Der verfassungsrechtliche Schutz von Whistleblowern [1 ed.] 9783428558261, 9783428158263

Whistleblowing ist ein Phänomen, dem sich Staat und Gesellschaft seit langem stellen müssen. Mitarbeiter, die auf intern

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Der verfassungsrechtliche Schutz von Whistleblowern [1 ed.]
 9783428558261, 9783428158263

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1418

Der verfassungsrechtliche Schutz von Whistleblowern

Von

Jan-Philipp Redder

Duncker & Humblot · Berlin

JAN-PHILIPP REDDER

Der verfassungsrechtliche Schutz von Whistleblowern

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1418

Der verfassungsrechtliche Schutz von Whistleblowern

Von

Jan-Philipp Redder

Duncker & Humblot · Berlin

Die Bucerius Law School – Hochschule für Rechtswissenschaft hat diese Arbeit im Jahr 2018 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2020 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Satz: TextformA(r)t Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-15826-3 (Print) ISBN 978-3-428-55826-1 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

„Die Aufmerksamkeit und das Verantwortungsbewußtsein des Staatsbürgers, der Mißstände nicht nur zur Kenntnis nimmt, sondern sich auch für deren Abstellung einsetzt, ist eine wesentliche Voraussetzung für den Bestand der freiheitlichen demokratischen Ordnung […].“ BVerfGE 28, 191 (202)

Vorwort Dieses Buch basiert auf meiner im Jahre 2018 von der Bucerius Law School angenommenen Dissertation mit dem gleichnamigen Titel, die während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Öffentliches Recht I – Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht an der Bucerius Law School bei meinem Doktorvater und Erstgutachter Professor Dr. Jörn Axel Kämmerer entstand. Am 14. März 2019 konnte ich mit der mündlichen Prüfung zum Thema „Die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) im bewaffneten Konflikt“ das Promotionsverfahren erfolgreich abschließen. Für das Buch fanden Rechtsprechung und Literatur bis Juni 2019 Berücksichtigung. Professor Dr. Kämmerer danke ich für die herausragende Betreuung und Zusammenarbeit über den gesamten Zeitraum meiner Tätigkeit am Lehrstuhl. Die Zeit an der Bucerius Law School, insbesondere am Lehrstuhl werde ich in sehr guter Erinnerung behalten. Auch die Zusammenarbeit mit Professor Dr. Christian Ernst, Andreas Haas, LL.B., Dr. Andreas Kerkemeyer, Alisa Priess, LL.B., Julia Spiesberger und Alina Winter, LL.B., die ebenfalls stets für einen gemeinsamen Gedankenaustausch und fachliche Gespräche bereit waren, hat mir große Freude bereitet. Professor Dr. Michael Fehling, LL.M. (Berkeley) danke ich für die schnelle Erstellung des Zweitgutachtens. Mein besonderer Dank gilt schließlich meinen Eltern, die mich mein ganzes Leben lang unermüdlich unterstützt und gefördert haben. Hamburg, im September 2019

Jan-Philipp Redder

Inhaltsübersicht 1. Teil Einleitung 23 A. Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 B. „Whistle­blowing“: Eingrenzung eines unbestimmten Begriffes . . . . . . . . . . . . . . . . 26 I.

Schwierigkeit einer sinngemäßen Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

II.

Primär selbstlose bzw. gemeinnützige Motivation als maßgebliches Abgrenzungskriterium zu Denunzianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

III. Internes und externes Whistle­blowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 1. Privater Sektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2. Öffentlicher Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 C. Whistle­blowing in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 I.

Der Fall Werner Pätsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

II.

Der Fall Edward Snowden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

III. Der Fall Brigitte Heinisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 D. Gesellschaftliche Akzeptanz des Whistle­blowings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 E. Überblick über die Gesetzeslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

2. Teil

Grundrechtsquellen des Whistle­blowings 42

A. Whistle­blowing als Grundrechtsausübung unter dem Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . 42 I.

Grundsätzlicher Schutz von Whistle­blowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 1. Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2. Gewissensfreiheit, Art. 4 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

II.

Zusätzlicher Grundrechtsschutz in Abhängigkeit vom Adressaten der Informationsweitergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 1. Informationsweitergabe an die Presse, Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG . . . . . . . . . . . 50 2. Informationsweitergabe an die zuständigen staatlichen Stellen und die Volksvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3. Informationsweitergabe an die zuständige Gewerkschaft, Art. 9 Abs. 3 GG 56

10

Inhaltsübersicht III. Whistle­blowing zum Schutz der Würde und Ehre des Whistle­blowers als Aspekt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG . . 57 IV. Wirkung der Grundrechte bei Whistle­blowing im privaten Sektor . . . . . . . . . . 58 V.

Der Hinweis auf einen Missstand als Grundrechtsausübung von Beamten . . . 59

B. Recht zum Whistle­blowing als Teil des internationalen Menschenrechtsschutzes . . 60 I.

Whistle­blowing im Rahmen der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 1. Betroffene Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 2. Anwendungsbereich der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

II.

Whistle­blowing im Rahmen des IPBPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1. Betroffene Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2. Anwendungsbereich des IPBPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

III. Whistle­blowing im Rahmen der EU-GrCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1. Betroffene Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2. Anwendungsbereich der EU-GrCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

3. Teil

Die Zulässigkeit von internem Whistle­blowing 65

A. Internes Whistle­blowing im privaten Sektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 I.

Recht zum internen Whistle­blowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 1. Einfachrechtliche Konkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2. Schranken des Beschwerderechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

II.

Pflicht zum internen Whistle­blowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 2. Begrenzung der Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 B. Internes Whistle­blowing im öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 I.

Rechtslage für (Berufs-)Beamte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 1. Recht zum internen Whistle­blowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2. Pflicht zum internen Whistle­blowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98

II.

Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

Inhaltsübersicht

11

4. Teil

Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing 108

A. Rechtliche Grundsatzgedanken zum externen Whistle­blowing . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 I.

Die Bedeutung der Umstände des Einzelfalles für externes Whistle­blowing . . 108

II.

Differenzierung zwischen der Zulässigkeit von externem Whistle­blowing und der rechtlichen Reaktion hierauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

III. Zur Notwendigkeit einer Konstellationsdifferenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 B. Recht zum externen Whistle­blowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 I.

Einfachrechtliche Konkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

II.

Kollidierende Rechte (und Pflichten) bei externem Whistle­blowing: Legitime Zwecke zur Einschränkung der Grundrechte des Whistle­blowers . . . . . . . . . . 113 1. Im privaten Sektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 2. Im öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

III. Grundlagen einer verfassungsrechtlichen Abwägungsentscheidung . . . . . . . . 139 1. Verfassungsrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 2. Internationale Einflüsse: Externes Whistle­blowing in der Judikatur des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 IV. Kriterien und Grundsätze für eine verfassungsrechtliche Abwägungsentscheidung bei externem Whistle­blowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 1. Abwägungskriterien für die Zulässigkeit externen Whistle­blowings . . . . . 150 2. Die EGMR-Rechtsprechung zum externen Whistle­blowing . . . . . . . . . . . . 208 3. Wechselseitige Beeinflussung der Abwägungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . 215 4. Drei Grundsätze für die Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 V.

Differenzierung nach Fallkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 1. Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing an zuständige externe staatliche Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 2. Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing an die breite Öffentlichkeit

230

3. Externes Whistle­blowing trotz erfolgreicher interner Abhilfebemühungen 242 4. Irrtum über den Missstand: Anforderungen an einen „berechtigten“ Hinweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 5. Ergänzung: Hinweise an einzelne Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 VI. Die Zusicherung finanzieller Anreize für externes Whistle­blowing als verfassungsrechtliches Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 2. Enthüllungen von Insidern als rechtsstaatliche Notwendigkeit . . . . . . . . . . 247 3. Verfassungsrechtliche Grenzen für finanzielle Anreize . . . . . . . . . . . . . . . . 248 VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

12

Inhaltsübersicht

C. Pflicht zum externen Whistle­blowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 I.

Grundlagen für den privaten Sektor und den öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . 252 1. Verfassungswidrigkeit einer allumfassenden Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 2. Zur Notwendigkeit einer (hinreichend bestimmten) gesetzlichen Regelung 253 3. Beachtung des Nemo-tenetur-Grundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 4. Keine Pflicht aus Art. 20 Abs. 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254

II.

Pflicht zum externen Whistle­blowing im privaten Sektor . . . . . . . . . . . . . . . . 254 1. Externes Whistle­blowing an zuständige externe staatliche Stellen . . . . . . . 254 2. Externes Whistle­blowing an die breite Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 255

III. Pflicht zum externen Whistle­blowing im öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . 256 1. (Berufs-)Beamte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 2. Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257

5. Teil

Zusammenfassung der Ergebnisse 259

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276

Inhaltsverzeichnis 1. Teil Einleitung 23 A. Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 B. „Whistle­blowing“: Eingrenzung eines unbestimmten Begriffes . . . . . . . . . . . . . . . . 26 I.

Schwierigkeit einer sinngemäßen Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

II.

Primär selbstlose bzw. gemeinnützige Motivation als maßgebliches Abgrenzungskriterium zu Denunzianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

III. Internes und externes Whistle­blowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 1. Privater Sektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2. Öffentlicher Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 C. Whistle­blowing in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 I.

Der Fall Werner Pätsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

II.

Der Fall Edward Snowden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

III. Der Fall Brigitte Heinisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 D. Gesellschaftliche Akzeptanz des Whistle­blowings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 E. Überblick über die Gesetzeslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

2. Teil

Grundrechtsquellen des Whistle­blowings 42

A. Whistle­blowing als Grundrechtsausübung unter dem Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . 42 I.

Grundsätzlicher Schutz von Whistle­blowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 1. Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 a) Hinweise auf Missstände als Meinungsäußerung . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 b) Anonyme Hinweisgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 aa) Uneinigkeit in der Gerichtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 bb) Schutz der Anonymität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2. Gewissensfreiheit, Art. 4 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

II.

Zusätzlicher Grundrechtsschutz in Abhängigkeit vom Adressaten der Informationsweitergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

14

Inhaltsverzeichnis 1. Informationsweitergabe an die Presse, Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG . . . . . . . . . . . 50 2. Informationsweitergabe an die zuständigen staatlichen Stellen und die Volksvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 a) Petitionsrecht, Art. 17 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 aa) Externe Hinweise als Petition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 bb) Anonyme Petitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 b) Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 aa) Erstattung einer (Straf-)Anzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 bb) Mitwirkung im behördlichen (Straf-)Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . 56 3. Informationsweitergabe an die zuständige Gewerkschaft, Art. 9 Abs. 3 GG 56 III. Whistle­blowing zum Schutz der Würde und Ehre des Whistle­blowers als Aspekt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG . . 57 IV. Wirkung der Grundrechte bei Whistle­blowing im privaten Sektor . . . . . . . . . . 58 V.

Der Hinweis auf einen Missstand als Grundrechtsausübung von Beamten . . . 59

B. Recht zum Whistle­blowing als Teil des internationalen Menschenrechtsschutzes . . 60 I.

Whistle­blowing im Rahmen der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 1. Betroffene Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 a) Meinungs- und Informationsfreiheit, Art. 10 Abs. 1 S. 1, S. 2 EMRK . . 60 b) Gewissensfreiheit, Art. 9 Abs. 1 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2. Anwendungsbereich der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 a) Whistle­blowing im privaten Sektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 b) Whistle­blowing im öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

II.

Whistle­blowing im Rahmen des IPBPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1. Betroffene Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 a) Meinungsfreiheit, -äußerungsfreiheit und Informationsfreiheit, Art. 19 Abs. 1, Abs. 2 IPBPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 b) Gewissensfreiheit, Art. 18 Abs. 1 IPBPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2. Anwendungsbereich des IPBPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 a) Whistle­blowing im privaten Sektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 b) Whistle­blowing im öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

III. Whistle­blowing im Rahmen der EU-GrCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1. Betroffene Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 a) Meinungs- und Informationsfreiheit, Art. 11 Abs. 1 EU-GrCh . . . . . . . 63 b) Gewissensfreiheit, Art. 10 Abs. 1 EU-GrCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 c) Petitionsrecht, Art. 44 EU-GrCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2. Anwendungsbereich der EU-GrCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

Inhaltsverzeichnis

15

3. Teil

Die Zulässigkeit von internem Whistle­blowing 65

A. Internes Whistle­blowing im privaten Sektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 I.

Recht zum internen Whistle­blowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 1. Einfachrechtliche Konkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 a) Das allgemeine Anzeige- und Beschwerderecht, § 241 Abs. 2 BGB . . . 68 b) Andere interne Anzeige- und Beschwerderechte (Überblick) . . . . . . . . 69 aa) Beschwerden nach § 84 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 bb) Beschwerden nach § 13 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 2. Schranken des Beschwerderechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 a) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) 70 b) Sachlichkeitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 c) Vorrangverhältnis beim internen Adressaten der Beschwerde . . . . . . . 72 aa) Einhaltung der internen Hierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 bb) Verhältnis der zuständigen internen Stelle zur betriebsinternen Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 d) Motivation des Arbeitnehmers als irrelevantes Kriterium . . . . . . . . . . . 76 e) Irrtum des Whistle­blowers über die Existenz des Missstandes . . . . . . . 76 aa) Kein genereller Ausschluss verfassungsrechtlichen Schutzes bei Irrtümern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 bb) Maßstab der Güterabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 cc) Anforderungen an einen „berechtigten“ Hinweis . . . . . . . . . . . . . 79

II.

Pflicht zum internen Whistle­blowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 2. Begrenzung der Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 a) Allgemeine Grundsätze zur Begrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 aa) Kenntnis des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 bb) Keine Beschränkung auf den eigenen Aufgabenbereich . . . . . . . . 82 b) Differenzierung zwischen Verursachern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 aa) Eigenes Fehlverhalten des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 (1) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 (2) Ausschluss bei strafrechtlichen Selbstbezichtigungen? . . . . . 84 (a) Möglichkeit einer Abwägung mit dem Informationsinteresse des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 (b) Die allgemeine Schadensabwendungspflicht des § 241 Abs. 2 BGB als hinreichende gesetzliche Grundlage? . . 86 (c) Begrenzung der Pflicht auf schwere Gefahren bzw. Risiken für den Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86

16

Inhaltsverzeichnis bb) Fehlverhalten von Kollegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 cc) Fehlverhalten des Arbeitgebers bzw. Vorgesetzten . . . . . . . . . . . . 89 dd) Fehlverhalten von Untergebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 c) Ergebnis: Keine unbeschränkte Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

B. Internes Whistle­blowing im öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 I.

Rechtslage für (Berufs-)Beamte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 1. Recht zum internen Whistle­blowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 a) Anträge und Beschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 b) Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 aa) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 (1) Beschränkung des Adressatenkreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 (a) Einhaltung des Dienstweges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 (b) Verhältnis des Dienstweges zur Personalvertretung (§ 68 Abs. 1 Nr. 3 BPersVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 (2) Sachlichkeitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 (3) Kenntnis bzw. Reaktion des Vorgesetzten . . . . . . . . . . . . . . . . 97 (4) Motivation des Beamten als irrelevantes Kriterium . . . . . . . . 97 bb) Vermeintlicher Missstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 2. Pflicht zum internen Whistle­blowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 a) Zur Existenz einer gesetzlichen Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 aa) Formell-gesetzliche Regelungen und Art. 33 Abs. 5 GG . . . . . . . . 99 bb) Verwaltungsrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 b) Die Grenzen der Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 aa) Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (1) Kenntnis des Vorgesetzten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (2) Keine Dezernatsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 bb) Differenzierung zwischen Verursachern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 (1) Eigenes Fehlverhalten des Beamten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 (2) Fehlverhalten von Kollegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 (3) Fehlverhalten des Vorgesetzten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 (4) Fehlverhalten von Untergebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

II.

Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

Inhaltsverzeichnis

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4. Teil

Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing 108

A. Rechtliche Grundsatzgedanken zum externen Whistle­blowing . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 I.

Die Bedeutung der Umstände des Einzelfalles für externes Whistle­blowing . . 108

II.

Differenzierung zwischen der Zulässigkeit von externem Whistle­blowing und der rechtlichen Reaktion hierauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

III. Zur Notwendigkeit einer Konstellationsdifferenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 B. Recht zum externen Whistle­blowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 I.

Einfachrechtliche Konkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

II.

Kollidierende Rechte (und Pflichten) bei externem Whistle­blowing: Legitime Zwecke zur Einschränkung der Grundrechte des Whistle­blowers . . . . . . . . . . 113 1. Im privaten Sektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 a) Die Berufsfreiheit des Arbeitgebers, Art. 12 Abs. 1 GG, als verfassungsrechtlicher Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 b) Durchbrechung der Rücksichtspflichten bei interner Illegalität? . . . . . 116 aa) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 bb) Grundsätzlich kein verfassungsrechtlich begründeter Ausschluss per se 117 cc) Die Geheimhaltung von Illegalität aus verfassungsrechtlicher Sicht 119 (1) Der Schutz natürlicher Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 (2) Der Schutz juristischer Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 (3) Insbesondere: Die Behinderung des Markterfolges . . . . . . . . 122 (a) Verfassungsrechtliche Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 (b) Das Geheimhalten illegaler Betriebs- und Geschäftsgeheim­ nisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 dd) Einfachrechtlicher Schutz der Geheimhaltung von Illegalität? . . . 126 ee) Kein Ausschluss der Geheimhaltung aus der EMRK . . . . . . . . . . . 128 ff) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 2. Im öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 a) (Berufs-)Beamte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 aa) Pflichten aus Art. 33 Abs. 5 GG und einfach-rechtlichen Konkretisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 (1) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 (2) Gesetzlich vorgesehene Ausnahmen zur Verschwiegenheitsplicht und rechtspolitische Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 bb) Durchbrechung der Treuepflicht bei interner Illegalität? . . . . . . . . 133 (1) Die Geheimhaltung illegaler Missstände aus verfassungsrechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 (2) Einfachrechtlicher Schutz der Geheimhaltung von Illegalität? 138 (3) Kein Ausschluss der Geheimhaltung aus der EMRK . . . . . . . 138

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Inhaltsverzeichnis b) Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 III. Grundlagen einer verfassungsrechtlichen Abwägungsentscheidung . . . . . . . . 139 1. Verfassungsrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 2. Internationale Einflüsse: Externes Whistle­blowing in der Judikatur des EGMR 140 a) Verfassungsrechtliche Pflicht zur Berücksichtigung der EMRK . . . . . 141 b) Die Entscheidungen „Guja“ und „Heinisch“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 c) „Externes Whistle­blowing“ als eigene Rechtskategorie des EGMR . . . 142 aa) Definition von „Whistle­blowing“ in der EGMR-Rechtsprechung . 143 bb) Einheitliches Prüfungskonzept des EGMR? . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 cc) Zur Übertragbarkeit der Entscheidungen auf andere Fallkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 dd) Zur Möglichkeit einer Kriterienkonkretisierung durch andere EGMREntscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 ee) Zur Heranziehung weiterer Kriterien aus Sicht des EGMR . . . . . . 147 IV. Kriterien und Grundsätze für eine verfassungsrechtliche Abwägungsentscheidung bei externem Whistle­blowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 1. Abwägungskriterien für die Zulässigkeit externen Whistle­blowings . . . . . 150 a) Vorrang internen Whistle­blowings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 aa) Rechtsprechung des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 bb) Vorrangverhältnis im privaten Sektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 (1) Rechtsprechung deutscher Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 (2) Vergleich zwischen der Rechtsprechung des EGMR und der Grundsatzentscheidung des BAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 (a) Grundsatzkonflikt zwischen EGMR und BAG . . . . . . . . 154 (b) Strengere Prüfung alternativer Möglichkeiten . . . . . . . . . 154 (c) Keine vollständige Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 (d) Verweis auf interne Kanäle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 (e) Anforderungen an den internen Hinweis des Whistle­blowers 156 (3) Vorzugswürdigkeit des Vorranges internen Whistle­blowings . 156 (4) Zur Erstattung einer Strafanzeige (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 (a) Kein abwägungsfestes Grundrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 (b) Der Abwägungsgrundsatz „im Regelfall“ . . . . . . . . . . . . 161 (5) Keine Ableitung eines allgemeinen Vorrangverhältnis aus gesetzlichen Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 (6) Ergänzung: Zum Vorrangverhältnis in (Gesetzes-)Entwürfen 165 cc) Vorrangverhältnis im öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (1) Rechtsprechung deutscher Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (2) Vergleich mit der Rechtsprechung des EGMR . . . . . . . . . . . . 168

Inhaltsverzeichnis

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(3) Allgemeine Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (4) Das Petitionsrecht (Art. 17 GG) und das Erfordernis der Dienstwegerschöpfung nach § 125 BBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 (5) Das Petitionsrecht (Art. 17 GG) bei Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 b) Das Interesse der Öffentlichkeit an der Information . . . . . . . . . . . . . . . 175 aa) Rechtsprechung des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 bb) Verfassungsgerichtliche Judikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 cc) Deutsche Gerichte zum privaten Sektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 dd) Deutsche Gerichte zum öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 ee) Zusammenhang mit den Staatsstrukturprinzipien des Grundgesetzes 179 (1) Die Bedeutung der Enthüllung für die Demokratie . . . . . . . . 181 (2) Die Bedeutung der Enthüllung für den Rechtsstaat . . . . . . . . 183 ff) Die wirtschaftliche Bedeutung der Enthüllung . . . . . . . . . . . . . . . 184 c) Die Authentizität der Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 aa) Rechtsprechung des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 bb) Verfassungsgerichtliche Judikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 cc) Deutsche Gerichte zum privaten Sektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 dd) Deutsche Gerichte zum öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 ee) Bedeutung der Authentizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 d) Die negativen Auswirkungen für den vom Whistle­blowing Betroffenen 189 aa) Rechtsprechung des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 bb) Deutsche Gerichte zum privaten Sektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 cc) Deutsche Gerichte zum öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 dd) Voraussichtliche negative Auswirkungen für den Betroffenen . . . 191 e) Die Motivation des Whistle­blowers (als irrelevantes Kriterium) . . . . . 192 aa) Rechtsprechung des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 bb) Verfassungsgerichtliche Judikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 cc) Deutsche Gerichte zum privaten Sektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 dd) Deutsche Gerichte zum öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 ee) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (1) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 (2) Böswillige Insider . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 (a) Zum Rechtsmissbrauch im Verfassungsrecht . . . . . . . . . 197 (b) Keine Berücksichtigung der Motivation bei böswilligen Insidern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 (3) Keine Berücksichtigung bei Whistle­blowern . . . . . . . . . . . . . 200 (4) Berücksichtigungsmöglichkeit im Rahmen der Rechtsfolgen von externem Whistle­blowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201

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Inhaltsverzeichnis f) Exkurs: Die Strafe für den Whistle­blower . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 aa) Rechtsprechung des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 bb) Verfassungsgerichtliche Judikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 cc) Deutsche Gerichte zum privaten Sektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 dd) Deutsche Gerichte zum öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 g) Differenzierung nach Art des internen Missstandes . . . . . . . . . . . . . . . 204 h) Zeitpunkt der Enthüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 i) Rechtspositionen von anderen Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 j) Zur Möglichkeit der Selbstabhilfe bzw. Leistungsverweigerung . . . . . 207 k) Adressat des externen Whistle­blowings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 aa) Differenzierung nach Pflicht des Adressaten zur Vertraulichkeit . . 207 bb) Schutzbereichsverstärkung bei Informierung der Presse? . . . . . . . 207 l) Bedeutung anonymer Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 2. Die EGMR-Rechtsprechung zum externen Whistle­blowing . . . . . . . . . . . . 208 a) Unklarheiten in der EGMR-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 aa) Rangverhältnis der verschiedenen Kriterien zueinander . . . . . . . . 209 bb) Verhältnis des Vorranggrundsatzes zu den sonstigen Kriterien . . . 210 cc) Geschützter interner Personenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 b) Die Rechtsprechung des EGMR und deutscher Gerichte im Vergleich 211 aa) Externes Whistle­blowing im privaten Sektor . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 bb) Externes Whistle­blowing im öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . . 214 3. Wechselseitige Beeinflussung der Abwägungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . 215 4. Drei Grundsätze für die Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 a) Das Verhältnis der verschiedenen Rechtsgüter zueinander (Grundsatz 1) 216 b) Effektivität und Minimierung negativer Folgen (Grundsatz 2) . . . . . . . 217 aa) Vorrang zuständiger externer staatlicher Stellen vor privaten Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 bb) Vorrangverhältnis zwischen mehreren zuständigen externen staat­ lichen Stellen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 cc) Zur Informierung der „breiten Öffentlichkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . 219 (1) Kein Vorrangverhältnis zwischen mehreren Adressaten innerhalb der breiten Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 (2) Kein Vorrangverhältnis zwischen privaten Adressaten und der breiten Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 (3) Kein Vorrangverhältnis zwischen mehreren „Informationsplattformen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 (4) Zur Schutzbereichsverstärkung durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG bei Informierung der Presse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 c) Selbstschutz des Whistle­blowers (Grundsatz 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 d) Gegenseitige Beeinflussung der drei Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

Inhaltsverzeichnis V.

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Differenzierung nach Fallkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 1. Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing an zuständige externe staatliche Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 a) Vor Erschöpfung interner Abhilfemöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 aa) Gesetzlich vorgesehene Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 bb) Mangelnde Erfolgsaussichten interner Abhilfebemühungen . . . . . 224 cc) In der Vergangenheit liegende Missstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 dd) Straftaten gegen den Whistle­blower . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 (1) Im privaten Sektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 (2) Im öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 ee) Straftaten gegen den Arbeitgeber / Dienstherrn . . . . . . . . . . . . . . . . 227 ff) Meldung schwerer Gesetzesverstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 (1) Im privaten Sektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 (2) Im öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 gg) Besondere Position des Insiders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 (1) Im privaten Sektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 (2) Im öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 b) Nach erfolgloser Erschöpfung interner Abhilfemöglichkeiten . . . . . . . 229 2. Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing an die breite Öffentlichkeit

230

a) Allgemeines Interesse der Öffentlichkeit an der Information als unabdingbare Voraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 b) Nach erfolgloser Erschöpfung interner Abhilfemöglichkeiten und nach erfolgloser Informierung zuständiger externer staatlicher Stellen . . . . . 231 c) Nach erfolgloser Erschöpfung unternehmensinterner Abhilfemöglichkeiten, aber vor Informierung zuständiger externer staatlicher Stellen . . . 233 d) Vor Erschöpfung interner Abhilfemöglichkeiten, aber nach Informierung zuständiger externer staatlicher Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 e) Vor erfolgloser Erschöpfung interner Abhilfemöglichkeiten und vor erfolgloser Informierung zuständiger externer staatlicher Stellen . . . . . . 235 aa) Rechtsprechung zum öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 bb) Generelle Eingrenzung für den privaten Sektor und den öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 (1) Erstes Rechtfertigungskriterium: besonders gravierende Gefahr für einen Wert mit Verfassungsrang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 (a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 (b) Besondere Gesichtspunkte bei staatlichen Missständen . 238 (2) Zweites Rechtfertigungskriterium: zeitlich begründeter Ausschluss alternativer Abhilfemöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . 241 f) Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 3. Externes Whistle­blowing trotz erfolgreicher interner Abhilfebemühungen 242

22

Inhaltsverzeichnis 4. Irrtum über den Missstand: Anforderungen an einen „berechtigten“ Hinweis 243 5. Ergänzung: Hinweise an einzelne Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 VI. Die Zusicherung finanzieller Anreize für externes Whistle­blowing als verfassungsrechtliches Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 2. Enthüllungen von Insidern als rechtsstaatliche Notwendigkeit . . . . . . . . . . 247 3. Verfassungsrechtliche Grenzen für finanzielle Anreize . . . . . . . . . . . . . . . . 248 a) Grenze bei illegalem Handeln des Arbeitnehmers bzw. Beamten . . . . . 249 aa) Bei illegaler Informationsbeschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 bb) Bei illegaler Informationsweitergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 b) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

C. Pflicht zum externen Whistle­blowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 I.

Grundlagen für den privaten Sektor und den öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . 252 1. Verfassungswidrigkeit einer allumfassenden Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 2. Zur Notwendigkeit einer (hinreichend bestimmten) gesetzlichen Regelung 253 3. Beachtung des Nemo-tenetur-Grundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 4. Keine Pflicht aus Art. 20 Abs. 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254

II.

Pflicht zum externen Whistle­blowing im privaten Sektor . . . . . . . . . . . . . . . . 254 1. Externes Whistle­blowing an zuständige externe staatliche Stellen . . . . . . . 254 a) Ausdrückliche Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 b) Keine Pflicht aus § 241 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 2. Externes Whistle­blowing an die breite Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 255

III. Pflicht zum externen Whistle­blowing im öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . 256 1. (Berufs-)Beamte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 a) Externes Whistle­blowing an zuständige externe staatliche Stellen . . . . 256 aa) Keine Pflicht aus dem Bundesbeamtengesetz . . . . . . . . . . . . . . . . 256 bb) Verwaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 b) Externes Whistle­blowing an die breite Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . 257 2. Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257

5. Teil

Zusammenfassung der Ergebnisse 259

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276

1. Teil

Einleitung A. Ziel der Untersuchung Whistleblowing ist ein Phänomen, dem sich Staat und Gesellschaft seit langem stellen müssen und das stets kontroverse Stellungnahmen hervorgerufen hat. Insider1, die Interna weitergeben, um die Öffentlichkeit über Missstände zu informieren, spielen seit langem eine bedeutsame Rolle. Der mediale Fokus auf spektakuläre Fälle darf darüber nicht hinwegtäuschen.2 Oftmals sind es Whistleblower, die unter Erbringung großer persönlicher Opfer der Öffentlichkeit einen Einblick in die dunklen Geheimnisse von Machtträgern bieten. Den Kampf im Subordinationsverhältnis können sie vielleicht (nach Jahren) rechtlich gewinnen – faktisch aber müssen sie bei der Informierung von Außenstehenden nicht selten Sanktionen (unabhängig von deren Legalität) in Kauf nehmen. Damit sind letztlich diejenigen, die die doch so oft geforderte Zivilcourage aufbringen, die Leidtragenden. Wiegen die Konsequenzen bereits schwer genug, kommen auch rechtliche Unklarheiten hinzu: Wer in welcher Situation welche internen Missstände an wen melden darf, ist mangels rechtlicher Vorgaben weitgehend unklar. Verschiedene Forderungen nach Gesetzen, die (zumindest in Grundzügen) regeln, was Insider wann in welcher Situation unternehmen dürfen, konnten sich politisch noch nicht durchsetzen. Der Themenkomplex „Whistleblowing“ führte  – trotz verschiedener bekannt gewordener Fälle3 – für die breite Öffentlichkeit in Deutschland über Jahrzehnte hinweg eher ein Schattendasein, was sich erst mit den Veröffentlichungen Edward Snowdens über die globale geheimdienstliche Überwachung4 geändert haben dürfte: Plötzlich wurde großen Teilen der (Welt-)Bevölkerung bewusst, dass die Informationen, die Whistleblower ans Tageslicht fördern, sie auch selbst betreffen können. Diese Erkenntnis dürfte auch in den folgenden Jahren weitere Diskussionen fördern und könnte sogar in einem hinreichend klar formulierten Gesetz münden.

1 Aus Gründen der Lesbarkeit wird im Folgenden ausschließlich die männliche Form genutzt. 2 S. auch Király, ZRP 2011, 146. 3 S. Wiedmann / Seyfert, CCZ 2019, 12 (13). 4 Hierzu 1. Teil, C. II.

24

1. Teil: Einleitung

Ist damit bereits angedeutet, dass die derzeitige Rechtslage in Deutschland mangels allgemeiner gesetzlicher Regelungen unklar ist, muss konstatiert werden, dass diese Unsicherheit durch verschiedene Faktoren noch verschärft wird: Da Whistleblowing auch vom Schutzbereich verschiedener Grund- bzw. Menschenrechte umfasst ist, ergeben sich zwangsweise schwierige Fragen bei der Abwägung mit der Rücksichtnahmepflicht des Insiders. Auch diejenigen, die durch das Whistleblowing Nachteile erfahren, können legitime Interessen geltend machen. Welche Umstände sollten im Einzelfall berücksichtigt werden? Und wie sind diese Umstände im Einzelfall zu gewichten? Whistleblowing ist mit zahlreichen unbeantworteten Problemen verknüpft, für die Rechtsprechung und Wissenschaft unterschiedliche Lösungen entwickelt haben. Hieran anknüpfend wird auch das Ziel dieser Untersuchung deutlich: Es sollen hinreichend konkrete Vorgaben zu der Frage entwickelt werden, in welcher Situation sich Whistleblower an wen wenden können, um über den internen Missstand zu berichten. Da es sich primär um eine Verfassungsfrage handelt, können die hierbei entwickelten Grundsätze auf alle einfachrechtlichen Rechtsgebiete übertragen werden. Dabei zeigt folgende Übersicht, dass sich bei dieser Thematik verschiedene Ebenen unterscheiden lassen, was eine Klärung weiter verkompliziert: Recht Intern Pflicht Privater Sektor Recht Extern Pflicht Whistleblowing Recht Intern Pflicht

Öffentlicher Dienst

Recht Extern Pflicht

Übersicht über die verschiedenen Whistleblowing-Konstellationen

Zur Beantwortung der Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen Whistleblowing zulässig ist, muss zunächst zwischen Whistleblowing im privaten Sektor

A. Ziel der Untersuchung

25

und im öffentlichen Dienst5 differenziert werden. Ferner ist zu berücksichtigen, ob sich ein Whistleblower innerhalb einer Organisation6 bewegt oder sich an Externe wendet, um auf den Missstand hinzuweisen. Schließlich muss bei jeder Konstellation abschließend gefragt werden, ob neben einem Recht des Whistleblowers zum Whistleblowing nicht gar eine Pflicht zum Whistleblowing besteht. Diese Konstellationen werden wiederum von der Berechtigung des Hinweises bzw. dem Wissen des Whistleblowers beeinflusst, wobei sich zwei Fallkonstellationen unterscheiden lassen: – Fallkonstellation 1: Der Missstand besteht und der Whistleblower nahm dies berechtigterweise an. – Fallkonstellation 2: Der Missstand besteht nicht, der Whistleblower nahm dessen Existenz aber aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Informationen berechtigterweise an. Darüber hinaus ist es ebenfalls denkbar, die Konstellationen umzudrehen. Aufgrund der dann regelmäßig bestehenden primär negativen Intention des Insiders liegt aber häufig kein Fall des Whistleblowings vor7 (diese Konstellationen werden daher größtenteils außer Acht gelassen): – Fallkonstellation 3: Der Missstand besteht zwar, der Insider nahm allerdings an, dass dieser Missstand nicht existierte. – Fallkonstellation 4: Der Missstand besteht nicht und der Insider durfte auch nicht annehmen, dass ein Missstand existierte. Weiter ließe sich dieses Diagramm danach verfeinern, welche Adressaten der Whistleblower in welcher Reihenfolge kontaktiert hat, und zwar sowohl innerhalb als auch außerhalb der jeweiligen Organisation. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass die Frage, inwiefern Whistleblowing zulässig ist, nicht ohne Beachtung des menschenrechtlichen Mehrebenensystems betrachtet werden kann. So gab es bereits wichtige Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zum Themenkomplex „externes Whistle­ blowing“, deren Auswirkungen auf die deutsche Judikatur ebenfalls untersucht werden. Bei der Frage, wann Whistle­blowing zulässig ist, orientiert sich diese Untersuchung allerdings nicht strikt an den verschiedenen Ebenen. Vielmehr wird ein einheitliches Prüfungskonzept entworfen, das auf allen Ebenen berücksichtigt werden kann.

5 Diese Untersuchung beschränkt sich dabei im Wesentlichen auf die Rechtslage für (Berufs-) Beamte und Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes. 6 „Organisation“ ist hier und im Folgenden grundsätzlich weit zu verstehen und umfasst etwa Unternehmen, es sei denn, aus dem Kontext ergibt sich etwas anderes. 7 S. hierzu 1. Teil, B. II.

26

1. Teil: Einleitung

Insgesamt ist hierdurch bereits deutlich geworden, dass die Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen Whistle­blowing zulässig ist, ein komplexes Gebilde darstellt, bei dem viele Umstände das Ergebnis maßgeblich beeinflussen können. All diese Fragen und Probleme sind Bestandteil dieser Untersuchung.

B. „Whistle­blowing“: Eingrenzung eines unbestimmten Begriffes I. Schwierigkeit einer sinngemäßen Übersetzung Für die Zwecke dieser Untersuchung muss geklärt werden, was unter dem Begriff „Whistle­blowing“ bzw. „Whistleblower“ zu verstehen ist. „Whistle­blowing“ lässt sich vom englischen „to blow a whistle“ herleiten, das wörtlich übersetzt „(in) eine Pfeife blasen“ bedeutet. Ein „Whistleblower“ ist folglich derjenige, der „(in) eine Pfeife bläst“. Der genaue Begriffsursprung lässt sich indes schwerlich ermitteln. Insofern ist bereits unklar, wann der Begriff „Whistle­blowing“ im US-amerikanischen Rechtsraum genau entstanden ist.8 Die Bedeutung dieses Anglizismus lässt sich nur in einem größeren Kontext richtig erfassen. Mit der Wendung „to blow a whistle“ werden verschiedene Assoziationen verbunden, bei denen nicht abschließend geklärt werden kann, welche letztlich für den Begriff „Whistleblower“ bzw. „Whistle­blowing“ ausschlaggebend war: Ob man Whistle­blowing letztlich vom Beispiel der englischen Polizisten, die in Gefahrensituationen in ihre Pfeife bliesen,9 oder den Bahnarbeitern, die mittels einer Pfeife vor herannahenden Zügen warnten,10 herleitet, ist für eine nähere Begriffsbestimmung aber letztlich nicht relevant: Beide Fälle verdeutlichen, dass derjenige, der (in) die Pfeife bläst, dringlich auf eine Gefahr hinweisen möchte. Gleichwohl sind sie insofern irreführend, als beim Whistle­blowing die Weitergabe von Interna bedeutsam wird, mit der ein Whistleblower auf interne Missstände – und eben nicht wie in den genannten Beispielen auf „externe Gefahren“ – hinweisen möchte.11 Whistleblower verfügen über Insiderwissen, an das Außenstehende in der Regel nicht gelangen können.12 Lediglich interne Mitglieder einer Organisation werden als Whistleblower bezeichnet.13 Die Art des Beschäftigungsverhältnisses 8 S. etwa Jubb, Journal of Business Ethics 21 (1999), 77: „Its origins may go back 50 years or so […]“; andere Autoren nennen die 1960er und 1970er Jahre, s. Graser, Whistle­blowing, S. 14; Steigert, Datenschutz bei unternehmensinternen Whistle­blowing-Systemen, S. 19. 9 Winters v. Houston Chronicle Pub. Co., 795 S. W.2d 723, 727 (Tex. 1990); Kuhlmann-­ Macro, Drake L. Rev. 41 (1992), 339 (340). 10 Salvenmoser / Kruse, Die Bank 2007, 75. 11 Nach Adler / Daniels, Labor Lawyer 8 (1992), 19 (21), wurde allerdings auch schon die Weigerung des Arbeitnehmers, für den Arbeitgeber eine illegale Handlung vorzunehmen, als „Whistle­blowing“ bezeichnet. 12 Hefendehl, in: Böse / Sternberg-Lieben, S. 617 (619). 13 Near / Miceli, Journal of Business Ethics 4 (1985), 1 (4).

B. „Whistle­blowing“: Eingrenzung eines unbestimmten Begriffes 

27

ist für diese Umschreibung irrelevant, d. h. Whistle­blowing kann sowohl im privaten Sektor als auch im öffentlichen Dienst vorkommen. Auch die Qualität des angezeigten internen Missstandes ist für die Begriffsbestimmung nicht bedeutsam.14 Unbedeutend ist ferner, ob der Hinweis auf dem internen Dienstweg erfolgt.15 Allerdings muss eine Stelle (im weitesten Sinne) informiert werden, die den Missstand (unmittelbar oder mittelbar) untersuchen bzw. unterbinden kann, damit von „Whistle­blowing“ gesprochen werden kann.16 Ein Whistleblower wird erst während seiner Tätigkeit auf interne Missstände aufmerksam und meldet diese. Dem steht nicht entgegen, dass er sich nach Kenntnis über die Missstände weiterbewirbt, um mehr Informationen über die Missstände zu erlangen.17 Dies unterscheidet ihn vom investigativen Journalisten, der bspw. von vornherein ein entsprechendes Beschäftigungsverhältnis eingeht, um über den Missstand zu recherchieren und ihn zu enthüllen.18 Die Meldung eines Whistle­ blowers kann aber den Anstoß für die Recherchen des investigativen Journalisten gegeben haben. In Resolution 1729 vom 29.4.2010 definiert die Parlamentarische Versammlung des Europarates Whistle­blower als „concerned individuals who sound an alarm in order to stop wrongdoings that place fellow human beings at risk“, worauf auch der EGMR verweist19. In einer späteren Empfehlung des Ministerkomitees des Europarates vom 30.4.2014 wird auf die Einschränkung „concerned individuals“ verzichtet: „‚Whistle­blower‘ means any person who reports or discloses information on a threat or harm to the public interest in the context of their work-based relationship, whether it be in the public or private sector“.20 In letzterer Empfehlung wird jedoch ausdrücklich klargestellt, dass sich die Definition auf diese Empfehlung beschränkt („For the purposes of this recommendation and its principles“). Der EGMR definiert Whistle­blowing als „disclosure of deficiencies in enterprises or institutions, such as illegal conduct on the part of the employer, by an employee (‚whistle-blowing‘)“21 bzw. „an action warranting special protection under Article 10 14

Für ein weites Begriffsverständnis auch Near / Miceli, Journal of Business Ethics 4 (1985), 1 (4); Müller, NZA 2002, 424 (426); Herbert / Oberrath, NZA 2005, 193 (194); Berndt / Hoppler, BB 2005, 2623 (2624); Petersen / Farrel, Whistle­blowing, S. 5, grenzen den Gegenstand der Enthüllung auf ein „significant misbehaviour with consequences for a number of people“ ein. 15 Nach Berndt / Hoppler, BB 2005, 2623 (2624), ist die Informationsweitergabe außerhalb des üblichen Dienstweges allerdings typisch für den Begriff „Whistle­blowing“. 16 Berndt / Hoppler, BB 2005, 2623 (2624 f.). 17 Vgl. auch IALANA, Begründung der Jury zur Vergabe des Whistleblower Preises 2013 an Edward J. Snowden, abgedruckt in Deiseroth / Falter, 2014, S. 55 (59). 18 Anders wohl Ebert, ReWir 7/2011, 1 (4): Die von ihr in Fn. 20 genannte BGH-Entscheidung, die sie „externem Whistle­blowing“ zuordnet, betraf Enthüllungen durch den investiga­ tiven Journalisten Günther Wallraff. 19 EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 37. 20 Appendix to Recommendation CM / Rec(2014)7 of the Committee of Ministers to member States on the protection of Whistle­blowers. 21 EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 31.

28

1. Teil: Einleitung

of the Convention, in which an employee reports a criminal offence in order to draw attention to alleged unlawful conduct of the employer“22. In US-amerikanischen Gerichtsentscheidungen finden sich ähnliche Umschreibungen.23 Auch in der deutschen Judikatur taucht der Begriff zunehmend auf.24 Eine passende Übersetzung des Begriffes „Whistle­blowing“ bzw. „Whistle­ blower“ in die deutsche Sprache bereitet Schwierigkeiten,25 da letztlich eine Tätigkeitsumschreibung in einem einzelnen Begriff zusammengefasst werden soll. Viele denkbare Übersetzungen von Whistle­blowing wie „verpfeifen“26 implizieren eine als negativ verstandene Tätigkeit und werden damit der Bedeutung des Whistle­ blowings nicht gerecht.27 Daher ist eine freiere Übersetzung notwendig: „Whistle­ blower“ sollte mit „Hinweisgeber“28, „Whistle­blowing“ mit „Alarm schlagen“29 übersetzt werden. Für diese Untersuchung wird jedenfalls an den Anglizismen „Whistle­blower“ und „Whistle­blowing“ festgehalten, die mittlerweile auch in der deutschen Sprache geläufig sind30 und keine Modewörter darstellen31.

II. Primär selbstlose bzw. gemeinnützige Motivation als maßgebliches Abgrenzungskriterium zu Denunzianten In der öffentlichen Diskussion werden Whistle­blower nicht selten mit Denunzianten gleichgesetzt. Insofern wird der negative Zusammenhang, der mit „Whistle­ blowing“ verbunden wird, bereits begrifflich deutlich: So definiert der Duden „denunzieren“ erstens als „[aus persönlichen niedrigen Beweggründen] anzeigen“ sowie zweitens „als negativ hinstellen, öffentlich verurteilen, brandmarken“32. Bei ersterer Umschreibung wird deutlich, dass die (verwerfliche) Motivation des Hinweisgebers maßgeblich für eine Einstufung als Denunziant ist.

22

EGMR, Urt. v. 17.9.2015, Langner v. Deutschland (Nr. 14464/11), Rn. 47. S. etwa Dahl v. Combined Ins. Co., 621 N. W.2d 163, 167 (S. D. 2001). 24 Vgl. BAG, NJOZ 2013, 1064 (1068); NJW 2007, 2204 (2206); LAG Hamm, Urt. v. 21.7.2011, 11 Sa 2248/10, Rn. 114 (juris). 25 Müller, NZA 2002, 424 (426). 26 So etwa Schuster / Darsow, NZA 2005, 273 (276); s. hierzu auch Schulz, Ethikrichtlinien und Whistle­blowing, S.  23. 27 Steigert, Datenschutz bei unternehmensinternen Whistle­blowing-Systemen, S. 24; s. auch Engländer / Zimmermann, NZWiSt 2012, 328 (329). 28 S. Altenburg, BLJ 2008, 3 (4); kritisch Koch, ZIS 2008, 500. 29 Sasse / Stelzer, ArbRB 2003, 18; Poeche, in: Küttner / Röller, Anzeigepflichten Arbeit­ nehmer, Rn. 9 (Stand 1.1.2019); kritisch Sauer, DÖD 2005, 121. 30 S. auch bereits Müller, NZA 2002, 424 (426). 31 Zum Begriff „Whistle­blowing“ auch von Kaenel, Schweizerische Juristenzeitung 2007, 309; Koch, ZIS 2008, 500; a. A. Bauschke, öAT 2012, 271 (274). Whistle­blowing ist auch keine vorübergehende Modeerscheinung (Kort, in: Hönn / Oetker / Raab, S.  247 (261)). 32 Duden online, Stichwort: „denunzieren“ (zuletzt besucht am 28.6.2019). 23

B. „Whistle­blowing“: Eingrenzung eines unbestimmten Begriffes 

29

Dieses Eingrenzungskriterium bietet wiederum die Möglichkeit, Denunzianten und Whistle­blower begrifflich voneinander zu unterscheiden. Für eine Einstufung als Whistle­blower ist insofern zu fordern, dass die Enthüllung aus primär selbstloser bzw. gemeinnütziger Motivation heraus stattfindet.33 Dieses Begriffsverständnis kann auch maßgeblich zu einem (rechtskulturellen) Bedeutungswandel34 beitragen. So werden Whistle­blower im angloamerikanischen Raum nicht als illoyale Mitarbeiter oder gar als Verräter wahrgenommen, sondern als Personen, die positiv betrachtet interne Fehlentwicklungen verhindern bzw. eindämmen wollen.35 Zwar kann es im Einzelfall schwierig sein, die Motivation des Hinweisgebers zu ermitteln; Rückschlüsse können aber u. a. aus der Art und Weise, d. h. den näheren Umständen der Informationsweitergabe bzw. dem bis dato herrschenden Arbeitsklima innerhalb der Organisation hergeleitet werden. Auch für den EGMR ist die Motivation das entscheidende Kriterium, um eine „Whistle­blowing-Konstellation“ zu bejahen, was spätestens mit der Entscheidung Langner v. Deutschland deutlich wurde.36 Ähnlich sind für die Verleihung des seit 1999 alle zwei Jahre vergebenen Whistle­blower-Preises nicht nur die Kriterien „Brisante Enthüllung über Missstand“ („reveiling wrongdoing“), „Alarmschlagen“ („going outside“) und „Inkaufnahme schwerwiegender Nachteile“ („risking retaliation“), sondern auch „Am Gemeinwohl orientiert“ („serving the public interest“) ausschlaggebend, wobei die Motivation unter letzterem Punkt berücksichtigt wird.37 Soweit in dieser Untersuchung die „Pflicht zum Whistle­blowing“ erörtert wird, ist anzumerken, dass in diesem Fall die Pflicht zu einer Meldung unabhängig von der Motivation gemeint ist: Die Pflicht, bei einer Meldung von Missständen eine bestimmte Motivation aufzuweisen, kann es nicht geben.

III. Internes und externes Whistle­blowing Einigkeit besteht darüber, dass zwischen internem und externem Whistle­ blowing differenziert werden kann.38 Beim internen Whistle­blowing wendet sich der Whistle­blower nach Kenntniserlangung des Missstandes an eine interne bzw. 33

S. auch Deiseroth, Whistle­blowing in Zeiten von BSE, S. 9. Hierzu auch 1. Teil, D. 35 Abraham, ZRP 2012, 11 (13). 36 EGMR, Urt. v. 17.9.2015, Langner v. Deutschland (Nr. 14464/11), Rn. 47; zur EGMRRechtsprechung insofern noch 4.  Teil, B. III. 2. c) aa). 37 S. hier: http://ialana.de/arbeitsfelder/Whistle­blowing/Whistle­blower-preis (zuletzt besucht am 28.6.2019). Dieser Preis wird von der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler e. V. (VDW) und der Deutschen Sektion der International Association of Lawyers Against Nuclear Arms (IALANA) verliehen (in der Vergangenheit auch teilweise zusammen mit der EthikschutzInitiative des International Network of Engineers and Scientists to Promote and Protect Ethical Engagement – INESPE); vgl. auch Deiseroth, Betrifft Justiz 2004, 296 (296 f.). 38 Vgl. etwa Schulz, BB 2011, 629 (630); Dworkin / Baucus, Journal of Business Ethics 1998, 1281 (1283); Kort, in: Hönn / Oetker / Raab, S.  247 (247 f.). 34

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1. Teil: Einleitung

eine ermächtigte externe Beschwerdestelle. Unter das externe Whistle­blowing fallen hingegen solche Fälle, bei denen außerhalb des Betriebes bzw. der Dienststelle gelegene Adressaten informiert werden, z. B. die Staatsanwaltschaft oder die Medien. Diese Aufteilung ist nicht nur theoretischer Natur, da die Zulässigkeit von Whistle­blowing gerade von der Frage abhängt, ob bzw. inwieweit für einen Whistle­blower eine Pflicht zur vorrangigen Benachrichtigung interner Stellen besteht. Unterschiede können sich ferner aus dem Umstand ergeben, ob die Information an staatlich vorgesehene und zur Verschwiegenheit verpflichtete Stellen, z. B. die Staatsanwaltschaft oder die Polizei, oder andere Adressaten, z. B. private Medien, weitergegeben wird. 1. Privater Sektor Die Frage, welche Stellen „intern“ sind, bereitet grundsätzlich keine Schwierigkeiten. Alle Adressaten sind umfasst, die mit der Organisationseinheit derart eng verbunden sind, dass von einer vertraulichen internen Behandlung der Information ausgegangen werden kann. Dies umfasst Arbeitskollegen, die obere Hierarchieebene oder sonstige speziell eingerichtete interne Stellen (s. auch §§ 84, 85 BetrVG), aber auch externe Stellen (z. B. Ombudspersonen), die vom Unternehmen damit beauftragt wurden, Anzeigen entgegenzunehmen.39 Die Einstufung der betriebsinternen Öffentlichkeit bereitet allerdings Probleme.40 Zwar ist der Verweis auf Missstände an einzelne Mitarbeiter dem internen Whistle­blowing zuzurechnen, da regelmäßig von einer vertraulichen Behandlung ausgegangen werden kann. Bei einer Informierung aller bzw. eines Großteils der Mitarbeiter im Betrieb (im Sinne einer organisatorischen Einheit, „innerhalb derer der Arbeitgeber allein oder mit seinen Arbeitnehmern mit Hilfe von sächl. und immateriellen Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt, die sich nicht in der Befriedigung des Eigenbedarfs erschöpfen“41) ist diese Vertraulichkeit aber (in größerem Maße) gefährdet. Es besteht die Gefahr, dass sich andere Mitarbeiter an externe Stellen wenden, damit der Arbeitgeber unter Druck gesetzt wird. Sind die Missstände gravierend, kann hieraus auch ein Streik resultieren, der öffentliche Aufmerksamkeit hervorruft. Auch ein Bericht in der Werkszeitung kann dazu führen, dass die Information schnell die innerbetriebliche Sphäre verlässt.42 Daher sollte nach der Größe des Betriebes differenziert werden: In kleineren Be 39 S. Schulz, BB 2011, 629 (630); näher zum externen Ombudsmann Buchert, CCZ 2008, 148 ff. 40 Nach Hinrichs, ArbRGgw 1980, 35 (45) (mit Fn. im Original), ist die „betriebsöffentliche Darstellung und Kritik der als Mißstand, Belästigung oder Gefährdung empfundenen Situation auf einer Betriebs- oder Abteilungsversammlung“ der innerbetrieblichen Abhilfemöglichkeit zuzurechnen. 41 BAG, AP BGB § 613a Nr. 69 zu § 613a BGB. 42 S. Schmitt, Whistle­blowing, S.  6.

B. „Whistle­blowing“: Eingrenzung eines unbestimmten Begriffes 

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trieben, in denen eher eine vertrauliche Atmosphäre herrscht, ist eine Meldung an die betriebsinterne Öffentlichkeit dem internen Whistle­blowing zuzurechnen, in größeren Betrieben dem externen Whistle­blowing. Die genaue Grenze kann dabei schwerlich abstrakt festgelegt werden, es kommt auf alle Umstände des Einzelfalles an. Wichtige Indizien sind jedenfalls die Anzahl der Mitarbeiter und vorherige Erfahrungen mit der vertraulichen Behandlung von Interna bei Einschaltung der betriebsinternen Öffentlichkeit. Besteht ein Unternehmen aus mehreren Betrieben, wird man eine Meldung an einen anderen Betrieb des Unternehmens regelmäßig nicht dem internen Whistle­blowing zurechnen können. Dies gilt – auch bei unternehmensübergreifenden Meldungen – entsprechend bei Konzernen. Gerade bei größeren Unternehmen / Konzernen besteht das Risiko, dass Informationen über interne Missstände schnell betriebs- bzw. unternehmensübergreifend bekannt werden. Dieser Grenzbereich zeigt zugleich, dass die klassischen Kategorien des „internen oder externen Whistle­blowings“ nicht immer vollends zufriedenstellen können. Es sollte über eine Zwischenkategorie nachgedacht werden, die diesen Einordnungsschwierigkeiten besser gerecht wird. Rechtliche Konsequenzen ergeben sich aus der Differenzierung an dieser Stelle noch nicht, vielmehr geht es um eine begriffliche Einordnung. Unter welchen Voraussetzungen die betriebsinterne Öffentlichkeit über interne Missstände informiert werden darf, wird an anderer Stelle noch erörtert.43 Für diese Untersuchung wird jedenfalls mit der „klassischen“ Differenzierung gearbeitet, da sie einem Großteil der Fälle angemessen Rechnung trägt. Ein Hinweis an die zuständige Gewerkschaft kann nicht dem internen Whistle­ blowing zugeordnet werden, da diese nicht als unternehmensinterne Stelle aus­ gestaltet ist bzw. nicht vom Unternehmen damit beauftragt wurde, Anzeigen entgegenzunehmen. Vielmehr wird das Unternehmen bei einer Reaktion der Gewerkschaft mit externem Druck konfrontiert, der auch in einem Streik oder sonstigen Maßnahmen resultieren kann. 2. Öffentlicher Dienst Die verschiedenen Untergliederungen des Staates wirken sich bereits auf die Differenzierung zwischen internem und externem Whistle­blowing aus. Nicht alle staatlichen Stellen (z. B. die Strafverfolgungsbehörden) können auch als interne Stellen angesehen werden; es muss vielmehr zwischen dienstinternen und -externen Stellen unterschieden werden. Dabei kommt der Regelung des § 125 Abs. 1 BBG maßgebliche Bedeutung zu: Hiernach ist bei Anträgen und Beschwerden der Dienstweg, der bis zur obersten Dienstbehörde (§ 3 Abs. 1 BBG) offensteht, einzuhalten; die Adressaten auf dem Dienstweg sind als dienstinterne Stellen anzusehen.44 Dabei bestimmt sich die Dienstvorgesetzten- und Vorgesetzteneigenschaft nach dem 43 44

S. 3.  Teil, A. I. 2. c) bb). Vgl. Graser, Whistle­blowing, S.  152.

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1. Teil: Einleitung

Aufbau der Verwaltung (§ 3 Abs. 4 BBG). Zu den internen Stellen zählt auch die Personalvertretung, zu deren Aufgaben es gehört, Anregungen und Beschwerden von Beschäftigten anzunehmen (§ 68 Abs. 1 Nr. 3 BPersVG). Entsprechendes gilt für die Bundesländer, soweit entsprechende Regelungen bestehen. Bei anderen Angehörigen des öffentlichen Dienstes ist ebenfalls auf den jeweiligen (dienst-) internen (Verwaltungs-)Aufbau abzustellen. Dementsprechend ist auch im öffentlichen Dienst die Informierung einer Gewerkschaft nicht dem internen Whistle­ blowing zuzurechnen.

C. Whistle­blowing in der Praxis I. Der Fall Werner Pätsch Werner Pätsch arbeitete seit dem 1.11.1956 als Mitarbeiter im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und wurde am 2.7.1957 dazu ermächtigt, geheime Vorgänge zu bearbeiten. Hierdurch erlangte er Einblicke in die Arbeitsweise des BfV, gegen dessen Aktivitäten  – u. a. Maßnahmen der Post- und Fernmeldeüberwachung  – er teilweise rechtliche Bedenken hatte. Ab 1961 nahm Pätsch schließlich an, selbst überwacht zu werden. Im April 1963 ließ sich Pätsch anwaltlich beraten und offenbarte seinem Rechtsanwalt u. a. Interna über die Mitwirkung des BfV an der Post- und Fernsprechüberwachung der Alliierten in Deutschland. Zudem brachte er vor, dass innerhalb des BfV ehemalige Gestapo-, SD- sowie SS-Leute beschäftigt wären, die sich als feste Gruppe gegenseitig unterstützten und deren Einfluss dazu führen würde, dass im BfV gesetzes- und verfassungswidrige und der NS-Zeit ähnelnde Arbeitsweisen angewandt würden. In weiteren Gesprächen, an denen nunmehr auch Medienvertreter teilnahmen, gab er weitere Interna über Überwachungen und Mitarbeiter des BfV (teilweise auch über deren politische Vergangenheit) bekannt. Aufgrund dieser Gespräche wurde Pätsch wegen vorsätzlicher Preisgabe von Staatsgeheimnissen unter fahrlässiger Gefährdung des Wohles der Bundesrepublik Deutschland (§ 100c Abs. 1 StGB a. F.) und vorsätzlicher Verletzung der Amtsverschwiegenheit (§ 353b Abs. 1 Hs. 1 StGB a. F.) angeklagt. Der BGH verurteilte Pätsch am 8.11.1965 erstinstanzlich wegen vorsätzlicher Verletzung der Amtsverschwiegenheit (in einem Fall) zu vier Monaten Haft auf Bewährung; im Übrigen wurde er freigesprochen.45 Die hiergegen gerichtete Verfassungs­ beschwerde wurde mit Beschluss vom 28.4.1970 zurückgewiesen.46 Der Fall Pätsch ist für den Themenkomplex „Whistle­blowing“ v. a. unter zwei Aspekten interessant: So stellen die beiden hierzu ergangenen Gerichtsentscheidungen erste verfassungsrechtliche Grundsatzentscheidungen zum Thema Whistle­ blowing im öffentlichen Dienst unter dem Grundgesetz dar, in denen sich die 45 46

BGHSt 20, 342. BVerfGE 28, 191.

C. Whistle­blowing in der Praxis

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Gerichte zum Konflikt zwischen der Meinungsfreiheit und dem Interesse an der Geheimhaltung von Interna äußerten. Darüber hinaus hat sich der BGH ausgiebig zur Frage geäußert, ob auch das Aufdecken sog. illegaler Staatsgeheimnisse durch Whistle­blower strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann. Diese Frage wurde durch die Neuregelung des § 93 StGB durch das 8. Strafrechtsänderungsgesetz vom 25.6.196847 (teilweise) gesetzgeberisch geklärt.48

II. Der Fall Edward Snowden Bis zum Jahre 2013 wurde lediglich vereinzelt darüber berichtet, dass westliche Geheimdienste (unrechtmäßig) ihre eigene Bevölkerung oder verbündete Staaten digital überwachen. Auch wenn diese Enthüllungen bereits sehr skandalträchtig waren, konnte die breite Öffentlichkeit nicht für die Thematik sensibilisiert werden. Dies änderte sich erst durch die Enthüllungen des Whistle­blowers Edward Snowden, eines ehemaligen NSA-Mitarbeiters, der die bis dato größte globale Überwachung durch US-amerikanische und britische Geheimdienste offenbarte. Snowden wurde während seiner Tätigkeit (u. a. als Systemadministrator und IT-Techniker) wiederholt auf Überwachungen aufmerksam, deren Rechtmäßigkeit er in Frage stellte. Als ihm die Dimension der globalen Überwachung bewusst wurde, sicherte er zahlreiche Dokumente, die das Ausmaß der Überwachung belegten, und floh zunächst nach Hongkong, wo er sich mit den Journalisten Laura Poitras, Glenn Greenwald und Ewen MacAskill für Interviews und die Besprechung dieser Dokumente traf. Mit seinen Enthüllungen beabsichtigte er nicht, persönliche Vorteile zu erlangen; er war vielmehr (nach eigenen Angaben) der Auffassung, „dass so weit gehende Eingriffe in die Privatsphäre der BürgerInnen von diesen unmittelbar gebilligt werden müssten“.49 Da ihm in Hongkong die Auslieferung an die USA drohte, floh er nach Moskau und lebt seitdem in Russland, wo ihm Asyl gewährt wurde. Dieser Fall illustriert, dass Whistle­blowing auch eine erhebliche internationale Dimension haben und verschiedene – auch demokratisch gewählte – Regierungen in Erklärungsnot bringen kann. So wurde das erste Mal in der bundesdeutschen Geschichte der US-Botschafter einbestellt und die weitgehende Untätigkeit der (damaligen) Bundesregierung auch aus den eigenen Reihen heraus kritisiert. Die – bedingt durch die Verweigerung eines Überflugrechts seitens Spanien, Frankreichs, Portugals und Italiens – erzwungene Landung des Flugzeuges des bolivianischen Präsidenten Evo Morales aufgrund des Verdachts, Snowden sei an Bord, führte einen internationalen Zwischenfall herbei. Snowden konnte eine globale Debatte über die Thematiken „Kommunikationsüberwachung“ und „Schutz der persön­ lichen Daten“ entfachen und das Bewusstsein vieler Internetnutzer hierzu schärfen. 47

BGBl. I, 741. Hierzu Lampe / Hegmann, in: Joecks / Miebach, § 93 Rn. 34. 49 S. IALANA, Begründung der Jury zur Verleihung des Whistle­blower-Preises 2013 an ­Edward J. Snowden, abgedruckt in Deiseroth / Falter, 2014, S. 55 ff. (58 f.). 48

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1. Teil: Einleitung

III. Der Fall Brigitte Heinisch Brigitte Heinisch, eine Altenpflegerin bei der Vivantes Netzwerk für Gesundheit GmbH, die auf Gesundheits- und Altenpflege spezialisiert war, hatte mit ihren Kollegen der Pflegedienstleitung wiederholt über Personalmangel und daraus resultierenden Überlastungen berichtet. Sie hätten deswegen Schwierigkeiten gehabt, ihre Pflichten zu erfüllen. Auch der Medizinische Dienst der Krankenkassen stellte ernsthafte Mängel fest. Der von Heinisch konsultierte Rechtsanwalt wies die GmbH mit Schreiben vom 9.11.2004 und ihren Aufsichtsrat mit Schreiben vom 10.12.2004 u. a. darauf hin, dass eine ausreichende Pflege aufgrund des Personalmangels nicht gewährleistet werden könne. Ferner erstattete er am 7.12.2004 in Heinischs Namen Strafanzeige gegen Vivantes wegen besonders schweren Betrugs; die Staatsanwaltschaft leitete aber keine Ermittlungen ein. Aufgrund ihrer wiederholten Krankheit wurde Heinisch schließlich mit Schreiben vom 19.1.2005 gekündigt, wogegen diese vor dem Arbeitsgericht Berlin vorging. Ferner kontaktierte Heinisch andere Pflegekräfte und die Gewerkschaft ver.di. Es wurden Flugblätter (mit Datum vom 27.1.2005) abgefasst, in denen u. a. auf die Kündigung, die Überlastungsanzeigen und die Strafanzeige hingewiesen wurde. Mit Schreiben vom 9.2.2005 wurde Heinisch fristlos (hilfsweise fristgemäß) entlassen. Das ArbG Berlin sah die fristlose Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB (fristlose Kündigung aus wichtigem Grund) als unwirksam an, bewertete aber – aufgrund des Beklagten­ vortrags – nur das Verteilen des (ersten) Flugblattes vom 27.1.2005.50 Das LAG Berlin hingegen bezog die Strafanzeige mit ein und bejahte das Vorliegen eines wichtigen Grundes.51 Eine Revision gegen das Urteil ließ das Gericht nicht zu. Die Nichtzulassungsbeschwerde beim BAG hatte keinen Erfolg.52 Die Verfassungsbeschwerde zum BVerfG wurde nicht zur Entscheidung angenommen.53 Daraufhin erhob Heinisch Individualbeschwerde zum EGMR, der eine Verletzung von Art. 10 EMRK feststellte.54 Heinisch erhielt (zusammen mit der Whistle­blowerin Liv Bode) den Whistle­blower-Preis 2007. Dieser Fall ist deshalb von besonderem Interesse, weil er die europäische Dimension – im Rahmen des europäisch-judikativen Mehrebenensystems – von Whistle­ blowing erneut herausstellte. Zwar hatte der EGMR die maßgeblichen Wertungskriterien bereits in der Entscheidung Guja v. Moldawien aufgestellt;55 jener Fall betraf aber die Weitergabe von Briefen, die vom stellvertretenden Sprecher des Parlaments an das Büro des Generalstaatsanwalts und einem stellvertretenden 50 ArbG Berlin, Teilurt. v. 3.8.2005, 39 Ca 4775/05 (nachdem die Kündigung am 9.2.2005 zugegangen war, wurden andere Flugblätter verteilt, die ebenfalls auf den 27.1.2005 datiert waren). 51 LAG Berlin, Urt. v. 28.3.2006, 7 Sa 1884/05. 52 BAG, Beschl. v. 6.6.2007, 4 AZN 487/06. 53 BVerfG, Beschl. v. 6.12.2007, 1 BvR 1905/07. 54 EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08). 55 EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04).

D. Gesellschaftliche Akzeptanz des Whistle­blowings

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Minister im Innenministerium („a deputy minister in the Ministry of the Interior“) an einen stellvertretenden Generalstaatsanwalt gerichtet waren, durch den Leiter der Pressestelle an die Presse. Gleichwohl zog der EGMR in beiden Entscheidungen dieselben Wertungskriterien heran – inwiefern er für Fälle des Whistle­ blowings einen einheitlichen Prüfungsmaßstab anerkennt, wird noch untersucht werden.56 Dies gilt auch für die Frage, inwiefern sich die EGMR-Rechtsprechung von der bis dato ergangenen deutschen Rechtsprechung unterscheidet und letztere beeinflussen wird.57 Schließlich hat die Verurteilung Deutschlands auch einiges an Medieninteresse hervorgerufen und damit die Diskussion um Whistle­blowing in Deutschland belebt.

D. Gesellschaftliche Akzeptanz des Whistle­blowings In einer 1987 veröffentlichten Studie wurde festgestellt, dass Whistle­blowing nicht nur für den Whistle­blower selbst, sondern auch für den Ehepartner verschiedene negative Folgen hat: „Feelings of powerlessness, anxiety, anger, isolation, and depression were accompanied by changes in sleep, eating, and exercise patterns for both. Financial concerns resulting from loss of job. [sic] or forced retirement were common also.“58

Erhöhter Alkohol- und Drogenkonsum, vermehrtes Rauchen, Gewichtsverlust oder -zunahme, Panikgefühle, versuchter Selbstmord, psychosomatische Erkrankungen und Paranoia waren einige Folgeerscheinungen von erfolgtem Whistle­ blowing.59 Die psychische Belastung ist für Whistle­blower insgesamt auch dann sehr hoch, wenn sie Rückhalt im Freundes- und Bekanntenkreis bekommen – ein Risiko, das potentielle Whistle­blower stets bedenken müssen. Jürgen Kühling, ehemaliger Richter des BVerfG, konstatierte: „Auch das gesellschaftliche Umfeld des ‚Whistle­blowers‘ steht gewöhnlich nicht auf seiner Seite. Sein Verhalten wird als Verrat eingestuft, gilt als illoyal. Ein tief verwurzeltes Ethos der Gefolgschaftstreue überlagert die Grundsätze einer aufgeklärten Ethik, die sein Verhalten gutheißt. Zustimmung erfährt er, wenn überhaupt, gewöhnlich von weither. Von Freunden gemieden, vom Recht verfolgt  – das ist das gewöhnliche Schicksal dessen, der sich im Interesse von Frieden, Umwelt oder anderen höchstrangigen Rechtsgütern zum Bruch der Verschwiegenheit entschließt.“60

Das von Kühling genannte „tief verwurzelte Ethos der Gefolgschaftstreue“ lässt sich gerade im Arbeitsverhältnis feststellen. Die „Loyalitäts- bzw. Treuepflicht“ – treffender „allgemeine Rücksichtnahmepflicht“  – zwischen Arbeitgeber und 56

Hierzu ausführlich 4.  Teil, B. III. 2. c) bb). Hierzu 4. Teil, B. IV. 2. b). 58 Soeken / Soeken, A Survey of Whistle­blowers, S. 10. 59 Soeken / Soeken, A Survey of Whistle­blowers, S. 10 (Übersetzung des Verfassers). 60 Kühling, in: Deiseroth / Göttling, S. 3. 57

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1. Teil: Einleitung

Arbeitnehmer wird nicht nur rechtlich (§ 241 Abs. 2 BGB) anerkannt, sondern kann auch als Bestandteil des gesellschaftlichen Verständnisses vom Arbeitsverhältnis angesehen werden,61 womit Whistle­blowing eher als Form von Illoyalität begriffen wird62. Dabei besteht insbesondere die Gefahr, dass gegenläufige Interessen des Whistle­blowers und der Öffentlichkeit ignoriert werden und dem Schlagwort „Loyalität“ ein geradezu unabwägbarer Charakter zuerkannt wird. Der Grund für diese Akzeptanz mag auch in der langen Tradition der „Loyalitäts- und Treuepflicht“ liegen, die das gesellschaftliche Bild vom Subordinationsverhältnis im Arbeitsumfeld über Jahrhunderte geprägt hat. Allerdings konnten die objektive Werteordnung des Grundgesetzes und die darauf basierende Gerichtspraxis diesem strikten und konservativen Verständnis immerhin teilweise etwas entgegensetzen. Ähnliche Schwierigkeiten sind auch im internen Betriebsverhältnis festzustellen. Aus einer falsch verstandenen Loyalitätsvorstellung innerhalb des Kollegenkreises werden Whistle­blower – unabhängig von Aufforderungen durch den Arbeitgeber – nicht selten als „Verräter“ angesehen und nicht als wertvolle Informanten, die für die Aufdeckung von Missständen Gefahren in Kauf nehmen.63 Diese traditionelle Distanz gegenüber Whistle­blowing dürfte – zumindest größtenteils – aber spätestens seit den Enthüllungen des Whistle­blowers Snowden im Sommer 2013 ins Wanken geraten sein. Zwar gab es bereits bis dato (öffentlichkeitswirksame)  Fälle des Whistle­blowings, die für viele Menschen von Bedeutung waren und denen daraufhin die gesellschaftliche Notwendigkeit des Whistle­ blowings bewusst wurde. Allerdings betrafen diese durch externes Whistle­blowing enthüllten Informationen nicht selten lediglich Teile der Bevölkerung. Erst die bereits dargestellte Enthüllung durch Snowden hat eine globale Bewusstseinsänderung (v. a. bei der Nutzung des Internets) hervorgerufen, die jeden Nutzer von Kommunikationsmitteln betrifft. Aus dieser global-individuellen Betroffenheit, die Snowden aufgedeckt hat, und der anschließenden Solidarität mit ihm haben viele Menschen nicht nur ihre alltägliche (Internet-)Nutzung überdacht, sondern ihnen wurde gleichzeitig die Notwendigkeit von Whistle­blowing deutlich vor Augen geführt. So folgerte auch die Landesvereinigung der Unternehmensverbände Nordrhein-Westfalen e. V. aus der öffentlichen Diskussion in Deutschland eine gesellschaftlich hohe Akzeptanz des Whistle­blowings.64 Dieser Umbruch in der sog. „Post-Snowden-Ära“ lässt hoffen, dass Whistle­blower auch in Deutschland zukünftig nicht mehr als Verräter oder Denunzianten, sondern als Personen mit primär selbstloser bzw. gemeinnütziger Motivation anerkannt werden. Whistle­ blowing erfordert ein hohes Maß an Zivilcourage,65 d. h. eine Tugend, die in der Gesellschaft positiv honoriert werden sollte. Ohne Whistle­blower wären die Ge 61

S. aber auch Müller, NZA 2002, 424 (437). S. Berndt / Hoppler, BB 2005, 2623. 63 Vgl. auch Braun / Albrecht, DÖV 2015, 937 (940) zur Polizei. 64 Stellungnahme 16/1353, Landtag Nordrhein-Westfalen, 16. Wahlperiode, Stellungnahme zum Antrag der PIRATEN, Drucksache 16/3437, Antwort zu Frage 2. 65 Deiseroth, in: ders. / Göttling, S. 10 f. 62

E. Überblick über die Gesetzeslage

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fährdungen für die Gesellschaft noch größer.66 Daher ist es wichtig, dass das Bewusstsein der Bevölkerung für die Bedeutung des Whistle­blowings weiterhin geschärft wird, damit Whistle­blower breiteren Rückhalt in der Gesellschaft finden und erwarten dürfen. Inwiefern sich diese Bewusstseinswandlung ab dem Jahre 2013 bereits entwickelt hat und weiter entwickeln wird, sollte in Zukunft noch eingehend untersucht werden.

E. Überblick über die Gesetzeslage In Deutschland wird seit geraumer Zeit darüber diskutiert, ob ein Gesetz zum Schutz von Whistle­blowern erlassen werden sollte. Erste Entwürfe für ein Anzeigerecht von Arbeitnehmern lassen sich in das Jahr 1977 zurückverfolgen.67 Diese und auch neuere Initiativen68 konnten sich allerdings noch nicht durchsetzen. Rechtskulturell scheint dabei die Angst vor Denunziation und vor einer Belastung der internen Vertrauensbeziehungen weiterhin nicht unbedeutend.69 Ein Teil der Literatur verweist auch darauf, dass Diskussionen über die Zulässigkeit von Whistle­blowing und den Schutz von Whistle­blowern nicht selten von diffusen Ängsten bzw. übertriebenen Idealvorstellungen bestimmt würden.70 Woher diese Angst vor Whistle­blowing in Deutschland genau stammt, scheint empirisch (auch speziell vor dem Hintergrund der deutschen NS- bzw. DDR-Vergangenheit) noch nicht genau untersucht. Wahrscheinliche Begründungsansätze liegen aber in der Angst vor Denunziation sowie einem generell übertriebenen (bzw. falsch verstandenen) Loyalitätsverständnis.71 Hierbei zeigen sich bereits rechtskulturelle Unterschiede zu anderen Staaten, da etwa in den USA Whistle­blowing eine positivere Resonanz erfährt72. Die gesetzgeberische Untätigkeit verwundert bereits deshalb, weil Whistle­ blowing auch unter der Geltung des Grundgesetzes in verschiedenen Bereichen seit langer Zeit bekannt ist. Fischer-Lescano wertet den Mangel an gesetzlicher

66

Vogelsang, in: Deiseroth / Göttling, S. 23. S. § 79 Abs. 3 Entwurf eines Arbeitsgesetzbuches durch die Arbeitsgesetzbuchkommission, herausgegeben vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Referat Presse- und Öffentlichkeitsarbeit (September 1977), sowie § 88 Abs. 3 DGB-Entwurf zum Arbeitsverhältnisrecht (5.4.1977), abgedruckt in RdA 1977, 166 ff. 68 Deutscher Bundestag, Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Ausschussdrucksache 16(10)849; BT-Drs. 17/6492; BT-Drs. 17/8567; BT-Drs. 18/3034; BRDrs. 534/11. 69 S. Simon / Schilling, BB 2011, 2421. 70 Király, RdA 2012, 236. 71 Vgl. Kort, in: Hönn / Oetker / Raab, S. 247 (249); zu zentralen Vorwürfen gegen Whistle­ blowing auch Deiseroth, Betrifft Justiz 2004, 296 (304); zur gesellschaftlichen Akzeptanz von Whistle­blowing auch 1. Teil, D. 72 Berndt / Hoppler, BB 2005, 2623. 67

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1. Teil: Einleitung

Kodifizierung sogar als Völkerrechtsverstoß.73 Jedenfalls muss – solange keine speziellen Regelungen existieren – auf auslegungsbedürftige allgemeine Normen der Rechtsordnung zurückgegriffen werden, wobei stets zu berücksichtigende verfassungsrechtliche Wertungen von höchster Bedeutung sind. Diese Abwägungsfragen führen zu – von Ausnahmen abgesehen – schwer vorhersehbaren (gerichtlichen) Einzelfallentscheidungen,74 womit wiederum der Whistle­blower das größte Risiko zu tragen hat75. Hinzu kommt, dass die unterschiedlichen Wertungen von EGMR und deutschen Gerichten die zukünftige Rechtsentwicklung noch unvorhersehbarer erscheinen lassen. Da sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur zur Herstellung eines angemessenen Interessenausgleichs zwischen den Grundrechten des Whistle­blowers und den entgegenstehenden Interessen des vom Whistle­ blowing Betroffenen mit allgemeinen Abwägungskriterien gearbeitet wird, steht nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Praxis vor dem Problem, Fälle des Whistle­blowings rechtlich zutreffend einzuschätzen. Da sowohl Rechtspositionen des Whistle­blowers als auch des vom Whistle­blowing Betroffenen einschlägig sind, können beide Parteien vor Gericht mit ihren betroffenen Rechtsgütern argumentieren. Dies wiederum erschwert eine effektive und angemessene Rechtsberatung.76 Auch auf diesen Rechtsbereich spezialisierte Rechtsberater werden nicht immer mit hinreichender Sicherheit einschätzen können, ob (externes) Whistle­blowing zulässig ist. Das Restrisiko, einen (erheblichen) Rechtsverstoß zu begehen, verbleibt dann bei den Insidern. Gesetzlich normierte Schutzvorschriften, die Whistle­blowern zugutekommen, erweisen sich in ihrer Gesamtbetrachtung als lückenhaft: Teilweise knüpfen sie an bestimmte sachliche Voraussetzungen an (z. B. Art. 68 HessVerf mit einer Begrenzung auf eine Verletzung völkerrechtlicher Pflichten77; § 17 Abs. 2 S. 1 ArbSchG mit einer Begrenzung auf die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Arbeit78), teilweise muss der Arbeitnehmer individuell betroffen sein (z. B. nach § 84 Abs. 1 S. 1  BetrVG79). Auch die allgemeine Schutznorm des § 612a  BGB, 73

Fischer-Lescano, Internationalrechtliche Regulierung des Whistle­blowing, S. 38. Abraham, ZRP 2012, 11; Krolop, NJ 2012, 305 (306); Ebert, ReWir 7/2011, 1 (10); Deise­roth, Betrifft Justiz 2004, 296 (301 f.); s. auch Passarge, NVwZ 2015, 252 (253); Kort, in: Hönn / Oetker / Raab, S.  247 (252 f.). 75 Beyer, Whistle­blowing in Deutschland und Großbritannien, S. 67, verweist darauf, dass ein Arbeitnehmer „eine hohe Risikobereitschaft mitbringen“ sollte. 76 Vgl. Peter / Rohde-Liebenau, AiB 2004, 615 (619); Bürkle, DB 2004, 2158 (2159). 77 Art. 68 HessVerf lautet: Niemand darf zur Rechenschaft gezogen werden, wenn er auf Tatsachen hinweist, die sich als eine Verletzung völkerrechtlicher Pflichten darstellen. 78 § 17 Abs. 2 S. 1 ArbSchG lautet: Sind Beschäftigte auf Grund konkreter Anhaltspunkte der Auffassung, daß die vom Arbeitgeber getroffenen Maßnahmen und bereitgestellten Mittel nicht ausreichen, um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Arbeit zu gewährleisten, und hilft der Arbeitgeber darauf gerichteten Beschwerden von Beschäftigten nicht ab, können sich diese an die zuständige Behörde wenden. 79 § 84 Abs. 1 S. 1 BetrVG lautet: Jeder Arbeitnehmer hat das Recht, sich bei zuständigen Stellen des Betriebs zu beschweren, wenn er sich vom Arbeitgeber oder von Arbeitnehmern des Betriebs benachteiligt oder ungerecht behandelt oder in sonstiger Weise beeinträchtigt fühlt. 74

E. Überblick über die Gesetzeslage

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nach der einem Arbeitnehmer seitens des Arbeitgebers keine Nachteile entstehen dürfen, wenn er in zulässiger Weise seine Rechte ausübt, schafft keine Rechtsklarheit, da die Frage, wann Whistle­blowing zulässig ist, gerade nicht eindeutig geklärt ist. Andere Normierungen für bestimmte Fachbereiche bringen insofern ebenfalls wenig Klarheit.80 Dies gilt auch für das Beamtenrecht: So sieht etwa § 67 Abs. 2 S. 2 Var. 2 BBG bzw. § 35 Abs. 2 S. 2 Var. 2 BeamtStG vor, dass die gesetzlich begründete Pflicht, für die Erhaltung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung einzutreten, von der Verschwiegenheitspflicht des § 67 Abs. 1 BBG unberührt bleibt. Welche Voraussetzungen hieran genau zu stellen sind, ist durch den Gesetzgeber jedoch nicht (eindeutig) geklärt. Das Problem der erheblichen Rechtsunsicherheit manifestiert sich schließlich auch darin, dass auf einfachrechtlicher Ebene eine Überlagerung verschiedener Normierungen stattfindet.81 So wird etwa das Recht, Strafanzeige zu erstatten (§ 158 Abs. 1 StPO), durch die Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers (§ 241 Abs. 2 BGB)82 bzw. Beamten (u. a. § 4 BBG bzw. § 3 Abs. 1 BeamtStG) beschränkt. Ferner ist unklar, wie sich § 158 Abs. 1 StPO zu anderen Strafnormen, die zum Schutz von Geheimnissen erlassen wurden, verhält.83 Ein Verweis darauf, dass bestimmte Vorschriften unberührt bleiben, findet sich nicht, obwohl der Rechtsordnung ein solcher Verweis nicht unbekannt ist. Für Anzeigen stellt das StGB mit § 138 (Pflicht zur Anzeige)  und § 164 (Verbot einer Anzeige)  lediglich rudimentäre Grenzen auf (wobei bei einer vorsätzlich falschen Anzeige schon begrifflich kein Fall des Whistle­blowings vorliegt; daher seien nur als Ergänzung auch die §§ 186, 187 StGB genannt). Die praxisrelevanten Fälle befinden sich indes in der dazwischenliegenden Grauzone.84 Schließlich wird das Problem auch noch durch die drohenden Rechtsfolgen verschärft. Whistle­blowern drohen teilweise erhebliche Konsequenzen. Verwiesen sei etwa auf eine Strafbarkeit wegen des Verrats von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen nach § 17 UWG oder wegen einer Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht nach § 353b StGB; zu denken ist ferner an den strafrechtlichen Schutz von Staatsgeheimnissen (§§ 93 ff. StGB).85 Im öffentlichen Dienst kann es sich um eine Dienstpflichtverletzung handeln (§ 77 BBG), die zu einem Disziplinarverfahren (nach den jeweils einschlägigen Disziplinargesetzen) führen kann. Auch zivilrechtlich können erhebliche Konsequenzen drohen: Im Arbeitsrecht müssen Whistle­blower, die sich an externe Stellen oder die Öffentlichkeit wenden, regelmäßig auch dann mit einer Kündigung rechnen, wenn die rechtlichen Voraussetzungen, die § 626 BGB hierfür statuiert, nicht vorliegen. 80

S. Deiseroth, Whistle­blowing in Zeiten von BSE, S. 175 ff. Vgl. auch Király, FÖV 57 Discussion Papers, S. 41. 82 Vgl. auch Müller, NZA 2002, 424 (431), der von einem „dynamischen Charakter“ der allgemeinen Rücksichtspflicht spricht. 83 Sasse, NZA 2008, 990 (993) (zur Anzeigeerstattung von Arbeitnehmern). 84 S. Forst, NJW 2011, 3477 (3481). 85 S. zu strafrechtlichen Risiken auch Zimmermann, ArbRAktuell 2012, 58 (58 ff.). 81

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1. Teil: Einleitung

Auch eine Abmahnung oder Versetzung ist denkbar. Abgesehen von den arbeitsrechtlichen Konsequenzen kann die Weitergabe von Interna auch eine Schadensersatzpflicht begründen (§ 823 BGB). Welche Rechtsfolgen im Einzelnen drohen, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Gesetzeslage in Deutschland auch als mangelhaft beschreiben.86 Die bestehende Rechtsunsicherheit hat insofern abschreckende Auswirkungen.87 Gerade auch aufgrund der Bedeutung von vielen enthüllten Informationen sollte aber ein ausdrücklicher Schutz durch die Rechtsordnung erfolgen.88 Informantenschutz im privaten Sektor kommt insofern auch der Wirtschaft bzw. Unternehmen zugute.89 Zwar ist auch darauf zu verweisen, dass der Schutz von Whistle­blowern nicht ausschließlich national betrachtet werden kann;90 dies mindert den negativen Gesamteindruck über die Gesetzeslage aber nicht merklich. Darüber hinaus müssen Whistle­blower auch dann mit negativen Konsequenzen rechnen, wenn sie rechtmäßig gehandelt haben. Selbst wenn bereits vorab ersichtlich ist, dass rechtliche Behelfe wenig Aussicht auf Erfolg haben, werden Whistle­blower nicht selten aus repressiven und präventiven Gründen mit den Möglichkeiten des Rechts (und Unrechts) konfrontiert. Whistle­blowern drohen zahlreiche Schikanen wie soziale Isolation, Strafen, Kündigung, Mobbing und Drohungen, die sie persönlich treffen sollen.91 Auch nach einer Kündigung bzw. Entlassung können sich für Whistle­blower noch ernsthafte Konsequenzen ergeben.92 Dies wird regelmäßig dazu führen, dass Insider auf Whistle­blowing verzichten.93 Dabei wurde bereits auf internationaler Ebene empfohlen, Whistle­blower angemessen zu behandeln, um die Meldung von Missständen weiter zu fördern.94 Dieser Gedanke spiegelt sich auch in der sog. Whistle­blowing-Richtlinie der Europäischen Union wider.95 86

Vgl. auch Király, RdA 2012, 236 (240) zu den Voraussetzungen des Anzeigerechts („unsicher, unübersichtlich, lückenhaft und überaus restriktiv“); Beer, DDB 1985, 99 (104) zur sog. „Flucht in die Öffentlichkeit“ (s. hierzu 4. Teil, B. II. 2. a) aa)): „Alles ist kompliziert, fragwürdig und widersprüchlich.“ 87 Deiseroth, Betrifft Justiz 2004, 296 (301 f.); s. zu den Gründen, weshalb Arbeitnehmer auf Strafanzeigen verzichten, auch Strack, Stellungnahme als Sachverständiger, S. 12 f. 88 Vgl. auch Király, ZRP 2011, 146. 89 Näher Strack, Stellungnahme als Sachverständiger, S. 71 f.; Gänßle, KJ 2007, 265 (274). 90 Göpfert / Wiegandt, ZWH 2011, 19 (20 ff.). 91 Zu besonders erschreckenden Fällen zum Umgang mit Whistle­blowern in den USA s. Falter, in: Deiseroth / Falter, 2014, S. 183 (185 f.) (zur Whistle­blowerin Manning); Deiseroth, in: ders. / Falter, 2004, S. 17 (22 f.) (zum Whistle­blower Ellsberg). 92 Vgl. zum Fall des britischen Wissenschaftlers Narang Deiseroth, Whistle­blowing in Zeiten von BSE, S. 165 f. 93 Vgl. auch Leuchten, ZRP 2012, 142. 94 Recommendation CM / Rec(2014)7 of the Committee of Ministers to member States on the protection of Whistle­blowers vom 30.4.2014: „Considering that appropriate treatment by employers and the public authorities of public interest disclosures will facilitate the taking of action to remedy the exposed threats or harm“; vgl. zu anderen Regelungen auch Albrecht, in: Bontrup / Korenke / Wienbracke, S.  1 (2); vgl. ferner Wiedmann / Seyfert, CCZ 2019, 12 (13 f.). 95 Vgl. hierzu Gerdemann, RdA 2019, 16 ff.; Garden / Hiéramente, BB 2019, 963 ff.

E. Überblick über die Gesetzeslage

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Gleichwohl muss eingeräumt werden, dass es für den Gesetzgeber äußerst schwierig ist, ein Gesetz zu verabschieden, das nicht nur allgemein regelt, unter welchen Voraussetzungen externes Whistle­blowing zulässig ist, sondern auch durch detaillierte Vorgaben Rechtssicherheit schafft. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen Whistle­blowing zulässig ist, wird – verfassungsrechtlich bedingt – maßgeblich durch die Umstände des Einzelfalles bestimmt, sodass ein Gesetz im Ergebnis zwangsläufig hinreichend interpretationsoffen formuliert sein müsste, um eine verfassungsmäßige Auslegung zu ermöglichen.

2. Teil

Grundrechtsquellen des Whistle­blowings Internes und externes Whistle­blowing kann vom Schutzbereich mehrerer Grundbzw. Menschenrechte umfasst sein. Dabei steht im Folgenden die Klärung der Frage, inwiefern das Recht zum Whistle­blowing geschützt ist, im Vordergrund, d. h. die positive Dimension des jeweiligen Grund- bzw. Menschenrechts. Wird ein Insider hingegen zu Whistle­blowing verpflichtet, ist grundsätzlich auch das jeweilige Grund- bzw. Menschenrecht in seiner negativen Dimension einschlägig. Bei letzterer kann insbesondere das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG bedeutsam werden, was allerdings bei der Untersuchung der Pflicht zum (internen) Whistle­blowing separat erörtert wird1.

A. Whistle­blowing als Grundrechtsausübung unter dem Grundgesetz I. Grundsätzlicher Schutz von Whistle­blowing 1. Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG a) Hinweise auf Missstände als Meinungsäußerung Nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG hat jeder das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild zu äußern und zu verbreiten. Meinungen sind jedenfalls Werturteile, d. h. „wertende Betrachtungen von Tatsachen, Verhaltensweisen oder Verhältnissen“.2 Auch eine Tatsachenmitteilung ist geschützt, „weil und soweit sie Voraussetzung der Bildung von Meinungen ist“.3 Dieser Schutz endet für Tatsachenbehauptungen allerdings dort, „wo sie zu der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Meinungs­ bildung nichts beitragen können“.4 Die Subsumtion von Whistle­blowing unter die Meinungsfreiheit bereitet insofern Schwierigkeiten, als die Mitteilung einer Tatsache (d. h. des Missstandes) im Vordergrund steht. Wird Whistle­blowing auf eine bloße Informationsweitergabe reduziert, wäre unter Zugrundelegung der obigen Maßstäbe konsequenterweise der 1

Hierzu 3.  Teil, A. II. 2. BVerfGE 33, 1 (14). 3 BVerfGE 61, 1 (8). 4 BVerfGE 85, 1 (15). 2

A. Whistle­blowing als Grundrechtsausübung 

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Schutzbereich als nicht eröffnet anzusehen.5 Whistle­blower handeln aber  – wie oben erörtert  – aus primär selbstloser bzw. gemeinnütziger Motivation heraus.6 Dieser Umstand schließt bereits die Bewertung mit ein, dass Whistle­blower einen Missstand nicht nur erkannt haben, sondern auch nach wertender Betrachtung zur Überzeugung gelangt sind, dass dieser Missstand behoben werden sollte. Daher wenden sie sich an eine zuständige (interne oder externe) Stelle (oder andere Externe) mit dem – nicht notwendigerweise ausdrücklich ausgesprochenen – Wunsch, dass dieser Missstand behoben wird. Ferner ist zu konstatieren, dass bereits mit der Bekanntmachung des Missstandes, dem die Auswahl bestimmter Tatsachen vorausgeht, die wertende Auffassung des Whistle­blowers einhergeht, dass der Sachverhalt mitteilungsbedürftig ist.7 Darüber hinaus können sich sowohl interne als auch externe Stellen bei Hinweisen ein wertendes Urteil über den Missstand und die damit verbundenen Zusammenhänge bilden. So erlangt bspw. die zuständige interne Stelle ein Bild über die Arbeitsweise von Arbeitnehmern, die Gesetzmäßigkeit internen Handelns oder die Funktionsabläufe im Unternehmen und kann hieraus wertende Schlüsse ziehen. Auch beim externen Whistle­blowing können sich Außenstehende durch einen offenbarten Missstand eine wertende Auffassung über den jeweiligen Arbeitgeber bzw. das Unternehmen oder auch den Staat bilden. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass Informationen über interne Missstände, v. a. im staatlichen Bereich, auch das demokratische Informationsinteresse der Bevölkerung tangieren können. Abschließend sei noch darauf verwiesen, dass Whistle­blower grundsätzlich zumindest konkludent erklären, dass ein Missstand besteht, der eine Berichtigung oder sogar Sanktion notwendig macht, was wiederum ein Werturteil beinhaltet.8 Whistle­ blowing erschöpft sich also nicht in einer bloßen Informationsweitergabe. Auch nach der Rechtsprechung fällt Whistle­blowing in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit. So kann nach Ansicht des BGH (zu Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) jedermann „[e]inen Gesetzes- und insbesondere einen Verfassungsverstoß […] wie jeden Mißstand im öffentlichen Leben mit dem Ziele der Beseitigung rügen“.9 Das BAG sieht Arbeitnehmeranzeigen und Beschwerden als vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit grundsätzlich geschützt an.10 Auch seien Werturteile, die in Strafanzeigen enthalten seien, vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst.11 5 Etwas anderes ergibt sich für die Ansicht, nach der auch bloße Tatsachenmitteilungen unabhängig von einer damit verbundenen Meinungsbildung von der Meinungsfreiheit geschützt sind, so etwa Wendt, in: von Münch / Kunig, Art. 5 Rn. 9, der auf das individuelle Mitteilungsbedürfnis abstellt. 6 1. Teil, B. II. 7 Vgl. Wendt, in: von Münch / Kunig, Art. 5 Rn. 9; Friauf / Höfling, AfP 1985, 249 (253). 8 Zu Anzeigen und Beschwerden Hinrichs, ArbRGgw 1980, 35 (39); Schulz, Whistle­blowing in der Wissenschaft, S. 75; Schmitt, Whistle­blowing, S.  123; Becker, DB 2011, 2202 (2204). 9 BGHSt 20, 342 (361). 10 BAGE 107, 36 (44). 11 BAG, NJW 2017, 1833 (1834).

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2. Teil: Grundrechtsquellen des Whistle­blowings

Ferner ist der Schutz durch Art. 10 EMRK zu beachten, unter den der EGMR nicht nur die Weitergabe von Interna an die Presse,12 sondern auch Strafanzeigen von Arbeitnehmern13 subsumiert. Insofern ist allerdings keine schematische Parallelisierung verfassungsrechtlicher Bestimmungen mit Gewährleistungen der EMRK gefordert.14 Ferner bedeutet letztere Entscheidung nicht, dass sich Strafanzeigen von Arbeitnehmern nunmehr ausschließlich an Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG messen lassen müssen;15 andere Verfassungsnormen können also weiterhin berücksichtigt werden. Ob hingegen auch das Offenbaren von Geheimnissen (i. S. v. § 353b StGB) in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG fällt, hat das BVerfG offengelassen.16 Es hat dies jedenfalls bezweifelt, „da [sich die Tathandlung] im allgemeinen auf die Mitteilung tatsächlicher Vorgänge oder Zustände beschränken wird.“17 Nach den oben genannten Grundsätzen ist es indes auch hier naheliegend, dass ein Whistle­ blower nicht bloß eine Information weitergeben möchte, sondern gleichzeitig einen bestimmten Missstand kritisiert. b) Anonyme Hinweisgeber Für interne Missstände sind zumeist bestimmte Personen verantwortlich. Soweit der Missstand aufgedeckt wird, können interne Ermittlungen dazu führen, dass der Name des Verursachers bekannt wird. Dieser sieht sich anschließend dem Risiko nachteiliger Konsequenzen ausgesetzt. Soweit also der Whistle­blower maßgeblich dazu beiträgt, dass der Missstand untersucht und aufgedeckt wird, muss er ernsthaft damit rechnen, im Unternehmen als Denunziant angesehen zu werden, der einen Kollegen „verpfiffen“ hat. Ferner sieht er sich vielleicht den Repressalien des Vorgesetzten ausgesetzt, wenn er auf dessen Fehlverhalten hinweist. Auch wenn sich der Whistle­blower aus rechtlicher Sicht möglicherweise einwandfrei verhalten hat, muss er faktisch mit Benachteiligungen rechnen, was potentielle Whistle­blower wiederum abschreckt. Um dieses Dilemma zu umgehen, machen Whistle­blower auch anonym bzw. unter einem Pseudonym auf Missstände aufmerksam. Um internes Whistle­blowing zu erleichtern, richten Unternehmen teilweise auch interne Whistle­blower-Hotlines ein, die eine anonyme Nutzungsmöglichkeit vorsehen. Damit stellt sich aus verfassungsrechtlicher Sicht die Frage, ob auch solche anonymen Meinungsäußerungen von Art. 5 Abs. 1 S. 1  GG geschützt sind. Das Grundgesetz nimmt auf die Anonymität von Meinungen keinen ausdrücklichen Bezug. Verfassungsrechtlich betrachtet führte die Frage – wohl aufgrund mangelnder 12

EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 53. EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 43 ff. 14 Vgl. BVerfGE 128, 326 (370). 15 Forst, NJW 2011, 3477 (3480). 16 BVerfGE 28, 191 (199 f.). 17 BVerfGE 28, 191 (199 f.); s. auch Porr, Die Pflichten des Beamten unter der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, S. 120; Wiese, Beamtenrecht, S. 121. 13

A. Whistle­blowing als Grundrechtsausübung 

45

praktischer Relevanz – über einen längeren Zeitraum eher ein Schattendasein. Das Internetzeitalter hat demgegenüber die Möglichkeit anonymer (bzw. pseudonymer) Äußerungen beflügelt. Anonyme Äußerungen im Internet sind mittlerweile selbstverständlich, wobei eine potentielle elektronische Rückverfolgung außer Betracht bleibt. aa) Uneinigkeit in der Gerichtspraxis Das BVerfG hat sich noch nicht ausdrücklich zum Schutz anonymer Äußerungen erklärt. In einem Beschluss aus dem Jahre 1998 befasste es sich allerdings mit der Frage, ob – im Zusammenhang mit einer Äußerung – die Nennung des eigenen Namens von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, und bejahte dies.18 Es sei auch das Recht umfasst, „diejenigen Formen und Umstände zu wählen, die [der Äußerung] eine möglichst große Wirkung sichern“.19 „Die Wirkung einer Äußerung auf Dritte hängt aber wesentlich davon ab, ob ihr Urheber erkennbar ist oder nicht. Anonymen Äußerungen fehlt häufig dasjenige Maß an Authentizität und Glaubhaftigkeit, welches ihnen erst den gewünschten Einfluß verleiht oder Reaktionen hervorruft.“20

Dieser Beschluss legt damit einen Rückschluss auf die negative Dimension des Schutzbereiches, den eigenen Namen nicht nennen zu müssen, durchaus nahe.21 In einer Grundsatzentscheidung des BAG zum externen Whistle­blowing aus dem Jahre 2003 hatte ein Arbeitnehmer über seinen späteren Prozessbevollmächtigten anonym eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft gegen seinen Arbeitgeber eingereicht. Hauptsächlich ging es dabei um die Veruntreuung von Geldern; der Strafanzeige waren Kopien von Rechnungsbelegen beigefügt. Das BAG lehnte einen Schutz durch die Meinungsfreiheit ab: „Zwar unterfallen Arbeitnehmeranzeigen und Beschwerden grundsätzlich dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG […]. Dies kann aber nicht für eine anonym erstattete Anzeige, bei der der Anzeiger ungenannt bleibt und gerade nicht seine persönliche Meinung kundtun will, gelten. Eine solche anonyme Anzeige fällt nicht in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. Ihr fehlt es gerade an dem konstituierenden Element der Subjektivität […]. Ohne die deutlich erkennbare persönliche Zuordnung kann eine anonyme Äußerung nicht an der geistigen Auseinandersetzung teilnehmen.“22

Soweit ersichtlich, hat sich das BAG mit diesem Rechtsproblem bisher nicht wieder befasst. 18

BVerfGE 97, 391 (397 f.). BVerfGE 97, 391 (398). 20 BVerfGE 97, 391 (398 f.). 21 S. hierzu und zu BVerfG, NVwZ 2006, 1282 (1282 f.), Strack, Stellungnahme als Sachverständiger, S. 17 f. 22 BAGE 107, 36 (44); zustimmend Stein, BB 2004, 1961 (1963); Sauer, DÖD 2005, 121 (124) (ohne Bezugnahme auf den letzten Satz). 19

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2. Teil: Grundrechtsquellen des Whistle­blowings

Diese Auslegung fand indes keine Zustimmung beim BGH, der sich erstmals im Jahre 2009 mit dem Schutz anonymer Äußerungen auseinandersetzte: „Eine Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit auf Äußerungen, die einem bestimmten Individuum zugeordnet werden können, ist mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht vereinbar. Die Verpflichtung, sich namentlich zu einer bestimmten Meinung zu bekennen, würde nicht nur im schulischen Bereich, um den es im Streitfall geht, die Gefahr begründen, dass der Einzelne aus Furcht vor Repressalien oder sonstigen negativen Auswirkungen sich dahingehend entscheidet, seine Meinung nicht zu äußern. Dieser Gefahr der Selbstzensur soll durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung entgegen gewirkt werden […].“23

Allerdings ist zu beachten, dass der BGH vorab feststellte, dass die anonyme Nutzung dem Internet immanent sei. Die Argumentation des BGH bezieht sich dementsprechend gerade auf anonyme Meinungsäußerungen im Internet. Auch das OLG Köln gab unter Bezugnahme auf die Besonderheit des Internets zu verstehen, dass „im Medium des Internet User nicht mit ihrem vollen Namen und Adresse auftreten“.24 Gegen eine Übertragung auf andere Konstellationen könnte ferner sprechen, dass der BGH nicht den Gemeinsamen Senat der Bundesgerichte nach Art. 95 Abs. 3 GG und dem Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes angerufen hat. Möglicherweise wollte der BGH den Schutz anonymer Meinungsäußerungen gerade nur auf die Nutzung des Internets beziehen und damit eine Konfrontation mit dem BAG vermeiden. Hiergegen spricht jedoch, dass eine differenzierende Auslegung des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG nach den Kategorien analog und digital nicht überzeugend ist. Es bleibt abzuwarten, ob das BAG nach der Entscheidung des BGH und den Entscheidungen der anderen unterinstanzlichen Gerichte seine restriktive Auslegung des Schutzbereiches der Meinungsfreiheit beibehalten wird. Ob sich diese Rechtsprechung auch auf interne Hinweise übertragen lässt, wurde vom BGH noch nicht entschieden, liegt mit der obigen Argumentation aber durchaus nahe, da der BGH die Gefahr ausdrücklich nicht nur im schulischen Bereich sieht. Die Angst vor negativen Auswirkungen kann – wie oben beschrieben – gerade darin begründet liegen, dass der Whistle­blower bei seinen Kollegen als Denunziant angesehen wird.

23

BGHZ 181, 328 (341 f.). Die anschließende Verfassungsbeschwerde wurde vom BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG, Beschl. v. 16.08.2010, 1 BvR 1750/09 (ohne Begründung), sodass eine ausdrückliche Befassung mit dieser Problematik seitens des BVerfG weiter abzuwarten bleibt. Für den Schutz anonymer Äußerungen auch OLG Frankfurt, NJW 2012, 2896 (2897); OLG Hamm, ZD 2011, 179; OLG Hamburg, NJOZ 2009, 2835 (2841); OLG Köln, MMR 2008, 101 (104); LG Münster, Urt. v. 11.10.2010, 8 O 224/10, Rn. 28 (juris); LG Duisburg, MMR 2008, 691 (693); Ziegelmayer, GRUR 2012, 761 (765); Lauber-Rönsberg, MMR 2014, 10 (12); Rössel, ITRB 2011, 253 (254); Starck / Paulus, in: von Mangoldt / Klein / Starck, Art.  5 Rn.  92; Härting, NJW 2013, 2065 (2068); Ballhausen / Roggenkamp, K&R 2008, 403 (406); Steigert, Datenschutz bei unternehmensinternen Whistle­ blowing-Systemen, S. 31. 24 OLG Köln, MMR 2008, 101 (104).

A. Whistle­blowing als Grundrechtsausübung 

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bb) Schutz der Anonymität Unter Zugrundelegung der Argumentation des BAG ist klärungsbedürftig, ob das konstituierende Element der Subjektivität tatsächlich die Zuordnung der Meinungsäußerung zu einer identifizierten Person erfordert. Hierzu muss zunächst ermittelt werden, weshalb die Subjektivität im Rahmen einer Meinungsäußerung überhaupt bedeutsam ist. Aufschlussreich ist hierbei die Rechtsprechung des BVerfG: „Während für Werturteile die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage kennzeichnend ist, werden Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit charakterisiert […].“25

Meinungen sind konstitutiv durch das „Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens, des Meinens im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung“ geprägt,26 was sich im subjektiv geprägten Werturteil widerspiegelt. Das Merkmal der Subjektivität dient also der Abgrenzung zwischen Meinungen (d. h. Werturteile im weitesten Sinne) und Tatsachen. Soll hieraus der Schluss gezogen werden, dass das Werturteil auch einer identifizierten Person zuzuordnen sein muss, bedarf es hierfür einer besonderen Begründung, die das BAG aber schuldig bleibt. Der bloße Hinweis auf die Unmöglichkeit einer Teilnahme an einer geistigen Auseinandersetzung mangels deutlich erkennbarer persönlicher Überzeugung ist hierfür weder ausreichend noch überzeugend. Bereits ein Verweis auf anonym bleibende Verfasser von Leserbriefen, die abgedruckt werden und deren Namen nur der Redaktion bekannt sind, sowie der tägliche anonyme Meinungsaustausch im Internet belegen, dass eine geistige Auseinandersetzung nicht von der Person des Äußernden, sondern vom Inhalt seiner Meinung abhängig ist. Gerade in Internetforen wird lebhaft über verschiedene Sachbereiche diskutiert, ohne dass die Diskussion von der Zuordnung einer Äußerung zu einer erkennbaren Person abhängen würde; anonym bzw. unter einem Pseudonym geäußerte Meinungen können die Diskussion ebenfalls beleben. Ferner darf bei der Auslegung einer Verfassungsnorm die Verfassungswirklichkeit nicht außer Betracht bleiben: Es würde der Bedeutung der Grundrechte im freiheitlichen demokratischen Staat nicht gerecht, wenn ein Grundrechtsträger gezwungen wird, für seine Grundrechtsausübung (faktisch) Repressalien in Kauf zu nehmen. Da Whistle­blower (primär bei externem Whistle­blowing) ihre berufliche Zukunft riskieren, würde eine Pflicht zur namentlichen Bekennung im Lichte des Art. 5 Abs. 1 S. 1  GG eine zu hohe Hürde darstellen. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Meinungsfreiheit öffentliche Kritik und einen öffentlichen Meinungsaustausch ermöglichen soll, bei dem andere Personen von einer bestimmten Auffassung überzeugt werden können. Diese Möglichkeit, die für die freiheitlich demokratische Grundordnung essentiell ist,27 wird aber dann faktisch erheblich eingeschränkt, wenn die Grundrechtsträger Repressalien zu erwarten haben. Sie 25

BVerfGE 94, 1 (8) (keine Hervorhebung im Original). BVerfGE 61, 1 (8). 27 Vgl. BVerfGE 7, 198 (208). 26

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2. Teil: Grundrechtsquellen des Whistle­blowings

werden in einem solchen Fall – entgegen ihrer freien Überzeugung – auf die Ausübung ihres Grundrechts verzichten, was mit dem Sinngehalt der Meinungsfreiheit unvereinbar ist.28 Darüber hinaus gilt es zu bedenken, dass Whistle­blower möglicherweise nicht im öffentlichen Rampenlicht stehen möchten. Die Praxis lehrt, dass viele Medien die Privatsphäre von Privatpersonen für einen Presseartikel nicht hinreichend beachten. Insofern ist der Schutzbereich der Meinungsfreiheit auch im Lichte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art.  2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1  GG) auszulegen. Die Meinungsfreiheit umfasst zudem das „Recht des sich Äußernden, für seine Äußerung diejenigen Formen und Umstände zu wählen, die ihr eine möglichst große Wirkung sichern“.29 Wenn ein Whistle­blower eine belastete (z. B. kriminelle) Vergangenheit hat, wird diese möglicherweise bei Recherchen über ihn öffentlich bekannt. Ähnlich kann das Bild einer Person in der Öffentlichkeit bereits mit einem negativen Image behaftet sein. In solchen Fällen droht die Gefahr, dass die Gegenseite in der durch Whistle­blowing ausgelösten Diskussion stets die Persönlichkeit des Whistle­blowers in den Vordergrund rückt, um von der eigentlichen Problematik abzulenken. Zwar beinhaltet Anonymität auch die Gefahr, sich auf missbräuchliche oder unberechtigte Art zu äußern und dass dem von der Meinungsäußerung Betroffenen die Möglichkeit genommen wird, sich direkt mit einem Gegenüber auseinander­ zusetzen.30 Aufgrund der bereits erörterten Bedeutung anonymer Äußerungen kann dies aber nicht zu einer Einschränkung des Schutzbereiches führen. Für die Auslegung des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ist es daher irrelevant, ob eine Meinung anonym (oder auch unter einem Pseudonym), digital oder analog geäußert wird. Vielmehr gibt auch der anonym bleibende Grundrechtsträger seine persönliche Einstellung wider31 und kann in vielen Fällen ein legitimes Interesse an Geheimhaltung geltend machen32. Da sich der Schutzbereich der Meinungsfreiheit auch auf anonyme Äußerungen erstreckt, wäre es widersprüchlich, aus der Anonymität negative Schlussfolgerungen für die grundrechtliche Güterabwägung im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu ziehen: Die Zulässigkeit anonymen Whistle­blowings darf nicht anders bewertet werden als solches Whistle­blowing, zu dem sich der Whistle­blower namentlich bekennt.33

28

BGHZ 181, 328 (341 f.); Lauber-Rönsberg, MMR 2014, 10 (12); Härting, NJW 2013, 2065 (2068); Ballhausen / Roggenkamp, K&R 2008, 403 (406); s. zur Gefahr eines Verzichts auf die Grundrechtsausübung auch BVerfGE 65, 1 (43). 29 BVerfGE 97, 391 (398). 30 OLG Frankfurt, NJW 2012, 2896 (2897), das aber ebenfalls nicht nur solche Äußerungen als geschützt ansieht, „die einem bestimmten Individuum zugeordnet werden können“. 31 Steigert, Datenschutz bei unternehmensinternen Whistle­blowing-Systemen, S. 31. 32 Härting, NJW 2013, 2065 (2068). 33 Hierzu auch 4.  Teil, B. IV. 1. l).

A. Whistle­blowing als Grundrechtsausübung 

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2. Gewissensfreiheit, Art. 4 Abs. 1 GG Nach Art. 4 Abs. 1 GG ist die Gewissensfreiheit unverletzlich. Als hiervon umfasst ist „jede ernste sittliche, d. h. an den Kategorien von ‚Gut‘ und ‚Böse‘ orientierte Entscheidung anzusehen, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, so daß er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte.“34 Geschützt ist auch das Recht, seine Gewissensentscheidung nach außen zu tragen, d. h. dem Gewissen entsprechend zu handeln.35 Damit kann auch Whistle­blowing in den Schutzbereich der Gewissensfreiheit fallen, wenn sich der Whistle­blower zu der Enthüllung gewissensbedingt verpflichtet fühlt. Aufgrund der strengen Voraussetzungen, die an das Vorliegen einer Gewissensentscheidung gestellt werden, hat Art. 4 Abs. 1 GG für Fälle des Whistle­blowings noch keine praktische Bedeutung erlangt.36 Erforderlich ist nach der Rechtsprechung des BVerwG „die positive Feststellung einer nach außen tretenden, rational mitteilbaren und nach dem Kontext intersubjektiv nachvollziehbaren Darlegung der Ernsthaftigkeit, Tiefe und Unabdingbarkeit (im Sinne einer absoluten Verbindlichkeit) der Gewissensentscheidung“.37 Bei Anlegung dieser Maßstäbe sind jedenfalls höhere Voraussetzungen zu erfüllen als für die Eröffnung des Schutzbereiches der Meinungsfreiheit. Im Verhältnis zur Meinungsfreiheit ist es schwer vorstellbar, dass – abgesehen von einer Verdrängung durch Grundrechtskonkurrenz – die Gewissensfreiheit in einer Fallkonstellation einschlägig ist, die nicht schon von Ersterer umfasst wäre. Selbst in einer Situation, in der das Senden von Unterlagen über den Arbeitgeber durch den Arbeitnehmer an die Presse von der Gewissensfreiheit gedeckt wäre, ist hierin jedenfalls auch eine Meinungsäußerung zu sehen,38 da die Weitergabe dieser Tatsachen der Meinungsbildung von anderen Personen dient. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob sich bei einer alternativen oder kumulativen Heranziehung der Gewissensfreiheit zur Meinungsfreiheit im Abwägungsergebnis überhaupt Unterschiede ergeben würden.39

34

BVerfGE 12, 45 (55). BVerfGE 78, 391 (395); BVerwGE 105, 73 (77); 127, 302 (327); BSGE 61, 158 (162 ff.). 36 Die vom BGH in BGHSt 20, 342 erörterte „Gewissensanspannung“ ist im strafrechtlichen Kontext zu verstehen. 37 BVerwGE 127, 302 (303, 2. Satz des 5. Ls.). 38 A. A. Schmitt, Whistle­blowing, S.  138. 39 Ablehnend bei Berücksichtigung des Art. 4 Abs. 1 GG Schmitt, Whistle­blowing, S.  139. 35

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2. Teil: Grundrechtsquellen des Whistle­blowings

II. Zusätzlicher Grundrechtsschutz in Abhängigkeit vom Adressaten der Informationsweitergabe 1. Informationsweitergabe an die Presse, Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG Eine Möglichkeit für Whistle­blower, auf bestimmte Missstände hinzuweisen, besteht darin, die Presse zu informieren. Ein prominentes Beispiel hierfür ist der anonym gebliebene Whistle­blower, der die „Panama Papers“ an die Süddeutsche Zeitung übermittelte, die diese daraufhin mit dem „International Consortium of Investigative Journalists“ auswertete.40 Die Veröffentlichung der Missstände durch die Presse wird zwar regelmäßig in den Schutzbereich der Pressefreiheit fallen,41 doch stellt sich für Whistle­blower die Frage, ob sie als Informanten ebenfalls von der Pressefreiheit geschützt sind. Der Schutzbereich der Pressefreiheit umfasst generell diejenigen, die die von Art. 5 Abs. 1 S. 2  GG geschützte Tätigkeit ausüben.42 Die Wahrung der verfassungsrechtlich geschützten redaktionellen Vertraulichkeit ist zwar für den Schutz der Informanten von überragender Bedeutung,43 doch dies ist regelmäßig bei der Frage relevant, ob bzw. inwieweit sich ein Journalist oder ein Presseverlag selbst auf die Pressefreiheit berufen kann, bspw. bei einer polizeilichen Verlagsdurchsuchung, die Hinweise auf Informanten geben könnte. Die Frage, ob sich der Informant, der die Informationen weitergibt, selbst auf die Pressefreiheit berufen kann, wurde hingegen in der Rechtsprechung – soweit ersichtlich – bislang noch nicht erörtert.44 Allerdings werden presseexterne Hilfstätigkeiten vom BVerfG nur unter restriktiven Bedingungen dem Schutz der Pressefreiheit zugerechnet – einschlägig sei dann regelmäßig der Schutz durch andere Grundrechte.45 Insgesamt würde es den Schutzbereich der Pressefreiheit – auch wenn der Begriff „Presse“ weit zu verstehen ist46 – überdehnen, wenn auch Whistle­blower erfasst würden. Sachnäher sind andere Grundrechte, auf die zurückzugreifen ist, insbesondere die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG). Ein Absenken des Schutzes ist hiermit auch nicht verbunden. Ein Vergleich des Whistle­blowers mit einem investigativen Journalisten, dem dieser Schutz zukommt, hinkt bereits deshalb, weil Letzterer von vornherein tätig wird, um Missstände aufzudecken; Whistle­blower erlangen hingegen erst während ihrer Tätigkeit Hinweise auf Missstände und riskieren ihre berufliche Existenz, indem sie auf selbige hinweisen, d. h. sie kommen 40

Hierzu Obermayer / Obermaier, Panama Papers. Wobei die Pressefreiheit zur Meinungsfreiheit abgegrenzt werden muss, vgl. hierzu BVerfGE 85, 1 (12 f.). 42 Jarass, in: ders. / Pieroth, Art. 5 Rn. 38. 43 BVerfGE 66, 116 (132 ff.). 44 Auch die Entscheidung BVerfGE 64, 108 (115) ist nicht ergiebig (a. A. Krüger, Die Zulässigkeit vergleichender Werbung aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben, S. 55). 45 BVerfGE 77, 346 (354) (zum Presse-Grossist). 46 BVerfGE 34, 269 (283). 41

A. Whistle­blowing als Grundrechtsausübung 

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erst später mit der Presse in Kontakt. Dass Whistle­blower unerlässliche Informanten für die Presse sind, genügt insofern nicht. Whistle­blowern kommt der Schutz aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG also dann nicht zu, wenn sie als Informanten die Presse gezielt informieren.47 Dies gilt erst recht auch dann, wenn sie sich an die breite Öffentlichkeit wenden und damit (lediglich indirekt) Informationen über interne Missstände auch an die Presse übermitteln. Hiervon zu trennen ist die Frage, inwiefern das Pressegrundrecht die Grundrechte des Whistle­blowers in einer verfassungsrechtlichen Abwägung verstärkt.48 2. Informationsweitergabe an die zuständigen staatlichen Stellen und die Volksvertretung a) Petitionsrecht, Art. 17 GG aa) Externe Hinweise als Petition Nach Art. 17 GG hat jedermann das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden. Mit Bitten und Beschwerden sind insgesamt Petitionen geschützt,49 was auch in Art. 17a Abs. 1 GG zum Ausdruck kommt. Art. 17 GG gibt dem Bürger damit die verfassungsrechtlich abgesicherte Möglichkeit, sich bei einem Anliegen staatliches Gehör zu verschaffen. Der Petitionsbegriff wird (im Wortsinn) durch Elemente des „Verlangens, Beantragens und Forderns“ geprägt.50 Bloße Mitteilungen bzw. Datenübermittlungen werden vom Schutzbereich nicht umfasst.51 Dies gilt auch für bloße Missbilligungen, bei denen der Äußernde keine anschließende Prüfung durch den Staat erwartet,52 sowie für bloße Vorwürfe53. Selbst bei gegenteiliger Annahme54 ist regelmäßig zu konstatieren, dass der Petent nicht nur schlicht seinen Unmut über einen Zustand äußert, sondern gleichzeitig eine Reaktion des Staates erwartet.55 Wenn sich Whistle­blower dazu entscheiden, das interne Gehäuse ihrer Organisation zu verlassen und den staatlich vorgegebenen offiziellen Weg zu beschreiten, nehmen 47 I. E. für Informanten auch Balzer, Arzt- und Klinikwerberecht, S. 53; vgl. zu Art. 10 EMRK auch Edwards, Die Rechtmäßigkeit von Whistle­blowing in der Öffentlichkeit nach der EMRK und nach deutschem Recht, S. 18 ff. 48 Hierzu 4.  Teil, B. IV. 4. b) cc) (3). 49 Jarass, in: ders. / Pieroth, Art. 17 Rn. 3; Bauer, in: Dreier, Art. 17 Rn. 32. 50 BVerwG, NJW 1976, 637 (638) unter Bezugnahme auf Teile der Literatur. 51 BVerwGE 128, 295 (300). 52 Uerpmann-Wittzack, in: von Münch / Kunig, Art. 17 Rn. 16. 53 Dollinger, in: Umbach / Clemens, Art. 17 Rn. 21. 54 Krings, JuS 2004, 474 (475 f.); ders., in: Friauf / Höfling, Art. 17 Rn. 31 (Stand XII/03). 55 Uerpmann-Wittzack, in: von Münch / Kunig, Art. 17 Rn. 16 („im Zweifel“); Stettner, in: Kahl / Waldhoff / Walter, Art. 17 Rn. 47 (94. Lfg. 2000) („sehr häufig“).

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2. Teil: Grundrechtsquellen des Whistle­blowings

sie zahlreiche Risiken in Kauf, um Missstände zu bekämpfen. Dann ist es aber fernliegend, dass ihnen die staatliche Reaktion gleichgültig sein soll. Das Petitionsrecht ist auch bei Arbeitnehmeranzeigen und Beschwerden einschlägig.56 Das für Art. 17 GG erforderliche finale Element ist gerade darin zu sehen, dass der Whistle­blower eine Untersuchung seitens des Staates erwartet.57 Ein Insider wird sich kaum dem Risiko diverser Nachteile, v. a. in Form einer Kündigung oder Abmahnung bzw. einer Disziplinarmaßnahme, aussetzen, nur um staatliche Stellen zu informieren und seine Missbilligung des Zustandes kundzutun, ohne zugleich Abhilfe zu erwarten. Wichtig ist, dass eine Petition keine individuelle Betroffenheit des Petenten oder die Geltendmachung ihm zustehender Rechte voraussetzt.58 Mittels Art. 17 GG können Petenten also auch Fremd- oder Allgemeininteressen geltend machen.59 Daher müssen Whistle­blower nicht in einer eigenen Rechtsposition verletzt sein, vielmehr fällt auch die Meldung eines Missstandes, der ausschließlich die Interessen anderer bzw. der Allgemeinheit berührt, in den Schutzbereich des Petitionsrechts. bb) Anonyme Petitionen Da externes Whistle­blowing grundsätzlich vom Petitionsrecht umfasst sein kann, muss geklärt werden, ob auch anonyme Petitionen vom Schutzbereich umfasst werden. Das zur Meinungsfreiheit gefundene Ergebnis kann aufgrund der unterschiedlichen Gehalte beider Grundrechte nicht ohne Weiteres herangezogen werden. Die ganz h. L. lehnt es insofern ab, auch anonyme Petitionen als geschützt anzusehen.60 Anonyme Eingaben seien ungeeignet, den aus Art. 17 GG folgenden Bescheidungsanspruch auszulösen.61 Dieser Auslegung kann nicht gefolgt werden. Auch wenn einem anonym bleibenden Petenten kein Bescheid zugehen kann, ist das Petitionsrecht primär dadurch gekennzeichnet, dass eine staatliche Reaktion erwartet wird. Auch der anonyme Petent kann darauf hoffen, dass sein Hinweis auf interne Missstände eine Verbes-

56 LAG Düsseldorf, DB 1974, 2164 (zu einer an die Wasser- und Schifffahrtsdirektion gerichteten „Anzeige“); Hinrichs, ArbRGgw 1980, 35 (40); Müller, NZA 2002, 424 (430); offen­ lassend BAGE 107, 36 (43 f.); s. auch BAG, AP KSchG § 1 Nr. 82 zu einer Dienstaufsichts­ beschwerde. 57 S. Müller, NZA 2002, 424 (430). 58 Uerpmann-Wittzack, in: von Münch / Kunig, Art. 17 Rn. 9; Bauer, in: Merten / Papier, § 117 Rn. 42. 59 Jarass, in: ders. / Pieroth, Art. 17 Rn. 5; Dollinger, in: Umbach / Clemens, Art. 17 Rn. 22. 60 Dollinger, in: Umbach / Clemens, Art. 17 Rn. 24; Jarass, in: ders. / Pieroth, Art. 17 Rn. 4; Bauer, in: Dreier, Art. 17 Rn. 35; Sodan / Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, § 44 Rn. 2; Wolff, in: Hömig / Wolff, Art. 17 Rn. 6; Brenner, in: von Mangoldt / Klein / Starck, Art.  17 Rn.  32. 61 Uerpmann-Wittzack, in: von Münch / Kunig, Art. 17 Rn. 13; Stettner, in: Kahl / Waldhoff / Walter, Art. 17 Rn. 71 (94. Lfg. 2000).

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serung herbeiführt.62 Dabei erwartet er gerade nicht eine persönliche Bescheidung, die an ihn selbst gerichtet ist,63 sondern generell Abhilfe, von der er auch auf andere Weise erfahren kann. Insofern kann auch von einem Verzicht auf den Bescheidungsanspruch ausgegangen werden.64 Auch innerhalb der h. L. wird zum Teil eingeräumt, dass die vom Petenten gewählte Stelle anonymen Petitionen nachgehen könne und dies gegebenenfalls tun solle, um Missstände aufzudecken.65 Hierbei ist jedoch die Befassungszuständigkeit der jeweils angerufenen Stelle zu beachten.66 Auch anonyme Hinweise können also zur Aufdeckung und Bekämpfung von Missständen durchaus sinnvoll sein.67 Darüber hinaus kommt das im Rahmen der Meinungsfreiheit herangezogene Argument zum Tragen, dass der Grundrechtsträger vor Repressalien geschützt werden soll. Zudem erscheint es überholt, in Anbetracht des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung seine Identität preisgeben zu müssen.68 b) Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG Neben den bereits genannten Grundrechten kommt bei (Straf-)Anzeigen dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) besondere Bedeutung zu. Es ist die Aufgabe „einer an rechtsstaatlichen Garantien ausgerichteten Rechtspflege […], in dem ihr vorgegebenen verfahrensrechtlichen Rahmen die Durchsetzung von Gerechtigkeit zu ermöglichen“.69 Der Staat ist verfassungsrechtlich zur Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege verpflichtet.70 Darüber hinaus ist „die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten […] ein wesentlicher Auftrag eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens“.71 Eine Strafanzeige ist dabei für Strafverfolgungen im Rechtsstaat grundsätzlich unverzichtbar.72 „Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, die Pflicht des Staates, die Sicherheit seiner Bürger und deren Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit der staatlichen Institutionen zu schützen, und die Gleichbehandlung aller in Strafverfahren Beschuldigten erfordern grundsätzlich die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs.“73

Die Durchsetzung eines staatlichen Strafanspruchs erfordert aber im Vorfeld auch die Kenntnisnahme der Straftat durch den Staat, wobei dieser auf entsprechende 62

Steigert, Datenschutz bei unternehmensinternen Whistle­blowing-Systemen, S. 33. Steigert, Datenschutz bei unternehmensinternen Whistle­blowing-Systemen, S. 33. 64 Krings, in: Friauf / Höfling, Art. 17 Rn. 41 (Stand XII/03); Dietlein, in: Stern, S. 160 (305). 65 Uerpmann-Wittzack, in: von Münch / Kunig, Art. 17 Rn. 13. 66 Vgl. zur Volksvertretung Uerpmann-Wittzack, Art. 17 Rn. 21. 67 Vgl. auch Krings, in: Friauf / Höfling, Art. 17 Rn. 41 (Stand XII/03); ders., JuS 2004, 474 (476). 68 Dietlein, in: Stern, S. 160 (305). 69 BVerfGE 77, 65 (76). 70 BVerfGE 133, 168 (199, Rn. 57). 71 BVerfGE 29, 183 (194). 72 BVerfGE 74, 257 (262). 73 BVerfGE 51, 324 (343 f.); s. auch BVerfGE 133, 168 (199 f., Rn. 57). 63

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2. Teil: Grundrechtsquellen des Whistle­blowings

Informationen aus der Bevölkerung angewiesen ist. Anzeigen aus der Bevölkerung sind für die Aufklärung und Verhinderung von Straftaten essentiell.74 aa) Erstattung einer (Straf-)Anzeige Konsequenterweise wäre es bedenklich, wenn derjenige, der in gutem Glauben Strafanzeige erstattet und dadurch eine rechtsstaatliche Notwendigkeit gefördert hat, Nachteile in Kauf nehmen müsste. So hat auch das BVerfG in einem grundlegenden Beschluss vom 25.2.1987 einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip anerkannt, wenn das (zivilrechtliche) Schadensersatzrecht so gehandhabt wird, dass es „den gutgläubigen Strafanzeigeerstatter mit dem Risiko des Schadensersatzes für den Fall belastet, dass seine Anzeige nicht zum Erweis des behaupteten Vorwurfs führt“.75 Aus der mangelnden ausdrücklichen Bezugnahme auf Art. 1 Abs. 1 GG lässt sich folgern, dass das BVerfG die allgemeine Handlungsfreiheit und nicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht mit dem Rechtsstaatsprinzip verknüpft. Eine solche Verknüpfung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht wäre auch fernliegend, da die Erstattung einer Strafanzeige mit den vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht umfassten Elementen „Recht auf Selbstbestimmung“, „Recht auf Selbstbewahrung“ sowie „Recht auf Selbstdarstellung“ sachlich nicht eng genug verbunden ist.76 Die Reichweite der Entscheidung beschränkt sich nach ihrem Wortlaut auf Strafanzeigen. Eine generelle Beschränkung hierauf wäre aus rechtsstaatlichen Gründen aber abzulehnen. Da allgemein ein rechtsstaatliches Interesse an einer Aufklärung von Gesetzesverstößen besteht, erstreckt sich das Grundrecht auf alle Meldungen an zuständige Behörden, mit denen auf einen Gesetzesverstoß aufmerksam gemacht wird.77 Wendet sich ein Whistle­blower hingegen direkt an andere Adressaten, z. B. die Medien, geht es ihm zumeist nicht um eine effektive Strafverfolgung: „Der Arbeitnehmer erkennt mit der Einschaltung sonstiger Dritter weder das staatliche Gewaltmonopol an, noch das Rechtsstaatsprinzip allgemein: Er misstraut den zuständigen Behörden, nimmt dem Betroffenen die Möglichkeit, sich in einem gesetzmäßigen Verfahren zu erklären und entscheidet sich gegen gesetzlich festgelegte Sanktionen und die gezielte Beseitigung des Rechtsverstoßes.“78

Dogmatisch ist es befremdlich, dass das BVerfG Art. 2 Abs. 1 GG als grundrechtlichen Anknüpfungspunkt herangezogen hat. Die Erstattung einer Straf­anzeige 74

Koch, NJW 2005, 943. BVerfGE 74, 257 (Ls.). 76 Vgl. zu diesen drei Aspekten Kingreen / Poscher, Grundrechte, Rn. 441 ff. 77 Rudkowski, CCZ 2013, 204 (205); nach Kort, in: Hönn / Oetker / Raab, S. 247 (254), ist die Entscheidung des BVerfG von 2001 (dazu sogleich) „eng auf eine bestimmte Form des externen Whistle­blowing, nämlich die Strafanzeige, zugeschnitten“. 78 Rudkowski, CCZ 2013, 204 (207). 75

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kann auch vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG und des Art. 17 GG (bei Informierung der „zuständigen Stelle“) umfasst sein. Möglicherweise wollte das BVerfG hierzu keine Stellung beziehen, was aber aufgrund des Spezialitätsverhältnisses anderer Grundrechte zu Art. 2 Abs. 1 GG79 durchaus angebracht gewesen wäre. Welcher Schluss aus dieser dogmatischen Vorgehensweise zu ziehen ist, ist noch nicht abschließend geklärt: Entweder leitet das BVerfG das Recht zur Erstattung einer Strafanzeige lediglich aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG ab oder das Subsidiaritätsprinzip soll aufgrund der Verbindung zu Art. 20 Abs. 3 GG und der damit bewirkten eigenständigen Grundrechtsqualität nicht gelten. Letztere Annahme ist indes nicht überzeugend, da das BVerfG auch zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht, das maßgeblich in Art. 2 Abs. 1 GG wurzelt80, festgestellt hat, dass dieses nur dann Anwendung findet, wenn nicht bereits ein spezielles Freiheitsrecht Schutz gewährt.81 Dies gilt auch für Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG, da gerade dieses Grundrecht bereits in der Rechtsprechung des BVerfG als nur bedingt einschlägig angesehen wurde: „Die Rüge des Beschwerdeführers, durch diese Entscheidung werde ihm effektiver Rechtsschutz verweigert, betrifft den Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4  GG. Das sich aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG ergebende Recht auf ein faires Verfahren, auf das sich der Beschwerdeführer ebenfalls beruft, scheidet daneben als Prüfungsmaßstab aus. An diesem Gebot sind nur solche Beschränkungen Verfahrensbeteiligter zu messen, die von den speziellen Gewährleistungen des Grundgesetzes nicht erfaßt werden […].“82

Möglicherweise hat das BVerfG den Weg über Art. 2 Abs. 1 GG aber auch deshalb gewählt, weil es bei Strafanzeigen nicht in jedem Fall die Schutzbereiche der anderen genannten Grundrechte als eröffnet ansieht. Angesichts der bis dato ergangenen Rechtsprechung des BGH83 ist es jedenfalls überraschend, dass das AG Duisburg-Hamborn, dessen Entscheidung vor dem BVerfG angegriffen wurde, nicht zugunsten der späteren Beschwerdeführerin entschieden hatte.84 In jenen zivilrechtlichen Entscheidungen des BGH fehlte indes der verfassungsrechtliche Bezug zum Rechtsstaatsprinzip, der erst mit dem Beschluss des BVerfG hergestellt wurde. Durch die Verknüpfung mit Art. 2 Abs. 1 GG besteht nunmehr in keiner Fallkonstellation mehr ein Zweifel darüber, dass ein Strafanzeigeerstatter bei einer berechtigten Anzeige sein Recht mittels einer Verfassungsbeschwerde geltend machen kann.85

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S. hierzu nur Jarass, in: ders. / Pieroth, Art. 2 Rn. 3. Kunig, in: von Münch / Kunig, Art. 2 Rn. 30; Jarass, in: ders. / Pieroth, Art.  2 Rn. 36. 81 Vgl. BVerfGE 109, 279 (326). 82 BVerfGE 83, 182 (194). 83 BGHZ 36, 18 (20 f.); 74, 9 (12 ff.); 95, 10 (19); 118, 201 (206). 84 S. Fahl, JuS 1995, 1067, nach dem das Urteil bei einer zivilgerichtlichen Überprüfung keinen Bestand hätte haben können. 85 Vgl. auch Sachs, JuS 1987, 902, nach dem das Recht zur Erstattung einer Strafanzeige zu einer von Art. 2 Abs. 1 GG umfassten Rechtsposition avanciere. 80

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2. Teil: Grundrechtsquellen des Whistle­blowings

bb) Mitwirkung im behördlichen (Straf-)Verfahren Wenn damit die gutgläubige Erstattung einer (Straf-)Anzeige rechtsstaatlich notwendig ist, wäre es inkonsequent, die Mitwirkung im (Straf-)Verfahren nicht unter besonderen rechtsstaatlichen Schutz zu stellen. Dementsprechend hat das BVerfG seine oben dargestellte Rechtsprechung auch in einem grundlegenden Beschluss vom 2.7.200186 erweitert. Im Gegensatz zur ersten Entscheidung, der eine Strafanzeige der Beschwerdeführerin zugrunde lag, hatte hier der Beschwerdeführer in einem schon laufenden Ermittlungsverfahren mitgewirkt. Unter Bezugnahme auf verschiedene Pflichten im Strafverfahren (Aussagen bei der Staatsanwaltschaft, Übergabe von Unterlagen, Zeugenpflicht, Herausgabe von bestimmten Gegenständen) stellte das BVerfG fest: „Mit diesen Pflichten im Rechtsstaat ist es nicht vereinbar, wenn derjenige, der diese ihm gesetzlich auferlegten Pflichten erfüllt und nicht wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben macht, dadurch zivilrechtliche Nachteile erleidet.“87

Interessanterweise beschränkte es sich damit nicht – wie im vorherigen Beschluss – auf den konkreten Fall (Kündigung eines Arbeitsverhältnisses), sondern hielt allgemein „zivilrechtliche Nachteile“ für unzulässig. Hierunter sei auch eine Kündigung zu subsumieren, auch wenn diese streng genommen keine Sanktion darstelle.88 Die genannten rechtsstaatlichen Aspekte müssen auch dann beachtet werden, wenn eine Person freiwillig im Strafverfahren mitwirkt.89 Damit wird der durch Art. 2 Abs. 1 GG und das Rechtsstaatsprinzip bewirkte Schutz von Fallkonstellationen, bei denen der Einzelne das Recht auf Erstattung einer (Straf-)Anzeige wahrnimmt, auch auf Konstellationen erweitert, in denen er seine Rechte im behördlichen (Straf-)Verfahren wahrnimmt bzw. bestimmten Pflichten nachkommt. Die Wirkung des verfassungsrechtlichen Schutzes wird hierdurch erheblich erweitert. Darüber hinaus kann der Entscheidung sogar der allgemeine Grundsatz entnommen werden, dass die Erfüllung staatsbürgerlicher Pflichten bzw. die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte grundsätzlich nicht an Nachteile geknüpft sein darf, womit sie über den Bereich des Arbeitsrechts hinaus bedeutsam ist.90 3. Informationsweitergabe an die zuständige Gewerkschaft, Art. 9 Abs. 3 GG Wenden sich Whistle­blower an eine Gewerkschaft, so ist ferner der Schutz durch Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG zu berücksichtigen. Hiernach ist das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, für 86

BVerfG, NJW 2001, 3474. BVerfG, NJW 2001, 3474 (3475). 88 BVerfG, NJW 2001, 3474 (3475). 89 BVerfG, NJW 2001, 3474 (3475 f.). 90 Zacharias, JA 2002, 281 (283). 87

A. Whistle­blowing als Grundrechtsausübung 

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jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Geschützt ist insofern nicht nur die spezifisch koalitionsgemäße Betätigung der Koalition selbst, sondern auch die Teilnahme des Einzelnen an der (durch Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG geschützten) Koalitionstätigkeit.91 Zudem ist das Recht umfasst, Gewerkschaftsmitglieder außergerichtlich zu beraten92 und ihre Interessen gewerkschaftlich zu betreuen93. In dem Fall muss konsequenterweise auch die Inanspruchnahme dieser Beratung durch den Einzelnen geschützt sein, was wiederum die Möglichkeit der Mitteilung von internen Missständen beinhaltet. Ferner ist zu berücksichtigen, dass Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG auch die Werbung neuer Koalitionsmitglieder umfasst:94 Der aktive Einsatz zur Beratung und zum Schutz des Whistle­blowers kann insofern die Attraktivität der Koalition auch für Arbeitnehmer, die noch nicht Mitglied in der Gewerkschaft sind, erhöhen95. Gleichwohl ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG eine klare sachliche Begrenzung: Der durch das Whistle­blowing enthüllte Missstand muss im sachlichen Zusammenhang mit der „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ stehen.96 Damit ist das Melden anderer Missstände, die hiermit nicht zusammenhängen, ausgeschlossen. Der Whistle­blower muss aber nicht selbst vom Missstand betroffen sein, um sich auf Art. 9 Abs. 3 GG zu berufen; hierfür spricht bereits der allgemein gehaltene Wortlaut („der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“).

III. Whistle­blowing zum Schutz der Würde und Ehre des Whistle­blowers als Aspekt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG Bislang ist in der Wissenschaft noch nicht hinreichend geklärt worden, ob das Recht, Interna weiterzugeben, vom Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst sein kann. Nennenswert ist insofern eine Entscheidung des BVerwG, in der dieses festhielt, dass das „Interesse des Beamten an der Offenlegung und Verwertung von Tatsachen, die ihm bei einer amtlichen Tätigkeit bekanntgeworden sind“, sich nicht nur aus der Meinungsfreiheit, sondern „je nach den konkreten Umständen des Einzelfalles auch aus seinem durch Art. 1 I i. V. mit Art. 2 I GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht

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BVerfGE 28, 295 (304). BVerfGE 88, 5 (15). 93 BAGE 30, 122 (128). 94 BVerfGE 28, 295 (303 ff.). 95 Vgl. Hinrichs, ArbRGgw 1980, 35 (39). 96 Vgl. BVerfGE 19, 303 (312), wonach „das Grundrecht der Koalitionsfreiheit […] nur solche Tätigkeiten einer Koalition schützen [kann], die den in Art. 9 Abs. 3 GG genannten Koalitionszwecken dienen“. 92

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2. Teil: Grundrechtsquellen des Whistle­blowings

ergeben“ könne.97 Konkret befürchtete der Präsident einer bedeutenden Behörde, dazu gezwungen zu werden, die Öffentlichkeit täuschen zu müssen und sich solche Erklärungen sowohl auf seine persönliche Würde als auch auf seine Ehre kränkend auswirken könnten.98 Allerdings ist zu beachten, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht lediglich bedingt Anwendung findet: „Dieses Recht ergänzt als unbenanntes Freiheitsrecht die speziellen Freiheitsrechte, die ebenfalls konstituierende Elemente der Persönlichkeit schützen […], nur insoweit, als Letztere keinen Schutz gewähren.“99

Wie bereits herausgearbeitet, sind beim Whistle­blowing regelmäßig bereits andere Grundrechte – v. a. die Meinungsfreiheit – einschlägig, sodass nicht mehr auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht zurückgegriffen werden kann. Gerade wenn ein Whistle­blower Informationen mitteilt, um seine Würde und Ehre zu verteidigen, wird dies mit einer wertenden Betrachtung einhergehen, sodass die Meinungsfreiheit einschlägig ist. Die oben genannte Rechtsprechung des BVerwG ist daher abzulehnen. Gleichwohl kann das allgemeine Persönlichkeitsrecht in solchen Fallkonstellationen die verfassungsrechtliche Abwägung zu Gunsten des Whistle­ blowers verstärken.100

IV. Wirkung der Grundrechte bei Whistle­blowing im privaten Sektor Dem ersten Abschnitt des Grundgesetzes („Die Grundrechte“) kommt in der deutschen Rechtsordnung besondere Bedeutung zu. Diese Bedeutung erschöpft sich nicht darin, verschiedene Grundrechte ausdrücklich in Verfassungsrang zu erheben. Vielmehr wurde im Grundrechtsabschnitt eine objektive Wertordnung aufgerichtet, in der „eine prinzipielle Verstärkung der Geltungskraft der Grundrechte zum Ausdruck kommt“.101 Diese Wertordnung ist die Grundlage dafür, dass Grundrechten auch im Privatrecht erhebliche Bedeutung zukommt: „Dieses Wertsystem, das seinen Mittelpunkt in der innerhalb der sozialen Gemeinschaft sich frei entfaltenden menschlichen Persönlichkeit und ihrer Würde findet, muß als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gelten; Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung empfangen von ihm Richtlinien und Impulse. So beeinflußt es selbstverständlich auch das bürgerliche Recht; keine bürgerlich-rechtliche Vorschrift darf in Widerspruch zu ihm stehen, jede muß in seinem Geiste ausgelegt werden.“102 97

BVerwG, NJW 1983, 2343 (2344). BVerwG, NJW 1983, 2343 (2344). 99 BVerfGE 109, 279 (326). 100 Vgl. zur sog. Schutzbereichsverstärkung Spranger, NJW 2002, 2074 ff. 101 BVerfGE 7, 198 (205). 102 BVerfGE 7, 198 (205). 98

A. Whistle­blowing als Grundrechtsausübung 

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Ausgehend von dem Grundsatz, dass mit der Verankerung der Grundrechte im ersten Abschnitt des Grundgesetzes eine objektive Wertordnung errichtet wurde, die auch im privaten Sektor zu beachten ist, stellt sich die Frage, wie sich diese grundrechtliche Einwirkung in den privaten Sektor dogmatisch erklären lässt. Während das BVerfG in der Lüth-Entscheidung davon ausging, dass über die unbestimmten Rechtsbegriffe der Rechtsordnung, v. a. die „Generalklauseln“, auch alle staatlichen Gerichte, die nach Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden seien, die grundrechtlichen Wertungen bei Auslegung rechtlicher Normen berücksichtigen müssten,103 wird zum Teil dem Weg über die grundrechtlichen Schutzpflichten der dogmatische Vorrang eingeräumt104. Diese grundlegende verfassungsrechtliche und -dogmatische Frage ist bis heute noch nicht abschließend geklärt und soll an dieser Stelle auch nicht vertieft werden. Fest steht, dass Whistle­blowing im privaten Sektor eine erhebliche Bedeutung zukommt und die Frage, ob Whistle­blowing im Einzelfall zulässig ist, maßgeblich von grundrechtlichen Wertungen beeinflusst wird. Welche Norm des Zivilrechts insofern zu berücksichtigen ist, hängt von der jeweiligen Fallkonstellation ab; besonders praxisrelevant ist dabei § 626 BGB, wonach eine fristlose Kündigung aus „wichtigem Grund“ zulässig sein kann.

V. Der Hinweis auf einen Missstand als Grundrechtsausübung von Beamten Spätestens seit der Strafgefangenen-Entscheidung des BVerfG105 ist anerkannt, dass Grundrechte auch in sog. Sonderstatusverhältnissen (bzw. früher „besonderen Gewaltverhältnissen“) zu beachten sind. Beamte sind auch während ihrer Dienstzeit Grundrechtsträger.106 Whistle­blowing durch Beamte wird damit – soweit einschlägig – vom Schutzbereich der oben genannten Grundrechte umfasst, Einschränkungen müssen sich folglich grundrechtlich rechtfertigen lassen.107 Auch wenn teilweise zwischen den drei Rechtsebenen Amtsbereich, Dienstbereich und Privatbereich differenziert wird und Beamte bei ihrer Tätigkeit als Amtswalter als nicht grundrechtsfähig angesehen werden,108 ist zu beachten, dass Whistle­blower, wenn sie auf einen Missstand hinweisen, weder bei internem noch bei externem Whistle­blowing als Amtswalter staatlich tätig werden, sondern ihre subjektiven Rechte wahrnehmen, um auf Missstände hinzuweisen. 103

BVerfGE 7, 198 (206). Epping, Grundrechte, Rn. 350 ff. 105 BVerfGE 33, 1 (9 ff.). 106 Hierzu näher BVerwG, NVwZ 2018, 1144 (1146): „Der Beamte ist auch im Dienst und bei der Ausübung des Dienstes, sofern es nicht um die Amtsführung im Namen des Dienstherrn geht, trotz seiner besonderen Pflichtenstellung Staatsbürger mit den ihm zustehenden Grundrechten, insbesondere der Freiheit der Meinungsäußerung aus Art. 5 I GG […].“ Vgl. auch BVerfGE 39, 334 (366). 107 Vgl. etwa BVerwG, NJW 1983, 2343 (2344); BGHSt 20, 342 (361). 108 So Isensee, in: Benda / Klein / Maihofer, § 32 Rn. 80 f.; OVG Koblenz, NVwZ-RR 1995, 342. 104

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2. Teil: Grundrechtsquellen des Whistle­blowings

B. Recht zum Whistle­blowing als Teil des internationalen Menschenrechtsschutzes Verfassungsrechtliche Fragen können nicht ungeachtet völkerrechtlicher Entwicklungen beantwortet werden. Völkerrechtliche Menschenrechtsentwicklungen beeinflussen immer mehr die grundrechtlichen Gewährleistungen in Deutschland. Nicht zuletzt aufgrund der EGMR-Rechtsprechung zum externen Whistle­blowing, auf die im 4. Teil dieser Untersuchung noch eingegangen wird, ist eine nähere Betrachtung internationaler Abkommen unabdingbar. Die Bundesrepublik Deutschland hat sowohl die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) als auch den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) ratifiziert, aus denen sich individuelle Rechte eines Whistle­blowers ergeben können. Zu nennen ist ferner die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GrCh) als Teil des Europäischen Unionsrechts. Dabei wirkt sich die zu internationalen Menschenrechten entwickelte inhaltliche Dogmatik nicht direkt auf das parallele Grundrecht des Grundgesetzes aus. Aus völkerrechtlicher Sicht wird insofern nur ein Erfolg geschuldet; wie der Inhalt des internationalen Vertrages umgesetzt wird, bleibt den einzelnen Vertragsstaaten überlassen. Mit den Worten des BVerfG ist also eine „schematische Parallelisierung“ nicht geboten.109 Während dem IPBPR und der EU-GrCh bislang – soweit ersichtlich – zu der Frage, ob Whistle­blowing selbst oder die Reaktion hierauf (z. B. in Form einer Kündigung) im Einzelfall zulässig ist, keine Bedeutung für den Rechtsalltag in Deutschland zugekommen sind, beziehen deutsche Gerichte die EGMR-Rechtsprechung zum externen Whistle­blowing in ihre Entscheidungsgründe bereits ein110. Abzuwarten bleibt, ob die Thematik durch Stellungnahmen oder Entscheidungen des UN-Menschenrechtsausschusses bzw. des Europäischen Gerichtshofs oder des Gerichts der Europäischen Union weiterentwickelt wird.

I. Whistle­blowing im Rahmen der EMRK 1. Betroffene Menschenrechte a) Meinungs- und Informationsfreiheit, Art. 10 Abs. 1 S. 1, S. 2 EMRK Nach Art. 10 Abs. 1 S. 1 EMRK hat jede Person das Recht auf freie Meinungsäußerung. Nach S. 2 schließt dieses Recht die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Auch wenn man für die deutsche 109 110

BVerfGE 128, 326 (370) zur EMRK. Hierzu 4.  Teil, B. IV. 2. b) aa).

B. Recht zum Whistle­blowing 

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Übersetzung den Begriff „Meinung“ verwendet, muss  – anders als unter Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG – nicht zwischen „Meinungen“ und „Tatsachen“ differenziert werden: Zum einen ist für die Auslegung des Art. 10 Abs. 1 EMRK der weiter gefasste englische (freedom of expression) und französische (liberté d’expression) Wortlaut maßgeblich (s. Schlussbestimmung zur EMRK),111 zum anderen ist ausdrücklich die Freiheit, Informationen weiterzugeben, eingeschlossen. Whistle­blowing als Hinweis auf interne Missstände ist daher vom Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 S. 1, S. 2 EMRK geschützt. Auch der EGMR hat bestimmte Formen von externem Whistle­blowing bereits anhand von Art. 10 Abs. 1 EMRK geprüft.112 b) Gewissensfreiheit, Art. 9 Abs. 1 EMRK Nach Art. 9 Abs. 1  EMRK hat jede Person das Recht auf Gewissensfreiheit. Eine genauere sachliche Umschreibung des Rechts auf Gewissensfreiheit findet sich in der EGMR-Rechtsprechung bislang nicht.113 Jedoch ist es denkbar, dass der innere Drang, auf Missstände hinzuweisen, selbst dann als Teil der Gewissensfreiheit geschützt ist, wenn strenge Maßstäbe an Art. 9 Abs. 1 EMRK angelegt werden. Da auch das forum externum, d. h. die äußerliche Manifestation der inneren Gewissensnot, umfasst ist,114 kann Whistle­blowing dementsprechend auch von der Gewissensfreiheit geschützt sein. Gleichwohl sind die Anforderungen an eine Meinungsäußerung i. S. v. Art. 10 Abs. 1 EMRK deutlich niedriger als an eine Gewissensentscheidung i. S. v. Art. 9 Abs. 1 EMRK, sodass die gängige (wissenschaft­ liche) Fokussierung auf Art. 10 Abs. 1 EMRK durchaus verständlich ist. Ob sich im Schutzniveau zwischen der Meinungs- und Gewissensfreiheit im Fall von Whistle­ blowing überhaupt Unterschiede ergeben würden, ist ohnehin zweifelhaft. 2. Anwendungsbereich der EMRK a) Whistle­blowing im privaten Sektor Im Bürger-Bürger-Verhältnis besteht die Schwierigkeit, dass Schutzpflichten vom EGMR bislang lediglich bei einzelnen Grundrechten – v. a. für die Meinungsfreiheit115 – anerkannt wurden. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um internes oder externes Whistle­blowing handelt. Einer Erstreckung auf die Gewissensfreiheit stehen insofern keine gravierenden Gründe entgegen. 111

Wienbracke, in: Bontrup / Korenke / Wienbracke, S.  21 (23 f.). EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 53: Weitergabe von Informationen an die Presse; EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 43 ff.: Strafanzeige einer Arbeitnehmerin. 113 S. bereits Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit des Grundgesetzes, S. 152. 114 Nicht unumstritten, hierzu Walter, in: Dörr / Grote / Marauhn, Kap.  17 Rn.  17 ff. 115 EGMR, Urt. v. 29.2.2000, Fuentes Bobo v. Spanien (Nr. 39293/98), Rn. 38. 112

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2. Teil: Grundrechtsquellen des Whistle­blowings

b) Whistle­blowing im öffentlichen Dienst Die EMRK ist als völkerrechtlicher Vertrag von den Vertragsstaaten zu beachten, die sich nach Maßgabe von Art. 1 EMRK dazu verpflichtet haben, die Rechte der EMRK allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen zuzusichern. Unstreitig sind die Rechte der EMRK also im Staat-Bürger-Verhältnis, d. h. bei Whistle­ blowing im öffentlichen Dienst zu beachten.

II. Whistle­blowing im Rahmen des IPBPR 1. Betroffene Menschenrechte a) Meinungsfreiheit, -äußerungsfreiheit und Informationsfreiheit, Art. 19 Abs. 1, Abs. 2 IPBPR Nach Art. 19 Abs. 1 IPBPR hat jedermann das Recht auf unbehinderte Meinungsfreiheit. Inwiefern es hier tatsächlich auf eine Differenzierung zwischen „Meinungen“ und „Tatsachen“ ankommt, kann letztlich dahinstehen, da vom Schutz­ bereich des Art. 19 Abs. 2 IPBPR die freie Meinungsäußerungsfreiheit geschützt ist, die ausdrücklich die Freiheit einschließt, Informationen weiterzugeben. Für den IPBPR ist insofern u. a. der englische (freedom of expression) und franzö­ sische (liberté d’expression) (neben dem chinesischen, russischen und spanischen) Wortlaut maßgeblich, Art. 53 Abs. 1 IPBPR, sodass das Recht zum Whistle­blowing hiervon umfasst ist. b) Gewissensfreiheit, Art. 18 Abs. 1 IPBPR Nach Art. 18 Abs. 1 IPBPR hat jedermann das Recht auf Gewissensfreiheit. Hier stellen sich dieselben Probleme wie bei Art. 9 Abs. 1 EMRK, sodass auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden kann.116 2. Anwendungsbereich des IPBPR a) Whistle­blowing im privaten Sektor Es ist noch nicht abschließend geklärt, ob der IPBPR auch im privaten Sektor Anwendung findet. Um den im IPBPR genannten Menschenrechten eine effektivere Wirkung zu verleihen, ist es aber überzeugend, eine menschenrechtliche Schutzpflicht des Vertragsstaates anzunehmen – sowohl bei der Meinungs- als auch Ge 116

2. Teil, B. I. 1. b).

B. Recht zum Whistle­blowing 

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wissensfreiheit. Dieser Aspekt soll an dieser Stelle aber nicht vertieft werden. Es ist auch zweifelhaft, dass die Zulässigkeit von Whistle­blowing unter der EMRK anders zu bewerten ist als unter dem IPBPR. b) Whistle­blowing im öffentlichen Dienst Nach Art. 2 Abs. 1 IPBPR verpflichtet sich jeder Vertragsstaat, die im IPBPR anerkannten Rechte zu achten und sie allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen ohne Unterschied zu gewährleisten. Aufgrund dieser staatlichen Bindung findet der IPBPR im Staat-Bürger-Verhältnis, d. h. bei Whistle­blowing im öffentlichen Dienst, Anwendung.

III. Whistle­blowing im Rahmen der EU-GrCh Spätestens seit der Whistle­blower Paul van Buitenen, dessen Enthüllungen über die missbräuchliche Verwendung von Geldern die gesamte EU-Kommission zum Rücktritt zwangen, auf Missstände innerhalb der EU aufmerksam gemacht hat, ist deutlich geworden, dass auch innerhalb der EU Whistle­blowing besondere Bedeutung zukommt. Zwar konnte van Buitenens Fall noch nicht an der EU-Grundrechte­ charta (EU-GrCh) gemessen werden, da diese erst mit dem Vertrag von Lissabon am 1.12.2009 in Kraft trat. Gleichwohl waren wesentliche Rechte bereits vorab vom EuGH als allgemeine Rechtsgrundsätze anerkannt worden.117 1. Betroffene Menschenrechte a) Meinungs- und Informationsfreiheit, Art. 11 Abs. 1 EU-GrCh Nach Art. 11 Abs. 1 S. 1 EU-GrCh hat jede Person das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt nach S. 2 die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen weiterzugeben. Hieraus wird deutlich, dass nicht zwischen „Meinungen“ und „Tatsachen“ differenziert werden muss. Whistle­ blowing als Weitergabe von Informationen über interne Missstände fällt daher in den Schutzbereich von Art. 11 Abs. 1 EU-GrCh.

117 S. erstmals allgemein EuGH, Urt. v. 12.11.1969, Stauder v. Ulm, Rs. 29/69, Rn. 7; zur Meinungsfreiheit EuGH, Urt. v. 18.6.1991, ERT v. DEP u. SK, Rs. C-260/89, Rn. 44.

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2. Teil: Grundrechtsquellen des Whistle­blowings

b) Gewissensfreiheit, Art. 10 Abs. 1 EU-GrCh Nach Art. 10 Abs. 1 EU-GrCh hat jede Person das Recht auf Gewissensfreiheit. Eine gerichtlich festgehaltene Definition der „Gewissensfreiheit“ gibt es – soweit ersichtlich – bislang noch nicht. Da allerdings auch das forum externum geschützt wird,118 sind – wie im Rahmen von Art. 9 Abs. 1 EMRK119 – auch hier Fälle denkbar, bei denen ein Whistle­blower aufgrund seiner inneren moralischen Überzeugung auf einen Missstand hinweist. c) Petitionsrecht, Art. 44 EU-GrCh Nach Art. 44 EU-GrCh haben die Unionsbürger sowie jede natürliche oder juristische Person mit Wohnsitz oder satzungsmäßigem Sitz in einem Mitgliedstaat das Recht, eine Petition an das Europäische Parlament zu richten. Umfasst sind hiervon Bitten und Beschwerden, die vom Europäischen Parlament behandelt und (begründet) beschieden werden müssen.120 Bloße Hinweise auf Missstände, bei denen der Petent keine Reaktion erwartet, sind also nicht umfasst. Zudem muss die betreffende Angelegenheit einen Tätigkeitsbereich der EU umfassen und den Petenten unmittelbar betreffen (Art. 227 AEUV). Whistle­blowing ist damit also nur in bestimmten Fällen umfasst. 2. Anwendungsbereich der EU-GrCh Nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 EU-GrCh gilt die Charta für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Wann die EU-GrCh von den Mitgliedstaaten im Einzelnen beachtet werden muss, wird kontrovers diskutiert.121

118

Bernsdorff, in: Meyer, Art. 10 Rn. 11. 2. Teil, B. I. 1. b). 120 S. Magiera, in: Meyer, Art. 44 Rn. 7. 121 Hierzu Terhechte, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje, Art. 51 Rn. 7 ff. 119

3. Teil

Die Zulässigkeit von internem Whistle­blowing A. Internes Whistle­blowing im privaten Sektor Sobald Whistle­blower auf Missstände aufmerksam werden und sich entschlossen haben, durch eine Mitteilung zur Bekämpfung des Missstandes beizutragen, stehen sie zunächst vor der Entscheidung, ob sie sich an eine interne bzw. zur Entgegennahme von Anzeigen beauftragte Stelle des betroffenen Unternehmens (sog. internes Whistle­blowing) oder an externe Adressaten (sog. externes Whistle­ blowing) wenden. Die hierzu getroffene Entscheidung beeinflusst den rechtlichen Schutz des Whistle­blowers maßgeblich. Unternehmen profitieren in der Regel von einer vorherigen internen Beschwerde, da sie selbst über die weitere Vorgehensweise entscheiden und den Missstand im Unternehmen beheben können.1 Ihr Ruf wird mangels öffentlicher Diskussion nicht beschädigt. Sie können aber auch öffentlichkeitswirksam aktiv gegen den Missstand vorgehen, indem sie Stellung beziehen und – auch durch die öffentlichkeitswirksame Etablierung von internen Hinweissystemen – einer Rufschädigung vorbeugen. Ein Konflikt mit der Loyalitätspflicht des Whistle­blowers ergibt sich bei internem Whistle­blowing nicht.2 Die verfassungsrechtliche Brisanz liegt „lediglich“ darin, dass die Grundrechte des Whistle­blowers durch intern bestehende entgegenstehende Interessen und Rechte, z. B. die der anderen Mitarbeiter im Unternehmen, eingeschränkt werden. So können an die Art der Informationsweitergabe sachliche Bedingungen gestellt werden. Dieser Konflikt konkretisiert sich normativ letztlich in der arbeitsrechtlichen Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers (§ 241 Abs. 2 BGB), deren genauer Gehalt im Einzelfall v. a. unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Wertungen zu bestimmen ist. Whistle­blower gehen mit der internen Informationsweitergabe gleichwohl verschiedene Risiken ein,3 da sie nunmehr als Mitwisser bekannt sind. Bereits bei internen Anzeigen riskieren Whistle­blower, u. U. als „Risikofaktoren“ eingestuft zu werden und müssen möglicherweise um ihre Anstellung fürchten. Vorgesetzte oder andere interne Ansprechpartner können den Arbeitnehmer als Nörgler be 1 Vgl. zu den Vorteilen eines internen Whistle­blowing-Systems auch Gach / Rützel, BB 1997, 1959 (1962 f.); dies wird auch bei der Frage, ob internes Whistle­blowing Vorrang vor externem Whistle­blowing genießt, deutlich, hierzu 4.  Teil, B. IV. 1. a) bb) (3). 2 Branahl, HFR 1/2012, 1 (2). 3 Vgl. hierzu auch Strack, Stellungnahme als Sachverständiger, S. 59 f.

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3. Teil: Die Zulässigkeit von internem Whistle­blowing

trachten, dem es ihrer Auffassung nach je nach Fall auch am Verständnis für das notwendige Kostenmanagement fehlt.4 Damit wird wiederum der Vorteil anonymer Hinweisgebersysteme deutlich. Allerdings sind interne Anzeigen für Arbeitnehmer aus faktischer und rechtlicher Sicht deutlich vorteilhafter und weisen weniger Konfliktpotential auf: So müssen Whistle­blower bei internen Hinweisen weniger Vergeltungsmaßnahmen erleiden als bei externen Hinweisen5. Insgesamt kommt internem Whistle­blowing auch – als Frühwarnsystem – eine wichtige Compliance-Funktion zu.6 Soweit in Unternehmen Compliance-Vorgaben zu internen Hinweisen bestehen und Arbeitnehmer zur Einhaltung dieser Vorgaben verpflichtet sind, kommt den Compliance-Vorgaben wiederum eine wichtige Bedeutung für internes Whistle­blowing zu. Letzteres wird als Instrument begriffen, bereits frühzeitig von Rechtsverletzungen zu erfahren und auf diese reagieren zu können.7 Insgesamt stehen dabei präventive Aspekte im Vordergrund, so etwa das Vermeiden von Rechtsverstößen oder negativer Presse.8 Für Unternehmen kommt der Vermeidung von Rechtsverstößen insbesondere im Kartellrecht finanzielle Bedeutung zu, da Kartellbehörden regelmäßig sehr hohe Bußgelder verhängen.9 Diese Vorteile internen Whistle­blowings stehen auch eng mit der Frage, ob internes Whistle­blowing Vorrang vor externem Whistle­blowing genießt, im Zusammenhang.10 Auf Gesetzesebene spiegeln sich die Vorzüge interner Whistle­blowing-Systeme allerdings nur bedingt wider. Zu nennen ist etwa § 25a Abs. 1 S. 6 Nr. 3 KWG, wonach eine ordnungsgemäße Geschäftsführung einen Prozess umfasst, der es den Mitarbeitern unter Wahrung der Vertraulichkeit ihrer Identität ermöglicht, Verstöße gegen bestimmte, näher bezeichnete EU-Verordnungen, das KWG oder gegen die auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen sowie etwaige strafbare Handlungen innerhalb des Unternehmens an geeignete Stellen zu berichten. Auf diese Norm verweist auch § 80 Abs. 1 S. 1 WpHG, wonach ein Wertpapierhandelsunternehmen die in § 25a Abs. 1 sowie § 25e KWG vorgesehenen organisatorischen Pflichten einhalten muss. Auf eine explizite Verankerung von externem Whistle­ blowing wurde insofern verzichtet, vielmehr werden bestimmte Unternehmen zu einer im Gesetz näher geregelten Selbstregulierung verpflichtet („regulierte Selbstregulierung“)11. Damit steht internes Whistle­blowing – das mit diesen Normen im 4

Vgl. Schneider / Nowak, in: Hönn / Oetker / Raab, S.  855. Dworkin / Baucus, Journal of Business Ethics 1998, 1281 (Untersuchung von 33 Fällen internen und externen Whistle­blowings). 6 Ebert, ReWiR 7/2011, 1 (2). 7 Kreis, Whistle­blowing als Beitrag zur Rechtsdurchsetzung, S. 25. 8 Vgl. Kreis, Whistle­blowing als Beitrag zur Rechtsdurchsetzung, S. 25; zu ersterem auch Meier, NZA 2011, 779 ff. 9 Wybitul, ZD 2011, 118. 10 Hierzu 4.  Teil, B. IV. 1. a). 11 Zu § 33 Abs. 1 WpHG a. F. auch Buck-Heeb / Dieckmann, Selbstregulierung im Privatrecht, S. 39; vgl. zur kapitalmarktrechtlichen Selbstregulierung auch Damrau, Selbstregulierung im Kapitalmarktrecht. 5

A. Internes Whistle­blowing im privaten Sektor

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pliziert ist – wiederum im engen Zusammenhang mit wertpapierrechtlicher Compliance: Interne wertpapierrechtliche Compliance-Vorgaben sind für das Recht zum internen Whistle­blowing bedeutsam, andererseits kommt internem Whistle­blowing hohe Bedeutung für wertpapierrechtliche Compliance zu (s. bereits oben). Dies gilt auch insofern, als Unternehmen zur Einrichtung einer Compliance-Funktion verpflichtet sind und dabei einen Compliance-Beauftragten, an den sich Mitarbeiter wenden können, benennen (hierzu Art. 22 Abs. 2 S. 1 Delegierte Verordnung (EU) 2017/56512 i. V. m. § 87 Abs. 5 WpHG). Ob bzw. inwiefern sich aus anderen, allgemeineren Normen eine Rechtspflicht zur Etablierung von Hinweisgeber-Systemen ergibt, ist noch nicht abschließend geklärt.13 Mittlerweile sieht auch der Deutsche Corporate Governance Kodex unter Punkt 4.1.3 vor: „Der Vorstand hat für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmens­ internen Richtlinien zu sorgen und wirkt auf deren Beachtung durch die Konzernunternehmen hin (Compliance). Er soll für angemessene, an der Risikolage des Unternehmens ausgerichtete Maßnahmen (Compliance Management System) sorgen und deren Grundzüge offenlegen. Beschäftigten soll auf geeignete Weise die Möglichkeit eingeräumt werden, geschützt Hinweise auf Rechtsverstöße im Unternehmen zu geben; auch Dritten sollte diese Möglichkeit eingeräumt werden.“

Zwar sind die Empfehlungen des Kodex nicht verbindlich, doch müssen nach § 161 Abs. 1 S. 1 AktG der Vorstand und Aufsichtsrat einer börsennotierten Gesellschaft gesondert begründen, weshalb sie von den Empfehlungen abgewichen sind. Entsprechendes gilt nach § 161 Abs. 1 S. 2 AktG für eine Gesellschaft, die ausschließlich andere Wertpapiere als Aktien zum Handel an einem organisierten Markt im Sinn des § 2 Abs. 5 WpHG ausgegeben hat und deren ausgegebene Aktien auf eigene Veranlassung über ein multilaterales Handelssystem im Sinn des § 2 Abs. 8 S. 1 Nr. 8 WpHG gehandelt werden. Diese Erklärung ist zudem nach § 161 Abs. 2 AktG auf der Internetseite der Gesellschaft dauerhaft öffentlich zugänglich zu machen.

12 Delegierte Verordnung (EU) 2017/565 der Kommission vom 25.4.2016 zur Ergänzung der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die organisatorischen Anforderungen an Wertpapierfirmen und die Bedingungen für die Ausübung ihrer Tätigkeit sowie in Bezug auf die Definition bestimmter Begriffe für die Zwecke der genannten Richtlinie. 13 Vgl. hierzu Wybitul, ZD 2011, 118 (118 f.).

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3. Teil: Die Zulässigkeit von internem Whistle­blowing

I. Recht zum internen Whistle­blowing 1. Einfachrechtliche Konkretisierung a) Das allgemeine Anzeige- und Beschwerderecht, § 241 Abs. 2 BGB Nach § 241 Abs. 2  BGB kann das Schuldverhältnis nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten. Aus dieser allgemeinen Rücksichtnahmepflicht resultiert im Arbeitsverhältnis u. a. die Pflicht des Arbeitnehmers, Schäden vom Arbeitgeber abzuwenden.14 Als Pendant hierzu besteht das Recht des Arbeitnehmers, auf interne Missstände zu verweisen.15 Aus dem weit gefassten Wortlaut des § 241 Abs. 2 BGB und dem Sinn und Zweck der gegenseitigen Rücksichtnahmepflicht folgt, dass dieses Recht nicht auf Missstände beschränkt ist, die den Arbeitnehmer individuell beschweren. Macht ein Arbeitnehmer von seinem Beschwerderecht berechtigterweise Gebrauch, darf ihm hieraus kein Nachteil erwachsen (§ 612a BGB). Mit dem Beschwerderecht des Arbeitnehmers geht die Frage einher, ob der Arbeitgeber verpflichtet ist, auf interne Beschwerden zu reagieren.16 Eine solche Pflicht wird von bestimmten Normen statuiert (z. B. § 13 Abs. 1 S. 2 AGG, § 84 Abs. 2 BetrVG), die allerdings auf bestimmte Bereiche beschränkt und insofern auch nicht analogiefähig sind. In der Literatur wird eine solche Pflicht zum Teil ohne Begründung abgelehnt.17 Indes ist es angemessen, eine grundsätzliche Informationspflicht des Arbeitgebers bzw. des Beschwerdeempfängers anzunehmen: Whistle­blower wenden sich an interne Stellen und treten nicht direkt nach außen, um dem Betrieb nicht zu schaden bzw. weil sie davon überzeugt sind, dass interne Abhilfemaßnahmen Erfolg haben können. Damit zeigen sie auch, dass sie an der Behebung des Missstandes interessiert sind. Da an der Behebung von gesetzlichen Missständen auch ein legitimes Interesse besteht, ist es sachgerecht, eine grundsätzliche Informationspflicht des zuständigen Beschwerdeempfängers (aus §§ 241 Abs. 2, 242 BGB) anzunehmen, soweit ein Arbeitnehmer berechtigterweise auf interne Missstände hinweist. Diese Informationspflicht erstreckt sich allerdings nur auf Gesetzesverstöße; bei Verstößen gegen Arbeitsinstruktionen oder bei einem moralisch fragwürdigen Verhalten anderer Arbeitnehmer bleibt es allein dem Arbeitgeber überlassen, ob bzw. wie er auf eine Beschwerde reagiert.

14

Hierzu 3.  Teil, A. II. 1. Das Beschwerderecht des Arbeitnehmers wird auf verschiedene Weise hergeleitet, hierzu Graser, Whistle­blowing, S.  161. 16 Vgl. hierzu auch BAG, AP KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8. 17 Wendeling-Schröder, Autonomie im Arbeitsrecht, S. 187; Graser, Whistle­blowing, S.  161; Schmitt, Whistle­blowing, S. 84; a. A. Kania, in: Müller-Glöge / Preis / Schmidt, § 84 BetrVG Rn.  1 (aus der arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht folgende Pflicht des Arbeitgebers zur Bescheidung). 15

A. Internes Whistle­blowing im privaten Sektor

69

b) Andere interne Anzeige- und Beschwerderechte (Überblick) Der Gesetzgeber hat verschiedentlich Anzeige- bzw. Beschwerderechte für Arbeitnehmer kodifiziert, diese allerdings materiell begrenzt. Hieraus kann nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass ein allgemeines Anzeige- und Beschwerderecht, wie oben dargelegt, ausgeschlossen sein soll. Als die beiden wichtigsten Normen sind hierbei § 84 BetrVG und § 13 AGG zu nennen, die in ihrer Reichweite allerdings hinter dem allgemeinen Anzeige- und Beschwerderecht zurückbleiben. aa) Beschwerden nach § 84 BetrVG Nach § 84 Abs. 1 S. 1 BetrVG hat jeder Arbeitnehmer das Recht, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebes zu beschweren, wenn er sich vom Arbeitgeber oder von Arbeitnehmern des Betriebes benachteiligt oder ungerecht behandelt oder in sonstiger Weise beeinträchtigt fühlt. Mit dem Beschwerderecht korreliert nach § 84 Abs. 2 BetrVG die Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer über die Behandlung der Beschwerde zu bescheiden und, soweit er die Beschwerde für berechtigt erachtet, ihr abzuhelfen. Mit § 84 BetrVG wird nicht nur das allgemeine Beschwerderecht des Arbeitnehmers gesetzlich bestätigt, sondern ein Beschwerdeverfahren institutionalisiert.18 In sachlicher Hinsicht gilt das Beschwerderecht indes nur begrenzt: Zu nennen ist insbesondere der erforderliche Bezug der Beschwerde zum Arbeitsverhältnis und dem Betrieb des sich beschwerenden Arbeitnehmers und der Ausschluss von Popularbeschwerden, d. h. ein Arbeitnehmer kann nur ihn betreffende Beeinträchtigungen monieren.19 Hinweise auf allgemeine Missstände, von denen sich ein Arbeitnehmer nicht individuell betroffen fühlt, können allerdings als Anregungen nach § 80 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG dem Betriebsrat gemeldet werden. bb) Beschwerden nach § 13 AGG Nach § 13 Abs. 1 S. 1 AGG haben Beschäftigte (s. § 6 AGG) das Recht, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebes, des Unternehmens oder der Dienststelle zu beschweren, wenn sie sich im Zusammenhang mit ihrem Beschäftigungsverhältnis vom Arbeitgeber, von Vorgesetzten, anderen Beschäftigten oder Dritten wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt fühlen. Hiermit korreliert nach § 13 Abs. 1 S. 2 AGG die Pflicht, die Beschwerde zu prüfen und das Ergebnis dem beschwerdeführenden Beschäftigten mitzuteilen.20 Der Wortlaut verdeutlicht bereits, dass maßgeblich auf das subjektive Empfinden („fühlen“) des Beschäftigten 18

Thüsing, in: Richardi, § 84 Rn. 2. BAGE 116, 235 (240). 20 Zu anonymen Beschwerden Roloff, in: Rolfs / Kreikebohm / Giesen / Udsching, § 13 AGG Rn. 2 (Stand 1.3.2019); Oetker, NZA 2008, 264 (268). 19

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3. Teil: Die Zulässigkeit von internem Whistle­blowing

abgestellt wird.21 Das Monieren von allgemeinen betrieblichen Missständen mit einer Popularbeschwerde ist von § 13 AGG nicht umfasst.22 2. Schranken des Beschwerderechts Aus der grundsätzlichen Möglichkeit einer internen Beschwerde darf nicht geschlossen werden, dass sie keinen Schranken unterliegen würde. Whistle­blower wollen bestimmte Missstände im Unternehmen beseitigen. Für diese Missstände sind nicht selten bestimmte Personen im Unternehmen verantwortlich,23 deren persönliche oder berufliche Stellung durch die Aufdeckung des Missstandes beeinträchtigt wird. Zudem kann die Aufklärung des Missstandes zu internen Unruhen führen, und zwar nicht nur zwischen dem Whistle­blower und der Belegschaft, sondern auch dem Verursacher und der Belegschaft, d. h. der Betriebsfrieden wird gefährdet. Hieraus ergeben sich gewisse Grenzen internen Whistle­blowings. a) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) Der Arbeitnehmer muss auch bei einer Meldung nichtstrafbaren Verhaltens „bei der Mitteilung vermeintlicher Missstände im Betrieb angemessen auf Persönlichkeitsrechte seiner Arbeitskollegen und Vorgesetzten Rücksicht nehmen“.24 Die ­Ratio hierfür liegt auch im „berechtigten Interesse des Arbeitgebers an der Wahrung des Betriebsfriedens“.25 Der Begriff „Betriebsfrieden“ ist dabei „abhängig und wird bestimmt von der Summe aller derjenigen Faktoren, die – unter Einschluß des Betriebsinhabers (Arbeitgeber) – das Zusammenleben und Zusammenwirken der in einem Betrieb tätigen Betriebsangehörigen ermöglichen, erleichtern oder auch nur erträglich machen. Der Betriebsfrieden als ein die Gemeinschaft aller Betriebsangehörigen umschließender Zustand ist daher immer dann gestört, wenn das störende Ereignis einen kollektiven Bezug aufweist […], mögen unmittelbar hiervon auch nur wenige Arbeitnehmer betroffen sein. Um eine Störung des Betriebsfriedens anzunehmen, ist es nicht erforderlich, daß die gesamte oder die Mehrheit der Belegschaft oder ganze Betriebsabteilungen über einen Vorgang im Betrieb in Unruhe geraten, in Empörung ausbrechen oder ihren Unmut in spontanen Kundgebungen

21

Berg, in: Däubler / Hjort / Schubert / Wolmerath, § 13 AGG Rn.  4. Däubler, in: ders. / Bertzbach, § 13 Rn. 12. 23 Vgl. auch Windel, AP BGB § 626 Nr. 235: „Überhaupt beruhen die Zustände in einem Betrieb nicht auf dem geisterhaften Wirken einer entpersonalisierten Macht, sondern stets auf dem Verhalten von Menschen.“ 24 BAG, NJOZ 2013, 1064 (1068); vgl. hierzu auch BAG, AP KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 4. 25 BAG, NJOZ 2013, 1064 (1068). 22

A. Internes Whistle­blowing im privaten Sektor

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äußern.“26 Eine Friedenspflicht kann sich dabei auch aus anderen Normen ergeben, so etwa § 74 Abs. 2 S. 2 BetrVG für den Arbeitgeber und den Betriebsrat27. Die Auswirkungen, die ein interner Hinweis auf den Betriebsfrieden haben kann, müssen folglich mitberücksichtigt werden. Allein aus der Meldung eines Arbeitnehmers darf aber nicht ohne Weiteres auf eine folgenreiche Störung des Betriebsfriedens geschlossen werden, da jede Meldung hierfür theoretisch geeignet ist. Auch das Persönlichkeitsrecht des Angezeigten (Art.  2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) kann aus den gleichen Gründen nicht per se zu einem Ausschluss von Whistle­blowing führen. Aus der Pflicht zur Achtung des Persönlichkeitsrechts folgt im Ausgangspunkt nicht das Recht, dass Missstände intern nicht bekannt werden dürfen, auch wenn das Bekanntwerden des Missstandes und das anschließende Verknüpfen dieses Missstandes mit einer bestimmten Person (dem Verursacher) dieser (berufliche) Nachteile bringen können (insofern ist auch an eine Schutzwirkung durch Art. 12 Abs. 1 GG zu denken). Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgt auch kein allgemeiner Anspruch gegenüber Privaten, dass diese Missstände zugunsten des Verursachers des Missstandes geheim halten müssen, an deren Kenntnis andere (v. a. Arbeitgeber) ein legitimes Interesse haben. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers nach § 241 Abs. 2 BGB nur gegenüber dem Vertragspartner gilt und somit nicht gegenüber anderen Mitarbeitern.28 Allerdings ist zu beachten, dass die Rücksichtnahmepflicht eines Arbeitnehmers auch die Pflicht gegenüber dem Arbeitgeber beinhaltet, Kollegen respektvoll zu behandeln, nicht zuletzt damit der Betriebsfrieden gewahrt wird. Auch aus den Grundrechten des Whistle­blowers und dem legitimen Interesse des Arbeitgebers an der Aufdeckung interner Missstände folgt bereits, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht nur in engen Grenzen Einschränkungen gebietet. Gleichwohl kann sich die Grenzziehung zwischen legitimer Kritik an Missständen und einer Missachtung von Persönlichkeitsrechten im Einzelfall als schwierig erweisen. b) Sachlichkeitsgebot Bei der internen Mitteilung von Missständen ist auf die Form zu achten. Der Arbeitnehmer ist insofern verpflichtet, seinen Hinweis sachlich und wahrheitsgemäß vorzutragen. Zwar statuiert das Grundgesetz keine „Sachlichkeitszensur“.29 Doch bilden die Rechte anderer eine Grenze, die auch bei Ausübung der Meinungsfreiheit nicht missachtet werden dürfen. Darüber hinaus kann auch die Einschrän 26

BAGE 41, 150 (161). Hierzu Wiese, NZA 2012, 1 (7 f.). 28 Vgl. auch Schmitt, Whistle­blowing, S.  85. 29 Schricker, AcP 172 (1972), 203 (233). 27

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3. Teil: Die Zulässigkeit von internem Whistle­blowing

kung der Meinungsfreiheit durch die gegenseitige Rücksichtnahmepflicht in § 241 Abs. 2 BGB bedingt sein. Ehrverletzungen sowie Störungen des Betriebsfriedens müssen bei kritischen Äußerungen, die den Arbeitgeber bzw. die Personen, die von diesem mit der Betriebsleitung (bzw. Teilen des Betriebes) beauftragt wurden, betreffen, vermieden werden.30 Jedoch dürfen die Anforderungen an die Sachlichkeit nicht allzu hoch angesetzt werden, damit der Bedeutung der Meinungsfreiheit Rechnung getragen wird. Verfassungskonforme Straftatbestände (v. a. §§ 185 ff. StGB), die das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützen, bilden zunächst eine gesetzlich kodifizierte äußere Grenze, müssen aber stets im Lichte der Grundrechte ausgelegt werden.31 Wann aber eine (wahrheitsgemäße und nicht strafbare) Mitteilung die Grenze der Sachlichkeit überschreitet, kann schwerlich allgemein definiert werden. Kriterien wie Zeitdruck und die Art des bedrohten bzw. geschädigten Rechtsguts können hierbei bedeutsam sein. Dies gilt auch für die Eigenarten des jeweiligen Betriebes: Ist im Betrieb ein schroffer Umgangston gängig, kann eine Mitteilung nur unter besonderen Umständen als kränkend und dem Sachlichkeitsgebot entgegenstehend anzusehen sein.32 Auch aus einer unhöflich vorgetragenen oder polemisch formulierten Mitteilung darf nicht zu schnell auf Unsachlichkeit geschlossen werden. Problematisch wird es auch dann, wenn der Arbeitnehmer bei seiner Mitteilung bestimmte, ihm bekannte Aspekte unterschlägt. Wenn sich der Arbeitnehmer dazu entschließt, ein bestimmtes Fehlverhalten anzuzeigen, muss er auch die den Verursacher entlastenden Umstände mitteilen. Zwar ist er vertraglich nicht unmittelbar zur Rücksichtnahme gegenüber seinen Kollegen verpflichtet. Die Rücksichtnahmepflicht gegenüber dem Arbeitgeber gebietet es aber, diesem kein falsches Bild von seinen Mitarbeitern zu vermitteln. c) Vorrangverhältnis beim internen Adressaten der Beschwerde aa) Einhaltung der internen Hierarchie Schließlich ist der Adressat der Beschwerde des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Da Unternehmen mit einer differenzierten Hierarchiestruktur über verschiedene potentielle Ansprechpartner verfügen, ist der primäre Ansprechpartner hiervon abhängig zu ermitteln. Neben dem direkten Vorgesetzten oder dem Arbeitgeber kann etwa der Betriebsrat (oder sogar die betriebsinterne Öffentlichkeit) in Betracht kommen. Damit stellt sich zwangsläufig die Frage, ob zwischen meh-

30

BAG, AP KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 4. Vgl. zur Meinungsfreiheit BVerfGE 7, 198 (208 f.). 32 Vgl. auch BAG, Urt. v. 23.7.1970, 2 AZR 426/69. 31

A. Internes Whistle­blowing im privaten Sektor

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reren internen Stellen ein Vorrangverhältnis besteht. Dem Arbeitgeber steht es über sein Weisungsrecht (§ 106 Abs. 1 GewO) unter Beachtung zumutbarer Grenzen insofern weitgehend frei, ein Vorrangverhältnis für sein Unternehmen festzulegen. Der EGMR hat den grundsätzlichen Vorrang internen Whistle­blowings dahin­ gehend konkretisiert, dass sich der Arbeitnehmer zunächst an seinen Vorgesetzen oder eine andere zuständige Stelle wenden soll („disclosure should be made in the first place to the person’s superior or other competent authority or body“).33 Wer zu diesen zuständigen Stellen im Einzelnen zu rechnen ist, hat der EGMR nicht entschieden – diese Frage ist aber auch vom jeweiligen Unternehmen abhängig. Für ein Vorrangverhältnis zwischen dem direkten Vorgesetzten einerseits und anderen zuständigen Stellen andererseits hat sich der EGMR allerdings nicht ausgesprochen. Nach einem Teil der Literatur sind innerbetriebliche Beanstandungen auch ohne Einhaltung der innerbetrieblichen Hierarchie zulässig.34 Diese Annahme wird den Interessen des Arbeitgebers allerdings nicht hinreichend gerecht: Der Arbeit­ nehmer ist nach § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet, die Interessen des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Im Rahmen seiner durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Unternehmerfreiheit hat der Arbeitgeber die interne Unternehmensstruktur vorgegeben und damit festgelegt, wer für bestimmte Aufgabenbereiche die Verantwortung trägt und über entsprechende Missstände in diesem Aufgabenbereich informiert werden sollte. Er hat zu erkennen gegeben, dass er nicht selbst informiert werden muss, sondern andere Ansprechpartner an seine Stelle treten. Die Missachtung der Hierarchieordnung führt zu einer Störung der unternehmensinternen Arbeitsabläufe bzw. der gedeihlichen Zusammenarbeit.35 Eine Umgehung der internen Hierarchie bedarf also vielmehr eines rechtfertigenden Grundes.36 Besteht ein solcher nicht, verstößt ein Arbeitnehmer bei Nichteinhaltung der internen Hierarchie gegen seine arbeitsvertragliche Nebenpflicht (§ 241 Abs. 2 BGB). Dieser Grundsatz betrifft lediglich die interne Hierarchieordnung. Nach § 84 Abs. 1  BetrVG hat jeder Arbeitnehmer im Falle einer individuellen Beschwer durch den Arbeitgeber oder anderen Arbeitnehmern das Recht, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebes zu beschweren. Die Zuständigkeit der Stelle wird durch den unternehmensinternen organisatorischen Aufbau bestimmt.37 Ferner steht es dem Arbeitnehmer frei, auch unabhängig von einer individuellen Beschwer dem Betriebsrat nach § 80 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG Anregungen vorzubringen. Anre-

33 EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 73; Urt. v. 12.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 65. 34 So Gach / Rützel, BB 1997, 1959 (1961). 35 Schneider / Nowak, in: Hönn / Oetker / Raab, S.  855 (857). 36 Schneider / Nowak, in: Hönn / Oetker / Raab, S. 855 (857), sehen eine Ausnahmemöglichkeit nur bei „schwerwiegenden Fällen“. 37 Thüsing, in: Richardi, § 84 Rn. 11; Werner, in: Rolfs / Giesen / Kreikebohm / Udsching, § 84 BetrVG Rn. 6 (Stand 1.12.2018).

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3. Teil: Die Zulässigkeit von internem Whistle­blowing

gungen in dem Sinne sind allgemein Vorschläge und Beschwerden.38 Da der Betriebsrat aber nicht Teil der innerbetrieblichen Hierarchie (vom Vorgesetzten bis zum Arbeitgeber) ist, steht er zwar autonom neben der innerbetrieblichen Hie­ rarchie. Er kann auch ohne vorherige innerbetriebliche Meldung (etwa an den Vorgesetzten) angerufen werden.39 Allerdings wird der Arbeitgeber damit im Falle des § 84 Abs. 1 BetrVG faktisch doch ohne Einhaltung der internen Hierarchie konsultiert, da er nach § 84 Abs. 2 BetrVG eine Bescheidungs- und eventuell auch eine Abhilfepflicht hat. Dies ist allerdings eine verfassungskonforme Einschränkung von Art. 12 Abs. 1 GG: Mit § 84 Abs. 1 BetrVG hat der Gesetzgeber die unbeschwerte berufliche Betätigung des Arbeitnehmers (Art. 12 Abs. 1 GG) geschützt und das ebenfalls durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Recht des Arbeitgebers zur eigenständigen Ausgestaltung seines Unternehmens nicht unangemessen beschränkt. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Möglichkeit, einen ComplianceBeauftragten zu informieren, einzugehen.40 Nach Art. 22 Abs. 2 S. 1 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/56541 der Kommission müssen Wertpapierfirmen eine permanente und wirksame, unabhängig arbeitende Compliance-Funktion einsetzen, diese aufrechterhalten und mit den in lit. a–d genannten Aufgaben42 betrauen. Beauftragen Wertpapierhandelsunternehmen einen Mitarbeiter nach § 87 Abs. 5 WpHG mit der Verantwortung für die Compliance-Funktion als ComplianceBeauftragten, steht der Mitarbeiter in dieser Eigenschaft neben der innerbetrieblichen Hierarchie, sodass der oben genannte Grundsatz nicht greift. Zudem ist zu

38

Thüsing, in: Richardi, § 80 Rn. 34; Fitting / Engels / Schmidt / Trebinger / Linsenmaier, Betriebsverfassungsgesetz, § 80 Rn. 24. 39 Fitting / Engels / Schmidt / Trebinger / Linsenmaier, Betriebsverfassungsgesetz, § 80 Rn. 24. 40 Zu Whistle­blowing durch den Compliance-Beauftragten Rudkowski, Transparenzpflichten zur Kontrolle von Finanzdienstleistungsunternehmen, S. 63 ff. 41 Delegierte Verordnung (EU) 2017/565 der Kommission vom 25.4.2016 zur Ergänzung der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die organisatorischen Anforderungen an Wertpapierfirmen und die Bedingungen für die Ausübung ihrer Tätigkeit sowie in Bezug auf die Definition bestimmter Begriffe für die Zwecke der genannten Richtlinie. 42 Art. 22 Abs. 1 S. 1 lit. a-d der Verordnung sieht vor: a) ständige Überwachung und regelmäßige Bewertung der Angemessenheit und Wirksamkeit der gemäß Absatz 1 Unterabsatz 1 eingeführten Maßnahmen, Strategien und Verfahren sowie der Schritte, die zur Behebung etwaiger Defizite der Wertpapierfirma bei der Einhaltung ihrer Pflichten unternommen wurden; b) Beratung und Unterstützung der für Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten zuständigen relevanten Personen im Hinblick auf die Einhaltung der Pflichten der Wertpapierfirma gemäß der Richtlinie 2014/65/EU; c) mindestens einmal jährlich Berichterstattung an das Leitungsorgan über die Umsetzung und Wirksamkeit des gesamten Kontrollumfelds für Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten, über die ermittelten Risiken sowie über die Berichterstattung bezüglich der Abwicklung von Beschwerden und über die ergriffenen oder zu ergreifenden Abhilfemaßnahmen; d) Überwachung der Prozessabläufe für die Abwicklung von Beschwerden und Berücksichtigung von Beschwerden als Quelle relevanter Informationen im Zusammenhang mit den allgemeinen Überwachungsaufgaben.

A. Internes Whistle­blowing im privaten Sektor

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berücksichtigen, dass die Möglichkeit einer direkten Informationsweitergabe an den Compliance-Beauftragten diesen besser in die Lage versetzt, seinen in Art. 22 Abs. 2 S. 1 lit. a–d der Verordnung genannten Aufgaben nachzukommen. Hiervon geht auch die Verordnung in Art. 22 Abs. 2 S. 1 lit. d implizit aus, wenn sie Beschwerden „als Quelle relevanter Informationen im Zusammenhang mit den allgemeinen Überwachungsaufgaben“ ansieht. bb) Verhältnis der zuständigen internen Stelle zur betriebsinternen Öffentlichkeit Ferner stellt sich die Frage, ob zwischen einer zuständigen Stelle und der internen Betriebsöffentlichkeit ein Vorrangverhältnis statuiert werden kann. Die betriebsinterne Öffentlichkeit lässt sich generell als die Gesamtheit der mit dem Betrieb eng verbundenen Personen definieren. Auch wenn die Rechtsordnung auf sie keinen ausdrücklichen Bezug nimmt, kommt ihr zumindest in der Praxis durchaus Bedeutung zu. Von einem Teil des Schrifttums wird insofern gefordert, dass vor der Auslegung von Flugblättern im Betrieb das Anliegen beim Arbeitgeber bzw. – bei Existenz – beim Betriebsrat oder bei der Betriebsversammlung, wenn diese demnächst anstehe, vorzubringen sei.43 Die Frage nach dem richtigen internen Adressaten der Beschwerde als Begrenzung des internen Anzeigerechts steht im Konflikt zwischen dem Recht des Arbeitnehmers auf freie Meinungsäußerung und dem Interesse des Arbeitgebers an einer effektiven Behebung sowie einer vertraulichen Behandlung des internen Missstandes. Diesem Konflikt wird weder die Statuierung eines für jede Situation geltenden Vorrangverhältnisses noch die Statuierung eines unbegrenzten internen Rederechts gerecht, da alle Umstände des Einzelfalles berücksichtigt werden müssen. Der Arbeitnehmer ist dem Arbeitgeber nach § 241 Abs. 2 BGB besonders verpflichtet, d. h. bei Ausübung seiner Tätigkeit im Betrieb muss er grundsätzlich solche Maßnahmen ergreifen, die dem Arbeitgeber am wenigsten schaden. Er muss das mildeste Mittel ergreifen, um den Missstand zu beseitigen. Regelmäßig stellt dabei eine Meldung an die zuständige interne Stelle selbst das mildeste Mittel dar. Dies wird dem berechtigten Interesse des Arbeitgebers an der Behebung interner Missstände auch am ehesten gerecht. Wird die betriebsinterne Öffentlichkeit hingegen informiert, ist stets zu bedenken, dass die Gefahr einer Informationsweitergabe – gerade im Internetzeitalter – an externe Adressaten steigt. So ist es auch denkbar, dass ein Mitarbeiter, der dem Unternehmen aufgrund interner Meinungs­

43 Buchner, ZfA 1982, 49 (71); ablehnend Wendeling-Schröder, Autonomie im Arbeitsrecht, S. 190 f.

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3. Teil: Die Zulässigkeit von internem Whistle­blowing

verschiedenheiten gegenüber schlecht gesinnt ist und demnächst kündigen möchte, die verbreitete Information aufgreift und diese externen Adressaten (z. B. der Presse) mitteilt, um dem Unternehmen zu schaden. Dieses grundsätzliche Vorrangverhältnis kann aber durch besondere Umstände durchbrochen werden: So würde es die Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers etwa überdehnen, wenn er auch dann zur vorherigen Informierung seiner Vorgesetzten verpflichtet wäre, wenn diese (bis einschließlich zum Arbeitgeber) über den Missstand bereits informiert sind (bzw. ihn selbst hervorgerufen haben) bzw. grob fahrlässig den Missstand übersehen haben. Eventuell kann sich eine Pflicht ergeben, einen gewissen Zeitraum abzuwarten, um den zuständigen Personen Gelegenheit zu geben, den Missstand zu beheben. Wenn bereits in der Vergangenheit regelmäßig mangelhafte Schutzmaßnahmen durch den Arbeitgeber ergriffen wurden, kann hierin u. U. ein Indiz gegen die Notwendigkeit einer vorherigen Informierung des Arbeitgebers gesehen werden (soweit dies nicht bereits unter den ersten Aspekt – Kenntnis des Arbeitgebers bzw. Vorgesetzten – fällt). d) Motivation des Arbeitnehmers als irrelevantes Kriterium Nach einem Teil der Literatur ist auch der Motivation des Arbeitnehmers Bedeutung beizumessen.44 Dass dieser Aspekt nicht überzeugen kann, wird bei der Zulässigkeit externen Whistle­blowings besonders deutlich – auf die dortigen Aus­ führungen sei verwiesen.45 Lediglich bei den Konsequenzen, die unberechtigte interne Hinweise nach sich ziehen können, kann die Motivation berücksichtigt werden. e) Irrtum des Whistle­blowers über die Existenz des Missstandes aa) Kein genereller Ausschluss verfassungsrechtlichen Schutzes bei Irrtümern Aus verfassungsrechtlicher Perspektive ist zunächst die Frage zu stellen, inwiefern ein irrtumsbedingter Hinweis überhaupt verfassungsrechtlichen Schutz genießen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es unangemessen wäre, dem Whistle­blower die Berufung auf den Schutzbereich der Meinungsfreiheit zu versagen, wenn sich die weitergegebene Information über einen internen Missstand als falsch erwiesen hat, der Whistle­blower aber gleichzeitig berechtigterweise annehmen durfte, dass die Information zutreffend war. Schließlich handelte er aus primär selbstloser bzw. gemeinnütziger Motivation heraus und war darum bemüht, einen (vermeintlichen) Missstand zu beheben – dies auch unter Inkaufnahme mög 44 45

Gach / Rützel, BB 1997, 1959 (1961). 4. Teil, B. IV. 1. e) ee).

A. Internes Whistle­blowing im privaten Sektor

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licher Benachteiligungen. Ob tatsächlich ein Rechtsverstoß begangen wurde, ist zudem juristisch oder tatsächlich nicht immer eindeutig feststellbar.46 Internes Whistle­blowing ist daher aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht allein deshalb als unzulässig (i. S. e. Schutzbereichsausschlusses) zu bewerten, weil sich herausstellt, dass der Missstand nicht existiert hat. Lediglich zwei Arten von unwahren Tatsachenbehauptungen sind nicht vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst: erstens solche, die trotz entsprechender Kenntnis unwahr verbreitet werden und zweitens solche, „deren Unwahrheit bereits im Zeitpunkt der Äußerung unzweifelhaft feststeht“.47 Der Gegenansicht48 ist entgegenzuhalten, dass derartige Behauptungen „der verfassungsrechtlich voraus­ gesetzten Aufgabe zutreffender Meinungsbildung nicht dienen“ können.49 „Alle übrigen Tatsachenbehauptungen mit Meinungsbezug genießen den Grundrechtsschutz, auch wenn sie sich später als unwahr herausstellen […].“50

Das erste Ausschlusskriterium („bewusst unwahre Tatsachenbehauptung“) ist für Whistle­blower nicht bedeutsam: Nach hier vertretener Begriffsdefinition handeln Whistle­blower aus primär gemeinnütziger bzw. selbstloser Motivation heraus, sodass sie möglicherweise irrtumsbedingt, aber nicht bewusst auf einen nicht existierenden Missstand hinweisen. Bezüglich des zweiten Ausschlusskriteriums („erwiesen unwahre Tatsachen­ behauptung“) ist zunächst anzumerken, dass an den Nachweis der Unwahrheit sehr hohe Anforderungen zu stellen sind: So „dürfen die Anforderungen an die Wahrheitspflicht nicht so bemessen werden, daß darunter die Funktion der Meinungsfreiheit leidet und auch zulässige Äußerungen aus Furcht vor Sanktionen unterlassen werden“51. Die Unwahrheit der Behauptung muss „bereits im Zeitpunkt der Äuße­ rung unzweifelhaft“ feststehen.52 Hinweise des Whistle­blowers auf Missstände, bei denen nicht zweifellos feststeht, dass sie nicht existieren, fallen hiernach also bereits in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit: „Grundsätzlich tritt die Meinungsfreiheit bei unwahren Tatsachenbehauptungen hinter das Persönlichkeitsrecht zurück. Dabei muß aber bedacht werden, daß die Wahrheit im Zeitpunkt der Äußerung oft ungewiß ist und sich erst als Ergebnis eines Diskussionsprozesses oder auch einer gerichtlichen Klärung herausstellt […]. Würde angesichts dieses Umstands die nachträglich als unwahr erkannte Äußerung immer mit Sanktionen belegt werden dürfen, so stünde zu befürchten, daß der Kommunikationsprozeß litte, weil risikofrei nur noch unumstößliche Wahrheiten geäußert werden könnten. Damit wäre ein vom Grundrechtsgebrauch

46

S. von Pelchrzim, CCZ 2009, 25 (26). BVerfGE 99, 185 (197). 48 Wendt, in: von Münch / Kunig, Art. 5 Rn. 10; Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 61 Rn. 9. 49 BVerfGE 54, 208 (219) zu unwahren Tatsachenbehauptungen. 50 BVerfGE 99, 185 (197). 51 BVerfGE 90, 241 (248). 52 BVerfGE 99, 185 (197). 47

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3. Teil: Die Zulässigkeit von internem Whistle­blowing abschreckender Effekt verbunden, der aus Gründen der Meinungsfreiheit vermieden werden muß […].“53

Steht hingegen zweifelsfrei fest, dass der Missstand nicht existiert, muss differenziert werden: Steht die maßgebliche Information lediglich einem begrenzten Personenkreis, zu dem der Whistle­blower nicht gehört, zur Verfügung, wäre es unangemessen, den Schutzbereich der Meinungsfreiheit als nicht eröffnet anzusehen. Es würde der Bedeutung der Meinungsfreiheit nicht gerecht werden, die Eröffnung ihres Schutzbereiches von der Entscheidung anderer Personen, die Information geheim zu halten oder zu offenbaren, abhängig zu machen. Handelt es sich hingegen um Informationen über den (nicht existierenden) Missstand, die dem Whistle­blower ohne Weiteres zugänglich waren und anhand derer er auch auf die Nichtexistenz des Missstandes schließen konnte, verschließt er sich also erwiesenen Umständen, ist der Schutzbereich nur dann eröffnet, wenn die unwahre Tatsachenbehauptung (untrennbar) mit einem Werturteil verbunden wird.54 bb) Maßstab der Güterabwägung Da die Öffentlichkeit kein Interesse an der Verbreitung von unrichtigen Informationen hat, kann das öffentliche (demokratisch bedeutsame) Interesse an Informationen nicht mit in die Güterabwägung aufgenommen werden. Auch ein Interesse anderer Personen, etwa des Arbeitgebers, an der Information kann nicht bestehen, da der gemeldete Missstand nicht existiert. Damit stellt sich die Frage, welche Rechtsgüter / Interessen miteinander abzuwägen sind. Wie oben bereits festgestellt, umfasst der Schutzbereich der Meinungsfreiheit auch das Recht zu irrtumsbedingten Äußerungen. Trüge man diesem Aspekt auf Abwägungsebene nicht hinreichend Rechnung, würde der verfassungsrechtliche Schutz des Grundrechtsträgers unterminiert, was der Bedeutung der Meinungsfrei­ heit wiederum nicht gerecht werden würde. Auf Seiten des Arbeitgebers oder anderer Personen, die aus Sicht des Whistle­blowers durch den vermeintlichen Missstand gefährdet sind, besteht ein (auch allgemeines) Interesse an Zivilcourage und daran, dass Whistle­blower den Mut aufbringen, auf Missstände hinzuweisen. Dieses Interesse besteht grundsätzlich auch bei Hinweisen auf nicht existierende Missstände, wenn Whistle­blower berechtigterweise von deren Existenz ausgehen durften: Erfährt ein Whistle­blower für seinen Hinweis eine Benachteiligung, könnte dies seine Bereitschaft (und die von anderen Arbeitnehmern), sich auch in Zukunft (bei unklarer Sachlage) für einen Hinweis zu entscheiden, stark beeinträchtigen. Daher ist es angemessen, für die Güterabwägung zu unterstellen, dass der Missstand tatsächlich existiert hat, und die in diesem Fall dann einschlägigen Rechtsgüter / Interessen in die Abwägung aufzunehmen. Diese Fiktion wird der Bedeutung 53 54

BVerfGE 99, 185 (197). Vgl. hierzu bereits 2.  Teil, A. I. 1. a).

A. Internes Whistle­blowing im privaten Sektor

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der Meinungsfreiheit am ehesten gerecht. Das Recht auf Irrtum im Schutzbereich wirkt auf der Ebene der Rechtfertigung fort. Dies gilt allerdings nur dann, wenn der Whistle­blower berechtigterweise von der Existenz des Missstandes ausgehen durfte. cc) Anforderungen an einen „berechtigten“ Hinweis Das Recht zur internen Anzeige wird durch ihre Berechtigung beschränkt. Unberechtigte Anzeigen sind unzulässig. Dabei darf der Begriff der Berechtigung aber nicht dahingehend verstanden werden, dass der Missstand tatsächlich existiert haben muss. Internes Whistle­blowing kann auch dann berechtigt sein, wenn der Arbeitnehmer nach den konkreten Umständen (aus einer ex-ante-Perspektive) den Eindruck haben durfte, dass ein Missstand vorliegt.55 Entscheidend kommt es dabei auf die Sicht des Whistle­blowers selbst an, wobei keine allzu hohen Anforderungen an den Sorgfaltsmaßstab zu stellen sind.56 Das Risiko, das für den Arbeitgeber mit externem Whistle­blowing einhergeht (v. a. mögliche Rufschäden),57 besteht bei internem Whistle­blowing nicht bzw. ist äußerst gering, sodass der Sorgfaltsmaßstab bei internem Whistle­blowing niedriger anzusetzen ist. Interne Missverständnisse lassen sich grundsätzlich schnell aufklären. Hierbei muss allerdings auch die Pflicht des Arbeitnehmers, den Betriebsfrieden zu wahren, berücksichtigt werden. Grob fahrlässige (oder gar vorsätzliche) falsche Beschuldigungen von Kollegen können das interne Klima schnell gefährden. Daher ist es angemessen, bei den Anforderungen an die für einen „berechtigten“ Hinweis notwendigen Anhaltspunkte grundsätzlich danach zu differenzieren, ob ein Mitarbeiter im Unternehmen für den Missstand verantwortlich scheint: Wenn ein Mitarbeiter für einen Missstand verantwortlich scheint, muss der Arbeitnehmer konkrete Anhaltspunkte dafür haben, dass der Missstand tatsächlich existiert. Allgemeine Gerüchte oder Gefühlslagen darf der Arbeitnehmer nicht allein seinem Hinweis zugrunde legen, sondern muss hierauf basierend notfalls weitere Erkundigungen (z. B. durch Nachfragen) einholen.58 Gleichwohl sind die Anforderungen nicht zu überspannen. Je höherrangiger die vermeintlich bedrohten Rechtsgüter sind bzw. je gravierender die vermeintliche Gefahr ist, desto geringere Anforderungen sind an das Maß an Kenntnissicherheit zu stellen. Wurde der

55 Eine gewisse Parallele zum Polizeirecht ist hierbei unverkennbar: Auch dort wird (von der h. M.) eine Anscheinsgefahr – nicht hingegen eine Scheingefahr – als „Gefahr“ i. S. d. polizei­ rechtlichen Normen angesehen, u. a. deshalb, weil andernfalls eine erhebliche Einschränkung der Wirksamkeit der Gefahrenabwehr droht, s. nur Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 80 ff. 56 Näher Momsen / Grützner / Oonk, ZIS 2011, 754 (758 ff.). 57 Vgl. hierzu 4.  Teil, B. IV. 1. a) bb) (3). 58 Vgl. auch Momsen / Grützner / Oonk, ZIS 2011, 754 (760).

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3. Teil: Die Zulässigkeit von internem Whistle­blowing

Whistle­blower von einer anderen Person über den Missstand informiert, ist deren Glaubwürdigkeit ebenfalls zu berücksichtigen. Ist hingegen kein Mitarbeiter (scheinbar) für den Missstand verantwortlich, besteht auch keine Gefahr, dass der Betriebsfrieden gefährdet wird. In diesem Fall ist selbst eine grob fahrlässige Verkennung der tatsächlichen Umstände nicht als Pflichtverletzung zu werten.

II. Pflicht zum internen Whistle­blowing 1. Grundlagen Nach § 241 Abs. 2 BGB kann das Schuldverhältnis nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten. Der Wortlaut der Norm indiziert bereits, dass für einen Vertragspartner eine Pflicht zum aktiven Handeln bestehen kann. Die im Einzelnen unterschiedlichen Nebenpflichten des Arbeitnehmers beinhalten jedenfalls die Pflicht, den Arbeitgeber, d. h. den Vertragspartner auch ohne Aufforderung über Umstände zu informieren, die für diesen entscheidungserheblich, aber verborgen geblieben sind.59 Dass der Gesetzgeber in bestimmten Normen (z. B. § 5 EFZG, § 58b Abs. 1 Nr. 2 BImSchG oder § 22 Abs. 2 SGB VII) eine Meldepflicht ausdrücklich statuiert hat, spricht (im Umkehrschluss) nicht gegen eine Meldepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB. Vor Kodifizierung des § 241 Abs. 2  BGB wurde bereits aus § 242  BGB der Grundsatz abgeleitet, dass der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber drohende Schäden anzeigen muss.60 Hinzu tritt die arbeitsrechtliche Obhutspflicht, wonach die Interessen des Arbeitgebers vom Arbeitnehmer gewahrt werden müssen.61 Der Arbeitnehmer muss „den Arbeitgeber über alle wesentlichen Vorkommnisse im Betrieb in Kenntnis setzen, vor allem um Schäden des Arbeitgebers zu verhindern“.62 Einen – im Folgenden außer Acht gelassenen – Sonderfall bilden allgemeine Pflichten, deren Nichtbeachtung strafrechtlich sanktioniert werden. So kann sich u. U. aus § 323c StGB, aber auch aus einer Garantenstellung des Arbeitnehmers (§ 13 StGB) i. V. m. einem Straftatbestand eine Pflicht zum internen Whistle­blowing ergeben. Aus Art. 12 Abs. 1  GG kann eine Pflicht von Arbeitnehmern zum internen Whistle­blowing hingegen nicht hergeleitet werden. Auch wenn aus diesem Grundrecht das Recht des Arbeitgebers folgt, „vom Arbeitnehmer die Einhaltung eines 59

Allgemein Sutschet, in: Bamberger / Roth / Hau / Poseck, § 241 Rn.  77 (Stand 1.5.2019). BAGE 80, 144 (150). 61 Fritz / Bolden, CCZ 2010, 170 (172). 62 BAGE 107, 36 (42). 60

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gewisses [sic] Maßes von Rücksicht auf seine Interessen zu verlangen“,63 folgt hieraus nicht – im Umkehrschluss – eine verfassungsrechtliche Schutzpflicht des Arbeitnehmers zugunsten des Arbeitnehmers. Grundrechtliche Schutzpflichten verpflichten lediglich den Staat, nicht Private.64 Art. 12 Abs. 1  GG muss jedoch bei der Auslegung von § 241 Abs. 2 BGB beachtet werden.65 2. Begrenzung der Pflicht Aus verfassungsrechtlicher Sicht wird mit der Verpflichtung des Arbeitnehmers, einen Missstand zu melden, zumindest die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) eingeschränkt, da er zu einem Handeln verpflichtet wird; ferner kann die Meinungsfreiheit betroffen sein, wenn der Hinweis einen Meinungsbezug aufweist66. Ob auch der Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) betroffen ist, bedarf einer differenzierten Betrachtung. Jedenfalls die Daten, die den Grundrechtsträger selbst betreffen, sind vom Schutzbereich des Grundrechts umfasst. Dies wird auch in der Rechtsprechung des BVerfG deutlich, das von den „persönlichen Daten“ des Grundrechtsträgers67 bzw. auch von „auf sie bezogenen, individualisierten oder individualisierbaren Daten“ der Grundrechtsträger68 spricht. Viel spricht dafür, den Schutzbereich auf solche Daten des Grundrechtsträger zu erweitern, die andere Personen betreffen, da auch in einem solchen Fall der Sinn und Zweck des Grundrechts, die Schaffung von Persönlichkeitsprofilen zu verhindern, greift. Eine wesentliche Begrenzung der Pflicht zum internen Whistle­blowing liegt zunächst in der Relativität des Schuldverhältnisses: Der Arbeitnehmer ist seinem Arbeitgeber gegenüber zur Abwendung der Schädigung verpflichtet. Folglich muss die Schädigung den Arbeitgeber selbst betreffen; dabei können durchaus Gefahren für andere Personen relevant sein, wenn etwa eine Haftung des Arbeitgebers gegenüber diesen Personen denkbar ist.69 Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Schädigung eines Kollegen aufgrund mangelnden Einschreitens zu einer Beeinträchtigung des Betriebsfriedens führen kann. Noch nicht abschließend geklärt ist allerdings, wann genau eine Anzeigepflicht (nicht) besteht. Die bereits oben genannten einschränkenden Grundsätze zum Recht zum internen Whistle­blowing können jedenfalls sinngemäß übertragen werden. Im 63

BAGE 107, 36 (43). Vgl. nur BVerfGE 125, 39 (78); Jarass, in: ders. / Pieroth, Vorb. vor Art. 1 Rn. 8. 65 Vgl. BVerfGE 7, 198 (205) zur Meinungsfreiheit. 66 Hierzu auch 2.  Teil, A. I. 1. a). 67 BVerfGE 65, 1 (43). 68 BVerfGE 76, 363 (388); Hillgruber, in: Umbach / Clemens, Art. 2 Abs. 1 Rn. 52. 69 S. Ebert, ReWir 7/2011, 1 (8). 64

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3. Teil: Die Zulässigkeit von internem Whistle­blowing

Folgenden werden zunächst allgemeine Grundsätze erarbeitet und anschließend zwischen einem eigenen Fehlverhalten des Arbeitnehmers und einem Fehlverhalten anderer Personen differenziert. Soweit der Verursacher des Missstandes nicht bekannt ist, kommen die allgemeinen Grundsätze zum Tragen. a) Allgemeine Grundsätze zur Begrenzung aa) Kenntnis des Arbeitgebers Unabhängig vom Verursacher trifft den Arbeitnehmer dann keine Pflicht zur Anzeige, wenn dem Arbeitgeber (bzw. seinem zuständigen Vertreter) der Missstand bereits bekannt ist.70 Der Sinn und Zweck der Anzeigepflicht, den Arbeitgeber vor ihm verborgen gebliebenen Schädigungen zu schützen, greift in einem solchen Fall nicht ein. Die Anzeigepflicht wäre dann vielmehr eine bloße Förmelei. Wenn der Arbeitgeber nicht bereits über den Missstand informiert ist, kann er (grundsätzlich) dann auf eine Mitteilung durch Mitarbeiter vertrauen, wenn ihm dieser Missstand nicht grob fahrlässig unbekannt geblieben ist.71 Es wäre unverhältnismäßig, dem Arbeitnehmer die grobe Fahrlässigkeit des Arbeitgebers anzulasten. Schließlich ist es denkbar, dass der Arbeitnehmer über die Kenntnis des Arbeitgebers irrt. In einer solchen Konstellation darf eine Anzeige unterbleiben, wenn der Arbeitnehmer berechtigterweise davon ausging, dass dem Arbeitgeber der Missstand mit hoher Wahrscheinlichkeit bekannt sein musste.72 Um dem berechtigten Schadensabwendungsinteresse des Arbeitgebers gerecht zu werden, müssen hierfür allerdings aus objektiver Sicht konkrete Anhaltspunkte vorliegen, aus denen der Arbeitnehmer seinen Schluss ziehen durfte. bb) Keine Beschränkung auf den eigenen Aufgabenbereich Der Arbeitnehmer ist zumindest verpflichtet, solche Missstände, die in seinem eigenen Arbeitsbereich auftreten, intern zu melden, wenn hieraus ein (drohender) Schaden für den Arbeitgeber resultiert und es dem Arbeitnehmer nicht möglich ist, die Missstände selbst abzustellen.73 Welche Bereiche zum eigenen Arbeitsbereich zählen, hängt vom Einzelfall ab.74 Allerdings kann der eigene Arbeitsbereich keine Grenze für die Pflicht zum internen Whistle­blowing darstellen. Die aus 70

Reichold, in: Kiel / Lunk / Oetker, § 55 Rn 8. Preis / Reinfeld, AuR 1989, 361 (370). 72 Vgl. Reichold, in: Kiel / Lunk / Oetker, § 55 Rn 8. 73 Gach / Rützel, BB 1997, 1959 (1961). 74 S. näher Gach / Rützel, BB 1997, 1959 (1961) zu Vorgesetzten und leitenden Angestellten. 71

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§ 241 Abs. 2 BGB folgende Rücksichtnahmepflicht ist nicht auf Schäden aus dem eigenen Arbeitsbereich beschränkt, sondern umfasst insgesamt Schäden, die den Arbeitgeber treffen können.75 Allerdings sind die Anforderungen an die Annahme einer Pflicht höher, wenn es sich um Missstände außerhalb des eigenen Aufgabenbereiches handelt. Hierauf wird noch bei der Meldung des Fehlverhaltens von Kollegen näher eingegangen.76 b) Differenzierung zwischen Verursachern aa) Eigenes Fehlverhalten des Arbeitnehmers (1) Grundsatz Hat der Arbeitnehmer den Missstand selbst verursacht, ist bei der Untersuchung einer möglichen Pflicht zur Selbstbezichtigung in besonderem Maße sein allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen. Dieses kann in doppelter Ausprägung einschlägig sein: einerseits als Recht auf informationelle Selbstbestimmung, da der Arbeitnehmer dazu gezwungen wird, ihn betreffende Daten weiterzugeben, sowie andererseits sein Recht auf persönliche Ehre, da er (allerdings abhängig von der Fallkonstellation) durch Bekanntgabe des Missstandes mit einer Minderung seines sozialen Ansehens rechnen muss. Zudem besteht das Risiko, dass er seinen Arbeitsplatz aufgrund seines vertragswidrigen Handelns verliert, sodass wiederum an einen ausstrahlenden Schutz durch Art. 12 Abs. 1  GG zu denken ist: Der Schutzbereich der Berufsfreiheit umfasst auch das Interesse des Arbeitnehmers, seinen Arbeitsplatz zu behalten, wobei der Begriff „Arbeitsplatz“ „i. S. einer konkreten Betätigungsmöglichkeit oder eines bestimmten Arbeitsverhältnisses“ zu verstehen ist77. Daher würde es die Grenze der Rücksichtnahmepflicht überschreiten, wenn ein Arbeitnehmer verpflichtet wäre, sich selbst zu bezichtigen.78 Es ist aber zweifelhaft, dass dieser Grundsatz für alle Konstellationen gilt.79 Droht bspw. eine schwerwiegende Ausbreitung eines Schadens, der die Existenz des Unternehmens (und damit alle Arbeitsplätze) bedroht, und kann diese Ausbreitung nur durch eine Mitteilung an die zuständige interne Stelle verhindert werden, ist eine sofortige Anzeigepflicht trotz der möglichen Folgen für den Arbeitnehmer durchaus zumutbar, damit der Arbeitgeber bzw. Vorgesetzte schützend eingreifen kann. Ferner sei an schwerwiegende Gefahren für die körperliche Unversehrtheit oder gar das Leben 75

Fritz / Nolden, CCZ 2010, 170 (172); Klasen / Schaefer, BB 2012, 641 (645). Hierzu 3.  Teil, A. II. 2. b) bb). 77 BAG, NZA 1992, 883 (884). 78 Ablehnend auch BGH, NJW-RR 1989, 614 (615). 79 Bejahend Gach / Rützel, BB 1997, 1959 (1961); Poeche, in: Küttner / Röller, Anzeigepflichten Arbeitnehmer, Rn. 2 (Stand 1.1.2019). 76

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3. Teil: Die Zulässigkeit von internem Whistle­blowing

von Personen gedacht, die mit der entstandenen Gefahrenquelle unbewusst in Berührung kommen; insofern ist die ausstrahlende Wirkung von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zu berücksichtigen. Daher ist bei einer drohenden schwerwiegenden Gefahr oder einem entsprechenden Risiko für den eigenen Arbeitgeber eine Meldepflicht anzunehmen.80 Dies ist auf schwere Gefahren für andere Personen zu erstrecken. Eine Ausnahme ist für die Konstellation denkbar, dass der Arbeitnehmer den verursachten Missstand sofort behebt und jedwede Gefährdung hierdurch vermeidet; dies gilt allerdings nur, wenn er hierzu die notwendigen fachmännischen Kenntnisse besitzt. Ob in dieser Konstellation begrifflich von „Whistle­blowing gegen sich selbst“ gesprochen werden kann, hängt entscheidend von der Motivation des Arbeit­ nehmers ab. Bei einer primär selbstlosen bzw. gemeinnützigen Motivation ist dies zu bejahen. (2) Ausschluss bei strafrechtlichen Selbstbezichtigungen? Soweit der Arbeitnehmer selbst den internen Missstand zu verantworten und hierdurch gleichzeitig eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat, ist insbesondere die Ausstrahlung des Grundsatzes „nemo tenetur se ipsum accusare“ zu beachten. International ist dieser in Art. 14 Abs. 3 lit. g IPBPR statuiert, wonach ein Zwang zur Selbstbezichtigung im Strafverfahren oder zum Schuldbekenntnis unzulässig ist. Verfassungsrechtlich ist der Grundsatz im allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art.  2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1  GG) verankert.81 Eine Pflicht zur Meldung eigenen Fehlverhaltens kann daher nicht unabhängig davon erörtert werden, ob diese Pflicht nicht eine Grenze bei einem strafbaren (oder ähnlichem) Verhalten des Arbeitnehmers findet. Zwar ist der Arbeitnehmer insofern nicht verpflichtet, sich gegenüber staatlichen Behörden in einem Sanktionsverfahren selbst zu bezichtigen, sondern gegenüber einem Privaten. Gleichwohl betrifft es das allgemeine Persönlichkeitsrecht, wenn sich der Grundrechtsträger selbst zu einer Straftat gegenüber Privaten bekennen muss. (a) Möglichkeit einer Abwägung mit dem Informationsinteresse des Arbeitgebers Zwar können auch Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht gerechtfertigt werden (Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG), doch gebietet die besondere Nähe zur Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) eine Differenzierung zwischen strafrechtlichen (bzw. vergleichbaren) Zwangslagen und außerstrafrechtlichen Zwangslagen: Bei strafrechtlichen und ordnungswidrigkeitsrechtlichen Zwangslagen ist 80

So auch Grau, KSzW 2012, 66 (69). BGHSt 42, 139 (152); BGH, NStZ 2000, 488; nicht unumstritten, s. zum Meinungsstand Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, S. 202 ff. 81

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eine Pflicht zur Selbstbezichtigung stets unzulässig, bei sonstigen Zwangslagen kann eine Pflicht zur Selbstbezichtigung gerechtfertigt werden.82 Da eine Pflicht zur Selbstbezichtigung gegenüber dem Arbeitgeber nicht im strafrechtlichen (oder ähnlichen), sondern arbeitsrechtlichen (bzw. zivilrechtlichen) Bereich wurzelt, schließt die Menschenwürde eine Pflicht zur Selbstbezichtigung nicht per se aus. Der Arbeitnehmer wird durch eine Anzeigepflicht nicht gezwungen, sich gegenüber einer staatlichen Behörde selbst zu bezichtigen, sondern gegenüber seinem Arbeitgeber, dem er rechtsgeschäftlich verpflichtet ist.83 Insofern hat sich der Arbeitnehmer privatautonom für den Abschluss eines Arbeitsvertrages entschieden und sich hiermit auch verpflichtet, auf die Interessen seines Vertragspartners, seines Arbeitgebers, Rücksicht zu nehmen (§ 241 Abs. 2 BGB). Der Arbeitgeber hat ein Interesse daran, über interne Schwierigkeiten informiert zu werden, um hieraus entsprechende Konsequenzen ziehen zu können (z. B. zukünftige Schulungen für Mitarbeiter dieses Arbeitsbereiches). Dem Arbeitgeber ist die Weitergabe der vom Arbeitnehmer erhaltenen Informationen, mit denen sich dieser selbst strafrechtlich belastet hat, an die Strafverfolgungsbehörden allerdings untersagt.84 In einer solchen Konstellation ist eine Abwägung des Nemo-tenetur-Grundsatzes mit dem Informationsbedürfnis anderer Personen möglich.85 Der Grundsatz wird auch nicht durch die Zeugenpflicht des Arbeitgebers (s. § 48 Abs. 1 StPO) unterlaufen, da die Aussage des Whistle­blowers im Rahmen einer Strafverfolgung einem Verwertungsverbot unterliegt: „Das verfassungsrechtlich gebotene Schweigerecht im Strafverfahren wäre illusorisch, wenn eine außerhalb des Strafverfahrens erzwungene Selbstbezichtigung gegen seinen Willen strafrechtlich gegen ihn verwendet werden dürfte. Eine zwangsweise herbeigeführte Selbstbezichtigung ist daher verfassungsrechtlich nur dann zulässig, wenn sie mit einem strafrechtlichen Verwertungsverbot einhergeht […].“86

Gleichwohl besteht die Gefahr, dass die staatlichen Behörden aufgrund von – durch die Aussage des Insiders ausgelösten – Ermittlungen weitere Beweise erlangen, die sie andernfalls nicht erlangt hätten – auf diese neuen Beweise könnten weitere Ermittlungen zu Lasten des Insiders folgen.87 Hieraus ein (nachwirkendes) Beweisverwendungsverbot zu folgern,88 ist allerdings  – auch verfassungsrecht 82 Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, S. 269; s. auch BVerfGE 56, 37 (49). Dies bezieht sich auf Arbeitnehmer; zu (beamtenrechtlichen) Disziplinarverfahren noch 3.  Teil, B. I. 2. b) bb) (1). 83 Vgl. auch Klasen / Schaefer, BB 2012, 641 (646). 84 LAG Hamm, CCZ 2010, 237 (238). 85 S. BVerfGE 56, 37 (45 ff.); für ein umfassendes Aussage- und Auskunftsverweigerungsrecht hingegen Wastl / Litzka / Pusch, NStZ 2009, 68 (73). 86 BVerfG, BeckRS 2008, 35240; zum „Gemeinschuldner“ BVerfGE 56, 37 (50 f.); s. auch § 97 Abs. 1 S. 3 InsO, hierzu etwa Hefendehl, wistra 2003, 1 ff. 87 Vgl. Rotsch, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 4.  Kapitel Rn.  61. 88 Rotsch, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 1.  Teil, 4.  Kapitel Rn.  61; Theile, StV 2011, 381 (386).

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3. Teil: Die Zulässigkeit von internem Whistle­blowing

lich  – nicht notwendig und birgt den Nachteil, dass rechtsstaatlich notwendige Straftatsaufklärungen beeinträchtigt würden. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist es hinreichend, dass der Täter selbst durch den Nemo-tenetur-Grundsatz effektiv geschützt wird – dies muss nicht dazu führen, dass anschließende strafrechtliche (oder vergleichbare) Ermittlungen vollständig untersagt werden. Ein kausalbasiertes Beweisverwertungsverbot in dem Sinne, dass alle Informationen, die – mittelbar oder unmittelbar – aufgrund des Hinweises des Insiders ermittelt wurden, nicht mehr gegen ihn strafrechtlich (oder in einem vergleichbaren Verfahren) verwertet werden dürften, ist dabei abzulehnen. Proble­ matisch wäre insofern, dass der Täter dann die Tat vorsätzlich begehen und den Missstand in dem Wissen absichtlich herbeiführen könnte, dass er später (nach der Meldung an den Arbeitgeber) vor strafrechtlichen (oder vergleichbaren) Sanktionen umfassend geschützt ist; in diesem Fall eine Einschränkung wegen Rechtsmissbrauchs vorzunehmen, ließe sich in der Praxis nicht nachweisen. Die Beweismittel, die die Strafverfolgungsbehörden selbständig ermitteln konnten, sind anschließend auch verwertbar.89 (b) Die allgemeine Schadensabwendungspflicht des § 241 Abs. 2 BGB als hinreichende gesetzliche Grundlage? Auch wenn eine Einschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bei nicht strafrechtlichen sowie ähnlichen Selbstbelastungen damit grundsätzlich möglich ist, stellt sich die Frage, ob § 241 Abs. 2 BGB, auf den die Schadensabwendungspflicht maßgeblich gestützt wird, unter Beachtung der in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Wesentlichkeitslehre als normative Grundlage ausreicht.90 Ein Vergleich mit anderen Normen – etwa § 97 Abs. 1 InsO – zeigt, dass eine Informationspflicht, die auch strafbares Handeln umfassen kann, generell konkreter formuliert ist. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist dies jedoch nicht zwingend notwendig: Es muss bedacht werden, dass hier nicht die klassische Konstellation Staat-Bürger, sondern ein Bürger-Bürger-Verhältnis vorliegt, bei dem keine derart strengen Anforderungen zu stellen sind.91 (c) Begrenzung der Pflicht auf schwere Gefahren bzw. Risiken für den Arbeitgeber Voraussetzung ist allerdings weiterhin, dass der Arbeitgeber ein legitimes Interesse an der Offenbarung der Straftat des Insiders hat, das im Einzelfall dessen 89

Bittmann / Molkenbur, wistra 2009, 373 (378). Vgl. zur Wesentlichkeitslehre nur Jarass, in: ders. / Pieroth, Art. 20 Rn. 71 ff. 91 Vgl. auch BAG, Urt. v. 19.4.1967, 3 AZR 347/66, Leitsatz (juris); LAG Hamm, Urt. v. 3.3.2009, 14 Sa 1689/08, Rn. 32 (juris); Möslein, Dispositives Recht, S. 424 ff. 90

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allgemeines Persönlichkeitsrecht überwiegt. Bei der Abwägung zwischen beiden Belangen ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer den Missstand selbst hervorgerufen hat – hiermit hat er das Informationsbedürfnis des Arbeitgebers geschaffen.92 Vor diesem Hintergrund gilt der oben genannte Grundsatz auch hier: Zwar ist es möglich, dass der Arbeitnehmer gezwungen wird, sein eigenes straf­bares Handeln dem Arbeitgeber zu offenbaren. Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit muss aber eine schwerwiegende Gefahr oder ein entsprechendes Risiko für den Arbeitgeber oder andere Personen drohen. bb) Fehlverhalten von Kollegen Ob eine Pflicht zur Meldung immer dann besteht, wenn Arbeitskollegen des Arbeitnehmers schädigende Handlungen gegen den Arbeitgeber vornehmen, hat das BAG offengelassen.93 Eine Pflicht zur Anzeige ist insofern besonders heikel, da der Arbeitnehmer im Kollegenkreis nicht als Denunziant oder Besserwisser gelten möchte.94 Er wird u. U. gezwungen, Kollegen (und Freunde)  zu „verraten“ und sich möglicherweise im Betrieb unbeliebt zu machen. Da der Beruf nicht nur die eigene wirtschaftliche Existenz betrifft, sondern auch maßgeblich für die eigene Persönlichkeit ist,95 hat eine Anzeigepflicht damit besonders gravierendes Gewicht, wenn der Arbeitnehmer gezwungen wird, zukünftig als unbeliebtes Mitglied des Betriebes zu agieren. Der Arbeitgeber kann an einem Zustand belasteter interner Kollegialität auch kein Interesse haben. Soweit der Arbeitnehmer an einem Fehlverhalten eines Kollegen beteiligt ist, müssen bereits die obigen Einschränkungen beachtet werden, wenn durch eine Meldung sein eigenes Fehlverhalten offenbart werden würde; andernfalls würden die oben genannten Grundsätze nicht konsequent fortgesetzt. Die Annahme, dass Unzumutbarkeit dann anzunehmen ist, wenn aus einer Anzeige eine unhaltbare Stellung eines Arbeitnehmers im Betrieb resultiert,96 sieht sich der Schwierigkeit ausgesetzt, dass dies grundsätzlich immer der Fall sein kann. Das Interesse des Arbeitnehmers, nicht als Denunziant im Betrieb gelten zu müssen, sowie die generelle Wahrung der internen Kollegialität sind mit dem Interesse des Arbeitgebers, Schädigungen abzuwenden, in Einklang zu bringen. Da die Interessen des Arbeitnehmers in dieser Fallkonstellation besonders schwer wiegen, ist folgender Regel-Ausnahme-Grundsatz aufzustellen: Grundsätzlich trifft den Arbeitnehmer keine Pflicht zur internen Anzeige, es sei denn, das Interesse 92

S. Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, S. 271 f. BAGE 22, 375 (377); zur Rechtsprechungsentwicklung Schulz, BB 2011, 629 (631 ff.); zu einer über die Schadensabwendungspflicht hinausgehenden Ethikrichtlinie LAG Düsseldorf, NZA-RR 2006, 81 (84 f.). 94 Motzer, Die „positive Vertragsverletzung“ des Arbeitnehmers, S. 93. 95 S. auch BVerfGE 30, 292 (334) zu Art. 12 Abs. 1 GG. 96 Gach / Rützel, BB 1997, 1595 (1961). 93

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3. Teil: Die Zulässigkeit von internem Whistle­blowing

des Arbeitgebers hieran überwiegt. Ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers kann dabei nur in Ausnahmesituationen angenommen werden. Eine Pflicht zur Meldung von Arbeitskollegen, die schädigende Handlungen gegen den Arbeitgeber vornehmen, besteht lediglich unter engen Voraussetzungen, die vom BAG noch nicht abschließend geklärt wurden: „Jedenfalls besteht eine solche Verpflichtung, wenn sich die schädigende Haltung in dem Aufgabenbereich abspielt, mit dem der betreffende Arbeitnehmer betraut ist, und wenn eine Wiederholungsgefahr besteht, d. h. es nicht von der Hand zu weisen ist, daß durch ein Unterlassen der Meldung des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber der dem Arbeitgeber entstehende Schaden nicht behoben oder sogar vergrößert wird. Es handelt sich um eine aktualisierte Überwachungs- und Kontrollpflicht, die sich aus der Stellung des Arbeitnehmers ergibt. Da sich die schädigende Handlung im Aufgabenbereich des Arbeitnehmers abspielt, gebieten es dessen aufgrund des Arbeitsvertrages gegebene Sachnähe und das Interesse des Arbeitgebers, eine Mitteilung zu machen, wenn hierdurch der in Rede stehenden Wiederholungsgefahr irgendwie begegnet werden kann […].“97

Dabei versteht das BAG die beiden Aspekte „eigener Aufgabenbereich“ und „Wiederholungsgefahr“ kumulativ. Unter Bezugnahme auf die Nichtbehebung bzw. Vergrößerung des Schadens wird gleichzeitig deutlich, dass – auf entsprechende Fachkenntnisse gestützte – Selbsthilfemaßnahmen als mildere Mittel in Betracht kommen und deren Ergreifen einer Meldepflicht entgegensteht. Da Arbeitnehmer primär für ihren eigenen Arbeitsbereich zuständig sind, dürfen sie üblicherweise darauf vertrauen, dass in anderen Abteilungen Schäden gemeldet bzw. behoben werden. Auch das (kumulative) Kriterium der Wiederholungsgefahr ist durchaus angemessen, um die Pflicht zum internen Whistle­blowing sachgerecht zu beschränken. Hiermit wird sichergestellt, dass einmalige leichte Versehen von Mitarbeitern, die vom Arbeitnehmer selbst behoben werden können, nicht direkt zur Anzeige gebracht werden müssen. Das Kriterium besteht unabhängig von einer schweren Gefahr für den Arbeitgeber, sodass auch mittelschwere Verstöße bei einer drohenden Wiederholungsgefahr gemeldet werden müssen. Missstände im Bagatellbereich sind hiervon allerdings auszuschließen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwiefern eine Meldepflicht besteht, wenn der Missstand außerhalb des eigenen Aufgabenbereiches existiert. Hier sind noch strengere Anforderungen zu stellen, da bereits keine Sachnähe vorliegt. Im Falle eines Personenschadens bzw. schweren Sachschadens ist eine Meldepflicht aber zu bejahen.98 Die Wahrung interner Kollegialität hat einer Gefahr für 97 BAGE 22, 375 (377); zur aktualisierten Überwachungs- und Kontrollpflicht BAGE 6, 82 (83 f.). 98 Preis, in: Müller-Glöge / Preis / Schmidt, § 611a Rn. 742, der die Verpflichtung insgesamt hierauf beschränkt; ähnlich § 79 Abs. 2 S. 2 des Entwurfs eines Arbeitsgesetzbuches der Arbeitsgesetzbuchkommission, herausgegeben vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Referat Presse- und Öffentlichkeitsarbeit (1977): „[…], wenn Personenschaden oder sonstiger erkennbar erheblicher Schaden droht.“ Anders LAG Mecklenburg-Vorpommern, NZA-RR

A. Internes Whistle­blowing im privaten Sektor

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die körperliche Unversehrtheit des Arbeitgebers oder anderer Personen zu weichen. Drohende Personenschäden können zudem ungeahnte Ausmaße annehmen, deren Folgen vorab nicht eingeschätzt werden können. Für die Annahme eines schweren Sachschadens ist es nicht erforderlich, dass die Existenz des Betriebes gefährdet ist. Es genügt bereits, wenn es zu einem Ausfall der Produktion (bzw. Leistung) mit nicht geringen Schäden für den Betrieb kommt. Sollte der drohende Schaden noch zu verhindern sein, ist eine Pflicht aber ausgeschlossen.99 Allerdings gilt dies auch hier nur dann, wenn der Arbeitnehmer über entsprechende Fachkenntnisse verfügt und damit ein entsprechendes Schadensrisiko ausgeschlossen ist. Hat ein Mitarbeiter den Missstand vorsätzlich hervorgerufen, besteht hingegen grundsätzlich eine Pflicht zum internen Whistle­blowing. Insofern hat der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse zu erfahren, wer ihm vorsätzlich Schaden zufügt. Auch in dieser Fallkonstellation sind Bagatelldelikte allerdings auszuschließen. Da die Motivation (bewusste und gewollte Schadenszufügung) nicht immer erkennbar ist, wäre es unangemessen, vom Arbeitnehmer eine Meldung bei Bagatellen zu verlangen, da er sich über die Motivation auch irren kann und sein Ruf bei Kollegen möglicherweise irreparabel beschädigt wird. Insgesamt ist es empfehlenswert, sich vorher über die näheren Umstände zu erkundigen und zu klären, ob tatsächlich ein Fall vorsätzlicher Schädigung vorliegt. cc) Fehlverhalten des Arbeitgebers bzw. Vorgesetzten Soweit der Arbeitgeber selbst den Missstand verursacht hat und dies auch weiß, kommt der bereits oben genannte Grundsatz zur Kenntnis zum Tragen.100 Eine Anzeigepflicht des Arbeitnehmers besteht dann nicht. Wurde der Missstand hingegen von einem direkten Vorgesetzten hervorgerufen, kommen die Grundsätze entsprechend zum Tragen, die für das Fehlverhalten von Kollegen aufgestellt wurden.101 dd) Fehlverhalten von Untergebenen Befindet sich ein Arbeitnehmer in einer leitenden Position und wird auf einen den Arbeitgeber schädigenden Missstand aufmerksam, den untergebene Mitarbeiter 2016, 638 (Ls.): „Arbeitnehmer, die Fehlverhalten ihrer Kollegen beobachten, sind im Regelfall nicht verpflichtet, dem Arbeitgeber von diesem Fehlverhalten zu berichten. Eine Verpflichtung, dem Arbeitgeber eine schädigende Handlung eines anderen Arbeitnehmers anzuzeigen, besteht nur dann, wenn dem Arbeitnehmer entweder allgemein die Überwachung des anderen Dienstverpflichteten übertragen war oder wenn ihn wenigstens eine sogenannte aktualisierte Überwachungs- und Kontrollpflicht trifft […].“ 99 Gach / Rützel, BB 1997, 1959 (1961). 100 Hierzu 3.  Teil, A. II. 2. a) aa). 101 Hierzu 3.  Teil, A. II. 2. b) bb).

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3. Teil: Die Zulässigkeit von internem Whistle­blowing

verursacht haben, kann er verpflichtet sein, seinen Vorgesetzten hierüber zu informieren. Allerdings ist eine unbegrenzte Verpflichtung abzulehnen, da andernfalls das Vertrauensverhältnis zwischen beiden ernsthaften Schaden zu nehmen droht. Gleichwohl sind keine strengen Voraussetzungen für die Meldepflicht zu fordern. Hier bietet sich eine Differenzierung zwischen vorsätzlichem und fahrlässigem Fehlverhalten an: Bei vorsätzlichem Fehlverhalten besteht eine Meldepflicht, bei fahrlässigem nur dann, wenn das Fehlverhalten eine gewisse Schwere erreicht, an die allerdings keine zu hohen Anforderungen zu stellen sind. c) Ergebnis: Keine unbeschränkte Pflicht Auch wenn die Schadensabwendungspflicht des Arbeitnehmers für den Arbeitgeber von Bedeutung sein mag, kann es eine uneingeschränkte Pflicht zur Meldung von Missständen nicht geben102. Eine solche generelle Pflicht wäre unzumutbar und könnte auch nicht per Weisung, interner Verhaltensklausel etc. auferlegt werden.103 Dies wird u. a. dadurch bedingt, dass v. a. die (negative Dimension der) Meinungsfreiheit, die Berufsfreiheit und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Arbeitnehmers betroffen sind, die eine unverhältnismäßige Einschränkung verbieten.104 Soweit eine umfassende Meldepflicht bereits im Arbeitsvertrag kodifiziert wird, ergeben sich deshalb gesonderte Probleme, weil sich der Arbeitnehmer freiwillig und mit dem Wissen um eine umfassende Hinweispflicht dem Arbeitsvertrag unterworfen hat. Dennoch dürften die genannten Grundsätze über § 307 Abs. 1 BGB105 bzw. § 134 (Verstoß gegen ein Verbotsgesetz106) oder § 138 BGB (Verstoß gegen die guten Sitten) auch hier gelten107.

III. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass internes Whistle­blowing grundsätzlich zulässig ist. Bei seiner Mitteilung muss der Whistle­blower insbesondere sachlich bleiben, wobei hieran keine allzu strikten Anforderungen zu stellen sind. Ferner kann der Adressat der internen Beschwerde bedeutsam sein. Der Motivation kommt hingegen keine Bedeutung zu. Je nach Fallkonstellation ist es durch-

102

I. E. auch BGH, NJW-RR 1989, 614 (615). Fritz, in: Maschmann, S. 111 (116); Grau, KSzW 2012, 66 (69); s. auch Schuster / Darsow, NZA 2005, 273 (276) („dürften […] unzulässig sein“). 104 Grau, KSzW 2012, 66 (69 f.). 105 S. Grau, KSzW 2012, 66 (69). 106 Auch grundrechtliche Wertungen müssen grundsätzlich über § 134 BGB beachtet werden, vgl. hierzu Armbrüster, in: Säcker / Rixecker / Oetker / Limperg, § 134 Rn.  33 f. 107 Vgl. zum Verhältnis der §§ 134 und 138 BGB zueinander Armbrüster, in: Säcker / Rixecker /  Oetker / Limperg, § 134 Rn.  4. 103

B. Internes Whistle­blowing im öffentlichen Dienst

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aus denkbar, dass auch andere Kriterien im Einzelfall eine Rolle spielen können. Maßgeblich ist jedenfalls eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalles. Ob eine Pflicht zum internen Whistle­blowing besteht, hängt hingegen v. a. vom Verursacher und der Schwere des Missstandes ab.

B. Internes Whistle­blowing im öffentlichen Dienst Ähnlich wie internes Whistle­blowing im privaten Sektor sind interne Hinweise auf Missstände im öffentlichen Dienst deutlich konfliktärmer als externes Whistle­ blowing. Einen Konflikt mit der Rücksichtnahmepflicht der Angehörigen des öffentlichen Dienstes gibt es beim internen Whistle­blowing regelmäßig nicht. Gleichwohl ist zu beachten, dass innerhalb des Dezernats auch eine falsch verstandene Gruppensolidarität herrschen kann, aufgrund derer der Whistle­blower befürchten muss, sich internen Vergeltungsmaßnahmen wie Mobbing oder Disziplinar­ maßnahmen, die auf vorgeschobenen Gründen beruhen, auszusetzen.108

I. Rechtslage für (Berufs-)Beamte Bei (Berufs-)Beamten kann rechtlich zwischen den Bundes- und Landesregelungen, also dem Bundesbeamtengesetz und dem Beamtenstatusgesetz i. V. m. den jeweiligen Beamtengesetzen der Länder, differenziert werden. Aufgrund ihrer Vergleichbarkeit wird im Folgenden lediglich auf die Bundesregelungen eingegangen; die hierzu gefundenen Ergebnisse können grundsätzlich auf das jeweilige Landesrecht übertragen werden. 1. Recht zum internen Whistle­blowing a) Anträge und Beschwerden Das Recht zum internen Whistle­blowing findet seine einfachrechtliche Kodifizierung in § 125 BBG. Nach § 125 Abs. 1 S. 1 BBG können Beamtinnen und Beamte Anträge und Beschwerden vorbringen, wobei nach S. 2 der Dienstweg einzuhalten ist. Nach S. 3 steht der Beschwerdeweg bis zur obersten Dienstbehörde offen. § 125 BBG setzt keine eigene Beschwer voraus, es können also auch die Interessen anderer Personen geltend gemacht werden – insofern geltend die Grundsätze zu Art. 17 GG.109

108 109

S. Király, DÖV 2010, 894 (895). Hierzu 2.  Teil, A. II. 2. a) aa).

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3. Teil: Die Zulässigkeit von internem Whistle­blowing

Einem ähnlichen Grundsatz folgt § 63 Abs. 2 S. 1 BBG (Remonstration): Hiernach müssen Beamte Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dienstlicher Anordnungen unverzüglich beim unmittelbaren Vorgesetzten geltend machen. Wird die Anordnung aufrechterhalten und bestehen die Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnung fort, so müssen sie sich nach § 63 Abs. 2 S. 2 BBG an den nächsthöheren Vorgesetzten wenden. Inwiefern eine Remonstration (internes) Whistle­blowing darstellt, hängt entscheidend von den Umständen des Einzelfalles ab, da Beamte auch aus eigennütziger Motivation heraus handeln werden (vgl. § 63 Abs. 1 BBG). Soweit die Verwaltung bzw. Ministerien Ombudsleute einsetzen, um bestimmte Meldungen entgegenzunehmen, können diese – je nach den Umständen des Einzelfalles – auch als interne Anlaufstelle angesehen werden.110 In § 67 Abs. 2 Nr. 4 BBG ist die Möglichkeit einer solchen außerdienstlichen Stelle auch explizit vorgesehen. b) Grenzen Ähnlich wie bei Arbeitnehmern im privaten Sektor ist auch das Recht von Beamten zum internen Whistle­blowing begrenzt. Maßgeblich sind primär die Regelungen des Bundesbeamtengesetzes, die insofern konkreter als die begrenzenden Normen des Privatrechts gefasst sind und der Grundrechtsausübung des Beamten Grenzen setzen: Einen ersten Anhaltspunkt bietet § 61 Abs. 1 S. 3 BBG, wonach das Verhalten der Beamten innerhalb und außerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden muss, die ihr Beruf erfordert. Hiernach ist ein Beamter verpflichtet, „seine Lebensführung nach den geltenden Moralvorstellungen auszurichten, also grundsätzlich die Gebote, die sich aus Sitte, Ehre und Anstand ergeben, jedenfalls soweit zu beachten, wie dies die dienstliche Stellung erfordert“.111 Auch wenn die Norm nicht sehr bestimmt sein mag,112 verstößt sie nicht gegen das im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) verankerte Bestimmtheitsgebot113, da § 61 Abs. 1 S. 3 BBG weit gefasst sein muss, damit auch im Einzelfall eine angemessene Entscheidung ermöglicht wird. Eine genaue Beschreibung dessen, was als „achtungs- und vertrauensgerechtes“ Verhalten in jedem Einzelfall anzusehen ist, ist nicht möglich.114 Ferner ergeben sich Konsequenzen aus der Pflicht, den Dienstweg einzuhalten (§ 125 Abs. 1 S. 2 BBG). Schließlich gilt die Verschwiegenheitspflicht nach § 67 Abs. 1 BBG auch im behördeninternen Bereich (arg. e § 67 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BBG), es sei denn, eine der in § 67 Abs. 2 BBG genannten Ausnahmen liegt vor. 110

Herold, ZBR 2013, 8 (10). BVerfG, NVwZ 2003, 1504 (1505). 112 Wichmann, in: ders. / Langer, Rn. 206. 113 Vgl. hierzu BVerfGE 49, 168 (181 f.); Jarass, in: ders. / Pieroth, Art. 20 Rn. 82 ff. 114 Vgl. auch BVerfG, NVwZ 1985, 410. 111

B. Internes Whistle­blowing im öffentlichen Dienst

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aa) Grundsätze (1) Beschränkung des Adressatenkreises (a) Einhaltung des Dienstweges Nach Art. 17 GG hat jedermann das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden. § 125 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 3 BBG knüpft hieran an und begrenzt die Zuständigkeit der internen Verwaltungsstellen: Hiernach muss zunächst der Dienstweg eingehalten bzw. erschöpft werden. Diese Einschränkung des (internen) Adressatenkreises ist verfassungsrechtlich aufgrund der in Art. 33 Abs. 5 GG wurzelnden Treue- und Verschwiegenheitspflicht gerechtfertigt.115 Die Einschränkung greift auch bei internem Whistle­blowing, da die Informierung über interne Missstände kein privates Anliegen darstellt, sondern eine dienstliche Angelegenheit116. Zur Erschöpfung des Dienstweges muss sich ein Whistle­blower also zunächst an den jeweils nächsthöheren Vorgesetzten (§ 3 Abs. 2  BBG) wenden, bis er die oberste Dienstbehörde (§ 3 Abs. 1 BBG) erreicht,117 wobei sich nach § 3 Abs. 4 BBG die Dienstvorgesetzten- und Vorgesetzteneigenschaft nach dem Aufbau der jeweiligen Verwaltung bestimmt. Diese Einschränkung ist auch praktisch sinnvoll: Wendet sich der Whistle­blower unmittelbar an die oberste Dienstbehörde, müsste diese sich in der Regel die notwendigen Informationen bei der jeweils nachgeordneten Dienststelle noch beschaffen.118 An andere Verwaltungsstellen gerichtete Bitten und Beschwerden sind Whistle­ blowern insofern also grundsätzlich untersagt. Insofern ist insbesondere auch die Pflicht zur Verschwiegenheit (§ 67 Abs. 1 BBG) zu beachten, die eine Informierung anderer Stellen grundsätzlich verbietet. Die in § 67 Abs. 2 BBG genannten Einschränkungen dieses Grundsatzes können dabei – je nach Fallkonstellation – Fälle des internen oder externen Whistle­blowings umfassen.119 Zu beachten ist ferner, dass die Pflicht zur Verschwiegenheit grundsätzlich auch illegale interne Missstände umfasst.120 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwiefern der Dienstweg auch dann eingehalten werden muss, wenn der direkte Vorgesetzte nicht über den Missstand informiert ist, ein höherrangiger Vorgesetzter in der Verwaltungshierarchie hingegen schon. In einem solchen Fall erscheint es zulässig, den Vorgesetzten des 115

Brenner, in: von Mangoldt / Klein / Starck, Art.  17 Rn.  66. Vgl. Hebeler, in: Battis, § 125 Rn. 3; Brenner, in: von Mangoldt / Klein / Starck, Art.  17 Rn. 66. 117 Burth, in: Brinktrine / Schollendorf, § 125 Rn. 6 (Stand 1.2.2019); vgl. zu Anti-Korruptionsbeauftragen Kiraly, FÖV 57 Discussion Papers 2010, S. 17 f. 118 Denck, DB 1980, 2132 (2133). 119 Vgl. zu den Ausnahmen auch 4.  Teil, B. II. 2. a) aa) (2). 120 Hierzu ausführlich 4.  Teil, B. II. 2. a) bb). 116

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3. Teil: Die Zulässigkeit von internem Whistle­blowing

jenigen, der über den Missstand bereits informiert ist, direkt zu informieren. Hierfür spricht sowohl eine teleologische Reduktion des § 125 Abs. 1 BBG als auch der Grundgedanke des § 125 Abs. 2 BBG. (b) Verhältnis des Dienstweges zur Personalvertretung (§ 68 Abs. 1 Nr. 3 BPersVG) Nach § 68 Abs. 1 Nr. 3 BPersVG hat die Personalvertretung die Aufgabe, Anregungen und Beschwerden von Beschäftigten entgegenzunehmen und, falls sie berechtigt erscheinen, durch Verhandlung mit dem Leiter der Dienststelle auf ihre Erledigung hinzuwirken. Nach § 4 Abs. 1 BPersVG sind zu den Beschäftigten auch Beamte zu rechnen. Bereits aus dem Wortlaut lässt sich (mittelbar) ableiten, dass Beamten das Recht zukommt, sich mit Anregungen und Beschwerden an die Personalvertretung zu wenden. Auch hier gilt, dass eine individuelle Beschwer nicht erforderlich ist, sondern auch generelle Missstände (innerhalb der Dienststelle) zulässige Beschwerdegegenstände darstellen.121 Das Verhältnis zwischen § 68 Abs. 1 Nr. 3 BPersVG und § 125 Abs. 1 S. 2 BBG wurde gesetzgeberisch nicht ausdrücklich geregelt. Überwiegend wird davon ausgegangen, dass eine vorherige vergebliche Beschwerde gegenüber der Dienststelle keine Voraussetzung ist, um sich an die Personalvertretung wenden zu dürfen.122 Hierfür lässt sich anführen, dass gesetzlich ein gesondert zuständiger Adressat für Anregungen und Beschwerden vorgesehen wurde, der die Möglichkeit, intern Beschwerde einzulegen, erweitern sollte. Die Personalvertretung könnte Anregungen und Beschwerden nicht effektiv – v. a. zeitnah – bearbeiten, wenn zunächst der vollständige Dienstweg erschöpft werden müsste. Anregungen würden dann nicht selten ins Leere laufen, was nicht Sinn und Zweck der Regelung sein kann. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob Beamte auch über solche Tatsachen sprechen dürfen, die der Verschwiegenheitspflicht nach § 67 Abs. 1 BBG unterliegen.123 Insofern könnte die Mitteilung an die Personalvertretung i. S. v. § 67 Abs. 2 Nr. 1 BBG im dienstlichen Verkehr geboten sein.124 Durch diese Ausnahme soll „nicht der für eine effiziente und ‚unbürokratische‘ Aufgabenerledigung erforderliche inner- und zwischenbehördliche Informationsaustausch und die Zusammenarbeit insgesamt in den Bereich der Pflichtverletzung gerückt werden“.125 Zwar ließe sich argumentieren, dass der Hinweis auf Missstände durch den Whistle­ 121

Gräfl, in: Richardi / Dörner / Weber, § 68 Rn.  25; Király, FÖV 57 Discussion Papers, S. 17; s. aber auch Thiele, DÖD 1985, 145 (147). 122 Gräfl, in: Richardi / Dörner / Weber, § 68 Rn.  26; Király, FÖV 57 Discussion Papers, S. 18; Lopacki, ZBR 2016, 329 (331). 123 Hierzu auch Király, FÖV 57 Discussion Papers, S. 18 f. 124 Grundsätzlich bejahend Claussen, in: ders. / Janzen, Rn. 28b; s. hierzu auch Köhler, in: Hummel / Köhler / Mayer / Baunack, S.  251 f. 125 Leppek, in: Brinktrine / Schollendorf, § 67 Rn. 12 (Stand 1.10.2017).

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blower an die Personalvertretung im Kern grundsätzlich nicht für die effiziente Erledigung seiner Aufgaben notwendig ist, doch wird dadurch übersehen, dass Anregungen und Beschwerden dazu dienen, einen bestehenden Missstand zu beseitigen. Wendet sich der Whistle­blower an die Personalvertretung, hat er bereits gezeigt, dass er mit der derzeitigen Situation (innerhalb der Dienststelle) unzufrieden ist und eine Änderung wünscht. Dies kommt – zumindest mittelbar – dem internen Verwaltungsfrieden zugute, bei dessen Wahrung von einer effizienteren Aufgabenerledigung ausgegangen werden kann. Vor diesem Hintergrund ist zu differenzieren: Handelt es sich um einen internen Missstand, der den Verwaltungsfrieden beeinträchtigt, ist eine Mitteilung im dienstlichen Verkehr i. S. v. § 67 Abs. 2 Nr. 1 BBG geboten. In anderen Fällen greift auch gegenüber der Personalvertretung die Pflicht zur Verschwiegenheit nach § 67 Abs. 1 S. 1 BBG. (2) Sachlichkeitsgebot Beamte trifft (bei Meinungsäußerungen) „in Form und Inhalt eine Mäßigungspflicht auch und erst Recht bei Kritik am Vorgesetzten“.126 Auch beim internen Whistle­blowing im öffentlichen Dienst gilt insofern das Sachlichkeitsgebot: „Im Rahmen von Beschwerden und sonstigen Eingaben (§ 171 BBG [§ 125 BBG n. F.]) darf sich der Beamte freimütig und deutlich ausdrücken, muss dabei aber sachlich bleiben. Ihm ist zuzugestehen, je nach Anlass, auch harte Worte zu gebrauchen und zusammenfassende Wertungen auszusprechen. Jedoch darf er auch hier nicht verleumderische, diffamierende oder beleidigende Aussagen über andere oder sonst wissentlich oder unter Verletzung der zumutbaren Sorgfalt unwahre tatsächliche Angaben machen […].“127

Diese sachliche Grundlage ist auch bei kritischen Wertungen, die gegenüber Vorgesetzten und Kollegen geäußert werden, zu beachten: Für die Gegenseite muss diese Kritik erkennbar der Rechtswahrung dienen.128 Die §§ 185 ff. StGB setzen dabei – als Schutznormen für das allgemeine Persönlichkeitsrecht – eine Grenze für Äußerungen des Beamten. Bereits aus § 61 Abs. 1 S. 3 BBG folgt die Pflicht des Beamten zu achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten, auch gegenüber Vorgesetzten129 – als allgemeines Gesetz i. S. v. Art. 5 Abs. 2 GG setzt die Norm der Meinungsfreiheit eine Schranke130. Bei Angelegenheiten, die das öffentliche Interesse tangieren, dürfen die Anforderungen an das Gebot der Sachlichkeit aber nicht zu hoch angesetzt werden, damit der Bedeutung der Meinungsfreiheit ge 126 BVerfG, NVwZ 2008, 416; s. auch BDHE 1, 24; Zängl, in: Fürst / Franke / Weiß, K § 54 a. F. Rn. 136 f. (8/2001). 127 BVerfG, NVwZ 2008, 416. 128 BVerwG, NVwZ-RR 2006, 485 (486); Burth, in: Brinktrine / Schollendorf, § 125 Rn. 10 (Stand 1.2.2019). 129 Hierzu näher Steinbach, ZBR 1975, 78. 130 BVerfG, NVwZ 2008, 416 zu § 54 S. 3 BBG a. F.

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3. Teil: Die Zulässigkeit von internem Whistle­blowing

nügt werden kann. Was dabei im Einzelfall als überspitzt-polemisch zu werten ist, bestimmt sich nicht nach der Auffassung des Dienstvorgesetzten, sondern eines verständigen Außenstehenden.131 Auch hier gilt, dass je nach Verwaltungsbehörde ein unterschiedlicher Ton gelten kann: Wenn in einer Verwaltungsbehörde ein sehr lockerer Umgang gepflegt wird, ist – verglichen mit einem sehr förmlichen Umgangsfeld – eine Mitteilung eher selten als unsachlich anzusehen.132 Ferner ist die jeweilige Situation, in der die Äußerung getätigt wird, relevant: Äußert sich der Whistle­blower im Zustand nachvollziehbarer Erregung, sind strengere Anforderungen an die Feststellung der „Unsachlichkeit“ zu stellen als bei einer Äußerung nach ruhiger Überlegung.133 Die Grenze zwischen einer sachlichen und unsachlichen Äußerung kann mitunter schwer zu ziehen sein.134 Ein Dienstvergehen kann nicht bei jeder unpassenden Äußerung oder bei einem Vergreifen im Ausdruck direkt angenommen werden.135 Maßgeblich sind jedenfalls die Umstände des Einzelfalles.136 Der Vorschlag, eine Pflichtwidrigkeit erst dann anzunehmen, wenn „der Betriebsfrieden und die dienstliche Zusammenarbeit ernstlich gestört oder die menschliche Würde des Vorgesetzten oder Kollegen verletzt werden“,137 sieht sich der Schwierigkeit ausgesetzt, dass ein unklares Kriterium (Sachlichkeit) durch andere ausfüllungsbedürftige Kriterien (ernstliche Störung) ersetzt wird, zumal die Grenze, die durch Art. 1 Abs. 1 GG gesetzt wird, stets gilt. Gleichwohl steht das Gebot der Sachlichkeit im engen Zusammenhang mit der aus §§ 61 Abs. 1 S. 3, 62 Abs. 1 S. 1 BBG folgenden Pflicht, den Betriebsfrieden zu wahren,138 und ist damit bei der Differenzierung zwischen Sachlichkeit und Unsachlichkeit bedeutsam. Dies ist u. a. vor dem Hintergrund zu sehen, dass der Erfolg innerhalb der Verwaltungsbehörde maßgeblich vom internen persönlichen Verhalten abhängen kann.139 Interne Schwierigkeiten zwischen den Mitarbeitern oder zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern können zu einer ineffektiven Verwaltungsbehörde führen. Nicht zuletzt deshalb ist auch ein respektvoller Umgang miteinander unbedingt notwendig. Auch hier gilt, dass nicht jede potentielle Beeinträchtigung des Verwaltungsfriedens zur Unsachlichkeit der Mitteilung führt. Insofern sei an die Möglichkeit gedacht, dass auch die berechtigte und höflich vorgetragene Mitteilung von anderen Kollegen bzw. dem Vorgesetzten übel genommen wird und der Whistle­blower darauf 131

Ähnlich Hummel / Baunack, in: Hummel / Köhler / Mayer / Baunack, S.  153 (172); vgl. zur Beurteilung eines Verhaltens als pflichtwidrig durch Dienstvorgesetzte auch Wahlers, PersV 1989, 505 (508). 132 Vgl. Zängl, in: Fürst / Franke / Weiß, K § 54 a. F. Rn. 139 (8/2001). 133 Vgl. Claussen, in: ders. / Janzen, Einl. C Rn. 44b. 134 S. Claussen, in: ders. / Janzen, Einl. C Rn. 44b. 135 OVG Münster, DÖV 1962, 872; Claussen, in: ders. / Janzen, Einl. C Rn. 44b. 136 Claussen, in: ders. / Janzen, Einl. C Rn. 44b. 137 Wahlers, PersV 1989, 505 (506). 138 S. Claussen, in: ders. / Janzen, Einl. C Rn. 30; vgl. auch BVerwG, NVwZ-RR 2006, 485 (488). 139 S. auch Wahlers, PersV 1989, 505 (505 f.); BDHE 3, 125 (129).

B. Internes Whistle­blowing im öffentlichen Dienst

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hin intern ausgegrenzt wird, was zu interner Unzufriedenheit und einer möglicherweise ineffizienten Verwaltungsbehörde führt. Dies kann auch dann vorkommen, wenn der Vorgesetzte den Hinweis als Kritik an seiner Behörden- oder Dezernatsleitung ansieht und hiermit nicht umgehen kann. Bei der Frage, ob der Verwaltungsfrieden gestört wird, ist also auf die Sicht eines verständigen Dritten abzustellen. (3) Kenntnis bzw. Reaktion des Vorgesetzten Nach der Konzeption des Bundesbeamtengesetzes ist bei der Meldung interner Missstände grundsätzlich der Dienstweg einzuhalten (s. o.). Beamte müssen sich zunächst an den direkten Vorgesetzten wenden. Soweit der Missstand dem Vorgesetzten bekannt ist und er keine Abhilfemaßnahmen ergreift, sondern den Missstand toleriert bzw. er selbst den Missstand verursacht hat, wird sich die Beschwerde gegen diesen richten; richtiger Antrags- bzw. Beschwerdeadressat ist damit nach § 125 Abs. 2 BBG der nächsthöhere Vorgesetzte.140 Dies gilt auch dann, wenn dem unmittelbaren Vorgesetzten der Missstand grob fahrlässig unbekannt geblieben ist. In diesem Sinne hat auch das BVerfG die Erschöpfung des Dienstweges wie folgt konkretisiert: „Daraus folgt, daß der Beamte oder Angestellte, der verfassungswidrige Vorgänge in seiner Behörde zu erkennen glaubt, mit der Rüge und mit Vorschlägen zur Abhilfe zunächst an seine Vorgesetzten herantreten muß, von denen vorausgesetzt werden darf, daß sie den Bedenken und Vorschlägen Beachtung schenken. Sollten die Vorgesetzten nicht so reagieren, wie es die Sachlage erfordert, oder verspricht ihre Unterrichtung offensichtlich keinen Erfolg, etwa weil sich das beanstandete Verhalten der Behörde bereits zu einer Übung ausgeweitet hat, deren Umfang eine Änderung auf Grund bloßer Vorstellungen eines einzelnen Bediensteten nicht erwarten läßt, so ist diesem anzusinnen, den Dienstweg bis zu dem für die Tätigkeit der Behörde parlamentarisch verantwortlichen Minister weiterzuverfolgen.“141

Dass das BVerfG auf „verfassungswidrige Vorgänge“ abstellt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch gesetzeswidrige Missstände hierunter fallen. Hierfür spricht die Regelung des Art. 20 Abs. 3 GG, die den Vorrang des Gesetzes in Verfassungsrang hebt. (4) Motivation des Beamten als irrelevantes Kriterium Der Motivation des Beamten sollte – wie im privaten Sektor – bei der Frage, ob internes Whistle­blowing zulässig ist / war, keine Bedeutung zukommen. Auch an dieser Stelle sei auf die entsprechenden Ausführungen beim externen Whistle­ blowing verwiesen.142 140

S. Király, FÖV 57 Discussion Papers, S. 15. BVerfGE 28, 191 (204). 142 4. Teil, B. IV. 1. e) ee); s. auch Király, DÖV 2010, 894 (896). 141

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3. Teil: Die Zulässigkeit von internem Whistle­blowing

bb) Vermeintlicher Missstand Auch im öffentlichen Dienst ist es denkbar, dass Beamte irrtümlich annehmen, ein Missstand würde innerhalb der Behörde bestehen. Da weder Staat noch Gesellschaft Interesse an einer gänzlich unkritischen Beamtenschaft haben,143 darf in solchen Fällen internes Whistle­blowing nicht per se als Pflichtverletzung geahndet werden. Wenn Beamte berechtigterweise annehmen dürfen, dass ein interner Missstand existiert, wäre es in einer an Gesetz und Recht ausgerichteten Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) kontraproduktiv, internes Whistle­blowing als unzulässig zu bewerten. In diesem Sinne hat auch das BVerwG festgehalten: „Der Beamte darf seine Meinung zu tatsächlichen Umständen auch ohne Rücksicht auf deren Erweisbarkeit vorbringen, wenn er von ihrer Richtigkeit ausgeht und dafür tatsächliche Anhaltspunkte hat.“144

Sorglos ausgesprochene bloße Vermutungen verstoßen hingegen gegen § 61 Abs. 1 S. 3 BBG.145 Bei unterschiedlichen Sachverhaltsdarstellungen, d. h. Aussage gegen Aussage, darf nicht zu schnell auf eine Pflichtverletzung des Whistle­blowers geschlossen werden.146 Die Grundsätze, die für den privaten Sektor aufgestellt wurden,147 gelten auch hier. Die Frage, ob internes Whistle­blowing zulässig ist / war, ist dann so zu bewerten, als hätte der Missstand tatsächlich existiert. 2. Pflicht zum internen Whistle­blowing a) Zur Existenz einer gesetzlichen Pflicht Das BVerfG hat die Existenz einer Pflicht des Beamten zum internen Whistle­ blowing lediglich angedeutet, sich hierzu aber nicht näher geäußert: „Zwar darf auch der Beamte ein vermeintlich verfassungswidriges Handeln seiner Behörde intern kundtun […]. Dies mag die Pflicht zur Loyalität gegenüber seinem Dienstherrn im Einzelfall sogar gebieten.“148

Statuiert der Staat für Beamte eine Pflicht zum internen Whistle­blowing bzw. lässt sich eine solche Pflicht aus bestimmten Regelungen herleiten (dazu im Folgenden), ist zu beachten, dass dies die negative freiheitliche Sphäre des Beamten berührt.149 Der Staat muss insofern die Grund- und Menschenrechte des Beamten

143

BVerfGE 39, 334 (348). BVerwG, NVwZ-RR 2006, 485 (486). 145 Weiß, ZBR 1984, 129 (134). 146 Vgl. auch Claussen, in: ders. / Janzen, Einl. C Rn. 50. 147 3. Teil, A. I. 2. e). 148 BVerfG, NVwZ 2008, 416. 149 Vgl. auch BVerfGE 39, 334 (366 f.). 144

B. Internes Whistle­blowing im öffentlichen Dienst

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(insbesondere die negative Dimension der Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, bzw. des Petitionsrechts, Art. 17 GG, zumindest aber der allgemeinen Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG) beachten. Um eine „Amtsführung im Namen des Dienstherrn“ handelt es sich in dieser Konstellation nicht.150 aa) Formell-gesetzliche Regelungen und Art. 33 Abs. 5 GG Im Bundesbeamtengesetz ist eine Pflicht zum internen Whistle­blowing weder allgemein noch für bestimmte Teilbereiche ausdrücklich statuiert. Aus der Regelung des § 63 Abs. 2 BBG, die ausdrücklich eine Pflicht zur internen Remonstration bei Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit einer dienstlichen Anordnung statuiert,151 kann nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass eine Pflicht zum internen Whistle­blowing bei Bedenken gegen sonstige Gesetzeswidrigkeiten ausgeschlossen sein soll. Vielmehr kann aus einer Gesamtschau verschiedener Regelungen im Bundesbeamtengesetz eine solche Pflicht hergeleitet werden: Einen ersten Anhaltspunkt für eine Pflicht zum internen Whistle­blowing gibt zunächst § 62 Abs. 1 S. 1  BBG:152 Hiernach haben Beamte ihre Vorgesetzten zu beraten und zu unterstützen. Zusammen mit dem Grundsatz der Treuepflicht (§ 60 Abs. 1 BBG) folgert der BGH hieraus zumindest bei Korruption eine (begrenzte) Pflicht zum internen Whistle­blowing: „Allgemein verletzt der Beamte seine Treue-, Beratungs- und Unterstützungspflicht (§§ 52, 55 BBG [a. F.]), wenn er es unterlässt, korruptionsverdächtige Umstände oder sogar klar erkennbares Korruptionsgeschehen seinen Vorgesetzten zu melden […].“153

Ob es für den BGH maßgeblich war, dass sich der angeklagte Beamte selbst am Korruptionssystem beteiligt hatte,154 ist dabei zweifelhaft: Neben dem Wortlaut der Entscheidung („Allgemein“) sprechen auch die darauffolgende Eingrenzung bzw. eher allgemein gehaltenen Erwägungen155 gegen das Erfordernis einer Beteiligung. Gleichwohl unterliegt auch diese allgemeine Pflicht gewissen Schranken, die unten näher untersucht werden. Aus § 62 Abs. 1 S. 1 BBG folgt insgesamt auch die Pflicht des Beamten, Vorgesetzte über Rechtmäßigkeitsbedenken (über beabsichtigte Maßnahmen) zu informieren.156

150

Vgl. BVerwG, NVwZ 2018, 1144 (1146). Auch die Pflicht zur Remonstration kann zum internen Whistle­blowing gerechnet werden (s. Lopacki, ZBR 2016, 329 (330)), wobei allerdings die jeweilige Motivation entscheidend bleibt. 152 S. Lopacki, ZBR 2016, 329 (331); Claussen, in: ders. / Janzen, Rn. 37a ff. 153 BGH, NStZ 2004, 565 (566). 154 So wohl Király, FÖV 57 Discussion Papers, S. 12 f. 155 BGH, NStZ 2004, 565 (566). 156 Finger, ZBR 1965, 225 (230); Wiese, Beamtenrecht, S. 118. 151

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3. Teil: Die Zulässigkeit von internem Whistle­blowing

Die traditionelle Treuepflicht, die Teil der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG) ist, beinhaltet u. a. die Pflicht des Beamten, aktiv für den Staat und die verfassungsrechtliche Ordnung einzutreten.157 Ihre Bedeutung darf nicht unterschätzt werden: „Der Grund für das Festhalten an diesem hergebrachten Grundsatz liegt auf der Hand: Der moderne ‚Verwaltungsstaat‘ mit seinen ebenso vielfältigen wie komplizierten Aufgaben, von deren sachgerechter, effizienter, pünktlicher Erfüllung das Funktionieren des gesellschaftlich-politischen Systems und die Möglichkeit eines menschenwürdigen Lebens der Gruppen, Minderheiten und jedes Einzelnen Tag für Tag abhängt, ist auf einen intakten, loyalen, pflichttreuen, dem Staat und seiner verfassungsmäßigen Ordnung innerlich verbundenen Beamtenkörper angewiesen. Ist auf die Beamtenschaft kein Verlaß mehr, so sind die Gesellschaft und ihr Staat in kritischen Situationen ‚verloren‘ […].“158

Weder Staat noch Gesellschaft haben Interesse an einer gänzlich unkritischen Beamtenschaft.159 Die Pflicht, für die verfassungsmäßige Ordnung einzutreten, ist auch im Lichte des durch Art. 20 Abs. 3 GG untermauerten Grundsatzes, Gesetz und Recht zu achten, auszulegen und umfasst dementsprechend nicht nur Verfassungs-, sondern auch sonstige Normverstöße; die verfassungsmäßige Ordnung umfasst insofern alle Normen, die verfassungsgemäß sind.160 Hieraus folgt jedoch lediglich, dass der Beamte für die Rechtsordnung eintreten muss („Ob“) – über das „Wie“ ist hiermit noch nichts gesagt. Ergänzt werden die genannten Normen des Bundesbeamtengesetzes durch § 61 Abs. 1 S. 3 BBG, wonach das Verhalten von Beamten innerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden muss, die ihr Beruf erfordert; diese Norm ist im Lichte des Art. 20 Abs. 3 GG auszulegen und gebietet insofern, dass sich Beamte an die Rechtsordnung halten und gegebenenfalls bei ihrer Verletzung einschreiten. Zu nennen ist ferner § 4 BBG, wonach Beamte zu ihrem Dienstherrn in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen. bb) Verwaltungsrichtlinien Eine Pflicht zum internen Whistle­blowing kann sich auch aus Verwaltungs­ vorschriften ergeben, soweit die durch die sog. Wesentlichkeitslehre vorgegebenen Maßgaben hinreichend berücksichtigt werden161; so ist etwa in der „Richtlinie der Bundesregierung zur Korruptionsprävention in der Bundesverwaltung“162 unter Punkt 10.1 bei einem durch Tatsachen begründeten Verdacht einer Korruptionsstraftat eine Anzeigepflicht der Dienststellenleitung an die Staatsanwaltschaft 157

BVerfGE 39, 334 (346 ff.). BVerfGE 39, 334 (347). 159 BVerfGE 39, 334 (348). 160 Vgl. zu Art. 2 Abs. 1 GG auch BVerfGE 6, 32 (Ls. 3). 161 Vgl. nur Jarass, in: ders. / Pieroth, Art. 20 Rn. 71 ff. 162 Richtlinie vom 30.7.2004, BAnz. Nr. 148, S. 17745. 158

B. Internes Whistle­blowing im öffentlichen Dienst

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und die oberste Dienstbehörde vorgesehen.163 Es besteht also sowohl eine Pflicht zum internen als auch zum externen Whistle­blowing. Zudem sind nach dieser Regelung behördeninterne Ermittlungen und vorbeugende Maßnahmen gegen eine Verschleierung einzuleiten. Diese Richtlinie wird durch zwei Anlagen („Verhaltenskodex gegen Korruption“ sowie „Leitfaden für Vorgesetzte und Behördenleistungen“) und einen Anhang („(nicht verbindliche) Umsetzungshilfe zur Richtlinie der Bundesregierung zur Korruptionsbekämpfung in der Bundesverwaltung“) ergänzt. b) Die Grenzen der Pflicht Die Pflicht, interne Missstände zu melden, unterliegt generell dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Soweit also v. a. mildere, gleich geeignete Maßnahmen Erfolg versprechen, ist internes Whistle­blowing nicht erforderlich;164 dies dürfte regelmäßig aber fraglich sein, da mit einer entsprechenden Meldung auch präventive Maßnahmen eingeleitet werden können, bspw. eine Schulung von Mitarbeitern im betreffenden Bereich. Im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung sind insbesondere die nun folgenden Aspekte näher zu beachten. aa) Allgemeine Grundsätze (1) Kenntnis des Vorgesetzten Soweit dem (unmittelbaren) Vorgesetzten die interne Gesetzeswidrigkeit bekannt ist und er diese offensichtlich billigt, ist der Rechtsgedanke des § 125 Abs. 2 BBG zu beachten, wonach sich der Whistle­blower an den nächsthöheren Vorgesetzten wenden kann. Hierfür müssen dem Whistle­blower allerdings konkrete Anhaltspunkte vorliegen, anhand derer die Billigung des Vorgesetzten erschlossen werden kann. Konkrete gesetzeswidrige Anweisungen an den Whistle­blower können Indizien hierfür sein, ebenso wie Berichte von Kollegen. Soweit der Vorgesetzte gesetzeswidrige Missstände toleriert, wäre eine Meldung an ihn eine bloße Förmelei. Insofern beinhaltet eine Meldung an dessen Vorgesetzten gleichzeitig eine Beschwerde über diesen (i. S. v. § 125 BBG). Ist dem Vorgesetzten der Missstand zwar bekannt, besteht aber die Möglichkeit, dass er bei einem Hinweis des Whistle­blowers Abhilfe schafft, muss der Whistle­ blower den Dienstweg einhalten (vgl. § 125 Abs. 1 S. 2 BBG); dies gilt auch dann, 163 Vgl. auch Pieroth, in: Jarass / Pieroth, Art. 86 Rn. 2; gerade für Korruptionsstraftaten haben nahezu alle Bundesländer entsprechende interne Richtlinien statuiert, die eine Anzeigepflicht vorsehen, hierzu Király, FÖV 57 Discussion Papers, S. 10. 164 Vgl. zum Grundsatz der Erforderlichkeit BVerfGE 83, 1 (18); 102, 197 (217); Jarass, in: ders. / Pieroth, Art.  20 Rn.  119.

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3. Teil: Die Zulässigkeit von internem Whistle­blowing

wenn dem Vorgesetzten der Missstand grob fahrlässig unbekannt geblieben ist. Die in der Literatur angesprochene Auslegung, dass eine Übergehung des direkten Vorgesetzten dann nicht pflichtwidrig ist, wenn sie „technisch vernünftig“ ist,165 sollte zumindest vorsichtig gehandhabt werden. (2) Keine Dezernatsbeschränkung Da Beamte nicht nur in ihrem eigenen Dezernat, sondern möglicherweise in anderen Abteilungen auf interne Missstände, z. B. Korruption, aufmerksam werden können, stellt sich die Frage, ob sich die Pflicht zum Melden interner Missstände auf das eigene Dezernat beschränkt. Dies ist abzulehnen: Sieht man das Telos der Pflicht, interne Missstände zu melden, berechtigterweise auch in der Effizienz der Verwaltung (insgesamt), ist es nicht überzeugend, die Pflicht lediglich daran scheitern zu lassen, dass der Missstand in einem anderen Dezernat festgestellt wurde. Allerdings sind dann die Anforderungen an eine Pflicht höher anzusetzen.166 bb) Differenzierung zwischen Verursachern (1) Eigenes Fehlverhalten des Beamten Für Arbeitnehmer wurde eine Pflicht zur Selbstbezichtigung weitgehend abgelehnt. Begründet wurde dies primär damit, dass der Arbeitnehmer andernfalls seinen Arbeitsplatz aufgrund seines Fehlverhaltens riskiert. Dieser Aspekt kann aufgrund der strengen beamtenrechtlichen Schutzvorschriften nicht eins zu eins übertragen werden. Die §§ 30 ff.  BBG (Entlassung aus dem Beamtenverhältnis) sichern die Stellung des Beamten stärker ab als die §§ 611 ff. BGB (und andere zivilrechtliche Regelungen über die Entlassung des Arbeitnehmers). Gleichwohl wird angenommen, dass die Auskunftspflicht gegenüber dem Vorgesetzten und damit die Pflicht zum internen Whistle­blowing ihre Grenze grundsätzlich bei einer Selbstbezichtigung findet.167 Bei Disziplinarverfahren (bzw. Vorermittlungen) ist dies aus grundrechtlicher Perspektive durchaus gefordert: „Ein Beamter ist im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG selbst nicht verpflichtet, unmittelbar oder mittelbar an der Feststellung eines von ihm begangenen Dienstvergehens mitzuwirken. Der Schutz des Beamten gegen Selbstbezichtigungen im Disziplinarverfahren setzt der beamtenrechtlichen Wahrheitspflicht dort Schranken, wo der Betroffene sonst gezwungen wäre, eine von ihm begangene Pflichtwidrigkeit oder Straftat zu offenbaren […].“168 165

Weiß, ZBR 1984, 129 (134). S. hierzu 3.  Teil, B. I. 2. b) bb) (2). 167 Claussen, in: ders. / Janzen, Einl. C Rn. 37c, 39; hierzu auch Steinbach, ZBR 1965, 335 (338). 168 Hessischer VGH, BeckRS 2013, 52106; vgl. auch BVerwG, ZBR 1972, 222 (223). 166

B. Internes Whistle­blowing im öffentlichen Dienst

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Allerdings muss differenziert betrachtet werden, inwiefern dieser Grundsatz außerhalb von Disziplinarverfahren greift, da in diesem Fall eine Abwägung denkbar ist: Werden mögliche Konsequenzen für potentielle Disziplinarverfahren nämlich verhindert, steht einer Abwägung mit dem Aufklärungsinteresse des Staates am internen Missstand nicht mehr die Menschenwürde des Beamten als unüberwindbare Schranke entgegen. Zwar wird in diesem Zusammenhang eingebracht, dass der Schutz, der Beamten im Disziplinarverfahren selbst zukommt, letztlich illusorisch werden würde.169 Diesen Bedenken kann aber dadurch begegnet werden, dass wieder mit einem Beweisverwertungsverbot gearbeitet wird, dass sich bereits im privaten Sektor als interessengerechtes Mittel erwiesen hat.170 Hierfür spricht v. a., dass das staatliche Interesse an der Aufklärung interner Missstände – das durch Art. 20 Abs. 3 GG untermauert wird – nicht völlig unberücksichtigt bleibt. Hierdurch wird der Beamte einerseits hinreichend geschützt, andererseits kann mit Hilfe einer Interessenabwägung auch den entgegenstehenden Aufklärungsinteressen des Staates Rechnung getragen werden. Keine Besonderheiten ergeben sich dann, wenn der Beamte selbst in einer für die Verfolgung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit zuständigen Behörde arbeitet. Um dem Schutz durch Art. 1 Abs. 1 GG gerecht zu werden, darf die Information auch dann lediglich zur Aufklärung des internen Missstandes genutzt werden. In einem anschließenden Verfahren zur Verfolgung der Straftat bzw. Ordnungs­widrigkeit darf die Mitteilung des Beamten nicht zu seinem Nachteil gereicht werden, d. h. auch die Aussagen derjenigen, die der Beamte informieren musste, dürfen nicht gegen ihn verwertet werden. Da der Beamte bei einer Selbstbezichtigung in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) beeinträchtigt wird, kann es eine unbegrenzte Meldepflicht nicht geben. Vielmehr muss ein angemessener Ausgleich zwischen der grundrechtlichen Position des Beamten einerseits und dem Aufklärungsinteresse des Staates andererseits hergestellt werden. Das staatliche Aufklärungsinteresse muss also im Einzelfall überwiegen. Dies wird in der Regel bei einem schwerwiegenden Fehlverhalten bzw. einer Gefahr für hochrangige Rechtsgüter angenommen werden können,171 da das staatliche Aufklärungsinteresse in diesem Fall besonders schwer wiegt. Ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht lediglich marginal berührt, kann ebenfalls regelmäßig von einer Meldepflicht ausgegangen werden.172

169 BDHE 4, 59 (61 f.); Claussen, in: ders. / Janzen, Einl. C Rn. 39; Wilhelm, ZBR 1965, 339 (340); s. auch Disziplinarsenat für Richter in Essen, JZ 1957, 761. 170 Hierzu 3.  Teil, A. II. 2. b) aa) (2) (a). 171 S. auch Claussen, in: ders. / Janzen, Einl. C Rn. 39. 172 S. auch Claussen, in: ders. / Janzen, Einl. C Rn. 39.

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3. Teil: Die Zulässigkeit von internem Whistle­blowing

(2) Fehlverhalten von Kollegen Ähnlich wie beim internen Whistle­blowing im privaten Sektor sind Beamte einem besonderen Druck ausgesetzt, wenn Missstände gemeldet werden, für die Kollegen verantwortlich sind. Es wäre Beamten unzumutbar, jedwedes Fehlverhalten ihrer Kollegen melden zu müssen. Insofern kann auf die zum privaten Sektor aufgestellten Grundsätze zurückgegriffen werden.173 Der BGH hat zur allgemeinen Meldepflicht bei Korruption festgehalten: „Dies gilt in erster Linie für den Bereich, in dem dem Beamten Aufgaben zur Erledigung in eigener Zuständigkeit übertragen sind.“174

Bereits aus der Formulierung „in erster Linie“ wird deutlich, dass der BGH die Meldepflicht jedenfalls nicht auf den eigenen Aufgabenbereich beschränkt sieht. Inwiefern der BGH auch eine Pflicht zur Meldung von Kollegen außerhalb des eigenen Aufgabenkreises anerkennt, ist aufgrund seiner folgenden Ausführungen und der Bezugnahme auf die Literatur nicht eindeutig, als nicht feststeht, ob sich das Gericht der Literatur anschließt oder Folgendes eher abstrakt als denkbare Einschränkung feststellt: „Im beamtenrechtlichen Schrifttum wird die Unterstützungspflicht des Beamten aber weiter gezogen mit der Folge, dass auch der Beamte, der außerhalb seines eigentlichen Aufgabenkreises von einem Fehlverhalten eines Kollegen erfährt, verpflichtet sein kann, den Vorgesetzten hierauf aufmerksam zu machen […]. Allerdings wird dies nur bei schweren Verfehlungen, die die Erfüllung öffentlicher Aufgaben gefährden, angenommen werden können […]. Doch hätte der Senat keine Bedenken, dies im Fall eines Korruptionsgeflechts von dem hier festgestellten Ausmaß auch schon für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption vom 13.8.1997 (BGBl I, 2038) zu bejahen.“175

Wann die „schweren Verfehlungen, die die Erfüllung öffentlicher Aufgaben gefährden“, vorliegen, hat der BGH nicht abschließend geklärt. Hierunter fällt für den BGH anscheinend nicht jede Straftat und auch nicht jede Art von Korruption. Hintergrund dieser Einschränkung ist jedenfalls die Pflicht, den Betriebsfrieden zu beachten, was eine Interessenabwägung erfordert.176 Bei dem vom BGH177 und der Literatur178 genannten Kriterium sind beide Voraussetzungen heranzuziehen: Es muss sowohl eine schwere Verfehlung als auch eine Gefährdung der Erfüllung öffentlicher Aufgaben vorliegen und beides separat festgestellt werden. Nicht jede Gefährdung der Erfüllung öffentlicher Aufgaben stellt eine schwere Verfehlung dar

173

S. 3.  Teil, A. II. 2. b) bb). BGH, NStZ 2004, 565 (566). 175 BGH, NStZ 2004, 565 (566). 176 Claussen, in: ders. / Janzen, Einl. C Rn. 37b. 177 BGH, NStZ 2004, 565 (566). 178 Claussen, in: ders. / Janzen, Einl. C. Rn. 37b, nennt dies als Beispiel; Herold, ZBR 2013, 8 (9). 174

B. Internes Whistle­blowing im öffentlichen Dienst

105

und umgekehrt führt nicht jede schwere Verfehlung zu einer Gefährdung öffent­ licher Aufgaben. Mit dem Kriterium der „schweren Verfehlung“ wird sichergestellt, dass leichte Rechtsverstöße von Kollegen nicht zu einer Meldepflicht führen. Beamte sollen nicht befürchten müssen, dass jedes leicht fahrlässige Verhalten sofort gemeldet werden muss. Die Kollegialität innerhalb der Behörde würde andernfalls unangemessen gefährdet. Auch ist es denkbar, dass sich Beamte zurückhalten würden, über die Rechtmäßigkeit des Verhaltens von Kollegen überhaupt nach­zudenken, weil sie andernfalls befürchten, diesen sofort melden zu müssen, oder gar anfangen, den Kontakt zu Kollegen zu vermeiden. Unter „Verfehlung“ ist dabei jeder Rechtsverstoß zu verstehen. Ein Rechtsverstoß ist „schwer“, wenn er auch im Lichte der Verhaltenspflicht der Beamten als gewichtig anzusehen ist. Dies ist aber nicht bei jeder Verletzung der Verhaltenspflicht nach § 61 Abs. 1 S. 3 BBG direkt der Fall. Ein starkes Indiz kann in der vorsätzlichen Begehung des Rechtsverstoßes ge­sehen werden. Das Kriterium der „Gefährdung der Erfüllung öffentlicher Aufgaben“ ist angemessen, weil es den Dienstbezug der Meldepflicht in den Vordergrund stellt. So haben Beamte nach § 60 Abs. 1 S. 2 BBG bei ihrer Amtsführung auf das Wohl der Allgemeinheit Bedacht zu nehmen. Zu den „öffentlichen Aufgaben“ sind dabei alle Tätigkeitsbereiche des Staates zu rechnen, die dem Gemeinwohl dienen. Deren Erfüllung wird dabei erst dann gefährdet, wenn sich eine Erschwerung konkret absehen lässt; nicht jede abstrakt denkbare Gefährdung ist hiervon umfasst. Der Maßstab ist dabei allerdings nicht zu hoch anzusetzen. Handelt es sich um eine schwere Verfehlung im dienstlichen Bereich, kann dem regelmäßig Indizwirkung beigemessen werden. (3) Fehlverhalten des Vorgesetzten Weiß der Vorgesetzte, dass er für den Missstand verantwortlich ist bzw. ist er über den Missstand informiert und bleibt untätig, greift – wie dargelegt – der Rechtsgedanke des § 125 Abs. 2 BBG, wonach sich die Beschwerde des Beamten an den nächsthöheren Vorgesetzten richten kann. Auch hierbei kann eine Rechtspflicht zum internen Whistle­blowing bestehen. Es muss allerdings berücksichtigt werden, dass der unmittelbare Vorgesetzte dies nicht selten als Angriff auf seine persönliche Autorität wahrnehmen wird und der meldende Beamte nach seiner Meldung (faktische) Benachteiligungen befürchten muss. Auch insofern ist eine umfassende Meldepflicht für Beamte unzumutbar. Sachgerecht ist es, wie beim Fehlverhalten von Kollegen im privaten Sektor, eine Pflicht zum internen Whistle­blowing lediglich bei schwerwiegenden Missständen bzw. einer Wiederholungsgefahr anzunehmen – insofern sei auf die Ausführungen zum privaten Sektor verwiesen179. 179

3. Teil, A. II. 2. b) bb) cc).

106

3. Teil: Die Zulässigkeit von internem Whistle­blowing

(4) Fehlverhalten von Untergebenen Im Falle des Fehlverhaltens von untergebenen Beamten kann eine (uneingeschränkte) Pflicht zur Meldung von Fehlverhalten gegenüber dem jeweiligen Vorgesetzten bestehen.180 Allerdings bedarf es hierfür besonderer Umstände, da andernfalls das Vertrauensverhältnis zwischen beiden ernsthaften Schaden nehmen könnte. Eine generelle unbegrenzte Verpflichtung besteht also nicht. Insofern bietet es sich wie im privaten Sektor an, zwischen vorsätzlichem und fahrlässigem Fehlverhalten zu differenzieren; auf die dortigen Ausführungen sei verwiesen181.

II. Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes stehen an der Schnittstelle zwischen Privatwirtschaft einerseits und staatlicher Tätigkeit andererseits. Sie sind keine Beamten, aber auch keine Arbeitnehmer im privaten Sektor. Für sie gelten maßgeblich die Vorschriften des Zivilrechts,182 die allerdings durch den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) teilweise modifiziert bzw. ergänzt werden. Auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 S. 1 des vorherigen Tarifvertrages, dem Bundesangestelltentarifvertrag (BAT), wonach sich Angestellte so zu verhalten hatten, wie es von Angehörigen des öffentlichen Dienstes erwartet wurde, wurde zwar nach einem Teil der Literatur angenommen, dass die für Beamte geltenden gesetzlichen Verhaltensgebote auch für Angestellte des öffentlichen Dienstes Anwendung fänden.183 Gegen eine Übertragung spricht aber, dass die Regelung des § 8 Abs. 1 S. 1 BAT nicht in den TVöD übernommen wurde. Mit dem TVöD sollte u. a. eine Lösung vom Beamtenrecht stattfinden.184 Hieran ändert auch die Regelung des § 41 S. 2 TVöDBT-V nichts, wonach sich die Beschäftigten des Bundes und anderer Arbeitgeber, in deren Aufgabenbereich auch hoheitliche Tätigkeiten wahrgenommen werden, durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung i. S. d. Grundgesetzes bekennen müssen. Diese Regelung ähnelt zwar § 60 Abs. 1 S. 3 BBG, dort ist aber zusätzlich statuiert, dass Beamte für die Erhaltung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung auch eintreten müssen. Auch wenn sich Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes in einer gewissen Staatsnähe befinden, genügt dies allein nicht, um die Ergebnisse für Beamte zu übertragen. Maßgeblich sind also die Ergebnisse für Arbeitnehmer im privaten Sektor. Gleichwohl müssen auch hier die Ergebnisse, die zur Informierung der Personalvertretung durch Beamte ermittelt wurden,185 sinngemäß berücksichtigt werden. 180

Claussen, in: ders. / Janzen, Einl. C. Rn. 37b; hierzu auch Herold, ZBR 2013, 8 (9). 3. Teil, A. II. 2. b) bb) (4). 182 Vgl. BAG, DB 1970, 1276. 183 Graser, Whistle­blowing, S.  152. 184 Dörring / Kutzki, in: dies., S. 1 f. 185 3. Teil, B. I. 1. b) aa) (1) (b). 181

B. Internes Whistle­blowing im öffentlichen Dienst

107

III. Zusammenfassung Beamte haben grundsätzlich ein Recht zum internen Whistle­blowing. Dieses Recht wird aber durch verschiedene gesetzliche Vorschriften eingeschränkt; so ist nach § 125 Abs. 1 S. 2 BBG grundsätzlich der Dienstweg einzuhalten, wobei eine direkte Mitteilung an die Personalvertretung (§ 68 Abs. 1 Nr. 3 BPersG) ebenfalls zulässig ist. Besonderes Gewicht erlangt dabei auch § 61 Abs. 1 S. 3 BBG, d. h. die Pflicht zu achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten. Hieraus ergibt sich v. a. die Pflicht des Whistle­blowers, bei seinen Ausführungen sachlich zu bleiben. Dass der Missstand tatsächlich nicht besteht, ist nicht schädlich, soweit bestimmte Voraussetzungen vorliegen. Ob eine Pflicht zum internen Whistle­blowing besteht, hängt hingegen v. a. vom Verursacher und der Schwere des Missstandes ab. Für Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes gelten dagegen maßgeblich die Ergebnisse, die zum privaten Sektor ermittelt wurden.

4. Teil

Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing Die Zulässigkeit externen Whistle­blowings gehört zu den brisantesten Fragen, die sich aus juristischer Perspektive zum Themenkomplex „Whistle­blowing“ stellen. Sowohl aus gesellschaftlicher als auch aus rechtlicher Sicht hat die Rücksichtnahmepflicht im Subordinationsverhältnis insofern zu zahlreichen Debatten und Stellungnahmen geführt. Für eine rechtliche Sichtweise ist letztlich eine verfassungsrechtliche Güterabwägung entscheidend, die den Kern sehr vieler Grundrechtsdiskussionen ausmacht. Anders als bei der Darstellung von internem Whistle­blowing wird im Folgenden zwischen externem Whistle­blowing im privaten Sektor und im öffentlichen Dienst nur soweit differenziert, als es unausweichlich ist, um unnötige Doppelungen in der Darstellung zu vermeiden.

A. Rechtliche Grundsatzgedanken zum externen Whistle­blowing Bevor die Frage behandelt wird, unter welchen Voraussetzungen externes Whistle­ blowing im privaten Sektor und im öffentlichen Dienst zulässig ist, werden im Folgenden Grundsatzaspekte erörtert, die in beiden Bereichen gelten.

I. Die Bedeutung der Umstände des Einzelfalles für externes Whistle­blowing Im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Abwägung müssen alle relevanten Umstände des Einzelfalles berücksichtigt werden,1 um den Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles gerecht werden zu können. Hiermit geht gleichzeitig ein gewisses Maß an Rechtsunsicherheit einher, da eine präzise Einschätzung der Frage, ob externes Whistle­blowing in einer konkreten Situation zulässig ist, schwerfällt: Es ist nicht möglich, unter Zugrundelegung verschiedener Kriterien eine „allumfassende Zulässigkeitsformel“ zu entwickeln, die alle Whistle­blowing-Konstellationen abdeckt, da die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing maßgeblich durch die 1

Hierzu noch 4. Teil, B. III. 1.

A. Rechtliche Grundsatzgedanken zum externen Whistle­blowing 

109

Umstände des Einzelfalles geprägt wird. Bei der Entwicklung eines solchen Ansatzes käme es dann zu Schwierigkeiten, wenn bestimmte Kriterien für und bestimmte Kriterien gegen die Zulässigkeit externen Whistle­blowings sprächen – welche Kriterien würden sich dann in welcher Fallkonstellation durchsetzen? Es können auch nicht alle Umstände des Einzelfalles generell-abstrakt vorhergesehen und hierauf basierend entsprechende Abwägungsergebnisse ermittelt werden. Möglich ist es aber, die typischen Kriterien, die beim externen Whistle­blowing häufig relevant werden, auszuwerten und im Verhältnis zueinander zu gewichten. Dies dürfte den meisten Fällen externen Whistle­blowings gerecht werden.

II. Differenzierung zwischen der Zulässigkeit von externem Whistle­blowing und der rechtlichen Reaktion hierauf Die Dogmatik zum externen Whistle­blowing sollte sich an der Differenzierung zwischen der Zulässigkeit externen Whistle­blowings generell und der Zulässigkeit der auf externes Whistle­blowing folgenden rechtlichen Reaktion orientieren. Beide Aspekte sind eng miteinander verknüpft, haben aber unterschiedliche Bezugspunkte: – Die Frage, ob externes Whistle­blowing in einer bestimmten Situation zulässig ist /  war, betrifft abstrakt die Situation zum Zeitpunkt des externen Whistle­blowings; externes Whistle­blowing ist / war entweder zulässig oder unzulässig. – Die Frage, ob die Reaktion (des Arbeitgebers, des Staates etc.) auf externes Whistle­blowing zulässig ist / war, betrifft hingegen die nächste Stufe; die Reaktion war entweder zulässig oder unzulässig. Die Frage, ob die Reaktion auf externes Whistle­blowing zulässig bzw. rechtmäßig ist / war, stellt sich streng genommen erst dann, wenn bereits festgestellt wurde, dass externes Whistle­blowing in der zu bewertenden Situation unrechtmäßig war. Steht nach einer verfassungsrechtlichen Abwägung fest, dass sich der Whistle­ blower an Externe wenden durfte, wäre eine nachteilige Reaktion auf jeden Fall unrechtmäßig (s. auch § 612a BGB). Gerichtlich wird hingegen primär die Zulässigkeit der konkreten Benachteiligung untersucht, was durchaus zulässig ist, soweit die Umstände des Einzelfalles berücksichtigt werden. Dies ist auch insofern verständlich, als die Gerichte gerade aufgrund dieser Reaktion angerufen werden, um über die Rechtmäßigkeit derselben zu entscheiden. Nur vereinzelt finden sich abstrakte Ausführungen zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen externes Whistle­blowing zulässig ist.2 Generell erscheint es indes überzeugender, die Frage, ob externes Whistle­ blowing im Einzelfall zulässig ist / war (worauf im 4. Teil dieser Untersuchung der 2

So etwa in BVerfGE 28, 191 (205); BGHSt 20, 342 (361 ff., 366 f.).

110

4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

Fokus gelegt wird), voranzustellen und von der Frage, ob auch die Reaktion auf externes Whistle­blowing zulässig ist / war, zu trennen. Bei dieser Vorgehensweise besteht die Möglichkeit, die Zulässigkeit negativer Reaktionen auf Whistle­blowing aus allen möglichen rechtlichen Perspektiven zu betrachten: Steht nach einer verfassungsrechtlichen Abwägung fest, dass externes Whistle­blowing (grund- bzw. menschenrechtlich) zulässig war, stellt sich die Frage nach zivilrechtlichem Schadensersatz, strafrechtlicher Sanktion, arbeitsrechtlicher Kündigung, beamtenrechtlichen Disziplinarmaßnahmen etc. nicht mehr. All diese möglichen Konsequenzen des einfachen Rechts müssen im Lichte verfassungsrechtlicher Wertungen ausgelegt werden, sind also primär eine Frage verfassungsrechtlicher Abwägung. Steht hingegen fest, dass im konkreten Fall externes Whistle­blowing unzulässig war, muss im Rahmen der Prüfung, inwiefern die rechtliche Reaktion zulässig ist / war, die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der konkreten Benachteiligung gestellt werden. In diesem Zusammenhang ist noch zu bemerken, dass auch nicht auf der Ebene der Abwägung abstrakt nach den jeweiligen Rechtsgebieten zu differenzieren ist. So ist etwa die Zulässigkeit externen Whistle­blowings im Arbeitsrecht nicht anders zu bewerten als im Strafrecht, nur weil es sich um ein anderes Rechtsgebiet handelt. Vielmehr bestimmt sich aus Verfassungssicht, unter welchen Voraussetzungen externes Whistle­blowing zulässig ist. Die Normen des jeweiligen Rechtsgebiets (z. B. § 34 StGB, § 241 Abs. 2 BGB) müssen dabei im Lichte der verfassungsrechtlichen Wertungen, die noch ermittelt werden, ausgelegt werden. Aufgrund des abweichenden gerichtlichen Ansatzes stellt sich die Frage, ob aus den Kriterien, die die Gerichte zur Zulässigkeit einer rechtlichen Reaktion auf externes Whistle­blowing entwickelt haben, auch Rückschlüsse auf die Zulässigkeit externen Whistle­blowings gezogen werden können. Dies ist insofern schwierig, als die Gerichte durchaus Kriterien, die beide Ebenen betreffen, miteinander vermischen. Für diese Möglichkeit spricht aber entscheidend, dass die Gerichte kaum einen Kriterienkatalog für die Zulässigkeit der Rechtsfolgen aufstellen, der inhaltlich völlig losgelöst von der Zulässigkeit externen Whistle­blowings besteht – gerade vor dem Hintergrund, dass alle relevanten Umstände des Einzel­ falles berücksichtigt werden. Diese Vorgehensweise ist zwar denkbar, aber äußerst fernliegend. Anhand der Rechtsprechung des EGMR, die in diesem 4. Teil noch ausführlich analysiert wird, sollen diese Ausführungen verdeutlicht werden. Der EGMR musste in den beiden grundlegenden Whistle­blowing-Entscheidungen Guja v. Moldawien3 und Heinisch v. Deutschland4 am Maßstab von Art. 10 EMRK klären, ob eine Kündigung aufgrund externen Whistle­blowings zulässig war. Dabei urteilte das Gericht, dass internes Whistle­blowing grundsätzlich Vorrang genieße, und ergänzte diesen Grundsatz durch fünf Wertungskriterien. Die folgenden drei 3 4

EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04). EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08).

A. Rechtliche Grundsatzgedanken zum externen Whistle­blowing 

111

Wertungskriterien können dabei für die Zulässigkeit externen Whistle­blowings herangezogen werden: – die Bedeutung der Information für die Öffentlichkeit; – die Authentizität der Information; – die Motivation des Whistle­blowers.5 Die anderen beiden folgenden Kriterien können hingegen nur dann herangezogen werden, wenn externes Whistle­blowing bereits erfolgt ist – dies sind: – die entstandenen negativen Auswirkungen; – die Art der Strafe für den Whistle­blower. Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen externes Whistle­blowing zulässig ist, können also lediglich die ersten drei genannten Kriterien herangezogen und einer näheren Untersuchung unterzogen werden, während die letzten beiden Kriterien hierfür auszublenden sind. Demgegenüber müssen alle Kriterien herangezogen und den Kriterien der deutschen Rechtsprechung gegenübergestellt werden, um bestehende Diskrepanzen im Mehrebenensystem zu ermitteln.

III. Zur Notwendigkeit einer Konstellationsdifferenzierung Entscheidet sich der Whistle­blower dafür, sich an Externe zu wenden, können folgende Aspekte unterschieden werden: – Unter welchen Bedingungen ist externes Whistle­blowing zulässig, wenn der Whistle­blower bereits interne Abhilfemöglichkeiten erfolglos ausgeschöpft hat? – Unter welchen Bedingungen ist externes Whistle­blowing zulässig, wenn der Whistle­blower keine internen Abhilfemöglichkeiten in Anspruch genommen hat? Die zweite Differenzierungsmöglichkeit besteht beim Informationsadressaten: – Wendet sich der Whistle­blower an externe Stellen, die staatlicherseits zur Entgegennahme entsprechender Informationen geschaffen wurden und zu einer vertraulichen Behandlung der erhaltenen Informationen verpflichtet sind (vgl. nur § 353b StGB), und sorgt damit für ein höheres Maß an Geheimhaltung (z. B. bei einer Strafanzeige an die Staatsanwaltschaft)? – Wendet sich der Whistle­blower an die breite Öffentlichkeit, d. h. einen größeren unbestimmten Personenkreis, und zwar entweder selbst (z. B. über das Internet) oder über andere Adressaten (z. B. die Presse)?

5 Wobei nach hier vertretener Auffassung der Motivation bei berechtigten Hinweisen keine Bedeutung zukommen sollte, hierzu 4. Teil, B. IV. 1. e) ee).

112

4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

Hieraus folgen insgesamt sechs relevante Konstellationen (K1-K6), was folgendes Schema verdeutlicht:

Informierung externer staatlicher Stellen Erschöpfung interner Abhilfemöglichkeiten Keine Informierung externer staatlicher Stellen Externes Whistleblowing Informierung externer staatlicher Stellen Keine Erschöpfung interner Abhilfemöglichkeiten Keine Informierung externer staatlicher Stellen

Informierung der breiten Öffentlichkeit (K1) Keine Informierung der breiten Öffentlichkeit (K2) Informierung der breiten Öffentlichkeit (K3) Keine Informierung der breiten Öffentlichkeit Informierung der breiten Öffentlichkeit (K4) Keine Informierung der breiten Öffentlichkeit (K5) Informierung der breiten Öffentlichkeit (K6) Keine Informierung der breiten Öffentlichkeit

Mögliche Wege externen Whistle­blowings

Der Weg von internem Whistle­blowing zum externen Whistle­blowing an die breite Öffentlichkeit beinhaltet mit K1 und K6 zwei „Extreme“. Sowohl diese beiden „Extreme“ als auch die dazwischenliegenden Fallkonstellationen müssen unter Beachtung der Umstände des Einzelfalles differenziert betrachtet werden. Diese Konstellationsdifferenzierung lässt sich noch dahingehend erweitern, dass nach erfolgreichen und erfolglosen Maßnahmen differenziert wird: Typischerweise wendet sich der Whistle­blower an externe Stellen bzw. die breite Öffentlichkeit, weil andere Maßnahmen nicht erfolgreich waren. Besteht das Recht zum externen Whistle­blowing aber auch, obwohl interne Abhilfebemühungen Erfolg hatten? Insofern wendet sich der Whistle­blower an externe Personen bzw. Stellen, um diese zu informieren, nicht hingegen, damit äußerer Druck zur Behebung des Missstandes aufgebaut werden kann. Wie dies im Einzelnen zu beurteilen ist, wird noch untersucht werden.6

6

4. Teil, B. V. 3.

B. Recht zum externen Whistle­blowing

113

B. Recht zum externen Whistle­blowing I. Einfachrechtliche Konkretisierung Abgesehen von grund- bzw. menschenrechtlichen Positionen finden sich konkrete Anzeigerechte in der deutschen Rechtsordnung nur vereinzelt für bestimmte Bereiche; zu nennen ist insbesondere § 17 Abs. 2 ArbSchG,7 der sowohl im privaten Sektor als auch im öffentlichen Dienst Anwendung findet (s. § 2 Abs. 2 ArbSchG). Solche Anzeigerechte sind aber nicht verallgemeinerungs- oder analogiefähig, sondern auf den jeweiligen Bereich beschränkt. Die interne Interessenlage sowohl des privaten Sektors als auch des öffentlichen Dienstes ist in diesen Normen bereits berücksichtigt.8 Solche speziellen gesetzlichen Rechte zum externen Whistle­ blowing müssen aufgrund der Einheit der Rechtsordnung beachtet werden, um widersprüchliche Ergebnisse zu vermeiden.9

II. Kollidierende Rechte (und Pflichten) bei externem Whistle­blowing: Legitime Zwecke zur Einschränkung der Grundrechte des Whistle­blowers Rechte, die externem Whistle­blowing (als legitime Zwecke zur Grundrechtseinschränkung) im privaten Sektor und im öffentlichen Dienst entgegenstehen können, ergeben sich primär aus den Normen, die das Verhältnis des Insiders zum Arbeitgeber bzw. Staat prägen; besondere Bedeutung kommt dabei auch der Pflicht zur Rücksichtnahme zu, die verschiedene Ausprägungen hat. Gleichwohl kann sich auch aus anderen Normen eine Beschränkung ergeben: Zu nennen sind insofern v. a. Straftatbestände, die externem Whistle­blowing entgegenstehen (etwa § 17 UWG oder § 353b StGB)10.

7

§ 17 Abs. 2 ArbSchG lautet: Sind Beschäftigte auf Grund konkreter Anhaltspunkte der Auffassung, daß die vom Arbeitgeber getroffenen Maßnahmen und bereitgestellten Mittel nicht ausreichen, um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Arbeit zu gewährleisten, und hilft der Arbeitgeber darauf gerichteten Beschwerden von Beschäftigten nicht ab, können sich diese an die zuständige Behörde wenden. Hierdurch dürfen den Beschäftigten keine Nachteile entstehen. Die in Absatz 1 Satz 2 und 3 genannten Vorschriften sowie die Vorschriften der Wehrbeschwerdeordnung und des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages bleiben unberührt. 8 Vgl. Herbert / Oberrath, NZA 2005, 193 (198). 9 Vgl. Simon / Schilling, BB 2011, 2421 (2423). 10 Hierzu Zimmermann, ArbRAktuell 2012, 58 ff.; von Pelchrzim, CCZ 2009, 25 (26). Ob die Illegalität des internen Geheimnisses dabei auf Tatbestands- oder auf Rechtswidrigkeitsebene zu berücksichtigen ist, soll hier nicht weiter untersucht werden, vgl. zu § 93 Abs. 2 StGB etwa Ellbogen, in: von Heintschel-Heinegg, § 93 Rn. 21 (Stand 1.5.2019).

114

4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

1. Im privaten Sektor a) Die Berufsfreiheit des Arbeitgebers, Art. 12 Abs. 1 GG, als verfassungsrechtlicher Ausgangspunkt Ausgangspunkt für eine Begrenzung des Rechts zum externen Whistle­blowing ist aus verfassungsrechtlicher Sicht Art. 12 Abs. 1 GG. Aus der grundrechtlich geschützten Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers (Art. 12 Abs. 1 GG) folgt das Recht, „vom Arbeitnehmer die Einhaltung eines gewisses [sic] Maßes von Rücksicht auf seine Interessen zu verlangen“.11 Ferner ist die Berufsausübung des Arbeitgebers betroffen, wenn die berufliche Betätigung durch das Verhalten des Arbeitnehmers beeinträchtigt wird.12 Damit sind die Ausprägungen, die zum Schutz des Arbeitgebers aus § 242 BGB bzw. nach der Schuldrechtsreform ab dem Jahre 2002 aus § 241 Abs. 2  BGB hergeleitet wurden, im Wesentlichen Konkretisierungen der verfassungsrechtlichen Rücksichtnahmepflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG.13 Dies gilt auch für solche Straftatbestände, die Betriebsinterna vor unberechtigter Weitergabe schützen, also dem durch Art. 12 Abs. 1  GG geschützten Wettbewerbsverhalten dienen.14 Auch § 106 Abs. 1 GewO stellt insofern eine Konkretisierung von Art. 12 Abs. 1 GG dar, da eine Weisung des Arbeitgebers von seiner beruflichen Betätigungsfreiheit – also dem Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG – umfasst ist. Umgekehrt ist bei einer Weisung auch die Berufsausübungsfreiheit des Arbeitnehmers zu beachten.15 Die Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers bzw. das Recht des Arbeitgebers, diese einzufordern, hat insbesondere drei Dimensionen, die beim externen Whistle­ blowing bedeutsam werden können: Erstens ist ein Arbeitnehmer verpflichtet, den Betriebsfrieden zu wahren. Wie bereits näher erörtert,16 folgt aus dem „berechtigten Interesse des Arbeitgebers an der Wahrung des Betriebsfriedens“, dass der Arbeitnehmer „[a]uch unterhalb der Schwelle eines strafbaren Verhaltens […] bei der Mitteilung vermeintlicher Missstände im Betrieb angemessen auf Persönlichkeitsrechte seiner Arbeitskollegen und Vorgesetzten Rücksicht nehmen“ muss.17 Wendet sich ein Arbeitnehmer mit Interna an die Öffentlichkeit, wird dies regelmäßig den internen Betriebsfrieden beeinträchtigen: Die im Betrieb tätigen Arbeitnehmer verbinden Kollegialität in der Regel mit einer entsprechenden Informationszurückhaltung gegenüber externen Personen bzw. Stellen. Bei einer externen Anzeige kann dieses Vertraulichkeitsband 11

BAGE 107, 36 (43). Otto, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 45. 13 Zur Verschwiegenheitspflicht Rudkowski, CCZ 2013, 204 (205). 14 Vgl. BAGE 107, 36 (44). 15 S. Steigert, Datenschutz bei unternehmensinternen Whistle­blowing-Systemen, S. 33 f. zu Ethikrichtlinien. 16 3. Teil, A. I. 2. a). 17 BAG, NJOZ 2013, 1064 (1068). 12

B. Recht zum externen Whistle­blowing

115

durchbrochen werden, was möglicherweise zu gegenseitigem Misstrauen und damit einem negativen Betriebsklima führt – insofern weist externes Whistle­blowing einen kollektiven Bezug auf. Zweitens darf der Arbeitnehmer „nicht den Interessen des Arbeitgebers zuwiderhandeln oder diese beeinträchtigen“.18 In der Weitergabe von internen Informationen liegt aber regelmäßig eine Schädigung, da der Arbeitgeber ein Interesse daran hat, interne Missstände auch intern zu behandeln und nach Möglichkeit externe Personen bzw. Stellen nicht zu involvieren, damit sein öffentlicher Ruf, v. a. bei (potentiellen) Geschäftspartnern, nicht geschädigt wird. Der Arbeitnehmer muss den Arbeitgeber vor Reputationsschäden schützen.19 Dies wird auch regelmäßig bei einer Anzeige bei externen staatlichen Stellen gelten, da die möglichen Folgemaßnahmen, z. B. eine Hausdurchsuchung, sich ebenfalls negativ auswirken können. Der Arbeitnehmer hat den Arbeitgeber insofern in die Gefahr einer Rufschädigung gebracht, auch wenn möglicherweise die Öffentlichkeit hiervon nichts erfährt (weil etwa das Ermittlungsverfahren relativ schnell eingestellt wird). Insofern darf der Arbeitnehmer keine entsprechenden Risiken zu Lasten des Arbeitgebers eingehen. Drittens folgt aus der Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers eine Pflicht zur vertraulichen Behandlung von Interna, an deren Geheimhaltung ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers besteht.20 Solche internen Geheimnisse dürfen – auch unabhängig von einer expliziten vertraglichen Vereinbarung – nicht an unberechtigte externe Personen weitergegeben werden.21 Geheimhaltungspflichten können sich insofern auch aus speziellen Vorschriften ergeben.22 Eine allumfassende vertragliche Pflicht des Arbeitnehmers, sämtliche interne Betriebsvorgänge zu verschweigen, wäre aber nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig.23 Aus diesen Ausführungen wird bereits deutlich, dass das Recht des Arbeitgebers, vom Arbeitnehmer ein gewisses Maß an Rücksicht einfordern zu können, in einem engen Zusammenhang mit anderen grundrechtlichen Wertungen stehen kann; zu nennen ist insofern etwa die Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Diese hinzutretenden Aspekte werden an späterer Stelle näher erörtert.24 Abschließend sei bemerkt, dass Bemühungen des BAG, allgemein „Grundregeln über das Arbeitsverhältnis“25 bzw. „Grundregeln über die Arbeitsverhältnisse“26 18

BAGE 24, 438 (444). Klasen / Schaefer, BB 2012, 641 (642). 20 Hierzu Müller-Glöge, in: Säcker / Rixecker / Oetker / Limperg, § 611 Rn.  1088 ff.; zur Gestaltung von Verschwiegenheitsklauseln Richters / Wodtke, NZA-RR 2003, 281 (287 f.). 21 Schuster / Darsow, NZA 2005, 273 (274 f.). 22 Vgl. zu betriebsverfassungsrechtlichen Verschwiegenheitspflichten Müller, BB 2013, 2293 (2293 ff.). 23 LAG Hamm, DB 1989, 783 (783 f.); Gach / Rützel, BB 1997, 1959 (1962). 24 4. Teil, B. II. 1. b) cc). 25 BAGE 24, 438 (444). 26 BAGE 1, 185 (194). 19

116

4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

zur Einschränkung der Grundrechte des Arbeitnehmers heranzuziehen, abzulehnen sind.27 Beschränkungen von Freiheitsrechten ohne konkreten gesetzlichen Anknüpfungspunkt sind gefährlich. Dies ist auch nicht notwendig, da sich mit § 241 Abs. 2 BGB eine entsprechende Norm findet, die zur Einschränkung von Grundrechten des Arbeitnehmers herangezogen werden kann.28 Auch wenn es sich um eine vertragliche Rücksichtnahmepflicht handelt,29 wurzelt diese dennoch letztlich auch im Gesetz. Ihre Unbestimmtheit ist verfassungsrechtlich unbedenklich, da die Anforderungen an die Bestimmtheit im Bürger-Bürger-Verhältnis entsprechend gering sind.30 b) Durchbrechung der Rücksichtspflichten bei interner Illegalität? aa) Grundlagen Bislang wurde festgestellt, dass die Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers (in verschiedenen Ausprägungen), aber auch andere (v. a. strafrechtliche) Normen eine Grenze für das Recht zum externen Whistle­blowing darstellen können. Diese Annahme bedarf aber deshalb einer näheren Untersuchung, weil ein Whistle­ blower (v. a.) interne Illegalität offenbart. Damit stellt sich die Frage, ob sich u. a. die Rücksichtnahmepflicht auch auf die Geheimhaltung von Gesetzeswidrigkeiten erstreckt oder es der Rechtsordnung immanent ist, die genannten Pflichten des Arbeitnehmers dann stets zu Gunsten seiner Grund- bzw. Menschenrechtsausübung zurücktreten zu lassen. Diese Fragestellung bezieht sich v. a. auf die Verschwiegenheitspflicht des Arbeitnehmers, gilt aber gleichwohl für andere Zurückhaltungspflichten, da der entsprechende Rechtsgüterschutz weitgehend parallel verläuft.31 Die Rechtsordnung beinhaltet bestimmte Regeln, an deren Einhaltung ein legitimes Interesse besteht. Wesentlicher Teil der (rechtsstaatlichen) Rechtsordnung ist konsequenterweise die Aufdeckung von Illegalität. Die von der Rechtsordnung statuierten Ge- und Verbote können nur dann ihre Glaubwürdigkeit behalten, wenn ein gewisses Maß an effektiver Kontrolle existiert. Daher kommt der Bekämpfung illegaler Handlungen im Rechtsstaat besonders gravierende Bedeutung zu. Die Bekämpfung illegaler Handlungen muss indes von der Offenbarung illegaler Handlungen getrennt werden. Zwar dient eine Offenbarung von Missständen auch deren Bekämpfung, kann also durchaus als Aspekt der Letzteren betrachtet werden. Es handelt sich dennoch um eine eigenständige Ebene, bei der diverse Umstände des Einzelfalles eine komplexere Betrachtung gebieten: So ist nicht nur die Frage, 27

Zur Kritik Graser, Whistle­blowing, S.  115  ff. Vgl. deutlich auch BAG, NJW 2017, 1833 (1834). 29 Zu § 241 Abs. 2 BGB BAG, NJW 2015, 1628. 30 Vgl. hierzu Möslein, Dispositives Recht, S. 424 ff. 31 Vgl. aber zur Differenzierung zwischen Verschwiegenheitspflicht einerseits und Loyalitäts- bzw. Schadensabwendungspflicht andererseits Herbert / Oberrath, NZA 2005, 193 (195 f.). 28

B. Recht zum externen Whistle­blowing

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ob der Whistle­blower zunächst interne Stellen informiert hat, bedeutsam, sondern bspw. auch das Interesse der für den internen Missstand verantwortlichen Personen, eine Rufschädigung zu vermeiden. Dies zeigt bereits, dass die Offenbarung von ille­galen Interna in einem größeren Kontext betrachtet werden muss, der sich nicht auf die Frage der grundsätzlichen Bekämpfung von Illegalität reduzieren lässt. Dass damit auch die Möglichkeit einhergeht, dass das Recht des Grundrechtsträgers zur allgemeinen Offenbarung von illegalen Interna im Einzelfall eingeschränkt wird, bedeutet also keinen inneren Wertungswiderspruch der Rechtsordnung, sondern folgt der Erkenntnis, dass verschiedene Interessen – auch von Unbeteiligten – existieren, die auch vor dem Hintergrund, dass die Bekämpfung von illegalen Handlungen wichtig ist, nicht unberücksichtigt bleiben können. Die Bekämpfung von Illegalität ist kein Absolutheitsargument, mit dem jede Maßnahme (des Staates und des Bürgers), d. h. auch jede Art der Offenbarung gerechtfertigt werden könnte, auch wenn ihr gleichwohl im Rahmen der Herstellung eines angemessenen Interessenausgleichs besondere Bedeutung zukommt. Dem widerspricht auch nicht die Argumentation des BVerfG zur Rücknahme erschlichener Einbürgerungen: „Eine Rechtsordnung, die sich ernst nimmt, darf nicht Prämien auf die Missachtung ihrer selbst setzen. Sie schafft sonst Anreize zur Rechtsverletzung, diskriminiert rechtstreues Ver­ halten […] und untergräbt damit die Voraussetzungen ihrer eigenen Wirksamkeit.“32

Ein Anreiz für Illegalität wird dadurch, dass diese u. U. vor externen Adressaten (vorläufig) geheim zu halten ist, nicht geschaffen; hierin ist auch keine Prämie zu sehen. Es stellt sich lediglich die Frage, was der Whistle­blower bei der Meldung interner Illegalität berücksichtigen muss. bb) Grundsätzlich kein verfassungsrechtlich begründeter Ausschluss per se Zur Bestimmung der Frage, ob die Grundrechte des Whistle­blowers oder die gegenläufigen Interessen derjenigen, die an der (vorläufigen) Geheimhaltung des Missstandes interessiert sind, überwiegen, muss (im Folgenden) zunächst geklärt werden, welche Interessen überhaupt als schützenswert anerkannt bzw. der Grundrechtsausübung des Whistle­blowers entgegengehalten werden können. Einer Grundrechtsausübung können nur solche Zwecke entgegengesetzt werden, die mit dem Grundgesetz im Einklang stehen, d. h. von diesem nicht ausgeschlossen werden, bzw. vom jeweiligen Grundrecht zugelassen sind.33 Das Grundgesetz regelt indes nicht ausdrücklich, ob die Geheimhaltung illegaler Missstände als Teil der Rücksichtnahmepflicht im privaten Sektor einen legitimen Zweck bzw. zulässigen 32

BVerfGE 116, 24 (49). Zur Frage, ob der Staat finanzielle Anreize für illegal beschaffte bzw. weitergegebene Informationen setzen darf (was auch den Kauf sog. Steuer-CDs betrifft), 4.  Teil, B. VI. 3. 33 BVerfGE 124, 300 (331); vgl. hierzu auch Merten, in: ders. / Papier, § 68 Rn. 54 ff.

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Abwägungsaspekt darstellt, der der Grundrechtsausübung des Whistle­blowers entgegengehalten werden kann. Inwiefern das einfache Recht illegale, d. h. unter Verstoß gegen die Rechtsordnung zustande gekommene Geheimnisse für schützenswert erachtet, ist insofern irrelevant, als aus Verfassungssicht gefragt werden muss, ob das Grundgesetz selbst das Erreichen bestimmter Ziele mittels Grundrechtseinschränkung verbietet. Dabei muss stets bedacht werden, dass das Bejahen eines solchen Verbots zum Ausschluss jeder Abwägung führt – dementsprechend ist eine besondere Begründung notwendig, die einen solchen Abwägungsausschluss rechtfertigen kann. Zwar ist dem Grundgesetz ein solcher Unabwägbarkeitsgrundsatz nicht fremd (z. B. Art. 1 Abs. 1 GG) – dies betrifft aber die nicht zu rechtfertigende Verletzung eines Rechts, nicht deren Geheimhaltung. Für die (vorläufige) Geheimhaltung illegaler Missstände als Teil der Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers im privaten Sektor lässt sich ein solcher Abwägungsausschluss weder aus grundrechtlichen Einzelbestimmungen noch aus der Gesamtschau verschiedener Verfassungsnormen entnehmen. Ein Verbot dahingehend, dass die (vorübergehende) Geheimhaltung illegaler Interna auf keinen Fall geschützt werden darf, ist dem Grundgesetz fremd. Hieraus folgt bereits, dass verfassungsrechtlich geschützte Interessen, v. a. das oben genannte Recht des Arbeitgebers aus Art. 12 Abs. 1 GG, nicht unberücksichtigt bleiben dürfen. Bei einer Abwägung können alle Umstände des Einzelfalles berücksichtigt werden, was bei einem Ausschluss bereits auf abstrakter Ebene – d. h. der Stufe des mit der Grundrechtseinschränkung verfolgten legitimen Zweckes – ausgeschlossen wäre. Auch bei Gefahren für hochrangige Verfassungswerte ist eine Abwägung nicht generell ausgeschlossen. In diese Richtung weist auch die Argumentation des BGH, der selbst bei hochrangigen Verfassungswerten mit dem Kriterium der „gewissen Schwere“ auf den Einzelfall eingeht: „Der Senat gelangt unter Würdigung der angeführten rechtlichen Möglichkeiten zu dem Ergebnis, daß ein Verstoß gegen die Grundwerte des demokratischen Verfassungsstaates, wie sie durch den Rechtsbegriff der ‚verfassungsmäßigen Ordnung‘ […] umrissen sind, zur unmittelbaren öffentlichen Rüge berechtigt. Freilich muß dieser Verstoß von einer gewissen Bedeutung, also von einer gewissen Schwere sein. Die Rücksicht auf die staatlichen Lebensnotwendigkeiten verlangt, daß nicht etwa unbedeutende Verstöße gegen die verfassungsmäßige Ordnung zur Preisgabe von vielleicht höchsten Geheimnissen führen können. Ob ein ‚schwerer‘ Verstoß vorliegt, kann nur von Fall zu Fall entschieden werden […].“34

Eine verfassungsrechtliche Ausnahme ist nur dem Anwendungsbereich des Widerstandsrechts (Art. 20 Abs. 4 GG) zu entnehmen: Soweit andere Abhilfe nicht möglich ist und damit eine ernsthafte Gefahr für die in Art. 20 Abs. 1–3 GG i. V. m. Art. 79 Abs. 3  GG statuierte Staatsordnung vorliegt, ist die Geheimhaltung von Versuchen, diese Ordnung zu beseitigen, bereits abstrakt betrachtet – und damit unabhängig vom Einzelfall – nicht schützenswert, kann der Grundrechtsausübung

34

BGHSt 20, 342 (366 f.).

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des Whistle­blowers also nicht entgegengehalten werden. Es kann nicht Sinn und Zweck von Art. 20 Abs. 4 GG sein, derartige gefährliche Angriffe auf die freiheitliche demokratische Ordnung in irgendeiner Weise – auch durch Geheimhaltung – zu schützen. cc) Die Geheimhaltung von Illegalität aus verfassungsrechtlicher Sicht Damit ist – als Vorfrage – festgestellt, dass das (vorläufige) Geheimhalten illegaler Missstände als Teil der Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers im privaten Sektor vom Grundgesetz grundsätzlich nicht per se ausgeschlossen ist. Als Anschlussfrage muss geklärt werden, ob das Grundgesetz das Geheimhalten illegaler Missstände nicht u. U. sogar als Schutzposition anerkennt. Colneric hielt hierzu im Jahre 1987 fest: „Das Interesse des Arbeitgebers, Gesetzesverstöße, die er oder seine Hilfspersonen im Betrieb begehen oder begangen haben, zu verheimlichen, ist durch die Verfassung nicht geschützt.“35

Nicht eindeutig ist insofern, ob sich dieser Ansatz auf den Schutzbereich der Grundrechte bezieht oder auch die bereits getroffene Abwägungsentscheidung auf der Rechtfertigungsebene. Dieser generellen Absage wollte sich das BAG jedenfalls dann nicht anschließen, „wenn […] ein selbst nicht rechtswidrig und vorsätzlich handelnder Arbeitgeber betroffen ist“.36 Eine genauere (dogmatische) Untersuchung bzw. Argumentation findet sich indes nicht, v. a. wird nicht ganz deutlich, ob das Interesse, Gesetzesverstöße geheim zu halten, nach Auffassung des BAG u. U. vom Schutzbereich Art. 12 Abs. 1 GG geschützt wird – hierfür spricht zumindest, dass das BAG diesen Punkt im Rahmen der Ausführungen zur Unternehmerfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) erörtert. Zudem ist – wie oben bereits festgestellt – zu beachten, dass aus Art. 12 Abs. 1 GG das Recht folgt, „vom Arbeitnehmer die Einhaltung eines gewisses [sic] Maßes von Rücksicht auf seine Interessen zu verlangen“.37 Dass einfachrechtliche Illegalität den Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG per se einschränkt, würde den grundlegenden Rangunterschied zwischen Verfassung und sonstiger Rechtsordnung unterlaufen und ist auch aus dogmatischer Sicht abzulehnen.38 Die Frage, ob die Verfassung (auf der Ebene des grundrechtlichen Schutzbereiches) die Geheimhaltung von Illegalität u. U. als geschützte Rechtsposition anerkennt – genauer: ihrer Offenbarung Grenzen setzt –, muss in einem größeren 35 Colneric, AiB 1987, 261 (265); s. auch Strack, Stellungnahme als Sachverständiger, S. 58; Stein, BB 2004, 1961 (1963); nach Schmidt, in: Müller-Glöge / Preis / Schmidt, Art.  4 GG Rn.  73, kann der Arbeitgeber nicht verlangen, „strafbares oder sittenwidriges Verhalten geheim zu halten“, allerdings seien sowohl standesrechtliche als auch gesetzliche Verschwiegenheitspflichten zu wahren. 36 BAGE 107, 36 (45). 37 BAGE 107, 36 (43). 38 Vgl. auch BVerfGE 115, 276 (300 f.).

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Kontext, nämlich in der Vermeidung negativer öffentlicher Reputation, erörtert werden. Dieser Kontext wird auch vom BAG gesehen, wenn es Ausführungen hierzu voranstellt. Da Unternehmen komplexe Gebilde mit einer differenzierten Personalund Hierarchiestruktur sind und Gesetzesverstöße von verschiedenen Personen, die mit dem Unternehmen in Verbindung gebracht werden können, begangen werden können, verbietet sich hierauf eine pauschale Antwort. Vielmehr muss zunächst ermittelt werden, inwiefern der soziale Geltungsanspruch derjenigen, die mit dem Missstand in Verbindung gebracht werden, und der gefährdete Markterfolg als entgegenstehendes Interesse auf Verfassungsebene der Grundrechtsausübung des Whistle­blowers entgegengehalten werden können. (1) Der Schutz natürlicher Personen Regelmäßig sind bestimmte Personen im Betrieb für den enthüllten Missstand verantwortlich. Wird deren Beteiligung (z. B. an einer Straftat) am Missstand öffentlich bekannt, wirft dies auf sie ein „schlechtes Licht“; ihr Ruf wird möglicherweise nachhaltig beeinträchtigt. Damit stellt sich die Frage, ob bzw. inwiefern das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) den Grundrechten des Whistle­blowers entgegengehalten werden kann. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst auch die soziale Anerkennung des Grundrechtsträgers, d. h. auch „den Schutz vor Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf sein Bild in der Öffentlichkeit auszuwirken. Derartige Äußerungen gefährden die von Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete freie Entfaltung der Persönlichkeit, weil sie das Ansehen des Einzelnen schmälern, seine sozialen Kontakte schwächen und infolgedessen sein Selbstwertgefühl untergraben können.“39 Mit dieser Argumentation kann Whistle­blowing in solchen Fällen, in denen eine Rufschädigung des Verursachers droht, durchaus die soziale Anerkennung des Grundrechtsträgers entgegengehalten werden. Auch „Behauptungen über strafbares oder moralisch vorwerfbares Verhalten“ beeinflussen regelmäßig das öffentliche Bild vom Grundrechtsträger.40 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht greift dabei unabhängig davon ein, ob die Aussage über den Grundrechtsträger wahr oder unwahr ist.41 Allerdings reicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht so weit, dass es einen Anspruch des Grundrechtsträgers begründen würde, „nur so in der Öffentlichkeit dargestellt zu werden, wie es ihm genehm ist“42 bzw. „wie er sich selber sieht oder von anderen gesehen werden möchte“43. Inwiefern die grundrechtlichen Positionen miteinander in Einklang zu bringen sind, ist wiederum eine andere Frage. Dabei

39

BVerfGE 99, 185 (193 f.). BVerfGE 97, 125 (148). 41 BVerfGE 97, 391 (404 f.). 42 BVerfGE 97, 125 (149). 43 BVerfGE 99, 185 (194). 40

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ist zu beachten, dass nicht jede Anzeige als treuwidrige Ehrverletzung vonseiten des Arbeitnehmers angesehen werden kann, da der Vorwurf eines Rechtsverstoßes gerade in der Natur einer Anzeige liegt;44 es müssen also besondere Umstände hinzutreten, die die Annahme einer Ehrverletzung rechtfertigen. Soweit vertreten wird, dass der Schutz des guten Rufes oder der Ehre, der mit dem Schutz der sozialen Anerkennung im Zusammenhang steht,45 für Straftäter nicht aus Art. 10 EMRK oder Art. 12 Abs. 1 GG abzuleiten sei, sondern diese lediglich einen Anschein derselben besäßen,46 ist anzumerken, dass auch bei Begehung einer Straftat die Selbstdarstellung gegenüber der Öffentlichkeit vom Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts weiterhin umfasst wird. Der Schutzbereich des Grundrechts ist unabhängig von der Frage, ob der Grundrechtsträger gesetzeswidrig bzw. strafbar gehandelt hat, eröffnet. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb bei einer Person, die ein im Einzelfall möglicherweise nur leichtes Vergehen begangen hat, nur noch vom Anschein eines guten Rufes gesprochen werden sollte. Eine Differenzierung zwischen dem Recht auf Ehre und dessen Anschein nach Art der begangenen Straftat würde zudem zu unlösbaren Abgrenzungsschwierig­ keiten führen. Allerdings kann sich eine strafrechtlich relevante Rechtsgutsbeeinträchtigung im Rahmen der Abwägung mit den Grundrechten des Whistle­blowers (erheblich) schutzmindernd auswirken. Abschließend ist darauf zu verweisen, dass nicht immer zweifelsfrei feststeht, ob ein Gesetzesverstoß respektive eine Straftat begangen wurde. (2) Der Schutz juristischer Personen Für Unternehmen hat der Schutz ihres guten Rufes einen (besonderen) wirtschaftlichen Wert.47 Die Ausführungen zum Schutz des sozialen Geltungsanspruchs natürlicher Personen können allerdings nicht allgemein auf juristische Personen (Art. 19 Abs. 3 GG) übertragen werden: „Für das allgemeine Persönlichkeitsrecht lässt sich nicht allgemein angeben, ob es seinem Wesen nach auf juristische Personen anwendbar ist. Dies ist vielmehr für die verschiedenen Ausprägungen dieses Grundrechts differenziert zu beurteilen.“48

Juristischen Personen kann der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zukommen, „als sie aus ihrem Wesen als Zweckschöpfung des Rechts und ihren Funktionen dieses Rechtsschutzes bedürfen“.49 Dies ist insbesondere dann anzunehmen, „wenn sie in ihrem sozialen Geltungsbereich als Arbeitgeber oder als Wirtschafts 44

Gach / Rützel, BB 1997, 1959 (1960 f.). Jarass, in: ders. / Pieroth, Art. 2 Rn. 41. 46 Forst, NJW 2011, 3477 (3480). 47 Gostomzyk, NJW 2008, 2082 (2084); Ziegelmayer, GRUR 2012, 761 (762). 48 BVerfGE 118, 168 (203). 49 BGHZ 98, 94 (97); BGH, NJW 1994, 1281 (1282). 45

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unternehmen betroffen werden“.50 Grundlage dieses Schutzes des sozialen Geltungsanspruches ist Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK.51 (3) Insbesondere: Die Behinderung des Markterfolges (a) Verfassungsrechtliche Grundlage Auch eine Behinderung des Markterfolges kann den Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG berühren.52 Geschützt werden „Unternehmen in ihrer beruflichen Betätigung vor inhaltlich unzutreffenden Informationen oder vor Wertungen, die auf sachfremden Erwägungen beruhen oder herabsetzend formuliert sind, wenn der Wettbewerb in seiner Funktionsweise durch sie gestört wird“.53 Dagegen schützt das Grundrecht nicht „vor der Verbreitung zutreffender und sachlich gehaltener Informationen am Markt, die für das wettbewerbliche Verhalten der Marktteilnehmer von Bedeutung sein können, selbst wenn die Inhalte sich auf einzelne Wettbewerbspositionen nachteilig auswirken“.54 Die mit dieser Einschränkung verbundene grundrechtsdogmatische Frage, ob das BVerfG bereits den Schutzbereich als nicht eröffnet ansieht, soll hier nicht vertieft werden; die Anforderungen, die aus grundrechtlicher Perspektive an eine staatliche Maßnahme zu stellen sind, sind jedoch nicht im Schutzbereich, sondern im Rahmen der Rechtfertigung zu beachten.55 Die hierbei maßgeblichen Entscheidungen ergingen zwar zur Informationstätigkeit der Regierung, ihre grundsätzlichen Erwägungen können aber auf externes Whistle­blowing übertragen werden. Der Verweis auf illegale Missstände innerhalb eines Unternehmens kann dessen künftigen Markterfolg erheblich einschränken. Künftige Handelspartner werden möglicherweise davor zurückschrecken, mit illegal handelnden Unternehmen zu kooperieren, um ihre eigene Reputation nicht zu gefährden. Auch Kunden können durch entsprechende Berichte abgeschreckt werden. Der unternehmerische Markterfolg wird aber insofern nicht geschützt, als die Information des Whistle­blowers inhaltlich zutrifft und sachlich formuliert ist. Dieser Aspekt ist allerdings – wie bereits festgestellt – auf der Rechtfertigungs- und nicht bereits auf der Schutzbereichsebene zu berücksichtigen.

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BGHZ 98, 94 (97); BGH, NJW 1994, 1281 (1282). BGH, NJW 2015, 773 (774). 52 BVerfG, NJW 2008, 358 (359). 53 BVerfG, NJW 2008, 358 (359). 54 BVerfGE 105, 252 (265). 55 S. hierzu nur Fehling / Monsees, ZJS 2015, 613 (616 f.). 51

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(b) Das Geheimhalten illegaler Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Bei der Weitergabe von Interna kann es vorkommen, dass Whistle­blower auch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse preisgeben. Mit der Weitergabe von internen Geheimnissen kann der geschäftliche Erfolg eines Unternehmens ernsthaft gefährdet werden; sollten betriebliche Geheimnisse und das Know-how des Unternehmens ungeschützt preisgegeben und verwertet werden, wären der Bestand des betroffenen Unternehmens und als Konsequenz auch Arbeitsplätze gefährdet,56 sodass dieser Aspekt – auch aus verfassungsrechtlicher Sicht – nicht unberücksichtigt bleiben darf. Dies gilt auch dann, wenn nicht die breite Öffentlichkeit, sondern zuständige staatliche Stellen informiert werden, da trotz deren Geheimhaltungspflicht das Risiko einer Weitergabe von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen besteht. Dabei ist auch das Recht zu beachten, selbst darüber zu bestimmen, wer diese Geheimnisse erfährt und wer nicht. Schließlich kann eine behördliche Anzeige zu einer behördlichen Untersuchung führen, die geeignet ist, „dem Ruf des Unternehmens, dem Arbeitsklima und mitunter sogar dem Absatz abträglich zu sein“.57 Innerhalb der Rechtsprechung herrscht keine endgültige Einigkeit über die Frage, durch welche Grundrechte Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse verfassungs­ rechtlich geschützt sind. Während nach der Rechtsprechung des BVerwG sowohl Art. 12 Abs. 1 als auch Art. 14 GG einschlägig sind,58 bejaht das BVerfG lediglich einen Schutz durch Art. 12 Abs. 1 GG, lässt einen Schutz aus Art. 14 GG aber offen59. In der Entscheidung zum Flick-Untersuchungsausschuss stellte es zumindest fest, dass „[d]ie Geheimhaltung bestimmter steuerlicher Angaben und Verhältnisse, deren Weitergabe einen Bezug auf den Steuerpflichtigen oder private Dritte erkennbar werden läßt“, auch durch Art. 14 GG (i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG) geboten sein könne.60 Zur Frage, was genau unter Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen zu verstehen ist, kann auf die Rechtsprechung des BVerfG rekurriert werden: „Als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse werden alle auf ein Unternehmen bezogene Tatsachen, Umstände und Vorgänge verstanden, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat. Betriebsgeheimnisse umfassen im Wesentlichen technisches Wissen im weitesten Sinne; Geschäftsgeheimnisse betreffen vornehmlich kaufmännisches Wissen. Zu derartigen Geheimnissen werden etwa Umsätze, Ertragslagen, Geschäftsbücher, Kundenlisten, Bezugsquellen, Konditionen, Marktstrategien, Unterlagen zur Kreditwürdig­keit, 56

Preis / Reinfeld, AuR 1989, 361. Wlotzke, in: Dieterich / Gamillscheg / Wiedemann, S. 723 (751) zur Aufsichtsbehörde. 58 BVerwGE 125, 40 (43); BVerwG, Beschl. v. 13.2.2014, 20 F 11/13, Rn. 9 (juris); bei ausländischen natürlichen sowie juristischen Personen soll nach Hessischem VGH, Beschl. v. 4.9.2014, 27 F 1463/13, Rn. 14 (juris), Art. 2 Abs. 1 GG einschlägig sein, obwohl das Gericht von einer Ableitung des Schutzes auch aus Art. 14 GG ausgeht. 59 BVerfGE 115, 205 (229 ff., 248); 137, 185 (243, 261). 60 BVerfGE 67, 100 (142). 57

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Kalkulationsunterlagen, Patentanmeldungen und sonstige Entwicklungs- und Forschungsprojekte gezählt, durch welche die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Betriebs maßgeblich bestimmt werden können […].“61

Zumindest die Erstreckung des Schutzbereiches von Art. 12 Abs. 1 GG auf den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ist verfassungsrechtlich geboten, da andernfalls die (erfolgreiche) berufliche Betätigung ernsthaft gefährdet ist: „Wird exklusives wettbewerbserhebliches Wissen den Konkurrenten zugänglich, mindert dies die Möglichkeit, die Berufsausübung unter Rückgriff auf dieses Wissen erfolgreich zu gestalten. So können unternehmerische Strategien durchkreuzt werden. Auch kann ein Anreiz zu innovativem unternehmerischen Handeln entfallen, weil die Investitionskosten nicht eingebracht werden können, während gleichzeitig Dritte unter Einsparung solcher Kosten das innovativ erzeugte Wissen zur Grundlage ihres eigenen beruflichen Erfolgs in Konkurrenz mit dem Geheimnisträger nutzen.“62

Ob auch der Schutzbereich von Art. 14 GG eröffnet ist, kann hingegen nicht ohne Weiteres bejaht werden. Am Erfordernis eines vermögenswerten Bezugs scheitert es jedenfalls nicht, da Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse einen Vermögenswert darstellen, der durch eingesetztes Kapital und erbrachte Arbeit erwirtschaftet wurde.63 Auch wenn grundsätzlich danach differenziert werden kann, dass Art. 12 Abs. 1 GG den „Erwerb, die Betätigung selbst“, Art. 14 GG das „Erworbene, das Ergebnis der Betätigung“ schützt,64 stehen beide Grundrechte nicht in einem strikten Exklusivitätsverhältnis zueinander65. Für eine Erstreckung des Schutzes ließe sich jedenfalls anführen, dass beide Grundrechte zusammen die Wirtschaftsfreiheit bzw. die Freiheit schützen, sich unternehmerisch zu betätigen.66 Der im Einzelnen bestehende Disput zum Verhältnis beider Grundrechte zueinander spiegelt sich nicht in seiner praktischen Bedeutung wider: Ist ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG gerechtfertigt, wird für Art. 14 GG regelmäßig nichts anderes gelten.67 In einer Abwägung mit Grundrechten des Whistle­blowers kommt es also nicht darauf an, ob neben Art. 12 Abs. 1 GG auch Art. 14 GG zu berücksichtigen ist, da sich im Ergebnis nichts ändert. Es handelt sich also eher um eine dogmatische Frage, die an dieser Stelle nicht vertieft werden soll.68 Da der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen also zumindest vom Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG umfasst ist, kommt ein Rückgriff auf Art. 2 61

BVerfGE 115, 205 (230 f.). BVerfGE 115, 205 (230). 63 Breuer, in: Isensee / Kirchhof, § 171 Rn. 38. 64 BVerfGE 30, 292 (335). 65 Papier / Shirvani, in: Maunz / Dürig, Art. 14 Rn. 353 (83. Lfg. 2018). 66 Scholz, in: Maunz / Dürig, Art. 12 Rn. 131 (47. Lfg. 2006). 67 Vgl. Kämmerer, in: von Münch / Kunig, Art. 12 Rn. 98. 68 Für einen Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen sowohl durch Art. 12 Abs. 1  GG als auch durch Art. 14 GG Erichsen, NVwZ 1992, 409 (416); a. A. (nur Art. 12 Abs. 1 GG, nicht Art. 14 GG) Wolff, NJW 1997, 98 (101); wiederum a. A. (nur Art. 14 GG, nicht Art. 12 Abs. 1 GG) Taeger, Die Offenbarung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, S. 60 ff. 62

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Abs. 1 GG nicht mehr in Betracht – nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass ein Schutz durch Art. 2 Abs. 1 GG im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Abwägung zu keinen sachlichen Unterschieden führen dürfte69. Aus Art. 12 Abs. 1 GG folgt nicht nur der subjektive Schutz der Unternehmer, sondern auch ein staatlicher Auftrag, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zu schützen;70 dem Gesetzgeber kommt dabei eine Einschätzungsprärogative zu. Mit den bisher geschaffenen Normen des einfachen Rechts ist dem verfassungsrechtlichen Auftrag aber insgesamt Genüge getan, sodass nicht von einem Verstoß gegen das Untermaßverbot71 ausgegangen werden kann. Nach der zugrunde zu legenden Definition des BVerfG muss der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse an der Nichtverbreitung des Geheimnisses haben. Ob sich dieses berechtigte Interesse auch auf illegale, d. h. rechtswidrige Geheimnisse erstrecken kann, muss näher untersucht werden72 und ist aus praktischer Sicht besonders wichtig, da Whistle­blower zumeist gerade solche Praktiken anzeigen, die mit der Rechtsordnung nicht im Einklang stehen. Dabei kann sich der Begriff „illegale Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“ sowohl auf Geheimnisse, die unter Verstoß gegen die Rechtsordnung zustande gekommen sind, als auch auf solche Geheimnisse, die geheim gehalten werden, obwohl eine gesetzlich vorgesehene Offenbarungspflicht (gegenüber bestimmten Adressaten) besteht, beziehen. Aus praktischer Sicht dürfte aber ersteren eine bedeutsamere Rolle zukommen. Zur sachgerechten Klärung dieser Frage ist zunächst zu ermitteln, weshalb ein „berechtigtes Interesse“ zu fordern ist. Auch wenn sich die obige Definition auf das verfassungsrechtliche Betriebs- und Geschäftsgeheimnis bezieht, ist nicht zu übersehen, dass sie der bisherigen, von den Gerichten verwendeten Definition73 ähnelt und eine ähnliche Zweckrichtung hat: Der BGH hat zu § 17 UWG das Kriterium des berechtigten Geheimhaltungsinteresses damit begründet, dass „eine Aufdeckung der Tatsachen geeignet wäre, dem Geheimnisträger wirtschaftlichen Schaden zuzufügen“.74 Auch § 321a Abs. 3 S. 1 HGB liefert hierfür ein Indiz, da hiernach der Insolvenzverwalter oder ein gesetzlicher Vertreter des Schuldners einer Offen­ legung von Geheimnissen, namentlich Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen, wider­sprechen kann, wenn die Offenlegung geeignet ist, der Gesellschaft einen erheblichen Nachteil zuzufügen. Eine Parallele zum Verfassungsrecht ist unverkenn 69

S. Breuer, NVwZ 1986, 171 (174). Zu Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 GG OVG Schleswig, NVwZ 2007, 1448 (1449). 71 Vgl. hierzu Grzeszick, in: Maunz / Dürig, Art. 20 und die allgemeine Rechtsstaatlichkeit (VII.), Rn. 126 ff. (48 Lfg. 2006). 72 Nach Janssen / Maluga, in: Joecks / Miebach, § 17 UWG Rn. 37, geht auch bei der unrechtmäßigen Ausübung einzelner berufsausübender Elemente die Berufsausübungsfreiheit nicht verloren. Zu Art. 14 GG nimmt Taeger, Die Offenbarung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, S. 76, an, dass die Erstreckung des Schutzes auf illegale Geheimnisse nicht „mit dem Gebot einer am Gemeinwohl zu orientierenden Auslegung des Eigentumsschutzes“ vereinbar sei; s. auch Wawrzinek, Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen, S. 127. 73 S. etwa BAGE 41, 21 (Ls. 2). 74 BGHSt 41, 140 (142). 70

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bar: Die Wirtschaftsgrundrechte des Grundgesetzes sollen den Grundrechtsträger (u. a.) ebenfalls vor wirtschaftlichen Schädigungen bewahren75. Zudem wäre ein genereller Ausschluss illegaler Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse aus dem Schutzbereich der Berufsfreiheit mit immensen Schwierigkeiten verbunden. Besondere Schwierigkeiten bestehen etwa dann, wenn illegale mit legalen Geheimnissen untrennbar vermischt werden. So ist es durchaus denkbar, dass ein Großteil des Geheimnisses durch unternehmerische Eigenleistung erlangt wurde, ein anderer – untrennbarer – Teil hingegen unter Verstoß gegen das geltende Recht. Eine solche Konstellation ist mit besonderen Abgrenzungsschwierigkeiten verbunden. Auch aus diesem Grund ist eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzuziehen. Resümierend betrachtet sind illegale Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse vom Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG umfasst. Inwiefern dies auch für Art. 14 GG gelten kann  – soweit man dessen Schutzbereich auch auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse erstreckt –, wirft aufgrund dessen normgeprägten Charakters76 Schwierigkeiten auf, die hier nicht im Einzelnen untersucht werden sollen. Wenn man mit einem Teil der Literatur auf einfachrechtlicher Ebene illegale Betriebsund Geschäftsgeheimnisse als geschützt ansieht,77 könnte dies allerdings auf den Schutzbereich von 14 GG ausstrahlen. dd) Einfachrechtlicher Schutz der Geheimhaltung von Illegalität? Im einfachen Recht kommt der Geheimhaltung von Interna in verschiedenen Rechtsbereichen (etwa im Strafrecht mit § 17 UWG und § 353b StGB) besondere Bedeutung zu. Dabei kann generell zwischen solchen Normen, die ausdrücklich illegale Geheimnisse schützen, und solchen Regelungen, die allgemein Geheimnisse umfassen, differenziert werden: – Mit der Schaffung von § 97a S. 1 StGB hat der Gesetzgeber deutlich zu erkennen gegeben, dass er auch illegale Geheimnisse als schützenswert anerkennt. Hiernach wird ein Täter, der ein Geheimnis, das wegen eines der in § 93 Abs. 2 StGB bezeichneten Verstöße kein Staatsgeheimnis ist, einer fremden Macht oder einem ihrer Mittelsmänner mitteilt und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wie ein Landesverräter (§ 94  StGB) bestraft. Der Gesetzgeber hat also eine Strafbarkeit vorgesehen, obwohl das Geheimnis unter Verstoß gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zustande gekommen ist. Auch ohne Schaffung des § 97a S. 1 StGB hätte sich bereits aus § 93 StGB schließen lassen, dass auch im einfachen Recht die Geheimhaltung von Illegalität als schützenswerter Be 75

Vgl. Heinson, IT-Forensik, S. 338. Vgl. hierzu Axer, in: Epping / Hillgruber, Art. 14 Rn. 7 ff. (Stand 15.2.2019). 77 Etwa Janssen / Maluga, in: Joecks / Miebach, § 17 UWG Rn. 35 ff. 76

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lang anerkannt wird. Nach § 93 Abs. 1 StGB sind Staatsgeheimnisse Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und vor einer fremden Macht geheim gehalten werden müssen, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bunderepublik Deutschland abzuwenden. Diese Legaldefinition wird durch § 93 Abs. 2 StGB allerdings eingeschränkt: Hiernach sind Tatsachen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder unter Geheimhaltung gegenüber den Vertragspartnern der Bundesrepublik Deutschland gegen zwischenstaatlich vereinbarte Rüstungsbeschränkungen verstoßen, keine Staatsgeheimnisse.78 Da der Gesetzgeber in § 93 Abs. 2 StGB lediglich bestimmte illegale Staatsgeheimnisse vom Schutz der §§ 93 ff. StGB ausgeschlossen hat, sollen andere illegale Staatsgeheimnisse vom Schutz umfasst sein.79 Hieraus lässt sich der Schluss ziehen, dass der Gesetzgeber die Geheimhaltung von Illegalität als schützenswerten Belang (teilweise) anerkennt.80 Gleichwohl ist zu beachten, dass externes Whistle­blowing bei anderen illegalen Geheimnissen auch über § 34 StGB gerechtfertigt sein kann.81 – Soweit eine Norm lediglich allgemein den Schutz bestimmter Geheimnisse festlegt, muss durch Auslegung ermittelt werden, ob auch illegale Geheimnisse, d. h. unter Verstoß gegen die Rechtsordnung zustande gekommene Geheimnisse, hiervon umfasst sein sollen. Dies gilt insbesondere für den Verrat von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, der nach §§ 203 f., 355 StGB, § 17 UWG, § 333 HGB, § 404 AktG, § 85 GmbHG und § 120 BetrVG unter Strafe steht. Auf einfachrechtlicher Ebene ist umstritten, ob auch der Verrat illegaler Geheimnisse vom Tatbestand dieser Normen umfasst ist.82 Mangels einer § 93 Abs. 2 StGB vergleichbaren Norm kann nicht mit hinreichender Sicherheit auf einen entsprechenden Willen des Gesetzgebers geschlossen werden; jedenfalls folgt aus der expliziten Normierung des § 93 Abs. 2 StGB nicht im Umkehrschluss, dass Geheimnisse, die unter Verstoß gegen die Rechtsordnung zustande gekommen sind, von anderen Normen nicht umfasst sein sollen.

78 Ob sog. illegale Geheimnisse schützenswerte Belange sind, wurde v. a. in der Anfangszeit der Bundesrepublik und vor Schaffung des § 93 Abs. 2 StGB lebhaft diskutiert. Der BGH wählte dabei einen Mittelweg (BGHSt 20, 342 (354 ff.), mit einem Überblick über das Meinungsspektrum). Dieser Streit wurde durch die Schaffung von § 93 Abs. 2 StGB zwar entschärft, ist bis heute aber nicht abschließend geklärt. 79 Bejahend auch Lampe / Hegmann, in: Joecks / Miebach, § 93 Rn. 34; Schmidt, in: Laufhütte /  Rissing-van Saan / Tiedemann, § 93 Rn. 20; Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder, § 93 Rn. 27. 80 Vgl. hierzu aber auch Rützel, GRUR 1995, 557 (558); Preis / Reinfeld, AuR 1989, 361 (363). 81 Vgl. zum Schutz von Whistle­blowern im Strafrecht auch Ullrich, NZWiSt 2019, 65 ff. 82 Vgl. etwa zu § 17  UWG Janssen / Maluga, in: Joecks / Miebach, § 17  UWG Rn. 35; zu § 333 HGB Waßmer, in: Hennrichs / Kleindiek / Watrin, § 333 HGB Rn.  13.

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ee) Kein Ausschluss der Geheimhaltung aus der EMRK Aus den Normen der EMRK folgt kein Grundsatz, dass die Rücksichtnahmepflicht gegenüber dem Arbeitgeber bei der Feststellung interner Illegalität per se der Menschenrechtsausübung nicht entgegengehalten werden dürfte. Auch der EGMR berücksichtigt insofern die Umstände des Einzelfalles.83 ff) Zwischenergebnis Die Rücksichtnahmepflicht gegenüber dem Arbeitgeber bzw. dessen Recht, diese geltend zu machen (Art. 12 Abs. 1 GG), wird grundsätzlich nicht per se bei interner Illegalität durchbrochen. Insofern ist v. a. darauf zu verweisen, dass ein Rechtsverstoß den grundrechtlichen Schutzbereich nicht beeinflusst. Sowohl bei natürlichen als auch bei juristischen Personen muss der soziale Geltungsanspruch, der durch eine Enthüllung gefährdet werden kann, und der wirtschaftliche Zusammenhang berücksichtigt werden. Welche Konsequenzen hieraus für die Zulässigkeit externen Whistle­blowings zu ziehen sind, ist hiermit allerdings noch nicht geklärt, sondern die Frage einer – anschließend vorzunehmenden – umfassenden Abwägung. 2. Im öffentlichen Dienst a) (Berufs-)Beamte aa) Pflichten aus Art. 33 Abs. 5 GG und einfach-rechtlichen Konkretisierungen (1) Überblick In der Rechtsprechung und der beamtenrechtlichen Literatur wird die Informie­ rung der Öffentlichkeit über interne Angelegenheiten auch als „Flucht in die Öf­ fentlichkeit“ bezeichnet.84 Gesetzlich ist dieser Begriff nicht statuiert, insbesondere stellt er kein eigenständiges Tatbestandsmerkmal dar. Vielmehr kommt bei externem Whistle­blowing ein Verstoß gegen verschiedene beamtenrechtliche Vorschriften in Betracht, die der Grundrechtsausübung Grenzen setzen und im Folgenden näher erörtert werden. Welches Verhalten genau unter diesen Begriff fällt, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Weiß definiert den Begriff etwa dahingehend, „daß die ‚Flucht in die Öffentlichkeit‘ die nicht notwendig pflichtwidrige Handlungsweise 83

S. EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 64 ff. S. BVerwGE 76, 76 (80); Weiß, ZBR 1984, 129 (130 ff.); mitunter findet sich diese Begrifflichkeit in der Literatur auch bei Arbeitnehmern, s. etwa Müller, NZA 2002, 424 (427).

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eines Beamten bezeichnet, eine Angelegenheit aus dem Verantwortungsbereich seines Dienstherrn der Öffentlichkeit zu unterbreiten, um von daher lenkenden Druck auf einen dienstinternen Meinungsbildungs- oder Entscheidungsvorgang zu erzeugen“.85 Dies soll hier nicht weiter vertieft werden: Letztlich handelt es sich lediglich um eine Begrifflichkeit, die eine genaue Auswertung der Umstände des Einzelfalles nicht entbehrlich macht. Die Pflicht, sich mit der Mitteilung von staatlichen Interna zurückzuhalten, ergibt sich aus mehreren Normierungen; insofern kann externes Whistle­blowing mehrere Pflichtverletzungen gleichzeitig darstellen. Diese Pflichten wurzeln letztlich in der allgemeinen Treuepflicht des Beamten zum Staat, die ihre Grundlage wiederum in den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG) findet86, einfachrechtlich in § 4 BBG genannt ist und durch verschiedene Vorschriften konkretisiert wird. Beamten ist es hiernach grundsätzlich untersagt, verwaltungsfremde Stellen zur Lösung interner Konflikte heranzuziehen.87 Aus dieser allgemeinen Pflicht ergeben sich verschiedene Konkretisierungen, die für externes Whistle­blowing bedeutsam sein können: Erstens muss nach § 61 Abs. 1 S. 3 BBG das Verhalten der Beamten innerhalb und außerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die ihr Beruf erfordert. Für externes Whistle­blowing ist dies insofern bedeutsam, als allgemein darauf vertraut wird, dass behördliche bzw. staatliche Interna grundsätzlich nicht an die Öffentlichkeit dringen, sondern vertraulich behandelt werden. Dabei erlangt § 61 Abs. 1 S. 3 BBG auch für die Frage Bedeutung, ob bzw. inwiefern in der konkreten Art und Weise des Handelns des Beamten eine Pflichtverletzung gesehen werden kann.88 § 61 Abs. 1 S. 3 BBG ist damit sowohl für das „Ob“ als auch für das „Wie“ bei externem Whistle­blowing bedeutsam. Dies gilt v. a. dann, wenn bereits kein eigenständiger Verstoß gegen die Pflicht zur Verschwiegenheit (§ 67 Abs. 1 BBG) angenommen werden kann. Zweitens sind Beamte nach § 62 Abs. 1 S. 2 BBG verpflichtet, die dienstlichen Anordnungen ihrer Vorgesetzten auszuführen und ihre allgemeinen Richtlinien zu befolgen (Gehorsamspflicht). Die Gehorsamspflicht wurzelt in Art. 33 Abs. 5 GG.89 Diese Norm wird für Whistle­blower dann relevant, wenn Vorgesetzte festlegen, dass bestimmte (rechtswidrige) Interna nicht nach außen dringen dürfen. Disziplinarrechtlich betrachtet müssen Schweigeanordnungen jedoch rechtmäßig ergehen.90 Bei der Bewertung der Frage, ob eine Schweigeanordnung ergehen durfte,

85 Weiß, ZBR 1984, 129 (130); hierzu auch Patunas, Die politische Meinungsfreiheit der Lehrer, S. 93 ff.; Thiele, DÖD 1985, 145 (146). 86 BVerfGE 39, 334 (348). 87 S. auch BDHE 1, 25 (28). 88 Weiß, ZBR 1984, 129 (134) zur „Flucht in die Öffentlichkeit“. 89 VGH München, NVwZ 2002, 1000 (1002); s. auch BVerfGE 9, 268 (286). 90 Weiß, ZBR 1984, 129 (134).

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

sind dieselben Maßstäbe anzulegen wie bei der Frage, ob eine Informationsweitergabe an Externe erfolgen darf. Drittens ist die Verschwiegenheitspflicht des Beamten zu beachten. Auch im demokratischen Rechtsstaat kann es keine unbeschränkte Offenlegungspflicht des Staates über sämtliche internen Vorgänge geben. Bereits im Jahre 1970 hielt das BVerfG grundlegend fest: „Es bedarf keiner näheren Begründung, daß die öffentliche Verwaltung nur dann rechtsstaatlich einwandfrei, zuverlässig und unparteiisch arbeiten kann, wenn sichergestellt ist, daß über die dienstlichen Vorgänge von seiten der Behördenbediensteten nach außen grundsätzlich Stillschweigen bewahrt wird.“91

Dieser Aspekt gilt v. a. für die Verschwiegenheitspflicht des Beamten, kann aber auch für die Pflicht zur Zurückhaltung, die sich aus anderen beamtenrechtlichen Pflichten ableiten lässt, herangezogen werden. Diese Verschwiegenheitspflicht kann vom Bürger auch über sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) geltend gemacht werden, soweit ihn betreffende Daten betroffen sind.92 Das Einhalten dieser Verschwiegenheitspflicht trägt maßgeblich zum Vertrauensverhältnis zwischen Staat und Bürger bei.93 Auch die Verschwiegenheitspflicht des Beamten wurzelt in Art. 33 Abs. 5 GG94 und gehört zu den Hauptpflichten, nicht aber zu den Kernpflichten von Beamten95. Sie wird einfachrechtlich dahingehend konkretisiert, dass Beamte über die ihnen bei oder bei Gelegenheit ihrer amtlichen Tätigkeit bekannt gewordenen dienstlichen Angelegenheiten Verschwiegenheit zu bewahren haben (§ 67 Abs. 1 S. 1  BBG). Erforderlich ist ein innerer Zusammenhang zwischen Kenntniserlangung und dienstlicher Tätigkeit (Amtskausalität).96 Unter „Angelegenheiten“ sind insofern alle Tatsachen und solche Werturteile, die einen Tatsachengehalt besitzen, zu verstehen.97 Dies darf aber nicht dahingehend verstanden werden, dass lediglich gesicherte Erkenntnisse umfasst wären. Auch Gerüchte und Vermutungen fallen hierunter.98 Untermauert wird diese dienstliche Verpflichtung durch § 353b StGB. Die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit wird bereits durch den gewählten Wortlaut „bei Gelegenheit ihrer amtlichen Tätigkeit“ als umfassende Pflicht verstanden.99 Beamte dürfen geschützte Tatsachen auf keinem Wege (z. B. mündlich oder schrift 91

BVerfGE 28, 191 (198); s. auch Thiele, DÖD 1985, 145. BVerfGE 28, 191 (198 f.) spricht von einem „Anspruch“ des Bürgers, ohne diesen näher zu bestimmen. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung leitete das BVerfG erst im Volkszählungsurteil im Jahre 1983 (BVerfGE 65, 1) aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ab. 93 S. Király, FÖV 57 Discussion Papers 2010, 5. 94 BVerwGE 37, 265 (268); 66, 39 (42); BVerwG, NJW 1983, 2343 (2344); Köhler, in: Hummel / Köhler / Mayer / Baunack, S.  246 f. 95 BVerwG, NVwZ-RR 2006, 485 (488). 96 Grigoleit, in: Battis, § 67 Rn. 6. 97 Leppek, in: Brinktrine / Schollendorf, § 67 Rn. 5 (Stand 1.10.2017). 98 Király, FÖV 57 Discussion Papers 2010, 4. 99 Király, FÖV 57 Discussion Papers 2010, 4; Grigoleit, in: Battis, § 67 Rn. 6. 92

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lich) unberechtigten Personen (teilweise oder vollständig) offenbaren.100 Ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht stellt eine Pflichtverletzung dar.101 Sie gilt nach § 67 Abs. 3 BBG auch bei Aussagen vor Gericht (s. auch § 54 Abs. 1 StPO), wobei die erforderliche Genehmigung nach den Vorgaben des § 68 BBG zu erteilen ist. Ferner ist sie auch bei der Amtshilfe zu beachten.102 Sie gilt ferner gegenüber Mitarbeitern der Verwaltung,103 was sich auch aus einem Umkehrschluss aus § 67 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BBG ergibt.104 Abschließend sei noch auf § 70 BBG verwiesen, wonach die Behördenleitung – und damit gerade nicht andere Beamte – über die Auskunftserteilung gegenüber den Medien entscheidet.105 (2) Gesetzlich vorgesehene Ausnahmen zur Verschwiegenheitsplicht und rechtspolitische Kritik Ausschließlich die Verschwiegenheitspflicht der Beamten wird in § 67 Abs. 2 BBG in bestimmten Fällen ausdrücklich durchbrochen. Hiernach gilt § 67 Abs. 1 BBG nicht, – soweit Mitteilungen im dienstlichen Verkehr geboten sind (§ 67 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BBG); – soweit Tatsachen mitgeteilt werden, die offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen (§ 67 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BBG); – soweit gegenüber der zuständigen obersten Dienstbehörde, einer Strafverfolgungsbehörde oder einer von der obersten Dienstbehörde bestimmten weiteren Behörde oder außerdienstlichen Stelle ein durch Tatsachen begründeter Verdacht einer Korruptionsstraftat nach den §§ 331 bis 337 StGB angezeigt wird (§ 67 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BBG); – im Falle der gesetzlich begründeten Pflicht, geplante Straftaten anzuzeigen (§ 67 Abs. 2 S. 2 Var. 1 BBG); – im Falle der gesetzlich begründeten Pflicht, für die Erhaltung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung einzutreten (§ 67 Abs. 2 S. 2 Var. 2 BBG). Weitere, gesetzlich nicht ausdrücklich geregelte Ausnahmen können sich aus den Grundrechten ergeben.106 Für Beamte kann es im Einzelfall durchaus schwierig sein 100

Kugele, in: ders., § 37 Rn. 12. Kugele, in: ders., § 37 Rn. 16. 102 Hierzu Ebert / Bieler, Das gesamte öffentliche Dienstrecht, 260 Rn. 14 (1/10). 103 Lopacki, ZBR 2016, 329 (331). 104 Vgl. zur Personalvertretung 3.  Teil, B. I. 1. b) aa) (1) (b). 105 Hierzu auch Király, FÖV 57 Discussion Papers, S. 21 f.; Köhler, in: Hummel / Köhler / Mayer / Baunack, S.  258. 106 Reich, Beamtenstatusgesetz, § 37 Rn. 5 zu § 37 BeamtStG. 101

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zu erkennen, ob die Voraussetzungen eines Ausnahmetatbestandes vorliegen. Lässt sich dies nicht deutlich bejahen, besteht eine Pflicht zur Amtsverschwiegenheit.107 Auch wenn die genannten Ausnahmen (rechtspolitisch) begrüßenswert sind, sind sie gesetzgeberisch unzureichend umgesetzt. Der Gesetzgeber hätte ein generelles Anzeigerecht für die oben genannten strafrechtlich relevanten Fälle separat anordnen und dadurch für ein höheres Maß an Rechtssicherheit sorgen können. Durch den von ihm gewählten Weg bleiben weiterhin Abwägungs- und damit Zulässigkeitsfragen offen, da nicht nur die Verschwiegenheitspflicht, sondern auch andere Pflichten des Whistle­blowers bei einer Anzeige betroffen sein können.108 Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 67 Abs. 2 BBG sollen die genannten Ausnahmen aber nur für § 67 Abs. 1 BBG gelten; anderweitig gesetzlich begründete Verschwiegenheitspflichten werden hiervon nicht berührt.109 Dies gilt auch für die genannten anderen allgemeinen Pflichten, aus denen sich u. U. ebenfalls die Pflicht zur Nichtanzeige ergeben kann. Dass der Gesetzgeber mit den genannten Ausnahmeregelungen einen generellen, alle Pflichten beeinflussenden Normenkomplex schaffen wollte, kann auch aufgrund des normativen Zusammenhangs – Kodifizierung in § 67 Abs. 2 BBG und nicht in einer separaten Norm – nicht angenommen werden. Das Verhältnis zu anderen Pflichten ist damit gesetzgeberisch immer noch nicht eindeutig geklärt.110 Ferner ist darauf zu verweisen, dass der beim Whistle­blowing bestehende Konflikt zwischen Verschwiegenheitspflicht und Verfassungstreue (§ 67 Abs. 2 S. 2 Var. 2 BBG) weiterhin gesetzlich ungelöst bleibt. Die in § 67 Abs. 2 S. 2 Var. 2 BBG vorgesehene Pflicht, für die Erhaltung der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ einzutreten (vgl. auch § 60 Abs. 1 S. 3 BBG), wirft die Frage auf, was genau unter diesem Begriff zu verstehen ist. Hier sind viele Interpretationsmöglichkeiten denkbar.111 Diese Unklarheiten auf Tatbestandsebene werden auf der Rechtsfolgenebene noch dadurch verschärft, dass das Bundesbeamtengesetz keine genauen Vorgaben enthält, wie Whistle­blower für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten sollen.112 Auch andere Gesetze geben hierüber keinen Aufschluss. Konkrete gesetzliche Regelungen wären insofern wünschenswert. Letztlich ist die Begrenzung auf die §§ 331–337 StGB in § 67 Abs. 2 Nr. 2 BBG auch nicht nachvollziehbar. Es ist wertungswidersprüchlich, einfache Vorteilsannahme (§ 331 StGB) von der Verschwiegenheitspflicht auszunehmen, aber bspw. nicht Strafvereitlung im Amt (§ 258a StGB) oder einen besonders schweren Be 107

Ebert / Bieler, Das gesamte öffentliche Dienstrecht, 260 Rn. 14 (1/10). S. Király, DÖV 2010, 894 (894 f.). 109 Zu § 37 BeamtStG Reich, Beamtenstatusgesetz, § 37 Rn. 6. 110 Nach Király, DÖV 2010, 894 (896), unterliegen die anderen Beamtenpflichten bei der Anzeige von Korruption einer restriktiven Auslegung; s. zum Problem auch ders., FÖV 57 Dis­ cussion Papers, S. 23 f. 111 Ausführlich Bäcker, Die Verwaltung 2015, 499 (506 ff.). 112 S. Bäcker, Die Verwaltung 2015, 499 (512). 108

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trug nach § 263 Abs. 3 Nr. 4 i. V. m. Abs. 4 StGB.113 Der Gesetzgeber schien hier nicht über die Vorgaben hinausgehen zu wollen, zu deren Umsetzung er international durch Art. 9 des Zivilrechtsübereinkommens über Korruption des Europarates (4.11.1999) verpflichtet ist114. bb) Durchbrechung der Treuepflicht bei interner Illegalität? Im Folgenden wird näher untersucht, ob die oben dargestellten Pflichten unter dem Vorbehalt der Rechtmäßigkeit stehen und der Grundrechtsausübung des Whistle­blowers damit bereits per se nicht entgegengehalten werden können. (1) Die Geheimhaltung illegaler Missstände aus verfassungsrechtlicher Sicht Staatliche Illegalität ist deswegen besonders brisant, weil sie nach Art. 20 Abs. 3 GG nicht existieren dürfte. Hiernach ist die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden. Bewegt sich der Staat außerhalb dieses Rahmens, ist sein Handeln verfassungswidrig. Damit versagt das Grundgesetz illegalem Handeln jedweden Schutz. Es stellt sich aber wiederum die Frage, wie sich dies auf die Offenbarung von geheimen Interna auswirkt. Arndt argumentiert insofern, dass es kein „rechtliches Erfordernis geben [kann], etwas gegen das Recht zu sichern (z. B. durch Geheimhaltung), was nach der verfassungsmäßigen Ordnung Unrecht ist“,115 und versagt der Geheimhaltung illegalen Staatshandelns damit jedweden Schutz, was sich wiederum zu Gunsten des Whistleblowers auswirken würde. Im Ausgangspunkt hat der Staat allerdings ein berechtigtes Interesse daran, bestimmte Sachverhalte geheim zu halten.116 Hiervon geht auch das Grundgesetz selbst aus: so nennt etwa Art. 42 Abs. 1 S. 2, S. 3 GG die Möglichkeit einer nicht öffentlichen Verhandlung des Bundestages; nach Art. 44 Abs. 1 S. 2 GG kann die Öffentlichkeit auch von der Verhandlung des Untersuchungsausschusses ausgeschlossen werden. Da externes Whistle­blowing die Weitergabe von Informationen über interne Missstände beinhaltet, muss untersucht werden, ob die Verschwiegenheitspflicht i. w. S.117 auch solche Missstände umfasst. Das BVerfG hat die Verschwiegenheits 113

Strack, Stellungnahme als Sachverständiger, S. 77. Vgl. BT-Drs. 16/4027, S. 32. 115 Arndt, NJW 1963, 24 (25); zur Diskussion über das illegale Staatsgeheimnis BGHSt 20, 342 (356 ff.). 116 S. auch Jestaedt, AöR 126 (2001), 204 (205): „Keine Gesellschaft und, mehr noch, keine gesellschaftliche Ordnungsmacht, die sich den Namen ‚Staat‘ verdienen will, kann es sich erlauben, schlechthin alles offenzulegen, alles öffentlich zu debattieren, allen zu allem Zugang zu gewähren.“ 117 Wie bereits festgestellt, können neben der eigentlichen Verschwiegenheitspflicht (Art. 33 Abs. 5 GG, § 67 Abs. 1 BBG) auch andere Pflichten des Beamten eine entsprechende Zurück 114

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

pflicht auf „dienstliche Vorgänge“ bezogen,118 diesen Begriff aber nicht näher definiert. Da die Verwaltung nach Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebunden ist, stellt sich die Kernfrage, ob ein rechtswidriges Staatshandeln überhaupt ein „dienstlicher Vorgang“ sein kann: Muss dieser Begriff abstrakt verstanden werden („jedes dienstliche Handeln“) oder unter dem Vorbehalt des Art. 20 Abs. 3 GG („nur rechtmäßiges dienstliches Handeln“)? Dass illegales Amtshandeln aber auch aus verfassungsrechtlicher Sicht vorkommen kann, zeigt zumindest die Existenz des Staatshaftungsrechts: Art. 34 GG geht von einer Verletzung der Amtspflicht aus, worunter jedenfalls jeder Gesetzesverstoß zu verstehen ist119. Es besteht eine Amtspflicht zu rechtmäßigem Verhalten.120 Hiermit ist zumindest indiziert, dass auch illegales Handeln einen dienstlichen Vorgang darstellen kann; ungeklärt ist damit aber weiterhin, ob sich die Verschwiegenheitspflicht i. w. S. im Ausgangspunkt auch hierauf bezieht. Aus mehreren Gründen ist es vorzugswürdig, zwischen illegalem Handeln und seiner Offenbarung zu differenzieren und damit die Geheimhaltung illegaler Missstände nicht per se von der Verschwiegenheitspflicht i. w. S. auszuschließen: – Auch bei der Enthüllung von illegalen Interna müssen andere Verfassungsnormen bzw. -positionen berücksichtigt werden. Die Normen des Grundgesetzes beeinflussen sich gegenseitig und stellen eine Einheit dar (sog. Einheit der Verfassung).121 Soweit mit der Enthüllung eines staatlichen Missstandes andere verfassungsrechtlich geschützte Interessen betroffen sind (insbesondere das allgemeine Persönlichkeitsrecht), kann die Legitimität der Geheimhaltung nicht per se verneint werden. – Ferner kann die Rechtmäßigkeit dienstlicher Vorgänge nicht immer klar eingeschätzt werden, besonders dann, wenn es sich um ein noch nicht hinreichend geklärtes juristisches Problem handelt. Es wäre eine starke Belastung für die Arbeitsweise der Verwaltung, wenn in solchen Fällen ein Recht des Whistleblowers bejaht werden würde, seiner persönlichen Auffassung von der Rechtmäßigkeit des dienstlichen Vorganges folgend Interna an Externe weiterzugeben. – Darüber hinaus kann es auch vorkommen, dass illegale und legale Interna untrennbar miteinander verbunden sind. Wenn ein dienstlicher Vorgang bspw. aufgrund eines Formfehlers rechtswidrig wird, wäre die damit verbundene interne Information strenggenommen nicht mehr geschützt. Auch ein versehentlich erfolgter Rechtsverstoß, der lediglich einen geringen Teil des internen Vorgangs

haltung fordern. Soweit diese Pflichten ebenfalls gemeint sind, wird dies im Folgenden mit dem Zusatz „i. w. S.“ deutlich gemacht. 118 BVerfGE 28, 191 (198). 119 Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 34 Rn. 161 (54. Lfg. 2009); Jarass, in: ders. / Pieroth, Art.  34 Rn. 14. 120 Papier, in: Maunz / Dürig, Art. 34 Rn. 161 (54. Lfg. 2009). 121 S. BVerfGE 1, 14 (32).

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ausmacht, könnte auf den gesamten Vorgang durchschlagen und zu dessen Illegalität führen mit der Folge, dass der gesamte Vorgang als rechtswidrig und damit nicht schützenswert anzusehen wäre. – Damit eng verbunden ist wiederum der Umstand, dass aus bekannt gemachten illegalen Geheimnissen auch Rückschlüsse auf legale Geheimnisse gezogen werden könnten. Hieraus ergibt sich insgesamt, dass die aus Art. 33 Abs. 5  GG folgende Verschwiegenheitspflicht der Verwaltung i. w. S. auch rechtswidrige Dienstvorgänge umfassen kann. Das Grundgesetz steht der (vorläufigen) Geheimhaltung solcher Missstände nicht generell ablehnend gegenüber, vielmehr kann sie im Rahmen der Verschwiegenheitspflicht des Beamten i. w. S. der Grundrechtsausübung des Whistle­blowers grundsätzlich (als legitimer Zweck) entgegengehalten werden. Weder der allgemeine rechtsstaatliche noch demokratische Öffentlichkeitsgrundsatz122 fordert in den vom Grundgesetz nicht genannten Fällen stetige Transparenz – auch nicht i. V. m. Art. 20 Abs. 3  GG bei staatlicher Illegalität. Zwar folgt aus Art. 20 Abs. 3 GG die Gesetzesbindung des Staates, doch kann hieraus nicht der Schluss gezogen werden, dass ein Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG den Geheimhaltungsschutz für rechtswidrige Geheimnisse stets aufhebt. Zu bedenken ist zwar, dass sich der Staat durch die Geheimhaltung solcher Missstände gegebenenfalls selbst zu Lasten des Whistle­blowers honoriert; es würde indes zu kurz greifen, hierauf isoliert abzustellen, da hier ausschließlich der legitime Zweck der Grundrechtseinschränkung, nicht hingegen die konkrete Zulässigkeit externen Whistle­blowings untersucht wird. Im Rahmen der Abwägung kann der grundrechtlichen Position des Whistle­blowers noch hinreichend Rechnung getragen werden. Die Annahme, dass auch die (vorläufige) Geheimhaltung verfassungswidriger bzw. rechtswidriger Verwaltungsinterna im Rahmen der Verschwiegenheitspflicht des Beamten i. w. S. schützenswert sein kann, hat nicht stets zur Folge, dass ein Rechtsverstoß keine Konsequenzen haben wird bzw. dieser Verstoß niemals offengelegt werden wird. Ob der Whistle­blower sich bspw. in bestimmten Fallkonstellationen nicht doch an die Öffentlichkeit wenden kann, ist mit der Feststellung, dass – abstrakt betrachtet – die Geheimhaltung illegaler Missstände grundsätzlich der Verschwiegenheitspflicht des Beamten i. w. S. unterliegt, noch nicht geklärt. In diesem Zusammenhang ist abschließend zu untersuchen, ob in gravierenden Fällen nicht Ausnahmen vom oben genannten Grundsatz gemacht werden müssen. Insofern sei etwa an eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung gedacht: Kann die (vorläufige) Geheimhaltung solch gravierender Gefahren auf abstrakter Ebene der Grundrechtsausübung des Whistle­blowers (als legitimes entgegenstehendes Interesse) überhaupt entgegengehalten werden? Kann die Geheimhaltung von staatlichen Missständen also dem Grundgesetz in bestimmten Fällen per se widersprechen? Hier gelten dieselben Grundsätze wie im Rahmen 122

Hierzu Jestaedt, AöR 126 (2001), 204 (216 ff.).

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des privaten Sektors: Eine ausdrückliche Regelung findet sich im Grundgesetz insofern nicht. Vielmehr gilt der Grundsatz der Einheit der Verfassung, der eine konkrete Abwägung der widerstreitenden Interessen erfordert. Am Beispiel der freiheitlichen demokratischen Grundordnung kann zudem gezeigt werden, dass eine pauschale Verneinung des legitimen Zwecks auf abstrakter Ebene zu Schwierigkeiten führt: So gehören zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung auch die Grundrechte123; würde also bei einem Grundrechtsverstoß jeder Geheimnisschutz entfallen, könnten damit verbundene berechtigte Interessen von anderen Personen, z. B. das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG), nicht berücksichtigt werden. Dies zeigt bereits, dass nicht nur ein Verstoß gegen einen Verfassungsgrundsatz, sondern auch die jeweilige Schwere des Verstoßes bedeutsam ist. Bei Berücksichtigung der Schwere des Verstoßes sind allerdings wiederum die konkreten Umstände des Einzelfalles bedeutsam. Hieraus folgt also, dass ein Ausschluss auf abstrakter Ebene grundsätzlich nicht überzeugend ist, sondern – auch in Extremfällen – eine Gesamtabwägung auf konkreter Ebene vorgenommen werden sollte. Auch bei dieser Vorgehensweise können schwere Verfassungsverstöße hinreichend berücksichtigt werden. Eine Ausnahme auf abstrakter Ebene ist – wie oben bereits erörtert124 – lediglich im Anwendungsbereich des Widerstandsrechts (Art. 20 Abs. 4 GG) anzuerkennen. Darüber hinaus müssen die berechtigten Interessen des Staates berücksichtigt werden. Mangels Grundrechtsträgerschaft kann sich der Staat zwar nicht auf den grundrechtlichen Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen berufen; die Konstellationen, in denen staatliche Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse (einfachrechtlich) bedeutsam sind,125 können für diese Untersuchung aber außen vor gelassen werden. Vielmehr kann die Geheimhaltung illegaler Interna auch im Kontext der möglichen Beschädigung des staatlichen Rufes betrachtet werden. Wenn jeder interne staatliche Missstand direkt öffentlich diskutiert würde, könnte das öffentliche staatliche Anse­hen erheblichen Schaden nehmen und das Vertrauen in den Staat beeinträchtigen. Aufschlussreich sind insofern auch die Ausführungen des BGH zu § 100c StGB a. F.126, der als Tatbestandsmerkmal auf das „Wohl der Bundesrepublik Deutschland“ Bezug nahm:

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Zu Art. 21 Abs. 2 GG BVerfGE 2, 1 (13). 4. Teil, B. II. 1. b) bb). 125 Zum Ganzen Polenz, DÖV 2010, 350 ff. 126 § 100c Abs. 1 StGB a. F. lautete: Wer vorsätzlich ein Staatsgeheimnis an einen Unbefugten gelangen läßt oder es öffentlich bekanntmacht und dadurch fahrlässig das Wohl der Bundes­ republik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährdet, wird mit Gefängnis bestraft. Abs. 2 a. F. lautete: Wer fahrlässig ein Staatsgeheimnis, das ihm kraft seines Amtes oder seiner dienstlichen Stellung oder eines von einer Dienststelle erteilten Auftrages zugänglich war, an einen Unbefugten gelangen läßt und dadurch das Wohl der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährdet, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Die Tat wird nur mit Ermächtigung der Regierung des Bundes oder des Landes verfolgt, dessen Wohl gefährdet worden ist. 124

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„Unter dem ‚Wohl‘ der Bundesrepublik ist, […] die äußere Machtstellung des Staates, sein Wohl nach außen hin, zu verstehen. Für dieses äußere Wohl ist die Bekanntgabe von Geheimnissen, die eine fremde Regierung nicht erfahren soll, zunächst einmal schädlich. Auch das Bekanntwerden eines (geheimgehaltenen) Verstoßes der zuständigen Stellen gegen Gesetz oder Verfassung kann, obgleich es sich vielleicht zunächst um einen innerstaatlichen Verstoß handelt, das äußere Ansehen des Staates in Mitleidenschaft ziehen. Umgekehrt kann aber die öffentliche Rüge eines solchen Verstoßes im Endergebnis dem Ansehen des Staates nach außen und damit seinem Wohle sogar von Nutzen sein, etwa zur Wiederherstellung seines Ansehens als Rechtsstaat führen.“127

Dies setzt allerdings voraus, dass der innerstaatliche Rechtsverstoß überhaupt geeignet ist, das staatliche Ansehen zu beeinträchtigen; die Beweislast trägt hierfür der Staat, der dies plausibel und hinreichend substantiiert darlegen muss. In einer verfassungsrechtlichen Abwägung wird dem Ruf des Staates aber – wenn überhaupt – nur geringe Bedeutung zukommen.128 Auch wenn sich diese Ausführungen auf § 100c StGB a. F. bezogen, der als Tatbestandsmerkmal u. a. das „Wohl der Bundesrepublik Deutschland“ beinhaltete, lässt sich diesen Ausführungen der generelle Gedanke entnehmen, dass das Ansehen des Staates bei einem innerstaatlichen Gesetzesverstoß im Zusammenhang mit der Verschwiegenheitspflicht der Verwaltung (i. w. S.) als legitimer Zweck berücksichtigt werden kann. Allerdings kann nicht nur das äußere, sondern auch das innere Ansehen des Staates bei der Bekanntmachung interner Missstände beschädigt werden: Die Verbreitung von verwaltungsinternen Mängeln kann die öffentliche Anerkennung der Verwaltungsintegrität und -effektivität und damit das gesellschaftliche Vertrauen „in ihre rechtsstaatliche, unparteiische und grundrechtssichernde Tätigkeit“129 beeinträchtigen. Allerdings – und dieser vom BGH gesehene Aspekt sollte besonders gewichtet werden  – kann der Staat bei öffentlichem Whistle­ blowing auch demonstrieren, dass er in der Lage ist, mit rechtsstaatlichen Mitteln gegen interne Missstände vorzugehen. Nicht selten besteht beim externen Whistle­ blowing das Problem, dass lediglich der Whistle­blower und nicht der interne Missstand bekämpft wird. Bei einer solchen Vorgehensweise wird das Vertrauen zwischen Staat und Gesellschaft sowie anderen Staaten nicht gefördert, sondern noch tiefgehender als allein durch das Bekanntwerden des ursprünglichen staatlichen Missstandes verletzt. Dieser Aspekt führt allerdings nicht dazu, dass das Ansehen des Staates bzw. der staatlichen Organe selbst bei rechtswidrigen Handlungen auf abstrakter Ebene als legitimer Zweck zur Grundrechtseinschränkung vollständig zu ignorieren wäre.

127

BGHSt 20, 342 (367). Vgl. auch Mückl, in: Depenheuer / Dogan / Can, S.  9 (31). 129 Köhler, in: Hummel / Köhler / Mayer / Baunack, S.  247. 128

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

(2) Einfachrechtlicher Schutz der Geheimhaltung von Illegalität? Im Beamtenrecht lässt sich speziell aus § 67 Abs. 2 BBG der Rückschluss ziehen, dass illegale Geheimnisse vom Gesetzgeber teilweise auch als (einfachrechtlich) schützenswert anerkannt werden. Die dort genannten Ausnahmen sind für § 67 Abs. 1 BBG zwar einfachrechtlich abschließend normiert,130 allerdings können sich andere Ausnahmen aus Grundrechten ergeben131. Dass der Gesetzgeber jedweden illegalen Missstand vom Schutz der Verschwiegenheitspflicht ausnehmen wollte und die kodifizierten Ausnahmen lediglich deklaratorisch sind, ist fernliegend. Eine ähnliche Konzeption – Regelung lediglich bestimmter Ausnahmebereiche, die einen Umkehrschluss auf die Geheimhaltung interner Missstände erlaubt – findet sich auch in § 93 Abs. 2 StGB.132 (3) Kein Ausschluss der Geheimhaltung aus der EMRK Auch aus der EMRK ergibt sich nicht, dass die Verschwiegenheitspflicht des Beamten die Geheimhaltung illegalen Staatshandelns bereits auf abstrakter Ebene ausschließt. Dies wird auch in der Guja-Entscheidung des EGMR deutlich, in der dieser festhielt, dass externes Whistle­blowing bei illegalem Handeln unter bestimm­ten Umständen Schutz genieße.133 Der EGMR schließt das Geheimhalten illegaler interner Missstände nicht abstrakt von vornherein aus der Loyalitätspflicht aus, sondern legt den Fokus klar auf die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, d. h. die konkrete Abwägungsebene. b) Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst Wie bereits festgestellt, gelten für Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst maßgeblich die Vorschriften des Zivilrechts.134 Insofern ist jedoch auch § 3 Abs. 1 TVöD-AT zu beachten, wonach die Beschäftigten über Angelegenheiten, deren Geheimhaltung durch gesetzliche Vorschriften vorgesehen oder vom Arbeitgeber angeordnet ist, auch über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus Verschwiegenheit zu wahren haben. Zwar stellt diese Regelung eine Konkretisierung der allgemeinen Verschwiegenheitspflicht aus § 241 Abs. 2 BGB dar; dass sich die Verschwiegenheitspflicht aber ausschließlich auf diese Konstellationen beschränken soll,135 ist aufgrund der restriktiven Fassung und der damit einhergehenden Lücken kritisch zu bewerten. 130

Leppek, in: Brinktrine / Schollendorf, § 67 Rn. 10 (Stand 1.10.2017). Reich, Beamtenstatusgesetz, § 37 Rn. 5 zu § 37 BeamtStG. 132 Hierzu bereits 4.  Teil, B. II. 1. b) dd). 133 EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 72. 134 3. Teil, B. II. 135 So Howald, in: Burger, § 3 TVöD Rn. 4. 131

B. Recht zum externen Whistle­blowing

139

III. Grundlagen einer verfassungsrechtlichen Abwägungsentscheidung 1. Verfassungsrechtliche Grundlagen Bislang wurde ermittelt, dass Whistle­blowing in den sachlichen Schutzbereich bestimmter Grundrechte fällt, allerdings durch gesetzliche Regelungen, die entgegenstehende Interessen schützen, begrenzt wird. Solche begrenzenden Regelun­ gen müssen wiederum im Lichte der Grundrechte ausgelegt werden (sog. SchrankenSchranke).136 Diese sog. Wechselwirkung ist letztlich eine besondere Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit,137 der sowohl im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) als auch im Wesen der Grundrechte selbst wurzelt138 und dem in der Praxis – gerade auch bei der Frage, ob externes Whistle­blowing zulässig ist – überragende Bedeutung zukommt. Ungeachtet mancher Kritik139 verdeutlicht die Wechselwirkungslehre, dass Grundrechte als objektive Wertordnung für die gesamte Rechtsordnung von überragender Bedeutung sind140. Aus dem bisher Festgehaltenen folgt, dass Grundrechtseinschränkungen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unterliegen; sie müssen also einem legitimen Zweck dienen und zur Verfolgung dieses Zweckes geeignet, erforderlich und angemessen sein.141 Diese klassische Aufteilung beschränkt sich im Privatrechts­ verhältnis allerdings maßgeblich auf die Abwägung der widerstreitenden Rechtsgüter bzw. Interessen; gleichwohl muss auch hier die Grundrechtseinschränkung einem legitimen Ziel dienen. Dass die (vorübergehende)  Geheimhaltung illegaler Interna grundsätzlich nicht bereits auf der Ebene des legitimen Zwecks der Grundrechtseinschränkung ausgeschlossen werden sollte, wurde bereits geklärt. Für die Frage, unter welchen Voraussetzungen externes Whistle­blowing zulässig ist, kommt der Angemessenheitsebene eine herausragende Bedeutung zu. Im Rahmen der Angemessenheit muss ein angemessener Ausgleich zwischen dem Grundrecht und dem durch die Grundrechtseinschränkung verfolgten Zweck hergestellt werden: „Einbußen an grundrechtlich geschützter Freiheit dürfen nicht in unangemessenem Verhältnis zu den Zwecken stehen, denen die Grundrechtsbeschränkung dient.“142

Die Herstellung eines angemessenen Ausgleichs wird dabei auch als „Herstellung praktischer Konkordanz“ bezeichnet.143 Dabei kommt den Umständen des Ein 136

BVerfGE 7, 198 (208 f.) zur Meinungsfreiheit. Jestaedt, in: Merten / Papier, § 102 Rn. 72. 138 BVerfGE 19, 342 (348 f.). 139 Vgl. hierzu Grabenwarter, in: Maunz / Dürig, Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 Rn. 147 (68. Lfg. 2013). 140 Vgl. BVerfGE 7, 198 (205). 141 BVerfGE 118, 168 (193); 120, 274 (318 f.). 142 BVerfGE 113, 348 (382). 143 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 317 ff. 137

140

4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

zelfalles besondere Bedeutung zu. Auch das BVerfG hielt zur Frage, unter welchen Umständen es zu einer „unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit“ durch die Fachgerichte kommt, bereits fest: „Zu einer solchen Beschränkung kommt es insbesondere, wenn die Gerichte bei Auslegung und Anwendung der Norm nicht alle Umstände des Einzelfalles würdigen, die für die Verhältnismäßigkeitsprüfung von Belang sind.“144

Allerdings impliziert dies nicht, dass jeder Umstand generell gewertet werden müsste. Wenn gewichtige Argumente gegen die Berücksichtigung bestimmter Umstände sprechen, müssen diese ignoriert werden. Allerdings bedarf dies stets einer besonderen Begründung. Dies wird noch bei der Frage, ob die Motivation des Whistle­blowers berücksichtigt werden sollte, bedeutsam.145 Eine abstrakte Angemessenheitsgrenze zu definieren ist demgegenüber unmöglich.146 Hieraus folgt bereits, dass nicht vorab für jede denkbare Konstellation festgestellt werden kann, ob bzw. inwiefern externes Whistle­blowing zulässig ist; allerdings ist es möglich, die verschiedenen typischerweise relevanten Einzelfallkriterien herauszuarbeiten und wesentliche Abwägungsgrundsätze aufzustellen. Dies ist ein wesentlicher Bestandteil dieses 4. Teils dieser Untersuchung. 2. Internationale Einflüsse: Externes Whistle­blowing in der Judikatur des EGMR Abgesehen von wissenschaftlichen Untersuchungen stellt externes Whistle­ blowing auch aus gerichtlicher Perspektive unter Geltung des Grundgesetzes kein neues Phänomen dar. Die Entwicklung der Rechtsprechung, die sich seit den 1950er-Jahren vollzog, wurde von mannigfaltigen (kritischen und zustimmenden) Untersuchungen seitens der Literatur begleitet, was insgesamt zu einem sehr ins Detail gehenden Meinungsspektrum geführt hat. Diese Rechtsprechungsentwicklung wird im Folgenden aber nicht detailliert dargestellt. Aufgrund neuerer Entwicklungen auf europäischer Ebene – genauer auf Ebene der EMRK – soll der Fokus vielmehr auf die Frage gelegt werden, welche Auswirkungen die Rechtsprechung des EGMR zum externen Whistle­blowing auf die Rechtsprechung deutscher Gerichte hat bzw. haben wird. Im international-judikativen Mehrebenensystem kommen der EMRK und ihrer Auslegung durch den EGMR überragende Bedeutung zu. Eine Untersuchung der Thematik „externes Whistle­blowing“ muss konsequenterweise die bisher ergangene Rechtsprechung des EGMR mit einbeziehen. Wesentlicher Bestandteil des 4. Teils

144

BVerfGE 94, 372 (396). Hierzu 4.  Teil, B. IV. 1. e). 146 Albrecht, Zumutbarkeit als Verfassungsmaßstab, S. 73. 145

B. Recht zum externen Whistle­blowing

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dieser Untersuchung ist folglich auch die Frage, inwiefern die vom EGMR herangezogenen Wertungen bereits in der Judikatur der deutschen Gerichte beachtet wurden und welche Auswirkungen die europäischen Vorgaben auf die Rechtslage in Deutschland haben. Da die deutschen Gerichte bestimmte Wertungen auch in Entscheidungen, die nicht zur Zulässigkeit von (externem) Whistle­blowing ergangen sind, herangezogen haben, diese Wertungen aber als allgemeine Grundsätze auf Fälle des externen Whistle­blowings übertragen werden können, werden auch diese Entscheidungen mitberücksichtigt. Dies wird dem Umstand gerecht, dass bei einer Interessenabwägung alle relevanten Umstände des Einzelfalles berücksichtigt werden müssen. Hierdurch kann auch dargelegt werden, dass den deutschen Gerichten die vom EGMR herangezogenen Wertungskriterien im Grunde nicht fremd sind. Bei der Beurteilung der Konsequenzen der unterschiedlichen Rechtsprechung wird dieser Umstand allerdings besonders berücksichtigt. a) Verfassungsrechtliche Pflicht zur Berücksichtigung der EMRK Die EMRK hat in der deutschen Rechtsordnung den Rang eines einfachen Bundesgesetzes,147 sie steht damit unterhalb der Verfassung. Obwohl einfaches Recht Verfassungsrecht nicht determinieren kann, ist gleichwohl zu beachten, dass der im Grundgesetz verankerte Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit dazu verpflichtet, die EMRK auch bei der Auslegung von Verfassungsrecht – und damit v. a. im Rahmen grundrechtlicher Abwägungsfragen – zu berücksichtigen, d. h. „die Konventionsbestimmung in der Auslegung des Gerichtshofs zur Kenntnis zu nehmen und auf den Fall anzuwenden, soweit die Anwendung nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen Verfassungsrecht verstößt“.148 Hierbei ist insbesondere die Rechtsprechung des EGMR zu beachten: „Sind für die Beurteilung eines Sachverhalts Entscheidungen des Gerichtshofs einschlägig, so sind grundsätzlich die vom Gerichtshof in seiner Abwägung berücksichtigten Aspekte auch in die verfassungsrechtliche Würdigung, namentlich die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzubeziehen, und es hat eine Auseinandersetzung mit den vom Gerichtshof gefundenen Abwägungsergebnissen stattzufinden […].“149

Diese gerade für die Rechtspraxis so wichtigen Grundsätze dürfen aber nicht dazu veranlassen, die Rechtsprechung des EGMR kritiklos zu beachten. Vielmehr ist es Aufgabe der Wissenschaft, diese Rechtsprechung kritisch zu begleiten und zugleich – soweit vorhanden – überzeugendere Alternativen aufzuzeigen. Zugleich muss genau analysiert werden, welche Feststellungen der EGMR getroffen hat und welche nicht – ein Umstand, dem gerade beim externen Whistle­blowing

147

BVerfGE 111, 307 (316 f.). S. BVerfGE 111, 307 (329). 149 BVerfGE 111, 307 (324). 148

142

4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

enorme Bedeutung zukommt, wie im Folgenden noch deutlich wird. Erst wenn eine Entscheidung des EGMR genau analysiert ist, kann auch ihre verfassungsrechtliche Relevanz eingeschätzt werden. b) Die Entscheidungen „Guja“ und „Heinisch“ Bei der Auswertung von Rechtsprechung und Literatur zum externen Whistle­ blowing wird erkennbar, dass die EMRK lange Zeit ein Schattendasein führte: Überlegungen zum externen Whistle­blowing waren primär durch verfassungsrechtliche bzw. einfachrechtliche Überlegungen geprägt. Spätestens seit der HeinischEntscheidung vom 21.7.2011150 kann von einem Schattendasein allerdings nicht mehr gesprochen werden; in jener Entscheidung musste die Frage geklärt werden, ob die Kündigung einer Altenpflegerin deshalb gerechtfertigt war, weil sie eine Strafanzeige gegen ihre Arbeitgeberin (Vivantes Netzwerk für Gesundheit GmbH) gestellt hatte – eine Fragestellung, die aus arbeitsrechtlicher Perspektive nicht neu war. Überraschend ist höchstens, dass nicht bereits mit der Guja-Entscheidung vom 12.2.2008151 die Diskussion um externes Whistle­blowing in Deutschland entfacht wurde; diese Entscheidung betraf die Frage, ob eine Entlassung deswegen gerechtfertigt war, weil ein Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft zwei Briefe an die Presse weitergegeben hatte152. Die Heinisch-Entscheidung hat dabei in Deutschland vergleichsweise mehr Aufmerksamkeit sowohl von der breiten Öffentlichkeit als auch von der Wissenschaft erhalten. c) „Externes Whistle­blowing“ als eigene Rechtskategorie des EGMR Externes Whistle­blowing ist auch in der EGMR-Rechtsprechung ein relativ neues Phänomen, dessen Berücksichtigung für die nationalen Gerichte primär zwei miteinander verbundene Probleme aufwirft: Zunächst muss in begrifflicher Hinsicht geklärt werden, was der EGMR unter „Whistle­blowing“ genau versteht. Soweit eine Fallkonstellation unter diesen Begriff subsumiert werden kann, ist ferner klärungsbedürftig, ob der EGMR für Fälle des Whistle­blowings eine einheitliche Rechtsprechung zur Lösung dieser Fallkonstellation entwickelt hat.

150

EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08); hierzu bereits 1. Teil, C., III. 151 EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04). 152 Hierzu auch 1. Teil, C. III.

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143

aa) Definition von „Whistle­blowing“ in der EGMR-Rechtsprechung Der Begriff „Whistle­blowing“ taucht in der Judikatur des EGMR zum ersten Mal in der Entscheidung Stoll v. Schweiz auf, in der das Gericht auf die Resolution 1551 (2007) der Parlamentarischen Versammlung des Europarates verwies, die diesen Begriff („whistle-blowing“) verwendete.153 Der EGMR maß dem Begriff aber in der Entscheidung selbst keine Bedeutung mehr zu. In der Entscheidung Guja v. Moldawien hat er die Frage, ob das Verhalten des Antragstellers als Whistle­blowing einzustufen war, nicht beantwortet, obwohl dies zwischen den Parteien umstritten war.154 Eine Wendung folgte erst in der Entscheidung Heinisch v. Deutschland155: Zwar vermied es der EGMR, die Antragstellerin explizit als Whistle­blowerin zu bezeichnen, doch die zahlreichen Verweise auf die Begriffe „Whistle­blowing“ bzw. „Whistle­blower“ lassen keine Zweifel daran, dass der Gerichtshof sie als solche ansah; hiervon gingen auch unbestritten beide Parteien aus156. Whistle­blowing wurde dabei als „disclosure of deficiencies in enterprises or institutions, such as illegal conduct on the part of the employer, by an employee“157 definiert; allerdings liegt es nahe, dass diese Umschreibung nicht abschließend gemeint ist, da auch bspw. Beamte Whistle­blower sein können. Die Zurückhaltung in der Entscheidung Guja v. Moldawien überrascht, da sich der EGMR in späteren Entscheidungen durchaus mit der Frage, ob das zu wür­ digende Verhalten des Antragstellers als „Whistle­blowing“ einzuordnen ist, befasst hat. So hatte die lettische Regierung in der Entscheidung Rubins v. Lettland geltend gemacht, dass die Motive des Antragstellers rein egoistischer Natur („purely selfish“) gewesen seien, und zwar um seine Stelle an der Universität zu behalten.158 Während das nationale Gericht noch die entsprechende arbeitsrechtliche Whistle­ blower-Schutznorm angewandt hatte, stellte der EGMR (4. Sektion) fest: „The Court could understand the Government’s argument regarding the applicant’s motives as relevant if the case was one of the protection of whistle-blowers. However, the Court does not consider that to be the case.“159

Auch in der Entscheidung Aurelian Oprea v. Rumänien stellte der EGMR (4. Sektion) unter Bezugnahme auf die genannte Entscheidung fest:

153

EGMR, Urt. v. 10.12.2007, Stoll v. Schweiz (Nr. 69698/01), Rn. 40. EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04): vom Antragsteller bejaht (Rn. 60), von der Regierung verneint (Rn. 64). In der Literatur wird von einem Fall des Whistle­ blowings ausgegangen, s. etwa Rohde-Liebenau, in: Thüsing / Forst, S. 203 (217); s. auch Ó Fathaigh / Voorhoof, in: Price / Verhulst / Morgan, S. 107 (111 f.), die die Guja-Entscheidung unter dem Aspekt „Whistle­blowing and democracy“ erörtern. 155 EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08). 156 EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 43. 157 EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 31. 158 EGMR, Urt. v. 13.1.2015, Rubins v. Lettland (Nr. 79040/12), Rn. 86. 159 EGMR, Urt. v. 13.1.2015, Rubins v. Lettland (Nr. 79040/12), Rn. 87. 154

144

4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

„As regards the motives behind his actions, the applicant contended that he had acted as a whistle-blower. The Court does not consider the present case as a whistle-blower case […].“160

In beiden Entscheidungen lehnte es der EGMR also ab, den Antragsteller als Whistle­blower anzusehen, blieb aber eine genaue Erklärung hierfür schuldig. Gleichwohl rückte der EGMR in beiden Entscheidungen seine Feststellung in einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Vorbringen einer Partei zur Motivation des Antragstellers. Eindeutiger äußerte sich der EGMR (5. Sektion) hingegen in der Entscheidung Langner v. Deutschland: „The Court further notes that the Federal Labour Court […] held that the applicant’s statement was not aimed at uncovering an unacceptable situation within the Housing Office, but was rather motivated by the applicant’s personal misgivings about the Deputy Mayor arising from the prospect of the impending dissolution of his subdivision. The current case has therefore to be distinguished from cases of ‚whistle-blowing‘, an action warranting special protection under Article 10 of the Convention, in which an employee reports a criminal offence in order to draw attention to alleged unlawful conduct of the employer […].“161

Spätestens mit dieser Entscheidung ist deutlich geworden, dass die Motivation für den EGMR das entscheidende Abgrenzungskriterium zwischen Whistle­blowern und sonstigen Insidern, die Informationen enthüllen, ist. Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung hätte der EGMR in der Guja-Entscheidung auch ausdrücklich einen „case of whistle-blowing“ bejahen können.162 Die Abgrenzung erfolgte bis jetzt allerdings primär anhand eines negativen Ausschlusses, sodass auf positiver Seite die erforderliche Motivationslage noch nicht abschließend feststeht; m. a. W.: Bei einer negativen (böswilligen) Motivationslage liegt keinesfalls eine Whistle­blowing-Konstellation vor, welche Anforderungen aber genau an die Motivationslage zu stellen sind, ist nach der EGMRRecht­sprechung noch nicht eindeutig geklärt. Allerdings ist insofern auch die Entscheidung Heinisch v. Deutschland zu berücksichtigen, wonach die Feststellung eines zusätzlichen Motivs nicht schädlich gewesen wäre163 – ob sich dies aber auch auf die Begriffsbestimmung oder lediglich die Abwägung bezieht, ist noch nicht eindeutig beantwortet. bb) Einheitliches Prüfungskonzept des EGMR? Soweit damit im Grundsatz geklärt ist, dass der EGMR lediglich bestimmte Verhaltensweisen als Whistle­blowing einstuft, schließt sich die Frage nach den rechtlichen Konsequenzen an. Allgemein kann zunächst festgehalten werden, dass der 160

EGMR, Urt. v. 19.1.2016, Aurelian Oprea v. Rumänien (Nr. 12138/08), Rn. 69. EGMR, Urt. v. 17.9.2015, Langner v. Deutschland (Nr. 14464/11), Rn. 47. 162 Vgl. EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 92–94. 163 EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 83 (konkret die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Antragstellerin). 161

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EGMR mit dem Begriff „Whistle­blowing“ eine eigene (abgrenzbare) Rechtskategorie im Rahmen der Meinungsfreiheit statuiert hat.164 Hierfür spricht auch die Entscheidung Langner v. Deutschland, in der er Whistle­blowing als „action warranting special protection under Article 10 of the Convention“ bezeichnet hat.165 Da Whistle­blowing allerdings in unterschiedlichen Fallkonstellationen vorkommen kann und sich der EGMR bislang kaum mit Whistle­blowing-Fällen befassen musste, ist es schwierig, mit entsprechender Sicherheit ein einheitliches Prüfungskonzept des EGMR für Fälle des Whistle­blowings festzustellen. Im Ausgangspunkt sind jedenfalls die beiden Entscheidungen Guja v. Moldawien166 und Heinisch v. Deutschland167 maßgeblich, in denen sich der EGMR an den gleichen Abwägungskriterien orientiert hat: – der Vorrang internen Whistle­blowings, – das öffentliche Interesse an der Information, – die Authentizität der Information, – die durch Whistle­blowing entstandenen negativen Auswirkungen, – die Motivation des Whistle­blowers sowie – die Strafe für den Whistle­blower. Beide Entscheidungen betrafen die Zulässigkeit einer Entlassung, hatten aber unterschiedliche Hintergründe: In erstgenannter Entscheidung gab ein Whistle­ blower Briefe an die Presse weiter und befand sich in einem öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnis (als „civil servant“), in letztgenannter stellte eine Whistle­ blowerin Strafanzeige gegen den Arbeitgeber und befand sich in einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis („employees in private-law employment relationship“). In keiner Entscheidung hat der EGMR indes ausdrücklich einen Grundsatz statuiert, dass bei Fällen von Whistle­blowing ein bestimmter Kriterienkatalog Anwendung fände. Ferner wurde die jeweils umgekehrte Konstellation (Strafanzeige im öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnis bzw. Weitergabe von Interna an die Presse im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis) vom EGMR bislang noch nicht unter ausdrücklicher Bejahung einer Whistle­blowing-Konstellation erörtert. Trotz dieser sachlichen Unterschiede (Anstellungsverhältnis: öffentlich / privat; Informationsadressat: Presse / Strafverfolgungsbehörde) orientierte sich der EGMR in beiden Entscheidungen an den gleichen Kriterien. Dass er in der Heinisch-Entscheidung teilweise auf die Guja-Entscheidung verwiesen hat, kann ebenfalls als Argument für einen einheitlichen Prüfungsmaßstab herangezogen werden, auch 164

Albrecht, in: Bontrup / Korenke / Wienbracke, S.  1 (12). S. EGMR, Urt. v. 17.9.2015, Langner v. Deutschland (Nr. 14464/11), Rn. 47 (keine Hervorhebung im Original). 166 EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04). 167 EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08). 165

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

wenn sich berechtigterweise fragen lässt, weshalb der EGMR nicht bei sämtlichen Kriterien auf die Guja-Entscheidung verwiesen hat. Dass in beiden Fällen der Staat involviert war, ist insofern nicht entscheidend.168 Dies lässt u. a. den Schluss zu, dass eine Orientierung an beiden Entscheidungen sowohl bei Beschäftigungsverhältnissen im privaten Sektor als auch bei öffentlichen Beschäftigungsverhältnissen möglich ist. Allerdings ist zuzugestehen, dass die Rechtsprechung des EGMR nicht eindeutig ist169 und die künftige Entwicklung genau beobachtet werden muss. Dies betrifft insbesondere die Frage, ob anderen Abwägungskriterien keine Bedeutung mehr zukommen soll und damit möglicherweise nicht mehr alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sein sollen – was insgesamt eher fernliegend ist. Insofern ist wiederum zu beachten, dass dem EGMR die Heranziehung eines bestimmten „Kriterienkataloges“ im Rahmen der Angemessenheit nicht fremd ist, wie die Caroline-Rechtsprechung gezeigt hat; in der Entscheidung vom 7.2.2012 heißt es insofern: „Where the right to freedom of expression is being balanced against the right to respect for private life, the criteria laid down in the case-law that are relevant to the present case are set out below.“170

Nicht zuletzt aus praktischer Sicht wird damit deutlich, wie wichtig eine genaue Definition der Begriffe „Whistle­blower“ und „Whistle­blowing“ ist. cc) Zur Übertragbarkeit der Entscheidungen auf andere Fallkonstellationen Schließlich muss berücksichtigt werden, dass sich beide EGMR-Entscheidungen sachlich mit der Entlassung aus einem Beschäftigungsverhältnis befasst haben. Damit stellt sich die Frage, ob das Prüfungskonzept des EGMR auch auf andere Rechtsbereiche – z. B. das Strafrecht bei einer strafrechtlichen Verurteilung – übertragen werden kann. Dies kann mangels einschlägiger Fälle nicht mit absoluter Sicherheit festgestellt werden. Hierfür spricht jedenfalls, dass aus Art. 10 Abs. 1 EMRK eine Wertung folgt, die in jedem Rechtsgebiet beachtet werden muss.

168

Vgl. Hochhauser, ZESAR 2012, 278 (282). Vgl. die Entscheidung EGMR, Urt. v. 18.10.2011, Sosinowska v. Polen (Nr. 10247/09), Rn. 79: „The applicant was penalised essentially for the fact that she had expressed concerns, to persons working in the ward, to the hospital’s authorities and to the regional consultant, about the quality of medical care given to patients on her superior’s orders.“ Hier kam der Kriterienkatalog nicht zum Einsatz, obwohl die Entscheidung zeitlich nach den Urteilen „Guja“ und „Heinisch“ erging; anders wiederum in der Entscheidung EGMR, Urt. v. 8.1.2013, Bucur et al. v. Rumänien (Nr. 40238/02), Rn. 94 ff. 170 EGMR, Urt. 7.2.2012, Caroline von Hannover v. Deutschland (Nr. 40660/08 und 60641/08), Rn. 108 (keine Hervorhebung im Original). 169

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dd) Zur Möglichkeit einer Kriterienkonkretisierung durch andere EGMR-Entscheidungen Auch unter Zugrundelegung der Annahme, dass der EGMR (externes) Whistle­ blowing als eigene Rechtskategorie versteht und für diese Rechtskategorie bestimmte Wertungen heranzieht, bedeutet dies nicht, dass andere Entscheidungen des EGMR für diese Wertungen völlig unbedeutend wären. Auch auf andere Entscheidungen kann zur näheren Bestimmung der vom EGMR entwickelten Kriterien zurückgegriffen werden. Hierfür spricht, dass der EGMR in seinen beiden genannten Grundlagenentscheidungen (Guja v. Moldawien sowie Heinisch v. Deutschland) bei der Erörterung der Kriterien auch selbst auf andere Urteile verwiesen hat. ee) Zur Heranziehung weiterer Kriterien aus Sicht des EGMR Der EGMR hat in keiner Entscheidung ausdrücklich festgehalten, dass die vom Gericht herangezogenen Wertungen abschließend seien. In der Heinisch-Entscheidung verwies der EGMR darauf, dass die Grundsätze und Kriterien, die er in seiner Rechtsprechung zur Abwägung zwischen dem Recht des Arbeitnehmers auf freie Meinungsäußerung in Form von Hinweisen auf strafbares oder rechtswidriges Verhalten seitens des Arbeitgebers und dem Recht des Arbeitgebers auf Schutz seines Rufes und seiner wirtschaftlichen Interessen aufgestellt habe, auch für den in Rede stehenden Fall gälten.171 Dabei zitierte der EGMR verschiedene Entscheidungen, denen allerdings nicht immer eine Whistle­blowing-Konstellation zugrunde lag.172 Wie der EGMR in der Entscheidung Guja v. Moldawien feststellte, hatte das Gericht vorher noch nicht über einen Fall entscheiden müssen, bei dem ein Verwaltungsbeamter („civil servant“) interne Informationen enthüllt hatte;173 der Fall Heinisch v. Deutschland betraf hingegen die Enthüllung durch eine Arbeitnehmerin. Da das Gericht in den Entscheidungen Guja v. Moldawien (Weitergabe von Briefen durch einen Verwaltungsbeamten) und Heinisch v. Deutschland (Strafanzeige einer Arbeitnehmerin gegen den Arbeitgeber), die beide einen Fall des Whistle­blowings betrafen, dieselben Abwägungskriterien heranzog, spricht einiges für einen abgegrenzten Kriterienkatalog; eindeutig ist dies jedoch nicht. Nicht aussagekräftig ist insofern die Urteilsformulierung, mit der die Untersuchung der einzelnen Kriterien eingeleitet wird:

171

EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 64. S. hierzu auch Forst, NJW 2011, 3477 (3480): „Wenn aber das Fallrecht des Gerichtshofs für den Kriterienkatalog entscheidend ist und dieses in der Vergangenheit eine Evolution durchlaufen hat, ist zu erwarten, dass es auch in der Zukunft offen sein wird für neue Entwicklungen.“ 173 S. EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 72. 172

148

4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

„In determining the proportionality of an interference with  a civil servant’s freedom of expression in such a case, the Court must also have regard to a number of other factors.“174

Dieser Verweis auf die „anderen Faktoren“ ist zwar allgemein gehalten, konkretisiert sich im Folgenden aber gerade zu den fünf Wertungskriterien, die für den EGMR maßgeblich sind. Auffällig ist ferner, dass das Gericht in beiden Entscheidungen die Untersuchung des letzten Kriteriums (Strafe für den Whistle­blower) mit dem Wort „Lastly“ einleitet175. Bedeutet „lastly“, dass es das letzte Kriterium in der Abwägung generell ist, oder dass es das letzte relevante bisher in der Rechtsprechung entwickelte Kriterium ist? Darüber hinaus ist es aber auch denkbar, dass der EGMR diesem Begriff keine größere Bedeutung beimisst: „lastly“ lässt sich allgemein mit „schließlich“ übersetzen, wofür auch das in der französischen Sprachfassung der Urteile gewählte Wort „enfin“ spricht. Die Entscheidungen sind insofern jedenfalls nicht eindeutig. Darüber hinaus hielt der EGMR in der Guja-Entscheidung fest: „The Court will now assess the facts of the present case in the light of the above principles.“176 Deutet dies auf eine abschließende Statuierung der Kriterien hin? Auch die Bedeutung dieses Satzes bleibt unklar, da er in der Heinisch-Entscheidung wiederum nicht auftaucht. In einer anderen Entscheidung heißt es wiederum, dass der EGMR die angefochtene Beeinträchtigung (von Art. 10 Abs. 1 EMRK) „in the light of the case as a whole“ betrachten müsse,177 was als Argument gegen einen abgeschlossenen Kriterienkatalog gewertet werden kann. Ob der EGMR seinen Kriterienkatalog zu (externem) Whistle­blowing ergänzen wird, bleibt insgesamt also abzuwarten. Die Frage, ob aus Sicht des EGMR weitere Abwägungskriterien herangezogen werden können, kann damit nicht klar beantwortet werden. Unter Zugrundelegung der Annahme, dass der EGMR die Kriterien für nicht abschließend erachtet, ist es wiederum schwer einzuschätzen, welche Kriterien darüber hinaus für den EGMR bedeutsam sein könnten. So spielten etwa bereits das jeweilige Arbeitsumfeld („professional environment“)178 und die Art des Berufes („special nature of the profession“)179 für den EGMR eine Rolle. Ferner wurde auch die Rechtmäßigkeit eines Zustandes nach nationalem Recht berücksichtigt.180 Dies hätte ferner zur Konse 174 EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 74 (keine Hervorhebung im Original); ähnlich EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 66. 175 EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 78; Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 70. 176 EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 79. 177 EGMR, Urt. v. 19.12.2006, Radio Twist A. S. v. Slowakei (Nr. 62202/00), Rn. 50. 178 EGMR, Urt. v. 8.10.2015, Kharlamov v. Russland (Nr. 27447/07), Rn. 27; Urt. v. 13.1.2015, Rubins v. Lettland (Nr. 79040/12), Rn. 78 (s. aber auch Rn. 87); s. auch EGMR, Urt. v. 12.11.2011, Palomo Sánchez et al. v. Spanien (Nr. 28955/06, 28957/06, 28959/06, 28964/06), Rn. 72. 179 EGMR, Urt. v. 18.10.2011, Sosinowska v. Polen (Nr. 10247/09), Rn. 80; Urt. v. 28.10.2003, Steur v. Die Niederlande (Nr. 39657/98), Rn. 38. 180 EGMR, Urt. v. 16.1.2014, Tierbefreier e. V. v. Deutschland (Nr. 45192/09), Rn. 54; hierzu auch Daiber, in: Meyer-Ladewig / Nettesheim / von Raumer, Art.  10 Rn.  64.

B. Recht zum externen Whistle­blowing

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quenz, dass sich die deutschen Gerichte nicht auf diese Kriterien beschränken müssten, wenn es im konkreten Fall Anlass gibt, bei der Würdigung aller Einzelumstände weitere Umstände zu berücksichtigen. So wurde vom BVerwG etwa der Umstand gewertet, ob ein Grundrechtsträger seine Meinung als Angehöriger der Streitkräfte oder Staatsbürger geäußert hat.181 Jedenfalls sollte auch im Blick behalten werden, ob bzw. inwiefern der EGMR die genannten Abwägungskriterien extensiv versteht und andere Umstände innerhalb dieser Kriterien berücksichtigen wird.

IV. Kriterien und Grundsätze für eine verfassungsrechtliche Abwägungsentscheidung bei externem Whistle­blowing Sowohl auf der Ebene der EMRK182 als auch im Rahmen der nationalen Grundrechtsprüfung kommt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit überragende Bedeutung zu. Nach Art. 10 Abs. 2 EMRK muss eine Einschränkung der Meinungsfreiheit (Art. 10 Abs. 1 EMRK) in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein; dieses Erfordernis der „Notwendigkeit“ wird vom EGMR als Verhältnismäßigkeitsprüfung verstanden, innerhalb derer der Ermessensspielraum („margin of appreciation“) der Vertragsstaaten zu berücksichtigen ist.183 Konfligiert Art. 10 Abs. 1 EMRK mit dem Recht einer anderen Person (s. Art. 10 Abs. 2 EMRK: „for the protection of the reputation or rights of others“), dann muss ein angemessener Ausgleich („fair balance“) zwischen beiden Rechten hergestellt werden.184 In ähnlicher Weise unterliegen Grundrechtseinschränkungen in Deutschland dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.185 Mittels einer Abwägung wird im konkreten Einzelfall untersucht, inwiefern ein bestimmtes Konventions- bzw. Grundrecht den Whistle­blower schützt. Damit stellt sich die entscheidende Frage, mittels welcher Kriterien im Rahmen der Verhältnismäßigkeit die Zulässigkeit externen Whistle­ blowings zu untersuchen ist. Die folgende Darstellung verbindet zwei Aspekte: Zum einen wird die Rechtsprechung des EGMR näher analysiert und der deutschen Rechtsprechung gegenübergestellt, um bestehende Differenzen zu analysieren und zu ermitteln, ob die deutschen Gerichte ihre Judikatur ändern müssen, um Völkerrechtsverstöße zu vermeiden und ihrer verfassungsrechtlichen Pflicht zur Berücksichtigung der EMRK gerecht zu werden. Dabei werden auch verbleibende Unklarheiten bei den einzel 181

BVerwGE 86, 188 (196). Auf den IPBPR wird im Folgenden nicht separat eingegangen. Vielmehr werden generelle Grundsätze entwickelt, die allgemein sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene gelten. Die EMRK muss allerdings aufgrund der Rechtsprechung des EGMR zum externen Whistle­blowing näher analysiert werden. 183 EGMR, Urt. v. 7.12.1976, Handyside v. Das Vereinigte Königreich (Nr. 5493/72), Rn. 48 f. 184 S. EGMR, Urt. v. 29.6.2004, Chauvy et al. v. Frankreich (Nr. 64915/01), Rn. 70 zum Konflikt zwischen Art. 10 Abs. 1 EMRK und Art. 8 EMRK. 185 S. nur BVerfGE 120, 274 (318 f.); 115, 320 (345 f.). 182

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

nen Kriterien herausgearbeitet. Zum anderen werden sonstige in Betracht kommende Abwägungskriterien, die gerichtlich für die Thematik „externes Whistle­ blowing“ bislang noch keine bzw. eine untergeordnete Rolle gespielt haben, näher untersucht. Insofern ist einer umfassenden Abwägung gegenüber der Heranziehung eines bestimmten Kriterienkataloges – wie in den beiden grundlegenden Entscheidungen des EGMR186 – der Vorrang einzuräumen. Während der EGMR im Rahmen der Abwägung nicht streng zwischen privatem Sektor und öffentlichem Dienst unterscheidet, kommt es bei deutschen Gerichten zu entsprechenden Differenzierungen, woran sich auch die folgende Untersuchung orientiert. Eine genaue Einordnung fällt dabei nicht immer leicht, da stets zu überlegen ist, ob sich die (noch zu erörternden) Ausführungen des BAG zum privaten Sektor nicht auch auf Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst übertragen lassen. Dies kann generell bejaht werden, es sei denn, besondere Umstände sprechen dagegen; letzteres ist etwa dann der Fall, wenn sich die Ausführungen auf Art. 12 Abs. 1 GG beziehen, da der Staat bzw. Dienstherr nicht Grundrechtsträger ist, wohl aber ein Arbeitgeber im privaten Sektor. Um Doppelungen zu vermeiden, wird die Rechtsprechung des BAG im Folgenden generell im privaten Sektor berücksichtigt. Auch wenn nicht alle Fallkonstellationen (und damit implizit alle Umstände des Einzelfalles) abschließend vorhergesehen und untersucht werden können, ist es möglich, bestimmte, typische Kriterien für Whistle­blowing-Fälle herauszuarbeiten und näher zu konkretisieren. Diese gelten sowohl für externes Whistle­blowing im privaten Sektor als auch im öffentlichen Dienst. 1. Abwägungskriterien für die Zulässigkeit externen Whistle­blowings a) Vorrang internen Whistle­blowings aa) Rechtsprechung des EGMR Nach der Rechtsprechung des EGMR schuldet ein Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber Loyalität, Zurückhaltung und Diskretion („loyality, reserve and discretion“).187 Diese Loyalitätspflicht gelte sowohl bei Verwaltungsbeamten sowie bei Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst („civil servants and employees in the public sector“) als auch bei Arbeitnehmern im Privatrechtsverhältnis („employees in privatlaw employmentships“).188 Bei der Herstellung eines angemessenen Ausgleichs 186

Hierzu 4. Teil, B. III. 2. c) bb). EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 70; Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr.  28274/08), Rn. 64; Urt. v. 13.1.2015, Rubins v. Lettland (Nr. 79040/12), Rn. 78. 188 EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 64. 187

B. Recht zum externen Whistle­blowing

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müssten die Grenzen des Rechts auf freie Meinungsäußerung und die mit Arbeitsverträgen und dem Arbeitsumfeld verbundenen gegenseitigen Rechte und Pflichten beachtet werden.189 Dabei seien die Art und der Umfang der Loyalitätspflicht bedeutsam.190 Hieraus folgert der EGMR zunächst einen grundsätzlichen Vorrang internen Whistle­blowings: „In the light of the duty of discretion referred to above, disclosure should be made in the first place to the person’s superior or other competent authority or body. It is only where this is clearly impracticable that the information could, as a last resort, be disclosed to the public […]. In assessing whether the restriction on freedom of expression was proportionate, therefore, the Court must take into account whether there was available to the applicant any other effective means of remedying the wrongdoing which he intended to uncover.“191

Diesen Grundsatz konkretisierte der EGMR in der Entscheidung Heinisch v. Deutschland erst im Rahmen der Subsumtion, indem er auf das Urteil des BAG vom 3.7.2003192 und Resolution 1729 (2010) der Parlamentarischen Versammlung Bezug nahm und diese Grundsätze als im Fall anwendbar erachtete.193 In folgenden Fällen bestehe ein Vorrang internen Whistle­blowings demnach nicht: – wenn der Arbeitnehmer Wissen von einer Straftat erlange und sich einer Strafverfolgung aussetzen würde, falls er sie nicht anzeige; – wenn Abhilfe berechtigterweise nicht erwartet werden könne; – wenn vernünftigerweise nicht erwartet werden könne, dass interne Kanäle richtig funktionierten.194 Zudem sei der Arbeitnehmer nicht mehr an seine Loyalitätspflicht gegenüber dem Arbeitgeber gebunden, wenn er ihn auf eine illegale Praxis („unlawful practice“) hinweise und Letzterer diese nicht behebe.195 Der EGMR berücksichtigt dabei, inwiefern der Whistle­blower intern auf die Faktenlage hinweist.196 Dabei scheint es für den EGMR nicht entscheidend, dass die genaue Straftat erst mit Erstattung der Strafanzeige genannt wird, wenn die maßgeblichen Fakten dem Arbeitgeber vorher mitgeteilt wurden.197 In diesem Zusammenhang hat der EGMR ferner festgestellt, dass die Strafverfolgungs­behörden 189

EGMR, Urt. v. 13.1.2015, Rubins v. Lettland (Nr. 79040/12), Rn. 78. EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 64. 191 EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 73; ähnlich in EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 65 mit Bezugnahme auf die Loyalitäts- und Diskretionspflicht. 192 BAGE 107, 36. 193 EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 73 f. 194 EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 73. 195 EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 73. 196 S. EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 72. 197 S. EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 72. 190

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

mit einer Strafanzeige dazu aufgefordert würden, die in der Strafanzeige umschriebenen Umstände des Falles unter allen rechtlich relevanten Aspekten zu untersuchen.198 Darüber hinaus untersucht der EGMR, ob das nationale Recht oder interne Bestimmungen Vorschriften zum Melden von Unregelmäßigkeiten enthalten199 bzw. ob das nationale Recht einen speziellen Durchsetzungsmechanismus („particu­ lar enforcement mechanism“) für die Untersuchung einer Beschwerde eines Whistle­blowers und die angestrebte Abhilfemaßnahme durch den Arbeitgeber bereithält200. Auch scheint es relevant, wie lange der Missstand der zuständigen Stelle bereits bekannt ist.201 Auffällig ist folgende Feststellung des EGMR zu den vom BAG herangezoge­ nen Kriterien und der Resolution der Parlamentarischen Versammlung: „The Court finds that these considerations also apply in the case at hand.“202 Bedeutet die Wendung „in the case at hand“, dass es sich um eine einmalige Bezugnahme auf diese Grundsätze handelte? Oder können diese Grundsätze auf alle vergleich­ baren Whistle­blowing-Fälle in Zukunft angewandt werden? Letzteres liegt durchaus nahe, bleibt aber abzuwarten. bb) Vorrangverhältnis im privaten Sektor (1) Rechtsprechung deutscher Gerichte Wie bereits beim Recht zum internen Whistle­blowing herausgearbeitet, trifft den Arbeitnehmer eine Pflicht zur Rücksichtnahme gegenüber seinem Arbeitgeber, wonach der Arbeitnehmer u. a. auch die Interessen seines Arbeitgebers wahren muss und diesen nicht schädigen darf.203 Ob hieraus allerdings auch ein grundsätzlicher Vorrang internen Whistle­blowings abgeleitet werden kann, hat die Rechtspraxis (und Rechtslehre) bereits vor dem Grundsatzurteil des BAG von 2003 mehrfach beschäftigt. Zu nennen sind hierbei exemplarisch die Entscheidungen des LAG Hamm (zur Erstattung einer Strafanzeige)204 und des LAG Baden-Württemberg (zu einer Meldung an den Wirtschaftskontrolldienst)205, die (für die genannten Fallkonstel 198

EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 72. S. EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 81. 200 EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 75. 201 S. EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 82. 202 EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 74. 203 Hierzu 3. Teil, A., II., 1.; s. darüber hinaus auch BGHSt 5, 187 (188 f.). 204 LAG Hamm, NZA-RR 1999, 24 (25): Das Vorrangverhältnis sei insofern „anerkannt“. 205 LAG Baden-Württemberg, NZA 1987, 756. Auch wenn das LAG ein Vorrangverhältnis nicht explizit festgestellt hat, konstatierte es, dass der Arbeitnehmer „den Eindruck haben [konnte], der Betriebsleitung seien die in der Abteilung ‚Frischfleisch‘ vorgenommenen Mani­ pulationen bekannt, würden von ihr sogar gebilligt“, sodass die mangelnde Meldung an den Geschäftsführer oder die Unternehmensführung vor der Meldung des Arbeitnehmers an den Wirtschaftskontrolldienst entschuldbar gewesen sei. 199

B. Recht zum externen Whistle­blowing

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lationen) von einem grundsätzlichen Vorrang internen Whistle­blowings ausgingen. Lediglich das LAG Düsseldorf wollte einen solchen Vorrang (bei einer „Anzeige“ bei der Wasser- und Schifffahrtsdirektion) nicht anerkennen.206 Das BAG hat sich in einem viel diskutierten Urteil aus dem Jahre 2003 (zur Erstattung einer Strafanzeige)  von einem generellen Vorrang internen Whistle­ blowings ausdrücklich distanziert, da dies „dem verfassungsrechtlichen Rahmen und den grundrechtlichen Positionen des Arbeitnehmers nicht gerecht“ werde.207 Vielmehr komme es auf den Einzelfall an,208 was vom BAG wie folgt konkretisiert wurde: Vorangehendes internes Whistle­blowing sei (regelmäßig) dann unzumutbar, wenn der Arbeitnehmer „Kenntnis von Straftaten erhält, durch deren Nichtanzeige er sich selbst einer Strafverfolgung aussetzen würde“, sowie „bei schwerwiegenden Straftaten oder vom Arbeitgeber selbst begangenen Straftaten“.209 Eine interne Klärungspflicht bestehe dann nicht, „wenn Abhilfe berechtigterweise nicht zu erwarten ist“.210 Bei einem Hinweis an den Arbeitgeber auf die gesetzeswidrige unternehmensinterne Praxis könne dann nicht mehr von einer (weiteren) vertraglichen Rücksichtnahmepflicht ausgegangen werden, wenn dieser nicht für Abhilfe sorge.211 Internes Whistle­blowing sei aber dann eher zumutbar, „wenn nicht der Arbeitgeber oder sein gesetzlicher Vertreter, sondern ein Mitarbeiter seine Pflichten verletzt oder strafbar handelt“, was insbesondere dann gelte, „wenn es sich um Pflichtwidrigkeiten handelt, die – auch – den Arbeitgeber selbst schädigen“.212 Diese Kriterien beziehen sich auf eine „Anzeige des Arbeitnehmers“;213 welche Art von Anzeige hierunter fällt, ist nicht eindeutig, denkbar ist etwa eine Anzeige an eine Strafverfolgungsbehörde (so der dem BAG-Urteil zugrundeliegende Sach­ verhalt) oder an das zuständige Gewerbeamt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG – nach hier vertretener Auffassung – nicht nur auf Strafanzeigen bzw. die Mitwirkung im Strafverfahren beschränkt, wobei die Rechtsprechung des BVerfG insofern noch unklar ist.214 Wichtig ist insofern, dass eine Anzeige bei den zuständigen Behörden institutionell vorgesehen ist und sich daher maßgeblich von einer Meldung an andere (private) externe Adressaten – z. B. die Presse – unterscheidet. Die vom BAG aufgestellten Grundsätze können auf letztere Konstellation also nicht übertragen werden. Im Rahmen dieser Grundsätze bleiben einige Fragen allerdings noch ungeklärt. So hat das BAG etwa nicht näher konkretisiert, wann es eine Straftat für schwer 206

LAG Düsseldorf, DB 1974, 2164. BAGE 107, 36 (45). 208 BAGE 107, 36 (45). 209 BAGE 107, 36 (46). 210 BAGE 107, 36 (46). 211 BAGE 107, 36 (46). 212 BAGE 107, 36 (46). 213 Vgl. zu der Androhung einer Strafanzeige LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 17.8.2011, 2 Sa 196/11, Rn. 41 (juris). 214 Hierzu insgesamt 2.  Teil, A. II. 2. b). 207

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

wiegend erachtet oder anhand welcher Kriterien zu ermitteln ist, dass Abhilfe berechtigterweise nicht erwartet werden kann. (2) Vergleich zwischen der Rechtsprechung des EGMR und der Grundsatzentscheidung des BAG (a) Grundsatzkonflikt zwischen EGMR und BAG Der EGMR hat einen grundsätzlichen Vorrang internen Whistle­blowings ausdrücklich bejaht, während das BAG ausdrücklich auf den Einzelfall abstellte. Diese Diskrepanz muss indes nicht zwingend zu einer Rechtsprechungsänderung des BAG führen. Hierfür sprechen maßgeblich drei Erwägungen: Erstens ist zu beachten, dass die Vertragsstaaten aus (völkerrechtlicher) Sicht der EMRK lediglich einen bestimmten Erfolg schulden;215 unerheblich ist hingegen, auf welche Weise dieser Erfolg in der nationalen Rechtsordnung erreicht wird. Hierauf basierend ist zweitens zu beachten, dass auch das BAG in bestimmten Konstellationen einen Vorrang internen Whistle­blowings bejaht und diese Konstellationen der Rechtsprechung des EGMR anpassen könnte. Schließlich ist drittens darauf zu verweisen, dass sowohl der EGMR als auch nationale Gerichte zwischen den Interessen des Whistle­blowers und des Arbeitgebers abwägen und das BAG damit  – unter Berücksichtigung der Kriterien des EGMR – in der Kündigung auch ohne die Bejahung eines grundsätzlichen Vorrangverhältnisses eine unverhältnismäßige Reaktion sehen kann. (b) Strengere Prüfung alternativer Möglichkeiten Die Rechtsprechung des EGMR hat den Maßstab für die Bejahung einer Pflicht zur vorherigen internen Beanstandung verschärft. Insofern sind die Feststellungen bedeutend, dass internes Whistle­blowing nur unter engen Voraussetzungen keinen Vorrang genieße und alternative (effektive) Abhilfemöglichkeiten berücksichtigt werden müssten,216 während das BAG dem Fehlen eines innerbetrieblichen Hinweises (nur) eine mögliche Indizwirkung beigemessen hat217. Zudem muss berücksichtigt werden, dass das Erfordernis vorrangiger interner Beanstandung auch durch das Kriterium des öffentlichen Interesses beeinflusst wird,218 das wiederum in der deutschen Rechtsprechung vernachlässigt wird219. Ohne Berücksichtigung dieser Wechselwirkung zwischen Vorranggrundsatz und öffent­

215

BVerfGE 128, 326 (370). EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 65. 217 BAGE 107, 36 (45); zu dieser Diskrepanz auch Rudkowski, CCZ 2013, 204 (206). 218 Hierzu Dzida / Naber, ArbRB 2011, 238 (240). 219 Hierzu insgesamt 4.  Teil, B. IV. 1. b). 216

B. Recht zum externen Whistle­blowing

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lichem Interesse kann aber die Frage, ob internes Whistle­blowing Vorrang genießt, nicht sachgerecht bzw. EMRK-konform beantwortet werden. (c) Keine vollständige Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BAG Da sich der EGMR ausdrücklich auch auf das BAG bezogen hat, überrascht die weitgehende Kongruenz zu der Frage, ob internes Whistle­blowing vor der Erstattung einer Strafanzeige Vorrang genießt, nicht; lediglich die Bezugnahme auf die Fallkonstellationen, in denen der Arbeitgeber selbst die Straftat begangen hat bzw. es sich um eine schwerwiegende Straftat handelt, fehlt in der Entscheidung Heinisch v. Deutschland.220 Der EGMR hat diese Fallkonstellationen in der Entscheidung lediglich unter dem Aspekt „A. Relevant domestic law and practice“ angeführt,221 ist hierauf aber nicht mehr eingegangen. Soweit der Arbeitgeber die Straftat selbst begangen hat, ist es allerdings durchaus denkbar, dass der EGMR dies unter den Aspekt, dass (interne) Abhilfe berechtigterweise nicht erwartet werden kann, subsumieren würde. Ob der EGMR diesen Grundsatz grundsätzlich nicht übernimmt oder ob er lediglich für die Entscheidung Heinisch v. Deutschland nicht bedeutsam war, ist  – mangels neuerer EGMR-Rechtsprechung hierzu  – bislang noch nicht eindeutig geklärt. Ein Teil der Literatur geht jedenfalls davon aus, dass das Urteil des EGMR insofern keine Auswirkungen haben wird.222 (d) Verweis auf interne Kanäle Unter Verweis auf Resolution 1729 der Generalversammlung des Europarates aus dem Jahre 2010 geht der EGMR davon aus, dass ein Vorrang internen Whistle­ blowings dann nicht bestehe, wenn vernünftigerweise nicht erwartet werden könne, dass interne Kanäle richtig funktionierten.223 Die Resolution sieht unter Punkt 6.2.3. vor: „Where internal channels either do not exist, have not functioned properly or could reasonably be expected not to function properly given the nature of the problem raised by the whistleblower, external whistle-blowing, including through the media, should likewise be protected.“

Hierauf konnte das BAG im Jahre 2003 – zeitlich bedingt – nicht verweisen. Allerdings muss das BAG diesen Aspekt zukünftig nicht zwingend als zusätzlichen

220

S. EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 73. EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 35. 222 Dzida / Naber, ArbRB 2011, 238 (239), ohne auf die beschriebene Diskrepanz hinzuweisen. Beim Gliederungspunkt „b) Arbeitnehmer zeigt schwere Straftat an“ nehmen sie allerdings an, dass auch bis dato eine vorangehende innerbetriebliche Klärung nicht erforderlich gewesen sei, ohne allerdings eine konkrete Entscheidung des EGMR zu nennen. 223 EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 73. 221

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

Aspekt prüfen, sondern kann dies auch innerhalb der Frage, ob interne Abhilfe berechtigterweise nicht erwartet werden kann, berücksichtigen. Wesentliche Unterschiede, die einer solchen inzidenten Prüfung entgegenstehen, sind nicht ersichtlich; zudem hat auch der EGMR unter Verweis auf (bestimmte) Konstellationen des BAG von „similar reasoning“ gesprochen224. Jedenfalls verdeutlicht die explizite Nennung durch den EGMR und die Empfehlung durch die Parlamentarische Versammlung, dass dieser Punkt besonders geprüft werden sollte. Jedoch dürfen die Anforderungen an die Ausschöpfung unternehmensinterner Kanäle von den Gerichten nicht zu hoch angesetzt werden.225 (e) Anforderungen an den internen Hinweis des Whistle­blowers Dem EGMR genügte es in der Heinisch-Entscheidung, dass die Whistle­blowerin intern auf die Faktenlage hingewiesen hatte; die genaue rechtliche Einordnung der Fakten trat hingegen in den Hintergrund.226 In der grundlegenden Entscheidung des BAG findet sich hingegen der Verweis, dass keine weitere vertragliche Rücksichtnahmepflicht bestehe, wenn der Arbeitnehmer den Arbeitgeber auf die gesetzeswidrige unternehmensinterne Praxis hingewiesen habe und dieser nicht für Abhilfe sorge.227 Aus der Formulierung „gesetzeswidrige Praxis“ wird mitunter gefolgert, dass das BAG für einen Whistle­blower höhere Anforderungen an eine innerbetriebliche Klärung aufgestellt habe.228 Eindeutig ist dies jedoch nicht: Ein Whistle­blower kann auch auf die gesetzeswidrige Praxis hinweisen, indem er dem Arbeitgeber den entsprechenden Sachverhalt (ohne rechtliche Ausführungen) mitteilt, sodass der Arbeitgeber die entsprechenden rechtlichen Schlüsse ziehen kann. Der Urteilsformulierung kann jedenfalls nicht eindeutig entnommen werden, dass das BAG insofern höhere Anforderungen als der EGMR stellt. (3) Vorzugswürdigkeit des Vorranges internen Whistle­blowings Generell sind drei Möglichkeiten denkbar, um das Verhältnis zwischen internem und externem Whistle­blowing näher zu bestimmen: – ein grundsätzlicher Vorrang internen Whistle­blowings; – ein grundsätzlicher Vorrang externen Whistle­blowings; – kein grundsätzliches Vorrangverhältnis, sondern eine Einzelfallentscheidung.

224

EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 73. Seifert, EuZA 2012, 411 (418). 226 S. EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 72. 227 BAGE 107, 36 (46). 228 Dzida / Naber, ArbRB 2011, 238 (240). 225

B. Recht zum externen Whistle­blowing

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Das BAG hat sich in seiner grundlegenden Whistle­blowing-Entscheidung aus dem Jahre 2003 von einem generellen Vorrang internen Whistle­blowings deutlich distanziert: „Entgegen einer teilweise vertretenen Auffassung […] gebührt der innerbetrieblichen Klärung nicht generell der Vorrang. Dies würde dem verfassungsrechtlichen Rahmen und den grundrechtlichen Positionen des Arbeitnehmers nicht gerecht. Es ist vielmehr im Einzelfall zu bestimmen, wann dem Arbeitnehmer eine vorherige innerbetriebliche Anzeige ohne weiteres zumutbar ist und ein Unterlassen ein pflichtwidriges Verhalten darstellt […].“229

Auch wenn das BAG hiernach keinen generellen Vorrang internen Whistle­ blowings anerkennt, räumt es den internen Abhilfebemühungen gleichwohl Bedeutung ein. Dass ein „genereller Vorrang“ im Sinne eines unabwägbaren Grundsatzes verfassungsrechtlich keinen Bestand haben kann, liegt bereits daran, dass keine kollidierenden Rechte oder Interessen mehr berücksichtigt werden könnten. Auch besondere Gefahrensituationen, in denen eine sofortige Meldung bspw. an die zuständigen Behörden unbedingt erforderlich wäre, würden hiermit ausgeschlossen. Dem Grundsatz, dass im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Abwägung alle relevanten Umstände des Einzelfalles mit einzubeziehen sind, wäre nicht genüge getan. Somit stellt sich weniger die Frage, ob ein „genereller Vorrang“ besteht, als vielmehr die Frage, ob ein „grundsätzlicher Vorrang“ anzunehmen ist. Dabei lässt sich im Ausgangspunkt sicherlich darüber streiten, ob die Statuierung eines Vorrangverhältnisses überhaupt sinnvoll ist, da dieses aufgrund der vielen zu berücksichtigenden Ausnahmen auch ausgehöhlt wird. Zur Ermittlung eines angemessenen Ergebnisses soll der Fokus zunächst auf die Vorteile einer vorherigen internen Meldung gerichtet werden, die sich mit den Vorteilen eines internen Hinweisgebersystems decken: Erstens liegt der Vorteil einer vorherigen internen Meldung in der Vermeidung von (dauerhaften) wirtschaftlichen Rufschäden.230 Erhält das Unternehmen die Gelegenheit, die zuständigen Behörden freiwillig zu informieren und anschließend mit diesen umfassend zu kooperieren, kann es sich der Öffentlichkeit – v. a. den Geschäftspartnern – als gesetzesbewusstes und an Aufklärung interessiertes Unternehmen präsentieren, das interne Gesetzesverstöße nicht toleriert.231 Bei einer sofortigen Meldung an externe Stellen oder die breite Öffentlichkeit (z. B. im Internet oder über die Presse) wäre dem Unternehmen diese Möglichkeit regelmäßig genommen, da große Teile der Öffentlichkeit die folgende Aufklärungsinitiative als erzwungen ansehen würden. Dabei kann es durchaus vorkommen, dass auch die für Ermittlungen zuständigen Behörden die Zusammenarbeit positiv hervorheben. Dies mildert die ansonsten negativen Auswirkungen auf das Unternehmen merklich ab, da in der Öffentlichkeit kaum nach der unternehmensinternen Struktur differenziert wird: Auch wenn ein einzelner Mitarbeiter in einem größeren Unternehmen 229

BAGE 107, 36 (45). Hierzu Wybitul, ZD 2011, 118; Hinrichs, ArbRGgw 1981, 35 (44). 231 Vgl. auch Simon / Schilling, BB 2011, 2421. 230

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

für einen Missstand verantwortlich ist, besteht die Gefahr, dass die Öffentlichkeit die Verantwortlichkeit beim Unternehmen als Ganzes sieht. Dieser Aspekt scheint zwar nur dann zu greifen, wenn die breite Öffentlichkeit informiert wird, d. h. nicht bei einer Meldung an staatlich zuständige Stellen, die zu entsprechender Verschwiegenheit verpflichtet sind. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass jede Anzeige das Risiko eines nicht unerheblichen Imageschadens birgt232. Dieses Risiko steigt entsprechend, je mehr Personen von dem Missstand erfahren. Zweitens wird das Risiko eines rufschädigenden Irrtums erheblich reduziert. Selbst wenn später bekannt wird, dass die enthüllten Informationen unwahr waren, kann eine bereits erfolgte Rufschädigung nicht ohne Weiteres rückgängig gemacht werden.233 Irrtümer des Arbeitnehmers sind insofern sowohl auf tatsächlicher als auch auf rechtlicher Ebene denkbar. Ob eine interne Handlung tatsächlich illegal ist, dürfte von Arbeitnehmern häufig nur schwer einschätzbar sein.234 Auch wenn Arbeitnehmer über das tatsächliche Geschehen sichere Kenntnis haben, kann ihre rechtliche Interpretation falsch sein, worauf der Arbeitgeber bzw. Vorgesetzte bei einer vorherigen internen Meldung noch rechtzeitig verweisen kann. Drittens wird das Interesse des Arbeitgebers, sich unternehmerisch möglichst frei, d. h. ungestört von Eingriffen, z. B. in Form von Nachforschungen und Auflagen, zu betätigen, durch Beschwerden und Anzeigen (möglicherweise) beeinträchtigt.235 Insofern stellt eine vorherige interne Meldung, die zur sachgerechten Aufklärung des Missstandes beiträgt, eine geringere oder sogar keine Beeinträchtigung dar. Viertens ist zu beachten, dass der Arbeitgeber andernfalls ohne Vorwarnung mit externen Vorwürfen konfrontiert wird.236 Dieser Aspekt hängt eng mit der bereits genannten Vermeidung von Rufschäden zusammen: Dem Arbeitgeber bzw. Unternehmen ist es möglich, sich auf entsprechende Ermittlungen der Staatsanwaltschaft bzw. Berichterstattung der Medien einzustellen und eine rufschützende Strategie zu entwickeln. Dem Einwand, dass dem Straftäter damit Gelegenheit gegeben wird, seine eigenen Spuren zu verwischen, ist entgegenzuhalten, dass der Vorrang internen Whistle­blowings bei Kenntnis des Arbeitgebers vom Missstand gerade nicht greift. Die Folgen, die ein behördliches Einschreiten auslöst, können vom Arbeitnehmer nicht überschaut oder beherrscht werden.237 Fünftens ist zu beachten, dass im Fall einer direkten Informierung der Aufsichtsbehörde diese erst noch Erkundigungen beim Arbeitgeber einholen müsste, 232

Gänßle, KJ 2007, 265 (268). Konopatsch, NZWiSt 2012, 217 (223); Rudkowski, CCZ 2013, 204 (208). 234 Berndt / Hoppler, BB 2005, 2623 (2624). 235 Hinrichs, ArbRGgw 1981, 35 (44). 236 Vgl. auch Simon / Schilling, BB 2011, 2421 (2422). 237 Denck, DB 1980, 2132 (2133). 233

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der wiederum möglicherweise beim Arbeitnehmer Informationen einholt.238 Dann wäre aber eine vorherige interne Informierung praktischer gewesen. Dieses Argument kann aber nicht auf jede Behördenanzeige übertragen werden. Insgesamt überzeugt damit die Annahme, dass internes Whistle­blowing grundsätzlich Vorrang genießt;239 insofern lässt sich auch von der grundsätzlichen Subsidiarität externen Whistle­blowings sprechen. Diese grundsätzliche Subsidiarität ist für externes Whistle­blowing von entscheidender Bedeutung. Sachlich beschränkt sich das Vorrangverhältnis auf unternehmensbezogene Missstände. Rechtssicherheit wird hierdurch aber nur bedingt hergestellt, da stets auch andere Wertungskriterien mitberücksichtigt werden müssen. Dabei lässt sich nicht leugnen, dass der Arbeitnehmer mit dem Risiko einer Einflussnahme240 bzw. nicht unerheblicher Repressalien241 konfrontiert wird und dies die sachgerechte Aufklärung des Missstandes behindern kann. Der Staat ist insofern gerade auf Insider angewiesen, um systematisch angelegte Wirtschaftskriminalität zu bekämpfen.242 Zudem wird es dem Arbeitnehmer in vielen Fällen praktisch unmöglich gemacht, sich anschließend noch anonym an die zuständigen Behörden zu wenden, da er aufgrund der vorherigen internen Meldung direkt verdächtigt werden wird, für die externe Meldung verantwortlich zu sein. Hiergegen lässt sich jedoch anführen, dass erstens nicht generell unterstellt werden darf, dass jeder Arbeitgeber derart reagiert und damit ein Risiko für den Whistle­blower bzw. die sachgerechte Aufklärung des Missstandes darstellt, und dass zweitens der Fall, dass der Arbeitgeber (gerade auch bei seiner eigenen Beteiligung) Kenntnis vom Missstand hat, als Ausnahme vom Vorrang internen Whistle­blowings anerkannt ist. Dass sich Arbeitnehmer zudem von den genannten Konsequenzen tatsächlich abschrecken lassen, kann nicht ohne Weiteres angenommen werden.243 Auch hier gilt – wie beim Recht zum internen Whistle­blowing244 –, dass grundsätzlich die interne Unternehmenshierarchie einzuhalten ist. Hieraus folgt zugleich, dass grundsätzlich sämtliche in Betracht kommende interne Abhilfemöglichkeiten ausgeschöpft werden müssen, die im Unternehmen zur Entgegennahme von Informationen über Missstände etabliert wurden.245 Welche Adressaten dabei in Betracht kommen, hängt vom jeweiligen Unternehmen, v. a. von seiner Größe ab; letzter Ansprechpartner ist jedenfalls der Arbeitgeber selbst, auch wenn dieser kündigungsberechtigt ist246. Dabei genügt ein einmaliger (erfolgloser) Abhilfeversuch 238

Denck, DB 1980, 2132 (2133) zur Arbeitsschutzbehörde. So i. E. auch EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 65; kritisch Brors, HFR 2/2012, 1 (11). 240 Leuchten, ZRP 2012, 142 (144). 241 Gänßle, KJ 2007, 265 (273). 242 Statt vieler Wimmer, in: Leitner / Rosenau, § 152 StPO Rn. 46. 243 Vgl. hierzu Gach / Rützel, BB 1997, 1959 (1962). 244 3. Teil, A. I. 2. b) aa). 245 Zum hierzu bestehenden Streit Müller, NZA 2002, 424 (435). 246 Vgl. aber auch Rudkowski, CCZ 2013, 204 (207). 239

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

beim Arbeitgeber.247 Die erfolglose Informierung seines Stellvertreters (z. B. ein direkter Vorgesetzter) reicht ebenfalls aus, da die Untätigkeit des Stellvertreters nicht zu Lasten des Arbeitnehmers gehen darf, sondern vielmehr dem Arbeitgeber zuzurechnen ist.248 Die Meldung an den Arbeitgeber impliziert aber auch, diesem eine angemessene Frist zur Abhilfe einzuräumen;249 dies gilt entsprechend für Vorgesetzte. (4) Zur Erstattung einer Strafanzeige (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) Bislang wurde festgestellt, dass internes Whistle­blowing grundsätzlich Vorrang vor externem Whistle­blowing genießt. Im Folgenden soll speziell die Frage erörtert werden, inwiefern dies auch für berechtigte, d. h. nicht wissentlich unwahre oder leichtfertige Strafanzeigen gelten kann. Kann eine berechtigte Strafanzeige trotz ihrer Bedeutung für den Rechtsstaat überhaupt eine Pflichtverletzung darstellen? Das BAG bejaht diese Möglichkeit,250 während ein Teil der Literatur sie ablehnt251. (a) Kein abwägungsfestes Grundrecht Zu den Einschränkungsmöglichkeiten des Rechts aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG ist anzumerken, dass nicht von einem abwägungsfesten Grundrecht ausgegangen werden kann.252 Art. 2 Abs. 1 GG steht – auch i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG – unter einem einfachen Gesetzesvorbehalt und ist damit einer Abwägung mit kol­ lidierenden Rechtsgütern und Interessen zugänglich. Es würde daher zu weit gehen, eine Ausnahme vom Verbot zivilrechtlicher Nachteile abstrakt nur dann zuzulassen, „wenn es sich um eine Anzeige des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber bei einer Strafbehörde handelt, der wissentlich unwahre oder leichtfertig gemachte falsche Angaben zugrunde liegen oder die auf haltlosen Vorwürfen aus verwerflichen Motiven, z. B. um dem Arbeitgeber zu schaden, basieren“253. Dies wird dem Erfordernis einer umfassenden Einzelfallprüfung nicht gerecht – das bereits angespro 247

Peter / Rohde-Liebenau, AuR 2004, 427 (429). I. E. auch Herbert / Oberrath, NZA 2005, 193 (197); vgl. aber auch Peter / Rohde-Liebenau, AuR 2004, 427 (429). 249 Klasen / Schaefer, BB 2012, 641 (644). 250 BAGE 107, 36 (41 ff.); so auch Fuchs / Plum, in: Bamberger / Roth / Hau / Poseck, § 626 Rn. 19 (Stand 1.5.2019); Klappstein, in: Dauner-Lieb / Langen, § 626 Rn. 58. 251 Ulber / Wolf, LAGE § 626 BGB 2002 Nr. 7b; Hinrichs, ArbRGgw 1981, 35 (51). 252 S. aber Leuchten, ZRP 2012, 142 (143), nach dem es angesichts der neueren Rechtsprechung auf eine Interessenabwägung bei einer ernsthaften Anzeige des Arbeitnehmers nicht mehr ankomme. 253 So aber LAG Düsseldorf, DB 2002, 1612 (Hervorhebungen und Fußnoten im Original); s. auch LAG Hessen, NZA-RR 2002, 637 (638), dem das BAG ausdrücklich nicht folgte (BAGE 107, 36 (41 f.)); noch enger wird die Entscheidung des BVerfG von Strack, Stellungnahme als Sachverständiger, S. 18, verstanden. 248

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chene Regel-Ausnahme-Verhältnis wirkt sich insofern allerdings auf die Abwägung aus, sodass es für ein (vorläufiges) Anzeigeverbot eines gewichtigen sachlichen Grundes bedarf. Diese Einschränkungsmöglichkeit entspricht letztlich auch der Rechtsprechung des EGMR, der eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Erstattung einer Strafanzeige vornimmt.254 Im Rahmen von § 241 Abs. 2 BGB lässt sich aufgrund der Einheit der Rechtsordnung fragen, ob die §§ 145d, 164  StGB nicht bei der Auslegung des § 241 Abs. 2 BGB maßgeblich zu berücksichtigen sind, d. h. die Grenze der arbeitsrecht­ lichen Rücksichtnahmepflicht statuieren, und damit berechtigte Anzeigen zulassen. Diese Normen beinhalten aber keine generelle Grundaussage zu der Frage, wann eine Strafanzeige zulässig ist, sondern legen nur die äußeren Grenzen des Rechts (verfassungskonform) fest. Eben diese äußeren Grenzen sind bei der Auslegung von § 241 Abs. 2 BGB zu berücksichtigen. Ein unzulässiger Rechtsmissbrauch wegen Geringfügigkeit liegt nicht vor, da das Begehen einer Straftat nicht folgenlos bleibt, sondern konkret Rechtsgüter (zumindest aus Sicht des Arbeitnehmers) verletzt werden.255 Auch bei einer Strafanzeige müssen berechtigte entgegenstehende Interessen berücksichtigt werden. Mögen diese regelmäßig auch als gering anzusehen sein, kann grundsätzlich nicht von einer uneingeschränkten Zulässigkeit von berechtigten Strafanzeigen per se ausgegangen werden. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber gegen einen Arbeitnehmer Anzeige erstattet,256 da die in diesem Rahmen zu beachtende Rücksichtnahmepflicht gerade gegenseitig ist. (b) Der Abwägungsgrundsatz „im Regelfall“ Das BVerfG hat in seiner bereits dargestellten Entscheidung zur Mitwirkung im Strafverfahren einen Abwägungsgrundsatz aufgestellt, der vom BAG später maßgeblich aufgegriffen wurde257. So hielt das BVerfG entscheidend fest: „Auch die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte im Strafverfahren kann – soweit nicht wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben gemacht werden – im Regelfall aus rechtsstaatlichen Gründen nicht dazu führen, daraus einen Grund für eine fristlose Kündigung eines Arbeitsverhältnisses abzuleiten.“258

Mit der Formulierung „im Regelfall“ hat das BVerfG Raum für Entscheidungen gelassen, die alle Umstände des Einzelfalles berücksichtigen können.259 Aller 254

EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 65 ff. Vgl. Schulze, in: ders., § 242 Rn. 33. 256 So auch Eufinger, NZA 2017, 619 (622); anders ArbG Hamburg, BB 1966, 1453; Kempff, DB 1979, 790 (794). 257 BAGE 107, 36 (42). 258 BVerfG, NJW 2001, 3474 (3476) (Hervorhebung nicht im Original). 259 Rudkowski, CCZ 2013, 204 (205). 255

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dings muss dabei weiterhin das aufgestellte Regel-Ausnahme-Prinzip260 beachtet werden. Zunächst stellt sich die grundlegende Frage, ob sich der Abwägungsgrundsatz „im Regelfall“ auf die Mitwirkung im (Straf-)Verfahren oder auch das Einleiten eines solchen Verfahrens bezieht. In der oben erörterten Entscheidung, der die Erstattung einer Strafanzeige zugrunde lag, kam diese Wendung nämlich noch nicht vor. Bei der Auswertung des der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalts ergibt sich Folgendes: Im Oktober 1996 leitete die Staatsanwaltschaft aufgrund von Mitteilungen in der Presse und Aktivitäten einer Stadtratsfraktion ein Ermittlungsverfahren ein. Im Rahmen dieses staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens sagte der spätere Beschwerdeführer als Zeuge gegen seine Arbeitgeberin bzw. deren Geschäftsführer aus und übergab der Staatsanwaltschaft Unterlagen. Hierauf gestützt wurde dem Beschwerdeführer fristlos gekündigt. Der Beschwerdeführer hatte also nicht selbst Strafanzeige erstattet und hiermit für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gesorgt, sondern im bereits eingeleiteten Ermittlungsverfahren mitgewirkt. Dem ist allerdings keine entscheidende Bedeutung beizumessen: „Denn wenn das staatsbürgerliche Recht des Arbeitnehmers, in einem Strafverfahren (unabhängig von Zeugenpflichten) aktiv mitzuwirken, im Verhältnis zu seiner Rücksichtspflicht gegenüber dem Arbeitgeber so hervorgehoben wird, kann es konsequenterweise auch keinen Unterschied machen, wenn der Arbeitnehmer sein staatsbürgerliches Recht ausübt, indem er mit einer Anzeige das Verfahren ins Rollen bringt.“261

In der Tat ist der Rechtsstaat auf die Erstattung einer Anzeige genauso – wenn nicht gar noch mehr – angewiesen wie auf die aktive Mitwirkung im Strafverfahren, sodass sich der Abwägungsgrundsatz „im Regelfall“ konsequenterweise auch auf erstere Konstellation erstrecken muss. Inwiefern dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis mit der neueren Rechtsprechung des EGMR zur Erstattung einer Strafanzeige262 in Einklang steht, ist noch nicht abschließend geklärt. Insofern bleibt auch die weitere Rechtsprechung des BVerfG abzuwarten. Die Formulierung „im Regelfall“ dürfte aber genug Spielraum lassen, um die Vorgaben der EMRK hinreichend zu berücksichtigen. Mit der grundlegenden Entscheidung des BAG aus dem Jahre 2004, in der das Gericht Grundsätze zur Erstattung einer Strafanzeige aufstellte, hat das Gericht das Regel-Ausnahme-Prinzip zumindest stark modifiziert.263 260

Becker, DB 2011, 2202 (2204); Deiseroth, AuR 2007, 198. Müller, NZA 2002, 424 (434); s. auch Sasse / Stelzer, ArbRB 2003, 18 (20). 262 EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 63 ff. 263 Vgl. Brors, HFR 2/2012, 1 (3); kritischer Brock, öAT 2011, 243 (244): „in sein Gegenteil verkehrt“; vgl. zum Verhältnis der BAG- und BVerfG-Rechtsprechung auch Wendeling-Schröder, RdA 2004, 374 (377); Bodenstedt, BAG EWiR § 1 KSchG 2/04, 613 (614). 261

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Ferner kann festgestellt werden, dass nicht ganz eindeutig ist, worauf sich der Abwägungsgrundsatz genau bezieht. Das BVerfG hat insofern festgehalten: „Auch die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte im Strafverfahren kann – soweit nicht wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben gemacht werden – im Regelfall aus rechtsstaatlichen Gründen nicht dazu führen, daraus einen Grund für eine fristlose Kün­ digung eines Arbeitsverhältnisses abzuleiten. Das LAG spricht pauschal von ‚haltlosen Erklärungen‘ des Bf., ohne diese näher zu benennen und die auch auf Grund der Beweis­ aufnahme nicht nahe liegend sind. Ein derart substanzloser Vorwurf kann nicht als Grund für zivilrechtliche Nachteile dienen, die im Hinblick auf bestehende Pflichten und Rechte des Bürgers im Rahmen der Strafverfolgung grundsätzlich unzulässig sind […]. Eine zivilrechtliche Entscheidung, die dieses verkennt oder missachtet, verletzt den betroffenen Bürger in seinem Grundrecht aus Art. 2 I GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip.“264

Bezieht sich der Abwägungsgrundsatz „im Regelfall“ also auf die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder allgemein auf zivilrechtliche Nachteile? Näher liegt Letzteres, da das BVerfG den Begriff „grundsätzlich“ gebraucht, der mit der Formulierung „im Regelfall“ deckungsgleich sein dürfte. Unabhängig davon ist eine solche Erstreckung aber auch angemessen, da eine Beschränkung auf eine Kündigung nicht nachvollziehbar wäre. Gilt hiernach der Abwägungsgrundsatz also für „zivilrechtliche Nachteile“ allgemein, stellt sich die Frage, wieso öffentlich-rechtliche Nachteile nicht genannt werden. Die einschränkende Bezugnahme auf zivilrechtliche Nachteile lässt zwei Schlussfolgerungen zu: Der aufgestellte Grundsatz gilt nicht für öffentlich-rechtliche Nachteile (etwa ein Disziplinarverfahren für Beamte oder eine strafrechtliche Verurteilung) oder das BVerfG wollte sich hierzu nicht äußern. Dabei ist zu bedenken, dass nach der Rechtsprechung des BVerwG aus § 61 Abs. 1 S. 3 BBG die Pflicht des Beamten folgt, „sich vor Erstattung einer Strafanzeige wegen innerdienstlicher Vorgänge zunächst um eine Klärung der streitigen Angelegenheit durch seine Verwaltung zu bemühen“, diese also „Ultima Ratio in einer Ausnahmesituation bleiben“ müsse.265 Erstreckt man die grundsätzliche Zulässigkeit einer Strafanzeige auch auf den öffentlichen Dienst, wird der Konflikt mit der Rechtsprechung des BVerwG offensichtlich. Weder das BVerfG noch das BVerwG haben hierzu jedoch Stellung genommen. Dass dieses Ausnahmeverhältnis für Beamte, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen (§ 4 BBG), umgekehrt werden sollte, ist fernliegend. Die Reichweite des Beschlusses beschränkt sich damit auf das Zivilrecht. Schließlich ist zu bemerken, dass sich der Grundrechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG nicht nur auf die Mitarbeit im Strafverfahren bezieht. Wie oben bereits festgestellt,266 vermittelt Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG das generelle Recht, Missstände an Behörden zu melden, und beschränkt sich nicht auf 264

BVerfG, NJW 2001, 3474 (3476). BVerwG, NJW 2001, 3280. 266 2. Teil, A. II. 2. b) aa). 265

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

die Erstattung einer Strafanzeige. Konsequenterweise muss sich der Schutz an der Mitwirkung im Strafverfahren auch auf sonstige Verfahren erstrecken. Auch hierzu hat das BVerfG allerdings noch keine Stellung genommen. (5) Keine Ableitung eines allgemeinen Vorrangverhältnisses aus gesetzlichen Regelungen Ein generelles Recht des Arbeitnehmers zum externen Whistle­blowing ist gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehen. Gleichwohl gibt es für bestimmte Rechtsbereiche Regelungen, die zwar ein entsprechendes Recht statuieren, aber gleichzeitig einen Vorrang internen Whistle­blowings vorsehen. Hieraus lässt sich aber kein genereller Vorrang internen Whistle­blowings herleiten. Zu nennen ist zunächst § 17 Abs. 2 ArbSchG, dem beträchtliche praktische Bedeutung zukommt.267 Hiernach können sich Beschäftige an die zuständige Behörde wenden, wenn sie aufgrund konkreter Anhaltspunkte der Auffassung sind, dass die vom Arbeitgeber getroffenen Maßnahmen und bereitgestellten Mittel nicht ausreichen, um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Arbeit zu gewährleisten, und der Arbeitgeber darauf gerichteten Beschwerden der Beschäftigten nicht abhilft. Diese Vorschrift beruht auf Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 89/391/ EWG vom 12.6.1989, die durch Bezugnahme auf die „nationalen Rechtsvorschriften bzw. Praktiken“ auch den Vorrang einer vorherigen internen Beschwerde zulässt.268 Allein aus dieser speziellen Regelung kann aber kein genereller Vorrang innerbetrieblichen Vorgehens abgeleitet werden: § 17 Abs. 2  ArbSchG ist eine Spezialvorschrift für die Arbeitssicherheit und daher nicht auf andere Konstellationen übertragbar. Auch ein Erst-recht-Schluss bei anderen Rechtsverstößen ist unzulässig.269 Dies gilt auch für § 125 Abs. 1 BBG (i. V. m. § 17 Abs. 2 S. 3 i. V. m. § 17 Abs. 1 S. 2 ArbSchG), wonach bei Anträgen und Beschwerden der Dienstweg einzuhalten ist, da sich diese Regelung speziell auf Beamte bezieht. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 15.12.2010 zu § 32l Abs. 4 BDSG,270 der für seinen Anwendungsbereich einen (grundsätzlichen) Vorrang interner Anzeigen vorsah, erledigte sich aufgrund des Grundsatzes der Diskontinuität271; auch diese Regelung hätte aber lediglich Bedeutung für dieses Gesetz erlangt. Hierfür spricht bereits, dass der Vorrang internen Whistle­blowings zu vereinzelt gesetzlich geregelt ist, als hieraus auf einen generellen Vorrang internen Whistle­blowings geschlossen werden könnte.

267

Wank, DB 1996, 1134 (1136); Müller, NZA 2002, 424 (432). Wlotzke, NZA 1996, 1017 (1022); Greiner, in: Ascheid / Preis / Schmidt, § 17 ArbSchG Rn. 9. 269 A. A. Rudkowski, CCZ 2013, 204 (206). 270 BT-Drs. 17/4230. 271 Vgl. zu diesem Grundsatz Pieroth, in: Jarass / Pieroth, Art. 39 Rn. 4. 268

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In der Vergangenheit statuierten § 21 Abs. 6 GefStoffV a. F.272 und § 30 Abs. 1 StrlSchV a. F.273 für ihren jeweiligen Anwendungsbereich einen Vorrang inner­ betrieblicher Abhilfe. Hieraus wurde von einem Teil der Literatur ein Rückschluss auf den Willen des Gesetzgebers zu einem grundsätzlichen Vorrang einer innerbetrieblichen Beanstandung vor Behördenanzeigen gezogen.274 Diese Ansicht konnte (und kann) bereits deshalb nicht überzeugen, weil es sich lediglich um Rechtsverordnungen der Exekutive handelte, mittels derer nicht auf einen entsprechenden Willen der Legislative geschlossen werden kann.275 Verschiedentlich sieht Landesrecht vor, dass vorheriges internes Whistle­ blowing nicht notwendig ist, so im Bereich des Datenschutzes in § 25 DSG NRW, § 28 HDSG und § 26 HmbDSG. Hieraus kann aber nicht auf einen gesetzgeberischen Willen der jeweiligen Länder geschlossen werden, dass externes Whistle­ blowing auch in anderen Fallkonstellationen stets zulässig sein soll: Wie auf Bundesebene handelt es sich um spezielle Rechtsbereiche, eine allgemeine – für den Zuständigkeitsbereich des jeweiligen Landes geltende – gesetzgeberische Klärung ist hiermit nicht intendiert. (6) Ergänzung: Zum Vorrangverhältnis in (Gesetzes-)Entwürfen Das Vorrangverhältnis zwischen internem und externem Whistle­blowing spielte in der Vergangenheit bereits eine bedeutsame Rolle in Praxis und Wissenschaft. Allerdings wurde, wie bereits festgestellt, bislang noch keine allgemeine Norm verabschiedet, die ein Vorrangverhältnis kodifiziert. Jedoch wurde bereits in einigen Entwürfen / Vorschlägen etc. ein grundsätzlicher Vorrang internen Whistle­blowing (vor der Einschaltung externer Stellen) vorgesehen. Zu nennen sind u. a.: – § 79 Abs. 3 Entwurf eines Arbeitsgesetzbuches durch die Arbeitsgesetzbuchkommission, herausgegeben vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Referat Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, im September 1977; – § 88 Abs. 3 DGB-Entwurf zum Arbeitsverhältnisrecht vom 5.4.1977;276 – § 84 Abs. 2 Entwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes (ArbVG) vom 23.5.1995;277 – § 84 Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung des Arbeitsrechts vom 12.9.1996;278 272

Verordnung vom 26.10.1993, BGBl. I, S. 1782. Verordnung vom 13.10.1976, BGBl. I, S. 2905. 274 Gach / Rützel, BB 1997, 1959 (1962); nach Preis / Reinfeld, AuR 1989, 361 (372) könne § 21 Abs. 6 GefStoffV (a. F.) „als Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes erkannt werden“; ablehnend Ebert, ReWir 7/2011, 1 (3). 275 S. auch Schmitt, Whistle­blowing, S.  72. 276 Abgedruckt in RdA 1977, 166 ff.; zu weiteren Tarifvertragsentwürfen Graser, Whistle­ blowing, S. 252 f. 277 BR-Drs. 293/95. 278 BR-Drs. 671/96. 273

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

– der „Vorschlag für eine gesetzliche Verankerung des Informantenschutzes für Arbeitnehmer im Bürgerlichen Gesetzbuch“ vom 30.4.2008 seitens des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und des Bundesministeriums der Justiz;279 – der Antrag des Landes Berlin vom 6.9.2011 mit dem Inhalt, der Bundesrat möge beschließen, die Bundesregierung zur Einbringung eines Gesetzesentwurfes aufzufordern;280 – die Gesetzesentwürfe vom 23.5.2012281 und 4.11.2014282, eingebracht von Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Folgende Entwürfe sehen hingegen kein grundsätzliches Vorrangverhältnis vor: – Anträge zu einem Beschluss des Bundestages, eingebracht von Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE vom 5.7.2011283 und 4.11.2014284 (freie Wahl zwischen internem und behördlichem Whistle­blowing); – § 6 Abs. 1, Abs. 2 eines Gesetzesentwurfes zu einem Hinweisgeberschutzgesetz vom 7.2.2012, eingebracht von Abgeordneten und der Fraktion der SPD (freie Wahl zwischen einer Meldung an interne oder externe Stellen, allerdings nur unter besonderen Voraussetzungen an die Öffentlichkeit und keiner Verschwiegenheitsverpflichtung unterliegender Dritte)285. cc) Vorrangverhältnis im öffentlichen Dienst (1) Rechtsprechung deutscher Gerichte Nach der Rechtsprechung besteht ein besonderes Treue- und Loyalitätsverhältnis von Beamten bzw. Angestellten des öffentlichen Dienstes zum Staat, woraus in diesem Bereich ein grundsätzlicher Vorrang internen Whistle­blowings folge.286 Beamten stehe eine sog. „Flucht in die Öffentlichkeit“ grundsätzlich nicht zu.287 Hierbei handelt es sich aber nicht um einen eigenen Pflichtentatbestand, sondern 279 Deutscher Bundestag, Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Ausschussdrucksache 16(10)849. 280 BR-Drs. 534/11. 281 BT-Drs. 17/9782. 282 BT-Drs. 18/3039. 283 BT-Drs. 17/6492. 284 BT-Drs. 18/3034. 285 BT-Drs. 17/8567. 286 BVerfGE 28, 191 (204) zu Verfassungswidrigkeiten; s. auch BGHSt 20, 342 (342); zur Loyalitätspflicht des Beamten auch BVerfG, NVwZ 2006, 1282 (1283). 287 BVerwGE 86, 188 (191); 76, 76 (80); OVG Koblenz, NVwZ-RR 1999, 648; zur Flucht in die Öffentlichkeit durch Gemeinderatsmitglieder OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 13.6.1995, 7 A 12186/94, Rn. 36 (juris); VG Düsseldorf, Urt. v. 14.8.2009, 1 K 6465/08, Rn. 82 ff. (juris).

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um ein Schlagwort.288 Eine Flucht in die Öffentlichkeit liege aber nicht bei jeder Informierung von Außenstehenden vor, so etwa nicht bei „der (unmittelbaren) Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes“289 oder wenn eine Diskussion auf einen bestimmten Fachbereich beschränkt bleibe290. Eine Strafanzeige eines Beamten aufgrund innerdienstlicher Vorgänge selbst dürfe grundsätzlich nur nach Ausschöpfung verwaltungsinterner Klärungsmöglich­ keiten erfolgen.291 Sie müsse das letzte Mittel „in einer Ausnahmesituation bleiben“292. Allerdings liegt es nahe, dass bei Vorliegen der vom BAG in der grundlegenden Entscheidung von 2003 herangezogenen Kriterien, bei denen keine vorherige interne Klärung versucht werden müsse,293 auch das BVerwG eine verwaltungsinterne Klärung nicht verlangt;294 gerichtlich geklärt ist dies – soweit ersichtlich – bislang aber noch nicht. Dieses grundsätzliche Vorrangverhältnis wird auch auf einfachrechtlicher Ebene mit § 125 Abs. 1 S. 1 und S. 2 BBG statuiert, wonach bei Anträgen und Beschwerden von Beamten der Dienstweg einzuhalten ist. Die Weitergabe von Informationen über dienstliche Angelegenheiten ist nach Maßgabe verschiedener Normen grundsätzlich untersagt.295 Etwas anderes könne sich aber bei speziellen Normen ergeben.296 Über die Frage, ob interne Entscheidungen publik gemacht würden, müsse der jeweils zuständige Vorgesetzte entscheiden.297 Bevor eine Enthüllung an die Öffentlichkeit gestattet sei, müssten zunächst „die in der institutionellen Ordnung der Verwaltung und des demokratischen Staates liegenden Abhilfemöglichkeiten“ ausgeschöpft werden.298 Im öffentlichen Dienst gelte dabei ein Stufenmodell:

288

Köhler, in: Hummel / Köhler / Mayer / Baunack, S.  259. OVG Berlin-Brandenburg, LKV 2008, 519 (520) zum Verwaltungsgericht. 290 VG Düsseldorf, Urt. v. 23.2.2011, 31 K 7929/10.O, Rn. 30 (juris). 291 BVerwG, NJW 2001, 3280; s. auch BDHE 7, 65; vgl. zur Notwendigkeit vorheriger interner Abhilfebemühungen auch VG Berlin, Urt. v. 27.8.2004, 80 A 29.03, Rn. 88 (juris); VG Berlin, Beschl. v. 18.8.2004, 80 A 15.03, Rn. 25 (juris); VG Meiningen, Beschl. v. 24.3.1999, 6 D 60008/98.Me, 2. Ls. (juris). 292 BVerwG, NJW 2001, 3280; BDHE 7, 65. 293 BAGE 107, 36 (46). 294 Sauer, DÖD 2005, 121 (124). 295 Hierzu 4.  Teil, B. II. 2. a) aa). 296 BVerwG, NJW 2001, 3280; s. auch BVerwG, Urt. v. 15.11.2000, 1 D 65/98, Rn. 27 (juris). 297 OVG Lüneburg, Urt. v. 10.11.2009, 6 LD 1/09, Rn. 131 (juris): „Es liegt insoweit in der Verantwortung der für die Entscheidung zuständigen Vorgesetzten, wenn, inwieweit und in welcher näheren Art und Weise sie namens des Dienstherrn die Öffentlichkeit bzw. Stellen außerhalb ihres Behördenbereichs einschaltet und diese über das Ergebnis und das Zustandekommen ihrer internen Entscheidung unterrichtet […].“ 298 BVerfGE 28, 191 (204 f.); zu alternativen Handlungsmöglichkeiten eines (ehrenamtlichen) Mitglieds eines Stadtrates VG München, Urt. v. 15.1.2014, M 7 K 13.2610, Rn. 22 (juris). 289

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

1. zunächst müsse der „Dienstweg bis zu dem für die Tätigkeit der Behörde parlamentarisch verantwortlichen Minister“ erschöpft werden; 2. anschließend seien die verbleibenden „in der institutionellen Ordnung der Verwaltung und des demokratischen Staates liegenden Abhilfemöglichkeiten“ zu nutzen, was v. a. dienstexterne Stellen umfasst; 3. grundsätzlich komme erst danach der Weg in die Öffentlichkeit in Betracht.299 Nur in extremen Ausnahmesituationen sei eine sofortige Informierung der Öffentlichkeit zulässig.300 Im Übrigen sieht § 67 Abs. 2 BBG Ausnahmen von der Verschwiegenheitspflicht vor, wobei insbesondere die nach S. 2 genannten gesetzlichen Pflichten, geplante Straftaten anzuzeigen und für die Erhaltung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung einzutreten, zu nennen sind. Für sonstige Straftaten sieht lediglich § 67 Abs. 2 S. 1 Nr. 3  BBG für den Verdacht einer Korruptionsstraftat nach den §§ 331–337 StGB eine Ausnahme vor. Das Verhältnis dieser Ausnahmen zu anderen Normen ist allerdings nicht eindeutig geklärt.301 (2) Vergleich mit der Rechtsprechung des EGMR Da auch die deutschen Gerichte internem Whistle­blowing grundsätzlich Vorrang einräumen, werden die Urteile des EGMR insofern keine Auswirkungen auf die künftige deutsche Rechtsprechung haben. Ein grundsätzliches Vorrangverhältnis ist bereits gesetzlich in § 125 Abs. 1 S. 1, S. 2 BBG für Beamte kodifiziert und wird auch unabhängig hiervon von der Rechtsprechung bejaht. Für Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst, für die das Bundesbeamtengesetz nicht gilt, ist § 241 Abs. 2 BGB der normative Anknüpfungspunkt zur Begründung des dargestellten Vorranggrundsatzes. Durch § 138 StGB i. V. m. § 67 Abs. 2 StGB wird sichergestellt, dass sich die Verschwiegenheitspflicht von Beamten nicht auf die Nichtanzeige einer Straftat, durch die sich der Whistle­blower einer Strafverfolgung aussetzen würde, erstreckt. Wird der Hinweis des Whistle­blowers auf dem Dienstweg ignoriert, bleibt ihm – als ultima ratio – die Möglichkeit, sich an die Öffentlichkeit zu wenden. Dies entspricht der Rechtsprechung des EGMR. In Extremfällen, bei denen besonders schwere Gefahren für Verfassungswerte drohen,302 wird auch der EGMR ein derart starkes öffentliches Interesse an der Information bejahen, dass ein Vorrang internen Whistle­blowings nicht in Betracht kommt. 299 BVerfGE 28, 191 (204 f.); s. auch Bäcker, Die Verwaltung 2015, 499 (504), aber auch Beer, DDB 1985, 99 (102). 300 Hierzu noch ausführlich 4. Teil, B. V. 2. e) aa). 301 Hierzu 4.  Teil, B. II. 2. a) aa) (2). 302 Zur Rechtsprechung insofern noch 4. Teil, B. V. 2. e) aa).

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Da interne Whistle­blower-Systeme in Deutschland bislang noch rar sind, stellt sich lediglich die Frage, ob der Mangel an internen Kanälen zu einem anderen Ergebnis führen könnte. Diesem Punkt dürfte indes keine grundlegende Bedeutung zukommen. (3) Allgemeine Erwägungen Weder das Grundgesetz noch das einfache Recht statuieren allgemein, wann sich Beamte mit ihrem Wissen über interne Missstände an externe Stellen oder die (breite) Öffentlichkeit wenden dürfen. § 125 Abs. 1 S. 2 BBG regelt lediglich, dass Beamte bei Anträgen und Beschwerden den Dienstweg einhalten müssen, ohne auf danach verbleibende Möglichkeiten einzugehen. Voraussetzung ist jedenfalls, dass Beamte grundsätzlich zunächst interne Abhilfemöglichkeiten erschöpfen, bevor sie sich an die Öffentlichkeit wenden.303 Dieses Vorrangverhältnis lässt sich durch folgende Überlegungen begründen: Nach § 4 BBG stehen Beamte zu ihrem Dienstherrn in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis. Dieses Verhältnis wird durch verschiedene Vorschriften innerhalb des Bundesbeamtengesetzes konkretisiert. Für externes Whistle­blowing ist insofern die Pflicht zum achtungs- und vertrauensgerechten Verhalten nach § 61 Abs. 1 S. 3 BBG relevant, die Zurückhaltung bei der Informierung der Öffentlichkeit fordert.304 Die Verschwiegenheitspflicht der Beamten bzw. der Verwaltung insgesamt steht in engem Zusammenhang mit dem Erfordernis einer rechtsstaatlich (Art. 20 Abs. 3 GG) handelnden Verwaltung.305 Die Verwaltung ist insofern auch auf das gesellschaftliche Vertrauen „in ihre rechtsstaatliche, unparteiische und grundrechtssichernde Tätigkeit“ angewiesen.306 Behördenarbeit ist nicht allein auf die Klärung abstrakter Rechtsfragen gerichtet, sondern betrifft primär konkrete Rechtsverhältnisse von Grundrechtsträgern und ist damit einzelfallbezogen. Wenn es zwischen Behörde und Einzelnem zu einem Informationsaustausch kommt, der Behörde also Informationen zukommen, die vertraulich behandelt werden müssen, fordert das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art.  2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1  GG) größtmögliche Vertraulichkeit.307 Dies betrifft auch solche Daten, die der Staat ohne Wissen des Einzelnen über ihn erhoben hat oder der Einzelne möglicherweise unfreiwillig dem Staat offenbaren musste. Dem Rechtsstaat ist es immanent, dass der Einzelne auf die Verschwiegenheit des Staates vertrauen darf und seine persönlichen Angelegenheiten nicht zum Spielball bestimmter Interessen 303

Jarass, DÖV 1986, 721 (727); Scheurer, ZTR 2013, 291 (293). S. Weiß, ZBR 1984, 129 (132). 305 S. auch BVerfGE 28, 191 (198). 306 Köhler, in: Hummel / Köhler / Mayer / Baunack, S.  247; vgl. auch Herold, ZBR 2013, 8 (10). 307 S. auch Köhler, in: Hummel / Köhler / Mayer / Baunack, S.  247. 304

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

degradiert werden. Mit den persönlichen Daten muss also äußerst sorgsam umgegangen werden, was eine vorherige Ausschöpfung interner Abhilfemöglichkeiten impliziert. Diese Argumentation greift allerdings nur dann, wenn tatsächlich entsprechende Daten betroffen sind. Neben dieser (auch) individualschützenden Dimension verhindert die Pflicht zur Vertraulichkeit, dass außerbehördlicher Druck  – z. B. durch entsprechende Medienberichterstattung – erzeugt wird. Dieser Druck kann dazu führen, dass sich der Staat nicht durch sachliche, sondern eher öffentlichkeitswirksame Erwägungen leiten lässt.308 Die Heranziehung der außerdienstlichen Öffentlichkeit würde „den innerdienstlichen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeß mit der Gefahr sachfremder Einwirkungen belasten und liegt nicht im Interesse einer an dem Gebot der Effektivität, der Nützlichkeit und der Sachlichkeit orientierten Verwaltung“.309 Durch die hieraus folgende öffentliche Debatte könnten Interessengruppen durch politische Einflussnahme versuchen, die Behörde zu einer bestimmten Entscheidung zu veranlassen. Zwar bezieht sich dieser Aspekt nur auf eine Meldung an die breite Öffentlichkeit, doch ist zu beachten, dass die Gefahr einer öffentlichen Verbreitung der Information auch dann besteht, wenn externe staatliche Stellen informiert werden. Durch die Einhaltung des Dienstweges wird schließlich auch sichergestellt, dass mögliche Missverständnisse über den Missstand seitens des Whistle­blowers – sei es tatsächlicher oder rechtlicher Natur – geklärt werden und damit unbegründete Anzeigen, die trotz ihrer Unbegründetheit die Gefahr einer belastenden Unter­ suchungen in sich bergen, verhindert werden können.310 Insofern hat auch der BGH festgehalten: „Die Pflicht, vor einer Anrufung der Öffentlichkeit sich an die eigene Behörde (einschließlich deren Aufsichtsbehörde) zu wenden, wird überdies vielfach alsbald zu einer Klarstellung der Sach- und Rechtslage und damit zur Vermeidung von Irrtümern führen, […].“311

Auch eine drohende (irreparable) Rufschädigung kann hierdurch abgewendet werden.312 Daneben ist auch die Pflicht des Beamten zur Wahrung des Verwaltungsfriedens (bzw. Betriebsfriedens) zu beachten: So wird eine sofortige Strafanzeige gegen Kollegen internes Misstrauen und Unzufriedenheit schüren, was einer effizienten Verwaltungstätigkeit entgegensteht. Besonders relevant wäre insofern, wenn ein Beamter „die ihm bekanntgewordenen dienstlichen Unterlagen objektiv unrichtig 308

S. näher auch BVerwG, BeckRS 1983, 30435036; Weiß, ZBR 1984, 129 (134); Lopacki, ZBR 2016, 329 (330). 309 BVerwGE 76, 76 (82); vgl. hierzu auch Weiß, ZBR 1984, 129 (131 f.), der in der bezweckten Druckerzeugung als besondere Form der Illoyalität den „Kern des disziplinaren Unrechts“ sieht; BDHE 6, 94 (95). 310 S. auch Király, DÖV 2010, 894 (895). 311 BGHSt 20, 342 (370). 312 S. Scheurer, ZTR 2013, 291 (294).

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und in tendenziöser Weise unvollständig wiedergegeben haben sollte“.313 Insofern wird auch der bestehende Zusammenhang mit der Verschwiegenheitspflicht deutlich, die ebenfalls das Rechtsgut der Erhaltung des Verwaltungsfriedens schützt.314 Aus dem allgemeinen Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 GG) lassen sich hingegen keine klaren Schlussfolgerungen ziehen. Richtet man den Fokus auf die vom Volk ausgehende Staatsgewalt, lässt sich durchaus gegen ein grundsätzliches Vorrangverhältnis argumentieren: „Da alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, hat im Zweifel die Öffentlichkeit das erste Recht der Unterrichtung, nicht jene Personen oder Stellen, deren Befugnisse von jener Macht derivieren.“315

Die besondere Kontrollfunktion demokratisch legitimierter Kontrollorgane würde hierdurch allerdings ausgeblendet: „Es ist an dieser Stelle auch zu bedenken, dass die Aufgabenerfüllung durch öffentliche Verwaltungseinrichtungen regelmäßig auf einer demokratischen Legitimation beruht und man nicht über Anzeigen von Missständen gegenüber externen Dritten die Aufsichtsfunktion demokratischer Kontrollgremien und – [sic] Ausschüsse umgehen oder aushöhlen darf.“316

Die „laufende demokratische Meinungs- und Willensbildung“317 ist zwar ebenfalls ein bedeutsamer Gesichtspunkt, muss aber in Relation zu anderen Verfassungsgütern gesetzt werden und wird durch die oben genannten Aspekte entsprechend beschränkt. Gleichwohl kann sie so starkes Gewicht erlangen, dass eine sofortige Informierung der Öffentlichkeit zulässig ist. Soweit schließlich auf den Gesichtspunkt des Vertrauens des Volkes, auf dem die parlamentarische Demokratie basiert,318 abgestellt würde, lässt sich bereits fragen, ob dieses Vertrauen durch eine (ständige) Offenbarung von internen Missständen gestärkt oder geschwächt werden würde. Aus dem Demokratieprinzip lassen sich also insofern keine klaren Schlussfolgerungen ziehen. Aufgrund der genannten Aspekte ist es überzeugend, dass sich Beamte grundsätzlich zunächst um eine interne Klärung bemühen müssen, d. h. mit dem schonendsten Mittel beginnen,319 bevor über die Zulässigkeit externen Whistle­blowings entschieden werden kann. Externes Whistle­blowing ist also grundsätzlich subsidiär gegenüber internem Whistle­blowing. Dies gilt unabhängig davon, ob der Whistle­blower selbst durch den Missstand betroffen ist oder sonstige Missstände rügt.320 Um diesem Grundsatz zu genügen, reicht eine teilweise Erschöpfung des Dienstweges nicht aus, sondern der vollständige Dienstweg und – soweit vorhan 313

BVerwGE 37, 265 (271). S. BVerwGE 37, 265 (270) zur Bundespost. 315 Schmid, JZ 1970, 686 (686 f.). 316 Scheurer, ZTR 2013, 291 (294). 317 Schmid, JZ 1970, 686 (687). 318 BVerfGE 40, 296 (327). 319 BVerfGE 28, 191 (204) zur Meldung von Verfassungswidrigkeiten. 320 Lopacki, ZBR 2016, 329 (330). 314

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

den – andere interne Abhilfemöglichkeiten müssen erschöpft werden. Dabei sind der jeweilige Verwaltungsaufbau sowie gesetzlich vorgesehene Dienstwegdurchbrechungen (z. B. § 67 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BBG) zu berücksichtigen. (4) Das Petitionsrecht (Art. 17 GG) und das Erfordernis der Dienstwegerschöpfung nach § 125 BBG Wie der Konflikt zwischen der Meinungsfreiheit und der „Garantie eines für den Staat unentbehrlichen, ihn tragenden, verläßlichen, die freiheitliche demokratische Grundordnung bejahenden Beamtenkörpers“ angemessen gelöst werden kann, hat das BVerfG offengelassen.321 Jedenfalls hielt es fest: „Der notwendige Ausgleich ist so zu suchen, daß die für die Erhaltung eines intakten Beamtentums unerläßlich zu fordernden Pflichten des Beamten die Wahrnehmung von Grundrechten durch den Beamten einschränken.“322

Diese allgemeine Umschreibung grenzt den auftretenden Interessenkonflikt zunächst angemessen ein, indem maßgeblich auf die Funktion des Art. 33 Abs. 5  GG  – u. a. ein intaktes Beamtentum zu gewährleisten  – abgestellt wird. Allerdings bleibt die Kernfrage („Was ist unerlässlich?“) damit immer noch unbeantwortet. Unabhängig davon, ob sich ein Whistle­blower an zuständige staatliche Stellen oder an die (breite) Öffentlichkeit wendet, ist dabei stets das Sachlichkeitsgebot zu beachten.323 Wendet sich ein Beamter an zuständige externe staatliche Stellen, um den Missstand anzuzeigen und zu dessen Behebung beizutragen, bevor er sich um interne Abhilfe bemüht hat, muss aufgrund der besonderen Gewährleistung des Art. 17 GG geklärt werden, ob hierin eine Pflichtverletzung gesehen werden kann. § 125 Abs. 1 S. 2 BBG sieht die Notwendigkeit einer Dienstwegerschöpfung zwar ausdrücklich vor; insofern ist aber in einem ersten Schritt zu klären, inwiefern Art. 17 GG, der zwei Petitionsempfänger vorsieht („zuständige Stellen“ und „Volksvertretung“), hierdurch eingeschränkt wird: – Das Recht zur Informierung der „zuständigen Stellen“ (Art. 17 GG) wird durch das Erfordernis, den Dienstweg zu erschöpfen, eingeschränkt. Es handelt sich nicht um eine bloße Ausgestaltung von Art. 17 GG. – Das Petitionsrecht in Art. 17 GG nennt ausdrücklich auch die Möglichkeit, sich an die Volksvertretung zu wenden. Whistle­blowing an die zuständige Volksvertretung kann dabei nicht mehr zum internen Whistle­blowing gerechnet werden; der Whistle­blower verlässt vielmehr die Sphäre des Dienstweges.324 Wenn § 125 321

BVerfGE 39, 334 (366 f.). BVerfGE 39, 334 (367); s. auch BVerfG, NJW 1983, 2691; Weiß, ZBR 1984, 129 (133). 323 S. auch BVerfGE 28, 55 (64 f.); Lohse, ZBR 2003, 235 (239). 324 S. auch Weiß, ZBR 1984, 129 (135). 322

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Abs. 1 S. 2  BBG statuiert, dass Beamte bei Anträgen und Beschwerden den Dienstweg einhalten müssen, stellt sich zunächst die Frage, ob dies auch für eine Petition an die Volksvertretung gilt oder sich die Einschränkung des § 125 Abs. 1 S. 2 BBG nur auf die „zuständige Stelle“ i. S. v. Art. 17 GG bezieht. Ob § 125 BBG das Erfordernis der Dienstwegerschöpfung auch im Falle einer an die Volksvertretung gerichteten Petition vorsieht, wird unterschiedlich beurteilt,325 ist aber grundsätzlich zu bejahen326. § 125 Abs. 1, Abs. 2 BBG enthält eine allgemeine Regelung für „Anträge und Beschwerden“ und orientiert sich dabei an Art. 17 GG („Bitten oder Beschwerden“). Ausnahmen für Petitionen zur Volksvertretung sieht § 125 BBG nicht vor; auch eine teleologische Reduktion ist nicht überzeugend. Zwar differenziert Art. 17 GG zwischen „zuständigen Stellen“ und der „Volksvertretung“, sodass sich § 125 BBG lediglich als Konkretisierung der „zuständigen Stellen“ verstehen lassen könnte. § 125 BBG liegt indes der Grundgedanke zugrunde, dass Probleme im staatlichen Bereich grundsätzlich zunächst verwaltungsintern gelöst werden sollen, bevor externe Stellen eingeschaltet werden und erfordert damit insofern eine weite Auslegung. Die hiermit verbundene zeitliche Verzögerung ist – auch wenn der Missstand politisch aufgearbeitet werden soll327 – dabei hinzunehmen, kann aber im Einzelfall dadurch berücksichtigt werden, dass eine unmittelbare Informierung des Parlaments (ohne Einhaltung des Dienstweges) als zulässig anzusehen ist. Soweit § 125 Abs. 1 S. 2 BBG damit das Petitionsrecht insgesamt einschränkt, muss der Vorrang der Dienstwegerschöpfung allerdings auch verfassungsrechtlich verankert sein, da Art. 17 GG als vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht nur verfassungsimmanenten Schranken unterliegt.328 Insofern ist auf Art. 33 Abs. 5  GG zurückzugreifen: Ob die Pflicht zur Einhaltung des Dienstweges ein eigenständi­ger „hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums“ ist, muss hier nicht entschieden werden. Jedenfalls umfasst die in Art. 33 Abs. 5  GG wurzelnde Treue- und Loyalitätspflicht329 des Beamten, „zunächst die in der institutionellen Ordnung der Verwaltung und des demokratischen Staates liegenden Abhilfemöglichkeiten auszuschöpfen“.330 Der Zurückhaltungspflicht des Beamten wird es dabei eher gerecht, wenn zunächst der Dienstweg in allen dienstlichen Belangen eingehalten wird. Das Erfordernis der grundsätzlichen Dienstwegerschöpfung wurzelt also

325

Zum Streit Weiß, ZBR 1984, 129 (136); Thiele, DÖD 1985, 145 (147). Wolff, in: Hömig / Wolff, Art. 17 Rn. 8; Lopacki, ZBR 2016, 329 (335 f.); vgl. auch BVerfGE 28, 191 (204 f.); a. A. Lemhöfer, in: Plog / Wiedow, § 125 BBG Rn. 3 (11/2018); s. auch Köhler, in: Hummel / Köhler / Mayer / Baunack, S.  260, der einen pflichtwidrigen Vertrauensbruch ablehnt. 327 Vgl. Beer, DDB 1985, 99 (103). 328 Vgl. Brocker, in: Epping / Hillgruber, Art. 17 Rn. 30 (Stand 15.5.2019); Jarass, in: ders. / Pieroth, Art. 17 Rn. 12; Pagenkopf, in: Sachs, Art. 17 Rn. 15. 329 BVerfGE 39, 334 (346 ff.). 330 BVerfGE 28, 191 (204 f.), ohne allerdings auch ausdrücklich auf Art. 33 Abs. 5 GG abzustellen. 326

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

letztlich in Art. 33 Abs. 5 GG331 und kann damit dem Recht aus Art. 17 GG entgegengehalten werden. Allerdings steht es dem Gesetzgeber weitgehend frei, Abweichungen zu treffen; ihm kommt insofern ein sehr weiter Gestaltungsspielraum zu332. So ist es etwa zulässig, dass sich (auch verbeamtete) Angehörige der Nachrichtendienste des Bundes ohne Einhaltung des Dienstweges unmittelbar an das Parlamentarische Kontrollgremium wenden dürfen (§ 8 Abs. 1 PKGrG). Dies gilt auch für § 124 Abs. 3 Beamtengesetz Thüringen, wonach Beamte jederzeit Eingaben an den Landtag unmittelbar richten können, sowie § 1 Abs. 2 Petitionsgesetz Brandenburg, wonach die Einreichung einer Petition an den Landtag ausdrücklich nicht die Einhaltung des Dienstweges voraussetzt. (5) Das Petitionsrecht (Art. 17 GG) bei Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes Auch Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes können sich auf das Petitionsrecht des Art. 17 GG berufen. Um dieses Grundrecht und damit auch das Recht zum externen Whistle­blowing an zuständige staatliche Stellen und die Volksvertretung zu beschränken, ist allerdings kollidierendes Verfassungsrecht erforderlich.333 Insofern kann nicht auf Art. 33 Abs. 5 GG, der bei Beamten eine maßgebliche Rolle gespielt hat, zurückgegriffen werden, da dieser auf Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes keine Anwendung findet.334 Auch Art. 12 Abs. 1 GG kann kein kollidierendes Verfassungsrecht darstellen, da der Staat insofern kein Grundrechtsträger ist. Soweit keine Grundrechte von anderen Personen, v. a. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, einschlägig sind, kommt als kollidierendes Verfassungsrecht das allgemeine Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG, in Betracht. Zum Rechtsstaats­ prinzip gehört auch eine rechtsstaatlich handelnde Verwaltung, die bei dienstlichen Angelegenheiten ein gewisses Maß an Zurückhaltung gegenüber der Öffentlichkeit bzw. externen Stellen ausübt. So heißt es auch in der Rechtsprechung des BVerfG: „Es bedarf keiner näheren Begründung, daß die öffentliche Verwaltung nur dann rechtsstaatlich einwandfrei, zuverlässig und unparteiisch arbeiten kann, wenn sichergestellt ist, daß über die dienstlichen Vorgänge von seiten der Behördenbediensteten nach außen grundsätzlich Stillschweigen bewahrt wird.“335

331

Für eine verfassungsrechtliche Verankerung in Art. 33 Abs. 5 GG auch Fürst, in: ders. /  Franke / Weiß, K § 171 a. F. Rn. 5 (5/2006); Liebscher, DVBl. 1972, 9 (11); Langenfeld, in: Isensee / Kirchhof, § 39 Rn. 50 f.; differenzierend Liebscher, Das Petitionsrecht im Beamtenverhältnis, S. 84 ff. 332 Vgl. Battis, in: Sachs, Art. 33 Rn. 70. 333 Vgl. Brocker, in: Epping / Hillgruber, Art. 17 Rn. 30 (Stand 15.5.2019); Jarass, in: ders. /  Pieroth, Art. 17 Rn. 12; Pagenkopf, in: Sachs, Art. 17 Rn. 15. 334 Vgl. BVerfGE 3, 162 (186); 16, 94 (110 f.). 335 BVerfGE 28, 191 (198).

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Die Pflicht zur vorherigen Erschöpfung interner Abhilfemöglichkeiten aus § 241 Abs. 2 BGB dient also auch dem Schutz einer an rechtsstaatlichen Grundsätzen ausgerichteten Verwaltung. b) Das Interesse der Öffentlichkeit an der Information aa) Rechtsprechung des EGMR Der EGMR misst dem Interesse der Öffentlichkeit an der enthüllten Information („public interest involved in the disclosed information“) besondere Bedeutung bei.336 Soweit es sich um eine Auseinandersetzung über Fragen des öffentlichen Interesses („debate on questions of public interest“) handele, verbleibe für Eingriffe in Art. 10 Abs. 1 EMRK nur ein geringer Raum.337 Damit führt der EGMR seine bisherige Rechtsprechung, in der das Gericht die Bedeutung der Meinungs­freiheit für eine demokratische Gemeinschaft betont hat,338 konsequent fort. In einem demokratischen System müsse das Handeln oder Unterlassen der Regierung nicht nur der strengen Kontrolle durch die gesetzgeberische und gerichtliche Gewalt, sondern auch durch die Medien und die öffentliche Meinung unterliegen.339 Das Interesse, das die Öffentlichkeit an bestimmten Informationen haben könne, könne manchmal so groß sein, dass es Vorrang vor der rechtlich auferlegten Pflicht zur Vertraulichkeit habe.340 Die besondere Rolle des Staates in den EGMR-Entscheidungen Guja v. Moldawien und Heinisch v. Deutschland darf allerdings nicht übersehen werden: – In erstgenannter Entscheidung urteilte der EGMR darüber, ob die Entlassung des Leiters der Pressestelle der Generalstaatsanwaltschaft, der Briefe, die vom stellvertretenden Sprecher des Parlaments an das Büro des Generalstaatsanwalts und einem stellvertretenden Minister im Innenministerium („a deputy minister in the Ministry of the Interior“) an einen stellvertretenden Generalstaatsanwalt gerichtet waren, an die Presse weitergegeben hatte, gegen Art. 10 EMRK verstieß. – In der Heinisch-Entscheidung befand sich die „Vivantes Netzwerk für Gesundheit GmbH“ mehrheitlich im Besitz des Landes Berlin.

336

EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 74; Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 66; hierzu auch Krause, SR 2019, 138 (144 ff.). 337 EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 74; Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 66; Urt. v. 10.12.2007, Stoll v. Schweiz (Nr. 69698/01), Rn. 106; Urt. v. 25.11.1996, Wingrove v. Das Vereinigte Königreich (Nr. 17419/90), Rn. 58. 338 S. etwa EGMR, Urt. v. 7.12.1976, Handyside v. Das Vereinigte Königreich (Nr. 5493/72), Rn. 49; Urt. v. 21.2.1999, Fressoz und Roire v. Frankreich (Nr. 29183/95), Rn. 45. 339 EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 74. 340 EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 74.

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

In beiden Entscheidungen wurde auf den staatlichen Zusammenhang auch im Rahmen der Abwägung Bezug genommen.341 Allerdings bejahte der EGMR in der Heinisch-Entscheidung auch unabhängig hiervon ein Interesse der Öffentlichkeit an Informationen über den Zustand der Pflege („dissemination of information about the quality or deficiencies of such care“).342 Diese Unabhängigkeit wird gerade durch die folgende vom EGMR gewählte Formulierung deutlich: „This is even more evident when institutional care is provided by a State-owned company, […].“343 Gleichwohl stellt sich die Frage, ob bzw. inwiefern der EGMR generell ein öffentliches Interesse bejaht bzw. es den Schutz aus Art. 10 Abs. 1 EMRK beeinträchtigt, wenn es sich um eine ausschließlich privatrechtliche oder jedenfalls nicht überwiegend staatliche Institution handelt.344 Mutmaßungen über künftige Entscheidungen des EGMR gehen aber letztlich zu Lasten des Whistle­blowers, da eine angemessene Rechtsberatung bei Whistle­blowing im privaten Sektor erschwert wird. Jedenfalls liegt es nahe, dass Whistle­blower bei Involvierung staatlicher Stellen nach der Rechtsprechung des EGMR größeren Schutz genießen,345 was auch dadurch bedingt wird, dass das Erfordernis des vorherigen internen Hinweises und das öffentliche Interesse, das bei staatlichen Missständen eher anzunehmen ist, miteinander korrelieren346. Daneben stellt sich die Frage, wann generell das „öffentliche Interesse“ zu bejahen ist. Auch hier herrscht noch viel Unklarheit: So wird vorgeschlagen, die vom EGMR in der Heinisch-Entscheidung herangezogenen Gesichtspunkte als Ab­grenzungskriterien heranzuziehen347. Während ein Teil der Literatur konstatiert, dass das fehlende öffentliche Interesse „eher der Regelfall sein“ dürfte,348 wird auch vorgebracht, dass an der Verfolgung eines jeden Rechtsverstoßes (auch bei Bagatelldelikten) grundsätzlich ein öffentliches Interesse bestehe349. Der EGMR hat in den genannten Entscheidungen jedenfalls nicht näher umschrieben, wie ein 341 S. EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr.  14277/04), Rn. 85 ff.; Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 71. 342 EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 71. 343 EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 71. 344 Zur Heinisch-Entscheidung ist die Literatur gespalten: Gegen eine einfache Übertragung auf ein Arbeitsverhältnis zwischen Privaten Brink, jurisPB-ArbR 31/2012, Anm. 1; Göpfert, ZWH 2011, 39 (40), spricht „wegen der staatlichen Beteiligung auf Arbeitgeberseite und der Betroffenheit von Gemeinwohlaufgaben“ von einem „Sonderfall“; nach Dzida / Naber, ArbRB 2011, 238 (241), wird ein öffentliches Interesse oftmals fehlen; Hochhauser, ZESAR 2012, 278 (282), sieht die Kriterien als durchaus übertragungsfähig an; vgl. zum Problem der Verallgemeinerungsfähigkeit der Heinisch-Entscheidung Becker, DB 2011, 2202 (2203). 345 Vgl. auch Seifert, EuZA 2012, 411 (420). 346 Vgl. Göpfert / Wiegandt, ZWH 2011, 19 (20). 347 Schlachter, RdA 2012, 108 (112), mit folgender Konkretisierung: „Es muss um eine Gefahr für wichtige Rechtsgüter gehen, die davon ggf. Betroffenen müssen besonders schutzbedürftig sein und die Möglichkeit zur anderweitigen Kenntniserlangung muss auf tatsächlicher Ebene begrenzt sein.“ 348 Seel, MDR 2012, 9 (12). 349 Rudkowski, CCZ 2013, 204 (207); nach Branahl, HFR 1/2012, 1 (5), kann die Öffentlichkeit auch ein berechtigtes Informationsinteresse an nicht strafbaren Missständen haben.

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„öffentliches Interesse“ an einer Information zu bestimmen ist.350 Allerdings hat der EGMR zur Frage, wann ein Foto oder ein Presseartikel zu einer Diskussion, die eine Frage des allgemeinen Interesses betrifft, bereits festgehalten: „The definition of what constitutes  a subject of general interest will depend on the circumstances of the case. The Court nevertheless considers it useful to point out that it has recognised the existence of such an interest not only where the publication concerned political issues or crimes […], but also where it concerned sporting issues or performing artists […]. However, the rumoured marital difficulties of the President of  a country or the financial difficulties of a famous singer were not deemed to be matters of general interest […].“351

Das hier zwischen „public interest“ und „general interest“ maßgeblich differenziert werden sollte, ist fernliegend, sodass diese Rechtsprechung generell über­ tragungsfähig erscheint. bb) Verfassungsgerichtliche Judikatur Das BVerfG hat bereits mehrfach auf die Bedeutung der übermittelten Information verwiesen, um das Gewicht der Meinungsfreiheit im jeweiligen Fall hervorzuheben. Die Bedeutung der Meinungsfreiheit in der Einzelfallabwägung nehme zu, wenn es sich „um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt“;352 in solchen Fällen (Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung) geht das BVerfG von einer Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede aus353. „Wahre Aussagen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind, unwahre dagegen nicht […].“354

Der Inhalt der Meinungsäußerung korreliert also mit ihrer Zulässigkeit national wie international. Der EGMR spricht zwar nicht ausdrücklich von einer Vermutungswirkung, lässt Einschränkungen der Meinungsfreiheit aber in solchen Fällen lediglich einen geringen Raum. Insofern ähnelt sich das Verständnis von EGMR und BVerfG.

350

Brors, HFR 2/2012, 1 (12); s. auch Sasse, ArbRB 2011, 227. EGMR, Urt. v. 7.2.2012, von Hannover v. Deutschland (Nr.  40660/08 und 60641/08), Rn. 109. 352 BVerfGE 66, 116 (139); s. auch BVerfGE 7, 198 (212). 353 BVerfGE 93, 266 (294 f.). 354 BVerfGE 99, 185 (196). 351

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

cc) Deutsche Gerichte zum privaten Sektor Das BAG hat in seiner grundlegenden Whistle­blowing-Entscheidung von 2001355 nicht explizit das Interesse der Öffentlichkeit an der erhaltenen Information gewichtet. In einer darauffolgenden Entscheidung hat das BAG jedoch – allerdings nur am Rande – die Bedeutung des öffentlichen Interesses mit in die Abwägung einbezogen.356 Demgegenüber hat das BAG in einer Entscheidung aus dem Jahre 2016 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EGMR das Kriterium des öffentlichen Interesses, das an einer Offenlegung der Information besteht, als zu berücksichtigenden Umstand angesehen.357 Auch andere Gerichte haben bereits begonnen – unter ausdrücklicher Beachtung der Heinisch-Entscheidung des EGMR –, auf das öffentliche Interesse einzugehen: So stellte das LAG Düsseldorf fest, dass „ein öffentliches Interesse an Informationen über Mängel, insbesondere in für das Allgemeinwohl bedeutenden Unternehmen“ bestehe, ohne dies ausdrücklich auf staatliche Unternehmen zu beschränken.358 Erwähnenswert ist ferner eine Entscheidung des OLG Frankfurt aus dem Jahre 2014.359 Auch wenn das BVerfG bereits mehrfach die Bedeutung des öffentlichen Interesses als Abwägungskriterium anerkannt hat, spielte es bislang bei Fallkonstellationen des externen Whistle­ blowings kaum eine Rolle. Insgesamt ist – grundrechtlich betrachtet – das Kriterium des „Allgemeininteresses“ aber auch im privaten Sektor nicht unbekannt.360 In Zukunft müssen deutsche Gerichte v. a. die Bedeutung der Information für die Öffentlichkeit in die Abwägung mit einbeziehen,361 da diesem Kriterium vom EGMR besonderes Gewicht beigemessen wird. Dies gilt unabhängig davon, ob es – wie in der Heinisch-Entscheidung – um die Altenpflege geht, da ein über­ wiegendes öffentliches Interesse auch in anderen privatwirtschaftlichen Fallkonstellationen angenommen werden kann.362 Die Gerichte müssen daher zukünftig (noch stärker und ausdrücklicher) berücksichtigen, dass die Meinungsfreiheit – die bei Whistle­blowing v. a. relevant ist – für die freiheitliche demokratische Grund-

355

BAGE 107, 36. BAG, NJW 2007, 2204 (2205): „[Die Ausübung des staatsbürgerlichen Rechts, Strafanzeige zu erstatten] lag im vorliegenden Fall umso mehr im öffentlichen Interesse und bedurfte deshalb auch arbeitsrechtlichen Schutzes, als der Bekl. auch von Gerichten in Strafverfahren festgesetzte Bußgelder vereinnahmt hat.“ 357 BAG, NJW 2017, 1833 (1834). 358 LAG Düsseldorf, Urt. v. 24.9.2012, 9 Sa 1014/12, Rn. 130 (juris). 359 OLG Frankfurt, NJW 2014, 3376 (3377): „Der Bekl. hat aber nicht ein Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch genommen, um einen Missstand in die Öffentlichkeit zu bringen, sondern entgegen seiner vertraglichen Verschwiegenheitspflicht einer von einem Verstoß gegen das AGG Betroffenen dazu verholfen, eine zivilrechtliche Entschädigung geltend machen zu können.“ 360 S. zur Meinungsfreiheit etwa BGHZ 91, 117 (121). 361 Simon / Schilling, BB 2011, 2421 (2426). 362 Vorsichtig Leuchten, ZRP 2012, 142 (144) (zu anderen wichtigen Gemeinschaftsgütern); vgl. aber auch Becker, DB 2011, 2202 (2204). 356

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ordnung schlechthin konstituierend ist363 und bei Äußerungen, die die öffentliche Meinungsbildung betreffen, eine Vermutung zugunsten der freien Rede gilt.364 Dieser Zusammenhang darf nicht unterschätzt werden. Die genannten Grund­annahmen lassen sich auch auf andere Grundrechte, die eine Informationsweitergabe schützen, übertragen. Erste gerichtliche Bezugnahmen auf das öffentliche Interesse sind bereits erkennbar.365 dd) Deutsche Gerichte zum öffentlichen Dienst Das Wertungskriterium des „öffentlichen Interesses“ hat in der Rechtsprechung deutscher Gerichte zum öffentlichen Dienst bislang kaum eigenständige Bedeutung erlangt. Soweit sich die Gerichte aber mit der Konstellation schwerer Verfassungsverstöße auseinandergesetzt haben,366 kann implizit von einem öffentlichen Interesse an einer Informierung ausgegangen werden. Zudem ist das öffentliche Interesse als Kriterium nicht generell unbekannt: Hierauf bezog sich etwa das BVerwG in einem Urteil aus dem Jahre 1982.367 Ein Urteil des BGH aus dem Jahre 2002,368 in dem sich das Gericht explizit mit dem öffentlichen Interesse auseinandersetzte, ist allerdings nicht aussagekräftig, da § 353b Abs. 1 StGB die Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen als Tatbestandsmerkmal voraussetzt. Sowohl der EGMR als auch das BVerfG haben stets klar hervorgehoben, dass im Rahmen der Abwägung dem öffentlichen Interesse an der Information eine besondere Rolle zukommt. Daher überrascht es, dass dieser Umstand bislang bei der Frage der Zulässigkeit des externen Whistle­blowings im öffentlichen Dienst eher vernachlässigt wurde. Auch wenn das Kriterium möglicherweise implizit geprüft wird, sollte es in der deutschen Rechtsprechung ausdrücklicher und ausführlicher berücksichtigt werden. ee) Zusammenhang mit den Staatsstrukturprinzipien des Grundgesetzes Grundrechte sollen in erster Linie die freiheitliche Sphäre des Einzelnen vor staatlichen Eingriffen sichern.369 Auf diese abwehrrechtliche Perspektive des 363

BVerfGE 7, 198 (208). BVerfGE 93, 266 (294 f.). 365 S. neben den bereits genannten auch LAG Köln, Urt. v. 2.2.2012, 6 Sa 304/11, Rn. 27 (juris), das festhielt, dass dieses Kriterium als „ergänzende Fortentwicklung“ zu den Kriterien, die von BVerfG und BAG entwickelt wurden, angesehen werden könne. 366 S. BVerfGE 28, 191 (205); BGHSt 20, 342 (365 ff.). 367 BVerwG, NJW 1983, 2343 (2344): „Seit der Anordnung der Bekl. ist jedenfalls noch nicht soviel Zeit vergangen, daß jegliches Interesse der Öffentlichkeit an diesem Vorgang und seinen Hintergründen als ausgeschlossen anzusehen wäre.“ 368 BGH, NJW 2003, 979. 369 BVerfGE 7, 198 (204). 364

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

Grundrechtsträgers darf die Bedeutung der Grundrechte aber nicht beschränkt werden: vielmehr muss im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Abwägung auch die allgemeinere Bedeutung der Grundrechtsausübung berücksichtigt werden. Dies gilt – bedingt durch die Einheit der Verfassung – insbesondere für die durch das Grundgesetz vorgegebene Staatsordnung,370 erschöpft sich hierin aber nicht. Der Abwägungsgrundsatz, dass alle relevanten Umstände des Einzelfalles berücksichtigt werden müssen, bewirkt insofern auch eine Berücksichtigung von Umständen, die mittelbar mit der Grundrechtsausübung des Whistle­blowers im Zusammenhang stehen.371 Bei externem Whistle­blowing ist dabei der Fokus primär auf das öffentliche Interesse an der Information und dessen Zusammenhang mit dem Demokratie- (Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 GG) und Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) zu richten. Zwar sieht Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG vor, dass jedermann das Recht hat, sich aus allgemein zugänglichen Quellen zu unterrichten, doch erschöpft sich das öffentliche Interesse an Informationen nicht von vornherein in den Informationen, die tatsächlich auch allgemein zugänglich sind. Insofern ist zu berücksichtigen, dass nicht nur Presse und Rundfunk (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) eine wichtige Rolle für das öffentliche Informationsinteresse einnehmen,372 sondern letztlich jede Person, die über ihre grundrechtlich geschützte Freiheit einen Beitrag zum öffentlichen Meinungskampf leistet, indem sie Informationen, über die sie verfügt und die für den öffentlichen Meinungskampf wichtig sind, weitergibt. Dies wird auch in der Rechtsprechung des BGH zu § 193 StGB deutlich: „Im übrigen wäre zu sagen, daß nicht, wie es oft unscharf heißt, ‚die Presse‘, sondern nur eine durch ein bestimmtes Presseorgan zur Öffentlichkeit sprechende Person berechtigte Interessen wahrnehmen kann, indem sie für die Allgemeinheit wichtige Dinge mitteilt und erörtert. Diese Befugnis beruht auf dem Recht jeden Bürgers, an der politischen Willensbildung tätigen Anteil zu nehmen. Es macht deshalb für die Frage der Rechtfertigung nach § 193 StGB grundsätzlich keinen Unterschied, ob die sich äußernde Person damit zugleich eine Berufstätigkeit als Journalist ausübt oder nicht […]. Ebensowenig kann die Tatsache der gedruckten Verbreitung für sich genommen ein Mehr an Rechten vermitteln. Die Äußerung in einem Presseorgan, das – seinem Wesen und Zuschnitt nach – der Bildung einer öffentlichen Meinung dienen und Einfluß auf die politische Willensbildung ausüben will, kann vielmehr nur ein gewichtiges Anzeichen dafür sein, daß der sich Äußernde öffentliche Interessen im Auge hat.“373

Das hiermit verbundene Recht aller Bürger, „an der politischen Willensbildung tätigen Anteil zu nehmen“, steht im engen Zusammenhang mit dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 GG), über das v. a. der Informationsgegenstand be-

370

Vgl. nur BVerfGE 7, 198 (204 f., 208 f., 219). Vgl. zu mittelbaren Auswirkungen im Rahmen einer Abwägung auch Merten, in: ders. /  Papier, § 68 Rn. 72. 372 Vgl. Groß, DÖV 1997, 133 (134). 373 BGHSt 18, 182 (187). 371

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deutsam wird. Whistle­blower können v. a. über die Meinungsfreiheit nicht nur ihre eigenen Interessen, sondern auch diejenigen der Allgemeinheit wahrnehmen; wenn sie insofern als Vertreter des öffentlichen Interesses agieren, kommt der demokratischen und rechtsstaatlichen Seite der Meinungsfreiheit besondere Bedeutung zu und verstärkt die verfassungsrechtliche Stellung des Whistle­blowers. (1) Die Bedeutung der Enthüllung für die Demokratie Das für Whistle­blowing besonders bedeutsame Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) steht im engen Zusammenhang mit dem Demokratieprinzip: „Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist […].“374

Diese Auswirkung beeinflusst eine grundrechtliche Abwägung maßgeblich. Das „öffentliche Interesse an der Information“ sollte insofern nicht als abstrakte, vom Grundrecht losgelöste Wertung, sondern v. a. in Verbindung mit dem Demokratie­ prinzip verstanden und interpretiert werden.375 Dieser Zusammenhang zwischen Meinungsfreiheit und Demokratieprinzip wird auch dadurch deutlich, dass auf die Meinungsfreiheit gestützt nicht nur Wertungen, sondern hiermit verbunden auch Informationen weitergegeben werden, die wiederum eine öffentliche Diskussion ermöglichen. Somit kann auch die Aufdeckung interner Missstände für einen demokratischen Staat essentiell sein. Eine Demokratie erschöpft sich nicht in einem regelmäßig stattfindenden Wahlvorgang, sondern setzt auch voraus, dass die Bürger einen Zugang zu wichtigen Informationen haben, um sich über öffentliche Angelegenheiten eine Meinung bilden zu können: „Ein demokratischer Staat kann nicht ohne freie und möglichst gut informierte öffentliche Meinung bestehen.“376

Auch Enthüllungen über interne Missstände können einen Beitrag zur demokra­ tisch notwendigen Informierung der Bevölkerung leisten.377 Für einen Staat, dessen Ordnung durch Freiheit und Demokratie konstituiert wird, ist die Meinungsfreiheit schlechthin konstituierend, weil sie erst die „ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist“, ermöglicht.378 Diese Er 374

BVerfGE 7, 198 (208). Inwiefern das „öffentliche Interesse“ selbst verfassungsrechtlich verankert ist, soll an dieser Stelle nicht vertieft werden. Für den Themenkomplex „Zulässigkeit von externem Whistle­ blowing“ ist vielmehr der Unteraspekt „öffentliches Interesse an der Information“ bedeutsam. 376 BVerfGE 27, 71 (81). 377 Vgl. auch Müller, NZA 2002, 424 (427) zum Interesse der Öffentlichkeit am Schutz von Whistle­blowing; ferner Schlachter, RdA 2012, 108 (112). 378 BVerfGE 7, 198 (208). 375

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

möglichung einer öffentlichen Diskussion hängt wiederum eng mit der Bildung einer öffentlichen Meinung zusammen, die – sowohl bei staatlichen als auch gesellschaftlichen Angelegenheiten – für eine Demokratie essentiell ist.379 Auch wenn insofern nicht strikt zwischen staatlichen Missständen und Missständen im privaten Sektor zu differenzieren ist, wird ersteren gleichwohl in einer verfassungsrechtlichen Abwägung regelmäßig eine größere Bedeutung zukommen. Hinreichende Informationen über staatliches Handeln sind für die politische Mitwirkung der Bürger essentiell.380 Abgesehen von Ausnahmefällen (z. B. kleineren Verwaltungspannen am Arbeitsplatz)381 besteht an Informationen über staatliche Missstände damit regelmäßig ein öffentliches Interesse. Dies betrifft auch Verschränkungen zwischen Politik und privatem Sektor, v. a. dann, wenn Politiker Zuwendungen aus dem privaten Sektor erhalten, da die Einflussnahme der Wirtschaft – insbesondere in Form von Lobbyarbeit privater Interessenverbände – auf die Politik aus demokratischer Sicht gefährlich ist. Darüber hinaus kann auch im ausschließlich privaten Sektor der demokratischen Seite der Meinungsfreiheit besondere Bedeutung zukommen. Auch an nicht strafbaren Missständen kann die Öffentlichkeit ein berechtigtes Informationsinteresse haben.382 Soweit durch externes Whistle­blowing etwa nachgewiesen wird, dass die Darstellung eines Sachverhalts (z. B. durch die Presse oder im Newsfeed großer sozialer Netzwerke) bewusst interessengeleitet ist, kann das Bewusstsein des Rezipienten geschärft werden. Dabei ist nicht einmal ein Gesetzesbruch erforderlich, es genügt, wenn dem Rezipienten ein falscher bzw. unvollständiger Eindruck von einer bestimmten Sachlage vermittelt wird, indem etwa bestimmte Meinungen unterdrückt werden. Hiervon abgesehen kann unternehmerischem Handeln allgemein ein erhebliches Risiko für die Allgemeinheit innewohnen383 (z. B. bei Spekulationen eines Kreditinstituts, bei dessen Insolvenz Gelder von Steuerzahlern betroffen sein können, oder im Umweltsektor, wenn unternehmerisches Handeln umweltgefährdend ist384 (s. auch Art. 20a GG)), womit ebenfalls ein öffentliches Informationsinteresse begründet wird. Auch liegt etwa die öffentliche Auseinandersetzung über die gesundheitlichen Gefahren, die durch Rauchen verursacht werden, im Allgemeininteresse385 – dementsprechend sind Informationen über private Unternehmen, die Tabakprodukte herstellen, bedeutsam, wenn bspw. gesundheitsschädliche Stoffe zur Suchtsteigerung hinzugefügt werden. Handelt es sich hingegen um Missstände in sehr kleinen Unternehmen, ist ein öffentliches Interesse eher abzulehnen – auch hier kommt es aber auf die Umstände des Einzelfalles an. 379

Vgl. auch BVerfGE 8, 104 (112). Vgl. auch Kloepfer, in: Isensee / Kirchhof, § 42 Rn. 53. 381 Vgl. Köhler, in: Hummel / Köhler / Mayer / Baunack, S.  247. 382 Branahl, HFR 1/2012, 1 (5). 383 Graser, Whistle­blowing, S.  232. 384 Vgl. hierzu auch Müller, NZA 2002, 424 (427). 385 BGHZ 91, 117 (121). 380

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Allerdings wird im privaten Sektor die Annahme, dass das öffentliche Interesse an einer Informierung tangiert ist, nicht selten eher einer besonderen Begründung bedürfen. Soweit unklar bleibt, ob ein öffentliches Interesse an einer Informierung besteht, ist hiervon auszugehen.386 Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Öffentlichkeit ein Interesse an der Meinungsfreiheit des Whistle­blowers (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) und dem damit verbundenen „ungehinderten Diskurs als Grundvoraussetzung einer freiheitlich-pluralistischen Demokratie“ hat.387 (2) Die Bedeutung der Enthüllung für den Rechtsstaat Der Rechtsstaat untersagt es dem Bürger grundsätzlich, „sein wirkliches oder vermeintliches Recht sowohl gegenüber staatlichen Organen als auch gegenüber dem Mitbürger mit Gewalt durchzusetzen“.388 Auch bei Missständen, die andere Personen bzw. die Allgemeinheit betreffen, darf der Einzelne grundsätzlich keine Gewalt anwenden – die Rechtsdurchsetzung ist vielmehr verstaatlicht389. Andererseits ist der Staat bei der Durchsetzung des Rechts auf die Mitwirkung seiner Bürger zwingend angewiesen: „Die (nicht wissentlich unwahre oder leichtfertige) Strafanzeige eines Bürgers liegt im all­ gemeinen Interesse an der Erhaltung des Rechtsfriedens und an der Aufklärung von Straf­ taten; der Rechtsstaat kann darauf bei der Strafverfolgung nicht verzichten.“390

Daher kommt Whistle­blowern, die Hinweise auf eine Straftat bzw. einen anderweitigen Rechtsbruch weitergeben, erhebliche Bedeutung für den Rechtsstaat zu, was bei einer grundrechtlichen Abwägung berücksichtigt werden muss. Aufgrund der zunehmenden Komplexität sowohl der modernen Wirtschaft als auch der Gesellschaft scheint die Annahme berechtigt, dass die Enthüllung von illegalen Machen­schaften sowie Gefährdungen im Bereich der Gesundheit, Sicherheit und Umwelt weitgehend von Insidern abhängig sein dürfte.391 Gerade im Bereich der Wirtschaftskriminalität  – wo oft allgemeine Rechtsgüter verletzt werden  – geht die Initiative für Ermittlungen oft von Whistle­blowern und nicht den zuständigen staatlichen Behörden selbst aus.392 Vielmehr sind diese auf interne Informationen, die auf entsprechende Gesetzesverstöße hinweisen, angewiesen. Das hiermit verbundene öffentliche Interesse an der Aufklärung von Straftaten wurzelt dabei gerade im Rechtsstaatsprinzip: „Wiederholt hat das Bundesverfassungsgericht deshalb die Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung anerkannt, das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahr 386

Ähnlich Schlachter, RdA 2012, 108 (112). Vgl. Müller, NZA 2002, 424 (427). 388 BVerfGE 74, 257 (261 f.). 389 BVerfGE 74, 257 (262). 390 BVerfGE 74, 257 (262). 391 S. Király, ZRP 2011, 146. 392 Gänßle, Kritische Justiz 2007, 265 (265 f.). 387

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

heitsermittlung im Strafprozeß betont und die Aufklärung schwerer Straftaten als wesent­ lichen Auftrag eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens bezeichnet […].“393

ff) Die wirtschaftliche Bedeutung der Enthüllung Die Enthüllung kann auch eine wirtschaftliche Bedeutung erlangen, die das öffentliche Interesse berührt und bei der verfassungsrechtlichen Abwägung nicht unberücksichtigt bleiben kann. So liegt auch die Ermöglichung eines effizienten Wirtschaftens des Arbeitgebers im öffentlichen Interesse.394 Whistle­blowing kann dabei auch dem Schutz der (internationalen bzw. europäischen) Märkte dienen. Unabhängig davon, um welchen Markt es sich handelt, kann externes Whistle­blowing dazu beitragen, Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern und ein besseres Funktionieren der Märkte sicherzustellen. Deutlich wird dies in der Marktmissbrauchsverordnung (MAR)395, die in Art. 32 Abs. 4 auch die Schaffung finanzieller Anreize zur Aufdeckung von Verstößen gegen diese Verordnung vorsieht: – Erwägungsgrund 1 lautet: Ein echter Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen ist für das Wirtschaftswachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Union von entscheidender Bedeutung. – Erwägungsgrund 2 lautet: Ein integrierter, effizienter und transparenter Finanzmarkt setzt Marktintegrität voraus. Das reibungslose Funktionieren der Wertpapiermärkte und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Märkte sind Voraussetzungen für Wirtschaftswachstum und Wohlstand. Marktmissbrauch verletzt die Integrität der Finanzmärkte und untergräbt das Vertrauen der Öffentlichkeit in Wertpapiere und Derivate. Soweit die Informationsweitergabe zur Aufklärung solcher Missstände beiträgt und den jeweiligen Markt damit schützt, ist dies bei der grundrechtlichen Abwägung zu Gunsten des Whistle­blowers zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang besteht zwischen externem Whistle­blowing und dem im Wirtschaftsrecht häufig gebrauchten Begriff „private enforcement“, d. h. der privaten Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Pflichten, ein enger Zusammenhang.396 Belegen die Informationen des Whistle­blowers bspw., dass entgegen § 1 GWB geheime wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen zwischen zwei Unternehmen getroffen wurden, kann sich ein durch diese Vereinbarung geschädigtes Unternehmen hiergegen zivilrechtlich bzw. -gerichtlich zur Wehr setzen (s. etwa §§ 33, 393

BVerfGE 44, 353 (374). Müller, NZA 2002, 424 (427). 395 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richt­ linie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission. Vgl. hierzu auch 4. Teil, B. VI. 1. 396 Vgl. zu „private enforcement“ etwa Meyer, Korruption im Vertrag, S. 43 ff. 394

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33a  GWB). Allerdings wird bei externem Whistle­blowing nicht in jeder Fall­ konstellation von „private enforcement“ gesprochen werden können, sondern nur dann, wenn die enthüllten Missstände einem geschädigten Privaten ermöglichen, sich gerichtlich gegen den Verursacher des Missstandes zur Wehr zu setzen.397 Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass Externe kaum die Möglichkeit haben, an Informationen über interne Missstände zu gelangen, wird deutlich, dass externem Whistle­blowing im Bereich der privaten Rechtsdurchsetzung durchaus Bedeutung zukommt. Auch wenn externes Whistle­blowing damit zur privaten Rechtsdurch­ setzung maßgeblich beitragen kann, macht dies den jeweiligen Whistle­blower nicht selbst zum „private enforcer“ in diesem Sinne. c) Die Authentizität der Information aa) Rechtsprechung des EGMR Ferner berücksichtigt der EGMR die Authentizität der Information: „The second factor relevant to this balancing exercise is the authenticity of the information disclosed. It is open to the competent State authorities to adopt measures intended to react appropriately and without excess to defamatory accusations devoid of foundation or formu­ lated in bad faith […]. Moreover, freedom of expression carries with it duties and responsibilities and any person who chooses to disclose information must carefully verify, to the extent permitted by the circumstances, that it is accurate and reliable […].“398

Letzteres gelte insbesondere dann, wenn der Whistle­blower seinem Arbeit­geber Diskretion und Loyalität schulde.399 Diese mit dem Recht auf Meinungsfreiheit korrelierende Pflicht und Verantwortung ist bereits ausdrücklich im Wortlaut von Art. 10 Abs. 2  EMRK angelegt. Bei der Klärung der Frage, ob die Information authen­tisch ist, bezieht der EGMR auch die Erkenntnisse anderer externer Stellen mit ein.400 Zusätzlich stellte das Gericht fest, dass der Whistle­blower möglicherweise nicht alle Informationen weitergebe, um sich nicht selbst zu belasten oder sich internen Vergeltungsmaßnahmen auszusetzen.401 Allerdings steigen nach der Rechtsprechung die Anforderungen an die sachliche Grundlage einer Behauptung mit ihrer Schwere.402 Wenn die ersten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen aufgrund eines Mangels an Beweisen eingestellt würden, bedeute dies nicht zwin 397

Vgl. auch Meyer, Korruption im Vertrag, S. 43. EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 75; ähnlich EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 67. 399 EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 77. 400 EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 79. 401 EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 81. 402 EGMR, Entsch. ü. die Zulässigkeit, Balenović v. Kroatien (Nr. 28369/07): „In this connection the Court reiterates that the more serious the allegation is, the more solid the factual basis should be […].“ S. auch EGMR, Urt. v. 17.12.2004, Pedersen u. Baadsgaard v. Dänemark (Nr. 49017/99), Rn. 78 (zur journalistischen Sorgfaltspflicht). 398

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gend, dass die der Anzeige zugrunde liegenden Behauptungen ohne hinreichende Faktengrundlage oder von vornherein leichtfertig gewesen seien.403 Es sei gerade Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden, die Richtigkeit von in einer Strafanzeige aufgestellten Behauptungen zu untersuchen, weshalb vom (in gutem Glauben handelnden) Strafanzeigeerstatter vernünftigerweise nicht erwartet werden könne, den Ausgang der Untersuchung einzuschätzen.404 bb) Verfassungsgerichtliche Judikatur Auch vom BVerfG wurde die Authentizität der Information bereits verfassungsrechtlich gewürdigt. Hiernach fielen „bewußt unwahre Tatsachenbehauptungen und solche, deren Unwahrheit bereits im Zeitpunkt der Äußerung unzweifelhaft feststeht“, aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit.405 Allerdings dürften „die Anforderungen an die Wahrheitspflicht nicht so bemessen werden, daß dadurch die Funktion der Meinungsfreiheit in Gefahr gerät oder leidet“.406 Auch zum Recht, Strafanzeige zu erstatten, findet sich die Einschränkung „(nicht wissentlich unwahre oder leichtfertige) Strafanzeige“407 bzw. der Verweis auf den „gutgläubigen Strafanzeigeerstatter“408. Insofern stimmen BVerfG und EGMR darin grund­ legend überein, dass inhaltlich falsche Anzeigen grundsätzlich nicht rechtmäßig sein können.409 cc) Deutsche Gerichte zum privaten Sektor Das BAG berücksichtigt ebenfalls, ob die Anzeige leichtfertig erhoben wurde; eine erfolgte Verurteilung wertet das Gericht dabei zwar als Indiz gegen eine leichtfertig erhobene Anzeige, es komme aber nicht entscheidend auf das Ergebnis des Strafverfahrens an.410 In der Regel sei eine Anzeige nur dann nicht als berechtigt anzusehen, „wenn der Arbeitnehmer schon bei Erstattung der Anzeige weiß, dass der erhobene Vorwurf nicht zutrifft oder dies jedenfalls leicht erkennen kann oder einen unverhältnismäßigen Gebrauch von seinem Recht macht“.411 Der Rechtsweg in der Rechtssache Heinisch v. Deutschland offenbart, dass auch die Authentizität der enthüllten Information von den nationalen Gerichten stets 403

EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 81. EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 80. 405 BVerfGE 99, 185 (197). 406 BVerfGE 54, 208 (219 f.). 407 BVerfGE 74, 257 (262); zum Beispiel einer leichtfertigen Strafanzeige s. BVerfG, NZM 2002, 255. 408 BVerfG, NJW 2001, 3474 (3475). 409 Brock, öAT 2011, 243 (245). 410 BAG, NJW 2007, 2204 (2205). 411 BAG, NJW 2007, 2204 (2206). 404

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genau geprüft werden muss. Dies betrifft aber nicht die rechtliche Bewertung, sondern die richtige Auswertung des Sachverhalts.412 Bei gleicher Sachlage ging das LAG Berlin noch davon aus, dass die Whistle­blowerin „ihre Anzeige leichtfertig auf Tatsachen gegründet [hat], die im Prozess nicht dargelegt werden konnten“413 und sprach von einer Anzeige „ins Blaue hinein“414. Bereits unter Berücksichtigung der deutschen Rechtsprechung hätte das Gericht die Anzeige als authentisch werten können.415 Anders als der EGMR416 berücksichtigte das LAG Berlin nicht (hinreichend), dass sich ein Whistle­blower mit genaueren Ausführungen auch zurückhalten kann, weil er sich nicht selbst belasten möchte oder befürchtet, sich Vergeltungsmaßnahmen des Arbeitgebers auszusetzen.417 Diese Argumentation muss von den deutschen Gerichten in Zukunft besonders berücksichtigt werden. Für den Arbeitgeber wiederum ist es äußerst schwierig zu beweisen, dass dem Whistle­blower keine Vergeltungsmaßnahmen gedroht hätten,418 da Whistle­blower bei externem Whistle­blowing sehr häufig fristlos entlassen werden. Auch aus dem Umstand, dass sich der EGMR nicht an einer polemisch formulierten Strafanzeige gestört hat, da sie u. a. nicht jeder Faktengrundlage entbehrte,419 kann der Schluss gezogen werde, dass nicht zu schnell auf eine leichtfertige Strafanzeige geschlossen werden kann420. Aus der Argumentation des EGMR lässt sich durchaus folgern, dass eine Straf- bzw. Falschanzeige nur noch dann als leichtfertig anzusehen ist, wenn sie jeder Tatsachengrundlage entbehrt.421 Auch wenn sich der EGMR in der Heinisch-Entscheidung auf die Rechtsprechung des BVerfG und des BAG bezogen hat422 und sich daher keine wesentlichen Unterschiede ergeben, sollten die oben genannten Aspekte in Zukunft (besonders) berücksichtigt werden. Hingegen dürfte die Heinisch-Entscheidung keine größeren Auswirkungen auf die grundsätzliche Beweislastverteilung haben. Nach § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG muss der Arbeitgeber die Tatsachen beweisen, die die Kündigung bedingen. Darüber hinaus trifft den Arbeitgeber bei einer Kündigung auch allgemein die Beweislast, dass die vom Whistle­blower gestellte (Straf-)Anzeige inhaltlich nicht zutrifft423 bzw. der Whistle­blower grob fahrlässig auf die Berechtigung einer Anzeige ge 412 S. auch Brock, öAT 2011, 243 (245) mit kritischer Anmerkung zur Vorgehensweise des EGMR. 413 LAG Berlin, Urt. v. 28.3.2006, 7 Sa 1884/05, Rn. 45 (juris). 414 LAG Berlin, Urt. v. 28.3.2006, 7 Sa 1884/05, Rn. 50 (juris). 415 Brors, HFR 2/2012, 1 (7). 416 EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 81. 417 S. LAG Berlin, Urt. v. 28.3.2006, 7 Sa 1884/05, Rn. 47 ff. (juris); das LAG Berlin berücksichtigte, dass es sich nicht um eine Straftat handelte, „durch deren Nichtanzeige sie sich selbst einer Strafverfolgung aussetzen würde“ (Rn. 54 (juris); s. auch Rn. 56 ff. (juris)). 418 S. auch Dzida / Naber, ArbRB 2011, 238 (240). 419 S. EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 85. 420 Hierzu auch Simon / Schilling, BB 2011, 2421 (2427). 421 Ähnlich Simon / Schilling, BB 2011, 2421 (2427). 422 EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 78, 80. 423 Ulber, NZA 2011, 962 (963).

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schlossen hat424.425 Andererseits hat der EGMR betont, dass eine Person, die sich dazu entscheidet, eine Information zu enthüllen, sorgsam überprüfen müsse, dass diese Information auch zutreffend und verlässlich („accurate and reliable“) sei426 – hieraus kann geschlossen werden, dass der Arbeitnehmer seine Vorwürfe gegen den Arbeitgeber hinreichend präzisieren muss.427 Inwiefern die Rechtsprechung des EGMR den von deutschen Gerichten aufgestellten Grundsatz, dass denjenigen, der eine ehrenrührige Behauptung aufstellt (was beim externem Whistle­blowing über ein Unternehmen mitunter angenommen werden kann), eine erweiterte Darlegungslast trifft,428 beeinflusst, ist noch nicht geklärt. dd) Deutsche Gerichte zum öffentlichen Dienst In der neueren Rechtsprechung wird auf die Authentizität bzw. Glaubhaftigkeit der dem Whistle­blower zur Verfügung stehenden Informationen als eigenständiger Aspekt nicht immer eingegangen – wohl zumeist mangels Relevanz. Allerdings findet sich das Kriterium der Authentizität durchaus auch in Gerichtsentscheidungen zum öffentlichen Dienst. So heißt es bereits in einer Entscheidung des OVG Münster aus dem Jahre 1959, die sich gegenständlich mit einer Strafanzeige befasste: „Bevor ein Staatsanwalt gegen seinen Dienstvorgesetzten den Vorwurf der Rechtsbeugung, der Verfolgung Unschuldiger usw. erhebt, hat er den äußeren Tatbestand und die Schuldfrage anhand der ihm bekannten oder zugänglichen Umstände sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen, auch wenn er von der Wahrheit seiner Behauptungen überzeugt ist.“429

Auch bei anderen Amtsträgern bestehe eine entsprechende Sorgfaltspflicht, wie ein Urteil des VG München aus dem Jahre 2014 zeigt: „Von einem Amtsträger ist zu erwarten, dass er sich vor der Weitergabe von die Öffentlichkeit besonders interessierenden Informationen, die dem Ansehen der Kommune erheblich schaden können, an eine Tageszeitung ggf. ihrer Richtigkeit vergewissert, etwa durch Einsichtnahme in die Sitzungsniederschrift oder durch Rückfrage bei der Verwaltung.“430

Es ist schwierig, in der Rechtsprechung deutscher Gerichte zum öffentlichen Dienst Grundsatzausführungen zur Authentizität der enthüllten Information zu finden. Auch wenn die oben genannten Entscheidungen vereinzelt geblieben sind, kann ihnen dennoch entnommen werden, dass die Authentizität der Information bereits berücksichtigt wird, auch wenn die hierzu ergangenen Ausführungen nicht 424

Ulber / Wolf, LAGE § 626 BGB 2002 Nr. 7b. Vgl. zur Darlegungs- und Beweislast bei Kündigungen auch BAG, NJW 1988, 438; speziell zur Heinisch-Entscheidung des EGMR Brock, öAT 2011, 243 (245). 426 EGMR, Urt. v. 12.8.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 75; Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 67. 427 S. auch Grau, KSzW 2012, 66 (68). 428 BGH, NJW 1974, 1710 (1711); OLG Köln, AfP 2001, 524 (525). 429 OVG Münster, DÖV 1962, 875. 430 VG München, Urt. v. 15.1.2014, M 7 K 13.2610, Rn. 24 (juris). 425

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derart ausführlich waren wie in der EGMR-Rechtsprechung. Die EGMR-Rechtsprechung muss hier als Konkretisierung der bereits in der deutschen Recht­ sprechung aufgestellten Pflicht des Amtsträgers zur Überprüfung der Information berücksichtigt werden. ee) Bedeutung der Authentizität Dem Kriterium der Authentizität ist in einer verfassungsrechtlichen Abwägung großes Gewicht beizumessen. Die Interessen des Arbeitgebers bzw. des Dienstherrn gebieten es, dass Whistle­blower nicht einfach „ins Blaue hinein“ Informationen über (vermeintliche) Missstände weitergeben, sondern sich über die Glaubhaftigkeit dieser Informationen auch vergewissern, soweit Zweifel hieran bestehen. Das hierbei erforderliche Maß an Vergewisserung korreliert wiederum mit der Bedeutung des Missstandes: Je gravierender der Missstand, desto geringere Anforderungen sind an die Glaubhaftigkeit zu stellen, wobei ein gewisses Maß an Glaubwürdigkeit stets gewahrt werden muss. d) Die negativen Auswirkungen für den vom Whistle­blowing Betroffenen aa) Rechtsprechung des EGMR Nach der Rechtsprechung des EGMR müssen die durch Whistle­blowing entstan­ denen negativen Auswirkungen für den Arbeitgeber berücksichtigt werden: „On the other side of the scales, the Court must weigh the damage, if any, suffered by the employer as a result of the disclosure in question and assess whether such damage outweighed the interest of the public in having the information revealed […].“431

Bei der Bestimmung der negativen Auswirkungen berücksichtigt der EGMR auch die wirtschaftliche Reputation und die kommerziellen Interessen des Arbeitgebers.432 Es bestehe ein Interesse daran, den kommerziellen Erfolg und die Rentabilität von Unternehmen nicht nur zum Nutzen der Anteilseigner und Arbeitnehmer, sondern auch zum allgemeinen wirtschaftlichen Wohl (wider economic good) zu schützen.433 Auch staatliche Unternehmen hätten zwar ein Interesse an wirtschaftlicher Rentabilität, doch andererseits könnten u. U. auch die öffentlichen Anteilseigner selbst Interesse an einer Untersuchung der Mängel haben.434

431

EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 68. S. EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 88. 433 EGMR, Urt. v. 15.2.2005, Steel und Morris v. Das Vereinigte Königreich (Nr. 68416/01), Rn. 94; Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 89. 434 EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 89. 432

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

Dieser Grundsatz gelte auch dann, wenn eine staatliche Behörde durch die Enthüllung betroffen sei: „On the other side of the scales, the Court must weigh the damage, if any, suffered by the public authority as a result of the disclosure in question and assess whether such damage outweighed the interest of the public in having the information revealed […].“435

In diesem Zusammenhang könnten sowohl der Gegenstand der Enthüllung als auch die Frage, um welche Verwaltungsbehörde es sich handele, relevant sein.436 Auch liege es im allgemeinen Interesse, das Vertrauen der Bürger in die Wahrung des Grundsatzes rechtmäßigen staatlichen Handelns (von Nachrichtendiensten) zu wahren.437 Der Umstand, ob die weitergegebene Information bereits bekannt war, wird vom EGMR ebenfalls berücksichtigt.438 bb) Deutsche Gerichte zum privaten Sektor Ein Ansatz, die negativen Auswirkungen für den Arbeitgeber in die Abwägung mit einzubeziehen, findet sich bereits im Jahre 1959: Das BAG urteilte, dass auch „die Situation, in die die Bekl. durch die Anzeigen ihres eigenen Angestellten geraten war“, mit in die Zumutbarkeitsabwägung einbezogen werden müsse.439 Auch die mögliche Minderung des Ansehens des Arbeitgebers beim Wirtschaftskontrolldienst und die positiven Folgen einer Meldung an diesen (betreffend den Gesundheitsschutz der Kunden respektive das Ansehen und die Vermögenslage) wurden gerichtlich bereits beachtet.440 Bei einer Strafanzeige des Arbeitnehmers geht auch das BAG davon aus, dass „[e]in Arbeitgeber, der […] von Zuwendungen der öffentlichen Hand abhängig ist, […] durch die mit der Einleitung eines Strafverfahrens verbundene negative öffentliche Publizität sogar in seiner Existenzgrundlage gefährdet werden [kann]“441. Dies gelte insbesondere bei der „Frage des rechtmäßigen Erhalts von Zuwendungen“.442 Den deutschen Gerichten ist die Berücksichtigung der negativen Auswirkungen für den Arbeitgeber also nicht generell fremd.

435

EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 76. EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 76. 437 EGMR, Urt. v. 8.1.2013, Bucur v. Rumänien (Nr. 40238/02), Rn. 115. 438 EGMR, Urt. v. 15.12.2011, Mor v. Frankreich (Nr. 28198/09), Rn. 51, 54 ff.; s. auch Daiber, in: Meyer-Ladewig / Nettesheim / von Raumer, Art.  10 Rn.  63. 439 BAG, NJW 1961, 44 (45). 440 LAG Baden-Württemberg, NZA 1987, 756. 441 BAGE 107, 36 (44). 442 BAGE 107, 36 (44). 436

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cc) Deutsche Gerichte zum öffentlichen Dienst In der Einzelabwägung wird durchaus berücksichtigt, inwiefern die Flucht des Amtsträgers in die Öffentlichkeit zu negativen Folgen für die Behörde geführt hat – hierbei ist v. a. die Reputation der Behörde relevant.443 Die Anzahl der zu diesem Wertungskriterium ergangenen Gerichtsentscheidungen hält sich allerdings insgesamt in Grenzen. dd) Voraussichtliche negative Auswirkungen für den Betroffenen Aus rechtstechnischer Sicht ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Begriff „Schaden“ an eine rechtswidrige Handlung anknüpft, weshalb auch der vom EGMR herangezogene englische Begriff „damage“ nicht mit „Schaden“ übersetzt werden sollte – ob externes Whistle­blowing im Einzelfall rechtswidrig ist bzw. war, ist das Ergebnis einer Abwägung, innerhalb derer der Begriff „Schaden“ folglich nicht zu verwenden ist. Genauer ist daher der Begriff „negative Auswirkungen“. Allerdings kann dieses Kriterium bereits deshalb nicht herangezogen werden, um die Zulässigkeit externen Whistle­blowings zu bewerten, da die negativen Auswirkungen (v. a. in Form der Rufschädigung) für den vom Whistle­blowing Betroffenen noch nicht eingetreten sind. Auch auf Ebene der Rechtsfolgen ist dieses Kriterium abzulehnen, da die tatsächlich eingetretenen negativen Auswirkungen für einen Whistle­blower kaum vorhersehbar sind. Vielmehr muss geklärt werden, inwiefern zum Zeitpunkt des externen Whistle­blowings vernünftigerweise von entstehenden negativen Auswirkungen auszugehen war. Durch die Veröffentlichung wird der Ruf des Betroffenen sowie das Vertrauen in seine Integrität regelmäßig negativ beeinträchtigt werden. Dies wiederum wird – gerade im privaten Sektor – auf Dauer zu finanziellen Einbußen führen; allerdings kann es für den Betroffenen mitunter schwierig sein, die Veröffentlichung von schädigenden Informationen als kausalen Faktor für bestimmte (finanzielle) Einbußen gerichtlich darzulegen. Ein Whistle­blower muss dabei nicht alle negativen Auswirkungen genau einschätzen können; es genügt insofern, dass er die negativen Auswirkungen „im Wesentlichen“ vorhersehen konnte. Bei Missständen, an denen ein besonderes öffentliches Informationsinteresse besteht, ist regelmäßig mit einer ausführlichen Berichterstattung – auch im Internet – zu rechnen. Wenn aufgrund der Enthüllung des Whistle­blowers weiter recherchiert wird und neue Missstände offenbart werden, die zu einer zusätzlichen negativen Beeinträchtigung des vom externen Whistle­blowing Betroffenen führen, kann deren Enthüllung nur insofern zu Lasten des Whistle­blowers berücksichtigt werden, wie sie für den Whistle­blower zum Zeitpunkt der Enthüllung erkennbar waren. Zudem ist zu berücksichtigen, 443 VG Wiesbaden, Urt. v. 1.3.2012, 28 K 58/11.WI.D, Rn. 70 (juris); s. auch VGH Baden-Württemberg, Urt. 15.7.2004, 4 S 965/03, Rn. 69 (juris); BDHE 1, 25 (29).

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

welche Informationen der Whistle­blower weitergegeben hat. Soweit mehr interne Informationen als notwendig weitergegeben wurden, kann sich dies zu Lasten des Whistle­blowers auswirken. Etwas anderes gilt aber dann, wenn der Whistle­blower berechtigterweise annehmen durfte, dass die zusätzlichen Dokumente ebenfalls zum Nachweis des Missstandes notwendig waren. Andererseits kann die anschließende Reaktion des von der Enthüllung Betroffenen das Vertrauen von anderen Personen auch bestärken, wenn sich Ersterer um die genaue Aufklärung des Missstandes bemüht. e) Die Motivation des Whistle­blowers (als irrelevantes Kriterium) aa) Rechtsprechung des EGMR Neben den bereits genannten Abwägungskriterien muss nach der Rechtsprechung des EGMR ferner die Motivation des Whistle­blowers berücksichtigt werden: „The motive behind the actions of the reporting employee is another determinant factor in deciding whether a particular disclosure should be protected or not. For instance an act motivated by a personal grievance or personal antagonism or the expectation of personal advantage, including pecuniary gain, would not justify a particularly strong level of protection […]. It is important to establish that, in making the disclosure, the individual acted in good faith and in the belief that the information was true, that it was in the public interest to disclose it and that no other, more discreet, means of remedying the wrongdoing was available to him or her.“444

Dabei ist es für den EGMR unschädlich, wenn ein Whistle­blower zusätzlich eigennützige Motive wie die Besserung der eigenen Arbeitsbedingungen verfolgt.445 Zur Ermittlung der Motivation werden auch die vorherigen Abhilfeersuchen mit einbezogen.446 Eine übertrieben und generalisierend formulierte Strafanzeige könne nicht immer als willkürlicher persönlicher Angriff auf den Arbeitgeber gewertet werden.447 Der Umstand, dass der Whistle­blower seine Motive nicht bereits vor den nationalen Gerichten dargelegt hat, sei insofern kein eindeutiger Anhaltspunkt („inconclusive“).448 Ferner berücksichtigt der EGMR, ob sich der Whistle­blower direkt an die Medien wendet oder Flyer verteilt, um größtmögliche Aufmerksamkeit zu erreichen, oder sich an die Strafverfolgungsbehörden mit der Absicht wendet, Untersuchungen einzuleiten.449 444 EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 77; s. auch EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 69. 445 S. EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 83. 446 S. EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 84, 87. 447 EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 85. 448 EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 93. 449 S. EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 86; s. hierzu auch EGMR, Entsch. über die Zulässigkeit, Balenović v. Kroatien (Nr. 28369/07).

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bb) Verfassungsgerichtliche Judikatur Dass die Motivation des Einzelnen für die Gewichtung der Meinungsfreiheit im Einzelfall relevant sein kann, ist aus Sicht der deutschen Gerichtspraxis nicht neu. So hatte das BVerfG bereits im Lüth-Urteil im Jahre 1958 den Motiven des Beschwerdeführers Bedeutung beigemessen, um die Zulässigkeit eines Boykott­ aufrufes zu würdigen.450 Dabei bezog es sich auch auf die Entscheidung des LG Hamburg, das keinerlei Anhaltspunkte für das Vorliegen von „eigennützigen bzw. nicht achtenswerten Motiven“ festgestellt hatte.451 Nach dieser Rechtsprechung korreliert das Recht auf Meinungsfreiheit in einer verfassungsrechtlichen Abwägung letztlich auch mit den Motiven bzw. der angesprochenen Thematik: „[…] Innerhalb dieser Wertordnung, die zugleich eine Wertrangordnung ist, muß auch die hier erforderliche Abwägung zwischen dem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und den seine Ausübung beschränkenden Rechten und Rechtsgütern vorgenommen werden. Für die Entscheidung der Frage, ob eine Aufforderung zum Boykott nach diesen Maßstäben sittenwidrig ist, sind zunächst Motive, Ziel und Zweck der Äußerungen zu prüfen; […].“452

Auch sei die Berücksichtigung verwerflicher Motive bei der Erstattung einer Strafanzeige verfassungsrechtlich unbedenklich.453 Insofern ist auch anzumerken, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG ein Grundrechtsmissbrauch auf Rechtfertigungsebene bedeutsam sein kann.454 cc) Deutsche Gerichte zum privaten Sektor Obwohl sich auch das BAG bereits mehrfach mit Strafanzeigen gegen den Arbeitgeber durch den Arbeitnehmer auseinandersetzen musste, urteilte es erst im Jahre 1991, dass „nicht unberücksichtigt bleiben kann, daß in jedem Falle geprüft werden muß, aus welcher Motivation heraus die Anzeige erfolgte und ob der Arbeitnehmer hierin eine verhältnismäßige Reaktion zu dem Verhalten des Arbeitgebers sehen durfte“455; ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers sei hiernach dann abzulehnen, wenn eine Mitteilung an das Finanzamt (über eine strafbare Handlung) erfolge, um den Arbeitgeber „fertig zu machen“456. Später hat es diese Rechtsprechung konkretisiert und der Motivation des Arbeitnehmers Indiz­wirkung für eine unverhältnismäßige Reaktion desselben besondere Bedeutung zugemessen.457

450

BVerfGE 7, 198 (215 f.); s. auch BVerfG, NJW-RR 2008, 200 (201). BVerfGE 7, 198 (215 f.). 452 BVerfGE 7, 198 (215). 453 BVerfG, NJW 2001, 3474 (3475). 454 BVerfGE 85, 386 (397). 455 BAG, Urt. v. 4.7.1991, 2 AZR 80/91, Rn. 20 (juris). 456 BAG, Urt. v. 4.7.1991, 2 AZR 80/91, Rn. 28 (juris). 457 BAGE 107, 36 (45). 451

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

„Erfolgt die Erstattung der Anzeige ausschließlich, um den Arbeitgeber zu schädigen bzw. ‚fertig zu machen‘, kann – unter Berücksichtigung des der Anzeige zu Grunde liegenden Vorwurfs – eine unverhältnismäßige Reaktion vorliegen […]. Durch ein derartiges pflichtwidriges Verhalten nimmt der Arbeitnehmer keine verfassungsrechtlichen Rechte wahr, sondern verhält sich – jedenfalls gegenüber dem Arbeitgeber – rechtsmissbräuchlich.“458

Besondere Bedeutung sollte dem (erst in der neueren Entscheidung verwendeten) Begriff „ausschließlich“ zukommen. Das BAG hat hiermit eine Hintertür für die Fälle offengelassen, in denen die Erstattung einer Anzeige sowohl von einer altruistischen als auch einer boshaften Intention bestimmt ist. Bei einem schlechten Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist eine solche „Motivergänzung“ von eigentlich gegenteiligen Motiven denkbar. Demnach wird es nach der Rechtsprechung genügen, wenn der Arbeitnehmer zumindest auch aus einer selbst­ losen bzw. gemeinnützigen Motivation heraus handelt, auch wenn diese nur einen geringen Anteil ausmacht. Diese Einschränkung könnte damit zusammenhängen, dass Arbeitgeber (als Beklagte) nicht selten die Motivation des Arbeitnehmers vor Gericht angreifen. Der Motivation des Arbeitnehmers haben also sowohl der EGMR als auch das BAG besondere Bedeutung beigemessen. Der Vergleich hat zwar gezeigt, dass der Motivation des Arbeitnehmers nach der Rechtsprechung des BAG eine Indiz­ wirkung zukommt, es sich nach der Rechtsprechung des EGMR wiederum um einen „another determinant factor“ handelt; hieraus dürften aber keine Unterschiede resultieren. Zu einem möglichen Rechtsmissbrauch hat sich der EGMR hingegen nicht geäußert. Ein solcher ist in Art. 17 EMRK auch nur für bestimmte Fälle vorgesehen: „Diese Konvention ist nicht so auszulegen, als begründe sie für einen Staat, eine Gruppe oder eine Person das Recht, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung vorzunehmen, die darauf abzielt, die in der Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten abzuschaffen oder sie stärker einzuschränken, als es in der Konvention vorgesehen ist.“

Enthüllungen mit boshafter Absicht werden hierunter allerdings nicht fallen. Aufgrund der ausdrücklichen Regelung des Art. 17 EMRK sind im Umkehrschluss weitere Fälle des Rechtsmissbrauchs auf Ebene der EMRK abzulehnen. Allerdings hat die Rechtssache Heinisch v. Deutschland gezeigt, dass die Motivation des Whistle­blowers genau untersucht werden muss: Das LAG Berlin war noch von einer „Kampagne gegen ihre Arbeitgeberin“459 ausgegangen; der EGMR stellte hingegen fest, dass das Gericht keine Zweifel am guten Glauben der Antragstellerin gehabt und sie in dem Glauben gehandelt habe, dass die Weitergabe von Informationen über vermutete Missstände an die Strafverfolgungsbehörden im öffentlichen

458 459

BAGE 107, 36 (45). LAG Berlin, Urt. v. 28.3.2006, 7 Sa 1884/05, Rn. 58 (juris).

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Interesse gelegen habe460. Nach der Entscheidung des EGMR in der Rechtssache Heinisch v. Deutschland müssen die Arbeitsgerichte, wenn sie die Entscheidung des EGMR berücksichtigen, die Motive zukünftig noch genauer prüfen und dürfen nicht zu schnell auf eine Schädigungsabsicht des Arbeitnehmers schließen.461 Dies folgt auch daraus, dass sich der EGMR nicht an der Formulierung der Strafanzeige gestört hat, da die Behauptungen der Whistle­blowerin u. a. nicht jeder Tatsachengrundlage entbehrten.462 Zudem müssen die deutschen Gerichte berücksichtigen, dass sich eine Strafanzeige nach der Rechtsprechung des EGMR auch positiv auf die Feststellung der Motivation des Whistle­blowers auswirken kann, da er sich eben nicht direkt an die breite Öffentlichkeit gewendet hat. dd) Deutsche Gerichte zum öffentlichen Dienst Die Motivation eines Hinweisgebers wurde im öffentlichen Dienst – soweit ersichtlich – gerichtlich noch nicht speziell als Aspekt der Zulässigkeit von externem Whistle­blowing erörtert. Dies betrifft auch die Frage, ob eine boshafte Motivation bei einer zutreffenden Meldung bedeutsam ist.463 Auf der Ebene der Rechtsfolgen wird die Motivation aber relevant.464 Auch bei diesem Kriterium ist es – mangels einer entsprechenden Anzahl praktischer Fälle – schwer einzuschätzen, inwiefern eine Anpassung an die Rechtsprechung des EGMR tatsächlich notwendig ist. Immerhin lässt sich konstatie­ren, dass das Kriterium der deutschen Rechtsprechung insofern nicht völlig unbekannt ist. ee) Kritik Soweit ein Insider durch die Veröffentlichung eines Missstandes den Arbeit­ geber / Dienstherrn lediglich „fertigmachen“ möchte, ist er nach hier vertretener Auffassung bereits kein Whistle­blower.465 Wenn die Motivation des Whistle­blowers damit schon auf Begriffsebene ausschlaggebend ist, stellt sich im Rahmen der Abwägung nicht mehr die Frage nach den möglichen Konsequenzen einer ausschließlich eigennützigen bzw. boshaften Motivation. Auch wenn andere Motive hinzutreten, genügt es für die Begriffsbestimmung, wenn das altruistische Element deutlich überwiegt. Maßgebliche Frage ist für Whistle­blower daher allein, ob die primär selbstlose bzw. gemeinnützige Motivation nicht nur ausschlaggebend

460

EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 83. Vgl. auch Dzida / Naber, ArbRB 2011, 238 (239 f.); Brock, öAT 2011, 243 (245 f.). 462 S. EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 85. 463 Herold, ZBR 2013, 8 (11). 464 S. OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 4.11.2010, 3 A 10736/10, Rn. 61 (juris). 465 Zur primär selbstlosen bzw. gemeinnützigen Motivation als maßgeblichem Abgrenzungskriterium 1. Teil, B., II. 461

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für die Begriffsbestimmung ist, sondern auch im Rahmen der Abwägung berücksichtigt werden sollte.466 Allerdings würde es für diese Untersuchung zu kurz greifen, die böswillige Motivation eines Insiders zu ignorieren. Die hierzu ergangenen Gerichtsentscheidungen veranlassen dazu, den Themenkomplex der Motivationsberücksichtigung auf Verfassungsebene bei Enthüllungen insgesamt näher zu betrachten. (1) Grundlagen Bei einer verfassungsrechtlichen Abwägung müssen alle relevanten Umstände des Einzelfalles berücksichtigt werden. Allerdings sprechen gravierende Gründe dagegen, die Motivation von Insidern im Rahmen dieser Abwägung zu berücksichtigen. Wenn man mit der Rechtsprechung der Motivation des Arbeitnehmers entscheidende Bedeutung beimisst, wird zwangsläufig zwischen einem „guten Arbeitnehmer“, der im öffentlichen Interesse auf Missstände hinweist, und einem „schlechten Arbeitnehmer“, der den Arbeitgeber ausschließlich schädigen möchte, differenziert. Da der Arbeitnehmer aber in beiden Konstellationen seine Grundrechte, die bei der Abwägung zwingend zu berücksichtigen sind, wahrnimmt, führt eine solche Differenzierung wiederum zwangsläufig zu einer Differenzierung zwischen einem „Grundrechtsträger mit einer guten inneren Einstellung“ und einem „Grundrechtsträger mit einer schlechten inneren Einstellung“. Ob eine solche Differenzierung verfassungsrechtlich zulässig ist, ist kritisch zu beurteilen: Generell ist zu überlegen, ob diese Unterscheidung dem liberalen Grundverständnis der Freiheitsrechte widerspricht, wonach Grundrechte zur individuellen Persönlichkeitsentfaltung unerlässlich sind – mit einer Anpassung an die Erwartungshaltung anderer bzw. „der Gesellschaft“ würde die Inanspruchnahme eines Grundrechts nicht mehr dem individuellen Freiheitsgedanken gerecht. Die mora­ lische Erwartungshaltung von anderen Personen müsste herangezogen werden, um zu ermitteln, ob die Motivation des Grundrechtsträgers auch „gesellschaftskonform“ ist. Bereits dieses Bild zeigt, dass es sehr gefährlich ist, der inneren Haltung des Grundrechtsträgers Gewicht beizumessen. Den Kommunikationsgrundrechten liegt gerade der Sinn zugrunde, den freien Kampf der Meinungen zu fördern. Was als „gut“ und was als „schlecht“ angesehen wird, kann sich zudem mit der Zeit – z. B. bei einem Wandel moralischer Vorstellungen – schnell ändern.

466 Generell ist das Problem der Gesinnungsberücksichtigung im Recht nicht neu, s. etwa Gisawi, Der Grundsatz der Totalreparation, S. 214.

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(2) Böswillige Insider (a) Zum Rechtsmissbrauch im Verfassungsrecht Auch wenn Whistle­blower aus primär selbstloser bzw. gemeinnütziger Motivation heraus Informationen weitergeben und damit für einen Rechtsmissbrauch kein Raum ist, lassen es die genannten gerichtlichen Entscheidungen unabdingbar erscheinen, zumindest in Grundzügen auch auf die Problematik des „Rechts­ missbrauchs im Verfassungsrecht“ einzugehen. Die Rechtsprechung berücksichtigt nicht nur die Motivation des Arbeitnehmers, sondern zieht hieraus auch drastische rechtliche Konsequenzen: So hielt etwa das BAG in seinem Whistle­blower-Urteil zu Anzeigen, die ausschließlich erfolgen, „um den Arbeitgeber zu schädigen“ oder ihn „fertig zu machen“, fest: „Durch ein derartiges pflichtwidriges Verhalten nimmt der Arbeitnehmer keine verfassungsrechtlichen Rechte wahr, sondern verhält sich  – jedenfalls gegenüber dem Arbeitgeber  – rechtsmissbräuchlich.“467

Zur genaueren dogmatischen Grundlage eines solchen Rechtsmissbrauchs hat sich das BAG nicht geäußert. Indes liegt es nahe, dass sich das Gericht hierbei am Schikaneverbot des § 226 BGB orientiert, wonach die Ausübung eines Rechts unzulässig ist, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzu­ fügen.468 Dieser Rechtssatz gilt nicht nur im BGB, sondern allgemein im Zivilrecht und im öffentlichen Recht.469 Allerdings ist – bereits aus Gründen der Beweisbarkeit – der Anwendungsbereich des Schikaneverbotes in der Praxis gering.470 Insgesamt muss beachtet werden, dass eine meinungsbildende Informationsweitergabe zumindest vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst ist. Die Eröffnung ihres sachlichen Schutzbereiches kann nicht durch einfachrechtliche Regelungen wie § 226 BGB beeinflusst werden. Auch wenn in einer Informationsweitergabe, die einen anderen ausschließlich schädigen soll, ein verfassungsrechtlicher Rechtsmissbrauch gesehen wird, betrifft dieser die Ebene der Rechtfertigung und nicht des Schutzbereiches.471 Ob das BAG bei einem Rechtsmissbrauch bereits den grundrechtlichen Schutzbereich als nicht eröffnet ansieht, kann dem Urteil nicht eindeutig entnommen werden; dies liegt jedenfalls nahe, wenn es in einem solchen Rechtsmissbrauch bereits keine Wahrnehmung verfassungsrechtlicher Rechte sieht.472 Sollte dies der Fall sein, hätte das BAG jedenfalls die Rechtsprechung des BVerfG, wonach ein Grundrechtsmissbrauch auf Rechtfer 467

BAGE 107, 36 (45). S. auch Otto, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 45; Düsel, Gespaltene Loyalität, S. 398. 469 Grothe, in: Säcker / Rixecker / Oetker / Limperg, § 226 Rn.  2. 470 Grothe, in: Säcker / Rixecker / Oetker / Limperg, § 226 Rn.  1. 471 Vgl. BVerfGE 85, 386 (397). 472 S. BAGE 107, 36 (45). 468

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tigungsebene und gerade nicht auf Schutzbereichsebene zu beachten ist,473 nicht berücksichtigt. Unter welchen Voraussetzungen die Ausübung einer grundrechtlichen Freiheit rechtsmissbräuchlich ist und welche Konsequenzen ein solcher Grundrechtsmissbrauch für die verfassungsrechtliche Abwägung hat, ist bislang kaum untersucht. Jedenfalls ist zu berücksichtigen, dass das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung in einem engen Zusammenhang mit dem Demokratieprinzip steht: „Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist […]. Es ist in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt, ‚the matrix, the indispensable condition of nearly every other form of freedom‘ (Cardozo).“474

Dieser Zusammenhang besteht unabhängig davon, ob eine wichtige Information mit primär boshafter oder selbstloser bzw. gemeinnütziger Motivation weitergegeben wird. Um diesem Umstand gerecht zu werden, darf eine aus boshafter Motivation heraus erfolgte Informationsweitergabe nicht per se die Güterab­wägung zu Lasten der Meinungsfreiheit bestimmen. Auch unter Zugrundelegung von § 226 BGB kann eine entsprechende Informationsweitergabe nicht ausschließlich den Zweck haben, einem anderen Schaden zuzufügen. Dies gilt auch dann, wenn ein Insider annimmt, dass der Missstand existiert, und die Gelegenheit nutzen möchte, einen Kollegen mit seiner Anzeige zu schädigen: Durfte der Insider aus ex-ante-Perspektive berechtigterweise annehmen, dass der Missstand existierte, ist die Meldung so zu bewerten, als habe der Missstand auch tatsächlich existiert.475 (b) Keine Berücksichtigung der Motivation bei böswilligen Insidern Der Berücksichtigung der Motivation bei böswilligen Insidern stehen gravierende Aspekte entgegen: Wenn ein in Schädigungsabsicht handelnder Insider über Missstände informiert, dient dies wie im Falle altruistischer Motivation dem freien Kampf der Meinungen. Die Bindung des Rechts zur Enthüllung interner Missstände an subjektive Kriterien gefährdet die Durchsetzung von Allgemeininteressen, da die öffentliche Auseinandersetzung über Angelegenheiten, die von allgemeiner Bedeutung sind, beschränkt wird.476 Die Hinweisinhalte und nicht die Beweggründe sind ausschlaggebend.477 Auch für das Recht, Strafanzeige zu erstatten, kann es auf die Motivation nicht ankommen, da es für den Erhalt der Rechtsordnung letztlich nicht relevant ist, mit welcher Motivation ein Strafanzei 473

BVerfGE 85, 386 (397). BVerfGE 7, 198 (208). 475 Hierzu 4. Teil, B. V. 4. 476 Branahl, HFR 1/2012, 1 (7). 477 Király, RdA 2012, 236 (239); vgl. hierzu auch Wendeling-Schröder, RdA 2004, 374 (377). 474

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geerstatter auf Straftaten hinweist. Dementsprechend ist das BVerfG bei der Erörterung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG auch nicht auf die Motivation des Grundrechtsträgers eingegangen, obwohl es den Motiven des Grundrechtsträgers in anderen Fallkonstellationen durchaus Bedeutung beimisst.478 Darüber hinaus lässt sich die Berücksichtigung der schädigenden Motivation auch nicht über die Pflicht zur Rücksichtnahme des Insiders gegenüber dem Arbeitgeber bzw. dem Dienstherrn in die verfassungsrechtliche Abwägung einbeziehen. Zwar folgt aus der gegenseitigen Rücksichtnahmepflicht zwischen Insider und Arbeitgeber bzw. Dienstherr auch eine Gefahrabwendungspflicht bzw. ein Schädigungsverbot des Insiders. Doch kann dieses Schädigungsverbot nicht von der Motivation des Insiders abhängen – objektiv betrachtet ist der vom Whistle­ blowing Betroffene sowohl bei altruistischer als auch bei böswilliger Motivation negativ beeinträchtigt. Dem Arbeitgeber bzw. Staat das Recht zuzugestehen, sich von „böswilligen“ Insidern bei ansonsten gleicher Sachlage einfacher zu trennen, würde wiederum dem Interesse der Allgemeinheit an der Aufklärung von Gesetzesverstößen nicht gerecht, da dieses Interesse nicht von der Motivation des Insiders abhängt. Die persönliche Dimension einer auf verwerflicher Motivation beruhenden Anzeige muss dagegen zurücktreten.479 Letztlich ist klärungsbedürftig, ob sich nicht aus Art. 12 Abs. 1 GG für das Verhältnis Arbeitgeber-Arbeitnehmer etwas anderes ergibt: „Als Ausfluss der verfassungsrechtlich geschützten Unternehmerfreiheit hat der Arbeitgeber auch ein rechtlich geschütztes Interesse, nur mit solchen Arbeitnehmern zusammenzuarbeiten, die die Ziele des Unternehmens fördern und das Unternehmen vor Schäden bewahren.“480

Da, wie hier vorgeschlagen, strikt zwischen der Zulässigkeit von externem Whistle­blowing und der rechtlichen Reaktion hierauf getrennt werden sollte, könnte der Aspekt der zukünftigen Zusammenarbeit bei einem berechtigten Hinweis des Insiders, der mit böswilliger Motivation handelt, nicht mehr berücksichtigt werden. Allerdings kann dieser Aspekt in Anbetracht der genannten Argumente nicht überwiegen.481 Hieraus folgt insgesamt, dass bei Insidern, die auf interne Missstände verweisen, um andere Personen zu schädigen, die Motivation nicht zu berücksichtigen

478 S. aber auch BVerfG, NJW 2001, 3474 (3475): „Verfassungsrechtlich unbedenklich ist noch der vom LAG [Hamm] aufgestellte Rechtssatz, welcher sich auf ‚Anzeigen und Beschwerden bei Behörden‘ bezieht und auf den Fall eingeschränkt wird, dass diese ‚haltlose Vorwürfe aus verwerflichen Motiven‘ enthalten.“ Was bei berechtigten Vorwürfen gilt, wird hingegen nicht erörtert (Kort, in: Hönn / Oetker / Raab, S.  247 (261)). 479 A. A. (für das Verhältnis Arbeitgeber-Arbeitnehmer) Schmitt, Whistle­blowing, S. 55, die diesen Aspekt (bei einer auf verwerflicher Motivation beruhenden Anzeige)  für ausschlag­ gebend hält. 480 BAGE 107, 36 (44); Simon / Schilling, BB 2011, 2421 (2422). 481 Vgl. aber auch Rudkowski, CCZ 2013, 204 (206).

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ist.482 Gegenläufige Tendenzen bei anderen Verfassungsfragen483 sind kritisch zu betrachten. Gleichwohl bedeutet dies nicht, dass die Art und Weise der Veröffentlichung aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht berücksichtigt werden könnte. So können Umstände, die ebenfalls auf der Schädigungsabsicht des Insiders beruhen (z. B. eine sofortige Meldung an die Presse oder umgekehrt die Verzögerung der Veröffentlichung, um zu einem für den Arbeitgeber oder das Unternehmen ungünstigen Zeitpunkt auf den Missstand hinzuweisen), durchaus abwägungsrelevant sein. Etwas anderes gilt dann, wenn es sich um einen unberechtigten Hinweis handelt und der Insider bösgläubig gehandelt hat. In einem solchen Fall wird jedenfalls die Interessenabwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu Lasten des Insiders ausfallen. (3) Keine Berücksichtigung bei Whistle­blowern Bislang wurde festgestellt, dass die Motivation bei böswilligen Insidern auf der Ebene der verfassungsrechtlichen Abwägung bei berechtigten Hinweisen auf Missstände nicht zu ihren Lasten zu berücksichtigen ist. Whistle­blower handeln hingegen mit einer primär selbstlosen bzw. gemeinnützigen Motivation, die sich bei einer verfassungsrechtlichen Abwägung zu ihren Gunsten auswirken könnte. Allerdings muss gesondert geklärt werden, ob eine Berücksichtigung dieser primär selbstlosen bzw. gemeinnützigen Motivation auch überzeugt. Generell ist es positiv hervorzuheben, dass sich ein Whistle­blower gezielt für die Interessen der Allgemeinheit bzw. anderer Personen einsetzt. Er wird nicht selten als verlängerter Arm des Staates tätig, um der Allgemeinheit bzw. anderen Personen einen Dienst zu erweisen. Die oft geforderte – und für den Rechtsstaat auch wichtige – Zivilcourage kann durch eine verfassungsrechtliche Honorierung gefördert werden. Dass Whistle­blower nicht zur Verfolgung eigener Zwecke aktiv werden, hebt ihre Bemühungen deutlich hervor. Sie setzen sich selbst Risiken aus, um der Allgemeinheit bzw. anderen Personen einen Dienst zu erweisen; hiermit schützen sie nicht selten auch verfassungsrechtliche Belange. Allerdings wurde bei böswilligen Insidern gerade darauf abgestellt, dass es auf den Hinweisinhalt und nicht den Bewegungsgrund ankommt. Eine Differenzierung zwischen verschiedenen Typen von Hinweisgebern wird diesem Grundsatz nicht gerecht. Eine positive Berücksichtigung der primär selbstlosen bzw. gemein­ nützigen Motivation des Whistle­blowers in einer verfassungsrechtlichen Abwägung würde vielmehr zu Wertungswidersprüchen führen. Entweder wird die Motivation

482

Vgl. ablehnend auch Hennemann, Betrifft Justiz 2011, 135 (137); Peter / Rohde-Liebenau, AuR 2004, 429 (430); a. A. Herbert / Oberrath, NZA 2005, 193 (198); Gach / Rützel, BB 1997, 1959 (1960); Sasse / Stelzer, ArbRB 2003, 18 (20). 483 S. OLG Celle, ZUM 2011, 341 (343, 346).

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bei berechtigten Hinweisen sowohl bei böswilligen Insidern als auch bei Whistle­ blowern berücksichtigt oder bei beiden nicht. Schließlich sprechen auch praktische Erwägungen gegen eine Einbeziehung der Motivation: In jeder Organisation kann es aufgrund verschiedenster Anlässe interne Spannungen geben. Für die vom externen Whistle­blowing Betroffenen würde es sich stets anbieten, derartige Spannungen anzuführen, um den Whistle­blower anzugreifen, was diesen in Erklärungsnot bringt.484 Dass der Whistle­blower im Prozess eine freundliche Haltung gegenüber dem Angezeigten darlegen soll, bereitet zudem unangemessene Schwierigkeiten.485 In einer rechtlichen und tatsächlichen Unter­suchung – auch vor Gericht – sollte gerade der Inhalt der übermittelten Information und nicht die hinter der Übermittlung stehende Motivation im Vordergrund stehen. (4) Berücksichtigungsmöglichkeit im Rahmen der Rechtsfolgen von externem Whistle­blowing Steht als Ergebnis fest, dass externes Whistle­blowing unrechtmäßig war, stellt sich die Frage der Rechtmäßigkeit möglicher Konsequenzen. Auf dieser Ebene müssen mitunter weitere Aspekte berücksichtigt werden, bei einer Beendigungskündigung etwa der Umstand, ob das Vertrauensverhältnis zerstört ist.486 An dieser Stelle kann die Motivation bedeutsam werden, da eine schädliche bzw. böswillige Motivation die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer oder Beamten und Dienstherrn indiziert. Ein Vertragspartner muss ein Dauerschuldverhältnis mit jemandem, der ihn bei nächster Gelegenheit boshaft schädigen möchte, nicht fortsetzen.487 Dies gilt entsprechend auch für das Verhältnis eines Beamten zu seinem Dienstherrn. f) Exkurs: Die Strafe für den Whistle­blower Die Strafe für den Whistle­blower kann nur dann berücksichtigt werden, wenn externes Whistle­blowing unzulässig war. Wie bereits festgestellt, wird gerichtlich allerdings nicht streng zwischen der Zulässigkeit externen Whistle­blowings und der Zulässigkeit der rechtlichen Reaktion auf externes Whistle­blowing differenziert. Da der EGMR dieses Kriterium allerdings ebenfalls im Rahmen der Abwägung berücksichtigt und die Auswirkungen der EGMR-Rechtsprechung auf die deutsche Judikatur untersucht werden, kann dieses Kriterium nicht unbeachtet bleiben.

484

Király, RdA 2012, 236 (239). Vgl. Peter / Rohde-Liebenau, AuR 2004, 429 (430). 486 Vgl. Biester, in: Grobys / Panzer-Heemeier, Außerordentliche Kündigung, Rn. 4. 487 Brors, HFR 2/2012, 1 (10). 485

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aa) Rechtsprechung des EGMR Der EGMR bezieht auch die Strafe für den Whistle­blower in die Abwägung mit ein: „Lastly, in connection with the review of the proportionality of the interference in relation to the legitimate aim pursued, attentive analysis of the penalty imposed on the applicant and its consequences is required […].“488

Der Entscheidungswortlaut („penalty imposed“) verdeutlicht, dass der EGMR insofern die verhängte und nicht eine zu erwartende Strafe für den Whistle­blower berücksichtigt. Eine Kündigung sei die schwerstmögliche Sanktion („sanction“) des Arbeitsrechts.489 Sie wirke sich nicht nur negativ auf die Karriere des Arbeitnehmers aus, sondern könne auch eine ernste abschreckende Wirkung („serious chilling effect“) auf andere Arbeitnehmer haben und diese davon abhalten, über interne Mängel zu berichten.490 Angesichts der Medienberichterstattung sei zudem die mögliche abschreckende Wirkung auf andere Verwaltungsbeamte („civil servants“) und Arbeitnehmer zu berücksichtigen.491 Diese abschreckende Wirkung habe nachteilige Auswirkungen auf die Gesellschaft insgesamt.492 Insbesondere im Bereich der Altenpflege sei zudem zu berücksichtigen, dass die Patienten ihre eigenen Rechte häufig nicht selbst verteidigen könnten,493 zuerst das Pflegepersonal auf unzureichende Zustände in der Pflege aufmerksam werde und dieses am besten im öffentlichen Interesse handeln könne, indem es den Arbeitgeber oder die Öffentlichkeit informiere.494 bb) Verfassungsgerichtliche Judikatur Auch das BVerfG berücksichtigt allgemein, inwiefern das Freiheitsrecht des Betroffenen beeinträchtigt wurde, d. h. letztlich die Schwere des Eingriffs:

488 EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 78; s. auch EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 70; Urt. v. 29.2.2000, Fuentes Bobo v. Spanien (Nr. 39293/98), Rn. 49. 489 EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 95; Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 91. 490 EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 95; Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 91. 491 EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 95; s. auch EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 91. 492 EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 91. 493 Nach Momsen / Grützner / Oonk, ZIS 2011, 754 (755), kann hierin nur eine Hilfserwägung gesehen werden. 494 EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 91.

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„Die rechtsstaatlichen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit einer belastenden Maßnahme werden im Einzelnen durch den Rang des zu schützenden Rechtsguts und die Intensität seiner Gefährdung beeinflusst, aber auch durch die Art und Schwere der Beeinträchtigung des Freiheitsrechts des nachteilig Betroffenen.“495

Den Aspekt des „serious chilling effect“ hatte das BVerfG bereits im Jahre 1987 auf den abschreckenden Effekt einer Schadensersatzklage als Reaktion auf eine Strafanzeige herangezogen;496 dieser Gedanke lässt sich auf eine Kündigung bzw. andere negative Rechtsfolgen ohne Weiteres übertragen. cc) Deutsche Gerichte zum privaten Sektor Nach der Rechtsprechung ist eine Kündigung (streng genommen) keine Sanktion für eine Pflichtverletzung, sondern solle das Risiko künftiger Pflichtverletzungen vermeiden;497 gleichwohl sei sie ein zivilrechtlicher Nachteil für den Arbeitnehmer498. Grundsätzlich seien geeignete mildere Mittel zu wählen, „um die Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen“499 – eine Kündigung wird also als ultima ratio angesehen. Auch wenn die „Strafe“ für Arbeitnehmer insofern bereits berücksichtigt wird, zeigt der Vergleich mit der Rechtsprechung des EGMR, dass der generelle Abschreckungseffekt einer Kündigung nicht unberücksichtigt bleiben darf. Überlegungen zur Rechtmäßigkeit einer Kündigung dürfen sich nicht auf das bilaterale Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Whistle­blower beschränken, sondern müssen den größeren Kontext von externem Whistle­blowing beachten. Dass sich hingegen aus dem unterschiedlichen Kündigungsverständnis – als Sanktion oder nicht – große Auswirkungen ergeben, ist unwahrscheinlich. Zwar wirkt sich das Verständnis des BAG auf seine Rechtsprechung durchaus aus, da sich die bereits begangene Pflichtverletzung auch noch zukünftig belastend auswirken muss, was anhand einer negativen Prognose ermittelt wird.500 Dies hat der EGMR in den Whistle­blowerFällen nicht ausdrücklich erwähnt, aber große Unterschiede in der Sache dürften sich hieraus nicht ergeben.

495

BVerfGE 113, 63 (80). BVerfGE 74, 257 (263). 497 BAG, NZA 2006, 980 (984); s. auch BVerfG, NJW 2001, 3474 (3475). 498 BVerfG, NJW 2001, 3474 (3475); s. zur Schwere einer Kündigung auch BVerfGE 97, 169 (177). 499 BAG, NZA 2006, 980 (984). 500 BAG, NZA 2006, 980 (984); 1997, 487 (490). 496

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dd) Deutsche Gerichte zum öffentlichen Dienst Externes Whistle­blowing wird von der Rechtsprechung regelmäßig als Pflichtverletzung angesehen.501 Diese Pflichtverletzung wog nach Ansicht des BVerwG indes regelmäßig nicht schwer und hatte in der Vergangenheit allenfalls einen Verweis oder eine Geldbuße zur Konsequenz.502 Die Beurteilung darüber, welche Konsequenzen eine Pflichtverletzung hat (hierzu § 5 BDG), bemesse sich auch nach dem sog. „Grundsatz der stufenweisen Steigerung“.503 Eine Entfernung aus dem Dienstverhältnis wird dabei als Höchstmaßnahme gewertet.504 Die deutsche Rechtsprechung berücksichtigt auch im öffentlichen Dienst bereits hinreichend, dass eine Entfernung aus dem Dienstverhältnis als schwerste Maßnahme anzusehen ist. Die EGMR-Rechtsprechung bewirkt insofern also keine Änderung. g) Differenzierung nach Art des internen Missstandes Whistle­blowing kann verschiedene Arten von Missständen betreffen, deren Bedeutung ausschlaggebend für die Zulässigkeit externen Whistle­blowings ist. Maßgeblich ist dabei eine Differenzierung zwischen rechtlichen und sonstigen Missständen: Auf der Ebene rechtlicher Missstände kann nach der Schwere des Gesetzesverstoßes differenziert werden. So wiegt ein Verstoß gegen eine Vorschrift des Ordnungswidrigkeitenrechts im Vergleich zur Verwirklichung eines Straftatbestandes regelmäßig weniger schwer, da eine geringere Gefährdung oder Verletzung von (weniger bedeutsamen) Rechtsgütern vorliegt.505 Grundsätzlich sollte dabei aber nicht auf die Art des einfachrechtlichen Gesetzes abgestellt werden,506 sondern sich die Gewichtung nach der Bedeutung der bedrohten (bzw. verletzten) Rechtsgüter und dem Grad ihrer Gefährdung richten: Je schwerer ein Rechtsgut bedroht bzw. verletzt ist, desto mehr spricht für die Zulässigkeit einer externen Veröffentlichung. Denkbar sind hierbei sowohl Verstöße gegen Individual- als auch gegen Universalrechtsgüter, deren Gewichtung von den Umständen des Einzelfalles ab 501

S. nur BVerwGE 76, 76 (80). S. BVerfG, NVwZ 2006, 1282 (1283). 503 BVerwG, Urt. v. 27.10.1992, 1 D 55/91, Rn. 26 (juris). 504 BVerwG, Urt. v. 23.9.1997, 1 D 3/96, Rn. 20, 24 (juris). 505 Für eine Berücksichtigung der Art der gefährdeten Rechtsgüter durch rechtswidriges Arbeitgeberverhalten auch Müller, NZA 2002, 424 (436); allgemein für die Berücksichtigung der „Schwere des vermeintlichen Delikts“ Momsen / Grützner / Oonk, ZIS 2011, 754 (756); für niedrigere Anforderungen an Whistle­blowing „je offensichtlicher ein Rechtsverstoß ist und je schwerer das Unrecht der im Raume stehenden Tat wiegt“ Rudkowski, CCZ 2013, 204 (207). 506 Für eine Differenzierung nach Schutzobjekt sowie Straftat, Ordnungswidrigkeit und „privatrechtlich bewehrter Tat“ aber Herbert / Oberrath, NZA 2005, 193 (198). 502

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hängt. Besonders schwer wiegen insofern Verstöße gegen Verfassungswerte und internationale Abkommen507. Hierbei bietet sich auch eine Differenzierung nach quantitativen (etwa das millionenfache illegale Speichern von Daten oder eine langjährige Gesetzesverletzung) und qualitativen (etwa ein vorsätzlicher Rechtsbruch) Kriterien an. Handelt es sich um eine ständige interne Praxis, kommt der Aufklärung besonderes Gewicht zu. Anders kann dies bei einzelnen Verstößen, die sich vermutlich nicht wiederholen werden, zu bewerten sein. Hält der Missstand noch an und kann dementsprechend durch eine Informationsweitergabe behoben werden, wird dies regelmäßig ebenfalls gewichtiger zu werten sein als die Enthüllung eines in der Vergangenheit liegenden, sich vermutlich nicht wiederholenden Verstoßes. Einer Enthüllung kommt besonderes Gewicht zu, wenn sie geeignet ist, künftige Rechtsverstöße zu verhindern.508 Allerdings darf dies nicht zu einer Abwertung der Aufklärung bereits begangener Gesetzesverstöße, v. a. Straftaten führen, da auch an deren Aufklärung ein legitimes Interesse besteht. Gleichwohl wird das Aufklärungsinteresse grundsätzlich geringeres Gewicht haben, wenn der Rechtsverstoß weit zurück in der Vergangenheit liegt; dies gilt wiederum auch für das Geheimhaltungsinteresse. Ferner ist der Grund zu untersuchen, weshalb die interne Information als geheimhaltungsbedürftig angesehen wird: Einige interne Missstände sind geheimhaltungsbedürftiger als andere. So werden Geheimnisse des Nachrichtendienstes regelmäßig geheimhaltungsbedürftiger sein als solche der örtlichen Kommunalverwaltung. Entsprechend hat auch das BVerfG festgestellt: „Es bedarf keiner weiteren Begründung, daß bei Beamten und Angestellten, deren Tätigkeit nachrichtendienstlicher Natur ist und die in einer Behörde arbeiten, zu deren Dienstaufgaben der Schutz des Staates nach außen gehört, der Pflicht zur unbedingten Geheimhaltung der ihnen dienstlich bekanntgewordenen Vorgänge ganz besondere Bedeutung zukommt.“509

Dass die Staatssicherheit durch das Aufdecken von internen Missständen gefährdet wird, bedarf aber besonderer Begründung.510 Moralisches Fehlverhalten wiegt demgegenüber regelmäßig geringer. Dabei ist zu beachten, dass Moral, Sitte und Anstand höchst subjektiv sind511.

507

S. zu Verstößen gegen internationale Abkommen Deiseroth, Betrifft Justiz 2004, 296 (301). Vgl. auch Brock, öAT 2011, 243 (246). 509 BVerfGE 28, 191 (205 f.). 510 S. auch Porr, Die Pflichten des Beamten unter der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, S. 121. 511 Berndt / Hoppler, BB 2005, 2623 (2624); zum Anzeigerecht bei nicht illegalen Missständen Graser, Whistle­blowing, S.  238  ff. 508

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

h) Zeitpunkt der Enthüllung Ferner ist der Zeitpunkt der Enthüllung zu berücksichtigen. So kann die Enthüllung für den vom externen Whistle­blowing Betroffenen zu einem bestimmten Zeitpunkt äußerst ungünstig sein. War dem Whistle­blower der Missstand schon seit geraumer Zeit bekannt,512 hat er aber auf einen Zeitpunkt gewartet, an welchem die voraussichtlichen negativen Folgen besonders hoch sind, kann sich dies zu seinen Lasten auswirken. Allerdings ist zu beachten, dass sich der Whistle­blower gerade auch bewusst diesen Zeitpunkt, zu dem die öffentliche Aufmerksamkeit besonders hoch ist, ausgesucht haben kann, was sich aufgrund der Art des internen Missstandes und dem Informationsinteresse der Allgemeinheit besonders rechtfertigt. Auch hier kommt es auf den Einzelfall an. Als Beispiel ließe sich anführen, dass ein Unternehmen, in dem Missstände existieren, vor dem Abschluss eines öffentlichkeitswirksamen Vertrages mit einem anderen Unternehmen steht, und der Whistle­blower für die Enthüllung bewusst einen Zeitraum kurz vor Vertragsschluss wählt. Einerseits wären dann die negativen Folgen hoch, da der Vertrag aufgrund des entstehenden negativen Images mög­licherweise nicht mehr zustande kommt. Andererseits stand das Unternehmen möglicherweise auch aufgrund der Bedeutung des Vertrages im Fokus der öffent­ lichen Wahrnehmung, sodass sich gerade dieser Zeitpunkt anbot. i) Rechtspositionen von anderen Personen Ferner sind auch einschlägige rechtliche Interessen von anderen Personen zu berücksichtigen. So ist etwa auf den Fall der Whistle­blowerin Herbst zu verweisen, die auf BSE-Verdachtsfälle bei Rindern aufmerksam machte.513 Hier wird die Abwägung maßgeblich durch das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) der Konsumenten beeinflusst. Hierbei kann es auch eine Rolle spielen, inwiefern Daten von anderen Personen umfasst sind, an deren Geheimhaltung also auch ein verfassungsrechtliches Interesse (Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) besteht, v. a. dann, wenn der Betroffene über ihre Existenz selbst (noch) nichts wusste. Besonderes Gewicht kommt einem Rechtsverstoß auch dann zu, wenn dieser eine Person trifft, die sich nicht selbst hinreichend verteidigen kann.514

512

Hierzu auch Peter / Rohde-Liebenau, AuR 2004, 429 (430). Hierzu Deiseroth, Whistle­blowing in Zeiten von BSE. 514 Vgl. auch EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 91. 513

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j) Zur Möglichkeit der Selbstabhilfe bzw. Leistungsverweigerung Schließlich ist zu berücksichtigen, ob der interne Missstand durch den Insider problemlos hätte behoben werden können.515 Auch hier wird es entscheidend auf den jeweiligen Fall und die damit verbundene Zumutbarkeitsgrenze ankommen. Zunächst müssen Selbsthilfemaßnahmen faktisch überhaupt möglich sein.516 Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn es gewisser Fachkenntnisse bedurfte, die nur bestimmte Personen, z. B. der Vorgesetzte, aufweisen.517 Ferner ist die Berechtigung zum Ergreifen der Maßnahmen relevant.518 Insgesamt sind die Anforderungen an den Insider, sich um entsprechende Abhilfemaßnahmen zu bemühen, nicht allzu hoch.519 Demgegenüber scheint die Berücksichtigung der Möglichkeit einer Arbeitsverweigerung nicht interessengerecht,520 da dies nur äußerst mittelbar zur Behebung des eigentlichen Problems beiträgt. k) Adressat des externen Whistle­blowings aa) Differenzierung nach Pflicht des Adressaten zur Vertraulichkeit Eine gravierende Bedeutung kommt dem Umstand zu, wen der Whistle­blower informiert hat. Insofern kann generell danach unterschieden werden, ob eine Stelle, die gesetzlich zur Vertraulichkeit verpflichtet ist, oder andere Stellen oder andere Personen bzw. die breite Öffentlichkeit informiert wurden. Diese Differenzierung muss im Zusammenhang mit den Interessen des von der Enthüllung Betroffenen betrachtet werden. Für eine verfassungsrechtliche Abwägung ist zu beachten, dass das Maß an zu erwartender Vertraulichkeit mit der Frage korreliert, inwiefern ein Whistle­blower schutzwürdig ist. Hierauf wird später noch eingegangen werden.521 bb) Schutzbereichsverstärkung bei Informierung der Presse? Auch wenn sich ein Presseinformant nach hier vertretener Auffassung nicht auf die Pressefreiheit berufen kann522, stellt sich die Frage, ob die Pressefreiheit (Art. 5 515

Vgl. Herbert / Oberrath, NZA 2005, 193 (197). Vgl. Preis / Reinfeld, AuR 1981, 361 (372). 517 S. Ebert, ReWir 7/2011, 1 (3) zu Arbeitnehmern. 518 Hinrichs, ArbRGgw 1981, 35 (45) zu Arbeitnehmern. 519 Hinrichs, ArbRGgw 1981, 35 (45) zu Arbeitnehmern. 520 S. Vossen, in: Ascheid / Preis / Schmidt, § 626 BGB Rn. 191 zu Arbeitnehmern. 521 4. Teil, B. IV. 4. b). 522 2. Teil, A. II. 1. 516

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

Abs. 1 S. 2 GG) die verfassungsrechtliche Abwägung positiv für den Whistle­blower beeinflusst, wenn er die Information an die Presse weitergibt. Dies wird noch an anderer Stelle näher untersucht werden.523 l) Bedeutung anonymer Hinweise Soweit anonymes Whistleblowing vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit524 und des Petitionsrechts525 umfasst ist, wirkt sich die Anonymität nicht negativ auf die verfassungsrechtliche Abwägung aus. Zwar werden anonyme Anzeigen von einem Teil der Literatur als Verstoß gegen die Pflicht zur Kameradschaftlichkeit, d. h. zur Wahrung des Betriebsfriedens angesehen.526 Dies überzeugt in dieser Allgemeinheit aber nicht: Der Sinn einer anonymen Äußerung liegt nicht selten darin, negative Folgen für die eigenen Person abzuwenden, wenn nicht mit einer rationalen Reaktion der betroffenen Gegenseite zu rechnen ist. Aufgrund der bisherigen Erfahrung im (öffentlichen) Umgang mit Whistle­blowern ist aber regelmäßig mit Benachteiligungen zu rechnen. Vor diesem Hintergrund wäre es un­angemessen, vom Whistle­blower stets zu verlangen, sich namentlich zur Anzeige zu bekennen. Zuzugestehen ist allerdings, dass dann der grundsätzlich erforderliche Vorrang interner Meldungen nicht mehr überprüft werden kann, also eine Missbrauchsgefahr droht. 2. Die EGMR-Rechtsprechung zum externen Whistle­blowing Bislang wurde bereits festgestellt, dass es zwei Grundsatzentscheidungen des EGMR zum externen Whistle­blowing gibt und diese Rechtsprechung von deutschen Gerichten berücksichtigt werden muss. Die vom EGMR herangezogenen Kriterien wurden oben bereits untersucht und sollen im Folgenden nicht erneut separat analysiert werden. Zusammengefasst geht der EGMR davon aus, dass internes Whistle­blowing grundsätzlich Vorrang vor externem Whistle­blowing genieße und die Verhältnismäßigkeitsprüfung durch (mindestens) fünf weitere Kriterien bestimmt werde: – das Interesse der Öffentlichkeit an der Information, – die Authentizität der Information, – die Motivation des Whistle­blowers,

523

4. Teil, B. IV. 4. b) cc) (3). Hierzu 2.  Teil, A. I. 1. b). 525 Hierzu 2.  Teil, A. II. 2. a) bb). 526 Zu Beamten Claussen, in: ders. / Janzen, Einl. C Rn. 30; vgl. zu einem anonymen Flugblatt auch BDHE 1, 32 (34). 524

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– die negativen Auswirkungen für den Betroffenen sowie – die Strafe für den Whistle­blower. Diese insgesamt sechs Abwägungskriterien wurden der deutschen Rechtsprechung bereits gegenübergestellt, um die vorhandenen Differenzen darzulegen. Im Folgenden soll nunmehr geklärt werden, welche Fragen die EGMR-Rechtsprechung aufwirft und wie sie insgesamt von der bisherigen deutschen Rechtsprechung abweicht. a) Unklarheiten in der EGMR-Rechtsprechung aa) Rangverhältnis der verschiedenen Kriterien zueinander Aus den Entscheidungen des EGMR geht nicht eindeutig hervor, ob bzw. inwiefern den vom Gericht herangezogenen Wertungskriterien eine bestimmte Rangfolge entnommen werden kann. In beiden Entscheidungen hat der EGMR aber dem grundsätzlichen Vorrang internen Whistle­blowings besondere Bedeutung beigemessen und erst anschließend weitere Wertungskriterien erörtert.527 Innerhalb der Wertungskriterien kann nach dem Wortlaut der Entscheidungen nur bedingt differenziert werden. Dem öffentlichen Interesse an der enthüllten Information („public interest involved in the disclosed information“) komme in der Abwägung besondere Bedeutung zu („in the first place“).528 Auf die jeweilige Bedeutung der anderen vier Kriterien wird indes nicht in dieser Ausdrücklichkeit verwiesen. Dass die Authentizität der Information anschließend geprüft wird („second factor“),529 ist insofern ohne Belang. Für die Motivation des Whistle­blowers als Abwägungskriterium findet sich lediglich der einfache Hinweis, dass diese ein „another determinant factor“ sei.530 Zudem ist zu beachten, dass der EGMR im Rahmen der Subsumtion in der Entscheidung Guja v. Moldawien zunächst Alternativen für den Whistle­ blower („alternative channels“) und anschließend die Bedeutung der enthüllten Information für die Öffentlichkeit prüft,531 in der Entscheidung Heinisch v. Deutschland aber umgekehrt verfährt532. Daher kann nicht zwingend davon ausgegangen werden, dass der EGMR jedem einzelnen Kriterium eine Bedeutung entsprechend der von ihm bei der allgemeinen Erläuterung der Kriterien gewählten Reihenfolge 527 S. EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr.  14277/04), Rn. 73 ff.; Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 65 ff. 528 EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 74; Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 66. 529 EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 75; Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 67. 530 EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 77; Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 69. 531 S. EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 80 ff., 85 ff. 532 S. EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 71 ff.

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

(erstens das Interesse der Öffentlichkeit an der Information, zweitens die Authentizität der Information, drittens die negativen Auswirkungen für den Betroffenen, viertens die Motivation des Whistle­blowers, fünftens die Strafe für den Whistle­ blower) zukommen lässt.533 bb) Verhältnis des Vorranggrundsatzes zu den sonstigen Kriterien Unklar bleibt, wie der vom EGMR statuierte Grundsatz, dass internes Whistle­ blowing Vorrang genieße und externes Whistle­blowing lediglich als ultima ratio anzusehen sei, zu den vom Gericht ebenfalls herangezogenen Wertungskriterien steht. Aus der Subsumtion unter den Vorranggrundsatz in der Entscheidung Guja v. Moldawien konnte noch der mögliche Schluss gezogen werden, der EGMR sehe den Vorrang internen Whistle­blowings als eine Art „Vorprüfung“, nach deren Bestehen die anderen Kriterien erst bedeutsam würden.534 Hiergegen spricht jedoch die Urteilsformulierung, die das Gericht zur Heranziehung der anderen Kriterien gewählt hat: „In determining the proportionality of an interference with  a civil servant’s freedom of expression in such a case, the Court must also have regard to a number of other factors.“535

Darüber hinaus hat das Gericht in der Heinisch-Entscheidung im Rahmen der Subsumtion zunächst das öffentliche Interesse und erst anschließend die Möglichkeit anderer interner Abhilfemöglichkeiten untersucht.536 Bei dieser Reihenfolge kann der EGMR den Vorrang internen Whistle­blowings nicht als Vorprüfung verstehen, sondern vielmehr als einen Prüfungsaspekt neben den anderen Abwägungskriterien. Gleichwohl stellt sich die Frage, inwiefern die anderen Kriterien bei Fallkonstellationen, bei denen der EGMR einen Vorrang internen Whistle­ blowings verneint, an Bedeutung gewinnen. Wie bereits festgestellt, korrelieren das öffentliche Interesse an der Information und der Grundsatz des Vorranges internen Whistle­blowing miteinander. cc) Geschützter interner Personenkreis In den Entscheidungen Guja v. Moldawien und Heinisch v. Deutschland statuierte der EGMR den Grundsatz, dass zumindest bestimmte Verwaltungsbeamte bzw. Angestellte des öffentlichen Dienstes den Schutz aus Art. 10 Abs. 1 EMRK genießen: 533 Nach Forst, NJW 2011, 3477 (3480) (zur Heinisch-Entscheidung), kann von einer der Reihenfolge der Kriterien entsprechenden Bedeutung wohl ausgegangen werden. 534 S. EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 84. 535 EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 74; ähnlich EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 66. 536 EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 71 ff.

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„The Court thus considers that the signalling by a civil servant or an employee in the public sector of illegal conduct or wrongdoing in the workplace should, in certain circumstances, enjoy protection. This may be called for where the employee or civil servant concerned is the only person, or part of a small category of persons, aware of what is happening at work and is thus best placed to act in the public interest by alerting the employer or the public at large.“537

Das BAG hatte hingegen ausdrücklich klargestellt, dass dem Arbeitnehmer das staatsbürgerliche Recht zur Erstattung von Strafanzeigen „unabhängig von seiner beruflichen Stellung und deren Bewertung durch den Arbeitgeber oder Dritte zusteht“.538 Insofern bleibt abzuwarten, ob (bzw. inwiefern) der Schutz aus Art. 10 Abs. 1  EMRK abnimmt, wenn es sich nicht um eine der genannten Personen handelt. b) Die Rechtsprechung des EGMR und deutscher Gerichte im Vergleich aa) Externes Whistle­blowing im privaten Sektor Der EGMR hat zumindest teilweise mehr Klarheit in die von Zumutbarkeits­ aspekten geprägte deutsche Rechtsprechung gebracht. Auch der EGMR war mit dem Umstand konfrontiert, dass eine abschließende, alle Fallkonstellationen eindeutig klärende Eingrenzung zur Zulässigkeit von externem Whistle­blowing nicht möglich ist. Konsequenterweise entwickelte das Gericht – wie die deutschen Gerichte vorab – Grundsätze und Kriterien, mit denen hinreichend die gegenläufigen Interessen und gleichzeitig die Besonderheiten des Einzelfalles berücksichtigt werden können. Damit wird deutlich, dass die Entscheidungen des EGMR auch nicht unbesehen auf andere Konstellationen übertragen werden können – vielmehr müssen die einzelnen Kriterien stets sorgsam ausgewertet werden.539 Auch nach der Rechtsprechung des EGMR besteht eine gewisse Rechtsunsicherheit für Whistle­blower, der durch eine gesetzliche Normierung abgeholfen werden sollte. Nach einem Teil der Literatur wird die Heinisch-Entscheidung des EGMR auch als entsprechende Aufforderung an Deutschland interpretiert540  – konventionsrechtlich wäre eine einfachgesetzliche Lösung allerdings nicht zwingend geboten541: Die Bundesrepublik Deutschland ist völkerrechtlich lediglich im Ergebnis dazu verpflichtet, Art. 10 Abs. 1 EMRK hinreichend zu beachten542. Die EMRK gibt 537 EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 72 (keine Hervorhebung im Original); s. auch EGMR, Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 63. 538 BAG, NJW 2007, 2204 (2205). 539 Vgl. zu den Besonderheiten der Heinisch-Entscheidung Brink, jurisPR-ArbR 31/2012, Anm. 1. 540 So Albrecht, in: Bontrup / Korenke / Wienbracke, S.  1 (18). 541 Schlachter, RdA 2012, 108 (109). 542 Vgl. BVerfGE 128, 326 (370).

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

hingegen nicht vor, dass der Schutz von Whistle­blowern gesetzgeberisch ausgestaltet werden muss. In diesem Zusammenhang ist (paradoxerweise) anzumerken, dass sich die bereits eingangs angesprochene mangelnde Gesetzeslage in Deutschland zu Gunsten von Whistle­blowern auswirkt: Auf nationaler Ebene führt die mangelhafte Rechtslage zwar zu Rechtsunsicherheit, was sich für Whistle­blower negativ darstellt. Der EGMR wiederum berücksichtigt die mangelnde gesetzgeberische Tätigkeit bei der Feststellung der Verhältnismäßigkeit543 dem Kontext nach zu Gunsten des Whistle­blowers, sodass sich die mangelnde gesetzgeberische Tätigkeit insofern positiv auf den Schutz von Whistle­blowern auswirkt. Der EGMR prüft externes Whistle­blowing ausschließlich an Art. 10 Abs. 1 EMRK. Auch wenn – wie bereits herausgearbeitet wurde – andere Grundrechte einschlägig sein können, bedeutet die Heinisch-Entscheidung des EGMR nicht, dass sich Kündigungen von Arbeitnehmern aufgrund einer Strafanzeige gegen den Arbeitgeber nunmehr ausschließlich an Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG messen lassen müssten.544 Dies gilt entsprechend für die Weitergabe von internen Informationen an andere externe Adressaten als die zur Entgegennahme einer Strafanzeige vorgesehenen Stellen. Die Prüfung kann auch anhand anderer Grundrechte  – alternativ oder kumulativ – erfolgen, wobei dann die Wertungen des EGMR bei anderen Grundrechten entsprechend berücksichtigt werden müssten. Aus völkerrechtlicher Sicht schulden die deutschen Gerichte bei der Abwägung lediglich ein Ergebnis, d. h. die Berücksichtigung der EMRK und deren Auslegung durch den EGMR.545 Wie dieses Ergebnis innerstaatlich (dogmatisch) zustande kommt, bleibt den staatlichen Organen überlassen. Die obige Untersuchung hat ergeben, dass der EGMR externes Whistle­blowing nicht als Meinungsäußerung, die grundsätzlich zulässig ist, ansieht,546 da das Gericht betont hat, dass externes Whistle­blowing nur unter strengen Voraussetzungen zulässig sei. Arbeitnehmern wurde also keine generelle Genehmigung zum externen Whistle­blowing erteilt.547 Daher besteht auch ein gewisser Konflikt mit der Rechtsprechung des BVerfG, das eine Strafanzeige als grundsätzlich zulässig ansieht: Trotz der Bezugnahme hierauf haben EGMR und BAG das vom BVerfG festgehaltene Regel-Ausnahme-Verhältnis im Prinzip umgekehrt.548 Ferner wurde deutlich, dass die vom EGMR herangezogenen Kriterien auch schon in der deutschen Rechtsprechung aufgetaucht waren.549 Zwar fällt bei genauerer Betrachtung der Heinisch-Entscheidung des LAG Berlin auf, dass das Ge 543 S. EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 81; Urt. v. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 75. 544 S. Forst, NJW 2011, 3477 (3480) zur Heinisch-Entscheidung. 545 Vgl. BVerfGE 128, 326 (370); 111, 307 (323 f.). 546 A. A. Brock, öAT 2011, 243 (247). 547 S. Ebert, BB 2011, 1971; zu Strafanzeigen auch Seel, MDR 2012, 9 (12). 548 Brock, öAT 2011, 243 (247) zum BAG. 549 S. auch Wienbracke, in: Bontrup / Korenke / Wienbracke, S.  21 (38 f.).

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richt (nach der bis dato ergangenen Rechtsprechung) die Kündigung als unzulässig hätte ansehen müssen;550 gleichwohl ergibt die Auswertung des obigen Vergleichs, dass sich die deutsche Rechtsprechung den EGMR-Entscheidungen maßgeblich anpassen muss, um in Zukunft Konventionsverletzungen zu vermeiden. Diese Anpassungsnotwendigkeit betrifft drei Ebenen: – Zunächst muss der Fokus, den der EGMR auf bestimmte Kriterien gelegt hat, genauer beachtet werden; dies betrifft insbesondere das Kriterium des öffentlichen Interesses.551 Bei umfassender Berücksichtigung dieses Kriteriums wird deutlich, dass der EGMR im Vergleich zur Judikatur deutscher Gerichte externem Whistle­ blowing weniger enge Grenzen setzt. – Darüber hinaus werden Abwägungen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich durch alle Umstände des Einzelfalles beeinflusst, sodass sich gravierende Unterschiede ergeben können, wenn lediglich einzelne Abwägungskriterien herangezogen werden. Wie bereits festgestellt, hat der EGMR Wertungskriterien herangezogen, die bis dato ebenfalls in der deutschen Judikatur – wenn auch nicht immer im Zusammenhang mit externem Whistle­blowing – berücksichtigt wurden. Allerdings besteht der wesentliche Unterschied darin, dass die vom EGMR genannten Kriterien von den deutschen Gerichten nicht kumulativ, sondern fragmentarisch herangezogen wurden.552 Sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene ist die Herstellung praktischer Konkordanz zumeist eine Wertungsfrage, bei der alle relevanten Umstände des Einzelfalles bedeutsam sind. Abhängig davon, welche Kriterien herangezogen werden, wird das Ergebnis dieser Abwägung nicht selten unterschiedlich ausfallen. Um ein konventionskonformes Ergebnis zu erlangen, sollten die deutschen Gerichte die vom EGMR herangezogenen Kriterien kumulativ berücksichtigen.553 Inwiefern die bereits in der deutschen Judikatur herangezogenen Abwägungskriterien weiterhin berücksichtigt werden sollten, hängt eng mit der Frage zusammen, ob der EGMR die vom Gericht herangezogenen Kriterien als abschließend versteht, was – wie dargelegt554 – nicht klar bejaht oder verneint werden kann und bei neuen Entscheidungen des EGMR zu dieser Thematik besonders untersucht werden sollte. Auch wenn aus völkerrechtlicher Sicht lediglich ein bestimmter Erfolg geschuldet wird und die deutschen Gerichte ihre bisherige Dogmatik nicht grundsätzlich aufgeben müssen, wird das Risiko einer Konventionsverletzung hierdurch minimiert.

550

Ausführlich Deiseroth, AuR 2007, 198 ff.; kritisch Binkert, AuR 2007, 195 (196 f.). Simon / Schilling, BB 2011, 2421 (2428); vgl. auch (mit Kritik am Kriterium) Brors, HFR 2/2012, 1 (12 f.). 552 Forst, NJW 2011, 3477 (3480), der die deutschen Judikate zudem als teilweise widersprüchlich ansieht. 553 So i. E. auch Forst, NJW 2011, 3477 (3480); s. hierzu auch Hochhauser, ZESAR 2012, 278 (281). 554 4. Teil, B. III. 2. c) ee). 551

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

– Ferner hat die unterschiedliche Wertung zwischen dem LAG Berlin und dem EGMR in den Heinisch-Entscheidungen gezeigt, dass die relevanten Tatsachen genau(er) gewertet werden müssen. Resümierend kann damit festgehalten werden, dass die Abweichungen zwischen der Judikatur des EGMR und der deutschen Gerichte Letztere zu einer Rechtsprechungsänderung veranlassen sollte.555 Dies ist durchaus positiv hervorzuheben, da der EGMR mit seiner Rechtsprechung den Schutz für Whistle­blower in Deutschland verbessert hat.556 Die Heinisch-Entscheidung als „Entscheidung in einem Einzelfall“ zu bezeichnen,557 mag sachlich zwar zutreffen, wird der Bedeutung der Heinisch-Entscheidung aber nicht gerecht558. Dass die Judikatur des EGMR auch über die einzelne Entscheidung (s. Art. 46 Abs. 1 EMRK) hinaus beachtet werden muss, ist unstreitig.559 Erste seitdem ergangene gerichtliche Entscheidungen zeigen bereits eine Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des EGMR.560 Jedenfalls sollten auch die Berufungs- und Revisionsinstanzen bei der Überprüfung von Entscheidungen die vom EGMR aufgestellten Maßstäbe gesondert prüfen, um eine Verletzung der EMRK durch die Bundesrepublik Deutschland zu verhindern. bb) Externes Whistle­blowing im öffentlichen Dienst Ebenso wie im privaten Sektor muss auch im öffentlichen Dienst konstatiert werden, dass die Wertungskriterien des EGMR von den deutschen Gerichten lediglich fragmentarisch bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit herangezogen wurden. Dabei waren sie innerhalb der deutschen Gerichtsbarkeit – wie die jeweilige Gegenüberstellung gezeigt hat – nicht grundsätzlich unbekannt, sondern wurden sogar teilweise in der Gesamtabwägung mitberücksichtigt. Die größtenteils fehlende Berücksichtigung in der deutschen Rechtsprechung überrascht dabei auch deshalb, weil viele Aspekte schon vorher in der Rechtsprechung des BVerfG Berücksichtigung gefunden hatten. Dabei ist ein Vergleich mit der Rechtsprechung des EGMR auch deshalb schwierig, weil der EGMR zu der hauptsächlich genannten Ausnahmekonstellation – im 555 Zur Heinisch-Entscheidung auch Abraham, ZRP 2011, 11 f.; a. A. zu den Auswirkungen der Heinisch-Entscheidung Ulber, NZA 2011, 962 (964); s. auch Reufels / Molle, KSzW 2012, 3 (8). 556 Vgl. Perreng, AiB 2011, 639 (641). 557 So die Bundesregierung im Jahre 2011, BT-Drs. 17/7053, S. 2. 558 S. auch Brock, öAT 2011, 243 (244). 559 S. hierzu nur BVerfGE 128, 326 (368 f.). 560 BAG, NJOZ 2013, 1064 (1068); nach Auffassung des LAG Köln, NZA-RR 2012, 298 (300 f.), hat der EGMR „die bereits von den deutschen Gerichten herausgearbeiteten Grundsätze weiter präzisiert“; s. auch Scheurer, ZTR 2013, 291 (294): „weitergehende Präzisierung“; vgl. aber auch Bauschke, öAT 2012, 271 (273), der im Jahre 2012 (rückblickend) festhielt, „dass die Rechtsprechung bislang eine einheitliche Linie nicht gefunden hat und die [Heinisch-]Entscheidung des EGMR nicht umsetzt“.

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Wesentlichen eine schwere Gefahr für den freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat561 – noch keine Stellung genommen hat. Gleichwohl kann unter Beachtung der Rechtsprechung des EGMR davon ausgegangen werden, dass das Gericht sofortiges externes Whistle­blowing in den von den deutschen Gerichten genannten extremen Ausnahmefällen ebenfalls als zulässig erachten würde. Von einem Teil der Literatur wurde aus der Heinisch-Entscheidung der Schluss gezogen, der EGMR vertrete die Ansicht, dass die Anforderungen an die Pflicht zur Verschwiegenheit im öffentlichen Dienst geringer als beim privaten Arbeitgeber seien.562 Dieser Interpretation kann nicht zugestimmt werden, da nach der Rechtsprechung des EGMR gerade im öffentlichen Dienst eine besondere Loyalitäts-, Zurückhaltungs- und Diskretionspflicht besteht.563 Das Recht zum externen Whistle­blowing korreliert mit diesem Ausmaß an Pflicht entsprechend, m. a. W.: Im öffentlichen Dienst herrscht bei externem Whistle­blowing regelmäßig ein strengerer Maßstab. Relativierend ist allerdings zuzugestehen, dass bei Missständen mit staatlichem Bezug regelmäßig ein größeres öffentliches Interesse an einer Enthüllung besteht – ein Kriterium, dem der EGMR große Bedeutung beimisst. Insgesamt kann durchaus konstatiert werden, dass die deutschen Gerichte mit ihren bis dato aufgestellten Kriterien und der EGMR in vielen Fällen zu denselben Ergebnissen kommen werden. Da lediglich im Ergebnis die Beachtung der EMRK gefordert wird, müssen die deutschen Gerichte folglich nicht zwingend in jedem Einzelfall die vom EGMR aufgestellten Kriterien separat berücksichtigen. Um das Risiko einer abweichenden Beurteilung bei der Bewertung einer Whistle­blowingKonstellation auszuschließen, empfiehlt sich im Rahmen einer umfassenden Abwägung allerdings, die vom EGMR genannten Kriterien kumulativ mit aufzunehmen. Zu der Frage, inwiefern die bereits in der deutschen Judikatur herangezogenen Abwägungskriterien weiterhin berücksichtigt werden sollten, sei auf das Ergebnis zum privaten Sektor verwiesen.564 3. Wechselseitige Beeinflussung der Abwägungskriterien Bislang wurde festgestellt, dass sowohl im privaten Sektor als auch im öffent­ lichen Dienst interne Abhilfemöglichkeiten grundsätzlich vorab ausgeschöpft werden müssen, und erst anschließend eine Meldung an Externe zulässig ist. Dieser Grundsatz darf indes nicht isoliert betrachtet werden. Ein Trugschluss wäre, dass sonstige Umstände des Einzelfalles nur dann zu berücksichtigen wären, wenn in 561

Zur Rechtsprechung deutscher Gerichte 4. Teil, B. V. 2. e) aa). Brock, öAT 2011, 243 (246); vgl. zu dieser Fragestellung auch Edwards, Die Recht­ mäßigkeit von Whistle­blowing in der Öffentlichkeit nach der EMRK und nach deutschem Recht, S. 27 f. 563 EGMR, Urt. v. 12.2.2008, Guja v. Moldawien (Nr. 14277/04), Rn. 70; s. auch EGMR, Urt. 21.7.2011, Heinisch v. Deutschland (Nr. 28274/08), Rn. 64. 564 4. Teil, B. IV. 2. b) aa). 562

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

terne Abhilfemöglichkeiten erschöpft wurden: Jede Grundrechtseinschränkung unterliegt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wonach alle relevanten Umstände des Einzelfalles berücksichtigt werden müssen. Diese Berücksichtigungspflicht stellt sicher, dass bei der vorzunehmenden Abwägung keine relevanten Belange ignoriert werden. Dementsprechend ergänzen die Umstände des Einzelfalles den Vorranggrundsatz; aufgrund der Bedeutung des internen Missstandes kann etwa in besonderen Fällen auf die Erschöpfung dienstinterner Abhilfemöglichkeiten verzichtet werden. Andererseits müssen die einzelnen Abwägungskriterien im Lichte der Bedeutung des Vorranggrundsatzes, dem bei externem Whistle­blowing besonderes Gewicht zukommt, betrachtet werden, v. a. dann, wenn bestimmte Stellen speziell zur Entgegennahme von Informationen über interne Missstände etabliert wurden. Die Abwägungskriterien wiederum stehen in einem Ergänzungsverhältnis zueinander. 4. Drei Grundsätze für die Interessenabwägung Wie bereits festgestellt, ist es nicht möglich, eine allumfassende „Whistleblow­ ing-Zulässigkeitsformel“ zu entwerfen, die alle Fallkonstellationen abdeckt und klare Lösungen bietet. Demgegenüber ist es aufgrund der bisher gefundenen Ergebnisse möglich, drei Grundsätze aufzustellen, die für die Interessenabwägung relevant sind. Dass (als zusätzlicher Grundsatz) vorsätzliche bzw. leichtfertige Falschanzeigen unzulässig sind565 (und in diesen Fällen begrifflich bereits kein „Whistle­blowing“ vorliegt), bedarf keiner weiteren Ausführungen. a) Das Verhältnis der verschiedenen Rechtsgüter zueinander (Grundsatz 1) – Grundsatz 1: Je höherrangiger das bedrohte Rechtsgut und je größer die Gefahr für dieses ist, desto geringeres Gewicht kommt den anderen Abwägungsaspekten zu. Dieser Grundsatz spezifiziert das obige Verhältnis der Abwägungskriterien zueinander, die allgemein in einem Ergänzungsverhältnis zueinanderstehen. Bedeutsam ist sowohl die Art des Rechtsguts als auch die Schwere der drohenden Gefahr. Je bedeutsamer das bedrohte Rechtsgut ist, desto geringere Anforderungen sind an die Gefahr für dieses zu stellen und umgekehrt.

565

Vgl. nur die Einschränkung in der Entscheidung BVerfG, NJW 2001, 3474 (3475 f.).

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b) Effektivität und Minimierung negativer Folgen (Grundsatz 2) – Grundsatz 2: Ein Whistle­blower hat eine Enthüllungsmethode zu wählen, die am effektivsten den Missstand beseitigen bzw. aufklären kann, aber gleichzeitig möglichst wenig negative Folgen hervorruft. Es muss genau untersucht werden, welche externen Möglichkeiten für einen Whistle­blower bestehen, den Missstand aufzuklären bzw. zu beseitigen. Die effek­tive Aufklärung bzw. Beseitigung eines Missstandes ist letztlich das Ziel von Whistle­blowing. Gleichwohl müssen die Interessen von anderen Personen berücksichtigt werden. Dies wirkt sich entscheidend auf die Reihenfolge externer Adressaten aus. Der Grundsatz der Subsidiarität, der beim Verhältnis zwischen internem und externem Whistle­blowing eine bedeutende Rolle spielt, erlangt insofern als wichtiges Rechtsprinzip auch hier entscheidende Bedeutung. Einleitend sei darauf verwiesen, dass es grundsätzlich nicht erforderlich ist, dass der Whistle­blower neben den dienstinternen Klärungsmöglichkeiten zusätzlich eine rechtliche (private) Beratung aufsucht, da andernfalls seine grund- bzw. menschenrechtliche Position unangemessen eingeschränkt werden würde. Etwas anderes kann aber dann geboten sein, wenn aus Sicht eines rational handelnden Insiders Zweifel bzgl. der rechtlichen Schlussfolgerungen bestehen.566 aa) Vorrang zuständiger externer staatlicher Stellen vor privaten Adressaten Gerade der Aspekt der geforderten Minimierung negativer Folgen hat extreme Auswirkungen auf die Zulässigkeit externen Whistle­blowings, da er sich auf die Reihenfolge der denkbaren Beschwerdeadressaten auswirkt. So ist die Informierung zuständiger externer staatlicher Stellen, die einem Geheimhaltungsgebot (s.  etwa § 67 Abs. 1  BBG, § 353b  StGB) und Sachlichkeitsgebot567 unterliegen, für den Betroffenen günstiger als die Informierung von privaten Adressaten (etwa der Presse). Da die potentiellen negativen Folgen durch die Informierung ersterer Beschwerdeadressaten reduziert werden können, genießen solche Stellen grundsätzlich Vorrang vor sonstigen Beschwerdeadressaten.568 Welche Stellen dabei als Beschwerdeadressaten in Betracht kommen, hängt von der jeweiligen Konstellation ab; bei Gefahren für die Gesundheit kommt etwa eine Meldung an das zuständige Gesundheitsamt in Betracht. Insgesamt ist auch die Möglichkeit, eine Petition an die Volksvertretung einzureichen (Art. 17 GG), in Betracht zu ziehen. Die 566 Vgl. zu Arbeitnehmern LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 24.10.2007, 7 Sa 451/07, Rn. 70; kritisch Strack, Stellungnahme als Gutachter, S. 22. 567 Stein, BB 2004, 1961 (1964). 568 Vgl. zum Schutz bei einer Meldung an eine unzuständige Behörde Graser, Whistle­ blowing, S. 215 f.

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

Einschaltung dieser externen zuständigen Stellen bewirkt, dass möglicherweise verbleibende Zweifel an der vom Missstand ausgehenden Gefahr zuverlässiger eingeschätzt werden können; m. a. W.: Mit einer zunehmenden Anzahl an Kontrollinstanzen steigt die Wahrscheinlichkeit einer umfassenden sachlich zutreffenden Aufklärung sowohl auf tatsächlicher als auch auf rechtlicher Seite. Whistle­blower müssen insofern auch bedenken, dass die Folgen des Weges in die Öffentlichkeit weder übersehbar noch beherrschbar sind.569 Anders als zuständige staatliche Stellen sind Medien nicht primär dem Allgemeinwohl verpflichtet, sondern unterliegen wirtschaftlichem Konkurrenzdruck, was die Gefahr einer Priorisierung skandalträchtiger Meldungen birgt.570 Soweit sich die vom Whistle­blower enthüllten Informationen als falsch herausstellen, kann es trotzdem vorkommen, dass dem betroffenen Unternehmen bzw. Arbeitgeber ein dauerhaft negativer Ruf anhaftet.571 (Potentielle) Kunden werden möglicherweise abgeschreckt, da „schon etwas dran sein könnte“. Diese Folge kann verhindert werden, indem der Whistle­ blower den diskreteren Weg wählt. Darüber hinaus sind die staatlich eingerichteten Stellen nicht selten zur Sachverhaltsaufklärung verpflichtet (s. etwa § 152 Abs. 2 StPO), sodass hierdurch die Aufklärung bzw. Behebung des Missstandes effektiver gefördert werden kann. Schwierigkeiten bereitet dieses Vorrangverhältnis dann, wenn ein berechtigter Hinweis an die Behörden keinen Erfolg gebracht hat. Über die genaue Tätigkeit der zuständigen Behörden wird der Anzeigeerstatter regelmäßig nicht informiert.572 Gerade bei anonymen Anzeigen kann eine Rückmeldung über den Stand bzw. den Abschluss der Ermittlungen auch gar nicht erfolgen. In solchen Fällen ist es angemessen, vom Whistle­blower eine gewisse Wartezeit zu verlangen, um den Behörden Zeit für Recherchen zu geben. Dieser hiermit verbundene Zeitraum wird v. a. durch die Art des bedrohten Rechtsguts und die Dringlichkeit der Enthüllung bestimmt. Erst wenn diese Wartezeit abgelaufen ist, darf er berechtigterweise annehmen, dass seine Behördenanzeige keinen Erfolg gebracht hat, und weitere Schritte einleiten. bb) Vorrangverhältnis zwischen mehreren zuständigen externen staatlichen Stellen? Ferner stellt sich die Frage, ob zwischen mehreren in Betracht kommenden zuständigen externen staatlichen Stellen ein Vorrangverhältnis besteht. Der Wortlaut von Art. 17 GG ist insofern unergiebig. Allerdings lässt sich z. B. durchaus konstatieren, dass eine Meldung an die zuständige Aufsichtsbehörde bzw. ein Einschreiten

569

Vgl. zum öffentlichen Dienst BVerfGE 28, 191 (204 f.). Graser, Whistle­blowing, S.  236  f. 571 Brock, öAT 2011, 243 (246). 572 Leuchten, ZRP 2012, 142 (144). 570

B. Recht zum externen Whistle­blowing

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derselben milder ist als ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren.573 Gleichwohl wird es für einen Whistle­blower nicht immer einfach zu erkennen sein, welche staatliche Stelle zuständig ist. Wie er genau erkennen soll, welche Meldung die mildesten Auswirkungen hat, wenn mehrere Stellen in Betracht kommen (z. B. die Volksvertretung, die Staatsanwaltschaft und die Gesundheitsbehörde), ist unklar. Welche (möglicherweise rufschädigenden) Untersuchungsmaßnahmen nach seiner Meldung eingeleitet werden, ist für ihn schwerlich vorhersehbar. Ein mögliches Vorrangverhältnis sollte also nicht die potentielle Rufschädigung, sondern primär die effektivste Möglichkeit zur Aufklärung bzw. Beseitigung des Missstandes berücksichtigen. Inwiefern eine zuständige externe staatliche Stelle effektiver als andere Stellen eingreifen kann, hängt von den jeweiligen Umständen ab. Allgemein bedarf die Statuierung eines solchen Vorrangverhältnisses stets einer besonderen Begründung, da andernfalls die Grundrechtseinschränkung zu Lasten des Whistle­ blowers unangemessen wäre. cc) Zur Informierung der „breiten Öffentlichkeit“ Innerhalb der „breiten Öffentlichkeit“ kann generell zwischen mehreren Adressaten unterschieden werden: So ist es denkbar, dass sich der Whistle­blower an die Presse wendet, damit diese die Information an einen unbestimmten Personenkreis übermittelt; denkbar ist ferner, dass sich der Whistle­blower selbst bspw. über das Internet (v. a. soziale Medien) an einen unbestimmten Personenkreis wendet, um die Information zu verbreiten. Im Internet wiederum kann unterschieden werden, ob der Whistle­blower Informationen über Plattformen verbreitet, bei denen die Wahrscheinlichkeit regelmäßig höher ist, dass ein größerer Personenkreis erreicht wird (z. B. Facebook, Twitter), oder über Plattformen, bei denen dies nicht der Fall ist (z. B. die eigene Homepage). (1) Kein Vorrangverhältnis zwischen mehreren Adressaten innerhalb der breiten Öffentlichkeit Generell besteht kein verfassungsrechtliches Vorrangverhältnis zwischen mehreren potentiellen Adressaten innerhalb der breiten Öffentlichkeit, die Abhilfe schaffen können, z. B. zwischen der Presse und einer Gewerkschaft. Es wäre unangemessen, vom Whistle­blower zu verlangen, zunächst herauszufinden, welche Stellen für eine Meldung in Betracht kommen, und gegebenenfalls ein Vorrangverhältnis zwischen diesen Stellen analysieren zu müssen.

573

Krolop, NJ 2012, 305 (306).

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

(2) Kein Vorrangverhältnis zwischen privaten Adressaten und der breiten Öffentlichkeit Aus dem unter (1) genannten Grund ist ein Whistle­blower auch nicht verpflichtet, bestimmte private Adressaten über den Missstand zu informieren, damit diese über den Missstand berichten, anstatt selbst direkt die breite Öffentlichkeit (v. a. über das Internet) zu informieren. Unter Berücksichtigung der vielen denkbaren Adressaten im privaten Bereich und der Möglichkeit, dass diese an einer Verbreitung der Information nicht interessiert sind bzw. diese zunächst auswerten müssen, wäre es unangemessen, vom Whistle­blower zu verlangen, diese Möglichkeiten zuerst zu erschöpfen. (3) Kein Vorrangverhältnis zwischen mehreren „Informationsplattformen“ Für Whistle­blower besteht im Internetzeitalter die Möglichkeit, Informationen über Missstände auf verschiedenen Wegen zu verbreiten und damit zugleich zumindest teilweise zu beeinflussen, ob eine größere Personengruppe auf diese Informationen aufmerksam wird. So wird – wie oben bereits festgestellt – in der Regel eine Veröffentlichung auf einer privaten Homepage weniger Aufmerksamkeit erringen als eine Meldung bei Facebook oder Twitter. Auch dies hängt aber von den Umständen des Einzelfalles ab, da auch über bekanntere Plattformen eine schnelle Verbreitung von Informationen nicht garantiert ist. Ein Vorrangverhältnis zwischen mehreren Informationsplattformen besteht nicht; insofern greift die Argumentation zu (1). Allerdings ist in der verfassungsrechtlichen Abwägung mit zu beachten, inwiefern externes Whistle­blowing auch zur Bekämpfung des Missstandes beiträgt. Eine Meldung auf der eigenen Homepage wird dabei regelmäßig weniger Potential zur Bekämpfung des Missstandes haben als bei anderen größeren Internetplattformen. (4) Zur Schutzbereichsverstärkung durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG bei Informierung der Presse Aus praktischer Sicht kommt der Informationsweitergabe an die Presse eine besondere Bedeutung zu. Unter Zugrundelegung des unter (2) genannten Grundsatzes besteht für einen Whistle­blower keine Pflicht, zunächst die Presse über den Missstand zu informieren, bevor er sich selbst (v. a. über das Internet) an die breite Öffentlichkeit wenden darf. Auch wenn sich nach hier vertretener Auffassung ein Whistle­blower als Informant nicht auf die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) berufen kann,574 stellt sich gleichwohl die Frage, ob die Zulässigkeit externen Whistle­ 574

Hierzu 2.  Teil, A. II. 1.

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blowings – konkret die verfassungsrechtliche Abwägung – für den Whistle­blower dadurch positiv beeinflusst wird, dass er sich an die Presse wendet. Aus grundrechtsdogmatischer Sicht ist hiermit die Figur der sog. Schutzbereichs­ verstärkung verbunden, wonach solche Grundrechte, deren Schutzbereiche für denjenigen, der sich auf diese Grundrechte beruft, nicht eröffnet sind, mitunter im Rahmen der Prüfung eines anderen Grundrechts Berücksichtigung finden können,575 wobei anzumerken ist, dass in diesem Bereich (dogmatisch) noch vieles unklar ist.576 Dass andere Grundrechte nicht immer unberücksichtigt bleiben sollten, ergibt sich aus der Einheit der Verfassung: Wenn das Grundgesetz bestimmten Adressaten externen Whistle­blowings eine besondere Stellung einräumt, kann sich dieser Umstand – als Wertentscheidung – auch auf andere Grundrechte und ihre Bedeutung im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Abwägung auswirken. Dabei kommt gerade der Presse eine besondere Bedeutung im demokratischen Staat zu: „Die Freiheit der Medien ist konstituierend für die freiheitliche demokratische Grundordnung […]. Eine freie Presse und ein freier Rundfunk sind daher von besonderer Bedeutung für den freiheitlichen Staat […].“577

Hiermit verbunden sind Hinweise von Whistle­blowern wiederum unerlässlich, damit die Presse über bestehende interne Missstände berichten kann: „Die Gewährleistungsbereiche der Presse- und Rundfunkfreiheit schließen diejenigen Voraussetzungen und Hilfstätigkeiten mit ein, ohne welche die Medien ihre Funktion nicht in angemessener Weise erfüllen können. Geschützt sind namentlich die Geheimhaltung der Informationsquellen und das Vertrauensverhältnis zwischen Presse beziehungsweise Rundfunk und den Informanten […]. Dieser Schutz ist unentbehrlich, weil die Presse auf private Mitteilungen nicht verzichten kann, diese Informationsquelle aber nur dann ergiebig fließt, wenn sich der Informant grundsätzlich auf die Wahrung des Redaktionsgeheimnisses verlassen kann […].“578

Die Unverzichtbarkeit privater Mitteilungen für die Presse ist in einer verfassungs­ rechtlichen Abwägung auch bei anderen Grundrechten zu beachten. Die demokratische Komponente (Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 GG), die bei einer Informationsverbreitung über die Presse eine besondere Rolle spielt, besteht allerdings auch bei der Meinungsfreiheit. Das hiermit verbundene öffentliche Interesse an der Information ist im Rahmen der grundrechtlichen Abwägung sowohl bei der Meinungs- als auch bei der Pressefreiheit zu berücksichtigen. Gewichtungsunterschiede werden bei der Frage, ob die Informationsweitergabe zulässig ist / war, kaum festzustellen sein. Für die Presse besteht auch dann die Möglichkeit, über den Missstand zu berichten, wenn der Whistle­blower die entsprechende Information selbst bspw. über das Internet einem unbestimmten Personenkreis zugänglich gemacht hat. Dies gilt entsprechend für eine Informationsweitergabe an den Rundfunk (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG). 575

Hierzu etwa Beyerbach, Die geheime Unternehmensinformation, S. 246. Hierzu etwa Breckwoldt, Grundrechtskombinationen, S. 4. 577 BVerfGE 117, 244 (258). 578 BVerfGE 117, 244 (259). 576

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

Dass das Pressewesen normativ dicht ausgestaltet ist (bspw. durch die Pressegesetze und den Pressekodex) und damit auch seitens der Presse regelmäßig eine gründlichere Prüfung einhergeht, ob eine Informationsveröffentlichung zulässig ist, rechtfertigt keine andere Wertung. Sowohl Whistle­blower als auch die Presse müssen Gesetze beachten, in denen Rechtsgüter und Interessen, die mit der Enthüllung kollidieren, Berücksichtigung finden, wobei diese Rechtsgüter und Interessen – wie bereits festgestellt – vom Schutzbereich verschiedener Grundrechte umfasst sein können. Die normative Ausgestaltung wird zwar regelmäßig dazu führen, dass seitens der Presse genauer geprüft wird, welche Informationsveröffentlichungen zulässig sind, allerdings besteht für Whistle­blower ebenfalls die Möglichkeit, sich rechtlichen Rat einzuholen. c) Selbstschutz des Whistle­blowers (Grundsatz 3) – Grundsatz 3: Vom Whistle­blower darf kein Verhalten verlangt werden, das geeignet ist, ihn selbst ernsthaft zu schädigen. Die Grenze der Rücksichtnahmepflicht des Whistle­blowers liegt jedenfalls dort, wo er eine ernsthafte Selbstschädigung jedweder Art hinzunehmen hat. Ernsthaft ist dabei jede Schädigung, die größere Auswirkungen negativer Art auf das Leben des Whistle­blowers hat, sei es rechtlicher (v. a. straf-, disziplinar- und arbeitsrechtlicher) oder gesellschaftlicher Natur. Dies ist insbesondere aus strafrechtlicher Perspektive bedeutsam: Wenn sich eine Person durch die Nichtanzeige eines Missstandes strafbar macht, würde sie sich selbst für ihre Zukunft schwer schädigen. Dieser Grundsatz ist nicht auf § 138 StGB begrenzt.579 Dem Argument, dass eine strafrechtliche, d. h. eine einfachrechtliche Norm damit Einfluss auf einen verfassungsrechtlichen Abwägungsprozess nimmt, kann entgegengehalten werden, dass die Konsequenzen für den Whistle­blower bei einer Nichtanzeige generell nicht unberücksichtigt bleiben können und das Begehen einer Straftat von niemanden gefordert werden kann. Das legitime Interesse des Whistle­blowers, sich nicht selbst strafbar zu machen, überwiegt daher stets gegenüber den entgegenstehenden Interessen.580 Darüber hinaus liegt eine ernsthafte Schädigung auch dann vor, wenn der Insider an einer Selbstanzeige zum Zwecke einer möglichen Strafmilderung gehindert wird.581 Im privaten Sektor kommt hinzu, dass die Berufsfreiheit des Arbeitnehmers (Art.  12 Abs. 1  GG) ebenfalls stets beachtet werden muss. Droht dem Whistle­ blower (etwa als Mitwisser) eine Verwicklung in ein (Straf-)Verfahren, kann dies 579

Vgl. zu § 138  StGB auch Harte-Bavendamm, in: ders. / Henning-Bodewig, § 17  UWG Rn. 6. 580 Vgl. auch BAGE 107, 36 (46); Ulber / Wolf, LAGE § 626 BGB 2002 Nr. 7b; Vossen, in: Ascheid / Preis / Schmidt, § 626 BGB Rn.  191; Berkowsky, NZA-RR 2001, 1 (16). 581 Vgl. auch Herbert / Oberrath, NZA 2005, 193 (198); Klasen / Schaefer, BB 2012, 641 (644).

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seine berufliche Tätigkeit gefährden.582 Der Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 S. 1  GG umfasst auch das Interesse des Arbeitnehmers, seinen Arbeitsplatz zu behalten, wobei der Begriff „Arbeitsplatz“ „i. S. einer konkreten Betätigungs­ möglichkeit oder eines bestimmten Arbeitsverhältnisses“ zu verstehen ist.583 Diese von Art. 12 Abs. 1 GG ausgehenden Auswirkungen müssen in der verfassungsrechtlichen Abwägung berücksichtigt werden. d) Gegenseitige Beeinflussung der drei Grundsätze Abschließend ist darauf zu verweisen, dass diese drei Grundsätze nicht in einem Konkurrenz-, sondern einem Ergänzungsverhältnis zueinanderstehen und somit eine rechtsgutsorientierte Auslegung sichern, die sowohl die Grundrechte des Whistle­blowers als auch die schutzwürdigen Interessen von anderen Personen hinreichend beachtet. Die anderen Wertungskriterien, die stets zu berücksichtigen sind, müssen dabei ergänzend herangezogen werden.

V. Differenzierung nach Fallkonstellationen Bislang wurde festgestellt, dass internes Whistle­blowing grundsätzlich Vorrang vor externem Whistle­blowing genießt und dem hiermit verbundenen Subsidiaritäts­ grundsatz gewichtige Bedeutung zukommt. Neben diesem Vorrangverhältnis sind sämtliche relevanten Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, von denen die beim externen Whistle­blowing praktisch besonders bedeutsamen bereits herausgearbeitet wurden. Ferner konnten drei Grundsätze zum externen Whistle­blowing statuiert werden. Diese allgemeinen Erwägungen sollen im Folgenden unter Heran­ ziehung der bereits erörterten Konstellationsdifferenzierung (K1-K6)584 konkretisiert werden. 1. Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing an zuständige externe staatliche Stellen a) Vor Erschöpfung interner Abhilfemöglichkeiten Die Erschöpfung interner Abhilfemöglichkeiten genießt sowohl im privaten Sektor als auch im öffentlichen Dienst grundsätzlich Vorrang vor externem Whistle­blowing.585 Verzichtet ein Whistle­blower hierauf, bedarf es eines beson 582

Zu Arbeitnehmern Otto, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 45. BAG, NZA 1992, 883 (884). 584 4. Teil, A. III. 585 Hierzu ausführlich 4.  Teil, B. IV. 1. a). 583

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

deren (rechtfertigenden) Grundes; mögliche Gründe werden im Folgenden (nicht abschließend) erörtert. aa) Gesetzlich vorgesehene Zulässigkeit Der Gesetzgeber kann die Zulässigkeit externen Whistle­blowings auch ohne Erschöpfung interner Abhilfemaßnahmen gesetzlich vorsehen, muss aber in diesen Normen die entgegenstehenden Belange hinreichend berücksichtigen.586 Die vereinzelt hierzu erlassenen Normen (etwa § 67 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BBG, § 8 PKGrG) werfen insofern keine verfassungsrechtlichen Bedenken auf. bb) Mangelnde Erfolgsaussichten interner Abhilfebemühungen Der Vorranggrundsatz steht unter dem Vorbehalt, dass interne Meldungen überhaupt Erfolg versprechen.587 Soweit vorab bereits feststeht, dass dies nicht der Fall ist, wäre eine gleichwohl auferlegte Pflicht eine bloße Förmelei, die die Grundrechte des Whistle­blowers unangemessen einschränkt. Dass sich der vom externen Whistle­blowing Betroffene nicht auf folgende Untersuchungen einstellen kann, wiegt dabei nicht schwer. Klärungsbedürftig ist zunächst, ob die subjektive Sicht des Insiders oder eine objektive Betrachtung für die Beurteilung der internen Erfolgsaussichten maßgeblich sein sollte. Subjektive Vorstellungen bereiten stets Überprüfbarkeitsprobleme, was für eine objektive Sicht spricht. Gleichwohl ist es gerade der Insider, der vor Ort mit dem Missstand konfrontiert wird und eine schwerwiegende Entscheidung treffen muss. Es wäre unangemessen, ihn mit einer Sanktion zu belegen, obwohl er aus seiner Sicht nicht auf Abhilfe vertrauen konnte. Ausschließlich auf seine Sicht abzustellen, wird aber wiederum dem berechtigten Interesse des vom Whistle­ blowing Betroffenen an vorheriger interner Aufklärung nicht gerecht. Vor diesem Hintergrund ist zwar die subjektive Sicht des Insiders maßgeblich, allerdings muss sich diese auf konkrete objektive Anhaltspunkte stützen.588 Aufgrund der hohen Bedeutung des Vorranggrundsatzes kann von mangelnden Erfolgsaussichten allerdings nur unter sehr engen Voraussetzungen ausgegangen werden, die kumulativ vorliegen müssen: 586

Vgl. auch Herbert / Oberrath, NZA 2005, 193 (198). Vgl. BAGE 107, 36 (46); Ebert, ReWir 7/2011, 1 (4). Nach Preis / Reinfeld, AuR 1989, 361 (372), bringt ein Beschäftigter, der innerbetriebliche Missstände bei der zuständigen Behörde anzeigt, ohne vorab den Arbeitgeber und andere betriebliche Stellen zu unterrichten, konkludent die seines Erachtens bestehende Erfolglosigkeit dieses Vorgehens zum Ausdruck. Denkbar ist indes, dass sich Beschäftigte sofort an Externe wenden, um den Arbeitgeber zu schädigen. 588 Vgl. hierzu auch Otto, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 45, der auf „die verständliche Sicht eines Arbeitnehmers“ abstellt. 587

B. Recht zum externen Whistle­blowing

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Erstens muss die Existenz des internen Missstandes mit entsprechender Sicherheit feststehen, worüber sich ein Insider mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln vergewissern muss; es dürfen keine vernünftigen Zweifel mehr am Bestehen des Missstandes bestehen. Hierdurch wird sichergestellt, dass mögliche fehlerhafte Wahrnehmungen oder Wertungen auf ein Minimum reduziert werden. Das Maß an zulässigen Zweifeln korreliert dabei mit dem bedrohten Rechtsgut bzw. der Schwere der Gefahr für dieses.589 Zweitens muss zweifelsfrei feststehen, dass die Ausschöpfung interner Mittel keinen Erfolg verspricht. Dieser Aspekt ist eng mit der Frage verknüpft, wer intern für den Missstand verantwortlich ist bzw. ihn verursacht hat. Gerade in Unter­ nehmen bzw. Verwaltungsstellen mit vielen Mitarbeitern und einer ausgeprägten Hierarchie ist eine Differenzierung zwingend angebracht: Ist ein Kollege des In­ siders für den Missstand verantwortlich, wird eine interne Aufklärung wahrscheinlich erfolgreich sein. Schwieriger gestaltet es sich hingegen dann, wenn die höhere Hie­rarchieebene – nicht unbedingt der direkte Vorgesetzte des Whistle­blowers – involviert ist. Dann kann die Aufklärung des Missstandes sogar insgesamt gefährdet werden, wenn der Insider unter Druck gesetzt wird oder Beweise vernichtet werden.590 In solchen Fällen wird eine interne Aufklärung regelmäßig keinen Erfolg haben. Hierbei gilt: Je effektiver die zur Verfügung stehenden internen Durchsetzungsmechanismen sind, desto größeres Gewicht kommt dem grundsätzlichen Erfordernis vorheriger interner Abhilfe zu. Ein mangelnder interner Aufklärungserfolg darf dann bejaht werden, wenn der Missstand dem Arbeitgeber / Dienstherrn bekannt oder grob fahrlässig unbekannt ist, da dieser insofern kein Vertrauen mehr auf eine vorherige interne Meldung haben darf.591 Dies muss für den Insider feststehen.592 Anhaltspunkte hierfür bilden etwa entsprechende Aussagen des Arbeitgebers / Dienstherrn, glaubhafte Aussagen von Kollegen, aber auch die Informierung des Arbeitgebers / Dienstherrn seitens anderer Personen und ein erkennbares Untätigbleiben desselben. Ferner ist zu berücksichtigen, ob der Insider vom Arbeitgeber / Dienstherrn vorab zu einer Beteiligung an einer Straftat aufgefordert wurde.593 Eine gefestigte rechtswidrige interne Praxis594 ist aber nur in Ausnahmefällen denkbar, da eine Korrektur der bisherigen Praxis (etwa bei einem Personalwechsel) grundsätzlich immer möglich ist. Zudem muss sich die Erfolglosigkeit interner Bemühungen auf alle internen Abhilfeebenen beziehen, wobei die interne Hierarchiestruktur beachtet werden muss. Dies wird vom Insider regelmäßig nicht im Einzelnen durchschaubar sein. 589

S. hierzu Grundsatz 1 (4. Teil, B. IV. 4. a)). Vgl. auch Leuchten, ZRP 2012, 142 (144); Gänßle, KJ 2007, 265 (273). 591 Vgl. zum Arbeitgeber Preis / Reinfeld, AuR 1989, 361 (370); differenzierend Müller, NZA 2002, 424 (436). 592 S. allerdings auch Gänßle, KJ 2007, 265 (272), nach dem der Whistle­blower die entsprechende Kenntnis des Arbeitgebers nicht beurteilen kann. 593 Vgl. zu Arbeitnehmern Henssler, in: Säcker / Rixecker / Oetker / Limperg, § 626 Rn.  167; Vossen, in: Ascheid / Preis / Schmidt, § 626 BGB Rn.  191. 594 Vgl. zum öffentlichen Dienst auch BVerfGE 28, 191 (204). 590

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

Hieraus folgt, dass regelmäßig von den Erfolgsaussichten interner Abhilfe­ bemühungen ausgegangen werden muss. Aus zeitlichen Aspekten kann sich aber etwas anderes ergeben, wenn andernfalls eine Schädigung von hochrangigen Rechts­gütern droht. Das Interesse an der Verhinderung der andernfalls eintretenden Schädigung muss das (hochrangige) Interesse an der vorherigen internen Klärung deutlich überwiegen. Dabei ist stets zu bedenken, dass die vorherige Erschöpfung interner Abhilfemöglichkeiten generell Zeit in Anspruch nehmen wird. Zudem muss stets begründet werden, weshalb zuständige externe staatliche Stellen schneller und effektiver agieren würden als interne Stellen. Gerade im öffentlichen Dienst ist zu beachten, dass eine strikte Einhaltung des Dienstweges aber auch dann nicht erforderlich ist, wenn Vorgesetzte eine Entscheidung in der Sache verzögern, weil dann die Gefahr droht, dass die politische Aufarbeitung der gemeldeten Missstände durch eine verspätete Informierung des Parlaments bzw. der Öffentlichkeit scheitert.595 cc) In der Vergangenheit liegende Missstände Nicht selten liegt ein Gesetzesverstoß ausschließlich in der Vergangenheit und hat keine unmittelbaren gegenwärtigen Auswirkungen mehr. Ob ein Vorrang inter­ nen Whistle­blowing in diesem Fall überhaupt noch Sinn macht,596 da keine unternehmensinterne Abhilfe, sondern lediglich Aufklärung erreicht werden kann, bedarf besonderer Prüfung. Der Sinn des Vorrangverhältnisses liegt u. a. darin, mögliche Missverständnisse über die Existenz des internen Missstandes – sowohl tatsächlich als auch rechtlich – auszuräumen, um den Ruf des vom externen Whistle­blowing Betroffenen nicht zu schädigen. Diese Rufschädigung droht selbst bei in der Vergangenheit liegenden Missständen. Hieraus folgt, dass Zweifel zumindest auf ein Minimum reduziert sein müssen, d. h. dem Insider also in hinreichendem Maße Informa­ tionen zur Verfügung stehen, um vernünftige Zweifel an diesem Missstand auszuschließen. Insofern ist zu beachten, dass das Unternehmen / die Verwaltungsbehörde durch eine eigene interne Aufklärung öffentlichkeitswirksam demonstrieren kann, dass entsprechende Missstände nicht toleriert werden und auch an der Aufklärung vergangener Missstände Interesse besteht. Bei einer direkten Anzeige würde dem Unternehmen / der Verwaltungsbehörde diese Möglichkeit genommen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass auch die Anzeige von in der Vergangenheit liegenden Missständen zu einer Störung des Betriebs- bzw. Verwaltungsfriedens führen kann; dies muss mit dem öffentlichen Interesse an einer Aufklärung durch die staatlich hierfür vorgesehenen Behörden bzw. dem öffentlichen Informationsinteresse abgewogen werden. 595

Beer, DDB 1985, 99 (103). Vgl. i. E. ablehnend etwa LAG Düsseldorf, DB 2002, 1612; vgl. auch Preis / Reinfeld, AuR 1989, 361 (373).

596

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dd) Straftaten gegen den Whistle­blower Wenn eine Straftat gegen den Whistle­blower gerichtet ist, kann er an einer Anzeige durch seine Rücksichtnahmepflicht nicht gehindert werden.597 In dieser Konstellation kommt das vom BVerfG genannte Argument, dass es dem Bürger rechtsstaatlich verwehrt sei, „sein wirkliches oder vermeintliches Recht sowohl gegenüber staatlichen Organen als auch gegenüber dem Mitbürger mit Gewalt durchzusetzen“,598 besonders zum Tragen. (1) Im privaten Sektor Wer die Straftat begangen hat, ist insofern irrelevant: Hat der Arbeitgeber sie begangen und hat hiervon auch Kenntnis, überwiegt das Interesse des betroffenen Arbeitnehmers. Hat ein sonstiger Mitarbeiter die Straftat begangen, ist zu beachten, dass die vertragliche Rücksichtnahmepflicht lediglich gegenüber dem Arbeitgeber selbst, nicht aber den anderen Mitarbeitern gegenüber besteht. Sofern man mit der Pflicht zur Wahrung des Betriebsfriedens argumentiert, kann sich diese Pflicht in dieser Fallkonstellation nicht gegenüber dem Recht zu einer Anzeige zur Wahrung eigener Interessen durchsetzen. (2) Im öffentlichen Dienst Es wäre unangemessen, den Beamten auf den Dienstweg zu verweisen, wenn er selbst Opfer einer Straftat geworden ist. Wie oben dargestellt, soll Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG dem Grundrechtsträger gerade das Recht gewährleisten, sein Recht durchzusetzen. Das Interesse des Staates an vorheriger dienstinterner Klärung bleibt (trotz Verwurzelung in Art. 33 Abs. 5 GG) dahinter zurück. § 125 Abs. 1 S. 2 BBG ist also entsprechend verfassungskonform auszulegen. Dies gilt entsprechend für Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst (über § 241 Abs. 2 BGB). ee) Straftaten gegen den Arbeitgeber / Dienstherrn Möchte der Insider einen Mitarbeiter anzeigen, der eine Straftat gegen den Arbeitgeber / Dienstherrn begangen hat, ist zu beachten, dass der Arbeitgeber / Dienstherr selbst betroffen ist; es obliegt also primär dem Arbeitgeber / Dienstherrn, inwiefern 597

Zu Arbeitnehmern Becker, in: Däubler / Hjort / Schubert / Wolmerath, Art.  5 GG Rn.  12; vgl. aber BAG, NJW 2017, 1833 (1834): „Eine unverhältnismäßige, die vertragliche Nebenpflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 II BGB verletzende Reaktion kann auch dann vorliegen, wenn der Arbeitnehmer einen Strafantrag stellt, weil er sich selbst als durch eine Straftat verletzt fühlt.“ 598 BVerfGE 74, 257 (261 f.) (keine Hervorhebung im Original).

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

er zum Schutz seiner Rechtsgüter eingreifen möchte. Möglicherweise entscheidet er sich bewusst gegen eine Anzeige. In einem solchen Fall muss der Insider – auch unter Berücksichtigung der präventiven und repressiven Strafzwecke599  – diese Entscheidung respektieren. Etwas anderes kann sich nur dann ergeben, wenn ein besonderes öffentliches Interesse an der Aufklärung besteht bzw. der von der Straftat Betroffene unfreiwillig auf sein Anzeigerecht verzichtet, etwa weil er unter Druck gesetzt wird. ff) Meldung schwerer Gesetzesverstöße (1) Im privaten Sektor Innerbetriebliche Abhilfe ist in der Regel auch dann nicht erforderlich, wenn es sich um eine schwerwiegende Straftat handelt.600 Insofern überwiegt das rechtsstaatliche Interesse an einer Aufklärung durch die hierfür vorgesehenen staatlichen Stellen. Dies gilt auch dann, wenn es sich um einen schwerwiegenden Gesetzesverstoß im Allgemeinen handelt. Insofern muss das Gesetz, gegen das verstoßen wurde, ein hochrangiges Rechtsgut der Allgemeinheit oder des Einzelnen schützen. Die „Schwere“ des Gesetzesverstoßes wird durch die Verletzung (respektive Bedrohung) hochrangiger Rechtsgüter indiziert. (2) Im öffentlichen Dienst Auch im öffentlichen Dienst ist ein Vorrang innerdienstlicher Abhilfemöglich­ keiten bei schweren Straftaten bzw. Gesetzesverstößen regelmäßig abzulehnen. Das rechtsstaatliche Interesse an einer Aufklärung durch die hierfür vorgesehenen staatlichen Stellen überwiegt den (grundsätzlichen) Vorrang der Dienstweg­erschöpfung. § 125 BBG bzw. § 241 Abs. 2 BGB ist insofern im Lichte dieser rechtsstaatlichen Wertung auszulegen. gg) Besondere Position des Insiders (1) Im privaten Sektor Schließlich kann sich auch aus der besonderen Position des Arbeitnehmers ein sofortiges Recht zur externen Anzeige ergeben:

599 600

Zu den Strafzwecken nur Kempfer, in: Dölling / Duttge / König / Rössner, § 46 StGB Rn.  2. BAGE 107, 36 (46); Preis, in: Staudinger, § 626 Rn. 132.

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„Ein Arbeitnehmer, dem die Verantwortung für die Sicherheit von betrieblichen Einrichtungen übertragen ist, hat das Recht, Bedenken gegen den sicheren Zustand solcher Einrichtungen bei allen zuständigen Stellen in der gehörigen Form zu erheben.“601

Dies rechtfertigt sich dadurch, dass der sichere Zustand entsprechender Maschinen die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) und damit ein sehr hohes Rechtsgut schützt, dem gegenüber das Interesse des Arbeitgebers an einer internen Klärung zurücktritt. In vergleichbaren Fällen muss genau untersucht werden, inwiefern die besondere Position des Arbeitnehmers im Zusammenhang mit dem Schutz von Rechtsgütern steht. (2) Im öffentlichen Dienst Bei Beamten kann das Überspringen des Dienstweges u. U. aufgrund einer besonderen Position innerhalb der Verwaltung und der damit verbundenen besonderen Verantwortlichkeit für die körperliche Unversehrtheit oder andere hochrangige Rechtsgüter (anderer Personen) gerechtfertigt sein. Aufgrund der Regelung des § 125 BBG muss aber stets begründet werden, weshalb eine externe Anzeige den Schutz dieser Rechtsgüter effektiver sicherstellen kann als eine Erschöpfung des Dienstweges. Für Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes gilt maßgeblich das für Arbeitnehmer im privaten Sektor gefundene Ergebnis. b) Nach erfolgloser Erschöpfung interner Abhilfemöglichkeiten Wenn ein Whistle­blower alle internen Abhilfemöglichkeiten ausgeschöpft hat (bzw. hierzu bereits nicht verpflichtet war), ist eine externe Anzeige grundsätzlich zulässig. Insofern ist zwar eine erneute Abwägung mit den jeweils kollidierenden Interessen notwendig, d. h. der Vorrang internen Whistle­blowings ist nicht ein lediglich formelles Kriterium, bei dessen Erfüllung externes Whistle­blowing stets zulässig wäre; doch kommt diesen Interessen lediglich ein äußerst geringes Gewicht zu, da interne Kontrollmechanismen ausgeschöpft wurden und versagt haben. Dem primären Sinn und Zweck des Vorranges interner Abhilfemöglich­ keiten wurde damit hinreichend genügt. Insbesondere im öffentlichen Dienst haben die zuständigen staatlichen Stellen hiermit gezeigt, dass sie an der Behebung des Missstandes kein Interesse haben oder sie den Missstand nicht erkennen, was – rechtsstaatlich (Art. 20 Abs. 3 GG) betrachtet – durchaus schwer wiegt. Damit verliert die Pflicht des Insiders zur Rücksichtnahme gleichzeitig an Gewicht.

601

BAG, AP KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8, Leitsatz (Hervorhebung im Original).

230

4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

Lediglich dann, wenn gewichtige Gründe einer externen Anzeige entgegenstehen, käme ein entsprechender Ausschluss in dieser Fallkonstellation in Betracht; diese Konstellation bedarf bei Gesetzesverstößen aber aufgrund des rechts­ staatlichen Interesses an deren Aufklärung einer besonderen Begründung. Wenn sich etwa nach interner Klärung zweifelsfrei herausgestellt hat, dass eine Straftat nicht begangen wurde, ist die anschließende Erstattung einer Strafanzeige grundsätzlich unzulässig.602 Unklar ist, innerhalb welchen Zeitraums ein Whistle­blower ab Kenntniserlangung Anzeige erstatten darf, wenn er sich intern um Abhilfe bemüht hat bzw. hierzu nicht verpflichtet war.603 Generell liegt die berechtigte Strafanzeige „im allgemeinen Interesse an der Erhaltung des Rechtsfriedens und an der Aufklärung von Straftaten“.604 Wird der Rechtsfrieden gefährdet, wenn einem Insider 40 Jahre nach seinen internen Aufklärungsbemühungen das Recht zur Strafanzeige ver­ weigert wird? Besteht dann noch ein Aufklärungsinteresse oder handelt der Insider insofern rechtsmissbräuchlich? Grundsätzlich ist eine Einschränkung nicht an­gemessen: Hat sich der Insider erfolglos darum bemüht, den Missstand intern aufzuklären, muss der Arbeitgeber / Dienstherr jederzeit mit einer Anzeige rechnen. Dies gilt auch bei verjährten Straftaten, da dem Interesse des Arbeitgebers / Dienstherrn dadurch Rechnung getragen wird, dass die zuständigen Behörden das Verfahren schnell einstellen werden. Allerdings ist insofern eine Rechtsverwirkung denkbar (§ 242 BGB),605 was insbesondere von der Schwere des Missstandes und der vergangenen Zeit abhängen wird. 2. Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing an die breite Öffentlichkeit Die Frage, wann sich Insider an die breite Öffentlichkeit wenden dürfen, ist für den Themenkomplex „externes Whistle­blowing“ von besonderer Bedeutung und rechtlich kaum geklärt. Gerichtlich ist die Frage, inwiefern Arbeitnehmer im privaten Sektor die Presse über interne Missstände informieren dürfen, auch noch nicht entschieden worden.606 Berechtigterweise kann von einer rechtlichen „Grau-

602

Zu Beamten Claussen, in: ders. / Janzen, Einl. C Rn. 51. Vgl. Gänßle, KJ 2007, 265 (272); ders., FA 2005, 66 (68). 604 BVerfGE 74, 257 (262). 605 Vgl. hierzu Schulze, in: ders., § 242 Rn. 42 ff.; Schubert, in: Säcker / Rixecker / Oetker / Limperg, § 242 Rn. 369 ff.; Krebs, in: Danner-Lieb / Langen, § 242 Rn. 105 ff. 606 S. Király, ZRP 2011, 146; ders., RdA 2012, 236 (237). Insofern ist allerdings die Entscheidung BGHSt 20, 342 (365) zu beachten, die sich ihrem Kontext nach zwar auf den öffentlichen Dienst bezog, in der der BGH aber auch festhielt: „Es gibt […] einen Kernbereich des Verfassungsrechts, bei dessen Verletzung jeder das Recht haben muß, sofort und ohne jeden Umweg die Öffentlichkeit anzurufen, auch wenn dies zwingend zur Preisgabe von Staats- oder Amtsgeheimnissen führt.“ 603

B. Recht zum externen Whistle­blowing

231

zone“ gesprochen werden.607 Hier ist es besonders schwierig, das Interessen­dreieck „Whistle­blower-Arbeitgeber / Dienstherr-öffentliches Interesse“608 angemessen aufzulösen. Die Informierung der breiten Öffentlichkeit – unabhängig davon, ob sie direkt über das Internet oder mittelbar über andere Adressaten (v. a. die Presse) informiert wird –, kann dabei aus zwei Gründen erfolgen: Die Öffentlichkeit soll allgemein informiert werden und / oder sie soll Abhilfe schaffen, bspw. durch anschließenden medienwirksamen Druck. a) Allgemeines Interesse der Öffentlichkeit an der Information als unabdingbare Voraussetzung Wendet sich ein Insider an die breite Öffentlichkeit, muss an der weiterge­gebenen Information auch ein öffentliches Informationsinteresse bestehen. Dies gilt unabhängig davon, ob sich der Insider bereits intern und / oder extern um Abhilfe bemüht hat. Hier kommen maßgeblich die obigen Ausführungen zum öffentlichen Interesse an der Information und dem hiermit v. a. verbundenen Demokratieprinzip zum Tragen609, die an dieser Stelle nicht im Einzelnen wiederholt werden sollen. Generell sei nur darauf verwiesen, dass an der Informierung über staatliche Missstände grundsätzlich ein öffentliches Interesse besteht, während dieses Interesse bei Missständen im privaten Sektor gesondert zu begründen ist. Einer Modifizierung bedarf dieser Grundsatz dann, wenn der Whistle­blower irrtumsbedingt von einem Missstand ausging. An Falschinformationen besteht kein öffentliches Informationsinteresse. Durfte der Whistle­blower allerdings berechtigterweise von der Existenz des Missstandes ausgehen,610 wäre es unangemessen, ihm lediglich einen eingeschränkten Schutz zukommen zu lassen. In diesem Fall ist zu unterstellen, dass die Information zutreffend war, und hieran anknüpfend ein (fingiertes) öffentliches Informationsinteresse in die Abwägung einzubeziehen.611 b) Nach erfolgloser Erschöpfung interner Abhilfemöglichkeiten und nach erfolgloser Informierung zuständiger externer staatlicher Stellen Soweit ein Whistle­blower interne und externe Stellen erfolglos bemüht hat, stellt sich die Frage, ob er die Öffentlichkeit informieren darf. Die Rücksichtnahmepflicht des Insiders wird nicht deswegen aufgehoben, weil er sich bereits darum bemüht hat, den internen Missstand mit den schonendsten Mitteln zu beheben.

607

Király, RdA 2012, 236 (239) zu Medieninformanten. Vgl. hierzu auch Müller, NZA 2002, 424 (427). 609 Hierzu 4.  Teil, B. IV. 1. b) ee). 610 Hierzu 4. Teil, B. V. 4. 611 3. Teil, A. I. 2. e) bb). 608

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

Das Informieren der breiten Öffentlichkeit muss vielmehr eigenständig gerechtfertigt werden. Insofern ist zu beachten, dass Staat und Gesellschaft ein legitimes Interesse daran haben, dass jedermann gesetzeskonform handelt. Die Kontrolle der Einhaltung dieser Gesetze obliegt aber primär den staatlichen Behörden, die im Rahmen der gesetzlich vorgesehenen Verfahren und v. a. unter Berücksichtigung der legitimen Interessen der Beteiligten den Missstand möglichst vertraulich aufklären müssen. Die Einschaltung der Öffentlichkeit kann folglich nur dann legitim sein, wenn die rechtsstaatlichen Kontrollmechanismen versagen; das Versagen rechtsstaatlicher Kontrollmechanismen kann durch die dann erfolgende Informierung der Allgemeinheit auch aufgefangen werden. Dies wäre in der in diesem Gliederungspunkt besprochenen Konstellation im Grunde der Fall. Ein Whistle­blower muss sich aber mit der Frage auseinandersetzen, weshalb die zuständigen internen und die zuständigen externen staatlichen Stellen von einer Aufklärung abgesehen haben und sich mit der entsprechenden Begründung auseinandersetzen. Hat ein Whistle­blower alle in Betracht kommenden milderen Mittel erschöpft, müssen die dem externen Whistle­blowing entgegenstehenden Interessen regelmäßig zurücktreten. Eine Informierung der Öffentlichkeit muss grundsätzlich zulässig sein, damit sich keine Missstände im Staat festsetzen612 und der Rechtsstaat (Art. 20 Abs. 3 GG) hierdurch nicht ausgehöhlt wird. Hieraus folgt auch, dass keine zu hohen Anforderungen an die Zulässigkeit externen Whistle­blowings gestellt werden dürfen.613 Gerade bei staatlichen Missständen ist zu beachten, dass der Staat in dieser Fallkonstellation nicht schutzwürdig ist, wenn er nicht gewillt ist, seine rechtsstaatlichen Bindungen hinreichend zu beachten, sondern seine eigenen Grenzen bewusst ignoriert bzw. staatliche Missstände übersehen werden. Auch die Enthüllung vereinzelter Gesetzesverstöße kommt insofern in Betracht. Die denkbare Differenzierung zwischen solchen Missständen, die in der Vergangenheit liegen (z. B. eine zurückliegende Straftat), und solchen, die gegenwärtig noch behoben werden können (so im Fall einer ständigen gesetzeswidrigen Verwaltungspraxis), darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch an der Aufklärung ersterer – bereits aus rechtsstaatlicher Sicht – ein berechtigtes Interesse besteht. Gleichwohl wird letzterer Konstellation regelmäßig besondere Bedeutung zukommen. Grenzen ergeben sich nur in Ausnahmefällen, etwa bei einmalig gebliebenen kleineren Zwischenfällen, an deren Enthüllung kein berechtigtes öffentliches Interesse besteht. Schwieriger ist die Grenzziehung hingegen, wenn berechtigte Interessen anderer Personen, v. a. deren Grundrechte betroffen sind. Die Offenbarung eines Miss­ standes geht dann einher mit einer Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG (etwa in Form des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung oder des Schutzes der sozialen Anerkennung). 612 613

S. auch Löffler, NJW 1964, 1100 (1105). Vgl. auch Jarass, DÖV 1986, 721 (727).

B. Recht zum externen Whistle­blowing

233

Hier ist eine gesonderte Abwägung vorzunehmen. Relevant ist v. a., um welche persönlichen Informationen, an deren Geheimhaltung der vom externen Whistle­ blowing Betroffene ein berechtigtes Interesse hat, es sich handelt und welche Bedeutung die Information für die Öffentlichkeit hat. Dies kann bspw. bei Korruption relevant werden, wenn Unternehmen614 mittels Bestechungsgeldern versuchen, auf eine Entscheidung der zuständigen Behörde (v. a. im Vergaberecht) Einfluss zu nehmen (s. aber auch bereits § 67 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BBG). Das Interesse der Unternehmen, dass ihre Beteiligung nicht bekannt wird, wiegt im Gegensatz zum Aufklä­rungsinteresse sehr gering. Maßgeblich sind jedenfalls die Umstände des Einzelfalles. c) Nach erfolgloser Erschöpfung unternehmensinterner Abhilfemöglichkeiten, aber vor Informierung zuständiger externer staatlicher Stellen Hat ein Whistle­blower interne Abhilfemöglichkeiten erschöpft und wendet sich an die breite Öffentlichkeit, bevor er sich an die zuständigen externen Stellen (z. B. die Staatsanwaltschaft) gewendet hat, bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung (vgl. Grundsatz 2)615. Er hat insofern nicht den schonendsten Weg gewählt, sondern rechtsstaatlich vorgesehene Kontrollmechanismen übergangen. Das Einschalten zuständiger externer staatlicher Stellen ist ihm grundsätzlich auch zumutbar, wenn er sich bereits um interne Abhilfe bemüht hat. Die jeweiligen staatlichen Stellen wurden gerade dazu eingerichtet, sich mit dem Missstand gesetzeskonform zu beschäftigen und bieten ein hinreichendes Maß an vertraulicher Behandlung (s. auch § 353b StGB). Gerade aufgrund der Bedeutung externer Abhilfemöglichkeiten muss ein besonderer Grund vorliegen, der den Schluss zulässt, dass externe Maßnahmen nicht (rechtzeitig) Abhilfe schaffen können. Bei Ermittlung dieses besonderen Grundes ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Informierung der breiten Öffentlichkeit besonders schwer wiegt. Der bloße Verweis darauf, dass ein Missstand nicht sofort aufgeklärt wurde, genügt grundsätzlich nicht, da jedes Verfahren zur Aufklärung von Missständen Zeit in Anspruch nimmt, womit regelmäßig aber auch zugleich ein hinreichendes Maß an Gründlichkeit verbunden ist. Bis interne Abhilfemöglichkeiten vollständig erschöpft sind, wird regelmäßig eine beträchtliche Zeit verstrichen sein. Daher muss gesondert dargelegt werden, weshalb die Zeit für interne, aber nicht für vorgesehene externe Abhilfemaßnahmen in Kauf genommen werden konnte. Dies wird sich nur schwer begründen lassen.

614 615

Vgl. zum verfassungsrechtlichen Schutz von Unternehmen insofern 4. Teil, B. II. 1. b) cc) (2). 4. Teil, B. IV. 4. b) aa).

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

d) Vor Erschöpfung interner Abhilfemöglichkeiten, aber nach Informierung zuständiger externer staatlicher Stellen Wendet sich ein Whistle­blower an die breite Öffentlichkeit, nachdem er zwar zuständige externe staatliche Stellen kontaktiert, aber nicht interne Abhilfemöglichkeiten ausgeschöpft hat, bedarf es auch hierfür einer besonderen Rechtfertigung (vgl. Grundsatz 2)616. Es muss gesondert begründet werden, weshalb auf den internen, aber nicht auf den externen Weg verzichtet werden konnte. Dies wird regelmäßig schwerlich erklärbar sein. Die möglicherweise bestehende nähere Sachkompetenz externer Stellen überzeugt als Argument nicht, da die interne Untersuchung auch zur Sachverhaltsaufklärung beiträgt und nicht nur rechtliche Fragestellungen klärt. Hinweise auf zeitbedingte Dringlichkeit können kaum überzeugen, da externe wie interne Stellen entsprechende Zeit für die Aufklärung benötigen. Hieraus folgt die regelmäßige Unzulässigkeit dieses Vorgehens. Einer Vertiefung bedürfen dabei die Konstellationen, bei denen der Gesetzgeber sofortiges externes Whistle­blowing an zuständige externe staatliche Stellen ausdrücklich zugelassen hat, etwa nach § 8 Abs. 1 S. 1 PKGrG für Angehörige der Nachrichtendienste des Bundes617. Insofern ist zu überlegen, ob nach einer erfolglosen Informierung dieser externen staatlichen Stellen bereits an eine Informierung der Öffentlichkeit gedacht werden kann oder ob Whistle­blower dennoch zuerst interne Abhilfemöglichkeiten erschöpfen müssen, das Vorrangverhältnis zwischen internem und externem Whistle­blowing also teilweise umgekehrt wird. Insofern kommt dem Gesetzgeber bei der Regelung von Whistle­blowing im Einzelnen ein Gestaltungsspielraum zu. Der Gesetzgeber hat in solchen Fällen gerade vorgesehen, dass interne Hinweise nicht erforderlich sind. An die Stelle interner Abhilfemöglichkeiten sollen gerade bestimmte externe staatliche Stellen treten. Dann ist es aber widersprüchlich, ein Durchlaufen interner Wege zu fordern. Voraussetzung ist allerdings, dass die kollidierenden Interessen in der entsprechenden Norm bereits hinreichend berücksichtigt wurden.

616

4. Teil, B. IV. 4. b) aa). § 8 Abs. 1  PKGrG lautet: Angehörigen der Nachrichtendienste ist es gestattet, sich in dienstlichen Angelegenheiten sowie bei innerdienstlichen Missständen, jedoch nicht im eigenen oder Interesse anderer Angehöriger dieser Behörden, ohne Einhaltung des Dienstweges unmittelbar an das Parlamentarische Kontrollgremium zu wenden. Wegen der Tatsache der Eingabe dürfen sie nicht dienstlich gemaßregelt oder benachteiligt werden. Das Parlamentarische Kontrollgremium übermittelt die Eingaben der Bundesregierung zur Stellungnahme. Es gibt den Namen der mitteilenden Person nur bekannt, soweit dies für eine Aufklärung des Sachverhalts erforderlich ist. 617

B. Recht zum externen Whistle­blowing

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e) Vor erfolgloser Erschöpfung interner Abhilfemöglichkeiten und vor erfolgloser Informierung zuständiger externer staatlicher Stellen Wendet sich ein Insider an die breite Öffentlichkeit, bevor er interne und externe Stellen erfolglos informiert hat, ist hierin grundsätzlich eine Pflichtverletzung zu sehen, da nicht die mildesten Maßnahmen zur Bekämpfung des Missstandes ergriffen wurden. Die Informierung der Öffentlichkeit ist insofern ultima ratio.618 Es bedarf also eines besonderen Grundes, der ein solches Vorgehen rechtfertigen kann. Dass ein solches Vorgehen nicht völlig ausgeschlossen ist, hängt eng mit den Grundrechten des Whistle­blowers  – v. a. der Meinungsfreiheit (Art.  5 Abs. 1 S. 1 GG) – und der damit verbundenen demokratischen Notwendigkeit, die Öffentlichkeit zu informieren, zusammen. Die Bedeutung hinreichender allgemeiner Informiertheit für eine Demokratie findet auch in der Rechtsprechung des BVerfG deutliche Anerkennung: „Ein demokratischer Staat kann nicht ohne freie und möglichst gut informierte öffentliche Meinung bestehen.“619

In Extremfällen kann dieser Notwendigkeit, der Öffentlichkeit wichtige Informationen zukommen zu lassen, derartig gravierende demokratische Bedeutung zukommen, dass entgegenstehende Interessen zurückstehen müssen, und dies auch außerhalb des in Art. 20 Abs. 4 GG vorgesehenen Widerstandsrechts. aa) Rechtsprechung zum öffentlichen Dienst Im privaten Sektor ist die Frage, inwiefern sofortiges Whistle­blowing an die breite Öffentlichkeit unmittelbar zulässig ist, bislang weder gerichtlich noch wissenschaftlich hinreichend geklärt. Demgegenüber gab es zum öffentlichen Dienst bereits entsprechende Judikatur, die im Folgenden näher dargestellt wird. Sowohl der BGH als auch das BVerfG haben in dem eingangs dargestellten Verfassungsschutz-Fall620 die Gelegenheit genutzt, sich zum Recht zu einer sofortigen externen Informierung der breiten Öffentlichkeit zu äußern. Eine sofortige „Flucht in die Öffentlichkeit“ ist nach der Rechtsprechung dabei nur unter äußerst restriktiven Voraussetzungen zulässig; möglich erscheine sie bei einem „evidente[n], besonders schwere[n] Verfassungsverstoß, der eine sofortige Unterrichtung der Öffentlichkeit erfordert oder doch gerechtfertigt hätte“621 bzw. – bei Beamten – im Falle von besonders schweren verwaltungsinternen Missständen622. Dabei bezieht 618 Zu Arbeitnehmern Rudkowski, CCZ 2013, 204 (207); vgl. zur Informierung der Öffentlichkeit nach Ausscheiden aus dem Unternehmen BGHZ 80, 25. 619 BVerfGE 27, 71 (81); hierzu auch Kloepfer, in: Isensee / Kirchhof, § 42 Rn. 53. 620 1. Teil, C. I. 621 BVerfGE 28, 191 (205). 622 BVerwG, Urt. v. 15.11.2000, 1 D 65/98, Rn. 27 (juris).

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

das BVerfG auch den Aspekt einer „nennenswerte[n] zeitliche[n] Verzögerung“ mit ein.623 Auch auf den Umstand, ob interne Abhilfe berechtigterweise nicht erwartet werden könne, wurde – zumindest mittelbar – bereits eingegangen.624 Zur Preisgabe von staatsinternen Geheimnissen an die Öffentlichkeit kam der BGH (vor Kodifizierung von § 93 Abs. 2 StGB) zu einem ähnlichen Ergebnis: „Es gibt […] einen Kernbereich des Verfassungsrechts, bei dessen Verletzung jeder das Recht haben muß, sofort und ohne jeden Umweg die Öffentlichkeit anzurufen, auch wenn dies zwingend zur Preisgabe von Staats- oder Amtsgeheimnissen führt.“625

Dies gelte bei einem „Verstoß gegen die Grundwerte des demokratischen Verfassungsstaates, wie sie durch den Rechtsbegriff der ‚verfassungsmäßigen Ordnung‘ […] umrissen sind“.626 Der BGH verlangt dabei aber einen „Verstoß von einer gewissen Bedeutung, also von einer gewissen Schwere“, was je nach Einzelfall zu entscheiden sei.627 Allerdings hat der BGH in diesem Kontext auch festgehalten: „Die Rücksicht auf die staatlichen Lebensnotwendigkeiten verlangt, daß nicht etwa unbedeutende Verstöße gegen die verfassungsmäßige Ordnung zur Preisgabe von vielleicht höchsten Geheimnissen führen können.“628

Unklar ist hierbei jedoch, ob es sich um eine allgemeine Feststellung handelt, sodass unbedeutende Verstöße unter Preisgabe von vielleicht höchsten Geheimnissen nie, also auch nach erfolgloser Erschöpfung dienstinterner und -externer Abhilfemöglichkeiten öffentlich gerügt werden dürfen. Der allgemein gehaltene Entscheidungswortlaut spricht dafür. Hiergegen spricht allerdings, dass der BGH diese Feststellung gerade im Kontext mit dem Recht zur sofortigen Rüge an die Öffentlichkeit trifft.

623

S. BVerfGE 28, 191 (205). S. BVerwGE 86, 188 (192): „Das Verbot, innerdienstliche Vorgänge an die Öffentlichkeit zu tragen, um dieser keinen Einfluß auf eine innerdienstliche Meinungsbildung und Entscheidungsfindung zu gewähren, entfiel für den Soldaten nicht dadurch, daß er in der Vergangenheit wiederholt ‚Problemstellungen‘ seinen Vorgesetzten vorgetragen hat, die von diesen anders bewertet wurden. Seine wiederholten Eingaben hatten andere Themen zum Gegenstand, so daß der Soldat verpflichtet war, die in seinem ‚Resümee‘ niedergelegten Gedanken und Bedenken zunächst seinen Vorgesetzten vorzutragen. Ebensowenig kann der Soldat damit gehört werden, daß er mit neuen Problemen ohne Einhaltung des Dienstweges sofort an die Öffentlichkeit gehen könne, weil seine Vorstellungen in der Vergangenheit von seinen Vorgesetzten überwiegend abschlägig beschieden worden seien. Diese Erfahrung gibt ihm nicht das Recht, alle zukünftigen Probleme sofort ohne Einhaltung des Dienstweges öffentlich kundzumachen, um dadurch auf eine Lösung in seinem Sinne lenkenden Einfluß zu nehmen.“ 625 BGHSt 20, 342 (365). 626 BGHSt 20, 342 (366). 627 BGHSt 20, 342 (366 f.). 628 BGHSt 20, 342 (366). 624

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bb) Generelle Eingrenzung für den privaten Sektor und den öffentlichen Dienst Die Entscheidungen von BGH und BVerfG sind allgemein gehalten und lassen dementsprechend Raum für eine interessengerechte Abwägung im Einzelfall. Die gerichtliche Tendenz ist jedoch deutlich: Eine sofortige öffentliche Rüge ist nur in extremen, eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig. Dies rechtfertigt sich dadurch, dass dem generellen Grundsatz, nach Möglichkeit mildeste Maßnahmen zu ergreifen, besondere Bedeutung zukommt. In einem ersten Schritt wird im Folgenden näher analysiert, unter welchen Voraussetzungen von einer derartigen Extremsituation ausgegangen werden kann, dass sofortiges externes Whistle­blowing an die breite Öffentlichkeit zulässig ist. Aufgrund der Bedeutung des Vorranggrundsatzes sind insofern zwei Rechtfertigungsvoraussetzungen kumulativ zu fordern: – der Schutz eines Verfassungswertes vor einer besonders gravierenden Gefahr sowie – der zeitlich begründete Ausschluss alternativer Abhilfemöglichkeiten. (1) Erstes Rechtfertigungskriterium: besonders gravierende Gefahr für einen Wert mit Verfassungsrang (a) Grundlagen Erstens muss durch das externe Whistle­blowing an die breite Öffentlichkeit ein hochrangiges Rechtsgut geschützt werden. Um der Bedeutung des Vorrang­ verhältnisses gerecht zu werden, ist zu fordern, dass lediglich der Schutz von Verfassungsgütern sofortiges externes Whistle­blowing an die Öffentlichkeit legitimieren kann.629 Allerdings würde es zu weit gehen, jede Gefahr für einen Verfassungswert als hinreichende Grundlage für sofortiges externes Whistle­blowing an die breite Öffentlichkeit anzusehen. Vielmehr ist eine besonders gravierende Gefahr für einen Verfassungswert zu fordern. Dabei korreliert das erforderliche Maß an Gefahr für den Verfassungswert mit dessen Bedeutung im grundgesetzlichen Wertsystem:630

629 S. zu Beamten und Tarifbeschäftigten auch Lopacki, ZBR 2016, 329 (333): „Eine Ausnahme von der geforderten innerbehördlichen Abhilfemöglichkeit kommt ausnahmsweise nur als ultima ratio bei schwerwiegenden Fehlentscheidungen gegen den Kernbereich des Verfassungsrechts oder gegen oberste Rechts- und Verfassungswerte, insbesondere bei schweren Verstößen gegen Grundrechte in Betracht.“ 630 Vgl. hierzu auch BVerfGE 3, 225 (231 f.).

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

– So werden Art. 1 GG als auch Art. 20 GG durch Art. 79 Abs. 3 GG besonders geschützt; zu nennen ist insofern auch der Schutz der in Art. 20 Abs. 1 bis Abs. 3 GG festgelegten Ordnung durch Art. 20 Abs. 4 GG. – Die „freiheitliche demokratische Grundordnung“631 wird durch Art. 21 Abs. 2 GG besonders geschützt; es handelt sich hierbei um eine Ordnung, „die unter Ausschluß jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“632 Überschneidungen zu Art. 79 Abs. 3 GG i. V. m. Art. 1 GG und Art. 20 GG sind dabei unverkennbar. Die nicht abschließende Aufzählung („mindestens“) erstreckt sich dabei auf weitere Verfassungswerte, die mit den genannten vergleichbar sind. Auffällig ist in diesem Kontext, dass §§ 7 Abs. 1 Nr. 2 und 60 Abs. 1 S. 3 BBG auf die freiheitliche demokratische Grundordnung „im Sinne des Grundgesetzes“ Bezug nehmen, § 67 Abs. 2 S. 2 BBG hingegen nicht.633 Auch wenn es sich bei diesen Werten um besonders hochrangige Verfassungswerte handelt, kann nicht bei jedem Verstoß gegen diese externes Whistle­blowing sofort zulässig sein. Aufgrund der Bedeutung dieser Verfassungswerte werden aber die Anforderungen an die Schwere eines konkreten Verstoßes, die zur Zulässigkeit sofortigen externen Whistle­blowings führen, regelmäßig geringer sein als bei anderen Verfassungsverstößen. (b) Besondere Gesichtspunkte bei staatlichen Missständen Eine effektive Kontrolle des Staates (gegebenenfalls auch durch die breite Öffentlichkeit) ist für einen Rechtsstaat (Art. 20 Abs. 3 GG) konstitutiv. Die Möglichkeit, staatliche Missstände enthüllen zu können, ist aber auch für eine Demokratie unerlässlich. Bereits im Jahre 1970 hielt das BVerfG fest: „Die Aufmerksamkeit und das Verantwortungsbewußtsein des Staatsbürgers, der Mißstände nicht nur zur Kenntnis nimmt, sondern sich auch für deren Abstellung einsetzt, ist eine wesentliche Voraussetzung für den Bestand der freiheitlichen demokratischen Ordnung […].“634 631 Ausschließlich hierauf abstellend Wichmann, in: ders. / Langer, Rn. 205; ähnlich auch BGHSt 20, 342 (365 f.). 632 BVerfGE 2, 1 (12 f.); hierzu näher BVerfGE 144, 20 (202 ff., Rn. 529 ff.). 633 S. hierzu und zur Auslegung des Begriffes Bäcker, Die Verwaltung 2015, 499 (507 ff.). 634 BVerfGE 28, 191 (202); VG Berlin, NJW 1982, 1113 (1114).

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Auch auf internationaler Ebene hat das Ministerkomitee des Europarates am 30. April 2014 die Bedeutung von Personen, die Bedrohungen oder Schäden für das öffentliche Interesse melden oder enthüllen und damit zur Stärkung von Transparenz und demokratischer Verantwortlichkeit beitragen können, betont.635 Diese Folgerungen sind aufgrund des engen Zusammenhanges zwischen Demokratie und der Notwendigkeit einer hinreichenden Informierung der Öffentlichkeit wohlbegründet. Dies liegt nicht nur daran, dass die Veröffentlichung geheimer Informationen nicht selten die ganze Bevölkerung oder jedenfalls große Bevölkerungsgruppen betrifft. Jeder Bürger kann die Informationen, die ihm vom Staat mitgeteilt werden (und die er zumeist nicht selbst auf Richtigkeit kontrollieren kann), im Anschluss an die Veröffentlichung mit den tatsächlichen Gegebenheiten abgleichen. Dies schärft das Bewusstsein der Bevölkerung, staatliche Stellungnahmen nicht einfach generell hinzunehmen, sondern kritisch zu hinterfragen. Da die staatliche Willensbildung von unten nach oben erfolgen muss,636 ist die hinreichende Informiertheit des Volkes für eine echte Demokratie essentiell: „Ein demokratischer Staat kann nicht ohne freie und möglichst gut informierte öffentliche Meinung bestehen.“637

In einer freiheitlichen Demokratie muss das Volk als Träger der Staatsgewalt hinreichend über die gesellschaftspolitische Lage informiert werden, um sich ein fundiertes Urteil über öffentliche Angelegenheiten bilden zu können. In einem politischen System, in dem das Volk nur unzureichend informiert ist bzw. sich nur unzureichend informieren kann, wird es zur Marionette staatlicher Machtträger, obwohl es nach Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG das Subjekt der demokratischen Legitimation sein muss. Der nun lenkbare „Volkswille“ wird immer anfälliger für öffentliche Propaganda. Veröffentlichte Informationen über illegales oder zumindest moralisch fragwürdiges staatliches Handeln sind Kernvoraussetzungen dafür, dass der Bürger seine demokratischen Rechte als Rechtssubjekt wahrnehmen kann.638 Wenn der Staat versucht, durch Informationskontrolle bzw. -lenkung der Öffentlichkeit ein falsches Bild von seiner Politik vorzutäuschen, verletzt er demokratische Grundwerte.639 Sein gesamtes Handeln, d. h. auch die Informierung der Öffentlichkeit, unterliegt dem Sachlichkeitsgebot,640 womit inzident eine Wahrheitspflicht einher-

635 Recommendation CM / Rec(2014)7 of the Committee of Ministers to member States on the protection of Whistle­blowers. 636 BVerfGE 20, 56 (99): „Willensbildung des Volkes und staatliche Willensbildung sind auf vielfältige Weise miteinander verschränkt. In einer Demokratie muß sich diese Willensbildung aber vom Volk zu den Staatsorganen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin, vollziehen. Die Staatsorgane werden durch den Prozeß der politischen Willensbildung des Volkes, der in die Wahlen einmündet, erst hervorgebracht (Art. 20 Abs. 2 GG).“ 637 BVerfGE 27, 71 (81); hierzu auch Kloepfer, in: Isensee / Kirchhof, § 42 Rn. 53. 638 Vgl. Deiseroth, in: ders. / Falter, 2014, S. 11 (17). 639 Vgl. auch Günther, NVwZ 2018, 1109 (1112). 640 BVerfGE 105, 252 (272).

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

geht.641 Der Staat zieht seine Berechtigung allein daraus, dem Menschen konkret zu dienen.642 Der Bürger wird aber zum Objekt staatlichen Handelns, wenn er mit falschen oder unzureichenden Informationen durch den Staat instrumentalisiert wird, damit politische Vorhaben durchgesetzt oder Wahlen gewonnen werden können. Mittels demokratischer Wahlen kann der Bürger nicht nur bloß eine andere Partei (respektive Abgeordnete) wählen, sondern auch die Regierung für ihr Handeln abstrafen. Dieser Zweck kann nur verwirklicht werden, wenn eine hinreichende informationelle (öffentliche) Tatsachengrundlage besteht. Wenn der Wähler nicht erfährt, dass seine Regierung das Recht bricht, kann er keine Konsequenzen hieraus ziehen. Indem Whistle­blower entsprechende Missstände aufdecken, geben sie dem Bürger die Informationen, die er für seine politische Willensbildung benötigt, und haben damit entscheidenden Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung. Die damit verbundene Entstehung des politischen Willens des Volkes erschöpft sich nicht nur im Wahlakt, sondern hat auch Einfluss auf den vorherigen Zeitraum der Legislaturperiode, in dem sich dieser politische Wille gerade bildet.643 Regierungen müssen sich in rechtsstaatlichen Demokratien für ihr Handeln rechtfertigen. Einmal in Umlauf gebrachte Informationen können staatlicherseits (rechtlich sowie faktisch) schwerlich gelöscht werden. Gerade bei bevorstehenden Wahlen möchten sich Regierungen keine demokratie-, rechtsstaats- oder menschenrechtsfeindliche Handlungen vorwerfen lassen. Die Politik gerät in die Situation, ihr möglicherweise rechtswidriges oder zumindest verwerfliches Handeln plausibel erklären zu müssen, was kaum möglich ist. Sie kann das Thema auch nur schwerlich verschweigen, da Intransparenz bereits mit dem Rechtsgefühl vieler Bürger (und Wähler) unvereinbar ist. Politische Verurteilungen des Whistle­blowers können beim Bürger, der von den Veröffentlichungen profitiert, ein Gefühl der Solidarität hervorrufen, das sich möglicherweise noch in der Wahlkabine auswirkt. Veröffentlichungen in anderen Staaten können ebenfalls die internationalen Beziehungen belasten und damit auch die deutsche Außenpolitik beeinträchtigen: Wenn entsprechende Veröffentlichungen ergeben, dass ein an sich demokratischer und rechtsstaatlicher Staat vermehrt Methoden verwendet, die aus einer menschenrechtlichen Perspektive kritisch zu hinterfragen sind, muss die Bundesregierung ihre Kooperationen oder Handelsaktivitäten mit diesem Staat gesondert rechtfertigen und kann sich selbst in Erklärungsnot bringen. So wurde auch das mangelnde Aufklärungsinteresse der deutschen Bundesregierung nach den Enthüllungen des Whistle­blowers Snowden644 heftig kritisiert. Damit können letztlich auch Whistle­blower in anderen Staaten für den politischen Prozess in Deutschland bedeutsam sein. Vor diesem Hintergrund gehen viele Regierungen – nicht zuletzt unter dem Aspekt präventiver

641

Vgl. zur Desinformation aber auch Schmalenbach, NVwZ 2005, 1357 ff. Jarass, in: ders. / Pieroth, Art. 1 Rn. 1. 643 S. BVerfGE 20, 56 (98 f.). 644 Hierzu 1. Teil, C. II. 642

B. Recht zum externen Whistle­blowing

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Abschreckung – grundsätzlich gegen Whistle­blower vor und verurteilen ihre Enthüllungen öffentlich, während die Öffentlichkeit zunehmend für Whistle­blowing sensibilisiert wird.645 Insgesamt hat externes Whistle­blowing damit nicht nur eine erhebliche politische Dimension, sondern kommt auch einer demokratischen Kontrolle zugute.646 In gravierenden Fällen können Whistle­blower in demokratischen Staaten auch ganze Regierungen zu Fall bringen, wenn sich Mehrheitsverhältnisse verschieben oder Regierungen zurücktreten müssen. Auf der anderen Seite ist es auch denkbar, dass die enthüllten verwaltungsinternen Missstände kaum von öffentlichem Interesse sind. Bei einzelnen internen Missständen (wie Pannen), die auch im privaten Sektor immer wieder vorkommen, ist weder eine öffentliche Kenntnisnahme noch eine öffentliche Kontrolle notwendig und ein Öffentlichkeitswert im Allgemeinen zu verneinen.647 Darüber hinaus lässt sich danach differenzieren, ob eine Druckerzeugung durch die Öffentlichkeit im Vordergrund steht oder diese allgemein informiert werden soll. In den meisten Fällen werden beide Aspekte aber Hand in Hand gehen. Soweit der Staat bereits aus demokratischen Erwägungen zur Bekanntgabe an die Öffentlichkeit verpflichtet war, spricht ebenfalls mehr für die Zulässigkeit externen Whistle­blowings.648 Letzteres wird allerdings nur in Ausnahmefällen einschlägig sein können.649 (2) Zweites Rechtfertigungskriterium: zeitlich begründeter Ausschluss alternativer Abhilfemöglichkeiten Zweitens darf es aus Zeitgründen nicht möglich gewesen sein, zunächst mildere Abhilfemöglichkeiten zu erschöpfen, da das gefährdete Rechtsgut andernfalls eine ernsthafte Schädigung erlitten hätte. Nicht jede Rechtsverletzung führt dabei allerdings zu einer ernsthaften Schädigung. Die Beachtung (rechts-)staatlicher Kontrollmechanismen ist insofern von überragender Bedeutung. Wie bereits herausgearbeitet wurde, darf nur unter äußerst engen Voraussetzungen davon ausgegangen werden, dass diese Mechanismen versagen werden. Diese Anforderungen sind derart streng, dass ein Versagen praktisch kaum bejaht werden kann. Hinzu kommt, dass dem vom externen Whistle­blowing Betroffenen rechtsstaatliche Ver-

645

Inwiefern diese Abschreckungsversuche Erfolg haben, kann hier nicht abschließend untersucht werden. Zahlreiche Beispiele zeigen allerdings, dass sich Whistle­blower dann nicht einschüchtern lassen, wenn sie von der Richtigkeit ihres Handelns überzeugt sind. 646 Vgl. auch Meyer, HRRS 2018, 322 (324). 647 Köhler, in: Hummel / Köhler / Mayer / Baunack, S.  247. 648 Lohse, VR 1979, 332 (334). 649 Vgl. aber auch Kloepfer, in: Isensee / Kirchhof, § 42 Rn. 55 ff., der neben Art. 43 Abs. 1 GG und den obligatorischen Haushaltsberatungen keine „allgemeine Publizitätspflicht der Exekutive gegenüber der Öffentlichkeit“ durch das Grundgesetz begründet sieht.

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

teidigungsmöglichkeiten genommen werden.650 Gleichwohl steht die Pflicht zur Einschaltung staatlicher Kontrollmechanismen unter dem Vorbehalt, dass sie recht­ zeitig Abhilfe schaffen.651 Wenn dies nicht der Fall sein sollte, kann von ihrem „Versagen“ ausgegangen werden. Dabei ist aber zu beachten, dass die Inanspruchnahme von vorgesehenen Abhilfemöglichkeiten stets zu zeitlichen Verzögerungen führen wird. Daher kann nicht jede zeitliche Verzögerung ein Übergehen staatlicher Kontrollmechanismen rechtfertigen. Zu fordern ist insofern, dass die Beachtung dieser Mechanismen zu einer derartigen zeitlichen Verzögerung führen würde, dass eine schwere und unabwendbare Schädigung einzutreten droht, die ein sofortiges Einschreiten erfordert. Selbst bei hochrangigen Rechtsgütern muss aber gesondert begründet werden, weshalb rechtsstaatliche Kontrollmechanismen nicht effektiv eingreifen konnten.652 Durch die kumulative Heranziehung beider Rechtfertigungskriterien werden sowohl rechtsstaatliche als auch demokratische Gesichtspunkte beachtet und hiermit ein angemessener Ausgleich der widerstreitenden Interessen geschaffen. Gerade die ungehinderte Verbreitung der Information in der Öffentlichkeit kann dazu führen, dass einer grundlegenden Gefahr für den Staat und / oder die Gesellschaft effektiv entgegengetreten werden kann. Dabei kann die Kontrolle durch die Öffentlichkeit durchaus auch als rechtsstaatlicher Aspekt angesehen werden. f) Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes Wie bereits festgestellt, gelten für Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes maßgeblich die Ergebnisse zum privaten Sektor.653 Insofern ist allerdings stets das besondere öffentliche Interesse an der Aufklärung staatlicher Missstände zu berücksichtigen. 3. Externes Whistle­blowing trotz erfolgreicher interner Abhilfebemühungen Einer genaueren Untersuchung bedarf schließlich auch die Konstellation, dass interne Abhilfebemühungen erfolgreich waren: Welche Konsequenzen hat dies für die Zulässigkeit externen Whistle­blowings  – an zuständige externe Stellen bzw. an die breite Öffentlichkeit? Stellt internes Whistle­blowing insofern eine bloße Formalität dar, nach deren Beachtung externes Whistle­blowing unbegrenzt zulässig ist?

650

Vgl. zu Arbeitnehmern auch Rudkowski, CCZ 2013, 204 (207). Vgl. zum öffentlichen Dienst auch BVerfGE 28, 191 (205). 652 S. auch Rudkowski, CCZ 2013, 204 (208). 653 3. Teil., B. II. 651

B. Recht zum externen Whistle­blowing

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Nach einem Teil der Literatur erschöpft sich das berechtigte Interesse des Arbeitnehmers „darin, auf Abstellung der Gesetzwidrigkeiten hinzuwirken“.654 Im Falle einer erfolgreichen internen Beanstandung wäre hiernach also konsequenterweise ein Recht zur externen Anzeige zu verneinen. Insofern ist aber zu beachten, dass an der Aufklärung von Rechtsverstößen generell auch ein öffentliches Interesse bestehen kann, zu der Anzeigeerstatter sowohl im privaten Sektor als auch im öffentlichen Dienst beisteuern. Zudem lässt sich im Falle von Straftaten argumentieren, dass die präventiven und repressiven Strafzwecke655 andernfalls umgangen würden. Daher ist eine differenzierende Lösung angemessen und nach Art des betroffenen Rechtsguts zu unterscheiden: Wenn ausschließlich Rechtsgüter betroffen sind, die bestimmte Personen schützen, und sich diese Personen bewusst gegen eine Anzeige entscheiden, ist ein Recht zur externen Anzeige zu verneinen. Der Insider muss diese Entscheidung respektieren. Ausnahmen sind lediglich insofern denkbar, als ein überragendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht; dies kann einerseits durch den Inhalt der Information, andererseits aber auch zusätzlich durch die jeweiligen Umstände (z. B. kurz vor einer Bundestagswahl) beeinflusst werden. Sind Rechtsgüter der Allgemeinheit betroffen, obliegt die Entscheidung nicht dem Arbeitgeber bzw. dem Dienstherrn, sodass ihre Entscheidung zur Nichtanzeige die eigenständige Entscheidung des Insiders nicht beeinflusst. Dabei ist eine Abwägung mit der Wahrung des Betriebs- bzw. Verwaltungsfriedens vorzunehmen und ein angemessener Ausgleich herzustellen. Hiermit wird insgesamt ein angemessener Ausgleich zwischen dem Interesse des Dienstherrn / Arbeitgebers an Rücksichtnahme und dem öffentlichen Interesse an Aufklärung bzw. dem öffentlichen Informationsinteresse hergestellt. 4. Irrtum über den Missstand: Anforderungen an einen „berechtigten“ Hinweis Wie bereits bei der Zulässigkeit von internem Whistle­blowing festgestellt, sind irrtumsbedingte Hinweise auf vermeintliche Missstände vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst; auf die dortigen Ausführungen  – auch zum Maßstab der Güterabwägung – sei insofern verwiesen.656 Für die Frage, wann ein Hinweis auf einen nicht existierenden Missstand als „berechtigt“ anzusehen ist, ist auf die Perspektive des Whistle­blowers abzustellen,657 die aber durch objektive Anhaltspunkte belegt werden muss. Ferner kann das Er-

654

Brox / Rüthers / Henssler, Arbeitsrecht, Rn. 231. Zu den Strafzwecken nur Kempfer, in: Dölling / Duttge / König / Rössner, § 46 StGB Rn.  2. 656 Hierzu 3.  Teil, A. I. 2. e) aa) und bb). 657 Vgl. aber Müller, NZA 2002, 424 (436). 655

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

gebnis der anschließenden Untersuchung nicht maßgeblich sein,658 da dieses von verschiedenen Faktoren abhängt, auf die der Whistle­blower keinen Einfluss hat. Es wäre insofern grund- bzw. menschenrechtlich unangemessen, ihm die möglicherweise auch mit Fehlern behaftete Entscheidung von anderen Personen anzulasten. Gleichwohl wird man aus dem Stattgeben einer Beschwerde ein starkes Indiz für eine berechtigte Anzeige herleiten dürfen.659 Damit stellt sich die Frage, in welchen Fällen ein Whistle­blower berechtigterweise annehmen darf, dass die ihm vorliegenden Informationen über einen vermeintlichen Missstand als richtig anzusehen sind. Zwar ist eine „unrichtige Information kein schützenswertes Gut“, doch „dürfen die Anforderungen an die Wahrheitspflicht nicht so bemessen werden, daß darunter die Funktion der Meinungsfreiheit leidet“.660 Zwar fällt der Wahrheitsgehalt bei der verfassungsrechtlichen Abwägung ins Gewicht, allerdings muss „bedacht werden, daß die Wahrheit im Zeitpunkt der Äußerung oft ungewiß ist und sich erst als Ergebnis eines Diskussionsprozesses oder auch einer gerichtlichen Klärung herausstellt“.661 Der Maßstab von § 164 StGB („wider besseres Wissen“) kann nicht direkt herangezogen werden, da es sich um eine Verfassungsfrage handelt. Jedoch steht außer Frage, dass auch aus verfassungsrechtlicher Sicht ein Insider bei einer entsprechenden bösgläubigen Diffamierung keinen Schutz genießt, da eine erwiesen bzw. bewußt unwahre Tatsachenbehauptung nicht vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst ist662. Auf dieser Linie liegt auch die Rechtsprechung des BVerfG zur „Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte im Strafverfahren“, wonach sich der besondere Schutz aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG auf „nicht wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben“ beschränkt.663 Kritische Ausgangsfrage ist damit, wann ein Whistle­blower leichtfertig gehandelt hat.664 Leichtfertig wird man mit grob fahrlässig gleichsetzen können.665 Nach gängiger Definition ist grobe Fahrlässigkeit dann zu bejahen, wenn der Handelnde „die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem einleuchten müsse. Im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit muss es sich bei einem grob fahrlässigen Verhalten um ein auch in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Fehlverhalten handeln, das ein gewöhnliches Maß erheblich über-

658

Vgl. auch Ulber / Wolf, LAGE § 626 BGB 2002 Nr. 7b. Ähnlich für Arbeitnehmer Hinrichs, ArbRGgw 1981, 35 (52). 660 BVerfGE 85, 1 (15); s. auch BVerfGE 54, 208 (219 f.). 661 BVerfGE 99, 185 (197). 662 BVerfGE 85, 1 (15). 663 BVerfG, NJW 2001, 3474 (3476). 664 S. hierzu auch Leuchten, ZRP 2012, 142 (143 f.). 665 Leuchten, ZRP 2012, 142 (143 f.); s. auch Otto, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 45; vgl. zu einer leicht fahrlässigen Anzeige eines Arbeitnehmers LAG Hamm, BB 1950, 703. 659

B. Recht zum externen Whistle­blowing

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steigt […].“666 Dabei können die Maßstäbe, die zum internen Whistle­blowing entwickelt wurden, nicht ungesehen übertragen werden: Verschärfend kommt hinzu, dass beim externen Whistle­blowing noch externe Stellen bzw. die Öffentlichkeit mit einbezogen werden, sodass im Vergleich noch höhere Anforderungen an die vorherige Aufklärungspflicht des Whistle­blowers zu stellen sind. Grundlose Anzeigen können jedenfalls als leichtfertig, wenn nicht sogar als wissentlich unwahr angesehen werden.667 Maßgeblich sind zunächst die Informationen, die der Insider erhalten hat. Je glaubhafter die Informationen für den Insider sind, desto eher kann davon ausgegangen werden, dass er gutgläubig gehandelt hat. Hat er den Missstand selbst wahrgenommen, ist dies regelmäßig gewichtiger als Berichte von anderen Personen. Dabei kommt es auch auf die persönliche Qualifikation des Whistle­blowers an, d. h. ob er die Richtigkeit der Information insofern einschätzen kann. Ein gerichtsfester Nachweis einer Verantwortlichkeit der internen Stelle ist allerdings nicht erforderlich.668 Gleichwohl ist der Insider auch verpflichtet, vorab intern nachzuforschen, ob der Missstand tatsächlich besteht, wenn die bisherige Tatsachenlage unklar ist. Ein Whistle­blower handelt v. a. dann leichtfertig, wenn er bestehende Aufklärungsmöglichkeiten ungenutzt lässt.669 Das Einschalten einer Rechtsberatung spricht deutlich gegen Leichtfertigkeit.670 Insofern korreliert die Frage der Leichtfertigkeit mit der Art des bedrohten Rechtsguts auf zwei Ebenen: Je schwerwiegender die (vermeintliche) Gefahr bzw. je höherrangiger das (vermeintlich) bedrohte Rechtsgut, desto geringere Anforderungen sind an die vorherige Aufklärungspflicht zu stellen und desto unschädlicher sind verbleibende Zweifel des Whistle­blowers. Darüber hinaus lässt sich zwischen externem Whistle­blowing an zuständige staatliche Behörden und die breite Öffentlichkeit differenzieren: Bei letzterem sind die Anforderungen an die Zuverlässigkeit der maßgeblichen Information höher anzusetzen,671 da hiermit ein höheres Risiko einhergeht, den Ruf des Betroffenen dauerhaft zu schädigen. 5. Ergänzung: Hinweise an einzelne Personen Hat sich der Insider nicht an die breite Öffentlichkeit gewandt, sondern an einzelne Personen, von denen er annimmt, dass diese die Informationen nicht weiterverbreiten, so ist zu beachten, dass diese dem internen Missstand nicht unmittelbar 666

BGH, NJW 2007, 2988 (2989). Bei Arbeitnehmern gegen einen Schutz i. E. auch LAG Düsseldorf, DB 1974, 2164; Hinrichs, ArbRGgw 1981, 35 (52). 668 Vgl. zur Unschuldsvermutung bei einer Strafanzeige im privaten Sektor Forst, NJW 2011, 3477 (3481); Seel, MDR 2012, 9 (11). 669 Zu Arbeitnehmern Ebert, ReWir 7/2011, 1 (7); nach Schlachter, RdA 2012, 108 (112), kann der Vorwurf der Leichtfertigkeit einer Anzeige bei Auslassen unternehmensinterner Vorverfahren selten entkräftet werden. 670 Zu Arbeitnehmern Ulber / Wolf, LAGE § 626 BGB 2002 Nr. 7b. 671 Vgl. Branahl, HFR 2/2012, 1 (3). 667

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

abhelfen können. In einem solchen Fall kann begrifflich nicht von „Whistle­ blowing“ gesprochen werden.672 Ihre Informierung ist also regelmäßig unzulässig, da der eigentliche Zweck externen Whistle­blowings, zur Bekämpfung des Missstandes Externe zu gewinnen, bereits nicht greifen kann. Eine Informierung einzelner externer Personen ist hier aber grundsätzlich auch nicht mit der Informierung der breiten Öffentlichkeit gleichzusetzen. Hinzu kommt, dass Insider nicht immer mit Sicherheit annehmen können, dass die Information nicht doch verbreitet wird. Ausnahmen – die aber nicht von der Pflicht zur Verschwiegenheit entbinden – wird es nur in eng begrenzten Fällen geben können, etwa dann, wenn eine Weitergabe der Information an enge Familienmitglieder erfolgt, da solche Offenbarungen aufgrund der dem Insider zustehenden Intimsphäre zulässig sein müssen.673

VI. Die Zusicherung finanzieller Anreize für externes Whistle­blowing als verfassungsrechtliches Problem 1. Überblick Aus Sicht des Grundrechtsträgers, d. h. des Whistle­blowers, aber auch des Arbeitgebers bzw. Dienstherrn ist primär die Frage bedeutsam, in welchen Fällen externes Whistle­blowing zulässig ist, was gleichzeitig die Kernfrage dieser Untersuchung ist. Gleichwohl ist der Themenkomplex „Recht zum externen Whistle­ blowing“ auch mit anderen Fragestellungen verbunden, die ebenfalls einen verfassungsrechtlichen Einschlag haben. In der Einleitung wurde bereits dargestellt, dass es keine allgemeine Whistle­blower-Schutznorm gibt,674 obwohl dies nicht nur wünschenswert, sondern auch verfassungsrechtlich zulässig wäre, solange die verschiedenen verfassungsrechtlichen Positionen hinreichend berücksichtigt würden. In diesem Kontext soll im Folgenden ein kursorischer Blick auf einen weiteren Themenkomplex geworfen werden, der mit dem Recht zum externen Whistle­blowing in unmittelbarem Zusammenhang steht und durch Art. 32 Abs. 4 der Marktmissbrauchsverordnung (MAR)675 für den Bereich des Kapitalmarktrechts eine neue Bedeutung erlangt hat; die Norm sieht Folgendes vor: Im Einklang mit nationalem Recht können die Mitgliedstaaten finanzielle Anreize für Personen, die relevante Informationen über mögliche Verstöße gegen diese Verordnung bereitstellen, unter der Voraussetzung gewähren, dass diese Personen nicht bereits zuvor anderen gesetzlichen oder vertraglichen Verpflichtungen zur Meldung solcher Informationen 672

S. 1. Teil, B. I. Ähnlich Finger, ZBR 1965, 225 (228 f.). 674 1. Teil, E. 675 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.4.2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission; vgl. zu Whistle­blowing im Finanzaufsichtsrecht auch Helm, BB 2018, 1538 ff. 673

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unterliegen, sowie unter der Voraussetzung, dass die Informationen neu sind und dass sie zur Verhängung einer verwaltungsrechtlichen oder einer strafrechtlichen Sanktion oder einer anderen verwaltungsrechtlichen Maßnahme für einen Verstoß gegen diese Verordnung führen.

Dabei ist zu beachten, dass Art. 32 Abs. 4 MAR ausdrücklich keine Pflicht zur Statuierung einer entsprechenden Norm vorsieht. Dies ist insofern von Bedeutung, als es sich folglich nicht um einen durch EU-Recht determinierten Bereich handelt, was die verfassungsrechtliche Überprüfung eines deutschen Gesetzes einschränken würde.676 Während finanzielle Anreize in anderen Staaten teilweise üblich sind,677 wird die Diskussion hierüber in Deutschland sehr zurückhaltend geführt. Die existierenden Kronzeugenregelungen sehen insofern eine Strafmilderung bzw. ein Absehen von einer Strafe (§ 46b StGB, § 31 BtMG) bzw. auf europäischer Ebene im Wettbewerbsrecht einen Erlass oder die Ermäßigung einer Geldbuße678 unter bestimmten Voraussetzungen vor, können dem Themenkomplex „finanzielle Anreize“ also durchaus zugeordnet werden. Finanzielle Entlohnungen sehen sie hingegen nicht vor. Da Arbeitnehmer bzw. Beamte begrifflich allerdings (nach hier vertretener Auffassung) nur dann als „Whistle­blower“ anzusehen sind, wenn sie mit primär selbstloser bzw. gemeinnütziger Motivation handeln, muss genau untersucht werden, ob diese Motivation oder der finanzielle Anreiz (bzw. die Strafmilderung) für den Informanten im Vordergrund stand. 2. Enthüllungen von Insidern als rechtsstaatliche Notwendigkeit Der Staat kann auf die Mitarbeit von Privaten bei der Aufklärung von Gesetzesverstößen nicht verzichten. Dies hat auch maßgeblich zur bereits genannten Kronzeugenregelung in § 46b StGB beigetragen.679 Dabei ist es bereits gängige Staatspraxis, Informationen von Privaten zu kaufen.680 Strafrechtliche Aufklärung durch den Staat erfolgt regelmäßig durch Auslobung oder die Bezahlung von V-Leuten.681 676

Vgl. BVerfGE 121, 1 (15); 125, 260 (306). Vgl. zu den USA Göpfert / Wiegandt, ZWH 2011, 19 (21). 678 S. die Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen, Abl. 2006 C 298/17. 679 BT-Drs.  16/6268, S. 1: „Vor allem bei der Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kriminalität, einschließlich der schweren Wirtschaftskriminalität, deren Strukturen durch ein hohes Maß an Konspirativität geprägt sind, stoßen die Strafverfolgungsbehörden in besonderem Maße auf Probleme im Rahmen der Beweisführung. Mit von außen wirkenden Ermittlungsmaßnahmen gelingt es vielfach nicht, in die abgeschotteten Strukturen einzudringen und die zur Aufklärung und Verhinderung schwerer Straftaten erforderlichen Erkenntnisse zu gewinnen. Die Ermittler sind daher vor allem auf die Hinweise von selbst ins kriminelle Milieu verstrickten Personen angewiesen, die über wertvolle Informationen zu Strukturen und Hintermännern verfügen, unabhängig davon, ob diese selbst eine Straftat begangen haben, die diesen Kriminalitätsbereichen zugeordnet werden kann.“ 680 Kaiser, NStZ 2011, 383 (384). 681 Kaiser, NStZ 2011, 383 (384). 677

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

Finanzielle Anreize zur Informationsweitergabe sind also kein neues Phänomen, mit dem sich der Rechtsstaat erstmals konfrontiert sehen würde. Lediglich die verschiedenen Ausprägungen werfen regelmäßig (rechtsstaatliche) Zulässigkeitsfragen auf. Das Problem genereller finanzieller Anreize für Whistle­blower zeichnet sich indes dadurch aus, dass ohne konkreten Anlass für eine externe Meldung unter bestimmten Voraussetzungen Geldbeträge ausgezahlt werden sollen (bzw. – je nach Regelung – ins Ermessen der zuständigen Behörde gestellt werden). Bei den oben bereits genannten, aber auch sonstigen Fallgestaltungen, bei denen finanzielle Anreize für Private zugesichert werden, geht es um konkrete Einzelfälle, bei denen der Staat von einem bestimmten Missstand erfährt und sich erst anschließend für eine Entlohnung entscheidet. Bei vorab statuierten finanziellen Anreizen für Whistle­blower handelt es sich um eine andere Konstellation: Der Staat statuiert für bestimmte Fälle finanzielle Anreize, ohne dass dieser Fall konkret eingetreten ist. Viele Wirtschaftsdelikte – v. a. im Finanzbereich – können ohne Hilfe von Arbeitnehmern bzw. Beamten nicht aufgedeckt werden. Dabei ist zu bedenken, dass die Gesetzesverstöße, die mit Hilfe von Whistle­blowern bereits aufgedeckt wurden, nur die Spitze des Eisbergs darstellen dürften, d. h. eine sehr hohe Dunkelziffer existiert. Die Schäden, die durch Wirtschaftskriminalität entstehen, können enorm sein, bspw. im Bereich der Finanzstabilität bzw. Stabilität der Märkte. Eine Verschärfung der Gesetzeslage (z. B. durch höhere Strafandrohungen), die präventiv wirken soll, wird nur bedingt Erfolg zeigen, solange keine effektive Kontrolle möglich ist. Diese effektive Kontrolle kann aber allein durch die staatlichen Behörden nur begrenzt geleistet werden, da diese lediglich über einen beschränkten Informationszugang verfügen. Aus rechtspolitischer Sicht ist die Einführung einer entsprechenden Regelung, die finanzielle Anreize für (zumindest schwere) Kriminalitätsdelikte vorsieht, also durchaus sinnvoll. Unterscheiden lassen sich dabei zwei Möglichkeiten: Die Etablierung einer Norm, nach der einem Whistle­blower unter bestimmten Voraussetzungen ein Anspruch auf Zahlung einer finanziellen Entlohnung zusteht, oder nach der die Zahlung des Geldbetrages in das Ermessen der zuständigen Behörde gestellt wird. Sowohl beide Modelle als auch die Frage, für welche Fälle finanzielle Anreize gewährt werden sollten, müssen rechtspolitisch genau durchdacht sein, werden hier aber im Folgenden nicht näher untersucht. Der Fokus soll – im Zusammenhang mit der verfassungsrechtlichen Perspektive dieser Untersuchung – auf die Frage gelegt werden, ob finanziellen Anreizen („im Einklang mit nationalem Recht“) verfassungsrechtliche Hindernisse entgegenstehen. 3. Verfassungsrechtliche Grenzen für finanzielle Anreize Aus rechtsstaatlicher Perspektive ist die Einführung finanzieller Anreize – unabhängig von der Frage, welches der beiden oben genannten Modelle gewählt wird – nicht per se unzulässig. Insofern macht es keinen wesentlichen Unterschied, dass

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der Staat bereits vorab für die Enthüllung bestimmter Missstände finanzielle Anreize bietet. Vielmehr müssen diejenigen, die gegen die betroffenen Gesetze verstoßen, mit entsprechenden Enthüllungen rechnen. Wenn es einem Whistle­blower gestattet ist, Informationen an Behörden weiterzugeben, muss es auch zulässig sein, dies finanziell zu fördern. Im Einzelnen können bei dieser Thematik zwei Ebenen unterschieden werden: – War die Informationsbeschaffung durch den Whistle­blower zulässig? – Ist die Informationsweitergabe an den Staat (also das eigentliche externe Whistle­ blowing) zulässig? Allerdings stellt sich die Frage, ob finanzielle Anreize auch dann zulässig sind, wenn die Informations­beschaffung und / oder die Informationsweitergabe unzulässig ist. Aus der Rechtswidrigkeit der Informationsbeschaffung folgt dabei nicht direkt die Rechtswidrigkeit externen Whistle­blowings.682 a) Grenze bei illegalem Handeln des Arbeitnehmers bzw. Beamten aa) Bei illegaler Informationsbeschaffung Mit dem Ankauf sogenannter Steuer-CDs, auf denen die Daten von Steuerhinterziehern gespeichert waren, ist die Frage aufgekommen, inwiefern es für den Staat verboten ist, für die rechtswidrige Informationsbeschaffung durch Private finanzielle Anreize zu setzen. Im Ausgangspunkt ist es dem Staat untersagt, für illegale Informationsbeschaffungen finanzielle Anreize zu setzen. Die strikte Gesetzesbindung des Staates in Art. 20 Abs. 3 GG darf nicht dadurch ausgehöhlt werden, dass der Staat Private für Rechtsbrüche entlohnt.683 Dies gilt unabhängig davon, inwiefern dem Staat das Verhalten des Privaten durch die Schaffung finanzieller Anreize zuzurechnen ist.684 Das Vertrauen der Bevölkerung in die Geltung der Rechtsordnung würde andernfalls erheblich beeinträchtigt. Auch ist zu berücksichtigen, dass der Staat hiermit letztlich die in Art. 12 Abs. 1 GG verankerte Berufsfreiheit des Arbeit­gebers, die das Recht beinhaltet, von Arbeitnehmern ein gewisses Maß an Rücksicht auf seine Interessen einzufordern,685 untergraben würde. Darüber hinaus wäre es auch widersprüchlich, einen Whistle­blower für sein Handeln zu bestrafen, ihm im Ergebnis aber für seine Tat gleichzeitig finanziell zu entlohnen.686 Entsprechend heißt es in der Rechtsprechung des BVerfG: 682

Vgl. auch BVerfGE 66, 116 (137 ff.). Ähnlich Pfeifle, Finanzielle Anreize für Whistle­blower im Kapitalmarktrecht, S. 127. 684 Vgl. hierzu Hüls, in: ders. / Reichling, § 397 Rn. 46 ff. 685 BAGE 107, 36 (43). 686 Vgl. aber auch Pfeifle, Finanzielle Anreize für Whistle­blower im Kapitalmarktrecht, S. 128. 683

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

„Eine Rechtsordnung, die sich ernst nimmt, darf nicht Prämien auf die Missachtung ihrer selbst setzen. Sie schafft sonst Anreize zur Rechtsverletzung, diskriminiert rechtstreues Verhalten […] und untergräbt damit die Voraussetzungen ihrer eigenen Wirksamkeit.“687

Diese Bedenken werden gerichtlich augenscheinlich dann nicht geteilt, wenn staatliche Behörden im Ausland rechtswidrig beschaffte Daten kaufen. Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz hält es für denkbar, den Ankauf solcher illegal beschafften Daten gesetzgeberisch zu legitimieren: „Daraus folgt jedoch nicht, dass zukünftig jegliche Verwertung von ausländischen Bankdaten, die durch ein rechtswidriges oder strafbewehrtes Verhalten eines privaten Dritten erlangt wurden, ohne Weiteres mit der Verfassung in Einklang steht. Dies gilt jedenfalls solange, wie der Gesetzgeber den Ankauf solcher in rechtswidriger oder gar strafbarer Weise erlangten Daten nicht ausdrücklich legitimiert, sondern Finanz- und Strafverfolgungsbehörden auf einer zumindest unklaren rechtlichen Grundlage operieren.“688

Das „rechtswidrige oder strafbewehrte Verhalten“ des Privaten kann sich dabei sowohl auf die interne Informationsbeschaffung als auch auf die Informationsweitergabe beziehen. Eine nähere Begründung, weshalb eine entsprechende gesetzgeberische Regelung zulässig sein sollte, fehlt indes. Da die bisherige Argumentation maßgeblich auf dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) basiert, muss gesondert geklärt werden, ob die genannten Bedenken auch dann durchgreifen, wenn die Information im Ausland auf rechtswidrige Weise beschafft wurde, denn die Staatsgewalten sind nach Maßgabe von Art. 20 Abs. 3  GG ausschließlich an die deutsche Rechtsordnung gebunden. Das Argument der Aushöhlung der Gesetzesbindung greift insofern nicht. Allerdings geht die Verfassung selbst davon aus, dass sich die Bundesrepublik Deutschland in die internationale Staaten­ gemeinschaft integriert689 – dem würde es zuwiderlaufen, wenn der Staat im Ausland begangene rechtswidrige Handlungen durch das Setzen finanzieller Anreize fördern würde. bb) Bei illegaler Informationsweitergabe Für die illegale Weitergabe von erlangten Informationen  – die u. U. externes Whistle­blowing darstellen kann  – gelten dieselben Gründe, die auch gegen die Zulässigkeit eines finanziellen Anreizes für eine rechtswidrige Informationsbeschaffung gesprochen haben. Die Zulässigkeit der Informationsweitergabe hängt dabei maßgeblich von den relevanten Umständen des Einzelfalles ab. Im Rahmen der Abwägung ist insbesondere auch das öffentliche Interesse an dieser Information bzw. – hiermit verbunden – die Systemrelevanz der Information zu berücksichtigen. 687

BVerfGE 116, 24 (49). VerfGH Rheinland-Pfalz, NJW 2014, 1434 (1439). 689 Vgl. BVerfGE 111, 307 (319): „Das Grundgesetz will eine weitgehende Völkerrechtsfreundlichkeit, grenzüberschreitende Zusammenarbeit und politische Integration in eine sich allmählich entwickelnde internationale Gemeinschaft demokratischer Rechtsstaaten.“ 688

B. Recht zum externen Whistle­blowing

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Das Interesse an einer Aufklärung ist in bestimmten Bereichen bedeutsamer, diese muss daher vom Unternehmen entsprechend eher hingenommen werden. Der oben genannte Grundsatz, finanzielle Anreize für illegales Whistle­blowing zu verbieten, aber für legales Whistle­blowing zuzulassen, sieht sich sicherlich dem Einwand ausgesetzt, dass die Grenze zwischen legalem und illegalem Whistle­ blowing schwer zu ziehen ist. Weder juristische Laien noch Experten können in jeder Fallkonstellation mit absoluter Sicherheit die Rechtmäßigkeit externen Whistle­blowings richtig einschätzen. Daher ist die Frage berechtigt, ob der Staat mit der Schaffung finanzieller Anreize nicht implizit auch illegales externes Whistle­blowing fördert, weil die Rechtslage nicht immer richtig eingeschätzt werden kann und folglich Zweifelsfälle auftreten werden. Hinzukommt, dass die in der Vergangenheit vorgekommene – auch in den Medien ausführlich dargestellte – staatliche Entlohnung für rechtswidrig beschaffte Informationen (Kauf von Steuersünder-CDs) durchaus auch in Zukunft einen Anreiz für illegale Informationsbeschaffungen bzw. -weitergaben bieten kann. Dies wird gerade durch den Aspekt verstärkt, dass sich Arbeitnehmer oder Beamte aufgrund der finanziellen Anreize in Zweifelsfällen für externes Whistle­blowing entscheiden und sich an den Staat wenden könnten, was dieser wiederum gefördert haben würde. Auch hier wird die Notwendigkeit eines Gesetzes deutlich, mit dem die Zulässigkeit von Whistle­ blowing zumindest in den wesentlichen Grundzügen geregelt werden sollte. Aus rechtsstaatlicher Perspektive wäre es insofern bedenklich, wenn die Voraussetzungen für die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing sowie die Zulässigkeit finanzieller Anreize hierfür nicht mit hinreichender Genauigkeit in einem Gesetz festgelegt würden. Da die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing gleichwohl stets eine Frage des Einzelfalles bleibt und der Gesetzgeber nicht alle denkbaren Fallkonstellationen regeln kann, ist es äußerst schwierig zu beurteilen, wie eine gesetzliche Regelung auszugestalten ist, um nicht einen Anreiz für illegales Handeln zu bieten. b) Ausnahmen Es spricht vieles dafür, gesetzlich vorgesehene finanzielle Anreize für illegal beschaffte oder weitergegebene Informationen aus den bereits genannten Gründen als unzulässig anzusehen. Akzeptiert man  – etwa mit dem Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz – eine Legitimation durch den Gesetzgeber, muss eine ent­ sprechende Regelung jedenfalls allgemein gehalten sein, damit sich keine illegale Praxis anhand einer solchen Normierung etabliert. Insgesamt lässt sich das hiermit verbundene (v. a. rechtsstaatliche) Dilemma aber kaum wertungswiderspruchsfrei auflösen.

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

VII. Zusammenfassung Das Recht zum externen Whistle­blowing unterliegt verschiedenen Begrenzungen, die Arbeitnehmer bzw. Beamte v. a. verpflichten, möglichst schonend vorzugehen. Grundsätzlich gilt dabei, dass Whistle­blower zunächst interne Abhilfe­ möglichkeiten erschöpfen müssen und erst anschließend zuständige externe staatliche Stellen informieren dürfen. Sollten diese Bemühungen insgesamt erfolglos sein, muss schließlich gesondert untersucht werden, inwiefern dem Whistle­ blower das Recht zusteht, die Öffentlichkeit zu informieren. Stets sind dabei die relevanten Umstände des Einzelfalles zu beachten. Abweichungen von diesem Vorranggrundsatz bedürfen einer besonderen Rechtfertigung. Besonders kritisch ist dabei die Konstellation, in der sich Whistle­blower unmittelbar an die breite Öffentlichkeit wenden; dies ist nur in extremen Ausnahmefällen zulässig.

C. Pflicht zum externen Whistle­blowing I. Grundlagen für den privaten Sektor und den öffentlichen Dienst 1. Verfassungswidrigkeit einer allumfassenden Pflicht Eine allumfassende Pflicht, auf jedweden Gesetzesverstoß hinzuweisen, besteht nicht. In diesem Umfang könnte eine solche Pflicht auch nicht einfachrechtlich kodifiziert werden, da sie mit der negativen grund- bzw. menschenrechtlichen Freiheit des Whistle­blowers sowie mit zahlreichen Interessen anderer Personen kollidieren würde und einer Rechtfertigung mangels Zumutbarkeit insofern nicht zugänglich wäre. Zwar besteht generell ein legitimes Interesse daran, Gesetzesverstöße aufzudecken, doch dabei müssen die entgegenstehenden Belange anderer Personen berücksichtigt werden. Diese würden bei einer allumfassenden Pflicht vollständig ignoriert. Daher besteht auch nur für bestimmte Bereiche eine sanktionsbewehrte Pflicht zur Meldung von Missständen (s. etwa § 138 StGB). Verfassungsrechtlich besteht grundsätzlich auch kein Gebot, dass die unterlassene Meldung von Missständen (z. B. strafrechtlich) sanktioniert werden müsste. Der Staat ist zwar dazu verpflichtet, bestimmte Verfassungsrechtsgüter aktiv zu schützen – ob er hierzu eine Meldepflicht statuiert oder andere Wege wählt, ist dabei allerdings grundsätzlich ihm überlassen.690 Aufgrund der besonderen Bedeutung bestimmter Verfassungswerte kann sich das gesetzgeberische Ermessen in bestimmten Fällen aber auf Null reduzieren,691 sodass dieser zur Etablierung einer Meldepflicht verpflichtet ist, um den jeweiligen Verfassungswert hinreichend zu schützen

690 691

Vgl. BVerfGE 96, 56 (64). Vgl. zum Lebensschutz BVerfGE 46, 160 (164 f.); 115, 118 (160).

C. Pflicht zum externen Whistle­blowing

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(z. B. beim Recht auf Leben, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG (§ 138 Abs. 1 Nr. 5 StGB)). Dem ist der Staat durch die bisherigen Regelungen hinreichend nachgekommen. 2. Zur Notwendigkeit einer (hinreichend bestimmten) gesetzlichen Regelung Die Pflicht zum externen Whistle­blowing ist ein gravierender Grundrechtseingriff, weshalb die aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Grundsätze der Wesentlichkeitslehre beachtet werden müssen. Grundrechtswesentliche Bereiche müssen vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber selbst geregelt werden.692 Dies bedeutet, dass Eingriffe in Grundrechte nur dann zulässig sind, wenn sie auf einem entsprechenden formellen Gesetz beruhen, das alle grundrechtswesentlichen Aspekte regelt.693 Aufgrund des schwerwiegenden Eingriffs in die negative grundrechtliche Freiheitssphäre des Einzelnen – zumindest Art. 2 Abs. 1 GG – gilt dies auch bei einer Verpflichtung zum externen Whistle­blowing. Für Arbeitnehmer und Beamte muss hinreichend deutlich werden, in welcher Situation sie sich an welchen externen Adressaten zu wenden haben. Arbeitnehmer und Beamte dürfen grundsätzlich darauf vertrauen, dass interne Bemühungen ausreichen, um einen Missstand zu bekämpfen, und sie nicht verpflichtet sind, sich an Externe zur Bekämpfung interner Missstände zu wenden. Hinzukommt, dass eine externe Meldung eine schwerwiegende Pflichtverletzung darstellen kann, die drastische Konsequenzen nach sich zieht. Insofern darf der Gesetzgeber Arbeitnehmer und Beamte nicht mit dem Risiko einer Pflichtverletzung belasten, ohne die Voraussetzungen einer Hinweispflicht klar zu umreißen. Allgemein formulierte Rücksichtnahme-, Verhaltens- oder ähnlichen Pflichten können hierfür also nicht ausreichen. Letzteres führt auch nicht deshalb zu einem Widerspruch, weil auf solche allgemein formulierten Normen gestützt eine Pflicht zum internen Whistle­blowing für bestimmte Konstellationen begründet wurde. Eine Pflicht zum internen Whistle­blowing weist eine erheblich geringere Eingriffsintensität als eine Pflicht zum externen Whistle­blowing auf. Da das Maß an grundrechtswesentlicher Regelungsnotwendigkeit mit dem Maß an Eingriffsintensität korreliert, gelten für eine Pflicht zum externen Whistle­ blowing an die breite Öffentlichkeit noch höhere Anforderungen an die Regelungsdichte als bei einer Pflicht zum externen Whistle­blowing an die zuständigen externen staatlichen Stellen.

692 693

Vgl. zur Wesentlichkeitslehre nur BVerfGE 47, 46 (78 ff.). Hierzu nur Jarass, in: ders. / Pieroth, Art. 20 Rn. 72 ff.

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

3. Beachtung des Nemo-tenetur-Grundsatzes Auch bei einer Pflicht zum externen Whistle­blowing gilt generell, dass es keine Pflicht zur Selbstanzeige bei Straftaten (bzw. ähnlichen Taten) gibt, da andernfalls gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz verstoßen würde.694 4. Keine Pflicht aus Art. 20 Abs. 4 GG Nach Art. 20 Abs. 4 GG haben alle Deutschen unter den dort genannten Voraussetzungen ein Recht zum Widerstand. Bereits der Wortlaut verdeutlicht, dass es sich um ein Recht, nicht aber zugleich um eine Pflicht handelt, die als Grundlage für externes Whistle­blowing herangezogen werden könnte. Zudem würde in zahlreichen Fällen eine nicht zumutbare Belastung für die Betroffenen entstehen.695 Damit ist eine Pflicht zum Widerstand abzulehnen,696 sodass eine Pflicht zum externen Whistle­blowing hierauf nicht gestützt werden könnte. Ergänzend sei in diesem Kontext angemerkt, dass sich aus Art. 19 der Bremer Landesverfassung eine Pflicht zum Widerstand unter den dort genannten Voraussetzungen ausdrücklich ergibt.

II. Pflicht zum externen Whistle­blowing im privaten Sektor 1. Externes Whistle­blowing an zuständige externe staatliche Stellen Eine Pflicht zum externen Whistle­blowing besteht nur dann, wenn sie (in verfassungskonformer Weise) gesetzlich vorgesehen ist. Aufgrund der erheblichen grundrechtlichen Beeinträchtigung muss jedenfalls ein großes (v. a. rechtsstaat­liches) Interesse an einer Informierung der zuständigen externen staatlichen Stellen bestehen. Ist der Arbeitnehmer gesetzlich zur Anzeige verpflichtet, kann in einer solchen Anzeige kein Verstoß gegen die Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB gesehen werden.697 a) Ausdrückliche Pflichten Auf einfachrechtlicher Ebene finden sich für bestimmte Bereiche Pflichten zum externen Whistle­blowing; zu nennen ist etwa § 138 StGB und § 42 BKHG-NRW. 694

Hierzu 3.  Teil, B. I. 2. b) bb) (1.). BT-Drs. V/2873, S. 9; s. auch Grzeszick, in: Maunz / Dürig, Art. 20 Abs. 4 (IX.) Rn. 12 (73. Lfg. 2014). 696 So auch Isensee, in: Enzmann, S. 143 (157); Gröschner, in: Dreier (2. Aufl.), Art. 20 Abs. 4 Rn. 15. 697 S. auch Müller, NZA 2002, 424 (432). 695

C. Pflicht zum externen Whistle­blowing

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b) Keine Pflicht aus § 241 Abs. 2 BGB Eine Pflicht zum externen Whistle­blowing an die zuständigen externen staat­ lichen Stellen stellt für einen Arbeitnehmer eine gravierende grundrechtliche Beeinträchtigung (zumindest von Art. 2 Abs. 1 GG) dar, für die § 241 Abs. 2 BGB – oder § 242 BGB – als normative Grundlage nicht ausreicht. Die Norm formuliert eine allgemeine Rücksichtnahmepflicht gegenüber dem Vertragspartner, deutet aber in keiner Weise an, in welchen Situationen sich ein Arbeitnehmer an externen Stellen wenden müsste. Der Gesetzgeber muss klarstellen, bei welcher Art von Missstand sich ein Arbeitnehmer an externe Stellen zu wenden hat. Ein Arbeitnehmer muss vernünftigerweise auch nicht damit rechnen, aus der allgemeinen Rücksichtnahmepflicht heraus dazu verpflichtet zu sein, sich an externe Stellen zu wenden, um interne Missstände zu bekämpfen. Vielmehr darf er zumindest bei Eingehen des Vertragsverhältnisses darauf vertrauen, dass Hinweise an seinen Vertragspartner ausreichen werden. Wertungswidersprüche entstehen auch nicht deshalb, weil gestützt auf § 241 Abs. 2 BGB in bestimmten – ebenfalls normativ nicht klar ersichtlichen  – Situationen eine Pflicht zum internen Whistle­blowing begründet wurde: Beim internen Whistle­blower verbleibt der Arbeitnehmer innerhalb seiner Organisation, was die Intensität der grundrechtlichen Beeinträchtigung erheblich reduziert. 2. Externes Whistle­blowing an die breite Öffentlichkeit Eine ausdrückliche Pflicht zum externen Whistle­blowing an die breite Öffentlichkeit besteht für Arbeitnehmer weder nach dem Grundgesetz noch auf einfachrechtlicher Ebene. Auch eine Pflicht zum externen Whistle­blowing an die breite Öffentlichkeit stellt für einen Arbeitnehmer eine gravierende grundrechtliche Beeinträchtigung (zumindest in Art. 2 Abs. 1 GG) dar, für die § 241 Abs. 2 BGB – oder § 242 BGB – als normative Grundlage nicht ausreicht. Eine gesetzliche Kodifikation ist auch eher theoretischer Natur, da der Gesetzgeber hiermit implizieren würde, dass staatlich vorgesehene Abhilfemaßnahmen (und damit letztlich auch das Gewaltmonopol) nicht hinreichend effektiv sind. Entscheidet sich der Gesetzgeber gleichwohl zu einer entsprechenden Regelung, wäre zu beachten, dass es sich um einen äußerst schwerwiegenden Grundrechtseingriff handelt. Ein solcher Eingriff wäre nur für Extremsituationen zum Schutz von Verfassungsgütern möglich. Dies gilt unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer bereits unternehmensinterne, aber nicht staatlich vorgesehene externe Abhilfemöglichkeiten erschöpft hat (bzw. vice versa). Sollte der Gesetzgeber einen sofortigen Hinweis an die breite Öffentlichkeit vorsehen, wäre insbesondere eine unmittelbar bevorstehende Gefahr zu fordern, die nicht auf andere Weise abgewendet werden kann. Für all diese Konstellationen ist ein äußerst hohes Maß an Normenklarheit zu fordern.

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4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

III. Pflicht zum externen Whistle­blowing im öffentlichen Dienst 1. (Berufs-)Beamte a) Externes Whistle­blowing an zuständige externe staatliche Stellen Statuiert der Gesetzgeber eine Pflicht zum externen Whistle­blowing, muss aufgrund der erheblichen grundrechtlichen Beeinträchtigung, die mit einer solchen Pflicht einhergeht, jedenfalls ein großes (v. a. rechtsstaatliches) Interesse an einer Informierung der zuständigen externen staatlichen Stellen bestehen. aa) Keine Pflicht aus dem Bundesbeamtengesetz Das Bundesbeamtengesetz statuiert keine ausdrückliche Pflicht zum externen Whistle­blowing. Vielmehr finden sich in Einzelnormen bestimmte allgemeine Verpflichtungen: So müssen sich Beamte nach § 60 Abs. 1 S. 3 BBG durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung i. S. d. des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten. Nach § 61 Abs. 1 S. 3 BBG muss ihr Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die ihr Beruf erfordert. Schließlich verweist auch § 4 BBG auf das auch in Art. 33 Abs. 5 GG wurzelnde öffentlich-rechtliche Treueverhältnis. Als hergebrachter Grundsatz des Beamtentums ist insofern die Treuepflicht anzuerkennen, die auch eine politische Treuepflicht beinhaltet.698 „Politische Treuepflicht bewährt sich in Krisenzeiten und in ernsthaften Konfliktsituationen, in denen der Staat darauf angewiesen ist, daß der Beamte Partei für ihn ergreift.“699

Dieser Grundsatz kann auch dann herangezogen werden, wenn Gesetzeswidrigkeiten staatlicherseits zugelassen werden. Der Beamte muss für die verfassungsrechtliche Ordnung aktiv eintreten.700 Wie bereits festgestellt, reichen derart allgemein formulierte Pflichten allerdings nicht aus, um eine Pflicht zum externen Whistle­blowing zu begründen. Auch wenn Beamte eine stärkere Pflicht als Private trifft, bei (drohenden) Gesetzesverstößen für den Staat einzutreten, bedarf es einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage, die einem Beamten verdeutlicht, in welcher Situation er sich an welchen Adressaten wenden muss.

698

BVerfGE 39, 334 (347 ff.). BVerfGE 39, 334 (348 f.). 700 BVerfGE 39, 334 (348). 699

C. Pflicht zum externen Whistle­blowing

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bb) Verwaltungsvorschriften Eine Pflicht zum externen Whistle­blowing kann sich auch aus Verwaltungsvorschriften ergeben, soweit die durch die sog. Wesentlichkeitslehre vorgegebenen Maßgaben hinreichend berücksichtigt werden701; so ist etwa in der „Richtlinie der Bundesregierung zur Korruptionsprävention in der Bundesverwaltung“702 unter Punkt 10.1 bei einem durch Tatsachen begründeten Verdacht einer Korruptionsstraftat eine Anzeigepflicht der Dienststellenleitung an die Staatsanwaltschaft und die oberste Dienstbehörde vorgesehen.703 b) Externes Whistle­blowing an die breite Öffentlichkeit Explizite Normen, die einen Beamten verpflichten, sich an die breite Öffentlichkeit zu wenden, existieren nicht. Ein Rückgriff auf die allgemeinen Pflichten des BBG kommt – wie oben bereits dargelegt – auch im Lichte von Art. 33 Abs. 5 GG mangels hinreichender gesetzgeberischer Klarstellung nicht in Betracht. Dies gilt unabhängig davon, ob ein Beamter bereits den Dienstweg erschöpft oder die zuständigen externen staatlichen Stellen bereits kontaktiert hat. Wie im privaten Sektor wäre es sehr überraschend, wenn der Gesetzgeber eine „Flucht in die Öffentlichkeit“ normieren würde, da hiermit implizit einhergeht, dass staatliche Abhilfemaßnahmen (und damit letztlich das Gewaltmonopol) versagen. Entscheidet sich der Gesetzgeber gleichwohl zu einer entsprechenden Regelung, wäre zu beachten, dass es sich um einen äußerst schwerwiegenden Grundrechtseingriff handelt. Ein solcher Eingriff wäre nur für Extremsituationen zum Schutz von Verfassungsgütern möglich. Dies gilt unabhängig davon, ob der Beamte bereits dienstinterne, aber nicht dienstexterne Abhilfemöglichkeiten erschöpft hat (bzw. vice versa). Sollte der Gesetzgeber einen sofortigen Hinweis an die breite Öffentlichkeit vorsehen, wäre insbesondere eine unmittelbar bevorstehende Gefahr zu fordern, die nicht auf andere Weise abgewendet werden kann. Für all diese Konstellationen ist ein äußerst hohes Maß an Normenklarheit zu fordern. 2. Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes Für Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes gelten die für Arbeitnehmer im privaten Sektor ermittelten Ergebnisse. Die Regelung des § 41 S. 2 TVöD-BT-V, wonach sich Beschäftigte des Bundes und anderer Arbeitgeber, in deren Aufgabenbereichen auch hoheitliche Tätigkeiten wahrgenommen werden, durch ihr gesamtes

701

Vgl. nur Jarass, in: ders. / Pieroth, Art. 20 Rn. 71 ff. Richtlinie vom 30.7.2004, BAnz. Nr. 148, S. 17745. 703 Vgl. auch Pieroth, in: Jarass / Pieroth, Art. 86 Rn. 2. 702

258

4. Teil: Die Zulässigkeit von externem Whistle­blowing

Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung i. S. d. Grundgesetzes bekennen müssen, kann insofern nicht als Grundlage für eine Pflicht zum externen Whistle­blowing herangezogen werden. Dies zeigt bereits ein Vergleich mit § 60 Abs. 1 S. 3 BBG, wonach Beamte – neben ihrem Bekenntnis zu dieser Grundordnung – für deren Erhaltung auch eintreten müssen.

5. Teil

Zusammenfassung der Ergebnisse 1. Whistle­blowing ist ein komplexes rechtliches Phänomen, dessen Beurteilung entscheidend von den relevanten Umständen des Einzelfalles abhängt. Dementsprechend muss der Sachverhalt eines jeden Whistle­blowing-Falles genau untersucht werden, bevor eine rechtliche Beurteilung möglich ist. 2. Die Gesetzeslage in Deutschland ist mangelhaft. Es ist empfehlenswert, ein Gesetz zum Schutz von Whistle­blowern zu erlassen, um die bestehende Rechtsunsicherheit zu verringern. Dieses Gesetz muss allerdings auch interpretationsoffen formuliert sein, um die relevanten Umstände des Einzelfalles berücksichtigen zu können. 3. Whistle­blowing kann vom Schutzbereich mehrerer Grundrechte umfasst sein. Welche Grundrechte im Einzelnen einschlägig sind, hängt vom jeweiligen Sachverhalt ab, beim externen Whistle­blowing insbesondere vom jeweiligen Informationsadressaten. Ferner kann sich ein Schutz auch aus internationalen Menschenrechtsverträgen ergeben. 4. Anonymes Whistle­blowing ist vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) umfasst. 5. Sowohl im privaten Sektor als auch im öffentlichen Dienst besteht grundsätzlich ein Recht zum internen Whistle­blowing. Dieses Recht unterliegt lediglich gewissen äußeren Grenzen, insbesondere dem Sachlichkeitsgebot. 6. Sowohl im privaten Sektor als auch im öffentlichen Dienst kann auch eine Pflicht zum internen Whistle­blowing bestehen. Entscheidend ist v. a. nach dem Verursacher und der Schwere des Missstandes zu differenzieren. 7. Externes Whistle­blowing ist (auch rechtlich) deutlich brisanter als internes Whistle­blowing. Die Zulässigkeit externen Whistle­blowings hängt dabei maßgeblich von den relevanten Umständen des Einzelfalles ab. Empfehlenswert ist es, streng zwischen der Zulässigkeit und den Rechtsfolgen einerseits sowie zwischen den im Wesentlichen sechs möglichen Konstellationen externen Whistle­blowings andererseits zu differenzieren. 8. Es spricht vieles dafür, dass der EGMR die Zulässigkeit einer Benachteiligung als Reaktion auf externes Whistle­blowing anhand eines einheitlichen Prüfungskonzeptes überprüft. Die zukünftige Entwicklung ist jedoch genau zu beobachten. 9. Der Vergleich zwischen der Judikatur des EGMR und derjenigen der deutschen Gerichte hat ergeben, dass die vom EGMR herangezogenen Kriterien im

260

5. Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse

Grunde nicht neu sind, jedoch bisher lediglich vereinzelt von den deutschen Gerichten herangezogen wurden. Wollen diese dem Vorwurf einer Konventionsverletzung seitens des EGMR entgehen, müssen sie sich stärker an den Urteilen des EGMR zum externen Whistle­blowing orientieren. 10. Illegales Handeln muss streng von dessen Offenbarung unterschieden werden. Ersteres genießt denklogisch keinen Schutz durch die Rechtsordnung, bei letzterem ist die Rücksichtnahmepflicht des Whistle­blowers zu berücksichtigen. 11. Zur Klärung der Frage, inwiefern externes Whistle­blowing zulässig ist, ist sowohl im privaten Sektor als auch im öffentlichen Dienst zu beachten, dass internes Whistle­blowing grundsätzlich Vorrang genießt. Dabei sind die relevanten Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, die mit dem Vorranggrundsatz in einem Ergänzungsverhältnis stehen. 12. Die Zulässigkeit externen Whistle­blowings wird maßgeblich durch den gewählten Enthüllungsweg des Whistle­blowers bestimmt. Je mehr er sich (sowohl intern als auch extern) um Diskretion bei der Aufklärung bemüht, desto höhere Anforderungen sind an die Bejahung einer Pflichtverletzung zu stellen. 13. Eine Pflicht zum externen Whistle­blowing besteht nur in Ausnahmefällen.

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Sachwortverzeichnis Allgemeines Persönlichkeitsrecht  57 f., 70 f., 84, 103, 120 ff. Anonymität, Meinungsfreiheit  44 ff., 208 Anonymität, Petitionsrecht  52 f., 208 Authentizität der Information  185 ff. Berufsfreiheit  83, 114 f., 222 f. Betriebsfrieden  70 ff., 79, 96, 114 f., 208 Betriebsinterne Öffentlichkeit  30 f., 75 f. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse  123 ff., 136 EGMR  27 f., 60 ff., 110 f., 140 ff., 150 f., 208 ff. EMRK  60 ff., 128, 138, 141 f., 149 EU-Grundrechtecharta  63 f. Externes Whistleblowing  4. Teil Finanzielle Anreize  246 ff. Freiheitliche demokratische Grundordnung  132, 135 f., 178 f., 238 Gesellschaftliche Akzeptanz  35 ff. Gesetzeslage  37 ff. Gewissensfreiheit  49, 61 f. 64 Internes Whistleblowing  3. Teil

IPBPR  62 f. Irrtum  76 ff., 98, 158, 231, 243 ff. Koalitionsfreiheit  56 f. Meinungsfreiheit  42 ff. Motivation  28 f., 76, 97, 192 ff. Nemo-tenetur-Grundsatz  84 ff., 102 f., 254 Öffentliches Informationsinteresse 175 ff., 231 Personalvertretung  94 f. Petitionsrecht, 51 ff., 172 ff. Praxisfälle  32 ff. Pressefreiheit  50 f., 220 ff. Sachlichkeitsgebot  71 f., 95 ff. Strafanzeige  53 ff., 160 ff., 230 Verschwiegenheitspflicht  93 ff., 130 ff. Vorrangverhältnis  72 ff., 150 ff., 217 ff. Whistleblowing, Begriff  26 ff. Widerstandsrecht  118 f., 136, 254