu Ps 123,2); 278,3 (zu Ps 128,2); 344,7; 345,11; 346,7; 347,3 (zweimal) (zu Ps 130,3); 349,2; 350,8; 356,13 (zu Ps 130,4); 362,7 (zu Ps 130,5); 379,9 (zu Ps 131; Einleitung); 382,3 (zu Ps 131,1); 408,5; 412,11 (zu Ps 132,9); 428,11; 429,11; 437,13 (zu Ps 132,12); 453,5 (zu Ps 132,17); 469,1 (zu Ps 133,3); 588,7.8 (zu Ps 90,17). Auffällig ist, daß sich die Stellen zum Teil häufen. Der Begriff „fromm" erscheint in etwa einem Drittel der Fälle in attributiver ( W A 4 0 11 215,7; 239,3; 341,4; 520,3; W A 4 0 111,12,2; 129,11.16.18; 350,8; 382,3), sonst in prädikativer Stellung. Nur einmal findet sich die substantivierte Form „fromkeit" (WA 4 0 11,348,1).

2

Beispielsweise ist der mittlerweile überaus populär gewordene Begriff der Existenz wohl nicht unproblematisch für die Erfassung von Texten des 16. Jahrhunderts.

Der Begriff „fromm"

15

lateinischen Entsprechung zu „fromm", nämlich „iustus", mitsamt ihrer Wortfamilie und den Wörtern, die mit ihr in enger, inhaltlich bedingter syntaktischer Verbindung stehen3. Die Bedeutung dieser lateinischen Entsprechung ergibt sich bereits aus einer Definition in der 1522 gedruckten „Adventpostille": - „Ich wollt auch, das das worttle Iustus, iustitia, yn der schrift, noch nie were ynnß deutsch auff den brauch bracht, das es gerecht, gerechtickeit hiesse, denn es heyst eygentlich frum und frumkeytt. Und das wir auff deutsch sagenn: das ist eyn frum man, das saget die schrift: der ist iustus, rechtfertig odder gerecht."4 In der dritten Psalmenvorlesung wird „iustus" nach diesem Grundsatz häufig mit „fromm" parallelisiert 5 . Fehlt „iustus" im unmittelbaren Kontext zu „fromm", so findet sich zumindest vielfach ein Sinnzusammenhang zum Stichwort „iustitia"6. Ebenso häufig wie „iustus" tritt in der dritten Psalmenvorlesung auch „sanctus" als lateinische Entsprechung zu „fromm" auf. Allerdings stellt „sanctus" dann entweder einen Parallelbegriff zu „iustus" dar7, oder ist ebenfalls auf das Stichwort „iustitia" zu beziehen8, so daß eine Bedeutungsverschiedenheit zu „iustus" an diesen Stellen nicht erkennbar ist. Weitere lateinische Entsprechungsbegriffe wie „bonus" 9 und „probus"10 sind ebenfalls Synonyme beziehungsweise Teilsynonyme zu „iustus" und lassen sich in der Analyse unter „iustus" subsumieren. Der Begriff „pius"" muß im folgenden allerdings gesondert behandelt werden, da sein Sinn in der Wortgeschichte von „fromm" eine hervorragende Rolle spielt.

3

Das sind Wörter wie „iustus", „iustitia", „iustificare" sowie „opus", „peccatum", „fiducia", „credere" etc.

4

W A 10 1,2,36,4-8. Vgl. zu dieser Definition die ausfuhrliche Interpretation von Matsuura, Zu „fromm" bei Luther.

5

Vgl. W A 4 0 11,215,7/10; 333,4/332,2; 340,1/9; 348,1/349,5; WA 4 0 379,9/380,8; 588,7f./589,17.

6

111,356,13/4;

Vgl. W A 4 0 11,266,4/1; 341,4/3; WA 4 0 111,344,7/10; 345,11/344,10; 346,7/4; 347,3/2; 349,2/2f.; 382,3/2; 408,5/7. 7 Vgl. W A 4 0 11,349,4/5; W A 4 0 111,356,10/4; 379,10/380,8; 589,17/17. 8 Vgl. W A 4 0 111,344,5/10; 346,3/4; 347,12/2. 9 Vgl. W A 4 0 11,7/5: in der Form des Superlativs. 10 Vgl. W A 4 0 111,129,16/15. 11 Vgl. W A 4 0 111,129,11/23.

16

Der Begriff „fromm"

Daß deutsche Entsprechungen zu „fromm" im unmittelbaren Kontext des Begriffs übrigens so gut wie nicht vorkommen12, zeigt die prononcierte Bedeutung des Begriffs „fromm" im lateinischen Text der dritten Psalmenvorlesung.

1. „fromm" im Sinn von „iustus per opera sua" a) iustitia

civilis

Heide Wunder behauptet in ihrem 1998 erschienenen Aufsatz über Luthers Gebrauch des Begriffs „fromkeyt", „daß fromkeyt im 15. und 16. Jahrhundert als Inbegriff bürgerlicher Rechtschaffenheit und Tugendhaftigkeit für die einzelnen Bürger und Bürgerinnen wie fur den Personenverband Stadt einen zentralen Wert darstellte"13. Möglicherweise gehörte „fromkeyt" wirklich zu den „,allgemeinein) Werte(n)"' der städtischen Gesellschaft, „die ,politisch-soziales Handeln und Verhalten legitimier(ten) und leite(ten)"'14. Fest steht allerdings, daß „fromkeyt" - in diesem Sinn verstanden - für Luther keinen „zentralen Wert" darstellte. Die Stellen, an denen Luther den Begriff „fromm" in der dritten Psalmenvorlesung attributiv verwendet, lassen erkennen, daß Luther „fromm" in einer Weise gebrauchen konnte, die dem herkömmlichen Gebrauch von „fromkeyt" entsprach. Ähnlich wie in der „Adventpostille" bezieht er sich ausdrücklich auf die herkömmliche und landläufige Redeweise: - dicimus germanice: ein from man, kind etc."'5 [„Wir sagen auf deutsch: ein frommer Mann, ein frommes Kind usw."] In diese Reihe gehören die Formulierungen

12 Eine Ausnahme ist „heilig" in W A 40111,346,2/7. Die Parallelformulierungen „got furchten et from sein" ( W A 4 0 111,278,3) sowie „glauben et from sein" ( W A 4 0 111,429,11) enthalten Entsprechungsbegriffe nur in Verbalform. 13 Wunder, fromkeyt, 324. 14 Heide Wunder greift an dieser Stelle auf eine Definition der städtischen „Grundwerte" von Hans-Christoph Rublack zurück (a.a.O., 324). 15 WA 4 0 II,239,2f.; vgl. WA 4 0 11,341,4.

.fromm" im Sinn von „iustus per opera sua"

-

„from eheman"16,

-

„fromme kinder"17,

-

„fromme knechte"18,

-

„from cives, Rustici"19 [„fromme Bürger, Bauern"],

-

„fromer Jurist, burger"20 sowie

-

„die weisen, fromen Konig"2'.

17

Die Reihe zeigt, daß hier Personen bezeichnet werden, die der Dreiständelehre22 Luthers gemäß zum „status oeconomicus" [„Hausstand"] beziehungsweise zum „status politicus" [„Stand der weltlichen Obrigkeit"] zu rechnen sind23. „Fromm" meint in diesem Zusammenhang ein normentsprechendes Dasein24, wobei die Norm den Menschen mit dem Vorhandensein der „oeconomia" [„Hauswesen"] beziehungsweise „politia" [„politisches Wesen"] als solcher unübersehbar begegnet. Luther nennt nach mittelalterlichem Sprachgebrauch denjenigen „fromm", der seinen Platz in der „oeconomia" beziehungsweise in der „politia" so wahrnimmt, daß er ihrer jeweiligen und auch gegenseitigen Erhaltung und Förderung dient. „Fromm" stimmt hier also weitgehend mit den lateinischen Begriffen „bonus" und „probus" überein und bedeutet etwa „trefflich, gut, tüchtig, rechtschaffen" oder auch „tugendhaft". Frömmigkeit ist demnach ein ethischer Be-

16 17 18 19 20 21 22

WA 40 111,350,8. WA 40 111,129,18. WA 40 111,129,16. WA 40 II,520,3f. WA 40 111,382,3. WA 40 11,215,6f. Wenn sich bei Luther auch noch eine höhere Zahl von vier, fünf oder sogar zehn Ständen nachweisen läßt (vgl. Eiert, Morphologie II, 52), so ist doch für die dritte Psalmenvorlesung die dreigliedrige Disposition grundlegend. Vgl. zum Beispiel WA 40 111,114,14-16 (zu Ps 122,8): „Satan ... seminat diu noctuque in ecclesiam errorem, discordiam in politiam et inobedientiam in oeconomiam." [„Satan ... sät Tag und Nacht in der Kirche Irrtum, im politischen Wesen Zwietracht und im häuslichen Wesen Ungehorsam."] Vgl. auch WA 40 III,194,6f. (zu Ps 126,5); 309,2-4 (zu Ps 128,6). 23 Ausgenommen ist der mit „Ey, ein fromer man" titulierte Pharisäer, mit dem Luther das Mönchtum persifliert (vgl. WA 40 11,341,4-8). Einen Sonderfall bildet auch die Verbindung „fromer Christ" in WA 40 111,12,2. Hierzu s. u. I1.2.b). 24 Veronika Günther gibt den zentralen Wortsinn des Begriffs „fromm" im 15. und 16. Jahrhundert mit „wie etwas sein soll, einer Norm entsprechend" wieder (dies., „Fromm" in der Zürcher Reformation, 55.137).

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Der Begriff „fromm"

griff. Nur wenn sie „operativ" ist, das heißt, wenn sie sich in „opera bona" [„gute Werke"] verwirklicht, kann sie als real gelten. Sie ist deshalb empirisch feststellbar und auch quantifizierbar 5 . Es stellt sich dabei die Frage, ob diese als „iustitia civilis"26 [„bürgerliche Gerechtigkeit"] sich ausprägende Form der Frömmigkeit im Verständnis und Sprachgebrauch Luthers schon notwendig eine religiöse Dimension besitzt. Friedrich Ranke hatte in einem 1949 gehaltenen Vortrag die These vertreten, daß das Wort „fromm" das ganze Mittelalter hindurch mit der religiösen Sphäre nichts zu tun hatte, sondern erst durch die Reformation aus der ethischen in die religiöse Sprachsphäre übergetreten ist27. Veronika Günther griff diese These in ihrer 1955 erschienenen Dissertation auf und entfaltete sie28, wobei sie eine Interpretation des Wortes „fromm" im religiösen Sinn fur die spätmittelalterliche Zeit nicht kategorisch ausschloß, allerdings nur für einige wenige Fälle zugestand29. In einer 1958 veröffentlichten Rezension30 von Günthers Buch widersprach Wolfgang Stammler dem Ansatz und legte dar, daß ein inhaltlicher Übergang des Wortes vom Ethicum zum Religiosum bereits für das Spätmittelalter anzusetzen ist. Seiner Meinung nach schwingt, „wie bei gut, ebenso bei dem mhd. vrum, auch wenn es anscheinend ,tüchtig, wacker' bedeutet, ein religiöser Unterton mit, weil eben alles Gute von Gott stammt und auf ihn seinen Bezug nimmt"31.

25 Für letzteres spricht folgende Formulierung: W A 4 0 II,520,3f.: „Ut in Civitate nunquam tarn from cives, Rustici, oportet princeps ponat l u d i c e s , . . . " [„Wie in einer Stadt die Bürger und Bauern niemals s o fromm sind, daß es nicht nötig ist, daß der Fürst Richter einsetzt, ..."] 26 Der Begriff findet sich in der dritten Psalmenvorlesung zum Beispiel in WA 4 0 111,382,2 (zu Ps 131,1). 27 Vgl. Ranke, Lebenshintergrund, 137f. 28 Vgl. Günther, „Fromm" in der Zürcher Reformation. 2 9 Sie denkt hier zum Beispiel an „fromm" im mystischen Kontext (vgl. Günther, a.a.O., 51-55). 30 Vgl. Stammler, Rezension. 31 Stammler, a.a.O., 326. Vgl. hierzu Hugo Moser, der an Stammler anknüpfen möchte, zugleich jedoch die religiöse Deutung der Belege teilweise kritisiert (Moser, „Fromm" bei Luther und Melanchthon, 54).

.fromm" im Sinn von „iustus per opera sua"

19

Heide Wunder hat in ihrem bereits erwähnten Aufsatz in neuerer Zeit nochmals betont, daß der Begriff „fromkeyt" im Spätmittelalter „keine im engeren Sinn religiöse Bedeutung hatte"32. Als Ergebnis der Diskussion soll hier mit Jan Matsuura, der sich 1984 zu der Thematik äußerte, im Blick auf den mittelalterlichen, von Luther aufgenommenen Gebrauch des Begriffs „fromm" festgehalten werden, daß „eine scharfe Trennung zwischen einer,weltlich-sittlichen' und einer,religiösen' Sphäre auf jeden Fall nicht aufrechtzuerhalten" ist33. Dem scheint eine Aussage Luthers in der Erklärung von Ps 2,8 entgegenzustehen. Luther ordnet an dieser Stelle die „gentes" [„Heiden"], von denen er sagt, sie seien „so from sie wollen et sanctas leges habeant" [„... und mögen auch noch so heilige Gesetze haben"], eindeutig den „impii" [„Gottlose"] zu34. Weil Luther jedoch auch für religiöse Gruppen das Stichwort „impius" verwendet35 und „impius" also nicht einfach mit „atheistisch" gleichgesetzt werden kann, weil darüber hinaus das Stichwort „sanctus" deutlich religiösen Ursprungs ist, liegt gerade hier ein Beispiel für die religiöse Färbung des Begriffs „fromm" vor. Daß Frömmigkeit als „iustitia civilis" bei Luther nicht rein ethisch zu verstehen, sondern als ethische Bestimmung immer schon in religiöser Perspektive erscheint, zeigt schließlich vor allem die Rede von der „generalis sanctitas": - „Sic pater, mater, filius, filia sancti, praeceptores, discipuli generali Sanctitate, quia divinum mandatum est, obedire maioribus, ut revereatur minor seniorem, subditus magistratum tanquam rem sanctam. Et econtra magistratus agnoscat se patrem etc., ut invicem constat illa reverentia. Das ist illa generalis sanctitas apud nos Christianos etc."36 [So sind der Vater, die Mutter, der Sohn, die Tochter, die Lehrer und die Schüler heilig im Sinn einer allgemeinen Heiligkeit, weil es ein göttliches Gebot ist, den Älteren zu gehorchen, daß nämlich der Jüngere den Älteren und der Untertan die Obrig-

32 33 34 35

Wunder, fromkeyt, 312. Matsuura, Zu „fromm" bei Luther, 129. WA 40 11,266,1-6. In WA 40 11,264,4-8 (zu Ps 2,8) faßt Luther „Papa, Turca, Monachi, Episcopi, Iudaei, anima" [„der Papst, der Türke, die Mönche, die Bischöfe, die Juden, das Herz"] mit dem Begriff „impii" zusammen. 36 WA 40 11,240,1-6 (zu Ps 2,6).

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Der Begriff „fromm"

keit wie eine heilige Sache ehrt. Und die Obrigkeit erkennt auch wiederum an, daß er Vater ist usw., so daß es jene Ehrerbietung auf beiden Seiten gibt. Das ist jene allgemeine Heiligkeit bei uns Christen usw."] Die Voraussetzung einer „generalis sanctitas" innerhalb der „oeconomia" und der „politia" macht klar, daß Luther „oeconomia" und „politia" von vornherein als von Gott gegebene, weil im „divinum mandatum" begründete Ordnungen ansieht. Die in und mit ihnen begegnende Norm ist für ihn selbstverständlich eine göttliche Norm.

b) fiducia suae iustitiae Die Kontextanalyse einiger Fundstellen des Begriffs „fromm" in der dritten Psalmenvorlesung dokumentiert nun allerdings, daß Frömmigkeit als „iustitia civilis" fur Luther gerade hinsichtlich des religiösen Bezugs ins Zwielicht rückt. Frömmigkeit als „iustitia civilis" wird dann zum Problem, wenn sie sich mit einer Einstellung verbindet, die ihre religiöse Perspektive gleichsam umpolt. Dies geschieht, wenn der Fromme die durch das göttliche „mandatum" begründete Frömmigkeit zur Selbstbegründung und Selbstbehauptung der eigenen Person „coram deo" [„vor Gott"] und zugleich „coram mundo" [„vor der Welt"] mißbraucht. In der Erklärung zu Ps 131,1 heißt es: - „Ergo proprium iusticiae civilis, legalis damnare, Invadere tribunal divinum et iudicium. Wenn ein fromer Jurist, burger ist, facit se idolum, quia iudicat omnes alios tanquam iniquos:.. ,"37 [„Folglich besteht das Eigentümliche der bürgerlichen und gesetzlichen Gerechtigkeit darin, andere zu verurteilen und das göttliche Richteramt und Gericht an sich zu reißen. Wenn ein frommer Jurist und Bürger da ist, macht der sich zu einem Abgott, weil er alle anderen richtet, als wenn sie ihm ungleich wären: ..."] Die Tatsache, daß ein frommer Jurist oder frommer Bürger sich seinen Mitmenschen überlegen wähnt, heißt, daß er das „tribunal divinum" für sich rekla-

37 WA 40 111,382,2-4.

.fromm" im Sinn von „iustus per opera sua"

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miert, was er wiederum nur tun kann, weil er mit der eigenen „iustitia" vor Gott im Recht zu sein beansprucht. Das Grundproblem besteht für Luther also, wie er es in der Auslegung von Ps 2,3 formuliert, kurz in der „gloria et fiducia sapientiae et potentiae et iusticiae"38 [„die Ehre und das Vertrauen auf Weisheit und Macht und Gerechtigkeit"], wodurch die „sapientia", die „potentia" und die besagte „iusticia" über ihren legitimen Gebrauch „in hac vita" [„in diesem Leben"] hinaus unbotmäßigerweise auf die „vita aeterna" [„das ewige Leben"] hin funktionalisiert werden39. Frömmigkeitskritik findet sich in der dritten Psalmenvorlesung außer an Stellen, an denen „fromm" in den Zusammenhang der „oeconomia" und „politia" gehört, natürlich ebenso im Blick auf das mittelalterliche Mönchtum. Das Mönchtum entzieht sich der mit der „oeconomia" und „politia" begegnenden göttlichen Verpflichtung und ist gleichsam ein Alternativentwurf zu einem Verständnis von Frömmigkeit als „iustitia civilis". Da es als „status perfectionis" [„Stand der Vollkommenheit"] ganz und gar darauf angelegt ist, den Menschen möglichst perfekt mit einer selbst geschaffenen „iustitia" „coram deo" auszustaffieren, benutzt Luther den Begriff „fromm" in bezug auf den Mönch nur in negativer, ironischer Weise. Die Kommentierung von Ps 51,3 mit der Anknüpfung an Lk 18,11 f. klingt wie eine bissige Satire: - „Pharisaeus: ,Νοη sum' etc. Ey, ein fromer man. ... Non secundum opera mea, es wer lecherlich, cucullum, virginitatem, paupertatem. Ey, wie sols klingen! aut so: redde mihi secundum puritatem manuum coronam iusticiae, secundum meum Monachatum, ut Exemplum de fratre Regis Angliae: Redde mihi, quod debes. Er ist gefarn etc. Servavi, quod iussisti, redde, quod promisisti." 40 [„Der Pharisäer sagte: ,Ich bin nicht' usw. Ei, ein frommer Mann! ... Nicht nach meinen Werken, es wäre lächerlich, nach meiner

38 WA 4 0 II,214,7f. Vgl. auch WA 4 0 111,379,8 (zu Ps 131; Einleitung). 39 WA 4 0 11,215,7-9. In diesem Zusammenhang betont Luther, daß die Evangeliumsverkündigung „pacem, mores, urbes, leges" [„den Frieden, die Sitten, die Städte, die Gesetze"] nicht aufhebt, „sed venit in auxilium verbum oppressarum conscientiarum" [„sondern es kommt das Wort den unterdrückten Gewissen zu Hilfe"] (ebd. 214,4f.). 4 0 W A 4 0 11,341,4-10. Vgl. die ähnliche Bezugnahme auf Lk 18,12 in W A 4 0 111,356,12-14 ( z u P s 130,4).

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Der Begriff „fromm"

Kapuze, Jungfräulichkeit, Armut. Ei, wie soils klingen! Oder so: Gib mir die Krone der Gerechtigkeit nach der Reinheit meiner Hände, nach meinem Mönchsstand, wie das Beispiel vom Bruder des Königs von England lautet: Gib mir, was du mir schuldest. (= sein Gebet angesichts des Todes) Er ist gefahren (in die Hölle) usw. Ich habe gehalten, was du befohlen hast, gib nun, was du verheißen hast. (= erneute Wiedergabe des Gebets des besagten Mannes)"] Aber auch der nach reformatorischen Vorstellungen neu organisierte und gestaltete „status ecclesiasticus" [„geistlicher Stand"] ist der Gefahrdung durch eine „fiducia suae iustitiae"41 nicht enthoben. Dies belegt folgender Abschnitt zuPs 130,3: -

„Si vis observare, wie from bist, - quid fecisti? Ego 20 annis verbum tuum praedicavi; Tamdiu gubernavi regnum, - : David, du es 1 verzweifelter bube. Sic ad me; so tret diabolus in locum meum." 42 [„Wenn du darauf sehen willst, wie fromm du bist, - was hast du getan? Ich habe 20 Jahre lang dein Wort verkündigt; solange habe ich das Reich regiert, - : David, du bist ein verzweifelte Bube. Wenn du so zu mir redest, soll der Teufel an meine Stelle treten."]

Luther antwortet hier auf die Frage nach der eigenen vor Gott zählenden „iustitia" mit dem Hinweis auf zwanzig Jahre reformatorische Verkündigung. Wenngleich er diese Antwort, die er David in den Mund legt, auch sofort ad absurdum fuhrt, deutet er mit ihr an, daß die gegen das Mönchtum gerichtete Frömmigkeitskritik ebenso dem reformatorischen Prediger gelten könnte. Insgesamt verwahrt sich Luther gegen ein wie auch immer geartetes Frömmigkeitsverständnis, das den Menschen dazu verleitet, sich durch seine „opera" vor Gott auszuzeichnen, damit den begrenzten Rahmen der bürgerlichen Ethik verläßt und also in einen theologisch-soteriologischen Zusammenhang gerät. Frömmigkeit darf sich nicht als Werkgerechtigkeit gerieren. Rigoros äußert sich Luther in der Erläuterung zu Ps 130,3:

41 Die Formulierung findet sich in WA 40 111,346,3f. (zu Ps 130,3). 42 WA 40 111,346,7-9.

„fromm" im Sinn von „iustus per opera sua"

-

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„... from sein ist verlorn. Opera thuns nicht, .. ."43

Kurz darauf nimmt er sogar das Gebet zu Hilfe: -

Jesus Christus „sol man hertzen ante peccatum, mortem, Teufel: Ego ista non voro; Domine, las vns nur nicht from sein coram deo; ,.." 44 [„soll man herzen angesichts von Sünde, Tod und Teufel: Ich verschlinge diese nicht; Herr, laß uns nur nicht fromm sein vor Gott; ..."]

Der Kontext des Gebetsseufzers gibt den Grund für die Ablehnung von Frömmigkeit als Selbstrechtfertigungsversuch an: Sünde, Tod und Teufel können trotz aller Anstrengung durch den Menschen nicht bezwungen werden45. Es ist nötig, Jesus Christus zu „herzen", das heißt: sich im Glauben mit ihm zu verbinden, weil er allein der Sieger über die Trias Sünde, Tod und Teufel ist.

43 WA 40 111,344,7. Vgl. WA 40 III,347,2f. (zu Ps 130,3). Luther geht im übrigen davon aus, daß auch ein „Papist", wenn er „vemunfftig" ist, zugeben muß, sich vor Gott auf seine „bona opera" als Erfüllung der göttlichen „praecepta" [„Gebote"] nicht verlassen zu können (ebd. 344,10-13; vgl. 346,2-4). 44 WA 40 111,345,9-11 (zu Ps 130,3). 45 Der Hinweis auf die Sünde beziehungsweise die Sündhaftigkeit des Menschen ist für Luther auch im Kontext anderer Stellen, an denen er sich gegen Frömmigkeit im Sinn einer „iustitia per opera sua" ausspricht, das entscheidende Argument. Vgl. die Fortsetzung der oben zitierten Stelle (s. bei Anm. 42): WA 40 111,346,7-11 (zu Ps 130,3): „Si vis observare, wie from bist, - quid fecisti? ... nos sumus in peccato et non possumus exurgere, peccatores nascimur, vivimus, morimur." [„Wenn du darauf sehen willst, wie fromm du bist, - was hast du getan? ... Wir sind in der Sünde und können uns nicht aufrichten, als Sünder werden wir geboren, leben wir und sterben wir."] Entsprechend heißt es in WA 40 III, 347,2-4 (zu Ps 130,3): „Sed si volueris, i. e. fragen, ob ich from vel nicht from bin, So kan ich nicht fur. Appello ab isto throno Iustitiae. Sed sic: Ego p e c c a t o r . . . " [„Aber wenn du willst, das heißt: fragen willst, ob ich fromm oder nicht fromm bin, so bin ich verloren. Ich appelliere an diesen Thron der Gerechtigkeit. Aber so: Ich bin ein Sünder ..."] Siehe dazu ebenfalls WA 40 111,379,9-11 (zu Ps 131; Einleitung): „Non sumus potentes, sapientes, from, et tarnen volumus esse. Sic venit peccatum in hora sua vnd stost Sanctum hin, ut desperet, et stultitia stosst sapientem hin, Impotentia:..." [„Wir sind nicht mächtig, weise, fromm und wollen es dennoch sein. So kommt die Sünde zu ihrer Zeit und stößt den Heiligen um, daß er verzweifelt, und die Torheit stößt den Weisen um, die Schwachheit sagt: ..."]

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Der Begriff „ f r o m m "

c) sentire se purum a peccatis Die Ausführungen ergeben, daß der Begriff „fromm" in theologisch-kritischen Zusammenhängen im Sprachgebrauch Luthers die dezidierte, von der mittelalterlichen Alltagssprache unterschiedene Bedeutung „iustus per opera sua" aufweisen kann. Frömmigkeit bleibt auch in diesem Sinn ethisch strukturiert, das heißt, gleichfalls empirisch feststellbar und quantifizierbar. Dies gilt ebenso für eine weitere im folgenden zu nennende Bedeutungsnuance. Die Tatsache, daß Luther im Kontext der im letzten Abschnitt46 zitierten Fundstellen des Begriffs „fromm" einmal auf das Stichwort „puritas"47 zu sprechen kommt, zum anderen wiederholt auf das Thema Sünde Bezug nimmt48, ermöglicht die Präzisierung des Gehalts von „fromm". „Fromm" im Sinn von „iustus per opera sua" verwendet Luther in der dritten Psalmenvorlesung zugleich auch im Sinn von „purus a peccatis". In der Auslegung von Ps 51,3 wird das in besonderer Weise deutlich. Hier heißt es: -

„Ego volo orationem differre, elevationem mentis, primum cogitabo de peccato expurgando et reddam me dignum, donec possim dicere: ,Miserere mei'. ... Sol ich nicht eher ,Miserere mei' sprechen, Ich sey denn from, tum non opus habebo ,Miserere'. ... Si sol nicht beten, quam sensero me rein, tum nunquam etc. Ideo magst mich hoeren in mediis peccatis, .,." 49 [„Ich will das Gebet aufschieben, das Aufheben des Geistes; zuerst will ich über die Sünde, die ausgefegt werden muß, nachdenken und will mich würdig machen, bis ich sagen kann: ,Sei mir gnädig.' ... Wenn ich nicht sprechen soll ,Sei mir gnädig', bevor ich fromm bin, dann habe ich das ,Sei gnädig' nicht nötig. ... Wenn ich nicht beten soll, solange ich mich nicht rein fühle, dann werde ich es niemals tun usw. Deshalb sollst du mich hören mitten in den Sünden, ..."]

4 6 S . o . II. 1 .b). 4 7 S. o. bei A n m . 40. 4 8 S. o. A n m . 44f. Das trifft selbst für die Stelle zu, an der der die ..polititi" repräsentierende „ f r o m m e " Jurist hinterfragt wird (vgl. W A 4 0 111,381,5-382,5 [zu Ps 131,1]). 4 9 W A 40 11,332,11-333,7.

.fromm" im Sinn von J u s t u s per opera sua"

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Luthers Zurückweisung einer Frömmigkeit als „per opera sua" produzierte Sündlosigkeit, die zudem im eigenen Empfinden verifizierbar ist, tritt damit unverkennbar zutage. Aus dieser Stelle geht ferner hervor, daß Luther nicht so sehr Frömmigkeit als Werkgerechtigkeit mit Verzicht auf Gnade, sondern genauer Frömmigkeit als Werkgerechtigkeit in Erwartung von Gnade problematisiert. Damit wird auch eine irgendwie geartete Beziehung zur scholastischen Lehre vom „meritum de condigno" [„Verdienst nach Würdigkeit"] beziehungsweise „de congruo" [„nach Billigkeit"]50 fur das Frömmigkeitsverständnis ausgeschlossen. Frömmigkeit ist in keinem Fall Voraussetzung für den Gnadenempfang. Wenn Luther auch im weiteren Verlauf seiner Behandlung desselben Verses eine Freiheit von „peccata actualia" [„Tatsünden"] zugesteht51, so stellt eben doch die nicht auszumerzende, regelrecht zwanghafte Wirklichkeit von „praesumptio, blasphemia, negatio, persecutio dei" [„Vermessenheit, Lästerung, Leugnung, Verfolgung Gottes"] im menschlichen Herzen Frömmigkeit im besagten Sinn bleibend in Frage. Zu beachten ist in diesem Zitat auch der Stellenwert, den das Gebet einnimmt. Wer nicht beten will, bevor er nicht ein Gespür für seine Reinheit beziehungsweise Frömmigkeit hat, schwächt die Bedeutung des Gebets eindeutig ab. Das Gebet erübrigt sich im Grunde. Es liegt dann nicht nur eine Unterscheidung von Frömmigkeit und Gebet vor, sondern auch eine faktische Trennung der beiden voneinander, was nicht sein darf. Luther ermutigt gegenüber der gebetslosen eben ganz auf die eigenen bereinigenden Möglichkeiten inkurvierten Frömmigkeit mit Nachdruck zum Gebet.

50 Rörer schreibt einige Abschnitte später (noch im Zusammenhang der Auslegung von Ps 51,3) nachträglich „meritum condigni, congrui" in seine Aufzeichnungen (über „opera mea" in WA 4 0 11,341,6). 51 Vgl. W A 4 0 ll,339,6f.: „Quod sollen da hin erbeiten, ut simus absque peccatis, nihil; quanquam ab actualibus liberi, tarnen odium, displicentia, dei contemptus etc." [„Daß wir darauf hinarbeiten sollen, daß wir ohne Sünden seien, ist nichts; denn wenn wir auch frei von Tatsünden sind, bleiben doch Haß, Unwille, Verachtung Gottes usw."] Zum unterschiedlichen Vorkommen von „actualia" im Leben einzelner Menschen vgl. W A 4 0 11,348,1-4: „Petrus hat nicht mher fromkeit quam ego. Sic sumus una massa peccatrix. Sed non perpetravi peccatum Petri, Ego autem alia peccata, quamquam non phanaticus Paulus, tarnen in corde est praesumptio, blasphemia, negatio, persecutio dei." [„Petrus hat nicht mehr Frömmigkeit als ich. So sind wir eine sündhafte Masse. Zwar habe ich nicht die Sünde des Petrus begangen, ich habe aber andere Sünden begangen; obwohl Paulus kein Schwärmer ist, ist doch Vermessenheit, Lästerung, Leugnung, Verfolgung Gottes im Herzen."]

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Der Begriff „fromm"

Das Gebet soll dabei nicht trotz des Gespürs für die vorhandene Sünde, sondern gerade aufgrund des Gespürs für die vorhandene Sünde stattfinden52.

2. „fromm" im Sinn von „iustus per opus dei" a)

iustifìcari

Die bisherige Betrachtung der Stellen, die den Begriff „fromm" enthalten, hat gezeigt, daß Luther „fromm" in der dritten Psalmenvorlesung zwar auch positiv unter dem Thema der „iustitia civilis" gebraucht, daß er „fromm" aber zumeist mit negativer Konnotation verwendet. Letzteres ist dann der Fall, wenn „fromm" bei Luther zu einem Terminus seiner Rechtfertigungslehre avanciert. Es sollen nun Stellen untersucht werden, die belegen, daß das mittelalterliche „fromm" in Luthers Sprachgebrauch sogar so weit vorgedrungen und verändert worden ist, daß es auch die Stelle eines positiven Hauptbegriffs innerhalb der Rechtfertigungsthematik einnehmen kann53. Zu Ps 130,4 äußert sich Luther ziemlich zu Beginn seiner Auslegung folgendermaßen: -

„Apud te iustitia, misericordia, kan sonst nicht from werden quam apud te, et illa iustitia est propiciationis, qua possum stare coram deo. Dicitur indulgentia, remissio, ignoscentia, geschenckt, vergeben. ... Ego habeo tuam

52 Vgl. dazu WA 40 11,338,8-339-8 (zu Ps 51,3): „Sed erupiendum ad cogitationes Christianas et cogitemus: Deus misericors pater, qui promisit gratiam; sum peccator, ideo, quia sentio me ineptum, nolo differre, sum nimium aptus, quia sum maximus peccator.... Ergo semper orandum, quia semper sumus peccatores." [„Aber wir sollen hervorbrechen zu christlichen Gedanken und sollen denken: Gott ist ein barmherziger Vater, der Gnade verheißen hat; ich bin ein Sünder, darum, weil ich mich ungeschickt fühle, will ich es (= das Gebet) nicht aufschieben, ich bin überaus geschickt, weil ich der größte Sünder bin. ... Also sollen wir immer beten, weil wir immer Sünder sind."] 53 Die Veränderung des Begriffs in diesem Sinn ist die besondere Leistung Luthers im Blick auf die Sprachgeschichte des Wortes „fromm". Allerdings blieb diese Veränderung aufgrund der weiteren Begriffsentwicklung eine Episode. „Fromm" löste sich wieder aus dem unmittelbaren Kontext der Rechtfertigungsthematik und wurde später im Sinn von „pius" = „deum colens" [„Gott verehrend"] rezipiert. Vgl. hierzu zum Beispiel Moser, „Fromm" bei Luther und Melanchthon, 69ff.; Matsuura, Zu „fromm" bei Luther, 135ff. S. u. II.3.

„fromm" im Sinn von J u s t u s per opus dei"

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promissionem, quod ex sola misericordia iustitiam donas, quae vocatur tua ignoscentia, quod non vis ,observare'. Jniquitates observare' est simpliciter damnare; econtra simpliciter salvare et justificare. Est Antithesis; est non velie reputare peccata, ut textus: ,Cui non imputât'; non: qui non habet peccatum, - omnes habemus; sed non imputari, observari, iudicari, das ist iustitia nostra." 54 [„Bei dir ist die Gerechtigkeit, die Barmherzigkeit, ich kann sonst nicht fromm werden als bei dir, und jene Gerechtigkeit ist die der Versöhnung, durch die ich vor Gott stehen kann. Sie heißt Ablaß, Vergebung, Verzeihung, geschenkt, vergeben. ... Ich habe deine Verheißung, daß du allein aus Barmherzigkeit die Gerechtigkeit schenkst, die man deine Verzeihung nennt, daß du nicht,darauf achten' willst usw. ,Auf die Missetaten achten' bedeutet schlicht verdammen; das Gegenteil bedeutet schlicht retten und rechtfertigen. Es ist eine Antithese; es ist die Sünden nicht zurechnen wollen, wie der Text sagt: ,Dem er nicht zurechnet'; es heißt da nicht: der keine Sünde hat, - alle haben wir sie; aber sie wird nicht zugerechnet, es wird nicht auf sie geachtet, sie wird nicht gerichtet, das ist unsere Gerechtigkeit."] „Fromm werden" ist in diesem Zitat der göttlichen „iustitia" zugeordnet, wobei ein eindeutiger Kausalzusammenhang besteht. Jemand kann nur dann zu Recht als „fromm" gelten, wenn Gott ihm seine „iustitia" mitteilt. „Fromm werden" stimmt also mit „salvari" beziehungsweise „iustificari" überein. Justificare" wiederum ist gleichbedeutend mit „non velie reputare peccata", so daß Frömmigkeit hier das Ergebnis einer forensisch-imputativen Rechtfertigung darstellt. Luther hat demzufolge hier den Begriff „fromm" aus dem ethischen Bereich ganz in den theologischen hinübergezogen. Frömmigkeit ist an dieser Stelle ein rein theologischer Begriff. Sie bezeichnet als solcher nicht länger eine empirisch feststellbare Quantität, vielmehr eine neue Qualität des Standortes, den der Mensch einnimmt: das „stare coram deo". Frömmigkeit ist dabei Zustandsbeschreibung und Verhältnisbegriff in einem. In der Erläuterung des nächsten Verses desselben Psalms taucht „fromm" erneut als positiv gefüllter Begriff der Rechtfertigungslehre auf. Die Formulierung

54 W A 4 0 111,349,2-350,1.

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Der Begriff „fromm"

- „from sein remissione peccatorum et propiciatione divina"55 bringt dort mit dem sofortigen Hinweis auf die „remissio peccatorum" das Moment der Imputation in der Begründung der Frömmigkeit besonders klar zum Ausdruck. Neben diesen beiden Stellen, an denen Luther „fromm" prädikativ in der Verbindung mit „werden" und „sein" verwendet, gibt es in der Kommentierung von Ps 90,17 einen Beleg im Rahmen von Rechtfertigungsthematik, der „fromm" in der Verbindung mit „machen" aufweist. Man könnte hier am ehesten einen Zusammenhang mit der effektiven Komponente des Rechtfertigungsvorgangs, wie er sich in Luthers Rechtfertigungskonzeption findet, vermuten. Aber auch an dieser Stelle steht ein „non imputare" im Hintergrund. Das zeigt die Parallelisierung von - „... wenn vns vnser Herr Gott... hat from gemacht" mit den vorausgehenden Sätzen: - „Deus ostendit nobis se et facit nos salvos suo solius opere. Vnd das mus das erste sein, quod ipse nos salvos faciat et liberet ab isto morbo, quem diabolus inflixit in Adam, scilicet peccatum aeternum et mortem aeternam."56 [„Gott zeigt sich uns und macht uns selig allein durch sein Werk. Und das muß das erste sein, daß er selbst uns selig macht und uns von jener Krankheit befreit, die der Teufel in Adam zugefugt hat, nämlich der ewigen Sünde und dem ewigen Tod."] Es ergibt sich, daß „fromm" innerhalb der Rechtfertigungsthematik fur Luther auch die Bedeutung „iustus per remissionem peccatorum" oder „iustus per opus dei" annehmen kann57.

55 WA 4 0 III,362;7f. 56 WA 4 0 111,588,4-8. 57 In der dritten Psalmenvorlesung wird der Begriff „fromm" nur auf den Menschen angewendet. Wenn es jedoch - w i e in diesem Abschnitt - um die strikt theologische Prägung des Wortes geht, ist der Hinweis angebracht, daß Luther „fromm" in anderen Zusammenhängen auch auf Gott anwendet. In W A 31 1,51 l,33f. (Kleinere Arbeiten über Psalmen. 1530-1532) erscheint zu Ps 51,6 folgende Aussage in bezug auf Gott: „Iustus igitur heisst from, du hast recht, Non (ut olim): severus et damnans. Iusticia dei salvat, non condemnat." [Justus' heißt also fromm, du hast recht, nicht (wie einst): streng und verurteilend. Die Gerechtigkeit Gottes rettet, sie verurteilt nicht."] „Fromm" ist Gott also aufgrund und im

f r o m m " im Sinn von „iustus per opus dei"

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b) credere Euangelio Daß der Begriff „fromm" - positiv verwendet - bei Luther ganz von der Rechtfertigungslehre her bestimmt sein kann, wird in der dritten Psalmenvorlesung insbesondere auch dann deutlich, wenn Luther zugleich vom Glauben redet. Hier ist das vollständige Zitat der erwähnten Aussage zu Ps 130,5 58 zu analysieren: -

„Hoc indicat David, cum sic urget: was hats muhe et anfechtung in ista doctrina. Si mus from sein remissione peccatorum et propiciatione divina, tum wil ich mich auff in verlassen et videbo, ut doctrina ista non auferatur."59 [„Dieses zeigt David an, wenn er so lehrt: Was gibt es für Mühe und Anfechtung im Zusammenhang mit dieser Lehre. Wenn ich fromm sein muß durch die Vergebung der Sünden und die göttliche Versöhnung, dann will ich mich auf ihn verlassen und will zusehen, daß mir diese Lehre nicht entrissen wird."]

Sinn seiner rechtfertigenden Gerechtigkeit. Während an dieser Steile ein von der Rechtfertigungslehre her definiertes „fromm" auf Gott Anwendung findet, greift Luther sonst auch auf den mittelalterlichen Sprachgebrauch von „fromm" zurück. Dieser legt sich zum Beispiel bei der Übersetzung des lateinischen „rectus" im deutschen Psalter von 1531 nahe. Vgl. etwa WA DB 10 1,41 l,Ps 92,16 mit WA DB 10 II,246,Ps 91,15 (Psalterium translationis veteris correctum [Der Psalter nach der alten Übersetzung, revidierte Fassung]. 1529). Der Aspekt der Aufrichtigkeit ist an anderen Stellen wohl meist mit dem der gnädigen Zuwendung verbunden. Vgl. zu Ps 9,11 die Formulierung in WA 31 1,290,35291,2 (Auslegung der ersten 25 Psalmen auf der Coburg. 1530): „Non igitur relinquet nos. ,Laudate dominum.' Weil er also ein fromer gott ist, so lobt und danckt, ehret und preiset yhn." [„Er wird uns also nicht verlassen.,Lobet den Herrn.' ..."] Siehe zu Ps 105,28 auch WA DB 3,131,21 (Revisionsprotokoll zum Psalter. 1531), wobei es sich möglicherweise um einen Satz Melanchthons handelt: „Er ist ein from Gott, wer im dienet, den bezalet er reichlich." „Fromm" rückt in diesen Fällen wieder in die Nähe der Rechtfertigungsthematik. Ein in ähnlicher Weise, nämlich in der Bedeutung von „propitius" gebrauchtes „fromm" kommt in der dritten Psalmenvorlesung übrigens einmal in der Anwendung auf „principes" vor. Vgl. WA 40 111,453,2-5 (zu Ps 132,17): „Si doceremus mendacia, Papa esset propicius dominus. Si singulis hereticis obsequeremur, essent amici. Sic in temporalibus: si permittitur j r mutwille Civibus, rusticis, tum sunt principes from." [„Wenn wir Lügen lehrten, wäre der Papst ein gnädiger Herr. Wenn wir den einzelnen Ketzern folgten, wären wir Freunde. So verhält es sich in den zeitlichen Dingen: Wenn den Bürgern und Bauern ihr Mutwille gelassen wird, dann sind die Fürsten fromm."] 58 S. o. bei Anm. 55. 59 WA 40 111,362,6-9.

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Der Begriff „fromm"

Frömmigkeit als Ergebnis der Rechtfertigung ist nicht ohne das „Sich verlassen", das heißt bei Luther: nicht ohne die „fides". Die „fides" stellt die anthropologische Grunddisposition dar, durch die die Rechtfertigung empfangen wird. Insofern kann Frömmigkeit im Zusammenhang der Rechtfertigungsthematik auch als Glaubensgerechtigkeit verstanden werden. Der Hinweis auf den Glauben durch den Hinweis auf das „Sich verlassen" ist im angegebenen Zitat mit dem Hinweis auf die unbedingt festzuhaltende „doctrina" verbunden. Der Begriff „doctrina" steht hier parallel zu den sich im Kontext findenden Begriffen „heubtplatz", „articulus"60 und „Euangelium"61 und ist von daher zu interpretieren62. An anderen Stellen gebraucht Luther im Zusammenhang mit „fromm" unter anderem die Begriffe „promissio" beziehungsweise „promissiones"63 und „verbum"64. Frömmigkeit ist demzufolge nicht nur nicht ohne „fides", sondern auch nicht ohne das Evangelium beziehungsweise das Wort Gottes. Die Rechtfertigung geschieht im Glauben und durch das Wort. Frömmigkeit ist im Rahmen der Rechtfertigungsthematik Glaubensgerechtigkeit im konsequenten Wortbezug. Die Betonung des Wortbezuges kommt in der dritten Psalmenvorlesung besonders eindringlich in der Warnung vor dem „fastidium verbi" zum Ausdruck. In der Einleitung zur Auslegung der Stufenpsalmen formuliert Luther: -

„Es ist das laster fastidium, das betrigt manchen fromen Christen, et venit paulatim ad contemptum et fastidium verbi, deinde ad neglectum, postea gar dauon. Sic in Papatu. Sic hodie fit nostris rusticis."65 [„Es ist das Laster des Überdrusses, das betrügt manchen frommen Christen; und zwar kommt es langsam zur Verachtung des Wortes und zum Überdruß an ihm, darauf zur Vernachlässigung, in der Folge ist es gar davon. So war es im Papsttum. So geschieht es heute unseren Bauern."]

6 0 WA 4 0 111,362,6. 61 W A 4 0 111,361,15. 62 „Doctrina" meint also nicht ein „scholastisches" System. 63 W A 4 0 111,412,11-15 (zu Ps 132,9); 429,11-16; 437,13 (zu Ps 132,12). 64 W A 4 0 111,412,11-15 (zu Ps 132,9); W A 4 0 IIl,12,2f. (zu den Stufenpsalmen). 65 WA 4 0 111,12,2-4.

.fromm" im Sinn von „iustus per opus dei"

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Der „fromme Christ"66 wird betrogen, das heißt, seine Frömmigkeit wird zur Farce, wenn er sich dazu verleiten läßt, das „verbum" nicht gebührend zu beachten und zu betrachten. Daß für die Frömmigkeit neben dem Wort ebenso die Sakramente konstitutiv sind, geht in der dritten Psalmenvorlesung aus der Erklärung von Ps 132,9 hervor67. An dieser Stelle ist zwar nur von der empirisch faßbaren „ethischen" Frömmigkeit die Rede, die der „diabolus" in der Anfechtung einfordert: - „Non from" [„Du bist nicht fromm"]. Indem mit - „Christianus sum ... sum baptisatus" [„Ich bin ein Christ ... Ich bin getauft"] und der Überzeugung „Non potest inquinare Euangelium, Sacramentum, baptismum" [„Er kann das Evangelium, das Sakrament und die Taufe nicht verfalschen"] gekontert wird, wird dieser Anfechtung gegenüber das Christsein zuerst durch die Taufe, sodann durch die Dreiheit von Evangelium, Abendmahl und Taufe begründet. Der Hinweis auf das Evangelium zeigt dabei, daß es sich bei dem „Christianus" offensichtlich um den durch das Wort im Glauben gerechtfertigten und in diesem Sinn „frommen" Menschen handelt. Dessen Frömmigkeit abstrahiert eben nicht von den Sakramenten, sondern weiß um ihre gleichfalls grundlegende Bedeutung.

66 Die Wendung „frommer Christ" ist eine häufige Formel sowohl im 15. als auch im 16. Jahrhundert (vgl. Günther, „Fromm" in der Zürcher Reformation, 21 -24). Sie bedeutet wohl vor allem „rechter, echter, wahrer Christ". Bei Luther schwingt von seiner Rechtfertigungslehre her sicherlich die Bedeutung „gerechter, gerechtfertigter Christ" mit. Die Doppelung im Ausdruck erübrigt sich für Luther im Grunde. Es findet sich ja zum Beispiel in der Auslegung zu Ps 2,4 die Gleichsetzung von „Iustus" und „Christianus": W A 4 0 II,225,8f.: „Iustus erit absque pavore, Christianus non timet peccatum, ridet peccatum, diabolum et omnes minas, ..." [„Der Gerechte wird ohne Furcht sein, der Christ fürchtet die Sünde nicht, er lacht über die Sünde, den Teufel und alle Drohungen,..."] Sie ergibt sich jedoch eben aus der mittelalterlichen Tradition. 67 Siehe W A 4 0 111,412,8-15.

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Der Begriff „fromm"

3. „fromm" im Sinn von „pius" Die beiden vorausgehenden Abschnitte68 haben deutlich gemacht, daß der Begriff „fromm" in der dritten Psalmenvorlesung an einigen Stellen ein positiver Fachausdruck der Rechtfertigungslehre ist. Wie schon angemerkt69, konnte sich „fromm" als so bestimmter theologischer Fachterminus sprachgeschichtlich nicht behaupten. Der theologische Fachbegriff verflachte - um mit Veronika Günther zu sprechen70 - zu einem „religiösen Schlagwort" und ist als solches bis in die Gegenwart hinein populär. Diese Entwicklung hängt mit der unterschiedlichen Betonung der konstitutiven „fides" zusammen. Während „fromm" als theologischer Fachterminus der Rechtfertigungslehre zuerst auf die Rechtfertigung verweist, wobei der Glaube mitgedacht wird, so kommt es im Lauf der Entwicklung zum religiösen Schlagwort diesbezüglich zu einer Umkehrung: „Fromm" verweist jetzt zuerst auf den Glauben, wobei die Rechtfertigung nur noch mitgedacht wird. Ein allgemeines religiöses Schlagwort ist „fromm" dann in dem Augenblick geworden, in dem die Verbindung zur Rechtfertigungslehre gänzlich aufgehoben ist. Diese neue Sinnverschiebung des Wortes „fromm" hin zu der allgemeineren Bedeutung „gläubig, gottesfurchtig" wird lateinisch am besten mit dem Begriff „pius" markiert. In diesem Zusammenhang stellt sich natürlich dann die Frage, ob Luther eine derartige Bedeutung bereits kennt und „fromm" folglich auch im besagten Sinn verwendet71.

68 69 70 71

II.2.a) und II.2.b). S. Anm. 53. Vgl. Günther, „Fromm" in der Zürcher Reformation, 140-142. Daß der lateinische Begriff „pius" über „gläubig, gottesfürchtig" hinaus weitere Bedeutungsaspekte hat, ist klar, soll hier aber außer acht gelassen werden. Luther gebraucht „pius" natürlich auf unterschiedliche Weise, zum Beispiel im klar definierten Sinn von „iustus". Vgl. dazu W A 31,1,512,5-9 zu Ps 51,6 (Kleinere Arbeiten über Psalmen. 15301532): „Tibi soli peccavi: seil, quid mordes, Satan? Quid accusas, lex? quid turbas me, cor? Nunquid vobis peccavi aut reus sum, qui non potestis iustifïcare? Imo soli deo, qui iustus est i. e. from, peccavi. Si ¡Ile iustificat, qui estis vos, qui sic me damnetis? Nihil vobis debeo sed soli iusto i. e. suavi pio Deo." [„An dir allein habe ich gesündigt: Was beißt du denn, Satan? Was klagst du an, Gesetz? Was verwirrst du mich, Herz? Habe ich etwa an euch gesündigt oder bin ich euer Schuldner, die ihr nicht rechtfertigen könnt? Nein, vielmehr allein an Gott, der gerecht ist, das heißt: fromm, habe ich gesündigt. Wenn jener rechtfertigt, wer seid ihr, die ihr mich so verurteilt? Nichts bin ich euch schuldig, sondern ich bin allein des gerechten, das heißt: des lieben frommen Gottes Schuldner."]

.fromm" im Sinn von „pius"

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Das Grimmsche Deutsche Wörterbuch meint, „dasz LUTHERS fromm meistens unserjetziges gerecht oder auch gut bezeichnet, nicht fromm im sinne von deum verens [„Gott fürchtend"]" 72 . Friedrich Ranke ging 1949 davon aus, daß „fromm" ohne den „dogmatischen Hintergrund in der Rechtfertigungslehre" als bloßes Synonym von „gläubig" nicht bei den Reformatoren, wohl aber bei ihren Zeitgenossen, zum Beispiel bei Sebastian Franck, und dann vor allem im Pietismus verwendet wurde73. Hugo Moser stellte demgegenüber 1967 fest, „fromm" stehe bei Luther und Melanchthon „auch schon inhaltlich in der Nähe von ,gottesfurchtig' (Deum verens), ja, es rück(e) ganz dicht an die heutige Bedeutung , fromm' (Deum colens, religiosus) heran"74. Dies wurde von Johannes Erben bekräftigt, der eine allmähliche Veränderung von „fromm" im Sinn von „gläubig, gottesfurchtig" bei Luther an Stellen nachwies, an denen „frum" und „glaubig, gottfurchtig, christlich" gleichgeordnet sind75. Auch Jan Matsuura belegte die Verbindung von „fromm" und „gläubig" bei Luther, wobei er allerdings im Anschluß an Wolfgang Stammler annahm, daß dieser Sprachgebrauch bereits im Mittelalter wenigstens vorbereitet war76. Tatsächlich gibt es in der dritten Psalmenvorlesung Stellen, an denen Luther den Begriff „fromm" im Sinn von „pius" = „gläubig, gottesfürchtig" verwendet. -

In der Erläuterung von Ps 128,1 entfaltet Luther ausfuhrlich, daß die Ehe in der Furcht Gottes beziehungsweise im Glauben beziehungsweise im Bezug auf das erste Gebot zu beginnen und zu fuhren ist77: „Non sic poete canunt Epithalamia sua ut ille, qui incipit a fide, timore 1. praecepti."78 [„Die Dichter singen ihr Hochzeitslied nicht so wie jener, der vom Glauben, von der Furcht des ersten Gebotes her beginnt."] Dabei gilt dann: „Non solum 1. praeceptum servare debes, Credendo et metuendo deum, Pietatem prae-

72 DWb 4, Sp. 241 (Art. FROMM). 73 Vgl. Ranke, Lebenshintergrund, 138. 74 Moser, „Fromm" bei Luther und Melanchthon, 67. 75 Vgl. Erben, Luther und die neuhochdeutsche Schriftsprache, 530. 76 Vgl. Matsuura, Zu „fromm" bei Luther, 131-133.135-137. Vgl. Stammler, Rezension, 326. Ob das Verständnis und der Gebrauch von „fromm" im Sinn von „pius" = „gläubig, gottesfurchtig" allein eine Folge der lutherischen Rechtfertigungslehre darstellt oder auch schon auf die vorreformatorische Sprachgeschichte zurückzuführen sind, kann hier nicht näher erörtert werden. Wahrscheinlich sind beide Möglichkeiten zu beachten und aufeinander zu beziehen. 77 WA 40 111,272,12-278,1. 78 WA 40 III,274,5f.

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Der Begriff „fromm"

stando, i. e. spiritus cultus vel timoris domini, Ut habeas reverentiam erga deum, i. e. ut non sim praesumptuosus. ,In viis': ut sequantur alia praecepta, 2. 3.4. 5. etc., i. e. tibi dicunt, ut deum colas, vites peccata, scortationem etc. et gotfìirchtig leben anfahen." 79 [„Du sollst nicht allein das erste Gebot halten, daß du glaubst und Gott furchtest, daß du Frömmigkeit erweist, das ist der Dienst des Geistes oder der Furcht des Herrn, damit du Ehrfurcht vor Gott hast, das heißt, damit ich nicht vermessen bin. ,Auf den Wegen': Das bedeutet, daß die anderen Gebote folgen sollen, das zweite, dritte, vierte, fünfte usw., die sagen dir, daß du Gott ehren, die Sünden, Hurerei usw. meiden und ein gottesfurchtiges Leben anfangen sollst."] Als Überleitung zur Auslegung des zweiten Verses faßt Luther die gesamten Ausführungen mit den Stichworten „got furchten et from sein" zusammen80, wobei eben „fromm" eindeutig im Sinn der zuvor wortreich thematisierten Gottesfurcht zu verstehen ist81. -

In der Kommentierung von Ps 132,12 fordert Luther gegenüber Papst und Papisten den Glauben ein: „,Si custodierint', si meas promissiones servabunt, ,testamentum'. Sie müssen glauben et from sein. Si non coluerint idola, deflexerint a fide et erexerint meas promissiones, ,testamentum', .testimonia', legem, doctrinas."82 [„, Wenn sie halten', wenn sie meine Verheißungen bewahren, ,den Bund'. Sie müssen glauben und fromm sein. Wenn sie keine Götzenbilder verehren und nicht vom Glauben weichen und meine Verheißungen, ,den Bund', ,die Zeugnisse', das Gesetz, die Lehren aufrechterhalten."] Der Begriff „fromm" ist in diesem Fall vom Thema des Glaubens, unausgesprochen auch vom Thema der Gottesfurcht bestimmt. „Fromm" ist der, der glaubt und deshalb an den „promissiones" - gottesfurchtig - festhält83.

79 80 81 82 83

W A 4 0 111,277,9-14. W A 4 0 111,278,3. Dies trifft im übrigen auch für das Substantiv „pietas" zu. W A 4 0 111,429,10-13. An zwei weiteren Stellen in der Erklärung von Ps 132,12 gebraucht Luther den Begriff „fromm" in der dritten Psalmenvorlesung wohl ähnlich. Siehe WA 4 0 111,437,12-14: „lam Amplificatio promissionis et expósita clarius, quasi dicat: habetis promissionem, videte, ut from seid. Si hoc, manebunt Reges in sede." [„Nun erfolgt eine Amplifikation der Verheißung, und sie wird klarer beschrieben, als ob er sagen wollte: Ihr habt die Verheißung, seht zu, daß ihr fromm seid. Wenn dies geschieht, werden die Könige auf dem Thron bleiben."] Siehe ebenfalls W A 4 0 111,428,10-12: „Si werd ir nicht from sein, Salomonis et

.fromm" im Sinn von „pius"

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Diese Nachweise in der dritten Psalmenvorlesung werden im übrigen durch Belege im Protokoll zur Psalterrevision des Jahres 1531 unterstützt, die noch deutlicher sind. -

Nach Ps 32,1 Of. wird in der Gegenüberstellung zum Gottlosen der Fromme als derjenige beschrieben, der „auff Gott trawet"84.

-

Zu Ps 75,4 heißt es: „Das sind die fromen, qui terrentur iudicio dei, impii rident."85 [„Das sind die Frommen, die durch das Urteil Gottes in Schrecken versetzt werden, die Gottlosen lachen."]

Die Verwendung des Wortes „fromm" im Sinn von „pius" = „gläubig, gottesfurchtig" demonstriert, daß Frömmigkeit für Luther nicht nur das rein „theologische" Ergebnis der Rechtfertigung darstellt86. Weil der Frömmigkeitsbegriff vom Schwergewicht des Glaubens her ganz und gar bestimmt sein kann, ist Frömmigkeit bei Luther offensichtlich auch eine innere „Haltung". Das heißt: Sie ist auch eine Seinsveränderung am Menschen. Als solche kann man sie zwar nicht direkt empirisch verifizieren, man muß jedoch entsprechend der

Nathan posteritatem ausrotten, et tarnen servabo regnum." [„Wenn ihr nicht fromm sein werdet, werde ich die Nachkommenschaft Salomos und Nathans ausrotten, und dennoch werde ich das Reich erhalten."] 84 WA DB 3,24,28-30: „Der Gotlos hat viel mher plag, er martert und plagt sich wol, er macht yhm selb viel plag impius; qui vero auff Gott trawet, der hat gute tage. D e r G o t t l o s h a t v i e l p l a g , ideo ,mus viel leiden'. A l l e f r o m e . " 85 WA DB 3,93, lOf. Es läßt sich übrigens besonders im Blick auf die Bedeutung „gläubig, gottesfiirchtig" bei Luther zeigen, daß sich die verschiedenen bereits herausgearbeiteten Bedeutungsnuancen des Begriffs „fromm" auch miteinander verbinden können. So kann Luther etwa ein attributiv gestelltes „fromm", das sonst eher die „iustitia civilis" bezeichnet (s. o. II. 1 .a)), mit der zusätzlichen Bedeutungsnuance „gläubig, gottesfurchtig" gebrauchen: In den Psalmenauslegungen, die Luther 1530 auf der Coburg vorgenommen hat, wird nämlich in WA 31,1,312,16f. (zu Ps 15,4) „unser frumer Churfurst" gerühmt, weil er sich „so gar von den andern absondert der lehre halben". Das Revisionsprotokoll zu Ps 94,15 dokumentiert in WA DB 3,120,23-25 einen anderen Fall. Hier verbindet sich im Begriff „fromm" die Bedeutung „gottesfurchtig" mit dem Sinngehalt „iustus" = „gerechtfertigt": „Videbunt iusti et timebunt et sperabunt Audiant mansueti et contenti... das werden loben, sich freuen a l l e f r o m e h e r t z e n . " [„Die Gerechten sollen es sehen und sich fürchten und sollen hoffen, die Sanftmütigen und Genügsamen sollen es hören ... Alle fromme Herzen werden das loben und werden sich darüber freuen."] 86 S. o. II.2.a).

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Der Begriff „fromm"

Rede Luthers vom Wachsen der „fiducia" beziehungsweise der „fides"87 an dieser Stelle eine Quantifizierbarkeit voraussetzen88. Was das Verhältnis zur Rechtfertigungslehre angeht, so wird man bei dem Verständnis der Frömmigkeit als gläubige Haltung annehmen können, daß Luther über das Thema des Glaubens auch dann noch einen Zusammenhang mit der Rechtfertigungslehre herstellt, wenn ansonsten im Kontext die diesbezüglich charakteristische Terminologie fehlt89.

4. „fromm" im Sinn einer „cooperario cum deo" a) opera nostra ex opere dei Luthers positiv gefüllter Begriff „fromm" im engeren oder im weiteren Zusammenhang der Rechtfertigungslehre, das heißt, sowohl im Sinn von „iustus" als auch im Sinn von „pius"90, hat in den oben herangezogenen Zitaten aus der dritten Psalmenvorlesung als solcher keine von menschlichen „opera" abhängige Struktur. Nun darf man aber die Bedeutung der von Luther trotz all seiner Kritik nach wie vor geforderten „opera bona" auch in der dritten Psalmenvorlesung nicht unterschätzen. Es muß deswegen im folgenden geklärt werden, an

87 Vgl. WA 40 11,519,8-12 (zu Ps 45,7); WA 40 111,593,9-15 (zu Ps 90,17). 88 Die Verwendung des Begriffs „Haltung" bei der Beschreibung von Luthers Frömmigkeitsbegriff ist nur dann legitim, wenn zwischen der Frömmigkeit und dem Glauben unterschieden wird. Der Glaube ist bei Luther keine „Haltung". Er ist nichts Starres. Er ist ein Geschehen, eine Bewegung, ein Vorgang, ein inneres „Verhalten". Dieses innere „Verhalten" erzeugt freilich stets neu die innere „Haltung", die innere „Einstellung", die „Gesinnung" usw. Zum Glaubensbegriff bei Luthers, u. V1.4. 89 Es scheint allerdings so, als ob Luther den Begriff „fromm" in dem oben angegebenen Abschnitt aus der Erläuterung von Ps 128,1 (s. Anm. 77) im Sinn der gläubigen Haltung nur im Bereich des ersten Glaubensartikels verwendet. „Got furchten et from sein" wird mit dem Satz „ . . . , ut timeat deum et agnoscas te creatum; non te fecisti, sed qui faventer et cum benedictione te creavit" [„..., daß man Gott furchte und daß du anerkennst, daß er dich erschaffen hat; nicht du hast dich geschaffen, sondern der, der dir als seinem Geschöpf Gunst und Segen verheißen hat"] (WA 40 111,278,4-6) auf den Punkt gebracht. Trotzdem kann man auch hier doch wohl kaum schon von einem allgemeinen religiösen Schlagwort reden. 90 S. o. 11.2. und II.3.

.fromm" im Sinn einer „cooperatio cum deo"

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welcher Stelle die fur den mittelalterlichen Frömmigkeitsbegriff im Sinn der „iustitia civilis" ja unerläßlichen „opera" schließlich auch in Luthers neuem Sprachgebrauch wiederzufinden sind. Bei „fromm" im Sinn von „pius" wird die Verbindung zu den „opera" offenbar, wenn es neben dem Bezug zum ersten Gebot auch um den Bezug zu den übrigen Geboten des Dekalogs geht und - wie oben zitiert - von einem „gotfürchtig leben" die Rede ist91. Aber auch beim Gebrauch von „fromm" im Sinn von „iustus per opus dei" werden die „opera" in bestimmter Hinsicht positiv veranschlagt. Mehr noch: In diesem Zusammenhang erscheint der Begriff „fromm" bei Luther sogar in einer zusätzlichen neuen Bedeutungsvariante. Diese Variante findet sich in der dritten Psalmenvorlesung ganz prägnant in der Erklärung von Ps 90,17, dem letzten Vers, den die Vorlesung behandelt. Hier sagt Luther: - „Post so wollen wir komen vnd auch from sein, wenn vns vnser Herr Gott vorhin hat from gemacht."92 Der Begriff „fromm" bezeichnet nach dieser Aussage zum einen zwar das ausschließliche Ergebnis göttlicher Aktivität93, der der Mensch wiederum keinesfalls aktiv, sondern nur mit reiner Passivität begegnen darf und kann, wie denn Luther im Kontext ausdrücklich formuliert: - „Primum petimus opus tuum, Domine. Ibi nos nihil agimus, sed tantum sumus spectatores et receptatores, sumus mere passivi."94 [„Zuerst erbitten wir dein Werk, Herr. Da tun wir nichts, sondern sind nur Zuschauer und Empfanger, wir sind rein passiv."] Zum anderen bezeichnet „fromm" hier aber eben im Hauptsatz auch die Aktivität des Menschen, ohne daß doch eine pejorative Notierung erkennbar ist. Die weiteren Erläuterungen zu diesem Psalmvers, die die „opera nostra" in der „ecclesia" sowie in der „politia" beziehungsweise „oeconomia" als reformatorische Selbstverständlichkeiten thematisieren95, lassen dabei keinen Zweifel

91 S. o. bei Anm. 79. 92 W A 4 0 III,588,7f. 93 S. o. II.2.a). 94 W A 4 0 111,588,2-4. 95 Vgl. W A 4 0 III,590ff.

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Der Begriff „fromm"

daran, daß das Wort „fromm" an dieser Stelle von menschlichen „opera" her verstanden werden muß und daß es sich zugleich um einen ganz und gar positiv dargestellten Begriff handelt96. Im Gegensatz zu der ansonsten in Verbindung mit der Rechtfertigungsthematik vorhandenen Kritik an einer durch menschliche „opera" strukturierten Frömmigkeit97 erscheint also an dieser Stelle geradezu eine Empfehlung derselben in Verbindung mit der Rechtfertigungsthematik. Das ist kein Widerspruch, sondern liegt am unterschiedlichen Kausalverhältnis, in dem die „opera" und die Rechtfertigung jeweils stehen. Für Luther begründen nicht die Werke die Rechtfertigung, wohl aber begründet die Rechtfertigung die Werke beziehungsweise die sich in ihnen verwirklichende Frömmigkeit. So heißt es denn im unmittelbaren Anschluß an die hervorgehobene Aussage „wir (wollen) from sein" unmißverständlich: -

„Sed tarnen haec etiam est gratia dei et procedit ex primo opere dei, Das ers gar allein habe et sit dominus."98 [„Aber doch ist auch dies Gnade Gottes und geht aus dem ersten Werk Gottes hervor, damit er es ganz allein habe und der Herr sei."]

Das hier wiederholt angesprochene „opus dei" ist im Blick auf die durch menschliche „opera" strukturierte Frömmigkeit offenbar das Werk der Rechtfertigung, das derselben chronologisch und auch je und je logisch vorangeht. Es verbindet sich mit der fortwährend wirksamen bewahrenden göttlichen Gnade angesichts des „reliquum malorum" [„Rest der Übel"], nämlich der „reliquiae peccati in nobis" [„Überbleibsel der Sünde in uns"], der „sectae, scandala" [„Sekten, Ärgernisse"] sowie der „passiones et tentationes nostrae" [„unsere

96 Anders verhält es sich mit einer ähnlich klingenden Formulierung in WA 4 0 11,339,9-340,2 (zu Ps 51,3): „Vivacissimum suspirium ghet toto tempore vitae etc.: Ich wolt doch g e m from sein. Hanc naturam vincere, ist Theologica virtus. Vber dein peccatum sprich ein ,Miserere' druber." [„Ein äußerst kräftiger Seufzer zieht sich durch die ganze Zeit des Lebens usw.: Ich wollte doch gern fromm sein. Die theologische Tugend besteht darin, diese Natur zu besiegen. Sprich ein ,Sei gnädig' über deiner Sünde."] Wenn auch im Kontext die anfangsweise Erfüllung des Dekalogs zugestanden wird (vgl. WA 4 0 II,340,5f.), so geht es doch hauptsächlich um die oben in II. 1 .c) beschriebene Abwehr einer Frömmigkeit als selbstproduzierte Sündlosigkeit. Insofern wird der Wille, fromm zu sein, hier eher abgewertet. 97 S. o. Il.l.b) und II.l.c). 98 WA 4 0 111,588,8-10.

„fromm" im Sinn einer „coopératif) cum deo"

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Leiden und Anfechtungen"] 99 . Es steht demzufolge dann im Zusammenhang mit der Hilfe und Begleitung Gottes in den konkreten Herausforderungen, die das Leben in den Ständen mit sich bringt. - Luther sagt beispielsweise in seiner Erörterung der Aufgaben in der „politia": „Ideo orandum pro pace, ut dirigat deus opera manuum nostrarum, quae non sunt supra nos, sed in manibus nostris."100 [„Deshalb soll man fur den Frieden beten, daß Gott die Werke unserer Hände leite, die nicht über uns, sondern in unseren Händen sind."] - In bezug auf die Tätigkeit in der „ecclesia" heißt es an einer Stelle: „Da gehört vnser Herr Gott zu, ut opus super nos regat. Ibi etiam nos operamur, sumus non solum passivi, sed etiam cooperativi."101 [„Da gehört unser Herr Gott hinzu, denn es ist nötig, daß er über uns regiert. Da wirken auch wir, wir sind nicht nur passiv, sondern auch kooperativ."] Letzteres Zitat enthält eine Formulierung, die nach dem Gesagten verallgemeinert werden kann. „Opus dei" und „opera nostra" bezieht Luther so aufeinander, daß das „opus dei" zwar einerseits alles umfaßt und bestimmt, daß aber andererseits in seiner Folge auch eine „cooperado" [„Zusammenwirken"] zwischen Gott und Mensch zutage tritt102. Um es mit dieser Terminologie zu sagen: Luther kann den Begriff „fromm" also in der dritten Psalmenvorlesung auch im Sinn einer unabgeschlossenen und in der Lebens- und Glaubensbewegung unabschließbaren „cooperatio cum deo" verwenden. Frömmigkeit meint dann eine aktive Lebensgerechtigkeit103. Die Identifikation mit der „gratia

99

Vgl. W A 4 0 111,588,10-590,3.

100 W A 4 0 HI,593,7f. 101 W A 4 0 111,590,12-591,1. 102 Der Gedanke der „cooperatio" im Gefolge der Rechtfertigung findet sich bereits beim jungen Luther. Vgl. zum Beispiel eine Aussage im „Sermo de duplici iustitia" [„Sermon von der zweifachen Gerechtigkeit"] von 1519: WA 2,146,36-147,7: „Secunda iusticiaest nostra et propria, non quod nos soli operemur eam, sed quod cooperemur illi primae et alienae. ... Haec iusticia est opus prioris iusticiae et fructus atque sequela eiusdem ..." [„Die zweite Gerechtigkeit ist unsere und ist eine eigene, nicht weil wir sie allein wirken, sondern weil wir zusammen mit jener ersten und fremden wirken. ... Diese Gerechtigkeit ist das Werk der ersteren Gerechtigkeit und die Frucht und auch die Folge derselben ..."] 103 In diesem Sinn ist „fromm" zu einem gewissen Grad auch an einer Stelle in der Erläuterung zu Ps 132,9 zu verstehen. In W A 4 0 111,408,4-12 heißt es: „Du es Cesar et sedes in tuo regno; da, ut nostri pastores from sein, quia sacerdotes sind, qui debent huic Imperatori in suo regno ministrare et gubemare populum. Et hoc fiat iuste. N o n tantum dictum de

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Der Begriff „ f r o m m "

dei" im obigen Text legt den Schluß nahe, daß Frömmigkeit als solche zugleich das Ergebnis der sogenannten effektiven Komponente der Rechtfertigung darstellen könnte, die im Zusammenhang der bisher analysierten Fundstellen des Begriffs „fromm" in der dritten Psalmenvorlesung neben dem unverkennbaren forensisch-imputativen Aspekt nicht nachzuweisen war104. Damit ist offensichtlich, daß Luther den mittelalterlichen Sprachgebrauch mit seinem ethischen, auf das Empirische und Quantifizierbare ausgelegten Verständnis von Frömmigkeit als „iustitia civilis" in den Zusammenhang der Rechtfertigungslehre hineingenommen hat. Der Unterschied besteht darin, daß der ethische Frömmigkeitsbegriff an dieser Stelle im Sprachgebrauch Luthers theologisch nicht nur - wie an anderen Stellen105 - über die Ständelehre, sondern eben vor allem durch die Rechtfertigungslehre qualifiziert ist. Das heißt: Die „opera bona", die die Frömmigkeit hier strukturieren, erwachsen aus dem Rechtfertigungsglauben und werden auch von ihm her inhaltlich bestimmt. Am Ende dieses Abschnitts ist auf die These Heide Wunders einzugehen, die sie in dem besagten Aufsatz aufgestellt hat. Sie überlegte, warum Luther für den theologischen Zentralbegriff „iustitia" im Deutschen den Begriff „fromkeyt" wählte, der damals im allgemeinen Sprachgebrauch die bürgerliche Rechtschaffenheit und Tugendhaftigkeit bezeichnete. Ihrer Meinung nach woll-

induitate iustitiae private, sed de iustitia regendi, quae nunquam potest esse corrupta, quia verbum est purum; si etiam non purus pro mea persona, tarnen baptismus, quem confero, est purior quam sol. Eucharistia sanctius sanctissimis, si etiam ministretur per h o m i n e m plenum peccatis. Ideo est iustitia politica, non personalis, qua iustus meis operibus." [„Du bist der Kaiser und thronst in deinem Reich: Gib, daß unsere Hirten fromm sind, weil sie Priester sind, die diesem Herrscher in seinem Reich dienen und das Volk regieren sollen. Und dies soll auf gerechte Weise g e s c h e h e n . Es wird hier nicht nur vom Anziehen der privaten Gerechtigkeit, sondern von der Gerechtigkeit des Regierens gesprochen, die niemals verdorben sein kann, weil das Wort rein ist. Denn w e n n ich auch f ü r meine Person nicht rein bin, so ist dennoch die Taufe, die ich bringe, reiner als die Sonne. Das Abendmahl ist heiliger als das Heiligste, auch w e n n es durch einen Menschen voller Sünden ausgeteilt wird. Daher ist die Gerechtigkeit eine politische, nicht eine persönliche, durch die ich gerecht bin in meinen Werken."] „ F r o m m " ist hier im Kontext zwar in erster Linie von der objektiven, von Gott verliehenen, auf Wort und Sakrament basierenden „Amtsgerechtigkeit" her zu interpretieren. Allerdings stellt Luther auch einen positiven Bezug (beachte: „non tantum") zu der subjektiven, auf eigene „ o p e r a " bezogenen „iustitia privata" beziehungsweise „iustitia personalis", also der Lebensgerechtigkeit, her. 104 S . o . II.2.a). 105 Vgl. Il.l.a).

.fromm" im Sinn einer „cooperatio cum deo"

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te Luther „iustitia" mit dem Begriff „fromkeyt" „interpretieren"106. Luther habe den ethisch-moralischen Begriff „fromkeyt" aus der Welt des Bürgertums für den theologischen Begriff „iustitia" benutzt, weil er mit „fromkeyt" auf den „aktiven, auf ein christliches Leben in der Welt gerichteten Anteil an ,iustitia'" hinweisen wollte und weil er zugleich anzeigen wollte, welches Werte- und Verhaltensmuster diesem Anteil entsprechen kann107. Heide Wunders These kann durch die Analyse der Stellen in der dritten Psalmenvorlesung, an denen Luther den Begriff „fromm" als einen Begriff der Rechtfertigungslehre verwendet, nicht bestätigt werden. Mit Blick auf die Stellen, die zuletzt untersucht wurden, kann natürlich behauptet werden, „fromm"/ „fromkeyt" deute bei Luther auf den „weltlichen" Anteil an „iustitia" hin. Mit Blick auf andere, oben besprochene Stellen, kann dies aber nicht geschehen. Dort nämlich werden ethisch-moralische Aspekte von Luther entschieden ausgeschlossen. Es ist fraglich, ob Luther den Begriff „fromm" deshalb in den theologischen Sprachgebrauch übernahm, weil er entdeckt hatte, daß er mit ihm auf die neue „Verhältnisbestimmung von Reich Christi und profaner Weltgestaltung"' 08 aufmerksam machen konnte.

b) opera nostra in ecclesia, politia, oeconomia Die Bedeutung der Rechtfertigungslehre beziehungsweise des Rechtfertigungsglaubens für die positive Definition der „opera" ist in der genannten Erläuterung zu Ps 90,17 klar erkennbar. Ein Blick auf die „opera" im einzelnen ergibt folgendes Bild: In bezug auf die „ecclesia" spricht Luther von - „docere, consolari, arguere, iudicare, baptisare, communicare etc."109 [„lehren, trösten, strafen, richten, taufen, kommunizieren usw."],

106 Vgl. Wunder, fromkeyt, 308.312. 107 Vgl. Wunder, a.a.O., 327-329. 108 Heide Wunder zitiert die Formulierung, die von Heiko Augustinus Oberman stammt, mehrfach (a.a.O., 312.327.328). 109 WA 40 III,590,8f.

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Der Begriff „fromm"

wobei er zunächst die apologetische Funktion dieser „opera" unterstreicht. Sie sind nötig, um „sectae" abzuwehren und um demzufolge eine Pervertierung von Wort und Sakrament zu verhindern" 0 . Die Reinheit der „doctrina" sowie die Tatsache „per fidem iustificati sumus" [„wir sind durch den Glauben gerechtfertigt worden"] sollen bewahrt werden1 ' 1 . Hinter all dem steht die poimenische Funktion der „opera" in der „ecclesia", die auf die „anima confirmanda usque ad mortem" [„die Seele, die bis zum Tod gestärkt werden muß"] ausgerichtet ist" 2 . Letztlich geht es dann um das „crescere in fide""3 [„Wachsen im Glauben"], womit eben die Orientierung am Rechtfertigungsglauben insgesamt deutlich zum Ausdruck kommt. In bezug auf die „politia", der er an dieser Stelle die „oeconomia" thematisch subsumiert, spricht Luther von der zu gewährleistenden -

„pax publica"" 4 [„öffentlicher Frieden"]. „Quia, wenn das haus nicht friede hat, so ists bos kinder ziehen vnd predigen. Es wil pax necessaria sein non tantum ad alendum corpus, sed edam docendam pietatem."" 5 [„Denn wenn das Haus keinen Frieden hat, so kann man schlecht Kinder aufziehen und predigen. Es will der Frieden nicht nur nötig sein, um den Leib zu ernähren, sondern auch, um die Frömmigkeit zu lehren."]

Die „politia" wird hier mit ihrem Werk auf das Werk der „oeconomia", nämlich das Bemühen um den Lebensunterhalt, und auf das Werk der „ecclesia" hin funktionalisiert. Wenn Luther betont, daß die „pax" eine notwendige Bedingung dafür ist, daß die Predigt der „pietas", das heißt nach dem Kontext: die Predigt des Rechtfertigungsglaubens, geschehen kann, dann legitimiert er dieses „opus politicum"116 mit Hilfe des Rechtfertigungsglaubens117.

110 111 112 113 114 115 116 117

Vgl. WA 40 111,590,10-12. Vgl. WA 40 111,591,2-4. Vgl. WA 40 111,593,9-12. Vgl. WA 40 111,593,14f. Vgl. WA 40 111,592,11 f. WA 40 111,592,13-593,1. Vgl. WA 40 111,592,11. Das Thema „pax" taucht in der dritten Psalmenvorlesung noch an einem anderen Ort in Verbindung mit dem Begriff „fromm" auf. Der Schluß der Auslegung von Ps 133 lautet: WA 40 111,468,7-469,7 (zu Vers 3): „Sed ubi pax, ibi deus. Ibi servatio ,vitarum'; in plurali numero, ut ps. 62.:,super vitas' etc., i. e. wie man mag leben, omnia genera vivendi, omnes ordines vivendi, sacerdotum, principum, singulorum civium ordines benedicuntur.

„fromm" im Sinn einer „cooperatio cum deo"

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Ähnliches gilt entsprechend von der „oeconomia". Die Aussage -

„Man mus kinder auffziehen, sonst ist die weit bald wüste"118

deutet in diesem Zusammenhang an, daß das Werk der „oeconomia" genauso wie das Werk der „politia" die notwendige Voraussetzung für die Ausbreitung des Rechtfertigungsglaubens darstellt und deshalb ebenfalls von ihm her begründet werden kann.

Das sind commoda pacis; breviter describuntur, sed optimis et electissimis verbis; sed 1. pugnamus contra verbum, facimus dissensiones, inobedientes, rebelles, ut non maneat Ecclesiae pax. In politia quisque facit, quod vult, ne maneat benedictio et vita. Quando venit ,unguentum', so mögen wirs nicht nhemen, quamquam ullis flagellis emendatur, nisi tod schlagen. Sodom, Gomorrha lúdeos nicht from machen, nisi vastatis et excisis; sic nobis; verbum, minas, promissiones audimus, plagas etc. Unusquisque discat suum officium paci et habeat in summi et sacri loco et velit omnia amittere, quam dissolvere unitatem; thun schaden am gut, tantum, ut serves pacem, quae omnia damna potest restauriern, quae pateris propter earn; si non vindicas, dat hundertfeltig; est inestimabilis thesaurus et donum pax. Allein, ut discamus agnoscere et gratias agere deo pro ea." [„Aber wo Frieden ist, da ist Gott. Da ist Bewahrung ,des Lebens'; das Wort,Leben' steht hier im Plural, wie in Ps 63 (Vulgata: Ps 62),(4): ,mehr als Leben' usw., das heißt: wie man auch leben mag, alle Arten und Weisen des Lebens, alle Stände des Lebens, die Stände der Priester, der Fürsten, der einzelnen Bürger werden gesegnet. Das sind die Vorteile des Friedens; sie werden kurz, aber mit den besten und auserlesensten Worten beschrieben. Aber erstens kämpfen wir gegen das Wort, wir produzieren Spaltungen, machen die Menschen ungehorsam und rebellisch, so daß der Friede der Kirche nicht bleibt. Im politischen Wesen macht jeder, was er will, so daß der Segen und das Leben nicht bleiben. Wenn ,das Salböl' kommt, mögen wir es nicht nehmen, obwohl mit irgendwelchen Geißeln gestraft wird, so daß nur totschlagen hilft. Sodom und Gomorra konnten die Juden nicht fromm machen, sie waren erst fromm, nachdem sie verwüstet und vertilgt worden waren. So kann es auch uns ergehen: Wir hören das Wort, die Drohungen und die Verheißungen, wir spüren die Schläge usw. Darum mache sich ein jeder seine Verpflichtung für den Frieden klar und halte ihn für das Höchste und Heilige und wolle lieber alles verlieren, als die Eintracht auflösen. Mußt du Schaden an deinem Gut erleiden, bewahre nur den Frieden, der alle Schäden restaurieren kann, die du um seinetwillen erleidest; wenn du dich nicht rächst, gibt er hundertfältig zurück. Der Frieden ist ein unschätzbarer Schatz und eine unschätzbare Gabe. Nur daß wir lernen, ihn anzuerkennen und Gott für ihn zu danken!"] Dieser Abschnitt belegt, daß bei dem Begriff „fromm" bei Luther auch die zusätzliche Bedeutungsnuance „friedfertig" mitschwingen kann. 118 WA 40 111,593,1 f.

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Der Begriff „fromm"

Sowohl bezüglich der „opera" in der „ecclesia" als auch bezüglich der „opera" in der „politia" weist Luther übrigens auf die unabdingbare Bedeutung des Gebets hin" 9 . Einige Stellen in der dritten Psalmenvorlesung, an denen Luther „fromm" im Sinn von „pius" = „gläubig, gottesfiirchtig" verwendet, lassen noch einen zusätzlichen Aspekt sichtbar werden. Der Rechtfertigungsglaube dient nicht nur - wie in der Erklärung zu Ps 90,17 - der inhaltlichen Bestimmung und eventuell der Begründung der „opera nostra" in den Ständen. Glaube beziehungsweise Gottesfurcht sind - wobei die Verbindung zur Rechtfertigungslehre einmal mehr und einmal weniger vorhanden ist - auch die Voraussetzung zum Gelingen der Tätigkeit in den Ständen überhaupt. Sie bedingen die Erhaltung der Stände. Es kommt hier ein „Glauben-Ergehen-Zusammenhang" zum Vorschein. Zu beachten sind diesbezüglich Abschnitte in der Erläuterung zu Ps 132,12. In einem Abschnitt fordert Luther den Papst auf, zu glauben und fromm zu sein, und warnt, daß die Papstkirche ohne Glauben und Frömmigkeit in ihrem Bestand gefährdet ist120. In anderen Abschnitten weist er daraufhin, daß Frömmig-

119 Vgl. WA 40 111,591,1-5: „Das werck, lieber Herr Gott, hilff erhalten, ut lex Mosi non evertatur per hypocritas. Item postquam recepimus hoc tempore puram doctrinam et per fidem iustificati sumus, hilff, das die doctrina rein bleibe, ne Euangelium corrumpatur. Necessaria oratio est, ne conturbemus deum et spiritum sanctum in nobis habitantem." [„Das Werk, lieber Herr Gott, hilf erhalten, damit das Gesetz des Mose nicht durch Heuchler umgestoßen wird. Ebenso, nachdem wir zu dieser Zeit die reine Lehre empfangen haben und durch den Glauben gerecht geworden sind, hilf, daß die Lehre rein bleibe, damit das Evangelium nicht verfälscht werde. Das Gebet ist notwendig, damit wir Gott und den heiligen Geist, der in uns wohnt, nicht betrüben."] Vgl. WA 40 111,593,7 (s. o. bei Anm. 100): „Ideo orandum pro p a c e , . . . " [„Deshalb soll man für den Frieden beten,... "] 120 Vgl. die oben (s. bei Anm. 82) in ihrem letzten Teil bereits zitierte Stelle in WA 40 111,429,1-11: „Sis Episcopus Episcoporum, sed debetis redigi in ordinem; vel deus potest suscitare alios fîlios, qui etiam de sanguine et ordine Papistarum non veniunt. Ideo propter secures additio, qui habent Ecclesiam, concilia, decreta. Sed es heist: ,Si custodierint'. Non te ideo pro Papa halten, quia sis maior. Sicut David, quamquam habuerit etemam promissionem. Sed: ,ex lapidibus istis' etc. Ego reservabo sedem Christi et sedem Ecclesiae et dabo ei, quando non credis, quantumcunque. Sis divina ordinatione constitutus Rex, sacerdos, Ecclesia et haberis pro ea, sed subiecta sis huic versui: ,Si custodierint', si meas promissiones servabunt, ,testamentum'. Sie müssen glauben et from sein." [„Du magst der Bischof der Bischöfe sein, aber ihr sollt zur Ordnung zurückkehren; sonst kann Gott auch andere Kinder erwecken, die nicht dem Blut und der Ordnung der Papisten entstammen. Um der Sicheren willen, die die Kirche, die Konzilien und Dekrete haben, folgt daher ein Zusatz. Es heißt eben: ,Wenn sie halten'. Halte dich deshalb nicht für den Papst, weil du größer bist. Denke an das Beispiel Davids: Obwohl er eine ewige Ver-

Zusammenfassung

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keit im Sinn von Glaube und Gottesfurcht die Bedingung für die Erhaltung des zeitlichen „regnum", das heißt: der „politia" ist121.

5. Zusammenfassung Wie man anhand der dritten Psalmenvorlesung zeigen kann, konnte Luther den Begriff „fromm" in ganz unterschiedlicher Weise verstehen. Luther konnte „fromm" einerseits im direkten Anschluß an den mittelalterlichen Sprachgebrauch im Sinn von „bonus" und „probus" verwenden. Als stärker theologisch geprägten Begriff konnte Luther „fromm" dann andererseits mit negativer Konnotation im Sinn von „iustus per opera sua" beziehungsweise „purus a peccatis", im positiven Zusammenhang im Sinn von „iustus per opus dei" beziehungsweise „iustus per remissionem peccatorum" oder auch im Sinn

heißung hatte, hieß es doch: ,Aus diesen Steinen' usw. (Mt 3,9) Ich will den Stuhl Christi und den Stuhl der Kirche bewahren und will ihn einem anderen geben, wenn du nicht glaubst, für wie groß auch immer du dich halten magst. Du magst nach göttlicher Ordnung als König, als Priester, als Kirche eingesetzt sein und für sie gehalten werden, aber du sollst diesem Vers unterworfen sein: ,Wenn sie halten', wenn sie meine Verheißungen bewahren, ,den Bund'. Sie müssen glauben und fromm sein."] 121 Vgl. die oben (s. Anm. 83) ebenfalls schon zitierten Aussagen in WA 40 111,437,13f. („... videte, ut from seid. Si hoc, manebunt Reges in sede.") und in WA 40 111,428,10-12 („Si werd ir nicht from sein, Salomonis et Nathan posteritatem ausrotten ..."). Vgl. auch WA 40 111,379,9-380,1 (zu Ps 131; Einleitung; s. o. Anm. 45): „Non sumus potentes, sapientes, from, et tarnen volumus esse. Sic venit peccatum in hora sua vnd stost Sanctum hin, ut desperet, et stultitia stosst sapientem hin, Impotentia: Una tribus Beniamin et 10 etc. Alius stultus venit et schlegt: Cicero Demosthenem; quia non fides in deum, sed praesumptio in ista 3, deus autem prohibet; non praesumendum de nobis, de nostra virtute, sapientia, potentia, iustitia ipsius; hoc possumus, - sed non facimus, sed econtra." [„Wir sind nicht mächtig, weise, fromm und wollen es dennoch sein. So kommt die Sünde zu ihrer Zeit und stößt den Heiligen um, daß er verzweifelt, und die Torheit stößt den Weisen um, die Schwachheit sagt: Der eine Stamm Benjamin schlägt die anderen 10 Stämme usw. (Ri 20,12-17) Ein Tor kommt und schlägt den anderen: so Cicero den Demosthenes. Das liegt daran, daß kein Glaube an Gott da ist, sondern Vermessenheit in diesen drei Dingen, Gott aber verbietet die Vermessenheit. Wir sollen nicht vermessen sein im Blick auf uns, im Blick auf unsere Tugend, Weisheit, Macht, im Blick auf die eigene Gerechtigkeit. Dies können wir zwar tun, aber wir richten damit nichts aus, sondern bewirken das Gegenteil von dem, was wir bewirken wollen."]

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Der Begriff „fromm"

von „pius" = „gläubig, gottesfurchtig" oder schließlich im Sinn einer „cooperario cum deo" gebrauchen. Es stellt sich heraus, daß die philologische Betrachtung dazu geeignet ist, Bedeutungsebenen sichtbar werden zu lassen, die eine Herausarbeitung von Luthers Frömmigkeitsverständnis ermöglichen. Mit dem Rückbezug auf die in den positiven theologischen Zusammenhängen erscheinenden Bedeutungen des Begriffs „ f r o m m " kann Luthers Frömmigkeitsverständnis zusammenfassend so beschrieben werden: Frömmigkeit besteht bei Luther erstens im göttlichen Zuspruch („iustus per opus dei"). Frömmigkeit besteht bei Luther zweitens in einer menschlichen Haltung („pius"). Frömmigkeit besteht bei Luther schließlich drittens in einer menschlichen Tätigkeit („cooperario cum deo" in den Ständen der „oeconomia", „politia" und „ecclesia", das heißt: im ethischen und im kultischen Bereich). Diese drei Aspekte durchgreifen, prägen, j a definieren das gesamte Menschsein. Es gibt daher keinen Bereich des menschlichen Lebens und der menschlichen Person, der nicht von der Frömmigkeit und für die Frömmigkeit mit Beschlag belegt würde. Die Frömmigkeit hat bei Luther einen Totalitätsanspruch. Jeder der drei Aspekte ist bei Luther rechtfertigungstheologisch verankert. Frömmigkeit im Zuspruch meint nämlich das Ergebnis der Rechtfertigung durch Gott. Frömmigkeit in der Haltung ist über das Thema des Glaubens mit der Rechtfertigung als ihrem Urgrund verknüpft. Frömmigkeit in der Tätigkeit wird ganz von der rechtfertigenden Tätigkeit Gottes umgriffen. Die jeweilige rechtfertigungstheologische Verankerung konstituiert den inneren Zusammenhang der drei Aspekte. Nach der Rechtfertigungslehre bildet der göttliche Zuspruch die Voraussetzung für die menschliche Haltung. Der göttliche Zuspruch und die menschliche Haltung bilden nach ihr die Voraussetzung für die gute menschliche Tätigkeit. Offensichtlich prägte die Rechtfertigungslehre Luthers Frömmigkeitsverständnis in jeder Hinsicht. Luthers Lehre von der Rechtfertigung gab seinem Frömmigkeitsverständnis die charakteristische Gestalt. Seine Entdeckung der Botschaft von der Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnaden allein um Christi willen allein durch den Glauben allein auf der Grundlage der heiligen Schrift führte dazu, daß sein Frömmigkeitsverständnis in einen diametralen Gegensatz zu jeder vorreformatorischen spätmittelalterlichen Auffassung von Frömmigkeit rückte.

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Zur Frage nach dem Verhältnis von „Frömmigkeit" und Gebet bei Luther läßt sich folgendes anmerken: -

In der dritten Psalmenvorlesung deutete Luther mit den Sätzen zu Ps 51,3 „Sol ich nicht eher ,Miserere mei' sprechen, Ich sey denn from, tum non opus habebo ,Miserere'. ... Si sol nicht beten, quam sensero me rein, tum nunquam etc. Ideo magst mich hoeren in mediis peccatis,.. ,"122 [„Wenn ich nicht sprechen soll ,Sei mir gnädig', bevor ich fromm bin, dann habe ich das ,Sei gnädig' nicht nötig. ... Wenn ich nicht beten soll, solange ich mich nicht rein fühle, dann werde ich es niemals tun usw. Deshalb sollst du mich hören mitten in den Sünden,..."] an, daß das Gebet eine notwendige Bedingung für das Erlangen der rechten Frömmigkeit ist.

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Sein Gebetsseufzer - bezogen auf Ps 130,3 - „Domine, las vns nur nicht from sein coram deo"123 [„Herr, laß uns nur nicht fromm sein vor Gott"] zur Abwehr einer gottlosen Frömmigkeit implizierte die Bitte um die Verleihung der rechten Frömmigkeit.

Das Gebet war für Luther folglich ein integraler Bestandteil der „Frömmigkeit". Er erkannte: Im Gebet entsteht „Frömmigkeit" erstmalig, und im Gebet realisiert sie sich fortwährend neu. Sie realisiert sich in ihm in ihren drei Aspekten: Das Gebet ist die ursprüngliche menschliche Tätigkeit, die durch das Wirken Gottes des heiligen Geistes zustande kommt. Es ist der ursprüngliche Ausdruck des Glaubens, der der „frommen" menschlichen Haltung zugrunde liegt. Es lebt ganz vom göttlichen Zuspruch. Wie die obige Darstellung zeigt, war das Gebet für Luther jedoch ganz gewiß nicht der Inbegriff der Frömmigkeit. Luther hätte nicht sagen können: „Fromm sein und beten, das ist eigentlich eins und dasselbige."124

122 WA 40 11,333,3-7. S. o. II.l.c), bei Anm. 49-52. 123 WA 40 111,345,11. S. o. Il.l.b), bei Anm. 43-45. 124 Mit diesem Satz Friedrich Daniel Ernst Schleiermachers (1768-1834), den er in einer Predigt über Mt 26,36-46 formulierte (zitiert nach Jung, Frömmigkeit, 21 ), kann das heute vorherrschende Verständnis von Frömmigkeit karikiert werden. Eine Skizze der heutigen Sicht findet sich bei Jung, a.a.O., 2f. Wollte man Schleiermacher gerecht werden, müßte man sowohl sein Verständnis der Frömmigkeit, der zentralen Kategorie seiner Theologie, wie auch sein Verständnis des Gebets entfalten. Das kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geschehen. Zum Frömmigkeitsbegriff Schleiermachers siehe Albrecht, Schleiermachers Theorie. Zu seiner Gebetsauffassung siehe Ménégoz, Gebetsproblem sowie die kurze, instruktive Darstellung bei Mössinger, Lehre des christlichen Gebets, 127-29.258-260.

III. Luthers Beten - ein Forschungsbericht

Luthers Beten kam am Anfang des 20. Jahrhunderts unter verschiedenen Gesichtspunkten in den Blick. Die erste wichtige Arbeit ist die 1914 erschienene Untersuchung „Zur Charakteristik der evangelischen Gebetsliteratur im Reformationsjahrhundert" von Paul Althaus dem Älteren. Althaus interessiert sich fur Luthers Beten aus literarhistorischer Sicht. Er weist daraufhin, daß Luthers Bedeutung fur die Geschichte der evangelischen Gebetbücher nicht etwa in der Abfassung von Gebetstexten, sondern hauptsächlich in der lehrmäßigen Vermittlung der Gebetspraxis besteht. Luthers „Gebetsunterricht" kam dabei maßgeblich in seinem eigenen ursprünglich auf Gebetsformeln verzichtenden „Betbüchlein" von 1522 zum Ausdruck'. Althaus unterstreicht den Stellenwert des Vaterunsers für Luther und betont zugleich, daß nach Luther dem Christen auch der sonstige Schriftinhalt zur Entzündung des frei aus dem Herzen mit Gott sprechenden Gebetsgeistes diene, so daß er zu dem Schluß kommt, für Luther sei letztlich „die Bibel das Gebetbuch des Christen"2 gewesen. Im Jahr 1917 hielt Karl Holl als Beispiel seiner epochemachenden Neuerschließung Luthers einen Vortrag über die Frage „Was verstand Luther unter Religion?". Holl betrachtet Luthers Beten unter einer übergeordneten systematisch-theologischen Fragestellung. Seine Darlegungen umfassen nur einen sehr kleinen, aber gleichwohl gewichtigen Abschnitt des Referats. Er geht davon aus, daß „bei Luther, der auf der Anschauung von der Alleinwirksamkeit Gottes fußt, die Seite in der Religion vorantritt, wonach sie ein Empfangen ... ist". Bezogen auf das Beten liefert er die auffallende These, daß Luther folglich das „Danken" als „das ausdrückliche Anerkennen, das bewußte Bejahen des von

1 Althaus d. Ä., Charakteristik; als ergänzte Neuausgabe in: Althaus d. Ä., Forschungen, 1142. Vgl. ebd. 11-15. 2 Althaus d. Ä., a.a.O., 14f.

Luthers Beten - ein Forschungsbericht

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Gott Geschenkten" dem „in der katholischen Kirche vorzugsweise geübte(n) Bittgebet vorangestellt hätte3. In seinem 1918 erschienenen Werk über „Das Gebet" analysiert Friedrich Heiler Luthers Beten ausführlich mit religionsgeschichtlichen und religionspsychologischen Methoden. Nach Heiler erfolgte mit Luther der „tiefste Einschnitt in der gesamten Geschichte des christlichen Gebets"4. Entsprechend seiner Unterscheidung zwischen zwei grundsätzlich verschiedenen Gebetstypen, nämlich dem neuplatonisch-mystischen Gebet mit seinem passiven und kontemplativen Charakter und dem biblisch-prophetischen Gebet mit seinem aktiven und ethischen Gepräge, stellt er Luther als einen Erneuerer des letzteren dar5. Heiler bezeichnet Luthers Beten als „affektive Aussprache der tiefen Herzens- und Gewissensnot, die in der frohen Aussprache der Zuversicht und Ergebung ausklingt", als den „Widerhall jener Gebete, die von den Lippen Jere-

3 Vgl. Holl, Religion, 85-87. Man wird nicht behaupten können, der „Ritschlianer" Holl habe sich bei der Darstellung von Luthers Lehre und Praxis des Gebets von Ritschis Gebetsauffassung beeinflussen lassen. Typisch für Albrecht Ritschis Gebetstheologie ist die Abwertung des Bittgebets. Er vertrat in seinem Hauptwerk „Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung" die Ansicht, daß aus Phil 4,6 und 1. Thess 5,16-18 hervorgehe, „daß für die christliche Gemeinde das D a n k e n d i e d e m B i t t e n ü b e r g e o r d n e t e A n e r k e n n u n g G o t t e s , daß das Danken nicht eine Art neben dem Bitten, sondern daß es die allgemeine Form des Betens und daß das Bitten nur eine Modification des Dankgebetes an Gott ist" (a.a.O., 598). Das Bittgebet muß seiner Meinung nach im Dankgebet aufgehen. Dieser gebetstheologische Grundansatz ließ für die Rede von der Gebetserhörung keinen Raum. So problematisierte Ritsehl denn auch die „umfangreichen Verheißungen von Erhörung der Gebete", „welche Jesus bei Mt 7,7-11 ausspricht". Sie dürften „kaum als die definitive Anweisung an seine Gemeinde, sondern nur als vorläufige Ermunterungen des religiösen Zutrauens zu Gott verstanden werden, welche er an den weitern Zuhörerkreis gerichtet hat" (a.a.O., 600). Holl weist d a r a u f h i n , daß sich das Bittgebet bei Luther „in bestimmter Lage" zu einem „heldenhaften Ringen" steigern konnte, „wo er ähnlich wie in der Anfechtung Gott mit Gott zu überwinden trachtete". Luther habe eingeprägt, daß es auf den „ g e w a l t i g e ( n ) A f f e k t " ankommt, „der, von dem Gefühl der Notwendigkeit der Sache erfüllt, sich in die Verheißung Gottes hineinlegt und von dorther die Zuversicht der Erhörung gewinnt". So habe „er es in dem berühmten Gebet für Melanchthon betätigt". Er habe dabei „ganz unter der Empfindung, daß es sich in diesem Augenblick nicht allein um Melanchthons Person, sondern um die große Sache des Evangeliums handelte", gestanden. „Ohne Frage" habe Luther „in diesem Fall nahe an ein Zwingen Gottes herangestreift". „Immerhin" dürfe man „nicht übersehen, daß er nur die gewissen , Verheißungen' Gottes selbst zu Hilfe nehmen wollte". (Holl, a.a.O., 88) Zu beachten ist, daß Holl Luthers zudringliche Art, Gott zu bitten, ohne kritischen Unterton beschreibt. 4 Vgl. Heiler, Gebet, 244. 5 Vgl. Heiler, a.a.O., 245.255.407-409.

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Luthers Beten - ein Forschungsbericht

mias und der Psalmsänger, Jesu und Pauli kamen". Dabei möchte er bei ihm den nie ganz verschwindenden mystischen Einschlag nicht übersehen 6 . Von seiner Typenlehre her kommt Heiler zu der im Gegensatz zu Holl stehenden Ansicht, Luther habe „das Anbetungs-, Preis- und Dankgebet in eigenartiger Weise auf das Bittgebet reduziert" 7 . Die drei von Rudolf Hermann 1925 gehaltenen Vorlesungen über „Das Verhältnis von Rechtfertigung und Gebet nach Luthers Auslegung von Rom. 3 in der Römerbriefvorlesung" unterziehen Luthers Gebetsauffassung erstmals einer eingehenden theologischen Analyse, indem die Beziehungen zum Zentrum von Luthers Theologie erörtert werden. Hermann betont, daß der Begriff der Rechtfertigung bei Luther „sich nicht ohne den Begriff des Gebets definieren" läßt8. Die Bedeutung des Gebets für die Rechtfertigung besteht in diesem Textdokument des jungen Luther darin, daß sich die Rechtfertigung notwendigerweise im Gebet vollzieht, als sie nämlich „das Anerkennen der Alleingerechtigkeit Gottes, also eine Stellungnahme zu Gott" voraussetzt 9 . Die Bedeutung der Rechtfertigung fur das Gebet hinwiederum besteht darin, daß die Rechtfertigung zugleich Voraussetzung allen Betens ist, so daß das Beten - im Sinn der Buße als an Gott gerichteter Bitte10 - einem Suchen gleicht, „dem ein Gefundenhaben, bzw. ein Sich-finden-Lassen Gottes, voraufliegt"". Die Bedeutung des Gebets fur das neue Dasein des Gerechten gründet schließlich in der Tatsache, daß durch den „effektiven" Vollzug des Gebets „das Gerechtsein dessen, der zugleich Sünder ist, kein bloßes ,als ob' ist"12, wobei man insofern von einem „Fortschreiten" des neuen Lebens sprechen kann, als dieses die Rechtfertigung, aus der es hervorgeht, im Gebet immer wieder als seine Zukunft vor sich hat13. Walther von Loewenich legte mit seinem Aufsatz „Gebet und Kreuz" im Jahr 1927 ebenfalls eine theologische Studie von Luthers Gebetsauffassung vor, in der er sich auch mit einer Stelle der Römerbriefvorlesung beschäftigt, diesmal aber die Verhältnisbestimmung von Gebet und „theologia crucis" heraus-

6 7 8 9 10

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Heiler, a.a.O., 245. Heiler, a.a.O., 584. Diese Notiz findet sich erst in der 5. Aufl. des Buches von 1923. Hermann, Rechtfertigung, 12. Hermann, a.a.O., 19.41. Hermann, a.a.O., 25.

11 Vgl. Hermann, a.a.O., 42. 12 Vgl. Hermann, a.a.O., 33.43. 13 Vgl. Hermann, a.a.O., 36.38.

Luthers Beten - ein Forschungsbericht

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arbeitet. Der Ansatz der „theologia crucis", der Gottes Offenbarungshandeln als ein ohne Ausnahme „sub contraria specie" verborgenes Handeln beschreibt, spiegelt sich danach in aller Schärfe in Luthers Hauptthese zur Art der Gebetserhörung. Diese im Anschluß an Rom 8,26 gebildete These besagt, daß die scheinbare Nichterhörung des Gebets als das beste Zeichen seiner Erhörung gelten muß14. Der heilige Geist hat in diesem Zusammenhang die Aufgabe, dem Christen zu helfen, das Handeln Gottes bei der Erhörung auszuhalten, indem er ihn auf das Wort, genauer: auf einzelne Bibelstellen verweist, an die sich der Glaube halten kann15. In den zusätzlichen Argumentationsgängen Luthers zu Rom 8,26 weist von Loewenich mystisches Gedankengut nach, das die „theologia crucis" zunächst zu konterkarieren scheint16. Der Umweg über die Mystik hat jedoch für den jungen Luther einen stimmigen Ertrag. Er dient nach von Loewenichs Meinung dazu, den Gedanken von dem Wirken des Geistes, der zuerst „etwas von außen" an die Gedankengruppe der „theologia crucis" herangebracht worden war, derselben organisch einzufügen17. Die kleine Studie von Emanuel Hirsch unter dem Titel „Luther über die oratio mentalis" aus dem Jahr 1928 bezieht sich wie die beiden vorhergehenden Arbeiten auf einen Text des jungen Luther. Im Rahmen der Rekonstruktion einer verderbten Stelle einer Zachäus-Predigt von 1516 untersucht Hirsch Luthers Beten im Blick auf einen zentralen frömmigkeitsgeschichtlichen Aspekt. Im Gegensatz zu von Loewenich sieht Hirsch Luther gern in der Nähe der Mystik. Hirsch erblickt in der von Luther beschriebenen „oratio mentalis", dem Verlangen des Herzensgrundes nach Gott, den Grundaffekt der sogenannten „synteresis" [Verschreibung von συνείδησις („Gewissen"); höchster Teil der Seele], die für die franziskanischen Theologen und vor allem für Johannes Gerson in der Theorie der Mystik eine wichtige Funktion hatte. Nach Hirsch ist Luthers Auffassung so zu beschreiben, daß das natürliche Gottverlangen des Herzensgrundes vom heiligen Geist aus dem „Gefängnis des wider Gott entzündeten bösen Willens" entbunden beziehungsweise erlöst wird. Erst die schöpferische Macht des heiligen Geistes kann das Herz in Glaube und Liebe zu Gott bringen.

14 Vgl. v. Loewenich, Gebet und Kreuz, 5; vgl. hierzu auch den Abschnitt in v. Loewenich, Theologia crucis, 164-168. 15 Vgl. v. Loewenich, Gebet und Kreuz, 7f. 16 Vgl. v. Loewenich, a.a.O., 9-11. 17 Vgl. v. Loewenich, a.a.O., 12.

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Luthers Beten - ein Forschungsbericht

Mit dieser Analyse konstatiert Hirsch beim jungen Luther eine gewisse Kontinuität zwischen dem alten und dem neuen Menschen18. Die vorgenannten sechs Arbeiten können als klassisch gelten, wenn es um die Erforschung der Aspekte geht, die Luthers Beten mit sich bringt. Die angesprochenen Methoden und Problemstellungen forderten und fordern zur weiteren Beschäftigung wie auch zur kritischen Würdigung heraus. Angesichts der in den Untersuchungen erkennbaren umfassenden Bedeutung des Betens fur Luther überrascht allerdings die relativ kleine Zahl der monographischen Titel, die seitdem erschienen sind. Besonders erwähnt werden muß bezüglich der Folgezeit die an Althaus anknüpfende Bemühung von Frieder Schulz um die Bibliographie der Luthergebetbücher des 16. bis 19. Jahrhunderts sowie sonstiger Gebetbücher seit dem 16. Jahrhundert, die Luthergebete enthalten. Verbunden sind diese Forschungen mit der Edition der Luthergebete, wobei in erster Linie die Gebete berücksichtigt sind, die in die Gebetbücher aufgenommen wurden19. Eine Hervorhebung verdient alsdann der sehr umfangreiche Beitrag aus der schwedischen Lutherforschung von Gunnar Wertelius unter dem Titel „Oratio continua - Das Verhältnis zwischen Glaube und Gebet in der Theologie Martin Luthers". Es ist die erste „historisch-systematische"20 Gesamtdarstellung der Gebetstheologie Luthers. In Abgrenzung gegen Horst Beintker, der - die Gedanken Hermanns aufnehmend - das Gebet dogmatisch „bei der Lehre von der Rechtfertigung des Sünders sola fide" verortet21, möchte Wertelius das Gebet keinem besonderen Ort in Luthers Theologie zuweisen22. Er macht deutlich, daß das Gebet bei Luther durch seine Zusammengehörigkeit mit dem Glauben in Beziehung zu allen drei Glaubensartikeln steht23. Folglich ordnet Wertelius das Gebet im trinitarischen Aufbau dem Ganzen von Luthers Theologie zu, wobei hier dann insbesondere die Akzentuierung des ersten Glaubensartikels auffallt.

18 Vgl. Hirsch, Oratio mentalis, 102f. 19 Schulz, Forschungen; Schulz, Gebete Luthers. Zu einem Aspekt der Wirkungsgeschichte des Betbüchleins Luthers siehe Grüneisen, Luthers Betbüchlein. 20 Wertelius, Oratio continua, 17. Das Interesse von Wertelius richtet sich auf ein „immanentes Verständnis der Gebetstheologie Luthers". Das heißt: Er will keine „vergleichende Studie" liefern und verzichtet bewußt auf eine historisch-genetische Darstellungsweise. Dabei bezieht er sich auf Luthers gesamtes Schrifttum. Vgl. ebd. 17f. 21 Vgl. Beintker, Geistliches Leben, 18. 22 Vgl. Wertelius, Oratio continua, 14f. 23 Vgl. Wertelius, a.a.O., 15-17.

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Wertelius liefert damit zugleich eine „Gesamtdarstellung der Theologie Luthers aus dem Aspekt des Gebets", wie Ulrich Asendorf zutreffend urteilt24. Als weitere Versuche, Luthers Gebetsauffassung in ihrem systematisch-theologischen Zusammenhang umfassend zu beschreiben, seien die Arbeiten von John Peter Pelkonen25 und Martin E. Lehmann26 genannt. Pelkonen geht von vier Textkomplexen Luthers aus den Jahren 1519 bis 1535 aus27 und analysiert dann die Beziehungen des Gebets zur Rechtfertigungslehre, zur Pneumatologie und zur Gotteslehre. In einem abschließenden Kapitel untersucht er den Einfluß Luthers auf den finnischen Reformator Michael Agricola, wobei er zu dem Schluß kommt, daß die Gebetsauffassungen der beiden identisch sind28. Die kleinere Arbeit von Lehmann ähnelt in ihrem Aufbau dem Entwurf von Wertelius. Neben diesen größeren, an systematischen Bezügen innerhalb der Theologie Luthers orientierten Werken liegt mit der zweibändigen Arbeit von Rudolf Damerau die erste umfassende frömmigkeitsgeschichtliche Darstellung vor29. Damerau untersucht eine Vielzahl von Äußerungen Luthers zum Gebet, wobei er den reformatorischen gegen den vorreformatorischen Luther profiliert. Durch reichhaltig bereitgestelltes spätmittelalterliches Handschriftenmaterial sowie durch Kirchenväterbezüge wird Luthers Beten im Zusammenhang von Scholastik und Mystik beleuchtet.

24 Vgl. Asendorf, Rezension. Christoph Klein ergänzt in seiner Betrachtung über „Das Gebet in der Begegnung zwischen westlicher und ostkirchlicher Theologie und Frömmigkeit" die äußerst facettenreiche Arbeit von Wertelius mit einer Zusammenstellung von dessen Ergebnissen zum Titelthema „Oratio continua". Siehe Klein, Gebet, 245-247. 25 Pelkonen, Theology of Prayer. 26 Lehmann, Luther and Prayer. 27 Es handelt sich um die „Auslegung deutsch des Vaterunsers für die einfaltigen Laien" (1519), den großen Katechismus ( 1529), den Sendbrief vom Dolmetschen (1530) sowie um „Eine einfaltige Weise zu beten fur einen guten Freund" (1535). 28 Vgl. Pelkonen, Theology o f Prayer, 314: "The way in which both reformers underscore a particular understanding of the fundamental assumptions underlying their respective concepts o f prayer leads us to believe that the concepts are identical. According to all the evidence, Agricola's concept o f Christian prayer is a careful transmission o f the thought o f Luther. For the reason that Agricola's concept o f Christian prayer is identical with that o f Luther, w e are able to confirm the hypothesis that a line o f theological influence can be drawn from Luther to Agricola." 2 9 Damerau, Luthers Gebetslehre I und II.

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Luthers Beten - ein Forschungsbericht

Überblicksartige Darlegungen von Luthers Gebetsauffassung finden sich schließlich in Aufsätzen von Rudolf Wagner30, Kurt Dietrich Schmidt 31 , Ingetraut Ludolphy32, Deanna Marie Carr33, Otto Hof 34 , Sœur Eva35, Gerhard Schnittko36, Vilmos Vajta37, Martin Brecht38 und Gerhard Ebeling39, in denen einmal mehr die systematische, ein anderes Mal mehr die theologisch-praktische Dimension beachtet wird. Eine Reihe von anderen monographischen Titeln untersucht Einzelaspekte der Gebetsauffassung Luthers. Hier seien die Studie von Christa Müller zum Lob Gottes bei Luther40, der Aufsatz von Bruno Jordahn zum Aspekt des gottesdienstlichen Gebets41, die beiden Aufsätze von Horst Beintker über das Verhältnis zu Glaube, Rechtfertigung und Gotteserkenntnis42 sowie die Aufsätze von Ernst Walter Schmidt zum Bittgebet43, von Oswald Bayer über das Verhältnis zur „promissio"44, von Angelus A. Häussling über die Beziehung zum Stundengebet45, von Christoph Burger über Luthers Wertschätzung des Gebets46 und von Birgit Stolt zum Verständnis des „Katechismusgebets" in seinem „Betbüchlein der Zehn Gebote, des Glaubens, des Vaterunsers und des Ave Maria" von 152247 angeführt48. Der zuletzt erwähnte Aufsatz ist der zuletzt erschienene. Er ist besonders bemerkenswert, weil er auf Ergebnissen eines interdisziplinären Forschungsansatzes basiert. Es handelt sich um eine kleine Studie, die Birgit Stolt im Mai

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Wagner, Luthers Gedanken. Schmidt, Luther lehrt beten. Ludolphy, Luther als Beter. Carr, Consideration. Hof, Luther als Helfer. Eva, La prière chez Luther. Schnittko, Luther als Beter. Vajta, Luther als Beter.

38 39 40 41 42 43 44 45

Brecht, Gebet bei Luther. Ebeling, Beten. Müller, Lob Gottes bei Luther. Jordahn, Gottesdienstliches Gebet. Beintker, Geistliches Leben; Beintker, Bedeutung des Gebetes. Schmidt, Bittgebet. Bayer, Promissio und Gebet. Häussling, Stundengebet.

46 Burger, Luthers Gebetsvorschlag. 4 7 Stolt, Katechismusgebet. 48 Nicht berücksichtigt in der Literaturübersicht sind die wenigen Einzelanalysen der liturgischen Gebete Luthers sowie die Arbeiten zur Bedeutung des Vaterunsers bei Luther.

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2001 auf einem von der Universität Lausanne veranstalteten germanistischen Kongreß vorgetragen hat. Die Autorin sucht zu begründen, warum für Luther alle drei Haupttexte des Katechismus, also eben nicht nur das Vaterunser, sondern gerade auch der Dekalog und das Credo, Gebetstexte sein konnten. Sie weist daraufhin, daß sich beim Sprechen eines Katechismustextes der Sprechakt „Aufsagen"/„Rezitieren" in den Sprechakt „Beten" verwandelt, wenn sich der Sprecher beim Sprechen der „wirklichen" Gegenwart des unsichtbaren Gesprächspartners, der im Text redet oder von dem im Text die Rede ist, mit Hilfe des Textes vergewissert49. Sie betont, daß das „Katechismusgebet" in Luthers „Betbüchlein" eine „altüberkommene Gebetsform" ist, „in der Rezitation, vertikal gesprochen, nicht nur ,Anregung zum Gebet', sondern wirkliches Gebet, d. h. Kommunikation wird, nicht nur Selbsterkenntnis', sondern auch Gotterkenntnis; dazu Kontaktnahme und Beziehungsgestaltung, Vergewisserung und gegenseitiger Respons"50. Unter Zuhilfenahme der Kategorien der Gesprächsforschung gelingt ihr eine detaillierte Beschreibung der aufeinanderfolgenden „Gesprächsschritte", zu denen es beim Beten der Textgruppe Dekalog, Credo und Vaterunser kommt51. Nachdem Birgit Stolt anhand des „Betbüchleins" aufgezeigt hat, daß Luther auch Texte ohne Gebetsform - wie den Dekalog und das Credo - beten konnte, weist sie nach, daß sich bei Luther nicht mit allen Texten, die er in Gebetsform verfaßte, in erster Linie die Intention des Gebets verband52. Bei Luthers Vaterunserauslegung in Gebetsform, die für den zeitgenössischen Leser der im „Betbüchlein" wieder abgedruckten „Kurze(n) Form der Zehn Gebote, des Glaubens und des Vaterunsers" von 1520 bestimmt war, geschieht ihrer Meinung nach „eine Vermischung von vertikaler und horizontaler Kommunikation". Sie behauptet, daß letztere zurück auf den Beter reflektiert: „Während sich dieser an Gott wendet, verarbeitet er für sich den ihm hier vorgelegten, bzw. vorge-

49 Vgl. Stolt, Katechismusgebet, 118. 50 Vgl. Stolt, a.a.O., 126. 51 Vgl. Stolt, a.a.O., 118-124. Die besagte Darstellung kann als Beweis dafür dienen, daß die von Luther vorgenommene Anordnung der drei wichtigsten Katechismusstücke (vgl. dazu Peters, Luthers Katechismen I, 38-49) aus sprachwissenschaftlicher Sicht sinnvoll ist. 52 Vgl. Stolt, a.a.O., 124f.

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schriebenen Text." Es ereignet sich ihrer Ansicht nach bei dieser Auslegung folglich auch eine sogenannte ,„Autokommunikation"' 53 . Läßt man einmal die literarhistorischen Arbeiten außer acht, so ist für die meisten Untersuchungen kennzeichnend, daß sie sich auf zum Teil sehr viele unterschiedliche Komplexe aus Luthers Textmaterial beziehen. Dies gilt fur alle Gesamtdarstellungen wie fur manche der Einzelaspektanalysen. Die bedeutenderen Einzelaspektanalysen beschränken sich im Gegensatz dazu oft auf eine einzige kleine Texteinheit. Nun könnte man einwenden, daß eine Gesamtdarstellung, die auf einem verstreuten Material beruht, ebenso wie eine auf einem kleinen Einzeltext gründende Aspektanalyse in der Gefahr stehen, etwas willkürlich zu erscheinen54. Die Gesamtdarstellung wie die Aspektanalyse brauchen im Grunde jeweils die Einheit des Gesamtmaterials. Da jedoch das Gesamtmaterial nur schwer ausschöpfbar ist, soll, wenn es im folgenden um Luthers Beten geht, eben der Kompromiß darin gefunden werden, daß ein zusammenhängender Textkomplex als Basis der Erörterung fungiert, der gleichzeitig groß und hinsichtlich der Thematik aussagekräftig genug ist, um Verfälschungen in der Betrachtung zu verhindern. Die dritte Psalmenvorlesung Luthers enthält außerordentlich viele Fundstellen zum Thema Beten. Sie eignet sich auf jeden Fall dazu, die Struktur von Luthers Beten erkennbar zu machen. Der knappe Forschungsbericht soll übrigens lediglich der groben Orientierung hinsichtlich des Forschungsstandes dienen. Auf eine ausführliche Darstellung und Diskussion der Spezialliteratur zur Gebetspraxis und zur Gebetslehre Luthers kann hier verzichtet werden, weil mit der vorliegenden Arbeit in jenem Bereich der Lutherforschung ganz neue Wege beschritten werden. Letzteres ist auch der Grund dafür, daß eine Bezugnahme auf die genannte Literatur in den einzelnen Kapiteln der Arbeit nur in sehr eingeschränktem Maße erfolgt.

53 Vgl. Stolt, a.a.O., 125. Der Hinweis auf die Studie von Birgit Stolt ist an dieser Stelle nachträglich in die vorliegende Arbeit eingefugt worden. In ihrer Druckfassung ist die Studie Teil eines Sammelbandes, der nicht etwa schon in 2001 ausgeliefert wurde, wie man aufgrund der Angabe im Buch denken könnte, sondern erst im Januar 2003, wie es Birgit Stolt durch eine handschriftliche Notiz auf einer Kopie des Titelblattes bekundet. Stolts Abhandlung ist stärker sprachwissenschaftlich ausgerichtet als die vorliegende Arbeit. Die konsequente Nutzung von Analysekategorien der Gesprächsforschung ist faszinierend, führt aber im Ergebnis nicht über das hinaus, was im folgenden dargeboten wird. 54 Dabei soll nicht in Abrede gestellt werden, daß man methodisch auch auf diese Weise zu gültigen Ergebnissen kommen kann. Auch die schmale Textbasis kann ein einleuchtendes Bild hergeben, wie die obige Analyse des Begriffs „fromm" gezeigt hat.

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Erwähnt werden muß schließlich, daß sich nicht nur die Spezialliteratur zum Gebet bei Luther lediglich bedingt heranziehen läßt, wenn es um die Anwendung der eingangs beschriebenen „analytischen Methode" geht55. Gleiches trifft auch für den wichtigsten Beitrag zur frömmigkeitsgeschichtlichen Erforschung der Reformationszeit, der in den letzten Jahren erschienen ist, nämlich für die Habilitationsschrift von Martin H. Jung, zu56. Dieses brillante Werk über die Gebetspraxis und -lehre Philipp Melanchthons ist ja im Unterschied zu der vorliegenden Arbeit vornehmlich historisch und biographisch ausgerichtet57. Eine erste Annäherung an das Beten Luthers findet im folgenden durch eine Erörterung der in und mit der dritten Psalmenvorlesung begegnenden Vollzüge des Betens statt.

55 S. I. 56 Jung, Frömmigkeit. 57 Vgl. Jungs eigene Charakterisierung seines Werkes in ders., a.a.O., 32. Die beiden Arbeiten ähneln sich in methodischer Hinsicht insofern, als die Untersuchung jeweils beim „Beten selbst" ansetzt. Jung hatte 1993 in einem Vortrag eine methodische Leitlinie für die frömmigkeitsgeschichtliche Beschäftigung mit dem Gebet formuliert: Siehe ders., Bemerkungen, 98: „Es geht nicht nur darum darzustellen, was bestimmte Theologen oder Laien über das Gebet geschrieben haben und welche Gebete verfaßt und welche Gebetbücher herausgegeben wurden, sondern das Beten selbst, die Gebetspraxis einzelner und der Allgemeinheit im Alltag und in Krisensituationen muß zum Gegenstand der historischen Arbeit werden."

IV. Die dritte Psalmenvorlesung als Gebet

Analysiert man die dritte Psalmenvorlesung Luthers hinsichtlich der Frage nach Gebetsvollzügen, so fällt sofort auf, daß Luthers Beten zuallererst mit der dritten Psalmenvorlesung als solcher begegnet. Bereits die einleitenden Sätze der Vorlesung enthalten die entscheidenden Aussagen, die dies deutlich machen. Offenbar ist das Thema „Gebet" für Luther so wichtig, daß er es sofort anspricht und dann zugleich mit dem Gesamtanliegen seiner Vorlesung verknüpft. Luthers grundsätzliche, sehr prononcierte Beschreibung des Gebetscharakters seiner Vorlesung lautet folgendermaßen: -

„Omnis praedicatio vel lectio sacrae theologiae est ipsum verissimum sacrificium laudis vel Eucharistia vel gratiarum actio, quod est Summum sacrificium et summus cultus in novo Testamento. Ideoque nos felicissimi sumus et agere gratias debemus, non solum, quod sacerdotes sumus istorum sacrificiorum, verumetiam, quod intelligimus et certi sumus, hoc opus esse certissimum sacrificium: gratias agere. Iamque postquam divina misericordia sublatae privatae missae et abominationes Papae et in locum erectae declamationes et lectiones, verae missae i. e. lectiones pure secundum Sanctum verbum Dei, Ideo statuimus, quantum possemus per infirmitatem, aliquando psalmum aliquem apprehendere, non tantum legendi et discendi causa, sed deo gratias agendi, ut sit nostra lectio matutinum sacrificium vice impiissimarum Missarum, quia lectio scripturae nihil aliud est quam praedicatio divinae misericordiae, laus et gratitudo pro immensis et innumerabilibus beneficiis, quae etiam nos instruit de vera cognitione Christi et consolatur et munit adversus scandala et tentationes diaboli et confortât, ut perseveremus ad diem ilium beatum adventus etc. Ut socius vester sim in laudando etc., volo apprehendere aliquot psalmos; non totum psalterium, promitto, ne vana spe vos lactem, sed eligam aliquot. Hoc animo volo legere, ut Missam nostram mane celebremus et gratias agamus deo et discamus et consolemur

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nos invicem etc."1 [„Jede Verkündigung oder Lesung der heiligen Theologie ist eigentlich ein wirklich wahres Lobopfer oder eine Eucharistie oder eine Danksagung, welches das höchste Opfer und der höchste Gottesdienst im Neuen Testament ist. Deshalb sind wir äußerst glücklich und sind verpflichtet, Dank zu sagen, nicht allein weil wir Priester jener Opfer sind, sondern auch weil wir erkennen und gewiß sind, daß dies Werk das gewisseste Opfer sei: Dank sagen. Und da nun durch die göttliche Barmherzigkeit die Privatmessen und Greuel des Papstes beseitigt und an ihrem Ort die Vorträge und Lesungen, die wahren Messen, das heißt: die Lesungen rein gemäß dem heiligen Wort Gottes, aufgerichtet sind, deshalb haben wir beschlossen, soviel wir der Schwachheit wegen vermöchten, bisweilen irgendeinen Psalm zu ergreifen, nicht nur um des Lesens und Lernens willen, sondern um Gott Dank zu sagen, damit unsere Lesung das morgendliche Opfer anstelle der gottlosen Messen sei, weil die Lesung über die Schrift nichts anderes als die Verkündigung der göttlichen Barmherzigkeit, Lob und Dank für die unermeßlichen und unzähligen Wohltaten ist, die dann aber ja auch uns über die wahre Erkenntnis Christi unterrichtet und tröstet und sichert gegen die Ärgernisse und Anfechtungen des Teufels und stärkt, daß wir standhaft bleiben bis zu jenem glückseligen Tag der Ankunft usw. Damit ich euer Genösse sei im Loben usw., will ich einige Psalmen ergreifen; nicht etwa den ganzen Psalter verspreche ich, damit ich euch nicht mit leerer

1 WA 40 11,193,2-195,4. Ähnliche Äußerungen finden sich mehrmals zu Beginn von neuen Abschnitten innerhalb der dritten Psalmenvorlesung. Vgl. die kurzen Notizen am Anfang des zweiten Vorlesungstages am 9. April 1532 (WA 40 11,211,1-4) sowie am Anfang der Erläuterungen von Ps 51 (WA 40 11,315,2f.) und von Ps 90 (WA 40 III,484,3f.), wobei an den beiden letztgenannten Stellen nicht vom Opfer die Rede ist. Die ausfuhrlichere Passage in der Einleitung zur Auslegung der Stufenpsalmen (WA 40 111,9,8-10,9) ist als Rekurs markiert - „Audistis . . . " [„Ihr habt g e h ö r t . . . " ] - und bezieht sich mit dem Verständnis der Vorlesung als Lobopfer unmittelbar auf das obige Zitat. Im Rekurs benutzt Luther den Gedanken von der theologischen Qualifizierung der theologischen Arbeit nicht in polemischer und triumphalistischer Weise wie oben, sondern vor allem in betont paränetischer Zuspitzung: Er mahnt hier zum gründlichen und andauernden Schriftstudium. Luther hatte übrigens schon die erste Psalmenvorlesung (1513-1515) mit einer grundsätzlichen Erklärung eröffnet. Damals hatte es sich um eine hermeneutische Grundsatzerklärung gehandelt (siehe WA 55 1,2,1-10,15). An die Stelle einer Grundsatzerklärung zum Psalmenverständnis und zur Psalmenauslegung trat nun zu Beginn der dritten Psalmenvorlesung eine Grundsatzerklärung zur Funktion der Vorlesung. Daran zeigt sich, daß die hermeneutische Frage Luther zur Zeit der dritten Psalmenvorlesung nicht mehr in gleicher Weise wie zur Zeit der ersten Psalmenvorlesung beschäftigt hat.

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Hoffnung ködere, sondern damit ich eben nur einige auswähle. In dieser Absicht will ich lesen, auf daß wir unsere Messe morgens feiern und Gott Dank sagen und lernen und uns gegenseitig trösten usw."] Kennzeichnend fur diese Ausführung Luthers ist als erstes die recht ungewöhnliche Verhältnisbestimmung zwischen der Vorlesung und der „papistischen" morgendlichen Opfermesse: Die Psalmenvorlesung ersetzt die im Papsttum übliche Messe am Morgen, und zwar in vollgültiger Weise. Luther hatte bereits am 11. März 1523 die regelmäßigen werktäglichen Messen für aufgehoben erklärt und ab dem 23. März 1523 in Wittenberg neue morgendliche und abendliche Werktagsgottesdienste eingerichtet. Diese Werktagsgottesdienste ersetzten die traditionellen Horengottesdienste. Sie konnten aber zugleich auch als Ersatz für die Werktagsmessen angesehen werden2. In seiner für die Gottesdienstreform maßgeblichen Schrift „Deutsche Messe und Ordnung Gottesdiensts" von 1526 stellte Luther eine Verbindung zwischen den werktäglichen Frühgottesdiensten und dem universitären Vorlesungsbetrieb her. Er meinte, daß die exegetischen Vorlesungen an der Universität die gleiche Aufgabe wie die täglichen Frühgottesdienste hätten. Beide Veranstaltungsformen dienten dazu, „das Gottis wort ym schwang zu halten"3. Der Gedanke konnte entstehen, daß auch die morgendlichen exegetischen Vorlesungen einen vollgültigen Ersatz für die Werktagsmessen darstellten. Nachdem es sich gezeigt hatte, daß dem Projekt der täglichen Früh- und Spätgottesdienste in Wittenberg auf Dauer kein Erfolg beschieden war4 und nur noch Wochengottesdienste am Mittwoch und Samstag veranstaltet wurden, mußte sich dieser Gedanke sogar regelrecht aufdrängen. Dies war zu Beginn der dritten Psalmenvorlesung der Fall5. Daß Luther gerade in der Einleitung der dritten Psalmenvorlesung auf das Verhältnis der Vorlesung zur Messe zu sprechen kam, hatte natürlich auch dar-

2 Vgl. Brecht, Martin Luther II, 126; ders., Reform des Wittenberger Horengottesdienstes, 51-55. 3 WA 19,80,1 -3: „Hie mit sind lection und predigt gnug bestellet, das Gottis wort ym schwang zu halten, on [„außer"] was noch sind lection ynn der hohen schulen fur die gelerten." 4 Vgl. Brecht, Reform des Wittenberger Horengottesdienstes, 55. 5 Vgl. Brecht, Martin Luther II, 278; ders., Martin Luther 111,24.248.

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in seinen Grund, daß der Psalter wie kein anderes biblisches Buch den mittelalterlichen Gottesdienst prägte6. Kann die dritte Psalmenvorlesung die morgendliche Messe vollgültig ersetzen, dann muß fur sie das charakteristisch sein, was die Messe in ihrem Wesen ausmacht. Kennzeichnend für Luthers Ausführung ist damit zweitens die Apostrophierung der Vorlesung als „matutinum sacrificium vice impiissimarum Missarum" [„das morgendliche Opfer anstelle der gottlosen Messen"]. Mit der positiven Aufnahme des Opferbegriffs zur Beschreibung der Vorlesung ist nun nicht etwa ein Zugeständnis an das römische Sakramentsverständnis verbunden. Gleichwohl zeigt sich hier ein unbekümmerter Umgang mit dem Opferbegriff, wie er sich auch in der nicht lange zuvor verfaßten „Vermahnung zum Sakrament des Leibes und Blutes unseres Herrn" von 1530 findet. In Anknüpfung an seine frühen Schriften über das Abendmahl - genannt seien vor allem der „Sermon von dem Neuen Testament, das ist von der heiligen Messe" aus dem Jahr 1520 sowie die Schriften „De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium" [„Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche. Vorspiel"] von 1520 und „De abroganda missa privata M. Lutheri sententia" [„Von der abzuschaffenden Privatmesse. M. Luthers Urteil"] von 1521 - , in denen Luther die mittelalterliche Meßopfertheologie rigoros bestreitet7, riskiert er in der „Vermahnung zum Sakrament" einen neuen eigenen Versuch einer sakramentstheologischen Verortung des Opferbegriffs: Auch für Luther ist die Messe ein Opfer, genauer gesagt: ein „danckopffer" 8 . Zweifellos führt diese

6 Es ist übrigens interessant, daß aufgrund von Karlstadts stürmischen Reformen in Wittenberg schon Anfang 1522 in einem später von Luther unterbundenen Projekt ein Psalm anstelle der täglichen Meßgottesdienste ausgelegt wurde. Vgl. Brecht, Martin Luther II, 46. 7 Vgl. W A 6,367,13-370,34; vgl. WA 6,512,7-15; 523,8-525,12; vgl. WA 8,437,28-440,22. In der ersten Psalmenvorlesung sprach Luther in einer Randglosse zu Ps 50 (Vulgata: Ps 49),23 noch vom „sacrificium altaris" [„Opfer des Altars"] ( W A 55 1,394, Nr. 23: Z. 4). Ob er an dieser Stelle allerdings tatsächlich noch davon ausging, daß der Priester in der Messe Leib und Blut Christi als ein Sühnopfer darbringt, ist nicht ganz klar. Vgl. zu der besagten Randglosse Lohse, Luthers Theologie, 69. 8 Vgl. W A 30 11,610,27-40: „Zum andern haben sie nicht allein solch danckopffer odder gedechtnis unterdruckt. Sondern an des selbigen stat ertichtet ein ander opffer, nemlich, das sie das Sacrament, das sie empfahen und von Gott nemen solten, nemlich den leib und das blut Christi, zum opffer gemacht und den selbigen Gotte geopffert, Und w o sie das opffer nicht hetten ertichtet, sie solten mir solche Herrn nicht worden sein. Dazu halten sie Christus leib und blut nicht fur ein danckopffer, sondern als ein werckopffer, damit sie nicht Gott dancken fur seine gnade, Sondern jhn selbs und andern damit verdienen und gnad aller erst

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Die dritte Psalmenvorlesung als Gebet

Terminologie dazu, daß Luther sich nur allzuleicht dem Vorwurf der Inkonsequenz aussetzt, daß er nämlich „hie selbst j m Sacrament ein opffer mache", so er doch bisher „fast [„sehr"] gestritten habe, die Messe sey kein opffer"9. Luther insistiert deshalb auf der sorgfaltigen Unterscheidung zwischen dem

erwerben, das also nicht Christus uns gnade hab erworben, Sondern wir wollen die gnade selbs erwerben, durch unser werck, da mit wir Gott seins sons leib und blut opffern, Das ist der rechte heubtgrewel und grund aller lesterung jm Bapstum. Widder solch lesterlich opffer hab ich gefochten und fechte noch, das wir das Sacrament nicht wollen weder opffer sein lassen noch opffer heissen, Sondern ein Sacrament odder gestifft Gottes, uns gegeben." Auch WA 30 11,613,23-35: „Zum Vierden (O thar ich das auch ruren? [ „ 0 wage ich es, auch das anzurühren?"]): Wenn der Messe odder Sacraments brauch nu also ein danck opffer ist worden, das sie wolten bussen und widder geben alle guter, Siegel und brieve, dazu aller kloster und stifft renten, die sie durch die Messe, als mit eim werckopffer, uberkomen haben und besitzen, weil doch solche guter mit liegen und triegen, ia mit Gottes lesterung und Christus verretherey erworben sind, Denn hettens konige und fursten gewust, das ein Priester mit dem Sacrament nichts mehr thet auff dem altar denn der leie, der es empfehet, nemlich, das er Gott fur sich selbs allein danckt, meinstu, das sie so toi gewest weren, und solche guter dem gegeben, der nicht fur sie opffert noch Gott versunet, sondern fur sich selbst allein dancket? Usch, Usch, Usch, wie kribbelt mir das jnn den zeenen, Dis stuck traw ich nicht bey jhn zu erheben, das weis ich wol." Ähnlich WA 30 11,614,30-34: „..., Und were noch nicht ubel geredt, Wo man itzt sagte, wenn man zur Messe odder predigt gienge: Ich wil zur Eucharistia gehen, das ist: Ich wil zur dancksagung gehen, nemlich zu dem ampt, da man Gott danckt und lobt jnn seinem Sacrament, wie es scheinet, das die alten gemeinet haben." In seiner Schrift „De instituendis ministris ecclesiae" [„Von den einzusetzenden Dienern der Kirche"] aus dem Jahr 1523 hatte Luther den Opferbegriff noch ausschließlich für das Lebensopfer der Christen reserviert. Er hatte in diesem Zusammenhang betont, daß das Lebensopfer das Lob- und Dankopfer in sich begriffe. Wahrscheinlich war Luther hier davon ausgegangen, daß das Loben und Danken des sich opfernden Christen auch in der Messe zum Ausdruck kommt. Er hätte die Messe daher als ein Lob- und Dankopfer bezeichnen können. Er vermied dies, um die Klarheit seiner Argumentation nicht zu gefährden. Siehe WA 12,185,19-26: „Testes invocamus scripturas novi testamenti, ad quas etiam contra Satanam provocamus, nullum esse in novo testamento sacrificium, nisi unicum illud omnibus commune, Ro. 12, ubi Paulus nos docet sacrificare corpora nostra per crucifixionem, sicut Christus suum pro nobis in ligno sacrificavit. In hoc sacrificio complectitur sacrificium laudis et gratiarum actionis. Idem iubet Petrus, 1. Pe. 2, ut offeramus hostias spirituales per Christum acceptas deo, id est, nos ipsos, non aurum aut pecudes." [„Als Zeugen rufen wir Schriftstellen des Neuen Testaments an, auf die wir uns auch gegen Satan berufen, daß es im Neuen Testament kein anderes Opfer gibt, als jenes einzige, das allen gemeinsam ist, siehe Rom 12,(1), wo Paulus uns lehrt, unsere Leiber zu opfern durch Kreuzigung, gleichwie Christus seinen Leib fur uns am Holz geopfert hat. In diesem Opfer begreift Paulus das Opfer des Lobes und der Danksagung. Dasselbe befiehlt Petrus, indem er sagt, siehe 1. Petr 2,(5), daß wir geistliche Opfer opfern sollen, die Gott durch Christus wohlgefällig sind, das heißt: uns selbst, nicht Gold oder Vieh."] 9 WA 30 11,610,11-13.

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Sakrament und dem Gebrauch beziehungsweise dem Empfang des Sakraments entsprechend der Weisung Christi: „Solchs thut zu meinem gedechtnis." Das Sakrament selbst sei kein Opfer, sondern ganz und gar göttliche Gabe. Der Empfang dieser Gabe, das heißt: die menschliche Partizipation, sprich Kommunion, allerdings sei Ausdruck des Dankes und deshalb „danck opffer"10.

10 Siehe WA 30 11,613,4-19: „Aber, das sie nicht meinen, Ich wolle umb wort zancken (Denn wo die sachen sonst recht stehen, sol an den Worten nicht so viel liggen, wie wol doch jnn der schrifft solchs ferlich [„gefahrlich"] ist), Wolan, so wollen wir das ein reumen und nicht das Sacrament selbs, sondern empfahen odder brauch des Sacraments ein opffer nennen lassen, Mit solchem unterscheid und verstand, Erstlich: das es nicht ein deut opffer odder werck opffer, sondern ein danck opffer heisse, also, das wer das Sacrament empfehet, sol das, zum zeichen seiner dancksagung gethan haben, damit er anzeigt, das er Christo fur sein leiden und gnade jnn seinem hertzen danckbar sey, fur sich selbs. Zum andern: das die priester auch kein ander opffer draus machen über dem altar, Sondern auch sie das selbige nicht anders noch anderer meinung empfahen, denn zum zeichen, damit sie anzeigen, das sie Christo jm hertzen dancken fur sich selbs, gleich wie die andern Christen, welchen sie es reichen vom altar, Auff das es einerley und ein gleich Sacrament sey, beide der priester und der leien, und die priester nicht bessere noch anders, noch mehr am Sacrament haben denn die leien, gleich wie sie nicht besser tauffe noch Euangelion haben, denn so man von jhnen empfehet." WA 30 11,614,16-30: „Wollen sie diese stucke nicht an nemen, So wollen wir auch jhr listiges, falsches gloslin vom Deutopffer odder denck opffer nicht leiden noch das Sacrament also nennen lassen, Es ist abusus et Katachresis [„ein Mißbrauch und eine mißbräuchliche Verwendung einer Bezeichnung"], der misverstand zu grob und ferlich. Denn Christus scheidet hie die zwey stuck weit von einander, Sacrament und Gedechtnis, da er spricht:,Solchs thut zu meinem gedechtnis.' Ein ander ding ist das Sacrament, und ein ander ding ist das Gedechtnis, Das Sacrament sollen wir üben und thun (spricht er) und daneben sein gedencken, das ist: leren, gleuben und dancken, Das gedechtnis sol wol ein danckopffer sein, aber das Sacrament selbs sol nicht eine opffer, sondern ein gäbe Gottes sein, uns geschenckt, welchs wir zu danck an nemen und mit danck empfahen sollen. Und ich halt, das daher die alten solch ampt haben Eucharistia odder Sacramentum Eucharistie, das ist dancksagung, genennet, das man nach dem befelh Christi bey diesem Sacrament Gott dancken und dasselb mit danck brauchen und empfahen sol, Weichs wort darnach durch misverstand auch hat müssen allein das Sacrament heissen, . . . " Die in der „Vermahnung zum Sakrament" vollzogene positive sakramentstheologische Bestimmung des Opferbegriffs ist für die reformatorische Theologie Luthers zu Beginn der dreißiger Jahre nicht so neu, wie man aufgrund der Interpretation von Maurer, Historischer Kommentar II, 193f. vermuten könnte. Ein positives Verständnis der Messe als Opfer begegnete selbst im kritischen „Sermon von dem Neuen Testament" (1520): WA 6,369,3-18: „Auß welchen worten wir lernen, das wir nit Christum, sondern Christus uns opffert, und nach der weyß ist es leydlich [„annehmbar"], yha nuetzlich, das wir die meß ein opffer heyssen, nit umb yret willen, sondern das wir uns mit Christo opffern, das ist, das wir uns auff Christum legen mit eynem festen glauben seynes testaments, und nicht anders mit unserm gepeet, lob und opffer fur gott erscheynen, den durch yhn und seyn mittel, und wir nit dran zweyffeln, er sey unser pfarrer oder pfaff ym hymel fur gottis angesicht. Solcher glaub fur

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Aus dem Kontext von Luthers Dankopferlehre folgt, wie die Bedeutung der dritten Psalmenvorlesung näher zu beschreiben ist, wenn zu ihrer Erfassung die sakramentstheologische Kategorie des Opfers herangezogen wird. Kennzeichnend für Luthers Einleitung der Vorlesung ist deshalb drittens, daß Luther die Vorlesung als Opfer nachdrücklich im präzisen Sinn des Dankopfers begreift: Die dritte Psalmenvorlesung hat vor allem die Funktion eines Dankopfers".

war macht, das Christus sich unser annympt, uns selb, unser gepet und lob furtregt, und sich selbs auch fur uns dar gibt im hymel. Wo man alßo die meß ein opffer hieß und vorstundt, were es woll recht, nit das wir das sacrament opffern, sondern das wir durch unser loben, beeten und opffern yhn reytzen, ursach geben, das er sich selb fur uns ym hymel und uns mit yhm opffer, als wen ich Sprech, ich hett eynem fursten seynen sun geopffert, ßo ich doch nit mehr than hett, den das ich den selben sun bewegt hett, meyn nodt und gewerb dem fursten antzutragen und des suns zu eynem mittler gepraucht." Im „Sermon von dem Neuen Testament" war auch vom Opfern des Dankes innerhalb der Messe die Rede: WA 6,368,5-16: „Was sollen wir den opffern? Uns selb und allis was wir haben mit vleyssigem gepeet, wie wir sagen ,dein will geschehe auff der erden als ym hymel', Hie mit wir uns dargeben sollen gottlichem willen, das er von und auß uns mache, was er wil noch seynem gottlichen wolgefallen, dartzu yhm lob und danck opffern auß gantzem hertzen fur sein unaussprechliche suesse gnade und barmhertzickeit die er uns in dißem sacrament zugesagt und geben hat. Und wie woll solchs opffer auch aussen der meß geschieht und geschehen sol, denn es nit noetlich und weßenlich zur meß gehoert, wie gesagt ist, ßo ists doch koestlicher, fuglicher [„schicklicher"], stercker unnd auch angenhemer, wo es mit dem hauffen und in der samlung geschieht, da eyns das ander reytzt, bewegt und erhitzt, das es starck zu gott dringt und damit erlanget on allen zweyffel, was es will." Insgesamt fehlte im „Sermon" aber die terminologische und inhaltliche Ausgestaltung einer „Dankopfertheorie", wie sie dann in der „Vermahnung" vorliegt. Zu einem unbekümmerten Verständnis der Messe als Dank- beziehungsweise Lobopfer in den dreißiger Jahren vgl. auch eine Tischrede vom Beginn des Jahres 1532: WA TR 2,46,27-32 (Nr. 1325): „Papistae terroribus et minis nobiscum egerunt in comitiis. Volebant, ut nos consentiremus missam esse sacrificium laudis, das sie sich nur mit dem wort sacrificio mochten behelfen zum schandeckel. Ego autem facile concedo missam esse sacrificium laudis, si ipsi econtra concesserint, quod sacerdos non solum in altari sacrificet, sed quilibet communicans." [„Die Papisten plagten uns auf dem Reichstag (zu Augsburg) mit Schrecken und Drohungen. Sie wollten, daß wir einverstanden wären, daß die Messe ein Lobopfer sei, wobei sie das Wort Opfer nur als einen Deckmantel benutzten. Ich aber gestehe gern zu, daß die Messe ein Lobopfer sei, wenn sie selbst wiederum zugestanden hätten, daß nicht allein der Priester auf dem Altar opfert, sondern jeder Kommunikant."] 11 Im Blick auf die übrigen Vorlesungen Luthers sei folgendes bemerkt: Bezüglich der Vorlesung über den Prediger Salomo von 1526 deutet Luther in der Vorrede zur Druckausgabe von 1532 an, daß er ihn zum Lob Gottes ausgelegt hat (vgl. WA 20,8,35-39). Eine ähnliche Formulierung findet sich ebenfalls in der Zwickauer Handschrift der Amosvorlesung von 1524/25 in bezug auf diese: WA 13,2-4: „Non aliam ob causam aggredior hanc praelectionem nisi ut verbum in nobis abundet, ut in hymnis et psalmis deus laudetur, ut copia verbi adsit et divitiae, iuvabo quantum potero." [„Ich gehe an diese Vorlesung aus keinem

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Das Verständnis der Vorlesung als Dankopfer impliziert, daß sie in erster Linie auf Gott ausgerichtet ist. Erst in zweiter Linie zielt sie auf die Menschen ab, indem sie der Unterrichtung über die „cognitio Christi" [„Erkenntnis Christi"], der Tröstung und der Bestärkung gegen die Vielzahl der Anfechtungen dient. Insgesamt besitzt die Vorlesung also eine doppelte und abgestufte Funktion. Die doppelte Funktion der Vorlesung ist über die Thematik des Dankopfers aus der Abendmahlslehre abgeleitet. In der „ Vermahnung zum Sakrament" entfaltet Luther hinsichtlich der Teilnahme an der Abendmahlsfeier zuerst ausfuhrlich den „nutz, der Christo und Gott selber draus komet"12, während er alsdann im zweiten, kleineren Teil „unser(n) nutz, so wir jm Sacrament suchen und holen können"13, thematisiert14. Mit der Formulierung „Ut socius vester sim in laudando" [„Damit ich euer Genösse sei im Loben"] sowie mit der Bemerkung „quicunque legit, audit sacras literas, ille sacerdos dei, sacrificator, qui honorât et glorificat suum deum"15 [, jeder, der über die heilige Schrift liest und über sie lesen hört, der ist

anderen Grund heran, als daß das Wort unter uns im Überfluß vorhanden sei und Gott mit Lobgesängen und Psalmen gelobt werde. Daß die Fülle und der Reichtum des Wortes da seien, dazu will ich helfen, soviel ich kann."] Beide Stellen haben nur wenig Ähnlichkeit mit der Einleitung zur dritten Psalmenvorlesung, zumal jeweils kein sakramentstheologischer Zusammenhang vorhanden ist. 12 WA 30 11,601,28. 13 WA 30 11,615,29f. 14 Da der erstgenannte „nutz" auch Bekenntnisfunktion hat, steht er allerdings auch schon zugleich im Dienst am Nächsten: Siehe WA 30 11,606,21-34: „..., Und wer kan auch hie ausrechen, was guts solche ehre und Gottes dienst schaffen? Denn damit danckt und lobet er nicht allein Gott jnn Christo, Weichs dieses Gottlichen stiffts eigentlich thun ist, Sondern bekennet auch damit öffentlich fur der weit seinen HERRN Christum, und das er ein Christ sey und sein will, Und richtet also zu gleich auff ein mal aus eins rechten Priesters beiderley höchste ampt: Mit dem dancken, loben und ehren gegen Gott thut er das schonest opffer, den hohesten Gottes dienst und herrlichst werck, nemlich ein Danckopffer, Mit dem bekentnis gegen die menschen thut er so viel, als predigt er und lerete die leute an Christum gleuben, Damit hilfft er die Christenheit mehren und erhalten, hilfft stercken das Euangelion und Sacrament, hilfft die sunder bekeren und dem teufel sein reich stürmen, Und jnn summa: Was die lere des worts thut jnn der weit, da hilfft er mit und ist desselbigen wercks teilhafftig, Wer kan aber erzelen, wie grosser nutz hie geschehe?" Auch beim zweiten „nutz" ist der Nächste im Blick. Es geht bei ihm in erster Linie um die Erneuerung des Glaubens und der Liebe des Kommunikanten gegen den Heiland Christus (vgl. WA 30 11,616,36-617,13), in zweiter Linie um die Befähigung des Kommunikanten zur Liebe gegen den Nächsten, zum Tun des Guten und zum Widerstand gegen das Böse (vgl. WA 30 11,617,14-33). 15 WA 40 III, 10,3f.

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Die dritte Psalmenvorlesung als Gebet

ein Priester Gottes, ein Opferpriester, der seinen Gott ehrt und verherrlicht"] aus der Einleitung zur Stufenpsalmenauslegung macht Luther im übrigen deutlich, daß die Vorlesung in ihrer Funktion als Dankopfer nicht nur eine Aktion des Dozenten darstellt. Luther berücksichtigt von vornherein auch das „Hören" der Studenten. Das „Hören" der Studenten wird von ihm nicht als etwas Passives, sondern als ein aktives Involviertsein in die Vorlesung beurteilt. Die dritte Psalmenvorlesung als Dankopfer ist damit ein Geschehen, das eine den Dozenten und die Studenten umgreifende Dankopfergemeinschaft herstellt16. Dozent und Student stehen hinsichtlich der Funktion der Vorlesung ebenso auf einer Stufe, wie „Priester" und „Laie" hinsichtlich des Dankopfers der Messe, das heißt: hinsichtlich des unterschiedslosen dankopfernden Sakramentsempfangs, auf einer Stufe stehen17.

16 Vgl. hierzu eine Tischrede vom 27. Mai 1532: WA TR 2,147,28-31 (Nr. 1599): „Deus habet duplicia sacrificia: primum sacrificium laudis, predigen, predig hören; secundum sacrificium Deo spiritus contribulatus,..." [„Gott hat zweierlei Opfer: erstens das Lobopfer, das heißt: das Predigen und das Hören der Predigt; zweitens das Opfer des geängsteten Geistes ..."] 17 Es sei wieder auf die „Vermahnung zum Sakrament" verwiesen: WA 30 11,604,20-33: „Wolan, wenn ich sonst gleich keinen nutz davon hette, So wil ich doch meinem Gott zu lob und ehren hingehen, wil jhm helffen seine Gottliche ehre erhalten und auch mit daran sein, das er ein rechter Gott gemacht werde, Kan oder mus ich nicht predigen, So wil ich doch zu hören, Denn wer zu höret, der hilfft auch dancken und Gott ehren, Sintemal, wo kein zuhorer were, da kund kein prediger sein, Kan jch nicht zu hören, So wil ich dennoch unter den zu horern sein, und wil zum wenigsten mit der that, mit dem leibe und meinen geliedern da sein, da man Gott lobet und ehret. Und wenn ich gleich nicht mehr thun kundte, so wil ich doch das Sacrament eben darumb empfahen, das jch mit solchem empfahem bekennen und zeugen mag, das ich auch der einer sey, der Gott loben und dancken wolle, und wil also meinem Gott zu ehren das Sacrament empfahen, und solch empfahen sol mein gedechtnis sein, da mit ich an seine gnade dencke und dafür dancke, jnn Christo mir erzeigt." Vgl. ebenfalls den in Anm. 10 zitierten Abschnitt WA 30 11,613,4-19 sowie die dort zitierte Tischrede. Luther wendet in der dritten Psalmenvorlesung seine in früherer Zeit gewonnenen Einsichten bezüglich des allgemeinen Priestertums an. Das allgemeine Priestertum realisiert sich für Luther auch im Vorlesungssaal. Zum priesterlichen Amt aller Christen vgl. ein weiteres Mal „De instituendis ministris ecclesiae" ( 1523): WA 12,178,2633: „Sacerdos enim novo praesertim testamento non fit, sed nascitur, non ordinatur, sed creatur. Nascitur vero non carnis, sed spiritus nativitate, nempe ex aqua et spiritu in lavacro regenerationis. Suntque prorsus omnes Christian! sacerdotes, et omnes sacerdotes sunt Christian!. Anathemaque sit, sacerdotem alium asserere quam eum, qui est Christianus. Asseretur enim id absque verbo dei, non nisi ex dictis hominum, vel antiquitate usus, vel multitudine opinantium, quorum quodvis pro articulo fidei statuere sacrilegium et abominatío est, ut alias abunde dixi." [„Denn ein Priester wird, besonders im Neuen Testament, nicht gemacht, sondern geboren, wird nicht ordiniert, sondern geschaffen. Er wird aber

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Die sakramentstheologische Betrachtungsweise, die die Charakterisierung der dritten Psalmenvorlesung als Dankopfer ermöglicht, läßt noch eine weitere Charakterisierung derselben zu, die Luther freilich weder in ihrer Einleitung noch in einem ihrer sonstigen Abschnitte durchfuhrt. Nach der „Vermahnung zum Sakrament" bringt nämlich jemand, der zum Abendmahl geht, nicht nur einen Dank, sondern darüber hinaus auch eine Bitte zum Ausdruck. Er gibt durch die Tatsache seiner Teilnahme am Abendmahl zu verstehen: -

„,Herr, ich dancke dir fur alle deine gnade mir gegeben, Und bitte weiter, wollest meiner notturfft noch mehr helffen', Das ist sacrificium laudis et sacrificium orationis [„ein Lobopfer und ein Bittopfer"]. Mehr kanstu Gott nicht thun, noch hoher ehren."18

Zum Dankopfer, das zugleich ein Lobopfer ist, gesellt sich in der Messe das Bittopfer, insofern sich der Kommunikant in seiner Bedürftigkeit angesichts von Fleisch, Welt, Tod und Teufel 19 der Gnade und Hilfe Gottes erwartungsvoll anbefiehlt, also im Sakrament den erwähnten eigenen „nutz" sucht20.

nicht durch die Geburt des Fleisches, sondern durch die Geburt des Geistes geboren, nämlich aus Wasser und Geist im Bad der Wiedergeburt. Und deshalb sind gar alle Christen Priester, und alle Priester sind Christen. Und es sei eine verfluchte Sache, zu erklären, ein Priester sei etwas anderes als ein Christ. Denn solches wird ohne das Wort Gottes erklärt, nur aufgrund von Menschenlehre oder altem Brauch oder mehrheitlicher Meinung. Macht man von diesen eines zu einem Artikel des Glaubens, so ist das ein Frevel und ein Greuel, wie ich anderswo im Überfluß gesagt habe."] Die Begründung dieser These erfolgte in „De instituendis ministris ecclesiae" zunächst durch einen Hinweis auf das von keiner Weihe abhängige Priestertum Christi (vgl. WA 12,178,34-179,37), alsdann dadurch, daß in einem ausführlichen Argumentationsgang sieben priesterliche Aufgaben - das Lehren und Verkündigen des Wortes Gottes, das Taufen, das Konsekrieren von Brot und Wein, das Behalten und das Vergeben der Sünden, das Opfern, das Fürbitten sowie das Beurteilen der Lehren - auf alle Christen bezogen wurden (vgl. WA 12,179,38-189,16). 18 WA 30 11,623,1-4. 19 Vgl. WA 3011,618,35-621,38. 20 Schon in „De instituendis ministris ecclesiae" ( 1523) hatte Luther sowohl von der priesterlichen Aufgabe des Lobens und Dankens (vgl. WA 12,185,23f.; s. o. Anm. 8) als auch von der priesterlichen Aufgabe des Bittens (vgl. WA 12,186,15-187,28) gesprochen. Er hatte das Loben beziehungsweise Danken und das Bitten zwar nacheinander behandelt, hatte jedoch darauf verzichtet, auf den inneren Zusammenhang zwischen diesen Aufgaben einzugehen. So hatte Luther den Dienst des Bittens denn auch nicht wie zuvor den Dienst des Lobens und Dankens als ein „sacrificium" verstanden. Im übrigen hatte er das Bittgebet lediglich unter dem Aspekt der Fürbitte dargestellt.

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Die dritte Psalmenvorlesung als Gebet

Es stellt sich die Frage, ob die dritte Psalmenvorlesung denn auch Züge eines Bittopfers besitzt. Luther äußert sich hierzu - wie gesagt - nicht auf direkte Weise. Die in die Vorlesung eingestreuten kleinen Bitten und Gebetswünsche wie - „Vnser herr Gott helffe vns"21, - „da helffe Gott"22, - „Ideo las vns, lieber Herr Gott, nicht fallen ut David, et behut vns a casu 1. tabulae, .,." 23 [„Deshalb laß uns, lieber Herr Gott, nicht fallen wie David, und behüte uns vor dem Abfall von der ersten Tafel ..."], - „Deus conservet verbum, non auferat propter ingratitudinem nostrani"24 [„Gott möge das Wort erhalten, er möge es nicht wegen unserer Undankbarkeit wegnehmen"] und - „Das gebe vns vnser Herr allen. Amen"25 sind allerdings nicht zu übersehende Hinweise. Sie zeigen, daß Luther die für die Vorlesung in Aussicht gestellte Unterrichtung, Tröstung und Bestärkung von Gott erwartet. Da Luther Unterrichtung, Tröstung und Bestärkung für sich und seine Hörer mit Hilfe der Vorlesung bei Gott, das heißt: in seinem Wort, sucht, gewinnt die dritte Psalmenvorlesung fur ihn auch die Funktion eines Bittopfers. Die Bestimmung des Sinns und der Bedeutung der dritten Psalmenvorlesung als Messe, das heißt: als Opfer, nämlich als Dankopfer beziehungsweise Lobopfer und als Bittopfer, wie sie sich aus programmatischen und sonstigen Äußerungen der Vorlesung selbst ergibt, macht deutlich, daß Luther seine Vorlesung alles in allem als einen liturgischen Vollzug versteht. Da für die liturgische Dimension von der Seite des Menschen her Lob, Dank und Bitte wesentlich sind, kann dann genausogut auch gesagt werden, daß die dritte Psalmenvorlesung einen Gebetsvollzug darstellt. Für die Frage nach Luthers Beten ist nun selbstverständlich nicht so sehr entscheidend, ob eine singulare Vorlesung eine liturgische Dimension und deshalb

21 WA 4 0 11,226,5 (zu Ps 2,4). 22 23 24 25

WA WA WA WA

40 40 40 40

II,280,1 f. (zu Ps 2,10). III,81,12f. (zu Ps 122,1). 111,475,13f. (zu Ps 134,3). 111,593,16-594,1 (zu Ps 90,17).

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eine Gebetsdimension hat oder etwa nicht hat. Viel wichtiger ist die Feststellung, daß sich die über die dritte Psalmenvorlesung gemachten Aussagen verallgemeinern lassen. Luther beginnt immerhin seine einleitenden Sätze mit den Worten „Omnis praedicatio vel lectio sacrae theologiae ..." [„Jede Verkündigung oder Lesung der heiligen Theologie ..."]. Damit stellt er von Anfang an einen größeren Zusammenhang her, so daß die Charakterisierung der dritten Psalmenvorlesung zur Charakterisierung aller öffentlichen theologischen Arbeit wird. Weil für Luther theologische Arbeit aber ohne die Proklamation in der Öffentlichkeit sinnlos ist, geht es hier sogar um die Charakterisierung der theologischen Arbeit überhaupt, wobei vorausgesetzt ist, daß sie „pure secundum Sanctum verbum Dei" [„rein gemäß dem heiligen Wort Gottes"] geschieht. Auf die Frage nach Luthers Beten kann demnach an dieser Stelle eine erste allgemeine Antwort gefunden werden: Die theologische Arbeit ist für Luther nicht ohne Gebet. Positiv und umfassender formuliert: Die theologische Arbeit ist für ihn Beten. Oder einfach kurz gesagt: Für Luther gilt: Theologie ist Gebet. Ein Text wie die berühmte Vorrede zum ersten Band der Wittenberger Ausgabe der deutschen Schriften von 1539, in der Luther die Trias „Oratio, Meditatio, Tentatio" [„Gebet, Meditiation, Anfechtung"] als „drey Regel(n)" des Theologiestudiums beschreibt26, zeigt, daß sich die Bemühung der Theologie nach seiner Auffassung auf dem Weg des Gebets vollzieht27. Sie beweist, daß „Gebet" bei ihm zur Näherbestimmung dessen dient, was „Theologie" ist28.

26 W A 50,658,29-659,4. 27 Vgl. die Interpretation von Bayer, Theologie, 71-83. 28 Vgl. Nicol, Meditation bei Luther, 66. Mit der Aufforderung „Sondern knie nider in deinem Kemerlein und bitte mit rechter demut und ernst zu Gott, das er dir durch seinen lieben Son wolle seinen heiligen Geist geben, der dich erleuchte, leite und verstand gebe" ( W A 50,659,10-12) meint Luther in bezug auf die theologische Arbeit zunächst ein vorgängiges, wortgebundenes Beten. Weil das vorgängige Beten ein j e und j e vorgängiges ist, meint er dann zugleich ein die theologische Arbeit begleitendes Beten. Weil das begleitende Beten nicht nur als ein j e und j e geschehendes aufgefaßt zu werden braucht, sondern darüber hinaus auch als eine ununterbrochene Grundbewegung des Theologen im heiligen Geist begriffen werden kann, geht es ihm höchstwahrscheinlich auch um eine innere, wortlose Bewegung des Betens, die sich in, mit und unter der theologischen Arbeit fortwährend vollzieht. In der Vorrede ist nicht nur das Bitten im Blick, wie man aufgrund der Erläuterung der ersten Regel denken könnte (vgl. ebd., 659,5-21 ), sondern auch das Loben und Danken. Nach der Darstellung der drei Regeln, die Luther im Zusammenhang einer Kurzauslegung von Ps 119 entwickelt, resümiert er: Ebd., 660,17-30: „Sihe, da hastu Davids Regel: Studirstu nu wol diesem Exempel nach, so wirstu mit jm auch singen und rhuemen in dem selben Psalm: ,Das Gesetze deines mundes ist mir lieber Denn viel tausent stueck Goldes

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Die dritte Psalmenvorlesung als Gebet

Wenn Theologie bei Luther Gebet ist, dann bedeutet das, daß bei ihm jede theologische Äußerung ein Gebet ist. Diese Schlußfolgerung enthält eine Aussage über den systematisch-theologischen Ort des Gebets bei Luther. Wenn nämlich jede theologische Äußerung bei ihm ein Gebet ist, dann bedeutet das, daß das Gebet bei ihm zu jedem materialdogmatischen Sachverhalt in Beziehung steht. Der erwähnte von Gunnar Wertelius unternommene Versuch, den Nachweis dafür zu erbringen, daß Luther das Gebet auf materialdogmatischer Ebene mit dem Ganzen der Theologie in allen drei Glaubensartikeln verbindet, kann somit an dieser Stelle gewürdigt werden29. Das Urteil über den vorgelegten Entwurf sollte allerdings nicht uneingeschränkt positiv ausfallen, weil er zu einem Mißverständnis Anlaß zu geben vermag. Aus der allgemeinen Aussage mit ihrem zunächst unspezifischen Theologiebegriff- „Omnis praedicatio vel lectio sacrae theologiae est ipsum verissimum sacrificium laudis ..." [„Jede Verkündigung oder Lesung der heiligen Theologie ist eigentlich ein wirklich wahres Lobopfer ,.."] 30 - im Einleitungsteil der dritten Psalmenvorlesung, darf man zwar schließen, daß bei Luther das Gebet mit allen drei Glaubensartikeln oder mit allen Bereichen der Theologie zu tun hat, man darf aber nicht folgern, daß das Gebet bei Luther auf alle drei Glaubensartikel oder auf alle Bereiche der Theologie in mehr oder weniger gleichmäßiger und gleichgewichtiger Weise bezogen ist.

und Silbers.' [V. 72] Item: ,Du machst mich mit deinem Gebot weiser denn meine Feinde sind, Denn es ist ewiglich mein Schatz. Ich bin gelerter denn alle meine Lerer, Denn deine Zeugnis sind meine Rede. Ich bin klueger denn die Alten, Denn ich halte deinen Befelh' [V. 98-100] etc. Und wirst erfaren, wie schal und faul dir der Veter buecher schmecken werden. Wirst auch nicht allein der Widersacher Buecher verachten, sondern dir selbs beide, im schreiben und leren, j e lenger j e weniger gefallen. Wenn du hieher komen bist, so hoffe getrost, das du habest angefangen, ein rechter Theologus zu werden, der nicht allein die jungen unvolkomenen Christen, sondern auch die zunemenden und volkomen muegest leren, Denn Christus Kirche hat allerley Christen in sich, iung, alt, schwach, kranck, gesund, starck, frische, faule, alber [„einfältig"], weise etc." 29 Vgl. o. III., bei Anm. 22-24. 30 Vgl. hierzu Luthers weitgefaßte Bestimmung des Gegenstands der Theologie in einer Tischrede vom Herbst 1533: W A TR 3,298,17f. (Nr. 3383b): „ . . . , subiectum in theologia est: Credo in Deum Patrem, credo in Hiesum Christum, in Spiritum Sanctum." [„..., der Gegenstand in der Theologie ist: Ich glaube an Gott den Vater, ich glaube an Jesus Christus, an den heiligen Geist."]

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Das ist einfach in der Tatsache begründet, daß der Begriff der „theologia" im weiteren Verlauf des Zitats mit dem Hinweis auf die „cognitio Christi" [„Erkenntnis Christi"] eine eindeutige Spezifizierung gewinnt31. Aufgrund dieser Spezifizierung kann man nicht umhin, die Beschreibung des Ortes des Gebets in der Theologie Luthers, die Wertelius vornimmt, zu präzisieren: Wenn es in der Theologie nach Luther in erster Linie darum geht, Christus zu erkennen, das heißt: durch Christus die Rechtfertigung zu erlangen32, dann muß das mit der Theologie verbundene Gebet bei Luther unbedingt und exklusiv christologischsoteriologisch verankert sein. Es zeigt sich, daß neben dem Ansatz von Wertelius auch der von Rudolf Hermann und Horst Beintker vertretene Ansatz, demzufolge das Gebet bei Lu-

31 Wenn Luther in der Einleitung der dritten Psalmenvorlesung also das Ziel der Theologie mit der Erkenntnis Christi und den Gegenstand der Theologie mit Christus benennt, dann bildet der spätere, in der Erläuterung zu Ps 51,2 vorliegende Definitionssatz „..., ut proprie sit subiectum Theologiae homo reus et perditus et deus iustificans vel salvator" [„..., so daß der Gegenstand der Theologie eigentlich der schuldige und verlorene Mensch und der rechtfertigende Gott oder Gott der Retter ist"] (WA 40 11,328,1 f.) keinen Widerspruch dazu. Wie Bayer, Theologie, 38-41 herausarbeitet, bezieht sich die besagte Definition im Kommentar zu Ps 51 auf den Wortwechsel, in dem der sündige Mensch und der rechtfertigende Gott beieinander sind. Da der Wortwechsel als ein Beieinander von „deus nudus" [„bloßer Gott"] und „homo nudus" [„bloßer Mensch"] für den Menschen tödlich enden muß, hängt alles daran, daß Jesus Christus als wahrer Gott und zugleich wahrer Mensch in diesem Wortwechsel gegenwärtig ist und zwischen Gott und Mensch vermittelt. Es wird deutlich, daß auch in dieser Definition die Erkenntnis Christi den - allerdings in der Definition unausgesprochenen - Dreh- und Angelpunkt bildet. Vgl. hierzu den expliziten Hinweis Luthers auf die in Ps 51 implizit vorhandene Christologie in WA 40 11,329,6-8 (zu Ps 51,3): „... loquitur cum deo patrum suorum, cum deo promissore, das Christus mit drinen sey, quia non habuit deum, ut fingunt eum hypocritae, Mahometistae etc., . . . " [„... er (= David) spricht mit dem Gott seiner Väter, mit Gott dem Verheißer, so daß Christus impliziert ist, weil er nicht einen Gott hatte, wie ihn die Heuchler, Mohammedaner usw. erdichten ..."] Das „heilsam kommunikative Beieinander von Gott und Mensch" (Bayer, a.a.O., 39) ist ohne Christus nur Fiktion. Siehe auch Brush, Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis, 132-136. 32 Vgl. eine Äußerung Luthers bezüglich des Gegenstandes der Theologie vom Sommer oder Herbst 1533, in der er die Verbindung von Christologie und Rechtfertigungslehre zum Ausdruck bringt: WA TR 1,256,32-34 (Nr. 561): „Theologi nescierunt subiectum theologiae, id est, prooemium ad Romanos, scilicet Christum Filium Dei peccatum tollentem, et tarnen mire se in hac re torserunt, quia de iustificatione nihil tenuerunt." [„Die Theologen haben den Gegenstand der Theologie nicht gekannt, das heißt: die Vorrede an die Römer (= Rom 1), nämlich Christus, den Sohn Gottes, der die Sünde vertilgt, und dennoch haben sie sich außerordentlich in dieser Sache gewunden, weil sie von der Rechtfertigung nichts gewußt haben."]

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Die dritte Psalmenvorlesung als Gebet

ther seinen besonderen Ort in der Rechtfertigungslehre hat33, ins positive Licht rückt. Die systematisch-theologische Erfassung des Ortes des Gebets bei Luther gelingt wohl am besten, wenn beide Ansätze zugleich beachtet werden. Man muß zum einen festhalten, daß das Gebet bei Luther grundsätzlich mit jedem Bereich der trinitarisch orientierten Theologie verbunden ist. Man muß zum anderen sagen, daß das Gebet bei ihm innerhalb der trinitarisch orientierten Theologie in der christologisch orientierten Rechtfertigungslehre verankert ist.

33 Vgl. o. III., bei Anm. 8-13.21.

V. Gebete in der dritten Psalmenvorlesung

Luthers Bestimmung seiner dritten Psalmenvorlesung als Gebet, wie er sie vor allem in der Einleitung derselben vornimmt, hat Folgen fur die Einschätzung all ihrer einzelnen Aussagen und Ausdrucksmittel. Ist die ganze Vorlesung ein Gebet, dann sind alle Bestandteile derselben Gebete. Nicht bei allen Bestandteilen der Vorlesung ist freilich die zugrundeliegende Gebetsintention Luthers erkennbar. Um nachzuweisen, daß Luther seinen Vorsatz, sich mit der Vorlesung betend zu Gott hinzuwenden, umgesetzt hat, sollen im folgenden diejenigen Bestandteile der Vorlesung untersucht werden, die sich vom Kontext abheben, weil sich in ihnen im Unterschied zum Kontext Formen der Gottesanrede finden oder weil sie durch den Kontext als Gebete kenntlich gemacht werden. Als Ordnungskriterium für die Analyse von Gebeten in der dritten Psalmenvorlesung dient die unterschiedliche Form der Gottesanrede. Analysiert werden Gebete mit der Anrede Gottes in der 2. Person sowie Gebete ohne die Anrede Gottes in der 2. Person. Zu letzteren zählen Gebete mit der Anrede Gottes in der 3. Person und Gebete ohne eine ausdrückliche Anrede Gottes.

1. Gebete mit der Anrede Gottes in der 2. Person In der dritten Psalmenvorlesung findet sich eine Fülle von Sätzen, die eine Anrede Gottes in der 2. Person enthalten. Zum einen handelt es sich um freie Bildungen, die nur in einem lockeren Bezug zum Psalmtext stehen, zum anderen hat man es mit Paraphrasen des Psalmtextes zu tun. Die freien Formulierungen erscheinen zuallermeist in einem generalisierenden Kontext. - Als Beispiel mag eine typische Äußerung im Rahmen der Auslegung von Ps 127,1 gelten, in der es heißt: „Oeconomus ut David: das ich recht fure et weib et kind recht zihe, quia tu es 1., ego 2. Si ghet recht, gratias ago, econ-

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Gebete in der dritten Psalmenvorlesung

tra patientia. Tu es creator et instrumentum ego."1 [„Ein Hausherr soll wie David sprechen: Daß ich das Haus recht führe und Weib und Kind recht erziehe! Denn du bist die erste Ursache, ich bin die zweite. Wenn es recht geht, sage ich Dank, wenn nicht, trage ich es mit Geduld. Du bist der Schöpfer und ich das Werkzeug."] An dieser Stelle und an den anderen vergleichbaren Stellen, die entweder wie hier die beiden Möglichkeiten von Erfolg und Mißerfolg im politischen oder häuslichen Wesen2 oder aber den Beginn der Ehe3, den unterschiedlichen Umgang mit der Not bei Gottlosen und bei Christen4 wie auch die allgemeine Begründung und grundsätzliche Berechtigung des Gebets5 betreffen, leitet Luther seine Zuhörer zum Beten an, indem er ihnen ein exemplarisches Gebet vorträgt. Solche Gebetsdarstellungen sind distanziert und lassen deshalb schwerlich einen Rückschluß auf einen aktuellen Gebetsvollzug innerhalb der Vorlesung zu. Ein aktueller Gebetsvorgang ist auch dort nicht ersichtlich, wo freie Gebetsformulierungen in einen historisierenden Kontext eingebunden sind, wie es beispielsweise in der Auslegung von Ps 51,19 der Fall ist, in der Luther mit der Bemerkung, ein ums andere Mal sei es ihm passiert, daß er nicht hätte sagen können: „hilff, lieber herr"6, auf frühere negative biographische Erfahrungen anspielt. Anders verhält es sich mit der bereits kurz zitierten Formulierung aus der Erörterung von Ps 122,17: - „Ideo las vns, lieber Herr Gott, nicht fallen ut David, et behut vns a casu 1. tabulae, is est hic casus Sicut Saul et angeli in celo. Ideo providete, ne irrepat paulatim hoc venenum diaboli, fastidium et contemptus verbi."8 [„Deshalb

1 W A 40 111,213,13-214,2. 2 Vgl. WA 4 0 111,212,11-213,1; 216,1-2.7-11; 228,1-8; 231,5-7; 232,5-7 (zu Ps 127,1); 234,8-12; 246,6-10; 246,13-247,4; 253,3-5 (zu Ps 127,2); 261,7-9 (zu Ps 127,3); 263,12264,7 (Gebet eines Feldherrn im etwaigen Verteidigungsfall; zu Ps 127,4). 3 Vgl. WA 4 0 111,273,13-274,8 (zu Ps 128,1); 275,6-276,1 (Einforderung eines Gebetsunterrichts für die Jugend: „Ergo erudienda luventus ..." [„Daher soll die Jugend unterwiesen werden ..."]; zu Ps 128,1); 276,12-14; 277,3-7 (zu Ps 128,1). 4 Vgl. W A 4 0 111,319,11-320,2 (zu Ps 129,3). 5 Vgl. W A 4 0 111,21,5-7.8-13 (zu Ps 120,1); vgl. auch WA 4 0 111,149,7-9 (zu Ps 124,7). 6 WA 4 0 11,459,1 lf.; vgl. W A 4 0 111,230,11-13 (zu Ps 127,1). 7 S . o . IV., bei Anm. 23. 8 WA 4 0 111,81,12-15.

Gebete mit der Anrede Gottes in der 2. Person

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laß uns, lieber Herr Gott, nicht fallen wie David, und behüte uns vor dem Abfall von der ersten Tafel, welcher ist der Abfall, wie ihn Saul und die Engel im Himmel erlebt haben. Daher seht euch vor, daß dieses Gift des Teufels nicht allmählich einschleicht, der Überdruß und die Verachtung des Wortes."] Da generalisierende und historisierende Kontextangaben an dieser Stelle fehlen, da es sich wegen des Rekurses auf David auch nicht um eine Formulierung auf der Zeitstufe des Psalms handelt, da zudem der nachfolgende Appell an die Zuhörer eindeutig Aktualität auf der Zeitstufe der Vorlesung signalisiert, tritt hier die aktuelle Gebetsdimension klar und deutlich hervor. Die Gruppe der freien Gebetsformulierungen fällt zahlenmäßig kaum ins Gewicht, wenn man ihr gegenüber jetzt jene nahezu unüberschaubare Gruppe von Sätzen ins Auge faßt, die ebenfalls eine Anrede Gottes in der 2. Person darstellen, dabei aber ungleich stärker an den Psalmtext gebunden sind. Man hat es bei ihnen mit Paraphrasen des Psalmtextes zu tun, die die besagte Anredeform der Sprachgestalt der entsprechenden Psalmenstelle verdanken9. Daß die Sätze dieser Gruppe als Paraphrasen zu bezeichnen sind, resultiert aus der Tatsache, daß sie den Psalmtext - freilich in unterschiedlicher Weise der Abwandlung - nachahmend wiedergeben10. Es legt sich zudem durch die

9

S. z. B. WA 40 11,365,11-366,2 (zu Ps 51,6); WA 40 111,172,8-14 (zu Ps 125,4); 394,15395,1 (zu Ps 132,1). Natürlich gibt es in der Vorlesung auch vergleichbare Paraphrasen anderer Bibeltexte, die zur Erläuterung der Psalmen herangezogen werden. Im Blick auf Ps 122,2, in dem sich keine Gottesanrede in der 2. Person findet, paraphrasiert Luther beispielsweise eine in Anredeform wiedergegebene Aussage aus Phil 1,6, bei der es sich zugleich um eine Gebetsanweisung für die Zuhörer handelt: WA 40 111,88,5-8: „Ideo etiam oremus et gratias agamus, ut, sicut dédit: ,perfice, quod incepisti'; Confirma, quod operatus, ut pedes sint stantes in atriis, ubi tuum verbum, quod docet deum dementem, faventem." [„Deshalb sollen wir auch beten und Dank sagen, daß er geben möge, wie er gegeben h a t : , Vollende, was du angefangen hast'; befestige, was du gewirkt hast, damit die Füße in den Vorhöfen stehen, wo dein Wort ist, das lehrt, daß Gott barmherzig und gnädig ist."] Vgl. auch WA 40 111,22,4-6 (zu Ps 120,1 bzw. Mt 6,9f.). Um die Untersuchung zu konzentrieren, werden solche Paraphrasen in diesem Kapitel V. nicht zitiert. 10 Für eine Paraphrase gelten die Kriterien „variatio" [„Abwandlung"] und „imitatio" [„Nachahmung"]: Es geht um die „variatio" eines Textes bei gleichzeitiger „imitatio" desselben. Dabei werden entweder nur die „verba" [= die Sprachform] oder aber es wird die „res" [= der Sinn des Textes] variiert. Die „variatio" der „res" betrifft nicht den Hauptgedanken, sondern die zu ihm gehörenden Nebengedanken. Diese Definition macht es selbstverständlich möglich, daß die Paraphrasierung eines Psalmverses die Änderung der Anredeform einschließt, ohne daß damit das Vorliegen einer „imitatio" in Frage gestellt wird. Bei den oben

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Gebete in der dritten Psalmenvorlesung

Beobachtung nahe, daß derartige an der Psalmvorlage orientierte Gebetsformulierungen in der Kommentierung von Psalmen ohne Gottesanrede in der 2. Person - man denke beispielsweise an die Pss 2 ", 121 '2 und 13 313 - so gut wie gar nicht, in der Erörterung von Psalmen mit sporadisch vorkommender Gottesanrede in der 2. Person - siehe etwa die Pss 12614, 130'5 und 13216 - nur hin und wieder, in der Auslegung von Psalmen wie Ps 5117 und Ps 90 18 mit nahezu durchgängiger Gottesanrede in der 2. Person jedoch in besonderer Häufung auftauchen. Die paraphrastischen Gebetsformulierungen begegnen in großer Vielfalt. Sie können kurz19 oder lang20 sein. Sie erscheinen in selbständigen Sätzen, zum Teil auch nur in Nebensätzen, so daß das Satzgefüge einen Mischtext ergibt21. Sie dienen der Erläuterung einzelner Worte und Aussagen, darüber hinaus aber

11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

21

erwähnten Gebetsformulierungen (s. bei den Anm. 1-5) hat Luther aber nicht nur die Gottesanrede in der 2. Person hinzugefügt, sondern außerdem den Inhalt so stark verändert, daß der Psalmtext zwar noch als Impulsgeber erkennbar bleibt, man jedoch von einer „imitatio" und somit von einer Paraphrase nicht mehr sprechen kann. WA 40 11,193,1-312,3. WA 40 111,46,1-73,12. WA 40 111,459,1-469,7. WA 40 111,174,1-201,13. WA 40 111,335,4-376,11. WA 40 111,390,3-458,16. WA 40 11,315,1-470,14. WA 40 111,484,1-594,3. Vgl. ζ. B. WA 40 111,497,1 (zu Ps 90,1): „,Tu, domine': qui es aetemus D e u s ; . . . " [,„Du, Herr' : der du bist der ewige G o t t ; . . . "] Vgl. z. B. WA 40 111,416,7-11 (zu Ps 132,10): ,„Faciem': i. e. praesentiam regis i. e. regnum ipsum. Non tollas regnum, politiam tuam, domine, quia tua est, tuum temporale regnum, sunt ibi tuae leges. Da, ut ibi Rex, principes, lus, aequitas, disciplina in oeconomia et omnibus ordinibus istius regni; per sediciones, sectas, simulationes, odia, furta hominum zerreist; behut, Gott!" [.„Angesicht': das ist die Gegenwart des Königs, das ist das Regiment selbst. Du mögest das Reich, dein politisches Regiment, nicht wegnehmen, Herr, weil es dein ist, dein zeitliches Reich; es sind ja dort deine Gesetze. Gib, daß dort ein König, Fürsten, Recht und Billigkeit sowie Zucht im Hauswesen und in allen Ordnungen dieses Reichs seien; und daß es durch Aufruhr, Sekten, Heuchelei, Haß und Raub der Menschen zerreißt, davor behüte, Gott!"] Vgl. z. B. WA 40 11,433,12-14 (zu Ps 51,14f.): „Ideo non novit opus, quo velit deo reddere aliquid, nisi postquam me recrearis, ut gratias agam publice." [„Daher kennt er kein Werk, mit dem er Gott etwas zurückgeben will, außer das eine, daß ich, nachdem du mich neu geschaffen hast, öffentlich Dank sage."] Vgl. WA 40 111,349,2-4 (zu Ps 130,4).

Gebete mit der Anrede Gottes in der 2. Person

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auch der Erläuterung des Psalmaufbaus, indem sie die Aussagen zweier Verse in ihrer Verknüpfung darstellen22. Inhaltlich kann man drei Arten dieser Gebetsparaphrasen unterscheiden. Es handelt sich um synonymische Paraphrasen, die die Psalmenaussagen lediglich sprachlich variieren23, um seltener vorkommende antithetische Paraphrasen, die die Psalmenaussagen in ihrer gegensätzlichen Fassung wiedergeben24, sowie in den meisten Fällen um synthetische Paraphrasen, die die vorliegenden Aus-

22 Vgl. ζ. B. WA 40 11,351,10-12 (zu Ps 51,3f.): „herr Gott, non satis est remissum esse peccatimi; vellem, quod totum abolitum, mortuum et sepultum etc." [„Herr Gott, es ist nicht genug, daß die Sünde vergeben ist; ich wollte, daß sie ganz vertilgt, tot und begraben wäre usw."] Vgl. WA 40 11,409,2-4 (zu Ps 51,9f.); WA 40 111,396,14-16 (zu Ps 132,lf.). 23 Vgl. z. B. WA 40 111,508,2-4 (zu Ps 90,2): ,„Priusquam': ... Est vere Mosaicus versus: Et tu es ille verus Deus, qui fuit ab aeterno et manit in etemum." [,,,Ehe': ... Es ist ein wahrhaft mosaischer Vers: Und du bist jener wahre Gott, der von Ewigkeit gewesen ist und in Ewigkeit bleibt."] Vgl. WA 40 11,333,7 (zu Ps 51,3); 438,9f. (zu Ps 51,15); 515,lOf. (zu Ps45,6); WA 40 l l l , 3 4 0 , 1 2 f . (zu Ps 130,1); 544,5f. (zu Ps 90,7). Man kann einwenden, daß manche an sich zu dieser Gruppe von Paraphrasen gehörenden Äußerungen Luthers nichts anderes als spontane alternative Übersetzungen des hebräischen Urtextes sind. Eine Stelle wie WA 40 11,484,5-7 (zu Ps 45,3) zeigt, daß Luther sich auf den hebräischen Wortlaut bezieht: ,„Speciosus': 1. persona Regis ista: est speciosus. prae filiis. Sic in Ebraeo repetitum ,iapha': ,pulchrum\ ... i. e. pulcherrimus es, nimis, solus pulcher prae fratribus." [,„Schön' : Von der Person des Königs gilt zuerst: Er ist schön. Vor den Menschenkindern. So ist im Hebräischen TtS\ wiederholt worden und b e d e u t e t , s c h ö n ' . . . . Das heißt: Du bist überaus schön, gar sehr, allein schön vor den Brüdern."] Gerade in diesem Zitat wird jedoch deutlich, daß Übersetzung und Paraphrase auch unterschieden werden können. Mit „,pulchrum"' liegt eine zusätzliche Übersetzungsmöglichkeit vor. Die Aussage „pulcherrimus es, nimis, solus pulcher prae fratribus" hingegen stellt aufgrund der Worthäufung eine „variatio" der einfachen Übersetzung dar und hat folglich eindeutig paraphrastischen Charakter. Die eingestreuten Übersetzungen des lateinischen Textes ins Deutsche besitzen zum Teil ebenfalls paraphrastische Züge: Vgl. z. B. WA 40 11,341,12 (zu Ps 51,3): ,„Dele': Zerreis das register." [„,Vertilge': Zerreiß das Register."] Durch die „variatio" der nichtparaphrasierten Sprachform - sie lautet etwa: „Vertilge die Sünden" - mit Hilfe einer Metapher kommt eine Paraphrase zustande. 24 Vgl. z. B. WA 40 11,390,10-13 (zu Ps 51,8): „Ideo Emphasis in vocabulo: .Diligis', quasi dicat per Anthithesin: quam execraris, quam divino odio odis istos superbos Sanctos, qui incedunt in religione ficticia et iustitia civili, quia iam scio, quod tibi maxime displicet." [„Daher hat man es bei dem Wort: „Du liebst" mit einer Emphase zu tun, als ob er (= David) durch eine Antithese sagen wollte: Wie sehr verfluchst du, wie sehr haßt du jene hochmütigen Heiligen mit göttlichem Haß, die in erdichteter Gottesverehrung und in äußerer Gerechtigkeit einhergehen; denn ich weiß nun, daß dir das im höchsten Grad mißfällt."] Vgl. WA 40 II 1,353,13f. (zu Ps 130,4). Vgl. auch WA 40 111,574,5-10 (zu Ps 90,12) mit einer Paraphrase der These (Z. 5-7) und einer Paraphrase der Antithese (Z. 7-10).

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Gebete in der dritten Psalmenvorlesung

sagen mit anderen Aussagen - seien es etwa antithetische25 Aussagen oder Aussagen aus dem biblisch-theologischen Gesamtkontext26 - verschmelzen. Wie sind nun die Paraphrasen mit der Anrede Gottes in der 2. Person hinsichtlich der Frage nach erkennbaren aktuell vorhandenen Gebetsvollzügen einzuschätzen? Formulierungen wie -

„inquit"27 [„er sagt"],

-

„dicit"28 [„er sagt"],

-

„quasi dicat"29 [„als ob er sagen wollte"],

-

„petit"30 [„er bittet"],

-

„orat"31 [„er bittet"]

-

sowie das häufige „Id est"32 [„das heißt"],

mit denen Luther die Paraphrasen teilweise einleitet und sie auf den Psalmbeter als deren Subjekt zurückbezieht, deuten eine gewisse Distanz des Beters Luther zu den paraphrastischen Gebetsanreden an. Dennoch ist fraglich, ob man bezüglich der Gebetsparaphrasen grundsätzlich von einer Distanz Luthers sprechen kann. -

In der Erläuterung zu Ps 130,3 gibt es eine Stelle, die für sich gesehen in ihrem ersten Teil lediglich die Zeitstufe des Psalms meint: „Ego peccator. Ego feci, quantum potui, Cultum Ierosolymae instituí Et multa feci bona,

25 Vgl. z. B. WA 40 11,505,6-8 (zu Ps 45,5): „Ideo tu sis fortis bellator, ut defendas veritatem, quae coram mundo, hominibus error, blasphemia." [„Deshalb mögest du ein starker Krieger sein, damit du die Wahrheit verteidigst, die vor der Welt und den Menschen Irrtum und Gotteslästerung ist."] Mit „error" und „blasphemia" nimmt Luther Kontrastbegriffe zu „veritas" auf. Vgl. auch WA 40 11,394,15-395,2 (zu Ps 51,8); 426,17-427,4 (zu Ps 51,13). 26 Hier wird als eine der zahlreichen unterschiedlichen Möglichkeiten die Aufnahme von christologischen Gedanken angeführt: Vgl. z. B. WA 40 III,410,10f. (zu Ps 132,9): „Da, ut ministri in huius Christi regno ir ding gotlich aus richten." [„Gib, daß die Diener im Reich dieses Christus ihr Ding göttlich ausrichten."] Vgl. WA 40 11,403,1-3 (zu Ps 51,9); WA 40 HI,l90,14f. (zu Ps 126,4); 340,9 (zu Ps 130,1); 589,18-590,3 (zu Ps 90,17). 27 Vgl. WA 40 11,369,15f. (zu Ps 51,6); 438,9f. (zu Ps 51,15). 28 Vgl. WA 40 11,442,13-15 (zu Ps 51,16); WA 40 III,544,5f. (zu Ps 90,7). 29 Vgl. WA 40 111,565,2-6 (zu Ps 90,11); 574,7-10 (zu Ps 90,12). 30 Vgl. WA 40 11,418,13-15 (zu Ps 51,11). 31 Vgl. WA 40 111,589,18-590,3 (zu Ps90,17). 32 Vgl. WA 40 11,370,1 f. (zu Ps 51,6); 438,9f. (zu Ps 51,15); 467,16-468,1 (zu Ps 51,20); WA 40 111,416,13-16 (zu Ps 132,10); 504,12-505,1 (zu Ps 90,1 ); 517,13-518,1 ; 519,5f.; 522,3-6 (zu Ps 90,3); 567,10-12 (zu Ps 90,11).

Gebete mit der Anrede Gottes in der 2. Person

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tarnen cum oculis misericordiae me servum tuum respice, non oculis iusticiae,.. ,"33 [„Ich (= David) bin ein Sünder. Ich habe getan, soviel ich konnte, habe den Kultus in Jerusalem eingerichtet und viel Gutes getan; dennoch sieh mich, deinen Sklaven, mit den Augen der Barmherzigkeit an, nicht mit den Augen der Gerechtigkeit, ..."] Wegen des Hinweises auf den Jerusalemer Kultus muß man davon ausgehen, daß hier zunächst niemand anderes als David spricht, den Luther für den Verfasser dieses Psalms hält34. Allerdings ist die Fortsetzung der Paraphrase aufschlußreich. - Der Beter fugt hinzu: „... quia scriptum est: ,nisi deus nolit videre iniquitatem'" 35 [„... weil geschrieben steht: ,wenn Gott Sünde ansehen will'"]. In diesem Zusatz wird der paraphrasierte Psalmvers - in der Form der doppelten Verneinung und ohne die Anrede Gottes - als Begründung in die Paraphrase aufgenommen 36 . Damit kommt es zur Verschränkung zweier Zeitebenen, der historisch-biblischen Zeitebene und der Zeitebene der Vorlesung. Die Verschränkung dieser beiden Zeitebenen wird durch den unmittelbaren Kontext bestätigt, in dem die David-Paraphrase mit einer inhaltlich parallelen Aussage in der 1. Person Plural, mit der Luther sich und seine Hörer bezeichnet37, ver-

33 W A 4 0 111,347,4-6. 34 Vgl. WA 4 0 111,339,10 (zu Ps 130,1). 35 WA 4 0 III,347,6f. 36 Man könnte meinen, daß der Zusatz „quia scriptum est: ,nisi deus nolit videre iniquitatem'" gar kein authentisches Element der David-Paraphrase ist, sondern tatsächlich außerhalb von ihr steht und dann nur ein Bruchstück einer vom Nachschreiber Georg Rörer zusammengerafften Begründung des Paraphraseninhalts darstellt. Hiergegen spricht aber das Fehlen der Gottesanrede. Handelte es sich um bloße Versatzstücke, wäre an sich ein Beibehalten der Anredeform im Psalmzitat zu erwarten. 37 Siehe W A 4 0 111,346,10-347,1: „Sed nos sumus in peccato et non possumus exurgere, peccatores nascimur, vivimus, morimur. Sed illa gloria, quod saltamus, rapimus nos in alium orbem doctrinae, lucem, cogitationem." [„Aber wir sind in der Sünde und können uns nicht aufrichten, als Sünder werden wir geboren, leben wir und sterben wir. Aber wir haben jenen Ruhm, daß wir springen, daß wir fortstürzen in einen anderen Kreis der Lehre, in ein anderes Licht und in ein anderes Denken."]

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Gebete in der dritten Psalmenvorlesung

bunden ist. Luther identifiziert sich ganz offensichtlich mit David und seinem Gebet38. Eine Identifikation Luthers mit dem Sprecher der paraphrastischen Gebetsformulierungen kann im Grunde immer dann nachgewiesen werden, wenn Luther eine Paraphrase, die keinen pluralischen Sprecher hat, im Kontext inhaltlich aufnimmt und dabei die 1. Person Plural als Subjekt benutzt. Durch den Gebrauch der 1. Person Plural, die die Person Luthers aufjeden Fall einschließt, wird dann einerseits der Unterschied zwischen Paraphrase und Kontext und damit das Vorhandensein zweier Zeitebenen erkennbar. Andererseits aber wird durch die inhaltliche Aufnahme der Paraphrase der Unterschied zwischen Paraphrase und Kontext verwischt, so daß der Eindruck entsteht, daß die Zeitebenen miteinander verschwimmen. Der Eindruck vom Verschwimmen der Zeitebenen ist natürlich beim Vorgang des Hörens noch intensiver als beim Vorgang des Lesens. Der damalige Hörer der Vorlesung wird ihn stärker empfunden haben, als der heutige Leser der Nachschrift ihn empfinden kann. Dabei tritt dies Empfinden insbesondere dann auf, wenn die Paraphrase nicht durch oben genannte Formulierungen39 eingeleitet und deutlicher vom Kontext abgehoben wird40.

38 Veit Dietrich hat diese Linie der Identifikation bei seiner Bearbeitung für den Druck konsequent weitergeführt, indem er die historisch-biblische Ebene durch Eliminierung des Hinweises auf den Jerusalemer Kultus ausgeblendet und die David-Paraphrase vollständig auf die Leser bezogen hat (vgl. WA 40 111,347,16-22). Diese Gebetsparaphrase war dann später so überzeugend, daß sie Eingang in die evangelische Gebetbuchliteratur fand (siehe die Angaben bei Schulz, Gebete Luthers, Nr. 250). Eine Verschränkung der historischbiblischen Zeitebene und der Zeitebene der Vorlesung innerhalb einer Gebetsparaphrase begegnet übrigens ebenfalls in WA 40 111,172,7-11 (zu Ps 125,4): „Ideo orat: Ne desperent! Dedisti Regnum Babyloniis, tot regna Romanis, ludaeis captivitatem, Christianis martyria et carcerem. Num diu faves impiis, benefacis malis? affligis iustos et exaltas impíos et hostes tuos." [„Deshalb betet er: Daß sie nicht verzweifeln! Du hast die Herrschaft den Babyloniern gegeben, so viele Reiche den Römern, den Juden Gefangenschaft, den Christen Martyrien und Gefängnis. Bist du den Gottlosen noch lange gnädig und tust du den Bösen noch lange Gutes? Du wirfst die Gerechten zu Boden und hebst die Gottlosen und deine Feinde empor."] Durch das einleitende „orat" kennzeichnet Luther den nachfolgenden Text als Paraphrase und legt ihn dem biblischen „propheta" [„Prophet"] (Z. 1) - nach WA 40 111,160,7-16 (zu Ps 125,2) ist es auch hier David - in den Mund. Mit dem enthaltenen geschichtlichen Überblick kommt aber Luthers eigene Perspektive zum Vorschein. Vgl. hierzu auch WA 40 111,589,18-590,3 (zu Ps 90,17). 39 S. bei den Anm. 27-32. 40 Daß sich in solchen Fällen die Zeitebenen auch nachweislich miteinander verbinden können, zeigt das in Anm. 38 zitierte Beispiel.

Gebete mit der Anrede Gottes in der 2. Person

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Eine Identifikation Luthers mit dem Sprecher der Gebetsparaphrasen liegt ebenfalls sicher dort vor, wo Luther in den Paraphrasen die christologische Thematik einbringt41, vor allem aber dort, wo er seine reformatorische Spezialterminologie verwendet. Reformatorische Terminologie erscheint beispielsweise in Paraphrasen von Ps 51,1742; Ps 130,3f.43 und Ps 90,1744. Im ersten Fall benutzt Luther das Stichwort „iustificatio" [„Rechtfertigung"], im zweiten den Begriff „promissio" [„Verheißung"] und die Formulierung „ex sola misericordia iustitiam donare" [„allein aus Barmherzigkeit Gerechtigkeit verleihen"]. Die Paraphrase von Ps 90,17 enthält die reformatorischen Stichworte „pura doctrina" [„reine Lehre"] und „Euangelium" und sogar den Hinweis auf den rechtfertigenden Glauben45. Nun könnte man einwenden, daß der Nachweis einer Übereinstimmung Luthers mit dem Inhalt von Gebetsparaphrasen noch nicht notwendig den Nachweis von aktuell vorhandenen Gebetsvorgängen innerhalb der Vorlesung mit sich bringt. Die Paraphrasen mit der Anrede Gottes in der 2. Person könnten - in ihrem jeweiligen Kontext für sich betrachtet - ebenso wie die meisten der freien Formulierungen mit der Gottesanrede in der 2. Person46 in rein didaktischer Abzweckung gesprochen sein. Immerhin kennzeichnet denn auch Luther einige der Paraphrasen ausdrücklich als Bestandteile eines Gebetsunterrichts, indem er sie mit Äußerungen wie

41 Vgl. die in Anm. 26 genannten Texte. WA 4 0 11,403,1-3 (zu Ps 51,9) kann als Ausnahme angesehen werden, da hier aus alttestamentlich-biblischer Perspektive vom „Christus futurus" [„zukünftiger Christus"] die Rede ist. 42 WA 4 0 11,448,6-8. 43 WA 4 0 111,349,8-10. 4 4 W A 4 0 111,591,1-4. 45 Die Übereinstimmung Luthers mit dem Text kommt dabei in der Paraphrase von Ps 90,17 am klarsten zum Ausdruck (s. o. Anm. 44): „Das werck, lieber Herr Gott, hilff erhalten, ut lex Mosi non evertatur per hypocritas. Item postquam recepimus hoc tempore puram doctrinam et per fidem iustificati sumus, hilff, das die doctrina rein bleibe, ne Euangelium corrumpatur." [„Das Werk, lieber Herr Gott, hilf erhalten, damit das Gesetz des Mose nicht durch Heuchler umgestoßen werde. Ebenso nachdem wir zu dieser Zeit die reine Lehre empfangen haben und durch den Glauben gerecht geworden sind, hilf, daß die Lehre rein bleibe und das Evangelium nicht verfälscht werde."] 46 S. o. bei den Anm. 1-5.

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Gebete in der dritten Psalmenvorlesung

- „Nobis discendum et petendum:.. ,"47 [„Wir müssen lernen und bitten: ..."], - „Ideo orandum: .. ,"48 [„Deshalb muß man beten: ..."], - „Istam tarnen calamitatem ut sentiamus, Deus orandus: ,.." 49 [„Damit wir jedoch jenes Verderben fühlen, muß man zu Gott beten: ..."], - „Ideo dicendum ut psalmus: ..." 50 [„Deshalb muß man so wie der Psalm sagen: ..."] und Aufforderungen wie - „Ideo die: ..." Sl [„Deshalb sag: ..."] und - „Sed cum magna audacia te verte: . . [ „ A b e r mit großer Kühnheit wende dich: ..."] eröffnet. Man muß jedoch erkennen, daß selbst an den Stellen, die ohne Zweifel die Gestalt des Gebetsunterrichts haben, auch die von der Einleitung der dritten Psalmenvorlesung isolierte Betrachtung nicht so ohne weiteres davon ausgehen kann, daß es sich lediglich um Formen der Didaktik handelt. In den mit einem Imperativ Singular eröffneten Gebetsparaphrasen sieht Luther zwar allem Anschein nach von seinem eigenen Beten ab. Anders verhält es sich aber bei den übrigen Anweisungen. Hier richtet Luther den Appell zum Gebet auch an sich selbst. Hinzu kommt, daß der jeweils bezeichnete Anlaß zum Beten - die unvollkommene Erkenntnis der Rechtfertigungsbotschaft53, das unbegreifliche Glück der Gottlosen und das unbegreifliche Unglück der Gerechten54, die fehlende Erkenntnis des Zornes Gottes unter den Menschen55, die Unverfügbarkeit von kirchlichem und politischem Wesen56 - für Luther nicht nur eine Angelegenheit der Vergangenheit oder der Zukunft darstellt, wie das bei den freien Gebetsformulierungen der Fall ist, wenn es beispielsweise um den Be-

47 48 49 50 51 52 53 54 55 56

WA 40 11,419,4 (zu Ps 51,1 Of.). WA 40 111,172,11 (zu Ps 125,4). WA 40 II 1,571,1 Of. (zu Ps 90,12). WA 40 1 1 1 , 3 9 2 , 1 1 (zu Ps 132,1). WA 40 111,23,14 (zu Ps 120,1). WA 40 111,351,5 (zu Ps 130,4). Vgl. WA 40 11,418,5-419,8 (zu Ps 51,10f.). Vgl. WA 40 111,172,4-13 (zu Ps 125,4). Vgl. WA 40 111,570,12-571,15 (zu Ps 90,12). Vgl. WA 40 111,391,12-392,11 (zu Ps 132,1).

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ginn der Ehe oder um den eventuell bevorstehenden Türkenkrieg geht57. Vielmehr sind die an diesen Stellen gemeinten Anlässe zum Zeitpunkt der Vorlesung für Luther in bedrängender Weise vorhanden. Der Druck der Aktualität ist so groß, daß fur Luther an einen Aufschub des Betens im Grunde nicht zu denken ist. Luther unterrichtet seine Studenten und betet offenbar dabei. Weil Luther nicht nur bei den durch explizite Gebetsanweisung unmittelbar eingeleiteten Paraphrasen, sondern auch an vielen anderen Stellen innerhalb der Vorlesung, an denen er im Kontext von Gebetsparaphrasen etwa mit dem Stichwort „orandum" zum Beten auffordert58, das Bewußtsein der Dringlichkeit des Gebets und darum eine äußerst starke Motivation zum Beten an den Tag legt, wird man diese Erkenntnis verallgemeinern können: Bei den Paraphrasen mit der Anrede Gottes in der 2. Person fallt der Eindruck vom Verschwimmen der historisch-biblischen Zeitebene und der Zeitebene der Vorlesung mit dem Eindruck einer Verschränkung von Gebetsdidaktik und Gebetsvollzug zusammen. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, daß die Paraphrasen im einzelnen die aktuelle Gebetsdimension einmal mehr, einmal weniger, ja zum Teil auch gar nicht spürbar werden lassen, so daß umgekehrt die Gebetsdidaktik und überhaupt das didaktische Element der Vorlesung für den Rezipienten einmal weniger und einmal mehr und zum Teil eben ganz und gar in den Vordergrund treten59.

57 S. o. die Anm. 3 und 2. 58 Vgl. ζ. B. WA 40 11,337,1 ; 339,8 (zu Ps 51,3); 448,9f. (zu Ps 51,17); WA 40 111,20,6-8 (zu Ps 120,1); 37,4-6 (zu Ps 120,5); 45,10 (zu Ps 120,7); 186,12f. (zu Ps 126,4); 410,5-9 (zu Ps 132,9); 416,17-417,2; 417,8f. (zu Ps 132,10); 568,5-8 (zu Ps 90,11 ); 573,8f. (zu Ps 90,12); 593,7f. (zu Ps 90,17). 59 Der Paraphrasenstil inklusive der paraphrasierten Anrede Gottes in der 2. Person findet sich bei Luther als Methode seiner Schriftauslegung übrigens schon zu Beginn seiner öffentlichen Lehrtätigkeit. Von den drei für die erste Psalmen Vorlesung (1513-1515) verfaßten Textkomplexen, den Interlinearglossen, den Randglossen und den Scholien, stellen die Interlinearglossen den Paraphrasenstil in Reinkultur dar. Daß der Paraphrasenstil für Luther ein Erbe des Mittelalters ist, zeigen beispielsweise die mit handschriftlichen Rand- und Interlinearglossen versehenen Leipziger Psalterdrucke von 1511, die aus dem Bereich der Leipziger theologischen Fakultät stammen. Vgl. hierzu Gerhard Hammer in seiner historisch-theologischen Einleitung zu den „Operationes in Psalmos": AWA 1,42-47.

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Gebete in der dritten Psalmenvorlesung

2. Gebete ohne die Anrede Gottes in der 2. Person Im vorhergehenden Abschnitt wurde bei der Suche nach Gebeten in der dritten Psalmenvorlesung von dem vorliegenden Gesamtverständnis der Vorlesung als einem einzigen großen und umfassenden Gebetsvorgang abstrahiert. Es war dann offen, ob aktuelle Gebetsvollzüge Luthers je und je innerhalb seiner Vorlesung nachgewiesen werden können. Unbedingt vorausgesetzt werden konnte allerdings, daß die zu analysierenden Sätze aufgrund der enthaltenen Anrede Gottes in der 2. Person in jedem Fall zumindest in sprachlich-formaler Hinsicht als Gebete zu gelten hatten. Im folgenden geht es ebenfalls um den Nachweis von einzelnen aktuellen Gebetsvollzügen bei gleichzeitiger Abstraktion vom Gesamtverständnis der Vorlesung als Gebetsvorgang. Da jedoch bei den nun zu erörternden Satzgruppen die Anrede Gottes in der 2. Person fehlt, kann hier nicht schon selbstverständlich davon ausgegangen werden, daß es sich zumindest in sprachlichformaler Hinsicht um Gebete handelt. Bevor der Nachweis von aktuellen Gebetsvollzügen auf der Zeitebene der Vorlesung erfolgen kann, müssen diese Sätze deswegen zuallererst einmal auf das Vorhandensein von Gebetssprache, also von Formen der Anrede an Gott, hin untersucht werden.

a) Optativsätze Zur ersten im folgenden zu besprechenden Satzgruppe gehören Aussagen wie „Vnser herr Gott helffe vns"60, „Deus det, ut hoc credamus, ista promissio non fallit, etsi sumus peccatores"61 [„Gott gebe, daß wir dies glauben; jene Verheißung täuscht nicht, wenngleich wir Sünder sind"] und - „Got sey gelobet"62. -

6 0 WA 4 0 11,226,5 (zu Ps 2,4). 61 WA 4 0 111,160,13f. (zu Ps 125,2). 62 WA 4 0 111,401,2 (zu Ps 132,6). Vgl. WA 4 0 11,391,16-392,1 (zu Ps 51,8; Ubersetzung von

Lk 18,11).

Gebete ohne die Anrede Gottes in der 2. Person

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Kennzeichnend fur diese Sätze ist zum einen die optativische Struktur. Die Optativform an sich fallt dabei als Unterscheidungsmerkmal gegenüber den Gebeten mit der Anrede Gottes in der 2. Person noch nicht ins Gewicht, obwohl Luther bei jenen in den Aussagen der Hauptsätze fast ausschließlich die einfache Imperativform verwendet63. Eigentlich typisch für diese Sätze ist erst die Verbindung der Optativform mit dem zweiten Charakteristikum, der Nennung Gottes in der 3. Person. Ob es sich hier um Gebetssprache handelt, entscheidet sich deshalb daran, wie die Nennung Gottes in der 3. Person aufzufassen ist. Zur Klärung dieser Frage dienen Stellen in der dritten Psalmenvorlesung, an denen Luther in bezug auf Gott von der 2. Person in die 3. Person hinüberwechselt. -

Im Kommentar zu Ps 130,3 heißt es aufschlußreich: „Domine, las vns nur nicht from sein coram deo; ,.." 64 [„Herr, laß uns nur nicht fromm sein vor Gott; ..."]

Luther formuliert ein Gebet, das Gott in der 2. Person anredet, und spricht darin zugleich über Gott in der 3. Person. Das Sprechen über Gott in der 3. Person kann dabei nur im Sinn der Anrede an Gott in der 2. Person, also als Sprechen zu Gott verstanden werden. Die Nennung Gottes in der 3. Person kann Anrede an Gott sein. In der Erörterung zu Ps 132,9 stehen folgende Sätze als Paraphrasen des Psalmverses beieinander: - „Vnser lieber Herr Gott wolt vns behüten fur falschen predigern et lerern"65, - „... da, ut nostri pastores from sein,.. ,"66 [„... gib, daß unsere Hirten fromm seien, ..."],

63 Eine Ausnahme stellt ζ. B. WA 40 III,590,If. (zu Ps 90,17) dar: „Maneas deus noster, et sic, ut sis iueundus, i. e. conserves nos in gaudio et pace Spiritus sancti." [„Du mögest unser Gott bleiben, und zwar so, daß du freundlich seist, das heißt, daß du uns in der Freude und im Frieden des heiligen Geistes bewahrst."] Vgl. auch WA 40 III,420,12f. (zu Ps 132,11 bzw. Mt 8,24f.); 578,1 (zu Ps 90,13). 64 WA 40 111,345,11. 65 WA 40 111,407,13-408,1. 66 WA 40 III,408,4f.

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Gebete in der dritten Psalmenvorlesung

- „Sed vnser Herr Gott det gratiam, ut sacerdotes nostri sint gekleidet et ornati iustitia"67 [„Aber unser Herr Gott gebe Gnade, daß unsere Priester gekleidet und geschmückt seien mit Gerechtigkeit"] - sowie „Da, ut ministri in huius Christi regno ir ding gotlich aus richten"68 [„Gib, daß die Diener im Reich dieses Christus ihr Ding göttlich ausrichten"]. Zum Teil ersetzen diese Paraphrasen die Gottesanrede in der 2. Person, die der Psalm vers bietet, durch die Nennung Gottes in der 3. Person, zum Teil wird die 2. Person beibehalten. Das geradezu zufällige Nebeneinander der beiden unterschiedlichen Sprachformen demonstriert die Vergleichbarkeit derselben. Die Anrede an Gott in der 2. Person und die mit der Optativform kombinierte Nennung Gottes in der 3. Person sind als Sprachformen austauschbar. Daß die mit der Optativform kombinierte Nennung Gottes in der 3. Person wirklich eine Form der Anrede an Gott und folglich Gebetssprache ist, bringt Luther schließlich direkt zum Ausdruck, indem er die erstgenannte Paraphrase zu Ps 132,9 „Vnser lieber Herr Gott wolt vns behüten fur falschen predigern et lerern" mit den Worten -

„Hoc etiam quotidie oramus in concionibus"69 [„Dieses beten wir auch täglich in den Predigten"]

einleitet. Ein Satz der besagten ersten Satzgruppe wird damit von Luther klar als Gebetsformulierung identifiziert. Speziell bezeichnet er ihn als ein mit der Predigt zusammengehöriges Gebet70. Ein solches Gebet findet sich denn auch in der „Deutschen Messe" von 1526 in der Gestalt der dort angegebenen Vaterunser-

67 68 69 70

WA 4 0 111,408,12f. WA 4 0 111,410,1 Of. WA 4 0 111,407,12f. Vgl. hierzu Luthers Ausspruch in WA 4 0 III, 18,8 (zu Ps 120,1 ): „Das gebet sol bey der lere s t h e n , . . . " In der Erläuterung zu Ps 134, dem letzten der Stufenpsalmen, spricht Luther von seiner Gepflogenheit, Predigt und Lehre jeweils mit einem Gebet abzuschließen, wobei er als Gebetsinhalt ebenfalls die Sorge um die Erhaltung der Evangeliumsverkündigung anführt. Siehe W A 40111,470,4-6 (zu Ps 134,1 ): „Videtur iam concludere breviusculo psalmo, quod hodie maxime concludimus in omnibus doctrinis et concionibus, ut perseveret et perduret v e r b u m ; . . . " [„Er scheint nun mit einem gar kurzen Psalm abzuschließen, gleichwie wir heute alle Lehren und Predigten vorzugsweise mit der Bitte abschließen, daß das Wort Bestand haben und fortdauern möge; ... "]

Gebete ohne die Anrede Gottes in der 2. Person

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paraphrase71. Interessanterweise verbindet die der Predigt folgende Vaterunserparaphrase ebenfalls die Optativform mit der Nennung Gottes in der 3. Person. Der Text wird zudem gleichfalls durch eine einleitende Bemerkung72 als Gebetsformulierung kenntlich gemacht73. Was die Herkunft der ehrerbietigen Anrede Gottes in der 3. Person bei Luther angeht, so wird man sicherlich auf den spätmittelalterlichen Gottesdienst verweisen können. Luther lernte eine derartige Sprache beispielsweise mit den liturgischen Elementen des „Misereatur" und des „Indulgentiam" kennen, die als Absolutionsformeln zum Stufengebet gehörten74. Vor allem aber begegnete

71 WA 19,95,26-96,16. 72 Siehe WA 19,95,22-25: „Lieben freunde Christi, weyl wir hie versamlet sind ynn dem namen des herm, seyn heyliges testament zu empfahen, So vermane ich euch auffs erste, das yhr ewr hertze zu got erhebt, mit mir zu beten das vater unser, wie uns Christus unser herr geleret und erhorung trostlich zugesagt hat." 73 Es fällt natürlich auf, daß die Vaterunserparaphrase in der „Deutschen Messe" lediglich aus einem Nebensatzgefiige besteht, das sich an eine Gebetsaufforderung anschließt. Die Paraphrase der ersten Bitte lautet so: WA 19,95,26-31: „Das Gott unser vater ym hymel uns seyne elende kinder auff erden barmhertziglich ansehen wolte und gnade verleyhen, das seyn heyliger name unter uns und in aller weit geheyliget werde durch reyne, rechtschaffne lere seynes worts Und durch brunstige liebe unsers lebens, Wolte gnediglich abwenden alle falsche lere und böses leben, darynn sein werder name gelestert und geschendet wird." Die Optativsätze werden entweder mit der Konjunktion „Das" eingeleitet oder bleiben uneingeleitet. Im letzten Fall rückt das Modalverb „Wolt(e)" in Erststellung, wobei das Subjekt „er" beziehungsweise „Gott" zu ergänzen ist. Die Paraphrasen der ersten drei Bitten beginnen übrigens mit „Das", die Paraphrasen der vierten bis siebten Bitte verkürzt mit „Wolt", wodurch Luther eine deutliche Gewichtung zugunsten der „Dein-Bitten" vornimmt. Man könnte einwenden, daß der in der „Deutschen Messe" abgedruckte Text der Vaterunserparaphrase aufgrund seines Stils lediglich gewissermaßen einen Leitfaden zum liturgischen Gebet, aber noch nicht die authentische Fassung des liturgischen Gebets selbst darstellt. Hiergegen spricht jedoch die Regiebemerkung, die die angeführte Vaterunserparaphrase mitsamt ihrer Einleitung als ein mögliches liturgisches Formular empfiehlt: WA 19,95,1921 : „Nach der predigt sol folgen eyne öffentliche paraphrasis des vater unsers und vermanung an die so zum sacrament gehen wollen, auff die odder besser weyse, wie folget: . . . " Daß es sich tatsächlich um ein authentisches Gebetsformular handelt, wird auch dadurch nahegelegt, daß die „Deutsche Messe" im übrigen alle Stücke des Gottesdienstes - mit Ausnahme von Liedern und der Predigt - im vollen und authentischen Wortlaut der Gottesdienstsprache exemplarisch darbietet. Hinzu kommt schließlich die Beobachtung, daß die Vaterunserparaphrase der „Deutschen Messe" einem Gebetstyp ähnelt, der in V.2.b) zu beschreiben ist. 74 Nach dem „Micrologus de ecclesiasticis observationibus" [„Kleines Lehrbuch über das, worauf die Kirche achtet"] des Bernold von Konstanz aus dem 11. Jahrhundert lauten das „Misereatur" und das „Indulgentiam" folgendermaßen: „Misereatur tui omnipotens Deus, et dimittat tibi omnia peccata tua, liberet te ab omni malo et confirmet te in omni opere

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Gebete in der dritten Psalmenvorlesung

sie ihm als gottesdienstlich vermittelte Sprache der Psalmen. Auch in den der dritten Psalmenvorlesung zugrunde liegenden Psalmen findet sie sich j a an einigen Stellen 75 . Diese Stellen, die zumeist allerdings die menschliche Person nicht in der 1. oder 3. Person, sondern in der 2. Person benennen und zum Teil darüber hinaus das Stichwort „benedicere" [„segnen"] enthalten, deuten darauf hin, daß jene Sprache wohl letztlich ihren Ursprung in der Sprache des Segens hat. Die optativisch strukturierte Anrede Gottes in der 3. Person schließt inhaltlich die Thematik des Segens ein, wenn sie, wie es meist geschieht, nicht nur auf Gott, sondern zugleich auf einen menschlichen Adressaten ausgerichtet ist76. Da die Anrede des mitmenschlichen Gegenübers in der 2. Person und also der Zuspruch an dieser Stelle in der Vorlesung aber fehlt, kann man hier nicht von Segensworten reden. Die Sätze besitzen Sprachelemente des Segens, haben hinsichtlich ihrer jedoch ausschließlich Gebetscharakter. Überblickt man die Beispiele der ersten Satzgruppe, so gewinnt man den Eindruck, daß die Verbindung der optativischen Aussage mit der Nennung Gottes in der 3. Person jeweils so beschaffen ist, daß die letztere die erstere qualifiziert und es auf diese Weise zur Gebetssprache kommt. Wie verhält es sich nun in den Fällen, in denen Luther optativisch formuliert, ohne aber Gott als Adressaten zu nennen? Ist die Suche nach Gebetssprache hier nicht von vornherein falsch piaziert? Ein Beispiel für solche freilich in der dritten Psalmenvorlesung sehr selten vorkommenden Formulierungen ist ein Satz aus der Erläuterung von Ps 122,7:

bono, et perducat nos pariter Jesus Christus Filius Dei vivi in vitam aeternam. Amen. Indulgentiam et remissionem omnium peccatorum nostrorum tribuat nobis omnipotens et misericors Dominus. A m e n . " [„Es erbarme sich deiner der allmächtige Gott und lasse dir alle deine Sünden nach, er befreie dich von allem Bösen und bestärke dich in allem guten Werk, und es führe uns miteinander Jesus Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, zum ewigen Leben. Amen. - Ablaß und Vergebung aller unserer Sünden verleihe uns der allmächtige und barmherzige Herr. Amen."] Am Vorabend der Reformation waren das „Misereatur" und das „Indulgentiam" nur in geringfügig veränderter Gestalt üblich. Siehe Bernhard Klaus in Leiturgia II, 5 3 1 - 5 3 3 . 7 5 Vgl. hierzu den traditionenellen lateinischen Psalmentext der Vulgata: Ps 1 2 1 ( 1 2 0 ) , 3 . 7 . 8 ; 1 2 4 ( 1 2 3 ) , 6 ; 1 2 8 ( 1 2 7 ) , 5 ; 1 3 4 ( 1 3 3 ) , 3 ; 9 0 ( 8 9 ) , 1 7 (in Klammern: lateinische Zählung). 7 6 Von dieser Bestimmung ausgenommen sind natürlich Aussagen wie der oben zitierte Satz „Got sey gelobet" (s. Anm. 6 2 ) , die sich formal nur auf Gott beziehen.

Gebete ohne die Anrede Gottes in der 2. Person

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- „Ach, das da bleib victoria et concordia!"77 [„Ach, daß doch Sieg und Eintracht bleiben mögen!"] Gerade dieser Satz zeigt, daß auch allgemein klingende Wünsche in einem gebetstheologischen Horizont verstanden werden können. Im unmittelbar vorausgehenden Text heißt es nämlich in aufschlußreicher Weise: - „Oratione impetrabimus victoriam; verbo et praedicatione incipimus; Sed finis et victoria non est in nostro labore, sed das so bleib, da helff Gott. Si perstiterimus in laborando, docendo, fiet etiam per orationem fructus et finis."78 [„Durch das Gebet werden wir den Sieg erlangen. Mit dem Wort und der Verkündigung beginnen wir. Aber das Ende und der Sieg sind nicht Ergebnis unserer Arbeit, sondern daß es so bleibe, dazu helfe Gott! Wenn wir fest stehen im Arbeiten und Lehren, dann werden durch das Gebet auch Frucht und gutes Ende kommen."] Luther betont hier in einer gebetstheologischen Bemerkung die Notwendigkeit des Gebets fur die „victoria". Darauf folgt eine sich auf die „victoria" beziehende gebetssprachliche Äußerung, die die Optativform in Kombination mit der Anrede Gottes in der 3. Person enthält. Diese gebetssprachliche Äußerung wird mit dem Satz „Ach, das da bleib victoria et concordia!" offensichtlich dupliziert. Es legt sich der Schluß nahe, daß in dem allgemein formulierten Wunsch die Anrede an Gott unausgesprochen enthalten ist. Daß Luther Wünsche ohne die Nennung Gottes als eine Anrede an Gott begreifen kann, wird auch an anderen Stellen der Erörterung von Ps 122 klar. So paraphrasiert Luther den optativisch strukturierten Vers 6, in dem sich kein Hinweis auf Gott findet, mit den Worten: - „... got geb yhn all gnad et heil, qui tibi hold"79 [„Gott gebe allen Gnade und Heil, die dir hold sind"] sowie - „Illis det benedictionem deus,.. ."80 [„Jenen möge Gott Segen geben .. ."]81.

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WA 40 111,114,2. Vgl. WA 40 111,462,2-5 (zu Ps 133,1). WA 40 111,113,16-114,2. WA 40 111,110,21. WA 40 111,111,14f. Vgl. auch WA 40 111,113,7-9 (zu Ps 122,7).

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Gebete in der dritten Psalmenvorlesung

Man darf wohl insgesamt vermuten, daß Wunschformulierungen ohne expliziten theologischen Bezug bei Luther nicht etwa als gleichsam säkularisierte Segenssprüche zu deuten sind, die dann auch jeglicher Gebetsintention entbehren. Vielmehr ist davon auszugehen, daß bei diesen Wünschen die Bitte um das Gewünschte mitschwingt. Es muß - mit anderen Worten - höchstwahrscheinlich jeweils ein „da helff Gott" hinzugedacht werden, um den Sinn dieser Art optativischer Äußerungen vollkommen zu erfassen. Wünsche ohne die Nennung Gottes als Adressaten82 in der dritten Psalmenvorlesung können folglich unter die oben bezeichnete erste gebetssprachliche Satzgruppe subsumiert werden83. Nachdem nachgewiesen wurde, daß in den Optativsätzen in der dritten Psalmenvorlesung Gebetssprache begegnet, ist die Frage zu beantworten, ob auch diese Sätze auf aktuelle Gebetsvollzüge Luthers hindeuten. Im Blick auf die zum Teil bereits zitierten vereinzelten paraphrastischen Formulierungen kann auf das im vorhergehenden Kapitel zu den Paraphrasen Erarbeitete zurückgegriffen84 und das Ergebnis übertragen werden. Die aktuelle Gebetsdimension ist bei diesen und jenen Paraphrasen allem Anschein nach in gleicher Weise festzustellen, so daß sich eine nähere Untersuchung an dieser Stelle erübrigt.

82 Vgl. auch WA 40 111,110,10f. (zu Ps 122,6). Vgl. ebenfalls WA 40 111,111,22-112,5 (zu Ps 122,7): „,intra tuos muros', quod floreat regnum, quod defendat ministros dei et ministerium ipsum et defendatur contra adversarios, Rottenses, maneat concordia docentum, audientum, in Politia et in ecclesia, ut sint fideliter docentes, pastores, docentes, qui pure tractent, retineant verbum, postea optimi magistratus, qui in pace gubement. Ja, es darff wol ein gebets, . . . " [,„in deinen Mauern', daß das Reich blühe, daß es die Diener Gottes verteidige und der Dienst (am Wort) selbst auch verteidigt werde gegen Widersacher und Rotten, daß Eintracht bleibe unter Lehrenden und Hörenden, im politischen Wesen und in der Kirche, daß da treu seien die Lehrer und Hirten, nämlich die Lehrer, die das Wort rein lehren und bewahren, daß da außerdem auch die besten Obrigkeiten seien, die im Frieden regieren. Ja, es bedarf wohl eines Gebets,..."] Mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit des Gebets macht Luther deutlich, daß der Psalmtext und dessen Paraphrase Gebetssprache darstellen, auch wenn eine ausdrückliche Anrede Gottes fehlt. 83 Daß diese Wunschformulierungen hier nicht den Gebeten mit den Anrede Gottes in der 2. Person zugeordnet werden (s. o. V. 1.), was ja auch denkbar wäre, erhellt aus der Tatsache, daß Luther die optativischen Psalmtexte ohne die Nennung Gottes als Adressaten in den Paraphrasierungen der dritten Psalmenvorlesung eben mit Aussagen kommentiert, die Gott in auffälliger Weise nicht in der 2., sondern in der 3. Person bezeichnen. Vgl. als Ausnahme WA 40 111,113,12F. (zu Ps 122,7). 84 S. V.l.

Gebete ohne die Anrede Gottes in der 2. Person

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Es lohnt sich allerdings, hier ein besonderes Augenmerk auf die nichtparaphrastischen Gebetssätze zu richten. Zum einen finden sich unter den mehr oder weniger frei vom Psalmtext formulierten Optativsätzen mit der Anrede Gottes in der 3. Person ebenso wie bei den oben analysierten freien Gebeten mit der Gottesanrede in der 2. Person Beispiele, die mit generalisierenden Kontextangaben verbunden sind85. In diesen Fällen geht es um die schon beschriebene gebetsdidaktische Anspielung auf Situationen des häuslichen und politischen Wesens86, die als solche keinen aktuellen Gebetsvollzug Luthers bedeutet87. Zum anderen aber - und da liegt das Proprium der Optative mit der Gottesanrede in der 3. Person gegenüber den Indikativen und Imperativen mit der Anrede Gottes in der 2. Person - gibt es sporadisch erscheinende nichtparaphrastische Beispiele unter den optativischen Gebetssätzen, die an ihrem jeweiligen Ort eindeutig als Gebetsvollzüge Luthers im Vorlesungsgeschehen auszumachen sind. Die annähernd vollständige Auflistung der gemeinten Gebete lautet folgendermaßen: - „Vnser herr Gott helffe vns"88, - „Dominus det gratiam, ut in ministerio, doctrina faciamus et etiam incipiamus in opere obliviscendi [nostrae iusticiae]"89 [„Der Herr gebe Gnade, daß wir es im Dienst (am Wort) und in der Lehre tun und auch mit dem Werk beginnen, (unsere Gerechtigkeit) zu vergessen"], - „Deo gratias interim, ... quod incolume nostrum iudicium de puritate doctrinae,.. ."90 [„Gott sei indessen Dank,... daß unser Urteil über die Reinheit der Lehre unversehrt ist..."],

85 Vgl. z. B. W A 4 0 111,211,1-8 (zu Ps 127,1); 280,3-7; 283,8-13 (zu Ps 128,2). 86 S. o. bei Anm. 1 f. 87 Eine Ausnahme bildet in diesem Zusammenhang eine nichtparaphrastische Gebetsdarstellung bezüglich der Situation der Kirche in der Erläuterung von Ps 129,1 -2. Angesichts aller denkbaren Feinde heißt es: WA 4 0 111,313,4-6: „Ibi Ecclesia: Benedictus dominus deus Christus, qui nos, Ecclesiam et unumquodque membrum non sinit prolabi, Cor. X." [„Dort sagt die Kirche: Gelobt sei der Herr und Gott Christus, der uns, die Kirche und ein j e d e s Glied nicht fallen läßt, 1. Kor 10,(13)."] Da Luthers gegenwärtige Situation sich in den Aussagen spiegelt, wird hier trotz des generalisierenden Kontextes der aktuelle Gebetsvollzug erahnbar. 88 S. o. Anm. 60. 89 WA 4 0 11,582,1 lf. (zu Ps 45,12). 9 0 W A 4 0 111,35,7-9 (zu Ps 120,4).

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Gebete in der dritten Psalmenvorlesung

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„Ideo straff vns vnser Herr Gott mit omnibus plagen et rotten, teuer Zeit, sunden, adulteriis, homicidiis, modo hoc bleibe apud aliquos, quod scilicet reverentia verbi dei"91 [„Deshalb strafe uns unser Herr Gott mit allen Plagen und Rotten, teurer Zeit, Sünden, Ehebruch und Mord, wenn nur dies bleibe bei einigen, nämlich die Ehrfurcht vor dem Wort Gottes"],

-

„Da bey halt vnser Herr Gott vns. Det aliis regna omnia, opes et las vns betler, kranck sein, modo las vns bey dem dono etc."92 [„Dabei behalte unser Herr Gott uns. Er gebe den anderen alle Reiche und Reichtümer und lasse uns Bettler und krank sein, wenn er uns nur bei der Gabe (des Wortes) bleiben lasse"],

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„Deus det, ut hoc credamus, ista promissio non fallii, etsi sumus peccatores"93 [„Gott gebe, daß wir dies glauben; jene Verheißung täuscht nicht, wenngleich wir Sünder sind"], - „Das leben non taugt, det deus aliam. Non solum non intelligimus res óptimas, pulchras, sed deum ridemus"94 [„Dies Leben taugt nicht; Gott gebe ein anderes. Wir verstehen die besten und schönen Dinge nicht und lachen sogar noch über Gott"] und -

„Das gebe vns vnser Herr allen. Amen"95.

Bei diesen Gebeten überwiegt die Aussage „Gott gebe uns XY". Letztlich lassen sie sich alle - natürlich abgesehen von der Dankesäußerung - ihrem Sinn nach auf den erstgenannten Ausruf „Gott helfe uns" reduzieren. Daß es sich um reale Gebetsvollzüge Luthers zur Zeit der Vorlesung handelt, wird - wie gesagt - durch das Fehlen des Paraphrasenstils offenkundig, wobei insbesondere darauf hinzuweisen ist, daß Luther hier im Unterschied zum jeweils besprochenen Psalmvers die 1. Person Plural verwendet. Hinzu kommt dann vor allem die Beobachtung, daß hier eben auch die sonst geläufigen generalisierenden oder historisierenden Kontextangaben fehlen. Im übrigen bietet auch der Inhalt dieser Gebetsformulierungen meistens überhaupt keinen Anhalt, eine irgendwie geartete didaktische Abzweckung derselben zu vermuten.

91 W A 4 0 111,104,3-5 (zu Ps 122,4). 92 W A 4 0 111,108,15-17 (zu Ps 122,5). 93 S. o. Anm. 61. 94 WA 4 0 111,461,16-462,2 (zu Ps 133,1). 95 WA 4 0 111,593,16-594,1 (zu Ps 90,17).

Gebete ohne die Anrede Gottes in der 2. Person

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Summa summarum: Luther betet in der dritten Psalmenvorlesung tatsächlich mehrfach spontan ganz ohne die Benutzung didaktischer Formen. Wenn er so betet, geschieht es fast ausschließlich durch die optativische Anrede Gottes in der 3. Person96.

96 Die spontane, nicht als Didaktik zu erklärende optativische Anrede Gottes in der 3. Person kennzeichnet auch den Gebetsstil in den Briefen, die Luther im Zeitraum der Vorlesung verfaßt hat. Luthers Briefliteratur enthält viele Gebete, die mit den zuletzt aus der dritten Psalmenvorlesung zitierten vergleichbar sind. In seinem Schreiben an Georg Mohr vom 4. April 1532 sagt Luther beispielsweise: WA Br 6,284,18-20 (Nr. 1917): „Und werdet Ihr zu Zwickau Prediger, so helfe Euch Gott, daß Ihr nicht wider mich sein müsset und mit frembden Sunden nicht beladen werdet, Amen." Im Brief an Nikolaus von Amsdorf vom 13. Juni 1532 heißt es: WA Br 6,318,4f. (Nr. 1938): „Christus te restituât etiam, et nobis diu conservet." [„Christus stelle auch dich wieder her und erhalte dich uns lange."] An den Kurfürst Johann schreibt Luther am 29. Juni 1532: WA Br 6,327,58-60 (Nr. 1943): „Derselbige liebe Vater gebe uns auch weiter ein dankbar Herz, das solche Gnade erkennen, annehmen und wohl brauchen müge, zu seinem Lob und Ehren, Amen." Der Brief vom 3. August 1532 an den Kurprinzen Joachim von Brandenburg enthält den Satz: WA Br 6,344,13-15 (Nr. 1950): „Gott gebe, daß jetzo die Zeit sei, daß Michael, der Fürst des Volks Gottes, sich aufmach, wie Daniel am 7. [Dan 12,1] weissaget, und sein Volk errette." Am 19. August 1532 formuliert Luther an einen unbekannten Adressaten: WA Br 6,349,1921 (Nr. 1953): „Des helfe Euch und uns allen der rechte und einige Helfer, unser lieber Herr Christus, Amen." Diese Gebete unterscheiden sich von den entsprechenden Äußerungen in der dritten Psalmenvorlesung insofern, als Luther in ihnen im Blick auf den menschlichen Adressaten anstelle der inklusiven 1. Person Plural sehr oft die 2. Person Singular oder Plural verwendet. Der Grund hierfür besteht natürlich darin, daß Luther in den Briefen vielfach auf Anliegen abzielt, die in erster Linie nicht ihn selbst betreffen. Durch den Gebrauch der 2. Person wird die oben (s. bei Anm. 76) konstatierte Nähe zur Sprache des Segens besonders deutlich. Vornehmlich in den Briefschlüssen geht die Gebetssprache denn auch immer wieder in regelrechte Segensformulierungen über, bei denen die Bitte um Hilfe hinter dem - gleichwohl betenden - Zuspruch der gnädigen Gegenwart Gottes zurücktritt. So findet man im Brief an den Kurfürst Johann vom 28. März 1532 zum Beispiel am Ende statt einer Aussage mit der Struktur „Gott gebe/helfe ..." die Bemerkung: WA Br 6,277,20f. (Nr. 1913): „Christus, vnser trost vnd freude, Sey mit E. k. f. g. [„Euer kurfürstlichen Gnaden"] ewiglich, Amen." Der Brief an Nikolaus von Amsdorf vom 27. Juli 1532 schließt mit den Worten: WA Br 6,338,18 (Nr. 1948): „Gratia Dei vobiscum." [„Die Gnade Gottes sei mit euch."] Der letzte Satz des Briefes an Georg Spalatin vom 29. März 1533 lautet: WA Br 6,443,11 (Nr. 2006): „Christus benedicat vobis, Amen." [„Christus segne euch, Amen."] Die Gebetsdimension des Zuspruchs in den Segensworten kann im Fall von indikativischen Formulierungen manchmal auch ganz verschwinden, so daß ein reiner Zuspruch übrigbleibt. So endet etwa das Schreiben an Fürst Joachim von Anhalt vom 23. Juni 1534 mit dem Satz: WA Br 7,77,46f. (Nr. 2121): „Christus unser Herr ist selbs bei E. F. G. [„Euer fürstlichen Gnaden"], das ist wahr, welche ich hiemit in sein Gnad und Schutz befehle." Man könnte übrigens meinen, daß Luther sich bei den Segensformulierungen vom neutestamentlichen Briefstil hat leiten lassen. Die neutestamentlichen Briefe bein-

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Gebete in der dritten Psalmenvorlesung

b)

Indikativsätze

Die Suche nach aktuellen Gebetsvollzügen Luthers innerhalb der dritten Psalmenvorlesung hat bisher die Voraussetzung, daß sie vom Gesamtverständnis der Vorlesung als Gebet absieht. Das soll auch im folgenden so bleiben. Allerdings ist die Auffassung, daß die Vorlesung ein einziges großes Gebet darstellt, in gewisser Weise dann doch leitend, wenn die Aufmerksamkeit nämlich nun auf jene Sätze gerichtet wird, aus denen sie zum allergrößten Teil besteht. Gemeint ist die zweite zu erörternde Satzgruppe, die Gruppe der Indikativsätze ohne die Anrede Gottes in der 2. Person. Im Unterschied zur soeben analysierten Art optativischer Äußerungen erscheinen die Indikativsätze ohne die Gottesanrede in der 2. Person in dermaßen großer Zahl, daß man den Schwerpunkt der Untersuchung an dieser Stelle erwarten müßte. Wenn dennoch nur wenige Indikativsätze zitiert werden, liegt das an der Tatsache, daß anders als bei den Optativsätzen mit der Nennung Gottes in der 3. Person und erst recht ganz anders als bei den Sätzen mit der Gottesanrede in der 2. Person diese Sätze als solche hinsichtlich ihrer Form und ihres Inhalts fast gar nichts bieten, was eindeutig auf das Vorliegen von Gebetssprache schließen läßt. Die Untersuchung ist hauptsächlich auf die seltenen

halten am Schluß allerdings fast durchgehend einen Segensgruß nach der Grundform „Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus sei mit euch" (siehe Rom 16,20.24; 1. Kor 16,23; 2. Kor 13,13; Gal 6,18; Phil 4,23; 1. Thess 5,28; 2. Thess 3,18; Phlm 25) beziehungsweise nach der verkürzten Form „Die Gnade sei mit euch" (siehe Eph 6,24; Kol 4,18; 1. Tim 6,21; 2. Tim 4,22; Tit 3,15; Hebr 13,25). Nur zweimal findet sich ein Gruß nach dem Schema „Der Herr sei mit euch" (siehe 2. Thess 3,16; 2. Tim 4,22). Übernommen hat Luther in den Segensformulierungen wahrscheinlich den sowohl bei ihm als auch in den neutestamentlichen Briefen auffallend häufigen christologischen Bezug. Zum paulinischen Segensgruß „Gnade und Friede in Christo" am Briefeingang bei Luther und zur charakteristischen Wendung „Hiemit Gott befohlen" als Briefschluß siehe Ebeling, Luthers Seelsorge, 431440. Daß die Anrede Gottes in der 2. Person im Medium des Briefes nicht ausgeschlossen ist, zeigt das Schreiben an Nikolaus Hausmann vom 2. Januar 1533: WA Br 6,411,25-28 (Nr. 1989): „Sic pereant inimici tui, Domine, quandoquidem scientes & prudentes blasphemandi nullum ñeque finem ñeque modum faciunt & erecto collo aduersus Deum currunt." [„So sollen deine Feinde umkommen, o Herr, da sie ja wissentlich und vorsätzlich ihres Lästerns kein Ende noch Maß machen und mit aufgerecktem Hals gegen Gott anlaufen."] In seltenen Fällen erscheinen am Schluß der Briefe Luthers optativisch strukturierte „Doxologien". S. u. Vl.2.a)cc).

Gebete ohne die Anrede Gottes in der 2. Person

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Fälle angewiesen, in denen die Indikativsätze ohne die Gottesanrede in der 2. Person in einen aussagekräftigen Kontext eingebunden sind. Bei dem Indikativsatz „sum ein elender, betrübter sunder"97 [„Ich bin ein elender, betrübter Sünder"] im Kommentar zu Ps 51,5 beispielsweise wird durch die Einleitung „Sed petit hic veniam causa nulla alia"98 [„Aber er (= David) bittet hier um Vergebung aus keinem anderen Grund"] angedeutet, daß es sich um eine Gebetsformulierung handelt. - Ähnlich verhält es sich mit dem Satz „Nullum scio deum, ñeque in monasterio, peregrinatione, nisi in illa una persona"99 [„Ich weiß von keinem Gott, weder im Kloster noch in der Wallfahrt, außer in jener einen Person (= Christus)"] im Kommentar zu Ps 128,5. Dieser Satz wird durch die Aufforderung „dicendum" [„man soll sagen"] eingeleitet, die nun nicht als eine Ermunterung zum Selbstgespräch, sondern in der Verbindung mit der Aufforderung „ad deum ... eundum"100 [„man soll ... zu Gott gehen"] klar als ein Appell zum Gebet zu verstehen ist.

-

Gelegentlich kann der gebetssprachliche Charakter der Indikativsätze ohne die Anrede Gottes in der 2. Person von parallelgeschalteten Aussagen mit der Anrede Gottes in der 2. Person her erkannt werden. - Im Rahmen der Erläuterung von Ps 127,2 empfiehlt Luther bezüglich der erfreulichen wie der betrüblichen Situation im häuslichen und politischen Wesen jeweils eine Äußerung: „... Cor spectet sursum: Herrgott, ich arbeite, samle gelt, regir kind et weib. ... In nomine tuo ghe ichs da her; ... Si feilts, dicere potes: Es sol so sein; Sicut domino placet, ita etc."101 [„... Das Herz schaue nach oben: Herr Gott, ich arbeite, sammle Geld, regiere Kind und Weib. ... In deinem Namen tue ich es; ... Wenn es mißlingt, kannst du sagen: Es soll so sein; wie es dem Herrn gefällt, so usw."] -

Wenig später wiederholt Luther dies mit anderen Worten: „Debes dicere: Donum dei est, fruor eo, donee Deo placet. Vel si abit: Domine deus, eram

97

WA 4 0 11,362,2.

98

WA 4 0 II,362,1 f.

9 9 WA 4 0 111,302,4-6. 100 W A 4 0 III,302,3f. 101 W A 4 0 111,234,8-12.

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Gebete in der dritten Psalmenvorlesung

possessor doni, ,dedisti, abstulisti'." 102 [„Du sollst sagen: Es ist eine Gabe Gottes; ich genieße sie, solange es Gott gefällt. Oder wenn sie schwindet: Lieber Herr Gott, ich war der Besitzer der Gabe; ,du hast's gegeben, du hast's genommen' (Hiob 1,21)."] Auffallig ist die Tatsache, daß Luther bei den vorgeschlagenen indikativischen Äußerungen die Sprachformen an der zweiten Fundstelle in vertauschter Reihenfolge verwendet. Während er nämlich im ersten Fall hinsichtlich des vorhandenen und ersehnten beruflichen Erfolgs die Gottesanrede in der 2. Person gebraucht, dies aber im Blick auf den etwaigen beruflichen Mißerfolg unterläßt, verfährt Luther danach so: Die Gottesanrede in der 2. Person erscheint nicht angesichts des Erfolgs, sondern angesichts des möglichen Mißerfolgs. Da Luther die Indikativsätze mit und ohne Anrede Gottes in der 2. Person an diesen Stellen offenbar wahllos benutzt, darf man annehmen, daß die Indikativsätze ohne die Gottesanrede in der 2. Person hier so aufzufassen sind, als läge eine solche Anrede vor' 03 . Ziemlich gut sind die Sätze dieser zweiten Satzgruppe schließlich als Gebete zu identifizieren, wenn sie sich in einer inneren logischen Verknüpfung mit jenen Sätzen befinden, die die Gottesanrede in der 2. Person enthalten. Wenn als formale Gegebenheit hinzukommt, daß sie von den Sätzen mit der Anrede Gottes in der 2. Person umschlossen sind, ist ihre Zugehörigkeit zu ihnen besonders offensichtlich' 04 . In den relativ häufigen Sinneinheiten dieser Art haben die Indikativsätze ohne die Anrede Gottes in der 2. Person eine erläuternde Funktion. Oft steht die Äußerung ohne die Gottesanrede in der 2. Person - genauer gesagt - in einem kausalen Verhältnis zur Äußerung mit derselben. -

So kommentiert Luther zum Beispiel Ps 51,13 wie folgt: „... habeo carnem adherentem mihi, quae semper litatur contra spiritum. Ideo da gratiam, ne vincat caro, ne reversus cadam in adulterium, blasphemiam. Ich hab mich verbrand. Wirff mich nicht, las mich nicht versincken in peccatum, errorem,

102 WA 40 111,247,2-4. 103 Vgl. auch WA 40 111,216,1 f.7f. (zu Ps 127,1); 252,1-4 (zu Ps 127,2); 275,15-276,1; 277,3-7 (zu Ps 128,1). 104 Vgl. z. B. WA 40 11,346,13-347,3 (zu Ps 51,3); 430,11 -431,1 (zu Ps 51,14); 438,13-439,2 (zu Ps 51,15); WA 40111,275,17-276,1 (zu Ps 128,1).

Gebete ohne die Anrede Gottes in der 2. Person

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praesumptionem."105 [„... Ich habe das Fleisch an mir, das immer wider den Geist streitet. Deshalb gib Gnade, daß das Fleisch nicht siegt, daß ich nicht wieder zurückfalle in Ehebruch und Lästerung. Ich habe mich verbrannt. Verwirf mich nicht, laß mich nicht versinken in Sünde, Irrtum und Hochmut."] - Zu Ps 127,4 fuhrt er Ri 11,27 an und formuliert: „necessitas mihi bellandi, iuva, deus!"106 [„Die Notwendigkeit zwingt mich, Krieg zu fuhren; hilf, Gott!"] Die indikativischen Äußerungen ohne die Gottesanrede in der 2. Person bilden hier Kurzbeschreibungen der Situation des Beters, wobei deutlich wird, daß die Situation jeweils die Anrede an Gott motiviert. Es liegt allemal nahe, daß der Beter seine Anrede an Gott durch den Verweis auf seine Situation begründet und diese Begründung in sein Gebet hineinnimmt. Dabei ist es dann unerheblich, ob es eben um die Konfrontation mit der eigenen Sündhaftigkeit107 beziehungsweise den Kriegszustand, ob es um die Ehe mit ihrem Problemfeld' 08 , um die Höllenangst109 oder um die positive Situation der anfanglichen Glaubenserfahrung" 0 geht. Nicht immer hängt der Nachweis, daß Indikativsätze ohne Gottesanrede in der 2. Person Gebetssätze sein können, allerdings vom jeweiligen Kontext dieser Sätze ab. Ausrufe wie - „quam ,miser homo' in terris! meus pavor! tantum ira, desperatio" 1 " [„Was fur ein ,elender Mensch' bin ich auf Erden! Wie groß ist meine Furcht! Es ist nichts als Zorn und Verzweiflung da"], die im weiteren Sinn ebenfalls zu den Indikativsätzen gehören, werden zum Teil durch einleitende Bemerkungen als Klagen" 2 beziehungsweise als Ge-

105 WA 40 11,427,1-4. 106 WA 40 111,264,3. 107 Vgl. auch WA 40 11,354,6-9 (zu Ps 51,4); 365,12f. (zu Ps 51,6); WA 40 II 1,345,10f.; 347,4-7 (zu Ps 130,3); 351,5f. (zu Ps 130,4). 108 Vgl. WA 40 111,216,1 f. (zu Ps 127,1 ); 275,17-276,1 (zu Ps 128,1 ). 109 Vgl. WA 40 111,341,4f. (zu Ps 130,1). 110 Vgl. WA 40 11,396,14f. (zu Ps 51,8). 111 WA 40 III,552,6f. (zu Ps 90,8). 112 Vgl. WA 40 111,31,2f. (zu Ps 120,4); 40,5-8 (zu Ps 120,6); 535,9-13 (zu Ps 90,6).

98

Gebete in der dritten Psalmenvorlesung

bete" 3 bezeichnet, sind aber dann auch ohne derartige Bezeichnungen als Klagen beziehungsweise als Gebete wahrzunehmen" 4 . Daß auch Sätze der zweiten Satzgruppe aus sich selbst heraus als Gebete zu verstehen sind, zeigen außerdem Schilderungen des Betens in der 1. Person Singular oder in der 1. Person Plural. -

Luther paraphrasiert etwa Ps 120,4 mit den Worten: „hoc conqueror, quod habet lingua hereticorum tantum successum, et subitum."" 5 [„Das beklage ich, daß die Zunge der Irrlehrer so großen und plötzlichen Erfolg hat."] - Ein Teil einer Paraphrase zu Ps 130,3 lautet: „Appello ab isto throno Iustitiae."" 6 [„Ich appelliere an jenen Thron der Gerechtigkeit."] -

In der Erklärung von Ps 90,15 legt Luther dem Psalmbeter folgenden Satz in den Mund: „Haec mala deprecamur et petimus remissionem peccatorum aeternam, non legalem, contra perpetuum malum et postea liberationem a poena, ut simus non solum iusti, sed et laeti et iucundi."" 7 [„Gegen diese Übel beten wir und bitten um eine ewige Vergebung der Sünden, nicht um eine gesetzliche, gegen das fortdauernde Übel und dann auch um Befreiung von der Strafe, damit wir nicht allein gerecht, sondern auch fröhlich und guten Mutes seien."]

Bei diesen Schilderungen handelt es sich nicht sozusagen um Selbstaufforderungen, denen dann das Gebet erst noch folgen müßte" 8 . Vielmehr stellt die Schilderung des eigenen Betens hier bereits den Gebetsvorgang dar. Man muß natürlich einräumen, daß dieses weitere für Luther an sich durchaus typische Beispiel von Gebetssprache in der dritten Psalmenvorlesung letztlich nur recht schemenhaft hervortritt. Unvergleichlich klarer findet es sich in

113 S o leitet Luther den oben zitierten Ausruf (s. Anm. 111 ) mit den Worten „Modo homo sic potest orare: ..." [„Nur ein Mensch kann so b e t e n : . . . " ] ein ( W A 4 0 111,552,6). Vgl. W A 4 0 III, 109,lf. (zu Ps 122,6); 535,9-13 (zu Ps 90,6). 114 Vgl. W A 4 0 111,39,17 (zu Ps 120,5): „Ideo canimus: Ach, infelix homo sum." [„Deshalb singen wir: Ach, ein unglücklicher Mensch bin ich."] Vgl. WA 4 0 III,109,If. (zu Ps 122,6); 343,7f. (zu Ps 130,2). 115 116 117 118

WA 4 0 III,34,4f. WA 4 0 III,347,3f. WA 4 0 111,582,12-15. Daß der Gebetsschilderung durchaus ein Gebet als Erläuterung folgen kann, wird bezüglich des zitierten Satzes „Appello ab isto throno lustitiae" deutlich, wenn es im Anschluß heißt: WA 4 0 111,347,4: „Sed sic: Ego peccator ..." [„Aber so: Ich bin ein Sünder ..."]

Gebete ohne die Anrede Gottes in der 2. Person

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Luthers Briefliteratur, die die Vorlesung begleitet, und ist durch sie sicherlich am besten zu erfassen119. - Ein aufschlußreicher Beleg entstammt dem Brief an den Kurprinzen Joachim von Brandenburg vom 3. August 1532: „So wünsche ich nun [!] vor allen Dingen und bitte Gott durch Jesum Christum, unsern Herrn, daß er dem frommen Kaiser und allen Fürsten und allen, so jetzo wider den Türken streiten sollen, erstlich verleihe ein freidiges Herz, das sich auf seine Hilf trostlichen verlasse, und behüte sie gnädiglichen, daß sie ja nicht, wie der Türk, sich auf ihre Macht und Stärk verlassen, denn solchs Verlassen wär schädlich; sondern daß sie mit David singen: ..."' 20 Durch das am Anfang eingeschaltete „nun" weist Luther unverkennbar darauf hin, daß sich die mitgeteilte Schilderung seines Betens nicht auf einen späteren Zeitpunkt, sondern exakt auf den Augenblick ihrer Abfassung bezieht121. - Im Brief an Fürst Georg von Anhalt schreibt Luther am 28. März 1533: „Simul oro & spero totis suspiriis, quod is, qui incepit in pectore isto tantum opus suum, ipse quoque perficiet, etiam si interim infirmitas in eo opere laboret & a Satana, mundo & carne vehementer vexetur & impetatur variis machinis."122 [„Zugleich bete und hoffe ich mit allen Seufzern, daß derjenige, der sein so großes Werk in dieser Brust angefangen hat, es selbst auch vollenden wird, wenngleich sich mitunter Schwachheit in diesem Werk bemerkbar macht und es vom Satan, von der Welt und vom Fleisch heftig geplagt und mit mannigfachen Kunstgriffen attackiert wird."] Anstelle des „nun" beziehungsweise „nunc" benutzt Luther im Zusammenhang dieser

119 Es stellt sich heraus, daß Luther den Gegenstand seines Betens bei dieser speziellen Gebetsform in den Briefen sehr oft durch optativische Nebensätze zum Ausdruck bringt. Die im folgenden angegebenen Textstellen aus den Briefen hätten deshalb auch zum Teil im Kapitel „Optativsätze" (s. o. V.2.a)) erörtert werden können (vgl. dazu die Hinweise zur Vaterunserparaphrase in der „Deutschen Messe" in Anm. 73). Da die optativischen Nebensätze jeweils von einem indikativischen Hauptsatz abhängen, ist es jedoch eher angebracht, die Besprechung nun in das Kapitel „Indikativsätze" hineinzunehmen. 120 W A Br 6,344,16-22 (Nr. 1950). 121 Ein pointiertes „nunc" im Rahmen einer Gebetsschilderung taucht ebenfalls im Brief an den Abt Friedrich Pistorius vom 17. Januar 1533 (?) (vgl. W A Br 6,419,8-15 ; Nr. 1994), im Brief an Christoph Rühel vom 14. Juli 1533 (vgl. W A Br 6,501,6f.; Nr. 2036) und im Schreiben an die Nürnberger Geistlichen vom 20. Juli 1533 (vgl. WA Br 6,502,5-8; Nr. 2 0 3 7 ) auf. 122 W A Br 6,441,12-15 (Nr. 2004).

100

Gebete in der dritten Psalmenvorlesung

Schilderung seines Betens die affektive Wendung „spero totis suspiriis". Diese drückt aus, wie sehr ihm das Beten momentan am Herzen liegt. Dessen Aufschiebung wäre nicht verständlich. Es fällt sinnvollerweise mit dem Schreiben des Satzes zusammen123. Die Zeitangabe und die Benennung von Affekten sind hilfreiche Indizien, müssen jedoch selbstverständlich nicht notwendig vorhanden sein, damit man von einer Schilderung des Betens im Indikativ Präsens und in der 1. Person sagen kann, daß es sich um die Schilderung eines für den Sprecher aktuellen Gebetsvollzugs handelt. Im Unterschied zu den Gebetsschilderungen in der dritten Psalmenvorlesung, bei denen aufgrund des paraphrastischen Stils nicht ganz klar ist, inwieweit sich Luther mit ihnen aktuell identifiziert, sind die Gebetsschilderungen in den Briefen immer als aktuelle Gebete Luthers zu begreifen'24.

123 Vgl. auch die affektive Schilderung in Luthers Brief an Kurfürst Johann vom 28. März 1532 (WA Br 6,277,14-17; Nr. 1913), im Brief an den Fürsten Georg von Anhalt vom 28. März 1533 (WA Br 6,441,19-21; Nr. 2004) und im Brief an die Fürsten Johann und Joachim von Anhalt vom 15. Oktober 1533 (WA Br 6,536,6-8; Nr. 2056). 124 Schilderungen des Bittens finden sich in den von Luther zur Zeit der dritten Psalmenvorlesung entworfenen Briefen auch an folgenden Stellen: WA Br 6,349,8-12; 351,5f. (Nr. 1953: an N. N. am 19. August 1532); 442,22-25 (Nr. 2005: an Fürst Johann von Anhalt am 28. März 1533); 477,9-12 (Nr. 2026: an Christoph Rühel am 16. [?] Juni 1533); 560,2f. (Nr. 2072: an Eberhard Brisger am 12. Dezember 1533); WA Br 7,24,4f. (Nr. 2091: an Johannes Schlaginhaufen am 10. März 1534); 59,16f. (Nr. 2107: an Nikolaus Hausmann am 12. April 1534); 85,25-28 (Nr. 2126: an den Rat zu Regensburg am 30. Juni 1534); 148,26f. (Nr. 2167: an Urbanus Rhegiusam30. Dezember 1534). Schilderungen des Dankens sind wesentlich seltener: Vgl. WA Br 6,277,7f. (Nr. 1913: an Kurfürst Johann am 28. März 1532); 400,4-8 (Nr. 1983: an den Rat zu Münster am 21. Dezember 1532); 477,5f. (Nr. 2026: an Christoph Rühel am 16. [?] Juni 1533); WA Br 7,56,10-14 (Nr. 2105: an die Fürsten Johann, Georg und Joachim von Anhalt am 5. oder 6. April 1534); 112,25-27 (Nr. 2143: an Fürst Johann von Anhalt am 20. Oktober 1534). Die Gebetsform der Gebetsschilderung ist hinsichtlich ihrer Bedeutung in der Korrespondenz Luthers gleich neben der oben in Anm. 96 beschriebenen Gebetsform, dem Beten in selbständigen Optativsätzen mit der Anrede Gottes in der 3. Person, anzusiedeln. Sie stellt den zweiten Typ dar, der den Gebetsstil in den Briefen kennzeichnet. Meistens gebraucht Luther die Form der Gebetsschilderung im Anfangs- beziehungsweise im Mittelteil der Briefe. Gelegentlich verbindet sich dabei die Gebetsintention mit der Intention seelsorgerlicher Unterweisung: Siehe insbesondere die Schilderung in WA Br 6,344,16-25 (Nr. 1950: an den Kurprinzen Joachim von Brandenburg am 3. August 1532) mit dem rechten Verhalten im Türkenkrieg als ausführlichem Gebetsgegenstand sowie die Schilderung in WA Br 6,419,10-15 (Nr. 1994: an den Abt Friedrich Pistorius am 17. Januar 1533 [?]), die die theologische Begründung der Ehe beinhaltet.

Gebete ohne die Anrede Gottes in der 2. Person

101

Schon oben125 wurde deutlich, daß Luthers Gebetssprache offensichtlich biblisch beeinflußt ist. Dies gilt auch fur das betende Schildern des eigenen Betens. Man denke hier wiederum an die Psalmen126 und dann insbesondere an die neutestamentlichen Briefe127. Die Zusammenstellung von Indikativsätzen aus der dritten Psalmenvorlesung, die keine Anrede Gottes in der 2. Person enthalten und Gott bisweilen nicht einmal in der 3. Person erwähnen, hat die Aufmerksamkeit auf einen zusätzlichen Gebetstyp gelenkt. Was nun jedoch die Ausgangsfrage nach etwaigen aktuellen Gebetsvollzügen Luthers betrifft, muß man schließlich feststellen, daß sich etwas Neues nicht beibringen läßt. Man rechnet bei den zitierten Indikativsätzen am besten mit einer mehr oder weniger starken Identifikation Luthers. Meist liegen hier ja in den Kontexten Paraphrasen mit der Anrede Gottes in der 2. Person vor, für die eben solche Regel stimmt128.

125 S. bei Anm. 74-76. 126 Vgl. ζ. B. Ps 7,18; 9,2; 27,4; 57,3; 111,1; 120,1; 121,1; 142,2. Wahrscheinlich hatte die Vulgata-Übersetzung des Psalters keinen Einfluß auf die Herausbildung dieses Gebetstyps bei Luther. An den Stellen, die den genannten entsprechen, verwendet sie nämlich das Futur 1 beziehungsweise das Perfekt. Luther behält diese Tempora in seiner Vulgatarevision von 1529 bei (vgl. WA DB 1011,193-289). In seiner ersten deutschen Psalterausgabe von 1524 übersetzt Luther Ps 9,2; 27,4; 111,1; 121,1 noch ganz im Sinn der Vulgata, geht dann aber in den Ausgaben von 1528 beziehungsweise 1531 zum Gebrauch des Präsens über (vgl. WA DB 101,106-588). Ps 7,18; 57,3; 120,1; 142,2 übersetzt er bereits 1524 im Präsens. 127 Vgl.z. B. Rom 1,8; 1. Kor l,14f.; 2. Kor 13,7; Eph 3,14-19; Phil 1,9-11; l . T h e s s 2 , 1 3 ; 1. Tim 1,12f. 128 S . o . V.

VI. Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Als Luther in der Einleitung zu seiner dritten Psalmenvorlesung betonte, „Omnis praedicatio vel lectio sacrae theologiae" [,Jede Verkündigung oder Lesung der heiligen Theologie"] sei ein „verissimum sacrificium laudis vel Eucharistia vel gratiarum actio" [„wirklich wahres Lobopfer oder eine Eucharistie oder eine Danksagung"] 1 , bekannte er sich nicht zum Relativismus. Die im Rahmen der dritten Psalmenvorlesung geführte Auseinandersetzung mit den theologischen Gegnern zeigt, daß fur Luther nicht jede Verkündigung, nicht jede theologische Vorlesung schlechthin ein wahres Lob- und Dankopfer war. Er deutete vielmehr an, daß Gott nur mit der reformatorischen Theologie in Wahrheit gelobt und ihm nur mit ihr in Wahrheit gedankt wird. Es gibt folglich nach Luther eine falsche und eine wahre Theologie, wie es ein falsches und ein wahres religiöses Loben und Danken gibt. Die falsche Theologie basiert auf einem falschen religiösen Loben und Danken, und umgekehrt basiert das falsche religiöse Loben und Danken auf einer falschen Theologie. Die wahre Theologie basiert auf dem wahren religiösen Loben und Danken, und umgekehrt basiert das wahre religiöse Loben und Danken auf der wahren Theologie. Das religiöse Loben und Danken ist nach Luther ein Kriterium der Theologie. Luther nahm für sich in Anspruch, in Wahrheit Theologie zu treiben, weil er Gott in Wahrheit lobte und ihm in Wahrheit dankte. Er nahm für sich in Anspruch, Gott in Wahrheit zu loben und ihm in Wahrheit zu danken, weil er in Wahrheit Theologie trieb. Das Verständnis des religiösen Lobens und Dankens bei Luther ist ein Schlüssel zum Verständnis seiner Theologie, wie das Verständnis seiner Theologie ein Schlüssel zum Verständnis des religiösen Lobens und Dankens bei ihm ist.

1 WA 40 11,193,2f.

Die kerygmatische Gestalt des Lobens und Dankens

103

Im religiösen Loben und Danken konkretisierte sich Luthers Beten, handelte es sich bei den Akten des religiösen Lobens und Dankens doch um Gebetsakte, mit denen Gott gezielt angesprochen wurde. Im Hauptteil der vorliegenden Arbeit soll der Tatsache Rechnung getragen werden, daß Luther zu Beginn der dritten Psalmenvorlesung den Gebetsakten des Lobens und des Dankens einen außerordentlich hohen Stellenwert einräumte. Die Darstellung von Luthers Beten wird sich daher in Kapitel VI. auf die Darstellung der Gebetsakte des Lobens und Dankens bei Luther konzentrieren. Gebetsakte wie die des Anbetens, des Klagens, des Beichtens und des Bittens werden bei der Darstellung freilich nicht außer acht gelassen. Sie werden berücksichtigt, insofern als die Beziehungen der Gebetsakte des Lobens und des Dankens zu ihnen beachtet werden. Der Grundtext ilir die Darstellung ist wiederum die dritte Psalmenvorlesung. Zu analysieren sind alle Stellen, an denen ein Begriff des Lobens oder Dankens einen auf Gott ausgerichteten Vorgang bezeichnet. Die Gebetsakte des Lobens und des Dankens werden zunächst getrennt voneinander dargestellt, um sie alsdann in ihrer Beziehung zueinander erfassen zu können.

1. Die kerygmatische Gestalt des Lobens und Dankens Luther nennt den Vorgang, der Gott beziehungsweise Christus mit Worten lobt, in der dritten Psalmenvorlesung lateinisch2 - „laudare deum"3, - „laudem dei dicere"4, - „sacrificare deo sacrificia laudis"5,

2 Zitiert werden hier mit Ausnahme von „sacrificium laudis offerre" nur die Verben, die in der dritten Psalmenvorlesung zumindest an einer Stelle mit grammatikalischen Objekten verbunden sind, die Gott beziehungsweise Christus benennen. 3 Vgl. W A 4 0 111,149,16-150,2 (zu Ps 124,8); vgl. auch WA 4 0 Il,285,6f. (zu Ps 2,11); 609,79 (zu Ps 45,18); WA 4 0 III, 134,18-135,1 (zu Ps 124,1 ); 316,5f. (zu Ps 129,1 f.); 472,3-5 (zu Ps 134,1); 484,3f. (zu Ps 90; Einleitung). 4

WA 4 0 II,446,1 Of. (zu Ps 51,17).

5 Vgl. WA 4 0 111,9,10-10,1 (zu Ps 120; Einleitung).

104

Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

-

„sacrificium laudis offerre"6,

-

„celebrare ... filium illum dei"7,

-

„magnificare dominum"8,

-

„dare deo honorem"9,

-

„honorare ... suum deum"10,

-

„glorificare suum deum"",

-

„gloriari deum"12 und

-

„benedicere domino"13.

Den Vorgang des wortgebundenen Dankens bezeichnet er in der dritten Psalmenvorlesung fast ausschließlich mit dem lateinischen Ausdruck -

„gratias agere"14.

Nur in Ausnahmefallen sagt er -

„gratias dicere"'5 oder

-

„gratias reddere"16.

Hinzu kommen entsprechende Substantivbildungen.

a) Loben Um zunächst eine erste Antwort auf die Frage zu erhalten, was Luther mit dem wortgebundenen religiösen Loben meint, ist es sinnvoll, sogleich auch eine wei-

6 7 8 9 10 11 12 13 14

15 16

WA 40 111,473,8-11 (zu Ps 134,2). WA 40 11,609,7-9 (zu Ps 45,18); vgl. auch WA 40 11,376,17-377,1 (zu Ps 51,6). Vgl. WA 40 111,472,13-15 (zu Ps 134,1); vgl. auch WA 40 11,561,7-10 (zu Ps 45,10). Vgl. WA 40 11,272,12 (zu Ps 2,9). Vgl. WA 40 III, 10,3f. (zu Ps 120; Einleitung). Vgl. WA 40 lll,10,3f. (zu Ps 120; Einleitung); vgl. auch WA 40 11,370,1 f. (zu Ps 51,6); WA 40 111,222,12f. (zu Ps 127,1). WA 40 11,379,1 lf. (zu Ps 51,6). WA 40 111,473,3-5 (zu Ps 134,2); vgl. auch WA 40 III,471,12f.; 472,3-5 (zu Ps 134,1). Vgl. z. B. WA 40 11,193,3-194,3 (Einleitung der Vorlesung); 246,9-11 (zu Ps 2,7); 433,1215; 435,1-3; 440,lOf. (zu Ps 51,15); 469,9f. (zu Ps 51,21); WA 40 111,77,11-14 (zu Ps 122,1); 135,4f. (zu Ps 124,1); 403,4-10 (zu Ps 132,7); 471,3-9 (zu Ps 134,1). Vgl. WA 40 111,212,11 f. (zu Ps 127,1 ); 253,3 (zu Ps 127,2). Vgl. WA 40 111,102,1 (zu Ps 122,4).

Die kerygmatische Gestalt des Lobens und Dankens

105

tere Begriffsgruppe ins Auge zu fassen. Es handelt sich um die vielen verschiedenen, äußerst häufig verwendeten Begriffe aus dem Bereich des Lehrens und Lernens, von denen hier „docere", „praedicare", „erudire" und „legere" sowie „discere" und „audire" stellvertretend fur die anderen erwähnt seien. Allein „praedicare" gebraucht Luther in der dritten Psalmenvorlesung wesentlich häufiger als alle Bezeichnungen des Lobens. Anstelle von „praedicare" benutzt Luther in den deutschen Einsprengseln der dritten Psalmenvorlesung übrigens das bereits seit dem 8. Jahrhundert vorhandene Wort „predigen", das eine Entlehnung aus eben jenem Begriff darstellt17. Zu beachten ist nun, daß die Bezeichnungen des Lobens in allen Teilen der Vorlesung immer wieder mit den Begriffen des Lehrens und Lernens verbunden sind. - In der Erläuterung von Ps 2,11 stehen die Begriffe „docere", „praedicare" und „laudare" unmittelbar nebeneinander: „servitus est docere, praedicare, laudare ilium deum, quem adoras."18 [„Dienst bedeutet: den Gott lehren, predigen, loben, den du anbetest."] -

Daß „laudare" an dieser Stelle hauptsächlich im Sinn von „docere" und „praedicare" gemeint ist, zeigt die wenig später auftauchende parallele Bemerkung über den „servitus", die nur noch Begriffe des Lehrens enthält: „Est mera spiritualis servitus, non ut Monachi, quae sit in corde, sed quae ex spiritu procedit, qui loquitur verba, praedicat, docet, exhortatur."19 [„Es ist

17 Vgl. Kluge, Etymologisches Wörterbuch, Art. predigen, 646. Vgl. im Kommentar zu Ps 122,8 die parallel formulierten Äußerungen: a) WA 4 0 111,116,4f.: „... propter illos (= fratres) debet praedicari, regirn et dieb hengen, non propter mundum, qui non dignus, ut ista habeat." [„... um jener (= der Brüder) willen soll gepredigt werden, soll regiert und sollen Diebe gehängt werden, nicht um der Welt willen, die nicht würdig ist, daß sie dieses hat."] b) W A 4 0 111,116,13f.: „ . . . , propter hos (= fratres et proximos) volo predigen, orare, obs alii abutuntur etc." [„... um dieser (= der Brüder und Nächsten) willen will ich predigen und beten, ob es die anderen auch mißbrauchen usw."] Vgl. insbesondere auch W A 4 0 II,442,10-13 (zu Ps 51,16); vgl. WA 4 0 11,253,1 Of. (zu Ps 2,7); 276,9f. (zu Ps 2,10); WA 4 0 III,423,13-15 (zu Ps 132,11); 429,14-16 (zu Ps 132,12); 467,16f. (zu Ps 133,3); 592,13f. (zu Ps 90,17). Es wird also im folgenden „praedicare" mit „predigen" übersetzt. Außerdem wird auf die Übersetzungsmöglichkeit „verkündigen" zurückgegriffen. 18 WA 4 0 Il,285,6f. Vgl. auch WA 4 0 111,12,1 (zu Ps 120; Einleitung). 19 WA 4 0 11,286,7-9. Man muß allerdings bemerken, daß Luther im Kontext zwischen „docere" und „vivere" unterscheidet, daß das „servire Christo" folglich nicht nur das Verkündigen, sondern jegliches Tun in den Ständen umfaßt, sofern es den Geboten Gottes entspricht (vgl. WA 4 0 11,284,9-286,11). „Laudare" könnte sich daher auch auf „vivere"

106

Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

ein rein geistlicher Dienst, nicht einer, der, wie die Mönche sagen, im Herzen ist, sondern der aus dem Geist hervorgeht, welcher Worte spricht, predigt, lehrt und ermähnt."] - Verschmolzen sind der Sinn von „laudare" und der Sinn von „praedicare" zum Beispiel ebenfalls in einer Ausführung zu Ps 51,15, in der der Begriff „erudire" hinzukommt: „Turcae argumentum: Sanctum opus coram deo et hominibus multum gratius est quam sacrificium laudis, quo praedicatur ipsius gratia, forma, qua iustificat peccatores.... Sic te laudabo, ut fructificet laus mea, ut alii erudiantur et multiplicentur per meam praedicationem."20 [„Das Argument des Türken lautet: Ein heiliges Werk ist vor Gott und den Menschen viel angenehmer als das Lobopfer, durch das Gottes Gnade, die Form, durch die er die Sünder rechtfertigt, gepredigt wird. ... So will ich dich loben, daß mein Lob Früchte trägt, daß die anderen durch meine Predigt unterwiesen und vermehrt werden."] Das Loben dient der Unterweisung, hat demnach auch die Gestalt der Unterweisung. -

Im Kommentar zu Ps 45,18 erläutern die Begriffe „praedicare" und „legere" nicht nur „laudare", sondern zusätzlich auch „celebrare": „In novo testamento non cultus quam unicus, praestantissimus, quam celebrare, laudare fílium ilium dei, manifeste cantemus, praedicemus, legamus."21 [„Im Neuen Testament gibt es keinen anderen Gottesdienst als den einzigen und vortrefflichsten, daß man den Sohn Gottes preise und lobe, daß wir öffentlich singen, predigen und lesen."]

- Zu Beginn der Erörterung von Ps 120 knüpft Luther an diese Äußerung an: „Audistis, nostrum docere, praedicare, discere esse praecipuum illum cultum, quo colitur deus in novo testamento et qui est gratior omnibus sacri-

beziehen und demnach einen nonverbalen Vorgang meinen. Gegen eine derartige Deutung von „laudare" an dieser Stelle spricht die enge syntaktische Verbindung mit „docere" und „praedicare": Die drei Infinitive besitzen mit „illum deum" dasselbe Akkusativobjekt. Zusätzlich fallt die Tatsache ins Gewicht, daß man es bei „docere" und „praedicare" mit Synonymen zu tun hat. Die unmittelbare Anbindung von „laudare" an zwei Synonyme läßt den Schluß zu, daß „laudare" eben höchstwahrscheinlich als ein weiteres Synonym anzusehen ist. Der auf „servitus est docere, praedicare, laudare illum deum, quem adoras" folgende Satz „Sicut docuit, vivat etiam etc." (WA 4 0 11,285,7) [„Wie jemand gelehrt hat, soll er auch leben usw."] muß deshalb so verstanden werden, daß sein zweiter Teil mit dem Hinweis auf das „vivere" den Beginn eines neuen Gedankens darstellt. 2 0 W A 4 0 11,437,3-10. Vgl. auch WA 4 0 11,447,15-448,5 (zu Ps 51,17). 21 W A 4 0 11,609,7-9.

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ficiis veteris testamenti. Et ille abunde magnus fructus, si non alius, quod sacrifícamus deo sacrificia laudis. Illam scientiam intelligite, quae antea fuit abscondita. Putavimus legere sacras literas esse rem similem aliis. Iam intelligimus: quicunque legit, audit sacras literas, ille sacerdos dei, sacrificator, qui honorât et glorificai suum deum."22 [„Ihr habt gehört, daß unser Lehren, Predigen und Lernen jener vorzügliche Gottesdienst ist, durch den Gott im Neuen Testament verehrt wird und der angenehmer ist als alle Opfer des Alten Testaments. Und jener ist eine übergroße Frucht, wenn es wirklich nur darum geht, daß wir Gott Lobopfer opfern. Versteht jene Weisheit, die ehemals verborgen war. Wir haben gemeint, eine Vorlesung über die heilige Schrift zu halten, sei eine Sache wie jede andere. Nun verstehen wir: Wer auch immer eine Vorlesung über die heilige Schrift hält oder hört, ist ein Priester Gottes, ein Opferer, der seinen Gott ehrt und verherrlicht."] Hier sind die Wendung „sacrificare deo sacrificia laudis" und die Begriffe „honorare" und „glorificare" von „docere" und „praedicare" beziehungsweise „legere" her zu verstehen. Auffallig ist an diesem Zitat, daß neben den Begriffen des Lehrens mit „discere" und „audire" auch zwei Begriffe des Lernens erscheinen, die den Bezeichnungen des Lobens eine zusätzliche Nuance geben: Zum verbalen Loben in Gestalt der Unterweisung gehört die Rezeption der Unterweisung. - Im Rahmen der Erklärung von Ps 134,1 interpretiert Luther ebenfalls „benedicere deo" im Sinn von „praedicare". Er greift das „benedicite" der Vulgata auf und definiert: ,„Benedicere deo' est proprie praedicare Christum vel praedicare deum in Christo; ... Das heisst ,benedicere': praedicare verbum de Christo, de patre deo mittente Christum, ..." 23 [,,,Benedicere deo' bedeutet eigentlich Christus verkündigen oder Gott in Christus verkündigen; ... Das heißt ,benedicere': das Wort von Christus beziehungsweise von Gott dem Vater verkündigen, der Christus gesandt hat, ..."] Die Beispiele zeigen, daß Luther die Bezeichnungen des wortgebundenen Gotteslobes in der dritten Psalmenvorlesung zu einem großen Teil mit den Begriffen des Lehrens und in deren Folge auch mit den Begriffen des Lernens vertauschen kann.

22 WA 40 111,9,8-10,4. 23 WA 40 111,471,12-18.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Luther versteht das Loben im Sinn des Lehrens; das heißt: das Loben ist formal und intentional auf Menschen ausgerichtet. Dabei geht der theologische Sinngehalt des Lobens keineswegs verloren. Er wird in den Zitaten durch die Nennung Gottes ausdrücklich festgehalten. Luther versteht somit umgekehrt das Lehren zugleich im Sinn des Gott anredenden Lobens; das heißt: das Lehren ist zwar in erster Linie nicht formal, aber doch zu jedem Zeitpunkt intentional auf Gott ausgerichtet. Die Vorgänge des Lobens und des Lehrens beeinflussen sich fur Luther gegenseitig und bilden so eine Einheit. Beide Vorgänge, Gott loben und die Menschen lehren, sind einheitlich als Gott - vorwiegend in der 3. Person-Anrede - rühmende Verkündigung zu begreifen. Der Vorgang des Lobens als Vorgang des Lehrens zielt auf eine Multiplikation des Gotteslobes. Insofern ist das Lehren nicht ohne den Vorgang des Lernens denkbar. Luther versteht das Lernen als positive Antwort auf die Einheit von Lehren und Gott loben. Lernen ist nicht nur ein Vorgang im zwischenmenschlichen Kommunikationsgeschehen, sondern zugleich ein Vorgang im Kommunikationsgeschehen zwischen Mensch und Gott. Das Lernen wird zum Gotteslob, wenn es die Verkündigung als Gott rühmende Verkündigung aufnimmt. Da im Prozeß des Lernens verbales und nonverbales Gotteslob zusammenkommen, soll der Vorgang des Lernens bei der weiteren Analyse des verbalen Lobens (und des verbalen Dankens) in der dritten Psalmenvorlesung nicht weiter berücksichtigt werden. Gleiches gilt für die Gebetsintention des Lehrens, die ebenfalls etwas mit dem nonverbalen Gotteslob zu tun hat24. Von Interesse ist in dieser Phase der Erörterung lediglich das Verständnis des Gotteslobes als objektivierbare, Gott rühmende Verkündigung. Es stellt sich dabei die Frage, inwieweit sich das Rühmen Gottes am Inhalt der Verkündigung ablesen läßt. Welchen Inhalt die Verkündigung in der Summe hat, bringt Luther in der dritten Psalmenvorlesung an einigen Stellen ganz präzise zum Ausdruck. Zu achten ist auf Zusammenfassungen, wie sie Luther in Verbindung mit dem Begriff „praedicare" formuliert. Bei diesen Zusammenfassungen handelt es sich zum einen um einzelne, für sich allein stehende Stichworte, zum anderen um Auflistungen von Stichworten und Stichwortsätzen.

2 4 Es sei in beiden Fällen auf VI.2. und VI.4. verwiesen.

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Luther bringt die Verkündigung in der dritten Psalmenvorlesung auf den Punkt, wenn er von der Verkündigung Gottes25, des Ruhmes Gottes26, des Lobes Gottes27, Gottes in Christus28, des Sohnes Gottes29 beziehungsweise Christi30, des Evangeliums31 beziehungsweise des Evangeliums Christi32, des Wortes33, des Wortes von Christus beziehungsweise von Gott dem Vater, der Christus gesandt hat34, des Wortes der Gnade35, des Wortes des Glaubens36, der Verkündigung der (göttlichen) Barmherzigkeit37 oder etwa der Verkündigung des Glaubens38 spricht. Die Begriffe Gott, Jesus Christus, Gnade und Glaube erscheinen hier abwechselnd als Totalaspekte, denen die jeweils anderen Begriffe und Themen des zu verkündigenden Wortes Gottes untergeordnet sind. Man kann auch sagen: Luther bezeichnet mit ihnen abwechselnd die Mitte der Verkündigung. Zugleich stellen die Begriffe Gott, Jesus Christus, Gnade und Glaube aber auch Partialaspekte des zu verkündigenden Wortes Gottes dar. Als Partialaspekte entfalten sie das Evangelium39 und verweisen auf den Artikel von

25 Vgl. WA 40 11,285,6f. (zu Ps 2,11 ); 433,14f. (zu Ps 51,15); WA 40 II 1,471,6 (zu Ps 134,1 ); 474,13 (zu Ps 134,1 f.). 26 Vgl. WA 40 11,434,9 (zu Ps 51,15). 27 Vgl. WA 40 11,447,16 (zu Ps 51,17). 28 Vgl. WA 40 111,471,13 (zu Ps 134,1). 29 Vgl. WA 40 11,309,1 (zu Ps 2,12); 572,4 (zu Ps 45,11). 30 Vgl. WA 40 11,518,8-10 (zu Ps 45,7); WA 40 111,471,13 (zu Ps 134,1). 31 Vgl. WA 40 11,272,9 (zu Ps 2,9); 549,12 (zu Ps 45,9); WA 40 111,22,15 (zu Ps 120,1); 181,20f. (zu Ps 126,2). 32 Vgl. WA 40 11,563,14f. (zu Ps 45,11). 33 Vgl. WA 40 111,100,13.16 (zu Ps 122,4); 474,4 (zu Ps 134,2). 34 Vgl. WA 40 111,471,17f. (zu Ps 134,1). 35 Vgl. WA 40 11,438,5 (zu Ps 51,15). 36 Vgl. WA 40 111,99,10 (zu Ps 122,4). 37 Vgl. WA 40 II, 194,10 (Einleitung der Vorlesung); 436,4f. (zu Ps 51,15); WA 40 111,473,16 ( z u P s 134,2). 38 Vgl. WA 40 11,590,5 (zu Ps 45,12); WA 40 111,98,16 (zu Ps 122,4). 39 Luther verwendet das Wort „Evangelium" an den angegebenen Stellen (s. Anm. 31 f.) im engeren und im weiteren Sinn. „Evangelium" ist einerseits Teil der Fundamentalunterscheidung „Gesetz und Evangelium" (vgl. WA 40 111,181,15-21 [zu Ps 126,2], wo Luther die befreiende Verkündigung des Evangeliums von der bitteren Botschaft des Mose abgrenzt), andererseits umfaßt es diese Unterscheidung (vgl. ζ. B. WA 40 11,549,11-14 [zu Ps 45,9], wo „Euangelium" und „verbum" einander entsprechen; vgl. auch die interessante Stelle WA 40 11,272,9-273,2 [zu Ps 2,9], wo Luther das Evangelium einen eisernen Stab gegen die nennt, die weiterhin am Gesetz festhalten). Im Blick auf die Unterscheidung „Gesetz und Evangelium", kann man die Zuordnung der Begriffe Gott, Jesus Christus, Gnade und Glaube genauer bestimmen. Sie entfalten in ihrer inhaltlichen Zuspitzung das Evangelium

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der Rechtfertigung40. Neben der Möglichkeit, die Verkündigung in einem einzelnen Begriff zu bündeln, bietet die dritte Psalmenvorlesung fur Luther die Möglichkeit, hin und wieder eine listenartige Inhaltsangabe der Verkündigung vorzunehmen. -

Im Kommentar zu Ps 2,3 findet sich folgende Äußerung: „Tarnen praedicamus libertatem a peccatis, a conscientia, a timore, pavore diaboli, pacem et securitatem cordium, laeticiam in deum, faventem deum, filium dei passum pro nobis."41 [„Dabei predigen wir doch die Freiheit von den Sünden, vom Gewissen, von der Furcht und dem Schrecken des Teufels, den Frieden und

in seiner Unterschiedenheit vom Gesetz, nicht jedoch das Gesetz in seiner Unterschiedenheit vom Evangelium. Wenn Luther die Verkündigung in der dritten Psalmenvorlesung auf den Begriff bringt, bringt er die Überlegenheit des Evangeliums gegenüber dem Gesetz zum Ausdruck. Eine weitergehende Schlußfolgerung wie eine Aussage über die Reihenfolge von Gesetz und Evangelium innerhalb der Verkündigung kann aus Luthers Diktion selbstverständlich nicht abgeleitet werden. Luther beschreibt seine Auffassung von Gesetz und Evangelium in der dritten Psalmenvorlesung übrigens ausführlich im Anschluß an Ps 126,2 (siehe WA 40 111,178,12-181,21) und im Anschluß an Ps 131,2 (siehe WA 40 111,385,9388,3). 40 Daß die Lehre von der Rechtfertigung für die dritte Psalmenvorlesung und darüber hinaus für das gesamte Leben Luthers von grundlegender Bedeutung ist, belegen die prononcierten Formulierungen im Rahmen der Erörterung von Ps 130. Die Auslegung beginnt mit den Worten: WA 40 111,335,5-10: „Iste psalmus est de electissimis et principalibus psalmis, qui tractat ilium principalem locum doctrinae nostrae, nempe iustificationem. Sic enim audistis et sepe praedicatur, quod ille unicus locus conservât Ecclesiam Christi; hoc amisso amittitur Christus et Ecclesia nec relinquitur ulla cognitio doctrinarum et spiritus. Ipse sol, dies, lux Ecclesiae et omnis fiduciae iste articulus." [„Dieser Psalm gehört zu den erlesensten und hauptsächlichsten Psalmen, der den hauptsächlichsten Artikel unserer Lehre behandelt, nämlich die Rechtfertigung. Das habt ihr freilich gehört und das wird oft gepredigt, daß jener einzige Artikel die Kirche Christi bewahrt. Geht dieser verloren, gehen Christus und die Kirche verloren und keinerlei Erkenntnis der Lehren und des Geistes bleibt übrig. Dieser Artikel ist die Sonne, der Tag, das Licht der Kirche und aller Zuversicht."] In bezug auf den Vers 4, den Luther mit dem Rechtfertigungsartikel gleichsetzt, heißt es: WA 40 111,352,1-7: „Sic audivistis heri, quod iste versus sit Summa doctrinae Christianae et ille sol, qui illuminât Sanctam ecclesiam dei, quia isto articulo stante stat Ecclesia, rúente ruit Ecclesia. Ideo saepe inculco, neque potest satis, quia hunc articulum principaliter petit diabolus, ... Ideo bonus pastor principaliter vigilet in hoc etc." [„Ihr habt gestern gehört, daß dieser Vers die Summe der christlichen Lehre ist und die Sonne, die die heilige Kirche Gottes erleuchtet. Wenn nämlich dieser Artikel steht, steht die Kirche, wenn er fällt, fällt die Kirche. Deshalb schärfe ich ihn so oft ein, und es kann nicht genug geschehen, weil der Teufel hauptsächlich diesen Artikel angreift,... Deshalb soll ein rechter Pastor hauptsächlich über diesen Artikel wachen usw."] 41 WA 40 11,214,1-3.

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die Sicherheit der Herzen, die Freude in Gott, einen gnädigen Gott, den Sohn Gottes, der für uns gelitten hat."] Diese Liste hat eine bestimmte Funktion. Sie soll zeigen, daß die reformatorische Verkündigung nicht auf den Umsturz der öffentlichen Ordnung abzielt42. Die Tendenz stellt den Aussagewert der Liste allerdings nicht in Frage. Gerade weil Luther den Vorwurf, subversiv zu sein, zurückweisen will, ist er bestrebt, den Zentralinhalt seiner Verkündigung kurz, aber doch möglichst umfassend wiederzugeben. Die angegebene Liste legt die eruierten Verkündigungsinhalte Gott, Jesus Christus, Gnade und Glaube aus. Luther thematisiert zunächst den Glauben, indem er die glaubende Person beschreibt. Dies geschieht in negativer wie in positiver Hinsicht: Die glaubende Person ist einerseits frei von den Sünden und all ihren Folgen. Sie ist andererseits im Frieden mit Gott verbunden. Das Stichwort „libertas", das am Anfang steht, erinnert an den berühmten Traktat „Von der Freiheit eines Christenmenschen" aus dem Jahr 152043. Der Freiheitstraktat, der im übrigen ebenfalls eine Zusammenfassung der Verkündigung sein will, enthält er doch „die gantz summa eyniß Christlichen leben"44, wie Luther in seinem Sendbrief an Papst Leo X. sagt, bestimmt „Freiheit" als Ergebnis der Rechtfertigung allein durch den Glauben45. Im zweiten Teil der Liste redet Luther von Gott und von Jesus Christus im Blick auf die Gnade. Die Gnade findet dadurch ihre Bestimmung, daß ausschließlich vom gnädigen Gott und vom Leiden seines Sohnes, also von Gottes Heilshandeln für uns die Rede ist. Offensichtlich kann und muß die glaubende Person zum Handeln Gottes kein eigenes Werk beitragen. Sie ist das, was sie ist, aufgrund der exklusiven Gnade. Ohne daß Luther ausdrücklich von der Rechtfertigung spricht, hat er in dieser Liste den Rechtfertigungsartikel als den zentralen Verkündigungsinhalt umrissen.

42 Vgl. WA 4 0 11,214,3-5. 43 WA 7,20-38 (deutsch); 49-73 (lateinisch). 4 4 WA 7,1 l,9f. 45 Zum letzteren vgl. Brecht, Martin Luther I, 389f.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Eine weitere listenartige Inhaltsangabe der Verkündigung erscheint in der dritten Psalmenvorlesung im Kommentar zu Ps 122,4. Hier handelt es sich um zwei mit geringfügigem Abstand aufeinander folgende Listenstücke, die einander ergänzen. Das erste Listenstück lautet folgendermaßen: „Sed ad hoc, ut praedicetur vox et verbum fidei, quid sit deus, velit facere, minetur impiis, promittat piis."46 [„Sondern darum geht es, daß die Stimme und das Wort des Glaubens gepredigt wird, nämlich was Gott ist, was er tun will, was er den Gottlosen androht und was er den Frommen verheißt."] Das zweite Listenstück heißt: „..., Sed quando praedicatur verbum fidei, remissio peccatorum, promissiones divinae, quomodo homo eripiatur de peccato, morte et manibus diaboli, das ist ein böser ris in ein gut tuch."47 [„... Aber wenn das Wort des Glaubens gepredigt wird, nämlich Vergebung der Sünden, die göttlichen Verheißungen, wie der Mensch der Sünde, dem Tod und den Händen des Teufels entrissen wird, dann ist das wie ein böser Riß in ein gutes Tuch."]

Wie die obige Liste so haben auch diese beiläufig formulierten Stücke eine bestimmte Tendenz. Luther beschreibt in ihnen die Verkündigung unter dem Begriff des Glaubens, um zum Ausdruck zu bringen, daß Gott als Gegenstand der Verkündigung eine „res ... absens"48 [„abwesende Sache"] beziehungsweise eine „res abscondita"49 [„verborgene Sache"] ist. Aber auch hier kann von der besonderen Tendenz der Aussagen abgesehen werden. Wenn Luther Gott als Thema der Verkündigung nennt und daraufhin Gott in seinem Verhältnis zu den Menschen beschreibt, dann kann damit nur der Zentralinhalt der Verkündigung gemeint sein50. Im ersten Listenstück setzt Luther die Frage nach dem Wesen Gottes an die oberste Stelle. Damit bekundet Luther nicht etwa ein Interesse an einer spekulativen Gotteserkenntnis, die allem anderen gleichsam vorzuschalten wäre. Er

46 47 48 49 50

WA 4 0 111,99,1 f. WA 4 0 111,99,17-100,2. W A 4 0 111,98,13. WA 4 0 111,99,3. Im Grunde greift Luther seinen eigenen berühmten Definitionssatz zum „subiectum theologiae" auf, den er im Rahmen der Erklärung von Ps 51,2 mitgeteilt hatte: W A 4 0 Il,328,lf.: „ . . . , ut proprie sit subiectum Theologiae homo reus et perditus et deus iustificans vel salvator." [„..., so daß der Gegenstand der Theologie eigentlich der schuldige und verlorene Mensch und der rechtfertigende Gott oder Gott der Retter ist."] Vgl. o. IV., Anm. 31.

Die kerygmatische Gestalt des Lobens und Dankens

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denkt hier wahrscheinlich nicht einmal an die Trinitätslehre. Bereits im Rahmen der Erörterung von Ps 51,19 hatte Luther die Frage nach dem Wesen Gottes in bezug auf die Verkündigung angesprochen. Es hieß: „Ex hoc fit praedicator, qui novit dicere, quid sit deus, quod sola gratia, favor, Respector humilium, afflictorum, tristium."51 [„Dadurch wird man zum Prediger, der zu sagen weiß, was Gott ist, daß er nur Gnade ist und Gunst, einer, der auf die Niedrigen, Elenden und Betrübten sieht."] Luther hatte innerhalb dieser Formulierung die Frage nach dem Wesen Gottes mit dem Hinweis auf die Gnade Gottes beantwortet. Die Frage nach der Gnade und die Frage nach dem Wesen Gottes wurden somit von Luther als identische Fragen angesehen. In ähnlicher Weise wird man nun das erste Listenstück verstehen müssen. Die Frage nach dem Wesen Gottes geht in die Frage nach seinem Tun und in die Frage nach seinem Reden auf. Das zweite Listenstück knüpft an das erste an. Luther erläutert in ihm das Tun und Reden Gottes, indem er wie schon oben von der Befreiung des Menschen spricht, wobei er diesmal die feindliche Trias Sünde, Tod und Teufel anführt. Obwohl Luther in den beiden Listenstücken weder namentlich auf Christus eingeht noch den Begriff der Gnade benutzt und auch wieder nicht den Terminus der Rechtfertigung verwendet, skizziert er doch auch hier den Rechtfertigungsartikel. Den aktivischen Aussagen in bezug auf Gott steht nur eine passivische Aussage - nämlich „eripiatur" - in bezug auf den Menschen gegenüber. Gottes Tun und Reden zur Befreiung des Menschen kann der Mensch nur „erleiden". Er kann es nur an sich geschehen lassen. Und er braucht es nur an sich geschehen zu lassen. Dies eben ist der Kern der Rechtfertigungslehre. Überblickt man die verschiedenartigen Zusammenfassungen des Verkündigungsinhalts, die Luther mit Hilfe des Begriffs „praedicare" im Verlauf der dritten Psalmenvorlesung mitteilt, so bemerkt man, daß sie schließlich allesamt auf den Artikel von der Rechtfertigung hinweisen. Berücksichtigt man zudem noch die grundsätzlichen Ausführungen zu Ps 130, in denen Luther die Lehre von der Rechtfertigung zum Hauptartikel der Verkündigung erklärt52, dann wird man hinsichtlich der dritten Psalmenvorlesung sehr wohl annehmen dürfen, daß

51 WA 40 11,464,1 f. 52 S. o. Anm. 40.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Luther in ihr Verkündigung immer wesentlich als Verkündigung der Rechtfertigungsbotschaft auffaßt. Dies Ergebnis hat Konsequenzen für das Verständnis des Lobens als Gott rühmende Verkündigung. Das Loben und Rühmen Gottes kommt inhaltlich offensichtlich im alles bestimmenden Rechtfertigungsartikel zum Ausdruck. Gott wird gelobt und gerühmt, indem die Rechtfertigung des Sünders allein durch die Gnade Gottes und allein durch den Glauben an den Sohn Gottes verkündigt wird. Der Zusammenhang zwischen Gotteslob und Rechtfertigungslehre in bezug auf die Verkündigung ist hier auf systematischem Weg erschlossen worden. Wie die folgenden Beispiele deutlich machen, wird die systematische Betrachtung durch Stellen innerhalb der dritten Psalmenvorlesung bestätigt und vertieft, an denen Begriffe des Lobens, die im Sinn des Verkündigens gemeint sind, in unmittelbarer Nähe von Rechtfertigungsthematik auftauchen. Die Begriffe des Lobens erhalten in diesen Beispielen durch die eindeutige Verbindung mit der Rechtfertigungsbotschaft jeweils eine unbestreitbare inhaltliche Plausibilität. -

Im Kontext des oben besprochenen Satzes aus der Erörterung von Ps 2,11 „servitus est docere, praedicare, laudare ilium deum, quem adoras" 53 [„Dienst bedeutet: den Gott lehren, predigen, loben, den du anbetest"] rekurriert Luther auf die vorreformatorische Verkündigung und vergleicht diese mit seiner jetzigen Verkündigung. Er sagt: „Nos sub Papa adoravimus S. Georgium et alios, quasi ab eis acceperimus etc. Postea missi: munus eorum, exempla praedicavimus; sed agnosce, omnia a deo data, deinde nullius Sancti praecepta, verba docebis, sed dei."54 [„Wir haben unter dem Papst St. Georg und andere angebetet, als ob wir von ihnen empfangen hätten usw. Danach wurden wir von ihnen gesandt: Wir haben ihre Leistung und ihr Vorbild gepredigt. Aber erkenne nur, daß alles von Gott gegeben ist, dann wirst du keines Heiligen Gebote und Worte mehr lehren, sondern statt dessen Gottes Gebote und Worte."]

53 S. bei Anm. 18f. 54 WA 4 0 11,285,3-6.

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Luther geht hier davon aus, daß der Gegenstand der Verkündigung sich vom Gegenstand der Anbetung55 ableitet. Man verkündigt das, was man anbetet. Einstmals betete Luther die Heiligen an. Seine Verkündigung bestand folglich im öffentlichen Eintreten für die Heiligenverehrung und somit im Eintreten für das Konzept der Werkgerechtigkeit. Nun betet Luther Gott an. Seine Verkündigung besteht jetzt im öffentlichen Eintreten für die Gottesverehrung. Als Grund für die reformatorische Auffassung der Anbetung und der Verkündigung nennt Luther die Erkenntnis „omnia a deo data". Die Aussage „omnia a deo data", die den Rechtfertigungsartikel in seiner allgemeinsten Form darstellt, dient dabei zugleich als Hinweis auf den Inhalt der Verkündigung. Die reformatorische Verkündigung schreibt dem Wirken des Menschen nichts, dem Wirken Gottes aber alles zu56. Der Begriff „laudare" bezeichnet als Begriff des Verkündigens das „Gott loben", das sich mit der Verkündigung vollzieht, wenn diese dem Wirken des Menschen nichts, dem Wirken Gottes jedoch alles zuschreibt. -

In der ebenfalls bereits angesprochenen Äußerung aus dem Kommentar zu Ps 51,15 „Turcae argumentum: Sanctum opus coram deo et hominibus multum gratius est quam sacrificium laudis, quo praedicatur ipsius gratia, forma, qua iustificat peccatores"57 [„Das Argument des Türken lautet: Ein heiliges Werk ist vor Gott und den Menschen viel angenehmer als das Lobopfer, durch das Gottes Gnade, die Form, durch die er die Sünder rechtfertigt, gepredigt wird"] läßt Luther in der Gestalt eines den Gegnern in den Mund gelegten Satzes den Bezug zwischen Gotteslob und Rechtfertigungslehre noch wesentlich klarer sichtbar werden.

Der Rechtfertigungsartikel erscheint mit den Worten „gratia, ... qua iustificat peccatores". Dies ist wiederum eine knappe Formel, die aber im Gegensatz zu der Wendung „omnia a deo data" aus einer Ballung der einschlägigen theologischen Termini besteht, wobei insbesondere die Verwendung des Zentralbegriffs „iustificare" ins Auge fallt.

55 Das Thema „Anbeten" wird in VI.2.a)aa) behandelt. 56 Zum Begriff „ascribere" [„zuschreiben"] im theologischen Zusammenhang bei Luther vgl. W A 4 0 111,137,12-138,3 (zu Ps 124,1); 144,5-10 (zu Ps 124,5). 57 S. bei Anm. 20.

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Die reformatorische Verkündigung treibt den Rechtfertigungsartikel so, daß sie dem menschlichen Werk seine rechtfertigende Funktion abspricht und die Rechtfertigung des Sünders nur auf die Gnade Gottes zurückfuhrt. Sie ist offensichtlich deshalb als ein „sacrificium laudis" anzusehen, weil sie auf diese Weise Gott für den Menschen konkurrenzlos wichtig macht. -

Ein weiteres Beispiel für die Tatsache, daß das im Sinn des Verkündigens zu verstehende Loben inhaltlich im Rechtfertigungsartikel begründet ist, findet sich in der Erläuterung zu Ps 51,17. Luther bringt hier den Rechtfertigungsartikel nicht durch eine Formel, sondern hauptsächlich durch die Wortfamilie „iustificare", „iustitia", „iustificatio" ein: ,„ Virtus' annunciatur, opus tuum, iustitia, so gilts mortem et resurrectionem. Si iustificatus ghet hin durch laudem dei praedicare, est se immittere periculis diaboli, mundi, carnis et omnium malorum, quia deus non potest laudari, nisi nos ista damnemus. Sed si praedico laudem meam, O yhe, lieben freunde, qui est in societate, fraternitate Rosarii, non potest perire, qui Invocaverit beatam Virginem Barbaram, non potest perire sine Sacramento. Ibi laudo meas laudes, i. e. Si hoc fecero, kan ich mir selbs helffen. Ibi non remissio peccatorum gratuita. Ideo hilff du, domine, ut, quod didici, nempe gratiam, iustificationem, possim confidenter docere, quod tu solus laudabilis, gloriosus in sécula."58 [„Wenn ,deine Kraft', dein Werk, deine Gerechtigkeit verkündigt wird, gilt es Tod und Auferstehung. Wenn der Gerechtfertigte einhergeht, das Lob Gottes zu predigen, bedeutet es, daß er sich den Gefahren des Teufels, der Welt, des Fleisches und aller Übel aussetzt, weil Gott nicht gelobt werden kann, wenn wir jenes nicht verdammen. Aber wenn ich mein Lob predige, oje, ihr lieben Freunde, wer in der Gesellschaft, in der Bruderschaft des Rosenkranzes ist, kann ja nicht verloren gehen. Wer die selige Jungfrau Barbara angerufen hat, kann ja nicht ohne das Sakrament verloren gehen. Dort lobe ich mein Lob, das heißt, wenn ich dies getan habe, kann ich mir selbst helfen. Dort ist die Vergebung der Sünden nicht umsonst. Deshalb hilf du, Herr, daß ich mutig lehren kann, was ich gelernt habe, nämlich die Gnade und Rechtfertigung, daß du allein zu loben und zu rühmen seist in alle Ewigkeit."]

58 W A 4 0 11,447,14-448,8.

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Das Zitat ist höchst aufschlußreich, da Luther an dieser Stelle „laudare deum" beziehungsweise „laudem dei praedicare" mit „opus dei" beziehungsweise „iustitia dei annunciare" gleichsetzt. Dadurch kommt besonders deutlich zum Ausdruck, daß er das verkündigende Gotteslob als Verkündigung der göttlichen Rechtfertigungsgnade begreift. Der kritische Hinweis auf das Eigenlob des Menschen unterstreicht dieses Verständnis des Gotteslobes nur. Das Gotteslob schließt das menschliche Eigenlob unter allen Umständen kategorisch aus, weil sich das menschliche Eigenlob auf ein Selbsthilfeprogramm gründet, das die freie Gnade Gottes in Frage stellt. Als legitime Möglichkeit der menschlichen Verkündigung kann in jedem Fall nur jene Variante gelten, der es unbedingt darauf ankommt, Gott in seinem Rechtfertigungshandeln uneingeschränktes Ansehen zu verschaffen. Die reformatorische Verkündigung ist exklusives Gotteslob, weil ihr alles an der exklusiven Rechtfertigungsgnade liegt59. Durch den Gang der Analyse gelangt man zu der Einsicht, daß das verkündigende Gotteslob bei Luther nicht verstanden werden kann, wenn nicht berücksichtigt wird, welch immense Bedeutung die Rechtfertigungslehre für Luther hatte. An dieser Stelle erhebt sich möglicherweise Widerspruch. Man könnte bemängeln, Luthers Hochschätzung des ersten Glaubensartikels sei außer acht gelassen worden. So sei zur Ergänzung und Absicherung des bisher Gesagten noch ein Abschnitt aus dem Kommentar zu Ps 2,11 zitiert, in dem Luther den Inhalt des Lobens (zunächst im Blick auf das erste Gebot) wie folgt thematisiert: - „Num non debeo deum laudare, quod creaverit coelum et terram? Nolo. In meo propiciatorio invenies me. Ibi sum deus, qui eduxit etc. Si ilium deum habes, tum invenies Creatorem coeli et terrae. Sic hic: Si volumus invenire deum coeli et terrae, caveas ab omnibus cogitationibus, quod coelum, terram creaverit, sed in Christo inveniemus eum, quia placuit divinitatem in ,plenitudinem divinitatis' etc. Die gantze Gottheit ist weg genomen von Son, mond, himel, erden et omnibus etc. et , habitat in eo corporaliter'. Extra Christum non est salus."60 [„Soll ich denn Gott etwa nicht loben, daß er

59 Als weitere Beispiele, die belegen, daß das Gotteslob der Verkündigung von der Rechtfertigungslehre her erklärt werden kann, seien auch noch WA 40 11,609,6-13 (zu Ps 45,18) und WA 40 111,353,13-354,12 (zu Ps 130,4) genannt. 60 WA 40 11,305,1-8.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Himmel und Erde geschaffen hat? Ich will es nicht. In meinem Versöhnungsmittel wirst du mich finden. Dort bin ich Gott, der herausgeführt hat usw. Wenn du jenen Gott hast, dann wirst du den Schöpfer des Himmels und der Erde finden. So hier: Wenn wir den Gott des Himmels und der Erde finden wollen, hüte dich vor allen Gedanken, daß er den Himmel und die Erde geschaffen hat; aber freilich in Christus werden wir ihn finden, weil es ihm gefallen hat, daß die Gottheit in der ,Fülle der Gottheit' usw. Die ganze Gottheit ist weggenommen von Sonne, Mond, Himmel, Erde und allen (Kreaturen) usw. und ,wohnt in ihm leibhaftig' (Kol 2,9). Außerhalb von Christus gibt es kein Heil."] Es ist zwar nicht ganz klar, ob Luther an dieser Stelle „laudare" als einen Begriff der Verkündigung gebraucht. Da er den Inhalt des Lobens jedoch lehrmäßig entfaltet, kann man davon ausgehen, daß das, was hier über das Loben gesagt wird, gewiß auch für das Loben im Sinn des Verkündigens zutrifft, unabhängig davon, wie „laudare" im Kontext der Auslegung, in der es um die „adoratio filii" [„Anbetung des Sohnes"] geht61, genauer zu verstehen ist. Luther lehnt hier den ersten Glaubensartikel als isolierten Inhalt des Gotteslobes ab. Die Kritik erwächst aus der Erkenntnis, daß Gott nicht über die Schöpfung, sondern nur über sein „propiciatorium", sprich Christus, gefunden werden kann. Mit dem Hinweis auf den alles überragenden Stellenwert der Versöhnung durch Christus gibt Luther zu verstehen, daß der erste Glaubensartikel mit Hilfe des zweiten Glaubensartikels beziehungsweise des Rechtfertigungsartikels62 zu interpretieren ist. Der erste Artikel findet sich bei Luther sehr wohl noch im Zentrum des verkündigenden Gotteslobes, allerdings eben nur so, daß der zweite Artikel beziehungsweise der Rechtfertigungsartikel ihn zugleich erschließt63. Da es kein anderer als der Schöpfer des Himmels und der Erde ist, der in Christus gefun-

61 Vgl. W A 4 0 11,297,5-312,3 (zu Ps 2,11 f.). Zum Stichwort „adoratio" beziehungsweise „adorare" s. u. VI.2.a)aa). 62 Daß hier der Rechtfertigungsartikel mit dem zweiten Glaubensartikel verbunden werden, geschieht mit Blick auf das Zitat. Es ist natürlich klar, daß der Rechtfertigungsartikel bei Luther nicht nur im zweiten, sondern insbesondere auch im dritten Glaubensartikel verankert ist. 63 Der Rechtfertigungsartikel legt bei Luther alle drei Glaubensartikel aus. Vgl. hierzu zum Beispiel Luthers Erklärung der Glaubensartikel im Kleinen Katechismus aus dem Jahr 1529 (BSLK 511,3-8.27-36; 511,46-512,10; vgl. Peters, Rechtfertigung, 36f.).

Die kerygmatische Gestalt des Lobens und Dankens

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den wird, ist der erste Glaubensartikel immer mit angesprochen, wenn es bei Luther um den zweiten Artikel oder um den Rechtfertigungsartikel geht. Das Ergebnis der Überlegungen zu den Begriffen, die innerhalb der dritten Psalmenvorlesung das wortgebundene Loben bezeichnen, läßt sich in zwei Punkten zusammenfassen: a) Das Verschmelzen der Begriffe des Lobens und des Verkündigens in der dritten Psalmenvorlesung zeigt zum einen, daß das Loben für Luther in diesen Zusammenhängen eine kerygmatische Gestalt besitzt. b) Das Verschmelzen der Begriffe des Lobens und des Verkündigens in der dritten Psalmenvorlesung zeigt zum anderen, daß die kerygmatische Gestalt des Lobens ihr inhaltliches Profil durch die Rechtfertigungslehre gewinnt. Das Loben ist in seiner kerygmatischen Gestalt ein Vorgang, der Gott mit Hilfe des Rechtfertigungsartikels vor den Menschen rühmt, indem er ihm im Sinn des Rechtfertigungsartikels alles zuschreibt. Diese erste Bestimmung des wortgebundenen Lobens fuhrt jetzt zur ersten Bestimmung dessen, was Luther in der dritten Psalmenvorlesung unter dem Vorgang des wortgebundenen Dankens versteht.

b) Danken Für die Erforschung des verbalen religiösen Dankens in der dritten Psalmenvorlesung sind beispielsweise jene Stellen von Belang, an denen Luther die Bezeichnungen des Dankens zugleich mit den Bezeichnungen des Lobens und den Begriffen des Lehrens verbindet. Schon in der Einleitung der Vorlesung spricht Luther mit dem Satz „Omnis praedicatio vel lectio sacrae theologiae est ipsum verissimum sacrificium laudis vel Eucharistia vel gratiarum actio,.. ,"64 [„Jede Verkündigung oder Lesung der heiligen Theologie ist eigentlich ein wirklich wahres Lobopfer oder eine Eucharistie oder eine Danksagung,..."] die Vorgänge des Dankens und des Lobens in gleicher Weise an. Oben65 wurde dieser Satz so, wie er von Luther vorrangig

64 WA 40 11,193,2f. 65 S . I V .

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

intendiert war, nämlich als Aussage über Verkündigung und Theologie, betrachtet. Nun kommt die in dieser Aussage enthaltene Aussage über das Danken und das Loben in den Blick: Wenn Danken und Loben Charakteristika der Verkündigung darstellen, dann stellt umgekehrt die Verkündigung das Charakteristikum der hier gemeinten spezifischen Art des Dankens und der hier gemeinten spezifischen Art des Lobens dar. Bezüglich der Frage nach dem Danken, das oben66 noch nicht vom Loben unterschieden werden konnte und sollte, ergibt sich sehr schön, daß das Danken wie das Loben eine kerygmatische Gestalt annehmen kann67. Des öfteren spricht Luther in der dritten Psalmenvorlesung vom Danken im Zusammenhang mit dem Lehren, ohne zugleich vom Loben zu reden. -

Luther paraphrasiert beispielsweise Ps 51,15 mit folgenden Worten: „Ista mea servitus, quae tibi gratias aget: Docebo de te."68 [„Dies ist mein Dienst, der dir Dank sagt: Ich will lehren von dir."] Die Aussage über die Verkündigung beziehungsweise den Verkündigungsdienst impliziert wiederum die Aussage über das Danken: Hat die Verkündigung den Charakter der Danksagung, dann hat die Danksagung die Form der Verkündigung. - Gleiches gilt im Blick auf eine Ausführung zu Ps 45,10 beziehungsweise Offb 5,8, die wie folgt lautet: ,„Cytharae' sunt praedicationes, gratiarum actiones per totam Ecclesiam. Omnis praedicator Christi est Cytharista dei celestis. Sic habent Thymiamata. quia hec duo principalia in Ecclesia, prae-

66 S. IV. 67 Vgl. die in der Einleitung wenig später auftauchende Formulierung in WA 4 0 11,194,9-11. Vgl. ebenfalls WA 40 111,471,6-11 (zu Ps 134,1). In Luthers Schrift „Summarien über die Psalmen und Ursachen des Dolmetschens", an der er von 1531 bis November 1532, aber hauptsächlich im Sommer 1532, arbeitete (vgl. zur Datierung WA 38,2f.; Brecht, Martin Luther 111,110), findet sich übrigens eine Stelle, an der die besagten Begrifflichkeiten in Form einer Aufzählung miteinander verbunden sind. Zu Ps 51 heißt es in W A 38,36,3237,4: „ . . . , Darnach, wenn wir aus gnaden und geist widderumb new worden sind, als denn kan man recht leren, loben, dancken, predigen, ia auch leiden und creutz tragen, Weichs alles er auch die rechten opffer und Gottes dienst nennet und verwirfft die andern opffer alle, so on solche opffer von den tollen heiligen geschehen, ..." Lehren, Loben, Danken, Predigen, Leiden und Kreuz tragen werden hier allesamt als Opfer bezeichnet, wobei Luther das Leiden und Kreuz tragen deutlich vom Lehren, Loben, Danken und Predigen abhebt. Bei der Wortgruppe „leren, loben, dancken, predigen" fällt auf, daß „loben" und „dancken" durch zwei Begriffe des Lehrens gerahmt werden. Man muß daher schließen, daß sowohl „loben" als auch „dancken" im Sinn des Lehrens aufzufassen sind. 68 WA 4 0 11,440,1 Of.

Die kerygmatische Gestalt des Lobens und Dankens

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dicare et orare. ... Das sind nostra officia, quae pertinent ad deum, quibus sumus sacerdotes."69 [„Die ,Harfen' sind die Predigten, die Danksagungen in der ganzen Kirche. Jeder Prediger Christi ist ein himmlischer Harfenspieler Gottes. So haben sie Räucherwerk. Denn diese beiden Dinge sind die hauptsächlichsten in der Kirche: Predigen und Beten. ... Das sind unsere Dienste, die sich auf Gott beziehen, durch die wir Priester sind."] Luther zitiert hier die „Cytharae" und die „Thymiamata" aus Offb 5,8 und deutet diese als Bilder fur die beiden Hauptstücke der Kirche. Da das Stichwort „gratiarum actiones" nicht den „Thymiamata", sondern den „Cytharae" zugeordnet ist, darf es nicht unter „orare", sondern muß unter „praedicare" eingeordnet werden und stellt folglich eine Interpretation von „praedicationes" dar. Die Begriffe „praedicare" und „praedicationes" sind prima facie nicht im Sinn des Gebets zu verstehen, da sonst die Rede von den beiden hauptsächlichen Vorgängen in der Kirche unsinnig wäre. Die Interpretation von „praedicationes" durch das Stichwort „gratiarum actiones" ist an diesem Ort also nötig, um den formal nicht erkennbaren Gebetscharakter der Verkündigung hervorzuheben. -

Im Zusammenhang der Erklärung von „os" in Ps 126,2 apostrophiert Luther die Verkündigung ein weiteres Mal als Danksagung. Luther definiert: ,„Os' e t , lingua' significant semper praedicationem; linguam ministri accipit pro actu linguae, praedicatione, doctrina."70 [,„Mund' und ,Zunge' bezeichnen immer die Predigt; die Zunge des Dieners (am Wort) nimmt er (= der Psalmist) für die Tätigkeit der Zunge, fur die Predigt, für die Lehre."] Aufgrund dieser Definition, die ausschließlich auf den Verkündigungsdienst abzielt, ist „gratias agere" in der vorhergehenden Aufzählung ,„Os': i. e. praedicando, docendo, gratias agendo nihil auditur quam Summa letitia vocis" 71 [,„Mund': das heißt, durch Predigen, Lehren und Danksagen hört man nichts anderes als die höchste Freudenstimme"] ohne Zweifel als eine Bezeichnung für das Predigen und Lehren anzusehen.

In den bisher genannten Beispielen muß die Aussage über das Danken aus der Aussage über das Verkündigen abgeleitet werden, weil es Luther jeweils daran

6 9 WA 4 0 11,554,6-10. 70 WA 4 0 111,182,6-8. 71 W A 4 0 III,182,lf.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

liegt, das Verkündigen mit Hilfe des Dankens und nicht das Danken mit Hilfe des Verkündigens zu erläutern. An anderer Stelle innerhalb der dritten Psalmenvorlesung akzentuiert Luther Danken und Verkündigen allerdings auch in umgekehrter Weise. -

Eine Formulierung zu Ps 124,1 lautet folgendermaßen: „Ideo in ea gratiarum actione erudit eos et optat, ut Israel agnoscat hoc miraculum."72 [„Daher unterweist er (= David) sie in dieser Danksagung und wünscht, daß Israel dieses Wunder erkennt."]

„Gratiarum actio" steht hier für Luther im Vordergrund, da er den Ps 124 als einen Dankpsalm auslegt7". In diesem Satz benutzt Luther nicht den Begriff des Dankens, um die Ausrichtung auf Gott in die Begriffe des Verkündigens hineinzuschreiben. Luther benutzt einen Begriff des Verkündigens, um die Ausrichtung auf die Mitmenschen in den Begriff des Dankens einzuzeichnen74. Daß Luther hier das Verkündigen nicht nur als die mehr oder weniger verborgene Intention der Danksagung hervorhebt, sondern von der Verkündigung als der Form der Danksagung ausgeht, ergibt sich aus seinem Hinweis auf die Apostrophe in Vers 175, vor allem aber aus der Abgrenzung, die er im Blick auf den Vers 6 des besagten Psalms vornimmt. Mit den Worten „Iam ghet proprie gratitudo an cum suis propriis verbis. Ibi non est exhortator nec erudit: ,Discat Israel'" 76 [„Nun beginnt eigentlich erst die Danksagung mit (Davids) eigenen Worten. Da ist er kein Ermahner mehr und unterweist nicht mehr: ,Israel lerne'"] unterscheidet er die Danksagung im ersten Teil des Psalms von einem folgenden „eigentlichen" Danken77. Die angegebenen Stellen, die aus ganz unterschiedlichen Teilen der dritten Psalmenvorlesung stammen, erlauben den allgemeinen Schluß, daß nach dem

72 W A 4 0 III,136,5f. Im Kontext verbindet Luther hier übrigens wieder die Begriffe des Dankens und des Lobens miteinander. Siehe WA 4 0 111,136,8-10; 135,4f. (zu Ps 124,1). 73 Vgl. W A 4 0 III,134,5f.; 136,8-10; 149,16-150,2; 152,6f. 74 Dies geschieht auch in W A 4 0 111,144,5-8 (zu Ps 124,5); 320,7-9 (zu Ps 129,3); 462,9-13 ( z u P s 133,1). 75 Siehe W A 4 0 111,136,8f.: „In ipso exordio gratiarum actionis mox vertit et apostrophen facit ad populum suum, ut agnoscat hoc miraculum;..." [„Am Anfang der Danksagung wendet er sich alsbald und macht eine Apostrophe zugunsten seines Volkes, daß es dieses Wunder erkennen m ö g e ; . . . " ] 76 W A 4 0 111,145,1 lf. 77 Zum „eigentlichen" Danken vgl. V1.2.b).

Die kerygmatische Gestalt des Lobens und Dankens

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Sprachgebrauch der dritten Psalmenvorlesung nicht nur das Loben, sondern auch das Danken für Luther ein kerygmatischer Vorgang sein kann. Ob Luther die Vorgänge des Lobens und des Dankens in der dritten Psalmenvorlesung zugleich oder getrennt voneinander anspricht, ist offenbar für die Frage nach ihrer kerygmatischen Form unerheblich. Allerdings könnte die Tatsache, daß die Begriffe des Dankens und des Lobens nicht notwendig zusammenstehen müssen78, ein Indiz dafür sein, daß die beiden kerygmatischen Vorgänge in inhaltlicher Hinsicht voneinander abweichen. Die Vermutung macht neugierig auf die Frage nach dem Inhalt des Dankens, das sich in kerygmatischer Gestalt äußert. Die für diesen Zusammenhang wichtigste Stelle der dritten Psalmenvorlesung begegnet in der Erläuterung von Ps 51,15. Da sie ziemlich aufschiußreich ist, sei sie ausführlich zitiert. - Luther sagt: „Prioribus versibus satis declaravit suam experientiam, quod iustificatus sine suis operibus. Ideo non novit opus, quo velit deo reddere aliquid, nisi postquam me recrearis, ut gratias agam publice. Du solt ya auch ankörnen, si vis publice praedicare deum et gratias agere. Cur non potius vadis ad S. Iacobum et indueris cuculio? sicut docti sumus nos, quod Monachatus sit vice alterius baptismi. Sicut Ieronymus, quod altera tabula post baptismum sit poenitentia. Iste est optimus ordo post iustificationem et acceptam gratiam, donatam remissionem peccatorum. Agere gratias deo: hoc suum donum amplificare et erudire per hoc omnes homines ad eandem gratiam. Sic Christus, cum sanat: ,Vade et narra, quanta deus' etc. Item: ,Abiit in domum suam laudans.' Alibi: ,Prohibebat, ne quid diceret; quo plus prohibebat, hoc magis praedicabat.' Das sind principalia opera, quae sequuntur arborem novam factam, ut gloriam dei praedicaret in se ostensam. Item: ,Tu sine mortuos etc., tu vade et annuncia regnum.' hoc vult eum facere. Sic renatus nihil habet, quod praestantius faciat, quam gratias agere. Sic quicquid vixerimus post iustificationem, debet nihil sonare quam misericordiam. Et ideo iustificat nos, ut ostendat in nobis suam misericordiam et misereatur desperatis. Post iustificationem proximum, primum, eternum et principale et

78 Vgl. hier auch die in VI.I.a) besprochenen Zitate, in denen Luther die kerygmatische Gestalt des Lobens bezeichnet. Der Begriff des Dankens fehlt im engeren Kontext von WA 4 0 11,285,6f. (zu Ps 2,11); 437,3-10 (zu Ps 51,15) sowie im engeren und weiteren Kontext von WA 4 0 11,609,7-9 (zu Ps 45,18); WA 4 0 111,9,8-10,4 (zu Ps 120; Einleitung).

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

continuum opus est agere gratias deo et hanc ipsam gratiam praedicare." 79 [„In den vorhergehenden Versen hat er (= David) genugsam seine Erfahrung erklärt, daß er ohne seine Werke gerechtfertigt worden ist. Daher kennt er nun kein Werk, mit dem er Gott etwas zurückgeben will, außer das eine, daß ich, nachdem du mich neu geschaffen hast, öffentlich Dank sage. Du sollst j a auch etwas bewerkstelligen, wenn du öffentlich Gott verkündigen und Dank sagen willst. Warum gehst du nicht lieber zu St. Jakobus und ziehst dir eine Kutte an, wie wir gelehrt worden sind, daß der Mönchsstand eine zweite Taufe sei? Wie Hieronymus sagt, daß die zweite Tafel nach der Taufe die Buße sei. Das ist der beste Stand nach der Rechtfertigung und empfangenen Gnade, nach der geschenkweise verliehenen Vergebung der Sünden: Gott Dank sagen: Diese seine Gabe groß machen und dadurch alle Menschen zu derselben Gnade unterweisen. So sagt Christus, als er heilt: ,Geh und erzähle, wie große Dinge Gott' usw. (Mk 5,19; Lk 8,39) Desgleichen: ,Er ging weg in sein Haus und lobte.' (Lk 5,25; vgl. Lk 2,20) An einer anderen Stelle: ,Er verbot ihm, etwas zu sagen; j e mehr er aber verbot, desto mehr verkündigte er.' (Mk 7,36; vgl. Mt 9,30f.; Mk l,44f.) Das sind die hauptsächlichsten Werke, die dem Baum folgen, der neu geschaffen ist, daß er Gottes Ruhm verkündigt, der an ihm gezeigt wurde. Desgleichen: ,Laß du die Toten usw., geh du und verkündige das Reich.' (Lk 9,60) Das will er machen. So hat der Wiedergeborene nichts, was er vortrefflicher machen kann, als Dank sagen. So soll alles, was wir nach der Rechtfertigung leben, nichts als die Barmherzigkeit rühmen. Und daher rechtfertigt er uns, daß er an uns seine Barmherzigkeit zeige und sich über die Verzweifelten erbarme. Das nächste, erste, ewige und hauptsächlichste und unaufhörliche Werk nach der Rechtfertigung ist Gott Dank sagen und eben diese Gnade verkündigen."] Ausgangspunkt ist hier zunächst wieder nicht das Danken, sondern das im Psalmvers thematisierte Lehren und Verkündigen. Luther interpretiert das „docere" der Vulgata als „gratias agere publice". Im Zuge dieser Interpretation rückt dann allerdings das Danken ganz und gar in den Vordergrund. Es kommt zu einer ausdrücklichen Definition des Dankens:

79 WA 40 11,433,11-435,3.

Die kerygmatische Gestalt des Lobens und Dankens

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„Agere gratias deo: hoc suum donum amplificare et erudire per hoc omnes homines ad eandem gratiam."

Die Richtung der Interpretation schwenkt um: Jetzt wird nicht länger das Verkündigen als Danken, jetzt wird das Danken als Verkündigen interpretiert. Die förmliche Definition des Dankens zeigt, daß Luther hier deutlicher als in den anderen Zitaten vom kerygmatisch gestalteten Danken redet. Aufgrund der angegebenen Definition ist zu konstatieren, daß das kerygmatische Danken auf ein „donum" Bezug nimmt. Es muß daher geklärt werden, was Luther hier mit dem Begriff „donum" meint. Luther hatte in seiner Auslegung des dritten und vierten Verses von Ps 51 „gratia" und „donum" voneinander unterschieden. Zu Beginn der Erläuterung des fünften Verses hatte es im zusammenfassenden Rückblick gelautet: - „Audistis duobus versibus istis postulasse Davidem gratiam et remissionem peccati, deinde donum mundificans feces et reliquias peccati. Ista duo absolvunt perfecte Sanctum et iustum coram deo, sine omnibus nostris operibus et satisfactione, quam hactenus etc."80 [„Ihr habt gehört, daß David in jenen beiden Versen zuerst Gnade und Vergebung der Sünden, darauf die Gabe, die von den Hefen und den Resten der Sünde reinigt, begehrte. Diese beiden machen vollkommen heilig und gerecht vor Gott, ohne alle unsere Werke und unsere Genugtuung, die bisher usw."] Unter „gratia" hatte Luther die Sündenvergebung, das heißt: die imputativforensische Seite der Rechtfertigung, unter „donum" die effektive Seite der Rechtfertigung verstanden. Das „donum" war der heilige Geist 8 ', der im neuen

80 WA 4 0 11,358,11 -14. Vgl. auch W A 4 0 11,421,1 -10 (zu Ps 51,12-14). 81 Vgl. z. B. W A 4 0 11,353,1 Of. (zu Ps 51,4): „Sic, ubi liberi misericordia dei, oportet deus det spiritum, donum in cor, qui purget reliquum peccati, quod nobis molestum est." [„So, wenn wir durch die Barmherzigkeit Gottes befreit sind, ist es nötig, daß Gott den Geist, die Gabe ins Herz gibt, der den Rest der Sünde, der uns lästig ist, ausfegt."] Vgl. W A 4 0 11,354,15355,2; 357,5-9 (zu Ps 51,4). Wenn Luther den heiligen Geist als „donum" thematisiert, kann er zugleich auch von den „dona" sprechen, die der heilige Geist mit sich bringt (vgl. W A 4 0 11,357,18-358,4 [zu Ps 51,4]; 421,11 f. [zu Ps 51,12-14]). Bei den „dona" handelt es sich um die Wirkungen des Geistes. Dabei gilt: Die „dona" des Geistes (genitivus subiectivus) dürfen nicht vom „donum" des Geistes (genitivus obiectivus) abgetrennt werden. Der Geist ist in seinen Wirkungen gegenwärtig (vgl. WA 4 0 II, 421,13-422,3 [zu Ps 51,12]).

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Leben des Gerechtfertigten gegen die bleibende Wirksamkeit der Sünde mit wachsendem Erfolg82 ankämpft. Die Unterscheidung zwischen „gratia" und „donum" stellt ein Schema dar, das Luther, wie er später in der Überleitung zur Auslegung von Ps 51,12-14 sagt, Rom 5,15 entnommen hat83. Es begegnet bei Luther schon in früher Zeit. Man denke nur an die Streitschrift gegen Latomus aus dem Jahre 1521, in der Luther es ausführlich und präzise erörtert84. Anders als im Kommentar zu Ps 51,3-4 in der dritten Psalmen Vorlesung hatte Luther dort das „donum" gegen die fortdauernde Sünde im Leben des Gerechtfertigten nicht mit dem heiligen Geist, sondern mit dem Glauben gleichgesetzt85. Luther nennt in seiner Definition des Dankens neben dem Begriff „donum" auch den Begriff „gratia". Man könnte vermuten, der Begriff „donum" sei daher an dieser Stelle im Sinn des sonst üblichen Doppelschemas zu deuten. Es stellt sich jedoch heraus, daß Luther in der Definition des Dankens „donum" nicht etwa von „gratia" unterscheidet, sondern statt dessen „donum" mit „gratia" identifiziert. Das „donum" ist die „gratia", zu der die Menschen durch die Verkündigung zu bringen sind. Die Identifikation von „donum" mit „gratia" muß aber noch kein Widerspruch gegen eine Interpretation nach dem Doppelschema sein. Es könnte bloß ein Austausch der Begrifflichkeiten vorliegen. Der Begriff „gratia" würde dann ebenso wie der Begriff „donum" die Gabe des heiligen Geistes beziehungsweise die Gabe des Glaubens bezeichnen. Das Verständnis von „donum" wird klarer, wenn man den durch das Demonstrativpronomen „hoc" zum Ausdruck gebrachten Rückverweis beachtet. „Hoc suum donum" bezieht sich auf die unmittelbar vorangegangene Aufzählung „post iustificationem et acceptam gratiam, donatam remissionem peccatorum".

82 Vgl. ζ. B. WA 40 11,356,5-7; 357,18-358,3 (zu Ps 51,4); WA 40 11,424,2-4 (zu Ps 51,12). 83 Siehe WA 40 11,421,1-10. 84 Zwei Sätze aus der Streitschrift genügen, um die Genauigkeit der durchgeführten Unterscheidung zu demonstrieren: WA 8,106,10: „Gratiam accipio hic proprie pro favore d e i , . . . " [„Gnade nehme ich hier eigentlich für Gunst Gottes,..."] WA 8,107,21: „Remissa sunt omnia per gratiam, sed nondum omnia sanata per donum." [„Alles ist vergeben durch die Gnade, aber es ist noch nicht alles geheilt durch die Gabe."] Die Aufstellung des Schemas „gratia" - „donum" bei Luther ist ursprünglich von Augustinus beeinflußt (vgl. Peters, Rechtfertigung, 46f.). 85 Vgl. WA 8,105,36-106,4.15-28; 109,11-15.20-24.30-33; 110,5-8; 111,29-112,15; 114, 16-32.

Die kerygmatische Gestalt des Lobens und Dankens

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Mit den Partizipien „accepta" und „donata" baut Luther in diese Aufzählung den Gesichtspunkt der Gabe ein. Die Rechtfertigung ist mit dem Empfangen der Gnade verbunden. Bei einem Empfangen ist immer vorausgesetzt, daß das, was empfangen wird, zuvor von einem Geber als Gabe gegeben wurde. Die empfangene Gnade ist folglich eine Gabe. Zur Rechtfertigung gehört das Empfangen einer Gnadengabe. Auch dies könnte wiederum im Sinn des besagten Doppelschemas interpretiert werden. Das folgende Glied der Aufzählung bekräftigt allerdings die Annahme, daß Luther das Doppelschema weder in der Aufzählung noch im anschließenden Definitionssatz anwendet. „Donata remissio peccatorum" muß man als Näherbestimmung zu „accepta gratia" auffassen. Die beiden Glieder der Aufzählung haben wegen der Tatsache, daß die Attribuierung jeweils durch ein Partizip erfolgt, die gleiche grammatikalische Struktur und dürften schon aus diesem Grund in einer inhaltlichen Beziehung zueinander stehen. Noch mehr fällt jedoch ins Gewicht, daß Luther den mit dem Partizip „accepta" nur indirekt angedeuteten Begriff der Gabe im folgenden Partizip „donata" explizit aufnimmt. Offensichtlich bemüht sich Luther um eine inhaltliche Präzisierung. Bei der empfangenen Gnadengabe handelt es sich um die Gabe der Sündenvergebung. Da der Begriff „donum" im Definitionssatz mittels des Demonstrativpronomens auf die im Sinn der „donata remissio peccatorum" zu verstehende „accepta gratia" bezogen ist, muß man das „donum" als die „gratia", zu der die Menschen durch die Verkündigung zu bringen sind, ziemlich eindeutig als „remissio peccatorum" beschreiben. Um auch noch die letzte Möglichkeit, innerhalb der Definition des Dankens zumindest den Ansatz zu einem Doppelschema ausfindig machen zu können, zu bezweifeln, sei darauf hingewiesen, daß bei der als „remissio peccatorum" gedeuteten Gnadengabe zwar der imputative Aspekt im Vordergrund steht, daß der effektive Aspekt aber damit nicht etwa ausgeschlossen ist. Das zeigt das Bild vom neuen Baum mit seinen neuen Früchten im Kontext der Definition des Dankens. Derjenige, der für die Gabe der „remissio peccatorum" dankt, ist einer, der aufgrund der Gabe der „remissio" wiedergeboren beziehungsweise neu geschaffen wurde und dann aufgrund der Wiedergeburt beziehungsweise

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Neuschaffung gute Werke hervorbringt. Sein Dank meint deshalb immer zugleich auch die effektive Seite der Rechtfertigungsgnade86. Aus diesen Überlegungen ergibt sich, daß unter dem „donum", auf das das kerygmatische Danken Bezug nimmt, in der angegebenen Definition die vorrangig imputativ, aber auch effektiv zu erfassende Rechtfertigungsgnade zu verstehen ist. Es stellt sich die Frage, ob man nach der Definition in Luthers Kommentar zu Ps 51,15 davon ausgehen kann, daß das kerygmatische Danken ausschließlich um das „donum" der Rechtfertigungsgnade kreist, oder ob man erwarten muß, daß es daneben auch noch andere „dona" in gleicher, möglicherweise sogar in bevorzugter Weise behandelt. Auch hier hilft ein Blick in den erstaunlich aussagekräftigen Kontext der besagten Definition weiter. Mit der Bemerkung „quicquid vixerimus post iustificationem, debet nihil sonare quam misericordiam" markiert Luther den Rang, den die Rechtfertigungsgnade für das kerygmatische Danken einnimmt. Es begegnen in dieser Formulierung mehrere Totalitätsaussagen: Der Gerechtfertigte soll nur die „misericordia", die die Basis seiner Rechtfertigung ist, also die Rechtfertigungsgnade, rühmen. Er soll dies mit der Totalität seiner Lebensbewegungen tun. Der totale Bezug auf die „misericordia" beziehungsweise „gratia" setzt wiederum voraus, daß die Rechtfertigungsgnade den Menschen total betrifft. Daß Luther vom Gesichtspunkt der Totalität her fordert, daß nur die Rechtfertigungsgnade zu rühmen ist, bedeutet, daß das „donum" der Rechtfertigungsgnade mit keinem anderen „donum" verglichen und von keinem anderen „do-

86 Die Rechtfertigungsgnade ist daher effektiv zu nennen, weil sie einerseits den einmaligen Akt der Wiedergeburt, der das gesamte neue Leben in nuce mit sich bringt, andererseits den allmählichen Prozeß der ethischen Erneuerung, in dessen Verlauf das neue Leben in guten Werken entfaltet wird, im Menschen bewirkt beziehungsweise steuert. Gleichwohl ist hinsichtlich der von Luther in der zitierten Ausführung zu Ps 51,15 verwendeten Terminologie festzustellen, daß der Begriff „iustificatio" hier zwar die Sündenvergebung und die Wiedergeburt, nicht aber die ethische Erneuerung beinhaltet. Luther grenzt die guten Werke des neuen Lebens gegen die „iustificatio" ab, indem er gleich dreimal zum Ausdruck bringt, daß sie ihren Platz „post iustificationem" haben. Es sei daraufhingewiesen, daß Luther den Begriff der Rechtfertigung unterschiedlich weit fassen kann. Meist sind die Werke des neuen Lebens nicht enthalten. Immer ist der imputativ-forensische Aspekt der entscheidende Aspekt. Zur unterschiedlichen Bedeutung von Justificare" beziehungsweise „iustificatio" bei Luther siehe Althaus, Theologie Martin Luthers, 197; Peters, Rechtfertigung, 38f.

Die kerygmatische Gestalt des Lobens und Dankens

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num" in seiner Bedeutung übertroffen werden kann. Es bedeutet allerdings nicht, daß man andere „dona" grundsätzlich nicht mehr rühmen dürfte. Luther erwähnt die anderen „dona" bloß deshalb nicht, weil er sie dem leitenden Gesichtspunkt der Totalität nicht zuzuordnen vermag. Die übrigen „dona" betreffen den Menschen jeweils nur partiell. Angewandt auf das kerygmatischen Danken heißt das: Das „donum" der Rechtfertigungsgnade nimmt aufgrund seiner totalen Bedeutung für den Menschen den obersten Rang ein. Andere „dona" werden sicherlich nicht ausgeblendet, werden aber aufgrund ihrer partiellen Bedeutung für den Menschen der Rechtfertigungsgnade mit Sicherheit untergeordnet. Wenn in der Definition des Dankens nur das „donum" der Rechtfertigungsgnade erscheint, dann liegt das daran, daß Luther bereits an dieser Stelle den Gesichtspunkt der Totalität im Auge hat. Der Gesichtspunkt der Totalität gehört ja denn auch zum Wesen einer Definition, insbesondere dann, wenn es sich wie hier um eine möglichst kurze Definition handelt87. Wird ein Sachverhalt so knapp es geht beschrieben, dann wird nur noch das genannt, was diesen Sachverhalt total bestimmt. Die „dona", die den Menschen lediglich partiell betreffen, bestimmen auch das Danken lediglich partiell und müssen deshalb nicht in die Definition des Dankens aufgenommen werden. Das „donum" der Rechtfertigungsgnade, das den Menschen total betrifft, bestimmt auch das Danken total und wird deshalb in der Definition des Dankens unbedingt berücksichtigt. Im Blick auf seine totale Bestimmung kann man bezüglich des kerygmatischen Dankens sagen, daß sein Inhalt die Rechtfertigungsgnade beziehungsweise die Lehre von der Rechtfertigungsgnade beziehungsweise der Rechtfertigungsartikel ist. Das Danken in seiner kerygmatischen Gestalt ist ein Vorgang, der die Gabe der göttlichen Rechtfertigungsgnade vor den Menschen rühmt. Es muß sich nach dieser Analyse der Definition des Dankens in Luthers Ausführung zu Ps 51,15 die Überlegung anschließen, ob das gewonnene Ergebnis verallgemeinert werden darf. Luther scheint die besprochene Definition des Dankens - wie vieles in der dritten Psalmenvorlesung - en passant formuliert zu haben. Man braucht sie

87 Es gibt neben dem Typ der möglichst kurzen Definition auch den Typ der längeren Definition, der über das logische Minimum hinausgeht (vgl. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, § 111).

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

deswegen aber nicht als einen Einfall zu betrachten, der Luther nur einen Moment lang beschäftigt hat. Dadurch, daß Luther das kerygmatische Danken geradezu euphorisch als „proximum, primum, eternum et principale et continuum opus" bezeichnet, deutet er an, daß er an diesem Ort eine Aussage macht, die für ihn auch in anderen Zusammenhängen von großer Wichtigkeit ist. Man darf davon ausgehen, daß die aus der Definition des Dankens erschlossene Inhaltsangabe des kerygmatischen Dankens den Inhalt auch in all den übrigen Fällen zutreffend wiedergibt, in denen Luther in der dritten Psalmenvorlesung die kerygmatische Gestalt des Dankens anspricht. Beachtet man die Stellen, an denen oben das Danken als kerygmatisches Danken identifiziert wurde88, dann erkennt man, daß der an diesen Stellen beziehungsweise im Kontext dieser Stellen angedeutete Inhalt des Dankens tatsächlich immer als Hinweis auf die Gabe der Rechtfertigungsgnade verstanden werden kann. -

In der Einleitung der dritten Psalmenvorlesung setzt Luther die „praedicatio divinae misericordiae" [„Verkündigung der göttlichen Barmherzigkeit"] mit „laus et gratitudo pro immensis et innumerabilibus beneficiis" [„Lob und Dank für die unermeßlichen und unzähligen Wohltaten"] gleich89. Geht es bei der Danksagung um die „immensa et innumerabilia beneficia", so sind mit diesen die Vielzahl der Aspekte der „divina misericordia", und das heißt: der göttlichen Rechtfertigungsgnade, gemeint. - Es verwundert nicht, daß auch der Satz „Ista mea servitus, quae tibi gratias aget: Docebo de te." [„Dies ist mein Dienst, der dir Dank sagt: Ich will lehren von dir."] hinsichtlich der Bedeutung von „gratias agere" mit der besagten Definition übereinstimmt, da sich beide Äußerungen auf den gleichen Vers Ps 51,15 beziehen. Luther unterscheidet im Kontext dieses Satzes zwischen fiktivem und wahrem Gott90 und sagt in bezug auf letzteren: „sed is diligit contritos corde et spectantes in misericordiam eius; ergo oportet occidaris, terrearis et acquiras conscientiam pavidam, trementem. Ubi hoc, accipias consolationem et iustificeris."91 [„Aber dieser liebt die, die im Herzen zerknirscht sind und auf seine Barmherzigkeit sehen. Es ist folglich

88 S. Anm. 64, 68, 69, 7 1 , 7 2 . 89 WA 4 0 II, 194,1 Of. 9 0 Vgl. WA 4 0 11,440,4-6. 91 WA 4 0 11,440,6-9.

Die kerygmatische Gestalt des Lobens und Dankens

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nötig, daß du getötet und erschreckt wirst und ein furchtsames und zitterndes Gewissen erlangst. Wo dies geschehen ist, ist es nötig, daß du den Trost empfängst und gerechtfertigt wirst."] Von dem Trost heißt es zuvor: „..., deinde erigitur, datur ei consolatio, ut altera fide iustificetur et a suo peccato reiicere se debeat in gratiam."92 [„..., dann wird er (= der über seine Sünde erschrockene Mensch) aufgerichtet und es wird ihm der Trost gegeben, daß er durch einen anderen Glauben gerechtfertigt wird und sich von seiner Sünde auf die Gnade zurückwerfen soll."] Offensichtlich geschieht der Dank für das, was die Lebenslage zum Positiven hin verändert hat. Das ist aber das „iustificari", das auf der „misericordia" beziehungsweise „gratia" Gottes basiert. Die allegorische Deutung der „Cytharae" als „gratiarum actiones" im Rahmen der Erläuterung von Ps 45,10 steht im Zusammenhang einer von Luther zwar nicht favorisierten, aber auch nicht ausgeschlossenen allegorischen Deutung der in Ps 45,10 thematisierten „filiae regum" [„Töchter der Könige"]93. Es sind die „filiae regum", die die Harfen spielen. Bei den „filiae regum" handelt es sich nach allegorischem Verständnis um „homines infimi" [„sehr geringe Menschen"], die die Krone des Glaubens tragen94. Wenn Luther an dieser Stelle auch nicht die entsprechende Terminologie verwendet, so spielt er doch wiederum auf die Rechtfertigungsgnade an. „Homines infimi" gelten vor Gott als Königskinder, wenn sie glauben. Im Glauben erhalten die Menschen eine Würde, die sie zuvor nicht hatten. Obgleich sie an sich dem niedrigsten Stand angehören, werden sie von Gott in den höchsten Stand versetzt. Sie werden also durch Gnade aufgewertet. Die gnadenhafte Aufwertung aber ist die Rechtfertigung. Das Harfenspiel, das heißt: die Danksagung der „homines infimi", konzentriert sich auf die Änderung ihrer Stellung vor Gott und daher auf die Rechtfertigungsgnade. Das im Blick auf Ps 126,2 erwähnte Danksagen findet sich am Ende eines Abschnitts, in dem Luther die im ersten Vers dieses Psalms angesprochene Befreiung aus der Gefangenschaft mit Hilfe der Unterscheidung von Gesetz

92 WA 40 11,440,2-4. 93 Siehe WA 40 11,554,4-6.10-12. 94 Vgl. WA 40 11,554,4-5.9.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

und Evangelium kommentiert95. Luther betont, daß die Menschen, die durch das Gesetz die Gefangenschaft der Sünde und des Todes fühlen96, durch das Evangelium froh werden sollen97. Auch hier benutzt Luther weder den Begriff der Rechtfertigung noch den Begriff der Gnade. Die Begriffe der Rechtfertigung und der Gnade sind jedoch im Begriff des Evangeliums enthalten. Geht es im Evangelium um die Befreiung von Sünde und Tod98, dann geht es ja um die Rechtfertigung des Menschen vor Gott, die dieser sich nicht selbst verschaffen kann, sondern die er nur als ein Geschenk von Gott empfangen kann99. Das Danksagen bezieht sich auf die im Evangelium verkündigte Befreiung und also erneut auf die göttliche Rechtfertigungsgnade. -

Wenn Luther in der Auslegung von Ps 124 das Stichwort „gratiarum actio" heranzieht, dann bezeichnet er damit den Inhalt des gesamten Psalms: „Summum huius psalmi gratiarum actio pro conservatione et liberatione istius regni et sacerdotii vel totius populi Israel."100 [„Das Beste an diesem Psalm ist die Danksagung für die Erhaltung und Errettung jenes Königreichs und Priestertums oder des ganzen Volkes Israel."] Luther unterscheidet in seinem Kommentar den historischen Bezug des Psalms auf das Volk Israel und den aktuellen Bezug des Psalms auf die Christenheit101. Letzteren entfaltet er, indem er die Erhaltung der „ecclesia" gegen die Trias „mundus" [„Welt"], „demones" [„böse Geister"] und „caro"102 [„Fleisch"] beziehungsweise gegen die Trias „caro", „mundus" und „falsi fratres"103 [„falsche Brüder"] sowie die Erhaltung der „politia"104 und ganz am Rand auch die Erhal-

95 96 97 98 99 100 101 102 103 104

Siehe WA 40 111,178,12-182,3. Zur Unterscheidung von Gesetz und Evangelium vgl. Anm. 39. Vgl. WA 40 111,179,9-180,3; 180,10-181,5. Vgl. WA 40 111,181,5-8. Vgl. WA 40 111,181,18-21. Vgl. auch die Ausführung zum Stichwort „libertas" [„Freiheit"] bei Anm. 43-45. WA 40 III, 134,5f. Vgl. WA 40 III,136,6f. (zu Ps 124,1). Vgl. WA 40 III,135,6-16 (zu Ps 124,1). Vgl. WA 40 111,135,16-136,4 (zu Ps 124,1). Luther nimmt in diesem Zusammenhang zur Befestigung Wittenbergs Stellung. Der neue Wall darf nur dann akzeptiert werden, wenn sich das Vertrauen nicht darauf richtet (vgl. WA 40 111,137,5-12; 138,3-11 [zu Ps 124,1]; 141,5-15 [zu Ps 124,3]; 142,17-143,10 [zu Ps 124,4]; zu sonstigen Äußerungen und Vorbehalten Luthers gegen die neue Wallanlage vgl. Junghans, Luther in Wittenberg, 21.27.34).

Die kerygmatische Gestalt des Lobens und Dankens

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tung der „oeconomia"105 thematisiert. Die Erhaltung der Christenheit stellt wie die einstige Erhaltung des Volkes Israel ein „miraculum" dar106. Israel konnte und die Christenheit kann nur aufgrund der „potentia dei"107 [„Macht Gottes"], des „divinum donum"108 [„göttliche Gabe"], der „hulff et gnad"109 [„Hilfe und Gnade"] Gottes bestehen110. Wie man leicht sieht, handelt die ganze Rede von der unbegreiflich wunderbaren Erhaltung letztlich von nichts anderem als von der göttlichen Gnade. Der Aspekt der Rechtfertigung scheint in diesem Teil der dritten Psalmenvorlesung allerdings durch den Aspekt der Erhaltung verdrängt worden zu sein. Die Gnade erscheint nicht als Rechtfertigungs-, sondern als Erhaltungsgnade. Man muß jedoch beachten, daß fur Luther die Erhaltung auf die Rechtfertigung bezogen ist. Die Rede von der Erhaltung gegen die „caro", also den Feind im Inneren, „qui divexat nos peccatis sine fine et perturbât conscientiam, tollit quietem et impugnai fidem"" ' [„der uns ohne Ende mit Sünden plagt und das Gewissen verwirrt, die Ruhe wegnimmt und den Glauben bekämpft"], bedeutet, daß Gott den Menschen davor bewahrt, daß seine Rechtfertigung durch sein fortgesetztes Sündigen in Frage gestellt wird. Das mit der Bemerkung „Sed propter electos fruuntur mali tantis beneficiis"" 2 [„Aber um der Auserwählten willen genießen die Bösen so große Wohltaten"] zum Ausdruck gebrachte Gefalle innerhalb des Erhaltungshandelns Gottes ist gleichfalls ein Hinweis darauf, daß sich die Erhaltung auf die Rechtfertigung bezieht: Die Bösen werden nicht um ihrer selbst willen, sondern um der Auserwählten, das heißt: der Gerechtfertigten, willen erhalten. Die Erhaltung der Auser-

105 Vgl. W A 4 0 111,144,5-8; 145,2-4.8-10 (zu Ps 124,5). 106 Vgl. WA 4 0 III, 135,lf.; 135,16-136,10 (zu Ps 124,1); 139,9-13 (zu Ps 124,2); 140,3-5; 142,1-7 (zu Ps 124,3). 107 Vgl. WA 4 0 111,140,8-141,9; 142,3-6 (zu Ps 124,3); 144,8-10; 145,6-8 (zu Ps 124,5); 146,8-12 (zu Ps 124,6); 148,1 f. (zu Ps 124,7). 108 Vgl. WA 4 0 111,138,2-5 (zu Ps 124,1); 149,5f. (zu Ps 124,7). 109 Vgl. W A 4 0 I I I , 1 5 1 , 1 0 f . ( z u P s 124,8). 110 Luther ordnet das menschliche Handeln dem Erhaltungshandeln Gottes unter. Gott bedient sich sehr wohl des menschlichen Handelns (vgl. W A 4 0 III, 137,10-12 [zu Ps 124,1 ]; 141,10-142,1; 142,3-6 [zu Ps 124,3]). Er ist aber zu keinem Zeitpunkt vom Menschen abhängig, was sich im Fall offenbarer menschlicher Schwäche zeigt (vgl. WA 4 0 III, 141,3-5; 142,1-3 [zu Ps 124,3]; 146,8-10 [zu Ps 124,6]). Vgl. hierzu Anm. 104. 111 WA 4 0 III,135,14f. (zu Ps 124,1). Vgl. WA 4 0 111,142,11 (zu Ps 124,3); 149,10-12 (zu Ps 124,8). 112 WA 4 0 III,146,7f. (zu Ps 124,6).

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

wählten ist in erster Linie vom Rechtfertigungsartikel und erst in zweiter Linie vom ersten Glaubensartikel her zu verstehen. Die Erhaltung darf als umfassende Absicherung ihrer Rechtfertigung aufgefaßt werden. Die Erhaltung der Bösen, die anscheinend allein im ersten Glaubensartikel ihre Erklärung findet und scheinbar nichts mit dem Rechtfertigungsartikel zu tun hat, ist als Folge der Erhaltung der Auserwählten eine Folge der Rechtfertigung derselben und muß deshalb auch zuerst vom Rechtfertigungsartikel her verstanden werden" 3 . Mit dem Stichwort „gratiarum actio" verweist Luther also auch im Zusammenhang der Auslegung von Ps 124 im Grunde auf die Rechtfertigungsgnade. Der Dank für die Erhaltung des Volkes Israel beziehungsweise für die Erhaltung der Christenheit ist der Dank dafür, daß Gott zu seiner Rechtfertigungsgnade steht.

c) Loben beziehungsweise danken Im Verlauf der Untersuchung ist ein Punkt erreicht, an dem die kerygmatische Gestalt des Dankens mit der kerygmatischen Gestalt des Lobens im Blick auf die inhaltliche Bestimmung verglichen werden kann. Es ist erstens festzustellen, daß es in beiden Fällen um ein Rühmen Gottes geht. Es ist zweitens zu beobachten, daß dieses Rühmen sich jeweils auf Gottes alleinwirksame Gnade bezieht, wie sie im Rechtfertigungsartikel beschrieben wird. Es ist drittens zu erkennen, daß der Rechtfertigungsartikel jeweils mit dem ersten Glaubensartikel verbunden ist, und zwar so, daß von der Rechtfertigungsgnade her Licht auf die Schöpfungs- und Erhaltungsgnade fällt" 4 . Sowohl die kerygmatische

113 A u f den ersten Glaubensartikel spielt Luther auch an folgenden Stellen seiner Auslegung von Ps 124 in der dritten Psalmenvorlesung an: W A 4 0 111,144,5-8 (zu Ps 124,5); 147,2148,4 ( z u P s 124,7); 149,10-14; 151,13-152,4 (zu Ps 124,8). 114 Vgl. zu dieser dritten Feststellung auch eine Stelle im Kommentar zu Ps 134,1, an der Luther zugleich von der kerygmatischen Gestalt des Lobens und des Dankens spricht: WA 4 0 111,471,6-9: „Quando praedicamus publice, aliud nihil facimus, quam celebramus, laudamus, gratias agimus deo pro sua misericordia, eum creatorem, conservatorem, redemptorem, qui miserit filium suum pro eterna vita." [„Wenn wir öffentlich predigen, machen wir nichts anderes, als daß wir preisen und loben und Gott für seine Barmherzigkeit danken, daß wir also ihn als den Schöpfer, Erhalter und Erlöser loben, der seinen Sohn gesandt hat zum ewigen Leben."] Luther bündelt hier den Inhalt des Lobens und Dankens mit dem Begriff „misericordia" und stellt dann als Erläuterung den Bezug zu

Die kerygmatische Gestalt des Lobens und Dankens

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Gestalt des Lobens als auch die kerygmatische Gestalt des Dankens sind also - summarisch betrachtet - Darstellungen des Rechtfertigungsartikels. Da sich in Luthers Verkündigung der Rechtfertigungsbotschaft nicht zwei nebeneinanderher laufende inhaltliche Stränge ausmachen lassen, die sich ergänzen oder gar widersprechen, kann es sich bei dem kerygmatischen Loben und dem kerygmatischen Danken unmöglich um zwei unterschiedliche Vorgänge handeln. Die kerygmatische Gestalt des Lobens und die kerygmatische Gestalt des Dankens stimmen in formaler wie in inhaltlicher Hinsicht überein. Oben hatte die Beobachtung, daß die Begriffe des Lobens und des Dankens zum Teil isoliert voneinander auftreten, dazu gefuhrt, das Vorliegen unterschiedlicher kerygmatischer Vorgänge bei Luther grundsätzlich für möglich zu halten" 5 . Jetzt ist klar, daß die Begriffe des Lobens und des Dankens an den Stellen der dritten Psalmenvorlesung, an denen sie mit den Begriffen des Lehrens verschmelzen, einen und denselben Vorgang bezeichnen. An dieser Stelle ergibt sich, daß die am Ende des vorletzten Kapitels vorgenommene erste Bestimmung des Lobens" 6 präzisiert werden kann. Geht es bei der kerygmatischen Gestalt des Lobens wie bei der kerygmatischen Gestalt des Dankens tatsächlich an zentralem Ort um Gottes alleinwirksame Gnade, dann geht es ja in beiden Fällen um Gottes „donum". Der Bestimmung des Lobens muß die Feststellung hinzugefugt werden, daß das Loben in seiner kerygmatischen Gestalt ebenso wie das Danken in seiner kerygmatischen Gestalt ein auf die Gabe der göttlichen Rechtfertigungsgnade konzentrierter Vorgang ist. Das kerygmatische Gotteslob ist in gleicher Weise wie das kerygmatische Danken gabenorientiert.

Gott dem Schöpfer, Erhalter und Erlöser her. Er bringt damit klar und betont zum Ausdruck, daß er den ersten Glaubensartikel dem Begriff der „misericordia" unterordnet. Daß „misericordia" dabei tatsächlich für die Rechtfertigungsgnade steht, zeigt die kurz darauf folgende Äußerung zum zweiten Vers des Psalms, in der Luther den Inhalt der Verkündigung beziehungsweise des Lobens und Dankens gleichfalls mit dem Stichwort „misericordia" zusammenfaßt: WA 4 0 111,473,14-16: „Sed sie benedicendus dominus, ut sis purus, sanctus invocans, quia talem personam vult habere, qui confiteatur Christum et praedicet misericordiam." [„Aber so ist der Herr zu loben, daß du ein reiner und heiliger Anrufer seist, weil er eine solche Person haben will, die Christus bekennt und die Barmherzigkeit predigt."] Der Hinweis auf die Reinheit sowie der Hinweis auf Christus lassen „misericordia" eindeutig als einen Begriff der Rechtfertigungslehre erscheinen. 115 S. b e i A n m . 78. 116 S. V l . l . a ) .

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Mit diesen Überlegungen ist die Frage nach dem Inhalt des kerygmatischen Lobens und Dankens noch nicht vollständig geklärt. Bei der Analyse der Definition des Dankens, die der Erläuterung von Ps 51,15 entstammt, wurde das Augenmerk erstmals auf den Begriff „donum" gelenkt. Luther hatte den Begriff „donum" gewiß nicht mit Notwendigkeit an dieser Stelle benutzt. Er hätte ihn natürlich durch einen anderen Begriff oder eine andere Ausdrucksweise ersetzen können. Luther hatte den Begriff „donum" aber auch nicht willkürlich und ganz und gar zufällig in die Definition des Dankens hineingenommen. Sieht man einmal von der Frage nach einer bestimmten Gestalt des Dankens ab und untersucht sämtliche Stellen in der dritten Psalmenvorlesung, an denen die Begriffe des Dankens mit dem Bezug auf Gott oder Christus auftauchen, so entdeckt man, daß Luther den Begriff „donum" beziehungsweise dessen Pluralform „dona" relativ häufig mit einem Begriff des Dankens verbindet" 7 . Die Bedeutung von „donum" oder „dona" für das Verständnis der Begriffe des Dankens wird noch klarer, wenn man sich daraufhin - wieder ohne nach der jeweiligen Art der bezeichneten Vorgänge zu fragen - sämtliche Stellen der dritten Psalmenvorlesung, die die Begriffe des sich direkt oder indirekt auf Gott oder Christus beziehenden Lobens enthalten, vornimmt. Es stellt sich nämlich heraus, daß Luther „donum" oder „dona" nur in einigen Fällen zugleich mit Begriffen des Dankens und des Lobens" 8 und nur selten mit einem Begriff des Lobens, der nicht zugleich mit einem Begriff des Dankens verknüpft ist" 9 , verbindet. Man kann sagen, daß die Begriffe „donum" und „dona" in der dritten Psalmenvorlesung für die Rede vom Danken typisch, fur die Rede vom Loben aber untypisch sind. Diese Beobachtung zwingt zu dem Rückschluß, daß die Be-

117 Vgl. W A 4 0 II,452,13f.; 453,15-17 (zu Ps 51,18); 469,9-470,1 (zu Ps 51,21); WA 4 0 111,74,13-76,3; 78,9-13; 81,2-4; 85,16-86,5 (zu Ps 122,1); 88,1-8 (zu Ps 122,2); 102,5-14 (zu Ps 122,4); 108,15-18 (zu Ps 122,5); 149,5-12 (zu Ps 124,7 und 8); 212,11 f. (zu Ps 127,1); 239,15-240,11; 253,1-9 (zu Ps 127,2); 459,9f.; 462,2-13; 463,7 (zu Ps 133,1); 469,2-7 (zu Ps 133,3); 575,8-11 (zu Ps 90,12). 118 Vgl. W A 4 0 11,434,4-7 (zu Ps 51,15); 452,13-453,17 (zu Ps 51,18); WA 4 0 111,102,5-14 (zu Ps 122,4); 108,12-18 (zu Ps 122,5); 253,1-9 (zu Ps 127,2). 119 Vgl. W A 4 0 11,561,4-10 (zu Ps 45,10); WA 4 0 111,222,9-223,7 (zu Ps 127,1); 285,8287,2; 291,1-5 (zu Ps 128,3).

Die kerygmatische Gestalt des Lobens und Dankens

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griffe des Lobens und die Begriffe des Dankens unmöglich völlig bedeutungsgleich sein können. Wohl ist hier kein Widerspruch gegen die Folgerung, daß die kerygmatische Gestalt des Lobens und die kerygmatische Gestalt des Dankens übereinstimmen, erkennbar. Denn daß die Begriffe „donum" und „dona" für die Rede vom Loben in der dritten Psalmenvorlesung keine Rolle spielen, heißt ja noch lange nicht, daß man annehmen müßte, es könne sich beim Loben nicht wie beim Danken inhaltlich um ein „donum" oder um „dona" handeln. Man muß allerdings davon ausgehen, daß Luther die Begriffe des Lobens und die Begriffe des Dankens nicht völlig unterschiedslos verwendete, um den einen und einzigen kerygmatischen Vorgang zu bezeichnen. Luther setzte bei der Bezeichnung des einen kerygmatischen Gebetsvorgangs unterschiedliche Akzente. Er sprach vom Danken anstatt vom Loben, wenn er den Gabencharakter der Rechtfertigung besonders hervorheben wollte. Es schließt sich die Frage nach der systematischen Verortung des kerygmatischen Lobens beziehungsweise Dankens in der dritten Psalmenvorlesung an. Da man es beim kerygmatischen Loben und kerygmatischen Danken mit demselben Vorgang zu tun hat, genügt es, wenn man zur Beantwortung dieser Frage Stellen der dritten Psalmenvorlesung beibringt, an denen Luther entweder vom kerygmatischen Loben oder vom kerygmatischen Danken redet. Luther liefert im oben zitierten Abschnitt aus der Erklärung von Ps 51,15' 20 nicht nur eine Definition des Dankens, sondern äußert sich auch in hervorragender Weise über den systematischen Ort des kerygmatischen Dankens. Daß die Aussagen über das kerygmatische Danken in der Erörterung zu Ps 51,15 zugleich als Aussagen über das kerygmatische Loben aufgefaßt werden dürfen, ergibt sich übrigens aus dem Abschnitt selbst: Luther veranschaulicht die Definition des Dankens durch einige neutestamentliche Verse. Bei der Wiedergabe von Lk 5,25 verwendet er an entscheidender Stelle das Stichwort „laudare". Dadurch, daß Luther die Definition des Dankens mit dem Hinweis auf das Gotteslob des von seiner Lähmung geheilten Menschen konkretisiert, identifiziert er den Vorgang des Lobens mit dem Vorgang des Dankens. Die dem Zitat von Lk 5,25 vorausgehenden und die ihm nachfolgenden Äußerungen zum Danken gelten daher auch für das Loben.

120 S. Anm. 79.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Luther spricht dem kerygmatischen Loben beziehungsweise Danken in seiner Auslegung von Ps 51,15 den Spitzenplatz unter allen menschlichen Werken zu. Gleichzeitig ordnet er es wiederholt und demnach mit besonderer Betonung „post iustificationem" ein121. Die Einordnung „post iustificationem" geschieht zum einen auf der logischen Ebene. Luther betrachtete das Werk des kerygmatischen Lobens beziehungsweise Dankens als logische Folge der Rechtfertigung. Dies wird durch das Bild vom Baum deutlich. Das kerygmatische Loben beziehungsweise Danken wächst aus der Rechtfertigung hervor, wie Früchte aus einem Baum hervorwachsen. Der Baum ist vorhanden, bevor die Früchte vorhanden sind. Der Vorgang der Rechtfertigung ist abgeschlossen122, bevor der Vorgang des kerygmatischen Lobens beziehungsweise Dankens beginnt. Wie die Früchte nicht im nachhinein den Baum begründen, so stellt auch das Werk des kerygmatischen Lobens beziehungsweise Dankens keine notwendige nachträgliche Bedingung für die Gültigkeit der Rechtfertigung dar. Das kerygmatische Loben beziehungsweise Danken ist kein satisfaktorisches Werk. Die Einordnung „post iustificationem" geschieht zum anderen auf der chronologisch-biographischen Ebene. Mit dem Begriff „experientia" und mit dem Hinweis auf den Empfang der Gnade gab Luther zu verstehen, daß er die „iustificatio" als ein biographisches Ereignis begreift. Durch die Gleichsetzung von „iustificatio" und Wiedergeburt machte er zudem klar, daß es sich für ihn bei diesem Ereignis an dieser Stelle um ein einmaliges biographisches Ereignis handelt. Luther betrachtete das kerygmatische Loben beziehungsweise Danken als ein Werk, das die gesamte Biographie vom Zeitpunkt der „iustificatio" an prägt. Er unterstrich den zeitlichen Aspekt unter anderem dadurch, daß er es als ein „continuum opus" bezeichnete. Mit „continuum opus" kann natürlich kein ununterbrochen fortdauerndes Werk gemeint sein. Es geht um ein fortdauernd je und je betriebenes Werk. Das kerygmatische Loben beziehungsweise Danken ist wie die „iustificatio" ein geschichtlich-biographisches Ereignis, das allerdings im Unterschied zur „iustificatio" ein Ereignis ist, das aus einer Kette von geschichtlich-biographischen Ereignissen besteht.

121 Vgl. auch z. B. WA 40 II,446,3f.; 447,10-448,2 (zu Ps 51,17); 450,3f. (zu Ps 51,18); WA 40 111,472,17-474,11 (zu Ps 134,2). 122 Zum engeren Sinn des Begriffs „iustificatio" an dieser Stelle s. o. Anm. 86.

Die kerygmatische Gestalt des Lobens und Dankens

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Es stellt sich die Frage, welche Personengruppe nach Luther Träger des kerygmatischen Gotteslobes beziehungsweise der kerygmatischen Danksagung ist. Man darf nicht voraussetzen, daß sich unter den Zuhörern der dritten Psalmenvorlesung nur angehende Berufstheologen befunden hätten und Luther mit seinen Ausführungen nur diese angeredet hätte. Daß die Äußerungen in dem besagten Abschnitt aus der Erläuterung von Ps 51,15 ganz allgemein gehalten sind und keine Beschränkung auf bestimmte Amtsträger wie die Kleriker, die Landesherren oder die Hausherren vorliegt, zeigt sich insbesondere daran, daß Luther das kerygmatische Loben beziehungsweise Danken auf die Rechtfertigung zurückbezieht. Da das kerygmatische Loben beziehungsweise Danken aus der Rechtfertigung so notwendig hervorgeht, wie Früchte aus einem Baum hervorgehen, die Rechtfertigung aber nicht nur eine Tatsache im Leben von bestimmten Christen, sondern eine Tatsache im Leben eines jeden Christen ist, muß ja wohl auch das kerygmatische Loben beziehungsweise Danken eine Tatsache im Leben eines jeden Christen sein. Luther beschreibt das kerygmatische Loben beziehungsweise Danken in der dritten Psalmenvorlesung als eine Angelegenheit aller Christen. Diese Interpretation des zitierten Abschnitts wird durch die größtenteils in der Anfangszeit der dritten Psalmenvorlesung entstandene Schrift „Summarien über die Psalmen und Ursachen des Dolmetschens"' 23 bestätigt. - Luther spricht im Summarium zu Ps 51 im Blick auf Vers 15 gleichfalls das Werk des kerygmatischen Lobens beziehungsweise Dankens an und benutzt in diesem Zusammenhang das Personalpronomen „wir" und das Indefinitpronomen „man": „..., Darnach, wenn wir aus gnaden und geist widderumb new worden sind, als denn kan man recht leren, loben, dancken, predigen, ..."' 24 Das Summarium läßt bei „wir" und „man" keine Eingrenzung auf spezielle Amtspersonen zu. Man kann auch nicht behaupten, die gesamte Schrift sei ja eine Fachliteratur für die Theologenzunft. Luther zielte mit seinen Summarien und selbst mit den wissenschaftlichen Bemerkungen zu seiner Übersetzungspraxis auf die Allgemeinheit der Christenmenschen ab. Er brachte dies ganz un-

123 S. o. Anm. 67. 124 WA 38,36,32-37,2. Vgl. Anm. 67.

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mißverständlich dadurch zum Ausdruck, daß er die Schrift „Allen fromen Christen"125 widmete. Das Werk des kerygmatischen Lobens beziehungsweise Dankens ist auch nach den „Summarien" ein allgemeines Werk aller Christen126. Luthers Gepflogenheit, den kerygmatischen Vorgang mit Begriffen des Lobens beziehungsweise des Dankens zu bezeichnen, war nicht originell. Er Schloß sich dem kirchlich-biblischen Sprachgebrauch an, der ihm zu seiner Zeit begegnete. Besonders deutliche Belege für diese Annahme findet man in Hieronymus' Psalterübersetzung aus dem Hebräischen. -

Hieronymus übersetzte Ps 51,15-17 folgendermaßen: „docebo iniquos vias tuas / et peccatores ad te revertentur / libera me de sanguinibus Deus Deus salutis meae / laudabit lingua mea iustitiam tuam / Domine labia mea apenes / et os meum adnuntiabit laudem tuam"127 [„Ich will die Gottlosen deine Wege lehren, daß sich die Sünder zu dir bekehren. Erlöse mich von Blutschuld, Gott, o Gott meines Heils, damit meine Zunge deine Gerechtigkeit lobe. Herr, tue meine Lippen auf, daß mein Mund dein Lob verkündige."].

125 WA 38,9,1. 126 In der Abhandlung „Daß eine christliche Versammlung oder Gemeine Recht und Macht habe, alle Lehre zu urteilen und Lehrer zu berufen, ein- und abzusetzen. Grund und Ursach aus der Schrift" aus dem Jahr 1523 hatte Luther im Zusammenhang mit der Lehre vom allgemeinen Priestertum bereits einen allgemeinen Verkündigungsauftrag vorausgesetzt. Er hatte diesen auch schon mit Ps 51,15 - nach der Zählung der Vulgata: Ps 50,15 - verbunden. Siehe WA 11,411,31-412,13: „Denn das kan niemant leucken [„leugnen"], das eyn iglicher Christen gottis wort hatt und von gott gelert und gesalbet ist tzum priester,... Ists aber also, das sie gottis wort haben und von yhm gesalbet sind, so sind sie auch schuldig, das selb zu bekennen, leren und ausbreytten, wie Paulus sagt .1. Corin. 4. [2. Kor 4,13] ,Wyr haben auch den selben geyst des glaubens, darumb reden wyr auch', wie der Prophet sagt Psalm .115. [Ps 116,10] ,lch bin gleubig worden, darumb rede ich'. Und Psalm .50. [Ps 51,15] sagt er von allen Christen ,Ich will die gottloßen deyne wege leren und das sich die sunder zu dir bekeren'. Alßo das hie abermal gewiß ist, das eyn Christen nicht alleyne recht und macht hatt, das gottis wort tzu leren, sondern ist das selbige schuldig tzuthun bey seyner seelen verlust und gottis Ungnaden." In der dritten Psalmenvorlesung nimmt Luther im Rahmen der Auslegung von Ps 134,1 bezüglich des kerygmatischen Lobens ausdrücklich alle Christen in die Pflicht: WA 40 111,472,1-3: „,Omnes servi' : Das sind principaliter ministri, postea omnes, qui privatim confitentur, vel occasio et necessitas, ut publice confiteamur. Das heist celebrare." [,,,ΑΙΙε Knechte': Das sind hauptsächlich die Diener (am Wort), daraufhin alle, die privat bekennen. Wenn die Gelegenheit und die Notwendigkeit da sind, sollen wir alle öffentlich bekennen. Das heißt: lobpreisen."] Vgl. Brush, Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis, 211. 127 Ps 50,15-17 nach der Zählung der Vulgata.

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

-

141

Ps 26,6-7 lautet bei ihm so: „lavabo in innocentia manus meas / et circuibo altare tuum Domine / ut clara voce praedicem laudem / et narrem omnia mirabilia tua"128 [„Ich will meine Hände in Unschuld waschen und will um deinen Altar herum sein, Herr, daß ich mit klarer Stimme Lob predige und alle deine Wunder erzähle."].

- Ps 107,22 gab er wie folgt wieder: „et immolent hostias gratiarum / et narrent opera eius in laude"' 29 [„... und sie sollen Dankopfer opfern und sollen seine Werke mit Lob erzählen."]. Die Begriffe des Lobens sowie auch der Begriff des Dankens sind hier in ähnlicher Weise wie sonst bei Luther in der dritten Psalmenvorlesung auf die Begriffe des Lehrens und Verkündigens bezogen. Sie sagen wie bei Luther etwas Wesentliches über die Art und Weise des Verkündigens aus.

2. Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens Die bisherige Untersuchung bezog sich auf Stellen in der dritten Psalmenvorlesung, an denen Luther auf die sprachlichen Gebetsakte des Lobens und des Dankens aufmerksam macht. Es wurde deutlich, daß an diesen Stellen Akte gemeint sind, die von einem Menschen ausgeführt werden, bei dem die Absicht, zu Gott zu sprechen, mit der Absicht, zugleich zu seinen Mitmenschen zu sprechen, verbunden ist. Es konnte geschlußfolgert werden, daß die Gebetsakte des Lobens und des Dankens bei Luther eine „kerygmatische Gestalt" annehmen können. Die Untersuchung geht auch im folgenden von Stellen in der dritten Psalmenvorlesung aus, an denen Luther auf die sprachlichen Gebetsakte des Lobens und des Dankens aufmerksam macht. Diesmal handelt es sich freilich um jene Stellen, an denen Akte gemeint sind, die von einem Menschen ausgeführt werden, bei dem die Absicht, zu den Mitmenschen zu sprechen, nicht mehr vorhanden ist oder doch zumindest hinter der Absicht, zu Gott zu sprechen, zurück-

128 Ps 25,6-7 nach der Zählung der Vulgata. 129 Ps 106,22 nach der Zählung der Vulgata.

142

Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

tritt. An diesen Stellen geht es um die „Gebetsgestalt" der Gebetsakte des Lobens und des Dankens. Es wird im folgenden der Versuch unternommen, die „Gebetsgestalt" der Gebetsakte des Lobens und des Dankens bei Luther zu rekonstruieren, um daraufhin die Struktur der Gebetsakte des Lobens und des Dankens bei Luther beschreiben zu können. Die Gebetsakte des Lobens und des Dankens kommen wiederum zunächst getrennt voneinander in den Blick.

a) Loben aa) Kontemplatives Lobpreisen? Als erstes soll der Frage nachgegangen werden, ob Luthers Beten nicht wenigstens zum Teil auch von der Gebetspraxis der mittelalterlichen Mystiker her beeinflußt war. Friedrich Heiler beschreibt in seinem oben erwähnten Werk130 das mystische Gebet als ein epochen- und religionsübergreifendes Phänomen131. Er unterscheidet bei diesem Phänomen die Stufen der Konzentration und der Kontemplation. Ziel beider Stufen sei die Ekstase, die Vereinigung mit Gott, dem „summum bonum", die allerdings schon nicht mehr zum Gebet im eigentlichen Sinn gehöre, da bei ihr - anders als bei der Konzentration und der Kontemplation - das Gegenüber von Beter und Angebetetem, von Mensch und Gott, Ich und Du verschwunden sei132. Kennzeichnend für die Stufe der Konzentration sei das Wollen und Streben des Menschen, alle Aufmerksamkeit von der äußeren Wirklichkeit abzuwenden und dem jenseits der Welt stehenden „summum bonum" zuzuwenden. Das Gebet nähme auf dieser Stufe zumeist die Form der Bitte an133. Die Stufe der Kontemplation folge der Stufe der Konzentration in dem Augenblick, in dem die aktiv aufgebaute Spannung der Gottessehnsucht sich auflöse, weil der Beter vom „summum bonum" ergriffen werde. Der Beter verhalte sich dem „summum bonum" gegenüber nun passiv. Er sei

130 S. III., bei Anm. 4-7. 131 Siehe Heiler, Gebet, bes. 284-321. 132 Vgl. Heiler, a.a.O., 286.306. 133 Vgl. Heiler, a.a.O., 2 9 I f .

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

143

jetzt in das „summum bonum" versunken und betrachte es voller Ehrfurcht, Staunen und Entzücken. Das Gebet würde auf der neuen Stufe zumeist zum wortlosen Gebetszustand. Der die Kontemplation begleitende Affekt könne aber auch so gewaltig sein, daß er sich nach außen entlüde und es somit auch auf dieser Stufe zu einem Beten in Worten komme134. Die der Kontemplation entspringende Rede ist nach Heilers Zusammenstellung von Zitaten aus dem Schrifttum der Mystiker eine allgemeine hymnische Beschreibung Gottes. Im kontemplativen Lobpreis der Mystiker geht es hauptsächlich um Gottes Größe und Einzigartigkeit. Bezüge zu konkreten menschlichen Anliegen sind nicht vorhanden. Der Mensch kommt im Lobpreis nur dann zum Vorschein, wenn er seine völlige Liebeshingabe an Gott, seine eigene Nichtigkeit sowie die Freude über die Gnade, die sich fur ihn im Willen Gottes zur Vereinigung mit der menschlichen Seele zeigt, bekundet'^5. Analysiert man die dritte Psalmenvorlesung im Zusammenhang einer Phänomenologie des mystischen Gebets, dann wird man auf einige Stellen aufmerksam, die an den kontemplativen Lobpreis der Mystiker erinnern. -

Im Rahmen der Erörterung von Ps 90,2 sagt Luther beispielsweise: „Et tu es ille verus Deus, qui fuit ab aeterno et manet in eternum. ... Tu talis es, qui nullius creaturae indiges; ... Tu es, Tu fuisti et nullus praeterea alius ante nativitatem terrae.... Tu fuisti tibi sufficiens, si etiam non creares coelum et terram."136 [„Und du bist der wahre Gott, der von Ewigkeit war und in Ewigkeit bleibt. ... Du bist ein solcher, der keiner Kreatur bedürftig ist; ... Du bist und du warst auch kein anderer vor der Geburt der Erde.... Du warst dir selbst genug und hättest es nicht nötig gehabt, Himmel und Erde zu erschaffen."]

- Im Rahmen der Auslegung von Ps 90,3 findet sich der Satz: „Tu occidis omnem hominem ut unum hominem, sicut et viventem, a principio mundi usque ad finem." 137 [„Du tötest einen jeden Menschen, wie du auch einen jeden lebenden machst, vom Anfang der Welt bis zu ihrem Ende."] -

Innerhalb des Kommentars zu Ps 90,5 begegnet die Äußerung: „Homines sunt in conspectu tuo aquae, quae fur vber rauscht et scheust, ut pfeil; sicut

134 135 136 137

Vgl. Heiler, a.a.O., 289-291.298f. Vgl. Heiler, a.a.O., 299-306. WA 40 111,508,3-509,4. WA 40 III,519,2f.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

der tag hin vber rausscht, sic vita nostra."138 [„Die Menschen sind vor deinem Angesicht Wasser, das vorüberrauscht und dahinschießt wie ein Pfeil; wie der Tag dahinrauscht, so rauscht auch unser Leben dahin."] Diese Sätze sind mit dem kontemplativen Lobpreis der Mystiker nur der sprachlichen Form und der inhaltlichen Aussage nach zu vergleichen. Nun ist es zwar vorstellbar, daß eine Kontemplation Gottes, die sich auf einer Stufe vollzieht, auf der der Beter sich innerlich von der äußeren Wirklichkeit zurückgezogen hat, auch innerhalb eines Vorlesungsgeschehens spontan und für einen Moment auftritt. Es kann jedoch ausgeschlossen werden, daß diese Sätze von einer derartigen Kontemplation ausgelöst wurden. Der Grund hierfür liegt in der Tatsache, daß es sich bei ihnen - wie bei den meisten abgrenzbaren Gebetsformulierungen innerhalb der dritten Psalmenvorlesung - eben um Paraphrasen und paraphrasenähnliche Sätze handelt139. Luther leitete sie von einem vorgegebenen Text, das heißt: von einem Bestandteil der äußeren Wirklichkeit, ab. Anders ausgedrückt: Luther nahm den vorgegebenen Text, den Bestandteil der äußeren Wirklichkeit, im Lobpreis auf140. Luthers Lobpreis entstand demnach nicht in einem Zustand der grundsätzlichen Verneinung, sondern in einem Zustand der grundsätzlichen Bejahung der äußeren Wirklichkeit. Luthers Lobpreis war fest in der äußeren Wirklichkeit verankert; und es wird an keiner der zitierten Stellen erkennbar, daß Luther geneigt war, einen derartig verankerten Lobpreis als einen defizitären Lobpreis zu betrachten. Die genannten Stellen sind nicht die einzigen in der dritten Psalmenvorlesung, die ins Blickfeld geraten, wenn es darum geht, Spuren mystischen Betens und hier insbesondere Spuren kontemplativen Lobpreises bei Luther ausfindig zu machen. Auf Anzeichen einer positiven Einschätzung des kontemplativen Lobpreises der Mystiker innerhalb der dritten Psalmenvorlesung könnte man ja vor allem an jenen Stellen stoßen, die vom Anbeten sprechen.

138 WA 40 111,527,9-528,1. 139 S . o . V. 140 Zur Gebetsintention der paraphrastischen Gebetsformulierungen innerhalb der dritten Psalmenvorlesung s. ο. V. I., bei Anm. 27-59.

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

145

Die Sinneinheiten der dritten Psalmenvorlesung, in denen Luther mit dem Begriff „adorare" Bezüge der Menschen zu Gott oder zu Christus beschreibt141, können in zwei Gruppen eingeteilt werden. Luther benutzt den Begriff „adorare" zum einen an Stellen, an denen er die Bedeutung des Jerusalemer Tempels für die Juden hervorhebt142. -

In der Auslegung von Ps 130,1 heißt es zum Beispiel: „Sic Iudaeorum nemo veniebat ad deum, nemo poterat adorare nisi per tabernaculum et propiciatorium; quando alias adorabant in montibus, collibus, erat eadem adoratio, dicebatur lex Mosis et regebatur populus secundum legem Mosis, et tarnen idololatria, quia erat extra praescriptum, quia deus dixerat se adorandum in Ierusalem vel loco, quem designasset. Hoc generale sit in omnibus psalmis, quod non est deus in Iudaea quam in Ierusalemico tempio."143 [„So kam niemand von den Juden zu Gott, niemand konnte anbeten außer durch die Stiftshütte und den Gnadenstuhl. Wenn sie woanders auf Bergen und Hügeln anbeteten, war es zwar dieselbe Anbetung, es wurde das Gesetz des Mose vorgetragen und das Volk wurde nach dem Gesetz des Mose regiert, und dennoch war es Götzendienst, weil es außerhalb der Vorschrift geschah, weil Gott gesagt hatte, daß er in Jerusalem oder an dem Ort anzubeten sei, den er dazu bestimmt hätte. Dies ist eine allgemeine Regel in allen Psalmen, daß Gott nicht in Judäa ist wie im Jerusalemer Tempel."] „Adorare" dient in diesem Abschnitt der Erläuterung von „venire ad deum". Man darf allerdings nicht mutmaßen, Luther habe bei dieser Erläuterung auf einen einzelnen, nach Form und Inhalt festgelegten Gebetsvollzug anspielen wollen. Die Tat-

141 Die gemeinten Sätze und Abschnitte finden sich in folgenden Texten: WA 4 0 11,266,1-12 (zu Ps 2,8); 284,7-286,11 ; 296,14-297,4 (zu Ps 2,11 ); 298,11-312,3 (zu Ps 2,11 f.); 583,1 11 ; 590,12-595,9 (zu Ps 45,12); 597,6-598,16 (zu Ps 45,13); W A 4 0 II 1,52,14-53,1 (zu Ps 121,1); 80,4-7 (zu Ps 122,1); 95,1-10 (zu Ps 122,3); 125,15f. (zu Ps 123,1); 131,6-9 (zu Ps 123,3); 299,10-13 (zu Ps 128,4); 300,5-9; 303,4-6 (zu Ps 128,5); 337,4-338,2 (zu Ps 130,1); 358,11-17 (zu Ps 130,4); 403,1-19 (zu Ps 132,7); 404,14-405,15 (zu Ps 132,8); 474,12-475,6 (zu Ps 134,3); 509,3-7 (zu Ps 90,2). Diese Liste enthält auch die wenigen Stellen, an denen die Substantivbildung „adoratio" in der dritten Psalmenvorlesung vorkommt. Das deutsche Wort „anbeten" begegnet in der Vorlesung nur ein einziges Mal (siehe WA 4 0 111,475,1 f. [zu Ps 134,3]). 142 Siehe W A 4 0 11,301,7f. (zu Ps 2,11 ); WA 4 0 111,52,14-53,1 (zu Ps 121,1 ); 95,1 -10 (zu Ps 122,3); 125,15f. (zu Ps 123,1 ); 300,5-9; 303,4-6 (zu Ps 128,5); 337,4-338,2 (zu Ps 130,1); 405,11-15 (zu Ps 132,8); 474,12-475,4 (zu Ps 134,3). 143 WA 4 0 111,337,4-11.

146

Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

sache, daß Luther „adorare" zunächst wiederholt als absolutes Verb gebraucht, deutet darauf hin, daß „adorare" hier als ein allgemeiner Begriff verstanden werden muß, mit dem Luther in ähnlicher Weise wie mit dem Ausdruck „venire ad deum" den an den Tempel gebundenen Vollzug der Gottesverehrung als einen Gesamtvollzug, das heißt: unter gänzlicher Absehung von Einzelvollzügen bezeichnet. -

Im Kommentar zu Ps 121,1 findet sich folgende Äußerung: „... Quia isti montes non erant electi, deus non fecerat memoriam sui verbi, deus dixerat, ut Ierosolymam venirent, vel, si non, ut corde et oculis verterent ad situm Ierosolymae. Sic Daniel aperuit fenestram. i. e. Vult deus adorari loco a se nominato, quem ideo proponit, ut prohibeat omnes arbitrarias devotiones et religiones, et eligat cultum, qui sibi placet, tum deo non placet.""14 [„... Weil jene Berge nicht erwählt waren, weil Gott dort nicht das Gedächtnis seines Wortes gestiftet hatte, weil Gott gesagt hatte, daß sie nach Jerusalem kommen sollen, oder, wenn sie das nicht könnten, daß sie sich mit dem Herzen und den Augen in die Gegend Jerusalems wenden sollen. So hat Daniel das Fenster geöffnet. Das heißt: Gott will an dem von ihm genannten Ort angebetet werden, den er deswegen vorgibt, weil er alle willkürlichen Formen der Andacht und des Gottesdienstes verhindern will, und wenn jemand einen Gottesdienst erwählt, der ihm gefällt, dann gefällt es Gott nicht."] In diesem Abschnitt begegnet die Unterscheidung zwischen der Gottesverehrung der Juden in Jerusalem und der Gottesverehrung der Juden außerhalb Jerusalems mit innerer und äußerer Ausrichtung auf Jerusalem. Für den letzteren Typus fuhrt Luther als Beispiel das Privatgebet des Propheten Daniel in Babylon an. Wenn nun der Begriff „adorare" in einer sich unmittelbar anschließenden Aussage vorkommt, die sich auf dieses Privatgebet bezieht, dann liegt die Frage, ob Luther mit „adorare" nicht auch eine spezielle Art und Weise der Gebetsgestalt andeutet, besonders nahe. Da sich der Satz mit dem Stichwort „adorare" allerdings nicht ausschließlich auf das Privatgebet Daniels, sondern sich darüber hinaus und eigentlich vorrangig auf die beiden genannten Grundsituationen der Jerusalem verbundenen Gottesverehrung bezieht, kann „adorare" auch an dieser Stelle nur als ein allgemeiner Begriff für die Vorgänge der Gottesverehrung der Juden verstanden werden.

144 WA 4 0 111,52,14-53,1.

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

147

Was für die beiden zitierten Stellen gilt, gilt schließlich auch für die übrigen Stellen, an denen es Luther um den durch die göttliche Institution des Jerusalemer Tempels ermöglichten Gottesbezug der Juden geht: „Adorare" erscheint in jedem Fall als relativ unspezifischer Begriff und bezeichnet in keinem Fall bloß eine einzelne Gebetsart, die von sonstigen Gebetsarten zu unterscheiden wäre. Für die zweite Gruppe von Sinneinheiten, die den Begriff „adorare" enthalten, ist kennzeichnend, daß in ihnen das, was mit „adorare" gemeint ist, anders als in den Einheiten der ersten Gruppe nicht notwendigerweise in einem direkten Zusammenhang mit einer äußeren Institution steht. - Eine bemerkenswerte Stelle in der Auslegung von Ps 2,11 lautet folgendermaßen: „Cultus Christianus est, unicum filium adorare, ut extra eum nihil agnoscas. Si vis patrem invenire, oculos, aures claudas, nihil spectes in celo, in terra quam illum filium."145 [„Der christliche Gottesdienst besteht darin, den einigen Sohn anzubeten, so daß du außer ihm nichts anerkennst. Wenn du den Vater finden willst, schließe die Augen und die Ohren und betrachte nichts im Himmel und auf Erden als jenen Sohn."] Diese Stelle zieht das besondere Interesse auf sich, da der Begriff „adorare" hier mit einem Satz erklärt wird, dessen Ausdrucksweise eindeutig der Theologie der mittelalterlichen Mystiker entstammt. Auffallig ist vor allem der Ausdruck „oculos claudere". Winfried Zeller betont in einem Aufsatz über das Verhältnis von Luthertum und Mystik, daß es sich bei diesem Ausdruck um einen spezifisch mystischen Terminus handelt. Im Mittelalter habe man das griechische Wort μύειυ [„verschließen"], das man als Stammwort für den Begriff „Mystik" angesehen habe, mit „oculos claudere" wiedergegeben146. In Luthers Anweisung, die Augen und die Ohren zu schließen und nichts im Himmel und auf Erden zu betrachten als allein den Sohn, spiegelt sich die Anweisung der Mystiker, sich von der Mannigfaltigkeit der Außenwelt ganz und gar abzukehren und das innere Leben mit der Vielfalt seiner Überlegungen und Regungen ganz und gar zu vereinfachen. Aufgrund der Ausrichtung auf Christus statt der Ausrichtung auf ein allgemeineres „summum bonum" kann man sogar sagen, daß sich

145 WA 4 0 11,304,6-8. Vgl. auch WA 4 0 111,338,10-339,1 (zu Ps 130,1). 146 Vgl. Zeller, Luthertum und Mystik, 102f. Zeller weist den Terminus bei Luther in der Römerbriefvorlesung (1515-1516) sowie in einer Äußerung während des Marburger Religionsgesprächs (1529) nach.

148

Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

hier ein Reflex bernhardinischer Brautmystik findet147. Das Anbeten geschieht für Luther also an dieser Stelle durch einen Vorgang der Konzentration auf Christus148. Der Begriff „adorare" ist allerdings selbst im Kontext mystischer Terminologie nicht im Sinn der Mystik zu deuten. Das liegt einerseits schlicht und einfach daran, daß Luther im Rahmen der Erklärung von Ps 126,5 die Brautmystik ausdrücklich ablehnt149. Das liegt andererseits aber auch an der Tatsache, daß

147 Zur Phänomenologie der Brautmystik vgl. Heiler, Gebet, 331-341. 148 Daß es tatsächlich auch bei Luther um „Konzentration" geht, ergibt sich insbesondere auch aus WA 40 111,301,12-15 (zu Ps 128,5): „Nos habemus nostrum sion ipsum dominum, quia Christiana sapientia est hec, nullomodo dispergi et volatiles habere cogitationes extra Christum, sed colligendae cogitationes in obiectum unicum, quod Christus vocatur." [„Wir haben als unseren Zion den Herrn, weil die christliche Weisheit darin besteht, durch nichts zerstreut zu werden und keine fliegenden Gedanken zu haben außerhalb von Christus; sondern die Gedanken sind auf einen einzigen Gegenstand hin zu sammeln, der Christus heißt."] 149 Siehe WA 40 111,199,5-13: „Christiana vita non est hypocritarum; speculanturnescio quas uniones cum sponso Christo. Non sensi istos gustus, quos ipsi fingunt. Anima sponsa et Christus sponsus confluunt etc. Sed fabulae sunt. Est hypocrisis illa; Christiana vita est hec: ante omnia apprehendere verbum; hec unio cum deo, illud quotidianum exerceri et augeri, quia diabolus, mundus, caro veniet et tentabit. Ideo tene te ad orationem et verbum, ut preces et verbum habeas in promptu, ubi venit tentatio, ne desperes; quae mittuntur, ut sanctificetur amplius, quia non vult eum derelinquere, sed exerceri." [„Das christliche Leben ist nicht wie das Leben der Heuchler; die denken sich ich weiß nicht welche Vereinigungen mit dem Bräutigam Christus aus. Ich habe nicht diese Genüsse empfunden, die sie erdichten: Die Seele als Braut und Christus als Bräutigam fließen ineinander usw. Es sind aber Fabeln und es ist eine Heuchelei. Das christliche Leben besteht vor allem darin, das Wort zu ergreifen; das ist die Vereinigung mit Gott; jenes muß täglich geübt und gemehrt werden, weil Teufel, Welt und Fleisch kommen und anfechten werden. Deshalb halte dich ans Gebet und ans Wort, daß du das Gebet und das Wort zur Hand hast, damit du, wenn die Anfechtung kommt, nicht verzweifelst. Diese Dinge werden gesandt, daß der Christ immer mehr geheiligt wird. Denn Gott will ihn nicht verlassen, sondern er will, daß er geübt wird."] Luther stellt in diesem Abschnitt der brautmystischen „unio cum Christo" eine „unio cum deo" gegenüber, die nicht die Mannigfaltigkeit des Lebens durch einfache Abkehr transzendiert, sondern die sich auf dem Kampfplatz des Lebens in direkter Auseinandersetzung mit der Mannigfaltigkeit der Anfechtungen vollzieht. Entscheidend ist für Luther dabei, daß die „unio cum deo" durch das schlichte Ergreifen des „verbum dei" zustande kommt. Das Ergreifen des „verbum dei" ist in diesem Zusammenhang nicht lediglich die Vorstufe eines zweifelhaften und ungewissen Aufschwungs der Seele zur „unio cum deo". Im Akt des Ergreifens des „verbum dei" ist die „unio cum deo" bereits realisiert. Luther beschreibt hier die „unio cum deo" als „unio cum verbo dei" und zugleich die „unio cum verbo dei" als „unio cum deo". Von der „unio" der Seele mit dem Wort sprach Luther übrigens in den frühen Jahren der Reformation an exponierter Stelle, wie der

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

149

Luther im ersten Satz des ziterten Abschnitts eine Verbindung zwischen dem Begriff „adorare" und dem Begriff „agnoscere" herstellt. Aus dem Satz „Cultus Christianus est, unicum filium adorare, ut extra eum nihil agnoscas" folgt, daß beim Anbeten des Sohnes das Anerkennen des Sohnes eine Rolle spielt. Luther knüpft an dieser Stelle an das an, was er kurz zuvor in einer Zusammenfassung seiner Erläuterung von Ps 2,11 präzise zum Ausdruck gebracht hat:

bereits erwähnte Freiheitstraktat (s. bei Anm. 43-45) zeigt. Luther thematisierte die „unio cum verbo" im Jahr 1520 nicht im Gegensatz zur „unio cum Christo", sondern erläuterte beide „uniones" in ihrem positiven Verhältnis zueinander (vgl. WA 7,24,22-25,4.26-26,12 [deutsch]; 53,15-33; 54,31-55,36 [lateinisch]). Eine positive Aufnahme der brautmystischen Sprache war möglich, da Luther die zugrunde liegende Auffassung von der „unio" gründlich transformierte. Karin Bornkamm kommt bei ihrer Analyse des Freiheitstraktats zu dem Schluß, daß Luther die „unio cum Christo" auf die Rechtfertigung aus Glauben konzentrierte (vgl. dies., Christus - König und Priester, 188). Daß er dabei, wie sie anführt, stärker als die bemhardinische Mystik an eherechtlichen Überlegungen interessiert war, hängt mit eben dieser Konzentration zusammen. Luther hat den positiven Gebrauch brautmystischer Terminologie in seinen späten Jahren keineswegs aufgegeben. Man beachte, daß sich neben der zitierten polemischen Äußerung in der dritten Psalmenvorlesung auch ein großer Komplex findet - die Auslegung von Ps 45,10 (siehe WA 40 11,553, 7-563,8) - , in dem Luther immer wieder in positiver Weise von Christus als Bräutigam spricht. Luther ruft hier zur „unio cum sponso Christo" auf, ohne freilich den Begriff der „unio" zu verwenden: WA 40 11,559,3-5: „Sed superandum peccatum et sensum peccati: Sive sit hic sensus peccati, mortis, nihil curo; altius ascendendum, ad meum sponsum per fidem in verbo eius." [„Aber man muß die Sünde und das Empfinden der Sünde überwinden: Mag das Empfinden der Sünde und des Todes da sein, es kümmert mich nicht; man muß höher steigen, zu meinem Bräutigam durch den Glauben in seinem Wort."] Diese Stelle ist auch ein weiteres schönes Beispiel für Luthers Verständnis der „unio cum deo" beziehungsweise „unio cum Christo" als „unio cum verbo dei". Zur Ausformung der „unio"-Thematik bei Luther in der Zeit vor der Abfassung der Freiheitsschrift vgl. Bornkamm, a.a.O., 99-113. Eine nach wie vor sehr instruktive Darstellung von Luthers Verständnis der „unio cum deo" als „unio cum Christo" stammt von Erich Vogelsang (ders., Unio mystica bei Luther). Zu erwähnen ist hier auch ein Vortrag von Albrecht Beutel vom 3. April 1992 (ders., Antwort und Wort). Ausgehend von der durch die neuere finnische Lutherforschung aufgeworfenen Frage nach dem Verständnis der Vergöttlichung des Menschen bei Luther unterstreicht Beutel, daß es für Luther der Glaubende ist, der in der „unio cum Christo" an der göttlichen Fülle teilhat (vgl. a.a.O., 40). Er weist in diesem Zusammenhang nicht nur darauf hin, daß Luthers Auffassung der „unio cum Christo" gegen die mystische Vorstellung eines „konturlosen Verschmelzens" von Gott und Mensch abzugrenzen ist (a.a.O., 44). Da es in der Glaubensbeziehung des Menschen zu Gott beziehungsweise Christus um die reale Gegenwart Gottes geht, sieht er sich zugleich auch veranlaßt, „die auf die unio cum Christo bezogene These einer unversöhnlichen Opposition von relationaler und realer Verbindung zwischen Gott und Mensch" zu bestreiten (a.a.O., 43). Luthers eigener versuchsweiser Umgang mit mystischen Praktiken fand wohl in den Jahren 1511/12 statt (vgl. Brecht, Martin Luther I, 101f.l26).

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

„Audistis hunc esse Summum cultum, qui vocatur,servire domino in timore Et exultare in tremore'. Illa enim est religio vera, timere Et confidere. Quando ista duo recht ghen, tum tota vita est iusta et Sancta, ceremoniae et quicquid operum externorum et omnia gubernantur felicius, si isti duo affectus sunt recte instituti. Das ist una pars religionis: servire etc. Secunda: adorare, i. e. erga deum verti, agnoscere, incurvare."150 [„Ihr habt gehört, daß das der höchste Gottesdienst ist, der da heißt ,dem Herrn dienen mit Furcht und sich freuen mit Zittern'. Denn das ist die wahre Religion: fürchten und vertrauen. Wenn diese beiden Dinge in rechter Weise in Gang sind, dann ist das ganze Leben gerecht und heilig; die Zeremonien und alles, was es an äußerlichen Werken gibt, das wird alles glücklicher geregelt, wenn diese beiden Affekte richtig eingerichtet sind. Das ist der eine Teil der Religion: dienen usw. Der andere ist: anbeten, das heißt: sich Gott zuwenden, ihn anerkennen, sich vor ihm neigen."]

Durch die Definition am Ende dieses Resümees wird deutlich, daß das Anerkennen in den Fällen, in denen Luther die Begriffe „adorare" und „agnoscere" miteinander verbindet, nicht nur ein Teilaspekt des Anbetens ist. Die Vorgänge des Anerkennens und des Anbetens sind in diesen Fällen offenbar identisch. Aus der Definition geht zudem hervor, was man unter dem Begriff „agnoscere" und folglich unter dem Begriff „adorare" bei Luther im Fall der Identität der bezeichneten Vorgänge genauer zu verstehen hat. Der Gegenstand des Erkennens ist hier offenbar die Person, der man sich zuwendet: also Gott beziehungsweise Christus. Für die Struktur des Erkennens ist hier wesentlich, daß die Person, die erkennen will, sich Gott beziehungsweise Christus so zuwendet, daß sie sich zugleich vor Gott beziehungsweise Christus neigt. „Agnoscere" meint das Anerkennen Gottes als Gott beziehungsweise das Anerkennen Christi als Herrn. Wie das Stichwort „confidere" andeutet, handelt es sich bei diesem Vorgang letztlich um die Grundstruktur des Glaubens151.

150 WA 4 0 11,296,14-297,4. Vgl. W A 4 0 11,286,2-6; 299,13-19; 311,2-312,1 (zu Ps 2,12); 583,1-11; 590,12-592,2; 593,12-595,6 (zu Ps 45,12). 151 Die Übereinstimmung von „adorare", „agnoscere" und „credere" wird besonders gut in WA 4 0 11,594,12-595,6 (zu Ps 45,12) sichtbar: „Ipse verus deus hoc mandat: adorate filium, ego sum adoratus, quia filius et ego sumus unum. Ideo me non treffet quam in et per filium. Ibi ,omnis plenitudo divinitatis'. Ideo cum gaudio et letitia, certitudine adorare filium dei, dominum nostrum ut verum deum, non speculatum. Cultus nunc dei non est servare ullas religiones, ceremonias gentium, Pape, Mosi, Circumcisionem, sed apprehen-

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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Der Begriff „adorare" bezeichnet in den besagten Fällen den Vorgang des Anerkennens Gottes beziehungsweise Christi oder - anders ausgedrückt - den Vorgang des Glaubens. Der Glaube aber ist bei Luther nicht abhängig vom Gelingen mystischer Aufstiegsversuche. Er muß nicht auf Erlebnisse geistlicher Höhenflüge warten, um sich durch sie ausweisen zu können, sondern begründet sich in der Tiefe der alltäglichen Anfechtungssituation ständig durch das Wort Gottes152. Luther benutzt den Begriff „adorare" in allen Einheiten der zweiten Gruppe in einem nichtmystischen Sinn fur den inneren Vollzug des Glaubens153. Spricht

dere et credere hunc Regem et verum filium dei et post in timore agnoscere et credere et omnia in obsequio eius operari." [„Der wahre Gott selbst befiehlt dies: Betet den Sohn an, ich bin dann angebetet, weil der Sohn und ich eins sind. Daher trefft ihr mich auf keine andere Weise als in dem Sohn und durch den Sohn. Da ist ,die ganze Fülle der Gottheit' (Kol 2,9). Daher ist der Sohn Gottes, unser Herr, mit Freude und Frohlocken und Gewißheit als der wahre Gott anzubeten und nicht als ein erdachter. Der Gottesdienst besteht folglich nun nicht darin, irgendwelche Gebräuche und Zeremonien der Heiden, des Papstes, des Mose, etwa die Beschneidung, einzuhalten, sondern diesen König und wahren Sohn Gottes zu ergreifen und zu glauben und danach in Furcht anzuerkennen und zu glauben und alles im Gehorsam ihm gegenüber zu verrichten."] 152 Zum hier angesprochenen Gegensatz von „tentatio" und „contemplatio" bei Luther vgl. Nicol, Meditation bei Luther, 91 -96. Für Nicol ergibt sich aus dem Vergleich des mittelalterlichen Meditationsschemas „lectio - meditatio - oratio - contemplatio" mit Luthers Trias „oratio - meditatio - tentatio" aus dessen Vorrede zum ersten Band der Wittenberger Ausgabe seiner deutschen Schriften von 1539 (s. IV., bei Anm. 26-28), daß die „tentatio" bei Luther die Stelle einnimmt, die in der geistlichen Übung des Mittelalters der „contemplatio" zukam. Die Erfahrung Gottes durch sein Wort in der Situation der Anfechtung ersetze bei Luther die mystische Kontemplation. 153 Er nimmt in diesen Sinneinheiten genau das auf, was er im Jahre 1523 in seiner Schrift „Vom Anbeten des Sakraments des heiligen Leichnams Christi" über das innerliche Anbeten geschrieben hatte (siehe WA 11,443,17-447,4). Ausgehend von Joh 4,20-24 unterschied Luther zwischen dem äußerlichen oder leiblichen und dem innerlichen oder geistlichen Anbeten. Er betonte, daß das äußerliche Anbeten „des gantzen leybs werck" darstelle: Man neige das Haupt, bücke den Leib, falle auf die Knie, falle auf die Erde usw. Es handele sich um eine äußerliche Ehrerbietung, die man sowohl Gott als auch Menschen zuteil werden lasse. Luther vergegenwärtigte sich und seinen Lesem die Gestalt des äußerlichen Anbetens, um aus dieser dann die Struktur des innerlichen Anbetens ableiten zu können. Das innerliche Anbeten sei eine Vemeigung des Herzen vor Gott. Dies wiederum sei identisch mit dem Glauben: WA 11,446,13-22: „Auß dißem euserlichen anbetten magstu nu mercken, was Christus heysse eyn recht geystlich anbeten, Nemlich eyn ehrbietung oder neygen des hertzen, damit du dich von grund deyns hertzen ertzeygist und bekennest als seyn unterthenige creatur. Daraus du denn sihest, das solchs anbeten nichts anders mag seyn denn der glawbe oder yhe des glawbens hoehistes werck gegen gott. Denn solchs hertzlich neygen, buecken, ehrbietung, bekenntnis odder wie du es nennen

152

Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

er mit „adorare" - was in seltenen Fällen vorkommt - zugleich auch noch äußere Vollzüge an, dann sind diese als unmittelbare Ausprägungen und Auswirkungen des Glaubens zu verstehen und haben wie der Glaube selbst nichts mit der mystischen Intention zu tun154. Der Überblick über die beiden Gruppen von Sinneinheiten in der dritten Psalmenvorlesung, in denen Luther explizit vom Anbeten Gottes beziehungs-

wilt, vermag niemandt ym hertzen tzu thun gegen gott, er halte denn on alles wancken Gott fur seynen heim und vatter, von dem er alles gutts habe und haben werde, durch wilchen er on allen verdienst von allen sunden und ubel erlost und behalten werde." Luther kam bezüglich des äußerlichen Anbetens auch auf die Bedeutung des in der Vulgata auftauchenden Begriffs „adorare" zu sprechen (vgl. WA 11,446,4-12). Er wollte „adorare" am liebsten mit „ehrerbieten" oder „neigen" übersetzen. In diesem Zusammenhang meinte Luther zwar nur das äußerliche Ehrerbieten. Der Übersetzungvorschlag zeigt jedoch, daß er das lateinische „adorare" sehr leicht auch als Kategorie für das von ihm beschriebene innerliche Anbeten in seine theologische Sprache aufnehmen konnte, ja, daß es sich für ihn sogar anbot, den Begriff „adorare" hauptsächlich in dieser Weise zu gebrauchen. 154 In WA 40 111,403,4-11 (zu Ps 132,7) bezeichnet „adorare" auch die verschiedenen Formen der Verbalisierung dessen, was der Glaube beinhaltet: „Ibi audimus loquentem, ut accipiamus gratiam et spiritum sanctum, et agimus gratias, praedicabimus et narrabimus eius mirabilia nobiscum facta. Sic, quod nobis loquetur suum verbum et agemus gratias pro immensis suis bonis; Invulgemus, cantemus, praedicabimus coram Ecclesia tota, ut et ipsa discat Adorare, inclinare sese et dicere: tu deus meus et omnia habeo a te. Postea aeque, ubi adoraverimus, et facimus alia officia erga proximos." [„Da hören wir ihn (= Gott) reden, so daß wir die Gnade und den heiligen Geist empfangen, und sagen Dank, wollen seine Wunder verkündigen und erzählen, die er an uns getan hat. Also, daß er uns sein Wort sagen will und wir für seine unermeßlichen Güter Dank sagen wollen; wir wollen verkündigen, singen, predigen vor der ganzen Kirche, damit auch sie es lernt anzubeten, sich zu neigen und zu sagen: Du bist mein Gott und alles habe ich von dir. Nachdem wir angebetet haben, versehen wir ebenso auch die anderen Dienste für die Nächsten."] Bei dem mit „... dicere: tu deus meus et omnia habeo a te" beschriebene Vollzug handelt es sich allerdings nur um einen fiktiven äußeren Vollzug. In WA 40 111,299,10-13 (zu Ps 128,4) schließt „adorare" auch das berufsethische Verhalten ein: „Das ghort den zu, ,qui timent deum': i. e. colunt. Late utuntur hoc verbo: labiis colit me, ore timet me, i. e. colunt, recte transtulit. Est cultus, reverentia dei, timor; agnoscere, fidere, omnem spem in deum, obsequi, obedire in sua vocatione, das heist er adorare. Impiis hic nihil canitur." [„Das gilt denen, ,die Gott furchten', das heißt: ehren. Dieses Wort gebrauchen sie (= die Propheten) in einem weiten Sinn: Mit den Lippen ehrt es ( - das Volk) mich, mit dem Mund fürchtet es mich, das heißt: ehren sie, hat er richtig übersetzt. Gemeint ist Verehrung, Ehrfurcht vor Gott, Furcht; anerkennen, vertrauen, alle Hoffnung auf Gott setzen, Folge leisten, gehorchen in seinem Beruf, das nennt er (= der heilige Geist) adorare. Den Gottlosen wird hier nichts gesungen."] „Adorare" betrifft insofern den Beruf, als die Anerkennung Gottes als Gott nicht ohne die Anerkennung seines für alle Fragen des Lebens und der Lebensgestaltung relevanten Wortes möglich ist.

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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weise Christi redet, zeigt einmal mehr, daß man Hinweise auf das Vorhandensein von kontemplativem Lobpreis der Mystiker bei Luther in der dritten Psalmenvorlesung vergeblich sucht. Daß man Anzeichen einer Akzeptanz des kontemplativen Lobpreises der Mystiker tatsächlich an keiner einzigen Stelle innerhalb der dritten Psalmenvorlesung erwarten darf, wird übrigens klar, wenn man eine Abhandlung heranzieht, die Luther gegen Ende der Vorlesung verfaßte. Gemeint ist die Anfang 1535 entstandene und dann häufig nachgedruckte Schrift „Eine einfaltige Weise zu beten für einen guten Freund"155, in der Luther seine eigene auch für die Zeit der dritten Psalmenvorlesung typische Gebetspraxis erläutert. Luther erörtert in dieser Publikation nicht die verschiedenen Situationen und Anlässe und die daraus resultierenden Formen und Inhalte des Betens156. Er beschränkt sich auf die Beschreibung des Betens als einer zu jeder Zeit möglichen, am besten frühmorgens und abends157 anzusetzenden „geistlichen Übung"158. Gerade diese Beschränkung der Darstellung auf die „Gebetsübung" ist es, was die Schrift für Peter Beskendorf zu einer unverzichtbaren Informationsquelle macht, wenn es um die Frage nach Luthers Verhältnis zum kontempla-

155 WA 38,358-375. Die Schrift liegt in einer kürzeren und in einer am Ende erweiterten Fassung vor. Beide Fassungen werden im folgenden berücksichtigt. Der „gute Freund" war der Wittenberger Barbier und Wundarzt Peter Beskendorf. Er scheiterte tragisch, denn er erstach am 27. März 1535 seinen Schwiegersohn. Luther muß die unter der Jahreszahl 1535 bei Hans Lufft in Wittenberg erschienene erste Fassung bereits vor diesem Ereignis geschrieben haben. Es hätte sonst gewiß nicht zu jener humorvollen Bemerkung kommen können: WA 38,364,7-11: „Gleich als ein guter vleissiger balbirer mus seine gedancken, sinn und äugen gar genaw auff das schermesser und auff die har richten und nicht vergessen, wo er sey im strich oder schnitt, Wo er aber zu gleich wil viel plaudern oder anders wo hin dencken oder gucken, solt er wol einem maul und nasen, die kele dazu abschneiten." Vgl. auch die einleitenden Bemerkungen zu der Schrift in WA 38,351 f.; ebenso Brecht, Martin Luther III, 25f. Ob die erweiterte Fassung, die ebenfalls bei Hans Lufft unter der Jahreszahl 1535 herauskam, von Luther vor oder nach dem Delikt besorgt worden ist, kann nicht geklärt werden. 156 Man darf die Überschrift „Wie man beten sol, fur Meister Peter Balbirer" sowie den ersten Satz „Lieber Meister Peter, Ich gebs euch so gut als ichs habe und wie ich selber mich mit beten halte" (WA 38,358,1-3) nicht wie eine Einleitung zu einer umfassenden Darlegung lesen. 157 Vgl. WA 38,358,5-359,9. 158 Zum Stichwort „geistliche Übung" vgl. die von Martin Nicol durchgeführte Analyse der Schrift fur Peter Beskendorf (Nicol, Meditation bei Luther, 153-167).

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

tiven Lobpreis geht. Der kontemplative Lobpreis der Mystiker tritt ja als Folge einer „Gebetsübung" auf. Hätte Luther ihn praktiziert, dann hätte er ihn bei der Darstellung seiner „Gebetsübung" erwähnen müssen. Nun ist es natürlich hinlänglich bekannt, daß Luther in seiner Anweisung für Peter Beskendorf von einer Erfahrung berichtet, die in ihrer Art dem Erlebnis der mystischen Kontemplation ähnelt. Diese Erfahrung überkommt den Beter im Hauptteil der „Übung", dem eigentlichen Gebetsteil, der im wesentlichen aus dem Beten des Vaterunsers in seinem Wortlaut sowie aus der sich anschließenden Paraphrasierung einzelner oder auch aller Bitten besteht159: - „Kompt wol offt, das ich jnn einem stuecke oder bitte jnn so reiche gedancken spacieren kome, das ich die andern Sechse lasse alle anstehen, Und wenn auch solche reiche gute gedancken komen, so sol man die andern gebete faren lassen und solchen gedancken räum geben und mit stille zuhoeren und bey leibe nicht hindern, Denn da predigt der Heilige geist selber, Und seiner predigt ein wort ist besser denn unser gebet tausent, Und ich hab auch also offt mehr gelernet jnn einem gebet, weder ich aus viel lesen und tichten hette kriegen koennen."160 Diese Erfahrung widerfahrt aber auch im Einleitungsteil der „Übung", in dem der Beter im günstigsten Fall jedes der Zehn Gebote, alle drei Glaubensartikel und auch Psalmen oder sonstige Schriftabschnitte jeweils in einem „vierfachein) gedrehete(n) krentzlin"161 als Lehre, als Danksagung, als Beichte und als Bitte entfaltet162, um sein Herz „zum gebete ledig und luestig" zu machen163: -

„Und wie ich droben gesagt habe im Vater unser, also vermane ich aber mal: ob der Heilige geist unter solchen gedancken kerne und anfienge jnn dein hertz zu predigen mit reichen erleuchten gedancken, so thw jm die ehre, lase diese gefassete dancken faren, sey stille und hoere dem zu, ders besser kan

159 Vgl. WA 38,360,1-362,29. 160 WA 38,363,9-16. 161 WA 38,364,31; vgl. WA 38,365,28f.; 372,26; 373,11. 162 Vgl. W A 38,358,5-359,3; 364,28-365,4; 372,26f.; 373,4-14. 163 WA 38,363,17f.; vgl. WA 38,358,5f.; 359,32; 360,1 f.; 363,4-6.8; 364,3,29f.; 372,27f.32373,3.7.

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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denn du, Und was er predigt, das merck und schreibe es an, so wirstu wunder erfaren (wie David sagt [Ps 119,18]) im Gesetze Gottes."164 Luthers Erfahrung des Geistes ähnelt der spezifisch mystischen Erfahrung insofern, als der Zeitpunkt ihres Auftretens nicht der Verfügungsgewalt des Beters unterliegt und als durch sie die absichtliche Eigentätigkeit des Beters - das Sprechen von Gebetsworten und das Ausbilden von Gebetsgedanken - in eine Ergriffenheit - in ein Stillsein, in ein Hören - übergeht. Die Feststellung von Ähnlichkeiten wird den aufmerksamen Leser jedoch nicht davon abhalten, den fundamentalen Unterschied zwischen dem, was Luther in den Zitaten beschreibt, und dem, was man unter der mystischen Kontemplation zu verstehen hat, wahrzunehmen. Während der Mystiker nämlich bei der Kontemplation des „summum bonum" völlig zur Ruhe kommt und nur gelegentlich in Bewegung gerät, indem er in den kontemplativen Lobpreis ausbricht, findet sich in der Seele des Beters, der die von Luther skizzierte Erfahrung macht, sowohl die Stille als auch eine permanente große Bewegung in dieser Stille. Luther spricht vom „Predigen des heiligen Geistes". Dieses „Predigen" ist nicht nur eine Tätigkeit des göttlichen Geistes, sondern, weil es als ein ununterbrochener reicher Gedankenfluß in Erscheinung tritt, ist es in abgeleiteter Weise auch eine andauernde Tätigkeit der menschlichen Seele. In der Seele, die das „Predigen des heiligen Geistes" vernimmt, korrespondieren das Ruhen und das Tätigsein der Seele fortwährend miteinander. Die Rede von der „Predigt des heiligen Geistes" markiert den Unterschied zwischen der speziellen Gebetserfahrung bei Luther und der Kontemplation des Mystikers auch noch in einer anderen Hinsicht. Der Mystiker kann nicht sagen, daß das „summum bonum" „predigt", denn für ihn ist das, was ihm bei der Kontemplation zuteil wird, unaussprechlich. Mit seinem sporadisch freiwerdenden kontemplativen Lobpreis vermag er das Unsagbare lediglich zu umschreiben. Wenn es bei Luther heißt, daß der heilige Geist „predigt", dann bedeutet dies, daß dem besonderen Gebetserlebnis bei ihm „Worthaftigkeit" 165 eignet: Das, was dem Beter vom heiligen Geist zuteil wird, kann nicht nur aufgeschrieben werden, es soll sogar aufgeschrieben werden.

164 W A 38,366,10-15. 165 Zur „Worthaftigkeit" der von Luther beschriebenen Erfahrung vgl. Nicol, Meditation bei Luther, 88-91.163.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Der Unterschied zwischen der von Luther bezeugten Erfahrung und der mystischen Kontemplation wird schließlich offenkundig, wenn man sich klarmacht, welche Inhalte durch die „Predigt des heiligen Geistes" transportiert werden. Luther betont unter Anspielung auf Ps 119,18166, daß man durch die „Predigt des heiligen Geistes" „wunder (erfährt) im Gesetze Gottes". Die mystische Kontemplation läßt den Beter die heilige Schrift wie alle Elemente und Inhalte, die ihm in der Außenwelt begegnen, vergessen. In der von Luther gemeinten Gebetserfahrung hingegen gibt es keine Trennung von Innenwelt und Außenwelt. Der heilige Geist hält in ihr dem Beter die heilige Schrift vor Augen und erschließt ihm durch sie Gott, Welt und Leben. Die „Predigt des heiligen Geistes" ist bei Luther eine in außerordentlicher Weise vom heiligen Geist inspirierte in das Leben hineingreifende Schriftauslegung. Als solche vermag sie es auch, direkt an den inhaltlichen Zusammenhang anzuknüpfen, in dem sich die Gedanken des Beters gerade befinden. Die „Predigttexte" des heiligen Geistes sind ja die Bibeltexte - das Credo stellt als eine „summa" der Schrift sozusagen einen Bibeltext zweiten Grades dar - , mit denen sich der Beter soeben in absichtsvoller Weise beschäftigt. Es ist zu konstatieren, daß weder in der dritten Psalmenvorlesung noch in der Gebetsanleitung für Peter Beskendorf ein Hinweis darauf zu finden ist, daß Luther zur Zeit seiner Vorlesung den wortgebundenen kontemplativen Lobpreis der Mystiker praktizierte. Die einzigen Stellen, an denen man Hinweise auf solchen Lobpreis vermuten darf, sind Stellen, die das Erlebnis der mystischen Kontemplation anzudeuten scheinen. Wie die Analyse gezeigt hat, scheiden diese Stellen aber als Belegstellen aus, da man in keinem Fall von einer echten Anknüpfung an mystisches Erleben reden kann. Die Feststellung, daß bei Luther zur Zeit der dritten Psalmenvorlesung kein wortgebundener Lobpreis begegnete, der einer mystischen Kontemplation entsprang, berechtigt nicht zu dem Schluß, es habe bei Luther zu dieser Zeit überhaupt keinen „kontemplativen" Lobpreis gegeben. Zeigen nicht die aus dem Kommentar zu Ps 90 zitierten Sätze167, die Lobpreis in der Form von paraphrastischen und paraphrasenähnlichen Sätzen enthalten, daß bei Luther eine Art des Lobpreises auftauchen konnte, die dem kontemplativen Lobpreis der Mystiker in formaler und inhaltlicher Hinsicht glich? Besteht der Unterschied

166 Vgl. Nicol, Meditation bei Luther, 88. 167 S. o. Anm. 136-138.

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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zwischen Luthers „kontemplativem" Lobpreis und dem kontemplativen Lobpreis der Mystiker denn nicht lediglich in der jeweils unterschiedlichen Weise der Verursachung: was bei den Mystikern spontan durch das Erlebnis der Kontemplation des „summum bonum" entstand, entstand bei Luther spontan durch das auslegende Betrachten der heiligen Schrift? Oben168 wurde hervorgehoben, daß die Paraphrasen mit der Anrede Gottes in der 2. Person dazu geeignet sind, aktuelle Gebetsvollzüge Luthers im Rahmen seiner Vorlesung anzuzeigen. Jetzt muß betont werden, daß es sich bei diesen Gebetsformulierungen „nur" um Paraphrasen handelt. Der „kontemplative" Lobpreis, der Gottes Größe hymnisch beschreibt, ohne daß man erkennen kann, daß der Beter Gott und Mensch im Licht der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium beziehungsweise im Licht der Rechtfertigungslehre erfaßt, kommt „nur" als Paraphrase vor. Man wird aufgrund der zentralen Stellung der Rechtfertigungslehre in Luthers Lehre und Leben große Mühe haben, ihn an irgendeinem Ort bei Luther als eine einheitliche, isoliert auftretende Gebetsäußerung zu entdecken169.

bb) „Ego confìteor me peccasse" Um im folgenden die Gebetsgestalt des Lobens nach den Angaben der dritten Psalmenvorlesung rekonstruieren zu können, sollen die Stellen ausgewertet werden, an denen Luther die Begriffe des Lobens unabhängig von den Begriffen des Dankens verwendet und an denen er durch den Kontext oder durch die Form der Aussage deutlich macht, daß es ihm ausschließlich um die Gebetsgestalt des Lobens geht. Es werden zuerst einige Stellen aus dem Kommentar zu Ps 51 aufgeführt. -

Im Rahmen der Auslegung von Vers 6 sagt Luther: „Sed spiritu crede te peccatorem, et talem, quem deus velit iustificare et habere pro filio, modo

168 S. V . l . , bei Anm. 27-59. 169 Die unten erwähnten hymnischen Sätze (s. bei Anm. 194-196) stellen keine Ausnahme dar. Man kann wieder nicht von abgrenzbaren Einheiten „kontemplativen" Lobpreises sprechen. Die Sätze sind nämlich Bestandteile von Beichtgebeten. Als solche sind sie unbedingt von der Rechtfertigungslehre her zu verstehen. Anders ausgedrückt: Man muß sie fur Konkretionen der Rechtfertigungslehre halten.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

fateatur se perditum. Hac confessione glorificas deum, et te econtra: hic tempus mihi iustificandi."170 [„Aber glaube im Geist, daß du ein Sünder bist, und zwar ein solcher, den Gott rechtfertigen und zum Sohn haben will, wenn er nur bekennt, daß er verloren ist. Durch dieses Bekenntnis verherrlichst du Gott, und umgekehrt verherrlicht er dich: Hier ist für mich (= Gott) die Zeit des Rechtfertigens."] -

Kurz darauf fügt er hinzu: „Pium cor dicit: ,Tibi soli', i. e. ut declareris et confessione celebreris per confessionem solus iustus."171 [„Das fromme Herz sagt: ,Αη dir allein', das heißt: damit du durch das Bekenntnis offenbart und durch das Bekenntnis gepriesen wirst als der, der allein gerecht ist."] - Er beendet die Auslegung des Verses mit den Worten: „Qui dicit se peccasse soli deo, habet iam iustificantem peccatorem; ergo est iustus hoc ipso, quo dicit: ,Tibi soli', quia gloriari deum est opus iustitiae; vel incepimus. Impius non tribuit sibi peccatum et deo iustitiam."172 [„Wer sagt, daß er allein an Gott gesündigt hat, der hat dann den, der den Sünder rechtfertigt; also ist er dadurch gerecht, daß er sagt: ,Αη dir allein', weil Gott rühmen das Werk der Gerechtigkeit ist; und auch wir haben damit begonnen. Der Gottlose schreibt nicht sich die Sünde und Gott die Gerechtigkeit zu."]

- Die Auslegung der Verse 3-7 faßt Luther in folgendem Satz zusammen: „Hactenus audistis ipsam summam doctrinae, rem, quae fuit huiusmodi, ut agnoscatis nos totos in peccatis natos, viventes et morientes, et iustificetis dei gratiam, qui per hoc glorificatur, dum nos confundimur hoc capite doctrinae."173 [„Bisher habt ihr die Summe der Lehre gehört, die Sache, die darin bestand, daß ihr anerkennt, daß wir ganz in Sünden geboren sind, leben und sterben, und daß ihr Gottes Gnade rechtfertigt, der dadurch verherrlicht wird, daß wir zuschanden werden durch diesen Hauptpunkt der Lehre."] - Im Rahmen der Erläuterung von Vers 8 äußert er sich wiederum grundsätzlich: „Quicquid est religionum praeter hanc unam, extra confessionem peccatorum et glorificationem dei, quicquid praeterea geritur, est hypocrisis."174 [„Alles, was an Religionen außer dieser einen, außer dem Bekennt-

170 171 172 173 174

WA WA WA WA WA

40 40 40 40 40

11,376,5-8. 11,376,17-377,1. 11,379,10-13. Vgl. auch WA 4 0 11,370,1-4. 11,386,4-7. 11,388,15-389,1.

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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nis der Sünden und der Verherrlichung Gottes ist, alles, was außerdem betrieben wird, ist Heuchelei."] Als Beispiele dafür, wie die an diesen Stellen mit den Begriffen „glorificare" beziehungsweise „glorificado", „celebrare" und „gloriari" bezeichnete Gebetsgestalt des Lobens in wörtlicher Rede lauten kann, dienen die Paraphrasen der jeweiligen Verse beziehungsweise Versteile. Zusätzlich zu der im zweiten Zitat bereits aufgeführten Paraphrase von Vers 6 seien weitere Paraphrasen von diesem Vers beziehungsweise von Teilen dieses Verses genannt, die die Gebetsgestalt des Lobens repräsentieren: 1 ) „Omnes peccavimus, tu solus es iustus, ergo confitemur nos peccatores, ut tu solus sis iustus."175 [„Alle haben wir gesündigt, du allein bist gerecht; also bekennen wir, daß wir Sünder sind, damit du allein gerecht bist."] 2) „Ego confiteor me peccasse et quod coram te sim peccator, ut tu solus sis iustus."176 [„Ich bekenne, daß ich gesündigt habe und daß ich vor dir ein Sünder bin, damit du allein gerecht bist."] 3) „..., Tu solus es iustus et omnes homines peccatores, sed per verbum."177 [„... Du allein bist gerecht und alle Menschen sind Sünder, aber durch das Wort."] 4) „... tibi soli tribuo iustitiam, mihi et omni homini peccatum, sic, quod apud me non sit iustitia sed apud te, et hoc informatus tua lege et verbo, alias non."' 78 [„... Dir allein schreibe ich die Gerechtigkeit zu, mir und jedem Menschen die Sünde, so daß bei mir keine Gerechtigkeit ist, sondern bei dir, und ich tue dies, weil ich durch dein Gesetz und Wort unterrichtet bin, sonst könnte ich es nicht tun."] 5) „Tu dicis me peccatorem ex promissionibus tuis, quod indigeam tua salute, ergo credo me damnatum."179 [„Du sagst mit deinen Verheißungen, daß ich ein Sünder bin, daß ich deines Heils bedürftig bin, deshalb glaube ich, daß ich verdammt bin."]

175 176 177 178 179

WA WA WA WA WA

40 40 40 40 40

11,366,14-367,2. II,367,4f. II,369,1 Of. 11,369,12-14. 11,373,1 f.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

6) „ . . . t u solus iustus, verax; quod arguis me peccatorem, recte facis. Ideo ut iustificeris tu et ego confundar Damnatus, tibi iustitia, vita, omnia bona, nobis mors."180 [„... Du allein bist gerecht und wahrhaftig; daß du mich bezichtigst, ein Sünder zu sein, machst du richtig. Deshalb, damit du gerechtfertigt wirst und ich als Verdammter zuschanden werde, dir die Gerechtigkeit, das Leben, alles Gute, uns den Tod."] Die Beispiele lassen erkennen, daß die Gebetsgestalt des Lobens bei Luther mit der „confessio peccatorum" identisch sein kann. Luther hatte die Auffassung, daß die „confessio peccatorum" einen Vorgang des Lobens darstellt, bereits in der ersten Psalmenvorlesung (1513-1515) vertreten. -

In der Randglosse zu Ps 51,6 führte Luther ein Hieronymus-Zitat an: ^Confessio peccati est laus Dei'." 181 [,„Das Bekenntnis der Sünde ist das Lob Gottes.'"] - Im Scholion zu Ps 66 wies er daraufhin, daß Paulus Ps 51,6 in Rom 3,4 zitierte. Er meinte, daß es Paulus an dieser Stelle um nichts anderes gegangen sei als um das, was in den Psalmen so häufig mit dem Begriff ^Confiten"' [,„bekennen"'] bezeichnet würde182. Dann spitzte er seine Argumentation zu: „Quia non melius deus laudatur quam confessione nostrorum peccatorum et malorum ,.." 183 [„Denn Gott wird nicht besser gelobt als durch das Bekenntnis unserer Sünden und Übeltaten ..."] Nachdem er als biblischen Beleg für letztere Aussage Jos 7,19: „,Da gloriam deo et confitere'" [,„Gib Gott die Ehre und bekenne'" (= Aufforderung Josuas an Achan, der sich an der Beute, die dem Herrn geweiht war, vergriffen hatte)] zitiert hatte184, erinnerte er erneut an Hieronymus und führte abermals das Zitat „,Confessio peccati est laus d e i ' " an185.

180 W A 4 0 11,373,3-5. 181 W A 55 1,396, Nr. 3: Z. 6. Das Zitat kann bei Hieronymus nicht wörtlich nachgewiesen werden. Siehe den Kommentar zu dieser Randglosse in WA 55 1,397. 182 183 184 185

WA WA WA WA

3,378,20-24. 3,378,24f. 3,378,25f. 3,378,26.

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

161

Der Rückgriff auf das Hieronymus-Zitat in der ersten Psalmenvorlesung zeigt, daß Luther sich bei der Ineinssetzung von Gotteslob und Sündenbekenntnis mit einer bestimmten theologischen Tradition verbunden wußte. Der griffige und einprägsame und deshalb wirkungsvolle Satz des Kirchenvaters Hieronymus hatte Luther offenbar beeindruckt. Es ist nicht auszuschließen, daß er die Herausbildung von Luthers Verständnis des Lobens zu einem gewissen Teil mit beeinflußt hat. Luther nahm denn auch das Zitat in seiner Schrift „Confitendi ratio" [„Die Art und Weise des Beichtens"] im Jahr 1520 an exponierter Stelle wieder auf186. Als biblischer Beleg für die Ineinssetzung von Gotteslob und Sündenbekenntnis diente ihm auch zu jener Zeit Jos 7,19: - „Fili mi, da gloriam deo et confitere atque indica mihi quid foeceris." 187 [„Mein Sohn, gib Gott die Ehre und bekenne und zeige mir an, was du getan hast."] Der Rückgriff auf das Hieronymus-Zitat in der ersten Psalmenvorlesung zeigt auch, daß die Ineinssetzung von Gotteslob und Sündenbekenntnis bei Luther nicht von einer Neubesinnung auf die in den bisherigen Kapiteln der vorliegenden Arbeit genannten Begriffe des Lobens, sondern von einer Neubesinnung auf den kirchlich-biblischen Begriff „confiteri" ausging, in dessen Kontext Luther die bisher genannten Begriffe zu dessen Klärung verwendete. Der breite Strom der kirchlich-theologischen Tradition des Mittelalters hatte die beiden im Begriff „confiteri" enthaltenen Bedeutungsaspekte - das Bekennen der Sünde und das gottlobende Bekennen - auf zwei voneinander unterschiedene Akte bezogen. Unter dem Sündenbekenntnis hatte man gewöhnlich die Beichte vor dem Priester, unter dem Lobbekenntnis das darauf folgende (meritorische) gottesdienstliche Lobopfer der Lippen verstanden188. Luther nahm den Begriff „confiteri" insofern in neuer Weise ernst, als er seine beiden Aspekte nun nicht länger ausschließlich auf zwei Akte, sondern nun auch auf einen einzigen Akt bezog. Wenn Luther auch nicht jedes Lobbekenntnis als ein Sündenbekenntnis ansah, also in gewissen Fällen das Sündenbekenntnis und das Lobbekenntnis

186 Vgl. WA 6,159,6. 187 W A 6,159,5f. 188 Vgl. hierzu Vogelsang, Confessio-Begriff des jungen Luther, 91 f.; Müller, Lob Gottes bei Luther, 94f.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

sehr wohl gegeneinander abzugrenzen vermochte189, so war fur ihn doch klar, daß jedes Sündenbekenntnis als ein (nichtmeritorisches) Lobbekenntnis gewertet werden mußte. Die mit der „ confessio peccatorum " identische Gebetsgestalt

des Lobens

läßt sich auf die Aussage „peccavi " reduzieren. Im Blick auf diese Aussage ist zu beachten, daß Luther sie in den angegebenen Beispielen immer wieder mit dem Hinweis auf das Sündersein erläutert. Es ist offensichtlich, daß es bei dem Gebet „peccavi" nicht nur um einzelne Handlungsweisen, sondern auch um den Seinsstand des Menschen geht, der sich in den Handlungsweisen konkretisiert. Die Beispiele legen sogar die Vermutung nahe, daß es Luther bei der Aussage „peccavi" hauptsächlich darauf ankommt, den Seinsstand des Menschen vor Gott zum Ausdruck zu bringen. Für die Richtigkeit dieser Vermutung spricht die Tatsache, daß Luthers Reformation des mittelalterlichen Beichtinstituts unter anderem die Pflicht der vollständigen Aufzählung der Sünden aufgehoben hatte. Es sei in diesem Zu-

189 Eine Abgrenzung des Lobbekenntnisses vom Sündenbekenntnis erfolgt in der dritten Psalmenvorlesung an den Stellen, an denen Luther mit „confiteri" die kerygmatische Gestalt des Lobens und Dankens bezeichnet. Im Blick auf Ps 51,17 heißt es beispielsweise: WA 40 11,445,19-446,4: „Non loquitur de privato colloquio inter deum et peccatorem sed de toto ministerio, quia nos iustiflcati nihil habemus reliqui quam hune versum: ,Credidi, propter quid', Et ubique: .Venite, videte, quanta'. Sic post iustificationem vult gratias agere et conflteri et omnem hominem mendacem arguere." [„Er spricht nicht über die private Unterredung zwischen Gott und dem Sünder, sondern über das ganze Predigtamt, weil uns, nachdem wir gerechtfertigt sind, nichts übrig bleibt als dieser Vers: ,lch glaube, darum (rede ich)', und überall lautet es: ,Kommt und seht, wie große Dinge'. So will er nach der Rechtfertigung Dank sagen und bekennen und jeden Menschen als einen Lügner erweisen."] Zu beachten ist auch die in Anm. 126 teilweise bereits zitierte Äußerung aus dem Kommentar zu Ps 134,1: WA 40 111,472,1-5: „,Omnes servi': Das sind principaliter ministri, postea omnes, qui privatim confitentur, vel occasio et necessitas, ut publice confiteamur. Das heist celebrare. Es mugen postea pericula, tentationes; hoc unum: perseverate in verbo; legt sich mundus, caro, diabolus da widder, tarnen vos laudate deum et dicite, quod deus benedicatur, - eritis victores." [,„Alle Knechte' : Das sind hauptsächlich die Diener (am Wort), daraufhin alle, die privat bekennen. Wenn die Gelegenheit und die Notwendigkeit da sind, sollen wir alle öffentlich bekennen. Das heißt: lobpreisen. Es mögen hernach Gefahren und Anfechtungen kommen; dies eine ist zu beherzigen: Bleibt beständig am Wort! Legen sich Welt, Fleisch und Teufel dagegen, lobt dennoch Gott und sagt, daß Gott zu loben sei, - ihr werdet Sieger sein."] Vgl. außerdem WA 40 11,447,10448,2; 449,1 f. (zu Ps 51,17); 469,9-470,1 (zu Ps 51,21 ); WA 40 111,313,7-10 (zu Ps 129; Einleitung); 320,5-9 (zu Ps 129,3).

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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sammenhang wiederum an die Schrift „Confitendi ratio" erinnert. In ihr findet sich die exemplarische Äußerung: - „Oportet, inquam, non omnia confiteri nec mortalia nec venialia: quin oportet nosse, quod post omnem diligentiam suam factam adhuc minorem partem peccatorum sit confessus. Unde hoc? quia dicit scriptura ps. xviij. Ab occultis meis munda me, domine. Ista occulta solus deus novit. Et iterum: Cor mundum crea in me, deus. Utique immundum confitetur cor etiam tarn sanctus propheta. Et Ecclesia tota sancta orat ,fiat voluntas tua', scilicet confessa, quod non facit voluntatem dei et sese peccatricem esse. Porro tantum abest, ut omnia mortalia possimus nosse, nedum confiteri, ut etiam bona opera nostra, si deus per rigorem iudicet et non misericordia ignoscente agnoscat, sint damnabilia et mortalia. Ideo, si omnia mortalia sunt confitenda, brevi verbo id fiet, si semel dixerimus ,En totum, quod sum, vivo, ago, loquor, tale est, ut mortale sit et damnabile', Iuxta illud ps. cxlij. Non intres in iudicium cum servo tuo, quia non iustificabitur in conspectu tuo omnis vivens, Et ad Ro. vij. Ego autem carnalis sum venundatus sub peccato: non invenio in carne mea bonum, quod nolo malum hoc facio &c."190 [„Man muß, sage ich, nicht alle Sünden beichten, weder alle Todsünden noch alle läßlichen Sünden; vielmehr muß man wissen, daß man trotz aller angewandten Sorgfalt doch nur den kleineren Teil der Sünden gebeichtet hat. Woher kommt das? Die Schrift sagt in Ps 19 (Vulgata: Ps 18),(13): Reinige mich von meinen verborgenen Sünden, Herr. Diese verborgenen Sünden kennt Gott allein. Und wiederum (Ps 51,12): Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz. Schlechterdings bekennt auch ein so heiliger Prophet ein unreines Herz. Und die ganze heilige Kirche betet: ,Dein Wille geschehe', womit sie freilich bekennt, daß sie den Willen Gottes nicht tut und eine Sünderin ist. Femer sind wir insofern weit entfernt davon, daß wir alle Todsünden wissen, geschweige denn beichten können, als auch unsere guten Werke, wenn Gott sie mit Strenge richten und nicht mit verzeihender Barmherzigkeit anerkennen wollte, verdammenswert und Todsünden sind. Daher, wenn alle Todsünden zu beichten sind, wird das mit einem kurzen Wort geschehen, wenn wir einmal sagen: , Siehe, alles, was ich bin - mein Leben, mein Tun, mein Reden - ist so beschaffen, daß es eine Todsünde und verdammenswert ist',

190 WA 6,162,27-163,3.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

nach jenem Wort aus Ps 143 (Vulgata: Ps 142),(2): Geh nicht ins Gericht mit deinem Knecht, denn vor deinem Angesicht ist kein Lebendiger gerechtfertigt, und Rom 7,(14.18.19): Ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft: Ich finde in meinem Fleisch nichts Gutes; das Böse, das ich nicht will, das tue ich usw."] In diesem Abschnitt hatte Luther die Forderung nach einer vollständigen Aufzählung der Sünden erstens mit dem Argument, daß einem die meisten Sünden verborgen seien, und zweitens mit dem Argument, daß ja selbst die sogenannten guten Werke als Sünden angesehen werden müssen, ad absurdum geführt. Gleichwohl hatte Luther an der Forderung nach der Vollständigkeit der Beichte festgehalten. Er hatte sogar ein Beispiel für eine „vollständige" Beichte präsentiert: „En totum, quod sum, vivo, ago, loquor, tale est, ut mortale sit et damnabile." Mit Hilfe des hier angegebenen Beispiels hatte Luther deutlich gemacht, daß die kurze Beschreibung des sündhaften Seinsstandes des Menschen die vollständige Liste der einzelnen Sünden vollständig und vollgültig ersetzt. Er hatte damit nicht sagen wollen, daß das Beichtgebet materialiter fortan nur noch aus einem Eingeständnis der Sündhaftigkeit des Seinsstandes bestehen solle. Er hatte aber sagen wollen, daß das Beichtgebet in jedem Fall, auch dann, wenn es eine begrenzte Liste von Sünden - nämlich von Sünden, die das Gewissen belasten, willentlich geschehen sind und tatsächliche Verstöße gegen die göttlichen Gebote darstellen191 - enthält, auf das Eingeständnis der Sündhaftigkeit des Seinsstandes hinauslaufen solle192. Es erhebt sich die Frage, worin eigentlich für Luther das Gotteslob bestand, das nach seinen Angaben in und mit der auf die Aussage „peccavi" reduzierbaren „confessio peccatorum" zum Ausdruck kommt. Bei der Lektüre sämtlicher oben zitierter Äußerungen aus dem Kommentar zu Ps 51 in der dritten Psalmenvorlesung fällt auf, daß Luther in diesen Zitaten wiederholt den Begriff „tribuere" verwendet193. Der Begriff „tribuere" diente Luther dazu, die Struktur des Sündenbekenntnisses verständlich werden zu lassen. Luther meinte, daß sich im Sündenbekenntnis zwei Vorgänge des „Zu-

191 Vgl. WA 6,161,15-27.29-162,10; 163,11-15. 192 Vgl. dazu Hausammann, Buße, 119-122. 193 S. bei Anm. 172+178.

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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teilens" beziehungsweise „Zuschreibens" bekunden. Er war der Ansicht, daß der Beter einerseits sich selbst thematisiert und sich in diesem Zusammenhang nichts anderes als die Sünde zuschreibt, von sich also nichts anderes als die Sünde zu sagen weiß, daß er andererseits Gott zum Thema macht und Gott in diesem Zusammenhang nichts anderes als die Gerechtigkeit zuschreibt, von Gott also nichts anderes als die Gerechtigkeit zu sagen weiß. Hält man sich die Grundaussage „peccavi" vor Augen, dann entdeckt man natürlich, daß sie gar nicht von der Gerechtigkeit Gottes redet. In der Grundaussage des Sündenbekenntnisses findet der zweite, auf Gott ausgerichtete Vorgang des Zuschreibens überhaupt keine Erwähnung. Die Heranziehung der Grundaussage „peccavi" stellt die von Luther angedeutete Doppelstruktur des Sündenbekenntnisses allerdings nur scheinbar in Frage. Man hat die Grundformulierung „peccavi" nämlich nicht begriffen, bevor man sich nicht ihre Implikationen klargemacht hat. Weil die Sünde des Menschen aus der Negation der Gerechtigkeit Gottes heraus erwächst, ja eine solche Negation darstellt, darum impliziert jede Aussage über die Sünde des Menschen eine Aussage über die Gerechtigkeit Gottes. Man kann dem Menschen gar nicht die Sünde zuschreiben, ohne damit zugleich Gott die Gerechtigkeit zuzuschreiben. Das Grundbekenntnis „peccavi" impliziert die Aussage über die Gerechtigkeit Gottes. Es impliziert den Vorgang, der Gott die Gerechtigkeit zuschreibt. Offensichtlich bestand fur Luther das Gotteslob des Sündenbekenntnisses darin, daß sich in ihm und mit ihm der an zweiter Stelle genannte Vorgang vollzieht, daß in ihm und mit ihm die Gerechtigkeit Gottes anerkannt wird. Ein Blick auf die beispielhaften Gebetsformulierungen, die dem Kommentar zu Ps 51,6 entnommen wurden, zeigt übrigens, daß Luther das mit der Grundaussage „peccavi" indirekt zum Ausdruck gebrachte Gotteslob im Zuge der Entfaltung dieser Grundaussage auch direkt zum Ausdruck bringen konnte. Es begegnen hier die geradezu hymnischen Sätze - „tu solus es iustus"194, - „tu solus iustus, verax"195 und

194 S. beiAnm. 175+177. 195 S. beiAnm. 180.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

„tibi iustitia, vita, omnia bona"196.

Bereits in der Schrift „Confitendi ratio" hatte Luther seine Leser dazu angeleitet, im Rahmen des Beichtgebets derartige hymnische Formulierungen zu gebrauchen. Zwar finden sich solche Formulierungen nicht in der empfohlenen Summe einer Beichte „En totum, quod sum, vivo, ago, loquor, tale est, ut mortale sit et damnabile". Sie finden sich aber im Gebet des Manasse, das Luther an den Schluß seiner Schrift gestellt und damit zum Vorbild eines ausgeführten Beichtgebets erklärt hatte. Das Gebet Manasses beginnt mit einer hymnischen Beschreibung der Allmacht Gottes197. Daraufhin werden die Gerechtigkeit und die Güte Gottes gepriesen: - „..., et insustentabilis ira super peccatores comminationis tuae, immensa vero et investigabilis misericordia promissionis tuae, quoniam tu es dominus altissimus super omnem terram longanimis et multum misericors et poenitens super malitiam hominum. Tu autem, domine, secundum bonitatem tuam promisisti poenitentiam remissionis peccatorum. Et tu, deus iustorum, non posuisti poenitentiam iustis Abraham, Isaac et lacob, his qui tibi non peccaverunt, .,." 198 [„... Denn unerträglich ist der Zorn über die Sünder nach deiner Androhung. Unermeßlich aber und unerforschlich ist die Barmherzigkeit nach deiner Verheißung. Denn du bist der Herr, der Allerhöchste über dem ganzen Erdkreis, langmütig und sehr barmherzig, und dich reut die Bosheit der Menschen. Du, Herr, hast nach deiner Güte Buße zur Vergebung der Sünden verheißen. Du hast aber, Gott der Gerechten, die Buße nicht bestimmt für die Gerechten, Abraham, Isaak und Jakob, die nicht an dir gesündigt haben, ..."] Obwohl Luther mit dem Zitat dieses Gebets an exponierter Stelle in der Schrift „Confitendi ratio" die Verwendung hymnischer Sätze im Beichtgebet vorgeschlagen hatte, wird man nicht folgern dürfen, hymnische Sätze seien ein Merkmal von Luthers Beichtgebeten gewesen. Man muß hier zum Beispiel an „Das beycht gebet D. Martini Luther" denken. Es erschien in einem von Micha-

196 S. b e i A n m . 180. 197 WA 6,169,18-22. 198 WA 6,169,22-28. Die Gerechtigkeit Gottes wird hier sowohl mit dem Hinweis auf den Zorn Gottes über die Sünder als auch mit dem Hinweis, daß Gott auf der Seite der Gerechten steht, angesprochen.

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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el Lotther 1525 in Wittenberg angefertigten Neuauflage von Luthers Pentateuchübersetzung aus dem Jahr 1523. Lotther hatte es am Ende der Ausgabe gemeinsam mit einer Übersetzung des Manasse-Gebets abgedruckt199: - „Ach mein lieber her Jesu criste, dw erkennest mein arme sele, vnd meynen grossen gebrechen, den ich dir allein mit offenem herczen klage Ich befinde leider, das ich nicht habe einen solchen willen vnd vorsacz, als ich yhn wol solt haben, vnd fall teglich dohin als ein kranckes sundiges mensch, vnd dw weist, das ich yhe gerne, einen solchen willen vnd vorsacz wolthe haben, vnd mich doch mein feindt yhm [„im"] stricke fuehret gefangen, Erloße mich armen sunder nach deinem götlichen willen von allem vbel vnd anfechtungen, Stercke vnd vormehre yn mir den wahren rechten cristlichen glauben, gib mir gnade, meynen nehsten aus gancz meynem herczen, getrewlichn vnd als mich selbst, brüderlichn zw belibenn, Vorleihe mir geduldt yn verfolgunge, vnd aller widderwertickeit, Dw hast yhe Zw sancto petro gesagtt [Mt 18,22], das er nicht alleine sieben mahl vorgeben solt, vnd vns heissen tröstlichen von dir bitten, So kohme ich yn zwuorsicht solchs deines zusagens vnd gepietens, vnd klage dir als meynem rechtn pfarer vnd Bischoffe meyner seelen [1. Petr 2,25], all meyne nott. Dan dw allein weist, wie vnd wehn mir Zw helffen ist Dein wille der geschehe vnd sey gebenedeiett ewiglich A.m.e.n" 200 Von einem hymnischen Lobpreis der Eigenschaften Gottes des Vaters beziehungsweise Gottes des Sohnes fehlt in diesem Gebet jede Spur. Explizit wird von Jesus Christus, an den die Beichte adressiert ist, „nur" gesagt, daß er um die Not des Beters weiß, daß er um die Art und den Zeitpunkt der Hilfe weiß und daß er das Gebet durch seine Verheißung und sein Gebot begründet hat. Bemerkenswert an dem 1525 veröffentlichten (allgemeinen) Beichtgebet Luthers ist, daß Luther in ihm zur Kennzeichnung dessen, was er in der Beichte tut, zweimal den Begriff „klagen" benutzt. Man wird durch diesen Sprachgebrauch an dieser Stelle schließlich auf Äußerungen Luthers aufmerksam, in

199 Vgl. die Beschreibung des Drucks in WA DB 2,343, Nr. * 16; WA DB 8,XXVI, Anm. 33. 200 WA 48,275,1 -18. Zitiert wird das Gebet in der WA nach einer Abschrift, die sich auf dem Schutzblatt vor dem hinteren Deckel eines Oktavsammeibands, der Luthers deutschen Psalter (Wittenberg, Hans Lufft, 1534) und Luthers „Summarien über die Psalmen" (Wittenberg, Hans Lufft, 1533) enthält, befindet und vom ersten Abdruck abhängig ist (vgl. WA DB 8,XXVI, Anm. 33).

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

denen er das Beichten gar nicht als ein Loben, sondern vielmehr als ein Klagen bezeichnet. Einige Jahre vor Beginn der dritten Psalmenvorlesung, das heißt: im Jahr 1529, äußerte sich Luther in seiner „kurze(n) Vermahnung zu der Beicht", einem Anhang zum Großen Katechismus, folgendermaßen über die Beichte: - „So merke nu, wie ich oft gesagt habe, daß die Beichte stehet in zweien Stücken. Das erste ist unser Werk und Tuen, daß ich meine Sunde klage und begehre Trost und Erquickung meiner Seele. Das ander ist ein Werk, das Gott tuet, der mich durch das Wort, dem Menschen in Mund gelegt, losspricht von meinen Sunden, welchs auch das Furnehmste und Edelste ist, so sie lieblich und tröstlich machet."201 Luther schärfte dem Leser in diesem Passus die Bestandteile der Beichte ein. Die Beichte bestehe aus einem menschlichen und einem göttlichen Werk. Das menschliche Werk sei ein Klagen und ein Begehren beziehungsweise Bitten. Das göttliche Werk sei die Absolution. Mit dem Hinweis, daß er dies „oft gesagt habe", gab Luther zu verstehen, daß die hier vorgelegte Beschreibung der Beichte genau das zum Ausdruck bringe, was er - als Reformator - schon immer über die Beichte gelehrt habe. Luther ließ im Jahr 1529 durchblicken, daß er das Tun des Beichtenden, also das „Beichten", immer vorzugsweise ein „Klagen" genannt hat. Nachdem man den Abschnitt aus der „kurze(n) Vermahnung" zur Kenntnis genommen hat, wird man sich nicht über den Sprachgebrauch wundern, der einem in Luthers Gebetsanleitung für Peter Beskendorf aus dem Jahr 1535 begegnet. Wie bereits gesagt, rät Luther „Meister Peter", Katechismusstücke und Bibeltexte auf vier verschiedene Weisen im Gebet zu bedenken202. Die dritte Weise, wie die Betrachtung des jeweiligen Textes geschehen soll, solle die Weise des Beichtgebets sein. In der kürzeren Fassung203 der Schrift demonstriert Luther das Beichtgebet an den Zehn Geboten204, in der erweiterten Fas-

201 202 203 204

BSLK 729,10-20. S. o. bei Anm. 161 f. Zu den beiden Fassungen der Gebetsanleitung für Peter Beskendorf s. o. Anm. 155. Siehe WA 38,365,18-21 (zum 1. Gebot); 366,1-6 (zum 2. Gebot); 366,37-367,7 (zum 3. Gebot); 368,1-10 (zum 4. Gebot); 369,17-28 (zum 5. Gebot); 370,24-31 (zum 6. Gebot); 371,28f. (zum 7. Gebot); 372,10-13 (zum 8. Gebot); 372,23 (zum 9. und 10. Gebot).

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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sung auch an den drei Glaubensartikeln205. Einmal bezeichnet Luther hier das Tun des Beichtenden als ein „Beichten und Gnade Begehren"206, zweimal schlicht als „Beichten"207, fünfmal als ein „Beichten und Bekennen" und zusätzlich - mit einer Ausnahme208 - als ein „Bitten um Gnade/um Gnade und Vergebung"209. In vier Fällen spricht Luther dann vom „Beichten und Klagen"210, wobei er angesichts der Sünde gegen das fünfte Gebot zur Unterstreichung die Bemerkung „Für war hie ists klagens und schreiens zeit"211 hinzufügt und angesichts der Sünde gegen den zweiten Glaubensartikel verstärkend vom „bitterlich(en)"212 Klagen redet. Der Begriff „klagen" dient der Erläuterung des Begriffs „beichten". Der Vorgang des Beichtens ist für Luther in der Gebetsanleitung für Peter Beskendorf wie in der „kurze(n) Vermahnung" ein Vorgang des Klagens. Es ist festzuhalten, daß das Sündenbekenntnis für Luther zur Zeit der dritten Psalmenvorlesung - und auch schon zuvor - ein Gotteslob darstellte, daß es andererseits von ihm aber gleichzeitig auch als eine Klage angesehen wurde. Da Luther das Beichten dann, wenn es ihm als spezifische Weise des Betens vor Augen stand, das heißt: als Art des Betens, die sich inhaltlich von anderen Gebetsarten unterscheidet, offensichtlich zuerst mit dem Begriff des Klagens in Verbindung brachte, wird man Luthers Verständnis des Sündenbekenntnisses folgendermaßen beschreiben müssen: Das Sündenbekenntnis ist eine Klage. Die Besonderheit dieser Klage besteht darin, daß sie in all ihren Teilen Gott lobt und preist. Das Sündenbekenntnis würde nicht vorzugsweise als Klage bezeichnet werden, wenn dieses Lob innerhalb des Sündenbekenntnisses oft auch direkt ausgesprochen würde. Sätze direkt formulierten Lobpreises, wie sie in den beispielhaften Gebetsformulierungen aus dem Kommentar zu Ps 51,6 in der

205 Siehe W A 38,374,3-5 (zum 1. Artikel); 374,23-26 (zum 2. Artikel); 375,5f. (zum 3. Artikel). 206 Vgl. WA 38,372,10 (zum 8. Gebot). 207 Vgl. W A 38,371,28 (zum 7. Gebot); 372,23 (zum 9. und 10. Gebot). 208 Siehe W A 38,370,24-31 (zum 6. Gebot). 209 Vgl. W A 38,365,18.21 (zum 1. Gebot); 366,1.5f. (zum 2. Gebot); 366,37; 367,7 (zum 3. Gebot); 368,1.10 (zum 4. Gebot). 210 Vgl. WA 38,369,17 (zum 5. Gebot); 374,3 (zum 1. Artikel); 374,23 (zum 2. Artikel); 375,5 (zum 3. Artikel). 211 W A 38,369,25. 212 W A 38,374,23.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

dritten Psalmenvorlesung angedeutet sind213, können daher nicht als typische Elemente des Sündenbekenntnisses gelten. Wer aufgrund der Angaben in der dritten Psalmenvorlesung von einer mit der „confessio peccatorum" identischen Gebetsgestalt des Lobens bei Luther redet, muß klarmachen, daß das Gotteslob dieser Gebetsgestalt zumeist nur auf indirekte Weise zum Ausdruck kommt. Bei der mit der „confessio peccatorum" identischen Gebetsgestalt des Lobens handelt es sich bei Luther in der Regel um die Gestalt eines indirekten Gotteslobes 2 ' 4 .

cc) „ Gott lob " etc. Die zuletzt genannten Zitate aus der „kurze(n) Vermahnung zu der Beicht" und aus der Gebetsanleitung für Peter Beskendorf zeigen, daß Luther das Beichten nicht nur als ein Klagen auffaßte, sondern es darüber hinaus auch in einem Zusammenhang mit einem Begehren oder Bitten stehen sah. Wie das sich im Beichten vollziehende Klagen, so trägt bei Luther natürlich auch das mit dem Beichten einhergehende Begehren beziehungsweise Bitten das Vorzeichen des

213 Formen direkten Lobpreises, die im Kontext des Sündenbekenntnisses stehen, erscheinen in der dritten Psalmenvorlesung auch im Kommentar zu Ps 130,4. Hier heißt es: WA 40 111,354,15-355,1; 356,10-12.14-357,1: „O wol hastu gethan, quod omnia ad te accepisti. Alioqui nemo veniret ad veram pietatem, cultum, timorem.... Das ist seer gut; placet, das du es zu dir genomen, quia vel desperatio sequitur vel praesumptio, postquam sensi non impleri legem, vel praesumo me angelum. ... Ideo bene, quod iustitia sthe in tua misericordia ignoscente et tolerante, ut maneas deus, alias amitteres divinitatem, non estimareris flocci." [„O wohl hast du daran getan, daß du alles an dich genommen hast! Es käme sonst niemand zur wahren Frömmigkeit, zum Gottesdienst und zur Gottesfurcht Das ist sehr gut, es gefallt mir, daß du es an dich genommen hast, weil entweder Verzweiflung folgt, wenn ich nämlich gespürt habe, daß das Gesetz nicht erfüllt wird, oder aber Vermessenheit, daß ich mir einbilde, ich sei ein Engel. ... Daher ist es gut, daß die Gerechtigkeit in deiner verzeihenden und erduldenden Barmherzigkeit steht, auf daß du Gott bleibst. Du verlörest sonst die Gottheit, du würdest nicht einen Pfifferling geachtet."] Diese Sätze hängen mit Formulierungen zusammen, mit denen sich der Beter zu seinem Sündersein bekennt (vgl. WA 40 111,347,4-7 [zu Vers 3]; 351,5f. [zu Vers 4]). Die im Kommentar an sinnverwandter Stelle anzutreffenden Begriffe „loben" und „zuloben" weisen die Sätze übrigens als Lobpreis aus (siehe WA 40 111,354,3-7 [zu Vers 4]). 214 Zu einem vertieften Verständnis der „confessio peccatorum" bei Luther verhelfen die Kapitel VI.2.d)aa) und V1.2.d)bb). Der Gesichtskreis muß erst durch die Analyse der „eigentlichen" Lob- und Dankgebete Luthers erweitert werden.

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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Gotteslobes. Darf man aus dieser Beobachtung aber weitreichende Schlüsse ziehen? Darf man urteilen, daß fur Luther das Bittgebet ebenso wie das Beichtgebet eine Gestalt indirekten Gotteslobes darstellte? Weil Luther in der dritten Psalmenvorlesung die Begriffe des Lobens an keiner der Stellen, an denen er mit ihnen die Gebetsgestalt des Lobens bezeichnet, mit den Begriffen des Bittens verbindet, soll auf diese Frage nicht näher eingegangen werden. Im folgenden geht es um die Erfassung der „eigentlichen" Gebetsgestalt des Lobens bei Luther. Behandelt werden die Stellen der dritten Psalmenvorlesung, an denen Gebete begegnen, die jeweils als ganze das Gotteslob direkt und unmittelbar zum Ausdruck bringen. Beispiele für die kürzesten Formen, die die eigentliche Gebetsgestalt des Lobens bei Luther repräsentieren, finden sich in der dritten Psalmenvorlesung an drei Stellen: - Im Rahmen der Erörterung von Ps 132,6 heißt es: „Da war vnser Herr Gott, et ubi erat, da giengen sie hin zum gebet. Iam in templo stabilis locus et mutata illa mutabilitas loci. Got sey gelobet. Impleta ista promissio Davidis, quam fecit deo, quia edificatum templum."215 [„Da war unser Herrgott, und wo er war, da gingen sie hin zum Gebet. Nun gibt es mit dem Tempel einen festen Ort und verändert ist jene Veränderlichkeit des Ortes. Gott sei gelobt. Erfüllt ist jenes Versprechen Davids, das er Gott gab, weil der Tempel gebaut ist."] -

Im Rahmen der Erläuterung von Ps 51,8 faßt Luther das Gebet des Pharisäers aus Lk 18,1 lf. zusammen und übersetzt es so: „,Gott sey gelobt, toties ieiuno' etc., ..." 2I6 [,„Gott sei gelobt, so oft faste ich' usw., ..."]

215 W A 4 0 111,400,16-401,3. 216 W A 4 0 11,391,16-392,1. In der Vulgata ist übrigens nicht vom Loben, sondern vom Danken des Pharisäers die Rede. Sein Gebet beginnt dort auch nicht mit einem Optativ-, sondern mit einem Indikativsatz: „Deus gratias ago tibi quia non sum sicut ceteri hominum ..." [„Gott, ich danke dir, daß ich nicht wie die anderen Menschen bin ..."] Gleiches gilt fur den griechischen Urtext: ò θεός, ε υ χ α ρ ι σ τ ώ σοι ότι οΌκ ε ί μ ΐ ώ σ π ε ρ οί λ ο ι π ο ί τώυ άνθρώπωι/ ...

172 -

Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Im Kommentar zu Ps 129,8 stößt man auf die Äußerung: ,„Transeúntes' ceteras fruges benedicunt: Ach, das sthet, Gott lob, wol." 2 ' 7 [,„Die da vorübergehen' segnen die übrigen Früchte: Ach, das steht, Gott Lob, wohl."]

Die an diesen Stellen anzutreffenden Wendungen „Got(t) sey gelob(e)t" und „Gott lob" stellen Kurzformeln des Gotteslobes dar, die dem traditionellen Sprachgebrauch des Mittelalters entstammen218. Die Formel „Got(t) sey gelob(e)t" ist ein vollständiger Satz. Die Formel „Gott lob" ist eine elliptische Wendung, die auf einen ähnlichen vollständigen Satz, nämlich auf die Formel „Gott sey lob" oder auf die Formel „Gott habe lob", zurückgeht219. Der Gebetscharakter der Formeln ergibt sich aus der Eigenart ihrer optativischen Aussage. Der Sprecher, der diese Formeln benutzt, wünscht Gott mit ihrer Hilfe ein Lob an. Dabei geht es nicht um ein Lob, das Gott zu irgendeinem späteren Zeitpunkt von einer anderen Person als der des Sprechers erhalten soll, sondern um ein Lob, das ihm im Moment des Anwünschens vom Sprecher der Formel selbst zuteil wird. Das Anwünschen des Lobes ist ein Zusprechen des Lobes. Ist das Anwünschen des Lobes aber ein Zusprechen, dann ist es auch ein Ansprechen Gottes. Gott wird in diesen Formeln in der 3. Person als jemand angesprochen, der ein Lob empfangt220. Die Formeln sind übrigens stets Elemente im Kontext einer zwischenmenschlichen Kommunikation. Der Sprecher, der diese Formeln benutzt, zielt auf Verstärkung des Lobs ab, das er Gott zuteil werden läßt, indem er diese Formeln vor seinen Mitmenschen ausspricht. Er will sie durch das Aussprechen der Formeln dazu animieren, in das Lob einzustimmen. „Dignum et iustum est" [„Das ist würdig und recht"], sollen sie im stillen akklamieren. Betrachtet man die Tischreden Luthers aus der ersten Hälfte der dreißiger Jahre, so stellt man fest, daß die Formel „Got(t) sey gelob(e)t" dort nicht vorkommt. Mehrfach wurde aber die Formel „Got(t) hab lob"221 notiert. Zweimal

217 218 219 220

WA 4 0 III,331,13f. Vgl. hierzu DWb 8, Sp. 1097-1099 (Art. GOTT I J 1 b a); Sp. 1384f. (Art. GOTTLOB). Vgl. D W b 8, Sp. 1098. Zur Anrede Gottes in der 3. Person im Zusammenhang optativischer Aussagen innerhalb der dritten Psalmenvorlesung s. o. V.2.a). 221 WA TR 1,49,3 (Nr. 122: 30. November bis 14. Dezember 1531); 5 4 , l f . (Nr. 130: 30. November bis 14. Dezember 1531 ); 64,19 (Nr. 141:14. Dezember 1531 ) 132,23 (Nr. 320: Sommer und Herbst 1532).

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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belegt ist auch „Gott lob"222. Die lateinischen Varianten „Deo sit laus"223 und „Deo laus"224 erscheinen in parallelen Überlieferungen einer an Johannes Schlaginhaufen gerichteten Trostrede. In der Mitschrift, die Schlaginhaufen selbst anfertigte, liest man „Deo sit laus", in einem Text aus Veit Dietrichs und Nikolaus Mediers Sammlung „Deo laus". Weil Luthers Rede an Schlaginhaufen adressiert war, wird dieser ein Interesse daran gehabt haben, sie besonders sorgfältig aufzuzeichnen. Einen Hinweis auf seine Sorgfalt kann man der Tatsache entnehmen, daß er den sonderbaren mundartlichen Ausdruck „schrepel"225 [„Steinchen"(?)] überliefert. Man darf davon ausgehen, daß die bei ihm erwähnte Variante „Deo sit laus" die authentische ist. Luther zog der Formel „Got(t) sey gelob(e)t", die immerhin aus vier beziehungsweise fünf Silben besteht, im Bereich der mündlichen Kommunikation offenbar meist kürzere Formeln vor. Besonders gern gebrauchte er die sprachlich glatten Formeln „Got(t) hab lob" und „Gott lob". Die Vorliebe für die geschliffene Formel zeigte sich bei Luther nicht nur im Bereich seiner mündlichen, sondern sogar noch stärker im Bereich seiner schriftlichen Kommunikation. Es ist geradezu erstaunlich, daß er in den Briefen, die er zur Zeit der dritten Psalmenvorlesung verfaßte, von den genannten und von den sonst denkbaren Gebetsformeln, die einen Begriff des Lobens enthalten, lediglich und ausschließlich die Formel „Gott lob" - und zwar in den

222 WA TR 1,200,13 (Nr. 461: 19. Februar 1533); WA TR 2,203,8 (Nr. 1745: 18. August 1532). 223 WA TR 2,29,6 (Nr. 1289: 31. Dezember 1531). 224 WA TR 1,555,10 (Nr. 1113). 225 W A TR 2,29,5 (Nr. 1289). Die Parallele aus Veit Dietrichs und Nikolaus Mediers Sammlung führt anstelle des Begriffs „schrepel" den Begriff „schneballen" ( W A TR 1,555,8 [Nr. 1113]) an. Es liegt nahe, in dem Begriff „schneballen" eine sekundäre Bildung zu sehen. Man kann sich gut vorstellen, daß Luther den Begriff „schrepel" gebraucht hat, daß aber im Zuge der Tradierung dann der ursprüngliche mundartliche und etwas unklare Ausdruck unabsichtlich oder auch absichtlich durch ein verständlicheres Wort - eben durch den Begriff „schneballen" - ersetzt wurde. Vgl. Ernst Krokers Anm. zu „mit schrepeln" in WA TR 2,29.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

drei Schreibweisen „Gott Lob"226, „Gott lob"227 und „Gottlob"228 - verwendete. Auch in der Gebetsanleitung an Peter Beskendorf benutzte er nur die Formel „Gott lob"229. Je kürzer die Formel war, um so leichter konnte sie in einen flüssigen Prosastil eingefügt werden. Die elliptische Formel „Gott lob" bot Luther sogar die Möglichkeit, an verschiedenen Stellen innerhalb eines Satzes ein Zeichen des Gotteslobes zu setzen, ohne das Verständnis des Satzes zu erschweren230. Es sei zugegeben, daß man angesichts der Art, wie Luther mit der Formel „Gott lob" umging, vor einem gewissen Problem steht. Man gewinnt den Eindruck, daß gerade der parenthetische Gebrauch dem Gebetszeichen seine Ernsthaftigkeit und sein Gewicht raubte. Die Zusammenschreibung „Gottlob"231 könnte sogar der Beweis für eine Abnutzung der Formel sein. Die Zweifel an der religiösen Integrität der Formel „Gott lob" bei Luther müssen insbesondere dann schwinden, wenn man sich ihren Ort in der Briefliteratur genauer anschaut. An Luthers Briefen wird deutlich, daß die Formel „Gott lob" ganz sicher nicht nur ein bloßes Stilmittel zur Unterstreichung bestimmter Aussagen war. Die Beiläufigkeit ihrer Erwähnung scheint zwar auf eine Abwertung der Formel bei Luther hinzuweisen, die Tatsache aber, daß sie innerhalb der Briefliteratur zu einer Gruppe von mehreren unterschiedlichen, zum Teil ziemlich umfänglichen und gewiß nicht floskelhaften Gebetsformen zählt232, die Tatsache, daß sie als Bestandteil einer die Briefe durchziehenden Gebetssprache, deren religiöses Vollgewicht wieder und wieder eindeutig aus-

226 WA Br 6,354,15 (Nr. 1955: an Johann Riedesel am 7. September 1532); WA Br 7,61,2 (Nr. 2109: an Dorothea Jörger am 27. April 1534); 66,3.21 (an Fürst Joachim von Anhalt am 23. Mai 1534); I79,37f. (Nr. 2190: an Stenzel Guldschmidt am 19. April 1535). 2 2 7 W A Br 6,392,15 (Nr. 1977: an Johann Riedesel am 3. Dezember [?] 1532); W A Br 7,172,8 (Nr. 2187: an Dorothea Jörger am 8. April 1535). 228 WA Br 6,546,22f. (Nr. 2063: an Dorothea Jörger am 24. Oktober 1533); WA Br 7,157,8 (Nr. 2175: an Landgraf Philipp von Hessen am 30. Januar 1535). 229 WA 38,364,4. 230 Luther verwendete die unterschiedlich geschriebene Formel „Gott lob" in den besagten Briefen und in der Schrift für Peter Beskendorf (vgl. Anm. 226-229) jeweils als Parenthese. 231 Ein parenthetisch gebrauchtes zusammengeschriebenes „gotelob" gab es schon im Mittelhochdeutschen (vgl. DWb 8, Sp. 1384f. [Art. GOTTLOB]). 232 Zu den Gebetsformen in Luthers Briefen aus dem Zeitraum der dritten Psalmenvorlesung vgl. o. V.2.a), Anm. 96, sowie V.2.b), bei Anm. 119-124.

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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zumachen ist, in Erscheinung tritt, zeigt, daß von einer Entwertung der Formel bei Luther keine Rede sein kann. Mag man einräumen, daß die Formeln des Gotteslobes bei Luther mit zunehmendem Grad ihrer Verkürzung zunehmend in der Gefahr standen, an Intensität einzubüßen. Man wird voraussetzen müssen, daß Luther selbst noch die kleinste dieser Formeln immer im Sinn der ursprünglichen Bedeutung gebraucht hat. Die Sachverhalte, auf die sich das Gotteslob in den Gebetsformeln an den angegebenen Stellen bezieht, finden sich in Sätzen, die im Kontext der Formeln vorkommen. Meist handelt es sich um Sätze, die den Formeln gegenüber unabhängig sind, bisweilen auch um Nebensätze, nämlich um Relativsätze233 oder daß-Sätze234, die von den Formeln abhängig sind. Ein Überblick über diese Sätze ergibt eine recht bunte Aufstellung der Zusammenhänge: In der dritten Psalmenvorlesung bezieht sich das in die Formel gefaßte Gotteslob darauf, daß es den Tempel als den festen Ort der Gottesoffenbarung gibt235 und daß die Feldfrüchte gut gewachsen sind236. In den Tischreden nimmt es Bezug auf die Gabe des Wortes Gottes und die Gabe des Sohnes Gottes „für vns"237, auf die vorhandene Gewißheit, daß die

233 Siehe WA TR 1,49,3-5 (Nr. 122: 30. November bis 14. Dezember 1531): „Sed Got hab lob, der vns das wort geben hat vnd dazu seinen eigen Son fur vns hatt lassen sterben. Er hatts ja nit fur gebens gethan." Ebenso WA TR 2,29,6-10 (Nr. 1289:31. Dezember 1531): „Summa summarum, ipse est et manet calumniator, sed Deo sit laus, qui non permittit ei, ut nos grandibus peccatis vexet contra primam tabulam, quia nos non possumus sustinere; er vexirt vns nur mit peslein. Gott wil im die ehr nicht geben, quod nos veris peccatis deberet macerare." [„Summa summarum: Er (= Satan) ist und bleibt ein Schikaneur, aber Gott hab Lob, der ihm nicht erlaubt, daß er uns mit großen Sünden gegen die erste Tafel plagt, weil wir dann nicht standhalten können; er plagt uns nur mit Scherzen. Gott will ihm nicht die Ehre geben, daß er uns mit wirklichen Sünden mürbe machen dürfte."] 234 Siehe WA TR 1,132,23-28 (Nr. 320: Sommer und Herbst 1532): „Mihi crédité [„Glaubt mir"], ich wolt wol schaden thun, si vellem [„wenn ich es gewollt hätte"] (vnd Gott hab lob, das es die Anabaptisten nit so verstehn noch reden können; sie solten vns selb noch damit bang machen), wie ich auch der theologia schaden wolt thun vnd mer den Zinglius oder die andern all, wenn ich meinen Herrn Christum nit daran schonet. Ratio est [„Der Grund besteht darin"], sie haben nit mit dem Teuffei disputirt wie ich." 235 S. o. Anm. 215. 236 S. o. Anm. 217. Das Gebet des Pharisäers (s. o. Anm. 216) wird hier außer acht gelassen, weil Luther den Inhalt und die Intention dieses Gebets ablehnte. 237 S. o. Anm. 233.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

reformatorische „doctrina" fur Gottes Wort zu halten ist238, auf die Hilfe, die das Wort Gottes in der Situation der Anfechtung leistet239, auf die Ohnmacht der Wiedertäufer240, auf die Gabe, dem Wort Gottes in der Situation der Anfechtung vertrauen zu können241, auf die Tatsache, daß der Satan den Gläubigen nicht die schwerwiegenden Sünden gegen die erste Tafel der Zehn Gebote vorhalten darf242 und auf das Vorhandensein rechter Schrifterkenntnis243. In den Briefen bezieht es sich darauf, daß die Situation Johann Riedesels nach seiner Entlassung aus dem kurfürstlichen Dienst keinesfalls hoffnungslos ist244, daß sich die Familie Luther in einem guten gesundheitlichen Zustand befindet245, daß Michael Stifel nach seiner gescheiterten Prophezeiung des Jüngsten Tages zur Einsicht kommen wird246, daß das von Dorothea Jörger gespendete Geld sehr gut angelegt ist und bereits vielen mittellosen Theologiestudenten geholfen hat und noch hilft247, daß es Fürst Joachim von Anhalt gesundheitlich wieder bessergeht248, daß es die reformatorische Rechtfertigungslehre gibt und daß diese eine positive Einstellung zu den Schöpfungsgaben ermöglicht249, daß Luther zu der Überzeugung gelangen konnte, daß viele der

238 239 240 241 242 243 244

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WA TR 1,53,30-54,5 (Nr. 130: 30. November bis 14. Dezember 1531). WA TR 1,64,16-19 (Nr. 141: 14. Dezember 1531). S. o. Anm. 234. WA TR 1,200,6-14 (Nr. 461: 19. Februar 1533). S. o. Anm. 233. WA TR 2,203,1-9 (Nr. 1745: 18. August 1532). WA Br 6,353,1-354,19 (Nr. 1955: an Johann Riedesel am 7. September 1532). Die Entlassung des Kämmerers war Folge des Regierungswechsels im August 1532 in Kursachsen. Zu Luthers Einschätzung des neuen Kurfürsten Johann Friedrich vgl. Wartenberg, Luthers Beziehungen zu den sächsischen Fürsten, 554f.; Brecht, Martin Luther III, 13f. WA Br 6,391,14-392,17 (Nr. 1977: an Johann Riedesel am 3. Dezember [?] 1532). WA Br 6,546,21-23 (Nr. 2063: an Dorothea Jörger am 24. Oktober 1533). Zum Fall Stifel vgl. WA Br 6,544f.; Brecht, Martin Luther III, 20f. WA Br 7,61,1-7 (Nr. 2109: an Dorothea Jörger am 27. April 1534); 172,7-12 (Nr. 2187: an Dorothea Jörger am 8. April 1535). Vgl. Herrmann, Luthers Beziehungen zu dem niederen Adel, 619. WA Br 7,66,1-3 (Nr. 2113: an Fürst Joachim von Anhalt am 23. Mai 1534). Vgl. zu diesem Brief Mennecke-Haustein, Luthers Trostbriefe, 242-247. WA Br 7,66,17-24 (Nr. 2113: an Fürst Joachim von Anhalt am 23. Mai 1534). Luther spricht hier von der „Erkenntnis", die „itzt" genügend vorhanden sei. Damit „umreißt (er) den Hintergrund der reformatorischen Rechtfertigungslehre, die den Menschen von einer um des Verdienstes willen auf sich genommenen, ihn krank machenden Enthaltsamkeit befreien kann" (Mennecke-Haustein, Luthers Trostbriefe, 245).

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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Oberdeutschen den Verhandlungen über das Abendmahl mit einem aufrichtigen Interesse gegenüberstehen250 und daß Luther viel Arbeit hat und sich daher eigentlich gar nicht um die innere Angelegenheit der Familie Guldschmidt zu kümmern braucht251. In der Schrift an Peter Beskendorf schließlich nimmt das mit der Formel ausgedrückte Gotteslob auf die gewonnene Einsicht Bezug, daß ein Gebet durch die Geistesabwesenheit des Beters seinen Sinn verliert252. Das Gotteslob hat nach dieser Liste den Grund und die Konstituenzien des Glaubens sowie die Erhaltung und Förderung des Glaubens im Leben des einzelnen und im Leben der kirchlichen Gemeinschaft zum Inhalt. Es thematisiert außerdem das Wohlergehen im gesundheitlichen, im familiären und im beruflichen Bereich, von dem der Glaube nicht abhängig ist, das er aber unter Umständen bedingt253. Der Beter bringt mit Hilfe der Formeln zum Ausdruck, daß die von ihm angedeuteten Sachverhalte letztlich weder auf sein eigenes Wirken noch auf das Wirken eines anderen Menschen, noch auf das Wirken von Menschen überhaupt zurückzufuhren sind. Er sagt mit Hilfe der Formeln, daß er in den bezeichneten Sachverhalten Gaben und Gegebenheiten erkennt, die auf Gott als Geber und Verursacher zurückgehen254.

250 WA Br 7,157,1-11 (Nr. 2175: an Landgraf Philipp von Hessen am 30. Januar 1535). Zur Vorgeschichte der „Wittenberger Konkordie" von 1536 vgl. Brecht, Martin Luther III, 48-57. 251 WA Br 7,178,1-12.18-22; 179,34-39 (Nr. 2190: an Stenzel Guldschmidt am 19. April 1535). 252 WA 38,363,30-364,6. 253 Zum letzteren vgl. Anm. 249. 254 Eine gewisse Ähnlichkeit mit den Formeln des Gotteslobes haben Formulierungen am Ende von Briefen Luthers, die den „Doxologien" in den neutestamentlichen Briefen nachempfunden sind (vgl. Rom 1,25; 9,5; 11,33-36; 16,25-27; 2. Kor 11,31; Gal 1,5; Eph 3,20f.; Phil 4,20; 1. Tim 1,17; 2. Tim 4,18; 1. Petr. 4,11 ; 5,11 ; 2. Petr 3,18; Hebr 13,20f.; Jud 24f.). Der Brief an die Erfurter Prediger Ägidius Mechler, Andreas Menser und Petrus Geltner vom 1. Juli 1532 schließt mit dem Satz: WA Br 6,333,19-21 (Nr. 1946): „Christus excitet & dirigat spiritum vestrum in gloriam suam & in Satane confusionem, sicut hactenus & fecit & facit in vobis, cui gloria soli, Amen." [„Christus entzünde und leite euren Geist zu seiner Ehre und zur Schande des Satans, wie er bisher an euch getan hat und noch tut, dem allein sei Ehre, Amen."] Der Brief an die aus Oschatz vertriebenen Evangelischen vom 20. Januar 1533 endet so: WA Br 6,423,44-48 (Nr. 1995): „Solch mein kurz eilend Schreiben wollet diesmal für gut haben, und laßt uns miteinander und für einander bitten; denn wir sind gewißlich erhört. Und ob sich's verzeucht, so wird es doch

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

dd) „Ego accepi, Dominus dedit" Nach dem Auffinden von Kurzformeln des Gotteslobes in der dritten Psalmenvorlesung stellt sich die Frage, ob die eigentliche Gebetsgestalt des Lobens in der dritten Psalmenvorlesung auch durch Beispiele vertreten ist, die keine fest gefügte Form aufweisen. Die Untersuchung der Stellen der dritten Psalmenvorlesung, die einen Begriff des Lobens, aber keinen Begriff des Dankens enthalten, führt zunächst zu folgendem Ergebnis: Man kann nicht eine einzige erweiterte Gebetsformulierung ausfindig machen, die nach der Struktur „Ich lobe dich/Gott darum, daß ..." konstruiert ist, in der also ein Verb des Lobens vorkommt, das in der 1. Person steht und aktivisch verwendet wird. Daß derartige erweiterte Formulierungen des Gotteslobes an keiner Stelle der dritten Psalmenvorlesung auftauchen, ist gewiß kein Zufall. Weder in Luthers Tischreden aus der ersten Hälfte der dreißiger Jahre noch in Luthers

kommen und nicht außenbleiben. Denn Gott kann nicht liegen noch triegen. Dem sei Lob und Dank in Ewigkeit, durch unsern lieben Herren Jesum Christum, Amen!" Der Schluß des offenen Briefes an Nikolaus von Amsdorf vom 11. März 1534, in dem Luther noch einmal mit Erasmus abrechnete, lautet: WA Br 7,39,418-422 (Nr. 2093): „Dominus noster lesus, quem mihi Petrus non tacet Deum, sed in cuius virtute scio et certus sum me saepius a morte liberatum, in cuius fide haec omnia incepi et hactenus effeci, quae ipsi hostes mirantur, ipse custodiat et Iiberet nos in finem. Ipse est Dominus Deus noster verus, cui soli cum Patre et Spiritu sancto sit gloria in saecula, Amen." [„Unser Herr Jesus, den mir Petrus nicht als Gott verschweigt, durch dessen Kraft ich vielmehr - so weiß ich und bin ich gewiß - des öfteren vom Tod befreit worden bin, im Glauben an den ich dieses alles begonnen und bisher zuwege gebracht habe, was selbst die Feinde bewundern, er behüte und befreie uns bis zum Ende. Er ist der Herr, unser wahrer Gott, dem allein zusammen mit dem Vater und dem heiligen Geist sei Ehre in Ewigkeit, Amen."] Vgl. auch das Ende der „Vermahnung zum Sakrament des Leibes und Blutes unseres Herrn" aus dem Jahr 1530 (WA 30 11,626,13-18) sowie das Ende der Vorrede zum „Catalogus oder Register aller Bücher und Schriften D. M. Luthers" aus dem Jahr 1533 (WA 38,134,22-26). Der Lobpreis wird an diesen Stellen durch den Rückblick auf die bereits geschehene und/oder durch den Ausblick auf die noch zu erwartende Leitung und Bewahrung der Christen durch Christus beziehungsweise Gott hervorgerufen. Ein Beleg für eine „Doxologie" findet sich auch in der dritten Psalmen Vorlesung. Siehe WA 40 111,211,6-8 im Kommentar zu Ps 127,1: „... hoc fecit dominus. Deus dedit hanc familiam, gubernationem, Civitatem; Ei gloria in sécula!" [„... Das hat der Herr gemacht. Gott hat mir diese Familie, diese Regierung, diese Stadt gegeben, ihm sei Ehre in Ewigkeit!"] Das Gotteslob thematisiert hier das dem Beter widerfahrene gnadenreiche Handeln Gottes in der „oeconomia" und in der „politia".

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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Briefen aus dem gesamten Zeitraum der Vorlesung und auch nicht in der Gebetsanleitung für Peter Beskendorf begegnen Sätze mit der Struktur „Ich lobe dich/Gott...". Gebete, in denen man sein augenblickliches Verhalten Gott gegenüber mit einem Begriff des Lobens, und zwar ausschließlich mit einem Begriff des Lobens umschreibt, waren für Luther offenbar ganz und gar untypisch. Dem negativen Ergebnis der Recherche kann ein positives hinzugefügt werden: Es gibt in der dritten Psalmenvorlesung erweiterte Formulierungen, die keinen Begriff des Lobens enthalten und mit denen der Beter Gott doch in direkter Weise lobt. Diese Formulierungen treten nicht nur im Zusammenhang des Sündenbekenntnisses auf255. Läßt man sich bei der Suche nach ihnen von den Begriffen des Lobens in ihrem Kontext leiten, dann entdeckt man ein Beispiel, das in keiner unmittelbaren Beziehung zu einem Sündenbekenntnis steht. - Im Rahmen der Auslegung von Ps 127,1 bemerkt Luther: „Iurista putat se exseipso habere etc., non respicit sursum, non glorificat deum: Ego feci. Wenn da hin kompt, werden feces draus. Conditae ergo sunt politia, Oeconomia, leges scriptae in cordibus hominum. Natura autem non potest obedire istis donis. Sed sic: gubernabo, ducam in hunc finem, quaeram meam voluptatem, gloriam, commodum. Dominus dicit: Ja, das must mich gelüsten; dedi tibi solem et agros, non ferent fructum, quem vis. Das ist Vitium humanae naturae, quod non putat creationem et dona, sed vult ein feci draus machen; sed sol heissen: Ego accepi, Dominus dedit; Non: homo fecit."256 [„Ein Jurist meint, er habe alles aus sich selbst usw. Er sieht nicht nach oben, er verherrlicht nicht Gott, sondern sagt: Ich habe es gemacht. Wenn es dahin kommt, werden nur Hefen daraus. Es sind also das politische Wesen und das häusliche Wesen (durch Gott) begründet, die Gesetze in die Herzen der Menschen geschrieben. Die Natur aber kann diesen Gaben nicht gehorchen, sondern sagt so: Ich will regieren, ich will es zu diesem Ende führen, ich will meine Lust, meine Ehre, meinen Vorteil suchen. Der Herr (= Gott) aber sagt: Ja, das muß mich gelüsten! Ich habe dir die Sonne und die Felder gegeben, aber sie werden dir die Frucht nicht hervorbringen, die du begehrst. Das ist das Laster der menschlichen Natur, daß sie dies alles nicht für Gottes Schöp-

255 Vgl. o. bei Anm. 193-198; Anm. 213. 256 W A 4 0 111,222,12-223,7.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

fung und Gaben hält, sondern ein ,Ich habe es gemacht' daraus machen will. Es soll aber heißen: Ich habe es empfangen, der Herr hat es gegeben; und nicht: Der Mensch hat es gemacht."] Luther stellt in diesem Abschnitt die Aussprüche „Ego feci" und „Ego accepi, Dominus dedit" einander gegenüber. Wenn der Mensch über den Schöpfungsgaben Gottes ein „Ego feci" spreche, reagiere er falsch, wenn er hingegen „Ego accepi, Dominus dedit" sage, verhalte er sich richtig. Luther bezeichnet das Diktum „Ego accepi, Dominus dedit" zwar nicht ausdrücklich als Lobpreis. Aus der Tatsache, daß er dem entgegengesetzten Diktum „Ego feci" unter Zuhilfenahme der Wendung „glorificare deum" den Charakter des Lobpreises abspricht, folgt jedoch eindeutig, daß das Diktum „Ego accepi, Dominus dedit" für ihn tatsächlich eine Formulierung darstellt, mit der der Mensch Gott lobt. Man kann überlegen, ob man den Spruch „Ego accepi, Dominus dedit" überhaupt als ein Beispiel für die Gebetsgestalt des Lobens zitieren darf oder ob man in ihm nicht eher ein Beispiel für die kerygmatische Gestalt des Lobens sehen muß. Es ist zu konstatieren, daß weder das „Ego feci" noch das „Ego accepi, Dominus dedit" auf ein menschliches Auditorium angewiesen sind, um als Aussprüche einen Sinn zu haben. Das „Ego feci" bildet höchstwahrscheinlich einen Teil eines Gespräches, das der ungläubige Mensch mit sich selbst führt. In seinem Selbstbewußtsein, in dem er sich selbst gefällt, ist er unbedingt auf sich selbst bezogen und spricht daher zuallererst zu sich selbst. Er ruht möglicherweise so sehr in sich, daß er es gar nicht für nötig hält, das „Ego feci" auch noch vor anderen Menschen auszusprechen. Wenn der gläubige Mensch das „Ego accepi, Dominus dedit" an die Stelle des „Ego feci" setzt, dann spricht er wohl ebenfalls zunächst mit sich selbst. Da sein Sprechen aber nicht Ausdruck von Selbstherrlichkeit, sondern Ausdruck seines Glaubens ist, richtet er seine Worte nicht ausschließlich an seine eigene Person. In dem Bewußtsein, vor Gott zu stehen, öffnet er das Selbstgespräch zu Gott hin. Das „Ego accepi, Dominus dedit" wird so zu einem Gebet - mit der Anrede Gottes in der 3. Person. Weil der gläubige Mensch es unter der Leitung des heiligen Geistes lernt, sich seinen Mitmenschen ohne Selbstsucht zuzuwenden, artikuliert er das „Ego accepi, Dominus dedit" bei passender Gelegenheit höchstwahrscheinlich auch vor ihnen.

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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Daß Luther den Ausspruch „Ego accepi, Dominus dedit" in der dritten Psalmenvorlesung vor allem als ein Gebet im engeren Sinn versteht, zeigt sich, wenn man ihn mit ähnlichen Aussprüchen vergleicht, die Luther im Rahmen der Auslegung von Ps 127 erwähnt257. Es ist daraufhinzuweisen, daß einige von diesen Aussprüchen, in denen es um eine Gabe und um Gott als deren Geber geht, eine Anrede Gottes in der 2. Person enthalten und daher sofort als Gebete zu identifizieren sind258. In einem Fall nennt Luther sowohl einen Ausspruch mit einer Anrede Gottes in der 2. Person als auch einen Ausspruch ohne eine solche in einem Atemzug. Er erteilt den Rat: - „Debes dicere: Donum dei est, fruor eo, donee Deo placet. Vel si abit: Domine deus, eram possessor doni, ,dedisti, abstulisti'." 259 [„Du sollst sagen: Es ist eine Gabe Gottes; ich genieße sie, solange es Gott gefallt. Oder wenn sie schwindet: Lieber Herr Gott, ich war der Besitzer der Gabe; ,du hast's gegeben, du hast's genommen' (Hiob 1,21)."] Das Besondere an diesem Zitat besteht darin, daß Luther in ihm die beiden unterschiedlichen Arten, von Gott zu reden, als prinzipiell gleichwertige Möglichkeiten der Artikulation präsentiert. Für Luther haben die Sprüche, die von Gott in der 3. Person reden, ursprünglich die gleiche Funktion wie die Sprüche, die von Gott in der 2. Person reden. Sie sind mit diesen vertauschbar. Offenbar

257 Vgl. WA 4 0 111,211,6-8; 212,12; 2 1 6 , l f . und 7f.; 232,6f. (zu Ps 127,1); 246,9f.; 247,2f. und 3f.; 251,5.11 ; 252,3f.; 253,2.3.4 (zu Ps 127,2); 255,9.10; 261,7.10.13f. (zu Ps 127,3). Der Vergleich mit den an diesen Stellen angeführten Sprüchen macht übrigens auch deutlich, daß das Diktum „Ego accepi, Dominus dedit" nicht etwa in die Reihe der Formeln gehört. Luther kann den zugrunde liegenden Gedanken auf verschiedene Weise ausdrücken. Wie man an dem Wortspiel „feci"/„accepi" erkennt, ist das - zweifellos formelhaft klingende - „Ego accepi, Dominus dedit" ein erfundenes Gegenstück zum „Ego feci". 258 Vgl. W A 4 0 111,212,12 (zu Ps 127,1); 246,9f.; 247,3f.; 253,3.4 (zu Ps 127,2). 259 WA 4 0 111,247,2-4 (zu Ps 127,2). Vgl. hierzu auch W A 4 0 111,253,1-4 (zu Ps 127,2): „Sic unicuique, si intelligit donum; si etiam vbel: ,Deus dedit!' 1s fruitur rebus et geneust seiner herschaft, Gene. 1. Isst et trinkt et dicit deo gratias: domine deus, donum tuum est. Si périt, - : tuum fuit et iterum tuum, et habet p a c e m , . . . " [„So geht es einem jeden, wenn er die Gabe erkennt. Und wenn es dann auch übel geht, so spricht er: ,Gott hat es gegeben!' (Hiob 1,21) Er genießt die Gaben und genießt die Herrschaft, 1. Mose 1,(28). Er ißt und trinkt und sagt Gott Dank: Lieber Herr Gott, es ist deine Gabe. Wenn sie verloren geht, spricht er: Dein war sie und ist jetzt wiederum dein, und hat Frieden,..."]

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

kümmert sich Luther im Kommentar zu Ps 127 nicht darum, ob die Sprüche, die von Gott in der 3. Person reden, auch an ein menschliches Gegenüber gerichtet werden. Man verfahrt deshalb ganz in seinem Sinn, wenn man das Diktum „Ego accepi, Dominus dedit" und alle ähnlichen Äußerungen unter die Kategorie „Gebetsgestalt des Lobens" einordnet. An zwei Stellen im Kommentar zu Ps 127 wird übrigens deutlich, daß Luther davon ausgeht, daß die Sprüche, die von Gott in der 3. Person reden, Bestandteile eines zwischenmenschlichen Gesprächs sein können. -

Kaiser Karl V. wird als Vorbild empfohlen. Er habe nach seinem Sieg über König Franz I. in der Schlacht von Pavia (1525) von einem „donum dei" geredet260. - Die Zeitgenossen, die in Anlehnung an 1. Mose 33,5 im Blick auf die Kinder zu ihren Mitmenschen sagen: „her hat mirs beschert" und „Got dedit", werden demgegenüber mit Kritik bedacht. Ihnen wird vorgeworfen, daß sie sich nicht darüber im klaren sind, was sie da sagen261. Luther hätte aber auch sie unterstützt, wenn ihr Reden mehr als eine Redensart gewesen wäre. In dem Moment, in dem das „Ego accepi, Dominus dedit" und die vergleichbaren Sprüche, die von Gott in der 3. Person reden, als Ausdrucksformen des Glaubens bewußt an Mitmenschen adressiert werden und also die Dimension der Verkündigung erhalten, haben sie natürlich nicht mehr als Gebete im engeren Sinn zu gelten, sondern sind dann unter der Kategorie „kerygmatische Gestalt des Lobens" neu zu klassifizieren262. Das Gotteslob kommt bei dem Diktum „Ego accepi, Dominus dedit" und bei allen seinen Parallelen - unabhängig davon, ob auch Mitmenschen angesprochen werden sollen oder nicht - dadurch zustande, daß ein gläubiger Mensch Gott die Urheberschaft fur einen gegenwärtigen oder auch vergangenen positiven Umstand im Bereich der „oeconomia" oder der „politia" zuschreibt, anders ausgedrückt: daß er durch die Identifikation eines positiven Umstands als Gabe Gottes bekundet, daß Gott der Schöpfer ist.

2 6 0 Vgl. WA 4 0 111,251,10-252,1.7-253,1 (zu Ps 127,2). Luther gewann aufgrund dieser Äußerung die Zuversicht, daß Karl V. die Türken besiegen werde (vgl. WA 4 0 111,251,13252,1). 261 Vgl. W A 4 0 111,255,3-256,2 (zu Ps 127,3). 262 Bei der Klassifizierung der besagten Sprüche muß die Kommunikationssituation berücksichtigt werden, in der sie jeweils ihren „Sitz" haben.

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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Es sei bemerkt, daß man im Kontext der Sprüche, die Luther im Rahmen der Erörterung von Ps 127 anfuhrt, wiederholt die Ausdrücke des Dankens antrifft263. Bei dem Versuch, die eigentliche Gebetsgestalt des Lobens darzustellen, stößt man auf das Thema Danken. Man kann nicht umhin, die Analyse der vorerwähnten Sprüche unter diesem Thema fortzusetzen264.

b) Danken Im folgenden werden die Stellen der dritten Psalmenvorlesung herangezogen, die zu einer Rekonstruktion der Gebetsgestalt des Dankens verhelfen. Da Luther in der dritten Psalmenvorlesung mit den Begriffen des Dankens nicht wie mit den Begriffen des Lobens den Gebetsakt des Beichtens bezeichnet und da er mit ihnen genausowenig wie mit den Begriffen des Lobens den Gebetsakt des Bittens anspricht, gewinnt man den Eindruck, daß es fur Luther nicht nahelag, Gebete, die keine Danksagung im eigentlichen Sinn darstellen, unter dem Aspekt des Dankens zu betrachten. Der Frage, ob es bei Luther Gebete gibt, in denen auf indirekte Weise Dank gegenüber Gott zum Ausdruck gebracht wird, soll deshalb nicht nachgegangen werden.

aa) „ Deo gratia " etc. An der dritten Psalmenvorlesung kann man sehen, daß Luther neben den Kurzformeln des Lobens auch Kurzformeln des Dankens kennt und verwendet: - Im Rahmen der Erläuterung von Ps 51,17 faßt er die Auslegung von Ps 51,16 zusammen: „Summa summarum: rogavi, ut iustificato dares absolutionem publici reatus et criminis. gratia deo. non solum sumus rei coram deo et indigemus gratia, sed etiam criminum coram mundo, das wir wol mögen die pfeiffen einziehen et dicerent: Quare vis docere peccatores, cum tu sis? Ideo dicit:,Domine, labia' etc."265 [„Summa summarum: Ich habe darum gebeten,

263 Vgl. WA 40 111,212,12; 214,1 (zu Ps 127,1); 240,1; 253,3 (zu Ps 127,2). 264 S. VI.2.b)cc). 265 WA 40 11,446,6-10.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

daß du mir, nachdem ich gerechtfertigt worden bin, die Absolution von der öffentlichen Schuld und Anschuldigung erteilst. Dank sei Gott! - Wir sind nicht allein schuldig vor Gott und bedürfen der Gnade, sondern sind auch voller Schuld vor der Welt, so daß wir wohl kleinlaut werden möchten und die Leute wohl sagen würden: Weshalb willst du die Sünder belehren, wenn du selbst einer bist? Daher sagt er: ,Herr, meine Lippen' usw."] -

Im Rahmen der Auslegung von Ps 45,6 zitiert er 1. Kor 15,57 und verweist damit zugleich auf 2. Kor 2,14: „,Deo gratias, qui dedit victoriam per Christum', 2. Cor. 2., ,.." 266 [,„Gott sei Dank, der den Sieg gegeben hat durch Christus', 2. Kor 2,(14), ..."]

-

An einer Stelle im Kommentar zu Ps 120,4 meint er: „Deo gratias interim, quod possumus eos iudicare: Ista dicuntur non sana, sed diabolica; - quod incolume nostrum iudicium de puritate doctrinae, quod video ignem in Iuniperis et sagittas diaboli, quamquam conformes ad rationem naturalem, sed sunt sagittae ignitae diaboli, ,.." 267 [„Gott sei indessen Dank, daß wir sie (= die Widersacher und das, was sie lehren) beurteilen können: Jene Dinge nennt man nicht heilsam, sondern teuflisch; - daß unser Urteil über die Reinheit der Lehre unversehrt ist, daß ich das Feuer in den Wacholderbüschen und die Pfeile des Teufels wahrnehme, die zwar mit der natürlichen Vernunft übereinstimmen, aber gleichwohl feurige Pfeile des Teufels sind,..."]

-

Er zitiert und glossiert Ps 124,6 auf folgende Weise: „,gratias deo nostro, qui non dat', i. e. assidue vigilat, defendit, conservât, ut sine intermissione simus tuti et salvi a praeda daemonum, alioqui ,dentibus ipsorum praeda'." 268 [,„Dank sei unserem Gott, der nicht gibt', das heißt: der immerfort wacht, verteidigt, bewahrt, damit wir ohne Unterbrechung sicher und wohlbewahrt vor dem Raub der Dämonen sind, wir wären sonst ein ,Raub für ihre Zähne'."]

Im ersten Zitat erscheint die Wortfolge „gratia deo". Es handelt sich um einen selbständigen Satz ohne Prädikat, in dem „gratia" die Stelle des Subjekts und „deo" die Stelle eines Dativobjekts einnimmt. Das Wort „gratia" soll also als ein Nomen im Nominativ und nicht etwa als ein Nomen im Ablativ verstanden

266 WA 40 11,514,7f. 267 WA 40 111,35,7-11. 268 WA 40 111,145,12-15.

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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werden. Der Versuch, „gratia" als eine adverbiale Bestimmung zu übersetzen, forderte die Ergänzung mehrerer Satzteile. Er ginge von der doch recht fragwürdigen Annahme aus, die Überlieferung Rörers bestände hier nur aus kleinsten Fragmenten. Man darf in dem Satz „gratia deo" eine - elliptische - Formel des Dankens erkennen. Wie die Tischreden und Briefe aus der Zeit der Vorlesung zeigen, war die Wortstellung innerhalb der Formel „gratia deo" für Luthers Sprachempfinden anscheinend ungewöhnlich. Er benutzte die Formel nach dem Zeugnis dieser Quellen grundsätzlich in veränderter Wortstellung, nämlich in der Form „Deo gratia" 269.

269 WA TR 1,198,33 (Nr. 456: Februar 1533); WA TR 3,119,22 (Nr. 2962a: 9. bis 12. Februar 1533) bzw. 120,4 (Nr. 2962b); WA Br 6,321,17 (Nr. 1940: an Nikolaus von Amsdorf am 24. Juni 1532); 517,10 (Nr. 2047: an Nikolaus Hausmann am 24. September 1533); WA Br 7,83,19 (Nr. 2125: an Johann Rühel am 29. Juni 1534). Daß „Deo gratia" an jeder der angegebenen Stellen ein selbständiger Satz ist, kann nicht geleugnet werden. Es wird insbesondere in den Fällen unbestreitbar, in denen den beiden Wörtern die Konjunktion „Sed" voransteht und ihnen ein Relativsatz oder ein daß-Satz nachfolgt. Eine Verknüpfung von „Sed Deo gratia" mit einem Relativsatz findet man in dem Brief Luthers an Nikolaus Hausmann vom 24. September 1533: WA Br 6,517,9-14 (Nr. 2047): „Dux Georgius edidit librum suo & ingenio & fato dignum. Sed Deo gratia, qui istud fatuum cor sic produxit in publicum. Hec scilicet meruit hactenus perpetua ista verbi persecutione, vt sui ipsius index et iudex cogatur sese turpiter etiam coram mundo traducere mendacem, blasphemum & sacrilegum. Respondebitur non ilio, sed nobis digne." [„Herzog Georg hat ein Buch herausgegeben, das sowohl seinem Charakter als auch seiner Bestimmung entspricht. Aber Gott sei Dank, der dieses törichte Herz so in die Öffentlichkeit gezogen hat. Dieses nämlich hat er sich bis zu diesem Zeitpunkt mit Hilfe dieser ständigen Verfolgung des Wortes verdient, daß er nun als ein Ankläger und Richter seiner selbst gezwungen wird, sich in schmachvoller Weise auch vor der Welt als Lügner, Lästerer und Frevler bloßzustellen. Es wird jenem in einer nicht ihm, sondern uns gebührenden Weise geantwortet werden."] Eine Verknüpfung von „Sed Deo gratia" mit einem daß-Satz liegt in einer von Konrad Cordatus überlieferten Tischrede aus der Zeit vom 9. bis 12. Februar 1533 vor: WA TR 3,119,19-23 (Nr. 2962a): „Qui iactant autoritatem ecclesiae supra verbum, similes sunt illis, qui dicunt: Ich wolt den ßon gern lieb haben, aber die mutter mus ich ehe zu tod schlahen. Tribuunt enim plus genitae ecclesiae quam gignenti verbo. Sed Deo gratia, quod haeretici non sumus, sed tantum schismatici, et hoc ipsorum culpa." [„Diejenigen, die die Autorität der Kirche mehr als das Wort rühmen, ähneln denen, die sagen: Ich wollte den Sohn gern lieb haben, ich muß aber zuvor die Mutter totschlagen. Sie schätzen nämlich die Kirche, die geboren worden ist, mehr als das Wort, das dieselbe geboren hat. Aber Gott sei Dank, daß wir keine Ketzer, sondern nur Schismatiker sind, und das durch ihre eigene Schuld."] Cordatus stützte seine Tischredensammlung zum Teil auf die eigenen Nachschriften, zum Teil aber auch auf die Mitschriften anderer Tischgenossen Luthers. Da man nachweisen kann, daß er beim Abschreiben von fremden Nach-

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Es fallt übrigens auf, daß zwei Briefe Luthers, die dem Zeitraum der Vorlesung entstammen, eine Variante der Formel „Deo gratia" enthalten. Die Variante lautet „sit Christo gratia"270 beziehungsweise „Christo sit gratia"271. Luther ersetzte hier das Dativobjekt „Deo" durch das Dativobjekt „Christo". Er präzisierte damit die Bezeichnung des Adressaten, an den er seine Danksagung richtete. Daß die Variante nicht gleichfalls in elliptischer Form, sondern als vollständiger Satz erscheint, hat seinen Grund darin, daß Luther eine Formel des Dankens, in der der Bezug auf Christus explizit zum Ausdruck kommt, nur relativ selten verwendete. Bei einer Formel, die selten gebraucht wird, kommt es normalerweise nicht zur Einsparung einer Satzkonstituente, da sich bei ihrem Benutzer wegen ihres geringen Bekanntheitsgrads nicht die nötige Souveränität im Umgang mit ihr entwickeln kann, die ihn dazu veranlassen könnte, eines ihrer notwendigen Satzteile auszulassen. Die Variante „sit Christo gratia" beziehungsweise „Christo sit gratia" ist für das Verständnis der Formel „Deo gratia"/„gratia Deo" hilfreich, weil sie deren ursprüngliche volle syntaktische Struktur zum Vorschein bringt. Anhand der Variante wird klar, daß die Formel „Deo gratia"/„gratia Deo" an der Prädikatstelle eines „sit" entbehrt, oder mit anderen Worten: daß die Formel einen Optativsatz darstellt. Bei der Übersetzung der Formel ins Deutsche orientiert man sich am besten am ursprünglichen Wortlaut. Man wird die Formel mit dem volleren „Gott sei Dank" und nicht etwa mit dem heute ungebräuchlichen elliptischen „Gott Dank" oder „gottdank" wiedergeben272.

Schriften den Wortlaut der Überlieferung durch Kürzungen und eine alternative Wortwahl veränderte (siehe dazu WA TR 2,XX1-XXXII), muß man vermuten, daß er wohl im allgemeinen nicht daran interessiert war, den Originalton Luthers exakt wiederzugeben. So ist wohl das Satzgefüge „Sed Deo gratia, quod haeretici non sumus, ..." nicht authentisch. Die von Cordatus dargebotenen Texte lassen allerdings Rückschlüsse auf Luthers Sprachgebrauch zu. Man kann Cordatus ja als einen Zeugen dafür anfuhren, wie die Wortfolge „Deo gratia", die einem gelegentlich bei Luther begegnen konnte, von Luthers Zeitgenossen aufgefaßt wurde, daß sie nämlich als ein selbständiger Satz verstanden wurde. 2 7 0 WA Br 6,31 l,9f. (Nr. 1934: an Georg Spalatin am 20. Mai 1532). 271 WA Br 6,380,4 (Nr. 1969: an Gerhard Wiskamp am 19. Oktober 1532). 272 Die elliptische Formel des Dankens findet sich im Althochdeutschen beispielsweise bei Notker, im Neuhochdeutschen beispielsweise bei Goethe und Annette von Droste-Hülshoff (vgl. DWb 8, Sp. 1098f. [Art. GOTT I J 1 b a gg]).

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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In den übrigen drei Zitaten aus der dritten Psalmenvorlesung begegnen die Wortfolgen „Deo gratias" und „gratias deo". „Deo gratias", „Deo gratias interim" und „gratias deo nostro" sind jeweils Teilsätze eines Satzgefüges. Es handelt sich um Hauptsätze, an die ein Relativsatz oder ein daß-Satz angeschlossen ist. Vergleicht man diese Hauptsätze mit der Formel „Deo gratia"/„gratia Deo", so muß man feststellen, daß mit „Deo gratias" beziehungsweise „gratias Deo" offensichtlich eine weitere elliptische Formel des Dankens vorliegt. Diese weitere Formel unterscheidet sich von der oben angesprochenen Formel dadurch, daß das Nomen „gratia" in ihr nicht im Nominativ, sondern im Akkusativ erscheint. In dem Satz der Formel „Deo gratias"/„gratias Deo" ist nämlich nicht nur die Stelle des Prädikats, sondern auch die des Subjekts unbesetzt. Die Formel enthält nicht mehr als ein Dativ- und ein Akkusativobjekt des ursprünglich vorhandenen Prädikats. Die Wortstellung im zuletzt genannten Zitat aus der dritten Psalmenvorlesung hängt mit der Betonung des Dativobjekts durch Beifügung eines Possessivpronomens zum Substantiv zusammen. Das Dativobjekt befindet sich wohl wieder nur ausnahmsweise in Zweitstellung. Die beiden Belege in der Briefliteratur, die Luther zur Zeit der Vorlesung abfaßte273, unterstützen die Vermutung,

273 WA Br 6,441,15-19 (Nr. 2004: an Fürst Georg von Anhalt am 28. März 1533): „Sed ipse dicit: Confidite, EGO VICI MVNDVM; victo autem mundo Victus est & princeps mundi, sicut Victo regno victus est rex; Victo rege mundi, Vieta sunt furor, ira, peccatum, conscientia, mors, infernus & omnia, quibus iste fortis armis confidebat. Igitur Deo gratias, qui dedit nobis hanc victoriam." [„Aber er (= Christus) sagt:, Vertraut darauf, ich habe die Welt überwunden.' (Joh 16,33) Wenn aber die Welt überwunden ist, so ist auch der Fürst der Welt überwunden, gleichwie, wenn ein Königreich überwunden ist, auch der König überwunden ist. Wenn aber der König der Welt überwunden ist, so sind auch sein Wüten, sein Zorn, die Sünde, Gewissen, Tod, Hölle und alles, worauf dieser Starke als auf seine Waffen vertraute, überwunden. So sei denn Gott Dank, der uns diesen Sieg gegeben hat! (vgl. 1. Kor 15,57)"] WA Br 6,562,3-7 (Nr. 2074: an Nikolaus Hausmann am 17. Dezember 1533): „Credo, te omnia audisse, Optime Hausmanne, que Deus fecit mirabilia nobiscum, scilicet pacem inter principes, pacem erga Erffordienses, pacem iam priorem cum Cesare, & hec omnia cum fauore & plausu nominis boni super nostrum principem, Deo gratias, Amen." [„Ich glaube, daß du alles gehört hast, mein bester Hausmann, was für wunderbare Dinge Gott an uns getan hat, nämlich den Frieden unter den Fürsten, den Frieden gegen die Erfurter, den schon früheren Frieden mit dem Kaiser, und dieses alles zur Förderung des guten Namens unseres Fürsten, Gott sei Dank, Amen."] Die überlieferten Tischreden aus der ersten Hälfte der dreißiger Jahre beinhalten die Formel weder in der Form „gratias Deo" noch in der Form „Deo gratias".

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

daß Luther beim Gebrauch der Formel des Dankens, die aus Dativ- und Akkusativobjekt besteht, genauso wie beim Gebrauch derjenigen, die sich aus Subjekt und Dativobjekt zusammensetzt, das Dativobjekt vorzugsweise an den Anfang stellte. Um herauszufinden, auf welchen vollständigen Satz die Formel „Deo gratias"/„gratias Deo" zurückgeht, lohnt es sich, die angegebenen Zitate aus Georg Rörers Vorlesungsmitschrift mit den entsprechenden Passagen aus Veit Dietrichs Bearbeitung der Protokolle fur die Druckausgaben zu vergleichen. Dietrich vermied die Ellipse. Er ergänzte im ersten Fall ein „ago"274, im zweiten ein „agamus"275 und im dritten ein „agit"276. Es steht gewiß fest, daß der Akkusativ „gratias" an den gängigen Ausdruck „gratias agere" erinnert. Fraglos deutet man den Sinn der Formel richtig, wenn man sie mit einer finiten Form des Verbs „agere" in einen vollständigen Satz verwandelt277. Fraglich ist allerdings, für welche Personalendung des Verbs man sich in diesem Zusammenhang entscheiden soll. Die Ergänzung durch „agit" bei Dietrich erfolgte im Zuge einer Transformation der gesamten Textstelle des Manuskripts und braucht daher nicht berücksichtigt zu werden. Beachtenswert sind allerdings die beiden anderen von Dietrich benutzten Verbformen. Man darf voraussetzen, daß sich eine Verbform insbesondere dann zur Erschließung der Formel „Deo gratias"/„gratias Deo" eignet, wenn mit ihrer Hilfe angezeigt werden kann, daß der Sprecher oder Schreiber mit dieser Formel den gleichen Zweck wie mit der oben genannten Formel verfolgt, wenn also mit ihrer Hilfe darauf hingewiesen werden kann, daß sich im Aussprechen oder Schreiben dieser ebenso wie im Aussprechen oder Schreiben jener Formel ein Handlungsgeschehen des Dankens verwirklicht, das vom Sprecher beziehungsweise Schreiber ausgeht. Man wird deswegen zur Deutung der Formel hier lediglich die (aktivischen) Präsensformen der 1. Person von „agere" heranziehen. Von den prinzipiell in Betracht kommenden Präsensformen „ago", „agam", „agimus" und „agamus" verdienen nicht alle das gleiche Maß an Aufmerksam-

2 7 4 WA 4 0 11,514,29-31. 275 WA 4 0 111,35,23-27. 276 WA 4 0 111,145,34-146,18. 277 Eine Ergänzung durch eine Form von „dicere" bleibt außer Betracht, da der Ausdruck „gratias dicere" bei Luther relativ selten vorkommt (vgl. o. Anm. 15).

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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keit. Aus der Tatsache, daß Luther in den vollständigen Sätzen seiner Dankgebete das konjunktivische „agam" überhaupt nur sehr selten in der Verbindung mit „gratias" verwendete278, kann man schließen, daß er mit großer Wahrscheinlichkeit nicht dazu neigte, der Formel in seinen Gedanken ein „agam" hinzuzufügen. Da er nicht annehmen durfte, daß alle seine Hörer beziehungsweise Leser seinen Dank gegen Gott immer ohne weiteres nachvollziehen konnten und wollten, lag es für ihn wohl auch nicht nahe, zu der Formel ein die Hörer beziehungsweise Leser vereinnahmendes indikativisches „agimus" hinzuzudenken. Luther tendierte wahrscheinlich dahin, die Formel in seinen Gedanken mit einem „ago" oder mit einem „agamus" zu komplettieren. Die Ergänzung der Formel durch eine dieser beiden Präsensformen mußte sich bei Luther beinahe wie von selbst einstellen, weil sie zum einen eine Lösung darstellte, die keine inhaltlichen Problemen aufwarf, und weil sie zum anderen zur Bildung einer Konstruktion führte, die für Luther geläufig war, wie jene bei ihm immer wieder einmal vorkommenden (Haupt-)Sätze zeigen, in denen die Verbformen „ago"279 oder „agamus"280 den Akkusativ „gratias" und den Dativ „Deo" (oder eine andere Bezeichnung für Gott im Dativ) bei sich haben. Es spricht übrigens einiges dafür, daß Luther beim Gebrauch der Formel eher noch ein „agamus" als ein „ago" im Gedankenansatz hatte. Die Betrachtung der angeführten Stellen ergibt, daß die im engeren Kontext der Formel erscheinenden Formen der 1. Person - es handelt sich bei ihnen

278 Vgl. ζ. B. WA TR 3,389,9-11 (Nr. 3543a: Bericht über Luthers Erkrankung in Schmalkalden; das Gebet wird in diesem Bericht auf den 26. Februar 1537 datiert): „Ah, lieber Vater, nim das lieb seelichen in deine hand! Agam tibi gratias et benedico te, et benedicant te omnes creaturae tuae; da, ut cito colligar ad patres." [„Ach, lieber Vater, nimm das liebe Seelchen in deine Hand! Ich möchte dir danken und ich lobe dich, auch mögen dich loben alle deine Kreaturen; gib, daß ich schnell zu den Vätern versammelt werde."] 279 Vgl. z. B. WA 40 II 1,381,11 (zu Ps 131,1 ); WA TR 1,470,14 (Nr. 933: Ende März 1532); WA TR 2,85,10 (Nr. 1400: Ende März 1532); WA TR 3,84,7 (Nr. 2922b: 6. Juli 1527; dazu s. u. Anm. 338); WA Br 7,56,10 (Nr. 2105: an die Fürsten Johann, Georg und Joachim von Anhalt am 5. oder 6. April 1534); BSLK 521,25-27; 522,10-12 (Morgenund Abendsegen; zur lateinischen Fassung s. u. Anm. 322). 280 Vgl. z. B. WA 40 Ill,184,10f. (zu Ps 126,3); 458,6f. (zu Ps 132,18). Ohne Dativobjekt: vgl. z. B. WA 40 111,85,10 (zu Ps 122,1); 88,5 (zu Ps 122,2); 396,7f. (zu Ps 132,1).

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

außer um Verbformen auch um Formen der Pronomen - allesamt im Plural stehen281. Luther brach zwar in mancher Hinsicht mit dem konventionellen Sprachgebrauch. Er akzeptierte aber zumindest einen Teil der gängigen sprachlichen Formen, die für ihn unproblematisch waren. Das oft gesungene „Gratias agamus domino deo nostro" [„Lasset uns Dank sagen dem Herren, unserm Gotte"] der lateinischen Messe282 war im Denken präsent und konnte die Herausbildung der Wortformen auf der gedanklich-sprachlichen Ebene beeinflussen. Man muß schließlich vor allem auf folgendes hinweisen: Luther adressierte mit dieser Formel wie mit der oben erwähnten Formel des Dankens und wie mit allen Formeln des Lobens283 in erster Linie Gott, in zweiter Linie aber auch seine Hörer beziehungsweise Leser. Er benutzte diese wie die übrigen Formeln nicht nur, um Gott anzureden, sondern auch, um seine Hörer beziehungsweise Leser dazu aufzufordern, den Vorgang des Dankens oder des Lobens zu verstehen und zu unterstützen. Wollte Luther dem Appellcharakter der Formel „Deo gratias"/„gratias Deo" gerecht werden, dann durfte er sie keineswegs mit einem „ago" verbinden. Das Wissen um die Appellfunktion mußte in ihm die Neigung hervorrufen, der Formel das konjunktivische „agamus" hinzuzufügen. Im Deutschen wird man auch die zweite Formel des Dankens mit „Gott sei Dank" wiedergeben. Daß das deutsche „Gott sei Dank" in diesem Fall eine ganz andere syntaktische Struktur als die lateinische Vorlage besitzt, fallt nicht ins Gewicht. Es stimmt mit seiner Vorlage ja ansonsten in verschiedener Hinsicht überein, namentlich darin, daß es gleichfalls ohne eine Aussage in der 1. Person auskommt.

281 WA 4 0 11,514,7-10 (zu Ps 45,6); WA 4 0 111,35,7-9 (zu Ps 120,4); 145,12-14 (zu Ps 124,6); WA Br 6,441,19 (Nr. 2004: an Fürst Georg von Anhalt am 28. März 1533); 562,47 (Nr. 2074: an Nikolaus Hausmann am 17. Dezember 1533). 282 Vgl. Luthers „Formula Missae et Communionis pro Ecclesia Vuittembergensi" [„Ordnung der Messe und Kommunion fur die Wittenbergische Kirche"] von 1523 ( W A 12,212,13). 283 S. o. bei Anm. 220f.

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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Exkurs: „ Dei gratia " Nachdem die Wortfolgen „Deo gratia" und „gratia Deo" sowie „Deo gratias" und „gratias Deo" als formelhafte Kurzsätze der Danksagung vorgestellt worden sind, ist es angebracht, auf die von Luther benutzte Wortfolge „Dei gratia" einzugehen, da sie den genannten Wortfolgen in ihrem Wortbestand gleicht. Bei „Dei gratia" handelt es sich in Luthers Texten jeweils um ein Satzglied und nicht um einen Satz und also gewiß um keine dritte Formel des Dankens. Die Wortfolge „Dei gratia" wäre eine Formel des Dankens, wenn sie sich mit einem „sit" ergänzen ließe. Der Versuch, „Dei gratia" auf die Lesart „Dei sit gratia" zurückzuführen, kann tatsächlich nicht gelingen. Zwar kommt die Konstruktion „Dei + finite Form von ,esse' + Subjekt" bei Luther vor. Man beachte etwa folgende beiden Äußerungen, die Luther im Rahmen der dritten Psalmenvorlesung im Blick auf Ps 2,8 gemacht hat: -

„Creatura, quae est dei, non datur nisi ipsi deo." 284 [„Die Kreatur, welche Gott gehört, wird nur Gott selbst gegeben."]

-

Und: „Ibi comprehenditur diabolus, mors, vita, salus, iusticia, haec sunt autem dei." 285 [„Da sind mit einbegriffen der Teufel, der Tod, das Leben, das Heil, die Gerechtigkeit; diese aber gehören Gott."]

Die Konstruktion ergibt jedoch keinen Sinn, wenn die Stelle des Subjekts durch das Wort „gratia" (fìir „Dank") besetzt ist. Die Person, auf die sich der Vorgang, den der Begriff „gratia" meint, bezieht, kommt j a nicht als „Eigentümer" dieses Vorgangs in Betracht. Die Bezugsperson „besitzt" den Vorgang nicht, sondern ist als sein Adressat von ihm „betroffen". „Gratia s i t . . . " fordert ein Dativobjekt und keinen Genitivus possessori. Daß die Wortfolge „Dei gratia" keine Formel des Dankens ist, wird zum Teil auch durch eine Ersatzprobe erkennbar. Es gibt Fälle, in denen die Wortfolge „Dei gratia" nicht durch eine Formel des Dankens, etwa durch „Deo gratia", ersetzt werden kann, weil sonst der Bau des Satzes, in dem sie sich befindet, gesprengt werden würde. -

Vgl. zum Beispiel folgende Äußerung von Cordatus, in der doch wohl Luthers Diktion wiederkehrt: „Doctor mira infirmitate vexatus ita, ut frons frigida mortuo simillima esset cum tota facie, sed Dei gratia et [!] per intercessionem orantium Deus eum celeriter pristinae sanitati restituii." 286 [„Der Doktor wurde von einer seltsamen Schwäche befallen, so daß seine Stirn kalt wurde und er aussah wie ein Toter, aber ,durch Gottes Gnade' - nicht: ,Gott sei Dank' - und durch das Eintreten der Beter geschah es, daß Gott seine frühere Gesundheit schnell wiederherstellte."]

284 WA 40 11,262,1 Of. 285 WA 40 11,267,If. 286 WA TR 3,123,28-124,2 (Nr. 2970b: 12. Februar 1533).

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Es gibt außerdem Fälle, in denen die Wortfolge „Dei gratia" nicht durch eine Formel des Dankens ersetzt werden kann, weil sonst der Inhalt des Satzes, in dem sie steht, auf unerträgliche Weise verdreht werden würde. -

Vgl. etwa: „Ego Dei gratia sic occupatus sum, vt hodie mane non potuerim per Aurelion tuum literas scribere ad te, sicuti voluissem." 2 8 7 [„Ich bin ,durch Gottes G n a d e ' - nicht: ,Gott sei Dank' - so beschäftigt, daß ich heute morgen durch deinen Aurelius keinen Brief an dich schreiben konnte, wie ich gern gewollt hätte."]

Besondere Vorsicht sollte der Übersetzer immer dann walten lassen, wenn „Dei gratia" scheinbar problemlos durch eine Formel des Dankens zu ersetzen ist. Die einschlägigen Stellen finden sich beispielsweise in Luthers Briefen. -

In einem Brief an Nikolaus von Amsdorf vom 2. April 1532 heißt es: „Princeps noster, Dei gratia, reconvalescit pulchre. Bis eum visitavi, et coram lecto eius praesens, quae dixit Dominus, exposui et mixtis sermonibus et fabulis consolatus sum. Fuit metus, ne morbus eius fieret sacer ignis in pollice pedis dextri, sed occursum et praeventum est, Dei gratia, et sanatur continue." 288 [„Unser Fürst (= Kurfürst Johann), befindet sich .durch Gottes Gnade' - nicht: ,Gott sei Dank' - schön auf dem Weg der Besserung. Ich habe ihn zweimal besucht, und habe, vor seinem Bett gegenwärtig, dargelegt, was der Herr gesagt hat, und habe ihn mit vermischten Reden und Erzählungen getröstet. Es bestand Anlaß zur Besorgnis, daß seine Krankheit in der großen Zehe des rechten Fußes der kalte Brand werden könnte, aber man ist dem ,durch Gottes G n a d e ' - nicht: ,Gott sei Dank' - begegnet und zuvorgekommen, und es wird mit ihm besser und besser."] Daß hier ein Hinweis auf Gottes Gnade vorliegt, zeigt Luthers Brief an den Kurfürsten, den er wenige Tage zuvor, am 28. März 1532, verfaßt hatte. Luther spricht in diesem Brief davon, daß sich der Kurfürst dank der Gnade Gottes auf dem Weg der Genesung befindet: „Ich hab E. k. f. g. [„Euer kurfürstlichen Gnaden"] froliche schrifft mit grossen freuden empfangen Vnd danck Gotte, der vnser gebet nicht veracht Vnd E. k. f. g. kranckheit so gnediglich gewendet hat." 289

-

In einem Brief an Johannes Schlaginhaufen vom 10. März 1534 steht diese Bemerkung: „Ego satis sic valeo, Dei gratia. Et nescio, quomodo mihi labentur dies sine fructu, quem et debeo et vellem praestare; tarn vivo inutilis, ut me mire oderirn." 290 [„Ich bin ,durch Gottes Gnade' - nicht: ,Gott sei Dank' - so ziemlich gesund. Und ich weiß nicht, wie es kommt, daß mir die Tage dahingleiten ohne die Frucht, die ich bringen soll und bringen möchte; ich lebe so unnütz, daß ich mich außerordentlich hasse."]

287 288 289 290

WA WA WA WA

Br Br Br Br

6,517,8f. (Nr. 2047: an Nikolaus Hausmann am 24. September 1533). 6,282,20-24 (Nr. 1916). 6,277,6-8 (Nr. 1913). 7,24,5-7 (Nr. 2091).

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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Walch 2 übersetzt das an diesen Stellen vorkommende „Dei gratia" 291 irrtümlicherweise mit „Gott sei Dank" 292 . Der Fehler in der Übersetzung tritt besonders klar hervor, wenn man den aus den lateinischen Briefen zitierten Sätzen mit der Wortfolge „Dei gratia" Sätze ähnlichen Inhalts aus Luthers deutschen Briefen an die Seite stellt, also Sätze, die gleichfalls entweder eine Aussage über ein vergangenes Ereignis oder aber eine Aussage über die gegenwärtige Lage einer Person oder Personengruppe enthalten. Es zeigt sich, daß die Wortfolge „Dei gratia" in den angegebenen lateinischen Sätzen einer adverbialen Bestimmung in den deutschen Sätzen entspricht. Die deutsche adverbiale Bestimmung lautet: „durch Gottes Gnade(n)". Folgende Abschnitte aus deutschen Briefen dienen dem Vergleich: -

„Es hat mein lieber herr vnd freund Doctor Bruck Cantzler ynn E. k. f. g. [„Euer kurfürstlichen Gnaden"] namen an mir gesonnen, das ich mich hinfurt des scharffen schreibens, sonderlich, was Hertzog Georgen betreffen mocht, enthalten wollt, so fern es yhe muglich sein wolt meins gewissens vnd der lere halben, damit der fried vnd vertrag, newlich zu Grym durch Gottes gnaden [statt: Gott lob] bescheret, nicht zu ruttet oder verhindert werde." 293

-

„Denn wo Ihr künntet glauben, daß solche Gedanken das Teufels wären, so hättet Ihr schon gewonnen. Aber weil Ihr noch schwach im Glauben seid, so horchet uns, die wir's durch Gottes Gnade [statt: Gott lob] wissen, und halt Euch an unserm Stab, bis Ihr selbs lernet gehen." 294

-

„Es ist mir leid, daß Ihr von Gott mit mehr Krankheit uberladen werdet; denn ich j a fürwahr weiß, weil Ihr von Gottes Gnaden [statt: Gott lob] der seltsamen Vogel einer seid, denen das Wort Gottes und Reich Christi mit Treuen zu meinen von Herzen Ernst ist, daß Euer Gesundheit und Vermügen nützlich und tröstlich sein kann uns allen, sonderlich bei den wunderlichen Dächern, die über dem Hirn liegen." 295

-

Schließlich: „Und nachdem derselbig Euer Kirchen Diacon und Geschickter uns angezeigt, daß Ihr durch Gottes selige Gnade [statt: Gott lob] die christliche und evangelische Lehre angenommen, wollen wir Gott den Herrn ernstlichen bitten, daß er Euer gemeinen Stadt und in aller Welt zu reichem solchem Erkenntnus Christi Segen und Gnade verleihe, und unser lieber Herr Christus gebe Euch und allen seinen heiligen Geist, Stärk und Gnade, daß Ihr bei der reinen christlichen Lehre muget beständig und fest bleiben und in diesen geschwinden [„bösen"] Zeiten vor aller List, Rotten und Secten des Teufels behut werden." 296

291 Walch 2 stützt sich hier auf die von Wilhelm Martin Leberecht de Wette besorgte fünfbändige Ausgabe der Briefe Luthers sowie auf den von Johann Karl Seidemann herausgegebenen Ergänzungsband zu dieser Ausgabe. 292 Siehe Walch 2 21,1738; 3229. 293 WA Br 6,567,1 -7 (Nr. 1848 : an Kurfürst Johann von Sachsen am 29. Juli 1531 ). 294 WA Br7,105,42-45 (Nr. 2139: an Matthias Welleram 7. Oktober 1534). 295 WA Br 7,117,8-13 (Nr. 2147: an den mansfeldischen Kanzler Kaspar Müller am 24. November 1534). 296 WA Br 7,165,11-166,19 (Nr. 2182: an den Rat zu Hannover am 3. März 1535).

194

Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Nach dem Gesagten versteht es sich von selbst, wie die Wortfolge „dei gratia" an der einen Stelle, an der sie - die Wörter „deus" und „gratia" in dieser Reihenfolge und in dieser Form! in der dritten Psalmenvorlesung erscheint, zu übersetzen ist: -

„Iam dei gratia educti ex Babylone et incipimus instaurare templum et legitimum cultum." 2 9 7 [„Nachdem wir nun durch Gottes Gnade aus Babylon herausgeführt worden sind, beginnen wir damit, den Tempel und den rechtmäßigen Gottesdienst wieder herzustellen."]

Weder der Text der dritten Psalmenvorlesung noch die Tischreden aus der ersten Hälfte der dreißiger Jahre, noch die Briefe aus dem Zeitraum der Vorlesung, noch die Gebetsanleitung fur Peter Beskendorf enthalten Hinweise darauf, daß Luther neben den lateinischen Formeln des Dankens auch deutsche Formeln wie „Gott sei gedankt", „Gott sei Dank", „Gott hab Dank", „Gott Dank" oder „gottdank"298 verwendet hat. Die lateinischen Formeln des Dankens sind in der Vorlesung, in den Tischreden und in den Briefen wie die Formeln des Lobens auf unterschiedliche Art und Weise mit anderen Sätzen verknüpft299. Des öfteren stehen sie einfach an der Spitze eines Hauptsatzes oder am Ende eines Haupt- oder Nebensatzes 300 . Häufig sind sie mit einem Relativsatz verbunden301. Gelegentlich folgt ihnen ein daß-Satz302. Im Unterschied zur Formel „Gott lob"303 erscheinen sie allerdings nie als Parenthesen. Folgende Liste zeigt die Sachverhalte auf, die Luther beim Sprechen oder Schreiben der Formeln des Dankens im Blick hatte:

297 298 299 300

WA 40 111,312,10-12 (zu Ps 129; Einleitung). S. o. Anm. 272. S. o. bei Anm. 233f. Vgl. WA 40 II,446,6f. (zu Ps 51,16); WA TR 1,198,33f. (Nr. 456: Februar 1533); WA TR 3,120,4f. (Nr. 2962b: 9. bis 12. Februar 1533); WA Br 6,321,15-17 (Nr. 1940: an Nikolaus von Amsdorf am 24. Juni 1532); 380,3f. (Nr. 1969: an Gerhard Wiskamp am 19. Oktober 1532); 562,4-6 (Nr. 2074: an Nikolaus Hausmann am 17. Dezember 1533); WA Br 7,83,18f. (Nr. 2125: an Johann Rühel am 29. Juni 1534). 301 Vgl. WA 40 11,514,7f. (1. Kor 15,57; zu Ps45,6); WA 40 III,145,12f. (Ps 124,6); WA Br 6,31 l,9f. (Nr. 1934: an Georg Spalatin am 20. Mai 1532); 380,4f. (Nr. 1969: an Gerhard Wiskamp am 19. Oktober 1532); 441,19 (Nr. 2004: an Fürst Georg von Anhalt am 28. März 1533); 517,1 Of. (Nr. 2047: an Nikolaus Hausmann am 24. September 1533). 302 Vgl. WA 40 111,35,7-9 (zu Ps 120,4); WA TR 3,119,22f. (Nr. 2962a: 9. bis 12. Februar 1533). 303 S . o . Anm. 230.

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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In der dritten Psalmenvorlesung geht es bei der Danksagung darum, daß die Absolution vor Gott und auch vor den Menschen empfangen wurde304, daß der Sieg durch Christus gegeben wurde305, daß Luther und seine Wittenberger Freunde die Fähigkeit besitzen, in Lehrfragen richtig urteilen zu können306, oder aber daß die Auserwählten bewahrt werden307. In den Tischreden basiert die Danksagung auf der Feststellung, daß der Gegenstand der Theologie, über den die Schultheologen keine Einigung erzielen konnten, von den Kindern im Apostolikum genannt wird308, oder aber auf der Feststellung, daß Luther und seine Wittenberger Freunde keine Ketzer, sondern bloß Schismatiker wider Willen sind309. In den Briefen ist sie mit dem Hinweis darauf verbunden, daß Georg Spalatine Predigttätigkeit in Schweinfurt auf fruchtbaren Boden gefallen ist310, daß Luther durch die Fürbitte von Schwindelanfällen und von Kopfschmerzen befreit worden ist 3 ", daß sich der Widerstand gegen den Fortbestand des Fraterhauses in Herford gelegt hat312, daß der Sieg über den Satan und alle seine furchtbaren Kampfmittel gegeben wurde313, daß sich Herzog Georg von Sachsen mit dem Buch gegen Luther, das er von Johannes Cochlaeus verfassen ließ,

304 S. o. Anm. 265. 305 S. o. Anm. 266. 306 307 308 309

S. o. Anm. 267. S. o. Anm. 268. W A TR 1,198,31-34 (Nr. 456: Februar 1533). WA TR 3,119,19-23 (Nr. 2962a: 9. bis 12. Februar 1533) bzw. 120,1 -6 (Nr. 2962b); s. o. Anm. 269. 310 WA Br 6,311,7-312,11 (Nr. 1934: an Georg Spalatin am 20. Mai 1532). Spalatins Predigtdienste standen im Zusammenhang mit den in Schweinfurt stattfindenden Religionsfriedensverhandlungen, die in Nürnberg fortgesetzt wurden und zum „Nürnberger Anstand" vom 23. Juli 1532 führten, in dem der Kaiser den Reichsständen des Schmalkaldischen Bundes einen vorläufigen äußeren Frieden zubilligte. Zu den Ausgleichsverhandlungen zwischen den Angehörigen des Schmalkaldischen Bundes und der kaiserlichen Partei vgl. Müller, Luthers Beziehungen zu Reich und Rom, 388-392; Brecht, Martin Luther 11,406-410. 311 W A Br 6,321,15-17 (Nr. 1940: an Nikolaus von Amsdorf am 24. Juni 1532). 312 W A Br 6,380,3-5 (Nr. 1969: an Gerhard Wiskamp am 19. Oktober 1532). Zum Konflikt um die klosterähnliche Niederlassung der Brüder vom gemeinsamen Leben vgl. Brecht, Martin Luther II, 430f. 313 W A Br 6,441,15-19 (Nr. 2004: an Fürst Georg von Anhalt am 28. März 1533); s. o. Anm. 273.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

kompromittiert hat314, daß es verschiedene Friedensschlüsse gegeben hat und daß die Position des sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich aufgrund dieser Friedensschlüsse gestärkt ist315 oder aber daß der Glaube der Sieg über alles ist316. Gedankt wird an diesen Stellen hauptsächlich für den Sieg Christi in der Welt über die Welt, der sich im Glauben wie auch in den natürlichen Ereignissen und geschichtlichen Vollzügen, die dem Glauben und der kirchlichen Gemeinschaft zugute kommen, verwirklicht. Gedankt wird also im wesentlichen für die Erhaltung und Förderung des Glaubens und der kirchlichen Gemeinschaft. Wenn man die Inhalte, auf die sich die Formeln des Dankens beziehen, mit den Inhalten, auf die die Formeln des Lobens Bezug nehmen317, vergleicht, könnte man sich dazu verleiten lassen, von Schwerpunktunterschieden zu sprechen. Man darf hier aber nicht überscharf zeichnen. Daß Luther die Formeln des Dankens und die Formeln des Lobens hinsichtlich ihrer inhaltlichen Bezüge voneinander unterschied, ist ganz und gar unwahrscheinlich. Die lateinischen Formeln des Dankens entsprechen offensichtlich den deutschen Formeln des Lobens in jeder Beziehung. Wie sollte man es sich sonst erklären, daß Luther in den angegebenen Quellen Formeln des Lobens fast ausnahmslos in deutschem Wortlaut, Formeln des Dankens aber nur in lateini-

314 WA Br 6,517,9-14 (Nr. 2047: an Nikolaus Hausmann am 24. September 1533); s. o. Anm. 269. Gemeint ist „Herzog Georgens zu Sachsen ehrlich und gründliche Entschuldigung wider Martin Luthers aufnihrisch und verlogene Brief und Verantwortung" (erschienen im September 1533). Zum 1531 neu aufgeflammten Streit zwischen Herzog Georg und Luther vgl. Wartenberg, Luthers Beziehungen zu den sächsischen Fürsten, 565f.; Brecht, Martin Luther II, 400-405; ders., Martin Luther III, 73-78. 315 WA Br 6,562,3-7 (Nr. 2074: an Nikolaus Hausmann am 17. Dezember 1533); s. o. Anm. 273. Luther erwähnt in diesem Brief erstens den „Grimmaer Vertrag" vom 18. November 1533, durch den der über Luthers Schriften ausgebrochene Streit zwischen Kurfürst Johann Friedrich und Herzog Georg beigelegt wurde (vgl. Wartenberg, Luthers Beziehungen zu den sächsischen Fürsten, 558f.566; Brecht, Martin Luther III, 78), zweitens den am 30. November 1533 in Leipzig zwischen Kurfürst Johann Friedrich und Kardinal Albrecht von Mainz geschlossenen Vertrag, der die - nach dem Urteil Melanchthons - „de rebus nugacissimis" [„um völlig unnützer Dinge willen"] geführte Auseinandersetzung zwischen Johann Friedrich und den Erfurtern beendete und einen Krieg verhinderte, in den Herzog Georg hineingezogen worden wäre (vgl. WA Br 6,537, Anm. 1 ), und drittens den „Nürnberger Anstand" aus der Zeit des Kurfürsten Johann (s. o. Anm. 310). 316 WA Br 7,83,14-20 (Nr. 2125: an Johann Rühel am 29. Juni 1534). 317 S. o. bei Anm. 235-253.

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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schem Wortlaut verwendete? Wie sollte man es sich außerdem erklären, daß Luther zur Zeit der dritten Psalmenvorlesung in den lateinischen Briefen die Formeln „Deo gratia"/(„sit Christo gratia"/„Christo sit gratia") und „Deo gratias" und an keiner einzigen Stelle eine Formel des Lobens, in den deutschen Briefen aber die Formel „Gott lob" und an keiner einzigen Stelle eine Formel des Dankens benutzte? Für Luther hatten die Formeln des Dankens keine andere Funktion als die des Lobens. Er wollte mit diesen das gleiche bewirken und aussagen wie mit jenen318.

bb) „Ago Deo gratias " In der dritten Psalmenvorlesung ist die Gebetsgestalt des Dankens nicht nur an einigen Stellen durch lexikalisch und syntaktisch fest gefugte, satzwertig gebrauchte Wortgruppen, sondern bisweilen auch durch vollständige, längere Sätze vertreten, die sich entweder gar nicht oder doch nur zum kleineren Teil aus feststehenden Wendungen zusammensetzen. - Als Erläuterung zu Ps 131,1 formuliert Luther: „Ago tibi gratias, quod humiliasti me, ut discam mandata, das mirs mein kühn mutlin brechs, ut non cogitem me pharisaeum et executorem iustitiae."3'9 [„Ich danke dir, daß du mich gedemütigt hast, damit ich die Gebote lerne, daß du mir meinen Hochmut brichst, damit ich mich nicht für einen Pharisäer und Vollstrecker der Gerechtigkeit halte."] Die Danksagung enthält an dieser Stelle in ihrem Kern ein Sündenbekenntnis. Indem der Beter für die empfangene Demütigung dankt, gibt er zu, daß er hochmütig war. Er bekennt mit der Danksagung die Sünde des Hochmuts, unter der hier das Vertrauen auf die eigene Gerechtigkeit zu verstehen ist. Der Satz zeigt, daß die Danksagung bei Luther zum Sündenbekenntnis werden kann. Für weiterfuhrende Überlegungen, die das Verhältnis von Sündenbekenntnis und Dankbarkeit betreffen und zu einem vertieften Verständnis des Sündenbekenntnisses

318 S. o. bei Anm. 220f.254. 319 WA 40 111,381,11-13.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

bei Luther führen könnten, wie etwa für die Annahme, daß das Sündenbekenntnis die Dankbarkeit zur Voraussetzung haben, ja daß es ein Ausdruck der Dankbarkeit sein könnte, findet man in diesem Satz allerdings nur scheinbar einen Anhaltspunkt320. In den überlieferten Tischreden Luthers aus der ersten Hälfte der dreißiger Jahre, in den Briefen aus der Zeit der Vorlesung, auch in dem „Testament" vom 6. Juli 152732' sowie in der lateinischen Fassung der Hausgebete im Kleinen Katechismus von 1529322 begegnen ähnliche lateinische Satzgefüge mit einem

320 Siehe hierzu VI.2.d)aa). 321 S. u. Anm. 338. 322 Die Hausgebete sind keine Neuschöpfungen Luthers, sondern entstammen der Tradition der lateinischen Kirche (vgl. Schulz, Hausgebete Luthers, 193-197.200f.). Für Luther war somit der lateinische Wortlaut und nicht der deutsche der ursprüngliche. Wie weit er sich in seiner eigenen, früheren Gebetspraxis an den genauen Wortlaut der traditionellen lateinischen Texte gehalten hat, ist natürlich nicht klar. Im Blick auf die in der lateinischen Fassung des Kleinen Katechismus dargebotenen Texte ist zu beachten, daß es sich bei ihnen höchstwahrscheinlich nicht um die authentischen, von Luther gesprochenen Gebetstexte, sondern lediglich um Rückübersetzungen aus dem Deutschen handelt. Der lateinische Morgensegen beispielsweise kann anhand der in ihm enthaltenen Doppelausdrücke als eine Rückübersetzung identifiziert werden. Da die Doppelausdrücke in den Texten, die seinerzeit als Vorlage dienen konnten - ein Morgengebet im „Rosetum" [„Rosengarten"] des Johannes Mauburnus (ca. 1460-1501), einem Andachtsbuch aus dem Bereich der „Devotio moderna" [„Neue Gottergebenheit" - Es handelt sich hierbei um eine Bewegung, die ca. 1380 in den Niederlanden entstand und von dort ausstrahlte. „Ihre Motive waren einerseits die Kritik an dem verweltlichten Lebensstil von Klerikern/Mönchen und an der Äußerlichkeit der normalen Laienreligiosität, andererseits eine radikale Konzentration auf geistliche Erfahrung im Sinne einer als spiritualisierte Christusnachfolge verstandenen Innerlichkeit." (Hauschild, Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte I, 344)], das Luther nachweislich kannte (vgl. Schulz, a.a.O., 195), oder ein Morgengebet aus einem Gebetbuch des 9. Jahrhunderts (vgl. a.a.O., 195f.) - , nicht vorkommen (siehe die Zitate a.a.O., 195f.), darf man vermuten, daß sich in ihnen Luthers Stil spiegelt. Vergleicht man die Doppelausdrücke in der lateinischen Fassung des Morgensegens mit denen in der deutschen Fassung (BSLK 521,25-36: „ab omnibus incommodis ac periculis" - „für allem Schaden und Fahr"; „a peccato et omnibus malis" - „für Sunden und allem Übel"; „omnia mea facta atque adeo tota vita" - „alle mein Tun und Leben") und untersucht dabei jeweils den Rhythmus der Silben und den Klang der Vokale, dann stellt man fest, daß die deutschen Worte eingängiger sind als die lateinischen. Aufgrund der Tatsache, daß die lateinische Fassung blaß und in gewisser Weise umständlich wirkt, wird man davon ausgehen müssen, daß sie nicht aus einem unmittelbaren geistlichen Empfinden heraus entstanden ist. Das deutet daraufhin, daß hier eine Übersetzung vorliegt, die man am besten als eine Rückübersetzung bezeichnet, da sie zum großen Teil den Formulierungen der lateinischen Tradition folgt, auf denen der deutsche Text des Morgensegens basiert. Vgl. hierzu auch Anm. 401.

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

199

Begriff des Dankens im Hauptsatz. Es handelt sich um Konstruktionen nach dem Muster -

„Gratias ago tibi, quod ..,"323;

-

„Gratias ago Deo, quod .,." 324 beziehungsweise „Ago Deo gratias, quod ,.." 325 ;

-

„Ago gratias Deo, qui .. ."326 oder

-

„Gratias agimus tibi pro .. ,"327.

Deutsche Satzgefüge, die den lateinischen entsprechen, erscheinen nicht in den überlieferten Tischreden aus der ersten Hälfte der dreißiger Jahre328, wohl aber in einer nicht näher zu datierenden Tischrede wie auch in den Briefen aus der Zeit der Vorlesung und zum Beispiel in der Postcommunio der „Deutschen Messe" von 1526329, in der deutschen Fassung der Hausgebete im Kleinen Katechismus von 1529 und in der Vorrede zum „Catalogus oder Register aller Bücher und Schriften D. M. Luthers" aus dem Jahr 1533. Sie sind nach dem Muster -

„Ich danke dir, daß .. ,"330 beziehungsweise „Wir danken dir, daß .. ."331;

-

„Ich danke Christus, daß ,.." 332 beziehungsweise „Wir danken Gott, daß... 3 3 3 ;

323 WA TR 3,84,7f. (Nr. 2922b: 6. Juli 1527); BSLK 521,25-28 (Morgensegen); 522,10-13 (Abendsegen). 324 WA TR l,470,14f. (Nr. 933: Ende März 1532). 325 WA TR 2,85,1 Of. (Nr. 1400: Ende März 1532). 326 WA Br 7,56,8-14 (Nr. 2105: an die Fürsten Johann, Georg und Joachim von Anhalt am 5. oderò. April 1534). 327 BSLK 523,25-29 (Gebet nach dem Essen). 328 Die Äußerung „ich dancke vnserm Hergott mehr vmb einen bäum vnd Strauch den sie vmb alle yhre ecker vnd weider·' in WA TR 2,524,17f. (Nr. 2560a: Ende März 1532) stellt keine Gebetsformulierung dar. Luther vergleicht hier sein eigenes Beten mit dem der Bauern, um seine Zuhörer zur Kritik an den Bauern zu provozieren. 329 Der Postcommunio (WA 19,102,8-11 ) der „Deutschen Messe" liegt eine lateinische Kollekte zugrunde, die aus dem 8. Jahrhundert stammt (vgl. Schulz, Gebete Luthers, Nr. 2 Apparat; Hans-Ludwig Kulp in Leiturgia II, 375). 330 WA TR 3,320,4-6 (Nr. 3448: undatiert); BSLK 521,25-28 (Morgensegen); 522,10-13 (Abendsegen). 331 WA 19,102,8-11 (Postcommunio). 332 WA Br 7,112,25-27 (Nr. 2143: an Fürst Johann von Anhalt am 20. Oktober 1534). 333 WA Br 6,400,4-8 (Nr. 1983: an den Rat zu Münster am 21. Dezember 1532).

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

- „Ich danke Gott/Christus, der .. ,"334 oder - „Wir danken dir für ,.." 335 konstruiert. Sowohl in den lateinischen als auch in den deutschen Satzgefügen erfolgt die Nennung Gottes entweder in der 2. oder in der 3. Person. Man kann davon ausgehen, daß die Nennung Gottes in der 3. Person auch hier wiederum eine Art der Anrede an Gott ist. Wie man der Aufstellung entnehmen kann, finden sich nämlich unter den Satzgefügen, die Gott in der 2. Person nennen, solche, die mit denen, die ihn in der 3. Person nennen, in der Grundstruktur übereinstimmen. Da die Satzgefüge mit der Nennung Gottes in der 3. Person zumeist in Texten wie den Tischreden und den Briefen vorkommen, in denen die Kurzformeln des Lobens und des Dankens vertreten sind, liegt es außerdem nahe, die Nennung Gottes in der 3. Person in diesen Sätzen von den Kurzformeln her zu deuten. Die Kurzformeln zeigen klar, daß eine mit einem Begriff oder Ausdruck des Lobens oder Dankens verbundene Nennung Gottes in der 3. Person eine Anrede an Gott sein kann 3j6 . Erscheinen im Kontext der Kurzformeln weitere Sätze im Präsens, in denen Gott in der 3. Person als der betitelt wird, auf den sich eine mit den Begriffen oder Ausdrücken des Lobens oder Dankens bezeichnete Handlung richtet, dann wird man sehr dazu geneigt sein, sie ebenfalls für Gebetsformulierungen zu halten. Die vorerwähnten lateinischen und deutschen Satzgefüge stellen zum größeren Teil eigenständige Äußerungen des Dankes dar. Im kleineren Teil der Fälle folgen ihnen Sätze, die der Erläuterung des angeschnittenen Themas dienen. Stellen, an denen eine der besagten Dankesäußerungen mit einer Erläuterung versehen ist, sind beispielsweise folgende: -

Die Worte, mit denen Luther nach den Angaben Bugenhagens337 am 6. Juli 1527 nach einem gefährlichen Ohnmachtsanfall ein „Testament" formulierte, lauten: „Domine Deus, gratias ago tibi, quod me voluisti esse pauperem super terram et mendicum. Non habeo domum, agros, possessiones,

334 WA Br 6,277,7f. (Nr. 1912: an Kurfürst Johann am 28. März 1532); WA 38,134,22f. (am Ende der Vorrede zum „Catalogue"). 335 BSLK 523,25-28 (Gebet nach dem Essen). 336 S. o. VI.2.a)cc) und VI.2.b)aa). 337 WA TR 3,84,6 (Nr. 2922b).

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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quae relinquam. Tu dedisti mihi uxorem et filios, tibi reddo; nutrí, doce, serva, ut hactenus me, o Pater pupillorum et orphanorum."338 [„Herr Gott,

338 WA TR 3,84,7-10 (Nr. 2922b). Es ist sehr fraglich, ob das „Testament", das sich in Bugenhagens Bericht über Luthers Ohnmacht am 6. Juli 1527 befindet (WA TR 3,82,886,20 [Nr. 2922b]), wirklich in dieser Form auf Luther zurückgeht. In dem wesentlich detaillierteren Bericht, den der zweite Augenzeuge, Justus Jonas, über die Ereignisse, das heißt vor allem: über die Gesprächsgänge und Gebete dieses Tages anfertigte (WA TR 3,86,22-90,25 [Nr. 2922b]), wird es nicht erwähnt. Bei Jonas geht es an der Stelle, an der bei Bugenhagen das „Testament" erscheint, zwar auch um das Thema Erbe und Zukunft der Familie. Es finden sich auch wiederum Gebetsformulierungen. Diese sind hier allerdings einzelne Bestandteile eines Gesprächs, das Luther mit seinem Sohn Hans und seiner schwangeren Frau Käthe führte (ebd., 90,6-18). Man kann das Argument vorbringen, Jonas habe das „Testament" übergangen, weil er es als eine bloße Wiederholung der Äußerungen Luthers angesehen habe, die sich nicht mitzuteilen lohnt. Dieses Argument ist mit der Frage zu konfrontieren, warum Jonas denn nicht an dieser Stelle wenigstens wie sonst (vgl. ebd., 88,16; 89,8) einen Hinweis auf die Tatsache gibt, daß Luther sich wiederholte. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei dem „Testament" um eine von Bugenhagen durchgeführte Stilisierung der Aussagen Luthers. Bugenhagen erhebt mit seinem Bericht gar nicht den Anspruch, Luthers Äußerungen in der ursprünglichen Form zu überliefern. Es fällt auf, daß er Luther durchgängig nur auf lateinisch zitiert, obwohl er bezeugt, daß dieser teils lateinisch, teils deutsch gesprochen habe (vgl. ebd., 83,10-12: Luther habe „Claris verbis nunc Latine, nunc Germanice, nunc Deum Patrem, nunc Christum Dominum" [„mit deutlichen Worten bald auf lateinisch, bald auf deutsch bald Gott den Vater, bald Christus den Herrn"] angerufen.). Fernerhin fällt auf, daß Bugenhagen den Leser mehrmals ausdrücklich auf den Bericht des Jonas verweist. Jonas' Bericht fügt er um der darin ausführlich mitgeteilten „verba" Luthers willen bei (vgl. ebd., 86,14-17). Wenn er sagt, daß von ihm nicht dokumentierte Äußerungen Luthers von Jonas „diligenter" [„gewissenhaft"] aufgezeichnet worden seien (ebd., 83,8f.; 84,10f.), deutet er an, daß er Jonas' Niederschrift der „verba" insgesamt fur zuverlässig hält. Am Ende seines Berichts bringt er sogar zum Ausdruck, daß er seine Glaubenspraxis auf Jonas' Angaben gründen will. In ihnen begegnet seiner Meinung nach eine nicht hinterfragbare Norm für das Verhalten „in tentatione" (ebd., 86,17-20). Die Hochachtung vor dem „gewissenhaften" Jonas machte es fur Bugenhagen völlig unmöglich, an dessen Bericht auf irgendeine Weise Kritik zu üben. Überlieferte Bugenhagen ein Lutherwort in anderer Form als Jonas, dann war das kein heimlicher Versuch Bugenhagens, Jonas' Überlieferung zu korrigieren. Der Grund fur ein Abweichen vom Wortlaut der vorhandenen schriftlichen Überlieferung konnte nur darin bestehen, daß Bugenhagen sich bei seiner Präsentation der „verba" mit einem sinngemäßen Zitieren Luthers aus der eigenen Erinnerung begnügte (nach Junghans, Luther in Wittenberg, 726, Anm. 98 zeichnete Bugenhagen seinen Bericht frühestens im November 1527 auf)· Das „Testament" wird in der vorliegenden Arbeit wie ein authentisches Luthergebet behandelt, weil man nicht annehmen darf, daß Bugenhagen Luther ein Gebet in den Mund gelegt hat, das für diesen nicht typisch war. Bugenhagen gehörte zum engsten Kreis der Freunde und Mitarbeiter Luthers und war zudem Luthers Pastor und Beichtvater. Er kannte Luthers Gebetspraxis sehr genau. Daß sich im „Testament" Luthers Art zu beten widerspiegelt, zeigt sich insbesondere am zentralen Satz „Tu

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

ich danke dir, daß du gewollt hast, daß ich arm sei auf Erden und ein Bettler. Ich habe kein Haus, keine Äcker, keine Besitztümer, die ich zurücklasse. Du hast mir Frau und Kinder gegeben; ich gebe sie dir zurück. Ernähre, lehre, erhalte sie, wie du bisher mich ernährt, gelehrt und erhalten hast, o Vater der Unmündigen und Waisen."] -

In einer Tischrede sagt Luther Ende März 1532: „ E g o autem ago Deo gradas, quod sciam et credam Deum plura scire quam me. Er kan was hohers machen, den ich begreiffen khan; potest ex invisibilibus visibilia facere, nam haec omnia, quae iam fiunt luce euangelii, sunt visibilia ex invisibilibus. Q u i s ante decennium hunc eventum unquam sperasset?" 3 3 9 [„Ich aber danke Gott, daß ich weiß und glaube, daß Gott mehr weiß als ich. Er kann etwas Höheres machen, als ich begreifen kann; er kann aus unsichtbaren Dingen sichtbare machen. Denn dies alles, was jetzt durch das Licht des Evangeliums geschieht, sind sichtbare Dinge aus unsichtbaren. Wer hätte vor zehn Jahren vermutet, daß es jemals zu diesem Ausgang kommen würde?"]

dedisti mihi uxorem et filios, tibi reddo", der in J o n a s ' Bericht nicht vorkommt. Der Satz „ T u dedisti mihi uxorem et filios, tibi reddo" ähnelt nämlich dem „Mustergebet" „tuum fuit et iterum tuum" [„Dein war es und ist jetzt wiederum dein"], das Luther in der dritten Psalmenvorlesung im Rahmen der Auslegung von Ps 127,2 formuliert (WA 40 111,253,4). Sowohl mit den Worten des „Testaments" wie auch mit den Worten des „Mustergebets" werden Gott seine Gaben „zurückgegeben", wobei im „Mustergebet" ebenfalls Frau und Kinder gemeint sein können (vgl. WA 4 0 111,252,1-4). Daß sich das „Testament" und das „ M u s t e r g e b e t " bezüglich des situativen Kontextes voneinander unterscheiden - im „Testament" spricht der Beter angesichts des drohenden Verlusts seines Lebens, der fur ihn den Verlust sämtlicher Gaben einschließt, im „Mustergebet" spricht er dagegen angesichts des eingetretenen Verlusts von Gaben, der mit dem Verlust seines Lebens überhaupt nichts zu tun hat - , muß hier nicht weiter berücksichtigt werden. Luthers ab 1527 auftretendes Anfallsleiden läßt sich übrigens als Ménière-Krankheit diagnostizieren. Zu diesem Ergebnis kam Harald Feldmann (ders., Martin Luthers Anfallsleiden). Nach der Definition in „ D e r Brockhaus multimedial 2 0 0 2 premium" handelt es sich bei dieser Krankheit um eine „Innenohrerkrankung mit anfallsweise auftretendem Drehschwindel einschließlich Übelkeit und Erbrechen sowie einseitigen Ohrgeräuschen und einseitiger Schwerhörigkeit" (a.a.O.: Art. Ménière-Krankheit). Mit dem Hinweis a u f die medizinische Diagnose Feldmanns soll nicht bestritten werden, daß die Ohnmachtsanfälle Luthers durch schwere geistliche Anfechtungen verursacht wurden (vgl. Brecht, Martin Luther II, 204f.; Ebeling, Luthers Seelsorge, 372-376). Luther erwähnt am 6. Juli 1527 „ S a t h a n " nach J o n a s ' Bericht einmal in seinen Gebeten, wobei er sich freilich auf frühere Anschläge Satans gegen ihn bezieht (WA T R 3,88,19-22). 339 WA T R 2,85,10-14 (Nr. 1400).

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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In einer anderen Tischrede sagt er etwa zur gleichen Zeit: „Gratias ago Deo meo, quod pater meus pie mortuus est. Ego brevi ante obitum eius scripsi illi literas consolatorias; quas ei legit, paulo antequam moreretur, parochus et quaesivit, num ista crederei, quae audisset legi? Respondit: Ey, wenn ich das nicht gleubte, thet ich als ein schalck." 340 [„Ich danke meinem Gott, daß mein Vater selig gestorben ist. Ich habe ihm kurze Zeit vor seinem Hinscheiden einen Trostbrief geschrieben. Diesen las ihm, kurz bevor er starb, der Pfarrer vor und fragte ihn, ob er das glauben würde, was er ihm vorgelesen hätte. Er antwortete: Ei, wenn ich das nicht glaubte, verhielte ich mich wie ein Schalk."]

Im ersten Zitat bedankt sich Luther fur seine Armut. Er erläutert die Art und das Ausmaß seiner Armut, indem er feststellt, daß er keine materiellen Güter besitzt. Er hebt hervor, daß sein einziger „Besitz" seine Frau und seine Kinder sind, daß er folglich als ein „Proletarier" im wörtlichen Sinn anzusehen ist. Im zweiten Zitat bedankt sich Luther für sein Wissen um Gottes Überlegenheit im Wissen. Er erläutert die Rede vom Wissen Gottes mit Hilfe der Rede von der uneingeschränkten Fähigkeit Gottes zu handeln. Er unterstreicht also, daß es um das Wissen Gottes geht, das auf ein Handeln bezogen ist, das demnach ein praktisches Wissen ist. Als Beweis für die Überlegenheit Gottes im Wissen und im Tun fuhrt er die reformatorische Bewegung an. Im dritten Zitat bedankt sich Luther für das selige Sterben seines Vaters. Um zu erläutern, was man unter „seligem Sterben" zu verstehen hat, erzählt er von dem Glaubensbekenntnis seines Vaters kurz vor dessen Tod. Er betont, daß das Glaubensbekenntnis, das zu einem seligen Sterben verhilft, ein Bekenntnis zur biblisch-reformatorischen Heilsbotschaft ist. Er betont außerdem, daß es aus dem seelsorgerlichen Gespräch erwächst, in dem die biblisch-reformatorische Heilsbotschaft mitgeteilt wird. Es scheint so, als ob Luther die Sätze, mit denen er die Sachverhalte erläuterte, für die er Gott dankte, ausschließlich um der menschlichen Zuhörer willen formulierte. Man gewinnt den Eindruck, daß Luther mit solchen Sätzen stets nichts anderes vorhatte, als die ihn fast zu jeder Zeit umgebenden Mitmenschen zu instruieren.

340 WA T R 1,470,14-18 (Nr. 933).

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Daß eine derartige Bewertung falsch ist, kann mit Hilfe der Gebetsanleitung für Peter Beskendorf gezeigt werden. Bei der in dieser Schrift beschriebenen Praxis des Dankens achtete Luther auf kein Publikum mehr. Das wird vor allem an der Tatsache erkennbar, daß er bei der hier beschriebenen Praxis des Dankens auf das „Predigen des heiligen Geistes" wartete341, das heißt, daß er darauf wartete, daß sein Reden zu einem informierten Schweigen werden würde, an dem kein Mensch unmittelbar Anteil würde nehmen können und an dem er auch keinem Menschen unmittelbar Anteil würde geben können. Angeregt durch die Zehn Gebote und durch die drei Glaubensartikel erstellte Luther beispielhafte Inhaltsangaben von Dankgebeten342. -

Die Betrachtung des ersten Gebots etwa brachte ihn dazu, folgenden Text abzufassen: „Zum andern dancke ich seiner grundlosen barmhertzigkeit, das er sich so veterlich zu mir verlornen menschen herunter sencket und sich selbs ungebeten, ungesucht, unverdienet mir anbeutet mein Gott zu sein, sich mein anzunemen und jnn allen noeten mein trost, schütz, huelffe und stercke sein wil, So doch sonst wir armen blinden menschen so mancherley Goetter gesucht haben und noch suchen muesten, wo er sich nicht selbs so oeffentlich hoeren liesse und uns jnn unser menschlichen spräche sich anboete, das er unser Gott sein woelle. Wer kan jm dafür jmer und ewiglich gnug dancken?"343 Luther bedankt sich in dem Gebet, von dem er an dieser Stelle berichtet, dafür, daß Gott den Menschen in ihrer menschlichen Sprache anbietet, ihr Gott zu sein. Statt es bei dem bloßen Hinweis auf das göttliche Angebot zu belassen, entwirft Luther eine dreifach gegliederte Erläuterung der Art dieses Angebots. Er spricht über die Grundlage des Angebots, über dessen Inhalt und über die Notwendigkeit seiner Verkündigung. Er stellt fest, daß das göttliche Angebot allein auf der Barmherzigkeit Gottes basiert, daß es bei diesem Angebot um das Angebot von Hilfe in allen Nöten geht

341 S. o. b e i A n m . 159-166. 342 Siehe WA 38,365,10-18 (zum 1. Gebot); 365,34-38 (zum 2. Gebot); 366,29-36 (zum 3. Gebot); 367,24-37 (zum 4. Gebot); 369,8-16 (zum 5. Gebot); 370,10-23 (zum 6. Gebot); 371,25-27 (zum 7. Gebot); 372,8f. (zum 8. Gebot); 372,22f. (zum 9. und 10. Gebot); 373,33-374,2 (zum 1. Artikel); 374,21 f. (zum 2. Artikel); 375,4 (zum 3. Artikel). Vgl. zu den folgenden Ausführungen in diesem Kapitel V1.2.b)bb) die Studie von Birgit Stolt (s. III., bei Anm. 47-53) über das Katechismusgebet in Luthers „Betbüchlein". 343 WA 38,365,10-18.

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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und daß der Mensch, da er kein natürliches Wissen um dieses Angebot hat, auf dessen Verkündigung angewiesen ist. - Bei der Betrachtung des dritten Gebots entstand dieser Text: „Zum andern Danck ich jnn diesem Gebot fur die grosse schoene wolthat und gnade Gottes, das er uns sein wort und predigt gegeben hat Und auff den feiertag sonderlich zu üben befohlen, Welchen schätz kein menschlich hertz gnugsam bedencken kan, Denn sein wort ist das einige Hecht jnn der finsternis dieses lebens und ein wort des lebens, trosts und aller Seligkeit. Und wo das liebe heilsame wort nicht ist, da ist eitel schreckliche grewliche finsternis, jrthum, rotten, tod, alles ungluck und des teuffels eigen Tiranney, wie wir teglich für äugen sehen."344 Luther berichtet hier von einem Gebet, in dem er sich dafür bedankt, daß Gott den Menschen sein Wort gegeben und die Verkündigung dieses Wortes angeordnet hat. Auch in diesem Fall erläutert er mindestens einen Aspekt des Sachverhalts, für den er dankt. Er erläutert die Bedeutung, die das Wort Gottes für die Menschen hat. Er bringt zum Ausdruck, daß die Bedeutung des Wortes Gottes unfaßbar groß ist, da einzig und allein durch dieses Wort das Heil des Menschen realisiert werden kann. Was „Heil"345 ist, erklärt Luther mit mehreren Begriffen und Gegenbegriffen: „Heil" ist Licht statt Finsternis, Leben statt Tod, Trost statt Irrtum und Sektenwesen, alle Seligkeit statt allem Unglück und des Teufels Herrschaft. Diese und andere in der Gebetsanleitung für Peter Beskendorf enthaltenen Texte belegen, daß Luther selbst dann, wenn er von der Gegenwart seiner Freunde und Schüler absah, ja selbst dann, wenn er ohne irgendeinen menschlichen Zeugen allein in der Kammer war346, nicht davon abließ, die Sachverhalte, für die er Gott dankte, zu erläutern. Wahrscheinlich konnte ihn lediglich der Umstand der Zeitknappheit347 dazu bringen, beim Danken auf ausführliche und anschauliche Erläuterungen zu verzichten. Man sollte an dieser Stelle beachten, daß die beiden aus der Gebetsanleitung für Peter Beskendorf zitierten Texte an ihrem ursprünglichen Ort nicht nur je-

344 W A 38,366,29-36. 345 Der Begriff „Heil" ist in dem Ausdruck „das liebe heilsame wort" enthalten. Luther spricht vom „heilsamen Wort", weil er das „Heil" im Blick hat, das das Wort bewirken kann. 346 Vgl. W A 38,358,5-359,3. 347 Vgl. W A 38,359,2f.; 364,28f.; 3 7 1 , l f . ; 373,10-12.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

weils zum Teil, sondern jeweils in ihrer Gesamtheit dem Stichwort „dancksagung" zugeordnet sind. Einem Abschnitt, der eine Präsentation von Textbeispielen einleitet, ist zu entnehmen, daß die „dancksagung" bei Luther tatsächlich „also oder mit der gleichen gedancken und worten" erfolgte348. Die Bemerkung in der Gebetsanleitung ist höchst aufschlußreich, weil sie zeigt, daß Sätze mit erläuternden Aussagen fur Luther originäre Bestandteile des ausführlichen „reinen" Dankgebets waren. Das „reine" Dankgebet, nämlich das Dankgebet, bei dem Luther seine Mitmenschen nicht als Adressaten seiner Äußerungen im Blick hatte, beinhaltete immer dann, wenn ihm genügend Raum zur Verfugung stand, Reflexionen, Explikationen und Interpretationen. Das Dankgebet integrierte die Lehre und Belehrung. Es war als solches Lehre und Belehrung. Wen aber belehrte denn Luther mit seinem lehrhaften Dankgebet in dem Augenblick, in dem er seine Mitmenschen gewiß nicht belehrte? In der Gebetsanleitung fur Peter Beskendorf sagt Luther, nachdem er dargestellt hat, wie sich sein Gebet am Vaterunser orientiert: - „Das ist kurtz vom Vater unser oder gebet gesagt, wie ich selbs zu beten pflege, Denn ich noch heutiges tages an dem Pater noster sauge wie ein kind, trincke und esse wie ein alt mensche, kan sein nicht satt werden, und ist mir auch über den Psalter (den ich doch seer lieb habe) das aller beste gebete."349 Beim Beten „saugte" Luther am Vaterunser, er „trank" und „aß" vom Vaterunser, und dies geschah mit einem unstillbaren Verlangen. Luther maß zwar den anderen biblischen und katechetischen Texten hinsichtlich des Betens weniger Bedeutung zu als dem Vaterunser, doch ging er beim Beten nicht grundsätzlich anders mit ihnen um. -

In der Gebetsanleitung heißt es: „Wenn ich aber zeit und räum habe fur [„vor"] dem Pater noster, so thu ich mit den Zehen geboten auch also und hole ein stueck nach dem andern, damit ich ja gantz ledig werde (So viel es

348 Siehe W A 38,365,1-4: „Ich neme ein jglich Gebot an zum ersten als eine lere, wie es denn an jm selber ist, Und dencke, was unser Herr Gott darinn so ernstlich von mir fordert, Zum andern mache ich eine dancksagung draus, Zum dritten eine beicht, Zum Vierden ein gebet, nemlich also oder mit dergleichen gedancken und worten: ..." 349 WA 38,364,16-20.

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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mueglich ist) zum gebet, Und mache aus einem jglichen Gebot ein gevierdes oder ein vierfaches gedrehetes krentzlin, .. ,"350 - In der vermehrten Ausgabe der Schrift an Beskendorf findet sich zu Beginn des veränderten Schlußteils eine Formulierung, die dieser Bemerkung entspricht: „Wer nu übrige zeit hat oder sonst luestig ist, der mag mit dem glauben auch also thun und ein vier gedrehets krentzlein daraus machen."351 Betrachtete Luther beim Beten im allgemeinen und beim Danken im besonderen die Zehn Gebote oder die drei Glaubensartikel, dann „saugte" er auch an diesen und „aß" und „trank" auch von diesen. Mit Hilfe des Bildes von der Nahrungsaufnahme deutete Luther ausdrucksstark an, daß er während des Betens an sich selbst handelte. Das Handeln des Beters an sich selbst, das Luther im Blick hatte, konnte nichts anderes als eine Art Lehrtätigkeit gewesen sein. Für Luther war der Beter zugleich Lehrer, und als Lehrer war der Beter zugleich sein eigener Schüler, das heißt: er unterrichtete sich selbst. Die Tatsache, daß Luther den Vorgang des Selbstunterrichts, der sich in seinem Gebet vollzog, mit den Grundbegriffen der Nahrungsaufnahme bezeichnete352, zeigt sehr schön, was er über diesen Vorgang dachte: Er hielt ihn zum einen für einen lebensnotwendigen Vorgang. Er erlangte durch ihn die Kraft zum Leben. Er sah in ihm zum anderen einen lebenslang täglich zu praktizierenden Vorgang. Er blieb ständig auf ihn angewiesen. Er wertete ihn schließlich als einen nicht wirklich schöpferischen Vorgang. Er forderte mit ihm stets Altbekanntes zutage. Die Entdeckung des Bekannten langweilte Luther allerdings durchaus nicht, da die Annäherung an das Bekannte in stets neuer Weise geschah und das Bekannte daher in einem stets neuen Licht sichtbar wurde353.

350 W A 38,364,28-31. Die Präposition „für" muß nach Nicol, Meditation bei Luther, 154, „präzise als ,vor' im zeitlichen Sinne verstanden werden". Zur Begründung siehe ebd., 154-160. 351 W A 38,373,10-12. 352 Luther verglich den Selbstunterricht mit der Nahrungsaufnahme und nicht mit der Nahrung. Die „Nahrung", das „Lebensmittel", war für ihn allein das Wort Gottes. Der Selbstunterricht diente Luther dazu, sich das Wort Gottes „einzuverleiben", das heißt: zu eigen zumachen. Seine Bildsprache basiert auf 5. Mose 8 , 3 ; P s 19,10f.; 119,103; Jer 15,16; Hes 2,8-3,3; Mt 4,4 (5. Mose 8,3); 1. Kor 3,1-3; 1. Petr2,2; Hebr 5,12-14 und Offb 10,8-11. 353 In der Schrift an Beskendorf stößt man auf eine Passage, in der Luther klarmacht, daß in seinem Gebet eine „kurzweilige" Rekapitulation eines bekannten Sachverhalts stattfindet: W A 38,362,37-363,9: „Auch soltu wissen, das ich nicht wil diese wort alle im gebet ge-

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Aus der Schrift an Peter Beskendorf geht also hervor, daß Luther sich mit seinem lehrhaften Dankgebet, das seinem Umgang mit biblischen oder katechetischen Texten entsprang, selbst belehrte. Weil der Selbstunterricht für ihn einen solch hohen Stellenwert hatte, darf man annehmen, daß Luther das in biblischen oder katechetischen Texten gründende lehrhafte Dankgebet häufig praktizierte. Die Richtigkeit dieser Annahme wird durch Luthers eigene ausdrückliche Feststellung in der Gebetsanleitung erwiesen. Er beschließt nämlich die Darstellung des Dankgebets und der anderen Gebetsarten, die er im Schema des vierfachen Kränzleins miteinander verbindet, mit einem Abschnitt, in dem es summarisch heißt, „ein gut gebet" solle „offt und hitzig" sein354. Da sich der für Luther so bedeutende Vorgang des Selbstunterrichts - nach den beispielhaften Inhaltsangaben, die sich in der Gebetsanleitung finden, zu urteilen - nicht nur im Dankgebet, sondern letztlich in jedem Gebet, dem biblische oder katechetische Texte zugrunde lagen, verwirklichte, stellt sich die Frage, ob das lehrhafte Dankgebet bei ihm denn öfter oder seltener als andere Gebetsarten, wie etwa das Bittgebet, vorkam. Mit der Schrift an Beskendorf kann der Vergleich zwischen Dank- und Bittgebet leicht durchgeführt werden. Zwar muß man zur Kenntnis nehmen, daß das Schema des vierfachen Kränzleins an sich keinen Unterschied zwischen den Gebetsarten hinsichtlich der Häufigkeit ihres Vorkommens erkennbar wer-

sprochen haben, Denn da wuerde doch zu letzt ein geplepper und eitel ledig gewesch [„nur leeres Geschwätz"] aus, aus dem buch oder buchstaben daher gelesen wie die Rosen krentze bey den Leien und die gebet der Pfaffen und Moenche gewest sind, Sondern ich wil das hertz damit gereitzt und Unterricht haben, was es fur gedancken im Vater unser fassen sol, solche gedancken aber kan das hertz (wenns recht erwärmet und zu beten luestig ist) wol mit viel andern Worten, auch wol mit wenigem oder mehr Worten ausprechen. Denn ich auch selber mich an solche wort und sillaben nicht binde, sondern heute so, morgen sonst die wort spreche, darnach ich warm und luestig bin, Bleibe doch, so nahe ich jmer kan, gleich wol bey den selben gedancken und sinn." Vgl. auch WA 38,365,1-4; 371,2-5. 354 Siehe WA 38,372,26-373,1 : „Das sind die Zehen gebot vierfeltig gehandelt, nemlich als ein lerebuechlin, als ein sangbuechlin, als ein beicht buechlin, als ein Betbuechlin. Hieraus solt ja ein hertz zu sich selbs komen und warm werden zum gebet. Aber sihe zu, das du es nicht alles oder zu viel fur dich nemest, damit der geist nicht muede werde, Item ein gut gebet sol nicht lang sein, auch nicht lange auffgezogen werden, sondern offt und hitzig [„inbrünstig"] sein, Ist gnug, wenn du ein stuck oder ein halbes kanst kriegen, daran du jnn deinem hertzen ein feurlin kanst auff schlahen."

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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den läßt. Faßt man jedoch die Gebetsanleitung als ganze ins Auge, achtet man also auf das Gesamtschema der „Gebetsübung", dann erhält man durchaus eine etwas genauere Vorstellung davon, wie oft Luther ein lehrhaftes Dankgebet verrichtete. Aufgrund der Tatsache, daß Luther das Dankgebet dem Einleitungsteil der „Übung" und nicht ihrem Hauptteil, den er ausschließlich für das Sprechen des Vaterunsers und ftir das Sich Vertiefen in die einzelnen sieben Bitten reservierte355, zuwies, kann man konstatieren, daß das lehrhafte Dankgebet in Luthers Gebetspraxis auf jeden Fall weit weniger Raum einnahm als das Bittgebet. Daß die drei oben zitierten Texte nicht nur in ihrem ersten Teil, sondern tatsächlich auch in ihrem umfassenderen, aus Erläuterungen bestehenden zweiten Teil eine Gebetsdimension enthalten und kurzerhand als Dankgebete bezeichnet werden können, ist nach dem Gesagten nun klar. Die drei von Zeitgenossen überlieferten Dankgebete Luthers unterscheiden sich freilich von den Dankgebeten, die er in der Schrift an Beskendorf skizziert hat. Sie nehmen ihren Ausgang nicht von biblischen oder katechetischen Texten, sondern von geschichtlichen Daten. Natürlich darf man wegen dieses Unterschieds nicht meinen, daß sich in ihnen für Luther vielleicht kein Selbstunterricht vollzogen hätte. Zum Selbstunterricht wurde der Umgang mit geschichtlichen Daten schon vor allem dadurch, daß Luther sich im Licht des Wortes Gottes klarmachte, daß dieselben auf das Gnadenhandeln Gottes zurückzufuhren sind. Indem Luther sich auf der Grundlage des Wortes Gottes über den Ursprung geschichtlicher Daten in der Gnade Gottes unterrichtete, vergewisserte er sich der Gnade Gottes. Das stärkte ihn.

355 Luther sah im Vaterunser die gottgeordnete Norm des Betens. Vgl. hierzu einen Abschnitt aus der Gebetsvermahnung, mit der Luther die Vaterunser-Auslegung im Großen Katechismus von 1529 einleitet: BSLK 667,12-30: „Über das soll uns auch locken und ziehen, daß Gott neben dem Gepot und Verheißunge zuvor kömmpt und selbs die Wort und Weise stellet und uns in Mund legt, wie und was wir beten sollen, auf daß wir sehen, wie herzlich er sich unser Not annimmpt, und j e nicht daran zweifeln, daß ihm solch Gebete gefällig sei und gewißlich erhöret werde. Weichs gar ein großer Vorteil ist fur allen andern Gebeten, so wir selbs erdenken möchten. Denn da würde das Gewissen immer im Zweifeln stehen und sagen: ,lch habe gebeten, aber wer weiß, wie es ihm gefallet oder ob ich die rechte Maß und Weise troffen habe?' Darümb ist auf Erden kein edler Gebete zu finden, weil es solch trefflich Zeugnis hat, daß Gott herzlich gerne höret, dafür wir nicht der Welt Gut sollten nehmen." Vgl. Peters, Luthers Katechismen III, 15f.I8f.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Am extremen Beispiel des „Testaments" wird im übrigen deutlich, daß es für Luther keine Lebenssituation gab, in der ein Selbstunterricht beim Beten nicht sinnvoll war. Der Selbstunterricht, der im Gebet stattfand, stellte für ihn auch noch und gerade noch im Anblick des Todes ein Lebenskraft verleihendes „Essen" und „Trinken" dar. Nachdem herausgearbeitet worden ist, daß Luther mit der Entfaltung oder Verarbeitung theologischer Lehre in seinen Dankgebeten sich selbst erbaute, muß nun betont werden, daß er mit der Entfaltung oder Verarbeitung theologischer Lehre in den Dankgebeten selbstverständlich auch seine Mitmenschen erbauen konnte und sie auch zu erbauen beabsichtigte, wenn er die Gebete bewußt vor ihnen sprach oder sie ihnen - beispielsweise als Bestandteile seiner Briefe - schriftlich zukommen ließ. Von den beiden Dankgebete von Ende März 1532 muß man in der Tat sagen, daß sie gar nicht entstanden und von Luther gesprochen worden wären, wenn er sich zum damaligen Zeitpunkt nicht gerade in Gesellschaft von Schülern und Freunden befunden hätte. Es fällt auf, daß in den Sätzen des jeweils zweiten Teils dieser Gebete sämtliche eigentlich typischen Elemente der Gebetssprache fehlen. Es fallt auch auf, daß bei dem einen Gebet in allen Sätzen des zweiten Teils, bei dem anderen in den Schlußsätzen nicht einmal eine Nennung oder Benennung Gottes mehr vorkommt. Dies kann als Anzeichen dafür gewertet werden, daß Luther sich bei der Formulierung sehr stark von der Absicht hatte leiten lassen, seine Zuhörer anzusprechen. Die Absicht, den Gästen etwas Erbauliches mitzuteilen, war im Verlauf der Gebete sogar stärker geworden als die Absicht, zu Gott zu reden. Es soll nicht verschwiegen werden, daß der Umgang mit den Dankgebeten Luthers, bei denen man die Gebetsdimension am Ende nicht mehr ohne weiteres feststellen kann, mit einem Problem behaftet bleibt. Es ist nämlich in den meisten Fällen nicht möglich, die Grenzen der Formeinheiten, die von diesen Gebeten gebildet werden, genau zu bestimmen. Man kann schließlich nur vermuten, daß solche Gebete dort enden, wo der Gedankengang, der mit dem ersten Satz ausgelöst wird, seine Abrundung erfährt.

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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cc) „Ego accepi, Dominus dedit" Die bisher besprochenen Beispiele für das lose gefugte Dankgebet bei Luther vereint das Kennzeichen, daß der Beter in ihnen einen Begriff des Dankens benutzt, um sein augenblickliches Verhalten Gott gegenüber für Gott, für sich selbst und meist auch für seine Mitmenschen zu umschreiben. Oben sind mit dem Spruch „Ego accepi, Dominus dedit"356 und seinen Parallelen Gebete aus der dritten Psalmenvorlesung als Beispiele für das lose gefügte Lobgebet bei Luther in den Blick gekommen, für die charakteristisch ist, daß der Beter in ihnen die Art seines augenblicklichen Verhaltens Gott gegenüber nicht benennt357. Die Untersuchung hatte ergeben, daß Luther mit einem Begriff des Lobens im Kontext des Spruchs „Ego accepi, Dominus dedit" den Sinn desselben erklärt und daß man folglich dieses Diktum und alle seine Parallelen für Lobgebete halten kann. Es wurde daraufhin festgestellt, daß bei einigen Parallelen zu „Ego accepi, Dominus dedit" allerdings im Kontext ein Ausdruck des Dankens sagt, was diese bedeuten. Die am Ende mitgeteilte Feststellung ist jetzt zu präzisieren. Sie ist durch die Beobachtung zu ergänzen, daß Luther einen Ausdruck des Dankens in zwei Fällen in der Vorlesung sogar zur Einführung der genannten Spruchzitate verwendet358. Man kann somit überhaupt nicht bestreiten, daß die miteinander verwandten Sprüche - wie ja auch schon angedeutet359 - als Lobgebete auch Dankgebete darstellen und eher noch als Dankgebete denn als Lobgebete bezeichnet zu werden verdienen. Wer nach Beispielen für das lose gefügte Dankgebet bei Luther sucht, die sich von den bereits besprochenen in mindestens einem wichtigen Punkt unterscheiden, wird zu „Ego accepi, Dominus dedit" und seinen Parallelen zurückgeleitet.

356 W A 4 0 111,223,7 (zu Ps 127,1). 357 S. VI.2.a)dd). 358 Siehe W A 4 0 111,212,11 f. (zu Ps 127,1): „Si aliter, deogratias dico: Deus, hoc non meum donum, sed tuum." [„Wenn es anders kommt (= wenn das Vorhaben gelingt) sage ich Gott Dank: Gott, dies ist nicht meine Gabe, sondern deine."] WA 4 0 111,253,3 (zu Ps 127,2): „Isst et trinkt et dicit deo gratias: domine deus, donum tuum est." [„Er ißt und trinkt und sagt Gott Dank: Lieber Herr Gott, es ist deine Gabe."] 359 S. bei Anm. 264.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Es werden also im folgenden weitere und weiterführende Betrachtungen zu den besagten Sprüchen angestellt. Dabei ist jetzt natürlich von vornherein daran zu denken, daß die Untersuchung zugleich Aufschlüsse über das Loben und über das Danken bei Luther mit sich bringen wird. Bei den im Rahmen der Auslegung von Ps 127 in der dritten Psalmenvorlesung erscheinenden Parallelen zu „Ego accepi, Dominus dedit" 360 handelt es sich im wesentlichen um diese: 1)

„hoc fecit dominus. Deus dedit hanc familiam, gubernationem, Civitatem; (Ei gloria in sécula!)" 36 ' [„Das hat der Herr gemacht. Gott hat mir diese Familie, diese Regierung, diese Stadt gegeben, (ihm sei Ehre in Ewigkeit!)"]

2)

„Deus, hoc non meum donum, sed tuum." 362 [„Gott, dies ist nicht meine Gabe, sondern deine."]

3)

„Volo ducere uxorem, duxi, dedit filium, familiam, -

(Herrgott,

hilf!)" 363 [„Ich will heiraten, ich habe geheiratet, Gott hat mir ein Kind gegeben, eine Familie: (Herrgott, hilf!)"] 4)

„Tu creasti me oeconomum, dedisti, quae pertinent, (hilff Herr, . ,.)" 364 [„Du hast mich dazu geschaffen, ein Hausherr zu sein; du hast gegeben, was dazugehört: (Hilf, Herr, ...)"]

5)

„fecisti me magistratum, (hilff! Si allein den wagen füren, veniam in schlam; non praesumere de potentia, opulentia, sapientia.)" 365 [„Du hast mich zur Obrigkeit gemacht: (Hilf! Wenn ich allein den Wagen fuhren will, werde ich in den Schlamm geraten. Ich will mich meiner Macht, meines Reichtums und meiner Weisheit nicht vermessen.)"]

6)

„Tuum est donum, ego instrumentum, dedisti quidem per laborem;..." 3 6 6 [„Es ist deine Gabe, ich bin nur ein Werkzeug. Du hast sie zwar durch meine Arbeit gegeben, ..."]

360 361 362 363 364 365 366

WA WA WA WA WA WA WA

40 40 40 40 40 40 40

111,223,7 (zu Vers 1). 111,211,6-8 (zu Vers 1). 111,212,12 (zu Vers 1). III,216,lf. (zu Vers 1). III,216,7f. (zu Vers 1). 111,232,6-8 (zu Vers 1). III,246,9f. (zu Vers 2).

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

213

„Donum dei est, fruor eo, donee Deo placet."367 [„Es ist eine Gabe Gottes; ich genieße sie, solange es Gott gefallt."] 8) „Domine deus, eram possessor doni, ,dedisti, abstulisti'." 368 [„Lieber Herr Gott, ich war der Besitzer der Gabe; ,du hast's gegeben, du hast's genommen' (Hiob 1,21)."] 9) ,„Dedit'." 369 [,,,Er hat es gegeben.'"] 10) „Dominus dat."370 [„Der Herr gibt es."] 11) „donum dei fuit,,Dominus dédit' etc., nu ers weg, carebo; ..." 371 [„Es war eine Gabe Gottes; ,der Herr hat's gegeben' (Hiob l,21)usw. Nachdem er sie nun weggenommen hat, will ich sie entbehren ..."] 7)

12) „,Deus dedit!'" 372 [,„Gott hat es gegeben!'" (Hiob 1,21)] 13) „domine deus, donum tuum est."373 [„Lieber Herr Gott, es ist deine Gabe."] 14) „tuum fuit et iterum tuum, ,.." 374 [„Dein war sie (= die Gabe) und ist jetzt wiederum dein, ..."] 15) „her [„Der Herr"] hat mirs beschert" entspricht: „Got dedit; ..." (1. Mose 33,5).375 16) „,dominus abstulit', recepii suum donum."376 [,„Der Herr hat's genommen' (Hiob 1,21); er hat seine Gabe zurückgenommen."] 17) „...: ,Dominus dedit', .,." 377 [„...: ,Der Herr hat es gegeben' (Hiob 1,21),..."] 18) „est donum dei meus Ioseph."378 [„Er ist eine Gabe Gottes mein Josef." (vgl. 1. Mose 37,33-35)]

367 368 369 370 371 372

WA WA WA WA WA WA

40 40 40 40 40 40

III,247,2f. (zu Vers 2). 111,247,3f. (zu Vers 2). 111,251,5 (zu Vers 2). 111,251,11 (zu Vers 2). II 1,252,3f. (zu Vers 2). 111,253,2 (zu Vers 2).

373 374 375 376 377 378

W A 4 0 111,253,3 (zu Vers 2). WA 4 0 111,253,4 (zu Vers 2). WA 4 0 111,255,9.10 (zu Vers 3). WA 4 0 111,261,7 (zu Vers 3). WA 4 0 111,261,10 (zu Vers 3). WA 4 0 III,261,13f. (zu Vers 3). Siehe auch noch W A 4 0 111,261,9 (zu Vers 3): „ . . . ; si des, maneo in timore, non insolesco." [„... Wenn du mir's geben solltest, bleibe ich in der Gottesfurcht und überhebe mich nicht."]

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Luther interpretiert den Ps 127 in der dritten Psalmenvorlesung mit Hilfe seiner Ständelehre und mit Hilfe der aristotelisch-scholastischen Unterscheidung verschiedener „causae". Er betont zunächst, daß der Psalm ein schönes Beispiel Salomonischer Theologie ist, in der es nicht so sehr um den Artikel „de iustificatione vel de Christo" [„von der Rechtfertigung beziehungsweise von Christus"] geht, sondern um die „gubernatio politica et oeconomica" [„Leitung des politischen und des häuslichen Wesens"]379. Er beschreibt sodann die besondere Tendenz der Salomonischen Theologie: Im Unterschied zu allen anderen Schriftstellern behandle Salomo die „gubernatio politica et oeconomica" „in fide" [„im Glauben"]380. Dieser Ansatz liefere keine speziellen Erkenntnisse bezüglich der „causa materialis" [„Materialursache"] und der „causa formalis" [„Formursache"] der „oeconomia" und der „politia", da er die Fähigkeit der natürlichen Vernunft zur Bildung von Familien und Gemeinden und zur Entwicklung von „bonae leges et consuetudines honestae" [„gute Gesetze und ehrenhafte Bräuche"] nicht in Frage stelle. Er leiste allerdings das, was kein anderer Denkansatz leisten könne: Er führe zur richtigen Bestimmung der „causa efficiens" [„Wirkursache"] und der „causa finalis" [„Zweckursache"] der „oeconomia" und der „politia"381. Es werde klar, daß nicht der Mensch die „causa efficiens" sei, sondern bloß die „causa Instrumentalis" [„werkzeugliche Ursache"]. Die „causa efficiens" von „oeconomia" und „politia" sei Gott382. Es werde außerdem deutlich, daß derjenige irre, der meine, des Menschen „honestas" [„Ehre"], „glimpff ' [„Ehre"], „gloria" [„Ruhm/Ehre"], „opes" [„Reichtum"], „voluptas" [„Lust"], „libido" [„Lust"], „commodum" [„Vorteil"], „pax" [„Frieden"], „tranquillitas" [„Ruhe"], „ocium" [„Ruhe"] und „potentia" [„Macht"] sei für die „causa finalis" zu halten383. Die „causa finalis" von „oeconomia" und „politia" sei „gratia,

379 380 381 382 383

Vgl. W A 4 0 111,202,1-7 (Einleitung). Vgl. WA 4 0 111,202,7-10 (Einleitung). Vgl. W A 4 0 111,202,10-211,11 (Einleitung); 220,3-222,12 (zu Vers I). Vgl. W A 4 0 111,210,8-211,11 (Einleitung); 213,6-216,13 (zu Vers 1). Vgl. WA 4 0 III,203,2f.8.; 204,15-205,2; 211,4-6 (Einleitung); 214,2-4; 215,8f.; 223,3f. (zu Vers 1 ); 266,3-5.13-267,1 (zu Vers 5). Der Begriff „gloria" ist der einzige der genannten Begriffe, der von Luther im Rahmen der Auslegung von Ps 127 an fast allen Stellen, an denen er das falsche Verständnis der „causa finalis" von „oeconomia" und „politia" behandelt, verwendet wird.

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

215

Regnum, cultus dei" [„die Gnade, das Reich und der Dienst Gottes"] und Gottes „gloria"384. Bemerkenswert ist, daß Luther die Lob- und Danksprüche in der Auslegung von Ps 127 der „causa finalis" der „oeconomia" und der „politia" zuordnet. Der Darstellung zufolge berührt der gläubige Beter mit diesen Sprüchen die „causa finalis", weil er in ihnen die „causa efficiens" der „oeconomia" und der „politia" korrekt benennt und dadurch Gott die Ehre gibt. Der Zusammenhang zwischen den Sprüchen und der „causa finalis" wird von Luther an keiner Stelle der Auslegung so deutlich hervorgehoben wie am Ende des Vorspanns zur Einzelversexegese. Dort heißt es: -

„Finalis causa: das man versthe, quod sit donum dei et ghe ad gratiam, Regnum, cultum dei, non in nostram pacem, gloriam, ut dicamus: hoc fecit dominus. Deus dedit hanc familiam, gubernationem, Civitatem; Ei gloria in sécula! Nos cooperatores etc."385 [„Die Zweckursache ist, daß man versteht, daß es eine Gabe Gottes ist und der Gnade, dem Reich und dem Dienst Gottes dient und nicht unserem Frieden und unserer Ehre, so daß wir sagen können: Das hat der Herr gemacht. Gott hat mir diese Familie, diese Regierung, diese Stadt gegeben, ihm sei Ehre in Ewigkeit! Wir sind nur seine Mitarbeiter usw."]

Diese Stelle zeigt auch, daß Luther der Überzeugung war, daß das Sprechen der Lob- und Danksprüche nicht schon an sich Gott ehrt, daß mit ihm die „causa finalis" der „oeconomia" und der „politia" nicht notwendigerweise berührt wird. Nach Luther hat das Sprechen dieser und überhaupt aller Lob- und Dankgebete aus einem Verstehen der Wirklichkeit zu erwachsen, das durch den Glauben bestimmt ist. Die Lob- und Dankgebete sind bei Luther immer Ausdruck von Glaubenserkenntnis. Man gewinnt übrigens den Eindruck, das Sprechen von Lob- und Dankgebeten sei bei Luther nicht nur eine mögliche, sondern eine notwendige Folge des Verstehens der Wirklichkeit im Glauben. Aufgrund des Zitats kann man sagen: Durch Glaubenserkenntnis entsteht nach Luther allemal und zuallererst einmal ein starker Sprechimpuls.

384 Vgl. WA 40 111,211,4-8. 385 WA 40 111,211,4-8.

216

Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, daß der im Zitat verwendete Begriff „dicere" sowohl einen Außenaspekt wie einen Innenaspekt zu bezeichnen vermag, daß mit „dicere" also sowohl das äußere, „reale" wie das innere, das mentale Sprechen gemeint sein kann. Luther zog das laute Sprechen von Lob- und Dankgebeten wahrscheinlich dem lautlosen Sprechen vor. Mit dem laut gesprochenen Gebet ehrte er Gott mehr und „ t r a f die „causa finalis" der „oeconomia" und „politia" besser als mit dem still gesprochenen, weil er sich in ihm „coram mundo" zeugnishaft „äußerte". Aus der Tatsache, daß Luther die Lob- und Danksprüche mit der „causa finalis" der „oeconomia" und der „politia" in Verbindung brachte, kann man ersehen, welch große Bedeutung er diesen Sprüchen beimaß. Hat man wahrgenommen, wie hoch Luther die Sprüche auf der systematischen Ebene einschätzte, dann versteht man natürlich auch, daß er sie in einer Vorlesung kaum erwähnen konnte, ohne zugleich an die Vielzahl der unterschiedlichen konkreten Lebenssituationen zu denken, in denen sie vorkommen sollten. Im Rahmen der Auslegung von Ps 127 in der dritten Psalmenvorlesung skizziert Luther immer wieder Lebenssituationen, die zum Beten der Lob- und Danksprüche herausfordern. Vergleicht man diese miteinander, so stellt man fest, daß sie sich auf drei Grundmuster reduzieren lassen: a)

Es steht jemand vor Aufgaben, die ein Amt mit sich bringt.

b) c)

Es hat jemand bei der Ausübung eines Amtes Erfolg. Es erleidet jemand bei der Ausübung eines Amtes einen schmerzlichen Verlust.

Die Gattung der Lob- und Danksprüche bei Luther basiert letztlich auf dem biblischen Text in Hiob 1,21, nämlich auf dem dreiteiligen Ausspruch des Hiob η·ρ?Ρ mrp : DW "'Γη ΠΙ?1? ΪΤΙΓΓΙ ina ΓΠτΓΡ: , der in der Vulgata, die den spätmittelalterlichen lateinischen Sprachgebrauch nachhaltig prägte, wie folgt lautete: -

„[1.] Dominus dedit [2.] Dominus abstulit [3.] sit nomen Domini benedictum" [„Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen; der Name des Herrn sei gelobt!"]

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

217

In wenigen Fällen stellen die Lob- und Danksprüche verkürzte wortgetreue Zitate von Hiobs Ausspruch dar. In den meisten Fällen sind es mehr oder weniger starke Abwandlungen dieses Spruchs. Um im Verlauf der Vorlesung exemplarische Lob- und Dankgebete für Situationen des Typs (c) zu schaffen, zitierte beziehungsweise variierte Luther den ersten und zweiten386, bisweilen auch nur den ersten Teil387 des Hiobspruchs. Um Lob- und Dankgebete für Situationen des Typs (b) zu entwickeln, zitierte beziehungsweise variierte er den ersten388 und im Ausnahmefall den ersten und dritten Spruchteil389. Um Lob- und Dankgebete für Situationen des Typs (a) zu konstruieren, variierte er ebenfalls den ersten Teil390. Luther rezipierte also in der Hauptsache den ersten Teil von Hiobs Ausspruch. Die Herstellung von Bezügen zu sehr unterschiedlichen Situationen führte dazu, daß er ihn unterschiedlich interpretierte. Zur gänzlichen Neuinterpretation kam es immer dann, wenn er an Situationen des ersten Typs dachte und die Lob- und Dankgebete in Gebetshilferufe einmünden ließ. Als Luther die Lob- und Danksprüche in der dritten Psalmenvorlesung formulierte und dabei Teile des Hiobspruchs aktualisierte, vermied er es, sich von übergeordneten formalen Gesichtspunkten bestimmen zu lassen. Er hatte offensichtlich kein Interesse daran, den Wortlaut der Sprüche zu vereinheitlichen und den Sprüchen eine feste Form zu geben. Er achtete bei der Formulierung in erster Linie auf die Lebenszusammenhänge, in die die Sprüche hineingehören. Die Konzentration auf die den Sprüchen zugrundeliegende Vielfalt der Lebenssituationen bewirkte es, daß sich Luther immer wieder neue Worte und Formulierungsmöglichkeiten für die kurzen Lob- und Dankgebete darboten. Es konnte geschehen, daß ihm bisweilen auch recht konkrete Formulierungen in den Sinn kamen, was dann zur Folge hatte, daß sich die Situationen deutlicher als sonst in den Sprüchen spiegelten. Der Inhalt der Sprüche gibt Aufschluß darüber, weshalb einzelne Lebenssituationen für Luther so bemerkenswert waren. Er zeigte mit den Sprüchen an,

386 Vgl. W A 4 0 III,247,3f.; 252,3f.; 253,4 (zu Vers 2); 261,7 (zu Vers 3). 387 Vgl. WA Vers 3). 388 Vgl. W A vgl. auch 389 Vgl. WA 390 Vgl. WA

4 0 111,253,2 (zu Vers 2); 261,10 (zu Vers 3); vgl. auch WA 40 IIl,261,13f. (zu 4 0 111,212,12; 223,7 (zu Vers 1); 246,9f.; 247,2f.; 251,5.11; 253,3 (zu Vers 2); W A 4 0 111,255,9.10 (zu Vers 3). 4 0 111,211,6-8 (zu Vers 1). 4 0 Ill,216,lf.7f.; 232,6-8 (zu Vers 1).

218

Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

daß er die Situationen, auf die er sie bezog, als Kommunikationssituationen begriff, die durch Gott konstituiert werden. Ihm war klar, daß der Mensch es in diesen Situationen nicht mit einem unpersönlichen Schicksal^', sondern mit

391 Luther problematisiert die Rede von der „fortuna" beziehungsweise vom „Glück" in WA 40 111,205,3-10 (Einleitung); 242,4-245,3; 252,6-253,1 (zu Vers 2); 263,9-264,1 (zu Vers 4). Siehe insbesondere WA 40 111,242,9-243,1 (zu Vers 2): „Concluserunt: fortuna est, quae dominatur in omnibus Rebus; Omnia fiunt casu, quia, quo sapientiores, hoc stultiores; latrones sunt feliciores quam optimi homines. Ubi minor intellectus, ibi maior fortuna, Aristoteles Ethicorum 2.; große klugheit verwirt nur land, leut et land. Yhe klügere leut, ihe größere narm. Ideo dixerunt desperandum de sapientia et potentia, et fortuna facit omnia." [„Daraus zogen sie (= die Heiden) den Schluß: Es ist das Glück, das in allen Dingen regiert; alles geschieht durch Zufall; denn j e weiser man ist, desto törichter ist man auch; Räuber sind glücklicher als die besten Menschen. Wo weniger Verstand ist, dort ist mehr Glück, so Aristoteles in seiner Ethik (= Magna moralia/Große Ethik 11,8); große Klugheit verwirrt nur Land, Leute und Land. Je klügere Leute, desto größere Narren. Deshalb sagten sie, daß man an Weisheit und Macht verzweifeln muß, und daß das Glück alles macht."] Er lehnt das philosophische Verständnis der Begriffe „fortuna" und „Glück" ab, weil es seiner Meinung nach letzten Endes atheistisch ist (vgl. WA 40 III, 243,13-244,2; 245,1-3 [zu Vers 2]). Es finden sich im Kommentar zu Ps 127 in der dritten Psalmenvorlesung übrigens Stellen, an denen deutlich wird, daß Luther die Begriffe „fortuna" und „Glück" durchaus auch unbefangen benutzen kann. Man beachte WA 40 111,211,1-4 (zu Vers 1): „Si ergo non ghet, ut volumus; Si moritur pater et mater, uxor, fïlius, non est in manu mea. Si verdirbt getreid, ego non possum erhalten; fació ut instrumentum, curo, laboro, Gott geb principalem causam, gluck, da zu." [„Wenn es also nicht so geht, wie wir wollen, wenn Vater und Mutter, Frau oder Kind sterben, steht das nicht in meiner Hand. Wenn das Getreide verdirbt, kann ich es nicht erhalten. Ich handle wie ein Werkzeug, ich sorge, ich arbeite, Gott möge die Hauptursache, er möge Glück dazu geben."] Man berücksichtige auch WA 40 111,251,9-11 (zu Vers 2): „Si scis, quod deus dedit magistratum, si fortunam habes, semper donum dei, non virtus, opus, gloria mea. Dedit Cesari fortunam, spero, quod dicit: Dominus dat." [„Wenn du weißt, daß Gott dir das obrigkeitliche Amt gegeben hat, wenn du Glück hast, ist das immer eine Gabe Gottes, nicht meine Tugend, mein Werk, meine Ehre. Er hat dem Kaiser Glück gegeben; ich hoffe, daß er sagt: ,Der Herr gibt es.'"] Luther entzaubert die „fortuna'Vdas „Glück", indem er sie/es theologisch interpretiert. Für ihn ist „fortuna" oder „Glück" nicht mehr und nicht weniger als eine Gabe Gottes. Luther ist davon überzeugt, daß das im Glauben auf der Grundlage der heiligen Schrift gewonnene theologische Verständnis von „fortuna" und „Glück" dem Menschen Sicherheit gegenüber allen Unwägbarkeiten des Lebens verleiht. Der Mensch, der mit dem Wissen darum, daß „fortuna"/„Glück" eine Gabe Gottes ist, Gott für eine bestimmte Gabe im Glauben dankt, darf darauf hoffen, daß Gott dieser Gabe die Gabe der „fortuna"/des „Glücks" in freier Gnade zusätzlich beigibt. Vgl. WA 40 111,251,13-252,1 (zu Vers 2): „Qui dei nomen nominat recto et ascribit opus deo opifici, habet propicium deum, . . . " [„Wer den Namen Gottes in rechter Weise nennt und das Werk Gott dem Werkmeister zuschreibt, hat einen gnädigen Gott,... "] „Fortuna" oder „Glück" ist demnach für Luther eigentlich nichts anderes als die „benedictio divina", der „göttliche Segen" (vgl. WA 40 111,253,13-254,1 [zu Vers 2]).

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

219

dem lebendigen Gott zu tun hat, der den Menschen durch sein Wort, aber eben auch durch sein geschichtliches Handeln, das heißt: durch das stets neue Gewähren oder auch Verwehren und Entziehen von Gaben, anspricht und alsdann auf dessen positive Reaktion wartet, kurz: der mit dem Menschen friedlich kommunizieren will. Der Mensch soll nach Luther mit den Lob- und Danksprüchen seiner Erkenntnis Ausdruck verleihen, daß seine Ämter im Bereich der „oeconomia" oder der „politia", die Mitmenschen, um derentwillen er diese Ämter ausübt, sowie die guten Dinge, die durch die Ausübung dieser Ämter entstehen, Gaben Gottes sind. Man kann auch allgemeiner sagen: Der Mensch soll sich nach Luther mit den Sprüchen dazu bekennen, daß er in all seinen Lebensvollzügen und Lebensbezügen von Gott schlechthinnig abhängig ist, daß er sich, seine Lebenswelt und seinen Auftrag von Gott empfängt392. Die Lob- und Danksprüche entsprechen den drei in der Schrift an Peter Beskendorf von Luther aufgestellten Regeln für „ein gut gebet"393: Sie sind

392 Daß eine derartige Verallgemeinerung Luthers Kommentar zu Ps 127 in der dritten Psalmenvorlesung gerecht wird, kann leicht nachgewiesen werden. Luther betont, daß Vers 2 davon handelt, wie sich die „massa generis humani in omnibus suis officiis" [„Masse des menschlichen Geschlechts in allen ihren Ämtern"] normalerweise verhält (WA 40 III, 241,11 ). Er gibt zu bedenken, daß es in diesem Vers um das geht, was für „omnia genera vitae humanae" [„alle Stände des menschlichen Lebens"] charakteristisch ist (WA 40 111,241,15). Zu „allen" Ständen und Ämtern gehören außer den im Kommentar zu Ps 127 oftmals genannten Ständen und Ämtern aus den Bereichen der „oeconomia" und der „politia" zweifellos auch diejenigen aus dem Bereich der „ecclesia". Im weiteren Verlauf der Auslegung von Vers 2 kommt Luther an einer Stelle ausdrücklich auch aufStände und Ämter aus dem Bereich der „ecclesia" zu sprechen. Er macht hier deutlich, daß die Lobund Danksprüche das Leben in der „oeconomia" und der „politia" und in der „ecclesia" prägen sollen: WA 40 111,251,3-5: „Si duxisti uxorem, si es praedicator, magistratus, Esto prudens, audi verbum et intellige, quid sis. Ecce es Doctor, theologus, paterfamilias, schreib drann: ,Dedit'." [„Wenn du geheiratet hast, wenn du ein Prediger, eine Obrigkeit bist, sei klug, höre das Wort und verstehe, was du bist. Sieh, du bist Lehrer, Theologe, Familienvater, schreib dran: ,Er hat es gegeben.'"] Vgl. auch WA 40111,228,1-4 (zu Vers 1); 248,9-249,4 (zu Vers 2). Ein Beleg dafür, daß Luther den Menschen in seinem Kommentar zu Ps 127 auffordert, für alle seine Werke in allen Lebensbereichen, schließlich auch fur sein Dasein, fur seine Lebensfähigkeit Gott zu loben und zu danken, ist WA 40 III,250,'4f. (zu Vers 2): „Quidquid incipis, teipsum, vitam, manum, linguam debes agnoscere esse donum Creatoris." [„Du sollst erkennen, daß all die Dinge, die du beginnst, ja daß du selbst, dein Leben, deine Hand, deine Zunge Gaben des Schöpfers sind."] 393 Siehe WA 38,372,30f.: „... ein gut gebet sol nicht lang sein, auch nicht lange auffgezogen werden, sondern offt und hitzig s e i n , . . . "

220

Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

erstens „nicht lang". Sie können zweitens „offt" gesprochen werden. Und sie können drittens „hitzig", das heißt: inbrünstig sein. Luther befand die Lob- und Danksprüche für außerordentlich „gut". Er warb fur sie mit Nachdruck und mit Überzeugungskraft in der Öffentlichkeit des Hörsaals. Letzteres hätte er sicherlich nicht tun können, wenn diese Sprüche nicht ein fester Bestandteil seines eigenen alltäglichen Gebetslebens gewesen wären. Die Gattung der Lob- und Danksprüche war Luther anscheinend ziemlich vertraut. Höchstwahrscheinlich sah er sich durch jede bedeutende Veränderung seiner Lebenslage, mochte es sich nun um eine Veränderung zum Guten oder zum Bösen handeln, dazu veranlaßt, einen Lob- und Dankspruch zu formulieren.

c) Loben beziehungsweise danken aa) Kein Unterschied zwischen dem Loben in Gebetsgestalt und dem Danken in Gebetsgestalt Die obigen Kapitel394 zeigen, daß eine Rekonstruktion der Gebetsgestalt des Lobens wie auch eine Rekonstruktion der Gebetsgestalt des Dankens bei Luther relativ gut möglich ist, wenn man die Gebete zusammenträgt, die er in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre im Rahmen der dritten Psalmenvorlesung im Hörsaal formuliert hat, und diese Sammlung durch eine Auswahl von Gebeten ergänzt, die er etwa im gleichen Zeitraum an anderen Orten und in völlig anderen Zusammenhängen vorgebracht hat. Die obigen Kapitel zeigen alsdann, daß der Unterschied zwischen der Gebetsgestalt des Lobens und der des Dankens freilich nicht ins Gewicht fällt. Zu einem sinnvollen Vergleich zwischen der Gebetsgestalt des Lobens und der des Dankens kommt es allein bei der vergleichenden Analyse der Formeln. An den Formeln sieht man, daß der Unterschied zwischen der Gebetsgestalt des Lobens und der des Dankens ausschließlich durch die wahlweise Verwendung der Begriffe des Lobens und der Begriffe des Dankens entsteht. Er ist bloß ein formaler, da die unterschiedlichen Begriffe des Lobens und des Dankens dazu

394 S. VI.2.a) und VI.2.b).

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

221

verwendet werden, um alle denselben Sachverhalt zu bezeichnen, nämlich eine Art des menschlichen Verhaltens gegenüber Gott. Nachdem man erkannt hat, daß es beim Loben in Gebetsgestalt und beim Danken in Gebetsgestalt um dieselbe Art des Verhaltens geht, wird man nicht mehr von der Gebetsgestalt des Lobens und der Gebetsgestalt des Dankens, sondern nur noch von der Gebetsgestalt des Lobens und Dankens sprechen können. Luther bezeichnete den Vorgang des Lobens und Dankens, der in Gebeten Gestalt gewinnt, vorzugsweise mit Begriffen des Dankens. Diese Feststellung ergibt sich nicht aus der Betrachtung der Gebetsformeln, weil die Verwendung der Begriffe des Lobens oder des Dankens in den Formeln hauptsächlich davon abhängt, ob sich Luther gerade der deutschen oder der lateinischen Sprache bedient. Sie ergibt sich aber aus der Betrachtung der anderen Gebetsformen. Sie ergibt sich im übrigen aus der Auflistung der Gebetsarten in der Schrift an Peter Beskendorf (1535). Bei der Abfassung der Gebetsanleitung hatte Luther gewiß alle Gebetsarten im Blick. Gleichwohl unterscheidet er in ihr in seiner Aufstellung nur zwischen „dancksagung" [„Lob- und Dankgebet"], „beicht" [„Beichtgebet"] und „gebet" [„Bittgebet"] 395 . Sie ergibt sich schließlich auch aus der Übersicht über die Psalmengattungen in der Schrift „Summarien über die Psalmen und Ursachen des Dolmetschens" (1531-1533). -

Am Schluß des Vorwortes beschreibt Luther fünf Gattungen, nach denen die Psalmen einzuteilen sind 396 . Er nennt zunächst Weissagepsalmen, Lehrpsalmen und Trostpsalmen, dann viertens Betpsalmen, „darinnen man Gott anrufft und bettet jnn allerley not, Und hie her gehoeren alle Psalmen, so da klagen und trauren, und über die feinde schreien" 397 , und fünftens Dankpsal-

395 Siehe WA 38,364,28-365,4. Vgl. WA 38,372,26f. 3 % Siehe W A 38,17,21-18,6. Für Luther ist die Einteilung der Psalmen nach Gattungen ratsam, weil sie die inhaltliche Erschließung sowie das Lernen des Psalters erleichtert. Er räumt ein, daß sich die Psalmen nicht immer eindeutig einer der fünf Gattungen zurechnen lassen (vgl. WA 38,18,7-14). 397 WA 38,17,35-18,2.

222

Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

men, „darinnen man Gott lobt und preiset fur allerley wolthat und huelffe, Daher gehoeren alle Psalmen, so Gott loben jnn seinen wercken"398. Nach den Definitionen in dieser Übersicht enthalten nur die Psalmen, die zur fünften Gattung zählen, Gotteslob. Luther hätte sie somit auch unter dem Begriff „Lob" gegen die anderen Psalmen abgrenzen können. Von einem „Lobpsalm" oder von „Lobpsalmen" spricht er aber in den „Summarien" an keiner einzigen Stelle. Der Grund dafür, daß Luther den Vorgang des Lobens und Dankens, der in Gebeten Gestalt gewinnt, lieber mit Begriffen des Dankens als mit Begriffen des Lobens bezeichnete, kann aus der Definition der Dankpsalmen in der erwähnten Übersicht über die Psalmengattungen erschlossen werden399. Die Definition der Dankpsalmen basiert auf folgender Definition des religiösen Dankens: „Gott danken" heißt: „Gott loben und preisen für

allerlei

Wohltat und Hilfe " oder anders gesagt: „ Gott loben um seiner Werke willen"400. Da Luther im Kontext dieser Definition nicht von weiteren Arten des religiösen Lobens redet, kann man davon ausgehen, daß er die Betonung in der Definition nicht auf die adverbialen Präpositionalgefüge „für allerley wolthat und huelffe" beziehungsweise ,jnn seinen wercken" [„um seiner Werke willen"] legte. Er wollte nicht zum Ausdruck bringen, daß es neben dem religiösen Loben, das mit dem religiösen Danken identisch ist, noch andere Arten des

398 WA 38,18,2-4. Als Dankpsalmen bezeichnet Luther in den „Summarien" die Pss 18; 23; 27; 30; 31; 33; 34; 46; 48; 60; 65; 66; 76; 103; 104; 105; 106; 107; 108; 111; 114; 115; 116; 118; 122; 124; 125; 126; 129; 135; 136; 138; 139; 144; 145; 146; 147; 148; 149 und 150 (vgl. WA 38,18,15-69,11 ). Bei mehreren dieser Psalmen ordnet er Teilaussagen auch anderen Gattungen zu. 399 Zum Bedeutungsunterschied zwischen den Begriffen des Dankens und des Lobens vgl. auch die Ausführungen o. bei Anm. 117-120. 400 Eine ähnliche Definition des religiösen Dankens findet sich in der „Vermahnung zum Sakrament des Leibes und Blutes unseres Herrn" (1530): WA 30 11,622,35-38: „Denn gegen Gott können wir nicht mehr handeln denn auff zwo weise, nemlich, mit dancken und bitten, Mit dem danck, ehren wir jhn umb die guter und gnaden, die wir schon bereit empfangen haben, Mit dem beten ehren wir jhn umb die guter und gnaden, die wir hinfurt gerne hetten, ..." Vgl. hierzu auch die Stelle aus der „Genesisvorlesung" (1535-1545): WA 43,81,32-34 (zu 1. Mose 19,18-20: Das Gebet Lots): „Prima conditio bonae orationis est, Deo gratias agere, et beneficia, quae divinitus acceperis, repetere animo et verbis." [„Die erste Eigenschaft eines guten Gebets ist die, daß du Gott dankst und die Wohltaten, die du von ihm empfangen hast, im Herzen und mit Worten wiederholst."]

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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religiösen Lobens gibt. Luther läßt auch hier gar keinen Zweifel daran aufkommen, daß das religiöse Loben ein Danken und daß das religiöse Danken ein Loben ist. Wenn Luther das religiöse Loben und das religiöse Danken zueinander in Beziehung setzte, dann ging es ihm nur darum, wie miteinander identische Vorgänge am besten zu bezeichnen sind. Mit der Definition der Dankpsalmen spielte Luther auf den synonymischen Zusammenhang zwischen den Begriffen des Lobens und des Dankens an. Für ihn handelte es sich bei diesen Begriffen nicht um bedeutungsgleiche, sondern um bedeutungsähnliche Synonyme, also um solche, die sich inhaltlich unterscheiden. Die besagten adverbialen Präpositionalgefuge dienten ihm dazu, den Unterschied zu markieren. Er bekundete mit ihnen, daß die Begriffe des Dankens einen spezielleren Inhalt als die Begriffe des Lobens haben401.

401 Eine Prüfung der These, daß die Begriffe des Dankens bei Luther inhaltlich spezialisierte Synonyme für die Begriffe des Lobens sind, kann anhand des Kleinen Katechismus vorgenommen werden. Vom Loben und Danken ist beispielsweise in der Erklärung zum zweiten Gebot die Rede. Der von Luther Anfang 1529 verfaßte deutsche Text lautet: BSLK 508,5-9: „Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir bei seinem Namen nicht fluchen, schweren, zaubern, liegen oder triegen, sondern denselbigen in allen Nöten anrufen, beten, loben und danken." Die These wird bestätigt, wenn nachgewiesen werden kann, daß „danken" im Doppelausdruck „loben und danken" der Näherbestimmung von „loben" dient. Der Nachweis läßt sich mit Hilfe der Übersetzung des Kleinen Katechismus, die bereits im Entstehungsjahr der deutschen Urfassung für die Lateinschulen angefertigt wurde, erbringen: BSLK 508,5-10: „Debemus Deum timere et diligere, ut ne per nomen ejus maledicamus, juremus, incantemus, mentiamur aut dolis fallamus, sed in omni necessitate illud invocemus, adoremus et cum gratiarum actione laudemus." [„Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir bei seinem Namen nicht fluchen, schwören, zaubern, lügen oder mit List täuschen, sondern daß wir denselben in aller Not anrufen, anbeten und mit Danksagung loben."] In der Übersetzung erscheint für den Doppelausdruck „loben und danken" die Formulierung „cum gratiarum actione laudare". Durch die Formulierung „cum gratiarum actione laudare" wird erstens angezeigt, daß die Wörter „loben" und „danken" nicht zwei unterschiedliche Vorgänge bezeichnen, zweitens, daß die Wörter „loben" und „danken" sich gleichwohl semantisch unterscheiden, drittens, daß der semantische Unterschied so beschaffen ist, daß das Wort „loben" durch das Wort „danken" näherbestimmt wird, wenn die beiden Wörter syntaktisch koordiniert werden, viertens, daß folglich das Wort „danken" einen spezielleren Inhalt als das Wort „loben" hat. Der Einwand gegen die Beweisführung an dieser Stelle, daß sich die lateinische Übersetzung von Luthers Kleinem Katechismus zur Erforschung von Luthers Sprachgebrauch nur sehr bedingt eignet, da sie möglicherweise nicht von Luther selbst stammt, verfängt nicht. Wer annimmt, Luther habe die Übersetzung in Auftrag gegeben, der muß auch annehmen, daß er sie Wort für Wort autorisiert hat. Die Übersetzung war zu wichtig, als daß Luther auf die

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Luther zog die Begriffe des Dankens den Begriffen des Lobens vor, wenn er den Vorgang des Lobens und Dankens, der in Gebeten Gestalt gewinnt, bezeichnen wollte, weil er mit ihnen das, worum es bei diesem Vorgang inhaltlich geht, genauer kenntlich machen konnte. Der Vorgang des Lobens und Dankens, der in Gebeten Gestalt gewinnt, erwuchs für Luther immer aus dem Gedenken an von Gott empfangene Gaben und Wohltaten. Er gedachte der Gaben und Wohltaten, die er selbst empfangen hatte, wie auch der Gaben und Wohltaten, die Personen, zu denen er in einer besonderen Beziehung stand, empfangen hatten. Er reagierte also auf Gaben und Wohltaten, die ihm unmittelbar oder - über die Beziehung zu Mitmenschen - mittelbar zugute gekommen waren. Luther ließ sich ausschließlich von solchen Gaben und Wohltaten Gottes bewegen, deren Bedeutung bis in die jeweilige Gegenwart hineinreichte, die jeweils aktuell relevant waren. Zu nennen sind die Gnade und das Heil in Christus, das Wort und das Evangelium, der Glaube und das rechte Verständnis der Schrift, das Leben und die drei Stände der „oeconomia", der „politia" und der „ecclesia" sowie diejenigen Ereignisse unter den jeweils jüngsten, die die Bedingung der Möglichkeit sind, daß sich das Leben in den drei Ständen der göttlichen Bestimmung gemäß entfaltet.

bb) Die Formen des Lob- und Dankgebets Beim Gedenken an die empfangenen Gaben und Wohltaten Gottes konnten Lob- und Dankgebete unterschiedlicher Art und unterschiedlichen Umfangs entstehen. In den kleinsten Lob- und Dankgebeten, den Formeln, findet sich kein Hinweis auf eine Gabe oder Wohltat. Worauf sich Lob und Dank beziehen, erkennt man allein am sprachlichen Kontext. In diesem wird ein bedeutender Sachverhalt genannt, der als göttliche Gabe oder Wohltat begriffen wird und daher Lob und Dank provoziert.

Autorisierung hätte verzichten können. Die Jugend sollte den Kleinen Katechismus zu Hause und in der Gemeinde auf deutsch und gleichzeitig in der Schule auf lateinisch lernen. Ihr mußten selbstverständlich Fassungen an die Hand gegeben werden, die sich inhaltlich ganz und gar entsprachen.

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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In den kleinen „Sprüchen" hingegen begegnet immer ein Hinweis auf eine Gabe oder Wohltat Gottes. Der Hinweis auf eine Gabe oder Wohltat in einem Spruch ist aber meist nur allgemein gehalten. Welche Gabe oder Wohltat gemeint ist, kann man oft wiederum lediglich aus dem Kontext ersehen. Eine genaue Angabe darf im Spruch fehlen, da der situative Kontext, in dem er gesprochen wird, in jedem Fall für die Eindeutigkeit der Aussage sorgt. Die übrigen, komplexeren Lob- und Dankgebete enthalten immer einen konkreten Hinweis auf eine Gabe oder Wohltat Gottes. Es zeigt sich, daß diese Gebete größtenteils auf einer aufmerksamen Reflexion der göttlichen Gabe oder Wohltat basieren. Die Feststellung des Gegebenseins der Gabe oder Wohltat ist in ihnen normalerweise mit der Veranschaulichung der Gabe oder Wohltat und/oder mit der Bewertung der Gabe oder Wohltat, das heißt: mit dem Aufweis ihrer Bedeutsamkeit, verbunden. Da nach Luthers Auffassung grundsätzlich jedes Gebet kurz sein soll, damit der „geist" des Beters nicht ermüdet und am Ende etwa nur ein „geplepper und eitel ledig gewesch" [„Geplapper und nur leeres Geschwätz"] hervorbringt402, sind auch die Gebete, die eine differenzierte Darstellung beinhalten, nie besonders wortreich und nie weitschweifig. Sie behandeln die Gabe oder Wohltat unter ein paar Gesichtspunkten in gedrängter Kürze. Sortiert man die Lob- und Dankgebete nach ihrer Form, so lassen sich Muster erkennen, die immer wiederkehren. Die Muster können am besten in ihrer Eigenart erfaßt werden, wenn man zu ihrer Verdeutlichung Beispiele bildet, die auf eine einzige modellhafte Äußerung Luthers zurückgehen. Folgende fünf Beispiele sind in Anlehnung an einen Bestandteil einer Tischrede vom Ende des Jahres 153140j konstruiert worden. Sie stehen für fünf Grundmuster. 1)

„Gott hab Lob, der uns das Wort gegeben hat und dazu seinen eigenen Sohn für uns hat sterben lassen. Er hat es nicht vergeblich getan."404

402 Vgl. die Bemerkungen in der Gebetsanleitung für Beskendorf: WA 38,362,37-363,2; 372,28-32. Vgl. auch ebd., 363,19-364,15. 403 W A TR 1,49,3-5 (Nr. 122: 30. November bis 14. Dezember 1531): „Sed Got hab lob, der vns das wort geben hat vnd dazu seinen eigen Son fur vns hatt lassen sterben. Er hatts ja nit fur gebens gethan." 404 Vgl. W A TR 2,29,6-10 (Nr. 1289: 31. Dezember 1531); W A Br 6,311,9-312,11 (Nr. 1934: an Georg Spalatin am 20. Mai 1532); 380,4f. (Nr. 1969: an Gerhard Wiskamp am 19. Oktober 1532); 441,19 (Nr. 2004: an Fürst Georg von Anhalt am 28. März 1533); 517,10-14 (Nr. 2047: an Nikolaus Hausmann am 24. September 1533); W A 4 0 11,514,7f.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

2)

„Ich danke Gott, daß er/der uns das Wort gegeben hat und daß er/der dazu seinen eigenen Sohn für uns hat sterben lassen. Er hat es nicht vergeblich getan."405

3)

„Ich danke dir, daß du uns das Wort gegeben hast und daß du dazu deinen eigenen Sohn für uns hast sterben lassen. Du hast es nicht vergeblich getan."406 „(Ich danke Gott:) Gott hat uns das Wort gegeben und hat dazu seinen eigenen Sohn für uns sterben lassen. Er hat es nicht vergeblich getan."407

4) 5)

„(Ich danke dir:) Du hast uns das Wort gegeben und hast dazu deinen eigenen Sohn für uns sterben lassen. Du hast es nicht vergeblich getan."408

Das nach dem ersten Muster entworfene Lob- und Dankgebet besteht aus einer Äußerung, in der Gott Lob und Dank angewünscht werden. Diese Äußerung ist eng mit einer Reihe von Feststellungsäußerungen verknüpft. Durch die enge Verbindung mit der Gebetsäußerung kommt es dazu, daß diesen Feststellungsäußerungen, die eigentlich die Qualität einer Nachricht oder einer Verkündigung haben, die Dimension und Qualität des Gebets zuwächst. Bezeichnend für die Lob- und Dankgebetsformel ist, daß die Anrede Gottes in ihr in der 3. Person erfolgt. Bezeichnend ist außerdem, daß sie ein Element in einer zwischenmenschlichen Kommunikation ist. Das nach dem zweiten Muster gebildete Lob- und Dankgebet besteht aus einer Äußerung, die Feststellungen zum Handeln Gottes und eventuell Fest-

(1. Kor 15,57; zu Ps 45,6); W A 4 0 111,145,12-15 (Ps 124,6); vgl. sodann WA TR 1,132, 23-25 (Nr. 320: Sommer und Herbst 1532); WA TR 3,119,22f. (Nr. 2962a: 9. bis 12. Februar 1533); WA 4 0 111,35,7-11 (zu Ps 120,4). 405 Vgl. W A TR 1,470,14-18 (Nr. 933: Ende März 1532); WA TR 2,85,10-14 (Nr. 1400: Ende März 1532); W A Br 6,400,4-8 (Nr. 1983 : an den Rat zu Münster am 21. Dezember 1532); W A Br 7,112,25-27 (Nr. 2143 : an Fürst Johann von Anhalt am 20. Oktober 1534). Vgl. W A Br 6,277,7f. (Nr. 1912: an Kurfürst Johann am 28. März 1532); WA Br 7,56,82 4 (Nr. 2105: an die Fürsten Johann, Georg und Joachim von Anhalt am 5. oder 6. April 1534); W A 38,134,22-24 (am Ende der Vorrede zum „Catalogue oder Register aller Bücher und Schriften D. M. Luthers" aus dem Jahr 1533). 4 0 6 Vgl. W A TR 3,84,7-10 (Nr. 2922b: 6. Juli 1527); 320,4-6 (Nr. 3448: undatiert); BSLK 521,25-28 (Morgensegen); 522,10-13 (Abendsegen); WA 19,102,8-11 (Postcommunio). 4 0 7 Vgl. W A 4 0 111,21 l,6f.; 216,2 (zu Ps 127,1 ); 247,2f.; 251,5.11 (zu Ps 127,2); 255,9.10 (zu Ps 127,3). 408 Vgl. W A 4 0 111,212,12; 216,7f.; 232,6f. (zu Ps 127,1); 246,9f.; 253,3 (zu Ps 127,2).

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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Stellungen zum vom Handeln Gottes umschlossenen Handeln von Menschen enthält. Bemerkenswert ist hier, daß der Gebetsakt in der Gebetsäußerung explizit gemacht wird. Solches geschieht unter Verwendung eines Verbs in der 1. Person Indikativ Präsens Aktiv409. Wieder erfolgt die Anrede Gottes in der 3. Person. Wiederum ist das Gebet ein Element in einer zwischenmenschlichen Kommunikation. Das nach dem dritten Muster geschaffene Lob- und Dankgebet stimmt mit dem nach dem zweiten Muster erstellten Lob- und Dankgebet weitestgehend überein. Es unterscheidet sich von ihm nur insofern, als die Anrede Gottes nicht in der 3., sondern in der 2. Person erfolgt. Das dritte Muster kommt vor, wenn beim Beten keine zwischenmenschliche Kommunikation stattfindet, wenn also beim Beten keine zuhörenden Mitmenschen anwesend sind oder wenn es sich der Beter beim Beten nicht bewußt macht, daß zuhörende Mitmenschen anwesend sind. Das dritte Muster kommt freilich auch vor, wenn der Beter beim Beten mit seinen Mitmenschen kommunizieren will. Die Kommunikation des Beters mit der anwesenden mitmenschlichen Zuhörerschaft beginnt beim Sprechen eines nach dem dritten Muster erstellten Gebets in dem Augenblick,

409 Nach der Sprechakttheorie von John Langshaw Austin gehören die Verben des Lobens und Dankens zu den sogenannten performativen Verben. Austin lehrte, daß man solche Verben „performativ" gebrauchen kann, das heißt, daß man mit ihnen die Handlung vollziehen kann, die sie bezeichnen, wenn man sie in einer Äußerung in der 1. Person Indikativ Präsens Aktiv verwendet. Eine knappe Einführung in die moderne Sprechakttheorie, die ihren Ausgangspunkt bei Austins bahnbrechender Vorlesung aus dem Jahr 1955 nahm, die posthum unter dem Titel "How to do things with words" erschien, bietet Linke u. a., Studienbuch Lingustik, 182-195. Es ist nicht unbedingt sinnvoll, bei der Analyse von Luthers Gebetsäußerungen auf Austins Theorie zurückzugreifen. Der Gebetsakt, der Gott ehrt, gründet bei Luther nie nur in einem Sprechakt. Für Luther wird ein Gebetsakt nicht schon dadurch realisiert, daß man spezifische Sprachmittel, namentlich performative Verben, verwendet. Damit ein Gebetsakt zustande kommen kann, ist es nach Luthers Schrift an Beskendorf notwendig, daß ein durch das Wort Gottes entfachtes „feurlin" im Herzen brennt (vgl. WA 38,372,26-373,7), das heißt, daß die durch das Wort Gottes erzeugte Glaubensfreude vorhanden ist. Vgl. hierzu die Hinweise bei Anm. 385f. Vgl. auch eine Tischrede Luthers aus der Zeit Juni bis September 1533: WA TR 3,280,7-10 (Nr. 3353b): „Causa orationis efficiens est fides per se, per accidens, videlicet causa, est nécessitas, forma apprehendit gratuitam misericordiam, materia, circa quam, praeceptum et promissio, finis exauditio et liberatio." [„Die Wirkursache des Gebets ist der Glaube allein, die zufällige Ursache ist die Not, die Form ergreift die Barmherzigkeit, die umsonst angeboten wird, die Materie, mit der es umgeht, ist das Gebot und die Verheißung, der Zweck ist die Erhörung und Erlösung."]

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

in dem er anfängt, sich des Vorhandenseins dieser Zuhörerschaft bewußt zu werden410. Die nach dem vierten und fünften Muster konstruierten Lob- und Dankgebete setzen sich nur noch aus Feststellungsäußerungen zusammen, die sich in irgendeiner Weise auf das Handeln Gottes beziehen. Im Unterschied zu den anderen Lob- und Dankgebeten wird in diesen Gebeten das, was in ihnen vorgeht, überhaupt nicht bezeichnet. Daß die Feststellungsäußerungen dazu dienen sollen, Gott zu loben und ihm zu danken, ist nicht ohne weiteres erkennbar. Man muß eine Probe vornehmen, um die Intention der Feststellungsäußerungen klar erfassen zu können. Es ist immer wieder neu zu überprüfen, ob zu ihnen ein Vorspann paßt, in dem der Sprecher Gott ohne nähere Angaben dankt („Ich danke Gott/dir"). Das vierte Muster entspricht dem zweiten, das fünfte dem dritten. Die Lobund Dankgebete, die nach dem vierten und fünften Muster gebildet sind, unterscheiden sich wie diejenigen, die nach dem zweiten und dritten Muster entworfen sind, nur in der Art der Gottesanrede. In dem nach dem vierten Muster erstellten Lob- und Dankgebet wird Gott in der 3. Person angeredet. Solch ein Gebet muß kein Element in einer zwischenmenschlichen Kommunikation sein. In dem nach dem fünften Muster konstruierten Lob- und Dankgebet wird Gott in der 2. Person angeredet. Solch ein Gebet kann ein Element in einer zwischenmenschlichen Kommunikation sein.

410 Daß Luther ein Lob- und Dankgebet, das auf dem dritten Muster basiert, benutzen konnte, um mit seinen Mitmenschen zu kommunizieren, zeigt die folgende nicht genau datierbare „Tischrede": WA TR 3,320,1-7 (Nr. 3448): „ l u d ici um L u t h e r i d e i n f i r m i t a t e s u a . Doctor Martinus Lutherus in infirmitate sua: [„Das Urteil Luthers über seine Krankheit. Doktor Martin Luther meinte angesichts seiner Krankheit: ..."] Ich weiß, das meyne krangheit nit ist wie ander leutt, sondern ist allzeitt gespitzt durch den Teuffei, den [„denn"] ich hab in erzürnet; das thut ihm wehe. Aber Hergott, himlischer Vater, ich dancke dier, das du mich erwecket hast, das ich den Teuffei, bapst, fursten vnd dj gantze weit angegriffen vnd erzürnet habe; hilff mir weyter vnd laß mich nit sincken! Ah, Domine, in te confido, tu vicisti mundum. [„Ah, Herr, ich vertraue auf dich, du hast die Welt überwunden (Joh 16,33)."]" Als Luther nach seinem Statement über den Ursprung seiner Krankheit in Gegenwart seiner Mitmenschen laut zu beten begann, wandte er sich keineswegs von seinen Zuhörern ab. Er beendete nicht etwa die Kommunikation mit ihnen, sondern veränderte bloß die Art, wie er mit ihnen kommunizierte. Sein Gebet sollte ihnen die Furcht vor der vom Teufel ausgelösten Krankheit nehmen. Es sollte ihnen die Wahrheit des Wortes Gottes von der Übermacht Gottes beziehungsweise Christi bezeugen und ihnen so die Gewißheit vermitteln, daß das Wirken des Teufels fur die Reformation keine wirkliche Bedrohung darstellt.

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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Das Ergebnis der Überlegungen zu den Lob- und Dankgebeten Luthers, die deren Inhalt und deren Form betreffen und darüber hinaus auch die Kommunikationssituation berücksichtigen, in der sich Luther jeweils befand, als er sie formulierte, läßt sich folgendermaßen zusammenfassen: a) Wert und Wirkung eines Lob- und Dankgebets hängen offensichtlich nicht davon ab, ob in ihm der Gebetsakt explizit gemacht wird oder nicht. b) Ein Lob- und Dankgebet zieht immer ein konkretes Geben und Wohltun Gottes ans Licht. Es enthält demnach immer eine bestimmte theologische Aussage. c) Die theologische Aussage, daß durch Gott etwas geschehen ist, ist die Basisaussage eines Lob- und Dankgebets. Im Idealfall, das heißt, dann, wenn das Gebet nicht aus irgendeinem Grund verkürzt worden ist, wird sie vollständig expliziert. Sie kommt in diesem Fall in einem Aussagesatz vollständig zum Ausdruck. d) Das Verständnis der Basisaussage eines Lob- und Dankgebets setzt die Kenntnis einer ganzen Reihe von theologischen und nichttheologischen Aussagen und Informationen voraus. Im Idealfall werden auch einige der vorausgesetzten Aussagen innerhalb des Gebets in Aussagesätzen vollständig zum Ausdruck gebracht. e) Da der theologische Gehalt eines Lob- und Dankgebets grundsätzlich fur jeden Menschen Relevanz gewinnen kann, ist ein Lob- und Dankgebet oft ein Element in einer zwischenmenschlichen Kommunikation. f) Gott wird in einem Lob- und Dankgebet entweder in der 2. oder in der 3. Person angeredet. Ist ein Lob- und Dankgebet ein Element in einer zwischenmenschlichen Kommunikation, dann erfolgt die Anrede an Gott in ihm in der Regel in der 3. Person.

cc) Der Vorgang des Lobens und Dankens, der in Gebeten Gestalt gewinnt Luther hat den Vorgang des Lobens und Dankens, der in Gebeten Gestalt gewinnt, nicht nur zu benennen gewußt. Er hat immer wieder über ihn nach-

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

gedacht. Er wußte ihn genau zu beschreiben. Er wußte schließlich auch, wie der Vorgang vor sich geht. Letzteres beweist eine Tischrede aus der ersten Hälfte der dreißiger Jahre. Sie lautet folgendermaßen: -

„Nos videmus in iudicibus, quos Deus Israeli salvatores excitavit, wie sie alle hin ein in primum praeceptum faren, et quod Deum apprehendant creatorem et promissorem, quem Moses scribit, quod promiserit prophetam etc. Sic Athniel, Ehud, die gehen da hin vnd thun ir ding auff Gott. Ehud gehet hin ein zum konig Eglon in nomine Domini, id est, auff den Gott, den Moses geprediget hat, confidens in Deum promissorem, invocat enim ipsum: Adiuva me, Deus, etc. Vnd wenn sie ir sache haben ausgericht, dicunt: Tu, Domine, dedisti mihi victoriam, vnd werffens vnserm Herrn Gott wider in den himel hin auff. Sic scriptura testatur Samsonem credere in Deum vivificantem, nam ubi sitit, clamat ad Dominum et exauditur. Habuerunt praeterea egregiam vocationem et promissionem auxilii divini, cui crediderunt. Sic Simson credit verbis Angeli dicentis: Ipse incipiet liberationem Israel etc. Neque refert, quod scortatus sit aut aliquoties peccaverit. Si landgrauius talem haberet vocationem et verbo Dei crederei, non impediret, si etiam esset peccator, quominus per ipsum Deus hoc ageret, quod vellet per ipsum effectum iri. Et talibus heroibus etiam opus est remissione peccatorum." 4 " [„Wir sehen an den Richtern, die Gott Israel zu Heilanden erweckte, wie sie sich alle auf das erste Gebot verlassen, und daß sie Gott ergreifen, den Schöpfer und Verheißer, von dem Mose schreibt, daß er einen Propheten verheißen hat usw. (5. Mose 18,15) So Otniël (Ri 3,7-11) und Ehud (Ri 3,12-30), die gehen hin und unternehmen ihre Sache im Vertrauen auf Gott. Ehud geht hinein zum König Eglon im Namen des Herrn, das heißt, im Vertrauen auf den Gott, den Mose gepredigt hat. Er vertraut auf Gott, den Verheißer. Er ruft ihn nämlich an: Hilf mir, Gott, usw. Und wenn sie ihre Sache ausgerichtet haben, sagen sie: Du, Herr, hast mir den Sieg gegeben, und werfen es unserem Herrgott wieder in den Himmel hinauf. So bezeugt die Schrift, daß Samson an den Gott glaubt, der lebendig macht, denn als ihn dürstet, schreit er zum Herrn und wird erhört (Ri 15,18f.). Sie hatten ferner eine außerordentliche Berufung und Verheißung der göttlichen Hilfe, der sie

411 WA TR 1,368,16-369,2 (Nr. 768).

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geglaubt haben. So glaubt Simson den Worten des Engels, der sagt: Er wird die Befreiung Israels beginnen usw. (Ri 13,5) Und er hält nicht dagegen, daß er gehurt hat oder einige Male gesündigt hat. Wenn der Landgraf (= Philipp von Hessen) solch eine Berufung hätte und dem Wort Gottes glauben würde, würde er es - selbst wenn er ein Sünder wäre - nicht verhindern, daß Gott durch ihn das wirkt, was er durch ihn bewirkt haben will. Und auch solche Heroen haben die Vergebung der Sünden nötig."] Luther empfiehlt seinen Hörern in dieser Tischrede, sich die alttestamentlichen Richtergestalten zum Vorbild zu nehmen. Seiner Meinung nach kann man von ihnen als Christ eine Menge lernen. Man kann von ihnen erstens lernen, daß man sich an das erste Gebot halten und Gott unbedingt glauben soll, zweitens, daß man beten soll, das heißt, daß man Gott um Hilfe bitten und ihm nach dem Empfang der Hilfe Lob und Dank sagen soll, drittens, daß man sich durch nichts, auch nicht durch das Bewußtsein der eigenen Unzulänglichkeit und Schuld, davon abhalten lassen soll, dem Auftrag Gottes im Beruf zu entsprechen, und viertens, daß man stets aus der Vergebung der Sünden leben soll. Im Kern geht es in der Rede um die praktische Relevanz des ersten Gebots oder - was dasselbe ist - um die Praxis des rechten Glaubens412. Besondere Aufmerksamkeit verdient jener Satz der Rede, in dem Luther auf die Lob- und Dankgebete der Richter zu sprechen kommt: „Vnd wenn sie ir

412 In der Tischrede veranschaulichte Luther die Gedanken zum ersten Gebot, die er einige Zeit zuvor im Großen Katechismus (1529) veröffentlicht hatte: BSLK 560,5-42: „ D u s o l l t n i c h t a n d e r e G o t t e r h a b e n . Das ist, Du sollt mich alleine fur Deinen Gott halten. Was ist das gesagt und wie verstehet man's? Was heißt ein Gott haben oder was ist Gott? Antwort: Ein Gott heißet das, dazu man sich versehen soll alles Guten und Zuflucht haben in allen Nöten. Also daß ein Gott haben nichts anders ist, denn ihm von Herzen trauen und glauben, wie ich oft gesagt habe, daß alleine das Trauen und Gläuben des Herzens machet beide Gott und Abegott. Ist der Glaube und Vertrauen recht, so ist auch Dein Gott recht, und wiederümb, wo das Vertrauen falsch und unrecht ist, da ist auch der rechte Gott nicht. Denn die zwei gehören zuhaufe [„zusammen"], Glaube und Gott. Worauf Du nu (sage ich) Dein Herz hängest und verlassest, das ist eigentlich Dein Gott. Darümb ist nu die Meinung dieses Gepots, daß es fodert rechten Glauben und Zuversicht des Herzens, welche den rechten einigen Gott treffe und an ihm alleine hange. Und will soviel gesagt haben: siehe zu und lasse mich alleine Deinen Gott sein und suche j e keinen andern; das ist, was Dir manglet an Gutem, des versiehe Dich zu mir und suche es bei mir und, wo Du Unglück und Not leidest, kreuch und halte Dich zu mir. ICH, ich will Dir gnug geben und aus aller Not helfen, laß nur Dein Herz an keinem andern hangen noch rugen [„ruhen"]."

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

sache haben ausgericht, dicunt: Tu, Domine, dedisti mihi victoriam, vnd werffens vnserm Herrn Gott wider in den himel hin auff." Luther war offenbar der Ansicht, daß derjenige, der ein Lob- und Dankgebet formuliert, mit den Gaben Gottes in einer ganz bestimmten Weise verfahrt. Er behält die Gaben, die er von Gott erhalten hat, nicht, sondern gibt sie Gott zurück. Da man sie von Gott „aus dem Himmel", das heißt: „von oben", erhalten hat, muß man sie auch „nach oben" zurückgeben. „Nach oben" kann man sie freilich nicht zurückgeben, wenn man sie nicht „wirft". Die Gabe wird folglich „nach oben in den Himmel" zurück-„geworfen". Hinter der Vorstellung vom Zurückwerfen der Gottesgabe in den Himmel verbirgt sich die Vorstellung von der Darbringung der Gottesgabe als Gott wohlgefälliges Opfer. Für Luther hatte der Vorgang, der mit Begriffen des Lobens und Dankens bezeichnet wird und in Gebeten Gestalt gewinnt, die gleiche Struktur wie eine Opferhandlung. Der Beter, der lobt und dankt, bringt Gott die Gabe als Opfer dar, um derentwillen er lobt und dankt. Das Opfern der Gabe hat allerdings nicht die Destruktion der Gabe zur Folge. Der Beter löst sich nur innerlich von der Gabe. Die Gabe als solche bleibt unberührt. Der Beter will sie auch durchaus erhalten und wird sich nach Beendigung des Gebets gewiß in irgendeiner Form um ihren Erhalt bemühen. Der Beter, der lobt und dankt, opfert Gott die Gabe in den Worten seines Gebets. Wie man an dem von Luther herangezogenen Gebetsbeispiel „Tu, Domine, dedisti mihi victoriam" sieht, kommt die Opferung durch eine logische Operation zustande. Die Opferung einer Gottesgabe ereignet sich im Gebet exakt in dem Moment, in dem der Beter einen von Gott geschaffenen oder geoffenbarten „Gegenstand" oder einen von Gott herbeigeführten Umstand oder Tatbestand ohne Vorbehalte wieder auf Gott, und zwar ausschließlich auf Gott, zurückfuhrt. Es ist zu beachten, daß Luther in der Tischrede nur deshalb auf das Gebetsleben der altisraelitischen Richter eingeht und ihnen sowohl ein exemplarisches Bittgebet wie auch ein exemplarisches Lob- und Dankgebet in den Mund legt, weil er das am ersten Gebot orientierte Glaubensleben anschaulich machen wollte. Luther zeigt, daß der rechte Glaube sich in Gebeten ausspricht, und er zeigt, in welchen Gebeten sich der rechte Glaube ausspricht. Er läßt in diesem Zusammenhang keinen Zweifel daran aufkommen, daß nur diejenigen Gebete recht sind, in denen sich der rechte Glaube ausspricht.

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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Der Beter, der lobt und dankt, opfert Gott die Gabe in seinem Gebet nur dann in Gott wohlgefälliger Weise, wenn er sie im rechten Glauben opfert. Wer im Glauben an den einigen, eiferheiligen Gott seine Gabe opfert, der gibt sich mit seiner ganzen Person in das Opfergeschehen hinein. Er gibt alle Ansprüche auf die Gabe auf. Und nicht nur dies: Er gibt zugleich auch alle Ansprüche auf alles andere auf. Er gibt die Gabe hin. Und er gibt sich selbst hin. Mit der zeichenhaften logischen Operation, durch die die Gabe im Lob- und Dankgebet symbolisch geopfert wird, bekundet der rechtgläubige Beter, daß er sowohl Gottes Eigentumsrecht an der Schöpfung wie auch sein Hoheitsrecht über der Schöpfung anerkennt. Anders ausgedrückt: Er bekundet, daß er Gottes göttlichen Anspruch anerkennt. Der rechtgläubige Beter betrachtet das Opfer, das er Gott im Lob- und Dankgebet darbringt, nicht als verdienstlich. Er verzichtet wirklich auf alle denkbaren Ansprüche, auch auf den heimlichsten der heimlichen Ansprüche, den Anspruch auf Lohn fur die Anspruchslosigkeit. Die angstfreie, völlige Hingabe an Gott ist fur den Beter natürlich nur möglich, wenn er zuvor die Rechtfertigung von Gott empfangen hat. Luther gibt in der Tischrede zu verstehen, daß Lob- und Dankgebete dann recht sind, wenn sie von gerechtfertigten Sündern gesprochen werden. Er hebt hervor, daß das erste Gebot den Menschen an den einigen Gott verweist, der der Schöpfer und der Verheißer ist. Er macht deutlich, daß das erste Gebot letztlich darauf abzielt, den Verheißungen Geltung zu verschaffen413.

413 Von Gott dem Schöpfer und Gott dem Verheißer spricht Luther auch in der dritten Psalmenvorlesung. Zu Beginn seiner Auslegung von Ps 51,3 betont er, daß man Gott in seiner Schöpfermajestät nicht finden kann, wohl aber in seinen Verheißungen. Er betont außerdem, daß eine Begegnung mit Gott dem Verheißer immer eine Begegnung mit Christus ist. Siehe W A 4 0 11,329,3-330,15: „Quando audis, Prophetam Davidem loqui cum deo sie: .Miserere' etc., et nullam fieri ab eo mentionem de Christo, ne putes Davidem Mahometistam, Epicureum, gentilem; observa, quod loquatur cum deo non ut homines idolatrae, sectae etc., sed loquitur cum deo patrum suorum, cum deo promissore, das Christus mit drinen sey, quia non habuit deum, ut fingunt eum hypocritae, Mahometistae etc., qui speculationibus suis ascendunt in coelum et speculantur de deo creatore etc. Cum isto deo sey vnuerborren [= Nebenform für „unverworren"]; qui vult salvus fieri, relinquat deum in Maiestate, quia iste et humana creatura sunt inimici. Sed ilium deum apprehendas, quem David, qui est vestitus suis promissionibus, ut Christus adsit, qui ad Adam dicit: ,Ponam inimicicias', ,et ipsum' etc. Den Gott mus man haben, N e sit nudus deus da cum nudo homine. Cum Papa et Mahomete est praesumptio, donec ad mortis horam, da ghet desperatio er nach. Discrimen fac cum prophetis loquentibus cum deo et aliis loquentibus

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Die altisraelitischen Richter vernahmen Gottes Verheißungen, ließen sich auf sie ein, erlebten ihre Erfüllung, dann lobten sie Gott und dankten ihm. Ihr Wissen um ihre Verfehlungen, um das ganze Ausmaß ihrer Sündhaftigkeit und Unwürdigkeit hinderte sie nicht daran, den Verheißungen zu glauben. Sie hatten erkannt, daß deren Gültigkeit nicht durch ihre Sünden in Frage gestellt werden konnte. Sie vermochten zu glauben, weil sie offenbar einsahen, daß jede Verheißung Gottes die Verheißung der Rechtfertigung mit einschließt. Als sie das

extra istas promissiones. Non scimus alium deum quam istum, qui vestitus est suis promissionibus. Si mecum loquitur in sua maiestate, lauff ich, ut Iudei. Sed quando Induitur voce humana et attemperat se nostro captui, possum accedere. Sed Satan satagit, ut opponat nos in occursum maiestatis. Sic eum apprehendere est, quod David loquitur cum deo patrum suorum sive cuius promissiones novit. Si etiam Mahometista dicit:,Miserere' etc., et Monachus, Si hereticus, so gilts nicht, quia non apprehendit deum velatum vel indutum larva vel persona nobis attemperata, sed in sua absoluta maiestate; da folget hals stortzen, Casus Luciferi et desperationes sempiternae. Ergo David non loquitur in ventum nec caeteri prophetae, sed haben sich an die promissiones gehalten Adae et Abrahae." [„Wenn du hörst, daß der Prophet David mit Gott so spricht: ,Sei gnädig' usw. und Christus nicht erwähnt, dann darfst du David nicht für einen Mohammedaner, Epikureer oder Heiden halten. Beachte, daß er nicht mit Gott spricht wie die Menschen aus den Götzendienern, Sekten usw., sondern er spricht mit dem Gott seiner Väter, mit Gott dem Verheißer, so daß Christus mit enthalten ist, weil er nicht einen Gott hatte, wie ihn die Heuchler, Mohammedaner usw. erdichten, die mit ihren Spekulationen zum Himmel emporsteigen und über Gott den Schöpfer spekulieren usw. Mit diesem Gott habe nichts zu schaffen. Wer gerettet werden will, lasse den Gott der Majestät unbeachtet, weil der und die menschliche Kreatur Feinde sind. Aber jenen Gott ergreife, den David hatte, der bekleidet ist mit seinen Verheißungen, so daß Christus da ist, der zu Adam sagt: ,Ich will Feindschaft setzen', ,und der' usw. (1. Mose 3,15) Den Gott muß man haben, damit nicht der nackte Gott bei dem nackten Menschen sei. Bei dem Papst und bei Mohammed ist Vermessenheit bis in die Todesstunde hinein, da folgt Verzweiflung. Mach einen Unterschied zwischen den Propheten, die mit Gott sprechen, und den anderen, die mit ihm außerhalb der Verheißungen sprechen. Wir kennen keinen anderen Gott als den, der bekleidet ist mit seinen Verheißungen. Wenn er mit mir in seiner Majestät spricht, lauf ich fort, wie die Juden es getan haben (2. Mose 20,18-21). Aber wenn er sich in eine menschliche Stimme hüllt und sich unserem Fassungsvermögen anpaßt, kann ich hinzutreten. Aber der Satan befleißigt sich, daß er uns in die Begegnung mit der Majestät stellt. Man soll Gott so wie David ergreifen, der mit dem Gott seiner Väter, das heißt: mit dem Gott, dessen Verheißungen er kennt, spricht. Wenn auch der Mohammedaner, Mönch oder Ketzer sagt: ,Sei gnädig' usw., so gilt das nicht, weil er Gott nicht als den ergreift, der bedeckt oder verhüllt ist mit einer Maske oder Person, die uns angepaßt ist, sondern weil er ihn in seiner absoluten Majestät ergreift. Da folgt der Halsbruch, der Sturz Luzifers (Lk 10,18; Joh 12,31; O f f b 12,7-9) und die ewige Verzweiflung. David spricht also nicht in den Wind und auch die übrigen Propheten nicht, sondern sie haben sich an die Verheißungen gehalten, die einst Adam und Abraham empfangen hatten."]

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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Verheißene im Glauben ergriffen, ergriffen sie auch die Rechtfertigungsgnade. Als sie dann Lob- und Dankgebete sprachen, war es Gott recht, weil sie diese als gerechtfertigte Sünder sprachen. Das Loben und Danken wäre vor Gott nicht recht gewesen, wenn sie in ihrer Person nicht schon von Gott gerechtfertigt worden wären. Der Beter, der sich Gott in, mit und unter seinem Lob- und Dankgebet im Glauben selbst darbringt, bringt sich, wenn er rechtgläubig ist, nicht unverhüllt dar. Er bringt die ihm von Gott zugesprochene Rechtfertigungsgnadengabe mit. In diese hüllt er sich ein, wenn er sich Gott opfert. Das Opfer der Gabe, die er in seinem Lob- und Dankgebet bezeichnet, ist nicht schon deshalb Gott genehm, weil er mit diesem Opfer das Opfer seines Ichs verbindet. Es wird von Gott allein deshalb angenommen, weil der Beter das Opfer seines Ichs, das er mit diesem Opfer verbindet, mit dem Opfer der ihm zugesprochenen Rechtfertigungsgnadengabe verbindet414.

414 Hier sind Lob- und Dankgebete im Blick, in denen der Beter nur eine einzige Gabe mit Worten bezeichnet. Die Gabe, die er bezeichnet, ist weder mit seinem Leben noch mit der von ihm empfangenen Rechtfertigungsgnade identisch. Lob- und Dankgebete, in denen der Beter die Gabe seines Lebens oder die von ihm empfangene Rechtfertigungsgnadengabe bezeichnet, ohne sonstige Gaben zu bezeichnen, stellen Sonderfälle dar. Die Ausführungen können auch auf diese Fälle bezogen und ihnen mit Leichtigkeit angepaßt werden. Wenn hier von der Einhüllung des Menschen in die ihm zugesprochene Rechtfertigungsgnadengabe die Rede ist, dann wird damit an eine Redeweise angeknüpft, die Luther in der dritten Psalmenvorlesung am Anfang seines Kommentars zu Ps 51,3 verwendet (s. o. Anm. 413). Luther spricht vom „nudus deus" [„nackter Gott"] und vom „nudus homo" [„nackter Mensch"]. Mit dem „nudus deus" meint er Gott „in sua absoluta maiestate" [„in seiner absoluten Majestät"], mit dem „nudus homo" den Menschen in seiner Sünde, kurz: den Sünder. Es wird klar, daß Gott und Mensch nicht friedlich beieinander sein können, wenn es nicht zu einer Verhüllung kommt. Luther denkt in diesem Zusammenhang an die Verhüllung Gottes vor dem Menschen und sagt, daß Gott sich mit seinen „promissiones" [„Verheißungen"] bekleidet. Er betont, daß in den „promissiones" Christus gegenwärtig ist, und zeigt damit an, daß die „promissiones" dem Sünder die Rechtfertigung in Aussicht stellen. Auf die Verhüllung des Menschen vor Gott geht Luther nicht ein, weil sie nichts anderes als die andere Seite der Verhüllung Gottes ist. Sie ist das Akzeptieren der Verhüllung Gottes von seiten des Menschen. Sie kann nichts anderes als das Akzeptieren der Verhüllung Gottes sein, weil sie sonst nicht von Gott akzeptiert werden könnte. Verhüllt sich Gott vor dem Menschen mit dem Zuspruch der Gnade, dann kann sich der Mensch vor Gott mit der ihm von Gott zugesprochenen Gnade verhüllen. Vgl. hierzu auch die prägnanten Sätze Luthers aus dem Jahr 1520 in der Schrift „De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium" [„Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche. Vorspiel"]: WA 6,516,30-32: „Neque enim deus, ut dixi, aliter cum hominibus unquam egit aut agit quam verbo promissionis. Rursus, nec nos cum deo unquam agere aliter possumus quam

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Zusammenfassend läßt sich aufgrund der zitierten Tischrede folgendes sagen: Luther zog den durch die Rechtfertigungslehre geläuterten Opfergedanken heran, um den Vorgang des Lobens und Dankens, der in Gebeten Gestalt gewinnt, in seiner Tiefenstruktur zu erfassen. Nach Luther löst sich der rechtgläubige Christ im Lob- und Dankgebet von einer Gabe, um Gott zu ehren. Er löst sich vollständig von ihr. Und er ehrt dabei Gott, weil er sich auf eine bestimmte Art vollständig von ihr löst. Er läßt sie nämlich ganz und gar Gottes Gabe sein. Er erkennt an, daß sie ein konkreter Erweis der Gnade Gottes ist, und zwar ein Erweis der Gnade des einigen Gottes, der ihn geschaffen und gerechtfertigt hat. Luther war also davon überzeugt, daß der rechtgläubige Christ in ein negatives Verhältnis zu einer Gabe eintritt, sobald er diese im Lob- und Dankgebet zur Ehre Gottes als Gabe Gottes darstellt415. Vergleicht man die Tischrede mit einer bestimmten Äußerung Luthers, die sich in der Gebetsanleitung für Peter Beskendorf finden, dann entsteht nur scheinbar ein Widerspruch. In der Gebetsanleitung aus dem Jahr 1535 benutzt Luther an einer Stelle Begriffe der Nahrungsaufnahme, um deutlich zu machen, wie er die sieben Bitten des Vaterunsers betet416. Die Analyse des Kontexts dieser Stelle ergibt, daß Luther die Begriffe der Nahrungsaufnahme keineswegs etwa dazu verwendet, um das Bittgebet von den anderen Gebetsarten zu unterscheiden, sondern um anzudeuten, was im Prinzip in jedem Gebet geschieht beziehungsweise geschehen sollte417. Die Schrift an Beskendorf berechtigt zu der Feststellung, daß Luther auch den Gedanken der Nahrungsaufnahme heranziehen konnte, um sich die Struktur, die dem Vorgang des Lobens und Dankens, der in Gebeten Gestalt gewinnt, eignet, zu erklären. Luther meinte offensichtlich, daß der rechtgläubige Christ während seines Lob- und Dankgebets zu der Gabe, die er in ihm zur Ehre Got-

fide in verbum promissionis eius." [„Denn Gott hat, wie ich gesagt habe, mit den Menschen niemals anders gehandelt und handelt auch noch immer nicht anders mit ihnen als durch das Wort der Verheißung. Umgekehrt können auch wir mit Gott niemals anders handeln als durch den Glauben an das Wort seiner Verheißung."] 415 Nach Luther klärt der Christ im Lob- und Dankgebet sein Verhältnis zu Gott und zur Welt. 4 1 6 S. o. Anm. 349. 4 1 7 Siehe hierzu die Ausführungen am Schluß von V1.2.b)bb).

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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tes als Gabe Gottes darstellt, in ein negatives Verhältnis, aber auch in ein positives Verhältnis eintritt. Nach Luther löst sich der rechtgläubige Christ im Lob- und Dankgebet sehr wohl vollständig von einer Gabe, doch wendet er sich ihr im gleichen Gebet sofort auch intensiv aufs neue zu. Er empfängt sie neu. Und er genießt sie neu. Er genießt sie jetzt in ihrer qualifizierten Fremdheit. Er genießt sie als Gabe Gottes, als Erweis der Gnade Gottes. Er ehrt Gott durch die Art, wie er genießt, weil diese Art der Absicht, die Gott mit der Gabe verfolgt, zutiefst entspricht. Zu guter Letzt ist noch einmal daran zu denken, daß das Lob- und Dankgebet bei Luther oft ein Element in einer zwischenmenschlichen Kommunikation ist. Luther begrüßte es, wenn er mit seinem Lob- und Dankgebet andere dazu bringen konnte, gleichfalls Gott zu loben und Gott zu danken. Nach Luther ist das Lob- und Dankgebet für den rechtgläubigen Christen nicht etwas, was er vor seinen Mitmenschen verborgen halten müßte. Es ist für ihn kein Bezirk, in den man sich zurückzieht, um sich von der Umwelt abzuschotten. Der rechtgläubige Christ verschließt sich in seinem Lob- und Dankgebet nicht gegenüber der Umwelt, auch wenn er sich in seinem Kämmerlein einschließt. Sein Glaube ist in der Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen lebendig. Daher ist er in seinem Gebet offen für Gott und für die Mitmenschen. So möchte er denn auch am liebsten mit seinem Gebet in die Öffentlichkeit treten und Gott öffentlich ehren. Er möchte, daß die Ehre Gottes dadurch vergrößert wird, daß Mitmenschen mit ihm gemeinsam eine Gabe als Erweis der Gnade Gottes anerkennen und als Erweis der Gnade Gottes genießen. Man kann die Struktur des Vorgangs des Lobens und Dankens, der in Gebeten Gestalt gewinnt, nur dann richtig und vollständig erfassen, wenn man diesen sowohl mit dem Vorgang des Opferns als auch mit dem Vorgang der Nahrungsaufnahme vergleicht und dabei berücksichtigt, daß er Teil eines zwischenmenschlichen Kommunikationsgeschehens sein kann. Nachdem die Strukturanalyse durchgeführt worden ist, stellt sich die Frage, ob denn die Vorstellungen, die bei der Analyse so hilfreich waren, also die Vorstellungen vom Opfern, von der Nahrungsaufnahme und von der zwischenmenschlichen Kommunikation, eigentlich auf der Vorstellungsebene zueinander passen. Auf den ersten Blick scheinen sie völlig disparat zu sein. Bei näherem Hinsehen erkennt man, daß sie sich problemlos zu einer einzigen beeindruckenden Vorstellung zusammenfügen lassen. Es ist die Vorstellung vom alttestamentlichen „Heilsopfer".

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Das „Heilsopfer"

ΓΌΤ) gehört zu den fünf wichtigsten alttestament-

lichen Opferhandlungen418. Die israelitischen Altvordern liebten es besonders, weil es meist ein fröhliches und immer ein geselliges Opfer war419. Im Unterschied zu den anderen Opferarten war es ein Mahlopfer. Nachdem das Blut des Opfertieres an den Altar appliziert und seine Fetteile auf dem Altar verbrannt worden waren, wurde das Fleisch vom Darbringer und von denen, die dieser zur Opferfeier eingeladen hatte, verzehrt420. Der Darbringer des „Heilsopfers" opfert Gott seine Gabe, nährt sich von der geopferten Gabe und kommuniziert zugleich mit einer Gruppe von Mitmenschen, die er dazu ausersehen hat, das Opfern der Gabe mit zu vollziehen und sich von der geopferten Gabe mit zu nähren. Luther hat die Opferart des „Heilsopfers" von den anderen hauptsächlichen Opferarten des Alten Testaments abgegrenzt, indem er es „Dankopfer" nannte421. Dies ist außerordentlich bemerkenswert. Luther hätte das „Heilsopfer" im Anschluß an die Vulgata auch als „Friedensopfer"422 bezeichnen können. Er zog den Begriff „Dankopfer" vor, weil er das Hauptaugenmerk nicht auf den Zu-

4 1 8 Die hauptsächlichen Arten der Opfer nach der Opfertora in 3 . M o s e 1-7 sind das „Brando p f e r " ( n V V ) , das „ S p e i s o p f e r " (ΠΠϊ»), das „Heilsopfer" ( D ' Ö ^ p Π3Τ oder Ο ' Ώ ^ ψ ) , das „ S ü n d o p f e r " (ΓΙΧβΓΐ) und das „ S c h u l d o p f e r " (ΠψΝ). Vgl. v. Rad, Theologie des Alten Testaments I, 2 6 4 . In der Vulgata heißen diese Opfer „holocaustum", „ s a c r i f i c i u m " , „hostia pacificorum" [„Friedensopfer"], „hostia pro p e c c a t o " und „hostia pro delicto". 4 1 9 Zur Prozedur und zur „Volkstümlichkeit" des „Heilsopfers" siehe u. a. folgende Schriftstellen: 1. M o s e 3 1 , 5 4 ; 3. M o s e 3,1 - 1 7 ; 7 , 1 1 - 2 1 . 2 8 - 3 4 ; 9,18-21 ; 1 0 , 1 2 - 1 5 ; 1 9 , 5 - 8 ; 2 2 , 2 1 f.; 4 . M o s e 6 , 1 3 - 2 0 ; 5. M o s e 1 2 , 1 - 2 8 ; 1 4 , 2 2 - 2 9 ; 2. M o s e 18,12; 2 4 , 4 - 1 1 ; Ri 9 , 2 6 f . ; 1. Sam 9 , 1 2 f . ; 10,8; l l , 1 4 f . ; 16,3-5; l . K ö n 8 , 6 2 - 6 6 ; Ps 2 3 , 5 ; vgl. auch 2 . M o s e 3 2 , 6 ; 3 4 , 1 5 . An einigen dieser Stellen taucht die Bezeichnung D ' p ^ T ΓΠΤ im Urtext nicht auf. Der Sache nach geht es aber wahrscheinlich auch an diesen Stellen um das „Heilsopfer". Die Stelle 2. Mose 3 2 , 6 zeigt, daß die Feier des Heilsopfers die Menschen hemmungslos und haltlos macht, wenn sie bei der Feier nicht J a h w e die Ehre geben, sondern unter dem Namen J a h w e s einem Götzen huldigen. 4 2 0 Anlaß und Stimmung der Mahlopferfeier waren überwiegend fröhlich. Die Freude erwuchs vor allem aus der Gewißheit, daß Gott als der vornehmste Mahlgenosse gegenwärtig ist. Vgl. hierzu die Skizze von Gerhard von Rad in ders., Theologie des Alten T e staments I, 2 7 0 f . Von Rad stellt fest, daß das Heilsopfer vor andern Opfern „unter der Communiovorstellung stand" (ebd., 2 7 0 ) . A u f weitere Charakteristika dieser Opferart soll hier nicht eingegangen werden. 4 2 1 Vgl. Weber, Bibelkunde, 101. 4 2 2 S . o. Anm. 4 1 8 .

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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stand richten wollte, der durch das Opfer realisiert wird, sondern auf die Struktur der Opferhandlung. Aus der Tatsache, daß Luther O'öVty ΓΌΤ mit „Dankopfer" übersetzte, kann man nun freilich nicht folgern, daß fur ihn das Lob- und Dankgebet das unblutige, nichtmaterielle Dankopfer war, das dem blutigen, materiellen Dankopfer, dem „Heilsopfer", in struktureller Hinsicht gleicht. Aufgrund dieser Tatsache läßt sich aber sagen, daß für Luther keines der bedeutenden alttestamentlichen materiellen Opfer so sehr mit der Thematik des Lobens und Dankens verknüpft war wie das „Heilsopfer". Zweifellos lag es für Luther nahe, den Vorgang des Lobens und Dankens, der in Gebeten Gestalt gewinnt, mit der Vorstellung vom „Heilsopfer" zu verbinden. Er war imstande, die Struktur des Gebetsvorgangs mit Hilfe der Vorstellung vom „Heilsopfer" zu erschließen, sofern er diese Struktur komplett erschließen wollte. Die Funktion, die der Vorgang des Lobens und Dankens, der in Gebeten Gestalt gewinnt, bei Luther hat, ist leicht zu bestimmen, wenn man sich dessen Struktur klargemacht hat. Der Vorgang dient der Verherrlichung Gottes und der Erbauung des Menschen. Das Ziel der Verherrlichung Gottes ist dem Ziel der Erbauung des Menschen übergeordnet. Der Mensch, der erbaut werden soll, ist der, der das Lob- und Dankgebet formuliert, aber auch der, der das Lob- und Dankgebet eventuell hört oder liest. Es soll nicht unbeachtet bleiben, daß Luther mit Worten des Dankes nicht nur ausschließlich Gott geehrt hat. Wie etwa seine Briefe aus dem Zeitraum der dritten Psalmenvorlesung zeigen, hat er bei passender Gelegenheit selbstverständlich auch seinen Mitmenschen die ihnen gebührende Ehre durch Äußerungen des Dankes zuteil werden lassen 423 . Der Vorgang des verbalen Lobens und Dankens, der auf Menschen ausgerichtet ist, gleicht höchstwahrscheinlich dem Vorgang des Lobens und Dankens, der in Gebeten Gestalt gewinnt, in struktureller Hinsicht. Der Unterschied zwischen den beiden Vorgängen entsteht durch den Glauben. Der Glaube reguliert den Grad der Hingabe des Sprechers an das jeweilige

423 Siehe WA Br 6,273,3-6 (Nr. 1910: an Dorothea Jörger am 7. März 1532); WA Br 7,28,1 f. (Nr. 2 0 9 3 : an Nikolaus von Amsdorf am 11. März 1534); 7 0 , l f . (Nr. 2116: an Fürst Joachim von Anhalt am 9. Juni 1534); 117,3-7 (Nr. 2147: an Kaspar Müller am 24. November 1534); 154,1-3 (Nr. 2172: an einen Komponisten am 18. Januar 1535); vgl. WA Br 6,351,16-19 (Nr. 1 9 5 3 , 2 . Fassung: an Ν. N. am 19. August 1532).

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

angesprochene Gegenüber. Der rechtgläubige Christ wird sich nie so einem Menschen im Geist hingeben, wie er sich Gott beziehungsweise Christus im Geist hingibt. Die Hingabe an Gott beziehungsweise Christus ist für ihn eine totale. Die Hingabe an einen Menschen ist fur ihn immer bloß eine Folge seiner Hingabe an Gott beziehungsweise Christus und daher stets nur eine relativ begrenzte. Der Vorgang des Lobens, der dem Vorgang des Lobens und Dankens, der in Luthers Gebeten Gestalt gewinnt, ganz und gar nicht gleicht, ist das oben behandelte mystische Lobpreisen424. Das mystische Lobpreisen hat eine völlig andere Struktur als Luthers lobendes und dankendes Beten. Ihm fehlt der für Luthers lobendes und dankendes Beten typische konsequente Bezug auf die Gaben und Wohltaten Gottes.

d) Das Loben und Danken, das Beichten und das Bitten Im folgenden soll der Ort des verbalen Lobens und Dankens innerhalb der Gebetspraxis Luthers ausfindig gemacht werden. Zu untersuchen sind zu diesem Zweck jene Gebete Luthers, in denen sich das Loben und Danken und das Beichten und/oder das Bitten verbinden und in denen das Loben und Danken und das Beichten und/oder das Bitten jeweils auf direkte Weise und in möglichst komplexer Form zum Ausdruck kommen.

aa) Das Beichten als Loben und Danken In den Blick gelangt als erstes die schon oben einmal besprochene Reihe von komplexen Beichtgebeten, die der dritten Psalmenvorlesung entstammen425. Luther formulierte diese Gebete im Anschluß an Ps 51,6. Da sie starke Anklänge an diesen Vers enthalten, sind sie oben als Paraphrasen bezeichnet worden. Daß es sich bei ihnen um Äußerungen Luthers handelt, die einiges über ihn selbst aussagen, die also einen nicht geringen Quellenwert haben, zeigt sich un-

424 S. V1.2.a)aa). 425 Zum Folgenden vgl. VI.2.a)bb).

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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ter anderem an der Tatsache, daß sie über die Anklänge an Ps 51,6 hinaus auch die für Luther typischen Anklänge an Paulus enthalten. Die besagten Gebete werden hier erneut zitiert. Durch Kursivdruck werden die Stellen in ihnen markiert, die am stärksten an die Grundaussage der „confessio peccatorum" - an „peccavi" - erinnern: 1) „Omnes peccavimus, tu solus es iustus, ergo confitemur nos peccatores, ut tu solus sis iustus." 426 [„Alle haben wir gesündigt (vgl. Rom 3,9.23; 5,12), du allein bist gerecht (vgl. 2. Mose 9,27; 2. Chr 12,6; Esr 9,15; Neh 9,8.33; Klgl 1,18; Dan 9,7.14; Rom 3,10.25f.); also bekennen wir, daß wir Sünder sind, damit du allein gerecht bist (vgl. Ps 51,6; Rom 3,4)."] 2) „Ego confiteor me peccasse et quod coram te sim peccator, ut tu solus sis iustus." 427 [„Ich bekenne, daß ich gesündigt habe und daß ich vor dir ein Sünder bin, damit du allein gerecht bist (vgl. Ps 51,6; Rom 3,4)."] 3) „..., Tu solus es iustus et omnes homines peccatores, sed per verbum." 428 [„... Du allein bist gerecht (vgl. 2. Mose 9,27; 2. Chr 12,6; Esr 9,15; Neh 9,8.33; Klgl 1,18; Dan 9,7.14; Rom 3,10.25f.) und alle Menschen sind Sünder (vgl. Rom 3,9.23; 5,12), aber durch das Wort (vgl. Ps 51,6; Rom 2,12; 3,4.19-21; 7,7; Gal 3,22)."] 4) „... tibi soli tribuo iustitiam, mihi et omni hominipeccatum, sic, quod apud me non sit iustitia sed apud te, et hoc informatus tua lege et verbo, alias non." 429 [„... Dir allein schreibe ich die Gerechtigkeit zu, mir und jedem Menschen die Sünde, so daß bei mir keine Gerechtigkeit ist, sondern bei dir, und ich tue dies, weil ich durch dein Gesetz und Wort unterrichtet bin (vgl. Ps 51,6; Rom 2,12; 3,4.19-21; 7,7; Gal 3,22), sonst könnte ich es nicht tun."] 5) „Tu dicis me peccatorem ex promissionibus tuis, quod indigeam tua salute, ergo credo me damnatum."430 [„Du sagst mit deinen Verheißungen (siehe insbesondere Mk 16,16; vgl. Rom 2,4; Phil 3,7f.), daß ich ein Sünder bin, daß ich deines Heils bedürftig bin (vgl. 1. Mose 49,18; Ps

4 2 6 WA 4 0 11,366,14-367,2 (zu Ps 51,6). 4 2 7 W A 4 0 II,367,4f (zu Ps 51,6). 4 2 8 WA 4 0 11,369,1 Of. (zu Ps 51,6). 4 2 9 W A 4 0 11,369,12-14 (zu Ps 51,6). 4 3 0 W A 4 0 11,373,1 f. (zu Ps 51,6).

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

119,81.123.166.174), deshalb glaube ich, daß ich verdammt bin (vgl. Mk 16,16)."] 6) „... tu solus iustus, verax; quod arguis mepeccatorem, recte facis. Ideo ut iustificeris tu et ego confundar Damnatus, tibi iustitia, vita, omnia bona, nobis mors." 431 [„... Du allein bist gerecht und wahrhaftig; daß du mich bezichtigst, ein Sünder zu sein, machst du richtig. Deshalb, damit du gerechtfertigt wirst (vgl. Ps 51,6; Rom 3,4) und ich als Verdammter zuschanden werde, dir die Gerechtigkeit, das Leben, alles Gute, uns den Tod (vgl. Rom 5,21; 6,23; Phil 3,7-11)."] Es wurde oben daraufhingewiesen, daß Luther die „confessio peccatorum" auf der Basis von Jos 7,19 und in Anlehnung an Hieronymus als eine „confessio laudis" deutete. Sätze wie -

„tu solus es iustus",

-

„tu solus iustus, verax",

-

„tibi soli tribuo iustitiam" und

-

„tibi iustitia, vita, omnia bona",

die in den Beichtgebeten begegnen, gaben Anlaß zu der Vermutung, daß Luther die „confessio peccatorum" deshalb für eine „confessio laudis" hielt, weil in ihr die „iustitia Dei" gepriesen wird. Wenn man das Gotteslob der Beichtgebete mit dem Lobpreis der „iustitia Dei" gleichsetzt, dann hebt man den Vorgang des Lobens vom Vorgang des Beichtens ab. Man unterscheidet das Loben vom Beichten. Die Unterscheidung der Vorgänge fuhrt zur Unterscheidung einzelner Teile in den Beichtgebeten. Man stößt auf Stellen, an denen sich das Beichten hinter dem Loben verbirgt, sowie auf Stellen, an denen sich das Loben hinter dem Beichten verbirgt. Anders gesagt: Man entdeckt Stellen in den Beichtgebeten, an denen das Gotteslob direkt und das Schuldeingeständnis indirekt zum Ausdruck kommt, sowie Stellen, an denen es sich umgekehrt verhält, an denen nämlich das Schuldeingeständnis direkt und das Gotteslob indirekt ausgedrückt wird. Da die erstgenannten Stellen in Luthers Beichtgebeten nur relativ selten zu finden sind, muß man behaupten, daß die „confessio peccatorum" als Gebetsgestalt des Lobens fur Luther aufs Ganze gesehen eine Gestalt eines indirekten

431 WA 40 11,373,3-5 (zu Ps 51,6).

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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Gotteslobes und somit letztlich nur eine „uneigentliche" Gebetsgestalt des Lobens war. Nachdem der Vorgang des Lobens und Dankens bei Luther auf der Grundlage zahlreicher „eigentlicher" Lob- und Dankgebete im Rahmen der vorliegenden Arbeit gründlich analysiert worden ist432, erscheint Luthers Verständnis der „confessio peccatorum" als „confessio laudis" auf einmal in einem neuen, klareren Licht. Man erkennt jetzt, daß Luthers Verständnis der „confessio peccatorum" oben noch nicht wirklich und richtig erfaßt wurde. Die These, Luther habe gemeint, durch die „confessio peccatorum" werde Gott gepriesen, weil in ihr die „iustitia Dei" gepriesen werde, ist zwar nicht falsch. Man muß sich allerdings eingestehen, daß man diese These tunlichst nicht als Schlüsselthese verwenden sollte. Sie ist nicht der Schlüssel, mit dem man Luthers Verständnis der „confessio peccatorum" problemlos erschließt. Die Untersuchungen zum Vorgang des Lobens und Dankens bei Luther, der in Gebeten Gestalt gewinnt, haben unter anderem folgendes ergeben: a) Der Vorgang des Lobens und Dankens bezieht sich immer auf eine Gabe oder eine Wohltat Gottes. b) Es geht beim Vorgang des Lobens und Dankens hauptsächlich darum, daß Gott die empfangene Gabe im rechten Glauben zurückgegeben, die empfangene Wohltat im rechten Glauben zurückerstattet wird. c) Das Zurückgeben der empfangenen Gabe, das Zurückerstatten der empfangenen Wohltat ereignet sich bei Luther in den Gebeten, in denen der Vorgang des Lobens und Dankens Gestalt gewinnt, in dem Augenblick, in dem ausgesagt wird, daß Gott der Geber der Gabe, der Urheber der Wohltat ist. Sucht man in den Beichtgebeten, mit denen Luther Ps 51,6 kommentierend paraphrasierte, nach einem Hinweis auf eine Gabe oder Wohltat Gottes, so wird man sehr schnell fundig. Es wird in diesen Gebeten wiederholt angedeutet, daß die Gottes- und die Selbsterkenntnis des Menschen auf dem „verbum Dei" basieren. Ohne das „verbum Dei" wüßte der Mensch nicht, daß er eine Sünde begangen hat und daß er ein Sünder ist. Ohne das „verbum Dei" wüßte er auch nicht, daß nur Gott gerecht ist. Er wüßte nichts von der Heiligkeit der „iustitia

432 S. die Kapitel VI.2.a)cc)-VI.2.c)cc).

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Dei" und auch nichts von der Heiligkeit der anderen „attributa Dei" [„Eigenschaften Gottes"] wie etwa der „veritas" [„Wahrheit", „Wahrhaftigkeit"], der „vita" [„Leben", „Lebendigkeit"], der „bonitas" [„Gutsein", „Güte"]. Auch der Vorgang des Beichtens bezieht sich also auf eine Gabe Gottes, und zwar immer auf die Gabe des „verbum Dei". Gemeint ist das „verbum" in Gestalt der „lex", aber auch das „verbum" in Gestalt der „promissio", insofern die „promissio" das Amt der „lex" ausübt433. Genauer gesagt bezieht sich der Vorgang des Beichtens auf eine Tat Gottes, die Gott mit dem „verbum" vollbringt. Es ist die Offenbarung des Sündenverderbens des Menschen mit dem „verbum". Sie geschieht sowohl mit den „verba" der „lex" wie auch mit den „verba" der „promissio"434.

433 Statt der Unterscheidung „lex" und „Euangelium" benutzt Luther im Kommentar zu Ps 51,6 in der dritten Psalmenvorlesung (WA 40 11,364,10-379,13) die Unterscheidungen „leges" und „promissiones" (373,5f.), „lex" und „promissiones" (373,11 ) sowie „lex" und „promissio" (369,7; 370,5f.; 374,8). Vorzugsweise verwendet er an dieser Stelle die zuletzt genannte Unterscheidung. Man sollte freilich nun nicht meinen, Luther habe den Begriff „Euangelium" in der dritten Psalmenvorlesung als Gegenbegriff zum Begriff „lex" aufgegeben. Im Kommentar zu Ps 126,2 und Ps 131,2 etwa unterscheidet er „lex" und „Euangelium" und erläutert die „distinctio legis et Euangelii" (WA 40 111,388,2) ausfuhrlich (WA 40 111,178,12-181,21; 385,9-388,3). Zur Verwendung des Begriffs „Euangelium" in der dritten Psalmenvorlesung s. o. Anm. 39. 434 Vgl. hierzu folgende Stellen aus dem Kommentar zu Ps 51,6 in der dritten Psalmenvorlesung: WA 40 11,369,6-9: „Cum ergo hoc peccatum incognitum toto orbi terrarum, necesse revelari per legem et promissionem, quae utraque arguit peccata, quae nos non intelligimus, credimus peccata esse." [„Da also diese Sünde (= das abgründige Sündenverderben) dem ganzen Erdkreis unbekannt ist, ist es nötig, daß sie geoffenbart wird durchs Gesetz und durch die Verheißung, welche beide die Sünden strafen, von denen wir weder erkennen noch glauben, daß sie Sünden sind."] WA 40 11,370,5-8: „Promittit salutem, adiutorium ex morte et omnia verba vel legis vel promissionis arguunt per consequentiam nos peccatores. Sequitur, si deus vult me salvare a morte et promittit vitam, ergo sub morte, ergo sub peccato, quia ,mors stipendia'." [„Er (= Gott) verheißt Rettung und Hilfe aus dem Tod, und alle Worte sowohl des Gesetzes wie auch der Verheißung verraten in der Folgerung, daß wir Sünder sind. Wenn Gott mich nämlich vom Tod retten will und mir das Leben verheißt, folgt daraus, daß ich unter dem Tod bin, und daraus wiederum folgt, daß ich unter der Sünde bin, weil ja ,der Tod (der Sünde) Sold' ist (Rom 6,23)."] WA 40 11,373,9-12: „Papa, Turca, ludei impugnant et nos intra nos, ,militamus' intra nos ipsos, Ro. 7., quod deus iudicatur et damnatur, quod tarnen per legem et promissiones damnat et iudicat." [„Papst, Türke und Juden bekämpfen es (= das Urteil Gottes) und auch wir in uns, ,wir streiten' in uns selbst, Rom 7(,23), weil Gott gerichtet und verdammt wird und dennoch durch das Gesetz und die Verheißungen verdammt und richtet."] An diesen Stellen zeigt sich möglicherweise Luthers Sensibilität fur die theologische Position Johann Agrícolas. Im Jahr 1527 war es im Zusammenhang der kur-

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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sächsischen Visitation zum Streit zwischen Melanchthon und Agricola gekommen (erster antinomistischer Streit). Melanchthon hatte angesichts der verheerenden kirchlichen Mißstände, die die Visitation offenbarte, die Erneuerung der auf dem Gesetz basierenden Bußpredigt gefordert. Diese Forderung rief Agrícolas Kritik auf den Plan. Für Agricola war die Buße nicht eine Folge der Verkündigung des Gesetzes, sondern eine Folge der Verkündigung des Evangeliums. Er meinte, daß das Evangelium zunächst Glauben hervorruft und daraufhin Buße wirkt. Buße entsteht seiner Auffassung nach, weil das Evangelium an die Stelle des Gesetzes tritt und die Funktion des Gesetzes übernimmt. Es klagt den Menschen mit dem Kreuz Christi an, das Gott zu seinem Heil aufgerichtet hat. Es zeigt ihm mit Hilfe des Kreuzes, daß er sich der „violatio filii" [„Verletzung des Sohnes"] schuldig gemacht hat. Auf Veranlassung von Kurfurst Johann fand vom 26. bis 29. November 1527 in Torgau ein Konvent zur Beilegung des Streites statt. Melanchthon berichtete am 20. Dezember in einem Brief an Justus Jonas (MSA VII/2,38,1-45,160 [Nr. 122]) von den Verhandlungen. Agricola habe Schriftstellen und Lehraussagen Luthers als Argumente angeführt (ebd., 41,48-55). Er habe sich darauf berufen, daß Luther gelehrt habe, die Buße müsse „ab amore iustitiae" [„mit der Liebe zur Gerechtigkeit"] beginnen. Er habe auf Jona 3,5 verwiesen: „Crediderunt et egerunt poenitentiam." [„Sie glaubten und taten Buße."] Ebenso auf Lk 24,47: Im Namen Jesu solle Buße gepredigt werden, „non in nomine Moisi aut irati iudicis" [„nicht im Namen des Mose oder eines zornigen Richters"]. Luther führte in Torgau einen Kompromiß herbei. Die Kompromißsätze fanden Eingang in den ersten Abschnitt des „Unterrichts der Visitatoren an die Pfarrherrn im Kurfürstentum Sachsen" (1528) unter dem Titel „Von der Lere". Was Agricola zugestanden wurde, ist vor allem dem Schlußdes Abschnitts zu entnehmen: MSA 1,222,14-27: „Denn wiewol etlich achten [„erachten"], man sol nichts leren für dem glauben, sondern die busse aus vnd nach dem glauben folgend leren, auff das die widdersacher nicht sagen mügen, man widderrüffe vnser vorige Lere. So ist aber doch anzusehen, weil die busse vnd gesetz auch zu dem gemeinen glauben gehören. Denn man mus ia zuuor glewben, das Gott sey, der da drewe, gebiete vnd schrecke etc. So sey es für den gemeinen groben man [„gewöhnlichen, ungebildeten Mann"], das man solche stück des glaubens las bleiben vnter dem namen busse, gebot, gesetz, forcht etc. auff das sie deste vnterschiedlicher den glauben Christi verstehen, welchen die Apostel iustificantem fidem [„rechtfertigenden Glauben"], das ist, der da gerecht macht vnd sunde vertilget, nennen, welchs der glaub von dem gebot und busse nicht thut, vnd doch der gemein man, vber dem wort glauben, irre wird vnd frage auffbringet on nutz." Luther hatte dem Streit keine große Bedeutung beigemessen. In seinen Augen war er glücklich beigelegt worden. Tatsächlich jedoch schwelte der Gegensatz unter der Oberfläche weiter. Einige Zeit nach Beendigung der dritten Psalmenvorlesung, nachdem Agricola von Eisleben nach Wittenberg zurückgekehrt war, flammte der frühere Streit in verschärfter Form wieder auf (zweiter antinomistischer Streit). Erst jetzt stritten sich Luther und Agricola. Luther bekämpfte Agricola in den Jahren 1537 bis 1540 aufs heftigste und brach schließlich vollständig mit ihm. Luther forderte die Verkündigung des Gesetzes und des Evangeliums, gestand aber nach wie vor auch zu, daß das Evangelium die Funktion des Gesetzes übernehmen kann. Siehe seine Aussage im Rahmen der „ersten Disputation gegen die Antinomer" am 18. Dezember 1537: WA 39 I,405,10f.: „Non reprehendo, quod ex cruce seu morte Christi homo ducatur ad poenitentiam." [„Nicht tadele ich es, daß der Mensch durch das Kreuz oder den Tod Christi zur Buße geführt wird."]

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Die Gabe Gottes, die die Erkenntnis des Sündenverderbens bewirkt, hielt Luther für eine gute Gabe, weil sie den Menschen auf den Empfang der Christusgnade vorbereitet. Die Tat Gottes, die in die Verzweiflung stürzt, hielt er für eine Wohltat, weil sie den Menschen zu Christus hintreibt. Die „confessio peccatorum" ist nach Luther Teil eines Dialogs: -

Gott zeigt dem Menschen sein Sündenverderben und sagt: „Tu es propter hoc peccatum in morte, sub ira dei."435 [„Du bist um dieser Sünde willen (= um des abgründigen Sündenverderbens willen) im Tod, unter dem Zorn Gottes."]

Der Mensch des Unglaubens widerspricht: „Tu mentiris."436 [„Du lügst."] „Non est verum."437 [„Es ist nicht wahr."] - Der Mensch des Glaubens aber, der weiß, daß ihm die Offenbarung des Sündenverderbens guttut, antwortet: „Tu dicis me peccatorem ..., ergo credo me damnatum."438 [„Du nennst mich einen Sünder ..., daher halte ich mich für verdammt."] - „ . . . ; quod arguis me peccatorem, recte facis."439 [„...; daß du mich bezichtigst, ein Sünder zu sein, machst du richtig."] Er vergilt Gott die Wohltat, die er an ihm getan hat, mit Worten des Lobes und Dankes. Er lobt Gott um der empfangenen Wohltat willen und dankt ihm für sie. Er lobt Gott und dankt ihm mit seinem Gebet, indem er in seinem Gebet auf die Wohltat rekurriert, Gott als Urheber derselben bestätigt und sie gutheißt. -

Die dem Kommentar zu Ps 51,6 entnommenen Beichtgebetsabschnitte, in denen der Beter davon spricht, daß Gott ihm sein Sündenverderben geoffenbart hat, gleichen den Lob- und Dankgebeten Luthers, die zum oben beschriebenen fünften Grundtyp440 gehören. Es sind jene Lob- und Dankgebete, in denen der Gebetsakt nicht explizit gemacht wird, in denen Gott in der 2. Person angeredet wird und in denen der Beter sagt, was Gott an ihm getan hat.

435 436 437 438 439 440

Einen guten Überblick über die Streitigkeiten mit den Antinomern gewinnt man mit Hilfe von Rogge, Innerlutherische Streitigkeiten; Brecht, Martin Luther II, 258-260; ders., Martin Luther III, 158-173; Lohse, Luthers Theologie, 195-203. WA 4 0 11,371,3f. (zu Ps 51,6). W A 4 0 11,371,6 (zu Ps 51,6). W A 4 0 11,371,10 (zu Ps 51,6). WA 4 0 11,373,1 f. (zu Ps 51,6). WA 4 0 II,373,3f. (zu Ps 51,6). S. VI.2.c)bb), bei Anm. 408. Man möge an dieser Stelle auch nochmals das bei Anm. 319 zitierte Gebet beachten.

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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Die Beichtgebete, in denen Luther sagt, was Gott an ihm getan hat, zählen in Wahrheit zu den Lob- und Dankgebeten im eigentlichen Sinn. Und nicht nur sie. Auch diejenigen Beichtgebete zählen in Wahrheit zu ihnen, in denen Luther nicht sagt, was Gott an ihm getan hat. In der dritten Psalmenvorlesung gibt es keinen Beleg dafür, daß Luther die Beichtgebete44', in denen der Beter sagt, daß Gott ihm sein Sündenverderben geoffenbart hat, und die Beichtgebete442, in denen der Beter dies nicht sagt, hinsichtlich ihrer Funktion und ihres Sinns voneinander unterschieden hat. Luther formulierte die erstgenannten Beichtgebete in der dritten Psalmenvorlesung, um zu zeigen, wie er die letztgenannten versteht. Er faßte die letztgenannten als eine Verkürzung der erstgenannten auf, die die gleiche Funktion und den gleichen Sinn wie diese haben, wenn sie vor Gott gesprochen werden. Zu den letztgenannten Beichtgebeten gehört das kürzeste Beichtgebet, - die Formel „peccavi", die die Grundaussage jedes Beichtgebets zur Darstellung bringt. Luther interpretierte natürlich auch diese Formel im Sinn der erstgenannten Gebete. Aufgrund von Schriftstellen wie Ps 51,6 gewann Luther die Erkenntnis, wie die Grundaussage aller Beichtgebete, die Aussage „peccavi", zu deuten sei. Ihm wurde klar, daß die Aussage „peccavi" nur dann schriftgemäß ist, wenn sie eine ganz bestimmte Aussage impliziert. Er entdeckte, daß die Aussage „peccavi" nach der heiligen Schrift die Aussage „Du hast mir durch dein ,verbum' in den Gestalten der ,lex' und der ,promissio' mein Sündenverderben geoffenbart" implizieren muß, damit sie von Gott akzeptiert werden kann. Die heilige Schrift zeigte Luther, daß das Beichtgebet des rechtgläubigen Menschen im Grunde ein Lob- und Dankgebet ist. Für Luther war die „confessio peccatorum" nicht nur in einem eingeschränkten Sinn „confessio laudis". Sie war für ihn „confessio laudis" im vollen Sinn. Er meinte nicht, daß sich der Vorgang des Lobens und Dankens bei der „confessio peccatorum" vom Vorgang des Beichtens abheben läßt. Das Beichten als solches war für ihn ein Loben und Danken. Die „confessio peccatorum" war für ihn eine Gebetsgestalt des Lobens und Dankens, die Gott in all ihren Teilen direkt lobt und ihm in all ihren Teilen direkt dankt, die Gott also auf die eigent-

441 Gebete wie das fünfte und sechste Gebet der anfangs zitierten Liste. 442 Gebete wie das erste und zweite Gebet der anfangs zitierten Liste.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

liehe Weise in all ihren Teilen lobt und ihm auf die eigentliche Weise in all ihren Teilen dankt. Daß Luther das Beichten nichtsdestotrotz bei der Auflistung und Darstellung der Gebetsarten etwa in der Gebetsanleitung für Peter Beskendorf (1535) strikt vom Loben und Danken unterschied443, rührt daher, daß sich die Gabe oder Tat Gottes, auf die sich das Beichten bezieht, prinzipiell von den Gaben oder Taten Gottes, auf die sich das Loben und Danken ansonsten bezieht, unterscheidet. Daß Luther das Beichten gewöhnlich lieber als ein Klagen denn als ein Loben bezeichnete444, hat seine Ursache darin, daß die Beichtgebete oft auf eigentümliche Weise verkürzt sind: Vom vorausgegangenen Tun Gottes am Beter oder an den Personen, mit denen sich der Beter verbunden fühlt, ist in den Beichtgebeten anders als in allen anderen Lob- und Dankgebeten meist nicht die Rede. Der Beter nimmt im Beichtgebet meist nicht ausdrücklich Bezug darauf, daß Gott ihm sein Sünden verderben geoffenbart hat. Ausdrücklich Bezug nimmt er meist nur auf den Inhalt des Urteilsspruchs Gottes. Er wiederholt Gottes Urteil und macht es sich dabei zu eigen. Er spricht es aus und bejaht es zugleich. Da das Urteil ihm den Tod bringt, ist die Bejahung des Urteils auch ein Klageruf.

bb) Das Beichten und das Bitten In den sechs aus der dritten Psalmenvorlesung zitierten Beichtgebeten445 deutet nichts auf den Zusammenhang zwischen dem Vorgang des Beichtens und dem Vorgang des Bittens hin. Es können freilich Beichtgebete Luthers angeführt werden, bei denen es sich anders verhält. -

Erneut zu beachten ist an dieser Stelle das „beycht gebet D. Martini Luther", das mitsamt der deutschen Übersetzung des Pentateuchs 1525 im Druck erschien. Dies Gebet beinhaltet einige Bitten: „Ach mein lieber her Jesu criste, dw erkennest mein arme sele, vnd meynen grossen gebrechen, den ich dir allein mit offenem herezen klage Ich befinde leider, das ich nicht habe einen

443 W A 38,364,28-375,8. 4 4 4 S. o. bei Anm. 200-214. 445 S. V1.2.d)aa).

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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solchen willen vnd vorsacz, als ich yhn wol solt haben, vnd fall teglich dohin als ein kranckes sundiges mensch, vnd dw weist, das ich yhe gerne, einen solchen willen vnd vorsacz wolthe haben, vnd mich doch mein feindt yhm [„im"] stricke fuehret gefangen, Erloße mich armen sunder nach deinem götlichen willen von allem vbel vnd anfechtungen, Stercke vnd vormehre yn mir den wahren rechten cristlichen glauben, gib mir gnade, meynen nehsten aus gancz meynem herczen, getrewlichn vnd als mich selbst, brüderlichn zw belibenn, Vorleihe mir geduldtyn verfolgunge, vnd aller widderwertickeit, Dw hast yhe Zw sancto petro gesagtt [Mt 18,22], das er nicht alleine sieben mahl vorgeben solt, vnd vns heissen tröstlichen von dir bitten, So kohme ich yn zwuorsicht solchs deines zusagens vnd gepietens, vnd klage dir als meynem rechtn pfarer vnd Bischoffe meyner seelen [1. Petr 2,25], all meyne nott. Dan dw allein weist, wie vnd wehn mir Zw helffen ist Dein wille der geschehe vnd sey gebenedeiett ewiglich A.m.e.n" 446 - Aufmerksamkeit verdienen auch die drei paradigmatischen Beichtgebete Luthers, die sich seit 1531 im Kleinen Katechismus finden447 und vor einem „Beichtiger"448/„Beichtvater"449 gesprochen werden sollen. Das erste Gebet enthält eine Bitte im Schlußteil. Der Beter beschließt es formelhaft mit der Bekundung der Reue, der Bitte um Gnade und der Absage an die Sünde. Die anderen beiden Gebete sind nicht vollständig ausgearbeitet worden. Sie sollen bloß zeigen, wie das erste Gebet dem Stand des Beters entsprechend abzuwandeln ist. Der Leser des Katechismus soll davon ausgehen, daß sie die gleiche Einleitung und den gleichen Schluß wie das erste Gebet haben.

4 4 6 W A 48,275,1-18. S. Anm. 200. 447 BSLK 518,12-24.33-40.51 -519,3. Die Gebete sind Bestandteile des Abschnitts „Wie man die Einfaltigen soll lehren beichten" (BSLK 517,8-519,34). Mit diesem Abschnitt ersetzte Luther 1531 den Abschnitt „Eine kurze Weise zu beichten für die Einfältigen dem Priester", den er seinem Kleinen Katechismus - ihm fehlte ursprünglich ein Stück über die Beichte - im Juni 1529 beigefugt hatte (vgl. Peters, Luthers Katechismen V, 15-17). Der Abschnitt „Eine kurze Weise zu beichten..." hatte zwei paradigmatische Beichtgebete enthalten. Der Unterschied zwischen den Beichtgebeten aus dem Jahr 1529 und denjenigen aus dem Jahr 1531 ist nicht unerheblich. Albrecht Peters weist daraufhin, daß der Ton bei den ersteren eher „auf unsere(r) sündliche(n) Existenz", bei den letzteren eher „auf konkretein) Verstöße(n)" liegt und daß bei den letzteren erstaunlicherweise gar „die zweite Tafel nahezu ausschließlich ins Zentrum rückt" (a.a.O., 61 f.). Zur Problematik dieser neuen Betonung siehe Peters, a.a.O., 57-65. 4 4 8 BSLK 517,14.24; 518,5; 519,9.11. 4 4 9 BSLK 519,30.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Das vollkommene Paradigma eines Beichtgebets für die Einzelbeichte nach der Ausgabe des Kleinen Katechismus aus dem Jahr 1531 lautet folgendermaßen: „Ich armer Sunder bekenne mich für Gott aller Sunden schuldig; insonderheit bekenne ich für Euch, daß ich ein Knecht, Magd etc. bin; aber ich diene leider untreulich meinem Herrn; denn da und da hab ich nicht getan, was sie mich hießen, hab sie erzürnet und zu fluchen bewegt, hab versäumet und Schaden lassen geschehen. Bin auch in Worten und Werken schampar [„schändlich"] gewest, hab mit meinesgleichen gezürnet, wider meine Frauen [„Herrin"] gemurret und geflucht etc. Das alles ist mir leid und bitte umb Gnade; ich will mich bessern."450 - Zu berücksichtigen sind nicht zuletzt die typischen Beichtgebete Luthers, von denen er in der Gebetsanleitung für Peter Beskendorf (1535) erzählt451. Solche Gebete sprach Luther „bey (sich) selbs"452, also nicht vor einem „Beichtiger". Diese Gebete haben in der Regel ebenfalls eine Bitte im Schlußteil. Die Darstellung der ersten vier Beichtgebete in der Schrift an Beskendorf, die sich auf die ersten vier Gebote beziehen, endet jeweils mit dem Zitat einer Formel, die die Bekundung der Reue und die Bitte um Gnade enthält und deshalb sehr stark an die in der Beichtanweisung im Kleinen Katechismus empfohlene Formel erinnert. Die Darstellung des Gebets, das sich auf das fünfte Gebot bezieht, beendet Luther mit der Abkürzung „etc.", weil er sich die erneute Wiederholung der Schlußformel ersparen will. Am Ende der Darstellung des Gebets, das sich auf das sechste Gebot bezieht, erwähnt Luther die Formel abermals, führt jedoch, weil sie dem Leser nun hinlänglich bekannt gemacht ist, bloß den ersten Teil an und weist auf den zweiten mit einem „etc."-Kürzel hin. Bei der Darstellung der Gebete, die sich auf die übrigen Gebote und die drei Glaubensartikel beziehen, will Luther nur noch das Nötigste sagen und verzichtet daher konsequent auf das Zitat der Schlußformel. Aus der Schrift an Beskendorf sei hier die Darstellung eines typischen Beichtgebets zitiert, das sich auf das dritte Gebot bezieht: „... beichte und bekenne ich meine grosse sunde und schendliche

4 5 0 BSLK 518,12-24. 451 WA 38,365,18-21 (zum 1. Gebot); 366,1-6 (zum 2. Gebot); 366,37-367,7 (zum 3. Gebot); 368,1-10 (zum 4. Gebot); 369,17-28 (zum 5. Gebot); 370,24-31 (zum 6. Gebot); 371,28f. (zum 7. Gebot); 372,10-13 (zum 8. Gebot); 372,23 (zum 9. und 10. Gebot); 374,3-5 (zum 1. Artikel); 374,23-26 (zum 2. Artikel); 375,5f. (zum 3. Artikel). 4 5 2 WA 38,359,3.

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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undanckbarkeit, das ich die feiertage so lesterlich habe mein lebtage zubracht und sein theur werdes wort so jemerlich veracht, so faul, unluestig und uberdruessig dasselb zu hoeren gewest, schweige, das ichs hertzlich begerd oder jemals dafür gedanckt hette, Habe also meinen lieben Gott umbsonst mir predigen und den edlen schätz faren lassen und mit fiiessen drueber gangen, welchs er mit eitel Goettlicher guete von mir geduldet und darumb nicht abgelassen, jmer fort mir zu predigen und zu ruffen zu meiner seelen Seligkeit, mit aller veterlicher Goettlicher liebe und trewe, das ist mir leid und bitte umb gnad und Vergebung. "453 Die Bitten sind in den drei Texten dieser exemplarischen Übersicht durch Kursivdruck gekennzeichnet worden. Es stellt sich heraus, daß für Luther das Beichten mit einem Bitten verbunden war. Das Beichtgebet bestand fur ihn aus der „confessio peccatorum" und aus der Bitte um Gnade und Vergebung. Die „confessio peccatorum" erwächst bei Luther nicht nur aus der Erkenntnis des Sündenverderbens. Würde sie lediglich aus dieser hervorgehen, dann wäre sie ein Ausdruck der Resignation. Als ein solcher würde sie Gott nicht ehren und könnte gewiß nicht eine „confessio laudis" genannt werden. Die „confessio peccatorum" erwächst als „confessio laudis" bei Luther aus der Erkenntnis des Sündenverderbens, die durch die „lex" und die „promissio" hervorgerufen wird, und aus der Hoffnung auf Gnade um Christi willen, die einzig durch die „promissio" geweckt wird. Sie entsteht bei Luther nicht, bevor nicht die Hoffnung auf Gnade um Christi willen zur Erkenntnis des Sündenverderbens hinzugekommen ist. Die Erkenntnis des Sündenverderbens und die Hoffnung auf Gnade um Christi willen sind aber nicht die einzigen Entstehungsbedingungen fur die „confessio peccatorum" bei Luther. Man muß sich klarmachen, daß der Mensch die Gnade, auf die er seine Hoffnung richtet, erst dann ernst nimmt, wenn er sie auch in Demut begehrt. Man muß sich klarmachen, daß sich bei dem Menschen, der die Gnade ernst nimmt, die Hoffnung auf Gnade mit dem demütigen Verlangen nach Gnade verbindet. Daß bei Luther die Gnade ernstgenommen wird, wenn sich die Hoffnung auf sie richtet, steht außer Frage. Somit steht auch außer Frage, daß die Hoffnung

453 WA 38,366,37-367,7.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

auf Gnade bei Luther mit dem demütigen Verlangen nach Gnade verbunden ist. Die „confessio peccatorum" erwächst also bei Luther aus der Erkenntnis des Sündenverderbens, aus der Hoffnung auf Gnade um Christi willen und zugleich auch aus dem demütigen Verlangen nach der Gnade. Das demütige Verlangen nach der Gnade wirkt sich auf die Struktur der „confessio peccatorum" aus. Ihm entspricht nämlich auf der Ebene des Gebets die Bitte um die Gnade. Weil die „confessio peccatorum" bei Luther nicht nur aus dem Erkennen und dem Hoffen, sondern auch aus dem demütigen Verlangen hervorgeht, wächst ihr die Dimension der Bitte zu. Für die „confessio peccatorum" bei Luther ist folglich kennzeichnend, daß sie die Bitte um die Gnade impliziert. Das Beichten impliziert bei Luther ein Bitten. Die besprochenen Quellen zeigen, daß die mit der „confessio peccatorum" verbundene Bitte um Gnade für Luther sehr wichtig war. Sie war ihm so wichtig, daß er sie gewöhnlich im Beichtgebet zum Ausdruck brachte. Wie den Quellen außerdem zu entnehmen ist, ließ Luther die Bitte um Gnade gewöhnlich der „confessio peccatorum" folgen. Er beachtete die Logik der Reihenfolge der Gebetsarten des Beichtens und Bittens im Beichtgebet: Die Bitte um Gnade folgt der „confessio peccatorum" logisch, da sie auf die Lösung des Problems abzielt, das die „confessio" anzeigt. Die Überlegungen fuhren zu folgendem Ergebnis: Der Grundtyp des Beichtgebets setzt sich bei Luther aus der „confessio peccatorum" und der Bitte um Gnade zusammen. Weil sich - wie im vorhergehenden Abschnitt dargelegt454 die „confessio peccatorum" als eine Lobpreisung und Danksagung begreifen läßt, kann man auch sagen: Der Grundtyp des Beichtgebets besteht bei Luther aus einer Lobpreisung und Danksagung und einer Bitte. Nun ist das Beichtgebet bei Luther das Gebet mit der höchsten Bedeutung, weil in ihm - vorausgesetzt der Mensch glaubt dem Wort Gottes - die Rechtfertigung Gottes durch den Menschen und die Rechtfertigung des Menschen durch Gott geschehen455. So ist denn also das bedeutendste Gebet, ja die be-

4 5 4 S. VI.2.d)aa). 455 An folgender Stelle im Kommentar zu Ps 51,6 in der dritten Psalmenvorlesung macht Luther darauf aufmerksam, daß sich die Rechtfertigung Gottes durch den rechtgläubigen Menschen und die Rechtfertigung des rechtgläubigen Menschen durch Gott im Beichtgebet ereignen: WA 4 0 11,376,5-8: „Sed spiritu crede te peccatorem, et talem, quem deus velit justificare et habere pro filio, modo fateatur se perditum. Hac confessione glorificas

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

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deutendste menschliche Tätigkeit bei Luther eine Verbindung aus einer Lobpreisung und Danksagung und einer Bitte. Hat man dies erkannt, dann wundert man sich nicht mehr darüber, daß Luther in der „Vermahnung zum Sakrament des Leibes und Blutes unseres Herrn" (1530) sämtliche Verhaltensweisen des rechtgläubigen Menschen gegenüber Gott auf lediglich zwei reduziert, nämlich auf das (Loben und) Danken und das Bitten: - „Denn gegen Gott können wir nicht mehr handeln denn auff zwo weise, nemlich, mit dancken und bitten, Mit dem danck, ehren wir jhn umb die guter und gnaden, die wir schon bereit empfangen haben, Mit dem beten ehren wir jhn umb die guter und gnaden, die wir hinfurt gerne hetten, .. ,"456

cc) Das Loben und Danken und das Bitten Es ist nunmehr zu klären, in welchem Verhältnis die Gebetsart des Lobens und Dankens im allgemeinen zur Gebetsart des Bittens bei Luther steht. Zur Bewältigung dieser Aufgabe werden Gebete Luthers betrachtet, die keine Beichtgebete sind. Außerdem werden Äußerungen Luthers über das Beten herangezogen. Untersucht man die für die obigen Kapitel457 gesammelten Lob- und Dankgebetsäußerungen an ihrem ursprünglichen Ort, so sieht man, daß eine Lob- und Dankgebetsäußerung bei Luther vielfach auch dann mit einer Bittgebetsäußerung verbunden ist, wenn es sich bei ihr nicht um eine „confessio peccatorum" handelt.

deum, et te econtra: hic tempus mihi iustificandi." [„Aber glaube im Geist, daß du ein Sünder bist, und zwar ein solcher, den Gott rechtfertigen und zum Sohn haben will, wenn er nur bekennt, daß er verloren ist. Durch dieses Bekenntnis verherrlichst du Gott, und umgekehrt verherrlicht er dich: Hier ist für mich (= Gott) die Zeit des Rechtfertigens."] Luther zeigt an dieser Stelle, daß es im Beichtgebet zum „heilsam kommunikativ(en) Beieinander von Gott und Mensch" (vgl. Bayer, Theologie, 36-42) kommt. Belege dafür, daß das Beichtgebet bereits für den frühen Luther der Ort der Rechtfertigung war, finden sich in der Römerbriefvorlesung (1515-1516). Siehe dazu Hermann, Rechtfertigung, 13-23. 4 5 6 WA 30 11,622,35-38. 4 5 7 VI.2.a)cc)-VI.2.b)cc).

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Folgende Gebete Luthers, die keine Beichtgebete sind, setzen sich wie die Beichtgebete aus einer Lobpreisung und Danksagung und aus einer Bitte zusammen. Man kann sie sowohl als Lob- und Dankgebete wie auch als Bittgebete bezeichnen. Die Bitte wird in den Zitaten wiederum mittels Kursivdruck von der Lobpreisung und Danksagung abgehoben. Die Gebete entstammen der „Deutschen Messe" von 1526, dem Kleinen Katechismus von 1529, der Sammlung der Tischreden, der dritten Psalmenvorlesung, den Briefen aus der Zeit der Vorlesung und der „Vermahnung zum Sakrament" von 1530: 1)

„Almechtiger Gott, der du bist eyn beschutzer aller die auff dich hoffen [vgl. Ps 32,10; 33,18; 37,5; 125,1], an welchs gnad niemand ichts [„ohne dessen Gnade niemand irgend etwas"] vermag noch etwas für dyr gild [vgl. Joh 15,5; 2. Kor 12,9; Phil 4,13], lasse deyne barmhertzigkeyt uns reychlich widderfarn [vgl. Ps 119,41.77; Rom 5,15; 11,31], auff das wyr durch deyn heyliges eyngeben [vgl. Esr 7,27; Neh 2,12] dencken was recht ist, und durch deyne krafft auch dasselbige Volbringen [vgl. 2. Kor 8,11; Phil 2,13; 2. Thess 1,11] umb Jesus Christus unsers herrn willen. Amen."458

2) „Wyr dancken dir, almechtiger herr gott, das du uns durch dise heylsame gäbe [vgl. Tit 2,11] hast erquicket und bitten deyne barmhertzigkeyt, das du uns solchs gedeyen lassest zu starckem glauben gegen dir [vgl. Rom 4,20] und zu brinstiger liebe unter uns allen [vgl. 1. Petr 1,22; 4,8], umb Jhesus Christus unsers herrn willen. Amen."459 3) „Ich danke Dir, mein himmlischer Vater [vgl. Mt 6,14.26.32; 15,13; 18,35], durch Jesum Christ, Deinen lieben Sohn [vgl. Kol 1,13], daß Du mich diese Nacht fur allem Schaden und Fahr behut hast [vgl. Ps 121, 3-6], und bitte Dich, Du wollest mich diesen Tag auch behüten fur Sunden und allem Übel [vgl. Ps 121,7f.], daß Dir alle mein Tun und Leben gefalle [vgl. Rom 8,8; 1. Thess 4,1]; denn ich befehle mich, mein Leib und Seele und alles in Deine Hände [vgl. Ps 31,6; Lk 23,46]. Dein

4 5 8 WA 19,86,15-87,2 (Deutsche Messe und Ordnung Gottesdiensts. 1526: Kollekte). Dies Gebet ist das einzige Gebet der Liste, auf das in den Kapiteln VI.2.a)cc)-VI.2.b)cc) nicht Bezug genommen wurde. 4 5 9 WA 19,102,8-11 (Deutsche Messe und Ordnung Gottesdiensts. 1526: Postcommunio).

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heiliger Engel sei mit mir [vgl. Ps 91,11], daß der bose Feind keine Macht an mir finde, Amen."460 4) „Ich danke Dir, mein himmlischer Vater [vgl. Mt 6,14.26.32; 15,13; 18,35], durch Jesum Christ, Deinen lieben Sohn [vgl. Kol 1,13], daß Du mich diesen Tag gnädiglich behut hast [vgl. Ps 121,3-6], und bitte Dich, Du wollest mir vergeben alle meine Sunde, wo ich Unrecht getan habe [vgl. Ps 25,18; 65,4; 79,9; Hos 14,3; Mt 6,12; Lk 11,4], und mich diese Nacht gnädiglich behüten [vgl. Ps 121,7f.]; denn ich befehel mich, mein Leib und Seele und alles in Deine Hände [vgl. Ps 31,6; Lk 23,46]. Dein heiliger Engel sei mit mir [vgl. Ps 91,11], daß der böse Feind keine Macht an mir finde, Amen."461 5) „Domine Deus, gratias ago tibi, quod me voluisti esse pauperem super terram et mendicum. Non habeo domum, agros, possessiones, quae relinquam. Tu dedisti mihi uxorem et filios, tibi reddo; nutrí, doce, serva, ut hactenus me, o Pater pupillorum et orphanorum."462 [„Herr Gott, ich danke dir, daß du gewollt hast, daß ich arm sei auf Erden und ein Bettler (vgl. Mt 10,9f.; Mk 6,8f.; Lk 9,3; 10,4). Ich habe kein Haus, keine Äkker, keine Besitztümer, die ich zurücklasse. Du hast mir Frau und Kinder gegeben; ich gebe sie dir zurück. Ernähre, lehre, erhalte sie (vgl. Ps 146,9), wie du bisher mich ernährt, gelehrt und erhalten hast (vgl. Lk 22,35), o Vater der Unmündigen und Waisen (vgl. Ps 68,6)."] 6)

lieber Vater, nim das lieb seelichen in deine hand! Agam tibi gratias et benedico te, et benedicant te omnes creaturae tuae; da, ut cito colligar ad patres. [„Ach, lieber Vater, nimm das liebe Seelchen in deine Hand! (vgl. 1. Kön 19,4) Ich möchte dir danken und ich lobe dich, auch mögen dich loben alle deine Kreaturen (vgl. Ps 103,22; Ps 148,114); gib, daß ich schnell zu den Vätern versammelt werde (vgl. 1. Mose 25,8.17; 2. Chr 34,28)."]

7) „Aber Hergott, himlischer Vater [vgl. Mt 6,14.26.32; 15,13; 18,35], ich dancke dier, das du mich erwecket hast [vgl. 5. Mose 18,15.18; Ri 2,18;

460 BSLK 521,25-35 (Morgensegen). 461 BSLK 522,10-19 (Abendsegen). 462 WA TR 3,84,7-10 (Nr. 2922b: 6. Juli 1527). 463 W A TR 3,389,9-11 (Nr. 3543a: Bericht über Luthers Erkrankung in Schmalkalden; das Gebet wird in diesem Bericht auf den 26. Februar 1537 datiert).

256

Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

3,9.15; 1. Sam 2,35; Esr 1,5], das ich den Teuffei, bapst, fiirsten vnd dj gantze weit angegriffen vnd erzürnet habe; hilff mir weyter vnd laß mich nit sincken [vgl. Mt 14,30]/ Ah, Domine, in te confido, tu vicisti mundum. [„Ah, Herr, ich vertraue auf dich (vgl. Ps 118,8), du hast die Welt überwunden (vgl. Joh 16,33)."]"464 8) „Volo ducere uxorem, duxi, dédit filium, familiam, - Herrgott, hilf"*65 [„Ich will heiraten, ich habe geheiratet, Gott hat mir ein Kind gegeben, eine Familie: Herrgott, hilf!"] 9) „Tu creasti me oeconomum, dedisti, quae pertinent, hilff Herr, ,.."466 [„Du hast mich dazu geschaffen, ein Hausherr zu sein; du hast gegeben, was dazugehört: Hilf, Herr, ..."] 10) „fecisti me magistratum, hilff! Si allein den wagen füren, veniam in schlam; non praesumere de potentia, opulentia, sapientia. "467 [„Du hast mich zur Obrigkeit gemacht: Hilf! Wenn ich allein den Wagen fuhren will, werde ich in den Schlamm geraten. Ich will mich meiner Macht, meines Reichtums und meiner Weisheit nicht vermessen."] 11) „Tu dicis: Ego dominus deus tuus, qui creavi te; Creasti me masculum, femellam, non me feci. Certus creator, finis certus, quia sic me creasti; Rogo, da mihi donum, ut feliciter fungar officio coniugis vel patrisfamilias, ,.." 468 [„Du sagst: Ich bin der Herr dein Gott, der dich geschaffen hat (2. Mose 20,2; 5. Mose 5,6; Jes 43,1 ; 44,2; 45,12). Du hast mich als einen Mann, als eine Frau geschaffen, nicht ich habe mich gemacht (vgl. 1. Mose 1,27; 5,2; Mt 19,4; Mk 10,6). Fest steht der Schöpfer, fest steht der Zweck (vgl. 1. Mose 1,28; 2,24; Mt 19,5; Mk 10,7; Eph 5,31), weil du mich so geschaffen hast. Ich bitte: Gib mir die Gabe, daß ich das Amt der Gattin oder des Familienvaters glücklich ausrichte, ..."] 12) „Ich mus mich fur dir furchten; quia creasti, schaff consortem vitae etc., da panem et victum et meis, ,.." 469 [„Ich muß mich vor dir fürchten. Weil du mich geschaffen hast (vgl. Hiob 10,8; Ps 119,73), schaff mir

464 465 466 467 468 469

WA WA WA WA WA WA

TR 3,320,4-7 (Nr. 3448: undatiert). 4 0 III,216,lf. (zu Ps 127,1). 4 0 IIl,216,7f. (zu Ps 127,1). 4 0 111,232,6-8 (zu Ps 127,1). 4 0 111,274,1-4 (zu Ps 128,1). 4 0 III,275,7f. (zu Ps 128,1).

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

257

den Lebensgefährten usw. (vgl. 1. Mose 2,18), gib mir und den Meinen Brot und Lebensunterhalt (vgl. Mt 6,11 ; Lk 11,3),..."] 13) „Dedisti mihi masculum, adduxisti mihi Evam. Sumus in medio demonum, da benedictionem tuam. Si venerint offensiones, aliae tentationes, ut tua benedictio vincat,"470 [„Du hast mir einen Mann gegeben, du hast mir eine Eva zugeführt (vgl. 1. Mose 2,22; 3,20). Wir leben inmitten von Dämonen (vgl. Hiob 1,6-12; Eph 6,11; 1. Petr 5,8): Gib deinen Segen; so daß dann, wenn Widerwärtigkeiten und andere Anfechtungen kommen, dein Segen dieselben überwinde."] 14) „Du es Cesar et sedes in tuo regno; da, ut nostri pastores from sein, quia sacerdotes sind, qui debent huic Imperatori in suo regno ministrare et gubernare populum. Et hoc fiat iuste"*lx [„Du bist der Kaiser und thronst in deinem Reich (vgl. 1. Tim 1,17; 6,15; Offb 17,14; 19,16): Gib, daß unsere Hirten fromm sind (vgl. Jer 3,15; 23,4), weil sie Priester sind, die diesem Herrscher in seinem Reich dienen und das Volk regieren sollen (vgl. 2. Mose 19,6; Jes 61,6; 1. Petr 2,5.9; Offb 1,6; 5,10; 20,6). Und dies soll auf gerechte Weise geschehen."] 15) „Gaudeo, Mi Gerarde, sopitam esse apud vos turbam, quam Satan cepit mouere, Christo sit gratia, Qui & conseruet earn pacem & äuget. [„Ich freue mich, mein lieber Gerhard, daß die Unruhe bei euch gedämpft worden ist, die der Satan angefangen hat zu erregen (vgl. Hiob 1,6-12; 1. Thess 2,18; 1. Petr 5,8), Christus sei Dank, der den Frieden sowohl erhalten als auch vermehren möge (vgl. Joh 14,27; 2. Thess 3,16)."] 16) „Sed ipse dicit: Confidite, EGO VICI MVNDVM;... Igitur Deo gratias, qui dedit nobis hanc victoriam. In qua ego t. D. viuere & gloriari posse vsque in ilium diem magno cordis desiderio & rogo & oro patrem nostrum in celis. Cui T. D. g. commendo quam diligenter possum. "473 [„Aber er (= Christus) sagt: ,Vertraut darauf, ich habe die Welt überwunden.' (Joh 16,33)... So sei denn Gott Dank, der uns diesen Sieg ge-

4 7 0 W A 4 0 111,275,17-276,1 (zu Ps 128,1). 471 WA 40 111,408,4-6 (zu Ps 132,9). 472 W A Br 6,380,3-5 (Nr. 1969: an Gerhard Wiskamp am 19. Oktober 1532: Briefanfang). 473 W A Br 6,441,15-22 (Nr. 2004: an Fürst Georg von Anhalt am 28. März 1533: Briefinitte und Beginn des Briefschlusses); vgl. 440,4-441,15.

258

Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

geben hat (vgl. 1. Kor 15,57)! Daß Euer fürstlichen Gnaden darin leben (vgl. Rom 6,11; Gal 2,20) und sich rühmen (vgl. 1. Kor 1,31; 2. Kor 10,17; Gal 6,14) könne bis zu jenem Tag (vgl. 1. Kor 1,8; 2. Tim 1,12), das ersuche und erbitte ich mit großem Verlangen des Herzens von unserem Vater im Himmel. Dem befehle ich Euer fürstlichen Gnaden (vgl. Apg 14,23; 20,32), so fleißig ich kann."] 17) „Dux Georgius edidit librum suo & ingenio & fato dignum. Sed Deo gratia, qui istud fatuum cor sic produxit in publicum. ... Respondebitur non ilio, sed nobis digne. Tu ora pro nobis Ζ"474 [„Herzog Georg hat ein Buch herausgegeben, das sowohl seinem Charakter als auch seiner Bestimmung entspricht. Aber Gott sei Dank, der dieses törichte Herz so in die Öffentlichkeit gezogen hat. ... Es wird jenem in einer nicht ihm, sondern uns gebührenden Weise geantwortet werden. Bete du für uns! (vgl. Kol 4,3; 1. Thess 5,25; 2. Thess 3,1; Hebr 13,18)"] 18) „Ich füge Euch zu wissen, daß Gott Lob Euer Almosen sehr wohl angeleget ist und viel Armen geholfen hat und noch hilft, daß ich nicht kann zweifeln, Gott, der es Euch zu tun hat eingegeben, der zeige auch an öffentlich, daß er's ihm lasse Wohlgefallen als ein liebes Dankopfer, damit Ihr bekennet und preiset [vgl. Ps 50,23] die Gnade, so er Euch durch seinen lieben Sohn Jesum Christum erzeiget hat [vgl. Rom 5,15; 2. Kor 8,9; 1. Tim 1,16]. Gott stärke Euch im festen Glauben [vgl. Lk 17,5; 1. Thess 3,2.13; 1. Petr 5,10] und verbring in Euch sein angefangen Werk seliglich [vgl. Phil 1,6], Amen."475 19) „Ich dancke meinem herrn Christo, das er vnser gebet erhöret vnd den lieben printz fürst Joachim gesund vnd frolich gemacht hat. Er gebe lange [„Er schenke ihm ein langes Leben" oder: „Er lebe lange"], Amen. Derselbe Christus sey mit E. f . g. [„Euer fürstlichen Gnaden"] vnd beyden meinen g. [„gnädigen"] herrnn sampt allem, was Anhalt ist vnd heisst, Amen."476

474 WA Br 6,517,9-14 (Nr. 2047: an Nikolaus Hausmann am 24. September 1533: Briefmitte). 475 WA Br 7,61,1-8 (Nr. 2109: an Dorothea Jörger am 27. April 1534: Briefanfang). 4 7 6 WA Br 7,112,25-28 (Nr. 2143: an Fürst Johann von Anhalt am 20. Oktober 1534: Briefschluß).

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

259

20) „Christus excitet & dirigat spiritum vestrum in gloriam suam & in Satané confusionem, sicut hactenus & fecit & facit in vobis, cui gloria soli, Amen."477 [„Christus entzünde und leite euren Geist (vgl. Gal 6,18; Phil 4,23; 2. Tim 4,22; Phlm 25) zu seiner Ehre und zur Schande des Satans, wie er bisher an euch getan hat und noch tut, dem allein sei Ehre, Amen (vgl. z. B. Rom 9,5; Gal 1,5; 2. Tim 4,18; 2. Petr3,18; Hebr 13,21)."] 21) „Dominus noster Iesus, quem mihi Petrus non tacet Deum, sed in cuius virtute scio et certus sum me saepius a morte liberatum, in cuius fide haec omnia incepi et hactenus effeci, quae ipsi hostes mirantur, ipse custodial et liberei nos in finem. Ipse est Dominus Deus noster verus, cui soli cum Patre et Spiritu sancto sit gloria in saecula, Amen."478 [„Unser Herr Jesus, den mir Petrus nicht als Gott verschweigt (etwa Mt 16,16; Joh 6,69; 1. Petr 3,22), durch dessen Kraft ich vielmehr - so weiß ich und bin ich gewiß - des öfteren vom Tod befreit worden bin (vgl. Apg 5,17-23; 12,3-10), im Glauben an den ich dieses alles begonnen und bisher zuwege gebracht habe, was selbst die Feinde bewundern, er behüte und befreie uns bis zum Ende (vgl. 1. Kor 1,8). Er ist der Herr, unser wahrer Gott (vgl. Ps 35,23; Joh 20,28), dem allein zusammen mit dem Vater und dem heiligen Geist sei Ehre in Ewigkeit, Amen (vgl. z. B. Rom 16,27; 2. Kor 13,13; Eph 3,21; 1. Petr 4,11; Jud 25)."] 22) „Der selbige Gott aller gnaden und barmhertzigkeit [vgl. 2. Kor 1,3] verleihe uns seinen heiligen geist [vgl. Eph 1,17], der uns erwecke und vermane [vgl. 2. Petr 1,13; 3,1], mit ernst zu suchen seine ehre [vgl. Joh 5,44; 7,18] und mit aller andacht des hertzen zu dancken [vgl. Ps 9,2; 86,12; 111,1; 138,1 ]fur alle seine unzelige unaussprechliche guter und gaben [vgl. 2. Kor 9,15], durch Jhesum Christum, unsern Herrn und heiland [vgl. 2. Petr 1,11; 2,20; 3,2.18], dem sey lob und danck, ehre und preis jnn ewickeit, Amen, Amen [vgl. z. B. Rom 9,5; Gal 1,5; 2. Tim 4,18; 2. Petr 3,18; Hebr 13,21; Jud 25]."479

477 WA Br 6,333,19-21 (Nr. 1946: an die Erfurter Prediger Ägidius Mechler, Andreas Menser und Petrus Geltner am I. Juli 1532: Briefschluß). 478 W A Br 7,39,418-422 (Nr. 2093: an Nikolaus von Amsdorf am 11. März 1534: Briefschluß). 4 7 9 WA 3 0 11,626,13-18 (Vermahnung zum Sakrament des Leibes und Blutes unseres Herrn. 1530: Abschluß).

260

Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Obwohl diese Gebete in völlig unterschiedlichen Zusammenhängen entstanden sind, haben sie doch nahezu alle den gleichen Aufbau: Das Loben und Danken geht in der Regel dem Bitten voran. Vorausgesetzt wird hier, daß in den Prädikationen Gottes oder Christi, die mit der Anrede Gottes oder Christi in den Gebeten verbunden sind, Lob und Dank zum Ausdruck kommen. Lediglich im Ausnahmefall beginnen die Gebete, die eine Lobpreisung und Danksagung und eine Bitte beinhalten, mit der Bitte. Wie das Gebet Nr. 20 zeigt, kann in Gebeten mit dem besonderen doxologischen formelhaften Schluß die Bitte vor der Lobpreisung und Danksagung stehen. Das Loben und Danken und das Bitten sind in den aufgelisteten Gebeten inhaltlich miteinander verknüpft, da sich das Loben und Danken und das Bitten jeweils auf dieselbe Wohltat oder Gabe Gottes beziehen. Daß das Bitten dem Loben und Danken in den aufgelisteten Gebeten fast immer folgt, ist sinnvoll und folgerichtig. Man kann sagen: Das Loben und Danken führt in diesen Gebeten zum Bitten. Man kann auch sagen: Das Bitten erwächst in diesen Gebeten aus dem Loben und Danken. Das Bitten zielt nämlich in diesen Gebeten auf die Vollendung der Wohltat oder die Erhaltung oder Vermehrung der Gabe ab, an die das Loben und Danken erinnert. An den Beichtgebeten wie auch an den übrigen Gebeten Luthers, die sich aus einer Lobpreisung und Danksagung und aus einer Bitte zusammensetzen, wird deutlich, daß Luther dem Loben und Danken gegenüber dem Bitten eine Vorrangstellung einräumte. Luther betonte den Vorrang des Lobens und Dankens beim Beten in seinen Äußerungen über das Beten, sobald er in diesen Äußerungen auf das Loben beziehungsweise Danken zu sprechen kam: -

In der ersten Psalmenvorlesung (1513-1515) stellte Luther im Scholion zu Ps 85 die Regel „... ante o r a t i o n e m gratias age" 4 8 0 [„... vor dem Gebet (= Bittgebet) sage Dank"] auf. Er leitete sie aus dem Aufbau des Ps 85 ab481.

4 8 0 WA 4,12,22. 481 WA 4,12,7-23.

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

-

261

In der Predigt über Phil 4,4-7, die Luther in den letzten Monaten der Wartburgzeit (1521-1522) für die deutsche Adventspostille schrieb482, setzte er die Gebetsvorgänge des Lobens und Dankens und des Bittens auf eine sehr anschauliche Weise zueinander in Beziehung. Er deutete das im Alten Testament beschriebene „gülden reuchfasß" 483 mit Hilfe von Phil 4,6b allegorisch484. Das „gülden gefesße" bedeute „die wort des gepetts"485. Die „fewrkolen" sei „die dancksagung und ertzelung der wollthatt ym gepett"486. Das „reuchwerck", das darauf gelegt wird, sei „die bitte". Sie vollende „das gepet"487. Der „auffsteygend rauch" sei „nichts anders, denn der glawbe ym gepeet, das wyr glewben, unßer gepet kome fur [ergänze: „Gott"] und werde erhöret"488. Es ist zu beachten, daß es Luther in dieser Predigt um die Bedeutung des Lobens und Dankens für das Bitten und nicht um die Bedeutung des Bittens für das Loben und Danken ging. Er meinte nicht, daß das Loben und Danken ohne das Bitten sinnlos ist, er meinte aber, daß das Bitten ohne das Loben und Danken wirkungslos bleibt. Es ist außerdem zu beachten, daß es Luther in dieser Predigt um die Bedeutung des Glaubens für das Loben und Danken und für das Bitten ging. Er war davon überzeugt, daß das Loben und Danken nur im Verein mit dem Akt des Glaubens dazu führt, daß das Bitten von Gott erhört wird489. Der Akt des Glaubens unterscheidet sich einerseits vom Akt des Lobens und Dankens, insofern nämlich das Glauben ein Gott-Vertrauen ist. Wer dankt und bittet, soll glauben, daß Gott das Bitten erhört. Das heißt: Er soll Gott vertrauen. Der Akt des Glaubens ist andererseits mit dem Akt des Lobens und Dankens identisch, insofern nämlich das Loben und Danken wie das Glauben ein Anerkennen der Wohltat Gottes

482 W A 10 1,2,170-187. Vgl. Brecht, Martin Luther II, 25. Die Predigt über Phil 4,4-7 in der lateinischen Adventspostille (WA 7,512-520) darf als Vorentwurf dieser Predigt angesehen werden. Die Drucklegung der lateinischen Adventspostille war im März 1521, also bereits vor der am 4. Mai 1521 beginnenden Wartburgzeit, abgeschlossen (vgl. ders., Martin Luther I, 368). 483 Die Beschreibung des vergoldeten Räucheraltars findet sich in 2. Mose 30,1-10; 37,25-28. 484 W A 10 1,2,183,29-185,32. 485 486 487 488 489

WA WA WA WA Vgl.

10 1,2,184,1 f. 10 1,2,184,9f. 10 1,2,184,24f. 10 1,2,185,15f. zum Folgenden V1.4.

262

Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

in Christus ist490. Die Wohltat, auf die sich das Loben und Danken nach Gottes Willen im Gebet bezieht, ist nicht die Wohltat, die man sich selbst erwiesen hat. Man sollte sich tunlichst nicht auf „unßere werck und verdienst" stützen wie der Pharisäer in seinem Dankgebet in Lk 18, 1 lf. 491 Die Wohltat, auf die sich das Loben und Danken nach Gottes Willen im Gebet bezieht, ist die Wohltat, die Gott uns erwiesen hat. Dabei handelt es sich eigentlich nicht um irgendeine von Gott empfangene Wohltat, sondern speziell um die „wolthatt ynn Christo empfangen"492: „... auff der wolthatt müssen wyr dancken und darynnen beten, .. ,"49j Für die Wohltat der Gnade Gottes in Christus muß in jedem Gebet gedankt werden, wenn es ein rechtes Gebet sein soll. Die oben zitierten Gebete zeigen, daß dies bei Luther häufig nicht explizit geschah. Luther forderte auch in der Adventspredigt nicht, daß dies immer explizit geschehen müsse, wenngleich er in ihr auf die „ertzelung der wollthatt"494, also auf eine Dankes-Äußerung drang. Alles kam ihm allerdings darauf an, daß sowohl die Lob- und Dankgebetsäußerung wie auch die Bittgebetsäußerung aus dem Glauben an Christus, aus dem Anerkennen der Wohltat Gottes in Christus heraus erfolgt. Daß bei der Formulierung des Gebets die Regel „... ante orationem gratias age" beherzigt werden sollte,

490 Vgl. hierzu den gesamten Abschnitt über die „fewrkolen": W A 10 1,2,184,9-23: „Die fewrkolen aber ist die dancksagung und ertzelung der wollthatt ym gepett; denn das die kolen bedeutten wollthatt, tzeugt Paulus Ro. 12. [Rom 12,20] da er den spruch Salomonis furet proverb. 25 [Spr 25,21 f.]: Hungert deyn feynd, ßo speyße yhn, duerstet yhn, ßo trencke yhn. Wenn du das thust, ßo wirstu fewrkolen auff seyn hewbt laden. Es sind aber fewr und brennende kolen, denn die wolthatt uberwinden und tzunden mit gewallt an das hertz. Aber im gesetz war gepotten [vgl. 2. Mose 30,9; 3. Mose 16,12f.], das man die fewrkolen nicht, denn von dem alitar nehmen soll; das das ist: ym gepett, sollen wyr nicht unßere werck und verdienst antzihen [„zur Sprache bringen"], wie der phariseer ym Euangelio Luce. 15 [Lk 18,1 lf.], ßondern die wolthatt ynn Christo empfangen [„sondern die Wohltat, in Christus empfangen"]. Der ist unßer alitar, a u f f dem wyr geopffert sind, auff der wolthatt [„für die Wohltat"] müssen wyr dancken und darynnen beten, wie Paulus saget. Col loss. 3 [Kol 3,17]: Thutt alles ynn dem namen unßers herrn Jhesu Christi und dancket gott dem vater durch yhn; denn er kan sonst nichts leydenn, wie er das beweyßet, Levit. 10 [3. Mose 10,1-7], Da er die ßoene Aronß, Nadab und Abiu, vertzundet [„durch Anzünden verzehrt"] fur dem alitar, darumb das sie kolen ynß reuchfasß namen, anderß wo denn von dem alitar." 491 492 493 494

WA WA WA WA

10 10 10 10

1,2,184,16f. l,2,184,17f. 1,2,184,18f. 1,2,184,9.

Die Gebetsgestalt des Lobens und Dankens

263

ergab sich aus der Logik der Allegorie. Daß diese Logik richtig war, bewies natürlich nicht der Versteil Phil 4,6b - aus der Nennung der Aspekte des Gebets kann man schwerlich eine Norm fur den Aufbau des Gebets ableiten - , wohl aber das Gebet, mit dem Paulus den Brief an die Philipper nach Anrede und Gruß eröffnete495: Der Fürbitte ging eine Danksagung voraus. -

In der Schrift für Peter Beskendorf (1535) leitete Luther dazu an, im Gebet aus Katechismusstücken und/oder Bibeltexten ein „vierfaches gedrehetes krentzlin"496 zu machen. Im Gebet vollzieht sich nach diesem Schema von Seiten des Beters erstens ein „Denken"497 und „Lernen"498, zweitens ein „Danken"499 und „Fröhlich sein"500, drittens ein „Beichten"501, „Bekennen"502, „Bitten"503, „Begehren"504, „Klagen"505, „Schreien"506 und „Denken"507, viertens ein „Bitten"508 und „Beten"509. Luther gab in dieser Schrift

495 496 497 498 499

500 501

502 503 504 505 506 507 508

509

Phil 1,3-11. WA 38,364,31. WA 38,365,6 (zum 1. Gebot). WA 38,365,30 (zum 2. Gebot); 366,17 (zum 3. Gebot); 367,16 (zum 4. Gebot); 368,35 (zum 5. Gebot); 369,36 (zum 6. Gebot); 371,11.17 (zum 7. Gebot). WA 38,365,11 (zum 1. Gebot); 365,35 (zum 2. Gebot); 366,29 (zum 3. Gebot); 367,24 (zum 4. Gebot); 369,8 (zum 5. Gebot); 370,10 (zum 6. Gebot); 371,25 (zum 7. Gebot); 372,8 (zum 8. Gebot); 372,23 (zum 9. und 10. Gebot); 373,33 (zum 1. Artikel); 374,21 (zum 2. Artikel); 375,4 (zum 3. Artikel). WA 38,374,21 (zum 2. Artikel). WA 38,365,18 (zum 1. Gebot); 366,1 (zum 2. Gebot); 366,37 (zum 3. Gebot); 368,1 (zum 4. Gebot); 369,17(5. Gebot); 370,24 (zum 6. Gebot); 371,28 (zum 7. Gebot); 372,10 (zum 8. Gebot); 372,23 (zum 9. und 10. Gebot); 374,3 (zum 1. Artikel); 374,23 (zum 2. Artikel); 375,5 (zum 3. Artikel). WA 38,365,18 (zum 1. Gebot); 366,1 (zum 2. Gebot); 366,37 (zum 3. Gebot); 368,1 (zum 4. Gebot); 370,24 (zum 6. Gebot). WA 38,365,21 (zum 1. Gebot); 366,5 (zum 2. Gebot); 367,7 (zum 3. Gebot); 368,10 (zum 4. Gebot). WA 38,372,10 (zum 8. Gebot). WA 38,369,17 (zum 5. Gebot); 374,3 (zum 1. Artikel); 374,23 (zum 2. Artikel); 375,5 (zum 3. Artikel). WA 38,369,25 (zum 5. Gebot). WA 38,374,24 (zum 2. Artikel). WA 38,365,22 (zum I. Gebot); 366,6 (zum 2. Gebot); 368,26 (zum 4. Gebot); 369,29 (zum 5. Gebot); 370,32 (zum 6. Gebot); 371,30 (zum 7. Gebot); 372,14 (zum 8. Gebot); 372,24 (zum 9. und 10. Gebot); 374,6 (zum 1. Artikel); 374,27 (zum 2. Artikel); 375,6 (zum 3. Artikel). WA 38,367,8 (zum 3. Gebot); 368,11 (zum 4. Gebot).

264

Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

dem Gebet eine Ordnung, ohne diese zu reflektieren. Deutlich ist wiederum die Vorrangstellung des Lobens und Dankens. Man fragt sich nur, warum dem Loben und Danken im Gebet noch ein Denken und Lernen vorangeht. Das Denken und Lernen ist in dieser Aufstellung eindeutig als ein Gebetsakt zu identifizieren. Gab es denn fur Luther einen Gebetsakt, der dem Gebetsakt des Lobens und Dankens vorgeordnet ist? Das an erster Stelle angesprochene Denken und Lernen ist bereits ein Vorgang des Lobens und Dankens. Es ist ein Loben und Danken für die „doctrina", die „Lehre"510, die das Wort Gottes enthält. Wie man an Luthers Predigt in der Adventspostille sieht, ist die Vorrangstellung des Lob- und Dankgebets vor dem Bittgebet bei ihm über die Rechtfertigungslehre biblisch begründet. In Luthers Äußerungen über das Beten finden sich jedoch keine Anhaltspunkte für die These, Luther habe das Bittgebet gegenüber dem Lob- und Dankgebet abgewertet 5 ". Am Ende dieses Kapitels kann Holls These zur Abfolge der Gebetsakte des Lobens und Dankens und des Bittens bei Luther bestätigt werden512. Auch Holl verweist zur Begründung auf die Rechtfertigungslehre: „Es versteht sich von selbst, daß bei Luther, der auf der Anschauung von der Alleinwirksamkeit Gottes fußt, die Seite in der Religion vorantritt, wonach sie ein E m p f a n g e n , ein Aufnehmen der Wirkungen Gottes und ein Eingehen auf seine Absichten ist. Schon damit, aber erst recht vermöge des nahen Verhältnisses, in das er sich zu Gott versetzt weiß, gestaltet sich bei ihm die Einstellung auf Gott überall anders als in der katholischen Kirche. Das offenbart sich sofort bei seiner Auffassung des unmittelbarsten Gottesverkehrs im Gebet. Wenn Luther zu der Gewißheit gelangt war, daß Gott dem Menschen mit einer uneingeschränkten Gnade entgegenkommt, so konnte es sich für ihn nie darum handeln, durch irgendwelche Einwirkung auf Gott eine höhere Stellung oder eine höhere Gnade bei Gott zu erringen. Wer ,Gott hatte', der besaß ja bereits das Höchste, was einem Menschen zuteil werden mochte. Das Sinngemäße war

510 Vgl. WA 38,365,1.7; 372,3.18.26f.; 373,18; 374,11.31. 511 So urteilt auch Wagner, Luthers Gedanken, 50. 512 S. III., bei Anm. 3.

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dann vielmehr, daß die Betätigung des Gottesverhältnisses auf Seiten des Menschen mit dem D a n k e n begann."513

3. Das gute Werk der zweiten Tafel des Dekalogs als Gestalt des Lobens und Dankens Luther sprach in der dritten Psalmenvorlesung gern vom Loben und Danken. Er meinte jeweils das auf Gott ausgerichtete, also das religiöse Loben und Danken. In den meisten Fällen hatte er entweder dessen kerygmatische Gestalt oder dessen Gebetsgestalt im Blick. Er war davon überzeugt, daß das religiöse Loben und Danken sowohl in den Formen der Verkündigung als auch in „Gebeten" seine Gestalt gewinnt. Im folgenden soll anhand der dritten Psalmenvorlesung geklärt werden, ob Luther die Ansicht vertrat, daß das religiöse Loben und Danken auch noch auf andere Weise im Leben Gestalt gewinnt. Es sind die Stellen der Vorlesung zu überprüfen, an denen erkennbar wird, daß es für Luther eine Verbindung zwischen dem religiösen Loben und Danken und dem Tun der guten Werke der zweiten Tafel des Dekalogs gab.

a) Loben und danken und gute Werke tun Nur an einigen wenigen Stellen der dritten Psalmenvorlesung berücksichtigt Luther den Zusammenhang zwischen dem religiösen Loben und Danken und dem Tun der guten Werke der zweiten Tafel des Dekalogs. -

Im Rahmen der Auslegung von Ps 122,4 sagt er: „définit religionem in principali sua parte audire et docere verbum dei et gratias agere deo pro acceptis

513 Holl, Religion, 85. Bei Holl fehlt an dieser zentralen Stelle seines Aufsatzes der Hinweis auf Christus und auf das Wort Gottes. Der Grund hierfür ist die problematische Hauptthese des Aufsatzes: Siehe a.a.O., 35: „Luthers Religion ist G e w i s s e n s r e l i g i o n im ausgeprägtesten Sinne des Worts." Holls „Religions-These" wird in der Lutherforschung seit langem kritisch beurteilt. Vgl. dazu Lohse, Martin Luther, 206-208; Assel, Der andere Aufbruch, 140-163.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

bonis; et hoc facile fit: Ore gratias ago et toto corde letor. Et ut sequatur: quando vident egentes doctores discipuli, ut helffen, ut kleider, schuch, essen, trinken geben, opera 2. tabulae, ut verbum bleibe. Da wird Christus drauff antworten in extrema die: Quicquid dedisti doctoribus, apostolis, martyribus propter verbum omissum, conculcatimi, oppressum, wirds sichs ludicium heben."514 [„Er (= David) stellt fest, daß die Religion in ihrem hauptsächlichen Teil darin besteht, das Wort Gottes zu hören und zu lehren und Gott für die empfangenen Güter zu danken; und dies geschieht leicht: Mit dem Mund danke ich und mit dem ganzen Herzen freue ich mich. Und dann möge folgen: Wenn die Schüler die Lehrer darben sehen, daß sie helfen, daß sie Kleider, Schuhe, Essen, Trinken geben, das sind die Werke der zweiten Tafel, damit das Wort bleibe. Christus wird darauf am Jüngsten Tag antworten (vgl. Mt 25,40): Wegen all der Gaben, die du den Lehrern, Aposteln, Märtyrern um des mißachteten, niedergetretenen, unterdrückten Wortes willen gegeben hast, wird das Urteil leicht werden."] -

Im Rahmen der Auslegung von Ps 127,2 bezieht sich Luther auf Pred 6,1 f. : „Salomon in Ec.: non dedit ei facultatem ad fruendum et habet opes, est pessimus in orbe terrarum. Letaretur cum uxore, filiis, familia, gratias ageret, laboraret et faceret suum officium in bona conscientia et pace. Sed facit, ut versus habet etc. et affligitur et panem comedit cum solicitudine et miseria. Ista est vita humana per totum orbem terrarum, fere omnes principes, familiaspater, quia nemo contentus sua sorte." 5 ' 5 [„Salomo sagt im Buch des Predigers: Er (= Gott) hat diesem nicht das Vermögen gegeben, den Reichtum, den er hat, zu genießen; er ist der unglücklichste Mensch in der Welt. Wenn er zufrieden wäre, würde er sich freuen mit der Frau, den Kindern, der Familie, er würde Dank sagen, er würde arbeiten und sein Amt ausrichten mit einem guten Gewissen und in Frieden. Aber er macht es so, wie der Vers sagt usw., und grämt sich und ißt das Brot mit banger Sorge und im Elend. So ist das menschliche Leben überall auf der Welt, fast alle Fürsten, fast jeder Familienvater verhält sich so, weil niemand mit seinem Los zufrieden ist."]

-

Für Ps 132,7 findet Luther folgende Erklärung: ,„Intrabimus in mansiones': Das mus Jerusalem sein, weils nach David geschehen ist. Postquam certi de

514 WA 40 111,101,9-16. 515 WA 40 111,239,14-240,5.

Das gute Werk der zweiten Tafel des Dekalogs

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loco, quod Emanuel nobiscum, Intremus et audiamus verbum eius et orabimus, laicus foris in atrium, sacerdotes intus in sanctum. Sumus sacerdotes in spiritu sancto. Ibi audimus loquentem, ut accipiamus gratiam et spiritum sanctum, et agimus gratias, praedicabimus et narrabimus eius mirabilia nobiscum facta. Sic, quod nobis loquetur suum verbum et agemus gratias pro immensis suis bonis; Invulgemus, cantemus, praedicabimus coram Ecclesia tota, ut et ipsa discat Adorare, inclinare sese et dicere: tu deus meus et omnia habeo a te. Postea aeque, ubi adoraverimus, et facimus alia officia erga próximos."516 [,„Wir wollen hineingehen in die Wohnungen': Das muß Jerusalem sein, weil es nach der Zeit Davids geschehen ist. Nachdem wir gewiß sind hinsichtlich des Ortes, daß Immanuel mit uns ist, wollen wir hineingehen und sein Wort hören und beten, der Laie draußen im Vorhof, die Priester drinnen im Heiligtum. Wir sind die Priester im heiligen Geist. Da hören wir ihn reden, so daß wir die Gnade und den heiligen Geist empfangen, und sagen Dank, wollen seine Wunder verkündigen und erzählen, die er an uns getan hat. Also, daß er uns sein Wort sagen will und wir für seine unermeßlichen Güter Dank sagen wollen; wir wollen verkündigen, singen, predigen vor der ganzen Kirche, damit auch sie es lernt anzubeten, sich zu neigen und zu sagen: Du bist mein Gott und alles habe ich von dir. Nachdem wir angebetet haben, versehen wir ebenso auch die anderen Dienste fur die Nächsten."] Im ersten Zitat spricht Luther ausdrücklich von den „opera 2. tabulae". Genau genommen zielt er dort freilich nur auf bestimmte Werke des vierten Gebots ab. Es geht ihm speziell darum, daß man die „geistlichen Väter", nämlich die Lehrer des Wortes Gottes, ehrt, indem man ihnen mit Werken dient und sie mit Kleidung und Lebensmitteln versorgt.517

516 WA 4 0 111,403,1-11. 517 Vgl. hierzu Luthers Ausführungen zum vierten Gebot im Großen Katechismus (1529): BSLK 601,24-602,13: „Also haben wir dreierlei Väter in diesem Gepot furgestellet: des Geblüts, im Hause und im Lande. Darüber sind auch noch geistliche Väter, nicht wie im Bapsttumb, die sich wohl also haben lassen nennen, aber kein väterlich Ampt gefuhret. Denn das heißen allein geistliche Väter, die uns durch Gottes Wort regieren und furstehen, wie sich Sankt Paulus ein Vater rühmet 1. Kor. 4., da er spricht (Vers 15): ,Ich habe Euch gezeuget in Christo Jesu durch das Evangelion.' Weil sie nu Väter sind, gepührt ihn auch die Ehre, auch wohl fur allen andern, aber da gehet sie am wenigsten [„aber da ist sie am wenigsten in Übung"]; denn die Welt muß sie so ehren, daß man sie aus dem

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Im zweiten und dritten Zitat deutet Luther ebenfalls auf die Werke des vierten Gebots hin. Er denkt an die rechte Ausübung der gottgeordneten „officia" [„Ämter/Dienste"], die das vierte Gebot einfordert518. Im zweiten Zitat meint er ausschließlich die Erfüllung der Amtspflichten der „Oberpersonen" in der „oeconomia" und in der „politia". Im dritten meint er die Erfüllung der Amtspflichten sämtlicher Amtsträger in den Bereichen der „oeconomia" und „politia", also sowohl die Erfüllung der Amtspflichten der „Oberpersonen,, als auch die Erfüllung der Amtspflichten der Untergebenen. Zu den Amtspflichten der Christen in der „oeconomia" und der „politia" zählt auch die auf dem „Priestertum aller Glaubenden,, basierende Pflicht zur nichtöffentlichen - Verkündigung des Wortes Gottes519. Dem Hausvater obliegt

Lande jage und nicht ein Stück Brots gönne, und Summa, sie müssen (wie Paulus sagt) ,der Welt Kehrich und idermanns Schabab [„Kehricht"]' (1. Kor 4,13) sein. Doch ist not, solchs auch in den Pöbel zu treiben, daß, die da Christen heißen wollen, fur Gott schuldig sind, die, so ihrer Seele warten,,zwiefacher Ehre wert zu halten' (1. Tim 5,17), wohltuen und versorgen. Da will Dir Gott auch gnug zugeben und keinen Mangel lassen. Aber da sperret und wehret sich idermann, haben alle Sorge, daß der Bauch verschmachte, und können itzt nicht einen rechtschaffenen Prediger nähren, da wir zuvor zehen Mastbäuche gefüllet haben. Damit wir auch verdienen, daß uns Gott seines Wortes und Segens beraube und wiederümb Lügenprediger aufstehen lasse, die uns zum Teufel führen, dazu unser Schweiß und Blut aussaugen." 518 Im Großen Katechismus wendet Luther das vierte Gebot auch auf das Amt der „Oberperson" an: BSLK 603,17-42: „Das ist nu zum Überfluß gesagt allen, so unter dies Gepot gehören. Darneben wäre auch wohl zu predigen den Eltern und was ihr Amt führet [„wie ihr Amt zu führen ist"], wie sie sich halten sollen gegen denen, so ihn befohlen sind zu regieren. Weichs, wiewohl es in zehen Gepoten nicht ausgedruckt [„ausdrücklich"] stehet, ist es doch sonst an vielen Orten der Schrift reichlich gepoten. Auch will es Gott eben in diesem Gepot mit eingebunden [„Inbegriffen"] haben, als er Vater und Mutter nennet; denn er will nicht Buben noch Tyrannen zu diesem Ampt und Regiment haben, gibt ihn auch nicht darümb die Ehre, das ist Macht und Recht zu regieren, daß sie sich anbeten lassen, sondern denken, daß sie unter Gottes Gehorsam sind, und fur allen Dingen sich ihres Ampts herzlich und treulich annehmen, ihre Kinder, Gesind, Untertanen etc. nicht allein zu nähren und leiblich zu versorgen, sondern allermeist zu Gottes Lob und Ehre aufzuziehen. Darümb denke nicht, daß solchs zu Deinem Gefallen und eigener Willköre stehe, sondern daß Gott strenge gepoten und aufgelegt hat, welchem Du auch dafür wirst müssen antworten." Ähnliche Gedanken über das Amt der „Oberperson" finden sich in der Vorrede zum Kleinen Katechismus (1529): BSLK 505,19-34. 519 S. o. Anm. 518; vgl. Althaus, Theologie Martin Luthers, 270-275.279-283; Peters, Luthers Katechismen I, 187-189.198-201.

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beispielsweise als dem „Hausbischof' die Katechismusunterweisung seiner „familia"520. An den genannten drei Stellen unterscheidet Luther das religiöse Loben und Danken vom Tun der Werke der zweiten Tafel, präzise formuliert: vom Tun der Werke des vierten Gebots, des Grundgebots der zweiten Tafel521. Nach dem, was Luther an den drei Stellen sagt, ist das Tun der besagten guten Werke dem religiösen Loben und Danken nachgeordnet. Es folgt diesem. Es scheint aus diesem mit Notwendigkeit hervorzugehen.

b) Mit guten Werken loben und danken Zwei Stellen in der dritten Psalmenvorlesung sind besonders bemerkenswert, weil sie zeigen, daß Luther die Unterscheidung zwischen dem religiösen Loben und Danken und dem Tun der guten Werke der zweiten Tafel des Dekalogs auch aufgeben konnte. -

Das Resümee der Auslegung von Ps 51,15 lautet: „Sic renatus nihil habet, quod praestantius faciat, quam gratias agere. Sic quicquid vixerimus post iustificationem, debet nihil sonare quam misericordiam. Et ideo iustificat nos, ut ostendat in nobis suam misericordiam et misereatur desperatis. Post iustificationem proximum, primum, eternum et principale et continuum opus

520 Siehe den Hinweis in der ersten, kurzen, vornehmlich an die Hausväter gerichteten Vorrede Luthers zum Großen Katechismus aus dem Jahr 1529: BSLK 554,11-16: „Darümb auch ein iglicher Hausvater schuldig ist, daß er zum wenigsten die Wochen einmal seine Kinder und Gesinde ümbfrage [„der Reihe nach frage"] und verhöre, was sie davon wissen oder lernen und, wo sie es nicht können, mit Ernst dazu halte." Zu den Trägem der Katechismusunterweisung siehe Peters, Luthers Katechismen I, 24-29. 521 Luther skizziert im Großen Katechismus zu Beginn der Auslegung des vierten Gebots den Aufbau des Dekalogs, um auf die besondere Stellung und die besondere Bedeutung des vierten Gebots aufmerksam zu machen: BSLK 586,35-587,5: „Bisher haben wir die ersten drei Gepot gelernet, die da gegen Gott gerichtet sind: Zum ersten, daß man ihm von ganzem Herzen vertraue, furchte und liebe in alle unserm Leben. Zum andern, daß man seines heiligen Namens nicht mißbrauche zur Lügen noch einigem bösen Stücke, sondern zu Gottes Lob, Nutz und Seligkeit des Nähisten und seiner selbs. Zum dritten, daß man an der Feier und Ruge [„Ruhe"] Gottes Wort mit Fleiß handle und treibe, auf daß alle unser Tuen und Leben darnach gehe. Folgen nu die andern siebene, gegen unserm Nähisten gestellet, unter welchen das erste und hohiste ist: Du s o l l t D e i n V a t e r u n d M u t t e r ehren."

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est agere gratias deo et hanc ipsam gratiam praedicare."522 [„So hat der Wiedergeborene nichts, was er vortrefflicher machen kann, als Dank sagen. So soll alles, was wir nach der Rechtfertigung leben, nichts als die Barmherzigkeit rühmen. Und daher rechtfertigt er uns, daß er an uns seine Barmherzigkeit zeige und sich über die Verzweifelten erbarme. Das nächste, erste, ewige und hauptsächlichste und unaufhörliche Werk nach der Rechtfertigung ist Gott Dank sagen und eben diese Gnade verkündigen."] - In bezug auf den ersten Teil von Ps 130,4 heißt es: ,„ Apud' : Non velis agere nobiscum secundum legem; non admitto disputationem legis. Si peccavi, factum. Si bonus, laudetur dominus deus bonis operibus, quae per me fecit. Publicanus: ,Propicius'; deus da bey. Si vero invenit te extra gratiae amplitudinem et disputât de lege: Sic feci! - , non; tum es iam in inferno; fac, quidquid velis, es damnatus."523 [,„Bei' : Du willst mit uns nicht nach dem Gesetz handeln; daher lasse ich die Disputation des Gesetzes nicht zu. Wenn ich gesündigt habe, so ist es geschehen. Wenn ich gut bin, dann möge der Herrgott durch die guten Werke gelobt werden, die er durch mich getan hat. Der Zöllner sprach (Lk 18,13):,Sei gnädig! ' ; da war Gott auf seiner Seite. Wenn er (= der Teufel) dich allerdings außerhalb des Glanzes der Gnade findet und über das Gesetz disputiert - Du sagst: So habe ich gehandelt! Er sagt: Das zählt nicht! - , dann bist du schon in der Hölle; dann mach, was immer du willst, du bist verdammt."] Im ersten Abschnitt betont Luther, daß das ganze Leben des Gerechtfertigten, also sämtliche Lebensvollzüge, alle seine „Werke", ein Lobpreis der Barmherzigkeit beziehungsweise eine Danksagung für die Barmherzigkeit sein sollen. Luther hat an dieser Stelle insbesondere das gute Verhalten des Gerechtfertigten seinen Mitmenschen gegenüber im Blick. Man darf daher annehmen, daß er hier auch auf die menschenfreundlichen „Werke" der zweiten Tafel anspielt. Im zweiten Abschnitt äußert sich Luther allgemein über die „bona opera". Es ist eine kurze Bemerkung, die mehrere wichtige Aussagen enthält. Luther sagt, daß sie Gott loben können, das heißt, daß derjenige, der sie tut, Gott mit ihnen loben kann. Er sagt, daß man sich mit ihnen kein Verdienst vor Gott erwerben kann. Und er sagt, daß Gott sie durch den Menschen tut, daß also Gott in jedem

522 WA 40 11,434,11-435,3. 523 WA 40 111,353,13-354,2.

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Fall die „causa efficiens" [„Wirkursache"] und der Mensch in jedem Fall nur die „causa Instrumentalis" [„werkzeugliche Ursache"] der „bona opera" ist. Luther will offensichtlich daraufhinweisen, daß man Gott nur dann mit den „bona opera" lobt, wenn man mit ihnen kein Verdienst vor ihm erwerben will und wenn man ihn als ihre „causa efficiens" anerkennt. Man muß nicht extra daraufhinweisen, daß Luther erneut auch auf die Werke der zweiten Tafel anspielt. Die beiden Abschnitte belegen, daß Luther der Auffassung war, daß das religiöse Loben und Danken in allen guten Werken und folglich auch in den guten Werken der zweiten Tafel des Dekalogs Gestalt gewinnen kann. Das Werk der zweiten Tafel konnte für Luther eine Gestalt des religiösen Lobens und Dankens sein. Es konnte fur ihn der „handgreifliche" Ausdruck der Dankbarkeit gegenüber Gott sein. Grundlage für diese Auffassung sind bei Luther die alttestamentlichen kultischen Opfer von Tieren und Vegetabilien. In der dritten Psalmenvorlesung zeigt Luther bei der Auslegung von Ps 51 mit Hilfe der Verse 18 und 21 auf, daß alle in der Tora gebotenen kultischen Opfer ihrem Sinn und Zweck nach Lob- und Dankopfer waren524. Den Sinn und Zweck des Brand- oder Ganzopfers beispielsweise, von dem in Vers 21 die Rede ist, erläutert er folgendermaßen: -

„Si vero opffer deo scheppfs, hoc fine, ut dicam: hunc unicum offero, non ut iustificer, ut veniam, remissionem peccatorum, sed ut gratias agam, tester me accepisse misericordiam, consolationem, dona tua, Ut sit testimonium et operaría vox gratitudinis sive gratitudo manualis, ut est oris sacrificium."525 [„Wenn ich aber Gott einen Hammel opfere, dann geschieht das zu dem Zweck, daß ich sage: Diesen vorzüglichen opfere ich, nicht um gerechtfertigt zu werden, um Verzeihung, Vergebung der Sünden zu empfangen, sondern um Dank zu sagen, um zu bezeugen, daß ich Barmherzigkeit, Trost, deine Gaben empfangen habe, damit er (= der geopferte Hammel) ein Zeugnis sei, und zwar eine durch das Werk redende Stimme der Dankbarkeit oder eine mit den Händen erwiesene Dankbarkeit, die den gleichen Sinn wie ein Opfer des Mundes hat."]

524 WA 40 11,450,3-453,20; 464,3-466,6 (zu Vers 18); 468,3-470,14 (zu Vers 21). 525 WA 40 11,469,12-470,1.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

An den alttestamentlichen kultischen Opfern machte sich Luther klar, daß man Gott nicht nur mit Sprechhandlungen, sondern auch mit wortlosen Handlungen danken kann und soll. Luther ließ in der dritten Psalmenvorlesung lediglich andeutungsweise durchblicken, daß das religiöse Loben und Danken seiner Meinung nach in bestimmten Fällen, nämlich immer dann, wenn eine gewisse Voraussetzung erfüllt ist, in den guten Werken der zweiten Tafel des Dekalogs Gestalt gewinnt. Viel klarer äußerte er sich diesbezüglich im Jahr 1535 in der Gebetsanleitung für Peter Beskendorf. Die differenzierte Darstellung des Sachverhalts findet sich an exponierter Stelle, nämlich im Einleitungsteil der Schrift. Der hier zu berücksichtigende Abschnitt aus der Einleitung lautet folgendermaßen: -

„Und wie wol etiliche werck fur fallen koennen, die so gut oder besser denn das gebet sind, sonderlich wenn sie die not foddert, Also gehet ein spruch unter Sanct Hieronymi namen: Alle werck der gleubigen ist gebet, Und ein Sprichwort: Wer trewlich erbeitet, der bettet zwifeltig, Weichs mus aus diesem gründe geredt sein, Das ein gleubiger mensch jnn seiner erbeit Gott furchtet und ehret und an sein Gebot denckt, damit er niemand unrecht thun noch Stelen oder ubernemen [„überteuern"] oder veruntrewen woelle, Und solche gedancken und glauben machen on zweivel aus seinem werck ein gebet und lobopffer dazu. Widderumb mus dagegen auch die warheit sein, das eins ungleubigen werck eitel [„lauter"] fluchen sey, und wer untrewlich erbeitet, der fluchet zwifeltig. Denn seines hertzen gedancken muessen jnn seiner erbeit also stehen, das er Gott verachte und sein Gebot ubertretten und seinem nehisten unrecht zu thun, Stelen und veruntrewen gedencke. Solche gedancken was sinds anders denn eitel flueche wider Gott und den menschen, dadurch sein werck und erbeit auch zwifeltiger fluch wird? damit er sich selbs verflucht, und das bleiben auch endlich bettler und huempler [„unzünftige Handwerker"]. Von diesem stettigem gebet sagt freilich Christus Luce am eilfften [vgl. Lk 11,8; 18,1; 21,36; 22,40; 1. Thess 5,17]: Man sol on unterlas beten, denn man sol on unterlas sich fur sunden und unrecht hueten, welchs nicht kan geschehen, wo man Gott nicht fuerchtet und sein Gebot fur äugen hat, wie Psalm 1 sagt [Verse lf.]: ,Wol dem, der tag und nacht denckt an Gottes Gebot' etc. Doch mus man auch drauff sehen, das wir nicht uns vom rechten gebet gewehnen und deuten uns zu letzt selbs noetige werck, die es doch nicht sind, und werden dadurch zu letzt lass [„nach-

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lässig"] und faul, kalt und uberdruessig zum gebet. Denn der teuffei ist nicht faul noch lass umb uns her, so ist unser fleisch noch alzu lebendig und frisch zur sunden und wider den geist des gebets geneigt."526 Die guten Werke, auf die Luther hier zu sprechen kommt, sind in erster Linie die Werke der zweiten Tafel. Luther hat anfangs Werke im Blick, die „die not foddert". „Not" ist die Notsituation des Mitmenschen oder die Notsituation der eigenen Person. Die Not, die ein Mitmensch hat, verändert die eigene Lebenssituation nicht unbedingt spürbar zum Schlechteren. Die Not, die man selbst hat, wirkt sich freilich immer automatisch spürbar negativ auf die Lebenssituation irgendeines Mitmenschen aus. „Not" ist demnach die Notsituation des Mitmenschen oder die Notsituation der eigenen Person und des Mitmenschen. Da jede „not" zumindest auch „not" des Mitmenschen ist, sind die Werke des Christen, die der Behebung von „not" dienen, immer auch Werke der Nächstenliebe und also Werke der zweiten Tafel. Speziell lenkt Luther die Aufmerksamkeit auf die guten Werke des siebten Gebots. Der Mensch soll nicht „stelen oder ubernemen oder veruntrewen" und „seinem nehisten unrecht... thun", sondern soll „trewlich erbeite(n)" und dadurch seinem Nächsten dienen. Die Arbeit thematisiert Luther, weil er daran denkt, daß der Empfänger seiner Gebetsanleitung vom Handwerk des Barbiers lebt527. Unter Verwendung zweier überlieferter Sprüche äußert sich Luther zur religiösen Dimension der Werke. Er sagt, daß man mit guten Werken ein „gebet" verrichten und ein „lobopffer" bringen kann. Indem er die Begriffe „gebet" und „lobopffer" miteinander verknüpft, zeigt er an, was er hier unter „gebet" versteht. Mit „gebet" meint er an dieser Stelle das Lobgebet. Da Luther in der Schrift an Beskendorf nicht zwischen Loben und Danken unterscheidet, kann man auch sagen: Mit „gebet" meint er hier das Lob- und Dankgebet. Luther meint, daß man mit den guten Werken ein Lob- und Dankgebet verrichten kann.

526 WA 38,359,10-34. Vgl. auch WA 38,360,23-28 (zur 1. Bitte): „Lieber Herr Gott, hie bekere und wehre, Bekere die, so noch sollen bekeret werden, das sie mit uns und wir mit jnen deinen namen heiligen und preisen, beide, mit rechter reiner leere und gutem heiligen leben, Wehre aber denen, die sich nicht bekeren woellen, das sie auff hoeren muessen, deinen heiligen namen zu misbrauchen, sehenden und entehren und die armen leute zu verfueren, Amen." 527 Vgl. WA 38,364,7-15.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Der zitierte Abschnitt aus der Gebetsanleitung ist vor allem aus zwei Gründen eine unverzichtbare Ergänzung zu den besprochenen Abschnitten aus der dritten Psalmenvorlesung. Zum einen benennt Luther in ihm die Voraussetzung, die erfüllt sein muß, damit aus einem guten Werk der zweiten Tafel ein Lob- und Dankgebet wird. Ein „werck" ist nach Luther nicht aus sich selbst heraus ein Lob- und Dankgebet. Es müssen ihm bestimmte „gedancken und glauben" zugrunde liegen. Bestimmte „gedancken und glauben" müssen das „werck" hervorbringen, wenn das „werck" ein Lob- und Dankgebet sein soll. „Glauben" bedeutet hier für Luther „Gott furchte(n) und ehre(n)", das heißt: „Gott als Gott anerkennen". Unter den „gedancken" versteht er diejenigen Regungen des Bewußtseins, durch die der Mensch Gottes „Gebot" in den Geboten, nämlich Gottes Gebot der Nächstenliebe in den Geboten der zweiten Tafel, „für äugen hat". Zum anderen setzt Luther in diesem Abschnitt das gute Werk der zweiten Tafel als Gestalt des religiösen Lobens und Dankens ins Verhältnis zum „rechten gebet", das heißt: zum verbalen Gebet. Das gute Werk der zweiten Tafel darf nach Luther das verbale Gebet im Einzelfall ersetzen. Es darf jedoch nicht grundsätzlich in Konkurrenz zu ihm geraten. Für Luther hat das verbale Gebet einen höheren Stellenwert als das gute Werk der zweiten Tafel. Der „geist des gebets", von dem Luther spricht, ist in der Hauptsache der Geist des „rechten", des verbalen Gebets. Er ist der Geist, der zuallererst Worte des Gebets sucht. Er bringt am liebsten Worte im Menschen hervor, mit denen der Mensch auf Gottes Wort eingeht528. Er verschwindet, wenn der Mensch das verbale Gebet unterdrückt. Luther macht hier klar, daß das gute Werk der zweiten Tafel nur dann den „geist des gebets" atmet, daß es nur dann eine Gestalt des religiösen Lobens und Dankens ist, wenn es aus dem Glauben erwächst, der im verbalen Gebet lebt. Er betont, daß die Vernachlässigung des „rechten gebet(s)" unweigerlich zu einer Fehleinschätzung des guten Werks fuhrt. Wer sich „vom rechten gebet gewehn(t)", neigt dazu, im guten Werk eine Leistung zu sehen, aus der sich vor Gott ein Anspruch ableiten läßt. Ohne das vorausgehende vom „geist des ge-

528 Vgl. die beiden Stellen in der Gebetsanleitung, an denen es um das „Predigen" des heiligen Geistes geht: WA 38,363,9-16; 366,10-15. Siehe dazu die Erläuterung in VI.2.a)aa), bei Anm. 159-169.

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bets" bestimmte verbale Gebet verkommt das gute Werk der zweiten Tafel zum Mittel der Selbstrechtfertigung des Menschen vor Gott. Der Gedanke, daß der Mensch Gott mit den Werken der Nächstenliebe, also mit den guten Werken der zweiten Tafel, Lob und Dank entgegenbringt, wenn er in ihnen den rechtfertigenden Glauben auslebt, ist Luther nicht erst in den dreißiger Jahren wichtig geworden. Die berühmte Vorrede zum Römerbrief aus dem Jahr 1522 beispielsweise zeigt, daß sich Luther mit diesem Gedanken auch schon früher intensiv beschäftigt hat. Man beachte folgenden Abschnitt aus der Vorrede zum Römerbrief: -

„Glawb ist eyn lebendige erwegene [„verwegene"] zuuersicht auff Gottis gnade, so gewis, das er tausent mal druber sturbe, Vnd solch zuuersicht vnd erkentnis Gotlicher gnaden, macht frolich, trotzig [„mutig"] vnd lustig gegen Gott, vnd alle Creatum, wilchs der heylig geyst thut ym glawben, Do her on zwang, willig vnd lustig wirt yderman guttis zu thun, yderman zu dienen, allerley zu leyden, Gott zu liebe vnd lob, der yhm solch gnad ertzeygt hat, also, das vnmuglich ist werck vom glawben scheyden, also vnmuglich, als brennen vnd leuchten vom fewr mag gescheyden werden, .. ,"529

Luther deutet in diesem Text an, daß zum Tun der guten Werke der zweiten Tafel das Leiden gehört. Unter dem Leiden versteht er in diesem Zusammenhang das Leiden am Nächsten infolge des Tuns der guten Werke für den Nächsten. Er meint das Erleiden des Undanks530.

529 W A D B 7,10,16-23. 530 In den dreißiger Jahren geht Luther auf die Tatsache, daß ein Wohltäter Undank erleiden muß, zum Beispiel am 14. September 1533 in einer Predigt über Lk 17,11-19 ein. Der dritte und letzte Teil dieser Predigt lautet folgendermaßen: W A 37,147,31-148,39: „Tertio discere debemus non solum grati esse, sed assuefacere nos debemus ad virtutem, quae ferre potest ingratitudinem, quam nullus habet praeter deum et Sanctos. Mundus non habet, Graeci optimi viri mala reddiderunt, cum sentirent ingratos cives, Sicut Themistocles et alii, disce ergo, [„Drittens sollen wir nicht allein lemen, daß wir dankbar sind, sondern wir sollen uns auch die Tugend aneignen, die den Undank ertragen kann, die niemand hat außer Gott und den Heiligen. Die Welt hat sie nicht. Die besten griechischen Männer erwiderten Böses, als sie spürten, daß die Bürger undankbar waren, wie Themistokles und andere. Darum lerne, ..."] das wer ein Christ wil sein, der erweg frey des [„der mache sich darauf gefaßt"], das er mit aller seiner wolthat undanck verdienen werde, Est ergo Christiana virtus et fidei fractus, cum omnia optime fecisti, das man dir zu lohn jrrn die hende scheisse, Ideo dicas tum: [„Das ist also eine christliche Tugend und Frucht des Glaubens, daß du, wenn du alles aufs beste getan hast und man dir zum Lohn in die

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Hände scheiße, sagst: ..."] Ich wils leiden und die ingratitudinem [„den Undank"] annehmen, Sic Christus facit, ut hic vides in Euangelio, sic pater adhuc facit, Sol lucet bonis et malis, [„So macht es Christus, wie du hier im Evangelium siehst, so macht es bis heute der Vater: Die Sonne scheint für die Guten und fur die Bösen, (vgl. Mt 5,45)"] Wenn er also solt sagen: Ich hab die Sonn so viel jar lassen scheinen, homines non agnoscunt hoc beneficium, sunt ingrati [„die Menschen erkennen diese Wohltat nicht an, sie sind undankbar"]. Ich wils nicht mehr lassen scheinen und wil sie sterben lassen. Nein, ingratitudo ipsorum [„ihr Undank"] sol mich nicht bose machen, Ich wil sie mit der zeit wol finden, Sic sol Christianus auch thun, Charitas omnia sustinet, [„So soll ein Christ auch tun. Die Liebe erträgt alles (vgl. 1. Kor 13,7),..."] sie kan dulden, leiden undanck, unter den Christen sind man wenig, qui hanc virtutem habent [„die diese Tugend haben"], Ich dencke an meinen Staupitz, wo der einen geschickten jungen Munch hette, macht er jn zu eim doctor, magister, Sed quam referebant gratiam? dicebat: [„Aber wie erstatteten sie ihm den Dank? Er sagte: ..."] wenn ich sie embor hab gehoben, haben sie mir ynn die hand geschissen. Sed [„Aber"] umb des willen wil ich nicht auffhoren. Si igitur vis vivere in mundo [„Wenn du also in der Welt leben willst"], thue guts, hilff den leuten, verdienstu dafür undanck, las dichs nicht seltzam duncken [,,laß es dir nicht seltsam vorkommen"]. Ne dicas: Hoc feci, [„Sag nicht: Das habe ich gemacht."] Entleufft er dir, Gott wird jn wol finden, er wird wol bezalt werden, Tu die [„Sag"]: Ich hab meum beneficium [„meine Wohltat"] an dem verlorn, Nur ein ander her und im wol gethan, laufft er auch weg, so las den dritten komen et disce dicere sicut Christus: ,Novem ubi sunt?' [„und lerne sagen, wie Christus sagt: ,Wo sind die neun?'"] das [„den Undank der neun"] verdienet er, Decimus venit et agnoscit beneficium et agit gratias [„Der zehnte kommt und erkennt die Wohltat an und dankt"], dar an hat der herr gnug. Er fragt aber gleichwol darnach:,Nonne decern' etc. ,novem ubi sunt?' ne dicant se recte fecisse [,,,Sind nicht zehn usw.? Wo sind die neun?', damit sie nicht sagen, sie hätten richtig gehandelt"]. Q. d. [„Quasi dicat: ..." = „Als ob er sagen wollte: ..."] Ir werdet mir nicht so entgehen, Ich wil ein mal fragen, ubi sitis etc. [„wo ihr seid usw."] Sic omnes ingratos interrogabit: Cur non agnovisti beneficium solis etc. [„So wird er alle Undankbaren fragen: Warum hast du die Wohltat der Sonne nicht anerkannt usw.?"] da wird sichs denn finden, Ergo ists kein wunder, quod homines ingrati. Quando deus dat decern regna, [„Es ist also kein Wunder, daß die Menschen undankbar sind. Wenn Gott zehn Königreiche gibt, ..."] so ist kaum eins, das da dancket, Quando dat 10 gute jar, danckt man nicht fur eins, fur das Zehend teil wird jhm kaum gedanckt, fur die neune gar nichts. Itaque quando decimus gratias agit, sufficit, [„Wenn daher der zehnte dankt, genügt es."] Die andern werden es wol finden, es wird in nicht also hin aus gehen [„sie werden nicht so einfach davonkommen"]. Ergo disce, ut gratus sis et possis ferre aliorum ingratitudinem, Halt dich zu dem Samaritano et disce a Christo, ut sis gratus hie gegen Gott und menschen, [„Lerne also, daß du dankbar bist und den Undank der anderen ertragen kannst. Halt dich zu dem Samariter und lerne von Christus, daß du hier dankbar bist gegenüber Gott und den Menschen, ..."] und ob du aliis [„den anderen"] wol thust und geret ubel, das du es lesst faren, Einer kans gegen eim menschen also verscheissen [„verderben"], das er keinem andern auch fort an hilfft. Sic tu ne facito, lasst dich vor neun bescheissen, ut decimus sit gratus. [„So mache es nicht. Laß dich von neun um den Dank betrügen, auf daß der zehnte dankbar ist."] Christus findet selbs nicht, qui grati essent pro tanto beneficio [„die für solch eine große Wohltat

Das gute Werk der zweiten Tafel des Dekalogs

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Die Bedingung der Möglichkeit, daß ein Mensch Gott mit dem Tun der guten Werke der zweiten Tafel und mit dem Leiden infolge dieses Tuns Lob und Dank entgegenbringt, ist nach diesem Text Luthers eindeutig der rechtfertigende Glaube beziehungsweise das Wirken des heiligen Geistes. Ein Mensch lobt und dankt Gott nach diesem Text mit seinem Tun und seinem Leiden, wenn sein Tun und sein Leiden eine vom heiligen Geist im Glauben gewirkte freiwillige, lustvolle Antwort auf den Empfang der Gnade Gottes darstellt.

c) Beispiele von guten Werken, mit denen gelobt und gedankt wird In seinen mündlichen und schriftlichen Äußerungen in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre stellt Luther fest, daß Gott mit bestimmten guten Werken Lob und Dank entgegengebracht wurde, oder er bittet oder wirbt darum, daß Gott mit bestimmten guten Werken Lob und Dank entgegengebracht wird. Aufgelistet werden im folgenden die Fundstellen aus den Tischreden der ersten Hälfte der dreißiger Jahre, aus den Briefen, die Luther im Zeitraum der dritten Psalmenvorlesung abgefaßt hat, und aus der Gebetsanleitung für Peter Beskendorf. Der Hinweis auf die Gebetsdimension des jeweiligen guten Werks in den Zitaten wird in der Übersicht durch Kursivdruck hervorgehoben. 1) Am Ende des Jahres 1531 bekennt sich Luther in einer Tischrede dazu, daß er gelegentlich Alkohol trinkt: „Kan mir vnser Herr Gott das schen-

dankbar wären"], woltestu es denn besser haben? lass auff neun komen, du wirst es keinen schaden haben, Sic Christus leidet keinen schaden, Sed ingrati werden jn leiden, [„So leidet auch Christus keinen Schaden. Die Undankbaren aber werden ihn l e i d e n , . . . " ] das sie irgend bettler werden. 1. disce einen festen glauben haben et gratus esse, Item patiens, das du mogst undanck leiden, si benefecisti. Ir sind ir 9, qui sunt ingrati, das lerne aus diesem Euangelio. Unser herr Gott det gratiam, ut retineamus." [„Erstens lerne, einen festen Glauben zu haben und dankbar zu sein. Desgleichen lerne, geduldig zu sein, daß du Undank leiden kannst, wenn du wohlgetan hast. Es sind ihrer neun, die undankbar sind. Das leme aus diesem Evangelium. Unser Herr Gott gebe Gnade, daß wir's im Gedächtnis behalten."] Luther hat sich in dieser Predigt vor Gott und den Menschen vermutlich auch mit seinen eigenen negativen Erfahrungen auseinandergesetzt. Er litt selbst sehr stark am Undank der Mitmenschen. Vgl. dazu VI.4., bei Anm. 543-547.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

ken, das ich yhn wol 20 jar gecreuzigt vnd gemartert hab, so kan er mir ja das auch wol zu gut halten, das ich bey weylen [„manchmal"] ein trunk thu, yhm zu ehren, Got gebe, es lege es die weit aus, wie sie wolle vnd ist."531 2) Ende März 1532 geht es Luther nicht gut. Er sagt in einer Tischrede, daß er durch seine Krankheit sehr geschwächt ist: „Wisset, das wir von vnser krangheit zimlich erledigt, Gott gebe, das es sey zu seinem lob. Kan euch auch das fur war sagen, das mir souil harter, selzamer, schwerer zufell in diser krangheit vnter äugen gestossen, das es wunder ist. Aber wir vertrawen Gott, er wer es schicken zu seinem lob etc."532 3) Am 17. Juni 1532 teilt Luther dem Rat zu Soest in einem Brief mit, daß er der Bitte des Rats entsprochen hat und sich um einen Prediger bemüht hat: „Ersame, weise, gunstige Herrn und frund! nach dem ihr solchen vleis erzeigt, ewr kirchen wol und christlich zu bestellen, habe ich euch hierin, got zu lob, auch gern gedienet und ein sonderlich freud daran gehabt, das ihr euch diser christlichen sachen so ernstlich annemet, unser herr Christus wolle gnade dazu verleihen, und habe uf ewr beger mit her Johanne de Brun gehandelt, das ehr zu euch zihen wölt, und sich gebrauchen lassen, wo ihr ihm das predigampt oder superattendentia bevehlen wollet."533 Er gibt zu bedenken, daß Prediger gut zu versorgen sind: „Wollet bedenken, das prediger ein hohes und swer ampt haben, das wir got zu lobe und uns zur Seligkeit zu ehren, zu erhalden und zu handhaben schuldig sind."534 4) In einem Brief vom 7. August 1532 empfiehlt Luther dem Rat zu Reval den Magister Hermann Gronau als Schulmeister. Er weist auf die Notwendigkeit hin, die Schule zu fördern und zu versorgen und dem Schulmeister ein angemessenes Gehalt zu zahlen: „Christus vnser herr gebe seine gnade dazu vnd zu alle ewrm thun, das es reichlich vnd fruchtbar sey, zu seinem lob vnd ehren, Amen."535

531 W A TR 1,60,34-37 (Nr. 139: 30. November bis 14. Dezember 1531). Vgl. Brecht, Martin Luther II, 414. 532 WA TR 1,87,15-19 (Nr. 196). Vgl. Brecht, Martin Luther II, 412f. 533 WA Br 6,320,3-10 (Nr. 1939). Vgl. Brecht, Martin Luther II, 430. 534 WA Br 6,320,24-26. 535 WA Br 12,139,11-13 (Nr 4 2 4 7 = Nr. 1951). Vgl. Brecht, Martin Luther 11,432.

Das gute Werk der zweiten Tafel des Dekalogs

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5) In dem Brief an König Friedrich I. von Dänemark vom 28. September 1532 geht es Luther um die Begnadigung des gefangenen Königs Christian II.: „Also, mein gter [„gnädigster"] herr, lasse E. k. M. [„Euer königliche Majestät"] dieses werck eine frucht des glaubens sein, Gotte zum herrlichen danckopffer, dem gefangen zu trost vnd erquickung vnd vns allen zur freude vnd wonne."536 6) Kurfürst Johann Friedrich gegenüber äußert Luther in einem Schreiben vom 18. Oktober 1532 die Bitte, den beiden Söhnen des verstorbenen Hans von Kanitz ein Stipendium zu gewähren: „Dem nach bitte ich aber mal, E. k. f. g. [„Euer kurfürstlichen Gnaden"] wolten beide Gott zu lob vnd dem lande zu gute solchen feinen buben ein expectantz [„Anwartschaft"] gnediglich verschaffen, auff welcher prebend [„Pfründe"] es E. k. f. g. gefeilet."537 7) Mit dem Schreiben vom 29. Januar 1533 möchte Luther den kursächsischen Erbmarschall Hans von Löser dafür gewinnen, bei seinem Sohn Paul Pate zu stehen: „Ew. Gestre [„Euer Gestrengen"] wolle sich unbeschweret hereinfinden und solch Opfer Gott zu Lob helfen vollbringen."538 8) In dem an Dorothea Jörger gerichteten Schreiben vom 27. April 1534 legt Luther Rechenschaft über die Verwendung der von ihr gespendeten 500 Gulden ab: „..., Gott, der es Euch zu tun hat eingegeben, der zeige auch an öffentlich, daß er's ihm lasse Wohlgefallen als ein liebes Dankopfer, damit Ihr bekennet und preiset die Gnade, so er Euch durch seinen lieben Sohn Jesum Christum erzeiget hat."539 9) In der Gebetsanleitung für Peter Beskendorf aus dem Jahr 1535 handelt Luther an einer Stelle davon, daß wir den „Oberpersonen" in der „oeconomia" und der „politia" gehorchen sollen. Er meint, daß wir „also mit der that helffen das haus und land bessern und den friede erhalten, Gott zu lob und ehren, uns selbs zu nutz und allem guten"540.

536 W A Br 12,488,28-489,31 (Nr. 4333 = Nr. 1963). Vgl. Lausten, Luthers Beziehungen zu Skandinavien, 689-692 (zu Dänemark). 537 W A Br 6,379,1-3 (Nr. 1968). 538 WA Br 6,426,13-15 (Nr. 1997). Vgl. Brecht, Martin Luther II, 421 f. 539 W A Br 7,61,3-7 (Nr. 2109). Vgl. Herrmann, Luthers Beziehungen zu dem niederen Adel, 619. 540 WA 38,368,15-17 (zum 4. Gebot).

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

In den beiden zitierten Tischreden hat Luther kein Werk der zweiten Tafel des Dekalogs im Blick, wohl aber in den erwähnten Briefen und im angegebenen Abschnitt der Gebetsanleitung. Wie die Belege zeigen, ging es Luther auffallend häufig um bestimmte Werke des vierten Gebots, nämlich um Werke, die der Aufrechterhaltung der Ordnung in der „ecclesia", „politia" und „oeconomia" dienen. Untersucht man die Werke der zweiten Tafel, die Luther in den Zitaten anspricht, dann kommt man zu dem Ergebnis, daß das Tun der guten Werke der zweiten Tafel, das ein religiöses Loben und Danken ist, für Luther häufig nicht nur ein nonverbales Loben und Danken war. Die guten Werke der zweiten Tafel, die Luther anspricht, setzen sich aus einer nichtsprachlichen und einer sprachlichen Handlung zusammen. Die sprachliche Handlung, die zu einem guten Werk der zweiten Tafel gehört, unterscheidet sich von einem „Gebet" und von einer „Predigt". Sie realisiert nicht die direkte Anrede an Gott und bezieht sich nicht in erkennbarer Weise auf einen theologischen Sachverhalt. Damit ist nicht gesagt, daß die sprachlich verfaßte Seite eines guten Werks der zweiten Tafel sich bei Luther nicht mit einem Lob- und Dankgebet und/oder einer predigtartigen Äußerung verbinden konnte. Man darf annehmen, daß das religiöse Loben und Danken bei Luther nicht isoliert in einem Werk, sondern immer wieder auch in einem Werk und in einem „Gebet" und/oder in einer predigtartigen Äußerung Gestalt gewann.

4. Dankbarkeit als Eigenschaft des Glaubens In den obigen Kapiteln541 konnte aufgezeigt werden, daß das religiöse Loben und Danken bei Luther in den Formen der Verkündigung, in „Gebeten" und in den guten Werken der zweiten Tafel Gestalt gewinnen kann. Die Darstellung des Vorgangs des religiösen Lobens und Dankens in seiner Struktur und in seiner jeweiligen Gestalt in diesen Kapiteln basierte auf der Annahme, daß es beim religiösen Loben und Danken einen Innenaspekt und einen Außenaspekt gibt. Abschließend soll herausgefunden werden, in welchem Verhältnis der

541 VI. 1.-3.

Dankbarkeit als Eigenschaft des Glaubens

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Innenaspekt des religiösen Lobens und Dankens bei Luther zum Glaubensgeschehen steht. Anders gesagt: Es soll ermittelt werden, was Dankbarkeit bei Luther mit dem Glauben zu tun hat542. Der Grundtext für die Untersuchung ist abermals Luthers dritte Psalmenvorlesung. Andere Texte und Äußerungen Luthers aus der ersten Hälfte der 1530er Jahre werden hinzugezogen.

I. Betrachtet man die überlieferten Tischreden Luthers aus dieser Zeit, so stellt man fest, daß Luther im Kreis seiner Freunde und Gäste offensichtlich nur ausnahmsweise einmal auf die Dankbarkeit der Menschen zu sprechen kam. Das bedeutet nicht, daß die Dankbarkeit für Luther nicht wichtig gewesen wäre. Welch hohen Stellenwert sie für ihn hatte, zeigt sich an der Tatsache, daß er häufig über die Undankbarkeit der Menschen klagte. Luther zog in den Tischreden fast immer die lateinischen Begriffe „ingratitudo" [„Undankbarkeit/Undank"] und „ingratus" [„undankbar"] den entsprechenden deutschen Begriffen vor. Er bezog sich mit diesen Begriffen meist auf die Gesinnung und das Verhalten von Menschen. Ihm lag es in der Regel daran, ein bestimmtes Verhalten als Ausdruck einer bestimmten Gesinnung zu deuten. Wenn Luther in den Tischreden von der Undankbarkeit der Menschen sprach, dann meinte er größtenteils die Verachtung der Wohltaten und Gaben Gottes, insonderheit die Verachtung des Wortes Gottes543.

542 Zum Glaubensgeschehen bei Luther vgl. Althaus, Theologie Martin Luthers, 197-203; Joest, Ontologie der Person, 298-304; Seils, Glaube, 21-90. Zahlreiche Literaturangaben zu Luthers Glaubensverständnis findet man bei Seils, a.a.O., 26, Anm. 16. 543 A u f die Verachtung des Wortes Gottes reagiert Luther z. B. in WA TR 1,348,1-6 (Nr. 723: erste Hälfte der dreißiger Jahre); WA TR 2,55,8-11 (Nr. 1336:1. Januar bis 23. März 1532); 217,6-8 (Nr. 1796: 30. August bis 20. September 1532); 236,23-26 (Nr. 1847: 20. September bis 21. Oktober 1532); 237,18-24 (Nr. 1849: 20. September bis 21. Oktober 1532); 323,18-23 (Nr. 2107: 18. August bis 26. Dezember 1531); 350,34-37 (Nr. 2181 a: 18. August bis 26. Dezember 1531); 451,18-20 (Nr. 2404: 10. bis 22. Januar 1532); 555,1-5 (Nr. 2628a: 21. bis 31. August 1532) bzw. 555,6-14 (Nr. 2628b); 615,29-616,10 (Nr. 2724a: 28. September bis 23. November 1532) bzw. 616,11-617,2 (Nr. 2724b); 621,6-11 (Nr. 2 7 3 2 : 2 8 . September bis 23. November 1532); 641,28-642,2 (Nr. 2761a: 28. September bis 23. November 1532) bzw. 642,3-11 (Nr. 2761 b); W A TR 3,27,23-25 (Nr. 2853: 11. Dezember 1532 bis 2. Januar 1533); 150,29-32 (Nr. 3034: Frühjahr 1533);

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

In seltenen Fällen machte Luther in den Tischreden auf den Zusammenhang zwischen der Undankbarkeit und dem Glauben beziehungsweise dem Unglauben aufmerksam. -

In einer Tischrede aus dem Jahr 1533 heißt es: „Vanum est cor hominis. Necesse est fidere hominem aliquo, sed Deo fidere non potest, ideo necesse est fidere creaturae. Sub papa fidebant operibus suis, sed ruentibus operibus alia quaerere necesse est. Igitur vel novis operibus (ut anabaptistae) vel opibus et armis nunc fidunt. Die welt will vnd mus einen abgott haben, denn sie ist des Teufels. Ideo non te moveat eius ingratitudo vel malitia. Lass ymmer gehn!"544 [„Heillos ist des Menschen Herz. Der Mensch muß irgend jemandem vertrauen, doch Gott kann er nicht vertrauen, daher muß er der Kreatur vertrauen. Unter dem Papst vertrauten sie ihren Werken. Da jedoch die Werke stürzen, müssen sie sich etwas anderes suchen. Also vertrauen sie nun entweder neuen Werken (wie die Wiedertäufer) oder dem Reichtum und den Waffen. Die Welt will und muß einen Abgott haben, denn sie ist des Teufels. Deswegen soll dich ihre Undankbarkeit oder Bosheit nicht bewegen. Laß es nur gehn!"]

- Eine andere, nicht näher datierte Tischrede aus der ersten Hälfte der 1530er Jahre beginnt mit dem Satz: „Mundus neque Dei ñeque piorum beneficia agnoscit, sed est ingratissimus."545 [„Die Welt erkennt weder die Wohltaten Gottes noch die der Frommen an, sondern ist äußerst undankbar."] Im Verlauf der Rede stellt Luther der Undankbarkeit der Welt den Glauben und das Bekenntnis der Diener Gottes gegenüber: Gottes Diener, die unter der Undankbarkeit der Welt zu leiden haben, haben den Trost, daß Gott sie am Jüngsten Tag ehren und zu ihnen sagen wird: „Vos confessi estis me esse Dominum et praedicastis nomen meum [„Ihr habt bekannt, daß ich der Herr bin, und habt meinen Namen verkündigt"], ihr habt im recht gethan; ob ir schon sunder seid gewest, das sihe ich nicht an, das aber sihe ich an, das ir an mich gegleubt vnd mir die ehr gegeben habt."546 -

In einer Tischrede aus dem Frühjahr 1533 stellt Luther der Undankbarkeit der Welt nicht den Glauben der Prediger, sondern den Glauben der Predigt-

248,1-11 (Nr. 3282: Frühjahr 1533). 544 W A TR 1,249,1-6 (Nr. 535: Sommer und Herbst 1533). 545 W A TR 1,387,33f. (Nr. 809). 546 WA TR 1,388,12-15.

Dankbarkeit als Eigenschaft des Glaubens

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hörer gegenüber: „Wir mussens lassen geschehn, quod apud ingratissimos homines nunc laboramus, et alios venturos in messem. Et licet multi nunc recte currant ad inferos, tarnen sunt, qui Christo credant et salvi erunt; die werden vns nicht lassen."547 [„Wir müssen es geschehen lassen, daß wir uns jetzt mit den undankbarsten Menschen abmühen und daß andere kommen werden, um zu ernten. Und mögen jetzt auch viele geradewegs in die Hölle laufen, so gibt es doch die, die an Christus glauben und gerettet werden. Die werden uns nicht im Stich lassen."] Wie diese Zitate beweisen, war Luther davon überzeugt, daß die Menschen, die Gott für sein Wort nicht dankbar sind, auf die eine Seite und jene Menschen, die an Christus glauben, auf die andere Seite gehören. Offensichtlich waren für Luther die Menschen, die Gott für sein Wort nicht dankbar sind, Menschen, die nicht an Christus glauben. Und jene Menschen, die an Christus glauben, waren für ihn offensichtlich Menschen, die Gott für sein Wort dankbar sind. Es besteht nach Luther ein Zusammenhang zwischen Undankbarkeit und Unglauben einerseits und Dankbarkeit und Glauben andererseits.

II. Um den Zusammenhang zwischen Dankbarkeit und Glauben bei Luther näher beschreiben zu können, muß geklärt werden, was Luther unter der dankbaren Gesinnung des christusgläubigen Menschen verstand. In seiner dritten Psalmenvorlesung, die er in den Jahren 1532 bis 1535 in Wittenberg hielt, ging Luther immer wieder auf Aspekte der Lobpreisung und Danksagung Gottes ein. Gelegentlich verwendete er dann auch die Begriffe „ingratitudo", „gratitudo", „ingratus" oder „gratus". - Eine der Stellen, an denen in der dritten Psalmenvorlesung von der Dankbarkeit die Rede ist, findet sich am Schluß der Auslegung von Ps 51,3: „Aboletur peccatum, quo ad remissionem et culpam, sed non ut nihil remaneat et ut nihil cogitem, alioqui oblivio gratiae et remissionis peccatorum. Sic Petrus: ,obliviscuntur remissionis peccatorum veterum' et gratiae sibi

547 W A TR 3,150,29-32 (Nr. 3034).

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

collatae et fahren zw et recedunt a gratia. Hoc fit per istam ingratitudinem, Ut hodie tarn securi, ut nihil gratitudinis, nulla reverentia Euangelii, sed contemptus."548 [„Getilgt wird die Sünde, insofern die Schuld vergeben wird, aber nicht so, daß nichts zurückbleibt und ich an nichts denke, sonst geriete die Gnade und die Vergebung der Sünden in Vergessenheit. So sagt Petrus (2. Petr 1,9): ,Sie vergessen die Vergebung der früheren Sünden' und die Gnade, die sie sich aufgehäuft haben, und fahren fort und verlassen die Gnade. Dies geschieht durch die Undankbarkeit, wie heute, wo sie so sicher sind, daß es keine Dankbarkeit, keine Verehrung des Evangeliums gibt, sondern nur Verachtung."] Hier wird deutlich: Undankbarkeit gegenüber Gott meint das Verachten der Gnade, nämlich das Vergessen der Gnade und das Sichabwenden von der Gnade. Da die Gnade im Evangelium mitgeteilt wird, ist das Verachten der Gnade gleichbedeutend mit dem Verachten des Evangeliums. Dankbarkeit gegenüber Gott hingegen meint das Ehren der Gnade, nämlich das Eingedenksein der Gnade und das Sichzuwenden zur Gnade. Das Ehren der Gnade ist gleichbedeutend mit dem Ehren des Evangeliums. Besonders aufschlußreich sind Stellen, die in der dritten Psalmenvorlesung im Rahmen der Auslegung von Ps 122 begegnen: - In Anlehnung an den ersten Vers heißt es: „Veniamus, ut letemur in suis donis, i. e. sua misericordia obruente nos suis beneficiis. Obruit etiam impios, sed non letantur, agunt gratias, quia deest illis illa gratitudo et cognitio dei. Nos habemus, ideo possumus laetari cum admiratione et stupore."549 [„Wir sollen kommen, daß wir uns an seinen Gaben erfreuen, das heißt: an seiner Barmherzigkeit, die uns mit ihren Wohltaten überschüttet. Sie überschüttet auch die Gottlosen, aber sie freuen sich nicht, sie danken nicht, weil ihnen jene Dankbarkeit und Erkenntnis Gottes fehlt. Wir haben sie, deshalb können wir uns freuen mit Verwunderung und Staunen."] -

Gegen Ende der Erörtung des vierten Verses erscheinen folgende Aussagen: „Ideo psalmus excitât et hortatur ad gratitudinem, ad cognoscendum inestimabile beneficium dei, et ut caveamus a contemptu dei, quia horribilis res, quod nemo vult talis esse. Sed contemnere deum Est contemnere eius ver-

548 WA 4 0 11,350,1-7. 549 WA 4 0 111,86,2-5.

Dankbarkeit als Eigenschaft des Glaubens

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bum. Omnis cultus, gloria dei, ut Munzerus, Carolostadius, Zinglius, nemo vult contemnere. Ideo straff vns vnser Herr Gott mit omnibus plagen et rotten, teuer Zeit, sunden, adulteriis, homicidiis, modo hoc bleibe apud aliquos, quod scilicet reverentia verbi dei. Nulla gratia maior quam quae nobiscum dignatur loqui."550 [„Deshalb reizt und ermuntert der Psalm zur Dankbarkeit, zum Erkennen der unschätzbaren Wohltat Gottes, und daß wir uns hüten sollen vor der Verachtung Gottes, weil das eine schreckliche Sache ist, weshalb denn auch niemand einer sein will, der Gott verachtet. Aber Gott verachten bedeutet sein Wort verachten. Jeder will Gott dienen und ehren, wie Müntzer, Karlstadt, Zwingli, niemand will ihn verachten. Daher strafe uns unser Herr Gott mit allen Plagen und Rotten, teurer Zeit, Sünden, Ehebruch, Mord, wenn nur das bei einigen bleibt, nämlich die Verehrung des Wortes Gottes. Keine Gnade ist größer als die, der es beliebt, mit uns zu sprechen."] - Kurz darauf heißt es: „Sicut summum gaudium in cordibus piorum audire et noscere deum, quod loquitur nobiscum, quod dedit omnia, creavit nos et quae sunt, in pacem et salutem eternam. Es ist nihil cum auro, regnis. Sic econtra nihil horribilius, tristius, magis tragicum, si quid peius inferno, quam videre contemptum verbi magni dei, persequi, putare tanquam stercus."551 [„Wie es die höchste Freude in den Herzen der Frommen ist, Gott zu hören und zu erkennen, daß er er mit uns spricht, daß er alles gegeben hat, daß er uns geschaffen hat und was die Dinge sind, die zum Frieden und ewigen Heil dienen. Im Vergleich dazu sind Gold und Königreiche nichts. So ist umgekehrt nichts schrecklicher, trauriger, tragischer, vorausgesetzt, es gibt etwas Schlimmeres als die Hölle, als die Verachtung des Wortes des großen Gottes zu sehen, das Wort zu verfolgen, es für Kot zu achten."] Luther bringt in diesen Zitaten zum Ausdruck, daß der Vorgang, der der Dankbarkeit gegenüber Gott zugrunde liegt, ein Vorgang des Erkennens und zugleich ein Vorgang des Ehrens ist. Gott im Inneren nonverbal danken, bedeutet Gott durch das Erkennen ehren. Gott wird erkannt, wenn empfangene Gaben und Wohltaten als seine Gaben und Wohltaten erkannt werden. Wer Gottes Gaben und Wohltaten empfängt

550 W A 4 0 111,103,9-104,6. 551 WA 4 0 111,104,12-105,2.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

und diese als das erkennt, was sie sind, der erkennt Gottes Allmacht und Gottes Barmherzigkeit, der erkennt, daß Gott der Schöpfer und der Erlöser ist, der erkennt, daß Gott Gott ist und daß Gott sein Gott ist. Eine Gabe, eine Wohltat hebt Luther besonders hervor. Es ist die Gabe des Wortes Gottes, die Wohltat des Redens Gottes. Das Reden Gottes in seinem Wort ist der Schlüssel zur Erkenntnis aller anderen Gaben und Wohltaten. Zum Hören und Erkennen Gottes gehört nach Luther der Affekt der Freude. Der Affekt der Freude entzündet sich am „pro me" beziehungsweise am „pro nobis" des Tuns Gottes. Höchste Freude wird ausgelöst, wenn das „pro me" oder das „pro nobis" des Tuns Gottes durch die Gabe seines Wortes erkannt werden. Gott wird durch das Erkennen geehrt, weil Gott durch das Erkennen etwas zuteil wird. Ihm wird Anerkennung zuteil. Das Gott ehrende Erkennen ist nämlich ein An-erkennen. Gottes Gaben und Wohltaten, seine Allmacht und seine Barmherzigkeit, seine Gottheit werden an-erkannt. Gott im Inneren nonverbal danken, bedeutet Gott in Reaktion auf sein Geben und Tun als Schöpfer und Erlöser, besser: als unseren Schöpfer und Erlöser, kurz: als Gott, als unseren Gott anerkennen. Daß Luther den Vorgang, der der Dankbarkeit gegenüber Gott zugrunde liegt, so verstanden hat, belegen zwei kurze Bemerkungen zu Ps 50,23 : „Wer Dankopfer opfert, der preiset mich etc." -

In einer Tischrede vom Ende des Jahres 1532 paraphrasiert Luther diesen Vers folgendermaßen: „Ich frag nit nach dem opfer; ich frag nach danck, das yhr mich solt lassen einen Gott sein."552

552 WA TR 1,184,1 f. (Nr. 424). Die Tischrede lautet in der Fortsetzung so: Ebd., 184,3-14: „Hoc vult publice esse notum, quod Deus delectatur invocari et urget primum praeceptum, quod in Synai praeceptum est. Hat ers nit gnug gesagt in monte Synai mit feur, blitz, donner? Posset psalmus quoque accipi pro prophetia, sed ich lass mir kein prophetia sein, sie sey denn gar certa; accipio de primo praecepto, ut sit sententia: Sacrifícium non est causa, cur te oderim, sed quod non gratias agas. Solum opus operatum non vult, quia offertur in fiducia et gloria iustitiae. Puto Asaph propter hune psalmum occisum esse, allein quia dicit idem, quod nos, das die mess der Teuffei sey. In ultimo versu steht das euangelion heymlich, quod dicit: Abrogo hune cultum et pono alium, scilicet gratiarum actionem. Das wort creator stosst all merita zu boden, quia quid potest creatura creatori dare, quod non acceperit?" [„Er will, daß dies öffentlich bekannt sei, daß Gott seine Freude daran hat, angerufen zu werden, und daß er das erste Gebot treibt, das am Sinai geboten wurde. Hat er's nicht genug gesagt am Berg Sinai mit Feuer, Blitz, Donner? Der

Dankbarkeit als Eigenschaft des Glaubens

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In einer nicht datierbaren Bucheinzeichnung liefert Luther eine äußerst prägnante Erklärung des Verses: „Die glaublosen Heiligen wollen jmer Gott geben, als durfft er jres diensts, So er doch Gott ist vnd vns gibt vnd alles geben wil, Denn wir seiner Guete beduerffen, Allein begert er, das wir danckbar seien vnd halten jn fuer vnsern Gott."553

Luther deutet im zuletzt zitierten Text an, daß das Gott-dankbar-Sein, nämlich das Gott-für-unseren-Gott-Halten, das Gott-als-unseren-Gott-Anerkennen ein Vorgang des Gebens ist. Dies Geben ist nicht mit dem Geben der glaubenslosen Heiligen zu vergleichen. Es gerät nicht in Konkurrenz zu Gottes Geben, sondern ist die gehorsame Antwort auf Gottes Geben. Es ist das uneingeschränkte Ja zu Gott und zu Gottes Geben. Indem dieses Ja „gesprochen" wird, wird Gott seine Gottheit gegeben. Es wird ihm also alles übergeben. Es werden ihm alle seine Gaben zurückgegeben. Auch das eigene Leben wird ihm zurückgegeben.

Psalm (= Ps 50) könnte auch als eine Prophetie angesehen werden, aber ich akzeptiere keine Prophetie, sie sei denn ganz sicher. Ich verstehe ihn vom ersten Gebot her, so daß der Sinn ist: Das Opfer ist nicht der Grund, warum ich dich hasse, sondern daß du nicht dankst. Nur ein verrichtetes Werk will er nicht, weil es im Vertrauen und Ruhm der eigenen Gerechtigkeit dargebracht wird. Ich vermute, daß Asaf wegen dieses Psalms getötet worden ist, bloß weil er dasselbe sagt, was wir sagen, daß die Messe der Teufel ist. Im letzten Vers (= Vers 23) steht heimlich das Evangelium, weil er sagt: Ich mache diesen Kult zunichte und richte einen anderen auf, nämlich die Danksagung. Das Wort .Schöpfer' stößt alle Verdienste zu Boden, denn was kann das Geschöpf dem Schöpfer geben, was es nicht empfangen hat? (vgl. I. Kor 4,7)"] Hier zeigt sich, daß Luther davon überzeugt war, daß sich die Dankbarkeit gegenüber Gott am ersten Gebot orientieren müsse. Wenn Luther über die Dankbarkeit gegenüber Gott sprach, dann ging es ihm stets um die Erfüllung des ersten Gebots. 553 WA 48,51,2-5 (Nr. 67). Vgl. auch die Erklärung von Ps 50,23 in der „Vermahnung zum Sakrament des Leibes und Blutes Christi" von 1530: WA 30 11,602,26-38: „..., Gottes wort und werck sind allzu mal am ersten geringes ansehens, darumb wollen sie mit vleis und ernst bedacht sein, Wer das thut, der findet sie, wie gros sie sind. Er spricht selber Psalm 50: ,Danckopffer preiset mich', Was ist das anders gesagt denn so viel?: Danckopffer gibt mir meine Gottliche ehre, Es macht mich zum Gott und behelt mich zum Gott, Gleich wie widderumb die Werckopffer nemen jhm seine Gotliche ehre und machen ihn zum Goetzen und lassen jhn nicht Gott bleiben, Denn wer nicht danckt, sondern verdienen wil, der hat keinen Gott und macht jnnwendig jnn seinem hertzen und auswendig jnn seinen wercken einen andern Gott aus dem rechten Gott, das ist: unter dem namen des rechten Gottes, wie er offt jnn Jesaia und andern Propheten klagt und jm ersten gebot gar hart verbeut, das man keine Gotter machen, auch jhn selbs nicht anders machen sol."

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Das uneingeschränkte Ja zu Gott ist ein hingebungsvolles Ja. Es impliziert das Ja zur bedingungslosen Hingabe an Gott sowie das Nein zur Autonomie. Es verbindet sich mit der Bereitschaft, die Hingabe an Gott in einem Gott entsprechenden Verhalten zu verwirklichen.

III. Nachdem der innere, nonverbale Vorgang, der der Dankbarkeit bei Luther zugrunde liegt, dargestellt ist, kann der Zusammenhang zwischen Dankbarkeit und Glauben bei Luther leicht erfaßt werden. Auch dem Glauben liegt ja ein Vorgang zugrunde. Ist dieser bei Luther auch ein Vorgang des Gebens? -

In der dritten Psalmenvorlesung findet sich im Rahmen der Auslegung von Ps 127,2 folgende Feststellung: „Deus vult manere deus, de quo sie dieimus: Credo in deum."554 [„Gott will Gott bleiben, von dem wir so sagen: Ich glaube an Gott."] Hier begegnet ein versteckter Hinweis auf das Tun des Glaubens. Durch den Glauben an Gott bleibt Gott Gott. Durch den Glauben behält Gott die Gottheit. Dies setzt voraus, daß Gott die Gottheit durch den Glauben erhält, daß der Glaube Gott die Gottheit gibt.

-

Daß für Luther der Glaube ein Geben war, kann den Passagen der dritten Psalmenvorlesung, in denen er die Begriffe „fides" oder „credere" benutzt, meist nicht direkt entnommen werden. Aus einer Stelle aber geht es ziemlich deutlich hervor. Innerhalb der Auslegung von Ps 130,4 erscheint ein begrenztes Lob Bernhard von Clairvauxs: „Quando orat Bernardus, quando apud se in fide, est pulcher doctor. Omnia schreibt Christo heim, lobt et zulobt den man. Si disputât, tunc plane Mahomet, Turca, Iudeus. Ita submergitur in disputatione legali. Et laudat monachatum. Et facit Abrahamum, quasi frater esset Domini abbatis."555 [„Wenn Bernhard betet, wenn er bei sich im Glauben ist, ist er ein trefflicher Lehrer. Alles schreibt er Christus zu, lobt und zulobt den Mann (= Christus). Wenn er aber disputiert, dann ist er ganz und gar Mohammed, Türke, Jude. Dann ertrinkt er im gesetzlichen Disputieren, und er lobt das Mönchtum, und er stellt Abraham dar, als ob er der

554 WA 4 0 111,237,13f. Vgl. WA 4 0 111,359,12-15 (zu Ps 130,4). 555 WA 4 0 111,354,3-7.

Dankbarkeit als Eigenschaft des Glaubens

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Bruder des Herrn Abts wäre."] Der rechte Glaube ist, wie man eben auch an Bernhard sieht, ganz auf Christus ausgerichtet. Er schreibt Christus alles zu. Er gibt Christus alles. Er gibt Christus die Gottheit, weil er Gott die Gottheit gibt. Was Luther in diesen beiden Zitaten über den Glauben sagt, beruht auf einer klaren Definition desselben, die er seinen Zuhörern 1531 in der zweiten Galaterbriefvorlesung geboten hatte. Er hatte damit Gal 3,6 kommentiert: „Abraham glaubte Gott, und das wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet." -

„Explica istum locum; vide, quid fides: - Est incomparabilis res et eius virtus inestimabilis, Dare gloriam deo. non facit deo; sed fides, quia credit, deo reputat sapientiam, bonitatem, omnipotentiam, dat ei omnia divina. Fides est creatrix divinitatis, non in persona, sed in nobis. Extra fidem amittit deus suam iustitiam, gloriam, opes etc., et nihil maiestatis, divinitatis, ubi non fides. Vides, quanta iustitia fides. Econtra. deus non requirit, quam ut faciam deum. si habet suam divinitatem integram, illesam, tune habet, quidquid possum ei tribuere. Das ist sapientia sapientiarum, religio religionum. Das macht die maxima maiestas quam fides tribuit deo. Quare fides iustificat, quia reddit quod debet; qui hoc facit, est iustus, Ut etiam iuristae. Fides dicit sic: Ego credo tibi deo loquenti ,.." 556 [„Erkläre diese Stelle; achte

556 WA 40 1,360,2-361,2. Vgl. WA 40 111,356,14-358,1 (zu Ps 130,4). Vgl. auch die zugespitzten Formulierungen in dem Abschnitt der „Vermahnung zum Sakrament", der sich dem in Anm. 553 zitierten Abschnitt anschließt: WA 30 11,602,39-603,17: „Wiltu nu ein Gott macher werden, so kom her, höre zu, Er wil dich die kunst leren, das du nicht feilest [„irrst"] und einen Götzen, sondern den rechten Gott zum rechten Gott machest, Nicht das du sein Gottliche natur machen sollest, denn dieselbige ist und bleibt ungemacht ewiglich, Sondern, das du jhn kanst dir zum Gott machen, das er dir, dir, dir, auch ein rechter Gott werde, wie er fur sich selber ein rechter Gott ist, Das ist aber die kunst, kurtz und gewis dargegeben: DAS THUT ZU MEINEM GEDECHTNIS, Lerne sein gedencken, das ist (wie gesagt): Predigen, preisen, loben, zuhören und dancken fur die gnade jnn Christo erzeigt. Thustu das, sihe, so bekennestu mit hertzen und munde, mit ohren und äugen, mit leib und seele, das du Gott nichts gegeben habest, noch mugest, Sondern alles und alles von jhm habest und nemest, sonderlich das ewige leben und unendliche gerechtigkeit jnn Christo, Wo aber das geschieht, So hastu jhn dir zum rechten Gott gemacht vnd mit solchem bekentnis seine Gottliche ehre erhalten. Denn das heisst ein rechter Gott, der da gibt und nicht nimpt, der da hilfft und nicht jhm helffen lesst, der da leret und regirt und sich

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

darauf, was der Glaube ist: - Er ist eine unvergleichbare Sache, und unermeßlich ist seine Kraft, Gott die Ehre zu geben. Er tut nicht etwas für Gott, sondern weil der Glaube glaubt, rechnet er Gott Weisheit, Güte und Allmacht zu, er gibt ihm alles Göttliche. Der Glaube ist der Schöpfer der Gottheit, nicht in Person, sondern in uns. Außerhalb des Glaubens verliert Gott seine Gerechtigkeit, seinen Ruhm, seine Macht usw., und da ist nichts an Majestät, an Gottheit, wo der Glaube nicht ist. Du siehst, welch eine große Gerechtigkeit der Glaube ist. Andererseits: Gott verlangt nichts weiter, als daß ich ihn zu Gott mache. Wenn er seine ungeschmälerte, unverletzte Gottheit hat, dann hat er alles, was ich ihm zuteilen kann. Das ist die Weisheit aller Weisheiten, der Kult aller Kulte. Das tut die höchste Majestät, die der Glaube Gott zuteilt. Deshalb rechtfertigt der Glaube, weil er zurückgibt, was er schuldet; wer dies tut, ist gerecht, wie auch die Juristen sagen. Der Glaube sagt so: Ich glaube dir, Gott, wenn du redest..."] An dieser Stelle bringt Luther mit großer Klarheit zum Ausdruck, daß das Glauben ein Gott-die-Gottheit-Geben ist. Er weist daraufhin, daß der Mensch Gott dieses Geben schuldet. Der Mensch soll Gott das geben, was ihm zusteht. Das Gott-die-Gottheit-Geben ist folglich ein Zurückgeben. Es bedeutet, daß Gott die Ehre zurückgegeben wird. Die Ehre wird Gott zurückgegeben, indem das Wort, in dem Gott sich als unser Gott offenbart, sozusagen zurückgespiegelt wird. So ist das Gott-die-Gottheit-Geben eine Reaktion auf Gottes Geben, nämlich eine Reaktion auf die Gabe seines Wortes, die dem Menschen alle seine Gaben und Wohltaten erschließt. Es stellt sich heraus, daß der religiöse innere, nonverbale Vorgang des Dankens bei Luther der Grundakt des Glaubens ist.

nicht leren noch regieren lesst, Summa, der alles thut und gibt, und er niemands darff [ „ b e d a r f ] , und thut solchs alles umbsonst, aus lauter gnaden on verdienst, den unwirdigen und unverdieneten, ia den verdampten und verlomen, Solch gedechtnis, bekentnis und ehre wil er haben."

Dankbarkeit als Eigenschaft des Glaubens

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IV. Dieses Ergebnis muß freilich präzisiert werden. Man darf schließlich nicht übersehen, daß Luther für das Tun des Glaubens häufig den Begriff „apprehendere" [„ergreifen"] verwendete557. -

In der dritten Psalmenvorlesung heißt es beispielsweise im Rahmen der Auslegung von Ps 45,11 : „Doctrina debet tenerrima esse et ponitur ut meta, ad quam debet tendere, ut tam pura sit fides in apprehendendo et tenendo Christo."558 [„Die Lehre muß sehr zart sein und ist aufgestellt als Ziel, zu dem man hinstreben muß, damit, wie die Lehre rein ist, der Glaube rein sei im Ergreifen und Festhalten Christi."] - In der zweiten Galaterbriefvorlesung erscheinen im besagten Kommentar zu Gal 3,6 die Wendungen „credere in filium"559 [„an den Sohn glauben"], „credere in Christum"560 [„an Christus glauben"], „fidere in filium meum"561 [„auf meinen Sohn vertrauen"], „fides in Christum"562 [„Glaube an Christus"] sowie „fides Christi"563 [„Glaube an Christus"]. Sie werden im zweiten Teil des Kommentars mit den Ausdrücken „apprehendere filium suum"564 [„seinen Sohn ergreifen"], „Christ(um) ... apprehendere"565 [„Christus ... ergreifen"] sowie „apprehensio Christi passi pro nobis"566 [„das Ergreifen Christi, der für uns gelitten hat"] verbunden und durch diese erklärt567.

557 Vgl. Seils, Glaube, 54-56. 558 WA 4 0 11,576,2-4. Vgl. WA 40 11,559,13-560,10 (zu Ps 45,10); 583,2-6; 595,3-6 (zu Ps 45,12); W A 40 111,99,1-4 (zu Ps 122,4); 186,16-187,7; 188,6-189,1 (zu Ps 126,4). 559 WA 4 0 1,366,6. Vgl. WA 4 0 1,367,1. 560 WA 4 0 1,366,9. Vgl. WA 4 0 I,368,7f.; 369,3f.6.; 372,11. 561 562 563 564 565 566 567

WA 4 0 1,367,10. WA 4 0 1,367,2; 370,3. WA 4 0 l,372,7.8f. WA 40 1,370,7. Vgl. WA 4 0 1,370,11; 371,3.11. WA 4 0 1,371,1. Vgl. WA 4 0 1,372,3. WA 4 0 I,372,8f. Die hier vorgenommene Einteilung der Erklärung von Gal 3,6 in zwei Teile berücksichtigt die zeitliche Unterbrechung der Vorlesung. Luther begann die Auslegung von Gal 3,6 am 28. August 1531 ( W A 4 0 1,359,7-369,10) und setzte sie am 29. August fort (WA 4 0 1,370,1-373,2). Es fällt auf, daß sich die Begriffe „apprehendere" und „apprehensio" nicht in Rörers Protokoll vom 28. August finden, sondern erst in seinem Protokoll vom 29. August begegnen. Nach diesem Protokoll hat Luther am 29. August für das Tun des

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Das Danken unterscheidet sich vom „Ergreifen Christi", wie sich das „Geben" vom „Nehmen" unterscheidet. Gleichwohl kann nach Luther das Gott-dieGottheit-Geèew nicht vom Ergreifen Christi, vom An-nehmen Christi, getrennt werden. Das innere, nonverbale Danken konvergiert mit dem inneren, nonverbalen An-nehmen Christi, obwohl dieses eine andere Bewegung ist. Nach Luther kann man Gott nicht die Ehre geben, wenn man Christus nicht annehmen will. Umgekehrt kann man nach Luther Christus nicht an-nehmen, wenn man Gott nicht die Ehre geben will. Gott wird gedankt, indem Christus an-genommen wird. Gott wird nicht gedankt, wenn Christus nicht an-genommen wird. Daß das Gott-Danken und das Christus-Ergreifen für Luther im Glaubensvollzug eins waren, zeigt sich sehr schön an einer Stelle seiner Auslegung von Gal 3,6 in der zweiten Galaterbriefvorlesung: -

„Age gratias, quod sentis et agnoscis peccatum. Habes Christum, si in eum credis; da gloriam deo sapienti, potenti; ibi iustificas deum, laudas, das ei divinitatem. quantum est fidei, tantum sacrificii. Reliquum peccati condonabitur et non imputatur, quia credis in eum." 568 [„Danke dafür, daß du die Sünde fühlst und erkennst. Du hast Christus, wenn du an ihn glaubst. Gib die Ehre Gott, dem Weisen und Mächtigen. Da rechtfertigst du Gott, lobst ihn, gibst ihm die Gottheit. So viel an Glauben da ist, so viel an Opfer. Der Rest der Sünde wird erlassen werden und wird nicht angerechnet, weil du an ihn glaubst."] „Credere in Christum" ist hier im Sinn von „apprehendere Christum" aufzufassen. Der Glaube an Christus wäre nicht die Bedingung dafür, daß man Christus „hat", wenn im Glauben an Christus nicht ein „Ergreifen" Christi geschähe. Daß man Christus hat, wenn man an ihn glaubt, setzt voraus, daß man ihn ergreift, wenn man an ihn glaubt.

Die Verbindung zwischen dem Gott-die-Ehre-Geben und dem Christus-Ergreifen läßt sich verstehen, wenn man bedenkt, daß Luther das Gott-die-EhreGeben niemals im Licht einer natürlichen Theologie mit „unitarischer" Gotteslehre, sondern stets mit Hilfe des Evangeliums im Licht der Trinitätslehre

Glaubens keinen Begriff des Gebens mehr verwendet. Er sagte nicht mehr, daß der Glaube Gott die Ehre gibt beziehungsweise die Gottheit zuteilt. Statt dessen formulierte er nun, daß der Glaube Christus, den Sohn Gottes, ergreift. 568 W A 4 0 1,369,2-6.

Dankbarkeit als Eigenschaft des Glaubens

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deutete. Luther wußte darum, daß Gott ausschließlich in Christus die Ehre beziehungsweise die Gottheit gegeben werden kann, weil Gott ausschließlich in Christus, seinem Sohn, „unser" Gott sein will569.

569 Luther wies in der dritten Psalmenvorlesung immer wieder daraufhin, daß Gott nur in Christus gefunden werden kann. Siehe die Abschnitte WA 40 11,251,7-256,5 (zu Ps 2,7); 298,11-301,12; 304,6-306,11 (zu Ps 2,11 ); 590,12-595,9 (zu Ps 45,12); WA 40 111,51,1354,4 (zu Ps 121,1 ); 56,7-16 (zu Ps 121,2); 122,1 -127,9 (zu Ps 123,1 ); 300,1 -303,18 (zu Ps 128,5); 335,5-339,4; 340,7-9 (zu Ps 130,1 ); 398,14-400,2 (zu Ps 132,5); 404,1 -407,11 (zu Ps 132,8); 475,1 -6 (zu Ps 134,3). Beachte insbesondere: WA 40 11,299,12-20 (zu Ps 2,11 und Joh 3,35; Mt 17,5): „Ipse est mein hertz, freud, liebichen. Ideo adorate eum, qui est voluptas, deliciae, es leyt an dem man gar. Si vis deo lieb et ehr erzeigen, osculare das liebe kind et hunc glorifica, huic osculare pedes et manus. Hae voces significant Christum non simpliciter hominem, quod pater sic amplissimas laudes filio et tributi honorem suo filio, ,Ut omnes honorificent filium", loh. 5. Eodem honore filius, quo deus, honorandus etc. Das ist kurtz vmb beschlossen: huldet yhm, nempt yhn an pro domino, er sol ewer Gott sein. Deus dat huic filio gloriam et honorem suum proprium." [„Er ist mein Herz, meine Freude, mein Liebchen. Darum betet ihn an, der die Lust und der Liebling Gottes ist, es liegt alles an dem Mann. Wenn du Gott Liebe und Ehre erzeigen willst, küsse das liebe Kind und verherrliche dieses, küsse diesem die Füße und die Hände. Diese Sprüche deuten d a r a u f h i n , daß Christus nicht bloß ein Mensch ist, weil j a der Vater auf diese Weise dem Sohn das höchste Lob gibt und die Ehre seinem Sohn zuteilt, ,damit sie alle den Sohn ehren', Joh 5(,23). Mit derselben Ehrerbietung, mit der Gott geehrt wird, soll der Sohn geehrt werden usw. Das ist kurzum beschlossen: Huldigt ihm, nehmt ihn als Herrn an, er soll euer Gott sein. Gott gibt diesem Sohn seine eigene Herrlichkeit und Ehre."] WA 4011,300,13-301,1 ( z u P s 2 , l l und Joh 14,1 ; 7,16; 5,22): „Ibi damnatae omnes religiones extra Christum, frustra speculatur ludeus de suo deo, qui ex Aegypto etc., frustra speculatur Turca de suo deo, qui Mahomet, frustra speculatur monachus deum suum, qui approbet Regulam. Deus neminem vult audire, videre, nisi vadat ad filium, extra eum non est quaerendus deus, . . . " [„Da sind verdammt alle Religionen außerhalb von Christus: Vergeblich spekuliert der Jude über seinen Gott, der aus Ägypten usw., vergeblich spekuliert der Türke über seinen Gott, der Mohammed gesandt hat, vergeblich überdenkt der Mönch seinen Gott, der eine Regel anerkennt. Gott will niemanden hören und sehen, wenn er nicht zum Sohn geht. Außerhalb von diesem darf Gott nicht gesucht w e r d e n , . . . " ] WA 40 11,304,6-305,1 (zu Ps 2,11): „Cultus Christianus est, unicum filium adorare, ut extra eum nihil agnoscas. Si vis patrem invenire, oculos, aures claudas, nihil spectes in celo, in terra quam illum filium. Sic in 1. praecepto: ,nec eorum, quae in coelo nec terra' etc. Ibi etiam populum ludaicum sie captivavit, abstrahens eum simpliciter ab omnibus cogitationibus de deo." [„Der christliche Gottesdienst besteht darin, den einigen Sohn anzubeten, so daß du außer ihm nichts anerkennst. Wenn du den Vater finden willst, schließe die Augen und die Ohren und betrachte nichts im Himmel und auf Erden als jenen Sohn. So heißt es im ersten Gebot: ,weder von dem, was im Himmel noch auf Erden' usw. (2. Mose 20,4) Da hat er auch das jüdische Volk so gefangen genommen und hat es einfach von allen Gedanken über Gott abgezogen."] WA 40 11,305,8 (zu Ps 2,11): „Extra Christum non est salus." [„Außerhalb von Christus gibt es kein Heil."] WA 40 111,56,1 If. (zu Ps 121,2): „Sic in Christo invenies deum, extra eum ne in coelo eum

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Man kann nun erkennen, daß die Struktur des Grundaktes des Glaubens durch die Beschreibung des religiösen inneren, nonverbalen Dankens noch nicht vollständig erfaßt wird. Die Struktur des beschriebenen Dankens macht offenbar nicht die Struktur des Grundaktes aus. Sie ist eine Teilstruktur desselben. Anders ausgedrückt: Das beschriebene Danken ist ein Moment des Glaubensvollzuges. Die Dankbarkeit gegenüber Gott ist demnach bei Luther fest im Glauben verankert. Sie ist bei Luther eine Eigenschaft des Glaubens. Die Dankbarkeit als Eigenschaft des rechten Glaubens ist wie jede Eigenschaft, jedes Element und Moment des rechten Glaubens ein Werk Gottes, des heiligen Geistes, das er durch sein Wort im Menschen wirkt570. Als Werk Gottes drängt die Dankbarkeit den Menschen zu guten Werken. Das zur geistgewirkten Dankbarkeit gegenüber Gott gehörende geistgewirkte Hingegebensein des Menschen an Gott will sich aus-wirken. Die vom heiligen Geist durch das äußere Wort im Inneren gewirkte Dankbarkeit gegenüber Gott ist die Ursache dafür, daß der Glaube sich „äußert". Luthers bewegende Worte über den Glauben in seiner Vorrede zum Römerbrief aus früher Zeit - aus dem Jahr 1522 - finden nun eine neue Erklärung.

invenies." [„So findest du Gott in Christus, außerhalb von ihm findest du ihn auch im Himmel nicht."] WA 40 111,303,10-14 (zu Ps 128,5): „Quando extra Christum disputas de bonitate, potentia dei, est horribile et diabolus adest, quia non vult sic comprehendi. Da werden Monachi et sectarii draus. Ideo suche deum in Christo, non extra; alias istae speculationes non halten stich." [„Wenn du außerhalb von Christus über die Güte, die Macht Gottes disputierst, ist es schrecklich und der Teufel ist da, weil er (= Gott) nicht so begriffen werden will. Da werden Mönche und Sektierer draus. Deshalb suche Gott in Christus, nicht außerhalb; sonst wird es so sein, daß j e n e Spekulationen nicht Stich halten."] Luther erkannte, daß der Glaube an Christus das erste Gebot erfüllt. Vgl. dazu Anm. 552. 570 Siehe vor allem Luthers Erklärung zum dritten Glaubensartikel im Kleinen Katechismus von 1529: BSLK 511,46-512,13: „Ich gläube, daß ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesum Christ, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann, sondern der heilige Geist hat mich durchs Evangelion berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiliget und erhalten, gleichwie er die ganze Christenheit auf Erden beruft, sammlet, erleucht, heiliget und bei Jesu Christo erhält im rechten einigen Glauben, in welcher Christenheit er mir und allen Gläubigen täglich alle Sunde reichlich vergibt und am jüngsten Tage mich und alle Toten auferwecken wird und mir sampt allen Gläubigen in Christo ein ewiges Leben geben wird; das ist gewißlich wahr." Siehe auch WA 40 I,366,8f. (zu Gal 3,6): „fides est donum divinitus datum, qua credo in Christum." [„Der Glaube ist eine von Gott gegebene Gabe, wodurch ich an Christus glaube."] Vgl. WA 4 0 II,452,2-453,20 (zu Ps 51,18); WA 40 111,503,3-10 (zu Ps 90,1); 582,3-6 (zu Ps 90,14).

Zusammenfassung

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- „..., O es ist eyn lebendig, schefftig [„geschäftig"], thettig, mechtig ding vmb den glawben, das vnmuglich ist, das er nicht on vnterlas solt gutts wircken, Er fraget auch nicht, ob gutte werck zu thun sind, sondern ehe man fragt, hat er sie than, vnd ist y mer ym thun, .. So hatte Luther damals formuliert. Die Werke, die der Glaube mit Notwendigkeit tut, sind die Werke der Dankbarkeit.

5. Zusammenfassung Das religiöse Loben und das religiöse Danken Luthers wurde an seiner dritten Psalmenvorlesung (1532-1535) sowie an einer Auswahl seiner übrigen Äußerungen, die in etwa dem Zeitraum der Vorlesung entstammen, dargestellt. Es ergibt sich in der Zusammenfassung folgendes Bild: Das religiöse Loben ist bei Luther ein Danken. Es lenkt den Blick auf die empfangenen Gaben und Wohltaten Gottes. Es ist ein Danken fur die empfangenen Gaben und Wohltaten Gottes. Das religiöse Danken ist bei Luther ein Loben. Es lenkt den Blick auf den Urheber der empfangenen Gaben und Wohltaten. Es ist ein Loben Gottes des Gebers und Wohltäters in seinen Gaben und Wohltaten. Demnach besteht bei Luther kein Unterschied zwischen den Vorgängen des religiösen Lobens und des religiösen Dankens. Das religiöse Loben und Danken gewinnt bei Luther in Gebeten, in den Formen der Verkündigung, in den guten Werken der zweiten Tafel des Dekalogs und allgemein im Lebensvollzug Gestalt. Für Luther hat das Loben und Danken in Gebeten und in den Formen der Verkündigung grundsätzlich Vorrang vor dem Loben und Danken in den guten Werken der zweiten Tafel. Das Loben und Danken in Gebeten und in den Formen der Verkündigung ist für ihn das eigentliche, das Loben und Danken in den guten Werken der zweiten Tafel das uneigentliche religiöse Loben und Danken. Von den Arten des eigentlichen religiösen Lobens und Dankens, das heißt: des sprachlichen religiösen Lobens und Dankens, bevorzugt Luther diejenigen,

571 WA DB 7,10,9-12.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

die darauf abzielen, daß Mitmenschen in das Loben und Danken einstimmen. Das ist zum einen das Loben und Danken in Gebeten, die ohne mitmenschliche Zeugen „im Kämmerlein" gesprochen werden und der Vorbereitung der Verkündigung dienen572. Das ist zum anderen das Loben und Danken in Gebeten, die in Gegenwart anderer Menschen gesprochen werden. Das ist schließlich vor allem das Loben und Danken in den Formen der Verkündigung. Das Loben und Danken in den Formen der Verkündigung hat unter den Arten des sprachlichen religiösen Lobens und Dankens den stärksten Aufforderungscharakter. Im Blick auf die Ausbreitung des Lobes und Dankes ist es die effektivste dieser Arten und nimmt bei Luther daher denn auch von allen diesen Arten den größten Raum ein. Das eigentliche religiöse Loben und Danken ist bei Luther in der Hauptsache das Verkündigen. Das Loben und Danken in den Gebeten, die nicht formelhaft verkürzt sind, und das Loben und Danken in den Formen der Verkündigung ist bei Luther ein Lehren. Gott wird in den unverkürzten Lob- und Dankgebeten wie in den Formen der Verkündigung mit theologischen Lehraussagen Lob und Dank entgegengebracht. Der lehrhafte Charakter der Lob- und Dankgebete kommt besonders deutlich in jenen Gebeten zum Vorschein, in denen erstens der Gebetsakt nicht explizit gemacht wird, in denen zweitens Gott in der dritten Person angeredet wird und in denen drittens der Beter sagt, was Gott an uns Menschen getan hat573. Die

572 Vgl. dazu die Hinweise in der Gebetsanleitung fur Peter Beskendorf aus dem Jahr 1535. Luther lernte den Inhalt seiner Verkündigung in erster Linie beim Beten, nämlich beim Loben und Danken, beim Beichten und beim Bitten. WA 38,363,9-16: „Kompt wol offt, das ich jnn einem stuecke oder bitte [ergänze: „des Vaterunsers"] jnn so reiche gedancken spacieren kome, das ich die andern Sechse lasse alle anstehen, Und wenn auch solche reiche gute gedancken komen, so sol man die andern gebete faren lassen und solchen gedancken räum geben und mit stille zuhoeren und bey leibe nicht hindern, Denn da predigt der Heilige geist selber, Und seiner predigt ein wort ist besser denn unser gebet tausent, Und ich hab auch also offt mehr gelernet jnn einem gebet, weder ich aus viel lesen und tichten hette kriegen koennen." WA 38,366,10-15: „Und wie ich droben gesagt habe im Vater unser, also vermane ich aber mal: ob der Heilige geist unter solchen gedancken kerne und anfienge jnn dein hertz zu predigen mit reichen erleuchten gedancken, so thw jm die ehre, lase diese gefassete dancken faren, sey stille und hoere dem zu, ders besser kan denn du, Und was er predigt, das merck und schreibe es an, so wirstu wunder erfaren (wie David sagt [Ps 119,18]) im Gesetze Gottes." 573 Es sind die Gebete, die zu dem in VI.2.c)bb) beschriebenen vierten Grundtyp gehören. S. o. bei Anm. 407.

Zusammenfassung

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Form dieser Lob- und Dankgebete ist bei Luther die Grundform der Verkündigung. Die theologischen Lehraussagen in den Lob- und Dankgebeten Luthers entstehen durch Schriftauslegung. Luther bejaht mit ihnen Gott als Gott. Er stärkt durch sie seinen Glauben an Gott beziehungsweise Christus. Und er belehrt mit ihnen seine Mitmenschen, falls sein Gebet ein Element in einer zwischenmenschlichen Kommunikation ist. Der Unterschied zwischen den Lob- und Dankgebeten und den Formen der Verkündigung kommt bei Luther hauptsächlich durch die Art und Weise zustande, wie vom Menschen und wie von dem Teufel und den übrigen Feindmächten gesprochen wird. Während in den Lob- und Dankgebeten vom Menschen nur in der ersten und dritten, von dem Teufel und den Feindmächten nur in der dritten Person gesprochen wird, ist in den Formen der Verkündigung vom Menschen und von dem Teufel und den Feindmächten zusätzlich auch in der zweiten Person die Rede. Luther ergänzt die theologischen Lehr-Sätze, die die Grundform der Verkündigung repräsentieren, außerhalb der Lob- und Dankgebete im Bereich der Verkündigung durch Sätze, in denen entweder die Mitmenschen oder aber der Teufel oder einzelne Feindmächte in der zweiten Person angeredet werden. Mit den Sätzen, die die Anrede der Mitmenschen in der zweiten Person enthalten, ermuntert er seine Mitmenschen574. Mit den Sätzen, die die Anrede des Teufels oder einzelner Feindmächte in der zweiten Person enthalten, schilt er den Teufel oder diese Mächte575. Die Scheltworte stellen meist Formulierungs-

574 In der dritten Psalmenvorlesung finden sich solche Sätze zum Beispiel im Kommentar zu Ps 45 an folgenden ausgewählten Stellen: WA 40 11,529,3-7 (zu Vers 7: zweite Person Plural); 529,8f. (zu Vers 7: zweite Person Singular); 529,10-12 (zu Vers 7: zweite Person Plural); 529,12f. (zu Vers 7: zweite Person Singular); 533,2 (zu Vers 8: zweite Person Singular); 539,14 (zu Vers 9: zweite Person Plural); 557,13f. (zu Vers 10: zweite Person Plural); 558,10-12 (zu Vers 10: zweite Person Singular); 560,6-8 (zu Vers 10: zweite Person Plural); 560,8 (zu Vers 10: zweite Person Singular); 561,14f. (zu Vers 10: zweite Person Singular). 575 Derartige Sätze begegnen in der dritten Psalmenvorlesung an diesen Stellen: Anrede an den Teufel: WA 40 11,378,9-13; 379,8-10 (zu Ps 51,6); 432,12-14 (zu Ps 51,14); 557,2; 562,2f.9.10 (zu Ps 45,10); WA 40 111,116,10-14 (zu Ps 122,8); 146,3 (zu Ps 124,6); 180,11-181,1 (zu Ps 126,2); 334,2f. (zu Ps 129,8); 365,2f. (zu Ps 130,6); vgl. WA 40 II,557,3f.4f. (zu Ps 45,10); WA 40 111,116,16 (zu Ps 122,9); 316,8f. (zu Ps 129,lf.); 372,5f. 11 (zu Ps 130,7); 387,8f.9f. (zu Ps 131,2); 412,10.11.16 (zu Ps 132,9); 542,1-4.6 (zu Ps 90,7). Anrede an das Gesetz: WA 40 11,357,13f. (zu Ps 51,4); 406,6-8 (zu Ps 51,9);

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Vorschläge dar. Luther schilt den Teufel und die übrigen Feindmächte innerhalb der Verkündigung häufig dadurch, daß er seine Mitmenschen ausdrücklich dazu aufruft, sie zu schelten. Mit beiden Sorten von Sätzen zollt Luther Gott indirekt Lob und Dank. Durch Luther wurde das religiöse Loben und Danken innerhalb der Kirche radikal erneuert. In der Kirche des Hoch- und Spätmittelalters praktizierten die Menschen das religiöse Loben und das religiöse Danken normalerweise auf mystische oder auf gesetzliche Weise. Die mystisch frommen Menschen suchten Gott jenseits der Gaben und Wohltaten Gottes. Der Dank für die in der Welt empfangene Vielzahl der Gaben und Wohltaten spielte für sie daher nur eine untergeordnete Rolle. Das Lob Gottes indes, das sich vom Dank unterschied, bildete den Kern ihrer Frömmigkeitspraxis. Es war ein weitabgewandtes inniges Lobpreisen, das in einem wortlosen Kontemplieren Gottes gipfelte und auf eine ekstatische Vereinigung mit

609,1 lf. (zu Ps 45,18). Anrede an die Sünde: WA 40 11,561,11-13; 562,9 (zu Ps 45,10); 609,11 f. (zu Ps 45,18); WA 40 111,333,16-334,1 (zu Ps 129,8). Anrede an den Tod: WA 40 111,66,4 (zu Ps 121,3); 334,lf. (zu Ps 129,8); vgl. WA 40 II,413,4f. (zu Ps 51,10). Anrede an die Welt: WA 40 111,116, 10-14 (zu Ps 122,8); vgl. WA 40 111,116,16 (zu Ps 122,9). Anrede an den Papst: WA 40 11,287,7-10 (zu Ps 2,11 ); 548,15-549,4 (zu Ps 45,9); WA 40 Ill,429,l-3.5f.8-l 1; 435,1 lf. (zu Ps 132,12); vgl. WA 40 III,316,8f. (zu Ps 129,1 f.). Anrede an Altgläubige oder an evangelische Gegner: ζ. B. WA 40 III,92,5f.7f.; 93,6 (zu Ps 122,3). Für Luther gehörte das Loben und Danken und das Schelten eng zusammen. Siehe hierzu seine Tischrede vom 1. Januar 1532: WA TR 2,31,19-22 (Nr. 1290): „Laudate Dominum in coelis, blasphemate Diabolum in terris. Deus vult laudari. Non laudatur, nisi ametur, non amatur, nisi benefaciat, non benefacit, nisi sit propitius, non est propitius, nisi remittat peccata." [„Lobet den Herrn im Himmel, lästert den Teufel auf der Erde. Gott will gelobt werden. Er wird nicht gelobt, wenn er nicht geliebt wird. Er wird nicht geliebt, wenn er nicht wohltut. Er tut nicht wohl, wenn er nicht gnädig ist. Er ist nicht gnädig, wenn er nicht die Sünden vergibt."] Vgl. WA 40 11,561,4-562,12 (zu Ps 45,10). In einer Tischrede aus der Zeit vom 15. bis 20. April 1532 erzählt Luther, welche wunderbare Erfahrung er mit dem Schelten des Teufels gemacht hat: WA TR 1,103,16-19 (Nr. 248): „Der Teuffei disputiret heindt mit mir et accusabat me, quod essem fur, qui papam et tot monasteria despoliassem, sed ego nolebam ei respondere et dicebam: Lecke du mich im a. Da höret auff. Sonst kan man sein nit los werden." [„Der Teufel disputierte heute nacht mit mir und klagte mich an, daß ich ein Dieb wäre, der den Papst und so viele Klöster beraubt hätte. Aber ich wollte ihm nicht antworten und sagte: Leck mich am Arsch. Da hörte er auf. Anders kann man ihn nicht loswerden."] Luthers Polemik gegen die menschlichen Feinde des Evangeliums ist seiner Schelte gegen den Teufel zuzuordnen. Da Luther hinter ihnen den Teufel erkannte, war fur ihn die Polemik gegen sie zugleich Schelte gegen den Teufel. Zur Deutung der Polemik Luthers vgl. Edwards, Polemik, 268f.

Zusammenfassung

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Gott abzielte. Das mystische Lobpreisen basierte auf der Lehre von der „elevatio (ascensus) mentis ad deum"576 [„Erhebung (Aufstieg) der Seele zu Gott"]. Die gesetzlich frommen Menschen - sie dominierten die Kirche zur Zeit Luthers - suchten sich selbst in den Gaben und Wohltaten Gottes, um Gott in seinen Gaben und Wohltaten finden zu können. Ihr religiöses Loben war wie ihr religiöses Danken und wie ihre Frömmigkeit als ganze oft gedankenlos und formalistisch577. Der Dank fur die empfangenen Gaben und Wohltaten Gottes hatte für sie die gleiche Bedeutung wie das Lob Gottes. Sie wollten mit dem Lob Gottes und dem Dank für Gottes Gaben und Wohltaten wie mit den übrigen Äußerungen ihrer Frömmigkeit äußere „Werke" verrichten, um ihre Pflicht gegenüber dem göttlichen Gesetz zu erfüllen und sich Verdienste vor Gott zu erwerben. Sie wollten sich so das Heil bei Gott sichern. Dem gesetzlichen religiösen Loben und Danken lag die scholastische Lehre von dem eingegossenen Gnadenhabitus zugrunde, der „merita de condigno" [„Würdigkeitsverdienste"], das heißt: Heilsverdienste, ermöglicht578.

576 Vgl. zu dieser Formel Heiler, Gebet, 290f.; Angenendt, Religiosität im Mittelalter, 534f. 577 Vgl. Luthers Klage in der Gebetsanleitung für Peter Beskendorf: WA 38,363,19-364,6: „Was ists anders denn Gott versuchen, wenn das maul plappert und das hertz anders wo zerstrewet ist? wie jener pfaff betet auff die weise: Deus, in adiutorium meum intende [„Gott, wende dich her zu meiner Hilfe" (Ps 70, la)], knecht, hastu angespannen, Domine, ad adiuvandum me festina [„Herr, eile, mir zu helfen" (Ps 70,1 b)], Magd, gehe, milcke die kue, Gloria patri et filio et spiritui sancto [„Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist"], lauff, bube, das dich der ritt schuette [„daß dich das Fieber schüttele"] etc. Welcher gebete ich mein tag im Bapstum viel gehoeret und erfaren habe, und sind fast alle j r gebet der art, damit wird Gottes nur gespottet, und were besser, sie spieleten dafür, wenn sie ia nicht bessers thun kuenden oder wolten, Denn ich hab selbs solcher horas Canónicas [„kanonische Stundengebete"] mein tage viel gebet leider, das der Psalm oder gezeit [„das Tagzeitengebet"] aus war, ehe ich gewar ward, ob ich angefangen oder im mittel were. Und wie wol sie nicht alle so eraus faren muendlich wie obgenanter pfaff, die geschefft und gebet unternander werffen, so thun sie doch im hertzen mit den gedancken also, werffen das hundert jns tausent, und wenns aus ist, wissen sie nicht, was sie gemacht, oder wo sie herdurch komen sind [„was sie alles durchstreift haben"], heben an .Laudate' [„Lobet"], Flux sind sie im schlauraffen land; das [„so daß"] ichs dafür halte, Es solt kein lecherlicher gauckel spiel jemand fuerkomen muegen, denn so er sehen moecht die gedancken, so ein kalt, unandechtig hertz im gebet unternander treibt. Aber nu sehe ich, Gott lob, wol, das nicht fein gebet ist, so einer vergisset, was er geredt hat. Denn ein recht gebet gedenckt gar fein aller wort und gedancken von anfang bis zu ende des gebets." Vgl. auch WA 38,362,37-363,2. 578 Eine Einführung in die scholastische Lehre von der Gnade und von der Rechtfertigung bietet Joest, Rechtfertigung, Sp. 830-833.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

Die gesetzlich und zugleich mystisch frommen Menschen suchten sich selbst in den Gaben und Wohltaten Gottes, um Gott jenseits seiner Gaben und Wohltaten finden zu können. Luther zählte in seiner Frühzeit zeitweise zu ihnen579. Das formalistische, gedankenlose religiöse Loben und Danken geschah bei ihnen im Vorfeld des mystischen Lobpreisens. Das mystische Lobpreisen hatte fur sie wie alles fromme Tun und Lassen einen verdienstlichen Wert. Es war für sie die innigste Weise des gesetzlichen Betens. Nach seiner reformatorischen Wende wandte sich Luther mit dem im Wort Gottes wiederentdeckten Evangelium von Christus, genauer: mit dem im Wort Gottes wiederentdeckten Evangelium von der Gnade Gottes in Christus, die den rechtfertigt, der an Christus glaubt, gegen die halsbrecherischen Versuche, sich dem „deus in Maiestate" 580 [„Gott der Majestät"] zu nähern, sei es, um sich vor vor ihm zu behaupten, sei es, um mit ihm zu verschmelzen. Luther war fortan ein evangelisch frommer Mensch581. Nachdem er sich von Gott in Christus hatte finden lassen, suchte er Christus in Gottes Gaben und Wohltaten.

579 Vgl. Brecht, Martin Luther 1, 101 f. 137-144. 580 S. o. Anm. 413f. 581 Diese Bezeichnung trägt der Tatsache Rechnung, daß Luther nach seiner reformatorischen Wende dem Evangelium vertraute und nicht mehr danach strebte, sich unter Mißbrauch des Gesetzes eine eigene Gerechtigkeit vor Gott aufzubauen. Es wird mit dieser Bezeichnung nicht bestritten, daß es nach der reformatorischen Wende noch Berührungspunkte zwischen Luther und der Mystik gab. Daß Luther die mystische Auffassung des Heilswegs ablehnte, hieß nicht, daß er nicht mit den mystischen Vorstellungen konstruktiv umgehen konnte. Man beachte beispielsweise die positive Verwendung mystischer Begriffe in der dritten Psalmenvorlesung (s. o. bei Anm. 145-149, siehe vor allem Anm. 149). Eine prägnante Äußerung zum Thema „Luther und die Mystik" findet sich bei Hans Joachim Iwand in ders., Glaubensgerechtigkeit, 48. Iwand bezieht sich hier auf eine Stelle aus dem Exkurs zu Ps 5,12 in der zweiten Psalmenvorlesung Luthers („Operationes in psalmos"), die dieser in den Jahren 1518-1521 hielt: „Was dem Mystiker die höchste Stufe der Ekstase ist, das ist Luther die tiefste Tiefe der Glaubensprüfung. Gewiß, Luther hat unendlich viel mit der mystischen Theologie gemein: die Absage an die toten Formeln und die Beziehung der Theologie auf das Leben, die Erfahrung und Betonung der Anfechtung und ihre ständige, seelsorgerliche Analyse; aber an einem Punkt gehen beide auseinander: am Kreuz. Das Bild, in das der Mensch durch den Glauben verwandelt wird, ist das des Gekreuzigten. Ins Fleisch und ins Leiden zieht Luther alle Begriffe der mystischen Theologie. Anders als bei der Mystik kommt es hier nicht zur Vergottung des Menschen, sondern umgekehrt zur Wiedergewinnung der echten Menschlichkeit."

Zusammenfassung

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Das religiöse Loben und Danken geschah nun bei ihm „aus Glauben in Glauben" (Rom 1,17). Es war ganz vom Glauben an Christus her bestimmt. Die Struktur des inneren, nonverbalen Vorgangs des religiösen Lobens und Dankens war eine Teilstruktur des vom heiligen Geist gewirkten Glaubensvorgangs. Der Glaubensvorgang des Lobens und Dankens gewann Gestalt primär in Beichtgebeten, in der Folge in Lob- und Dankgebeten, zuallermeist in den Formen der Verkündigung und auch in den guten Werken der zweiten Tafel. Das evangelische religiöse Loben und Danken basierte auf der biblischen Rechtfertigungslehre. Abschließend ist zu klären, was die Analyse von Luthers religiösem Loben und Danken für die Frage nach seinem Theologieverständnis austrägt. Luther hatte die dritte Psalmenvorlesung mit den Worten „Omnis praedicatio vel lectio sacrae theologiae est ipsum verissimum sacrificium laudis vel Eucharistia vel gratiarum actio, quod est Summum sacrificium et summus cultus in novo Testamento"582 [„Jede Verkündigung oder Lesung der heiligen Theologie ist eigentlich ein wirklich wahres Lobopfer oder eine Eucharistie oder eine Danksagung, welches das höchste Opfer und der höchste Gottesdienst im Neuen Testament ist"] eröffnet. Es zeigt sich, daß sich hinter dieser Äußerung eine tiefe Überzeugung verbarg. Das Betreiben der Theologie war für Luther tatsächlich ein religiöses Loben und Danken. Als ein solches verband es sich bei ihm mit anderen Vorgängen, nämlich mit einem Gott zugewandten Bitten, mit dem Schelten des Teufels und der Feindmächte sowie mit dem gezielten Ermahnen und Trösten der Mitmenschen. Luther subsumierte diese Vorgänge dem religiösen Loben und Danken. Sie stellten fur ihn ein indirektes religiöses Loben und Danken dar. Das Innovative an Luthers Theologiebegriff bestand darin, daß Theologie für ihn die Praxis des religiösen Lobens und Dankens war, das aus dem rechtfertigenden, durch Wort und Geist gezeugten Christusglauben erwuchs. Theologie hatte für Luther als Schriftauslegung ihren Ort nach der Rechtfertigung. Durch die Auslegung der heiligen Schrift im Glauben an Jesus Christus wurde sie bei

582 WA 40 11,193,2-4.

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Gott loben und Gott danken nach der dritten Psalmenvorlesung

ihm in materialer und formaler Hinsicht bestimmt. Theologie war fur Luther eben unbedingt „theologia regenitorum"583 [„Theologie der Wiedergeborenen"].

583 Hinzuweisen ist an dieser Stelle auf einen Abschnitt aus Luthers Kommentar zu Ps 51,15 in der dritten Psalmenvorlesung. Dieser Abschnitt wurde oben (s. bei Anm. 79-113) ausfuhrlich interpretiert: WA 40 11,433,11-435,3: „Prioribus versibus satis declaravit suam experientiam, quod iustificatus sine suis operibus. Ideo non novit opus, quo velit deo reddere aliquid, nisi postquam me recrearis, ut gratias agam publice. ... Iste est optimus ordo post iustificationem et acceptam gratiam, donatam remissionem peccatorum. Agere gratias deo: hoc suum donum amplificare et erudire per hoc omnes homines ad eandem gratiam. Sic Christus, cum sanat: ,Vade et narra, quanta deus' etc. Item: ,Abiit in domum suam laudans.' Alibi: ,Prohibebat, ne quid diceret; quo plus prohibebat, hoc magis praedicabat.' Das sind principalia opera, quae sequuntur arborem novam factam, ut gloriam dei praedicaret in se ostensam. Item: ,Tu sine mortuos etc., tu vade et annuncia regnum.' hoc vult eum facere. Sic renatus nihil habet, quod praestantius faciat, quam gratias agere. Sic quicquid vixerimus post iustificationem, debet nihil sonare quam misericordiam. Et ideo iustificat nos, ut ostendat in nobis suam misericordiam et misereatur desperatis. Post iustificationem proximum, primum, etemum et principale et continuum opus est agere gratias deo et hanc ipsam gratiam praedicare." [„In den vorhergehenden Versen hat er (= David) genugsam seine Erfahrung erklärt, daß er ohne seine Werke gerechtfertigt worden ist. Daher kennt er nun kein Werk, mit dem er Gott etwas zurückgeben will, außer das eine, daß ich, nachdem du mich neu geschaffen hast, öffentlich Dank sage.... Das ist der beste Stand nach der Rechtfertigung und empfangenen Gnade, nach der geschenkweise verliehenen Vergebung der Sünden: Gott Dank sagen: Diese seine Gabe groß machen und dadurch alle Menschen zu derselben Gnade unterweisen. So sagt Christus, als er heilt: ,Geh und erzähle, wie große Dinge Gott' usw. (Mk 5,19; Lk 8,39) Desgleichen: ,Er ging weg in sein Haus und lobte.' (Lk 5,25; vgl. Lk 2,20) An einer anderen Stelle: ,Er verbot ihm, etwas zu sagen; j e mehr er aber verbot, desto mehr verkündigte er.' (Mk 7,36; vgl. Mt 9,30f.; Mk l,44f.) Das sind die hauptsächlichsten Werke, die dem Baum folgen, der neu geschaffen ist, daß er Gottes Ruhm verkündigt, der an ihm gezeigt wurde. Desgleichen: ,Laß du die Toten usw., geh du und verkündige das Reich.' (Lk 9,60) Das will er machen. So hat der Wiedergeborene nichts, was er vortrefflicher machen kann, als Dank sagen. So soll alles, was wir nach der Rechtfertigung leben, nichts als die Barmherzigkeit rühmen. Und daher rechtfertigt er uns, daß er an uns seine Barmherzigkeit zeige und sich über die Verzweifelten erbarme. Das nächste, erste, ewige und hauptsächlichste und unaufhörliche Werk nach der Rechtfertigung ist Gott Dank sagen und eben diese Gnade verkündigen."] Das Stichwort „theologia regenitorum" erwähnt auch Oswald Bayer im Zusammenhang der Darstellung von Luthers Theologieverständnis (ders., Theologie, 46). Er formuliert so: „Man versteht in bestimmter Hinsicht durchaus, weshalb später die Pietisten auf einer theologia regenitorum, auf einer Theologie der Wiedergeborenen, bestanden und sich dazu auf Luther beriefen."

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Bibel ste 1 lenregi ster 1. Mose 1. Mose 1,27 1. Mose 1,28 1. Mose 2,18 1. Mose 2,22 1. Mose 2,24 1. Mose 3,15 1. Mose 3,20 1. Mose 5,2 1. Mose 19,18-20 1. Mose 25,8 1. Mose 25,17 1. Mose 31,54 1. Mose 33,5 1. Mose 37,33-35 1. Mose 49,18

222 256 181,256 257 257 256 234 257 256 222 255 255 238 182,213 213 241

2. Mose 9,27 2. Mose 18,12 2. Mose 19,6 2. Mose 20,2 2. Mose 20,4 2. Mose 20,18-21 2. Mose 24,4-11 2. Mose 30,1-10 2. Mose 30,9 2. Mose 32,6 2. Mose 34,15

241 238 257 256 293 234 238 261 262 238 238

2. Mose 37,25-28

261

3. Mose 3. Mose 3. Mose 3. Mose

238 238 238 238

1-7 3,1-17 7,11-21 7,28-34

3. 3. 3. 3. 3. 3.

Mose Mose Mose Mose Mose Mose

9,18-21 10,1-7 10,12-15 16,12f. 19,5-8 22,21 f.

238 262 238 262 238 238

4. Mose 6,13-20

238

5. Mose 5. Mose 5. Mose 5. Mose 5. Mose 5. Mose

256 207 238 238 230,255 255

5,6 8,3 12,1-28 14,22-29 18,15 18,18

Jos 7,19

160f., 242

Ri 2,18 Ri 3,7-11 Ri 3,9 Ri 3,12-30 Ri 3,15 Ri 9,26f. Ri 11,27 Ri 13,5 Ri 15,18f. Ri 20,12-17

255 230 256 230 256 238 97 231 230 45

1. Sam 1. Sam 1. Sam 1. Sam 1. Sam

256 238 238 238 238

2,35 9,12f. 10,8 11,14f. 16,3-5

Bibelstellenregister

324

l . K ö n 8,62-66 1. Kön 19,4

238 255

2. Chr 12,6 2. Chr 34,28

241 255

Esr 1,5 Esr 7,27 Esr 9,15

256 254 241

Neh 2,12 Neh 9,8 Neh 9,33

254 241 241

Hiob 1,6-12 Hiob 1,21

257 96, 181,213, 216 256

Hiob 10,8 Ps/„Psalter"

Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps

1-25 1 1,1 f. 2 2,3 2,4 2,6 2,7 2,8 2,9 2,10 2,1 lf. 2,11

1-4, 6-8, 29,35, 58f., 61,83, 101, 140, 167, 206, 221 29 3 272 3, 7, 9, 76 14,21, 110 31,68, 84 14, 19 104f., 293 14, 19, 145, 191 104, 109 68, 105 118, 145 103, 105, 109, 114, 117, 123, 145, 147, 149, 293, 298

Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps

2,12 5,12 7,18 9,2 9,11 15,4 18 19,1 Of. 19,13 22 23 23,5 25,18 26,6f. 27 27,4 30 31 31,6 32,1 Of. 32,10 33 33,18 34 35,23 37,5 45 45,3 45,5 45,6

Ps Ps Ps Ps

45,7 45,8 45,9 45,10

Ps 45,11

109, 150 300 101 101,259 29 35 222 207 163 3 222 238 255 141 222 101 222 222 254f. 35 254 222 254 222 259 254 3, 7, 9, 297 77 78 77, 184, 190, 194, 226 14,36, 109, 297 297 109, 297f. 104, 120, 131, 136, 149,291, 297f. 109, 291

325

Bibelstellenregister

Ps 45,12 Ps 45,13 Ps 45,18 Ps 46 Ps48 Ps 50 Ps 50,23 Ps 51

Ps 51,2 Ps 51,3-7 Ps 51,3f. Ps 51,3

Ps 51,4 Ps 51,5 Ps 51,6

Ps 51,8 Ps Ps Ps Ps Ps Ps

51,9f. 51,9 51,1 Of. 51,10 51,11 51,12-14

Ps Ps Ps Ps

51,12 51,13 51,14f. 51,14

Ps 51,15-17

91, 109, 145,

Ps 51,15

77f., 96, 104,

150, 291,293

106, 109, 115,

145 103 f., 106, 117, 123,298 222 222 287 61,258, 286f. 3,5-9, 59,71, 76, 120, 139, 157, 164, 271 71, 112

120, 123, 128130, 136-140, 269, 302 78, 105, 183, 194

158 77, 126 14,21,24-26, 38, 47,71,77, 83,96, 125,233, 235, 283 97, 125f, 297 95, 125 28, 32, 75, 78, 97, 104, 157160, 165, 169, 240-244, 246f., 252, 297 7 7 f , 84, 97, 158, 171 77 78,81,297 82 298 78 125f. 125f., 163 78, 96 76 96, 297 140

Ps 51,16 Ps 51,17

81,83, 103, 106, 109, 116, 138, 162, 183

Ps 51,18

136, 138, 271, 294 74, 113 78 104, 136, 162, 271

Ps 51,19 Ps 51,20 Ps 51,21 Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps

57,3 60 63,4 65 65,4 66 68,6 70,1 75,4 76 79,9 85

Ps 86,12 Ps 90 Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps

90,1 90,2 90,3 90,5 90,6 90,7 90,8 90,11

101 222 42f. 222 255 160, 222 255 299 35 222 255 260 259 3-5, 7, 9f„ 59, 76, 103, 156 76, 78, 294 77, 143, 145 78, 143 143 97f. 77f., 297 97 78, 83

Bibelstellenregister

326

Ps Ps Ps Ps Ps

90,12 90,13 90,14 90,15 90,17

Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps

91,11 91,15 92,16 94,15 103 103,22 104 105 105,28 106

Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps

107 107,22 108 111 111,1 114 115 116 116,10 118 118,8 119 119,18 119,41 119,72 119,73 119,77 119,81 119,98-100 119,103 119,123

Iii., 82f., 136 85 294 98 14, 28, 36f., 41, 44, 68, 78, 80f., 83, 85, 88, 92, 105 255 29 29 35 222 255 222 222 29 222 222 141 222 222 101,259 222 222 222 140 222 256 69 155f„ 296 254 70 256 254 242 70 207 242

Ps 119,166 Ps 119,174 Ps 120-134/ „Stufenpsalmen" Ps 120 Ps 120,1 Ps 120,4 Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps

120,5 120,6 120,7 121 121,1 121,2 121,3-6 121,3

Ps Ps Ps Ps Ps

121,7f. 121,7 121,8 122 122,1

Ps 122,2 Ps 122,3 Ps 122,4

Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps

122,5 122,6 122,7 122,8 122,9 123,1 123,2 123,3 124

242 242 3f., 7, 9f., 14,30, 59, 66, 86 103-106, 123 74f., 82f., 86, 101, 109 91, 97f., 184, 190, 194 83,98 97 83 76 101, 145f., 293 293 254f. 88, 298 254f. 88 88 9, 89, 222, 284 68, 74, 104, 136, 145, 189, 284 75, 136, 189 145,298 92, 104, 109, 112, 136, 265, 284, 291 92, 136 89f., 98 88-90 17, 105, 297f. 297f. 145,293 14 145 9, 122, 132, 134, 222

Bibelstellenregister

327

Ps 124,1

103 f., 115, 122, 132f.

Ps 128,1

33, 36, 74, 96f., 256f.

Ps Ps Ps Ps Ps

133 132f. 132 115, 122, 133f.

Ps Ps Ps Ps

128,2 128,3 128,4 128,5

Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps

128,6 129 129, If. 129,3 129,8 130 130,1

14, 34,91 136 145, 152 88, 95, 145, 148, 293f. 17 162, 194,222 91, 103, 297f. 74, 122, 162 172, 297f.

124,2 124,3 124,4 124,5 124,6

Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps

124,7 124,8 125 125,1 125,2 125,4 126 126,1 126,2

Ps Ps Ps Ps

126,3 126,4 126,5 127

Ps 127,1

Ps 127,2

Ps 127,3 Ps 127,4 Ps 127,5 Ps 128

88, 122, 133, 184, 190, 194, 226, 297 74, 133f., 136 103, 133f., 136 10, 222 254 80, 84 75, 80, 82 76, 222 131 109f., 121, 131, 244, 297 189 78, 83,291 17, 148 9, 181-183,212, 214-216, 218f. 73f., 91, 96f., 104, 136, 178f, 181, 183, 21 If., 214,217-219, 226, 256 74, 9 5 f , 104, 136, 181-183, 202,211-213, 217-219,226, 266, 288 74, 181 f., 213, 217, 226 74, 97,218 214

Ps 130,2 Ps 130,3f. Ps 130,3 Ps 130,4

Ps Ps Ps Ps Ps

130,5 130,6 130,7 131 131,1

Ps 131,2 Ps 132 Ps 132, If. Ps 132,1 Ps 132,5 Ps 132,6 Ps 132,7 Ps 132,8

8f., 76, 110, 113 77-79, 97, 145, 147, 293 98 81 14, 22f., 47, 78, 85, 97f„ 170 14,21,26, 76f„ 82, 97, 110, 117, 145, 170, 270, 288f. 14, 27, 29 297 297 14,21,23,45 14, 18, 20, 24, 189, 197 110, 244, 297 9, 76 77 75, 82, 189 293 84, 171 104, 145, 152, 266 145,293

Bibelstellenregister

328

Ps 132,9

14, 30f„ 39, 78, 83, 85f., 257, 297

Pred Pred 6,1 f.

64 266

Ps 132,10 Ps 132,11 Ps 132,12

76, 78, 83 85, 105 14,30, 34,44, 105,298

Jes Jes Jes Jes

43,1 44,2 45,12 61,6

256 256 256 257

Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps

14, 29 189 76 89, 92, 122, 136 14, 42, 105, 136 9, 86 109

Jer 3,15 Jer 15,16 Jer 23,4

257 207 257

Klgl 1,18

241

86, 103 f., 107, 109, 120, 134, 140, 162 104, 109, 135, 138

Hes 2,8-3,3

207

Dan 9,7 Dan 9,14 Dan 12,1

241 241 93

Hos 14,3

255

Am

64

Jona 3,5

245

Mt Mt Mt Mt Mt Mt Mt Mt Mt Mt Mt Mt Mt

45 207 276 75 257 255 254f. 254f. 254f.

132,17 132,18 133 133,1 133,3 134 134,1 f. 134,1

Ps 134,2 Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps Ps

134,3 135 136 138 138,1 139 142,2 143,2 144 145 146 146,9 147 148 148 -14 149 150

Spr 25,21 f.

68, 88, 145,293 222 222 222 259 222 101

163 f. 222 222 222 255 222 222 255 222 222 262

3,9 4,4 5,45 6,9f. 6,11 6,12 6,14 6,26 6,32 7,7-11 8,24f. 9,30f. 10,9f.

49 85 124,302 255

Bibelstellenregister

329

Mt 14,30

256

Lk 23,46

254f.

Mt 15,13

254f.

Lk 24,47

245

Mt 16,16

259

Mt 17,5

293

293

Joh 3,35

Mt 18,22

167,249

Joh 4,20-24

151

Mt 18,35

254f.

Joh 5,22

293

Mt 19,4

256

Joh 5,23

293

Mt 19,5

256

Joh 5,44

259

Mt 25,40

266

Joh 6,69

259

Mt 26,36-46

47

Joh 7,16

293

Joh 7,18

259

Mk 1,44f.

124,302

Joh 12,31

234

Mk 5,19

124,302

Joh 14,1

293

Mk 6,8f.

255

Joh 14,27

257

Mk 7,36

124,302

Joh 15,5

254

Mk 10,6

256

Joh 16,33

187,228,256f.

Mk 10,7

256

Joh 20,28

259

Mk 16,16

241 f. Apg 5,17-23

259

Lk 2,20

124,302

Apg 12,3-10

259

Lk 5,25

124,137,302

Apg 14,23

258

Lk 8,39

124,302

Apg 20,32

258

Lk 9,3

255

Lk 9,60

124,302

Lk 10,4

255

Lk 10,18

234

Rom 1

Lk 11,3

257

Rom 1,8

101

Lk 11,4

255

Rom 1,17

301

Lk 11,8

272

Rom 1,25

177

Lk 17,5

258

Rom 2,4

241

Lk 17,11-19

275

Rom 2,12

241

Lk 18,1

272

Rom 3

50

Lk 18,1 lf.

21,171,262

Rom 3,4

160,241f.

Lk 18,11

84

Rom 3,9

241

Lk 18,12

21

Rom 3,10

241

Lk 18,13

270

Rom 3,19-21

241

Lk 21,36

272

Rom 3,23

241

Lk 22,35

255

Rom 3,25f.

241

Lk 22,40

272

Rom 4,20

254

Rom

50,147,253, 275,294 71

330

Bibelstellenregister

Rom 5,12

241

2. Kor 9,15

259

Rom 5,15

126, 254, 258

2. Kor 10,17

258

Rom 5,21

242

2. Kor 11,31

177

Rom 6,11

258

2. Kor 12,9

254

Rom 6,23

242, 244

2. Kor 13,7

101

Rom 7,7

241

2. Kor 13,13

94, 259

Rom 7,14

163 f. 289, 2 9 I f .

Rom 7,18f.

163 f.

Gal

Rom 7,23

244

Gal 1,5

177, 259

Rom 8,8

254

Gal 2,20

258

Rom 8,26

51

Gal 3,6

289, 29If., 294

Rom 9,5

177, 259

Gal 3,22

241

Rom 11,31

254

Gal 6,14

258

Rom 11,33-36

177

Gal 6,18

94, 259

Rom 12,1

62

Rom 12,20

262

Eph 1,17

259

Rom 16,20

94

Eph 3,14-19

101

Rom 16,24

94

Eph 3,20f.

177

Rom 16,25-27

177

Eph 3,21

259

Rom 16,27

259

Eph 5,31

256

Eph 6,11

257

Eph 6,24

94

1. Kor 1,8

25 8f.

1. Kor 1,14f.

101

1. Kor 1,31

258

Phil 1,3-11

263

1. Kor 3,1-3

207

Phil 1,6

75,258

1. Kor 4,7

287

Phil 1,9-11

101

1. Kor 4,13

268

Phil 2,13

254

1. Kor 4,15

267

Phil 3,7-11

242

1. Kor 10,13

91

Phil 3,7f.

241

1. Kor 13,7

276

Phil 4,4-7

261

184, 187, 194,

Phil 4,6

49, 2 6 1 , 2 6 3

226, 258

Phil 4,13

254

94

Phil 4,20

177

Phil 4,23

94, 259 254f.

1. Kor 15,57 1. Kor 16,23 2. Kor 1,3

259

2. Kor 2,14

184

Kol 1,13

2. Kor 4,13

140

Kol 2,9

118, 151

2. Kor 8,9

258

Kol 3,17

262

2. Kor 8,11

254

Kol 4,3

258

Bibelstellenregister

94

Kol 4,18 l.Thess l.Thess l.Thess l.Thess 1. Thess l.Thess l.Thess l.Thess

2,13 2,18 3,2 3,13 4,1 5,16-18 5,17 5,25

1. Thess 5,28 2. 2. 2. 2.

Thess Thess Thess Thess

1,11 3,1 3,16 3,18

101 257 258 258 254 49 272 258 94 254 258 94, 257 94

1. Petr 1. Petr 1. Petr 1. Petr 1. Petr 1. Petr 1. Petr 1. Petr

2,5 2,9 2,25 3,22 4,8 4,11 5,8 5,10

1. Petr 5,11 2. 2. 2. 2. 2. 2. 2.

62, 257 257 167, 249 259 254 177, 259 257 258 177

1,9 1,11 1,13 2,20 3,1 3,2 3,18

284

5,12-14 13,18 13,20f. 13,21 13,25

207 258 177

Petr Petr Petr Petr Petr Petr Petr

259 259 259 259 259 177, 259

101 258 177, 257 268 257 94

Hebr Hebr Hebr Hebr Hebr

2. Tim 1,12

258

Jud 24f.

177

2. Tim 4,18

177, 259

Jud 25

259

2. Tim 4,22

94, 259

Tit 2,11 Tit 3,15

254 94

Phlm 25

94, 259

1. Petr 1,22 1. Petr 2,2

254 207

Offb 1,6 Offb 5,8 Offb 5,10 Offb 10,8-11 Offb 12,7-9 Offb 17,14 Offb 19,16 Offb 20,6

257 120f. 257 207 234 257 257 257

I.Tim 1. Tim 1. Tim 1. Tim 1. Tim 1. Tim

1,12f. 1,16 1,17 5,17 6,15 6,21

259 94

Personenregister Aaron

262

Beutel, Albrecht

Abihu

262

Bornkamm, Karin

Abraham Achan Adam

Brecht, Martin

166, 234, 288f.

149 149

2, 8, 54, 60f., 111,

120, 149, 153, 176f., 195f„ 202,

160

246, 261, 278f., 300

28, 233f.

Agricola, Johann

244f.

Agricola, Michael

53

Brisger, Eberhard Brück, Gregor

Albrecht von Brandenburg, Kardinal,

100

193

Brune, Johannes

278

Erzbischof von Mainz und

Brush, Jack Edmund

Magdeburg 196

Bugenhagen, Johannes Burger, Christoph

Albrecht, Christian

47

Althaus d. Ä„ Paul

2, 48, 52

Althaus, Paul Arnos

128,268,281

64

200f.

54

Carr, Deanna Marie

54

Christian II., König von Dänemark

Amsdorf, Nikolaus von

93,178,185,

192, 1 9 4 f , 239, 259 Angenendt, Arnold Aristoteles Asaf

5f., 71, 140

279 Cicero, Marcus Tullius

299

Cochlaeus, Johannes

218

45 195

Cordatus, Konrad

185f., 191

Damerau, Rudolf

53

286f.

Asendorf, Ulrich

53

Assel, Heinrich

265

Augustinus, Aurelius Aurelius

126

192

Daniel

93, 146

David

22,29,44,68,71,73-75,77,

79f., 9 5 , 9 9 , 122, 124f„ 155, 171,

Austin, John Langshaw

227

233f., 266f„ 296, 302 Demosthenes

Barbara, Heilige Bayer, Oswald

116 54, 69, 71, 253, 302

Beintker, Horst

52,54,71

Bernhard von Clairvaux Bernold von Konstanz Beskendorf, Peter

45

Dietrich, Veit 4f., 8f., 80, 173, 188 Droste-Hülshoff, Annette, eigentl. Anna Elisabeth Freiin von

148f„ 288f. 87

153f., 156, 168-

Ebeling, Gerhard

54, 94, 202

Edwards Jr., Mark U.

170, 174, 177, 179, 194, 204-209,

Eglon

219, 221, 225, 227, 236, 248, 250,

Ehud

263, 272f„ 277, 279, 296, 299

Eiert, Werner

230 230 17

298

186

333

Personenregister

Erasmus von Rotterdam, Desiderius 178 Erben, Johannes

Hof, Otto

54

Holl, Karl

48-50, 264f.

33

Eva, Diaconesse de Reuilly Feldmann, Harald

202

Franck, Sebastian

33

Isaak

54

Iwand, Hans Joachim

Franz I., König von Frankreich

182

Friedrich I., König von Dänemark

Jakob

Jesaja 177,259

Georg III., der Gottselige, Fürst von 9 9 f „ 187, 189f„

Goethe, Johann Wolfgang von Grimm, Jacob und Wilhelm

186

33

93,99f.

281,299

93, 100, 192f., 196, 200,

226, 245 Johann Friedrich I., der Großmütige, 176,196,

279

52

Guldschmidt, Stenzel Günther, Veronika

fürst von Brandenburg

Kurfürst von Sachsen

278

Grüneisen, Ernst

Joachim II., Kurprinz, seit 1535 Kur-

Sachsen

51

Gronau, Hermann

239

Johann der Beständige, Kurfürst von

114

Gerson, Johannes

287

Joest, Wilfried

194f., 199, 225f„ 257 Georg, Heiliger

123 f.

49f.

93, 100, 174, 176, 189, 199,226,

185, 193, 195f„ 258

Anhalt-Dessau

166

Joachim I., Fürst von Anhalt-Dessau

Georg der Bärtige, Herzog von Sachsen

300

Jakobus, Sohn des Zebedäus Jeremía

279 Geltner, Petrus

166

174, 177

17f., 31 f.

Johann IV. (II.), Fürst von AnhaltDessau

100,189,199,226,258

Jonas, Justus, eigentl. Jodocus Koch Hammer, Gerhard

201 f., 245

3, 83

Hausammann, Susi

Jordahn, Bruno

164

Hauschild, Wolf-Dieter Hausmann, Nikolaus

198

94,100,185,

187, 190, 192, 194, 196, 2 2 5 , 2 5 8 Häussling, Angelus A. Heiler, Friedrich Hermann, Rudolf

54

49f., 142f., 148,299 50, 52, 71, 253

Herrmann, Johannes

176, 279

Hieronymus, Sophronius Eusebius 123f., 140, 160f., 242, 272 Hiob

216f.

Hirsch, Emanuel

54

Jörger, Dorothea

174, 176, 239, 258,

279 Josef, Sohn Jakobs Josua

213

160

Jung, Martin H. Junghans, Helmar Kanitz, Hans von

12,47,57 132,201 279

Karl V., deutscher Kaiser

182

Karlstadt, Andreas, eigentl. A. Bodenstein von/aus Karlstadt

51 f.

285

61,

Personenregister

334

Klaus, Bernhard

88

Michael, Erzengel

Klein, Christoph

53

Mohammed, eigentl. Abü Ί - Q â s i m

Kluge, Friedrich

105

Kroker, Ernst

233f., 288, 293

173

Mohr, Georg

Kulp, Hans-Ludwig

93

199

Mose

93

4 , 4 4 , 7 7 , 8 1 , 145, 150f., 2 3 0 ,

245 Latomus, Jacobus, eigentl. Jacques Masson

Moser, Hugo

126

Lausberg, Heinrich

129

Lausten, Martin Schwarz Lehmann, Martin E. Leo X . , Papst

Müller, Christa 279

Linke, Angelika

195

Müller, Kaspar

111

47

54,161

Müller, Gerhard

53

193,239

Müntzer, T h o m a s

285

227

Loewenich, Walther von

50f.

Nadab

262

Lohse, Bernhard

61,246,265

Nathan

Löser, Hans von

279

Nicol, Martin

Lot

18,26,33

Mössinger, Richard

222

35,45 6 9 , 151, 153, 155f.,

207

Lotther, Michael

166f.

Ludolphy, Ingetraut Lufft, Hans

Notker von Sankt Gallen, der

54

Stammler

186

153,167

Luther, Hans, Sohn Martin Luthers

Oberman, Heiko Augustinus Otniël

201 Luther, Katharina, geb. von B o r a

201

Luther, Paul, Sohn Martin Luthers

41

230

Ottheinrich, Pfalzgraf, seit 1556 Kurfürst von der Pfalz

1

279 Paulus Manasse

166f.

Matsuura, Jan

2,25,50,62,94,140,241,

262f„ 267f. 15,19,26,33

Maubumus, Johannes

198

Pelkonen, John Peter Peters, Albrecht

53

5 5 , 118, 126, 128,

Maurer, Wilhelm

63

Mechler, Ägidius

177,259

Petrus

Medier, Nikolaus

173

Philipp I., der Großmütige, Landgraf

209, 249, 268f.

Melanchthon, Philipp, eigentl. Schwarzerdt

18, 2 6 , 2 9 , 3 3 , 4 9 ,

2 5 , 6 2 , 167, 178, 2 5 9 , 2 8 3 f .

von Hessen

174,177,231

Pistorius, Friedrich

99f.

5 7 , 196, 2 4 5 Ménégoz, Fernand Ménière, Prosper

47 202

Mennecke-Haustein, Ute Menser, Andreas

176

177, 2 5 9

Rad, Gerhard von

238

Ranke, Friedrich

18, 33

Rhegius, Urbanus Riedesel, Johann

100 174,176

Personenregister

Ritsehl, Albrecht

49

Rogge, Joachim

246

335

Stammler, Wolfgang

Rörer, Georg 4f., 8-10, 25, 79, 185,

Stifel, Michael Stolt, Birgit

188,291 Roth, Stephan

Rühel, Christoph Rühel, Johann

10,54-56,204

16

Themistokles

275

Vajta, Vilmos

54

99f. 185,194,196

Vogelsang, Erich Saul

74f.

Wagner, Rudolf

Schlaginhaufen, Johannes

100,173,

192

193

Wartenberg, Günther

176,196

Schlicht, Matthias

193

Schmidt, Kurt Dietrich Schnittko, Gerhard

193

54 54

54

Wiskamp, Gerhard

186, 194f., 225,

257

52, 80, 198f.

Seidemann, Johann Karl

52f., 70f.

Wette, Wilhelm Martin Leberecht de

4f., 9

Schmidt, Ernst Walter

Seils, Martin

238

Weller, Matthias Wertelius, Gunnar

47

Schulz, Frieder

54,264

Walch, Johann Georg Weber, Otto

Schleiermacher, Friedrich Daniel

Simson

149,161

34f., 45, 64, 214, 262, 266

Scheel, Otto 1

Ernst

276

176

9f.

Rublack, Hans-Christoph

Salomo

18,33

Staupitz, Johannes von

Wunder, Heide

16, 19,40f.

193

281,291

23Of.

Spalatin, Georg 93, 186, 194f., 225

Zachäus

51

Zeller, Winfried Zwingli, Huldrych

147 175,285