Die mystische theologie der morgenländischen kirche

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Die mystische theologie der morgenländischen kirche

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GEIST UND LEBEN DER OSTKIRCHE

Vladimir Lossky

Die mystische Theologie der morgenländischen Kirche

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VERLAG STYRIA

Das Werk der Einigung der Kirche ist mehr eine geistige und geistliche Angelegenheit als eine kirchenrecht­ liche. In diesem Sinne sind nicht nur die Leiter der Kirche, sondern ist auch jeder Gläubige befähigt, ja berufen, an diesem Werk mitzuarbeiten. Das Wichtigste, das wir dabei tun können, ist, einander in gegenseitiger christ­ licher Liebe kennenzulernen und zu verstehen, ohne das Trennende zu übersehen und ohne cs in einem fal­ schen Optimismus zu unterschätzen. Nun liegt die Erkenntnis der Ostkirche und der ostkirchlichen Theologie bei uns noch sehr im argen. Wir legen daher hier gerade im Dienste des ge­ genseitigen Kennenlernens eine Dar­ stellung der Lehre der von Rom ge­ trennten morgenländischen

Kirche

vor. Sie stammt aus der Feder eines russischen Theologen, der von der katholischen wie von der orthodoxen Seite als einer der führenden Gestalter in der orthodoxen Theologie betrach­ tet wird. Seine Darstellung arbeitet,

Vladimir Lossky Die mystische Theologie der morgenländischen Kirche

G E IS T UN D L E B E N D E R O S T K I R C H E Band I Texte und Studien zur Kenntnis ostkiixhlicher Geistigkeit Herausgegeben von Univ.-Prof. Dr. Endre von Ivatika

VLAD IM IR LO SSK Y

DIE MYSTISCHE THEOLOGIE DER MORGENLÄNDISCHEN KIRCHE Übersetzt von Mirjam Prager O SB Abtei St. Gabriel

Verlag Styria Graz Wien Köln

Die Originalausgabe des Werkes erschien unter dem Titel

„E ssa i sur la Théologie

Mystique de l ’Eglise d’Orient, par Vladim ir Lossky de !a confrérie de S, Photius” bei Edition M ontaigne, Fernand Aubier, Paris.

1961 A lle Rechte der deutschen Übersetzung Vorbehalten Copyright @ hy Edition Montaigne, Fernand Aubier, Paris. Printed in Austria Gesamtherstellung: Uni versitäts-Buchd ruckerct Styria Grat,

VORW O RT D ES H E R A U SG E B E R S

Wie erfolgreich — oder erfolglos — auch immer die auf die Wiedervereinigung der getrennten Kirchen ge­ richteten Bemühungen des angekündigten zweiten vatikanischen Konzils sein werden, einen Erfolg hat jedenfalls auch die bloße Ankündigung des Konzils schon gehabt: es ist eine große Bereitschaft und ein großer Eifer entstanden, Lehre und Leben der von uns getrennten christlichen Brüder, insbesondere der Ost­ kirche, kennenzulernen, um so mehr, da auch der Heilige Vater wiederholt geäußert hat, daß dieses verständnis­ volle Kennenlernen der wertvollste Beitrag ist, den auch der einfache Gläubige zum Gelingen (oder wenigstens zur Vorbereitung) des Werkes der Einigung leisten kann. Zu diesem Kennenlernen will das vorliegende Buch (sowie auch die ganze Serie, die es einleitet) dem Leser ein Werkzeug an die Hand geben, indem es eine der anerkanntermaßen besten Darstellungen der Theologie und der theologischen Denkweise der Ostkirche (die der Verfasser des Buches eben als eine „mystische“ bezeichnet) in deutscher Übersetzung vorlegt. Es wurde dabei absichtlich ein Werk gewählt, das eher darauf be­ dacht ist, die Unterschiede zwischen der katholischen und der ostkirchlichen Lehre und Denkweise scharf zu betonen und auf prinzipielle Grundlagen zurückzuführen, als sie hinter der Gemeinsamkeit der hier wie dort als Norm anerkannten Tradition und des gemeinsamen hierarchisch-sakramentalen Kirchenbegriffs allzusehr zu-

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rücktreten zu lassen. P. Congar warnt zwar mit Recht davor (i), den geistigen Riß, den das Schisma verursacht hat, noch dadurch zu vertiefen, daß man Unterschiede, die durch wohlwollende Auslegung der Glaubens­ formulierungen, die hier und dort anerkannt werden, und durch das Zurückgehen auf die gemeinsame Tradition noch beseitigt oder zumindest gemildert werden könnten, dadurch verabsolutiert und auf die Spitze treibt, daß man in ihnen den Ausdruck eines unüberbrückbaren Gegensatzes der Wesensart und der Denkweise zu erblicken meint. Aber ebenso bedenklich wäre es, in übertriebenem Optimismus neben dem Vielen und Grundlegenden, das uns eint, das Trennende ganz zu übersehen; man stünde dann um so verständnisloser den Einwänden und Schwierigkeiten gegenüber, die der Osten — gerade durch den Mund seiner führenden Theologen — gegen die Idee der Einigung erhebt. Wo diese Schwierigkeiten liegen, welches die Einwände sind, die der Osten gegen die westlich-katholische Denkweise macht (die ja in manchen Fällen, wie P. Con­ gar selbst betont, nicht schlechthin katholisch, sondern eben speziell westlich-katholisch ist) — dies zu verstehen ist geradeso ein Erfordernis verständnisvollen gegen­ seitigen Kennenlernens wie die liebevolle Betonung des Einigenden und Gemeinsamen. In diesem Sinne wurde das Buch von VI. Lossky gewählt. Es stellt zwar die ostkirchliche Geistigkeit universal genug dar, um auch, (i) In seinem Beitrag „N eu f cents ms après“ zu dem Gedenkband, den die Abtei Chevetogne unter dem Titel: lo jp —ip jp , L ’Eglise et les Eglises. N euf siècles de douloureuse séparation entre l ’ Ori­ ent et l ’ Occident, anläßlich des neunhundertjährigen Gedenktages der Trennung veröffentlicht hat und den vor kurzem der Verlag Herder gesondert in deutscher Übersetzung unter dem Titel: Zerrissene Christenheit vorgelegt hat.

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wie wir glauben, das Gemeinsame deutlich werden zu lassen. Aber es sei wiederholt, daß es das Trennende stark betont, vielleicht manchmal überbetont. Um so deutlicher wird der katholische Leser zu erkennen ver­ mögen, wo er dieses Trennende zu suchen hat, und welches die geistigen Triebfedern sind, die die getrenn­ ten Ostchristen immer wieder, oft unwillkürlich, eine Abwehrhaltung gegenüber den Einigungsplänen ein­ nehmen lassen. Nur wenn wir diese Triebfedern kennen, wird unser Appell an die gemeinsame Tradition nicht verständnisloses „Vorbeireden“ am Standpunkt des anderen sein. Lossky ist zwar weit entfernt vom Standpunkt jener „Orthodoxen“ , die die Rechtgläubig­ keit der Ostkirche auf die Eigenart der slawischen Mentalität, auf die religiöse Sonderstellung und die universale Sendung des Russentums begründen wollten und — nach einem treffenden Worte VI, Solovjevs — „den Heiligen Geist zu russifizieren bestrebt waren“ . Aber der aufmerksame Leser wird sehen, daß Lossky die von ihm so meisterhaft dargestellte Verschiedenheit der Frömmigkeitshaltung, des „geistigen Klimas“ , die an und für sich eine Verschiedenheit psychologischer Formen und Erlebnisweisen innerhalb derselben uni­ versalen, katholischen Einheit sein könnte, an dogma­ tische Unterschiede anzuknüpfen, auf das Fundament dogmatischer Gegensätze zu begründen sucht, die man­ che ostkirchliche Theologen wohlwollender beurteilen. Denn es wird noch heute im östlichen Raume (der ja keine verbindliche, gemeinsame Lehrautorität be­ sitzt als die auch von der römisch-katholischen Kirche anerkannten sieben ersten ökumenischen Konzilien) die Auffassung vertreten, daß die „bmdermörderische Tat der Hinzufügung des Filioque im Credo“ , wie sie Chomjakov nannte, zwar, als eigenmächtige Abänderung

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des Textes des Glaubensbekenntnisses, eine unrecht­ mäßige Handlung der westlichen, katholischen Kirche gewesen sei, daß aber der damit ausgedrückte Gedanke als der gemeinsamen Tradition entsprechende, orthodoxe Lehre angesehen werden könne. Lossky dagegen will in der Lehre vom Ausgang des Heiligen Geistes vom Vater allein (nicht umsonst betont er auf dem Titelblatt seines Buches, daß er der Bruderschaft des hl. Photios angehört (2) das ideelle Fundament einer ganzen Reihe von eigenartigen Zügen der ostkirchlichen Geisteshal­ tung und der ostkirchlichen Auffassung vom Wesen der Kirche erblicken. Die Lehre von den ungeschaf­ fenen Energien, die man nicht einmal als offizielle Lehre der Ostkirche betrachten kann (denn die „Ökumenizität“ des Konzils von 1351 wird auch von vielen Ortho­ doxen nicht behauptet), wenn sie sich auch immer mehr zu einem Differenzpunkt zwischen dem Osten und dem Westen zu entwickeln beginnt, spielt bei Lossky für die Lehre von der Geschöpfüchkeit und dem Wesen der Gnade eine so entscheidende Rolle, wie dies bei manchen anderen orthodoxen Theologen keineswegs der Fall ist. Auch in dieser Hinsicht ist die Haltung Losskys, wie schon gesagt, ein Extremfall. Aber, wie gleichfalls schon gesagt wurde: Der Leser muß sich be­ wußt sein, hier eine Darstellung vorgelegt 2u erhalten, die den Akzent auf die Unterschiede legt und so erst ein wirklich verständnisvolles Eingehen auf die Schwierig­ keiten ermöglicht, die sich im Glaubensgespräch mit dem Osten ergeben. Wenn trotzdem „das Gold“ , das nach einem denkwürdigen Worte Papst Pius’ X L „auch die von einem goldhaltigen Berge abgesplitter(2) Man vergleiche dazu: H , G . Beck, Kirche und Theologische Literatur im Byzantinischen Reich, München 1959, S. 3 11.

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ten Felsstücke noch enthalten“ , an vielen Stellen doch hell aufleuchtet, so wird uns gerade das in der Freude an der gemeinsamen Tradition und an dem gemeinsamen Glaubensgut bestärken, daß es in einer Darstellung aufscbeint, die an und für sich weniger das Verbindende als das Besondernde und Trennende herauszuarbeiten bestimmt war, und daher ein um so wirksamerer Zeuge für diese Gemeinschaft der Tradition ist.

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IN H A L T

Vorwort des Herausgebers I

„ .....................

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Einleitung: Theologie und Mystik in der Tradition der O stk irch e............................

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II

Das göttliche Dunkel . . . . . . . . .

31

III

Gott — der D r e ifä lt ig e ...........................

58

IV

Die ungeschaffenen E n ergien .........................87

V

Das geschaffene S e i n .................................... 116

VI

Bild und G le ic h n is ........................................143

V II

Die Heilstat des S o h n e s ...............................170

V III IX X

Die Heilstat des HeiligenGeistes Zwei Aspekte der Kirche

. . . 198

. . . . . . .

Weg der E i n i g u n g .......................

221 250

XI

Das göttliche Licht .......................................276

X II

Das himmlische F e s t m a h l ........................... 301

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I T H E O L O G IE U N D

M Y S T IK IN

D E R T R A D IT IO N

D E R O S T K IR C H E

In diesem Buch sollen einige Aspekte der ostkirchlichen Spiritualität und deren Beziehungen zu den Grundthesen der orthodoxen dogmatischen Theologie untersucht werden. Der Ausdruck „mystische Theologie" bezeichnet hier nichts anderes als eine Spiritualität, die Ausdruck einer bestimmten Haltung dem Dogma gegenüber ist. In einem gewissen Sinn ist jede Theologie eine mysti­ sche, insofern sie das göttliche Mysterium, die Offen­ barungstatsachen kundtut. Und dennoch stellt man häu­ fig die Mystik in Gegensatz zur Theologie, als wäre sie ein der Erkenntnis unzugängliches Gebiet, ein unaus­ sprechliches Geheimnis, etwas Verborgenes, das eher erlebt als erkannt werden kann und das sich weder der Tätigkeit unserer Sinne noch der unserer Intelligenz, sondern nur einer spezifischen Erfahrung erschließt, die unsere Erkenntnis kraft übersteigt. Würde man dieser These vorbehaltlos zustimmen und Mystik grundsätz­ lich der Theologie gegenüberstellen, dann käme man folgerichtig zur Auffassung Bergsons, der in seinem Werk „Les deux sources de la morale et de la religion“ die statische, soziale und konservative Religion der K ir­ chen der dynamischen, persönlichen und evolutionistischen der Mystiker gegenüberstellt. Wie weit hat Bergson mit dieser These recht? Die Frage ist schwer zu beantworten, und dies um so mehr, als für Bergson die Antithese im religiösen Gebiet nur ein Teilaspekt seiner philosophischen Betrachtungsweise des Univer-

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sums ist, in der er Natur und „élan vital“ (Lebens­ schwungkraft) als die beiden Seinspole einander gegen­ überstellt. Aber auch von jenen, die der Anschauung Bergsons fernestehen, wird häufig die Meinung ver­ treten, daß Mystik ein nur wenigen Auserwählten vor­ behaltenes Gebiet, eine Ausnahme von der allgemeinen Regel, ein Privileg einiger Seelen sei, denen es gegeben wurde, die Wahrheit zu erfahren, während die anderen sich mit einer mehr oder weniger blinden Unterwerfung unter das Dogma begnügen müssen, das ihnen mit zwingender Autorität von außen gegenüber tritt. Wenn man diesen Gegensatz zu scharf formuliert und dabei die historischen Tatsachen etwas verfälscht, so kann es geschehen, daß man zu weit geht und Mystiker und Theologen, „Geistesmänner“ und Prälaten, Heilige und „Kirche“ gegeneinander ausspielt. Es genügt, an zahl­ reiche Stellen aus den Schriften Harnacks oder an das „Leben des hl. Franziskus“ von Paul Sabatier und an andere, meist von protestantischen Historikern ver­ faßte Werke zu erinnern. Die ostkirchliche Tradition hat niemals scharf zwischen Mystik und Theologie, zwischen persönlicher Erfahrung der göttlichen Mysterien und dem von der Kirche verkündeten Dogma unterschieden. Die Worte, die ein großer orthodoxer Theologe, der Metropolit Philaret von Moskau, vor 100 Jahren aussprach, drücken diese Haltung sehr klar aus : „K ein einziges der Mysterien der geheimsten Weisheit Gottes darf uns fremd oder völlig transzendent erscheinen, sondern w ir sollen in aller Demut unseren Geist an die Kontemplation der göttlichen Dinge gewöhnen“ (i). Mit anderen Worten: (x) Predigten und Ansprachen von Bischof Philaret, Moskau 1844, (in russischer Sprache), 2, Teil, S. 87,

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Das Dogma, das eine ge offenbarte Wahrheit ausdrückt, die uns wie ein unerforschliches M ysterium erscheint, muß von uns durch einen seelischen Prozeß so erlebt werden, daß wir nicht das Mysterium unserer Erkennt­ nisweise anpassen, sondern vielmehr selbst eine tief­ greifende Umgestaltung, eine innere Umwandlung un­ seres Geistes erleiden, um zur mystischen Erfahrung fähig zu werden, Theologie und Mystik schließen ein­ ander nicht aus: im Gegenteil, sie stützen und ergänzen einander. Die eine kann ohne die andere nicht existieren: wird in der mystischen Erfahrung der allgemeine Glaubensinhalt zum persönlichen Erlebnis, so drückt die Theologie zum Nutzen aller das aus, was von jedem einzelnen erfahren werden kann. Außerhalb der von der Kirche gehüteten Wahrheit wäre die persönliche E r­ fahrung jeder Gewißheit, jeder Objektivität beraubt; sie wäre eine Mischung von wahr und falsch, Wirklich­ keit und Illusion, kurz „Mystizismus“ im abschätzigen Sinn des Wortes. Andererseits hätte die kirchliche Lehre keinerlei Macht über die Seelen, wenn sie nicht irgend­ wie doch eine innere Erfahrung der geoffenbarten Wahr­ heit ausdrücken würde, die, wenn auch in verschiedenem Grad, von jedem Gläubigen nachvollzogen werden kann. Es gibt also keine christliche Mystik ohne Theo­ logie — es gibt aber vor allem keine wahre Theologie ohne Mystik. Es ist kein Zufall, daß die Tradition der Ostkirche den Beinamen „der Theologe“ drei heiligen Schriftstellern Vorbehalten hat, von denen der erste, Johannes, der „Mystiker“ unter den vier Evangelisten ist, der zweite, der hl. Gregor von Nazianz, betrachtende Gedichte verfaßt hat und der dritte der hl. Symeon der „neue Theologe“ , der Sänger der Gottvereinigung ist. Mystik wird hier also als die Vollendung aller Theo­ logie betrachtet, als Theologie „par excellence“ .

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Im Gegensatz zur Gnosis (2), bei der die Erkenntnis als Selbstzweck betrachtet wird, ist christliche Theologie letztlich immer nur ein M ittel, nämlich eine Summe von Erkenntnissen, die einem Ziele dienen, das jede Erkennt­ nis übersteigt. Dieses letzte Ziel ist die Vereinigung mit Gott oder Vergöttlichung, die üscoocc der griechischen Väter. Man gelangt so zu einer scheinbar paradoxen Schlußfolgerung: die spekulative Durchdringung der christlichen Lehre hat einen eminent praktischen Sinn, und das um so mehr, je mystischer sie ist, je unmittelbarer sie auf das letzte Ziel, unsere Vereinigung mit Gott, aus­ gerichtet ist. Betrachtet man die dogmatischen Kämpfe im Lauf der Jahrhunderte vom Gesichtspunkt des geist­ lichen Lebens aus, so erscheinen sie uns alle von dem einen, vorherrschenden Anliegen der Kirche beherrscht, in jedem Augenblick ihrer Geschichte den Christen die Möglichkeit zu wahren, zur Fülle mystischer Gottver­ bundenheit zu gelangen. Verteidigte die Kirche in ihrem Kam pf gegen die Gnostiker nicht den Begriff der Vergöttlichung als letztes Ziel — im Sinne der Formel: „Gott wurde Mensch, damit die Menschen zu Göttern würden“ ? Verteidigte sie nicht das Dogma von der Gleichwesentlichkeit innerhalb der Trinität gegen die Arianer, weil das v ort der Logos, uns den Weg zur Gottvereinigung bahnt und weil unsere Vergöttlichung unmöglich wäre, wenn das inkarnierte Wort dem Vater nicht gleichwesentlich, wenn es nicht wahrhaft Gott wäre? Verdammte die Kirche nicht den Nestorianismus, um die Schranke niederzureißen, durch die er in Christus selbst den Menschen von Gott trennen wollte? Erhob sie sich nicht gegen den Apollinarismus und den Mono(2) Vgl. den Artikel von H,~Ch. Pueeb; Où en est le problème du gnosticisme? Revue de VUniversité de Bruxelles, 1934, N. 2 und 3.

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physitismus, um zu beweisen, daß unser ganzes mensch­ liches Sein mit Gott vereinigt werden soll, da ja das Wort die Fülle der wahren menschlichen Natur angenom­ men hat? Bekämpfte sie nicht die Monotheleten, da man ohne die Vereinigung der beiden Willen, des göttlichen und des menschlichen, nicht zur Vergöttlichung ge­ langen kann? Denn: „G ott erschuf den Menschen durch einen Akt seines göttlichen Willens, aber er kann ihn ohne die Mitwirkung des menschlichen Willens nicht erlösen/' Siegte die Kirche nicht im Bilderstreit, indem sie dafür eintrat, daß man sehr wohl göttliche Wirklichkeit in der Materie darstellen könne — als Symbol und Unterpfand dafür, daß auch die sichtbare Schöpfung geheiligt werden kann? In allen Fragen also, die im Laufe der Zeit auftauchten — sei es über den HL Geist, die Gnade oder über die : Kirche (gerade diese Frage steht ja heute im Mittel­ punkt der dogmatischen Diskussion)— , geht es letzten Endes immer um die Möglichkeit, die Weise oder die Mittel unserer Gottvereinigung. Die ganze Geschichte des christlichen Dogmas entfaltet sich um den einen mystischen Kern, der im Lauf der aufeinanderfolgenden Epochen mit verschiedenen Waffen gegen verschiedene v Gegner verteidigt wurde. Betrachtet man die theologischen Lehrmeinungen, die im Lauf dieser Kämpfe ausgearbeitet wurden, in ihrer ■ unmittelbaren Beziehung zur Gottvereinigung, ihrem ; letzten Ziel, dann erscheinen sie uns als Fundament christlicher Spiritualität. Diese Verbundenheit zwischen Dogma und Spiritualität meine ich, wenn ich von mystischer Theologie spreche. Es soll hier also nicht Mystik im eigentlichen Sinn behandelt werden, soweit sie die persönliche Erfahrung verschiedener Meister des geistlichen Lebens ist. Diese

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Erfahrungen bleiben uns ja meist verschlossen, sogar ■ wenn sie in Worten ausgedrückt werden. Was läßt sich über die mystische Erfahrung eines Paulus sagen? „Ich weiß einen Menschen in Christus, es ist jetzt vierzehn Jahre her, der ward — ob im Leibe, ich weiß es nicht, oder außerhalb des Leibes, ich weiß es nicht, Gott weiß es — bis in den. dritten Himmel entrückt. Ich weiß von diesem Menschen — ob im Leibe oder außerhalb, ich weiß es nicht, Gott weiß es — , er ward ins Paradies entrückt und da vernahm er unaussprechliche Worte, die auszusprechen keinem Menschen je verstattet sind“ (2 K or 12, 2—4). Um irgendein Urteil über die Art dieser Erfahrung zu wagen, müßte man mehr davon wissen als Paulus, der seine Unwissenheit bekennt: „Ich weiß es nicht, Gott weiß es.“ Ich schließe also be­ wußt jede Behandlung mystischer Psychologie aus. Ebenso will ich hier auch nicht die theologischen Lehr­ meinungen an sich behandeln, sondern nur jene Elemente des theologischen Denkens, die zum Verständnis einer Spiritualität unerläßlich sind — Dogmen, die die Grund­ lage einer Mystik bilden. Dies wäre eine erste Definition meines Themas: die mystische Theologie der Ostkirche. Die zweite Abgrenzung ist eine gewissermaßen räum­ liche: ich beschäftige mich hier mit der mystischen Theologie des christlichen Ostens oder genauer der orthodoxen Kirche des Ostens, mag diese Beschränkung auch etwas willkürlich sein. Da die Scheidung zwischen dem christlichen Osten und Westen erst seit der Mitte des i i . Jahrhunderts besteht, bildet alles, was vor dieser Zeitgrenze liegt, ein gemeinsames, unteilbares Erbe der getrennten Teile. Die orthodoxe Kirche wäre nicht, was sie ist, besäße sie nicht den heiligen Cyprian, Augustinus und Gregor den Großen; ebenso kann auch die rö-

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mische Kirche nicht auf den heiligen Athanasius, Basilius und Cyrill von Alexandrien verzichten. Will man also von mystischer Theologie des Ostens oder des Westens sprechen, so folgt man der Spur einer der beiden Traditionen, die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zwei lokale Traditionen der einen Kirche waren und für die eine christliche Wahrheit Zeugnis ablegten, die sich aber dann trennten und zwei verschiedene dogmatische Haltungen entstehen ließen, die einander in verschiede­ nen Punkten grundsätzlich widersprechen. Kann man etwa über die beiden Traditionen urteilen, indem man sich auf neutrales Gebiet begibt, das weder der einen noch der anderen angehört? Dies hieße über das Chri­ stentum als Nicht-Christ urteilen, d. h. von vornherein auf jedes Verständnis des Objektes verzichten, das man erforschen will. Objektivität besteht ja keineswegs darin, sich außerhalb des Objektes zu stellen, sondern es im Gegenteil in sich selbst und durch sich selbst zu betrach­ ten. Es gibt Gebiete, in denen das, was man gewöhnlich „Objektivität“ nennt, nichts anderes als Gleichgültig­ keit und daher Unverständnis, Verzicht auf jedes Ver­ stehen bedeutet. Will man, angesichts der gegenwärtigen dogmatischen Spaltung zwischen Orient und Okzident, die mystische Theologie der Ostkirche betrachten, dann muß man sich für eine der beiden möglichen Stellungnahmen ent­ scheiden: entweder man begibt sich auf das Gebiet der abendländischen Dogmatik und betrachtet, oder, besser gesagt, kritisiert, die östliche Tradition von hier aus, oder man stellt diese östliche Tradition im Lichte der östlichen Dogmatik dar. Diese Haltung ist für den Verfasser die einzig mögliche. Man wird vielleicht einwenden, daß die dogmatischen Lehrunterschiede zwischen Ost- und Westkirche nur 2 Lossky

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etwas Sekundäres gewesen seien, daß sie keine entschei­ dende Rolle gespielt hätten, daß es sich vielmehr um zwei verschiedene geschichtliche Welten gehandelt habe, die sich früher oder später trennen mußten, um ihre eigenen Wege zu gehen: daß der dogmatische Streit nur ein Vorwand gewesen sei, um die kirchliche Einheit endgültig zu lösen, die tatsächlich schon seit langem nicht mehr bestanden habe. Solche Behauptun­ gen, die man sowohl im Osten wie im Westen sehr häufig hören kann, entstammen einer rein profanen Geisteshaltung, der allgemeinen Gewohnheit, die K ir­ chengeschichte mit bloß profanen Methoden zu be­ handeln, die bewußt von dem religiösen Charakter der Kirche absehen. Für solche „Kirchen geschi datier“ verschwindet der religiöse Faktor völlig und wird durch andere ersetzt, wie z. B. das Kräftespiel politischer oder sozialer Interessen, die Bedeutung rassischer oder kultureller Gegebenheiten, die zu bestimmenden Fak­ toren im Leben der Kirche gemacht werden. Man hält sich für intelligent und fortschrittlich, wenn man diese Faktoren als wahre, bewegende Kräfte der Kirchen­ geschichte anführt. Wenn der christliche Historiker die Bedeutung dieser Dinge auch anerkennen wird, so wird er doch nie zugeben, daß sie auf das Wesen der Kirche einen anderen als einen bloß äußerlichen Einfluß aus­ geübt haben; nie darf er darauf verzichten, in der Kirche ein autonomes Wesen zu sehen, das einem anderen Gesetz als dem des Determinismus dieser Welt unter­ worfen ist. Man kann die dogmatische Frage über den Hervorgang des Hi. Geistes, die den Osten vom Westen trennte, nicht als ein zufälliges, unwesentliches Phäno­ men in der Geschichte der Kirche betrachten, wenn wir ihrem wahren Wesen gerecht werden wollen. Vom religiösen Standpunkt aus gesehen, liegt hier das wirklich

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Ausschlaggebende in der Verkettung der Tatsachen, die schließlich zur Trennung führten. Mag diese dogmatische Frage auch von verschiedenen Faktoren mitbestimmt worden sein, so wurde sie doch für die einen wie für die anderen Anlaß zu einer bewußten, endgültigen Stellung­ nahme, zu einer bestimmten, geistlichen Haltung dem Glaubensgut gegenüber. Wenn man zuweilen dazu neigt, die Bedeutung der dogmatischen Frage, die die ganze folgende Entwicklung bestimmte, zu unterschätzen, so kommt dies von einer gewissen Abgestumpftheit, einem Mangel an Einfüh­ lungsvermögen in das Dogmatische überhaupt, das dann als etwas Äußerliches oder Abstraktes angesehen wird. A u f die Spiritualität allein komme es an, heißt es oft; die dogmatischen Unterscheidungslehren hätten nicht viel zu bedeuten. Und doch sind Spiritualität und Dogma, Mystik und Theologie im Leben der Kirche unlösbar verbunden. Wir sahen schon, daß es der öst­ lichen Kirche eigen ist, zwischen Theologie und Mystik, zwischen dem Gebiet des für alle verbindlichen Glaubens und der eigenen religiösen Erfahrung keine starre Schranke aufzurichten. Wollen wir also von der mystischen Theologie der Ostkirche sprechen, so kön­ nen wir diese Frage nicht anders als im Rahmen der Dogmatik der orthodoxen Kirche behandeln. Ehe wir unser eigentliches Thema in Angriff nehmen, müssen wir noch einige Worte über die orthodoxe Kirche sagen, die bis heute im Abendland wenig be­ kannt ist. Selbst das in vieler Hinsicht sehr beachtens­ werte Buch von P. Congar, Chrétiens désunis, kann sich trotz des ehrlichen Bemühens des Verfassers, objektiv zu sein, nicht von manchen Vorurteilen bezüglich der orthodoxen Kirche frei machen. „Indem sich das Abend­ land“ , schreibt er, „auf den augustinischen Kirchen­

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begriff stützte, den es sowohl weiterentwickelte als auch verengte, forderte es für die Kirche volle Autonomie in der Gestaltung ihres arteigenen Lebens und ihres A uf­ baus und legte in diesem, sehr positiven Sinn die Grund­ lagen für seine Ekklesiologie. Der Osten hingegen ließ für die Kirche in ihrer soziologischen und menschlichen Wirklichkeit praktisch und zuweilen sogar theoretisch ein politisches anstatt eines religiösen Einigungsprinzips gelten, das daher die Universalität der Kirche aufhob“ (3). Für P. Congar wie für die Mehrzahl der katholischen oder protestantischen Autoren, die sich zu diesem Thema geäußert haben, scheint die Ostkirche eine Föderation von Nationalkirchen zu sein, die alle auf einem politi­ schen Prinzip, dem der Staatskirche, beruhen. Nur wer sich in völliger Unkenntnis sowohl der kanonischen Grundlagen als auch der Geschichte der orthodoxen Kirche befindet, wird es wagen, ein so fälschlich ver­ allgemeinerndes Urteil zu fällen. Die Lehre, welche einen politischen, ethnologischen oder kulturellen Faktor als Grundlage der Einheit einer örtlichen Kirche her­ anziehen will, wird in der orthodoxen Kirche sogar als eine Häresie, die den Namen Phyletismus trägt, ange­ sehen (4). Nicht die politische oder nationale Einheit, sondern das kirchliche Territorium, das durch eine mehr oder weniger alte christliche Tradition geheiligte Gebiet, bildet die Grundlage einer Metropolitanprovinz, die von einem Erzbischof oder Metropoliten geleitet wird; seine Su ffragan-Bischöfe versammeln sich von Zeit zu (3) M .-J. Congar O .P ., Chrétiens désunis, Principes d'un ,,toecuménisme“ catholique, Ed. du Cerf 1937, p. 15. {4) Akten der Synode von Konstantinopel August-September 1872, in Mansi, Coll, concil., t. 45, coll, 417— 546. Vgî.auch den A r­ tikel von M . Zy^ykim , L'Eglise orthodoxe et la nation, Irénikon 1936, 265— 277.

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Zeit mit ihm zu einer Synode. Wenn sich mehrere Metropolitanprovinzen 2u einer Landeskirche unter der Jurisdiktion eines Bischofs vereinigen, der oft den Titel eines Patriarchen trägt, so ist auch hier wiederum die G e­ meinsamkeit der örtlichen Tradition und des histori­ schen Geschicks sowie die Leichtigkeit, mehrere Provinzen zu einem Konzil zusammenzurufen, bei der Bildung dieser großen kirchlichen Sprengel maßgebend gewesen, deren Grenzen daher auch nicht immer mit den politischen Staatsgrenzen zusammenfallen (5). Dem Patriarchen von Konstantinopel wird ein gewisser Ehrenvorrang zugestanden, indem man ihm das Amt eines Schiedsrichters bei Meinungsverschiedenheiten zuerkennt, ohne daß er jedoch eine Jurisdiktion über die Gesamtheit der ökumenischen Kirche ausübt. Mehr oder weniger die gleiche Haltung hatten die einzelnen lokalen Kirchen des Ostens einst dem apostolischen Patriarchat von Rom gegenüber eingenommen, dem ersten Bischofssitz der Kirche vor der Trennung, dem Symbol ihrer Einheit. Die Orthodoxie kennt kein sicht­ bares Haupt: ihre Einheit tritt durch die Gemeinschaft, in der die Bischöfe der lokalen Kirchen miteinander stehen, durch die Zustimmung aller zu den Beschlüssen einer Provinzialsynode, die dadurch den Rang eines allgemeinen Konzils erhält, und endlich, allerdings nur in Ausnahmefällen, durch ein allgemeines Konzil in Erscheinung (6). Die Katholizität der Kirche ist nicht das Privileg eines bestimmten Bischofssitzes oder kirch(5) So umfaßt 2. B. das Patriarchat von Moskau die Diözesen von Nord-Amerika und von Tokio. Die Territorien der Patriarchate von Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem ge­ hören, politisch gesehen, verschiedenen Staaten an. (6) Die Bezeichnung „ökumenisches Konzil“ , die in der Ostkirche den ersten sieben allgemeinen Synoden gegeben wird, entspticht

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liehen Zentrums, sondern sie verwirklicht sich im Reich­ tum und in der Vielfalt der örtlichen Traditionen, die einmütig die eine Wahrheit bezeugen — die Wahrheit dessen, was immer, überall und von allen geglaubt wurde. Da die Kirche in allen ihren Teilen katholisch ist, so ist jedes ihrer Glieder — nicht nur der Klerus, sondern auch jeder Laie — berufen, die Wahrheit der Tradition zu bekennen und sie sogar gegen Bischöfe, wenn sie der Häresie verfallen, zu verteidigen. Ein Christ, der die Gabe des HL Geistes durch das Sakrament der heiligen Salbung empfangen hat, muß sich seines Glau­ bens bewußt sein; er ist stets für die Kirche verantwort­ lich. Von hier aus versteht man, daß das kirchliche Leben in Byzanz, in Rußland und in anderen Ländern der orthodoxen Welt oft ein so stürmisches und erregtes Bild bot. Dies ist die Kehrseite seiner religiösen Vitali­ tät, der Intensität des geistlichen Lebens, das das gläubige Volk durchdringt, welches sich bewußt ist, mit der kirchlichen Hierarchie einen einzigen Leib zu bilden. Hier liegt die Quelle jener unbesieglichen Kraft, die die Orthodoxie alle Heimsuchungen, Katastrophen und Umwälzungen überdauern ließ, die es ihr möglich machte, sich immer neuen historischen Situationen anzu­ passen und sich stärker zu erweisen als die äußeren Ver­ hältnisse. Daß selbst die mit systematischem Haß ge­ leitete Glaubensverfolgung unserer Tage die Kirche Rußlands nicht zerstören konnte, ist das beste Zeugnis für jene Kraft, die nicht von dieser Welt stammt. einer rein historischen Betrachtungsweise: es sind die Konzilien des „ökumenischen“ Territoriums, nämlich des byzantinischen Rei­ ches, das (zumindest theoretisch) den ganzen christlichen Erdkreis umfaßte. Später gab es in der orthodoxen Kirche andere allgemeine Konzilien, die, ohne den Titel „ökumenisch“ zu tragen, weder weniger zahlreich noch geringer an Bedeutung waren als die ersten.

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Die orthodoxe Kirche betrachtet sich, wenn sie auch gewöhnlich Ostkirche genannt wird, dennoch als ökumenische Kirche. Und dies ist insofern berechtigt, als sie weder durch eine bestimmte Kultur noch durch das Erbe irgendeiner Zivilisation, sei es der hellenisti­ schen oder einer anderen, noch durch typisch orienta­ lische kulturelle Formen geprägt ist. Übrigens ist die Bezeichnung „orientalisch“ mehrdeutig: der Orient ist in kultureller Beziehung weit weniger einheitlich als der Okzident, Was haben der Hellenismus und die russische Kultur miteinander gemein, wenn auch Rußland sein Christentum Byzanz verdankte? Die Orthodoxie hat zu vielen verschiedenen Kulturen als Sauerteig gedient, um als die Kulturform der orientalischen Christenheit betrachtet zu werden: ihre Ausdrucksformen sind mannigfach, ihr Glaube ist einer. Weil sie den autochthonen Kulturen nie eine spezifisch „orthodoxe“ Kultur entgegensetzte, konnte sich ihr Missionswerk so glück­ lich entwickeln: denken wir an die Verchtistlichung Rußlands im io. und i i . Jahrhundert und an die Predigt des Evangeliums in ganz Asien in den darauf­ folgenden Jahrhunderten. Gegen Ende des 18. Jahrhun­ derts erreichte die orthodoxe Mission die Aleuten-Inseln und Alaska, breitete sich dann in Nordamerika aus, wo sie neue Diözesen der russischen Kirche außerhalb Ruß­ lands schuf, und drang nach China und Japan vor. Die anthropologischen und kulturellen Verschieden­ heiten zwischen Griechenland und den äußersten Grenzen Asiens, zwischen Ägypten und dem Eismeer heben den einheitlichen Charakter dieser geistlichen Familie nicht auf, die sich vom christlichen Okzident sehr stark unterscheidet. Das geistliche Leben der Orthodoxie kennt eine große Vielfalt an Formen, deren wichtigste das Mönchtum ist.

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Im Gegensatz zum abendländischen Mönchtum kennt aber das orthodoxe nicht eine Vielfalt verschiedener Orden. Dies erklärt sich durch die orthodoxe Auffassung vom mönchischen Leben, dessen Ziel kein anderes ist als die Vereinigung mit Gott in völligem Verzicht auf das Leben dieser Welt. Wenn sich der Weltklerus (ver­ heiratete Priester und Diakone) und die Bruderschaften der Laien mit sozialen Werken beschäftigen oder andere äußere Tätigkeiten ausüben können, so ist dies den Mönchen verwehrt. Sie nehmen das heilige Kleid vor allem, um sich in einem Kloster oder in einer Einsiedelei dem Gebet, dem inneren Leben zu widmen. Zwischen einem Zönobitenkloster und der Einsamkeit eines Anachoreten, der die Traditionen der Wüstenväter lebendig erhält, gibt es mehrere Zwischenformen klö­ sterlichen Lebens. Man könnte sagen, daß das östliche Mönchtum im allgemeinen ausschließlich kontemplativ sei, wenn die Unterscheidung zwischen dem kontem­ plativen und dem aktiven Weg im Osten den gleichen Sinn hätte wie im Westen. Für die orientalische Spiritua­ lität sind die beiden Wege unlöslich miteinander ver­ bunden: der eine setzt den anderen unbedingt voraus, da ja die aszetische Ausbildung und die Schulung für das innere Gebet als geistliche A ktivität bezeichnet wird. Wenn die Mönche zuweilen körperlich arbeiten, so tun sie dies vor allem aus aszetischen Gründen: sie wollen ihre widerspenstige Natur brechen oder den Müßig­ gang, den Feind allen geistlichen Lebens, vermeiden. Um die Vereinigung mit Gott in dem Maße zu erreichen, als sie hienieden verwirklicht werden kann, bedarf es einer ununterbrochenen Anstrengung, oder richtiger, einer ständigen Wachsamkeit, damit die Unversehrtheit des inneren Menschen, „die Einheit von Herz und Geist“ (um einen Ausdruck der orthodoxen Aszese zu gebrau­

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chen) allen Angriffen des Feindes, allen unkontrollierten Bewegungen der gefallenen Natur widerstehe. Die menschliche Natur muß gewandelt, muß mehr und mehr durch die Gnade verklärt und auf den Weg der Heili­ gung geführt werden, der nicht nur geistliche, sondern auch leibliche und dadurch kosmische Bedeutung hat. Das geistliche Werk eines Cönobiten oder eines Anachoreten übt, selbst wenn es ganz verborgen bleibt, eine Wirkung auf das ganze Universum aus. Darum standen die monastischen Institutionen in allen Ländern der orthodoxen Welt zu allen Zeiten in hohen Ehren. Die großen Zentren geistlichen Lebens spielten nicht nur im kirchlichen, sondern auch im kulturellen und politischen Leben eine bedeutende Rolle. Die Klöster vom Berge Sinai, das Studioskloster in Konstantinopel, die „Mönchsrepublik“ des Athos, die Mönche aller Nationen (vor der Kirchenspaltung auch lateinische Mönche) vereinigte, sowie andere große Mönchs­ zentren außerhalb des byzantinischen Reiches, wie das Kloster von Tirnovo in Bulgarien oder die großen Lauren Rußlands, das Höhlenkloster bei Kiew , das Drei­ faltigkeitskloster bei Moskau, waren Hochburgen der Orthodoxie und Schulen geistlichen Lebens, die einen überaus segensreichen Einfluß auf die Verchristlichung der jungen Völker ausübten (7). Wenn aber auch das monastische Ideal eine so große (7) Über das ostkirchliche Mönchtum findet man nützliche H in­ weise in dem Büchlein von JV. F . Robinson, Monasiidsm in the orthodox Churches (London 1916). Über den Berg Athos: F . W. Hasluck, Athos and its monasieries (London 1924), und Fran^ Spmda, D er heilige Berg Athos (Leipzig , Insel-Verlag 1928). Über das monastische Leben in Rußland sind die Studien von Igor Smotitsch heranzuziehen: Studien zum Klosterwesen Rußlands, 1937 Kyriosi N. 2, S. 95— 112 , und 1939, N. 1., S. 29— 38; besonders

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Anziehungskraft auf die Seelen ausübte, so war es doch nicht die einzige Form geistlichen Lebens, die die Kirche ihren Gläubigen darbot. Der Weg der Gott­ vereinigung kann auch außerhalb der Klöster, in allen Verhältnissen menschlichen Lebens beschritten werden. Die äußeren Formen können sich wandeln, die Klöster können verschwinden, wie sie heute in Rußland ver­ schwunden sind — aber das geistliche Leben wird mit der gleichen Intensität weitergeführt, indem es sich neue Ausdrucksformen schafft. Die außerordentlich reiche Hagiographie der Ostkirche weiß neben den heiligen Mönchen auch von einfachen Laien zu berich­ ten, die mitten in der Welt und im Ehestand die geist­ liche Vollkommenheit erlangten. Sie kennt auch außer­ gewöhnliche, befremdende Wege der Heiligung, wie den der „Narren in Christus“ , die absonderliche Dinge vollführten, um ihre geistlichen Gaben vor den Augen ihrer Umgebung unter der abschreckenden Form des Irrsinns zu verbergen oder richtiger, um sich von der drückendsten und den Geist am meisten hemmenden Form der Bindung an diese Welt zu befreien, nämlich von der an unser soziales „Ich“ , d. h. von der Stellung, die wir in der Gesellschaft einnehmen (8). Die Vereini­ gung mit Gott bekundet sich zuweilen durch charis­ matische Gaben, wie z. B. die der Seelenführung, welche die „Starzen“ oder „Ältesten“ ausüben. Meist sind es interessant ist die Studie vom gieichen Verfasser: Das allrussische Mönchtum ( n ,—-16. Jahrhundert), Gestalter und Gestalten (Würzhurg 1940) in D as östliche Christentum, X I; (8) Vgl, dazu E . Ben^·, Heilige Narrheit, Kyrios, 1938, N. 1 — 2, S, i — 5 ; ; Mme Behr-Sigel, Les „fous pour le Christ“ et la sainteté laïque dans Tandenne Russie, Irénïkon, X V , 1939, 554— 565 ; Gamayom, Etudes sur la spiritualité populaire russe: I, Les „fous pour le Christ“ , Russie et chrétienté, 193S— 39, L , S. 57—77,

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Mönche, die viele Jahre in völliger Einsamkeit, Welt­ abgeschlossenheit und im Gebet verbracht haben, und die dann gegen Ende ihres Lebens die Türe ihrer Zelle weit für alle Besucher auftun. Sie besitzen die Gabe, in die unzugänglichen Tiefen der Gewissen einzudringen, Sünden und innere Schwierigkeiten aufzudecken, die uns meist selbst verborgen bleiben, verzagte Herzen aufzurichten und die Bittsteller nicht nur in ihrem geistlichen Leben zu fördern, sondern auch in den Wechselfällen ihres Lebens in der Welt zu beraten (9). Die persönliche Erfahrung der großen Mystiker der Ostkirche bleibt uns meist unbekannt. Abgesehen von einigen Ausnahmen, besitzt die geistliche Literatur des Orients keine autobiographischen Berichte über das innere Leben, wie jene der hl. Angela von Foligno, des sei. Heinrich Suso oder die Geschichte einer Seele der hl. Therese von Lisieuv. Der Weg der mystischen Gott­ vereinigung bleibt meist ein Geheimnis zwischen Gott und der Seele, das nur dem Beichtvater oder einigen Jüngern, nicht aber der Öffentlichkeit anvertraut wird. Nur die Früchte dieser Vereinigung sind es, die den Gläubigen kundgetan werden: die Weisheit, die E in­ sicht in die göttlichen Mysterien, die sich in theologi­ scher oder moralischer Unterweisung, in einem Rat­ schlag, der die Brüder erbauen soll, ausdrückt. Die intime, persönliche Seite der Erfahrung hingegen bleibt vor den Augen der Welt verborgen. Übrigens erscheint der religiöse Individualismus, der sich in der Schilderung des eigenen mystischen Lebens ausdrückt, auch in der abendländischen Literatur erst ziemlich spät, etwa im 13. Jahrhundert. Der hl. Bernhard spricht nur sehr (9) 1. SmolHsch, Leben und Lehren der Starken, Wien 1936.

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selten von seiner persönlichen Erfahrung, ein einziges Mal in den Ansprachen über das Hohe Lied — und auch hier tut er es mit der gleichen Zurückhaltung, wie der hl. Paulus. Erst nachdem es 2u einer gewissen Differen­ zierung zwischen persönlichem Frömmigkeitsleben und dem Leben der Kirche gekommen war, wurden Spiritu­ alität und Dogma, Mystik und Theologie zu zwei getrennten Gebieten; erst dann begannen die Seelen, die in den theologischen Summen keine genügende geistliche Nahrung mehr fanden, gierig nach den Tage­ büchern der Mystiker zu greifen, um eine geistliche Atmosphäre wiederzufinden. Die Ostkirche hingegen kennt den mystischen Incuvidualismus nicht. P. Congar hat recht, wenn er schreibt: „W ir sind zu verschiedenen Menschen geworden. Wir haben den gleichen Gott, aber wir stehen vor Ihm als verschiedene Menschen, können uns über die Art unseres Verhältnisses zu Ihm nicht einigen“ (io). Um aber diese Verschiedenheit im geistlichen Leben richtig zu beurteilen, muß man sie in ihren vollkommensten Ausdrucksformen, in den Heiligentypen der Ost- und Westkirche nach der Tren­ nung betrachten. Dann erst werden wir erkennen, welch inniger Zusammenhang besteht zwischen dem Dogma, das die Kirche bekennt, und den geistlichen Früchten, die sie hervorbringt, denn die innere Erfahrung eines Christen verwirklicht sich in dem durch die Unter­ weisung der Kirche gezogenen Kreis, in dem Rahmen des Dogmas, das seine Persönlichkeit formt. Wenn schon eine Doktrin, welche die Mitglieder einer poli­ tischen Partei bekennen, ihre Mentalität so beeinflußt, daß sie zu Menschentypen werden, die sich von den anderen durch moralische und seelische Merkmale (io) P , Congar, a. a. 0 . S. 47.

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unterscheiden, um wieviel mehr wird es dann dem reli­ giösen Dogma gelingen, die Herzen jener umzuwandeln, die es bekennen, und sie zu Menschen zu machen, die sich von denen, die durch eine andere dogmatische Auffassung geformt wurden, in ihrem ganzen Wesen unterscheiden! Man wird niemals eine Spiritualität verstehen, wenn man das Dogma, das ihr zugrunde liegt, nicht berücksichtigt. Man muß hier die Dinge nehmen, wie sie sind, und den Unterschied zwischen der östlichen und westlichen Spiritualität nicht durch ethnologische oder kulturelle Ursachen zu erklären suchen, wenn eine viel wesentlichere, eine dogmatische Ursache vorliegt. Man darf auch nicht meinen, daß im Hinblick auf die Gesamtheit der christlichen Lehre, die bei Orthodoxen und bei römischen Katholiken ungefähr dieselbe ist, Unterscheidungen in einzelnen dogmatischen Fragen, wie z. B. die des Hervorganges des Hl. Geistes oder die der Natur der Gnade, nicht so schwer ins Gewicht fallen können. Denn bei so grundlegenden Dogmen kommt es gerade auf dieses „ungefähr“ an, auf die verschiedene Akzentsetzung, die diese Unter­ schiede dem gesamten Lehrinhalt verleihen und ihn so zur Grundlage einer jeweils anderen Spiritualität ausformen. Ich will hier keine „vergleichende Dogmatik“ betreiben und noch weniger die konfessionelle Polemik wieder aufnehmen. Ich will nur die Tatsache einer dogmatischen Verschiedenheit zwischen dem christ­ lichen Osten und Westen feststellen, ehe ich jene E le­ mente der Theologie betrachte, welche die Grundlage der östlichen Spiritualität bilden. — Meine Leser mögen beurteilen, in welchem Maß die Darlegung der theolo­ gischen Voraussetzungen der orthodoxen Mystik ihnen das Verständnis einer Spiritualität erleichtert, die sich

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von der der abendländischen Christenheit wesentlich unterscheidet. Wenn es uns gelänge, einander gerade in den Punkten, die uns voneinander trennen, besser kennenzulernen, obwohl wir unseren verschiedenen dogmatischen Grund­ haltungen treu bleiben, dann wäre dies zweifellos ein viel sicherer Weg zur Wiedervereinigung als jener, der diese Verschiedenheit übersehen wollte. Denn, um ein Wort von Karl Barth anzuführen, „man macht die Einigung der Kirchen nicht, sondern man entdeckt sie“ ( i i ).

(ii) Die Kirche und die Kirchen, Oecummica III, N. z, Juli 1936.

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π D A S G Ö T T L IC H E D U N K E L

Das Problem der Gotteserkenntnis wurde auf radikale Weise in einem kurzen Traktat gestellt, der den bezeich­ nenden Titel Περί μυστικής Θεολγίας, D ie mystische Theologie, trägt. Dieses Werk, dessen Bedeutung für die Entfaltung des christlichen Denkens nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, stammt vom unbekannten Verfasser der sogenannten „areopagi tischen“ Schriften, in dem man lange Zeit den Schüler des heiligen Paulus, Dionysius Areopagita, sehen wollte. Die Verteidiger dieser traditionellen Auffassung mußten sich aber mit der beunruhigenden Tatsache auseinander setzen, daß während der fünf Jahrhunderte, die auf die Lebenszeit des angeblichen Verfassers folgen, über diese Werke völliges Schweigen herrscht. Vor dem Beginn des 6, Jahrhunderts werden sie von kirchlichen Schrift­ stellern weder erwähnt noch zitiert. Und als dies dann geschieht, sind es Häretiker (Monophysiten), die durch die Berufung auf die Autorität dieser Schriften ihre Irrlehren zu stützen trachten. Im Lauf des nächsten Jahrhunderts nimmt der heilige Maximus der Bekenner den Häretikern diese Waffe aus der Hand, indem er in seinen Kommentarien oder „Scholien“ die Rechtgläubigkeit der dionysischen Schriften aufzeigt (i). Von dieser Zeit an genießen die (i) D ie Scholien oder Kommentarien des Corpus Dionysiacum, die unter dem Namen des heiligen Maximus bekannt sind, stammen

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„Areopagitika“ in der theologischen Tradition des Ostens wie des Abendlandes unangefochtenes Ansehen. Auch die modernen Kritiker können sich über die Person des Verfassers und über die Entstehungszeit seiner Werke nicht einigen und verlieren sich in den verschiedensten Hypothesen. Die Tatsache, daß die kritische Forschung in deren Datierung zwischen dem 3. und 6. Jahrhundert schwankt, beweist, wie wenig man sich heute noch über die Herkunft dieser geheim­ nisvollen Schriften im klaren ist (2). zum größten Teil von Johannes von Scythopoüs (5 30— 540), dessen Anmerkungen von den byzantinischen Kopisten mit jenen des Maximus verschmolzen wurden. Vergleiche zu dieser Frage die Studien von S. Epiphamvitch, Quelknmaterial Studium des Lebens und der Werke des heiligen Maximus des Bekenners (Kiew 19 17, in russischer Sprache), und den Artikel von H . U. Balthasar, Das Scholienwerk des Johannes von Scythopoüs, Scholastik, X V (1940), 16— 38, wo der Anteil des Johannes von Skythopolis auf Grund der syrischen Übersetzung festgestellt worden ist, (2) H . Koch hält die Areopagitica für das Werk eines Fälschers vom Ende des 5. Jahrhunderts: Pseudo-Dionysius Areopagita in seinen Beziehungen zum Neuplatonismus und Mysterienwesen. Forsch. ehrIstl. Liter,-u. Dogmengeschichte, Bd. 86, 1 ., lie ft 1 und 2. Mainz 1900, — Das gleiche Datum nimmt Bardenhemer an, Geschichte der altkircblichen Literatur, Freiburg 19 13, 4. Bd. S. 282 ff. P , J , Stiglmayr wollte den „Pseudo-Dionysius“ mit Severus von Antiochien, einem Monophysiten des 6. Jahrhunderts, gleichsetzen: Der soge­ nannte Dionysius Areopagita und Severus von Antiochien, Scho­ lastik, III (1928). Robert Devreesse griff diese These an und datierte die dionysischen Schriften vor 440 : Denys P Aréopagite et Sévère d’Antioche, Archives d ’histoire doctrinale et littéraire du moyen âge, IV , 1930. H .-C . Puech nimmt als Entstehungszeit der Areopagitica das Ende des 5. Jahrhunderts an: Liberatus de Carthage et la date de l’apparition des écrits däonysiens, Annuaire de l ’Ecole des Hautes Etudes, Section des sciences religieuses, 1930-1931. Mgr. Athe-

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Welches Resultat diese Forschungen aber auch zeitigen mögen, sie können doch den theologischen Wert dieser Schriften keineswegs beeinträchtigen. A u f die Person des Verfassers kommt es liier im Grunde nicht an: die Hauptsache ist, wie die Kirche den Inhalt dieser Schriften beurteilt, und in welchem Maße sie sie verwendet. Sagt nicht auch der hl. Paulus, indem er einen Psalm von David zitiert: „jem and hat irgendwo gesagt" (Hebt 2, 6)? Dadurch lehrt er uns, wie neben­ sächlich die Verfasserfrage ist, sobald es sich um einen vom Heiligen Geist inspirierten Text handelt. Was für die Hl. Schrift gilt, gilt aber auch für die theologische Tradition der Kirche. Dionysius unterscheidet zwei mögliche Wege der Gotteserkenntnis: der eine argumentiert durch Bejahung (kataphatische oder positive Theologie), der andere durch Verneinung (apophatische oder negative Theolo­ gie). Der erste führt uns zu einer Art von Gottes erkenntnis — er ist unvollkommen; der zweite führt zum völ­ ligen Nichtwissen — und das ist der wahre, der voll­ kommene Weg, der Gottes würdig ist, des von Natur aus Unerkennbaren, jede Erkenntnis hat ja ein Seiendes zum Gegenstand; Gott steht aber jenseits alles Seienden. nagoras hält Dionysius den „Pseudo-Areopagiten“ für einen Schü­ ler des Klemens von Alexandrien und identifiziert ihn mit Diony­ sius d. G r., Bischof von Alexandrien (Mitte des. 3. Jhd.) Ό γνήσιος ο ν γγρ α φ ενς τω ν τις Λ ιο νν σ ιο ν το ν ’Α ρ εο π α γίτη ν ά π ο δ ώ ο μ έν ω ν σ υγγρα μ μά τω ν, Athen 19 32; Δ ιο νύσ ιος ό Μέ~ γας, ε π ίσ κ ο π ο ς ’Α λ εξά ν δ ρ ειά ς, ό σ νγγραφ ενς τω ν ά ρ εοπ α γίτικ ώ ν ανγγρ α μ μ ά τω ν, Alexandrien 1934· Ρ . Ceslas Pera stellt in seinem Artikel: Denys le mystique et k θ ε ο μ α χ ία , Revue des sciences pbilosopbiques et ibeologiqms, X X V , 1936 den Einfluß kappadozischen Denkens auf die dionysischen Schriften fest und versucht, sie einem unbekannten Schüler des hl. Basilius zuzuschreiben.

5 L o ssk y

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Um Ihm zu nahen, muß man alles aus schalten, was geringer ist als Er, das heißt alles Seiende. „Wenn einer Gott geschaut haben will und dabei versteht, was er geschaut hat, dann hat er Ihn nicht selbst gesehen, sondern etwas Erkennbares, etwas, was geringer ist als Er. Durch Nichtwissen (äyt’COoia) erkennt man Jenen, der über allen möglichen Erkenntnisobjekten steht. A u f dem Weg der Verneinung steigt man langsam von den unteren Seinsstufen bis zum Gipfel des Seins empor, indem man ein Erkennbares nach dem anderen ausschaltet, bis man sich dem Unbekannten im Dunkel völligen Nichtwissens naht. Denn wie die Finsternis dem Licht, und am meisten dem stärksten Licht weicht, so weicht die Unwissenheit dem Wissen um die Ge­ schöpfe und am meisten dem vielen Wissen. Und doch ist diese Unwissenheit der einzige Weg, um Gott In Sich selbst zu erreichen“ (3). Überträgt man diese Unterscheidung zwischen be­ jahender und verneinender Theologie, wie Dionysius sie aufgestellt hat, auf die Ebene der Dialektik, so steht man vor einer Antinomie. Man wird dann versuchen, diese Antinomie zu beseitigen, indem man die beiden einander entgegengesetzten Wege in einer Synthese zusammenfaßt und aus ihrer Verbindung einen einzigen Weg der Gotteserkenntnis, eine besondere Erkenntnisweise ab leitet. A u f diese Weise faßt der hl. Thomas von Aquin die beiden Wege des Dionysius zu einem einzigen zusammen, indem er aus der verneinenden Theologie ein Korrektiv der bejahenden machte. Indem wir Gott die Vollkommenheiten zuschreiben, die wir in {3) Epist, I, P. G. 3, col. 1065. Wir zitieren im allgemeinen Diony­ sius in der Übersetzung von E . v. Ivänka, Von den Namen zum Un­ nennbaren, Einsiedeln o, J., S. 10 1.

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den geschaffenen Dingen finden, müssen wir nach Thomas die Weise verneinen, nach welcher wir diese endlichen Vollkommenheiten verstehen, aber wir können sie auf Gott in erhabener Weise, modo sublimiert, beziehen. Demnach würden sich die Verneinungen auf den modus significandi, auf die stets unzulängliche Ausdruckswelse, die Bejahung aber auf die res significaia beziehen, auf die Vollkommenheit, die man ausdrücken möchte und die in Gott auf andere Weise existiert als in den Geschöpfen (4). Man kann sich aber fragen, in welchem Maße dieser glückliche philosophische Schachzug dem Gedanken des Dionysius entspricht. Wenn für den Verfasser der areopagitischen Schriften bereits eine Antinomie zwischen den beiden von ihm unterschie­ denen „Theologien“ besteht, gibt es dann für ihn eine Synthese dieser beiden Wege? Kann man sie überhaupt einander so gegenüberstellen, daß man beide auf die gleiche Ebene stellt? Wiederholt Dionysius nicht un­ ermüdlich, daß die verneinende Theologie höher stehe als die bejahende? Eine Analyse seines Traktates über die mystische Theologie, die sich ausschließlich mit dem Weg der Verneinung beschäftigt, soll uns lehren, was diese Verneinung bei Dionysius bedeutet; gleichzeitig aber werden wir den wahren Apophatismus der theo­ logischen Tradition der Ostkirche kennenlernen. Dionysius beginnt seinen Traktat mit einer Anrufung der Heiligen Dreifaltigkeit. E r bittet sie, „uns auf den über-unerkennbaren, über-leuchtenden Gipfel der my­ stischen Sprüche Gottes zu führen, wo die einfachen, (von aller Umkleidung) losgelösten, unwandelbaren Mysterien der Theologie aus dem überlichthaften Dunkel des mysterienverbergenden Schweigens ent(4) Qmestioms disputatae, I. D e potent, qu. 7, a. 5.

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hüllt werden.“ E r lädt Timotheus, dem der Traktat gewidmet ist, zu mystischer Schau QivOTixä -flsäiM ita) ein; dazu muß er aber „die sinnlichen Wahrnehmungen und die Denktätigkeit, alle Sinnendinge und Denk­ inhalte, alles Nicht-Seiende und Seiende verlassen, um erkenntnislos zum Geeintwerden mit dem über allem Sein und Erkennen Liegenden emporzustreben“ (;). Man sieht schon, daß es hier nicht um ein bloß dialek­ tisches Verfahren, sondern um etwas ganz anderes geht. Eine Reinigung, eine xd'&uQOig tut not: man muß „durch alles Unreine und auch durch alles Reine hindurch und über alle Stufen aller heiligen Höhen hinweg empor­ steigen und alle göttlichen Lichter, Klänge und Worte vom Himmel her abseits liegen lassen und in das Dunkel eindringen, wo in W ahrheit. . . der jenseits von allem Wesende wohnt“ (6), Dieser Aufstieg, auf dem man sich schrittweise vom Einfluß alles Erkennbaren freimacht, wird von Diony­ sius mit dem Aufstieg des Moses zur Gottesbegegnung auf dem Berg Sinai verglichen: „Denn nicht ohne tiefere Bedeutung ist es, daß dem göttlichen Moses zuerst befohlen wird, sich zu reinigen und sich dann von den nicht Reinen abzusondern; und daß er dann, nachdem die Reinigung ganz vollzogen ist, vielstimmige Drommeten hört, vielfältige Lichter sieht, die reine, vielfältig ergossene Strahlen als Blitze von sich aus­ senden —, daß er dann von dem Vielfältigen abgeson­ dert wird und mit aus gewählten Priestern auf die Höhe der göttlichen Stufen des Aufstiegs eilt — und auch dort noch nicht Gott selbst antriflt und nicht Ihn schaut — denn E r ist unschaubar —, sondern den Ort, { ;) P. G . 3, coL 997. Ivänka , S. 9 1. (6) M yst, TheoL I, 3 ; P. G . 3, col. 1000. Ivanka S. 92.

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wo er ist. Das aber bedeutet, meine ich, daß das Gött­ lichste und Höchste im Sichtbaren und Denkbaren nur ein andeutender Ausdruck für das ist, was (als sein Standort) unter dem alles Überragenden steht, wodurch uns seine über allem Begreifen stehende Gegenwart offenbar wird, die über die geistigen Höhen des ihm geheiligten Ortes dahinschreitet. Und dann macht er sich los von allem, was gesehen werden kann und sieht (τω ν δ ρ ω μ ένω ν καί τω ν ορώ ν τω ν), und sinkt hinein in das wahre mystische Dunkel des Unerkennens, indem er sein inneres Auge aller erkennenden Auffassung ver­ schließt, und tritt ein in das ganz Unfaßbare und ganz Unsichtbare — ganz Dem angehörend, der jenseits von allem ist, und niemandem mehr angehörend, weder sich noch einem anderen —, geeint mit seinem Höch­ sten mit dem völlig Unerkennbaren, durch das Still­ stehen aller Erkenntnis, übergeistig erkennend dadurch, daß er nichts erkennt“ (καί τψ μ η δ έν γινώσκενν, ■ υπέρ νουν γινο')σκων ) (j). Nun wird Idar, daß der Weg der Verneinung oder die mystische Theologie (so lautet ja der Titel des Traktates, der über die Methode der Verneinungen handelt) Gott zum Gegenstand hat, insofern er völlig unerkennbar ist. ja es wäre sogar falsch zu sagen, daß sie Gott zum Gegenstand hat: das Ende des von uns zitierten Textes lehrt ja, daß man, wenn man endlich den Gipfel des Erkennbaren erreicht hat, sich von allem losmachen muß, „was gesehen werden kann und sieht“ , d. h. sowohl vom Subjekt wie vom Objekt des Erkennens. Gott bietet sich nicht mehr als Erkenntnisgegenstand dar, denn es geht jetzt nicht mehr um Erkenntnis, sondern um Einigung. Die verneinende Theologie ist (7) Ebenda, col. 1000—xooi. Ivänka S. 93.

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demnach ein Weg zur mystischen. Vereinigung mit Gott, dessen Wesen uns unerkennbar bleibt. Das zweite Kapitel der mystischen Theologie stellt den Weg der Bejahung, der „Setzungen“ ( 0 ecretc)( der ein Abstieg von den höheren Stufen des Seins zu den niedrigeren ist, dem Weg der Verneinung gegenüber, dem Weg der Abstraktionen oder „Beseitigungen“ (dgpcugeffßfg), der sich als Aufstieg zur göttlichen Uner­ kennbarkeit darstellt· Im 3. Kapitel zählt Dionysius seine theologischen Werke auf, indem er sie nach ihrem „Wortreichtum“ anordnet; dieser wird um so größer, je mehr man von den erhabeneren Theophanien zu den niedrigeren herabsteigt. Der Traktat über die mystische Theologie ist der kürzeste von allen, da er von dem Weg der Verneinung spricht, der in das Schweigen der Vereinigung mit Gott führt. Im 4. und 5. Kapitel betrachtet Dionysius eine ganze Reihe von Eigenschaften, die teils der geistig­ denkbaren Welt angehören, und zeigt, daß sie alle von der göttlichen Natur nicht ausgesagt werden können. E r beschließt seinen Traktat mit der Feststellung, daß es über die Allursache, die über allem ist, überhaupt weder Aussage noch Verneinung gibt: „Wenn wir das von ihr aussagen oder verneinen, was unter ihr Hegt, haben wir von ihr selbst nichts ausgesagt und nichts verneint, weil die allumfassende und einförmige Ur­ sache von allem über jeder Aussage steht — und die Erhabenheit des von allem Gelösten, jenseits von allem Stehenden, über aller Verneinung ist“ (8). Man hat Dionysius oft zu einem Neuplatomker stempeln 'wollen. Vergleicht man die dionysische „Ekstase“ mit jener, die Plotin am Ende seiner 6. Enne(8) Ebenda, col. 1048 B. Ivdnka S. 97

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ade beschreibt, so läßt sich wirklich eine auffallende Ähnlichkeit feststellen. Um sich dem E in en (eV) zu nahen, muß man sich nach Plotin „von allen Sinnen­ dingen zurückholen, und zwar von den letzten bis zu den höchsten; man muß von allen Lastern befreit sein, da man ja nach dem Guten strebt: man muß zu seinem innersten Ursprung emporsteigen und zu einem ein­ fachen Wesen werden an Stelle eines vielfältigen, wenn man ,den Ursprung und das E in e ’ schauen will“ (9). Dies ist die erste Stufe des Aufstieges, auf der man von den Sinnendingen befreit wird, um sich im Denkvermö­ gen zu sammeln. Man muß aber auch über das Denk­ vermögen hinausgehen, da es einen Gegenstand zu erreichen gilt, der über allem Denkvermögen steht. Denn „das Denkvermögen ist etwas und ist ein Sein; aber dieses Ziel ist nicht ein ,Etwas’ , da es ja vor jedem Ding ist; es ist auch nicht ein Sein, denn das Sein hat eine Form, eben die des Seins; dieses Ziel aber ist von jeder, selbst von einer denkbaren Form entblößt. Da nämlich die Natur des E inen die Allerzeugerin ist, ist sie nichts von dem, was sie erzeugt hat“ (10). Von diesem E inen werden verneinende Definitio­ nen gegeben, die an jene der mystischen Theologie erinnern: „E s ist nicht ein D ing; es hat weder Qualität noch Quantität, es ist weder Denkvermögen noch Seele; es ist weder in Bewegung noch in Ruhe; es ist weder im Raum noch in der Zeit; es ist in sich, eine von den anderen getrennte Wesenheit, — oder besser es ist ohne Wesenheit, da es ja vor aller Wesenheit, vor der Bewe­ gung und vor der Ruhe ist; denn diese Eigenschaften finden sich im Sein und nguchen es syt einem Vielfältigen“ (11). {9) Enn. V I, IX , 3. (10) Ebenda. (11) Ebenda, — Von uns gesperrt.

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Hier tritt ein Gedanke auf, der sich keineswegs bei Dionysius findet und eine scharfe Trennungslinie zwischen der christlichen Mystik und der philosophi­ schen Mystik der Neuplatoniker zieht. Wenn Plotin die Seinsattribute ausschaltet, um zu Gott zu gelangen, so ist es nicht, wie bei Dionysius, wegen der absoluten Unerkennbarkeit Gottes, die durch alles, was ln den Dingen erkannt werden kann, verdunkelt wird, sondern weil das Gebiet des Seins, selbst in seinen höchsten Ausprägungen, notwendigerweise vielfältig ist und da­ her nicht die absolute Einfachheit des E inen hat. Der Gott Plotins ist nicht von Natur aus unerkennbar: nur well sich die Seele, wenn sie einen Gegenstand durch ihr Denkvermögen erkennt, von der Einheit entfernt und nicht mehr vollständig einfach ist, kann sie das E ine weder durch Denken noch durch Intuition erfassen (12). Sie muß also ihre Zuflucht zum Weg der Ekstase nehmen, zu der Einigung, bei der man ganz seinem Gegenüber angehört, eins mit ihm ist, bei der alle Vielfalt verschwindet, und der Erkennende sich nicht mehr vom Erkannten unterscheidet. „Bei ihrer Begegnung sind sie nur mehr eins und werden erst zwei, wenn sie sich trennen. Wie könnte man auch behaupten, daß das E ine etwas von uns Verschiedenes ist, da wir es doch nicht von uns getrennt, sondern mit uns vereint finden, sobald wir es schauen?“ (13). Was durch Plotins Weg der Verneinung ausgeschaltet wird, ist nur die Vielfältigkeit, und man gelangt zur völligen Einfachheit, die jenseits des Seins ist, denn das Sein ist an die Vielfalt gebunden, well es tiefer steht als das E in e . (12) Enn, V I, IX , 4. (13) Enn. V I, IX , 10.

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Die Ekstase des Dionysius ist ein Heraus schreiten aus dem Sein als solchem: die Ekstase Plotins hingegen ist eher eine Zurückführung des Seins zu völliger Ein­ fachheit. Darum bezeichnet Plotin seine Ekstase mit dem bezeichnenden Wort „Vereinfachung“ (äicXcocuc.): sie ist ein Weg der Annäherung an die Einfachheit des Erkenntnis Objektes, das tatsächlich als das E ine — ‘rE v — definiert werden kann und sich infolge dieser seiner Einheit nicht mehr von dem beschauenden Subjekt unterscheidet. Trotz aller scheinbaren Ähnlichkeit, die hauptsächlich aus der Verwendung der gleichen Ausdrücke stammt, sind wir hier weit von der verneinenden Theologie des Areopagiten entfernt. Der Gott des Dionysius, der von Natur aus Unerkennbare, der Gott der Psalmen, der „Finsternis als Wohnstatt erwählte“ , ist nicht der Ur~ Eine, der Gott der Neuplatoniker. Wenn E r unerkenn­ bar ist, so liegt dies nicht an seiner Einfachheit, die sich mit der Vielfalt nicht vertragen würde, von der jede Erkenntnis der Dinge befleckt ist: es geht hier um eine viel tieferliegende, absolute Unerkennbarkeit. Beruhte sie nur auf der Einfachheit des E in e n , wie bei Plotin, dann wäre Gott nicht von Natur aus unerkennbar. Gerade diese Unerkennbarkeit ist aber die einzige Definition Gottes bei Dionysius, wenn man bei ihm überhaupt von Definition sprechen kann. Dionysius bezieht sich ausdrücklich auf die neuplatonischen Definitionen, wenn er sich weigert, Gott jene Eigen­ schaften zuzuerkennen, die dem Gebiet der bejahenden Theologie angehören: „ E r ist nicht Eines, nicht Ein­ heit“ (oöös sv, ovös evovrig) (14). Im Traktat „V on den Namen Gottes“ zeigt er, daß selbst die Benennung des (14) Myst. Theol, V , P. G, 3, col. 1048 A . Ivänka S. 96.

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„Einen“ , die Gott gegeben werden kann, unzureichend ist, und stellt ihm den heiligsten Namen gegenüber, den der Dreifaltigkeit, der uns andeutet, daß „Gott nicht das Eine und nicht das Vielfältige ist, sondern diese Antinomie dadurch transzendiert, daß er wesenhaft unerkennbar ist“ (15). Weil der Gott der Offenbarung nicht der Gott der Philosophen ist, so bildet das Bewußtsein seiner wesen­ haften Unerkennbarkeit die Trennungslinie zwischen diesen beiden Auffassungen. Alles, was man über den Platonismus der Kirchenväter und besonders über die Abhängigkeit des Areopagiten von den Neuplatonikern sagen konnte, beschränkt sich auf äußere Ähnlichkeiten, die dai Wesen der Lehre nicht berühren und durch den damals gebräuchlichen Wortschatz bedingt sind. Wenn ein Philosoph neuplatoniscber Prägung von der eksta­ tischen Vereinigung als einzigem Weg spricht, auf dem Gott erreicht werden kann, dann bleibt die göttliche Natur für ihn immer noch ein Objekt, ein positiv definierbares Etwas, eine Natur, deren Unerkennbar­ keit vor allem in der Schwäche unseres Erkenntnis­ vermögens begründet ist, das an die Vielfalt gebunden bleibt. Diese ekstatische Vereinigung ist dann, wie gesagt, nichts anderes als eine „Vereinfachung“ (äjzXcootg), und nicht, wie bei Dionysius, ein echtes „Hinaus­ schreiten“ (sk ovcwi g) aus dem Bereich der geschaffenen Dinge. Außerhalb der Offenbarung kennt man den Unterschied zwischen dem Geschaffenen und Ungeschaffenen nicht; man weiß nichts von einer Schöpfung ex nihilo, von dem Abgrund, der das Geschöpf von sei­ nem Schöpfer trennt. Die he terodosen Lehren, die man Origenes zum Vorw urf macht, stammen alle daher, (15) N. D. X III, 3; ebenda, col. 981, A. hänka S. 86.

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daß diesem großen christlichen Denker in gewissem Grade der Sinn für die Unerkennbarkeit Gottes fehlt; der Mangel einer wirklich apophatischen Haltung machte aus dem alexandrinischen Gelehrten eher einen Religionsphilosophen als einen mystischen Theologen im Sinne der östlichen Tradition, Für Origenes ist Gott „eine geistige, einfache Natur, die keine Zusammen­ setzung zuläßt; E r ist die Monade ({Lioi’äc') und die Einheit (e^dc), der Geist, die Quelle und der Ursprung jeder erkennbaren und geistigen Natur“ (16). Seltsamer­ weise mangelt Origenes ebenso der Sinn für die Schöp­ fung ex nihilo: ein Gott, der nicht der Deus absconditus der Hl. Schrift ist, läßt sich mit den geoffenbarten Wahrheiten nicht leicht in Einklang bringen. Mit Origenes versucht der Hellenismus in die Kirche ein­ zudringen — eine Auffassung, die von außen kommt, die der menschlichen Natur entstammt und der Denk­ weise der Menschen, der „Griechen und Juden“ , ent­ spricht, aber nicht der Tradition, in der sich Gott offenbart und zu seiner Kirche spricht. Darum bekämpf­ te die Kirche den Origenismus ebenso, wie sie immer alle jene Lehren bekämpft, die, indem sie die Unerkenn­ barkeit Gottes in Frage stellen, an die Stelle der Erfah­ rung der unerforschlichen Tiefen Gottes philosophi­ sche Begriffe und menschliches Verstehen setzen. Auch die „großen Kappadozier“ verteidigten in ihren Streitschriften gegen Eunomius nichts anderes als den apophatischen Charakter jeder wahren Theologie, Eunomius behauptete nämlich, daß sich die göttliche Wesenheit in Begriffen ausdrücken ließe, die uns an­ geboren seien und durch die sie sich unserer Vernunft offenbare. Der hl. Basilius hingegen verteidigte die Auf(16) TLeqI dQXäv, 1 . 1 , c. i, § 6, P. G, xi, col. 12 ; A,

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fassung, daß nicht nur die göttliche Wesenheit, sondern sogar die geschaffenen Wesenheiten durch Begriffe nicht ausgedrückt werden könnten. Indem wir die Dinge betrachten, analysieren wir die Eigenschaften und bilden uns dadurch unsere Begriffe. Diese Analyse kann jedoch nie das Ganze unseres Erkenntnis Objektes aus schöpfen, so daß trotzdem immer ein „irrationaler Rest“ übrig­ bleiben wird, der durch Begriffe nicht ausgedrückt werden kann — ein unerkennbarer Grund in allen Din­ gen, der ihr wahres, undefinierbares Wesen ausmacht. Auch die Namen, die wir Gott beilegen, offenbaren uns nur seine „Energien“ , die zu uns herabsteigen, sie bringen uns aber seinem unnahbaren Wesen nicht näher (17). Für den heiligen Gregor von Nyssa ist jeder von Gott ausgesagte Begriff eine Täuschung, ein Trugbild, ein Idol. Die Begriffe, die wir uns auf Grund unserer natürlichen Einsicht und Meinung bilden, schaffen Idole Gottes, anstatt uns Gott selbst zu offenbaren (18). E s gibt nur einen einzigen Namen, um die göttliche Natur auszudrücken, und das ist das Staunen, das die Seele befällt, wenn sie an Gott denkt (19). Der hl. Gre­ gor von Nazianz verbessert auf folgende Weise einen Abschnitt aus Timaios (das Werk eines „griechischen Theologen“ , schreibt er, ohne den Namen Platons zu nennen) über die Schwierigkeit, Gott zu erkennen, und die Unmöglichkeit, ihn auszudrücken: „E s ist unmög-

(17) Adversm Eunomium, I. L , c, 6, P. G. 29, coli. 521— 4; I. II c. 4, coli. 577—580; 1. II, c. 32, col. 648; Ad Amphiloch'mnt, Epist, 234, P. G. 32, col. 869 A C. vgl. Greg, v, Nyssa, C. Eimom,, X , P, G . 45, col. 828. (18) D e vita Moysis, P. G. 44, col. 377 B ; contraEunom, III, P. G .4 5, col. 604 B -D ; X II, ibid., col. 944 C (19) ln Cantka Canthorum, homü, X II. P. G. 44, col. 1028 D.

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lieh, die Natur Gottes auszudrücken, aber es ist noch unmöglicher, sie zu erkennen“ (20). Diese Korrektur eines platonischen Textes durch einen christlichen Autor, der oft als Platoniker dargestellt wird, zeigt zur Genüge, wie weit das Denken der Kirchenväter von dem der Philosophen entfernt ist. Der Weg der Verneinung als religiöse Haltung gegenüber der Unerkennbarkeit Gottes ist nicht ein Merkmal, das allein den Schriften des Äreopagiten zukäme, sondern man findet es bei der Mehrzahl der Väter. Klemens von Alexandrien versichert in den Stromata, daß wir Gott „nicht in dem erfassen können, was E r ist, sondern in dem, was E r nicht ist“ (21). Selbst das Wissen von der Unnahbarkeit des „unbekann­ ten Gottes“ kann seiner Meinung nach nur durch Gnade erworben werden, „durch jene Weisheit, die Gott verleiht und die die Kraft des Vaters ist“ (22). Dieses Wissen um die Unerkennbarkeit der göttlichen Natur hat den Charakter einer wahren Erfahrung, einer Begegnung mit dem persönlichen Gott der Offenbarung. Dank dieser Gnade haben Moses und Paulus die Un­ möglichkeit erfahren, Gott zu erkennen: Moses, als er in das Dunkel der Unnahbarkeit vordrang, Paulus, als er che Worte vernahm, die das göttliche Unaussprech­ bare ausdrückten (23). Das Motiv des Moses, der sich Gott im Dunkel des Sinai nahte, dem wir schon bei Dionysius begegneten, und das von Philo von Alexan­ drien zum erstenmal als Bild der Ekstase verwendet wurde, bleibt ein Lieblingsthema der Väter, um die (20) (21) (22) (23)

Oratio X X V II. (theologica II) 4, P. G . 36, coli. 29— 32. Stromata, V , 1 1 ; P. G . 9, col. 109 A, Ebenda, V , 13, coli. 124 B — 125 A, Ebenda, V , 12 , coli, 116 — 124.

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Erfahrung der Unerkennbarkeit der göttlichen Natur auszudrücken. 0 er heilige Gregor von Nyssa widmet dem Leben desMoses(z^) einen eigenen Traktat, in dem der Aufstieg auf den Sinai, in das Dunkel der Unerkennbar­ keit, als der Weg der Kontemplation dargestellt wird, der jener ersten Begegnung vorzuziehen ist, da Gott dem Moses im brennenden Dornbusch erschien. Damals sah Moses Gott im Licht; jetzt aber tritt er ins Dunkel ein und läßt alles, was geschaut oder erkannt werden kann, hinter sich; nur das Unsichtbare und Unerkennbare bleibt ihm, aber was in diesem Dunkel ist, ist Gott (25). Denn Gott wohnt dort, wohin unsere Erkenntnis, unsere Begriffe keinen Zutritt haben. Bei unserem geistlichen Aufstieg werden wir mehr und mehr inne, daß die göttliche Natur völlig unerkennbar ist. Je mehr die Seele aber nach ihr verlangt, um so mehr wächst sie heran, verläßt sie sich selbst, wächst über sich selbst hinaus, und sieht gerade in diesem t)ber-sich-selbst~ Hinauswachsen ihr Verlangen sich mehren: so wird der Aufstieg unendlich, das Verlangen unstillbar. So liebt' die Braut aus dem Hohenlied: „Ihre Hand greift nach dem Riegel, sie sucht den Unfaßbaren, sie ruft Jenen, den sie nicht erreichen kann . . . Und wenn sie ihn umfängt, dann weiß sie, daß die Vereinigung kein Ende, der A uf­ stieg keinen Endpunkt haben wird“ (26). Der heilige Gregor von Nazianz nimmt die gleichen Bilder wieder auf, vor allem jenes des Moses: „Ich schritt voran, um Gott zu erkennen. Darum trennte ich mich (24) P, G. 44, coli, 297—430. (25) Siehe den Artikel von H . Cb. Pnecb, La ténèbre mystique chez le pseudo-Denys l’Aïéopagite et dans la tradition patristique, Etudes Carmêlïtaims, Oktober 1938, S, 33— 53. (26) In Cantka Cantkorum, P. G. 44, coll, 755— 112 0 .

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vom Stofflichen und von allem Körperlichen; ich sam­ melte mich, so gut ich es vermochte, in mich selbst und stieg zum Gipfel des Berges hinan. Als ich aber die Augen öffnete, vermochte ich Gott kaum von rückwärts zu schauen (Exod. 33, 23), und er war noch dazu durch den Fels verdeckt (Exod. 33, 21), durch die Menschheit des Wortes nämlich, das um unseres Heiles willen Fleisch angenommen hat. Ich konnte die erste und ganz lautere Natur nicht schauen, die nur von ihr selbst, d. h. von der Heiligen Dreifaltigkeit, erkannt wird. Denn ich konnte das, was sich hinter dem ersten Schleier befindet und durch die Cherubim verhüllt wird, nicht schauen, sondern nur das, was zu uns her­ niedersteigt, nämlich die göttliche Herrlichkeit, die in den Geschöpfen sichtbar wird“ (27). Das Wesen Gottes aber ist „das Allerheiligste, das selbst den Seraphim verborgen bleibt“ (28). „Die Göttliche Natur ist wie ein unbegrenztes und unendliches Meer von Sein, das sich jenseits jeden Begriffes von Zeit und Natur erstreckt. Wenn der Geist versucht, sich ein schwaches Abbild von Gott zu formen, indem er Ihn nicht in Sich selbst, sondern in dem, was Ihn umgibt, betrachtet, dann ent­ flieht ihm dieses Bild, ehe er es noch zu fassen vermochte, indem es wie ein Blitz, der die Augen blendet, seine höheren Kräfte (sein Denken und Wollen) erleuchtet“ (29). Der heilige Johannes Damaszenus drückt sich auf ähnliche Weise aus: „Das Göttliche ist unendlich und unfaßlich, und das Einzige, das wir an ihm verstehen (27) Oratio X X V III (theologica II), 3, P. G. 36, col. 29 A B. (28} Oratio X X X V III, ln Tbeophaniam, § 8, ebd, col. 320 B C. Cf. Or. X L V , In sancium Pascha § 4 ebd. coli. 628 D-629 A. (29) Or. X X X V III, 7, ebd. col, 137 B C or. X L V , 3, coli. 625— 628 A,

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können, ist seine Unendlichkeit und seine Unfaßlich­ keit. Alles, was wir von Gott positiv aussagen können, betrifft nicht seine Natur, sondern nur das, was seine Natur umgibt. Gott ist nichts von den Seienden, nicht etwa weil E r nicht das Sein wäre, sondern weil Er über allen Seienden, ja über dem Sein selbst steht. Sein und Erkanntwerden gehören ja derselben Ordnung an; was aber über jedem Erkanntwerden steht, steht ebenso über jedem Sein, und umgekehrt, was über jeder Wesenheit steht, steht über jeder Erkenntnis“ (30). Man könnte noch zahllose ähnliche Beispiele der „Verneinung“ in der östlichen Theologie finden. Hier sei nur noch eine Stelle eines großen byzantinischen Theologen des 14. Jahrhunderts, des heiligen Gregor Palamas, angeführt: „Die überwesentliche Natur Gottes kann weder ausgesprochen noch gedacht noch gesehen werden, denn sie ist allen Dingen entrückt und mehr als unerkennbar, da sie von den unfaßlichen Kräften der himmlischen Geister getragen wird, unerkennbar und unaussprechlich für alle und auf immer. Es gibt keinen Namen, weder in dieser noch in der zukünftigen Welt, um sie zu nennen, kein Wort, das sich in der Seele fände und durch die Zunge ausgesprochen werden könnte, keine Berührung durch die Sinne oder durch das Denken, kein Bild, das irgendeine Erkenntnis von ihr vermitteln könnte, außer die völlige Unerkennbar­ keit, die man ihr zuschreibt, indem man alles, was ist und genannt werden kann, von ihr ausschließt. Nie­ mand, der wirklich die Wahrheit sucht, die über aller Wahrheit steht, kann sie Wesenheit oder Natur im eigentlichen Sinn nennen“ (31). „Wenn Gott eine (;o) De fide orihodoxa, I, 4 P. G. 94, col. 800 AB. (31) Theophanes, P. G . 130, col, 937 A.

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Natur ist, dann ist alles andere keine Natur; ja E r ist nicht, wenn alle anderen Wesen sind“ (32), Angesichts dieser radikalen „Verneinung“ , die der theologischen Tradition des Ostens eigen ist, kann man sich fragen, ob sie nicht im Grunde einer ekstatischen Haltung entspricht, ob nicht immer dort, wo Gott auf dem Weg der Verneinung erkannt werden soll, letztlich die Ekstase ersehnt wird. Ist die verneinende Theologie notwendigerweise eine ekstatische Theologie, oder kann sie einen allgemeineren Sinn haben? Wir haben bei unserer Analyse der mystischen Theologie des Dionysius gezeigt, daß der Weg der Verneinung nicht in einem bloßen Denkvorgang besteht, daß er mehr ist als ein bloß begriffliches Spiel. Wie bei den platonischen Ekstatikern und bei Philo geht es auch hier um eine zä'd'aootQ, umeine innere Reinigung, aber mit dem Unter­ schied, daß die platonische Reinigung eine vorwiegend intellektuelle war, die das Denkvermögen von der dem Sein inhärierenden Vielfalt reinigen sollte, während Dionysius das Seiende als solches ablehnt, weil es das göttliche Nicht-Sein verbirgt und auf den Bereich des Geschaffenen überhaupt verzichtet, um zum Unge­ schaffenen vorzudringen, in einer sozusagen noch existentielleren Loslösung, die das ganze Sein dessen in Anspruch nimmt, der Gott erkennen will. In beiden Fällen geht es um Vereinigung. Aber die Vereinigung mit Plotins ev kann ebensogut ein Sich-Bewußt-Werden der ursprunghaften, ontologischen Einheit bedeuten, die zwischen Gott und Mensch besteht, während die mystische Vereinigung bei Dionysius ein neuer Zustand ist, der einen inneren Aufstieg, eine Reihe von inneren (52) Capiia i/o physica, ibeohgica, moralia et practica, cap. 78, P. G . 150, col, 117 6 B.

4 Lossky

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"Wandlungen, den Übergang vom Geschaffenen 211m Ungeschaffenen voraussetzt; etwas, was der Mensch nicht von Natur aus besaß, mußte erst erworben werden. E r tritt nicht nur aus sich selber heraus (was ja auch Plotin verlangt), sondern er gehört gänzlich dem Un­ erkennbaren an und empfängt durch diese Vereinigung mit dem Ungeschaffenen den Zustand der Vergött­ lichung: Vereinigung bedeutet hier Vergöttlichung. Aber so eng der Mensch hier auch mit Gott vereint ist, so erkennt er Ihn doch nicht anders als den Unerkenn­ baren, kraft seiner Natur unendlich Fernen, der selbst in der Vereinigung an sich, seiner Wesenheit nach, unnahbar bleibt. Wenn Dionysius von Ekstase und Vereinigung spricht, wenn seine Theologie der Ver­ neinung, weit entfernt davon, eine bloß intellektuelle Tätigkeit zu sein, das mystische Erleben, den Aufstieg zu Gott vorbereiten soll, so will er nichtsdestoweniger damit aussagen, daß man selbst auf den höchsten, den Geschöpfen zugänglichen Gipfeln der Gottvereinigung keinen anderen rationalen Begriff von Gott haben kann als den seiner Unerkennbarkeit, Die Theologie soll also weniger danach streben, positive Erkenntnisse über das göttliche Sein 2u erwerben, als das zu erfahren, was alle Erkenntnis übersteigt. „E s ist etwas Großes, von Gott zu sprechen, aber es ist noch besser, sich für Ihn zu reinigen“ — sagt Gregor von Nazianz (33). Der Apophatismus ist nicht notwendigerweise eine Theologie der Ekstase, sondern er ist in erster Linie eine Geisteshaltung, die darauf verzichtet, sich Begriffe von Gott zu bilden; jede abstrakte, rein verstandes­ mäßige Theologie, die die Mysterien der Weisheit Gottes dem menschlichen Denken anpassen will, wird (33} Oratio X X X II, 12, P. G. 36, c o l 188 C.

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radikal abgelehnt. E r ist eine existentielle Haltung, die den ganzen Menschen in Anspruch nimmt: sie lehrt, daß es keine Theologie außerhalb der Erfahrung gibt und daß man, will man zu dieser Erfahrung gelangen, ein neuer, gewandelter Mensch werden muß. Um Gott zu erkennen, muß man Ihm nahen: man ist kein Theologe, wenn man nicht den Weg beschreitet, der zur Vereini­ gung mit Gott führt. Ein und derselbe Weg führt zur Gotteserkenmnis und zur Gott Vereinigung. Wenn jemand an irgendeinem Punkt dieses Weges sich ein­ bilden würde, erkannt zu haben, was Gott ist, dann wäre „sein Sinn verkehrt“ , wie Gregor von Nazianz sagt (34). Der Apophatismus ist also ein sicheres Anzeichen für eine Geisteshaltung, die der Wahrheit entspricht. In diesem Sinn ist jede wahre Theologie grundsätzlich apophatlsch. Selbstverständlich wird sich nun die Frage erheben, welche Aufgabe der sogenannten kataphatischen, d. h. „bejahenden“ Theologie, der Theologie der „Göttlichen Namen“ zufällt, die uns durch die Betrachtung des G e­ schöpf liehen vermittelt wird. Im Gegensatz zu dem Weg der Verneinung, der zur Vereinigung mit Gott empor­ führt, ist die Theologie der Bejahung ein Weg, der zu uns hemiedersteigt, eine Stufenleiter von „Theophamen“ oder Offenbarungen Gottes in der Schöpfung. Man kann sogar sagen, daß es eigentlich ein und derselbe Weg sei, der in beiden Richtungen beschritten werden kann: Gott steigt in seinen „Energien“ , die Ihn kundtun, zu uns hernieder und wir steigen durch „Vereinigungen“ zu Ihm empor, in denen E r doch von Natur aus unerkenn­ bar bleibt. Die „höchste Theophanie“ , die vollkommene Offenbarung Gottes in der Welt durch die Inkarnation (34) Carmina moralia, X : U e o i äQSt'fjg, P, G . 37, col. 748.

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des Wortes, behält für uns ihren apophati sehen Charakter: „Bei der Menschwerdung Christi“ — sagt Dionysius — „trat der Überwesentliche, als E r menschliche Wesen­ heit annahm, aus der Verborgenheit in die Offenbarkeit unserer Welt. Doch bleibt E r verborgen, auch nachdem E r sich offenbart hat, und damit ich die Sache auf eine der göttlichen Wahrheit entsprechendere Weise aus­ spreche: selbst in der Offenbarung“ (35). „Was immer über die heilige Menschheit Jesu Christi bejahend aus­ gesagt werden kann, hat den Sinn einer höchsten und äußersten Verneinung“ (36). Um so mehr verhüllen die unvollständigen Theophanien der unteren Stufen Gott in dem, was E r ist, wenn sie Ihn auch in dem offenbar machen, was E r von Natur aus nicht ist. Die Stufen­ leiter der bejahenden Theologie, die uns die zum großen Teil der Heiligen Schrift entnommenen Namen Gottes kundtut, ist eine Reihe von Stufen, die uns als Stützen bei dem Aufstieg zur Kontemplation dienen sollen. Wir gewinnen aus ihnen keine Vernunft-Erkenntnis, keine Begriffe, die unserem Denkvermögen positives Wissen über die Natur Gottes vermitteln, sondern vielmehr Bilder, Vorstellungen, die uns emporleiten, die unsere inneren Fähigkeiten formen und zur Kontemplation dessen führen können, was jedes Erkennen übersteigt (37). A u f denniedrigsten Stufen vor allem sind diese Bilder von Gegenständen genommen, die am wenigsten ge­ eignet sind, Anfänger in der Kontemplation irrezufüh­ ren. Zweifellos liegt es einem weniger nahe, Gott mit einem Stein oder mit dem Feuer zu verwechseln, als man geneigt sein wird, Ihn mit der Vernunft, der Ein(3 5 ) Epist. III, P. G . 3, col. 1069 B. Ivänka, S, 10 1— 102. (36) Epist. IV , ebd.t col. 1072 B. (37) Greg. Nyss. C. Eunom. X II, P. G . 45, coli. 939—941.

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heit, der Wesenheit oder dem Guten gleichzusetzen (38). Was zu Beginn des Aufstieges selbstverständlich schien („Gott ist kein Stein, er ist nicht das Feuer“ ), wird es um so weniger, je mehr man sich dem Gipfel der K on­ templation nähert; dennoch ist es derselbe apophatische Antrieb, der uns jetzt sagen läßt: „Gott ist nicht das Sein, E r ist nicht das Gute.“ Bei jeder neuen Stufe, die auf diesem Anstieg erklommen wird, muß man sich hü­ ten, sich von den erhabeneren Bildern und Vorstellun­ gen, denen man begegnet, einen Begriff, „ein Idol von Gott“ zu machen; dann erst erschaut man die göttliche Schönheit selbst, Gott, insofern E r in der Schöpfung sichtbar wird. Das Denken läßt der Kontemplation immer mehr Raum ; das Erkennen weicht mehr und mehr dem Erfahren, denn indem der Apophatismus die Begriffe ausschaltet, die den Geist in Fesseln halten, öffnet er auf jeder neuen Stufe der positiven Theologie grenzenlose Horizonte für die Kontemplation. Es gibt demnach verschiedene Stufen In der Theologie, die der verschiedenen Fassungskraft der Menschen ent­ sprechen, die sich den Mysterien Gottes nahen. In seiner zweiten theologischen Rede nimmt Gregor von Nazianz das Thema des Aufstiegs Moses5 auf den Sinai wieder auf: „G ott befiehlt mir, in die Wolke einzugehen, um mit Ihm zu sprechen. Ich wünschte, daß ein Aaron mir als Reisegefährte diene und mir beistünde, auch wenn er es nicht wagte, in die Wolke einzugehen... Die Priester stehen weiter u n ten ...D as Volk aber, das keineswegs einer solchen Erhebung würdig, noch zu solch erhabener Kontemplation fähig ist, bleibt am Fuß des Berges, ohne näherzutreten, weil es unrein und unheilig ist: es liefe Gefahr, umzukommen. Hat es einige Sorgfalt darauf ver(38) D e coel. hier, II, 3— 5, P. G. 3, coli. 140— 14 ;.

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wandt, sich zu reinigen, dann kann es von Ferne den Schall der Trompeten und die Stimmen vernehmen, d. h. eine schlichte Erklärung der M ysterien.. .Wenn aber ein böses, wildes Tier dort unten ist, ich meine Menschen, die zu jeglicher Spekulation und Theologie unfähig sind, dann sollen sie sich hüten, die Dogmen mit wilder Wut anzugreifen und sollen sich soweit als möglich vom Berg entfernen, sonst werden sie gesteinigt" (39). Dies ist keine esoterische Lehre für Vollkommene, die den Uneingeweihten verborgen werden soll, noch eine gnostische Unterscheidung zwischen Pneumatikern, Psychikern und „Fleischlichen“ , sondern eine Schule der Kontemplation, in der jeder seinen Anteil an der Erfahrung des christlichen Mysteriums empfängt. Diese Kontemplation der verborgenen Schätze der göttlichen Weisheit kann auf verschiedene Weise, mit größerer oder geringerer Intensität geübt werden: sei es als E r­ hebung des Geistes, der von den Geschöpfen, die Gottes Herrlichkeit widerstrahlen, zu Ihm aufsteigt; sei es als Betrachtung über die Heilige Schrift, in der sich Gott selbst, nach einem Wort Gregors von Nyssa, hinter dem offenbarenden Wort wie hinter einer Wand verbirgt; mag sie von den Dogmen der Kirche oder ihrem litur­ gischen Leben ausgehen; mag sie endlich durch die Ekstase in das göttliche Mysterium Vordringen, im­ mer ist diese Erfahrung Gottes die Frucht der apopha» tischen Haltung, die Dionysius in seiner mystischen Theo­ logie so dringend nahelegt. Alles, was bisher über den Apophatismus gesagt wur­ de, kann in wenigen Worten zusammengefaßt werden. Die Theologie der Verneinung ist nicht eine Theorie der Ekstase im eigentlichen Sinn, sondern sie Ist der Aus(39) Oratio X X V III (theologica z), P, G . 36, col. 28 A C.

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druck einer Grundhaltung, die aus der Theologie im allgemeinen eine Kontemplation der Offenbarungsmysterien macht. Sie ist nicht etwa nur ein besonderer Abschnitt der Theologie, eine Art von notwendigem Einleitungskapitel über die Unerkennbarkeit Gottes, nach dessen Absolvierung man dann ruhig daran gehen kann, die theologische Lehre in derselben Terminologie darzulegen, deren sich auch das vernünftige Denken und die Philosophie im allgemeinen bedient. Der Apophatismus, die Theologie der Verneinung lehrt uns vielmehr, in allen Dogmen der Kirche vor allem einen negativen Sinn zu sehen; er ist ein Verbot für unser Denken, seine gewohnten Wege zu gehen und über Gott und seine Mysterien rationale Begriffe zu bilden, die sich an die Stelle der geistlichen Wirklichkeiten setzen könnten. Das Christentum ist ja keine philosophische Schule, die über abstrakte Begriffe spekuliert, sondern vor allem Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott. Darum blieben die Väter der östlichen Tradition, trotz ihrer philoso­ phischen Bildung und ihrer natürlichen Neigung zur Spekulation, dem apophatischen Prinzip der Theologie treu; so konnten sie mit ihrem Denken an der Schwelle des Mysteriums haltmachen und blieben davor be­ wahrt, Idole des Denkens an die Stelle der Wirklichkeit Gottes zu setzen. Darum gibt es auch keine „mehr oder weniger“ christliche Philosophie: Plato ist nicht christlicher als Aristoteles. Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Theologie und Philosophie wurde im Orient nie ge­ stellt: die apophatische Einstellung vermittelte den K ir­ chenvätern jene Freiheit und Freizügigkeit, mit welcher sie sich der philosophischen Termini bedienen konnten, ohne Gefahr zu laufen, mißverstanden zu werden oder in eine „Begriffs-Theologie“ zu verfallen. So oft sich

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die Theologie in religiöse Philosophie verwandelte, wie dies bei Origenes der Fall war, ist der Grund dafür stets in einem Verlassen des Apophatismus zu suchen, der sich als das eigentliche Mark der östlichen Tradition erweist. Apophatismus heißt aber nicht: Agnostizismus, d.h. Verzicht auf Gotteserkenntnis überhaupt, sondern be­ sagt eben nur so viel, daß wahre Gotteserkenntnis immer auf einem Weg vor sich geht, dessen eigentliches Ziel nicht die Erkenntnis, sondern die Vereinigung, die Vergöttlichung ist. Sie wird daher niemals abstrakte Theologie sein, die mit Begriffen operiert, sondern kon­ templative Theologie, die den Geist zu Wirklichkeiten erhebt, die das Erkennen übersteigen. Darum stellen sich die Dogmen der Kirche der Vernunft häufig als Antinomien vor, die um so unlösbarer sind, je erhabener das Mysterium ist, das sie ausdrücken. Wir dürfen nicht die Antinomie aufheben wollen, indem wir das Dogma unserem Erkenntnisvermögen anpassen, sondern wir müssen uns geistig umwandeln, damit wir zur Schau der Wirklichkeit gelangen, die sich uns offenbart, wenn wir uns zu Gott erheben und uns mit Ihm so innig ver­ einen, als es uns jeweils nach unserer Fähigkeit möglich ist. Der Gipfelpunkt der Offenbarung, das Dogma der Heiligsten Dreifaltigkeit, ist antinomisch „par excellence“ . Um dahin zu gelangen, diese Ur-Wirklichkeit in ihrer Fülle zu schauen, müssen wir zuerst das Ziel, das uns gesteckt ist, die Vergöttlichung, erreicht haben. Nach dem Worte des heiligen Gregor von Nazianz „werden ja nur jene die Erben des vollkommenen Lichtes und der Kontemplation der heiligsten und erhabensten Drei­ faltigkeit werden,, , . die sich völlig mit dem vollkom­ menen Geist vereinigen; und dies wird, wie ich glaube,

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das himmlische Reich sein“ (40). Der apophatische Weg endet nicht in der Gottferne, in der völligen Leere, denn der unerkennbare Gott der Christen ist nicht der un­ persönliche Gott der Philosophen. Der Heiligen Drei­ faltigkeit vielmehr, der „überwesendichen, übergött­ lichen und überguten“ (4i), befiehlt sich der Verfasser der „mystischen Theologie“ an, ehe er den Weg be­ schreitet, der ihn zur Gegenwart Gottes und zur Fülle des Seins führen soll.

(40} Oratio X V I, 9. P. G, 35, col. 945 C. (41) Th, myst. I, 1, P. G. 3, col. 997. Ivänka S. 91,

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m G O T T — D E R D R E IF Ä L T IG E

Der Apophatismus des theologischen Denkens der Ost­ kirche ist nicht etwa einer unpersönlichen Mystik, einer Erfahrung der Gottheit als absolutes Nichts gleichzu­ setzen, in dem sich die menschliche Person und der persönliche Gott gleicherweise verlieren würden. Das Ziel, bei dem die apophatische Theologie endet (wenn man dort, wo es um einen Aufstieg ins Unendliche geht, überhaupt von Endziel sprechen darf), dieses unendliche Ziel ist weder eine Natur noch eine Wesenheit oder eine Person, sondern etwas, das gleichzeitig jeden Begriff von Natur und Person übersteigt — die Dreifaltigkeit. Der heilige Gregor von Nazianz, der oft der „Sänger der Hl. Dreifaltigkeit“ genannt wird, schreibt in seinen theo­ logischen Gesängen: „Vom Tage an, da ich auf die Dinge dieser Welt verzichtete, um meine Seele den leuchtenden, himmlischen Beschauungen zu weihen — als die höchste Weisheit mich aus dem Unten entrückte, um mich jen­ seits alles Fleischlichen zu führen, um mich in das Ge­ heimnis des himmlischen Zeltes einzuschließen—, von diesem Tage an wurden meine Augen vom Lichte der Dreifaltigkeit geblendet, deren Glanz alles übertrifft, was je ein Gedanke meiner Seele hätte zeigen können; denn von ihrem erhabenen Thron aus ergießt die Drei­ faltigkeit ihre unaussprechlichen, den Dreien gemeinsa­ men Strahlen über alles. Sie ist der Ursprung alles dessen, was sich hienieden findet und durch seine Zeitlichkeit geschieden ist von den erhabensten D in gen .. .Von die­

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sem Tage an bin ich für diese Welt und ist diese Welt für mich gestorben. . . “ (i). Am Ende seines Lebens ver­ langt er dort zu sein, „w o meine Dreifaltigkeit und der volle Glanz ihrer Herrlichkeit ist. . . die Dreifaltigkeit, deren flüchtiger Schatten mich schon erschaudern läßt“ (z). Ist das Wesen des geschaffenen Seins die Wandelbar­ keit, der Übergang vom Nicht-Sein zum Sein — ist das Geschöpf von Natur aus kontingent, so ist die Drei­ faltigkeit absolute Unveränderlichkeit, die man eine unabdingbare Notwendigkeit des vollkommenen Seins nennen möchte; und dennoch— der Begriff des Notwen­ digen verträgt sich mit der Dreifaltigkeit nicht, weil sie jenseits der Antinomie vom Notwendigen und Kontin­ genten steht. Ganz personal und ganz Natur, fallen in ihr Freiheit und Notwendigkeit zusammen, oder besser gesagt, für keine von beiden ist in Gott Raum. In der Drei­ faltigkeit gibt es keine Abhängigkeit vom geschaf­ fenen Sein, keine Determiniertheit dessen, was man „ewigen Hervorgang der Göttlichen Personen“ nennt, von dem Akt, durch den Gott die Welt geschaffen hat. Wenn auch die Geschöpfe nicht existierten — so wäre Gott dennoch Dreifaltigkeit, Vater, Sohn und HL Geist, denn die Schöpfung ist ein Akt des Willens, der Hervor­ gang der Personen hingegen ist ein A kt „gemäß der Natur“ (κανά φύαιν) (3). In Gott gibt es keinen inneren Prozeß, keine „Dialektik“ der drei Personen, kein (1) Pomiatade seipso, I : Π ερί τώ ν x m P ξα ντόν, Ρ. G. 37> coli. 984 und 985* {2) Poemaiade seipso, X I : Ε ίς το ν ξα ντό ν β ίον, Ρ. G. coli, 1165 und 1166. (3) Athanasius von Alexandrien, Contra Arianos, or, I, 18, P. G . 26, cöl. 49; / . Damasspmus, De fide orthadoxa, I, 8, P. G. 94, coli. S 12 —8x3,

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Werden, keine „Tragödie innerhalb des Absoluten“ , die, um überwunden oder gelöst zu werden, der drei per­ sönlichen Entfaltung des göttlichen Seins bedürfte. Diese Begriffe, die der romantischen Tradition der deutschen Philosophie des vergangenen Jahrhunderts entstammen, sind dem Dreifaltigkeitsdogma völlig fremd. Wenn von Hervorgängen, inneren Akten oder Determinationen innerhalb der Dreifaltigkeit gesprochen wird, so beweisen diese Ausdrücke, die die Begriffe der Zeit, des Werdens und der Intention beinhalten, nur, wie kümmerlich und unzureichend unsere Sprache, ja selbst unser Denken angesichts dieses Ur-Mysteriums der christlichen Offenbarung ist. Wieder müssen wir die apophatische Theologie zu Hilfe rufen, um uns von unseren Denkkategorien zu befreien; wir bedienen uns ihrer jedoch als Vorstufen, um uns von ihnen zur Schau einer Wirklichkeit zu erheben, die die geschaffene Intelligenz nicht fassen kann. In diesem Sinn spricht der heilige Gregor von Nazianz in seiner Rede über die Taufe: „Noch habe ich nicht das Eine gedacht, und schon werde ich von den Dreien um­ leuchtet; noch habe ich die Drei nicht unterschieden, so werde ich schon wieder von der Einheit gebannt. So­ bald Einer der Dreien sich mir vorstellt, so halte ich ihn für das Ganze; so sehr erfüllt ist mein Auge, daß das Übrige ihm entgeht. In meinem Geist, der schon für die Erkenntnis eines Einzigen zu eng ist, bleibt kein Platz für die Übrigen mehr. Wenn ich die Drei in einem einzi­ gen Gedanken zusammenfasse, so sehe ich nur mehr eine Leuchte und ich vermag nicht, das geeinte Licht zu teilen oder zu messen“ (4). Das Denken muß ohne Un­ terlaß in Bewegung sein, muß bald zum Einen, bald zu (4) In sanctum baptima, or. X L , 41, P. G, 36, col, 417 BG.

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den Dreien laufen und wieder zur Einheit zurückkehren; es muß stetig zwischen den beiden Polen der Antinomie oszillieren, um zur Schau der erhabenen Ruhe dieser drei­ fältigen Monas zu gelangen. Wie kann die Antinomie von Einheit und Dreiheit zu einem einzigen Bild geformt werden? Wie soll dieses Mysterium faßlich gemacht werden, wenn nicht mit Hilfe eines ungeeigneten Begrif­ fes, nämlich dem der Bewegung oder der Entfaltung? Darum verwendet der heilige Gregor bewußt die Spra­ che Plotins, die nur jene beschränkten Geister, jene K ri­ tiker und Historiker zu täuschen vermag, die unfähig sind, sich über die rationalen Begriffe zu erheben, und immer darauf aus sind, im Denken der Väter „Platonis­ mus“ oder „ Aristotelismus“ aufzuspüren. E r spricht als Philosoph zu Philosophen, um sie für die Kontemplation der Dreifaltigkeit zu gewinnen, in ihrer Sprache: „Die Einheit wird durch ihre Seinsfülle in Bewegung versetzt; die Zweiheit wird überschritten, denn die Gottheit steht höher als Materie und Form ; die Dreiheit schließt sich zur Vollkommenheit, denn sie ist die erste, die die Viel­ falt der Zweiheit überschreitet. A u f diese Weise wird die Gottheit nicht eingeengt, ergießt sich aber auch nicht auf unendliche Weise. Das eine widerspräche ihrer Würde, das andere der Ordnung; das eine wäre aus­ schließlich jüdisch, das andere griechisch oder polythei­ stisch“ (5). Hier läßt sich schon etwas vom Geheimnis der Zahl Drei erahnen: die Gottheit ist weder eins noch vielfältig; ihre Vollkommenheit übersteigt die Vielfalt, deren Wurzel die Zweiheit ist (erinnern wir uns an die endlosen Dyaden der Gnostiker oder an den Dualismus der Platoniker!), und drückt sieb in der Dreifaltigkeit aus. Die Wendung „drückt sich aus“ ist allerdings unzu(5) Or. X X I I I ( D e Pace III) 8, P. G . 35, col. 116 0 CD .

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treffend, denn die Gottheit braucht ihre Vollkommen­ heit weder sich selbst noch anderen kundzutun. Sie ist Dreifaltigkeit; dieser Sachverhalt kann weder aus irgend­ einer Voraussetzung abgeleitet noch durch irgendeinen hinreichenden Grund erklärt werden, denn es gibt weder Voraussetzung noch Grund, die ihr vorausgingen. Tgiag, — „dieses Wort verbindet jene Dinge, die von Natur aus verbunden sind und läßt die Untrennbaren nicht durch eine trennende Zahl sich zerstreuen“ , sagt Gregor von Nazianz (6). Zwei ist die Zahl, die trennt, drei hingegen die Zahl, die die Trennung übersteigt: das Eine und das Vielfache werden in der Dreifaltigkeit vereinigt und umfaßt. „Sage ich Gott, so sage ich: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Nicht daß ich eine zerstrahlende Gottheit annähme — das hieße das Volk der falschen Götter einführen. Aber ich nehme auch nicht an, daß die Gottheit in einem Einzigen begrenzt sei — das hieße sie sehr verarmen. Ich will weder wegen der göttlichen Einheit dem Judaismus, noch wegen der göttlichen Überfülle dem Heidentum verfallen“ (7). Der heilige Gregor von Nazianz versucht nicht, die Dreieinigkeit der Personen vor der menschlichen Ver­ nunft zu rechtfertigen; er läßt bloß die Unzulänglich­ keit jeder anderen Zahl als der Drei erkennen. Aber man kann sich fragen, ob sich der Begriff der Zahl überhaupt auf Gott anwenden läßt, ob man dadurch die Gottheit nicht einer von außen kommenden Determination, einer unserem Denken eigenen Form, nämlich der Zahl „D rei“ unterwirft. Der heilige Basilius antwortet auf diesen Ein­ wand: „W ir zählen nicht zusammen, indem wir, vom Einen durch Addition zum Vielfältigen schreitend, eins, (6) Or. X X III, ebenda, col. 1161 C. (7) In sanctum Pascha, or. X LV , 4, P. G. 36, col. 628.

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zwei, drei, oder: der erste, der zweite, der dritte sagen. Denn ich bin der erste Gott und ich bin mehr als das (Is 44, 6). Bis zum heutigen Tag hat man niemals ,der zweite Gott1 gesagt — sondern indem wir den anbeten, der Gott von Gott ist und die Individualität der Personen bekennen, ohne die Natur in Vielheit aufzuspalten, verbleiben wir in der Einheit“ (8). Mit anderen Worten: wir haben hier nicht eine wirkliche, für arithmetische Operationen geeignete Zahl vor uns; eine solche ließe sich keineswegs auf das geistige Gebiet anwenden, auf dem es kein zähl- und meßbares Größerwerden gibt. Wenn das Zahlwort „dreifach“ auf die untrennbar verbundenen göttlichen Hypostasen bezogen wird, deren Gesamtheit (die „Summe“ , um einen unangemessenen Ausdruck zu gebrauchen) immer nur die Einheit ergibt (33=1), dann drückt sie keine Vielheit aus, wie wir es zu ver­ stehen gewohnt sind, sondern bezeichnet die unaus­ sprechliche Ordnung innerhalb der Gottheit. Die Schau dieser höchsten Vollkommenheit, dieser göttlichen Fülle: ein persönlicher Gott, der keine ein­ sam in sich verschlossene Person, sondern Dreifaltig­ keit ist — ja schon der „schwache Widerschein der Dreifaltigkeit“ , der bloße Gedanke an sie erhebt die menschliche Seele über das wandelbare und bewegte Sein und verleiht ihr jene Ruhe inmitten der Leiden­ schaften, jene Ausgeglichenheit, die d jtd $£ia, die der Beginn der Vergöttlichung ist. Denn das von Natur aus wandelbare Geschöpf soll durch Gnade den Zustand ewiger Unwandelbarkeit erlangen und am unendlichen Leben im Lichte der Dreifaltigkeit Anteil haben. Darum hat die Kirche das Mysterium der Heiligen Dreifaltigkeit so leidenschaftlich gegen alle natürlichen Tendenzen (8) Liber de Spiriiu Sancto § 45, P. G. 32, col. 149 B.

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der mens chlidien Vernunft verteidigt, die gegen das Mysterium Sturm liefen: sei es der Modalismus des Sabellius, der die Dreifaltigkeit auf eine Einheit zurück­ führen wollte, indem er aus ihr eine „Wesenheit“ im Sinne der Philosophen machte, die in drei Erscheinungs­ formen existiert, sei es der Versuch des Arius, der sie in drei voneinander unterschiedene Wesenheiten aufspal­ tete. Die Kirche hat durch das Qftoovötog die Gleich­ wesentlichkeit der Drei, die geheimnisvolle Identität der Monas und der Trias ausgesprochen: Identität und gleichzeitig Verschiedenheit zwischen der einen Natur und den drei Hypostasen. Es ist interessant festzustellen, daß sich der Ausdruck tb bfioovoiov slvac auch bei Plotin findet (9). Die Plotinische Dreifaltigkeit enthält drei gleich wesentliche Hypostasen: das Eine, den „N us“ (Vernunft) und die Weltseele. Ihre Gleichwesentlichkeit erhebt sich jedoch nicht bis zur trlnitarlschen Antinomie des christlichen Dogmas, sondern stellt sich bloß als absteigende Hierarchie dar, die sich dank der unauf­ hörlichen Emanation der Hypostasen verwirklicht, die ineinander strömen und einander widerspiegeln. Dies zeigt uns wieder einmal, wie falsch die Methode jener Historiker ist, die bei der Darstellung der patristischen Lehre die von den Vätern verwendete Terminologie im Sinn der griechischen Philosophie deuten. Die Offen­ barung gräbt eine tiefe Kluft zwischen der Wahrheit, die sie kündet, und t&ÄWahrheiten, die durch philosophische Spekulation gefunden werden können. Wenn sich auch das vom „Instinkt“ der Wahrheit, d. h. von einem noch unklaren, ungeformten Glauben geleitete menschliche (9) Enn. IV , 4, 28. E s handelt sich um die Leidenschaften der Seele, die alle von gleicher Natur sind.

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Denken außerhalb des Christentums zu einigen Gedan­ ken vortasten konnte, die sie in die Nähe der Dreifaltig­ keit brachten, so blieb ihm doch das Mysterium des Dreifältigen Gottes verhüllt und unzugänglich. Es bedurfte eines Umdenkens, einer fievdvoea, einer „Buße“ , wie die des Job, als er vor dem Antlitz Gottes stand: „Vom Hörensagen hatte ich von D ir gehört; nun aber hat mein A.uge Dich gesehen. Dru?n widerrufe ich mich und tue Buße in Staub und A.sche“ (42, 5— 6). Das Mysterium der Dreifaltigkeit erschließt sich nur dem Nicht-Wissen, das sich über alles das erhebt, was in philosophischen Begriffen ausgedrückt werden kann. Weil dieses Nicht­ wissen aber nicht nur ein „gelehrtes Nichtwissen“ ist (eine „docta ignorantia“ im Sinn des Nikolaus Cus). sondern auch „liebendes Nichtwissen“ , so steigt es zu­ weilen zu diesen Begriffen hinab, um sie umzuformen und diese Ausdrucksformen menschlicher Weisheit zu Werkzeugen der Weisheit Gottes zu machen, die für die Heiden nichts als Torheit ist. Es bedurfte der übermenschlichen Anstrengungen eines Athanasius von Alexandrien, eines Basilius, eines Gregors von Nazianz und vieler anderer, um die Begriffe der griechischen Philosophie zu läutern, um ihre un­ durchdringlichen Scheidewände zu zerbrechen: dies gelang ihnen nur, indem sie den christlichen Apophatismus in sie einströmen ließen, der die philosophische Spekulation in eine Kontemplation des Dreifaltigkeits­ mysteriums verwandelte. Unter den philosophisclien Ausdrücken mußten jene ausgewählt werden, die so­ wohl die Einheit als auch die Differenziertheit innerhalb der Gottheit auszudrücken vermögen, ohne der einen oder anderen den Vorrang zu geben, damit sich das Denken weder ln den sabellianischen Umtarismus noch in den heidnischen Tritheismus verirre. 5 Lossky

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Die Väter des 4., des „militärischen Jahrhunderts” par excellence bedienten sich mit Vorliebe der Aus­ drücke Ousia und Hypostasis, um das Denken ihrer Zeit zum Dreifaltigkeitsmysterium heranzuführen. Der Aus­ druck Ousia wurde schon von Aristoteles verwendet, der ihn im 5. Kapitel der Kategorien folgendermaßen definiert: „M an nennt erstens, hauptsächlich und eigentlich Ousia, was von keinem anderen Gegenstand ausgesagt werden kann und in keinem anderen ist: 2. B. dieser Mensch oder dieses Pferd. Man nennt sQveite Ousiai (ö evtS Q eu o vö to .i') die Gattungen, innerhalb deren die ersten Ousiai mit den ihnen entsprechenden Arten existieren: so gehört z. B. dieser Mensch zur Species Mensch und zur Gattung Lebewesen. „D er Mensch” , „ das Lebewesen” im allgemeinen Sinne sind also zweite Ousiai (10). Mit anderen Worten: die „ersten Ousiai“ sind die individuellen Subsistenzen, das subsistierende Individuum; die „zweiten Ousiai” hingegen sind die „Essenzen“ , im realistischen Sinn dieses Wortes. Ohne den Wert eines philosophischen Ausdruckes zu haben, bedeutete Hypostasis in der Umgangssprache das, was wirklich existiert, das Daseiende (vom Zeitwort vrpiorafMU, subsistieren). Der heilige Johannes Damaszenus gibt in seiner Dialektik folgende Definition der beiden Aus­ drücke: „ Ousia ist das Ding, das durch sich selbst exi­ stiert und zu seinem Bestehen keines anderen bedarf. Oder anders ausgedrückt: Ousia ist alles, was durch sich selbst subsistiert und das Sein nicht in einem anderen hat, was nicht für ein anderes Ding da ist, was seine Existenz nicht in einem anderen hat, das keines anderen bedarf, um zu bestehen, sondern in sich selbst besteht und in dem das Akzidenz seine Existenz hat.“ „Das Wort (10) Kategorien, cap, 5.

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Hypostasis hat zwei Bedeutungen: bald bedeutet es bloß die Existenz, und in diesem Sinne sind Ousia und Hypo­ stasis das gleiche, so daß einige Väter sagen konnten: die Naturen oder die Hypostasen, Zuweilen aber bezeichnet Hypostasis das, was durch sich selbst und dank seines eigenen Selbststandes existiert. In dieser Bedeutung be­ zeichnet Hypostasis das zahlenmäßig yon jedem anderen verschiedene Individuum z. B. Peter, Paul, dieses Pferd etc,“ (i i). Die beiden Ausdrücke bedeuten also mehr oder weniger das gleiche: Ousia bedeutet eine individuelle Substanz, kann aber gleichzeitig auch die mehreren Individuen gemeinsame Wesenheit bezeichnen: Hypo­ stasis bedeutet die Existenz im allgemeinen, kann aber ebensogut von individuellen Substanzen ausgesagt werden. Theodoret von Cyrus bezeugt gleichfalls, daß „es in der profanen Philosophie keinerlei Unterschied zwischen Ousia und Hypostasis gibt. Denn Ousia be­ deutet das, was Ist, und Hypostasis das, was subsistiert. Nach der Lehre der Väter jedoch besteht zwischen Ousia und Hypostasis der gleiche Unterschied wie zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen“ (12). Die geniale Intuition der Väter bediente sich dieser beiden Synonyma, um in Gott das, was den Dreien ge­ meinsam ist {Ousia, Substanz oder Essenz), von dem, was jedem einzelnen zukommt {Hypostasis oder Per­ son), zu unterscheiden. Der Ausdruck Person {jtgoocöjzov'), der sich besonders im Abendland großer Beliebtheit erfreute, erregte zu­ erst lebhaften Widerspruch von seiten der Orientalen. Dieser Ausdruck besaß ursprünglich durchaus nicht den modernen Sinn, ln dem wir z. B. von einer „mensch(11) ri7}yt] yvmoscag, eap. 39 und 42, P. G. 94, col. 605 und 612. {12) D ia Jogas I , Imwutabiüs, P. G . 83, col. 33 A , B.

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liehen Persönlichkeit" sprechen, sondern bezeichnete die äußere Erscheinungsweise eines Individuums, sein „Antlitz", die Maske eines Schauspielers oder die von ihm auf der Bühne dargestellte Rolle. Der heilige Basilius erblickte in diesem, in die trinitarische Lehre elngeführten Ausdruck eine dem abendländischen Denken eigene Tendenz, die schon einmal im Sabellianismus zutage getreten war, als dieser aus Vater, Sohn und Heiligem Geist drei Modalitäten einer einzigen Substanz machen wollte. Die Abendländer hinwieder sahen im Ausdruck Hjpostasis, den sie durch Substantia übersetzten, eine Gefahr des Tritheismus, ja selbst des Arianismus. Es gelang aber dennoch, jedes Mißver­ ständnis auszuschalten: der Ausdruck Hjpostasis fand im Abendland Eingang und verlieh dem Begriff der Person seinen konkreten Sinn; und der Ausdruck Person (jtoootonov) wurde im Orient angenommen und richtig interpretiert. So gelang es der Kirche — und darin offenbart sich ihre Katholizität — die Grenzen zu sprengen, die die Menschen verschiedener Mentalität und verschiedener Kultur gefangen hielten. Mochten die Lateiner in ihrer TrinitätsSpekulation von der einen Essenz ausgehen, um zu den drei Personen zu gelangen, oder mochten die Griechen das Konkrete, die drei Hypostasen als Ausgangspunkt vorgezogen und in ih­ nen dann die eine Natur betrachtet haben — immer blieb es das gleiche Trinitätsdogma, das die ganze Christenheit vor der Trennung bekannte. Der heilige Gregor von Nazianz verbindet die beiden Betrachtungs­ weisen, wenn er sagt: „Sage ich ,GotE, so sollt ihr euch von einem einzigen Licht und von drei Lichtern um­ leuchtet sehen: ich sage drei gemäß den Proprietäten oder Hypostasen oder Personen (denn über die Worte laßt uns nicht streiten, solange die Silben ein und die-

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selbe Einsicht vermitteln). Ich sage ein (Licht), wenn wir die Ousia, d. h. die Gottheit betrachten. Denn hier ist Trennung ohne Teilung und Geeinthext trotz UnterScheidung. Einer in Dreien — das ist die Gottheit: die Drei ein Einziger — ich meine die Drei, in denen die Gottheit ist oder, um es genauer zu sagen, die die Gottheit sind“ (13)· In einer anderen Rede drückt er sich folgendermaßen aus, indem er die hypostatischen Proprietäten unterscheidet: „Ungezeugtsein, Gezeugt­ sein, Hervorgehen charakterisieren den Vater, den Sohn und Jenen, den man den Heiligen Geist nennt; auf diese Weise wahrt man die Unterscheidung der drei Hypo­ stasen in der einzigen Natur und Majestät der Gottheit. Denn der Sohn ist nicht der Vater, da es nur einen einzi­ gen Vater gibt, aber er ist das, was der Vater ist. Der Heilige Geist ist nicht der Sohn, obwohl er von Gott ausgeht, denn es gibt nur einen einzigen Sohn, aber er ist das, was der Sohn Ist. Eins sind die Drei der Gottheit nach; der Eine ist Drei den Personen nach. So vermeiden wir sowohl die Einzigkeit des Sabellianxsmus wie die Dreifachheit der jetzigen verwerflichen Häresie (des Arianismus)“ (14). Der von seinem aristotelischen Inhalt geläuterte theo­ logische Begriff der Hypostase bezeichnet im Denken der östlichen Väter weniger das Individuum als die Person im modernen Sinn dieses Wortes. Der Begriff der menschlichen Persönlichkeit, dieses persönlichen Etwas, das jedes menschliche Individuum zu etwas Ein­ maligem, absolut Unvergleichlichem, Unwiederholbarem macht, stammt aus der christlichen Theologie, (13) In sancta lumina, nr. X X X IV , II, P. G. 36, col. 345 C. D. (14) Or. X X X I (theologica V), 9, P. G . 36, col. 144 A.

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während die Philosophie des Altertums nur menschliche Individuen kannte. Die menschliche Person läßt sich nicht in Begriffen ausdrücken: sie entgleitet jeder De­ finition, ja selbst jeder Beschreibung, denn alle Eigen­ tümlichkeiten, durch welche man sie charakterisieren wollte, lassen sich auch bei anderen Individuen auffin­ den. Die Person kann nur erlebt, d. h. durch unmittel­ bare Intuition erfaßt werden oder sich in einem Kunst­ werk ausdrücken. Wenn wir sagen: „das ist ein Mozart“ oder: „das ist ein Rembrandt“ , dann befinden wir uns jedesmal in einem personalen Universum, das nirgends­ wo seinesgleichen hat. Dennoch sind, sagt der heilige Johannes Damaszenus, „die menschlichen Personen oder Hypostasen isoliert und nicht ineinander: in der Dreifaltigkeit hingegen sind die Hypostasen inein­ ander“ (15). Die Werke menschlicher Personen unter­ scheiden sich voneinander; jene der göttlichen Personen aber nicht, da die Drei nur eine Natur und darum nur einen Willen, eine Kraft, eine Wirksamkeit haben. „D ie Personen sind eins“ , sagt Johannes Damaszenus, „aber nicht so, daß sie sich vermischen, sondern so, daß sie einander enthalten: es existiert unter ihnen ein Inein­ andersein (viyv ev äX h'jloig ^snty/bgijaiv syovüi), ohne jede Verschmelzung oder Vermischung, kraft des­ sen sie nicht getrennt, noch dem Wesen nach geteilt sind, wie es die Häresie des Arius fälschlich behauptet. Denn die Gottheit ist, um es kurz zu sagen, ungeteilt in jeder einzelnen Person, so wie in drei Sonnen, von denen jede die beiden anderen in sich enthielte, dank ihrer inni­ gen Durchdringung nur ein einziges Licht wäre“ (16). „Jede der Personen besitzt ja nicht weniger Einheit mit (15) Defide oribodoxa, I, 8, P. G. 94, colt, 828—829. (16} Ebenda, col. 829.

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den anderen als mit sich selbst" (17). „Jede der drei Personen enthält die Einheit, die eine Natur, auf eine Weise, die ihr allein zukommt und, indem sie sie von den beiden übrigen Personen unterscheidet, gleich­ zeitig das unlösliche Band erkennen läßt, das die Drei verbindet. Das Ungezeugtsein, das Gezeugtsein und der H ervorgan g... sind die einzigen hypostatischen Proprietäten, durch welche sich die drei heiligen Per­ sonen voneinander unterscheiden. Nicht durch die Wesenheit, sondern durch das Merkmal der eigenen Hypostase sind sie ohne Trennung unterschieden“ ^ 8). „Der Vater, der Sohn und der Hl. Geist sind in allem eins, ausgenommen das Ungezeugtsein, das Gezeugtsein und den Hervorgang“ (19). Das einzige unterscheidende Merkmal der Hypostasen, das wir jeder einzelnen als ausschließlich ihr gehörig zuschreiben konnten, ohne daß es sich bei den beiden anderen auf Grund ihrer Wesensgleichheit wiederfinden ließe, wäre also die Beziehung des Ursprungs. Diese Relation muß jedoch Im apophatischen Sinn verstanden werden; sie ist vor allem Negation, die besagt, daß der Vater weder Sohn noch Heiliger Geist, der Sohn weder Vater noch Heiliger Geist, der Heilige Geist weder Va­ ter noch Sohn ist. ^ Jede andere Betrachtungsweise würde die Trinität einer Kategorie der aristotelischen Logik, der Relation der Beziehung, unterwerfen, während die Relation des Ursprungs, apophatisch ver­ standen, nur den Unterschied, aber nicht das „Wie“ der göttlichen Hervorgänge besagt. „Die Weise der Zeu­ gung und des Hervorgangs sind unfaßlich“ , sagt (17) Ebenda, col, 828 C. (18) Ebenda, coli. 821—824. (19) Ebenda, col. 828 D.

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Johannes Damaszenus. „Daß ein Unterschied zwischen Zeugung und Hervorgang besteht, wissen wir. Welcher Art aber dieser Unterschied ist, wissen wir durchaus nicht“ (20). Schon Gregor von Nazianz mußte alle Versuche, die Weise der göttlichen Hervorgänge zu definieren, zurückweisen. „D u fragst, was der Hervor­ gang des Heiligen Geistes sei? Sag mir zuvor, was die Ungezeugtheit des Vaters ist; dann will ich, wie ein Physiologe, die Zeugung des Sohnes und den Hervor­ gang des Heiligen Geistes erklären. A u f diese Weise werden wir beide mit Wahnsinn geschlagen werden, weil wir es gewagt hatten, verwegen die Mysterien Gottes zu betrachten“ (21). „D u hast etwas von einer Zeugung gehört? Frag nicht neugierig nach dem Wie. Du hörst, daß der Hl. Geist vom Vater hervorgeht? Bemühe dich nicht, das Wie ergründen zu wollen“ (22). Wenn die Ursprungsbeziehungen: Ungezeugtheit, Gezeugtheit, Fiervorgang, die uns die drei Hypostasen unterscheiden lassen, unser Denken zur einzigen Quelle des Sohnes und des Hl. Geistes, zum Vater, der Quelle der Gottheit (πηγαία Θεότης) (23), zurückführen, so bilden sie doch keine eigene, gesonderte Beziehung zwischen Sohn und Heiligem Geist. Diese beiden Personen unterschei­ den sich nur durch die verschiedene Weise ihres Ur­ sprungs: der Sohn ist gezeugt, der Heilige Geist geht von dem Vater aus. Das genügt, um sie zu unterscheiden. Aus der eben angeführten Stelle des heiligen Gregor von Nazianz ersieht man, daß sich die trinitariscbe Spekulation mit der Formulierung: der Heilige Geist {20) (21) (22) (23} col.

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Ebenda, coJl. 820 A, 824 A, Or. X X X I (theologka V), 8, P. G. 36, col. 141 B. Or. X X , Π, P. G. 35, col. 1077 C. Der Ausdruck stammt von Dionysius, D. N. II, 7, P. G, 3, 645 B.

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