Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie und die Förderung der Kindererziehung im Rahmen des staatlichen Kinderleistungsausgleichs [1 ed.] 9783428506408, 9783428106400

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Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie und die Förderung der Kindererziehung im Rahmen des staatlichen Kinderleistungsausgleichs [1 ed.]
 9783428506408, 9783428106400

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MARGIT TÜNNEMANN

Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie und die Förderung der Kindererziehung im Rahmen des staatlichen Kinderleistungsausgleichs

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 883

Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie und die Förderung der Kindererziehung im Rahmen des staatlichen Kinderleistungsausgleichs

Von

Margit Tünnemann

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Tünnemann, Margit: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie und die Förderung der Kindererziehung im Rahmen des staatlichen Kinderleistungsausgleichs / von Margit Tünnemann. - Berlin : Duncker und Humblot, 2002 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 883) Zugl.: Heidelberg, Univ., Diss., 2001 ISBN 3-428-10640-7

Alle Rechte vorbehalten © 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-10640-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde i m Sommer 2000 abgeschlossen und i m Sommer 2001 von der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Sie wurde für die Drucklegung geringfügig überarbeitet. Z u danken habe ich Herrn Professor Dr. Paul Kirchhof für die Betreuung der Arbeit, seine wertvollen Anregungen und die Anfertigung des Erstgutachtens. Herrn Professor Dr. Görg Haverkate danke ich für die Abfassung des Zweitgutachtens. Dank schulde ich auch der Studienstiftung des deutschen Volkes für die langjährige Förderung. M e i n besonderer Dank gilt meinen Eltern, die mich stets unterstützt haben. Berlin, i m Juli 2001

Margit Tünnemann

Inhaltsübersicht Erstes Kapitel Die Familie in Staat und Gesellschaft

17

A. Die rechtliche und wirtschaftliche Ausgangslage der Familien

18

B. Die Anerkennung der Kindererziehung

62

Zweites Kapitel Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie A. Der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG

109 110

B. Der Schutz der Familie im verfassungsrechtlichen, europarechtlichen und völkerrechtlichen Kontext 177 Drittes Kapitel Die Förderung der Familie im Rahmen des staatlichen Kinderleistungsausgleichs

208

A. Die finanzielle Anerkennung der Kindererziehung als familienpolitische Forderung 208 B. Folgerungen für die Ausgestaltung des staatlichen Kinderleistungsausgleichs

250

Literaturverzeichnis

315

Sachregister

332

Inhaltsverzeichnis Erstes Kapitel

Die Familie in Staat und Gesellschaft A. Die rechtliche und wirtschaftliche Ausgangslage der Familien I. Der Begriff der Familie II. Die wirtschaftliche Lage der Familien 1. Die finanziellen Belastungen durch Kinder a) Die direkten Kinderkosten b) Die Opportunitätskosten c) Die gesamten Kinderkosten 2. Die Einkommenssituation der Familien a) Das Familieneinkommen im Vergleich b) Einkommensarmut in den Familien 3. Die Wohnsituation der Familien III. Familienarbeit und Erwerbsarbeit 1. Die Trennung von Familie und Beruf 2. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf a) Die Reduzierung der Erwerbsarbeitszeit b) Die außerfamiliale Kinderbetreuung c) Die Sicherung des Familieneinkommens IV. Die Besteuerung der Familien 1. Die Prinzipien der Familienbesteuerung 2. Die Berücksichtigung der kinderbedingten Minderung der Leistungsfähigkeit a) Die Berücksichtigung des Kinderexistenzminimums b) Die Berücksichtigung des das Existenzminimum überschreitenden Kindesunterhalts 3. Die Entwicklung des Familienlastenausgleichs V. Die soziale Sicherung der Familien 1. Vom familialen Generationenverbund zum gesellschaftlichen Generationenvertrag 2. Familien in der Sozialversicherung a) Familienbezogene Leistungen der Sozialversicherung b) Die Sicherung der Familien gegen die einzelnen Lebensrisiken aa) Die Alterssicherung bb) Die Krankenversicherung cc) Die Sicherung bei Arbeitslosigkeit 3. Familien und Sozialhilfe VI. Die Transferbelastung der Familien

17 18 18 19 20 20 22 22 23 23 25 27 29 29 31 32 34 36 37 37 39 41 44 46 49 49 51 51 53 54 55 56 57 58

10

Inhaltsverzeichnis 1. Die Transferbelastung der Familien in den fiskalischen Systemen 2. Die Transferbelastung der Familien in den parafiskalischen Systemen ... 3. Die Transferausbeutung der Familien

59 60 61

B. Die Anerkennung der Kindererziehung 62 I. Bedeutung und Wertschätzung der familialen Leistungen 63 1. Die gesellschaftlich und wirtschaftlich relevanten Leistungen der Familien 63 a) Aufgaben, Leistungen und Funktionen der Familien 63 b) Der Nutzen der familialen Leistungen für das Gemeinwesen 64 c) Defizite familialer Leistungen 65 2. Der wirtschaftliche Wert familialer Leistungen 67 a) Die Berücksichtigung familialer Leistungen in der Volkswirtschaftslehre 67 b) Die Wertermittlung des Beitrags der Familien zur Humanvermögensbildung 68 c) Eckwerte zur mikroökonomischen Bewertung der Familienarbeit .... 69 II. Ausgleich und Anerkennung familialer Lasten und Leistungen 70 1. Einordnung familienbezogener Entlastungen und Leistungen 70 2. Der Anteil staatlicher Leistungen an den Kinderkosten 73 3. Die Förderung der Kindererziehung im Rahmen des Kinderleistungsausgleichs 76 a) Die Förderung der Kindererziehung durch das Erziehungsgeld und den Erziehungsurlaub 76 aa) Das Bundeserziehungsgeld 77 bb) Das Landeserziehungsgeld 78 cc) Der Erziehungsurlaub 78 dd) Konzeption und Zielsetzung des Erziehungsgeldes 79 ee) Wirkungen des Erziehungsgeldes 81 b) Die öffentliche Förderung von Kinderbetreuungseinrichtungen 84 III. Familienpolitiken im Vergleich 86 1. Die Familienpolitik der Deutschen Demokratischen Republik 86 2. Die Förderung der Kindererziehung im europäischen Ausland 88 a) Belgien 90 b) Dänemark 90 c) Finnland 91 d) Frankreich 91 e) Italien 93 f) Luxemburg 93 g) Norwegen 93 h) Österreich 94 i) Polen 95 j) Schweden 96 k) Tschechien 97 3. Die Familienpolitik der Europäischen Union 97 IV. Begründungsansätze für die Anerkennung der Kindererziehung 100 1. Normative Begründungen für die finanzielle Anerkennung der Erziehungstätigkeit 101

Inhaltsverzeichnis a) Das Argument der Gleichartigkeit 101 b) Das Argument der Gleichwertigkeit 102 aa) Die Gleichwertigkeit von Erziehungstätigkeit und Erwerbstätigkeit 102 bb) Die Gleichwertigkeit der familialen Lebensform 103 2. Politische Motive für die Aufwertung der Kindererziehung 105 a) Gemeinwohlorientierte Ansätze 105 b) Individualorientierte Ansätze 107 Zweites Kapitel

Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie A. Der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG I. Der verfassungsrechtliche Familienbegriff II. Die abwehrrechtliche Dimension III. Die Institutsgarantie IV. Die objektive Gewährleistung 1. Die allgemeine grundrechtliche Schutzpflicht 2. Die Verpflichtung des Staates zum besonderen Schutz der Familie 3. Die Wertentscheidung des Grundgesetzes zum besonderen Schutz der Familie und ihre Wirkungsweisen a) Das Schädigungsverbot b) Das Benachteiligungsverbot aa) Das Diskriminierungsverbot bb) Das Differenzierungsgebot c) Das Förderungsgebot aa) Förderung als tatsächliche Besserstellung bb) Förderung als Ausgleich tatsächlicher Nachteile cc) Die Abgrenzung des Förderungsgebots vom Benachteiligungsverbot V. Der leistungsrechtliche Gehalt 1. Die Begründung des leistungsrechtlichen Gehalts der Grundrechte 2. Das Recht auf Familienförderung als Leistungsrecht a) Soziale Grundrechte b) Grundrechtliche Teilhabe-und Leistungsrechte aa) Leistungsrechte als Teilhaberechte bb) Derivative und originäre Teilhaberechte c) Das Recht auf Familienförderung 3. Die Justitiabilität des Rechts auf Familienförderung a) Die Verbindlichkeit des Förderungsrechts b) Die Subjektivität des Förderungsrechts c) Die Prüfungskompetenz der Gerichte 4. Die Anwendung der Eingriffs- und Schrankendogmatik auf das Förderungsrecht a) Das Förderungsrecht als prima facie-Recht b) Das Eingriffs-und Schrankenschema

109 110 110 115 117 118 119 121 124 124 125 125 126 134 134 135 141 144 144 150 150 152 152 153 154 155 156 156 159 161 161 164

12

Inhaltsverzeichnis aa) Schutzbereich

165

bb) Eingriff

167

cc) Schranken dd) Schranken-Schranken c) Die Verletzung des Förderungsrechts

171 173 175

B. Der Schutz der Familie im verfassungsrechtlichen, europarechtlichen und völkerrechtlichen Kontext 177 I. Art. 6 Abs. 1 GG im Gefüge der Grundrechte 177 1. Das Grundrecht auf Ehe und Familie (Art. 6 GG) 177 a) Das Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) 178 aa) Der verfassungsrechtliche Elternbegriff 178 bb) Pflege und Erziehung der Kinder 179 cc) Elternrecht und Eltempflicht 180 dd) Die ergänzende Verantwortung des Staates für die Pflege und Erziehung der Kinder 183 ee) Der leistungsrechtliche Gehalt des Elternrechts 185 b) Die Trennung des Kindes von der Familie (Art. 6 Abs. 3 GG) 188 188 c) Der Schutzanspruch der Mutter (Art. 6 Abs. 4 GG) 2. Der Schutz des ungeborenen Lebens (Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG) 190 193 3. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau (Art. 3 Abs. 2 GG) 4. Die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) 197 II. Der Schutz der Familie und das soziale Staatsziel 198 1. Die Gewährleistungsgehalte des Sozialstaatsprinzips 199 a) Die Sicherung des Existenzminimums 200 b) Die Sicherung gegen die Wechselfälle des Lebens 200 c) Die Herstellung sozialer Gleichheit 201 2. Das Verhältnis des Sozialstaatsprinzips zum verfassungsrechtlichen Schutz der Familie 202 III. Familienschutzbestimmungen in den Landesverfassungen 204 IV. Internationale und supranationale Familienschutzbestimmungen 205 Drittes Kapitel

Die Förderung der Familie im Rahmen des staatlichen Kinderleistungsausgleichs A. Die finanzielle Anerkennung der Kindererziehung als familienpolitische Forderung I. Vordenker bezahlter Erziehungsarbeit II. Entwicklung des Bundeserziehungsgeldgesetzes 1. Entstehung des Bundeserziehungsgeldgesetzes 2. Weiterentwicklung des Bundeserziehungsgeldgesetzes a) Vorschlag der Bundestagsfraktion des Bündnis 90/Die Grünen b) Vorschlag der Bundestagsfraktion der SPD c) Vorschlag des Bundesrates 3. Neufassung des Bundeserziehungsgeldgesetzes III. Konzepte zur Reform des staatlichen Kinderleistungsausgleichs

208 208 209 212 213 214 215 215 215 216 218

Inhaltsverzeichnis 1. Das Konzept „Erziehungsgehalt 2000" des Deutschen Arbeitskreises für Familienhilfe e.V. 219 a) Das Konzept „Erziehungsgehalt 2000" 219 b) Stellungnahme der Initiative Eltern für aktive Vaterschaft e. V. (EFAV) zum Konzept „Erziehungsgehalt 2000" 221 223 2. Das sächsische Modell eines Erziehungsgehalts von Hans Geisler Das Konzept „Lohn oder Gehalt für Familienarbeit" der Deutschen Haus3. frauengewerkschafte.V. (dhg) 225 Der Vorschlag für ein Erziehungsgeld als Bestandteil eines Grundeinkom4. mens von Konrad Stopp 226 Der Vorschlag eines Erziehungsgehalts der Ökologisch-Demokratischen 5. Partei (ödp) 227 Die Weidener Erklärung der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung Süd6. deutschlands (KAB) 230 Das Trierer Modell eines Erziehungsgehalts des Katholikenrats im Bistum 7. Trier 231 Das Modell eines Familiengehalts der Deutschen Evangelischen Allianz 8. e.V. 233 Das Modell „Familiengemäßes Einkommen und familiengerechte Arbeits9. zeit" des Familienbundes der Deutschen Katholiken 234 Der Vorschlag des Landesfamilienrates Baden-Württemberg zur Entla10, stung der Familien 235 Das Modell einer Kindheitsversicherung von Hannelore Schröder 236 11, Das Modell eines Kinderbetreuungsschecks des Österreichischen Instituts 12, für Familienforschung (ÖIF) 236 238 13. Das Modell der Elternversicherung 14. Das Modell „Geschützte Teilzeitarbeit für Eltern" 240 a) Das Modell „Geschütze Teilzeitarbeit für Eltern" von Birgit Geissler und Birgit Pfau 240 b) Das Modell „Geschützte Teilzeitarbeit für Erziehung und Pflege" des Landesverbandes der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) der Diözese Rottenburg-Stuttgart 241 c) Das Modell „Zeit und Geld für Kinder" der früheren Bundestagsfraktion Die Grünen/Bündnis 90 242 15. Das Konzept des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) für einen Elternurlaub mit Zeitkonto und Lohnersatzleistung 244 a) Das Konzept des Deutschen Gewerkschaftsbundes 244 b) Stellungnahme des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zum Konzept des Deutschen Gewerkschaftsbundes 244 16. Die Vorschläge der Arbeitsgemeinschaft der Familienverbände (AGF) zur Reform des Erziehungsgeldes 245 a) Der Deutsche Familienverband (DFV) 246 b) Die Evangelische Aktionsgemeinschaft für Familienfragen (EAF) ... 246 c) Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter e.V. (VAMV) 247 17. Der Vorschlag von Sabine Hildebrandt-Woeckel für ein individualisiertes Betreuungsgeld 248 18. Das Familiengeldkonzept der Bundestagsfraktion der CDU/CSU 248

14

Inhaltsverzeichnis 19. Der Entwurf eines Vereinbarkeitsgesetzes der Bundestagsfraktion der PDS 249

B. Folgerungen für die Ausgestaltung des staatlichen Kinderleistungsausgleichs I. Ziele und Funktionen des staatlichen Kinderleistungsausgleichs 1. Verfassungsrechtliche Zielvorgaben a) Wahlfreiheit für die Lebensform Familie b) Gestaltungsfreiheit für das Familienleben c) Gestaltungsfreiheit für die Kindererziehung d) Gleichberechtigung der Geschlechter e) Chancengleichheit für die Kinder 2. Funktionen staatlicher Leistungen für die Kindererziehung a) Anerkennung der Erziehungsleistung b) Ausgleich des erziehungsbedingten Einkommensausfalls c) Minderung der erziehungsbedingten Einkommensbelastung d) Anerkennung des Betreuungs- und Erziehungsbedarfs der Kinder .... II. Zur Einordnung des staatlichen Kinderleistungsausgleichs 1. Der Kinderleistungsausgleich als Instrument staatlicher Umverteilung ... 2. Der Kinderleistungsausgleich als Bestandteil der staatlichen Transfersysteme a) Die Förderung der Familie im Steuersystem b) Der Kinderleistungsausgleich im System der sozialen Sicherung aa) Versicherungsorientierte Lösungsansätze bb) Versorgungsorientierte Lösungsansätze cc) Fürsorgeorientierte Lösungsansätze dd) Förderungsorientierte Lösungsansätze III. Zur Terminologie IV. Zur Finanzierung des staatlichen Kinderleistungsausgleichs 1. Erwarteter Finanzbedarf für eine Reform des Kinderleistungsausgleichs . 2. Mögliche Finanzierungsverfahren 3. Mögliche Einnahmearten a) Sonderabgaben b) Beiträge c) Steuern V. Zur Ausgestaltung des staatlichen Kinderleistungsausgleichs 1. Anspruchsberechtigter Personenkreis 2. Abhängigkeit von der Anzahl der Kinder 3. Leistungshöhe a) Leistungsbemessung b) Bedürftigkeitsorientierung c) Leistungszuschläge für Alleinerziehende d) Existenzsichernde Sockelung e) Richtgrößen für die Leistungshöhe 4. Leistungsdauer 5. Steuer- und Sozialabgabenpflichtigkeit 6. Leistungsmodus a) Von der Objekt- zur Subjektförderung außerfamilialer Kinderbetreuung

250 251 252 252 252 254 254 256 257 257 258 258 259 260 261 262 262 265 265 268 270 271 274 276 276 277 278 278 280 282 283 283 286 288 288 290 292 293 294 296 298 300 300

Inhaltsverzeichnis b) Von Real-zu Geldtransfers für die Kindererziehung 7. Abhängigkeit von der Erwerbsarbeitszeit a) Erwerbszeitabhängige Ausgestaltung b) Erwerbszeitunabhängige Ausgestaltung VI. Zusammenfassung in Thesen

303 306 306 309 311

Literaturverzeichnis

315

Sachregister

332

Erstes Kapitel

Die Familie in Staat und Gesellschaft Die Verfassung stellt die Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Dafür gibt es mehrere Gründe. Das Leben mit Kindern ist ein individueller Lebensentwurf, der vom weitaus größten Teil der Bevölkerung angestrebt wird. Familien leisten durch die Betreuung und Erziehung der Kinder einen wichtigen Beitrag zum Fortbestand und zur Entwicklung der Gesellschaft. Die Leistungs- und Funktionsfähigkeit der Familien ist daher von großem gesellschaftlichem Interesse. Die Situation der Familien gibt jedoch zu denken. M i t der Gründung einer Familie gehen erhebliche ökonomische Belastungen einher. Trotz der öffentlichen Mittel, die für Familien aufgebracht werden, ist ihre finanzielle Lage i m Vergleich zu Ledigen und kinderlosen Ehepaaren bis in die mittleren Einkommensschichten kritisch. Neben den direkten finanziellen Aufwendungen für Kinder fallen vor allem die entgangenen Erwerbseinkommen infolge eingeschränkter Erwerbstätigkeit und geminderter Erwerbschancen sowie die sozialversicherungsrechtlichen Folgewirkungen ins Gewicht. Die wirtschaftlichen Belastungen führen zu sozialen Benachteiligungen. Familien sind den Mobilitäts- und Flexibilitätsanforderungen des modernen Erwerbsarbeitsmarktes weniger gewachsen, steigende Mieten verdrängen kinderreiche Familien aus den bevorzugten Wohngebieten, Veränderungen der sozialen und natürlichen Umwelt erhöhen den Betreuungsaufwand für Kinder. Zunehmend treten die gesundheitlichen Gefährdungen, die Belastungen der sozialen Beziehungen und die Bildungsrisiken zutage, denen Kinder ausgesetzt sind, wenn sie dauerhaft in wirtschaftlich schwierigen Verhältnissen leben. Nicht zuletzt gefährden die wachsende Kinderlosigkeit und die sinkende Geburtenrate den Bestand der Gesellschaft und ihrer sozialen Sicherungssysteme. Offenbar besteht eine Diskrepanz zwischen den Leistungen der Familien und ihrer gesellschaftlichen Anerkennung. Die tatsächlichen Möglichkeiten eines Lebens mit Kindern und einer auf Familie und Beruf gerichteten Lebensplanung bleiben hinter den Interessen und Wünschen der Familien zurück. Es spricht vieles dafür, daß der verfassungsrechtliche Schutz der Familie nicht hinreichend verwirklicht ist. Insbesondere die wirtschaftliche und soziale Lage der Familien deutet auf einen unzureichenden Schutz hin. Diesen Mangel zu beheben ist zuvörderst Aufgabe der Politik. Diese aber ist an den Handlungsrahmen der Verfassung, hier des Art. 6 GG gebunden.

2 Tünnemann

18

1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

A. Die rechtliche und wirtschaftliche Ausgangslage der Familien I. Der Begriff der Familie Es gibt weder im Alltagsverständnis noch in den Wissenschaften eine einheitliche Auffassung darüber, was unter dem Begriff der Familie zu verstehen ist. Familie kann in einer weiten Bedeutung die Gruppe von Menschen bezeichnen, die miteinander verwandt, verheiratet oder verschwägert sind, gleichgültig, ob sie zusammen oder getrennt leben und wirtschaften, ob die einzelnen Mitglieder noch leben oder bereits gestorben sind. Familie kann als Folge von Generationen angesehen werden, die biologisch, sozial oder rechtlich miteinander verbunden sind. Nach einem engeren Familienverständnis ist Familie eine in einem gemeinsamen Haushalt lebende, aus Vater, Mutter und einem oder mehreren Kindern bestehende Personengruppe. Daneben gibt es Menschen, die ohne biologische oder rechtliche Verbindung in einer Haushaltsgemeinschaft zusammen leben und wirtschaften und sich als Familie verstehen. Je nach Sachzusammenhang bezeichnet der Begriff der Familie unterschiedliche Lebensformen. Eine Definition des Familienbegriffs muß sich daher am jeweiligen Untersuchungsgegenstand orientieren. Dabei darf sie die Realität der in der Gesellschaft verwirklichten Formen privater Lebensgestaltung nicht aus dem Blick lassen.1 Bei der Betrachtung der Familie im Hinblick auf die Kindererziehung bildet das Merkmal der Elternschaft das konstitutive Element. Mit dem Begriff der Familie sollen daher die Privathaushalte bezeichnet werden, in denen Vater und Mutter oder auch nur ein Elternteil mit einem oder mehreren leiblichen oder adoptierten minderjährigen Kindern zusammenleben. Darunter fallen neben den Familien im engeren Sinn, in denen die verheirateten Eltern mit ihren Kindern eine Lebens- und Haushaltsgemeinschaft bilden, auch die Gemeinschaften, die aus einer nichtehelichen Partnerschaft Lediger, Getrenntlebender, Geschiedener oder Verwitweter mit gemeinsamen Kindern (Familien ohne eheliche Grundlage) oder mit Kindern aus früheren Lebensgemeinschaften (Stiefelternverhältnisse) bestehen. Auch die Lebensund Haushaltsgemeinschaften Alleinerziehender mit ihren Kindern fallen unter diesen Familienbegriff. 2 Mit diesem Familienverständnis werden alle privaten Lebensformen erfaßt, in denen Erziehungsleistungen für Kinder erbracht werden. Dadurch wird dem Umstand

1 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S. 23 f.; Heinz Lampert, Priorität für die Familie. Plädoyer für eine rationale Familienpolitik, 1996, S.7ff. 2 Vgl. Heinz Lampert, Priorität für die Familie. Plädoyer für eine rationale Familienpolitik, 1996, S. 8f.; Volker Teichert, Familie und Gesellschaftsstruktur, in: Volker Teichert (Hrsg.), Junge Familien in der Bundesrepublik. Familienalltag - Familienumwelt - Familienpolitik, 1990, S. 11 ff.; Irene Gerlach, Familie und staatliches Handeln. Ideologie und politische Praxis in Deutschland, 1996, S.20ff.

Α. Die Ausgangslage der Familien

19

Rechnung getragen, daß - obwohl die herkömmliche Zwei-Eltern-Familie mit Eheschließung die überwiegende Familienform darstellt - der Anteil sonstiger familialer Lebensformen stetig zunimmt. 3 In den alten Bundesländern machen die Familienhaushalte, in denen Eltern (einschließlich Alleinerziehender) mit Kindern zusammen wohnen, insgesamt 37 % aller Privathaushalte aus. Der Anteil der Alleinerziehenden liegt bei etwa 6 % . 4 Die Zahl der Kinder alleinerziehender Mütter und Väter hat i m Lauf der Zeit zugenommen, jedoch verbringen nach wie vor nahezu 90 % aller Kinder ihre Kindheit und Jugend mit zwei Elternteilen (einschließlich der Stiefelternverhältnisse). 5 Die Ein-Eltern-Familie ist weithin eine Übergangsform; nur etwa 1 % aller Kinder wachsen dauerhaft allein bei einem Elternteil auf. 6 Von der Beschreibung der Situation der Familien auf der Grundlage dieses Familienverständnisses ist die sich anschließende Frage zu trennen, inwieweit ein staatlicher Ausgleich für die Belastungen und Leistungen durch die Übernahme der Elternverantwortung von Familienstand und Familienstruktur abhängig gemacht werden kann und ob auf diese A r t und Weise bestimmte familiale Lebensformen besonders unterstützt und gefördert werden müssen oder dürfen.

II. Die wirtschaftliche Lage der Familien In einer marktwirtschaftlich geprägten Wirtschaftsordnung ist das Einkommen der zentrale Bestimmungsfaktor für die äußeren Lebensbedingungen. Der wirtschaftliche Handlungsspielraum der Familienhaushalte aufgrund des effektiv verfügbaren Einkommens ist durch die finanzielle Belastung durch Kinder erheblich eingeschränkt. Die Geburt und die Versorgung eines Kindes führt zu einem deutlichen Absinken des der Familie zur Verfügung stehenden Pro-Kopf-Einkommens, insbesondere wenn ein Elternteil (meist die Mutter) die Erwerbstätigkeit unterbricht oder aufgibt. Die Einkommenslage der Familienhaushalte ist in allen sozialen

3 Diese als Pluralisierung der Lebensformen bezeichnete Entwicklung bedeutet nicht den Anstieg der Zahl der Lebensformen nach ihrer Art, sondern die quantitative Zunahme bestimmter Lebensformen; vgl. Heinz Lantpert, Priorität für die Familie. Plädoyer für eine rationale Familienpolitik, 1996, S.9f.; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S.70f. 4 Im Vergleich zu den Ländern der EG hat die Bundesrepublik den höchsten Anteil an Einpersonenhaushalten und den niedrigsten Anteil an Haushalten mit mehr als drei Mitgliedern; vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S.58ff. 5 Die meisten Kinder wachsen mit einem Geschwister auf. Der Anteil der Einzelkinder liegt bei 30 % und ist im internationalen Vergleich sehr hoch; vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland-Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S.55. 6 Max Wingen, Familie - ein vergessener Leistungsträger?, 1995, S. 13 ff.

2*

20

1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

Schichten ungünstiger als die der Haushalte ohne Kinder. Offensichtlich sind Kinder die Ursache für erhebliche Einkommensunterschiede. 7

1. Die finanziellen Belastungen durch Kinder Der Begriff der Kinderkosten umfaßt in einem weiten Sinn sämtliche Einkommensbelastungen, die i m Zusammenhang mit der Versorgung und Betreuung von Kindern entstehen. Zu den Kosten, die kinderversorgende und kindererziehende Personen i m Unterschied zu kinderlosen Personen zu tragen haben, zählen nicht nur die Ausgaben für den Lebensunterhalt der Kinder, also die Ausgaben für Ernährung, Kleidung, Körperpflege, zusätzlichen Wohnraum und Energiebedarf (direkte Kinderkosten), sondern auch die ökonomischen Folgekosten aufgrund der durch die Kindererziehung geminderten Erwerbs- und Einkommenschancen (indirekte K i n derkosten oder Opportunitätskosten). Ein weiterer Kostenfaktor sind Ausgaben für musische Bildung, sportliche Betätigung und gesundheitliche Vorsorge, für die viele Eltern beträchtliche Mittel einsetzen. 8 Nicht zuletzt gehören zu den Kinderkosten die zum Teil erheblichen Ausbildungskosten, die Eltern für ihre volljährigen Kinder aufbringen. Durch die wachsende Zahl der Studierenden, die langen Studienzeiten und die wachsenden Lebenshaltungskosten der Studierenden verlängert und vergrößert sich die Unterhaltspflicht der Eltern kontinuierlich. 9

a) Die direkten Kinderkosten Die direkten Kinderkosten sind Gegenstand zahlreicher Untersuchungen, deren Ergebnisse zum Teil erheblich differieren. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes für das Jahr 1993 beliefen sich die durchschnittlichen Aufwendungen für die Lebenshaltung eines Kindes in den alten Bundesländern auf 562 D M bei A l leinerziehenden mit einem Kind, auf 7 5 6 D M bei Ehepaaren mit einem K i n d und auf

7 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik. Lebensformen, Familienstrukturen, wirtschaftliche Situation der Familien und familiendemographische Entwicklung in Deutschland, 1998, S. 133 ff.; Franz-Xaver Kaufmann, Zukunft der Familie im vereinten Deutschland. Gesellschaftliche und politische Bedingungen, 1995, S. 138 ff. m. w. N.; Heinz Lampert, Priorität für die Familie. Plädoyer für eine rationale Familienpolitik, 1996, S.90ff. m. w. N. 8 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Zehnter Kinderund Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation von Kindern und die Leistungen der Kinderhilfen in Deutschland, 1998, S.85. 9 Die finanzielle Abhängigkeit der Kinder von den Eltern hat sich in den letzten drei Jahrzehnten durch die zunehmende Ausbildungsdauer im Schnitt um vier Jahre verlängert; vgl. Franz-Xaver Kaufmann, Zukunft der Familie im vereinten Deutschland. Gesellschaftliche und politische Bedingungen, 1995, S. 138; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S.92.

Α. Die Ausgangslage der Familien

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497 D M bei Ehepaaren mit zwei Kindern. 1 0 Anderen Berechnungen zufolge waren die Aufwendungen für Kinder i m selben Jahr wesentlich höher und lagen in einer Zwei-Kinder-Familie i m Mittel bei 830 D M pro K i n d . 1 1 In Baden-Württemberg ergaben sich für 1998 durchschnittliche Kinderkosten in Höhe von 917 D M bei Ehepaaren mit einem K i n d und von 1.300 D M für zwei Kinder. Bei Alleinerziehenden beliefen sich die Kosten auf durchschnittlich 707 D M für ein K i n d . 1 2 Diese Berechnungen beruhen auf den tatsächlichen Ausgaben der Eltern für die Lebenshaltungskosten der Kinder. Einen anderen Ansatz zur Ermittlung des Einflusses der Kinder auf die Ausgaben für den privaten Konsum bietet die sogenannte Regressionsanalyse, die auf den Daten der Einkommens- und Verbraucherstichproben basiert. 13 M i t Hilfe der Regressionsanalyse können wohlstandsäquivalente Einkommen für unterschiedliche Haushaltstypen berechnet werden. Bei dieser Methode werden auch die mit sinkenden Einkommen erheblichen Verzichte der Eltern erfaßt, so daß die mit steigender Kinderzahl zunehmenden finanziellen Belastungen vergleichsweise deutlich werden. Bezogen auf das Medianeinkommen des Jahres 1994 in Höhe von 5.000 D M ergaben sich danach Aufwendungen für Kinder i n Höhe von 1.250 D M bei Ehepaaren mit einem Kind, 1.850 D M bei Ehepaaren mit zwei Kindern und 2.550 D M bei Ehepaaren mit drei Kindern. U m den gleichen Lebensstandard wie ein Ehepaar ohne Kinder mit dem Medianeinkommen von 5.000 D M zu erreichen, mußte ein Ehepaar mit einem K i n d folglich ein Einkommen von 6.250 D M erzielen; bei zwei Kindern waren 6 . 8 5 0 D M und bei drei Kindern 7 . 5 5 0 D M erforderlich. 14 Tatsächlich lag das Medianeinkommen junger Familien jedoch deutlich unter dem Einkommen kinderloser Ehepaare. Das Medianeinkommen junger Familien in Baden-Württemberg betrug 1992 rund 3.400DM, dasjenige kinderloser Ehepaare belief sich dagegen auf knapp 4.400 D M . 1 5

10

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Lebenshal tungsaufwendungen für Kinder, Band 43 der Schriftenreihe, 1995, S.9f. 11 Vgl. die Übersicht bei Christian Kennerknecht, Plädoyer für eine gerechte Familienpolitik, 3. Auflage, 1994, S. 113 ff. 12 Sozialministerium Baden-Württemberg, Familien in Baden-Württemberg. Familienbericht 1998, 1998, S.433. 13 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Lebenshal tungsaufwendungen für Kinder, Band 43 der Schriftenreihe, 1995, S. 217ff. 14 Vgl. Andreas Netzler, Familie chancengleich leben: Was sollte der Familienlasten-, Risiko- und Leistungsausgleich leisten - und was leistet er?, in: Bernhard Jans/Georg Zimmermann (Hrsg.), Familienlastenausgleich? Plädoyers für eine gerechte Familienpolitik, 1996, S. 67 f.; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Lebenshaltungsaufwendungen für Kinder, Band 43 der Schriftenreihe, 1995, S. 218 ff. 15 Erich Stutzer, Zur Einkommenslage junger Familien, in: Ministerium für Familie, Frauen, Weiterbildung und Kunst Baden-Württemberg (Hrsg.), Familie heute - ausgewählte Aufsätze zur Situation der Familien in Baden-Württemberg, 1994, S.77f.

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

b) Die Opportunitätskosten Opportunitätskosten sind die indirekt oder mittelbar durch die Kinder entstehenden Kosten. Sie beziffern die realen Gewinnchancen, die bei alternativen Verhaltensweisen bestanden hätten, aber wegen der kinderbedingten Entscheidungen entfallen sind. 1 6 Die Opportunitätskosten werden überwiegend von den Müttern getragen. Zur Betreuung und Erziehung der Kinder verzichten sie vorübergehend oder dauerhaft auf Erwerbstätigkeit und müssen den dadurch entstehenden Ausfall des Erwerbseinkommens hinnehmen. Sie tragen das Risiko, nach der Erziehungsphase einen adäquaten Arbeitsplatz zu finden. I m Fall des Wiedereintritts in das Erwerbsleben ist das Einkommen infolge der während der Unterbrechung eingetretenen Minderung der beruflichen Qualifikation und der Aufstiegschancen reduziert. Sozialleistungsansprüche entfallen, soweit sie nach Art oder Höhe Erwerbsarbeit voraussetzen. Dazu gehören vor allem Rentenansprüche, bei denen die Erziehungsleistungen nur unzureichend berücksichtigt werden. 17 Berechnungen für Frauen unterschiedlicher Schulbildung ergaben, daß sich die durch unterschiedlich lange Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit, durch die mit diesen Unterbrechungen verbundenen Qualifikationsverluste und durch die niedrigeren Altersrenten entstehenden Einbußen an Lebenseinkommen aus Erwerbsarbeit i m Bereich sechsstelliger Summen bewegen. Die Nettoeinkommensverluste belaufen sich für eine Hauptschulabsolventin bei dreijähriger Berufsunterbrechung auf rund 110.000 D M . Für eine Hochschulabsolventin können bei zehnjähriger Unterbrechung Einkommens Verluste von bis zu 541.000 D M entstehen. Das entspricht etwa 3 0 % ihres potentiellen Lebenseinkommens. 18

c) Die gesamten Kinderkosten Nach Schätzungen der Sachverständigenkommission für den Fünften Familienbericht läßt sich der Gesamtaufwand, den ein Ehepaar für die Versorgung und Betreuung zweier Kinder bis zur Vollendung ihres 18. Lebensjahrs erbringt, i m Durchschnitt auf 790.000 D M beziffern (zu Preisen von 1990). Diese Summe schließt die Ausgaben für die Versorgung der Kinder, den mit dem Stundenlohnsatz für Arbeitnehmerinnen bewerteten Aufwand für die Betreuung der Kinder und den in gleicher Weise bewerteten Aufwand für kinderbezogene Haushaltstätigkeiten ein. Nicht einbezogen sind die Verluste an Arbeitseinkommen und an Ansprüchen gegen die Ren16

Max Wingert, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S.200. Vgl. Max Wingen, Familienpolitik, 1997, S.200 f.; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S. 288. 18 Vgl. dazu Heinz Lampert, Priorität für die Familie. Plädoyer für eine rationale Familienpolitik, 1996, S. 32 ff. m. w.N.; Heinz Lampert, Wer „produziert" das Humanvermögen einer Gesellschaft?, in: Norbert Glatzel/Eugen Kleindienst (Hrsg.), Die personale Struktur des gesellschaftlichen Lebens. Festschrift für Anton Rauscher, 1993, S. 128 ff. m. w. N. 17

Α. Die Ausgangslage der Familien

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tenversicherung sowie Einkommensverluste aufgrund von Qualifikationsverlusten während der Unterbrechung der Erwerbstätigkeit. 19 Die gesamten Aufwendungen der Familien für die Versorgung, Betreuung und Erziehung der Kinder liegen im Bereich sechs- bis siebenstelliger Summen. Ein Vergleich der Einkommenssituation eines Ehepaars ohne Kinder mit zwei Erwerbseinkommen mit der Situation eines Ehepaars, das nur über das Einkommen des Mannes verfügt, weil sich die Frau der Versorgung der Familie und der Betreuung von drei Kindern widmet, ergibt, daß das entgangene Erwerbseinkommen der Frau, ihre im Vergleich zur erwerbstätigen Frau niedrigere Rente und die Kosten für die Versorgung der Kinder für das kinderversorgende Paar einen Vermögensnachteil von bis zu 1,5 Millionen D M nach sich ziehen können. Das nach Deckung der elementaren Lebensbedürfnisse verbleibende, frei verfügbare Einkommen des kinderlosen Paares ist mehr als zehnmal so hoch wie das der Drei-Kinder-Familie. 20

2. Die Einkommenssituation der Familien a) Das Familieneinkommen im Vergleich Die Einkommensbelastungen durch Kinder führen zu erheblichen Unterschieden in der finanziellen Ausstattung der Familienhaushalte gegenüber den Haushalten der Alleinstehenden oder der Paare ohne Kinder. Das zeigt sich deutlich am jeweiligen Pro-Kopf-Einkommen der Haushalte. Mit steigender Zahl noch nicht erwerbstätiger Kinder sinkt das Pro-Kopf-Einkommen in den Familien stark ab - selbst dann, wenn auf das gewichtete Pro-Kopf-Einkommen abgestellt wird. 21 Für BadenWürttemberg hat die Familienwissenschaftliche Forschungsstelle im Statistischen Landesamt Baden-Württemberg Zahlen zur Einkommenslage der Familien vorge19 Bundesministeriumßr Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S. 145 und 291. Die Berechnungen stammen von Heinz Lampert; vgl. Heinz Lampert, Priorität für die Familie. Plädoyer für eine rationale Familienpolitik, 1996, S. 32 ff.; Heinz Lampert, Wer „produziert" das Humanvermögen einer Gesellschaft?, in: Norbert Glatzel/Eugen Kleindienst (Hrsg.), Die personale Struktur des gesellschaftlichen Lebens. Festschrift für Anton Rauscher, 1993, S. 128 ff. 20 Vgl. dazu Heinz Lampert, Priorität für die Familie. Plädoyer für eine rationale Familienpolitik, 1996, S. 32ff. m. w. N.; Heinz Lampert, Wer „produziert" das Humanvermögen einer Gesellschaft?, in: Norbert Glatzel/Eugen Kleindienst (Hrsg.), Die personale Struktur des gesellschaftlichen Lebens. Festschrift für Anton Rauscher, 1993, S. 128 ff. m. w. N. 21 Von gewichteten Einkommensgrößen spricht man, wenn Kinder nicht mit demselben Gewicht in die Berechnungen eingehen wie Erwachsene, sondern entsprechend ihrem geringeren Verbrauch und den Einspareffekten durch das gemeinsame Haushalten mit einem geringeren Gewicht; vgl. Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S. 193; Bundesministerium ßr Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik. Lebensformen, Famüienstrukturen, wirtschaftliche Situation der Familien und familiendemographische Entwicklung in Deutschland, 1998, S. 137 f.

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

legt, wonach das gewichtete Pro-Kopf-Einkommen einer Familie mit einem K i n d i m Jahr 1992 nur 61 % des Einkommens eines gleichaltrigen kinderlosen Ehepaars betrug; das Pro-Kopf-Einkommen einer Familie mit zwei Kindern belief sich auf rund 49 % und das einer Familie mit drei Kindern auf 42 %. Bei vier Kindern sank das gewichtete Pro-Kopf-Einkommen auf 37 % des Einkommens eines kinderlosen Ehepaars ab. 2 2 Familien müssen infolge des wesentlich geringeren Pro-Kopf-Einkommens erheblich höhere Anteile des Haushaltseinkommens für Konsumgüter verwenden. 23 A m höchsten ist die Konsumquote der Alleinerziehenden, die fast ihr gesamtes Nettoeinkommen für die Lebenshaltungskosten einsetzen müssen (bis zu 94 % ) . 2 4 Durch die höheren Konsumausgaben sind auch die Möglichkeiten der Vermögensbildung in Form von Ersparnissen eingeschränkt. Das bei den verfügbaren ProKopf-Einkommen bestehende Wohlstandsgefälle von den Haushalten ohne Kinder zu den Familienhaushalten zeichnet sich ebenso bei den Pro-Kopf-Vermögen (Geldvermögen und Grundvermögen) ab. 25 Die Einkommensunterschiede zeigen sich noch deutlicher bei einer Abstufung nach verschiedenen Familienphasen. Die materiellen Bedürfnisse der Kinder nehmen mit ihrem Alter zu. Gleichzeitig nimmt der Erziehungs- und Betreuungsaufwand ab. In späteren Familienphasen ist in der Regel der zunächst alleinverdienende Elternteil in seiner Erwerbskarriere fortgeschritten, der andere Elternteil kehrt häufig ins Erwerbsleben zurück, allerdings regelmäßig auf einem vergleichsweise niedrigeren Einkommensniveau. Die Betrachtung anhand verschiedener Familienphasen ergibt, daß die Einkommensunterschiede am größten sind, wenn die Familien ihre endgültige Größe erreicht haben und vor allem Schulkinder von sechs bis 15 Jahren in der Familie leben. 2 6 Die relative Wohlstandsposition beträgt bei Fami-

22 Erich Stutzer; Zur Einkommenslage junger Familien, in: Ministerium für Familie, Frauen, Weiterbildung und Kunst Baden-Württemberg (Hrsg.), Familie heute - ausgewählte Aufsätze zur Situation der Familien in Baden-Württemberg, 1994, S. 84. Diese Einkommensverteilung ist im übrigen seit 1982 unverändert. Der Ausbau derfinanziellen Unterstützung der Familien in den achtziger Jahren, insbesondere die Einführung des Bundeserziehungsgeldes und die Wiedereinführung und Erhöhung des Kinderfreibetrages, konnte die ökonomische Situation junger Familien nicht verbessern; vgl. Erich Stutzer, Zur Einkommenslage junger Familien, in: Ministerium für Familie, Frauen, Weiterbildung und Kunst Baden-Württemberg (Hrsg.), Familie heute - ausgewählte Aufsätze zur Situation der Familien in Baden-Württemberg, 1994, S. 84 ff. 23 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S.288. 24 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik. Lebensformen, Familienstrukturen, wirtschaftliche Situation der Familien und familiendemographische Entwicklung in Deutschland, 1998, S. 142. 25 Heinz Lampert, Priorität für die Familie. Plädoyer für eine rationale Familienpolitik, 1996, S. 104ff. 26 Ulli Becker/Bernd EggenlAndreas Suffner, Einkommenslagen und wirtschaftlich schwierige Situationen von Ehepaaren mit und ohne Kinder, in: Baden-Württemberg in Wort und Zahl 1996, S. 153 ff.

Α. Die Ausgangslage der Familien

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lien in mittleren und späteren Phasen 76 %. Kinderlose Personen erreichen in dieser Zeit eine relative Wohlstandsposition von 152%. 21 Diese größte relative Schlechterstellung i m Einkommen besteht gerade dann, wenn das Einkommen am ehesten benötigt wird. Hier wird die mangelnde Abstimmung von Familieneinkommen und Familienbedarf besonders deutlich. 2 8

b) Einkommensarmut in den Familien In Deutschland ist Armut als Gefährdung der physischen Existenz heute selten. Armut ist ganz überwiegend relative Armut i m Sinne gesellschaftlicher und sozialer Schlechterstellung gegenüber dem Durchschnitt der Bevölkerung. Zwar haben sich die Lebensbedingungen ständig verbessert und die Gesellschaft ist wohlhabender geworden, aber die relativen sozialen Unterschiede sind konstant geblieben. 29 Für Kinder bedeutet Armut eine Beschränkung ihrer Erfahrungs-, Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten. Ihre Chancen, individuelle Anlagen zu entfalten und sie für sich und die Gesellschaft einzusetzen, sind erheblich gemindert. Häufig ist Armut mit Fehlernährung und gesundheitlichen Belastungen verbunden. 30 Ein zentraler Faktor der Armut ist Einkommensarmut. I n diesem Sinn gilt als arm, wer entweder Sozialhilfe bezieht („bekämpfte Armut") oder mit seinem Einkommen, in Familien mit seinem gewichteten Pro-Kopf-Einkommen, allenfalls die Hälfte des statistischen Pro-Kopf-Einkommens in der Bundesrepublik erreicht. Zur Gruppe der Armutsbevölkerung zählen auch Personen, die Sozialhilfe aus Unkenntnis, Scham oder Sorge, Verwandte könnten zur Zahlung herangezogen werden, nicht in Anspruch nehmen („verdeckte Armut"). Schätzungen zufolge kommen auf zwei Sozialhilfeempfänger nochmals ein bis zwei Berechtigte. 3 1 1997 bezogen etwa 3,5 % der Bevölkerung Sozialhilfe und etwa 10% stand weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens zur Verfügung. Bei kinderreichen Familien wurde die

27 Die relative Wohlstandsposition beschreibt die prozentuale Abweichung der Einkommen einzelner Haushaltstypen vom durchschnittlichen Einkommen aller Privathaushalte, das gleich 100 % gesetzt wird; vgl. Ulli Beckerl Bernd Eggen!Andreas Suffner, Einkommenslagen und wirtschaftlich schwierige Situationen von Ehepaaren mit und ohne Kinder, in: Baden-Württemberg in Wort und Zahl 1996, S. 155 f. 28 Vgl. Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S. 193 ff. 29 Vgl. zu diesem sogenannten Fahrstuhl-Effekt Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, 1986, S. 121 f. 30 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Zehnter Kin der- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation von Kindern und die Leistungen der Kinderhilfen in Deutschland, 1998, S.92. 31 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Zehnter Kin der· und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation von Kindern und die Leistungen der Kinderhilfen in Deutschland, 1998, S.88f.; vgl. auch Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland-Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S. 128 f.

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

Dunkelziffer anspruchsberechtigter Empfängerhaushalte Anfang der neunziger Jahre auf über 70% geschätzt.32 Einkommensarmut in den Familien betrifft längst nicht mehr nur gesellschaftliche Randgruppen, sondern reicht bis in die mittleren Einkommensgruppen hinein. 1994 betrug das durchschnittliche Jahreseinkommen in Deutschland etwa 60.000 DM brutto, davon blieben bei zwei Kindern (Kindergeld bereits hinzugerechnet) nach Steuern und Sozialversicherung je Erwachsenem knapp 13.000 DM netto. Das entsprach etwa dem Sozialhilfeniveau. Einem ledigen Arbeitnehmer verblieben vom Durchschnittseinkommen dagegen fast 36.000DM netto. Nach Deckung des lebensnotwendigen Bedarfs behielt er rund 23.000DM zur freien Verfügung. 33 1992 bezogen knapp 80 % der jungen Eltern das einkommensabhängige Erziehungsgeld in voller Höhe. Die Einkommensgrenze, ab der gekürzt wurde, entsprach etwa dem Sozialhilfeniveau. 34 1997 waren rund 30 % aller alleinerziehenden Mütter auf laufende staatliche Unterstützung angewiesen.35 Der Anteil armer Kinder ist in den letzten Jahren überproportional gestiegen. Die Zunahme der Sozialhilfeempfänger betrug im Zeitraum von 1988 bis 1993 insgesamt 23,9 %, für die unter 18-jährigen 33,7 %, für die unter siebenjährigen 56,5 % und für die unter zweijährigen sogar 80 %. 36 Nach Erkenntnissen des Statistischen Bundesamtes waren von den 2,9 Millionen Menschen, die 1997 Sozialhilfe bezogen, gut eine Million Kinder und Jugendliche. Mehr als ein Drittel der Sozialhilfeempfänger war somit minderjährig. Das Armutsrisiko der Kinder ist durchweg höher als das der Erwachsenen. Besonders häufig von Armut betroffen sind Kinder, die bei einer alleinerziehenden Mutter leben, Kinder in den verschiedenen Gruppen von Zuwandererfamilien und Kinder mit vielen Geschwistern.37

32 Andreas Netzler; Familie chancengleich leben: Was sollte der Familienlasten-, Risikound Leistungsausgleich leisten - und was leistet er?, in: Bernhard Jans/Geoig Zimmermann (Hrsg.), Familienlastenausgleich? Plädoyers für eine gerechte Familienpolitik, 1996, S. 69. 33 Jürgen Borchert, Zur Notwendigkeit einer (familienpolitischen) Strukturreform des Sozialstaates, in: Bernhard Jans/Georg Zimmermann (Hrsg.), Familienlastenausgleich? Plädoyers für eine gerechte Familienpolitik, 1996, S. 33 f.; vgl. auch Kostas Petropulos, Ein Gehalt für Eltern?, in: MUT Nr. 380, April 1999, S. 54. 34 Jürgen Borchert, Zur Notwendigkeit einer (familienpolitischen) Strukturreform des Sozialstaates, in: Bernhard Jans/Georg Zimmermann (Hrsg.), Familienlastenausgleich? Plädoyers für eine gerechte Familienpolitik, 1996, S. 33 f.; Otfried Hatzold/Christian Leipert, Erziehungsgehalt. Wirtschaftliche und soziale Wirkungen bezahlter Erziehungsarbeit der Eltern. Gutachten, 1996, S.5. 35 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Zehnter Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation von Kindern und die Leistungen der Kinderhilfen in Deutschland, 1998, S.90f.; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik. Lebensformen, Familienstrukturen, wirtschaftliche Situation der Familien und familiendemographische Entwicklung in Deutschland, 1998, S. 140. 36 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S.129.

Α. Die Ausgangslage der Familien

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3. Die Wohnsituation der Familien Die Wohnung und das Wohnumfeld sind wichtige Rahmenbedingungen für die Entfaltung des Familienlebens, für die Qualität des Zusammenlebens und für die persönliche Entwicklung der Familienmitglieder. Die Sozialisation der Kinder wird wesentlich von der Wohnsituation der Familie beeinflußt. Dabei sind nahezu alle quantitativen und qualitativen Merkmale der Wohnung und des Wohnumfeldes entscheidend. Es bestehen jedoch erhebliche Diskrepanzen zwischen den erstrebenswert erscheinenden Wohnstandards für Familien und der tatsächlichen Wohnraumversorgung der Familienhaushalte. 38 Ein wichtiges Kriterium für die Beurteilung der Wohnraumversorgung ist die Größe und Belegungsdichte der Wohnung. Familienhaushalten mit zwei oder mehr Kindern steht pro Person durchschnittlich nur halb so viel Wohnraum zur Verfügung wie Haushalten ohne Personen unter 18 Jahren. 39 Neben der Wohnungsgröße ist die Anzahl der verfügbaren Räume bezogen auf die Anzahl der Personen i m Haushalt von Bedeutung. Sieht man als unterversorgt die Haushalte an, die nicht wenigstens ein Zimmer pro Person zur Verfügung stellen können, so zeigen sich zum Teil erhebliche Unter- und Überversorgungen. Immerhin leben 15% der Einpersonenhaushalte und 39 % der Zweipersonenhaushalte i n Wohnungen mit fünf und mehr Räumen. Der Anteil unterversorgter Mieterhaushalte mit vier und mehr Personen liegt dagegen bei knapp 4 0 % . Die Mietbelastung als Anteil der Miete am Haushaltsnettoeinkommen ist ein weiteres Kriterium für die Beurteilung der Wohnsituation. Sie liegt i m Schnitt bei 18 %, ist jedoch stark abhängig von der Pro-Kopf-Einkommenslage und folglich um so höher, je niedriger dieses Einkommen ist. Die Mietbelastung sinkt bei hohen Pro-Kopf-Einkommen bis auf 10 % ab, bei niedrigen Einkom-

37 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Zehnter Kin der· und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation von Kindern und die Leistungen der Kinderhilfen in Deutschland, 1998, S.90f.; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik. Lebensformen, Familienstrukturen, wirtschaftliche Situation der Familien und familiendemographische Entwicklung in Deutschland, 1998, S. 140. Vgl. auch Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S.203f., mit Hinweis auf die notwendige Unterscheidung zwischen (Kinder-)Armut der Personen, die sich aus verschiedenen Gründen ohnehin in der Armutszone befinden, und kinderbedingter Armut der Personen, die zunächst nicht jenseits der Armutsgrenze leben, aber durch Kinder in Armut geraten. 38 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S. 135 ff.; Franz-Xaver Kaufmann, Zukunft der Familie im vereinten Deutschland. Gesellschaftliche und politische Bedingungen, 1995, S. 145 ff.; Heinz Lampert, Priorität für die Familie. Plädoyer für eine rationale Familienpolitik, 1996, S. 118 ff.; Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S. 303 ff. 39 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland-Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S. 136; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Zehnter Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation von Kindern und die Leistungen der Kinderhilfen in Deutschland, 1998, S.52.

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

men kann sie bis auf 40 % ansteigen. Das trifft besonders kinderreiche Familien mit niedrigem Pro-Kopf-Einkommen und hohem Wohnflächenbedarf. 40 Neben den formalen Kriterien sind die wirtschaftliche und soziale Infrastruktur sowie die Qualität der Wohnumwelt erheblich. In den Ballungsgebieten ist in der Regel die Verkehrsanbindung gut, sind ausreichend Einkaufsgelegenheiten vorhanden und gibt es ein breites Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen, Schulen und Freizeiteinrichtungen. Allerdings sind in den stärker verdichteten Gebieten die Mietpreise für Familien mit größerem Bedarf an Wohnfläche oft untragbar, da sich die Mietpreise und das Wohnungsangebot am Einkommen und am Bedarf kinderloser Personen orientieren. Preisgünstige Wohnungen stehen in zu geringer Zahl, meist in Massensiedlungen der großen Städte, zur Verfügung. Viele Familien ziehen mit zunehmendem Alter der Kinder in das Umland der Städte. Das Wohnen auf dem Land oder in der Peripherie der Städte ist billiger, oft aber mit Einbußen hinsichtlich der räumlichen und zeitlichen Nähe von Wohn- und Arbeitsort verbunden. Um die in den Verdichtungsgebieten bestehenden Berufs- und Erwerbschancen wahrnehmen zu können, müssen lange Anfahrtszeiten in Kauf genommen werden. Das wirkt sich wiederum negativ auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie aus.41 Schätzungen zufolge sind nicht wenige Familien von Obdachlosigkeit bedroht oder betroffen. Im Jahr 1989 waren etwa 200.000 Familien in öffentlichen Schlichtunterkünften untergebracht. Für das Jahr 1996 schätzte die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe die Zahl wohnungsloser Familienhaushalte auf 100.000. Von insgesamt 590.000 geschätzten wohnungslosen Personen waren 190.000 Kinder und Jugendliche.42 Andere Schätzungen gehen sogar von 500.000 obdachlosen Kindern aus.43

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Max Wingert, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S. 308 ff. Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S. 135 f.; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Zehnter Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation von Kindern und die Leistungen der Kinderhilfen in Deutschland, 1998, S.52ff. 42 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S. 136; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Zehnter Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation von Kindern und die Leistungen der Kinderhilfen in Deutschland, 1998, S.54. 43 Franz Ruland, Sozialrechtliche Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie, in: NJW 1994, S.2049. 41

Α. Die Ausgangslage der Familien

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I I I . Familienarbeit und Erwerbsarbeit 1. Die Trennung von Familie und Beruf I m Zuge der Industrialisierung i m 18. und 19. Jahrhundert verlor die Familie ihre Funktion als Arbeits- und Wirtschaftsgemeinschaft, in der alle Familienmitglieder gleichermaßen an Arbeit und Einkommen beteiligt waren. Die Lebensbereiche Beruf und Familie wurden räumlich, funktional und organisatorisch getrennt. Der Mann ging der außerhäuslichen Erwerbsarbeit nach, die Frau wurde auf die häusliche Familienarbeit beschränkt. Das erlaubte eine familienunabhängige Gestaltung der Erwerbsarbeitswelt. Das Einkommen und der soziale Status wurden ausschließlich von der außerhäuslichen Erwerbsarbeit bestimmt. Die häusliche Familientätigkeit erfuhr i m Gegensatz zur Erwerbstätigkeit weder gesellschaftliche noch finanzielle Anerkennung. Durch die räumliche und organisatorische Trennung der Lebensbereiche Beruf und Familie wurde die Frau und Mutter von der außerhäuslichen Erwerbsarbeit und infolgedessen auch von den Erwerbseinkommen ausgeschlossen. 44 Das Erwerbseinkommen des Mannes richtet sich in der marktwirtschaftlich geprägten Arbeitswelt nach dem Leistungsprinzip. Als Erwerbstätiger bezog und bezieht er einen Individuallohn; der zusätzliche Bedarf in seiner Eigenschaft als Familienvater spielt für die Einkommenshöhe keine Rolle. 4 5 M i t der Bildungsexpansion in den sechziger und siebziger Jahren wurden Ausbildung und Qualifikation der Frauen erheblich verbessert. Seitdem ist die Frauenerwerbstätigkeit kontinuierlich gestiegen. Frauen setzen ihre gestiegenen Ausbil44

Vgl. Elisabeth Beck-Gernsheim, Was Eltern das Leben erschwert: Neue Anforderungen und Konflikte in der Kindererziehung, in: Volker Teichert (Hrsg.), Junge Familien in der Bundesrepublik. Familienalltag - Familienumwelt - Familienpolitik, 1990, S. 55 ff.; Paul Kirchhof, Die verfassungsrechtliche Garantie der Familie als Erziehungsgemeinschaft, in: Bernhard Jans/Georg Zimmermann (Hrsg.), Familienlastenausgleich? Plädoyers für eine gerechte Familienpolitik, 1996, S. 11 f.; Paul Kirchhof, Ehe und Familie im staatlichen und kirchlichen Steuerrecht, in: Heiner Marré/Johannes Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (21), 1986, S. 117 f.; Paul Kirchhof, Die Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts in Zeiten des Umbruchs, in: NJW 1996, S. 1502; Gerhard Kleinhenz, Zur Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit, in: Bernhard Jans/Georg Zimmermann (Hrsg.), Familie - Einkommen - Arbeitszeit, 1993, S.23ff.; Heiner Ludwig, Die Familie im Mittelpunkt: Zeitsouveränität in der Arbeitswelt, in: Bernhard Jans/Georg Zimmermann (Hrsg.), Familie - Einkommen-Arbeitszeit, 1993, S.63ff. 45 Frühere Bestrebungen zur Einführung eines Familienlohns scheiterten, statt dessen setzte sich der individuelle Leistungslohn durch. Im günstigsten Fall wird der Individuallohn durch Familienzuschläge ergänzt; vgl. Gerhard Kleinhenz, Zur Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit, in: Bernhard Jans/Georg Zimmermann (Hrsg.), Familie - Einkommen - Arbeitszeit, 1993, S. 25; Heinz Lampert, Priorität für die Familie. Plädoyer für eine rationale Familienpolitik, 1996, S.54ff. Eine Ausnahme bildet lediglich die Beamtenbesoldung. Nach dem Alimentationsprinzip wird die Gewährung der Dienstbezüge nicht als Entgelt für geleistete Arbeit, sondern als Sicherung des amtsangemessenen Unterhalts für den Beamten und seine Familie verstanden; vgl. Philip Kunig, Das Recht des öffentlichen Dienstes, in: Ingo von Münch/ Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 9. Auflage, 1992, S.586.

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

dungschancen zunehmend i m Beruf um und streben danach, durch Erwerbstätigkeit eigenes Einkommen zu erwerben, Selbstbestätigung, größere Selbständigkeit und Anerkennung zu erfahren und i m Hinblick auf die zunehmende Individualisierung der Lebensläufe größere Sicherheit und eine eigenständige Altersversorgung zu erlangen. Immer weniger Frauen sind bereit, die alleinige Zuständigkeit für die Kinderbetreuung zu übernehmen, sich ausschließlich der Tätigkeit für die Familie zu widmen und diese als (lebens-)ausfüllende Beschäftigung anzusehen. Die mit dem Verzicht auf Erwerbstätigkeit verbundene finanzielle Abhängigkeit macht das Lebenskonzept der Hausfrau und Mutter für viele Frauen inakzeptabel. 46 Inzwischen ist die Erwerbstätigkeit der Frauen zur gesellschaftlichen Norm geworden - wenngleich die Erwerbsbeteiligung der Männer die der Frauen nach wie vor übersteigt. 47 Gleichzeitig ist die Familienarbeit i m wesentlichen Sache der Frauen geblieben und der grundsätzlich bestehende Kinderwunsch kollidiert mit ihrer ausgeprägten Berufsorientierung. 48 Das Erwerbsverhalten der Frauen ist deshalb stark von der jeweiligen Familiensituation geprägt. M i t zunehmender Zahl minderjähriger Kinder sinkt ihre Erwerbsbeteiligung; mit steigendem Alter der Kinder nimmt die Erwerbstätigkeit wieder zu. Weit mehr als die Hälfte der erwerbstätigen Frauen mit Kindern unter 18 Jahren gehen einer Teilzeitbeschäftigung nach. Väter von minderjährigen Kindern reduzieren ihre Erwerbsarbeitszeit dagegen praktisch nicht. Nur in wenigen Ausnahmefällen geben Väter ihre Erwerbsarbeit zur Kinderbetreuung auf. 4 9 46 Vgl. Erich Stutzer/Wolfgang Schwartz, Geburtenentwicklung und Frauenerwerbstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland, in: Ministerium für Familie, Frauen, Weiterbildung und Kunst Baden-Württemberg (Hrsg.), Familie heute - ausgewählte Aufsätze zur Situation der Familien in Baden-Württemberg, 1994, S. 111 ff.; Rolf Birk, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Gutachten E für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT1994, S. E17 f.; Maximilian Fuchs, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Gutachten F für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S. F13 ff. 47 Trotz der Ausdehnung der Frauenerwerbsquote ist der Anteil der von Frauen geleisteten Arbeitsstunden am gesamten Erwerbsvolumen weitgehend konstant geblieben. Der Anteil der Teilzeitbeschäftigten steigt dagegen beständig; vgl. Heiner Ludwig, Die Familie im Mittelpunkt: Zeitsouveränität in der Arbeitswelt, in: Bernhard Jans/Geoig Zimmermann (Hrsg.), Familie - Einkommen - Arbeitszeit, 1993, S. 78 f. Die Erwerbsbeteiligung der Frauen in Deutschland bleibt zum Teil erheblich hinter der in anderen Ländern üblichen Frauenerwerbsbeteiligung zurück. Deutschland befindet sich damit in der ungewöhnlichen Situation, bei relativ geringer Frauenerwerbsbeteiligung eine der niedrigsten Geburtenraten aufzuweisen; vgl. Erich Stutzer/Wolfgang Schwartz, Geburtenentwicklung und Frauenerwerbstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland, in: Ministerium für Familie, Frauen, Weiterbildung und Kunst BadenWürttemberg (Hrsg.), Familie heute - ausgewählte Aufsätze zur Situation der Familien in Baden-Württemberg, 1994, S. 119. 48 Auch nach neueren Untersuchungen wollen immer noch 90 % der jungen Ehepaare Kinder haben - die meisten von ihnen zwei und mehr Kinder; vgl. Max Wingen, Familienorientierte Erwerbsarbeitswelt - vom Wunsch zur Wirklichkeit?, in: Bernhard Jans/Georg Zimmermann (Hrsg.), Familie - Einkommen - Arbeitszeit, 1993, S. 107 f. 49 Vgl. Claudia Vogel, Ausgewählte Strukturdaten zur Frauenerwerbstätigkeit, in: Ministerium für Familie, Frauen, Weiterbildung und Kunst Baden-Württemberg (Hrsg.), Familie heute - ausgewählte Aufsätze zur Situation der Familien in Baden-Württemberg, 1994, S. 132ff.

Α. Die Ausgangslage der Familien

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Die Trennung der Lebensbereiche von Familie und Beruf benachteiligt faktisch die in ihren Erwerbsmöglichkeiten eingeschränkten Mütter. 50 2. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf Grundsätzlich lassen sich zwei Modelle der Kombination von Familie und Beruf unterscheiden.51 Wer weder auf Berufstätigkeit noch auf Familientätigkeit verzichten will, muß Berufstätigkeit und Familientätigkeit in einen irgendwie gearteten Ausgleich bringen - entweder zeitgleich oder in abwechselnden Phasen.52 Diese beiden Modelle unterliegen innerhalb Deutschlands unterschiedlichen Präferenzen. Ostdeutsche Frauen bevorzugen überwiegend und gerade auch in den ersten Lebensjahren des Kindes das zeitgleiche Nebeneinander von Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit, das sog. simultane Verhaltensmuster oder Parallelitätsmodell. Westdeutsche Frauen präferieren überwiegend das zeitliche Nacheinander von Beruf und Familie, das sog. sukzessive Verhaltensmuster oder Phasenmodell, bei dem Erwerbsphase, dominierende Familienphase und erneute Erwerbsphase zeitlich aufeinander folgen. Diese Präferenzen gründen zum einen in der unterschiedlichen Einkommenssituation in Ost und West, hängen aber auch mit den überkommenen Rahmenbedingungen zusammen, die im alten Bundesgebiet und in der DDR die Verwirklichung des jeweiligen Verhaltensmusters begünstigten.53 Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf setzt unabhängig vom jeweiligen Verhaltensmuster eine gewisse Zeitsouveränität der Eltern voraus. Sie erfordert flexible Erwerbs- und Erziehungszeiten, die bei der Arbeitszeitgestaltung die Berücksichtigung beruflicher und familialer Interessen erlauben. Außerdem hängt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie vom Vorhandensein quantitativ ausreichender und qualitativ hochwertiger Kinderbetreuungseinrichtungen ab, die nicht nur als Notlösung dienen, sondern eine akzeptable familienergänzende Betreuung und Erziehung der 50 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S. 149 ff.; Gerhard Kleinhenz, Zur Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit, in: Bernhard Jans/Georg Zimmermann (Hrsg.), Familie - Einkommen - Arbeitszeit, 1993, S.23ff.; Heiner Ludwig, Die Familie im Mittelpunkt: Zeitsouveränität in der Arbeitswelt, in: Bernhard Jans/Georg Zimmermann (Hrsg.), Familie - Einkommen - Arbeitszeit, 1993, S. 63 ff. 51 Angesichts der zunehmenden Ausbildungszeiten ist nicht nur an die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sondern auch an die Vereinbarkeit von Familie und Ausbildung zu denken. Die hierfür erforderlichen Rahmenbedingungen entsprechen weitgehend denjenigen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder lassen sich hieraus ableiten. 52 Rolf Birk, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Gutachten E für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S.E13f. 53 Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S. 161 ff.; Max Wingen, Familienorientierte Erwerbsarbeitswelt - vom Wunsch zur Wirklichkeit?, in: Bernhard Jans/Georg Zimmermann (Hrsg.), Familie - Einkommen - Arbeitszeit, 1993, S. 111 ff.

Familien

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

Kinder bieten. Nicht zuletzt hängt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf von der Sicherung des Familieneinkommens ab. Dies alles sind Faktoren, welche die Entscheidung der Familie über die Art und Weise der Vereinbarung von Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit beeinflussen. 54 Die bisherigen Möglichkeiten zur Vereinbarung von Familie und Beruf erlauben den Eltern nur begrenzt, ihr Erwerbsverhalten nach ihren Vorstellungen auf das Familienleben abzustimmen.55 a) Die Reduzierung der Erwerbsarbeitszeit Die Gründung einer Familie hat regelmäßig die Reduzierung der Erwerbsarbeitszeit zumindest eines Elternteils zur Folge. Die Vollzeiterwerbstätigkeit beider Elternteile, insbesondere der Eltern kleinerer Kinder, ist kaum durchführbar. Sie führt angesichts der herkömmlichen Rollenverteilung zwischen Mann und Frau regelmäßig zu Mehrfach- und Überbelastungen der für die Haus- und Familienarbeit immer noch als allein oder überwiegend zuständig geltenden Mutter. Elternschaft tangiert die Erwerbsbiographien und die Karriereorientierung der Väter wenig, sie führt sogar häufig zu verstärktem beruflichem Engagement. Im Gegensatz dazu erlebt fast jede Mutter einen beruflichen Einbruch durch die Geburt eines Kindes. Fast alle Mütter gehen in Erziehungsurlaub und scheiden zumindest temporär aus dem Berufsleben aus.56 Viele junge Eltern haben den Wunsch, die Erwerbsarbeitszeit zugunsten der Familie zu reduzieren. Gleichzeitig sind viele Familien zur Sicherung ihrer Existenz

54 Vgl. Marita Körner-Dammann, Veränderte Erwerbs- und Familienstrukturen als Voraussetzung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, in: NJW 1994, S. 2060 ff. 55 Vorschläge zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie finden sich zum Beispiel bei Gerhard Bäckerl Brigitte Stolz-Willig, Vereinbarkeit von Beruf und Familie als eine Zukunftsaufgabe des Sozialstaats, in: Gerhard Bäcker/Brigitte Stolz-Willig (Hrsg.), Kind, Beruf, Soziale Sicherung. Zukunftsaufgabe des Sozialstaats, 1994, S.35ff.; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S. 275 ff.; Familienbund der Deutschen Katholiken, Familie - Einkommen - Arbeitszeit. Familiengemäßes Einkommen und familiengerechte Arbeitszeit. Grundlagenpapier des Familienbundes der Deutschen Katholiken, in: Bernhard Jans/Georg Zimmermann (Hrsg.), Familie - Einkommen - Arbeitszeit, 1993, S. 11 ff.; Gerhard Kleinhenz, Zur Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit, in: Bernhard Jans/Georg Zimmermann (Hrsg.), Familie - Einkommen - Arbeitszeit, 1993, S.28ff.; Thomas Schwärzt Claudia Vogel, Betriebliche Sozialpolitik im Spannungsfeld von Familie und Erwerbstätigkeit, in: Ministerium für Familie, Frauen, Weiterbildung und Kunst Baden-Württemberg (Hrsg.), Familie heute - ausgewählte Aufsätze zur Situation der Familien in Baden-Württemberg, 1994, S. 165 ff.; Max Wingen, Familienorientierte Erwerbsarbeitswelt - vom Wunsch zur Wirklichkeit?, in: Bernhard Jans/Georg Zimmermann (Hrsg.), Familie - Einkommen - Arbeitszeit, 1993, S. 111 ff.; Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S. 161 ff.; Georg Zimmermann, „Scheinutopie". Die Umsetzung des Grundlagenpapiers des Familienbundes, in: Bernhard Jans/Georg Zimmermann (Hrsg.), Familie - Einkommen - Arbeitszeit, 1993, S. 147 ff. 56 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Optionen der Lebensgestaltung junger Ehen und Kinderwunsch, Band 128.2 der Schriftenreihe, 1996, S. 13.

Α. Die Ausgangslage der Familien

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auf zwei Erwerbseinkommen angewiesen und gehen durch die Reduzierung der Erwerbsarbeit berufliche und finanzielle Risiken ein. Trotz der Bereitschaft zu individueller Flexibilität lassen sich Erwerbs- und Familienleben häufig nicht wie gewünscht verbinden. 57 Die Reduzierung der Erwerbsarbeitszeit führt sowohl i m simultanen als auch i m sukzessiven Konzept der Vereinbarung von Familie und Beruf zu Nachteilen. Die Berufsunterbrechung zugunsten einer längeren Familienphase kann den Einstieg in den endgültigen Ausstieg aus dem Berufsleben bedeuten. Es droht der Verlust des Arbeitsplatzes während der Berufspause, die Anforderungen oder die Gestaltung des Arbeitsplatzes können sich während der Abwesenheit verändern und bergen die Gefahr der mangelnden Qualifizierung beim Wiedereintritt. Möglich ist auch der Verlust sonstiger beruflicher und berufsbezogener Fähigkeiten und Fertigkeiten. Das Phasenmodell existiert daher inzwischen immer seltener i n reiner Form. Viele Mütter geben zwar mit der Geburt des Kindes ihre bisherige Erwerbstätigkeit auf oder nehmen Erziehungsurlaub. Gleichwohl gehen sie in der Familienphase kleineren Nebenerwerbstätigkeiten nach, um den Kontakt zur Erwerbsarbeitswelt nicht zu verlieren. Der Übergang zum Parallelitätsmodell ist fließend. Das Interesse junger Eltern an flexiblen Beschäftigungsverhältnissen zur simultanen Vereinbarung von Beruf und Familie ist weit größer als das entsprechende Angebot. Das klassische Arbeitsverhältnis der Vollzeitbeschäftigung entspricht nicht ihren Zeitpräferenzen. 58 Auch der traditionellen Form der Halbtagsteilzeit wird wenig Bedeutung beigemessen. Gewünscht werden Beschäftigungsverhältnisse mit zwei Dritteln bis drei Vierteln der Vollarbeitszeit - das entspricht etwa 27 Wochenstunden. Diesen Zeitrahmen sehen vor allem Frauen als ideal an, um interessante Aufgaben i m Beruf zu meistern, ohne auf Familie verzichten zu müssen. 59 Insbesondere für qualifizierte Tätigkeiten fehlen jedoch entsprechende Teilzeitarbeitsangebote. Teilzeitarbeitsstellen bieten zudem nicht dieselben beruflichen Aufstiegschan57

Vgl. Heinz Lampert, Priorität für die Familie. Plädoyer für eine rationale Familienpolitik, 1996, S. 114ff. 58 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S. 173 ff. 59 Das gilt im übrigen auch für Arbeitnehmer ohne Kinder. Fast jede zweite weibliche und jeder fünfte männliche Vollzeitbeschäftigte bevorzugen Teilzeitformen der Erwerbsarbeit; vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, Schwartz, Geburtenentwicklung und Frauenerwerbstä1995, S.279; Erich Stutzer/Wolfgang tigkeit in der Bundesrepublik Deutschland, in: Ministerium für Familie, Frauen, Weiterbildung und Kunst Baden-Württemberg (Hrsg.), Familie heute - ausgewählte Aufsätze zur Situation der Familien in Baden-Württemberg, 1994, S. 126.; Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S. 169 f. Tatsächlich lag der Anteil der Teilzeitbeschäftigung 1991 bei nur 15 % der gesamten Beschäftigungsverhältnisse, ungefähr 90% aller Teilzeitbeschäftigten sind Frauen; vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S. 173 f. 3 Tünnemann

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

cen wie Vollzeitarbeitsstellen. Die Reduzierung der Erwerbsarbeitszeit ist regelmäßig mit einem „Karriereknick" verbunden. Auch der Wechsel zwischen Teil- und Vollzeitarbeit ist nur selten wie gewünscht möglich. Faktisch entstehen den Erwerbstätigen nach wie vor erhebliche Nachteile durch die familienbedingte Reduzierung der Erwerbsarbeitszeit. 60

b) Die außerfamiliale

Kinderbetreuung

Im Gegensatz zu der breiten staatlichen Förderung außerfamilialer Betreuung in der DDR galt und gilt die Erziehung und Betreuung von Kindern in der Bundesrepublik als Aufgabe der Familie, in die sich der Staat möglichst nicht einmischen sollte. Noch in den achtziger Jahren wurde die These vertreten, daß während der ersten drei Lebensjahre nur die ausschließliche Betreuung durch die Mutter eine psychisch gesunde Entwicklung des Kindes garantiere. Inzwischen hat eine Vielzahl von Untersuchungen ergeben, daß eine institutionelle Betreuung bei Kleinkindern keineswegs negative Auswirkungen haben muß. Nicht die Dauer der Anwesenheit der Mutter, sondern die Qualität der Betreuung ist für die Entwicklung des Kindes ausschlaggebend. Es kommt auch nicht darauf an, daß ausschließlich eine Person die Betreuung übernimmt. Entscheidend ist vielmehr, wie das Kind behandelt wird. 61 Von besonderer Bedeutung ist dabei die sichere Bindung des Kindes an die Betreuungspersonen. Sie setzt Beständigkeit und Verläßlichkeit der Betreuung voraus. Unter den gegebenen Rahmenbedingungen vermögen dies aber nur wenige Kinderbetreuungseinrichtungen zu gewährleisten.62 Die Erkenntnisse über die Wirkungen der familienergänzenden Betreuung und Erziehung im Kleinkindalter zeigen, daß die Argumente einer unvermeidlichen schädlichen Auswirkung, die gegen den Ausbau familienergänzender Kleinkinderziehung vorgebracht werden, nicht haltbar sind. Es kommt jedoch entscheidend auf die Gewährleistung hoher Qualitätsstandards der betreffenden Einrichtungen an. Darin liegt auch eine Chance für Kinder, die in der Familie nur eine niedrige Qualität der Betreuung und Erziehung erfahren. 63 60

Vgl. Sabine Hildebrandt-Woeckel, Karrierefalle Erziehungsurlaub, 1999. Maximilian Fuchs, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Gutachten F für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S. F 17; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S. 188 f. 62 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S. 188f. 63 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Kinder und ihre Kindheit in Deutschland. Eine Politik für Kinder im Kontext von Familienpolitik, Band 154 der Schriftenreihe, 1998, S. 154ff. 61

Α. Die Ausgangslage der Familien

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Die Möglichkeit der außerfamilialen Kinderbetreuung ist sowohl für das simultane als auch für das sukzessive Verhaltensmuster eine wesentliche Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Auch nach einer mehrjährigen Familienphase ist die Wiederaufnahme einer Vollzeiterwerbstätigkeit nicht ohne ergänzende Kinderbetreuung möglich. Angesichts fehlender Betreuungsmöglichkeiten für K i n der kehren viele Frauen trotz der dreijährigen Beschäftigungsgarantie während des Erziehungsurlaubs nicht mehr an ihren Arbeitsplatz zurück. Die Aufnahme einer Vollzeitbeschäftigung - ein Anspruch auf einen Teilzeitarbeitsplatz besteht nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz weder während des Erziehungsurlaubs noch i m Anschluß an den Erziehungsurlaub - bedeutet i m Schnitt einen Zeitaufwand von über neun Stunden täglich. Eine institutionelle Kinderbetreuung während dieses Zeitraums scheitert regelmäßig an den Öffnungszeiten der Betreuungseinrichtungen und ist mit erheblichen Kosten verbunden. Auch die Anstellung einer außerfamilialen Betreuungsperson verursacht hohe Kosten. Sofern nicht andere Familienmitglieder, etwa die Großeltern, die Kinderbetreuung kostenlos oder kostengünstig übernehmen, zahlt sich die Erwerbsarbeit beider Elternteile selbst bei durchschnittlichem Verdienst nicht aus. Für die meisten Familien ist es daher aus ökonomischen Gründen günstiger, wenn ein Elternteil, in der Regel die Mutter, die Kinder zu Hause betreut. Zwar hat ein K i n d seit 1996 gemäß § 24 SGB V I I I vom vollendeten dritten Lebensjahr an bis zum Schuleintritt Anspruch auf den Besuch eines Kindeigartens und für Kinder i m Alter unter drei Jahren sowie für Kinder i m schulpflichtigen Alter sind nach Bedarf Plätze in Tageseinrichtungen vorzuhalten. 64 Das Angebot an familienergänzenden Kinderbetreuungseinrichtungen ist jedoch vor allem in den alten Bundesländern ungenügend. Dies gilt insbesondere für Krippenplätze für Kinder bis zu drei Jahren. Bei den Kindergärten gibt es erhebliche länderspezifische Unterschiede. Das Angebot reicht von bloßer Vormittagsbetreuung über Vor- und Nachmittagsplätze bis hin zu Ganztagesplätzen mit Mittagsversorgung. I m Bereich der Ganztageseinrichtungen besteht allerdings ein erhebliches Angebotsdefizit. 65 Viele Unternehmen sind zwar daran interessiert, ihre Mitarbeiterinnen nach der Geburt eines Kindes weiter i m Betrieb zu beschäftigen. Aus diesem Grund haben einige, vor allem größere Unternehmen betriebseigene Kindergärten und Kindertagesstätten für den Nachwuchs ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eingerichtet. Die Nähe von Arbeitsplatz und Betreuungsplatz, die Zeitersparnis und die sofortige Erreichbarkeit erleichtern vor allem Müttern mit Kindern i m Alter von bis zu drei Jahren die Koordination von Beruf und Familie. Die Entscheidung für eine betriebsei64

Vgl. Maximilian Fuchs, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Gutachten F für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S.F79. 65 Bundesministerium ßr Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S. 188 ff.; Sozialministerium Baden-Württemberg, Familien in Baden-Württemberg. Familienbericht 1998, 1998, S.329f. *

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

gene Kinderbetreuungsstätte scheitert jedoch bei den meisten Unternehmen - trotz mancher Steuervorteile - an den finanziellen Belastungen. Die Investitionskosten für die Neuschaffung eines Krippenplatzes liegen zwischen 18.000DM und 38.000DM. Die Betriebskosten für einen Krippenplatz sind pro Jahr mit rund 16.000DM zu veranschlagen; ein Tagesstättenplatz schlägt mit etwa 6.700 D M zu Buche. Die jährlichen Betriebsmittel für einen Halbtages-Kindergartenplatz betragen ca. 4.500 D M . 6 6 Die Notwendigkeit der Kinderbetreuung endet zudem nicht mit dem Erreichen des schulpflichtigen Alters der Kinder. Auch schulpflichtige Kinder bedürfen - insbesondere in der Grundschule - einer gewissen Betreuung und Aufsicht. Die Zeiträume, in der die Schule die Beaufsichtigung der Kinder garantiert, korrespondieren nicht mit den üblichen Erwerbsarbeitszeiten. Fehlende Ganztagesschulen, unregelmäßige Unterrichtszeiten, mangelndes Lehrpersonal und der unvorhergesehene Ausfall von Schulstunden, bei dessen Auftreten die Kinder unter Umständen früher als erwartet nach Hause geschickt werden, stellen viele Mütter vor das Problem der Koordination der von starren Arbeitszeiten geprägten Erwerbstätigkeit und der flexibel zu handhabenden Familientätigkeit. Kinder haben außerdem wesentlich länger Schulferien als ihre Eltern Urlaub. Die ganztägige Erwerbstätigkeit der Mutter gilt daher immer noch als Risikofaktor für die Bildungschancen eines Kindes. Dies liegt nicht zuletzt daran, daß auch die Schulen mit der häuslichen Anwesenheit zumindest eines Elternteils und mit dessen (Nach-)Hilfe und Hausaufgabenbetreuung kalkulieren. 6 7

c) Die Sicherung des Familieneinkommens Die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familientätigkeit hängt wesentlich von den Einkommensverhältnissen der Familie ab. Angesichts der heute selbstverständlichen Erwerbstätigkeit der Frauen bedeutet die Gründung einer Familie notwendig die (vorübergehende) Reduzierung der Erwerbsarbeitszeit und infolgedessen des Erwerbseinkommens. Mehr Erwerbsarbeit bedeutet zwar mehr Einkommen, aber zugleich weniger Zeit für die Familie. Regelmäßig fallen dadurch zusätzliche Ausgaben für die Kinderbetreuung an. Weniger Erwerbsarbeit bedeutet zwar weniger Einkommen, aber zugleich mehr Zeit für die Familie und entsprechend weniger Ausgaben für die außerfamiliale Kinderbetreuung. Da das Einkommen der Frauen auch bei Vollzeiterwerbstätigkeit immer noch weit unterhalb desjenigen der Männer liegt - Frauen erreichen i m Durchschnitt un66

Es gibt allerdings steuerliche Vergünstigungen für betriebseigene Kinderbetreuungseinrichtungen; vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland-Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S. 177 f. 67 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S. 201 und 228.

Α. Die Ausgangslage der Familien

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gefähr 70 % der Verdienste der Männer - , ist es für viele Familien, insbesondere für Familien mit mehreren Kindern, aus ökonomischen Gründen sinnvoll oder gar zwingend, Erwerbstätigkeit und Familientätigkeit entsprechend der traditionellen Rollenverteilung zwischen Mann und Frau aufzuteilen. 69 Die traditionelle Rollenverteilung sichert zwar das Familieneinkommen - wenn auch auf niedrigerem N i veau - , sie entspricht jedoch nicht mehr den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen und Lebensvorstellungen der Menschen. Der erwerbstätige Mann hat seine Funktion als alleiniger und ausschließlicher Familienernährer verloren, die Erwerbstätigkeit der Frau ist zur gesellschaftlichen Norm geworden und die Anzahl lebenslang kinderloser Personen nimmt ständig zu. Unter diesen Bedingungen führt die Reduzierung der Erwerbstätigkeit eines Elternteils zugunsten der Familie zu erheblichen finanziellen Nachteilen i m Vergleich zu kinderlosen Erwerbstätigen. 70 Die Sicherung des Einkommens während der Kindererziehung ist daher wesentliche Bedingung für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

I V . Die Besteuerung der Familien 1. Die Prinzipien der Familienbesteuerung Das Einkommensteuerrecht knüpft nach dem Grundsatz der Individualbesteuerung an die natürliche Person als Steuersubjekt an. Sowohl die Bemessungsgrundlage als auch die Steuerlast sind auf die einzelne natürliche Person zugeschnitten. 71 Das Prinzip der individuellen Besteuerung geht grundsätzlich davon aus, daß das zu besteuernde Einkommen nur dem einzelnen Steuerpflichtigen zur Verfügung steht. Die Besteuerung Alleinstehender ist nach diesem Besteuerungssystem sachgerecht, weil es die Person trifft, die Einkommen aus ihrer Erwerbstätigkeit erzielt. Der Grundsatz der Individualbesteuerung ist zu modifizieren, wenn mehrere Personen von einem Einkommen leben müssen. 72 Die Mitglieder einer Familie gelten isoliert als Steuersubjekt, obwohl ihnen das Einkommen nur gemeinsam zur Verfügung steht. Die Familie wird nicht als Gruppe besteuert, sondern das einzelne Familienmitglied ist individuell einkommensteuerpflichtig. 73 Die familienbedingten Bela68 Sozialministerium Baden-Württemberg, Familien in Baden-Württemberg. Familienbericht 1998, 1998, S. 171. 69 Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S. 159 ff. 70 Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S. 159 ff. 71 Martin Moderegger, Der verfassungsrechtliche Familienschutz und das System des Einkommensteuerrechts, 1991, S. 69. 72 Vgl. Axel Frhr. von Campenhausen, Verfassungsgarantie und sozialer Wandel - Das Beispiel von Ehe und Familie, in: VVDStRL 45 (1987), S. 35; Paul Kirchhof Empfiehlt es sich, das Einkommensteuerrecht zur Beseitigung von Ungleichbehandlungen und zur Vereinfachung neu zu ordnen? Gutachten F für den 57. Deutschen Juristentag, in: 57. DJT 1988, S.F68. 73 Statt des Individualprinzips ist ein kollektives Prinzip denkbar, welches die Einkommen der Personen in einer Gemeinschaft zusammenfaßt und die Gemeinschaft als ein Steuersubjekt behandelt. Dieses Prinzip der Haushaltsbesteuerung - das nicht zu verwechseln ist mit der

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

stungen des Einkommens finden nur bei der Bemessungsgrundlage für die steuerliche Belastung des einzelnen Berücksichtigung. Sie beeinflussen seine individuelle steuerliche Leistungsfähigkeit. 74 Neben dem Grundsatz der Individualbesteuerung gilt i m Steuerrecht das Leistungsfähigkeitsprinzip als Konkretisierung des i m allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verankerten Gebots der Steuergerechtigkeit. Es besagt, daß jeder nur nach seiner individuellen Fähigkeit zur Steuerzahlung belastet werden darf. In seiner Ausprägung als Gebot horizontaler Steuergerechtigkeit verlangt der Gleichheitssatz, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit gleich hoch zu besteuern. Minderungen der Leistungsfähigkeit, die durch unvermeidbare Aufwendungen für Kinder eintreten, müssen daher bei der Einkommensbesteuerung berücksichtigt werden. 75 Da die Minderung der Leistungsfähigkeit i m verfassungsrechtlich gebotenen Umfang durch einen Abzug der Aufwendungen von der steuerlichen Bemessungsgrundlage Berücksichtigung finden muß 7 6 , wirkt sich die Entlastung i n einem Einkommensteuersystem mit progressivem Tarif ebenfalls progressiv aus. 77 Diese progressive Entlastungswirkung ist die logische Konsequenz des Progressionstarifs; sie ist keine Steuervergünstigung oder Begünstigung, keine Subvention oder Förderung der Familie. 7 8 ebenfalls als Haushaltsbesteuerung bezeichneten verfahrensrechtlichen Zusammenveranlagung und materiellrechtlichen Zusammenrechnung der Steuerbemessungsgrundlagen von in einer Haushaltsgemeinschaft lebenden Personen, ohne daß diese Personengemeinschaft ein Steuersubjekt bildet - hat es im deutschen Einkommensteuerrecht bislang nicht gegeben; vgl. Martin Moderegger; Der verfassungsrechtliche Familienschutz und das System des Einkommensteuerrechts, 1991, S. 68 f. 74 Vgl. Paul Kirchhof, Ehe und Familie im staatlichen und kirchlichen Steuerrecht, in: Heiner Marré/Johannes Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (21), 1986, S. 122f. 75 BVerfGE 82, 60 (86 ff.); 99, 246 (260 f.); Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 273 ff.; Heinz-Jürgen Pezzer, Verfassungsrechtliche Perspektiven der Familienbesteuerung, in: Waither Fürst/Roman Herzog/Dieter Umbach (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zeidler, Band 1,1987, S. 761 ff.; Hartmut Söhn, Steuerliche Berücksichtigung der Minderung der Leistungsfähigkeit durch Kinder, in: Paul Kirchhof/Klaus Offerhaus/Horst Schöberle (Hrsg.), Steuerrecht, Verfassungsrecht, Finanzpolitik. Festschrift für Franz Klein, 1994, S.422f.; Klaus Vogel, Zwangsläufige Aufwendungen - besonders Unterhaltsaufwendungen - müssen realitätsgerecht abziehbar sein. Das Bundesverfassungsgericht verschärft seine Rechtsprechung zum Verfassungsprinzip der Leistungsfähigkeit, in: Paul Kirchhof (Hrsg.), Klaus Vogel. Der offene Finanz- und Steuerstaat. Ausgewählte Schriften 1964 bis 1990,1991, S.710ff. 76 Vgl. dazu Martin Moderegger, Der verfassungsrechtliche Familienschutz und das System des Einkommensteuerrechts, 1991, S. 95 ff. 77 BVerfGE 82,60 (90). Vgl. auch Paul Kirchhof, Ehe und Familie im staatlichen und kirchlichen Steuerrecht, in: Heiner Marré/Johannes Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (21), 1986, S. 128 ff. 78 Hartmut Söhn, Steuerliche Berücksichtigung der Minderung der Leistungsfähigkeit durch Kinder, in: Paul Kirchhof/Klaus Offerhaus/Horst Schöberle (Hrsg.), Steuerrecht, Verfassungsrecht, Finanzpolitik. Festschrift für Franz Klein, 1994, S. 423 ff.

Α. Die Ausgangslage der Familien

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Auch Bezieher höherer Einkommen müssen im Vergleich zu Beziehern gleich hoher Einkommen je nach ihrer Leistungsfähigkeit besteuert werden; eine verminderte Leistungsfähigkeit durch Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern ist auch hier zu berücksichtigen. Eine steuerliche Mehrbelastung von Steuerpflichtigen mit unterhaltsbedürftigen Kindern gegenüber kinderlosen Steuerpflichtigen gleicher Einkommensstufe kann deshalb nicht damit gerechtfertigt werden, Steuerpflichtige mit höheren Einkommen könnten eine geminderte steuerliche Entlastung leichter tragen. Eine Durchbrechung der horizontalen Steuergerechtigkeit zwischen Steuerpflichtigen der gleichen Einkommensstufe mit Kindern und ohne Kinder kann nicht mit dem Gedanken der vertikalen Steuergerechtigkeit zwischen Steuerpflichtigen mit Kindern unterschiedlicher Einkommensstufen legitimiert werden. 79 2. Die Berücksichtigung der kinderbedingten Minderung der Leistungsfähigkeit Aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip selbst läßt sich nicht ableiten, in welcher Höhe die steuerliche Leistungsfähigkeit durch kinderbedingte Aufwendungen gemindert wird. Das Prinzip der Leistungsfähigkeit besagt lediglich, daß die Minderung der Leistungsfähigkeit bei der Besteuerung zu berücksichtigen ist, nicht aber, ob und in welchem Umfang die Leistungsfähigkeit durch Unterhaltsverpflichtungen gemindert wird. 80 Dies ist anhand normativer Vorgaben zu bestimmen. Unabhängig von der Höhe der Leistungsminderung gibt es verschiedene Möglichkeiten, die kinderbedingte Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen. Der Minderung der Leistungsfähigkeit kann sowohl im Steuerrecht als auch im Sozialrecht durch die Gewährung eines dafür ausreichenden Kindergeldes Rechnung getragen werden, das steuerfrei bleibt. Die Entlastung im Steuerrecht kann auch mit einer Entlastung durch das Kindergeld kombiniert werden.81 Die reine Freibetragslösung, bei der die Unterhaltsbelastungen von der steuerlichen Bemessungsgrundlage abgezogen werden, hat eine starke progressive Entlastungswirkung. Wegen dieser scheinbar unsozialen Wirkung wird vor allem von der Sozialdemokratie die Kindergeldlösung bevorzugt, bei der durch sozialstaatliche Leistungen der ungerechtfertigte Steuerzugriff nach der Prämisse „Kind gleich 79 BVerfGE 82,60 (90); 99, 246 (260, 263 f.); Klaus Vogel, Zum Fortfall der Kinderfreibeträge bei der Einkommensteuer. Der neue „Familienlastenausgleich" und seine Verfassungsmäßigkeit, in: Paul Kirchhof (Hrsg.), Klaus Vogel. Der offene Finanz- und Steuerstaat. Ausgewählte Schriften 1964 bis 1990, 1991, S.676f.; Franz Ruland, Verfassungsrechtliche Vorgaben des Familienlastenausgleichs, in: FuR 1991, S. 312. 80 Vgl. Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 288 ff.; Dieter Dziadkowski, Kindergeld und Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, in: BB 1981, Beilage 9, S. 6 ff.; Franz Ruland; Verfassungsrechtliche Vorgaben des Familienlastenausgleichs, in: FuR 1991, S. 310. 81 BVerfGE 82, 60 (84).

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

K i n d " 8 2 durch einheitliche Kindergeldleistungen kompensiert wird. Die reine Kindergeldlösung führt aber vor dem Hintergrund des Gebots horizontaler Steuergerechtigkeit zu Diskriminierungen und Privilegierungen. 83 Aufgrund der Steuerfreiheit hat das Kindergeld zudem einen negativen Progressionseffekt. 84 Das gegenwärtige duale System, das beide Ansätze kombiniert und für den Fall, daß das K i n dergeld nicht der erforderlichen steuerlichen Entlastung entspricht, Freibeträge vorsieht, verhindert die mit der reinen Kindergeldlösung verbundenen Diskriminierungen und erlaubt zugleich Privilegierungen, die unter dem sozialen Gesichtspunkt der Familienförderung gerechtfertigt sind. Die Berücksichtigung der kinderbedingten Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit ist i m Steuerrecht grundsätzlich auch durch das seit langem in der Diskussion stehende Familiensplitting denkbar. 85 In Frankreich und Luxemburg ist das Familiensplitting als Divisorensplitting realisiert, bei dem das Ehegattensplitting mit Splittingdivisoren auf die Kinder erweitert ist. 8 6 Das Familiensplitting ist aber 82 Dieser Prämisse folgt auch die Forderung nach einem einheitlichen einkommensunabhängigen Entlastungsbetrag für den Kindesunterhalt in Form eines Abzugs von der Steuerschuld; vgl. Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 296 f. Die These „Kind gleich Kind" verwechselt jedoch das Steuersubjekt. Es geht nicht um die Besteuerung der Kinder, sondern um die Besteuerung der unterhaltspflichtigen Eltern; vgl. Paul Kirchhof, Ehe und Familie im staatlichen und kirchlichen Steuerrecht, in: Heiner Marré/Johannes Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (21), 1986, S. 129. 83 Diskriminierungen wären nur zu vermeiden, wenn das Kindergeld so hoch bemessen ist, daß es auch beim höchsten Grenzsteuersatz noch der erforderlichen steuerlichen Entlastung entspricht. Schon bei einem (ohnehin viel zu niedrigen) Freibetrag von 6.000 D M müßte das Kindergeld bereits für das erste Kind 270 D M betragen; vgl. Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 291 ff. 84 Der Staat verschont die Bezieher hoher Einkommen von der Anwendung des Spitzensteuersatzes, während er die Bezieher niedriger Einkommen nur von der Anwendung des Mindeststeuersatzes oder überhaupt nicht verschont; vgl. Paul Kirchhof, Ehe und Familie im staatlichen und kirchlichen Steuerrecht, in: Heiner Marré/Johannes Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (21), 1986, S. 128ff. 85 Das Bundesverfassungsgericht erachtet das Familiensplitting als eine zulässige Form der Familienbesteuerung; vgl. BVerfGE 61, 319 (355). Siehe auch Helmut Lecheler, Schutz von Ehe und Familie, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts für die Bundesrepublik Deutschland, Band VI, 1989, § 133 Rn.98; Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 297 ff.; Paul Kirchhof, Ehe und Familie im staatlichen und kirchlichen Steuerrecht, in: Heiner Marré/Johannes Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (21), 1986, S. 124. 86 Vgl. Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 297 ff.; Franz Klein, Ehe und Familie im Steuerrecht als verfassungsrechtliches Problem, in: Walther Fürst/Roman Herzog/Dieter Umbach (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zeidler, Band 1, 1987, S. 797 ff.; Heinz-Gerd Horlemann, Der Familienleistungsaus-

Α. Die Ausgangslage der Familien

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auch als Familienrealsplitting möglich. Nach diesem Konzept der Familienbesteuerung können Eltern die Unterhaltsleistungen für ihre Kinder von der Bemessungsgrundlage absetzen, während sie bei den Kindern als eigene Einkünfte - mit eigenem Grundfreibetrag - nach dem dafür geltenden Steuertarif versteuert werden. 87

a) Die Berücksichtigung des Kinderexistenzminimums In der Entscheidung zum Kinderfreibetrag vom 29. Mai 199088 hat das Bundesverfassungsgericht die Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit zumindest für das Existenzminimum eines Kindes anerkannt. Dies ist mittlerweile gefestigte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. 89 Begründet wird die Steuerfreiheit des Familienexistenzminimums mit dem aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsgrundsatz des Art. 20 Abs. 1 GG folgenden verfassungsrechtlichen Gebot, daß der Staat dem Steuerpflichtigen sein Einkommen insoweit steuerfrei belassen muß, als es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein benötigt wird. Ebenso wie der Staat danach verpflichtet ist, dem mittellosen Bürger diese Mindestvoraussetzung erforderlichenfalls durch Sozialleistungen zu sichern, darf er dem Bürger das selbst erzielte Einkommen bis zu diesem Betrag nicht entziehen. Aus den genannten Verfassungsnormen folgert das Bundesverfassungsgericht in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG, daß bei der Besteuerung der Familie das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder steuerfrei bleiben muß. 90 Im Grundsatz ist die steuerliche Freistellung des Familienexistenzminimums zwar anerkannt, der Höhe nach ist der existenznotwendige Bedarf allerdings bis heute nicht hinreichend gewährleistet. Der wissenschaftliche Beirat für Familiengleich ab 1996. Rechtspolitischer Hintergrund und Ausgestaltung der Neuregelungen, in: BB 1996, S. 187. 87 Vgl. Joachim Lang, Familienbesteuerung. Zur Tendenz der Verfassungsrechtsprechung durch das Urt. des Bundesverfassungsgerichts vom 3.11.1982 und zur Reform der Familienbesteuerung, in: StuW 1983, S. 123 ff.; Joachim Lang, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Referat Ο für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S.080f.; Joachim Lang, Verfassungsrechtliche Gewährleistung des Familienexistenzminimums im Steuer- und Kindergeldrecht. Zu den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 29.5.1990 und vom 12.6.1990, in: StuW 1990, S.343f.; Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 300ff.; Franz Klein, Ehe und Familie im Steuerrecht als verfassungsrechtliches Problem, in: Waither Fürst/Roman Herzog/Dieter Umbach (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zeidler, Band 1,1987, S. 800f.; Rudolf Wendt, Familienbesteuerung und Grundgesetz, in: Joachim Lang (Hrsg.), Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion. Festschrift für Klaus Ήpke zum 70. Geburtstag, 1995, S. 67ff. 88 BVerfGE 82, 60. 89 BVerfGE 99, 246 (259). 90 BVerfGE 82, 60 (85).

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

fragen beim Bundesministerium für Familie und Senioren hat in einer Stellungnahme zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Kinderfreibetrag das monatliche Existenzminimum eines Kindes schon für 1991 mit 526 D M veranschlagt. Auf das Jahr bezogen ergab sich ein Betrag von 6.312 DM. 91 1993 lagen die Schätzungen der Bundesregierung bei 7.092 DM. Für 1994 errechnete das Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg eine absolute Untergrenze für das Existenzminimum eines Kindes mittleren Alters in Höhe von 600 D M pro Monat oder 7.200DM pro Jahr. 92 Seit 1995 werden für einen realitätsgerechten Kinderfreibetrag regelmäßig Zahlen von 7.000 D M und mehr genannt.93 Das Bundesverfassungsgericht hat die Unzulänglichkeiten bei der Bemessung des steuerlichen Familienexistenzminimums in seinem Beschluß zum Kinderleistungsausgleich vom 10. November 199894 erneut bestätigt, nochmals auf das sozialhilferechtlich definierte Existenzminimum als die Grenze für das einkommensteuerliche Existenzminimum hingewiesen, die nicht unterschritten werden darf, und die Berechnungsmethoden zur Ermittlung des existenznotwendigen Bedarfs eines Kindes präzisiert. 95 In dem Beschluß zum Betreuungs- und Erziehungsbedarf vom 10. November 199896 hat das Bundesverfassungsgericht darüber hinaus ausgeführt, daß der Betreuungsbedarf eines Kindes als notwendiger Bestandteil des familiären Existenzminimums einkommensteuerlich unbelastet bleiben muß. Das Gericht betont, daß die Leistungsfähigkeit der Eltern, über den existentiellen Sachbedarf und den erwerbsbedingten Betreuungsbedarf des Kindes hinaus, generell durch den Betreuungsbedarf gemindert wird. Dieser Betreuungsbedarf müsse als notwendiger Bestandteil des familiären Existenzminimums einkommensteuerrechtlich unbelastet bleiben, ohne daß danach unterschieden werden dürfe, in welcher Weise dieser Bedarf gedeckt wird. 97 Kinderfreibetrag und Kindergeld decken jedoch im wesentli91 Bundesministerium für Familie und Senioren (BMFuS), Zur Berechnung des steuerfreien Existenzminimums für den Lebensunterhalt eines Kindes. Stellungnahme des wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen, Band 15 der Schriftenreihe, 1992, S.20. 92 Andreas Netzler, Wertäquivalenz familialer Leistungen und Risiken: Sozialpolitische Situation, Perspektiven und Konsequenzen, 1995, S.75. 93 Vgl. Rudolf Wendt, Familienbesteuerung und Grundgesetz, in: Joachim Lang (Hrsg.), Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion. Festschrift für Klaus Tipke zum 70. Geburtstag, 1995, S.60 m.w.N. 94 BVerfGE 99,246. 95 BVerfGE 99,246 (259 ff.). 96 BVerfGE 99,216. 97 BVerfGE 99, 216 (234). Darin wird allerdings eine Abkehr vom bisherigen Verständnis des Leistungsfähigkeitsprinzips gesehen, da die persönlichen Betreuungs- und Erziehungsleistungen der Eltern keine Aufwendungen sind und deshalb keine Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit im herkömmlichen Sinn darstellen; vgl. Klaus Lange, Verfassungsrechtliche Möglichkeiten einer gleichheitsorientierten Reform des Familienleistungsausgleichs. Rechtsgutachten auf Ansuchen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2000, S. 65 ff.; Ute Sacksofsky, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Gestaltung des Familienlastenausgleichs nach den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 10. No-

Α. Die Ausgangslage der Familien

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chen nur das sächliche Existenzminimum des Kindes ab. Der Betreuungsbedarf eines Kindes werde dagegen - gleichheitswidrig - lediglich berücksichtigt, wenn er bei Alleinstehenden im Zusammenhang mit Erwerbstätigkeit, Krankheit oder Behinderung oder bei Verheirateten im Falle der Krankheit oder Behinderung eines Elternteils und der Erwerbstätigkeit, Krankheit oder Behinderung des anderen Elternteils entstanden ist. Die betreuungsbedingte Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit müsse jedoch bei allen Eltern gleich berücksichtigt werden. 98 Der Gesetzgeber habe daher eine Neuregelung der einkommensteuerlichen Verschonung des Betreuungsbedarfs vorzunehmen und das Kindergeld oder den Kinderfreibetrag entsprechend zu erhöhen." Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluß zum Betreuungsund Erziehungsbedarf festgestellt, daß das Einkommensteuerrecht neben dem Betreuungsbedarf auch den Erziehungsbedarf eines Kindes, der sich in Aufwendungen der Eltern für die persönliche Entfaltung und die Entwicklung zur Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit des Kindes niederschlägt, nicht hinreichend berücksichtigt. Ein kindbedingter Zusatzbedarf, der diesen Erziehungsbedarf im rechnerischen Ergebnis abdeckt, werde bislang als Haushaltsfreibetrag nur bei Alleinerziehenden berücksichtigt - ohne Rücksicht darauf, daß alle Eltern diesen Mehrbedarf des Kindes unabhängig vom Familienstand zu befriedigen haben. Dies sei ebenso gleichheitswidrig wie die unterschiedliche Berücksichtigung des Betreuungsbedarfs. 100 Den Erziehungsbedarf habe der Gesetzgeber im Rahmen der gebotenen vember 1998. Rechtsgutachten für das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2000, S. 14 f. 98 In der Entscheidung zur Einkommensbesteuerung der sogenannten Halbfamilien hatte das Bundesverfassungsgericht noch ausgeführt, daß der steuerliche Abzug von Kinderbetreuungskosten für verheiratete Eltern nicht notwendig ist, weil derartige Aufwendungen durch Kinderfreibetrag und Kindergeld abgegolten sind und Ehepaaren im Gegensatz zu Alleinerziehenden zusätzlich der Splittingtarif zugute kommt. Darin sah das Gericht eine Benachteiligung der Alleinerziehenden gegenüber Ehepaaren, weswegen den Alleinerziehenden die steuerliche Geltendmachung der Betreuungskosten zugestanden wurde; vgl. BVerfGE 61, 319 (342 ff.). Vgl. Franz Klein, Ehe und Familie im Steuerrecht als verfassungsrechtliches Problem, in: Walther Fürst/Roman Herzog/Dieter Umbach (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zeidler, Band 1, 1987, S. 790ff. 99 BVerfGE 99, 216 (240 f.). Für den Fall, daß der Gesetzgeber dieser Verpflichtung nicht nachkommt, hat das Gericht in Anlehnung an die bisherigen Regelungen zur Berücksichtigung nachgewiesener Betreuungskosten Alleinerziehender einen Betreuungsfreibetrag von 4.000DM für das erste und 2.000DM für jedes weitere Kind ab dem Jahr 2000 festgelegt; vgl. BVerfGE 99, 216 (244f.). Der Gesetzgeber ist dieser Verpflichtung nachgekommen, hat aber aus Gründen der Praktikabilität und der Verwaltungsvereinfachung einen einheitlichen Betreuungsfreibetrag in Höhe von 3.024 DM gewählt; vgl. BGBl. 1999 I S. 2552; BT-Drucks. 14/1513, S. 14. 100 BVerfGE 99,216 (241 f.). Der Haushaltsfreibetrag soll die erhöhten Aufwendungen Alleinstehender ausgleichen, die wegen ihrer Kinder zur Erweiterung der Wohnung und des Haushalts gezwungen sind. Er kommt als „dritter" Freibetrag (neben den beiden Grundfreibeträgen für die Eltern) auch den nichtehelichen Erziehungsgemeinschaften zugute und bleibt den ehelichen Erziehungsgemeinschaften vorenthalten; vgl. BVerfGE 99, 216 (238 f.).

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

Neugestaltung des Kinderleistungsausgleichs ebenfalls zu berücksichtigen, weil er durch das Kindergeld und den Kinderfreibetrag bislang nicht abgedeckt wird. 101

b) Die Berücksichtigung des das Existenzminimum überschreitenden Kindesunterhalts Für die über das Existenzminimum hinausgehenden, für den Steuerpflichtigen zivilrechtlich Pflichtigen Unterhaltsleistungen für Kinder verneint das Bundesverfassungsgericht dagegen eine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers, diese Belastungen als Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit in voller Höhe der zivilrechtlichen Unterhaltspflicht zu berücksichtigen. 102 Das Gericht betont zwar, daß der Kindesunterhalt dem Grunde nach nicht mit der privaten Bedürfnisbefriedigung gleichgestellt werden darf und daß der Steuergesetzgeber deshalb nicht in gleicher Weise auf die Mittel, die zur Pflege und Erziehung der Kinder unerläßlich sind, zugreifen darf wie auf Mittel, die zur Befriedigung beliebiger Bedürfnisse eingesetzt werden. Er müsse die Entscheidung der Eltern zugunsten von Kindern achten und dürfe den Eltern im Steuerrecht nicht etwa die „Vermeidbarkeit" von Kindern in gleicher Weise entgegenhalten wie die Vermeidbarkeit sonstiger Lebensführungskosten. 103 Die wirtschaftliche Belastung durch Unterhaltsverpflichtungen sei ein besonderer, die Leistungsfähigkeit beeinträchtigender Umstand. Für die steuerliche Berücksichtigung zwingender Unterhaltsverpflichtungen dürfen deshalb keine realitätsfremden Grenzen gezogen werden. 104 In der Entscheidung zu den Alleinerziehenden führte das Bundesverfassungsgericht aus, daß die zwangsläufigen Unterhaltsaufwendungen Alleinerziehender in tatsächlich entstandener Höhe zu berücksichtigen sind. 105 Für den Fall einer Tochter, die ihre Mutter unterstützte, sprach es sich ebenfalls für die volle steuerliche Berücksichtigung der unvermeidbaren Unterhaltspflicht aus. 106 101

BVerfGE 99, 216 (240ff.). Ansonsten ist den Eltern, denen ein Kinderfreibetrag oder Kindergeld zusteht, ab dem Jahr 2002 in zahlenmäßiger Orientierung am bisherigen Haushaltsfreibetrag ein Freibetrag in Höhe von 5.616 D M zu gewähren; vgl. BVerfGE 99, 216 (245). 102 BVerfGE 43,108 (121); 82, 60 (91). 103 BVerfGE 43, 108 (120); 61, 319 (344); 82, 60 (87); 99, 216 (233). Vgl. auch Franz Ruland, Verfassungsrechtliche Vorgaben des Familienlastenausgleichs, in: FuR 1991, S. 311; Klaus Vogel, Zwangsläufige Aufwendungen - besonders Unterhaltsaufwendungen - müssen realitätsgerecht abziehbar sein. Das Bundesverfassungsgericht verschärft seine Rechtsprechung zum Verfassungsprinzip der Leistungsfähigkeit, in: Paul Kirchhof (Hrsg.), Klaus Vogel. Der offene Finanz- und Steuerstaat. Ausgewählte Schriften 1964 bis 1990, 1991, S.710ff.; Paul Kirchhof \ Empfiehlt es sich, das Einkommensteuerrecht zur Beseitigung von Ungleichbehandlungen und zur Vereinfachung neu zu ordnen? Gutachten F für den 57. Deutschen Juristentag, in: 57. DJT 1988, S.F52f. 104 BVerfGE 66, 214 (223); 68, 143 (152f.). 105 BVerfGE 61, 319 (355). 106 BVerfGE 66, 214 (223 ff.).

Α. Die Ausgangslage der Familien

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Viele Stimmen in der Literatur halten generell die volle steuerliche Berücksichtigung der Minderung der Leistungsfähigkeit durch zwangsläufige Unterhaltsaufwendungen für geboten. 107 Eltern seien zivilrechtlich verpflichtet, ihren Kindern angemessenen Unterhalt zu leisten. Diese Verpflichtung mache die Unterhaltsaufwendungen für die Eltern unvermeidbar und mindere so die steuerliche Leistungsfähigkeit. Die Unvermeidbarkeit des Unterhaltsaufwandes werde schließlich gerade durch Art. 6 Abs. 2 G G belegt, der den Eltern die Erziehung und Versorgung ihrer Kinder als verfassungsrechtliche Pflicht auferlegt. 108 Gleichwohl werden die Unterhaltsaufwendungen als private Einkommensverwendungen nach den dafür geltenden Grundsätzen besteuert. 109 Darin wird nicht nur eine Wertungskollision zwischen Zivil- und Steuerrecht 110 , sondern auch ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 G G gesehen. 1 1 1

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Dieter Dziadkowski, Kindergeld und Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, in: BB 1981, Beilage 9, S. 9 ff.; Franz Klein, Ehe und Familie im Steuerrecht als verfassungsrechtliches Problem, in: Waither Fürst/Roman Herzog/Dieter Umbach (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zeidler, Band 1,1987, S. 787 ff.; Joachim Lang, Familienbesteuerung. Zur Tendenzwende der Verfassungsrechtsprechung durch das Urt. des Bundesverfassungsgerichts vom 3.11.1982 und zur Reform der Familienbesteuerung, in: StuW 1983, S. 121 ff.; Theodor Maunz, in: Theodor Maunz/Günter Dürig/Roman Herzog (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 7. Auflage, Stand: Juni 1998, Art. 6 Rn. 21 b; Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 304ff.; Hartmut Söhn, Steuerliche Berücksichtigung der Minderung der Leistungsfähigkeit durch Kinder, in: Paul Kirchhof/Klaus Offerhaus/Horst Schöberle (Hrsg.), Steuerrecht, Verfassungsrecht, Finanzpolitik. Festschrift für Franz Klein, 1994, S. 431 ff.; Klaus Vogel, Zwangsläufige Aufwendungen - besonders Unterhaltsaufwendungen - müssen realitätsgerecht abziehbar sein. Das Bundesverfassungsgericht verschärft seine Rechtsprechung zum Verfassungsprinzip der Leistungsfähigkeit, in: Paul Kirchhof (Hrsg.), Klaus Vogel. Der offene Finanz- und Steuerstaat. Ausgewählte Schriften 1964 bis 1990,1991, S.721; Wolfgang Zeidler, Ehe und Familie, in: Emst Benda/Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1983, S.604. los Vgl Paul Kirchhof Ehe und Familie im staatlichen und kirchlichen Steuerrecht, in: Heiner Marré/Johannes Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (21), 1986, S. 124 ff. 109 Vgl. Jürgen Borchert, Man muß kein Extremist sein... Familie im Transferrecht: Nur ein sozialpolitisches Problem?, in: FuR 1992, S.89; Franz Klein, Ehe und Familie im Steuerrecht als verfassungsrechtliches Problem, in: Waither Fürst/Roman Herzog/Dieter Umbach (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zeidler, Band 1,1987, S.788f.; Dieter Suhr, Transferrechtliche Ausbeutung und verfassungsrechtlicher Schutz von Familien, Müttern und Kindern, in: Der Staat 29 (1990), S.71 f. 110 Franz Klein, Ehe und Familie im Steuerrecht als verfassungsrechtliches Problem, in: Waither Fürst/Roman Herzog/Dieter Umbach (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zeidler, Bandi, 1987, S. 795. 111 Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 310ff. Matthias Pechstein plädiert daher für die Einführung eines einheitlichen Freibetrags für das Kinderexistenzminimum, ergänzt um einen Freibetrag zur Berücksichtigung des zivilrechtlich geschuldeten Unterhalts; vgl. Matthias Pechstein, Famiiienge-

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

3. Die Entwicklung des Familienlastenausgleichs Z u m Ausgleich der allgemeinen Belastungen, die mit dem Unterhalt und der Betreuung von Kindern verbunden sind, wurden schon i n den fünfziger Jahren Kindergeld und Kinderfreibeträge eingeführt und damals nebeneinander gewährt. I n diesem dualen System des Familienlastenausgleichs hatte das Kindergeld ausschließlich den Charakter einer staatlichen Sozialleistung. Es war dazu bestimmt, die wirtschaftliche Belastung, die Eltern durch die Betreuung und den Unterhalt ihrer Kinder entsteht, teilweise auszugleichen. M i t dem Kinderfreibetrag wurde die Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit bei der Einkommensbesteuerung berücksichtigt. 1975 wurde von der damaligen sozial-liberalen Regierung das Nebeneinander von Kindergeld und steuerlichen Kinderfreibeträgen durch einen einheitlichen Familienlastenausgleich in Form eines vom Elterneinkommen unabhängigen, gestaffelten Kindergeldes ersetzt. Die Kinderfreibeträge i m Einkommensteuerrecht wurden abgeschafft. M i t der Einführung des einheitlichen Familienlastenausgleichs erhielt das Kindergeld zusätzlich die Funktion, einen Ausgleich dafür zu schaffen, daß infolge der Abschaffung der Kinderfreibeträge die Minderung der Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen durch den Unterhalt ihrer Kinder i m Steuerrecht nicht mehr berücksichtigt wurde. 1983 wurde von der christlich-liberalen Koalition wieder ein Kinderfreibetrag i m Einkommensteuerrecht eingeführt und damit die Rückkehr zum dualen System des Kinderlastenausgleichs vollzogen. Die Funktion des Ausgleichs der kinderbedingten Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit wurde dem Kindergeld dadurch jedoch nicht entzogen. Der Kinderfreibetrag war wegen seiner geringen Höhe offensichtlich ungeeignet, für sich allein die Minderung der Leistungsfähigkeit der Eltern infolge der kinderbedingten Aufwendungen angemessen auszugleichen. Neben der steuerlichen Entlastungsfunktion des Kindergeldes behielt dieses gleichwohl den Charakter einer allgemeinen Sozialleistung, denn es war weiterhin zugleich zur Abmilderung der kindesbedingten Belastungen bestimmt. Eine quantitative Aufteilung des Kindergeldes entsprechend seinen beiden genannten Funktionen war kaum mehr möglich. 1 1 2 rechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S.314f. Ebenso Martin Moderegger f Der verfassungsrechtliche Familienschutz und das System des Einkommensteuerrechts, 1991, S.176ff. 112 Vgl. BVerfGE 82,60 (61 f. und 78 f.); Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S.272f.; Dieter Dziadkowski, Kindergeld und Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, in: BB 1981, Beilage 9, S.2ff.; Franz Ruland, Verfassungsrechtliche Vorgaben des Familienlastenausgleichs, in: FuR 1991, S.310f.; Heinz Lampert, Priorität für die Familie. Plädoyer für eine rationale Familienpolitik, 1996, S. 147 ff.; Gerhard Igl, Familienlastenausgleichsrecht, in: Bernd Baron von Maydell/Franz Ruland (Hrsg.), Sozialrechtshandbuch, 2. Auflage, 1996, S. 1442ff.

Α. Die Ausgangslage der Familien

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1996 wurde unter christlich-liberaler Regierung der gesamte Familienlastenausgleich in das Einkommensteuergesetz integriert und zum Familienleistungsausgleich weiterentwickelt (§31 EStG). Der Begriff des Familienleistungsausgleichs wurde gewählt, weil die Steuerfreistellung des Existenzminimums durch den Kinderfreibetrag keine Transferleistung des Staates an die Eltern darstellt, der Ausdruck Familienlastenausgleich dies aber suggeriert. 113 Der Familienleistungsausgleich besteht weiterhin als duales System (§31 EStG) aus den beiden Elementen Kinderfreibetrag (§ 32 EStG) und Kindergeld (§§ 62 ff. EStG). Vorgesehen ist allerdings ein steuerliches Optionsmodell, bei dem der Steuerpflichtige grundsätzlich zwischen Kinderfreibetrag und Kindeigeid wählen kann - je nachdem, was für ihn günstiger ist. Kraft Gesetzes wird primär das Kindergeld in Form einer Steuervergütung gewährt. Nur wenn es für die Betroffenen günstiger ist, wird der Kinderfreibetrag von Amts wegen von der Steuerbemessungsgrundlage abgezogen. Soweit die Kindergeldzahlungen die steuerliche Freistellung des Existenzminimums eines Kindes übersteigen, dienen sie - wie das sog. Restkindergeld nach dem neugefaßten Bundeskindergeldgesetz114 - der Förderung der Familie (§31 EStG). 115 Das Kindergeld betrug 1996 pro Monat 200 D M für das erste und zweite Kind, 300 D M für das dritte und 350 D M für jedes weitere Kind. Der Kinderfreibetrag lag bei 6.264 DM. 1997 wurde das Kindergeld für das erste und das zweite Kind auf 220 D M angehoben und der Freibetrag auf 6.912 D M erhöht. 116 Der Zusammenhang zwischen der Wirkung des Kinderfreibetrags und des Kindergeldes für eine Familie mit einem Kind stellte sich damit wie folgt dar: Bei einem Steuersatz von rund 26 % (Eingangssteuersatz) belief sich die Wirkung des Kinderfreibetrags auf etwa 150 DM, so daß vom ausgezahlten Kindergeld von 220 D M ein Betrag von 70 D M der Förderung der Familie diente. Bei einem Grenzsteuersatz von zum Beispiel 35 % belief sich die Wirkung des Freibetrags auf etwa 201 DM, so daß vom Kindergeld 113 BT-Drucks. 12/5168, S.31; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S.X; Hartmut Söhn, Steuerliche Berücksichtigung der Minderung der Leistungsfähigkeit durch Kinder, in: Paul Kirchhof/Klaus Offerhaus/ Horst Schöberle (Hrsg.), Steuerrecht, Verfassungsrecht, Finanzpolitik. Festschrift für Franz Klein, 1994, S.424. 114 Nach § 1 BKGG erhält ein kleiner Personenkreis von nicht unbeschränkt Einkommensteuerpflichtigen (Rentner, Waisen u.a.) weiterhin Kindergeld als Sozialleistung (sog. Restkindergeld); vgl. Heinz-Gerd Horlemann, Der Familienleistungsausgleich ab 1996. Rechtspolitischer Hintergrund und Ausgestaltung der Neuregelungen, in: BB 1996, S. 188 f.; Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA), Einkommensbezogenes Sozialleistungsrecht. Forschungsbericht Nr. 256,1996, S.288f. 115 Heinz-Gerd Horlemann, Der Familienleistungsausgleich ab 1996. Rechtspolitischer Hintergrund und Ausgestaltung der Neuregelungen, in: BB 1996, S. 188 f.; Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA), Einkommensbezogenes Sozialleistungsrecht. Forschungsbericht Nr. 256, 1996, S. 284ff. 116 Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S.231.

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

etwa 19 DM auf die Förderung der Familie entfielen. Bei einem Grenzsteuersatz von 38 % entsprach das ausgezahlte Kindergeld etwa der Wirkung des Steuerfreibetrags, so daß die Familienförderung entfiel. 117 Für 1999 wurde das Kindergeld unter der Regierung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen für das erste und zweite Kind auf 250 D M angehoben.118 2000 wurde das Kindergeld für das erste und zweite Kind nochmals um 20 D M auf 270 D M monatlich erhöht; für weitere Kinder blieb es bei den Beträgen von 300 bzw. 350 DM. Zusätzlich zum Kinderfreibetrag in Höhe von 6.912 D M wurde für Kinder bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres ein Betreuungsfreibetrag von 3.024DM eingeführt. 119 Ab 2002 soll zudem ein Erziehungsfreibetrag gewährt werden. 120 Trotz der (gelegentlichen) Anhebung der Kinderfreibeträge hat sich die steuerliche Situation der Familien verglichen mit der allgemeinen Einkommensentwicklung nicht wesentlich verbessert. 1951 betrug der Kinderfreibetrag für jedes Kind 600 D M im Jahr. Mit der Steuerreform 1953 wurde dieser Betrag vom dritten Kind an auf 840 D M erhöht. Rechnete man die damaligen Durchschnittsstundenlöhne von 1,48 D M auf das heutige Lohnniveau um, hätten die Freibeträge schon 1990 bei über 9.000 DM liegen müssen. Bei den 1961 geltenden Steuerfreibeträgen führten allein die Kinderfreibeträge bei einem Facharbeiter mit drei Kindern zur Steuerfreiheit von etwa drei Vierteln seines Jahresgehalts. Zusammen mit den Grundfreibeträgen war die fünfköpfige Familie seinerzeit steuerfrei gestellt. 1994 hingegen führten die Grund- und Kinderfreibeträge zu einer Steuerfreistellung von allenfalls 50 % des Jahreseinkommens eines Facharbeiters mit drei Kindern. 121 Auch die Anhebung des Kindergeldes bedeutet nicht ohne weiteres eine Aufstockung der Familienförderung. Eine Familie mit zwei Kindern und einem durchschnittlichen Monatseinkommen von rund 5.000DM brutto erhielt 1999 für die beiden Kinder 500DM Kindergeld monatlich. Darin enthalten waren 316 D M Steuerrückvergütung für die nicht in 117

Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S.232f. Steuerentlastungsgesetz 1999 vom 19. Dezember 1998, BGBl. I S. 3779. 119 Gesetz zur Familienförderung vom 22. Dezember 1999, BGB1.IS.2552. Mit diesem Gesetz wurde in einer ersten Stufe dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 10. November 1998 (BVerfGE 99, 216) entsprochen. 120 Vgl. BT-Drucks. 14/1513, S. 11 und BT-Drucks. 14/1670. Damit soll in einer zweiten Stufe dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 10. November 1998 (BVerfGE 99, 216) entsprochen werden. Nunmehr soll mit einem Zweiten Gesetz zur Familienförderung der Kinderfreibetrag ab 2002 auf 7.135 DM angehoben und der Betreuungsfreibetrag mit dem Erziehungsfreibetrag zu einem Freibetrag für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung in Höhe von 4.225 DM zusammengefaßt werden. Zudem sollen erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten für Kinder bis zum 14. Lebensjahr von bis zu 2.934 DM steuerlich absetzbar sein. 121 Vgl. Jürgen Borchert, Man muß kein Extremist sein... Familie im Transferrecht: Nur ein sozialpolitisches Problem?, in: FuR 1992, S.92; Jürgen Borchert, Das „Gleichgewicht des Ganzen". Zur Notwendigkeit einer familienpolitischen Strukturreform des Sozialstaates, in: Karin Lücker-Aleman (Hrsg.), Familienförderung oder -ausbeutung? Die Zukunft des Familienlastenausgleichs, 1995,S.45. 118

Α. Die Ausgangslage der Familien

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Anspruch genommenen Kinderfreibeträge. Die tatsächliche Förderung belief sich damit auf 184 DM. Nach der verfassungsgerichtlich gebotenen Erhöhung des steuerlichen Existenzminimums für Kinder im Jahr 2000 betrug das monatliche Kindergeld zwar 540 DM, der Steueranteil belief sich aber auf 418,50DM, so daß die Förderung durch das Kindergeld faktisch auf 121,50 D M sank.122

V. Die soziale Sicherung der Familien 1. Vom familialen Generationenverbund zum gesellschaftlichen Generationenvertrag Die Sicherung gegen die Lebensrisiken Alter, Krankheit und Invalidität wurde früher individuell in der Familie geleistet. Eltern erzogen ihre Kinder, um selbst im Alter und bei Pflegebedürftigkeit Unterstützung zu erhalten. Kinder waren zudem an der häuslichen Produktion beteiligt. Der Rationalität der individuellen Versorgung folgend wurden möglichst viele Kinder großgezogen. Der Zusammenhang zwischen Kindererziehung und Alterssicherung trat in der Familie offen zutage.123 Die Auflösung der großen Familienverbände im Zuge der Industrialisierung, das Verbot der Kinderarbeit und die Einführung der allgemeinen Schulpflicht, die Steigerung der Lebenserwartung und die wachsenden Bedürfnisse nach Pflege machten eine andere Organisation der sozialen Sicherung erforderlich. Mit den Bismarck'schen Sozialgesetzen begann im 19. Jahrhundert die Übertragung der Aufgaben der sozialen Sicherung auf gesellschaftliche Leistungsträger. 124 Die Aufgabe der Alterssicherung als Einkommensumschichtung zwischen den Generationen übernimmt seit 1889 die Gesetzliche Rentenversicherung. 125 Die Mittel der Rentenversicherung werden durch entgeltbezogene Beiträge der Versicherten und ihrer Arbeitgeber sowie einen Bundeszuschuß aufgebracht. Seit der Rentenreform 1957 werden die Ausgaben der Rentenversicherung grundsätzlich aus den Einnahmen desselben Kalenderjahres gedeckt. Damit finanziert die jeweils erwerbstätige Generation mit ihren Beiträgen im Wege eines Umlageverfahrens die im selben Zeitraum zu zahlenden Renten. Dieses Rentenkonzept wurde von Wilfrid Schreiber entwik122 Ygi die Pressemitteilung des Heidelberger Büros für Familienfragen und soziale Sicherheit (HBF) zum Familienförderungsgesetz vom 7. Januar 2000. 123 Vgl. Jürgen Borchert, Kindererziehung und Alterssicherung. Vom ungelösten zum unlösbaren Problem?, in: FuR 1990, S.79ff. 124 Vgl. Franz Ruland, Sozialrecht, in: Ingo von Münch/Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 9. Auflage, 1992, S.614f.; Jürgen Borchert, Renten vor dem Absturz. Ist der Sozialstaat am Ende?, 1993, S.61 ff.; Peter Krause, Ehe und Familie im sozialen Sicherungssystem, in: Heiner Marré/Johannes Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (21), 1986, S.73f. 125 Jürgen Borchert, Familienlastenausgleich, in: Bernd Baron von Maydell (Hrsg.), Lexikon des Rechts, Sozialrecht, 1986, S.84. 4 Tünnemann

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

kelt, der auch den Begriff des Generationenvertrags prägte - weshalb dieser in der Regel mit dem System der Gesetzlichen Rentenversicherung gleichgesetzt wird. 126 Die Umverteilung über die Gesetzliche Rentenversicherung scheint allein zwischen der Generation der Erwerbstätigen und der Generation der nicht mehr Erwerbstätigen zu erfolgen. Aber auch im kollektiven Sicherungssystem der Gesetzlichen Rentenversicherung besteht ein Zusammenhang zwischen der Kindererziehung und der Alterssicherung. Die Sicherung der Altersversorgung erfolgt nicht nur durch die Zahlung von Beiträgen zur Gesetzlichen Rentenversicherung („Zwei-Generationen-Vertrag"), sondern auch durch das Aufziehen der nachfolgenden Generation, die ihrerseits für die vorangegangene Generation die Alterssicherung zu erarbeiten hat („Drei-Generationen-Vertrag"). Der in den gesetzlichen Alterssicherungssystemen zwar individuell aufzulösende Zusammenhang zwischen Kindererziehung und Alterssicherung ist gesamtgesellschaftlich unauflöslich. 127 Jede Generation empfängt wie jede Person im Lauf des Lebens zwei Leistungen - in ihrer Kindheit und im Alter. Wegen der Funktionsteilung zwischen dem Solidarverband der Familie und der Solidargemeinschaft der Rentenversicherten hängt jedoch für den einzelnen der Erhalt dieser beiden Leistungen nicht mehr davon ab, daß er seinerseits zwei Leistungen erbringt. Zudem haben diejenigen, die sich nicht an der Kindererziehung beteiligt haben, durch kontinuierliche Erwerbsbiographien einen größeren Zugriff auf das Sozialprodukt der Kindergeneration als deren Eltern. 128 Wilfrid Schreiber wollte deshalb die von der jeweils produktiven Generation für Alte und Junge symmetrisch aufzubringenden Leistungen in zwei sich balancierenden Sozialsystemen erfassen. Neben der Errichtung eines Altersrentensystems sah er die Errichtung eines Jugendrentensystems vor. Dieser Teil des Gesamtkonzepts Wilfried Schreibers wurde 1957 jedoch nicht umge126

Vgl. Jürgen Borchert, Renten vor dem Absturz. Ist der Sozialstaat am Ende?, 1993,

S.57ff. 127

Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 32 ff. Dies gilt für das geltende Umlageverfahren ebenso wie für das als Alternative vorgeschlagene Kapitaldeckungsverfahren, das auch den Privatversicherungen zugrundeliegt und bei dem die eingezahlten Beiträge angelegt und später verzinst zurückgezahlt werden. Auch die Ansammlung von Kapital bedarf für ihre Rückverwandlung in konsumierbare Güter des Entsparens über den im Zeitpunkt der Umwandlung aktuellen Markt, ist also abhängig von der Wirtschaftskraft und den Bedürfnissen der auf diesem Markt tätigen Subjekte und damit der nachfolgenden Generation; vgl. Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S.325f.; Jürgen Borchert, Renten vor dem Absturz. Ist der Sozialstaat am Ende?, 1993, S.51 ff. 128 BVerfGE 87, 1 (5); Bundesministerium ßr Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG), Die Entscheidung für Kinder als ordnungspolitisches Problem im Rahmen einer Mehrgenerationensolidarität, Band 217 der Schriftenreihe, 1986, S.199f.; Jürgen Borchert, Renten vor dem Absturz. Ist der Sozialstaat am Ende?, 1993, S. 124f.; Jürgen Borchert, Kindererziehung und Alterssicherung. Vom ungelösten zum unlösbaren Problem?, in: FuR 1990, S.82.

Α. Die Ausgangslage der Familien

51

129

setzt. Damit blieben die Kosten der Kindererziehung privatisiert, der Ertrag und Nutzen der Kindererziehung wurde sozialisiert. 130 Diese Sozialisierung der Alterssicherung hat in der Folge den ursprünglichen Alterssicherungseffekt der Kindererziehung in sein Gegenteil verkehrt. Während die Altersversorgung früher um so sicherer war, je mehr Kinder jemand hatte und entsprechend mehr investierte, ist sie heute um so schlechter, je mehr Kinder jemand erzieht und entsprechend investiert. 131 2. Familien in der Sozialversicherung Solange die finanzielle Belastung durch Kinder üblich war und einen Großteil der Bevölkerung traf, die traditionelle Rollenverteilung als ideal galt und die sozialen Sicherungssysteme sich am Leitbild der Einverdiener-Ehe mit Kindern orientierten, war ein sozialer Ausgleich für Familien nicht erforderlich. Eine eigene soziale Sicherung der Familie, die am Tatbestand der Kindererziehung anknüpft und das Einkommensrisiko der Elternschaft entsprechend der Konzeption der Sozialversicherung absichert, gab und gibt es deshalb nicht. Vor diesem Hintergrund führen die abnehmende Verbreitung der Einverdiener-Ehe durch die Möglichkeiten der Familienplanung und das veränderte Rollenverständnis der Frau zu erheblichen Unterschieden zwischen der wirtschaftlichen Ausgangslage von Eltern und kinderlosen Personen. Entsprechend steigt das Bedürfnis nach einem sozialen Ausgleich kinderbedingter Belastungen.132 a) Familienbezogene Leistungen der Sozialversicherung Ein gewisser Ausgleich kinderbedingter Einkommensnachteile findet durch familienbezogene Leistungen der Sozialversicherung statt. Familienbezogene Leistungen gibt es in allen Zweigen der Sozialversicherung, besonders in der Gesetzlichen Krankenversicherung (Sach- und Dienstleistungen im Krankheitsfall für beitragsfrei mitversicherte Familienangehörige), in der Gesetzlichen Rentenversiche129 Vgl. Jürgen Borchert, Renten vor dem Absturz. Ist der Sozialstaat am Ende?, 1993, S.57ff. 130 Jürgen Borchert, Renten vor dem Absturz. Ist der Sozialstaat am Ende?, 1993, S.61 ff.; Paul Kirchhof, Die verfassungsrechtliche Garantie der Familie als Erziehungsgemeinschaft, in: Bernhard Jans/Georg Zimmermann (Hrsg.), Familienlastenausgleich? Plädoyers für eine gerechte Familienpolitik, 1996, S. 12 f.; Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG), Die Entscheidung für Kinder als ordnungspolitisches Problem im Rahmen einer Mehrgenerationensolidarität, Band 217 der Schriftenreihe, 1986, S. 195. 131 Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S.36; Christof Gramm, Vorsorgefalle Familie, in: ZRP 1993, S.88f. 132 Peter Krause, Ehe und Familie im sozialen Sicherungssystem, in: Heiner Marré/Johannes Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (21), 1986, S.75 und 81 ff. *

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

rung (Witwen- und Witwerrenten, Waisenrenten, Leistungen aus der Anerkennung der Kindererziehungszeiten als rentenbegründend und rentenerhöhend wirkende Beitragszeiten), in der Gesetzlichen Unfallversicherung (Hinterbliebenenrenten), in der Arbeitslosenversicherung (Kurzarbeiter- und Arbeitslosengeld nach Kinderzahl, beitragsfreie Versicherung in Zeiten des Erziehungsurlaubs) und in der Pflegeversicherung (beitragsfreie Versicherung für den Fall der Pflegebedürftigkeit heranwachsender Kinder). Die Berücksichtigung familienbedingter Belastungen in der Sozialversicherung gerät allerdings immer wieder in die Kritik. Familienbezogene Versicherungsleistungen werden vor dem Hintergrund eines privatversicherungsrechtlich interpretierten Äquivalenzprinzips als versicherungsfremd eingestuft, weil sie nicht durch eigene monetäre Beiträge gedeckt sind. Bei den familienbezogenen Leistungen handle es sich um allgemeine Staatsaufgaben, die aus allgemeinen Haushaltsmitteln zu finanzieren seien. Diese Kritik verkennt jedoch den grundsätzlichen Unterschied zwischen der individuellen Risikoadäquanz von Leistung und Gegenleistung in einer Privatversicherung und den Grundprinzipien einer Sozialversicherung. 133 I m Gegensatz zur Privatversicherung, die vom reinen Versicherungsprinzip beherrscht wird, ist die Sozialversicherung auch von anderen Prinzipien geprägt. I n der Sozialversicherung gelten die Grundsätze der Solidarität, des sozialen Ausgleichs und des Generationenvertrags. Diese sozialen Gesichtspunkte kommen in der Rentenversicherung zum Beispiel in der rentensteigernden Zurechnung von Ausbildungs- oder Erziehungszeiten zum Ausdruck, die nicht durch Beitragsleistungen gedeckt sind. 1 3 4 Die Mitversicherung der Familienangehörigen, die natürlich nicht kostenfrei erfolgen kann, wird von der gesamten Versichertengemeinschaft getragen. Dieser Solidarausgleich innerhalb der Versichertengemeinschaft ist ein konstitutives Prinzip der Sozialversicherung. 135 Er rechtfertigt sich auch vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte der Sozialversicherung, denn durch die zwangsweise Sozialisierung der Lebenssicherung in den Sozialversicherungssystemen wurde den Familien der individuelle Nutzen der Kindererziehung entzogen. Die Kosten der Kindererziehung wurden dagegen nicht in die sozialen Sicherungssysteme überführt und blieben den Eltern überlassen. Durch die familienbezogenen Versicherungsleistungen werden diese Belastungen wenigstens ansatzweise berücksichtigt. 1 3 6 Dabei handelt es sich nicht um eine Privilegierung der Familien, sondern um eine systemgerechte - weil solidarische - Ausgestaltung der Sozialversicherung. Reformkonzepte zur Ausgliederung oder Reduzierung der familienbezogenen Versicherungsleistungen könnten daher nur in Verbindung mit einem adäquaten Konzept zur Neuordnung des 133

Vgl. Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S. 287 ff. BVerfGE 76, 256 (300ff.). 135 Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S. 293 ff. 136 Vgl. Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 322f. 134

Α. Die Ausgangslage der Familien

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sozialen Sicherungssystems oder des Familienlastenausgleichs erfolgen, sei es durch eine eigenständige Absicherung des sozialversicherungsrechtlichen „Risikos" Familie in einem eigenen Sozialversicherungszweig oder durch entsprechend höhere Leistungen des Familienlastenausgleichs, die eine mit eigenen Beiträgen gedeckte Sicherung der Familien i n den bestehenden Versicherungszweigen erlauben. 137

b) Die Sicherung der Familien gegen die einzelnen Lebensrisiken Trotz der familienbezogenen Leistungen in der Sozialversicherung werden die verschiedenen Lebensrisiken bei Familien nicht annähernd so weit aufgefangen wie bei Kinderlosen. Niedrige Einkommen, Arbeitslosigkeit, die Unterhaltslasten bei Geschiedenen und getrennt lebend Verheirateten, der Tod eines Elternteils, Berufsoder Erwerbsunfähigkeit des hauptsächlich Unterhalt Leistenden sind Risiken, gegen die Familien ungleich schlechter abgesichert sind als Kinderlose. 1 3 8 Die Sozialversicherungssysteme gehen überwiegend vom Lebensmodell der Erwerbstätigkeit aus und versichern konsequent den Ausfall des Erwerbseinkommens. Das führt zu einer Abwertung jeder Nichterwerbstätigkeit, ohne Rücksicht auf die Ursachen der Nichterwerbstätigkeit. 139 Ebensowenig wie die Kindererziehung eine Honorierung durch eigenes Einkommen erfährt, garantiert sie eine eigenständige soziale Sicherung. I m Gegensatz zur Erwerbstätigkeit ergeben sich aus ihr in der Regel nur abgeleitete Ansprüche gegenüber den Systemen der sozialen Sicherung. Besonders Alleinerziehende haben unter diesem erwerbsarbeits- und ehezentrierten System der sozialen Sicherung zu leiden, weil sie wegen der eingeschränkten Erwerbsmöglichkeiten weder in ausreichendem Umfang eigene Ansprüche erwerben können noch abgeleitete Ansprüche haben. 1 4 0

137

Vgl. Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S.299. Vgl. die ausführlichen Modellrechnungen bei Andreas Netzler, Wertäquivalenz familialer Leistungen und Risiken: Sozialpolitische Situation, Perspektiven und Konsequenzen, 1995, S.71 ff. Andreas Netzler faßt diejenigen Risiken, bei denen Familien gegenüber kinderlos Erwerbstätigen trotz gleichen individuellen Arbeitseinsatzes schlechter gestellt werden, unter dem Begriff der familialen Zusatzrisiken zusammen. Diese familialen Zusatzrisiken sollten durch eine Familienversicherung ebenso abgesichert werden wie die Risiken der kinderlosen Erwerbstätigen; vgl. Andreas Netzler, Wertäquivalenz familialer Leistungen und Risiken: Sozialpolitische Situation, Perspektiven und Konsequenzen, 1995, S. 36 ff. 139 Vgl. Andreas Netzler, Wertäquivalenz familialer Leistungen und Risiken: Sozialpolitische Situation, Perspektiven und Konsequenzen, 1995, S.44f.; Peter Krause, Ehe und Familie im sozialen Sicherungssystem, in: Heiner Marré/Johannes Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (21), 1986, S. 81 ff. 140 Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG), Die En scheidung für Kinder als ordnungspolitisches Problem im Rahmen einer Mehrgenerationensolidarität, Band 217 der Schriftenreihe, 1986, S. 194; Franz Ruland, Sozialrechtliche Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie, in: NJW 1994, S.2054; Kirstin Kühne-Vieser, Frauen im Sozialstaat, Auf Kosten der Frauen?!, 1993, S.29. 138

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

aa) Die Alterssicherung Mit Inkrafttreten des Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetzes141 am 1. Januar 1986 wurden erste Ansätze zur Anerkennung familialer Leistungen im Alterssicherungssystem sichtbar. Seitdem wird die Kindererziehung in der Gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigt. Ursprünglich wurde nur ein Erziehungsjahr pro Kind angerechnet. Es wurde mit 75 % des Durchschnittseinkommens aller Versicherten bewertet. Für Geburten ab 1992 wird die Anrechnung der Kindererziehungszeiten auf drei Jahre erhöht (§§56 ff. und 249 f. SGB VI). Die Anrechnung von drei Erziehungsjahren wird jedoch voraussichtlich erst ab 2025 kassenwirksam. Die Bewertung der Versicherungsjahre wird bis Mitte des Jahres 2000 in mehreren Stufen auf 100% erhöht. Von Mitte des Jahres 1998 an werden die Kindererziehungszeiten beim Zusammentreffen mit anderen Beitragszeiten bis zur Beitragsbemessungsgrenze additiv berücksichtigt (§256d SGB VI). 1 4 2 Trotz der Anrechnung der Kindererziehungszeiten führt die gegenwärtige Ausgestaltung der Rentenversicherung zu einer Benachteiligung der Personen, die sich innerhalb der Familie der Kindererziehung widmen, gegenüber Personen, die kontinuierlich einer Erwerbstätigkeit nachgehen können. Erziehende haben im Durchschnitt eine wesentlich geringere Rente zu erwarten. Die Rente ist als Lohnersatzleistung konzipiert und hängt somit von der vorangegangenen Erwerbstätigkeit ab. Die vorangegangene Erwerbstätigkeit liegt bei Frauen sowohl im Hinblick auf die Erwerbsarbeitszeit als auch auf den Erwerbslohn durchschnittlich weit unterhalb derjenigen der Männer. Im Rentenzugang 1990 betrug der durchschnittliche Rentenbetrag für Männer 1.554 DM, der für Frauen 672 DM. Männer waren durchschnittlich 37 Jahre lang versichert, Frauen hingegen nur etwa 23 Jahre lang. In diesen Zahlen sind die Kindererziehungszeiten bereits berücksichtigt. Je mehr Kinder eine Frau erzogen hat, desto geringer sind - trotz der Kindererziehungszeiten - ihre Versicherungsjahre. 143 Wegen der regelmäßig geringeren Vermögensausstattung der Familien gegenüber Kinderlosen können Familien nur in geringerem Umfang eine zusätzliche private Altersversorgung aufbauen. 144 Seit langem werden deshalb Vorschläge zur eigenständigen Alterssicherung der Frauen und zur Integration des ge141

Vom 11. Juli 1985, BGB1.I S. 1450ff. Diese Änderungen erfolgten aufgrund der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Juli 1992 (BVerfGE 87,1) und vom 12. März 1996 (BVerfGE 94,241). Vgl. auch Lothar Neumann! Klaus Schaper, Die Sozialordnung der Bundesrepublik Deutschland, 4. Auflage, 1998, S. 169; Sozialministerium Baden-Württemberg, Familien in Baden-Württemberg. Familienbericht 1998,1998, S. 335 ff.; Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit und Sozialstaatlichkeit, in: Andreas Netzler/Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S.21. 143 Franz Ruland, Verfassungsrechtliche Vorgaben des Familienlastenausgleichs, in: FuR 1991, S.316. 144 Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit und Sozialstaatlichkeit, in: Andreas Netzler/ Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S. 19; Christof Gramm, Vorsorgefalle Familie, in: ZRP 1993, S.89. 142

Α. Die Ausgangslage der Familien

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nerativen Beitrags der Eltern in die Gesetzliche Rentenversicherung diskutiert. Dazu gehören zum Beispiel das Rentensplitting oder die Staffelung der Rentenbeiträge nach der Kinderzahl, die eigenständige Versicherungspflicht aller Menschen einschließlich der Nichterwerbstätigen, die einheitliche Grundrente oder der Aufbau einer Elternrente durch die rentenrechtliche Gleichstellung von Kindererziehung und monetärer Beitragsleistung. 145

bb) Die Krankenversicherung Ehegatten und Kinder sind in der Gesetzlichen Krankenversicherung beitragsfrei mitversichert und gelten in jeder Hinsicht als gleichberechtigte Mitglieder ( § 1 0 SGB V). Während des Bezugs von Mutterschaftsgeld oder Erziehungsgeld besteht Beitragsfreiheit. Das gilt allerdings nur für diese Bezüge; bei gleichzeitiger versicherungspflichtiger Teilzeitbeschäftigung müssen für diese Beschäftigung Beiträge entrichtet werden (§ 224 SGB V ) . 1 4 6 I m Falle der Erkrankung eines Kindes gibt es die Möglichkeit der Freistellung von der Erwerbstätigkeit (§ 45 SGB V). Wenn der Versicherte nicht nach arbeitsrechtlichen Vorschriften Anspruch auf bezahlte Freistellung hat, zahlt die Krankenkasse für die jeweilige Zeit - längstens jedoch für zehn Arbeitstage pro Kalenderjahr und K i n d - Krankengeld. 1 4 7

145 Vgl. zu dieser Diskussion Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 333 ff.; Jürgen Borchert, Die Berücksichtigung familiärer Kindererziehung im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung. Ein Beitrag zur Rentenreform, 1981, S. 225 ff.; Winfried Schmähl, Familienorientierte Weiterentwicklung der staatlichen Alterssicherung in Deutschland, in: Gerhard Kleinhenz (Hrsg.), Soziale Ausgestaltung der Marktwirtschaft. Die Vervollkommnung einer „Sozialen Marktwirtschaft" als Daueraufgabe der Ordnungs- und Sozialpolitik. Festschrift zum 65. Geburtstag für Prof. Dr. Heinz Lampert, 1995, S.225 ff.; Alfred Schmidt, Alterssicherung und Familie. Probleme, Zusammenhänge, Lösungsperspektiven, in: DAngVers 1988, S. 484 ff.; Renate Jaeger, Sozialversicherung ohne Solidarität? Die Deutschen und das Äquivalenzprinzip, in: Sozialministerium BadenWürttemberg (Hrsg.), Dokumentation der Fachkonferenz Eigenständige Alterssicherung der Frau, 1998, S.22ff. und 59 ff.; Maximilian Fuchs, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Gutachten F für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S.F81 ff.; Gabriele Rolf-Engel, Das Voll Eigenständige System der Altersvorsorge, in: Sozialministerium Baden-Württemberg (Hrsg.), Dokumentation der Fachkonferenz Eigenständige Alterssicherung der Frau, 1998, S.74ff.; Reinhold Thiede, Splitting in der Rentenversicherung, in: Sozialministerium Baden-Württemberg (Hrsg.), Dokumentation der Fachkonferenz Eigenständige Alterssicherung der Frau, 1998, S. 89 ff.; Sabine Horstmann, Kindererziehung und Alterssicherung. Verteilungspolitische Aspekte ausgewählter Reformvorschläge zu einer familienorientierten Ausgestaltung der gesetzlichen Rentenversicherung, 1996. 146 Sozialministerium Baden-Württemberg, Familien in Baden-Württemberg. Familienbericht 1998,1998, S.492f. 147 Sozialministerium Baden-Württemberg, Familien in Baden-Württemberg. Familienbericht 1998,1998, S.495.

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

cc) Die Sicherung bei Arbeitslosigkeit Lohnersatzleistungen wie das Arbeitslosengeld, die Arbeitslosenhilfe oder das Kurzarbeitergeld berücksichtigen den Familienstand. Gemäß § 129 SGB III beträgt das Arbeitslosengeld grundsätzlich 60 % des pauschalierten Nettoentgeltes; für Eltern gilt ein erhöhter Leistungssatz von 67 %. Entsprechendes gilt für das Kurzarbeitergeld (§§ 169ff. SGB III). Ein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe (§§ 190ff. SGB III) besteht anders als beim Arbeitslosengeld nur bei Bedürftigkeit. Bei der Berechnung der Höhe der Arbeitslosenhilfe wird zwischen Hilfeempfängern ohne und mit Kind unterschieden. Im ersten Fall beträgt die Arbeitslosenhilfe 53 %, im zweiten Fall 57 % des um die gesetzlichen Abzüge verminderten Arbeitsentgelts. 148 Der Anspruch auf Arbeitslosengeld setzt voraus, daß der Antragsteller der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht. Verfügbarkeit bedeutet die Fähigkeit und Bereitschaft, eine beitragspflichtige Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben. Für Eltern ist diese Voraussetzung insoweit eingeschränkt, als sie auch dann als verfügbar gelten, wenn sie aufgrund der Kindererziehung nur eine Teilzeitbeschäftigung ausüben können (§119 SGB III). In diesem Fall wird allerdings auch nur ein entsprechend gekürztes Arbeitslosengeld gezahlt (§ 133 Abs. 3 SGB III). Die Verfügbarkeit und damit der Anspruch auf Arbeitslosengeld hängt zudem davon ab, ob der Betreffende nachweisen kann, daß die von ihm während der Arbeitslosigkeit betreuten Kinder im Falle einer Arbeitsaufnahme anderweitig betreut werden. 149 Trotz der familienbezogenen Leistungen ist Arbeitslosigkeit für Familien ein besonderes Risiko. Sie geraten trotz des kinderbedingt erhöhten Arbeitslosengeldes wesentlich schneller in den Bereich der Sozialhilfebedürftigkeit als Kinderlose. Das Sozialhilfeniveau konnte eine Familie mit zwei minderjährigen Kindern im Falle der Arbeitslosigkeit 1994 nur überschreiten, wenn das vorangegangene Bruttoeinkommen über 5.500DM lag; ein Ehepaar ohne Kinder benötigte zur Überschreitung der Sozialhilfeschwelle für den Fall der Arbeitslosigkeit nur ein vorangegangenes Einkommen von 3.360 DM. Eine Familie mit drei Kindern konnte die Sozialhilfeschwelle bei Arbeitslosigkeit überhaupt nicht mehr überschreiten; die von ihr geleisteten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung wurden dadurch völlig entwertet. 150 148 Vgl. Sozialministerium Baden-Württemberg, Familien in Baden-Württemberg. Familienbericht 1998, 1998, S. 472 ff. 149 Fraglich ist aber, ob diese Überwachung der Erfüllung familienrechtlicher Pflichten Aufgabe der Behörden der Arbeitsverwaltung sein kann; vgl. Maximilian Fuchs, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Gutachten F für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S. F117. 150 Andreas Netzler, Familie chancengleich leben: Was sollte der Familienlasten-, Risikound Leistungsausgleich leisten - und was leistet er?, in: Bernhard Jans/Geoig Zimmermann (Hrsg.), Familienlastenausgleich? Plädoyers für eine gerechte Familienpolitik, 1996, S.84f.; genaue Berechnungen bei Andreas Netzler, Wertäquivalenz familialer Leistungen und Risiken: Sozialpolitische Situation, Perspektiven und Konsequenzen, 1995, S.96ff. Vgl. auch die Zah-

Α. Die Ausgangslage der Familien

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3. Familien und Sozialhilfe Die Sozialhilfe bildet als subsidiäre Mindestsicherung das Aufifangnetz im System der sozialen Sicherung. Sie ist nicht als Dauerleistung konzipiert, sondern soll vorübergehende Notlagen kompensieren. Dem, der sich nicht selbst helfen kann oder der die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder Trägern anderer Sozialleistungen, erhält, soll sie ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. 151 Für viele Familien ist die Sozialhilfe jedoch zur Regelsicherung geworden und bildet einen festen Bestandteil des Familieneinkommens. Im Vergleich zu Kinderlosen benötigen Familien ein wesentlich höheres Bruttoeinkommen, um wenigstens das Existenzminimum der Familienmitglieder zu finanzieren. 1995 brauchten Familien im Vergleich zu Kinderlosen ein zusätzliches Bruttoeinkommen zwischen 1.300DM und 2.120 DM im Monat, um trotz Kindergeld, Kindergeldzuschlag, Kinderfreibetrag und Wohngeld die Sozialhilfegrenze zu überspringen. 152 Das Risiko, von Sozialhilfe abhängig zu werden, ist für Familien damit wesentlich höher als für Personen ohne Kinder. Besonders häufig von materieller Not betroffen sind Kinder mit alleinerziehenden Eltern. 1994 bezogen 21,5 % der Alleinerziehenden laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. 35 % aller alleinerziehenden Mütter mit Kindern unter 18 Jahren müssen mit weniger als 1.800DM im Monat auskommen, 61 % haben weniger als 2.500DM zur Verfügung. 153 In der Folge hat sich auch die Altersstruktur der Sozialhilfeempfänger gewandelt. Bildeten früher alleinstehende alte Frauen die höchsten Empfängerquoten, weisen inzwischen Kinder unter sieben Jahren die höchste Empfängerquote auf. Die Zahl der über 65jährigen, die laufende Hilfen zum Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtungen beziehen, ist gesunken und lag 1991 bei 150.000. Die Zahl der unter 18jährigen Hilfeempfänger ist im selben Jahr auf über 650.000 gestiegen.154 Die Hilfe zum Lebensunterhalt für eine vierköpfige Familie in den alten Bundesländern lag 1996 bei etwa 2.550 D M im Monat. Sie setzt sich zusammen aus dem

len bei Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S. 162ff. 151 Franz Ruland, Sozialrecht, in: Ingo von Münch/Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 9. Auflage, 1992, S.623. 152 Genaue Berechnungen bei Andreas Netzler, Weltäquivalenz familialer Leistungen und Risiken: Sozialpolitische Situation, Perspektiven und Konsequenzen, 1995, S.76ff. 153 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Kinder un ihre Kindheit in Deutschland. Eine Politik für Kinder im Kontext von Familienpolitik, Band 154 der Schriftenreihe, 1998, S. 134; Maximilian Fuchs, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Gutachten F für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S.F14. 154 Bernd Eggen, Familien in der Sozialhilfe, in: Ministerium für Familie, Frauen, Weiterbildung und Kunst Baden-Württemberg (Hrsg.), Familie heute - ausgewählte Aufsätze zur Situation der Familien in Baden-Württemberg, 1994, S. 88 ff. Siehe auch oben 1. Kapitel Α. II. 2. b).

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

Eckregelsatz von 530 DM, dem Regelsatz für Ehegatten von 424 DM, dem Regelsatz für das erste Kind (15 bis 18 Jahre) von 477 D M und für das zweite Kind (acht bis 14 Jahre) von 345 DM - die Regelsätze für die Familienmitglieder betragen je nach Alter zwischen 50 und 90 % des Eckregelsatzes. Die Regelsätze dienen der Deckung des täglichen Bedarfs. Dazu gehören Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat und persönliche Bedürfnisse einschließlich der kulturellen Teilhabe an der Gesellschaft. Hinzu kommen Miet- und Heizkosten in Höhe von geschätzten 729 DM, sowie 45 D M auf den Monat umgerechnete einmalige Leistungen. Neben der Hilfe zum Lebensunterhalt wird in besonderen Lebenslagen ein Mehrbedarfszuschlag gezahlt; Alleinerziehende erhalten zum Beispiel einen Zuschlag von 40 % des Regelsatzes.155 Nach dem Lohnabstandsgebot (§ 22 Abs. 3 und 4 BSHG) sollen die Sozialhilfeleistungen nicht höher sein als die Erwerbseinkommen, damit sie nicht den Anreiz zur Erwerbstätigkeit nehmen. Für einen ledigen Alleinverdiener, der erst ab einem jährlichen Bruttoeinkommen von unter 18.000DM (1992) in die Nähe des soziokulturellen Existenzminimums kommt, verfehlt das Lohnabstandsgebot seine Wirkung nicht. Anders ist dies bei Familien. Mit zunehmender Familiengröße steigt die Sozialhilfe, so daß der Lohnabstand und die Arbeitsanreize sinken.156 Schon die vierköpfige Familie eines Durchschnittsverdieners mit einem Bruttoeinkommen von 60.000 DM (1992) liegt in der Sozialhilfenähe. 157 Hier verfehlt das Lohnabstandsgebot seine Wirkung. Es bleibt nur solange gewahrt, wie es sich nicht um Familien handelt.158 Die bis in mittlere Einkommensschichten hinein reichenden negativen Anreizwirkungen des Lohnabstandsgebots sind ein deutliches Indiz für einen unzureichenden Familienlastenausgleich.

VI. Die Transferbelastung der Familien Familien sind nicht nur Empfänger staatlicher Leistungen und Entlastungen. Sie tragen durch die Zahlung direkter und indirekter Steuern und durch Beiträge auch zur Finanzierung der familienbezogenen Transfers bei und tragen dadurch einen wesentlichen Teil der staatlichen Leistungen selbst.159 Um das Ausmaß des Ausgleichs und der Anerkennung der familialen Lasten und Leistungen zu erfassen,

155 Lothar Neumann/Klaus Schaper, Die Sozialordnung der Bundesrepublik Deutschland, 4. Auflage, 1998, S.246. 156 Lothar Neumann! Klaus Schaper, Die Sozialordnung der Bundesrepublik Deutschland, 4. Auflage, 1998, S.247. 157 Jürgen Borchert, Renten vor dem Absturz. Ist der Sozialstaat am Ende?, 1993, S.303. 158 Andreas Netzler, Familie chancengleich leben: Was sollte der Familienlasten-, Risikound Leistungsausgleich leisten - und was leistet er?, in: Bernhard Jans/Geoig Zimmermann (Hrsg.), Familienlastenausgleich? Plädoyers für eine gerechte Familienpolitik, 1996, S. 75. 159 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S. 294f.

Α. Die Ausgangslage der Familien

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sind deshalb nicht nur die positiven Transferströme zu betrachten. Berücksichtigt man sämtliche Belastungen und Entlastungen der Familien in den staatlichen Transfersystemen, kommt man i m Ergebnis zu negativen Umverteilungseffekten zu Lasten der Familien - insbesondere wenn man die intertemporären Verteilungswirkungen zwischen Familien und Kinderlosen berücksichtigt. 1 6 0 1. Die Transferbelastung der Familien in den fiskalischen Systemen Der Staat beteiligt die Familien durch die direkte und indirekte Besteuerung des Barunterhalts für Kinder an den staatlichen Einnahmen, die er zur Finanzierung des Familienlastenausgleichs benötigt. Die Familien tragen über diese In-Sich-Transfers die ihnen gewährten Leistungen wie das Kindergeld und das Erziehungsgeld weitgehend selbst. 1 6 1 1993 lagen auf dem zivilrechtlich geschuldeten Durchschnittsunterhalt von rund 10.000 D M (netto) pro K i n d bei einem Freibetrag von 6.000 D M und einem mittlerem Steuersatz von 3 6 % direkte Steuern von 1.440 D M und bei einem gemittelten Steuersatz von 10% indirekte Steuern von 1.000 D M . Insgesamt waren dies 2.440 D M „Kindersteuern". Bei 11,121 Millionen Kindern ergab das ein Steueraufkommen von 27 Milliarden D M . 1 6 2 Demgegenüber belief sich das Volumen von Kindergeld und Erziehungsgeld auf rund 28 Milliarden D M . 1 6 3

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Vgl. Dieter Suhr, Transferrechtliche Ausbeutung und verfassungsrechtlicher Schutz von Familien, Müttern und Kindern, in: Der Staat 29 (1990), S. 69 f.; Jürgen Borchert, Man muß kein Extremist sein... Familie im Transferrecht: Nur ein sozialpolitisches Problem?, in: FuR 1992, S.88ff.; Franz Ruland, Verfassungsrechtliche Vorgaben des Familienlastenausgleichs, in: FuR 1991, S.307ff. 161 Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit und Sozialstaatlichkeit, in: Andreas Netzler/ Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S.21; Dieter Suhr, Transferrechtliche Ausbeutung und verfassungsrechtlicher Schutz von Familien, Müttern und Kindern, in: Der Staat 29 (1990), S. 75 f. 162 Jürgen Borchert, Man muß kein Extremist sein... Familie im Transferrecht: Nur ein sozialpolitisches Problem?, in: FuR 1992, S. 89 f.; Jürgen Borchert, Zur Notwendigkeit einer (familienpolitischen) Strukturreform des Sozialstaates, in: Bernhard Jans/Geoig Zimmermann (Hrsg.), Familienlastenausgleich? Plädoyers für eine gerechte Familienpolitik, 1996, S. 36; Jürgen Borchert, Das „Familienurteil vom 7. Juli 1992", in: Deutsche Liga für das Kind in Familie und Gesellschaft (Hrsg.), Die familienpolitische Strukturreform des Sozialstaats: Verfassungsauftrag ohne Folgen? Dokumentation der Fachtagung am 21. Februar 1994 in Bonn, 1994, S. 22; Jürgen Borchert, Das „Gleichgewicht des Ganzen". Zur Notwendigkeit einer familienpolitischen Strukturreform des Sozialstaates, in: Karin Lücker-Aleman (Hrsg.), Familienförderung oder -ausbeutung? Die Zukunft des Familienlastenausgleichs, 1995, S.45. 163 Jürgen Borchert, Das „Gleichgewicht des Ganzen". Zur Notwendigkeit einer familienpolitischen Strukturreform des Sozialstaates, in: Karin Lücker-Aleman (Hrsg.), Familienförderung oder -ausbeutung? Die Zukunft des Familienlastenausgleichs, 1995, S.45.

60

1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

2. Die Transferbelastung der Familien in den parafiskalischen Systemen Auch die sozialen Sicherungssysteme reagieren ambivalent auf die Familie als Wirtschafts-, Erziehungs- und Unterhaltsgemeinschaft. Einerseits belasten sie die Familien, indem sie Leistungen an die Voraussetzung der Bedürftigkeit knüpfen und die Bedürftigkeit bei familiärem Unterhalt ausschließen (zum Beispiel bei der Sozialhilfe, der Arbeitslosenhilfe oder der Ausbildungsförderung). 164 Das geltende Familienrecht verpflichtet Ehegatten und alle Personen, die voneinander abstammen, zu gegenseitigem Unterhalt, die Eltern von minderjährigen Kindern in gesteigertem Maße (§§ 1360ff., 1589, 1601 ff. BGB). Die Regreßmöglichkeit auf Eltern und erwachsene Kinder von volljährigen Sozialhilfeempfängern, die außerhalb des Empfängerhaushaltes leben, führt zu einer lebenslangen Mithaftung der Eltern für ihre Kinder und der Kinder für ihre Eltern. 165 Andererseits entlasten die sozialen Sicherungssysteme die Familien. Sie vermeiden das Entstehen familiärer Unterhaltsbedürfnisse durch Leistungen an das betreffende Familienmitglied (zum Beispiel durch Krankenversicherungsleistungen oder Pflegeleistungen) und sie vermindern die Unterhaltslast durch Sozialleistungen an den Unterhaltsleistenden (zum Beispiel durch das Kindergeld - soweit es als Sozialleistung gezahlt wird - oder durch das Erziehungsgeld). Als besonders familienfreundlich gilt im allgemeinen die Mitversicherung der Familienangehörigen in der Gesetzlichen Krankenversicherung. Der Anteil der mitversicherten Familienangehörigen in der Gesetzlichen Krankenversicherung beträgt etwa 31 %, davon sind rund zwei Drittel Kinder. Ihr Anteil an den Leistungsausgaben ist aufgrund der Altersstruktur der Versicherten aber deutlich unterproportional. 1991 entfielen nur 18 % der Leistungsausgaben auf mitversicherte Angehörige. Betrachtet man die Beiträge und Leistungsausgaben differenziert nach denen der Mitglieder und der mitversicherten Personen und ermittelt die Nettotransfers, so zählen zu den Nettoempfängern zu einem erheblichen Teil alleinstehende Frauen, ältere Ehepaare ohne Kinder oder solche mit Kindern, die bereits selbst beitragspflichtig sind, und Familien mit drei und mehr Kindern. Die Kosten für die Familienmitversicherung werden zu einem großen Teil von den Familien selbst getragen. Zudem werden in größeren Familienhaushalten im Vergleich zu kleinen Haushalten mehr reale Eigenleistungen in Form der Krankenversorgung erbracht, wohingegen Alleinstehende häufiger einen Krankenhausaufenthalt benötigen, länger im Krankenhaus verweilen als Personen in Mehrgenerationenhaushalten und dadurch höhere Kosten verursachen. Zudem nutzen vor allem Kinderlose mit hohen Einkommen die 164 Peter Krause, Ehe und Familie im sozialen Sicherungssystem, in: Heiner Marré/Johannes Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (21), 1986, S.75ff. 165 Andreas Netzler; Wertäquivalenz familialer Leistungen und Risiken: Sozialpolitische Situation, Perspektiven und Konsequenzen, 1995, S.51; Peter Krause, Ehe und Familie im sozialen Sicherungssystem, in: Heiner Marré/Johannes Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (21), 1986, S.72.

Α. Die Ausgangslage der Familien

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Möglichkeit, eine private Krankenversicherung zu wählen und sich dem Solidarverband der Gesetzlichen Krankenversicherung zu entziehen.166 Nicht zuletzt verringert die Begünstigung der kinderlosen Ehepaare durch die beitragsfreie Mitversicherung der Ehepartner den Anteil des Staates und der Sozialversicherung an den familienbezogenen Leistungen.167 Die Einbeziehung der Längsschnittachse bei der Transferanalyse ergibt, daß auch in der Gesetzlichen Krankenversicherung Familien überproportional an den Lasten beteiligt sind. Tatsächlich machen die Krankheitskosten der Rentner ein Mehrfaches der Beträge für die mitversicherten nicht erwerbstätigen Mütter, Kinder und Jugendlichen aus. Die Gesundheitskosten eines Rentners betragen rund das Siebenfache derjenigen eines Kindes und jungen Erwachsenen bis zu seinem 20. Lebensjahr. 168 Ähnliches gilt für die Pflegeversicherung. Bei einem Anteil von 30 % kinderlosen Personen und 20 % Ein-Kind-Elternpaaren an der Gesamtbevölkerung werden 40 % der Vorsorgelasten zusätzlich auf die zukünftige Generation abgewälzt.169 Auch die Anrechnung der Kindererziehungszeiten in der Gesetzlichen Rentenversicherung führt lediglich zu einer intertemporalen Lastenverteilung innerhalb der Familien. Erst die Kindergeneration muß die zusätzlichen Renten der Mütter bezahlen. Die durch das Alterssicherungssystem begünstigten Kinderlosen und Kinderarmen der Elterngeneration werden dagegen nicht zur Mitfinanzierung herangezogen.170

3. Die Transferausbeutung der Familien Die Transferbelastungen der Familien wurden 1992 erstmals auch in einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht thematisiert. 171 Im Vordergrund des Verfahrens stand der Fall einer Mutter von neun Kindern, die selbst nur eine Rente von knapp 400 DM erhielt, während ihre Kinder jeden Monat Rentenbeiträge in Höhe 166

Anita Pfaff/Martin Pfaff, Die Familie als Leistungsträger und Leistungsempfänger im Gesundheitswesen, in: Gerhard Kleinhenz (Hrsg.), Soziale Ausgestaltung der Marktwirtschaft. Die Vervollkommnung einer „Sozialen Marktwirtschaft" als Daueraufgabe der Ordnungs- und Sozialpolitik. Festschrift zum 65. Geburtstag für Prof. Dr. Heinz Lampert, 1995, S. 208 ff.; Jürgen Borchert, Renten vor dem Absturz. Ist der Sozialstaat am Ende?, 1993, S. 190ff. 167 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien un Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S.295; Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S. 297 ff. 168 Dieter Suhr, Transferrechtliche Ausbeutung und verfassungsrechtlicher Schutz von Familien, Müttern und Kindern, in: Der Staat 29 ( 1990), S. 72; Jürgen Borchert, Man muß kein Extremist sein... Familie im Transferrecht: Nur ein sozialpolitisches Problem?, in: FuR 1992, S.91. 169 Jürgen Borchert, Man muß kein Extremist sein... Familie im Transferrecht: Nur ein sozialpolitisches Problem?, in: FuR 1992, S.92. 170 Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit und Sozialstaatlichkeit, in: Andreas Netzler/ Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S.22. 171 Das Verfahren führte schließlich zum sog. Familienurteil oder Urteil zu den „Trümmerfrauen" vom 7. Juli 1992 (BVerfGE 87,1).

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

von mehr als 8.500 D M aufbrachten. Vor diesem Hintergrund stellte sich die Frage, inwieweit der allgemeine Familienlastenausgleich die Aufgabe des Ausgleichs der durch die Kindererziehung bedingten Einkommenseinbußen der Mutter erfüllt. Dazu wurde auf der Grundlage transferrechtlicher Betrachtungen das Gesamtsystem staatlichen Gebens und Nehmens in Bezug auf die Familien analysiert. Im Wege von Globalschätzungen legten Beschwerdeführer und Gutachter dar, daß Familien sowohl in den fiskalischen als auch in den parafiskalischen Transfersystemen Mehrleistungen erbringen. Die Darlegungen wurden von den Beschwerdegegnern nicht grundsätzlich in Abrede gestellt. Im Bereich der sozialen Altersversorgung wurden die Transfers zu Lasten der Familien für 1990 auf über 120 Milliarden DM veranschlagt. Innerhalb der Pflegeversicherung werden rund 10 Milliarden D M von den Familien an kinderlose und kinderarme Personen geleitet. Auch für die Gesetzliche Krankenversicherung wurden bei intertemporärer Betrachtung Umverteilungen zu Lasten der Familien festgestellt. Für den Bereich des allgemeinen Familienlastenausgleichs konnte nachgewiesen werden, daß Eltern über die direkte und indirekte Besteuerung des Kindesunterhalts mehr an die staatliche Gemeinschaft zahlen, als ihnen diese für ihre Kinder gewährt. Insgesamt flössen 1990 Transferleistungen von Familien mit mehreren Kindern an kinderlose und kinderarme Personen in einer Größenordnung von über 150 Milliarden DM. 1 7 2 Angesichts dieser Transferverhältnisse wird vielfach geschlossen, daß ein Ausgleich zwischen Familien und Personen ohne Kinder oder mit unterdurchschnittlicher Kinderzahl praktisch nicht stattfindet, die staatlichen Transfersysteme vielmehr zu einer negativen Transferbilanz für die Familien und einer regelrechten Transferausbeutung der Familien führen. 173

B. Die Anerkennung der Kindererziehung Die Familie ist für das Leben der Menschen von großer Bedeutung. Aus gesellschaftlicher Sicht erfüllen Familien für Staat und Gesellschaft unverzichtbare Funk172

BVerfGE 87,1 (13 ff., 28 ff. und 38) sowie die Plädoyers vor dem Bundesverfassungsgericht am 28. April 1992, abgedruckt in Deutsche Liga ßr das Kind in Familie und Gesellschaft (Hrsg.), Das Jahrhundertunrecht an den Müttern. Plädoyers für Familiengerechtigkeit vor dem Bundesverfassungsgericht am 28. April 1992, 1992. Vgl. auch Jürgen Borchert, Das „Familienurteil vom 7. Juli 1992", in: Deutsche Liga für das Kind in Familie und Gesellschaft (Hrsg.), Die familienpolitische Strukturreform des Sozialstaats: Verfassungsauftrag ohne Folgen? Dokumentation der Fachtagung am 21. Februar 1994 in Bonn, 1994, S.20ff.; Jürgen Borchert, Man muß kein Extremist sein... Familie im Transferred«: Nur ein sozialpolitisches Problem?, in: FuR 1992, S.92. 173 Dieter Suhr, Transferrechtliche Ausbeutung und verfassungsrechtlicher Schutz von Familien, Müttern und Kindern, in: Der Staat 29 (1990), S. 69f.; Jürgen Borchert, Man muß kein Extremist sein... Familie im Transferrecht: Nur ein sozialpolitisches Problem?, in: FuR 1992, S. 88 ff.; Jürgen Borchert, Zur Notwendigkeit einer (familienpolitischen) Strukturreform des Sozialstaates, in: Bernhard Jans/Georg Zimmermann (Hrsg.), Familienlastenausgleich? Plädoyers für eine gerechte Familienpolitik, 1996, S. 36f.; Jürgen Borchert, Renten vor dem Absturz. Ist der Sozialstaat am Ende?, 1993, S. 175 ff.; Franz Ruland, Verfassungsrechtliche Vorgaben des Familienlastenausgleichs, in: FuR 1991, S. 307 ff.

Β. Die Anerkennung der Kindererziehung

63

tionen. Die Anforderungen an die Familie als Lebens- und Erziehungsgemeinschaft und die Erwartungen an die Förder- und Erziehungsleistungen der Eltern gegenüber ihren Kindern sind groß. Gleichzeitig ist die Erbringung dieser Leistungen mit erheblichen ökonomischen Belastungen verbunden. Der Anteil der gesellschaftlichen Aufwendungen für die Kindererziehung ist dagegen vergleichsweise niedrig. Da die meisten Leistungen für Familien im Gegensatz zu den sonstigen Sozialleistungen nicht an die Lohnentwicklung gekoppelt sind, sinkt der öffentliche Anteil beständig. Es besteht eine erhebliche Diskrepanz zwischen der gesellschaftlichen Bedeutung und allgemeinen Wertschätzung der Familien einerseits und der Anerkennung ihrer spezifischen Belastungen und Leistungen andererseits.

I. Bedeutung und Wertschätzung der familialen Leistungen 1. Die gesellschaftlich und wirtschaftlich relevanten Leistungen der Familien Die Familien erfüllen Aufgaben, ohne die Gesellschaft und Staat nicht überleben könnten. Sie erbringen Leistungen, die weit über die materielle Daseinsfürsoige für die einzelnen Familienmitglieder hinausreichen. Die Familien sichern das Nachwachsen kommender Generationen, die Persönlichkeitsentwicklung und Sozialisation der Kinder. In der Familie werden grundlegende kulturelle und soziale Werte vermittelt, Begabungen und Fähigkeiten gefördert. Ohne Familien wären Gesellschaft und Staat für die in ihnen lebenden Individuen und sozialen Gruppen von merklich geringerer sozialer Qualität. 174 a) Aufgaben, Leistungen und Funktionen der Familien Um die Bedeutung der Familien für die Gesellschaft zu erfassen, ist es zweckmäßig, zwischen ihren Aufgaben, Leistungen und Funktionen zu unterschieden. Die Aufgaben betreffen den institutionellen Aspekt und bezeichnen die Vorstellungen und Erwartungen der Gesellschaft hinsichtlich dessen, was Familien sein, leisten und bewirken sollen. In Teilen sind die Aufgaben der Familie sogar rechtlich normiert. Den Familienmitgliedern werden in ihrer Eigenschaft als Vater, Mutter oder Kind bestimmte Rechte und Pflichten zugeschrieben, zum Beispiel die Unterhaltspflichten gegenüber den Kindern oder die Erziehungsrechte und -pflichten der Eltern. 1 7 5 Die Leistungen der Familie bezeichnen die tatsächlichen Handlungen und 174 Vgl. Heinz Lampert, Priorität für die Familie. Plädoyer für eine rationale Familienpolitik, 1996, S. 54 ff. und 121 ff. 175 Das Unterhaltsrecht verpflichtet Eltern für zwei bis drei Jahrzehnte (unter Umständen auch länger oder später erneut) unabhängig davon, ob tatsächlich familiäre Beziehungen im Sinne einer Lebens- und Haushaltsgemeinschaft zwischen den Eltern und Kindern bestehen;

64

1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

Tätigkeiten der Familie in Hinblick auf die Erfüllung ihrer Aufgaben. Die Funktionen der Familie beziehen sich auf die gesellschaftliche Dimension dieser Tätigkeiten und beschreiben die Bedeutung der familialen Leistungen für die Gesellschaft. 176 Zu den Aufgaben und Leistungen der Familie gehören die materielle Versorgung der Familienmitglieder, die Führung eines gemeinsamen Haushalts, die Sorge um die Gesundheit und Erholung der in der Familie lebenden Personen, die wechselseitige Hilfe oder die Pflege im Krankheitsfall. Den Kernbereich familialer Aufgaben und Leistungen bilden die Elternschaft und die Übernahme der Elternverantwortung durch die Geburt und die Versorgung, Pflege, Erziehung und Sozialisation der Kinder. 1 7 7 Die Leistungen der Familien sind privat motiviert und werden nicht aus Gründen des allgemeinen Wohls erbracht. Gleichwohl haben die familialen Leistungen Auswirkungen auf die Gesellschaft. Zu den gesellschaftlichen Funktionen der Familie gehören die Nachwuchssicherung (Reproduktionsfunktion), die Sicherung der physischen und psychischen Gesundheit der Familienmitglieder (Regenerationsfunktion), die Schaffung der Voraussetzungen für ihre persönliche Entwicklung und Entfaltung, die Entdeckung und Förderung von Begabungen und Talenten sowie die Vermittlung und Einübung sozialen, insbesondere solidarischen Verhaltens (Sozialisationsfunktion). 178 b) Der Nutzen der familialen Leistungen ßr das Gemeinwesen Mit ihren Leistungen tragen die Familien zur Bildung, Entwicklung und Erhaltung des Humanvermögens der Gesellschaft bei. 179 Von diesem Beitrag der Familien zur Bildung, Entwicklung und Erhaltung des Humanvermögens profitiert das ge-

vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S. 92f. 176 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien un Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S. 23 ff.; Franz-Xaver Kaufmann, Zukunft der Familie im vereinten Deutschland. Gesellschaftliche und politische Bedingungen, 1995, S.34f.; Heinz Lampert, Priorität für die Familie. Plädoyer für eine rationale Familienpolitik, 1996, S. 18 f. 177 Vgl. Franz-Xaver Kaufmann, Herausforderungen des Sozialstaates, 1997, S. 102f.; Franz-Xaver Kaufmann, Zukunft der Familie im vereinten Deutschland. Gesellschaftliche und politische Bedingungen, 1995, S. 36 ff.; Heinz Lampert, Priorität für die Familie. Plädoyer für eine rationale Familienpolitik, 1996, S. 19 ff. 178 Vgl. Franz-Xaver Kaufmann, Herausforderungen des Sozialstaates, 1997, S. 103 ff.; Franz-Xaver Kaufmann, Zukunft der Familie im vereinten Deutschland. Gesellschaftliche und politische Bedingungen, 1995, S.63 ff.; Heinz Lampert, Priorität für die Familie. Plädoyer für eine rationale Familienpolitik, 1996, S.24ff.; Heinz Lampert, Wer „produziert" das Humanvermögen einer Gesellschaft?, in: Norbert Glatzel/Eugen Kleindienst (Hrsg.), Die personale Struktur des gesellschaftlichen Lebens. Festschrift für Anton Rauscher, 1993, S. 125 f.; Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S.59ff.; Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S.39ff.

Β. Die Anerkennung der Kindererziehung

65

samte Gemeinwesen. Sämtliche Teilsysteme der Gesellschaft - seien es die Wirtschaftsunternehmen, die Gewerkschaften, die Parteien, die Hochschulen oder die Kirchen - sind für ihren Fortbestand auf nachwachsende Generationen angewiesen. Dies gilt auch für die sozialen Sicherungssysteme, die auf Umverteilung und Solidarität zwischen den Generationen beruhen. 180 Dabei geht es in keinem Bereich der Gesellschaft lediglich um demographische Potentiale, sondern immer auch um die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Qualitäten und Fähigkeiten ihrer Mitglieder. Die hierfür erforderlichen Sozialisationsleistungen werden im wesentlichen von den Familien erbracht. Eltern sorgen und kümmern sich um ihre Kinder, indem sie selbst Zeit mit ihnen verbringen und gestalten oder bestimmen, in welchem Umfang und in welcher Form die Betreuung und Erziehung ihrer Kinder durch Dritte erfolgt. Sie treffen grundlegende biographische Entscheidungen für ihre Kinder und schaffen die Voraussetzungen, auf denen spezifische Sozialisationsprozesse und spezielle Formen des Lernens, insbesondere in den Bildungssystemen, aufbauen können.181 Die privaten Leistungen der Familienmitglieder füreinander beeinflussen die Quantität und die Qualität der Gesellschaft wesentlich. Sie begründen ein öffentliches Interesse an den privaten Leistungen der Familien. c) Defizite familialer

Leistungen

Gegenwärtig erfahren die Aufgaben, Leistungen und Funktionen der Familien zunehmende Aufmerksamkeit. Das öffentliche Interesse wächst in dem Maße, wie die familialen Leistungen und Funktionen defizitär erscheinen. Gleichzeitig steigen die Anforderungen der Gesellschaft an die Familien. Es werden zum Teil erhebliche Erziehungs- und Sozialisationsdefizite festgestellt und die Wirtschaft klagt über ei179 Als Humanvermögen wird die Gesamtheit der Kompetenzen bezeichnet, welche die Mitglieder einer Gesellschaft in den verschiedenen gesellschaftlichen Zusammenhängen (Staat, Wirtschaft, Kultur, Familie usw.) besitzen. Die Gesamtheit der beruflich bedeutsamen Kompetenzen, das sog. Humankapital, bildet einen Teilaspekt des Humanvermögens; vgl. Franz-Xaver Kaufmann, Herausforderungen des Sozialstaates, 1997, S. 103 f.; Heinz Lampert, Priorität für die Familie. Plädoyer für eine rationale Familienpolitik, 1996, S. 24; Heinz Lampert, Wer „produziert" das Humanvermögen einer Gesellschaft?, in: Norbert Glatzel/Eugen Kleindienst (Hrsg.), Die personale Struktur des gesellschaftlichen Lebens. Festschrift für Anton Rauscher, 1993, S. 122 f. Die Sachverständigenkommission für den Fünften Familienbericht veröffentlichte ihren Bericht unter dem Titel „Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens", der Beitrag der Familien zur Humanvermögensbildung war ihr ein besonderes Anliegen; vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S. 16 f. 180 Siehe oben 1. Kapitel Α. V. 1. Vgl. dazu in Hinblick auf die Alterssicherung die ausführliche Darstellung bei Jürgen Borchert, Renten vor dem Absturz. Ist der Sozialstaat am Ende?, 1993, S.47ff. 181 Vgl. Franz-Xaver Kaufmann, Zukunft der Familie im vereinten Deutschland. Gesellschaftliche und politische Bedingungen, 1995, S.47ff. und 66 ff.; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S.26f.

5 Tünnemann

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

nen Mangel an hochqualifizierten, kommunikationsfähigen und leistungsbereiten Arbeitskräften. Lebensverhältnisse wie enger Wohnraum, schlechte Ernährung und Abhängigkeit von Sozialhilfe - Verhältnisse, die auf Familien überproportional häufig zutreffen - beeinträchtigen die Sozialisations- und Bildungschancen der Kinder erheblich. 182 Das Leben mit Kindern ist heute aus vielerlei Gründen nicht mehr selbstverständlich. Von den 1960 geborenen Frauen wird voraussichtlich jede vierte keine Kinder bekommen. Für den Jahrgang 1965 gibt es Schätzungen, wonach bis zu einem Drittel der westdeutschen Frauen kinderlos bleiben. Besonders auffällig ist der hohe Anteil kinderloser Frauen mit Fachhochschul- oder Hochschulabschluß; etwa 40 % der 35- bis 39jährigen Akademikerinnen haben keine Kinder. In den neuen Bundesländern ist Kinderlosigkeit weniger verbreitet, nimmt aber inzwischen auch dort zu. Innerhalb Europas hat Deutschland nach Italien die niedrigste Fertilitätsrate und eine der höchsten Kinderlosenquoten. 183 Die Nettoreproduktionsrate als Indikator dafür, inwieweit die Geburten eines Jahres ausreichen, um die Generation ihrer Eltern zu ersetzen, liegt seit den achtziger Jahren zwischen 0,6 und 0,7. Damit wird der Bevölkerungsstand in Deutschland langfristig nur zu etwa zwei Dritteln ersetzt. Da derzeit rund 30 % aller Erwachsenen lebenslang kinderlos bleiben und weitere 40 % nur ein Kind haben, wird sich das Potential der erwerbstätigen Bevölkerung in Deutschland ohne Zuwanderung bis zum Jahr 2050 halbiert haben. Der anhaltende Geburtenrückgang und die steigende Zahl lebenslang kinderloser Personen führen zu einer Überalterung der Gesellschaft und gefährden insbesondere die sozialen Sicherungssysteme, die eine ausgeglichene Bevölkerungsstruktur voraussetzen.184 Dabei ist der anhaltende Geburtenrückgang nicht auf einen mangelnden Kinderwunsch zurückzuführen. Die Kinderzahl ist in Deutschland deutlich bestimmt von ökonomischen Determinanten wie den direkten Kinderkosten, den Opportunitätskosten, dem Wegfall der wirtschaftlichen Vorteile durch Kinder, den erhöhten Wohnungskosten und dem gestiegenen Ausbildungsniveau der Frauen sowie von soziologischen Determinanten wie dem veränderten Rollenverständnis von Mann und Frau, der Individualisierung der Lebensverläufe und dem Ideal der erwerbstätigen Frau bei mangelnder Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familientätigkeit.185 182

Jürgen Borchert, Zur Notwendigkeit einer (familienpolitischen) Strukturreform des Sozialstaates, in: Bernhard Jans/Georg Zimmermann (Hrsg.), Familienlastenausgleich? Plädoyers für eine gerechte Familienpolitik, 1996, S.40f. Siehe oben 1. Kapitel A.II.2., 3. und V.3. 183 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik. Lebensformen, Familienstrukturen, wirtschaftliche Situation der Familien und familiendemographische Entwicklung in Deutschland, 1998, S.96f. 184 Vgl. Franz-Xaver Kaufmann, Zukunft der Familie im vereinten Deutschland. Gesellschaftliche und politische Bedingungen, 1995, S.68ff.; Heinz Lampert, Priorität für die Familie. Plädoyer für eine rationale Familienpolitik, 1996, S. 128 ff. 185 Erich Stutzer/Wolfgang Schwartz, Geburtenentwicklung und Frauenerwerbstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland, in: Ministerium für Familie, Frauen, Weiterbildung und

Β. Die Anerkennung der Kindererziehung

67

2. Der wirtschaftliche Wert familialer Leistungen a) Die Berücksichtigung familialer Leistungen in der Volkswirtschaftslehre Produktionsvermögen und Humanvermögen bilden die wichtigsten Komponenten des Volksvermögens. Beiden Komponenten, dem Human- und dem Sachvermögen, kommt für die Entwicklung und das Wachstum der Wirtschaft grundlegende Bedeutung zu. Gleichwohl werden die Leistungen der Familien für die Bildung und Erhaltung des Humanvermögens bei der Bemessung der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung nicht berücksichtigt. Die Versorgungs-, Pflege-, Betreuungs- und Erziehungsleistungen in den Privathaushalten gelten nicht als produktiv. Sie zählen zur Schattenwirtschaft. Lediglich die Dienstleistungen, die auf Märkten angeboten werden, dort auf Nachfrage stoßen und deshalb einen Marktpreis erzielen, fließen in die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung186 ein. Privathaushalte hingegen werden als konsumierende, nicht als wertschöpfende Einheiten definiert. Sie fließen lediglich als Anbieter der Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital in die Rechnung ein. 187 In dieser Rechnung erhöhen die Leistungen einer Hausgehilfin das Sozialprodukt, die gleichen Leistungen einer Hausfrau gelten dagegen als unproduktiv. Die häusliche Erziehungsleistung der Eltern fällt ebenso wie die Kranken- und Behindertenpflege in der Familie unter die Rubrik Konsum. Die gleichen Dienste außer Haus oder von Nichtfamilienmitgliedern erbracht fließen in das Sozialprodukt ein. 188 In der großen Mehrzahl sind es die Mütter, die durch ihre Familienarbeit mehr oder minder kostenlos das Humanvermögen einer Gesellschaft heranbilden und dafür erhebliche materielle Benachteiligungen in Kauf nehmen.189

Kunst Baden-Württemberg (Hrsg.), Familie heute - ausgewählte Aufsätze zur Situation der Familien in Baden-Württemberg, 1994, S. 110ff.; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S.74f. 186 Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung erfaßt die Kreislaufbeziehungen einer Volkswirtschaft durch die Darstellung aller in ihr stattfindenden ökonomischen Transaktionen; vgl. Wilhelm Henrichsmeyer/Oskar Gans/Ingo Evers, Einführung in die Volkswirtschaftslehre, 9. Auflage, 1991, S. 326 f. 187 Heinz Lampert, Wer „produziert" das Humanvermögen einer Gesellschaft?, in: Norbert Glatzel/Eugen Kleindienst (Hrsg.), Die personale Struktur des gesellschaftlichen Lebens. Festschrift für Anton Rauscher, 1993, S. 126ff. 188 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familie und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S. 139; Paul Kirchhof, Die Verschiedenheit der Menschen und die Gleichheit vor dem Gesetz, Band 62 der Reihe „Themen" der Carl Friedrich von Siemens Stiftung, 1996, S.55f. 189 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familie un Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S. 139. *

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft b) Die Wertermittlung des Beitrags der Familien zur Humanvermögensbildung

Der Versuch einer volkswirtschaftlichen Ermittlung dessen, was Eltern aufwenden, um ihre Kinder zu versorgen, zu betreuen und zu erziehen, ist nicht neu. 1913 stellte Marianne Weber Berechnungen zum Wert der Mütterleistungen an und bezifferte diese auf 6 Milliarden Goldmark; der Gesamtetat des Deutschen Reiches betrug damals 2,3 Milliarden Goldmark. 190 Arndt Jessen ermittelte im Auftrag der Gesellschaft für Sozialen Fortschritt für das Jahr 1954 den Gesamtaufwand für Kinder und veranschlagte ihn mit 20 Milliarden DM. Nach seinen Berechnungen trug die Gesellschaft ein Viertel dieser Kosten, der Rest wurde von den Familien selbst aufgebracht. Im Rahmen einer für 1974 erstellten Gesamtschätzung der Kosten für die nachwachsende Generation ermittelte auch der Wissenschaftliche Beirat für Familienfragen beim Bundesministerium für Familie, Jugend und Gesundheit den Anteil der Eltern an den gesamten Kosten. Die Gesamtaufwendungen beliefen sich danach auf 320 Milliarden DM, 237 Milliarden D M davon - rund drei Viertel - entfielen auf die Familien. 191 Für 1993 wurde der gesamte Unterhaltsaufwand der Eltern für ihre Kinder, der bewertete Zeitaufwand für die Erziehung und Betreuung und die durch den Ausfall von Einkommen entstehenden Opportunitätskosten mit 390 Milliarden DM beziffert. Diesem Betrag standen 120 Milliarden DM gegenüber, die im Sozialbudget als Leistungen für Familien und Kinder ausgewiesenen wurden. 192 Aus jüngerer Zeit stammen Überlegungen, die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung durch Satellitenrechnungen zu ergänzen, mit deren Hilfe die scheinbar kostenlosen Inputs der Volkswirtschaft bewertet und die ökonomische Dimension familialer Leistungen ermittelt werden. 193 Nach Schätzungen der Sachverständigenkom-

190 Vgl. Hans Weitkamp, Entlohnung der Mütterleistung - eine bleibende Utopie oder eine mögliche Realität?, in: ZfSÖ 67/1985, S.34. 191 Vgl. Heinz Lampert, Priorität für die Familie. Plädoyer für eine rationale Familienpolitik, 1996, S.32; Heinz Lampert, Wer „produziert" das Humanvermögen einer Gesellschaft?, in: Norbert Glatzel/Eugen Kleindienst (Hrsg.), Die personale Struktur des gesellschaftlichen Lebens. Festschrift für Anton Rauscher, 1993, S. 133 f. 192 Vgl. Johannes Münder, Die Zukunft des Familienlastenausgleichs. Eine Einführung in das Thema, in: Karin Lücker-Aleman (Hrsg.), Familienförderung oder -ausbeutung? Die Zukunft des Familienlastenausgleichs, 1995, S.20f. Zur Aussagekraft des Sozialbudgets hinsichtlich des Anteils staatlicher Leistungen an den Kinderkosten siehe unten 1. Kapitel Β. II. 2. 193 Mit der Haushaltsökonomischen Satellitengesamtrechnung werden die wertschaffenden Leistungen der Privathaushalte erfaßt. Zur Berechnung des volkswirtschaftlichen Beitrags der Familien zur Bildung des Humanvermögens in der Haushaltsökonomischen Satellitengesamtrechnung werden die Zeitaufwendungen für die privaten Versorgungs-, Pflege-, Betreuungsund Erziehungsleistungen gemessen, denen dann bestimmte Lohnansätze zugeordnet werden; vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S. 139 ff.; Heinz Lampert, Priorität für die Familie. Plädoyer für eine rationale Familienpolitik, 1996, S. 30f.; Christian LeipertlMichael Opielka, Erziehungsgehalt 2000. Ein Weg zur Aufwertung der Erziehungsarbeit, 1998, S.51 ff.

Β. Die Anerkennung der Kindererziehung

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mission für den Fünften Familienbericht läßt sich der Gesamtaufwand, den ein Ehepaar für die Versorgung und Betreuung zweier Kinder bis zur Vollendung ihres 18. Lebensjahrs erbringt, im Durchschnitt auf 790.000 DM beziffern (zu Preisen von 1990).194 Ausgehend von diesen mikroökonomischen Daten ergibt die Hochrechnung auf die Gesamtheit der Erwerbsbevölkerung der alten Bundesrepublik für 1990 - unter der Annahme, daß die Erwerbspersonen einen den gegenwärtigen Verhältnissen entsprechenden Versorgungs- und Betreuungsaufwand verursacht haben - einen Beitrag der Familien zur Humanvermögensbildung in Höhe von 15,3 Billionen DM. Nach Abzug der staatlichen Transferleistungen ergibt sich ein Nettobeitrag der Familien von 12,5 Billionen DM. Das ist fast das Doppelte des Wertes des wirtschaftlichen Sachvermögens, das 1990 zu Wiederbeschaffungspreisen auf 6,9 Billionen DM geschätzt wurde. 195 c) Eckwerte zur mikroökonomischen Bewertung der Familienarbeit Die mikroökonomische Dimension der familialen Leistungen wird vor allem dann sichtbar, wenn ein Elternteil wegen Krankheit oder Tod ausfällt und durch ein Nichtfamilienmitglied ersetzt werden muß oder wenn Pflege- und Erziehungsheime Kost und Unterbringung sowie Betreuung und Erziehung der Kinder übernehmen müssen. Einen Anhaltspunkt für die mikroökonomische Bewertung der Familienarbeit geben die marktüblichen Preise für solch einen Familienersatz. Gemäß dem badenwürttembergischen Entgelttarifvertrag für hauswirtschaftliche Tätigkeiten lag die monatliche Mindest-Brutto-Vergütung 1998 zwischen 2.005 D M für Praktikantinnen mit Vorkenntnissen und 4.125 D M für eine Hauswirtschaftsmeisterin. Eine Haushaltshilfe oder Putzfrau erhält in der Regel zwischen 10 und 20 DM, ein Babysitter 7 bis 10 DM pro Stunde. Für eine Hausangestellte kann seit 1997 ein jährlicher Steuerfreibetrag von 18.000 DM abgesetzt werden. Für die Ganztagesbetreuung durch eine Kinderfrau, die ins Haus kommt, ist mit monatlich 2.000 D M bis 2.500 D M zuzüglich Sozialabgaben zu rechnen. Ein Au-pair erhält neben freier Kost und Logis ein Taschengeld von rund 500 DM im Monat. Eine Tagesmutter, die meh194

Diese Summe schließt die Ausgaben für die Versorgung der Kinder, den mit dem Stundenlohnsatz für Arbeitnehmerinnen bewerteten Aufwand für die direkte Betreuung der Kinder und den in gleicher Weise bewerteten Aufwand für kinderbezogene Haushaltstätigkeiten ein. Nicht einbezogen sind die Verluste an Arbeitseinkommen und an Ansprüchen gegen die Rentenversicherung sowie Einkommensverluste aufgrund von Qualifikationsverlusten der Mutter während der Unterbrechung der Erwerbstätigkeit; vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland-Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S. 145 und 291. Die Berechnungen stammen von Heinz Lampert; vgl. Heinz Lampert, Priorität für die Familie. Plädoyer für eine rationale Familienpolitik, 1996, S. 32 ff.; Heinz Lampert, Wer „produziert" das Humanvermögen einer Gesellschaft?, in: Norbert Glatzel/Eugen Kleindienst (Hrsg.), Die personale Struktur des gesellschaftlichen Lebens. Festschrift für Anton Rauscher, 1993, S. 128 ff. 195 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien un Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S.145.

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

rere Kinder bei sich zu Hause betreut, erhält nach den Richtlinien in Baden-Württemberg für jedes betreute Kind 505 D M monatlich bei einer Betreuung von vier bis sechs Stunden an fünf Wochentagen, 640DM bei einer Betreuung von sechs bis acht Stunden und 725 DM bei einer Betreuung von mehr als acht Stunden. Die Beträge unterliegen der Steuer bei einem Freibetrag von 480 D M im Monat. Die Bezahlung entspricht einem Stundenlohn von etwa 4 D M pro Kind. 1 9 6 Einen Anhaltspunkt für die Bewertung der Familienarbeit gibt schließlich auch das Pflegegeld, das monatlich bis zu 1.300 DM beträgt. 197 Im Falle einer Schädigung wird der Schadensersatz für den Ausfall einer Hausfrau und Mutter mit etwa 20 DM pro Stunde berechnet. Bei Ansetzung von 40 Stunden Wochenarbeitszeit ergeben sich rund 2.300 D M netto, bei 60 Stunden rund 3.100DM im Monat. Eine SOS-Kinderdorfmutter betreut in der Regel an fünf Tagen in der Woche fünf Kinder. Dafür erhielt sie 1995 monatlich 5.100DM brutto. Die Vollpflege eines Kindes in einer Pflegefamilie wird bis zum Alter von sechs Jahren mit 1.095 D M vergütet, für Kinder zwischen sieben und zwölf Jahren mit 1.240 D M und ab dem Alter von zwölf Jahren mit 1.395 DM. Ein Drittel dieser Beträge ist für Sachkosten vorgesehen. Zwei Drittel dienen als Vergütung für die Betreuung und sind abgabenfrei. Die Kosten für eine Heimunterbringung eines Kindes belaufen sich auf 2.250 D M bis 9.000 D M im Monat, je nach Angebot und Qualität des Heims. 198

II. Ausgleich und Anerkennung familialer Lasten und Leistungen 1. Einordnung familienbezogener Entlastungen und Leistungen Es gibt eine Vielzahl staatlicher Leistungen und Entlastungen, die im weitesten Sinn familienorientiert sind und die finanziellen Belastungen durch Kinder mindern. Die Gesamtheit dieser familienbezogenen Maßnahmen wird üblicherweise mit dem Begriff des Familienlastenausgleichs im weiteren Sinn bezeichnet.199 196 Deutsche Hausfrauengewerkschaft e.V. (dhg), Wie wird Familienhausarbeit heute bewertet?, in: dhg-Praxis 2/99; Sabine Hildebrandt-Woeckel, Karrierefalle Erziehungsurlaub, 1999, S. 175. 197 Vgl. Kostas Petropulos, Ein Gehalt für Eltern?, in: MUT Nr. 380, April 1999, S. 55 f. 198 Vgl. Gertrud Martin, Gerechtigkeit für Familien. Informations- und Diskussionspapier des ÖDP-Landesvorstands Baden-Württemberg, 1997, S. 12ff.; Deutsche Hausfrauengewerkschaft e.V. (dhg), Wie wird Familienhausarbeit heute bewertet?, in: dhg-Praxis 2/99; Hans Weitkamp, Entlohnung der Mütterleistung - eine bleibende Utopie oder eine mögliche Realität?, in: ZfSÖ 67/1985, S.34f. 199 Alois Oberhauser, Familienlastenausgleich und Familienbesteuerung, in: Gerhard Kleinhenz (Hrsg.), Soziale Ausgestaltung der Marktwirtschaft. Die Vervollkommnung einer „Sozialen Marktwirtschaft" als Daueraufgabe der Ordnungs- und Sozialpolitik. Festschrift zum 65. Geburtstag für Prof. Dr. Heinz Lampert, 1995, S. 186. Einen kurzen Überblick über diese

Β. Die Anerkennung der Kindererziehung

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Grundsätzlich sind zwei Formen der Minderung der finanziellen Belastungen durch Kinder zu unterscheiden. Zum einen kann auf der Seite der Einkommensausstattung das verfügbare Einkommen in Familienhaushalten durch zusätzliche Transfereinkommen oder durch eine geringere steuerliche Belastung des Bruttoeinkommens erhöht werden. Zum anderen können auf der Seite der Einkommensverwendung verteilungspolitische Maßnahmen ergriffen werden. Zur ersten Form der Minderung der Einkommensbelastung zählen die nicht zweckgebundenen Leistungen und Entlastungen im Rahmen des Familienlastenausgleichs, der sich aus dem Familienleistungsausgleich im Sinne des Einkommensteuergesetzes in Form von Kindergeld und Kinderfreibeträgen sowie dem Erziehungsgeld zusammensetzt.200 Zur zweiten Form gehören die realen Leistungen für Kinder in Form von Sach- oder Dienstleistungen sowie eine Reihe von Preisermäßigungen, die allerdings an die Inanspruchnahme bestimmter Güter oder öffentlicher Leistungen gebunden sind. 201 All diese Maßnahmen haben eine kostensenkende Wirkung, sei es direkt durch die Vermeidung einer Einkommensbelastung oder indirekt durch deren Kompensation. Dennoch sind nicht alle familienbezogenen Leistungen oder Entlastungen als Maßnahmen zu interpretieren, welche die spezifischen Belastungen der Familie durch die Kinderkosten ausgleichen oder die familialen Leistungen anerkennen und honorieren. Einige Maßnahmen betreffen die Familien zwar in ihrer Wirkung - sie können insofern als familienbezogen oder familienorientiert bezeichnet werden - sind aber nicht final auf den Ausgleich oder die Anerkennung der familialen Lasten und Leistungen gerichtet, sondern verfolgen völlig andere Ziele. Die familienbezogenen Maßnahmen müssen deshalb nach ihrer jeweiligen Zielsetzung und Funktion differenziert betrachtet werden. 202 Das legt ein engeres Verständnis des Familienlasten- und Familienleistungsausgleichs nahe. Elemente des Familienlastenausgleichs bietet Bundesministeriumßr Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S.288f. Eine ausführliche Zusammenstellung familienorientierter Transfers findet sich bei Alois Oberhauser, Familie und Haushalt als Transferempfänger. Situation, Mängel und Reformansätze, 1989. Die Aufwendungen für das Bildungswesen werden im allgemeinen nicht als Element des Familienlastenausgleichs im weiteren Sinn angesehen. Wegen der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung eines qualifizierten Arbeitskräftepotentials werden sie wie sonstige Infrastrukturmaßnahmen zur Wirtschaftsgrundlagenpolitik gezählt und als im Interesse der gesamten Gesellschaft stehend von der Allgemeinheit finanziert; vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familie und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S.291. 200 Vgl. Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S.219ff.; Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA), Übersicht über das Sozialrecht, 1998, S. 601; Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA), Einkommensbezogenes Sozialleistungsrecht. Forschungsbericht Nr. 256,1996, S.304. 201 Vgl. Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S.219ff. 202 Vgl. Alois Oberhauser, Familienlastenausgleich und Familienbesteuerung, in: Gerhard Kleinhenz (Hrsg.), Soziale Ausgestaltung der Marktwirtschaft. Die Vervollkommnung einer „Sozialen Marktwirtschaft" als Daueraufgabe der Ordnungs- und Sozialpolitik. Festschrift

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

Die Familienbesteuerung, insbesondere der geltende Familienleistungsausgleich, aber auch die soziale Sicherung der Familie verfolgen primär andere Ziele als den Ausgleich oder die Übernahme der Kosten für die Kinder und die Kindererziehung durch die Gesellschaft. Die familienbezogenen Leistungen oder Entlastungen im Steuer- und Sozialrecht werden überwiegend aus Gründen einer systemgerechten Ausgestaltung der jeweiligen Teilrechtsordnungen gewährt. Das zeigt sich besonders deutlich am Gebot der Steuerfreiheit des soziokulturellen Existenzminimums. Die Umsetzung dieses Gebots - gegenwärtig in Form von Kinderfreibeträgen und Kindergeld - stellt keine steuerliche Entlastung oder Steuerbegünstigung der Familien dar, sie folgt vielmehr zwingend aus dem Gebot der Steuergerechtigkeit. Soweit Kinderfreibeträge und Kindergeld aus diesem Grund gewährt werden und nicht über den minimalen Betrag hinausreichen, zählen sie nicht zu den Elementen des Familienlastenausgleichs im engeren und eigentlichen Wortsinn. Ähnliches gilt für die Anrechnung der Kindererziehungszeiten im Rentenrecht, welche die erziehungsbedingten Nachteile in der Alterssicherung wenigstens teilweise - obschon in nicht annähernd angemessener Höhe - ausgleichen. Leistungen und Entlastungen, die aus Gründen der Steuergerechtigkeit oder der Leistungsgerechtigkeit im Sozialrecht gewährt werden, sind von denjenigen Maßnahmen zu unterscheiden, die auf den Ausgleich der Kinderkosten und die Anerkennung und Honorierung der Erziehungsleistung gerichtet sind. 203 Der Familienlasten- und Familienleistungsausgleich im engeren Sinn beginnt -jenseits der systemimmanenten Familienorientierungen - dort, wo Familien zweckgerichtet durch staatliche Leistungen oder Entlastungen von den Kinderkosten entlastet werden oder eine Anerkennung ihrer Erziehungsleistungen erfahren. Er bezieht sich nur auf diejenigen Maßnahmen, die nach ihrer jeweiligen Zielsetzung und Funktion am Tatbestand der Elternschaft anknüpfen und auf den Ausgleich der Kinderkosten oder die Anerkennung der Kindererziehung gerichtet sind. 204 In diesem engen Sinn bezeichnet der Begriff des Familienlastenausgleichs die Gesamtheit derjenigen Maßnahmen, die nach ihrer Zielsetzung und Funktion allein zum 65. Geburtstag für Prof. Dr. Heinz Lampert, 1995, S. 186 f.; Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S. 222 ff. Zu den Problemen bei der inhaltlichen Abgrenzung des Familienlastenausgleichs vgl. auch Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familie und Familienpolitik - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S. 287 ff.; Alois Oberhauser, Familie und Haushalt als Transferempfänger. Situation, Mängel und Reformansätze, 1989, S.32ff. 203 Jürgen Borchert, Plädoyer vor dem Bundesverfassungsgericht am 28. April 1992 für die Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Familienorganisationen, in: Deutsche Liga für das Kind in Familie und Gesellschaft (Hrsg.), Das Jahrhundertunrecht an den Müttern. Plädoyers für Familiengerechtigkeit vor dem Bundesverfassungsgericht am 28. April 1992, 1992, S.51. 204 Vgl. Alois Oberhauser, Familienlastenausgleich und Familienbesteuerung, in: Gerhard Kleinhenz (Hrsg.), Soziale Ausgestaltung der Marktwirtschaft. Die Vervollkommnung einer „Sozialen Marktwirtschaft" als Daueraufgabe der Ordnungs- und Sozialpolitik. Festschrift zum 65. Geburtstag für Prof. Dr. Heinz Lampert, 1995, S. 186f.

Β. Die Anerkennung der Kindererziehung

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auf die Minderung der familialen Lasten in Form der Kinderkosten gerichtet sind. Dazu zählt im wesentlichen das Kindergeld, soweit es als Sozialleistung gewährt wird. In Abgrenzung zu diesem Lastenausgleich bezeichnet der Begriff eines Familienleistungsausgleichs im engeren Sinn die Gesamtheit der staatlichen Leistungen, die der Anerkennung und Honorierung der Leistungen in Form der Kindererziehung und der Kinderbetreuung dienen.205 Dazu zählen das Erziehungsgeld und die öffentliche Subventionierung der außerfamilialen Kinderbetreuung. Nach diesem Verständnis ist zu unterscheiden zwischen einer familiengerechten Besteuerung zur Verwirklichung der Steuergerechtigkeit, einer familiengerechten sozialen Sicherung, die sozialversicherungsrechtliche Folgewirkungen der Kindererziehung vermeidet oder ausgleicht, dem eigentlichen Familienlastenausgleich, der auf den Ausgleich der direkten Kinderkosten gerichtet ist, und dem Familienleistungsausgleich im engeren Sinn, der die Erziehungsleistung anerkennt und dem Ausgleich entgangener Erwerbseinkommen dient. 206 Neben den Begriffen des Familienlastenausgleichs und des Familienleistungsausgleichs werden auch die Begriffe des Kinderlastenausgleichs und des Kinderleistungsausgleichs gebraucht. 207 Diese kinderbezogenen Begriffe haben den Vorzug, die klare Zielsetzung des Ausgleichs allein kinderbedingter Lasten und Leistungen zu veranschaulichen. Sie verdeutlichen die Abgrenzung zu denjenigen Maßnahmen, die unter den weit gefaßten Begriff des Familienlastenausgleichs fallen, aber nicht final für Kinder gewährt werden. Das gilt insbesondere für das Ehegattensplitting. Die Begriffe des Kinderlasten- und des Kinderleistungsausgleichs heben die wesentlichen Funktionen der familienpolitischen Instrumente hervor, nämlich den Ausgleich kinderbedingter Kosten und die Anerkennung der Betreuungs- und Erziehungsleistungen für Kinder. 208 2. Der Anteil staatlicher Leistungen an den Kinderkosten Einen guten Überblick über die öffentlichen Leistungen für die Familie bietet der Bericht der Bundesregierung über die in der Bundesrepublik Deutschland erbrachten Sozialleistungen und ihre Finanzierung, das sogenannte Sozialbudget. Nach 205 Dieses Verständnis liegt vielen Überlegungen zur Neugestaltung des Familienlasten- und Familienleistungsausgleichs zugrunde, vgl. etwa Landesfamilienrat Baden-Württemberg, Entlastung von Familien durch Steuergerechtigkeit und Familienlastenausgleich, 2. Auflage, 1995, S.5ff. 206 Franz-Xaver Kaufmann, Zukunft der Familie im vereinten Deutschland. Gesellschaftliche und politische Bedingungen, 1995, S.207. 207 BVerfGE 99, 216 (217); 99, 246 (264); Jürgen Borchert, Familienlastenausgleich, in: Bernd Baron von Maydell (Hrsg.), Lexikon des Rechts. Sozialrecht, 1986, S. 83; Gerhard Igl, Familienlastenausgleichsrecht, in: Bernd Baron von Maydell/Franz Ruland (Hrsg.), Sozialrechtshandbuch, 2. Auflage, 1996, S. 1439. 208 Vgl. Jürgen Borchert, Familienlastenausgleich, in: Bernd Baron von Maydell (Hrsg.), Lexikon des Rechts. Sozialrecht, 1986, S.84.

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

dem Sozialbudget 1997 beliefen sich die als Leistungen für die Gruppe „Ehe und Familie" ausgewiesenen Beträge auf rund 170 Milliarden DM, das sind 13,5 % des gesamten Sozialbudgets. Anders als die übrigen Länder Nord- und Westeuropas liegt Deutschland hinsichtlich der Aufwendungen für die Familie mit diesem Anteil an der Gesamtheit aller Sozialausgaben deutlich unter dem Durchschnitt der europäischen Länder. Die Entwicklung der Verteilung des Sozialbudgets zeigt außerdem, daß die staatlichen Ausgaben für die Familien im Vergleich zu den Ausgaben für andere Funktionsbereiche sukzessive reduziert werden. 209 Die im Sozialbudget für die Gruppe „Ehe und Familien" ausgewiesenen Leistungen können nicht uneingeschränkt als Leistungen des Kinderlasten- und Kinderleistungsausgleichs im engeren Sinn interpretiert werden. Bestimmte Leistungen, insbesondere die ins Gewicht fallenden Steuerermäßigungen für Kinder, sind überwiegend aus Gründen der Steuergerechtigkeit geboten. Ein Teil der Leistungen, etwa die Familienzuschläge und die Steuerermäßigungen für Ehegatten, fließt auch Ehepaaren zu, die keine Kinder erziehen und versorgen. Er dient nur der Förderung der Ehe, nicht der Familie. 210 Etwa 50 Milliarden DM des Sozialbudgets entfielen auf den seit 1996 geltenden Familienleistungsausgleich. Dieser dient mit seinen Elementen des Kindeigeides und des Kinderfreibetrags überwiegend der verfassungsrechtlich gebotenen Freistellung des Einkommens in Höhe des Existenzminimums eines Kindes im Rahmen des Einkommensteuerrechts. Nur soweit das Kindergeld über den Betrag hinausgeht, der den Familien aufgrund der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums der Kinder zusteht, ist der Entlastungseffekt als Ausgleichsleistung für die Familien zu qualifizieren. 211 Weitere 50 Milliarden D M des Sozialbudgets 1997 entfielen auf sonstige steuerliche Maßnahmen, insbesondere auf Steuerentlastungen nach dem Einkommensteuergesetz. Diese Steuerentlastungen beruhten zu einem großen Teil (rund 42 Milliarden DM) auf den sich bei der Einkommensteuer aus dem Ehegattensplitting erge209 Vgl. Bundesministerium ßr Arbeit und Sozialordnung (BMA), Sozialbericht 1997,1998, S. 198 ff.; Bundesministerium ßr Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S.23; Michael Opielka, Bezahlte Elternschaft. Voraussetzungen und Folgen einer monetären Anerkennung der Erziehungsarbeit durch ein Erziehungsgehalt, in: Andreas Netzler/Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S.98. 210 Vgl. Franz Ruland, Verfassungsrechtliche Vorgaben des Familienlastenausgleichs, in: FuR 1991, S. 314; Jürgen Borchert, Man muß kein Extremist sein... Familie im Transferrecht: Nur ein sozialpolitisches Problem?, in: FuR 1992, S. 88; Heinz Lampert, Priorität für die Familie. Plädoyer für eine rationale Familienpolitik, 1996, S. 167 und 179 ff. 211 1996 entfiel von den Gesamtaufwendungen für das Kindeigeid - insgesamt rund 43,5 Milliarden D M - der größere Teil auf die notwendige einkommensteuerliche Freistellung des Existenzminimums für Kinder. Lediglich rund 18 Milliarden D M dienten der Familienförderung; vgl. Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S.232f.

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benden Steuermindereinnahmen. Sie kommen nicht nur verheirateten Eltern, sondern auch kinderlosen Ehepaaren zugute und dienen nicht dem Ausgleich kindbedingter Lasten.212 Die Familienleistungen der Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz machten rund 6 Milliarden D M des Sozialbudgets aus. Die Leistungen der Sozialhilfe sichern das Existenzminimum eines Menschen. Jeder Mensch, der sich nicht selbst helfen kann oder der die erforderliche Hilfe nicht von anderen erhält, hat Anspruch auf diese staatliche Hilfe. Der Anspruch auf das Existenzminimum leitet sich ab aus Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 1 GG. Diese Verfassungsnormen verpflichten den Staat, dem mittellosen Bürger - auch einem Kind - die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein erforderlichenfalls durch Sozialleistungen zu sichern. 213 Sozialhilfeleistungen sind deshalb keine Maßnahmen des Kinderlastenausgleichs.214 Über 8 Milliarden DM des Sozialbudgets 1997flössen in Leistungen bei Mutterschaft. Diese bestehen zu einem großen Teil aus den Sachleistungen bei der stationären Entbindung. Dazu zählen auch das Mutterschaftsgeld während der Schutzfrist sowie die Entgeltfortzahlungen bei Mutterschaft. Diese Leistungen sind überwiegend Leistungen der Krankenversicherung oder treffen den Arbeitgeber, soweit der durchschnittliche Nettolohn über das Mutterschaftsgeld der gesetzlichen Krankenversicherung hinausgeht. Da das Mutterschaftsgeld nach der Geburt auf das Erziehungsgeld angerechnet wird, wird der Staat in entsprechender Höhe bei der Zahlung des Erziehungsgeldes entlastet.215 Die Familienzuschläge öffentlicher und privater Arbeitgeber beliefen sich auf rund 15 Milliarden DM. Zu den Familienzuschlägen gehören auch Leistungen, die kinderlosen Verheirateten gewährt werden. 30 Milliarden D M des Sozialbudgets 1997 entfielen auf die Kinder- und Jugendhilfe nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz. Dazu zählen die laufenden Ausgaben für Einrichtungen und Dienste der öffentlichen Jugendhilfe, vor allem Kindergärten, sowie die Förderung der Träger der freien Jugendhilfe. Auch die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschußgesetz fallen hierunter. 212 Vgl. Jürgen Borchert, Familienlastenausgleich, in: Bernd Baron von Maydell (Hrsg.), Lexikon des Rechts. Sozialrecht, 1986, S.83; Franziska Vollmer, Das Ehegattensplitting. Eine verfassungsrechtliche Untersuchung der Einkommensbesteuerung von Ehegatten, 1998, S. 103 ff. 213 BVerfGE 40, 121 (133). 214 Vgl. Alois Oberhauser, Familienlastenausgleich und Familienbesteuerung, in: Gerhard Kleinhenz (Hrsg.), Soziale Ausgestaltung der Marktwirtschaft. Die Vervollkommnung einer „Sozialen Marktwirtschaft" als Daueraufgabe der Ordnungs- und Sozialpolitik. Festschrift zum 65. Geburtstag für Prof. Dr. Heinz Lampert, 1995, S. 187 f. 215 Die Anrechnung erfolgt zur Vermeidung von Doppelleistungen gleicher Zweckbestimmung. Da aber das Erziehungsgeld weitergehende Ziele verfolgt, sind auchfiskalische Gründe von Bedeutung; vgl. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA), Einkommensbezogenes Sozialleistungsrecht. Forschungsbericht Nr. 256, 1996, S.325.

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

Die Ausgaben für das Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz als die zentrale Leistung des Kinderleistungsausgleichs beliefen sich auf 7 Milliarden DM. Das sind 4 % aller Leistungen für die Gruppe „Ehe und Familie" und 0,6 % des gesamten Sozialbudgets 1997. Durch die mangelnde Dynamisierung des Erziehungsgeldes hat sein Anteil am Sozialbudget ständig abgenommen. Wahrend die Gesamt-Sozialleistungsquote216 in der Zeit von 1990 bis 1997 von 29 % auf 34,4 % gestiegen ist, sank die Teil-Sozialleistungsquote des Erziehungsgeldes im selben Zeitraum von 0,6 % auf (rundungsbedingte) 0,0 %. 2 1 7 Insgesamtflössen damit lediglich zwischen 70 und 80 Milliarden DM - rund 6 % des gesamten Sozialbudgets - tatsächlich in die Kinderkosten und die Kindererziehung. Demgegenüber hatten die Leistungen für die Alterssicherung das größte Gewicht im Sozialbudget. Die unter der Gruppe „Alter und Hinterbliebene" zusammengefaßten Leistungen machten mit 453 Milliarden D M rund 36 % des Sozialbudgets 1997 aus. Hinzu kamen Leistungen der sozialen Pflegeversicherung, die 1997 bei knapp 30 Milliarden D M lagen.218 3. Die Förderung der Kindererziehung im Rahmen des Kinderleistungsausgleichs a) Die Förderung der Kindererziehung durch das Erziehungsgeld und den Erziehungsurlaub Die ersten Schritte zur Anerkennung der Erziehungstätigkeit und zur Förderung der Kindererziehung wurden mit der Einführung des Erziehungsurlaubs und des Erziehungsgeldes eingeleitet. Das Gesetz über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (Bundeserziehungsgeldgesetz - BErzGG) vom 6. Dezember 1985 wurde am 12. Dezember 1985 verkündet 219 und trat am 1. Januar 1986 in Kraft. Bis zum Jahr 2000 wurde es zweimal neu gefaßt. 220 Das Bundeserziehungsgeldgesetz normiert in seinem ersten Abschnitt (§§ 1 bis 14) die Voraussetzungen für den Bezug des Erziehungsgeldes, das der Gesetzgeber als Sozialleistung im Sin216

Die Sozialleistungsquote ist das in Prozent ausgedrückte Verhältnis des Sozialbudgets zum Bruttoinlandsprodukt. Sie bezeichnet nicht den Anteil der sozialen Leistungen am Bruttoinlandsprodukt, sondern ist eine Beziehungszahl, die eine Relation zwischen den Sozialleistungen und der gesamtwirtschaftlichen Leistung herstellt; vgl. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA), Sozialbericht 1997, 1998, S. 190. 217 Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA), Sozialbericht 1997, 1998, S.291. 218 Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA), Sozialbericht 1997, 1998, S. 196, 209ff. und 224f. 219 BGBl.IS.2154. 220 Fassung vom 21. Januar 1992 (BGBl. IS. 68) und Fassung vom 31. Januar 1994 (BGBl. I S. 180), zuletzt geändert am 21. September 1997 (BGB1.I S.2390 und 2394). Zur Neufassung des Bundeserziehungsgeldgesetzes ab dem Jahr 2001 siehe unten 3. Kapitel A.II.3.

Β. Die Anerkennung der Kindererziehung

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ne des Sozialgesetzbuches qualifiziert hat (Art. I §§ 1,6,25 Abs. 2, Art. II § 1 Nr. 20 SGB I). Der zweite Abschnitt des Bundeserziehungsgeldgesetzes (§§ 15 bis 21) betrifft arbeitsrechtliche Regelungen zum Anspruch auf Erziehungsurlaub für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Kündigungsschutzbestimmungen.221 aa) Das Bundeserziehungsgeld Das Erziehungsgeld wurde ursprünglich für zehn Monate gewährt. Die Bezugsdauer wurde 1987 auf zwölf, dann auf 15 und 1990 auf 18 Monate erhöht. Seit 1993 wird das Erziehungsgeld für jedes Kind zwei Jahre lang gewährt. Der Bezug des Erziehungsgeldes ist nicht an das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses geknüpft. Das Erziehungsgeld beträgt maximal 600 D M monatlich und ist im ersten halben Jahr an eine Einkommensgrenze 222 von 100.000 DM bei Verheirateten und in eheähnlicher Gemeinschaft lebenden Eltern und von 75.000 D M bei anderen Berechtigten gebunden. Ab dem siebten Lebensmonat des Kindes ist das Erziehungsgeld auf niedrigere Einkommen beschränkt. Bis zu einer Einkommensgrenze von 29.400 D M (bzw. 23.700 DM) netto 223 im Jahr bei einem Kind - für jedes weitere Kind erhöhen sich die Einkommensgrenzen um 4.200 DM - wird das volle Erziehungsgeld in Höhe von 600 DM gezahlt. Bei Überschreiten dieser Grenze wird ein Teil des Mehreinkommens auf das Erziehungsgeld angerechnet, so daß dieses gegen Null ausläuft. Je 1.200 D M zusätzlichen Jahresverdienstes vermindert sich das Erziehungsgeld um 40 D M monatlich; Beträge unter 40 D M werden nicht ausgezahlt. Gemindertes Erziehungsgeld erhalten Berechtigte bei einem Kind maximal bis zu einem Einkommen von 46.200DM (bzw. 40.500DM) im Jahr. 224 Da die Betreuung und Erziehung des Kindes die überwiegende Zeit des oder der Berechtigten in Anspruch nehmen soll, ist eine volle Erwerbstätigkeit für den Bezug von Erziehungsgeld nicht zulässig. Eine Teilzeitbeschäftigung von nicht über 221

Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA), Einkommensbezogenes Sozialleistungsrecht. Forschungsbericht Nr. 256,1996, S. 304, sowie die ausführliche Darstellung in Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG), Erziehungsgeld, Erziehungsurlaub und Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Band 243 der Schriftenreihe, 1989, S. 25 ff. und 37 ff. 222 Als Einkommen gilt die Summe der positiven Einkünfte abzüglich der in § 6 BErzGG genannten Beträge. Ursprünglich war das Nettoeinkommen maßgeblich; vgl. § 6 BErzGG a. F. und BT-Drucks. 10/3792, S. 17. 223 Dies entspricht in etwa Bruttobeträgen von 42.000DM bzw. 34.000DM; vgl. Renate Jaeger, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Referat für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S. 053. 224 Gerhard Igl, Familienlastenausgleichsrecht, in: Bernd Baron von Maydell/Franz Ruland (Hrsg.), Sozialrechtshandbuch, 2. Auflage, 1996, S. 1457 ff.; Heinz Lampert, Priorität für die Familie. Plädoyer für eine rationale Familienpolitik, 1996, S. 172f.; Sozialministerium BadenWürttemberg, Familien in Baden-Württemberg. Familienbericht 1998, 1998, S. 320ff. und 849 ff.

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

19 Stunden wöchentlich ist erlaubt. Auch bei der gleichzeitigen Betreuung und Erziehung mehrerer Kinder wird das Erziehungsgeld nur einmal gewährt. Dies gilt sowohl bei Mehrlingsgeburten als auch bei zeitlichen Überschneidungen der Ansprüche. Das Erziehungsgeld ist steuerfrei. Mit Ausnahme der Ausbildungsförderung, des Wohngeldes, der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe schließen sonstige Sozialleistungen wie zum Beispiel Krankengeld, Kurzarbeitergeld, Arbeitslosengeld, Unterhaltsgeld oder vergleichbare Leistungen den Bezug von Erziehungsgeld aus. Auch das Mutterschaftsgeld wird auf das Erziehungsgeld angerechnet. Das Erziehungsgeld wird nur ergänzend gewährt für den Fall, daß das Mutterschaftsgeld geringer ist als das Erziehungsgeld. 225 bb) Das Landeserziehungsgeld Das auf zwei Jahre beschränkte Bundeserziehungsgeld wird zum Teil durch Landeserziehungsgelder ergänzt. Gegenwärtig gibt es Landeserziehungsgeldregelungen in Baden-Württemberg, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Thüringen. Die Landesregelungen gewähren einen Erziehungsgeldanspruch für weitere sechs bis zwölf Monate im dritten Lebensjahr des Kindes. Sie entsprechen in ihren Bezugsvoraussetzungen weitgehend dem Bundeserziehungsgeldgesetz, liegen in der Höhe aber zum Teil unterhalb des Bundeserziehungsgeldes. In Baden-Württemberg beträgt das Landeserziehungsgeld maximal 400 D M monatlich, in Bayern 500 D M und in Sachsen 600 DM. In diesen Ländern wird das Erziehungsgeld ein Jahr lang gezahlt. In Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen beträgt das Landeserziehungsgeld bis zu 600DM, wird aber nur für sechs Monate gewährt. 226 cc) Der Erziehungsurlaub Wer sich aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis heraus der Erziehung und Betreuung seines Kindes widmen will, hat Anspruch auf Erziehungsurlaub. 227 Der An225 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA), Übersicht über das Sozialrecht, 1998, S. 610ff.; Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S. 266 f. 226 Vgl. Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S.269f.; Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA), Übersicht über das Sozialrecht, 1998, S.615f.; Sozialministerium Baden-Württemberg, Familien in Baden-Württemberg. Familienbericht 1998,1998, S. 841 ff. 227 An der Bezeichnung „Erziehungsurlaub" wird vielfach Anstoß genommen, weil der Begriff des Urlaubs suggeriert, daß Kindererziehung eine Freizeitbeschäftigung und nicht mit Arbeit verbunden ist. Bevorzugt werden die Begriffe „Erziehungszeit" oder „Erziehungsarbeitszeit"; vgl. Renate Jaeger, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Referat für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S. Ο 55; Renate Schmidt, Familienpolitik in Deutschland (West) - ein Rückblick und ein

Β. Die Anerkennung der Kindererziehung

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spruch auf Erziehungsurlaub besteht bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes. 228 Seit 1993 ist es Eltern möglich, sich bis zu drei Mal bei der Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs abzuwechseln (§ 16 Abs. 1 BErzGG). Eine gleichzeitige Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs durch Vater und Mutter ist nicht möglich. Wahrend des Erziehungsurlaubs bleibt das Arbeitsverhältnis bestehen. Im Erziehungsurlaub darf dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin grundsätzlich nicht gekündigt werden. Wer vor der Geburt des Kindes in einer gesetzlichen Krankenkasse pflichtversichert war, bleibt beitragsfrei versichert. 229 Während des Erziehungsurlaubs ist eine Teilzeitbeschäftigung bis zu 19 Stunden wöchentlich zulässig (§ 15 Abs. 4 BErzGG). Es besteht allerdings kein Anspruch gegen den Arbeitgeber auf reduzierte Arbeitszeiten. Auch im Anschluß an den Erziehungsurlaub besteht kein Anspruch auf Reduzierung der bisherigen Arbeitszeit. dd) Konzeption und Zielsetzung des Erziehungsgeldes Die Bundesregierung begründete ihren Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub von 1985 mit mehreren familienpolitischen Zielen. Mit der Einführung des Erziehungsgeldes sollte ermöglicht oder erleichtert werden, daß sich ein Elternteil in der ersten Lebensphase eines Kindes dessen Betreuung und Erziehung widmet. Für Mütter und Väter sollte mehr Wahlfreiheit zwischen der Tätigkeit für die Familie und der Erwerbstätigkeit geschaffen werden. Die Erziehungskraft der Familie sollte gestärkt und ihre Erziehungsleistung von der Gemeinschaft anerkannt werden. 230 Die staatliche Anerkennung der Familientätigkeit durch das Erziehungsgeld sollte die gesellschaftliche Position derjenigen stärken, die Familientätigkeit ausüben. Gleichzeitig sollte sie die Entwicklung des Kindes in der ersten Lebensphase bestUrteil: mangelhaft, in: Bernhard Jans/André Habisch/Erich Stutzer (Hrsg.), Familienwissenschaftliche und familienpolitische Signale. Festschrift zum 70. Geburtstag von Max Wingen, 2000, S.469; Wiltraud Beckenbach, Fachtagung Lohn oder Gehalt für Familienarbeit. Modell der Deutschen Hausfrauengewerkschaft e.V., 1997, S. 3. Österreich hat den Wortteil „Urlaub" bereits 1995 aus den Gesetzestexten zum Karenzurlaub und zum Karenzurlaubsgeld gestrichen und gebraucht nun die Begriffe „Karenz" und „Karenzgeld"; vgl. Günter Denk!Helmuth Schattovits, Teilzeitbetreuung von Kindern in Österreich. Eine Bestandsaufnahme zur Orientierung über Formen, Kosten und Finanzierung, 1995, S. 60. Mit der Neufassung des Bundeserziehungsgeldgesetzes ab dem Jahr 2001 hat nun auch der deutsche Gesetzgeber den Begriff des Erziehungsurlaubes aufgegeben und durch den der Elternzeit ersetzt; siehe dazu unten 3. Kapitel A.II. 3. 228 Für Beamte und Richter sieht das geltende Recht Sonderregelungen für die Verlängerung der Beurlaubung von bis zu zwölf Jahren und die Teilzeitbeschäftigung bis zur Hälfte des regelmäßigen Dienstes vor (§ 80 BBG i. V.m. Erziehungsurlaubsverordnung vom 17. Dezember 1985 in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. April 1997, BGBl. I S. 983; § 48 a DRiG). 229 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA), Übersicht über das Sozialrecht, 1998, S.613f. 230 BT-Drucks. 10/3792, S. 1.

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

möglich fördern. Darunter wurde eine ständige Betreuung und Erziehung des Kindes durch eine feste Bezugsperson verstanden, wobei als feste Bezugsperson grundsätzlich die Eltern und nur in Ausnahmefällen andere Personen galten. Die Betreuung und Erziehung des Kindes durch eine feste Bezugsperson in der ersten Lebensphase Schloß nach Auffassung der Bundesregierung einen Vorrang der Betreuung und Erziehung des Kindes vor einer Erwerbstätigkeit der das Erziehungsgeld beanspruchenden Betreuungsperson ein. Dieser Vorrang fand Ausdruck in den §§ 1 und 2 BErzGG, wonach die Betreuungsperson entweder nicht erwerbstätig sein oder nur eine Teilzeitarbeit von geringer Dauer ausüben darf. Das Erziehungsgeld sollte die spezifische finanzielle Belastung junger Familien wenigstens teilweise abfangen und dadurch die Entscheidung der Eltern erleichtern, zugunsten der Familientätigkeit auf Erwerbstätigkeit ganz oder teilweise zu verzichten. Dadurch sollte den Eltern mehr Wahlfreiheit für die Entscheidung zwischen der Tätigkeit in der Familie und außerhäuslicher Erwerbstätigkeit gegeben werden. Auch wurde darauf hingewiesen, daß eine Begünstigung der Familientätigkeit durch Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub und der damit verbundenen Einstellung von Ersatzkräften zu einer Entlastung des Arbeitsmarktes beiträgt. 231 Die Einführung des Erziehungsgeldgesetzes war aber auch eine Reaktion der Familienpolitik auf die Folgen des sozialen Wandels in der Gesellschaft. Die Familie galt und gilt als die wichtigste Instanz für die Kindererziehung, die prinzipiell nicht ersetzbar ist, weil sie Qualitäten aufweist, die in anderen Gruppen oder Institutionen nicht ohne weiteres geschaffen werden können. Allerdings nimmt die Bereitschaft der Menschen, überhaupt Kinder zu haben, immer mehr ab. In vielen Familien sind die zeitlichen und materiellen Ressourcen für das Zusammenleben mit Kindern knapp. Eltern, die sich ausschließlich dem Leben mit Kindern widmen, sind mit dieser Rollenverteilung nicht immer zufrieden. Diese Veränderungen gaben Anlaß für die staatliche Förderung der Erziehungstätigkeit in der Familie. Die Maßnahmen des Erziehungsgeldes und des Erziehungsurlaubs (wie auch der Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung) sollen auch die Bereitschaft der Menschen fördern, Kinder zu haben, die zeitlichen und finanziellen Ressourcen für das Zusammenleben von Eltern und Kindern verbessern und die Erziehungstätigkeit in der Familie anerkennen. Schließlich soll das Erziehungsgeld schwangeren Frauen in wirtschaftlichen Konfliktsituationen die Entscheidung für das Kind erleichtern. 232 231 BT-Drucks. 10/3792, S. 1,13 und 21; vgl. auch Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG), Erziehungsgeld, Erziehungsurlaub und Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Band 243 der Schriftenreihe, 1989, S.22ff.; Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S. 266f. 232 BT-Drucks. 10/3792, S. 1,13 und 21; BT-Drucks. 11/2460, S. 15; Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA), Einkommensbezogenes Sozialleistungsrecht. Forschungsbericht Nr. 256, 1996, S.305f.; Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG), Erziehungsgeld, Erziehungsurlaub und Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim

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Da das Erziehungsgeld auch dann gewährt wird, wenn der oder die Erziehende vor der Geburt des Kindes nicht erwerbstätig war oder wenn nach dem Bezug von Erziehungsgeld eine Erwerbstätigkeit nicht beabsichtigt ist, das Erziehungsgeld also weder vom Bestehen eines Arbeits- noch eines Sozialversicherungsverhältnisses abhängt, hat es keine Lohnersatzfunktion. Hauptzweck des Erziehungsgeldes ist vielmehr die finanzielle Anerkennung der familiären Erziehungsleistung. Gleichzeitig soll es die Mutter oder den Vater zum zeitweiligen Verzicht auf die Berufstätigkeit motivieren. 233 Das familienpolitisch motivierte Erziehungsgeld ist nicht als subsidiäre Sozialleistung konzipiert, die einen vorrangigen Einsatz eigener finanzieller Ressourcen zwingend gebieten würde. Dennoch hat der Gesetzgeber das Erziehungsgeld einkommensabhängig ausgestaltet, da es als steuerfinanzierte Sozialleistung nicht solchen Personen zukommen soll, die darauf nicht angewiesen sind. In der einkommensbedingten Minderung oder dem Wegfall des Erziehungsgeldes sah der Gesetzgeber bei Beziehern höherer Einkommen keine Beeinträchtigung der Wahlfreiheit zwischen der Erwerbstätigkeit und der Kinderbetreuung in der Familie. 234 ee) Wirkungen des Erziehungsgeldes Trotz der großen Zahl der Erziehungsgeldberechtigten haben die seit 1986 unveränderten Einkommensgrenzen dazu geführt, daß immer mehr potentiell Empfangsberechtigte aus dem Anwendungsbereich des Erziehungsgeldgesetzes herausfallen. 235 Bei Einführung des Erziehungsgeldes 1986 orientierten sich die Einkommensgrenzen für den Bezug des vollen Erziehungsgeldes ab dem siebten Lebensmonat des Kindes am durchschnittlichen Nettolohn aller Arbeitnehmer. Der durchschnittliche Nettolohn betrug damals 2.100 DM, die Einkommensgrenze für das Erziehungsgeld wurde auf 2.450DM festgelegt. Seitdem wurden sie nicht mehr erhöht. Heute erhalten über das erste halbe Jahr hinaus nur noch diejenigen Familien das volle Erziehungsgeld, deren Einkommen etwa auf Höhe des Existenzminimums liegt. 236 Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Band 243 der Schriftenreihe, 1989, S. 157f. und 209ff.; Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S.266f. 233 BT-Drucks. 10/3792, S. 1,13 und 21; BT-Drucks. 11/2460, S. 15; Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA), Einkommensbezogenes Sozialleistungsrecht. Forschungsbericht Nr. 256, 1996, S. 305 f. 234

BT-Drucks. 10/3792, S. 13; BT-Drucks. 11/2460, S. 15; Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA), Einkommensbezogenes Sozialleistungsrecht. Forschungsbericht Nr. 256,1996, S.306. 235 Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S.271; Sozialministerium Baden-Württemberg, Familien in Baden-Württemberg. Familienbericht 1998, 1998, S.324. 236 Vgl. Renate Jaeger, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Referat für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S.054f. 6 Tünnemann

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

Während 1987 noch über 80% der Eltern ungemindertes Erziehungsgeld erhielten, bezogen 1995 nur noch rund die Hälfte der Erziehungsgeldempfänger das volle Erziehungsgeld auch nach Vollendung des sechsten Lebensmonats des Kindes. Für etwa 15 % entfiel der Anspruch ab diesem Zeitpunkt ganz. In der Folge wurde das Erziehungsgeld immer mehr zu einer Sozialleistung für bedürftige Familien. 237 Die hohe Inanspruchnahme des einkommensabhängigen Erziehungsgeldes belegt zugleich die zum Teil prekäre finanzielle Situation vieler Familien. 1994 bezogen rund 56 % der Antragsteller nach dem sechsten Monat Erziehungsgeld in ungeminderter Höhe, das heißt ihr Bruttoeinkommen lag unter 3.500 DM im Monat. Insgesamt erhielten 85 % der Antragsteller nach dem sechsten Monat überhaupt Erziehungsgeld. Ihr Brutto-Haushaltseinkommen befand sich damit unterhalb der Ausschlußgrenze von 5.400 D M monatlich. 238 Das Erziehungsgeld, das ebenfalls seit 1986 nicht mehr erhöht wurde, hat in seinem Realwert über 25 % eingebüßt. Selbst wenn lediglich die ursprüngliche Kaufkraft des Erziehungsgeldes wiederhergestellt werden sollte, müßte das Erziehungsgeld auf etwa 750 bis 800 DM angehoben werden. Wegen seiner geringen Höhe gewährleistet das Erziehungsgeld nicht die wirtschaftliche Eigenständigkeit und Unabhängigkeit des oder der Erziehenden. 1995 betrug das Erziehungsgeld nur etwa ein Viertel des Nettoerwerbseinkommens einer zuvor vollzeitbeschäftigten Arbeiterin in einem Niedriglohnbereich. Das Erziehungsgeld ist nicht existenzsichernd und setzt voraus, daß der oder die Erziehende den Lebensunterhalt vom anderen Elternteil oder - wegen der nur in geringem Umfang zulässigen Erwerbstätigkeit - vom Sozialamt bezieht.239 Besonders problematisch gestaltet sich das dritte Lebensjahr des Kindes, insbesondere in den Bundesländern, in denen kein sich an des Bundeserziehungsgeld anschließendes Landeserziehungsgeld gewährt wird. Dieser Altersjahrgang hat noch keinen Anspruch auf einen Kindergartenplatz. Die Versorgung mit Krippenplätzen ist in der Regel unzureichend. Wegen der geringen Höhe des Erziehungsgeldes und wegen der nur beschränkten Zulässigkeit einer Teilzeitbeschäftigung besteht außerdem kein Anreiz für die Väter, die Familien- und Erwerbsarbeit partnerschaftlich zu teilen. 240 1994 waren nur 2 %

237 Deutscher Familienverband (DFV), Stellungnahme des Deutschen Familienverbandes zu Reformvorschlägen für Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub anläßlich der Anhörung des Bundestagsausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 11. Juni 1997,1997, S. 2; Sozialministerium Baden-Württemberg, Familien in Baden-Württemberg. Familienbericht 1998, 1998, S.504; Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S.270f. 238 Vgl. Michael Opielka, Bezahlte Elternschaft. Voraussetzungen und Folgen einer monetären Anerkennung der Erziehungsarbeit durch ein Erziehungsgehalt, in: Andreas Netzler/Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S.94. 239 Ellen Kirner, Zum System der Förderung von Kinderbetreuung und Kindererziehung in der Familie durch staatliche Transferleistungen, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S. 132. 240 Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG), Erzie hungsgeld, Erziehungsurlaub und Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversiche-

Β. Die Anerkennung der Kindererziehung

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der Erziehungsgeldempfänger Männer; der größte Teil von ihnen war vor dem Bezug nicht erwerbstätig. Der Anteil der Männer an den abhängig Beschäftigten im Erziehungsurlaub lag 1994 bei knapp 1,5 %, 1996 bei 1,4%. Als Gründe für die mangelnde Beteiligung am Erziehungsurlaub gibt die große Mehrzahl der Vater an, daß das Erziehungsgeld zu gering ist, um den Einkommensverlust abzugleichen. 241 Die finanziellen Gründe sind entscheidender als die berufliche Situation oder die gesellschaftlichen Vorurteile. Bei der großen Mehrheit der Familien verdient der Mann deutlich mehr als die Frau und das Erziehungsgeld würde nicht ausreichen, um die Einbußen auch nur annähernd auszugleichen, die entstünden, wenn der Mann zugunsten der Erziehungsarbeit die Erwerbsarbeit unterbrechen würde. Es nehmen fast ausschließlich diejenigen Männer Erziehungsurlaub, deren Partnerinnen ein gleich hohes oder ein höheres Einkommen erzielen. Auch für die Frauen spielen die finanziellen Gründe eine erhebliche Rolle bei der Entscheidung, den Erziehungsurlaub allein zu nehmen und nicht partnerschaftlich aufzuteilen. Die Entscheidung, wer von den Partnern Erziehungsurlaub nimmt, wird in den meisten Fällen nach dem Prinzip der Verlustminimierung gefällt. 242 Viele Frauen haben aber auch den Wunsch, ihr Kind - zumindest zunächst - ausschließlich selbst zu betreuen. Der Vorschlag einer zwangsweisen Einbindung der Väter in den Erziehungsurlaub stößt bei ihnen eher auf Ablehnung. 243 Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub bieten somit starke Anreize für eine Erwerbsunterbrechung, die mit mittel- und langfristigen Folgekosten monetärer und nichtmonetärer Art verbunden ist. Die Regelungen des Bundeserziehungsgeldgesetzes orientieren sich primär an der sukzessiven Vereinbarung von Beruf und Familie. Der berufliche Wiedereinstieg ist aber oft mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Kinderbedingte Erwerbsunterbrechungen stellen häufig nicht nur Lücken im Erwerbsverlauf, sondern einen folgenschweren Bruch in der Erwerbsbiographie

rung. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Band 243 der Schriftenreihe, 1989, S.203; Sabine Hildebrandt-Woeckel, Karrierefalle Erziehungsurlaub, 1999, S. 10 und 52. 241 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Optionen de Lebensgestaltung junger Ehen und Kinderwunsch, Band 128.2 der Schriftenreihe, 1996, S. 16; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Väter und Erziehungsurlaub, Band 179 der Schriftenreihe, 1999, S.26; Michael Opielka, Das Konzept „Erziehungsgehalt 2000", in: Aus Politik und Zeitgeschichte Β 3-4/2000, S. 18 f.; Michael Opielka, Bezahlte Elternschaft. Voraussetzungen und Folgen einer monetären Anerkennung der Erziehungsarbeit durch ein Erziehungsgehalt, in: Andreas Netzler/Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S. 118. 242 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Väter und Er ziehungsurlaub, Band 179 der Schriftenreihe, 1999, S.64f., 106 und 152; Ellen Kirner, Zum System der Förderung von Kinderbetreuung und Kindererziehung in der Familie durch staatliche Transferleistungen, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S. 132. 243 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Väter und Er ziehungsurlaub, Band 179 der Schriftenreihe, 1999, S. 28 f. *

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft 244

dar. Der auf das Phasenmodell ausgerichtete Erziehungsurlaub verschärft die Probleme auf beruflicher Ebene um so mehr, je länger er dauert. Eine Erwerbstätigkeit während des Erziehungsurlaubs ist nur in sehr engen Grenzen möglich und das Problem der Wiedereingliederung von Berufsrückkehrerinnen wird vom Erziehungsgeldgesetz nicht erfaßt. Auch das Arbeitsförderungsgesetz bietet insoweit kaum Ansätze.245 Trotz des Kündigungsschutzes während des Erziehungsurlaubs kehren viele Frauen nicht an ihren Arbeitsplatz oder überhaupt in das Erwerbsleben zurück. Das mangelnde Betreuungsangebot für Kinder ab dem dritten Lebensjahr zwingt weiterhin zu einer Reduzierung der Erwerbsarbeitszeit. Die Wiedereinstiegsgarantie gilt jedoch nur für die ursprüngliche Erwerbsarbeitszeit. Ein Anspruch auf Teilzeitarbeit besteht nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz beim Wedereinstieg in das Berufsleben nicht. 246 Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub richten sich zudem nur an eine Berechtigungsperson. Das Bundeserziehungsgeldgesetz geht systematisch davon aus, daß sich ausschließlich ein Elternteil der Kindererziehung widmet. Der Erziehungsurlaub wird gewährt, damit das Kind eine ständige Betreuungsperson hat. Dies wird als gegeben erachtet, wenn ein Elternteil - allenfalls in Abwechslung mit dem anderen Elternteil - nicht erwerbstätig ist. 247 Partnerschaftliche Familienmodelle, bei denen sich beide Elternteile gemeinsam der Familienarbeit annehmen, werden durch das Gesetz nicht unterstützt und führen sogar zu Nachteilen.248

b) Die öffentliche

Förderung von Kinderbetreuungseinrichtungen

Im Zusammenhang mit der öffentlichen Förderung der institutionellen Kinderbetreuung ist ein Zielkonflikt entstanden, der sich bei Einführung des Erziehungsgeldes noch kaum realisierte. Ein ganztägiger Krippenbesuch des Kindes steht im Widerspruch zu der in § 1 Abs. 1 Nr. 3 BErzGG formulierten Anspruchsvoraussetzung, daß der Empfänger des Erziehungsgeldes das Kind selbst betreut und erzieht. Während manche Eltern wegen eines nur knapp über den Einkommensgrenzen liegen244

Sozialministerium Baden-Württemberg, Familien in Baden-Württemberg. Familienbericht 1998,1998, S. 322 ff.; Rolf Birk, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Gutachten E für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S. E 69 ff. 245 Marita Körner-Dammann, Veränderte Erwerbs- und Familienstrukturen als Voraussetzung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, in: NJW 1994, S.2059. 246 Vgl. Sabine Hildebrandt-Woeckel, Karrierefalle Erziehungsurlaub, 1999, S. 12. 247 BT-Drucks. 10/3792, S. 19. 248 Vgl. Ellen Kirner, Zum System der Förderung von Kinderbetreuung und Kindererziehung in der Familie durch staatliche Transferleistungen, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S. 132; Renate Jaeger, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Referat für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S.055.

Β. Die Anerkennung der Kindererziehung

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den Einkommens weniger oder kein Erziehungsgeld bekommen, obwohl sie ihre Kinder selbst betreuen möchten oder mangels geeigneter Einrichtungen selbst betreuen müssen, erhalten andere Eltern das volle Erziehungsgeld, obwohl sie einen - in der Regel öffentlich subventionierten - Krippenplatz nutzen. Die staatliche Förderung für die Betreuung dieser Kinder kann sich auf über 1.600 DM im Monat summieren: 1.000 DM und mehr kostet die Finanzierung eines Kinderkrippenplatzes, dazu kommen bis zu 600 D M Erziehungsgeld. Dagegen erfahren viele in der Praxis genutzte Möglichkeiten der familienergänzenden Kinderbetreuung, etwa die Unterstützung durch die Großeltern und andere Angehörige oder die in Eigeninitiative der Eltern gegründeten Betreuungsformen, keine staatliche Unterstützung. Während diejenigen, die Einrichtungen der außerhäuslichen Kleinkindbetreuung in Anspruch nehmen, im wirtschaftlichen Ergebnis relativ hohe öffentliche Subventionen erhalten, gehen die Realtransfers an den Familien vorbei, die ihre Kinder selbst betreuen. 249 Nach bundesweiten Erfahrungen haben etwa 20 % der Familien mit Kindern unter drei Jahren Bedarf an einem Betreuungsplatz in einer Ganztageseinrichtung. Die Versorgungsquote bei Krippenplätzen lag 1990 in den alten Bundesländern aber nur bei 2,7 %, in den neuen Bundesländern dagegen bei 56,4 %. 1994 lag die Versorgungsquote für diese Altersjahrgänge in den alten Bundesländern bei 2,2%. In den neuen Bundesländern ist die Versorgungsquote auf 41,3 % gesunken. Kindergartenplätze waren 1990 in den neuen Bundesländern für 78,3 % der Kinder vorhanden, in den neuen Bundesländern für 113 %. 1994 lagen die Quoten bei 73 % im Westen und 96,2 % im Osten. Die Versorgungsquote bei Hortplätzen für Schulkinder lag 1990 in den alten Bundesländern bei 5 %, in den neuen Bundesländern bei 88 %. 1994 lagen die Quoten bei 3,5 % und 22,6 %. 2 5 0 Seit 1996 hat jedes Kind gemäß § 24 SGB VIII vom vollendeten dritten Lebensjahr an bis zum Schuleintritt Anspruch auf den Besuch eines Kindeigartens. Außerdem sind für Kinder im Alter unter drei Jahren und für Kinder im schulpflichtigen Alter nach Bedarf Plätze in Tageseinrichtungen vorzuhalten. Dabei handelt es sich

249 Hans Geisler/Simone Wenzler, Die politische Bedeutung des Erziehungsgehaltes vor dem Hintergrund eines zukunftsorientierten Verständnisses von Arbeit, 1999, S. 13 f.; Max Wingen, Aufwertung der elterlichen Erziehungsarbeit in der Einkommensverteilung. Grundlagen, Möglichkeiten und Grenzen eines „Erziehungseinkommens", in: Aus Politik und Zeitgeschichte Β 3-4/2000, S. 3 f. In Baden-Württemberg wurden 1994 für die 1.515.307 Kinder unter zwölf Jahren 413.157 Betreuungsplätze unterhalten. Die Ausgaben für die Kinderkrippen, Kindergärten und Kinderhorte in Höhe von 467,2 Millionen DM kamen nur dem knappen Drittel aller Kinder zugute, die eine öffentliche Betreuung in Anspruch nahmen; vgl. Sozialministerium Baden-Württemberg, Familien in Baden-Württemberg. Familienbericht 1998, 1998, S.528, 536, 542 und 882. 250 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien un Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S. 190; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Zehnter Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation von Kindern und die Leistungen der Kinderhilfen in Deutschland, 1998, S. 194.

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

nicht um unverbindliche Regelungen, sondern um eine objektiv-rechtliche Verpflichtung der zuständigen Behörden, der zwar kein subjektiv-rechtlicher Anspruch des Kindes gegenübersteht, deren Einhaltung aber durch die zuständige Rechtsaufsichtsbehörde durchgesetzt werden kann. 251 Die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände veranschlagte in einer Stellungnahme von 1992 die Kosten für die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf den Besuch eines Kindergartens mit 21 Milliarden D M an Investitionen und 4 Milliarden D M an jährlichen Betriebskosten. Nehme man die notwendigen Einrichtungen für Kinder unter drei Jahren und für schulpflichtige Kinder hinzu und gehe man davon aus, daß etwa 20 % der entsprechenden Altersjahrgänge auf Tageseinrichtungen angewiesen sind, so würde sich nach den Schätzungen der kommunalen Spitzenverbände ein Betrag von 42 Milliarden D M an Investitionsbedarf und von 11 Milliarden D M an jährlichen Betriebskosten ergeben. 252 I I I . Familienpolitiken im Vergleich 1. Die Familienpolitik der Deutschen Demokratischen Republik Die Familienpolitik in der Deutschen Demokratischen Republik als einem sozialistischen Staat unterschied sich grundlegend von der Familienpolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Die DDR hatte ein umfassendes Konzept zur Förderung der Familien, das allerdings nicht primär auf familienpolitischen, sondern auf frauen-, kinder-, bevölkerungs- und beschäftigungspolitischen Motiven beruhte und der sozialistischen Ideologie folgte. Ziel war die umfassende Einbeziehung der Frauen in den Produktionsprozeß, die möglichst frühe Einbindung der Kinder in die staatlichen Institutionen sowie die Erhöhung der Geburtenrate. 253 Wenngleich die wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Ziele für die sozialund familienpolitischen Maßnahmen der DDR eine maßgebliche Rolle spielten, bleibt doch der Befund, daß die DDR im Verhältnis zu ihren ökonomischen Möglichkeiten erhebliche finanzielle Mittel für die Familien einsetzte.254 Zur allgemeinen finanziellen Förderung der Familien in der DDR gehörten eine Geburtenprämie 251

Maximilian Fuchs, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Gutachten F für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S.F79. 252 BT-Drucks. 12/2875, S. 129f. 253 Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG), hungsgeld, Erziehungsurlaub und Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Band 243 der Schriftenreihe, 1989, S. 106 ff.; Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S.31 ff.; Rolf Birk, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Gutachten E für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S.E46f. 254 Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S.35f.

Erzie

Β. Die Anerkennung der Kindererziehung

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in Höhe von 1.000 Mark und Kindergeld in Höhe von zuletzt 50 Mark für das erste, 100 Mark für das zweite und 150 Mark für das dritte und jedes weitere Kind. Außerdem gab es finanzielle Hilfen für Mütter in besonderen Lebenslagen sowie beitragsfreie familien- und kinderzahlorientierte Sozialleistungen, zum Beispiel Sachleistungen, kinderzahlbezogenes Krankengeld oder die Anerkennung von Zeiten des Müttergeldbezugs als rentenanspruchsbegründende versicherungspflichtige Tätigkeit. Dazu kamen steuerliche Entlastungen, die pro Kind etwa 50 Mark im Monat ausmachten, sowie eine familienfreundliche Festlegung der Preise für Grundnahrungsmittel, Baby- und Kinderbekleidung und ähnliche Gebrauchsgüter. Aufgrund dieser Maßnahmen wurde die ökonomische Situation auch einkommensschwächerer Haushalte durch Kinder nicht wesentlich verschlechtert. 255 Die kinderbedingten Kosten wurden weitgehend vom Staat übernommen. Ende der 80er Jahre lag der Anteil staatlicher Leistungen an den Aufwendungen für Kinder bei etwa 80 % und damit deutlich höher als in der alten Bundesrepublik, wo der Anteil öffentlicher Leistungen an den Kinderkosten auf etwa 10 % geschätzt wurde. 256 Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wurde durch zahlreiche Urlaubsregelungen und insbesondere durch den Aufbau einesflächendeckenden Krippen- und Kindergartensystems mit ganztägigen Aufenthaltsmöglichkeiten für Kinder gefördert. 1989 lag die Versorgungsquote für ein- bis zweijährige Kinder bei 84%, für Kinder bis zu drei Jahren bei 56 %, für Kinder im Kindergartenalter bei 113 % und für Kinder im Grundschulalter bei 80%. Die Kinderkrippen, Kindergärten und Kinderhorte waren in der Regel ab sechs Uhr morgens für neun bis elf Stunden geöffnet. Die Unterbringung war grundsätzlich kostenlos, die Eltern beteiligten sich in der Regel mit einer Mark pro Tag an den Verpflegungskosten. 257 Anders als die hohe Erwerbsbeteiligung der Frauen vermuten läßt, war die partnerschaftliche Arbeitsteilung in der Familie jedoch nicht sehr weit gediehen. Vielmehr kam es in der DDR noch zu einer Verfestigung der herkömmlichen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, und zwar gerade auch durch die staatliche Familienpolitik, deren Maßnahmen sich überwiegend an die Frauen richteten. Gefördert wurde die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Mutterschaft, nicht die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Elternschaft. Die Doppelbelastung durch Beruf und Familie traf allein die Frauen, die meisten Regelungen zur Vereinbarkeit von Fami-

255 Bundesministerium ßr Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S. 30f.; Heinz Lampert, Priorität für die Familie. Plädoyer für eine rationale Familienpolitik, 1996, S. 202ff.; Irene Gerlach, Familie und staatliches Handeln. Ideologie und politische Praxis in Deutschland, 1996, S.227ff. und 272ff. 256 Vgl. Bundesministerium ßr Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S.93; Max Wingen, Familie-ein vergessener Leistungsträger?, 1995, S.67, 291 und 294. 257 Maximilian Fuchs, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Gutachten F für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S.F43.

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

lie und Beruf bezogen sich ausdrücklich nur auf Mütter. 258 Die berufstätige Mutter erhielt bei der Geburt des ersten Kindes eine bezahlte Freistellung bis zur Vollendung des zwölften Lebensmonats des Kindes. Ab dem dritten Kind verlängerte sich die Freistellung auf 18 Monate. Die Mütterunterstützung wurde als Lohnersatzleistung gezahlt und belief sich je nach Zahl der Kinder auf 50 % bis 90 % des durchschnittlichen Nettoverdienstes. Dem Vater stand eine Freistellung nur im Ausnahmefall zu.

2. Die Förderung der Kindererziehung im europäischen Ausland Die Familienpolitik nimmt in den Ländern Europas einen unterschiedlichen Stellenwert ein. Welches Gewicht die einzelnen Länder der Familienpolitik beimessen, zeigen zum Beispiel die jeweiligen Ausgaben für die Familienpolitik im Vergleich zu den jeweiligen Ausgaben für die Sozialpolitik und zu den Gesamtausgaben des Staates. Die skandinavischen Länder Schweden, Dänemark, Finnland und Norwegen zählen zu den Ländern mit hohen Staatsausgaben sowohl für die Sozialpolitik insgesamt als auch für die Familienpolitik. In Großbritannien, Irland, Belgien und Frankreich liegen die Ausgaben für Familien im mittleren Bereich, bei mittleren bzw. hohen Ausgaben für die Sozialpolitik insgesamt. Die Niederlande, Österreich und Deutschland haben zwar insgesamt hohe Sozialausgaben, die Ausgaben für die Familienpolitik sind jedoch niedrig. In Südeuropa sind bereits die Sozialausgaben insgesamt niedrig und die Ausgaben für die Familienpolitik sehr niedrig. 259 Im Vergleich zu Deutschland investieren andere europäische Länder ein Vielfaches in die familienergänzende Kinderbetreuung. Vor allem in den skandinavischen Ländern besteht ein gut ausgebautes Angebot an sozialen Dienstleistungen für Kinder. Anfang der neunziger Jahre besuchten in Dänemark von 100 Kindern 48 eine Kinderkrippe, in Schweden 33 und in Belgien 30, in Westdeutschland waren es gerade zwei. Zur selben Zeit hatten in Frankreich 99 von 100 Kindern zwischen drei und sechs Jahren einen Kindergartenplatz, in Belgien 95, in Italien 91 und in Spanien 84, in Westdeutschland 78. Auch das Betreuungsangebot für schulpflichtige Kinder ist in Westdeutschland mangelhaft. Nur für 5 % der Kinder stehen Hortplätze zur Verfügung. In Dänemark und Schweden werden zwei Drittel der Kinder auch mittags in der Schule versorgt. In Frankreich, Großbritannien und Belgien sind die Schulen regelmäßig von 8.30 bis 16.30 Uhr geöffnet. Es gibt Mittagessen und eine Aufsicht außerhalb der Schulstunden. In Großbritannien wird den Schülern nachmittags ein umfassendes Sportprogramm geboten und in Belgien besuchen Kinder 258

Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S. 123 f.; Sabine Hildebrandt-Woeckel, Karrierefalle Erziehungsurlaub, 1999, S.26f. 259 Thomas Bahle, Familienarbeit und Typen der Familienpolitik in Europa, in: Andreas Netzler/Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S. 128; Bundesministerium für Familie und Senioren (BMFuS), Zwölf Wege der Familienpolitik in der Europäischen Gemeinschaft, Band 22.1 der Schriftenreihe, 1993, S. 167 f.

Β. Die Anerkennung der Kindererziehung

89

nach der Schule Ateliers, in denen unterschiedliche Freizeitbeschäftigungen angeboten werden. Auch in den Ferien ist für Betreuung gesorgt. 260 Je nach familienpolitischer Zielsetzung lassen sich in den europäischen Ländern drei Systeme von Erziehungsgeldregelungen unterscheiden. Es gibt zum einen Länder, in denen das Erziehungsgeld aus speziellen Versicherungssystemen gespeist wird, als Lohnersatzleistung gedacht ist und von daher hoch ausfällt oder zumindest ausfallen kann. Dazu gehören Dänemark, Norwegen und Schweden. In diesen Ländern ist der Erziehungsurlaub eher kurz, weil vor allem die zeitgleiche Vereinbarkeit von Familie und Beruf gefördert werden soll und eine längere Berufsunterbrechung aus Gründen der Chancengleichheit der Geschlechter auf dem Erwerbsarbeitsmarkt nicht als vorteilhaft angesehen wird. In anderen Ländern beruhen die Erziehungsgeldzahlungen ausschließlich auf staatlichen Transferzahlungen, die an alle Eltern, und nicht nur an erwerbstätige Mütter und Väter gezahlt werden. Diese Zahlungen werden vor allem als Anerkennung der Erziehungsleistung innerhalb der Familie verstanden und fallen relativ niedrig aus. Der Erziehungsurlaub ist vergleichsweise lang. Zu diesen Ländern gehören neben Deutschland und Luxemburg auch Polen und Tschechien. In Belgien, Finnland, Frankreich, Italien und Österreich bestehen Mischsysteme, die sowohl Elemente der Lohnersatzleistung als auch Elemente der Anerkennung familiärer Erziehungsleistung enthalten. Keine entsprechenden Leistungen gibt es in Griechenland, Irland, Portugal, Spanien, in der Schweiz und im Vereinigten Königreich; die Niederlande haben bislang keine gesetzlichen, aber tarifliche Regelungen.261 Im folgenden sind die Regelungen der Länder skizziert, welche die Erziehungstätigkeit der Familien in irgendeiner Form finanziell berücksichtigen. 262

260

Sabine Hildebrandt-Woeckel, Karrierefalle Erziehungsurlaub, 1999, S.62f. Vgl. die Länderberichte in Bundesministerium ßr Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJj, Übersicht über die gesetzlichen Maßnahmen in den EU-Ländern bei Erziehung von Kleinkindern, Band 158 der Schriftenreihe, 1998, S. 11 ff. und 112f.; Bundesministerium ßr Arbeit und Sozialordnung (BMA), Euroatlas. Soziale Sicherheit im Vergleich, 1998, S. 20ff.; Susanne Schunter-Kleemann, Wohlfahrtsstaat und Patriarchat - Ein Vergleich europäischer Länder, in: Susanne Schunter-Kleemann (Hrsg.), Herrenhaus Europa-Geschlechterverhältnisse im Wohlfahrtsstaat, 1992, S. 141 ff.; Sabine Hildebrandt-Woeckel, Karrierefalle Erziehungsurlaub, 1999, S. 139ff. 262 Vgl. die Überblicke in Bundesministerium ßr Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Übersicht über die gesetzlichen Maßnahmen in den EU-Ländern bei Erziehung von Kleinkindern, Band 158 der Schriftenreihe, 1998, S. 11 ff. und 112f.; Bundesministerium ßr Arbeit und Sozialordnung (BMA), Euroatlas. Soziale Sicherheit im Vergleich, 1998, S. 20ff.; Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S. 274ff.; Schweizerischer Bundesrat, Botschaft zum Bundesgesetz über die Mutterschaftsversicherung (MSVG) vom 25. Juni 1997, S.22ff. und 117 ff. Nicht berücksichtigt sind die Regelungen zum Mutterschutz. Gemäß der EU-Richtlinie 92/85/EWG vom 19. Oktober 1992, ABl. EG 1992 Nr. L 348/1, muß bei Mutterschaft ein Mindesturlaub von 14 Wochen und ein Arbeitsentgelt oder eine angemessene Sozialleistung während dieser Zeit gewährt werden. Diese Richtlinie ist in allen Mitgliedstaaten umgesetzt. Die meisten europäischen Länder gewähren Mutter261

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft a) Belgien

In Belgien besteht kein gesetzlicher Anspruch auf Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhalten aber bei einer durch den Arbeitgeber genehmigten Beurlaubung aus der Arbeitslosenversicherung einen Pauschalbetrag in Höhe von 10.928 bfr (530 DM) 2 6 3 pro Monat im Falle einer Vollzeitbeurlaubung oder von 5.464bfr (265 DM) im Falle einer Halbtagsbeschäftigung. Die Bezugsdauer beträgt zwischen drei und zwölf Monaten.264 b) Dänemark Dänemark hat eine hohe Frauenerwerbsbeteiligung zu verzeichnen. Eine wesentliche Vorbedingung für die hohe Berufstätigkeit der Frauen stellen die gut ausgebauten öffentlichen Kinderbetreuungseinrichtungen dar. Für rund die Hälfte der Kinder bis zu drei Jahren und für fast alle Kinder bis zu sechs Jahren gibt es öffentlich finanzierte ganztägige Betreuungsmöglichkeiten im organisierten Tagesmutterdienst, in Kinderkrippen oder Tagesstätten.265 In Dänemark besteht nach Ablauf des Mutterschaftsurlaubs von 18 Wochen ein Grundanspruch auf Erziehungsurlaub von zehn Wochen, der wahlweise von der Mutter oder dem Vater in Anspruch genommen werden kann. Bis zum neunten Lebensjahr des Kindes hat jeder Elternteil einen individuellen Anspruch auf eine sechsmonatige Freistellung. Eine Verlängerung um weitere sechs Monate je Elternteil ist mit Zustimmung des Arbeitgebers möglich. Ein gesetzlicher Anspruch auf Erziehungsgeld besteht während des zehnwöchigen Grundanspruchs auf Erziehungsurlaub. Diese Lohnfortzahlung entspricht maximal dem Höchstbetrag des Arbeitslosengeldes in Höhe von 2.625 dkr (690 DM) wöchentlich. Wahrend der Freistellung über den zehnwöchigen Grundanspruch hinaus erhalten die Eltern die Vergütung in Form eines Pauschalbetrages in Höhe von 60 % des Höchstbetrages des Arbeitslosengeldes, etwa 1.575 dkr (414 DM) pro Woche. Sowohl das Erziehungsgeld als auch die Pauschalvergütung werden aus der steuerfinanzierten Sozialversicherung erstattet. 266

schaftsurlaub und Mutterschaftsgeld während der letzten Wochen vor und einiger Wochen nach der Geburt eines Kindes. Die Dauer liegt in der Regel zwischen 14 und 16 Wochen. 263 Das in Deutschland einkommensabhängig gewährte Erziehungsgeld beträgt maximal 600 DM im Monat. 264 Bundesministeriumßr Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Übersicht über die gesetzlichen Maßnahmen in den EU-Ländern bei Erziehung von Kleinkindern, Band 158 der Schriftenreihe, 1998, S. 13 f. 265 Susanne Schunter-Kleemann, Wohlfahrtsstaat und Patriarchat - Ein Vergleich europäischer Länder, in: Susanne Schunter-Kleemann (Hrsg.), Herrenhaus Europa-Geschlechterverhältnisse im Wohlfahrtsstaat, 1992, S. 181. 266 Bundesministerium ßr Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Übersicht über die gesetzlichen Maßnahmen in den EU-Ländern bei Erziehung von Kleinkindern, Band 158

Β. Die Anerkennung der Kindererziehung

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c) Finnland In Finnland besteht ein gesetzlicher Anspruch auf Erziehungsurlaub. Anspruchsberechtigt sind alle erwerbstätigen Mütter oder Väter, die ihr Kind nach Ablauf des Mutterschutzes selbst betreuen. Unmittelbar nach dem Mutterschaftsurlaub kann entweder die Mutter oder der Vater den Erziehungsurlaub von sechseinhalb Monaten in Anspruch nehmen. Die Eltern können sich bei der Inanspruchnahme bis zu zweimal abwechseln. Wahrend des Erziehungsurlaubs werden Geldleistungen in Höhe von durchschnittlich 66 % des bisherigen Einkommens gewährt, mindestens jedoch ein Betrag von 1.500 Fmk (494 DM) monatlich. Bei Teilzeitbeschäftigung während des Erziehungsurlaubs erhält der erziehende Elternteil ein Erziehungsgeld von mindestens 1.320 Fmk (434 DM) monatlich. Nach dem Erziehungsurlaub können Mutter oder Vater bis zum dritten Lebensjahr des Kindes Kinderbetreuungsurlaub nehmen. Wahrend dieser Zeit wird ein Kinderbetreuungszuschuß in Höhe von 1.500 Fmk (494 DM) monatlich gewährt, wenn keine öffentliche Kinderbetreuungseinrichtung in Anspruch genommen wird. Der Grundbetrag kann noch durch eine Geschwisterzulage und eine bedarfsabhängige Zulage aufgestockt werden. Im Gegensatz zum Erziehungsgeld ist der Kinderbetreuungszuschuß steuerpflichtig. Sämtliche Leistungen werden anteilig von den Versicherten, den Arbeitgebern und vom Staat finanziert. 267 d) Frankreich Die Familienpolitik hat in Frankreich einen erheblichen Stellenwert. 268 Die Familienkassen bilden einen autonomen Teil des Systems der sozialen Sicherung und die Familienleistungen bestehen aus einem weitgefächerten System direkter und indirekter (steuermindernder) Finanzhilfen für Familien mit Kindern. 269 Die Familien-

der Schriftenreihe, 1998, S. 15 ff.; Torben Fridberg, Familien- und Kinderbetreuungspolitik in Dänemark, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S.200f. 267 Bundesministerium ßr Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Übersicht über die gesetzlichen Maßnahmen in den EU-Ländern bei Erziehung von Kleinkindern, Band 158 der Schriftenreihe, 1998, S. 23 f.; Schweizerischer Bundesrat, Botschaft zum Bundesgesetz über die Mutterschaftsversicherung (MSVG) vom 25. Juni 1997, S. 26f. 268 Der Gesamtaufwand für die direkten Finanzhilfen an die Familien war während der achtziger Jahre relativ zum Nationaleinkommen mehr als doppelt so hoch wie in der Bundesrepublik; vgl. Susanne Schunter-Kleemann, Wohlfahrtsstaat und Patriarchat - Ein Vergleich europäischer Länder, in: Susanne Schunter-Kleemann (Hrsg.), Herrenhaus Europa-Geschlechterverhältnisse im Wohlfahrtsstaat, 1992, S.203f. 269 Vgl. den Überblick über die Familienleistungen in Bundesministerium ßr Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG), Erziehungsgeld, Erziehungsurlaub und Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Band 243 der Schriftenreihe, 1989, S. 127 ff.; Susanne Schunter-Kleemann, Wohlfahrtsstaat

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

Zulagen sind von großer Bedeutung für die Einkommen der französischen Familien. Allein die direkten Zulagen tragen zwischen 10 und 20% zum verfügbaren Nettoeinkommen einer durchschnittlichen Arbeitnehmerfamilie mit zwei Kindern bei. Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit ist keine Voraussetzung für den Anspruch auf Familienzulagen. Die Höhe der Familienzulagen steigt mit der Anzahl der Kinder. Eine Familie mit zwei Kindern erhielt 1997 pro Monat Familienzulagen in Höhe von 675FF (201 DM), bei drei Kindern 1.539FF (459DM), 2.404FF (716DM) für vier und 3.268 FF (974DM) für fünf Kinder. Die Familienzulagen werden in der Regel bis zum 19. Lebensjahr des Kindes gezahlt.270 Zu den Familienzulagen kommen einkommensabhängige Familienzuschüsse für Familien, die in besonders bescheidenen Verhältnissen leben und mindestens drei Kinder versorgen, und für Einelternfamilien mit mehr als einem unterhaltsberechtigten Kind hinzu. 271 Ab der Geburt des ersten Kindes besteht ein Anspruch auf Erziehungsurlaub. Er kann von beiden Eltern gleichzeitig beansprucht werden und ist grundsätzlich sowohl als komplette Unterbrechung der Berufstätigkeit oder als Reduzierung der wöchentlichen Regelarbeitszeit um ein Fünftel oder mehr zu gestalten. Die maximale Dauer des Erziehungsurlaubs reicht bis zum dritten Lebensjahr des Kindes. Ein Anspruch auf Erziehungsgeld besteht erst ab dem zweiten Kind. Voraussetzung für den Erhalt von Erziehungsgeld ist eine Mindestbeschäftigungsdauer in den Jahren vor der Geburt. Das Erziehungsgeld betrug 1997 bei völliger Unterbrechung der Berufstätigkeit monatlich 2.991 FF (891 DM), bei einer Teilzeitarbeit von 50 bis 80 % der regelmäßigen Wochenarbeitszeit 1.495 FF (446 DM) und bei einer Arbeitszeit von bis zu 50% der regelmäßigen Wochenarbeitszeit 1.978 FF (589 DM). Reduzierten beide Elternteile ihre Arbeitszeit auf jeweils 50 % oder weniger, hatten beide Anspruch auf Erziehungsgeld, das aber zusammen nicht mehr als 2.965 FF (884 DM) betragen konnte. 272

und Patriarchat - Ein Vergleich europäischer Länder, in: Susanne Schunter-Kleemann (Hrsg.), Herrenhaus Europa - Geschlechterverhältnisse im Wohlfahrtsstaat, 1992, S.201 f. 270 Die französischen Familienzulagen sind nicht mit dem deutschen Kindeigeid vergleichbar. Im französischen Steuerrecht gilt das Familiensplitting; die Familienzulagen sind nicht wie das deutsche Kindergeld zu Teilen eine Steuerrückvergütung, sondern bilden als reine Sozialleistungen einen tatsächlichen Ausgleich für die Kinderkosten; vgl. Wiebke Buchholz-Will, Steuern, Staat und Frauen. Die Zusammenhänge zwischen Ehegattenbesteuerung und Erwerbstätigkeit von Frauen in der EG, in: Susanne Schunter-Kleemann (Hrsg.), Herrenhaus Europa-Geschlechterverhältnisse im Wohlfahrtsstaat, 1992, S.76. 27 1 Valérie Ber set, Frankreich: Familienzulagen im Gespräch, in: Familienfragen, Informationsbulletin der Zentralstelle für Familienfragen am schweizerischen Bundesamt für Sozialversicherung 1/1998, S.50. 27 2 Bundesministerium ßr Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Übersicht über die gesetzlichen Maßnahmen in den EU-Ländern bei Erziehung von Kleinkindern, Band 158 der Schriftenreihe, 1998, S.26f.

Β. Die Anerkennung der Kindererziehung

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e) Italien In Italien können Eltern nach dem Mutterschaftsurlaub bis zum dritten Lebensjahr des Kindes Erziehungsurlaub nehmen. Während des Erziehungsurlaubs wird für höchstens sechs Monate innerhalb des ersten Lebensjahres des Kindes ein Erziehungsgeld in Höhe von 30 % des vorherigen Durchschnittsverdienstes gezahlt. Finanziert werden diese Leistungen von den Arbeitgebern, vom Staat und von den Versicherten. 273 f) Luxemburg Luxemburg ermöglicht den Eltern im Anschluß an den Mutterschaftsurlaub bis zum zweiten Lebensjahr des ersten und zweiten Kindes und bis zum vierten Lebensjahr jedes weiteren Kindes die Inanspruchnahme von Elternurlaub. Beide Eltern haben Anspruch auf diesen Urlaub und können beliebig oft wechseln. Alle Eltern, von denen ein Partner nicht berufstätig ist und weder Lohn noch Lohnersatzleistungen bezieht, haben Anspruch auf ein monatliches, von der Kinderzahl unabhängiges Erziehungsgeld in Höhe von 16.4601fr (798 DM). Es ist staatlich finanziert und wird bis zum zweiten Geburtstag des Kindes gewährt. 274 g) Norwegen In Norwegen stehen Eltern nach eigener Wahl insgesamt entweder 42 Wochen Elternurlaub bei vollem Lohnausgleich oder 52 Wochen Elternurlaub mit 80 %-igem Lohnausgleich zu. Drei Wochen vor der Geburt und sechs Wochen nach der Geburt sind Pflichturlaub für die Mutter, vier Wochen sind für den Vater reserviert und verfallen, falls er sie nicht in Anspruch nimmt. Die restliche Zeit wird auf einem Zeitkonto gutgeschrieben und die Eltern können sie nach eigenem Gutdünken abbuchen. Von einer geringfügigen Arbeitszeitverkürzung um 10% bis zu einem Arbeitseinsatz von einem halben Tag pro Woche ist nach Absprache mit dem Arbeitgeber jede Kombination möglich. Die Mutter kann zum Beispiel acht Monate lang bei ihrem Kind bleiben und danach fast zwei Jahre lang mit einer Arbeitszeit von sechs Stunden pro Tag tätig sein. Den Lohnausgleich zahlen die staatlichen Versicherungskas-

27 3 Bundesministerium fir Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Übersicht übe die gesetzlichen Maßnahmen in den EU-Ländern bei Erziehung von Kleinkindern, Band 158 der Schriftenreihe, 1998, S.32f.; Schweizerischer Bundesrat, Botschaft zum Bundesgesetz über die Mutterschaftsversicherung (MSVG) vom 25. Juni 1997, S. 27f.; Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S.278. 27 4 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Übersicht übe die gesetzlichen Maßnahmen in den EU-Ländern bei Erziehung von Kleinkindern, Band 158 der Schriftenreihe, 1998, S.35; Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA), Euroatlas. Soziale Sicherheit im Vergleich, 1998, S.20ff.; Schweizerischer Bundesrat, Botschaft zum Bundesgesetz über die Mutterschaftsversicherung (MSVG) vom 25. Juni 1997, S. 123.

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

sen. Für 42 Wochen liegt er durchschnittlich bei 115.640 nkr (28.000 DM) 2 7 5 , das entspricht 11.015 nkr (2.667 DM) im Monat. War die Mutter vor der Geburt des Kindes noch nicht erwerbstätig, kann keiner der Elternteile bezahlten Elternurlaub beanspruchen. In einem solchen Fall erhält die Mutter einen einmaligen Pauschalbetrag von 30.925 nkr (7.488 DM). 2 7 6 Alleinstehende Mütter bekommen unabhängig von einer Erwerbstätigkeit zusätzlich 11.616nkr (2.811 DM). 2 7 7 1997 hat das norwegische Parlament die Einführung des sogenannten Cash Support beschlossen. Danach wird aus Gründen der Gleichbehandlung der Kinderbetreuung in der Familie und im Kindergarten an jene Eltern, die externe Betreuungsangebote nicht beanspruchen, ein Geldbetrag in Höhe der öffentlichen Unterstützung für die externe Betreuung ausbezahlt. Damit hat Norwegen Konsequenzen aus der ungleichen Förderung familieninterner und familienexterner Kinderbetreuung gezogen. 1998 und 1999 hat es deshalb ein Betreuungsgeld für die Eltern eingeführt, die ihre Kinder zu Hause erziehen. Dieses Betreuungsgeld wird unabhängig von der Erwerbstätigkeit der Eltern gezahlt. Familien mit Kindern erhalten nunmehr im zweiten und dritten Lebensjahr des Kindes 700 DM monatlich, wenn sie auf einen Betreuungsplatz verzichten. Das entspricht der Höhe des staatlichen Zuschusses für einen Krippenplatz, den der Staat dadurch einspart. Eltern, die wegen Erwerbstätigkeit einen Krippenplatz benötigen, müssen hierfür durchschnittlich Gebühren in Höhe von 700 DM monatlich bezahlen.278 h) Osterreich Bereits 1960 wurde in Österreich der bezahlte Karenzurlaub für die Kindererziehung in der Familie eingeführt. 279 Seit 1975 können auch Väter für die Betreuung ih27 5

Alf Erling Risa, Familienpolitik in Norwegen, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S.246; Bundesministerium ßr Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Übersicht über die gesetzlichen Maßnahmen in den EU-Ländern bei Erziehung von Kleinkindern, Band 158 der Schriftenreihe, 1998, S.53. 27 6 Alf Erling Risa, Familienpolitik in Norwegen, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S.246. 27 7 Schweizerischer Bundesrat, Botschaft zum Bundesgesetz über die Mutterschaftsversicherung (MSVG) vom 25. Juni 1997, S.28f. 27 8 Alf Erling Risa, Familienpolitik in Norwegen, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S. 249 ff.; Christian Leipert, Aufwertung der Erziehungsarbeit-Politische Notwendigkeit und Wege zur Erreichung des Ziels, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familienund Gesellschaftspolitik, 1999, S. 19. Nach neueren Angaben beläuft sich das Betreuungsgeld nunmehr auf rund 850 DM. 279 Vgl. Bundesministerium ßr Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG), Erziehungsgeld, Erziehungsurlaub und Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversiche-

Β. Die Anerkennung der Kindererziehung

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rer Kinder von der Erwerbsarbeit freigestellt werden und das Karenz(urlaubs)geld280 wird seit 1974 in einheitlicher Höhe gezahlt. Das Karenzgeld hat im wesentlichen Versicherungscharakter und wird zum größten Teil von der Arbeitslosenversicherung getragen. Die Leistungen sind daher an das Bestehen eines arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses gebunden und haben den Charakter eines Einkommensersatzes. Eltern haben Anspruch auf Karenz bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres des Kindes. Während der Karenz wird das Karenzgeld als fixer Betrag in Höhe des durchschnittlichen Arbeitslosenentgelts gewährt. Derzeit beträgt es 5.292öS (751 DM). 2 8 1 Der Bezug des Karenzgeldes ist mit einer weitgehenden Erwerbsbeschränkung verbunden, bietet aber vollen sozialrechtlichen Schutz, da der Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) die Beiträge für die Sozialversicherungen übernimmt. 282 Für Teilzeitbeschäftigte gibt es die Möglichkeit, das Karenzgeld als Teilzeitkarenzgeld auf die Zeit bis zum vierten Lebensjahr des Kindes zu verteilen. Nicht Berufstätige sind von den Leistungen ausgeschlossen.283 i) Polen In Polen besteht ein gesetzlicher Anspruch auf Erziehungsurlaub von maximal 36 Monaten, der bis zum vierten Lebensjahr des Kindes genommen werden kann. Die Eltern können sich dabei bis zu viermal abwechseln. Während des Erziehungsurlaubs wird für 24 Monate (für Alleinerziehende 36 Monate) ein Erziehungsgeld gezahlt, das 219 ZI (104 DM) monatlich beträgt. 284

rung. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Band 243 der Schriftenreihe, 1989, S. 114ff. 280 Der österreichische Nationalrat beschloß 1995, das Wort „Urlaub" im Zusammenhang mit der Betreuung von Kleinkindern nicht mehr zu verwenden; vgl. Martin Schneider/Stefan Ohmacht, Familienrelevante Transfers in Österreich - Systemüberblick und Analysen, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S.69. 281 Martin Schneider!Stefan Ohmacht, Familienrelevante Transfers in Österreich - Systemüberblick und Analysen, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S.68ff. 282 Österreichisches Institut ßr Familienforschung (ÖIF), Rohbericht zum Projekt „Entwicklung von Modellen eines Kinderbetreuungsschecks und Analyse der Auswirkungen" (Machbarkeitsstudie Kinderbetreuungsscheck), 1998, S. 11. 283 Österreichisches Institut ßr Familienforschung (ÖIF), Rohbericht zum Projekt „Entwicklung von Modellen eines Kinderbetreuungsschecks und Analyse der Auswirkungen" (Machbarkeitsstudie Kinderbetreuungsscheck), 1998, S.39f.; Günter Denk! Ηelmuth Schattovits, Teilzeitbetreuung von Kindern in Österreich. Eine Bestandsaufnahme zur Orientierung über Formen, Kosten und Finanzierung, 1995, S.59ff. und 103 ff. 284 Bundesministerium ßr Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Übersicht über die gesetzlichen Maßnahmen in den EU-Ländern bei Erziehung von Kleinkindern, Band 158 der Schriftenreihe, 1998, S. 121 f.

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft j) Schweden

In Schweden haben alle erwerbstätigen Mütter und Väter Anspruch auf Elternurlaub. Der Elternurlaub beträgt 450 Tage (15 Monate), wobei je die Hälfte auf den Vater und auf die Mutter entfällt. Jeder Elternteil kann durch eine schriftliche Erklärung auf seinen Teil zugunsten des anderen verzichten. Ausgenommen ist eine Zeit von 30 Tagen, die nicht übertragbar ist. Alleinstehende können den gesamten Elternurlaub in Anspruch nehmen. Das Recht auf vollen Elternurlaub gilt während der ersten eineinhalb Jahre nach der Geburt des Kindes, die Möglichkeit einer flexiblen Arbeitszeitreduzierung besteht bis zum achten Lebensjahr des Kindes. 285 Pro Kalenderjahr sind drei verschiedene Perioden der individuellen Arbeitszeitgestaltung erlaubt, damit ist ein mehrfacher Wechsel möglich. Großzügig ist auch die den Eltern gewährte bezahlte Freistellung zur Pflege erkrankter Kinder. 286 Während des Elternurlaubs zahlt die schwedische Elternversicherung ein Elterngeld als Lohnersatzleistung. Die Entschädigung entspricht 80% des Bruttoeinkommens während der ersten 360 Tage (einschließlich der 30 unübertragbaren Tage für beide Eiternteile). Während der letzten 90 Tage wird ein Pauschalbetrag von 60 skr (14DM) pro Tag gewährt. 287 Eltern, die vor der Geburt des Kindes nicht erwerbstätig waren, haben während 15 Monaten Anspruch auf eine fixe Tagegeldentschädigung. Zur Pflege erkrankter Kinder ist pro Jahr und Kind ein zeitweiliges Elterngeld für die Dauer von 120 Tagen vorgesehen. Das Elterngeld ist steuerpflichtig. Wird der Elternurlaub mit einer Teilzeitbeschäftigung verbunden, wird das Tagegeld entsprechend dem Erwerbsumfang festgelegt und Elternurlaub sowie Elterngeld entsprechend verlängert. 288 285

Peter Köhler, Das Modell „Erziehungsgehalt" vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Dänemark und Schweden, in: Heidelberger Büro für Familienfragen und soziale Sicherheit (Hrsg.), Wissenschaftliches Kolloquium „Erziehungsgehalt" am 21./22. Juni 1996 in Bonn, 1996, S. 8; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Übersicht über die gesetzlichen Maßnahmen in den EU-Ländern bei Erziehung von Kleinkindern, Band 158 der Schriftenreihe, 1998, S.46f. 286 Rolf Birk, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Gutachten E für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S.E41 f.; Maximilian Fuchs, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Gutachten F für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S.F 112f.; Peter Köhler, Das Modell „Erziehungsgehalt" vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Dänemark und Schweden, in: Heidelbeiger Büro für Familienfragen und soziale Sicherheit (Hrsg.), Wissenschaftliches Kolloquium „Erziehungsgehalt" am 21./22. Juni 1996 in Bonn, 1996, S.8. 287 Carin Jahn, Schwerpunkte der schwedischen Familienpolitik, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S.222f. 288 Peter Köhler, Das Modell „Erziehungsgehalt" vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Dänemark und Schweden, in: Heidelberger Büro für Familienfragen und soziale Sicherheit (Hrsg.), Wissenschaftliches Kolloquium „Erziehungsgehalt" am 21./22. Juni 1996 in Bonn, 1996, S. 8; Schweizerischer Bundesrat, Botschaft zum Bundesgesetz über die Mutterschaftsversicherung (MSVG) vom 25. Juni 1997, S.29f.

Β. Die Anerkennung der Kindererziehung

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Die Besonderheit der schwedischen Familienpolitik ist die den Eltern eingeräumte große Gestaltungsfreiheit. Auch die materielle Situation der Alleinerziehenden ist in Schweden erheblich besser als in anderen europäischen Ländern. 289 Verglichen mit anderen Industriestaaten haben schwedische Frauen ein hohes Maß an ökonomischer Unabhängigkeit erreicht. Wahrend in Deutschland Frauen in Mehrpersonenhaushalten 1990 im Durchschnitt nur 12% des Haushaltseinkommens aufbringen konnten, waren es in Schweden immerhin 39 %. Im selben Jahr waren in der Bundesrepublik 49 % der verheirateten Frauen ohne eigenes Einkommen, in Schweden dagegen nur 11%. 290 Bemerkenswert ist zudem, daß in keinem anderen Land der Welt die Beschäftigungsquote der Frauen höher ist als in Schweden (zeitweise bestand eine nahezu identische Erwerbsquote beider Geschlechter) und Schweden gleichzeitig eine der höchsten Geburtenraten in Europa zu verzeichnen hat. 291 k) Tschechien Für erwerbstätige Mütter ist in Tschechien ein gesetzlicher Anspruch auf Erziehungsurlaub vorgesehen. Er besteht bis zum dritten Lebensjahr des Kindes. Teilzeitarbeit ist während des Erziehungsurlaubs möglich. Alle erwerbstätigen Mütter haben einen Rechtsanspruch auf Erziehungsgeld, das als staatliche Leistung einkommensunabhängig bis zum dritten Lebensjahr des Kindes gewährt wird. 1997 betrug das Erziehungsgeld 2.112Kc (114 DM) im Monat. Es wird dynamisch an die jährliche Steigerung der Lebenshaltungskosten angepaßt.292 3. Die Familienpolitik der Europäischen Union Die Europäische Union hat bisher kaum sozialpolitische Kompetenzen; damit fehlen weitgehend auch familienpolitische Handlungsgrundlagen. Die Römischen 289

Petra Buhr, Armut durch Kinder - Zur Logik der Benachteiligung von Familienarbeit im Sozialstaat, in: Andreas Netzler/Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S.76. 290 Teresa Kulawik, Wie solidarisch ist der sozialdemokratische Universalismus? Wohlfahrtsstaatstheorie und soziale Staatsbürgerschaft in Schweden, in: Elke Biester/Barbara Holland-Cunz/Mechthild M. Jansen/Eva Maleck-Lewy/Anja Ruf/Birgit Sauer (Hrsg.), Das unsichtbare Geschlecht der Europa. Der europäische Einigungsprozeß aus feministischer Sicht, 1994, S.75. 291 Maximilian Fuchs, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Gutachten F für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S. F114; Peter Köhler, Das Modell „Erziehungsgehalt" vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Dänemark und Schweden, in: Heidelberger Büro für Familienfragen und soziale Sicherheit (Hrsg.), Wissenschaftliches Kolloquium „Erziehungsgehalt" am 21./22. Juni 1996 in Bonn, 1996, S.7. 292 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Übersicht übe die gesetzlichen Maßnahmen in den EU-Ländern bei Erziehung von Kleinkindern, Band 158 der Schriftenreihe, 1998, S. 132. 7 Tünnemann

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

Verträge konzentrierten sich auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit, so daß sich die Zuständigkeit der Organe der Europäischen Union in der Sozial- und Gesellschaftspolitik auf Bereiche beschränkte, die sich auf den Faktor Arbeit bezogen oder zumindest einen Zusammenhang zur Erwerbsarbeit hatten. Die europäische Antidiskriminierungspolitik war deshalb hauptsächlich gegen Benachteiligungen gerichtet, die erwerbstätigen Frauen widerfuhren. Diese Politik mündete in Richtlinien zur Gleichbehandlung von Frauen und Männern im Bereich der Erwerbsarbeit, zum Beispiel die Richtlinien zur Lohngleichheit293, zum gleichberechtigten Zugang zum Beruf 294 , zur sozialen Sicherheit 295, zu den Betriebsrenten 296 oder zur selbständigen Erwerbsarbeit 297. Aus der Richtlinie zur sozialen Sicherheit wurden Familienleistungen ausdrücklich ausgeklammert. Die Richtlinie ist deutlich auf kontinuierliche und damit männliche Erwerbsmuster zugeschnitten. Frauen fallen häufig aus dem Geltungsbereich heraus. So zählen erwerbstätige Frauen, die wegen der Kinderbetreuung die Erwerbsarbeit unterbrochen haben, nicht mehr zur erwerbstätigen Bevölkerung im Sinne der Richtlinie. 298 Zwar besagt gemäß Art. 2 Abs. 1 der Gleichbehandlungsrichtlinie 299 der Grundsatz der Gleichbehandlung, daß keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts - insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand - erfolgen darf, und Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie erlaubt Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit für Männer und Frauen, auch durch Beseitigung tatsächlich bestehender Ungleichheiten, welche die Chancen der Frauen beeinträchtigen. Dieser Grundsatz gilt jedoch nur für die in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie genannten Bereiche, zu denen die Beschäftigung und die soziale Sicherung, nicht aber die Familie zählt. Die familiale Seite der Geschlechterverhältnisse und die dort erbrachten unbezahlten Arbeiten und deren 293 Richtlinie 75/117/EWG vom 10. Februar 1975, ABl. EG Nr. L 45/19; abgedruckt in: Bernd Schulte, Soziale Sicherheit in der EG. Verordnungen (EWG) Nr. 1408/71 und 574/72 sowie andere Bestimmungen, 3. Auflage, 1997, S. 429 ff. 294 Richtlinie 76/207/EWG vom 9. Februar 1976, ABl. EG Nr. L 39/40; abgedruckt in: Bernd Schulte, Soziale Sicherheit in der EG. Verordnungen (EWG) Nr. 1408/71 und 574/72 sowie andere Bestimmungen, 3. Auflage, 1997, S. 433 ff. 295 Richtlinie 79/7/EWG vom 19. Dezember 1978, ABl. EG Nr. L6/24; abgedruckt in: Bernd Schulte, Soziale Sicherheit in der EG. Verordnungen (EWG) Nr. 1408/71 und 574/72 sowie andere Bestimmungen, 3. Auflage, 1997, S.439ff. 296 Richtlinie 86/378/EWG vom 24. Juli 1986, ABl. EG Nr. L 225/48; abgedruckt in: Bernd Schulte, Soziale Sicherheit in der EG. Verordnungen (EWG) Nr. 1408/71 und 574/72 sowie andere Bestimmungen, 3. Auflage, 1997, S. 443 ff. 297 Richtlinie 86/613/EWG vom 11. Dezember 1986, ABl. EG Nr.L359/56; abgedruckt in: Bernd Schulte, Soziale Sicherheit in der EG. Verordnungen (EWG) Nr. 1408/71 und 574/72 sowie andere Bestimmungen, 3. Auflage, 1997, S. 449 ff. 298 Susanne Schunter-Kleemann, Das Demokratiedefizit der Europäischen Union und die Frauenpolitik, in: Elke Biester/Barbara Holland-Cunz/Mechthild M.Jansen/Eva MaleckLewy/Anja Ruf/Birgit Sauer (Hrsg.), Das unsichtbare Geschlecht der Europa. Der europäische Einigungsprozeß aus feministischer Sicht, 1994, S.29ff. 299 Richtlinie 76/207/EWG vom 9. Februar 1976, ABl. EG Nr. L39/40; abgedruckt in: Bernd Schulte, Soziale Sicherheit in der EG. Verordnungen (EWG) Nr. 1408/71 und 574/72 sowie andere Bestimmungen, 3. Auflage, 1997, S. 433 ff.

Β. Die Anerkennung der Kindererziehung

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Wechselbezug zur Erwerbsarbeit sind in der europäischen Gleichbehandlungspolitik weitgehend ausgeklammert. Auf europäischer Ebene wird zwar Gleichbehandlungs- und Frauenpolitik, nicht aber Familienpolitik betrieben. 300 Auch mit den Verträgen von Maastricht und Amsterdam hat sich nichts daran geändert, daß Familienpolitik nicht ausdrücklicher Gegenstand der Gemeinschaftsverträge ist. Nunmehr wird jedoch zumindest mittelbar auf die Familie Bezug genommen. Im Abs. 4 der Präambel des EUV sowie in Art. 136 EGV wird auf die sozialen Grundrechte, wie sie in der Europäischen Sozialcharta von 1961 und der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer von 1989 festgelegt sind, verwiesen. Zu den in der Europäischen Sozialcharta enthaltenen sozialen Grundrechten (die allerdings nicht individuell einklagbar sind) gehört auch das Recht der Familie auf gesetzlichen, sozialen und wirtschaftlichen Schutz.301 Einen neuen Akzent in der europäischen Familien- und Sozialpolitik setzte die EU-Richtlinie zum Elternurlaub vom 3. Juni 1996.302 Sie hat ihre Grundlage im Abkommen über die Sozialpolitik zum Vertrag von Maastricht. Mit dieser Richtlinie wurden erstmals für die gesamte EU Regelungen für einen individuellen Anspruch der Eltern auf Elternurlaub vorgesehen. Danach haben alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anläßlich der Geburt oder der Adoption eines Kindes einen individuellen Anspruch auf mindestens drei Monate Elternurlaub, der grundsätzlich nicht auf den anderen Elternteil übertragbar ist. Der Anspruch besteht unabhängig vom beruflichen Status des anderen Elternteils. Für die Einlösung des Elternurlaubs können die Mitgliedstaaten einen Zeitraum bis zum achten Lebensjahr des Kindes vorsehen. Die Richtlinie sieht allerdings keine Regelungen für finanzielle Leistungen während des Elternurlaubs vor. Die Mitgliedstaaten mußten der Richtlinie spätestens bis 3. Juni 1998 nachkommen. Bislang hat der deutsche Gesetzgeber jedoch noch keine diesbezüglichen Änderungen des Erziehungsurlaubs nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz vorgesehen.303 Nach den Beschlüssen von Amsterdam gewinnt für die soziale Dimension der EU und damit auch für die Familienpolitik das Beschäftigungskapitel an Bedeutung, dessen Bestimmungen verbesserte Voraussetzungen für eine Koordinierung der Beschäftigungspolitiken auf EU-Ebene schaffen. Auf der Grundlage dieses Beschäftigungskapitels wurden beschäftigungspolitische Leitlinien verabschiedet, in denen die Berücksichtigung der Probleme der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und 300 Susanne Schunter-Kleemann, Das Demokratiedefizit der EG und die Verrechtlichung der Frauenfrage, in: Susanne Schunter-Kleemann (Hrsg.), Herrenhaus Europa - Geschlechterverhältnisse im Wohlfahrtsstaat, 1992, S.48. 301 Max Wingen, Die Aufwertung der familiären Erziehungsarbeit als familienpolitische Aufgabe in Europa, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S.266f.; Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S.407ff. 302 Richtlinie 96/34/EG, ABl. EG 1996 Nr. L145/4. 303 Vgl. Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S.412f.

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

der Rückkehr in den Beruf angemahnt wird. 304 Außerdem wurden Art. 2 und Art. 3 EGV dahingehend erweitert, daß die Gemeinschaft auf die Beseitigung von Ungleichheiten und die Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern hinzuwirken hat. Mit dieser Erweiterung wird nicht mehr nur auf die Gleichbehandlung am Arbeitsplatz und auf den Bereich der Erwerbsarbeit abgestellt, sondern auch auf die Situation von Frauen und Männern in Familie und Gesellschaft und damit in allen Lebensbereichen Bezug genommen.305

IV. Begründungsansätze für die Anerkennung der Kindererziehung Eine wesentliche Ursache für die erheblichen Unterschiede zwischen der wirtschaftlichen Ausgangslage der Familien und der kinderlosen Personen ist die mangelnde Anerkennung der Kindererziehung. In der Diskussion um die finanzielle Entlastung der Familien rücken deshalb die indirekten Kosten der Kindererziehung und die Forderung nach einer finanziellen Anerkennung und Vergütung der Erziehungstätigkeit zunehmend in den Mittelpunkt. 306 Die Forderung nach einer finanziellen Vergütung für die Erziehungstätigkeit wird aus sehr unterschiedlichen Gründen und Motiven erhoben. 307 Normativ wird die Verbindung der Kindererziehung mit einem Ausgleichs- oder Entgeltanspruch sowohl mit dem Argument der Gleichartigkeit von Erziehungstätigkeit und Erwerbstätigkeit als auch mit dem Argument der Gleichwertigkeit von Erziehungsarbeit und Erwerbsarbeit oder der Gleichwertigkeit der familialen mit anderen Lebensformen begründet. In der politischen Diskussion wird zum einen auf die Interessen der Allgemeinheit und zum anderen auf individuelle Interessen abgestellt, um die finanzielle Anerkennung der Kindererziehung zu begründen. Die am Gemeinwohl orientierten Argumentationen beziehen sich dabei auf gesellschaftspolitische, volkswirtschaftliche oder sozialpolitische Interessen und laufen letztlich auf eine bevölkerungspolitische 304 Vgl. Max Wingen, Die Aufwertung der familiären Erziehungsarbeit als familienpolitische Aufgabe in Europa, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S.268f. 305 Max Wingen, Die Aufwertung der familiären Erziehungsarbeit als familienpolitische Aufgabe in Europa, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S.269. 306 Zu den verschiedenen Konzepten siehe im einzelnen unten 3. Kapitel A.III. 307 Vgl. den Überblick zu den verschiedenen Argumentationsmustern bei Andreas Netzler, Wertäquivalenz familialer Leistungen und Risiken: Sozialpolitische Situation, Perspektiven und Konsequenzen, 1995, S. 12 ff.; Andreas Netzler, Verteilungsstrukturen und Äquivalenz der Familienarbeit, in: Andreas Netzler/Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S.47ff.

Β. Die Anerkennung der Kindererziehung

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Argumentation hinaus. Die an den Individualinteressen orientierten Begründungen setzen dagegen an den Bedürfnissen der Familien an und fordern die Aufwertung der Erziehungsarbeit primär in deren Interesse. Je nach Begründungsansatz gestalten sich die geforderten Maßnahmen und Instrumente zur Anerkennung der Erziehungstätigkeit unterschiedlich. 1. Normative Begründungen für die finanzielle Anerkennung der Erziehungstätigkeit a) Das Argument der Gleichartigkeit Zur Begründung der finanziellen Anerkennung der Erziehungstätigkeit wird unter anderem auf die Gleichartigkeit von Erziehungsarbeit und Erwerbsarbeit abgestellt. Unter dem Stichwort der Beitragsäquivalenz wird die Gleichartigkeit seit längerem für die Alterseinkommen postuliert. Dieser beitragsorientierte Ansatz beschränkt sich auf die Gleichstellung der Erziehungsarbeit und der Erwerbsarbeit in den umlagefinanzierten Sozialversicherungssystemen, insbesondere den Alterssicherungssystemen, und begründet keine Leistungen zur Aufstockung der aktuellen Familieneinkommen.308 Die Beitragsäquivalenz von Erziehungsarbeit und Erwerbsarbeit wird mit dem Umstand begründet, daß Kinder als künftige Erwerbstätige und Beitragszahler für die sozialen Sicherungssysteme eine - im Umlageverfahren sogar die einzige - Vorleistung bilden und diese Vorleistung allein von den Eltern erbracht wird. Die Erziehungs- und Betreuungsleistungen für Kinder stellen ihrer Wirkungsweise und Form nach unmittelbare Beitragswerte für die Sozialversicherungen dar und seien deshalb den monetären Beitragszahlungen gleichzustellen.309 Das Bundesverfassungsgericht hat die Beitragsäquivalenz der Kindererziehung für das System der Gesetzlichen Rentenversicherung allerdings wegen der Verschiedenartigkeit der Funktion der Leistungen verworfen. Angesichts des in der Rentenversicherung geübten Umlageverfahrens seien Kindererziehung und Beitragszahlung gerade nicht gleichartig, weil die geleistete Kindererziehung nicht sogleich in Form von Rentenzahlungen an die ältere Generation ausgeschüttet werden könne. 310 308 Vgl. Andreas Netzler; Wertäquivalenz familialer Leistungen und Risiken: Sozialpolitische Situation, Perspektiven und Konsequenzen, 1995, S.22ff. 309 Jürgen Borchert, Die Berücksichtigung familiärer Kindererziehung im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung. Ein Beitrag zur Rentenreform, 1981, S. 143 ff. Vgl. auch Peter Krause, Ehe und Familie im sozialen Sicherungssystem, in: Heiner Marré/Johannes Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (21), 1986, S. 88 f. m. w. N.; Andreas Netzler, Wertäquivalenz familialer Leistungen und Risiken: Sozialpolitische Situation, Perspektiven und Konsequenzen, 1995, S. 22ff.; Andreas Netzler, Verteilungsstrukturen und Äquivalenz der Familienarbeit, in: Andreas Netzler/Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S. 63 f. 310 BVerfGE 87,1 (39 f.). Vgl. auch Andreas Netzler, Familie chancengleich leben: Was sollte der Familienlasten-, Risiko- und Leistungsausgleich leisten - und was leistet er?, in: Bern-

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

Das Argument der Gleichartigkeit von Erziehungs- und Erwerbsarbeit wird im Sinne einer Leistungs- oder Erwerbsäquivalenz auch auf das aktuelle Einkommen bezogen. Mit Leistungs- oder Erwerbsäquivalenz ist die Entsprechung von Erziehungstätigkeit und Erwerbstätigkeit in allen relevanten Eigenschaften gemeint. Diese Äquivalenz verlange ihre pauschale finanzielle Gleichstellung.311 Daß allerdings Erziehungsarbeit und Erwerbsarbeit weder ihrer Form noch ihrer Wirkungsweise nach gleichartig sind, ergibt sich bereits aus dem Umstand, daß Erziehungsarbeit im Gegensatz zu Erwerbsarbeit kein eigenes Einkommen begründet. Offensichtlich kommt es entscheidend auf die Bewertung der Tätigkeit an. Die Gleichstellung von Erziehungsarbeit und Erwerbsarbeit kann daher allenfalls mit der Gleichwertigkeit, nicht jedoch mit der Gleichartigkeit der Leistungen begründet werden.

b) Das Argument der Gleichwertigkeit aa) Die Gleichwertigkeit von Erziehungstätigkeit und Erwerbstätigkeit Neben der Gleichartigkeit wird vor allem mit der Gleichwertigkeit von Erziehungsarbeit und Erwerbsarbeit argumentiert. Diese Gleichwertigkeit verlange in einer auf entgeltliche Anerkennung angelegten Gesellschaftsordnung, daß die Erziehungsleistung wie Erwerbsleistung honoriert wird. Die Erziehungsleistung müsse deshalb entgolten und im Sozialversicherungsrecht voll angerechnet werden. 312 Anknüpfungspunkt für die Begründung der finanziellen Anerkennung der Erziehungsarbeit mit dem Argument der Gleichwertigkeit ist dabei der Grundsatz der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau (Art. 3 Abs. 2 GG). Die bestehenden Ungleichheiten zwischen Mann und Frau beruhen vor allem auf der Tatsache, daß Frauen in der Realität den größten Teil der Familienarbeit leisten und die damit verbundenen Einkommensnachteile hinnehmen müssen, weil diese Leistung nicht entgolten und wirtschaftlich anerkannt wird. Diese faktische Rollenverteilung rechtfertige die finanzielle Anerkennung der Erziehungsleistung als eine der Erwerbsleihard Jans/Georg Zimmermann (Hrsg.), Familienlastenausgleich? Plädoyers für eine gerechte Familienpolitik, 1996, S.64f. 311 Vgl. Andreas Netzler, Wertäquivalenz familialer Leistungen und Risiken: Sozialpolitische Situation, Perspektiven und Konsequenzen, 1995, S. 12 ff. Ähnlich gelagert ist die Forderung nach einer leistungsgerechten Entlohnung für die Erziehungsarbeit, weil die Kindererziehung zur Humanvermögensbildung beiträgt und dafür ebenso einen Faktorlohn verdient wie die Bereitstellung anderer Produktionsfaktoren, etwa Boden, Kapital oder Arbeitskraft; vgl. Hans Heinrich Nachtkamp, Plädoyer für ein staatliches Erziehungsentgelt, in: ifo Schnelldienst Nr. 9/2000, S.5f. 312 Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 1992, § 124 Rn. 136; Paul Kirchhof, Armut und Freiheit, in: Franz Ruland/Bemd Baron von Maydell/Hans-Jürgen Papier (Hrsg.), Verfassung, Theorie und Praxis des Sozialstaats. Festschrift für Hans F. Zacher zum 70. Geburtstag, 1998, S.334f.

Β. Die Anerkennung der Kindererziehung

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stung gleichwertige Tätigkeit und verlange die Anerkennung nach dem Maßstab des Einkommens und der Ersatzleistungen bei Erwerbstätigkeit. 313

bb) Die Gleichwertigkeit der familialen Lebensform Im Gegensatz zu der gleichstellungsorientierten Argumentation, die auf die Gleichwertigkeit der Erwerbsarbeit und der Erziehungsarbeit abstellt, beruht der Gedanke der Gleichwertigkeit der familialen Lebensform darauf, daß die Lebensform Familie gegenüber anderen Lebenskonzepten gleichwertig ist und deshalb die gleichen Einkommens- und sozialen Sicherungschancen verdient. 314 Mit der Gleichwertigkeit der familialen Lebensform wird vor allem gegen die strukturelle Rücksichtslosigkeit der staatlichen Transfersysteme gegenüber Familien argumentiert. Das gilt besonders für den Bereich des Steuerrechts und der sozialen Sicherung. Aufgrund der Gleichwertigkeit der familialen mit anderen Lebensformen dürfe die Familie nicht durch eine familienindifferente Besteuerung und soziale Sicherung benachteiligt werden. Gerade die staatlichen Transfersysteme zeichnen sich durch eine gewisse Familienblindheit aus, weil sie die Unterhalts- und Betreuungspflichten der Eltern gegenüber den Kindern nur unzureichend berücksichtigen und dadurch weder eine leistungsgerechte Besteuerung noch eine risikoäquivalente soziale Sicherung der Familien gewährleisten. Aufgrund der Verschiedenartigkeit der Form von Erziehungsarbeit und Erwerbsarbeit hinterlassen die auf Erwerbsarbeit zugeschnittenen Sicherungssysteme wegen ihrer weitgehenden Familienindifferenz Sicherungslücken bei den Familien. Um dem Lebensmodell der Familie die gleichen Chancen einzuräumen, müssen die staatlichen Transfersysteme familiengerecht in dem Sinn ausgestaltet werden, daß die Minderung der Leistungsfähigkeit durch Kinder bei der Besteuerung der Familien angemessen berücksichtigt wird und die Familien gegen die allgemeinen Lebensrisiken gleichermaßen abgesichert werden. 315 Die Gleichheit der Einkommens- und Sicherungschancen wird aber auch dahingehend verstanden, daß Familie als eine der Erwerbsarbeit sozialkulturell gleichwertige Lebenskonzeption chancengleich lebbar sein muß. Die so verstandene Chancengleichheit verlange lediglich einen einkommensabhängigen Risikoausgleich für Familien. Dazu sollen Einkommensausfälle durch erziehungsbedingte 313 Vgl. Andreas Netzler, Verteilungsstrukturen und Äquivalenz der Familienarbeit, in: Andreas Netzler/Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S.55f.; Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, BandV, 1992, § 124 Rn. 134 ff. 314 Andreas Netzler, Familie als Risiko? Zur Anerkennung von Erziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung. Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, 1993, S.20f. 315 Vgl. Andreas Netzler, Wertäquivalenz familialer Leistungen und Risiken: Sozialpolitische Situation, Perspektiven und Konsequenzen, 1995, S.57ff.

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

Unterbrechungen oder Reduzierungen der Erwerbsarbeit als neues, im traditionellen Katalog der sozialen Risiken bislang nur ansatzweise berücksichtigtes Risiko abgesichert werden. Dieser Risikoausgleich solle verhindern, daß Familien allein aufgrund der Kindererziehung in die Sozialhilfeabhängigkeit geraten und das Armutsrisiko für Familien höher ist als für andere Lebenskonzepte.316 Gleichwertigkeit wird hier verstanden als Chancengleichheit in dem Sinn, daß Eltern im Wirtschaftsprozeß die gleichen Chancen haben, sich durch Erwerbstätigkeit wirtschaftlich zu sichern, ohne die Familie vernachlässigen zu müssen, und daß vorgelagerte familiale Transfersysteme die allgemeinen Lebensrisiken familienadäquat absichern. Lebensstandardmindernde Risiken wie Arbeitslosigkeit, Berufs- und Erwerbsunfähigkeit, Alter, Scheidung, aber auch niedrige Primäreinkommen sollen durch einen familienbezogenen Risikoausgleich bei Familien ebenso über dem Sozialhilfeniveau aufgefangen werden wie bei Kinderlosen. Konsequenz dieser Argumentation ist nicht eine einkommensunabhängige Leistung für die Kindererziehung auf dem Niveau eines durchschnittlichen oder individuellen Erwerbseinkommens, sondern eine einkommensabhängige Leistung, die so bemessen ist, daß die Sozialhilfe als allgemeines unterstes Sicherungsniveau für Familien ebensowenig zur Standardsicherung wird wie für Menschen ohne Kinder. 317 Die Gleichwertigkeit der familialen Lebensform wird schließlich auch dahingehend gedeutet, daß der Lebensform Familie generell der gleiche wirtschaftliche Leistungs· oder Ertragswert zukommen muß wie anderen Lebensformen. Chancengleichheit wird hier bezogen auf die Einkommenschancen. Familien sollen die gleichen Einkommenschancen haben wie Kinderlose, also keine kinderbedingten Erwerbsausfälle hinnehmen müssen. Daraus wird die Notwendigkeit finanzieller Leistungen für die Familienarbeit abgeleitet, die den Erziehenden sowohl ein aktuelles als auch im Alter ein der Erwerbstätigkeit entsprechendes Einkommen sichern. Dieses Einkommen kann entweder als voller Lohnausgleich in Höhe des vorangegangenen individuellen Erwerbseinkommens oder als Erziehungslohn in Höhe eines durchschnittlichen Erwerbseinkommens oder in einer pauschalierten, der Familienarbeit angemessenen Höhe konzipiert werden. 318 316 Andreas Netzler; Familie chancengleich leben: Was sollte der Familienlasten-, Risikound Leistungsausgleich leisten - und was leistet er?, in: Bernhard Jans/Georg Zimmermann (Hrsg.), Familienlastenausgleich? Plädoyers für eine gerechte Familienpolitik, 1996, S.52f. und 55 f.; Andreas Netzler, Familie als Risiko? Zur Anerkennung von Erziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung. Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, 1993, S.79; Andreas Ν etzler, Verteilungsstrukturen und Äquivalenz der Familienarbeit, in: Andreas Netzler/Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S.56ff. 317 Vgl. Andreas Netzler, Verteilungsstrukturen und Äquivalenz der Familienarbeit, in: Andreas Netzler/Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S. 56ff.; Andreas Netzler, Familie chancengleich leben: Was sollte der Familienlasten-, Risiko- und Leistungsausgleich leisten - und was leistet er?, in: Bernhard Jans/Georg Zimmermann (Hrsg.), Familienlastenausgleich? Plädoyers für eine gerechte Familienpolitik, 1996, S.57ff.

Β. Die Anerkennung der Kindererziehung

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2. Politische Motive für die Aufwertung der Kindererziehung a) Gemeinwohlorientierte

Ansätze

Viele Argumentationen für die Aufwertung der Kindererziehung knüpfen an die demographische Entwicklung der Gesellschaft an. Mit der Aufwertung der Kindererziehung ist häufig der Gedanke verbunden, das generative Verhalten der Bevölkerung zu beeinflussen. Eine bevölkerungspolitische Motivation für die Aufwertung der Kindererziehung wird in den seltensten Fällen offen ausgewiesen. Durch die Auswüchse der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik sind bevölkerungspolitische Motive immer noch mit einem Tabu belegt. Doch sind wichtige wirtschaftliche und soziale Institutionen auf eine konstante Bevölkerungsgröße hin konzipiert und nicht auf die gegenwärtige Bevölkerungsentwicklung hin angelegt.319 Die Sorge um den personellen Bestand und die Altersstruktur der Gesellschaft ist unter gesellschaftspolitischen wie auch volkswirtschaftlichen und sozialpolitischen Aspekten ein legitimes Anliegen. Derzeit gehört Deutschland zu den kinderärmsten Ländern der Welt. Aufgrund des Geburtenrückgangs und der sich erhöhenden Lebenserwartung ging der zahlenmäßige Anteil der jüngeren Generation an der Bevölkerung erheblich zurück. Wahrend die Kinder unter 14 Jahren 1970 noch 22 % der Bevölkerung ausmachten, betrug ihr Anteil 1997 nur noch 15%. Seit 1998 leben in Deutschland mehr Menschen über 60 Jahre als Menschen unter 20 Jahre. 320 Als Hauptursache für die rückläufigen Geburtenraten wird häufig die ungerechte Einkommensverteilung zu Lasten der Familien genannt und in diesem Zusammenhang die Aufstockung der Familieneinkommen gefordert. 321 Die finanzielle Anerkennung der Erziehungstätigkeit wird als eine notwendige Reaktion auf die gesellschaftlichen Veränderungen angesehen. Eltern müssen die Kosten der Kindererziehung überwiegend alleine tragen, während die Erträge dieser Leistung durch die Solidarisierung der Alterssicherung allen zugute kommen. Ökonomisch betrachtet hat die Kindererziehung damit positive externe Effekte, von deren Nutzen die Eltern die 318

Vgl. Andreas Netzler, Familie als Risiko? Zur Anerkennung von Erziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung. Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, 1993, S.20f.; Andreas Netzler, Verteilungsstrukturen und Äquivalenz der Familienarbeit, in: Andreas Netzler/Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S.64ff. 319 Vgl. Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG), Di Entscheidung für Kinder als ordnungspolitisches Problem im Rahmen einer Mehlgenerationensolidarität, Band 217 der Schriftenreihe, 1986, S. 16f. 320 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Zehnter Kin der- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation von Kindern und die Leistungen der Kinderhilfen in Deutschland, 1998, S.23. 321 Vgl. Heinz Lampert, Priorität für die Familie. Plädoyer für eine rationale Familienpolitik, 1996, S. 186 ff.

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

Gesellschaft nicht ausschließen können. Die Kindererziehung hat den Charakter eines öffentlichen Gutes angenommen. Für die Gesellschaft besteht aufgrund der positiven externen Effekte der Kindererziehung kein Anreiz, sich an den Kosten der Kindererziehung zu beteiligen. Sie nimmt eine Trittbrettfahrerposition ein, da das öffentliche Gut ohnehin bereitgestellt wird. Weil sich aber durch die mangelnde Beteiligung der Gesellschaft an den Kinderkosten die für die Gesellschaft notwendige Kindererziehung sowohl quantitativ als auch qualitativ zu verschlechtern droht, sei ein staatlicher Ordnungsrahmen notwendig, innerhalb dessen die Gesellschaft durch die Beteiligung an den Kosten der Kindererziehung zum Erhalt dieses Gutes angehalten und notfalls gezwungen wird. 322 Im Ergebnis soll sich die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Familien positiv auf das generative Verhalten auswirken und zur Erhaltung der Volkswirtschaft und der sozialen Sicherungssysteme beitragen. 323 Die Verknüpfung der Kindererziehung mit einem Entgeltanspruch ist danach eine ökonomische Klugheitsregel, die Bezahlung der Erziehungsleistung ein Gebot wirtschaftlicher und politischer Vernunft. Sie rechtfertigt sich als ein wirtschaftlicher Ausgleich für eine gesamtgesellschaftlich unverzichtbare, zunehmend knappe Leistung. 324 Dieser Zusammenhang kommt in dem Gedanken zum Ausdruck, daß die Kindererziehung keine reine Privatsache ist, sondern auch eine gesellschaftlich notwendige Tätigkeit darstellt. 325 Auch das Bundesverfassungsgericht stellt mitunter darauf ab, daß die Kinderbetreuung eine Leistung ist, die auch im Interesse der Gemeinschaft liegt und deren Anerkennung verlangt. 326 Aus Sicht der Familien ist ein solcher Begründungsansatz nicht unproblematisch. Zwar ist der Sachverhalt, daß für ein künftiges Volkseinkommen - bei welcher Bevölkerungswanderung auch immer - eine Generation folgen muß, ökonomisch un322 Vgl. Christian Leipert/Michael Opielka, Erziehungsgehalt 2000. Ein Weg zur Aufwertung der Erziehungsarbeit, 1998, S. 18 ff.; Christian Leipert, Aufwertung der Erziehungsarbeit. Ein Vorschlag zur Schaffung eines Kinder- und Familienfonds, 1994, S. 10; Hans Heinrich Nachtkamp, Plädoyer für ein staatliches Erziehungsentgelt, in: ifo Schnelldienst Nr. 9/2000, S.4ff.; Jürgen Borchert, Man muß kein Extremist sein... Familie im Transferred^: Nur ein sozialpolitisches Problem?, in: FuR 1992, S.91; Max Wingen, Aufwertung der elterlichen Erziehungsarbeit in der Einkommensverteilung. Grundlagen, Möglichkeiten und Grenzen eines „Erziehungseinkommens", in: Aus Politik und Zeitgeschichte Β 3-4/2000, S. 8. 323 Barbara Stiegler, Mutter, Kind und Vater Staat. Geschlechterpolitische Aspekte des Erziehungsgehalts, Expertisen der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Frauenforschung, 1999, S. 10. 324 Christian Leipert!Michael Opielka, Erziehungsgehalt 2000. Ein Weg zur Aufwertung der Erziehungsarbeit, 1998, S.24f.; Max Wingen, Aufwertung der elterlichen Erziehungsarbeit in der Einkommensverteilung. Grundlagen, Möglichkeiten und Grenzen eines „Erziehungseinkommens", in: Aus Politik und Zeitgeschichte Β 3-4/2000, S. 8. Vgl. auch Andreas Netzler, Wertäquivalenz familialer Leistungen und Risiken: Sozialpolitische Situation, Perspektiven und Konsequenzen, 1995, S. 15 ff. 325 Max Wingen, Erziehungseinkommen. Zielsetzungen, Legitimationsgrundlagen und Finanzierungsprobleme, Nr. 13 der Publikationen des österreichischen Instituts für Ehe und Familie, 1999, S.40f. 326 BVerfGE 87,1 (38); 99, 216 (234).

Β. Die Anerkennung der Kindererziehung

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327

bestreitbar. Die Schwäche dieses Begründungsansatzes liegt darin, daß sich die Bezahlung der Eltern für die Erziehungsleistung nach einem bevölkerungspolitischen Ziel richtet. Diese Argumentation kann sich konsequent auch in „Strafzahlungen" der Eltern für zu viele Kinder umkehren. Eine bevölkerungspolitisch motivierte Bezahlung der Erziehungstätigkeit setzt zudem die Festlegung auf eine unter ökonomischen Gesichtspunkten ideale Bevölkerungsstruktur und -große voraus. Dabei ist die Frage durchaus berechtigt, ob nicht die schrumpfende Bevölkerungszahl eine sinnvolle Antwort auf die weltweite Bevölkerungsexplosion und auf die Probleme eines dichtbesiedelten Landes darstellt. 328 Jedenfalls besteht eine Unsicherheit über die langfristig optimale Bevölkerungsstruktur, da es keine anerkannten Kriterien gibt, nach denen sich ein Bevölkerungsoptimum berechnen ließe. 329 Zudem konnte die Frage, ob durch familienpolitische Maßnahmen bevölkerungspolitische Effekte, insbesondere eine Zunahme der Geburtenrate, erzielt werden können, bislang durch vergleichende und historische Studien nicht eindeutig belegt werden. 330 b) Individualorientierte

Ansätze

Einen anderen Schwerpunkt setzen die an den individuellen Interessen der Familien orientierten Argumentationen. Sie setzen im Unterschied zu den gemeinwohlorientierten Begründungsansätzen, die vom personellen Bedarf der Gesellschaft ausgehen, unmittelbar an den Bedürfnissen und Interessen der Familien an. 331 Wer327 Zu dieser These von Gerhard Mackenroth vgl. Jürgen Borchert, Renten vor dem Absturz. Ist der Sozialstaat am Ende?, 1993, S. 51 ff. 328 Vgl Hans-Dieter Bamberg, Sozialpolitik und Geburtenrate. Über die Anbahnung sozialer Katastrophen zwischen Kindern und Rentnern, in: SozSich 1990, S. 252ff.

329 Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG), Die En scheidung für Kinder als ordnungspolitisches Problem im Rahmen einer Mehigenerationensolidarität, Band 217 der Schriftenreihe, 1986, S. 16f.; Andreas Netzler, Familie chancengleich leben: Was sollte der Familienlasten-, Risiko- und Leistungsausgleich leisten - und was leistet er?, in: Bernhard Jans/Georg Zimmermann (Hrsg.), Familienlastenausgleich? Plädoyers für eine gerechte Familienpolitik, 1996, S.61 und 63; Andreas Netzler, Familie als Risiko? Zur Anerkennung von Erziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung. Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, 1993, S.72f. 330 Michael Opielka, Bezahlte Elternschaft. Voraussetzungen und Folgen einer monetären Anerkennung der Erziehungsarbeit durch ein Erziehungsgehalt, in: Andreas Netzler/Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S.89; Michael Opielka, Bezahlte Elternschaft. Voraussetzungen und Folgen einer monetären Anerkennung der Erziehungstätigkeit durch ein Erziehungsgehalt, in: ZSR 1997, S. 893; Frank Käthler, Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub. Wahrnehmung und möglicher Einfluß auf generative Entscheidungen aus der Sicht junger Mütter. Eine explorative Studie, 1995, S. 183 f. Kritisch gegenüber ökonomischen Begründungen für die Notwendigkeit eines Familienlastenausgleichs auch Stefan Homburg!Carsten Gräff, Zur ökonomischen Begründbarkeit eines Familienlastenausgleichs, in: Bernd Felderer (Hrsg.), Familienlastenausgleich und demographische Entwicklung, 1988, S. 13 ff. 331 Andreas Netzler, Familie chancengleich leben: Was sollte der Familienlasten-, Risikound Leistungsausgleich leisten - und was leistet er?, in: Bernhard Jans/Geoig Zimmermann (Hrsg.), Familienlastenausgleich? Plädoyers für eine gerechte Familienpolitik, 1996, S. 50.

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1. Kap.: Die Familie in Staat und Gesellschaft

den Familien aufgrund der strukturellen Rücksichtslosigkeit der gesellschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen benachteiligt, sind diese Nachteile auch dann auszugleichen, wenn eine Steigerung der Geburtenrate nicht im gesamtgesellschaftlichen Interesse liegt. Bei diesem Ansatz kommt es nicht auf ein bevölkerungspolitisches Optimum an. Dennoch hat diese Begründung Bezug zur derzeitigen demographischen Entwicklung. Kinderlosigkeit wird als Lebensform von einem immer größeren Teil der Bevölkerung bewußt gewählt und die Gesellschaft differenziert sich zunehmend in kinderlose und familiale Lebensformen. Die Entscheidung für Kinder wird zum persönlichen Luxus. Sie ist nur eine von vielen „Investitionsmöglichkeiten", die gesellschaftlich geringe Wertschätzung erfährt. Da sich die staatlichen Transfersysteme und die soziale Umwelt nicht an den spezifischen Bedürfnissen der Familien orientieren, entsteht eine Schieflage zu Lasten der Familien. Solange die Gesellschaft homogener strukturiert war und die familialen Lasten den größten Teil der Gesellschaft gleichermaßen trafen, fiel eine strukturelle Rücksichtslosigkeit gegenüber Familien praktisch nicht ins Gewicht. Wenn jedoch immer weniger Menschen Verantwortung für Kinder übernehmen, treten Umverteilungseffekte zugunsten der Kinderlosen auf, die zu einer Transferausbeutung der Familien führen. 332 Diese Umverteilung zu Lasten der Familien muß nicht nur im Interesse des Gemeinwohls angegangen werden, sondern auch und vor allem im Interesse der Familien selbst. Die individuellen Interessen der Familien und ihrer Mitglieder betreffen individuelle Freiheiten, die durch die Grundrechte geschützt sind. Wird die Anerkennung der Kindererziehung in diesem Sinn primär als grundrechtsrelevante Frage verstanden, besteht im übrigen wenig Anlaß für den Verdacht der bevölkerungspolitischen Instrumentalisierung der Familie. Im Vordergrund steht die Schaffung von Rahmenbedingungen, die es dem einzelnen ermöglichen, Familie als Lebensform zu wählen und nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten.333 Nach diesem Ansatz ist die Vermeidung oder Minderung der Benachteiligung der Familien nicht nur ein Gebot der politischen Vernunft, sondern auch und vor allem eine Frage der Gerechtigkeit.

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Vgl. Erich Stutzer/Wolfgang Schwartz, Geburtenentwicklung und Frauenerwerbstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland, in: Ministerium für Familie, Frauen, Weiterbildung und Kunst Baden-Württemberg (Hrsg.), Familie heute - ausgewählte Aufsätze zur Situation der Familien in Baden-Württemberg, 1994, S. 115; Andreas Netzler, Familie als Risiko? Zur Anerkennung von Erziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung. Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, 1993, S. 20 f. Siehe auch oben 1. Kapitel A.VI.3. 333 Vgl. Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S.69ff.

Zweites Kapitel

Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie Die Familie steht unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Das in Art. 6 Abs. 1 GG formulierte Schutzgebot bindet die gesamte Rechtsordnung als unmittelbar geltendes Recht (Art. 1 Abs. 3 GG) und liefert einen Maßstab, an dem sich alle Erscheinungsformen der hoheitlichen Gewalt messen lassen müssen (Art. 20 Abs. 3 GG). Durch das verfassungsrechtliche Gebot zum Schutz der Familie erhält die Familienpolitik normative Vorgaben aus der Verfassung, die ihre Inhalte und Funktionen bestimmen. Familienpolitik erfährt in Art. 6 GG ihre verfassungsrechtliche Begründung und Begrenzung. Das Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG bietet deshalb den Ansatz für eine gerechtigkeitsorientierte Begründung der Forderung nach Anerkennung und Aufwertung der Erziehungstätigkeit. Das Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG kam bislang vor allem im Familienrecht zum Tragen. Das Familienrecht betrifft vorrangig den Binnenbereich der Familie (und hierbei weniger die Normallage des Funktionierens der Familie als die rechtliche Bewältigung ihres Nichtfunktionierens). Im Außenverhältnis der Familie zum Staat spielt das Schutzgebot vor allem im immateriell-persönlichen Bereich der Familie eine Rolle. Im Transferrecht, insbesondere dem Sozial- und Steuerrecht, die den materiell-wirtschaftlichen Bereich und damit das tägliche Leben der Familien maßgeblich beeinflussen, kommt dem Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG dagegen bislang wenig Bedeutung zu. Im Steuerrecht findet Art. 6 Abs. 1 GG durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zunehmend Berücksichtigung. Angesichts der schlechten wirtschaftlichen Situation vieler Familien und der wachsenden Familienarmut stellt sich die Frage, ob nicht auch das Sozialrecht in manchen Bereichen an der Schwelle dessen steht, was mit dem Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG nicht mehr vereinbar ist. Für die sich wandelnden gesellschaftlichen Bedingungen bietet das Verfassungsrecht zwar keine Lösungen - das ist Aufgabe der Politik - , aber das Verfassungsrecht kann einen Hinweis geben, wo politische Lösungen erforderlich sind, weil Widersprüche und Unterschiede ein Ausmaß erreichen, das mit der verfassungsmäßigen Ordnung nicht mehr zu vereinbaren ist. Unter Umständen ist der Gesetzgeber sogar von Verfassungs wegen verpflichtet, grundlegende Änderungen vorzunehmen. Die familienpolitischen Lösungsansätze müssen sich jedenfalls an den Direktiven des Verfassungsrechts messen lassen.

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

A. Der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG Das Bundesverfassungsgericht hat bereits sehr früh die Mehrdimensionalität des Grundrechtsschutzes in Art. 6 Abs. 1 GG betont und zunächst drei Gewährleistungsinhalte benannt. Danach enthält Art. 6 Abs. 1 GG ein Abwehrrecht im klassischen Sinn, eine Instituts- oder Einrichtungsgarantie und eine wertentscheidende Grundsatznorm. 1 Von der Mehrdimensionalität des Art. 6 Abs. 1 GG geht auch das Schrifttum überwiegend aus.2 Fraglich ist zunächst, welche Vorgaben sich aus diesen Grundrechtsfunktionen für die Anerkennung der Kindererziehung im Rahmen des staatlichen Kinderleistungsausgleichs ergeben. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob und in welchem Umfang Art. 6 Abs. 1 GG eine leistungsrechtliche Dimension im Sinne des status positivus der Grundrechte zukommt und der einzelne ein Recht auf staatliche Transferleistungen im Rahmen des Kinderleistungsausgleichs hat.

I. Der verfassungsrechtliche Familienbegriff Schutzobjekt des Art. 6 Abs. 1 GG ist neben der Ehe die Familie. Der verfassungsrechtliche Familienbegriff wird häufig als offener Verfassungsbegriff bezeichnet, weil er gesellschaftlichen Veränderungen und Entwicklungen zugänglich ist und die Berücksichtigung sozialen Wandels erlaubt.3 Gleichwohl ist der verfassungsrechtliche Begriff der Familie nicht beliebig. Das Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG enthält eine Rechtsnorm. Der verfassungsrechtliche Begriff der Familie bezeichnet das Schutzobjekt dieser Norm und bedarf als solcher der Auslegung.4 Der Versuch einer Begriffsbestimmung anhand des allgemeinen Sprachgebrauchs ist wenig hilfreich, da es weder in den Wissenschaften noch in der Alltags1

BVerfGE 6, 55, (71 f.); 32, 260 (267); 55,114 (126); 76, 1 (49). Theodor Maunz, in: Theodor Maunz/Günter Dürig/Roman Herzog (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 7. Auflage, Stand: Juni 1998, Art. 6 Rn.6; Eva Marie von Münch, in: Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 4. Auflage, 1992, Art. 6 Rn.9,12 und 19; Bodo Pieroth, in: Hans Jarass/Bodo Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Kommentar, 2. Auflage, 1992, Art. 6 Rn. 1; Karl Heinrich Friauf, Verfassungsgarantie und sozialer Wandel - das Beispiel von Ehe und Familie, in: NJW 1986, S. 2599. 3 Eva Marie von Münch, in: Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 4. Auflage, 1992, Art. 6 Rn. 3; Helmut Lecheler, Schutz von Ehe und Familie, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band VI, 1989, § 133 Rn.29ff.; vgl. auch Ingo Richter, in: Rudolf Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, 2. Auflage, 1989, Art. 6 Rn. 40 b. 4 Vgl. BVerfGE 6,55 (76); Theodor Maunz, in: Theodor Maunz/Günter Dürig/Roman Herzog (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 7. Auflage, Stand: Juni 1998, Art. 6 Rn.6; Dieter Ρ ir son, in: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art. 6 Rn. 1; Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot der staatlichen Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 87 f.; Peter Häberle, Verfassungsschutz der Familie - Familienpolitik im Verfassungsstaat, 1984, S.24ff. 2

Α. Der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG

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spräche ein einheitliches Verständnis des Familienbegriffs gibt. Auch in der übrigen Rechtsordnung fehlt es an einer Definition des Begriffs der Familie, die den zur Familie zählenden Personenkreis eindeutig bezeichnet. Die Gesetze gebrauchen verschiedene, am jeweiligen Normzweck orientierte Familienbegriffe. Ein Rückgriff auf einen gesicherten und übereinstimmenden Gebrauch des Begriffs der Familie in der übrigen Rechtsordnung ist nicht möglich.6 Die enge Verknüpfung des Begriffs der Familie mit dem Begriff der Ehe in Art. 6 Abs. 1 GG ist ebenfalls wenig aufschlußreich. Das „und" zwischen Ehe und Familie kann sowohl verbindend als auch trennend verstanden werden. Allerdings wird durch den systematischen Zusammenhang mit den Abs. 2 und 3 des Art. 6 GG die vorrangige Erziehungsfunktion der Familie für das Kind deutlich. Dies weist auf die Notwendigkeit des Vorhandenseins von Kindern für das Bestehen einer Familie hin. 7 Im Abs. 5 des Art. 6 GG wird ausdrücklich die Gleichstellung nichtehelicher Kinder gefordert. Daraus ließe sich die Schlußfolgerung ziehen, daß Lebensgemeinschaften mit nichtehelichen Kindern grundsätzlich nicht unter den in Art. 6 Abs. 1 GG formulierten Schutz der Familie fallen. 8 Dieser Schluß ist jedoch nicht zwingend. Art. 6 Abs. 5 GG läßt sich ebensogut als besonderes Schutzgebot für nichteheliche Kinder begreifen, denen aufgrund der besonderen Sachlage eine bevorzugte Behandlung zuteil werden darf - und gegebenenfalls zuteil werden muß, um ihnen im Vergleich zu ehelichen Kindern die gleichen Chancen zu gewährleisten. Dies wiederum spricht gegen die Annahme, die Ehe sei notwendige Voraussetzung für das Bestehen einer Familie. Im Gegensatz zur Weimarer Reichsverfassung verbindet der Wortlaut des Grundgesetzes Ehe und Familie nicht zwingend zu einem einheitlichen Schutzgut.9 Die hi5

Siehe oben 1. Kapitel Α. I.; Axel Frhr. von Campenhausen, Verfassungsgarantie und sozialer Wandel - Das Beispiel von Ehe und Familie, in: VVDStRL 45 (1987), S. 21 f.; Martin Moderegger, Der verfassungsrechtliche Familienschutz und das System des Einkommensteuerrechts, 1991, S. 19. 6 Dieter Pirson, in: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art. 6 Rn. 23; Axel Frhr. von Campenhausen, Verfassungsgarantie und sozialer Wandel - Das Beispiel von Ehe und Familie, in: VVDStRL 45 (1987), S. 22. 7 Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot der staatlichen Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 90; Hans-Uwe Erichsen, Elternrecht - Kindeswohl - Staatsgewalt. Zur Verfassungsmäßigkeit staatlicher Einwirkungsmöglichkeiten auf die Kindeserziehung durch und aufgrund von Normen des elterlichen Sorgerechts und des Jugendhilferechts, 1985, S.24. 8 So etwa Helmut Lecheler, Verfassungsgarantie und sozialer Wandel. Das Beispiel von Ehe und Familie. Zur Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer in München 1986, in: DVB1.1986, S. 907. Von der Nichtfamiliarität der Gemeinschaften mit nichtehelichen Kindern gingen auch die Verfassungseltern aus. Art. 6 Abs. 5 GG sollte dieser Situation Rechnung tragen; vgl. Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot der staatlichen Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S.91. 9 Art. 119 WRV lautete: „(1) Die Ehe steht als Grundlage des Familienlebens und der Erhaltung und Vermehrung der Nation unter dem besonderen Schutz der Verfassung. Sie beruht

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

storische Auslegung ergibt aber, daß die Väter und Mütter des Grundgesetzes weitgehend von der Einheit von Ehe und Familie ausgingen und auch die kinderlose Ehe als Familie ansahen.10 Für die Verfassungseltern waren Ehe und Familie nahezu identisch. Die Ehe galt als Grundlage der Familie, die Familiengründung war die übliche Folge der Eheschließung. Dieses dem Begriff der Familie ursprünglich zugrundeliegende Leitbild hat sich im Laufe des Jahrhunderts grundlegend geändert. Mit den Möglichkeiten der Empfängnisverhütung und der zunehmenden Pluralisierung der Lebensformen ist die Ehe nicht mehr selbstverständlich auf Kinder angelegt. Die Ehe kann nicht mehr nur als werdende Familie begriffen werden. Ehepaare, die zeitlebens kinderlos bleiben, und Kinder, die nicht in eine Ehe hineingeboren werden und in einer dauerhaften ehelichen Verbindung der Eltern aufwachsen, gibt es mittlerweile in immer größer werdender Zahl. Auch wenn es sich dabei nur um quantitative Verschiebungen handelt, darf dieser gesellschaftliche Wandel bei der Verfassungsauslegung nicht unberücksichtigt bleiben.11 Fragt man nach dem Normzweck des Art. 6 Abs. 1 GG, so hängt die Bestimmung des Schutzobjekts Familie wesentlich davon ab, welche Funktionen der Familie als besonders schützenswert angesehen werden. 12 Legt man den Schwerpunkt auf die Reproduktionsfunktion der Familie und die Erziehungsfunktion für das Kind, liegt es nahe, alle Lebensgemeinschaften von Erwachsenen und Kindern in den Familienbegriff einzubeziehen.13 Sieht man zudem die Schutzbedürftigkeit der ElternKind-Gemeinschaft als vorrangigen Schutzgrund, ist gerade die Einbeziehung der auf der Gleichberechtigung der beiden Geschlechter. (2) Die Reinhaltung, Gesundung und soziale Förderung der Familie ist Aufgabe des Staates und der Gemeinden. Kinderreiche Familien haben Anspruch auf ausgleichende Fürsorge. (3) Die Mutterschaft hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge des Staates." 10 Axel Frhr. von Campenhausen, Verfassungsgarantie und sozialer Wandel - Das Beispiel von Ehe und Familie, in: VVDStRL 45 (1987), S. 14f.; Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot der staatlichen Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S.91, 52ff. 11 Eva Marie von Münch, in: Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 4. Auflage, 1992, Art. 6 Rn. 3; Paul Kirchhof, Ehe und Familie im staatlichen und kirchlichen Steuerrecht, in: Heiner Marré/Johannes Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (21), 1986, S. 119. 12 Dieter Pirson, in: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art. 6 Rn. 24ff.; Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot der staatlichen Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S.91. Siehe zu den Funktionen der Familie oben 1. Kapitel B.I.l.a). 13 Wird der Grund der Schutzgewährung dagegen auch in der Optimierung der stabilisierenden Sozialfunktion der Familie gesehen, mag die Sicherstellung der Dauerhaftigkeit der Familienbeziehungen durch die Ehe sinnvoll sein. Danach wäre lediglich die eheliche Lebensgemeinschaft mit Kindern vom Familienbegriff des Art. 6 Abs. 1 GG erfaßt. So jedoch nur Helmut Lecheler, der den verfassungsrechtlichen Familienbegriff auf die „vollständige" Familie auf der Grundlage der auf Lebenszeit eingegangenen Ehe beschränkt; Helmut Lecheler, Schutz von Ehe und Familie, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band VI, 1989, § 133 Rn.42ff.

Α. Der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG

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„unvollständigen" Familien i n den Schutzbereich geboten. Bei dieser weiten Auslegung des Familienbegriffs gehört zur Familie nicht nur die Gemeinschaft der verheirateten Eltern mit ihren gemeinsamen Kindern, sondern auch die durch Tod, Scheidung oder Trennung unvollständig gewordene Familie, die Gemeinschaft des nichtehelichen Kindes mit seiner Mutter oder seinem Vater sowie das Verhältnis zwischen Adoptiveltern und Adoptivkindern, zwischen Stiefeltern und Stiefkindern sowie zwischen Pflegeeltern und Pflegekindern. 15 Da nach diesem Verständnis bereits die Lebensgemeinschaft des nichtehelichen Kindes mit seiner Mutter oder mit seinem Vater eine Familie bilden, wird die nichteheliche Lebensgemeinschaft mit Kindern unterschiedlich beurteilt. Ob man in diesem Fall zwei Familien annimmt 1 6 , nur die Verbindung von Mutter und K i n d als Familie ansieht 17 oder die nichteheliche Lebensgemeinschaft der Eltern mit dem K i n d als eine Familie betrachtet 18 , spielt vor allem für die rechtliche Stellung des Vaters eine Rolle. Anknüpfungspunkt für staatliche Leistungen zum Ausgleich kindbedingter Lasten oder Leistungen kann jeweils nur das K i n d sein, das nach allen Ansichten zumindest i n seiner Verbindung zur Mutter unter den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG fällt. 1 9 14 Vgl. Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot der staatlichen Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S.91. 15 BVerfGE 10,59 (66); 18, 97 (105 f.); 45,104 (123); 48, 327 (339); 56, 363 (382); 59, 52 (63); 68,176 (187); Eva Marie von Münch, in: Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 4. Auflage, 1992, Art. 6 Rn.7; Dieter Pirson, in: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art. 6 Rn.24; Theodor Maunz, in: Theodor Maunz/Günter Dürig/Roman Herzog (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 7. Auflage, Stand: Juni 1998, Art. 6 Rn. 16; Paul Kirchhof, Ehe und Familie im staatlichen und kirchlichen Steuerrecht, in: Heiner Marré/Johannes Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (21), 1986, S. 139f.; Wolfgang Zeidler, Ehe und Familie, in: Ernst Benda/Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1983, S.581. Ausführlich zu den familialen Einzelkonstellationen Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot der staatlichen Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S.98ff. 16 Theodor Maunz, in: Theodor Maunz/Günter Dürig/Roman Herzog (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 7. Auflage, Stand: Juni 1998, Art. 6 Rn. 16 a; Ingo Richter, in: Rudolf Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, 2. Auflage, 1989, Art. 6 Rn. 36 c; Wolf gang Zeidler, Ehe und Familie, in: Ernst Benda/Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1983, S.584. 17 Vgl. BVerfGE 56,363 (380 f. m. w. N.); Paul Kirchhof, Ehe und Familie im staatlichen und kirchlichen Steuerrecht, in: Heiner Marré/Johannes Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (21), 1986, S. 140. 18 Eva Marie von Münch, in: Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 4. Auflage, 1992, Art. 6 Rn. 8. 19 Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot der staatlichen Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 111 f. Das gilt selbst für den Fall, daß man die Gemeinschaft einer nichtehelichen Mut-

8 Tünnemann

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

Die Einbeziehung der Ehe in den an das Vorhandensein von Kindern anknüpfenden Familienschutz erweist sich im übrigen als überflüssig. Art. 6 Abs. 1 GG räumt der Ehe unabhängig von der Familie einen besonderen Schutz ein. Dem Schutzbedürfnis der rechtlich verbundenen Lebensgemeinschaft wird dadurch Genüge getan. 20 Eheschutz und Familienschutz können getrennt gesehen werden, ohne daß der Schutz einer Lebensgemeinschaft dadurch leerliefe. 21 Auch das Bundesverfassungsgericht hat die Familie schon früh als die umfassende Gemeinschaft von Eltern und Kindern definiert und spricht von zwei Rechtsinstituten, nämlich einerseits von der Ehe und andererseits von der Familie. 22 Ein solch funktionaler Interpretationsansatz, der danach fragt, welche Funktionen der Familie für das Individuum und für die Gesellschaft grundrechtlich geschützt sind, ist offen für sozialen Wandel. Er geht nicht vom Wesen der Familie im Sinne eines vorgefaßten Leitbildes aus. Die grundrechtliche Schutzpflicht kommt bei diesem Ansatz überall dort zur Geltung, wo die von Art. 6 Abs. 1 GG gemeinte soziale Funktion erbracht wird, also auch außerhalb der traditionellen, auf Ehe gegründeten Familie (ohne daß dadurch der Schutz traditioneller Lebensformen verkürzt würde). 23 Auch der Umstand, daß Art. 6 Abs. 1 GG ausdrücklich eine staatliche Schutzpflicht statuiert, spricht für ein weites Familienverständnis, das von der Schutzbedürftigkeit der Familie ausgeht. Zudem widerspräche es dem allgemeinen Grundrechtsverständnis, einen relativ engen Schutzbereich anzunehmen. Ein funktionales Familienverständnis gewährleistet, daß Art. 6 GG auch unter den Bedingungen der heutigen familiären Wirklichkeit seine umfassende Bedeutung als Grundrecht entter oder eines nichtehelichen Vaters und seiner Kinder nicht als Familie im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG ansieht, sondern den Rechtsgrund für den Schutz dieser Gemeinschaften in Art. 6 Abs. 5 GG sieht; vgl. etwa Axel Frhr. von Campenhausen, Verfassungsgarantie und sozialer Wandel - Das Beispiel von Ehe und Familie, in: VVDStRL 45 (1987), S. 23. Dies hat zwar Auswirkungen für die Rechtsstellung des Vaters, kann aber nicht zu Unterschieden bei staatlichen Leistungen für Kinder führen, weil nach Art. 6 Abs. 5 GG dem nichtehelichen Kind die gleichen Lebenschancen zu sichern sind. 20 Vgl. Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot der staatlichen Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 100. 21 Eva Marie von Münch, in: Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 4. Auflage, 1992, Art. 6 Rn. 3; Paul Kirchhof, Ehe und Familie im staatlichen und kirchlichen Steuerrecht, in: Heiner Marré/Johannes Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (21), 1986, S. 119. 22 BVerfGE 10, 59 (66); 18,97 (105 f.). Gleichzeitig sieht das Bundesverfassungsgericht in der Ehe als rechtliche Form umfassender Bindung zwischen Mann und Frau grundsätzlich die Voraussetzung für die bestmögliche Entwicklung von Kindern; vgl. BVerfGE 76, 1 (51); 99, 145 (156). 23 Vgl. Dieter Grimm in der Aussprache zu den Berichten „Verfassungsgarantie und sozialer Wandel - Das Beispiel von Ehe und Familie" auf der Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer im Oktober 1986, in: VVDStRL 45 (1987), S. 108 f.; Ingo Richter, in: Rudolf Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, 2. Auflage, 1989, Art. 6 Rn. 13 c; Manfred Zuleeg, Verfassungsgarantie und sozialer Wandel - Das Beispiel von Ehe und Familie, in: NJW 1986, S. 801.

Α. Der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG

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falten kann. Das Zusammenleben mit Kindern und die Pflege und Erziehung der Kinder sind die entscheidenden individuellen und gesellschaftlichen Funktionen der Familie. Kinder bilden damit das konstitutive Element der Familie und das entscheidende Abgrenzungskriterium für die Gegenüberstellung von Familien und Nichtfamilien. 24

II. Die abwehrrechtliche Dimension Als Grundrecht im klassischen Sinn gewährt Art. 6 Abs. 1 GG dem einzelnen Grundrechtsträger ein individuelles Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe in die Privatsphäre der Familie. Dem Staat sind störende Eingriffe in diesen Privatbereich verwehrt. Hierin liegt die Abkehr von der Allstaatlichkeit des Nationalsozialismus und ein Bekenntnis zur Eigenständigkeit und Selbstverantwortlichkeit des einzelnen im privaten Lebensbereich.25 In dieser freiheitlichen Dimension schützt Art. 6 Abs. 1 GG in den von Georg Jellinek unterschiedenen klassischen Grundrechtsfunktionen den status negativus - den Zustand des einzelnen gegenüber dem Staat, in welchem ihm die Freiheit vom Staat gewährt wird. 26 Aus diesem freiheitsrechtlichen Gehalt des Art. 6 Abs. 1 GG läßt sich keine Verpflichtung des Staates zur Einrichtung eines staatlichen Leistungssystems zum Ausgleich familiärer Lasten und Leistungen ableiten. Wollte man die Versagung staatlicher Leistungen für die Erziehungstätigkeit als Eingriff im abwehrrechtlichen Sinn einstufen, müßte der zu gewährenden Leistung ein entsprechender Anspruch gegenüberstehen. Ein Anspruch auf staatliche Leistungen kann sich jedoch nicht aus der abwehrrechtlichen Dimension des Grundrechts ergeben. Das Abwehrrecht verpflichtet den Staat zum Unterlassen und nicht zum Handeln.27 Auch wenn sich eine Verpflichtung des Staates zur finanziellen Aufwertung der Erziehungstätigkeit aus dem Abwehrrecht nicht ableiten läßt, können sich aus der abwehrrechtlichen Dimension des Grundrechts gleichwohl Vorgaben für die Ausgestaltung eines staatlichen Kinderleistungsausgleichs ergeben. Als Freiheitsrecht gewährleistet Art. 6 Abs. 1 GG die Freiheit des familiären Zusammenlebens, das heißt die Freiheit, die familiäre Lebensform zu wählen, Kinder zu haben, sie zu erziehen und mit ihnen zusammen zu leben.28 Familienfreiheit bedeutet sowohl die Freiheit 24

Vgl. Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot der staatlichen Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S . l l l f . 25 BVerfGE 6,55 (71); 80, 81 (92); 87,1 (35); Eva Marie von Münch, in: Ingo von Münch/ Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 4. Auflage, 1992, Art. 6 Rn. 12 ff. 26 Vgl. Bodo Pieroth/Bernhard Schlink, Grundrechte. Staatsrecht II, 12. Auflage, 1996, S. 18f. 27 Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, 1996, S.395. 28 Ingo Richter, in: Rudolf Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, 2. Auflage, 1989, Art. 6 Rn. 14; Dieter

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

der Familie als Gemeinschaft als auch die Freiheit des einzelnen, der Eltern und der Kinder, in und zur Familie. Art. 6 Abs. 1 GG ist insoweit eine Konkretisierung des Grundrechts auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG). 29 Er schützt die Familiengründung und die Familienerweiterung, wobei den Eltern von der Kinderzahl her keine Grenzen gesetzt sind.30 Familienfreiheit setzt voraus, daß dem einzelnen die individuelle Entscheidung für eine Familie zumindest nicht unzumutbar erschwert wird - was noch nicht gleichbedeutend ist mit individuellen Leistungsrechten.31 Die individuelle Entscheidungsfreiheit darf aber durch staatliche Maßnahmen zugunsten einer bestimmten Familien- oder Lebensform nicht in unzumutbarer Weise eingeschränkt werden. Die Freiheit des familiären Zusammenlebens umfaßt das Recht, das Familienleben nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten, insbesondere über die Erwerbstätigkeit und Haushaltsführung zu bestimmen, die Kinder selbst zu versorgen oder von öffentlichen oder privaten Angeboten der außerfamilialen Kinderbetreuung Gebrauch zu machen. Diese Wirkungsweise des Freiheitsgrundrechts hatte das Bundesverfassungsgericht bereits sehr früh betont.32 Art. 6 Abs. 1 GG sei ein Bekenntnis zur Freiheit der spezifischen Privatsphäre der Familie und entspreche damit einer Leitidee der Verfassung, nämlich der grundsätzlichen Begrenztheit der öffentlichen Gewalt in ihrer Einwirkungsmöglichkeit auf das freie Individuum. Aus diesem Gedanken folge allgemein die Anerkennung einer Sphäre privater Lebensgestaltung, die staatlicher Einwirkung entzogen sei. Zu dem Gehalt solcher privaten Entscheidungsfreiheit gehöre auch die Entscheidung darüber, ob eine Ehefrau sich ausschließlich dem Haushalt und der Familie widmet, ob sie dem Mann im Beruf hilft oder ob sie eigenes marktwirtschaftliches Einkommen erwirbt. In Bezug auf die damals in Frage stehende Zusammenveranlagung von Ehegatten im Rahmen der Haushaltsbesteuerung nach dem Einkommensteuergesetz 1951 führte das Gericht aus, daß das zur Rechtfertigung der Zusammenveranlagung angeführte Ziel, die erwerbstätige Ehefrau „ins Haus zurückzuführen" (der sogenannte Edukationseffekt), einer bestimmten Vorstellung von der besten Art der Ehe- und Familiengestaltung entspricht, Art. 6 Abs. 1 GG aber die Gestaltung der Privatsphäre den Ehegatten selbst überläßt. Der Gesetzgeber dürfe daher eine bestimmte Gestaltung der privaten Sphäre der Ehe nicht unmittelbar erzwingen. Sei aber ein solcher unmittelbarer Pirson, in: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art. 6 Abs. 1 Rn. 95. 29 Ingo Richter, in: Rudolf Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, 2. Auflage, 1989, Art. 6 Rn. 14. 30 Martin Moderegger, Der verfassungsrechtliche Familienschutz und das System des Einkommensteuerrechts, 1991, S. 32. 31 Vgl. Hermann Weber in der Aussprache zu dem Vortrag „Ehe und Familie im sozialen Sicherungssystem" von Peter Krause bei den 21. Essener Gesprächen im Jahr 1986, in: Heiner Marré/Johannes Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (21), 1986, S. 103 f. 32 BVerfGE 6, 55 (81).

Α. Der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG

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Zwang verfassungswidrig, könne dasselbe Ziel auch nicht geeignet sein, eine Maßnahme zu legitimieren, die mittelbar diesem Ziel dienen soll. 33 Den Gedanken der individuellen Freiheit im familiären Zusammenleben hat das Bundesverfassungsgericht nun auch in Bezug auf die Kindererziehung konkretisiert. 34 Art. 6 Abs. 1 GG garantiere als Abwehrrecht die Freiheit, über die Art und Weise der Gestaltung des ehelichen und familiären Zusammenlebens selbst zu entscheiden. Deshalb habe der Staat die Familiengemeinschaft sowohl im immateriellpersönlichen als auch im materiell-wirtschaftlichen Bereich in ihrer jeweiligen eigenständigen und selbstverantwortlichen Ausgestaltung zu respektieren. Demgemäß dürfen die Eltern ihr familiäres Leben nach ihren Vorstellungen planen und verwirklichen und insbesondere in ihrer ErziehungsVerantwortung (Art. 6 Abs. 2 GG) entscheiden, ob und in welchem Entwicklungsstadium das Kind überwiegend von einem Elternteil allein, von beiden Eltern in wechselseitiger Ergänzung oder von einem Dritten betreut werden soll. Die Eltern bestimmen, vorbehaltlich des Art. 7 GG, in eigener Verantwortung insbesondere, ob und inwieweit sie andere zur Erfüllung ihres Erziehungsauftrags heranziehen wollen. Nach Art. 6 Abs. 1 GG stehe die Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung, das Wächteramt des Staates (Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG) berechtige den Staat aber nicht, die Eltern zu einer bestimmten Art und Weise der Erziehung ihrer Kinder zu drängen. Das Grundgesetz überlasse die Entscheidung über das Leitbild der Erziehung den Eltern, die über Art und Weise der Betreuung des Kindes, seine Begegnungs- und Erlebensmöglichkeiten sowie den Inhalt seiner Ausbildung bestimmen. Diese primäre Entscheidungsverantwortlichkeit der Eltern beruhe auf der Erwägung, daß die Interessen des Kindes in aller Regel am besten von den Eltern wahrgenommen werden. 35 Wenngleich sich aus diesen Erwägungen noch kein Anspruch der Familien auf die Gewährung staatlicher Leistungen für die Betreuung und Erziehung ihrer Kinder ergibt, enthält das Freiheitsgrundrecht dennoch Direktiven für die Ausgestaltung derjenigen Teilrechtsordnungen, welche die Höhe der den Familien zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel beeinflussen.

I I I . Die Institutsgarantie In seiner Funktion als Instituts- oder Einrichtungsgarantie sichert Art. 6 Abs. 1 GG die Familie in ihrer wesentlichen rechtlichen Struktur. 36 Die juristische Wirkungskraft der Institutsgarantie bleibt darauf beschränkt, einen Kern der das Familienrecht bildenden Vorschriften zu gewährleisten, der die Familie als Institution, als 33

BVerfGE 6, 55 (81 f.). BVerfGE 99, 216. 35 BVerfGE 99, 216 (231 f.). 36 BVerfGE 6, 55 (72); Eva Marie von Münch, in: Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 4. Auflage, 1992, Art. 6 Rn. 9 ff. 34

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

privatrechtliche Einrichtung in Staat und Gesellschaft, in ihren wesentlichen Grundzügen rechtlich definiert, garantiert und gegen Aufhebung oder wesentliche Umgestaltung schützt.37 Das Bundesverfassungsgericht bezog die Institutsgarantie ursprünglich nur auf einen Normenkern des bürgerlichen Rechts38, Schloß später aber auch andere Rechtsbereiche nicht aus.39 Welche normativen Grundelemente tatsächlich unter die Institutsgarantie fallen, ist in Hinblick auf die Familie jedoch weithin offen. Zur Beurteilung der die wirtschaftliche Lage der Familien beeinflussenden Normen hat das Bundesverfassungsgericht bisher nicht auf diese Gewährleistung des Art. 6 Abs. 1 GG zurückgegriffen. In der Literatur wird zumindest die Verpflichtung der Eltern, ihren Kindern gemäß ihrer Leistungsfähigkeit Unterhalt zu gewähren, sie also an ihrem Lebensstandard teilhaben zu lassen, als von der Institutsgarantie geschützter Normenkern angesehen.40 Weder die vergleichsweise schlechte finanzielle Situation der Familien noch die gesamtgesellschaftlichen Umverteilungswirkungen zu Lasten der Familien berühren jedoch den Gewährleistungsgehalt der Institutsgarantie des Art. 6 Abs. 1 GG. Zwar gefährdet ein geringes Familieneinkommen - verursacht durch geringere Erwerbseinkommenschancen und höhere Transferbelastungen - die Leistungs- und Funktionsfähigkeit der Familie, doch wird dadurch nicht das Rechtsinstitut der Familie in Frage gestellt. Der Inhalt der Institutsgarantie beschränkt sich auf die Garantie eines Normenkerns, welcher die Existenz und die wesentlichen Elemente des Rechtsinstituts Familie gewährleistet. Staatliche Leistungspflichten zur Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit und Funktionsfähigkeit der Familie lassen sich aus der Institutsgarantie nicht ableiten.41

IV. Die objektive Gewährleistung Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts enthalten die grundrechtlichen Verbürgungen nicht allein subjektive Abwehrrechte des einzelnen gegen die öffentliche Gewalt, sondern stellen zugleich objektiv-rechtliche Wertentscheidungen der Verfassung dar, die für alle Bereiche der Rechtsordnung gelten und 37 BVerfGE 6,55 (72); 80,81 (92); Eva Marie von Münch, in: Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 4. Auflage, 1992, Art. 6 Rn.9. 38 BVerfGE 6,55, (72). 39 BVerfGE 76, 1 (49); 80, 81 (92). 40 Franz Ruland, Verfassungsrechtliche Vorgaben des Familienlastenausgleichs, in: FuR 1991, S. 309; Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 114 ff. 41 Vgl. Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S.118f.

Α. Der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG

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Richtlinien für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung geben. Auch Art. 6 Abs. 1 GG enthält eine wertentscheidende Grundsatznorm. Bereits im Wortlaut statuiert Art. 6 Abs. 1 GG den besonderen Schutz der Familie durch die staatliche Ordnung und hebt sich mit dieser Formulierung als ausdrückliches Schutzversprechen deutlich vom Wortlaut anderer Normen des Grundrechtskatalogs ab. Art. 6 GG sichert die Familie nicht nur gegen staatliche Einwirkungen, sondern fordert zugleich ein schützendes Tätigwerden des Staates für die Familie.43 Die weite Formulierung des Art. 6 Abs. 1 GG - gewährleistet wird der Schutz der Familie schlechthin - kennzeichnet die Bestimmung als Grundsatznorm für das gesamte die Familie betreffende Recht.44 Die objektiven Wertentscheidungen der Verfassung geben den Grundrechten über die Abwehrfunktion hinaus zusätzliche Gehalte. Diese zusätzlichen Grundrechtsgehalte bilden die objektive Gewährleistung der Grundrechte. Auch das Bundesverfassungsgericht spricht inzwischen von objektiven Prinzipien der Grundrechte. 45 Die objektive Gewährleistung der Grundrechte begründet grundrechtliche Schutzpflichten, Organisations- und Verfahrensrechte sowie unter Umständen Teilhabe- und Leistungsrechte, die dem einzelnen Grundrechtsträger einklagbare Rechte gewähren und somit wiederum subjektiv-rechtlichen Charakter gewinnen können.46 1. Die allgemeine grundrechtliche Schutzpflicht Aus dem Wertentscheidungscharakter der Grundrechte hat das Bundesverfassungsgericht unter anderem die allgemeine Schutzpflicht des Staates als Inhalt der Grundrechte entwickelt.47 In der Literatur fand diese Rechtsprechung weitgehend Zustimmung.48 Das Wesentliche der allgemeinen grundrechtlichen Schutzpflicht ist die Verpflichtung des Staates zur Abwehr von Eingriffen durch Dritte. Während das 42

BVerfGE 49, 89 (141 f.). Paul Kirchhof, Die verfassungsrechtliche Garantie der Familie als Erziehungsgemeinschaft, in: Bernhard Jans/Geoig Zimmermann (Hrsg.), Familienlastenausgleich? Plädoyers für eine gerechte Familienpolitik, 1996, S. 10. 44 BVerfGE 6, 55 (72f.); 53, 224 (248); Eva Marie von Münch, in: Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 4. Auflage, 1992, Art. 6 Rn. 19 ff. 45 BVerfGE 57,295 (319f.). 46 BVerfGE 49,89 (141 f.); HansJarass, in: Hans Jarass/Bodo Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Kommentar, 2. Auflage 1992, Vorb. vor Art. 1 Rn. 6; Bodo Pieroth!Bernhard Schlink, Grundrechte. Staatsrecht II, 12. Auflage, 1996, S.23; Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 126 ff. 47 Maßgebend war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Fristenlösung; BVerfGE 39,1 (41 ff.). 48 Josef Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 1992, § 111 Rn. 19 m. w. N. 43

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

Bundesverfassungsgericht auch die Abwehr staatlicher Eingriffe zu den grundrechtlichen Schutzpflichten zählt 49 , betont die Literatur, daß das Verbot für den Staat, selbst verletzend in die Grundrechte einzugreifen, bereits Ausdruck der abwehrrechtlichen Funktion der Grundrechte ist. 50 Abwehrrecht und staatliche Schutzpflicht bilden danach unterschiedliche Funktionen eines Freiheitsgrundrechts. Das Abwehrrecht richtet sich gegen Eingriffe seitens der öffentlichen Gewalt, die Schutzpflicht greift dagegen bei drohenden Übergriffen seitens Privater. Die abwehrrechtliche Dimension der Grundrechte gewährleistet dem Bürger Freiheit vom Staat; die allgemeine grundrechtliche Schutzpflicht gewährleistet dem Bürger Freiheit durch den Staat. Konstitutives Element der allgemeinen Schutzpflicht ist die Dreiecksbeziehung, die zwischen dem schützenden Staat, dem Grundrechtsträger und dem eingreifenden Dritten entsteht. Der Tatbestand, dessen Erfüllung die staatliche Schutzpflicht auslöst, setzt damit notwendig den Eingriff eines Privaten voraus. 51 Die allgemeine grundrechtliche Schutzpflicht des Staates als eine Wirkungsweise der wertentscheidenden Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1 GG hat für das Rechtsgut Familie kaum eigenständige Bedeutung. Zwar kann die Familie in ihrem gemeinschaftlichen Zusammenhalt durch Drittangriffe auf einzelne Familienmitglieder oder auf die gesamte Familie verletzt werden (zum Beispiel durch Verschleppung, Entführung oder Tötung eines Familienmitglieds), aber solche Angriffe lösen regelmäßig auch die auf die individuell betroffene Person bezogene staatliche Schutzpflicht aus, so daß ein Rekurs auf die Familie als zu schützendes Rechtsgut nicht erforderlich ist. Die allgemeine grundrechtliche Schutzpflicht des Art. 6 Abs. 1 GG wird weitgehend von den durch andere Grundrechte begründeten staatlichen Schutzpflichten überlagert. 52 Gleiches gilt für die wirtschaftliche Lage der Familien. Die Verpflichtung des Staates zum Schutz vor Übergriffen Privater hat auch insofern keine eigenständige Bedeutung. Die Zugriffe auf das Einkommen der Familie in ihrer Eigenschaft als Erwerbs- und Erziehungsgemeinschaft drohen im allgemeinen nicht seitens Privater. Der Staat selbst beeinflußt durch rechtliche Rahmenbedingungen die Einkommenschancen der Familien und greift über die Transfersysteme auf das Familienein49

BVerfGE 39, 1 (42). Josef Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 1992, § 111 Rn. Iff.; Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, 1996, S. 410ff.; Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 150ff. m. w.N. 51 Vgl. Josef Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 1992, § 111 Rn. 1 ff. und 88 ff. 52 Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 157 f. 50

Α. Der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG

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kommen zu. In seiner Wirkungsweise als allgemeine grundrechtliche Schutzpflicht läuft die wertentscheidende Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1 GG weitgehend leer. 53

2. Die Verpflichtung des Staates zum besonderen Schutz der Familie Art. 6 Abs. 1 GG statuiert bereits im Wortlaut den besonderen Schutz der Familie. Das ausdrückliche Schutzversprechen, wie es sonst nur Art. 1 Abs. 1 GG kennt, und die Hervorhebung des Schutzes der Familie als Besonderheit legen eine über die allgemeine grundrechtliche Schutzpflicht hinausgehende besondere Deutung der Schutzpflicht zugunsten der Familie nahe. Der Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 GG läßt gleichwohl unterschiedliche Auslegungen zu. 54 So könnte das Besondere des in Art. 6 Abs. 1 GG statuierten Schutzes in einem gesteigerten Intensitätsgrad der staatlichen Schutzpflicht gesehen werden. Da der Staat zur Erfüllung seiner Schutzpflichten jedoch allen Rechtsgütern denjenigen Schutz zukommen lassen muß, der dem Schutzbedürfnis des Schutzgutes und der staatlichen Leistungsmöglichkeit entspricht, ist ein gradueller Unterschied in der staatlichen Schutzverpflichtung mit der Folge, daß einzelne Rechtsgüter generell in einem Bereich intensiveren Schutzes lägen, nicht gerechtfertigt. Auch die Mittel, die dem Staat zur Wahrnehmung seiner Schutzverpflichtungen zur Verfügung stehen, sind nicht auf eine Stufenfolge vom einfachen zum besonderen Schutz angelegt. 55 Aus der Schwierigkeit, einen abgestuften Schutz zu begründen, wird vereinzelt gefolgert, daß eine Rangabstufung der Schutzpflichten unmöglich ist und der Gewährleistung eines besonderen Schutzes keine eigenständige Bedeutung zukommt. Sei ein besonderer Schutz gegenüber einem einfachen Schutz nicht zu rechtfertigen, könne „besonderer Schutz" lediglich „Schutz" meinen.56 Diese Schlußfolgerung ist jedoch nicht zwingend. Als Begründung für die Bedeutungslosigkeit eines im Ver53 Dem entspricht im Ergebnis die Einschätzung, daß die in Art. 6 Abs. 1 GG statuierte Schutzpflicht keine Drittwirkung entfaltet. Begründet wird dies allerdings mit dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 GG, der die Schutzpflicht allein dem Staat auferlege. Eine Verpflichtung Dritter, die Familie zu schützen, sei Art. 6 Abs. 1 GG nicht zu entnehmen; vgl. Theodor Maunz, in: Theodor Maunz/Günter Dürig/Roman Herzog (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 7. Auflage, Stand: Juni 1998, Art. 6 Rn. 8. 54 Vgl. zu den verschiedenen Bedeutungsmöglichkeiten des „besonderen" Schutzes Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 160 ff. 55 Dieter Pirson, in: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art. 6 Rn.2. 56 So Theodor Maunz, in: Theodor Maunz/Günter Dürig/Roman Herzog (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 7. Auflage, Stand: Juni 1998, Art. 6 Rn.7.

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

fassungstext verwendeten Begriffs ist die Behauptung der Unmöglichkeit einer Rangabstufung der Schutzverpflichtungen ungenügend.57 Die Besonderheit des durch Art. 6 Abs. 1 GG gewährten Schutzes könnte auch in einer erhöhten Bedeutung des Rechtsgutes Familie bei der Güterabwägung im Rahmen verfassungsrechtlicher Kollisionslagen zu sehen sein.58 Die verfassungsrechtliche Zusicherung eines vorrangigen Schutzes zugunsten eines bestimmten Rechtsgutes würde bedeuten, daß diesem Rechtsgut im Falle einer Abwägung prinzipiell ein stärkeres Gewicht beizumessen wäre als anderen Rechtsgütern. Eine solche in der Verfassung generell festgelegte Gewichtung liefe jedoch der Güterabwägung als einzelfallbezogenem Mittel zur sachgerechten Lösung von Kollisionslagen zuwider. 59 Die Entstehungsgeschichte des Art. 6 Abs. 1 GG ist im Hinblick auf die Besonderheit des verfassungsrechtlichen Familienschutzes wenig aufschlußreich. In den Beratungen des Parlamentarischen Rates wurde über den konkreten Sinn des Art. 6 Abs. 1 GG nicht ausführlich diskutiert. Eine klare Begründung für die Schutzgewährleistung zugunsten der Familie wurde nicht gegeben. Es war umstritten, ob Art. 6 GG als Grundsatz für die soziale Lebensordnung überhaupt in den Grundrechtskatalog aufgenommen werden sollte.60 Der Redaktionsausschuß des Parlamentarischen Rates maß dem gesamten Art. 6 GG nur programmatische Bedeutung bei. Art. 6 GG sei lediglich Richtlinie für den Gesetzgeber und Auslegungsvorschrift für die rechtsanwendenden Instanzen.61 Eine Auseinandersetzung über die Frage finanzieller Dimensionen der Schutzpflicht oder gar der familiengerechten Ausgestaltung staatlicher Gebens- und Nehmenssysteme fand nicht statt.62 Die Väter und Mütter des Grundgesetzes wollten keine sozialen und wirtschaftlichen Grundrechte in den Verfassungskatalog aufnehmen. Deshalb fanden die Programm57

Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 160f. 58 Vgl. Martin Moderegger, Der verfassungsrechtliche Familienschutz und das System des Einkommensteuerrechts, 1991, S. 103. 59 Dieter Pirson, in: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art. 6 Rn.2; Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 165 f. 60 Matthias Jestaedt, in: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art. 6 Abs. 2 und 3 Rn. 4; Reinhard Mußgnug, Zustandekommen des Grundgesetzes und Entstehen der Bundesrepublik Deutschland, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band I, 1987, § 6 Rn. 57. 61 Ingo Richter, in: Rudolf Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, 2. Auflage, 1989, Art. 6 Rn.6. 62 Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S.52ff.

Α. Der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG

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sätze des Art. 119 der Weimarer Verfassung auch keine Entsprechung im Herrenchiemseer Entwurf. Von den Grundsätzen zur sozialen Förderung der Familie (Art. 119 Abs. 2 WRV) wurde nur der Mutterschutz aus der Weimarer Verfassung übernommen.63 Schließlich wurde der Aufnahme des Familienschutzartikels ohne eine genaue Vorstellung über den Inhalt des verfassungsrechtlichen Familienschutzes zugestimmt.64 Das Bundesverfassungsgericht sieht den besonderen Schutz der Familie, wie ihn Art. 6 Abs. 1 GG fordert, durch die verschiedenen Wirkungsweisen der wertentscheidenden Grundsatznorm sichergestellt.65 Aus der wertentscheidenden Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1 GG leitet das Gericht die Verpflichtung des Staates ab, Störungen und Schädigungen der Familie sowohl durch den Staat selbst als auch durch andere Kräfte zu verhindern, die Familie nicht zu benachteiligen und durch geeignete Maßnahmen zu fördern. 66 Das Bundesverfassungsgericht betont dabei, daß der besondere Schutz der Familie nicht nur deklaratorisch ist. Die Konstruktion des besonderen Schutzes durch die Koppelung von Schädigungsverbot, Benachteiligungsverbot und Förderungsgebot gibt der wertentscheidenden Grundsatznorm einen eigenen Bedeutungsgehalt, der über die allgemeine grundrechtliche Schutzpflicht hinausgeht.67 Grundsätzlich hat das Bundesverfassungsgericht damit ein scharfes Instrument zum Schutz der Familie geschaffen. Sofern die verschiedenen Wirkungsweisen der wertentscheidenden Grundsatznorm zum besonderen Schutz der Familie eine spezifische Ausgestaltung erfahren, kann diese Gewährleistung des Art. 6 Abs. 1 GG eigenständige Bedeutung auch in Bezug auf die wirtschaftliche Lage der Familie erlangen. 68 63 Martin Moderegger; Der verfassungsrechtliche Familienschutz und das System des Einkommensteuerrechts, 1991, S. 17; Ingo Richter; in: Rudolf Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, 2. Auflage, 1989, Art. 6 Rn. 6. 64 Axel Frhr. von Campenhausen, Verfassungsgarantie und sozialer Wandel - Das Beispiel von Ehe und Familie, in: VVDStRL 45 (1987), S. 13 und 34. 65 BVerfGE 6, 55 (76); 32, 260 (267); 76, 1 (49); 80, 81 (92f.); 87, 1 (35 und 38f.). 66 BVerfGE 6, 55 (76). 67 Nach anderer Auffassung gewährleistet Art. 6 Abs. 1 GG unmittelbar ein Recht auf Förderung des familiären Zusammenlebens. Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 GG, der die Familie „unter den besonderen Schutz des Staates" stellt. Einer weiterreichenden grundsätzlichen Begründung der Förderungsrechte bedürfe es daher nicht. Freiheitsrechte und Förderungsrechte der Familie folgen unmittelbar aus den Grundrechten des Art. 6 GG und stehen nicht im Dienste einer überpositiven Wertordnung; vgl. Ingo Richter, in: Rudolf Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Altemativkommentare, 2. Auflage, 1989, Art. 6 Rn. 14; Manfred Zuleeg, Familienpolitik und Verfassungsrecht, in: FamRZ 1980, S.214. 68 Matthias Pechstein lehnt die Gleichsetzung der wertentscheidenden Grundsatznorm mit dem Gebot zum besonderen Schutz der Familie ab. Der Wertentscheidungscharakter komme allen Grundrechten zu, sei also Grundrechtsstandard und keine Besonderheit. Das Bundesverfassungsgericht habe den Wirkungsweisen der Wertentscheidung kaum eine wahrnehmbare Kontur verliehen, die einen besonderen Schutz rechtfertigen könnte. Matthias Pechstein ent-

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie 3. Die Wertentscheidung des Grundgesetzes zum besonderen Schutz der Familie und ihre Wirkungsweisen a) Das Schädigungsverbot

Das Bundesverfassungsgericht leitet aus der wertentscheidenden Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1 GG zunächst ein Schädigungs- oder Beeinträchtigungsverbot ab.69 Das Verbot, die Familie zu schädigen oder zu beeinträchtigen, hat das Gericht unterschiedlich gedeutet. Soweit das Schädigungsverbot lediglich im objektiv-rechtlichen Sinn als negative Kompetenznorm verstanden wird, die besagt, daß der Staat selbst auf eigene störende Eingriffe in die Familie verzichten muß 70 , kommt dem Verbot keine zusätzliche Bedeutung zu. Das so verstandene Schädigungsverbot erschöpft sich in dem ins Objektiv-rechtliche gewendeten abwehrrechtlichen Gehalt des Freiheitsrechts. Soweit das Schädigungsverbot positiv als Aufgabe für den Staat verstanden wird, die Familie vor Beeinträchtigungen durch Dritte zu bewahren71, entspricht dieser Bedeutungsgehalt der allgemeinen grundrechtlichen Schutzpflicht, die ebenfalls eine Wirkungsweise der wertentscheidenden Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1 GG darstellt, aber insoweit keine besondere Schutzwirkung entfaltet. 72 Das Bundesverfassungsgericht hat das Schädigungs- oder Beeinträchtigungsverbot auch im Sinne des Benachteiligungsverbots verstanden, ohne zwischen beiden Wirkungsweisen zu unterscheiden.73 Das Schädigungs- oder Beeinträchtigungsverbot hat daher keine über das Abwehrrecht, die aus der wertentscheidenden Grundsatznorm folgende allgemeine grundrechtliche Schutzpflicht oder das sich ebenfalls aus der Wertentscheidung ergebende Benachteiligungsverbot hinausgehende eigenständige Bedeutung.

wickelt aus dem Postulat des besonderen Schutzes der Familie eine weitere, anderen Grundrechten nicht zukommende Bedeutungsdimension des Art. 6 Abs. 1 GG und sieht die Besonderheit des zu gewährenden Schutzes in der Gewährleistung familiengerechter Ordnungen; vgl. Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 145 ff. und 167 ff. Die Bemühung einer weiteren Grundrechtsdimension ist jedoch nicht erforderlich, wenn die Wirkungsweisen der Wertentscheidung nicht konturlos bleiben und eigenständige Bedeutung gewinnen. In diese Richtung deutet auch die Entwicklung der Verfassungsrechtsprechung; siehe dazu im folgenden 2. Kapitel A.IV. 3. 69 BVerfGE 28, 324 (347). 70 BVerfGE 6,55 (76). 71 BVerfGE 6, 55 (76). 72 Siehe oben 2. Kapitel Α. IV. 1. 73 BVerfGE 13,290 (299); 28,104 (112); Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 132ff.

Α. Der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG

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b) Das Benachteiligungsverbot Als weitere Wirkungsweise der wertentscheidenden Grundsatznorm hat das Bundesverfassungsgericht aus Art. 6 Abs. 1 GG das Benachteiligungsverbot abgeleitet. 74 Dieser gleichheitsrechtliche Gehalt des Art. 6 Abs. 1 GG bietet eine zusätzliche Gewährleistung des Grundrechts und gewinnt eine gegenüber der abwehrrechtlichen Funktion des Freiheitsgrundrechts und der Institutsgarantie eigenständige Funktion. Das Benachteiligungsverbot ist mit seinem gleichheitsrechtlichen Charakter auch nicht Teil der die freiheitsrechtliche Dimension des Grundrechts betreffenden allgemeinen grundrechtlichen Schutzpflicht. 75 aa) Das Diskriminierungsverbot Das Bundesverfassungsgericht hat aus der wertentscheidenden Grundsatznorm zunächst ein Benachteiligungsverbot im Sinne eines Verbots tatbestandlicher Anknüpfung abgeleitet.76 Ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot kommt danach in Betracht, wenn eine Gesetzesbestimmung oder deren Auslegung an das Bestehen einer Familienbeziehung zwischen Eltern und Kindern nachteilige Rechtsfolgen knüpft. Führt sie dagegen ohne Rücksicht auf das Bestehen einer Familienbeziehung zu einer Rechtsfolge, würde also ein Nichtfamilienmitglied denselben Rechtswirkungen unterworfen, so scheidet eine Verletzung des Verbots tatbestandlicher Anknüpfung aus.77 Für das Verbot tatbestandlicher Anknüpfung kann allerdings nicht die äußere Anknüpfung an die Familieneigenschaft ausschlaggebend sein. Entscheidend ist vielmehr, daß nachteilige Folgen nicht mit der Familieneigenschaft begründet werden dürfen. Eine Benachteiligung aufgrund der Familieneigenschaft ist auch dann unzulässig, wenn der Gesetzgeber sie hinter einer neutralen Gesetzesformulierung versteckt. Umgekehrt können Benachteiligungen, die zwar tatbestandlich an der Familieneigenschaft anknüpfen, aber nicht wegen der Familie entstehen, zulässig sein.78 Insofern hat das Verbot tatbestandlicher Anknüpfung nicht formalen, sondern materiellen Charakter. Darin ist das Verbot tatbestandlicher Anknüpfung den Diskriminierungsverboten des Art. 3 Abs. 3 GG vergleichbar. 79 Ebenso wie niemand wegen seines Geschlechts, seiner Rasse oder seiner Herkunft benachteiligt werden darf, 74

BVerfGE 6, 55 (76); 28, 104 (112); 76, 1 (72); 82, 60 (90); 87, 1 (37). Vgl. Thorsten Kingreen, Das Grundrecht von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG), in: Jura 1997,S.405. 76 BVerfGE 28, 104 (112); 76,1 (72); 99, 216 (232). 77 BVerfGE 28, 104 (112); Franz Klein, Ehe und Familie im Steuerrecht als verfassungsrechtliches Problem, in: Walther Fürst/Roman Herzog/Dieter Umbach (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zeidler, Band 1, 1987, S.778f. 78 Vgl. Dieter Pirson, in: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art. 6 Rn. 81. 79 Vgl. BVerfGE 99, 216 (232). 75

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2. Kap. : Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

darf niemand wegen seiner familialen Lebensform benachteiligt werden. Statt vom Verbot tatbestandlicher Anknüpfung kann daher auch von einem Begründungsverbot gesprochen werden. Als Begründungsverbot ist das Diskriminierungsverbot absolut und keiner Abwägung zugänglich. Jede Benachteiligung wegen der Familie ist ungerechtfertigt und verboten. 80 Das Diskriminierungsverbot gilt auch für die staatlichen Transfersysteme. Die Anknüpfung nachteiliger finanzieller Folgen etwa an den Tatbestand des Kinderreichtums - wie dies in China als bevölkerungspolitisches Instrument eingesetzt wird - wäre in Deutschland verfassungsrechtlich unzulässig. Letztlich ist diese Ausprägung des Benachteiligungsverbots aber von geringer praktischer Bedeutung für den Schutz der Familie. Die wesentlichen Beeinträchtigungen der Familie und des Familieneinkommens resultieren nicht aus einer direkten Benachteiligung wegen der Familie, sondern aus der Nichtbeachtung ihrer Besonderheiten und Eigenarten als Lebens-, Erziehungs- und Wirtschaftsgemeinschaft. Dieses Problem wird mit dem Benachteiligungsverbot als Diskriminierungsverbot nicht erfaßt. 81 bb) Das Differenzierungsgebot Das Bundesverfassungsgericht betont, daß Art. 6 Abs. 1 GG nicht nur den immateriell-persönlichen, sondern auch den materiell-wirtschaftlichen Bereich der Familie schützt.82 Neben den direkten Benachteiligungen aufgrund tatbestandlicher Anknüpfung hat das Gericht deshalb auch indirekte Benachteiligungen der Familie für unzulässig erachtet. Solche indirekten 83 oder mittelbaren 84 Benachteiligungen beruhen nicht auf einer tatbestandlichen Anknüpfung an die Familieneigenschaft im Sinne einer Benachteiligung wegen der Familie, sondern ergeben sich aus der Nichtberücksichtigung der Besonderheit der Familie als Lebens-, Erziehungs- und Wirtschaftsgemeinschaft. Dies gilt insbesondere für die staatlichen Transfersysteme, welche die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Familie bestimmen. Das Benachteiligungsverbot verlangt deshalb, die Besonderheiten und Eigenarten der Familie als Erziehungs- und Wirtschaftsgemeinschaft zu berücksichtigen. In diesem Sinn verlangt das Benachteiligungsverbot gerade eine differenzierte tatbestandliche 80 Vgl. Stefan Huster, Rechte und Ziele. Zur Dogmatik des allgemeinen Gleichheitssatzes, 1993, S. 313 ff.; Christian Starck, in: Hermann von Mangoldt/Friedrich Klein/Christian Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, 4. Auflage, 1999, Art. 3 Abs. 1 Rn. 16 ff. 81 Vgl. Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S.212ff. 82 BVerfGE 28,104(112). 83 Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 135 f. 84 Franz Klein, Ehe und Familie im Steuerrecht als verfassungsrechtliches Problem, in: Walther Fürst/Roman Herzog/Dieter Umbach (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zeidler, Band 1, 1987, S.779f. und 787 f.

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Anknüpfung an die Familieneigenschaft. In der Literatur wird das Benachteiligungsverbot des Art. 6 Abs. 1 GG deshalb auch als Differenzierungsgebot verstanden.86 Von einem Differenzierungsgebot ging implizit auch das Bundesverfassungsgericht aus, als es den Steuergesetzgeber verpflichtete, familiäre Spezifika bei der Bestimmung der steuerlichen Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen. 87 Die Notwendigkeit einer Differenzierung ergibt sich jedoch in vielen Teilrechtsordnungen vorrangig aus den ihnen zugrundeliegenden Gerechtigkeitsprinzipien und nur mittelbar aus Art. 6 Abs. 1 GG. Zur Gewährleistung der Steuergerechtigkeit etwa folgt die Besteuerung dem Prinzip der Leistungsfähigkeit. Die Menschen werden ihrer Leistungsfähigkeit entsprechend unterschiedlich besteuert. Diese Differenzierung liegt in der Natur des Leistungsfähigkeitsprinzips. Entscheidend sind die Kriterien, welche die Leistungsfähigkeit bestimmen. Diese Kriterien werden grundsätzlich durch den Gesetzgeber festgelegt. Dabei sind ihm allerdings Grenzen gesetzt. Eine Begrenzung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums ergibt sich aus der wertentscheidenden Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1 GG, der die Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt.88 Das Grundgesetz trifft damit die Wertentscheidung, daß das Bestehen einer Familie nicht ein beliebiges, sondern ein rechtlich relevantes Kriterium ist und das Vorhandensein von Kindern bei der rechtlichen Behandlung nicht ignoriert werden darf. 89 Diese Wertentscheidung des Grundgesetzes ist bei der Bemessung der steuerlichen Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen. Die durch Kinderreichtum begründeten wirtschaftlichen Nachteile einer Familie dürfen also nicht als selbstverständlich und auf der freien Willensentschließung des einzelnen beruhende Nachteile verstanden werden. Das Bundesverfassungsgericht führt dazu aus, daß der Staat, der die Würde des Menschen als höchsten Rechtswert anerkannt und die Familie dem besonderen 85 Vgl. Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S.238f.; Klaus Vogel, Zum Fortfall der Kinderfreibeträge bei der Einkommensteuer. Der neue „Familienlastenausgleich" und seine Verfassungsmäßigkeit, in: Paul Kirchhof (Hrsg.), Klaus Vogel. Der offenen Finanz- und Steuerstaat. Ausgewählte Schriften 1964 bis 1990, 1991,S.676f. 86 Vgl. Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 235 ff. m. w. N.; Christian Starck, in: Hermann von Mangoldt/Friedrich Klein/Christian Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, 4. Auflage, 1999, Art. 3 Abs. 1 Rn. 19; Paul Kirchhof, Gleichheit vor dem Grundgesetz. Die Konzeption des Gleichheitssatzes in Christian Starcks Neubearbeitung des v. Mangoldt-Klein'sehen Grundgesetzkommentars, in: NJW 1987, S.2355. 87 BVerfGE 82, 60 (86 ff.); 99, 216 (233 f.). 88 Vgl. BVerfGE 17, 210 (217). 89 Vgl. BVerfGE 13, 290 (298f.); Christian Starck, in: Hermann von Mangoldt/Friedrich Klein/Christian Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, 4. Auflage, 1999, Art. 3 Abs. 1 Rn. 19; Ingo Richter, in: Rudolf Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, 2. Auflage, 1989, Art. 6 Rn.36.

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

Schutz des Staates anheimgegeben hat (Art. 1 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG), Kinder und private Bedürfnisbefriedigung nicht auf eine Stufe stellen darf und auf die Mittel, die für den Lebensunterhalt von Kindern unerläßlich sind, nicht in gleicher Weise zugreifen darf wie auf finanzielle Mittel, die zur Befriedigung beliebiger Bedürfnisse eingesetzt werden. Der Staat müsse die Entscheidung der Eltern zugunsten von Kindern achten und dürfe den Eltern im Steuerrecht die „Vermeidbarkeit" von Kindern nicht wie die Vermeidbarkeit sonstiger Lebensführungskosten entgegenhalten.90 Die Nichtbeachtung der Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit durch Kinder ist demnach ein Verstoß gegen den aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten Grundsatz der Steuergerechtigkeit in Verbindung mit dem aus Art. 6 Abs. 1 GG folgenden Benachteiligungsverbot.91 Im Beamtenrecht werden die Kinderzuschläge ebenfalls mit systemimmanenten Gerechtigkeitsprinzipien begründet. Zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG gehört das Alimentationsprinzip. Es verpflichtet den Dienstherrn, dem Beamten und seiner Familie amtsangemessenen Unterhalt zu leisten.92 Art. 33 Abs. 5 GG verlangt deshalb, daß sich die Beamten ohne Rücksicht auf die Größe ihrer Familien annähernd das gleiche leisten können. In den früheren Beamtenkinderentscheidungen hatte das Bundesverfassungsgericht Art. 33 Abs. 5 GG dabei noch ausdrücklich im Zusammenhang mit den in Art. 6 GG und im Sozialstaatsprinzip enthaltenen Wertentscheidungen der Verfassung gesehen.93 Daß der Dienstherr bereits aufgrund des Alimentationsprinzips verpflichtet ist, die dem Beamten durch seine Familie entstehenden Unterhaltspflichten realitätsgerecht zu berücksichtigen, hat das Bundesverfassungsgericht nun bekräftigt. 94 Es wies darauf hin, daß die Berücksichtigung der Kinderzahl bei der Besoldung kein „Beamtenprivileg" oder ein „doppeltes Kindergeld", sondern Inhalt der amtsangemessenen und damit geschuldeten Alimentation ist. 95 Ein Rekurs auf die Schutzpflicht des Art. 6 GG zur Begründung der Kinderzuschläge ist demnach überflüssig. Gleiches gilt in den Bereichen des Sozialleistungsrechts, die eigenen familienunspezifischen Gerechtigkeitsprinzipien folgen. Das Wohngeld zum Beispiel dient der Sicherung einer angemessenen Wohnversorgung der Haushalte mit niedrigem Einkommen. Es ist ein Ausgleich für eine unzumutbare wirtschaftliche Belastung, die 90

BVerfGE 82, 60 (87). Anders Matthias Pechstein, der Art. 6 Abs. 1 GG in seiner eigenständigen Grundrechtsfunktion des besonderen Schutzes der Familie insoweit als alleinigen Maßstab ansieht; vgl. Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S.241 f. 92 BVerfGE 44, 249 (263); 81, 363 (375). 93 BVerfGE 44,249 (267); 81,363 (376). Das Gericht zog Art. 6 Abs. 1 GG allerdings in seiner Bedeutung als Gebot zur Förderung der Familie heran; vgl. BVerfGE 44, 249 (273 f.). 94 BVerfGE 99, 300. 95 BVerfGE 99, 300 (317). 91

Α. Der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG

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dem Mieter einer Mietwohnung oder dem Eigentümer eines Eigenheimes oder einer Eigentumswohnung durch Aufwendungen für eine angemessene Wohnung entsteht (§ 7 SGB I). Zum Kreis der potentiell Anspruchsberechtigten gehören nicht nur Familien, sondern auch Alleinstehende.96 Jeder Staatsbürger mit niedrigem Einkommen hat Anspruch auf Wohngeld, wenn - neben weiteren Voraussetzungen - seine Aufwendungen für das Wohnen im Verhältnis zu seinem Einkommen zu hoch sind.97 Das Wohngeld wird nach dem Bedarfs- und Bedürfnisprinzip bemessen. Diesem Prinzip sind Differenzierungen immanent. Entscheidend sind wiederum die Kriterien, anhand derer der Bedarf und die Bedürftigkeit festgestellt werden. Im Grunde ist es selbstverständlich, daß sich die Höhe des Wohngeldes nicht nur nach der Bedürftigkeit entsprechend dem Familieneinkommen, sondern auch nach dem Bedarf entsprechend der Familiengröße richtet. Durch das Benachteiligungsverbot des Art. 6 Abs. 1 GG wird verfassungsrechtlich sichergestellt, daß die Familie bei der Feststellung des Bedarfs Berücksichtigung findet. Ein Verstoß gegen das dem Wohngeld zugrundeliegenden Bedarfs- und Bedürfnisprinzip durch die Nichtberücksichtigung der Familie wäre ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG. Die Sozialhilfe ist im Gegensatz zum Wohngeld noch deutlicher am persönlichen Bedarf orientiert. Hauptzweck der Sozialhilfe als allgemeines Hilfssystem ist die Deckung des existenznotwendigen Bedarfs, um damit dem Empfänger die Führung eines menschenwürdigen Lebens zu ermöglichen (§ 9 SGB I, § 1 BSHG). Entsprechend der Grundsatznorm familiengerechter Hilfe (§ 7 BSHG) ist zwar stets den besonderen Familienverhältnissen Rechnung zu tragen, gleichwohl ist Sozialhilfe keine familienspezifische Leistung. Nach dem Subsidiaritätsprinzip (§ 2 BSHG), dem Bedarfsdeckungsprinzip und dem Individualisierungsgrundsatz (§ 3 BSHG) ist Sozialhilfe auf eine Einzelperson in einer individuellen gegenwärtigen Notlage gerichtet und dient der Deckung eines konkreten individuellen Bedarfs, der durch vorrangig einzusetzende Mittel nicht gedeckt werden kann.98 Danach hat jeder Mensch - auch das Kind - selbst Anspruch auf Sozialhilfe. Die Sozialhilfe richtet sich nicht nach dem Bedarf der Familie als Wirtschaftsgemeinschaft, sondern nach dem Bedarf jedes einzelnen Familienmitglieds. Das verfassungsrechtliche Gebot, dem mittellosen Bürger die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein erforderlichenfalls durch Sozialleistungen zu sichern, folgt für alle Menschen gleichermaßen aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG. 99 Für die Begründung bedarfsorientierter Sozialhilfeleistungen an Familien ist Art. 6 Abs. 1 GG irrelevant. 96 Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA), Einkommensbezogenes Sozialleistungsrecht. Forschungsbericht Nr. 256,1996, S. 153 f. 97 Alois Oberhauser, Familie und Haushalt als Transferempfänger. Situation, Mängel und Reformansätze, 1989, S.98. 98 Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA), Einkommensbezogenes Sozialleistungsrecht. Forschungsbericht Nr. 256, 1996, S.64. 99 BVerfGE 40, 121 (133); 82, 60 (85).

9 Tünnemann

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

Auch in der Sozialversicherung gelten eigene Gerechtigkeitsprinzipien. Dennoch ist die Zuordnung der familienbezogenen Sozialversicherungsleistungen zum Benachteiligungsverbot nicht eindeutig. Aktuell findet diese Zuordnungsproblematik ihren Niederschlag in der Diskussion um die Finanzierung der sogenannten versicherungsfremden Leistungen. Die Familienmitversicherung in der Gesetzlichen Krankenversicherung sowie die Anrechnung der Kindererziehungszeiten in der Gesetzlichen Rentenversicherung werden vielfach als Fremdlasten bezeichnet, weil sie zu beitragsunabhängigen Versicherungsleistungen führen. Diese Beitragsunabhängigkeit der Versicherungsleistungen ist nicht Ausfluß des Versicherungsprinzips. Dementsprechend werden die familienbezogenen Leistungen als Maßnahmen der Familienförderung qualifiziert, die als gesamtgesellschaftliche Aufgabe von der Allgemeinheit und nicht von der Versichertengemeinschaft finanziert werden müsse. 100 Dies gilt ohne Einschränkungen nur für den Bereich der Privatversicherung, wo das Versicherungsprinzip uneingeschränkt zur Geltung kommt. Die Sozialversicherung ist - schon begrifflich - durch die Verbindung von Versicherungsprinzip und Sozialprinzip gekennzeichnet. Auch das Bundesverfassungsgericht betont bei der Erörterung des Begriffs der Sozialversicherung in ständiger Rechtsprechung, daß die Sozialversicherung nicht vom Risikobegriff der Privatversicherung ausgeht, sondern von jeher auch ein Stück sozialer Fürsorge enthält. Die Leistungen der Sozialversicherung knüpfen demnach nicht nur an die Beitragszahlungen der Versicherten an, sondern enthalten auch Elemente des sozialen Ausgleichs. 1 0 1 Das Gericht sprach in diesem Zusammenhang selbst von „versicherungsfremden", nämlich „sozialen" Gesichtspunkten und meint damit, daß der versicherungsmäßige Risikoausgleich in der Sozialversicherung mit einem sozialen Ausgleich innerhalb der Versichertengemeinschaft verbunden ist. 102 Der Gedanke der staatlichen Fürsorge und des sozialen Ausgleichs kommt zum Beispiel darin zum Ausdruck, daß sich die Höhe der Versichertenbeiträge nicht nach dem individuellen Risiko, sondern nach der individuellen Leistungsfähigkeit richtet, ohne den Umfang der Sozialversicherungsleistungen zu beeinflussen. Die beitragsunabhängige Gewährung von Leistungen für Familienangehörige in der Gesetzlichen Krankenversicherung und die zusätzliche Berücksichtigung beitragsloser Zeiten bei der Leistungsberechnung in der Gesetzlichen Rentenversicherung sind Ausfluß dieses sozialen Prinzips. 103 Sowohl das soziale Prinzip als auch das Versicherungsprinzip bilden den Gerechtigkeitsmaßstab für die Ausgestaltung der Sozialversicherungssysteme. Die Familienmitversicherung in der Gesetzlichen Krankenversicherung ist ein Beispiel für eine an sich geglückte Berücksichtigung familialer Besonderheiten, 100

Max Wingert, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S. 287 ff. BVerfGE 70, 101 (111); 76, 256 (300ff.). 102 BVerfGE 17, 1 (9); 28, 324 (348 f.); 39, 316 (330). 103 Detlef Merten, Sozialrecht. Sozialpolitik, in: Ernst Benda/Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1983, S. 785 f.; Rudolf Kolb, Versicherung, Versorgung, Fürsorge, in: Bernd Baron von Maydell/Walter Kannengießer (Hrsg.), Handbuch Sozialpolitik, 1988, S. 102 f. 101

Α. Der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG

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weil die beitragsfreien Sach- und Personalleistungen für Kinder und erziehende Ehepartner den Familien direkt und nicht im Wege der Kostenerstattung zuteil werden. So werden Benachteiligungen durch das Vorhandensein von Kindern innerhalb des Systems von vornherein vermieden. 104 Die Anrechnung der Erziehungszeiten in der Gesetzlichen Rentenversicherung ist ebenfalls eine Maßnahme des Nachteilsausgleichs im Sinne des Benachteiligungsverbots. In der Entscheidung zu den Kindererziehungszeiten in der Gesetzlichen Rentenversicherung hat das Bundesverfassungsgericht allerdings festgestellt, daß das Alterssicherungssystem zu einer Benachteiligung von Personen führt, die sich innerhalb der Familie der Kindererziehung widmen, gegenüber kinderlosen Personen, die durchgängig einer Erwerbstätigkeit nachgehen können. Diese Benachteiligung werde weder durch staatliche Leistungen noch auf andere Weise ausgeglichen. Das Gericht hat diese Benachteiligung der Erziehenden als mit der Förderungspflicht aus Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar angesehen.105 Nach der hier vorgenommenen Systematik ist die Berücksichtigung der Kindererziehung in der Gesetzlichen Rentenversicherung dem Benachteiligungsverbot des Art. 6 Abs. 1 GG zuzuordnen. Auch das Bundesverfassungsgericht betont, daß die Benachteiligungen der Familie in der Alterssicherung vornehmlich durch rentenrechtliche Regelungen, also systemimmanent, auszugleichen sind. Selbst wenn sich aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG keine Pflicht des Gesetzgebers zur Gleichstellung der Kindererziehung mit der Beitragszahlung eigebe, sieht das Gericht die Kindererziehung mit ihrer bestandssichernden Bedeutung für das System der Altersversorgung als mit der Beitragszahlung wenn auch nicht gleichartig so doch gleichwertig an. 106 Das maßgebende Gerechtigkeitsprinzip, das die Berücksichtigung der Kindererziehung in der Gesetzlichen Rentenversicherung verlangt, bleibt trotz allem das soziale Prinzip. Ein Verstoß gegen diesen der Sozialversicherung zugrundeliegenden Gerechtigkeitsmaßstab ist ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Das Benachteiligungsverbot des Art. 6 Abs. 1 GG stellt nur sicher, daß die Kindererziehung als rechtlich relevantes Differenzierungskriterium bei der sozialen Ausgestaltung der Gesetzlichen Rentenversicherung Berücksichtigung findet. 107 104

Dies gilt für die intergenerationelle Ebene. Ein Problem stellen allerdings die in der intragenerationellen Dimension negativen Transfersalden für die Familien aufgrund der hohen Krankheitskosten der älteren Generation dar. Hier stellt sich in der Tat die Frage nach der Leistungs- und Beitragsgerechtigkeit innerhalb der Sozialversicherung. Vgl. Dieter Suhr, Transferrechtliche Ausbeutung und verfassungsrechtlicher Schutz von Familien, Müttern und Kindern, in: Der Staat 29 (1990), S.72; Jürgen Borchert, Kindererziehung und Alterssicherung. Vom ungelösten zum unlösbaren Problem?, in: FuR 1990, S.86. Siehe auch oben 1. Kapitel A.VI.2. 105 BVerfGE 87, 1 (38 f.). 106 BVerfGE 87, 1 (37 ff.). 107 Vgl. Christian Starck, in: Hermann von Mangoldt/Friedrich Klein/Christian Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, 4. Auflage, 1999, Art. 3 Abs. 1 Rn. 19 und 121. Implizit geht auch Bernd Wegmann von einem Differenzierungsgebot hinsichtlich familialer

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

Das Benachteiligungsverbot des Art. 6 Abs. 1 GG trifft in all diesen Fällen eine normative Aussage über die rechtliche Relevanz der Familieneigenschaft als Differenzierungskriterium, ohne selbst einen Maßstab für eine familiengerechte Behandlung zu geben. Die Besteuerung der Familie nach ihrer Leistungsfähigkeit ist eine leistungsgerechte Besteuerung, eine Sozialleistung für die Familie entsprechend ihrer Bedürftigkeit eine bedarfs- oder bedürfnisgerechte Leistung, eine Krankenversicherungsleistung für Familienmitglieder oder eine Rentenversicherungsleistung für Erziehende eine nach dem System der Sozialversicherung sozial gerechte Leistung. Die Berücksichtigung der Familieneigenschaft als rechtlich relevantes Differenzierungskriterium in den verschiedenen Teilrechtsordnungen wird durch Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistet. 108 Prüfungsmaßstab bleibt aber der jedem Teilsystem zugrundeliegende eigene Gerechtigkeitsmaßstab und damit Art. 3 Abs. 1 GG. Wenn die sachgerechte Behandlung der Familien innerhalb der verschiedenen Teilrechtsordnungen als familiengerecht bezeichnet wird, ist mit dem Begriff der Familiengerechtigkeit kein eigener, über den Maßstab etwa der Steuergerechtigkeit oder der Bedarfsgerechtigkeit hinausgehender Gerechtigkeitsmaßstab gewonnen.109 Die den Teilrechtsordnungen systemimmanenten Benachteiligungen der Familie werden auch vielfach als Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz gewertet und Art. 6 Abs. 1 GG nur nachrangig oder in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG erwähnt. Der allgemeine Gleichheitssatz bildet dabei den Ansatzpunkt für die Prüfung anhand des jeweiligen Gerechtigkeitsmaßstabs und Art. 6 Abs. 1 GG schränkt als wertentscheidende Grundsatznorm den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Auswahl der Differenzierungskriterien ein. 110 Auch das Bundesverfassungsgericht geht in seinen Entscheidungen zur Steuerfreiheit des Familienexistenzminimums in ständiger Rechtsprechung von Art. 3 Abs. 1 GG als Prüfungsmaßstab aus, wobei die Grundentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG zu beachten sei. 111 Ursprünglich ordnete das Gericht die geforderte Freilassung Lasten und Leistungen aus, die nach seiner Auffassung als den Beitragsleistungen gleichwertige Leistungen in der Rentenversicherung berücksichtigt werden müssen; vgl. Bernd Wegmann, Transferverfassungsrechtliche Probleme der Sozialversicherung, 1987, S. 324ff. los Vgl. paui Kirchhof, Ehe und Familie im staatlichen und kirchlichen Steuerrecht, in: Heiner Marré/Johannes Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (21), 1986, S. 141 f.; Dieter Ρ ir son, in: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art. 6 Rn.5 und 80; Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S.239f. 109 So aber Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S.240f. 110 BVerfGE 13,290 (295ff.); Jürgen Borchert, Man muß kein Extremist sein... Familie im Transferrecht: Nur ein sozialpolitisches Problem?, in: FuR 1992, S.95 f.; Jürgen Borchert, Kindererziehung und Alterssicherung. Vom ungelösten zum unlösbaren Problem?, in: FuR 1990, S. 88; Dieter Suhr, Transferrechtliche Ausbeutung und verfassungsrechtlicher Schutz von Familien, Müttern und Kindern, in: Der Staat 29 (1990), S.77ff. 111 BVerfGE 43, 108 (118f.); 61, 319 (343); 82, 60 (78 und 86ff.).

Α. Der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG

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des Existenzminimums sämtlicher Familienmitglieder von der Besteuerung noch dem Förderungsgebot des Art. 6 Abs. 1 GG zu. 112 In einer späteren Entscheidung kam die Funktion der Einschränkung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums bei der Auswahl der Differenzierungskriterien nicht mehr vorrangig Art. 6 Abs. 1 GG zu, sondern Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG. 113 Art. 6 Abs. 1 GG spielte in der betreffenden Entscheidung nur noch die Rolle einer Extensionsnorm. Das Bundesverfassungsgericht folgerte ausdrücklich aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und nur „zusätzlich auch" aus Art. 6 Abs. 1 GG, daß bei der Besteuerung einer Familie das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder steuerfrei bleiben muß. Prüfungsmaßstab war das aus dem allgemeinen Gleichheitssatz abgeleitete Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, bei deren Bemessung die Grundsatzentscheidungen der Verfassung zu beachten seien.114 Mit dieser Entscheidung wurde die Freistellung des Kinderexistenzminimums endgültig nicht mehr dem Förderungsgebot, sondern dem Benachteiligungsverbot des Art. 6 Abs. 1 GG zugeordnet. 115 Das Bundesverfassungsgericht hat nun in der Entscheidung zum Betreuungs- und Erziehungsbedarf 116 nochmals ausdrücklich festgehalten, daß eine Benachteiligung vorliegt, wenn Familien nicht ihrer Leistungsfähigkeit entsprechend besteuert werden, und daß die Pflicht des Steuergesetzgebers, das zur Bestreitung des familiären Existenzminimums benötigte, nicht disponible Einkommen von der Besteuerung auszunehmen, ein Gebot der Steuergleichheit ist. 117 In den neuesten Entscheidungen zur Berechnung des steuerfrei zu stellenden Familienexistenzminimums und zur amtsangemessenen Alimentation von Beamten mit Kindern zieht das Bundesverfassungsgericht das Benachteiligungsverbot des Art. 6 Abs. 1 GG überhaupt nicht mehr zur Begründung heran. 118 Damit wird das Benachteiligungsverbot als Differenzierungsgebot im Sinne einer verfassungsrechtlichen Vorgabe der relevanten Differenzierungskriterien bestätigt.

112

BVerfGE 43, 108(121). BVerfGE 82, 60 (85). 114 BVerfGE 82, 60 (85 f.). 115 Vgl. Joachim Lang, Verfassungsrechtliche Gewährleistung des Familienexistenzminimums im Steuer- und Kindergeldrecht. Zu den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 29.5.1990 und vom 12.6.1990, in: StuW 1990, S.338; Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S.229f. 116 BVerfGE 99,216. 117 BVerfGE 99, 216 (232 f.). 118 BVerfGE 99, 246 (259ff.); 99, 300 (314ff.). 113

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie c) Das Förderungsgebot

Als dritte Wirkungsweise der wertentscheidenden Grundsatznorm hat das Bundesverfassungsgericht bereits sehr früh das Gebot zur Förderung der Familie ausgesprochen. 119 Während die Ableitung staatlicher Schutzpflichten aus den Grundrechten seit dem ersten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs 120 weitgehend anerkannt ist 121 , sind Rechtsprechung und Literatur bei der Ableitung von Förderpflichten aus den Grundrechten eher zurückhaltend. 122 Im Unterschied zu den staatlichen Schutzpflichten, die den drohenden Übergriff eines Dritten und damit ein Dreiecksverhältnis 123 voraussetzen, richten sich die staatlichen Förderungspflichten unmittelbar gegen den Staat. Wie bei den staatlichen Schutzpflichten kommen im Prinzip alle Grundrechte für die Begründung staatlicher Förderungspflichten in Betracht. 124 Ganz allgemein kann unter Förderung sowohl eine tatsächliche Besserstellung als auch ein bloßer Ausgleich tatsächlicher Nachteile verstanden werden. 125

aa) Förderung als tatsächliche Besserstellung Eine tatsächliche Besserstellung der Familien gegenüber Nichtfamilien, zum Beispiel als Anreiz zur Familiengründung oder Erweiterung, wäre vor dem Hintergrund des in Art. 6 Abs. 1 GG statuierten besonderen Schutzes der Familie grundsätzlich zulässig. Allerdings wäre eine tatsächliche Besserstellung der Familie gegenüber anderen Lebensformen nur aus familienexternen Gründen zu rechtfertigen. Eine tatsächliche Besserstellung der Lebensform Familie dürfte nicht allein um ihrer selbst willen erfolgen, sondern müßte aus anderen Gründen, etwa des allgemeinen Wohls, erfolgen, wozu auch bevölkerungspolitische Gründe zählen können. Eine tatsächli119

BVerfGE 6, 55 (76); 28, 324 (347). BVerfGE 39, 1 (41). 121 BVerfGE 49,89 (142); Ferdinand Kopp, Grundrechtliche Schutz- und Förderungspflichten der öffentlichen Hand, in: NJW 1994, S. 1753; Josef Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 1992, § 111 Rn. 77 ff.; Ernst-Wolfgang Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie. Studien zur Verfassungstheorie und zum Verfassungsrecht, 2. Auflage, 1992, S. 172ff. 122 Eine Förderpflicht wird etwa für die wissenschaftliche Forschung oder für das freiheitliche Kunstleben aus Art. 5 Abs. 3 GG abgeleitet; vgl. BVerfGE 36, 321 (331); 35, 79 (114ff.); Ferdinand Kopp, Grundrechtliche Schutz- und Förderungspflichten der öffentlichen Hand, in: NJW 1994, S. 1753. 123 Siehe oben 2. Kapitel A.IV. 1. 124 Ferdinand Kopp, Grundrechtliche Schutz- und Förderungspflichten der öffentlichen Hand, in: NJW 1994, S. 1753 f.; Konrad Hesse, Bestand und Bedeutung der Grundrechte in der Bundesrepublik Deutschland, in: EuGRZ 1978, S.433. 125 Wolfgang Görlich, Das Gebot staatlicher Familienfürsorge im Steuerrecht, in: NJW 1979, S. 1577. 120

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che Besserstellung der Familie allein um ihrer selbst willen wäre mit dem (auch negativen126) Freiheitsgrundrecht des Art. 6 Abs. 1 GG und der staatlichen Neutralitätspflicht gegenüber der privaten Lebensgestaltung unvereinbar. 127 Eine Bevorteilung wegen der Familie wäre damit ebenso unzulässig wie eine Benachteiligung wegen der Familie. Insoweit gilt auch für das Förderungsgebot das Diskriminierungsverbot im Sinne eines Begründungs- oder Anknüpfungsverbots. 128 Art. 6 Abs. 1 GG begründet keine staatliche Pflicht zur tatsächlichen Besserstellung der Familie aus anderen Gründen. Er steht ihr allerdings bei Abwägung mit anderen Interessen auch nicht entgegen. So könnten familienfördernde Maßnahmen im Sinne von Anreizen zur Familiengründung als Eingriffe in die (negative) Familienfreiheit gerechtfertigt werden, wenn die demographische Entwicklung der Bevölkerung den Bestand des Gemeinwesens bedroht und damit kollektive Interessen mit dem Rechtsgut der Familienfreiheit kollidieren. Zwangsmaßnahmen oder zwangsähnliche Mittel zur Familiengründung wären jedoch in jedem Fall unverhältnismäßig. 1 2 9 Soweit unter Förderung eine über bloße Neutralität hinausgehende tatsächliche Besserstellung verstanden wird, steht der Befugnis des Staates zur Förderung der Familie 130 aber keine Pflicht zur Förderung der Familie gegenüber, aus der sich ein individueller Anspruch auf Förderung im Sinne tatsächlicher Besserstellung ergeben könnte.131

bb) Förderung als Ausgleich tatsächlicher Nachteile Familienförderung kann auch verstanden werden als Ausgleich für die tatsächlichen Nachteile, die Familien im Vergleich zu Nichtfamilien treffen. Diese Art der Förderung zielt maximal auf wirtschaftliche Gleichstellung von Familien und Nichtfamilien und auf Herstellung staatlicher Neutralität gegenüber der Lebensform 126 Thorsten Kingreen, Das Grundrecht von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG), in: Jura 1997, S.402; Paul Kirchhof, Ehe und Familie im staatlichen und kirchlichen Steuerrecht, in: Heiner Marré/Johannes Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (21), 1986, S. 141. 127 Vgl. Wolf gang Görlich, Das Gebot staatlicher Familienfürsorge im Steuerrecht, in: NJW 1979, S. 1577 f. 128 Siehe oben 2. Kapitel Α. IV. 3. b)aa). 129 Anders Paul Kirchhof, der jeglichen Finanzanreiz zur Familiengründung für mit Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar hält; vgl. Paul Kirchhof, Ehe und Familie im staatlichen und kirchlichen Steuerrecht, in: Heiner Marré/Johannes Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (21), 1986, S. 141. 130 BVerfGE 6,55 (76 f.); Franz Klein, Ehe und Familie im Steuerrecht als verfassungsrechtliches Problem, in: Waither Fürst/Roman Herzog/Dieter Umbach (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zeidler, Band 1,1987, S.781; Theodor Maunz, in: Theodor Maunz/Günter Dürig/Roman Herzog (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 7. Auflage, Stand: Juni 1998, Art. 6 Rn. 21. 131 Wolfgang Görlich, Das Gebot staatlicher Familienfürsorge im Steuerrecht, in: NJW 1979, S. 1577 f.

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie 132

Familie. Zu diesem Ausgleich ist der Staat nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet. 133 In ihm liegt der primäre Sinn und Zweck des Förderungsgebots. 134 Es sind somit zwei Ausprägungen des Förderungsgebots zu unterscheiden. Die eine begründet die Förderungsbefugnis, die andere eine Förderungspflicht des Staates. Im Unterschied zur Förderungsbefugnis, die dem Staat eine tatsächliche Besserstellung der Familien gegenüber den Nichtfamilien zwar erlaubt, aber keine subjektiven Rechte der Familien begründet, können sich aus der Förderungspflicht, die eine Verpflichtung des Staates zum Nachteilsausgleich begründet, Ansprüche der Familien gegen den Staat ergeben. 135 Es ist deshalb nicht richtig, wenn behauptet wird, daß das Förderungsgebot in seiner Wirkung weitgehend leerläuft, wenn es nur als ein Gebot staatlicher Neutralität gewertet wird. 136 Gegenwärtig ist der Staat von Neutralität gegenüber der Familie als Lebensform angesichts der negativen Transfersalden zu Lasten der Familien weit entfernt. Hier verlangt Art. 6 Abs. 1 GG den Ausbau der Familienförderung in Richtung auf die wirtschaftliche Gleichstellung von Familien und Nichtfamilien. Die Förderungspflicht des Art. 6 Abs. 1 GG zielt in eine andere Richtung als die sozialstaatliche Förderungspflicht. 137 Sie gilt nicht nur für sozial Schwache und ist nicht primär auf vertikale Umverteilung gerichtet, sondern horizontal angelegt. Grundsätzlich gilt sie für alle Einkommensgruppen. Art. 6 Abs. 1 GG gebietet den Schutz der Familie als solcher und fordert im Grundsatz den Ausgleich der Nachteile der Familien gegenüber den Nichtfamilien. Eine isolierte sozialstaatliche Umverteilung allein zwischen reichen und armen Familien wäre daher nicht gerechtfertigt. Die Leistungen, die im Rahmen des Kinderleistungsausgleichs dem Ausgleich der direkten und indirekten Kinderkosten dienen, müssen sich daher grundsätzlich an alle Familien richten.138 Die Grenzen zwischen allgemeinen Sozialstaatsleistun132

Wolfgang Görlich, Das Gebot staatlicher Familienfürsorge im Steuerrecht, in: NJW 1979, S.1578. 133 Franz Klein, Ehe und Familie im Steuerrecht als verfassungsrechtliches Problem, in: Walther Fürst/Roman Herzog/Dieter Umbach (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zeidler, Band 1, 1987, S. 781. 134 Martin Moderegger geht dagegen davon aus, daß jeder Nachteilsausgleich bereits vom Benachteiligungsverbot erfaßt wird und das Förderungsgebot nur die tatsächliche Besserstellung meint; vgl. Martin Moderegger, Der verfassungsrechtliche Familienschutz und das System des Einkommensteuerrechts, 1991, S.38f. 135 Siehe unten 2. Kapitel Α. V. 136 So aber Martin Moderegger, Der verfassungsrechtliche Familienschutz und das System des Einkommensteuerrechts, 1991, S.38. 137 Ygi Wolfgang Görlich, Das Gebot staatlicher Familienfürsorge im Steuerrecht, in: NJW 1979, S. 1578; Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 142. 138 Franz Klein, Ehe und Familie im Steuerrecht als verfassungsrechtliches Problem, in: Walther Fürst/Roman Herzog/Dieter Umbach (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zeidler, Band 1, 1987, S.790.

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gen und speziellen Leistungen zur Förderung der Familie sind jedoch weitgehend zerflossen und erschweren die inhaltliche Bestimmung der Familienförderung. 139 Das Bundesverfassungsgericht stützte sich lange nur auf die Grenzen des Förderungsgebots, ohne zuvor den Inhalt des Förderungsgebots näher zu konkretisieren. 1 4 0 Art. 6 GG verpflichte den Staat zwar dazu, den wirtschaftlichen Zusammenhalt der Familie zu fördern 141 und einen Familienlastenausgleich zu ermöglichen 142, die Schutzpflicht gehe jedoch nicht soweit, daß der Staat gehalten wäre, jegliche die Familie treffende Belastung auszugleichen. Umfang, Art und Weise eines sozialen Familienlastenausgleichs seien nicht verfassungsrechtlich vorgeschrieben und ein individueller Anspruch auf positive wirtschaftliche Förderung der Familie könne aus der Verfassung keinesfalls hergeleitet werden. Dem Gesetzgeber sei ein breiter Gestaltungsspielraum eingeräumt, wie er der Schutzpflicht nachkommen wolle. 143 In der Entscheidung zur Staffelung der Kindergartengebühren stellte das Bundesverfassungsgericht lediglich fest, daß der Staat durch die Einrichtung von Kindergärten zur Erfüllung der in Art. 6 Abs. 1 GG verankerten Förderpflicht beiträgt. 144 Der Staat müsse die Familie auch nicht ohne Rücksicht auf sonstige öffentliche Belange fördern, die staatliche Familienförderung stehe vielmehr unter dem Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen, was der einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann. Der Gesetzgeber habe im Interesse des Gemeinwohls neben der Familienförderung auch andere Gemeinschaftsbelange bei seiner Haushaltswirtschaft zu berücksichtigen und dabei auf die Funktionsfähigkeit und das Gleichgewicht des Ganzen zu achten.145 Diese Aussagen sind insofern zu relativieren, als die Transferbelastung der Familien durch die Nichtberücksichtigung der familialen Besonderheiten in den Teilrechtsordnungen erst in neuerer Zeit ins Bewußtsein gerückt ist. Lange Zeit wurden familienbezogene Leistungen generell als Familienförderung im Sinne einer Besserstellung der Familien qualifiziert. Zu den staatlichen Leistungen der Familienförderung zählte das Gericht ursprünglich nicht nur die steuerlichen Entlastungen, sondern auch das zu einem überwiegenden Teil aus Haushaltsmitteln finanzierte, nicht gebührenpflichtige Schul-, Bildungs- und Ausbildungssystem.146 Später hat das Gericht allerdings die Gegenrechnung mit allgemeinen Leistungen des Staates durch die Bereitstellung eines Schul-, Bildungs- und Ausbildungssystems nicht mehr als 139

Helmut Lecheler, Schutz von Ehe und Familie, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band VI, 1989, § 133 Rn. 106. 140 Franz Ruland, Der Kinderlastenausgleich ist eine Aufgabe des Staates, in: FuR 1992, S.98f. 141 BVerfGE 13, 331 (347); 28, 104 (113); 40, 121 (132). 142 BVerfGE 39, 316 (326). 143 BVerfGE 23,258 (264); 28,104 (113); 39,316 (326); 43,108 (121); 55,114 (127); 82,60 (81). 144 BVerfGE 97, 332 (347). 145 BVerfGE 82, 60 (81 f.); 87, 1 (35 f.). 146 BVerfGE 43,108(121).

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

Rechtfertigung für eine unzureichende steuerliche Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen gelten lassen.147 Noch in der Entscheidung zum Kinderexistenzminimum hatte das Gericht ausgeführt, daß bei einer Gesamtbetrachtung der Leistungen, die der Staat für die Kinder erbringt, nicht davon ausgegangen werden kann, daß die Familienförderung durch den Staat unangemessen ist und dem Förderungsgebot des Art. 6 Abs. 1 GG nicht mehr genügt.148 In der Entscheidung zu den Kindererziehungszeiten stellte das Bundesverfassungsgericht dann erstmals eine Verletzung des Förderungsgebots durch den unzureichenden Ausgleich der Benachteiligungen der Familien durch die Ausgestaltung der Alterssicherungssysteme fest. Konkrete Ansprüche auf staatliche Leistungen leitete das Bundesverfassungsgericht aus dem Förderungsgebot gleichwohl nicht ab. Es betonte vielmehr, daß der Gesetzgeber in seiner Entscheidung, wie er die Benachteiligung der Familie beseitigen will, grundsätzlich frei sei. 149 In der Entscheidung zum Betreuungs- und Erziehungsbedarf 150 ging das Bundesverfassungsgericht erstmals detailliert auf den Bedeutungsgehalt des Förderungsgebots ein. Aus der Schutzpflicht des Art. 6 Abs. 1 GG ergebe sich die Aufgabe des Staates, die Kinderbetreuung in der jeweils von den Eltern gewählten Form in ihren tatsächlichen Voraussetzungen zu ermöglichen und zu fördern. Die Kinderbetreuung sei eine Leistung, die auch im Interesse der Gemeinschaft liege und deren Anerkennung verlange. Der Staat habe dementsprechend dafür Sorge zu tragen, daß es den Eltern gleichermaßen möglich ist, teilweise und zeitweise auf eine eigene Erwerbstätigkeit zugunsten der persönlichen Betreuung ihrer Kinder zu verzichten wie auch Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit miteinander zu verbinden. Der Staat müsse auch Voraussetzungen schaffen, daß die Wahrnehmung der familiären Erziehungsaufgabe nicht zu beruflichen Nachteilen führt, daß eine Rückkehr in eine Berufstätigkeit ebenso wie ein Nebeneinander von Erziehung und Erwerbstätigkeit für beide Eiternteile einschließlich eines beruflichen Aufstiegs während und nach Zeiten der Kindererziehung ermöglicht und daß die Angebote der institutionellen Kinderbetreuung verbessert werden. 151 Mit dieser Entscheidung wird deutlich, daß der wesentliche Gehalt des Förderungsgebots in der Gewährung staatlicher Maßnahmen und Leistungen besteht, die gerade nicht auf den Ausgleich systemimmanenter Benachteiligungen in bestehen147

BVerfGE 82,60 (88). Eine solche Gegenrechnung wäre im übrigen vor dem Hintergrund der in manchen Landesverfassungen garantierten Schulgeldfreiheit (so etwa in Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen und Nordrhein-Westfalen) und der den Staat gemäß Art. 7 GG treffenden Schulverantwortung problematisch; vgl. Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 143 f. 148 BVerfGE 82, 60 (81 f.). 149 BVerfGE 87,1 (38 f.). 150 BVerfGE 99, 216. 151 BVerfGE 99, 216 (234).

Α. Der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG

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den Teilrechtsordnungen gerichtet sind. Das Förderungsgebot zielt vielmehr auf die Behandlung der Familien gemäß dem Maßstab der Familiengerechtigkeit als eigenem Gerechtigkeitsmaßstab. Dieser Maßstab verlangt eine gerechte Behandlung der Familien in dem Sinn, daß der Sach-, Erziehungs- und Betreuungsbedarf der Kinder in Form eines Kinderlasten- und Kinderleistungsausgleichs auch außerhalb sonstiger Teilrechtsordnungen Berücksichtigung findet. Zu den wichtigsten staatlichen Maßnahmen der Familienförderung im Rahmen des Kinderlasten- und Kinderleistungsausgleichs gehören - zu Teilen - das Kindergeld, das Erziehungsgeld und die aus öffentlichen Mitteln finanzierten Kinderbetreuungseinrichtungen. Das Mutterschaftsgeld gehört ebenfalls in den Bereich der Familienförderung, stellt aber vor allem eine arbeits- und sozialrechtliche Schutzmaßnahme dar. Es ist als Lohnersatzleistung konzipiert, die (zumeist zusammen mit Leistungen des Arbeitgebers und eventuell auch solchen des Bundes) bei berufstätigen Schwangeren und Müttern den durch die Mutterschutzfristen entstehenden Einkommensausfall kompensieren soll. Die Kompensationslast ist auf Arbeitgeber, Gesetzliche Krankenversicherung und Bund aufgeteilt. Ziel des Mutterschaftsgeldes ist, im Ergebnis in gleicher Weise wie beim Krankengeld ungefähr das durch Erwerbsarbeit erzielte Nettoeinkommen zu sichern. 152 Das Mutterschaftsgeld dient-nach seiner Regelungsintention deutlicher als das Erziehungsgeld - dem Ausgleich der indirekten Kinderkosten. Dieser Ausgleich ist allerdings auf einen kurzen Zeitraum von in der Regel 14 Wochen begrenzt. Das Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz, dem im Zusammenwirken mit dem Kinderfreibetrag nach § 32 EStG eine Doppelfunktion (§31 EStG) zukommt, dient einerseits der steuerlichen Freistellung des Einkommens in Höhe des Existenzminimums eines Kindes und andererseits, soweit das Kindergeld für die Freistellungsfunktion nicht benötigt wird, der Förderung der Familie. 153 Materiell ist der Betrag des Kindergeldes, der den Betrag der aus dem Kinderfreibetrag erwachsenden Steuervergütung übersteigt, eine Sozialleistung. Durch diese Förderleistung sollen die wirtschaftlichen Belastungen der Familien gemindert werden, die durch den Kindesunterhalt entstehen. Dieser Teil des Kindergeldes zielt damit auf den Ausgleich der direkten Kinderkosten ab. 154 152

Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA), Einkommensbezogenes Sozialleistungsrecht. Forschungsbericht Nr. 256, 1996, S.397f. 153 Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA), Einkommensbezogenes Sozialleistungsrecht. Forschungsbericht Nr. 256, 1996, S.284f. Das sog. Restkindergeld nach dem BKGG dient im vollen Umfang der Familienförderung; vgl. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA), Einkommensbezogenes Sozialleistungsrecht. Forschungsbericht Nr. 256, 1996, S.288. 154 Praktische Bedeutung hat die Zweckbestimmung des Kindergeldes für die Frage der Anrechnungsfähigkeit als Einkommen bei anderen einkommensabhängigen Sozialleistungen. Weil das Kindergeld als eine Leistung klassifiziert wird, die allgemein zur Deckung des Lebensunterhalts einer Familie mit Kindern beiträgt, wird es zum Beispiel bei der Sozialhilfe

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

Das Erziehungsgeld nach dem BErzGG ist ebenfalls eine Maßnahme der Familienförderung. Es handelt sich um eine Sozialleistung im Sinne des Sozialgesetzbuches (Art. I §§ 6,25 Abs. 2 SGB I, Art. I I § 1 Nr. 20 SGB I) und dient der Förderung der Kindererziehung in der Familie. Auch wenn Hauptziel nicht die wirtschaftliche Sicherung des oder der Erziehenden bei einem vollständigen oder teilweisen Verzicht auf Erwerbstätigkeit ist, sondern die finanzielle Anerkennung der Erziehungsleistung der Familie durch die Gesellschaft, zielt das Erziehungsgeld auf den Ausgleich der indirekten Kinderkosten. 155 Zur Familienförderung gehört schließlich die staatliche Unterstützung der Kindererziehung in der Familie durch familienergänzende außerschulische Betreuungs·, Erziehungs- und Bildungseinrichtungen wie Kindertagesstätten, Kinderkrippen, Kindergärten und Kinderhorte. 156 Diese staatlichen Transferleistungen sind auf den Ausgleich der wirtschaftlichen Belastungen durch Kinder gerichtet. Sie zielen auf den (teilweisen) Ausgleich derjenigen Lasten und Leistungen der Familie, die der Deckung des allgemeinen Grundbedarfs eines Kindes dienen. Dazu gehören Sachleistungen, die den wirtschaftlichen Bedarf der Kinder decken, ebenso aber Betreuungs- und Erziehungsleistungen, die dem kindlichen Bedürfnis nach Unterstützung, Anleitung sowie Vermittlung praktischer und kultureller Erfahrungen genügen.157 Transferleistungen, die auf den Ausgleich dieser Belastungen und Leistungen gerichtet sind, bilden den eigentlichen Kinderlasten- und Kinderleistungsausgleich, wie ihn Art. 6 Abs. 1 GG fordert und wie er in Art. I §§ 6 und 25 SGB I konkretisiert ist. Es ist deshalb nicht richtig, wenn sämtliche familienbezogenen Maßnahmen der Familienförderung zugeordnet werden. Insbesondere der sogenannte Familienleistungsausgleich im engeren Sinn (das duale System von Kinderfreibeträgen und Kindergeld im EStG), dient zu weiten Teilen nicht dem Nachteilsausgleich im Sinne der Familienförderung, sondern der sachgerechten Behandlung der Familien im Sinne des Benachteiligungsverbots. 158

grundsätzlich als Einkommen angerechnet; vgl. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA), Einkommensbezogenes Sozialleistungsrecht. Forschungsbericht Nr. 256, 1996, S. 284 ff. 155 Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA), Einkommensbezogenes Sozialleistungsrecht. Forschungsbericht Nr. 256, 1996, S.304f. 156 Matthias Jestaedt, in: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art. 6 Abs. 2 und 3 Rn.311. 157 Vgl. BVerfGE 99, 216 (231). 158 Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S.240. Gleichwohl wird der Familienleistungsausgleich im engeren Sinn häufig als Teil der Familienförderung qualifiziert; vgl. Eva Marie von Münch, in: Ingo von Münch/ Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 4. Auflage, 1992, Art. 6 Rn. 20 ff.

Α. Der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG

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cc) Die Abgrenzung des Förderungsgebots vom Benachteiligungsverbot Die Abgrenzung zwischen Maßnahmen des Benachteiligungsverbots und des Förderungsgebots ist - sofern sie überhaupt vorgenommen wird - uneinheitlich.159 Nach dem hier zugrunde gelegten Verständnis des Benachteiligungsverbots und des Förderungsgebots lassen sich vier Arten von Maßnahmen zum Schutz der Familie unterscheiden. Zum einen gibt es Maßnahmen, die unmittelbar auf die Vermeidung einer Benachteiligung gerichtet sind, wie zum Beispiel die Kinderfreibeträge oder das kinderzahlbezogene Wohngeld. Sie verhindern, daß überhaupt Benachteiligungen zu Lasten der Familien entstehen. Daneben gibt es Maßnahmen, die auf die Kompensation nicht vermiedener systemimmanenter Benachteiligungen gerichtet sind, wie zum Beispiel das Kindergeld, soweit es dem Betrag entspricht, der den Eltern über die Kinderfreibeträge ohnehin zustünde. Diese Maßnahmen dienen dem Nachteilsausgleich im Sinne des BenachteiligungsVerbots. Auf der anderen Seite gibt es Maßnahmen, die auf den Ausgleich von Nachteilen gerichtet sind, die den Familien neben den systemimmanenten Benachteiligungen entstehen - mögen diese Nachteile auch aufgrund der Ausgestaltung und des Zusammenwirkens einzelner Teilrechtsordnungen systembedingt sein. Dazu gehören zum Beispiel das Erziehungsgeld und das Kindergeld, soweit es als Sozialleistung zu qualifizieren ist. Diese Maßnahmen dienen dem Nachteilsausgleich im Rahmen des Förderungsgebots. Schließlich sind Maßnahmen denkbar, welche die Familien tatsächlich gegenüber Nichtfamilien besserstellen. Solche Maßnahmen gibt es bislang praktisch nicht, da die Familien per Saldo immer noch wesentlich schlechter gestellt sind als Nichtfamilien und eine wirtschaftlichen Gleichstellung, die Voraussetzung für eine solche Besserstellung wäre, längst nicht erreicht ist. Die beiden zuletzt genannten Formen sind Ausprägungen des Förderungsgebots. Die Abgrenzung, ob es sich bei einer differenzierenden Regelung um eine Maßnahme der Benachteiligungsverhinderung bzw. des Nachteilsausgleichs im Sinne des Benachteiligungsverbots oder des Nachteilsausgleichs bzw. der tatsächlichen Besserstellung im Sinne des Förderungsgebots handelt, ist abhängig von der jeweiligen Teilrechtsordnung und den in ihr geltenden Gerechtigkeitsmaßstäben.160 159

Vgl. Ingo Richter; in: Rudolf Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, 2. Auflage, 1989, Art. 6 Rn. 20 und 36; Theodor Maunz, in: Theodor Maunz/Günter Dürig/Roman Herzog (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 7. Auflage, Stand: Juni 1998, Art. 6 Rn. 17 c; Dieter Ρ ir son, in: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art. 6 Rn. 73 f.; Eva Marie von Münch, in: Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 4. Auflage, 1992, Art. 6 Rn. 19ff.; Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S.239f.; Martin Moderegger, Der verfassungsrechtliche Familienschutz und das System des Einkommensteuerrechts, 1991, S. 37 ff. 160 Vgl. Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S.239f. Matthias Pechstein zählt allerdings auch solche Maßnahmen zu den Förderleistungen, die nicht von vornherein ausschließlich Familien betreffen, sondern in der

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

Im Ergebnis zielen die ersten drei Maßnahmen der Nachteilsverhinderung und des Nachteilsausgleichs auf die wirtschaftliche Gleichstellung der Familie, weshalb diese Maßnahmen auch unter einem weiter verstandenen Benachteiligungsverbot zusammengefaßt werden. 161 Das Förderungsgebot bleibt dann allerdings auf eine Förderungsbefugnis des Staates beschränkt und als bloße Erlaubnisnorm für die tatsächliche Besserstellung der Familien weitgehend bedeutungslos. Deshalb ist mit Hinblick auf die Bestimmtheit des sich aus Art. 6 Abs. 1 GG ergebenden Gesetzgebungsauftrags eine Unterscheidung zwischen Maßnahmen des Nachteilsausgleichs im Sinne des Benachteiligungsverbots einerseits und Maßnahmen des Nachteilsausgleichs im Sinne des Förderungsgebots andererseits angebracht. Sowohl der Nachteilsausgleich im Sinne des Benachteiligungsverbots als auch der Nachteilsausgleich im Sinne des Förderungsgebots stehen nicht im Belieben des Staates, sondern sind Gegenstand einer staatlichen Verpflichtung. Der Gesetzgeber hat allerdings in beiden Fällen einen Gestaltungsspielraum, da es beim Nachteilsausgleich stets um staatliche Leistungen und damit um staatliches Handeln und nicht um staatliches Unterlassen geht. Der Gestaltungsspielraum ist beim Nachteilsausgleich im Sinne des Benachteiligungsverbots aber enger als beim Nachteilsausgleich im Sinne des Förderungsgebots. In beiden Fällen erstreckt sich der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers nicht auf das „Ob" des Nachteilsausgleichs, sondern nur auf das „Wie" des Nachteilsausgleichs. Die Unterschiedlichkeit der Nachteile darf gleichwohl nicht ignoriert werden. Die Nachteile können durch die Ausgestaltung einzelner Teilrechtsordnungen und damit durch staatliche Maßnahmen verursacht sein, aber auch ohne direktes staatliches Zutun oder allenfalls mittelbar durch die staatlichen Transfersysteme entstehen.162 Da der Nachteilsausgleich im Sinne des Benachteiligungsverbots innerhalb eines bestehenden Systems erfolgt und den dort geltenden Gerechtigkeitsmaßstäben zu folgen hat, ist durch die dem System zugrundeliegenden Gerechtigkeitsmaßstäbe das „Wie" des Nachteilsausgleichs vorgegeben. In der Regel läßt sich der Umfang des Nachteilsausgleichs im Sinne des Benachteiligungsverbots ziffernmäßig bestimmen, so daß sich der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers auf die konkrete Umsetzung und Ausgestaltung beschränkt, nicht aber den Umfang des Nachteilsausgleichs betrifft. 163 Außerdem muß beim Ausgleich einer nicht vermiedenen BeGrundfassung auch für Nichtfamilien gelten, aber für Familien zusätzliche begünstigende Tatbestände vorsehen (so zum Beispiel das personenzahlbezogene Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz). 161 Vgl. Martin Moderegger, Der verfassungsrechtliche Familienschutz und das System des Einkommensteuerrechts, 1991, S. 38 f. 162 Vgl. Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 142. 163 Vgl die dezidierte Rechtsprechung zur Höhe des steuerfrei zu stellenden Familienexistenzminimums und zur amtsangemessenen Alimentation von Beamten mit Kindern: ßVerfGE 44,249 (267f.); 61,319 (348ff.); 81,363 (376ff.); 82,60 (85ff.); 99,216 (231 ff. und 240ff.); 99, 246 (259ff.); 99, 300 (314ff.).

Α. Der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG

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nachteiligung sichergestellt werden, daß der Saldo von Benachteiligung und Kompensation annähernd Null ist und der Entlastungseffekt durch die Kompensation nicht durch In-Sich-Transfers aufgehoben wird. 164 Der bloße Ausgleich der durch familienblinde Normen entstehenden systemimmanenten Nachteile birgt im Gegensatz zu einer präventiven Vermeidung dieser Nachteile die Gefahr, daß die Kompensationsleistungen wegen ihres Leistungscharakters als Förderleistungen qualifiziert und als Argument für die Erfüllung der Förderungspflicht herangezogen werden, wie dies gerade beim Kindergeld häufig der Fall ist. Deshalb ist auch die Ausweisung der Auswirkungen der Steuerfreiheit des Familienexistenzminimums im Sozialbericht der Bundesregierung als Familienförderung irreführend. 165 Beim Nachteilsausgleich im Sinne des Förderungsgebots erstreckt sich der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers ebenfalls nur auf das „Wie" des Ausgleichs.166 Das Bundesverfassungsgericht hat aus Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip eine grundsätzliche Pflicht des Staates zum Familienlastenausgleich abgeleitet, es jedoch der gesetzgeberischen Freiheit überlassen, zu entscheiden, auf welche Art und Weise diese Verpflichtung erfüllt werden soll. 167 Das „Ob" steht - im Unterschied zur Förderungsbefugnis des Staates mit dem Ziel tatsächlicher Besserstellung - nicht zur Disposition. Gleichwohl ist der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Umsetzung des Förderungsgebots weiter als bei Maßnahmen des Nachteilsausgleichs im Rahmen des Benachteiligungsverbots, weil die Notwendigkeit einer Förderung aus der Gestaltung der sozialen Umwelt folgt und allenfalls systembedingt ist, nicht aber zwingend aus einzelnen Teilrechtsordnungen systemimmanenten Gründen folgt. Der Nachteilsausgleich im Sinne des Förderungsgebots muß keinen systemimmanenten Gerechtigkeitsanforderungen genügen, sondern eigenen Gerechtigkeitsmaßstäben folgen. Das verfassungsrechtliche Gebot zur Förderung der Familie betrifft originär leistungsrechtliche Aspekte des Grundrechts, das Benachteiligungsverbot zielt dagegen auf Teilhabe an Vorhandenem. Wahrend das Verbot der Benachteiligung vorran164 Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 246. 165 Vgl Franz Ruland, Verfassungsrechtliche Vorgaben des Familienlastenausgleichs, in: FuR 1991, S. 314; Jürgen Borchert, Man muß kein Extremist sein... Familie im Transferrecht: Nur ein sozialpolitisches Problem?, in: FuR 1992, S.90; Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 143 f. Siehe oben 1. Kapitel B.II. 2. 166

BVerfGE 82, 60 (81). BVerfGE 39, 316 (326); Ingo Richter, in: Rudolf Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, 2. Auflage, 1989, Art.6Rn.10f. 167

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gig die rechtsstaatliche Komponente des Familienschutzes betrifft, erfaßt das Gebot der Förderung die sozialstaatlichen Anforderungen an den Familienschutz.168

V. Der leistungsrechtliche Gehalt Art. 6 Abs. 1 GG enthält die objektive Wertentscheidung, daß der Staat zum Schutz der Familie verpflichtet ist. Den Staat trifft aus dieser objektiven Gewährleistung des Art. 6 Abs. 1 GG die Pflicht zur Förderung der Familie. Aus dem Förderungsgebot ergibt sich die Aufgabe des Staates, die Kinderbetreuung in der jeweils von den Eltern gewählten Form in ihren tatsächlichen Voraussetzungen zu ermöglichen und zu unterstützen. Der Staat hat dafür Sorge zu tragen, daß es den Eltern gleichermaßen möglich ist, teilweise und zeitweise auf eine eigene Erwerbstätigkeit zugunsten der persönlichen Betreuung ihrer Kinder zu verzichten wie auch Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit miteinander zu verbinden. Der Staat muß auch Voraussetzungen schaffen, daß die Wahrnehmung der familiären Erziehungsaufgabe nicht zu beruflichen Nachteilen führt, daß eine Rückkehr in eine Berufstätigkeit ebenso wie ein Nebeneinander von Erziehung und Erwerbstätigkeit für beide Eiternteile einschließlich eines beruflichen Aufstiegs während und nach Zeiten der Kindererziehung ermöglicht und daß die Angebote der institutionellen Kinderbetreuung verbessert werden. 169 Fraglich ist, inwieweit dieser objektiven Verpflichtung des Staates zur Förderung der Familie ein subjektives Recht der Familie auf staatliche Leistungen der Familienförderung korrespondiert. Diese Frage ist von entscheidender Bedeutung für den Wirkungsgrad des verfassungsrechtlichen Förderungsgebots. 1. Die Begründung des leistungsrechtlichen Gehalts der Grundrechte Der leistungsrechtliche Gehalt der Grundrechte betrifft die wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen der Grundrechtsverwirklichung und damit den grundrechtlichen status positivus. 170 Die Gewährleistung der tatsächlichen Freiheit durch den status positivus ist von der Gewährleistung der rechtlichen Freiheit durch den status negativus zu unterscheiden. Rechtliche Freiheit zeigt sich daran, daß ein Verhalten rechtlich möglich, also nicht verboten ist. Die tatsächliche Möglichkeit, von der rechtlichen Freiheit Gebrauch zu machen, ist durch faktische Umstände in unterschiedlichem Maße eingeschränkt. Diese faktischen Umstände, die der Freiheits168 Martin Moderegger, Der verfassungsrechtliche Familienschutz und das System des Einkommensteuerrechts, 1991, S. 36. 169 BVerfGE 99, 216 (234). 170 Dietrich Murswiek, Grundrechte als Teilhaberechte, soziale Grundrechte, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 1992, § 112 Rn. 12.

Α. Der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG

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ausübung entgegenstehen, können so übermächtig sein, daß im Einzelfall von der realen Freiheit nur wenig oder überhaupt nichts verbleibt. 171 Der grundrechtliche status positivus dient der Effektivierung des Grundrechtsschutzes, indem er nicht nur die Freiheit vom Staat, sondern auch die Freiheit durch den Staat gewährleistet. Angesichts eines planenden, lenkenden und gestaltenden Staates kann eine freie und autonome Lebensgestaltung nicht mehr allein durch Grundrechte gewährleistet werden, die als Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe verstanden werden, sondern nur durch Grundrechte, die auch die Voraussetzungen für die Wahrnehmung von Freiheitsrechten gewährleisten. 172 Daß für eine wachsende Zahl von Menschen die sozialen Voraussetzungen zur Realisierung der rechtlichen Freiheitsgewährleistungen entfallen und diese daher zunehmend zu Leerformeln werden, ist Ausgangspunkt der sozialstaatlichen Grundrechtstheorie. Sie sucht das Auseinanderfallen von rechtlicher und realer grundrechtlicher Freiheit zu überwinden und die grundrechtliche Freiheit auch als eine reale zu sichern. In der sozialstaatlichen Grundrechtstheorie haben die Grundrechte nicht nur abwehrrechtlichen Charakter, sondern vermitteln zugleich soziale Leistungsansprüche gegen den Staat.173 Da die faktischen Voraussetzungen der Freiheit nicht schlicht vorhanden sind, müssen die Bedingungen der Freiheitsausübung geschaffen werden. Der einzelne ist dazu häufig nicht selbst in der Lage. Er ist auf die Hilfe der staatlich organisierten Gemeinschaft angewiesen, die ihm die Teilhabe an Gütern und Leistungen der Allgemeinheit ermöglicht. 174 Heute ist die sozialstaatliche Grundrechtsinterpretation, wonach Grundrechte neben ihrer Abwehrfunktion gegen staatliche Eingriffe auch die positive Funktion haben, grundrechtliche Freiheiten zu realisieren, zu effektivieren und zu schützen, allgemein anerkannt. 175 Das Bundesverfassungsgericht begründet die Notwendigkeit der Ausweitung der Grundrechte auf positive Gewährleistungen im ersten numerus clausus-Urteil 176 wie folgt: „Je stärker der moderne Staat sich der sozialen Sicherung und kulturellen Förderung der Bürger zuwendet, desto mehr tritt im Verhältnis 171

Dietrich Murswiek, Grundrechte als Teilhaberechte, soziale Grundrechte, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 1992, § 112 Rn. 26 ff. 172 Vgl. Ingo Richter/Gunnar Schuppert, Casebook Verfassungsrecht, 2. Auflage, 1991, S.42. 173 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie. Studien zur Verfassungstheorie und zum Verfassungsrecht, 2. Auflage, 1992, S. 136f. 174 Dietrich Murswiek, Grundrechte als Teilhaberechte, soziale Grundrechte, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 1992, § 112 Rn. 26 ff. 175 Karl-Jürgen Bieback, Sicherheit im Sozialstaat. Verfassungsrechtlicher Schutz gegen Abbau und Umstrukturierung von Sozialleistungen, in: KJ 1998, S. 172; Ernst-Wolfgang Bökkenförde, Staat, Verfassung, Demokratie. Studien zur Verfassungstheorie und zum Verfassungsrecht, 2. Auflage, 1992, S. 136 ff.; Bodo Pieroth/Bernhard Schlink, Grundrechte. Staatsrecht II, 12. Auflage, 1996, S.24f. 176 BVerfGE 33, 303. 10 Tünnemann

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

zwischen Bürger und Staat neben das ursprüngliche Postulat grundrechtlicher Freiheitssicherung vor dem Staat die komplementäre Forderung nach grundrechtlicher Verbürgung der Teilhabe an staatlichen Leistungen."177 In der Literatur und in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das Bemühen, den Grundrechten nicht nur eine abwehrrechtliche, sondern auch eine leistungsrechtliche Dimension zuzuerkennen, seit langem erkennbar. 178 Anerkannt ist nach ständiger Rechtsprechung und ganz herrschender Meinung in der Literatur jedenfalls ein subjektives Recht auf das Existenzminimum. Dieses Recht auf materielle Hilfe zur Sicherung des Existenzminimums wird aus dem fundamentalen Gebot, daß der Staat die Menschenwürde zu achten und zu schützen hat (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG), dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) abgeleitet.179 Damit ist die Existenz zumindest eines Leistungsrechts, das nicht ausdrücklich als solches formuliert ist, anerkannt. 180 Die Ableitung von Leistungsrechten aus Grundrechten kann also nicht generell abgelehnt werden. Umgekehrt folgt aus der Existenz eines Leistungsrechts nicht, daß Grundrechte grundsätzlich Leistungsrechte sind. 181 Das Bundesverfassungsgericht hat in der ersten numerus clausus-Entscheidung182 zwischen einem Recht auf Teilhabe an den vorhandenen Ausbildungseinrichtungen 177

BVerfGE 33, 303 (330f.). Vgl. Rüdiger Breuer; Grundrechte als Quelle positiver Ansprüche - Zur gewandelten Rolle der Grundrechte im sozialen Rechtsstaat, in: Jura 1979, S.402f. m. w. N. In der wissenschaftlichen Diskussion gilt dabei eine spezielle Debatte den sozialen Grundrechten, die zu den liberalen, negatorisch wirkenden Grundrechten hinzutreten sollen; vgl. Rüdiger Breuer, Grundrechte als Quelle positiver Ansprüche - Zur gewandelten Rolle der Grundrechte im sozialen Rechtsstaat, in: Jura 1979, S. 401 ff.; Georg Brunner, Die Problematik der sozialen Grundrechte, 1971, S. 23; Wolf gang Martens, Grundrechte im Leistungsstaat, in: VVDStRL 30 (1972), S. 7 ff.; Peter Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, in: VVDStRL 30 (1972), S.43ff.; Peter Badura, Das Prinzip der sozialen Grundrechte und seine Verwirklichung im Recht der Bundesrepublik Deutschland, in: Der Staat 14 (1975), S. 17ff.; Walter Schmidt, Soziale Grundrechte im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, in: Beihefte zu „Der Staat", Heft 5,1981, S. 9 ff.; Jörg Lücke, Soziale Grundrechte als Staatszielbestimmungen und Gesetzgebungsaufträge, in: AöR 107 (1982), S. 15 ff. 179 BVerfGE 40,121 (133); Günter Dürig, in: Theodor Maunz/Günter Dürig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 7. Auflage, Stand: Februar 1999, Art. 1 Abs. 1 Rn.43f., Art. 2 Abs. 2 Rn. 27; Rüdiger Breuer, Grundrechte als Quelle positiver Ansprüche - Zur gewandelten Rolle der Grundrechte im sozialen Rechtsstaat, in: Jura 1979, S.404. 180 Das Grundgesetz formuliert als positiven Anspruch im Sinne eines subjektiven Leistungsrechts explizit nur das Recht der Mutter auf den Schutz und die Fürsoige der Gemeinschaft (Art. 6 Abs. 4 GG). Vgl. BVerfGE 55, 154 (157 f.); Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, 1996, S. 396; Georg Brunner, Die Problematik der sozialen Grundrechte, 1971, S.23. Siehe dazu unten 2. Kapitel B.I. l.c). 181 Vgl. Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, 1996, S. 398; Konrad Hesse, Bestand und Bedeutung der Grundrechte in der Bundesrepublik Deutschland, in: EuGRZ 1978, S.434. 182 BVerfGE 33, 303. 178

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und einem Recht auf Schaffung neuer Studienplätze unterschieden und beide Rechte mit Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Gleichheitssatz und dem Sozialstaatsprinzip begründet. Das Freiheitsrecht des Art. 12 Abs. 1 GG wurde damit nicht ausschließlich als Abwehrrecht, sondern auch im Sinne einer Garantie eines gewissen Maßes an faktischer Freiheit interpretiert. Das Gericht hat das Freiheitsrecht ausdrücklich auf die notwendigen Voraussetzungen für seine Verwirklichung bezogen: „Das Freiheitsrecht wäre ohne die tatsächliche Voraussetzung, es in Anspruch nehmen zu können, wertlos." 183 Im zweiten numerus clausus-Urteil 184 hat das Gericht unterschieden zwischen einem abstrakten verfassungsmäßig gewährleisteten Recht des Staatsbürgers auf Zulassung zum Hochschulstudium und einem konkreten einklagbaren Individualanspruch des Staatsbürgers auf Erweiterung der Ausbildungskapazitäten.185 Das abstrakte Recht kommt in dem Grundsatz zum Ausdruck, „daß jedem hochschulreifen Staatsbürger an sich ein Recht auf Zulassung zum Studium seiner Wahl zusteht" 186 , wobei dieses Teilhaberecht, auch soweit es „nicht von vornherein auf das jeweils Vorhandene beschränkt" ist, unter dem Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen steht, was der einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann 187 . Zwar hat das Gericht offengelassen, ob und unter welchen Voraussetzungen das abstrakt gewährleistete Recht gegebenenfalls zu einem Individualanspruch werden kann. 188 Indem es aber die Existenz des abstrakten Rechts behauptet und die grundsätzliche Möglichkeit eines Individualanspruchs nicht ausschließt, geht das Gericht von einer leistungsrechtlichen Dimension der Grundrechte aus.189 In ähnlicher Weise hat das Gericht im Hochschulurteil für das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit, später vor allem in Entscheidungen zum Rundfunkrecht, eine aus der objektiven Di183 BVerfGE 33,303 (331 und 337); vgl. Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, 1996, S.399f. 184 BVerfGE 43,291. 185 BVerfGE 43, 291 (313 ff.); 33, 303 (333). 186 BVerfGE 43, 291 (315). 187 BVerfGE 33, 303 (333). 188 BVerfGE 43, 291 (315 und 325); 33, 303 (333). 189 Vgl. Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, 1996, S.400f.; Bodo Pierothl Bernhard Schlink, Grundrechte. Staatsrecht II, 12. Auflage, 1996, S. 30; Konrad Hesse, Bestand und Bedeutung der Grundrechte in der Bundesrepublik Deutschland, in: EuGRZ 1978, S.433. Vgl. zum Recht des beamteten Hochschulwissenschaftlers auf Teilhabe an bestehenden wissenschaftlichen Einrichtungen BVerfGE 35, 79 (114ff.); BVerwGE 52, 339 (342ff.); Thomas Oppermann, Freiheit von Forschung und Lehre, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band VI, 1989, § 145 Rn. 22. In seinen Entscheidungen zur Privatschulfinanzierung hat das Bundesverwaltungsgericht aus der Tatsache, daß der Grundgesetzgeber das Privatschulsystem verfassungsrechtlich garantiert hat, geschlossen, daß dem Staat die Pflicht zu seiner Erhaltung erwächst; vgl. BVerwGE 23, 347 (350); 27, 360 (362 f.). Auch das Bundesverfassungsgericht leitet aus Art. 7 Abs. 4 GG eine Schutzpflicht und daraus folgend eine Handlungs- und Förderpflicht des Staates zur Erhaltung der Privatschulen ab; vgl. BVerfGE 75, 40 (65).

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

mension der Grundrechte folgende, zumindest bereichsweise auch subjektiv-rechtlich bewehrte Pflicht des Staates begründet, die Realisierbarkeit grundrechtlicher Freiheit erforderlichenfalls durch geeignete materielle, organisatorische und Verfahrensregelungen zu schützen und zu fördern. 190 Andererseits bestehen gegen die Herleitung positiver Ansprüche des Bürgers gegen den Staat aus den Grundrechten berechtigte Bedenken. Soziale Grundrechte wie die Rechte auf Arbeit, Bildung und soziale Sicherung wurden bewußt in Abweichung von der Weimarer Reichsverfassung nicht in das Grundgesetz aufgenommen. Gegen die Ausdehnung der Grundrechte auf positive Gewährleistungen wird zudem eingewandt, die Rechtsprechung würde mit der prinzipiellen Zuerkennung unmittelbarer grundrechtlicher Ansprüche positiven Inhalts in die politischen Kompetenzen des Gesetzgebers zur Gestaltung des Soziallebens sowie zur Festsetzung des Haushalts übergreifen. 191 Allerdings sind auch diese Kompetenzen des Gesetzgebers nicht unbegrenzt und individuelle Rechte können sozial- oder finanzpolitische Gründe durchaus überwiegen. 192 Außerdem wird eingewandt, daß die Umsetzung sozialer Grundrechte als konkret einklagbare grundrechtliche Ansprüche Politik in gerichtlich kontrollierten Verfassungsvollzug umwandeln würde, weil die Prioritätsentscheidung über den Einsatz und die Verteilung der verfügbaren staatlichen Finanzmittel von einer Frage des politischen Gestaltungsraums zu einer Frage der Grundrechtsverwirklichung würde. 193 Schließlich sei ein freiheitlich-demokratischer Staat auch rechtlich außerstande, über die zur Befriedigung solcher Ansprüche erforderlichen Mittel zu disponieren. 1 9 4 Ein weiterer Einwand betrifft den Gegenstand positiver Ansprüche aus den Grundrechten. Voraussetzung, Inhalt und Umfang der staatlichen Leistungen seien aus den Grundrechten nicht mit hinreichender Bestimmtheit abzuleiten.195 190

BVerfGE 35,79 (114f.); 57,295 (319ff.); 59,231 (257); vgl. Gertrude Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte. Struktur und Reichweite der Eingriffsdogmatik im Bereich staatlicher Leistungen, 1988, S.287. 191 Rüdiger Breuer, Grundrechte als Quelle positiver Ansprüche - Zur gewandelten Rolle der Grundrechte im sozialen Rechtsstaat, in: Jura 1979, S.403; Wolf gang Martens, Grundrechte im Leistungsstaat, in: VVDStRL 30 (1972), S.36. 192 Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, 1996, S.466. Vgl. zum Beispiel BVerfGE 36, 264 (275). 193 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie. Studien zur Verfassungstheorie und zum Verfassungsrecht, 2. Auflage, 1992, S. 138 f.; Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die sozialen Grundrechte im Verfassungsgefüge, in: Emst-Wolfgang Böckenförde/Jürgen Jekewitz/Thilo Ramm (Hrsg.), Soziale Grundrechte. 5. Rechtspolitischer Kongreß der SPD vom 29. Februar bis 2. März 1980 in Saarbrücken, 1981, S. 11 ff. 194 Georg Brunner, Die Problematik der sozialen Grundrechte, 1971, S. 13 ff.; Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die sozialen Grundrechte im Verfassungsgefüge, in: Emst-Wolfgang Bökkenförde/Jürgen Jekewitz/Thilo Ramm (Hrsg.), Soziale Grundrechte. 5. Rechtspolitischer Kongreß der SPD vom 29. Februar bis 2. März 1980 in Saarbrücken, 1981, S. lOff. 195 Rüdiger Breuer, Grundrechte als Quelle positiver Ansprüche - Zur gewandelten Rolle der Grundrechte im sozialen Rechtsstaat, in: Jura 1979, S.403; Wolf gang Martens, Grundrech-

Α. Der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG

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Sowohl die Gründe, die für eine Effektivierung des grundrechtlichen status positivus sprechen, als auch die Bedenken gegen die Herleitung positiver Ansprüche aus den Grundrechten sind gewichtig. Sie sprechen weder für die generelle Ablehnung noch für die umfassende Anerkennung eines leistungsrechtlichen Gehalts der Grundrechte. 196 Vielmehr ist von der möglichen Existenz einer leistungsrechtlichen Dimension der Grundrechte auszugehen, deren Wirkung allerdings begrenzt ist. 197 Im Gegensatz zu der abwehrrechtlichen Gewährleistung der Grundrechte, die für den Staat lediglich Unterlassungspflichten begründet, verlangt der leistungsrechtliche Gehalt der Grundrechte die Bereitstellung von finanziellen, personellen und institutionellen Mitteln. Hier stellt sich die Frage, wie viele Mittel der Staat einsetzen muß, um seiner Leistungspflicht zu genügen. Die Antwort kann nicht in der Nennung eines bestimmten Betrages liegen, da sich der Finanzbedarf für die Erfüllung grundrechtlicher Leistungspflichten in Konkurrenz zu dem anderer wichtiger Gemeinschaftsbelange befindet und dem Gesetzgeber insoweit ein gewisser Gestaltungsraum zukommen muß. Auch die Auswahl zwischen mehreren Leistungsvarianten obliegt dem Gesetzgeber.198 Das bedeutet jedoch nicht, daß für eine rechtliche Kontrolle von vornherein die Maßstäbe fehlen. Leistungsrechte werden unter der Bedingung der Knappheit der zur Verfügung stehenden Mittel notwendig zu Teilhaberechten. Der einzelne hat damit zumindest ein Recht auf gleiche, chancengleiche und leistungsgerechte Zuteilung von staatlichen Leistungen. Teilhaberechte sind Gleichheitsrechte 199 und als solche einer rechtlichen und gerichtlichen Kontrolle zugänglich.

te im Leistungsstaat, in: VVDStRL 30 (1972), S.30f.; Georg Brunner, Die Problematik der sozialen Grundrechte, 1971, S. 13 ff.; Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die sozialen Grundrechte im Verfassungsgefüge, in: Ernst-Wolfgang Böckenförde/Jürgen Jekewitz/Thilo Ramm (Hrsg.), Soziale Grundrechte. 5. Rechtspolitischer Kongreß der SPD vom 29. Februar bis 2. März 1980 in Saarbrücken, 1981, S. lOff.; Hans Zacher, Das soziale Staatsziel, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band I, 1987, § 25 Rn. 98 f. Gegen den Versuch, aus den Freiheitsrechten Teilhabeansprüche herzuleiten, auch Roman Herzog, in: Theodor Maunz/Günter Dürig/Roman Herzog (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 7. Auflage, Stand: Juni 1998, Art. 20 VIII. Rn.49ff. 196 Vgl. Ingo RichterlGunnar Schuppert, Casebook Verfassungsrecht, 2. Auflage, 1991, S. 42ff.; Konrad Hesse, Bestand und Bedeutung der Grundrechte in der Bundesrepublik Deutschland, in: EuGRZ 1978, S.433f.; Albert von Mutius, Grundrechte als „Teilhaberechte" - zu den verfassungsrechtlichen Aspekten des numerus clausus, in: VerwArch 1973, S. 184 ff. 197 Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, 1996, S. 454ff.; Marius Raabe, Grundrechte und Erkenntnis. Der Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers, 1998, S.350 und 362; Rüdiger Breuer, Grundrechte als Quelle positiver Ansprüche - Zur gewandelten Rolle der Grundrechte im sozialen Rechtsstaat, in: Jura 1979, S.403f. 198 Rüdiger Breuer, Grundrechte als Quelle positiver Ansprüche - Zur gewandelten Rolle der Grundrechte im sozialen Rechtsstaat, in: Jura 1979, S.406. 199 Bodo Pieroth/Bernhard Schlink, Grundrechte. Staatsrecht II, 12. Auflage, 1996, S. 30 und 238.

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie 2. Das Recht auf Familienforderung als Leistungsrecht

Mit seiner umfassenden Schutzgarantie für die Familie und dem daraus abgeleiteten Förderungsgebot bietet Art. 6 Abs. 1 GG einen objektiv formulierten Anhaltspunkt für eine leistungsrechtliche Interpretation dieses Grundrechts. 200 Inhaltlich betrifft die leistungsrechtliche Interpretation die Frage, ob und inwieweit es einen grundrechtlich verbürgten Anspruch auf die Herstellung realer Voraussetzungen der Freiheitsverwirklichung gibt. Begrifflich werden Grundrechte mit leistungsrechtlichem Charakter als soziale Grundrechte, Teilhabe- oder Leistungsrechte bezeichnet, wobei die Begriffe uneinheitlich gebraucht werden. 201 In der Regel wird zwischen sozialen Grundrechten einerseits und Teilhabe- und Leistungsrechten andererseits unterschieden, wobei die sozialen Grundrechte neben den liberalen Freiheitsrechten gesehen werden, wohingegen die Teilhabe- und Leistungsrechte aus den Freiheitsrechten selbst abgeleitet werden. Bei den Teilhabe- und Leistungsrechten wird zwischen derivativen und originären Rechten unterschieden.202

a) Soziale Grundrechte Der Idee der sozialen Grundrechte liegt die Feststellung zugrunde, daß rechtliche Freiheiten mangels ausreichender Teilhabe an sozialen Gütern leerlaufen. Ihren Ursprung hatte die Idee der sozialen Grundrechte in der Verelendung der Arbeiterklasse im Zuge der Industrialisierung. In dieser Zeit wurde deutlich, daß die Bedürfnisse der Arbeiter allein mit liberalen Grundrechten nicht befriedigt werden konnten. Mit Hilfe sozialer Grundrechte sollte deshalb die soziale Ungleichheit abgebaut werden. Die formale Freiheit und Gleichheit sollte mit materialem Gehalt gefüllt werden, damit alle Mitglieder der Gesellschaft auch tatsächlich in die Lage versetzt würden, von ihrer Freiheit Gebrauch zu machen.203 Die Idee der sozialen Grundrechte geht nicht von einzelnen Grundrechtsverbürgungen aus, sondern setzt an empirisch festgestellten Mangellagen an, um aus ihnen lebensbereichsbezogene Ansprüche abzuleiten, etwa das Recht auf Arbeit, das 200

Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, 1996, S. 396 f.; Thorsten Kingreen, Das Grundrecht von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG), in: Jura 1997, S.405f. 201 Vgl. Dietrich Murswiek, Grundrechte als Teilhaberechte, soziale Grundrechte, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 1992, § 112 Rn. 5 ff. 202 Dietrich Murswiek, Grundrechte als Teilhaberechte, soziale Grundrechte, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 1992, § 112 Rn.68ff. und 86 ff. 203 Georg Brunner, Die Problematik der sozialen Grundrechte, 1971, S. 5 ff.; Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die sozialen Grundrechte im Verfassungsgefüge, in: Emst-Wolfgang Böckenförde/Jürgen Jekewitz/Thilo Ramm (Hrsg.), Soziale Grundrechte. 5. Rechtspolitischer Kongreß der SPD vom 29. Februar bis 2. März 1980 in Saarbrücken, 1981, S.7ff.

Α. Der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG

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Recht auf Wohnen oder das Recht auf Bildung. Der Parlamentarische Rat hatte sich angesichts der Sozialrechtsartikel der Weimarer Verfassung, die weithin uneingelöste Versprechungen geblieben waren, grundsätzlich gegen die Regelung der Wirtschafts- und Sozialordnung und damit auch gegen die Normierung sozialer Grundrechte im Grundgesetz entschieden. Diese Entscheidung war jedoch keine Absage an die den sozialen Grundrechten zugrundeliegende Idee; sie beruhte vielmehr auf der Erkenntnis, daß soziale Leistungsverbürgungen nicht in derselben Weise gewährleistet werden können wie Freiheitsrechte und ständig den sich ändernden sozialen Erfordernissen und wirtschaftlichen Verhältnissen angepaßt werden müssen.205 Nach ihrem ideellen Gehalt können soziale Grundrechte definiert werden als verfassungsrechtlich verbürgte Ansprüche auf positives staatliches Handeln zur Schaffung der Voraussetzungen freier Persönlichkeitsentfaltung. 206 In diesem Sinn wird auch der in Art. 6 Abs. 1 GG verankerte Schutz der Familie als soziales Grundrecht interpretiert. 207 Diese inhaltliche Qualifikation des Art. 6 Abs. 1 GG als soziales Grundrecht besagt jedoch noch nichts über seine dogmatische Struktur. Der ideelle Gehalt sozialer Grundrechte ist von ihrer formalen Struktur zu unterscheiden.208 Für die rechtspraktische Umsetzung der Idee der sozialen Grundrechte sind mehrere Wege denkbar. Es können Programmsätze, Staatszielbestimmungen, Verfassungsaufträge oder allgemeine Grundsätze sozialen Inhalts in die Verfassung aufgenom204

Michael Kittner, in: Rudolf Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, 2. Auflage, 1989, Art. 20 Abs. 1-3 IV Rn. 64. 205 Bodo Pieroth/Bernhard Schlink, Grundrechte. Staatsrecht II, 12. Auflage, 1996, S. 24; Dietrich Murswiek, Grundrechte als Teilhaberechte, soziale Grundrechte, in: Josef Isensee/ Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 1992, § 112 Rn. 44 ff. 206 Klaus Lange, Soziale Grundrechte in der deutschen Verfassungsentwicklung und in den derzeitigen Länderverfassungen, in: Ernst-Wolfgang Böckenförde/Jürgen Jekewitz/Thilo Ramm (Hrsg.), Soziale Grundrechte. 5. Rechtspolitischer Kongreß der SPD vom 29. Februar bis 2. März 1980 in Saarbrücken, 1981, S. 49; Dietrich Murswiek, Grundrechte als Teilhaberechte, soziale Grundrechte, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 1992, § 112 Rn. 40. 207 Axel Frhr. von Campenhausen, Verfassungsgarantie und sozialer Wandel - Das Beispiel von Ehe und Familie, in: VVDStRL 45 (1987), S.29f.; Klaus Lange, Soziale Grundrechte in der deutschen Verfassungsentwicklung und in den derzeitigen Länderverfassungen, in: ErnstWolfgang Böckenförde/Jürgen Jekewitz/Thilo Ramm (Hrsg.), Soziale Grundrechte. 5. Rechtspolitischer Kongreß der SPD vom 29. Februar bis 2. März 1980 in Saarbrücken, 1981, S. 56; Ingo Richter, in: Rudolf Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, 2. Auflage, 1989, Art. 6 Rn. 14. 208 Georg Brunner, Die Problematik der sozialen Grundrechte, 1971, S. 4; Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die sozialen Grundrechte im Verfassungsgefüge, in: Ernst-Wolfgang Böckenförde/Jürgen Jekewitz/Thilo Ramm (Hrsg.), Soziale Grundrechte. 5. Rechtspolitischer Kongreß der SPD vom 29. Februar bis 2. März 1980 in Saarbrücken, 1981, S.7; Jörg Lücke, Soziale Grundrechte als Staatszielbestimmungen und Gesetzgebungsaufträge, in: AöR 107 (1982), S. 18 f.

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

men werden. Möglich sind auch soziale Grundrechte nach dem Muster der traditionellen Grundrechte, die als subjektiv-öffentliche Rechte des einzelnen ausgestaltet und in der Verfassung verankert werden. 209 Mit der Einordnung des Art. 6 Abs. 1 GG als soziales Grundrecht ist noch keine Aussage getroffen über den rechtlichen Charakter der Norm. Insbesondere bleibt offen, ob sich aus dem als soziales Grundrecht qualifizierten Förderungsgebot ein subjektives Recht auf staatliche Leistungen ergibt. b) Grundrechtliche

Teilhabe- und Leistungsrechte

Die Interpretation der Grundrechte als Teilhabe- und Leistungsrechte ist sehr viel jünger als die Idee der sozialen Grundrechte, aber auf den selben Zweck gerichtet. Der Idee der grundrechtlichen Teilhabe- und Leistungsrechte liegt ebenfalls die Feststellung zugrunde, daß rechtliche Freiheiten mangels ausreichender Teilhabe an sozialen Gütern leerlaufen. Im Gegensatz zu der Idee der sozialen Grundrechte geht die Theorie der Teilhabe- und Leistungsrechte jedoch von den einzelnen Grundrechtsverbürgungen aus.210 Sie findet zunehmend Anerkennung. 211 aa) Leistungsrechte als Teilhaberechte Teilhaberechte dienen ganz allgemein der Ermöglichung, der Verschaffung und Herstellung von sonst nicht, jedenfalls nicht in dem Maß vorhandenen Verhaltensund Seinsmöglichkeiten. Teilhabe beschränkt sich dabei nicht auf Leistungsrechtsverhältnisse. Teilhabe kann auch in Bezug auf Rechtsverhältnisse begriffen werden, in denen keine Leistungen erbracht werden, wie zum Beispiel die Beteiligung an Verfahren oder die demokratische Mitwirkung. Der so verstandene Teilhabebegriff bildet den Oberbegriff. 212 Leistungsrechte sind Teilhaberechte im engeren Sinn. Sie sind subjektive Rechte, die auf die Gewährung von Leistungen gerichtet sind. Der Begriff der Leistung stellt 209 Georg Brunner; Die Problematik der sozialen Grundrechte, 1971, S. 8 ff.; Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die sozialen Grundrechte im Verfassungsgefüge, in: Emst-Wolfgang Böckenförde/Jürgen Jekewitz/Thilo Ramm (Hrsg.), Soziale Grundrechte, 5. Rechtspolitischer Kongreß der SPD vom 29. Februar bis 2. März 1980 in Saarbrücken, 1981, S. 9 ff.; Jörg Lücke, Soziale Grundrechte als Staatszielbestimmungen und Gesetzgebungsaufträge, in: AöR 107 (1982), S.20ff. 210 Michael Kittner, in: Rudolf Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, 2. Auflage, 1989, Art. 20 Abs. 1-3 IV Rn. 64. 211 Vgl. in Bezug auf Art. 6 GG Franz Klein, Ehe und Familie im Steuerrecht als verfassungsrechtliches Problem, in: Walther Fürst/Roman Herzog/Dieter Umbach (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zeidler, Band 1,1987, S.781. 212 Anders Robert Alexy, der den Begriff der Leistungsrechte als Oberbegriff wählt; vgl. Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, 1996, S. 402ff.

Α. Der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG

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dabei auf den Inhalt des Anspruchs ab, der Begriff der Teilhabe bezeichnet den Gewährleistungsmodus. Er deutet darauf hin, daß dem Leistungsempfänger etwas zuteil wird, was dem sozialen Ganzen zugeordnet war. 213 Unter der Bedingung der Knappheit der zur Verfügung stehenden Mittel sind Leistungsrechte notwendig Teilhaberechte. Der einzelne hat lediglich ein Recht auf gleiche, chancengleiche und leistungsgerechte Zuteilung von staatlichen Leistungen. Leistungsrechte sind insoweit Gleichheitsrechte. 214 bb) Derivative und originäre Teilhaberechte Die grundrechtlichen Teilhaberechte werden nach derivativen und originären Teilhaberechten unterschieden. Derivative, das heißt abgeleitete Teilhaberechte sind Gleichheitsrechte im klassischen Sinn. Sie gewähren den gleichen Zugang zu staatlichen Leistungen, die chancengleiche und leistungsgerechte Zuteilung von Positionen und Ansprüchen und ergeben sich als Reaktion auf vorangegangenes staatliches Handeln aus dem allgemeinen Gleichheitssatz und seinen Konkretisierungen. 215 Die Begründung derivativer Teilhaberechte ist unproblematisch, sie betrifft im Grunde nicht den leistungsrechtlichen Gehalt der Grundrechte. 216 Derivative Teilhaberechte sind Teilhabeansprüche des Bürgers gegen den Staat, die sich unter dem Gesichtspunkt des vom Gesetzgeber vernachlässigten Gleichheitssatzes „nur" auf die Einbeziehung in bestehende staatliche Leistungssysteme oder auf die sachgerechte Behandlung in diesen Systemen richten. Sie sind Ansprüche auf Gleichbehandlung im staatlichen Leistungsbereich und lassen sich negativ als Ansprüche auf Abwehr einer Ungleichbehandlung interpretieren. 217 Problematischer ist die Deutung der Grundrechte als originäre Teilhaberechte. Die Herleitung originärer Teilhaberechte folgt aus der objektiven Gewährleistung der Grundrechte. Die Begründung originärer Teilhaberechte folgt unmittelbar aus den Freiheitsgrundrechten und geht über die Begründung derivativer Teilhaberechte hinaus. Originäre Teilhaberechte betreffen den eigentlichen leistungsrechtlichen Gehalt der Grundrechte, nämlich die Frage, ob die Grundrechte ganz generell und unabhängig von vorangegangenem staatlichen Handeln subjektive Ansprüche auf staatliche Leistungen zur Verwirklichung grundrechtlicher Freiheit gewährleisten. 213 Dietrich Murswiek, Grundrechte als Teilhaberechte, soziale Grundrechte, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 1992, § 112 Rn. 8 ff. 214 Bodo Pieroth/Bernhard Schlink, Grundrechte. Staatsrecht II, 12. Auflage, 1996, S.30 und 238. 215 Wolfgang Martens, Grundrechte im Leistungsstaat, in: VVDStRL 30 (1972), S.21. 216 Bodo Pieroth/Bernhard Schlink, Grundrechte. Staatsrecht II, 12. Auflage, 1996, S. 30. 217 Vgl. Gertrude Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte. Struktur und Reichweite der Eingriffsdogmatik im Bereich staatlicher Leistungen, 1988, S. 17; Konrad Hesse, Bestand und Bedeutung der Grundrechte in der Bundesrepublik Deutschland, in: EuGRZ 1978, S. 433.

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

Regelmäßig wird die Begründung originärer Teilhaberechte aus den Grundrechten abgelehnt, weil sie nach Inhalt und Wirkung zu unbestimmt seien. Im Gegensatz zu negatorischen Grundrechten seien sie nicht unmittelbar vollziehbar, vielmehr bedürfen sie der Konkretisierung und Aktualisierung durch den Gesetzgeber, und erst die gesetzliche Regelung begründe vollzugsfähige subjektive öffentliche Rechte.218 Daß ein leistungsrechtlicher Gehalt der Grundrechte und damit originäre Teilhaberechte nicht generell ausgeschlossen werden können, wurde bereits gezeigt.219 Im übrigen ist der Bedeutungsgehalt der originären Teilhaberechte gerade darin zu sehen, daß der einzelne für den Fall, daß der Gesetzgeber nicht oder nur unzureichend tätig wird, die Begründung leistungsrechtlicher Ansprüche gegen den Staat unmittelbar auf die Grundrechte stützen kann. Fraglich ist, inwieweit der objektiven Dimension des Art. 6 Abs. 1 GG ein originäres Teilhaberecht im Sinne eines subjektiven Leistungsrechts zuzuordnen ist. c) Das Recht auf Familienförderung Soweit der verfassungsrechtliche Schutz der Familie in seiner objektiven Gewährleistung auf die Vermeidung oder den Ausgleich von Nachteilen gerichtet ist, geht es ganz allgemein um die gleiche Teilhabe der Familien an den gesellschaftlichen Gütern. Nach der hier vertretenen Interpretation des Benachteiligungsverbots und des Förderungsgebots liegt es nahe, der Pflicht zum Nachteilsausgleich im Sinne des Benachteiligungsverbots ein derivatives Teilhaberecht und der Pflicht zum Nachteilsausgleich im Sinne des Förderungsgebots ein originäres Teilhaberecht zuzuordnen. Die Pflicht zum Nachteilsausgleich im Sinne des Benachteiligungsverbots ergibt sich als Reaktion auf vorangegangenes staatliches Handeln aus dem allgemeinen Gleichheitssatz. Das Benachteiligungsverbot des Art. 6 Abs. 1 GG richtet sich in Verbindung mit dem vom Gesetzgeber vernachlässigten Gleichheitssatz lediglich auf die sachgerechte Behandlung innerhalb der bestehenden staatlichen Leistungssysteme.220 Aus der Verbindung der Schutzpflicht des Staates aus Art. 6 Abs. 1 GG mit Art. 3 Abs. 1 GG folgt insoweit ein individuelles subjektives Recht auf Berücksichtigung der besonderen Schutzbedürftigkeit innerhalb eines bestehenden Teilrechtssystems. Dieser individuelle Schutzanspruch ist relativ und fordert die besondere Berücksichtigung im Verhältnis zu anderen, weniger Schutzbedürftigen. Er ist kein subjektives Leistungsrecht, sondern ein negatives Recht auf Abwehr einer Ungleichbehandlung und damit ein derivatives Teilhaberecht. 221 218 Wolfgang Martens, Grundrechte im Leistungsstaat, in: VVDStRL 30 (1972), S.30f.; Michael Kittner, in: Rudolf Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, 2. Auflage, 1989, Art. 20 Abs. 1-3 IV Rn. 62. 219 Siehe oben 2. Kapitel Α. V. 1. 220 Siehe oben 2. Kapitel Α. IV. 3. b) bb). 221 Karl-Jürgen Bieback, Sicherheit im Sozialstaat. Verfassungsrechtlicher Schutz gegen Abbau und Umstrukturierung von Sozialleistungen, in: KJ 1998, S. 173 f.; Konrad Hesse, Be-

Α. Der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG

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Die Verpflichtung zum Nachteilsausgleich im Sinne des Förderungsgebots ist dagegen nicht auf die Einbeziehung in bestehende staatliche Leistungssysteme gerichtet, sondern verlangt vielmehr die Schaffung von staatlichen Leistungssystemen, die gerade auf den Ausgleich familienspezifischer Belastungen abzielen. So leitet das Bundesverfassungsgericht aus dem Förderungsgebot des Art. 6 Abs. 1 GG eine allgemeine Pflicht zum Familienlastenausgleich ab. 222 Da sich das Gebot der Familienförderung nicht als Reflex auf vorangegangenes staatliches Handeln ergibt, muß Art. 6 Abs. 1 GG insoweit ein originäres Teilhaberecht begründen. Würde man dem Gebot der Familienförderung lediglich ein derivatives Teilhaberecht der Familien zuordnen, könnte der Staat dem Förderungsgebot auch durch Unterlassen jeglicher Fördermaßnahmen genügen. Soll das Förderungsgebot eigenständige Bedeutung haben und dem besonderen Schutz der Familie gerecht werden, kann es sich nicht auf derivative Teilhabe beschränken. Der Bedeutungsgehalt des Förderungsgebots liegt gerade darin, daß es den Staat auch dann zur Förderung der Familie im Sinne eines Nachteilsausgleichs verpflichtet, wenn diese Nachteile nicht innerhalb bestehender Teilrechtssysteme entstehen. Deshalb muß das Förderungsgebot ein originäres Leistungsrecht begründen, auf das sich die Familien gerade für den Fall berufen können, daß der Gesetzgeber im Hinblick auf einen allgemeinen Kinderlasten- und Kinderleistungsausgleich nicht oder nur unzureichend tätig wird.

3. Die Justitiabilität des Rechts auf Familienförderung Die Wirkung des Rechts auf Familienförderung hängt entscheidend von dessen gerichtlicher Durchsetzbarkeit und Überprüfbarkeit ab. Grundsätzlich bereitet die Justitiabilität der Rechte auf Schutz und Förderung, auf positive Handlungen des Staates, mehr Probleme als die der Abwehrrechte. Abwehrrechte verbieten jede beeinträchtigende Handlung, wohingegen Schutz- und Förderungsrechte nicht jede schützende oder fördernde Handlung gebieten. Der Adressat eines Schutz- oder Förderungsgebotes hat einen Handlungsspielraum, innerhalb dessen er wählen kann, wie er das Gebot erfüllt. 223 Wenn mehrere Schutz- und Förderhandlungen geeignet sind, ist keine von ihnen zur Erfüllung des Schutz- und Förderungsgebots notwendig, notwendig ist nur, daß irgendeine geeignete Schutz- oder Förderungshandlung vorgenommen wird. Das Bundesverfassungsgericht betont deshalb, daß der Staat zum Schutz verpflichtet ist, aber die Entscheidung darüber, wie er diese Verpflichtung erfüllt, in erster Linie dem Gesetzgeber zusteht.224 Die Frage, ob überhaupt irgendeine Schutz- oder Förderungshandlung vorgenommen werden muß, stand und Bedeutung der Grundrechte in der Bundesrepublik Deutschland, in: EuGRZ 1978, S.433. 222 BVerfGE 39, 316 (326); 87,1 (36). 223 Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, 1996, S.420ff. 224 BVerfGE 39, 1 (44); vgl. Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, 1996, S.421.

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

steht dagegen nicht im Belieben des Gesetzgebers, sondern ergibt sich unmittelbar aus dem verfassungsrechtlichen Schutz- und Förderungsgebot selbst. a) Die Verbindlichkeit

des Förderungsrechts

Die Bindungsklausel des Art. 1 Abs. 3 GG spricht eindeutig gegen ein nicht bindendes Grundrechtsverständnis. Art. 1 Abs. 3 GG bestimmt den Staat in seinen Funktionen der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung als Verpflichteten der Grundrechte. Er enthält die klare Aussage, daß Grundrechte unmittelbar geltendes Recht und nicht bloße Programmsätze sind. Die Grundrechte sind deshalb - sei es in ihrem subjektiven oder in ihrem objektiven Gehalt - bindende und damit justitiable Verfassungsnormen. Ihre Verletzung kann durch das Verfassungsgericht überprüft und festgestellt werden. 225 Die mangelnde Bestimmtheit von Teilhabe- und Leistungsrechten kann insofern kein Einwand gegen die Bindungswirkung der Grundrechte sein. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in seiner numerus clausus-Rechtsprechung bestätigt. Das Recht auf Zulassung zum Hochschulstudium, das dem Bürger nur „an sich" zusteht und eingeschränkt werden kann, ist ein bindendes Recht und nicht etwa nur Programmsatz. Das wird deutlich, wenn das Gericht ausführt, daß das Recht „in seiner normativen Geltung nicht von dem geringeren oder höheren Grad der Realisierungsmöglichkeiten abhängen kann." 226 Entsprechend hat auch der in Art. 6 Abs. 1 GG verbürgte Schutz der Familie bindenden Charakter und kann im Rechtsweg durchgesetzt werden, ohne daß es hierfür konkretisierender Regelungen des einfachen Gesetzgebers bedarf. 227 b) Die Subjektivität

des Förderungsrechts

Sofern aus den objektiven Funktionen der Grundrechte Teilhaberechte abgeleitet werden, werden sie als subjektive Rechte konstruiert. 228 In Bezug auf Art. 6 Abs. 1 GG stellte das Bundesverfassungsgericht bereits sehr früh fest, daß aus der wertentscheidenden Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1 GG und damit aus einer objektiven Norm ein subjektives Recht hergeleitet werden kann. 229 Später ging das Gericht 225

Bodo Pieroth/Bernhard Schlink, Grundrechte. Staatsrecht II, 12. Auflage, 1996, S.47; Robert Alexy, Grundrechte als subjektive Rechte und als objektive Normen, in: Der Staat 29 (1990), S.51f. 226 BVerfGE 43, 291 (315); vgl. Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, 1996, S.468. 227 Rüdiger Breuer, Grundrechte als Quelle positiver Ansprüche - Zur gewandelten Rolle der Grundrechte im sozialen Rechtsstaat, in: Jura 1979, S.402. 228 Bodo Pieroth/Bernhard Schlink, Grundrechte. Staatsrecht II, 12. Auflage, 1996, S. 57 f.; Hans Jarass, in: Hans Jarass/Bodo Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Kommentar, 2. Auflage, 1992, Vorb. vor Art. 1 Rn.6 f. 229 BVerfGE 6, 386 (388).

Α. Der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG

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selbstverständlich und ausdrücklich davon aus, daß die in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm für den Staat die Pflicht begründet, die Familie zu schützen und zu fördern, und daß dieser Pflicht ein subjektiver Anspruch des Grundrechtsträgers entspricht. 230 Mittlerweile verzichtet das Gericht auf die Herleitung des subjektiv-rechtlichen Benachteiligungsverbots aus der objektiven Wertentscheidung des Grundrechts und stützt sich unmittelbar auf den in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltenen besonderen Gleichheitssatz, der es verbietet, Ehe und Familie gegenüber anderen Lebens- und Erziehungsgemeinschaften schlechter zu stellen.231 Offen bleibt, inwieweit dem Förderungsgebot ein subjektives Recht entspricht. Sofern unter Förderung eine über bloße Neutralität hinausgehende tatsächliche Besserstellung verstanden wird, steht der Befugnis des Staates zur Förderung der Familie keine Pflicht zur Förderung der Familie gegenüber, aus der sich ein individueller Anspruch auf Förderung im Sinne tatsächlicher Besserstellung ergeben könnte. 232 Es fragt sich aber, ob sich nicht wenigstens in dem Maße ein klagbares Recht aus dem Förderungsgebot ergibt, in dem es um den Ausgleich tatsächlicher Nachteile geht. Nach Art. 19 Abs. 4 GG setzt eine gerichtliche Überprüfung staatlichen Handelns voraus, daß der Kläger „in seinen Rechten" betroffen ist. Die Grundrechte sind in ihren objektiven Funktionen unmittelbar geltendes Recht im Sinne von Art. 1 Abs. 3 GG. Rechtliche Bindung schließt gerichtliche Durchsetzbarkeit ein. Eine gerichtliche Kontrolle ist zudem nur effektiv, wenn der Betroffene sie selbst in Gang setzen kann. Nur subjektive Rechte bieten dem Betroffenen die Möglichkeit der gerichtlichen Durchsetzung seiner Rechte. Deshalb gewähren die Grundrechte auch in ihren objektiven Funktionen subjektive Rechte.233 Die Subjektivität der objektiven Gewährleistung der Grundrechte entspricht dem ursprünglichen und eigentlichen Sinn der Grundrechte als individuelle Rechte.234 Zweck der Grundrechte ist jedenfalls auch der Schutz des einzelnen und nicht allein die Garantie objektiver Ordnungen. Die objektive Gewährleistung der Grundrechte kann deshalb nicht ausschließlich den Charakter eines eigenständigen Schutzzwecks haben, sondern muß immer auch 230

BVerfGE 76,1 (49 f.). BVerfG 99, 216 (232). 232 Vgl. BVerfGE 6, 55 (76 f.); Wolf gang Görlich, Das Gebot staatlicher Familienfürsorge im Steuerrecht, in: NJW 1979, S. 1577 f.; Franz Klein, Ehe und Familie im Steuerrecht als verfassungsrechtliches Problem, in: Waither Fürst/Roman Herzog/Dieter Umbach (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zeidler, Band 1,1987, S.781; Theodor Maunz, in: Theodor Maunz/Günter Dürig/Roman Herzog (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 7. Auflage, Stand: Juni 1998, Art.6Rn.21. Siehe auch oben 2. Kapitel A.IV.3.c)aa). 233 Hans Jarass, in: Hans Jarass/Bodo Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Kommentar, 2. Auflage, 1992, Vorb. vor Art. 1 Rn. 6 und Art. 1 Rn. 14; Robert Alexy, Grundrechte als subjektive Rechte und als objektive Normen, in: Der Staat 29 (1990), S. 53; Thorsten Kingreen, Das Grundrecht von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG), in: Jura 1997, S. 404. 234 Vgl. Robert Alexy, Grundrechte als subjektive Rechte und als objektive Normen, in: Der Staat 29 (1990), S.60ff.; Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, 1996, S.452; Bodo Pieroth/Bernhard Schlink, Grundrechte. Staatsrecht II, 12. Auflage, 1996, S. 23. 231

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

den eines Mittels zum Schutz des einzelnen haben.235 Deshalb folgt für die sozialstaatliche Grundrechtsinterpretation aus den einzelnen Grundrechten nicht nur die Verpflichtung des Staates, die notwendigen sozialen Voraussetzungen für die Realisierung der grundrechtlichen Freiheit zu schaffen, sondern auch die Vermittlung grundrechtlicher Ansprüche auf staatliche Leistungen oder auf Teilhabe an staatlichen Einrichtungen, die der Realisierung grundrechtlicher Freiheit dienen.236 Auch das Bundesverfassungsgericht sieht die Grundrechte in erster Linie als individuelle Rechte, die den Schutz konkreter, besonders gefährdeter Bereiche menschlicher Freiheit zum Gegenstand haben. Die Funktion der Grundrechte als objektive Prinzipien bestehe in der Verstärkung ihrer Geltungskraft, habe jedoch ihre Wurzel in dieser primären Bedeutung. Sie lasse sich deshalb nicht von dem eigentlichen Kern lösen und zu einem Gefüge objektiver Normen verselbständigen, in dem der ursprüngliche und bleibende Sinn der Grundrechte zurücktritt. 237 Entsprechend bestimmt das Bundesverfassungsgericht die zusätzlichen Wirkungen der Grundrechte nicht nur objektiv-rechtlich, sondern auch subjektiv-rechtlich. 238 Ein Beispiel für die Ableitung subjektiver Rechte aus der objektiven Dimension der Grundrechte gibt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Vorschaltgesetz für ein Niedersächsisches Gesamthochschulgesetz239 betreffend die Wissenschaftsfreiheit und die Wissenschaftsförderung. Danach erwächst dem Träger des Grundrechts aus der objektiven Wertentscheidung des Art. 5 Abs. 3 GG ein Recht auf solche staatlichen Maßnahmen finanzieller und organisatorischer Art, die zum Schutz eines grundrechtlich gesicherten Freiheitsraums unerläßlich sind. 240 Ein weiteres Beispiel bildet der C-Waffen-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 241, in dem das Gericht ausführt, daß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht lediglich ein subjektives Abwehrrecht verbürgt, sondern zugleich eine objektiv-rechtliche Wertentscheidung der Verfassung darstellt, die für alle Bereiche der Rechtsordnung gilt und verfassungsrechtliche Schutzpflichten begründet. Werden diese Schutzpflichten verletzt, so liegt darin zugleich eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, gegen die sich der Betroffene mit Hilfe der Verfassungsbeschwerde zur Wehr setzen kann. 242 235

Robert Alexy, Grundrechte als subjektive Rechte und als objektive Normen, in: Der Staat 29 (1990), S.60f.; Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, 1996, S.452; Walter Schmidt, Soziale Grundrechte im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, in: Beihefte zu „Der Staat", Heft 5, 1981, S.23. 236 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie. Studien zur Verfassungstheorie und zum Verfassungsrecht, 2. Auflage, 1992, S. 136 f. 237 BVerfGE 50, 290 (337). 238 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie. Studien zur Verfassungstheorie und zum Verfassungsrecht, 2. Auflage, 1992, S. 179. 239 BVerfGE 35,79. 240 BVerfGE 35, 79 (115 f.). 241 BVerfGE 77,170. 242 BVerfGE 77, 170 (214).

Α. Der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG

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In dem Maße, in dem das aus der objektiven Dimension des Art. 6 Abs. 1 GG folgende Förderungsgebot den Ausgleich tatsächlicher Nachteile verlangt, sichert es die in Art. 6 Abs. 1 GG verbürgte grundrechtliche Freiheit der Familien. Es begründet insoweit ein originäres Teilhabe- und Leistungsrecht. Dem Charakter der Grundrechte als individuelle Rechte entsprechend ist das Förderungsrecht ein subjektives und damit klagbares Recht. 243 c) Die Prüfungskompetenz

der Gerichte

Das Förderungsrecht als subjektives Recht bereitet im Hinblick auf die gerichtliche Kontrollkompetenz nicht mehr Probleme als die inhaltsgleiche objektive Verpflichtung des Staates zur Förderung der Familie. Die Subjektivierung bedeutet keine inhaltliche Verstärkung der Kontrollkompetenz des Verfassungsgerichts. Sie hat lediglich zur Folge, daß den Verfahren, in denen die Kontrolle durchgeführt werden kann, eines hinzugefügt wird, nämlich die Verfassungsbeschwerde. 244 Das allerdings entspricht gerade dem Schutzzweck der Grundrechte als individuelle Rechte.245 Der Gesetzgeber ist an die verfassungsmäßige Ordnung (Art. 20 Abs. 3 GG) und an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) gebunden. Rechtliche Bindung impliziert richterliche Kontrolle. 246 Darin manifestiert sich das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes. Der Gesetzgeber ist auch hinsichtlich der Erfüllung seiner Schutz- und Förderpflichten der Rechtskontrolle durch die Gerichte unterworfen. Zwar kommt ihm bei der Erfüllung seiner Schutz- und Förderpflichten ein weiter Gestaltungsraum zu. Dieser Gestaltungsraum vermittelt jedoch keine Grenzenlosigkeit oder Beliebigkeit des Gesetzgebers. Dem Gesetzgeber bleibt es nur innerhalb eines verfassungsrechtlich vorgegebenen Rahmens - vom zu gewährleistenden Minimum über die zu beachtenden Prinzipien bis zu denrichtungsweisendenZielvorgaben - überlassen, den politischen Willen zu bilden und umzusetzen. Andererseits ist die Prüfungskompetenz der Gerichte nicht umfassend. Das in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG verankerte Gewaltenteilungsprinzip bietet auch Schutz gegenüber der Rechtsprechung durch die Begrenzung der gerichtlichen Kontrolle. 247 Die inhaltliche Begrenzung der richterlichen Kontrolle durch den Gestaltungsraum des Gesetzgebers bei der Erfüllung seiner Förderpflicht begründet jedoch keinen 243 Vgl. Ferdinand Kopp, Grundrechtliche Schutz- und Förderungspflichten der öffentlichen Hand, in: NJW 1994, S. 1756. 244 Robert Alexy, Grundrechte als subjektive Rechte und als objektive Normen, in: Der Staat 29 (1990), S. 62 f. und 67; Ernst-Wolfgang Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie. Studien zur Verfassungstheorie und zum Verfassungsrecht, 2. Auflage, 1992, S. 177. 245 Robert Alexy, Grundrechte als subjektive Rechte und als objektive Normen, in: Der Staat 29 (1990), S. 62f. und 67. 246 Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, 1996, S.471 f. 247 Hans Jarass, in: Hans Jarass/Bodo Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Kommentar, 2. Auflage, München 1992, Art. 20 Rn. 16 f.

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

Einwand gegen die Justitiabilität der Förderpflicht. 248 Der Schutz der Grundrechte muß gerade dann greifen, wenn der Gesetzgeber seiner Förderpflicht nicht oder nur unzureichend nachkommt. Wenn der Gesetzgeber keine hinreichenden Anspruchsregelungen trifft oder ein solches Gesetzesdefizit zumindest möglich erscheint, müssen die Gerichte den grundrechtlichen Minimalstandard bestimmen, der zur Erfüllung der grundrechtlichen Förderpflicht notwendig ist. 249 Wo diese Grenze des definitiv Gesollten liegt, an der die Prüfungskompetenz der Gerichte endet 250 , kann nur im Einzelfall bestimmt werden. Im C-Waffen-Beschluß251 führte das Bundesverfassungsgericht aus, daß dem Gesetzgeber bei der Erfüllung seiner Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich zukommt, der auch Raum läßt, etwa konkurrierende öffentliche und private Interessen zu berücksichtigen. Diese weite Gestaltungsfreiheit könne von den Gerichten je nach Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, und der Bedeutung der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter nur in begrenztem Umfang überprüft werden. Der mit einer solchen Schutzpflicht verbundene grundrechtliche Anspruch sei mit Blick auf diese Gestaltungsfreiheit nur darauf gerichtet, daß die öffentliche Gewalt Vorkehrungen zum Schutz des Grundrechts trifft, die nicht gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind. Nur unter ganz besonderen Umständen könne sich diese Gestaltungsfreiheit in der Weise verengen, daß allein durch eine bestimmte Maßnahme der Schutzpflicht Genüge getan werden kann. 252 Im zweiten Abtreibungsurteil 253 hat das Gericht sodann klargestellt, daß die im C-Waffen-Beschluß enthaltenen Ausführungen zur Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen staatliches Unterlassen nicht dahin verstanden werden dürfen, als genügten der Erfüllung der Schutzpflicht des Staates gegenüber dem menschlichen Leben schon Maßnahmen, die nicht gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind. Ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum komme dem Gesetzgeber allerdings auch dann zu, wenn er verfassungsrechtlich verpflichtet ist, wirksame und ausreichende Maßnahmen zum Schutz eines Rechtsguts zu ergreifen. Die verfassungsrechtliche Überprüfung erstrecke sich in jedem Fall darauf, ob der Gesetzgeber diesen Spielraum in vertretbarer Weise gehandhabt hat. 254 Prozessuale Gründe stehen der Justitiabilität des Förderungsrechts auch nicht insoweit entgegen, als es den Gesetzgeber zum positiven Tun verpflichtet und regel248

Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage,1996, S.467f. Vgl. Rüdiger Breuer, Grundrechte als Quelle positiver Ansprüche - Zur gewandelten Rolle der Grundrechte im sozialen Rechtsstaat, in: Jura 1979, S.405. 250 Robert Alexy, Grundrechte als subjektive Rechte und als objektive Normen, in: Der Staat 29 (1990), S. 62f.; Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, 1996, S. 471 f. 251 BVerfGE 77, 170. 252 BVerfGE 77, 170 (214f.). 253 BVerfGE 88, 203. 254 BVerfGE 88, 203 (262 f.). 249

Α. Der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG

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mäßig zahlreiche Alternativen bestehen, um den rechtswidrigen Zustand abzustellen. Aus der Vielzahl der möglichen Maßnahmen kann nicht gefolgert werden, daß eine Verpflichtung zum positiven Tun nicht justitiabel ist. Wie die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gezeigt hat, ist ein Verfassungsgericht gegenüber einem untätigen Gesetzgeber nicht hilflos. Das Spektrum seiner verfassungsprozessualen Möglichkeiten reicht von der bloßen Feststellung eines Verfassungsverstoßes und Appellentscheidungen über die Setzung einer Frist, innerhalb derer eine verfassungsmäßige Gesetzgebung zu erfolgen hat, bis hin zum unmittelbaren richterlichen Ausspruch des durch die Verfassung Gebotenen.255

4. Die Anwendung der Eingriffs- und Schrankendogmatik auf das Förderungsrecht Ob die klassische Grundrechtsprüfung anhand des Eingriffs- und Schrankenmodells, das auf die Prüfung von Eingriffen in Abwehrrechte zugeschnitten ist, auch auf die Nichtbeachtung des leistungsrechtlichen Gehalts der Grundrechte, insbesondere auf die Mißachtung staatlicher Schutz- und Förderpflichten angewandt werden kann und muß, ist unsicher. 256 Im folgenden soll versucht werden, die Prüfung des Förderungsrechts entsprechend dem herkömmlichen Eingriffs- und Schrankenschema zu konstruieren und damit dem freiheitsrechtlichen wie gleichheitsrechtlichen 257 Charakter des verfassungsrechtlichen Familienschutzes gerecht zu werden.

a) Das Förderungsrecht

als prima facie-Recht

Ob das Eingriffs- und Schrankenschema auf das Förderungsrecht anwendbar ist, hängt zunächst davon ab, ob Art. 6 Abs. 1 GG in seiner leistungsrechtlichen Dimension eine verbindliche Verfassungsnorm darstellt und ein subjektives Recht begrün255

Vgl. BVerfGE 57,361 (362 und 388); 54,11 (37); 99,216 (219 und 243 ff.); Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, 1996, S. 467 f.; Hans Jarass, in: Hans Jarass/Bodo Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Kommentar, 2. Auflage, München 1992, Art. 93 Rn.3f. 256 Vgl. Hans Jarass, in: Hans Jarass/Bodo Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Kommentar, 2. Auflage, München 1992, Vorb. vor Art. 1 Rn. 13; Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, 1996, S. 465 ff.; Marius Raabe, Grundrechte und Erkenntnis. Der Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers, 1998, S.350 und 362; Christian Starck, Der verfassungsrechtliche Schutz des ungeborenen menschlichen Lebens. Zum zweiten Abtreibungsurteil des BVerfG, in: JZ 1993, S.817; Gertrude Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte. Struktur und Reichweite der Eingriffsdogmatik im Bereich staatlicher Leistungen, 1988, S. 14ff. 257 Vgl. zum allgemeinen Gleichheitssatz als Eingriffsrecht Stefan Huster, Gleichheit und Verhältnismäßigkeit. Der allgemeine Gleichheitssatz als Eingriffsrecht, in: JZ 1994, S. 541 ff.; Stefan Huster, Rechte und Ziele. Zur Dogmatik des allgemeinen Gleichheitssatzes, 1993, S. 225 ff. 11 Tünnemann

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

det. Dies wurde bereits bejaht.258 Entscheidend ist weiterhin, ob das Förderungsrecht ein definitives oder ein prima facie-Recht begründet. 259 Definitive Rechte und Pflichten sind Normen, die bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen etwas definitiv gebieten, verbieten, erlauben oder zu etwas ermächtigen. Demgegenüber sind prima facie-Rechte und -Pflichten Optimierungsgebote. Sie sind Normen, die gebieten, daß etwas in einem relativ auf die tatsächlichen und die rechtlichen Möglichkeiten möglichst hohen Maße realisiert wird. 260 Ein definitives Recht ist zum Beispiel das Recht auf ein Existenzminimum.261 Aus dem fundamentalen Gebot, daß der Staat die Menschenwürde zu achten und zu schützen hat (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG), dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs.l GG) folgt ein Recht auf materielle Hilfe zur Sicherung des Existenzminimums, wenn die wirtschaftlichen Mittel des einzelnen für die Aufrechterhaltung des Minimalstandards einer menschenwürdigen Existenz nicht ausreichen. 262 Als Minimalstandard ist das Recht hinsichtlich Inhalt und Umfang hinreichend bestimmbar und nicht beschränkbar. Es ist definitiv. Ein Beispiel für ein prima facie-Recht ist das Recht auf Zulassung zum Hochschulstudium. Das Bundesverfassungsgericht unterscheidet im zweiten numerus clausus-Urteil 263 zwischen einem abstrakten verfassungsmäßig gewährleisteten Recht des Staatsbürgers auf Zulassung zum Hochschulstudium, das unter dem Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen steht, was der einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann, und einem konkreten einklagbaren Individualanspruch des Staatsbürgers auf Erweiterung der Ausbildungskapazitäten.264 Das abstrakte Recht ist als prima facie-Recht anzusehen, das zu einem definitiven Recht erst dann wird, wenn gegenläufige Gründe nicht etwas anderes fordern. 265 Das Gericht bezeichnet dieses Recht als ein Recht, das jedem hochschulreifen Staatsbürger „an sich" zusteht. Im konkreten Fall läßt es jedoch offen, ob und unter welchen Voraussetzungen das prima facie-Recht gegebenenfalls zu einem definitiven Recht werden kann. 266 258

Siehe oben 2. Kapitel A.V. 3. a) und b). Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, 1996, S.456f.; vgl. zum Begriff der prima facie-Rechte Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, 1996, S.90ff. 260 Robert Alexy, Grundrechte als subjektive Rechte und als objektive Normen, in: Der Staat 29 (1990), S. 54; Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, 1996, S. 456. 261 Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, 1996, S.456f. 262 BVerfGE 40, 121 (133); BVerwGE 1, 159 (161 f.); Günter Dürig, in: Theodor Maunz/ Günter Dürig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 7. Auflage, Stand: Februar 1999, Art. 1 Abs. 1 Rn. 43 f., Art. 2 Abs. 2 Rn. 27; Rüdiger Breuer, Grundrechte als Quelle positiver Ansprüche - Z u r gewandelten Rolle der Grundrechte im sozialen Rechtsstaat, in: Jura 1979, S.404. 263 BVerfGE 43, 291. 264 BVerfGE 43, 291 (315); 33, 303 (333). 265 Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, 1996, S.400. 266 BVerfGE 43, 291 (315 und 325); 33, 303 (333). 259

Α. Der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG

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Das Recht auf Familienförderung ist ebenso wie die aus Art. 6 Abs. 1 GG abgeleitete Verpflichtung zur Familienförderung hinsichtlich Inhalt und Umfang zunächst unbestimmt. In der Literatur finden sich kaum konkrete Aussagen über Inhalt und Umfang des Förderungsgebots. Auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat das Förderungsgebot keine weitreichende Konkretisierung erfahren. Aus Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip lasse sich zwar die allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich entnehmen, nicht aber die Entscheidung darüber, in welchem Umfang und in welcher Weise ein solcher Ausgleich vorzunehmen sei. Insoweit bestehe grundsätzliche Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Konkrete Ansprüche auf bestimmte Leistungen oder konkrete Folgerungen für die Ausgestaltung des Familienlastenausgleichs lassen sich aus dem Förderungsgebot des Art. 6 Abs. 1 GG nicht herleiten. Das Förderungsgebot gehe insbesondere nicht so weit, daß der Staat gehalten wäre, jegliche die Familie treffende Belastung auszugleichen oder jeden Unterhaltspflichtigen zu entlasten.267 Soweit gelegentlich Leistungsrechte aus den Grundrechten abgeleitet werden, werden sie, meist ohne zuvor ihren Inhalt zu bestimmen, unter einen Vorbehalt des Möglichen gestellt. Damit wird im gleichen Atemzug zurückgenommen, was zuvor zugestanden wurde. 268 Die starke Gewichtung der Einschränkungen und Vorbehalte droht das Verhältnis zwischen Grundsatz und Ausnahme, zwischen Verpflichtung und Grenze umzukehren. Das widerspricht der Verfassung, die in Art. 6 Abs. 1 GG als Grundsatz die Verpflichtung zum besonderen Schutz der Familie normiert hat. Die permanente Einschränkung durch den Vorbehalt des Möglichen droht die normative Kraft des Grundrechts zu relativieren. 269 Das Verhältnis von Grundsatz und Ausnahme spricht dafür, das Förderungsrecht als prima facie-Recht anzusehen. In der Literatur wird argumentiert, daß aus dem Förderungsgebot ein subjektives Recht auf staatliche Leistungen entstehen kann, soweit sich das Förderungsgebot infolge einer eindeutigen und in personeller Hinsicht bestimmbaren Freiheitsgefährdung zu einer Verpflichtung in einer bestimmten Richtung und damit zu einem unmittelbaren Anspruch auf bestimmte Leistungen oder Handlungen verdichtet. 270 Im Ergebnis spricht auch diese Argumentation für die Einordnung des Förderungs267 BVerfGE 82,60 (81); 87, 1 (35 f.). Vgl. auch Peter Krause, Ehe und Familie im sozialen Sicherungssystem, in: Heiner Marré/Johannes Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (21), 1986, S.78ff. 268 Axel Frhr. von Campenhausen, Verfassungsgarantie und sozialer Wandel - Das Beispiel von Ehe und Familie, in: VVDStRL 45 (1987), S.29f. 269 Vgl. BVerfGE 50, 290 (336 f.); Helmut Lecheler, Schutz von Ehe und Familie, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band VI, 1989, § 133 Rn. 50f.; Bodo Ρierothì Bernhard Schlink, Grundrechte. Staatsrecht II, 12. Auflage, 1996, S.30. 27 0 Dieter Pirson, in: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art. 6 Rn. 96; Ferdinand Kopp, Grundrechtliche Schutz- und Förderungspflichten der öffentlichen Hand, in: NJW 1994, S. 1756; Rüdiger Breuer, Grundrechte als Quelle positiver Ansprüche - Zur gewandelten Rolle der Grundrechte im sozialen Rechtsstaat, in: Jura 1979, S.406.

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

rechts als beschränkbares prima facie-Recht - allerdings mit dem Unterschied, daß das Recht auf Förderung danach nicht erst in Ausnahmefällen und unter bestimmten Umständen entsteht, sondern bereits im Grundsatz besteht, aber aus verfassungsrechtlich verankerten oder zumindest verfassungsrechtlich zulässigen Gründen beschränkbar ist. Für den Grundrechtsträger bedeutet die Annahme eines prima facie-Rechts, daß er sich grundsätzlich auf sein Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG berufen kann, ohne das Recht auf Schutz und Förderung erst durch außergewöhnliche Umstände begründen zu müssen. Durch die Annahme eines prima facie-Rechts liegt die Argumentationslast nicht bei der Begründung, sondern bei der Beschränkung des Rechts. Wenn das prima facie-Recht auf Schutz und Förderung eingeschränkt wird, was nicht ausgeschlossen ist, muß die Beschränkung zudem gewissen Anforderungen genügen. So kann eine Grundrechtsbeschränkung jedenfalls nur mit verfassungsrechtlich unbedenklichen Gründen gerechtfertigt werden. Schließlich ergibt sich aus dem prima facie-Charakter des Grundrechts die Notwendigkeit, daß das Recht auf Schutz und Förderung durch die Einschränkungen nicht völlig ausgehöhlt wird und das Verhältnis von Grundsatz und Ausnahme gewahrt bleibt. 271 Das Recht auf Familienförderung ist damit kein absolutes, aber ein prima facie gültiges Recht. b) Das Eingriffs-

und Schrankenschema

Der Gedanke der beschränkbaren An-Sich- oder prima facie-Rechte liegt auch der für die Abwehrrechte konstitutiven Unterscheidung von Schutzbereich und Schranke zugrunde. 272 Die Freiheitsrechte in ihrer klassischen Funktion als subjektive Abwehrrechte gegenüber dem Staat gewährleisten grundsätzlich die in ihrem Tatbestand genannten Freiheiten, in die aber eingegriffen werden darf, soweit dies zum Schutz der Freiheitsrechte anderer oder zur Verfolgung kollektiver Ziele erforderlich und mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip vereinbar ist. In diesem Sinne sind Freiheitsrechte prima facie-Rechte. Sie werden zunächst umfassend gewährleistet, sind dann aber Beschränkungen zugänglich. Dieser Struktur entspricht grundrechtsdogmatisch das Eingriffs- und Schrankenschema.273 Die Anwendung des Eingriffs- und Schrankenschemas gewährleistet den notwendigen Spielraum für eventuelle Restriktionen des Schutzes, weil nach den dogmatischen Regeln des Eingriffs- und Schrankenmodells die Qualifizierung einer solchen Restriktion als Grundrechtseingriff nicht identisch ist mit ihrer Qualifizierung 271

Vgl. Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, 1996, S.468. Vgl. Robert Alexy, Grundrechte als subjektive Rechte und als objektive Normen, in: Der Staat 29 (1990), S.63; Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, 1996, S.468. 27 3 Gertrude Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte. Struktur und Reichweite der Eingriffsdogmatik im Bereich staatlicher Leistungen, 1988, S. 13 ff. und 25 ff.; Stefan Huster, Gleichheit und Verhältnismäßigkeit. Der allgemeine Gleichheitssatz als Eingriffsrecht, in: JZ 1994, S.541 f. 272

Α. Der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG

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als Grundrechtsverletzung. Restriktionen sind nicht per se rechtswidrig, aber an gewisse formale (Gesetzesform oder gesetzliche Grundlage) und inhaltliche (Verhältnismäßigkeit) Bedingungen gebunden.274 Nach der hier vertretenen Interpretation des Art. 6 Abs. 1 GG ist es denkbar, das Eingriffs- und Schrankenschema auf das Förderungsrecht als prima facie-Recht anzuwenden.275 Die Eingriffs- und Schrankendogmatik erlaubt, das Verhältnis von Grundsatz und Ausnahme zu wahren, indem es das Recht zunächst umfassend gewährt, es dann aber Beschränkungen zugänglich macht. Die Beschränkungen müssen dabei gewissen Anforderungen genügen. Sie dürfen nur zugunsten anderer, individueller oder kollektiver, Rechtsgüter erfolgen. Außerdem darf das Freiheitsrecht gegenüber den Beschränkungen nicht leerlaufen. Es muß gegenüber den Beschränkungen ein gewisses „Schwellengewicht" besitzen.276 Dieses Schwellengewicht findet seine verfassungsrechtliche Umsetzung im Verhältnismäßigkeitsprinzip und dient in der Eingriffs- und Schrankendogmatik als Schranken-Schranke. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip läßt eine Beschränkung der individuellen Freiheit nur zu, wenn sie zum Schutz anderer Rechtsgüter geeignet, erforderlich und angemessen ist. Es verlangt, daß die widerstreitenden Rechtsgüter zu einem gerechten Ausgleich gebracht werden und die Freiheit des einzelnen nicht unangemessen beeinträchtigt wird. 277 In diesem Sinn kann man sagen, daß sich das Verhältnismäßigkeitsprinzip aus dem Wesen der Grundrechte selbst ergibt 278 und deshalb Geltung auch für das Recht auf Familienförderung aus Art. 6 Abs. 1 GG beansprucht. aa) Schutzbereich Den Schutzbereich des Rechts auf Familienförderung bestimmt dasjenige staatliche Handeln, das dem Gerechtigkeitsmaßstab des verfassungsrechtlichen Familienschutzes entspricht. 279 Das Förderungsgebot enthält ein spezifisches Schutzgut, nämlich die Behandlung der Familien gemäß dem Maßstab der Familiengerechtig274

Vgl. Gertrude Liibbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte. Struktur und Reichweite der Eingriffsdogmatik im Bereich staatlicher Leistungen, 1988, S.78. 275 Vgl. Robert Alexy, Grundrechte als subjektive Rechte und als objektive Normen, in: Der Staat 29 (1990), S.63; Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, 1996, S.468; Marius Raabe, Grundrechte und Erkenntnis. Der Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers, 1998, S.350 und 362. 276 Vgl. Stefan Huster, Gleichheit und Verhältnismäßigkeit. Der allgemeine Gleichheitssatz als Eingriffsrecht, in: JZ 1994, S. 542f.; vgl. zum Begriff des Schwellengewichts Ronald Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, 1990, S. 158 ff. 277 Vgl. Stefan Huster, Gleichheit und Verhältnismäßigkeit. Der allgemeine Gleichheitssatz als Eingriffsrecht, in: JZ 1994, S.543; Stefan Huster, Rechte und Ziele. Zur Dogmatik des allgemeinen Gleichheitssatzes, 1993, S. 107 ff. 278 BVerfGE 65,1 (44); 76,1 (50f.); Robert Alexy, Grundrechte als subjektive Rechte und als objektive Normen, in: Der Staat 29 (1990), S.54f. 279 Vgl. Stefan Huster, Gleichheit und Verhältnismäßigkeit. Der allgemeine Gleichheitssatz als Eingriffsrecht, in: JZ 1994, S.547f.

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

keit als eigenem Gerechtigkeitsmaßstab. Dieser verlangt eine gerechte Behandlung der Familien. Im Rahmen des Kinderlasten- und Kinderleistungsausgleichs ist eine Behandlung dann als gerecht im Sinne von familiengerecht anzusehen, wenn sie sich am Sach-, Erziehungs- und Betreuungsbedarf der Kinder orientiert. Dieser Bedarf ist bei jedem Kind grundsätzlich gleich. 280 Das Recht auf Familienförderung ist allerdings nicht auf bestimmte, individuell konkretisierbare Leistungen gerichtet, sondern auf ein Gesamtsystem familiengerechter Leistungsverteilung. 281 Inhalt des Rechts auf Familienförderung ist die Gewährleistung staatlicher Maßnahmen und Leistungen zum Ausgleich derjenigen Nachteile, die Familien im Vergleich zu Nichtfamilien treffen. Der Schutzbereich des Rechts auf Familienförderung umfaßt keine Leistungen im Sinne einer tatsächlichen Besserstellung. Er betrifft auch nicht solche Leistungen, die auf den Ausgleich systemimmanenter, also rechtlicher Benachteiligungen in bestehenden Teilrechtsordnungen und damit auf Herstellung rechtlicher Gleichheit gerichtet sind; solche Leistungen werden bereits vom Schutzbereich möglicher derivativer Teilhaberechte aufgrund des Benachteiligungsverbots erfaßt. 282 Der Schutzbereich des originären Teilhaberechts auf Familienförderung betrifft vielmehr den Ausgleich systemexterner, allenfalls systembedingter realer Nachteile zur Herstellung von Familiengerechtigkeit. Dabei verlangt Familiengerechtigkeit nicht notwendig den Ausgleich sämtlicher Nachteile und Belastungen durch Kinder. Familiengerechtigkeit ist vielmehr auf die Gewährleistung der notwendigen VerwirklichungsVoraussetzungen der durch Art. 6 Abs. 1 GG garantierten individuellen Freiheit gerichtet und ist von erheblicher freiheitsrechtlicher Relevanz. Zur Familienfreiheit gehört insbesondere die Wahlfreiheit für die Lebensform Familie, die Gestaltungsfreiheit für das familiäre Zusammenleben und die Gestaltungsfreiheit für die Kindererziehung. Wahlfreiheit für die Lebensform Familie setzt voraus, daß dem einzelnen die individuelle Entscheidung für eine Familie nicht unzumutbar erschwert wird. Dazu gehört, daß die familiale Lebensform nicht übermäßig benachteiligt oder in unzumutbarer Weise erschwert oder gar aufgrund zwangsähnlicher Maßnahmen verhindert wird. Dies gilt gerade auch in materiell-wirtschaftlicher Hinsicht. Gestaltungsfreiheit für das familiäre Zusammenleben setzt voraus, daß die individuelle Entscheidung für die eine oder andere Art der Arbeitsteilung in der Familie 280

Vgl. BVerfGE 99, 216 (241). 281 Vgl, Walter Schmidt, Soziale Grundrechte im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, in: Beihefte zu „Der Staat", Heft 5, 1981, S. 23; Dieter Pirson, in: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art. 6 Abs.lRn.96. 282 Vgl. zur Übertragung des Eingriffs- und Schrankenschemas auf den allgemeinen Gleichheitssatz und auf Gleichheitsrechte innerhalb bestehender Teilrechtsordnungen Stefan Huster, Gleichheit und Verhältnismäßigkeit. Der allgemeine Gleichheitssatz als Eingriffsrecht, in: JZ 1994, S. 541 ff.; Gertrude Lübbe-Woljf, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte. Struktur und Reichweite der Eingriffsdogmatik im Bereich staatlicher Leistungen, 1988, S. 13 ff. Siehe im übrigen oben 2. Kapitel Α.V. 2. c).

Α. Der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG

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das Ergebnis einer freien Wahl und nicht erzwungen ist, etwa weil außerfamiliale Möglichkeiten der Kindererziehung nicht existieren oder weil das zu geringe Familieneinkommen die Betreuung in der Familie nicht zuläßt.283 Den Eltern muß es gleichermaßen möglich sein, teilweise und zeitweise auf eine eigene Erwerbstätigkeit zugunsten der persönlichen Betreuung ihrer Kinder zu verzichten wie auch Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit miteinander zu verbinden. Die Wahrnehmung der familiären Erziehungsaufgabe darf nicht zu beruflichen Nachteilen führen, eine Rückkehr in eine Berufstätigkeit muß ebenso möglich sein wie ein Nebeneinander von Erziehung und Erwerbstätigkeit für beide Elternteile, einschließlich eines beruflichen Aufstiegs während und nach Zeiten der Kindererziehung. 284 Entscheidungsfreiheit über die Gestaltung der Kindererziehung setzt voraus, daß Eltern das Familienleben nach ihren Vorstellungen planen und verwirklichen und insbesondere in ihrer Erziehungsverantwortung entscheiden können, ob und in welchem Entwicklungsstadium das Kind überwiegend von einem Elternteil allein, von beiden Eltern in wechselseitiger Ergänzung oder von einem Dritten betreut werden soll. Damit Eltern ihre Verantwortung wahrnehmen und ihrer Pflicht nachkommen können, muß ihnen überhaupt ein Entscheidungsspielraum eröffnet sein. Das setzt zum einen ein qualitativ und quantitativ ausreichendes Angebot an außerfamilialen Kinderbetreuungseinrichtungen voraus, zum anderen darf die Betreuung und Erziehung in der Familie oder die Wahrnehmung alternativer Betreuungsformen nicht unzumutbar erschwert werden. 285 Das Recht auf Familienförderung gewährleistet diese Freiheitsvoraussetzungen.

bb) Eingriff Die Konstruktion der Leistungsrechte nach dem Eingriffs- und Schrankenschema stößt vor allem deshalb auf Bedenken, weil der Eingriff in einem gesetzgeberischen Unterlassen besteht. Als Eingriffe im Sinne der klassischen Grundrechtsdogmatik kommen nur positive Einwirkungen auf den Schutzbereich eines Grundrechts, nicht dagegen rein negative Einwirkungen in Betracht. Der Grund für diese Unterscheidung liegt in der Bestimmtheit jedes realen positiven Tuns, dem stets ein bestimmtes verfassungsmäßiges Gegenteil, nämlich die Unterlassung eben dieses Tuns, entspricht, während das bloße Unterlassen als solches unspezifisch ist und ihm daher kein bestimmtes verfassungsmäßiges Gegenteil, sondern nur eine unbestimmte Anzahl verfassungsmäßiger Alternativen gegenübersteht.286 Die Erfüllung eines 283 Maximilian Fuchs, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Gutachten F für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S.F11. 284 BVerfGE 88, 203 (260); 99, 216 (234). 285 BVerfGE 99, 216 (234). 286 Vgl. Gertrude Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte. Struktur und Reichweite der Eingriffsdogmatik im Bereich staatlicher Leistungen, 1988, S. 33 ff. und 226.

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

grundrechtlichen Schutz- und Förderauftrags kann aber logischerweise nur in einer Leistung bestehen. Jede von dem im Schutzbereich festgestellten Gerechtigkeitsmaßstab abweichende Nichtleistung, unzureichende Leistung oder Leistungsbeschränkung verwehrt den gebotenen grundrechtlichen Schutz und die von Art. 6 GG intendierte Freiheitssicherung. Die Nichtgewährung oder Verweigerung von Teilhabe, Schutz und Leistung kann so zum Grundrechtseingrifif werden. 287 Gegen eine generelle und umfassende Ausdehnung des Schutzbereichs der Grundrechte in dem Sinn, daß jede Nichtgewährung von - im Zweifel immer irgendwie grundrechtsdienlichen - Leistungen durch den Staat als Eingriff zu fassen ist, spricht allerdings, daß dann jede Verweigerung einer Leistung als Eingriff in den Schutzbereich stets einer gesetzlichen Grundlage bedürfte. Das liefe auf einen umfassenden Legalisierungszwang für alle Staats(un)tätigkeit hinaus.288 Dieser Gedanke schließt jedoch die spezifische Ausdehnung des Schutzbereichs eines Grundrechts, das in seinem Wortlaut ausdrücklich den besonderen Schutz der Familie statuiert, nicht aus. Mit dem im Schutzbereich festgestellten Gerechtigkeitsmaßstab wird deutlich, daß keineswegs ein prima facie-„Recht auf alles", sondern ein prima facie-Recht auf familiengerechte, am Sach-, Betreuungs- und Erziehungsbedarf der Kinder orientierte Behandlung gewährt wird. Nur hinsichtlich dieses Gerechtigkeitsmaßstabs ist dem Gesetzgeber grundsätzlich weitestmögliche Realisierung vorgeschrieben, von der zudem aus Gründen der Kollision mit anderen Rechtsgütern, des gesamtgesellschaftlichen Nutzens, der allgemeinen Wohlfahrt oder der Zweckmäßigkeit abgewichen werden kann. Art. 6 Abs. 1 GG begründet somit keinen prima facie umfassenden und unbedingten Leistungsanspruch. So konzipiert erschiene jede Verweigerung irgendeiner grundrechtsdienlichen Leistung als Eingriff. 289 Das Recht auf Familienförderung ist aber kein Recht auf unbegrenzte Staatsleistungen. In diesem Sinne kann auch die Äußerung des Bundesverfassungsgerichts interpretiert werden, daß der Staat nicht gehalten ist, jegliche die Familie treffende Belastung abzugleichen. 290 Andererseits ist der Schutzbereich nicht derart von vornherein bedingt und eingeschränkt, wie es herkömmlicherweise für Leistungsrechte angenommen wird. Bei einer solchen Begrenzung des Schutzbereichs wäre jeder Eingriff zugleich eine Verletzung des Grundrechts und der Grundrechtsschutz von vornherein auf den effek287

Vgl. Hans Jarass, in: Hans Jarass/Bodo Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Kommentar, 2. Auflage, München 1992, Vorb. vor Art. 1 Rn. 23; Michael Kloepfer, Der Vorbehalt des Gesetzes im Wandel, in: JZ 1984, S.688. Vgl. für die weite Fassung des Grundrechtstatbestandes bei Schutzrechten Marius Raabe, Grundrechte und Erkenntnis. Der Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers, 1998, S.356f. 288 Gertrude Liibbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte. Struktur und Reichweite der Eingriffsdogmatik im Bereich staatlicher Leistungen, 1988, S.228f. 289 Vgl. Gertrude Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte. Struktur und Reichweite der Eingriffsdogmatik im Bereich staatlicher Leistungen, 1988, S. 228 ff. 290 BVerfGE 87, 1 (35); 97, 332 (349).

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tiven Garantiebereich beschränkt; das Eingriffs- und Schrankenschema wäre nicht anwendbar. 292 Da Leistungsrechte in der Regel nur als definitive Minimalrechte mit von vornherein bedingtem und beschränktem Schutzbereich anerkannt werden, ist eine weitere Einschränkung dieser Rechte aufgrund einer Abwägung mit kollidierenden Interessen nicht möglich. Geht man dagegen davon aus, daß der Schutzbereich des Förderungsrechts aus Art. 6 Abs. 1 GG nicht den gesamten, wohl aber einen über die definitiven Minimalrechte hinausgehenden Bereich originärer Leistungsansprüche erfaßt, so werden von vornherein nur Leistungen einer näher bestimmten Grundrechtsrelevanz einbezogen, nämlich familiengerechte Leistungen im oben dargelegten Sinn, und es besteht dennoch ein Unterschied zwischen leistungsrechtlichem Schutzbereich und effektivem Garantiebereich. Das Eingriffs- und Schrankenschema bleibt anwendbar. 293 Einen in ähnlicher Weise teilweise begrenzten Schutzbereich hat das vom Bundesverfassungsgericht anerkannte Recht auf Zulassung zum Hochschulstudium. Dieses Recht wird an sich und damit prima facie, aber eben nur für hochschulreife Bürger und wohl auch nur im Rahmen der an staatlichen Hochschulen überhaupt angebotenen Studiengänge gewährt. Das prima facie-Zulassungsrecht ist zudem weiteren gesetzlichen Beschränkungen zugänglich. Bezogen auf das Zulassungsrecht zum Hochschulstudium ging auch das Bundesverfassungsgericht von einem nur teilweise begrenzten und im übrigen eingriffsdogmatisch konzipierten Grundrechtsschutz aus. 294 Ein Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf Familienförderung liegt demnach vor, wenn der auf der Schutzbereichsebene festgestellte spezifische Gerechtigkeitsmaßstab durchbrochen wird. Dies ist dann der Fall, wenn eine Behandlung von der familiengerechten, am Sach-, Erziehungs- und Betreuungsbedarf der Kinder orientierten Behandlung abweicht.295 Ein solcher Fall liegt vor, wenn der Staat bei faktischer Benachteiligung der Familien keine oder keine hinreichenden Maßnahmen zum Ausgleich Unterhalts-, betreuungs- und erziehungsbedingter Nachteile vorhält 291 Der durch die grundrechtliche Freiheitszusicherung abgesteckte Schutzbereich ist der Bereich, in dem das Grundrecht überhaupt eine Schutzfunktion entfaltet, d.h. innerhalb dessen die Zulässigkeit von Eingriffen an bestimmte Voraussetzungen gebunden ist. Der effektive Garantiebereich ist dagegen derjenige Bereich, in den einzugreifen zugleich eine Verletzung des Grundrechts bedeuten würde; vgl. Gertrude Liibbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte. Struktur und Reichweite der Eingriffsdogmatik im Bereich staatlicher Leistungen, 1988, S. 25 f. 292 Vgl. Gertrude Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte. Struktur und Reichweite der Eingriffsdogmatik im Bereich staatlicher Leistungen, 1988, S.27 und 230f. 293 Vgl. Gertrude Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte. Struktur und Reichweite der Eingriffsdogmatik im Bereich staatlicher Leistungen, 1988, S. 231 ff. 294 BVerfGE 33, 303 (332f.); vgl. Gertrude Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte. Struktur und Reichweite der Eingriffsdogmatik im Bereich staatlicher Leistungen, 1988, S.232f. 295 Vgl. Stefan Huster, Gleichheit und Verhältnismäßigkeit. Der allgemeine Gleichheitssatz als Eingriffsrecht, in: JZ 1994, S.548.

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

oder wenn staatliche Leistungen der Familienförderung nicht am Erziehungs- und Betreuungsbedarf aller Kinder ausgerichtet sind, sondern nur bestimmten Familien zugute kommen, etwa denjenigen, die staatlich finanzierte Kinderbetreuungseinrichtungen in Anspruch nehmen. Ebensowenig familiengerecht ist die Beschränkung des Erziehungsgeldes auf einkommensschwache Familien. Das Recht auf Familienförderung gilt nicht nur für sozial schwache Familien. Es ist grundsätzlich horizontal angelegt und gilt für alle Familien gleichermaßen. Art. 6 Abs. 1 GG gebietet den Schutz der Familie als solcher und fordert den Ausgleich der Nachteile zwischen Familien und Nichtfamilien schlechthin. Die Leistungen im Rahmen des Kinderlasten- und Kinderleistungsausgleichs müssen sich daher grundsätzlich an alle Familien richten. Eine am Sach-, Erziehungs- und Betreuungsbedarf orientierte Behandlung der Familien darf deshalb nicht mit einer an Bedürftigkeit ausgerichteten Behandlung gleichgesetzt und der Kinderlasten- und Kinderleistungsausgleich auf sozial schwache Familien beschränkt werden. 296 Umgekehrt werden auch einkommensteuerrechtliche Freibetragslösungen, die aufgrund ihrer progressiven Wirkung einkommensstärkere Familien deutlich stärker entlasten als einkommensschwächere Familien, dem grundsätzlich horizontal angelegten Recht auf Familienförderung nicht gerecht. Ungleiche Förderstrukturen entstehen auch durch die nicht aufeinander abgestimmte Förderung institutioneller und familialer Kinderbetreuung und -erziehung. Bei bestimmten Familien kumulieren staatliche Förderleistungen für die familiäre Erziehung und die institutionelle Kinderbetreuung durch die Auszahlung von Erziehungsgeld und die Subventionierung einer zugleich in Anspruch genommenen Betreuungseinrichtung. Andere Familien erhalten weder Erziehungsgeld noch profitieren sie von der staatlichen Unterstützung institutioneller Kinderbetreuung. Ein weiteres Beispiel für die Durchbrechung des Maßstabs der Familiengerechtigkeit ist die einkommensorientierte Staffelung von Elternbeiträgen für Kinderbetreuungseinrichtungen. Solche Differenzierungen ergeben sich nicht aus dem im Schutzbereich festgestellten Maßstab der Familiengerechtigkeit. Sie sind als Eingriffe in den Schutzbereich zu qualifizieren. Differenzierungen hingegen, die sich aus dem Maßstab der Familiengerechtigkeit selbst ergeben, sich also am Sach-, Betreuungs- und Erziehungsbedarf der Kinder orientieren - zum Beispiel nach der Kinderzahl oder nach dem Kindesalter gestaffelte Leistungen in für alle betreffenden Kinder gleicher Höhe - stellen dagegen keine Beeinträchtigung des Schutzbereichs dar, sondern entsprechen dem Maßstab der Familiengerechtigkeit und verwirklichen das Gebot der familiengerechten Behandlung.297 296 Vgl. Franz Klein, Ehe und Familie im Steuerrecht als verfassungsrechtliches Problem, in: Walther Fürst/Roman Herzog/Dieter Umbach (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zeidler, Band 1, 1987, S.790; Wolf gang Görlich, Das Gebot staatlicher Familienfürsorge im Steuerrecht, in: NJW 1979, S. 1578; Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 142. 297 Vgl. Stefan Huster, Gleichheit und Verhältnismäßigkeit. Der allgemeine Gleichheitssatz als Eingriffsrecht, in: JZ 1994, S. 543 ff.

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cc) Schranken Wird in den Schutzbereich des Grundrechts auf Familienförderung eingegriffen, also vom Maßstab der Familiengerechtigkeit abgewichen, muß dies nicht verfassungswidrig sein. Wie bei den Abwehrrechten gilt die für die Eingriffsdogmatik konstitutive Unterscheidung von Grundrechtseingriff und Grundrechtsverletzung. 298 Differenzierungen, die vom Maßstab der Familiengerechtigkeit abweichen und deshalb Grundrechtseingriffe darstellen, sind nicht per se unzulässig. Weil der Schutz der Familie in Art. 6 Abs. 1 GG vorbehaltlos gewährleistet ist 299 , können Eingriffe nur, aber immerhin durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt werden. 300 Die Erwägungen zur Durchbrechung des Maßstabs der Familiengerechtigkeit können sich daher nur aus Schrankengütern mit Verfassungsrang ergeben. Als verfassungsimmanente Schranke kommt vor allem das in Art. 20 Abs. 1 GG verankerte Sozialstaatsprinzip in Betracht. 301 Das Sozialstaatsprinzip kann die Anbindung von Fördermaßnahmen an die Einkommenslage der Familien legitimieren, etwa die Staffelung von Kindergartengebühren oder die Beschränkung bestimmter staatlicher Leistungen auf besonders bedürftige Familien. Auch die Einkommensabhängigkeit des Erziehungsgeldes ist Ausfluß dieses Prinzips. Die soziale Komponente läuft dabei dem horizontal angelegten Maßstab der Familiengerechtigkeit entgegen. Das birgt die Gefahr, horizontale und vertikale Gerechtigkeitsprobleme zu vermengen. 302 Deshalb ist die Unterscheidung zwischen Grundsatz und Ausnahme, zwischen Schutzbereich und Schranke essentiell. In diesem Sinn kann auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Staffelung der Kindergartengebühren 303 interpretiert werden, wonach die soziale Staffelung von Kindergartengebühren keine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 GG darstellt und ein auf gesetzlicher Grundlage beruhendes, nach Einkommen gestaffeltes Heranziehen der Benutzer zu den Kosten nicht zu beanstanden ist. 304 Allerdings be298

Vgl. Stefan Huster, Gleichheit und Verhältnismäßigkeit. Der allgemeine Gleichheitssatz als Eingriffsrecht, in: JZ 1994, S.548. 299 BVerfGE 24,119 (135); 31,58 (68 f.); Thorsten Kingreen, Das Grundrecht von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG), in: Jura 1997, S. 404. 300 Hans Jarass, in: Hans Jarass/Bodo Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Kommentar, 2. Auflage, München 1992, Vorb. vor Art. 1 Rn.29. 301 Michael Kittner, in: Rudolf Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, 2. Auflage, 1989, Art. 20 Rn.56; Hans Jarass, in: Hans Jarass/Bodo Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Kommentar, 2. Auflage, München 1992, Art.20Rn.81. 302 Vgl. Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 140f. 303 BVerfGE 97, 332. 304 Anders VGH Kassel vom 28. September 1976, in: NJW 1977, S.452ff., mit Anmerkung von Klaus Vogel. Die Staffelung der Kindergartengebühren verstoße gegen die Gebührenprin-

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

gründet das Gericht seine Entscheidung damit, daß sich eine generelle Pflicht zur gleichmäßigen Förderung aller Familien ohne Rücksicht auf ihre Bedürftigkeit Art. 6 Abs. 1 GG nicht entnehmen läßt. 305 Der hier vertretenen Interpretation des Förderungsrechts als prima facie-Recht folgend müßte sich die Begründung darauf stützen, daß grundsätzlich eine Pflicht zur gleichmäßigen Förderung aller Familien besteht, von dieser grundsätzlichen Verpflichtung jedoch aus sozialstaatlichen Erwägungen abgewichen werden kann, solange der grundsätzliche Anspruch aller Familien auf Schutz und Unterstützung nicht gänzlich leerläuft. Das Bundesverfassungsgericht begründet seine Entscheidung zur Staffelung der Kindergartengebühren außerdem mit der Erwägung, daß der Staat nicht jegliche die Familie treffende Belastung auszugleichen oder die Familie ohne Rücksicht auf andere öffentliche Belange zu fördern verpflichtet ist, und daß die staatliche Familienförderung unter dem Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen steht, was der einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann. 306 Die aufgrund dieser Erwägungen vorgenommenen Differenzierungen sind nach der hier vertretenen Interpretation des Art. 6 Abs. 1 GG ebenfalls als Eingriffe in das Recht der Familien auf Schutz und Förderung zu qualifizieren, denn die Vorbehalte und Einschränkungen sind keine dem Förderungsgebot immanenten Schranken, die sich aus Art. 6 Abs. 1 GG selbst ableiten ließen, vielmehr handelt es sich um Erwägungen zugunsten anderer Rechtsgüter, insbesondere kollektiver Interessen, die im Widerstreit zu dem individuellen Recht auf Familienförderung stehen und Eingriffe in dieses Recht rechtfertigen können. Diese Kollision von Rechtsgütern ist gemeint, wenn es in Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf die Familienförderung heißt, daß der Gesetzgeber im Interesse des Gemeinwohls neben der Familienförderung auch andere Gemeinschaftsbelange bei seiner Haushaltswirtschaft zu berücksichtigen hat. 307 Zudem hat der Gesetzgeber nach der ausdrücklichen Vorschrift des Art. 109 Abs. 2 GG den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen. 308 Wegen der erheblichen Finanzwirksamkeit von Leistungsrechten ist die Begrenztheit staatlicher Ressourcen notwendig ein Schrankengrund für das Recht auf Familienförderung. Hinter dem Argument der Begrenztheit staatlicher Mittel und des daraus abgeleiteten Vorbehalts des Möglichen stehen andere individuelle oder kollektive Interessen, die der Staat mit Finanzmitteln fördern darf und muß, und letztlich die Freiheit der Steuerzahler vor dem zipien der speziellen Entgeltlichkeit und der Gleichheit. Klaus Vogel weist darauf hin, daß die Staffelung der Kindergartengebühren zu einer nicht zu rechtfertigenden Umverteilung allein innerhalb der Gruppe der den Kindergarten tatsächlich nutzenden Familien und damit zu einem Verstoß gegen den Grundsatz der Lastengerechtigkeit führt. Dagegen BVerfGE 97, 332 (344 ff.). 305 BVerfGE 97, 332 (349). 306 BVerfGE 97, 332 (349) unter Verweis auf BVerfGE 87,1 (35). 307 BVerfGE 82, 60 (81 f.); 87,1 (35 f.). 308 Albert von Muti us, Grundrechte als „Teilhaberechte" - zu den verfassungsrechtlichen Aspekten des numerus clausus, in: VerwArch 1973, S. 190; BVerfGE 33, 303 (333).

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Entzug ihrer finanziellen Mittel sowie das staatliche Interesse an einer funktionierenden Volkswirtschaft, die mit dem Recht auf Familienförderung kollidieren. 309 dd) Schranken-Schranken Die Verhältnismäßigkeitsprüfung dient der Abwägung des betroffenen Grundrechts mit den kollidierenden Rechtsgütern. Sie gewährleistet, daß der Eingriff in das betroffene Grundrecht nicht so weit geht, daß das Grundrecht leerläuft. Dogmatisch wird das Verhältnismäßigkeitsprinzip deshalb als Schranken-Schranke eingeordnet. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinn besteht aus drei Teilgeboten, und zwar aus dem Gebot der Geeignetheit, dem der Erforderlichkeit und dem der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn, das auch als Angemessenheit, Zumutbarkeit oder Proportionalität bezeichnet wird. Das Gebot der Geeignetheit verlangt den Einsatz solcher Mittel, mit deren Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann. Das Gebot der Erforderlichkeit ist verletzt, wenn das Ziel der staatlichen Maßnahme auch durch ein anderes, gleich wirksames Mittel erreicht werden kann, welches das betreffende Grundrecht aber nicht oder weniger fühlbar einschränkt. Das Gebot der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne verlangt, daß der Eingriff in angemessenem Verhältnis zu dem Gewicht und der Bedeutung des Grundrechts steht, daß also bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt. 310 Damit reagiert das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf Konflikte der individuellen Freiheit mit anderen Rechtsgütern und verlangt, daß diese Rechtsgüter zu einem gerechten Ausgleich gebracht werden, die Freiheit des einzelnen also nicht unangemessen beeinträchtigt wird. Es greift immer dann, wenn zwei oder mehrere Güter nicht gleichzeitig vollständig verwirklicht werden können und daher einseitig beschränkt oder zu einem sinnvollen Ausgleich gebracht werden müssen.311 Die Notwendigkeit, daß auch das Recht auf Schutz und Förderung aus Art. 6 Abs. 1 GG durch Einschränkungen nicht völlig ausgehöhlt wird, also ein gewisses Schwellengewicht 312 gegenüber staatlichen Eingriffen besitzt, und das Verhältnis von Grund309

Vgl. Marius Raabe, Grundrechte und Erkenntnis. Der Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers, 1998, S.362. 310 Hans Jarass, in: Hans Jarass/Bodo Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Kommentar, 2. Auflage, München 1992, Art. 20 Rn.58ff.; Bodo Pieroth/Bernhard Schlink, Grundrechte. Staatsrecht II, 12. Auflage, 1996, S.74ff. 311 Stefan Huster, Gleichheit und Verhältnismäßigkeit. Der allgemeine Gleichheitssatz als Eingriffsrecht, in: JZ 1994, S.542f. 312 Dieses Schwellengewicht besitzt Art. 6 Abs. 1 GG auch in seiner Funktion als Benachteiligungsverbot. Deutlich wird dies in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Betreuungs- und Erziehungsbedarf. Dort hat das Gericht festgestellt, daß neben dem sächlichen Bedarf der Kinder auch der Erziehungs- und Betreuungsbedarf zumindest in der Höhe des soziokulturellen Mindestbedarfs von der Besteuerung frei bleiben muß. Die Beschränkung auf

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

satz und Ausnahme gewahrt bleibt, ergibt sich aus dem prima facie-Charakter des Grundrechts. 313 Ein Leerlaufen des verfassungsrechtlichen Schutzes der Familie und des aus ihm abgeleiteten Förderungsrechts droht, wenn trotz faktischer Benachteiligungen der Familie keinerlei staatliche Maßnahmen der Familienförderung vorgehalten werden oder die Familienförderung auf die Unterstützung besonders bedürftiger Familien reduziert wird. Eine Konzentration der Familienförderung auf die Armutsvermeidung würde den Schutz der Familie auf das bereits durch Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip gewährleistete soziokulturelle Existenzminimum und damit auf die vertikale Dimension der Verteilungsgerechtigkeit reduzieren. 314 Familienfördernde Maßnahmen müssen grundsätzlich am Sach-, Erziehungs- und Betreuungsbedarf aller Kinder ausgerichtet sein und deshalb horizontale Elemente aufweisen, damit der in Art. 6 Abs. 1 GG postulierte besondere Schutz der Familie nicht ausgehöhlt wird. Umgekehrt wäre eine Familienförderung ausschließlich über Steuervergünstigungen, die dem progressiven Steuertarif entsprechend mit der Höhe des Einkommens steigen315, ebenso ungerechtfertigt. Die degressive Wirkung von Steuervergünstigungen steht nicht nur im Widerspruch zum Leistungsfähigkeitsprinzip 316, sondern auch im Widerspruch zum Grundsatz der gleichen Familienförderung gemäß Art. 6 Abs. 1 GG. Bei der Abwägung mit anderen Belangen verlangt deshalb der Grundsatz der Erforderlichkeit zu prüfen, ob nicht andere Förderungsmöglichkeiten, etwa direkte Transferzahlungen, zur Verfügung stehen, die nicht nur bessergestellten Familien, sondern allen Familien gleichermaßen zugute kommen.317

den Mindestbedarf folgt hier aus dem Gebot der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums gemäß Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsgrundsatz des Art. 20 Abs. 1 GG, die Ausdehnung auf den Betreuungs- und Erziehungsbedarf aus Art. 6 Abs. 1 GG; vgl. BVerfGE 99, 216 (232f.). 313 Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, 1996, S.468. 314 Siehe dazu unten 2. Kapitel B.II.2. 315 Das „Baukindergeld" gemäß § 34 f EStG und der Sonderausgabenabzug für Familienhilfen gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG begünstigen praktisch nur Familien mit relativ hohen Einkommen, die sich den Bau eines Familieneigenheims oder die Beschäftigung einer sozialversicherungspflichtigen Haushaltshilfe leisten können; vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S. 285 f. 316 Stefan Huster, Rechte und Ziele. Zur Dogmatik des allgemeinen Gleichheitssatzes, 1993, S. 371 f. 317 Vgl. Ute Sacksofsky, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Gestaltung des Familienlastenausgleichs nach den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 10. November 1998. Rechtsgutachten für das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2000, S.15.

Α. Der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG

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c) Die Verletzung des Förderungsrechts Nach der hier vertretenen Interpretation des Rechts auf Familienförderung als prima facie-Recht und der Konstruktion der Prüfung dieses Rechts anhand des Eingriffs· und Schrankenmodells sind Einschränkungen des Rechts auf Familienförderung nicht per se unzulässig, aber rechtfertigungsbedürftig. Es gilt die für das Eingriffs· und Schrankenmodell konstitutive Unterscheidung zwischen Grundrechtseingriff und Grundrechtsverletzung. Die Unterscheidung von Schutzbereich und Grundrechtsschranke, von Grundrechtseingriff und Grundrechtsverletzung und damit von Schutzbereich und effektivem Garantiebereich entspricht der Einordnung des Förderungsrechts als prima facie-Recht. Für diese Rechte ist kennzeichnend, daß prima facie mehr gesollt ist als definitiv geboten. Gegenüber definitiven Rechten, die das Ergebnis einer Abwägung sind, haben prima facie-Rechte stets etwas Überschießendes.318 Die möglichen Einschränkungen des prima facie-Rechts dürfen nicht zum Leerlauf des Rechts führen. Droht ein solcher Leerlauf, wird das Schutzrecht verletzt und der einzelne hat ein definitives Recht auf Leistung. Definitiv verlangt das Recht auf Familienförderung damit einen Mindeststandard, den der Gesetzgeber nicht unterschreiten darf. Insofern kann auch von Minimalrechten 319 gesprochen werden. Die Frage nach dem definitiven Umfang des prima facie-Rechts und damit die Frage, ob und welche Leistungsrechte der einzelne definitiv hat, läßt sich jedoch abstrakt nicht zahlenmäßig festlegen. Sie hängt ab von der Anwendbarkeit auf die konkrete Situation und der Abwägung der kollidierenden Rechtsgüter im Einzelfall. 320 Die Gerichte können prüfen, ob eine solche Abwägung stattgefunden hat und ob Grundlage, Vorgang und Ergebnis der Abwägung dem sich aus Art. 6 Abs. 1 GG ergebenden Gebot zum Schutz der Familie gerecht werden. 321 Im Einzelfall kann die gerichtliche Überprüfung zu einem definitiven Leistungsrecht führen, so daß eine konkrete Maßnahme zu treffen ist. Dies ist jedoch nicht der einzige gerichtlich überprüfbare Fall. Es gibt auch die Möglichkeit der Handlungsaufforderung an den Gesetzgeber mit gewissen Gestaltungsvorgaben, die dem Gesetzgeber innerhalb eines vorgegebenen Rahmens Entscheidungsraum lassen.322

318

Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, 1996, S.470. Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, 1996, S.470. 320 Ygi Walter Schmidt, Soziale Grundrechte im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, in: Beihefte zu „Der Staat", Heft 5, 1981, S. 23; Dieter Pirson, in: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art. 6 Abs. 1 Rn. 96; Robert Alexy, Grundrechte als subjektive Rechte und als objektive Normen, in: Der Staat 29 (1990), S.62U Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Auflage, 1996, S.471 f.; Marius Raabe, Grundrechte und Erkenntnis. Der Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers, 1998, S. 348. 319

321 322

Vgl. BVerfGE 76, 1 (50). Siehe oben 2. Kapitel A.V.3.c).

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

Die Gerichte sind dabei nicht auf die Prüfung lediglich einer offensichtlichen Verletzung der Schutz- und Förderpflichten aus Art. 6 Abs. 1 GG beschränkt. 323 Prima facie fordert das Schutz- und Förderungsrecht das höchste Effektivitätsniveau. Je geringer der Effektivitätsgrad der vom Gesetzgeber eingesetzten Schutz- und Fördermaßnahmen ist, desto höher ist der Beeinträchtigungsgrad des Grundrechts. Welcher Effektivitätsgrad definitiv geboten ist, ergibt sich im Einzelfall aus der Abwägung mit den kollidierenden Rechtsgütern im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung. 324 Dem Einschätzungsvorrang des Gesetzgebers entspricht es, daß das Bundesverfassungsgericht die abwägenden Festlegungen und die ihnen zugrundeliegenden Einschätzungen des Gesetzgebers bei der Abwägung zwischen den Belangen der Familie und den gegenläufigen privaten oder öffentlichen Interessen lediglich, aber immerhin auf ihre Vertretbarkeit überprüft. Eine bloße Kontrolle dahin, ob sie nicht lediglich offensichtlich unhaltbar sind, würde Rang und Bedeutung der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter des Art. 6 Abs. 1 GG verfehlen. 325 Im zweiten Abtreibungsurteil 326 erläuterte das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich seiner Prüfungskompetenz, daß die Verfassung zwar den Schutz des Lebens als Ziel vorgibt, nicht aber seine Ausgestaltung im einzelnen. Der Gesetzgeber habe aber das Untermaßverbot zu beachten, insofern unterliege er der verfassungsrechtlichen Kontrolle. Notwendig sei ein - unter Berücksichtigung entgegenstehender Rechtsgüter - angemessener Schutz; entscheidend sei, daß der Schutz als solcher wirksam ist. 327 Das Untermaßverbot ist dabei nichts anderes als eine Erscheinungsform des Übermaßverbots bei Vorliegen verfassungsrechtlicher Schutzpflichten. Letztlich geht es um die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips. 328 Die Vorkehrungen, die der Gesetzgeber zur Erfüllung seiner Schutzpflichten trifft, müssen für einen angemessenen und wirksamen Schutz ausreichend sein. Es genügen nicht schon solche Maßnahmen, die nicht gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind. Aber auch wenn der Gesetzgeber verfassungsrechtlich verpflichtet ist, wirksame und ausreichende Maßnahmen zum Schutz eines Rechtsguts zu ergreifen, kommt ihm ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu. Die verfassungsrechtliche Überprüfung erstreckt sich darauf, ob der Gesetzgeber diesen Spielraum in vertretbarer Weise gehandhabt hat. 329 Die Möglichkeit der gerichtlichen Kontrolle ist somit keine Einschränkung des demokratischen Prinzips. Welche Maßnahmen der Familienförderung konkret ge323

BVerfGE 76, 1 (51 f.). Vgl. Marius Raabe, Grundrechte und Erkenntnis. Der Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers, 1998, S.358f. 325 BVerfGE 76, 1 (51 f.). 326 BVerfGE 88, 203. 327 BVerfGE 88, 203 (254). 328 Christian Starck, Der verfassungsrechtliche Schutz des ungeborenen menschlichen Lebens. Zum zweiten Abtreibungsurteil des BVerfG, in: JZ 1993, S. 817. 329 BVerfGE 88, 203 (254 und 262 f.). 324

Β. Der Schutz der Familie im verfassungsrechtlichen Kontext

177

troffen werden, liegt in der Entscheidungskompetenz des demokratisch legitimierten Gesetzgebers. Es wird ihm nicht eine bestimmte Ausgestaltung des Kinderlasten- und Kinderleistungsausgleichs durch die Verfassung vorgegeben. Die Verfassung gibt jedoch einen gewissen Rahmen vor, innerhalb dessen sich der Gesetzgeber bewegen muß. Erfüllt er diese Anforderungen nicht, gewährleistet erst die Möglichkeit der gerichtlichen Kontrolle und der Feststellung einer Grundrechtsverletzung einen effektiven grundrechtlichen Schutz des einzelnen. Hierin konkretisiert sich das rechtsstaatliche Prinzip.

B. Der Schutz der Familie im verfassungsrechtlichen, europarechtlichen und völkerrechtlichen Kontext Im verfassungsrechtlichen Kontext bildet das Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG den normativen Ansatzpunkt für die Förderung der Familie und der Kindererziehung. Verfassungsrechtliche Grundlagen für die Ausgestaltung des staatlichen Kinderlasten- und Kinderleistungsausgleichs leiten sich aber nicht nur aus der Grundnorm des Art. 6 Abs. 1 GG ab. Sie ergeben sich auch aus der Zusammenschau mit anderen Grundrechten und mit dem Sozialstaatsprinzip. Zudem enthalten die Landesverfassungen und das Europa- und Völkerrecht Familienschutzbestimmungen, die zum Teil noch weiter gehend sind als die des Grundgesetzes.

I. Art. 6 Abs. 1 GG im Gefüge der Grundrechte 1. Das Grundrecht auf Ehe und Familie (Art. 6 GG) Art. 6 GG ist die grundlegende Verfassungsvorschrift für den Lebensbereich der Familie. Gegenstand der Verfassungsnorm ist - neben der Ehe - die Familie als Lebensgemeinschaft zwischen Eltern und Kindern. Die einzelnen Absätze des Art. 6 GG betreffen jeweils besondere Aspekte dieses einheitlichen Regelungsgegenstandes, stehen aber zugleich in innerem Zusammenhang und bilden integrierende Bestandteile des verfassungsrechtlichen Schutzes der Familie. Die einzelnen Schutzbestimmungen sind nicht bloß Nebengarantien, sondern konkretisieren den verfassungsrechtlichen Schutz der Familie und ergänzen sich zu einem umfassenden Grundrechtsschutz. 330

330 BVerfGE 24,119 (135); Matthias Jestaedt, in: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art. 6 Abs. 2 und 3 Rn. 256.

12 Tünnemann

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie a) Das Elternrecht

( €Art. 6 Abs. 2 GG)

Gemäß Art. 6 Abs. 2 GG sind Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft. Mit dieser Vorschrift reagiert die Rechtsordnung auf die biologische wie soziale Herausforderung, daß Kinder auf Schutz und Hilfe angewiesen sind, um sich zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten in der Gesellschaft zu entwickeln. 331 Die Rechtsordnung hat sich mit Art.6 Abs. 2 GG für die persönlichkeitsnahe Betreuung der Kinder und das Aufwachsen in der Familie, für den Vorrang der Eltern und für die individuelle Freiheit bei der Ausgestaltung des familiären Zusammenlebens entschieden. Dies ist zugleich eine Entscheidung gegen ein staatlich bestimmtes Erziehungsziel und gegen eine obligatorische Einbindung in staatlich organisierte Erziehungsanstalten. Die elterliche Verantwortung für die Pflege und Erziehung ist Gegenstand einer Institutsgarantie, mit der jede Form staatlicher obligatorischer Kollektiverziehung unvereinbar ist. 332 aa) Der verfassungsrechtliche Elternbegriff Grundrechtsträger und damit Träger des Elternrechts sind die Eltern. Der verfassungsrechtliche Begriff der Elternschaft ist in ähnlicher Weise offen wie der verfassungsrechtliche Begriff der Familie. Wenn das Grundgesetz das Elternrecht als „natürliches Recht" der Eltern gewährleistet, bedeutet das, daß das Elternrecht den Eltern nicht vom Staat verliehen wird, sondern - wie bei anderen Grundrechten - als gesellschaftliche Freiheit vorgegeben ist. 333 Aus der Formulierung „das natürliche Recht" kann nicht geschlossen werden, daß nur die natürlichen Eltern im biologisch-genetischen Sinn Rechtsträger sind oder sein müssen. Dieses „natürliche" Recht kann auch nicht-leiblichen Eltern zustehen, wenn das verfassungsrechtlich gemeinte Ergebnis einer natürlichen Eltern-Kind-Beziehung herbeigeführt wird. 334 In der Literatur wird der Elternbegriff zum Teil nach Maßgabe des einfachen (bürgerlichen) Rechts definiert oder auch mit dem der Erziehungsberechtigten im 331 BVerfGE 79,51 (63); Hans Zacher, Elternrecht, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band VI, 1989, § 134 Rn. 3. 332 Matthias Jestaedt, in: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art.6 Abs.2 und 3 Rn. 11; Hans-Uwe Erichsen, Elternrecht - Kindeswohl - Staatsgewalt. Zur Verfassungsmäßigkeit staatlicher Einwirkungsmöglichkeiten auf die Kindeserziehung durch und aufgrund von Normen des elterlichen Soigerechts und des Jugendhilferechts, 1985, S.29f. 333 BVerfGE 59,360 (376); 60,79 (88); Ingo Richter, in: Rudolf Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Altemativkommentare, 2. Auflage, 1989, Art. 6 Rn. 34. 334 Theodor Maunz, in: Theodor Maunz/Günter Dürig/Roman Herzog (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 7. Auflage, Stand: Juni 1998, Art.6 Rn. 25; Ingo Richter, in: Rudolf Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, 2. Auflage, 1989, Art. 6 Rn. 34.

Β. Der Schutz der Familie im verfassungsrechtlichen Kontext

179

Sinne des Art. 6 Abs. 3 GG gleichgesetzt. Überwiegend wird die Elternschaft jedoch funktional nach der Aufgabe der Eltern zur Pflege und Erziehung der Kinder bestimmt. 335 Das Bundesverfassungsgericht hat die Elternschaft der verheirateten leiblichen Eltern, der Mutter eines nichtehelichen Kindes und der Adoptiveltern anerkannt. Verneint hat das Gericht die Elternschaft der Pflegeeltern. Verfassungsrechtlicher Schutz kommt der Pflegefamilie nur über Art. 6 Abs. 1 und 3 GG zu. 336 Lange Zeit wurde auch dem Vater eines nichtehelichen Kindes die Berufung auf das Elternrecht versagt, wenn er an der Entwicklung seines Kindes keinen Anteil nahm und sich nicht um den Aufbau eines Vater-Kind-Verhältnisses bemühte.337 Inzwischen hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, daß der Vater eines nichtehelichen Kindes generell, also voraussetzungs- und bedingungslos, Träger des Elternrechts ist. 338 bb) Pflege und Erziehung der Kinder Pflege und Erziehung der Kinder werden meist als einheitlicher Rechtsbegriff verstanden, der sowohl die Sorge für das körperliche Wohl des Kindes als auch die Sorge für die seelisch-geistige Entwicklung, Bildung und Ausbildung umfaßt. 339 Pflege und Erziehung umfassen Sachleistungen, die den wirtschaftlichen Bedarf der Kinder decken, sowie Betreuungs- und Erziehungsleistungen, die dem kindlichen Bedürfnis nach Unterstützung, Anleitung sowie Vermittlung praktischer und kultureller Erfahrungen genügen.340 Mit den Begriffen Pflege und Erziehung sind zielgerichtete, fördernde Einwirkungen der Eltern auf die Kinder erfaßt. Insbesondere die Erziehung enthält ein finales Element. Sie ist gerichtet auf die Heranbildung des Kindes zu einer Persönlichkeit, die später selbständig und eigenverantwortlich Entscheidungen treffen kann. Dieses Ziel wird auch mit dem Begriff des Kindeswohls umschrieben. 341 Mit dem Begriff der Erziehung wird aber nur das Ziel, nämlich die Heranbildung des Kindes zu einer selbständigen und eigenverantwortlichen Persönlichkeit, bestimmt. Die dorthin führenden Wege, Mittel und Methoden sind nicht vorgegeben. 335

Vgl. die Nachweise und kritische Würdigung bei Matthias Jestaedt, in: Rudolf Dolzer/ Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art. 6 Abs. 2 und 3 Rn.55ff. und 69 ff.; Eva Marie von Münch, in: Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 4. Auflage, 1992, Art.6 Rn. 30ff. 336 Matthias Jestaedt, in: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art. 6 Abs. 2 und 3 Rn. 54 m. w. N. und Rn. 85. 337 BVerfGE 56, 363 (383). 338 BVerfG, Beschluß vom 7. März 1995 - 1 BvR 790/91 u.a., in: FamRZ 1995, S.792. 339 Eva Marie von Münch, in: Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 4. Auflage, 1992, Art. 6 Rn. 26; Theodor Maunz, in: Theodor Maunz/Günter Dürig/Roman Herzog (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 7. Auflage, Stand: Juni 1998, Art. 6 Rn. 24. 340 BVerfGE 99, 216 (231). 341 Hans-Uwe Erichsen, Elternrecht - Kindeswohl - Staatsgewalt. Zur Verfassungsmäßigkeit staatlicher Einwirkungsmöglichkeiten auf die Kindeserziehung durch und aufgrund von Normen des elterlichen Sorgerechts und des Jugendhilferechts, 1985, S.35f. 12*

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie cc) Elternrecht und Elternpflicht

Daß die Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht ist, bedeutet ganz allgemein, daß die Eltern die Lebensverhältnisse und Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder bestimmen. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistet als Abwehrrecht im klassischen Sinn den Schutz der Eltern vor staatlichen Interventionen in die Pflege und Erziehung der Kinder. 342 Er gibt den Eltern ein Grundrecht auf Verwirklichung ihrer persönlichen Erziehungsvorstellungen und garantiert die Freiheit, über die Art und Weise der Gestaltung des familiären Zusammenlebens selbst zu entscheiden. Deshalb hat der Staat die Familiengemeinschaft sowohl im immateriell-persönlichen als auch im materiell-wirtschaftlichen Bereich in ihrer jeweiligen eigenständigen und selbstverantwortlichen Ausgestaltung zu respektieren. 343 Insofern stimmen familiäre Autonomie (Art. 6 Abs. 1 GG) und Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) überein. 344 Das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geht jedoch über die in Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistete familiäre Autonomie hinaus. Es überläßt den Eltern nicht nur die Bestimmung der Lebensverhältnisse und Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder, sondern weist ihnen zugleich die positive Aufgabe der Pflege und Erziehung der Kinder und die umfassende Verantwortung für die Lebens- und Entwicklungsbedingungen des Kindes zu. 345 Über das grundrechtsdogmatische Verhältnis von Elternrecht und Elternpflicht besteht keine Einigkeit. 346 Die Elternpflicht wird sowohl als eine das Elternrecht beschränkende Schranke als auch als wesentlicher Bestandteil des Elternrechts selbst347 angesehen. Die Auffassung, das Elternrecht sei ein Recht um der Kinder willen 348 , wird ebenso vertreten wie die Ansicht, das Elternrecht sei ein Recht um der Eltern willen. Die verschiedenen Ansätze werden auch kumulativ gebraucht. Das Elternrecht sei ein Recht der Eltern, wenn auch nicht primär um ihres, sondern um des Schutzes des Kindes willen. 349

342

Matthias Jestaedt, in: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art. 6 Abs. 2 und 3 Rn. 9; Eva Marie von Münch, in: Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 4. Auflage, 1992, Art.6 Rn.25. 343 BVerfGE 61, 391 (347). 344 Hans Zacher, Elternrecht, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band VI, 1989, § 134 Rn. 65. 345 Hans Zacher, Elternrecht, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band VI, 1989, § 134 Rn.66. 346 Vgl. die Nachweise bei Ingo Richter, in: Rudolf Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Altemativkommentare, 2. Auflage, 1989, Art. 6 Rn. 34. 347 BVerfGE 24, 119(143). 348 BVerfGE 59, 360 (382). 349 Matthias Jestaedt, in: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art. 6 Abs. 2 und 3 Rn.5.

Β. Der Schutz der Familie im verfassungsrechtlichen Kontext

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Das Bundesverfassungsgericht betont, daß es sich bei dem Elternrecht nicht um eine Freiheit im Sinne einer Selbstbestimmung der Eltern handelt, sondern daß das Elternrecht dem Schutz des Kindes dient. 350 Das Kind ist nicht das Objekt elterlicher Erziehung, sondern eine eigene, durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Persönlichkeit und Träger eigener Grundrechte. Wegen seiner Hilfsund Schutzbedürftigkeit steht das Kind unter dem besonderen Schutz des Staates, auch und gerade gegenüber einem Mißbrauch des Elternrechts oder dem Versagen der Eltern. 351 Dem Elternrecht stehen die Grundrechte des Kindes gegenüber, insbesondere sein Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG). Die Grundrechte des Kindes richten sich zwar nicht unmittelbar gegen die Eltern - sie haben keine unmittelbare Drittwirkung - , aber sie verpflichten den staatlichen Gesetzgeber, durch Einschränkung der Entfaltungsrechte der Eltern den Entfaltungsrechten des Kindes Raum zu geben.352 Für dieses Grundrechtsverständnis spricht, daß es zwischen den Grundrechten der Eltern und den Grundrechten des Kindes einen Ausgleich schafft, daß es die Pflichtbindung in Art. 6 Abs. 2 GG als Bindung an die Grundrechte des Kindes begreift und das staatliche Wächteramt als Aufgabe des Staates zur Gewährleistung der Kindesgrundrechte bestimmt.353 Bisweilen wird dieses Grundrechtsverständnis kritisiert, weil es die gegen den Staat gerichteten Kindesgrundrechte dem elterlichen Erziehungsrecht gegenüberstellt. 354 Die elterliche Pflichtbindung sei keine das Elternrecht beschränkende Schranke, sondern wesensbestimmender Bestandteil des Elternrechts, das insoweit treffender als Elternverantwortung bezeichnet werden könne.355 In diesem Sinn sei das Elternrecht ein Recht der Eltern und es sei das ihretwillen. 356 Diesem Grundrechtsverständnis liegt eine Vorstellung der Familie als Einheit zugrunde, in der die Grundrechte den Eltern und Kindern gemeinsam zustehen. Die Ausübung des staatlichen Wächteramtes wird dabei nicht mit den gegen die Eltern ge350

BVerfGE 59, 360 (376). BVerfGE 10,59 (76); 24,119 (144); 59,360 (382); 60,79 (88); vgl. auch Wolfgang Zeidler, Ehe und Familie, in: Emst Benda/Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1983, S.572f.; Christoph Gusy, Der Grundrechtsschutz von Ehe und Familie, in: JA 1986, S. 185 f. 352 Ingo Richter, in: Rudolf Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, 2. Auflage, 1989, Art. 6 Rn. 34. 353 Ingo Richter, in: Rudolf Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, 2. Auflage, 1989, Art. 6 Rn. 34. 354 Fritz Ossenbühl, Das elterliche Erziehungsrecht im Sinne des Grundgesetzes, 1981, S.53ff. 355 Theodor Maunz, in: Theodor Maunz/Günter Dürig/Roman Herzog (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 7. Auflage, Stand: Juni 1998, Art. 6 Rn. 25 j; Hans-Uwe Erichsen, Elternrecht - Kindeswohl - Staatsgewalt. Zur Verfassungsmäßigkeit staatlicher Einwirkungsmöglichkeiten auf die Kindeserziehung durch und aufgrund von Normen des elterlichen Sorgerechts und des Jugendhilferechts, 1985, S.34. 356 Hans Zacher, Elternrecht, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band VI, 1989, § 134 Rn. 3. 351

182

2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

richteten Kindesgrundrechten begründet, sondern als immanente Begrenzung des Elternrechts interpretiert. 357 Wenn man allerdings fragt, welche Grenzen dem Elternrecht immanent sein sollen, muß wiederum auf grundrechtliche Maßstäbe und damit auf die Rechte des Kindes zurückgegriffen werden. Die Vorstellung einer immanenten Begrenzung des Elternrechts widerspricht zudem der am Individuum orientierten Rechtsordnung, in der auch das Kind eigene Grundrechtspositionen hat, die mit den Grundrechten der Eltern kollidieren können. 358 Zentraler Zweck aller Grundrechte ist, die Menschenwürde zu schützen und zu entfalten (Art. 1 Abs. 1 GG). Dieser Zweck kann den Schutz autonomer Einheiten - wie zum Beispiel die Familie - rechtfertigen, weil und wenn diese Einheiten dem grundrechtlichen Schutz und der Entfaltung der Menschenwürde derer dienen, die in ihnen leben. Daß autonome Einheiten das bewirken, darf die Grundrechtsordnung vermuten. Sie darf es aber nicht fingieren. Sie muß vor allem diejenigen schützen, die in diesen Einheiten die Schwächeren und Gefährdeten sind. Die Rechtsordnung trifft deshalb eine ganz besondere Verantwortung für die Kinder. Sie sind in jeder Hinsicht und Konstellation die Schwächeren - physisch, seelisch, geistig, ökonomisch und rechtlich. 359 Die Pflichtbindung der Eltern erklärt sich mit diesem individuellen Grundrechtsverständnis daraus, daß das Grundgesetz wegen der besonderen Schutz- und Hilfsbedürftigkeit des Kindes ausnahmsweise Personen, den Eltern, Bestimmungsmacht über andere Personen, den Kindern, einräumt, dies aber nur unter der Bedingung erfolgt, daß die Elternrechte pflichtgebunden sind, weil die Kinder selbst Grundrechtsträger sind. 360 Zum Elternrecht gehört die Bestimmung des Erziehungsziels und der Erziehungsmittel. Hierbei sind die Eltern frei und dürfen nicht durch staatlich verordnete Erziehungsziele oder -mittel eingeschränkt werden. 361 Das Wächteramt des Staates (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG) berechtigt den Staat nicht, die Eltern zu einer bestimmten Art und Weise der Erziehung ihrer Kinder zu drängen. Der Staat muß den Eltern die freie Entscheidung über die Art und Weise der Kinderbetreuung ermöglichen und darf sie nicht aufgrund der Wahl für eine bestimmte Betreuungsform benachteiligen. 362 Das Grundgesetz überläßt die Entscheidung über das Leitbild der Erziehung 357

Fritz Ossenbühl, Das elterliche Erziehungsrecht im Sinne des Grundgesetzes, 1981, S.67ff. 358 Vgl. Wolfgang Zeidler, Ehe und Familie, in: Ernst Benda/Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1983, S.573. 359 BVerfGE 24,119 (144); 55,171 (179); 57,361 (382f.); Hans Zacher, Elternrecht, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band VI, 1989, § 134 Rn. 3. 360 Matthias Jestaedt, in: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art. 6 Abs. 2 und 3 Rn. 29. 361 Eva Marie von Münch, in: Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 4. Auflage, 1992, Art. 6 Rn. 27. 362 BVerfGE 99, 216 (236).

Β. Der Schutz der Familie im verfassungsrechtlichen Kontext

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den Eltern, die über die Art und Weise der Betreuung des Kindes, seine Begegnungs- und Erlebensmöglichkeiten sowie den Inhalt seiner Ausbildung bestimmen. Die Eltern müssen ihr familiäres Leben nach ihren Vorstellungen planen und verwirklichen können. Sie müssen sich in ihrer Erziehungsverantwortung frei entscheiden können, ob und in welchem Entwicklungsstadium das Kind überwiegend von einem Elternteil allein, von beiden Eltern in wechselseitiger Ergänzung oder von einem Dritten betreut werden soll. Die Eltern bestimmen, vorbehaltlich des Art. 7 GG, in eigener Verantwortung, ob und inwieweit sie Dritte zur Erfüllung ihres Erziehungsauftrags heranziehen wollen. 363 Die Erziehungspflicht trifft die Eltern zwar als höchstpersönliche Verantwortung, muß von ihnen aber nicht ausschließlich in eigener Person wahrgenommen werden. 364 dd) Die ergänzende Verantwortung des Staates für die Pflege und Erziehung der Kinder Daß der Staat nicht aus der Verantwortung für die Pflege und Erziehung der Kinder entlassen ist, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Das Wort „zuvörderst" hebt zwar den Vorrang der Eltern bei der Pflege und Erziehung der Kinder hervor, weist aber zugleich darauf hin, daß neben den Eltern auch der Staat Aufgaben und Pflichten bei der Kindererziehung hat. 365 Die Eltern dürfen mit der Pflege und Erziehung der Kinder nicht von vornherein allein gelassen werden. Die Verpflichtung des Staates, die Pflege und Erziehung der Kinder sicherzustellen, folgt nicht allein aus dem legitimen Interesse des Staates an der Erziehung des Nachwuchses, aus sozialstaatlichen Erwägungen oder aus allgemeinen Gesichtspunkten der öffentlichen Ordnung, sie ergibt sich in erster Linie daraus, daß das Kind als Grundrechtsträger selbst Anspruch auf den Schutz des Staates hat. 366 Dem Staat kommt neben den Eltern eine vielfache Funktion bei der Pflege und Erziehung der Kinder zu. Einmal hat der Staat gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG die Aufgabe, im Interesse des Kindes die Einhaltung der Grenzen des Elternrechts und die Erfüllung der Elternpflicht zu überprüfen und notfalls anderweitig sicherzustellen oder sogar selbst zu übernehmen. 367 Aus diesem staatlichen Wachteramt, aber auch aus der allgemeinen grundrechtlichen Schutzpflicht zugunsten des Kindes gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, trifft den Staat im Falle der Gefährdung oder Beeinträchtigung des Kindeswohls eine verfassungsrechtliche 363

BVerfGE 24,119 (143); 47,46 (69f.); 72,122 (139); 99, 216 (231 f.). BVerfGE 99,216(231). 365 BVerfGE 24, 119 (135 f.); Eva Marie von Münch, in: Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 4. Auflage, 1992, Art. 6 Rn. 35. 366 BVerfGE 24, 119 (144); 55,171 (179). 367 Hans Zacher, Elternrecht, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band VI, 1989, § 134 Rn. 5; Eva Marie von Münch, in: Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 4. Auflage, 1992, Art. 6 Rn.40. 364

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

Pflicht zum Tätig werden. 368 Unter Umständen hat der Staat im Interesse des Kindes sogar gegen den Willen der Erziehungsberechtigten von seiner Befugnis gemäß Art. 6 Abs. 3 GG Gebrauch zu machen, das Kind von der Familie zu trennen. 369 Bei der Ausübung seines Wächteramts muß der Staat das Elternrecht und den Vorrang der Eltern so weit wie möglich respektieren. Elternvorrang heißt, daß die Eltern grundsätzlich frei von staatlichen Einflüssen und Eingriffen nach eigenen Vorstellungen entscheiden, wie sie die Erziehung ihres Kindes gestalten und ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen. 370 Die primäre Entscheidungszuständigkeit der Eltern beruht auf der Erwägung, daß die Interessen des Kindes in der Regel am besten von den Eltern wahrgenommen werden. 371 Die Entscheidungsfreiheit der Eltern endet erst dort, wo sie für ein Handeln in Anspruch genommen wird, das selbst bei weitester Anerkennung der Selbstverantwortlichkeit der Eltern nicht mehr als Pflege oder Erziehung des Kindes gewertet werden kann, weil es die Rechte des Kindes verletzt. 372 Soweit und solange lediglich Fragen von „gut" oder „besser" zur Entscheidung stehen, verwehrt Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG dem Staat, in die elterliche Pflege und Erziehung der Kinder einzugreifen und den Eltern ein bestimmtes Verständnis von kindgerechter Pflege und Erziehung vorzuschreiben. 373 Erst wenn eine Gefährdung oder Schädigung des Kindeswohls vorliegt, aktualisiert sich im Rahmen des staatlichen Wächteramtes und der allgemeinen grundrechtlichen Schutzpflicht zugunsten des Kindes die Pflicht des Staates zur Abwehr dieser Gefährdung oder Schädigung des Kindeswohls. Eine eigenständige Erziehungsaufgabe kommt dem Staat im Bereich der Schule zu. Im Unterschied zu Art. 6 GG weist Art. 7 GG dem Staat das schulische Erziehungsmandat nicht nur als subsidiäres, sondern als originäres Mandat zu. 374 Eltern 368

BVerfGE 24, 119(144). Eva Marie von Münch, in: Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 4. Auflage, 1992, Art.6 Rn. 45; Hans Zacher, Elternrecht, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band VI, 1989, § 134 Rn. 96. 370 BVerfGE 59, 360 (376). 371 BVerfGE 60, 79 (94). 372 BVerfGE 24,119 (143); Matthias Jestaedt, in: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art.6 Abs.2 und 3 Rn.42; Hans-Uwe Erichsen, Elternrecht - Kindeswohl - Staatsgewalt. Zur Verfassungsmäßigkeit staatlicher Einwirkungsmöglichkeiten auf die Kindeserziehung durch und aufgrund von Normen des elterlichen Sorgerechts und des Jugendhilferechts, 1985, S.48ff. 373 Hans-Uwe Erichsen, Elternrecht - Kindeswohl - Staatsgewalt. Zur Verfassungsmäßigkeit staatlicher Einwirkungsmöglichkeiten auf die Kindeserziehung durch und aufgrund von Normen des elterlichen Sorgerechts und des Jugendhilferechts, 1985, S. 51 f.; Ernst-Wolfgang Bökkenförde, Elternrecht - Recht des Kindes - Recht des Staates. Zur Theorie des verfassungsrechtlichen Elternrechts und seiner Auswirkung auf Erziehung und Schule, in: Joseph Krautscheidt/Heiner Marré (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (14), 1980, S.76. 374 Matthias Jestaedt, in: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art. 6 Abs. 2 und 3 Rn.44, 96 und 330ff. 369

Β. Der Schutz der Familie im verfassungsrechtlichen Kontext

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und Schule haben einen gleichgeordneten Erziehungsauftrag. Den Eltern obliegt, den Gesamtplan für die Erziehung des Kindes aufzustellen und seinen Bildungsweg zu bestimmen. Der Staat muß ein differenziertes Schulsystem zur Verfügung stellen, das den Eltern bei dieser Planung ein Wahlrecht läßt. 375 Außerhalb der Schule trifft den Staat keine gleichrangige, sondern eine nachrangige Erziehungsverantwortung. Ein allgemeines nachrangiges Erziehungsmandat des Staates ergibt sich im Umkehrschluß aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, der die Pflege und Erziehung der Kinder als eine den Eltern „zuvörderst" obliegende Pflicht erklärt. Dieses allgemeine Erziehungsmandat besteht unabhängig von dem in Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG statuierten Wächteramt. 376 Die subsidiäre Erziehungsverantwortung trifft den Staat ganz allgemein und nicht erst im Falle der Gefährdung oder Schädigung des Kindeswohls. Zur Wahrung des Elternrechts und des Elternvorrangs ist der Staat im Rahmen des allgemeinen nachrangigen Erziehungsmandats darauf verwiesen, die Eltern durch ein angemessenes Angebot an Leistungen zu unterstützen. Daraus folgt eine allgemeine Pflicht des Staates zur Förderung der Kindererziehung.

ee) Der leistungsrechtliche Gehalt des Elternrechts Aus der ergänzenden Erziehungsverantwortung des Staates ergibt sich ein verfassungsrechtlicher Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber. Dem Elternrecht im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ist nicht schon damit Genüge getan, daß der Staat die Eltern an der tatsächlichen Wahrnehmung der Pflege- und Erziehungsaufgaben nicht hindert. Das Elternrecht ist nicht nur Abwehrrecht im klassischen Sinn. Es hat auch einen leistungsrechtlichen Gehalt, der für die Verwirklichung der grundrechtlichen Freiheit der Eltern von Bedeutung ist. 377 Der Staat muß zum einen durch eine entsprechende einfachrechtliche Ausgestaltung der Elternrechtsordnung dafür Soige tragen, daß die Eltern ihr Elternrecht auch tatsächlich ausüben können. Das betrifft vor allem das Recht der elterlichen Sorge. Über diesen Inhalt des Gestaltungsauf375

BVerfGE 34, 165 (183ff. und 199); 45,400 (415f.); Hans Zacher, Elternrecht, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band VI, 1989, § 134 Rn. 86; Paul Kirchhof, Die verfassungsrechtliche Garantie der Familie als Erziehungsgemeinschaft, in: Bernhard Jans/Geoig Zimmermann (Hrsg.), Familienlastenausgleich? Plädoyers für eine gerechte Familienpolitik, 1996, S. 14 f. 376 Eva Marie von Münch, in: Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 4. Auflage, 1992, Art. 6 Rn. 35; Matthias Jestaedt, in: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art. 6 Abs. 2 und 3 Rn. 170 und 308. 377 Hans Zacher, Elternrecht, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band VI, 1989, § 134 Rn.44f.; vgl. auch Hans-Uwe Erichsen, Elternrecht - Kindeswohl - Staatsgewalt. Zur Verfassungsmäßigkeit staatlicher Einwirkungsmöglichkeiten auf die Kindeserziehung durch und aufgrund von Normen des elterlichen Sorgerechts und des Jugendhilferechts, 1985, S. 17 ff. und 43 f.

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

trags besteht weitgehend Einigkeit. 378 Ob sich der Gestaltungsauftrag allerdings auch auf die staatlichen Transfersysteme erstreckt und sich aus ihm sozialrechtliche Leistungsansprüche in Bezug auf die Erziehungstätigkeit der Eltern herleiten lassen, ist bislang ungeklärt. 379 Die Diskussion entfachte sich unter anderem an der Frage, ob der Staat verpflichtet ist, jedem Kind einen Anspruch auf einen Kindergartenplatz zu gewähren. Nach überwiegender Auffassung begründet das Elternrecht kein Leistungsrecht im Sinne eines originären oder auch nur derivativen Teilhaberechts. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG könne ein Anspruch auf Bereitstellung eines Kindergartenplatzes nicht entnommen werden. 380 Nach anderer Ansicht schließt das Elternrecht auch den positiven Anspruch ein, vom Staat Erziehungseinrichtungen oder sonstige unterstützende Maßnahmen verlangen zu können. Das Elternrecht sei nicht lediglich ein Abwehrrecht gegen den Staat, sondern auch ein auf Leistungen durch den Staat gerichtetes Recht.381 Gegen einen Anspruch der Eltern auf staatliche Leistungen für die Kindererziehung aus dem Elternrecht wird häufig mit der Elternpflicht argumentiert. Richtig ist, daß die Elternpflicht die individuelle Verantwortung der Eltern für ihre Kinder begründet und die Eltern verpflichtet, auch die Lasten der Pflege und Erziehung der Kinder zu tragen. 382 Zur Elternverantwortung gehört die finanzielle Eigenverantwortung der Eltern für das Kind, woraus sich durchaus Grenzen für staatliche Leistungen ergeben können. In diesem Sinn ist auch die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts zu verstehen, daß der Staat nicht verpflichtet ist, sämtliche finanziellen Belastungen durch Kinder auszugleichen.383 Damit diese Grenzen greifen können, ist jedoch zunächst von einem grundsätzlichen Recht der Eltern auf staatliche Erziehungseinrichtungen auszugehen. Die Annahme eines solchen prima facie-Rechts 384 ist auch unter dem Aspekt der Eltern378 BVerfGE 84,168 (180); Matthias Jestaedt, in: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art.6 Abs. 2 und 3 Rn. 12. 379 Matthias Jestaedt, in: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art.6 Abs. 2 und 3 Rn. 21; Hans Zacher, Elternrecht, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band VI, 1989, § 134 Rn. 100. 380 VGH Mannheim, Beschluß vom 12. November 1984-10 S 2552/84, in: NVwZ 1986, S. 1040; Hans Zacher, Elternrecht, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band VI, 1989, § 134 Rn. 99; Matthias Jestaedt, in: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art. 6 Abs. 2 und 3 Rn. 21; Josef Isensee, Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Ein Verfassungsproblem des Bundesstaates und der kommunalen Selbstverwaltung, in: DVB1. 1995, S.2. 381 Theodor Maunz, in: Theodor Maunz/Günter Dürig/Roman Herzog (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 7. Auflage, Stand: Juni 1998, Art.6 Rn.31. 382 BVerfGE 43,108 (121). 383 BVerfGE 82, 60 (81); 87,1 (35). 384 Siehe oben 2. Kapitel Α.V. 4. a).

Β. Der Schutz der Familie im verfassungsrechtlichen Kontext

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pflicht, die Lasten der Pflege und Erziehung der Kinder zu tragen, gerechtfertigt. 385 Der besondere Pflichtenstatus beansprucht die Eltern mehr als jeden anderen Staatsbürger. Die verfassungsrechtliche Sonderverpflichtung der Eltern in einem Grundgesetz, das ansonsten keine Grundpflichten kennt (außer den punktuellen wie der Wehrpflicht), unterscheidet Art. 6 Abs. 2 GG von allen anderen Grundrechten. 386 Sie trägt der Tatsache Rechnung, daß sich Eltern und Kinder als Personen auch in der Familie verwirklichen und daß zu dieser Verwirklichung der Person in der Familie die Erziehung und Pflege der Kinder zählt. 387 Die Elternpflicht darf nicht dahingehend mißverstanden werden, daß die Eltern die alleinigen Garanten für die Realisierung des Erziehungsrechts sind, der Staat sich vom Eltern-Kind-Verhältnis möglichst fernzuhalten hat und grundsätzlich nicht verpflichtet ist, die Eltern zu entlasten.388 Auch der Staat ist zum Schutz der Menschenwürde verpflichtet. Er muß durch geeignete Maßnahmen ein verantwortungsbewußtes und der persönlichen Verwirklichung der Kinder dienendes Verhalten der Eltern ermöglichen und unterstützen. Daraus folgt die Pflicht des Staates, die elterliche Erziehung durch entsprechende staatliche Angebote und Leistungen zu fördern und den Eltern ihre Pflichterfüllung im Interesse der Kinder zu ermöglichen. 389 Weit wichtiger als Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ist in diesem Zusammenhang jedoch der durch Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistete besondere Schutz der Familie und das aus der wertentscheidenden Grundsatznorm abgeleitete Förderungsgebot. 390 Der Inhalt der Pflicht zur und des Rechts auf Familienförderung 391 wird durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG konkretisiert. Die staatliche Förderung darf das Erziehungsrecht der Eltern nicht beeinträchtigen. Sie darf kein bestimmtes Erziehungsziel verfolgen oder den Eltern eine bestimmte Art der Kindererziehung vorschreiben. Jede staatliche Erziehungsförderung muß den Eltern Wahlfreiheit in Hinblick auf die Art und Weise der Kindererziehung lassen. Aus der Förderpflicht gemäß Art. 6 Abs. 1 GG ergibt sich in Verbindung mit dem Elternrecht gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ein Anspruch der Eltern auf ein angemessenes Angebot an öffentlichen Leistungen zur 385 Vgl. Hans Zacher, Elternrecht, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band VI, 1989, § 134 Rn. 100. 386 Ygi paui Kirchhof, Ehe und Familie im staatlichen und kirchlichen Steuerrecht, in: Heiner Marré/Johannes Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (21), 1986, S. 124f. 387

BVerwGE 20, 188 (192f.). Ernst-Wolfgang Böckenförde, Elternrecht - Recht des Kindes - Recht des Staates. Zur Theorie des verfassungsrechtlichen Elternrechts und seiner Auswirkung auf Erziehung und Schule, in: Joseph Krautscheidt/Heiner Marré (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (14), 1980,S.72f. 389 Vgl. Andreas Netzler, Wertäquivalenz familialer Leistungen und Risiken: Sozialpolitische Situation, Perspektiven und Konsequenzen, 1995, S.58f. 390 Matthias Jestaedt, in: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art. 6 Abs. 2 und 3 Rn. 21. 391 Siehe oben 2. Kapitel Α. IV. 3. c)bb) und V. 4. b) aa). 388

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

Förderung der familiären und der institutionellen Kindererziehung, das den Eltern Wahlmöglichkeiten bietet und der Entfaltung des Elternrechts Raum gibt.

b) Die Trennung des Kindes von der Familie (Art. 6 Abs. 3 GG) Art. 6 Abs. 3 GG gewährleistet das Zusammenleben der Erziehungsberechtigten, meist der Eltern, mit ihren Kindern in der familiären Gemeinschaft und richtet sich ganz allgemein gegen die Verdrängung der Familienerziehung durch eine staatliche Kollektiverziehung. Nur im Falle der Verwahrlosung der Kinder oder im Falle der Gefährdung des Kindeswohls durch Mißbrauch des Sorgerechts, Vernachlässigung oder unverschuldetes Versagen der Erziehungsberechtigten ist die Trennung der Kinder von den Eltern möglich. 392 Besondere Bedeutung gewinnt Art. 6 Abs. 3 GG für diejenigen Erziehungsberechtigten, die nicht Eltern im Sinne des Art. 6 Abs. 2 GG sind, wie zum Beispiel die Pflegeeltern. 393 Abs. 3 des Art. 6 GG ist in der Grundtendenz durch die Erfahrungen der nationalsozialistischen Zeit motiviert und wendet sich gegen die Wegnahme der Kinder von ihren Eltern zum Zweck einer staatlichen Zwangserziehung, wie sie in totalitären Staaten üblich ist. 394 Er bekräftigt die grundsätzliche Entscheidung des Grundgesetzes für das Aufwachsen des Kindes in der familiären Gemeinschaft. Das Herausnehmen des Kindes aus dieser Gemeinschaft ist lediglich ultima ratio. Der Staat ist zunächst verpflichtet, mildere Mittel einzusetzen. Er muß die Familien durch geeignete Maßnahmen unterstützen und sie in die Lage versetzen, die Erziehung ihrer Kinder selbst wahrzunehmen. Auch dies ist Ausdruck der Erziehungsverantwortung des Staates.

c) Der Schutzanspruch der Mutter (Art. 6 Abs. 4 GG) In Art. 6 Abs. 4 GG zeigt sich der leistungsrechtliche Gehalt des Grundrechts besonders deutlich. Art. 6 Abs. 4 GG gewährt ausdrücklich einen Anspruch auf Schutz und Fürsorge und ist damit ein subjektives Teilhabegrundrecht. 395 Der Schutzanspruch steht jeder Mutter unabhängig von ihrer Vermögenslage zu. Auch die wohlhabende Mutter hat Anspruch auf den Schutz des Art. 6 Abs. 4 GG. Ziel der Rechts392

Ingo Richter in: Rudolf Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, 2. Auflage, 1989, Art.6 Rn.28. 393 Matthias Jestaedt, in: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art. 6 Abs. 2 und 3 Rn. 259. 394 BVerfGE 24,119 (142); Matthias Jestaedt, in: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art.6 Abs. 2 und 3 Rn. 215. 395 Peter Häberle, Verfassungsschutz der Familie - Familienpolitik im Verfassungsstaat, 1984, S.29.

Β. Der Schutz der Familie im verfassungsrechtlichen Kontext

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norm ist der Schutz des Mutter-Kind-Verhältnisses und nicht die Behebung einer Bedürftigkeit. 396 Der Begriff der Mutter wird überwiegend in einem engeren Sinn verstanden, wonach sich die Mutterschaft zeitlich und funktional auf den Zeitraum von Schwangerschaft, Niederkunft und Stillzeit bezieht.397 Einer Ausdehnung des Art. 6 Abs. 4 GG auf den nicht mehr biologisch vorgeprägten Raum sind durch Art. 3 Abs. 2 und 3 GG Grenzen gesetzt. Bei engem Bezug zur biologischen Mutterschaft gibt es keine Friktionen mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Die positive Ausgestaltung des Mutterschutzes im engeren Sinn durch das Mutterschutzgesetz ist nicht zu beanstanden. Vor dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 2 GG wären Mutterschutzbestimmungen, die nicht auf biologischen Unterschieden, sondern auf einer überkommenen Rollenverteilung bei der Betreuung und Erziehung der Kinder beruhen, unzulässig.398 So wäre ein gesetzlich vorgeschriebener Mutterschaftsurlaub, der über den während und in Folge der Schwangerschaft angemessenen Zeitraum hinausginge und nur der Mutter und nicht wahlweise den Eltern zustünde, mit Art. 6 Abs. 4 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG nicht vereinbar. 399 Die Extension des Schutzanspruchs über den biologisch vorgeprägten Raum der Mutterschaft hinaus auf den gesamten Bereich des familiären Zusammenlebens mit Kindern, die gelegentlich vorgenommen wird, um subjektive Leistungsrechte zu begründen, ist im übrigen entbehrlich, wenn der Schutz- und Förderungsauftrag des Art. 6 Abs. 1 GG entsprechend konkretisiert wird. 400 Für die Frage staatlicher Leistungen zur Anerkennung und Aufwertung der Erziehungstätigkeit scheidet Art. 6 Abs. 4 GG als unmittelbarer Prüfungsmaßstab aus. Ob die Norm Müttern über die Zeit der Schwangerschaft und über die ersten Monate nach der Geburt hinaus Schutz gewährt 401, kann insoweit dahingestellt bleiben. Je396 Theodor Maunz, in: Theodor Maunz/Günter Dürig/Roman Herzog (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 7. Auflage, Stand: Juni 1998, Art. 6 Rn. 42. 397 Eva Marie von Münch, in: Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 4. Auflage, 1992, Art. 6 Rn. 48; Hans Zacher, Elternrecht, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band VI, 1989, § 134 Rn. 115. 398 BVerfGE 85,191 (206f.). 399 Hans Zacher, Elternrecht, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band VI, 1989, § 134 Rn. 115 f. m. w.N.; Ekkehart Stein, in: Rudolf Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, 2. Auflage, 1989, Art. 3 Rn.81. 400 Sabine Berghahn, Ehe und Familie in der Verfassungsdiskussion - vom institutionellen zum sozialen Grundrechtsverständnis?, in: KJ 1993, S.400. Siehe zum leistungsrechtlichen Gehalt des Art. 6 Abs. 1 GG oben 2. Kapitel Α. V. 401 Vgl. Eva Marie von Münch, in: Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, 4. Auflage, 1992, Art. 6 Rn. 50; Martin Moderegger, Der verfassungsrechtliche Familienschutz und das System des Einkommensteuerrechts, 1991, S. 44. Vgl. auch BVerfGE 88, 203 (258 f.) im Zusammenhang mit der staatlichen Schutzpflicht gegenüber dem ungeborenen menschlichen Leben; siehe dazu unten 2. Kapitel Β. 1.2.

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

denfalls können aus Art. 6 Abs. 4 GG für Sachverhalte, die nicht allein Mütter betreffen, keine besonderen Rechte hergeleitet werden. Einer Auslegung des Art. 6 Abs. 4 GG in dem Sinne, daß (nur) Müttern Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld oder in der Gesetzlichen Rentenversicherung ein Ausgleich für ihre Erziehungsleistung zu gewähren ist, steht Art. 3 Abs. 2 GG entgegen. Zwar wirkt sich die unzureichende Berücksichtigung der Kindererziehung tatsächlich vor allem zu Lasten der Mütter aus, weil diese auch heute noch überwiegend die Kindererziehung übernehmen und deshalb ihre Berufstätigkeit einschränken, unterbrechen oder ganz aufgeben. Diese Folgen berühren jedoch nicht den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 4 GG. Die deutlich höhere Betroffenheit der Frauen löst vielmehr die aus Art. 3 Abs. 2 GG folgende Pflicht des Gesetzgebers aus, auf eine Angleichung der Lebensverhältnisse von Frauen und Männern hinzuwirken. 402 Wenngleich Art. 6 Abs. 4 GG kein originäres Recht auf staatliche Leistungen für die Kindererziehung begründet, ist der Schutzanspruch der Mutter nicht ohne Bedeutung für die Verpflichtung des Staates zum Schutz und zur Förderung der Familie. Der verfassungsrechtlich garantierte Schutz der Mutter besteht auch im Interesse des ungeborenen Kindes. Dem Schutzbedürfnis des Kindes werden die gegen die Mutter gerichteten Strafnormen der §§ 218 ff. StGB kaum gerecht. Die Strafdrohungen führen die betroffenen Frauen eher in die Illegalität, als einen Abbruch der Schwangerschaft zu verhindern. Das belegen die konstant hohen Abtreibungszahlen. 403 Darüber hinaus schützt Art. 6 Abs. 4 GG das Interesse der Frau, ein ungeborenes Kind auszutragen und Mutter zu werden. Der Schutz der Mutter besteht auch gegenüber äußerem Druck, eine Schwangerschaft abzubrechen.404 Art. 6 Abs. 4 GG verpflichtet deshalb den Staat, auf eine kinder- und familienfreundliche Gesellschaft hinzuwirken, die der Frau die Entscheidung für das Kind und damit zur Mutterschaft erleichtert oder sogar erst ermöglicht. Diese Verpflichtung geht auf in der staatlichen Pflicht zum Schutz und zur Förderung der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG.

2. Der Schutz des ungeborenen Lebens (Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG) Das Grundgesetz verpflichtet den Staat, menschliches Leben zu schützen. Zum menschlichen Leben gehört auch das ungeborene Leben. Die Verfassung untersagt nicht nur staatliche Eingriffe in das ungeborene Leben, sie gebietet dem Staat auch, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen und vor Eingriffen Dritter 402

BVerfGE 87, 1 (41 f.); 94, 241 (259). Vgl. BVerfGE 39,1 (82); Axel Frhr. von Campenhausen, Verfassungsgarantie und sozialer Wandel - Das Beispiel von Ehe und Familie, in: VVDStRL 45 (1987), S. 8; Eva Marie von Münch, Ehe und Familie, in: Ernst Benda/Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Auflage, 1994, S.315f. 404 Hans Zacher, Elternrecht, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band VI, 1989, § 134 Rn. 119. 403

Β. Der Schutz der Familie im verfassungsrechtlichen Kontext

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zu schützen. Ihren Grund hat diese Schutzpflicht in Art. 1 Abs. 1 GG, der den Staat ausdrücklich zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde verpflichtet, und in Art. 2 Abs. 2 GG. 405 Wie der Staat seine Verpflichtung zu einem effektiven Schutz des sich entwikkelnden Lebens erfüllt, ist in erster Linie vom Gesetzgeber zu entscheiden. Er befindet darüber, welche Schutzmaßnahmen er für zweckdienlich und geboten hält, um einen wirksamen Lebensschutz zu gewährleisten. Dabei gilt der Leitgedanke des Vorrangs der Prävention vor der Repression. Es ist daher Aufgabe des Staates, in erster Linie sozialpolitische und fürsorgerische Mittel zur Sicherung des werdenden Lebens einzusetzen. Das Strafrecht als das schärfste ihm zur Verfügung stehende Mittel stellt die ultima ratio im Instrumentarium des Gesetzgebers dar. 406 Der Staat genügt seiner Schutzpflicht gegenüber dem ungeborenen Leben deshalb nicht allein dadurch, daß er Angriffe abwehrt, die diesem von anderen Menschen drohen. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in der zweiten Entscheidung zur Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs 407 nochmals nachdrücklich betont. Der Staat müsse auch denjenigen Gefahren entgegentreten, die für dieses Leben in den gegenwärtigen und absehbaren realen Lebensverhältnissen der Frau und der Familie begründet liegen und die der Bereitschaft der Frau zum Austragen des Kindes entgegenwirken. Darin berühre sich die staatliche Pflicht zum Schutz des ungeborenen Lebens mit dem Schutzauftrag aus Art. 6 Abs. 1 und Abs. 4 GG. 408 Diesem Schutzauftrag entspricht es, Elternschaft und Kinderbetreuung als eine Leistung zu betrachten, die sowohl im Interesse der Gemeinschaft als auch jedes einzelnen gelegen ist und deren Anerkennung verdient. Darum kann der Staat - und muß gegebenenfalls - auch Dritte an einem wirksamen Schutz des ungeborenen Lebens beteiligen. Der Staat ist gehalten, eine kinderfreundliche Gesellschaft zu fördern, was auf den Schutz des ungeborenen Lebens zurückwirkt. 409 Das Bundesverfassungsgericht führt in der zweiten Entscheidung zur Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs im übrigen aus, daß der Schutz des ungeborenen Lebens, der Schutzauftrag für die Familie (Art. 6 GG) und die Gleichstellung von Mann und Frau in der Teilhabe am Arbeitsleben (Art. 3 Abs. 2 GG) den Staat und insbesondere den Gesetzgeber verpflichten, Grundlagen dafür zu schaffen, daß Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit aufeinander abgestimmt werden können und die Wahrnehmung der familiären Erziehungsaufgabe nicht zu beruflichen Nachteilen führt. Dazu zählen auch rechtliche und tatsächliche Maßnahmen, die ein Nebeneinander von Erziehungs- und Erwerbstätigkeit für beide Eiternteile ebenso wie eine Rückkehr in eine Berufstätigkeit und einen beruflichen Aufstieg auch nach Zeiten der Kindererziehung ermöglichen. Hierher gehören vor allem Regelungen, die auf 405 406 407 408 409

BVerfGE 39,1 (41 f.); 88, 203 (251). BVerfGE 39,1 (44 ff.). BVerfGE 88, 203. BVerfGE 88, 203 (258). Vgl. BVerfGE 88, 203 (258 ff.).

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

eine Verbesserung der institutionellen410 oder familiären Kinderbetreuung zielen, etwa die Leistungen im Rahmen des Familienlastenausgleichs, das Erziehungsgeld oder die Regelungen über den Erziehungsurlaub. Außerdem habe der Staat dafür zu sorgen, daß ein Elternteil, der sich unter Verzicht auf Erwerbseinkommen der Erziehung eines Kindes widmet, für die ihm hieraus erwachsenden versorgungsrechtlichen Nachteile einen angemessenen Ausgleich erhält. 411 Die Bedeutung solcher Leistungen als Maßnahmen präventiven Lebensschutzes habe der Gesetzgeber in Rechnung zu stellen, wenn es erforderlich wird, staatliche Leistungen im Hinblick auf knappe Mittel zu überprüfen. 412 Daß diese Maßnahmen des präventiven Lebensschutzes von erheblicher Bedeutung sind, belegt die trotz Strafandrohung unverändert hohe Zahl der Abtreibungen. Sie wird nach wie vor auf etwa 300.000 jährlich geschätzt. Auf zwei geborene Kinder kommt damit eine Abtreibung. 413 Die Strafdrohung der §§ 218 ff. StGB als repressives Mittel hat offenbar wenig zum Schutz des ungeborenen Lebens beigetragen. Auch der Erfolg der Beratung hängt wesentlich davon ab, ob der beratenen Frau konkrete und verläßliche Hilfe angeboten und vermittelt werden kann. Die Beratung dient nur dann dem Schutz der Mutter und dem des Kindes, wenn sie der Mutter eine eigenständige Lebensperspektive mit Kind bieten kann. Eine großzügige finanzielle Hilfe, die deutlich über dem Sozialhilfesatz liegt, ein entsprechendes Angebot an Wohnraum, Unterstützung bei der Ausbildung und beim (Wieder-)Einstieg in den Beruf, verbunden mit einem entsprechenden Angebot an Krippen- und Kindeigartenbetreuung würden vielen Müttern die verantwortliche Entscheidung für das Kind erleichtern. 414 Schließlich verlangt die Entscheidung für ein Kind nicht nur die Übernahme der persönlichen Verantwortung, sondern vor allem die Übernahme der finanziellen Verantwortung. Die Entscheidung für ein Kind bedeutet das Eingehen einer lebenslangen rechtlichen Bindung, die auch beim Wegfall jeglicher familiärer Beziehungen aufrechterhalten wird. Diese rechtliche Bindung ist vor allem eine finanzielle. Mit der Geburt entstehen Unterhaltspflichten gegenüber dem Kind, die 410 Daß der Staat mit der Einrichtung von Kindergärten auch die grundrechtliche Pflicht zum Schutz des ungeborenen Lebens aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG erfüllt, hat das Bundesverfassungsgericht nochmals in seiner Entscheidung zur Staffelung der Kindergartengebühren betont; vgl. BVerfGE 97, 332 (347). 411 BVerfGE 88, 203 (261) unter Verweis auf BVerfGE 87,1 (37 f.). 412 BVerfGE 88,203 (260f.). 413 Eva Marie von Münch, Ehe und Familie, in: Emst Benda/Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Auflage, 1994, S. 315 f.; Axel Frhr. von Campenhausen, Verfassungsgarantie und sozialer Wandel - Das Beispiel von Ehe und Familie, in: VVDStRL 45 (1987), S. 8. Von ähnlichen Zahlen ging man bereits vor dem ersten Urteil zur Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs von 1975 aus; vgl. BVerfGE 39, 1 (82 m.w.N.). 414 Eva Marie von Münch, in: Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 4. Auflage, 1992, Art. 6 Rn. 50; Eva Marie von Münch, Ehe und Familie, in: Emst Benda/Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Auflage, 1994, S. 315 f.; Hans Zacher, Elternrecht, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band VI, 1989, § 134 Rn. 119.

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über zwei bis drei Jahrzehnte hinweg, unter Umständen auch ohne zeitliche Begrenzung oder später erneut Zahlungspflichten begründen. 415 Wer sich schon der finanziellen Verantwortung für ein Kind nicht gewachsen sieht, wird auch die persönliche Verantwortung für das Kind nicht guten Gewissens übernehmen können. 3. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau (Art. 3 Abs. 2 GG) Satz 1 des Art. 3 Abs. 2 GG bestimmt, daß Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Satz 2 der Vorschrift zielt auf die Angleichung der Lebens verhältnisse von Männern und Frauen und damit auf die Herstellung faktischer Gleichberechtigung. Er trägt dem Umstand Rechnung, daß Frauen trotz der weitgehend verwirklichten rechtlichen Gleichstellung in der Gesellschaft tatsächlich benachteiligt sind. Art. 3 Abs. 2 GG kommt damit ein über das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG hinausgehender Bedeutungsgehalt zu. Er enthält ein auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit bezogenes Gebot, für die Zukunft die Gleichberechtigung der Geschlechter durchzusetzen.416 Dies bestätigt der auf Empfehlung der Gemeinsamen Verfassungskommission durch die Grundgesetznovelle von 1994 an Abs. 2 des Art. 3 GG angefügte Satz 2: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin." Mit dieser Ergänzung sollte ein Staatsziel normiert werden, durch das die zuständigen staatlichen Organe angehalten werden, Maßnahmen zur Erreichung der tatsächlichen Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern zu ergreifen. 417 Anlaß für die Ergänzung im Grundgesetz war unter anderem die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu dem auf Arbeiterinnen beschränkten Nachtarbeitsverbot 418. In dieser Entscheidung hatte das Bundesverfassungsgericht die Bestimmung „Männer und Frauen sind gleichberechtigt" erstmals nicht lediglich im Sinne des ohnehin in Art. 3 Abs. 3 GG enthaltenen Diskriminierungsverbots verstanden. Die rechtliche Diskriminierung der Arbeiterinnen durch das auf sie beschränkte Nachtarbeitsverbot hat das Gericht als Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG gewertet. 419 Der Regelungsgehalt des Art. 3 Abs. 2 GG reiche über das Diskriminie-

415 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien un Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S.92. 416 BVerfGE 85,191 (206f.); Ingwer Ebsen, Gleichberechtigung von Männern und Frauen, in: Ernst Benda/Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Auflage, 1994, S.276. 417 Vgl. den Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 5. November 1993, BT-Drucks. 12/6000, S.49ff. 418 BVerfGE 85, 191. 419 BVerfGE 85,191 (206). Vgl. auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Feuerwehrabgabe, BVerfGE 92, 91 (109); Juliane Kokott, Zur Gleichstellung von Mann und Frau - Deutsches Verfassungsrecht und europäisches Gemeinschaftsrecht, in: NJW 1995, S. 1051.

13 Tünnemann

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rungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG hinaus. Art. 3 Abs. 2 GG stelle ein Gleichberechtigungsgebot auf und erstrecke dieses auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit. Der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt" wolle nicht nur Rechtsnormen beseitigen, die Vor- oder Nachteile an Geschlechtsmerkmale anknüpfen, sondern für die Zukunft die Gleichberechtigung der Geschlechter durchsetzen. Er ziele auf die Angleichung der Lebensverhältnisse. Überkommene Rollenverteilungen, die zu einer höheren Belastung oder sonstigen Nachteilen für Frauen führen, dürfen durch staatliche Maßnahmen nicht verfestigt werden. 420 Deshalb wurde in der Entscheidung zum Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen das Argument, Nachtarbeit belaste Frauen auch deshalb mehr als Männer, weil sie sich tagsüber um Kinder und Haushalt kümmern müßten, nicht akzeptiert. Diese Doppelbelastung treffe nur Frauen mit betreuungsbedürftigen Kindern, soweit sie alleinerziehend sind oder der männliche Partner ihnen die Kinderbetreuung und den Haushalt überläßt. In gleicher Weise treffe sie alleinerziehende Männer oder Männer, die in einer Partnerschaft die Kinderbetreuung und den Haushalt übernehmen, und in abgemilderter Form Männer und Frauen, die sich die Arbeit im Haus und mit den Kindern teilen. 421 Daß Art. 3 Abs. 2 GG die Festschreibung überkommener Rollenverteilungen zum Nachteil der Frauen verbietet, ist ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. 422 So hat es bereits die alte Haushaltsbesteuerung nach dem Einkommensteuergesetz 1951, nach der die Einkünfte der Ehegatten für die Besteuerung zusammengerechnet wurden, als mit Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 2 und 3 GG unvereinbar qualifiziert. Das zur Rechtfertigung der Haushaltsbesteuerung angeführte Ziel, die erwerbstätige Ehefrau „ins Haus zurückzuführen", entspreche einer bestimmten Vorstellung von der besten Art der Ehegestaltung. Das Gebot des Schutzes von Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 GG überlasse die Gestaltung der Privatsphäre jedoch den Ehegatten selbst. Die Untauglichkeit des sogenannten Edukationseffektes zur Rechtfertigung der Zusammenveranlagung folge ebenso aus dem Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter (Art. 3 Abs. 2 und 3 GG). Das Grundgesetz gehe davon aus, daß die Gleichberechtigung mit dem Schutz von Ehe und Familie vereinbar sei. Zur Gleichberechtigung der Frau gehöre aber, daß sie die Möglichkeit hat, mit gleichen rechtlichen Chancen marktwirtschaftliches Einkommen zu erzielen wie jeder männliche Staatsbürger. Die erwerbswirtschaftliche Tätigkeit der Frau von vornherein als ehezerstörend zu werten, widerspreche nicht nur dem Grundsatz, sondern auch dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 GG. 423 Der Gesetzgeber muß daher Regelungen vermeiden, welche die überkommene Rollenverteilung verfestigen, weil sie die Frauen hinsichtlich der faktischen Möglichkeit, durch Erwerbstätigkeit Einkommen zu erzielen, typischerweise benachteiligen. Wenn die Ausgestaltung der Rechtsordnung die Entscheidung für eine andere 420 421 422 423

BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE

85,191 (207). 85,191 (208f.). 6, 55 (80ff); 15, 337 (345); 52, 369 (376f.); 85,191 (207); 87, 234 (258). 6, 55 (81 f.).

Β. Der Schutz der Familie im verfassungsrechtlichen Kontext

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als die traditionelle Arbeitsteilung erheblich erschwert, läuft das auf die Unterstützung tradierter Rollen hinaus, was mit Art. 3 Abs. 2 GG unvereinbar ist. 424 Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG gewährt als Staatszielbestimmung kein einklagbares Grundrecht, weder als Gruppenrecht noch als Individualanspruch auf ein bestimmtes staatliches Handeln.425 Dagegen enthält Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG als individuelles Recht ein Benachteiligungsverbot. Dieses Benachteiligungsverbot ist auf staatliches Unterlassen gerichtet und kann im Prinzip abwehrrechtlich konstruiert werden. 426 Europarechtlich und arbeitsrechtlich sind die vom Benachteiligungsverbot erfaßten Sachverhalte, bei denen die nachteiligen Folgen typischerweise Frauen treffen, dem Bereich der faktischen oder mittelbaren Diskriminierung zugeordnet. 427 Neben dem Benachteiligungsverbot enthält Art. 3 Abs. 2 GG einen verfassungsrechtlichen Förderungsauftrag. Wegen des freiheitlichen Charakters der Grundrechte ist der Förderungsauftrag nicht auf Ergebnisparität, sondern auf die Herstellung faktischer Gleichberechtigung im Sinne tatsächlicher Chancengleichheit gerichtet. 428 Der Förderungsauftrag rechtfertigt den Ausgleich faktischer Nachteile, die typischerweise Frauen treffen, und begründet eine grundrechtliche Förderungspflicht zugunsten der tatsächlichen Gleichberechtigung der Frauen. 429 Dieser grundrechtlichen Pflicht zur Förderung der tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern kommt der Staat zum Beispiel mit der Einrichtung von Kinderbetreuungseinrichtungen nach. 430 Mit der Schaffung von Kindergärten unterstützt der Staat die Gleichstellung der Frauen im Arbeitsleben. Müttern wird häufig erst durch die Betreuung ihrer Kinder in einem Kindergarten der Freiraum verschafft, der ihre Teilhabe am Arbeitsleben ermöglicht und sie einer Gleichstellung im Beruf näher bringt. Insofern befolgt der Staat einen grundrechtlichen Gestaltungsauftrag. Gemäß Art. 3 Abs. 2 GG muß er dafür sorgen, daß Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit aufeinander abgestimmt werden können und die Wahrneh424 Juliane Kokott, Zur Gleichstellung von Mann und Frau - Deutsches Verfassungsrecht und europäisches Gemeinschaftsrecht, in: NJW 1995, S. 1053. 425 Christoph Kannengießer, in: Bruno Schmidt-Bleibtreu/Franz Klein (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 9. Auflage, 1999, Art. 3 Rn. 39 a. 426 Ingwer Ebsen, Gleichberechtigung von Männern und Frauen, in: Ernst Benda/Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Auflage, 1994, S.284f. 427 Ingwer Ebsen, Gleichberechtigung von Männern und Frauen, in: Ernst Benda/Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Auflage, 1994, S. 284 f.; vgl. auch Juliane Kokott, Zur Gleichstellung von Mann und Frau - Deutsches Verfassungsrecht und europäisches Gemeinschaftsrecht, in: NJW 1995, S. 1054ff. 428 Ingwer Ebsen, Gleichberechtigung von Männern und Frauen, in: Emst Benda/Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Auflage, 1994, S. 287 ff. 429 BVerfGE 85, 191 (207); Ferdinand Kopp, Grundrechtliche Schutz- und Förderungspflichten der öffentlichen Hand, in: NJW 1994, S. 1757. 430 BVerfGE 97, 332 (347 f.).

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

mung der familiären Erziehungsaufgabe nicht zu beruflichen Nachteilen führt. 431 Die Gleichberechtigung von Männern und Frauen meint auch die Gleichberechtigung von Vätern und Müttern. Insoweit laufen die Schutzpflichten des Art. 3 Abs. 2 GG und des Art. 6 Abs. 1 GG parallel. Das Ziel der tatsächlichen Gleichberechtigung der Frauen kann dem Schutz der Familie aber auch entgegenlaufen. Beim Ziel der faktischen Gleichberechtigung von Männern und Frauen geht es um die Beseitigung von Diskriminierungen, die als Ergebnis traditioneller Roilenzuschreibungen und anderer Mechanismen die Frauen tatsächlich treffen. 432 Frauen sind in beruflichen Positionen, die durch Führungsverantwortung, Reputation und Entgelt herausgehoben sind, und in politisch verantwortlichen Stellungen seltener vertreten als Männer, verdienen auch bei gleicher Tätigkeit im Durchschnitt erheblich weniger als Männer und haben ein entsprechend geringeres Alterseinkommen, sind als Hausfrauen seltener berufstätig und damit vom Ehemann oder früheren Ehemann wirtschaftlich abhängig. Innerhalb der Berufstätigen stellen sie praktisch allein die Gruppe der Teilzeitbeschäftigten. Einige Regelungen des Steuer- und Sozialrechts privilegieren faktisch nach wie vor die Konstellation der Hausfrauenfamilie und lassen andere Formen der Arbeitsteilung innerhalb der Familie ohne ausreichende Unterstützung. 433 Die Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau ist damit vor allem ein Problem der innerfamiliären Arbeitsteilung. Familienarbeit ist noch immer in erster Linie Frauenarbeit. Der Zeitaufwand der Männer für die Pflege und Erziehung der Kinder bleibt deutlich hinter demjenigen der Frauen zurück, auch dann, wenn beide Partner erwerbstätig sind. Während bei der Erwerbstätigkeit durchaus ein Wandel im Rollenverhalten von Männern und Frauen zu beobachten ist, gilt dies weit weniger für die Familientätigkeit. 434 Um die Gleichstellung der Geschlechter zu verwirklichen, wird daher vor allem eine Verhaltensänderung auf Seiten der Männer angemahnt. Vor diesem Hintergrund scheint eine Gleichstellungspolitik angebracht, welche die Familienfreiheit, insbesondere die Gestaltungsfreiheit für das Familienleben, einschränkt, etwa indem Maßnahmen ergriffen werden, die die Eltern zu einer partnerschaftlichen Teilung der familialen Aufgaben bewegen sollen. Eine solche Maßnahme wäre zum Beispiel die individuelle und nicht übertragbare Gewährung von Erziehungsurlaub oder Erziehungsgeld, wie dies zum Teil in anderen Ländern vorgesehen ist und nun auch in Deutschland vielfach vorgeschlagen wird. 435 Eine solche Lenkungsmaßnahme liefe dem Maßstab der Familienfreiheit entgegen, denn sie 431

BVerfGE 39,1 (44f.); 88, 203 (260); 97, 332 (347f.). Ingwer Ebsen, Gleichberechtigung von Männern und Frauen, in: Emst Benda/Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Auflage, 1994, S.283. 433 Vgl. Ingwer Ebsen, Gleichberechtigung von Männern und Frauen, in: Emst Benda/Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Auflage, 1994, S. 271 f.; Sabine Berghahn, Ehe und Familie in der Verfassungsdiskussion - vom institutionellen zum sozialen Grundrechtsverständnis?, in: KJ 1993, S.397 und 401. 434 Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S. 116 ff. 432

Β. Der Schutz der Familie im verfassungsrechtlichen Kontext

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griffe in die Gestaltungsfreiheit der Familien hinsichtlich der innerfamilialen Aufgabenverteilung ein. 436 Sie ließe sich nur mit dem Ziel der tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter rechtfertigen, da angesichts des nach wie vor herrschenden traditionellen Rollenverständnisses und der daraus resultierenden Benachteiligungen der Frauen eine freiwillige Verhaltensänderung seitens der Männer nicht zu erwarten ist. Der Grundsatz der Gleichberechtigung kann den verfassungsrechtlichen Familienschutz demnach nicht nur konkretisieren, sondern auch begrenzen.437 Allerdings sind solche Begrenzungen gerade vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Gebots der Gleichberechtigung von Männern und Frauen bedenklich. Ihnen liegt eine bestimmte Vorstellung von der besten Art der Familiengestaltung zugrunde, die nicht nur mit Art. 6 Abs. 1 GG, sondern auch mit Art. 3 Abs. 2 GG schwer zu vereinbaren ist. Sie benachteiligen Frauen und Männer, die entgegen der angestrebten Lenkungswirkung die Betreuung und Erziehung der Kinder in der Familie überwiegend alleine übernehmen wollen. Zur Gleichberechtigung der Geschlechter gehört aber die freie Entscheidung der Eltern über die Aufgabenverteilung innerhalb der Familie. 4. Die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) Unter dem Aspekt der grundrechtlichen Förderungspflichten, die sich grundsätzlich aus allen Grundrechten ableiten lassen438, läßt sich aus einer Zusammenschau des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG mit Art. 3 Abs. 2 GG und Art. 6 Abs. 1 GG begründen, daß die öffentliche Hand im Rahmen ihrer Möglichkeiten und einer ausgewogenen, vertretbaren Berücksichtigung anderer dringlicher Bedürfnisse auch verfassungsrechtlich für faktische Verbesserungen der Beschäftigungssituation für Frauen und Eltern sorgen muß, damit die Grundentscheidung des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG mehr Effektivität gewinnt. 439 Das Grundgesetz gewährleistet die Familienfreiheit und die 435 Zum Beispiel in Dänemark, Norwegen und Schweden; siehe oben 1. Kapitel B. III. 2. b), g) und j). Vgl. auch die Empfehlung 92/241/EWG zur Kinderbetreuung vom 31. März 1992, ABl. Nr. L123/16, und die Richtlinie 96/34/EG zum Elternurlaub vom 3. Juni 1996, ABl. Nr. L145/4. Die CDU schlägt in ihrem familienpolitischen Programm eine dreijährige Familienzeit vor, die um ein halbes Jahr verlängert wird, wenn sich die Eltern die Familienzeit teilen; vgl. Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU), Lust auf Familie. Lust auf Verantwortung. Beschluß des Bundesausschusses der CDU Deutschlands vom 13. Dezember 1999,1999, S. 13 f. 436 Der Staat hat sich daher nicht grundsätzlich am Leitbild derjenigen Familie zu orientieren, in der sich die Eltern die familialen Aufgaben und Tätigkeiten partnerschaftlich teilen. So aber Manfred Zuleeg, Verfassungsgarantie und sozialer Wandel - das Beispiel von Ehe und Familie, in: NVwZ 1986, S. 801; Eva Marie von Münch, in: Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 4. Auflage, 1992, Art.6 Rn. 11. 437 Siehe auch oben 2. Kapitel A.V.4.b)cc). 438 Ferdinand Kopp, Grundrechtliche Schutz- und Förderungspflichten der öffentlichen Hand, in: NJW 1994, S. 1753 f.; Konrad Hesse, Bestand und Bedeutung der Grundrechte in der Bundesrepublik Deutschland, in: EuGRZ 1978, S.433. 439 Vgl. Ferdinand Kopp, Grundrechtliche Schutz- und Förderungspflichten der öffentlichen Hand, in: NJW 1994, S. 1757.

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

Berufsfreiheit in Art. 6 GG und Art. 12 GG kumulativ und nicht alternativ. Daraus ergibt sich in der Zusammenschau ein Recht auf Teilhabe an Ausbildung und am Berufsleben sowie am Familienleben. Deshalb hat der Staat die Ausübung von Erziehungs- und Erwerbsarbeit je nach Entscheidung der Eltern nebeneinander und nacheinander zu ermöglichen. Das Bundesverfassungsgericht hält einen Verstoß gegen die Berufsfreiheit für möglich, wenn diejenigen, die eine berufliche Tätigkeit aufnehmen möchten, dazu nur unter der Voraussetzung in der Lage sind, daß sie die Kinderbetreuungskosten steuerlich absetzen können, oder wenn eine bisher ausgeübte berufliche Tätigkeit durch die Nichtabzugsfähigkeit unmöglich gemacht und ein berufstätiger Elternteil hierdurch gezwungen wird, seinen Beruf aufzugeben. 440 Die traditionelle familiäre Arbeitsteilung, die der Mutter die Erziehungsaufgabe und dem Vater die Erwerbsaufgabe zuweist, ist verfassungsrechtlich nicht geboten, sondern unterliegt der freien Entscheidung der Eltern. Auf der Grundlage dieser freiheitlichen Vorgaben hat der Staat zu gewährleisten, daß die Berufsfreiheit der Eltern sich nach oder neben Erbringen der Erziehungsleistung auch tatsächlich im Zugang zum Beruf und in gleichen Aufstiegschancen verwirklichen läßt. Der Staat muß deshalb Möglichkeiten der außerfamilialen Kinderbetreuung schaffen, im Erwerbsleben Aus- und Fortbildungsangebote für Erziehende unterbreiten, Einstellungsanreize schaffen und gleiche Beförderungschancen ungeachtet erziehungsbedingter Unterbrechungen der Berufstätigkeit gewährleisten. 441

II. Der Schutz der Familie und das soziale Staatsziel Zentraler Bezugspunkt des Sozialstaatsprinzips ist die durch die gesellschaftliche Ordnung und Güterverteilung fortlaufend erzeugte Ungleichheit unter den Menschen. Die Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik beruht auf der für den modernen Staat selbstverständlichen Annahme der rechtlichen Freiheit und Gleichheit aller Menschen. Damit wird die gesellschaftliche Ordnung und Güterverteilung weitgehend dem freien Spiel der Konkurrenz und der sich hierbei bildenden Unterschiede überlassen. Die rechtliche Gleichheit verbunden mit der individuellen Handlungs- und Erwerbsfreiheit sowie der Garantie des Eigentums führen zur Entstehung materieller Ungleichheit unter den Menschen. Das ist gewollt und elementarer Inhalt einer freiheitlichen Rechtsordnung. Allerdings bedarf es eines Ausgleichs.442 Deshalb verpflichtet das in Art. 20 Abs. 1 GG verankerte Sozialstaatsprinzip den 440 BVerfGE 47,1 (21 f.); vgl. Juliane Kokott, Zur Gleichstellung von Mann und Frau - Deutsches Verfassungsrecht und europäisches Gemeinschaftsrecht, in: NJW 1995, S. 1049. 441 Paul Kirchhof, Die Verschiedenheit der Menschen und die Gleichheit vor dem Gesetz, Band 62 der Reihe „Themen" der Carl Friedrich von Siemens Stiftung, 1996, S.59. 442 BVerfGE 93,121 (162 f. - Sondervotum Böckenförde); Michael Kittner, in: Rudolf Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, 2. Auflage, 1989, Art. 20 Abs. 1-3 IV Rn. 33.

Β. Der Schutz der Familie im verfassungsrechtlichen Kontext

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Staat, für einen Ausgleich der sozialen Gegensätze und damit für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen. 443 Mit dem Sozialstaatsprinzip ist nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht des Staates zum gesellschaftsgestaltenden Tätigwerden verfassungsrechtlich verankert. Das Sozialstaatsprinzip gewährt die Befugnis zu sozialgestaltender, leistender und gewährender Tätigkeit des Staates und enthält einen Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber. Es ist Ermächtigung und Verpflichtung zugleich, die Gesellschaft zu ordnen. 444 Das Sozialstaatsprinzip ist als objektiv-rechtliche Staatszielbestimmung seinem Inhalt nach auf Rieht- und Grenzwerte beschränkt. 445 Subjektive Rechte ergeben sich aus dem Sozialstaatsprinzip regelmäßig nicht. 446 Anders kann dies aussehen, sobald der Sozialstaatsgrundsatz mit den Grundrechten zusammen zum Tragen kommt. 447 Die sozialstaatliche Grundrechtsinterpretation, wonach Grundrechte neben ihrer Abwehrfunktion gegen staatliche Eingriffe auch die positive Funktion haben, grundrechtliche Freiheiten zu realisieren, zu effektivieren und zu schützen, ist anerkannt. 448 Das Sozialstaatsprinzip betrifft damit auch die wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen der Grundrechtsverwirklichung. In diesem Sinn hat das Sozialstaatsprinzip eine freiheitsstiftende Funktion. 449 1. Die Gewährleistungsgehalte des Sozialstaatsprinzips Die wichtigsten Gewährleistungsgehalte des Sozialstaatsprinzips sind die Hilfe gegen Not und Armut durch die Sicherung eines menschenwürdigen Existenzmini443

BVerfGE 22, 180 (204). BVerfGE 50, 57 (108); Michael Kittner, in: Rudolf Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, 2. Auflage, 1989, Art. 20 Abs. 1-3IV Rn. 23 und 54; Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, 1977, § 2114d; Hans Zacher, Das soziale Staatsziel, in: Josef Isensee/ Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band I, 1987, §25 Rn. 1. 445 Rüdiger Breuer, Grundrechte als Quelle positiver Ansprüche - Zur gewandelten Rolle der Grundrechte im sozialen Rechtsstaat, in: Jura 1979, S.404. 446 BVerfGE, 94, 241 (263). 447 BVerfGE 24, 119 (144); 26, 44 (60); 32, 273 (279); Hans Jarass, in: Hans Jarass/Bodo Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Kommentar, 2. Auflage, 1992, Art. 20 Rn. 80; Michael Kittner, in: Rudolf Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, 2. Auflage, 1989, Art. 20 Abs. 1-3 IV Rn.52. 448 Vgl. Karl-Jürgen Bieback, Sicherheit im Sozialstaat. Verfassungsrechtlicher Schutz gegen Abbau und Umstrukturierung von Sozialleistungen, in: KJ 1998, S. 172; Ernst-Wolfgang Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie. Studien zur Verfassungstheorie und zum Verfassungsrecht, 2. Auflage, 1992, S. 136 ff.; Bodo Pieroth!Bernhard Schlink, Grundrechte. Staatsrecht II, 12. Auflage, 1996, S.24f. 449 Michael Kittner, in: Rudolf Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, 2. Auflage, 1989, Art. 20 Abs. 1-3 IV Rn. 42. 444

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mums, die Sicherheit gegenüber den Wechselfällen des Lebens und die soziale Gleichheit durch den Abbau von Wohlstandsdifferenzen und Abhängigkeitsverhältnissen.450 a) Die Sicherung des Existenzminimums Primäres Ziel des Sozialstaats ist die Hilfe gegen Not und Armut und die Gewährleistung der Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins.451 Das verfassungsrechtliche Gebot, dem mittellosen Bürger die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben erforderlichenfalls durch Sozialleistungen zu sichern, folgt für alle Menschen gleichermaßen aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG. 452 In Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG in seiner Funktion als Benachteiligungsverbot ergibt sich aus dem Sozialstaatsprinzip, daß auch das Familienexistenzminimum steuerfrei bleiben muß oder Sozialleistungen in vergleichbarer Höhe gewährt werden müssen.453 b) Die Sicherung gegen die Wechselfälle

des Lebens

Über die Sicherung des Existenzminimums und den Schutz sozial Schwacher und besonders Bedürftiger hinaus enthält das Sozialstaatsprinzip den Auftrag zur Schaffung sozialer Sicherungssysteme gegen die Wechselfälle des Lebens.454 Soziale Vorsorge zielt auf mehr als nur das Existenzminimum. Vorsorge- und Versicherungssysteme sind darauf angelegt, den Lebensstandard der Gesicherten für den Fall zu sichern, daß sich das soziale Risiko verwirklicht. 455 Wesentliche Bestandteile der Sozialversicherung sind die Rentenversicherung, die Krankenversicherung, die Pflegeversicherung, die Arbeitslosenversicherung und die Unfallversicherung. Der Staat trägt eine eigenständige Verantwortung für die soziale Gestaltung dieser Leistungssysteme. Die Sozialversicherung ist - schon begrifflich - durch die Verbindung von Versicherungsprinzip und Sozialprinzip gekennzeichnet. Nur im Bereich der Privatversicherung kommt das Versicherungsprinzip uneingeschränkt zur Geltung. Das Bundesverfassungsgericht betont bei der 450

Hans Zacher; Das soziale Staatsziel, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band 1,1987, § 25 Rn. 25. 451 Hans Zacher; Das soziale Staatsziel, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band 1,1987, § 25 Rn. 25 und 27; Hans Jarass, in: Hans Jarass/Bodo Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Kommentar, 2. Auflage, 1992, Art. 20 Rn.74. 452 BVerfGE 40,121 (133); 82, 60 (85). 453 BVerfGE 82, 60 (80 und 85). Siehe oben 2. Kapitel Α. IV. 3. b)bb). 454 Hans Zacher, Das soziale Staatsziel, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band 1,1987, § 25 Rn. 25. 455 Hans Zacher, Das soziale Staatsziel, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band 1,1987, § 25 Rn. 40ff.

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Erörterung des Begriffs der Sozialversicherung in ständiger Rechtsprechung, daß die Sozialversicherung nicht vom Risikobegriff der Privatversicherung ausgeht, sondern von jeher auch ein Stück sozialer Fürsorge enthält. Die Leistungen der Sozialversicherung knüpfen demnach nicht nur an die Beitragszahlungen der Versicherten an, sondern enthalten auch Elemente des sozialen Ausgleichs.456 Das Gericht sprach in diesem Zusammenhang selbst von „versicherungsfremden", nämlich „sozialen" Gesichtspunkten und meint damit, daß der versicherungsmäßige Risikoausgleich in der Sozialversicherung mit einem sozialen Ausgleich innerhalb der Versichertengemeinschaft verbunden ist. 457 Die beitragsunabhängige Gewährung von Leistungen für Familienangehörige in der Gesetzlichen Krankenversicherung und die zusätzliche Berücksichtigung beitragsloser Zeiten bei der Leistungsberechnung in der Gesetzlichen Rentenversicherung sind Ausfluß dieses sozialen Prinzips. 458 Dementsprechend stellte das Bundesverfassungsgericht im Urteil zu den sogenannten „Trümmerfrauen" 459 fest, daß der Gesetzgeber verpflichtet ist, den Mangel des Rentenversicherungssystems, der in den durch Kindererziehung bedingten Nachteilen bei der Altersversorgung liegt, auszugleichen.460 Die Differenzierungen innerhalb der sozialen Sicherungssysteme zugunsten der Familien entsprechen dem Gebot des Sozialstaatsprinzips und verwirklichen den allgemeinen Gleichheitssatz in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG in seiner Funktion als Benachteiligungsverbot. 461 c) Die Herstellung sozialer Gleichheit Das Ziel sozialer Gleichheit ist kein absolutes oder egalitäres. Die Relativität sozialer Gleichheit ist durch die Freiheitsrechte vorgegeben. 462 In Verbindung mit den Freiheitsrechten ergibt sich aus dem Sozialstaatsprinzip das Ziel der sozialen Gleichheit im Sinne von Chancengleichheit. Damit ist nicht die bereits in Art. 3 GG verankerte rechtliche Gleichbehandlung gemeint, sondern die Angleichung der tatsächlichen Voraussetzungen zum Erwerb materieller und immaterieller Güter und damit der faktischen Vorbedingungen, die zur Nutzung der Freiheitsrechte notwendig sind. Die Freiheitsrechte laufen für diejenigen weitgehend leer, die nicht über die wirtschaftlichen Voraussetzungen verfügen, um von der Freiheit in hinreichen456

BVerfGE 70,101 (111); 76, 256 (300ff.). BVerfGE 17, 1 (9); 28, 324 (348f.); 39, 316 (330). 458 Detlef Merten, Sozialrecht. Sozialpolitik, in: Ernst Benda/Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1983, S. 785 f.; Rudolf Kolb, Versicherung, Versorgung, Fürsorge, in: Bernd Baron von Maydell/Walter Kannengießer (Hrsg.), Handbuch Sozialpolitik, 1988, S. 102f. 459 BVerfGE 87, 1. 460 BVerfGE 87,1 (35 ff.); vgl. auch BVerfGE 94, 241 (264). 461 Siehe oben 2. Kapitel A.IV.3.b)bb). 462 Hans Zacher, Das soziale Staatsziel, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band 1,1987, § 25 Rn. 37. 457

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dem Ausmaß Gebrauch machen zu können. Das Sozialstaatsprinzip dient der Korrektur der Defizite, die durch einen sozial blinden Freiheitsgebrauch entstehen. Es zielt damit auf die Sicherung realer Freiheit und die Effektivierung der Grundrechte. 463 Dieses Ziel sozialer Gleichheit kommt besonders in Verbindung mit dem in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltenen Gebot der Familienförderung zum Tragen, das speziell auf Chancengleichheit für Familien setzt.464 2. Das Verhältnis des Sozialstaatsprinzips zum verfassungsrechtlichen Schutz der Familie Während das Sozialstaatsgebot vor allem die vertikale Perspektive im Blick hat und auf einen Ausgleich zwischen arm und reich drängt, hat der verfassungsrechtlich gebotene Schutz der Familie eine andere Zielrichtung. Er dient primär der Wahrung und Herstellung horizontaler Gerechtigkeit zwischen Familien und Kinderlosen. 465 Aus dem Sozialstaatsprinzip in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG leitet das Bundesverfassungsgericht die allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich ab. 466 Diese Pflicht ist nicht primär auf vertikale Umverteilung gerichtet, sondern horizontal auf den Ausgleich zwischen Familien und Nichtfamilien angelegt. Grundsätzlich gilt sie für alle Einkommensgruppen. 467 Prima facie haben deshalb alle Familien Anspruch auf einen Nachteilsausgleich im Vergleich zu Kinderlosen. Die primär vertikale Perspektive des Sozialstaats bekommt die Familien dagegen erst dann in den Blick, wenn sie verarmt und zum Sozialfall geworden sind. 468 Die staatlichen Transfersysteme führen mittlerweile dazu, daß viele Erwachsene trotz regelmäßigen Erwerbseinkommens durch Kinder in den Bereich der Armutsgrenze kommen oder diese sogar unterschreiten. Die staatlichen Maßnahmen der 463 Volker Neumann, Sozialstaatsprinzip und Grundrechtsdogmatik, in: DVB1.1997, S.96f.; Roman Herzog, in: Theodor Maunz/Günter Dürig/Roman Herzog (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 7. Auflage, Stand: Juni 1998, Art. 20 VIII. Rn.36ff.; HansJarass, in: Hans Jarass/Bodo Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Kommentar, 2. Auflage, 1992, Art. 20 Rn. 76; Hans Zacher, Das soziale Staatsziel, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band I, 1987, § 25 Rn. 32 ff. und 48 ff. 464 Siehe oben 2. Kapitel A.IV.3.c)bb). 465 Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit und Sozialstaatlichkeit, in: Andreas Netzler/ Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S.23. Vgl. auch BVerfGE 82, 60 (86). 466 BVerfGE 82, 60 (81); 87,1 (35 f.). 467 Vgl. Wolfgang Görlich, Das Gebot staatlicher Familienfürsorge im Steuerrecht, in: NJW 1979, S. 1578; Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 142; Franz Klein, Ehe und Familie im Steuerrecht als verfassungsrechtliches Problem, in: Waither Fürst/Roman Herzog/Dieter Umbach (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zeidler, Band 1,1987, S.790. 468 Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit und Sozialstaatlichkeit, in: Andreas Netzler/ Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S.23.

Β. Der Schutz der Familie im verfassungsrechtlichen Kontext

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Familienförderung wie das als Sozialleistung gewährte Kindergeld und insbesondere das Erziehungsgeld sind im wesentlichen zu Sozialleistungen für einkommensschwache Familien verkommen. Der Kinderlasten- und Kinderleistungsausgleich darf sich aber nicht auf die Unterstützung Bedürftiger beschränken. Die Sicherung auf Sozialhilfeniveau ist nicht ausreichend und wird dem besonderen Schutz der Familie nicht gerecht. 469 In Verbindung mit dem sozialstaatlichen Gebot der sozialen Sicherung gegen die Wechselfälle des Lebens und der Herstellung sozialer Gleichheit verlangt das Gebot des verfassungsrechtlichen Familienschutzes vielmehr, daß dem letzten Sicherungssystem der Sozialhilfe Möglichkeiten einer eigenständigen Einkommenssicherung vorgelagert sind, die auch Familien tatsächlich zugänglich sind. 470 Die Berücksichtigung des familiären Bedarfs an Sach-, Betreuungs- und Erziehungsleistungen für Kinder darf sich also nicht auf das Existenzminimum beschränken. Damit konkretisiert das verfassungsrechtliche Gebot des Familienschutzes die allgemeinen sozialstaatlichen Pflichten, insbesondere die Pflichten zur Sicherung gegen die Wechselfälle des Lebens und zur Herstellung sozialer Gleichheit im Sinne von Chancengleichheit zur Wahrung der Freiheitsvoraussetzungen. 471 Maßnahmen, die auf die Herstellung sozialer Gleichheit zielen, können aber auch mit Eingriffen in Freiheitsrechte einhergehen. 472 So kann das Sozialstaatsprinzip auch dem verfassungsrechtlichen Schutz der Familie zuwiderlaufen und mit Art. 6 Abs. 1 GG kollidieren. Das ist der Fall, wenn soziale Erwägungen als externe Zwekke der Differenzierung geltend gemacht werden, um das Abweichen vom Maßstab der Familiengerechtigkeit zu begründen. Dazu gehört etwa der Vorbehalt des Finanzierbaren, also der Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen, was der einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann. 473 Als externer Zweck kann das Sozialstaatsprinzip einen Rechtsgüterkonflikt mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der familiengerechten Behandlung hervorrufen und eine Ungleichbehandlung in diesem Sinn rechtfertigen. Ein solcher Konflikt ist durch Abwägung zu lösen, so daß das Sozialstaatsprinzip eingriffslegitimierende Wirkung entfalten kann. 474 Im Ergebnis ist eine sozialstaatlich geprägte Familienförderung denkbar, die um so stärker greift, je deutlicher der wirtschaftliche Handlungsspielraum der Familien eingeschränkt ist. Eine Reduzierung der Familienförderung ausschließlich auf sozial Schwache ließe das Grundrecht auf Familienförderung jedoch in weiten Teilen leerlaufen und wäre daher unverhältnismäßig. 475 469

Siehe oben 2. Kapitel Α. IV. 3. c) bb). Andreas Netzler, Wertäquivalenz familialer Leistungen und Risiken: Sozialpolitische Situation, Perspektiven und Konsequenzen, 1995, S.50ff. 471 Volker Neumann, Sozialstaatsprinzip und Grundrechtsdogmatik, in: DVB1.1997, S.96f. 472 Volker Neumann, Sozialstaatsprinzip und Grundrechtsdogmatik, in: DVB1. 1997, S.93. 473 BVerfGE 33, 303 (333). 474 Siehe oben 2. Kapitel A.V.4.b)cc). Vgl. auch Volker Neumann, Sozialstaatsprinzip und Grundrechtsdogmatik, in: DVB1.1997, S. 94ff. und 98 f.; Stefan Huster, Rechte und Ziele. Zur Dogmatik des allgemeinen Gleichheitssatzes, 1993, S. 426ff. 475 Siehe oben 2. Kapitel A.V. 4. b) dd). 470

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

I I I . Familienschutzbestimmungen in den Landesverfassungen Die Familienschutzbestimmungen in den Landesverfassungen bleiben aufgrund von Art. 142 GG insoweit in Kraft, als sie Übereinstimmungen mit Art. 6 GG oder darüber hinaus Grundrechte gewährleisten. Diese Regelung gewinnt Bedeutung insbesondere für die sozialen Grundrechte der Länderverfassungen. 476 Die meisten Verfassungen der Bundesländer enthalten Bestimmungen über den Schutz der Familie und das elterliche Erziehungsrecht, zum Teil mit einer sehr weitgehenden Ausformulierung dessen, was unter dem verfassungsrechtlichen Schutz der Familie zu verstehen ist. 477 Viele Landesverfassungen sehen ausdrücklich die Aufgabe der sozialen Förderung der Familie vor, so zum Beispiel Art. 125 Abs. 2 der bayerischen Verfassung, Art. 21 der bremischen Verfassung oder Art. 24 der rheinland-pfälzischen Verfassung. Art. 125 Abs. 3 der bayerischen Verfassung und Art. 16 Abs. 3 der baden-württembergischen Verfassung bestimmen, daß der Staat besonders kinderreiche Familien zu fördern hat. In Art. 27 Abs. 3 Satz 2 räumt die Verfassung des Landes Brandenburg den Personen, die Kinder erziehen, einen Anspruch auf angemessene staatliche Hilfe und gesellschaftliche Rücksichtnahme ein. Die Verfassung der Freien Hansestadt Bremen bestimmt in Art. 23 Abs. 1 Satz 2, daß Staat und Gemeinde den Eltern die nötige Hilfe bei der Erziehung ihrer Kinder zu leisten haben. In Rheinland-Pfalz haben nach Art. 25 Abs. 1 der Landesverfassung Staat und Gemeinden die Pflicht, die Erziehungsarbeit der Eltern zu unterstützen. Dazu müssen sie unter Berücksichtigung des Elternwillens diejenigen öffentlichen Voraussetzungen und Einrichtungen schaffen, die eine geordnete Erziehung der Kinder sichern (Art. 27 Abs. 2 der rheinland-pfälzischen Verfassung). Die Verfassung des Freistaates Sachsen statuiert in Art. 22 Abs. 2 ausdrücklich eine Förderpflicht: „Wer in häuslicher Gemeinschaft Kinder erzieht oder für Hilfsbedürftige soigt, verdient Förderung und Entlastung." Diese ausdrückliche Verpflichtung des Staates zur Förderung der Kindererziehung findet sich auch in Art. 17 Abs. 2 der Verfassung des Freistaates Thüringen.478

476 Ingo Richter, in: Rudolf Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, 2. Auflage, 1989, Art. 6 Rn.5. 477 Vgl. die Übersicht bei Hans Zacher, Elternrecht, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band VI, 1989, § 134 Rn. 18 ff. und 34 ff.; Peter Häberle, Verfassungsschutz der Familie - Familienpolitik im Verfassungsstaat, 1984, S. 18 f.; Franz Ruland, Verfassungsrechtliche Vorgaben des Familienlastenausgleichs, in: FuR 1991, S.307. 478 Vgl. die Übersicht bei Matthias Jestaedt, in: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: März 1999, Art. 6 Abs. 2 und 3 Rn. 370ff.; Franz Ruland, Verfassungsrechtliche Vorgaben des Familienlastenausgleichs, in: FuR 1991, S.307.

Β. Der Schutz der Familie im verfassungsrechtlichen Kontext

205

IV. Internationale und supranationale Familienschutzbestimmungen Auf internationaler Ebene wurde der Schutz der Familie bereits in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Generalversammlung der Vereinten Nationen (AEMR) vom 10. Dezember 1948 479 artikuliert: „Niemand darf willkürlichen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie... ausgesetzt werden." (Art. 12 AEMR). „Die Familie hat Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und Staat." (Art. 16 AEMR). „Jedermann, der arbeitet, hat das Recht auf gerechte und günstige Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert und die, wenn nötig, durch andere soziale Schutzmaßnahmen zu ergänzen ist." (Art. 23 Abs. 3 AEMR). Jedoch wurden diese Menschenrechte nicht mittels einer völkerrechtlichen Rechtsquelle zur Geltung gebracht; die Deklaration wurde als Empfehlung ohne Befolgungszwang verabschiedet. 480 Erst mit den Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen wurde der Schutz der Menschenrechte verbindlich. 481 Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBürgR) vom 19. Dezember 1966 482 formuliert in Art. 23 Abs. 1: „Die Familie ist die natürliche Kernzelle der Gesellschaft und hat Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und Staat." Nach dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPWSKR) vom 19. Dezember 1966 483 soll die Familie sogar größtmöglichen Schutz und Beistand genießen (Art. 10 Nr. 1 und Art. 11 Abs. 1 IPWSKR). 484 Die Rechte der Kinder und der Eltern werden umfassend im UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes (CRC) vom 20. November 1989485 geregelt, das in der Bundesrepublik Deutschland 1992 in Kraft getreten ist. 486 Zwar entfaltet das zwischenstaatliche Recht keine unmittelbare innerstaatliche Geltung, aber unabhängig 479 Abgedruckt in: Bundeszentrale ßr politische Bildung, Menschenrechte. Dokumente und Deklarationen, 3. Auflage, 1999, S.52ff. 480 Vgl. Knut Ipsen, Völkerrecht, 4. Auflage, 1999, §48 Rn.36. 481 Vgl. Knut Ipsen, Völkerrecht, 4. Auflage, 1999, §48 Rn.36 f. 482 BGBl. 1973 I I S. 1534; abgedruckt in: Bundeszentrale ßr politische Bildung, Menschenrechte. Dokumente und Deklarationen, 3. Auflage, 1999, S.70ff. 483 BGBl. 1973 I I S. 1570; abgedruckt in: Bundeszentrale ßr politische Bildung, Menschenrechte. Dokumente und Deklarationen, 3. Auflage, 1999, S.59ff. 484 Vgl. auch Hans Zacher, Elternrecht, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band VI, 1989, § 134 Rn.37ff.; Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S.58f. 485 BGBl. 1992 I I S. 122; abgedruckt in: Bundeszentrale ßr politische Bildung, Menschenrechte. Dokumente und Deklarationen, 3. Auflage, 1999, S. 184ff. Dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes ging die „Declaration of the Rights of Child" von 1959 voraus, ein Menschenrechtsdokument der Vereinten Nationen, das bereits den sozialen Schutz und die soziale Förderung der Kinder postulierte. Dieses Übereinkommen war jedoch nicht verbindlich. 486 BGBl. 1992IIS. 121.

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2. Kap.: Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie

von der erforderlichen Umsetzung sind die Ziele der völkerrechtlichen Vereinbarung für die Vertragsstaaten bindend.487 Das Übereinkommen macht es den Vertragsstaaten zur Pflicht, jedem Kind den Schutz und die Fürsorge zu gewährleisten, die zu seinem Wohlergehen notwendig sind (Art. 3 CRC). Art. 27 Abs. 1 CRC führt aus, daß jedes Kind das Recht auf einen seiner körperlichen, geistigen, seelischen, sittlichen und sozialen Entwicklung angemessenen Lebensstandard hat. Nach Art. 18 Abs. 1 CRC sind die Vertragsstaaten verpflichtet, sich nach besten Kräften zu bemühen, beiden Eltern die gemeinsame Erziehungsverantwortung zu ermöglichen. Die Vertragsstaaten sollen die Eltern ferner in angemessener Weise bei der Erfüllung ihrer Aufgabe unterstützen, das Kind zu erziehen, und für den Ausbau von Institutionen, Einrichtungen und Diensten für die Betreuung von Kindern sorgen (Art. 18 Abs. 2 CRC). Sie haben zudem alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, daß Kinder berufstätiger Eltern das Recht haben, die für sie in Betracht kommenden Kinderbetreuungsdienste und -einrichtungen zu nutzen (Art. 18 Abs. 3 CRC). 488 In Art. 11 Abs. 2 lit. c des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom 18. Dezember 1979 489 verpflichten sich die Vertragsstaaten, alle geeigneten Maßnahmen zur Förderung der Bereitstellung der erforderlichen unterstützenden Sozialdienste zu treffen, die es Eltern ermöglichen, ihre Familienpflichten mit ihren beruflichen Aufgaben und mit der Teilnahme am öffentlichen Leben zu vereinbaren. Insbesondere die Errichtung und der Ausbau eines Netzes von Einrichtungen zur Kinderbetreuung sollen gefördert werden. Auch in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vom 4. November 1950 490 ist der Schutz der Familie verankert. Art. 8 EMRK statuiert einen Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens und Art. 12 EMRK gewährleistet die Familiengründungsfreiheit. Die Europäische Sozialcharta (ESC) vom 18. Oktober 1961 491 fügt dem die Pflicht zur sozialen Förderung der Familie, insbesondere der Mütter und der Kinder, hinzu: „Die Familie als Grundeinheit der Gesellschaft hat das Recht auf angemessenen sozialen, 487

Hans Jarass, in: Hans Jarass/Bodo Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Kommentar, 2. Auflage, 1992, Art. 24 Rn. 1 und Art. 25 Rn. 1; Bundesministerium ßr Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Zehnter Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation von Kindern und die Leistungen der Kinderhilfen in Deutschland, 1998, S. 162. 488 Die Gewährung eines Anspruchs des Kindes auf einen Kindeigarten- oder Krippenplatz ließ sich nicht durchsetzen. „In Betracht kommen" nur vorhandene Plätze, die Schaffung neuer Plätze wurde nicht garantiert; vgl. Hans Stöcker, Die UNO-Kinderkonvention und das deutsche Familienrecht, in: FamRZ 1992, S.246f. 489 BGBl. 1985 IIS.648. 490 BGBl. 1952 I I S. 686; in der Neufassung vom 30. Juni 1998 abgedruckt in: Bundeszentrale ßr politische Bildung, Menschenrechte. Dokumente und Deklarationen, 3. Auflage, 1999, S. 338 ff. 491 BGBl. 1964 I I S. 1262; abgedruckt in: Bundeszentrale ßr politische Bildung, Menschenrechte. Dokumente und Deklarationen, 3. Auflage, 1999, S. 382ff.

Β. Der Schutz der Familie im verfassungsrechtlichen Kontext

207

gesetzlichen und wirtschaftlichen Schutz, der ihre volle Entfaltung zu sichern vermag." (Teil I Art. 16 ESC). „Mütter und Kinder haben, unabhängig vom Bestehen einer Ehe und von familienrechtlichen Beziehungen, das Recht auf angemessenen sozialen und wirtschaftlichen Schutz." (Teil I Art. 17 ESC). In den europäischen Gemeinschaftsverträgen wird nur mittelbar auf die Familie Bezug genommen. Seit dem Vertrag von Amsterdam vom 2. Oktober 1997 492 wird im Abs. 4 der Präambel des Vertrages über die Europäische Union (EUV) 493 und im Art. 136 des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) 494 ausdrücklich auf die Europäische Sozialcharta sowie auf die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer verwiesen. Mit dem Gestaltungsziel des Ausbaus einer europäischen Sozial- und Beschäftigungspolitik gewinnen die Verträge auch für die europäische Familienpolitik an Bedeutung. Auf der Grundlage des Beschäftigungskapitels wurden bereits beschäftigungspolitische Leitlinien verabschiedet, in denen die Berücksichtigung der Probleme bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und der Rückkehr in den Beruf angemahnt wird. Außerdem wurden Art. 2 und Art. 3 Abs. 2 EGV dahingehend erweitert, daß die Gemeinschaft auf die Beseitigung von Ungleichheiten und die Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern hinzuwirken hat. Mit dieser Formulierung wird nicht mehr nur auf die Gleichbehandlung im Bereich der Erwerbsarbeit abgestellt, sondern auch die Situation von Frauen und Männern in Familie und Gesellschaft in den Blick gerückt. 495

492

BGBl. 1998 IIS. 387. BGBl. 1998 I I S.454. 494 BGBl. 1998 I I S.465. 495 Max Wingen, Die Aufwertung der familiären Erziehungsarbeit als familienpolitische Aufgabe in Europa, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S. 266ff.; Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S.407ff. 493

Drittes Kapitel

Die Förderung der Familie im Rahmen des staatlichen Kinderleistungsausgleichs Bislang konnte der Verfassungsauftrag zum Schutz und zur Förderung der Familie nicht verhindern, daß viele Familien im Vergleich zu kinderlosen Personen eine erheblich geringere Wohlstandsposition erreichen. Sie erfahren nicht den besonderen Schutz, den ihnen die Verfassung verspricht. Die Transfersysteme des Sozialund Steuerstaates haben dazu geführt, daß viele Erwachsene trotz regelmäßigen Erwerbseinkommens durch Kinder in den Bereich der Armutsgrenze geraten oder diese sogar unterschreiten. Auch die staatlichen Maßnahmen der Familienförderung, das Kindergeld und insbesondere das Erziehungsgeld, sind im wesentlichen zu Sozialleistungen für einkommensschwache Familien verkommen. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits aus dem Umstand, daß aufgrund der gegenwärtigen Rechtslage Transferleistungen von Familien mit mehreren Kindern an die bereits besser gestellten Familien mit nur einem Kind und an die Kinderlosen erfolgen, den Schluß gezogen, daß der Gesetzgeber den Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 1 GG bisher nur unvollkommen erfüllt hat.1 Auch die Sachverständigenkommission für den Fünften Familienbericht ist zu dem Ergebnis gekommen, daß der in Art. 6 Abs. 1 GG formulierte politische Auftrag, die Familie zu schützen und zu fördern, bisher nicht hinreichend erfüllt ist. 2 Die Notwendigkeit einer stärkeren Förderung der Kindererziehung wird deutlich unterstrichen durch die landesrechtlichen sowie die internationalen und supranationalen Bestimmungen zum Schutz der Familie, die zum Teil noch stärker als Art. 6 Abs. 1 GG auf die Unterstützung und Entlastung der Familien dringen. 3

A. Die finanzielle Anerkennung der Kindererziehung als familienpolitische Forderung In der familienpolitischen Diskussion um den notwendigen Ausbau der Familienförderung erfährt die Forderung nach gesellschaftlicher und finanzieller Aufwer1

BVerfGE 87, 1 (39). Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S.319. 3 Siehe oben 2. Kapitel B.III, und IV. 2

Α. Die Anerkennung der Kindererziehung als politische Forderung

209

tung der Familienarbeit gegenwärtig besondere Aufmerksamkeit. Dabei ist die Diskussion um die Bezahlung der Familienarbeit nicht neu. Auch das Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz war und ist als zentrales Instrument der Familienförderung immer wieder Gegenstand der Debatte. In letzter Zeit werden in der familienwissenschaftlichen und familienpolitischen Diskussion verstärkt Konzepte einer finanziellen Vergütung für die Erziehungsleistungen der Familie erörtert, die zum Teil weit über das geltende Bundeserziehungsgeldgesetz hinaus gehen. Dabei werden ganz unterschiedliche Ziele verfolgt. Die finanziellen Transfers für die Familie und insbesondere für die Kindererziehung können der Sicherung ausreichender materieller Ressourcen für die Familie dienen, eine Entschädigung für entgangenes Einkommen während der Kindererziehung darstellen, von den Kosten für die Erfüllung familiärer Aufgaben entlasten oder die erbrachten Erziehungsleistungen gemessen an einem angenommenen Marktwert honorieren. Die verschiedenen Zielsetzungen und die Gewichtung mehrerer nebeneinander verfolgter Ziele spiegeln sich in den Reformkonzepten in der konkreten Ausgestaltung der Transferleistung wider. Die Konzepte sind mehr oder weniger stark von der jeweils dominanten Zielsetzung geprägt.

I. Vordenker bezahlter Erziehungsarbeit Der Gedanke, die Erziehungsleistung in irgendeiner Form bei der Einkommensverteilung zu berücksichtigen, tauchte bereits Mitte des 19. Jahrhunderts auf. Damals forderte der Politiker Julius Fröbel (1805-1893) eine Mutterrente als Lohn für die Familienarbeit. Für Julius Fröbel war die finanzielle Unabhängigkeit der Frau Grundbedingung für ihre gesellschaftliche und politische Emanzipation. Nach seiner Vorstellung sollte die Frau jedes Geschäft für eigene Rechnung betreiben und selbständig das nötige Einkommen fordern können. War sie als Mutter nicht in der Lage, andere Arbeiten als die Erziehung und Pflege ihrer Kinder zu verrichten, sollte sie Ansprüche auf eine entsprechende Pension von der Gesellschaft haben, um nicht von den ökonomischen Verhältnissen oder dem guten Willen des Vaters der Kinder abhängig zu sein.4 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ging die schwedische Sozialwissenschaftlerin und Pädagogin Ellen Key (1849-1926) davon aus, daß die Hauptlast der Versorgung und Erziehung der Kinder immer von den Müttern zu tragen sein wird. Deshalb sah sie die einzige Möglichkeit, die Gleichberechtigung der Mütter durchzusetzen, in der Gewährleistung ihrer finanziellen Unabhängigkeit. Die Gesellschaft, der die Leistungen der Mütter zugute kommen, sollte diese Leistungen nicht nur verbal, sondern auch finanziell anerkennen. Ellen Key forderte deshalb, daß Müttern mit Kindern bis zu drei Jahren ein Erziehungsgeld gezahlt wird, das ihnen den Verzicht 4

Vgl. Hans Weitkamp, Entlohnung der Mütterleistung - eine bleibende Utopie oder eine mögliche Realität?, in: ZfSÖ 67/1985, S.31 f.; ElisabethMeyer-Renschhausen, Hauptströmungen in der älteren und neueren Frauenbewegung, in: ZfSÖ 118/1998, S.5. 14 Tünnemann

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3. Kap.: Die Förderung der Familie

auf außerhäusliche Erwerbsarbeit ermöglicht. Müttern mit älteren Kindern sollte das Erziehungsgeld in halber Höhe zugestanden werden, damit sie in die Lage versetzt würden, sich bei halbtägiger Erwerbstätigkeit ausreichend um ihre Kinder zu kümmern. 5 Die Reichstagsabgeordnete Käthe Schumacher (1865-1930) übte Kritik an der Nationalökonomie ihrer Zeit, weil diese die in den privaten Haushalten geleistete Arbeit nicht in ihre Berechnungen einbezog. Käthe Schumacher erkannte den Zusammenhang zwischen der gesellschaftlich notwendigen und produktiven Arbeit der Frauen im Haushalt und der außerhäuslichen Arbeit der Männer als gesellschaftliche Arbeitsteilung und forderte die Entlohnung der Mütterarbeit. 6 In der ökonomischen Theoriebildung versuchten vor allem Anhänger der Bodenreformbewegung und der Freiwirtschaftslehre, die Frauenarbeit in ihren Denkansatz einzubeziehen. Von einem Vertreter der gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Nordamerika und Europa entstandenen Bodenreformbewegung, dem Wirtschaftsjournalisten Theodor Hertzka (1845-1924), stammt der Vorschlag eines freiländischen Versorgungsrechts für Frauen und Kinder. Er hatte ein patriarchalisches Frauenbild und befand die Frauen für ungeeignet, außerhäuslicher Erwerbsarbeit nachzugehen. Immerhin sollten sie für die geleistete Haus- und Familienarbeit eine Entlohnung aus dem Staatshaushalt erhalten und wirtschaftliche Unabhängigkeit erlangen. Auch alleinstehende Frauen sollten ein solches Einkommen beziehen.7 Eine ähnliche Mischung aus patriarchalischem Denken und emanzipatorischen Ansätzen findet sich bei Silvio Gesell (1862-1930), dem Begründer der Freiwirtschaftslehre. Silvio Gesell bezog die Produktionsfaktoren Boden und die überwiegend von Frauen geleistete unbezahlte Hausarbeit in seine Theoriebildung ein und entwickelte die Idee, die öffentlichen Einnahmen aus der Vergabe von Nutzungsrechten am vergesellschafteten Boden als Gehalt für Hausarbeit und Erziehungsleistung an die Mütter auszuzahlen. Auf diese Weise wollte Silvio Gesell das Problem der Bewertung der außerhalb des Bereichs von Markt und Geld geleisteten Hausund Erziehungsarbeit umgehen. Mit dem Gehalt für Haus- und Erziehungsarbeit, der Mütterrente, sollte die materielle Abhängigkeit der Frauen von den erwerbstätigen Männern beendet werden. Diese Vorstellung von der Verteilung der Geschlechterrollen auf erwerbstätige Männer und bezahlte Hausarbeit leistende Frauen entsprach patriarchalischen Denkgewohnheiten. Im Gegensatz zu den damaligen Ökonomien der Klassik und Neoklassik oder des Marxismus beschränkte sich die Frei5 Vgl. Ferdinand Oeter, Familienpolitik - Werbegeschäft oder Leistungsausgleich?, in: Die Sozialversicherung 1990, S.58. 6 Vgl. Elisabeth Meyer-Renschhausen, Hauptströmungen in der älteren und neueren Frauenbewegung, in: ZfSÖ 118/1998, S. 5; Petra Hiineke-Eisel, Vorgängerinnen. Über Frauen, die vor uns für die sozialen Rechte von Müttern eingetreten sind, in: dhg-Rundschau September 3/1991, S. 7. 7 Werner Onken, Umrisse einer weiblichen und männlichen Ökonomie, 1998, S. lOf. m. w. N.

Α. Die Anerkennung der Kindererziehung als politische Forderung

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wirtschaftslehre aber nicht auf die außerhäusliche Erwerbstätigkeit als gesellschaftlich anzuerkennende und zu entlohnende Arbeit, sondern bezog die Familienarbeit ein.8 Anhänger der Freiwirtschaftslehre griffen die Idee der Mütterrente in neuerer Zeit wieder auf. Um den Wertzuwachs des Bodens auch ohne Veränderung der Eigentumsverhältnisse abzuschöpfen, wird als Finanzierungsquelle für die Bezahlung der Erziehungsarbeit die Einführung einer Bodenwertzuwachssteuer vorgeschlagen.9 Nach Berechnungen von Helmut Creutz könnte bei einer solchen Abschöpfung des Bodenwertzuwachses für jedes Kind bis zu dessen 18. Lebensjahr ein monatlicher Betrag von rund 730 D M gezahlt werden. 10 In den fünfziger Jahren rückte die Problematik der ungleichen wirtschaftlichen Belastung von kinderreichen Familien und Kinderlosen in den Vordergrund. So stellte der durch einen Beschluß des Finanzausschusses des Bundesrates ins Leben gerufene Arbeitsausschuß für Steuerreform in seinem 1954 veröffentlichten Abschlußbericht fest, daß die Aufwendungen für die Alterssicherung in höchstem Maße ungleich verteilt sind. Nur die Kindergeneration könne die alten Menschen der vorangehenden Generation versorgen. Die Aufwendungen für das Heranbilden der künftigen Generation kämen daher allen, also auch den Kinderlosen, zugute. Die Kinderlosen erbrächten dafür aber keine entsprechende Gegenleistung. Der Ausschuß schlug deshalb vor, den bei Kinderlosen und Familien mit nur einem Kind entstehenden Kaufkraftüberhang durch eine Familienausgleichsabgabe abzufangen. Zur Förderung der Familien sollte deshalb ein Familienlastenausgleichsgesetz erlas8

Vgl. Werner Onken, Umrisse einer weiblichen und männlichen Ökonomie, 1998, S. 11 ff.; Margrit Kennedy, Geld ohne Zinsen und Inflation. Ein Tauschmittel das jedem dient, 4. Auflage, 1994, S.40f. und 52ff. In seiner kurzen Amtszeit als Finanzminister der ersten bayerischen Räterepublik im Jahre 1919 galten die ersten Überlegungen Silvio Gesells der Versorgung von Müttern und Kindern der armen Bevölkerung; vgl. Wera Wendnagel, Die Frauenfrage in der männlichen Ökonomie, in: ZfSÖ 118/1998, S. 33. 9 Mitte der 80er Jahre warf auch der damalige Bundesverfassungsrichter Wolfgang Zeidler dem deutschen Gesetzgeber vor, mehrere Hundert Milliarden Mark verschenkt zu haben, weil er darauf verzichtete, die im Grundeigentum liegenden Vermögen in einer auch nur annähernd angemessenen Weise zu besteuern. Mit den Einnahmen aus einer Besteuerung des Bodenweitzuwachses könnte das Steuer- und Sozialrecht familiengerechter gestaltet werden; vgl. SPIEGEL-Gespräch „Die laufen ins offene Messer", Bundesverfassungsgerichtspräsident Wolfgang Zeidler über Ungerechtigkeiten im Steuer- und Sozialrecht, in: DER SPIEGEL Nr. 50 vom 10. Dezember 1984, S.52ff. 10 Helmut Creutz, Leistungslose Einkünfte aus Bodenbesitz und ihre Verwendung als Lohn für Erziehungsarbeit, in: ZfSÖ 69/1986, S. 30ff.; Margrit Kennedy, Frauen tragen die größte Last, Nachdruck aus: Rüdiger Lutz (Hrsg.), Frauenzukünfte. Öko-Log-Buch 3,1984; Margrit Kennedy, Geld ohne Zinsen und Inflation. Ein Tauschmittel das jedem dient, 4. Auflage, 1994, S. 94ff.; Werner Onken, Umrisse einer weiblichen und männlichen Ökonomie, 1998, S. 19f.; Hans Weitkamp, Entlohnung der Mütterleistung - eine bleibende Utopie oder eine mögliche Realität?, in: ZfSÖ 67/1985, S. 31 ff.; Wera Wendnagel, Die Frauenfrage in der männlichen Ökonomie, in: ZfSÖ 118/1998, S.26ff.; Wera Wendnagel, Mütter arbeiten für uns alle! Gleichstellung der Frauen durch ein Erziehungsgeld aus der Bodenrente, in: ZfSÖ 72/1987, S.8ff. 14*

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3. Kap.: Die Förderung der Familie

sen werden, das neben der Erhebung einer Familienausgleichsabgabe deren Verwendung als einkommensteuerfrei gewährte Kinderbeihilfe regeln sollte.11 Dieser Vorschlag basierte wesentlich auf den Analysen des Volkswirts und Mediziners Ferdinand Oeter, der schon 1953 die Einführung einer solchen Familienausgleichsabgabe forderte. Aus dem Aufkommen einer solchen Abgabe sollte ein Kindergeld in Höhe des Existenzminimums und ein Erziehungsgeld für Kinder bis zu drei Jahren finanziert werden, das sich am entgangenen Erwerbseinkommen der Erziehungsperson orientiert. 12 Weniger vom Gedanken des Familienlastenausgleichs als vom Gedanken der Generationengerechtigkeit geprägt waren die Überlegungen Wilfried Schreibers im Vorfeld der Rentenreform von 1957. Wilfried Schreiber verfolgte die Idee, den familiären Generationenverbund auf die Gesellschaft zu übertragen und einen gesellschaftlichen Generationenvertrag zu etablieren, in dem alle Arbeitsfähigen gemeinsam für den Unterhalt der älteren Generation und für den Unterhalt der Kinder sorgen, die ihrerseits später für die Elterngeneration sorgen. Die Verlagerung von Einkommensteilen auf die Kinder sollte entsprechend der Altersrente über eine Kindheitsrente erfolgen, die von der Gesamtheit der Erwerbstätigen finanziert und den Erziehungsberechtigten als Treuhändern ausbezahlt werden sollte. Im Zuge der Rentenreform von 1957 wurde dieser Teil des Generationenvertrages allerdings nicht realisiert. 13 I I . Entwicklung des Bundeserziehungsgeldgesetzes In den sechziger Jahren setzte sich die Diskussion über die Bezahlung der Erziehungstätigkeit mit dem Erscheinen eines vom Bundesarbeitsministerium in Auftrag gegebenen Gutachtens über ein Muttergeld fort. Dabei blieb die Diskussion über den Konflikt zwischen Erwerbsarbeit und Familienarbeit bis in die siebziger Jahre hinein im wesentlichen auf Frauen bezogen und wurde nicht als Problem auch der Männer erkannt. Die Kritik an der Diskriminierung der fast ausschließlich von Frau11 Vgl. Ferdinand Oeter, Asymmetrische Einkommensverteilung und die Dauerkrise des Sozialstaats, in: ZfSÖ 77/1988, S. 16f.; Ferdinand Oeter, Die Strukturkrise des Sozialstaates. Ihre Ursachen und Konsequenzen, in: ZfSÖ 65/1985, S. 25 f.; Ferdinand Oeter, Die Zukunft der Familie. Streitschrift für eine Reform der Familienpolitik, Nr. 12 der Schriftenreihe der Deutschen Liga für das Kind in Familie und Gesellschaft, 1986, S.40ff. 12 1990 nannte Ferdinand Oeter als Mindestsatz für das Erziehungsgeld einen Betrag von 1.000 bis 1.200 D M monatlich; vgl. Ferdinand Oeter, Familienpolitik - Werbegeschäft oder Leistungsausgleich?, in: Die Sozialversicherung 1990, S.57; Ferdinand Oeter, Defizite des Familienlastenausgleichs und Elemente eines neuen Familienlastenausgleichs, in: Karin LückerAleman (Hrsg.), Familienförderung oder -ausbeutung? Die Zukunft des Familienlastenausgleichs, 1995, S. 35; Ferdinand Oeter, Asymmetrische Einkommensumverteilung und die Dauerkrise des Sozialstaats, in: ZfSÖ 77/1988, S. 18f. 13 Vgl. Ferdinand Oeter, Die Zukunft der Familie. Streitschrift für eine Reform der Familienpolitik, Nr. 12 der Schriftenreihe der Deutschen Liga für das Kind in Familie und Gesellschaft, 1986, S.22f.

Α. Die Anerkennung der Kindererziehung als politische Forderung

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en geleisteten Familienarbeit brachte die Forderung nach materieller Anerkennung der Familienarbeit auf. Diese Forderung wurde einerseits von den modernen Konservativen als „neue soziale Frage" und andererseits unter dem Titel „Lohn für Hausarbeit" von Teilen der Frauenbewegung erhoben. 14 1. Entstehung des Bundeserziehungsgeldgesetzes In den siebziger Jahren fand die Diskussion über die Einführung eines Familiengeldes oder eines Erziehungsgeldes Eingang in erste Gesetzentwürfe. Auch die Sachverständigenkommissionen für den Zweiten und Dritten Familienbericht 15 votierten für die Einführung eines Erziehungsgeldes. 1974 brachte die Fraktion der CDU/CSU den Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung von Erziehungsgeld ein. Vorgesehen war die Zahlung eines Erziehungsgeldes in Höhe von 300 D M monatlich während des ersten Lebensjahres des Kindes.16 1978 wurde in Niedersachsen ein erster Modellversuch zum Erziehungsgeld durchgeführt. 17 1984 legte die Bundestagsfraktion der Grünen den Entwurf eines Arbeitszeitgesetzes18 vor, der erziehenden Eltern, Elternteilen oder anderen die Kinderbetreuung tatsächlich wahrnehmenden Personen einen Anspruch auf Freistellung von der Erwerbsarbeit von insgesamt drei Jahren einräumte. Der Freistellungsanspruch sollte Alleinerziehenden in vollem Umfang, gemeinsam erziehenden Eltern jeweils zur Hälfte zustehen. Für die Dauer der Freistellung sollten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anstelle eines Lohnes oder Gehalts eine staatliche Entschädigung erhalten. Dieser Unterstützungsbetrag sollte so bemessen sein, daß der Lebensunterhalt auch für Alleinerziehende gesichert ist. Als Bezugsgröße wurde ein Betrag genannt, der dem Arbeitslosengeld entsprach, das der durchschnittliche Beitragszahler für den Freistellungszeitraum erhalten hätte, wäre der Einkommensausfall durch Arbeitslosigkeit bedingt gewesen.19 1985 brachte die damalige Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (Bundeserziehungsgeldgesetz - BErzGG) ein. 20 Danach sollte allen Müttern und Vätern, die nicht oder nur 14

Vgl. Warnfried Dettling, Politik und Lebenswelt. Vom Wohlfahrtsstaat zur Wohlfahrtsgesellschaft, 1995, S. 172f. 15 Vom 15. April 1975, BT-Drucks. 7/3502, und vom 20. August 1979, BT-Drucks. 8/3120 und 8/3121. 16 BT-Drucks. 7/2031. 17 Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S.267; Max Wingen, Stand und Perspektiven der Familienförderung im Sozialleistungssystem - ein Problemaufriß, in: FinA N.F. 45, 1987, S.71; Frank Käthler, Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub. Wahrnehmung und möglicher Einfluß auf generative Entscheidungen aus der Sicht junger Mütter. Eine explorative Studie, 1995, S.72ff. 18 BT-Drucks. 10/2188. 19 BT-Drucks. 10/2188, S.6, 10 und 16f. 20 BT-Drucks. 10/3792.

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3. Kap.: Die Förderung der Familie

teilweise erwerbstätig sind 21 und sich der Betreuung und Erziehung eines Kleinkindes widmen, ein Erziehungsgeld in Höhe von 600 D M monatlich gewährt werden. Der Anspruch war zunächst für zehn Monate vorgesehen. Für diesen Zeitraum wurde auch ein Anspruch auf Erziehungsurlaub eingeräumt. Ab dem siebten Lebensmonat sollte das Erziehungsgeld einkommensabhängig gewährt werden. 22 Als Alternative zu diesem Gesetzentwurf brachte die Bundestagsfraktion der SPD den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf (Elternurlaubsgesetz) ein. 23 Dieser Entwurf schlug die Einführung eines Elternurlaubs von zwölf Monaten für alle abhängig Beschäftigten vor. Während des Elternurlaubs sollte ein vom Familieneinkommen abhängiges Elternurlaubsgeld von bis zu 600DM monatlich gezahlt werden. Anschließend sollte ein Anspruch auf weitere zwölf Monate unbezahlten Urlaubs gewährt werden. Der Elternurlaub sollte während der ersten drei Lebensmonate des Kindes in Anspruch genommen werden können. Als Anreiz, den Elternurlaub zwischen Vater und Mutter zu teilen, war eine Verlängerung um drei Monaten vorgesehen, falls jeder Elternteil mindestens vier Monate Elternurlaub nähme.24 Schließlich wurde das Bundeserziehungsgeldgesetz nach dem Entwurf der Bundesregierung am 6. Dezember 1985 verabschiedet und trat am 1. Januar 1986 in Kraft. 25 2. Weiterentwicklung des Bundeserziehungsgeldgesetzes Bis zum Jahr 2000 wurde das Bundeserziehungsgeldgesetz mehrmals geändert und zweimal neu gefaßt. 26 Nach der zweiten Neufassung 1994 gab es in der Zeit von 1995 bis 1997 mehrere Entwürfe zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes, die aber entsprechend einer Beschlußempfehlung des Bundestagsausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 6. Mai 199827 allesamt abgelehnt wurden.

21 Bis 1985 hatten nur Arbeitnehmerinnen Anspruch auf Mutterschaftsurlaub und Mutterschaftsgeld, das sich zuletzt immerhin auf rund 510DM belief und bis zum sechsten Lebensmonat des Kindes gezahlt wurde; vgl. BT-Drucks. 13/9794, S. 1 f. 22 BT-Drucks. 10/3792, S. 1. 23 BT-Drucks. 10/3806. 24 BT-Drucks. 10/3806, S.2. 25 BGBl.IS.2154. 26 Fassung vom 21. Januar 1992 (BGB1.I S.68) und Fassung vom 31. Januar 1994 (BGB1.I S. 180), zuletzt geändert am 21. September 1997 (BGB1.I S.2390 und 2394); siehe dazu oben 1. Kapitel B.II.3.a). Zur Neufassung des Bundeserziehungsgeldgesetzes vom 1. Dezember 2000 (BGB1.I S. 1645) siehe unten 3. Kapitel A.II.3. 27 BT-Drucks. 13/10611.

Α. Die Anerkennung der Kindererziehung als politische Forderung a) Vorschlag der Bundestagsfraktion

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des Bündnis 90/Die Grünen

Mit den Anträgen „Mehr Zeit und Geld für Kinder" 28 von 1995 und „Elternurlaub als Zeitkonto gestalten"29 von 1996 trat die Fraktion des Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag dafür ein, den bisherigen Erziehungsurlaub zu einem dreijährigen Anspruch auf Freistellung in Form eines Zeitkontos weiterzuentwickeln und anstelle der Freistellung auch eine Verkürzung der täglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit zu ermöglichen sowie das Erziehungsgeld in bundesweit einheitlicher Höhe für die gesamte Dauer der Freistellung zu gewähren. b) Vorschlag der Bundestagsfraktion

der SPD

1996 legte die Bundestagsfraktion der SPD mit dem Antrag „Elterngeld und Elternurlaub für Mütter und Väter" 30 einen Entwurf zur Reform des Bundeserziehungsgeldgesetzes vor. Mit der Reform sollte das Erziehungsgeld zu einem Elterngeld und der Erziehungsurlaub zu einem Elternurlaub weiterentwickelt werden. Der Entwurf sah vor, Eltern von Kindern unter drei Jahren neben der Möglichkeit der vollen Freistellung einen Anspruch auf teilweise Reduzierung der Erwerbsarbeitszeit einzuräumen. Beiden Eltern sollte es gleichzeitig möglich sein, ihre Arbeitszeit zu reduzieren. Ferner sollte die personenbezogene 19-Stunden-Grenze, wie sie § 15 Abs. 4 BErzGG vorsah, durch eine gemeinsame Arbeitszeitbegrenzung von 60 Stunden für beide Eltern ersetzt werden. Das Elterngeld sollte monatlich 600DM betragen. Die Einkommensgrenzen des geltenden Bundeserziehungsgeldgesetzes sollten angehoben und das Elterngeld budgetiert, das heißt seine Höhe an die Länge des Bezugszeitraums angepaßt werden. Eltern, die statt 24 Monate nur zwölf oder 18 Monate Elterngeld in Anspruch nehmen, sollten wegen der kürzeren Bezugsdauer ein erhöhtes Elterngeld von 1.000DM bzw. 750DM monatlich erhalten. 31 c) Vorschlag des Bundesrates Der Bundesrat sah in seinem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes von 1997 im Hinblick auf das Antrags- und Einkommensberechnungsverfahren die teilweise Rückkehr zur ursprünglichen Regelung des Bundeserziehungsgeldgesetzes vor. Damit sollten die Änderungen von 1993 zum Antragsverfahren und zur Berechnung des maßgeblichen Einkommens zumindest teilweise zurückgenommen werden. Es sollte vor allem wieder nur ein Antrag für beide Lebensjahre des Kindes erforderlich sein.32 28 29 30 31 32

BT-Drucks. BT-Drucks. BT-Drucks. BT-Drucks. BT-Drucks.

13/711. 13/4526. 13/6577. 13/6577. 13/7384.

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3. Kap.: Die Förderung der Familie 3. Neufassung des Bundeserziehungsgeldgesetzes

In der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 20. Oktober 1998 war als familienpolitische Zielsetzung die Weiterentwicklung des Erziehungsgeldes und des Erziehungsurlaubs vorgesehen.33 Der Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes wurde am 5. April 2000 34 von den Fraktionen der SPD und des Bündnis 90/Die Grünen vorgelegt. Er sah die Anhebung der Einkommensgrenzen, die Budgetierung des Erziehungsgeldes und die Flexibilisierung des Erziehungsurlaubs vor. Weitere Anträge stellten die Fraktionen der F.D.P. und der PDS.35 Mit dem Gesetz zur Änderung des Begriffs „Erziehungsurlaub" vom 30. November 2000 36 wurde der Begriff der Elternzeit eingeführt. Der Entwurf der Bundesregierung wurde mit dem Gesetz zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit (Bundeserziehungsgeldgesetz - BErzGG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Dezember 200037 umgesetzt. Das Gesetz trat am 1. Januar 2001 in Kraft. Das Erziehungsgeld beträgt nach der dritten Neufassung des Bundeserziehungsgeldgesetzes weiterhin 600 D M monatlich bei einer Bezugsdauer bis zum zweiten Lebensjahr des Kindes. Alternativ zum monatlichen Regelbetrag von 600 D M wurde als neues familienpolitisches Instrument das budgetierte Erziehungsgeld in Höhe von 900 DM monatlich bei einer Bezugsdauer bis zum ersten Lebensjahr des Kindes und bei Verzicht auf einen Teil des sonstigen Gesamtbetrages eingeführt. Die Einkommensgrenzen ab dem siebten Lebensmonat des Kindes, ab denen das Erziehungsgeld gekürzt wird, wurden von 29.400 D M auf 32.200 DM, für Alleinerziehende von 23.700 D M auf 26.400 DM angehoben. Der Zuschlag auf die Einkommensgrenzen für jedes weitere Kind wurde von 4.200 DM auf 4.800 DM erhöht. Für Geburten im Jahr 2002 ist ein Zuschlag von 5.470DM und für Geburten ab dem Jahr 2003 ein Zuschlag von 6.140 D M vorgesehen. Der Anspruch auf Elternzeit besteht wie bisher bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes. Ein Anteil von bis zu zwölf Monaten kann mit Zustimmung des Arbeitgebers auch bis zum achten Geburtstag des Kindes genommen werden. Die Eltern können die Elternzeit nicht nur abwechselnd, sondern zeitweise oder ganz auch gemeinsam nehmen. Die zulässige wöchentliche Arbeitszeit für eine Tätigkeit während der Elternzeit wurde von 33 Bündnis 90/Die Grünen, Aufbruch und Erneuerung - Deutschlands Weg ins 21. Jahrhundert. Koalitionsvereinbarung zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und Bündnis 90/Die Grünen vom 20. Oktober 1998, 1998, S.42. 34 BT-Drucks. 14/3118. 35 Die Fraktion der F.D.P. beantragte eine Erhöhung des Erziehungsgeldes auf höchstens 800 DM und der Einkommensgrenzen um 15 %. Der Begriff „Erziehungsurlaub" sollte durch den Begriff „Erziehungszeit" ersetzt werden. Die Erziehungszeit von insgesamt drei Jahren sollte bis zum sechsten Lebensjahr des Kindes genommen werden können. Ein Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit war nicht vorgesehen; vgl. BT-Drucks. 14/3192. Zum Antrag der Fraktion der PDS (BT-Drucks. 14/2759) siehe unten 3. Kapitel A.III. 19. 36 BGBl.IS. 1638. 37 BGBl.IS. 1645.

Α. Die Anerkennung der Kindererziehung als politische Forderung

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19 auf 30 Stunden erhöht. Nehmen beide Eltern Elternzeit, beträgt die zulässige Stundenzahl für jeden 30, also insgesamt 60. Unter bestimmten Voraussetzungen können die Eltern während der Gesamtdauer der Erziehungszeit zweimal eine Verringerung ihrer Arbeitszeit beanspruchen. Was das Erziehungsgeld betrifft, so brachte die Neufassung des Bundeserziehungsgeldgesetzes keine grundsätzlichen Änderungen. Der Regelbetrag von 600 D M im Monat bleibt auf zwei Jahre beschränkt. Lediglich die Einkommensgrenzen wurden etwas angehoben. Die Möglichkeit der Budgetierung erweitert zwar den Handlungsspielraum der Familien, bleibt aber innerhalb des gegebenen finanziellen Rahmens. Sie vermeidet zumindest teilweise das Verfallen des restlichen Erziehungsgeldanspruchs, wenn die Eltern bereits im zweiten Lebensjahr des Kindes wieder voll erwerbstätig sein wollen. Auch die Anhebung der Einkommensgrenzen bedeutet keine prinzipielle Ausweitung der Leistungen. Die Einkommensgrenzen wurden seit 1986 nicht angehoben, so daß die 10 bis 12%-ige Erhöhung im wesentlichen nur die eingetretene Entwertung ausgleicht. Das zeigt ein Vergleich der Einkommensgrenzen mit dem steuerlichen Existenzminimum. Alleinstehende mit einem Kind können 2001 ein steuerliches Existenzminimum von 23.629 D M (13.500DM für den Erwachsenen, 3.456DM für das Kind, 1.512DM Betreuungsfreibetrag und 5.161 D M Haushaltsfreibetrag) geltend machen. Die Einkommensgrenze für das ungekürzte Erziehungsgeld liegt für Alleinstehende bei 26.400 DM. Für Ehepaare mit einem Kind beträgt das steuerliche Existenzminimum 36.936DM (27.000 D M für die Eltern, 6.912 D M für das Kind und 3.024 D M Betreuungsfreibetrag). Die Einkommensgrenze für das ungekürzte Erziehungsgeld liegt für diese Familien bei 32.200 DM. Bei Ehepaaren mit zwei Kindern beträgt das steuerfreie Existenzminimum 46.872 DM; die Einkommensgrenze für das volle Erziehungsgeld liegt für diese Familien bei 37.000 DM. Damit bleibt das Erziehungsgeld in voller Höhe im wesentlichen auf Familien beschränkt, deren Familieneinkommen noch unterhalb des steuerlichen Existenzminimums liegt. Nur die Gruppe der Alleinerziehenden erhält auch jenseits des steuerlichen Existenzminimums ungekürztes Erziehungsgeld. Die Diskrepanz wird noch größer werden, wenn der bislang nur für Alleinerziehende geltende Haushaltsfreibetrag von 5.161 D M ab 2002 als Erziehungsfreibetrag für alle Familien eingeführt wird. 38

38 Beabsichtigt ist, den Kinderfreibetrag ab 2002 auf 7.135 D M anzuheben und den Betreuungsfreibetrag mit dem Erziehungsfreibetrag zu einem Freibetrag für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung in Höhe von 4.225 D M zusammenzufassen. Zudem sollen erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten für Kinder bis zum 14. Lebensjahr von bis zu 2.934 D M steuerlich absetzbar sein.

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3. Kap.: Die Förderung der Familie

I I I . Konzepte zur Reform des staatlichen Kinderleistungsausgleichs Seit einiger Zeit werden in der familienwissenschaftlichen und familienpolitischen Diskussion verschiedene Modelle zu weiter gehenden Reformen des Kinderleistungsausgleichs erörtert. Sie weichen zum Teil erheblich von der Konzeption des Bundeserziehungsgeldgesetzes ab. Im Vordergrund stehen die Ziele der finanziellen Vergütung und der materiellen Absicherung familiärer Erziehungstätigkeit. Besonders deutlich tritt der Gedanke der finanziellen Vergütung elterlicher Betreuungs· und Erziehungsleistung in Vorschlägen für ein Erziehungsgehalt hervor. Mit einem solchen Erziehungs- oder Familiengehalt sollen die Erziehungsleistungen der Familie finanziell anerkannt und durch ein angemessenes Gehalt honoriert werden. Ziel ist dabei die Gleichstellung der Erziehungsarbeit mit der Erwerbsarbeit durch eine der Erwerbsarbeit entsprechende Entlohnung. Die Forderung nach einem Erziehungsgehalt fand erstmals 1994 größere Aufmerksamkeit, als der Deutsche Arbeitskreis für Familienhilfe den Vorschlag für ein Erziehungseinkommen unterbreitete. Dieses Konzept wurde vom Institut für Sozialökologie (ISO) weiterentwickelt und 1998 als „Erziehungsgehalt 2000" vorgestellt. Inzwischen wird ein Erziehungs- oder Familiengehalt von verschiedenen Verbänden gefordert, insbesondere von der Deutschen Hausfrauengewerkschaft (dhg) und von katholischen familienorientierten Verbänden. In der familienpolitischen Diskussion fand die Forderung nach einer finanziellen Anerkennung der Erziehungstätigkeit verstärkt Beachtung, als 1998 der sächsische Sozialminister Hans Geisler mit einem Modell für ein Erziehungsgehalt an die Öffentlichkeit trat. Die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) griff dieses Modell auf und plädierte ebenfalls für die Einführung eines Erziehungs- oder Familiengehalts. Auch die Ökologisch-Demokratische Partei Deutschlands (ödp) setzt sich seit längerem für die Einführung eines Erziehungsgehalts ein. Bei Bündnis 90/Die Grünen fand sich der Begriff des Erziehungsgehalts immerhin schon im Bundesprogramm von 1982. Heute setzen SPD und Grüne in der familienpolitischen Diskussion jedoch weniger auf die Bezahlung der Erziehungsleistung als auf den Ausgleich der erziehungsbedingten Folgekosten. Diese Reformansätze sehen die Aufwertung der Erziehungsarbeit nicht in der finanziellen und gesellschaftlichen Gleichstellung der Erziehungsarbeit mit der Erwerbsarbeit. Sie setzen statt dessen auf die Verbindung und Verknüpfung von Erwerbsarbeit und Erziehungsarbeit. Im Mittelpunkt dieser Ansätze steht deshalb nicht die Entlohnung der Erziehungsarbeit, sondern die finanzielle Absicherung der Erziehungstätigkeit durch Lohnersatzleistungen als Ausgleich für eine erziehungsbedingte Reduzierung der Erwerbsarbeitszeit und der Erwerbseinkünfte. Einige ausgewählte Modellvorschläge zu einer weiter gehenden Reform des staatlichen Kinderleistungsausgleichs sind im folgenden Überblick dargestellt. Sie

Α. Die Anerkennung der Kindererziehung als politische Forderung

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spiegeln in ihrer konkreten Ausgestaltung alle denkbaren Varianten und Kombinationen wieder und erlauben eine differenzierte Betrachtung.

1. Das Konzept „Erziehungsgehalt 2000" des Deutschen Arbeitskreises für Familienhilfe e.V. a) Das Konzept „Erziehungsgehalt 2000" Im Auftrag des Deutschen Arbeitskreises für Familienhilfe e.V. wurde vom Bonner Institut für Sozialökologie 1998 das Gutachten „Erziehungsgehalt 2000" 39 erstellt. Leitidee des Konzepts ist die Gleichwertigkeit von Erwerbsarbeit und Erziehungsarbeit. Das Modell „Erziehungsgehalt 2000" ist als Einstieg in ein erweitertes Arbeitsmarktkonzept gedacht. Erziehungsarbeit soll als gesellschaftlich notwendige Arbeit jenseits von Markt und Staat in einen erweiterten Arbeitsbegriff einbezogen und wie herkömmliche Erwerbsarbeit entgolten werden. Dadurch würde die Erziehungsarbeit auch in die Bruttosozialproduktrechnung einfließen. Die wirtschaftliche Existenzsicherung der Familien könnte zumindest teilweise unabhängig von den Erwerbseinkommen und den Unsicherheiten auf dem Erwerbsarbeitsmarkt erfolgen. 40 Nach der Zielsetzung des Modells soll den Eltern mit Hilfe des Erziehungsgehalts die freie Entscheidung zwischen beiden Arbeitsformen überlassen werden. Insbesondere den Vätern soll ein wirtschaftlicher Anreiz zur Beteiligung an der Erziehungsarbeit geboten werden. Der Markt für qualifizierte Betreuungsarbeit soll belebt und damit ein Beitrag zur Reduzierung der Erwerbslosigkeit geleistet werden. Erziehende sollen eine langfristige Risikosicherung gegen Armut erfahren. 41 Nach der Konzeption des Modells „Erziehungsgehalt 2000" soll das Erziehungsgehalt einem auf dem Erwerbsarbeitsmarkt erzielbaren Einkommen entsprechen. Es soll für alle Eltern aus einer Geldleistung in Höhe von 2.000 D M pro Monat für das erste und 1.000 D M für alle weiteren Kinder bis zu sieben Jahren bzw. bis zum Schuleintrittsalter bestehen. Vereinfacht berechnen sich die Beträge aus einem Sokkelbetrag von 1.000 DM, der dem Grundbedarf des Erziehenden entspricht und auf 39 Christian Leipert/Michael Opielka, Erziehungsgehalt 2000. Ein Weg zur Aufwertung der Erziehungsarbeit, 1998. Diesem Modell liegen folgende Studien zugrunde, die ebenfalls im Auftrag des Deutschen Arbeitskreises für Familienhilfe e.V. erstellt wurden: Christian Leipert, Aufwertung der Erziehungsarbeit. Ein Vorschlag zur Schaffung eines Kinder- und Familienfonds, 1994; Otfried Hatzold/Christian Leipert, Erziehungsgehalt. Wirtschaftliche und soziale Wirkungen bezahlter Erziehungsarbeit der Eltern. Gutachten, 1996. 40 Christian Leipert/Michael Opielka, Erziehungsgehalt 2000. Ein Weg zur Aufwertung der Erziehungsarbeit, 1998, S.69ff. 41 Christian Leipert!Michael Opielka, Erziehungsgehalt 2000. Ein Weg zur Aufwertung der Erziehungsarbeit, 1998, S. 17 f.

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3. Kap.: Die Förderung der Familie

den für jedes Kind 1.000 D M aufgeschlagen werden. 42 Für Alleinerziehende ist ein Zuschlag von 15 % vorgesehen. Um die vertikale Verteilungsgerechtigkeit zu gewährleisten, soll das Erziehungsgehalt wie das Erwerbseinkommen der Besteuerung unterliegen. 43 Es werden jedoch keine Sozialversicherungsbeiträge erhoben. 44 Aufgrund der hohen Ausgaben, die bei einer gleichzeitigen Einführung entstünden, ist das Konzept in mehreren Stufen (ErziehungsgehaltI und II) angelegt.45 In einer ersten Phase soll das Erziehungsgehalt I als voller Pauschalbetrag an Familien mit Kindern von null bis drei Jahren ausgezahlt werden, unabhängig davon, ob die betroffenen Mütter und Väter erwerbstätig sind oder nicht. 46 Damit sollen die Eltern wählen können, wie sie die Aufgabe der Kindererziehung auf eigene Leistungen oder Fremdleistungen verteilen. In einer zweiten Phase soll das Erziehungsgehalt I für Familien mit Kindern von vier bis sieben Jahren eingeführt werden. Für diese Phase wird die Einführung eines Erziehungsgutscheins diskutiert, der die Inanspruchnahme eines Kindeigartenplatzes ermöglicht. Mit einem Geldwert von 600 D M würde der Gutschein die tatsächlichen Betriebskosten eines Kindergartenplatzes abdecken, die direkte Geldleistung an die Eltern würde um den entsprechenden Geldwert sinken.47 Das Erziehungsgehalt I I soll in einer dritten Phase für Familien mit Kindern von acht bis 18 Jahren gezahlt und danach durch eine Grundsicherung ergänzt werden. Es ist als negative Einkommensteuer und damit einkommensabhängig ausgestaltet. Das Erziehungsgehalt I I soll für Kinder von acht bis 18 Jahren in Höhe von 1.400 D M für das erste und 600 DM für jedes weitere Kind gezahlt werden. Die all42 Michael Opielka, Bezahlte Elternschaft. Voraussetzungen und Folgen einer monetären Anerkennung der Erziehungsarbeit durch ein Erziehungsgehalt, in: Andreas Netzler/Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S. 104. 43 Christian Leipert!Michael Opielka, Erziehungsgehalt 2000. Ein Weg zur Aufwertung der Erziehungsarbeit, 1998, S.35ff. 44 Michael Opielka, Bezahlte Elternschaft. Voraussetzungen und Folgen einer monetären Anerkennung der Erziehungsarbeit durch ein Erziehungsgehalt, in: Andreas Netzler/Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S. 104. 45 Christian Leipert!Michael Opielka, Erziehungsgehalt 2000. Ein Weg zur Aufwertung der Erziehungsarbeit, 1998, S.27ff. 46 Neben der erwerbszeitunabhängigen Variante wurde auch eine erwerbszeitabhängige Ausgestaltung des Erziehungsgehalts zur Diskussion gestellt, bei der das Niveau mit zunehmender Erwerbstätigkeit sinkt. Bei der Bemessung der Höhe des Zahlbetrags würde die Erwerbstätigkeit beider Eltern berücksichtigt, um eine partnerschaftliche Arbeitsteilung zu honorieren und gesellschaftspolitisch einen Anreiz zur Teilzeitarbeit zu setzen. Priorität hat aber die erwerbszeitunabhängige Konzeption; vgl. Michael Opielka, Bezahlte Elternschaft. Voraussetzungen und Folgen einer monetären Anerkennung der Erziehungsarbeit durch ein Erziehungsgehalt, in: Andreas Netzler/Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S. 106ff. 47 Gerhard Wehr, Erziehungsgehalt 2000, in: ÖkologiePolitik Nr. 85 - Juli 1998, S. 10f.; Christian Leipert!Michael Opielka, Erziehungsgehalt 2000. Ein Weg zur Aufwertung der Erziehungsarbeit, 1998, S.27ff.

Α. Die Anerkennung der Kindererziehung als politische Forderung

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gemeine Grundsicherung für Eltern mit volljährigen Kindern soll pro Kind 1.400 D M im Monat betragen.48 Das Modell „Erziehungsgehalt 2000" sieht vor, das Erziehungsgehalt durch einen neu zu schaffenden Bundesfamilienfonds (BFF), eine eigenständige Körperschaft des öffentlichen Rechts, zu verwalten. Dieser Bundesfamilienfonds soll als unabhängiger Fonds mit Selbstverwaltungsorganen ausgestaltet werden, in denen den Vertretern der Familienverbände eine wesentliche Rolle zukommt. Er soll die langfristige Zukunftssicherung der Familien durch staatliche Mittel gewährleisten, die nicht kurzfristigen haushaltspolitischen Zwängen unterliegen. 49 b) Stellungnahme der Initiative Eltern fiir aktive Vaterschaft zum Konzept „Erziehungsgehalt 2000 "

e. V. (EFAV)

Die Initiative Eltern für aktive Vaterschaft e.V. (EFAV) unterstützt weitgehend das Konzept „Erziehungsgehalt 2000" des Deutschen Arbeitskreises für Familienhilfe e.V. 50 Unterschiede finden sich jedoch in der Motivation und in der Berechnung des Erziehungsgehalts. Die EFAV verfolgt einen integrativen Ansatz, der nicht nur auf die Kompensation von erziehungsbedingten Einkommensausfällen gerichtet ist, sondern auch die auf gleichen Rechten und Pflichten der Eltern beruhende Vereinbarkeit von Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit anstrebt. Dominierendes Ziel ist die tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter. Sie setzt voraus, daß Familienarbeit und Erwerbsarbeit gleichwertig und für Männer und Frauen gleichermaßen vereinbar sind. Bei keinem Elternteil soll eine Mehrfachbelastung entstehen. Die Belastungen und Entlastungen in Familie und Beruf sollen vielmehr gleichmäßig auf beide Partner aufgeteilt werden. Die EFAV versteht deshalb die Problematik der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in erster Linie als ein Problem der Väter. 51 Zwar sollen Familien das von ihnen gewünschte Lebenskonzept, sei es die traditionelle Rollenverteilung, den Rollentausch, die Rollengemeinschaft oder das Modell des oder der Alleinerziehenden, grundsätzlich frei wählen können, doch sollen mit dem Erziehungsgehalt finanzielle Anreize geschaffen werden, Familienarbeit und Erwerbsarbeit anteilig zu übernehmen. Die partnerschaftliche Aufteilung der Familien- und Erwerbsarbeit soll begünstigt werden, weil sie als 48

Christian Leipert!Michael Opielka, Erziehungsgehalt 2000. Ein Weg zur Aufwertung der Erziehungsarbeit, 1998, S.38ff. 49 Mit diesem Bundesfamilienfonds vergleichbar sind die Familienkasse in Frankreich (CNAF) oder die Familienlastenausgleichskasse in Österreich; vgl. Christian Leipert!Michael Opielka, Erziehungsgehalt 2000. Ein Weg zur Aufwertung der Erziehungsarbeit, 1998, S.47f. 50 Klaus Anders, Stellungnahme zur Konzeptionsvorlage von Dr. Christian Leipert und Dr. Michael Opielka: „Erziehungsgehalt 2000", 1998. 51 Klaus Anders, Über die Anerkennung von Haus- und Familienarbeit, in: Humanzeit, Tagungsband der Stiftung Mitarbeit, 1998.

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3. Kap.: Die Förderung der Familie

das ideale Lebenskonzept für die auf eine paritätische Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern gerichtete Sozialisation der Kinder angesehen wird. 52 Um dieses Ziel zu verwirklichen, wird eine andere Ausgestaltung des Erziehungsgehalts vorgeschlagen. Für die Berechnung des Erziehungsgehalts sollen verschiedene Faktoren eingeführt werden, mit denen ein Grundbetrag multipliziert wird. Der Grundbetrag soll - bezogen auf den Zeitraum bis zum dritten Lebensjahr des Kindes - für ein Kind 2.000 D M im Monat und für jedes weitere Kind 600 DM im Monat betragen. Mit dem Symmetriefaktor (zwischen 1 und 1,3) soll berücksichtigt werden, in welchem Umfang sich die Eltern die Erwerbsarbeitszeit teilen. Er ist dann am größten, wenn die Eltern sich die Arbeitszeit völlig gleichberechtigt, also im Verhältnis 1 : 1 teilen. Mit dem Erwerbsarbeitszeitfaktor (zwischen 0,4 und 1) soll berücksichtigt werden, wieviel Erwerbsarbeitszeit die Eltern insgesamt erbringen und wieviel Zeit folglich für die Familienarbeit, insbesondere für die Kinderbetreuung, verbleibt. Dieser Faktor ist am größten, wenn die gemeinsame Erwerbsarbeitszeit der Normalarbeitszeit (etwa 40 Stunden pro Woche) entspricht und ebensoviel Zeit für die Familienarbeit zur Verfügung steht. Schließlich wird mit dem Existenzrelevanzfaktor (zwischen 0,4 und 1,5) berücksichtigt, ob die Eltern aufgrund ihres Familieneinkommens tatsächlich auf ein Erziehungsgehalt angewiesen sind. Dieser ist um so höher, je geringer das Erwerbseinkommen ist. 53 Mit dieser Berechnungsmethode sollen deutliche Anreize für eine partnerschaftliche Aufgabenverteilung zwischen den Eltern geschaffen werden. Die Berechnung des Erziehungsgehalts mittels der beiden ersten Faktoren ergibt einen Erziehungsgehaltsanspruch von maximal 130% des Grundbetrages, wenn beide Eltern jeweils 20 Stunden pro Woche arbeiten (Rollengemeinschaft). Er sinkt auf 100%, wenn nur ein Elternteil erwerbstätig ist und die normale Arbeitszeit erbringt (traditionelle Rollenverteilung oder Rollentausch). Sind beide Eltern voll erwerbstätig, sinkt der Erziehungsgehaltsanspruch auf 50 % des Grundbetrages ab, weil keine Zeit für die Familienarbeit verbleibt. Meist wird sich in diesem Fall noch eine erhebliche Minderung aufgrund der mangelnden Existenzrelevanz ergeben. Gleichwohl soll die Kinderbetreuung durch Nichtfamilienmitglieder mit dem reduzierten Erziehungsgehalt und dem aus zwei Erwerbseinkommen bestehenden Familieneinkommen finanziert werden können. Für Alleinerziehende ist ein Bonus für den erhöhten Umfang der Erziehungsarbeit vorgesehen. Dafür entfällt der Symmetriefaktor. Der Existenzrelevanzfaktor wirkt sich bei Alleinerziehenden in der Regel stärker aus.54

52 Klaus Anders, Stellungnahme zur Konzeptionsvorlage von Dr. Christian Leipert und Dr. Michael Opielka: „Erziehungsgehalt 2000", 1998, S.2. 53 Klaus Anders, Stellungnahme zur Konzeptionsvorlage von Dr. Christian Leipert und Dr. Michael Opielka: „Erziehungsgehalt 2000", 1998, S.2f. 54 Klaus Anders, Stellungnahme zur Konzeptionsvorlage von Dr. Christian Leipert und Dr. Michael Opielka: „Erziehungsgehalt 2000", 1998, S.4.

Α. Die Anerkennung der Kindererziehung als politische Forderung

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2. Das sächsische Modell eines Erziehungsgehalts von Hans Geisler Das sächsische Modell eines Erziehungsgehalts von Hans Geisler 55, das auch von der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft Deutschlands (CDA) aufgegriffen wurde 56 , versteht sich als Beitrag zu einer umfassenden Reform des Sozialstaats. Dem sächsischen Modell ist ein neues Verständnis der Arbeit zugrundegelegt. Eine Neubewertung der gesellschaftlich bedeutsamen Arbeitsformen wird als unumgänglich erachtet, weil die Bindung der Entlohnung und der sozialen Sicherung an die klassische (Voll-)Erwerbsarbeit kein zukunftsfahiges Konzept biete.57 Das sächsische Modell sieht vor, die Erziehungsleistung, die von Familien unter großem finanziellem und zeitlichem Aufwand erbracht wird, entsprechend ihrer gesellschaftlichen Bedeutung mit einem Erziehungsgehalt zu würdigen und zu honorieren. Die Erziehungsleistung soll generell anerkannt werden - unabhängig davon, wer sie erbringt. Die Erziehungsleistung soll in der Familie oder außerhäuslich, von Mann oder Frau erbracht werden können.58 Vorrangiges Ziel des sächsischen Erziehungsgehalts ist, den Eltern die freie Wahl der Betreuungsform für ihre Kinder zu ermöglichen und nicht wie die bisherige Ausgestaltung der staatlichen Erziehungsförderung die Entscheidung der Familien für bestimmte Betreuungsformen zu beeinflussen. Die Diskrepanz zwischen der staatlichen Förderung außerhäuslicher Kindertagesbetreuung mit hohen Beträgen pro Betreuungsplatz und der deutlich niedrigeren und einkommensabhängigen Unterstützung elterlicher Erziehung soll ausgeglichen und eine ausgewogene Förderstruktur geschaffen werden, die der familienpolitisch angestrebten Neutralität der staatlichen Familienförderung entspricht. 59 Das Erziehungsgehalt soll den Eltern die eigenverantwortliche Entscheidung ermöglichen, wer wie lange und in welcher Form die Kinder während des Tages betreuen soll. Die Eltern sollen durch das Erziehungsgehalt auf dem Dienstleistungsmarkt für Kinderbetreuung zu kaufkräftigen Nachfragern werden. Es wird eine spürbare Flexibilisierung und Differenzierung der Betreuungsangebote erwartet. Die Kontrolle der pädagogischen Qualität sowie der hygienischen und räumlichen Bedingungen der Kinderbetreuungseinrichtungen soll weiterhin staatliche Aufgabe bleiben. Den Eltern sollen eine gezielte Auswahl des Betreuungsangebots in Hinblick auf die Wünsche und Bedürfnisse des Kindes ermöglicht werden und ver55

Hans Geisler, Diskussionspapier zum Modell eines Erziehungsgehaltes, 1998. Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft Deutschlands (CDA), Antrag der Christilich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft Deutschlands (CDA) und des Sächsischen Sozialministers für Soziales, Gesundheit und Familie, Dr. Hans Geisler, an den 12. Bundesparteitag der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU), 1999. 57 Hans Geisler, Diskussionspapier zum Modell eines Erziehungsgehaltes, 1998, S. 1. 58 Hans Geisler, Auch Erziehung ist Arbeit. Interview, in: DIE ΖΕΓΓ vom 19. Februar 1998, S.44. 59 Hans Geisler, Diskussionspapier zum Modell eines Erziehungsgehaltes, 1998, S. 1 und 3. 56

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3. Kap.: Die Förderung der Familie

schiedene Kombinationen der Familienaufgaben und der Erwerbstätigkeit offenstehen. 60 Die Konzeption des sächsischen Modells sieht vor, das Erziehungsgehalt unabhängig von der Erwerbsarbeitszeit zu zahlen, so daß Frauen nicht aus dem Erwerbsleben in die Haushalte zurückgedrängt werden. Durch eine einkommensunabhängige Gestaltung soll der Wert der Erziehungsarbeit an sich honoriert werden. Das Erziehungsgehalt soll den Erziehenden eine eigenständige soziale Sicherung ermöglichen, auch wenn sie (zeitweise) keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Es ist so bemessen, daß es bei drei Kindern einem durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommen entspricht. Dadurch würde es auch Vätern die Entscheidung erleichtern, ihre Erwerbsarbeit zu reduzieren und verstärkt Erziehungsaufgaben zu übernehmen.61 Das Erziehungsgehalt nach dem sächsischen Modell soll für jedes Kind von der Geburt bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahrs gezahlt werden. Die Leistungshöhe beträgt für alle Eltern mit Kindern im Alter von null bis drei Jahren monatlich 1.100 DM netto pro Kind. Das entspricht etwa den Kosten eines Kinderkrippenplatzes. Für Kinder im Alter von vier bis sechs Jahren ist ein Erziehungsgehalt in Höhe von 800 DM netto vorgesehen. Die Leistungshöhe ist ausgerichtet an den Betriebsund Personalkosten für einen Ganztagesplatz in einem Kindergarten. Eine degressive Staffelung der Leistungshöhe bei steigender Ordnungszahl des Kindes ist nicht vorgesehen.62 Das Erziehungsgehalt soll unabhängig vom Umfang der Erwerbstätigkeit und vom sonstigen Einkommen gewährt werden und den Eltern, die ihre Kinder während des Tages selbst betreuen möchten, den (teilweisen) Verzicht auf Erwerbseinkommen erleichtern. Entscheiden sich die Eltern für eine andere Betreuungsform, müssen sie die entsprechenden Kosten übernehmen. Die bisherige Objektförderung außerhäuslicher Kinderbetreuung wird durch die Subjektfinanzierung abgelöst, so daß die Betriebs- und Personalkosten der Kindertageseinrichtungen durch die Elternbeiträge gedeckt werden müssen; lediglich die Investitionen sollen weiterhin mit öffentlichen Mitteln finanziert werden. 63 Eine Besteuerung des Erziehungsgehalts ist im sächsischen Modell bislang nicht vorgesehen. Eine Verknüpfung mit dem System der Sozialen Sicherung wird als notwendig erachtet, insbesondere in Bezug auf die Alterssicherung. Bei einer Sozialabgabenpflicht müßte das Erziehungsgehalt allerdings entsprechend angehoben werden, damit die Nettobeträge gewährleistet bleiben.64

60 Hans Geisler, Mehr Wahlfreiheit für Eltern, in: ÖkologiePolitik Nr. 85 - Juli 1998, S. 12; Hans Geisler; Diskussionspapier zum Modell eines Erziehungsgehaltes, 1998, S. 1 und 3. 61 Hans Geisler, Diskussionspapier zum Modell eines Erziehungsgehaltes, 1998, S. 1 f. 62 Hans Geisler, Diskussionspapier zum Modell eines Erziehungsgehaltes, 1998, S. 2 und6. 63 Hans Geisler, Diskussionspapier zum Modell eines Erziehungsgehaltes, 1998, S.3. 64 Hans Geisler, Diskussionspapier zum Modell eines Erziehungsgehaltes, 1998, S.2.

Α. Die Anerkennung der Kindererziehung als politische Forderung

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3. Das Konzept „Lohn oder Gehalt für Familienarbeit" der Deutschen Hausfrauengewerkschaft e.V. (dhg) Die Deutsche Hausfrauengewerkschaft e.V. (dhg) 65 fordert ein Gehalt für Familienarbeit und ihr Modell ist das wohl weitreichendste. Nach Auffassung der dhg soll der Begriff der Arbeit nicht auf Erwerbsarbeit beschränkt bleiben, sondern auf Familienarbeit ausgedehnt werden. Unter Familienarbeit wird dabei nicht die Hausarbeit verstanden, die jeder für sich selbst erbringt, sondern die Arbeit, die im Zusammenhang mit der Versorgung, Pflege und Erziehung der Familienmitglieder erbracht wird. 66 Als gesellschaftlich notwendige Arbeit, insbesondere für die Alterssicherung, soll Familienarbeit wie Erwerbsarbeit entlohnt werden. Nach der Zielsetzung des dhg-Modells soll durch die Bezahlung der Familienarbeit die eigenständige Absicherung der Familienarbeit Leistenden gewährleistet werden, damit sie nicht vom Einkommen des erwerbstätigen Partners abhängig sind.67 Die Bezahlung der Familienarbeit soll dem Ausgleich der Opportunitätskosten dienen, die für den Familienarbeit Leistenden durch nicht wahrgenommene Erwerbsarbeit entstehen. Der Lohn oder das Gehalt für Familienarbeit ist ausschließlich als Entgelt für die Arbeitsleistung gedacht; die Entlastung der Familie von den sonstigen Kinderkosten soll unabhängig davon erfolgen. 68 Wer seine Kinder selbst erziehen möchte, kann diesen Lebensentwurf nach dem Modell der dhg ohne finanzielle Schwierigkeiten verwirklichen. Wer weiter erwerbstätig sein möchte, kann mit dem Lohn für Familienarbeit einen Krippenplatz oder eine Betreuungsperson bezahlen. Kinderbetreuungseinrichtungen müßten nicht mehr staatlich subventioniert werden. Dadurch würde die Wahlfreiheit der Eltern gewährleistet und eine Rollenfestschreibung vermieden. 69 Das Modell der dhg sieht in seiner Konzeption ein Gehalt für Familienarbeit vor, das zumindest bis zum sechsten Lebensjahr des (jüngsten) Kindes gezahlt wird und 65 Wiltraud Beckenbach, Fachtagung Lohn oder Gehalt für Familienarbeit. Modell der Deutschen Hausfrauengewerkschaft e.V., 1997. 66 Wiltraud Beckenbach, Fachtagung Lohn oder Gehalt für Familienarbeit. Modell der Deutschen Hausfrauengewerkschaft e.V., 1997, S.3. 67 Wiltraud Beckenbach, Fachtagung Lohn oder Gehalt für Familienarbeit. Modell der Deutschen Hausfrauengewerkschaft e.V., 1997, S. 7. Damit einher geht die Forderung der dhg nach einer Änderung des gesetzlichen Güterstandes der Zugewinngemeinschaft dahingehend, daß bereits in der Ehe gemeinsam über das Familieneinkommen verfügt werden kann und das Zusammenrechnen nicht erst bei Scheidung der Ehe über den Zugewinnausgleich erfolgt. Die Familienarbeit Leistenden sollen dadurch nicht länger auf den Status eines Unterhalts- und Taschengeldempfängers reduziert werden; vgl. Wiltraud Beckenbach, Fachtagung Lohn oder Gehalt für Familienarbeit. Modell der Deutschen Hausfrauengewerkschaft e.V., 1997, S.2f. 68 Wiltraud Beckenbach, Fachtagung Lohn oder Gehalt für Familienarbeit. Modell der Deutschen Hausfrauengewerkschaft e.V., 1997, S.4. 69 Wiltraud Beckenbach, Fachtagung Lohn oder Gehalt für Familienarbeit. Modell der Deutschen Hausfrauengewerkschaft e.V., 1997, S.4 und 8.

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3. Kap.: Die Förderung der Familie

sich am Durchschnittseinkommen aller Versicherten 70 orientiert. Das steuerpflichtige Gehalt soll unabhängig von der Anzahl der Kinder gezahlt werden, da auch bei nur einem Kind eine Arbeitszeit von mindestens acht Stunden pro Tag anzusetzen ist und die Bezahlung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit folgen soll. Das Gehalt soll sich nicht nach dem individuell erzielten vorherigen Einkommen richten, damit nicht gleiche Arbeit unterschiedlich bewertet wird. Abzüge für Renten-, Arbeitslosen, Kranken- und Unfallversicherung sind entsprechend den Gehältern für Erwerbsarbeit vorgesehen, wobei der Arbeitgeberanteil der Sozialversicherung vom Staat getragen werden soll. Nach Ablauf des Gehalts für Familienarbeit sollen die Sozialabgaben zum Erhalt von Arbeitslosengeld berechtigen. Außerdem soll sich an die Zahlungen für die Erziehungsarbeit bis zum siebten Lebensjahr des Kindes ein Ausgleich für familienbedingte Teilzeiterwerbstätigkeit anschließen.71 4. Der Vorschlag für ein Erziehungsgeld als Bestandteil eines Grundeinkommens von Konrad Stopp Konrad Stopp hat ein umfassendes Konzept zur Umstrukturierung des Sozialstaats entworfen. Es beruht auf der Grundannahme, daß die Hauptaufgabe des Sozialstaats in der Sicherung des Einkommens derer liegt, die kein oder ein zu geringes Einkommen beziehen, um ein menschenwürdiges Leben zu führen, weil sie nicht erwerbstätig sein sollen, nicht erwerbstätig sein können oder trotz Erwerbstätigkeit ein zu geringes Einkommen haben.72 Nach seinem Konzept sollen sämtliche sozialen Leistungen in zwei Leistungsbereichen gebündelt werden. Das erste Bündel bildet die Sozialversicherung. Sie soll Risiken abdecken, die nicht alle Bürger treffen und zu einem mehr oder weniger kurzfristigen Ausfall von Erwerbseinkommen führen. Dazu gehören die Risiken Krankheit, Unfall, Pflegebedürftigkeit und Arbeitslosigkeit. Das zweite Bündel bildet der Leistungsbereich des Sozialeinkommens. Das Sozialeinkommen soll langfristige Einkommensausfälle ausgleichen und denjenigen Personen gewährt werden, die grundsätzlich nicht in der Lage sind, erwerbstätig zu sein. Dazu gehören Kinder und Jugendliche, schwer körperlich und geistig Behinderte, Erwerbsunfähige und Personen, die aus Altersgründen aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind. Ferner sollen Erwerbsunfähigkeit, Langzeitarbeitslosigkeit und vor allem die Erziehung eigener Kinder einen Anspruch auf Sozialeinkommen begründen.73 70

Im Jahr 1997 lag das Durchschnittseinkommen bei 4.200 DM. In dieser Höhe wäre der Lohn für Familienarbeit zu zahlen gewesen. 71 Wiltraud Beckenbach, Fachtagung Lohn oder Gehalt für Familienarbeit. Modell der Deutschen Hausfrauengewerkschaft e.V., 1997, S.4. 72 Konrad Stopp, Wider die Raffgesellschaft oder Wie der Sozialstaat noch zu retten ist, 1994, S. 51 ff.; Konrad Stopp, Aufbruch statt Krisenverwaltung. Von der Arbeitsgesellschaft zur Kulturgesellschaft, 1997, S. 156 ff. 73 Konrad Stopp, Aufbruch statt Krisenverwaltung. Von der Arbeitsgesellschaft zur Kulturgesellschaft, 1997, S. 158 f.

Α. Die Anerkennung der Kindererziehung als politische Forderung

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Das Sozialeinkommen, das aus dem Steueraufkommen finanziert werden soll, ist in zwei Ausprägungen vorgesehen. Zum einen ist ein Grundeinkommen vorgesehen, das jedem Bürger bei Ausfall seines Erwerbseinkommens zusteht. Dieses Grundeinkommen soll Leistungen wie Kindergeld, Ausbildungsbeihilfen, Sozialhilfe, Wohngeld und Erziehungsgeld bündeln. Zum anderen ist eine Sozialrente vorgesehen, die vormals geleistete Erwerbsarbeit oder Erziehungsarbeit voraussetzt. Die Sozialrente soll Leistungen wie Alters-, Invaliditäts-, Erwerbsunfähigkeits- und Unfallrente, Kriegsopferversorgung sowie Arbeitslosenhilfe bündeln.74 Entsprechend dem Individualprinzip, das dem Sozialeinkommen zugrunde liegt, sollen auch Kinder und Jugendliche einen eigenen Anspruch auf das Grundeinkommen haben. Faktisch verfügen Familien damit über ein eigenes Einkommen für Kinder. 75 Neben dem Grundeinkommen für die Kinder soll den Eltern ein Erziehungsgeld zustehen, sofern sie zugunsten der Kinderbetreuung auf Erwerbstätigkeit verzichten. Mit dem Erziehungsgeld, das Bestandteil des elterlichen Grundeinkommens ist, aber über die bloß existenzsichernde Grundsicherung hinausgeht, soll die Erziehungsarbeit in der Familie honoriert werden. 76 Konrad Stopp vergleicht die Erziehungsleistung in der Familie mit einer Arbeit, die im öffentlichen Dienst nach BAT V I I - V I vergütet wird. Für Kinder bis zum Kindergarten- bzw. Schuleintrittsalter entspreche die Erziehungsleistung in zeitlicher Hinsicht einer Vollbeschäftigung und für schulpflichtige Kinder einer Halbtagstätigkeit. Deshalb setzt er das Erziehungsgeld mit rund 4.000DM für Kleinkinder und mit etwa 2.000DM für Kindergarten- bzw. Schulkinder an. Für Alleinerziehende ist ein Zuschlag von 12 % vorgesehen. Die Anzahl der gleichzeitig zu erziehenden Kinder soll auf das Erziehungsgeld keinen Einfluß haben. Das Erziehungsgeld soll bis zum vollendeten 14. Lebensjahr eines Kindes gezahlt werden. 77 5. Der Vorschlag eines Erziehungsgehalts der Ökologisch-Demokratischen Partei (ödp) Die Ökologisch-Demokratische Partei (ödp) tritt für ein Erziehungsgehalt ein, das die häusliche Erziehungsarbeit der außerhäuslichen Erwerbsarbeit gleichstellt. Als gesellschaftlich notwendige und wertvolle Tätigkeit soll die Familienarbeit und insbesondere die Kindererziehung von der Gesellschaft materiell anerkannt werden. 74 Konrad Stopp, Aufbruch statt Krisenverwaltung. Von der Arbeitsgesellschaft zur Kulturgesellschaft, 1997, S. 162. 75 Konrad Stopp, Wider die Raffgesellschaft oder Wie der Sozialstaat noch zu retten ist, 1994, S.91. 76 Konrad Stopp, Aufbruch statt Krisenverwaltung. Von der Arbeitsgesellschaft zur Kulturgesellschaft, 1997, S. 157 ff.; Konrad Stopp, Wider die Raffgesellschaft oder Wie der Sozialstaat noch zu retten ist, 1994, S. 85 f. 77 Konrad Stopp, Wider die Raffgesellschaft oder Wie der Sozialstaat noch zu retten ist, 1994, S.85f.

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3. Kap.: Die Förderung der Familie

Das Erziehungsgehalt soll eine selbständige Existenzsicherung für denjenigen Elternteil bieten, der die Arbeit der Kindererziehung überwiegend leistet, und die freie Wahl zwischen Erwerbsarbeit und Familienarbeit und alle Varianten der partnerschaftlichen Arbeitsteilung ermöglichen. In der Höhe soll sich das Erziehungsgehalt am durchschnittlichen Erwerbseinkommen eines versicherungspflichtigen Arbeitnehmers orientieren und wie ein normales Einkommen Steuer- und sozialabgabenpflichtig sein.78 Einen konkreten Vorschlag für ein Erziehungsgehalt hat der Landesvorstand Baden-Württemberg der Ökologisch-Demokratischen Partei ausgearbeitet79 und als Teil eines aus verschiedenen familienpolitischen Instrumenten bestehenden Gesamtkonzepts veröffentlicht. 80 Nach der Zielsetzung dieses Modells soll mit dem Erziehungsgehalt die Erziehungsleistung honoriert werden. Das Erziehungsgehalt ist als Entgelt für die in der eigenen Familie erbrachte Erziehungs- und Versorgungsleistung gedacht, das dem traditionellen Erwerbslohn gleichrangig ist und einen Teil des Familieneinkommens bildet. 81 Das Erziehungsgehalt soll allen Personen zustehen, die in der Familie den Hauptteil der Erziehungs- und Versorgungsarbeit an den Kindern übernehmen. Gleichzeitig soll das Erziehungsgehalt den Eltern die freie Entscheidung über die Gewichtung von häuslicher und außerhäuslicher Arbeit ermöglichen. 82 Berufstätige sollen das Erziehungsgehalt erhalten, um die Erziehungs- und Versorgungsarbeit für ihre Kinder an Dritte delegieren und angemessen entlohnen zu können. Die Inanspruchnahme von Krippen- und Hortplätzen, Diensten von Tagesmüttern, Ganztagesbetreuung und Hausaufgabenhilfe in und außerhalb der Schule würde mit dem Erziehungsgehalt unterstützt. 83 Ausgangspunkt für die Berechnung der Höhe des Erziehungsgehalts nach diesem Modell ist die Bezugsgröße des § 18 SGB IV, die auf dem durchschnittlichen Ar78

Ökologisch-Demokratische Partei (ödp), Politik, die aufgeht. Das Bundespolitische Programm, 1998, S. 12 und 16; Ökologisch-Demokratische Partei (ödp), Gerechtigkeit für Familien. Die familienpolitischen Konzepte der ödp, 1998, S.7. 79 Nach neueren Angaben hat der Bundesverband der Ökologisch-Demokratischen Partei diesen Vorschlag aufgegriffen und in einigen Punkten, insbesondere im Hinblick auf die Leistungshöhe und die Leistungsdauer des Erziehungsgehalts, weiterentwickelt. 80 Die finanzielle Anerkennung der Erziehungsarbeit bildet den Familienleistungsausgleich im familienpolitischen Konzept der ödp. Neben dem Familienleistungsausgleich ist ein Familienlastenausgleich durch das Kindergeld und die Kinderfreibeträge vorgesehen. Durch den Familienlastenausgleich sollen die Familien um die Hälfte der durchschnittlichen Kinderkosten entlastet werden; vgl. Gertrud Martin, Gerechtigkeit für Familien. Informations- und Diskussionspapier des ÖDP-Landesvorstands Baden-Württemberg, 1997, S. 8 ff. 81 Gertrud Martin, Gerechtigkeit für Familien. Informations- und Diskussionspapier des ÖDP-Landesvorstands Baden-Württemberg, 1997, S. 11. 82 Gertrud Martin, Gerechtigkeit für Familien. Informations- und Diskussionspapier des ÖDP-Landesvorstands Baden-Württemberg, 1997, S. lOf. 83 Die Bereitstellung von Regelkindergartenplätzen und der normale Schulbesuch sollen zu den bisherigen Bedingungen erfolgen; vgl. Gertrud Martin, Gerechtigkeit für Familien. Informations- und Diskussionspapier des ÖDP-Landesvorstands Baden-Württemberg, 1997, S. 10.

Α. Die Anerkennung der Kindererziehung als politische Forderung

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beitsentgelt aller Versicherten der Rentenversicherung im jeweils vorvergangenen Kalenderjahr basiert. 1996 betrug die Bezugsgröße in den alten Bundesländern monatlich 4.130 DM; das entsprach dem Durchschnittsverdienst des Jahres 1994. Für die Erziehung und Betreuung von drei Kindern soll das Erziehungsgehalt in voller Höhe dieser Bezugsgröße ausbezahlt werden. Da das erste Kind eine besonders große Umstellung für die Lebensgestaltung bedeutet, sollen die Eltern beim ersten Kind mit einem höheren Anteil abgesichert werden. Die Zuwächse für weitere Kinder sind entsprechend niedriger festgesetzt. Das maximale Gehalt von monatlich 4.130 DM (für 1996) wird deshalb in vier Teile geteilt. Beim ersten Kind sollen zwei Teile ausbezahlt werden (2.065 DM). Bei der Geburt eines zweiten Kindes soll sich das Erziehungsgehalt um einen weiteren Anteil auf 3.097,50 DM erhöhen und bei der Geburt eines dritten Kindes die endgültige Höhe von 4.130 D M erreichen. Das Erziehungsgehalt soll bis zum zwölften Lebensjahr eines Kindes gezahlt werden. 84 Das Erziehungsgehalt ist als Bruttolohn gedacht. Abzuziehen sind die Arbeitnehmeranteile85 für die Krankenkasse, die Rentenversicherung, die Arbeitslosenversicherung und die Pflegeversicherung (für 1996 insgesamt 428 DM). Hinzukommen die Abzüge für Lohnsteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag. Nach Abzug aller Sozial- und Steuerlasten verbleiben von dem Erziehungsgehalt für ein Kind von 2.065 DM brutto (für 1996) zwischen 1.029 D M und 1.631 D M netto. Davon abzuziehen sind einkommensabhängige Beiträge an den Familienfonds, der zur Finanzierung des Erziehungsgehalts gegründet werden soll. 86 Durch diese Art der Finanzierung soll sowohl ein vertikaler als auch ein horizontaler Ausgleich geschaffen werden. Besser gestellte Familien müssen unter Umständen mehr in den Familienfonds einzahlen als sie zurückbekommen, aber im Quervergleich zu ebenso gut situierten Kinderlosen, die ebenfalls Beiträge an den Familienfonds zu zahlen haben, erhalten sie ein Erziehungsgehalt und werden in der Summe weniger belastet.87

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Gertrud Martin, Gerechtigkeit für Familien. Informations- und Diskussionspapier des ÖDP-Landesvorstands Baden-Württemberg, 1997, S.9f. Nach neueren Angaben sieht das Modell des Bundesverbandes der Ökologisch-Demokratischen Partei vor, das Erziehungsgehalt bis zum achten Lebensjahr des Kindes in voller Höhe auszuzahlen und vom achten bis zum 14. Lebensjahr des Kindes zu halbieren. 85 Offen ist, wie der fehlende Arbeitgeberanteil ausgeglichen werden kann; vgl. Gertrud Martin, Gerechtigkeit für Familien. Informations- und Diskussionspapier des ÖDP-Landesvorstands Baden-Württemberg, 1997, S. 11. 86 Die Idee des Familienfonds ist dem Konzept des Deutschen Arbeitskreises für Familienhilfe e.V. (Otfried Hatzold! Christian Leipert, Erziehungsgehalt. Wirtschaftliche und soziale Wirkungen bezahlter Erziehungsarbeit der Eltern. Gutachten, 1996, S.20ff.; siehe dazu oben 3. Kapitel A.III. 1.) entlehnt; vgl. Gertrud Martin, Gerechtigkeit für Familien. Informationsund Diskussionspapier des ÖDP-Landesvorstands Baden-Württemberg, 1997, S. 10 f. 87 Gertrud Martin, Mit Kennerknecht-Modell und Erziehungsgehalt Familien sichern. Das ödp-Familienkonzept, in: ÖkologiePolitik Nr. 85 - Juli 1998, S. 8.

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3. Kap.: Die Förderung der Familie

6. Die Weidener Erklärung der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung Süddeutschlands (KAB) Die Weidener Erklärung der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung Süddeutschlands (KAB) 8 8 wurde 1987 veröffentlicht. Sie entstand als alternatives Konzept zu Überlegungen der Katholischen Sozialakademie Österreichs, die 1985 als Reaktion auf die damalige Beschäftigungsproblematik unter dem Titel „Grundeinkommen ohne Arbeit" veröffentlicht worden waren. 89 Ziel beider Modelle ist die Überwindung der Arbeitslosigkeit. Unterschiedlich beurteilt wird jedoch die Frage, ob die gegenwärtigen Erwerbsbiographien und die daran gebundene soziale Sicherung noch tragfähig sind, oder ob die soziale Sicherung und der soziale Status grundsätzlich anders festgelegt werden müssen, etwa in Form eines Grundeinkommens oder einer Grundsicherung. Während das Wiener Modell ein allgemeines Grundeinkommen vorschlägt, das durch Umverteilung des vorhandenen Einkommens finanziert werden soll, setzt das Weidener Modell auf die Entstehung zusätzlichen Einkommens durch die Schaffung neuer Wirtschaftssektoren. 90 Ein solches Wachstumsfeld soll die Tätigkeit in den privaten Haushalten bilden, in denen Kinder zu erziehen oder Familienangehörige zu pflegen sind. Durch die Schaffung eines Wachstumsfeldes im Bereich der Familienarbeit soll die bisher unbezahlte Arbeit in der Familie in den wirtschaftlichen Kreislauf integriert werden. Der Sektor der Familienarbeit bildet das wichtigste und quantitativ bedeutsamste Wachstumsfeld und steht im Zentrum der Weidener Erklärung. 91 Im Wachstumsfeld „Bezahlte Freistellung für Erziehung und Pflege" soll allen privaten Familienhaushalten, in denen mindestens ein Kind unter 15 Jahren oder ein anerkannter Pflegefall zu versorgen ist, ein durchschnittliches Arbeitnehmerein88 Katholische Arbeitnehmer-Bewegung Süddeutschlands (KAB), Weidener Erklärung - Arbeit durch Solidarität, 1987; Hans Ludwig, Arbeit durch Einkommen statt Grundeinkommen ohne Arbeit. Die Weidener Erklärung der KAB Süddeutschlands „Arbeit durch Solidarität", in: Wissenschaftliche Arbeitsstelle der Bildungs- und Begegnungsstätte der KAB und CAJ der Diözese Aachen (Hrsg.), Arbeiterfragen Nr. 3/1987; Katholische Arbeitnehmer-Bewegung Süddeutschlands (KAB), Durch Stabilitätspakt zur Vollbeschäftigung. Dokumentation einer Akademietagung zur Weidener Erklärung der KAB Süddeutschlands, 1990, S.25ff. 89 Vgl. Hans Ludwig, Arbeit durch Einkommen statt Grundeinkommen ohne Arbeit. Die Weidener Erklärung der KAB Süddeutschlands „Arbeit durch Solidarität", in: Wissenschaftliche Arbeitsstelle der Bildungs- und Begegnungsstätte der KAB und CAJ der Diözese Aachen (Hrsg.), Arbeiterfragen Nr. 3/1987, S. 3 ff. m. w. N. 90 Hans Ludwig, Arbeit durch Einkommen statt Grundeinkommen ohne Arbeit. Die Weidener Erklärung der KAB Süddeutschlands „Arbeit durch Solidarität", in: Wissenschaftliche Arbeitsstelle der Bildungs- und Begegnungsstätte der KAB und CAJ der Diözese Aachen (Hrsg.), Arbeiterfragen Nr. 3/1987, S. 3 f. 91 Hans Ludwig, Bezahlte Freistellung für Erziehung und Pflege als gleichberechtigte Erwerbsarbeit - damit Männer dort und Frauen in außerhäuslicher Erwerbsarbeit gleichwertige Chancen erhalten. Die Weidener Erklärung der KAB Süddeutschlands. Referat bei den 13. Heppenheimer Soziallehretagen im Mai 1994, in: Sozialinstitut der KAB (Hrsg.), Arbeitsmaterialien und Manuskripte Nr. 1/94, überarbeitete Fassung, 1997, S. 6 und 10.

Α. Die Anerkennung der Kindererziehung als politische Forderung

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kommen für die Familienarbeit angeboten werden (1996 hätte das monatliche Bruttoeinkommen rund 4.000 D M betragen). Die Auszahlung des Familiengehalts soll die zu gründende Bundesanstalt für Beschäftigung übernehmen. Voraussetzung für den Erhalt des Einkommens soll sein, daß eine Person im erwerbsfähigen Alter in diesem Haushalt tätig wird, ohne gleichzeitig anderweitig erwerbstätig zu sein. Diese Person soll in ein rechtlich geregeltes Arbeits- oder Dienstleistungsverhältnis eingebunden werden, das den Aufbau einer eigenen sozialen Sicherung ermöglicht. Die Gestaltung eines solchen Arbeits- oder Dienstverhältnisses könnte auf unterschiedliche Art und Weise erfolgen, je nachdem, ob es sich bei der Person, die den Arbeitsplatz in der Familie wahrnimmt, um die Mutter, den Vater, ein anderes Familienmitglied oder ein Nichtfamilienmitglied handelt. Die Eltern sollen frei entscheiden können, ob sie ihre Kinder selbst erziehen oder einer außerhäuslichen Erwerbstätigkeit nachgehen und die Kinderbetreuung zu Hause Dritten überlassen. Sie sind in jedem Fall Doppelverdiener, weil beide Eiternteile einen rechtlich geregelten und bezahlten Arbeitsplatz und eine eigene soziale Sicherung erhalten. Das Familiengehalt soll durch ein Programm zur Anerkennung der Familienarbeitsqualifikationen und den Aufbau eines eigenständigen Berufsbildes ergänzt werden, das die Nutzung dieser Qualifikationen in anderen familiennahen Wutschaftssektoren ermöglicht. Familienarbeit soll dadurch eine eigene berufliche Perspektive bieten.92 7. Das Trierer Modell eines Erziehungsgehalts des Katholikenrats im Bistum Trier Bereits Mitte der 80er Jahre hat der Katholikenrat der Diözese Trier unter Zuarbeit des Familienbundes der Deutschen Katholiken in der Diözese Trier ein familien- und arbeitsmarktpolitisches Modell zur Einführung eines Erziehungsgehalts vorgelegt. 93 Die Forderung nach einem Erziehungsgehalt wird begründet mit der wirtschaftlichen Benachteiligung der Familien mit Kindern, die sich aus den direkten finanziellen Aufwendungen für Kinder, den wegen der familienbedingten Unterbrechung der Berufstätigkeit entgangenen Erwerbseinkommen der Eltern, den verminderten Chancen zum beruflichen Wiedereinstieg und Aufstieg sowie aus den so92 Hans Ludwig, Thesen zum Thema Zukunft der Arbeit - Arbeit der Zukunft. Weidener Erklärung der KAB Süddeutschlands, 1997, S. 2; Hans Ludwig, Bezahlte Freistellung für Erziehung und Pflege als gleichberechtigte Erwerbsarbeit - damit Männer dort und Frauen in außerhäuslicher Erwerbsarbeit gleichwertige Chancen erhalten. Die Weidener Erklärung der KAB Süddeutschlands. Referat bei den 13. Heppenheimer Soziallehretagen im Mai 1994, in: Sozialinstitut der KAB (Hrsg.), Arbeitsmaterialien und Manuskripte Nr. 1/94, überarbeitete Fassung, 1997, S. 13. 93 Familienbund der Deutschen Katholiken im Bistum Trier, Gerechtigkeit für die Kinderfamilie. Keine Wohltaten. Das Trierer Modell, 3. Auflage, 1992; Martin Ulrich, Das „Trierer Modell", in: ÖkologiePolitik Nr. 85 - Juli 1998, S. 11 f. Das Trierer Modell wurde 1996 vom Forum Familie Rheinland-Pfalz bestätigt; Forum Familie Rheinland-Pfalz, An Kindern profitiert, wer keine hat. Dokumentation einer Tagung am 9. November 1996 in Trier, 2. Auflage, 1998, S. 79 ff.

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3. Kap.: Die Förderung der Familie

zialversicherungsrechtlichen Folgewirkungen der entgangenen Erwerbseinkommen ergibt. 94 Das Trierer Modell will einen Ausgleich für die immensen Umverteilungen von den Familien mit mehreren Kindern zu den Kinderlosen und Kinderarmen schaffen. Jeder Lebensentwurf, sei es der mit Kindern oder der ohne Kinder, soll die gleiche Chance erhalten. Kein Lebenskonzept soll durch finanzielle Anreize favorisiert werden. 95 Nach der Konzeption des Trierer Modells soll das Erziehungsgehalt beim ersten Kind mindestens sechs Jahre gewährt werden, beim zweiten Kind mindestens zwölf und beim dritten und jedem weiteren Kind 18 Jahre. Das Erziehungsgehalt soll sich am Durchschnittseinkommen des in der Rentenversicherung versicherten Teils der Bevölkerung orientieren; Ausgangspunkt für die Berechnung des Erziehungsgehalts ist daher die Bezugsgröße für die Sozialversicherung nach § 18 SGB IV. 9 6 Das Alter der Eltern zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes soll durch prozentuale Abschläge für jüngere Eltern Berücksichtigung finden. Bei drei oder mehr Kindern soll das Erziehungsgehalt in voller Höhe ausbezahlt werden, bei zwei Kindern zu zwei Dritteln und bei einem Kind zu einem Drittel. 97 Die Bezüge sollen wie Erwerbseinkommen mit Steuern und Sozialabgaben belastet werden, damit den Müttern und Vätern Rechtsansprüche gegenüber den Sozialversicherungen entstehen. Bei Aufnahme oder Beibehaltung einer Teilzeitarbeitsstelle soll das Erziehungsgehalt entsprechend gekürzt werden. 98 Von der Bezahlung der Familienarbeit werden erhebliche Auswirkungen auf Familie und Gesellschaft erwartet. So könnten sich die Eltern den Arbeitsplatz in der Familie teilen und erhielten dadurch die Möglichkeit, sich gleichberechtigt an der Familienarbeit und an der Erwerbsarbeit zu beteiligen. Das Selbstbewußtsein der Erziehenden würde sich positiv verändern, da sie keine Nachteile gegenüber anderer Arbeit hinzunehmen hätten und eigenständige Versicherungsansprüche erwerben 94 Familienbund der Deutschen Katholiken im Bistum Trier, Gerechtigkeit für die Kinderfamilie. Keine Wohltaten. Das Trierer Modell, 3. Auflage, 1992, S.8ff.; Martin Ulrich, Das „Trierer Modell", in: ÖkologiePolitik Nr. 85 - Juli 1998, S. 11. 95 Familienbund der Deutschen Katholiken im Bistum Trier, Gerechtigkeit für die Kinderfamilie. Keine Wohltaten. Das Trierer Modell, 3. Auflage, 1992, S. 19f. 96 Die Bezugsgröße (West) lag für das Jahr 1998 bei 4.340DM monatlich. 97 Das Forum Familie Rheinland-Pfalz nannte für 1996 einen Betrag von 3.300DM für drei oder mehr Kinder. Dieser setzte sich zusammen aus der Bezugsgröße von 4.130 DM, dem 20%-igen Abschlag für jüngere Eltern und einem Anteil von 1.100 D M pro Kind; vgl. Forum Familie Rheinland-Pfalz, An Kindern profitiert, wer keine hat. Dokumentation einer Tagung am 9. November 1996 in Trier, 2. Auflage, 1998, S. 82. 98 Martin Ulrich, Das „Trierer Modell", in: ÖkologiePolitik Nr. 85 - Juli 1998, S. 11 ; Familienbund der Deutschen Katholiken im Bistum Trier, Gerechtigkeit für die Kinderfamilie. Keine Wohltaten. Das Trierer Modell, 3. Auflage, 1992, S.27f. Nach Ansicht des Forums Familie Rheinland-Pfalz kommt es dagegen nicht darauf an, ob die Eltern erwerbstätig sind. Erleiden sie keinen Verdienstausfall, weil sie weiterhin berufstätig sind, benötigen sie einen Kinderkrippen- oder Kindergartenplatz. Diese Kosten sollen die Eltern mit Hilfe des Erziehungsgehaltes selbst tragen; vgl. Forum Familie Rheinland-Pfalz, An Kindern profitiert, wer keine hat. Dokumentation einer Tagung am 9. November 1996 in Trier, 2. Auflage, 1998, S. 81.

Α. Die Anerkennung der Kindererziehung als politische Forderung

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würden. Mit einem Rechtsanspruch gegenüber der Arbeitslosenversicherung hätten sie auch bessere Chancen auf Wiedereingliederung in das Erwerbsleben nach Abschluß der Familienphase. Zugleich erlangten sie eigene Rentenanwartschaften und wären im Alter abgesichert." 8. Das Modell eines Familiengehalts der Deutschen Evangelischen Allianz e.V. Das Modell der Deutschen Evangelischen Allianz e.V. 100 setzt ausdrücklich nicht auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf - darin wird bereits eine Abwertung der Familienarbeit gesehen - , sondern auf die Bezahlung der Familien- und Elterntätigkeit zur Herstellung tatsächlicher Gleichstellung und Gleichberechtigung zwischen häuslicher Familientätigkeit und außerhäuslicher Berufstätigkeit. Ziel des Modells ist, die Ausübung der für die Gesellschaft lebensnotwendigen Berufsaufgabe der Mutter oder des Vaters ohne Benachteiligung zu ermöglichen. Die Tätigkeit der Hausfrau und Mutter und des Hausmannes und Vaters soll materiell, sozial und juristisch als Berufstätigkeit anerkannt werden. 101 Nach der Konzeption des Modells der Deutschen Evangelischen Allianz e.V. sollen für das erste und zweite Kind mindestens jeweils 1.000 D M pro Monat, ab dem dritten Kind zusätzlich jeweils 500 D M pro Monat als staatliches Familiengehalt bezahlt werden. 102 Voraussetzung für den Erhalt des Familiengehalts soll sein, daß sich ein Elternteil ausschließlich oder beide Elternteile mindestens je zur Hälfte der Aufgabe der Mutter und Hausfrau oder des Vaters und Hausmannes widmen. Das Familiengehalt soll Steuer- und sozialversicherungsrelevant ausgezahlt werden, damit eine eigene soziale Sicherung der Erziehenden gewährleistet ist. 103 99

Martin Ulrich, Das „Trierer Modell", in: ÖkologiePolitik Nr. 85 - Juli 1998, S. 11. Deutsche Evangelische Allianz e.V., Die Familie braucht Zukunft. Thesen des familienpolitischen Arbeitskreises der Deutschen Evangelischen Allianz im Internationalen Jahr der Familie, 3. Auflage, 1996; Hartmut Steeb, Familienarbeit materiell, sozial und rechtlich anerkennen, in: ÖkologiePolitik Nr. 85 - Juli 1998, S. 12f. 101 Deutsche Evangelische Allianz e. V., Die Familie braucht Zukunft. Thesen des familienpolitischen Arbeitskreises der Deutschen Evangelischen Allianz im Internationalen Jahr der Familie, 3. Auflage, 1996, S.3. 102 Nach neueren Angaben ist für das erste und zweite Kind nunmehr ein Betrag von jeweils 1.200 D M und ab dem dritten Kind ein Betrag von jeweils 600 DM vorgesehen. Als flankierende Maßnahmen der Familienförderung sind unter anderem vorgesehen eine einmalige Ehebeihilfe von 1.000DM pro Person, weil die eheliche Gemeinschaft als ideale Voraussetzung für eine funktionierende Familiengemeinschaft angesehen wird, sowie ein monatliches Kindergeld in Höhe des Existenzminimum (für 1998 mindestens 600 DM); vgl. Hartmut Steeb, Familienarbeit materiell, sozial und rechtlich anerkennen, in: ÖkologiePolitik Nr. 85 - Juli 1998, S. 13. 103 Hartmut Steeb, Familienarbeit materiell, sozial und rechtlich anerkennen, in: ÖkologiePolitik Nr. 85 - Juli 1998, S. 12 f.; Deutsche Evangelische Allianz e. V., Die Familie braucht Zukunft. Thesen des familienpolitischen Arbeitskreises der Deutschen Evangelischen Allianz im Internationalen Jahr der Familie, 3. Auflage, 1996, S. 3 ff. 100

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3. Kap.: Die Förderung der Familie 9. Das Modell „Familiengemäßes Einkommen und familiengerechte Arbeitszeit" des Familienbundes der Deutschen Katholiken

Das Modell , familiengemäßes Einkommen und familiengerechte Arbeitszeit" des Familienbundes der Deutschen Katholiken 104 setzt zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familientätigkeit und Berufstätigkeit bei der zeitlichen Unabhängigkeit der Familien an. Mit begleitenden Maßnahmen wie dem Ausbau der bisherigen Regelungen zum Erziehungsurlaub und zum Erziehungsgeld sollen familiengerechte Arbeitszeiten abgesichert werden. Ziel ist die Weiterentwicklung des Erziehungsgeldes dahingehend, daß mit dem Erziehungsgeld der familienbedingte Verzicht auf Erwerbsarbeitszeit ausgeglichen wird. Familienzeitbedarf und Familieneinkommensbedarf sollen aufeinander abgestimmt und das Spannungsverhältnis zwischen Zeit- und Geldbedarf der Familie gelöst werden. Der Ausgleich durch das Erziehungsgeld ist unabhängig vom Familienlastenausgleich, der ausschließlich die kindbedingte Minderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Familie kompensiert. 105 Das Erziehungsgeld soll zu einem Instrumentarium weiterentwickelt werden, das den Zeit- und Geldbedarf der Familien ausgleicht. Es soll prinzipiell das Einkommen ersetzen, das einer Familie entgeht, wenn ein Elternteil unter Verzicht auf Erwerbsarbeit Familienzeit nimmt. Die Höhe des Einkommensersatzes soll sich am durchschnittlichen Einkommen aller abhängig Beschäftigten orientieren. Das Erziehungsgeld soll der Steuer- und Sozialversicherungspflicht unterliegen, wobei sich die Sozialversicherungspflicht nach der Vorbeschäftigung des die Familienzeit in Anspruch nehmenden Elternteils richten soll. Die Familienzeit und das Erziehungsgeld sollen den Eltern insgesamt sechs Jahre für jedes Kind zustehen und innerhalb der ersten 14 Lebensjahre des Kindes genutzt werden. 106

104 Familienbund der Deutschen Katholiken, Familie - Einkommen - Arbeitszeit. Familiengemäßes Einkommen und familiengerechte Arbeitszeit. Grundlagenpapier des Familienbundes der Deutschen Katholiken, in: Bernhard Jans/Georg Zimmermann (Hrsg.), Familie - Einkommen - Arbeitszeit, 1993, S. 11 ff. 105 Familienbund der Deutschen Katholiken, Familie - Einkommen - Arbeitszeit. Familiengemäßes Einkommen und familiengerechte Arbeitszeit. Grundlagenpapier des Familienbundes der Deutschen Katholiken, in: Bernhard Jans/Georg Zimmermann (Hrsg.), Familie - Einkommen-Arbeitszeit, 1993, S.21. 106 Familienbund der Deutschen Katholiken, Familie - Einkommen - Arbeitszeit. Familiengemäßes Einkommen und familiengerechte Arbeitszeit. Grundlagenpapier des Familienbundes der Deutschen Katholiken, in: Bernhard Jans/Georg Zimmermann (Hrsg.), Familie - Einkommen - Arbeitszeit, 1993, S. 21 f.

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10. Der Vorschlag des Landesfamilienrates Baden-Württemberg zur Entlastung der Familien Der Landesfamilienrat Baden-Württemberg setzt sich für die Gleichstellung der Familienarbeit mit der Erwerbsarbeit ein. Familienarbeit soll materiell aufgewertet werden, damit auch die Zeiten der Kindererziehung ein eigenes Einkommen und eine eigene soziale Sicherung hervorbringen. 107 Der Vorschlag des Landesfamilienrates Baden-Württemberg 108 versteht sich als umfassendes Konzept zur Entlastung und Förderung der Familie. Neben der steuerlichen Freistellung des Familienexistenzminimums109 sieht das Konzept einen Familienlastenausgleich vor, der erst nach der steuerlichen Behandlung der Familien einsetzt. Dieser Familienlastenausgleich soll aus Transferleistungen in Form eines Kindergeldes bestehen, das allen Familien die Sicherung des Existenzminimums der Kinder ermöglicht, ohne auf Sozialhilfe angewiesen zu sein. Da die Familien mit steigendem Einkommen in zunehmendem Maße in der Lage sind, die notwendigen Aufwendungen für den Kindesunterhalt selbst aufzubringen, ist das Kindergeld degressiv ausgestaltet.110 Neben der Familienbesteuerung und dem Familienlastenausgleich ist als dritter Bestandteil des Konzepts ein Familienleistungsausgleich vorgesehen. Die Leistungen des Familienleistungsausgleichs sollen zumindest einen Teil des Einkommens ausgleichen, das mit der Geburt eines Kindes und die dadurch bedingte Reduzierung der Erwerbsarbeitszeit entfällt. Ziel des Familienleistungsausgleichs ist aber vor allem die Anerkennung der Erziehungsleistung der Eltern. Vorgesehen ist eine durchgängig einheitliche Transferleistung für Kinder, so daß die Erziehungsleistung aller Eltern gleich behandelt wird. 111

107

Landesfamilienrat Baden-Württemberg, Familie und Arbeitswelt, in: Landesfamilienrat Baden-Württemberg (Hrsg.), Handlungsfeld Familie, Heft 1 der Schriftenreihe zur Familienpolitik, 1990, S.23. 108 Landesfamilienrat Baden-Württemberg, Entlastung von Familien durch Steuergerechtigkeit und Familienlastenausgleich, 2. Auflage, 1995. 109 Dazu sind für Erwachsene Grundfreibeträge und für Kinder Kinderfreibeträge vorgesehen. Die Kinderfreibeträge wurden für 1996 mit mindestens 7.200DM veranschlagt; vgl. Landesfamilienrat Baden-Württemberg, Entlastung von Familien durch Steuergerechtigkeit und Familienlastenausgleich, 2. Auflage, 1995, S.4 und 11. 110 Landesfamilienrat Baden-Württemberg, Entlastung von Familien durch Steuergerechtigkeit und Familienlastenausgleich, 2. Auflage, 1995, S.5. 111 Landesfamilienrat Baden-Württemberg, Entlastung von Familien durch Steuergerechtigkeit und Familienlastenausgleich, 2. Auflage, 1995, S. 7 f. Über Dauer und Höhe der Transferleistungen werden keine Angaben gemacht. Der Familienleistungsausgleich soll je nach politischem Willen und finanzieller Machbarkeit in unterschiedlicher Höhe realisiert werden.

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3. Kap.: Die Förderung der Familie 11. Das Modell einer Kindheitsversicherung von Hannelore Schröder

Von Hannelore Schröder stammt der Vorschlag einer Kindheitsversicherung, der auf die Niederländerin Galinka Ehrenfest zurückgeht. 112 Nach diesem Modell soll jede Mutter nach der Geburt eines Kindes eine Versicherungsleistung für ihr Kind erhalten. Diese Versicherungsleistung soll eine Geldleistung für die unmittelbaren Kosten des Kindes (Unterhalt) und eine Einkommensleistung mit allen Sozialleistungen für eine Versorgerperson (Mutter, Vater oder Dritte) umfassen. Die Einkommensleistung soll in Höhe eines mittleren oder Durchschnittseinkommens bezahlt werden, so daß die Personen, die Kinder betreuen und erziehen, mit den Kindern, die ihren Unterhalt ebenfalls aus der Kindheitsversicherung erhalten, finanziell unabhängig sind. Mit der Individualisierung der Ansprüche könnten die geltenden Unterhaltsregelungen abgeschafft werden. 113 Ziel der Kindheitsversicherung ist die horizontale Einkommensumverteilung zwischen Bürgern mit Kindern und Bürgern ohne Kinder. Die vertikale Einkommensumverteilung soll über die Beiträge zur Kindheitsversicherung und die allgemeine Besteuerung erfolgen. Auch die Bezieher eines Einkommens aus der Kindheitsversicherung sollen von ihrem Bruttoeinkommen einen Beitrag für die Kindheitsversicherung leisten. Die Beiträge zur Finanzierung der Kindheitsversicherung sind dabei als nachträgliche Finanzierung der Kosten für die eigene Kindheit und Jugend zu verstehen. Deshalb sollen auch Kinderlose an der Finanzierung der Kindheitsversicherung beteiligt werden. Auf diese Weise sollen alle arbeitenden Erwachsenen alle Kinder und (zeitweise) deren Eltern versorgen. 114 12. Das Modell eines Kinderbetreuungsschecks des Österreichischen Instituts für Familienforschung (ÖIF) 1997 hat das österreichische Bundesministerium für Umwelt, Jugend und Familie (BMUJF) das Österreichische Institut für Familienforschung (ÖIF) beauftragt, Modelle staatlicher Transferleistungen für die Kinderbetreuung zu entwickeln, die unabhängig von der Berufstätigkeit der Eltern und der Form des Zusammenlebens sind. 1998 legte das ÖIF einen ersten Bericht zur Entwicklung von Modellen eines Kinderbetreuungsschecks und zur Analyse deren Auswirkungen vor. 115 Zentrale Idee im Konzept des ÖIF ist, durch generelle und möglichst unspezifische Maßnah112

Hannelore Schröder; Zur Empirie und Theorie ökonomischer Verelendung von Müttern. Zum Zusammenhang von unbezahlter Hausarbeit, Leichtlohn-Arbeit, Doppelarbeit und Teilzeit-Arbeit von Frauen, in: ZfSÖ 71/1986, S. 12ff. 113 Hannelore Schröder, Zur Empirie und Theorie ökonomischer Verelendung von Müttern. Zum Zusammenhang von unbezahlter Hausarbeit, Leichtlohn-Arbeit, Doppelarbeit und Teilzeit-Arbeit von Frauen, in: ZfSÖ 71/1986, S. 12ff. 114 Hannelore Schröder, Zur Empirie und Theorie ökonomischer Verelendung von Müttern. Zum Zusammenhang von unbezahlter Hausarbeit, Leichtlohn-Arbeit, Doppelarbeit und Teilzeit-Arbeit von Frauen, in: ZfSÖ 71/1986 S. 12ff.

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men den vielfältigen Bedürfhislagen der Kinder und Eltern Rechnung zu tragen, Wahlfreiheit praktisch und finanziell zu ermöglichen und die Betreuungsarbeit auch in der Familie zu entgelten. Konzeptionell handelt es sich bei diesem Modell um ein Maßnahmenbündel zur Entlastung der Familien von den Betreuungskosten. Das ÖIF stellt in seinem Konzept grundsätzlich auf die erwartete Betreuung und nicht auf ein bestimmtes Verhalten der Eltern ab. Dabei setzt das Modell an der während der üblichen Erwerbsarbeitszeiten erforderlichen Kinderbetreuung an und spricht daher konsequent von der „Teilzeitbetreuung" der Kinder. Der Kinderbetreuungsscheck ist als teilweise Abgeltung der notwendigen Betreuungs- und Erziehungsarbeit für Kinder gedacht.116 Die Leistungsabgeltung durch den Kinderbetreuungsscheck soll den Eltern unabhängig von ihrer jeweiligen beruflichen und finanziellen Situation gewährt werden, um ihnen die größtmögliche Wahlfreiheit zu gewähren. Der Betreuungsscheck soll aus drei Teilinstrumenten bestehen, und zwar aus Geldleistungen, Sozialversicherungsbeiträgen und Gutscheinen. Die Geldleistungen sollen bis zum vierten Lebensjahr des Kindes an die Hauptbetreuungsperson ausbezahlt werden. Die Höhe der Geldleistungen soll in einer ersten Variante (Modell „Karenzgeld") in Anlehnung an die Leistungshöhe des gegenwärtigen Karenzgeldes mindestens 5.700 öS (809 DM) pro Monat betragen. In einer zweiten Variante (Modell „Existenzminimum") sollen die Geldleistungen 7.958 öS (1.130 DM) pro Monat betragen. Diese Zahl leitet sich aus dem Richtsatz für die Mindestabsicherung nicht mehr erwerbstätiger Personen ab. Das Existenzminimum soll der Betreuungsperson als Transferentgelt zustehen. Die Geldleistungen sollen in jedem Fall unabhängig von der Kinderzahl gewährt werden. Das ÖIF grenzt das Modell des Kinderbetreuungsschecks damit ausdrücklich von den kinderzahlbezogenen Erziehungsgehaltsmodellen ab und stellt die Betreuungsperson in den Vordergrund der Betrachtung. Die öffentlichen Transfers für Kinder sollen möglichst das Absinken des Lebensstandards der Eltern verhindern, ihn aber nicht erhöhen. 117 Nach dem vierten Lebensjahr des jüngsten Kindes soll ein verringerter Geldbetrag ausbezahlt werden, und zwar je nach Modell 3.400 öS (483 DM) bzw. 4.558 öS 115 Österreichisches Institut für Familienforschung (ÖIF), Rohbericht zum Projekt „Entwicklung von Modellen eines Kinderbetreuungsschecks und Analyse der Auswirkungen" (Machbarkeitsstudie Kinderbetreuungsscheck), 1998; Helmuth Schattovits, Kinderbetreuungsscheck in Österreich, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S. lOOff. 116 Vgl. Günter Denk!Helmuth Schattovits, Teilzeitbetreuung von Kindern in Österreich. Eine Bestandsaufnahme zur Orientierung über Formen, Kosten und Finanzierung, 1995, S. 157 f.; Österreichisches Institut ßr Familienforschung (ÖIF), Rohbericht zum Projekt „Entwicklung von Modellen eines Kinderbetreuungsschecks und Analyse der Auswirkungen" (Machbarkeitsstudie Kinderbetreuungsscheck), 1998, S. 11. 117 Österreichisches Institut ßr Familienforschung (ÖIF), Rohbericht zum Projekt „Entwicklung von Modellen eines Kinderbetreuungsschecks und Analyse der Auswirkungen" (Machbarkeitsstudie Kinderbetreuungsscheck), 1998, S. 11 f.

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3. Kap.: Die Förderung der Familie

(647 DM) monatlich. Der Restbetrag soll als Gutschein für die Inanspruchnahme einer anerkannten Betreuungseinrichtung gewährt werden. Im Unterschied zur Geldleistung soll der Gutschein für jedes Kind zwischen vier Jahren und Schuleintritt gewährt werden. Zum ersten Schuljahr soll der Gutschein entfallen; die Geldleistungen sollen dagegen bis zum Abschluß der ersten Klasse gewährt werden. Bezieher des Kinderbetreuungsschecks sollen zudem während der gesamten Zeit der Leistungsgewährung eigenständig renten-, kranken- und unfallversichert werden. 118

13. Das Modell der Elternversicherung Das Modell der Elternversicherung folgt dem Gedanken, den durch die erziehungsbedingte Unterbrechung oder Reduzierung der Erwerbsarbeit entstehenden Einkommensausfall als eigenes, im traditionellen Katalog der sozialen Risiken bislang nur ansatzweise berücksichtigtes Risiko abzusichern. Das auf Eigenständigkeit, Berufskontinuität und Lebensstandardsicherung gerichtete Modell der Elternversicherung sieht deshalb vor, bei aufgrund der Kindererziehung eingeschränkter Erwerbstätigkeit Transferleistungen zu zahlen.119 Ziel der Elternversicherung ist die Herstellung der Gleichberechtigung der Frauen und Männer in Beruf und Familie. Da das bestehende System der sozial- und familienpolitischen Regelungen am Leitbild der Hausfrauenehe ausgerichtet ist, wird die Förderung der Versorgerehe als Haupthindernis für die Gleichberechtigung der Frauen und Männer im Beruf angesehen. Ein notwendiger, wenngleich nicht hinreichender Schritt auf dem Weg zur Verwirklichung des Gleichstellungsziels sei deshalb, mit Transferleistungen anstelle der Hausfrauenehe die Teilzeitarbeit von Müttern und Vätern zu fördern. Dadurch würden die Doppelbelastung der Mütter vermindert, die Nichterwerbstätigkeit und deren negative Konsequenzen vermieden und die Chancen auf dem (qualifizierten) Arbeitsmarkt nicht durch lange Familienpausen verschlechtert. Die Elternversicherung soll nicht das Nacheinander, sondern das Nebeneinander von Familie und Beruf ermöglichen, und zwar derart, daß Kinderbetreuung und Familienarbeit in die Biographien beider Geschlechter integrierbar sind. 120 118

Österreichisches Institut ßr Familienforschung (ÖIF), Rohbericht zum Projekt „Entwicklung von Modellen eines Kinderbetreuungsschecks und Analyse der Auswirkungen" (Machbarkeitsstudie Kinderbetreuungsscheck), 1998, S. l f . und 14ff.; Helmuth Schattovits, Das Konzept Kinderbetreuungsscheck, in: Deutsche Hausfrauengewerkschaft e.V. (Hrsg.), Familienarbeit - Basis der Wirtschaft auch für Europa. Tagungsdokumentation, 1999, S. 1 ff. 119 Ellen Kirner, Sozialleistungen, Einkommensausgleich und erziehungsbedingte Teilzeitarbeit, in: Gerhard Bäcker/Brigitte Stolz-Willig (Hrsg.), Kind, Beruf, Soziale Sicherung. Zukunftsaufgabe des Sozialstaats, 1994, S.72ff.; Gerhard Bäcker!Brigitte Stolz-Willig, Vereinbarkeit von Beruf und Familie als eine Zukunftsaufgabe des Sozialstaats, in: Gerhard Bäcker/ Brigitte Stolz-Willig (Hrsg.), Kind, Beruf, soziale Sicherung. Zukunftsaufgabe des Sozialstaats, 1994, S.40ff.; Ellen Kirner/Volker Meinhardt, Allgemeine Arbeitszeitverkürzung und ihre Auswirkung auf Einkommen und soziale Sicherung, 1997, S.77ff.

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Müttern und Vätern soll die Elternversicherung die Einschränkung der Erwerbstätigkeit zugunsten der Kinderbetreuung erleichtern, indem sie die entstehenden Einkommensausfälle mit Lohnersatzleistungen ausgleicht. Mit diesen Leistungen, dem Elterngeld, soll das geminderte Einkommen um einen vom Lohn oder Gehalt abhängigen Betrag aufgestockt werden und eine Absicherung in der Renten-, Kranken· und Arbeitslosenversicherung gewährleistet werden. Um das Gleichstellungsziel konsequent zu verwirklichen, soll den Eltern das Freistellungsbudget je zur Hälfte zur Verfügung stehen, so daß der Anspruch auf die subventionierte Teilzeitarbeit entfällt, wenn er vom jeweils Berechtigten nicht wahrgenommen wird. 121 In seiner Ausgestaltung als Sozialversicherungsleistung ist das Elterngeld ausdrücklich nicht als Honorierung für die Betreuungsarbeit konzipiert. Das Elterngeld richtet sich nach dem bestehenden Arbeitsverhältnis und dem wegen der Reduzierung der Arbeitszeit entfallenden Lohn. Als Lohnersatzleistung soll es den Lebensstandard sichern, indem es die Stetigkeit des Einkommensverlaufs gewährleistet. Die Ausgestaltung des Elterngeldes als Lohnersatzleistung anstelle eines pauschalen Betrags, der den Verdienstausfall im Zweifel nicht vollständig ersetzt, soll auch für Väter Anreize schaffen, ihre Erwerbsarbeitszeit zu reduzieren. Eine Ausnahme vom Prinzip des Lohnersatzes wird allerdings bei Eltern gemacht, die noch nicht erwerbstätig waren oder nur sehr wenig verdient haben. Gleiches soll für Frauen gelten, die nach der Geburt eines Kindes Hausfrau geblieben sind und nach einer längeren Familienphase ein weiteres Kind bekommen. In diesen Fällen ist ebenso wie bei Selbständigen eine pauschalierte Berechnung des Elterngeldes vorgesehen.122 Was die zeitliche Ausgestaltung betrifft, so reichen die verschiedenen Vorschläge einer Elternversicherung von den ersten drei Lebensjahren eines Kindes, in denen auch eine völlige Freistellung eines Elternteils möglich sein soll, bis zum zwölften Lebensjahr eines Kindes. 123 Die Einkommensersatzleistungen der Eltemversicherung sollen durch Beiträge an eine vom Staatshaushalt getrennte Versicherungsanstalt finanziert werden. Vorgesehen ist eine allgemeine Beitragspflicht, so daß die Finanzierung des Elterngeldes nicht nur den kinderlosen Erwerbstätigen überlassen bleibt. Allerdings sollen Erwerbstätige phasenweise von der Beitragspflicht befreit werden, wenn sie selbst 120 Ellen Kirner, Sozialleistungen, Einkommensausgleich und erziehungsbedingte Teilzeitarbeit, in: Gerhard Bäcker/Brigitte Stolz-Willig (Hrsg.), Kind, Beruf, Soziale Sicherung. Zukunftsaufgabe des Sozialstaats, 1994, S.72ff. 121 Ellen Kirner, Sozialleistungen, Einkommensausgleich und erziehungsbedingte Teilzeitarbeit, in: Gerhard Bäcker/Brigitte Stolz-Willig (Hrsg.), Kind, Beruf, Soziale Sicherung. Zukunftsaufgabe des Sozialstaats, 1994, S.83ff. 122 Ellen Kirner, Sozialleistungen, Einkommensausgleich und erziehungsbedingte Teilzeitarbeit, in: Gerhard Bäcker/Brigitte Stolz-Willig (Hrsg.), Kind, Beruf, Soziale Sicherung. Zukunftsaufgabe des Sozialstaats, 1994, S. 81 ff. 123 Vgl. zu den verschiedenen Vorschlägen Ellen Kirner, Sozialleistungen, Einkommensausgleich und erziehungsbedingte Teilzeitarbeit, in: Gerhard Bäcker/Brigitte Stolz-Willig (Hrsg.), Kind, Beruf, Soziale Sicherung. Zukunftsaufgabe des Sozialstaats, 1994, S. 88 ff.

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3. Kap.: Die Förderung der Familie

Kinder in dem durch die Versicherung begünstigten Alter haben. Sowohl für die Einkommensersatzleistungen als auch für die Beitragsbemessung ist eine Begrenzung vorgesehen.124 14. Das Modell „Geschützte Teilzeitarbeit für Eltern" a) Das Modell „ Geschütze Teilzeitarbeit fir Eltern " von Birgit Geissler und Birgit Pfau Das Modell „Geschützte Teilzeitarbeit für Eltern" wurde von Birgit Geissler und Birgit Pfau 125 entwickelt. Im Mittelpunkt des Modells steht die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch die Einräumung eines Rechts auf Arbeitszeitverkürzung für Eltern. Verbunden mit einem Einkommensausgleich soll das Recht auf geschützte Teilzeitarbeit erwerbstätigen Eltern mit betreuungspflichtigen Kindern ermöglichen, anstelle eines ganzen Tages nur einen dreiviertel oder einen halben Tag Erwerbsarbeit zu leisten oder sich unter Umständen auch ganz freistellen zu lassen, ohne Einkommenseinbußen zu erleiden und sozialrechtliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis zu verlieren. 126 Das Modell sieht vor, Eltern innerhalb eines bestehenden Arbeitsverhältnisses ein Recht auf geschützte Teilzeitarbeit zu gewähren. Wahrend des ersten halben Lebensjahres des Kindes sollen die Eltern zunächst mit einer einkommensunabhängigen pauschalen Unterstützung nach dem Erziehungsgeldgesetz abgesichert werden. Anschließend soll das aus der Teilzeitbeschäftigung resultierende Einkommen mit einer Lohnersatzleistung bis zur Höhe des vorher erzielten Einkommens aufgestockt werden. 127 Während der ersten drei Lebensjahre eines Kindes soll grundsätz124

Ellen Kirner, Sozialleistungen, Einkommensausgleich und erziehungsbedingte Teilzeitarbeit, in: Gerhard Bäcker/Brigitte Stolz-Willig (Hrsg.), Kind, Beruf, Soziale Sicherung. Zukunftsaufgabe des Sozialstaats, 1994, S.94ff. 125 Birgit Geissler/Birgit Pfau, Frauenförderung mittels Arbeitszeitverkürzung - Ein Modell der positiven Diskriminierung von Eltern im Erwerbsleben, in: WSI-Mitteilungen 7/1989, S. 383 ff.; vgl. auch Eva-Maria Kurfeß-Carpentier, Geschützte Teilzeitarbeit für Erziehung und Pflege, in: Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB), Landesverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart (Hrsg.), Familie und Arbeit - nicht nur Frauensache, Materialien zur Information und Bildungsarbeit 6/93, S. 17 f.; Volker Teichert, Familienpolitik zwischen Integration und Emanzipation. Von der segmentierten zur bedürfhisorientierten Familienpolitik, in: Volker Teichert (Hrsg.), Junge Familien in der Bundesrepublik. Familienalltag - Familienumwelt - Familienpolitik, 1990, S. 247 ff. 126 Birgit Geissler!Birgit Pfau, Frauenförderung mittels Arbeitszeitverkürzung - Ein Modell der positiven Diskriminierung von Eltern im Erwerbsleben, in: WSI-Mitteilungen 7/1989, S.387. 127 Birgit Geissler/Birgit Pfau, Frauenförderung mittels Arbeitszeitverkürzung - Ein Modell der positiven Diskriminierung von Eltern im Erwerbsleben, in: WSI-Mitteilungen 7/1989, S. 387 f. Volker Teichert, der ebenfalls das Modell der geschützten Teilzeitarbeit befürwortet, setzt das Eltemgeld auf 73 % des Bruttoeinkommens fest; vgl. Volker Teichert, Familienpolitik zwischen Integration und Emanzipation. Von der segmentierten zur bedürfhisorientierten Fa-

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lieh auch eine vollständige Freistellung möglich sein, es würde aber maximal die halbe tarifliche Arbeitszeit finanziell ausgeglichen.128 Die Finanzierung ist über eine beitragsfinanzierte Elternversicherung vorgesehen.129 Das Modell ist ausdrücklich nicht als Unterstützung für die Familie konzipiert. Deshalb ist kein fester Satz für die Betreuung von Kindern oder anderen Personen vorgesehen, sondern eine reine Einkommensersatzleistung. Damit wird bewußt in Kauf genommen, daß verschiedene Personen für die Betreuung von Kindern unterschiedlich viel Geld bekommen. Grund für einen einkommensbezogenen Zahlungsbetrag ist auch, daß Männer, deren Einkommen über dem der Ehefrau oder Partnerin liegt, die Freistellung sonst nicht in Anspruch nehmen würden. 130 b) Das Modell „Geschützte Teilzeitarbeit ßr Erziehung und Pflege" des Landesverbandes der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) der Diözese Rottenburg-Stuttgart Der Landesverband der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) der Diözese Rottenburg-Stuttgart hat das Modell „Geschützte Teilzeitarbeit für Eltern" von Birgit Geissler und Birgit Pfau aufgegriffen und zu einem Modell „Geschützte Teilzeitarbeit für Erziehung und Pflege" weiterentwickelt, indem es um Freistellungsmöglichkeiten zur Pflege älterer oder kranker Angehöriger ergänzt wurde (zwar ist auch das Modell von Birgit Geissler und Birgit Pfau für Kinder oder andere betreuungsbedürftige Personen konzipiert, der Schwerpunkt liegt jedoch eindeutig auf der Freistellung für die Kindererziehung). Kernpunkt ist auch in diesem Modell das Recht auf Arbeitszeitverkürzung, wenn Kinder zu betreuen oder Familienangehörige zu pflegen sind. Die Freistellung sowie milienpolitik, in: Volker Teichert (Hrsg.), Junge Familien in der Bundesrepublik. Familienalltag - Familienumwelt - Familienpolitik, 1990, S. 249. 128 Volker Teichert schlägt ein dreijähriges Recht auf Teilzeitarbeit vor, das so gestaltet sein soll, daß grundsätzlich bei jedem Eltemteil 30 Arbeitsstunden pro Woche finanziell abgedeckt werden. Den Eltern sollen im ersten Jahr jeweils ein Recht auf acht Stunden Erwerbsarbeit und 22 Stunden subventionierte Familienarbeit eingeräumt werden, im zweiten Jahr 14 Stunden Erwerbsarbeit und 16 Stunden Familienarbeit und im dritten Jahr 20 Stunden Erwerbs- und 10 Stunden Familienarbeit; vgl. Volker Teichert, Familienpolitik zwischen Integration und Emanzipation. Von der segmentierten zur bedürfnisorientierten Familienpolitik, in: Volker Teichert (Hrsg.), Junge Familien in der Bundesrepublik. Familienalltag - Familienumwelt - Familienpolitik, 1990, S. 248. 129 Birgit Geissler!Birgit Pfau, Frauenförderung mittels Arbeitszeitverkürzung - Ein Modell der positiven Diskriminierung von Eltern im Erwerbsleben, in: WSI-Mitteilungen 7/1989, S. 389 f.; vgl. auch Volker Teichert, Familienpolitik zwischen Integration und Emanzipation. Von der segmentierten zur bedürfnisorientierten Familienpolitik, in: Volker Teichert (Hrsg.), Junge Familien in der Bundesrepublik. Familienalltag - Familienumwelt - Familienpolitik, 1990, S.248f. 130 Birgit Geissler!Birgit Pfau, Frauenförderung mittels Arbeitszeitverkürzung - Ein Modell der positiven Diskriminierung von Eltern im Erwerbsleben, in: WSI-Mitteilungen 7/1989, S.388. 16 Tünnemann

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3. Kap.: Die Förderung der Familie

die Leistungen zum Einkommensausgleich sind in beiden Modellen ähnlich gestaltet. Für Kinder zwischen drei und acht Jahren soll zudem die halbe tarifliche Arbeitszeit subventioniert werden, wenn die Erwerbstätigkeit zur Hälfte beibehalten oder wieder aufgenommen wird. Die subventionierte Teilzeitarbeit soll auch durch zwei im Haushalt lebende Erwerbspersonen in Anspruch genommen werden können, indem beide ihre Erwerbsarbeitszeit um ein Viertel der tariflichen Arbeitszeit verkürzen und sich die Versorgung und Betreuung der Kinder entsprechend teilen. Für Kinder von acht bis zwölf Jahren soll der durch Arbeitszeitverkürzung entstehende Einkommensverlust einer Person bis zu einem Viertel der tariflichen Arbeitszeit ausgeglichen werden. Weitergehende Arbeitszeitverkürzungen sind unter bestimmten Bedingungen möglich, etwa wenn mehr als zwei Kinder im Haushalt leben oder wenn ein Kind behindert ist. Die dadurch entstehenden Einkommenseinbußen müssen jedoch selbst getragen werden. 131 Im Unterschied zum Modell von Birgit Geissler und Birgit Pfau sollen die Geldmittel für den Einkommensausgleich nach den Vorstellungen der KAB von einer aus Steuermitteln finanzierten staatlichen Familienkasse bereitgestellt werden. Außerdem soll der Arbeitnehmer, dessen Familienarbeit subventioniert wird, in den Sozialversicherungen mit seinem Erwerbseinkommen und mit seinem Einkommensersatz geführt werden. Die Familienkasse soll die notwendige Aufstockung der Sozialversicherungsbeiträge leisten, so daß der Arbeitnehmer keine Nachteile durch die Reduzierung der Arbeitszeit hinnehmen muß. 132 c) Das Modell „Zeit und Geld ßr Kinder" der früheren Bundestagsfraktion Die Grünen!Bündnis 90 1990 hat die damalige Bundestagsfraktion Die Grünen/Bündnis 90 einen Gesetzentwurf zu arbeitsrechtlichen Regelungen und Transferzahlungen bei erziehungsbedingter Freistellung von der Erwerbsarbeit vorgelegt. Diesem Entwurf eines Gesetzes zur Freistellung und Reduzierung von Erwerbsarbeitszeit für Erziehende - Zeit und Geld für Kinder - (Elternfreistellungsgesetz - EFG) 133 lag ebenfalls das Gutachten von Birgit Geissler und Birgit Pfau „Geschützte Teilzeitarbeit für Eltern" zugrunde. Ziel des Gesetzentwurfs war, Frauen mit Kindern die vorübergehende Unterbrechung der Erwerbstätigkeit bis zu drei Jahren und die Reduzierung der täglichen Er131 Eva-Maria Kurfeß-Carpentier, Geschützte Teilzeitarbeit für Erziehung und Pflege, in: Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB), Landesverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart (Hrsg.), Familie und Arbeit - nicht nur Frauensache, Materialien zur Information und Bildungsarbeit 6/93, S. 17f. 132 Eva-Maria Kurfeß-Carpentier, Geschützte Teilzeitarbeit für Erziehung und Pflege, in: Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB), Landesverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart (Hrsg.), Familie und Arbeit - nicht nur Frauensache, Materialien zur Information und Bildungsarbeit 6/93, S. 17 f. 133 BT-Drucks. 11/8423.

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Werbearbeit ohne den hohen Preis der Wiedereinstiegsproblematik, der bisherigen Benachteiligung der Teilzeitbeschäftigung, der aktuellen Armut und der Altersarmut zu ermöglichen. Gleichzeitig sollte das Gesetz auch Männern ermöglichen, sich mehr Zeit für ihre Kinder zu nehmen.134 Für alle Frauen und Männer, die für Kinder im betreuungsintensiven Alter von null bis zwölf Jahren verantwortlich sind, sah der Entwurf die Einführung eines Rechts auf Reduzierung der Erwerbsarbeitszeit vor. Gleichzeitig sollte ein Zeitkontingent (Zeitkonto) von drei Jahren für die völlige Freistellung von Erwerbsarbeit eingeführt werden. Sowohl den Reduzierungs- als auch den Freistellungsanspruch sollten sich Mütter und Väter oder andere Betreuungspersonen teilen. Die Rückkehr auf den Vollzeitarbeitsplatz nach einer Teilzeitbeschäftigung sollte genauso gesichert sein wie der Anspruch, nach Zeiten der vollen Freistellung auf einen qualitativ gleichwertigen Erwerbsarbeitsplatz zurückzukehren. 135 Der Gesetzentwurf sah bei voller Freistellung die Zahlung eines pauschalen Betreuungsgeldes und bei Reduzierung der Erwerbstätigkeit einen lohnabhängigen Einkommensausgleich (Vergütungsersatzleistung) vor. Dadurch sollte die finanzielle Autonomie der Frauen gestärkt und die ökonomische Abhängigkeit vom Mann abgebaut werden. Für die während der Reduzierung gewährte Lohnersatzleistung und das während der Freistellung gezahlte Betreuungsgeld sollten die üblichen Sozialabgaben abgeführt werden. Einen Anspruch auf Betreuungsgeld sollten abhängig Beschäftigte, Selbständige, Erwerbslose, Hausfrauen und Auszubildende haben; die Lohnersatzleistung sollte dagegen nur an Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen gezahlt werden, sofern eine Berufstätigkeit von mindestens der Hälfte der Normalarbeitszeit ausgeübt wird (oder von drei Vierteln, wenn sich zwei Betreuungspersonen den Anspruch teilen). Das Betreuungsgeld war mit monatlich 1.300 DM veranschlagt und sollte aus Steuermitteln finanziert werden. Mit der Lohnersatzleistung sollte das Einkommen auf 100 % des im Vorjahr durchschnittlich erzielten Einkommens - mindestens jedoch auf 1.300 D M - aufgestockt werden, allerdings nur bis zu einer Einkommensgrenze von 25.000DM im Jahr. Die Finanzierung der Lohnersatzleistung war über eine Elternversicherung vorgesehen, in die Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzahlen sollten. 136

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BT-Drucks. 11/8423, S.2. BT-Drucks. 11/8423, S.3. 136 BT-Drucks. 11/8423, S.2f. und 6f.; vgl. auch Ellen Kirner, Sozialleistungen, Einkommensausgleich und Teilzeitarbeit, in: Gerhard Bäcker/Brigitte Stolz-Willig (Hrsg.), Kind, Beruf, Soziale Sicherung. Zukunftsaufgabe des Sozialstaats, 1994, S.91 ff. 135

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3. Kap.: Die Förderung der Familie 15. Das Konzept des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) für einen Elternurlaub mit Zeitkonto und Lohnersatzleistung a) Das Konzept des Deutschen Gewerkschaftsbundes

Zur besseren Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familienaufgaben schlagen die Gewerkschaften die Einführung eines Elternurlaubs mit Zeitkonto und Lohnersatzleistung vor. Die Grundzüge für die Ausgestaltung dieses Eltemurlaubs sind im sozialpolitischen Programm des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) von 1990 genannt.137 Um den Eltern die Betreuung und Pflege des Kindes in den ersten Lebensjahren zu ermöglichen, ohne Beruf und Arbeitsplatz aufgeben zu müssen, soll der Erziehungsurlaub nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz durch einen dreijährigen Elternurlaub ersetzt werden. Der Elternurlaub soll in Form eines Zeitkontos zur Verfügung gestellt werden, damit er von Mutter oder Vater bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres des Kindes in Anspruch genommen werden kann. Er soll mit Teilzeiterwerbstätigkeit derart kombiniert werden können, daß ein Rechtsanspruch auf arbeits- und sozialversicherungsrechtlich geschützte Teilzeitarbeit am Arbeitsplatz mit Rückkehrmöglichkeit zur Vollzeitarbeit besteht. Für die Zeit des Elternurlaubs soll ein Elternurlaubsgeld gewährt werden, das sich am Prinzip der Sicherung des Lebensstandards orientiert und die mit dem Eltemurlaub verbundenen Einbußen an Familieneinkommen weitgehend ausgleicht. Das Elternurlaubsgeld ist als steuerfinanzierte Transferleistung vorgesehen. Es soll vom Erwerbseinkommen vor der Zeit der Kindererziehung abhängen und als Lohnersatzleistung in Höhe des Arbeitslosengeldes gezahlt werden. Außerdem sollen für die Zeit des Elternurlaubs aus öffentlichen Mitteln Beiträge zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung gezahlt werden. 138 b) Stellungnahme des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zum Konzept des Deutschen Gewerkschaftsbundes

(DIW)

In einem Gutachten, das im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung erstellt wurde, macht das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) 1 3 9 auf die Probleme 137 Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB), Sozialpolitisches Programm, 1990, S.20f. Die Forderung nach einem flexiblen Eltemurlaub mit Lohnersatzleistungen findet sich auch im Grundsatzprogramm des Deutschen Gewerkschaftsbundes von 1996; vgl. Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB), Die Zukunft gestalten. Grundsatzprogramm des Deutschen Gewerkschaftsbundes, 1996, S.25. 138 Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB), Sozialpolitisches Programm, 1990, S.20f.; vgl. auch Ellen Kirner, Sozialleistungen, Einkommensausgleich und Teilzeitarbeit, in: Gerhard Bäcker/Brigitte Stolz-Willig (Hrsg.), Kind, Beruf, Soziale Sicherung. Zukunftsaufgabe des Sozialstaats, 1994, S. 82 f.; Ellen Kirner/Volker Meinhardt, Allgemeine Arbeitszeitverkürzung und ihre Auswirkung auf Einkommen und soziale Sicherung, 1997, S.63ff. 139 Ellen Kirner/Volker Meinhardt, Allgemeine Arbeitszeitverkürzung und ihre Auswirkung auf Einkommen und soziale Sicherung, 1997.

Α. Die Anerkennung der Kindererziehung als politische Forderung

245

des DGB-Konzeptes aufmerksam. Der DGB-Vorschlag sei im wesentlichen auf diejenigen Mütter und Väter zugeschnitten, die erwerbstätig sind, obwohl sie kleine Kinder haben. Im Vordergrund stehe das Interesse, Eltern die zeitlich begrenzte Unterbrechung eines prinzipiell kontinuierlichen Erwerbsverlaufs zu ermöglichen. Das DIW weist daraufhin, daß eine nicht zu vernachlässigende Zahl von jungen Frauen vor der Geburt des Kindes (noch) nicht berufstätig ist. Wenn Frauen mehr als ein Kind haben, wird die Erwerbstätigkeit außerdem häufig zwischen zwei Geburten nicht wieder aufgenommen. Aus diesen Gründen hält es das DIW nicht für vertretbar, die Anspruchsberechtigung für das Elternurlaubsgeld davon abhängig zu machen, daß die Eltern vor der Familiengründung erwerbstätig waren. 140 Eine Lösungsmöglichkeit sieht das DIW in der Zahlung eines Mindestbetrags für diesen Fall oder auch für den Fall, daß das Elternurlaubsgeld - wie im DGB-Konzept vorgesehen - auf die Höhe des Arbeitslosengeldes begrenzt wird und bei geringem Verdienst für die Sicherung eines angemessenen Lebensstandards zu niedrig ist. Die Anspruchsberechtigung für das Eltemurlaubsgeld soll nach Auffassung des DIW also nicht nur an die Erwerbstätigkeit vor der Geburt des Kindes anknüpfen. Gleichwohl wird am Prinzip der individuellen Lohnersatzleistung festgehalten und ein pauschaliertes Erziehungsgehalt abgelehnt.141 Um die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung abzubauen, schlägt das DIW die Aufteilung des Elternurlaubs vor. Väter und Mütter sollten jeweils einen individuellen Anspruch auf den halben Elternurlaub haben. Dadurch könnte die partnerschaftliche Aufteilung der Erwerbs- und Familienarbeit gefördert werden. 142

16. Die Vorschläge der Arbeitsgemeinschaft der Familienverbände (AGF) zur Reform des Erziehungsgeldes Die Arbeitsgemeinschaft der Familienverbände auf Bundesebene, die sich zusammensetzt aus dem Deutschen Familienverband (DFV), der Evangelischen Aktionsgemeinschaft für Familienfragen (EAF), dem Familienbund der Deutschen Katholiken (FDK) und dem Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV), spricht sich gegen die Umsetzung eines Erziehungsgehalts aus, wie es in den Modellen von Hans Geisler oder dem Deutschen Arbeitskreis für Familienhilfe e.V. vorgesehen ist. Sie äußert Bedenken gegenüber den Modellen zum Erziehungsge140 Ellen Kirner/Volker Meinhardt, Allgemeine Arbeitszeitverkürzung und ihre Auswirkung auf Einkommen und soziale Sicherung, 1997, S.63ff. 141 Ellen Kirner/Volker Meinhardt, Allgemeine Arbeitszeitverkürzung und ihre Auswirkung auf Einkommen und soziale Sicherung, 1997, S.67ff. 142 Ellen Kirner/Volker Meinhardt, Allgemeine Arbeitszeitverkürzung und ihre Auswirkung auf Einkommen und soziale Sicherung, 1997, S.74ff.; Ellen Kirner/Wolfgang Kirner, Elternurlaub und Eltemgeld als Bestandteile einer Strategie zur Umverteilung von Arbeit zwischen Männern und Frauen, in: Heinz Galler/Gert Wagner (Hrsg.), Empirische Forschung und wirtschaftspolitische Beratung. Festschrift für Hans-Jürgen Krupp zum 65. Geburtstag, 1998, S. 386 ff.

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3. Kap.: Die Förderung der Familie

halt, weil diese auf einem traditionellen Familienverständnis mit geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung basierten und nicht der Pluralität der Familienformen und Lebensverläufe entsprächen. Die Arbeitsgemeinschaft der Familienverbände will sich für die Verbesserung der Rahmenbedingungen einsetzen, die verschiedene Formen der Vereinbarkeit von Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit fördern und eine Partizipation aller Familienmitglieder an allen gesellschaftlichen Bereichen ermöglichen. Sie plädiert daher für eine Weiterentwicklung der bisherigen Regelungen des Bundeserziehungsgeldgesetzes.143 a) Der Deutsche Familienverband

(DFV)

Der Deutsche Familienverband (DFV) sieht im Erziehungsgeld und im Erziehungsurlaub die zentralen familienpolitischen Instrumente zur Sicherung der Wahlfreiheit zwischen Erziehungsarbeit und Erwerbsarbeit oder deren Kombination und zur Anerkennung der Erziehungsleistung. Er sieht jedoch Reformbedarf bei der Höhe, der Dauer und den Anspruchsvoraussetzungen des Erziehungsgeldes.144 Der Deutsche Familienverband schlägt deshalb die Erhöhung des Erziehungsgeldes auf 1.000 D M pro Kind (für 1997) vor, um wenigstens den seit 1986 entstandenen Kaufkraftverlust des Erziehungsgeldes auszugleichen. Das Erziehungsgeld soll regelmäßig an die Preissteigerung angepaßt werden. Um einen Gleichschritt von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub zu erreichen, soll das Erziehungsgeld bundeseinheitlich auf drei Jahre verlängert werden. Die Einkommensgrenzen für den Bezug von Erziehungsgeld sollen um mindestens 30 % angehoben und dynamisiert werden, damit das Erziehungsgeld nicht auf Dauer ausgehöhlt und zu einer Sozialleistung für Bedürftige wird. Zur Flexibilisierung des Erziehungsurlaubs plädiert der Deutsche Familienverband dafür, die starre 19-Stunden-Grenze für den Erziehungsgeldberechtigten durch eine Erwerbsarbeitszeitbegrenzung für beide Eltern zu ersetzen. 145 b) Die Evangelische Aktionsgemeinschaft für Familienfragen

(EAF)

Die Evangelische Aktionsgemeinschaft für Familienfragen (EAF) hält sowohl für die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit als auch für die Einbeziehung 143 Arbeitsgemeinschaft der Familienverbände (AGF), Offener Brief zum „Erziehungsgehalt", 1998. 144 Deutscher Familienverband (DFV), Stellungnahme des Deutschen Familienverbandes zu Reformvorschlägen für Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub anläßlich der Anhörung des Bundestagsausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 11. Juni 1997,1997, S. 1. 145 Deutscher Familienverband (DFV), Stellungnahme des Deutschen Familienverbandes zu Reformvorschlägen für Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub anläßlich der Anhörung des Bundestagsausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 11. Juni 1997, 1997, S. 2ff.; Deutscher Familienverband (DFV), Politik für Familien. Vorstellungen und Forderungen, 3. Auflage, 2000, S. 8.

Α. Die Anerkennung der Kindererziehung als politische Forderung

247

beider Elternteile in die Erziehung der Kinder den Erziehungsurlaub und das Erziehungsgeld für die wichtigsten Instrumente. Zur materiellen Absicherung der Familie soll das Erziehungsgeld nach Ansicht der Evangelischen Aktionsgemeinschaft für Familienfragen erhöht und für die Zukunft dynamisiert werden. Außerdem sollen die Einkommensgrenzen angehoben werden, damit ein größerer Kreis junger Familien Anspruch auf Förderung in voller Höhe hat. Der insgesamt dreijährige Erziehungsurlaub soll flexibel im Zeitraum der ersten acht Lebensjahre des Kindes in Anspruch genommen werden können. Im Interesse der gleichen Beteiligung der Mütter und Väter an den Erziehungsaufgaben wird die Einrichtung eines Zeitkontos von 60 Stunden pro Woche für beide Elternteile und die Einführung eines Rechtsanspruchs auf Teilzeitarbeit während des Erziehungsurlaubs empfohlen. 146 c) Der Verband alleinerziehender

Mütter und Väter e. V. (VAMV)

Auch der Verband alleinerziehender Mütter und Väter e.V. (VAMV) setzt sich für Lösungen ein, die Müttern und Vätern eine kontinuierliche Erwerbsbiographie ermöglichen. Angestrebt wird die Gleichzeitigkeit von Familie und Beruf durch bezahlte (Teil-)Freistellung von der Erwerbsarbeit für die Erziehungsarbeit. Das langfristige Aussetzen der Erwerbstätigkeit soll die Ausnahme, die Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit nach dem ersten Lebensjahr des Kindes die Regel sein. Dazu wird eine Flexibilisierung des Erziehungsurlaubs vorgeschlagen. Den Eltern soll ein Zeitkonto von drei Jahren gewährt werden, das ihnen ermöglicht, die Freistellung von der Erwerbstätigkeit je nach den familialen Bedürfnissen flexibel bis zum achten (oder auch zwölften) Lebensjahr des Kindes in Anspruch zu nehmen. Die Ausschöpfung des Zeitkontos soll in Form von Arbeitszeitunterbrechungen oder Arbeitszeitreduzierungen möglich sein. Das Zeitkonto soll auf beide Eltern verteilt werden, aber gegenseitig und auch auf Dritte übertragbar sein. Für die Zeit des Erziehungsurlaubs soll das Erziehungsgeld als steuerpflichtige Lohnersatzleistung gezahlt werden. Die Lohnersatzleistung soll - ähnlich der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall - einen bestimmten Prozentsatz des letzten Lohns oder Gehalts betragen und existenzsichernd sein. 147

146

Evangelische Aktionsgemeinschaft für Familienfragen (EAF), Wahl-Eckpunkte der EAF zur Familienpolitik für die Bundestagswahl 1998, in: EAF, Familienpolitische Informationen 3/1998, S.2. ! 47 Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV), Wir wollen die Gleichzeitigkeit von Familie und Beruf. Unser Leitbild für die Arbeitswelt: Alle Männer und Frauen haben neben der Erwerbstätigkeit auch Pflege und Versorgungsdienste zu leisten, 1997, S. 3; Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV), Wir wollen die Flexibilisierung des Erziehungsurlaubs durch ein dreijähriges Zeitkonto bis zum Alter von 12 Jahren und Erziehungsgeld als Lohnersatzleistung, 1998, S.2f.

248

3. Kap.: Die Förderung der Familie 17. Der Vorschlag von Sabine Hildebrandt-Woeckel für ein individualisiertes Betreuungsgeld

Nach einem Vorschlag von Sabine Hildebrandt-Woeckel soll jeder Elternteil einen Anspruch auf Erziehungsurlaub von jeweils eineinhalb Jahren haben, den er variabel und in vielfältigen Kombinationen mit der Erwerbsarbeit gestalten kann. 148 Die Erziehungsarbeit während dieser Zeit soll so bezahlt werden, daß die Familie vorübergehend auch auf das meist höhere Erwerbseinkommen des Mannes verzichten kann. Vorgeschlagen wird ein Betreuungsgeld, das deutlich über dem derzeitigen Erziehungsgeld liegt, wobei die Erhöhung über den Ausgleich der Teuerungsrate merklich hinausgehen soll. Grundsätzlich sollen beide Eltern für jeweils eineinhalb Jahre ein individuelles Betreuungsgeld erhalten, das allerdings nur zur Auszahlung kommt, wenn sich der jeweilige Elternteil auch tatsächlich von der Erwerbsarbeit freistellen läßt. Eine Reduzierung um 30% soll dafür ausreichen. 149 18. Das Familiengeldkonzept der Bundestagsfraktion der CDU/CSU In ihrem familienpolitischen Konzept vom Dezember 1999 schlägt die Bundestagsfraktion der CDU/CSU die Einführung eines Familiengeldes vor, durch das die finanziellen Maßnahmen zugunsten von Familien mit Kindern im Vorschulalter gebündelt und ausgebaut werden sollen. 150 Das Familiengeld soll neben einer rentenrechtlichen Komponente eine finanzielle Komponente enthalten, die anknüpft an das bisherige Bundeserziehungsgeld, das durch die Reform abgelöst werden soll, und an das Kindergeld, soweit es auf Kinder unter sechs Jahren entfällt. Die geplante Leistung wird mit erhöhten einkommensteuerlichen Kinderfreibeträgen im Rahmen eines Optionsmodells verknüpft, wie dies bereits seit 1996 beim Kindergeld und den bisherigen Kinderfreibeträgen vorgesehen ist. Das Familiengeld wird in mehreren Varianten vorgeschlagen. Die Höhe des Anspruchs richtet sich in jedem Fall nach dem Familieneinkommen. Maximal sollen 1.000 D M während der ersten drei Lebensjahre des Kindes und bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres die Hälfte dieses Betrages ausbezahlt werden. Die sechs Förderjahre könnten auch innerhalb der ersten zehn Lebensjahre des Kindes frei gewählt werden. Weitere Varianten werden bezüglich der Anrechnungsmodalitäten beim Zusammentreffen des Familiengeldes mit anderen Sozialleistungen, insbeson148

Sabine Hildebrandt-Woeckel, Karrierefalle Erziehungsurlaub, 1999, S. 158 f. Sabine Hildebrandt-Woeckel, Karrierefalle Erziehungsurlaub, 1999, S. 163 f. 150 Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU), Lust auf Familie. Lust auf Verantwortung. Beschluß des Bundesausschusses der CDU Deutschlands vom 13. Dezember 1999, 1999, S. 20ff.; Christlich-Soziale Union (CSU), Unsere Kinder - Unsere Zukunft. Grundsätze und Perspektiven bayerischer Familienpolitik am Beginn des 21. Jahrhunderts. Beschluß des Parteivorstandes der CSU vom 10. April 2000, 2000. 149

Α. Die Anerkennung der Kindererziehung als politische Forderung

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151

dere mit der Sozialhilfe, diskutiert. Bis zur Einführung des Familiengeldes plädiert die CSU für die Erhöhung des Erziehungsgeldes auf 800DM im Monat, die bundesweite Ausdehnung der Leistungszeit auf drei Jahre und die Anhebung der Einkommensgrenzen sowie eine Dynamisierung des Familienleistungsausgleichs.152 Nach neueren Angaben soll das Familiengeld während der ersten drei Lebensjahre des Kindes 1.200 DM, im Alter von drei bis 17 Jahren 600 D M und im Alter von 18 bis 27 Jahren 300 DM (ab dem vierten Kind 350 DM) betragen. Das Familiengeld soll danach unabhängig vom Umfang der Erwerbstätigkeit oder des Einkommens geleistet werden, Steuer- und sozialabgabenfrei sein und dynamisiert werden. Neben dem Familiengeld sollen Familiengutscheine an die Familien ausgegeben werden, die zur Inanspruchnahme von Beratungs- und Weiterbildungsangeboten berechtigen. Die Beratung soll der Vorbereitung auf Ehe und Familie sowie dem Erlernen der Haushaltsführung dienen und Kenntnisse über die Ernährung für eine bessere Gesundheitsvorsorge vermitteln. Dadurch soll die Erziehungskompetenz der Familien gestärkt werden. Die Gutscheine sollen auch zur Inanspruchnahme kulturell-kreativer und musischer Angebote berechtigen und allen Kindern die Chance zur gesellschaftlichen Teilhabe geben.153 19. Der Entwurf eines Vereinbarkeitsgesetzes der Bundestagsfraktion der PDS Im Februar 2000 stellte die PDS den Entwurf eines Gesetzes vor, das die Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Berufstätigkeit für Frauen und Männer garantieren soll. 154 Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung sollen der eigenen individuellen Lebensplanung der Eltern und den altersspezifischen Bedürfnissen der Kinder entsprechend gleichzeitig oder zeitlich nacheinander geleistet werden können, ohne daß den Eltern daraus berufliche oder arbeitsmarktpolitische Nachteile erwachsen. Das Vereinbarkeitsgesetz soll Frauen und Männern tatsächliche Wahlfreiheit zwischen voller Erwerbstätigkeit, zeitweiliger Freistellung und vorübergehender Arbeitszeitreduzierung garantieren. Zugleich soll es Frauen und Männer motivieren, Kinderbetreuung und Berufstätigkeit paritätisch miteinander zu teilen. 151 Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU), Lust auf Familie. Lust auf Verantwortung. Beschluß des Bundesausschusses der CDU Deutschlands vom 13. Dezember 1999, 1999, S.22. 152 Christlich-Soziale Union (CSU), Unsere Kinder - unsere Zukunft. Grundsätze und Perspektiven bayerischer Familienpolitik am Beginn des 21. Jahrhunderts. Beschluß des Parteivorstandes der CSU vom 10. April 2000, 2000. 153 Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU), Lust auf Familie. Lust auf Verantwortung. Beschluß des Bundesausschusses der CDU Deutschlands vom 13. Dezember 1999,1999, S.20ff.; Martin Werding, Familienpolitik: Das „Familiengeld"-Konzept der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion. Ergebnisse einer ifo-Studie zu Wirkungen der Reformpläne der Opposition, 1999, S. 1 und 5. 154 BT-Drucks. 14/2759.

3. Kap.: Die Förderung der Familie

250

Dazu sollen Väter und Mütter einen gesetzlichen Anspruch auf Freistellung von der Erwerbsarbeit oder auf Arbeitszeitreduzierung erhalten. Jede Mutter und jeder Vater soll für ein Kind einen individuellen, nicht übertragbaren Anspruch auf eine einjährige Freistellung mit Lohnersatzleistung haben. Die Freistellung ist in Form eines Zeitkontos vorgesehen, das bis zum 14. Lebensjahr des Kindes in Anspruch genommen werden kann. Die Lohnersatzleistung soll 90% des Nettoverdienstes bis zu einer Obergrenze in der Höhe des durchschnittlichen monatlichen Nettoverdienstes aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten betragen. Bei Bedarf ist eine Aufstockung auf das Niveau der von der PDS geforderten Sozialen Grundsicherung vorgesehen. Für Arbeitslose, Schülerinnen und Schüler, Studierende und Auszubildende gelten analoge Bedingungen. Zusätzlich sollen beide Eltern für ein Kind jeweils einen Freistellungsanspruch auf weitere sechs Monate haben, der übertragbar ist und bei Bedarf mit einem existenzsichernden Einkommen in Höhe der Grundsicherung abgesichert wird. Bei Inanspruchnahme des Rechts auf Arbeitszeitreduzierung soll die Arbeitszeit um ein Viertel der tariflich festgelegten Arbeitszeit reduziert werden können. Bei entsprechendem Bedarf soll das Einkommen auf die Höhe der Sozialen Grundsicherung aufgestockt werden. Während der Freistellung oder der Reduzierung der Arbeitszeit besteht eine Arbeitsplatzgarantie beziehungsweise eine Garantie auf Rückkehr in eine Vollzeitbeschäftigung. Die Finanzierung der Lohnersatzleistungen soll zu einem Teil aus Steuermitteln und zu einem anderen Teil aus Versicherungsbeiträgen erfolgen. 155

B. Folgerungen für die Ausgestaltung des staatlichen Kinderleistungsausgleichs Der verfassungsrechtliche Auftrag zum besonderen Schutz der Familie ist teilweise unerfüllt geblieben. Das Verfassungsrecht gibt Anstoß, die Förderung der Familien und insbesondere der Kindererziehung auszubauen und weiterzuentwickeln. Dabei sind die verfassungsrechtlichen Bindungen für eine freiheitsgerechte Ausgestaltung des Kinderlasten- und Kinderleistungsausgleichs zu beachten. Die Verfassung enthält kaum zwingende Vorgaben, und der Gesetzgeber hat einen weiten Gestaltungsraum bei der konkreten Ausgestaltung des staatlichen Kinderlasten- und Kinderleistungsausgleichs. Gleichwohl ergeben sich aus dem verfassungsrechtlichen Schutz der Familie normative Vorgaben für das staatliche Handeln. An diesen Zielvorgaben und Leitlinien müssen sich auch die Vorschläge zur Reform des staatlichen Kinderleistungsausgleichs messen lassen. Hier gilt es, die Gestaltungsmerkmale des staatlichen Kinderleistungsausgleichs in den Zusammenhang des oben dargelegten prima facie-Charakters des Rechts auf Familienförderung zu stellen und anhand des Gewährleistungsgehalts des Grundrechts zu bestimmen, welche Regelungen den Grundsätzen des verfassungsrechtlichen Familienschutzes entsprechen und welche Regelungen Ausnahmen darstellen, weil sie vom Schutzbereich 155

BT-Drucks. 14/2759.

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs

251

des Grundrechts auf Familienförderung abweichen, und daher rechtfertigungsbedürftig sind.

I. Ziele und Funktionen des staatlichen Kinderleistungsausgleichs Mit der Forderung nach finanziellen Transfers für die Familien und insbesondere für die Kindererziehung werden unterschiedliche Ziele und Zwecke verfolgt. Die verschiedenen Zielsetzungen, die für eine Vergütung der Erziehungsleistung maßgebend sind oder sein können, müssen sich an den verfassungsrechtlichen Vorgaben messen lassen. Dazu gehören die Wahlfreiheit für die Lebensform Familie, die Gestaltungsfreiheit für das familiäre Zusammenleben und die Gestaltungsfreiheit für die Kindererziehung. Zu den verfassungsrechtlichen Zielvorgaben gehören aber auch die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Chancengleichheit für die Kinder. Aus diesen verfassungsrechtlichen Gewährleistungen ergeben sich gewisse Anforderungen an die staatliche Familienförderung. Doch erlauben die Mehrfachzielsetzungen unterschiedliche Gewichtungen und Abwägungen und somit unterschiedliche Folgerungen für die Ausgestaltung des staatlichen Kinderleistungsausgleichs. Die Ziele der Wahl- und Gestaltungsfreiheit für die Familien werden besonders betont im Konzept „ E r z i e h u n g s g e h a l t 2000" des Deutschen Arbeitskreises für Familienhilfe e.V., im sächsischen Modell eines Erziehungsgehalts von Hans Geisler, im Vorschlag eines Erziehungsgehalts der Ökologisch-Demokratischen Partei (ödp), im Trierer Modell eines Erziehungsgehalts des Katholikenrats im Bistum Trier, im Modell eines Kinderbetreuungsschecks des Österreichischen Instituts für Familienforschung (ÖIF) oder im Entwurf eines Vereinbarkeitsgesetzes der Bundestagsfraktion der PDS. 156 Die staatlichen Leistungen für die Kindererziehung können zudem unterschiedliche Funktionen erfüllen. Sie können der Sicherung ausreichender materieller Ressourcen für die Familie dienen, eine Entschädigung für entgangenes Einkommen während der Kindererziehung darstellen, von den Kosten für die Erfüllung der Erziehungsaufgabe entlasten oder die erbrachte Erziehungsleistung gemessen an einem angenommenen Marktwert honorieren. Je nach Schwerpunktsetzung ergeben sich auch hier unterschiedliche Folgerungen für die Ausgestaltung des staatlichen Kinderleistungsausgleichs.

156

Siehe im einzelnen oben 3. Kapitel A. III.

252

3. Kap.: Die Förderung der Familie

1. Verfassungsrechtliche Zielvorgaben a) Wahlfreiheit

ßr die Lebensform Familie

Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistet als Freiheitsrecht zunächst die Freiheit, die familiale Lebensform zu wählen und eine Familie zu gründen. Wahlfreiheit für die Lebensform Familie setzt voraus, daß dem einzelnen die individuelle Entscheidung für eine Familie nicht unzumutbar erschwert wird. Der Schutz und die Gewährleistung der Familienfreiheit gelten dabei auch in materiell-wirtschaftlicher Hinsicht. Durch das Vorhandensein einer Familie dürfen keine wesentlichen ökonomischen Nachteile entstehen. Auch mit Kindern müssen die Menschen über die notwendigen Güter verfügen können, um ihre Vorstellungen von einem gelungenen Leben zu verwirklichen. Wesentliche Zielsetzung des staatlichen Kinderleistungsausgleichs muß deshalb sein, die tatsächlichen Voraussetzungen für ein Leben mit Kindern zu gewährleisten und Frauen wie Männer nicht vor die Alternative Familie oder Beruf zu stellen. Grundsätzlich müssen die Menschen die freie Wahl haben, sich für eine Erwerbstätigkeit oder für die Erziehungstätigkeit oder für eine Kombination der beiden Tätigkeiten zu entscheiden, gleich ob sich diese parallel oder in abwechselnden Phasen vollzieht. Wahlfreiheit für die Lebensform Familie setzt die Vereinbarkeit von familialen und beruflichen Pflichten voraus, die Möglichkeit des Übergangs zwischen verschiedenen Lebensformen und Lebensphasen, die Widerrufbarkeit der Entscheidungen und die finanzielle Absicherung der verschiedenen Lebensformen und Lebensphasen. Das muß selbst für den Fall gelten, daß eine Trennung der Familie unvermeidbar wird. Erst dann haben die Menschen die Möglichkeit, sich frei für die Lebensform Familie zu entscheiden.157 b) Gestaltungsfreiheit

für das Familienleben

Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistet darüber hinaus die Gestaltungsfreiheit für das Familienleben. Die individuellen Präferenzen für eine bestimmte Organisation des Familienlebens und insbesondere der innerfamiliären Aufgabenverteilung sind zu respektieren. Bei der Gestaltung des staatlichen Kinderleistungsausgleichs darf deshalb nicht von einem bestimmten Familienmodell ausgegangen werden. Die staatliche Familienförderung muß sich grundsätzlich an alle denkbaren Familienmodelle richten. Gerade auch in wirtschaftlicher Hinsicht dürfen keine finanziellen Anreizoder Belastungsbedingungen gesetzt werden, die faktisch ein bestimmtes Modell als das - wenn auch nur unter ökonomischen Aspekten - allein vernünftige favorisieren. Die individuelle Entscheidung für die eine oder andere Art der Arbeitstei157 Siehe oben 2. Kapitel Α. II. und IV. 3. b) bb) und c) bb) sowie V. 4. b) aa); vgl. auch Heinhard Steiger, Verfassungsgarantie und sozialer Wandel - Das Beispiel von Ehe und Familie, in: VVDStRL 45 (1987), S. 87; Rolf Birk, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Gutachten E für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S.E50.

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs

253

lung in der Familie muß das Ergebnis einer freien Wahl sein. Sie darf nicht erzwungen sein, etwa weil außerfamiliale Möglichkeiten der Kinderbetreuung nicht existieren oder weil das zu geringe Familieneinkommen die ausschließliche oder überwiegende Betreuung in der Familie nicht zuläßt.158 Ziel des Kinderleistungsausgleichs muß daher sein, allen Eltern gleichermaßen zu ermöglichen, zugunsten der persönlichen Betreuung ihrer Kinder auf eine eigene Erwerbstätigkeit zu verzichten oder Erziehungstätigkeit und Erwerbstätigkeit miteinander zu verbinden. Es geht vor allem darum, die tatsächlichen Möglichkeiten der innerfamilialen Arbeitsteilung zu erweitern. Im Mittelpunkt steht dabei derzeit die gleichberechtigte Teilhabe beider Elternteile sowohl an der Familien- als auch an der Erwerbsarbeit, weil gerade diese Art der innerfamilialen Arbeitsteilung die größten wirtschaftlichen Nachteile mit sich bringt. 159 Gestaltungsfreiheit für das Familienleben setzt auch voraus, daß die Familienmitglieder ihr Familienleben neu gestalten können, wenn ihnen ein Zusammenleben mit ihrer Familie nicht mehr möglich erscheint. Der Ausweg einer Trennung der Eltern und die Chance eines partnerschaftlichen Neubeginns - auch in einer neuen Familie - dürfen durch die ökonomischen Folgekosten einer Trennung nicht unzumutbar eingeschränkt werden. Sofern eine Trennung das Risiko eines beiderseitigen Absinkens auf die Armutsgrenze birgt, wird die Entscheidung für eine Familie und besonders für eine auf die Ehe gegründete Familie - ganz abgesehen von den emotionalen Problemen, die die gebotene Rücksichtnahme auf die Kinder aufwirft - zu einem aus wirtschaftlichen Gründen weitgehend unwiderruflichen Vorgang und benachteiligt Familien gegenüber kinderlosen Ehepaaren, denen die vom Grundgesetz verbürgte Eheschließungsfreiheit weithin eröffnet bleibt und damit ein höheres Maß an persönlicher Freiheit gewährleistet. 160 Der staatliche Kinderleistungsausgleich muß deshalb darauf gerichtet sein, unwiderrufliche ökonomische Abhängigkeiten zu vermeiden, auch und gerade wenn sich ein Elternteil überwiegend um die Kindererziehung kümmert. Das erfordert eine eigenständige materielle Absicherung des oder der Erziehenden sowie die Möglichkeit, auch nach einer längeren Familienphase wieder im Erwerbsleben Fuß zu fassen. 158 Siehe oben 2. Kapitel Α. IV. 3. c) bb) und V. 4. b) aa); vgl. auch Max Wingen, Erziehungseinkommen. Zielsetzungen, Legitimationsgrundlagen und Finanzierungsprobleme, Nr. 13 der Publikationen des österreichischen Instituts für Ehe und Familie, 1999, S. 13 f.; Maximilian Fuchs, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Gutachten F für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S.F 11. 159 Vgl. Michael Opielka, Bezahlte Elternschaft. Voraussetzungen und Folgen einer monetären Anerkennung der Erziehungsarbeit durch ein Erziehungsgehalt, in: Andreas Netzler/Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S. 116ff.; Max Wingen, Erziehungseinkommen. Zielsetzungen, Legitimationsgrundlagen und Finanzierungsprobleme, Nr. 13 der Publikationen des österreichischen Instituts für Ehe und Familie, 1999, S. 17 ff.

160 vgl Wolfgang Zeidler, Ehe und Familie, in: Emst Benda/Wemer Maihofer/Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1983, S.599.

254

3. Kap.: Die Förderung der Familie c) Gestaltungsfreiheit

für die Kindererziehung

Zu der von Art. 6 Abs. 1 GG gewährleisteten Familienfreiheit gehört auch die Entscheidungsfreiheit über die Gestaltung der Kindererziehung. Die Eltern müssen das familiäre Zusammenleben nach ihren Vorstellungen planen und verwirklichen und insbesondere in ihrer Erziehungsverantwortung entscheiden können, ob und in welchem Entwicklungsstadium das Kind überwiegend von einem Elternteil allein, von beiden Eltern in wechselseitiger Ergänzung oder von einem Dritten betreut werden soll. Der Staat ist nicht befugt, den Eltern eine bestimmte Art und Weise der Erziehung ihrer Kinder vorzuschreiben oder aufzudrängen. 161 Aus der besonderen Schutzpflicht des Art. 6 Abs. 1 GG ergibt sich vielmehr die Aufgabe des Staates, die Kindererziehung in der jeweils von den Eltern gewünschten Form in ihren tatsächlichen Voraussetzungen zu ermöglichen und zu fördern. 162 Gestaltungsfreiheit für die Kindererziehung verlangt daher grundsätzlich gleiche ökonomische Voraussetzungen für die unterschiedlichen Betreuungsformen. 163 Die Förderung der Kindererziehung muß den Eltern Entscheidungsmöglichkeiten hinsichtlich der konkret gewünschten Betreuungsform bieten. 164 Dazu gehört die Gewährleistung eines qualitativ und quantitativ ausreichenden Angebots an außerfamilialen Kinderbetreuungseinrichtungen. Der staatliche Kinderleistungsausgleich darf andererseits nicht darauf gerichtet sein, die Betreuung und Erziehung in der Familie möglichst zu vermeiden, und deshalb ausschließlich auf die institutionelle Kindererziehung setzen. Auch die Betreuung in der Familie oder die Wahrnehmung alternativer Betreuungsformen bedürfen der finanziellen Grundlage und sind gleichermaßen zu fördern. 165 d) Gleichberechtigung der Geschlechter Die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern in allen gesellschaftlichen Bereichen ist gemäß Art. 3 Abs. 2 GG eine weitere Zielvorgabe für den staatlichen Kinderleistungsausgleich. 166 Für das staatliche Handeln im Rahmen der Familienförderung scheidet deshalb ein patriarchalisches Leitbild der Familie mit traditioneller geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung aus. Ausgangspunkt staatlichen 161

Siehe oben 2. Kapitel A.II, und B.I. l.a)cc). Siehe oben 2. Kapitel Α. IV. 3. c) bb) und Β. 1.1. a)ee). 163 Max Wingen, Erziehungseinkommen. Zielsetzungen, Legitimationsgrundlagen und Finanzierungsprobleme, Nr. 13 der Publikationen des österreichischen Instituts für Ehe und Familie, 1999, S. 14ff. 164 Vgl. Max Wingen, Aufwertung der elterlichen Erziehungsarbeit in der Einkommensverteilung. Grundlagen, Möglichkeiten und Grenzen eines „Erziehungseinkommens", in: Aus Politik und Zeitgeschichte Β 3-4/2000, S. 9. 165 Siehe oben 2. Kapitel A.IV.3.b), c) und V.4.b)aa) sowie B.I. l.a)cc), dd) und ee); vgl. auch Maximilian Fuchs, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Gutachten F für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S. F11. 162

166

Siehe oben 2. Kapitel Β. 1.3.

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs

255

Handelns muß vielmehr die gleichberechtigte Elternschaft sein, in der die Eltern die innerfamiliale Arbeitsteilung nach ihren Interessen und Wünschen festlegen können. Das bedeutet insbesondere, daß die Frau und Mutter nicht nur dann eine Erwerbstätigkeit aufnehmen darf, wenn sie dies mit ihren Familienpflichten vereinbaren kann, sondern daß beide Eiternteile das gleiche Recht haben, erwerbstätig zu sein, und beide die gleiche Pflicht haben, bei der Wahl und Ausübung einer Erwerbstätigkeit auf die Interessen der Familie Rücksicht zu nehmen.167 Das Ziel der gleichberechtigten Elternschaft kann auf unterschiedliche Art und Weise verfolgt werden. Zum einen ist denkbar, die Erziehungstätigkeit gerade deshalb finanziell anzuerkennen, weil in der Realität überwiegend Frauen während einer wesentlichen Zeit ihrer Erwerbsfähigkeit Familienarbeit leisten, die erbrachten Erziehungsleistungen aber nicht entgolten oder wirtschaftlich anerkannt werden und die Frauen deshalb Einkommensnachteile hinnehmen müssen. Hier wird der Grundsatz der Gleichberechtigung von Männern und Frauen in der Weise verstanden, daß für die gesellschaftlich notwendige, mehrheitlich von Frauen ausgeübte Familienarbeit wie für die am Erwerbsarbeitsmarkt angebotenen und nachgefragten Leistungen ein Geldlohn zu zahlen ist. Dieser Interpretation des Ziels der Gleichberechtigung der Geschlechter entspricht es, wenn Erziehungstätigkeit und Erwerbstätigkeit einander grundsätzlich neu zugeordnet werden und familiäre Erziehungsarbeit und Erwerbsarbeit als gleichwertig anerkannt, das heißt in einer auf entgeltliche Anerkennung angelegten Gesellschaftsordnung entsprechend honoriert werden. 1 6 8 Dieser Sicht entspricht ein staatlicher Kinderleistungsausgleich über ein Erziehungsgehalt oder Familiengehalt, das den Erziehenden ein eigenständiges Einkommen sichert, wie es zum Beispiel das Konzept „Lohn oder Gehalt für Familienarbeit" der Deutschen Hausfrauengewerkschaft e.V. (dhg) oder das Modell eines Erziehungsgehalts der Deutschen Evangelischen Allianz e.V. vorschlagen. Dieser Weg zur Herstellung der tatsächlichen Gleichberechtigung von Männern und Frauen wird jedoch vielfach kritisiert. Es wird befürchtet, daß mit der Bezahlung der Erziehungsarbeit Mütter aus dem Berufsleben zurück in die Familien gedrängt werden. In Zeiten hoher Erwerbslosigkeit könnte gesellschaftlicher Druck auf die Frauen ausgeübt werden, zur Entlastung des Erwerbsarbeitsmarktes die Option bezahlter Erziehungsarbeit in der Familie wahrzunehmen. Die finanzielle Besserstellung der Mütter im Falle der Erziehungsarbeit könnte den Männern eine Begründung für die Aufrechterhaltung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung geben und die Akzeptanz der weiblichen Erwerbstätigkeit schmälern. Es wird die Gefahr gesehen, daß dadurch das traditionelle Rollenverständnis und die geschlechts167

Rolf Birk, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Gutachten E für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S.E 19f.; siehe auch oben 2. Kapitel Β.1.3. und 4.

168 Siehe oben 1. Kapitel Β. IV. 1. b) aa); vgl. Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 1992, § 124 Rn. 134 ff.

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3. Kap.: Die Förderung der Familie

spezifische Arbeitsteilung festgeschrieben werden. 169 Aus dem Umstand, daß die einseitige Übernahme der Kindererziehung durch die Frauen der wesentliche oder gar eigentliche Grund dafür ist, daß die tatsächliche Gleichberechtigung der Frauen noch nicht erreicht ist, wird daher gefolgert, daß ein am Gleichstellungsziel orientierter staatlicher Kinderleistungsausgleich Anreize dafür schaffen muß, daß Männer sich weit mehr als bisher üblich an der Kindererziehung beteiligen.170 Dem entspricht eine besondere Förderung partnerschaftlicher Familienmodelle, wie sie zum Beispiel in der Stellungnahme der Initiative Eltern für aktive Vaterschaft e.V. (EFAV) zum Konzept „Erziehungsgehalt 2000" des Deutschen Arbeitskreises für Familienhilfe e.V., im Vorschlag von Sabine Hildebrandt-Woeckel für ein individualisiertes Betreuungsgeld oder in den Vorschlägen der Arbeitsgemeinschaft der Familienverbände (AGF) zur Reform des Erziehungsgeldes vorgesehen ist. Diese Interpretation des Art. 3 Abs. 2 GG rechtfertigt eine positive Diskriminierung der Männer und damit die Abweichung vom Grundsatz der gleichberechtigten Elternschaft mit dem Ziel der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern. e) Chancengleichheit für die Kinder Die finanzielle Förderung der Kindererziehung durch staatliche Leistungen zielt vor allem auf die Herstellung von Chancengleichheit für die Kinder. 171 Der staatliche Kinderleistungsausgleich muß den Eltern ermöglichen, jedem Kind die individuell angemessene Betreuung und Erziehung zukommen zu lassen. Bei dieser Zielsetzung des staatlichen Kinderleistungsausgleichs stehen nicht die Erziehungsleistungen der Eltern oder die erziehungsbedingten Einkommenseinbußen im Vordergrund. Es geht vielmehr um die Bedürfnisse der Kinder, zu deren Erfüllung die Eltern einer finanziellen Grundlage bedürfen. Diesem Ziel entsprechen insbesondere Modelle, welche die Leistungen für die Kindererziehung an der Zahl der zu betreuenden Kinder orientieren und für jedes Kind einen Betrag in gleicher Höhe vorsehen. Deutlich am Ziel der Chancengleichheit für die Kinder orientieren sich zum 169

Vgl. Wolf gang Hötzel, Erziehungsgehalt - ein zeitgemäßes Modell?, in: EAF, Familienpolitische Informationen 2/1997, S.2; Ellen Kirner, Zum System der Förderung von Kinderbetreuung und Kindererziehung in der Familie durch staatliche Transferleistungen, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S. 136; Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Familienorganisationen (AGF), Offener Brief zum „Erziehungsgehalt", 1998; Barbara Stiegler, Mutter, Kind und Vater Staat. Geschlechterpolitische Aspekte des Erziehungsgehalts, Expertisen der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Frauenforschung, 1999, S.9f. 170 Ellen Kirner/Wolfgang Kirner, Elternurlaub und Elterngeld als Bestandteile einer Strategie zur Umverteilung von Arbeit zwischen Männern und Frauen, in: Heinz P. Galler/Gert Wagner (Hrsg.), Empirische Forschung und wirtschaftspolitische Beratung. Festschrift für HansJürgen Krupp zum 65. Geburtstag, 1998, S.384f.; Ellen Kirner/Volker Meinhardt, Allgemeine Arbeitszeitverkürzung und ihre Auswirkungen auf Einkommen und soziale Sicherung, 1997, S.69ff. 171 Christian Leipert/Michael Erziehungsarbeit, 1998, S.95.

Opielka, Erziehungsgehalt 2000. Ein Weg zur Aufwertung der

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs

257

Beispiel das sächsische Modell eines Erziehungsgehalts von Hans Geisler oder das Konzept „Erziehungsgehalt 2000" des Deutschen Arbeitskreises für Familienhilfe e.V. 2. Funktionen staatlicher Leistungen für die Kindererziehung a) Anerkennung der Erziehungsleistung Eine ganz wesentliche Funktion des staatlichen Kinderleistungsausgleichs ist die gesellschaftliche Anerkennung der Erziehungsarbeit. Mit staatlichen Leistungen für die Kindererziehung soll die Erziehungsarbeit belohnt und das Ansehen und Selbstbewußtsein der Erziehenden gestärkt werden. Die finanzielle Vergütung für die Erziehungsleistung gewinnt hier den Charakter eines Honorars. 172 Die Erziehenden sollen mit eigenen wirtschaftlichen Ressourcen ausgestattet werden und wirtschaftliche Unabhängigkeit erlangen. Dies kann zur Stabilisierung des familialen Zusammenlebens beitragen, weil Handlungsräume eröffnet und finanzielle Abhängigkeiten und Erwartungen gegenüber dem erwerbstätigen Elternteil abgebaut werden, aber auch eine unvermeidbare Trennung oder Scheidung erleichtern, weil die psychischen Belastungen, die das Auseinanderbrechen einer Familie mit sich bringt, nicht unnötig durch übermäßige finanzielle Folgeprobleme verstärkt werden. 173 Der Funktion der Anerkennung der Erziehungsleistung entspricht ein staatlicher Kinderleistungsausgleich über pauschalierte Leistungen, mit denen die Arbeit aller Erziehenden in gleicher Weise anerkannt wird. In der Regel wird die Höhe des Leistungsentgelts in Orientierung am durchschnittlichen versicherungspflichtigen Erwerbseinkommen festgelegt, um der Gleichwertigkeit der Erziehungstätigkeit mit der Erwerbstätigkeit Ausdruck zu verleihen. 174 Die Anerkennung der Erziehungsarbeit steht im Konzept „Lohn oder Gehalt für Familienarbeit" der Deutschen Hausfrauengewerkschaft e.V. (dhg) und im Modell 172 Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG), hungsgeld, Erziehungsurlaub und Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Band 243 der Schriftenreihe, 1989, S.214f.; Christian Leipert!Michael Opielka, Erziehungsgehalt 2000. Ein Weg zur Aufwertung der Erziehungsarbeit, 1998, S.94ff.; Max Wingen, Erziehungseinkommen. Zielsetzungen, Legitimationsgrundlagen und Finanzierungsprobleme, Nr. 13 der Publikationen des österreichischen Instituts für Ehe und Familie, 1999, S. 21 ff. 173 Vgl. Christian Leipert!Michael Opielka, Erziehungsgehalt 2000. Ein Weg zur Aufwertung der Erziehungsarbeit, 1998, S.96f.; Michael Opielka, Bezahlte Elternschaft. Voraussetzungen und Folgen einer monetären Anerkennung der Erziehungsarbeit durch ein Erziehungsgehalt, in: Andreas Netzler/Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S. 101.

174

Max Wingen, Erziehungseinkommen. Zielsetzungen, Legitimationsgrundlagen und Finanzierungsprobleme, Nr. 13 der Publikationen des österreichischen Instituts für Ehe und Familie, 1999, S.22. 17 Tünnemann

Erzie

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3. Kap.: Die Förderung der Familie

eines Familiengehalts der Deutschen Evangelischen Allianz e.V. deutlich im Vordergrund. Aber auch das Konzept „Erziehungsgehalt 2000" des Deutschen Arbeitskreises für Familienhilfe e.V., das sächsische Modell eines Erziehungsgehalts von Hans Geisler, der Vorschlag eines Erziehungsgehalts der Ökologisch-Demokratischen Partei (ödp), das Trierer Modell eines Erziehungsgehalts des Katholikenrats im Bistum Trier, das Modell einer Kindheitsversicherung von Hannelore Schröder oder der Vorschlag des Landesfamilienrates Baden-Württemberg für eine Neugestaltung des Familienleistungsausgleichs setzen primär auf die Anerkennung und Honorierung der Erziehungsleistung. 175

b) Ausgleich des erziehungsbedingten Einkommensausfalls Eine weitere Funktion des staatlichen Kinderleistungsausgleichs ist der zumindest teilweise Ausgleich erziehungsbedingter Einkommensausfälle. Die Betreuung und Erziehung von Kindern nimmt vor allem Zeit in Anspruch, und dieser Zeitaufwand verursacht erhebliche Folgekosten, insbesondere den Ausfall des Erwerbseinkommens - auch wegen des schwierigen Wiedereinstiegs in das Berufsleben nach einer Erziehungsphase - , sowie die verminderten Rentenansprüche und sonstigen Lohnersatzleistungen. Der Kinderleistungsausgleich kann dem Ausgleich dieser erziehungsbedingten Folgekosten dienen. Die staatlichen Leistungen für die Kindererziehung haben dann die Funktion einer Lohnersatzleistung. Ihr entspricht eine am individuellen Erwerbseinkommen orientierte Geldleistung.176 Die Funktion des Lohnersatzes steht deutlich im Vordergrund des Modells der Eltemversicherung, des Modells „Familiengemäßes Einkommen und familiengerechte Arbeitszeit" des Familienbundes der Deutschen Katholiken, des Modells „Geschützte Teilzeitarbeit für Eltern" von Birgit Geissler und Birgit Pfau, des Konzepts des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) für einen Elternurlaub mit Zeitkonto und Lohnersatzleistung oder der Vorschläge der Arbeitsgemeinschaft der Familienverbände (AGF) zur Reform des Erziehungsgeldes.

c) Minderung der erziehungsbedingten Einkommensbelastung Eine für die Förderung der Kindererziehung ebenfalls relevante Funktion ist die familienphasenspezifische Abschwächung der kinderbedingten Einkommensbelastungen durch staatliche Leistungen. Diese Funktion rückt die staatlichen Leistungen für die Kindererziehung eher in den Bereich des Kinderlastenausgleichs und de175

176

Siehe zu den Modellen im einzelnen oben 3. Kapitel A.III.

Max Wingen, Erziehungseinkommen. Zielsetzungen, Legitimationsgrundlagen und Finanzierungsprobleme, Nr. 13 der Publikationen des österreichischen Instituts für Ehe und Familie, 1999, S.27f.

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs

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177

finiert sie weniger als Element eines Kinderleistungsausgleichs. Die Förderung tritt zu den sonstigen Entlastungen für Kinder hinzu und trägt dem Umstand Rechnung, daß die Erziehung und Betreuung von Kindern eine den materiellen Bedürfnissen der Kinder vergleichbare finanzielle Belastung darstellt. Die Kindererziehung wird hier vor allem als Kostenfaktor berücksichtigt. Die staatlichen Leistungen werden nicht als Entgelt für eine erbrachte Leistung begriffen, sondern als Entlastung von den erziehungsbedingten Aufwendungen. 178 Der Funktion der Entlastung der Familien von den Kinderbetreuungskosten entspricht eine pauschalierte und typisierte kostendeckende oder kostenmindernde Leistung oder auch eine individualisierte Leistung, die sich an der konkreten Kostenbelastung orientiert. Sie wird zum Beispiel im Modell eines Kinderbetreuungsschecks des Österreichischen Instituts für Familienforschung (ÖIF) hervorgehoben. d) Anerkennung des Betreuungs- und Erziehungsbedarfs

der Kinder

Aus Sicht der Kinder hat der staatliche Kinderleistungsausgleich vor allem die Funktion, ihre Erziehung und Betreuung sicherzustellen und ihren individuellen Bedürfnissen möglichst weitgehend gerecht zu werden. Der Betreuungs- und Erziehungsbedarf der Kinder wird hier als notwendige Grundversorgung anerkannt, die die Eltern durch eigene oder unter Zuhilfenahme der Betreuung durch Dritte zu gewährleisten haben. Die Kinder sind die eigentlichen Adressaten des staatlichen Kinderleistungsausgleichs. Das Geld für die Erziehung und Betreuung ist wie das sozialrechtliche Kindergeld vor allem Geld für Kinder. Sie sollen von der erhöhten Finanz- und Kaufkraft profitieren, die den Eltern die Betreuung und Erziehung der Kinder in der Familie, eine qualitativ hochwertige familienergänzende Betreuung und pädagogische Begleitung sowie die gezielte Förderung der Fähigkeiten und Talente der Kinder ermöglicht. 179 Die Eltern sollen die Erziehung und Betreuung entsprechend den individuellen Bedürfnissen des Kindes gestalten können, weitgehend frei von äußeren, insbesondere finanziellen Zwängen. Der Funktion der Bedarfsanerkennung entspricht ein staatlicher Kinderleistungsausgleich, der den Betreuungs- und Erziehungsbedarf aller Kinder gleichermaßen 177 Max Wingen, Erziehungseinkommen. Zielsetzungen, Legitimationsgrundlagen und Finanzierungsprobleme, Nr. 13 der Publikationen des österreichischen Instituts für Ehe und Familie, 1999, S.26f. 178 Dieser Gedanke liegt auch der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Erziehungs- und Betreuungsbedarf zugrunde, wonach der Betreuungs- und Erziehungsaufwand zum sozialkulturellen Mindestaufwand für Kinder zählt. Dieser Mindestaufwand an Kinderbetreuung und Kindererziehung erhöhe den Mindestlebensbedarf einer Familie, der dem Grundsatz der Steuergerechtigkeit und dem Prinzip der Leistungsfähigkeit folgend einkommensteuerlich freigestellt werden müsse; vgl. BVerfGE 99, 216 (233 f. und 241 f.). 179 Vgl. Michael Opielka, Bezahlte Elternschaft. Voraussetzungen und Folgen einer monetären Anerkennung der Erziehungsarbeit durch ein Erziehungsgehalt, in: Andreas Netzler/Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S. 100f.; Kostas Petropulos, Ein Gehalt für Eltern?, in: MUT Nr. 380, April 1999, S. 58.

17*

260

3. Kap.: Die Förderung der Familie

anerkennt und jedem Kind den notwendigen Betreuungs- und Erziehungsbedarf gewährleistet. Der Betreuungs- und Erziehungsbedarf ist dabei pauschal und abstrakt festzustellen. 180 Diese Funktion der Bedarfsanerkennung wird zum Beispiel betont im Modell eines Kinderbetreuungsschecks des Österreichischen Instituts für Familienforschung (ÖIF), in der Stellungnahme der Initiative für aktive Vaterschaft e.V. (EFAV) zum Konzept „Erziehungsgehalt 2000" oder im Entwurf eines Vereinbarkeitsgesetzes der Bundestagsfraktion der PDS. I I . Zur Einordnung des staatlichen Kinderleistungsausgleichs Zur Einordnung des Kinderleistungsausgleichs in das staatliche Leistungssystem ist noch einmal auf die Unterscheidung zwischen dem von Art. 6 Abs. 1 GG geforderten Nachteilsausgleich im Sinne des Benachteiligungsverbots und dem ebenfalls von Art. 6 Abs. 1 GG geforderten Nachteilsausgleich im Sinne des Förderungsgebots einzugehen.181 Der Nachteilsausgleich im Sinne des Benachteiligungsverbots zielt auf die sachgerechte Behandlung der Familien in den bestehenden staatlichen Leistungssystemen. Dieser Ausgleich findet in der Regel internalisiert, das heißt innerhalb des jeweiligen Systems statt. Zu diesem internalisierten Nachteilsausgleich gehören zum Beispiel die Anrechnung der Kindererziehungszeiten in der Gesetzlichen Rentenversicherung, die beitragsfreie Familienmitversicherung der Kinder und der Erziehenden in der Gesetzlichen Krankenversicherung oder die Freibeträge bei der Einkommensbesteuerung. Der Nachteilsausgleich im Sinne des Förderungsgebots dient dagegen nicht der sachgerechten Behandlung der Familien innerhalb eines eigenen Gerechtigkeitsmaßstäben folgenden Systems, sondern dem Ausgleich kinderbedingter Nachteile, die zwar möglicherweise systembedingt, aber nicht systemimmanent sind. Dieser Nachteilsausgleich muß notwendig über ein eigenes Leistungssystem erfolgen. Hauptelemente dieses gesonderten und auf die Förderung der Familie gerichteten Kinderlasten- und Kinderleistungsausgleichs sind das über die steuerliche Freistellung des Kinderexistenzminimums hinausgehende Kindergeld zum Ausgleich der direkten Kinderkosten und das Erziehungsgeld zum Ausgleich der indirekten Kinderkosten. 182

180

Vgl. BVerfGE 99, 216 (234, 236 und 241). Siehe oben 2. Kapitel Α. IV. 3. b) und c). 182 Dieser gesonderte Kinderlasten- und Kinderleistungsausgleich im Sinne des Förderungsgebots ist nicht zu verwechseln mit der seit einigen Jahren immer wieder erhobenen Forderung, den Nachteilsausgleich im Sinne des Benachteiligungsverbots zu externalisieren. Gegen eine Externalisierung dieses Nachteilsausgleichs Bundesministerium fiir Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S. 295; siehe dazu oben 1. Kapitel A.V. 2. a) und 2. Kapitel A.IV.3.b)bb). 181

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs

261

L Der Kinderleistungsausgleich als Instrument staatlicher Umverteilung In einer marktwirtschaftlich geprägten Sozialordnung ist das individuelle Einkommen auf einer ersten Stufe das Ergebnis einer marktleistungsbestimmten Einkommensverteilung. Der marktleistungsbezogene Individuallohn enthält keine familienbezogene Bedarfskomponente, so daß die Primäreinkommensverteilung familienblind ist, was die Abstimmung von Einkommen und Lebensbedarf angeht. Dieses Ergebnis der primären Einkommensverteilung wird allenfalls in einer sekundären Einkommensverteilung oder Einkommensumverteilung auf gesellschaftlich anerkannte Tatbestände des Einkommensausfalls oder der Einkommensbelastung hin korrigiert. 183 In der primären Einkommensverteilung findet die familiäre Erziehungsarbeit im Gegensatz zur Erwerbsarbeit keine Berücksichtigung. Mit Hinweis auf die Gleichwertigkeit von Erziehungsarbeit und Erwerbsarbeit wird deshalb vielfach die Entlohnung der Erziehungsarbeit entsprechend der primären Einkommensverteilung gefordert. Daher rührt die Terminologie vom Lohn für Erziehungsarbeit, der wie ein anderer Leistungslohn gezahlt und in den Steuer- und Abgabesystemen berücksichtigt werden soll. 184 Dieser Gedanke der Entlohnung findet sich vor allem im Konzept „Lohn oder Gehalt für Familienarbeit" der Deutschen Hausfrauengewerkschaft e.V. (dhg), in der Weidener Erklärung der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung Süddeutschlands (KAB), im Modell eines Familiengehalts der Deutschen Evangelischen Allianz e.V., im Vorschlag eines Erziehungsgehalts der Ökologisch-Demokratischen Partei (ödp) oder im Konzept „Erziehungsgehalt 2000" des Deutschen Arbeitskreises für Familienhilfe e.V. Diese Modelle setzen Erwerbstätigkeit und Erziehungstätigkeit gleich und definieren die staatlichen Leistungen für die Kindererziehung als Primäreinkommen. Aus dem wirtschaftlichen Wert der Erziehungsarbeit 185 folgt jedoch nicht zwingend, diese Tätigkeit als eine wertschöpfende Tätigkeit entsprechend der Produktion von Gütern und Leistungen für den Markt zu deuten und daraus zu folgern, daß das Bruttosozialprodukt um die Haushaltsökonomie ergänzt und ein für die Familienarbeit gezahltes Einkommen als Primäreinkommen konzipiert werden muß. 186 183 Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S. 189f.; Maximilian Fuchs, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Gutachten F für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S.F69. 184 Hans Heinrich Nachtkamp, Plädoyer für ein staatliches Erziehungsentgelt, in: ifo Schnelldienst Nr. 9/2000, S. 4ff. 185 Siehe dazu oben 1. Kapitel B.I.2.b). 186 Michael Opielka, Bezahlte Elternschaft. Voraussetzungen und Folgen einer monetären Anerkennung der Erziehungsarbeit durch ein Erziehungsgehalt, in: ZSR 1997, S.901; Michael Opielka, Bezahlte Elternschaft. Voraussetzungen und Folgen einer monetären Anerkennung der Erziehungsarbeit durch ein Erziehungsgehalt, in: Andreas Netzler/Michael Opielka

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3. Kap.: Die Förderung der Familie

Faktisch wird mit der familiären Erziehungsarbeit kein Primäreinkommen gebildet. Es handelt sich um einen definitorischen Kniff, wenn das Bruttosozialprodukt um die Erziehungstätigkeit erweitert wird. Dadurch entsteht noch kein Wachstum als solches. Sozialprodukt und Bruttoinlandsprodukt bezeichnen nur die Menge an Gütern und Leistungen, die erzeugt und über den Markt abgewickelt werden. Ziel des staatlichen Kinderlasten- und Kinderleistungsausgleichs ist, die Familien angemessen an diesem Gütervolumen zu beteiligen. Das Geld, das den Familien gegeben werden soll, muß erst anderen genommen werden. Staatliche Leistungen für die Kindererziehung sind deshalb Teil des gesamtwirtschaftlichen Transfervolumens. Als Transferleistungen sind sie der sekundären Einkommensverteilung zuzuord-

2. Der Kinderleistungsausgleich als Bestandteil der staatlichen Transfersysteme a) Die Förderung der Familie im Steuersystem Grundsätzlich ist es möglich, die Förderung der Familie über Steuervergünstigungen im Einkommensteuerrecht zu regeln. Die Familienförderung durch einkommensteuerrechtliche Regelungen darf aber nicht mit der durch das Benachteiligungsverbot garantierten sachgerechten Besteuerung der Familie nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip gleichgesetzt werden. Im Gegensatz zu diesen fiskalzweckorientierten Normen des Einkommensteuerrechts können familienfördernde Regelungen nach anderen Prinzipien, etwa dem Bedürfnisprinzip oder dem Verdienstprinzip, ausgestaltet werden. 188 Die Regelungen zum Kindergeld (§§ 62ff. EStG) stellen, soweit sie den Betrag übersteigen, der den Steuerpflichtigen über den Kinderfreibetrag ohnehin zustehen würde, solche steuerlichen Sozialzwecknormen dar. Formell handelt es sich um Normen des Steuerrechts, materiell sind es Normen des Sozialrechts, die sich auf einkommensschwächere Familien konzentrieren. Andere (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S. 96 f.; Max Wingen, Familie - Ein vergessener Leistungsträger?, 1995, S. 60ff.; Heinz Lampert, Priorität für die Familie. Plädoyer für eine rationale Familienpolitik, 1996, S. 89. 187 Alois Oberhauser, Stellungnahme aus finanzwissenschaftlicher Sicht, in: Heidelberger Büro für Familienfragen und soziale Sicherheit (Hrsg.), Wissenschaftliches Kolloquium „Erziehungsgehalt" am 21./22. Juni 1996 in Bonn, 1996, S.37; vgl. auch die Diskussionsbeiträge von Oberhäuser und Zimmermann in: Katholische Arbeitnehmer-Bewegung Süddeutschlands (KAB), Durch Stabilitätspakt zur Vollbeschäftigung. Dokumentation einer Akademietagung zur Weidener Erklärung der KAB Süddeutschlands, 1990, S. 37 und 43; Barbara Stiegler, Mutter, Kind und Vater Staat. Geschlechterpolitische Aspekte des Erziehungsgehalts, Expertisen der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Frauenforschung, 1999, S. 15 f. 188 Martin Moderegger, Der verfassungsrechtliche Familienschutz und das System des Einkommensteuerrechts, 1991, S. 98 ff.; Joachim Lang, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Referat für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S.070.

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs

263

Beispiele sind das Baukindergeld (§ 34 f EStG) oder der Sonderausgabenabzug für Familienhilfen (§10 Abs. 1 Nr. 8 EStG). Im Unterschied zum Kindergeld begünstigen diese Steuernormen praktisch nur Familien mit relativ hohen Einkommen, die sich den Bau eines Familieneigenheims oder die Beschäftigung einer sozialversicherungspflichtigen Haushaltshilfe leisten können. Das Recht auf Familienförderung ist horizontal angelegt. Die Leistungen im Rahmen des Kinderlasten- und Kinderleistungsausgleichs müssen sich daher grundsätzlich an alle Familien richten. Der Kinderleistungsausgleich darf nicht auf bestimmte Einkommensgruppen beschränkt bleiben. Er muß horizontale Elemente aufweisen, damit das Recht auf Familienförderung nicht leerläuft. Eine Familienförderung ausschließlich über Steuervergünstigungen, die dem progressiven Steuertarif entsprechend mit der Höhe des Einkommens steigen und Familien ohne einkommensteuerlich relevantes Einkommen vorenthalten bleiben, wäre ungerechtfertigt. 189 Auch der Wissenschaftliche Beirat für Familienfragen macht darauf aufmerksam, daß die Ausgestaltung des Kinderlasten- und Kinderleistungsausgleichs ausschließlich über Steuerfreibeträge die Entlastungswirkungen auf höhere Einkommen beschränkt. Ohne Kindergeld und Erziehungsgeld erreicht der Kinderlasten- und Kinderleistungsausgleich Familien mit niedrigeren Einkommen nicht. Der Betreuungs- und Erziehungsbedarf der Kinder wird außerdem nicht nur über Aufwendungen gedeckt, die Einkommensverwendungen darstellen, sondern auch über Betreuungsund Erziehungsleistungen der Eltern oder Dritter und damit über reale Leistungen. Soweit tatsächlich Aufwendungen entstehen, sind Freibetragsregelungen angemessen. Steuersystematisch ist es dagegen nicht geboten, für reale Betreuungs- und Erziehungsleistungen der Eltern, die weder zu einer Einkommenserzielung noch zu einer Einkommensverwendung führen, Steuerfreibeträge einzuräumen. Dagegen scheint es sachgerecht, die Betreuungs- und Erziehungsarbeit der Eltern als gesellschaftlich wertvolle Leistung durch eine direkte Transferleistung anzuerkennen.190 Es besteht durchaus die Möglichkeit, eine sachgerechte Besteuerung der Familien über Freibeträge einerseits und eine familiengerechte Förderung über direkte Transferleistungen andererseits zu kombinieren. Eine kombinierte Lösung bietet zum 189

Siehe oben 2. Kapitel Α. V. 4. b) dd). Vgl. auch Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht, 1995, S.296. 190 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat für Familienfragen, Zur Weiterentwicklung des Familienlasten- und Familienleistungsausgleichs nach den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 10. November 1998,1999, S.7ff.; Bundesministerium ßr Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Stellungnahmen des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim BMFSFJ zum Erziehungsgeld und zur Weiterentwicklung des Familienlasten- und Familienleistungsausgleichs nach den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 10. November 1998, Band 192 der Schriftenreihe, 2000, S.24; Ute Sacksofsky, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Gestaltung des Familienlastenausgleichs nach den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 10. November 1998. Rechtsgutachten für das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2000, S. 15.

264

3. Kap.: Die Förderung der Familie

Beispiel das duale System der Kinderfreibeträge und des Kindergeldes. Eine solche duale Lösung ist auch zur Berücksichtigung des Betreuungs- und Erziehungsbedarfs der Kinder und zur Anerkennung der Betreuungs- und Erziehungsleistungen der Eltern denkbar. 191 Allerdings ist fraglich, ob insoweit eine Beschränkung auf die Instrumente Kinderfreibetrag und Kindergeld sinnvoll ist, oder ob nicht die Kombination eines gesonderten Betreuungs- und Erziehungsfreibetrags mit dem Erziehungsgeld sachgerecht ist. Das Kindergeld dient vor allem dem Ausgleich der kinderbedingten Sachkosten, der sich unter Umständen bis auf das 27. Lebensjahr des Kindes erstrecken kann. Das Erziehungsgeld hingegen ist entsprechend dem abnehmenden Betreuungsbedarf des Kindes auf die ersten Lebensjahre des Kindes beschränkt. In der Sache muß zwischen dem Ausgleich der direkten Kinderkosten und der Förderung der Kindererziehung unterschieden werden. Eine Zusammenfassung der Kinder-, Betreuungs- und Erziehungsfreibeträge einerseits und der Kindeigeldund Erziehungsgeldleistungen andererseits sowie deren Kombination in einem dualen System ist aber mit entsprechenden Altersstufungen denkbar. Einen solchen Ansatz verfolgt zum Beispiel die Bundestagsfraktion der CDU/CSU mit ihrem Familiengeldkonzept. Die Förderung der Kindererziehung ausschließlich über Steuervergünstigungen ist auch insofern problematisch, als sie nicht automatisch dem oder der Erziehenden zukommt. Steuerermäßigungen knüpfen nur mittelbar an die geleistete Erziehungsarbeit an, sie setzen zunächst ein zu versteuerndes Einkommen voraus. In Familien, in denen sich ein Eltemteil ausschließlich oder ganz überwiegend der Kindererziehung widmet, kommt die steuerliche Förderung der Kindererziehung zunächst dem erwerbstätigen Partner zu. Eine unmittelbare Anerkennung der Erziehungsleistung ist mit Steuervergünstigungen nicht verbunden. 192 Ein Kinderleistungsausgleich, der die Anerkennung der Erziehungsleistung in den Mittelpunkt stellt, sollte deshalb über direkte Transfers erfolgen und nicht vom eigenen Einkommen oder gar vom Einkommen des Partners abhängig gemacht werden.

191 Vgl. BVerfGE 99, 216 (241); Wissenschaftlicher Beirat für Familienfragen, Zur Weiterentwicklung des Familienlasten- und Familienleistungsausgleichs nach den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 10. November 1998,1999, S.7ff.; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Stellungnahmen des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim BMFSFJ zum Erziehungsgeld und zur Weiterentwicklung des Familienlasten- und Familienleistungsausgleichs nach den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 10. November 1998, Band 192 der Schriftenreihe, 2000, S. 14; Klaus Lange, Verfassungsrechtliche Möglichkeiten einer gleichheitsorientierten Reform des Familienleistungsausgleichs. Rechtsgutachten auf Ansuchen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2000, S.75f.

192 Wiebke Buchholz-Will, Steuern, Staat und Frauen. Die Zusammenhänge zwischen Ehegattenbesteuerung und Erwerbstätigkeit von Frauen in der EG, in: Susanne Schunter-Kleemann (Hrsg.), Herrenhaus Europa - Geschlechterverhältnisse im Wohlfahrtsstaat, 1992, S. 81 f.

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs

265

b) Der Kinderleistungsaus gleich im System der sozialen Sicherung Direkte Transferleistungen des Staates erfolgen vor allem über die sozialen Sicherungssysteme. Das System der sozialen Sicherung kennt im wesentlichen drei Prinzipien für die Gewährung direkter Transferleistungen, nämlich das Versicherung·, das Versorgungs- und das Fürsorgeprinzip. Da diese Einteilung in den Randbereichen und insbesondere bei der Einordnung neuartiger Sozialleistungen Schwierigkeiten bereitet, wird die klassische Dreiteilung neuerdings um das Prinzip der sozialen Förderung ergänzt. 193 Die meisten Modelle zur Reform des Kinderleistungsausgleichs orientieren sich zumindest im Ansatz an den hergebrachten Prinzipien der sozialen Sicherung. Ganz grundsätzlich unterscheiden die Modelle zwischen Leistungsanerkennung und Lastenausgleich und dementsprechend zwischen Entlohnung und Lohnersatzleistung für die Kindererziehung. Von diesem grundsätzlichen gedanklichen Ansatz kann sich die konkrete Ausgestaltung allerdings weit entfernen. Dies erschwert eine eindeutige Zuordnung der Modelle, zumal die gedanklichen Ansätze und möglichen Funktionen des Kinderleistungsausgleichs auch kombiniert und unterschiedlich gewichtet werden. Schon der Einführung des Erziehungsgeldes nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz ging die Diskussion voraus, ob die Transferleistung primär eine Anerkennung für die Erziehungsleistung darstellt oder ob es sich hierbei um eine teilweise Erstattung des Einkommensverlusts handelt, welcher durch den Verzicht auf Erwerbstätigkeit während der Kindererziehung entsteht. Entsprechend votierten die einen für eine Erziehungsgeldzahlung, die unabhängig vom Umfang der Erwerbstätigkeit erfolgt, die anderen für einen Ausschluß der Leistung, sofern eine mehr als geringfügige Erwerbstätigkeit aufgenommen wird. Der Kompromiß ergab die Grenze von 19 Wochenstunden erlaubter Erwerbstätigkeit. aa) Versicherungsorientierte Lösungsansätze Kernstück des Systems der sozialen Sicherung ist die Sozialversicherung mit ihren Teilbereichen der Gesetzlichen Rentenversicherung, der Gesetzlichen Krankenversicherung, der Gesetzlichen Unfallversicherung, der Arbeitslosenversicherung sowie der Pflegeversicherung. Die Sozialversicherung dient dem Schutz vor den allgemeinen Lebensrisiken wie Krankheit, Unfall, Alter, Tod, Erwerbsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit. Zu den Charakteristika der Sozialversicherung gehört, daß die Sozialversicherungsleistungen auf Grund von früher erbrachten Gegenleistungen (Beiträgen) des Versicherten und unter Umständen seines Arbeitgebers gewährt werden und daß die Beiträge ihrerseits im Hinblick auf die späteren Sozialleistungen erbracht werden. Das Sozialversicherungsverhältnis ist somit geprägt durch die versiche193 Detlef Merten, Sozialrecht. Sozialpolitik, in: Emst Benda/Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1983, S.784; Eberhard Eichenhof er, Sozialrecht, 2. Auflage, 1997, S.8f.

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3. Kap.: Die Förderung der Familie

rungstechnischen Elemente der gegenseitigen Risikosicherung im Rahmen einer Gefahrengemeinschaft und der Beitragsfinanzierung. Hinzu treten andere soziale Elemente, die das versicherungstechnische Äquivalenzprinzip gleicher Leistung und Gegenleistung modifizieren. Dazu gehören die Versicherungspflicht für bestimmte Gruppen und die Staffelung der Beiträge nach dem Einkommen und nicht nach dem eingebrachten Risiko, aber auch das Solidarprinzip mit der Konsequenz einer Umverteilung zugunsten der relativ Ärmeren oder bestimmter Gruppen innerhalb der Versichertengemeinschaft. Weiteres Merkmal der Sozialversicherungen ist, daß keine Bedürftigkeitsprüfung durchgeführt wird und sonstige Einkommen oder Vermögen des Versicherten nicht auf die Leistungen der Sozialversicherung angerechnet werden. Die Selbstverwaltung und Parafiskalität der Sozialversicherungssysteme garantieren eine gewisse Unabhängigkeit vom staatlichen Haushalts- und Steueigebaren.194 Viele Modelle zur Reform des staatlichen Kinderleistungsausgleichs orientieren sich am Versicherungsprinzip und plädieren für die Anerkennung der Kindererziehung als ein weiteres sozialversicherungsrelevantes Risiko in einem eigens hierfür einzurichtenden Sozialversicherungszweig. Ausgangspunkt für den versicherungsorientierten Ansatz ist der Gedanke, daß wirtschaftliche Unabhängigkeit nur durch die Ausbildung für einen Beruf und durch lebenslange Erwerbstätigkeit zu erreichen ist und Familiengründung wie Kindererziehung deshalb durch staatlich abgesicherte Familienphasen unterstützt und durch Lohnersatzleistungen finanziell abgesichert werden müssen. Zu den Konzepten, die diesen Ansatz verfolgen, gehören zum Beispiel das Modell der Elternversicherung, das Modell „Geschützte Teilzeitarbeit für Eltern" von Birgit Geissler und Birgit Pfau, das Modell „Geschützte Teilzeitarbeit für Erziehung und Pflege" des Landesverbandes der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) der Diözese Rottenburg-Stuttgart, das Modell „Zeit und Geld für Kinder" der früheren Bundestagsfraktion Die Grünen/Bündnis 90 oder der Vorschlag von Sabine Hildebrandt-Woeckel für ein Betreuungsgeld. Einen versicherungsorientierten Ansatz zur Förderung der Kindererziehung verfolgen auch die Länder Schweden und Dänemark. 195 Die versicherungsorientierten Modelle sind meist so konzipiert, daß während der Zeit der Kindererziehung ein relativ hoher prozentualer Anteil des zuvor erzielten Erwerbseinkommens als Lohnersatzleistung gezahlt, allerdings auch nur eine relativ kurze Familienphase zugestanden wird. Im Vordergrund steht die möglichst zeitgleiche Vereinbarung von Familie und Beruf. Diese Modelle setzen deshalb auch ein umfassendes Angebot an familienergänzenden Kinderbetreuungseinrichtungen voraus. 196 194 Vgl. Lothar Neumann/Klaus Schaper, Die Sozialordnung der Bundesrepublik Deutschland, 4. Auflage, 1998, S. 142f.; Detlef Merten, Sozialrecht. Sozialpolitik, in: Ernst Benda/ Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1983, S.784. 195 Siehe oben 1. Kapitel B.III.2.j) und b).

196 Vgl. Christian Leipert, Aufwertung der Erziehungsarbeit - Politische Notwendigkeit und Wege zur Erreichung des Ziels, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungs-

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs

267

Die Ausgestaltung der staatlichen Leistungen für die Kindererziehung als Lohnersatzleistungen bedeutet, daß die Leistungen grundsätzlich nur an abhängig Beschäftigte gezahlt werden. Noch nicht Berufstätige, Selbständige und Eltern mehrerer Kinder, die längere Zeit nicht erwerbstätig waren, sind prinzipiell ausgeschlossen. 1 9 7 Die Anbindung des staatlichen Kinderleistungsausgleichs an die Erwerbstätigkeit ist gerade in Zeiten problematisch, in denen der Erwerbsarbeitsmarkt viele Menschen und vor allem Frauen gar nicht aufzunehmen vermag. Das österreichische Karenzgeld etwa, das den Charakter einer Leistung nach dem Versicherungsprinzip und die Funktion eines Einkommensersatzes für den Versicherungsfall Kindererziehung hat, setzt eine vorherige Erwerbstätigkeit voraus. 198 Diese Bindung des Karenzgeldes an eine vorherige sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit wird als ein wesentlicher Mangel des Systems empfunden, weil sie manche Gruppen vom Bezug der Leistungen ausschließt. In erster Linie sind jene Eltern betroffen, die (noch) nicht arbeitslosenversichert sind oder die nach der Geburt und Betreuung eines Kindes keine Ansprüche mehr haben, weil sie noch nicht wieder einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen. Als weiterer Mangel des Systems gilt die eingeschränkte Flexibilität der Eltern durch das Erwerbsverbot während der Erziehungsphase, wodurch die Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Beruf zum Teil erheblich erschwert wird. 199 Es besteht zudem ein gewisser Anreiz, erst in späteren Phasen des Erwerbslebens eine Familie zu gründen, weil mit zunehmender Berufstätigkeit die Lohnersatzleistungen steigen.200 Andererseits steigen in versicherungsorientierten Systemen die Anreize für Männer, sich um die Kindererziehung zu kümmern, weil ihre Lohnersatzleistungen in der Regel höher sind als die der Frauen. Deshalb wird die Ausgestaltung der Leistungen des Kinderleistungsausgleichs als Lohnersatzleistungen zum Teil gerade unter dem Aspekt der Gleichstellung der Geschlechter favorisiert. Damit würde sich aber die bereits im Erwerbsleben bestehende Lohnungleichheit zwischen den arbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S. 16. 197 Vgl. Ellen Kirner/Volker Meinhardt, Allgemeine Arbeitszeitverkürzung und ihre Auswirkung auf Einkommen und soziale Sicherung, 1997, S.60ff.; vgl. auch die Stellungnahme des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zum Konzept des Deutschen Gewerkschaftsbundes, siehe dazu oben 3. Kapitel A.III. 15.b). 198 Martin Schneider!Stefan Ohmacht, Familienrelevante Transfers in Österreich - Systemüberblick und Analysen, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S.75ff. 199 Martin Schneider!Stefan Ohmacht, Familienrelevante Transfers in Österreich - Systemüberblick und Analysen, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S.82f. 200 Christian Leipert, Aufwertung der Erziehungsarbeit - Politische Notwendigkeit und Wege zur Erreichung des Ziels, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S. 16.

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3. Kap.: Die Förderung der Familie

Geschlechtern in den Sozialversicherungssystemen noch weiter fortschreiben. Lohnersatzleistungen führen unweigerlich zu unterschiedlichen Leistungen für die Erziehungsarbeit und zu durchschnittlich höheren Leistungen für Männer. 201 Eine allgemeine und gleiche Anerkennung der Erziehungsleistung ist mit einer versicherungsorientierten Leistung nicht verbunden. Weil zudem die Familienphase in versicherungsorientierten Modellen in der Regel sehr kurz ist und die meisten Mütter zumindest am Anfang bei ihrem Kind bleiben möchten, könnten wiederum vor allem Frauen die Familienphase in Anspruch nehmen. Das belegen die Zahlen aus Schweden, wo sich die Männer zwar verstärkt, aber längst nicht gleichberechtigt an der Kindererziehung beteiligen, vor allem was die Dauer der Erwerbsunterbrechung angeht.202 bb) Versorgungsorientierte Lösungsansätze Ein weiteres Prinzip der sozialen Sicherung ist das Versorgungsprinzip. Im Gegensatz zu den Sozialversicherungssystemen fehlt den Versorgungssystemen das Merkmal der Gegenseitigkeit. Die Begünstigten haben einen Rechtsanspruch auf eine gesetzlich fixierte Versorgungsleistung. Der Versorgungsanspruch gründet nicht auf einer Beitragsvorleistung. Die Versorgungsleistung ist eine einseitige Entschädigung für immaterielle oder materielle Sonderopfer, die von der Gesellschaft als ausgleichswürdig angesehen werden. Diesem Entschädigungscharakter entspricht es, daß die Versorgung ohne Rücksicht auf die individuelle Bedürftigkeit des Versorgungsberechtigten gewährt wird. Versorgungssysteme sind staatlich verwaltet und werden aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert. Über die progressiv gestalteten Steuersätze führen sie im Gegensatz zu den Versicherungssystemen zu einer vertikalen Umverteilung zugunsten einkommensschwächerer Gruppen. 203 Viele Modelle zur Reform des staatlichen Kinderleistungsausgleichs beruhen im Grunde auf einem versorgungsorientierten Ansatz. Dazu gehören etwa der Vor201 Vgl. Deutscher Frauenrat, Erziehungsgehalt ist kein angemessener Lohnersatz für Mütter. Stellungnahme des Deutschen Frauenrates zum Entwurf des sächsischen Sozialministers, in: Informationen für die frau Nr. 7/8 1998, S.22f.; Gerhard Bäcker/Brigitte Stolz-Willig, Vereinbarkeit von Beruf und Familie als eine Zukunftsaufgabe des Sozialstaats, in: Gerhard Bäkker/Brigitte Stolz-Willig (Hrsg.), Kind, Beruf, soziale Sicherung. Zukunftsaufgabe des Sozialstaats, 1994, S.40ff. 202 v g l Peter Köhler, Das Modell „Erziehungsgehalt" vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Dänemark und Schweden, in: Heidelberger Büro für Familienfragen und soziale Sicherheit (Hrsg.), Wissenschaftliches Kolloquium „Erziehungsgehalt" am 21./22. Juni 1996 in Bonn, 1996, S. 10. 203 Vgl. Lothar Neumann/Klaus Schaper, Die Sozialordnung der Bundesrepublik Deutschland, 4. Auflage, 1998, S. 143 f.; Detlef Merten, Sozialrecht. Sozialpolitik, in: Ernst Benda/ Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1983, S.784; Rudolf Kolb, Versicherung, Versorgung, Fürsorge, in: Bernd Baron von Maydell/Walter Kannengießer (Hrsg.), Handbuch Sozialpolitik, 1988, S.96f.

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs

269

schlag für ein Erziehungsgeld als Bestandteil eines Grundeinkommens von Konrad Stopp oder das Modell einer Kindheitsversicherung von Hannelore Schröder, aber auch das sächsische Modell eines Erziehungsgehalts von Hans Geisler. Den versorgungsorientierten Lösungsansätzen lassen sich zumindest von der Grundidee her auch diejenigen Vorschläge zuordnen, die die staatlichen Leistungen für die Erziehungsarbeit nicht als Transferleistungen, sondern als Lohnleistungen und damit als Primäreinkommen definieren. Dies gilt zum Beispiel für das Konzept,,Lohn oder Gehalt für Familienarbeit" der Deutschen Hausfrauengewerkschaft e.V. (dhg), das Konzept „Erziehungsgehalt 2000" des Deutschen Arbeitskreises für Familienhilfe e.V., den Vorschlag eines Erziehungsgehalts der Ökologisch-Demokratischen Partei (ödp), die Weidener Erklärung der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung Süddeutschlands (KAB), das Modell eines Familiengehalts der Deutschen Evangelischen Allianz e.V. oder das Trierer Modell eines Erziehungsgehalts des Katholikenrats im Bistum Trier. Bei den versorgungsorientierten Lösungsansätzen für die Reform des Kinderleistungsausgleichs steht die Funktion der Anerkennung und Honorierung der Erziehungsleistung im Vordergrund. Die Leistungen werden unabhängig von einem Beschäftigungsverhältnis, vom vorherigen Einkommen und von zuvor geleisteten Beiträgen gewährt. Die versorgungsorientierten Modelle beschränken die finanziellen Leistungen in der Regel nicht auf eine kurze Familienphase. Eltern, die noch nicht oder nicht mehr erwerbstätig sind, werden nicht von vornherein ausgenommen.204 Meist sind relativ hohe Pauschalleistungen vorgesehen, die unabhängig von der Kinderzahl gezahlt werden. Das gilt zum Beispiel für das Konzept „Lohn oder Gehalt für Familienarbeit" der Deutschen Hausfrauengewerkschaft e.V. (dhg). Zum Teil werden aber auch für jedes Kind eigene Beträge angesetzt, damit der individuelle Erziehungs- und Betreuungsbedarf jedes Kindes gleichermaßen anerkannt und berücksichtigt wird. Mit einer solchen Bedarfsorientierung rücken die betreffenden Modelle, zum Beispiel das sächsische Modell eines Erziehungsgehalts von Hans Geisler, in die Nähe der förderungsorientierten Ansätze.205 Die versorgungsorientierten Leistungen für die Kindererziehung orientieren sich in der Regel an der Höhe der durchschnittlichen Erwerbseinkommen. Damit wird die familiäre Erziehungsarbeit ganz generell der Erwerbsarbeit gleichgestellt. Gegen diese Gleichstellung wird allerdings argumentiert, sie rücke die Versorgungsleistungen für Erziehungsarbeit in die Nähe der Primäreinkommen und stelle dadurch Erziehungsarbeit und Erwerbsarbeit einander als Alternativen gegenüber. Es wird befürchtet, daß mit einer Etablierung des Berufsbildes der Familienfrau und Mutter die Verdrängung der Frauen vom Erwerbsarbeitsmarkt einhergeht und sich die be204 Vgl. Christian Leipert, Aufwertung der Erziehungsarbeit - Politische Notwendigkeit und Wege zur Erreichung des Ziels, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S. 17.

205

Siehe unten 3. Kapitel B.II.2.b)dd).

270

3. Kap.: Die Förderung der Familie

reits bestehende Lohnbenachteiligung der Frauen auf dem Erwerbsarbeitsmarkt in noch geringeren Leistungen für die Erziehungsarbeit in der Familie niederschlägt. Diese Gefahren werden vor allem bei Modellen mit niedrigen und nicht kinderzahlbezogenen Pauschalleistungen für die Erziehungstätigkeit gesehen, weil die Familien dann nicht auf das in der Regel höhere Erwerbseinkommen des Mannes verzichten können.206 Bei relativ hohen Pauschalleistungen für die Kindererziehung wird die Gefahr gesehen, daß Lenkungswirkungen dahingehend entstehen, daß Geringverdienende eher und länger auf eine Erwerbstätigkeit verzichten, Besserverdienende dagegen eher erwerbstätig bleiben. Diese Gefahr besteht besonders bei Modellen, die die Versorgungsleistungen an die zumindest teilweise Aufgabe der Erwerbstätigkeit koppeln, wie dies etwa im Modell eines Familiengehalts der Deutschen Evangelischen Allianz e.V. vorgesehen ist. cc) Fürsorgeorientierte Lösungsansätze Im Unterschied zum Versicherungs- und Versorgungsprinzip setzt das Fürsorgeprinzip eine individuelle Notlage voraus, der nicht anders, etwa durch unterhaltspflichtige Verwandte oder durch Ansprüche gegen Versicherungen, begegnet werden kann. Die Fürsorge ist eine nachrangige staatliche Hilfe, die anders als die Versicherung und Versorgung ohne Gegenleistung oder Sonderopfer des Leistungsempfängers erbracht wird und in ihrem Ausmaß durch die individuelle Bedürftigkeit des Leistungsempfängers begrenzt ist. Ein Anspruch auf staatliche Fürsorgeleistungen besteht nur, wenn die Einkommens- und Vermögenslage des Betreffenden eine Selbsthilfe nicht zuläßt. Leistungen der staatlichen Fürsorge werden aus allgemeinen Steuermitteln finanziert. 207 Kein Modell zur Reform des Kinderleistungsausgleichs orientiert sich ausschließlich am Fürsorgeprinzip. Allerdings wird das Fürsorgeprinzip zum Teil mit anderen Ansätzen gekoppelt und die staatlichen Leistungen für die Kindererziehung werden vom Einkommen der Eltern abhängig gemacht. Auch das Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz ist nach seiner ursprünglichen Konzeption keine staatliche Fürsorgeleistung und wird deshalb zum Beispiel nicht auf die Sozialhilfe angerechnet. Allerdings ist das Erziehungsgeld zumindest ab dem siebten Monat an sehr niedrige Einkommensgrenzen gebunden, die in der Regel nicht über dem steuerlichen Existenzminimum liegen und auch das geminderte Erziehungsgeld auf untere Einkommensgruppen beschränken. Damit hat das Erziehungsgeld 206 Barbara Stiegler; Mutter, Kind und Vater Staat. Geschlechterpolitische Aspekte des Erziehungsgehalts, Expertisen der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Frauenforschung, 1999, S. 12f. 207 Vgl. Lothar Neumann/Klaus Schaper, Die Sozialordnung der Bundesrepublik Deutschland, 4. Auflage, 1998, S. 143; Detlef Merten, Sozialrecht. Sozialpolitik, in: Ernst Benda/Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1983, S.784f.; Rudolf Kolb, Versicherung, Versorgung, Fürsorge, in: Bernd Baron von Maydell/Walter Kannengießer (Hrsg.), Handbuch Sozialpolitik, 1988, S.97.

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs

271

zumindest ab diesem Zeitpunkt sehr deutlich den Charakter einer Sozialleistung nach dem Fürsorgeprinzip. Eine allein am Fürsorgeprinzip orientierte Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs würde dem verfassungsrechtlichen Gebot der Familienförderung nicht gerecht. Das Förderungsgebot verlangt einen grundsätzlich horizontal angelegten Nachteilsausgleich zwischen Familien und Kinderlosen. Eine Beschränkung der Familienförderung auf einkommensschwache Familien bedeutet einen Eingriff in das Recht aller Familien auf Förderung und bedarf der Rechtfertigung. Eine gewisse Konzentration des Kinderleistungsausgleichs auf untere Einkommensgruppen läßt sich mit sozialen Erwägungen begründen. Der Kinderleistungsausgleich darf aber nicht zur bloßen Fürsorge verkommen und zum Leerlauf des Grundrechts auf Familienförderung führen. 208 dd) Förderungsorientierte Lösungsansätze Die soziale Förderung ist nicht Bestandteil der klassischen funktionalen Systematik der sozialen Sicherung. 209 Ihr werden vor allem neuartige Sozialleistungen zugeordnet, die sich nicht ohne weiteres in die klassische Einteilung der sozialen Sicherung einfügen. 210 In Abweichung von der Fürsorge erbringt die soziale Förderung Transferleistungen ohne Rücksicht auf die individuelle Bedürftigkeit. Der Leistungsinhalt der Maßnahmen sozialer Förderung wird nicht konkret, sondern abstrakt anhand typisierter Bedarfe bestimmt. Sie werden in besonderen Lebenssituationen gewährt, die eine wirtschaftliche Schwäche oder Benachteiligung indizieren. Leistungen der sozialen Förderung dienen der Unterstützung in wirtschaftlich schwierigen Situationen und dem Ausgleich wirtschaftlicher oder sozialer Nachteile. Die soziale Förderung zielt damit auf die Teilhabe aller Menschen an den Gemeinschaftsgütern und auf Chancengleichheit. Träger der sozialen Förderung ist der Staat, der die Leistungen aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert. 211 Ein Beispiel für eine Maßnahme der sozialen Förderung ist das Kindergeld, wie es in den fünfziger Jahren ausgestaltet war. Damals wurde es nicht alternativ, sondern kumulativ zu den Kinderfreibeträgen gewährt und bildete eine unabhängig vom Einkommen allen Familien zukommende Sozialleistung.212 Das Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz ist mit seinen niedrigen Einkommensgrenzen da208

Siehe oben 2. Kapitel A.V.4.b)cc) und dd). Vgl. Lothar Neumann/Klaus Schaper, Die Sozialordnung der Bundesrepublik Deutschland, 4. Auflage, 1998, S. 142; Eberhard Eichenhofer, Sozialrecht, 2. Auflage, 1997, S.8f. 210 Detlef Merten, Sozialrecht. Sozialpolitik, in: Emst Benda/Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1983, S.784; Eberhard Eichenhofer, Sozialrecht, 2. Auflage, 1997, S.8f. 2,1 Eberhard Eichenhofer, Sozialrecht, 2. Auflage, 1997, S.9; Bertram Schulin, Sozialrecht. 209

Ein Studienbuch, 5. Auflage, 1993, S.24f. 212 Siehe oben 1. Kapitel A.IV.3.

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3. Kap.: Die Förderung der Familie

gegen eher eine Leistung der sozialen Fürsorge als der sozialen Förderung, auch wenn Hauptzweck ausdrücklich die Familienförderung ist. 213 Die Einordnung des staatlichen Kinderleistungsausgleichs als soziale Förderung entspricht dem Förderungsgebot des Art. 6 Abs. 1 GG. Das Recht auf Familienförderung garantiert eine familiengerechte Behandlung in dem Sinne, daß die familienspezifischen Besonderheiten, insbesondere der Betreuungs- und Erziehungsbedarf der Kinder, im Rahmen des staatlichen Kinderleistungsausgleichs Berücksichtigung finden und einen sozialen Ausgleich erfahren, wenn sie zu Benachteiligungen führen. Kindererziehung ist kein Risiko im versicherungstechnischen Sinne, kein Sonderopfer im versorgungstechnischen Sinne und keine Notlage im fürsorgerechtlichen Sinne, sondern ein gesellschaftlich anerkannter Tatbestand, der unter den gegebenen sozialen Bedingungen zu erheblichen Nachteilen führt. Das verfassungsrechtliche Gebot zur Förderung der Familie und der Kindererziehung spricht für den Ausgleich dieser Nachteile, die nicht innerhalb bestehender Leistungssysteme entstehen, in einem eigenen Leistungssystem außerhalb der traditionellen sozialen Sicherungssysteme. Viele Modelle zur Reform des Kinderleistungsausgleichs können zwar von der Grundidee her einem der klassischen Bereiche der sozialen Sicherung zugeordnet werden, sehen aber erhebliche Einschränkungen des jeweiligen Prinzips vor oder kombinieren verschiedene Prinzipien, um soziale Härten zu vermeiden, die sich aus einer konsequenten Umsetzung des jeweiligen Ansatzes zwangsläufig ergeben würden. Dadurch nähern sich die Modelle zum Teil stark an. Mit der Orientierung am Betreuungs- und Erziehungsbedarf der Kinder haben die meisten Modelle eine Förderkomponente, die sich aus den klassischen Prinzipien so nicht ohne weiteres ableiten läßt. Dem förderungsorientierten Ansatz entsprechen vor allem die Modelle, in denen die Leistungen für die Kindererziehung für jedes Kind in einer bestimmten pauschalierten Höhe und ohne weitere Voraussetzungen ausgezahlt werden, insbesondere unabhängig davon, ob die Eltern erwerbstätig sind, wie hoch das Familieneinkommen ist und wie die Erziehungsarbeit auf die Familie und auf externe Betreuungsdienste verteilt wird. Die förderungsorientierten Modelle versprechen ein Höchstmaß an Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit für die Familien. Im Gegensatz zu den am Versicherungsprinzip orientierten Modellen beziehen die am Prinzip der sozialen Förderung orientierten Modelle von vornherein alle Familien in das Leistungssystem ein und führen nicht zu einer unterschiedlichen Bewertung der Erziehungsarbeit. Im Gegen213

Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA), Einkommensbezogenes Sozialleistungsrecht, Forschungsbericht Nr. 256, 1996, S.304f. Auf den ersten Blick scheinen auch das Wohngeld oder die Ausbildungsförderung als der traditionellen Dreiteilung gegenläufige Sozialleistungen. Gleichwohl sind auch sie nicht der sozialen Förderung zuzuordnen. Sie sind an Einkommensgrenzen gebunden und stellen der Sache nach Leistungen der Fürsorge in besonderen Lebenslagen dar, weil sie individuelle Bedürftigkeit voraussetzen; vgl. Detlef Merten, Sozialrecht. Sozialpolitik, in: Emst Benda/Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1983, S.784.

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs

273

satz zum Fürsorgeprinzip enthält das Förderungsprinzip ein horizontales Element der Verteilungsgerechtigkeit, wie es auch dem verfassungsrechtlichen Gebot zur Förderung der Familien immanent ist. Eine Einkommensstaffelung unter sozialen Aspekten ist zwar auch in Verbindung mit dem Förderungsprinzip denkbar, doch darf eine solche Einschränkung des Förderprinzips nicht zu einer Reduzierung der Förderung auf bloße Fürsorge führen. Anders als die versorgungsorientierten Modelle stellt der förderungsorientierte Ansatz Kindererziehung und Erwerbstätigkeit einander nicht als Alternativen gegenüber. Durch die Kinderzahlbezogenheit erlaubt der förderungsorientierte Ansatz die Zusammenschau familialer und institutioneller Kinderbetreuung. Dies gelingt bislang selten. In vielen europäischen Ländern werden erhebliche Mittel in die Versorgung mit Kinderbetreuungseinrichtungen investiert, oft fehlt es aber an einer Honorierung der Erziehungsleistung, wenn sie von einem oder von beiden Elternteilen in der Familie erbracht wird, obwohl dadurch hohe staatliche Zuschüsse für einen externen Betreuungsplatz eingespart werden. 214 Konsequenzen aus diesem Dilemma der ungleichen Förderung beider Betreuungsarten haben zum Beispiel Finnland und Norwegen gezogen.215 Umgekehrt können sehr ungleiche Förderungsstrukturen entstehen, wenn die familiäre Kinderbetreuung besonders unterstützt wird, aber die Versorgung mit öffentlich geförderten Kinderbetreuungseinrichtungen nicht dem tatsächlichen Bedarf entspricht. Eine ausgewogenere Förderstruktur gelingt vor allem in Modellen, die stärker auf den Erziehungs- und Betreuungsbedarf der Kinder Bezug nehmen und den Eltern mit Hilfe staatlicher Leistungen die Entscheidung über die Art und Weise der Deckung dieses Bedarfs überlassen, indem sie die staatlichen Leistungen als Ausgleich für den Erziehungs- und Betreuungsaufwand unabhängig davon gewähren, ob die Eltern erwerbstätig sind oder nicht. So wird die in jedem Fall anfallende Erziehungsarbeit honoriert, gleich wer sie im Einzelfall erbringt. Dieser Ansatz legt eine Anlehnung der Leistungshöhe an die Kosten einer außerfamilialen Kinderbetreuung nahe, kombiniert mit einer Subjektförderung der institutionellen Kinderbetreuung. 216 Einen solchen integrativen Ansatz verfolgen zum Beispiel das sächsische Modell eines Erziehungsgehalts von Hans Geisler oder das Konzept „Erziehungsgehalt 2000" des Deutschen Arbeitskreises für Familienhilfe e.V.

214 Christian Leipert, Aufwertung der Erziehungsarbeit - Politische Notwendigkeit und Wege zur Erreichung des Ziels, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S. 18 f. 215 Siehe oben 1. Kapitel B.III.2.c) und g). 216 Siehe dazu unten 3. Kapitel B.V. 6. a).

18 Tünnemann

274

3. Kap.: Die Förderung der Familie

I I I . Zur Terminologie Die staatlichen Leistungen für die Kindererziehung werden in den Modellen zur Reform des staatlichen Kinderleistungsausgleichs mit Begriffen wie dem des Erziehungsgeldes, des Eltern- oder Familiengeldes, des Erziehungsgehalts, des Familiengehalts oder auch des Erziehungslohns, der Elternrente oder der Kinderrente, des Erziehungseinkommens, des Erziehungsentgeltes oder des Grundeinkommens für Erziehung bezeichnet. Die Begriffe stehen für bestimmte Konzepte und prägen die familienpolitische Diskussion. Sie dienen jedoch nicht unbedingt der Klarheit, weil sie unnötig polarisieren und einer differenzierten Betrachtung abträglich sind. 217 Die Terminologie vom Gehalt, Einkommen oder Lohn für Erziehungsarbeit rückt die staatlichen Leistungen für die Kindererziehung in den Bereich der primären Einkommen. Sie steht für den Wandel von der Erwerbsgesellschaft zur Tätigkeitsgesellschaft, in der nicht nur Erwerbsarbeit, sondern auch Erziehungsarbeit eigenes Einkommen begründen soll, und betont den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wert der Erziehungsarbeit. 218 Faktisch handelt es sich bei den staatlichen Leistungen für die Kindererziehung jedoch um Transferleistungen, die neben der Honorierung geleisteter Erziehung und Betreuung auch dem Ausgleich der erziehungsbedingten Einkommenseinbußen der Eltern sowie der Sicherung einer bedarfsgerechten Betreuung und Erziehung der Kinder dienen. Die arbeitsrechtlich geprägten Begriffe des Gehalts oder des Lohns für Erziehungsarbeit verengen den staatlichen Kinderleistungsausgleich auf nur eine der möglichen Funktionen. Sie stoßen auch deshalb auf Ablehnung, weil sie an Lohnarbeitsverhältnisse erinnern und die Vorstellung eines Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnisses zwischen Staat und Eltern suggerieren. Das erweckt den Eindruck, die Erziehungsleistung sei eine Leistung der Eltern für den Staat. Mit der Zahlung eines Gehalts für die Kindererziehung könnte der Staat sogar den Anspruch erheben, bestimmte Erziehungsziele vorzugeben, von den Familien bestimmte Leistungen einzufordern und Erfolgskontrollen durchzuführen, und im Falle der Schlechtleistung gar das Gehalt kürzen. 219 217

Vgl. Max Wingen, Erziehungseinkommen. Zielsetzungen, Legitimationsgrundlagen und Finanzierungsprobleme, Nr. 13 der Publikationen des österreichischen Instituts für Ehe und Familie, 1999; Max Wingen, Aufwertung der elterlichen Erziehungsarbeit in der Einkommensverteilung. Grundlagen, Möglichkeiten und Grenzen eines „Erziehungseinkommens", in: Aus Politik und Zeitgeschichte Β 3-4/2000, S. 4 f.; Christian Leipert, Aufwertung der Erziehungsarbeit. Ein Vorschlag zur Schaffung eines Kinder- und Familienfonds, 1994, S.22; Michael Opielka, Bezahlte Elternschaft. Voraussetzungen und Folgen einer monetären Anerkennung der Erziehungsarbeit durch ein Erziehungsgehalt, in: Andreas Netzler/Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S. 102. 218 Max Wingen, Aufwertung der elterlichen Erziehungsarbeit in der Einkommensverteilung. Grundlagen, Möglichkeiten und Grenzen eines „Erziehungseinkommens", in: Aus Politik und Zeitgeschichte Β 3-4/2000, S. 4f.; Max Wingen, Erziehungseinkommen. Zielsetzungen, Legitimationsgrundlagen und Finanzierungsprobleme, Nr. 13 der Publikationen des österreichischen Instituts für Ehe und Familie, 1999, S. 52.

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs

275

Der Begriff des Erziehungsgeldes ist dagegen offen für mehrere mögliche Funktionen der staatlichen Leistungen für die Kindererziehung. Auch die Doppelfunktion des Lasten- und des Leistungsausgleichs für die Kindererziehung bringt der eingeführte Begriff des Erziehungsgeldes zum Ausdruck. Das Erziehungsgeld ist neben dem Kindergeld die wichtigste staatliche Förderleistung für die Familien. Es ist nicht nur Geld für die Erziehungsleistungen und -belastungen der Eltern, sondern auch Geld für den Erziehungsbedarf der Kinder. Von seiner ursprünglichen Zielsetzung her ist das Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz ein familienpolitisches Instrument, das dem Grundanliegen vieler Modellvorschläge zur Reform des Kinderleistungsausgleichs entspricht. In seiner ursprünglichen Form und Höhe hat das Erziehungsgeld breite Anerkennung erfahren und ist gesellschaftlich akzeptiert. Es liegt deshalb nahe, die staatlichen Leistungen für die Kindererziehung auch weiterhin unter dem Begriff des Erziehungsgeldes zusammenzufassen. Zwar wurde das Erziehungsgeld durch die mangelnde Dynamisierung sowie durch die Einführung der Einkommensgrenzen und deren mangelnde Anpassung abgewertet und auf einen immer kleiner werdenden Empfängerkreis beschränkt. Auch wegen der Leistungsdauer von nur zwei Jahren und des sich anschließenden mangelhaften Angebots an familienergänzenden Kinderbetreuungseinrichtungen greift dieses Instrument derzeit zu kurz. Grundsätzlich aber ist das Erziehungsgeld ein bewährtes und etabliertes Instrument der Familienförderung. Im übrigen bauen alle Reformvorschläge entweder auf den bestehenden Regelungen des Bundeserziehungsgeldgesetzes auf und reichen von geringfügigen Korrekturen bis hin zu weitgehenden Änderungen oder entwerfen ein neues Konzept, das die bisherigen Regelungen zum Erziehungsgeld vollständig ersetzt. In keinem Fall bleiben die angestrebten Leistungen hinter denen des geltenden Kinderleistungsausgleichs zurück. Ein Nebeneinander des Erziehungsgeldes nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz und anderer Formen des staatlichen Kinderleistungsausgleichs ist in keinem Konzept vorgesehen. Es handelt sich bei allen Reformvorschlägen um eine qualitative oder quantitative Weiterentwicklung des Kinderleistungsausgleichs und des dafür eingeführten Instruments des Erziehungsgeldes. Im folgenden soll deshalb weiterhin der Begriff des Erziehungsgeldes verwendet werden, ohne damit eine spezifische Ausgestaltung vorwegnehmen zu wollen.

219

Vgl. Max Wingen, Aufwertung der elterlichen Erziehungsarbeit in der Einkommensverteilung. Grundlagen, Möglichkeiten und Grenzen eines „Erziehungseinkommens", in: Aus Politik und Zeitgeschichte Β 3-4/2000, S. 4 f. 18*

276

3. Kap.: Die Förderung der Familie

IV. Zur Finanzierung des staatlichen Kinderleistungsausgleichs 1. Erwarteter Finanzbedarf für eine Reform des Kinderleistungsausgleichs Nach verschiedenen Berechnungen zu den Kosten einer Umsetzung der Modelle zur Reform des staatlichen Kinderleistungsausgleichs beläuft sich der Finanzierungsaufwand je nach Ausgestaltung des familienpolitischen Instruments auf zehnbis zwölfstellige Summen. Der Finanzaufwand für das Konzept „Erziehungsgehalt 2000" wird für die erste Phase der Einführung für Kinder von null bis drei Jahren mit ca. 57 Milliarden DM beziffert. Der Gesamtaufwand für die erste und zweite Phase der Einführung für Kinder bis sieben Jahre wird auf 110 bis 115 Milliarden DM geschätzt. Aufgrund der vorgesehenen Besteuerung des Erziehungsgehalts soll sich der Finanzierungsaufwand aber um etwa 28 % reduzieren. 220 Für das sächsische Modell eines Erziehungsgehalts wurde bezogen auf eine mögliche Einführung im Jahr 2005 ein Finanzbedarf von etwa 48 Milliarden DM errechnet, wobei sich die Gesamtkosten durch Einsparungen bei der Sozialhilfe, im Bereich der Kindertagesstätten und den Wegfall des Bundeserziehungsgeldes auf etwa 28 Milliarden DM reduzieren sollen. 221 Für das Erziehungsgehalt nach dem Trierer Modell eines Erziehungsgehalts wird das benötigte Finanzvolumen auf etwa 40 Milliarden DM geschätzt.222 Die Deutsche Evangelische Allianz e.V. rechnet mit rund 50 Milliarden D M Finanzaufwand für die Umsetzung ihres Modells eines Familiengehalts.223 Das Österreichische Institut für Familienforschung (ÖIF) berechnete, daß das notwendige Finanzierungsvolumen für das Modell des Kinderbetreuungsschecks in Österreich zwischen 6,5 Milliarden öS (923 Millionen DM) für die kleinste Variante („Karenzgeld vier Jahre") und 28,6 Milliarden öS (4 Milliarden DM) für die umfangreichste Variante („Existenzminimum sieben Jahre") liegt. 224 Zum Vergleich mit Deutschland sind diese Zahlen zu verzehnfachen; die Einwohnerzahl Öster220

Christian Leipert!Michael Opielka, Erziehungsgehalt 2000. Ein Weg zur Aufwertung der Erziehungsarbeit, 1998, S. 122ff. 221 Hans Geisler, Erziehungsgehalt - eine Idee von Gestern oder ein Modell für Morgen?, 1999, S.9. 222 Familienbund der Deutschen Katholiken im Bistum Trier, Gerechtigkeit für die Kinderfamilie. Keine Wohltaten. Das Trierer Modell, 3. Auflage, 1992, S.28ff. 223 Hartmut Steeb, Familienarbeit materiell, sozial und rechtlich anerkennen, in: ÖkologiePolitik Nr. 85 - Juli 1998, S. 13. 224 Österreichisches Institut ßr Familienforschung (ÖIF), Rohbericht zum Projekt „Entwicklung von Modellen eines Kinderbetreuungsschecks und Analyse der Auswirkungen" (Machbarkeitsstudie Kinderbetreuungsscheck), 1998, S.5; Helmuth Schattovits, Kinderbetreuungsscheck in Österreich, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S. 125.

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs

277

reichs beträgt rund ein Zehntel der deutschen Bevölkerung. Die frühere Bundestagsfraktion Die Grünen/Bündnis 90 schätzte die durch das geplante Elternfreistellungsgesetz entstehenden Kosten für das Betreuungsgeld auf 36 bis 38 Milliarden D M und für die Lohnersatzleistungen auf 20 bis 43 Milliarden DM. 2 2 5 Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung hätte die Einführung eines Elternurlaubsgeldes nach dem Modell des Deutschen Gewerkschaftsbundes bezogen auf das Jahr 1995 Kosten in Höhe von rund 33 Milliarden DM verursacht.226 Die Kosten für die versicherungsorientierten Lösungsansätze scheinen auf den ersten Blick geringer. Allerdings setzen diese Modelle einflächendeckendes und umfassendes Angebot an familienergänzenden Kinderbetreuungseinrichtungen voraus, deren Finanzierung mit öffentlichen Mitteln vorgesehen ist und die ebenfalls in Anschlag gebracht werden müssen.227 Um den tatsächlichen Bedarf an familienergänzenden Kinderbetreuungseinrichtungen zu decken, ist mit einem Finanzbedarf von über 50 Milliarden D M zu rechnen, davon jährliche Betriebskosten von über 10 Milliarden DM. 2 2 8 Im Zusammenhang mit der dritten Neufassung des Bundeserziehungsgeldgesetzes werden die Kosten für das Erziehungsgeld ab 2002 mit etwa 7 Milliarden D M veranschlagt. 229 Die staatlichen Ausgaben für das Erziehungsgeld beliefen sich aber bereits 1997 auf rund 7 Milliarden DM. 2 3 0 Diese Zahlen belegen - gerade im Vergleich zu den erwarteten Finanzbedarfen für die Umsetzung der Reformvorschläge - , daß die Neufassung des Bundeserziehungsgeldgesetzes zumindest in finanzieller Hinsicht keine weitreichende Reform des Kinderleistungsausgleichs darstellt. Eine nennenswerte materielle Aufwertung der Kindererziehung ist mit der Neufassung nicht verbunden. 2. Mögliche Finanzierungsverfahren Es sind verschiedene Verfahren zur Finanzierung der staatlichen Maßnahmen zur Familienförderung denkbar. Familienfördernde Ausgaben des Staates können zum einen zeitpunktbezogen finanziert werden, so daß die jeweils Erwerbstätigen die Kosten der Familienarbeit und der Kindererziehung tragen. Bei diesem Verfahren 225

BT-Drucks. 11/8423, S. 3 f. Ellen Kirner/Volker Meinhardt, Allgemeine Arbeitszeitverkürzung und ihre Auswirkung auf Einkommen und soziale Sicherung, 1997, S.96. 227 Christian Leipert, Aufwertung der Erziehungsarbeit - Politische Notwendigkeit und Wege zur Erreichung des Ziels, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S. 16. 228 Siehe oben 1. Kapitel B.II.3.b). 229 BT-Drucks. 14/3118, S.3. 230 Siehe oben 1. Kapitel B.II.2. 226

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3. Kap.: Die Förderung der Familie

findet eine intergenerative Umverteilung in der Art statt, daß die erwerbstätige Generation die jüngere Generation finanziert. Dies entspricht dem Umlageverfahren in der Gesetzlichen Rentenversicherung. Zum anderen können familienfördernde Ausgaben des Staates auf eine Generation bezogen werden. Dieses Verfahren beruht auf der Idee, daß jede Generation für sich selbst verantwortlich ist und keine intergenerative Umverteilung stattfinden soll. 231 Umsetzten läßt sich dieses intragenerationelle Finanzierungsverfahren mit Hilfe eines Fonds- oder Kreditmodells, wonach den Kindern aus einem Fonds ein Kredit eingeräumt würde, den sie selbst tilgen, wenn sie erwerbstätig sind. Nach diesem Verfahren muß jede Generation für die eigenen Kosten aufkommen. Allerdings wird die Höhe der Kosten der Kindheit und damit die Höhe der Belastungen nicht von der jeweiligen Generation selbst, sondern von der jeweils vorhergehenden Generation bestimmt.232 Der Gedanke der Eigenfinanzierung der Kosten der Kindheit und Jugend klingt zum Beispiel im Modell einer Kindheitsversicherung von Hannelore Schröder an. Realwirtschaftlich bestehen gegen eine zeitliche Lastenverschiebung in derart großem Umfang Bedenken, weil die Mittel zur Deckung der Bedürfnisse der noch nicht und der nicht mehr Erwerbstätigen im allgemeinen nur aus dem laufenden Sozialprodukt gewonnen werden können und sich Einkommensteile nicht von einer Periode auf die andere übertragen lassen. Zur Finanzierung der staatlichen Leistungen für die Erziehungsarbeit muß der Staat deshalb immer einen Teil des jeweiligen Sozialprodukts über Steuern oder sonstige Abgaben in Anspruch nehmen.233 3. Mögliche Einnahmearten a) Sonderabgaben Zur Finanzierung des Kinderleistungsausgleichs muß der Staat in irgendeiner Form Abgaben erheben. In Betracht kommen dafür neben Steuern prinzipiell auch nichtsteuerliche Abgaben wie Beiträge oder Sonderabgaben.234 Vielfach wird eine 231 Dieser Ansatz entspricht den Überlegungen zur Umstellung der Alterssicherung auf das Kapitaldeckungsverfahren; vgl. Volker Meinhardt, Finanzierungsstrategien zur strukturellen Besserstellung der Familien, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S.279f. 232 Volker Meinhardt, Finanzierungsstrategien zur strukturellen Besserstellung der Familien, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S.280. 233 Volker Meinhardt, Finanzierungsstrategien zur strukturellen Besserstellung der Familien, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S.280 ff.; vgl. auch Jürgen Borchert, Renten vor dem Absturz. Ist der Sozialstaat am Ende?, 1993, S.51 ff. 234 Christoph Degenhart, Staatsrecht I. Staatszielbestimmungen, Staatsoigane, Staatsfunktionen, 12. Auflage, 1996, S.65.

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs

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direkte Umverteilung zwischen Kinderlosen und Familien gefordert, indem Kinderlose mit einer Sonderabgabe zur Finanzierung der Leistungen an Familien belastet werden sollen. Diese direkte Umverteilung wird einer indirekten Umverteilung, bei der alle Einkommensbezieher und damit auch Familien selbst zur Finanzierung des Kinderleistungsausgleichs herangezogen werden, vorgezogen, weil sie eine InSich-Umverteilung innerhalb der Gruppe der Familien vermeidet. Die ehemalige Bundesfamilienministerin Hannelore Rönsch hat 1994 einen derartigen Zukunftsbeitrag der Kinderlosen vorgeschlagen. Mit dieser speziellen Abgabe sollte bei den Kinderlosen etwas von ihrem höheren Lebensstandard abgeschöpft werden, um damit eine Anhebung des Lebensstandards der Familien zufinanzieren. Dieser Gedanke findet sich auch in den Vorschlägen zur Einführung einer Familienausgleichsabgabe, wie sie bereits in den fünfziger Jahren gemacht wurden. 235 Gegen eine solche Lastenausgleichsabgabe der Kinderlosen bestehen allerdings erhebliche Bedenken, denn nichtsteuerliche Abgaben sind nur als seltene Ausnahmen zulässig.236 Zweifel bestehen bereits hinsichtlich der Klassifizierung einer solchen Familienausgleichsabgabe als Sonderabgabe. Die Familienförderung ist eine Aufgabe des Staates.237 Den zur Erfüllung seiner Aufgaben notwendigen Finanzbedarf muß der Staat über das allgemeine Steueraufkommen decken. Er darf die Finanzierung einer Staatsaufgabe nicht auf bestimmte Personengruppen verlagern. 238 Das spricht bereits grundsätzlich gegen die Klassifizierung der Familienausgleichsabgabe als Sonderabgabe. Selbst wenn man die Klassifizierung als Sonderabgabe akzeptiert, dürfte die Zulässigkeit einer solchen Abgabe an den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Anforderungen der Gruppenhomogenität, der Gruppennützigkeit und der Gruppenverantwortung scheitern. 239 Die Abgabe würde der Finanzierung der Familienförderung und damit einer im allgemeinen Interesse liegen235

Siehe oben 3. Kapitel A.I. Ähnliche Vorschläge stammen von Alfred Schmidt und Jürgen Borchert; vgl. Alfred Schmidt, Alterssicherung und Familie. Probleme, Zusammenhänge, Lösungsperspektiven, in: DAngVers 1988, S.490f.; Jürgen Borchert, Renten vor dem Absturz. Ist der Sozialstaat am Ende?, 1993, S. 274 ff.; vgl. auch Franz Ruland, Zukunft - Kinder - Glatzen, in: NJW 1994, S. 1572; Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S. 243; Heinz Lampert, Priorität für die Familie. Plädoyer für eine rationale Familienpolitik, 1996, S. 286ff. 236 BVerfGE 82, 159 (181); 91, 186 (202f.); Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 260ff.; Christoph Degenhart, Staatsrecht I. Staatszielbestimmungen, Staatsorgane, Staatsfunktionen, 12. Auflage, 1996, S.65. 237 Siehe oben 2. Kapitel Α. IV. 3. c)bb). 238 Ygi Christoph Degenhart, Staatsrecht I. Staatszielbestimmungen, Staatsorgane, Staatsfunktionen, 12. Auflage, 1996, S.65 f.; Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 260ff. 239

BVerfGE 82,159 (178 ff.); Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 264 ff.

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3. Kap.: Die Förderung der Familie

den Gemeinlast dienen. Sie würde zur allgemeinen Mittelbeschaffung des Staates beitragen, die jedoch nur aus Steuermitteln resultieren darf. 240 Prinzipiell wäre eine Familienausgleichsabgabe der Kinderlosen auch als Zuschlag bei der Einkommensteuer denkbar. Als Sondersteuer für eine spezielle Personengruppe wäre eine derart konzipierte Abgabe im Rahmen der auf Lastengleichheit angelegten Einkommensteuer aber aus den gleichen Gründen nicht zu rechtfertigen. 241

b) Beiträge Anstelle von Sonderabgaben für kinderlose oder kinderarme Personen sind auch Beiträge zur Finanzierung des staatlichen Kinderleistungsausgleichs denkbar. Diese Abgabenart wird vor allem von den versicherungsorientierten Modellen zur Reform des Kinderleistungsausgleichs wie dem Modell der Elternversicherung oder dem Modell „Geschützte Teilzeitarbeit für Eltern" von Birgit Geissler und Birgit Pfau favorisiert. Bei beitragsbezogenen Systemen handelt es sich um eine zweckgebundene Umlagefinanzierung innerhalb einer Versichertengemeinschaft. Die Risikosicherung ist auf die Beitragszahler begrenzt. Grundsätzlich erfolgt die Finanzierung nach dem Äquivalenzprinzip, das heißt Beiträge und Leistungen sind direkt aneinander gekoppelt. Bei den Sozialversicherungen ist dieses Verhältnis nur durch das Solidarprinzip durchbrochen. Beitragsfinanzierte Systeme werden häufig bevorzugt, weil aufgrund der Kopplung der Beiträge und Leistungen der Zweck der Beitragszahlung ersichtlich ist und dadurch die Zahlungsbereitschaft der Beitragszahler im allgemeinen höher ist. 242 Eine Beitragsfinanzierung wird auch deshalb befürwortet, weil der staatliche Kinderleistungsausgleich dadurch aus dem allgemeinen Staatshaushalt herausgelöst und parafiskalisch verwaltet werden kann und weniger stark von kurzfristigen haushaltspolitischen Überlegungen abhängig ist. 243 Die Einrichtung eines selbstverwalteten Bundesfamilienfonds ist zum Beispiel im Konzept „Erziehungsgehalt 2000" des Deutschen Arbeitskreises für Familienhil240 Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S. 260ff.; Christoph Degenhart, Staatsrecht I. Staatszielbestimmungen, Staatsorgane, Staatsfunktionen, 12. Auflage, 1996, S.65f. 241 Matthias Pechstein, Familiengerechtigkeit als Gestaltungsgebot für die staatliche Ordnung. Zur Abgrenzung von Eingriff und Leistung bei Maßnahmen des sog. Familienlastenausgleichs, 1994, S.260ff. 242 Vgl. Birgit Geisslerl Birgit Pfau, Frauenförderung mittels Arbeitszeitverkürzung - Ein Modell der positiven Diskriminierung von Eltern im Erwerbsleben, in: WSI-Mitteilungen 7/1989, S.389.

243 Vgl. Birgit Geissler!Birgit Pfau, Frauenförderung mittels Arbeitszeitverkürzung - Ein Modell der positiven Diskriminierung von Eltern im Erwerbsleben, in: WSI-Mitteilungen 7/1989, S.389.

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs

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244

fe e.V. vorgesehen. Dieses Konzept verfolgt auch die Ökologisch-Demokratische Partei (ödp) in Baden-Württemberg mit ihrem Vorschlag eines Erziehungsgehalts. 245 Ein weiteres Beispiel für einen beitragsfinanzierten Kinderlasten- und Kinderleistungsausgleich ist das Modell der Kinderlastenausgleichskasse von Michael Habermann. Die Kinderlastenausgleichskasse ist als eigenständiger Sozialversicherungszweig konzipiert und soll über Beiträge aller Einkommensbezieher finanziert werden. 246 Dieses Konzept erinnert an den schon in den fünfziger Jahren im Zusammenhang mit der Rentenreform von Wilfried Schreiber eingebrachten Vorschlag einer Kindheits- und Jugendrente, die mit Hilfe von Beiträgen aller Erwerbstätigen aus einer Familienausgleichskasse finanziert werden sollte. 247 Beitragsfinanzierte Systeme knüpfen die Beitragserhebung in der Regel an den Arbeitnehmerstatus an und sehen im Gegenzug Lohnersatzleistungen vor. Voraussetzung für den Leistungsbezug ist deshalb regelmäßig eine bestimmte Beschäftigungs- und Versicherungsdauer. Nach dem Versicherungsprinzip müßte eine Elternversicherung eine Absicherung gegen ein in Zukunft möglicherweise eintretendes Risiko, den Verdienstausfall bei Elternschaft, bieten. Die Phase der Beitragszahlung vor Eintritt des Versicherungsfalles wäre naturgemäß kurz. Eine Elternversicherung könnte daher nicht auf diejenigen Erwerbstätigen beschränkt werden, die vor der Familiengründung oder -erweiterung stehen. Die Beteiligung der Menschen, die keine Kinder (mehr) bekommen wollen oder können, wäre angesichts der mangelnden Gegenseitigkeit der Risikoabsicherung aber nur schwer zu begründen. 248 Eine Zwangsmitgliedschaft aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer beitragsfinanzierten Elternversicherung und die anteilige Heranziehung der Arbeitgeber wird aber wegen der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung für die Betreuung und Erziehung der Kinder gefordert. 249 Ein Ausgleich über Sozialversicherungsbeiträge 244 Allerdings geht dieses Modell nicht von einer Beitragsfinanzierung aus. Es wird vielmehr mit erheblichen Einsparungen und Selbstfinanzierungseffekten gerechnet. Als weitere Finanzierungsquelle sind Steuererhöhungen vorgesehen; vgl. Christian Leipert!Michael Opielka, Erziehungsgehalt 2000. Ein Weg zur Aufwertung der Erziehungsarbeit, 1998, S. 117 ff. 245 Vgl. auch den Vorschlag von Renate Schmidt, Familienpolitik in Deutschland (West) - ein Rückblick und ein Urteil: mangelhaft, in: Bernhard Jans/André Habisch/Erich Stutzer (Hrsg.), Familienwissenschaftliche und familienpolitische Signale. Festschrift zum 70. Geburtstag von Max Wingen, 2000, S. 473 f. 246 Michael Habermann, Die Kinderlastenausgleichskasse - ein neues Modell in der Diskussion, in: Karin Lücker-Aleman (Hrsg.), Familienförderung oder -ausbeutung? Die Zukunft des Familienlastenausgleichs, 1995, S. 101 ff.; vgl. auch Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S. 242ff. 247 Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S.242; siehe dazu oben 1. Kapitel Α. V. 1. und 3. Kapitel A.I. 248 Ellen Kirner/Volker Meinhardt, Allgemeine Arbeitszeitverkürzung und ihre Auswirkung auf Einkommen und soziale Sicherung, 1997, S.77; Ellen Kirner, Sozialleistungen, Einkommensausgleich und erziehungsbedingte Teilzeitarbeit, in: Gerhard Bäcker/Brigitte Stolz-Willig (Hrsg.), Kind, Beruf, Soziale Sicherung. Zukunftsaufgabe des Sozialstaats, 1994, S. 101.

249

Vgl. Birgit Geissler/Birgit Pfau, Frauenförderung mittels Arbeitszeitverkürzung - Ein Modell der positiven Diskriminierung von Eltern im Erwerbsleben, in: WSI-Mitteilungen

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3. Kap.: Die Förderung der Familie

verschont allerdings Beamte und Selbständige sowie Einkommen aus Vermögen und Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenzen. 250 Die Beitragsfinanzierung wirkt im Gegensatz zur Steuerfinanzierung regressiv und führt zu einer Umverteilung von unten nach oben. 251 Trifft die Last der Finanzierung des Erziehungsgeldes und der Erziehungszeiten auch die Arbeitgeber, kann dies zu weiteren Nachteilen für junge Frauen auf dem Erwerbsarbeitsmarkt führen. c) Steuern Die meisten Modelle zur Reform des Kinderleistungsausgleichs, die sich am Prinzip der Versorgung oder der sozialen Förderung orientieren, plädieren konsequent für eine Steuerfinanzierung der Leistungen für die Kindererziehung. Aber auch das Modell „Geschützte Teilzeitarbeit für Erziehung und Pflege" des Landesverbandes der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) der Diözese Rottenburg-Stuttgart oder das Konzept des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) für einen Elternurlaub mit Zeitkonto und Lohnersatzleistung, die eher am Versicherungsprinzip orientiert sind, gehen von einer Steuerfinanzierung aus. Das Modell „Zeit und Geld für Kinder" der früheren Bundestagsfraktion Die Grünen/Bündnis 90 sieht vor, daß zumindest das allen Erziehenden zukommende Betreuungsgeld aus Steuermitteln finanziert wird, wohingegen die Finanzierung der zusätzlich vorgesehenen Lohnersatzleistung über Elternversicherungsbeiträge erfolgen soll. Auch das Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz wird aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert. Die Steuerfinanzierung wird vielfach bevorzugt, weil sie im Gegensatz zu den beitragsfinanzierten Systemen auf einer breiteren Bemessungsgrundlage beruht und einen größeren Personenkreis einbezieht.252 Die steuerliche Belastung erlaubt die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen. Unter der Voraussetzung einer sachgerechten, das heißt familiengerechten Besteuerung werden auch in diesem Finanzierungssystem ungerechtfertigte In-Sich-Transfers innerhalb der Gruppe der Familien vermieden. Steuerpflichtige ohne Kinder oder Steuerpflichtige, deren Kinder bereits erwachsen sind, werden stärker zur Fi7/1989, S. 390. Die erste Kindergeldregelung in der Nachkriegszeit stellte mit dem System der Familienausgleichskassen eine solche parafiskalische Regelung dar. Seinerzeit erfolgte die Finanzierung durch Arbeitgeberbeiträge; vgl. Max Wingert, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S.22. 250 Zum Teil wird deshalb für eine Beitragsfinanzierung des Kinderleistungsausgleichs ohne Beitragsbemessungsgrenzen plädiert; vgl. Franz-Xaver Kaufmann, Stellungnahme aus soziologischer Sicht, in: Heidelberger Büro für Familienfragen und soziale Sicherheit (Hrsg.), Wissenschaftliches Kolloquium „Erziehungsgehalt" am 21./22. Juni 1996 in Bonn, 1996, S.45 f. 251 Franz Ruland, Zukunft - Kinder - Glatzen, in: NJW 1994, S. 1573. 252

Vgl. Birgit GeissleriBirgit Pfau, Frauenförderung mittels Arbeitszeitverkürzung - Ein Modell der positiven Diskriminierung von Eltern im Erwerbsleben, in: WSI-Mitteilungen 7/1989, S.389.

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs

283

253

nanzierung herangezogen als Steuerpflichtige mit Kindern. Mit der Steuerfinanzierung lassen sich am ehesten verteilungspolitische Ziele bei der Belastung mit den notwendigen Abgaben zur Finanzierung des Kinderleistungsausgleichs verfolgen. Die Besteuerung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip gewährleistet eine sozial gerechte Belastung, da niedrige Einkommen nur wenig oder unter Umständen gar nicht zur Finanzierung beitragen müssen, wohingegen höhere Einkommensgruppen über den progressiven Steuertarif mehr zur Finanzierung beitragen. 254 Die Finanzierung des staatlichen Kinderleistungsausgleichs aus dem allgemeinen Steueraufkommen folgt auch aus dem Prinzip der sozialen Förderung. Sie entspricht dem Umstand, daß es sich bei dem verfassungsrechtlichen Gebot der Familienförderung um eine staatliche Aufgabe handelt. Die Anerkennung der Kindererziehung liegt im gesamtgesellschaftlichen Interesse und muß von der gesamten Gesellschaft und nicht nur von einer Gruppe oder einer personell begrenzten Versichertengemeinschaft getragen werden. Die Kosten zur Finanzierung des staatlichen Kinderleistungsausgleichs gehören zum allgemeinen Finanzbedarf des Staates und sind durch Steuern der Allgemeinheit aufzuerlegen. 255

V. Zur Ausgestaltung des staatlichen Kinderleistungsausgleichs 1. Anspruchsberechtigter Personenkreis In den am Versorgungsprinzip und am Prinzip der sozialen Förderung orientierten Modellen ist das Erziehungsgeld konsequent für alle Familien vorgesehen. Auch das Bundeserziehungsgeldgesetz knüpft die Anspruchsberechtigung zum Bezug des Erziehungsgeldes allein an die Elternschaft. Damit werden die Funktionen der Leistungsanerkennung und der Bedarfsdeckung in den Vordergrund gerückt. Es entspricht auch dem Förderungsgebot des Art. 6 Abs. 1 GG, das ganz generell und für alle Familien den Ausgleich und die Anerkennung kinderbedingter Lasten und Leistungen fordert, das Erziehungsgeld grundsätzlich allen Familien zu gewähren. 256 253 Vgl. Franz Ruland, Der Kinderlastenausgleich ist eine Aufgabe des Staates, in: FuR 1992, S. 100. 254 Wolfgang Hötzel, Erziehungsgehalt - ein zeitgemäßes Modell?, in: EAF, Familienpolitische Informationen 2/1997, S.3; Ellen Kirner/Volker Meinhardt, Allgemeine Arbeitszeitverkürzung und ihre Auswirkung auf Einkommen und soziale Sicherung, 1997, S.78f. 255 Vgl. Franz Ruland, Verfassungsrechtliche Vorgaben des Familienlastenausgleichs, in: FuR 1991, S.317; Franz Ruland, Zukunft-Kinder-Glatzen, in: NJW 1994, S. 1573; Michael Opielka, Bezahlte Elternschaft. Voraussetzungen und Folgen einer monetären Anerkennung der Erziehungsarbeit durch ein Erziehungsgehalt, in: Andreas Netzler/Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S. 116; Hans Geisler, Erziehungsgehalt - eine Idee von Gestern oder ein Modell für Moigen?, 1999, S. 9; Hans Geisler, Diskussionspapier zum Modell eines Erziehungsgehaltes, 1998, S.3. 256 Siehe oben 2. Kapitel Α. IV. 3. c) bb); vgl. auch Rolf Birk, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Gutachten E für den

284

3. Kap.: Die Förderung der Familie

Bei der Ausgestaltung des Erziehungsgeldes als Lohnersatzleistung ist dagegen die Abgrenzung des Kreises der Berechtigten schwieriger. Die Transferleistungen für die Kindererziehung sind nach dem Versicherungsprinzip grundsätzlich nur für die abhängig beschäftigten Eltern vorgesehen. Es besteht aber weitgehend Einigkeit darüber, daß auch bei einer versicherungsorientierten Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs der Kreis der Berechtigten nicht auf erwerbstätige Personen beschränkt bleiben darf. 257 Die versicherungsorientierten Modelle dehnen den Kreis der anspruchsberechtigten Personen zum Teil erheblich aus. Berufsanfänger, Arbeitslose, in Ausbildung befindliche oder schon vor der Familiengründung teilzeit arbeitende Eltern werden einbezogen. Im Modell „Zeit und Geld für Kinder" der früheren Bundestagsfraktion Die Grünen/Bündnis 90 ist neben der versicherungsorientierten Vergütungsersatzleistung ein Betreuungsgeld vorgesehen, das auch an nicht abhängig Beschäftigte geleistet wird. Die Modelle einer Elternversicherung verlieren damit den reinen Versicherungscharakter und nähern sich den förderungsorientierten Ansätzen an. Auch aus verwaltungstechnischen Gründen sollte der Anspruch auf Erziehungsgeld an rechtlich greifbare Familienbeziehungen anknüpfen, die nicht jederzeit möglichen faktischen Veränderungen ausgesetzt sind. Wie das Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz sollte der Anspruch nicht schon demjenigen eingeräumt werden, der mit einem Kind in einem Haushalt lebt und es selbst betreut und erzieht, sondern darüber hinaus an das Sorgerecht gebunden sein, das die pflichtgebundene Befugnis zur Pflege, Betreuung und Erziehung des Kindes begründet. Der Anspruch auf Erziehungsgeld könnte aber auf Antrag oder mit Zustimmung des Sorgeberechtigten auf diejenigen Familienmitglieder oder auch auf Dritte übertragen werden, die die Betreuung und Erziehung des Kindes tatsächlich übernehmen.258 In den Fällen, in denen den Eltern das Sorgerecht gemeinsam zusteht, sollten beide Anspruch auf das Erziehungsgeld haben, den sie gemeinsam oder alternativ geltend machen können.259 Diese Lösung berechtigt beide Elternteile gleichermaßen 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S.E74; Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG), Erziehungsgeld, Erziehungsurlaub und Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Band 243 der Schriftenreihe, 1989, S.220f. 257 Sabine Berghahn, Soll der Gesetzgeber in die familiäre Arbeitsteilung eingreifen?, in: Brigitte Stolz-Willig/Mechthild Veil (Hrsg.), Es rettet uns kein höh'res Wesen. Feministische Perspektiven der Arbeitsgesellschaft, 1999, S. 133. 258 Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG), hungsgeld, Erziehungsurlaub und Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Band 243 der Schriftenreihe, 1989, S. 211 f. 259 Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG), hungsgeld, Erziehungsurlaub und Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Band 243 der Schriftenreihe, 1989, S.211 f.

Erzie

Erzie

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs285 und entspricht ihrer beiderseitigen Verpflichtung zur gemeinsamen Übernahme der Elternverantwortung. Die gemeinsame Anspruchsberechtigung fördert die Auseinandersetzung über die innerfamiliale Aufgabenteilung, weil sie den Eltern eine gemeinsame Entscheidung abverlangt und nicht von vornherein einem Elternteil die alleinige Verantwortung für die Familienarbeit zuweist. Eine solche einseitige Zuweisung erfolgt im Bundeserziehungsgeldgesetz, wonach das Erziehungsgeld nur einer Berechtigungsperson zusteht. Das Gesetz geht davon aus, daß es genügt, wenn sich ein Elternteil allein oder allenfalls in phasenweiser Abwechslung mit dem anderen Elternteil um die Erziehung des Kindes kümmert. Eine paritätische Aufteilung der Erziehungsarbeit auf beide Eltern ist nicht vorgesehen.260 Unter dem Aspekt der Gleichberechtigung wird aber auch vorgeschlagen, das Erziehungsgeld bereits von Rechts wegen in einer bestimmten Art und Weise auf beide Eltern zu verteilen und dadurch die Väter stärker an der Familienarbeit zu beteiligen. 261 Das Erziehungsgeld könnte zum Beispiel beiden Eltern je zur Hälfte zugewiesen werden, um eine gleichwertige Teilhabe an der Erziehungsarbeit zu fördern. Dies sieht zum Beispiel der Vorschlag von Sabine Hildebrandt-Woeckel für ein individualisiertes Betreuungsgeld vor, das beiden Eltern jeweils eineinhalb Jahre zustehen soll. Auch der Entwurf eines Vereinbarkeitsgesetzes der Bundestagsfraktion der PDS schlägt für beide Eltern einen individuellen, nicht übertragbaren Anspruch auf eine einjährige Freistellung mit Lohnersatzleistung vor. Eine hälftige Aufteilung des Erziehungsgeldes ist auch im Modell der Elternversicherung angedacht. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sprach sich in seiner Stellungnahme zum Konzept des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) für einen Elternurlaub mit Zeitkonto und Lohnersatzleistung ebenfalls für eine solche Aufteilung aus. Zur stärkeren Beteiligung der Väter an der Kindererziehung wird auch dafür plädiert, die staatlichen Leistungen zu kürzen, sofern sie nicht teilweise von den Vätern in Anspruch genommen werden. Denkbar ist auch, daß der Vater für einen bestimmten Teil des Erziehungsgeldes allein anspruchsberechtigt ist und die Eltern nur im Falle einer partnerschaftlichen Aufteilung der Erziehungsarbeit einen Anspruch auf das Erziehungsgeld in voller Höhe haben. Solche Regelungen haben deutliche Anreizwirkungen für eine stärkere Beteiligung der Väter. Sie bedeuten jedoch eine erhebliche Einschränkung der Wahlfreiheit und der Gestaltungsfreiheit der Eltern. Eine Beschränkung der Anspruchsberechtigung auf einen Elternteil ohne jede Übertragungsmöglichkeit ist mit starken Lenkungswirkungen verbunden, die sich auch mit dem (vermeintlichen) Ziel der Frauenförderung nur schwer rechtfertigen lassen. Sie sind gerade vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Gebots der Gleichberechtigung von Mann und Frau 260

Siehe oben 1. Kapitel B.II.3.a)ee). Vgl. Ellen Kirner, Zum System der Förderung von Kinderbetreuung und Kindererziehung in der Familie durch staatliche Transferleistungen, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektive für eine Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S. 138. 261

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3. Kap.: Die Förderung der Familie

(Art. 3 Abs. 2 GG) bedenklich, weil Frauen, die entgegen der angestrebten Lenkungseffekte die Kindererziehung alleine übernehmen wollen, durch die höhere Bewertung der Erziehungsarbeit der Männer diskriminiert werden. 262 Solche Diskriminierungen stellen zudem einen Eingriff in die von Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistete Gestaltungsfreiheit für das Familienleben und die innerfamiliale Aufgabenverteilung dar. Grundsätzlich sollte den Eltern lediglich der notwendige Handlungsspielraum eröffnet werden, der ihnen die freie Entscheidung über die Aufgabenteilung innerhalb der Familie überläßt und tatsächlich ermöglicht. 2. Abhängigkeit von der Anzahl der Kinder Steht wie in den versicherungsorientierten Modellen die Funktion des Einkommensausgleichs für entgangenes Erwerbseinkommen im Vordergrund, ist eine kinderzahlbezogene Leistung nicht geboten, da die Reduzierung der Erwerbsarbeitszeit und der Erwerbseinkommen nicht unmittelbar mit der Anzahl der zu betreuenden Kinder zusammenhängt. Dementsprechend sehen zum Beispiel das Modell der Elternversicherung oder das Modell „Zeit und Geld für Kinder" der früheren Bundestagsfraktion Die Grünen/Bündnis 90 eine Lohnersatzleistung für die Freistellung von der Erwerbsarbeit und damit einen Ausgleich für die erziehungsbedingte Erwerbsunterbrechung oder -reduzierung vor, der nicht in Abhängigkeit von der Anzahl der zu betreuenden Kinder gewährt wird. Bei einer kinderzahlunabhängigen Lohnersatzleistung muß dann allerdings die außerfamiliale Kinderbetreuung kostenfrei sein, damit sich die Kosten für die außerhäusliche Kinderbetreuung bei mehreren Kindern nicht derart summieren, daß für die Familie eine traditionelle Rollenverteilung kostengünstiger und damit zumindest unter ökonomischen Gesichtspunkten vernünftiger wird. Außerdem setzt diese Lösung voraus, daß tatsächlich ein entsprechendes öffentliches Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen vorhanden ist. Die Eltern erhalten bei Erwerbstätigkeit keine zusätzlichen Mittel, um bei einem mangelhaften öffentlichen Betreuungsangebot wenigstens private Formen der familienergänzenden Kinderbetreuung zu organisieren. Dadurch können der Entscheidungsraum und die Gestaltungsfreiheit der Eltern hinsichtlich der Art der Kinderbetreuung und der innerfamilialen Aufgabenverteilung erheblich eingeschränkt sein. Auch die versorgungsorientierten Modelle gehen grundsätzlich nicht von der Kinderzahl aus. Konsequent sind insoweit das Konzept „Lohn oder Gehalt für Familienarbeit" der Deutschen Hausfrauengewerkschaft e.V. (dhg), die Weidener Erklärung der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung Süddeutschlands (KAB) und der Vorschlag für ein Erziehungsgehalt als Bestandteil eines Grundeinkommens von Konrad Stopp. Eine einheitliche Transferleistung unabhängig von der Kinderzahl sieht auch der Vorschlag des Landesfamilienrates Baden-Württemberg für eine Neu262

Vgl. Hans Geisler, Erziehungsgehalt - eine Idee von Gestern oder ein Modell für Morgen?, 1999, S.4.

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs

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gestaltung des Familienleistungsausgleichs vor. Das Modell eines Kinderbetreuungsschecks des Österreichischen Instituts für Familienforschung (ÖIF) grenzt sich ebenfalls von den kinderzahlbezogenen Erziehungsgehaltsmodellen ab und stellt die Betreuungsperson in den Vordergrund, deren Betreuungsleistung unabhängig von der Anzahl der zu betreuenden Kinder honoriert werden soll. Auch das Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz wird bei der zeitgleichen Betreuung mehrerer Kinder nur einmal gewährt. 263 Unter dem Aspekt der Anerkennung der Erziehungsleistung sehen jedoch auch viele Modelle vor, das maximale Erziehungsgeld erst bei zwei oder drei Kindern zur Auszahlung kommen zu lassen. Derart konzipiert sind zum Beispiel der Vorschlag eines Erziehungsgehalts der Ökologisch-Demokratischen Partei (ödp) oder das Trierer Modell eines Erziehungsgehalts des Katholikenrats im Bistum Trier. Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, daß der Arbeitsaufwand für die Kindererziehung mit wachsender Kinderzahl zunimmt. Deutlicher vom Aspekt der Berücksichtigung des Erziehungs- und Betreuungsbedarfs der Kinder sind die förderungsorientierten Modelle geprägt, die sowohl bei Mehrlingsgeburten als auch bei zeitlichen Überschneidungen von Ansprüchen für nacheinander geborene Kinder für jedes Kind einen eigenen Betrag vorsehen. 264 Das gilt zum Beispiel für das sächsische Modell eines Erziehungsgehalts von Hans Geissler oder das Konzept „Erziehungsgehalt 2000" des Deutschen Arbeitskreises für Familienhilfe e.V. Unter dem Aspekt der bedarfsorientierten Familienförderung und insbesondere der Gewährleistung der Gestaltungsfreiheit für die Kindererziehung ist ein kinderzahlbezogenes Erziehungsgeld sachgerecht. Es ermöglicht den Eltern, dem individuellen Betreuungs- und Erziehungsbedarf jedes Kindes gerecht zu werden. Das entspricht dem Ziel, jedem Kind den notwendigen Betreuungs- und Erziehungsbedarf gleichermaßen zu gewährleisten und Chancengleichheit für die Kinder herzustellen. Ein kinderzahlbezogenes Erziehungsgeld gewährleistet den Eltern einen breiteren Gestaltungs- und Entscheidungsraum und damit größere Wahlfreiheit. Wird das Erziehungsgeld bei zeitlicher Überschneidung der Ansprüche nur einmal gezahlt, kommt das einer Aufforderung an die Eltern gleich, sich nutzenmaximierend zu verhalten und nach Möglichkeit die Geburt eines weiteren Kindes zeitlich hinauszuzögern, damit das Erziehungsgeld für jedes Kind in Anspruch genommen werden kann. 265

263

Siehe oben 1. Kapitel Β. II. 3. a) aa). Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG), hungsgeld, Erziehungsurlaub und Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Band 243 der Schriftenreihe, 1989, S.221. 265 Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG), hungsgeld, Erziehungsurlaub und Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Band 243 der Schriftenreihe, 1989, S.229f. 264

Erzie

Erzie

288

3. Kap.: Die Förderung der Familie 3. Leistungshöhe a) Leistungsbemessung

Die Leistungsbemessung des Erziehungsgeldes kann entweder abstrakt über pauschalierte Leistungen oder konkret über individualisierte Leistungen erfolgen. Bei den versicherungsorientierten Modellen erfolgt die Bemessung des Erziehungsgeldes anhand des individuellen Einkommensausfalls, der durch die Reduzierung oder Aufgabe der Erwerbstätigkeit zugunsten der Kinderbetreuung entsteht. Dieser Einkommensausfall wird ganz oder zumindest teilweise ausgeglichen, so daß sich das Erziehungsgeld am zuvor erzielten individuellen Einkommen orientiert. 266 Eine solche Berechnung des Erziehungsgeldes ist zum Beispiel im Modell der Elternversicherung, im Modell „Geschützte Teilzeitarbeit für Eltern" von Birgit Geissler und Birgit Pfau oder im Modell „Geschütze Teilzeitarbeit für Erziehung und Pflege" des Landesverbandes der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) der Diözese Rottenburg-Stuttgart vorgesehen. Auch das Modell „Zeit und Geld für Kinder" der früheren Bundestagsfraktion Die Grünen/Bündnis 90, das Konzept des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) für einen Elternurlaub mit Zeitkonto und Lohnersatzleistung, der Vorschlag des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter e.V. (VAMV) zur Reform des Erziehungsgeldes und der Entwurf eines Vereinbarkeitsgesetzes der Bundestagsfraktion der PDS gehen von einem lohnabhängigen Einkommensausgleich aus. Die Höhe der Lohnersatzleistungen wird auf einen bestimmten Prozentsatz des früheren Einkommens festgelegt, zum Beispiel in Orientierung am Arbeitslosengeld oder an der Arbeitslosenhilfe. Nach dem Entwurf eines Vereinbarkeitsgesetzes der Bundestagsfraktion der PDS soll die Lohnersatzleistung während der Freistellung für die Kindererziehung 90 % des Nettoverdienstes bis zu einer Obergrenze in Höhe eines durchschnittlichen Einkommens betragen. Im Modell „Zeit und Geld für Kinder" der früheren Bundestagsfraktion Die Grünen/Bündnis 90 ist sogar eine Vergütungsersatzleistung in Höhe von 100 % des vorherigen Einkommens vorgesehen. Die Ausgestaltung des Erziehungsgeldes als Lohnersatzleistung wird vielfach favorisiert, weil sie besonders die Bereitschaft der Väter stärkt, sich an der Kindererziehung zu beteiligen und die Erwerbsarbeitszeit zu reduzieren. Mit einer individuellen Leistungsbemessung können die Einkommensnachteile durch die erziehungsbedingte Reduzierung der Erwerbstätigkeit gerade für Väter, aber auch für beruflich hochqualifizierte Mütter deutlich verringert werden. Unter dem Aspekt der Anerkennung der Erziehungsleistung ist eine individuelle Lohnersatzleistung jedoch nicht sachgerecht, weil sich die Betreuungs- und Erziehungsleistung nicht danach unterscheidet, welches Einkommen der Erziehende im

Max Wingen, Erziehungseinkommen. Zielsetzungen, LegitimationsgrundlagenundFinan milie, 1999, S.2f.

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs

289

Falle der Erwerbstätigkeit erzielt oder erzielen kann. Dies ist gerade in Hinblick auf die Gleichberechtigung der Geschlechter zu beachten, weil sich mit der Ausgestaltung als individuelle Lohnersatzleistung die bestehende Lohndiskriminierung der Frauen im Erwerbsleben durch eine Lohnersatzdiskriminierung im Familienleben fortsetzt. Durch eine individuelle Leistungsbemessung wird die Erziehungs- und Betreuungsleistung höchst unterschiedlich bewertet. 267 Gegen die am individuellen Erwerbseinkommen orientierte Ausgestaltung des Erziehungsgeldes spricht außerdem, daß Anspruchsberechtigte, die vor der Geburt eines Kindes nicht erwerbstätig waren, möglicherweise erwerbstätig geworden wären, wenn kein Kind zu versorgen gewesen wäre. Diese Opportunitätskosten stehen dem Verzicht auf bereits realisierte Erwerbseinkommen in nichts nach und rechtfertigen insoweit keine Differenzierung des Erziehungsgeldes nach dem Kriterium vorheriger Erwerbstätigkeit. 268 Schließlich wird auch bei den zuvor Erwerbstätigen der aktuelle Einkommensverzicht nur fingiert, wenn auf das zuvor erzielte Einkommen abgestellt wird. Pauschalierungen und Typisierungen sind daher nicht unangemessen.269 Lohnersatzleistungen führen tendenziell zu einer Umverteilung von unten nach oben. Deshalb wird häufig eine Höchstgrenze festgelegt, bis zu der das bisherige Einkommen ersetzt werden soll. Oft wird außerdem ein Mindestsatz vorgeschlagen, um soziale Härten zu vermeiden. 270 Die Leistungen gleichen sich dadurch tendenziell an und verlieren den Charakter eines individuellen Lohnersatzes. Damit nähern sich die versicherungsorientierten Modellvorschläge den versorgungs- und förderungsorientierten Reformansätzen an, die das Erziehungsgeld als pauschale Leistung ausgestalten. In den versorgungsorientierten Modellen steht die Anerkennung der Erziehungsleistung im Mittelpunkt. Diese Funktion wird besonders betont im Konzept „Lohn oder Gehalt für Familienarbeit" der Deutschen Hausfrauengewerkschaft e.V. (dhg) und in der Weidener Erklärung der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung Süddeutschlands (KAB), die die Höhe des Erziehungsgeldes in Orientierung am durchschnittlichen versicherungspflichtigen Erwerbseinkommen festgelegen. Dabei wird die Gleichwertigkeit der Erziehungstätigkeit und der Erwerbstätigkeit betont.271 267

Kostas Petropulos, Ein Gehalt für Eltern?, in: MUT Nr. 380, April 1999, S. 57 f. Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG), Erzie hungsgeld, Erziehungsurlaub und Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Band 243 der Schriftenreihe, 1989, S.217. 269 Vgl. auch die Argumentation in BVerfGE 99, 216 (241 ff.). 27 0 Ellen Kirner/Wolfgang Kirner, Elternurlaub und Elterngeld als Bestandteile einer Strategie zur Umverteilung von Arbeit zwischen Männern und Frauen, in: Heinz P. Galler/Gert Wagner (Hrsg.), Empirische Forschung und wirtschaftspolitische Beratung. Festschrift für Hans-Jüigen Krupp zum 65. Geburtstag, 1998, S. 392 f.; Ellen KirnertVolker Meinhardt, Allgemeine Arbeitszeitverkürzung und ihre Auswirkungen auf Einkommen und soziale Sicherung, 1997, S.94. 268

Max Wingen, Erziehungseinkommen. Zielsetzungen, Legitimationsgrundlagen und Fi nanzierungsprobleme, Nr. 13 der Publikationen des österreichischen Instituts für Ehe und Familie, 1999, S.2f. 19 Tünnemann

290

3. Kap.: Die Förderung der Familie

Ähnlich konzipiert ist auch der Vorschlag für ein Erziehungsgeld als ein Bestandteil eines Grundeinkommens von Konrad Stopp. Im Modell „Erziehungsgehalt 2000" des Deutschen Arbeitskreises für Familienhilfe e.V., im sächsischen Modell eines Erziehungsgehalts von Hans Geisler oder im Vorschlag eines Erziehungsgehalts der Ökologisch-Demokratischen Partei (ödp) wird die Funktion der Anerkennung der Erziehungsleistung kombiniert mit dem Element der Kinderzahlbezogenheit, wodurch der Aspekt der Bedarfsorientierung hinzutritt. Hier wird die Anerkennung der Erziehungsleistung deutlicher in Abhängigkeit von der Anzahl der zu betreuenden Kinder gesehen. Die pauschalen Leistungen sind weniger an den durchschnittlichen Erwerbseinkommen als an den notwendigen, typisierten Aufwendungen der Familien zur Deckung des Betreuungs- und Erziehungsbedarfs der Kinder orientiert. Bedarfsorientierte Leistungen entsprechen auch dem auf horizontale Verteilungsgerechtigkeit angelegten verfassungsrechtlichen Gebot der Familienförderung, weil sie entsprechend dem Prinzip sozialer Förderung alle Familien im Vergleich zu Kinderlosen gleichermaßen unterstützen und den Betreuungs- und Erziehungsbedarf aller Kinder gleich bewerten. Der Anspruch auf Erziehungsgeld sollte deshalb unabhängig davon gewährt werden, ob der Anspruchsberechtigte vor dem Erziehungsgeldbezug erwerbstätig war oder nicht. Auch das bisherige Erwerbseinkommen sollte nicht gesondert berücksichtigt werden. Wird gleichzeitig an dem Ziel festgehalten, mit dem Erziehungsgeld einen potentiellen oder faktischen Erwerbseinkommensverzicht auszugleichen, folgt daraus zusätzlich, daß das pauschalierte Erziehungsgeld so hoch bemessen sein muß, daß es auch bei durchschnittlichen oder höheren Einkommen wenigstens als partieller Ausgleich für einen Erwerbseinkommensverzicht angesehen werden kann.

b) Bedürftigkeitsorientierung Ein pauschaliertes Erziehungsgeld kann zusätzlich einkommensabhängig gestaltet und mit einer sozialen Staffelung versehen werden. Eine einkommensabhängige Geldleistung begrenzt den Umverteilungsaufwand ganz erheblich und wird aus diesem Grund häufig vorgeschlagen. Mit dem Ziel, die kinderbedingte und vor allem erziehungsbedingte Einkommensbelastung zu minimieren, ist eine Beschränkung der einkommenswirksamen Leistungen für die Kindererziehung auf die unteren Einkommensgruppen vereinbar, um gerade in diesen Gruppen den Mindestaufwand für die Erziehung und Betreuung der Kinder zu sichern. 272 Dieses Ziel verfolgt auch das Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz, dessen Bezug vom sonstigen Familieneinkommen abhängig ist.

Max Wingen, Erziehungseinkommen. Zielsetzungen, LegitimationsgrundlagenundFinan milie, 1999, S. 2 f .

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs

291

Mit einer einkommensabhängigen Ausgestaltung des Erziehungsgeldes wird der Wert der Erziehungsleistung jedoch in höchst unterschiedlicher Weise anerkannt. Ebensowenig wie die unterschiedliche Bewertung der Betreuungs- und Erziehungsarbeit nach dem potentiellen individuellen Erwerbseinkommen dem Ziel der Anerkennung der Erziehungsarbeit gerecht wird, kann eine einkommensabhängige Ausgestaltung diesem Ziel dienen. Soll das Erziehungsgeld eine Anerkennung für die Erziehungs- und Betreuungsleistung sein, muß es unabhängig vom Einkommen des oder der Anspruchberechtigten und erst recht vom Einkommen des (Ehe-)Partners oder der (Ehe-)Partnerin gewährt werden. Die Eigenständigkeit der Transferleistung bedeutet für die kinderbetreuende Person nicht nur eine materielle, sondern auch eine ideelle Aufwertung, gerade auch innerhalb der Familie. Einkommensabhängige Transfers haben dagegen häufig den Effekt, daß sich Zweiteinkommen verteuern und deshalb reduziert werden. Jede Einkommensabhängigkeit familienbezogener Transfers schafft Anreize, auf zusätzliches Einkommen zu verzichten, und das geht in der Regel zu Lasten einer Erwerbstätigkeit der Mütter. Dieser negative Anreiz vermindert wiederum die Bereitschaft der Väter, ihre Erwerbstätigkeit zugunsten der Kindererziehung zu reduzieren. Derartige Lenkungseffekte sollten gerade im Hinblick auf die Gleichberechtigung der Geschlechter vermieden werden. 273 Dann erhält das Erziehungsgeld als finanzielle Vergütung tatsächlich den Charakter eines Honorars für eine gesellschaftlich wichtige Leistung. 274 Durch eine einkommensabhängige Ausgestaltung des staatlichen Kinderleistungsausgleichs kann das Prinzip der Förderung zwar modifiziert und durch das Prinzip der Bedürftigkeit als Element der sozialen Fürsorge ergänzt werden. Doch entspricht die einkommensunabhängige Gestaltung des Kinderleistungsausgleichs grundsätzlich dem Förderungsgebot des Art. 6 Abs. 1 GG, das auf horizontale Verteilungsgerechtigkeit zwischen Familien und Nichtfamilien zielt. Es gilt nicht nur für sozial schwache Familien, sondern fordert ganz generell den Ausgleich kinderbedingter Lasten und Leistungen.275 Einschränkungen sind zwar möglich, müssen 273 Vgl. Helmuth Schattovits, Kinderbetreuungsscheck in Österreich, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S. 108 ff.; Martin Werding, Familienpolitik: Das „Familiengeld"-Konzept der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Ergebnisse einer ifo-Studie zu Wirkungen der Reformpläne der Opposition, 1999, S. 8. 274 Vgl. Maximilian Fuchs, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Gutachten F für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S. F 109; Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG), Erziehungsgeld, Erziehungsurlaub und Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Band 243 der Schriftenreihe, 1989, S.218 und 221 \Max Wingen, Erziehungseinkommen. Zielsetzungen, Legitimationsgrundlagen und Finanzierungsprobleme, Nr. 13 der Publikationen des österreichischen Instituts für Ehe und Familie, 1999, S. 21 ff.; Hans Heinrich Nachtkamp, Plädoyer für ein staatliches Erziehungsentgelt, in: ifo Schnelldienst Nr. 9/2000, S. 6f.

275

19*

Siehe oben 2. Kapitel A.IV.3.c)bb).

292

3. Kap.: Die Förderung der Familie

aber gerechtfertigt werden. Damit das Recht auf Familienförderung nicht leerläuft, muß der Kinderleistungsausgleich horizontale Elemente aufweisen und darf nicht auf bestimmte Einkommensgruppen beschränkt bleiben. 276

c) Leistungszuschläge für Alleinerziehende In einigen Modellen zur Reform des Kinderleistungsausgleichs wird vorgeschlagen, die staatlichen Leistungen für Alleinerziehende höher zu bemessen als für Elternpaare. Das Konzept „Erziehungsgehalt 2000" des Deutschen Arbeitskreises für Familienhilfe e.V. sieht für Alleinerziehende zum Beispiel einen Zuschlag von 15 % vor. Konrad Stopp schlägt in seinem Modell für ein Erziehungsgeld als Bestandteil eines Grundeinkommens einen Zuschlag von 12 % für Alleinerziehende vor. Einige Schwierigkeiten bereitet bereits die Definition des Begriffs der Alleinerziehenden. In der Verwaltungspraxis läßt sich kaum feststellen, wer tatsächlich allein für ein Kind sorgt. Die verschiedensten Konstellationen sind denkbar und je nach Definition muß unterschieden werden zwischen Alleinstehenden mit Kindern, nichtehelichen Lebensgemeinschaften der leiblichen Eltern, Lebensgemeinschaften mit nur einem sorgeberechtigten Eltemteil oder solchen mit gemeinsam sorgeberechtigten Eltern, die in getrennten Haushalten leben und sich die Kinderbetreuung teilen. 277 Zum Teil wird angeregt, zumindest für diejenigen Alleinerziehenden ein höheres Erziehungsgeld anzusetzen, die auf keine Unterhaltsleistungen des Ehegatten oder des geschiedenen Ehegatten zurückgreifen können.278 Sinn und Zweck des Kinderleistungsausgleichs ist jedoch nicht primär die Sicherung des Unterhalts. Mit dem Erziehungsgeld wird vor allem das Ziel der staatlichen und gesellschaftlichen Anerkennung der Erziehungstätigkeit verfolgt. Das Erziehungsgeld hat nicht die Aufgabe, anderweitig verursachte schwierige Lebenssituationen zu beeinflussen. Es gibt keinen Grund, die für ein Kind erbrachten Betreuungs- und Erziehungsleistungen nach dem Familienstand des oder der Anspruchsberechtigten zu bewerten. Der Erziehungs- und Betreuungsbedarf der Kinder ist grundsätzlich bei allen Kindern gleich. 279 Ein Zuschlag für Alleinerziehende scheint deshalb nicht geboten. Das Erziehungsgeld sollte vielmehr unabhängig von der Lebenssituation der Anspruchsberechtigten einheitlich hoch sein. 280 276

Siehe oben 2. Kapitel A. V.4.b)bb), cc) und dd). Hans Geister/Simone Wenzler, Die politische Bedeutung des Erziehungsgehaltes vor dem Hintergrund eines zukunftsorientierten Verständnisses von Arbeit, 1999, S. 15. 27 8 Maximilian Fuchs, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Gutachten F für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S. F109. 279 Vgl. BVerfGE 99, 216 (236 und 241 ff.). 280 Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG), Erzie 27 7

hungsgeld, Erziehungsurlaub und Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversiche-

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs d) Existenzsichernde

293

Sockelung

Wichtiger als die gesonderte Berücksichtigung der Alleinerziehenden ist die Höhe des Erziehungsgeldes an sich. Bei der derzeitigen Höhe des Erziehungsgeldes von 600 DM im Monat können sich gerade Alleinerziehende, aber auch geringverdienende Elternpaare eine Einschränkung oder gar Aufgabe der Erwerbstätigkeit kaum leisten. Deshalb wird vielfach gefordert, die Höhe des Erziehungsgeldes so zu bemessen, daß Kinderbetreuung und Kindererziehung in der Familie auch ohne sonstigen finanziellen Hintergrund des oder der Erziehenden möglich sind. 281 Das Erziehungsgeld muß danach bereits für das erste Kind über dem Sozialhilfeniveau liegen. Meist ist dann eine degressive Staffelung nach der Kinderzahl vorgesehen, damit nicht bei mehreren Kindern unangemessen hohe Beträge gezahlt werden müssen. Das Modell „Erziehungsgehalt 2000" sieht zum Beispiel ein Grundgehalt in Höhe von monatlich 2.000DM für das erste Kind vor, das für jedes weitere Kind mit einem Betrag in Höhe von 1.000 D M aufgestockt wird. Eine ähnliche Staffelung ist im Vorschlag eines Erziehungsgehalts der Ökologisch-Demokratischen Partei (ödp) vorgesehen. Auch bei Modellen, die grundsätzlich auf Lohnersatzleistungen für die Kindererziehung setzen, ist die Gewährleistung eines existenzsichernden Sockelbetrags denkbar. Ein solcher Sockelbetrag ist zum Beispiel im Modell „Zeit und Geld für Kinder" der früheren Bundestagsfraktion Die Grünen/Bündnis 90 vorgesehen. Ob ein existenzsichernder Sockelbetrag notwendig ist, hängt vom Verhältnis des Erziehungsgeldes zu den Leistungen der Sozialhilfe ab. Als Leistungsanerkennung oder als Ausgleich für fehlende Erwerbsmöglichkeit müßte das Erziehungsgeld prinzipiell auf die Sozialhilfe angerechnet werden, weil es die Sozialhilfebedürftigkeit des Leistungsempfängers reduziert oder vermeidet. 282 Diese Argumentation beruht allerdings auf dem Leistungsbegriff der Erwerbsarbeitswelt, der so nicht ohne weiteres auf die Erziehungsarbeit übertragen werden kann, weil die Leistungen der Erziehenden nicht notwendig wie Erwerbsleistungen entlohnt werden. Eine Anrechnung ist nur dann gerechtfertigt, wenn das Erziehungsgeld bereits beim ersten Kind über das Sozialhilfeniveau hinausgeht und einem Erwerbseinkommen für Vollzeiterwerbstätigkeit entspricht. Dies ist etwa für das Konzept „Lohn oder Gehalt für Familienarbeit" der Deutschen Hausfrauengewerkschaft e.V. (dhg) oder die Weidener Erklärung der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) denkbar, da diese Modelle bereits beim ersten Kind von einer durchschnittlichen Bezahlung ausgehen. Sofern das Erziehungsgeld kinderzahlbezogen und damit nicht notwendig in existenzsichernder Höhe gewährt wird, ist eine vollständige Anrechnung auf die Sorung. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Band 243 der Schriftenreihe, 1989, S.221 und 232. 281 Rolf Birk, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Gutachten E für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S.E74.

282 Andreas Netzler, Wertäquivalenz familialer Leistungen und Risiken: Sozialpolitische Situation, Perspektiven und Konsequenzen, 1995, S.20.

294

3. Kap.: Die Förderung der Familie

zialhilfe unangemessen, da ansonsten das Recht auf Familienförderung leerliefe. Die Sicherung des Existenzminimums ist zwar nicht primäre Aufgabe des Kinderleistungsausgleichs, doch muß das Familieneinkommen mit dem Erziehungsgeld über dem Sozialhilfeniveau liegen, wenn mit dem Erziehungsgeld eine Anerkennung der Erziehungsleistung verbunden sein und das Recht auf Familienförderung nicht leerlaufen soll. Eine Lösungsmöglichkeit besteht darin, das Erziehungsgeld nicht oder zumindest nicht in vollem Umfang auf die Sozialhilfe anzurechnen.283 Dies gilt bereits für das Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz. Eine solche Lösung entspricht der abstrakten Bedarfsorientierung nach dem Prinzip der sozialen Förderung und gewährleistet auch sozialhilfebedürftigen Familien die grundrechtlich geschützte Gestaltungsfreiheit für die Kindererziehung. e) Rieht großen für die Leistungshöhe Betrachtet man die Höhe der Vergütungen, die für unterschiedliche Arten der professionellen und außerfamilialen Kinderbetreuung und -erziehung gezahlt werden, so ergeben sich sehr unterschiedliche Bewertungen der jeweils geleisteten Tätigkeiten. Die Bezahlung erzieherischer Tätigkeiten von Tagesmüttern, Haushaltshilfen oder Pflegefamilien, von Betreuerinnen und Betreuern in Kinderbetreuungseinrichtungen oder Heimen reicht von 1.000 D M bis zu mehreren Tausend D M im Monat. 284 Das Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz mit seiner maximalen Höhe von 600 DM im Monat ist dagegen als Anerkennung und Honorierung für die erbrachte Betreuungs- und Erziehungsleistung zu niedrig. 285 Allein um den Kaufkraftverlust seit 1986 auszugleichen, müßte das Erziehungsgeld auf etwa 800 D M angehoben werden. 286 Eine Dynamisierung ist erforderlich, um zu verhindern, daß die Effizienz des Erziehungsgeldes infolge steigender Lebenshaltungskosten und steigender Erwerbseinkommen abnimmt. 287

283 Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG), Erzie hungsgeld, Erziehungsurlaub und Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Band 243 der Schriftenreihe, 1989, S.221; Wolf gang Hötzel, Erziehungsgehalt - ein zeitgemäßes Modell?, in: EAF, Familienpolitische Informationen 2/1997, S.4. 284 Siehe oben 1. Kapitel B.I.2.c). 285 Maximilian Fuchs, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Gutachten F für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S.F108. 286 Siehe oben 1. Kapitel B.II.3.a)ee). 287 Maximilian Fuchs, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Gutachten F für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S. F 109; Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG), Erziehungsgeld, Erziehungsurlaub und Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Band 243 der Schriftenreihe, 1989, S.221.

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs

295

Der Deutsche Familienverband (DFV) schlägt eine Erhöhung des Erziehungsgeldes auf 1.000 DM für jedes Kind vor. Auch die Bundestagsfraktion der CDU/CSU plädiert in ihrem Familiengeldkonzept für eine Erhöhung der Leistungen auf 1.000 D M 2 8 8 - allerdings ist in diesem Betrag auch das Kindergeld enthalten. Das sächsische Modell eines Erziehungsgehalts von Hans Geissler sieht von der Geburt bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres einen Betrag von 1.100 DM und vom vierten bis zur Völlendung des sechsten Lebensjahres einen Betrag von 800 D M netto für jedes Kind vor. Ziel ist ein Erziehungsgehalt, das bei drei Kindern einem durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommen entspricht. Das Modell „Erziehungsgehalt 2000" des Deutschen Arbeitskreises für Familienhilfe e.V. schlägt für alle Eltern eine Geldleistung in Höhe von 2.000 DM pro Monat für das erste und 1.000DM für jedes weitere Kind bis zu sieben Jahren vor. Für Kinder ab acht Jahren ist ein einkommensabhängiges Erziehungsgehalt in Höhe von maximal 1.400 D M für das erste und 600 DM für jedes weitere Kind vorgesehen. Das Modell eines Familiengehalts der Deutschen Evangelischen Allianz e.V. schlägt ein Familiengehalt von jeweils 1.000 D M 2 8 9 im Monat für das erste und das zweite Kind und jeweils 500 DM für jedes weitere Kind vor. Das Modell eines Kinderbetreuungsschecks des Österreichischen Instituts für Familienforschung (ÖIF) sieht in seinen Varianten Beträge zwischen 800 D M und 1.100 D M monatlich vor, wobei neben diesen direkten Transfers noch Sozialversicherungsbeiträge für die Erziehenden geleistet werden sollen, so daß die staatlichen Leistungen insgesamt höher ausfallen. Das Konzept,»Lohn oder Gehalt für Familienarbeit" der Deutschen Hausfrauengewerkschaft e. V. (dhg) orientiert das Familiengehalt an dem Durchschnittseinkommen aller Versicherten. 1997 lag dieses Durchschnittseinkommen etwa bei 4.200 DM. An dieser Richtgröße orientiert sich auch der Vorschlag eines Erziehungsgehalts der Ökologisch-Demokratischen Partei (ödp) in Baden-Württemberg, wobei das volle Gehalt erst bei drei Kindern zur Auszahlung kommen soll. Eine ähnliche Staffelung nach der Rangzahl der Kinder sieht das Trierer Modell eines Erziehungsgehalts des Katholikenrats im Bistum Trier vor, das bei drei oder mehr Kindern zu einem Durchschnittseinkommen führen soll. Bei diesen Richtgrößen handelt es sich um Bruttoangaben. Nach dem Vorschlag von Konrad Stopp für ein Erziehungsgeld als Bestandteil eines Grundeinkommens sollen für die Betreuung von Kleinkindern in Anlehnung an die Bezahlung vergleichbarer Leistungen im öffentlichen Dienst rund 4.000 D M und für die Betreuung von Kindergarten- und Schulkindern etwa 2.000 DM gezahlt werden. Auch das Modell einer Kindheitsversicherung von Hannelore Schröder will ein mittleres Einkommen für die Erziehenden erreichen. 288 Nach neueren Angaben soll das Familiengeld während der ersten drei Lebensjahre des Kindes 1.200DM, im Alter von drei bis 17 Jahren 600 D M und im Alter von 18 bis 27 Jahren 300 DM (ab dem vierten Kind 350 DM) betragen.

289

Nach neueren Angaben ist für das erste und zweite Kind nunmehr ein Betrag von jeweils 1.200DM und ab dem dritten Kind ein Betrag von jeweils 600 DM vorgesehen.

296

3. Kap.: Die Förderung der Familie

Die versicherungsorientierten Modelle gehen dagegen vom individuellen Erwerbseinkommen aus und sehen Lohnersatzleistungen vor, die bis zu 100 % des vorherigen Erwerbseinkommens betragen können, wie dies etwa im Modell „Zeit und Geld für Kinder" der früheren Bundestagsfraktion Die Grünen/Bündnis 90 vorgesehen ist. Daneben wird in diesem Modell aber auch ein Betreuungsgeld in Höhe von 1.300 DM gewährt, das als Sockelbetrag allen Erziehenden zukommt. Andere Modelle orientieren die Lohnersatzleistung an der Höhe des Arbeitslosengeldes, wie zum Beispiel das Konzept des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) für einen Elternurlaub mit Zeitkonto und Lohnersatzleistung. Unter dem Aspekt der Erziehungsförderung und der Wahlfreiheit der Familien scheint dagegen eine Orientierung am Betreuungsbedarf des Kindes in der Art sachgerecht, daß den Eltern die Summe ausgezahlt wird, die der Staat zur Finanzierung eines Betreuungsplatzes aufwenden muß. 290 Diesen Ansatz verfolgen zum Beispiel die Länder Norwegen und Finnland. 291 Er rechtfertigt ein nach dem Kindesalter gestaffeltes Erziehungsgeld, das in Anlehnung an die Kosten für einen Betreuungsplatz in einer Kinderkrippe, einem Kindergarten oder einem Schulhort berechnet wird. Danach könnte sich das Erziehungsgeld zum Beispiel für Kleinkinder bis zu drei Jahren auf 1.500 DM, für Kinder im Kindergartenalter auf 1.000 DM und für Kinder im Grundschulalter auf 500DM im Monat belaufen. Auch im sächsischen Modell eines Erziehungsgehalts von Hans Geissler wird die Höhe des Erziehungsgehalts in Orientierung an den Kosten für einen öffentlichen Betreuungsplatz ermittelt. 4. Leistungsdauer Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, daß die Anspruchsdauer des Erziehungsgeldes nicht kürzer sein darf als der Zeitraum, für welchen ein Anspruch auf Reduzierung oder Freistellung von der Erwerbstätigkeit eingeräumt wird. Die Ausdehnung der Gewährung des Bundeserziehungsgeldes bis zum dritten Lebensjahr des Kindes und damit auf die gesamte Zeit des Erziehungsurlaubs wird seit langem gefordert. 292 Eine Anspruchsdauer von mindestens drei Jahren wird auch deshalb für notwendig erachtet, weil erst ab dem dritten Lebensjahr des Kindes ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz besteht. Viele Modelle gehen von einer erheblich längeren Leistungsdauer aus. Das Konzept „Erziehungsgehalt 2000" des Deutschen Arbeitskreises für Familienhilfe 290 Paul Kirchhof, Die Verschiedenheit der Menschen und die Gleichheit vor dem Gesetz, Band 62 der Reihe „Themen" der Carl Friedrich von Siemens Stiftung, 1996, S.55. 291 Siehe oben 1. Kapitel B.III.2.c) und g). 292 Rolf Birk, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Gutachten E für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S. E73; Maximilian Fuchs, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Gutachten F für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S.F109.

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs

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e.V. schlägt für Kinder bis sieben Jahre ein einkommensunabhängiges Erziehungsgehalt vor. Danach ist eine Grundsicherung in Form einer negativen Einkommensteuer vorgesehen, die auch noch über das Erreichen der Volljährigkeit der Kinder hinaus gezahlt werden soll. Das Konzept „Lohn oder Gehalt für Familienarbeit" der Deutschen Hausfrauengewerkschaft e.V. (dhg) ist bis zum Alter von sechs Jahren eines Kindes angelegt. Der Vorschlag von Konrad Stopp für ein Erziehungsgeld als Bestandteil eines Grundeinkommens ist bis zum 14. Lebensjahr eines Kindes konzipiert. Das Erziehungsgehalt nach dem Trierer Modell des Katholikenrats im Bistum Trier soll beim ersten Kind mindestens sechs Jahre, beim zweiten Kind mindestens zwölf und beim dritten und jedem weiteren Kind 18 Jahre lang gewährt werden. Das Modell „Familiengemäßes Einkommen und familiengerechte Arbeitszeit" des Familienbundes der Deutschen Katholiken sieht ein Erziehungsgeld für insgesamt sechs Jahre vor, das bis zum 14. Lebensjahr des Kindes in Anspruch genommen werden kann. Im Familiengeldkonzept der Bundestagsfraktion der CDU/CSU von 1999 ist eine Ausdehnung der Erziehungsgeldkomponente auf sechs Jahre vorgesehen. Die sechs Förderjahre sollen innerhalb der ersten zehn Lebensjahre des Kindes frei gewählt werden können.293 Die Transferleistungen nach dem Modell eines Kinderbetreuungsschecks des Österreichischen Instituts für Familienforschung (ÖIF) sollen bis zum siebten Lebensjahr des Kindes gewährt werden. In den versicherungsorientierten Modellen ist dagegen meist ein Zeitraum von nicht mehr als drei Jahren für den Bezug des Erziehungsgeldes vorgesehen, der allerdings häufig im Rahmen eines Zeitkontos gewährt wird, das sich bis zum zwölften oder 14. Lebensjahr des Kindes erstrecken kann. Verschiedene Varianten finden sich im Modell der Elternversicherung, in den Vorschlägen der Arbeitsgemeinschaft der Familienverbände (AGF) oder im Vorschlag von Sabine Hildebrandt-Woeckel für ein Betreuungsgeld. Ein Zeitkonto mit maximal zweijähriger Freistellung während der ersten 14 Lebensjahre des Kindes ist im Entwurf der Bundestagsfraktion der PDS vorgesehen. Die versicherungsorientierten Modelle sind stark auf die zeitgleiche Vereinbarung von Familie und Beruf ausgerichtet und wollen eine zu lange Unterbrechung der Erwerbstätigkeit vermeiden, damit die Chancen für eine spätere Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit nicht zu sehr beeinträchtigt werden. Deshalb sollen keine Anreize für eine zu lange Erwerbsunterbrechung gesetzt werden. 294 Der Anspruch auf Erziehungsgeld kann jedoch auch unabhängig von der gewährten Erziehungszeit bestehen. Damit wird der Betreuungs- und Erziehungsbedarf der Kinder zum Anknüpfungspunkt für die Leistungsdauer. Der Betreuungs- und Erzie293

Nach den neueren Vorschlägen soll das Familiengeld (inklusive Kindergeld) unabhängig von der Erwerbsarbeitszeit und der Erziehungszeit der Eltern in den ersten drei Lebensjahren des Kindes in Höhe von 1.200 DM gezahlt werden. Ab dem Alter von drei Jahren soll das Familiengeld noch 600 D M betragen. 294 Vgl. auch Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG), Erziehungsgeld, Erziehungsurlaub und Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Band 243 der Schriftenreihe, 1989, S. 220.

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3. Kap.: Die Förderung der Familie

hungsbedarf muß in jedem Fall und unabhängig von der Erwerbszeit und der Erziehungszeit der Eltern gedeckt werden. Eine solche abstrakte Bedarfsorientierung entspricht dem Prinzip der sozialen Förderung. Bei einer Orientierung am Erziehungsund Betreuungsbedarf der Kinder erscheint eine Leistungsdauer von zwölf bis 14 Jahren sachgerecht, wobei das Erziehungsgeld mit abnehmendem Betreuungsbedarf - insbesondere ab dem Zeitpunkt der Schulpflichtigkeit - reduziert werden kann. Die Bedarfsorientierung spricht für die Anlehnung der Leistungsdauer des Erziehungsgeldes an die üblichen institutionellen Betreuungsformen der Kinderkrippen, Kindergärten und Schulhorte. 5. Steuer- und Sozialabgabenpflichtigkeit Viele Modelle, die auf eine pauschale Entlohnung der Erziehungsarbeit setzen, gehen von der Steuerpflichtigkeit des Erziehungsgeldes aus. Als echtes Leistungsentgelt und primäre Einkommensquelle soll das Erziehungsgeld wie das Erwerbseinkommen der Einkommensbesteuerung unterliegen. 295 Mit der Besteuerung soll unter anderem dem Ziel vertikaler Verteilungsgerechtigkeit entsprochen werden. 296 Durch die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist eine gewisse Abhängigkeit des Erziehungsgeldes vom gesamten Familieneinkommen gegeben, ohne daß es auf die Bedürftigkeit der Familie ankommt. Eine Besteuerung des Erziehungsgeldes sehen vor allem die Modelle vor, die sich am durchschnittlichen Bruttoeinkommen aller Versicherten orientieren, so zum Beispiel das Konzept „Lohn oder Gehalt für Familienarbeit" der Deutschen Hausfrauengewerkschaft e.V. (dhg), der Vorschlag eines Erziehungsgehalts der ÖkologischDemokratischen Partei (ödp) in Baden-Württemberg oder das Trierer Modell eines Erziehungsgehalts des Katholikenrats im Bistum Trier. Auch das Modell eines Familiengehalts der Deutschen Evangelischen Allianz e.V. sieht eine Besteuerung des Familiengehalts vor. Das sächsische Modell eines Erziehungsgehalts von Hans Geisler verzichtet dagegen auf eine Besteuerung der Transferleistungen für die Kindererziehung. Soll trotz der unterschiedlichen Besteuerung jeweils ein Nettobetrag erreicht werden, der die Erziehungsarbeit im Ergebnis nicht höchst unterschiedlich bewertet und auch die Finanzierung einer außerfamilialen Betreuung erlaubt, ist die Besteuerung des Erziehungsgeldes notwendig mit unübersichtlichen Differenzierungen der Bruttohöhe verbunden. 297 Außerdem wird das Umverteilungsvolumen bei einer Besteue295 Hans Heinrich Nachtkamp, Plädoyer für ein staatliches Erziehungsentgelt, in: ifo Schnelldienst Nr. 9/2000, S. 6. 296 Michael Opielka, Bezahlte Elternschaft. Voraussetzungen und Folgen einer monetären Anerkennung der Erziehungsarbeit durch ein Erziehungsgehalt, in: Andreas Netzler/Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S. 108 f.

297 Hans Geisler, Erziehungsgehalt - eine Idee von Gestern oder ein Modell für Morgen?, 1999, S.6f.

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs

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rung deutlich erhöht. Im übrigen ist eine Besteuerung des Einkommens als steuerliche Teilhabe des Staates am Erfolg privaten Wirtschaftens 298 nur für die am Markt erzielten Einnahmen zu rechtfertigen. Bei den staatlichen Leistungen für die Kindererziehung handelt es sich jedoch nicht wie bei den Erwerbseinkommen um Markteinnahmen, sondern um Transferzahlungen. Daher ist eine Besteuerung des Erziehungsgeldes - wie bei sonstigen staatlichen Transfers - nicht geboten. Neben der Frage der Steuerpflichtigkeit wird auch die Sozialabgabenpflichtigkeit des Erziehungsgeldes erörtert. Modelle, die das Erziehungsgeld als Primäreinkommen definieren, gehen in der Regel selbstverständlich von der Sozialabgabenpflichtigkeit des Erziehungsgeldes aus. Das gilt insbesondere für die Vorschläge, die das Erziehungsgeld in der Höhe an den durchschnittlichen Bruttoeinkommen aller Versicherten orientieren, etwa das Konzept,,Lohn oder Gehalt für Familienarbeit" der Deutschen Hausfrauengewerkschaft e.V. (dhg), den Vorschlag eines Erziehungsgehalts der Ökologisch-Demokratischen Partei (ödp) in Baden-Württemberg oder das Trierer Modell eines Erziehungsgehalts des Katholikenrats im Bistum Trier sowie das Modell eines Familiengehalts der Deutschen Evangelischen Allianz e.V. Die Sozialabgabenpflichtigkeit des Erziehungsgeldes wird unabhängig von der Einordnung des Erziehungsgeldes in die Einkommensordnung auch mit dem Ziel der sozialen Absicherung der Erziehenden begründet. Mit der Sozialabgabenpflicht soll die Erziehungstätigkeit in die Sozialversicherungssysteme eingebunden und zur Grundlage einer eigenständigen Alters-, Kranken-, Arbeitslosen- und Unfallversicherung werden. 299 Damit die Sozialabgabenpflicht nicht zu einer Verringerung der Nettohöhe des Erziehungsgeldes führt, plädieren die meisten Modelle entweder für eine entsprechende Aufstockung des Erziehungsgeldes oder für die direkte Übernahme der Sozialabgaben durch die staatliche Gemeinschaft. So sieht das Modell eines Kinderbetreuungsschecks des Österreichischen Instituts für Familienforschung (ÖIF) neben den Transferleistungen für die Kindererziehung die Sozialversicherung der Erziehenden als eigenständige Säule im Konzept des Kinderbetreuungsschecks vor, die gesondert finanziert werden soll. Ähnlich konzipiert sind das Modell der Elternversicherung, das Modell „Geschützte Teilzeitarbeit für Eltern" von Birgit Geissler und Birgit Pfau und das Modell „Zeit und Geld für Kinder" der früheren Bundestagsfraktion Die Grünen/Bündnis 90. Das Modell „Geschützte Teilzeitarbeit für Erziehung und Pflege" des Landesverbandes der Katholischen ArbeitnehmerBewegung (KAB) der Diözese Rottenburg-Stuttgart sieht vor, die Sozialversicherungsbeiträge für die Erziehenden während der Erziehungszeit aus einer steuerfinanzierten Familienkasse zu zahlen. Eine steuerfinanzierte Beitragsleistung für die 298 Vgl. Paul Kirchhof, Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Steuern, in: Steuern im Verfassungsstaat, Symposion zu Ehren von Klaus Vogel aus Anlaß seines 65. Geburtstags, 1996, S. 32 f.

Max Wingen, Erziehungseinkommen. Zielsetzungen, Legitimationsgrundlagen und Fi nanzierungsprobleme, Nr. 13 der Publikationen des österreichischen Instituts für Ehe und Familie, 1999, S.2.

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3. Kap.: Die Förderung der Familie

Erziehenden sieht auch das Konzept des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) für einen Elternurlaub mit Zeitkonto und Lohnersatzleistung vor. Auch das sächsische Modell eines Erziehungsgehalts von Hans Geisler plädiert für eine eigenständige soziale Sicherung der Erziehenden. Für die Sozialabgabenfreiheit des Erziehungsgeldes spricht wie für die Steuerfreiheit die Qualifikation der staatlichen Leistungen für die Kindererziehung als Transferleistungen. Die Sozialabgabenfreiheit des Erziehungsgeldes bedeutet nicht, daß dem oder der Erziehenden während der Erziehungszeit keine soziale Sicherung zuteil wird. Die soziale Sicherung der Erziehenden sollte aber innerhalb der sozialen Sicherungssysteme erfolgen. Eine sachgerechte und damit familiengerechte Ausgestaltung der sozialen Sicherungssysteme ist durch Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Benachteiligungsverbot des Art. 6 Abs. 1 GG geboten.300 Bereits aus diesem Grund muß der Staat die soziale Sicherung der Erziehenden gewährleisten. Die Verknüpfung mit dem Kinderleistungsausgleich als Nachteilsausgleich im Sinne des Förderungsgebots des Art. 6 Abs. 1 GG ist nicht erforderlich. Konsequent verzichtet zum Beispiel das Konzept „Erziehungsgehalt 2000" des Deutschen Arbeitskreises für Familienhilfe e.V. auf die Sozialabgabenpflicht des Erziehungsgeldes.

6. Leistungsmodus a) Von der Objekt- zur Subjektförderung außerfamilialer Kinderbetreuung Die Eltern haben ein verfassungsmäßiges Recht auf die freie Wahl der Art der Kinderbetreuung. Aus der Schutzpflicht des Art. 6 Abs. 1 GG folgt die Aufgabe des Staates, die Kinderbetreuung in der jeweils von den Eltern gewählten Form in ihren tatsächlichen Voraussetzungen zu ermöglichen und zu fördern. Das setzt ein gewisses Gleichmaß der Förderung institutioneller Kinderbetreuung und der Förderung familialer Kindererziehung voraus. Um gleiche wirtschaftliche Voraussetzungen für die familiale und die außerfamiliale Kinderbetreuung zu schaffen, können neben den von der öffentlichen Hand subventionierten sozialen Dienstleistungen in Kinderbetreuungseinrichtungen vergleichbare monetäre Transfers an diejenigen Eltern gezahlt werden, die diese Realtransfers nicht in Anspruch nehmen und sich für eine Betreuung in der Familie entscheiden. Es kann aber auch allen Eltern eine entsprechende finanzielle Förderung gewährt werden. Die Eltern haben dann je nach Inanspruchnahme öffentlicher oder auch privater Betreuungseinrichtungen einen kostendeckenden Preis für die Kinderbetreuung zu entrichten oder können auf die Inanspruchnahme der Betreuungsleistungen Dritter verzichten und die Geldleistungen 300

Siehe oben 2. Kapitel A.IV.3.b)bb).

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs

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behalten. Das bedeutet eine Umstellung der Finanzierung der Kinderbetreuungseinrichtungen von der Objektförderung, das heißt der Finanzierung der Einrichtungen, auf die Subjektförderung, das heißt die Förderung der Familien. In vielen Ländern Europas investiert der Staat erhebliche Mittel in die Versorgung mit Kinderbetreuungseinrichtungen. Dagegen fehlt es oft an einer Honorierung der Erziehungsleistung, wenn sie von den Eltern erbracht wird, obwohl dadurch hohe staatliche Zuschüsse für einen externen Betreuungsplatz eingespart werden. 302 Konsequenzen aus dieser ungleichen Förderung beider Betreuungsarten hat zum Beispiel Norwegen mit der Einführung des sogenannten Cash Support gezogen.303 Auch in Finnland ist der Kinderbetreuungszuschuß für Familien mit der Finanzierung der institutionellen Kinderbetreuung verbunden. 304 Andere Länder setzen dagegen mehr oder weniger stark auf die staatliche Subventionierung der institutionellen Kinderbetreuung und gewähren den Eltern unabhängig davon Erziehungsgeld. Auch das kann zu ungleichen Förderungsstrukturen führen. Auch in den neuen Bundesländern werden - noch - in relativ großem Umfang Kinderkrippenplätze zur Verfügung gestellt. Den Eltern wird unabhängig davon Erziehungsgeld gewährt. Das kann dazu führen, daß die Kindererziehung im einen Fall mit 1.100 D M bis 1.200 D M im Monat für den Krippenplatz und maximal 600 D M Erziehungsgeld mit insgesamt bis zu 1.800DM unterstützt wird und im anderen Fall ein Elternteil die Erwerbstätigkeit einschränkt oder aufgibt, um das Kind selbst zu erziehen, Einkommenseinbußen hinnimmt und dafür lediglich das Erziehungsgeld in Höhe von maximal 600 D M erhält. Diese ungleiche Förderungsstruktur führt dazu, daß es unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten häufig vernünftiger ist, die Kinder in staatlich subventionierte Kinderbetreuungseinrichtungen zu geben, anstatt sie in der Familie zu betreuen. 305 In den alten Bundesländern ist es dagegen aufgrund des mangelhaften Angebots an öffentlichen Kinderbetreuungseinrichtungen ökonomisch rationaler, die Kinder von einem Elternteil in der Familie betreuen zu lassen. Der Staat darf durch seine Förderungsstrukturen nicht bestimmte Familien oder bestimmte Familienmodelle begünstigen. Eine Abstimmung der Förderung familialer und außerfamilialer Kinderbetreuung ist daher notwendig. Dies unternimmt etwa das sächsische Modell eines Erziehungsgehalts von Hans Geisler. Das Konzept 301 Max Wingen, Erziehungseinkommen. Zielsetzungen, Legitimationsgrundlagen und Finanzierungsprobleme, Nr. 13 der Publikationen des österreichischen Instituts für Ehe und Familie, 1999, S. 14 ff. 302 Vgl. Christian Leipert, Aufwertung der Erziehungsarbeit - Politische Notwendigkeit und Wege zur Erreichung des Ziels, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S. 18 f. 303 Siehe oben 1. Kapitel B.III.2.g). 304 Siehe oben 1. Kapitel B.III.2.c).

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Siehe auch oben 1. Kapitel Β. II. 3. b).

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3. Kap.: Die Förderung der Familie

„Lohn oder Gehalt für Familienarbeit" der Deutschen Hausfrauengewerkschaft e.V. (dhg) und der Vorschlag eines Erziehungsgehalts der Ökologisch-Demokratischen Partei (ödp) basieren ebenfalls auf einer zumindest teilweisen Umstellung von der Objekt- auf die Subjektförderung außerfamilialer Kinderbetreuung. Auch in Österreich wird über eine Umstellung vom System der Objektförderung zum System der Subjektförderung nachgedacht.306 Die Umstellung der Förderstruktur von der Objektförderung auf die Subjektförderung der Kinderbetreuung setzt ein kinderzahlbezogenes Erziehungsgeld voraus, wenn nicht bereits beim ersten Kind mit dem Erziehungsgeld ein mittleres oder hohes Einkommen erreicht wird. Ansonsten entfaltet das Erziehungsgeld Lenkungswirkungen dahingehend, daß Familien mit mehreren Kindern die Erziehung in der Familie übernehmen müssen, weil die außerfamiliale Kinderbetreuung für mehrere Kinder gleichzeitig nicht finanzierbar ist. 307 Der Hauptvorteil der Subjektförderung wird darin gesehen, daß aufgrund der erhöhten Kaufkraft der Eltern die Anbieter der Betreuungsleistungen auf die Bedürfnisse der Eltern eingehen und diesen mehr Mitsprache hinsichtlich der Bereitstellung und Gestaltung des Angebots einräumen müssen.308 Die bislang vorherrschende Objektförderung ist durch eine geringe Nachfrageorientierung gekennzeichnet, weil sie den Anbietern von Kinderbetreuungseinrichtungen ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Eltern Subventionen gewährt. Die Eltern haben deshalb nur begrenzt Möglichkeiten, Einfluß auf das qualitative und quantitative Angebot der Betreuungseinrichtungen zu nehmen. Befürchtet wird allerdings, daß eine Subjektfinanzierung als Vorwand für eine Reduzierung der öffentlichen Mittel zur Förderung der Kindererziehung insgesamt verwendet werden könnte. Die öffentlichen Kinderbetreuungseinrichtungen könnten als überflüssig angesehen und der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ausgehöhlt werden. Dies könnte sich wiederum negativ auf die Erwerbsbeteiligung der Frauen mit Kindern auswirken. Ein möglicher Abbau familienergänzender Kinderbetreuungseinrichtungen wird zudem als Gefährdung für die Sozialisation der Kinder angesehen, weil die öffentliche Betreuung allen Kindern professionelle Erziehungsstandards und damit Chancengleichheit garantiert. 309 306 Martin Schneider/Stefan Ohmacht, Familienrelevante Transfers in Österreich - Systemüberblick und Analysen, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S. 82. 307 Vgl. Helmuth Schattovits, Kinderbetreuungsscheck in Österreich, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S. 122. 308 Martin Schneider/Stefan Ohmacht, Familienrelevante Transfers in Österreich - Systemüberblick und Analysen, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S. 82; Christian Leipert!Michael Opielka, Erziehungsgehalt 2000. Ein Weg zur Aufwertung der Erziehungsarbeit, 1998, S. 113 ff. 309 Vgl. Deutscher Frauenrat, Erziehungsgehalt ist kein angemessener Lohnersatz für Mütter. Stellungnahme des Deutschen Frauenrates zum Entwurf des sächsischen Sozialministers,

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs

303

Die Gefahr der Mittelkürzung besteht allerdings bei der Objektförderung gleichermaßen. 310 Sie ist möglicherweise sogar geringer, wenn aufgrund der direkten Transfers sichtbar wird, wieviel Geld dem Staat die Kinderbetreuung jedes einzelnen Kindes tatsächlich wert ist. Die Objektförderung konnte den Mangel an familienergänzenden Betreuungseinrichtungen nicht verhindern. Selbst der Anspruch auf einen Kindergartenplatz ist derzeit weder statistisch erfüllt noch in allen Regionen Deutschlands gleichermaßen durchsetzbar. Selbstverständlich schafft auch die Subjektförderung nicht automatisch ein entsprechendes Betreuungsangebot, sie gibt aber bestehenden oder neuen Anbietern eine gewisse Planungssicherheit. Steht kein ausreichendes öffentliches Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen zur Verfügung, haben Eltern aufgrund der direkten Transfers mehr Handlungs-, Einfluß- und Ausweichmöglichkeiten.311 Die Familien können das Erziehungsgeld für die Bezahlung einer Tagesmutter oder eines privaten Betreuungsplatzes verwenden. Entschließen sich die Eltern, die Kindererziehung selbst zu übernehmen, erhalten sie immerhin einen finanziellen Ausgleich für den Einkommensverlust und eine gleichwertige finanzielle Anerkennung ihrer Arbeit. b) Von Real- zu Geldtransfers für die Kindererziehung Die Subjektförderung ist grundsätzlich in Form von monetären Transfers und in Form von gebundenen Transfers möglich. Gebundene Transfers sind Gutscheine, die den Eltern ausgehändigt werden und die zur Inanspruchnahme eines Betreuungsplatzes berechtigen. 312 Mit Gutscheinen können im Gegensatz zu Geldleistungen nur in: Informationen für die frau Nr. 7/8 1998, S. 22f.; Barbara Stiegler, Mutter, Kind und Vater Staat. Geschlechterpolitische Aspekte des Erziehungsgehalts, Expertisen der Friedrich-EbertStiftung zur Frauenforschung, 1999, S. 17; Wolf gang Hötzel, Erziehungsgehalt - ein zeitgemäßes Modell?, in: EAF, Familienpolitische Informationen 2/1997, S.4; Uta Meier, Stellungnahme aus haushaltswissenschaftlicher Sicht, in: Heidelberger Büro für Familienfragen und soziale Sicherheit (Hrsg.), Wissenschaftliches Kolloquium „Erziehungsgehalt" am 21./22. Juni 1996 in Bonn, 1996, S. 51 f.; Brigitte Stolz-Willig, Neubewertung der Familienarbeit - Erziehungsgehalt als Perspektive?, in: Brigitte Stolz-Willig/Mechthild Veil (Hrsg.), Es rettet uns kein höh'res Wesen. Feministische Perspektiven der Arbeitsgesellschaft, 1999, S.98ff. 3,0 Michaela Kreyenfeld/Gert Wagner, Qualitätssicherung in der Kinderbetreuung im Rahmen neuer Steuerungsmodelle, 1997, S. 18 ff. 311 Vgl. Österreichisches Institut fiir Familienforschung (ÖIF), Rohbericht zum Projekt „Entwicklung von Modellen eines Kinderbetreuungsschecks und Analyse der Auswirkungen" (Machbarkeitsstudie Kinderbetreuungsscheck), 1998, S.63f.; Helmuth Schattovits, Kinderbetreuungsscheck in Österreich, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S. 103. 312 Ein konkreter Vorschlag zur Finanzierungsumstellung der Kinderbetreuungseinrichtungen von der Objekt- auf die Subjektförderung ist im Organisationsmodell „Kinderkasse, Betreuungsgutscheine und Qualitätskommission" ausgearbeitet. Das Organisationsmodell sieht die Einrichtung einer parafiskalisch organisierten, über einkommensabhängige Beiträge finanzierten Kinderkasse vor, aus der den Eltern über zweckgebundene Betreuungsgutscheine Subventionen für die Kindererziehung zuteil werden sollen. Das Modell befiaßt sich ausschließlich

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3. Kap.: Die Förderung der Familie

vorgegebene Güter, nämlich die Betreuungsleistungen anerkannter Einrichtungen eingekauft beziehungsweise eingelöst werden. 313 Solche Erziehungsgutscheine sind zum Beispiel im Modell „Erziehungsgehalt 2000" vorgesehen. Auch das Modell eines Kinderbetreuungsschecks des Österreichischen Instituts für Familienforschung (ÖIF) sieht vor, vom vierten bis zum siebten Lebensjahr des Kindes einen Teil der Transferleistungen als Gutscheine auszugeben. Das sächsische Modell eines Erziehungsgehalts will die Höhe des Erziehungsgehalts für drei- bis sechsjährige Kinder um etwa 300 D M verringern und dafür einen Betreuungsscheck ausgeben, der zu einem halbtägigen, beitragsfreien Kindergartenbesuch berechtigt. 314 Bedenken gegen eine rein finanzielle Transferleistung bei der Subjektfinanzierung der Kinderbetreuungseinrichtungen bestehen insofern, als negative Anreizeffekte dahingehend erwartet werden, daß die Inanspruchnahme außerfamilialer Kinderbetreuung durch Kinder im Kindergarten- und Vorschulalter sinkt. Während nicht förmlich zweckgebundene Geldleistungen an die Familien nach dem freien Ermessen der Eltern eingesetzt werden können, kommen Realtransfers in Gestalt von kinderbezogenen Gütern und Dienstleistungen den Kindern unmittelbar zugute. 315 Gebundene Transfers scheinen auch deshalb notwendig, weil bei einer relativ hohen Subjektförderung der Fall eintreten kann, daß ein Elternteil am Erwerbsarbeitsmarkt nur ein geringeres Einkommen erzielt als er über die monetären Transfers für die Kindererziehung erhält. Für diesen Haushalt entsteht ein ökonomischer Anreiz, die Erwerbsarbeit aufzugeben und die Kinder in der Familie zu betreuen. Mit den Gutscheinen soll gewährleistet werden, daß den Kindern die als pädagogisch sinnvoll eingestufte institutionelle Teilzeitbetreuung in einem Kindergarten zuteil wird. 316 Der ökonomische Anreiz, der dadurch entsteht, daß die Gutscheine verfallen, wenn keine anerkannte Betreuungseinrichtung in Anspruch genommen mit der Finanzierung außerhäuslicher Kinderbetreuung und zielt vor allem auf die Entlastung der Familien von den Kinderbetreuungskosten. Es wurde im Rahmen des von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Forschungsprojekts „Finanzierungsmodelle sowie Verteilungs- und Finanzierungsrechnungen für eine bedarfsgerechte Kinderbetreuung von Vorschul- und Schulkindern in Deutschland" an der Ruhr-Universität Bochum entwickelt; vgl. Michaela Kreyenfeld/Gert Wagner; Qualitätssicherung in der Kinderbetreuung im Rahmen neuer Steuerungsmodelle. Dokumentation der Diskussionsbeiträge eines Workshops der Hans-Böckler-Stiftung am 29. und 30. April in Berlin, 1997, S.9ff. 313 Martin Schneiderl Stefan Ohmacht, Familienrelevante Transfers in Österreich - Systemüberblick und Analysen, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S. 82. 314 Hans GeislerISimone Wenzler, Die politische Bedeutung des Erziehungsgehaltes vor dem Hintergrund eines zukunftsorientierten Verständnisses von Arbeit, 1999, S. 15. 315 Max Wingen, Familienpolitik. Grundlagen und aktuelle Probleme, 1997, S.424f. 316 Helmuth Schattovits, Kinderbetreuungsscheck in Österreich, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S. 103,113 und 122; Österreichisches Institut für Familienforschung (ÖIF), Rohbericht zum Projekt „Entwicklung von Modellen eines Kinderbetreuungsschecks und Analyse der Auswirkungen" (Machbarkeitsstudie Kinderbetreuungsscheck), 1998, S.60ff.

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs

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wird, soll verhindern, daß die Geldleistung nur zur Maximierung des Haushaltseinkommens genutzt und nicht für eine qualifizierte Kinderbetreuung eingesetzt wird. 317 Solche gebundenen Transfers haben allerdings starke Lenkungswirkungen und setzen eine klare Entscheidung über die politisch gewollte Art der Kinderbetreuung voraus. Derart lenkende Regelungen beschränken die Freiheit der Familien bei der Gestaltung der Kindererziehung und sind angesichts des Elternvorrangs rechtfertigungsbedürftig. 318 Gutscheinsysteme werden auch deshalb bevorzugt, weil durch das staatliche Anerkennungsverfahren die Qualität der pädagogischen Betreuung, aber auch hygienische, bauliche und sonstige Aspekte der Kinderbetreuungseinrichtungen kontrolliert werden können. Der Nachteil der Betreuungsgutscheine besteht dann allerdings darin, daß sie nur bei den staatlich anerkannten Kinderbetreuungseinrichtungen eingelöst werden können. Das setzt zunächst voraus, daß überhaupt ein entsprechendes Angebot an Betreuungseinrichtungen vorhanden ist. 319 Kontrollen und eine staatliche Anerkennung - eine Art Prüfsiegel - sind auch ohne Betreuungsgutscheine möglich. Die Eltern können selbst entscheiden, ob sie eine staatlich geprüfte und anerkannte Betreuungseinrichtung wählen oder sich auf die eigene Kontrolle verlassen. Ungebundene Transfers kommen vor allem den Eltern zugute, die keinen ihren Anforderungen und Bedürfnissen entsprechenden Betreuungsplatz in einer staatlich anerkannten Einrichtung finden und deshalb auf alternative Betreuungsformen ausweichen müssen. Geldleistungen geben den Eltern die Möglichkeit, selbst aktiv zu werden, wenn es kein entsprechendes öffentliches Angebot gibt. Gutscheine müssen die Eltern dagegen verfallen lassen. Sie werden dem Ziel der Gestaltungsfreiheit der Eltern bei der Kindererziehung nur bedingt gerecht. 320 Nicht zuletzt bietet das Kinder- und Jugendhilfegesetz zahlreiche Möglichkeiten und notfalls auch die Möglichkeit staatlichen Eingreifens zum Wohle des Kindes, wenn die Eltern ihrer Erziehungsaufgabe nicht gerecht werden und die Gefahr des Mißbrauchs der Geldleistungen für die Kindererziehung und der Vernachlässigung der elterlichen Pflichten besteht.321

317 Vgl. Österreichisches Institut ßr Familienforschung (ÖIF), Rohbericht zum Projekt „Entwicklung von Modellen eines Kinderbetreuungsschecks und Analyse der Auswirkungen" (Machbarkeitsstudie Kinderbetreuungsscheck), 1998, S.63. 318 Siehe oben 2. Kapitel Α. V. 4. b) und Β. 1.1. a) cc) und dd). 3,9 Vgl. Österreichisches Institut ßr Familienforschung (ÖIF), Rohbericht zum Projekt „Entwicklung von Modellen eines Kinderbetreuungsschecks und Analyse der Auswirkungen" (Machbarkeitsstudie Kinderbetreuungsscheck), 1998, S.4. 320 Vgl. Christian LeipertlMichael Opielka, Erziehungsgehalt 2000. Ein Weg zur Aufwertung der Erziehungsarbeit, 1998, S. 115.

321 Hans GeislerISimone Wenzler, Die politische Bedeutung des Erziehungsgehaltes vor dem Hintergrund eines zukunftsorientierten Verständnisses von Arbeit, 1999, S. 19. 20 Tünnemann

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3. Kap.: Die Förderung der Familie 7. Abhängigkeit von der Erwerbsarbeitszeit

Einer der umstrittensten Punkte bei der Ausgestaltung des staatlichen Kinderleistungsausgleichs ist die Frage, ob die Leistungen für die Erziehungstätigkeit vom Umfang der Erwerbsarbeitszeit der Eltern abhängen sollen. Deutlich wird die Gefahr gesehen, daß unter den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen eine Subventionierung der familiären Erziehungstätigkeit fast ausschließlich die Nichterwerbstätigkeit der Mütter und nicht der Väter zur Folge hat. Aus diesem Grund lehnen gerade Frauen mitunter jegliche Maßnahme zur Förderung der familiären Kindererziehung ab. 322 Je nach Ausgestaltung des staatlichen Kinderleistungsausgleichs kann sich der Eindruck, die Maßnahmen seien zu sehr auf die Förderung der Erziehungstätigkeit und die Nichterwerbstätigkeit der Erziehenden gerichtet, noch verstärken. Für eine solche Interpretation ist vor allem dort Raum, wo die Gewährung des Erziehungseinkommens an die Voraussetzung geknüpft wird, daß auf eine Erwerbstätigkeit verzichtet wird. 323 Die Gefahr einer grundlegenden Verfestigung der traditionellen Rollenverteilung in der Familie wird vor allem bei Modellen gesehen, die die Erziehungsarbeit über einen sehr langen Zeitraum und unter der Voraussetzung des Erwerbsverzichts oder der deutlichen Reduzierung der Erwerbsarbeitszeit fördern wollen. 324 a) Erwerbszeitabhängige

Ausgestaltung

Bei einer erwerbszeitabhängigen Gestaltung des Erziehungsgeldes richten sich Anspruch und Höhe des Erziehungsgeldes nach dem Umfang der Erwerbstätigkeit der Erziehenden. Es erhalten nur diejenigen die maximale Höhe der Leistungen, die 322

Ellen Kirner/Volker Meinhardt, Allgemeine Arbeitszeitverkürzung und ihre Auswirkungen auf Einkommen und soziale Sicherung, 1997, S.69; vgl. auch Deutscher Frauenrat, Erziehungsgehalt ist kein angemessener Lohnersatz für Mütter. Stellungnahme des Deutschen Frauenrates zum Entwurf des sächsischen Sozialministers, in: Informationen für die frau Nr. 7/8 1998, S.22f. 323 Vgl. Max Wingen, Erziehungseinkommen. Zielsetzungen, Legitimationsgrundlagen und Finanzierungsprobleme, Nr. 13 der Publikationen des österreichischen Instituts für Ehe und Familie, 1999, S.25f.; Wolf gang Hötzel, Erziehungsgehalt - ein zeitgemäßes Modell?, in: EAF, Familienpolitische Informationen 2/1997, S.2; Ellen Kirner, Zum System der Förderung von Kinderbetreuung und Kindererziehung in der Familie durch staatliche Transferleistungen, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S. 136; Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Familienorganisationen (AGF), Offener Brief zum „Erziehungsgehalt", 1998. 324 Wolfgang Hötzel, Erziehungsgehalt - ein zeitgemäßes Modell?, in: EAF, Familienpolitische Informationen 2/1997, S.2; Barbara Stiegler, Mutter, Kind und Vater Staat. Geschlechterpolitische Aspekte des Erziehungsgehalts, Expertisen der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Frauenforschung, 1999, S. 14; Ellen Kirner, Zum System der Förderung von Kinderbetreuung und Kindererziehung in der Familie durch staatliche Transferleistungen, in: Christian Leipert (Hrsg.), Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Strukturreform der Familien- und Gesellschaftspolitik, 1999, S. 135.

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs

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entweder gar nicht oder nur geringfügig beschäftigt sind. Auch das Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz in der alten Fassung ist an Erwerbszeitbeschränkungen gebunden. Lediglich eine wöchentliche Arbeitszeit von 19 Stunden wird als mit der Gewährung von Erziehungsgeld kompatibel angesehen. Anspruchsberechtigt ist zudem nur eine Person. Eine partnerschaftliche Teilung der Kindererziehung zwischen den Eltern wird nicht unterstützt. Dadurch wird die Gestaltungsfreiheit der Eltern für die Arbeitsteilung in der Familie erheblich eingeschränkt. Die 19-Stunden-Grenze des Bundeserziehungsgeldgesetzes ist insbesondere für alleinerziehende Eltern zu niedrig, um einen angemessenen Lebensunterhalt sicherzustellen. Für viele Alleinerziehende ist deshalb die Inanspruchnahme von Sozialhilfe, auf die das Erziehungsgeld nicht angerechnet wird, die einzig wirtschaftlich tragbare Lösung. 325 Nach der Neufassung des Bundeserziehungsgeldgesetzes ist die dreijährige Elternzeit flexibler ausgestaltet und erlaubt eine wöchentliche Arbeitszeit von 30 Stunden für jeden Elternteil. 326 Viele Vorschläge zur Reform des Kinderleistungsausgleichs sehen ähnlich wie das Bundeserziehungsgeldgesetz eine Beschränkung der Erwerbsarbeitszeit vor oder knüpfen die Leistungen an die Reduzierung der Erwerbsarbeit. Das gilt zum Beispiel für das Modell der Elternversicherung, das Modell „Geschützte Teilzeitarbeit für Eltern" von Birgit Geissler und Birgit Pfau, das Modell „Geschützte Teilzeitarbeit für Erziehung und Pflege" des Landesverbandes der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) der Diözese Rottenburg-Stuttgart, die Vorschläge der Arbeitsgemeinschaft der Familienverbände (AGF) zur Reform des Erziehungsgeldes, den Vorschlag von Sabine Hildebrandt-Woeckel für ein Betreuungsgeld oder das Konzept des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) für einen Elternurlaub mit Zeitkonto und Lohnersatzleistung. Es gibt vielfältige Möglichkeiten, die Abhängigkeit des Erziehungsgeldes vom Erwerbsumfang zu gestalten. Die radikalste Lösung ist, den Anspruch auf Erziehungsgeld nur dann zu gewähren, wenn der oder die Erziehende überhaupt keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Das Modell eines Familiengehalts der Deutschen Evangelischen Allianz e.V. geht immerhin so weit, daß das Familiengehalt nur ausgezahlt werden soll, wenn ein Elternteil ausschließlich oder beide Elternteile mindestens je zur Hälfte die Kinderbetreuung übernehmen. Es besteht auch die Möglichkeit, bei voller Erwerbstätigkeit beider Eltern nur einen Sockelbetrag des Erziehungsgeldes zu zahlen und diesen mit abnehmender Erwerbstätigkeit aufzustocken. Dadurch bleibt der volle Anspruch auf Erziehungsgeld denjenigen Eltern vorbehalten, die zusammengenommen zum Beispiel die Hälfte der zur Verfügung stehenden Arbeitszeit der Erziehungsarbeit widmen - sei es, daß ein Elternteil ganztags und der andere Elternteil nicht erwerbstätig ist oder daß beide Eiternteile jeweils halb325 Maximilian Fuchs, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Gutachten F für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S.FllOff.

326

20*

Siehe oben 3. Kapitel Α. II. 3.

308

3. Kap.: Die Förderung der Familie

tags erwerbstätig sind. Dazwischen sind sämtliche Kombinationen denkbar. Den Eltern wird dabei ein gemeinsames Arbeitszeitbudget mit einer begrenzten Anzahl von zulässigen Wochenarbeitsstunden zugestanden.327 Eine solche Regelung setzt keine gezielten Anreize für eine partnerschaftliche Arbeitsteilung, weil auch bei traditioneller Rollenverteilung das volle Erziehungsgeld zur Auszahlung kommt. Im Vordergrund steht hier, daß beide Eltern zusammengenommen ein bestimmtes Zeitbudget der Kindererziehung widmen und dem Betreuungs- und Erziehungsbedarf des Kindes gerecht werden. 328 Durch eine andere Ausgestaltung kann dagegen gezielt die partnerschaftliche Arbeitsteilung gefördert werden und ein Anreiz für die Teilzeitarbeit beider Eltern gesetzt werden, zum Beispiel indem die maximale Höhe des Erziehungsgeldes nur bei beiderseitiger Teilzeitarbeit zur Auszahlung kommt. 329 Einen sehr differenzierten Vorschlag zur Förderung der paritätischen Arbeitsteilung der Eltern macht die Initiative für aktive Vaterschaft e.V. (EFAV) in ihrer Stellungnahme zum Konzept „Erziehungsgehalt 2000" des Deutschen Arbeitskreises für Familienhilfe e.V. Vielfältige Kombinationen der Erwerbs- und Erziehungsarbeit sind denkbar und eine flexible Handhabung der Freistellungszeiten für die Kindererziehung ist wesentliche Voraussetzung für die Gestaltungsfreiheit der Eltern. Fraglich ist allerdings, ob es notwendig und sinnvoll ist, das Erziehungsgeld an die gewährte Erziehungszeit zu koppeln. Eine erwerbszeitabhängige Ausgestaltung des Erziehungsgeldes schränkt die durch Art. 6 GG geschützte Gestaltungsfreiheit der Familie für das Familienleben und die Kindererziehung ein, weil sie immer mit Lenkungswirkungen in Richtung auf eine als ideal angesehene Arbeitsteilung in der Familie verbunden ist. 330 Das gilt selbst für die als Zeitkonto gewährte Erziehungszeit. Möchte ein Elternteil zum Beispiel einer Erwerbsarbeit im Umfang von etwa drei Vierteln der üblichen Wochenarbeitszeit nachgehen, ist er darauf angewiesen, daß auch der andere Elternteil bereit und in der Lage ist, seine Erwerbsarbeitszeit auf ein bestimmtes Pensum zu reduzieren, um nicht das insgesamt zulässige Zeitbudget zu überschreiten und dadurch Einbußen beim Erziehungsgeld hinnehmen zu müssen. Vielfach wird es den Eltern aus beruflichen Gründen nicht möglich sein, die Erwerbstätigkeit

327 Bundesministerium ßr Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG), Erziehungsgeld, Erziehungsurlaub und Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Band 243 der Schriftenreihe, 1989, S.238f.; Maximilian Fuchs, Welche Maßnahmen empfehlen sich, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie zu verbessern? Gutachten F für den 60. Deutschen Juristentag, in: 60. DJT 1994, S. F111. 328 Michael Opielka, Bezahlte Elternschaft. Voraussetzungen und Folgen einer monetären Anerkennung der Erziehungsarbeit durch ein Erziehungsgehalt, in: Andreas Netzler/Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S. 107 f. 329 Michael Opielka, Bezahlte Elternschaft. Voraussetzungen und Folgen einer monetären Anerkennung der Erziehungsarbeit durch ein Erziehungsgehalt, in: Andreas Netzler/Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S. 106 f.

330

Christian Leipert/Michael Erziehungsarbeit, 1998, S.78ff.

Opielka, Erziehungsgehalt 2000. Ein Weg zur Aufwertung der

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs

309

in dem von ihnen gewünschten Umfang zu reduzieren. Die erwerbszeitabhängige Zahlung des Erziehungsgeldes setzt außerdem ein umfassendes, flächendeckendes und kostenloses Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen voraus, damit den erwerbstätigen Eltern für die ergänzende außerfamiliale Betreuung der Kinder keine zusätzlichen Aufwendungen entstehen und die Betreuung in der Familie gegenüber der außerfamilialen Betreuung wieder ökonomisch günstiger wird. Die Ausgestaltung des staatlichen Kinderleistungsausgleichs muß grundsätzlich daran orientiert sein, den Eltern mehr Handlungsoptionen zu eröffnen, und nicht daran, ihnen Wahlmöglichkeiten zu nehmen.331 Deshalb sollte das Erziehungsgeld möglichst wenig Anreize und Lenkungswirkungen entfalten. Wenn die Förderung der Kindererziehung dennoch zu entlastenden Effekten auf dem Erwerbsarbeitsmarkt führt, sind solche Nebeneffekte das Ergebnis verwirklichter Wahl- und Gestaltungsfreiheit der Eltern und nicht gleichzusetzen mit einer gezielten politischen Steuerung des Erwerbsverhaltens. 332 b) Erwerbszeitunabhängige

Ausgestaltung

Bei einer erwerbszeitunabhängigen Gestaltung des Erziehungsgeldes werden Anspruchsberechtigung und Höhe des Erziehungsgeldes nicht vom Umfang der Erwerbstätigkeit des oder der Erziehenden abhängig gemacht. Dem liegt der Gedanke zugrunde, daß die Erziehungsarbeit auch dann anfällt, wenn die Eltern erwerbstätig sind, und in diesem Fall die Erziehungsarbeit - sofern die Kinder nicht sich selbst überlassen bleiben sollen - von Dritten erbracht werden muß. 333 Die finanzielle Unterstützung der Kinderbetreuung unabhängig vom Umfang der elterlichen Erwerbsarbeit geht deutlicher vom Betreuungs- und Erziehungsbedarf der Kinder aus und erkennt jede Leistung zur Deckung dieses Bedarfs unabhängig davon an, wer sie erfüllt. Dem entspricht eine pauschale Anerkennung der Erziehungsleistung unabhängig davon, wo, unter welchen Umständen und von wem sie erbracht wird. 334 Auch das Ziel, die erziehungs- und betreuungsbedingte Einkommensbelastung durch Kinder zu minimieren, läßt sich verwirklichen, indem das Erziehungsgeld unabhängig davon geleistet wird, ob und wie die Eltern die Betreuungs- und Erziehungsleistung 331 Vgl. Michael Opielka, Bezahlte Elternschaft. Voraussetzungen und Folgen einer monetären Anerkennung der Erziehungsarbeit durch ein Erziehungsgehalt, in: Andreas Netzler/Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S. 100. 332 Max Wingen, Erziehungseinkommen. Zielsetzungen, Legitimationsgrundlagen und Finanzierungsprobleme, Nr. 13 der Publikationen des österreichischen Instituts für Ehe und Familie, 1999, S.26. 333 Michael Opielka, Bezahlte Elternschaft. Voraussetzungen und Folgen einer monetären Anerkennung der Erziehungsarbeit durch ein Erziehungsgehalt, in: Andreas Netzler/Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S. 106 f.

334

Max Wingen, Erziehungseinkommen. Zielsetzungen, Legitimationsgrundlagen und Finanzierungsprobleme, Nr. 13 der Publikationen des österreichischen Instituts für Ehe und Familie, 1999, S.21 ff.

310

3. Kap.: Die Förderung der Familie

auf Eigenarbeit in der Familie oder auf bezahlte Drittbetreuung verteilen. Damit wird die familiäre Erziehungsleistung finanziell so gestellt, daß sie nicht gegenüber außerfamilialer Kinderbetreuung wirtschaftlich benachteiligt wird. 335 Dadurch erhält die finanzielle Vergütung den Charakter eines Honorars, mit dem eine gesellschaftlich wichtige Leistung generell anerkannt wird. 336 Dieser Gedanke findet sich auch in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Anrechnung der Kindererziehungszeiten in der Gesetzlichen Rentenversicherung, in der das Gericht betont, daß der Wert der Kindererziehung für die Rentenversicherung nicht dadurch geschmälert oder gar aufgehoben wird, daß die Erziehungsperson während der Zeit der ersten Lebensphase des Kindes einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen ist oder nachgeht.337 Wegen der großen Gestaltungsfreiheit, die ein erwerbszeitunabhängiges Erziehungsgeld bietet, wird diese Ausgestaltung vor allem in Modellen favorisiert, welche die Wahlfreiheit für die Familien besonders betonen.338 Das gilt zum Beispiel für das Konzept „Erziehungsgehalt 2000" des Deutschen Arbeitskreises für Familienhilfe e.V. oder das sächsische Modell eines Erziehungsgehalts von Hans Geisler, aber auch für das Modell eines Kinderbetreuungsschecks des Österreichischen Instituts für Familienforschung (ÖIF). Wird das erwerbszeitunabhängige Erziehungsgeld wie in diesen Modellen mit einer Subjektförderung der familienergänzenden Kinderbetreuungseinrichtungen gekoppelt, bleibt das Erziehungsgeld im wesentlichen anreizneutral und Lenkungswirkungen in Richtung auf eine bestimmte, ökonomisch rationale Arbeitsteilung innerhalb der Familie werden vermieden. Diese Ausgestaltung erleichtert den Eltern die Wahl zwischen verschiedenen Optionen. Ein Wechsel von der Erwerbsarbeit zur Erziehungsarbeit und umgekehrt sowie deren Kombination bleiben in finanzieller Hinsicht ohne gravierende Folgen. 339 335 Vgl. Uta Meier, Stellungnahme aus haushaltswissenschaftlicher Sicht, in: Heidelbeiger Büro für Familienfragen und soziale Sicherheit (Hrsg.), Wissenschaftliches Kolloquium „Erziehungsgehalt" am 21./22. Juni 1996 in Bonn, 1996, S.55 f.; Max Wingen, Erziehungseinkommen. Zielsetzungen, Legitimationsgrundlagen und Finanzierungsprobleme, Nr. 13 der Publikationen des österreichischen Instituts für Ehe und Familie, 1999, S. 14ff.; Kostas Petropulos, Ein Gehalt für Eltern?, in: MUT Nr. 380, April 1999, S. 58. 336 Max Wingen, Erziehungseinkommen. Zielsetzungen, Legitimationsgrundlagen und Finanzierungsprobleme, Nr. 13 der Publikationen des österreichischen Instituts für Ehe und Familie, 1999, S.21 ff. 337 BVerfGE 94, 241 (263 f.). 338 Vgl. Michael Opielka, Bezahlte Elternschaft. Voraussetzungen und Folgen einer monetären Anerkennung der Erziehungsarbeit durch ein Erziehungsgehalt, in: Andreas Netzler/Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S. 116ff.; Wolfgang Hötzel, Erziehungsgehalt - ein zeitgemäßes Modell?, in: EAF, Familienpolitische Informationen 2/1997, S. 3; Max Wingen, Aufwertung der elterlichen Erziehungsarbeit in der Einkommensverteilung. Grundlagen, Möglichkeiten und Grenzen eines „Erziehungseinkommens", in: Aus Politik und Zeitgeschichte Β 3-4/2000, S. 9.

339

Vgl. Max Wingen, Erziehungseinkommen. Zielsetzungen, Legitimationsgrundlagen und Finanzierungsprobleme, Nr. 13 der Publikationen des österreichischen Instituts für Ehe und Familie, 1999, S. 12ff.

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs

311

Durch eine erwerbszeitunabhängige Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs wird den Eltern der Handlungs- und Entscheidungsspielraum für die Gestaltung des Familienlebens und der Kindererziehung eröffnet, den ihnen die staatliche Ordnung gemäß Art. 6 Abs. 1 GG zu gewährleisten verpflichtet ist. Die Zahlung des Erziehungsgeldes unabhängig von der Erwerbsarbeitszeit der Eltern gekoppelt mit einer Subjektförderung der institutionellen Kinderbetreuung ist in allen Einkommensschichten relativ anreizneutral und eröffnet allen Familien einen größeren Gestaltungsspielraum. Anreizneutralität bedeutet auch, daß auf Seiten der Väter kein ausdrücklicher Anreiz zur Reduzierung der Erwerbsarbeitszeit gegeben ist. Sie erlaubt keine gezielte Förderung der partnerschaftlichen Arbeitsteilung zwischen den Eltern. 340 Jede andere Ausgestaltung des staatlichen Kinderleistungsausgleichs schränkt die grundrechtlich geschützte Familienfreiheit und das Recht aller Familien auf Förderung der Kindererziehung ein und ist rechtfertigungsbedürftig. Gleichstellungsorientierte Regelungen mit gezielten Lenkungswirkungen sind nur erforderlich im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips, wenn nicht mildere Mittel zur Verfügung stehen, die weniger stark in den Schutzbereich des Grundrechts eingreifen. Im Rahmen des staatlichen Kinderleistungsausgleichs müssen daher zunächst solche familienfördernden Maßnahmen ergriffen werden, die die bestehenden Nachteile ausgleichen und den Familien und insbesondere den Frauen den nötigen finanziellen Spielraum verschaffen, um selbst und möglichst frei von finanziellen Zwängen entscheiden zu können, welche Art der Kindererziehung und der innerfamilialen Arbeitsteilung ihren Interessen und Prioritäten entspricht. Dann wird den Familien der besondere Schutz der staatlichen Ordnung zuteil, den ihnen die Verfassung verspricht.

VI. Zusammenfassung in Thesen Die folgenden Thesen fassen die Gestaltungsmerkmale eines staatlichen Kinderleistungsausgleichs zusammen, der dem verfassungsrechtlichen Schutz der Familie am ehesten entspricht. Andere Ausformungen des staatlichen Kinderleistungsausgleichs sind möglich, bedürfen aber aufgrund der Abweichung vom verfassungsrechtlichen Gebot der Familienförderung der Rechtfertigung. 1. Zu den verfassungsrechtlichen Zielvorgaben für die Ausgestaltung des staatlichen Kinderleistungsausgleichs gehören die Wahlfreiheit für die Lebensform Familie, die Gestaltungsfreiheit für das Familienleben und die Kindererziehung, die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Chancengleichheit der Kinder. Der staatliche Kinderleistungsausgleich hat die Funktion, Erziehungs340

Michael Opielka, Bezahlte Elternschaft. Voraussetzungen und Folgen einer monetären Anerkennung der Erziehungsarbeit durch ein Erziehungsgehalt, in: Andreas Netzler/Michael Opielka (Hrsg.), Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik, 1998, S. 107.

312

3. Kap.: Die Förderung der Familie und Betreuungsleistungen für Kinder anzuerkennen, erziehungsbedingte Einkommensausfalle auszugleichen, erziehungsbedingte Einkommensbelastungen zu mindern und den individuellen Betreuungs- und Erziehungsbedarf der Kinder anzuerkennen.

2.

Das Förderungsgebot des Art. 6 Abs. 1 GG ist auf horizontale Verteilungsgerechtigkeit zwischen Familien und Nichtfamilien gerichtet. Das Recht auf Familienförderung garantiert eine familiengerechte Behandlung in dem Sinne, daß familienspezifische Besonderheiten, insbesondere der Betreuungs- und Erziehungsbedarf der Kinder, Berücksichtigung finden und einen sozialen Ausgleich erfahren, wenn sie zu Benachteiligungen führen. Damit ist der staatliche Kinderleistungsausgleich Teil der sozialen Förderung.

3.

Art. 6 Abs. 1 GG weist die Aufgabe des Schutzes und der Förderung der Familie dem Staat zu. Die Kosten zur Finanzierung des staatlichen Kinderleistungsausgleichs gehören als Teil der sozialen Förderung zum allgemeinen Finanzbedarf des Staates und sind durch Steuern der Allgemeinheit aufzuerlegen. Unter der Voraussetzung einer sachgerechten, das heißt familiengerechten Besteuerung, wie sie der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Benachteiligungsverbot des Art. 6 Abs. 1 GG verlangt, werden ungerechtfertigte In-Sich-Transfers innerhalb der Gruppe der Familien vermieden.

4.

Art. 6 Abs. 1 GG fordert ganz generell und für alle Familien die Anerkennung und den Ausgleich kinderbedingter Lasten und Leistungen. Das Erziehungsgeld als Instrument des staatlichen Kinderleistungsausgleichs ist daher allen Familien zu gewähren. Der Anspruch auf Erziehungsgeld sollte an das Soigerecht gebunden sein. Es beschreibt eine rechtlich greifbare Familienbeziehung, die nicht jederzeit möglichen faktischen Veränderungen ausgesetzt ist, und begründet die pflichtgebundene Befugnis zur Pflege, Betreuung und Erziehung der Kinder.

5.

Dem auf horizontale Verteilungsgerechtigkeit gerichteten Gebot der Familienförderung entsprechen abstrakt bedarfsorientierte Leistungen, die nach dem Prinzip der sozialen Förderung alle Familien gleichermaßen unterstützen und den Betreuungs- und Erziehungsbedarf aller Kinder gleich bewerten. Unter dem Aspekt der bedarfsorientierten Familienförderung und der Chancengleichheit der Kinder ist ein kinderzahlbezogenes, pauschaliertes Erziehungsgeld sachgerecht. Es ermöglicht den Eltern, dem individuellen Betreuungs- und Erziehungsbedarf jedes Kindes gerecht zu werden. Dadurch wird die Gestaltungsfreiheit der Eltern für das Familienleben und die Kindererziehung gewährleistet.

6.

Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie nach Art. 6 GG gilt nicht nur für sozial schwache Familien, sondern fordert ganz allgemein den Ausgleich kinderbedingter Lasten und Leistungen. Damit das Recht auf Familienförderung nicht leerläuft, muß der Kinderleistungsausgleich horizontale Elemente aufweisen und darf nicht auf bestimmte Einkommensgruppen beschränkt bleiben.

Β. Folgerungen für die Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs

313

Nach dem verfassungsrechtlichen Gebot der Familienförderung sind Familien ganz generell im Vergleich zu Kinderlosen zu unterstützen. Dem entspricht eine einkommensunabhängige Gestaltung des staatlichen Kinderleistungsausgleichs. 7.

Der staatliche Kinderleistungsausgleich zielt auf die gesellschaftliche Anerkennung der Erziehungs- und Betreuungsleistungen für Kinder. Daher sollte das Erziehungsgeld unabhängig vom Einkommen des oder der Anspruchsberechtigten und erst recht vom Einkommen des (Ehe-)Partners oder der (Ehe-)Partnerin gewährt werden. Dadurch erhält das Erziehungsgeld als eigenständige Transferleistung den Charakter eines Honorars für eine gesellschaftlich wichtige Leistung. Aus demselben Grund sollte der Anspruch auf Erziehungsgeld unabhängig davon gewährt werden, ob der oder die Anspruchsberechtigte vor dem Erziehungsgeldbezug erwerbstätig war und wie hoch das bisherige Erwerbseinkommen war. Dies entspricht zugleich dem Prinzip der sozialen Förderung aufgrund pauschalierter Bedarfe.

8. Der staatliche Kinderleistungsausgleich muß zusätzlich an dem Ziel festhalten, mit den Leistungen für die Kindererziehung einen potentiellen oder faktischen Erwerbseinkommensverzicht wenigstens teilweise auszugleichen. Daraus folgt, daß das Erziehungsgeld so hoch bemessen sein muß, daß es auch bei durchschnittlichen oder höheren Einkommen wenigstens als partieller Ausgleich für einen Erwerbseinkommensverzicht angesehen werden kann. 9. Eltern haben ein durch Art. 6 Abs. 2 GG verfassungsmäßig verbürgtes Recht auf die freie Wahl der Art der Kinderbetreuung. Aus der Schutzpflicht des Art. 6 Abs. 1 GG folgt die Aufgabe des Staates, die Kinderbetreuung in der jeweils von den Eltern gewählten Form in ihren tatsächlichen Voraussetzungen zu ermöglichen und zu fördern. Das setzt ein gewisses Gleichmaß der Förderung institutioneller Kinderbetreuung und der Förderung familialer Kindererziehung voraus. Die Finanzierung der Kinderbetreuungseinrichtungen sollte daher umgestellt werden von der Objektförderung, das heißt der Finanzierung der Einrichtungen, auf die Subjektförderung, das heißt die Förderung der Familien. 10. Die Familienförderung muß gemäß Art. 3 Abs. 2 GG an der gleichberechtigten Elternschaft orientiert sein und zugleich gemäß Art. 6 Abs. 1 GG die Entscheidungsfreiheit der Eltern für die Gestaltung des Familienlebens und der Kindererziehung gewährleisten. Der staatliche Kinderleistungsausgleich muß deshalb darauf gerichtet sein, den Eltern möglichst viele Handlungsoptionen zu eröffnen und möglichst wenige Lenkungswirkungen zu entfalten. Das Erziehungsgeld sollte für jedes Kind pauschaliert und unabhängig davon gewährt werden, wo, unter welchen Umständen und von wem die Erziehungsleistung erbracht wird. Dem entspricht die Subjektförderung der institutionellen Kinderbetreuung. Gleichzeitig dürfen Anspruchsberechtigung und Höhe des Erziehungsgeldes nicht vom Umfang der Erwerbstätigkeit des oder der Erziehenden abhängig gemacht wer-

314

3. Kap.: Die Förderung der Familie den. Dadurch können die Eltern frei von wirtschaftlichen Zwängen entscheiden, ob und in welchem Umfang sie die Betreuungs- und Erziehungsleistung auf Eigenarbeit in der Familie oder auf bezahlte Drittbetreuung verteilen.

11. Unter dem Aspekt der Erziehungsförderung und der Wahlfreiheit für die Familien ist eine Orientierung des Erziehungsgeldes am Erziehungs- und Betreuungsbedarf der Kinder in der Art sachgerecht, daß den Eltern die Summe ausgezahlt wird, die zur Finanzierung eines Betreuungsplatzes in der institutionellen Kinderbetreuung aufgewendet werden muß. Dieser Ansatz rechtfertigt ein nach dem Kindesalter gestaffeltes Erziehungsgeld, das in Anlehnung an die Kosten für einen Betreuungsplatz in einer Kinderkrippe, einem Kindeigarten oder einem Schulhort berechnet wird. Danach könnte sich das Erziehungsgeld zum Beispiel für Kleinkinder bis zu drei Jahren auf 1.500 DM, für Kinder im Kindergartenalter auf 1.000 D M und für Kinder im Grundschulalter auf 500DM im Monat belaufen. 12. Die abstrakte Bedarfsorientierung des Erziehungsgeldes am Betreuungs- und Erziehungsbedarf der Kinder entspricht auch im Hinblick auf die Leistungsdauer des Erziehungsgeldes dem Prinzip der sozialen Förderung. Danach erscheint eine Leistungsdauer von zwölf bis 14 Jahren sachgerecht, wobei das Erziehungsgeld mit abnehmendem Betreuungsbedarf - insbesondere ab dem Zeitpunkt der Schulpflichtigkeit der Kinder - reduziert werden kann. Da der Erziehungs· und Betreuungsbedarf der Kinder unabhängig von der Erwerbszeit und der Erziehungszeit der Eltern besteht, sollte der Anspruch auf Erziehungsgeld unabhängig vom Anspruch der Eltern auf Erziehungszeit gewährt werden. 13. Mit dem Erziehungsgeld soll für alle Familien eine Anerkennung der Erziehungsleistung verbunden sein und ein Ausgleich für die familienbedingten Belastungen und Leistungen geschaffen werden. Insbesondere sozialhilfebedürftige Familien haben das Recht auf staatlichen Schutz und staatliche Förderung. Das Familieneinkommen einschließlich des Erziehungsgeldes muß deshalb über dem Sozialhilfeniveau liegen. Eine Anrechnung des kinderzahlbezogenen und damit nicht notwendig existenzsichernden Erziehungsgeldes auf die Sozialhilfe wäre unangemessen, da ansonsten das Recht der Familien auf Förderung leerliefe. 14. Bei den staatlichen Leistungen für die Kindererziehung handelt es sich nicht wie bei den Erwerbseinkommen um Markteinnahmen, sondern um Transferzahlungen. Eine Steuer- und Sozialabgabenpflicht ist daher nicht gerechtfertigt. Die soziale Sicherung der Erziehenden ist durch eine sachgerechte und damit familiengerechte Ausgestaltung der sozialen Sicherungssysteme zu gewährleisten. Das verlangt der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Benachteiligungsverbot des Art. 6 Abs. 1 GG. Eine Verknüpfung mit dem staatlichen Kinderleistungsausgleich, der das Förderungsgebot des Art. 6 Abs. 1 GG erfüllt, ist nicht erforderlich.

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Sachregister Abwehrrecht 115 ff. Alimentationsprinzip 128,133 Anerkennung - der Erziehungsleistung 257 f. - des Betreuungs- und Erziehungsbedarfs 259 f. Arbeitsgemeinschaft der Familienverbände (AGF) 245 ff. Arbeitslosenversicherung 56 Artikel 1 Absatz 1 GG 41,75,121,127 ff., 146, 162, 174, 181 f., 183f., 190ff., 200 Artikel 1 Absatz 3 GG 109,159 Artikel 2 Absatz 1GG 116,146,162,181, 183 f. Artikel 2 Absatz 2 GG 146,158,160,162, 190 ff. Artikel 3 Absatz 1 GG 126 ff., 154, 300 Artikel 3 Absatz 2 GG 102 f., 189 f., 191 f., 193 ff., 254ff. Artikel 3 Absatz 3 GG 189f., 193f. Artikel 6 Absatz 1 GG 110 ff. - abwehrrechtliche Dimension 115 ff. - allgemeine grundrechtliche Schutzpflicht 119 ff. - Benachteiligungsverbot 125ff., 14Iff. - besondere Schutzpflicht 121 ff. - Differenzierungsgebot 126ff., 14Iff. - Diskriminierungsverbot 125 f., 135, 141 ff. - Dogmatik des Rechts auf Familienförderung 161 ff. - Familienbegriff 110 ff. -Förderungsgebot 134 ff., 141 ff. - im Gefüge der Grundrechte 177 ff. - Institutsgarantie 117 f. - leistungsrechtlicher Gehalt 144 ff. - objektive Gewährleistung 118 ff. - Recht auf Familienförderung 150 ff. - Schädigungsverbot 124

- und das Sozialstaatsprinzip 202 f. - wertentscheidende Grundsatznorm 123,124 ff. - Wirkungsweisen 123,124ff. Artikel 6 Absatz 2 GG 178 ff. - Elternbegriff 178 f. - Elternpflicht 180 ff. - Elternrecht 180ff. - Elternvorrang 184 f. - leistungsrechtlicher Gehalt 185 ff. - Pflege und Erziehung der Kinder 179 - Verantwortung des Staates 183 ff. Artikel 6 Absatz 3 GG 188 Artikel 6 Absatz 4 GG 188ff. Artikel 6 Absatz 5 GG 111 Artikel 7 GG 183,184 f. Artikel 12 Absatz 1 GG 197 f. Artikel 20 Absatz 1 GG 41,75,129,133, 146, 171 ff., 198 ff. Artikel 20 Absatz 2 GG 159 Artikel 20 Absatz 3 GG 109,159 Ausgestaltung des Kinderleistungsausgleichs 250 ff., 283 ff. - Abhängigkeit von der Anzahl der Kinder 286 f. - Abhängigkeit von der Erwerbsarbeitszeit der Eltern 306 ff. - anspruchsberechtigter Personenkreis 283 ff. - Bedürftigkeitsorientierung 290f. - Dynamisierung 294 - Erwerbszeitabhängigkeit 306 ff. - Erwerbszeitunabhängigkeit 309 ff. - existenzsichernde Sockelung 293 f. - Finanzierung 276 ff. - Geldtransfers 303 ff. - Leistungsbemessung 288 ff. - Leistungsdauer 296 ff. - Leistungshöhe 288 ff.

Sachregister - Leistungsmodus 300ff. - Leistungszuschläge für Alleinerziehende 292 - Objektförderung 300 ff. - Realtransfers 303 ff. - Richtgrößen 294 ff. - Sozialabgabenpflichtigkeit 298 ff. - Steuerpflichtigkeit 298 ff. - Subjektförderung 300 ff. Ausgleich des erziehungsbedingten Einkommensausfalls 258 Beamtenbesoldung 128, 133 Bedarfsgerechtigkeit 132, 287, 294 Bedarfsprinzip 129 Bedürfnisgerechtigkeit 132 Bedürfnisprinzip 129 Begriffe 274 f. Begründungsansätze 100 ff. Beiträge 280 ff. Beitragsäquivalenz 101 Belgien 90 Benachteiligungsverbot 125 ff. - Abgrenzung zum Förderungsgebot 141 ff., 154 f. - Differenzierungsgebot 126ff., 14Iff. - Diskriminierungsverbot 125 f., 135, 141 ff. Berufsfreiheit 197 f. besonderer Schutz der Familie 121 ff., 124 ff., 144 ff. Betreuungsgeld 243,248,274 f. Bevölkerungspolitik 105 ff., 134 f. Bundeserziehungsgeld 77 f. Bundeserziehungsgeldgesetz - alte Fassung 76 ff. - Entwicklung 212ff. - neue Fassung 216 f. Bundesrat 215 Bündnis 90/Die Grünen 48,213,215,216, 242 f. Chancengleichheit 103f., 201 f., 202f., 256f., 287 Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft Deutschlands (CDA) 223

333

Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU) 46f., 197,213f., 248f. Christlich-Soziale Union (CSU) 213 f., 248 f. Dänemark 90 Deutsche Demokratische Republik 86 ff. Deutsche Evangelische Allianz e.V. 233 Deutsche Hausfrauengewerkschaft e.V. (dhg) 225 f. Deutscher Arbeitskreis für Familienhilfe e.V. 219ff. Deutscher Familienverband (DFV) 245 f. Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) 244 f. Differenzierungsgebot 126 ff., 141 ff. Diskriminierungsverbot 125 f., 135, 141 ff. Dogmatik des Rechts auf Familienförderung 161 ff. Dynamisierung 294 Eingriff 167 ff. Eingriffs- und Schrankenschema 164 ff. Einkommensverteilung 261 f. Elternrecht 178 ff. Eltemurlaub 244 f. Elternversicherung 238 ff. Eltemzeit 216 f. Erziehungsgehalt 219 ff., 223 f., 227 ff., 231 ff., 274f. Erziehungsgeld - Anteil am Sozialbudget 76 - Bundeserziehungsgeld 77 f. - Bundeserziehungsgeldgesetz a. F. 76 ff. - Bundeserziehungsgeldgesetz n. F. 216 f. - Konzeption 79 ff., 140 - Landeserziehungsgeld 78 - Reformvorschläge 214f., 226f., 234, 244f., 245 ff., 248 f. - Terminologie 274 f. - Wirkungen 8Iff. - Zielsetzung 79 ff., 140 Erziehungsurlaub 78 f. Erziehungsverantwortung - der Eltern 180 ff.

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Sachregister

- des Staates 183 ff., 188 Europäische Union 97 ff. Evangelische Aktionsgemeinschaft für Familienfragen (EAF) 245 ff. Existenzminimum 41 ff., 46 ff., 57 f., 72, 74, 132f., 162, 200, 217, 260, 293f. Familie - Aufgaben 63 f. - Begriff 18f., llOff. - Besteuerung 37 ff., 59,62,127 f., 132 f.

- Defizite 65 f. - Einkommensarmut 25 f., 57 f. - Einkommenssituation 23 ff. - finanzielle Belastungen 20 ff. -Förderung 134 ff., 150ff., 208 ff. - Funktionen 63f., 112ff. - Leistungen 63 f. - Nutzen 64 f. - Sozialversicherung 5 Iff. - Transferbelastung 58 ff. - und Beruf 29 ff. - verfassungsrechtlicher Schutz 109 ff. - wirtschaftliche Lage 19 ff. - wirtschaftlicher Wert 67 ff. - Wohnsituation 27 f. Familienbund der Deutschen Katholiken 234 Familienfonds 280f. Familienforderung 208 ff. - Anforderungen an die Ausgestaltung 250ff., 283 ff. - Förderungsgebot 134 ff. - Maßnahmen 76ff., 139f., 216f. - Recht auf Förderung 150ff. - Reformvorschläge 218 ff. Familienfreiheit 115 ff., 135,165 ff., 196f., 197 f., 252 ff. Familiengehalt 230f., 233,274f. Familiengeld 248f.,274f. Familiengerechtigkeit 132,139,165 ff. Familienlasten- und Familienleistungsausgleich - Begriffe 70 ff. - Entwicklung 46 ff. Familienpolitik 76 ff.,208 ff. - im europäischen Vergleich 88 ff.

- Reformvorschläge 218 ff. Familienschutzbestimmungen - internationale 205 ff. - landesverfassungsrechtliche 204 - supranationale 205 ff. - verfassungsrechtliche 110ff., 177 ff. Familiensplitting 40 f. Finanzierung des Kinderleistungsausgleichs 276 ff. - Beiträge 280 ff. - Einnahmearten 278 ff. - Finanzbedarf 276 f. - Finanzierungsverfahren 277 f. - Sonderabgaben 278 ff. - Steuern 282 f. Finnland 91 Förderungsgebot 134 ff. - Abgrenzung zum Benachteiligungsverbot 141ff., 154 f. - Ausgleich tatsächlicher Nachteile 135ff., 157 - Recht auf Förderung 150ff. - tatsächliche Besserstellung 134f., 136, 157 Förderungsprinzip 271 ff., 283,290, 291 f., 294,296,298 Frankreich 91 f. Freibetragslösung 39 f. Freie Demokratische Partei (F.D.R) 46 f.,

216 Funktionen des Kinderleistungsausgleichs 257 ff. - Anerkennung der Erziehungsleistung 257 f. - Anerkennung des Betreuungs- und Erziehungsbedarfs 259 f. - Ausgleich des erziehungsbedingten Einkommensausfalls 258 - Minderung der erziehungsbedingten Einkommensbelastung 258 f. Fürsorgeprinzip 270 ff., 290 ff. Geisler, Hans 223 f. Geissler, Birgit 240f. Generationenvertrag 49 ff.

Sachregister Gestaltungsfreiheit 166f., 182f., 187 f., 196f., 252ff., 286, 287, 305, 308f., 310 f. Gleichartigkeit von Erziehungsarbeit und Erwerbsarbeit 101 f. Gleichberechtigung der Geschlechter 102f., 193ff., 254ff., 285f., 291, 311 Gleichwertigkeit - der familialen mit anderen Lebensformen 103 f. - von Erziehungstätigkeit und Erwerbstätigkeit 102 f. Habermann, Michael 281 Hildebrandt-Woeckel, Sabine 248 Humanvermögen 64 f., 68 f. Initiative Eltern für aktive Vaterschaft e.V. (EFAV) 221 f. Institutsgarantie 117 f. Italien 93 Justitiabilität 155 ff. Katholikenrat im Bistum Trier 231 ff. Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) - Katholische Arbeitnehmer-Bewegung Süddeutschlands 230 f. - Landesverband der Diözese RottenburgStuttgart 241 f. Kinderbetreuungseinrichtungen 34ff., 84ff., 140,191 f. - Anspruch auf einen Kindergartenplatz 35, 85 f., 186 ff. - Objektförderung 300ff. - Staffelung der Kindergartengebühren 137,171 ff. - Subjektförderung 300ff. Kinderbetreuungsscheck 236 ff. Kinderfreibetrag 39ff., 74,139f., 141 ff. Kindergeld 39ff., 74,139f., 141 ff. Kindergeldlösung 39 f. Kinderkosten 20 ff. - Anteil staatlicher Leistungen 73 ff., 87 - direkte Kosten 20f. - Existenzminimum 41 ff.

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- Gesamtaufwand 22 f. - Opportunitätskosten 22 Kinderlastenausgleichskasse 281 Kinderleistungsausgleich - Ausgestaltung 76ff., 139 f., 250ff., 283 ff. - Begriffe 73,274 f. - Einordnung 260 ff. - Finanzierung 276 ff. - förderungsorientierte Lösungsansätze 271 ff. - Funktionen 257 ff. - fürsorgeorientierte Lösungsansätze 270 f. - im Steuersystem 262 ff. - im System der sozialen Sicherung 265 ff. - Maßnahmen 76 ff., 139 f., 216 f. - Reformvorschläge 218ff. - und Kinderlastenausgleich 73,139 f.,

260 - verfassungsrechtliche Zielvorgaben 252 ff. - versicherungsorientierte Lösungsansätze 265 ff. - versorgungsorientierte Lösungsansätze 268 ff. Kindheitsversicherung 236 Krankenversicherung 55,60ff., 130f. Landeserziehungsgeld 78 Landesfamilienrat Baden-Württemberg 235 Leistungsäquivalenz 102 Leistungsgerechtigkeit 72,132 Leistungsrechte 144 ff., 150ff., 185 ff., 188 ff. - Begründung 144ff. - soziale Grundrechte 150 ff. - Teilhaberechte 152ff. Lohn für Familienarbeit 225 f., 230f., 274f. Lösungsansätze 262 ff., 265 ff. Luxemburg 93

336

Sachregister

Minderung der erziehungsbedingten Einkommensbelastung 258 f. Modelle - Betreuungsgeld 243,248 - Elternurlaub mit Zeitkonto und Lohnersatzleistung 244 f. - Eltemversicherung 238 ff. - Erziehungsgehalt 219ff., 223 f., 227 ff., 231 ff. - „Erziehungsgehalt 2000" 219ff. - Erziehungsgeld 214f., 226f., 234, 244f., 245 ff., 248 f. - Familienfonds 280 f. - Familiengehalt 230f., 233 - Familiengeld 248 f. - „Familiengemäßes Einkommen" 234 - „Geschützte Teilzeitarbeit für Eltern" 240 ff. - „Geschützte Teilzeitarbeit für Erziehung und Pflege" 241 f. - Kinderbetreuungsscheck 236 ff. - Kinderlastenausgleichskasse 281 - Kindheitsversicherung 236 - „Lohn oder Gehalt für Familienarbeit" 225 f. - Sachsen 223 f.

- Trier 23 Iff. - Vereinbarkeitsgesetz 249 f. - Weidener Erklärung 230 f. - „Zeit und Geld für Kinder" 242 f. Mutterschaftsgeld 75, 139 Nachteilsausgleich 135 ff., 141 ff., 154 f.,

260 Norwegen 93 f. Objektförderung 300 ff. objektive Gewährleistung 118 ff. Ökologisch-Demokratische Partei (ödp) 227 ff. Opportunitätskosten 22 Österreich 94 f. Österreichisches Institut für Familienforschung (ÖIF) 236 ff.

Parallelitätsmodell 3 Iff. Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) 216, 249 f.

Pfau, Birgit 240 f. Phasenmodell 3Iff. Polen 95 politische Motive 105 ff. - gemeinwohlorientierte Ansätze 105 ff. - individualorientierte Ansätze 107 f. prima facie-Recht 161 ff. Prinzip der steuerlichen Leistungsfähigkeit 39ff., 127 f., 132f. Prüfungskompetenz der Gerichte 159 ff. Recht auf Familienförderung 150 ff. - als Leistungsrecht 150 ff. - als prima facie-Recht 161 ff. - Begründung 144 ff. - Dogmatik 161 ff. - Eingriff 167 ff. - Justitiabilität 155 ff. - Prüfungskompetenz der Gerichte 159 ff. - Schranken 171 ff. - Schranken-Schranken 173 f. - Schutzbereich 165 ff. - Subjektivität 156ff. - Verbindlichkeit 156 - Verletzung 175 ff. Reformvorschläge 218 ff. Regenerationsfunktion 64 Rentenversicherung 54 f., 62,131 Reproduktionsfiinktion 64 Rönsch, Hannelore 279 sächsisches Modell 223 f. Schädigungs verbot 124 Schranken 17 Iff. Schranken-Schranken 173 f. Schröder, Hannelore 236 Schutz der Mutter 188 ff. Schutz des ungeborenen Lebens 190 ff. Schutzbereich 165 ff. Schutzpflicht des Staates - im allgemeinen 119 ff. - im besonderen 121 ff. Schweden 96 f. Sonderabgaben 278 ff. Sozialbudget 73 ff.

Sachregister Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) 46,48,214,215,216 soziale Gerechtigkeit 132,198 ff., 283 soziale Gleichheit 201 f. soziale Grundrechte 150 ff. Sozialhilfe 25 f., 57 f., 75,129 Sozialisationsfünktion 64 Sozialprinzip 130 f. Sozialstaatsprinzip 41,75,129ff., 146ff., 162, 171 ff., 174,198 ff. - Gewährleistungsgehalte 199 ff. - Herstellung sozialer Gleichheit 201 f. - Sicherung des Existenzminimums 200 - Sicherung gegen die Wechselfälle des Lebens 200 f. - und Schutz der Familie 202 f. Sozialversicherung 51 ff., 130f., 265 ff. Steuergerechtigkeit 72, 127f., 132f. Steuern 282 f. Stopp, Konrad 226f. Subjektförderung 300ff. Subjektivität 156 ff. Teilhaberechte 152 ff. Terminologie 274 f. Transferausbeutung 61 f. Transferbelastung 58 ff. Trennung des Kindes von der Familie 188 Trierer Modell 23 Iff. Tschechien 97

22 Tuennemann

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Umverteilung 261 f. Verband alleinerziehender Mütter und Väter e.V. (VAMV) 245 ff. Verhältnismäßigkeitsprinzip 165,173 f. versicherungsfremde Leistungen 130 Versicherungsprinzip 130,265 ff., 281 f., 288 ff. Versorgungsprinzip 268 ff., 283,289 f. Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung 67 ff. Vordenker bezahlter Erziehungsarbeit 209 ff. Wahlfreiheit 166,187f., 252, 287,296, 310 Weidener Erklärung 230 f. Wertentscheidung des Grundgesetzes 123, 124 ff., 144 ff. Wohngeld 128 f. Zielvorgaben 252 ff. - Chancengleichheit 103 f., 201 f., 202 f., 256 f., 287 - Gestaltungsfreiheit 166 f., 182 f., 187 f., 196 f., 252 ff., 286,287,305,308 f., 310f. - Gleichberechtigung der Geschlechter 102 f., 193 ff., 254ff., 285 f., 291, 311 - Wahlfreiheit 166,187 f., 252,287,296, 310