Der Bär. Illustrierte Wochenschrift für vaterländische Geschichte [19]

Citation preview

tf

er

ar.

oJ

lllustvirvie MoHenfHvift für valrrlänöisHc WesHiclilr. vorzüglich für die Geschichte der WoHeUMllevN, der Raiserstadt und der

Merlin

Mark Rranäenüurg.

Unter Mitwirkung von

Dr. R. K6rittguier, Dr. ). Krendickc, Theodor Fontane, Stadtrat E. Friedet, Ferd. Meyer, Gymnasialdirekt Dr. M. Schrnartz und Ernst non Mildenbruch herai^gegeben von

Friedrich Zillessen

und

Richard George.

Jahrgang XIX. (Oktober H892 bis Lüde Dezember (895.)

Werlin

)§Ss.

Verlag der Buchhandlung der Deutschen Lehrer-Zeitung (Fr. Zillessen). Berlin N.

58, Schönhauser

Allee i+i.

%tto

-M?P 1

Zflkä iiidu i-l‘ (W .





1

ii

?nz t ia).

Siadtbficherei

DE-r^ LTMksMe

$4

*

'1

U.

2j

/**

rr, ■$?

i‘ S.lli, Zf

1

Gedichte.

Elchberg.

Am Grabe Heinrichs von Kleist, von Fritz 3

Mönch Hermann von Lehnin, von M. von Buch 6, 18, 28, 39, 54, 82, 90, 103, 114, 126, 135, 154, 162, 174, 187, 196. Im Herbste, von Gustav Falke (m. Abb.) 35 An unsere Spree, vom Scharfenbcrger . 106 Lehmanns Wüstengroll, von Rich. SchmidtCabanis Zum 150. Geburtstage des Fürsten Blücher, von Al. Kurs Dem Kaiser! von F. Brunold Friesack, von Dietrich Denkst du des Tags? von F. Brunold . 287 Dem Fürsten Bismarck (m. Abb.), von Ernst von Das Opfer, von Fritz Eichberg Wer kommt auf dem Mühlendamm? vom

.128 .142 .205 ■

Hafner.235 .

Wildcnbruch.335 .430

Scharfenberger.466

Berliner Münzfund, vom Scharfenberger . 479 Die drei Adler, von Dietrich Hafner . . . 625 Der Schlangenring, von Wilh. Ant. Wegener 779

Abb.).487

Epheuschlucht im Viktoriapark, von (m. Erinnerungen, hohenzollernsche,

vr.

C. Bolle

aus der Schweiz, von Ernst Friedcl 9, 20, 30, 40 Erinnerungen aus und nach der Zeit der Großen Garde, von Gustav Beyer 609, 620 Erinnerungen an die Berliner Kadettcnzeit 668, 680 vor 40 Ernst II. von Koburg- Gotha izum Heimgang . 654 eines deutschen Fürsten, m. Abb.) . Familienleben, fürstliches, von Heinrich Wagner 417, 428, 440, 454, 475, 480. Fontainen im Park von Sanssouci, von Heinrich Friedrich I. als Fürsprecher der Hugenotten 478 am Zarcnhofe, von Hermann Dalton Friedrich der Große als dramatische Person auf der Bühne des vbeätre kraneais, von vr. Gustav . 190, 202 Friedrich Franz II., von A von Schmidt 619, 631, 639. 655. Fürstenwalde und die Rauener Höhen, von

Jahren.

.

Wagner.561,571 .

.

Albrecht..

Fcrd.

Meyer.598

Müller-Bohn.

Gedächtnis einer Edlen, zum, von Hermann

II. Romane, Erzählungen und Novellen. Fürs Vaterland, von Julius R. Haarhaus 1. 13. 25, 37, 49, 61, 73, 85, 97. Der Ferncmüller und sein Weib, von Rudolf

Eckart 108, 124, 138, 148, 164, 176, 183. 199, 210, 219. Weihnachtsmarkt, der letzte, von G. H. Schneidcck 121, 133, 144. Verrat und Treue, von E. H. von Dedenroth 156, 169, 181, 193, 206, 217, 229, 241, 253, 265, 277, 289, 301, 313, 325, 337, 349, 361, 373, 385, 397, 409, 421, 433, 445, 457, 469, 481, 493, 505, 517, 529, 541.

Bliß.236

Sein Wille, von Paul Die Schloßfreihcit, von G. H

Schneideck 414, 426, 438, 452, 466. Eine interessante Bekanntschaft, von Carlot 486, 498 Wie Straßburg an Frankreich kani, von Fritz Lienhard 533, 556, 567, 578, 591, 603, 615. Der rote Adler auf der Marienburg, von Ai. Frey 558, 564, 577, 589, 601, 612, 626, 637, 649, 661, 673, 685, 697, 709, 721, 733, 745, 757, 769. Ein Blatt aus der Geschichte der Hohcn633, 642 zollern, von M. Die verwunschene Prinzessin, von Eduard

Neuling. Locbell.

Bertz.718 ..781

Ein Bräutigam auf Königlichen Befehl, von A. Bandholtz

III

Geschichtliche, kulturgeschichtliche und landschaftliche Anfsätze.

(Entwürfe).259

Augusta-Dcnkmal Ausstellung von Wohnungseinrichtungen, von Robert 32 Bardcnstammcs, des, Sicdclung in 510 Schwabens Bauern, aus der Geschichte des deutschen, von Robert Mielke (m. Befreiungskriegen, aus den, von Fritz Beyer

Mielke.16, Auen'.499,

Abb.).728

294, 310. 316, 833.

Berlin in

den Tagen vom 20. August bis

12. September 1813, von vr. E. Wehr 574, 583, 594. Besuch in Berlin auuo 1828, von Paul

Bellardi.784

Mielke.704 t

Buch, ein französisches überBerlin, von Robert

Dahms.715,

Dörfer der Mark, von O. Schwebet

und

726 C. Entstehung eines Buches, von F. Brunold 46

776, Gedenktafeln, Berliner, von Paul SchmidtNeuhaus 520, 531, 564, 476. Generalversammlung des Gesamtvereins der deutschen Geschichls- und Altertunisvereinc in Stuttgart, von Karl Wilke . . . 643, . . 357, Großlübbenau, von K. Fehlisch Heimgang e. deutschen Fürsten (m. Abb.) Höhenverhältnisse von Berliner Baudenk¬ mälern (m. Abb.), von Reinh. Schmidt Hohcnzoller, auch ein, von Gustav Beyer 297, 304. Jnnungsleben der guten alten Zeit, von .

782

...

I.

129, 141.

528 92

Abb.).512 .286

Sieger von Wörth (m. Sophienkirche, von Georg Buß Sprembergs1000jährigeJubelfeier(m.Abb.), von vr. Gustav Albrecht . . 523, 535, 547 Sprichwörter, wendische, von Müschner . 785 Streifzug, ein märkischer, auf Schlittschuhen, von Karl Gotthard 248, 260, 275, 279 Strobcnd, Familie, von vr. R. Beringuier 234 Sudermann, Heinrich, und seine „Heimat", vr. Albert Theater Unter den Linden (m. Abb. 23, 107,171 Türkenhäuser zu Charlottcnburg, von vr. .

.

.

.

Stern.343 Brecht.

C. 691 Urkundenfund in Mittenwaldc, von Richard

■..

George.703:731 .

658 368 654

561

179

221 284 786

...

haas.664

Luise, Königin, in der plastischen Kunst (m. Abb.) von Panl Schmidt-Ncuhaus 280. — Einzug in Berlin 1793, von H. Müller-Bohn 776. 782. Marienkirche, Orgel 588; Umbau (m.Abb.) von Richard George 607; Turmknopf 576 Marquardt als Herrensitz der Familie von Bischofswerder, von Marie Helwing-Pinto 224 Mittenwalde, Urkundenfund, von Richard . George 703; 731 Mühlendamm, Bauten (m. Abb.) 43 l; von 449, 461 Zckeli stnit Abb.) Müllensiefen, Julius (m. Abb.) . . . 754, 763 Nähnadeln, die ältesten, von E. Lemke 537, 548 (in44, 56, 68 Nauen Nationaldcnkmal für KaiserWilhelm (m.Abb.), von Rob. Mielke 208; Abb. 348; 707. Neuzelle (m. Abb.), von Karl Gander 51, 67 Palais-Rettung, von Richard George 207; 413 „ „ „ Dr. Gustav Albrecht 889 Pflanzensymbolik, märkische, von E. Handt231, 245, 255, 278 De Pradcs, von E. Gebauer . 318, 330, 343 Pritzwalk (m. Abb.), von Richard George 586, 595 Rabcnstein (m. Abb.) von Franz TiSmar 292 Räuber, die, von F. Brunold Reichskleinodicii, die deutschen. Von A. B—tz 501 Reichstagsgcbäude, das deutsche (in. Abb.), 753, 761 von Georg Buß Rixdorf, das alte und das neue, von vr. 666, 678, 690 A. Giesc

\

Abb.).

mann.

Winterfeldt.355

von M. Pohlandt . 550 Viktoriapark s. Epheuschlucht, Vornamen-Verbrämungen, von E. Handt-

.235 Meyer.• ....

463 267

Verlegung der Universität Frankfurt a./O.,

Paul Bellardi

Keller, vom „dusteren", bei Berlin, von Fcrd. . . . . 152, 159, Kolonie, französische, bis zum Edikt von Potsdam, von vr. R. Beringuier 212, „Laufen Sic doch nicht so!" von F. Brunold Leute, die kleinen, von Luc Gersal Leutingers Dopogiupdia Llareblae, von vr. Carl Bolle 320, 327, 340, 352, 366. 379, 394, 403. London und Berlin, von Or. Paul Schell-

Seite

Schifibauerdamm und seine Umgebung, von Ferd. Meyer . 370, 376, 400, 436, 451, Schneeschuh in der Armee (m. Abb.) . . . Schuberts Beziehungen zu Preußen, von A. F. von Schultheißbrauerei (m. Abb.), von B. Muschi 474; Kinderheim (m. Abb.) . . Sebastianskirche im. Abb.) von E. Kolbe . Seidenindustrie im 18. Jahrhundert 100,117,

.99

.

mann.405 Gritzncr.79,

Wappen, bürgerliche, und deren Führung. von M. Weihnachtsprämie für die Leser des „Bär" (m. Abb.) von Richard George Wiesenburg (m. Abb.), von Franz TiSmar Wittenberg (m.Abb.) 62, 75; Festzug (m. Abb.) 155: Abb. 359. Wobthätigkeits-Vorstellung im Kgl. Schau¬ spielhause, von A. von Winterfeld v. Wuthenau, Heinr. Jord. (m. Abb.), von vr. Georg . Wuthenau, Zechcrrclief im Grunewald, von Vr. Gustav

....

87

111 243

... Schmidt.• Familie.741

4

381

Albrecht.55

Zwei Jahre in Frankreich, von E. Tafel 249, 258, 271.

IV. Kleine Mitteilungen.

Abb.).670

Adami, Hofrat im. Albert, König von Sachsen -m. Abb.) Alfred von Koburg-Gotha (m. Abb.)

.659 .

.

.

.

.

.

694 659

Amazone.491

Arbeiter-Kolonie Asyl für Obdachlose (m. Audienz bei Friedrich Wilhelm Bauten, Berliner (m.

Abb.).383 IV.

Abb.).641 .204 .

.

.

.

167

Abb.).496

Beichtkapelle bei St. Hedwig Belagerung einer mittelalterlichen (m. Belagerung einer Burg (m. Abb.) .

Stadt

Berichtigung.239 Berlins.659 Bevölkerung

Bild,

.

.

.

a97

zwei.515 .623

ein historisches, in Charlottenburg Biographien, Bismarck und Helmerding Blücher Dcnkmal bei Kaiib (m. Abb.i . . Blüchers Blücher im Kreise Flatow

.

59

.203 f.683

Spielschuld.192

Brecht,

I)r. Karl

.

Bronsart von Schcllcndorf (m. Abb.) . . . Buchhändler, Berliner (Korporation) . . . Bürgerwehr, Berliner, 1620 v. Caprivi bei Scanne la Rolande.... Caulaincourt und die deutsche Sprache . . Chamacrops Cholera und die Distanzradfahrt (m. Dokument, Entdeckung Dom 35; der ältere (m. Abb.) 47; Sprengung (m.

167

743 155 719 359 83

humilis.588 Pest.215

Abb.).515 eines.36

Abb.).'.395

Abb,).383

647 Domlinde in Braunschweig (m. Abin) . Dorfeingang (m. Ebers, Georg, und seine Villa zu Tutzing .

(m.

Abb.).576 Abb.).790

Ehrenbürger-Medaillen (m. Abb.)

.

.

Emmauskirche (m. „Endlich Arbeit gefunden!" (m. Abb.) Engel) Joseph (m.

670, 706

Abb).96 Erbssuppe.611 .

.

448

„Ich hab's

635 239 48

.336 .

.

.

600, 624

Frauen, 23, 276 Freimaurer int Munde des Volkes Friedrich d. Gr. Friedrich d.Gr. bei einer Truppenbesichtigung .

.

..160—161

(nt. Abb.) . . . Friedrich d. Gr. in Sanssouci (m. Abb.) Friedrich d. Gr. als Schiedsrichter.... Friedrichs des Großen Friedrich d. Gr. und die deutsche Sprache . Friedrich d. Gr. als Friedrich, Kaiser, als Wunderdoktor Friedrich, Kaiser, und die Sachsenhäuser . Friedrich, Friedrich, Kaiser, und der kleine Deserteur . Friedrich, Kaiser,Denkmalbci Wörth (m. Abb.) Friedrich, Kaiser, als Friedrich, Kaiser, als Lebensretter . Fritz, unser, auf dem Unterokfizierposten Friedrich Wilhelm, Kurvrinz, in Gefahr

407 456

Tod.491

564

Komponist.611

...

11

Kaiser.179

59

....

Kaiscrdcnkmal auf Hohcnsyburg tnt. Abb.) 706 Kartenspiele Kirchcnraub im alten 299 Kirschner, Bürgermeister (nt. Abb.) Kleist, Franz Königserle zu

Dom.587

(m.

Friedrich Friedrich Wilhelm I. und sein Hoflieferant Friedrich Wilhelms I. Handhabung des Duells Friedrich Wilhelm III. und die Eisenbahnen Friedrich Wilhelms III. erhabene Worte . Friedrich Wilhelm IV. Charakterzug . .

.83 .107

Luise, Königin, von Kannegießer (nt. Abb.) 872

Mann in trüber Maurer und

. 347 von Mecrscheidt-Hüllessem (nt. Abb.) Menzel in der Kunstausstellung (nt. Abb.) 707 .

Militärgewchre

Abb.).263 .

(nt.

.

Abb.).790 .

539

Abb.).737 erste.227

der Ostercensuren (nt. Pagenstreiche

Abb.).312, ).203

323

Rahnsdorf (nt. Abb Ratibor, Herzog von (nt.

Abb.).276 Abb.).443 Abb.).95 Rubinslein.155 Abb.).23 Äalksteinlager.287 Gigerlhosen.252 Rumpelmettc.323 Abb.).694 Volkes.647 Schneeschuhsport.155 Geheimnis des Jagdschlosses Grunewald . 23 „Genießen will ich, glühend heiß genießen!" 148 Geßner, Theresina (m.

Thomas,

Tierschutzverein

192 „Tragödien hat das Leben genug" Ulanen, Verbrennen von Wertpapieren (nt. Abb.) . . 35 Verkaufsstellen, 432, 467 Verwünschte in Sanssouci

öffentliche.263

.... Berlins.287 Abb.).407 Volksgebräuchc.■ .707 Vnlletrinkcn.239 einer?._• Viehbestand Voltaire (nt.



Vossische

Warum nur

Abb.).694 Abb.).748 Abb.).7-19

Rieselfelder int. Rominten (nt.

„Hohenzollern" Honorar,

. Minterfold. Um die Mine der fünfziger Jahre unseres Jahrhunderts sollte im Königlichen Schanspielhanse in Berlin zu einem wohlthätigen Zweck eine Matinee stattfinden. Es galt, einer

jungen, talentvollen und beliebten Hofschanspielerin,*) welche nach schwerer Krankheit einem langen Siechtum verfallen mar, die Mittel zu einer Badereise zu verschaffen. Die ersten Künstler und Künstlerinnen der königlichen Bühne, wie Dcssoir, Döring, Liedke, die Damen Crelinger, Hopps, Fuhr, Viereck und die damals eist kürzlich engagierte Frau Frieb-Blumaner hatten bereitwilligst ihre Mitwirkung versprochen. Die mächtigste Anziehungskraft ans das Publikum übte aber die Zusage zweier zufällig in Berlin anwesenden hoch¬ berühmten Künstlerinnen aus, von denen die eine erst vor wenigen Jahren, die andere bereits seit Dezennien von der Bühne geschieden waren, dem edlen Zweck ihre Mitwirkung zu leihen. Es waren keine geringeren als die große Tragödin Sophie Schröder und deren nicht minder berühmte Tochter, die geniale, dramatische Sängerin Milbe Imine SchroderDevrient, welche letztere nicht nur in Deutschland, sondern auch in Paris und London, wo man sie nach ihrem „Fidelio^ „the queen of teaTs“ genannt, neben der Malibran uird der Somag die größten Triumphe gefeiert hatte.

Diejenigen, welche diese beiden Knnstgrößen während ihrer Glanzzeit nicht halten bewundern können, waren glücklich, unverhoffterweise nachholen zu dürfen, auf die Auffrischung früherer, bliebener Eindrücke sich erfreuten.

dies

der Aussicht

mährend andere unvergeßlich ge¬

So war denn der Andrang zur Matinee ein enormer, und

viele mußten

enttäuscht ohne

Billet

die Kaffe verlassen.

Der Tag der Vorstellung — ein Sonntag — war heran¬ Das überfüllte Haus befand sich in einer ungewöhnlicheit Spannung und Aufregung. Ueberall sprach man von den beiden Schröder und hörte wohl hier und da Aeußerungen, wie: „Die Tochter mit ihren fünfzig Jahren mag schon noch ein Lied wirksam singen können; aber wie es die fünfundsiebenzigjährige Mutter noch wagen darf, anfzulrelen, ist schwer gekommen.

begreiflich." Die Vorstellung beginnt. Die Darbietungen der heimischen Künstler werden zwar mit freundlichem Beifall belohnt, jedoch etwas zerstreut und unaufmerksani angehört. Alles wartet mit Spannung aus die dritte Nummer des Programms, welche folgendermaßen lautet: a)

„Er, der Herrlichste von allen",

Lied

von

Robert Schumann. b) „Erlkönig", Ballade von Franz Schubert, gesungen von Frau Wilhelmine Schröder-Devrient. Endlich ist der ungeduldig erwartete Moment da: der Vorhang hebt sich, ein Flügel steht auf der Bühne, eine atem¬ lose, erwartungsvolle Stille herrscht. Da tritt eine hohe Frauengestall, in eine Robe von dunkelbrauner Noirss

4

»■

antique —

ein damals moderner,

schwerer Seidenstoff

gekleidet, aus dem Hintergründe langsam hervor.

Das

volle, dunkelblonde Haar ist einfach ohne jeden anderen Schmuck über der hohen Stirn gescheitelt.

Ein allgemeiner, herzlicher Applaus begrüßt die große Künstlerin, welche leicht das stolze Haupt neigt. Dabei liegt ein mehr schmerzlich-wehmütiger als freudiger Ausdruck in den ernsten, etwas scharf gewordenen Zügen. Wer sie vor zwanzig bis dreißig Jahren in der Blüte lebensfreudiger Schönheit gesehen, erkennt sie kaum wieder; wer sie überhaupt nie er¬ blickt. begreift schwer, wie ihre Anmut einst alles hingerissen haben soll.

Der Applaus ist verhallt, die Sängerin tritt an den Flügel und flüstert einem Herrn, welcher inzwischen gänzlich unbemerkt erschienen ist und vor dem Instrument Platz ge¬ nommen hat, einige Worte zu. Er präludiert ein wenig und geht dann in die kurze Einleitung des schönen Schumannschen Liedes über.

...

die Sängerin Atemlose Stille Herrlichste von allen" — —

Aber

ach,

die

einst

so

beginnt:

„Er,

gestorbene

August« Bernhardt.

der

prachtvolle Stimme ist gänzlich

Alle be¬ Mangel traurigen Deklamation vermag den Kraft seelte der gesungen und nicht zu ersetzen. Ein Lied will doch einmal nicht deklamiert sein. So war denn der Vortrag ein pein¬ liches Ringen mit dem unmöglich Gewordenen — peinlich für die Künstlerin, peinlich und mitleiderregend für die Zu¬ hörer — und man merkte dem gleichwohl erfolgenden Applaus an, daß er nur ein Zoll der Achtung für eine große Ver¬ gangenheit war, nicht für die gegenwärtige Leistung. Ebenso verlief der Vortrag des „Erlkönigs", mit welchem Wilhelmine Schröder einst den greisen Goethe so hingerissen hatte, daß er sie segnend auf die Stirn geküßt. Halb war es Deklamation, halb wenig schön klingender Gesang. Der pietät¬ volle Hervorruf vermochte die allgemeine Enttäuschung nicht zu Der aufmerksame Beobachter erblickte auch nichts maskieren. von Genugthuung und Freude im Angesicht der Schröder, als sie sich dankend verneigte, wohl aber mühsam verhaltenen Schmerz und eine funkelnde, zurückgedrängte Thräne in ihrem Auge. Die Resignation des Alters ist ihr sehr schwer, viel¬ leicht schwerer als irgend einer anderen großen Künstlerin ge¬ gebrochen und erloschen und versagt den Gehorsam.

worden.

In

darauf folgenden Pause stritten sich ihre alten Bewunderer mit der jüngeren, ungläubigen Generation. der

nur vor fünfundzwanzig Jahren gehört," sagten jene, „keine der jetzigen Sängerinnen reicht ihr das „Hättet ihr

sie

Wasser"; wogegen die anderen die Künstlerinnen der Gegen¬ wart hoch priesen und spöttisch äußerten: „Wie wird es erst mit der Mutter stehen, wenn die Tochter schon so ganz fertig ist!" — Es folgten nun wieder Vorträge der heimischen Lieblinge, denen man jetzt mehr Aufmerksamkeit unb wärmeren Beifall schenkte, und darauf Nummer 6 des Programms a)

„Die Glocke"

von

Schiller;

b) „Frühlingsfeier", Ode von Klopstock, von Frau Sophie Schröder.

gesprochen

Die Spannung war diesmal viel weniger groß. *) Die früh

— noch

Er¬

wartete man doch ziemlich sicher ein abermaliges, wahrscheinlich

Die

fitiffct'vicdjcr.

Nach

einem

Gemälde

von

L.

Kayenstein.

-e

Die hier angeführten Numnicrn sind, soweit der Vorrat reicht, 20 Pfg. durch jede Buchhandlung zu beziehen. D. R.

Der vom Hofprediger Faber abgehaltenen Liturgie war Naumanns Motette „Wirf dein Anliegen vor den Herren" eingefügt. Die Abschiedspredigt des Hofpredigers Vieregge verband den Text „JesuS EhristuS gestern, heute und derselbe auch in Ewigkeit" mit den Anfangs¬ worten der drei Lieder „Bis hierher hat mich Gott gebracht", „Ach bleib mit Deiner Gnade" und „Unsern Ausgang segne Gott" und feierte den Tag a!S ein Erntedankfest der Domgemeinde für all daS, was ihr der Herr in dem allen, lieben Golteshause bescheert. Bei dem von Hosprediger Kritzinger mit Gebet eingeleiteten Tedeum wurde Ober-Hofprediger Gr. Kögel, ein gebrochener Greis, zur Kanzel geführt, von der herab er mit lauter Stimme den Segen sprach. Aus die Geschichte des Domes braucht an dieser Stelle nicht näher einge¬ gangen zu werden, da der „Bär"*) dieselbe mehrfach behandelt hat fso Jahrg. I. Nr. 1 und 2: Fürstengrüste der Hohenzollern von F. Meyer (m. Abb. des Domes auf dem Schloßplatz.) — Jahrgang VI. Nr. 24: Schloßplatz, Schloß und Dom 1680 (m. Äbb., Text von Dominik). — VII. Jahrgang Nr. 5: Die Fürstengrust im Dome von Emil Dominik (enthält einen Situationsplan und das Verzeichnis sämtlicher Särge). — X. Jahrgrng Nr 35: Das Königliche Schloß und der alte Dom von L. Sch. (mit 2 Abb.) — XI. Jahrgang Nr. 22: Lustgarten, Dom und Sckloßapotheke vor 100 Jahren (Abb.)f — Zur Ergänzung dieser Artikel und Abbildungen bringen wir demnächst die Reproduktion einer Calauschen Zeichnung aus der Ferd. Meyerschen Sammlung. Registrieren wollen wir hier noch, verspätet hatte.

die beiden Vereine, welche sich speziell mit der Geschichte Berlins befaffen, dem Dome und der Fürstengruft einen Besuch abstatteten, und zwar der Verein für die Geschichte Berlins am Mittwoch, den 28. September, die Brandenburgia am Dienstag, den 4. Oktober. — Die JnterimSkirche im Monbijouparke an der Oranienburger Straße wird am 30. Oktober feierlich eingeweiht werden. Dort werden bis zur Fertigstellung des neuen Domes („Bär"*) XVIII. Jahrgang Nr. 26) bekanntlich auch die Särge der Fürstengruft ein Unterkommen finden; ihre Uebersührung erfolgt zu Waffer. R. G. daß

Girre Irtteeat'i söffe Feffde scheint um die von Jagwitzsche Geschichte d'es Lützowschen Freikorps zu entbrennen. In der Sitzung des Vereins für die Geschichte der Mark Brandenburg vom 14. September hat sich Herr Gr. Landwehr sehr abfällig über dieselbe geäußert, wie auch wir in voriger Nummer mitteilten. Dies giebt nun unserem verehrten Mitarbeiter, Herrn Rektor P. Bellardi, der seiner Zeit das Werk für den „Bär" recensierte, Anlaß zu einer Erwiderung in der „Post", der wir wörtlich folgende Einzelheiten entnehmen: „Gr. Landwehr nun stellt die Behauptung auf, daß „das Werk wertlos" sei, und führt als Beweis dafür an, daß v. Jagwitz auS SchlüfferS bekanntem Werke und K. v. L, Adolf v. LützowS Freikorps in den Jahren 1813 und 14 „seiten¬ weise ohne Quellenangabe abgeschrieben" habe. DaS ist unrichtig und kann nur gesagt werden von jemandem, der das Werk nur oberflächlich gelesen hat; v. Jagwitz beruft sich ausdrücklich auf Schlüffer, der ebenso wie er aus den Nachlaßpapieren von Lützow schöpfte; den Wortlaut dieser von beiden Autoren benutzten Quelle zu ändern ging doch nicht wohl an. Ebenso scheint Gr. Landwehr nicht zu wiflen, daß das Werk von K. v. L. (die Entgegnung auf die Kobersteinschen Angriffe) nur ein all hoc verfaßter

Auszug der Handschrift Kurt v. Lützows (Kommandeur der 49. InfanterieBrigade) ist, welche v. Jagwitz als „wertvolle Quelle" bezeichnet. Wer sich die Mühe giebt, die angeführten Werke zu vergleichen, wird finden,

-e daß die Behauptung, „über die Operationen im Mecklenburgischen und Holsteinischen, sowie über den Ueberfall bei Kitzen weroe gar nichts neues geboten," haltlos ist. Bezugs der Belagerung von Jülich hat sich von Jagwitz daraus beschränken müsien, den Bericht über die Einschließung JütichS unter ausdrücklicher Berufung auf die Quelle zu bringen (S. 210) — vielleicht versteht Dr. Landwehr darunter das „seitenlange Abschreiben". — Sodann -meint er das „völlig unzulängliche Verzeichnis der Lützower" tadeln zu dürfen — v. Jagwitz halle aber doch die ausdrücklich betonte Absicht, nur die zu einiger Berühmtheit gekommenen Persönlichkeiten herauszuheben, da er anderensalls die ganze Stammrolle des Freikorps hätte abdrucken müssen; Dr. Landwehr hätte besser gethan, der sS. 313) ausgesprochenen Bille nachzukommen, dem Verfasser für die -weite Auflage etwa bekannt gewordene Personalnotizen zukommen zu lassen. — Endlich behauptet Dr. Landwehr, die Darstellung der Vorgänge in Rogau sei „unhistorisch", den wahren Sachverhalt habe ein früherer Lützower, Pastor Hoffbauer, er¬ zählt. Woher weiß Dr. Landwehr, daß dies der „wahre Sachverhalt" ist? Die Vorgänge in Rogau, wie sie v. Jagwitz giebt, sind nach den Briefen Theodor Körners dargestellt, dessen Angaben durch Aufzeichnungen von Nostiz und anderen, welche in den Akten des Regiments von Lützow sich befinden, durchaus bestätigt werden."

Von der Grrtbedrung eines intceelPanten Do¬ kumentes, welche Herr Dr. Berner gemacht haben sollte, berichteten

jüngst Berliner Blätter. Der Königliche Hausarchivar hatte diesem Berichte zufolge das „älteste" Extrablatt ausgefunden, welches einen ausführlichen Bericht über die Schlacht bei Febrbellin enthalten sollte. Dieses älteste „Allerneueste" hat mit vielen Extrablättern der Gegenwart gemeinsam, daß Herr Dr. Berner teilt uns auf er — völlig aus der Luft gegriffen ist. eine Anfrage mit, daß er „weder ein Extrablatt über die Schlacht von Fehrbellin entdeckt noch in die Sammlungen zur preußischen Geschichte Der Verfasser der sinnigen Notiz, die natürlich aufgenommen habe." kritiklos durck alle Zeitungen lies, hat wahrscheinlich das Blatt im Auge, welches Herr Dr. Berner in seiner wertvollen „Geschichte deS preußischen Staates" veröffentlicht hat, die nun allerdings schon ein Jahr alt ist. X. G.

„KaD Dirk) «id)t »rrblüffc« ruie bet* alte Pieper."

in dem" Orte Sommerschenburg. Kreis Neuhaldensilben, gingen anno 1848 die Wogen der Unzufriedenheit sehr hoch. Die Bauern drangen mit Dreschflegel und Mistgabeln in das Schloß des Grafen von Gneisenau, Sohnes des berühmten Strategen und Feldmarschalls, dem das herrlich Friedrich als Dotation von Rittergut gleichen Namens gelegene Wilhelm III. zuerteilt war, ein. Ein treuer Kutscher entführte den be¬ drängten Grafen mit vieler Umsicht nach Magdeburg. Friedrich Wilhelm IV., welchtr bekanntlich als Kronprinz unter Gneisenau und Blücher den Feldzug gegen den Erbfeind mitgemacht batte, war stets ein großer Verehrer deS großen Strategen gewesen. Es berührte ihn deshalb rech! unangenehm, daß die Sommerschenburger dem Sohn des Feldmarschalles so übel mitgespielt hatten, und sie fielen deswegen bei dem König in Ungnade, deren Folgen sie lange Zeit verspüren mußten. Um der Gnade des Monarchen wieder teilhaftig zu werden, sandten die Sommerschenburger den aus ihrer Mitte zum Deputierten gewählten Schuhmacher Pieper deshalb als den Geeignetsten zum König nach Berlin, weil Pieper ein alter Krieger war und ebenfalls die Feldzüge unter Gneisenau mitgemacht hatte, im übrigen auch als ganz besonderer Schlaukopf galt. Pieper wurde von Friedrich Wilhelm IV. empsangen, der König wollte unparteiischen Bericht haben über die be¬ treffenden Vorgänge und wies bei dieser Gelegenheit auf die recht schwarz gefärbten Berichte des Landrates hin und sagte: „Nun, Pieper, Sie als Sommerschenburger können mir gewiß die beste Auskunft geben, erzählen Sie einmal den Hergang, Sie müssen er wissen!" Pieper antwortete „Majestät, dat soll ick nicht wetten?! Ick bin ja sülbenS ganz aufgeregt: mit mang wetz!" Errötend vor Zorn erwiderte der König in höchster Er¬ regung: „Wie? Sie als alter Krieger haben sich nicht geschämt, teil zu nehmen an solchen Tumulten, welche dahin zielten, den Sohn des großen Marschalles von seinem Stammgute zu vertreiben. Ich hatte für Sie 100 Thaler Courant Reisegeld bei meinem Hofmarschall anweisen laffen, natürlich für einen Rebellen nicht, nun können Sie sich meinetwegen nach Hause betteln," sprachs und ließ den verdutzten Pieper, denselben den Rücken kehrend, stehen. Die langen Gesichter der Sommerschenburger über die total verfehlte Mission können sich die freundlichen Leser wohl selbst vorstellen. In Sommerschenburg sagt man aber auch noch heutzutage: IV. „Laß Dich nicht verblüffen wie der alte Pieper." Auch

II

Nereins-Nachrichten. Ein Verein für die Geschichte der Vororte Berlins hat sich am 26. September im Gasthaus Träfet, Neue Friedrichstraße 35, gebildet. Der neue Verein will es sich angelegen sein lassen, insonderheit die münd¬ lichen Ueberlieferungen, welche sich an viele Vororte Berlins knüpfen, zu studieren und weiteren Kreisen zugänglich zu machen. Durch WanderVersammlungen soll unter den Vorortbewohnern und den Berlinern Aus¬ flügler« der Sinn sür die Schönheiten und Merkwürdigkeiten der Vororte, ihre Entstehung und Entwickelung wie ihren Sagenschatz geweckt werden. Seine erste Wander-Versammlung will der Verein Sonntag, den 9. Oktober, in Friedrichsfelde veranstalten und u. a. daselbst das von Treskowsche Verlag:

&—

36

Schloß mit seinem 100 Morgen großen Park -nd die im Schlöffe unter¬ gebrachte Gemäldegalerie der Malerin Angelika Kaufmann besichtigen. Die ordentlichen Vereinssitzungen sollen jeden ersten Freitag im Monat statt¬ finden. Zum ersten Vorsitzenden wurde der Schriftsteller Johannes BlochRummelsburg gewählt.

Touristen-Klub für die Mark Brandenburg. Im Anschluß an unsere neulichen Notizen möchten wir nicht unterlaffen, heule noch einige Erläuterungen bezüglich der Thätig'eit genannten Vereins anzufügen. Der Klub — nunmehr im 9. Jahre seines Bestehens — bietet durch seine in 14lägigen Abständen an Sonntagen stattfindenden Wanderfahrten seinen Mitgliedern (und auch Gästen) Gelegenheit, unsere Mark nach allen Rich¬ tungen bequemer zu durchwandern; aber auch die Geschichte der einzelnen Ortschaften und Gegenden gelangt zu ihrem Rechte, und die vom Klub herausgegebenen „Mitteilungen" bieten eine Fülle anregenden Materials. — Dem Gesann-Vereine der deutschen GeschichtS- und Altertums-Vereine als einziger Touristen-Klub angehörend und als Mitglied des Verbandes deutscher Touristen-Vereine, steht der Klub im lebhaften Schriften-AuStausche mit unseren bedeutenden Geschichts- wie Gebirgs Vereinen und gewährt auch in dieser Form seinen Mitgliedern Anregungen und Vorteile. Die in diesem Jahre begonnene Herausgabe von „FontaneS Führer durch die Umgegend Berlins" dürfte sich bei der Vorzüglichkeit des Gebotenen erfolg¬ reich gestalten und dem Klub die bisher entbehrten Mittel gewähren, nun¬ mehr auch in der Mark im Sinne der GebirgS-Vereine für die Allgemein¬ heit der Ausflügler zu wirken.

Süchertisch.

Gin Ferienausflug in bir Tropen.

Von Arthur Binz. Sonderabdruck aus der Rheinisch Westfälischen Zeitung. Essen 1892. Verlag von G. D. Baedeker. Preis 1,20 Mk. Ansprechend und flott erzählt uns der Verfaffer die Erlebniffe und Eindrücke einer dreimonatlichen Reise, die ihn im vorigen Jahre von Genua aus durch den Suez-Kanal, über Ceylon und Singapore nach Java führte. der Form leichter, gefälliger Plauderei entrollt er ein lebensvolles, farbenreiches Bild von Land und Leuten, weiß scharf zu beobachten und fesselnd zu schildern. Der Leser wird den gemütlichen Reisenden gern be¬ — i. gleiten und manches dabei lernen.

In

Dio Könige non DreuHen frnb Kohenrollern, nicht

Abenberger. Von Ludwig Scknnid. I. A. Stargardt. Preis 2,50 Mk.

Berlin 1892. Verlag

von

Als vor etwa 3 Jahren der Staatsarchivar Dr. Christian Meyer, einer der hervorragendsten Forscher der hohenzollernschen HauSgeschichte, wieder die schon früher aufgestellte Hypothese, daß die Hohenzollern dem Dynastengeschlechte der Abenberger entstammten, vom allgemein-historischen Standpunkte zu verteidigen suchte, ließ sich erwarten, daß dieselbe von gegnerischer Seite nicht unwidersprochen bleiben würde. Jetzt hat nun ein nicht minder berufener Gelehrter, der Tübinger Professor Dr. B. Schmid, dazu daS Wort ergriffen. Die über 100 Seiten starke Schrift, von der Se. Majestät der Kaiser ein Exemplar huldreichst entgegennahm, wendet sich an der Hand eines umfangreichen Beweismaterials gegen die Aus¬ führungen MeyerS und hält an der hohenzollernschen Abstammung des preußischen Königshauses fest. Wenngleich auch nach diesen mit vielem Scharfsinn entwickelten Ansichten noch so manches aufzuhellen bleibt, so kann man sich doch dem Einflüsse des angehäuften Beweismaterials nicht entziehen und mit dem Verfaffer die Behauptungen Meyers als widerlegt betrachten. ES würde hier zu weit führen, auf die einzelnen Thatsachen näher einzugehen, vielleicht giebt unS später ein Spezialartikel einmal dazu Gelegenheit. Hier wollen wir nur unsere Leser auf die für weitere Kreise D. X. hochbedeutsame Schrift aufmerksam machen.

gcitsdjrtftcnfd) ctu. 1892. germanischen Ratio nalmuseums. und August. Inhalt: Chronik deS germanischen Museums. — Fundchronik. — Katalog der im aermanischen Museum vorhandenen zum Abdrucke bestimmten geschnittenen Holzstöcke vom XV.—XVIII. Jahr¬ hundert. I. Teil Bogen 4—9

Anzeiger

Nr. 4

des

Juli

Inhalt:

Fürs Vaterland. Eine Erzählung auS ernster Zeit. Von Julius R. HaarhauS (Fortsetzung); Mönch Hermann von Lehn in. Ein Märkischer Sang von M. v. Buch (Fortsetzung); Hohenzollersche Erinnerungen auS der Schweiz.

Jahre

1892.

Von

Ernst

Friede!

(Fortsetzung);

von Wohnungs-Einrichtungen in Berlin. (Schluß);

Im

Herbste.

Kleine Mitteilungen:

Reiseberichte auS dem

Die Ausstellung

Von Robert Mielke Gedicht von Gustav Falke (mit Abbildung).

DaS Verbrennen von eingezogenen Wertpapieren Abbildung). Bürgermeister Zelle. Der Berliner Dom. Eine litterarische Fehde. Von der Entdeckung eines interessanten Dokuments. „Laß Dich nicht verblüffen wie der alte Pieper." —Vereinsnachrichten. — Büchertisch. — Anzeigen.

in Berlin (mit

Für die Redaktion verantwortlich: Richard George in Berlin X. 58. — Abdruck ohne eingeholte Erlaubnis ist untersagt. Fr. Zillessen, Berlin X.. Schönhauser Allee 141. — Druck: Buchdruckerei Gutenberg, Berlin X., Schönhauser Allee 141 a.

R« @§rittßuietr, Dr. H. Krondictre, Thosdsr Fsntano, Ford. Meyer, Gymnasialdirektor Dr. M. Krtytvarl; und Ernst

Stadtrat r>.

MikdenDrueh,

herausgegeben von

Friedrich Ältesten XIX. Jahrgang.

Der

„Bär"

und

Nichsrd George.

erscheint wöchentlich am Sonnabend und ist durch jede postanftalt (No. 709), Buchhandlung und Zeitungsspedition für 2 Mk. pfg. vierteljährlich zu beziehen.

50

M 4.

22. VKtobkr 1892.

fürs Naievkanö. Eine Erzählung aus ernster Zeit von

Julius R- Haarstaus.

(3. Fortsetzung.)

m Morgen des nächsten Tages kam er wieder und brachte dem Kranken einen kleinen

Teller mit frischen Erdbeeren.

„Eine Empfehlung vom gnädigen Fräulein!" sagte er, „es sind die ersten in diesem Jahre. Früher waren sie größer, aber die Pflanzen sind schon zu alt, und die neuen Rabatten haben noch nichts getragen." Der Offizier, den die Aufmerksamkeit seiner unfreiwilligen Gastgeber fast peinlich berührte, trug dem Diener auf, der jungen Dame seinen Dank auszusprechen. Dem Alten selbst drückte er ein Frankstück in die Hand. Lebrecht betrachtete das Bild der Münze mit mißtrauischen Blicken. „Napoleon!" sagte

er zögernd.

Dann

„Thut nichts," fuhr

er

schob er

sie

in die fort, „wir

schnell

sichtlich beruhigt

Tasche.

lassen

wechseln!"

Der Pflicht, den Auftrag des Gastes auszurichten, wurde er durch einen

Zufall überhoben.

die ungezählten Liebenswürdigkeiten sind, mir denen Sie mich überhäufen. Lasten Sie mich Ihnen danken —" „Ach was! Reden Sie nicht von Dank! Misten Sie, was häßlich ist? Daß Sie bei den Franzosen sind! Wenn Sie auf unserer Seite ständen, sollten Sies besser haben. Sagen

Sie mir, Herr Rittmeister, warum müsten Sie gegen unser armes, armes Vaterland fechten? Was haben wir Ihnen gethan?"

Das war ungefähr dasselbe, was ihm der kleine Hansel gesagt hatte. „Wäre es eine Ehre, jetzt preußischer Offizier zu sein?" fragte er. „Unter dem großen König — ja! aber jetzt? Haben Sie Glogau vergessen und Brieg und Schweidnitz? Möchten Sie lieber, daß ich zu denen gehörte, die mit ihrer unverzeihlichen Feigheit den Wappenschild Preußens befleckien? Ist es nicht etwas anderes, dem großen herrlichen Kaiser van Sieg zu Sieg zu folgen und Europa unter den Hufen seines

zittern zu sehen? Auf des Gewalrigeu Wink vom Manzanares zum Memel zu fliegen?

Rosses

Plötzlich öffnete sich die Thür, und eine schlanke Mädchen¬ gestalt in blütenweißem Sommerkleide, den breiten Florentiner Strohhut auf der Fülle des hochgesteckten blonden Haares stand mitten in der Stube. Es war Friederike.

Sie prallte zurück. „Entschuldigen Sie tausendmal — war in Gedanken und vergaß, daß ich jetzt drüben im Flügel wohne," sagte sie ruhig und ohne ein Zeichen von Verwirrung. Der Rittmeister war aufgestanden und schritt schneller, als es der Arzt erlaubt haben würde auf das Fräulein zu. Sie wollte umkehren. Da erfaßte er ihre Hand und hielt sie einen Augenblick lang fest.

O glauben Sie mir, es ist nicht Sklaverei und knechtischer Dienst, sein Leben und seine Zukunft an den Mann zu ketten, um besten Gunst das Kriegsglück selber buhlt, und der die Völker mit einem Zucken seiner Wimper regiert! Ihn hat eine höhere Macht gesandt, den morschen Bau der Well zu zer¬ trümmern — 0 . wenn Sie sähen, wie Hunden Könige und Fürsten nach ihren Kronen greifen, die der Gewittersturni von ihren Häuptern reißt, wenn Sie sähen, wie Grafen und Herzöge vor ihm kriechen, und wie das befrackre Gewürm mit dem erbettelten Ordensstern auf der hohlen Brust im Vor¬ zimmer des Gewaltigen den Lakaien schmeichelt!

„Ich segne den Zufall, der Sie hierher führte, und mir Gelegenheit bietet. Ihnen zu sagen, wie wohlthuend für mich

Und wem verdankt er seine Macht? Dem eignen Geist, der eignen Arbeil! Er gehört nicht zu denen, die bei ihrer

ich



Geburt ein jubelndes 33oIf mit hunderifachcm Kanonendonner begrüßt, bei deren erstem Lallen Minister und Kammerherrn sich mit gebeugtem Rücken in devotem Lächeln üben — auch er hat da beginnen müsieu, wo Millionen ihre Laufbahn ansaugen." Der Rittmeister schwieg einen Augenblick, er hatte sich auf die Armlehne seines Sessels gesetzt, da ihn seine Brust infolge der Erregung plötzlich schmerzte. „Haben Sie den Kaiser einmal gesehen?" fragte er mit leiserer Summe. „Die kleine Gestalt mit den stechenden Augen und der umwölkten Stirn? Er ist sich der Bedeutung seiner Mission bewußt, keine Minute Ruhe gönnt er sich, er arbeitet bei Tag und bei Nacht, nie, niemals steht das gewaltige Triebwerk seiner Gedanken still! O ja — mögen ihm die Kurzsichtigen auch fluchen — er hat noch Großes vor, er ist der Messias eitler neuen Zeit!"

„Ich erwiderte

kann

das

mir Ihre Begeisterung für den Kaiser erklären," Mädchen, „wer in den Zauberbann seines

Willens geraten ist, der ist ihm unrettbar verfallen mit Leib und Seele. Wenn ich ein Mann wäre, wer weiß, ob es mir nicht eben so ginge wie Ihnen? Aber glauben Sie in der That, daß der Staat des großen Königs jetzt schon eines solchen Messias bedarf? Glauben Sie, daß die Einrichtungen, die sich bis jetzt vor¬ trefflich bewährt haben, plötzlich veraltet sind? Scheinen Ihnen die Zustände in Preußen wirklich so traurig, daß sie mit einem Schlage beseitigt werden müssen? Verdient endlich unser Königshaus die Demütigungen, die ihm der Kaiser zufügt? „Ich achte Ihren König, und ich vergöttere Ihre Königin", antwortete der Offizier mit Wärme. „Aber sagen Sie selbst, hat Preußen gehalten, was es versprach, hat es mit seiner Unfähigkeit dem Kaiser zu widerstehen, nicht hinreichend seine innere Schwäche bewiesen?" „Herr Rittmeister, es ist möglich, daß Sre recht haben — allein, ich kann mir nicht helfen — ich liebe mein armes Vaterland über alles, und kann den Mann nicht achten, der es mit Füßen tritt! Er mag groß sein und gewaltige Pläne hegen, wie sie noch kein Sterblicher auszudenken wagte — aber mich überkommt ein geheimes Grauen, sobald ich seinen Namen nennen höre!"

Sie schwieg eine Weile, dann fuhr sie langsam fort: „Wissen Sie, was es heißt, sein Vaterland lieben?" „Denken Sie nicht, daß dieses Gefühl meinem Herzen fremd sei," sagte der Kranke, „auch ich liebe meine Heimat, mein schönes Hesienland mit den grünen Hügeln und den gesegneten Fluren! Und eben deshalb habe ich den Tag mit Freuden begrüßt, an dem Mortier und der König von Holland auf des Kaisers Geheiß die Grenzen überschritten und in Kassel

einzogen.

fürsten

all

O, wenn Sie wüßten, wie ich dem Kur¬ Elend gönne! Es war die Vergeltung für tausend Schändlichkeiten, mit denen er unser armes Land ge¬ quält! Wie er sich klug zu wenden wußte, wie er sich hündisch bald vor Ihrem König, bald vor dem Kaiser duckte! Ich Habs mit eignen Augen gesehen wie vor Rothschilds Haus in der Judengasse zu Frankfurt ein Wagen hielt, aus dem Fässer verladen und in den Keller hinabgeschrotet wurden, und ich hörte, wie einer sagte: „Handelt der Rothschild jetzt auch mit Wein?" — „Nein", eulgegiiete ein anderer und schlug an sein

38

fr-

eines der Fässer, daß cs dumpf metallisch klang,

was drin ist? Das Blut, Unterthanen ausgesogen!"

das der

hessische

„wißt Ihr,

Vampyr seinen

„Ich habe den Gang der Ereignisse nicht so verfolgt, mn beurteilen zu können, ob Hessen unter dem neuen Regimente glücklicher ist,"

lenkte Friederike ein.

mich aber davon überzeugen,

„Keineswegs kann

daß der Krieg und die

ich

Willkür

Napoleons Preußen zum Segen gereichen. Doch ich hoffe, Herr Rittmeister, wtr zwei werden deshalb keine Feinde! Sie werden mich nicht zu Ihrem Glauben an die göttliche Sendung Napoleons bekehren können, und ich würde mich wohl ver¬ gebens bemühen, Sie dem Kaiser abspenstig zu machen. Aber tmn essen Sie auch Ihre Erdbeeren!" Das Mädchen reichte dem Offizier die Hand, als ob sie schon Jahrelang mit einander verkehrt hätten. Dann verließ sie mit schnellen Schritten das Gemach. Litideck hatte

sich

in den bequemen

Ledersessel

nieder¬

und sann über seine Unterredung mir dem seltsamen Mädchen nach. Er schloß die Augen, weil thu jene Ermüdung, die den Kranken, der sich auf dem Wege der Besserung befindet, so leicht befällt, übermannte. Früher hatte er diese Schwäche stets schmerzlich empfunden, weil sie ihn daran mahnte, daß er noch leidend sei und seinem Körper nicht viel zumuten dürfe; aber heute freute er sich darauf, so recht behaglich im Lehnstuhl sitzen und die müden Lider schließen zu können. Er wollte ungestört seinen Gedanken nachhängen und vor

gelassen

seinem geistigen Auge die schlanke Gestalt in dem einfachen, weißen Kleide emporsteigen lassen, die eben noch vom ganzen Zauber zarter Weiblichkeit umflossen, und doch so männlich und bestimmt in ihren Ansichten, vor ihm gestanden hatte.

Aber es gelang ihm nicht, das anmutige Bild festzuhalten. Die Umrisse verwischten sich, und die Farben verblaßten, so sehr er auch seine Phantasie und sein Gedächtnis anstrengte. Andere Gestalten zogen an seiner Seele vorüber, bunt, unver¬ mittelt und ruckweise, wie die Wunder einer magischen Laterne. Jetzt war ihm, als sehe er sich im Gewühl der Schlacht. Der Rappe trug ihn mit Windesschnelle über die aufgeweichten Aecker dahin. Um ihn her nur wenige seiner Schwadron.

C’est le general lui — meine! — faisons l’essai, la fortune secourt les braves! — Pistolenschüsse krachen. — Keine der Kugeln trifft! Vive l’empereur! Vorwärts Kameraden! Säbelgeklirr und Hnfgestampf! Jetzt das Gestöhn des getroffenen Tieres — da! Aus seinen Nüstern sprudelt das Blut! Es bäumt und stürzt. Rettet den General! Zn spät, zu spät! Mein Herr, Ihren Degen! Im Namen des Kaisers! Sie sind mein Gefangener!

Dann ein ander Bild. Drüben der Landgrafen -Berg, vom herbstlichen Nebel umwoben. Ein spärliches Feuer glüht mitten im Feld, nnd ans dem zerstantpften Erdreich rings umher find Garben von Stroh auseinander gebreitet. Reiter sprengen vereinzelt den Hügel hinan, die Roßschweife der gewaltigen Helme wehen, und die pelzbesetzten Attilas der Leibhusaren flattern im Winde. Um das Fener stehen Männer geschart in goldbestickten Uniformen — es find die Meister des Waffenhandwerks, der kühne Marschall Ney und der listige Soult, der stürmische Angereau und Lannes, le Roland de l'armee, wie sie ihn im Lager nennen. Jetzt traten die Feldherrn ehrerbietig einen Schritt zurück, und ein kleiner Mann, einfach wie ein Sergeant der Linie, den kurzen Degen

v

in der Hand, das mit der Kokarde tief in die Stirn gedrückt,

an der Seite und die Reitpeitsche

Hütchen

-schwarze

„Sire,

Imperators trifft.

den bayrischen Cheveauxlegers,

der Rittmeister von

der den General Rüche! vom

Pferde stach!"

Ein junger Offizier wird vor ein Murmeln der Bewunderung ergrauten Soldaten. Der Offizier ergreift seine Hand. „Ich hoffe, weißt, dein Kaiser vergißt keinen,

den Gewaltigen geführt geht durch

die Reihen

— der

verneigt sich — der Kaiser Dich wiederzusehen — Du der sich so tapfer zeigte!"

Um den Hügel wogeti ruigezählte Scharen, Regiment auf Regiment, Schwadron auf Schwadron zieht vorüber. Jede

Minute durchbebt ein dämmerige Herbstluft.

tausendfaches

Vive l'empereur!

die

Der Träumende regt sich. Er will bei dem Bilde ver¬ weilen — aber es entschwindet schnell, wie es entstanden. Sein Herz pocht, und die Lippen bewegen sich. Vive l'empereur! murmelt er.

Dann taucht plötzlich der sonnenbeglänzte Garten der Tuilerien vor ihm auf. Hilndert Fenster blinken wie Gold und Fontainen schleudern silberne Wassergarben in die blaue Frühlingslust. Karrossen fahren über den weiten Platz, und galonnierte Lakaien öffnen die vergoldeten Wagenschläge. Frauen in seidenen Gewändern, Diamanten am breiten Gürtel, und nickende Straußfedern auf der hohen Frisur, Herren mit dreieckigen Hüten und Schnallenschuhen, den Ordensstern auf der Brust wogen in den Sälen des Schlosses. Ah — ma chere, l’avez — vous dejä vu? Le nouveau marechal de France?“

Ein junger Offizier, geschmückt mit den Zeichen der höchsten militärischen Würde schreitet langsam durch das Gewühl der Menschen. Herzöge verneigen sich, und Fürsten hoffen darauf, von ihm angeredet zu werden. Aber er achtet ihrer nicht, er geht von Saal zu Saal. Er sucht jemanden in der Versammlung — ja er sucht ein Mädchen — ein Mädchen in einfachem, weißem Kleide, den Florentiner Hut auf dem blonden Gelock — er sucht und sucht — aber er findet sie nicht. — Wer wagt da, ihm entgegenzutreten und ihn anzureden? „Herr Rittmeister, wollen Sie nicht in den Garten gehen? Der Doktor sagte, wenn die Sonne schiene, dürften Sie heut Mittag ins Freie!"

„Herr Rittmeister!? Ach — Du! So — die Sonne scheint — nun dann laß uns gehen — aber gieb mir Deinen Arm,

ich

fühle mich doch noch schwach!"

Und der Kranke erhebt sich und schreitet, auf den Arm mit langsamen Schritten die steinerne

des Burschen gestützt,

Treppe hinab. (Fortsetzung folgt.)

B-

Mönch Hermann von Lehnen.

schreitet

langsam durch den Schwarm der salutierenden Offiziere. Sein Antlitz ist bleich, und die Züge um den geschlossenen Mund verraten nichts von der Erregung der Stunde. Ein Adjutant tritt leise au ihn heran und wariel auf den Moment, wo ihn der Blick des

39

Ein Märkischer Sang von

M.

tr. Krrrh.

(3. Fortsetzung.)

Horch !

In

Da wird die tiefe Stille

den Gassen unterbrochen;

Rufe schallen, Frauen jammern, Bürger stürzen aus den Häusern, Und dazwischen klingen Waffen. Alles, alles scheint in Aufruhr.

Von der Thüre des Gemachs Aber teilet sich der Vorhang, Und ein junger Edelknabe Stürzet atemlos herein.

„Herr!"

so ruft verstört der Knabe, „Herr, ein Bote steht da draußen, Der sagt aus, der Brandenburger

Hätte unser Heer geschlagen." Eilig tritt herein der Bote. Küßt des Bischofs Hand und ruft: „„Schlimme Kunde folgt der ersten. Vor den Thoren unsrer Stadt Steher Markgraf Otto selbst."" Aber ruhig bleibt der Bischof, Und dem Pagen ruft er zu: „Eil' und bringe mir die Rüstung, Die in meiner Kammer rostet." Darauf trat er an das Fenster Und zur aufgeregten Menge, Die da klagend, scheltend, jammernd Auf und nieder wogte, sprach er: „Hört mich alle! Unser Heer Ist geschlagen, und Herr Otto Stehet schon vor Magdeburg. Not ist eines, tapfre Bürger: Nehmt zu Händett Wehr und Waffen. Denn Ihr sollet ihn empfangen, Daß der tolle Markgraf noch Lang zttrücke denken soll An die magdeburgschen Streiche." Achtsam lauscht das Volk den Worten. Doch die Meinung in der Menge

War geteilt, die einen riefen: „Aus! Wir ziehen ihm entgegen." Aber andre klagten wieder: „Unsre Junker sind im Felde, Wer soll unser Führer sein?"

„Ich!" rief plötzlich da der Bischof, Und die blanke Ritterrüstung Uebers Kleid des Priesters legend, Tritt er aus des Schlosses Thoren Licht und blitzend vor das Volk. „Folgt mir all'!" spricht er gebietend, Stellt sich selber an die Spitze Dann der Bürger, und nun wallte Langsam hin der Zug zum Dom. Priester sangen, Orgelklänge Rauschtet: durch die hohen Chöre,

Als der Bischof waffcnklirrend

'-«

40

6k

Und ist Magdeburgs Gefangner." Hermann Pritzwalk ist erbleichet, Da er hört die Trauerkunde, Doch er drängt und hastet vorwärts, Und befiehlt, daß alle folgen. Aber die Verzweiflung packet

Durch der Kirche Gänge schritt. Und des St. Mauritius Fahne, Die als Heiligtum des Erzstifls Aufbewahrt wird, jetzt zur Hand nimmt. Schweigend siehls das Volk, als aber

Er zurückkehrt, bricht

der

Jubel

„Wir sind verloren" „Widerstand ist nutzlos, Ruft es, Gegen Günther Schwalenburg Mag der Teufel weiter kämpfen." Alles wogt in wilder Flucht, Alles drängt zurück, und gegen

Nauschend los, wie Meer im Sturme, Das die Dämme brausend sprengt. In dem Panzer, blitzend, strahlend,

Jetzt das Heer.

In

der Hand die hocherhobne Fahne haltend, glich der Bischof Einem gottgcsandien Engel, Einem heil'geu Michael. — — —

Otto naht voll Siegesfreude, Als vom nahen Wald herüber Plötzlich Helle Waffen blitzten. Als aus dichten, grünen Bäumen Tritt ein wohlgeordnet Heer, Und der helle Schlachtruf klinget: „Jungfrau Maria! Mutter und Magd, All unsre Not sei Dir geklagt!" Bischof Günther ist's, er führet Seines Erzstifls tapfre Bürger, Und aufs neu beginnt der Kampf. Doch die ausgeruhten Bürger Und die kampfesmüdcn Ritter Sind sich nimmer gleiche Gegner, Das wird allen offenbar. Selbst des Markgrafs Kraft erlahmet. Und so gönnt er kurze Zeit Rast sich, öffnet sein Visier, Und des Windes kühlen Hauch Atmet er begierig ein. Bischof Günther hat den Fürsten Lang gesucht; und jetzt erkennt er Seinen Feind an goldner Rüstung. Sieh! Da übergiebt die Fahne

Seinem Nebenmanne er, Läßt sich dann die Armbrust reichen,

Zielt



ein kurzer Augenblick,

Von der Sehne fliegt der Pfeil, Und der Markgraf schwankt im Sattel, Doch mit letzter Kraft noch greift er

Mit

der Rechten nach der

Stirn —

Von dem Pfeil bricht ab der Schaft, Nur die Eisenfpitze haftet. Wie ein blutig roter Schleier Legt es sich vor Ottos Augen, Der die Gegenwart voll Mitleid Ihm entziehet und verhüllet. Krampfhaft packet sich die Faust In die Mähne seines Tieres, Dann umfängt ihn tiefe Ohnmacht. Plötzlich in das märksche Heer Kommt der Schreckensruf geflogen: „Markgraf Otto ist gefallen!" Doch ein andrer überholt ihn: „Otto lebt, er ward verwundet

Slromesschnellen kämpft der kühnste Schiffer nimmermehr erfolgreich.

Hermann selbst erkennt's verzweifelt; Mit dem Rest der stolzen Streitmacht Kehret er zurück zur Mark. (Fortsetzung folgt.)

Hchemollersche Erinnerungen aus der Schmei;. Reiseberichte aus dem Jahre 1892. Von

Ernst Friedet. (Schluß.)

II. Neuenburg im Juni 1892. Anblick der Stadt Neuenburg von fern. — Senkung des Sees. — Die innere Stadt. — Stillleben. — Erzichungswesen. — Die Stiftskirche. — Der Reformator Farel. — General von Zaftrow. — Das Schloß. — Der Asfisensaal. — General von Pfuel. — Der 6ranä Oon8eiI. — Naturgeschichtliches Museum. — Agassiz und Desor. — Das ttantonalmuseum. — Erinnerungen an die Hohenzollern, an Preußen, an Berlin. — Abschiedswort.

Von der Landseite aus erscheint der Anblick von Neuen¬ burg für denjenigen, welcher durch die hervorragende Lage anderer schweizerischer Städte verwöhnt ist, nicht so bedeutend, wenn auch der Jurarücken sich bei der Stadt dem See wieder mehr nähert und Schloß und Stiftskirche von dem Ort sich ansehnlich

abheben.

Entzückend

ist

dagegen der Anblick der

Stadt von der Seeseite aus, und das Bild wird um

so

im¬

ponierender, je mehr man sich in der Richtung auf Eudrefin dem jenseitigen Ufer nähert.

Der See ist von den Ufern weit zurück getreten, wozu seine Senkung um fast zwei Meter das meiste beigetragen hat. Infolge dessen wurde es möglich, breite Uferquais und Hafenanlagen, mit Eisenbahnanschlüssen, die noch nicht ganz vollendet sind, anzulegen, um Bauquartiere hauptsächlich für öffentliche Institute zu gewinnen. So ist denn nahe dem Ufer eine Reihe interessanter, öffentlicher und privater Bauten entstanden. Trotz alledem macht die Stadt einen ziemlich toten Eindruck, es fehlt fast gänzlich an frisch pulsierendem Leben. Die Zahl der Straßen, ohne Läden und Schaufenster, ist vor¬ wiegend, die Zahl der Häuser, welche nur von einer Familie bewohnt wird, erscheint groß, lange Gartenmauern, vor denen seltene Fußtritt Vorübergehender bei der allgemeinen Stille laut widerhallt, sind vielfach vorhanden. Freilich zeigt sich nirgends dabei, wie in Italien unter ähnlichen Ver¬ hältnissen, Verkommenheit und Armut; im Gegenteil, eine ge¬

der

wisse Wohlanständigkeit und Wohlthätigkeit blickt überall durch.

hat einen ungemein steifleinenen, nüchternen, gravitätisch und kalvinistisch gefärbten Bcigeschmack.

Das

ganze

Leben

('Zf'

d

?5

tpv

aaup

Uumispja^

uoq

M

o

©) m (j

’UuuimmxiJn;cui(|i.i.t}VU'ijJ

-

geben.

Sein Leben und Lieben hat Ferrand in seinen Er¬

lebnissen des Herzens, jenem Büchlein, das 1839 im Verlage

von L. W. Krause erschien, ziemlich treu und genau geschildert, ohne jedoch des Anbeginns seiner Lebens- und Liebesgeschichte aus litterarischen Vorkomtnnissen zu gedenken. Der Ottilie und Ferrands wurde des Genaueren bereits im zweiten Bande meiner litterarischen Erinnerungen gedacht. Heut gilt es eines Büchleins, das in gewisser Hinsicht den Grundstein zu größerem litterarischem Bekanntsein wurde — und mehr von sich reden machte, als das Ding wert war.

— es war im Herbst — Jahres 1834 in mein Zimmer trat, fand ich Ferrand AIs

des

ich

eines Tages nachmittags

eifrig schreibend in demselben vor.

Brande giebt namentlich ein Brief, welcher, an Asmus von Bredow auf Bredow und Schwanebeck gerichtet, am Tage nach dem Brande, d. i. am 27. April, geschrieben und vermutlich vom Amlsschreiber oder Pfarrer zu Bredow verfaßt ist: Meine willigen und preislichen Dienste jederzeit zuvor. Edler, Gestrenger und Bester, sonders großgünstiger Junker, E. Gestr. den kläglichen Zustand der Stadt Nauen zu nolifiziren kann ich nicht verhallen. Gestern (d. i. am 26 April), um 10 Uhr zur Nacht ist die Stadt an unterschiedlichen Orten angelegt, und also überhand genommen, daß die ganze Stadt sammr Kirchen, Schulen, Turmglocken, Rathause und allen Kunde

j

Entstehung eines Suches.

Eine Erinnerung zum 50. Todestage E. FerrandS, dem 23. Oktober d.

Von

I.

F. Krrrnold.

Schmerzbewegt eilte ich nach Berlin, um den Freund, von dessen Kranksein ich gehört, noch einmal zu sehen. Seine Gattin kam mir mit den Worten entgegen: „Zu spät! Seit dem Tode Ottiliens hat er sich nicht wieder erholt. Er wankte dem Grabe zu." Kurz vor seinem Tode sang er der Gestorbenen jene Lieder, wie wir sie in den modernen Reliquien, herausgegeben von A. Mueller, finden. Die dort noch zum Abdrucke gelangten beiden Aufsätze: „Ein Besuch bei Ludwig Tieck" und „Ein neuer Ueberall und Nirgends" standen unter dem Namen Tybald zuerst im Oetlingerscheu Figaro — und hat der letztere Aufsatz wohl die Anregung zu jener so vielfach gegebenen Posse: „Kieselack und seine Nichte" ge°

Ohne aufzublicken, oder braune Plüschmütze von dem struppigen Haar zu lüften, sagte er: Setze Dich und mache ein Lied auf Bertha. Jäger und Koßarsky haben bereits geliefert. Bernstein — der damals noch unter dem Namen Rebenstein schrieb, fehlt nicht. — Ich bin gleich fertig. Lachend, eines jüngst ver¬ flossenen Abends gedenkend, warf ich die Leiden Verse hin: die

Weich schöner Lied —

Ihr kenn! er nicht, Und könnte auch nicht verstehn, — Ihr müßtet ihr ins Angesicht, Jnr liebe Auge sehn. Mir klingt dar

Im

Lied bei Tag und Nacht,

Wachen und im

WaS solch ein Lied

Ihr

glaubt

es

Traum; für Wirkung

macht,

wirklich kaum. —

während Ferrand zugleich sein Gedicht auch beendete. Dann hieß es: So, nun komm! Und fori ging es, von der Spandauerstraße im Sturmschritt nach der Charlotten- und

zur Konditorei von Giomonolly, wo bald daraus Eduard Marion Ottinger, der Herausgeber des Figaro, eintrat. Einen Blick auf das ihm hingereichte Blatt werfend, lachte er: Das ist köstlich. Ich trage es sofort zur Druckerei. Und anderen Tages brachte der Figaro, damals das witzigste, vielgelesenste Blatt Berlins, auf seiner ersten Seite: Nach¬ klänge. Lieder für Bertha; mit dem Motto: Heureuse la beaute cjue le poete adore! worauf unserer Fünf Gedichte Behrenstcaßen-Ecke,

folgten. Der Scherz fand größere Beachtung, als wir wohl selbst, in tollem Jugendmut, erwartet hallen. Medizinal - Rat vr. Gußdorff, der Freund Grabbes und Heines, und der mir eines Tages in der Leipzigerstraße den Hut vom Kopfe mit der Frage nahm: Schulmeistern Sie noch? um auf meine Be¬ jahung die tiefsinnige Aeußerung im Weiterschreiteu zu thun: Werden ins Gras beißen; eine Aeußerung, die er später dahin schriftlich allsdehnte, daß ich in fünf Jahren tot sein würde, — kam, wenige Stunden nach dem Erscheinen des Blattes, vorgefahren, um zil fragen: Wer ist die Bertha? Meine Frau schickt mich! Ob Sie krank, ist mir gleich. Als er Näheres nicht erfuhr, zog er brummend ab, wie auch Oettinger und andere, die mir auf die Bude rückten. Das Mystischgeheimnisvolle wirkte. Die Aufforderung des Buchhändlers, die Sache zu erweitern und ein Büchlein daraus zu niachen, fand

nur zu sehr unseren Beifall. Das Buch erschien: Nachklänge. Minnehof. Lieder für Bertha. Berlin 1834. W. Alexis schrieb in seinem Blatte einen, durch mehrere Nummern gehenden, Aufsatz, während Wolfgang Menzel entrüstet war, daß fünf jüngere Männer einer Dame huldigten. — Und doch war das ganze, in seinen

■e

47

Anfängen, eine überaus unschuldige Sache. Ludwig Koßarsky, der sich später durch eine poetische Spruchsammlnng weiteren Kreisen bekannt machte — er starb im November 1873 — wohnte nicht weit ab, bei einem Postschaffner, dessen Tochter Sie war in ihrer Jugendfrische und eben die Bertha war. Harmlosigkeit eine überaus anmutende Erscheinung, ohne daß einer von uns fünf in dieselbe verliebt gewesen oder derselben unziemlich nahe getreten wäre. Wir konnten in der Vorrede zu unserem Büchlein mit Recht sagen: So nahe oft in diesen Liedern die Verfasser der Besungenen zu stehen scheinen, so fern stehen sie ihr im Leben. Der lyrische Champagnerschaum der Jugend halte sich in dem Büchlein nur einen Ausdruck gesucht. — Wir kamen fröhlich, heiter zusammen; die Wirtin mit der Bertha zur Seile, brachte den Thee — und wenn Bernstein kam und fröhlich zu singen begann, während er in seiner damaligen Armut, von der wir alle dazumal keine tiefere Kenntnis hatten, vielleicht nicht groß zu Mittag gegessen hatte: War soll ich in der Fremde thun, Er ist ja hier so schön,

hub Bertha ihr Lieblingslied an, von den drei Rosen. Was wiederum meine zwei Verse hervorgerufen hatte. Gutzkow

gK

unter anderen Sallet, Minding und die beiden Marggraffs als Mitglieder beisteuerien, schien diese BerihaEpisode von uns Genannten bereits ausgeträumt und ver¬ gessen zu sein, bis eines Frühmorgens Ferrand, von Rügen kommend, in Stettin bei mir eintrat, um mir zu sagen, daß er die Bertha liebe und heiraten werde. Als die Cholera zum zweitenmal kam und Berlin heim¬ Dann suchte, flüchtete er mit seiner Frau aus Wochen zu mir. trafen wir uns seltener, bis der Tod ihn abrief. Fünfzig Jahre sind seitdem vergangen. Von den Zweiundzwanzig, die zu beiden Jahrgängen des norddeutschen Frühlings-Almanach beisteuerten und die Ferrand wohl zumeist redigierte, lebt, meines Wissens niemand mehr, außer mir. dem ein so früher Tod geweissagt wurde. Groß bekannt und berühmt geworden sind von jenen damals Genannten nur wenige geworden, wie denn selbst Ferrands kaum noch gedacht wird. Und doch war auch er einst ein Dichter, dessen Lieder Anklang fanden, und den ein Chamiffo hochschätzte. Was ist der Ruhm! Wir weihen dies Blati der Erinnerung dem Entschlafenen, dem ein Freund einst nachgesungen: zu

denen

In

Deinem Liede schlug Dein Herz, Dein still geheimstes Leben, Klang Deine Brust und klang Dein Schmerz, Der Seele liefles Leben. Du sangest wie die Nachtigall, Die sich im Abendröte Im dunklen Wald — am Wassersall

uns zu einer pommerschen Dichierschule auf, worüber der Anekdoten-Müchler höchst entrüstet war, da ich doch nur allein ein geborener Pommer sei. Während sich nun aus unserem harmlosen Beisammensein der Verein der jüngeren Berliner Dichter herausbildete, der seine dichterischen Ergüsse in zwei Jahrgängen eines Frühlings-Almanachs ablagerte, bauschte

Gesungen hat zu Tode.

Kleine Mitteilungen. KemtroUrerfammlmtg.

Euch!" rüst



„Still

gestanden!

Richt

der Feldwebel mit Stentorstimme, und das alte Zauberwort, dar sie während ihrer Diensljahre so osl gehört, fährt den Reservisten wie elektrisierend in die „Knochen." Die Hacken werden „zusammengerissen", die Köpfe marioneltenhait nach rechts gedreht. Doch der grimme BezirkSfeldwebel ist von dieser Richtung nicht im Entferntesten befriedigt, er erklärt dieselbe für „saumäßig." — „Der.vierte Mann den Kops zurück, dar Kinn an die Binse! Herr, reißen Sie sich zusammen! Der Sechste den Bauch zurück, zurück die Mitte — folgen — folgen — der linke Flügel steht noch eine Meile vor!" so ruft der viel geplagte Mann, in dessen beschau¬ liches Bureau-Leben eine Kontrollversammlung eine Fülle von Arbeit bringt. Endlich ist die Richtung so „leidlich." „Augen g erade — au S!" kommandiert der Feldwebel, tritt in dienstlicher Haltung vor den Herrn BezirkShauptmann und meldet: „Hundert und ein und zwanzig Reservisten deS Jahrgangs 1887 zur Stelle!" — Der gestrenge Herr Hauplmann be> giebt sich mit Würde auf den rechten Flügel, wirst kopfschüttelnd einen Blick aus die Front, dreht den Schnurrbart und kommandiert: „R — r —

rührt Euch!" —

Dies ist ein Bild, welches sich in diesen Tagen sehr oft wiederholt auf dem Hofe der „Franzer-Kaserne" in der Blücherstraße. Es ist eine bunt zusammengewürselte Gesellschaft, die sich dort, beordert durch die roten Zettel der Anschlagsäulen, in den letzten Tagen der Oktober und in den ersten Tagen des November zu den Kontrollversammlungen zusammen¬ findet. Der elegant gekleidete Stutzer steht neben dem dürftigen Proletarier, alle Berufsstände, Kaufleute, Studenten, Handwerker, Arbeiter, stehen dort, wie dereinst während der Dienstzeit in Reih und Glied. Manche alte Er¬ innerung wird wachgerufen, manche Bekanntschaft aus der Militärzeit auf¬ gefrischt und nach beendigter Kontrollversammlung beim Frühstück erneuert. Dieses Frühstück, das sich oft bis zum Dämmerschoppen ausdehnt, ist schon vielen, die des Guten zu viel genossen, zur Klippe geworden, und dies ist oft umso folgenreicher, als Konflikte mit der Polizei und den NachtWächtern am Tage der Kontrollversammlung von den Militärbehörden ge¬ ahndet werden, und mit den Kriegsartikeln ist nicht zu spaßen. Die Ver¬ lesung dieses „Auszugs aus dem Militärstrafgesetzbuche", welches den „Soldaten mit den ihm obliegenden Pflichten, mit den Strafen, wenn er seine Pflichten verletzt und mit den Belohnungen sür treue Pflichterfüllung' bekannt niacht, ist der Höhepunkt jeder Kontrollversammlung. Jeder fühlt sich bei dieser Verlesung lebhaft in die Dienstzeit versetzt; dar soldatische Bewußtsein wird in jedem ausS neue wachgerufen und gestärkt; jeder fühlt, daß er aufs innigste mit der Armee verknüpft ist, daß er jederzeit bereit sein muß, dem Ruf deS Königs zu folgen — und mit der Wachrufung

dieser

Empfindungen

erfüllt.

Der ältere

ist

der

liefere Zweck

der

Konirollversammlungen II. G.

fern im gujtgartcn.

Am 16. Juli 1747 hatte in der allehrwürvigen Schloß- und Domkirche auf dem Schloßplatz die letzte Predigt und Kommunion stattgefunden. Dann erfolgte der Ab¬ bruch der ursprünglichen Klosterkirche der Dominikaner oder „schwarzen Brüder", bei welcher sich „die Tüchtigkeit und Festigkeit der allen Mauern zeigte; denn die zersprangen eher, als daß der Kalk nachgegeben hätte, was — wie der Chronist lakonisch hinzufügt — „bei der heutigen Art zu mauern wohl angehen möchte!" Am 8. Oktober desselben JahreS wurde der Grundstein zu dem neuen Dom auf der von Friedrich dem Großen dazu auSersehenen östlichen Seite deS Lustgartens gelegt. Und zwar zwischen dem im Jahre 1650 von Memhardt erbauten kurfürstlichen „Lusthause", in desien oberen Saale dann seil 1738 die Kaufmannschaft ihre Börse ein¬ richtete und die Versammlungen der Kaufmannsgilde abgehalten wurden, während der untere Teil oder die „Grotte" den königlichen Bildhauern als Werkstatt diente — und zwischen demjenigen Teile der Schlosser, in welchem bis vor einigen Jahren noch die Schloßapotheke sich befand, während im oberen Stockwerk die königliche Bibliothek aufgestellt war. Unsere Illustration S. 45. zeigt noch einen Teil des in der Verlängerung dieses Schloßflügels errichteten Gebäudes, welches (nach Nicolai) der Große Kurfürst zur Anlegung einer Landesbibliolhek erbauen ließ. Dieser Plan gelangte indes nicht zur Ausführung; ebenso wenig die Ab¬ sicht Friedrichs III., hier eine lange Galerie zur Einsübrung der Ge¬ sandten errichten zu lassen. Infolge des Dombauer wurde der größere Teil jenes Gebäudes abgebrochen, während der Rest und ein Teil der Schloßapotheke bei Anlegung der Kaiser Wilhelmstraße fiel. Nach dem Plan des älteren Boumann wurde der Dombau dermaßen gefördert, daß im Jahre 1750 die Einweihung erfolgen konnte, nachdem vom 26. bis 29. Dezember des vorausgegangenen Jahres die Uebcrfllhrung der 49 fürst¬ lichen Särge aus dem allen Dom in die „Fürstengrufl" des neuen, bezw. in das Kirchenschiff stattgefunden hatte. Dar Bauwerk — ein längliches Viereck von 280 Fuß und einer Breite von 134 Fuß — zeigt an der Lustgartenseite den mittleren, hervortretenden Ausbau mit drei Haupteingängen zwischen 6 jonischen Säulen, und davor die breite Freitreppe. Zwischen den 4 Fenstern zu beiden Seiten der Fassade sind jonische Pilaster angebracht. Ringsum auf der Ballustrade erheben sich hohe Vasen; schmucklos in seinem Giebelfelde erscheint das Fronton über dem Portal, während an den Ecken zwei, von Glu me dem Aelteren gefertigte Kolossal¬ gruppen die Repräsentanten der alten und neuen Testaments verfinnbild-

-s uchen. Ueber dem Portal erhebt sich der Turm mit seiner, aus einer KreiSstellung korinthischer Säulen ruhenden Kuppel und gekrönt von einer Laterne, auf deren Kugel eine Wetterfahne mit darüber befindlicher Sonne angebracht ist. — Seine spätere, jedensallS nicht vorteilhaftere Gestalt er¬ hielt der jetzt im Abbruch befindliche Dom im Jahre 1817 durch Schinkel. Woltmann schreibt in seiner Baugeichichte Berlins: „Schon bei Lebzeiten Knobelsdorffs, gegen Ende der vierziger Jahre, kam an vielen Stellen die Mittelmäßigkeit in der Architektur obenauf. Namentlich der Kastellan Boumann, der noch bis 1776 lebte, erhielt zu thun, und recht häufig wurde ihm der Auftrag, nach eigenen Zeichnungen des Königs zu bauen. So bei dem neuen Dom zu Berlin, der die alte Domkirche am Schlo߬ platz ersetzen sollte. Noch jetzt füllt dieser Bau, dem einige Ausbesserungen Schinkels kein wesentlich kirchlicheres Gepräge verleihen konnte, die eine Seite de§ Lustgartens. Trotz eines KüppelturmeS in der Mitte — jetzt sind es drei — machte der damalige Bau eher den Eindruck eines zum Schloß gehörigen Stallgebäudes." Wir können im Hinblick auf R M. unsere Illustration dieser Ansicht nicht beipflichten.

Audiatur et altera pars. Die Berichtigung deS Herrn Rektor Beliardi hat eine Erwioerung des Herrn Dr. Landwehr in der „Post" hervorgerufen, die wir, getreu dem Grundsätze: „Eines Mannes Rede, ist keines Mannes Rede, mau soll sie billig hören beede," hier gleichiallS in ihrem Wortlaute folgen lassen: Nr. 273 dieser Zeitung hat P. Bellardi meinen Vortrag in dem Verein für die Geschichte der Mark Brandenburg, über den die Zeitungen ganz kurz berichtet haben, einer Kritik unterzogen, und hat namentlich mein dort abgegebenes Urteil über dar kürzlich erschienene Buch von Jagwitz zurückzuweisen gesucht. Ich erwidere daraus kurz Folgendes: 1. keinem Referat meiner Vortrages ist von „abgeschrieben," sondern stets von „abgedruckt" die Rebe. Um die Abhängigkeit JagwitzS von der 1826 erschienenen Geschichte deS Lützowschen Freicops von Ab. S. (d. General Schlüfier) klar zu legen, verweise ich auf folgende Ueberein¬

„In

In

I.

154 s — Sch. stimmungen. Jagwitz S. 139 f — Schlüssel S. 62 f, 155 fi 161 f 166 112 ff, Sch. 140 ff, Sch. 115 ff, 170 180 ff 182 Sch. 101, Sch. 107, Sch. 135 ff, 196 193 200 f Sch. 138, Sch. 151, Sch. Sch. 146, 356, 204 206 210—217 Sch. 159, Sch. 161, Sch. 186 ff, 221 223 ----- Sch. 167 s. In gleicher Weise Sch. 163, zeigt sich eine Abhängigkeit von der Schrift „K. v. L. Adolf von LützowS Freikorps in den Jahren 1813 und 1814, Berlin 1884." Ohne Angabe der Quelle sind herübergenommen: Jagwitz S. 75 f K. v. L. S. 45, 77 78 79 f — L. 48, 78 L. 48, L. 47, L. 46, 81 — L. 49. Wenn einige wenige Male in einer Note auf Schlüfier verwiesen ist, so kann niemand daraus den Schluß einer solchen Abhängig¬

I.

I.

I. I.

I.

=

I. I. =

= = =

I.

=

I.

=

= I. I. = = I. =

I.

I.

=

I.

I.

= I. I. = =

=

I.

2. Daß die Streitschrift vom Jahre 1884 (K. v. L.) aus der Feder

de? jetzigen Generals von Lützow stammt, ist mir sehr wohl bekannt. 3. Die Vorgänge in Rogau habe ich bei meinem Vortrag, so weit Körner dafür Quelle ist, nicht kritisiert, sondern daS Zusammentreffen

Friedrich Wilhelm III. ntii den Hallenser Studenten (v. Jagwitz S. 15 ff.). Der Bericht eines alten Lützowers, der hier als „ein anschauliches Zeitbild" abgedruckt ist, stammt aus der Broschüre „Ein Slreifzug der Lützowschen Reiterschar und der Ueberfall bei Kitzen, Berlin 1863." Der Verfasser dieser anonymen Schrift ist der Domänenrat GeSner. Einiges über die Unrichtigkeit dieser Darstellung hat bereits Voigt, Skizzen aus dem Leben Hoffbauers, einen Beitrag zur Geschichte deS Lützowschen KorpS, Halle 1869, gegeben. Weitere Ausführungen zu machen, ist hier nicht der Ort. Demnach halte ich mein Urteil über von Jagwitz' Buch als ein wohl begründetes ausrecht und sehe daS Buch nicht als eine wünschenswerte Be¬ reicherung der Litteratur an. Dr. Hugo Landwehr."

Frrcm; von Kleist. In

Nr. 23 ffgde. des vorigen Jahrgangs dem Titel „Franz von Kleist. Eine litterarische Ausgrabung" eine Studie von Paul Ackermann veröffentlicht, worin der Verfasser über die wenig bekannten Lebensschicksale und Werke jenes heimat¬ lichen Dichters Aufschluß giebt und denselben bezüglich eines seiner Werke, der „Sappho", mit Grillparzer in Parallele bringt. einer unlängst unter dem gleichen Titel bei Schöningh in Paderborn erschienenen Broschüre sucht Dr. Julius Schwerins, der Verfaffer der Buches „Franz Grillparzers hellenische Trauerspiele, auf ihre litterarischen Quellen und Vorbilder geprüst, Paderborn 1891", den eingangs genannten Verfasser jener interessanten Aussatzes als Plagiator darzustellen, indem er für sich in An¬ spruch nimmt, bereits früher auf die Beziehungen zwischen Franz von Kleist und Grillparzer aufmerksam gemacht zu haben. Er nennt die biographischen Mitteilungen Ackermanns „verworren" und bezeichnet Franz von Kleist als einen Dichter, „der nicht ein einziges poetischer Erzeugnis hinterlassen habe, dar uns sittlich wie ästhetisch befriedige." Da Ackermann den ihm zu teil gewordenen Vorwurf voraussichtlich nicht unbeantwortet lassen wird, so dürste eine interessante litterarische Fehde in Aussicht stehen, deren Endresultat noch nicht abzusehen ist. Wie denr aber auch sei, jedenfalls ist die Aufmerksamkeit der litterarischen Kreise erregt worden, und dürfte daher auch die Mitteilung eines schwärmerischen Briefes deS Dichters an Albertine von Jung, die Geliebte und spätere Gattin, mit der er in glücklichster Ehe lebte, von Interesse sein. Derselbe befindet sich in der Sammlung deS Einsenders obiger Zeilen, trägt keine Unterschrist, vielmehr abweichend von dem all¬

„Bär" wurde unter

Se¬

gemeinen Gebrauche den Namen des Dichters handschriftlich in der linken, oberen Ecke und hat folgenden Wortlaut: „Franz von Kleist." „Sie erlaubten mir gütigst, liebenswürdigster Fräulein, Ihnen beykommende Bücher zu überschicken, wofür ich Ihnen aufs innigste dankbar bin, weil ich mir durch dis Mittel Ihres Andenkens auf Augenblicke schmeicheln darf; ein großer Gewinn für mich, dem Momente in Ihrem Gedächtniß gelobt Jahrhunderte werth sind. Die Erfahrung lehrt, daß schöne Augenblicke Jahre deS Kummers verwischen, wie strafbar wird eS daher, mit der Zeit zu tändeln, wie wichtig ist jeder schon durchlebter Moment, da wir Kinder der Zeit oft zu schnell vom Busen der Mutter geriffen werden. Mit welchen Worten soll ich Ihnen also, edelstes Mädchen, für den jestrigen Tag danken? Schweigen ehrt eine Empfindung, wie die meinige für Sie, auf die nur das beredtere Auge zu deuten wagt; die Mahlerei der Empfindungen hat eine Gränze, die — unaufgefodert, nur der Heuchler, der Frevler Übertritt. Mit erschüttertem Herzen steh ich jetzt an dieser Gränze, sagte so gern mehr, sagte Ihnen so gern Alles was die Seele in Momenten süßer Begeistrung fühlt: jetzt aber muß ich erst Ihre Deutung erwarten, überzeugt, daß AlbertinenS himlischeS Auge nur Wahrheit spricht. Sehnsuchtsvoll harr ich des heutigen ConzertS, wo ich Sie sehen, bewundern, vergöttern, und entweder reichen Stofs zur Freude, oder reichen Stoff zur Schwermuth einsamlen werde; bis dahin schwebt Ihr Bild, im Spiegel der Erinnerung entworsen, Ihr göttliches Bild vor meinem Geiste! —"

Berlin, d. 1. Xbr. 91. Daß bildliche Darstellungen Franz von Kleists übrigens öfter mit Schiller verwechselt worden sind, davon zeugt auch ein gleichfalls in der Sammlung des Einsenders befindlicher Stich — G. Schwarz fecit — welcher Ackermann nicht bekannt zu sein scheint. Er zeigt die aus Seite 268 des „Bär" wiedergegebene Darstellung von der Gegenseite, im Hintergründe landschaftliche Motive, in ornamentaler Umrahmung mit der gedruckten Unterschrift: Friedrich v. Schiller Charlotte v. Lengefeld.

Loltmiät-Xsufiaus.

=

keit ziehen.

der

48

Fragekasten.

Milstelm

erhalten wir folgende Zuschrift: der Verfasser von zwei bühnenwirksamen Preis¬ stücken „Adjutant" und „Gerechtigkeit und Rache," wurde als Sohn des Bürgermeisters im Magdeburg. Städtchen Loburg, geboren am 21. April 1752 nicht 64, wie die litter. Handbücher, Gödecke, „Grundr.," Jördens, „Lex. Hamb. Schriftst." „Schmidt u. Mehring, gel. Berlin." angeben) und starb als KriegSrat im Forstdepartement zu Berlin, den 28. Nov. 1808 am NeroenWährend der 80 er Jahre hielt er sich in Hamburg auf als fieber. Sekretär des dortigen Comptoirs mit Niederlage der k. pr. Hauptnutz- und Brennholz-Administration, erübrigte hinreichend freie Zeit für eine Be¬ schäftigung mit dem Schröderschen Theater, zunächst im Regiffement der 2. Aktionisten-Entreprise (v. Vogt, Greon und Bostel), dann als Direktor beim Unternehmen von H. Andr. Dreyer (1781 bis 83) und heiratete eine Hamburgerin, welche den Mann in seinen litterarischen Arbeiten erfolgreich unterstützte („Cecilie Bewerley", „Dechant v. Killerine"), aber schon am 23. Juli 1793 nach 6 jähriger Ehe im Kindbett zu Berlin verstarb. Eine zweite Frau, Mutter des k. OberbergrateS Brömel in Salz Ihr widmete 1797 der bek. Berl. Schriftsteller wedel, lebte noL 1838 und Uebersetzer Wilh. Chsthf. Siegm. Mylius 3

Havel geführt wurde. Die Arbeiten zogen sich bis zum Jahre 1718 hin. Es wurden im ganzen Gräben von 508 km (oder 67 8/4 Meilen) Länge ausgehoben. Der bei Hohennauen angefangene große Kanal ist von da bis an das Mühlenwasser allein 50,6 km (oder 6 3 /4 Meilen) und von dem Mühlen¬ wasser bis an den pommerschen See 30 km (oder 4 Meilen) und also überhaupt 80,6 km (oder 10 s/4 Meilen lang). Der Gesamt-Arbeitslohn betrug 70 000 Thaler, von denen der König 19 OOO Thaler zahlte. In dem entwässerten Luch wurden folgende Ortschaften neu angelegt: Königshorst, Kuh¬ horst, Mangelshorst, Deuischhof, Herlefeld, Dreibrücken, Ribbeckshorst, Sandhorst, Lobeofsund, Seelenhorst und Kienberg. Für die Stadt Nauen selbst hatte die Entwässerung des Luchs zunächst den Vorteil, welcher ein fließendes Gewässer überhaupt für eine Stadt hat, und insbesondere die Möglich¬ keit, sich den größten Teil seines Bauholzes durch Flöße herbeizuschaffen. Die sämtlichen Wiesen wurden durch die Entwässerung eigentlich erst nutzbar gemacht, der ganze niedrig gelegene Teil des Stadtforsts in einen kulturfähigen Zustand versetzt, so daß sich die Melioration auf ungefähr zwei Drittel der gesamten Feldmark erstreckte.

Die weitere Geschichte Nauens im 18. und 19. Jahr¬ hundert bietet nur wenige Punkte, die von mehr als rein lokalem Interesse sind. Anfang der dreißiger Jahre des 18. Jahrhunderts hatte die Stadt die Ehre, daß der Kronprinz Friedrich, der spätere große König, mit seinem Bataillon in Nauen in Garnison stand. Es war die Zeit, ehe er nach Ruppin und Rheinsberg übersiedelte. Er wohnte in einem Hause der Potsdamer Straße, die damals die Breite Straße hieß; dasselbe gehörte den Ahnen des jetzigen Besitzers, des Kaufmanns Theodor Kerkow. Leider sind die historischen Erinnerungszeichen an diesen Aufenthalt des großen Königs, zwei goldene Stenie auf den Enden des Dachfirsts, vor einigen Jahren von dem Hause entfernt worden. Man besitzt aus dieser Zeit drei Briefe aus dem Jahre 1732, welche der Kronprinz von Nauen aus an Grumbkow in Berlin ge¬ schrieben hat; dieselben sind u. a. in Carlyles Geschichte Friedrichs II. (Band II) abgedruckt und zeigen uns an dem fürstlichen Oberst und Regiments-Kommandeur sehr interessante Seiten. Im siebenjährigen Kriege gehörte Nauen zu den wenigen glücklichen Städten, die keine feindlichen Truppen in ihren Mauern sahen; auch in den übrigen Kriegen des 18. Jahr¬ hunderts blieb Nauen völlig von diesen verschont. In den Jahren 1759/60 hatte der Magistrat einen Streit wegen Neu¬ besetzung des Bürgermeister- und Stadtrichteramtes, der für die mangelnde kommunale Selbstständigung der damaligen Zeit überaus charakteristisch ist. Der Kriegs- und Domänenrat von Below zu Lindow bestätigte den von den Nauenern gewählten Kandidaten nicht, nannte das Vorgehen des Magistrates „Absurda" und octroyierte der Stadt den Bürgermeister Stengel. Dieses Verfahren, ein heftiger Schlag gegen die Städtefreiheit und die Selbstverwaltung, wurde, wie Or. Bardey mit Recht in seinem Buche betont, die Ursache, daß die Teilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten aufhörte und der Gemeinsinn Derartige Uebergriffe der königlichen Kommissarien, erschlaffte. dieses Bevormundungssystem rächte sich nach dem Heimgang des großen Königs bitter und führte zu den Niederlagen bei Jena und Auerstädt.

70

s-

Als

die Zeit der schweren Not,

das

Jahr 1806, nahte,

zeigten

sich die Früchte dieser verkehrten Regierungsweisheit: Auch Nauen zeigte jenen bedenklichen Mangel an Vaterlands¬

liebe, der uns aus jener Epoche so befremdend anmutet. Der Landrat von Bredow auf Senzke befahl zur Mobilmachung Lieferungen; doch die Stadt weigerte sich zu gehorchen und legte am 16. Januar Beschwerde ein beim Kriegs- und

Steuerrat von Lindenau zu Lindow. „Weil", heißt es in dem Schreiben, „sich inmiltelst der politische Himmel aufzu¬ klären und der Friede nahe zu sein schien, und überhaupt, weil wir uns leicht vorstellen konnten, die höchsten Landes¬ kollegia würden ohne Anregung der Städte von selbst schon geneigt gewesen sein, die so sehr gesunkenen kleinen Städte durch solche exhaurierende Leistungen nicht vollends zu erschöpfen und nie irgend eine Verfügung wegen einer Lieferungsleistung von Ew. p. erging, so erachteten wir die Sache vor beigelegt." Ebenso merkwürdig wie diese unpatriotische Beschwerde Nauens ist die freundliche Antwort, die von Lindenau darauf erteilte. Er wies in seinem Schreiben vom 18. Januar dar¬ auf hin, daß „jeder Acker- und Wiesengrundbefitzer, er sei, wer er wolle, von Adel, Geistlicher, Domänen- oder anderer Pächter, Bürger und Bauer ohne Rücksicht auf irgend ein Priviligium liefern solle", und „so werde Ein Edler Magistrat wohl selbst einsehen, daß die Stadt Nauen sich der Lieferung nicht entziehen könne."

Auf diese Weise wurde durch langwierige Verhandlungen die Zeit vertrödelt, während in dem Heere des gewaltigen Korsen, dessen Kriegsvölker

sich

bereits drohend zusammenzogen,

nur ein Wille herrschte. Nauen stand leider in seinem Un¬ patriotismus nicht vereinzelt da; zahlreiche Gemeinden machten sich vielmehr derselben Sünde schuldig. Die Strafe folgte jedoch der letzteren auf dem Fuße, und wie im 30 jährigen Kriege wurde Nauen auch zur napoleonischen Zeit schwer heimgesucht. Bereits am 25. Oktober 1806, nachdem die Katastrophe über Preußen hereingebrochen war, erschien Marschall Bernadotte mit 7000 Mann in Nauen, während 15000 vor den Thoren biwakierten. Im ganzen hatte Nauen bis Ende 1806 270 Offiziere, 23828 Mann und 6103 Pferde in Einquartierung, was eine Ausgabe von 47000 Thlr. verursachte. Die Ver¬ luste durch Plünderung. Brandschatzung werden auf 11000 Thlr. berechnet, der Durchmarsch oer französischen Truppen am 25. und 26. Oktober kostete 24750 Thlr. Weitere Zahlen¬ angaben liegen auch aus den Jahren 1807/1808 vor. Nauen hatte vom 24. August 1807 bis 15. Juni 1808 im ganzen 3296 Offiziere, 6287 Unteroffiziere. 71869 Gemeine und 2928 Pferde einquartiert. Diese Zahlen sprechen in beredter Weise dafür, wie schwer auch Nauen von Napoleon, „der Zuchtrute Gottes", geschlagen wurde. Die Stein-Hardenbergsche Gesetzgebung bahnte die Wieder¬ geburt des preußischen Staates an, und auch Nauen nahm teil an dem nationalen Aufschwünge. Die neue Städteordnung wurde am 3. August 1809, dem Geburtstage Friedrich Wilhelms III., eingeführt. Als 1813 der Kampf gegen den Erbfeind begann, war in Nauen nichts mehr von der Laschheit des Jahres 1806 zu verspüren, und in der altehrwürdigen Kirche meldet eine Tafel, daß auch 25 Nauener den Helden¬ tod für das Vaterland gestorben sind in jenem ruhmreichen Befreiungskriege; 81 andere Männer erhielten die Denkmünze. Aus dieser drangvollen Zeit behielt Nauen eine Schuldenlast,

■•8

71

von Slaatsivegen auf 218 Millionen Thaler fest¬ Bis in das letzte Jahrzehnt hinein hat die gestellt wurde. Siadt von jener Zeit her Abzahlungen leisten müssen, ein Beweis, wie furchtbar unser Vaterland damals heimgesuchtworden. Die weiteren Geschicke Nauens in diesem Jahrhundert Das kleine Landstädlchen er¬ bieten wenig Bemerkenswertes. holte sich allmählich von den tiefen Wunden, welche der Krieg ihm geschlagen hatte. Wichtig für seine Weiter-Entwicklung

&•— Wir

die 1820

Jahre 1830 und 1846, welche die Chaussee, beziehungs¬ Die Jahre weise die Eisenbahn nach Hamburg brachten. 1864, 1866 und 1870/71 zeigten die Nauener als gute, Bei dem Sturm auf die Düppeler preußische Patrioten. Schanzen wurden 15 Söhne aus dem Kreise getötet oder ver¬ wundet. Das Kriegerdenkmal in den Anlagen von Nauen meldet, daß 1866 5 Nauener den Heldentod starben; bei Vionville fielen 12 , bei Sedan 9, im übrigen 1870 12 Nauener. Die Stadt hat somit die Schmach von 1806 reichlich abgewaschen und mit dem Blute ihrer Söhne die damalige Sünde reichlich sind die

gesühnt.



sind nunmebr am Ende unseres Auszuges aus der

Stadl Nauen, welches durch die Einführung des Vorortverkehrs unserer Reichshauptstadt so nahe gebracht ist, und welchem durch diese Verkehrserleichterung gewiß ein neuer Geschichte der

Aufschwung beschieden sein wird. Das freundliche Landstädtchen, von welchem wir demnächst Ansichten zu bringen gedenken, zählte am 1 . Dezember 1890 8119 Einwohner in 674 Wohn¬ stätten.

Die jetzt

Vorhandensein

so

eines

bequeme Verbindung

Realprogpmnasiums,

mit Berlin, das einer

höheren

Mädchenschule und eines Mädchenpensionars, das rege geistige gesellige Leben lassen für die Zukunft der betriebsamen Stadt das Beste hoffen. Möge Nauen, an dessen Namen sich so viele historische Erinnerungen knüpfen, in Ackerbau, Hand¬ werk, Handel und Industrie ferner einen gedeihlichen Aufschwung nehmen, und mögen von ihm für alle Zukunft die schweren Heimsuchungen fern gehalten werden, unter denen es in den Kriegsstürmen der Vergangenheit so schwer zu leiden hatte —

und

das ist der Wunsch, welchen wir zu der 600 jährigen Stadtwerdungsseier Nauens hegen!

Kleine Mitteilungen. Girre errrste Feree vollzog sich am 24. v. Mir., in der Mittagsstunde, auf dem neuen Dreifaltigkeitskirchhofe in der Bergmann¬ straße; die Weihe des von Künstlerhand geschaffenen Denkmals Karl BoetticherS, der bekannten Architekten und Archeologen. In vornehmer Einfachheit erhebt sich die weiße Marmorstele, in die ein Porträtrelief in Bronze, von Albert Wolff modelliert, das den Verewigten in seinen Auf derselben Grabstätte ruht besten ManneSjahren darstellt, eingefügt ist. auch BoetticherS lang vor ihm geschiedener Freund, der Maler und Dichter August Kopisch, desien Andenken gleichfalls durch ein von der Familie ge¬ stiftetes Reliefporlrät in Bronze, modelliert von Otto Geyer, verewigt ist. Auch dieses in die Mauer eingelassene Bildnis war wie das BoetticherS, von Lorbeer umkränzt. — In eigenartigem Kontrast zu der in griechischem Geiste fast heiter schön geschmückten Stätte, mit den leuchtenden Blüten der Erika, den weißen Tänien, den hohen Lorbeerbäumen, stand der über der Versammlung von Freunden, Verehrern und Schülern des Verewigten sich wölbende nordisch graue Himmel. Freilich fehlten manche, die im Herzen der Feier nahe stehen mußten, da gerade zu derselben Stunde eine Sitzung der Akademie des höheren Bauwesens angesetzt war. Dennoch war die Zahl der trotz deS rauhen Wetters Erschienenen, unter denen sich auch eine be¬ trächtliche Anzahl von Damen besand, ansehnlich genug. Wir bemerkten neben der Witwe und den nächsten Angehörigen, zu denen Geheimrat Leyden als Schwager des Verstorbenen zählt, die Architekten Tiede, Emmerich, Orth, Schmieden, Ziller, Gerstenberg, den Direktor am Kunst-GewerbeMuseum, Professor Ewald, die Professoren Siemering und Plockhorst, GeneralLieutenant von Spitz, Generalmajor z. D. Cleinow, Oberst-Lieutenant a. D. von Egidy, den bekannten Schriftsteller Robert Schweichei, den greisen Ge¬ lehrten und Forscher in den orientalischen Wissenschaften,^Konsul Dr. Wetzstein und viele andere. Eingeleitet wurde die Feier mit dem von dem Hcnnebergschen Chor vorgetragenen Liede: „Sei getreu bis in den Tod," worauf Baurat Tuckermann zur Seite der Stele trat, und in schwungvoller Rede das Andenken des Meisters und Freundes feierte, den er einst auf dessen erster Reise nach Griechenland begleitet hatte. Er sprach etwa solgendeS: Mehr denn die toten Worte der Erinnerung, welche dieser Stein ausspricht von ihm, der hier ruht, drückt unsere heutige Versammlung an seinem Grabe aus. Sie legt Zeugnis ab von der Liebe, welche dem Heim¬ gegangenen über das Grab hinaus gezollt wird, wie auch er im Leben Liebe reichlich säete, von der Treue, mit welcher wir, seine Schüler, das anvertraute Pfand, welches er uns hinterlasien, sein Testament, bewahren wollen, von der Hoffnung, daß dieses Testament: seine Lehre von der organischen Formenbildung dereinst als ein allgemein giltigeS Gesetz in der ganzen künstlerisch-tektonischen Welt anerkannt werde. Dieses Grab soll sür uns alle eine Heimstätte weihevoller Erinnerung bleiben, in welchem soviel geistige Größe ausruht von der Arbeit, die den Besten ihrer Zeit genug gethan. Bezeichnend drückt die feine Linienführung der Krönung der Stele, symbolisch den Seelenadel, der zarte weiße Stein des Monuments die Reinheit der Gesinnung unseres Meisters aus, desien ganzer Streben der Wahrheit, Schönheit und Vollendung galt. In ihrer Formverwandtschast schließt diese Marmorstele sich an jenes ferne Grabdenkmal an, das in Athen auf ColonoS die Asche Ottsried MüllerS deckt, des Lehrers von Boetticher aus archäologischem Gebiet, und an die, nicht fern hier in Berlin sich erhebende Stele auf Schinkels Grabe, der beiden Männer, deren Manen Boetticher die Hauptarbeit seines Lebens, die Tektonik der Hellenen gewidmet hat.

Beide, Boetticher wie Schinkel, strebten die Neu-

belebung des Geistes hellenischer Kunst an, um in der Erkenntnis derselben auch Individuelles sür unsere Zeit zu schaffen, der Mitwelt zur Befriedigung, der Nachwelt zur Förderung. Sie hatten die Augen nach Hellas gerichtet, ihr Geist war in Bewunderung entbrannt für die Formenschönheit der Antike, ihr ganzes Herz aber gehörte der heißen Sehnsucht der Romantik an, durch die Vollendung des eigenen Individuums in Kunst und Leben an dem GotteSreich auf Erden mitzubauen und selbst zur GotteSkindschafi zu gelangen. So war auch Boetticher nach seinem ganzen kernigen Wesen typisch ausgeprägt ein Deutscher und Protestant, nicht nur ein Landsmann Luthers, sondern gleich ihm mit demselben WahrheitSdrang erfüllt, mit demselben Feuereiser die Wilkür zu stürzen, und die Ideale auf den Thron zu heben, aber auch unter denselben Anfechtungen und Kämpfen eines Auch beute sind die Meinungskämpse ja noch nicht Reformators leidend beendet, auch heute noch gilt in der Achtung der Majorität oft eine philosophisch durchdachte Kunstthätigkeit eher als ein Zeichen des Nieder¬ ganges der Kunstleistungen, und alternder Erfindungskraft, statt wie eS in Wahrheit ist, der notwendigen Erfüllung des Gebotcs sür alles künstlerische Schaffen. Fordert man doch heute in der Uebertreibung des Losungs¬ wortes der Zeit vom Künstler, daß er ohne Gesetze nur seiner eigenen selbstherrlichen Individualität, seiner Natur nachlebe. Solche Forderungen freilich gleichen nur den schon oft durchlebten Strömungen, die nicht über den Tag währen, weil sie der Willkür und nicht dem vordenkenden Verstand Bedarf doch selbst der höchste Genius der gesetzmäßigen entspringen. Kritik seines Schaffens und Bildens, wie Gottes Werke selbst die Harmonie der Gesetze, die Vereinigung der „Weisheit, Schönheit, Stärke" darstellen. Dagegen gilt von BoetticherS Lehre der organischen Formenbilvung daS Wort der Schrift: „Was vom Geiste geboren ist, das ist Geist." Hierin beruht auch unser Glaube und unsere Hoffnung, daß auS dem heute zwar noch kleinen Samenkorn seiner Schule, von Gottes Segen beschirmt, durch die Kraft der Wahrheit getragen, dereinst ein mächtiger Baum erwachsen werde. Darum möge un« dar Andenken BoetticherS in dieser weihevollen Stunde, an diesem geweihten Erinnerunzsstein, anfeuern, unentwegt mit zu arbeiten an seinem Werke der Vollendung alles tektonisch-künstlerischen Schaffens durch Wahrheit. Schönheit und Gesetzmäßigkeit. Mit einem „Obairs, ebairs, xbiltats" schloß der Redner. Konsistorialrat Dryander fügte diesen warmgefühlten, ergreifenden Worten ein weihevolles Gebet hinzu, in welchem er Kunst und Schönheit als Ausfluß göttlichen Lichtes preisend, die Stätte segnete. Der schöne Gesang: „Wie sie so sanft ruhen" beendigte die erhebende Feier, wonach die Pietät noch viele Kränze niederlegte. Unter diesen Kränzen besand sich auch einer, den die Loge zum goldenen Pflug durch ihrem Meister vom Stuhl, Herrn Buffe, dem Heimgegangenen widmete.

„Parum nur

einer?" Bekanntlich wurden Ausgangs der 60 er Jahre an Sonntagen häufig Zöglinge des Potsdamer Kadetten-KorpS als Gespielen unserer jetzigen Kaisers und seines erlauchten BruderS, des Prinzen Heinrich von Preußen, zu Hofe „kommandiert." Um einer solchen ehrenden Kommandierung teilhastig, zu werden, machte sich unter den kleinen ZukunftSmarschällen der Tertia, aus welcher Klaffe die Prinzengespielen fast ausschließlich entnommen wurden, ein Fleiß gellend, den man sonst nur kurz vor der Versetzung nach der Sekunda, nach der Haupt-KadettenAnstalt, kannte. Nun gab er aber unter diesen Zöglingen auch solche, die Ein solcher durch allerlei Dummheiten sich wichtig machen wollten.



72

„Schlot" war der Kadett von B., der, fürchtend „abgegangen", d. h. aus dem Korps entfernt zu werden, falls er nicht die Reife für die Sekunda erlangte, auf die Idee verfiel, der Lateinlehrers Notizbuch, in dem er so schlecht angekreidet war, sich heimlich anzueignen und für immer ver¬ schwinden zu laflen. Diese Eskamotage gelangte zur Kenntnis des Kom¬ mandeurs, und da eine Untersuchung deS Aufsehen erregenden Faller refultatioS verlief, fo verhängte der Herr Oberst von Hochstetter über die ganze Tertia der I. Kompagnie eine empfindliche Strafe. Er entzog ihr so lange den Sonntagurlaub, bis sich der oder die Attentäter melden würden. AIS der nächste Sonntag herangenaht war, und sich noch immer niemand gemeldet hatte, vom Hoflager deS Kronprinzen aber der Befehl gekommen war, von jeder der beiden Kompagnien je einen Kadetten „ab¬ zukommandieren", da wurde nur von der zweiten Kompagnie ein „Mann" gestellt, der, als er abends kurz vor dem Zapfenstreich, mit „Fressalien" reich beladen, wieder nach der Anstalt zurückkehrte und erzählen mutzte, wie es denn bei „KronprinzenS" gewesen sei, berichtete, datz beide Prinzen als er allein im Palais anlangte. „Warum nur einer?" habe Prinz Wilhelm gefragt, und als der Erzähler so gethan, als ob er die Frage überhört habe, hätte der Kronprinz, dem die Ursache deS Ausbleibens deS anderen Kadetten rapportiert worden fein mutzte, seinen Söhnen die ganze Notizbuchgeschichte haarklein erzählt, und Prinz Wilhelm wie Prinz Heinrich unter diesen Umständen auf „einen von der 1. Kom¬ pagnie" gern verzichtet. — Am darauf folgenden Sonntag erschienen wieder zwei Prinzengespielen bei Ihren Königlichen Hoheiten, denn der Eskamoteur sehr

erstaunt

waren,

nungen begleiteten Strophen. Dabei bekommen Fortschrittsmann, Mucker und Junker ihr redlich Teil und eine Dosis Antisemitismus ist auch mit beigemengt. Wir können des Dichters hoffnungslose Meinung nicht teilen — der deutsche Michel wird, das hat er oft genug bewiesen, sich seiner —i. Haut schon wehren.

Unauslöschlich und andere UaneUen. Wohlbrück.

Berlin 1892.

Von Olga Verlag von Schweizer und Mohr.

Preis 3,50 Mk., gbd. 4.50 Mk. Man merkt es ihnen diesen Novellen liegt französischer „Esprit." an, daß die Versafferin auf französischen Bühnen als Schauspielerin thätig war. Durch Gewandtheit und Leichtigkeit deS Konversationstones, Feinheit der psychologischen Motivierung ist namentlich die erste der Novellen, die Es wird der Sammlung den Namen gegeben hat, ein KabinetiSstück. in derselben ein sehr heikles Thema mit großer Unbefangenheit behandelt,

In

so daß die Novelle wie auch einige der folgenden Backfischen nicht in die Desto wärmer verdient sie allen denen Hand gegeben werden kann. empfohlen zu werden, welchen an einer Lektüre liegt, die zum Denken 8. G. anregt.

besagten Notizbuches hatte sich inzwischen freiwillig gemeldet. Die erste Frage, die der kleine Prinz Heinrich an seine Kadetten-Gespielen richtete, war, datz er wissen wollte, wie denn eigentlich die Sache mit dem Notizbuch des Lehrers verlaufen fei, und wer der Uebelthäter war; aber Prinz Wilhelm, der es seinen Gästen anzumerken schien, daß ihnen die Berührung dieses Themas peinlich war, sagte: „Aber Heinrich, wer wird denn fo neugierig sein," und lenkte die Unterhaltung geschickt auf ein anderes

LI. LI.

Gebiet.

Küchertisch. Goschirtpto

non Narren und GsttzaneUand.

Georg Bardey.

Mit

zahlreichen Abbildungen. Verlag von Max Babenzien. Preis 10 Mk.

Von Dr. Ernst Rathenow 1892.

Diese umfangreiche Schrift über die Geschichte deS osthavelländischen KreiseS ist dar Ergebnis mehrjähriger, mühevoller Arbeit. Der Verfasier, Lehrer am Realprogymnasium zu Nauen, hat sich, wie er im Vorworte bemerkt, „bestrebt, unter Zugrundelegung urkundlicher und amtlicher Quellen keine romanhaft ausgeschmückte, sondern eine auf wifienschaftlicher Forschung beruhende gemeinverständliche Darstellung der engeren HeimatSgeschichte zu bieten." Dieser Ziel hat er, wie wir vorausschicken wollen, im vollen Um¬ fange erreicht; er hat für daS in Rede stehende Gebiet mit seinem Werke, welcher sich weit über dar Niveau einer Chronik erhebt, eine Lücke in der Litteratur in dankenswerter Weise ausgefüllt.

Der Geschichte Nauens, dessen 600 jährige StadtwerdungSfeier den äußeren Anlaß zu der Herausgabe der Werkes bol, an welcher sich die Kreis- und Stadtbehörden mit einem Zuschuß von fünfzehnhundert Mark beteiligt haben, ist der größere Teil deS interessanten BucheS gewidmet, das in der Bibliothek jeder märkischen GeschichtSsreundeS zu finden fein sollte. Den Inhalt dieser Teiler hat der „Bär" in seinen drei letzten Nummern in dem Aufsatze „AuS der Geschichte NauenS" im Umriße wiedergegeben. Einzelne Abschnitte auS dieser sehr eingehenden Stadtgeschichte rühren von anderen Verfassern her, fo die evangelische Kirchengemeinde von Nauen vom Diakonus Bernhard Schalm, das Elementarschulwesen von Nauen vom Konrektor Franz Brümmer, das Realprogymnasium von Nauen von Rektor Dr. Friedrich Schaper, die gerichtlichen Verhältniße von Nauen in einzelnen der neuesten Zeit vom Amtsgerichtsrat Rudolf Schriltze. Partien hat der Sammeleifer der Verfassers Einzelheiten durch den Druck wiedergegeben, die uns nichtig erscheinen. ES tritt dies namentlich in der neueren Zeit hervor (z. B. Skandalgeschichte von 1812, S. 247 u. ff., Mordthat 1820, S. 262 u ff.) An die Geschichte von Nauen schließt sich die von Fehrbellin, Ketzin, Kremmen, sowie von 88 Ortschaften des ost¬ havelländischen Kreises. Alles in allem bietet der Verfasser ein äutzerst schätzbares Werk von wissenschaftlichem Werte. Zu bedauern ist, daß der Bilderschmuck nicht auf der Höhe der Zeit steht, namentlich die Zinkätzungen gereichen dem Buche nicht zur Zierde. Es hat dies vielleicht in der Schnelligkeit, mit welcher die Drucklegung deS Werkes erfolgte, seine Ur¬ sache, da die Veröffentlichungen deS Babenzienschen Verlages sonst in jeder Beziehung vorzüglich sind. 8.. 6-.

In

Dev deut sehe Mirtzol. von Fedor Flinzer. 1,50 Mk.

Ein politisch Lied!

Von Georg Bötticher. Randzeichnungen Leipzig, Verlag von Karl Jacobson. Preis

Es ist „dem größten Deutschen" gewidmet, dar¬

April, seinem Geburtslage. Die unbegrenzte Verehrung Gründers deutscher Einheit", einerseits, und der (oft maßlose) Hohn und Spott gegenüber dem „deutschen Michel" andererseits — das ist Zweck und Inhalt der formgewandten, von treffenden Zeich¬ gebracht zum 1. des „Alten, des

Eine Denkmünze ist zur 400jShrigen Jubelfeier der Entdeckung Amerikas geprägt worden. Im Avers derselben befindet sich das Bildnis der berühmten Entdeckers mit seinem geistvollen und mutigen GesichtSauSdruck, welches nach einem, im Marine-Museum zu Madrid befindlichen Oberhalb des BildniffeS steht die Umschrift Gemälde ausgeführt ist. „Christoph ColumbuS", während sich unterhalb derselben als Sinnbilder der Seefahrt in leichter Gruppierung Schilf und ein Anker anlegen. Im Revers sieht man ein anmutiges Bild, aus der Vogelperspektive dargestellt: Die Küsten der alten Welt und Amerikas. Ueber dem zwischenliegenden atlantischen Ocean, auf welchem die Entdeckungsfahrt, vom spanischen Hafen PaloS bis zur erftentdeckten Insel San Salvador, deutlich zu er¬ kennen ist, schwebt ein Genius, von leichtem Gewände umflattert, dem neuen Erdteile mit schwellendem Segel zu. Auf letzterem erblickt man die Jahreszahl 1492, während sich am Rande die Denkschrift befindet: „Zum sOOjährigen Jubiläum der Entdeckung Amerikas 12. Oktober 1892." Die 60 mw im Durchmesser haltende Münze in ihrer tadellosen Prägung und schönen Komposition ist vorläufig auS massivem Silber in beschränkter Anzahl hergestellt worden; es gelangen jetzt aber auch Stücke in Bronce und Aluminium zu Mk. 10,00 zur Ausgabe. Weitere Exemplare werden ebenfalls in der Größe eine? FünfmarkErstens mit den ftückes zu Mk. 7,50 in massivem Silber geschlagen. bereits geschilderten Reliefs der Vorder- und Rückseite, und zweitens mit dem Bildnis des Kolumbus im AverS und im Revers mit einem sehr glücklich gewählten, sinnreichen, von Epheu umrankten Spruche, der also lautet: „Du lebst für alle Zeit. Durch Deine That hast Du den ewigen Tempel Dir gebaut, wo Deines Namens Flammenzüge lodern." Ferner Die Münze, ein Meisterstück das Datum 1492—12. Oktober 1692. deutscher Prägekunst, ist aus der Berliner Medaillen-Münze von Otto Oertel, Gollnowstraße 11a, hervorgegangen und soll im nächsten Jahr in Chicago zur Weltausstellung gebracht werden. Als Mitarbeiter finden wir Christensen sculpsit, auf dem Kunstwerke folgende Namen verzeichnet: Ernst Deitenbeck medailliert, Arthur Tauer direxit.

I.

Nummer der neuen, geschmackvoll aus¬ und Salonblatt" (Expedition: Berlin 8., Friedrichftr. 105s.) bietet eine Fülle interessanten Stoffes. Unter „Was wir wollen" erklärt die Redaktion (Harry v. Pilgrim und Bruno Wolfs Beckh), indem es sich an alle wendet, welche durch Geburt, Geist, Stellung oder Besitz hervorragen, ein vornehmes Familienblatt liefern und eine unabhängige, aristokratische Politik treiben zu wollen. Beide Aufgaben scheint das „Adels- und Salonblatt" in glücklichster Weise zu lösen, denn die beiden politischen Artikel der ersten Nummer sind fein durchdacht, und der belletristische und belehrende UnterhaltungSstosf, der darauf folgt, ist durchgängig neu und entstammt den Federn namhafter Autoren. Ernst v. Wildenbruch hat sein neuestes Gedicht „Riese Simplon" beigesteuert, Gerhard v. Amyntor eigene Erlebnisse „Im goldenen Mainz." Recht anniutend ist auch noch das „Geharnischte Trinklied" von Harry v. Pilgrim. Kritische Aufsätze über Kunst und Theater. Spezialberichte aus Wien und Paris, ein genealogischer Essay, ein Modebericht, ein BörsenWochen-Bericht, eine Rätsel-Ecke und Notizen mancherlei Art machen das Blatt hochintereffant. Probenummern werden unentgeltlich abgegeben.

Die uns vorliegende

gestatteten

Wochenschrift

erste

„Adels-

Für die Redaktion verantwortlich: Richard George in Berlin 8. 58. — Abdruck ohne eingeholte Erlaubnis ist untersagt. Verlag: Fr. Zi liessen, Berlin 8., Schönhauser Allee 141. — Druck: Buchdruckerei Gutenberg, Berlin 8. Schönhauser Allee 141a.

Unter lUitwirkung

@6rirtßuicr, Dr. H. DrendicKe, fRljectbciv Fontcrno, Stadtrat G. Fviedet, Ford. Meyer, Gymnasialdirektor Dr. M. Scizwarl; und Ernst n. MUdendrurh,'

Dr. R«

herausgegeben von

Friedrich Lilleffen

XIL.

Der

Zabrqang.

„Bär"

und

Richard George.

erscheint wöchentlich am Sonnabend und ist durch jede Postanstalt

«w

/

v

unter Friedrich item Grrchen. ( 6 .

■'v

r J V/f ;/

'

-

181 .)

Aus! Jederzeit kampfbereit! (Verlag von F. HirtLSohn in Leipzig.)

bloß mich, sondern auch die Würde, die ich bekleide, beleidigt, und so erkläre ich Euch denn, daß Ihr morgen die Anspannung zur Dorsreise stellen werdet, und sollte ich mit 20 Schützen und allen Ratsdienern und Markimeistern Euch die Pferde aus dem Stalle holen. Und nun weise ich Euch hinaus aus diesen Räumen, in denen ich der Herr bin. und die Ihr durch Euer unflätiges Benehmen entweiht habt. Hinaus, oder ich lasse Euch durch die

Sladtdiener hinausschaffen."

„Hinaus!" rief der Stadtrichter. „Hinaus," dröhnte der Chorus des Rats

dem Fernemüller entgegen, indem die Mitglieder desselben sich vor den Bürger¬ meister stellten, und die Stadtdiener, darunter Baltzer, herbei¬

eilten. Einen Augenblick zögerte der Fernemüller noch, mit den Zähnen knirschend. Er hob den Arm, um sich auf den Bürger¬ meister zu stürzen, doch fünf Fäuste ballten sich ihm entgegen.

und er ihm das Thor wider den Befehl des Rats heimlich öffnete und ihn hinausließ. Dabei war es oft genug vor¬ gekommen, daß Asmus auch noch in der Wachtstube, namentlich bei Winterszeit, bei prasselndem Feuer einen Augenblick ver¬ weilte und seinen Freunden, die sich grade unter den wacht¬ habenden Schützen befanden, Bescheid that. Er war ein gar reicher und angesehener Mann der Fernemüller, besaß er doch zwei Mühlen, die Fernemühle und die Vierradenmühle, und jetzt nach der Erbauung der Schneidemühle gar drei. Auch gefällig und gemütlich konnte der Müller sein, erst vorigen Winter, als die Eulamer das Wachtholz, das sie, wöchentlich vier Fuhren, für den Rat zu-liefern hatten, zu spät angefahren hatten, hat er noch mitten in der Nacht seinen Mahlknecht

*) „es werde ihm zum Unzeich gedeihen", hat der Fernemüller geäußert.

so

berichtet der Chronist,

—e

125

Da war nämlich in der Stadt ein Spannung gelauscht. Augustiner-Mönch gewesen, der, als die Wogen der ReformationSbewegung auch hier anfingen hoch zu gehen, allerlei Zauberei zu treiben aufing, und die Bürger mit dem Fegefeuer vor der Anhängung an Luther zu schrecken suchte. Namentlich hatte er es auf Tewes (Matthäus) Hase abgesehen, der heimlich lutherisch geworden war und ihn einst auf der Kuhburger Brücke, als er dort spazieren ging, Wolf, Heuchler! gescholten hatte. In dessen Hause trieb der Mönch allerlei Zauberei, nachdem er fich unsichtbar gemacht, machte alt und jung gruslich und hatte die Einwohner zum besten. Bald war er im Keller und rumorte zwischen den Wein- und Bierfässern umher, bald war er in der Stube, zündete unsichtbar das Bettstroh an, das er sofort wieder auslöschte, bald war er auf dem Boden,

herauf geschickt. Nur reizen durfte ihn niemand, wenn er angezecht war. Dann war er fürchterlich, und jeder ging ihm, wenn er ihn in diesem Zustande sah, gern aus

rint Holz

dem Wege.

Heute

war der Fernemüller besonders schlechter Laune.

Auf den freimdlichen Gruß des Thorschreibers antwortete er nur mit einem grunzenden Knurren, während er schwankenden Schrittes weiter ging.

„Dem ist heute wieder die Galle in

den Wein gelaufen",

der Thorschreiber und blickte ihm kopfschüttelnd nach, „wehe dem armen Teufel, der dem in seiner „Verznpflheit" heute in den Weg läuft!"

sagte

Als der Fernemüller in

die Wohnstube

seiner

Sp¬

Mühle

trat, fand er Besuch vor.

Srtilarhtsrdnrrng unter Friedrich Milhelm III. Aus:

Jederzeit kampfbereit!

(S. 131)

(Vertag von F. Hirt £ Sohn in Leipzig.)

Bei seiner Frau waren die Frau Werner, die Frau Kopp und die Frau des Braueigen Masfin aus Landsberg, sowie Frau Kran mit ihrer Tochter aus Zantoch eingetreten; sie alle hatten kleine Mengen Getreide in die Mühle zum mahlen gebracht und wollten das Mehl gleich mitnehmen, da sie es zum Kuchenbacken für das bevorstehende Pfingstfest brauchten. Sie hätten es ja viel bequemer gehabt, ihr Getreide in die Vierradenmühle zu bringen oder in die Kupfermühle, die dicht bei der Stadtmauer lagen, aber die Sonne schien heute so warm und lockte zu einem weiteren Spaziergang aus den engen dunklen Straßen der Stadt hinaus ins Freie, und

und rasselte mit dem Harnisch, den Hase dort liegen hatte, und als man dem Teufel mit dem Scharfrichter und einigen Handwerksburschen auf den Leib rückte, da prügelte er diese weidlich mit einem Stallbesen durch und verschwand in die dunkle Nacht. So trieb er es lange Zeit, bis er endlich von einem Bürger im Kleiderspind bei einer Mondscheinnacht gefaßt,

dem Fernemüller gehörte die Vierraden- wie die Fernemühle. Alle sechs waren eben im eifrigsten Gespräch begriffen.

kann.

Frau Masfin hatte eine alte Geschichte erzählt, die fich vor Jahren hier in Landsberg zugetragen hatte, und die übrigen Frauen, namentlich die Zantocher, hatten ihrer Erzählung mit

jämmerlich zerstoßen, vor den Rat geschleppt, und von diesem an die landesherrlichen Gerichte überliefert wurde.*) „Natürlich, da fitzt die ganze Klatschbaserei wieder bei „Schwatzt einander!" platzte der Fernemüller dazwischen. und tuschelt, während unsereins fich die Lunge heraus ärgern

Habt wohl gar nichts weiter zu thun?" Die Weiber stoben auseinander. Nur die Fernemüllerin faßte fich ein Herz. „Aber Mann. so mäßige Dich doch! Die

j

*;

Die

Geschichte ist historisch beglaubigt.

-s

126

Frauen haben Getreide zur Mühle gebracht, und wollen das Mehl gleich mitnehmen. Pfingsten steht vor der Thür, und die Hausarbeit drängt. Man kann die Leute doch nicht auf der Straße lassen!" „Hm!" knurrte der Fernemüller, und ging unruhigen Schrittes in der Stube auf und ab. Dann öffnete er das schmale kleine Fenster und lehnte sich hinaus, als ob ihm die Lust im Zimmer zu heiß und zu drückend wäre. Dann begann er wieder seine Wanderung. „Habt Ihr die neue Uhr gesehen?" hob endlich Frau Kopp an, um dem Gespräch eine neue Wendung zu geben. „Ja!" brummte der Fernemüller, ohne seinen immer schneller werdenden Gang durchs Zimmer zu unterbrechen. Wieder stockte das Gespräch. „Ist sie schön?" erkundigte sich Frau Kran. „Geht sie auch gut?" forschte ihre Tochter. „Weiß ich nicht, soll wohl noch aufin Turm klettern?" „Laßt nur!" wehrte die Fernemüllerin die Frauen ab, der es peinlich war, daß ihren Gästen so übel mitgespielt wurde. „Komm, Mann", sagte sie, ihm beschwichtigend die Hand auf die Schulter legend, „laß das Umherstampfen, setz Dich hier an den Tisch, wir wollen nun zum Essen gehen." Damit begann sie, von den Frauen unterstützt, den Tisch abzuräumen und mit einem zwar groben, aber schneeweißen Leinen zu bedecken. Bunt bemalte Teller wurden aus dem Prunkschrank hervorgeholt, und bald stand die dampfende Suppe auf dem Tisch. Auch die Frauen wurden eingeladen und nahmen an dem Essen teil, das von den Mägden hereingebracht wurde. Einer der Müllerknechte brachte eine große Kanne Bier, und thönern bunt verzinnte Trinkgefäße. Der Müller trank hastig ein Maß Bier aus, die Suppe ließ er unberührt. Während die Frauen über dies und das sprachen und sich auch erkundigten, wo der Sohn des Fernemüllers sei, worauf die Fernemiillerin antwortete, er habe noch in der Mühle zu thun, verhielt sich Asmus Müller still und brütete vor sich hin. Seine Frau suchte ihn aufzuheitern, sie merkte wohl, daß ihm etwas Unangenehmes passiert war, aber sie wagte es nicht, ihn in Gegenwart der Frauen danach zu fragen. „Das Essen schmeckt Dir wohl heute nicht?"

„Nein!" „Bist Du im Ratskeller gewesen?"

„Ja!" Wieder stockte das Gespräch. Schließlich sprang Asmus Müller hastig auf uud begann ruhelos auf und ab zu wandeln. Die Frauen sahen sich gegenseitig ängstlich an. Da faßte sich die Müllerin wieder ein Herz und begann aufs neue: „Baltzer, der Stadtdiener, war hier mit dem Kerbholz du sollst

—"

e-

Seine dunkeln Augen sprühten Blitze, Und es bebten leicht die vollen Lippen. „Leicht zu raten sind des Alten Worte,

Meint er doch, ich säh in dem Gefangnen Mehr den Nebenbuhler, denn den Feind!" Aufgeregt durchmaß er harten Schrittes Die Gemächer, und zuweilen faßte Angsterfüllt er nach dem goldnen Kreuze Hängend ihm am Hals an schwerer Kette. Darauf sank er vor dem Betstuhl nieder, Deckte mit der Hand die heißen Augen: „Könnt ich wirklich nicht den Priester trennen Von dem Manne, dessen rasches Blut Wild gepocht in Liebe und in Rache? Hätt er recht, säh ich in dem Gefangnen Immer ihn, der einst die süße Rose In den Marschen brach, Heilwig von Holstein, Deren Liebe mir gehört, bis Otto Stahl ihr Herz mit seinen süßen Liedern? Flehend hob er seine Hand: „Erbarme Dich Ueber Deinen Diener, Sankt Mauritius, Daß ich walt und richt nach meinem Amte." Aber plötzlich sprang er trotzig auf: „Ich bin hier nur Bischof, und nichts anders Will ich, wie des Heilgen Erzstifts Ehre. Was Du thuest, thue ganz und gar. Nun, so will ich meines Bistums Macht Neu erkämpfen, bis sein Ehrenschild Glänzet, wie die goldne Sonn' am Himmel, Und nicht ruhen, bis die märkschen Fürsten Allesamt vor mir im Staube liegen, Wie ihr Ahn, der einst gezwungen ward, Aus der Hand des Bistums seine Mark

Demutsvoll als Lehen hinzunehmen.*)

Mir schwör ich es zu, solang ich Bischof, Kommet Markgraf Otto nicht mehr frei." Wieder sprang er auf und trat ans Fenster, Stieß es auf und blickte in den Schloßhof. Abend war allmählich es geworden, Und der süße Atem einer Lenznacht Stieg, den heißen Sinn ihm kühlend, auf. Leises Grüßen zog von Baum zu Baume. Und das Wasser, in dem steinern Becken Von dem Brunnen, glänzt im Mondlicht silbern. Bischof Günther sieh! der Brunnen spendet Desto frischern Trunk, je tiefer er

Aus dem Boden holt empor den Quell. Doch je tiefer

Drin

Weiter kam

sie nicht, das

wir das Herz

erforschen

Desto trüber werden dort die Quellen,

die Wurzeln ruhen unsres Thuns.

lFortsetzung folgt.)

Mönch Hermann von Kehnin. Ein märkischer Sang von

M.

rr. Kurttz.

Früh, am ander Morgen, klangen Glocken, Denn es war der Tag der Himmelfahrt. In der Straße wogt geputztes Volk, Aus den Dörfern, weit und breit im Umkreis, Wars herbeigeeilet, um das Fest

(8. Fortsetzung.)

Im

Gemach allein blieb Bischof Günther;

Zornig sprang

sein



hatte gezündet.

Blut in

beide Wangen,

') Markgraf Otto

II.

von 1184—1805.

•—8

Zu begehen in der Bischofsstadt. Ja, die Kirchen all vermochten schier Kaum die Schar der Gläubigen zu fassen, Und vor allen Dingen drängt und staute Sich die Menge vor dem stolzen Dome. In dem Kranze der Kapellen schaute Grüßend er empor zum Gotteshimmel. Vor dem Hochaltar steht Bischof Günther In dem purpurroten Meßgewande, Wie es Sitte ist zur Pfingstenzeit, Und hält Hochamt. Seine stolze Haltung

Hat er in der Nacht zurückerkämpft. Klar und kühl, in unnahbarer Hoheit Blickt sein Aug und jedes seiner Worte Schallet deutlich durch den hohen Raum.

Als zum Schlusie er den Segen austeilt, Und das letzte Wort erklinget leise, Fällt die Menge andachtsvoll aufs Knie, Und mit stolz erhobenem Haupte schreitet Bischof Günther durch fie hin; da wirft Eine graue Nonne, tief verschleiert, Sich in seinen Weg: „Hochwürdger Herr, Hört mich an, ich fleh um Gottes Willen, Mich treibt die Verzweiflung zu Euch her, Weist nicht unbarmherzig mich von Euch." „„Jetzt ist Stunde nicht, noch Ort dazu,"" Spricht der Bischof, „„aber, meine Tochter, Komm heut Abend um die sechste Stunde In das Schloß, dort magst Du mir es klagen. Was Dein Herz bedrückt. Mit Dir sei Frieden."" Günther schlägt das Kreuz, dann geht er weiter. —

Im Gewirr

des Tages hätt er fast Jener Nonne ganz vergessen, als fie Bei ihm eintritt und ihm finkt zu Wißen. Bischof Günther neigt sich zu ihr nieder: „Sag. was störte Deiner Seele Frieden, Und des Herzens Ruhe, meine Tochter, Oder ist ein Unrecht Dir geschehen?" „„Würdiger Herr, Ihr könnt der Seele Frieden. Könnt des Herzens Ruh mir wiedergeben,

Gut das Unrecht machen, das geschah; Und ich fleh Euch an mit heißen Thränen, Laßt mich nicht vergeblich darum bitten."" Bischof Günther springt vom Sitz empor,

Auf der Stimme Klang lauscht er erschreckt: „Das, das alles heischest Du von mir. Sag, um Gottes Willen, sag, wer bist Du?" Von dem Haupte löset ihren Schleier Da die Nonne, lichibraun Haar wird sichtbar, Blaue Augen, die in Thränen schwimmen, Blicken flehend in des Bischofs dunkle. Und zwei rote Lippen pressen bebend Auf die Hand sich des Prälaten: „„Günther. Günther Schwalenburg, o hab Erbarmen!"" In die blauen Augen starrt der Graf, Zieht die Hand zurück und saget grollend: „Markgräfin von Brandenburg, was wollt Ihr?" „„Gieb den Gatten frei mir, den Geliebten,

127

Sk

Gieb mir Otto frei, o ich beschwöre Dich bei allem, was Dir heilig ist,' Denk der Tage unsrer goldnen Jugend. Wahrst Du ihnen freundlich noch Erinnerung, Dann hast Du auch mein noch nicht vergessen, Und Du wirst mich nicht zurückeweisen."" Durch des Bischofs Körper fliegt ein Zittern. „Nicht so leicht vergißt Graf Schwalenburg; Ich auch hab Erinnrung mir bewahret An die Zeit, da einst der Brandenburger Brach die rote Ros, Heilwig von Holstein. Höllenqualen brachten mir die Tage, Und je lichter mir die ersten schienen, Desto dunkler aber in Erinnerung Stehn mir die: Gleichmäßig schwankt die Wage." Heilwig bleibt zu seinen Füßen liegen: „„So vergeht, daß wir uns je geschauet, Habet Mitleid, habet nur Erbarmen Mit dem armen Weibe, deren Krone Ihr entrissen ward in ihrem Gatten. Gebt ihn frei, und laßt mich nicht verzweifeln."" Seines Schwures denkt der Kirchenfürst. „Nimmer mehr kommt Otto in die Mark!" Spricht er ruhig, doch ihm perlet Schweiß Auf der Stirn, und keuchend geht sein Atem. „„Ist das Euer letztes Wort, Herr Bischof?"" Schreit verzweifelt, wild die junge Fürstin. „„Wolll Ihr sagen mir, ich bitt vergeblich?"" „Ganz vergeblich bitter Ihr, Frau Heilwig. Somit ist mein letztes Won gesprochen." Aber zürnend hebt das Weib die Hände, „„Einen Diener nennt Ihr Euch des Herrn,

Der den Feinden selbst vergab im Tode, Und doch heißet Euer erst Gebot Unversöhnlichkeit und Haß und Rache!"" Plötzlich dann unrklammerte fie wieder Seine Knie und sagte angstvoll bebend: „„Aber eine Gnade könnt Ihr nimmer Mir verwehren, laßt mich bei ihm sein, Laßr mich das Gefängnis Ottos teilen."" Leise zuckt Graf Schwalenburg zusammen: „Sprichst Du wahr, sag, wollrest wirklich Du Sein Gefängnis teilen?" „„Beim Allmächi'gen!

Ja, das will ich,"" saget Heilwig fest. „„Besser mit ihm leiden, denn allein Auch des Lebens reichste Wonne kosten."" Da senkt Günther jäh das Haupt erschrocken:

„Recht spricht sie; ich bin ein Priester worden. Und kann nicht vergeben und verzechn. Sie ist groß und wahr in ihrer Liebe. Doch mein Haß erbärmlich und verächtlich." Zu dem Weib er wendet sich und preßt

Auf die Brust die Hand: „Geht hin, Frau Heilwig, Euren Namen wiffen, Doch ich geb das festeste Versprechen: Morgenfrüh ist Markgraf Otto frei." Und somit verläßt er das Gemach. Lasset niemand

Eh die Fürstin noch ein Wort gestammelt.

Denn beim Heben seiner Hände hatten

Spar am Abend wandelr noch der Bischof Durch den Dom, ihn grüßet bleich der Mond, Der gespenstisch nur den Raum erhellet. Günthers Schritte Hallen auf den Steinen Schaurig wieder, und nun steht er still. Vor dem Westportale war ein Vorbau, Paradies genannt, die ersten Menschen Standen dort aus Stein in Lebensgröße. Und die Sünder und die Büßer pflegten. Sich vor ihren Bildern zu kasteien. Angsterfüllt schaut Günther dort hinüber, Fast wie Stöhnen klingts von seinen Lippen: „Könnten meine Augen es vertragen, Tag für Tag die Sünder da zu schauen.

Sich an einen! spitzen Gegenstand Seine faltigen Aermel festgewunden. Nun will er sich mit Gewalt befreien. Reißt sich los; doch horch, ein dumpfer Fall Tönt darauf, dann wird es totenstill, Nur das Mondlicht spielt im Dome weiter.

Als am andern Tag der Sakristan

In

den Dom trat, sah er voll Entsetzen: Magdeburgs Patron, der heilge Moritz, War gestürzt zur Nachtzeit, und erschlagen Von der Wucht der schweren Säule lag Unter ihr der Erzbischof, Herr Günther.

Schlarfftsrdrrirrrg untere dorn Aus: Jederzeit kampfbereit!

Und zu sagen, da gehörst Du hin? Niemand hörte meinen Schwur, doch ich Will meineidig an mir selbst nicht werden. Länger kann ich meines Amts nicht walten. Meinen Krummstab leg ich morgen früh In die Hand des Domkapitels nieder, Was ich that, hab ich dann ganz gethan. —" Wieder geht er durch das Schiff der Kirche; In dem Chorumgange steht er still; Vor der Statue des heil'gen Moritz Aber hebt er tief erregt die Arme. „Such' Dir fortan einen bessern Diener, Denn ich bin, ach, Deiner nicht mehr wert." Plötzlich ist es ihm, als schau durch's Fenster Ein Gesicht und winke ihm; er schreit Angstvoll auf, dann will er fliehn und kann nicht.

Kurfürsten.

(6. 131.).

(Vertag von F. Hirt L Sohn in Leipzig).

Großer Auffuhr herrschte in der Stadt. Das Kapitel trat sogleich zusammen Und als Bittende vor der Versammlung. In dem Sitzungssaal erschien Frau Heilwig, Markgraf Ottos liebliche Gemahlin; Süß und rührend wußte sie zu bitten. Und holdselig war sie anzuschauen. Solche Treue, soviel Liebe rührte Selbst die würdgen, ehelosen Herrn, Die bei aller Rührung nicht vergaßen

Bistums Säckel zu gedenken. Markgraf Otto wurde ffei gelassen, Doch er ward auf Ritterwort verpflichtet Binnen dieser Stunde und sechs Wochen Lösegeld, viertausend Silbermark Vollgewichtig aufzuzählen, oder — Auch des

AIs Gefangner wieder

sich

zu stell'n.

--s

129

Und am gleichen Tage noch vor Abend Ritten durch das Thor, durch das einst Günther Mit der Moritzfahne war gezogen. Otto und sein Weib der Heimat zu.



Gebr. Hirsch fünf Meister plötzlich entlietzen, erfolgte nicht nur ein scharfer Befehl Friedrichs, sie sofort wieder zu beschäftigen, sondern e-i wurde überhaupt die Entlassung eines Meisters, der ausschließlich für einen Unternehmer arbeitete, unter ge¬ setzliche Normen und bei Androhung von Geldstrafen für Zu¬ widerhandelnde gestellt. Als 1781 namentlich infolge einer

(Fortsetzung folgt.)

Sperrung

Die Geschichte der preußischen Seidenindustrie im achtzehnten Jahrhundert. (Fortsetzung statt Schluß.)

Oft genug erhielten

Bestimmungen auch praktische Wirksamkeit, und wie ernst ihre Durchführung und weirere Ausbildung Friedrich am Herzen lag, erkennt man z. B. arrs diese

des polnischen, russischen und dänischen AbsatzGebietes wie einer eingreifenden Modeänderung wieder eine Betriebsstockung erfolgte, verlängerte man die Gesellenzeit und

verlangte vom Meisterkandidaten überdies den Nachweis eines kleinen Vermögens (600 Thaler), und 1784 wurde die An¬ setzung neuer Meister auf zwei Jahre sogar verboten. Ebenso wurde auch die Entlassung der Gesellen in der Weise geregelt, daß sie in erster Linie diejenigen von ihnen treffe, welche auch

InfantevioArrgriff

bev Gegenwart. (S. 131.) Aus: Jederzcit kampfbereit! (Verlag von F. Hirt & Sohn in Leipzig). dem Verhalten der Regierung,

triebsstockung

von

1755

zu

als die Unternehmer die Be¬ einer lange

angestrebten

all¬

gemeinen Herabsetzung der Löhne benutzen wollten. Damals Die kam es in der That schon zu einem förmlichen Sinke.

Arbeiter legten nicht nur die Arbeit nieder, sondern nötigten auch ihre widerstrebenden Genossen mit Gewalt, zu feiern. Da trat nun die staatliche Aufsichtsbehörde ins Mittel, und ihr gelang die Beendigung des Strikes. Das fünfte Departement bestrafte die Schuldigen in fühlbarer Weise, ver¬ mittelte aber zugleich zwischen Arbeitgebern und den Arbeitern von beiden in verschiedener Höhe angestrebten Lohnsatzes. Leicht neigten die Unternehmer auch dahin, die zwischen ihnen und den Gesellen stehenden Meister zu verdrängen. Sie wurden daher genötigt, auf je vier Stühle immer einen Meister zu halten, und als 1777*) die

auf die mittlere Höhe des

*) Bei Hintze

III,

225 ist 1771 ein Druckfehler.

in anderer Weise ihr Brot verdienen konnten, diejenigen aber, welche keine Möglichkeit, auf andere Weise ihr Leben zu fristen, hatten, beibehalten oder auf andere Weise unterhalten werden mußten. Später (1800) hat der Staat dies wohl selbst durch an brotlose wöchentliche Geldauszahlungen unmittelbare

Das Lehrlings wesen Arbeiter und ihre Familien gethan. endlich war namentlich in dem Gildebries von 1766 in ein¬ gehender Weise und so geregelt, daß die erziehende Thätigkeit des Meisters zur Wirkung kam. Aber aus Anlaß einzelner Fälle erfolgten auch hier immer eingehendere Bestimmungen, welche die Fürsorge des Staates für beide Teile veranschau¬ lichen. Eine Anzahl von Lehrlingen, herangewachsene Zög¬ linge der Waisenhäuser, namentlich des Potsdamer MilitärWaisenhauses, wurden sogar auf königliche Kosten ausgebildet. Es ergiebt sich daher aus allem, wie der Staat eine

überall ausgleichende Thätigkeit zwischen den zumteil entgegen¬ gesetzten Interessen der Unternehmer, der Meister, der Gesellen

-ns

130

und der Lehrlinge in möglichst gerechter Verteilung von Rechten und Pflichten übt. Und in der That war, um nur dies eine noch zu erwähnen, infolge dieses vom Staate durch das Zunftrecht, das Reglement und die Fabrikaufsicht gchandhabten Schutzes die soziale Lage eines Arbeiters ani Beginn dieses Jahrhunderts, da er wie in der Seidenindustrie etwa 372 bis 7 Thaler wöchentlichen Lohn verdiente, eine keineswegs un¬

günstige. — Doch kehren den Gildebrief

wir

nach dieser,

durch das Reglement und

von 1766 wie ihre Folgen hervorgerufenen wieder zurück zu dem Krach von 1766 und wenden wir uns den unmittelbaren Maßregeln zu, mit denen der König ihm entgegentrat. Sie waren naturgemäß energisch durchgreifende, aber sie waren doch von der gewaltsamen Art eines Napoleon himmelweit verschieden. Napoleon griff un¬ mittelbar in das Vermögen eines Teils seiner Unterthanen ein, und suchte, als um das Jahr 1812 die Lyoner SeidenJndustrie schwere Schädigungen erlitten hatte, ihr durch den Befehl zu helfen, daß jeder zu seinem Hof Geladene in Seide erscheinen sollte. Durch das „Orr ne sera admis qn’en habit de soie“ aus seinen Einladungskarten legte er ungescheut den Ein¬ geladenen die Notwendigkeit so kostspieliger Auslagen auf. daß z. B. der preußische Gesandte um Entschädigung der dadurch hervorgerufenen Mehrausgaben bitten mußte. Von einer solchen Maßregel, die dem achtzehnten Jahrhundert näher als dem neunzehnten liegen mußte, aber durchgreifend doch nicht wirken konnte, war, wie gesagt, Friedrich weit entfernt. Er ermög¬ lichte vielmehr zunächst dadurch den Absatz der aufgestapelten fertigen Ware — die auf einen Wert von 620 000 Thaler be¬ rechnet wurde — daß er aus staatlichen Mitteln 10 Prozent der verkauften Waren bezahlte und so dem Verkäufer die Möglich¬ keit bot. dem Käufer einen ebenso hohen Rabatt zu gewähren. So außerordentlich günstig wirkte diese Maßregel, daß auf einer einzigen Frankfurter Messe für 200 000 Thaler in¬ ländische Seide abgesetzt wurde. Weiter aber wurde nun im Januar 1767 ein neues staatliches Seidenmagazin angelegt, das den schweren Nachteil, welcher der einheiniischen Industrie namentlich der französischen gegenüber durch den Mangel an Kommissionsgeschäften anhaftete, ausgleichen sollte. Auch jetzt noch griff man hier zuweilen fehl, und kein Geringerer als Moses Mendelssohn, der einstmalige Buchhalter, spätere Kompagnon von Bernhard Jsaac, war es, der mit dem Rate, die Fabrikanten ihren Bedarf zwar direkt bestellen, die be¬ stellte aber durch das Magazin liefern und zunächst bezahlen zu lassen, endlich den richtigen Ausweg fand. Nunmehr war den Fabrikanten, da das Magazin ihnen einen Kredit von neun Monaten bewilligen konnte, geholfen, und das Magazin hatte eine einfache Geschäftsform gefunden. Ferner wurden anstelle der bisherigen Stuhlgelder, die den Fabrikanten ver¬ leitete, mehr Stühle aufzustellen, als an denen er arbeiten ließ, und anstelle der bisherigen Exportprämien, die zu Schein¬ käufen veranlaßte, Prämien von 8 Prozent für die, wirklich tadellos produzierte uud in dem neuen Verwiegungsamt ge¬ prüfte und gewogeite, Ware eingeführt. Zugleich erfolgte eine wirksame Bekämpfung des bisher sehr regen Schmuggels durch die Accisereform und die Bestimmung, daß alle nicht ge¬ stempelte Ware kurzweg als Kontrebande zu betrachten sei. Es wurden weiter Bestimmungen getroffen über die Höhe der von den inländischen Kaufleuten, besonders den Königsbergern und Abschweifung

>

Breslauern, abzunehmenden Seide, Zölle für die Seide beseitigt, und

wurden die inländischen wurden endlich infolge des österreichischen und sächsischen Vorgehens die Transitzölle weiter ausgebildet, so daß die durch die Leipziger gefährdete Frankfurter Messe für das Inland voll zur Geltung kommen und das Hauptabsatzgebiet, Polen und Rußland, als solches erhalten weroen konnte. es

es

Durch solche Maßregeln überwand Friedrich die furcht¬ bare Krisis von 1766 in verhälttiismäßig kurzer Zeit und kam dem Ziele, der Zusammenfassung der östlichen Provinzen in ein einheitliches, wirtschaftliches Ganze, immer näher. Während

allerdings die durchgehende fremde Ware sich immer noch auf leidlicher Höhe hielt, wurde der inländische Verbrauch durch die einheimische Industrie nahezu gedeckt und sie hielt sich, trotz gelegentlicher Verlegenheiten und Betriebsstockungen, wie namentlich 1775 und 1781, in immer steigenden Aufschwung. Die Söhne von David Hirsch, die Nachkommen von Moses Ries, Moses Mendelssohn als Nachfolger von Bernhard Jsaac, vor allem Girard und Michelet und die Gebrüder Baudouin waren die hauptsächlichsten Unternehmer. Ihnen aber schloß sich noch eine große Anzahl anderer an, wie Blanc und Beyrich, Bartsch u. Co., Klintz und Stabroh, Bonte und Schertz, Platzmann und Laurier, Stumpf und Favreau, Laspeyres und Malhies, Gardermin und Friedländer, Gebr. Fonrobert, Israel Marcus und von Halle. Es findet sich also neben den Franzosen, die auch hier, sowohl imter den Unternehmern wie den Arbeitern, anfänglich die Haupt¬ rolle gespielt und auch durch die Beförderung dieser Industrie wie sonst in so mannigfacher Art dem preußischen Staat für die dereinstige Aufnahme der Refugies zu danken verstanden haben, und neben den Juden eine ansehnliche Zahl deutscher Namen. Und dabei verdient es erwähnt zu werden, daß die Juden, denen Friedrich gewiß nicht hold gesinnt war, gerade durch diese Thätigkeit in nährere Verbindung mit den besseren bürger¬ lichen Kreisen traten und hier die soziale Lage sich erarbeiteten, auf deren Grund dann ihre Emanzipation i. 1812 erfolgte. Denn hier vermittelten sie nicht nur den Umlauf der Ware, sondern hier schufen sie neue Werte, und es genügt an Moses Mendelssohn und David Friedländer zu erinnern, um sowohl die Bedeutung der Juden für diese Industrie, wie umgekehrt deren Folgen für die Juden selbst zu kennzeichnen. Aber jene Namen zeigen nun auch schon, wie Friedrich durchaus nicht gesonnen war. die Industrie durch den Staat selbst zu betreiben, als ein staatliches Monopol, das diesem auf Kosten der Konsumenten Gewinn bringen sollte. Ihm lag im Gegentheil daran, sie auf eigene Füße zu stellen, und sie nur bis zu dem Zeitpunkte, wo sie selbständig bestehen konnte, am Gängelbande des Staates zu halten. Denn schon die oben ge¬ nannten Unternehmer haben sich aus eigenen Mitteln die Ge¬ schäfte einrichten müssen, die Pensionen wurden allmählich be¬ schränkt, die Ausbildung von Lehrlingen auf königliche Kosten hörte auf, die Bonifikationen wurden herabgesetzt, der aus¬ gedehnte Kredit beim Seidenmagazin wurde auf geringere Fristen bemessen. Der Staat diente nur als der Hebel, war einerseits die treibende Kraft und bildete andererseits die not¬ wendige Schranke und beaufsichtigende Kontrolle. Und in der That gelang es allmählich, die Güte der französischen Produkte Freilich blieben die Fabrikationskosten, wie ins¬ zu erreichen. besondere die Löhne in Berlin, noch immer verhältitismäßig

I.

--s

131

aber wenn Friedrich eiwa zwei Millionen Thaler für Industrie, wohl mehr als für irgend eine andere, aus¬ diese gegeben hatte, so gingen dafür auch bei seinem Tode über 4000 Stühle in der ganzen Monarchie, und auf ihnen wurde jährlich für etwa zwei Millionen Ware erzeugt, von denen Allein auf eine Million als reiner Gewinn anzusehen ist. sollen sogar jährlich für 7 bis den Frankfurter Messen 800 000 Thaler inländische Seidenzeuge abgesetzt sein. Durch günstige Umstände gefördert, hob sich die Industrie unter den nächsten Nachfolgern des Königs sogar noch bedeutend, trotz vielfacherundzumteilenergischerMißbilligung derfridericianischen, volkswirtschaftlichen Ansichten. Ja, als infolge der französischen Revolution die um drei Jahrhunderte ältere Lyoner Seiden-

hohe,

Jndustrie ins Stocken geriet, war allein die junge Berliner Konkurrentin imstande, deren Platz auf dem Weltmarkt aus¬ zufüllen, und wenn einer der größten Kritiker des Königs, wenn Mirabeau anerkennt, daß Berlin von allen deutschen Städten Deutschlands in den Manufakturen, namentlich des Luxus und der Moden, den besten Geschmack und den vor¬ züglichsten Ruf habe, so spricht er damit, wenn auch ungern, und wiewohl er dies wesentlich aus der von Friedrich ge¬ währten Geistesfreiheit herleitet, ein außerordentlich hohes Lob über den Erfolg von Friedrichs Wirtschaftspolitik aus. Er berührt damit zugleich das wichtigste Moment dieser Politik, er berührt ihr für alle Zeiten feststehendes Resultat, ihre für uns noch fortwirkende Kraft. (Schluß folgt.)

Kleine Mitteilungen. „Jederzeit karnpfdereit!" betitelt sich ein Werk Oskar Höcker und Arnold Ludwig, welches soeben im Verlag Ferdinand Hirt u. Sohn in Leipzig erschienen ist, und welchem

von von

wir Bilder über die Gefechtsweise im Laufe von zwei Jahrhunderten (S. 124, 125, 128 und 129) mit gütiger Erlaubnis der Verleger ent¬

unsere

nommen haben.

DaS deutsche Volk fühlt sich eins mir seinem Heere. Der deutsche es vergönnt war, in des Königs Rock zu dienen, ist stolz auf seine Dienstzeit, die Erinnerung an dieselbe ist ihm lieb und teuer. Eine deutsche Familie, in der nicht der Vater, der Sohn, der Gatte Soldat gewesen, ist eine Seltenheit, und darum hat jedes Werk, das sich mit dem deutschen Heere in würdiger Weise befaßt, Anspruch darauf, ein Familienbuch zu werden. Vor allem jedoch verdient dies ein so frisches Buch wie dar vorliegende! Dasselbe wendet sich zunächst an den deutschen Jüngling, doch ist eS für jeden, der Soldat war, von höchstem Interesse. ES ist in erster Linie der deutschen Jugend gewidmet, in zweiter dem deutschen Volke, in dritter dem deutschen Heere, und diesem dreifachen Zwecke dient das Werk in jeder Beziehung auf die vortrefflichste

Jüngling, dem

Weise.

Nach einem kurzen Ueberblick über dar deutsche Heerwesen bis auf die Tage deS Großen Kurfürsten widmen die Verfaffer diesem Gründer der Armee das erste Kapitel. Der weitere Inhalt ergiebt sich durch Wiedergabe der Kapitel - Ueberschriften: Gehorsam" (Friedrich

„Tritt, Drill,

Wilhelm I). — „Allein gegen eine Welt von Feinden." (Friedrich der Große). — „Schmach und Erhebung." (Friedrich Wilhelm III). — „Preußens König — deutscher Kaiser." (Wilhelm I.) — „Das Heer Kaiser Wilhelms II." In diesen Kapiteln schildern die Ver¬ fasser die Entwickelung und die Ruhmesthaten des deutschen Heeres in großen Zügen. Das Buch bietet jedoch mehr als bloße Kriegsgeschichte. DaS OffizierkorpS, Wehrpflicht und Ersatz, Gerichtswesen, Fechtweise, Uniformierung, Bewaffnung — alles dies wird unS unter Einflechtung zahlreicher kulturhistorisch intereffanter Einzelheiten in Wort und Bild vorgeführt. Alles in allem: ein Familienbuch, ein Volksbuch im besten Sinne des Wortes, für welches wir der VerlagShandlung dankbar sein müffen. Der Preis (geh. 6 Mk., gbd. 8 Mk.) ist bei der vorzüglichen Ausstattung und den vielen instruktiven Illustrationen äußerst mäßig. Run noch

ein Wort über die von unS dem Wecke entnommenen welche die Schlachtordnungen in den verschiedenen Epochen darstellen. Unter dem Großen Kurfürsten finden wir (S. 128) die (sechsgliedrigen) Fußtruppen in 3 Treffen aufgestellt, die beiden ersten zur Durchführung des Gefechts, die letzte als Rückhalt. Die Reiterei über¬ nahm im allgemeinen die Flankensicherung am linken und rechten Flügel; die schwere Artillerie wurde dem Fußvolk, die leichte — die RegimentsKanonen — der Reiterei zugeteilt. Eigentümlich berühren uns auf unserem Bilde die Pikeniere mit ihren 16 Fuß langen Piken, die sich in der Mitte der Heerhaufen abheben.

Abbildungen,

Unter dem Großen König bestand die Schlachtordnung (S. 124) gewöhnlich aus zwei Treffen: die Infanterie in der Milte, die Bataillone e "eben einander, die Kavallerie aus den Flügeln. Friedrich der !« ^iroße war fast immer der Angreifer in seinen Schlachten und brachte ge¬ wöhnlich die sog. schiefe Schlachtordnung zur Anwendung, d. h. er richtete den Stoß auf einen Flügel, bez. eine Flanke der feindlichen Stellung. Unser drittes Bild (S. 125) bringt die Fechtweise zur Zeit der Be¬ . . freiungskriege zur Anschauung. Die Brigade — aus allen drei Waffen bestehend — stellte Die beiden sich zum Gefecht folgendermaßen auf: Füsilierbataillone waren als Avantgarde ca. 150 Schritt vorgeschoben; im • treffen standen 8 Musketierbataillone, diesen folgten aus 150 Schritt 1 Musketierbataillon Hinter und bas Grenadierbataillon der Brigade. en Ürfnd die Fußbatterie und in einem abermaligen Abstand von i150 jf' Schritt folgten die 12 Eskadrons Kavallerie mit der reitenden Batterie. Das Gefecht wurde von den TirailleurS der Füsilierbalaillonc eröffnet, wobei eine Vorbereitung durch die Artillerie nicht stattfand. Sobald die Bataillone des l. und 2. Treffens in Höhe der Tirailleure der Füsilier-

t

Bataillone gelangt waren, wurden die letzteren aus die Flügel des zweiten Treffens zurückgenommen, während das erste Treffen starke Tirailleurschwärme, aus den dritten Gliedern gebildet, in den Zwijchenräumen und auf den Flügeln entwickelte. Die Kavallerie sollte den niedergeworfenen Feind vollends vernichten. Der wesentliche Vorzug dieser Fechtweise vor der früheren war der Bruch mit den starren Linien der Infanterie und der Ersatz derselben durch die leichtbeweglichen Tirailleurschwärme, die sich jedem Gelände anschmiegen konnten. DaS Jnsanteriegefecht der Gegenwart bedarf keiner Er¬ läuterung; unser Bild auf S. 129 wird in vielen unserer Leser alte R G. Erinnerungen auS der eigenen Militärzeit wachrufen.

Die neue Gegol

in

deo Üoptjienkirdje.

In

Berlin

steht

der sich mehr und mehr nach den Vororten erweiternden Peripherie unserer Metropole, wie in letzteren selbst ist man eifrig bemüht deni dringenden Bedürfnis, welchem Allerhöchsten Ortes besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird — der Kirchennot — ab¬ zuhelfen. Aber auch die alten Gotteshäuser werden — dank einer anerkennens¬ werten Gesinnung der betr. Gemeindeältesten und -Vertreter durch Re¬ novationen und Reparaturen der ausgedehntesten Art in schöner und würdiger Weise vielfach erneut. Ganz Bedeutendes hat in diesem Sinne die Sophiengemeinde geleistet, welche ihre Kirche mit deni sehr erheblichen Opfer einer Summe von ca. 250 000 Mk. in einer Weise umgestaltet hat, daß er eine Lust ist, dieses demnächst seinem heiligen Zwecke wiederum übergebene Gotteshaus zu Reben herrlichem Altar — massiv in Gold — völlig neuem Ge¬ schauen. stühl — aus bestem Eichenholz — den ausgiebigsten BeleuchtungSmitteln — neben GaS auch Elektrizität — ist auch eine neue Orgel beschafft worden. Das letztere Werk macht seinem Erbauer alle Ehre; eS ist in allen seinen Teilen aufr sauberste gearbeitet, und eS entwickelt, obschon nur 36 Register in ihm vorhanden sind, bei Anwendung des vollen Werkes eine majestätische Tonfülle. Auch die einzelnen Stimmen, Gamben, Flöten u. s. w. sind äußerst Daneben wird dem Organisten durch wirkungsvoll, lieblich und zart Kollektivzüge, Rollschweller u. dergl. die herrlichste Ausbeute im Dienst der erhabenen Kunst zur Verfügung gestellt. Am Montag, den 21. November, nachmittags 4 Uhr, wurde dar schöne Instrument auf Veranlaffung der Gemeinde-KirchenraieS durch den König!. Orgelrevisor Herr Professor Franz Schulz im Beisein der gesamten — man darf kirchlichen Körperschaften und einiger Gäste abgenommen, und wohl sagen — eingeweiht, denn Herr Prof. Schulz bol den Anwesenden durch seine ganz hervorragende Kanitleistung in äußerst weihe- und würde¬ voller Form über eine Stunde lang einen Genuß, wie er nur selten ge-

in dem Zeichen des Kirchenbaues.

loten wird.

Auch der genannte erste Sachverständige sprach sich sehr günstig über das neue Orgelwerk aus, deffen Preis von 12 00o Mk jedenfalls als Die Firma Gebr. Dinse, ein durchaus niedriger bezeichnet werden muß. Orgelbaumeister zu Berlin, ist die Erbauerin. Recht anerkennenswert ist eS, daß man eine Gedenktafel auS der alten Orgel im Inneren der Gehäuses der neuen Werkes aufbewahrt hat. Die Inschrift auf derselben laute, wie folgt: „Dieser neue der Ehre GolteS gewidmete schöne Orgelwerk ist auf Ostern' 1789 angefangen und 1790 um gleiche Zeit vollendet worden. Herr Johann Friedrich Köpjohann, vornehmer Bürger und Schiffbauer-Meister hat sich durch Schenkung der Kosten zu der Orgel sowohl als zu ihrem Chore bei dieser Kirche ein gesegnetes Andenken gestiftet. Herr Christian Ernst Kühze, Pastor und erster Prediger der Gemeinde, hat sowohl über den Bau der Orgel als über die deshalb nöthigen Ver¬ änderungen in der Kirche und Verschönerungen durch Hülfe einiger lieb¬ reichen Beiträge wohlgesinnter Mitglieder der Gemeinde, die Aufsicht geführt. Der berühmte Orgelbauer Herr Ernst Marx hat die Orgel verfertigt."

--8

132

Vereins Nachrichten Verein für Geschichte der Mark Brandenburg. Sitzung vom November 1892. — Herr Geh. Regierungsrat Kaegler machte Bemer¬

9. kungen,

zum Teil berichtigender Art, zu BardeyS Geschichte der Stadt Nauen und des OsthavellandeS; demgegenüber erörterte der Verfasser deS Werkes, Herr Dr. Bardey, den Standpunkt, von welchem aus er seine Arbeit angesehen wissen will. — Herr Oberst-Lieutnant Schnackenburg warf die Frage auf: Haben sich die Regimenter der fridericianischen Armee eines Schlachtrufes beim Angriffe bedient? und beantwortete sie dahin: „Kein älteres preußisches Reglement, die von 1812 eingeschlossen, schreibt ein Schlachtgeschrei vor; dar Hurra, obwohl es ein schon im Mittelhoch¬ deutschen vorkommender Ruf ist, haben wir in den Befreiungskriegen von den Russen entlehnt. Daß aber auf Befehl beim Angriff ein Schlachtgeschrei auch in Friedrichs des Großen Zeit schon erhoben werden mußte, geht aus der Königs 1744 erlassener „Disposition, wie sich die Offiziere von der Cavallerie in einem Treffen gegen den Feind zu verhalten haben" ebenso hervor, wie aus der 1779 erschienenen Reisebeschreibung der englischen ArzteS Dr. Moore, der bei der Berliner Revue 1775 daS „von dem Könige eingeführte" Schlachtgeschrei hörte. — Bestätigend und ergänzend fügten die Herren Profesior Dr. Brecher, Amtsrichter Dr. Holtze, OberstLieutnant Dr. JähnS und Gymnasial - Direktor Dr. Paul dem Vortrage weiteres hinzu. — Herr Professor Dr. Brecher sprach über die Spuren evangelischer Gesinnung vor der Reformation in der Mark Brandenburg. Wenn es auch feststeht, daß unter nicht wenigen in der Zeit der letzten Regierungsjahre des reformationsfeindlichen Joachim I. evangelische Nei¬ gungen bestanden, so ist eS doch nicht leicht, einzelne und zwar bedeutendere Persönlichkeiten nachzuweisen, welche damals dem Evangelium anhingen. TieS hat offenbar seinen Grund in der allgemeinen Furcht vor dem Kur¬ fürsten, der selbst seine Gemahlin wegen ihres evangelischen Glaubens ver¬ folgte. — Nun liegt uns in dem Schreiben eines vornehmen kurfürstlichen Beamten, des Sekretärs Joachim Zerer, ein Zeugnis vor, welches nicht nur dessen evangelische Gesinnung, sondern auch seine Glaubenstreue und seinen ungebeugten Mannesmut gegenüber dem Zorn und den Drohungen des Kursürsten beweist. Der Brief ZererS an den Kurfürsten ist aus dem Jahre 1533 und bildet die Antwort auf das kurfürstliche Schreiben „vom Finken-Herd bei den Pannow, mit eigner Hand an mich gethan." Er hatte — und „in meiner Mutter Garten vor Berlin eS „oftmalen überlesen" beantwortet." ES war „ganz ungnädig, gefährlich, schmählich", so wie er eS „weder von des Kursürsten Hand noch von dessen Räten sein Leben lang jemals gesehen" und, „so ich ein „Verräter und Iber Aergste auf Erden wäre, könnte solches doch nicht schärfer, ernstlicher, gefährlicher und un¬ gnädiger sein." Der Kurfürst verglich ihn mit dem Satan. Zerer ant¬ wortet: „Ich muß das Gott klagen und ergeben und E. K F. G. Ihren Gewalt und Willen lassen. Soll aber der Spruch deS h. Evangelii wahr sein: Wer seinen Nächsten und Bruder heißt Racha, oder Du Narre red, so Habens E. K. F. G. schwerlich zu verantworten." Er sei aufgefordert worden vor dem Kurfürsten zu erscheinen und seinen Dienst wieder auf¬ zunehmen; aber daS könne er nicht, da er den „Vorbehalt" deS Kursürsten (zum alten Glauben zurückzukehren) nicht zu erfüllen vermöge: „Und dieweil ich denn E. K. F. G. weder Jahre, Tag und keine Zeit zu dienen versprochen oder haftbar bin, sondern daS zu E. K. F. G. gnädigem Gefallen, auch meinem guten Willen stehet, so weiß ich dergestalt und in solcher Gefahr E. K. F. G. nicht länger zu dienen, sondern will hiermit E. K. F. G. meine Dienstpflicht aufgeschrieben haben." Gleichzeitig teilt er dem Kur¬ fürsten mit, daß er sich in den Schutz deS Königs Ferdinand von Böhmen und Ungarn begeben habe „und dessen auch zu genißen gedenke." Dieser war wirksamer als die Berufung auf seiner „lieben Eltern und unser aller der Zerer lange und getreue Dienste." Der Kurfürst ließ ihn vorläufig

...

nach der Lausitz ziehen.

Später

sehen

wir —

nach der

Reformation



H. Zerer wieder im brandenburgischen Dienste. — Herr Graf zur LippeWeissenfeld knüpfte an eine Medaille, welche der Berner Stempel¬ schneider Mörikofer im Jahre 1759 auf Friedrich den Großen in Kurs setzte, dem sie von seiner Schwester Amalie mitgeteilt wurde, den Nachweis, einerseits, wie abhold der König solchen Huldigungen war, andererseits, wie nachhaltig „Fritzisch" die protestantische Schweiz gesinnt war, als deren GesinnungSauSdruck eine der Inschriften der Medaille gelten darf:

Saeculum Friderici.

Im Touristen-Klub für die Mark Brandenburg

(gegr. 1684) am 9. v. MtS. Herr Wilhelm Pütz „Ueber Dünenwanderungen" und am 23. v MtS. brachte der auch unseren Lesern bereits bekannte Herr Fritz Eichberg feine neueste Dichtung „Markgraf Otto, der Minnesänger" zuni Vortrage. — Die Versammlungen deS Klubs finden Mittwochs 8'/- Uhr, Wallftr. 91, I, Restaurant Tettenborn, statt und zwar wechseln geschäftliche Sitzungen und Familien-Abende mit einander ab. — Gäste sprach

stets willkommen.

Thales erruastst!

Siicherstisch.

Eine Erklärung deS Wesens der Naturkräfte. Von A. Staehely Leipzig 1892. Verlag von Otto Wigand. Preis 2 Mk. Thales, der Begründer der jonischen bezw. physischen Schule, einer der größten Denker seiner Zeit, war bereits vor zweitausend Jahren durch

I.

Verlag:

s--

seine spekulativen Forschungen auf den Gedanken gebracht, daß die beseelte Weltmaterie das Wasser sei, aus dem alle Dinge entstanden seien und sich fortwährend bildeten, ohne sich allerdings die Thätigkeit dieses Elements erklären und einen weiteren Kreis für feine Ansichten gewinnen zu können. Jetzt erscheint nun dem Verfasser, einem Autodidakten aus diesem Gebiete, das Auge des Menschen genügend geschärft und dar Fassungsvermögen des Menschenhirns ausgebildet, um rufen zu können: „Thales erwache!" und

die

bis dahin schlummernde, unermeßliche von Thales in der Keimhülse

geschaute Erkenntnis, daß alles durch die Thätigkeit deS Wassers, „und also auch seines Gegenteils, deS Feuers" entsteht, naturwissenschaftlich zu

begründen. In möglichst einfacher Sprache und durch Erklärung von vielen bekannten Erscheinungen und Vorgängen sucht er die Lösung des Problems, „auf welch einfachem Wege die Natur ihre Wärme, ihr Feuer und Licht aus dem Wasser erzeugt" dem gebildeten Leser anschaulich zu machen. Wir müssen uns darauf beschränken, den Inhalt dieser jedenfalls für alle Ge¬ bildeten interesianten Abhandlung anzugeben; auf eine Kritik der vor¬ getragenen Theorieen können wir uns hier nicht einlassen. X. Di.

Hildertafeln.

Von Thora Goldschmidt. Leipzig 1892. Verlag von F. Hirt u. Sohn. Preis kart. 2,50 Mk. So viel auch in den Schulen französisch getrieben wird, zum eigent¬ lichen Sprechen bringen es unsere Kinder nicht. Ein, wie mir scheint ganz vortrefflicher Hilfsbuch, dar den gramatikalen Unterricht ergänzen soll, sind die obigen „Bildertafeln für den Unterricht im Französischen." Diese 26 aus dem täglichen Leben genommenen Bilder müssen in ganz kurzer Zeit in den praktischen Gebrauch der französischen Sprache einführen, und unseren Kindern die Möglichkeit verschaffen, bei dem so regen Verkehr zwischen allen Völkern, sich im täglichen Leben dem Franzosen gegenüber verständlich ,1. Z. zu machen, sei eS in Gesellschaft oder auf Reisen.

Im

Geiste KudmigS XIV. Berlin 1893.

Max Bay.

Historischer Roman von Preis 5 Mk.

Verlag von Otto Janke.

Die geschichtliche Grundlage der Romans liegt in jener Zeit, welche (vor jetzt genau 100 Jahren) die Schrecken der französischen Revolution nach dem Elsaß und insbesondere der alten deutschen Stadt Straßburg brachte. Mit sorgfältiger Berücksichtigung der historischen Thatsachen ent¬ rollt der Verfasser ein Bild der gesellschaftlichen Zustände, besonders in den Kreisen des allangesessenen Adels, und schildert den zersetzenden Einfluß, welchen deutsche Renegaten unter Führung eines Eulogius Schneider auf Be¬ deutsche Art und Sitten ausübten — im Geiste Ludwigs XIV.! sonders fesselnd gestaltete der Verfasser die Scene, worin er die Entstehung der Marseillaise schildert, in einzelnen Zügen hier allerdings von den ge¬ schichtlichen Thatsachen abweichend. Daß der letzte deutsche „Maire", der edle Friedrich v. Dietrich, in dessen Hause die französische Nationalhymne zum erstenmal ertönte, in Paris unter dem Beil der Guillotine fiel, möge hier ergänzend bemerkt werden. — Wir können den vorliegenden Roman, dessen schlichte, von allen Fremdwörtern freie Sprache besonders hervor¬ — i. gehoben werden soll, durchaus warm empfehlen.

Hunte Hinten. von

Albumverse und Citate in Vierzeilen, ausgewählt Druck und Verlag von Carl Fuchs in (Reg.-Bez. Trier). Preis 1,50 Mk.

Ludwig Lehnen.

Illingen

Die Idee des VerfasierS, nur Vierzeilen zu verwenden, kann als eine glückliche nicht bezeichnet werden. — Vieles ist in den vorgezeichneten Rahmen hineingezwungen worden, während so manches Dichterwort Lücken zu ergänzen geeignet gewesen wäre, wenn es nicht gerade Vierzeilen hätten sein müssen. Neben den Dichtungen Schillers, EichendorsfS, RückertS hat der Herausgeber ganz besonders seine eigenen poetischen Versuche verwandt. Bei Namensnennung der „Urheber" verwechselte er wiederhol» Komponist

—1.

und Dichter.

Inhalt:

Gustav

Heinrich

Der letzte WeihnachtSmarkt. Eine Träumerei Lehmanns Wüstengroll. Aus

Schneideck; poetischen Reisetagebuch eines

Berliner Kolonial-Touristen.

von

dem Von Richard Ein Stück

Der Fernemüller und sein Weib. Von Rudolf Eckert (Fortsetzung); Die Geschichte märkischer Geschichte. der preußischen Seiden-Jndustrie im achtzehnten Jahrhundert Echmidt-CabaniS;

Ein märkischer Sang (Fortsetzung): Mönch Hermann von Lehn in. von M. v. Buch (Fortsetzung). — Kleine Mitteilungen: „Jederzeit kampfbereit!" (mit 4 Abbildungen). Die neue Orgel in der Sophienkirche. — Vereinsnachrichten. — Büchertisch. — Anzeigen.

Dieser Nummer sind 3 Beilagen beigefügt, auf welche besonders aufmerksam machen: 1.

Plaut Ptarer),

Verlagsbuchhandlung in

wir

unsere Leser

Hevlirr 8.1V., Hede¬

mannstraße 10.

2.

Adam & Hartung,

Schirmfabrik in

Hertin,

Leipziger-

straße 82.

3.

Hnrhhandtung der Deutschen Kehrerrettung Hortin bl. 58. Schönhauser Allee 141.

Für die Redaktion verantwortlich: Richard George in Berlin 1k. 58. — Abdruck ohne eingeholte Erlaubnis ist untersagt. Fr. Zillessen, Berlin bl., Schönhauser Allee 141. — Druck: Buchdruckerei Gutenberg, Berlin X., Schönhauser Allee 141 a.

in

Unter Mitwirkung

Körin guter, vr. K. Krendicke, Tstevdvr Funtane, Ford. Meyer, Gymnasialdirektor vr. M. Sstguartr und Grnst K.

Stadtrat

tx.

Mitdenvrurts,

herausgegeben von

Friedrich Lilleffen XIX. Jahrgang.

M 12.

Der

„Bär"

und

Richard George.

erscheint wöchentlich am Sonnabend und ist durch jede Postanstalt sNo. ?oy), Buchhandlung und Zeitungsspedition für 2 Mk. pfg. vierteljährlich zu beziehen.

50

17. Dkjkmbrr

1892.

er lrhie WeihimHisnmvA. Eine Träumerei von

Gustav Heinrick Sck verdeck. (1. Fortsetzung.)

ging ich vorüber, lauschte den schmetternden Ge**** sängen der auf Stangen zum Verkauf gebotenen wächsernen Kanarienvögel und ließ mich in ein Gespräch mit einem hand¬ großen Rosinenmann ein, der mich schließlich bat, über ihn ein Feuilleton zu schreiben; er wolle gern ein berühmter Mann werden

^^elustigt

und habe sich sagen lassen, daß dies am bequemsten durch Reklame zu erreichen sei.

Dort, wo die Budenreihen ein Ende hatten, dicht an der Kaiser

Wilhelms-Brücke, wurde das Ge¬

Ein nur noch dichter. ganzes Heer von fliegenden Händ¬ triebe

lern hatte hier Aufstellung ge¬ nommen und führte den Kampf ums Dasein gegen die Konkurrenz mit großem Eifer; Kaufleute, die vom Staate eine Exportprämie erhalten, können nicht mehr auf Absatz bedacht sein, als diese Geschäftsinhaber, welche Prinzipal, Angestellte und Anpreiser in einer

Seht doch nur den Hampelmann, Wie der Hampel hampeln kann!

Und alle Hampelmänner bewegten Arm und Bein und sangen mit, ohne Rücksicht auf den durch ihre Kleidung angedeuteten Stand. Da schwang ein dicker Schlächtergeselle, unbekümmert um Notstand und Schweineeinfuhr¬

verbot, einen Schinken in der Faust, ein Minister bemühte sich krampfhaft, bei den Kreuz- und Ouersprüngen mit der durch seinen Beruf bedingten Geschmeidigkeit das Portefeuille in der Hand zu behalten, ein hungriger Schul¬

hielt einen Zettel hoch mit der Aufschrift: Gehaltsver¬ besserung! und der Direktor eines Bauvereins schwenkte eine Schlinge, offenbar um einen Gimpel darin zu fangen. Am besten gefiel mir meister

eine

Figur,

die den Knecht Rup¬

darstellte, und täuschte ich mich nicht, so blinzelte der mir heimlich zu, als wollte er mich überreden, gerade ihn zu kaufen. lieber „Koofen Se doch,

recht

Person vereinigen, das Geschäfts¬ Gndlirh Arveit gefunden! (S. 143.) lokal der Mietsersparnis halber Nach einer Zeichnung von A. Lew in. gleich in Gestalt eines Kastens vor Herr", sagte der Junge, der dem Leib hängen haben und ,,N' Jroschen der janze Hampelmann. ihn tanzen ließ. ohne Sorge sein können, daß ihnen ihr Kassierer durchbrennt. Er eßt nich, er drinkt nich, er kost't Ein halbes Dutzend Jungen mit Ziehfiguren stürzte auf Immer billig, billig. Strümpe nich, un de Cholera einmal gegen mich zu, jeder wußte Wunderdinge von seinem keene Steuern, er zerreißt keene Springkünstler zu erzählen, und mit ihrer eingefrorenen kriegt er erst recht nich!" Das kaufmännische Talent des jungen Mannes fand Stimme sangen sie den neuesten Gassenhauer:

--9 meine volle Anerkennung,

Preis zahlte;

ich steckte

freiwillig

134

ge¬

den doppelten

gekauft haben, sondern daß ich, der alte Knecht Ruprecht, nur

den Hampelmann in die Seitentasche

Sie gingen verschiedenemale mir vorbei, ohne mich zu beachten; da verwandelte ich mich flugs in eine Ziehfigur und gelangte alsbald zu meinem Ziel. Ich bin nun mal ein alter Spaßvogel, halten Sie mir diesen kleinen Scherz zu gut." „Ich wüßte nicht, welche Bekanntschaft mir lieber sein könnte, als die Ihrige." entgegnete ich, kräftig die dargebotene Hand schüttelnd. „Von Kindesbeinen an habe ich Sie als

so

daß ich

meines Ueberrocks und setzte meinen Weg fort, soweit dies möglich war, denn meine Schritte wurden immer aufs neue gehemmt. Da war eine alte Frau, die au einer langen Stange papierne Ketten für den Weihnachtsbaum ausbot; ihre Enkelkinder hatten sie daheim geklebt, recht bunt und grell,

blau, rot, grün und gelb. Neben ihr stand die Enkelin, ganz weiß vor Frost im Gesicht, nur das kleine Naschen leuchtete rot hervor und schien sich mit den Anfängen eines tüchtigen Schnupfens vertraut zu machen. Das Würmchen bol Weihnachlsruteu an, und ich schenkte ihm mitleidig ein Nickelstückchen, von denen ich einen ganzen Vorrat in meiner kleinen Tasche entdeckte. Dort am Brückengeländer saß ein Bürschchen und rief seine Schäfchen aus, wahre Ungetüme, aus Holz und Watte zusammengekleistert; aber der kleine Söhlke in Taschen¬ format war sehr stolz auf die Erzeugnisse seiner Kunstfertigkeit und schrie tapfer ununterbrochen: ,,N' Sechser t’ Schäften, n’ Dreier n’ Knarre!" So hatte er es von seinem Großvater gelernt, der auch vor sechzig Jahren „Schäfken" verkauft hatte und immer noch nach Sechsern und Dreiern rechnete. Auch diesem Vertreter vaterländischer Kleinindustrie warf ich ein aufmunterndes Geldstückchen zu. Du lieber Himmel, ob ich mein Geld in irgend ein Depot gebe, wo ich es nie wieder¬ sehe, oder hier den kleinen Händlern, das kommt doch auf eins heraus, diese suchen es wenigstens durch ehrliche Arbeit zu verdienen. Sonderbar, so oft ich einen der so billigen Wohlthäligkeitsakle vollzog, verspürte ich in meiner Tasche einen merkwürdigen Ruck, es schien, als wollte der Hampel¬ mann seiner Freude über meine kaum der Rede werte Wohl¬ thätigkeit Ausdruck verleihen.

Ich stellte mich auf eine Bordschwelle und ließ das bunte Weihnachtsbild in seiner ganzen Mannigfaltigkeit auf mich wirken. Rechts baute sich die wuchtige Masse des Schlosies auf, der weite Platz davor flimmerte von unzähligen Lichtern; die Gaslaternen zogen in dem scharfen Frost einen in den Regenbogenfarben schillernden Lichtkreis um sich, darüber hin¬ weg sandten die elektrischen Lampen ihren milchweißen Schein und dort, hinter dem Turme der alten Marienkirche kam der berühmteste aller nächtlichen Lichtzauberer, der Mond hervor. Er spielte mit den zerflatternden Schneewolken, die bald weiß, bald schwefelgelb aufleuchteten; zuweilen steckte er sein gut¬ mütiges Gesicht unverhüllt hervor und überschüttete das ameisen¬ artige Getriebe da unten mit hellen Lichtfluten, weckte auf der kupfernen Kuppel des dunklen Doms einen falben Wiederschein und balgte sich dann aufs neue mit den Wolken herum, die gleich silbergepanzerteu Rittern mit wallenden Mänteln auf dampfenden Nebelrossen gegen ihn zum Kampf anstürmten. „Nicht wahr, das alte Berlin hat doch auch seine Schön¬ heiten?" hörte ich plötzlich jemand neben mir sagen. Erstaunt drehte ich mich um und gewahrte einen alten Mann, der mir außerordentlich bekannt vorkam. Wahrhaftig, es war niemand anders als der Hampelmann, der mir ganz heimlich aus der Tasche geschlüpft war und jetzt neben mir stand, genau so wie er in den Bilderbüchern abgebildet ist, mit grauem Pelzmantel und beschneiter Pudelmütze. „Sie wundern sich, lieber Herr." sagte der Alte, daß ich mich so hinterrücks aus meinem Gewahrsam befreit habe, aber Sie erkennen wohl, daß Sie keinen gewöhnlichen Hampelmann

jene Gestalt angenommen habe. an

wohlbekannte Erscheinung liebgewonnen. Auch bei uns gab es am heiligen Abend einen leibhaftigen Weihnachtsschenker, als welchen sich ein loser Schalk ausge¬ kleidet hatte. Wie fürchteten wir seine Rute, wie verlangend

eine zu

Hause

blickten den

wir auf

ausschüttete.

bärbeißigen Rede auf den Boden fest und steif daran, daß es gebe, und jetzt erkenne ich ja, daß getäuscht hat. Seien Sie mir herz¬ freue ich mich, persönlich einen der lernen, die in der stets wachsenden werden."

seiner

Ja. wir glaubten

einen Weihnachtsschenker mich dieser Glaube nicht

willkommen! Wie guten Geister kennen zu Weltstadt immer seltener lich

mit Aepfeln, Nüssen und Spielzeug,

den Sack

er am Schluß

„Ja, Sie haben recht, immer seltener," brummte der Alte wehmütig. „Unsere Stunde hat geschlagen, bald werden wir alle verschwunden sein, und die Welt wird immer alltäglicher und nüchterner. Man versteht uns nicht mehr, wir haben uns überlebt, sind altes Gerümpel geworden, über das man spottet. Es ist nicht mehr das alte, gemütliche Berlin aus Großvaters Zeiten, alles ist abgeschliffen und modern. Mich selbst hat erst gestern ein Schutzmann arretieren wollen, weil ich keinen Gewerbeschein besäße. Den hätte ich nicht nötig, erwiderte ich, mein Privileg stamme schon aus den Zeiten der alten Markgrafen." „Und was sagte der Polizist?" „Er wollte mich erst wegen Beamtenverhöhnung arretieren, dann ließ er mich stehen, denn er dachte wohl: Dem Alten ist bei der Kälte eine Schraube losgegaugen." Wir lachten beide und schritten langsam vorwärts. Der Alte versank in Nachdenken, dann sagte er endlich traurig: „Heute gehe ich zum letztenmal an dieser Stelle, man hat uns gekündigt, die alten Buden und all der altvaterische Kram passen nicht mehr in die vornehme Gegend. Und ich dächte, wir hätten doch ein gutes Recht darauf. Von hier aus ist Berlin groß geworden, ich habe es wachsen sehen seit Jahr¬ hunderten: fröhliche und traurige Weihnachten in guter und schlechter Zeit haben wir eingeleitet mit dem Aufbau unserer armseligen Buden. Freilich, wer will heute noch etwas von dem Berliner Weihnachtsmarkt wiffen? Jetzt muß alles in den teuren Läden gekauft werden in der Leipziger- und Friedrichstraße; der plundrige Markt ist nur noch für die armen Leute. Und doch waren wir bei Hof einst sehr an¬ gesehen."

„Davon müssen Sie doch viel erzählen können, wie über¬ haupt von der alten Zeit," warf ich ein, in der Hoffnung, von dem redseligen Alten etwas über das Weihnachtsfest im alten Berlin erfahren zu können. „O ja, o ja, das dächt' ich auch." sagte er geschmeichelt. „Ich kann weit zurückdenken und habe mir alles wohl gemerkt. Ja, davon weiß ich mancherlei zu erzählen. Das find jetzt gerade dreihundertunddrei Jahre her, da übten dort oben auf



135

dem Schloß die Prinzen und Prinzessinnen des kurfürstlichen

Hauses nebst vielen adligen Kindern eine kurze Komödie von der Geburt des Herrn Christi ein.

Das Stück hatte der brandenburgische Musikus Pondo fein säuberlich zu Papier gebracht; dergleichen liebte man damals bei Hofe, aber auch die Bürger trieben allerhand Kurzweil zur Adventszeit. Weihnachtsspiele und Mummen¬ schanz. Dabei ging es aber schließlich so heidnisch her, daß später der große Kurfürst alle solche Dinge untersagte, und Damals gab es für mich freilich Weihnacht nichr oben viel zu thun, denn der dort zu Hof beschenkte sich erst zu Neujahr; der Vater des alten Fritz führte dann die Beschenkung am Weihnachtsfeft ein. Das war doch gewiß ein sparsamer Herr, und ich weiß noch, wie in der Stadt darüber gesprochen wurde, daß er einmal goldene und silberne Schüsseln für viertausend Thaler zu Weihnachten sein

Sohn erneuerte das Verbot.

verschenkte.

O ja, das alte gemütliche Berlin! Wie anspruchslos waren die Leute damals! Nichts von Bazaren und Aus¬ stellungen, wie man sie jetzt hat. Damals dachte man Wunder was man erlebte, als der Kaufmann Catei in der Brüder¬ straße anno 1784 dem hochverehrten Publiko anzeigte, daß er vor dem Königlichen Stall in der Breitenstraße seine Aus¬ stellung eröffnen werde; ich ging auch hin, und ich weiß noch, wie die Leute staunten, als sie da eine Landschaft mit einer Wasserkunst zu sehen bekamen. Zwei Jahre später stellte der Kaufmann Aschenborn in der Breitenstraße ein künstliches Berg¬ werk aus. Das wurde so bewundert, daß selbst der König, der dicke Wilhelm, wie man ihn später nannte, mit seiner Tochter und den Prinzen vom Schloß hinkam. um die aus¬ gestellten Herrlichkeiten in Augenschein zu nehmen. Der König war außerordentlich leutselig rmd in der besten Laune, und die Prinzen wurden so ausgelassen, daß Prinz Ludwig, um sich Platz durch die Menge zu schaffen, den jungen Mädchen aus einem Fläschchen wohlriechendes Wasser ins Gesicht sprengte,

laut aufschreiend zur Seite wichen." Knecht Ruprecht lachte in sich hinein, als er sich die lustige Scene ins Gedächtnis rief und verstummte wieder; doch ich bat ihn, mir noch mehr vom alten Berlin zu erzählen. „Dann will ich Ihnen wenigstens kurz weiter berichten, wie so allmählich die Ausstellungen in Geschmack kamen. Das war gerade keine fröhliche Weihnacht in der Zeit der schweren Not im Winter 1810, aber man ließ den Kopf doch nicht

so

daß sie

allzutief sinken, und es fanden sich genug Schaulustige, als der Konditor Fuchs Unter den Linden den entzückten Berlinern das Schlaraffenland zeigte, während man bei Weyde hinter der Petrikirche einen Berg aus Tirol, bei Ellinger in der Jerusalemerstraße eine spanische Stadt und bei Grüner in der Kurstraße sogar einen Totentanz zu sehen bekam. Ja, und was für ein Fortschritt war es, als darauf die beiden Gropius in der Brüder- und in der Breitenstraße ihre Dioramen er¬ öffneten; ich erinnere mich, daß man durch das eine Venedig mit dem Markusplatz sah. Aber nicht geringeren Zulauf hatte Wisotzki in der Stallschreiberstraße; bei dem wurden die Schönheiten des Christfestes im Gesang vorgettagen, das Entree kostete einen ganzen Groschen, und wer Appetit hatte, konnte ihn an Enten und gespickten Kapaunen stillen. Dann wurden die Berliner anspruchsvoller und gingen zu Krolls großen Weihnachtsausstellungen; im tollen Jahr

s>

man in Sommers Salon Transparente und lebende sehen und im Hotel de Russie veranstalteten Held uud Weyl sogar politische Weihnachtsausstellungen mit Puppen¬ spiel und lebenden Bildern. Die Hauptfreude aber war immer der Weihnachlsmarkt, zu dem strömte jung und alt. König Friedrich Wilhelm UI. und später seine Söhne besuchten ihn oft, und das ist noch garnicht so lange her, da sah man den Kronprinzen Friedrich mit seiner Gemahlin vergnügt die Gassen konnte

Bilder

des Marktes durchwandern."

„Mir fällt

eben

ein," unterbrach

ich

ihn, „daß Sie doch

eigentlich bei Hof eine sehr bekannte Persönlichkeit sein müssen." „O gewiß, gewiß, lieber Herr," sagte er mit ersichtlichem Stolz, „ich habe sogar den Titel eines Wirklichen Geheimen

und noch heute abend gehe ich hinauf aufs Schloß zur Bescherung und frage die sechs kleinen Prinzen, ob sie auch hübsch artig gewesen sind. Ihnen

Ober-Hof-Weihnachtsschenkers,

bringe ich die schönsten Nüsse und Aepfel, der Kaiser und die Kaiserin geben mir die Hand und erkundigen sich, wie es mir geht. Danke, danke, Majestät, sage ich, wie es einem alten Manne eben gehen kann! Und dann lacht mir das Herz, wenn ich all die Freude und die Glückseligkeit da oben auf Auch bei dem Schloß sehe. O ja, da bin ich sehr bekannt. Kaiser Friedrich und Kaiser Wilhelm, Gott hab' sie selig, war Ach. ich sehe den alten Herrn ich ein gern gesehener Gast. noch vor mir, wie er so vergnügt in den weißen Bart lachte, wenn er lauter frohe Gesichter um sich sah. Er feierte das Christfest immer ganz besonders großartig. Zwölf der schönsten Tannenbäume wurde in dem kleinen blauen Speisesaal des Kaiserlichen Palais auf zwei langen Tafeln aufgestellt, alle besteckt

mit weißen Lichtern.

schenke

fiir

Der Kastellan mußte die

Ge¬

den Hofstaat aufbauen, und der Kaiser legte mit rückte die Sachen zurecht und befestigte die Zettel

Hand an. mit Namen daran, behaglich plaudernd mit der Kaiserin, die von ihrem Rollstuhl aus Anordnung für die Geschenke der Hofdamen gab. Zwei Tische, die in den Ecken neben der Thür. zum Ballsaal standen, blieben vorläufig leer, auf ihnen wurden die Geschenke für den Kaiser und seine Gemahlin auf¬ gebaut, wenn sie den Raum verlassen hatten. Um vier Uhr versammelten sich die Gäste im großen Speisesaal; dort wurde diniert, dann, nach einem kleinen Cercle, öffneten sich die breiten Flügelthüren des blauen Saales und jetzt reichte der Kaiser der Kronprinzessin den Arm, Fritz stellte sich an die Seite der Kaiserin, und so zogen alle parweise ein, sich an den Tafeln zerstreuend und die Geschenke bewundernd; niemand aber freute sich mehr über die Freude der anderen als der alte Herr, der für jeden ein liebes Wort hatte. Nun ruht er schon lange mit seiner treuen Lebens¬ gefährtin draußen im Charlottenburger Mausoleum unter den beschneiten

Tannen." (Schluß folgt.)

Mönch Hermann von Kehnin. Ein märkischer Sang von

M.

t*. Duct).

(9. Fortsetzung.)

Der Schatz von Angermünde. Hell springt des Wassers klare Flut Dem leuchtenden Monde entgegen. Es treibt und drängt mein heißes Blut

-a

Der Liebsten, Der Liebsten entgegen. Und wie verklärt im Glanze mild Die schimmernden Wellen sich regen, So jage ich, Dein liebes Bild

Im

Herzen, dem Glücke entgegen.

Der Pfeil von straffer Sehne springt, Es schwirret dem Ziel entgegen. Dein Nam' von meinen Lippen klingt Und will

Dir

zu Füßen sich legen. des Aethers Flut

Da hält ihn auf

In

schatt'gen Waldesgehegen,

Ihm

nach drängt meiner Sehnsucht Glut Der Liebe, dem Glücke entgegen.

Hermann naht'

In

sich dem

Stolper Schlosse.

Sehnsucht heiß sein Lied erklang,

Bis von

dem schaumbedeckten Rosse

Er endlich auf den Burghof sprang. Nun ist die böse Zeit vergangen, Nun darf er um die Liebste frei'n. Blitzend das Aug', mit glüh'nden Wangen

Tritt er zur weiten Halle ein. Ruth Ehrenreich ist nicht darinnen, Sein Blick durchmißt des Raumes Plan, Im Erker nur, im tiefen Sinnen Der Burgherr weilet, Herr Johann. Buch hebt sogleich sich von dem Sessel Und hat dann Hermanns Arm gefaßt:

„Ist

Otto ledig seiner Fessel?"

Fragt er in übereil'ger Hast. „Ihm galt mein erst Gebet am Morgen, Ihm, mein Gedanke Tag und Nacht O, sprich! Erlös mich von den Sorgen. Hat ihn Frau Heilwig frei gemacht?" Erschüttert bog sich Hermann nieder: „„Herr, gebt der Sorg' nicht fürder Raum, Wir haben unsern Fürsten wieder,

Weit hinter uns liegt böser Traum. Und nur das eine will uns grämen Und schafft uns Not und Kummer schwer, Woher das Lösegeld wir nehmen. Viertausend Mark an Silber schwer?"" Erlöst lauscht Buch auf Hermanns Worte, Dann reckt er sich gar stolz und groß, Und durch die offen stehnde Pforte Ruft feurig er: „Man bring' mein Roß! Mein Roß heraus! Ich will jetzt reiten",

Klingt „Zwei

Eilt Er

seine

Stimme laut und weit,

Knechte sollen mich begleiten

Euch, als gings zu Kampf und schickt sich

Streit/

an, als gings zur Reise

Und winket Witold dann heran. Bespricht sich mit ihm schnell und leise Und wendet sich an Hermann dann: „Ich eile jetzt zum Grimnitzschlosse

Und mache mich zur Fahrt bereit. Gönn Du erst Rast Dir und dem Rosse.

136

e-

Du holst mich ein wohl noch zur Zeit." „„Was wollt Ihr thun? Wollts offenbaren?" Hermann verwundert fragend spricht. Der Greis läßt seine Rechte fahren: „Johann von Buch thut seine Pflicht." Hermann durcheilt mit schnellen Schritten Die Burg, ruft Witold dann herbei. Fragt, wann Hans Dochow sei geritten, Und wo Ruth Ehrenreich wohl sei? „Der Junker schied vor wenig Tagen, Geheilt die Wunde, frisch und braun," Weiß ihm der Thorwart drauf zu sagen. „Stets war er hier mit Ruth zu schaun. Als er nun zog, das war ein Leiden. Uns allen schwer der Abschied war, Doch war wohl nicht für lang das Scheiden, Dann gehn die beiden zum Altar.

Das Fräulein aber will erscheinen Verändert mir viel Tage lang. Zuweilen möchte ich schier meinen Sie würd' nach Maras Tode krank." „„Nach Maras?"" Hermann fragt erstaunt. Witolds Geschwätze zürnt er schier, „Ja, Herr! Und von der Alten raunet Man viel, nicht richtig wars mit ihr.

Man höret allerhand da munkeln, Doch wie's auch sei, eins ist gewiß. Sie wanderte am Fluß im Dunkeln Trat fehl, der Strom sie mit sich riß. — Ruth müßt im Garten Ihr erblicken, Ich mein, sie schlüpfte dort hinein Dieweil Ihr kamt." Mit kurzem Nicken Schritt Hermann weiter übern Rain.

Hin durch den schmalen Weg er gehet. Sein rascher Schritt im Gras verklang,

Bis vor Ruth Die nicht wie

Ehrenreich er stehet,

wohl fröhlich sang. „Ruth!" ruft er aus, „fällt durch die Linden Gespensterhaft das Sonnenlicht? Doch sag. warum ich sonst muß finden So blaß Dein rosiges Gesicht?" Sie fährt aus tiefem Traum erschrocken, Sich zu befrei'n aus seinem Arm Und streicht sich aus der Stirn die Locken:

„„Die

sonst

Sonnenhitze schafft mir

Harm.""

Es zittern ihre zarten Glieder, Als sie das Wort stößt hart hervor, Auch hebet von dem Aug' die Lider Sie nicht ein einzigmal empor.

„Mein Lieb, o sag, was ist geschehen?" Spricht ängstlich forschend da der Mann, „Laß mich tief in Dein Auge sehen, Hat jemand Dir ein Leid gethan?" Und wie er wieder sie umschlinget. Reißt sie sich los: „„Laß mich in Ruh,"" Und zürnend ihre Stimme klinget,

„„Wer

gab

Dir

denn das Recht dazu?""

*8 Recht. das^Recht?" — fragt er und starret es bebt sein Leib,

„Das

Sie ratlos an,

Als wenn ein

„Du

Schreckgespenst

selbst, mein anverlobtes

ihn narret,

Weib."

Doch als er ihre Hand erfasset, Die schlaff an ihrer Seile hing.

Bis in

die Lippen er erblasset,

Denn daran steht er einen Ring. Und als ihn seine Finger streifen. Gehts durch die Seele wie ein Schwert. Er kennt nur allzugut den Reifen, Er weiß es auch, wem er gehört.

137

Der ist mein Bräutgam,"" saget leis Ruth Ehrenreich mit scheuem Beben. Doch ihr Gesichl bleibt kühl und weiß. „Ruth; vor nicht allzulangen Tagen Hast Du an meiner Brust geruht, Und soll ich Dir die Worte sagen Womit Du schwurst, Du seist mir gut? Hast Du Erinnerung dran verloren, Das sage mir jetzt ins Gesicht." — „„Gewiß, ich habe Treu geschworen, Doch — Hermann Pritzwalk bist Du nicht!""

„Bin

nicht ich?

Srhrioervegsrhaffung irr Kerlirr. Nach einer Zeichnung von E.

Des dunkelroten Steins Geftmkel Erblickt er einst an Dochows Faust, Und vor den Augen wirds ihm dunkel,

Vor seinem Ohr das Blut erbraust. — „Hat der die Liebste mir gestohlen, Der ohne mich jetzt tot und kalt Als Beute diente Krähn und Dohlen Bei Frohse in dem grünen Wald?" Ihm ist's, als müsse er ersticken, Doch bald

will klar

er sehen hier

so fragt er mit finstren Blicken: „Sprich wahr, wer gab den Reifen Dir?" „„Der jenes Ringlein mir gegeben,

Und

Kannst Du das bekunden?

(S. 143.)

Hacseter.

Trag ich den Namen nicht mir Recht?" — „„Vernimm, Du wurdest einst gefunden, Kein Name nennet Dein Geschlecht!

Der Findling kann mich nicht besitzen. geb ich hin mich nie und nie."" Die Augen Hermanns Feuer blitzen.

Ihm

Und angsterfüllt er plötzlich schrie:

»Ruth, Ruth. Du hast die Treu gebrochen, Weißt Du auch, wie mein Herz Dich minnt? Nimm doch zurück, was Du gesprochen. Du mißgeleitet, armes Kind! Sag nur, Du ließest Dich bereden.

-81

188

6k

daß er nach dem Bürgermeister verlangt habe, mit dem er

Dein Mund sprach, was Dein Herz nicht wußt' Und jeden Deiner Zweifel, jeden, Schütt aus in meine treue Brust. Ins Auge sollst Du jetzt mir schauen, Dann sag, daß Du mich nicht mehr liebst." Das Mädchen runzelt leicht die Brauen:

so

„„Was solls, daß Du Befehle giebst? Für meine Worte will ich stehen. Doch Du erhebest jetzt nur Klag,

meinte die Massin, „da giebts ein Unglück!"

Weil Dir mein Erbe wird entgehen. Das schon Herr Otto Dir versprach!""

„Halt ein!" ruft Hermann

„Er

fast

mit Stöhnen,

sitzt, der wohlgezielte Hieb,

Nicht weiter soll mich die verhöhnen, Die mir in tiefster Seele lieb! Doch wehe Deinem goldnen Reifen, Nur Jammer wird ihm folgen nach, Bis furchtbar wird die Ernte reifen, Für die mir angethane Schmach.

ebenfalls in Streit geriet, und wie dieser ihn schließlich hinaus¬ gewiesen habe.

Die Frauen traten auf die Seite des Fernemüllers und meinten, solch grausames Unrecht müsse sich bitter rächen. „Das kann dem Manne unmöglich Gutes bringen,"

„Oh. ich werds ihm schon eintränken, und wenn michs Kopf und Kragen kostet!" rief der Fernemüller. „Wollt ihm doch nicht etwa gar vergeben?" fragte Frau Kran. „Wäre mir auch egal, was frage ich danach." „Wenn das so leicht wäre, hülfe ich mit." sagte die Kopp. Während dieser Worte schlich ein Schatten an dem offenen Fenster vorbei, und bald darauf trat der Stadtdiener Baltzer ein und brachte ein Schreiben des Stadtrichters, nach deffen Uebergabe er sich schleunigst entfernte, als ob ihn das böse Gewissen plage.

Als der Fernemüller das Schreiben geöffnet,

Und keine Freude sollst Du finden, Nie mehr des Glückes Sonnenschein; Nur Reue soll Dich fest umbinden Und ohne Ruhe sollst Du sein. Nicht fluchen will ich mehr, nicht weinen, Ich weiß nicht, welches Wort hier frommt, Doch Glaub, Vergeltung wird erscheinen, Und weh Dir, wenn die Stunde kommt!"

und

höhnisch

(Fortsetzung folgt.)

II. Die Ratssitzung. „So

macht doch keine Umstände, Kämmerer Friese, tretet

erscheinen."

„Gott

Der Fernemüller und sein Meid. märkischer

Geschichte

von

auf.

nur getrost ein." „Nein, nein, das Alter soll man ehren, steigt Ihr nur voran, auf die Ratsstuben hinauf, Stadtrichter! Ihr seid ja ohnehin heute der oberste am Ratstisch, Hans Sturlebusch; denn Herr Herrendorfer wird wohl kaum heute zur Ratssitzung

Leis wimmernd Ruth finkt an die Erde, Jäh wendet Hermann seinen Schritt, Im Schloßhof steiget er zu Pferde Und in die Zauche geht sein Ritt. —

Ein Stück

lachte er

Dann schlug er mit der Faust auf den Tisch, daß das Geschirr klirrte. „Und ich gebe meine Pferde doch nicht zur Dorfreise, und wenn Ihr mir zehnmal vier Thaler Strafe androhet!" * * * kurz

Grkvrt.

(2. Fortsetzung.)

Der Fernemüller fuhr wütend auf: „Der Teufel soll ihn holen, den Sakramenter! Werden ja sehen, wer recht behält, der eigensüchtige Rat oder ich, der ehrbare Bürger! — Fällt mir gerade ein, alle 14 Tage die Pferde zu Stadtreisen zu stellen, lieber schlage ich die Schindermähren tot! — Oho, Herr Bürgermeister, daraus wird nichts! — Werde Euch die Ungerechtigkeiten und Bevorzugungen Eurer Sippschaft auf dem Ratsstuhl schon austreiben! — So läßt der Fernemüller nicht mit sich umspringen! Von Drohungen stirbt der Wolf noch nicht, und ich wehre mich wie ein Wolf, so wahr ich Asmns Müller heiße!" „Aber, so erzählt doch! Was ist denn passiert?" wagte nun endlich Fran Kran diese Anhäufung zusammenhangsloser Ausrufe zu unterbrechen. Und der Fernemüller nun einmal im Zuge, erzählte den ganzen Vorgang, wie er Baltzer in der Baugasse (Wollstraße) getroffen, wie er von ihm erfahren habe, er solle schon wieder, nach kaum 14 Tagen, Km Rat morgen die Pferde zu einer Dorfreise stellen, wie er dann zum Kämmerer gegangen, um diesen Irrtum aufzuklären, dieser habe ihn grob angefahren,

Vor vier im großen Ratssaal und feierten die Hochzeit seiner Tochter Eva mit Hans Weiß, und der große Saal, der für so manches Kindtaufen und so manche vornehme Hochzeit schon ausgereicht hat, war schier zu klein, um die Zahl der zur Feier geladenen Gäste zu fassen; das Bettlervolk konnte auch kaum mit dem Ausnehmen der Gäste fertig werden. Und nun liegt er krank darnieder." „Was mag ihm nur fehlen?" sei's geklagt, der arme Bürgermeister!

Wochen saßen

wir

noch oben

„Der Stadtmedikus meint,

wäre ein Hexenschuß, die ganze linke Seite ist wie abgestorben, da ist der Tod darüber hingegangen." „Ach, du mein grundgütiger Gott! Wenn nur nicht da wieder eine böse Zauberei im Spiele ist!" es

„Hab ich mir auch schon gedacht." „Freilich, alt ist er schon, er muß

auch schon

bald aus

den Sechzigen heraus sein."

„Ah, bah,-das ist kein Alter. Seht mich an, bin jetzt 78 Jahre alt und steige noch mit jedem jungen Fant die Ratstreppe um die' Wette hinan." »Ja, ja." erwiderte der Stadtkämmerer treuherzig und ehrlich, „das will schon was sagen, denn eine von den be¬ quemsten ist sie just nicht, aber Ihr seid diese Malefiztreppe gewöhnt, und wißt schon, wo im Stein die Löcher sind." Als sie in der Ratsstube anlangten, wo heute Ratssitzung

-H3

139

stattfinden sollte, fanden fie bereits Martin Geister, den kur¬ fürstlichen Hofmeister, die Räte der Stadt Michael Böfinger, Andreas Budach und Bartel Költzing, den Kämmerer Valentin Karge und Peter Thiele und Caspar Fichtner, den Stadt¬

Eben schlug die Turmuhr 9 Uhr, und gleich darauf erklang von dem Turm des Rathauses ein lutherischer Choral, den der Stadtpfeifer mit seinen fünf Gesellen in den schreiber, vor.

herrlichen Morgen hinausblies. Die Ratsherren blieben still Erst als der stehen und falteten die Hände zum Gebet.

Choral verklungen, kam das Gespräch wieder in Gang. „Da lobe ich mir Hans Sturlebusch," sagte dann Michael Böfinger. „Ihr seid heute pünktlich mit dem Seigerschlage zur Sitzung erschienen."

„Gehört fich muß

auch so.

Wer will im Stadtregiment

sich

Andreas Budach?" Dabei zwinkerte

er

mit den Augen, als

sitzen,

Nicht wahr

selbst in Regiment und Zucht halten.

säße

ihm der

Schelm im Nacken.

führt doch daheim das Regiment?" „Gewiß, gewiß!" „Das heißt, wenn Frau Kathrin nicht zur Stelle ist," meinte Bartel Költzing. „Oho, Herr collega!“ „Nun, ja, auf Bürgermeisters Evchens Hochzeit war mir's doch so, als wäre der Thronhimmel Eueres Hausregiments etwas stark ins Wanken gekommen, als Ihr durchaus Feuerarms Grete einen Kuß geben wolltet." „Habt Ihr denn das gesehen?" „Ich hab's sogar schallen gehört," meinte Költzing lachend. Inzwischen halte man an dem großen, eichenen Tische Platz genommen, und durch das Aufschlagen mit dem Hammer unterbrach Hans Sturlebusch die wechselseitigen Stichelreden. Als er dann zunächst des erkrankten Bürgermeisters gedachte und sein Bedauern aussprach, daß dessen Platz am Ratstische heut leer geblieben sei, wich die eben noch so heitere Stimmung einem schweren Ernst, und seine Schlußworte „Gebe Gott, daß wir ihn bald wieder fröhlich und gesund in unserer Mitte sehen!" begleitete Bartel Költzing mit einem treuherzigen:

reise,

da

letzte Dorf¬

die über die Ratsdörfer Kernein und Wechsel nach den

Ratsvorwerken nach

Alt- und Neusorge (Berkenwerder) und von Asmus Müller habe die Gespanne,

Eulam ging.

nachdem er am nächsten

Morgen von seinem Rausch ernüchtert, und sein gestellt, Sohn habe den Bürgermeister auf¬ gesucht und ihn mit vielen beweglichen Reden um Verzeihung für seinen Vater gebeten, es sei aber doch bei der Strafe von

doch

4

Thlr. verblieben, obgleich der junge Asmus Müller dem Bürgermeister noch ein Faß besonders gutes Märzenbier ins Haus gebracht habe. Die landesherrlichen Abgaben und die Stadlschosse und seien von den Ratsdörfern pünktlich eingegangen, aus den nördlich der Warthe belegenen Ratsdörfern seien die Zinse schon vorher eingeholt worden und hätten im Ganzen l 20 Gulden*) eingebracht, davon hätten die Schulzen als von jedem Bauern 2 Pf., von jedem Kossät 1 Pf., im Ganzen 0 Gulden und 4 Pf., der Dorfpfarrer 3 Gulden 14 Sgr. (von jedem Unterthan 1 Pf.) erhalten. An der Schäferei in

Zinse

*)

Historisch.

Neusorge,

welche

im vorigen Jahre der Sturm umgeworfen

habe, werde fleißig gearbeitet, und die Ratsbauern hätten die

erforderlichen Ziegeln zum Neubau bereits im Winter aus der Ratsziegelei angefahren, wobei er bemerke, daß das Tausend Steine jetzt 2 Thlr. 12 Sgr. gelte.*) Die Eulamer hätten sich darüber beschwert, daß fie statt 1 Schenkelfisch (1 pro Schock) auf den Ratsfischmärkten am Sonnabend jetzt deren 2 geben müßten; da die Fische aber nicht mehr dem Rate allein gehören, sondern verkauft würden, nachdem jeder Ratsherr sich eine Mahlzeit abgenommen, so habe er nicht nachgeben wollen.

Alsdann trug der Stadtrichter die Beschwerde eines Mühlenvorstädter vor, daß die Garnmeister ihm zugunsten nicht in der Cladow fischen wollten, da er doch seine Tochter aussteuere und ein Garnzug in der Cladow bei Hochzeiten altes Recht der Bürger sei — und teilte zugleich mit, daß er die Garnmeister bereits angefahren habe, denn die hätten die Weigerung nur gethan, um ein hohes Biergeld heraus¬ zuschlagen.

„Ihr

„Das walte Gott! Amen." Dann berichtete Hans Sturlebusch über die

s»-

Zum Schluß berichtete Hans Sturlebusch über einen recht unangenehmen Streit, den der Rat mit dem Superintendenten und Pfarrer an der St. Marienkirche, Georg v. Woltersdors, gehabt hatte. Dieser hatte nämlich in der letzten Predigt nicht allein über das Bartstutzen gepredigt, womit der Haupt¬ mann von Himmelstädt, Friedrich Birkholz, angefangen und was bald nachgeahmt worden war, sondern er hatte sogar er¬ klärt, daß der Rat von Landsberg den Kirchendienern ihr Einkommen kürze. Diesen Vorwurf hatte der Rat natürlich nicht unwidersprochen gelassen, erhalte dem Herrn Superintendenten nachgewiesen, daß er das Einkommen der Kirchendiener eher gemehrt und gebessert habe und zum Schluß den Wunsch aus¬ gesprochen, ein andermal von solchen Beschuldigungen direkt benachrichtigt zu werden. Inzwischen war nun die Antwort Georg von Herrendorfs eingegangen, worin er erklärte, der Rat habe dem Kasten der Kirche für die Getteidepächte, an Landmiete und Hufenpacht 4 Thaler und 4 Scheffel Roggen „Und ob Ihr wohl vermöge Eueres zu wenig gegeben. Schreibens an mich nicht gestatten und von Euch die Wahrheit

wollt gesagt haben, so ist doch einem jeden christlichen Pastor und Seelsorger ernstlich auferlegt und besohlen, die Wahrheit nicht zu verschweigen, keinem Stande, den Regenten (Ratsherren) sowohl, als den anderen seinen Pfarrkindern in niedrigem Stande, zumal, wenn es der helle, klare Text mit Darum ist es fich bringt: Gott zu geben, was Gottes ist. keine Ausrufung und keine Schumpferei, wie Ihr solche Straf¬ predigt nennt, sondern göttlicher Befehl, daß man Euch nicht die Ohren krauen, sondern geradezu gehen, schwarz und weiß sagen soll, bei Vermeidung zeitlicher und ewiger Strafe, darum Ihr so knirschet in Euerem Schreiben. Von großer Zulage und vieler Besserung wissen meine Kollegen wenig. Gottes Wort heißt jung und alt. Kind und Kegel samt den Eltern im Predigt-Amt strafen wegen der Sünde und Unrechts willen. Diese Worte könnt Ihr mit füglichem Schein nicht aus der heiligen Bibel kratzen, noch habt Ihr sonsten Macht, die gött¬ liche Schrift zu korrigieren. Wißt Ihr mich sonsten meiner Lehre und ärgerlichen Lebens halber zu beschuldigen, so thut

nicht

es, ich scheue das Licht nicht, ich

*) Historisch.

will

stehen und

aufwarten."**)

DaS Schreiben des Rats und die Antwort des Pfarrers sind noch vorhanden.

**)

„Das,

geehrte Herren vom

Rat,"

so schloß

Hans Sturle-

busch seinen Bericht, „ist das wesentlichste aus dem Schreiben des Herrn Psarrers, er hat auf unseren Klapp derb wieder geklappt. Aber wir Werdens wohl dabei bewenden lassen

müssen."

„Oho, Herr Stadtrichter,

Ihr

seid

ja schnell fertig mit

Euerem Enischluß," rief Caspar Fichtner, der Stadlschreiber, „soll sich ein ehrbarer Rar so von einem Untergebenen dienen lassen?"

„Ich meine

wir dürfen

auch,

auf uns sitzen lassen!"

diese

Strafpredigt nicht

rief Peter Thiele, der andere Stadt¬

ehrbaren Rat mitteilen,

etwas zu sagen, ist freilich ein starkes Stück," meinte der Kämmerer Friese. „Allerdings ist es das!" erklärte Martin Geisler, „aber —" so

„Auch noch aber?" rief Caspar Fichtner. „Ja, allerdings," klang nun Hans Sturlebuschens Ba߬ stimme dazwischen, „wenn der Mann nun recht härte?" „Was, recht?" riefen alle, Kämmerer und Stadtschreiber zugleich.

„Ja, ja,

meine Herren," mischte sich nun Martin Geisler ein, „was der Herr Pfarrer da anführt, scheint mir nicht so

unbegründet. Das Recht, Unrecht zu rügen, können nicht bestreiten."

wir ihm

„Gewiß nicht," meinte Valentin Karge, der Kämmerer. „Nun, also," entgegnete Martin Geisler, „unser Unter¬ gebener, wie der Kämmerer Friese sich aussprach, ist er nicht, wenn ihn auch der Rat berufen hat; das Recht der Kritik wird ihm die neumärkische Regierung in Cüstrin nicht nehmen lassen, und daß die Herren Kämmerer — freilich zugunsten des Stadlsäckels, was sie entschuldigt — aber doch zu Un¬ gunsten der Kirche, sich mit den Marktpreisen für Getreide etwas verrechnet haben, können wir nicht ableugnen, also —" beweisen

zu

wandte er

sich

war," rief Hans Sturlebusch, „ja, „nun habt Ihr Eueren

zu den Kämmerern,

Nasenstüber weg, und der Rat mit Euch. Die Kirche geht vor, die soll man nicht um einen Pfennig kürzen, wir werden also wohl stillschweigen müssen."

„Aber," rief Kämmerer Karge. „Giebt kein aber," unterbrach ihn Martin Geisler, „der Mann hat recht, und wenn es nach mir ginge, müßte der Rat

„Oho!"

-

„Lassen

wir

ihn noch um Entschuldigung bitten."

„für

wir

ein

Die Bürger find mit der Mälzerei in arger Verlegenheit." „Das soll geschehen, wir wollen darüber in der nächsten Ratssitzung beschließen. Hat sonst noch jemand etwas anzu¬ regen?" Alles schwieg. „So schließe ich die Ratssitzung." (Fortsetzung folgt.)

Die Geschichte der preußischen Seidenin-ujirie im achtzehnten Jahrhundert. (Schluß).

„Dem Rat

„Was

alte Darrhaus*) durch die

neues bauen müssen, da es einzustürzen droht.

schreiber.

ja!"

daß das

letzte Wassersflut unbrauchbar geworden ist, und daß

den

Streit,"

sagte darauf

Hans Sturlebusch,

eine förmliche Abbitte bin ich auch nicht, aber ich meine

Rat beim Markgrafen Johann Beschwerde er¬ ins Unrecht versetzt werden, wir können also ruhig darüber abstimmen. Ich bin für Stillschweigen. Wer noch?"

doch, wenn der

heben und wieder klagen wollte, würde er

„Wir schweigen also," erklärte Hans Sturlebusch, „die Mehrheit ist dafür, das ist auch das beste, nur schade, daß der Herr Bürgermeister dabei die einzige leidende Persönlichkeit ist, denn der Herr Georg von Woltersdorf wird ihm das schon in seiner letzten Stunde gedenken, da er ihn für den Anstifter hält. — So wären wir denn mit der heutigen Tages¬ ordnung fertig. Hat noch jemand einen Wunsch auf dem Herzen?" „Ich wollte nur," so meinte Valentin Karge, „einem

Großen, den man nicht selten wohl gar für den Hauptschuldigen der Katastrophe von 1806 erklärt hat, weil er in seiner Allmacht weder Staatsmänner herangebildet, noch selbständige Charaktere erzogen und um sich gelitten habe, Friedrich war, wie er in seinem Testament in seiner großen Bescheidenheit sagt, nicht so anmaßend, zu glauben, daß seine Einrichtungen auch in der Zukunft Geltung haben müßten. Friedrich bildete seine Ansichten überhaupt nicht nach theoretischen Systemen, für ihn handelte es sich nur um die Fragen, welches waren die Bedürfnisse seines Staates und seiner Unterthanen, und wie waren diese nach deren augenblick¬ licher geistigem und materiellem Entwickelungsstudium zu erreichen? War aber die Erzeugung neuer Werte das unabweisliche Be¬ dürfnis, so bot unter den damaligen Verhältnissen die SeidenDer Weg Jndustrie hierfür die wahrscheinlichste Aussicht. aber, den er, sie zu verwirklichen, einschlug, richtete sich wieder nach der jeweiligen Lage der Umstände und der Verhältnisse der Menschen. Im Westen ließ er der schon vorhandenen Seidenindustrie freie Bahn, bethätigte den Grundsatz des reinen laissez-faire, im Osten mußte er, und er allein, sie schaffen und für sie die Menschen erziehen. Hier galt es daher, als merkantilistisch gescholtene Grundsätze zur Anwendung zu bringen, nur wieder nicht als solche, sondern als pädagogische Mittel. Und wahrlich, es ist mehr als die Blüte einer Industrie, die Friedrich mit ihnen erreicht hat. Er hat durch sein unablässiges Drängen, Vorwärtstreiben, Beaufsichtigen, durch seine Vorschüsse, Prämien und Pensionen seine Unter¬ thanen zu gewerblichen und zu kaufmännischen Unternehmungen erzogen. Er hat sie gelehrt, neue Bedürfnisse des Marktes zu erkennen, er hat sie gelehrt, die für ihre Befriedigung er¬ forderlichen Waren zu erzeugen, er hat sie gelehrt, auf kauf¬ männische Weise Absatzwege, fremde Märkte zu erforschen, Konjunkturen zu benutzen, er hat einen technisch hochstehenden Arbeiterstand, er hat auch kapitalskräftige Unternehmer er¬ Er hat nicht, wie man ihm vorgeworfen, ein Arbeiterzogen. Proletariat gebildet, sondem dem vorhandenen Arbeiter-

Friedrich

den

Proletariat hat er Arbeit besorgt, und

schon allein dadurch, und Recht, die er dem Arbeiter ge¬ aber auch durch Schutz währte, diesem eine soziale Lage bereitet, die, eben weil der Lohn nicht allein nach dem augenblicklichen Wert der Leistung, sondern auch nach den Lebensbedürfnissen der Arbeiter sich regulierte, eine verhältnismäßig gesicherte und gute war. Wenn man betrachtet, welche ungeheuere Massen von Vagabonden

und Tagedieben der dreißigjährige Krieg und die Kriege der folgenden Zeiten in Deutschland geschaffen, in welchem uns stand dicht am Bollwerk in der Fortsetzung der ZebenFriedrichstraße) außerhalb der Mauer.

*) Die Darre

gasse «(heute

-s

heut kaum faßbaren Matze sie Kapitalskraft und Unter¬ nehmungslust gelähmt hatten, und wie auch infolgedessen jede Schwungkraft von Vaterlandsliebe und Patriotismus gelähmt

„Geniesten

will t4j,

141

fr

Stände, Mann für Mann, in den Freiheitskrieg zogen. Die vornehmeren Klassen wie die arbeitende Masse wußten, was es heißt, pro aris et foois, fürs Vaterland zu kämpfen. Es

glühend

Heist geniesten."

Nach einer Zeichnung von O.

und gehindert war, so ahnt man erst, welche erziehende Be¬ deutung die Thätigkeit des Großen Kirrfürsten, Friedrich Wilhelms I. und namentlich Friedrichs des Großen hatte, wenn man auf der anderen Seite die glühende, vor keinem Opfer zurückschreckende Vaterlandsliebe betrachtet, mit der alle

(S. 143.)

Schulz.

heißt wahrlich nicht den Idealismus der Freiheitskämpfer von 1813—1815 herabsetzen, wenn man den Kampf um den eigenen Besitz, das eigene Selbst als eines der treibenden Motive erkennt, es heißt vielmehr, nur den realen Boden finden, ohne dessen Vorhandensein die idealen Güter überhaupt

-H3

142

B-

nicht gedeihen.

Gerade die Vaterlandsliebe, das Bewußtsein der eigenen Staatszugehörigleit, ist eine der schönsten Früchte

Als kleinmütig zagen in Fesseln und Not, Als duldend gehorchen schmachvollem Gebot!

von Friedrichs Arbeit für sein Volk. Und wenn die Katastrophe von 1806 auch mit der ganzen Industrie vornehmlich die Seidenindustrie gebrochen hat. also daß sie nur in den fünfziger Jahren dieses Jahrhunderts noch eine verhältnismäßige Nachblüte erzeugt hat, so beruht die Möglichkeit dafür, daß unsere Industrie, als neue Bahnen, neue Geleise eingeschlagen werden mußten, ihnen zu folgen vermochte, daß wir Schritt halten konnten mit den neuen Er¬ findungen. mit den Bedürfnissen der Neuzeit in letzter Linie doch wesentlich darauf, daß Friedrich uns einen Stand erzogen hatte, der unternehmungslustig, sachkundig und kapitalskräftig, der gewerblich und kaufmännisch soweit vorgebildet war. um alle Konjunkturen in Betracht zu ziehen und zu verwerten, der imstande war, einen Teil derjenigen Kapitalien zu er¬ zeugen. welche zur Begründung unserer politischen Macht nach Außen wesentlich erforderlich waren, und diese wieder jene Bedeutung gewinnen ließ, welche auf sie selbst eine so überaus befruchtende Wirkung ausüben sollte. p.—

Und glühend, ein unverlöschlicher Born, Im Innern den großen, den heiligen Zorn.

Zum 150. Geburtslage des Fürsten Ktücher 16. Deromvor 1892.

In

Harren und Krieg, in Sturz und Sieg, Bewußt und groß, so riß er uns vom Feinde los.

Goethe.

jgjie Glockenstimmen, so hallt es heut nach, Was einst der Dichter größester sprach; Es weht um uns her gleich Märzenluft, Die alles erweckt aus Bann und Gruft Mit Schlossen daherfährt, im Sturme ringt Und dennoch den Lenz und das Leben bringt! Mitten im rastlosen Treiben der Zeit, Mahnt sie uns heut, die Vergangenheit! Steige empor denn, leuchtend im Ruhm, Du, Deines Volkes Ureigentum, Der die Ahnen geführt auf der Siegesbahn: „Feldmarschall Vorwärts" allzeit voran! Dreimal ein halbes Jahrhundert verran, Seit Dein Herz auf Erden zu leben begann; Dies große Herz, deß gewaltigem Schlag Deutschland gedankt seiner Freiheit Tag! Steige empor denn, Du Heldengestalt. Vom Pulverdampfe umweht, umwallt, Mitten im prächtigen Reitergefecht, So gerade, so ist Dein Bild uns recht! In der Faust den Säbel, erfüllt die Brust. Von Jugendfeuer und Kampfeslust — An der Spitze der Deinen tummelnd das Roß, Unbekümmert um tötlich Geschoß! Das Haupt bedeckt von des Alters Schnee, Die Augen schimmernd wie tiefe See, Wenn drüber des Blitzes zuckendes Licht Dunkles Gewölke jählings durchbricht — Auf bärtiger Lippe ein kemiges Wort, Im Herzensgrund den lebendigen Hort, Das feste Vertraun auf des Rechtes Stern, Den Kindesglauben an Gott den Herrn Daß ihm, dem allmächtigen Lenker der Welt Ein mannhaftes Wagen viel^besser gefällt.

Das starke Empfinden: es darf nicht geschehn Dein Volk, so darf es nicht untergehn. Vom Sturm geschüttelt, im Das Mal der Schmach auf So trat Deine Zeit ja vor Gleich einer verzweifelnden

Du Du

machtest sie groß.

Du

Traumgewand, die Stirne gebrannt, Dich hin,

Bettlerin! hobst sie empor,

ihr, was sie verlor, Segnend die Stunde, da laut und voll, Des Königs Ruf durch die Lande scholl! gabst zurück

Kein Schwanken, kein Zaudern, kein Federkrieg: Dem Feinde entgegen zu Tod oder Sieg! Und voll und laut Deine Antwort klang Herüber vom schlesischen Bergeshang: unsere Fahnen umrauscht. Der Ruf, der sonst Für den wir die Klage, die dumpfe, getauscht, Der Ruf der erstorben im Sturme wild, Verstummt und erstickt auf dem blut'gen Gefild: Nun hallt es aufs neue von fern und nah, Das herrliche alte: Viktoria! Viktoria! braust es vom flutenden Rhein, Tief in die feindlichen Marken hinein: Vorwärts! mit eigner Begeisterung Glut Unwiderstehlich schürend den Mut, Gebietend und wagend auf höchster Wacht, Und dennoch mit gütigem Sinne bedacht, Für der Kämpen geringsten, der sich bewehrt

Zum heiligen Strauße um Freiheit und Herd! Im Herbstessturm, wie im Frühlingsglanz, Führtest Du glorreich den Waffentanz, Bis auf dem Kaiserschloß von Paris Der preußische Adler sich niederließ,

Bis vom Rhein hinüber

zum Ostseestrand,

Befreit das geliebte, das Vaterland! Blicke hernieder, Du Mann der That, Siehe gereift, die Du sätest, die Saat: Gesunken, erloschen, zerschmettert zu Recht,

Das einst uns

geknechtet, das stolze Geschlecht!

Auf Deutschlands Throne

den Kaiser und Herrn,

Ueber ihm leuchtend des Glückes

Stern!

Und ob zum Staube Dein Staub gesellt. Lebendig lebst Du, der Retter und Held! Dein Vorwärts, das Dich einst zum Siege trieb,

Dem deutschen Volke die Losung blieb. Was Du uns errangst, der Gefallenen Blut Erkaufte — wir wahrten das köstliche Gut, Von Deinem Geiste beseelt und geweiht, In Glück und Gefahr, im Frieden und Streit! Wie wechselnd ersteht aus dem Gestirn das Heul, Wie das Jahr sich, wie das Jahrhundert erneut, Der Feinde Drohen und Kraft wird zu Spott Bewahren wir treulich Dein: „Vorwärts mit Gott Daß der Tag uns umleuchtet, die Nacht versank — Feldmarschall Blücher! Dein ist der Dank! — AI. Kurs.

-s

143

Kleine Mitteilungen. Zu unseren Kildorn. — Nichts verändert

in dem Maße das Aussehen der Reichshauptstadt wie ein starker Schneefall. Mit einem Schlage ist das Leben und Treiben auf der Straße ein anderes, wenn die leichten Schneeflocken lustig zur Erde fallen und dieselbe mit einer weißen Decke versehen. Freilich muß es schon ein tüchtiger Schneefall sein, wenn dies eintreten soll, denn ein spärlicher ruft auf den Straßen Berlins nur jenen Schmutz hervor, den der Berliner mit „Matsch" bezeichnet. ES wird dem Schnee überhaupt schwer gemacht, auf den Straßen Berlins heimisch zu werden, denn mit unglaublicher Schnelligkeit bietet die StraßenreinigungsDeputation zahlreiche Mannen auf. um das plötzlich entstandene VerkehrsHindernis forizuschaffen. Ein Schneefall kostei der Stadt viele tausend Mark, aber er giebt auch vielen hunderten Menschen, die obdachlos, hungrig und elend sind, Arbeit, und so ist ein Schneefall ein Ereignis, das von vielen in der arbeitslosen Winterzeit sehnsüchtig herbeigewünscht wird. „Endlich Arbeit gefunden!" ist ein Stoßseufzer, der schon so manchem entfahren ist, wenn er Schaufel oder Besen erhielt, um kräftig in das Man findet unter diesen Schneeschauflern ReinigungSwerk einzugreifen. vielfach Leute, denen eS nicht an der Wiege gesungen worden, daß sie dereinst Straßen kehren müßten: Studenten, Lehrer, Kaufleute, Aerzte sind unter ihnen vertreten, die durch Schicksalstücke, Unglück und eigene Schuld von Stufe zu Stufe gesunken und nun froh sind, daß sie Gelegenheit haben, auf diese Weise ein paar Mark zu verdienen. Mit hungrigem Magen gehen diese Elenden der Großstadt an die Arbeit und harren mit Sehnsucht auf den Augenblick, wo ihnen ihr Lohn zuteil wird, der ihnen ermöglicht, ihren leeren Magen zu füllen und sich eine Lagerstätte zu ver¬ schaffen. So wird ein Schneefall vielen hunderten zur Wohlthat. DaS Gleiche läßt sich vom Schnee auch in Bezug auf seine Wirkung auf daS Gemüt des Großstädters sagen. ES liegt eine eigene Poesie in dem lang¬ sam fallenden Schnee, so etwas Ruhiges, Anheimelndes. Man kommt un¬ willkürlich in eine friedliche, stille Stimmung, wird zur inneren Sammlung angeregt, wenn man in die sanft zur Erde fallenden Schneeflocken sieht — und eine derartige Sammlung thut dem Großstädter not, der in seinem hastigen Jagen nach Erwerb nur zu oft und zu leicht in der Beschäftigung mit dem lieben Ich sein ein und alles findet. Fröhliche Schneeflocken, diese unzertrennlichen Begleiter der Advents- und Weihnachtspoesie, lenken die Gedanken unwillkürlich in die Zeit der eigenen Jugend, wo solch ein Echneefall mit einem Uebermaß der Entzückens begrüßt wurde: Schnee¬ mann, Schlitterbahn, Schneeballkriege — alles dies rufen die weißen HimmclSboten in die Erinnerung zurück. Und wessen Herz wird nicht weich, wenn er an seine Kindheit denkt? Da wird ganz unwillkürlich das Fenster geöffnet, um den Spatzen auf dem Dache einige Brosamen zu streuen, und wenn dann am Schornstein der rußgeschwärzte, am ganzen Leibe frierende Kaminkehrer erscheint, da eilt die mitleidige Hausfrau, um dem Bedauernswerten in seiner luftigen Höhe eine Tasse heißen Mokkas R, G. zu kredenzen, wie es unser Bild auf S. 141 zeigt.

Vereins -Nachrichten Verein für die Geschichte Berlins. Am

19. November hielt Krätschell aus Weißensee einen Vortrag über Carl Friedrich Schinkel in seiner Wirksamkeit für die Residenzstadt Berlin. Der Vor¬ tragende ging von der romantischen Periode des Künstlers aus, wie sie im Gebiet der Architektur sich zunächst in den beiden Hauptentwürfen deS Jahres 1810 geltend macht, Petrikirche und Luisen-Mausoleum. Ihnen folgten die beiden Denkmale der großen KriegSzeit, Dom- und KreuzbergMonument. Der Dom ist daS großartigste Werk aus dieser früheren Zeit, namentlich in seiner kühnen Turmarchitektur dem Bewußtsein der Zeit ge¬ recht werdend und bestimmt zu einem Centrum der gesamten preußischen Kunstthätigkeit. Den Abschluß dieser Zeit bilden die Entwürfe für die Gertraudenkirche und die bekannte Werdersche Kirche, die beide daS sonder¬ bare Ringen deS Meisters veranschaulichen, Elemente der Antike mit denen der Gotik zu verschmelzen. Der Vortragende legte sodann dar, daß dar Wesen der hellenischen Kunst der geistigen Konstitution deS Meisters adäquat gewesen sei und ging auf die Werke näher ein, die davon Zeugnis geben. Diesem Stil fällt die Hauptthätigkeit Schinkels zu und räumlich beschränkt sich dieselbe hier auf die „Residenzstadt Berlin", jenen westlich vom Fluß gelegenen Teil, der sich namentlich seit der Zeit des ersten preußischen Königs in dem genannten Sinne von dem östlich der Spree gelegenen „bürgerlichen Berlin" unterscheidet. Hier wurden zunächst die drei bekanntesten Werke, die neue Wache, daS Schauspielhaus und dar Museum ihrem eigentümlichen Werte nach vorgeführt. Dar erste trotz seiner kleinen Maße an achtunggebietender Würde den großen Platznachbarn ebenbürtig, daS Theater ein Triumph des Genies über die schwierigsten Raumbedingungen, daS Museum ein unvergleichliches Bild antiker Schön¬ heit. Ja, der gesamte Lustgarten ist ein Tummelplatz der Ideen des Meisters. Schöne Pläne zum Dom-Umbau wurden geschaffen, aber nicht genehmigt, und die unglücklichen Flankenkuppeln fallen nicht dem Meister zur Last. ES folgen daS Friedrichs-Denkmal im Lustgarten und der SiegeSbrunnen mit' der thronenden Borussia auf dem Schloßplatz, den jetzt der Begassche Neptunsbrunnen schmückt; weiterhin das Prinz Wilhelm-Palais mit der Bibliothek. Eine Schlußbetrachtung widmete der Vortragende dem Schinkelschen Kirchenbau, und die Bau-Akademie gab Anlaß zu einem Rück¬ blick auf die Wiederaufnahme deS norddeutschen ZiegelbaueS.

Herr

vr.

Für

Küchrrttfch. freu Meihnactitstisrh.

— DaS schönste Geschenk zur fröhlichen Weihnachtszeit ist ein Buch, aber die Wahl ist schwer, denn die

&deutschen Verleger sind in der AdventSzeit von erstaunlicher Produktivität. Auch wir müsien uns im Nachstehenden auf kurze Charakteristiken auS der Fülle der Erscheinungen beschränken. Zuerst die Me

Litteratur für

tieüe Jugend! Der renommierteJugendschristen-Verlag von Wilhelm Nitzschke in Stuttgart bietet die jedem aus der Kinderzeit wohl be¬

kannten Märchen in trefflichen Bearbeitungen von Frida v. Kronoff. Die Sammlungen „Im Zauberlande" (Preis 2 Mk.), „Märchenstrauß für die Kinderstube" (Preis 2 Mk.) und „Goldene Märchenpracht" (Preis 3 Mk.) bieten textlich und illustrativ dar Beste. — Als treffliche Kenner des Kinderherzens erweisen sich aufs neue Frida Schanz und Julius Lohmeyer in dem Bilderbuch „Kinder-Paradies" (Zeichnungen von Hermann Vogel; Verlagsanstalt und Druckerei in Hamburg, Preis 6 Mk.). Dasselbe gilt von Johannes Trojans „Ständebuch" Beide Bilderbücher (gebd. Preis 5 Mk., Zeichnungen von MörliuS). verdienen einen Platz auf dem Weihnachtstisch jedes 8—10jährigen Kindes. In dem gleichen Verlage erschien daS „Deutsche Jugend-Album", herausgegeben von Julius Lohmeyer (Preis 7 Mk.). Dieses vortreffliche Werk ist namentlich da zu empfehlen, wo dem Käufer um ein Buch zu thun ist, das sich für beide Geschlechter im Alter von 8—12 Jahren eignet. Ob eS nickt richtiger, jedem Kinde ein seinem Gesichtskreise entsprechendes Werk zu schenken, wollen wir hier unerörtert lasten. — Ein alter Freund der deutschen Jugend ist daS „Bunte Jahr", Kinder-Kalender auf daS Jahr 1893, herausgegeben von Dora Duncker (jetzt Verlag von F. Fontane u. Co., Berlin, Preis 1 Mk.). Der vorliegende Jahrgang präsentiert sich äußerst stattlich, der Inhalt ist vorzüglich und bietet mannig¬ fache Abwechslung. Warmes Lob verdient auch „DaS Jugendheim", ein Jahrbuch zur Unterhaltung und Belehrung, herausgegeben von Ernst EverS und Ulrich .Meyer (Berlin, Buchhandlung der Stadt¬ mission, Preis 4,50 Mk.). Das Jugendheim steht auf dem Grunde des alten Christenglaubens, eS sind in ihm rechte Frische und Fröhlichkeit, Neben interessanten Erzählungen finden rechte Vaterlandsliebe zu finden. wir Aufsätze auS der Geschichte, Länder- und Völkerkunde, Naturkunde, die dem jugendlichen Verständnis angepaßt sind, Gedichte Rätsel, Aufgaben u. s. w. — Eine allerliebste, zu Herzen gehende Kindergeschichte nach dem Englischen ist die „Geschichte von Vogels WeihnachtS-RöSchen" (Leipzig 1892, Verlag von Peter Hobbing, Preis eleg. gbd. 1 Mk. — dritter Auflage erschien zum Feste: Friedrich GerstäckerS „Wie der Christbaum entstand" (Jena, Verlag vonHermann Costenoble, Preis 5 Mk., gbd. 6 Mk.). Es ist dies ein Märchen, welches in jeder Familie hoch willkommen fein wird. Zur besonderen Zierde gereichen dem Buche die Bilder von Künstlerhand in Mohnscher Manier. — Allen Müttern ist der „Mütter Schatzkästlein", herausgegeben von A. Duncker (Berlin, Verlag von A. Duncker, Preis 3 Mk.) warm zu empfehlen. Das Buch giebt der Mutter einen reichen Schatz in die Hand, auS dem sie ihren Kindern Erheiterung und Belehrung bereiten kann, sie zu Gehorsam, Diese Kinderlieder, Treue und Gotiesfurcht anzuleiten imstande ist. Sprüche und -Gebete verdienen die weiteste Verbreitung. — An die „Aus rauhen Pfaden" von männliche Jugend wenden sich: Julius Pederzani-Weber (Leipzig, Verlag von A. Twietmeyer, Neue Folge, Preis 3,50 Mk.) Dieses Buch, mit guten und packenden Illustrationen ausgestattet, schildert Erlebniste und Begebenheiten auS Ver¬ gangenheit und Gegenwart, bei und in welchen einzelne Menschen sich durch unerschütterliches Gottvertrauen, glühende Menschen- und Vaterlands¬ liebe, sittlichen Mut und ritterliche Tapferkeit, wie durch eiserne Willens¬ kraft, Pflichttreue und zähe Ausdauer in Arbeit und Berus ausgezeichnet haben. — Besonder interessant für Berliner Jungen ist: „Anno 70 mit¬ gelaufen/' Erlebnisse einer Berliner Jungen von H. LüderS, reich illustriert von demselben (Quedlinburg, Verlag von Chr. Friedr. Vieweg, Preis gbd. 2,50 Mk.). Diese sehr empfehlenswerte Schrift berichtet von dem Berliner Jungen, der in der glorreichen Zeit beim Ausrücken der Kaiser-Alexander-Grenadiere sich im Eisenbahn-Coups versteckt hielt und als Regimentsjunge den Feldzug mitmachte. Ueber den weiteren Inhalt wollen wir hier nichts verraten. — Für die reifere weibliche Jugend sind (Leipzig, Verlag von Georg bestimmt: „Lotte" von Marie Wigand, Preis 3 Mk.). Diese elegant ausgestattete, reich illustrierte Er¬ zählung ist für junge Mädchen geschrieben, die der Schule entwachsen sind. In diesen Jahren gesteigerten Empfindens, wo Wünsche und Hoffnungen vielfach im Gegensatz mit der Wirklichkeit stehen, wird die Heldin vor¬ liegender Erzählung sich die Zuneigung jedes jungen Mädchens erwerben und dazu beitragen, den Zwiespalt im eigenen Herzen zu beseitigen und Aeußeres und Innerer in Einklang zu bringen. — Im Verlage von Ferdinand Hirt u. Sohn in Leipzig erschienen: „Unter Palmen. Schilderungen auS dem Leben und der MlssionSarbeit der Europäer in Indien für daS reifere Mädchenalter." Von Brigitte Augufti. (Preis ES handelt sich hier nicht um trockene geh. 4,50 Mk., gbd. 6 Mk.). Missionsberichle, sondern die Verfasterin schildert höchst interessant das ganze Leben und Treiben in jenem fernen Weltteil, in eine ansprechende Erzählung eingekleidet, und können wir überhaupt alles von dieser Hand Band Geschriebene auf? wärmste empfehlen. (Das Werk bildet den der Sammlung: „An fremdem Herd", ist jedoch für sich ein abgeschlosteneS gleichem Verlage erschien: „Für Kaiser und Reich." Ganze.) — II. Band (Preis geh. 4,50 Mk., gbd. 6 Mk.), welches Werk der er¬ wachsenen evangelischen Jugend gewidmet ist. Auch dieser II. (Schluß-) Band versetzt unS in die Zeit Kaiser Heinrichs IV. Der Verfasser versteht eS, Vaterlandsliebe und ritterlichen Sinn zu wecken und zu stärken, und auf Grund zuverlässiger GeschichtSquellen die Not des Vaterlandes in früheren Zeiten zu schildern, und unS zu zeigen, wie vieles gute wir jetzt haben, und wie viel daran gelegen ist, daß unser Volk sich treu hält zu Kaiser und Reich, und daß Gottesfurcht gepflegt wird in deutschen Landen. Beiden Werken auS dem rühmlichst bekannten Verlage von Ferdinand

In

Silling

III.

In

—-e

144

&■

Hirt u. Sohn gereichen eine Reihe vorzüglicher Illustrationen zur besonderen Zierde. Aus der belletristischen Geschenitlittercrtur müssen wir zunächst einige vorzügliche Anthologien hervorheben. Im Verlage „Liebe und Leben. von Adalbert Fischer in Leipzig erschien: Ausgewählt von Friedrich von Eine Sammlung deutscher Lyrik." Bodenstedt. (Preis 15 Mk). Ein sehr schönes Buch! Friedrich von Bodenstedt, der unsterbliche Sänger der „Lieder deS Mirza Schafft)" hat zu dieser Anthologie, seiner letzten Arbeit, die Auswahl der Gedichte ge¬ lrossen. DaS Leben der deutschen Frau vom ersten LiebeStraum durch Freud und Leid bis zum Greisen-Alter und Ende wird in diesen Gedichten zum Ausdruck gebracht. Bodenstedt lieferte zu dieser seiner letzten Arbeit selbst eine Anzahl noch ungedruckter Beiträge, ebenso ist die sinnige Dichterin Frida Schanz mit einigen bisher noch nicht gedruckten Perlen ihrer Lyrik vertreten. Der künstlerische Schmuck deS prachtvollen Werkes legt Zeugnis ab von der hohen Begabung und der reichen Phantasie deS Malers HanS Retlig. Die Verlagshandlung hat uns in dieser Anthologie ein Werk geschenkt, welches namentlich jeder Braut, jeder jungen Frau hoch willkommen sein dürfte. — Sehr gediegene Festgaben für den Weih¬ nachtstisch bietet auch der Verlag von Hermann Gesenius in Halle mit seinen Anthologien: „Blüren und Perlen deutscher Dichtung", 30. Auflage, (Preis 10 Mk.), „A Book of English Poetry“ by Dr. P. AV. Gesenius (Preis 2,50 Mk. und „Anthologie lyrique“ par AVerner Schönermark“ (Preis 6 Mk.). Was die Auswahl in diesen Ge¬ dichtsammlungen betrifft, so verdient dieselbe das uneingeschränkteste Lob und den ungeteiltesten Beifall: eS sind hier thatsächlich in allen 3 Büchern Blüten und Perlen der Lyrik der drei großen europäischen Kulturvölker Die Ausstattung namentlich der deutschen zusammengetragen worden. Anthologie, welche 20 Bilder in Holzschnitt nach Zeichnungen von Ferdinand Leeke und G. FüllhaaS enthält, ist vorzüglich, muster¬ haft in jeder Beziehung. — An den Schluß unserer heutigen Besprechung wollen wir ein Prachtwerk stellen, daS soeben bei C. T- WiSkott in Breslau erschienen ist. Dasselbe betitelt sich: „Unser Heer." 50 Bilder in Lichtdruck-Reproduktion von Carl Röchling (Preis 35 Mk.). Wo nur von unserem Heer gesprochen wird, da drängen sie sich lauschend herzu, die Jungen und die Alten. So wird denn auch dieses neueste Werk der bekannten Breslauer Kunstverlages gewiß im ganzen Vaterlands mit Freuden willkommen geheißen werden; ist doch dar Soldatenleben mit all seinen Freuden und kleinen Leiden wohl noch niemals packender geschildert worden, als durch die Bilder Carl Röchlings. Mit bewundernswürdiger Kraft der Charakleristik und mit urwüchsigem Humor hat der berühmte Künstler, dessen Soldatenbilder (Stieselappell, Paroleausgabe u. s. w) zu den beliebtesten Schöpfungen der neueren deutschen Genre-Malerei gehören, hier die verschiedenartigsten Momente des militärischen Treibens in lebens¬ vollen Bildern zur Darstellung gebracht. In der That, es ist eine wahre Lust, diese strammen Gestalten zu sehen, wie sie im „Langsamen Schritt" über den Exercierplatz dahin stolzieren, wie sie beim „Bajonettfechten" ihre Gegner zu überlisten und niederzustoßen suchen, wie sie selbst nach an¬ strengendem Marsche noch ihre Kräfte im lustigen „Centaurenkampfe" er¬ proben, und wie der Mut ihnen aus den Augen leuchtet, wenn das „Alarmsignal" sie nach kurzer, wohlverdienter Rast wieder hinauSruft zum rauhen Waffen-Handwerk. Wir bedauern sehr, daß unS der Raum fehlt, hier näher auf dieses Prachtwerk einzugehen. Dasselbe wird in jedem deutschen Hause ein hochwillkommener Gast sein. R. G.

gehalten, und vor allem der deutschen Jugend gewidmet — der akademischen sowohl als der außerakademischen — die jene große Zeit unserer Geschichte noch nicht mit Bewußtsein erlebt. ES giebt kaum einen historischen Stoff, aus dem soviel Belehrung politischer und historisch-politischer Art geschöpft werben kann, als gerade vie Zeit der Begründung und Schöpfung des deutschen Reiches; darum sind wir dem Verfasser dankbar für diese Arbeit auS der jüngsten Vergangenheit, weil doch des Historikers Beruf und Ge¬ wohnheit die Durchforschung der entfernteren Vergangenheit ist, und die Geschichte der jüngsten Zeit gewöhnlich den TageSpolitikern und TageSschriftsteüern überlassen bleibt, die vorwiegend politische Absichten und Zwecke verfolgen. Möchte die Betrachtung dessen, war der Gründer des deutschen Reiches geschaffen und die vergleichende Beurteilung der Art und Weise, wie er seine Schöpfung ins Leben gerufen und durchgeführt hat, die vorwärts strebende deutsche Jugend, nach dem Wunsch des Verfassers, zur Nachachtung und Nachfolge mahnen, denn „jeder kann aus der deutschen Geschickte dieser zwölf Jahre lernen, wie er den allgemeinen Aufgaben und Interessen seine persönlichen Wünsche und Gefühle unterordnen, wie er den allen gemeinsamen vaterländischen Staat der Partei voranzustellen habe. Die Sache des Vaterlandes muß alle anderen Rücksichten und Aus¬ sichten überwiegen!" — Jntereffant sind die „nach wiederholter Erwägung und Ueberlegung aller in Betracht kommenden Umstände gefaßten" Urteile über einzelne hervorragende Persönlichkeiten; von Friedrich Wilhelm IV. heißt es z. B.: „Er besaß kein preußisches Gefühl, er befaß überhaupt kein Staatsgefühl; es war ein Unheil für Preußen und für Deutschland, daß er auf Preußens Königsthron in so entscheidungsschwerer Zen geseffen; er ist die traurigste Erscheinung in der so herrlichen Reihe Hohenzollernscher Fürsten, die Preußen und Deutschland geschaffen — eine Ausnahme in seinem Hause." Der Auffassung, daß Bismarck bei seinen Erfolgen vom Glück außerordentlich begünstigt gewesen sei und alles, waS er erreicht, nur dem Glück der Umstände verdanke, da er gar keinen festen Plan in seiner Politik verfolgt und niemals ein bestimmtes Endziel im Auge gehabt habe, tritt der Verfasser im Folgenden lebhaft entgegen: „Diese Behauptung, auf welche zuerst die Verstocktheit seiner politischen Gegner verfallen, an welche sich dann aber auch manche der halb bekehrten Liberalen ange¬ klammert haben, entspricht nicht dem wirklichen Sachverhalt. BiSmarck ver¬ dankte nicht allein der Dummheit der österreichischen Minister, nicht allein der frivolen Bosheit des Herrn o. Beust, nicht allein dem Stumpfsinn des AugustenburgerS oder anderen ähnlichen Gleichzeitigkeiten seine Erfolge. In hellster Klarheit stand vielmehr vom Anbeginn seiner amtlichen Thätig¬ keit an sein Ziel ihm vor Augen; mit eiserner Zähigkeit hielt er an ihm fest, während seine findige Phantasie unerschöpflich war, die verschiedensten Wege und Mittel zum Ziele zu entdecken. Auch bei ihm kamen Rücksichten und Umstände vor, die ihn zwangen, eine zeitlang aussichtslose Wege zu gehen oder zu versuchen und erst, nachdem alle anderen Versuche gescheitert, sich zu dem Wege zu entschließen, dessen einzige Ersprießlichkeit er schon Ueber Bruderkriege urteilt Maurenbrecher anfangs erkannt hatte . . ." treffend: „Man wird immer einen Bruderkrieg für ein großes nationales Unglück anzusehen berechtigt sein. Dennoch ist ein Bruderkrieg oft unver¬ meidlich. Die Reinigung der Luft durch ein Gewitter ist oft nötig; sie ist meist bester, als die allmähliche Versumpfung. In der neueren deutschen Geschickte ist jeder Fortschritt, den die deutsche Nation gemacht hat, durch einen Bruderkrieg bezeichnet. Der schlesische und der siebenjährige Krieg Friedrichs deS Großen, die Freiheitskriege von 1813, sie alle sind deutsche Bruderkriege gewesen. Auch jetzt war ein Kampf in Deutschland um die

Gründung des deutschen Reiches

Zukunft unvermeidlich."

I.

Wilhetm Maurenbrecher.

1859—1871.

Leipzig 1892.

Von Verlag von C. E.

M. Pfeffer. Preis 4 Mk. Wer noch im Zweifel ist, was für ein Buch er seinem Freunde auf den Weihnachtstisch legen soll, den möchten wir auf daS Werk MaurenbrecherS über die Gründung des deutschen Reiches aufmerksam machen, ein Buch, das in jeder gebildeten deutschen Familie heimisch werden sollte. Eine von wahrem Patriotismus durchwehte, lebendige Darstellung, ehrlicher Streben nach Parteilosigkeit, Selbständigkeit der Urteils auf Grund ernster, umfaffender Studien und gründlicher historischer Kritik deS bunten, vielgestalligen, inhaltsreichen Quellenmaterials und eine vornehme, wohllautende Sprache zeichnen daS Buch vor vielen anderen äuS. Das Werk ist ent¬ standen aus Vorträgen, die der Verfaffer unter außergewöhnlich großer Teilnahme im Anfang dieser JahreS im Kaufmännischen Verein zu Leipzig

Durch

Irchcrlt:

K. H.

Der letzte WeihnachtSmarkt.

Eine Träumerei von

Hermann von Schneideck (Fortsetzung); Mönch Lehnin. Ein märkischer Sang von M. v. Buch (Fortsetzung): Der Fernemüller und sein Weib. Ein Stück märkischer Geschichte. Von Rudolf Eckert (Fortsetzung): Die Geschichte der preußischen Gustav

Heinrich

Seiden-Jndustrie im achtzehnten Jahrhundert (Schluß); Zum 150. Geburtstage des Fürsten Blücher, 16. Dezember 1892. Gedicht von Al. Kurs. — Kleine Mitteilung: Zu unseren Bildern. — BereinSnachrichten. — Büchertisch. — Anzeigen.

Der heutigen Nummer liegt eine Beilage der Firma G. A. Schnitze, 8 W. Markgrafenstraße 81 bei, auf welche wir hiermit besonders

Serlin

aufmerksam machen.

rin besonderes Abkommen find mir in die Loge versetzt, an «nsere Abonnenten das Prachtmerk

Aus All- Berlin Stille Ecken und Winkel der Reichshauptstadt von Dskav Mchweöel. f ;«m Porzngspreise non 12 MK. gebunden (statt 18 Mk.) ;n ltefern. (Uergteichc die Inseraten-Keiiage.) Gleichzeitig erinnern mir nochmals daran, daß mir das schöne Prachtmerk

berliner Master statt SO

Mk. sür 6,30 Mk. liefern. Verlag

des

„Bär", Berlin N.

Für die Redaktion verantwortlich: Richard George in Berlin X. 58. — Abdruck ohne eingeholte Erlaubnis ist untersagt. Verlag: Fr. Z.illessen, Berlin X., Schönhauser Allee 141. — Druck: Buchdruckerei Gutenberg, Berlin X., Schönhauser Allee 141».

58.

Unter Mitwirkung

j£. Sövinguiov, Dr. H. DrenvirKo, Tstosdsv Fontane, Stadtrat Ferd. Meyer, Gymnastaldirektor Dr. M. Krtynart; und Ernst v. Mitdentrrurh, herausgegeben von

Friedrich Lilleffen XIX.

Der

Zahrgang.

Mi 13.

„Bär"

und

Nichsrd George.

erscheint wöchentlich am Sonnabend und ist durch jede Postanstalt (No. 709 ), Buchhandlung und Zeitungssxedition für 2 Mk. Pfg. vierteljährlich zu beziehen.

50

24. Dezember 1892.

Nev lehke MeißnaHtsmavKi. Eine Träumerei von

Gustan Heinrict) Sctznerdeck. (Schluß.)

verstummte und schien sich vollends dem Eindruck Schweigend seiner Erinnerungen hingeben zu wollen. schritten wir eine Zeitlang nebeneinander her, ich mochte den wehmütig gestimmten Begleiter nicht in seinen Gedanken stören. Um uns wirbelte das laute Treiben munter fort, es schien an

»Wer Alte

Stärke nur noch gewonnen zu haben. Den Grundton in diesem tausendstimmigen Konzert gab nach wie vor der Waldteufel an, der unablässig in seiner verdrießlichen Weise fortbrummte Die Ein¬ wie ein nie zufriedenzustellender Reichsnörgler. ladungen der Budenleute wurden immer dringlicher, sie hätten gerne noch etwas verkauft, um dann selbst daheim den Christ¬ abend feiern zu können. Mir schien es, als wäre fern an den Häusern schon hier und da ein Fenster erleuchtet; die Kinder mochten vor Ungeduld wohl nicht länger warten, und da der heutige Abend ja ihnen gehörte, so konnte man ihrem Drängen wohl nachgeben. Mit Behagen dachte ich daran,

für mich irgendwo jetzt ein Plätzchen bereitete, auf das man mir eine liebe Gabe legte, und ich zog die Uhr,

daß man auch

ob es noch nicht

Zeit sei, den Markt zu verlassen.

Ein kleines

Stündchen konnte ich wohl noch bleiben, und ich sann nach, wie ich es am gewinnbringendsten in der Gesellschaft meines Begleiters verleben könnte. „Sie haben mir," so begann ich endlich, „geschildert, wie

im Palast gefeiert wird, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir zeigen wollten, wie dies an anderen Orten geschieht, denn nicht lauter glückliche Menschen birgt der Heiligeabend

die Riesenstadt."

Der Alte sann

„Es

ist

für

nach und sprach dann:

mich noch zu

früh, meine Thätigkeit beginnt

erst, wenn die Kirchglocken das Fest eingeläutet haben, aber immerhin können wir einen kurzen Rundgang machen.

Kommen

Sie!"

Er faßte

Arm und zog mich trotz des dichten Gewühles merkwürdig schnell vorwärts. An der Schloßfreiheit schritten wir entlang, und der Alte beklagte in lebhaften Worten auch ihren Untergang, dann lenkten wir über den Werderschen Markt in die Niederlagstraße. „Ich führe Sie zu einem reichen Mann," sagte mein Begleiter; „er ist unermeßlich reich, aber er hat kein Herz für Ihm hat der Dämon des Goldes die seine Mitmenschen. Seele getötet, nur noch für das tote Metall empfindet er Liebe." mich am

Wir betraten

den

Flur

eines

prächtigen Hauses;

gleich

an der Wand entdeckte ich eine Tafel, auf welcher Bettlern Die breite, mit der Aufenthalt im Hause verboten wurde. oberen Geschoß, führte zum Treppe weichen Läufern belegte wo eine reich geschnitzte Thür uns verriet, daß hier ein be¬ Der Weihnachtsmann murmelte güterter Mann wohnte. einige Worte, und die Thür sprang auf; wir schritten einen

mit

schönen

eine

Thür,

Bildern durch

geschmückten

deren

Korridor entlang bis vor

Spiegelscheibe

wir in ein prächtig

ausgestattetes Gemach blickten. Kostbare Gemälde hoben sich mit ihren breiten Goldrahmen wirkungsvoll von der dunklen

Tapete ab; mächtige geschnitzte Schränke nahmen die Seiten des Zimmers ein, ein buntglasierter Kamin strahlte behagliche Wärme aus, und das gedämpfte Licht der mit Krystallen Man behängten Lampe stimmte alle Farben gefällig ab. erkannte beim ersten Blick, daß hier der Reichtum zu Hause sei, und dort vor dem breiten Schreibtisch entdeckte das Auge einen Mann,

der

eifrig in Büchern und Papieren herum¬

blätterte.

„Was arbeitet

er denn so eifrig heute am Heiligenabend?"

flüsterte ich dem Weihnachtsmann zu.

„Das will

ich

Ihnen

sagen.

Er fertigt

soeben eine Liste

■e

au von allen Leuten,

146

ihm etwas schulden. Draußen in Moabit gehören ihm zehn Häuser, worin fast lauter kleine Leute wohnen, von denen viele mit der Miete im Rückstand find. Nun ist es seine größte Weihnachtsfreude, diesen das die

Fest zu verderben.

Obgleich er Leute genug zum Schreiben alle Mahnbriefe persönlich ab. Die steckt er heute noch selber in den Kasten, so daß morgen, am ersten Feiertag die Empfänger sich weidlich über den Uriasbrief ärgern. Er selbst hat kein Verständnis mehr für die Bedeutung des Weihnachsfestes, in ihm ist alles erstorben."

hat, faßt er

doch

Der hartherzige Reiche erhob sich von seinem Schreibtisch und trat mit einem Brief in der Hand dicht unter die Hänge¬ lampe; er hielt das Schreiben vor die Augen und las es; eine böse Schadenfreude machte sein Raubvogelgesicht nur noch häßlicher. „Sehen Sie, wie er sich freut? Das ist ein Brief an einen ehemaligen Freund, der einmal in Not geriet und ihn um ein Darlehn anging. Noch konnte er es nicht zurück¬ geben. aber alle Weihnachten erhält er einen Brief von dem reichen Manne, der ihn an die alte Schuld mahnt. Wenn dann morgen so recht festlich die Christglocken läuten, dann reibt sich unser Menschenfreund hier vergnügt die Hände, denn er weiß, wie vielen Familienvätern er einen Wermutstropfen in den Freudenbecher geschüttet hat. Hier in seinen Prachtzimmern darf kein Weihnachtsbaum brennen, nichts ihn daran erinnern, daß heute der Apostel der Liebe geboren wurde.

st¬

schienen ein Meer von Glück und Zufriedenheit um sich her zu verbreiten. Und glücklich war die junge Frau, die dort auf einem Schemel saß und ihrem Bübchen zuschaute; sie freute sich über seine Freude, und darin bestand eben ihre Freude; gleich mußte der Mann von der Arbeit kommen,

dann legt er ihr auch wohl eine Kleinigkeit unter den Baum, wie sie es schon für ihn gethan hatte.

„Sehen Sie, das ist auch eine Weihnacht," sagte Knecht „Nicht bedarf es kostbaren Prunkes; dies winzige

Ruprecht.

allen jenen künstlichen Firlefanz, den man der eine Apfel, das hölzerne Pferd, sie machen das Glück dieses Kindes aus. Den eigent¬ lichen Wert dieser dürftigen Geschenke vermag der Kleine noch nicht zu ermessen, er besteht darin, daß Liebe die Armseligkeit einer Gabe hundertfach vergessen läßt, daß Zufriedenheit mit dem Wenigen glücklicher macht, als die köstlichsten Geschenke, wenn es im Herzen der Beschenkten trübe und unruhig aus¬ sieht. Ja, die Genügsamkeit ist eine Tugend, welche man die heutige Jugend zu wenig lehrt; mit wenigem zufrieden sein, sich erst am Kleinen genügen lassen, ehe man ein Recht auf das Große hat, das lernen die heutigen Berliner Kinder nicht mehr, man verwöhnt sie von klein auf und wundert sich, wenn da ein Geschlecht heranwächst, dem nichts mehr gut genug ist, das über seine Berechtigung hinaus Ansprüche er¬ hebt und niemals recht zufrieden wird, weil es nicht gelernt Bäumchen,

hat.

Herz schließlich selbst hart und fühllos wie Metall wird." Wir verließen die Wohnung des Menschenfeindes und schritten zuriick, bis wir in die Kurstraße kamen. Der Alte bog in eine schmale Straße ein, es war die Holzgartengasse, von der sich rechts die Adlergasse abzweigt. In deren alt¬ modischen Häusern ging es noch still zu, nur in dem dort mit der altertümlichen Freitreppe sah man jemand damit beschäf¬

tigt. die Weihnachtskerzen zu entzünden. Nun schlängelten wir uns durch Raules Hof und mein geschichtskundiger Führer erzählte mir ein Stücklein aus dem Leben des kühnen Admirals, der einst die kurbrandenburgische Flotte des großen Kurfürsten weit übers Meer führte. Wir bogen in die Alle Leipziger Straße ein, schritten über die Jungfernbrücke und betraten nun die enge Spreegasie. Unansehnliche Häuser, wie man sie

nahe dem Herzen der Kaiserstadt gar nicht vermutet, ver¬ kriechen sich in diesem Winkel vor den Blicken der Fremden, welche nur die Prachtstraßen zu besichtigen pflegen. Vor einem schmalen Häuschen hielt der Alte und forderte mich auf, durch ein Kellerfenster zu schauen. Es war ein ärmliches Gemach so

da unten,

wenige Quadratmeter groß;

feucht zu sein, der dürftige

die

Wände schienen

Hausrat war alt und verbraucht, aber die Traurigkeit schien an diesem Orte nicht zu wohnen, denn fröhliches Lachen schallte zu uns herauf. Ich sah genauer hin und bemerkte einen pausbäckigen kleinen Buben, der auf der Diele saß; in seinem Schoß lag ein einziger roter Apfel, in der Hand hielt das Bürschlein ein grob geschnitztes höl¬ zernes Pferd, das war seine ganze Bescherung. Aber nicht doch, auf dem Tisch stand ein winziges Weihnachtsbäumchen, nur sechs Lichter brannten daran, doch ihre armseligen Strahlen

sich

in die durch Lage der Dinge gegebenen Umstände zu

fügen."

Er

selbst steht einsam auf der Welt da, hat nicht Kind und Kegel, wieviel Hunderten könnte er ein fröhliches Fest bereiten, aber so geht es, wenn über all dem Hasten nach Gold das

ohne

heute als Schmuck verwendet,

„Es

ist viel

Wahres in Ihren Worten,"

pflichtete ich

dem Redner bei. „doch so genügsam wie der Kleine da unten brauchen doch auch wirklich nicht alle Kinder zu sein." sagte der Weihnachtsmann, „Sie mir meine Ansichten zu gut halten; ich bin immer noch Berliner der alten Zeit; ich weiß, wie zuftieden mit

„Durchaus nicht."

müssen

der

meinen einfachen Spielsachen die früheren Geschlechter waren, und da wurmt es mich, wenn ich jetzt in den Schaufenstern die allzu kostbaren und allzu klug ausgetüftelten Sachen sehe,

mit denen heute die Kleinen bedacht werden. es, nicht der Preis macht den Wert

Ich wiederhole

des Geschenkes,

sondern die Liebe, welche dies Geschenk bietet. Und da möchte ich als getreuer Knecht Ruprecht den Eltern zurufen: Vergiftet nicht die Herzen eurer Kinder, erzieht sie bescheiden und ge¬

nügsam, eure Schuld ist es. wenn sie das köstlichste Gut, die Zufriedenheit, zu früh verlieren. — Doch lieber Herr, ich

will Sie

nicht durch meine schulmeisterlichen Betrachtungen er¬ Sie uns in dieses Haus eintreten, in welchem soeben eine öffentliche Bescherung stattfindet."

müden.

Lassen

Wir waren

durch die Neumannsgasse in die Breitestraße gelangt und traten in ein hell erleuchtetes Haus, in welchem wir die Treppe hinaufstiegen. Ein großer Saal nahm uns auf, soeben verhallten die letzten Töne des Christliedes, als wir die Thür öffneten. Zwei mächtige Weihnachtsbäume er¬ füllten den weiten Raum mit ihrem freundlichen Licht, sie standen auf riesigen weißbehangenen Tafeln, welche die ver¬ schiedenartigsten Geschenke trugen. Im Hintergründe drängte sich eine Schar Knaben und Mädchen um einen Herrn, welcher der Wortführer einer festlich gekleideten Gesellschaft Erwachsener zu sein schien. Es lag etwas Salbungsvolles in seiner Rede, und wer sein glattrasiertes, von schlicht gescheiteltem Haar ein-

gerahmtes Gesicht sah, dem wurde es klar, daß den Lippen Mannes nur salbungsvolle Worte entströmen konnten.

dieses

Er

Wohlthätigkeit gutgesinnter Menschen, denen es ein Herzensbedürfnis sei, dem Darbenden eine Freude Die Kinder sollten sich dessen ja bewußt werden, zu machen. daß man ihnen hier eine Wohlthat erweise. Ah. wie selbst¬ gefällig die Damen und Herren drein schauten, wie umständ¬ lich sie die Hände zum Gebet falteten, mit dem der Sprecher Dann führte man die Kleinen an die seine Ansprache schloß. Die Augen Tische heran und wies jedem sein Geschenk zu. der Kinder leuchteten, als sie die gefälligen Sachen erblickten, sie nahmen sie wohl auch in die Hand, griffen nach den Pfeffer¬ nüssen, aber in ihrem Gesicht wollte doch keine rechte Freudig¬ keit aufkommen, sie blieben befangen und ängstlich und blickten umher, als suchten sie jemand. „Es sind wohl Waisen?" fragte ich den Alten. „O nicht doch," erwiderte er, „sie haben meist Vater und Mutter, die ihnen daheim auch wohl eine, wenn auch nur bescheidene Be¬ scherung bereiten." „Aber warum stellt man denn nicht den Eltern die Ge¬ schenke zu und läßt sie von ihnen den Kindern aufbauen? Würden diese nicht viel freier und glücklicher sein, wenn sie in der elterlichen Wohnung beschert würden anstatt hier in dem großen Saal, wo sie sich trotz all der Lichter fremd und un¬ behaglich fühlen?" Der Alte schmunzelte. „Sehn Sie nicht dort die Schar der Erwachsenen? Das ist ein Teil der Wohlthäter, der Spender dieser Gaben. Sie oder anderweitig haben ein paar Mark geopfert gesammelt, nun wollen sie auch was davon haben, wollen sich ein wenig im Glanz ihrer barmherzigen Nächstenliebe sonnen, wollen sich bezahlt machen durch den Dank, den sie von den Kindern und deren Eltern heischen. Ja, Sie haben recht, viel sinniger und zartfühlender wäre es, den Kleinen die Geschenke durch die Eltern überreichen zu lassen, aber hier muß diesen erst zur Empfindung gebracht werden, daß man sie einer Wohlthat für wert erachtet hat, ja für wert und bedürftig, und das letztere wird am niederdrückendsten für diejenigen Eltern sein, die es mit tiefem Ernst empfinden, daß ihre Mittel iticht ausreichen, ihre Kleinen so zu beschenken, wie sie es wohl möchten. Da¬ nach aber fragen die großen Wohlthäter nicht. O über die sprach von der

eingemauert sind, trugen auf den Engelsköpfen und verschnör¬ kelten Zierraten gleichfalls silberne Schneeflocken und auf den schwanken Zweigen der Büsche hingen die zarten Sternchen in Millionen. Wir verließen diese Idylle und erreichten gleich darauf die Parochialstraße, die so still nnd weltverlassen da lag, als sei es an einem Abend vor etwa sechzig Jahren. Die Schusterläden, die sich von altersher in den ärmlichen Häuschen

erhalten haben, waren geschlossen, aus den kleinen Thüren und Fenstern drang spärlicher Lichtschein, nur zuweilen huschte jemand über den Damm, schwarze Spuren in dem lockeren Schnee zurücklassend. Jetzt lenkten wir in die Klosterstraße ein. Horch, was für wunderbare Töne schweben aus der luftigen Höhe hernieder? „Hören Sie? Das ist das Glockenspiel der Parochialkirche," sagte der Alte. „Alle Jahre um diese Zeit finde ich mich hier ein, denn mit dem Liede beginnt für mich das Weihnachtsfest."

Ich hörte; voll und deutlich klang das Geläut über die Dächer; es war der alte, liebe Choral: Vom Himmel Hoch, da komm' ich her. Oft verhallte ein Ton leise, wenn ihn der Wind ungestüm vom Rand der Glocke hinweg¬ riß; dann aber schwoll das Spiel wieder mächtig an, als machte ein unsichtbarer Geist mit gewaltigem Odem das Herz beschneiten

erzittern.

„Ja. ja," brummte

der Weihnachtsmann, „die alten Ur¬ großväter waren doch finnige Leute trotz ihres knorrigen Gebahrens. Als sie die Glocken da oben aufhängten, da dachten

wohl daran, daß eine Zeit kommen würde, wo es von Nutzen wäre, wenn zuweilen eine Stimme mächtig mahnend in all das ruhelose Treiben der großen Weltstadt hernieder¬ hallte und den Menschen zuriefe: Richtet euren Blick auch nach

sie

oben, laßt ihn nicht ganz trübe werden von all dem Staube eurer Jagd nach Gewinn und irdischen Dingen!" Der Alte hatte seine Pelzkappe gezogen und hörte andächtig den Choral bis zu Ende; dann forderte er mich zum

Weitergehen auf.

„Nun will ich nur wünschen," sagte er, „daß die vier in der Neujahrsnacht nicht das Maul aufmachen."

da oben

was er damit meine. nie die vier ehemen Löwen hoch Parochialkirche gesehen? Wenn droht, dann öffnen sie in der Neujahrsnacht oder auch zu anderer Zeit den Rachen und kündigen durch ihr Gebrüll das bevorstehende Unglück an. Das weiß doch jeder guter Berliner."

liebe menschliche Eitelkeit!"

Ich fragte verwundert, „Nun, haben Sie noch oben auf dem Turme der Krieg oder sonst ein Unheil

Er zog mich aus dem Saal und wir setzten unsere Wan¬ derung fort, immer durch die engsten Straßen. Es schien dem eigenartigen Burschen ein besonderes Vergnügen zu machen, mich durch die am meisten altmodische Gegend der Stadt zu führen, hier fühlte er sich offenbar wohl, hier in dem alten

schien

Berlin mit den engen Winkeln, schmalen Häusern; draußen in den neumodischen Stadtteilen mit ihren breiten Straßen und Plätzen war er nicht heimisch. Das erzählte er selbst, während wir durch eine winklige Einfahrt den Nikolaikirchhof betraten. Hoch auf ragten die spitzen Türme des altehrwürdigen Gotteshauses, aus dessen bunten Fenstern matter Lichterschein schimmerte; wir sahen durch die Thüre und bemerkten den Küster, der zum Abend¬ gottesdienst die Kronen entflammte; am Altar aber standen hohe Tannen, deren Lichter noch nicht brannten, obwohl schon

einige Andächtige die hallende Kirche betraten. Ihr Dach war dicht beschneit, die alten Grabtafeln, die an den Außenseiten

Ich

guckte den Redner verwundert von der

doch

ein

Seite an.

Er

abergläubischer und wunderlicher Bursch zu

Wie er da neben mir ging, so eingehüllt in den altväterischen Mantel, die Pudelmütze tief in die Stirn gedrückt, da kam es mir vor, als schritte das alte Berlin in Gestalt dieses grauen Männleins verkörpert neben mir her, und ich fühlte mich wunderbar angemutet. Ja, wie paßte der schnur¬ rige alte Mann mit seinen vertrackten Anschauungen in das neue Berlin mit seinen modernen Einrichtungen, wie wollte er, der offenbar noch für die Postkutschen schwärmte, die hier einst vom nahen Jägerhof abfuhren, die Zeit des Dampfes und der Elektrizität verstehen? Man hätte dies verwitterte Männlein in einen Glaskasten setzen und dem märkischen sein.

Museum einverleiben sollen.

148 Und doch kam es mir in seiner Gesellschaft

so

weihnacht¬

lich behaglich vor, doch fühlte ich mich zu ihm hingezogen und

gewann es noch lieber,

als

es

mir vorher

schon

war.

Ja,

ich erkannte, daß es nie sterben würde, nie sterben dürfe, daß

wir immer Sehnsucht nach ihm haben werden; mag sich die Zeit auch noch so praktisch und nüchtern gestalten, des Weih¬ nachtsmannes wird sie nicht entraten können. Wir bahnten uns mühsam einen Weg durch die Königstraße. Der Bürgersteig war dicht bedeckt mit eilenden Fu߬ gängern, von denen jeder ein Packet unterm Arm hatte; die Pferdebahnwagen und Omnibus waren vollgepfropft mit Schachteln, jungen Mädchen, Packeten und Familienhäuptern, die Kutscher hieben lustig auf die dampfenden Gäule ein, als gönnten sie ihnen heute abend eine Extrabescherung gesalzener Prügel. Die stille Burgstraße entlang wandernd, überschritten wir die Kaiser Wilhelmbrücke, deren grünes und rotes Schiff¬ fahrtssignal sich freundlich in der dunklen Spree spiegelte. Von allen Türmen der Stadt läuten jetzt die Glocken die Botschaft ein, daß Christus geboren sei, nur der alte Dom lag schweigend und finster da. nicht einmal mehr vom Mond erhellt, den die Wolken nun doch besiegt und hinter eine dichte Schneewand gesperrt hatten. Aber jetzt begann es sich auch dort oben in der rostgrünen Kuppel zu regen, es fing leise zu schwingen an, der Ton schwoll, und nun brauste er in voller Stärke über den weiten Platz zum Erstaunen der erschrockenen Markrleute. Ja, es war die alte gewaltige Glocke, die so oft der Stadt Berlin mit ihrer Stimme Kunde gegeben, des Sonntags, wenn der Gottesdienst beginnen sollte; auch Sturm in schwerer Zeit, Frieden hatte sie jubelnd verkündet nach siegreichem Kampf und schauerlich tönte sie durch die Märznacht, als man hierher vom Palais den toten Kaiser Wilhelm überführte und auf hohem Paradebett aufbahrte. Jetzt stimmte die Glocke ihr eigenes Sterbegeläut und das des alten Domgebäudes an,

ein neues sollte erstehen,

fr-

Es ist nicht mehr Weihnachtsmann, „mein Rundgang beginnt. wie billig, daß ich Ihnen einen Ersatz für den von Ihnen gekauften Hampelmann biete. Hier nehmen Sie diesen, er

wird Sie reichlich entschädigen." Er öffnete seinen Mantel, und ich sah zu meinem Er¬ staunen. welche Schätze er in den unzähligen Falten und Taschen verborgen hatte. Da blitzte es von vergoldeten Nüssen Aepfeln, von Kinderspielzeug und sinnigen Geschenken Erwachsenen. Der Alte griff mitten drunter und nahm einen Hampelmann heraus, der ihm auf ein Haar glich. „Sehen Sie diesen Burschen an," sagte er, „er leistet mehr, als er verspricht. Alle Morgen wird er Ihnen ein und

für die

Sprüchlein sagen, das einen gesunden Kern von Lebensweis¬ heit in sich birgt. Beachten Sie diese Sprüche, sie werden Ihnen von Nutzen sein." „Haben Sie Dank, vielen Dank, lieber alter Ruprecht," sagte ich tiefbewegt, „ich habe viel von Ihnen gelernt. Aber wenn ich Sie um eins bitten darf, kommen Sie doch heute abend zu meiner kleinen Nichte und ihrem Brüderchen, ich will beiden von Ihnen erzählen und Ihren Besuch ankündigen." „Und was soll ich ihnen geben," fragte der Alm launig, „die Rute oder Geschenke?" „Zeigen Sie ihnen die Rute, aber geben Sie ihnen Geschenke, denn sie sind nicht artiger und nicht ruiartiger als andere Kinder auch."

„Nun gut, ich komme," sagte der Alte, reichte mir noch einmal die Hand und verschwand im Gedränge; ich aber machte mich auf den Weg zur Bescherung und sann über ein Märchen nach, das ich den Kleinen erzählen wollte.

Der Fernemüller und sein Weid. Geschichte von Rudolf Grtrert.

Ein Stück märkischer

gro߬

artiger an Pracht und Umfang. Wehmütig hallte das feier¬ liche Totenlied durch die kalte Winterluft und plötzlich begann es in den hohen Fenstern aufzuleuchten, unzählige Weihnachts¬ kerzen, von Geisterhänden entzündet, flammten empor, sanft hub die Orgel an zu spielen, ihre Töne flüsterten geisterhaft, als raschelte der Wrnd durch das schadhafte Dach, dann war es, als schlüge er in eine gewaltige Lohe, die zischend und brausend gen Himmel stob; so donnerte der mächtige Grab¬ gesang um die alten Pfeiler, daß sie leise erzitterten, dann ging die starke Melodie über in wehmütige Klage, als schluchzten betende Weiber an einem offenen Grabe; jetzt erstarb der letzte Ton, die Lichter verloschen, das war die letzte Weihe¬ nacht im alten Dom. Ergriffen stand ich neben meinem Begleiter, ich wollte zu ihm sprechen, aber eine heilige Scheu verschloß mir den Mund, schweigend lauschte ich gleich ihm den dumpfen Schlägen der Glocke, die mit schrillem Klang verstummte, als sei das Metall mitten durchgesprungen. Jetzt rührte sich der Alte, sein runz¬ liges Gesicht schien uni einige Falten reicher geworden zu sein, ihn bedrückte lebhaft der Schmerz um das alte Stück Berlin, das nun bald in den Staub sank. Vor meinen Augen aber erhob sich der neue herrliche Dom, dessen Glocke dereinst das zwanzigste Jahrhundert einläuten soll, ein Jahrhundert der wahren christlichen Menschenliebe und des ewigen Friedens. „Ich muß mich nun von Ihnen verabschieden," sagte der

(3. Fortsetzung.)

In diesem Augenblick erhob sich auf dem Markte ein dumpfes Gemurmel; man hörte durch die offenen Fenster zahlreiche Schritte über den harten Boden des ungepflasterten Platzes gehen, und einzelne halblaute Rufe des Bedauerns. „Da kommt eben Hans Weiß über den Markiplatz," sagte Kämmerer Karge, der neugierig ans Fenster geeilt war, „sein Gesicht trägt den Ausdruck der Verstörtheit, und etliche Kasten¬ herren und Sebastian Laube, der Herr Pfarrer von St. Georgien, kommen mit ihm."

„Mein Gott,"

sprach Martin Geisler, und alles Bült aus seinem Gesicht, „das bedeutet nichts Gutes, sollte dem Herrn Bürgermeister plötzlich der Tod nahe getreten sein, das wäre ja furchtbar!" In ängstlicher Spannung harrten die Herren des Rates. Jetzt dröhnten die Schritte auf der Ratstreppe, jetzt kamen sie über den Hausflur. Bald wurde die Thür geöffnet und herein traten mit Hans Weiß, dem Schwiegersohn des Bürgermeisters, etliche Herren im geistlichen Gewände, denen der Stadtmediklls Lampert von Schwulle folgte. „Einem ehrbaren Rat habe ich tiefbetrübten Sinnes zu melden," so begann Hans Weiß, aber weiter kam er nicht, ein heftiges Schluchzen erschütterte seinen jugendlich kräftigen Körper, er rang die Hände, die Worte würgten sich ihm im Halse.

wich

Stille Macht, heilige Macht.' Nach einer Zeichnung von

A Zich

150

tot?" rief Hans Sturlebusch, indem er ängstlich vorwärts neigte und sich verfärbte. „Ja, Gott sells geklagt, edle Herren," antwortete nun

„Ist

gespannt

er

den Oberkörper

Sebastian Laube, soeben habe ich ihm das letzte Abendmahl in zweierlei Gestalt gereicht und ihm alle seine Sünden im Namen der heiligen Dreifaltigkeit vergeben. Kaum hatte er

Blut Christi auf die Zunge gebracht, da als ob seine alte Kraft noch einmal wieder¬ kehrte, als ob der Leib Gottes und sein Blut Wunder wirken. Die Kraft der gelähmten Seite kehrte zurück, die Hand, die bisher tot und abgestorben war, begann zu zucken und sich zusammen zu ballen, dann richtete er seinen Körper, der bis dahin steif und unbeweglich war, auf, eine brennende Röte Aber stieg ihm ins Gesicht, es war, als wollte er sprechen. nur ein wilder gräßlicher Schrei entrang sich seiner Brust. Kraftlos fiel er auf sein Lager zurück. Ein dumpfes Röcheln noch, und seine Seele entfloh, von den Engeln Gottes ge¬ tragen, hinauf zu den himmlischen Heerscharen in Abrahams Schoß. — Misericordia domini ei contingat!“ den Leib schien

es

und

das

uns,

In diesem Augenblick erklangen die Glocken der Kirche von St. Marien, und gleich darauf begannen auch die der Gertrauden- und St. Johanniskapelle in den Vorstädten ihre ehernen Zungen ertönen zu lassen. Tiefe Bewegung malte sich in den Gesichtern der Anwesenden. Hans Sturlebusch befahl alle Diener des Rats, soweit sie anwesend waren, herbei zu rufen, und nachdem noch der Markimeister, der Thorschreiber und Baltzer, der Stadtdiener, sowie der Kunstpfeifer, der auf deni Ratsturm wohnte, ein¬ getreten war, erhob er sich und mit ihm der ganze Rat. „Mit ehernem Munde," so begann er anfangs stockend und mit unsicherer Stimme, „verkünden die Kirchenglocken den Unterthanen der Stadt die Schreckenskunde, daß ihr allverehrtes Stadtoberhaupt hingeschieden ist. Jahr für Jahr hat ihn das Vertrauen des Rats an die oberste Stelle der Stadtleitung berufen, und Jahr um Jahr hat ihn seine fürstliche Gnaden in diesem höchsten Amte, das wir zu vergeben haben, be¬ stätigt. Frieden und stetige Entwickelung hat sein Regiment der Stadl gebrachi, und Handel und Gewerbe sind gediehen und en'porgeblüht. Sein Hinscheiden betrauert die ganze ihren Stadt mit allen Einwohnern, betrauern die Unterthanen der Ratsdörfer und der Vorwerke. Einen treuen Menschen und braven Kollegen beweint der Rat. Gott gebe ihm die ewige Ruhe und die Einkehr zu den Hütten der Seeligen!" „Amen!"

schloß der

Pfarrer die Rede

des Stadtrichters.

Lange war es still. Niemand wagte ein Wort zu reden. Endlich trat Hans Weiß an Hans Sturlebusch heran und schüttelte ihm thränenden Auges und vor innerer Erregung zitternd die Hand.

„Habt Dank, edler Herr, für Eure herzinnigen Worte, niemand kann den edlen Toten tiefer und herzlicher betrauern

als ich!" Hans Weiß ging, und nachdem er das Ratszimmer ver¬ lassen, kam auch in die dort versammelten Gruppen einige Bewegung. Von dem ersten lähmenden Schreck hatte man sich allmählich erholt und begreiflicherweise drehte sich das Gespräch der Anwesenden nur um den überraschenden Todesfall und die Person des Bürgermeisters. „Wie kam es doch," so begann Hans Sturlebusch zu Sebastian Laube gewendet, „daß Ihr als Pfarrer von

b—

St. Getrauden dem Bürgermeister die letzten Segnungen der das war doch das Amt des Pfarrers von St. Marien, des Herrn Georg von Wollersdorf oder dessen Kaplans." Kirche erteiltet;

„Verzeiht, Ihr edlen Herren, daß ich Euch hier den Aufschluß schuldig bleibe, ich weiß es selbst nicht. Ich wurde geholt mit der Bitte um dringende Eile. Wenn es sich um den Dienst des Herren, um die Labung und Tröstung eines Sterbenden handelt, so hört die bängliche Sorge um die Grenzen

des Kirchensprengels

auf.

Vor Gott sind wir alle

gleich, Vorstädter und Städter."

„Freilich, da habt Ihr recht gethan, aber Wunder nimmt mich's doch, daß Herr Georg von Woltersdorf —"

„Der Herr Georg war

nicht zu Haus, hi,

hi!"

wisperte

da der Stadtmedikus mit seinem dünnen Stimmchen dazwischen,

ein kleines, unscheinbares Männchen mit rundlichem Leibe, wichtigthuendem Wesen, bartlosem, glattrasierten Gesicht und

unruhig umherirrenden Augen, „so sagte wenigstens der Bote. Der Streit, den Seine Gnaden der Herr Georg mit einem ehrwürdigen Rate um des Bartscherens willens gehabt, wird ihn justement wohl bewogen haben —" so wollte er jetzt anfangen zungenfertig zu erzählen, denn, daß der Pfarrer gegen das Bartstutzen von der Kanzel herab gewettert hatte, hatte ihn als ehemaligen Stadtbarbier am meisten verdrossen. Da fuhr aber der Pfarrer Lambert in seine bissige Rede dazwischen und unterbrach ihn in strengem Ton. „Schweigt Ihr mit Eueren losen Reden und nieder¬ trächtigen Verleumdungen über Menschen,

die turmhoch über Wenn Euch der Bescheid geworden ist, Herr Georg von Woltersdorf ist nicht zu Haus, dann war er nicht zu Haus!. Herr Georg von Woltersdorf lügt und trügt nicht wie Ihr mit Euerem elenden Handwerk, der Ihr ratlos da¬ steht, wenn es den Menschen schüttelt und packt und sein letztes Stündlein geschlagen hat, Ihr Nichtsnutziger und Nichtswisser!" Der Stadtmedikus verkroch sich ängstlich hinter einige Stadträte. Hans Sturlebusch hob abwehrend die Hand, um den Zornesausbruch des Pfarrers zu mäßigen, indes dieser hatte bereits sich umgedreht und stieg dröhnenden Schrittes die Ratstreppe hinunter. „Will mir ein ehrbarer Rat," begann nun etwas zögernd der Stadtdiener Baltzer, „auch in dieser ehrwürdigen Ver¬ sammlung ein bescheidenes Wörtlein vergönnen?" „Redet!" sagte Hans Sturlebusch. „Einem ehrbaren Rat erlaube ich mir in allem Gehorsam und aller Unterthänigkeit zu bemerken," begann dieser darauf in widerlich-süßlichem Tone, „daß der Herr Pfarrer doch wohl Euch

stehen!

nicht ganz recht gethan, als er unseren Stadtmedikus gescholten hat. Ist ein braver, dienstfertiger Mann und thut seine

Schuldigkeit, allezeit bereit, mit Tränklein und Salben zu helfen." Ein dankbarer Blick des Stadtmedikus traf ihn, und da¬ durch ermutigt, fuhr Baltzer fort. „Aber ich meine in Demut und aller Bescheidenheit, bei dem Herrn Bürgernieister war nichts zu raten und zu helfen, an dem Treiben überirdischer Mächte zersplittert alle mensch¬ liche Kunst und Wissenschaft."

Hans Sturlebusch und der Kämmerer Friese sahen

sich

gegenseitig bedeutungsvoll an, denselben Gedanken hatten sie

•« heute Morgen schon gehabt,

als

sie

zur Ratssitzung die Rat¬

haustreppe emporstiegen. In dem Wesen Lampertus von Schwulles ging eine Veränderung vor. Eine rettende Idee zuckte ihm durch den Kopf. Wenn er sagte, daß der Bürgermeister durch bösen

Zauber vergiftet,

daß

sein Tod

übernatürlichen Vorgängen

zuzuschreiben sei, dann stand er mit seiner Kunst wiever groß da,

dann

machte

er alle Schmähungen

des

Herrn Pfarrers

zunichte.

„Ja,

edle Herren."

so

begann er daher mit Zuversicht

geheimnisvoller Wichtigthuerei, „wozu soll ich's ver¬ Es ist ein ungleicher Kampf, den ein armes Menschlein gegen mächtige, niederträchtige Zauberwesen führt." „Habt Ihr denn Anhalte dafür?" fragte Martin Geisler. „O gewiß, edle Herren, nicht bloß Anhalte, sondern sogar direkie Beweise." „Nun, heraus damit." „Erinnert Euch nur! Noch vor wenigen Wochen war der Herr Bürgermeister wohlauf. Er war sein Leben lang nie ernstlich krank gewesen, von einer infectio malaria, einem innewohnenden Krankheitsstoff, kann also nicht die Rede Da, am Tage bevor Ihr edle Herren vom Rate die sein. letzte Dorfteise antratet, klagte er über Kopfweh und Trübheit der Augen. Ich habe ihm noch an demselben Abend zur Ader gelassen, davon wurde es besser. Drei Tage darauf wurden die Kopfschmerzen aber noch heftiger. Da trank er ein Glas Märzenbier, und dann fiel er plötzlich um, und die ganze linke Seite war tot und abgestorben, und er konnte kein Glied auf dieser Seite mehr rühren. Das war Gift — das war Gift!" rief der Stadtmedikus fast triumphierend über diesen rettenden Gedanken aus. „Ja. wer sollte ihm denn Gift beigebracht haben?" fragte Martin Geisler. der gar wohl bemerkte, wie ein heimliches Grauen die Zuhörer erfaßte und sich in ihren Mienen spiegelte. „Hat nie in seinem Leben einen Feind gehabt, der Herr Bürgermeister." „Wer anders als eine Hexe!" rief der Stadtmedikus, der nun einmal in Eifer geraten war. „Eine Hexe!" riefen die Ratsherren entsetzt. „Ja. gewiß, eine Hexe!" und

schweigen?

„Wie kommt Ihr darauf?" „O, daß es niit der Sanitivität des Herrn Bürger¬ meisters nicht richtig war," rief der Stadtmedikus, der Fremd¬ worte. trotzdem er mit ihnen nicht recht umzugehen wußte, gern gebrauchte, weil er dadurch glaubte, sich einen gelehrten Anstrich zu geben, „habe ich schon lange gemerkt. Aber in seiner Todesstunde wurde es mir zur Gewißheit, daß der böse

Diabols in ihn gefahren sei. Steif und unbeweglich blieb die linke Seite nach seiner Erkrankung. Alle unquenta,

Geist des Q

Ife

vexatitionen und Reibungen halfen nichts, tot und

kraftlos sanken Arme und Beine, wenn man sie hob, wieder nieder und lagen, wo man sie hinlegte. AIs aber der Herr

Pfarrer kam, da erkannte ich den Teufel, der in dem Herrn Bürgermeister hauste. Da nahm der böse Geist seine ganze Gewalt zusammen, und angesichts des Leibes und Blutes Christi krümmte und sträubte er sich mit übernatürlicher Kraft."

Von da ab hob sich die Stimme des kleinen Stadtmedikus zu einein unschönen und lauten Gekrächze, er merkte, welchen Eindruck er auf seine Zuhörer machte.

s--

151

„Der Herr Pfarrer hat es Euch, edle Herren, selbst er¬ zählt, daß die linke, steife Hand in der Todesstunde sich zu¬ sammenballte, daß der Körper in konvulsivischen Zuckungen sich aufbäumte, und wie mit einem gräßlichen Schrei der Böse seinem Munde entfuhr und vor dem Gesandten Gottes flüchtete. Wie kann sich eine gelähmte Hand bewegen, wenn nicht der Teufel sein Spiel treibt, wie kann sich ein vorher steifer Körper aufrichten, wenn ihm nicht vorher von einer Hexe böser Zauber oder Gift beigebracht war!" Bei diesen Worten ergriff eine gewaltige Bewegung die Versammlung. Es schien, als wären sie von den Worten des Stadtmedikus überzeugt. Nur Marlin Geisler schüttelte mit dem Kopf und meinte: „Was Ihr da sagt, Magister Schwulle, klingt für Leichtgläubige ja nicht so unwahrscheinlich, daß Menschen durch bösen Zauber zugrunde gehen, wird ja leider Gottes noch vielfach geglaubt, indes wenn das, was Ihr da behauptet, sich als richtig herausstellen sollte, müßte der Rat eine Untersuchung einleiten, und Euer Zeugnis allein würde nicht genügen. Ich meine, edle Herren vom Rat, wir rufen Elias Kästner, den Apoiheker, hierher und unterbretlen ihm Es giebt doch Fälle von Gicht. Zipperlein oder Mauke, wie die gemeinen Bürger sagen, wo sich Aehnliches ereignet, und zweer Zeugen Mund thut die Wahrheit kund." „Ganz meine Meinung." erklärte darauf der Stadt¬ medikus, „er soll über den Kasus judicidieren und hält er die Jndicien für genügend, mag der Rat über die Oausaruiu weiter verfolgen, ob hier ein Mangel von Sanitivität, also den

ein

Fall.

gewöhnlicher

Gicht-

oder

Schlaganfall

vorliegt,

indicidentien allerlei malorum anzunehmen find." „Ich habe bereits nach dem Apotheker gesendet,"

oder sprach

Hans Sturlebusch. Es währte auch nicht lange, so traf der Apotheker, der nur wenige Schritte vom Rathaus wohnte, ein. in seiner Begleitung befand sich der Stadtdiener Baltzer, der ihn ge¬ rufen hatte. Der Stadtmedikus trug ihm nochmals seine Ansicht mit der auffallenden Begründung vor, und nachdem er geendet, entschied sich Elias Kästner auch dafür, daß hier irgend ein

Gift oder ein Zaubermittel im Spiel sein müsse. Die Arznei¬ kunde kenne wohl Mittel die Lähmungen verursachen, aber wochenlang andauernd, und ihm sei keine Krankheit bekannt, bei der die geweihte Hostie eine so auf¬ fallende Besserung und plötzlichen Tod verursache. „Da zwei Sachverständige ihr Verdikt abgegeben haben, diese

seien

nicht

muß ich mich bescheiden, obgleich ich noch immer nicht völlig überzeugt bin; aber, edle Herren vom Rat, selbst wenn Ihr eine Untersuchung einleiten wolltet, wo findet Ihr eine Spur der Schuldigen?"

„O, darüber hat mich schon der Stadtdiener Baltzer unterwegs aufgeklärt," begann der Apotheker. „Baltzer!" rief Martin Geisler aus, und dann zu diesem „Ihr Dummkopf hättet einmal selbst gewendet, meinte er: die Spur eines Verbrechens emdeckl! Da wäre ich doch neu¬ gierig!"

„Mit

Verlaub, Herr Hofmeister, es ist dem so." so erzählt, was Ihr wißt, und der Rat wird dann darüber befinden." befahl Hans Sturlebusch.

„Nun,

(Fortsetzung folgt.)

-in breites, mächtiges Schwert um, nahm den Mantel, setzte den Hut auf und eilte dann davon über den breiten Hof und den Garten; erst als er auf der Straße war, mäßigte er seine Schritte und ging in gemessener Bewegung nach dem Zantocher Thor zu. die Richtstraße entlang, während der Hirt eben mit sah

er sich um, schritt eiligen Fußes nach dem Zantocher Thore zu über die Brücke am Stadtgraben und wandte sich dann

links ab nach der Fernemühle.

III. Das Stelldichein, die

Stille

des

frühen

In der Mühlenvorstadt begann der unheimliche Klang und pflanzte sich fort bis ans Brückenthor. „Bäht. Bäht!" Für die Bürger

niederträchtiger Kerl,

Gnaden." „Habe ich

wurde sein Schritt, immer heftiger die Gedankenflut, die allem Anschein nach

tönte es durch

die

Du denn wieder?" „Ich habe die Pferde

Nur Martin Geisler schritt zögernden Fußes über den Markt fort die Richt¬ straße herunter und bog in die Zebengasse ein, um nach seiner Wohnung im Schloß zu gelangen. Immer langsamer

»Bäht. Morgens.

in

geschlürft.

eilte jeder

nach Hause.

I"

erst

wieder,

enganliegenden

Beinkleider und dann in die bis zum Knie reichenden Pluderhosen fuhr, „ver¬ dammte Hundeseele!" knurrte er. Endlich kam der Diener langsam an-

geworden, in den Ratskeller zu gehen hatte keiner mehr Lust; die Zeit des gewohnten Morgenschoppens war dies¬ schon

Möbeln

im Vergleich zu denen der anderen Bewohner der Stadt einen vornehmen

gebracht "

mal

seinen steifen

der Wände und

um die Kran mit ihrer Tochter herzuschaffen und zu in¬ haftieren, die hiesigen Bürgerinnen werden morgen in aller Frühe in den Stadtkeller sechs

selbst hatte er nichts Unheimliches.

Sie

waren gewöhnt, daß der Stadthirt jeden Morgen das Vieh der Reihe nach von den Bewohnern der Stadt abholte und auf die Stadtweiden jenseits der Warthe führte. Bald öffneten

seiner Herde durch das Brückenthor über die Warthebrücke hin¬ auszog nach der Kuhburg zu. „Der ist ja heute einmal besonders gut gelaunt," sagte vorhat." der Diener, der ihm nachschaute, „wer weiß, was der

Marlin Geisler

hatte sich durch einen Blick auf die Turm¬

-e

uhr überzeugt, daß es noch nicht für sein Vorhaben zu spät war, es war eben erst 1/2 o Uhr. An den Häusern waren die Läden vor den Fenstern meist noch geschlossen, und nur die Bäcker waren bereits in ihren Ständen auf dem Markt fleißig mit dem Verkauf der während der Nacht hergestellten Back¬ ware beschäftigt.

Blutigrot war der Himmel gefärbt, die Türme der Stadt¬ mauer und die der Thore, welche von dem Turm der Gertraudenkapelle überragt wurden, hoben sich von dem rot¬ glühenden Hintergründe in scharfen Umrissen ab, und als Martin Geisler vor das Thor trat, glitzerten an den Halmen und Gräsern der Wiese, die zu beiden Seiten des Dammweges lag und mit einem frischen grünen Teppich das Stadtgebiet umwob, rötliche Tauperlen, gleich Blutstropfen. „Eine schlimme Vorbedeutung für den heutigen Tag," sagte Martin Geisler, wie im Selbstgespräch, indem er sich von der Zugbrücke aus, die über den Stadtgraben führte, an einigen Scheunen und niedrigen Vorstadthäusern vorbei links abwandte und einen Fußweg betrat, der ziemlich steil ansteigend zu den Teufelsschanzen führte. Es war dies eine dicht mit Eichen und Bilchen bestandene Anhöhe, die nur nach der Stadtseite zu abgeholzt war, und die ihren Namen daher führte, weil nach einer Sage der Leute der Teufel hier einmal einen Wall gegen übergroße Wasserfluten errichtet haben sollte. „Soweit das Auge den Horizont erreicht,

Blut und

Feuer!" Damit schritt

er, seinen Gang allmählich mehr beschleunigend, rüstig bergan, den Gedanken, die ihn beherrschten, freien Aus.

druck gebend.

„O,

Ihr

Unglückseligen, wie hat Euch Aberglauben und überreizte Einbildungskraft doch verblendet und bethört! — Mir »lat und Feuer glaubt Ihr Eure Hirngespinste, die ihr

Euren armen, unschuldigen Opfern andichtet, zu vernichten, und wenn der Scheiterhaufen hoch zum Himmel emporlodert, wenn arme, unglückselige Menschenkinder mit Wimmern und Wehklagen eines erbärmlichen Todes dahinsterben, dann frohlockt Ihr über den Sieg, den Ihr den Höllengeistern abgerungen,

dann jubelt Ihr in verzückter Begeisterung zu der Gottheit empor, der Ihr diese Opfer darbringt! Dann werft Ihr Euch in die Brust als die Hüter und Wahrer der Gerechtigkeit! —

„Thoren die

Ihr

seid!

„Leben um Leben, heißts in der Schrift, aber nicht Leben um thörichte Wahngebilde!" Er hatte die Höhe erklommen, während er stoß- und ruck¬ weise diese Ausrufe halblaut vor sich hin murmelte. Zu seinen Füßen lag die Stadt. Ein röllicher Sonnen¬ blitz traf eben die vergoldeten Knöpfe ber beiden Schwester¬ türme, die über der Marienkirche sich erhoben und verbreitete einen hellen Strahl weit in das Land hinein, so daß er wie geblendet sich wegwenden wußte. Unten an der Kladow emlang fuhren zwei Zechower Bauern mit ihren Wagen, die mit Scheit- und Knüppelholz beladen waren, rechts davon klapperte die Fernemühle in den stillen Morgen hinein.

„Da

schleppen sie nun", begann Martin Geisler aufs „der Waldeskinder zerfetzte Leiber zum blutigen Schau¬ spiel hinein in die Stadt, und rohe Henkersknechte frohlocken über das herrliche Fest, das sie heute Abend dem Volke bieten

neue,

werden.

166

„Drei Opfer auf einmal! „Thoren die

Ihr

„Fühlt Ihr

denn nicht

seid!

auf Euren Wangen brennen, greift es Euch nicht hinein ins Herz und krampst es zusammen, gellt es Euch nicht in die Ohren: sie find unschuldig? „Aber Ihr fühlt nichts, Ihr hört nichts! „Wenn Ihr sie mit glühenden Zangen anpackt, mit Schrauben und siedendem Pech ihnen die Glieder zermartert, und wenn sie dann in ihrer Angst und Pein alles gestehen, was Ihr von ihnen verlangt, so glaubt Ihr Gerechtigkeit geübt zu haben, glaubt das Urteil Gottes zu vernehmen. „O, über Euch Thoren!" Sein Blick fiel auf die Fernemühle. „Da hat auch einer gewohnt, der nun Euer Opfer geworden Wie erschrak der arme ist, das Opfer Eurer — Gerechtigkeit ! Mann, als ich ihm mitteilte, welchen furchtbaren Verdacht der Kurpfuscher Euch eingeflüstert. Doch was half es? Wo die Geister des Blödsinns, des Aber- und Hexenglaubens walten, da flieht die Vernunft, und jeder vernünftige Mensch thut am besten, wenn er gleichfalls flieht. „Ja, ja, Ihr edlen, hochweisen Herren des Landsberger Rats, ich war es, der dem Fernemüller und seiner Familie zur Flucht verhalf, ich war es, der ihm den Anschlag verriet, den Ihr gegen ihn geplant! Zu meinem eigenen Scheiter¬ haufen wäret Ihr imstande das Holz zusammen tragen zu lassen, wenn Ihr das wüßtet, und wenn Ihr nicht den Mark¬ grafen Johannes fürchtetet, dessen Diener ich bin!" Auf dem höchsten Wall der alten Wendenschanze setzte sich Geisler nieder und stützte das Haupt in die Hand, weh¬ mütig vor sich hinblickend. Ein Pirol ließ seine langgezogenen Pfeifentöne durch den frischen Morgen ertönen, dessen Stille nur durch das gedämpft herauftönende Geklapper der Fernemühle unterbrochen wurde. Er richtete sich bei diesem Klang schnell auf, und lauschte, als erwarte er eine Wiederholung des Vogelrufs. Indes alles blieb still, und bald entdeckte er auch den langgeschwänzten Urheber in den Zweigen einer Buche. die Scham

Enttäuscht sank er auf seinen Platz zurück.

„Hier an dieser Stelle hat Asmus Müller zum letzten mal seine Heimat begrüßt," so hub er wieder an, „hier habe ich neben dem armen Unglücklichen gestanden, als er Abschied nahm, der einst so reiche und nun gebrochene Mann. — Die Thränen rollten ihm über die Wangen. — Es ist grausam, einen alten eingewurzelten Baum zu versetzen. — Hier hat er mir in die Hand geschworen, daß er an dem Tode des Bürgermeisters unschuldig ist. — Nein und zehnmal nein, Ihr edlen Herren, er ist nicht schuldig!" Drohend erhob er die Hand gegen die Stadt.

„Mögen die armen Opfer Eurer Folterkammem ihn immerhin beschuldigen, wer losgewurzelt wird von der Scholle, auf der er geboren und gelebt, wer mit abgetrennten Lebens¬ arm und heimatlos hier gestanden hat, wie er, der nicht die Unwahrheit! — Wie vor seinem Gott hat er

fasern sagt

blosgelegt. — Er war rauh und wild, — aber nicht schlecht. Und wenn Ihr jenen das Fleisch vom Knochen entblößet, vermögt Ihr ihnen doch nicht ins Herz zu schauen, Gott allein gehört das Gericht!"

mir

sein Innerstes

(Fortsetzung folgt.)



167

&—

Kleine Mitteilungen Das KlüchLr-Donkrnal

— An die blutige der Völkerschlacht bei Leipzig, welche Deutschland von dem grimmigen Erbfeinde befreit und in Strömen französischen Blutes die deutsche Schande abge¬ waschen hatte, schloß sich nicht die Verfolgung des korsischen Eroberers. DaS Zögern und Zaudern der Verbündeten gestattete Napoleon I. vielmehr, mit dem Reste seines stolzen Heeres — 70,000 Mann — sengend und mordend durch Deutschland zu ziehen und bei Mainz über den Rhein zu setzen, nachdem die Bayern ihm bei Hanau (30. Oktober 1813) vergebens Widerstand geleistet hatten. Die großen Männer, denen Preußen seine Wiedergeburt verdankte, Stein, Blücher, Gneisenau, sahen sich zur Unthätigkeit verurteilt, und erst bei Beginn des neuen Jahres rafften sich die Verbündeten zum Einmarsch in Frankreich aus. Die Nordarmee (unter Bülow) brach in Holland ein, die Hauptarmee überschritt den Rhein bei Basel, die schlesische Armee bei Koblenz (unter Langeron), bei Mannheim (unter Sacken), bei Kaub (unter Uork). Mit dem letzteren Truppenteil ging auch der alte Marschall Vorwärts über den Rhein. Am 29. Dezember 1813 schrieb er nach Hause: „Am 1. Januar passiere ich bei Tagesanbruch mit meiner Armee den Rhein; zuvor aber will ich mit meinen Waffenbrüdern in diesem stolzen Strome alle Knechtschaft abwaschen, damit wir als freie Deutsche das Gebiet der großen Nation betreten. Gott hat bis hierher geholfen, er wird auch weiter helfen!" Und so zog der greise Kämpe in der Neujahrsnacht bei Kaub, diesem uralten Fischerstädtchen, in das Land des

Kaut».

einen Kranz zu überreichen." „Woher kommen Sie?" ftagte der^König. welchem Kreise liegt Barneberg?" „Im „Ich komme aus Barneberg." Kreise Neuhaldensleben." „Also aus dem unglücklichen Kreise NeuhaloenSleben kommen Sie? Das ist mir eine doppelte Freude." Nun nahm das KönigSpaar den Kranz in Empfang und ließ sich das Gedicht vorlesen. Als aber die letzte Strophe des Gedichtes vorgelesen wurde, welche lautete:

„In

Friedrich Wilhelm zage nicht, Die Sonne durch die Wolken bricht. Dein treues Landvolk, Dein treues Heer Führen Dich wieder zu neuer Ehr. Da wurde das Auge des Königs feucht, eine Thräne lief von seinen Wangen. „Ja," sagte er, „mein treues Landvolk und mein treues Heer! Aber, nun sagen Sie, meine liebe Frau, kann ich Ihnen in irgend einer Weise helfen, haben Sie eine Bitte?" „O, nein," erwiderte Frau Günther, „ich habe keine weitere Bitte, wir sind wohlhabende Leute und haben keine Hilfe nötig; ich bin nur gekommen im Einverständnisse mit meinem Manne, um unseren König und unsere Königin an diesem Tage zu begrüßen." „Sie haben also keine anderen Nebenabsichten gehabt?" ftagte der König nochmals. „Durchaus keine," sagte Frau Günther. „Dann sind mir Ihr Besuch und Ihr Kranz mehr wert als sämtliche Grüße, die ich heute von allen Seiten erhalten habe." F. \V.

Erbfeindes:

„Dem Siege entgegen, zum Rhein übern Rhein, Du alter, tapfrer Degen! Und Gott soll mit Dir sein!"

Zur Erinnerung an diesen ewig denkwürdigen Rheinübergang wird dem Fürsten Blücher in Kaub ein Denkmal errichtet werden, welches von Professor F. SchaperS Meisterhand modelliert worden ist, und welches wir auf S. 165 im Bilde vorführen.

In

R. G.

Girre Audio«; der König Feiodeiot) MiUselr« IV.

reich gesegneten Kreise Neuhaldensleben im Regierungs-Bezirk Magdeburg liegt das Dorf Barneberg. Dort hatte um die Mitte dieser Jahrhunderts den größten Ackerhof der Bauer Günther. Die Günthers konnten ihr Besitztum wie mancher Adliger auf viele Generationen zurück¬ führen. Der Hof war der Stolz der Familie. Da kam das tolle Jahr 1848, die Wogen der Unzuftiedenheit gingen auch in diesem Kreise hoch, und es wurde diese Unzuftiedenheit von den Städten genährt. Im Güntherschen Hofe fand an dem Schicksale des unglücklichen Königs Friedrich Wilhelm IV. eine große Anteilnahme statt. Besonders war eS die Hausfrau, welche als eine echte deutsche Bauersfrau das Regiment im Hause führte und auch nicht dulden zu dürfen glaubte, daß man dem König, dessen Herz nur sür das Wohl seines Volkes schlug, das Scepter entreißen wollte. Da kam eines Tages der Landbriesträger. Frau Günther saß am Spinnrad, er war im Winter 1848, draußen wehte ein schneidender, kalter Wind. Frau Günther gab dem alten Manne eine Tasse warmen Kaffee und ließ ihn am Ofen Platz nehmen. Hier taute der Alte auf: „Ja, ja, Frau Günthern, et süht schlecht ut, de insamen Demokraten werden immer dreister, na, un erst in Magdeborg, wat se da opstellen; da sitt nu unse gute König in Potsdam und fiert am 29. November seine silberne Hochtid, wie mot hei nu düssen schönen Dag doch sau trurig bigahen, oberall sünd im Lanne Unruhen, keiner ward daran denken, den König an düssen Dag tau gratulieren." „Ja, dat is ok wahr," erwiderte Frau Günther, „et mot ok unse gute Königin schwär bedrücken, aber da fallt mik eben wat in, ick will sülbenS na Potsdam feuren un dem KönigSpaar zu seinem Ehejubiläum meine Glückwünsche bringen." WaS eine echte BauerSsrau aber sagt, daS ist nicht in den Wind gesprochen, und als am Abend der Bauer Günther vom Felde kam, erklärte seine Frau ihm, daß sie schon am anderen Morgen nach Potsdam abreise, um dem KönigSpaare selbst einen Kranz zu überreichen. „Ja," sagte der Mann, „dat make man, Dortchen, der König un ok de Königin freuen sik darober gewiß, dat et noch Lüde im Lanne gisst, de an sei denken un Freud un Leed mit ihnen besten." Es wurde nun schnell der Schuhmacher des Dorfes, der auch als ein zweiter Hans Sachs galt und auch Verse machte, herbei¬ geholt, der an demselben Abend noch ein Gedicht machte. Am anderen Morgen ging dann die Reise los, zunächst nach Groß Oschersleben, von da bis Magdeburg mit der Eisenbahn. In Magdeburg kaufte die resolute Frau einen prächtigen Kranz; als sie aber auf einer seidenen AtlaSschleise daS schöne Gedicht drucken lassen wollte, konnte sie keinen Buchdrucker dazu bewegen, so groß war damals die Abneigung gegen dar monarchische Prinzip, daß man selbst gegen gute Bezahlung nicht zu bewegen war, ein patriotisches Gedicht abzudrucken. Endlich fand sich in einer kleinen Straße ein Drucker, der das Gedicht abdruckte. Nun ging er weiter nach Potsdam. Schon im Eisenbahnwagen wurde Frau Günther mutlos gemacht. Der König läßt niemanden vor, hieß es, er empfängt keinen, der Weg ist ganz vergebens; aber Frau Günther ließ sich nicht mehr entmutigen. Sie meldete sich, in Potsdam angekommen, bei der Hofdame Gräfin A. Die¬ selbe aber weigerte sich, dem König Meldung zu machen. Zum Glück aber erschien zur rechten Zeit ein hoher Offizier, der einst auf dem Güntherschen Hofe bei einem großen Manöver im Quartier gelegen, der Frau Günther sofort wieder erkannte und eS nun übernahm, sie dem Könige vorzuführen. Sie wurde in ein Zimmer des Schlosses geführt und schon nach kurzer Zeit erschien der König am Arme der Königin; das hohe Paar war bereits von dem Zwecke der Reise der Frau Günther unterrichtet. Man sah eS dem Könige an, wie er sich freute. „Da flehst Du doch, wie treu Dein Land¬ volk an Dir hängt; diese Bauersfrau kommt vom platten Lande, um uns

dem

Vereins Nachrichten Im „Verein für die

Geschichte Berlins" entrollte in der Arbeitssitzung vom 17. Dezember der Rektor W. Bonnell an der Hand der jüngst in unserem Verlage erschienenen Schrift des Mag.-Sekr. Ferd. Meyer „Der Berliner Tiergarten von der ältesten Zeit bis zur Gegenwart" (Preis 1,50 Mk.) ein Bild der Entwickelung der Parkes von Johann Cicero bis auf den heutigen Tag und schloß seinen Vortrag mit einer warmen Empfehlung der Buches. Einen längeren Vortrag hielt Gymnasiallehrer Dr. G. E. Bardey aus.Nauen über den Pseudo-Louis XVII. und den Prozeß Naundorf in Brandenburg 1824. Dem Uhrmacher Naunvorff, angeblich aus Weimar gebürtig, hat man sonderbarerweise, ohne Wider¬ spruch zu begegnen, in Delft auf seinem Grabstein die Inschrift belassen „Louis XVII, Roi de France et de Navarre (Charles Louis, Duc de Normandie), ne ä Versailles le 27 mars 1785, decede & Delft le Ein Enkel desselben diente als Premier-Lieutenant 10. April 1845.“ Adalbert v. Bourbon in dem niederländischen Heere. Doch dürsten die Akten über diese Familienangaben noch keineswegs geschlossen sein.

Küchertisich.

Ausgewählte Merke

von Ernst

Moritz Arndt.

Erste GesamtLeipzig, 1892. Verlag von Karl Fr. Pfau. I. Band. Preis geh. 3 Mk., gbd. 4 Mk. ES ist sonderbar: Eine einheitliche Gesamtausgabe der Werke des Wenn man alten Arndt hat eS bis heutigen Tages noch nicht gegeben. bedenkt, welche weitgehende Einwirkung die Schriften und die Persönlichkeit ArndtS auf ihre Zeit ausübten, wenn man weiter erwägt, daß diese Bücher — Memoiren, Flugschriften und Dichtungen auS bewegter Zeit, Geschichte und Kulturgeschichte, Politik und Völkerkunde — ein lebendigeres, eigen¬ artigeres Bild jener Periode der vaterländischen Geschichte geben, als ein Dutzend dickbändiger GeschichlSweike, so muß dieser Umstand wirklich unser Befremden erregen. Von jedem DurchschnittSschriflsteller veranstaltet man jetzt Gesamtausgaben — den allen Arndt, dessen Werke heute genau noch so wichtig und lesenswert sind wie einst, die Probleme behandeln, an deren Lösung wir noch jetzt weiterarbeiten, schien man ganz vergessen zu haben. Jetzt endlich hat eS die Verlagsbuchhandlung von Karl Fr. Pfau in Leipzig Die in ihrem Verlage er¬ unternommen, diese Ehrenschuld nachzuholen. wird alle veranstaltet durch Hugo Rösch, scheinende Arndtausgabe, Schriften des verdienten Patrioten und VolkSmanneS enthalten, ausgenommen seine mehrbändigen Reisebeschreibungen, die sür das Interesse der Gegen¬ wart schon etwas veraltet sein dürften und auch die Ausgabe unnötig teuer machen würden. Jede einzelne Schrift Arndts ist mit einer kurzen Einleitung sowie mit Erläuterungen und Kommentaren des Herausgebers Bände berechnet und auch in Liefe¬ versehen. DaS Werk ist auf —r— rungen ä 40 Pfg. zu beziehen.

AuSgabe, herausgegeben von

Hugo Rösch.

4-5

Mio gestaltet

Metter?

Eine praktische Anleitung zur steh das Vorherbestimmung der Witterung von H. Timm, mit 74 Abbil¬ 175 S. Wien, Pest, Leipzig. A. HartlebenS Verlag. dungen. Preis 3 Mk. Die Gestaltung des Wetters hat von jeher das Interesse der Menschen in Anspruch genommen. Erst in den letzten Jahrzehnten ist eS aber der wissenschaftlichen Forschung gelungen, die wichtigsten der Gesetze zu er¬ gründen, nach denen sich die Vorgänge in der Atmosphäre vollziehen. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß eS zur Vorbestimmung eines nahenden Sturmes, eines eintretenden Regenwetters, eines Nachtfrostes u. s. w. genauer Beobachtungen und Messungen meteorologischer Stationen bedürfte. Ist eS doch Thatsache, daß einfache, oft ganz ungebildete Leute, in erster Linie Hirten, Schäfer und Seefahrer, eine gewisse Fertigkeit im Vorher¬ bestimmen des Wetters besitzen. Windrichtung, Art und Höhe der Wolken, größere oder geringere Klarheit der Lust u. s. w. geben ihnen meist die Ein verständiges Beobachten dieser Himmelsnötigen Anhaltspunkte.

168 erscheinungen vermag auch den einfachsten Mann zum Wetterpropheten zu machen. Was nun die Erfahrung in dieser Beziehung lehrt, ist in der vorliegenden kleinen Schrift zu einer praktischen Anleitung zur Vorher¬ bestimmung des Wetters verarbeitet. Er ist dem Verfasier gelungen, ein populäres und durchaus praktisches Werk zu liefern, dessen Schreibweise und Stofs jedem verständlich ist. Die zur Witterungskunde nötigen Instrumente, die Wolken und atmosphärischen Niederschläge, der Wind, Gewitter und die optischen Erscheinungen der Atmosphäre sind in gemeinverständlicher Weise behandelt; wir werden belehrt über die Benutzung der in den Zeitungen veröffentlichten Wetterkarten und über deren Herstellung, über die Wetterprognose ohne Kenntnis der allgemeinen Wetterlage, über Vorher¬ bestimmung der Nachtfröste, über den Einfluß deS MondeS auf das Wetter, der Luft und des KlimaS auf Gesundheit und Wohlbefinden der Menschen u. a. m. Die kleine Schrift ist recht geeignet, das Jnteresie für die Meteorologie im großen Publikum zu vermehren und manche falsche An¬ schauung auf diesem Gebiete aufzuklären. X.

II.

(•Erlebnisse eine® Arste®

aus der französischen Kriegs- und OccupalionSzeit 1870—1871. Berlin Von Dr. K. Vormeng. 1892. Verlag von Borstell & ReimaruS. Preis 3 Mk. Ein frisches Buch, daS jeder, der die große Zeit miterlebt hat und jeder, der sich in dieselbe versetzen möchte, von Anfang bis zu Ende mit Interesse lesen wird! Da ist jede Zeile selbst erlebt und jedes Ereignis so geschildert, daß man das große Völkerringen greifbar deutlich vor sich fleht. Ein solches Buch empfiehlt flch selbst: jede weitere Anpreisung, jede weitere Charakteristik sind überflüssig. R. G.

Da® Kett

und sein Einfluß auf unsere Gesundheit. Ein Mahnruf an deutschen Väter und Mütter von Ottomar Steiner. Frantenburg i. S. Carl Stange Nächst 74 S. Preis 50 Pf. Unendlich vielseitig sind die Forderungen, welche die Hygiene bei der gewaltigen Veränderung der menschlichen Lebensweise heutzutage erhebt, eine der wichtigsten bezieht sich ohne Zweifel auf das Bett, das unS nach unserer Geburt aufgenommen und in dem wir Vs unserer Lebenszeit ver¬ bringen. Was Wissenschaft, Natur und Erfahrung über den Einfluß deS Bettes auf die Gesundheit lehren, hat der Verfasier in einer sehr ernsten und beachtenswerten Betrachtung dargelegt und damit u. E. die Notwendig¬ keit der Bettenreform genügend begründet. Tie Federbetten, die übrigens nur in Deutschland und zum teil in Oesterreich zur Bedeckung deS Körpers benutzt werden, sind nicht allein Ursache der Verweichlichung, Hemmnisse alle

einer normalen Entwickelung, sondern in aller Form Krankheitsträger und Krankheitserreger; daran kann alles Lüften der Betten und der Schlaf¬ zimmer und alle weiße Bettwäsche nichts ändern. Auch den unsinnigen Staub- und Bazillenherden, den Sprungfedermatratzen mit aufgenageltem Polster wird mit Recht der Krieg erklärt und an deren Stelle eine Stahlmalratze mit daraufliegenden Roßhaarwollmatratzen empfohlen, die jährlich 1—2 mal umgearbeitet und gereinigt werden kann. Verfasier enipfiehlt statt der Federn die lose in Gestalt von Watte aufgepuderte Schafwolle, als Bettwäsche poröses Leinen oder Bauniwollgewebe. X. D.

Anreribcr.

Die Geschichte seiner Entdeckung von der ältesten bis auf die neueste Zeit. Verfaßt und illustriert von Rudolf Cronau. Leipzig 1892. Verlag von Abel u. Müller. 31 Lieferungen zu 50 Pf.

Ein

höchst interessanter Werk, die vornehmste Festschrift zur 400 jährigen Feier der Entdeckung Amerikas durch Columbus! Der Haupt¬ wert dieses Buches liegt in den prächtigen Originalzeichnungen CronauS, die der bekannte Amerika-Reisende auf seinen 30 000 englische Meilen umsasienden Reisen nach der Natur ansertigte. Der Text verbindet wissen¬ schaftliche Tiefe mit leichter, fließender Darstellung Derselbe beschränkt sich nicht auf die Geschichte der Entdeckung Amerikas durch ColumbuS, beginnt vielmehr mit einer hochinteressanten Darstellung der Vorzeit Amerikas, ferner mit den bereits zu Anfang unserer Jahrtausends ausgeführten Fahrten der Normannen nach Grönland und Vinland, den Fahrten der Walliser, Irländer und Barken, sowie der venetianischen Brüder Zeno. Den Entdeckungen deS Columbus, den Eroberungszügen des Cortez und Pizarro ist ein breiter Raum gewidmet; in den späteren Abschnitten folgen die Schilderungen der Fahrten der Grijalva, Verazzani, Ponce de Leon, Cabot, Cartier, Mendoza, de Soto, Orellano, da Fuca, Frobisher, Drake, Davis, Hudson, Bassin, La Salle, Behring Cook, Mackenzie, La Peyrouse, Lewis und Clarke, Roß, Pariy, Franklin, Kane, HayeS, Hall, Wymper, Dall, Pike, Song, Fremont, bis auf die der Neuzeit angehörigen Forscher Hayden und Powell, welche die im fernen Westen der Union gelegenen großartigen Wunderländer am Uellowstone und Coloradoflusse der staunenden Welt erschlossen. In seinem Werke legt Rudolf Cronau daS Hauptgewicht nicht auf die Schilderung der persönlichen Erlebnisse der einzelnen Forscher, sondern in erster Linie auf die Schilderung der von ihnen entdeckten Länder und Völker, so daß sein Werk nicht nur ein getreuer Bild der allmählichen stückweise erfolgten Erschließung Amerikas, sondern zugleich auch ein ge¬ treu« s Bild seiner Beschaffenheit und seiner Verhältnisse darbietet. DaS ganze 531 Seiten umfassende Werk, welches 50 Vollbilder und etwa 500 Textillustralionen, Karten, Porträts enthält, gereicht der deutschen Litteratur in hohem Maße zur Zierde. R. GK

Seüsetjrifiensdjctu. Mitteilungen der Niederlausitzer Gesellschaft fürAnthro-

pologie und Altertumskunde.

II.

Band.

6. Heft:

Niederlausitzer

Bronzefunde, von H. Jentsch. — DaS Gräberfeld bei Ossig, Kr. G.hen, von H. Jentsch (mit Abb.). — Eine alte Ansiedelung im Spreewcuo, von W. v. Schulenburg. — Einige alte Urnensunde, von H. Jentsch. — Zwei neuentdeckte Rundwälle im Kreise KottbuS, von H. Jentsch. — Kinderspiele und Kinderreime, von Karl Gander. — Flurnamen. — AuS des Johann Magnus handschriftlichem Sammelwerk äe Xobilibus Lusatiae. — Die Gubener Garnison von 1700—1744 und von 1785 bis zum Ende der sächsischen Landeshoheit. Herold. 12. Heft: Mittelalterliche Siegelstempel (mit Tafel). — Holtmanns. — Zur Genealogie Wappen der Stadt Lüttringhausen, von der von Marquart und von Bilderbeck, von Blödau. — Zur Genealogie der Familie Senden. Anzeiger des germanischen Museums. Nr. 5.: Geheimrat von Esienwein st. — Chronik des Museums. — Zur Frage nach HanS Sachs' Quellen und Stoffen, von Dr. C. Fränkel. — Der Nürnberger Rotschmied Jakob Weinmann, Kosten einer Reise von Nürnberg nach Venedig 1581. Eiserner Thürklopser deS 18. Jahrhunderts (mit Tafel), von Hans Bösch. — Katalog der Holzstöüe vom XV.—XVIII. Jahrh. Bog. 10—13.

I.

I.

Teil.

Brandenburgia, Gesellschaft für Heimatkunde der Provinz Brandenburg. Nr. 7 und 8: DaS Dreimänner-Relief im Jagdschloß Grunewald, von W. Dönitz. — Der große Schwieloch-See in der NiederLausitz und seine Umgebung, von Dr. Ed. Zache. — Dje Taufschlüsiel von Döberitz. — Die Herkunft der märkische Fauna und Flora, von Dr. Karl Müllenhofs. — Moabit von E.^Handtmann. Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins. Nr. 12: August Kiß, von Dr. H. Brendicke. — Die Vorgeschichte des neuen Domes für Berlin, von P. Walls.

Kriesbasten.

in K. Die von M. Gritzner in seinem im die Geschichte Berlins gehaltenen Vortrage erwähnte Hildebrandt-

Herrn A.

ffi.

Verein tür jche Wappenfibel ist vor kurzem in fünfter Auflage im Verlage von Heinrich Keller in Frankfurt a. M. zum Preise von 1,50 Mk. erschienen. Für den Wert dieser kleinen Schrift, welche dem Anfänger in der Heraldik alles Wissenswerte giebt, spricht schon der Umstand, daß in jedem Jahre eine neue Auflage nötig wird; sie ist aber leider in Berlin — auch in den Berliner Buchhandlungen — nicht so bekannt, wie sie es verdient.

In

dem bekannten Kunstverlage von Hanfstängl in München ist eine ausgestattete Wiedergabe des interessanten Rundgemäldes der Hohenzollern-Galerie erschienen, welche in Albumsorm in der Galerie zum Verkauf kommt. DaS Album bildet im Verein mit dem Führer ein an¬ sprechendes geschichtliches Lehrmittel für jedermann und ist auch Auswärtigen zu empfehlen, welche nicht in der Lage sind, die Galerie zu besuchen. künstlerisch

Kollektion Hartleben. Vierzehntägig wird ein Band ausgegeben: Pränumeration für ein Jahr Preis des Bandes eieg. gbd. 75 Pf. (23 Bände) 19 Mk. A. HartlebenS Verlag, Wien. Von dieser Sammlung wohlfeiler, gediegener Romanlitteratur aller Nationen sind bereits 13 Bände erschienen. Der Erfolg der Unternehmung ist ein ganz außerordentlicher; kein Wunder, wenn man sich diese stattlichen, schön gebundenen Bände von je ca. 200 Druckseiten Inhalt betrachtet, welche für einen unbegreiflich billigen Preis — der Einband allein ist den Kostenbetrag wert — interessante Lekiüre den weitesten Kreisen

zugänglich

machen.

ES

geht ein gewisier

Zug durch den deutschen Verlagsbuchhandel unserer Tage: dem Publikum guten Lesestoff billig darzubieten — und es ist nicht zu leugnen, baß die „Kollektion Hartleben" diesem löblichen Bestreben im vollen Maße Solche Unternehmungen finden ihren Bestand nur in der gerecht wird. weitesten Verbreitung, welche wir auch dieser wirklich schönen Sammlung von ganzem Herzen wünschen! Der Prospekt des ersten Jahrganges der „Kollektion Hartleben" (26 Bände) umfaßt folgenden Inhalt: Bd. I—IV. Carlän, Der Vormund. — V und VI. Dumas, So sei es. — VII. und VIII. Sue, Miß Maiy. — IX. Jokai, Die weiße Rose. — X. Sand. Die kleine Fabelte. (Die Grille.) — XI. und XII. Mügge, Verloren und gefunden. — XIII. und XIV. Thackeray, Tie Geschichte Heinrich ESmonds. — XV. Turgenjew, Frühlingsfluten. — XVI. Maquet, Liebe und Verrat. — XVII—XIX. Dumas' Sohn, Roman aus dem Leben einer Frau. — XX. Fsval, Der schwarze Bettler. — XXI und XXII. Sandeau, Valcreuse. — XXIII. und XXIV. Benhet, Der Wolfsmensch. — XXV und XXVI. AinSworlh, Der Verschwender. ethischer

Knstrrlt: Verrat

und Treue. Historischer Roman aus der Zeit Bon E. H. von Dedenroth; Vom „Düstern Keller" bei Berlin. Von Ferdinand Meyer (mit Abbildung) (Fortsetzung); Mönch Hermann von Lehnin. Ein märkischer Sang von M. v. Buch (Fortsetzung); Der Fernemüller und sein Weib. Ein Stück mär¬ kischer Geschichte. Von Rudolf Eckert (Fortsetzung). — Kleine Mittei¬ lungen: Dar Blücher-Denkmal bei Kaub (mit Abbildung). Eine Audienz bei König Friedrich Wilhelm IV. — Vereins» achrichten. — Büchertisch. des

7jährigen Krieges.

— Anzeigen.

Für die Redaktion verantwortlich: Richard George in Berlin X. 4, Chausieestr. 2ä. — Abdruck ohne eingeholte Erlaubnis ist untersagt. Verlag: Fr. Zillessen, Berlin X., Schönhauser Allee 141. — Druck: Buchdruckerei Gutenberg, Berlin X., Schönhauser Allee 141».

Ford. Moyer,

Gymnasialdirektor

vr. M. Krlzwarlz

und

Ernst n. Mikd-onbruriy,

herausgegeben von

Friedrich Listessen XIX. Iabrgang,

Der

„8är"

M 15.

und

Richard George.

erscheint wöchentlich am Sonnabend und ist durch jede Postanstalt (tlo. 709), Buchhandlung und Zeitungsspedition fiir 2 tstk. 50 pfg. vierteljährlich zu beziehen.

7. Januar

1893.

ßerwsi un8 Treue. Historischer Roman aus der

Zeit des 7 jährigen Krieges von

(I.

raf Brühl

scheute kein

Mittel,

seinen Haß gegen Preußen und

das brandenburgische Haus zur Geltung zu bringen, nian Expeditionen 511 heimlicher Eröffnung preußischer Depeschen, bestach die Kammerdiener des Gesandten, um die Schlüssel der Chiffreschnft zu erhalten, und verleumdete errichtete

Friedrich II. bei der russischen Kaiserin, als habe er den Plan, Kurland zu erobern, ja, als trachte er nach ihrem Leben. Dennoch aber wagte Graf Brühl es nicht, einem Bündnis der Mächte gegen Preußen offen beizutreten; die Höfe Oesterreichs, Frankreichs und Rußlands — jeder von Brühl aufgestachelt — schlossen am 2 . Mai 1756 einen geheiinen Traktat, von dessen sächsische Diplomatie jedoch keine Kenntnis erhielt.*) Wenn die Königin Maria Josephe trotz ihres Hasses gegen Preußen mit Brühl nicht übereinstimmte, so geschah das nicht blos aus persönlichem Widerwillen, sondern weil sie den unverschämten Emporkömmling, der das Land ausplünderte, alle Stellen mit seinen Kreaturen besetzte und jeden ehrlichen Ratgeber vorn Kurfürsten fernhielt, zu tief verachtete, um von ihm Gutes zu erwarten. Als der Rival Brühls, Sulkowski,

Tendenz die

vom letzteren gestürzt war, sagte man, daß Sachsen von zwei Pagen und einem Lakaien regiert werde, denn Brühl und Sulkowski hatten sich aus der Pagenstellung ohne akade¬ mische Studien zu Ministern emporgeschwungen, und Brühl hatte aus dem ehemaligen Lakaien am Zeitzer Hofe, Christian Hennicke, seinem Faktotum, das er von Stufe zu Stufe empor¬ gehoben, einen Minister gemacht und demselben die Würde eines Reichsgrafen verschafft. Jetzt herrschte Brühl allein und unumschränkt mit Baron Stammer, Graf Löß und Hofrat v. Globig, seinen „Vize-Königen," wie der bittere Hohn des noch nicht

Volkes seine Helfershelfer nannte.

*)

Vehse, Sachsen Sb.

VII.

E. H. nnn Dedonrntst.

Fortsetzung.!

Anna v. Rohr war der Königin aufs tiefste ergeben. Abgesehen davon, daß sie eine, wir möchten sagen begeisterte Teilnahme für die hohe Frau empfand, welche ihr schweres Schicksal, die bittersten Demütigungen täglich hinnehmen zu müssen, ohne Klage trug, war sie an dieselbe durch Dankbar¬ keit und Interesse gefesselt, denn ihre Stellung bei Hofe hatte unerträglichen häuslichen Verhältnissen entzogen, ihr ein Asyl verschafft, in dem sie sich wohl fühlte. Es war ihr heute nichts willkommener gewesen, als an das Bett der Königin beschieden zu werden, sie hatte der Fürstin eine frohe Botschaft sie

bringen, aber sie zögerte damit, denn es war Vorsicht ge¬ boten: irgend eine Kammerfrau konnte ja lauschen, wenn sie bemerkte, daß von anderen als gleichgiltigen Dingen gesprochen werde. Sie wartete daher, bis die Geduld einer Neugierigen erschöpft sein könne, da leitete die Fürstin das Gespräch auf den Wechsel in Annas Verhältnissen, und Maria Josephe fragte sie, ob ihr Herz sich wohl fühle in dem Leben bei Hofe und in der abhängigen Stellung bei einer Königin, die nur zum Scheine die Krone trage, deren Willen und Wünsche

-zu

aber niemand beachte.

Das Antlitz Annas erglühte, der Gedanke lag ihr fern, daß die Königin nur eine ernste Frage an sie mit diesen Worten einleiten könne, das übervolle Herz drängte danach, der schwergeprüften Frau den Sonnenstrahl der Hoffnung zu bringen, und ihr Auge strahlte in dem glücklichen Gefühle, verdient zu haben. sich den Dank der Königin sie mit gedämpfter Stimme, nach¬ antwortete „Majestät." umgesehen, ob auch niemand die Thür scheu dem sie sich unbemerkt geöffnet, „es wird anders werden. Dem Könige find vielleicht schon in dieser Stunde die Augen geöffnet über den Mann, der ihm die edelste Fürstin und ein treues Volk entfremdet."

-HS

170

Maria Josephe vergaß, was sie mit Anna besprechen wollle, erschrocken blickte sie auf. Sie erriet, daß Anna etwas in ihrem Interesse gewagt, und zitterte, daß das junge Mädchen in guter Absicht vielleicht etwas gethan, was der Königin keinen Nutzen, Anna selbst aber Verderben bringen konnte. „Unselige", fragte sie. „redest Du vom Grafen Brühl?"

„Ja, Majestät,

und ich bin stolz darauf, daß ich geholfen

habe, ihn zu entlarven."

Die Königin lächelte trübe. „Armes Kind", versetzte sie, „Dich erwartet eine bittere Enttäuschung, die heilige Jungfrau

Du hast Dir gebe, daß Dich nicht Schlimmeres bedroht. einen Feind gemacht, der Dich zermalmen kann. Was hast Du gethan? Es haben andere versucht, Brühl aus des Königs Gunst zu drängen, und Brühl hat sie gestürzt, und Du willst wagen, was die Vornehmsten des Reiches aufgegeben zu ver¬ suchen?"

„Majestät,

Sie

oft selbst, daß der König nicht ahne, wie es im Lande aussieht, daß nicht einmal ein Minister vertrauliches Gehör erlangt, ohne daß Brühl zugegen ist. Der König wird es aber heute erfahren, daß selbst die Armee, welche des Thrones Stütze sein soll, Ursache zum Mißver¬ gnügen hat. Die Offiziere haben seit achtundzwanzig Monaten keinen Heller Sold erhalten, sie befinden sich in drückendster Not, und der Oberst v. Miltitz hat diese Klage in einer Supplik an den sagten

König aufgesetzt, ich aber habe den Brief des Obersten in des Königs Tasche gespielt, und er wird ihn öffnen, denn ich habe ihn in ein Couvert gethan, welches Seine Majestät angenehmen

Inhalt

erwarten läßt."

Ueber

Maria Josephens Antlitz glitt bei

Annas ein düsterer Schatten, es schien,

als schöpfe die Königin

kühne Wagnis

den letzten Worten

aber er verschwand sehr rasch, doch

Hoffnung, daß das

Erfolg haben könne.

„Wenn er den Brief liest," murmelte die Königin, „wenn Die Offiziere der Armee werden sich nicht scheuen, die Wahrheit zu bekennen, und dann ist Brühl verloren; Mädchen, ich möchte Dich küssen, aber ich zittere, wir triumphieren zu früh. Du hast viel gewagt. Wehe er eine Untersuchung fordert!

Dir,

wenn Brühl

aus der Schlinge zieht, und man Deine Hilfe entdeckt, ich kann Dich nicht schützen!" sich doch

Glutröte flammte im Antlitze Annas auf. „Majestät," antwortete sie, und das Wogen ihrer Brust verriet die innere Erregung, „ich enthüllte Ihnen mein Geheimnis, um Ihnen eine frohe Hoffnung zu bereiten, aber tiicht, um Ihren Schutz anzuflehen. Was ich that, wagte ich auf eigene Gefahr, und Ihre Verachtung würde mich nicht tiefer kränken, als wenn Sie daran dächten, mich im Falle einer Entdeckung nicht ver¬ antworten zu lassen, was ich ohne Ihr Vorwissen gethan. Gönnt es mir der Himmel nicht, daß mein Wagnis gelingt, so werden Sie mir doch die Genugthuung gönnen, mich für den Versuch, Ihnen zu dienen, geopfert zu haben." „Du hast ein treues, edles Herz. Aber wie doch der Himmel alles seltsam fügt! Während man mich ersuchte, bei Dir ein gutes Wort für den Neffen des Ministers einzulegen, arbeitest Du am Sturze des Onkels." Wieder errötete Anna, aber es malte sich Unmut in ihren Zügen. „Wer wagte es, mich bei Eurer Majestät zu verleumden?" fragte sie. „Ich wüßte nicht, daß ich einem der Neffen des

&—

Grafen Brühl das Recht gegeben habe, irgend ein Ansuchen an mich zu stellen." Die Königin lächelte. „Ich wäre auch die letzte," ant¬ wortete sie, „welche ein Anliegen eines Menschen aus dieser Sippe begünstigte. Man erzählte mir nur, daß ein derartiges Projekt vorhanden sei. Es freut mich, daß Du dagegen Ein¬ spruch erhebst, ich hoffe. Dein Herz ist noch völlig frei, es denkt noch nicht daran, Bande für die Zukunft zu spinnen." Anna begegnete dem forschenden Blicke der Königin an¬ scheinend völlig unbefangen, aber sie konnte freilich auch nicht ahnen, daß Maria Josephe nur aus diese Weise an ihr Herz pochte, um der Antwort auf eine Frage in ganz anderer Be¬ ziehung zu lauschen.

„Mein Herz," erwiderte streben, Ihnen

zu dienen

„atmet allein in dem Be¬ und mir Ihre Zufriedenheit zu er¬ sie,

werben; ich würde mit Freuden mein Leben opfern, wenn ich dazu beitragen könnte, das Ihrige glücklicher zu gestalten." „Ich glaube Dir, Anna, ich bin von Deiner treuen Er¬ gebenheit überzeugt, und ich hoffe, Dich um so fester an mich zu ketten, als ich weiß, daß unsere Gefühle in allem über¬ einstimmen. Sieh', ich sollte Dein Wagnis tadeln, weil Du Dich einer großen Gefahr und mich der Sorge aussetzest, Dich zu verlieren. Dich nicht schützen zu können, ohne daß Du eine Bürgschaft dafür hast, daß im günstigsten Falle Deine That

wahrhaften Nutzen bringt. Ich fürchte, daß, wenn Brühl in Ungnade fällt, der König seine Stelle durch jemand besetzt, der das Schlechte nicht bessert, und dem das einzige fehlt, was ich an Brühl noch schätze. Mein Gemahl liebt den Luxus und das Vergnügen, er mag nichts von Regierungssorgen wissen, er wird stets von dem geleitet werden, der seinen Schwächen schmeichelt, und Brühl hat wenigstens das Gute, daß er unserem Rival in Norddeutfchland das Glück des Empor¬ kömmlings nicht gönnen mag, daß er Preußen haßt und am Sturze des hochmütigen Brandenburgers arbeitet. War es nicht heute, als trete uns der ganze rohe, brutale Hochmut eines glücklichen Klopffechters, der elende Bettelstolz, die Frech¬ heit des Rebellen gegen Kaiser und Reich verkörpert in dem preußischen Offizier entgegen, der mit seinen hohen Stiefeln, dem groben Tuch der häßlichen Uniform, seinem Zopf, seiner stocksteifen Haltung unter den Kavalieren dastand, als ertrotze er sich, wie ein grober Bauer, das Recht Mt seinen Fäusten?"

In

der Miene Annas kämpfte

sichtliche

Verwirrung mit

dem Lächeln über die Schilderung der Königin, welche sie vielleicht für launige Uebertreibung hielt, denn in manchem mußte sie der Königin beistimmen. „Majestät," antwortete sie, „werfen aus einen einzelnen

Groll, den Sie gegen die Armee hegen, aber ein tapferer Soldat bleibt, was er ist, in jedem Kleide. Ich gebe zu, daß das Auge sich erst an diese Uniform gewöhnen muß, um einem Manne gerecht zu werden, der in der Tracht der Kavaliere einen ganz anderen Eindruck machen würde. Ich habe Herrn v. Brenkenhof auf einem Redoutenballe in Breslau gesehen, den

und da folgte ihm das Auge mancher kaiserlich gesinnten Dame freundlicher, als das patriotische Gefühl erlaubt hätte." ries die Königin. Ueberraschung heuchelnd, „Du Offizier aus früherer Zeit?" Anna errötete leicht, als sie die Frage bejahte. „Mein Vater," erzählte sie, „nahm mich mit, als er vor zwei Jahren sein Gut in Schlesien besuchte, um die Pachtverträge zu er-

„Ah!"

kennst den

s»-

171

Er hat ans alter Zeit Freunde unter dem schlesischen Adel, und obwohl mein Vater sonst Begegnungen mit preußi¬ schen Offizieren vermied, trafen wir solche doch bei Festlichkeiten in Breslau. Herr v. Brenkenhof hat meinen Vater, der zu¬ weilen vergaß, daß er sich auf preußischem Boden befand, ohne daß er es weiß, vor Verwickelungen bewahrt, die sehr ernste Folgen für ihn haben konnten." „Und das hat ihm Dein Herz gewonnen?" rief Maria Josephe, deren Miene sich verfinstert. „Du hast es vergessen, daß Deinem Vater nichts Schlimmeres begegnen könnte, als wenn seine Tochter Hinneigung zu einem Menschen empfände, der dem gottlosen Spötter, dem Marquis von Brandenburg, Treue geschworen? Müßte ich das glauben," fuhr die Königin heftiger fort als Anna verwirrt das Auge niederschlug, „so könnte ich Deine Nähe nicht mehr wünschen und würde es nur richtig finden, die ganze Strenge Deines Vaters gegen Dich anzurufen — aber nein," unterbrach sich Maria Josephe, als sie Anna erbleichen und zusammenzucken sah, „ich denke besser von Dir, und ich glaube, daß Du den Versucher besiegen würdest, hielte er Dich auch schon in seinen Krallen." neuern.

>

Die Königin hatte noch zu rechter Zeit den Ton gewechselt, um eine günstige Wirkung ihrer Vorstellung zu erzielen. Das vertrauensvolle Wort erstickie die Bitterkeit, welche der unver¬ diente heftige Vorwurf und die harte, verletzende Drohung Das Gefühl, welches Anna für schon hervorgenisen hatte. Brenkenhof in der Brust trug, entbehrte entweder noch der leidenschaftlichen Glut, oder sie war sich desselben überhaupt noch nicht klar bewußt, denn das, was sie erregte, war weniger die Beleidigung dieses Gefühles, als die Sprache des Arg¬ wohns, des Vorwurfs und der Drohung von Seiten einer ihre Dienste geweiht, in der sie eine Beschützerin die, ohne daß sie etwas verbrochen, was sie ihr gegenüber zu verantworten hatte, sie anließ, als hätte sie sich ihres Postens unwürdig gezeigt. Ein Charakter, der freudig die äußere Existenz daran wagte, der Herrin einen Dienst zu leisten, hätte sich dagegen gesträubt, dem Argwohn gegenüber eine Vertrauensstellung zu behaupten oder die letztere wie ein

Fürstin, der

sie

gesehen und

Der Stolz verletzten Selbst¬ gefühls, aber auch die Befriedigung darüber, daß die Königin ihr Vertrauen entgegentragen wolle, spiegelten sich in dem Blicke Annas, als sie jetzt das Auge aufschlug, und so heftig war ihre innere Erregung, daß Thränen in den Angen er¬ glänzten. „Majestät", antwortete sie, „ich habe mich bisher wohl zu wenig um die Politik bekümmert, -um Ihren Vorwurf zu verstehen, über mir steht auch Herr v. Brenkenhof zu fern, Almosen der Gnade zu behalten.

als daß ich der Versuchung ausgesetzt wäre, seinetwegen irgend ein Vorurteil zu fassen. Ich weiß von ihm nur eine That, für die ich ihm dankbar geworden bin, weiter nichts. Ich

in Ihren Diensten, ich habe keinen anderen Wunsch oder Ehrgeiz, als Ihre Zufriedenheit zu erwerben, und es wird meine Pflicht sein, nur mit den Personen zu verkehren, welche Eurer Majestät genehm find." Anna sprach das mit so ruhiger Unbefangenheit, daß die Königin nicht daran zweifeln konnte, Gräfin Ogilvy habe Ge¬ stehe

das

harmlose Vertrauen

erschüttert,

welches

Anna zu ihr

gehegt.

„Verzeihe mir." sagte sie sanft und reichte ihre Hand der „versprich mir aber, falls der Preuße versuchen sollte, sich Dir zu nähern, Dich von ihm abzuwenden wie von einer Schlange. Ich kann Dir sagen, daß der Geheim¬ rat v. Maltzan der Gräfin Brühl wohl nur den Hof macht, um die Gattin des Ministers zu umstricken, daß der sonst so geizige König von Preußen hier Emissäre unterhält, die kein Geld sparen, um im preußischen Interesse zu wirken, und daß dieser Offizier wohl nicht vom Gesandten bei Hof vorgestellt worden wäre, wenn man ihm nicht eine Mission aufgetragen; er sieht mir nicht danach ans, als ob blos die Sehnsucht ihn herlocke, an einem eleganten Hofe verfeinerte Manieren und Sitten kennen zu lernen. Du bist aber auch eine reiche Erbin, und nach solchen spähen diese hungrigen Bettler wie Raub¬ vögel." Baronesse zum Kuß,

Anna hatte keine Ursache, das geforderte Versprechen zu verweigern, obwohl ihr Herz sich dagegen sträubte, dem Manne, dessen ritterliches Bild sie im Andenken bewahrte, tückischen Verrat zuzutrauen; schon der Umstand, daß ihr Vater einen tiefen Haß gegen die Eroberer Schlesiens im Herzen trug, hätte ihr geboten, den brandenburgischen Offizier von sich fern¬ zuhalten. (Fortsetzung folgt.)

Das

TlMter „Unter (Mit

den Linden."

3 Abbildungen).

Die Stätte, auf welcher sich in den letzten beiden Jahren gewaltige Monumentalbau des Theaters „Unter den Linden" erhoben, hat bereits vor hundert Jahren eine bedeutende Rolle in der Berliner Theatergeschichle gespielt. Vor uns liegt ein alter Theaterzettel, der nachstehenden Wortlaut hat: der

Mit

Hoher Bewilligung

wird heute Montags den 18. November 1799. auf dem Lichtenauischen Theater in der Behrenstraße

aufgeführt: Das Drama:

Pygmalion und Galathea. Die Musik von Dominicus Cimarosa. Herr Andreas Milton wird den Pygmalion, und Mad. Derfchewi die Galathea spielen. Preise der Plätze: Parterre: Einen Rthlr. Die Loge: Zwey Rthlr. BilletS find bey dem Kaufmann Seydel unter den Linden Nach Rousseau.

an der Friedrichsstraßcn - Ecke zu haben.

Der Anfang ist um sechs Uhr. Avec Permission.

Mr. le Professeur de Musique ANDREA MILTON donnera aujourd’hui Lundi 18eme Novembre au Theatre de Lichtenau a la Rue des Ours: Dramme:

PYGMALION ET GALATHEE. Lui mime donnera Pygmalion, et Madame DERSCHEWI Galathee. Prix des Planes : Loge: deux ecus. Parterre: un ecu. On trouvera des Billets chez le Marchand Seidel sous les Tilleuls au Coin de la Friedrichs-Strasse. On commencera six heures.

wenigstens insofern, als sie bemerkt haben wollte, daß Anna ein Geheimnis ihres Herzens verraten. Sie bereute ihre Heftigkeit, schon weil sie fühlte, daß sie damit vielleicht Anna auf Gedanken gebracht, mit denen sich das

Dieses Theater hatte der Schauspieler Schuch im Jahre 1765 erbaut. Als es 1799 zum Abbruch kam, hatte es be¬ reits seine Glanzzeit hinter sich. War es doch bis zum Jahre dem deutschen Schauspiel 1786, wo Friedrich Wilhelm

in jedem Falle aber

das Kgl. Nationaltheater auf dem Geusdarmenmarkte überließ,

spenster gesehen,

unschuldige Wesen noch nicht beschäftigt,

II.

-h3

172

die einzige Statte in Berlin, wo das deutsche Schauspiel eine würdige Pflege fand. Hier ging Lessings „Nathan der Weise" zum erstenmale über die Bretter, die die Welt bedeuten, hier begann seine „Mmna von Barnhelm" ihren Siegeslauf. Sehr interessant ist eine Beschreibung dieses Theaters an der „Bärenstraße". In der Festschrift, die zu der Er¬

öffnung des Theaters „Unter den Linden" erschienen ist, heißt es über dasselbe: „Wollte man zu ihm, so mutzte man erst ein Wohnhaus an der Behrenstraße passieren, dann, zwischen zwei Gärten eingepreßt und an die Rückseite des Tempelhoffschen Hauses mit der kgl. Artillerieakademie grenzend, präsentierte sich der rohe Bau, dessen Holzkonstruktion überall sichtbar war. Nicht gefahrlos war der Eingang ins Parterre, da man erst ein paar Stufen hinabzusteigen hatte, und im Innern fand man nur eine mäßige Helligkeit, dafür aber meistens einen „garstigen Lampendampf."

zwei Ränge und konnte

Das Theater hatte allenfalls auch

bequem 600—700,

800 Personen fassen; die Bühne war ungemein klein und schien unter Döbbelins erschütterndem Auftreten mehr als einmal in dringender Gefahr." An der Stelle des Theaters der Schuch, Koch, Döbbelin, erhebt sich heute der Prachtbau des Theaters „Unter den Linden", dessen Beschreibung die nachstehenden Zeilen gewidmet find. Schon auf S. 105 (in Nr. 9) hat der „Bär" den Grundriß dieses Theaters und des „Lindenhofes" gebracht. Aus diesem Grundriß ist die Gesamtanlage des Monumental¬ baus ersichtlich. Der letztere ist von den Architekten Fellner und Helmer in Wien, welche bereits über 20 Theater erbaut haben, mit einem Kostenaufwande von 1 300 000 Mark er¬ richtet worden. Die Fassade an der Behrenstraße ist zum größten Teile in Sandstein ausgeführt und im barocken Stil — etwa der 2. Hälfte des vorigen Jahrhunderts entsprechend — gehalten. Zwei je 6 m breite Durchfahrten befinden sich zu beiden Seiten, drei hohe Thüren bilden den Haupteingang. Der Giebel und der Mitteltrakt des Gebäudes sind durch siguralen Schmuck, das Eden vorstellend, geziert. Das Ge¬ bäude ist 57,04 ra lang, 14 ra tief und 20,20 m breit. Das Theater vermag 2500 Personen zu fassen, die Bühne hat 15^/2 rn Tiefe, 20 m Breite und 15 m Lichtöffnung. Diese Zahlen illustrieren am trefflichsten den unermeßlichen Abstand, der sich seit 100 Jahren in den baulichen Verhält¬ nissen der Berliner Theater vollzogen hat. Von einer geradezu hinreißenden Wirkung find Vestibül und Treppenhaus (s. Abb. S. 173), die auf den Ein¬ tretenden durch ihre Formenschönheit und Vornehmheit einen wahrhaft überwältigenden Eindruck machen. Das Theater ist der leichten und gefälligen Kunst gewidmet, und leicht und ge¬ fällig sind seine architektonischen Formen und seine dekorative Plastik. Das Treppenhaus empfängt sein Licht von oben; eine dreiarmige Treppe führt empor und geleitet in ihrem ersten Absatz bis zum Balkon, in ihren beiden anderen Läufen zur Höhe des ersten Ranges. Auf der Brüstung des Balkons hat eine Gruppe von der Hand des Bildhauers Vogl ihren Platz gefunden, welche die leichte und gefällige Kunst verherr¬ Ueber die weitere Einrichtung von Treppenhaus licht. und Vestibül entnehmen wir der bereits erwähnten Fest¬ schrift wörtlich: „Matt kann aus diesem Vestibül un¬ mittelbar zu dem Parkett und den ihm vorliegenden ungemein umfassenden und bequemen Garderobenräumen ge¬

langen; steigen wir jedoch die Treppen hinan und wenden uns nach der Straßenseite, so erreichen wir, indem wir an kleinen lauschigen, in das Vestibül hinabblickenden Balkönen vorbeipassieren, das Foyer und die zu beiden Setten sich an¬ schließenden Restaurationssäle — Räumlichkeiten, die von dem übrigen Etablissement nötigenfalls ganz abgeschlossen werden können. Gewölbt und hoch trägt das Foyer sozusagen einen öffentlichen Charakter, die niedrigeren und geschlosseneren Nebenräume weisen auf engere Geselligkeit hin. Schon hier nehmen wir wahr, daß nur Stofftapeten von Seide, Plüsch u. s. w. zur Verwendung gekommen sind; diese kostbare An¬ ordnung, die die Wärme und Traulichkeit der Räume so ungemein erhöht, ist im ganzen Hause zur Durchführung gelangt. Die Wände der Restaurationsräume sind abwechselnd gelb, blau und rot bekleidet, das Foyer hingegen weist die Grund¬ farben auf, die die Haupttöne in der Farbenstimmung des Hauses bilden: rot, weiß und gold. Von den warm rot ge¬ tönten, durch Goldleisten und Goldornamente gehobenen Wand¬ flächen hebt sich die in weiß und gold gehaliene Decke zart und wirkungsvoll ab." Eine originelle Einrichtung des Theaters „Unter den Linden" ist das sog. Promenoir. In stattlicher Breite zieht sich nämlich hinter den Sitzen des ersten Ranges, mit dem er durch große von Karyatiden getragene Bogen in Verbindung steht, rings um den ganzen Theaterraum ein Wandelgang, der wiederum an den Wänden und in den Teppichen das satteste Rot, an der mit duftigen Stuckornamenten gezierten Decke goldgetöntes Weiß ausweist und eine ungemein geschloffene Farbenstimmung hat. Dieses Promenoir. das freilich nur einen unvollkommenen Ausblick auf die Bühne darbietet, er¬ möglicht es den Besuchern, während der Vorstellung auf- und abzuwandeln. Aufgestellte Büffets laden zur Einnahme von Erfrischungen ein.

Der Theaterraum ist zweifellos der schönste, Berlin aufzuweisen Hai. Ungemeine Geräumigkeit und quemlichkeit,

den

Be¬ eine seltene Harmonie der Formen und Farben

vereinigen sich zu einem Ganzen, welches bei allem Reichtum und bei aller Pracht doch fern von jeder Uebcrladung und jeder Uebertreibung ist. Ueber die weitere Ausstattung des Theaterraumes heißt es a. a. O.: „Die Polsterungen der Sessel und der Logenbrüstungen, die Teppiche, die die Fu߬ böden bedecken, die Stofftapcien im Parkett und am Balkon sind tiefrot, die Logenbrüstungen selbst, die Wände des ersten Ranges und der Plafond leuchtend weiß mit goldenen Orna¬ menten und Leisten. Der Plafond erhielt eine besondere Zierde durch ein in lebhaften Farben ausgeführtes Gemälde des Wiener Meisters Veith, das in bewegten Gestalten die Geister der leichten Kunst und des Humors, die Harlekine und neckischen Kobolde durchs Brandenburger Thor unter die „Linden" einziehend zeigt. Ein gewaltiger prachtvoller Lüstre und zahlreiche, von zierlichen Kindergestalten getragene Glüh¬ lampen an den Brüstungen der Ränge dienen den Zwecken der Beleuchtung. Aber rings um den Plafond dringt durch acht Rundfenster auch das Tageslicht herein, und alle diese Strahlen werden beiderseitig durch je drei mächtige Spiegelfenster aufgefangen und zurückgeworfen. Der Zuschauerraum ist halbkreisförmig und hat eine lichte Breite von etwa 26 m. Im Mittel des Parketts, das im Ganzen 800 Plätze enthält, ist er für Fauteuils und Sperrsitze, an der Peripherie für

-« zwei große Proszeniumslogen und für Tischsitzplütze in Nischen

ausgenutzt, indem man auch hier Knnstinstiiul und gesellschaft¬ liches Behagen zu vereinigen bemüht

In

der

gleichen Vornehmheit

war." sind die übrigen Räume

Der gewaltige Znschauerraum enthält nur zwei weitgeschweifte Ränge. „Diese verschwenderische Raumeinieilung hat eine derariige Anordnung der Plätze er¬ möglicht, daß man von allen Punkten des Saales aus eine des Theaters gehalten.

,

vollkommene und bequeme Uebersichr der Bühne genießt. In mäßiger Höhe über dem Parkett liegt der Balkon, so daß es — ähnlich wie bei den Subskripiionsbällen im König!. Opern¬ hause — möglich sein wird, aus ihm und dem Parkett einen einzigen gewaliigen Ballsaal von seltener Schönheit zu machen. Der Balkon enthält 32 Normallogen, hinter denen sich im Fond des Saales Promenadenräume und Speiselokalitäten befinden, von welchen aus man den Vorstellungen beiwohnen, wo man auch während derselben soupieren kann. Die vorderen Normallogen sind nur mit niederen Boxeswänden unter sich und vom Gange abgetrennt — eine Einrichtung, die sich im ersten Range wiederholt und den Ausblick über den gesamten Raum wesentlich erleichtert. An den beiden Enden des Balkons gegen die Bühne sind zwei große Logen angebracht, von denen die (vom Zuschauer aus gerechnet) linke die Kaiser¬ loge ist. Zu ihr führt eine besondere in hellen Farben ge¬ haltene Prachttreppe, von der man zunächst in einen Vorraum gelangt; dann einen Salon passierend, betritt man die Hofloge Diese Räume sind besonders vornehm ausgestattet selbst. worden, die Wände sind hier mit tiefrotem Seidenstoffe be¬ kleidet, in den das Hohenzollernwappen eingewebt ist. Von der höchsten Schönheit aber ist der Theaterraum im ersten Range, über dem in reizvollster architektonischer An¬ ordnung der Bau zur Höhe des Plafonds emporsteigt. Es öffnen sich nämlich nach dem Promenoir hin acht mächtige Bogen, getragen von einer Reihe Karyatiden. Die Figuren stellen einen Germanen, einen Indianer, einen Neger, einen Araber, einen Japaner und einen Schlangenbändiger in der Bethätigung ihrer Kraft oder Geschicklichkeit dar. Der erste Rang selbst enthält beiderseitig Logen und im Fond Sitzreihen, die alle in unmiitelbarer Verbindung mit dem Wintergarten stehen.

Eine besondere Erwähnung verdienen die Einrichtungen, die zur schnellen und bequemen Entleerung des Hauses ge¬ troffen sind und die nicht allein die polizeilichen Anforderungen, sondern wohl alle bezüglichen Berliner Schöpfungen übertreffen. Im Balkon mündet sowohl der innere Gang hinter den

Normallogen, als auch der äußere eigentliche Gang zu den Ausgängen nach drei Seiten; das Promenoir öffnet sich zu beiden Seiten nach den Nebentreppen, nach vorn zur Haupt¬ treppe und zum Foyer. Eine dezentrale Entleerung des Hauses ist nach drei Seiten hin zulässig, die seitlichen Aus¬ gänge finden rechts direkt ihre Fortsetzung über den Hof nach der Behrenstraße und indirekt nach den Linden, links durch die Passage sowohl nach der Behrenstraße als nach den Linden. Das schwierige Problem der Akustik ist auf glückliche Weise zu lösen versucht worden, indem man den Zuschauer¬ raum als einen muschelförmigen Schallfänger konstruiert hat." Zum Schluffe noch einige Worte über die Bühne. Nach dem Muster von Bayreuth ist das Orchester tief gelegt worden und somit vom Zuschauerraum aus unsichtbar. „Dies hat

174 zur Folge, daß der Ausblick auf die Bühne durchaus un¬ behindert ist und die Vorgänge auf ihr dem Publikum so nahe als möglich gebracht werden. Dazu tragen auch die Größenverhältniffe des Bühnenraumes bei. der weniger tief, als breit ist. Zu seinen beiden Seiten sind im Souterrain, Parterre und in drei Stockwerken die Requisitionsdepots, Garderoben und Ankleidezimmer angebracht, die neuesten theatermaschinellen Errungenschaften sind natürlich zur Ver¬ wendung gelangt. Sehr .eigentümlich sind die beiden Vorhänge. Dem eisernen Vorhänge, der so konstruiert werden mußte, daß er 90 kbm per Quadratmeter Luftdruck aushält, hat man durch ein neues Verfahren sein unfreundliches Aussehen genommen, indem man ihm mit einem teppicharligen Flächenmuster be¬ deckte. Wenn er sich hebt, so wird man durch den Farbenreiz des zweiten Vorhanges überrascht, der wiederum auf eigene Art (Oelfarben auf Asbest) behandelt ist. Maler Seliger hat hier die heitere Gesellschaft Friedrichs des Großen in Rheinsberg dargestellt, wie er inmitten seiner Umgebung sich an Tanzkunst und Musik erfreut, und er hat damit einen sehr lebendigen Eindruck erzielt." Diese kurze Beschreibung wird genügen, um in dem Leser die Ueberzeugung wachzurufen, daß der Prachtbau, der vor einigen Monaten in der Behrenstraße seine Pforten geöffnet hat, eine der ersten Sehenswürdigkeiten der deutschen Reichshauptstadt ist. Die nahe liegende Frage, ob ein solcher Prachtbau nicht zu schade ist für das im Theater „Unter den Linden" gepflegte leichte Kunstgenre, ob nicht, gegenüber dem gewaltigen architektonischen Aufschwünge, der zwischen Schuch und Ronacher liegt, ein bedeutender Niedergang in Bezug auf das künstlerisch an derselben Stätte Gebotene zu konstatieren ist, ein Niedergang, zu dessen Charakteristik nur an den gewaliigen Abstand zu erinnern ist, der zwischen Lesfings „Minna" und dem Ballet „Die Sirenen-Jnsel" liegt — diese Frage wollen wir hier, wo wir es nur mit dem Gebäude des Theaters „Unter den Linden" zu thun haben, unerörtert und unbeantwortet lassen. Jedenfalls ist es tief bedauerlich, daß die Gebrüder Ronachör das so großartig angelegte Unternehmen ohne die erforderlichen Mittel übernommen haben, und daß auch an diesen Prachtbau sich die Flüche und Ver¬ wünschungen vieler Handwerker und Lieferanten knüpfen.

E.

Mönch Hermann von Kehnin. Ein märkischer Sang von M. tj. Krrrtz. (12. Fortsetzung.)

Im

hohen Grimnitzschloffe

Der Jubel heut nicht fehlt, Dieweil zum Erzbischöfe Herr Erich ward erwählt. Wie in vergangnen Tagen Scholl süßer Harfenklang, Von minniglichen Liedern Es tönend wiederklang. Doch Markgraf Otto schauet Zuletzt enttäuscht darein:

Gr.

« „Wo weilet Hermann Pritzwalk, Wo mag mein Treuer sein? Weiß niemand, wo er weilet?" Die Herren schweigen all, Da tritt der Vielbegehrte

Gar plötzlich in

den

Saal.

Herr Otto aber grüßet Ihn mit erschreckiem Blick: „Um Gott, was ist geschehen? Verkünde Dein Geschick!" Was ist Dir, Hermann Pritzwalk?" Doch Hermann fährt empor:

„„Nennt also nichl den Findling, Der Lieb und Glück verlor!"" Dann nimmt er eine Harfe, Stimmt recht mit Fleiß daran. Schlägt leise in die Sailen, Und klagend er begann:

„„Ich bin der Aermsten einer, Den je die Welt gekannt, Ich trage keinen Namen, Ich hab kein Vaterland. Der Vogel unterm Himinel Besitzt sein Nest im Feld, Ich steh allein, verlassen Von aller, aller Welt. Geht über leichte Blüten

Der Sturm im wilden Lauf, So blühn am nächsten Morgen Viel andre, schönere auf. Doch meine Herzensblüten,

Die traf der Sturmwind schwer, Aus der geknickten Wurzel Treibt keine Blume mehr. Laßt zu der Kinderheimat Den Namenlosen ziehn, Dort soll das Weh mir heilen Die Zelle in Lehnin. Nicht mehr kann ich hier weilen, Mich traf zu tief der Schmerz. Dir. Otto mit dem Pfeile, Leg ich das Wort ans Herz:

Im

Kampfe der Parteien Gethan wird mancher Streich. Doch über ihnen stehet Das heil'ge, röm'sche Reich.

Und schwingest Du im Kampfe Die ritterliche Wehr, Halt fest in allen Tagen Des Deutschen Reiches Ehr'. Und sorg, daß dran Erinn'rung Nie in der Mark verblüht! — Lebt alle wohl, gesungen Hab ich mein Schwanenlied.""

175

e-Mönch Hermann.

Der Herbst die grauen Nebel braut, Gen Süd die Vögel flogen, Die Blüte sank vom Heidekraut, Drauf weiße Fäden zogen. Es schüttelt klagend sich der Baum, Er weiß sich nicht zu finden. Vorüber Lenz und Frühlingstraum, Er giebt das Laub den Winden. Der Himmel legt sich schwer und grau Wohl tief zur Erde nieder. Ein Schauern gehl durch Feld und Au; Wer singet jetzt noch Lieder? Und was geblüht im sonn'gen Mai, Fährt wirbelnd durch die Runde, In stiller Luft nicht Ruf noch Schrei. Wie Schleier liegts im Grunde.

Im

Klostergarten von Lehnin

Die Blätter wehn im Winde, Ein junger Mönch geht drüber hin, Er lehnt sich an die Linde. Einst glich er einem stolzen Baum Auf blütenreicher Stätte, — Vorüber Lenz und Frühlingstraum — Das Glöcklein ruft zur Mette. Nun schreitet langsam er hinab. Geht in die Kirch hinüber, Dort, vorm Altar das offne Grab Mahnt an den Tod die Brüder. Die ewge Lampe brennet trüb, Mönch Hermann leise schauert — Sie singen von der ewgen Lieb, Die alles überdauert.

*

*

*

Burg Dochow. Burg Dochow schaut ins Land hinein, Da tönen Pauken und Schalmein, Es klingen da Trompet' und Geigen, Der Burgherr tanzt den Hochzeitsreigen Und schaut so froh, so voller Lust, Es schwillt ihm Stolz und Glück die Brust. Ruth Ehrenreich in seinem Arm, So blaß und bleich, daß Gott erbarm, Sie blicket nicht, wie eine Braut. Die fröhlich in die Zukunft schaut, Und der im grünen Ehrenkranz Die Zukunft lacht im goldnen Glanz. — Es kamen heut von nah und fern schöne Frau'n, viel edle Herr'n, Der Markgraf selbst ritt zu dem Schloß Mit des Gefolges ganzem Troß. Da ward gescherzt, gelacht, geschmaust. Durchs ganze Haus der Jubel braust

Viel

Und jedermann, der heute kam. Preist selig wohl den Bräutigam, So stolz sein Schloß, sein Land so reich.

-8

Der Braut an Schönheit keine gleich. „Der Himmel Dochows Glück bewahr," So jauchzet laut der Gäste Schar.

In

Römern glüht und perlt der Wein,

Die Edelknaben schenken ein, Die Damen nippen, thun Bescheid, Da werden alle Herzen weit.

In

Freude hebt sich jede Brust, Und jeder Blick erglänzt in Lust, Und heller alle Augen glühn, Wer erst gezagr, wird frei und kühn. Der Ritter, der im Herzen lang Einst seine Minne schüchtern zwang,

Heut flüstert er mit Schmeichelton Der Liebsten in das Ohr sie schon, Und welche Maid sonst scheu und spröde,

Jed' Liebeswort zurückewies, Heut lauscht

Bis

sie seiner süßen

Rede,

er sich däucht im Paradies.

Ruth Ehrenreich, die Braut allein, Gleicht einem Bild aus Marmelstein, Und wessen Arm sie auch umschlingt Erkältend's durch das Herze dringt, So unbeweglich starr sie blickt,

Als wäre

sie der

Welt entrückt.

Der Tag fich neigt, schon steigt die Nacht, Doch heller wird die Lust entfacht, Der Saal von roten Fackeln flammt, Es knistert Seide, rauschet Sammt. Und edle Frauen schön und hold, Geschmückt mit Edelstein und Gold Und stolze Ritter, schlank und fein. Sie drehen wirbelnd sich im Reih'n. Der Bräutgain beugt mit edlem Sinn Sich vor der schönen Markgräfin, Trompet' und Hörner schmettern laut, Der Markgraf führt die bleiche Braut.

Inmitten fich der Gäste drehn Zwölf Edelknaben jung und schön. schmucke Schar Paar. junge Ums neuvermählte, In eines jeden Händen loht

Gar zierlich kreist die

Wohl eine Fackel purpurrot.

176

frDer KrrnemAler und sein Meid. Ein Stück märkischer Geschichte von Rudolf Gckert. (5. Fortsetzung.)

Ein leises Knacken eines Astes unterbrach sein Selbst¬ seine Wangen glühten, jeder Nerv seines Körpers war von innerer Erregung angespannt. Hastig richtete er sich auf und spähte den Fußpfad entlang, der durch den Wald weiterführte. Indes so sehr er auch sein Auge anstrengte, vermochte er doch nichts zu sehen. Schließlich stand er auf und verfolgte den Steig weiter, der zwischen mächtigen Eichen gespräch,

auf der Höhe entlang führte. Da knackte wieder ein Ast zu seiner Rechten im Walde. Wieder blieb er stehen, gespannt aufhorchend. Doch nichts rührte sich. Vorsichtig sah er sich nach allen Seiten spähend um. Erst als er sich überzeugt, daß niemand in der Nähe war, und kein Lauscher ihn beobachte, ließ er den Schrei Rechts vom des Pirols ertönen, den er pfeifend nachahmte. eine zweite antwortete Thalsenkung Pfade tief unten in der

Pirolstimme.

Martin Geisler zögerte noch, den Weg zu verlassen. Sollte ihn der Vogel wieder äffen wie vorhin? Nach einer kurzen Weile wiederholte er den Pfiff; wieder wurde derselbe von derselben Stelle aus schnell zurückgegeben.

Zugleich verrieten knackende Aeste, daß sich ihm jemand nähere. Nun eilte er dem Schall der Schritte, so schnell es ihm Es war keine leichte Aufgabe, sein Alter erlaubte, entgegen. Geäst und Gestrüpp hindurch verworrene wild sich durch dieses Wurzeln von Eichen hervorragende zu winden; knorrige, hoch

und Buchen hemmten ihm den Schritt. Endlich schimmerte ein weißliches Gewand aus dem Waldesdunkel hervor. Nur wenige Schritte noch, und er stand dem Ankömmling gegenüber. Es war eine hochgewachsene, männliche Erscheinung von etwa 28 Jahren. Der junge Mann trug das grobe und mit Mehl bestreute Gewand der Müllerknechte, ein blonder Schnurr¬ bart kräuselte sich über der Lippe, sein Wesen und seine Haltung wie seine geistvollen Züge verrieten, daß er gewöhnt war, andere und bessere Kleidung zu tragen und, daß er nur zu diesem Stelldichein diese Verkleidung angenommen hatte. Endlich waren sie beide dicht bei einander angelangt. „Gott zum Gruß, Tewes Müller", rief ihm Martin Geisler schon von weitem entgegen und streckte ihm freudigen Antlitzes beide Hände zur Begrüßung hin. „Ich freue mich, daß Ihr wohlbehalten bis hierher gelangt seid." „Ja, Gott sei Dank, bis hierher ist alles gut gegangen, Herr Hofmeister, wenn ich nur erst wieder hinaus wäre, aus

Wie schwingen sie da Glut und Glanz Helleuchtend zu dem Ehrentanz.

der Brandenburger Lande." „Was machen Euer Vater und Eure Mutter?" „O, edler Herr, was sollen arme Flüchtlinge machen?

Längst ziehn am Himmel Mond und Stern, Da winkt der Markgraf seinen Herr'n, Da winket er Trompet' und Geigen

Trauernden Sinnes sitzen sie drüben im Pommerland, im Städtlein Garz und harren auf bessere Zeiten. Euer Schreiben, daß mich hierher berief, hat sie erst recht trübe und unmutig gestimmt." „Aber wie so das? Ich meldete Euch doch frohe Bot¬

Und heißet sie für heute schweigen,

Drauf zieht

er mit dem ganzen

Troß

Gen Belzig auf das Grafenschloß. (Fortsetzung folgt.)

schaft." wegen der Mühle wohl, aber das andere." „Allerdings, das ist leider wahr. Armer Freund, das mag Euch wohl hart ankommen. Drei unschuldige Menschen¬

„Ja.

Euretwillen drückt nieder!" kinder

um

dem

Flammentode

übergeben,

das

-

,

Weile still.

Der Glaube an eine im Hause zuweilen umgehende Ahnfrau war nur mit Angenehmem verknüpft, da ihr Er¬ scheinen immer Gutes bedeuten sollte.

In

der Zeit, da die Franzosen als Feinde in Marquardt waren, wurde an die Thür, welche zu der Treppe nach Küche und Keller führte, mit weißer Farbe geschrieben: „La clef

est dans la commode.“ Hinter dieser Treppe war seitwärts in der dicken Mauer die Thür, durch welche man zu einer Treppe nach dem unter dem oberen Keller liegenden ge¬ wölbten Weinkeller kam. Man hatte durch einen hoch aus¬ geschütteten Haufen Holzkloben am Mauerpfeiler vor der Thür diese ganz unauffällig verdeckt, und so wurde der wertvolle Inhalt des Weinkellers gerettet. Die Großmutter war in der Zeit mit ihren Kindern in Potsdam, in ihrem Hause in der Mammonstraße, welches jetzt dem Offizierkorps des Ersten Garde-Regiments gehört. Dem dort mit seinem Stabe einquartierten französischen General überließ die Großmutter die ganze obere Etage, die Gesell¬ schaftszimmer. Am ersten Tage kam der General, welcher die Truppen in der Umgegend befehligte, ihr einen Besuch zu machen und seine Zufriedenheit auszusprechen. Da sie gerade bei der Toilette war, so schickte sie ihre älteste, zehnjährige Tochter, die fertig französisch sprach, ihn zu empfangen. Die Kleine eutledigte sich sehr niedlich ihres Auftrages, und da der alte Herr sehr freundlich zu ihr war, so klagte sie ihm, daß an demselben Morgen ein Bote aus Marquardt gekommen sei, der mit Schrecken meldete, wie die Franzosen die ganze

Die fortgetrieben hätten. Art, in welcher die kleine Luitgarde dies sagte, gefiel dem General so, daß er sogleich den Befehl nach Marquardt sandte, die ganze Kuhherde'nach Potsdam zu bringen in den Garten

schöne

Kuhherde

genommen und

des Bischoffwerderschen Hauses.

-H3

225

Noch während mein Onkel bei den Gardes du Corps in Potsdam stand, ließ er das Innere der Marquardter Kirche

Der Pastor restaurieren, und gab derselben eine Orgel. Stieberitz war ein Original, ein höchst einfach lebender und sich benehmender Mann, der immer gut gegen seine Pfarrhohem Alter emeritiert, zog er nach Biesen¬ kinder war. thal, wo sein Sohn Superintendent war. Seine erste Amts¬

In

handlung verrichtete er in Marquardt in Gegenwart des Königs Friedrich Wilhelm H., der als Pate meinen Onkel von Bischoffwerder über die Taufe hielt. Seine letzte Amts¬ handlung geschah in Gegenwart des Königs Friedrich Wilhelms IV. beim Begräbnis der Stiefschwester meines Onkels, des Fräuleins von Bischoffwerder. Dieselbe war Hofdame der Gemahlin Friedrich Wilhelm II. gewesen; sie behielt Wohnung im König¬ lichen Schlöffe in Berlin, im Sommer in Monbijou, und wurde von allen Kindern Friedrich Wilhelms III. geliebt und oft um Rat gefragt. Die Großherzogin Alexandrine

&

-

standen.

Das war immer eine Freude für uns. — Später

wurde auf demselben Wege die Chaussee nach Nauen gebaut. Vor der Rückseite des Herrenhauses stand ein großer Kastanienbaum mit einer Bank um den Stamm, daneben eine Sonnenuhr und eine hohe Stange mit der Aufschrift: „Tivoli." Eine hohe Wippe und Schaukel befanden sich da, und weiter¬ hin. nach der dort offenen Parkseite gerichtet, stand eine Kanone, ein Geschenk Friedrich Wilhelms II.

Sehr angenehm war der mit hohem Schilf umgebene Badeplatz in der Wublitz. Vom Saal und dem großen Perron aus konnten wir, über einen großen Rasenplatz hinweg, die Landstraße sehen, und beobachten, ob Besuch kam. was oft geschah, da Potsdam

nur eine kleine Meile ent¬ fernt ist. Die Chaussee führt am Ruinenberg, an Bornstedt und Bornim vorüber. An den Geburtstagen Friedrich ’

Wilhelms zubrachte,

Hl.,

die er in Paretz

kamen

viele hohe

Offiziere nach ihrer Gratulation auf dem Rückwege nach Marquardt, wo dann ein großer, glänzender Kreis ver¬ sammelt war.

von Mecklenburg-Schwerin sprach in Heiligendamm mit großer Herzlichkeit von ihr zu meiner Cousine Caroline, und Prinzeß Charlotte blieb auch als Kaiserin von Rußland ihre treue Gönnerin. Friedrich

In der nächsten Umgebung waren mehrere Anhöhen mit Wäldchen von Fichten und Kiefern mit Birken eingefaßt Wilhelm IV. zeigte sich in und mit einem kleinen Wall Marquardt sehr betrübt über umgeben; auch ein kleines Ge¬ ihren Tod; er ging mit hölz von schönen Tannen auf hinunter in die kleine Familien¬ Wiesengrund trat angenehm gruft, welche nachher geschlossen Auf dem halben Wege hervor. wurde, da nun kein Platz Marquardt nach Paaren, von mehr darin war. das auch meinem Oitkel von Eine kleine Büchse, eine Bon¬ Bischoffwerder gehörte, und bonniere, welche die Famllie, nahe an der Wublitz. an in deren Besitz sie ist, vor welcher der tiefere, besonders Unglück bewahren soll, ein des Parkes liegt, Teil schöne Geschenk der Kaiserin von Dr. Karrgertrans, Fahrweg nach der führte ein Rußland an die Stiefschwester der neugewählte Stadtverordneten-Vorsteher von Berlin. (S. 226.) Fähre, auf der man nach meines Onkels, ist jetzt im hinüber fuhr. Diesseits Uetz Besitz seiner zweiten Tochter kleiner Berg, der bewachsener Schonung Pauline, welche als Witwe des Rittergutsbesitzers von Damnitz lag ein mit dichter Turm stand, von einem mit Pavillon in Schweidnitz lebt. Die dritte und jüngste Tochter meines Hasselberg, auf dem ein Onkels, Anna, war mit dem Sohn ihres Schwagers, dem Rittergutsbesitzer Ferdinand von Damnitz, verheiratet, und starb als Mutter von acht Kindern in Sternalitz in Ober¬ schlesien.

im Marquardter Park, dessen Wege durch zwei täglich darin beschäftigte Frauen immer sehr ordentlich gehalten wurden. An der einen Park¬ ecke, die mit Feldsteinen hoch ummauert war. saßen wir oft

Oft

denke ich an alle die hübschen Plätze

unter dem großen Parasol von Eisenblech, unter welchem sich ein Tisch befand, während an den Seiten Bänke standen. Dorr begrüßten wir immer den König Friedrich Wilhelm III. und die Fürstin Liegnitz, wenn sie auf einem einfachen Korbwagen nach Paretz fuhren, da an der Stelle dann Relais-Pferde

und sieben Dörfer sehen konnte. Später verfiel der Pavillon und wurde schließlich abgebrochen.

dem aus man drei Städte

Jahre 1848 war Marquardt eine Zuflucht auch für mich. Ich hatte mich einige Jahre vorher verheiratet, und mein Mann, der Professor an der Berliner Universität war, brachte meine Cousine Caroline mit ihren beiden Töchtern aus der ersten Ehe ihres Mannes und mich mit meinem Sohne am 20. März dorthin. Als die Truppen aus Berlin ausmarschieren mußten, bekam mein Onkel bald darauf den Befehl, mit dem GardeKürasster-Regiment, dessen Kommandeur er damals war, nach Marquardt zu reiten und seine beiden Güter als Kantonnements zu beziehen. Man kann sich wohl denken, wie groß unser

Im

—■a

aller Freude darüber war.

In

226

Marquardt blieb mein Onkel

Sieben Regimeutsstabe und einer Schwadron. Offiziere wohnten im Hause, das noch vom Winter her ver¬ schlossen gewesen war, und wo sie deshalb zuerst sehr genügsam sein mußten, da zugleich wir alle, Frauen und Kinder, an¬ gekommen waren, und alle untergebracht werden mußten. In den Tagen bewährte es sich wieder, wie schön es ist, wenn eine Gutsherrschafl in freundlichem, treu sorgendem Verkehr mit den Dorfbewohnern steht. Als mein Onkel mit seinen Offizieren auf den Hof geritten kam, da fanden sich alle Bauern und Knechte zur Begrüßung ein. Sie nahmen die Soldaten mit Freude auf und versicherten, daß wir alle in ihrer Mitte sicher seien. Wenn Aufwiegler und Aufrührer sich dahin wagen sollten, so würden sie gehörig zurückgewiesen

mit dem

werden.

An demselben Tage kam ein Offizier in Civil und über¬ brachte meinem Onkel die Aufforderung, in der nächsten Nacht einen Herrn und eine Dame aufzunehmen, welche unter dem Namen von Herrn und Frau von Schleinitz über Marquardt Es war unser hochverehrter Kaiser Wilhelm I., reisen wollten. welcher in der drangsalvollen Zeit, wie man weiß, als Prinz von Preußen jenen Namen auf seiner Reise nach England annahm. Die Herrschaften wurden in Marquardt vergebens erwartet, und am anderen Morgen kam die Nachricht, daß die¬ selben die Nacht durch weiter gerefft seien.

Sieben Wochen blieb das Regiment da, und alle haben später noch gern an diese Zeit zurückgedacht, die eine angenehme Ruhe und Erholung nach den erschütternden Märztagen in Berlin mar.

Viele Besuche des Königs Friedrich Wilhelm IV. galten in späterer Zeit einem kleinen Waisenhause, welches im unteren

fr

-

Der junge Teile des Parkes sehr hübsch am See lag. Prediger brachte arme, junge Mädchen dahin, wo sie unter der Obhut einer früheren Diakonissin zu Dienstmädchen auf dem Lande für den Kreis erzogen wurden. Die Familie von Bischoffwerder und die Damen des Kreises gaben be¬ stimmte jährliche Beiträge; auch viele Bürger von Potsdam unterstützten es durch allerlei Sendungen aus ihren Geschäften, und von der Gutsherrschaft wurden viele Lebensmittel ge¬ geben. Zur kirchlichen Einweihung ging der König mit seiner Begleitung erst in die Kirche, und dann mit der Familie von Bischoffwerder, nach Einnahme eines Frühstücks, durch den Park zum kleinen Waisenhause Bethesda. Damals war Friedrich Wilhelm IV. noch gesund; aber auch bis in seine letzte Lebenszeit war Marquardt oft das Ziel seiner längeren Fahrten mit der Königin Elisabeth von Potsdam aus. Sie fuhren dann durch den Park auf den Fußwegen nach Bethesda, für das sie sich sehr interessierten. Als Marquardt in andere Hände überging, wurde das Haus nicht mehr dem Zweck gelassen, und unter dem Protektorat der Königin eine Anstalt auf dem Felde bei Bornim gebaut. Nach dem Tode meines Oheims und meiner Tante über¬

nahmen

die

zweite

Tochter

und

deren

Gatte

das

liebe

Marquardt. Während sie es besaßen, ließ die Kaiserin Friedrich als Kronprinzessin Frau von Damnitz bitten, daß der kleine Prinz Wilhelm, unser jetziger Kaiser, täglich im Park herumgetragen werden könne, was dann zur großen Freude meiner Cousine längere Zeit geschah. Der kleine Prinz kannte sie bald sehr gut und freute sich, wenn sie zu ihm trat. Seit seinem Besitzwechsel war ich nicht in Marquardt; ich kenne es nur so, wie es früher war, und wie es in meiner Erinnerung lebt.

Kleine W Paul Laugerhans,

der neugewählte StadtverordnetenDr. Vorsteher von Berlin, ist ein geborener Berliner und hat seit 1843 seinen dauernden Wohnsitz in Berlin. Dr. Langerhans erblickte am 25. Mai 1820 dar Licht der Welt, besuchte das Gymnasium zum Grauen Kloster und studierte in Berlin Medizin. Neben seiner ausgedehnten ärztlichen Praxis beschäftigten ihn die öffentlichen Angelegenheiten in umfangreichem Maße. Dem preußischen Abgeordnetenhause und der Berliner StadtverordnetenVersammlung gehört er seit 18 Jahren als Mitglied an. der letzteren bekleidete er bisher das Amt des stellvertretenden Vorstehers und wurde am 5. Januar d. mit großer Majorität als Nachfolger des Dr. Stryck zum eigentlichen Vorsteher gewählt. Nicht unerwähnt dürfen hier seine Verdienste um dar Genossenschaftswesen bleiben: er ist Mitbegründer der Luisenstädtischen Volksbank und der Genossenschaftsbank für Deutschland. Im Amte deS stellvertretenden Vorstehers ist ihm Dr, Alexander Meyer — rg.— gefolgt.

In

I.

Uurli Einmal die glonfhird}E ju SeegEfeld.

Zu

dem Aufsatz in Nr. 50 des vorigen Jahrganges, der die interessante Kirche in dem benachbarten Seegefeld schilderte, bin ich dank der Bemühungen deS Herrn Predigers Richter in Falkenhagen, der eingehende Forschungen über dieselbe angestellt hat, in der Lage, einige Nachträge zu geben, die über die seltsame Grundrißanordnung ganz ungeahnte Ausschlüsse ergeben. ES stellt sich darnach heraus, daß die kreuzförmige Anlage nicht ursprünglich, sondern erst durch spätere Anbauten, wahrscheinlich in der ersten Hälfte de« vorigen Jahrhunderts, entstanden ist. Dadurch wird eine alte Tradition, die in dem Dorfe noch heute lebendig ist, bestätigt. Höchst wahrscheinlich sind aber die Kreuzarme nicht zugleich, sondern nacheinander erbaut; denn die Kirchenrechnungen, die bis 1658 zurückgehen, sagen, daß 1727 ein großer Bau an der Kirche für 508 Thlr. 18 Gr. gewesen ist, und ferner, daß 18 000 Mauersteine im Jahre 1740 gekauft sind. 1742 sind noch 286 Thlr. 21 Gr. 9 Pf. in Rechnung gestellt. Die abgetreppten Giebel sind gar erst 1828 aufgesetzt, was mündliche Ueberlieferung und eine Rechnung von diesem Jahre über 373 Thlr. 8 Gr. 9 Pf. belegen. Wie sich aus der Abbildung in Nr. 50 erkennen läßt, sind Flügel und Schiff heule mit Mörtel bedeckt, was ein Vergleichen der Mauerwerks mit dem

des sicher alten Turmes verhindert. Ist also die Entwickelungsgeschichte der Kirche nicht mehr so Dunkel, wie eS in dem Aufsatz in Nr. 50 behauptet wurde, so hat sie andererseits nichts von dem Interesse verloren, daS ihre seltsame Grundrißgestaltung erregt. R. M.

„UnsEV ZViff" und dEV IrlEinE DEsEvtEUu. ES war im Herbst deS Jahres 1871, als wir Zöglinge der damals noch in Berlin in der Neuen Friedrichstraße befindlichen Haupt-Kadetten-Anstalt kurz vor Schluß des KlasienunterrichtS alarmiert wurden. Lehrer und Bücher im Stiche lassend, eilten wir, so schnell uns unsere Füße tragen konnten, auf den Hof, um zu erfahren, daß Se. Kaiserliche Hoheit der Kronprinz und spätere Kaiser Friedrich, der in Begleitung seines englischen Schwagers, des Prinzen von Wales, dem Kadetten-KorpS den ersten Besuch nach dem Kriege abstattete, und seinem hohen Gaste seine „ZukunflSmarschälle" präsentieren wollte. — Mit großer Geschwindigkeit wurden die inzwischen von den Aufwärtern herbeigeschafiten Parade-Uniformen in Stand gesetzt, und ehe die hohen Herrschaften es sich versahen, standen wir, 7 Kompagnien stark, in Linie, mit der Front nach dem Lehrgebäude auf dem zweiten Hofe, den bald darauf die beiden Prinzen, von unserem KorpS-Kommandeur, Oberst deS BarreS geführt, betraten. DaS Abschreiten der Front nahm eine sehr lange Zeit in Anspruch, da der Kronprinz ver¬ schiedene Kadetten noch von Potsdam her kannte und sie durch eine An¬ sprache ehrte, anderen aber, die damals in Folge deS Krieges von der „Penne" (meist Realgymnasium) gleich in die Central-Anstalt eingetreten und demnach meist in einer der Vor-Anstalten erzogen waren, die Gelegen¬ heit gab, sich vor seinem Schwager auch als Engländer zu zeigen. Ganz besonders lange verweilten die Herren vor dem Primaner E. der „Unserm Fritz ganz ausführlich seine „Kriegsabenteuer" erzählen mußte, die freilich wenig ruhmvoll waren. — Bewußter „Schlot" (Taugenichts) war nämlich gleich nach dem Ausbruch der Krieges desertiert, d. h. von dem HundStagSUrlaub nicht nach dem Korps zurückgekehrt, sondern auf eigene Faust nach dem Schlachfelde durchgebrannt und nachdem der Versuch, sich bei irgend einem Regimente als Avantageur einstellen zu lasien, mißlungen war, trieb er sich, in der Uniform eines gefallenen Fähnrichs den Verwundeten mar¬ kierend, im Lande umher und schloß sich bald diesem, bald jenem Verdeutsch-französischen

--6 wundeten-TranSporte an, bis ihn endlich auf einem Bahnhöfe einer rheinischen Garnisonstadt sein Schicksal ereilte, wo er im Wartesaal II. Klaffe sich von den Reisenden traktieren ließ und mit seinen erdachten Heldenthaten furchtbar renommierte. Einem Offizier, der aus seinen Achselstücken dieselbe Nummer wie der Pseudo - Blessierte aus seinen Achselklappen trug, kam die Sache mit dem noch sehr jungen Baterlandsverteidiger verdächtig vor. Er erkun¬ digte sich bei dem „Fähnrich" nach diesem oder jenem Kameraden des Regiments, und nachdem der Lieutenant seinen Verdacht bestätigt fand und sicher zu sein glaubte, daß das Bürschchen mit dem weit und breit ge¬ suchten Kadettchen identisch sei, bat er diesen um seine Legitimation, und als das Jüngelchen seine Papiere verloren haben wollte und dem Offizier nach dem Stations-Kommando folgen sollte, nahm es reißaur. Aber so fix der ani Bein durch einen Granatschuß verwundet sein wollende E. auch lief, wurde er doch eingeholt und per Schub ins Korps zurückgebracht, wo er sein Abenteuer mit 3 Tagen Arrest büßen mußte. — Diese seine Erlebniffe mußte er jetzt dem Kronprinzen haarklein berichten, der ihm schmunzelnd zuhörte und ihn durch allerlei Kreuz- und Querfragen ein über das andere Mal in große Verlegenheit brachte, schließlich aber sagte, daß, wenn E. aus purem Thatendrange auch einmal schwer gesündigt hätte, ihm die Geschichte später in der Armee nicht allzu sehr angerechnet werden würde. „Nach Papa Wrangel", so tröstete der Sieger von Wörth dem über seinen dummen Streich zu Krokodillthränen gerührten Miffethäter inS Ohr flüsternd, „ist «in Kadett ohne Arrest ja wie ein Hund ohne Schwanz", und als E. darauf laut auflachte, meinte der Kronprinz, mit dem Finger drohend „aber nicht weiter sagen!" 21. 21.

Das oirsle Gpfor.

227

&■

-

durch reizende, originelle Illustrationen von H. Lüders geschmückte Bändchen ist Familien- und Schulbibliotheken sehr zu empfehlen. K. H.

©tjmrmgeir DsrrfgLschirhten. I. von OSkar Gottwald.

Band:

Schafheinz.

Von Clara Häcker. Preis 2,40 Mk.

Kinvern werden Leute.

Die Verlagsbuchhandlung OSkar Gottwald tritt mit

Aus

Leipzig, Verlag diesem

Buche

mit einem neuen, wichtigen litterarischen Unternehmen an die Oeffentlichkeit, das sicherlich in allen Gauen Deutschlands, besonders aber im Thüringer Lande mit aufrichtiger Freude begrüßt werden wird, mit der Herausgabe eines Cyklus Thüringer Dorfgeschichten. Den Reigen eröffnet Clara Häcker, eine in Thüringen wohlbekannte Erzählerin, mit den beiden Herr „Schafheinz" und „AuS Kindern werden Leute." Geschichten: A. GeorgenS, Schuldirektor in Auerbach i. V., urteilt über die beiden Er¬ zählungen: „Hier haben wir neben der Hochflut bellelristischer Fabrikerzeugniffe doch einmal wieder reine Originalgeschichten. Einfach im Bau, kräftig im Fortschritt, natürlich in den Mitteln; lebenswahre, lebenswarme Charaktere,

getragen von sittlichem Ernste, strenger Pflichttreue und dabei

Das sich auch in doch freundlichen Sinnes, echte Thüringer Kinder. solchem Volke entwickelnde Böse gelangt nirgends zum Siege. ES sind dies echte Volksgeschichten, geeignet, zur Wiederveredelung deS deutschen VolksstnneS beizutragen." Da die Dorfgeschichten auch gebunden in den Handel gelangen, dürften sie vielfach als Geschenk willkommen sein.

—n.

Die Sammlung wird fortgesetzt.

Antan Rirkrnstorrr.

Ein Künstlerleben.

Von Eugen Zabel. Verlag von Barthold

— Achtzig Jahre sind es jetzt geworden, Preußen gegen die Zwingherrschaft deS Kaisers Napoleon erhob, und dankbar gedenken wir derer, die damals das drückende Joch über¬ mütiger Fremdherrschaft abschütteln halfen. DaS erste Opfer, nachdem König Friedrich Wilhelm am 3. Februar sein Volk zum Kampfe aufgcrusen hatte, war der Abkömmling einer alten preußischen AdelgeschlechteS, der schon im Jahre 1809 wacker gegen Napoleon gekämpft hatte: Otto von Arnim. Mit dem russischen Oberst v. Tettenborn befreundet, hatte er sich an diesen als Freiwilliger angeschlossen. Um die Mittagsstunde des 18. Februar gerieten Tettenborns Kosaken mit Würzburger reitenden Jägern in ein Scharmützel. Einer der letzteren schoß dem von Arnim eine Karabiner¬ kugel durch die Brust, das erste Opfer fiel durch deutsche Hand. Arnim ruht auf dem Friedhose von Werneuchen, in deffen Nähe der Kamps stattfand. Erst 16 Tage darauf, nachdem die Franzosen von Berlin abgezogen waren, er¬ schien in der Spenerschen Zeitung die Anzeige seines Todes: „Am 18. Februar, bei dem in der Gegend von Werneuchen stattgehabten Gefecht zwischen den russisch-kaiserlichen und alliirten Truppen, blieb Otto von Arnim aus dem Hause Suckow, durch eine Flintenkugel durch die Brust getroffen. Sein Tod war schnell und ohne Schmerz für ihn und rühmlich für Ehre und Vaterland." D.

Es ist in der That eine sowohl lockende als auch lohnende Aufgabe, eine Persönlichkeit wie die Rubinsteins nicht lediglich vom Standpunkt der Fachmusikers, sondern als eine beachtenswerte Erscheinung unseres modernen Kulturlebens zu studieren, eine Persönlichkeit, die sich jene großartige Auf¬ fassung vom Wesen der Kunst unverbrüchlich bewahrt hat, die mit rast¬ losem Eifer auf allen ihren Gebieten Hervorragendes und Interessantes geleistet hat, die unermüdlich bereit ist, für die Ideale des Geistes that¬ kräftig einzutreten und die zu einem von der ganzen Welt anerkannten Ruhm eine Fülle der reinsten und edelsten menschlichen Eigenschaften hin¬ zufügt. Als Klaviervirtuose ohne Gleichen, als Komponist eine anziehende, wenn auch verschieden beurteilte Persönlichkeit, als künstlerischer Organisator und Lehrer in seiner russischen Heimat unvergeßlich, endlich als Mensch voll Leben und Eigenart, anregend und überraschend in jedem Augenblick, ein ruhelos sinnender Geist und ein goldenes Herz, so hat sich Rubinstein dem Gedächtnis der Mitwelt bereits eingeprägt, und der Verfasser deS vor¬ liegenden Buches hat seine Aufgabe, diese allgemeinen Züge im einzelnen einem lebensvollen Bilde des Meisters auszuführen, meisterhaft gelöst. zu 8

Diichertrsch.

Kerkkold's Handlexikon der Uatur»»iNon)rtiafie« und Medizin, bearbeitet von A. Velde, Dr. W. Schauf,

seit

sich

III.

Drei Kokonsepisade«

von

von Richard Eckstein Nachf.

Helene von Hülsen.

Berlin, Verlag

Preis 3 Mk.

Daß die Verfafferin „SelbsterlebteS" erzählt, giebt dem Buche einen eigenen Reiz. Im „Königsibyll" (1847) schildert Helene v. Hülsen eine Sommerfrische in Wyck auf Föhr, wo sie als achtzehnjähriges Mädchen mit ihren Eltern weilte und in nähere Beziehungen zu dem gleichzeitig dort anwesenden dänischen Königspaare (Christian VIII. und Karoline Amalie) trat. Die zweite Episode (1864) umfaßt die Beziehungen der Gemahlin deS Generalintendanten zu Charlotte Birch-Pfeiffer. Die Ver¬ fasserin giebt den ganzen LebenSgang dieser hochbegabten Frau und gewährt unS hierbei interessante Einblicke in das Theaterleben der Zeit von 1840 bis 1865. — Der dritte Abschnitt (1885) führt die Ueberschrift: „Ein Drama." Helene v. Hülsen hatte während eines längeren AusenthaltS in Paris eine Lady Holborn kennen gelernt, deren EhestandS-Tragödie sie der Mitteilung für wert hält. — Aus den „drei LebenSepisoden" leuchtet unS das tiefe, echt frauenhafte Gemüt der Verfafferin entgegen; sie erzählt natürlich und mit warmer Empfindung und weiß die Aufmerksamkeit deS Lesers auch für Dinge, die ihn nicht unmittelbar berühren, zu fesseln.

Kirnte Kildev.

Freud und Leid der Gymnasialzcit. Humoresken von Onkel HanS (Paul Güssow) mit Illustrationen von H. LüderS. Quedlinburg 1892. Verlag von Chr. Friedr. Viewegs Buchhandlung. Eieg. geb. 3 Mk. AuS der Jugendzeit, aus der Jugendzeit

Klingt ein Lied mir immerdar —

dar Lied von der ftöhlichen, seligen Zeit des Schullebens, an die wohl jeder mit wehmutsvoller Freude zurückdenkt. Sowohl Schüler als auch Erwachsene werden daher mit großer Freude die Erlebniffe des Ver< fafferS aus der eigenen Schulzeit lesen, die mit köstlichem, nie verletzendem Humor und charakteristischen Zügen jene poesievolle Zeit mit ihrer Lust und ihrem Leid spannend schildern und unbedenklich jedem Schüler in die Hand gegeben werden können. Die überall hervorleuchtende Pietät gegen Eltern und Lehrer und die liebevolle Erinnerung an die Schulfreunde und den biedern Hauswirt sind zugleich der heutigen Jugend eine eindringliche Mahnung, sich wieder harmlos zu vergnügen und den Genoffen der Schulzeit, Mit¬ schülern wie Lehrern, ein treues, pietätvolles Andenken zu bewahren. Das daS ist

Mit

dem Bilde RubinsteinS. Leipzig 1892. Senff. Preis 6 Mk. geb. 7 Mk.

K. H.

Dr. G. Pulvermacher, Dr. L. Mehler, Dr. V. Löwenthal, Dr. C. Eckstein, Dr. I. Bechhold und G. ArendS (Verlag von H. Bechhold, Frankfurt a. M.) 15 Lieferungen zu 80 Pf.

Das nunmehr bi« zur 12. Lieferung vorliegende Werk hat, wie wir hören, die allgemeine Verbreitung gefunden, die es bei seiner Unentbehrlich¬ keit für alle, denen viele Ausdrücke aus dem Gebiete der Naturwissen¬ schaften und Medizin vorkommen, verdient. Ueber wissenschaftliche und Handelsbezeichnungen, über medizinische, botanische, chemische und andere Namen erhalten wir eine präzise, treffende Erklärung, die daS Nachschlagen in großen und teuren Nachschlagewerken entbehrlich macht. Dank der ge¬ schickten, durchsichtigen Anordnung ist eine erstaunliche Fülle von Material in gedrängter Form dargeboten. So wird z. B. bei Insekten mitgeteilt, wodurch sie schädlich oder nützlich sind, welche Mittel man zu ihrer Dertilgung kennt u. s. w., bei Besprechung einer Krankheit findet man Ursachen und Symptome eingehend beschrieben, bei industriellen Erzeugnissen ist Fabrikation und Verwertbarkeit auf daS übersichtlichste dargestellt, wissen¬ schaftliche und theoretische Gegenstände sind in einer für jeden verständlichen Form gegeben. Besonders intereffant sind die etwas umfangreichen Artikel wie LicheneS (Flechten), Magenkrebs, Magnetismus, Natrium carbonat — Wir empfehlen daher das (Soda), Nervenfaser, Petroleum u. s. w. Lehrenden und Studierenden. besonders auch beste, aufs nochmals Werk

Dev Sang von Mönrhgrrt. von Karl Strecker. Verlag

Epische Dichtung in zehn Gesängen von Wilh. Jemsch in Stralsund.

Preis 2,75 Mk. Der durch seinen Roman „Familie Knippe" und die Novellensammlung „Hobelspähne" bereits weiten Kreisen vorteilhaft bekannte Dichter bietet hier insonderheit allen Freunden der Insel Rügen eine poetische Schilderung von Mönchgut, die von einer wunderbar seinen Beobachtung der Natur und namentlich des Lebens am Strande zeugt. Eine ergreifende Dorf¬ und das Leben der Mönchguter anschaulich schildert, bildet den Kern, um den sich die aus frischem Herzen quellenden, formvollendeten, oft zu dithyrambischem Schwung sich erhebenden Natur¬ schilderungen erheben, an denen nicht nur die Kenner jenes idyllischen Ei¬ K. H. landes Freude finden werden. geschichte, die unS den Charakter

228

-s

IrtQrrtt: Verrat

und Treue.

Historischer Roman

aus der

Von E. H. von Dedenrolh (Fortsetzung); Zeit des 7jährigen Krieges. Der Fernemüller und sein Weib. Ein Stück märkischer Geschichte. Von Rudolf Eckert (Schluß); Die französische Kolonie in Berlin bis zum Edikt von Potsdam. Von Dr. SR. Beringuier; Marquardt,

&•

als Herrensitz der Familie von Bischoffwerder. Jugenderinne¬ rungen von Marie Helming Pinto, geb. Gräfin Pinto. — Kleine Mit¬ teilungen: Dr. Paul LangerhanS (mit Abbildung). Noch einmal die Dorskirche in Seegefeld. „Unser Fritz" und der kleine Deserteur. Das erste Opfer. — Büchertisch. — Anzeigen.

1 >

1

Zur ^!£rp Illustrierten

/ }y y

-

Herstellung von

Packetadressen

mM fJL

allen sonstigen kaufmännischen Drucksachen

empfiehl! sich

V A

a

^

I

y

w

t

fl

sowie

.

d t

Katalogen, Preislisten,

Prospekten, Rechnungen, Geschäfts- u. Empfehlungskarten,

Wm



ÜSs

L

Buchbinderei.

*

BERLIN N. 58

Stereotypie.

*

Nummerier- u. Perforier-Anstalt.

Schnellste und sauberste Ausführung bei billigsten Preisen.

&

Edlich

Koni gl. Sachs. Hoflieferanten Berlin W., Friedrichstrasse 179, Ecke Taubenstrasse.

Leinen- and Banmwoll- Waaren. — Tischzeuge, Handtücher, Wischtücher, Staub¬ tücher etc. — Bettdecken, Steppdecken, Schlafdecken. — Paradekissen u. Converts. Neglige-Stoffe. HW' MP- Elsässer Baumwollstoffe, Gemusterte Bettwäsche Glatte und gemusterte Leinen für Inlette und Drells für Federbetten, Unterbetten, Matratzen etc.

W9F Fertige

Wäsche

"WU

für Damen und Kinder von der einfachsten gantesten Ausführung.

Fertige Wäsche

bis zur ele¬

"WU

AM" Magazin für Ausstattungen. Sächsische und Schweizer Stickereien in grosser Auswahl.

für Herren und Knaben in grosser Auswahl. Nachthemden — Uniformhemden.

IM"

Oberhemden,

Kragen und Manschetten

"WW

Serviteurs und Cravatten.

Strumpfwaaren und Tricotagen in Baumwolle, Vigogne, Wolle, Seide und Halbseide. Echt schwarze Damen-, Herren- und Kinderstrümpfe. Farbige und gemusterte Strümpfe und Soeben in grosser Auswahl. — Normal-Unterzeuge für Damen und Herren in nur guten Qualitäten. Gestickte Herren- und Damen-Westen mit und ohne Aermel.

Für

die Redaktion verantwortlich:

Verlag:

Richard George in Berlin N. 4, Chausieestr. 2d. — Abdruck ohne eingeholte Erlaubnis ist untersagt. Schönhauser Allee 141. — Druck: Buchdruckerei Gutenberg. Berlin N., Schönhauser Allee 141a.

Fr. Zillessen, Berlin N.,

Ford. Meyer,

Gymnasialdirektor

Dr.

M. SciTwart;

und

Grrrst v. Milderrdrurti,

herausgegeben von

Friedrich Lilleffen Zahraang. M 20 .

Der

„Bär"

und

Richard George.

erscheint wöchentlich am Sonnabend und ist durch jede Postanstalt -

Schließlich wurde, noch durch Annahme von Auskultatoren und Referendarien der Vorbereitungsdienst einigermaßen geregelt. Herr Archivar Dr. MeinarduS besprach einen Bericht der Berliner Geheimen Räte an dcn Großen Kurfürsten vom 2. April 1647, der einen Rangstreit zwischen Beamten deS Kammergerichts, Konsistoriums und der AmtSkammer behandelte. Danach hatte der Präädent der Amtskammer, v. Arnim, die Annahme eines an ihn, Otto v. Schwerin unv den Vize¬ kanzler de§ KammergerichtS, Andreas Kohl, gerichteten Schreibens ver¬ weigert, weil sein Name in der Avresse dem deS Vizekanzlers nachgestellt sei, während er alS Adliger die erste Stelle beanspruchen könne. Die Geh. Räte erklären dem Kurfürsten, daß bei dieser Titulierung nicht die Person, sondern das Amt des Vizekanzlers gemeint sei und bezeichnen im übrigen Kohl als nicht adlig. Der Kurfürst entscheidet denn auch dahin, daß Arnim sich zu fügen habe. Da nun l ie Kohl nachgewiesener Maßen von einem altadligen Geschlecht auS der Gegend von Guben stammen (war doch auch der Gemahl der Magdalena v. Arneburg, Tochter der „schönen Gießerin", ein v. Kohl), so ergicbt sich hieraus, daß dieser fremde Adel in der Mark nichts galt und daß der Vizekanzler Kohl dem landsässigen Adel gegenüber als Nicht-Evelname angesehen wurde. Amtsrichter Holtzo bestätigte diese Auffassung und gab zugleich auch seine Zweifeln an dem Adelsstände des p. Kohl Ausdruck.

bezüglich der Ratsstellen bei den Gerichten.

Kiichertisch. Aus Kurlands IporzsglirtiLr Zeit. von Ernst Seraphim und August von E. Behre. Preis 6 Mk.

Gestalten und

Bilder

Seraphim. Mitau. Verlag

Auch für den märkischen Geschichtsforscher haben die von beiden Ver¬ fassern herausgegebenen Geschichtsbilder Wert, da die kurländische Geschichte mehrfach mit der brandenburgischen Beziehungen hat. Abgesehen davon, daß die Herzogin Elisabeth Magdalene, deren Lebensgeschichte den größten Teil des Buches einnimmt, dem Stamm der pommerschen Herzöge ent¬ stammte und darum der heimischen Geschichte nahesteht, hat auch der Prinz Alexander von Kurland (1658—1686) einen Teil seiner Jugend am Hofe des Großen Kurfürsten verlebt. Es wird dadurch das Hofleben in Berlin in auSsührlicher Weise bedacht, nicht ohne durck ältere, zum Teil wohl noch ungedruckte Briefe, die zwischen dem Prinzen und seinem Vater gewechselt Gewissen¬ worden, daS bisher Bekannte zu bestätigen oder zu erläutern. hafte Forschung und klare Sichtung des Materials zeichnen die Verfasser aus, denen nur hin und wieder eine frischere SchllderungSkrast zu wünschen wäre. ES kann das Buch somit auch jeder brandenburgischen Bibliolhck

L-. M.

empfohlen werden.

Erwiderung.

Die „Berichtigung" in Nr. 20 zur Anzeige über das Gallandsche Buch in Nr. 18 dieser Zeitschrift kann man ohne Staunen nicht lesen. Richtig ist lediglich soviel, daß sich der Name Seidel in der That zweimal eingeklammert in dem Buche findet. Wer nachschlägt, wird leicht finden, wie diese Stellen haben übersehen werden können, und warum sie das Urteil inhaltlich voll bestätigen. Denn es sind lediglich Mit¬ teilungen von BrediuS an Seidel, die hier erwähnt werden, ohne daß auch nur etwa der Titel des Seideischen Aufsatzes genannt wird. Gerade hier aber ist ein gut Teil der von G. demnächst in der Leipziger Kunstchronik und in seinem Buche benutzten bezw. abgedruckten Akten schon vor ihm verwertet oder vollständig mitgeteilt worden G. aber ignoriert das. Wenn Galland zur weiteren Begründung sich selbst als „Begründer undHauptverti eter der holländischen Baugeschichtsdarstellung" feiert, so ist daS ohne Zweifel — sehr interessant. Noch intercffanter freilich ist, daß er — bedingungsweise — sich selbst mit Galilei und seine eigenen Arbeiten mit der Entdeckung deS RotationsgesetzeS in Parallele fetzt! Was aber diese Selbsteinschätzung hier soll, weiß man nicht. ES scheint, als ob G. auS der Rezension heraus¬ gelesen hat, daß seine Forschungen überflüssig seien. Davon war Referent soweit entfernt, daß er ihre Verdienstlichkeit vielmehr auSvrücklich anerkannt und erklärt hat, ihren weiteren Resultaten mit Interesse entgegenzusehen. In Abrede oder vielmehr in Frage gestellt war lediglich, wo der Einfluß der holländischen Bautechnik auf die brandenburgische jener Zeit bestritten Auch jetzt sagt G. dies nicht. — Doch könnte dies gern auf sich be¬ sei. ruhen. Grund zur Erwiderung ist nur die unerhörte Insinuation, alS ob persönliche Beziehungen auf die Beurteilung der Gallandschen Buches ein¬ gewirkt hätten. Sie wird mit voller Bestimmtheit und aller Schärfe zurückgewiesen. Sie schließt aber auch jede weitere Debatte naturgemäß aus. 1

Anlpcrlt: Verrat und Treue. Zeit

deS

7jährigen Krieges.

Historischer Roman aus der Von E. H. von Dedenroth (Fortsetzung);

Sieben weitere Beiträge zur märkischen Pflanzensymbolik. Von E. Handtmann (Fortsetzung); Zwei Jahre in Frankreich.

Erinnerung aus der Okkupationszeit Juli 1871 bis Juli 1873. Von E. Tafel (Fortsetzung); Die Entwürfe zum Denkmal der Kaiserin Augusta; Ein märkischer Streifzug auf Schlittschuhen. Von Karl Gotthard (Fortsetzung). — Kleine Mitteilungen: Berliner Neu¬ bauten (mit 3 Abbildungen). Oeffemliche Verkaufsstellen. — VereinSnachrichten. — Büchertisch. — Anzeigen.

Für die Redaktion verantwortlich: Richard George in Berlin N. 4, Chausseestr. 2d. — Abdruck ohne eingeholte Erlaubnis ist untersagt. Verlag: Fr. Zillessen, Berlin X., Schönhauser Allee 141. — Druck: Buchdruckerei Gutenberg, Berlin N., Schönhauser Allee 141a.

Unter Mitwirkung

Fontane, Stadtrat % Köistngrrier, Dr. K. KrerrdicKe, Ford. Merpev, Gymnasialdirektor Dr. M. Kclprrrcrrtz und Ernst v. Mitdenvrnrti, herausgegeben von

Friedrich Lilleffen XIX.

!

Zahrqang.

M 23.

Der

„Bär"

|

und

Richard George.

erscheint wöchentlich am Sonnabend und ist durch jede Postanstalt sNo. 709 ), Buchhandlung und Zeitungsspedition für 2 Mk. 50 Pfg. vierteljährlich zu beziehen.

4.

Pärj

1893.

levvsi und Äveur. Historischer Roman auS der Zeit der 7 jährigen Krieges von

E. H. non Dodonrotls.

sö. Fortsetzung.)

Mjioni glaubte nicht anders,

als daß der preußische Offizier nach Sachsen gekommen sei, um Anna v. Rohr wiederzu¬ sehen, ihr Vater hatte ja erzählt, wie es Brenkenhof angenehm überrascht habe, daß er jene Danie in Dresden gefunden.

Toni erklärte sich also das Interesse, welches Brenkenhof für ihren Vater hegte, auch dadurch, daß dieser ein alter Kamerad des Barons v. Rohr war. „Ich wollte mir erlauben," begann Brenkenhof, nachdem Toni begrüßt hatte, sich zu Miltiz wendend, „Ihnen ein er Anerbieten zu machen. Falls Sie gesonnen sind, Ihren Fuchs zu verkaufen, rechne ich

sei.

Ich habe

ob

es auf dem Acker zu verwerten

es von Robert v.

aber

Beriet gekauft.

Er hat mich

es

großen Garten reiten."

Der Oberst schien durch die Zuversicht, mit der Brenken¬ hof sprach, in seinen Zweifeln erschüttert, denn dieser machte nicht den Eindruck eines Prahlers.

„Es sollte

mich herzlich freuen," antwortete er, „wenn

den hochmütigen Gecken beschämen könnten. schlechter

darauf."

„Den Emir?" fragte der Oberst. „Dazit sind Sie mir zu wert. Brenkenhof, den kann nur der Stallmeister reiten der ihn mir dressieren wollte, und der ist auch schon zweimal aus dem Sattel geworfen worden. Aber eines der anderen Pferde lasse ich Ihnen gern." „Wenn Sie gestatten, versuche ich es mit dem Emir. Was kostet das Pferd?" „Ich sage es Ihnen nochmals, das Pferd ist nicht zu reiten, der Stallmeister hat mir geraten, es einspannen zu lassen und zu versuchen,

erspart mir vielleicht Belästigungen von seiner Seite, wenn er erfährt, daß ich eine sichere Hand und ein festes Auge habe. Ich wollte zum Pistolenschießen nach dem

ist,

Sie

Aber er ist kein

Reiter!"

habe unter den Augen eines Sepdlitz geritten, ge¬ und gefochten." erwiderte Brenkenhof, „und habe sogar in manchem Reiterkunststück es ihm gleichgethan. Oberst von Sepdlitz ist der beste Reiter unserer Armee, da habe ich mich also wohl vor dem Kammerjunker nicht zu fürchien."

„Ich

schossen

der Oberst, „ich habe von dem Sepdlitz gehört. Er nahm bei Hohenfriedberg unseren General Schlichting gefangen, er war damals Rittmeister, aber alle unsere

„Nein!" rief

Leute hatten Respekt, wenn er sich zeigte. Aber was haben Sie denn mit Berlet gehabt? Wo kamen Sie mit ihm zu-

sammen?"

besser gehorcht,

Der Offizier nannte das Lokal und schilderte das Recontre. Toni lauschte nicht minder aufmerksam als ihr Vater. „Das ist infam," rief sie, als jener endete, und ihre „Anna hat vor mir keine Wangen glühten in Empörung. drei vor Tagen, als ich bei ihr war. sprach Geheimnisse. Noch sie mit spöttischer Miene davon, daß die Gräfin Ogilvp die

Dieser versuchte es nämlich gestern abend, sich an mir zu reiben; ich weiß nicht, wie er in ritterlichen Künsten bewandert

Absicht zu haben scheine, sie unter die Haube zu bringen, und das Lob eines Verwandten des Grafen Brühl finge. Anna haßt aber die ganze Sippschaft Brühls schon deshalb, weil

aber damit betrogen, es haben sich schon viele an dem Pferde versucht." „Und was soll es kosten?" ftagte Brenkenhof lächelnd. -,Jch zahlte zwanzig Dukaten, es ist aber nicht zehn

wert."

mir, wie ich hoffe, als Ihrem Stallmeister. Es würde mich be¬ sonders freuen, wenn Herr Robert v. Berlet mich darauf sähe.

„Ich

gebe zwanzig Dukaten, wenn es

Königin ireu ergeben ist. Der Kammerjunker hat ganz infam gelogen." „Ich bemerkte so etwas." versetzte Brenkenhof, „denn der ältere Berlet schien die Reden seines Bruders nicht zu billigen, geschweige denn sich als glücklicher Bräutigam zu brüsten. Aber es war nicht zu verkennen, daß der jüngere Berlet mich reizen wollte, und ich begreife nicht, woher er erfahren hat, sie der

Was wollen Sie von mir, wenn der Minister Sie nicht schickt?"

„Ich

„Herr!" „Vater,"

„Herr Kammerjunker Robert von Berlet!" meldete in Diener des Obersten. Miltitz fuhr erschrocken vom Sitze auf. auch Toni erbleichte. Die Besorgnis lag nahe, daß der junge Mann wieder im Aufträge seines Onkels komme, denn was hätte ihn sonst her¬ führen können? Brenkenhof verabschiedete sich, seine Gegenwart hätte nichts bessern, den befreundeten Personen aber nur schaden können; das war um so wahrscheinlicher, als Robert v. Beriet in gereizter Stimmung gegen ihn war. „Ich probiere den Emir," flüsterte er dem Obersten zu, „bedürfen Sie eines Freundes, so bin ich in der Nähe." diesem Augenblicke der

Diesmal entfernte sich Brenkenhof nicht durch die Hinterthüre. Als er im Vorzimmer dem Kammerjunker begegnete, sah er demselben an, wie unangenehm überraschend diesem die Begegnung sei, er grüßte gemessen, wie es die Höflichkeit gebot, und schritt vorüber, nachdem Berlet den Gruß sichtlich

verwirrt erwidert hatte. Der Oberst erwartete den Kammerjunker, ohne ihm auch nur einen Schritt entgegenzugehen, er war zum Kampfe bereit. Toni hatte im ersten Augenblicke Miene gemacht, das Zimmer zu verlassen, aber sie besann sich eines Besseren. Sie sah es ihrem Vater an, daß derselbe sich in einer leicht begreiflichen Erregung befand, in der er seine Leidenschaft schwerlich be¬

Ihre Gegenwart ver¬ anlaßte aber Berlet hoffentlich, die Empfindlichkeit ihres Vaters

herrscht hätte, wenn sie gereizt wurde.

zu schonen.

Robert verneigte sich tief, die Begegnung mit Brenkenhof hatte ihn in Verwirrung gesetzt, denn es konnte ihm nicht angenehm sein, bei diesem Besuche ertappt zu werden. Er kam heute nicht in amtlichem oder vertraulichem Aufträge seines Onkels wie gestern, er halle keine Wache hinter sich, und er wußte nicht, wie man ihm empfangen werde, wenn man sein Anliegen gehört. „Verzeihen Sie," begann er, „daß ich störe!" Und dieses Wort wie seine ganze Haltung ließen den Obersten erraten, daß der junge Mann keine Berechtigung habe, bei ihm ein¬ zudringen. „Herr v. Berlet," erwiderte Miltiz mit düster drohendem Ernste, „die Störungen, welche Seine Excellenz der Graf Brühl mir verursacht, muß ich hinnehmen, aber ich dächte, ich hätte seinem Willen genügt, oder fordert er sonst noch etwas von

Wie

ich komme

das Bedürfnis

„Herr

v.

nicht

in

seinem

Aufträge,

ich

—"

Berlet," unterbrach Miltiz

den jungen

Mann,

zogen sich finster zusammen, „ich habe mich vor der Gewalt gebeugt, ich trage, was mir beschieden ist — wie — das brauche ich Ihnen nicht zu sagen, aber Sie können es sich denken, daß mein Blut kocht, und meine

und seine Augenbrauen

Faust

sich

ballt, wenn

ich mich der gestrigen

Vorfälle erinnere.

ich meinem

Gefühle der Teilnahme

donnerte der Oberst, „Teilnahme?

Wollen Sie mich verhöhnen

daß ich jene Dame überhaupt kenne."

mir?" „Herr Oberst,

gehorchte gestern mit schwerem Herzen einer eisemen

Pflicht, heute wollte nung tragen."

Rech¬

Von Ihnen?

—"

mischte sich jetzt

Toni ins Gespräch, und der

rauhe, scharfe Ton ihrer Stimme stand in seltsamem Gegen¬ satze zu den versöhnlichen Worten, die sie sprach, „es kann

Herrn v. Berlet nur ehren, wenn er

sich

lossagen

der Gemeinschaft mit dem, der Unerhörtes von

will von

Dir

erzwungen. Wenn Herr von Berlet Dir seine Teilnahme ausdrückt, so verdammt er auch die Handlungsweise des Grafen Brühl."

Es war chr plötzlich ein Gedanke gekommen. Der Himmel hatte ihn gesandt. Er sollte ein Werkzeug beim Sturze des Ministers sein. Sie war in einer Stimmung, in welcher sie sich dem Bösen verkauft hätte. Robert errötete, aber er widersprach nicht direkt. „Ich habe kein Urteil über die Gründe," sagte er, „die meinen Onkel bewegen konnten, eine Härte auszuüben, die ihm sonst fremd ist, aber ich kann versichern, daß es auch ihm willkommen wäre, die Folgen dieser Härte zu mildem. Ja," fuhr er fort, als der Oberst bitter auflachte, „mein Onkel ist sehr schmerzlich dadurch berührt worden, von einem hohen Offizier und einem Mitgliede des alten Adels so heftig angegriffen worden zu sein, eine vertrauliche Vorstellung hätte er gern berücksichtigt." „Haben Sie Auftrag, mir das zu erzählen?" fragte der Oberst, „und wenn ich davon rede, muß ich dann wieder er¬ klären, daß es in meinem Hirn nicht richtig ist? Will er mich etwa noch zu einem Irrsinnigen stempeln?" „Herr v. Miltitz, es ist nicht edel, mich zu verspotten," rief Berlet. „Nähme ich nicht den innigsten Anteil an Ihnen und an Ihrer Fräulein Tochter, so stände ich nicht hier." „Es ist immer eine Art von Genugthuung für uns," er¬ griff Toni das Wort, indem sie ihrem Vater einen Wink gab, „daß Herr v. Berlet sich bemüht, heute in anderer Gestalt vor uns zu erscheinen. Er beweist damit entweder, daß er selbst sich der Rolle schämt, zu der er sich gestern hergegeben hat, oder daß der Minister gar über seine Handlungsweise errötet und Herrn v. Berlet bereit findet, auch in dieser Maske auf¬

zutreten." Es lag in diesen ironisch gesprochenen Worten ein Hohn, zur Wut gebracht hätte, wenn er von anderen Lippen geflossen wäre, aber lag es in dem Blicke, den Toni auf Robert heftete, oder wog er in diesem Augenblicke ihre Worte nicht, genug, er fühlte sich von einem Zauber umgarnt, von einem Reize gestachelt, jeder Beleidigung zu trotzen, um dieses Weib durch Unterwürfigkeit zu versöhnen. „Wenn ich das erstere zugebe," erwiderte er, einen glühenden Blick auf Toni richtend, „wenn ich es beklage, das der Berlet

Werkzeug des Ministers gewesen zu sein, so danke ich es doch diesem Umstande, daß ich Sie näher kennen gelernt habe.

Liebe zum Vater, Ihre ganze Haltung hat meine volle Bewunderung und Hochachtung gefunden. Hier stehe ich. rächen, die Sie geweint haben? Wollen Sie an mir die Thränen Was soll ich thun, um die Schuld zu sühnen, die Sie auch mir zur Last legen, obwohl ich nur nach meiner Instruktion handelte?"

Ihre

-8 267

»■

„Herr v. Beriet," nahm der Oberst das Wort, als mi߬ billige er es, daß Toni Anlaß zu Erörterungen gab, und als wolle er dem Gespräche ein Ende machen, „es giebt Aufträge, die zu vollführen selbst der Offizier seinen Vorgesetzten ver¬ weigern darf, ein Kavalier läßt sich zu keiner Handlung zwingen, die der Ehre widerstreitet."

Beschimpfung Sie das unfreiwillige Werkzeug waren, ein Wort der Huldigung zu bieten wagen, so müssen Sie, wenn Sie mich nicht für ein erbärmliches Wesen halten, fortan meine Farben an Ihren Hut stecken nnd mein und meines Vaters

Robert stieg das Blut ins Antlitz. rief er, „müssen Sie annehmen, daß

mehr zu beleidigen? Reden Sie, aber für jedes Wort, das Sie sprechen, ist Ihre Ehre verpfändet!"

„Aus

diesem

Grunde,"

geglaubt habe, ein Unrecht zu begehen; ich vollzog einen Befehl, ohne zu prüfen, ob Ihnen Unrecht geschah oder nicht. Sie lassen mich das aber schwer büßen. Bei allen Heiligen, blickten hier nicht zwei Augen auf mich, die mein Herz in Fesseln geschlagen haben, ich wiese den Zweifel an meiner Ehre anders zurück."

Toni

ich nicht

wie schwer Beriet der Kampf mit der Leidenschaft wurde, zu der ihn ihr Vater reizte. Sie bemerkte sah

es,

ihr Vater fie in einer Weise anblickte, als er¬ von ihr, daß sie das ihm unverständliche kokette

Rächer werden.

Haben Sie das

mit frivolem Leichtsinn

erwogen,

dieses Haus

oder

betreten,

haben Sie

um uns noch

Der Oberst starrte seine Tochter befremdet an — das klang fast wie Ermunterung, fast wie ein Geständnis, als könne Beriet ihr Herz erobern, wenn er fie räche. Die Verführung, ein unüberlegtes Wort zu sprechen, war groß, denn ohne tiefe Beschämung hätte Beriet nicht mehr zurücktreten können. Und war es denn auch; die Scheu, eine von Toni als ehrlos gebrandmarkte Frivolität einzugestehen, ließ Robert nicht einmal

so

aber auch, daß

dazu kommen, die Tragweite des geforderten Versprechens zu

warte er

während auf der anderen Seite ihn seine immer mehr emporlodernde Leidenschaft antrieb, die Gunst dieses reizenden Mädchens zu erobern.

Spiel aufgebe und Beriet jeden Zweifel darüber nehme, welche Gefühle fie gegen ihn beseelten. Sie hatte sich vergeblich be¬ müht, dem Vater durch Winke zu verstehen zu geben, er möge ihre Absicht nicht durchkreuzen, der alte Herr war zu bieder und zu ehrlich, um Tonis Plan zu erraten oder gar zu billigen. So war er denn nicht wenig überrascht, als Toni, anstatt auf seine Seite zu treten und Beriet kurz abzufertigen, die Partei des jungen Mannes ergriff. jetzt

erwägen,

(Fortsetzung folgt.)

Die Benutzung des Schneeschuhs in -er Armee.

„Laßt mich antworten, Vater," sagte sie, „ich fordere von diesem Herrn den Beweis, daß er mich durch keine

Schmeichelei

beleidigt, er mag mich überzeugen, daß er die Wahrheit redet. Herr v. Beriet," wandte sie sich zu diesem, „es giebt nur zwei Möglichkeiten, entweder sind Sie der ver¬ ächtlichste, ehrloseste Mensch von der Welt, oder Ihre Handlungs¬ weise verdient meine Hochachtung und Anerkennung. Wenn Sie der Tochter eines schwerbeleidigten Mannes, bei dessen

(Mit

3 Abbildungen.)

Die weitgehende Bedeutung und praktische Verwendbarkeit des Schneeschuhlaufens ist im Norden Europas von altersher

gewürdigt worden. Deutschland Versuche

Ab und zu hat man auch bei uns in gemacht,

den Schneeschuhlauf heimisch zu niachen. Erst in jüngster Zeit aber ist System in die Versuche gekommen, dieses bedeutsame Verkehrs- und Sport¬

--8 mittel in Deutschland, Oesterreich-Ungarn und der Schweiz zur Verbreitung zu bringen. Besonderes Verdienst hierbei hat sich

die Redaktion des

„Tourist"*)

erworben, die auch kürzlich

eine bereits in zweiter Auflage erschienene Broschüre:

„Das

Schneeschuhlaufen und seine Verwendung für Jagd, Sport und Verkehr" (Preis 1 Mk.) herausgegeben hat. Mit freundlicher Bewilligung des Herausgebers teilen

wir ans

dieser

höchst interessanten Broschüre unseren Lesern

mit, der von der Verwendbarkeit der Schneeschuhe zur Jagd und namentlich von der wichtigen Be¬ nutzung derselben zu militärischen Zwecken handelt.

folgenden

Abschnitt

*

*

* man wohl die Schneeschuhe zur Jagd Am frühesten hat benutzt. Das edle Weidwerk dürfte hauptsächlich dazu bei¬ getragen haben, daß die Schneeschuhe wegen der großen Be¬

268 e*

Je höher und weicher der Schnee, desto willkommener Das sonst flüchtig dahineilende Wild ist er dem Jäger. ist im Laufe gehemmt, oft sinkt es über und über in den Schnee ein, auf dem der Weidmann, mit den Schneeschuhen an den Füßen, heraneilt und erwünschte Beute machen kann. Daß

auch

in Deutschland die

Schneeschuhe zur

der Jagd zur Winterszeit ein überaus praktisches

Ausübung

Hilfsmittel

Bereits hat man an ver¬ wohlgelnngenen Versuchen sich die Ein¬ schiedenen Orten nach führung dieses trefflichen Verkehrsmittels nicht entgehen lassen. So hat neuerdings das Königl. preußische Ministerium der Forsten. Domänen u. s. w. Versuche auf verschiedenen Ober-

sein

können,

förstereien

Die Schneeschuhe sind durch die Tourist (Berlin W. 9, Köthenerstraße 39)

anstellen lassen.

Geschäftsstelle

geliefert

liegt offen zutage.

des

worden.

Wie

häufig

muß

die

Jagd aufgegeben

Jagd auf Srhnoefchuheu in Deutschland. weglichkeit und Schnelligkeit, welche sie dem Jäger verleihen, sich schon in frühester Zeit eines so hohen Ansehens erfreuten.

Bereits in dem finnischen Epos Kalevala, das ungefähr um die Wende des 12 . Jahrhunderts entstanden sein mag, wird Es einer Jagd auf Schneeschuhen Erwähnung gethan. heißt da: Alle meine Pfeile sind bereit, Auch gespannt die Sehne meines Bogens,

Nur die Schneeschuh fellbekleidet, Fehlen mir noch für die Fahrt.

Bis in

herein war und ist es in den nordischen Ländern Gebrauch, die größeren Jagdtiere, Renn¬ tiere wie Elenwild, auf Schneeschuhen zu verfolgen, anzu¬ die Gegenwart

greifen und zu erlegen. Noch heute eilt der Lappe seinem grimmen Feinde, dem Wolf, auf Schneeschuhen nach, ihm den

Garaus zu machen. *) Der „Tourist." Illustrierte Zeitschrift für Touristik und Berlin W., Köthenerstraße 39.

schuhsport.

Schnee¬

weil zu hoher Schnee nicht einmal den Hunden ein irgendwie rasches Vorwärtskommen möglich sein läßt. Für die niedere wie für die Hochwildjagd thun da ein Paar gute Schneeschuhe vortreffliche Dienste. In der Schilderung eines Ansfluges, den ein süddeutscher Schneeschuhläufer-Verein in das nahe Hochgebirge unternommen hatte, heißt es: „Wie ergötzend war es, wenn wir uns fast unhörbar dem Wilde näherten; hoch stiegen die Schneeschuhe in unserer Achtung, wenn es uns gelang, unter Benutzung abfallenden Geländes das Wild auf der Flucht zu überholen." Eine weitgehende Verwendung haben in früheren und frühesten Zeiten die Schneeschuhe für militärische Zwecke ge¬ funden. Die Benutzung der Schneeschuhe zu kriegerischen Unternehmungen ist wohl fast ebenso alt, wie ihre Verwendung zur Jagd. Bereits im Jahre 1200 finden wir sie nach authentischen Zeugnissen im Gebrauch. Später begegnen wir in Norwegen besonderen Kompagnien von Schneeschuhläufern, die zu raschen Kriegszügen in der Winterszeit in den nordischen

werden,

-8

269

Kriegen des 15. und 16. Jahrhunderts in Aktion traten. So wird erwähnt, daß Gustav Adolf, um rasche Nachrichten zu erhalten, sich vielfach geübter Ski- (Schneeschuh-)Läufer bediente. Karl XII. läßt, als ihm ein Vordringen mit seiner ganzen Heeresmacht nach Norwegen infolge des hohen Schnees nicht möglich ist, kleine Abteilungen Skiläufer gegen den Feind manövrieren, und denselben fortgesetzt beunruhigen. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde in Norwegen in einem Reskript die

Errichtung besonderer Schneeschuh-Läufer-Kompagnien bestimmt. Es heißt in diesem vom 11 . Dezember 1710 datierten Reskript, daß diese Kompagnien „aus den besten und raschesten Männern, die in den Regimentern zu finden seien und gutwillig und

mit frischem Mut sich dazu hergeben wollen", bestehen sollen. Diese Männer sollen sogleich mit neuer Ausrüstung versehen werden,

jeder

soll

das Traklement

eines Gefreiten erhalten

ProuMsÄffe Truppen

B-

Die Kriegsführung hat

sich infolge der Vervollkommnung Schießwaffen unserer wesentlich umgestaltet. Der Nahkampf und damit mehr oder minder der Kamps des einzelnen gegen den einzelnen hat sich in einen Fern- und Manöverkampf ver¬

wandelt. In der Ausnutzung der Positionen, in der raschen Beweglichkeit der Massen, sie zur rechten Zeit am rechten Platze zu haben, beruht heute ein wesentlicher Teil der Kriegsführung. „Die Festungen haben das Wesentlichste ihrer Bedeutung an die Eisenbahnen abtreten müssen". Dies Wort kennzeichnet am besten die neuere Strategie, die von dem Klassiker derselben in Theorie und Praxis, von Moltke, eingeführt worden ist. Nichtsdestoweniger oder gerade weil rasche Beweglichkeit ein Hauptprinzip der modernen Heeresführung geworden ist, haben die Schneeschuhe nichts an ihrer Bedeutung für Kriegszwecke zur Winterszeit verloren.

auf Schneeschuhen.

Nach einer photographischen Aufnahme.

und nach Beendigung des Krieges sofort entlassen werden. Jahre 1747 erhielten diese Abteilungen von Schneeschuh¬ läufern in der Armee eine feste Organisation, es wurden 6 Kompagnien zu etwa je 100 Mann errichtet. Im Jahre 1768 wurde ein Dragoner-Regiment aufgelöst und in 4 SchneeschuhLäufer-Kompagnien umgewandelt. Im Jahre 1804 wurde ein besonderes Exercier- Reglement aufgestellt, das in den 60 er Jahren erneuert wurde. Die Errichtung solcher Kompagnien hat sich erfahrungsgemäß bewährt; wo sie im Kriegsfall einzugreifen hatten (so im Jahre 1808), geschah dies mir großem Erfolge. Ein ganzes Dragoner-Regiment, das sich mühsam durch den hohen Schnee fortarbeitete, wurde von einer Handvoll bewaffneter Schneeschuhläufer fast auf¬ gerieben; jeder Versuch der Dragoner, den flüchtigen Angreifern beizukommen, scheiterte und forderte von den Reitern nur neue Opfer, bis sie sich, ihre Ohnmächtigkeit gegen diesen nirgends zu fassenden Feind einsehend, in ihr verschanztes Lager zurück¬

Mit gutem Grunde

können

wir

die Behauptung aufstellen, daß

Im

in der zweiten Hälfte des Feldzuges im Jahre 1870/71 viele

zogen.

Verluste an Menschenleben hätten vermieden werden können, wenn des Schneeschuhlaufens kundige Soldaten im deutschen Heere vorhanden gewesen wären; namentlich hätte man den Franktireurs durch kleine Abteilungen bewaffneter Schneeschuh¬ läufer energisch zu Leibe gehen können. Daß ein rascher und sicherer Kundschafterdienst mit ihnen möglich ist, ergiebt sich aus zwei Eigenschaften des Schneeschuhlaufens: erstens ein geräuschloses Anschleichen auf der Schall dämpfenden Schnee¬ decke; zweitens die Möglichkeit des schnellen Rückzuges bei einigermaßen vorsichtigem Manövrieren. Selbstverständlich ist es, daß zur Ausübung dieses Kundschafterdienstes nur die tüchtigsten und intelligentesten Leute herangezogen werden können, daß dieser Dienst ebenso Kühnheit wie klaren Blick über die ganze Situation verlangt, und daß solcher Kundschafterdienst — wie der Kundschafterdienst überhaupt — sich nicht mechanisch er¬ Zur Winterszeit dürfte ein Kundschafterdienst lernen läßt.

•e

auf Schneeschuhen dem zu Pferde in vielen Beziehungen über¬ legen sein.

Rußland hat die Bedeutung der Schneeschuhe längst ge¬ würdigt; so hat es, wie wir aus sicherer Quelle erfahren, seine sämtlichen .finnländischen Scharfschützen - Bataillone im Schneeschuhlaufen eingeübt und mit Schneeschuhen ausgerüstet. — Das Transportieren der Schneeschuhe dürfte infolge des geringen Gewichtes derselben — sie werden die gleiche Schwere wie das Gewehr haben — nicht allzu schwierig sein.

Von fast gleicher Wichtigkeit, wie für den Kundschafterdienst in einem Winterfeldzug, ist die Einführung des Schneeschuhlaufens in der Armee für den Nachrichten- und Sani¬

tätsdienst.

In

diese Zwecke

dürsten

der

Nutzbarmachung der Schneeschuhe für der Zweckmäßigkeit des Velocipeds

sie

für die Kriegsführung gleich zu stellen sein. Der Nachrichten¬ dienst ist zur Winterszeit, sobald Schneemassen für das Fort¬ kommen für Mensch und Tier Hindernisse bieten, ein beschwer¬ licher und langsamer. Wenn man auch mit Legung des Feld¬ telegraphen große Fortschritte gemacht hat, so wird es doch nicht möglich sein, zumal, wenn die Legung der Leitung selbst erschwert wird, alle einzelnen Ab¬ teilungen des Heeres und der Heeresleitung in der wünschens¬ wert kurzen Zeit untereinander zu verbinden. Und doch hängt mitunter an wenigen Stunden, ja an Minuten, um die eine Nachricht früher an ihren Bestimmungsort gelangt, das Geschick von Hunderten, ja Tausenden ab. Das Verkehrs¬ hindernis, der Schnee, das Fußgänger wie Reiter hemmt, bietet dem Skiläufer willkommene Bahn, um seine Depeschen eilig an die gehörige Adresse zu bringen. Auch die Bedeutung des Schneeschuhlaufens für das Sanitätswesen in einem Winterfeldzuge darf nicht gering an¬ geschlagen werden. Das immer größer werdende Massenauf¬ gebot, die ungeheuere Durchschlagkraft unserer modernen kleinkalibrigen Geschosse wird die Zahl der Verwundeten in einem Kriege sehr bedeutend sein lassen. Es ist kaum anzunehmen, daß die zur Bergung und Pflege dieser Verwnndeten nötigen Sanitätsmannschaflen sofort dort sind, wo die Schlacht ge¬ schlagen wird. Ein rasches Heranziehen von Hilfsmannschaften aus den hinter der Schlachtlinie gelegenen Lazaretten und Sanitätsstationen wird eine Hauptbedingung zur Bewältigung der Aufgabe sein, die dem Sanitätskorps im Ernstfälle zu¬ geteilt wird. Ein einfacheres Mittel, als den Schneeschuh zur Lösung dieser Aufgabe während der Winterszeit, giebt es unseres Erachtens kaum. Schneller als eine Fahrgelegenheit beschafft, schneller als ein Pferd zum Abrücken fertig gemacht worden ist, steht der Schneeschuhläufer auf seinen Schuhen, bereit, die Fahrt anzutreten. Schließlich ist auch die Verwendung des Schneeschuhes für den Fouragedienst ins Auge zu fassen. In kurzer Zeit läßt sich zur Winterszeit von einigermaßen geübten SkiLäufern ein weiter Bezirk abstreifen, Lebensmittel und sonstige nötige Vorräte beschlagnahmen, die sonst den Fouragierenden, wenn sie auf den mühsam durch den Schnee sich heran¬ arbeitenden Pferden dem betreffenden Ort sich nähern, entgehen. Ueber die weitere Verwendung der Schneeschuhe für be¬ sonders exponierten Vorpostendienst, für ausgedehnteren Tirailleurdienst wird die Praxis — auch in der Friedenszeit — die nötigen Anhaltspunkte liefern. In der deutschen Armee sind bereits im letzten Winter verschiedene Versuche

durch

die

Schneemassen

270 &

-

in diesem Winter wieder Jägerbataillone in Allenstein umfassende Uebungen seitens der in Ostpreußen, in Colmar und Hirschberg, sowie des FüsilierBataillons in Goslar veranstaltet. Die Schneeschuhe, die zu diesen Versuchen verwendet worden sind, waren von der Ge¬ schäftsstelle des „Tourist" auf Bestellung des Königl. preußischen Kriegsministeriums geliefert worden. Ferner ist die Einführung So wurden

gemacht worden.

des Schneeschuhes

an

auch

sämtlichen deutschen Kriegsschulen und Die „Weser-Zeitung" berichtet

bei den Kadettenkorps erfolgt.

über die vom Füsilierbataillon in Goslar am Harz vor¬ genommenen Uebungen unter dem 10. März 1892 in einer Zuschrift aus Goslar: „Beim hiesigen Füsilierbataillon ist das Laufen auf Schneeschuhen befohlen worden. Allenthalben sah man dieser Tage Gemeine, Unteroffiziere, Feldwebel auf der Schneefläche leicht dahingleiten, wenn auch dieser oder jener Läufer bei der Uebung das Gleichgewicht verlor und nähere Bekanntschaft mit dem Erdboden machen mußte." Ein ander-

weiter Bericht sagt:

„Falls

sich

der Gebrauch

der Schnee¬

als zweckdienlich und empfehlenswert erweist, sollen auch andere Truppenteile diese Uebungen zu geeigneter Zeit auf¬

schuhe

nehmen."

in Oesterreich-Ungarn hat man der eventuellen Ver¬ wendung der Schneeschuhe für militärische Zwecke Aufmerksam¬ Auch

keit gewidmet. Das österreichische Kriegsministerium hat die Lieferung eines größeren Postens von Schneeschuhen in Auftrag Es heißt, daß in der österreichischen Armee ein gegeben. Schneeschuhläufer-Bataillon errichtet werden soll. Die in unserer Armee angestellten Uebungen haben die praktische Verwendbarkeit der Schneeschuhe für militärische Zwecke dargethan, was an höchster Stelle anerkannt worden

Wie verhältnismäßig leicht das Schneeschuhlausen zu er¬ lernen ist, geht wohl daraus hervor, daß bei den im letzten Winter angestellten Versuchen nach nur 14tägiger Uebung durch die Mannschaften an einem Tage — wie uns ein Offizier der betreffenden Truppenabteilung freundlichst mitteilte — eine Dieses günstige Strecke von 70 km zurückgelegt wurde. Resultat wurde unter relativ schwierigen Verhältnissen erzielt. Für die weitere allgemeine Verbreitung des Schneeschuh¬ laufens in Deutschland sind wir sicher, daß, wenn erst die Einführung der Schneeschuhe in der Armee eine allgemeinere geworden ist, von selbst schon durch die aus dem Armeedienst in den Civilstand zurückkehrenden Mannschaften, die im Laufen auf Schneeschuhen während ihrer Dienstzeit eingeübt worden sind, das Schneeschuhlaufen sich immer mehr ausbreiten und ein großer allgemeiner, ebenso anregender wie volkswirt¬ schaftlich bedeutender Volkssport werden wird. ist.

Zwei Jahre in Frankreich. Erinnerung aur der Okkupationszeit Juli Von

1871 bis

Juli

1673.

G. Tcrfot. (Schluß)

Hier konnten wir lernen, und

es

auch die französischen

Schulen

kennen

schmeichelte französischer Eitelkeit nicht wenig,

Familien ihre Kinder in sie schickten. Die französischen Kinder gehören weit mehr der Schule als dem Hause an; obgleich die Eltern, so weit wir beobachten konnten, sehr zärtlich zu ihnen find, befreien sie sich doch so daß mehrere deutsche

HB

271

weit als möglich von dieser Last. Viele Kinder werden ganz und gar, auch an demselben Wohnort, der Schule übergeben, andere kommen mittags und abends nach Hause; zur Kirche

wurden sie stets von der Schule aus im Zug geführt. Dabei war von keiner Schulpflicht in be¬ stimmtem Alter, wie bei uns, die Rede. Kleine Kinder, die in Deutschland kaum in einer Kleinkinderbewahranstalt schon aufgenommen würden, gingen in die Spielabteilung, von der sie allmählich, aber nach keiner festen Regel, später zum Lernen übergingen. In eigentliche Klassen waren die Schulen auch nicht eingeteilt, sondern ganz oberflächlich nur, in „Divisionen", was den deutschen Soldatenkindern seltsam klang. In allen Fächern wurde auswendig gelernt, im übrigen Unterricht wie Disziplin äußerst gemütlich betrieben und nur auf Ehrgeiz ilnd Eitelkeit eingewirkt. Die Knaben erhielten als Auszeich¬ nung Orden, ja Lorbeerkränze und andere Spielereien. Die Mädchen das ruban d’homieur — jede Division ihre Farbe. Das war ein breites Seidenband, welches die Eltern kaufen mutzten und die Tochter, quer über die Schulter wie eine Schärpe gebunden, einen oder mehrere Tage tragen durfte, je nachdem die Auszeichnung groß war. Eine eigentümliche Strafe war das sogenannte „pain sec“, das insofern nicht ganz trocken war, als es aus einem Teller Suppe bestand, welcher dem bestraften Kinde von Hause geschickt werden mutzte, nicht mehr, nicht weniger. Das pain sec wurde dann dort angemeldet und zugleich das Nichterscheinen zu Mittag. und auf Spaziergänge

Der Religionsunterricht bestand in wörtlichem Auswendig¬ lernen biblischer Geschichte, aber so gefaßt, daß das betreffende Buch in jeder evangelischen Schule hätte gebraucht werden können. Anders die Weltgeschichte; dabei wurde ein wunder¬ bares Chaos den Kindern eingepfropft, voller Unrichtigkeiten. Irgend ein nachteiliger Einfluß dieser Schulen auf die Kinder war nicht zu bemerken, dafür war wohl auch die Zeit zu kurz, jedenfalls lernten sie gut französisch. Mißverständnisse kamen öfter vor; so sprach ein kleines Mädchen daheim ihre Ver¬ wunderung aus, daß die Franzosen in den Gebeten immer von der „fetten" Maria sprächen; sie hatte bei dem Geplapper gräce und grasse verwechselt.

Mit

den Knaben

spielte

ein Lehrer während

stunden, wobei Krieg zwischen Franzosen und

der Frei¬

Prussiens

sehr

beliebt war und harmlos ausgeführt wurde. An allen Schulen wurden zu jener Zeit deutsche Lehrer und Lehrerinnen ange¬ stellt, ihre Sprache zu lehren, ob mehr aus Trotz oder wegen des Deutschenhasses — wer mochte das ergründen.

Daß bei aller Freundlichkeit der Deutschenhaß, oder viel¬ mehr Preußenhaß, denn Prussien hieß alles, was gehaßt wurde, vorhanden war, zeigte sich bei mancher Gelegenheit.

So wurde ein alter Herr, der 40 Jahre lang in Epernay gelebt hatte und gänzlich naturalisiert schien, als Deutscher auf der Straße mißhandelt, sobald unsere Truppen den Rücken gewandt hatten. Er mußte weiter ziehen, blieb nur noch in dem

ihm liebgewordenen Lande, so lange er durch die Okkupationsarmee Schutz fand, und kehrte erst dann in die fremdgewordene Heimat zurück.

Sehr gewagt Paris reisten, wo

erschien es, daß viele unserer Offiziere nach

wenn als Prussiens erkannt, sich jeder Der Urlaub lautete dabei niemals auf Paris, sondern nur bis zur Grenze des Rayons der Okkupations¬

Gefahr aussetzten.

sie,

8--

linie.

In

Paris erleichterte ein bestimmter Gasthof die

ver¬

botenen Besuche.

Außerordentlich bedenklich, wenigstens sehr unbehaglich für die Beteiligten war es, daß im Herbst manövriert und die Truppen konzentriert wurden, wodurch die in den Garnisonen zurückbleibenden Familien ohne Schutz blieben. Doch ging diese vielgefürchtete Zeit ohne Anstoß vorüber. Die Franzosen staunten über preußische Manöver in ihrem Lande. Als die Okkupationsarmee im zweiren Herbst weiter nach der deutschen Grenze vorgeschoben wurde, entstand die schwierige Frage, wie die Familien an den neuen Bestimmungsort ge¬ langen sollten, ohne feindliche Behelligung. Die Regimenter marschierten langsam, manche Wochen lang, wie es der Ver¬ pflegung wegen berechnet war. In der alten Garnison auch nur eine Stunde länger zu bleiben nach Abzug unserer Truppen, war verboten und wäre auch gefährlich gewesen. Es flössen wohl auch französische Thränen beim Abschied; aber der Jubel brach sofort aus, die letzten der Abziehenden sahen hinter sich schon wehende Fahnen und hörten die Freuden¬ musik. In der neuen Garnison und auch unterwegs, ohne Bedeckung, war alles gewagt. Davon ließ sich nachher auch manches Abenteuer beim Umzug erzählen, und manche Unbill gab es wohl zu ertragen, bis Obdach und Nahrung gesunden waren. Schließlich kam doch alles zurecht, und man fand sich allmählich wieder in fremder Stadt unter alten Bekannten. Frankreich zeichnet sich durch schöne Bauten aus, na¬ mentlich Kirchen, aber auch Kasernen, Brücken, Kanäle, Chausseen, alles dieses kann sich sehen lassen und manches ist sogar vor¬ trefflich. Auch in kleinen Städten finden sich Markthallen, Wasch- und Badeanstalten; in solchen Dingen sind wir weit Oft hörte man Napoleon I. als Begründer nennen, zurück. aber

auch

der

letzte Napoleon

scheint

sich

um

innere Ein¬

richtungen des Landes mehr verdient gemacht zu haben, als die Könige Frankreichs das thaten. Ein allgemeiner Wohl¬ stand zeigt sich überall. Was dort „arm" heißt, wird bei uns noch lange nicht so genannt, und eines

Bettlers wird

sich

kaum

jemand entsinnen, der die Okkupationszeit mitgemacht hat. Gestohlen wurde auch nicht, ängstlich abzuschließen war unnötig, und auf der Straße blieb nachts alles Mögliche ruhig stehen. Ein junger Offizier wurde von seinem Wirt gebeten, nur während des Jahrmarkts, zu dem viel fremdes Volk in die Stadt käme, seine Stube lieber abzuschließen, wenn er aus¬ gehe



sonst geschah das nicht.

mit der fremden Sprache gezeigt, aber auch Kriege zurecht fanden, hatten sie schon im jetzt wußten die Burschen oft zur allgenieinen Verwunderung die aufgetragenen Besorgungen nach Wunsch auszuführen.

Wie gut

sich

unsere Soldaten

Einer, der allerlei Dinge im Laden holen sollte, wurde gefragt, ob er denn die Benennungen kenne, er antwortete: „Die Namen nicht, aber die Sachen, ich mache dort die Schub¬ laden auf und zeige, was ich will." Ein Rittmeister hatte während des Krieges seinen Burschen ausgefragt, welche Vokabeln er wüßte; dieser antwortete auch einiges richtig, als aber der Rittmeister fragte, wie „Holz" auf französisch heiße, antwortete der gute Brandenburger: „Det hol ick mir alleene." Bei Liebesverhältnissen scheint die fremde Sprache auch kein bedeutendes Hindernis gewesen zu sein, wovon sich manches erzählen ließe. Zu bewundern war die Ordnung in einem, eben von

-e schwerem Krieg heimgesuchten Lande,

welches noch

272

dazu eine

große Staatsumwälzung erfahren hatte.

Die Präfekten und Maires waren zum großen Teil neu ernannt und auch sonst kaiserliche Beamte durch solche der Republik ersetzt worden; sie fanden unbedingten Gehorsam, und nirgends merkte man Spuren von Veränderungen. Wie

schnell

die

Milliarden zusammengebracht wurden

an denen die außergewöhnliche direkte Steuern, Okkupationsarmee auch ihren Anteil zu tragen hatte, konnte man durch

mit ansehen;

sie drückten niemand, wie ja überhaupt diese Kriegsschuld dem Lande nicht wehe that. Streichhölzer, Salz,

Spiritus, Tabak und Zigarren waren hochbesteuert;

jede kleine

Rechnung bekam einen Stempel, der als Abgabe bezahlt werden

mußte.

Interessant war zu beobachten, wie nach und nach ver¬ Münzen in Umlauf kamen. Zu Anfang bekam man fast nur süddeutsches Geld zu sehen, das mußte zuerst aus dem Lande; dann kamen Silbergroschen, zuerst die nichtpreußischen an die Reihe, dann eine Zeitlang nur preußisches Geld und endlich französisches Silber; ihr Gold hielten die Franzosen möglichst lange zurück. Statt dessen erschien auf einmal kleines französisches Papiergeld, was es dort sonst nicht gab, und das der Franzose haßt. Das gab manche Reibung, immer kamen sie mit ihren Packelchen Francs, wollten die Papier-Francs aber durchaus nicht annehmen, wir sollten in Gold bezahlen, und sie wollten in Papier herausgeben. Schließlich mußte doch das Gold auch herausgerückt werden, und als erst die Regimentskassen mit französischem Golde gefüllt wurden, kam es in aller Hände. Das Geld geht übrigens in Frankreich mehr durch weib¬ liche als durch männliche Hände. Ueberall in den Geschäften sah man Frauen, welche Kasse und Buch führten; weibliche Billeteurs an den Bahnen, weibliche Postbeamte u. s. w. Man bekam fast den Eindruck, als wären dort die Frauen und nicht die Männer die Herren der Schöpfung. Auch in der Kriegs¬ zeit machten die Offiziere vielfach die Erfahrung, daß sie es in den Quartieren mehr mit der Frau des Hauses zu thun hatten und sich beim Empfang oft ein männliches Wesen hinter derselben bewegte, von welchem schwer festzustellen war, ob Herr oder Diener. Daß die Frauen auffallend häufig ganz ausgewachsene Bärte tragen, zuweilen recht ansehnliche, stimmt wohl dazu. Dabei ist aber von einer französischen „Frauen¬ bewegung" keine Rede oder doch weniger als anderswo. — Der zweijährige Besuch in Frankreich war immerhin so reich an Erinnerungen, daß alle, die daran teilnahmen, gern an diese Zeit zurückdenken werden, freilich ohne zu wünschen, daß er sich wiederhole; wohl aber ist zu wünschen, daß die Franzosen uns niemals einen Gegenbesuch machen möchten, der nach alten Erfahrungen kaum so harmlos verlaufen dürfte. schiedene

Sieben weitere Beiträge mr märkischen

Pflnnlensljmbotik. Von

G.

fanMmann. (Schluß.)

7.

Mauerpfeffer (Sedum aere).

Ein ganz heilloser Andrängler ist der kleine, dicke Gelb¬ stem, welchen sie „Muerpeper" nennen. Da kriecht er hinein

&•

in das Heidegras — und dann will da auch „keen Schoap nich mehr ran. Denn dat stichig aittre Tüg mit afbieten un spucken, pfui Düwel, is en un detsülwichte!" Da klabbert hoch die Wände und Mauerritzen entlang und grinst einen von oben geel (— gelb) neidisch an, wo sich Epheu und Moos viel hübscher machten. Da „verschandiert" er die Kirchböfe, wo es doch wahrlich so wie so Not kostet, Blumen und Bäume in Gang zu bekommen, und steigt frech auf Denkmäler und Grabhäuser hinauf. Kurz und gut: er

(— klettert) er

gönnt einem nichts, er taugt nichts. Es steckt da ein neidiscyer Teufel darin (Weisheit 2,24 und 25). Und dabei sieht er wie ein Stern aus, wie ein auf die Erde gefallener Stern, der wieder hoch will. Ob die altkirchliche Lucifer-Vorstellung hier auf die Ent¬ wickelung der Volksphantasie mitgewirkt haben mag? — Bei dieser Betrachtung angelangt, spielt und springt nach auch sonst beliebter Weise der Volksglaube hastig in nebel¬ haftes Zaubergefilde hinüber. Nämlich, geht es weiter, nämlich weil ein Teufel drinsteckl, eignet dem Mauerpfeffer „en janz jewaltijer Charakter." Das bedeutet: im Mauer¬ pfeffer ist eine ungeheuere Zauberkraft geborgen, und es kommt

lediglich darauf an, diese dämonische Gewalt in menschlichen Dienst zu zwingen, um etwas Heilsames dadurch zu Wege zu bringen. Man merkt, der deutsche Faust-Gedanke bringt sich in dieser märkischen Volksvorstellung zu be¬ rechtigter Geltung. Es wäre interessant und wissenschaftlich wichtig, dieser Spur weiter nachzugehen, welche zu verfolgen mir bisher freilich nicht geglückt ist. Für „Frauenstüg", sonst zu Hexerei so geschickt, is er Seiner mächtig kann nur ein Mauerpfeffer zu gewaltig.

Mann werden, der

sehr fromm und sehr forsch ist, stramm

im

Dienst und kräftig in der Rede.

So ein Mann muß einen Mauerpfefferstiel zusammen mit Stengel Schafgarbe (Achillea Millefolium), welche dem Mauerpfeffer merkwürdig nahe zu stehen und zu nisten liebt und ihm von Gott als Begleiterin gesellt zu sein scheint, Freitags bei Sonnenuntergang unter dreimaliger Verneigung über Kreuz pflücken. Mauerpfeffer links, dem Herzen zu, ins einem

Schafgarbe rechts in die Westentasche, noch besser Danach kann so einer sich alle Woche die drei Hosentasche. Tage von Freitag bis Sonntag unsichtbar machen, gleich den Engeln, bezw. Teufeln, und zwischeninne sichtbar, so viel er Knopfloch,

gemacht: Mauerpfeffer links dreimal um — man wandelt ungesehen einher. Schaf¬ sich selbst gedreht garbe dreimal kräftig längelangs gestrichen (vulgo geklimpert)

will.

Das wird

so

— man ist wieder zu sehen. Wir müssen hier einschalten: in

der That trägt vielfach beide Pflanzen¬ dasselbe Gemäuer Sandgrund wie auch derselbe arten, den Mauerpfeffer und die Schafgarbe, beides sehr nahrungsbescheidene Gewächse, mitsammen. Schafgarbe als

Thee und zu Waschungen gebraucht,

ist ein beliebtes Volks¬

mittel gegen Schwindsucht und Krätze. Ihr wird in der Vulgärmedizin energische Kraft der Wiederherstellung zu geschrieben. Eben derselbe Grundgedanke tritt in dem Eine besondere Legende über Schaf¬ oben Mitgeteilten auf. garbe ist

in

mir nie aufgestoßen. —

Vielleicht ist ein anderer glücklich

solchem Funde.

Ja, aber woher weiß man denn das vom Mauerpfeffer?

273 Na, ob wir nicht „sone" (— solche Leute) bei uns gehabt haben! Von Seidlitz weiß man es nicht so ganz sicher, da der schon die Eierschalen im Pfeifenkopf von dem Schwedter Markgrafen hatte bei seinem Hokus-Pokus. Aber „se menen, Allein ganz gewiß det he düssen Charakter ook had häd." hat ihn „der weiße Prinz" — woher solcher Beiname??! — gehabt, olle Fritzen sein Bruder, der wie Er, d. i. Friedrich der Große, selbst versichert, keinen Fehler im Kriege gemacht hat. (Prinz Heinrich ist gemeint.) Na. un olle Blüchert: Dnndermesser, wat is de Mann voll Gottvertrauen west

(— gewesen), als alle verzagten, und wat häd he kräftig fluchen un schimpen kunnt, un wo is he all' t west un durchkoamen! Ohne den Charakter hädden em (— ihn) janz jewiß bei Ligny de Franzosen un de Dettwel jeholt. Aber det hübscheste was (— war) doch de

uns, um Potsdam und Zehlendorf herum, Schafweide. Er macht sich wieder sichtbar, kehrt seinen Mantel um, das Futter nach außen, und redet in den Dörfern mit den Leuten, daß Dann, glaubt er, kriegt er sich als Schäfer vermieten will. er unter dem Weiden und Treiben ganz gewiß alles, was er wissen will, heraus. Ja, die schütteln den Kopf und zucken die Achseln und parlieren hin und her: das ginge wohl, aber es geht nicht; denn da wächst in diesem Jahre nichts weiter, weil da unten alles „holl un boll" ist. Na, nun wußte er mit einem Male, wie er daran war, und merkte sich die nämlich die Striche,

un

Da es nun Freitag und er gerade im Zuge war, beschloß er, auch nach

Er

gebraucht

seinen

wohl

im drin war,

versteckt

Knopfloch und spaziert bald un¬

Füselier

durch die

gesehen

Straßen „mitten

Wo (— wie)

doch

u. Ermüdung zu verhüten und der Deut¬ lichkeit wegen das neu¬

Platt lieber in Schriftdeutsch gleich

märkische

die

Er ist gewiß eilt mutiger Mann, aber die Sache wird unheiinlich. Da stehen still.

umsetzen.

Also: Als 1870 der Krieg begann, da war am letzten Freitag, ehe das Knallen losging, unser Prinz Friedrich

einer von der Seite auf ihn los, macht Front und sagt kommt

„Hand rechts leise: raus und drehen, drehen,

Karl mit einem Mal weg; kein Mensch, auch der König nicht, wußte, wo er geblieben war. Der aber hatte Kund¬

Königliche Hoheit!"

Kotts Wetter! schreit der Prinz und dreht auch

daß

die Franzosen bei Metz herum alles unterhöhlt hätten, und daß sie die ganze preußische Armee im Daher¬ marschieren in die Luft sprengen wollten. Da muß ich, sprach er bei sich selbst, mich doch selbst überzeugen. Es wäre doch schade, wenn meine Leute so eine Himmelfahrt machen sollten. Vielleicht finde ich aber auch dort die Wege hindurch, daß wir an die Festung und an die Franzoken herankommen. Denn alles können die Kerls doch nicht hohl gemacht haben, sie So ist er fort und spaziert müssen ja selber durchmarschieren. bei Metz herum und wundert sich, daß die Felder so verdorrt dastehen. (Es war bekanntlich im Sommer 1870 in Lothringen große Dürre gewesen.) Aber, denkt er, das giebt wie bei

Stadt

der Kukuk, er weiß muß mit der rechten Hand in die Hosen¬ tasche gekommen sein: mit einem Male „kieken ihn so an" und se

wir wollen,

bekommen,

der

mang

Parlez-vous!" Aber,

Na wett'st (== weißt

schaft

hineinzu¬

Chorakter, der unter dem großen, blitzenden Ordenssterne also

denn?

bv\—

Metz

gehen.

Hübsch.

Hm.

für

Wege und Stege, später.

mit unsen

Jeschichte

Prinzen

fr-

schon

und

hat

Freude dran, was für schasdämelige Gesichter die Franzosen mit einem Male machen, weil sie ihn und seinen Retter plötzlich nicht sehen. Jener nun steht, ihm erkennbar, weiter vor ihm und macht Front. Kerl, redet er ihn an, nun laß mal das Strammstehen sein und sage, wer du bist und seine

was du willst. Königliche Hoheit, ich bin Hübsch. Und ich bin „dunnemals" — d. i. vor unbestimmt langer Zeit — ans Luxem¬ burg von den Zwanzigern desertiert. Ich wohne hier. Und wie ich eben da lang gehe, bekomme ich einen höllischen Schreck, daß Königliche Hoheit schon hier und mir auf den Hacken find. Und da dachte ich: du willst dich man gleich

■e

274

Denn kommen thun die Preußen doch. Und er ist mal dein General gewesen und wird dich nicht gleich tot¬ schießen lassen. Und da sehe ich mit einem Male, daß König¬ liche Hoheit die Hand rechts in der Hosentasche haben, was uns Zwanzigern in Luxemburg streng verboten war. Und die Parlez-vous stehen stille und kucken, und links im Knopfloch bei Königlicher Hoheit Ihrem Ordensstern bammelt der Chorakter. „Ei wei, Backe", schießt es mir durch den Kopf, also so — heute ist hier ja noch Frankreich; nun man rasch! Und da bin ich bei Sie!"

-

&

Die Krieger, welche ihnen unmittelbar nahe standen, sich in naivem Glauben nicht mit solcher civilen Anerkennung. Sie verlangten mehr; sie glorifizierten sich nach Art der Wallensteiner und der Getreuen Friedrichs des Großen — auch des Feindes, Napoleons I., zu gedenken! — die Führer, welchen sie unbedingtes Vertrauen schenken, auf massiv

melden.

bekannt.

doch

begnügten

Na, sagt der Prinz, na Hübsch, das ist fteilich nicht Aber ich merke, du bist Und das ist hübsch von dir, daß du doch ein ehrlicher Kerl. an deinen alten General gedacht hast. Und ich will auch bei Sr. Majestät, unserem Könige, gern ein gutes Wort für dich einlegen. Aber, sage mal Mensch, wie kennst du denn den hübsch, daß du damals desertiert bist.

Chorakter?

O, lacht Hübsch, den habe ich von Großvatern! Wie wir da an dem Berg bei der Oder wohnten, find wir mit dem Chorakter oft in die Heide gegangen und haben einen Bohn (— Baum) geholt („holen" ist Spezialausdruck für — Holz stehlen), wenn die Schiffer einen neuen Mast¬ baum gebraucht haben oder auch, wenn einer ein Plumpenrohr nötig hatte. Und ich bin von hier mit dem Chorakter auch schon zweimal zu Hause gewesen, und keiner hat mich da zu sehen gekriegt als Vater und unser Prediger; die sagen beide nichts.

Hm, hat der Prinz gemeint. Na gut. Nun weißt du was, Kamerad, nun wir mal zusammen sind, sei mal Ordonnanz und führe mich hier umher. Draußen weiß ich schon Bescheid; ich muß aber auch drin Bescheid wiffen.

So sind die beiden einen ganzen Tag in Metz umher¬ gegangen. immer ungesehen, und daher hat unser Prinz von vorn an so gut um Metz und in Metz gewußt, wie es stand. Sonntag aber ist er wieder in seinem Hauptquartier gewesen. Und als der König ihn hat schelten wollen, warum er so lange nicht da war, hat er mit den Augen geplinkert, daß der König, der auch seine Leute kannte, ruhig wurde; und hernach hat er dem König alles erzählt. Der König aber hat be¬ dächtig den Kopf geschüttelt: Na, das ist ja recht hübsch; aber ein anderes Mal laßt das lieber alle beide bleiben, und seht euch bester vor. (Professor W. Schwartz, Berlin, Louisengymnasium, der Nestor deutscher und brandenburgischer Sagenkunde, erzählt über Prinz Friedrich Karl Aehnliches, als er über das be¬ kannte „Dilationsgesetz", das sich stets Erneuern der Sage im Volksmunde, sein wissenschaftliches Urteil abgiebt.)

Laut Erzählungen heimgekehrter Krieger sollen in Analogie 1813/15 auch im letzten Franzosenkriege 1870/71 einzelne hervorragende und soldatenbeliebte Führer ebenso wie „unser Prinz" den „Chorakter Muerpeper" zu eigen gehabt haben. So wurde mir solches z. B. zugeraunt von dem Reiter-General v. Schmid, dem kühnen Durchstreifer der Sologne; desgleichen bei der Artillerie von dem „rechten Arm des Heeres", d. i. Hauptmann Stöphafias, der leider allzufrüh in den Kämpfen an der Loire fiel. Fröhlicher Mannesmut bei rücksichtslosem Draufgehen auf den Feind zeichnete diese Helden aus und machte ihre Namen weithin des Freiheitskrieges

eigene

Art! *

* 4-

Indem ich für dieses Mal wieder die mir zur Zeit mög¬ lichen Mitteilungen, betreffend märkische Pflanzenlegenden und Pflanzensymbolik, nach Vorführung der eben dargebotenen Siebenzahl schließe, bitte ich fürs Fortführen der doch wahrlich für die deutsche Volks- und Heimatskunde sehr interessanten und wichtigen Sache, sei es durch mich selbst, sei es durch andere,

alle, welche Teilnahme am Volksleben- und

sinnen haben, um folgendes:

Als

vor dreißig und mehr Jahren in der Neumark im oberen Oderbruche viel Kümmel gebaut. Leider ist inzwischen der Anbau dieses Gewächses der über¬ lebte,

ich

wurde

Kultur der Zuckerrübe, teilweise auch des Tabaks ge¬ weder zum Vorteil des schnell ausgesogenen, rüben¬ Damals, vor mehr müden Landes, noch der Leute daselbst.

starken

wichen,

als einem Menschenalter, gab es dort im Geplauder der Leute eine sehr feine und zartfinnige Erzählung von „Ritter Kümmel und Jungfrau Mohnblüte." Entwickelt mag dieselbe sich aus der Beobachtung haben, daß sich der wilde, rote Feldmohn innerhalb der weitreihigen, zweijährig im Boden stehenden Kümmelfelder mehr, als den Anbauem lieb war, einnistete und entwickelte. Fürs Auge ein entzückender Anblick: Mohnblüten¬ glut zwischen den Blütenstlberscheiben der elastischen Kümmel¬ staude sinnig nickend! Aber man kann es den Landbauern in Rücksicht auf Feld- und Erntearbeit wahrlich nicht ver¬ denken, daß solche Augenweide ihnen nicht die Mühe aufwog, welche der Umstand veranlaßte, daß die einheimische Jungfer Mohnblüte dem zugewanderten Ritter Kümmel allzu dringlich zulief und den weit offenen Blütenmund seinem glänzenden, bartumrahmten Gesichte zum Kusse förmlich gewaltsam darbot.

Die betreffende Liebeslegende hörte ich seinerzeit von Leuten der Ortschaften Groß-Neuendorf, Letschin, Kerstenbruch; unter den „jenseitigen", d. h. am linken Oderufer an¬ gesiedelten Bewohnern des Ortes Zellin war dieselbe hin und wieder bekannt. Später, um das Jahr 1872 herum, wurde mir dieselbe Legende von Leuten, welche früher nahe Küstrin gewohnt hatten, nochmals erzählt, und ebenso hörte ich sie von einem Fischer aus dem Vororte Bleyen bei Küstrin. auch

Unter der fast endlosen Menge des von mir im Laufe und teilweise bereits veröffentlichten Sagenmaterials ist mir leider diese Legende „Kümmel und Mohublüte" völlig entschwunden und entfallen. Sie ist der Wiederentdeckung wert: aus dem Gefühl heraus kann ichs versichern! Wer findet sie wieder? Wer teilt sie mir oder Herrn Professor W. Schwarz oder Herrn Stadtrat E. Friede! in Berlin für das Märkische Provinzialmuseum mit? der Zeit gesammelten



275

Gm märkischer Strristug auf Schlittschuhen. Von Kavl Gotthard. (Fortsetzung statt Schluß.)

Nach einer guten Viertelstunde erreichen

wir wieder

eine

im Walde gelegenes Bauerngehöft, umgeben von beschneiten Feldern: es ist der Elsen-Hof und sein Besitzer heißt der Elsen-Schulze. Der Vater des jetzigen Besitzers, der aus Kagel stammte, hat sich hier angebaut, um seinen Aeckern näher zu wohnen. Im Winter führt der Elsen-Schulze ein wahres Einsiedlerleben: während der ganzen Woche sieht er häufig keine anderen Menschen als seine Frau, seinen Knecht und seine Magd; nur des Sonntags, wenn er die Kirche in Kagel besucht, kommt er mit der übrigen Welt in Berührung. Selbst der Bote Stephans kehrt bei der wenig ausgebreiteten Korrespondenz des Elsen-Schulzen nur äußerst selten im Elsen-Hof ein; hat er zu Ende der Woche mal einen Brief für den Elsen-Schulzen oder für einen andern Bewohner des Hofes, so läßt er ihn in Kagel, weiß er doch, daß er Sonntags abgeholt wird. Der kleine, anmutig gelegene Elsensee. dessen glatte Eisfläche unmittelbar hinter dem Gehöft zwischen beschneiten Elsensträuchern hervorblitzt, ermöglicht uns die Fortsetzung unserer Schlittschuhfahrt. Nach wenigen Minuten biegen wir um eine hervorspringende Waldecke und erblicken vor uns ein schönes Winterlandschaftsbild. Schneebedeckte Acker- und Wiesenstreifen schließen den Elsensee ab, links von einer mäßig hohen, kahlen Hügelkette, rechts von Kiefernwald eingefaßt. Hinter dem Schneefelde breitet sich die dunkle, schneefreie Eis¬ fläche des Baberowsees aus, an dessen jenseitigen Ufer sich die Häuser des Dorfes Kagel, überragt von dem schlanken Kirch¬ turm, malerisch gruppieren. Bald ist das Ende des Elsensees erreicht, bald auch der diesen See vom Baberowsee trennende Wiesenstreifen durch¬ schritten, und dahin gehts im sausenden Lauf über den Baberow¬ see hinweg, gerade auf den Kirchturm zu. Just an der Stelle, wo sich einstens das Feldkloster der Cistercienser erhob, be¬ treten wir das Ufer. Der Nichteingeweihte würde achtlos vorüberschreiten an dieser Stelle, die für die Kultur der Mark und speziell des Barnim von so hoher Bedeutung ist, denn nichts erinnert mehr daran, daß hier ehedem die Wohnstätte betriebsamer, rastlos thätiger Mönche gestanden hat, denen das Land ringsum im weiten Kreise so vieles verdankt. Nur einige Spuren des Fundaments finden sich noch unter der Erde, auf die zuweilen des Ackerers Pflugschar stößt, und tief in den Grund des Sees in der Nähe des Ufers einge¬ rammte mächtige Eichenstämme, die bei niedrigem Wasserstande sichtbar werden. — Die Cistercienser haben dem Namen dieses an sich reizlosen, weltvergessenen Dörfchens einen Klang ge¬ geben, der noch heute manchen mit der Geschichte der Mark vertrauten Touristen in die abseits der breiten Heerstraße menschliche Wohnung, ein einsam, mitten

gelegene Gegend

führt.

Ueber den Ursprung des Klosters Kagel und die Zeit seiner Entstehung sind bei dem gänzlichen Mangel an positiv

Meinungen verschieden. Mag nun das Kloster, wie die einen wollen, von dem, nach seiner endgültigen Niederlage durch Albrecht den Bären bei Groß-Glienicke am rechten Havelufer, zum Christentum übergetretenen letzten Wendenfürsten dieser Gegend, von Jaczo von Köpenick, ge¬ gründet sein, und mag es später dann die Mutter des Klosters sicheren Nachrichten die

&■

Zinna geworden sein, — oder mögen, wie neuere Forscher mit größerer Wahrscheinlichkeit nachgewiesen haben*), Die Cisterciensermönche des 1171 gegründeten Klosters Zinna, von den Markgrafen Johann I. und Otto III. zur Kolonisierung des neu erworbenen Barnim ins Land gerufen, in Kagel ein Feldkloster (grangia) gegründet haben — jedenfalls standen beiden Klöster Zinna und Kagel in engster Verbindung. Weist nicht der Name des bei Kagel gelegenen Dorfes Zinn¬ dorf, von dem Kagel jetzt in kirchlicher Beziehung Filial ist, die

auf einen Zusammenhang mit Zinna hin? Und sollte es nicht mehr als bloßer Zufall sein, daß sich sowohl bei Kagel wie auch bei Zinna die Dörfer Werder und Hennickendorf finden? Wenn wir den Namen „Kagel" auf das holländische Wort „Kaveling", welches so viel wie Los, Teil, Anteil bedeutet, zurückführen, (Kaveln oder Kageln werden noch heute in einigen Gegenden der Mark die unter die Bürger der Städte ausgelosten Kommunalländereien genannt), so ist es sehr wahrscheinlich, daß die ersten Mönche des Klosters und etwa sie begleitende Kolonisten aus Holland gekommen sind, und zwar die ersteren aus dem Cistercienserkloster Camp bei Geldern.**) — Sobald sich die Cistercienser in Kagel festge¬ setzt hatten, begannen sie in dem heidnischen Wendenlande ihre christianisierende und germanisierende Thätigkeit. Irr der einen Hand das Kreuz, in der andern die Axt oder den Spaten, vollzogen sie ihre Kulturmisfion, wobei sie nicht sowohl, wie andere Mönchsorden, durch Predigen, durch das Wort auf ihre heidnische Umgebung einwirkten, als vielmehr durch die That, durch ihr Beispiel als fleißige, nüchterne und geschickte Arbeiter in Feld und Wald, in Sumpf und Heide. Ihr un¬ ermüdliches Wirken, welches bald von sichlbarem Erfolge ge¬ krönt wurde, gewann ihnen die Achtung und die Herzen der Wenden leichter und fester als eifriges Predigen und das Singen lateinischer Psalmen. Ihr Beispiel weckte Nacheiferung. Die Wenden lernten deutsche Sitte und deutschen Brauch durch die Cistercienser in vorteilhafter Weise kennen, sie wurden allmählich, ohneKampf und Gewalt, germanisiert und christianisiert. Aber auch das Land selbst gewann unter den geschäftigen Händen der geschickten und intelligenten Mönche ein anderes, vorteilhafteres Aussehen: Wälder wurden gerodet und sumpfige Niederungen ausgetrocknet und in ertragfähige Ackerhufen umgewandelt, Dörfer und Ackerhöfe wurden angelegt, die Bäche und Flüsie mußten Mühlen treiben, selbst das harte Gestein wurde verwertet und die Kalksteinbrüche bei Rüders¬ dorf emsig ausgebeutet. So wurde Kagel der Hochsitz deutscher Kultur und christlicher Lehre mitten im Wendenlande, der

Brennpunkt, von dem aus das Werk der Bekehrung und Germanifierung der Bewohner und der Urbarmachung und Besiedelung des Landes strahlenförmig sich über den Barnim ausbreitete. — die Cistercienser des nordöstlichen Deutschlands. Gotha. 187 l. Seite 274 ff. **) A. TrinuS, Märkische Streifzüge. Neue Folge. Seite 183. — Die Erklärung des Namens „Kagel", wie ste R. Lutter in seinem Aufsatz: „Ueber die deutsche Kolonisation des Barnim und Teltow im 13.iJahrhundert," im 10. Jahrgang des „Bär" giebt, scheint uns wenig zutreffend und sehr gesucht. Nach ihm bedeutet Kagel nichts anderes als Kegel — bekannt in der Verbindung Kind und Kegel — ein unehelicher, unechtes Kind, hier also eine in trauriger, abseits gelegener Gegend^befindliche Ortschaft.

II.

*) F. Winter,

Teil.

(Schluß folgt).

-a

276

S--

Kleine Mitteilungen. Uikterr

von

I.

Rcrtikerrt, der am 30. Januar d. verstorbene verdienstvolle Präsident der Herrenhäuser, ist den Lesern der „Bär" bereits einmal im Bilde vorgeführt worden (IX, Jahrgang, S. 371). Die dem Bilde beigegebenen biographischen Notizen (S. 380) entheben uns den Lebenslauf der Ausgabe, hier näher auf des Verstorbenen Unser Bild auf S. 273 giebt die Züge der verschiedenen einzugehen. Herzogs von Ratibor in seinen letzten Lebensjahren wieder. Zur Er¬ gänzung der oben erwähnten biographischen Notizen sei nur folgender gesagt. Im Juni 1884 wurde der Herzog von Ratibor zum Mitglied des vreußischen StaatSrateS gewählt, dem er ohne Unterbrechung bis zu seinem Tode angehörte; ebenso war er bis zu seinem Lebensende Präsident des Herrenhauses und hat durch seine unparteiische und gewandte Leitung der Geschäfte viel dazu beigetragen, daß die gemeinsame Arbeit beider Häuser der Landtages eine gedeihliche Förderung erfuhr. — An seiner Bahre trauerten die tief gebeugte Witwe, geborene Prinzessin Fürstenberg, seine Söhne Viktor, der jetzige Herzog, Franz, Egon, Max und Karl und seine Töchter Elisabeth, Mary und Margarete, vermählte Freifrau vvn Reischach, seine Brüder: Herzog von Ujest und der Stadttbalter in den Reichslanden Fürst Hohenlohe. Berlin erwarb sich der Verstorbene u. a. auch als erster Vorsitzender im Vorstande de§ Kunstgewerbe-Museums hervorragende Verdienste. K. G-.

In

Freimaurer im Munde

Die des Uulkes. Zu dem Artikel in „Bär" Nr. 2 schreibt uns Herr Professor Pauli in Eberswalde: „Beim Lesen Ihrer Nr. 2 „Die Freimaurer im Munde deS Volkes" fällt mir eine scherzhafte Anekdote ein, die mein Onkel, der Oberprediger Pauli in Greiffenberg in Schlesien, mit folgenden Worten zu erzählen pflegte: „AIS ich Hauslehrer auf einem Gute bei BreSlau war, fuhr mich einst ein Knecht aus der Stadt nach Hause. Unterwegs unterhielt ich mich mit dem Kutscher und fragte ihn, da wir gerade an einer sogenannten Schweden¬ schanze vorbeisuhren, auf der in gewissen Nächten ein kopfloser Reiter spukt, ob er an den Reiter glaube.

„So was glaub ich nicht," war die Antwort, „aber an eins glaube Herr Kandidat, und das lasse ich mir von keinem Menschen ausreden. Wir hatten nämlich Spiritus nach BreSlau gefahren, und durch ein Unglück am Wagen viel Zeit verloren, und ich mußte in der Nacht nach Hause. AIS ich durch die Vorstadt fahre, ist alles ruhig, eS schlägt gerade 12; da komme ich an ein HauS, ein großes HauS, ganz hell erleuchtet und darin ein mächtiger Lärm, Musik und Tanz. Da kommt gerade der Nacht¬ wächter. — „Du, sage ich, was ist denn dort loS?" — „Dummer Kerl," sagte er, „das sind ja die Freimaurer." — „Sehen Sie, Herr Kandidat, seit jener Nacht glaube ich an die Freimaurer." ich,

Aufruf.

Mit den Vorarbeiten zur Herausgabe einer umfassenden dialektischen Rätselsammlung beschästigt, richte ich an alle Forscher und Freunde des deutschen Volkstums und Dialekts die herzliche und dringende Bitte, zur Erreichung der einem solchen Werke notwendigen Vollständigkeit das ihnen zugängliche Material an dialektischen Volksrätseln zu sammeln und mir geneigtest recht bald einzusenden. Wo eS gewünscht wird, erhalten die Einsender das handschriftliche bezw. gedruckte Material zurück.

Im voraus danke ich meinen lieben norddeutschen Landsleuten herzlich die gütige Unterstützung und bitte dringend, mein Unternehmen, wenn auch durch den kleinsten Beitrag zur Rätselkunde, zu fördern.

für

Nörten

in Hannover.

Rudolf Eckart, Privat-Gelehrter.

Ucpcrns-Nachrichten. Die Gesellschaft für Heimatkunde der Provinz Branden¬ burg hielt Mittwoch, den 22. Februar, im Bürgersaale des Rathauses unter Vorsitz deS StadtratS Friede! eine öffentliche Sitzung ab. Der Vor¬ sitzende legte ein originelles Protokoll aus dem Jahre 1758 vor, nach welchem ein Förster Fuhrmann in TrierSdorf einen Hasen besessen haben will, der innerhalb dreier Jahre, jedesmal um die Osterzeit, zusammen fünf Eier gelegt habe. Tie Eier sollen nur eine wässerige Flüssigkeit enthalten haben. Die Ehre deS Osterhasen dürfte damit gerettet sein. — In längerem Vortrag schilderte Herr Dr. Bahrfeldt das märkische Münz¬ wesen im 14. und 15. Jahrhundert. Unter den Wittelsbachern, denen das Wohl der Mark wenig am Herzen lag, trat u. a. auch eine Verschlechterung des MünzwescnS ein. Die Münzen wurden immer schlechter und kleiner, namentlich nach Verpachtung der Münzstätten. Die Mark war damals in zwei Münzbezirke eingeteilt, Berlin (das auch in Frankfurt prägen ließ) und Stendal; außerdem prägten noch im Bezirk der jetzigen Provinz die Städte Prenzlau und Königsberg. Berlin und Frankfurt hatten auch städtische Münzen. Der Berliner halbe Pfennig zeigte auf der einen Seite den Bären, auf der andern einen Reiter mit der Lanze. Unter den Luxemburgern kommt zuerst der Groschen vor, und zwar der böhmische. Auch die Bischöfe von LebuS, sowie verschiedene Adelsgeschlechter, die Plothow, die AlvenSIeben, v. d. Reck, v. d. Schulenberg u. a. prägten ent¬ weder selbst oder waren doch Teilhaber an Münzstellen.

Für die Redaktion verantwortlich: Verlag:

Küchertifch.

Krockliarrs' Hemrreeflrtierns- Lovikc-rr.

14. Aufl. 1893. Verlag von F. A. BrockhauS. 5. Band Preis 10 Mk. Allgemeines Interesse dürste der soeben erschienene 5. Band der Jubiläums-AuSgabe von BrockhauS' KonversationS-Lexikon erregen, be¬ sonders im Hinblick auf die deutsche Mililärvorlage, über die derselbe reich¬ haltiges Material bietet, so u. a. zwei zu der Artikelreihe über Deutschland gehörende überraschende Karten der Dislokation der deutschen, österreichischen, russischen und französischen Truppen, namentlich an den Grenzen, wie auch im Binnenlande. Unter den 243 Seiten umfassenden wichtigen Artikeln über Deutschland und Deutsches Reich ersetzen viele einen ganzen Leit¬ faden, so: Deutsche Litteratur, Deutsches Theater, Deutsches Recht u. v. a. Zu diesen Artikeln gehören nicht weniger als 17 Tafeln, darunter drei Chromotafeln und 14 Karten. Unter den Chromos tritt vor allem die prächtige, lebenSreiche Darstellung der Uniformierung unserer ostaftikanischen Schutzlruppe hervor. Die Karte „Deulsch-Ostafrika", die zu dem vorzüg¬ lichen Artikel über diese Kolonie gehört, enthält wie dieser selbst schon die neuesten Entdeckungen, wie z. B. Dr. O. BaumannS Eijassi-See. Sehr instruktiv ist auch die Karte der deutschen Mundarten mit ganz neuer DarstellungSweise. Da wir im Zeichen deS Verkehrs stehen, ist er selbstver¬ ständlich, daß die 107 Artikel über Eisenbahnen, die ebenfalls von ersten Fachautoritäten herrühren, ihren Gegenstand erschöpfend behandeln. Sie sind von 2 Tafeln und 69 Textfiguren begleitet. Man könnte hierzu auch noch den Plan von Dresden rechnen, insofern auf ihm, zum erstenmal, die Schienenanlagen zum künftigen Centralbahnhof angegeben sind. Der Elektricität sind 8 Tafeln und 16 Figuren gewidmet. Im ganzen enthält der Band 56 Tafeln, darunter 6 ChromoS, 22 Karten und Pläne, und 228 Textabbildungen. Eine neue, bunte Welt des Mikroskops eröffnet die schöne Tafel „Dünnschliffe" von Mineralien; ebenso prachtvoll ist eine Tafel mit heimischen Eidechsen und die vollendete Wiedergabe des seelen¬ vollen Dürerschen „Christus am Kreuz" der Dresdener Galerie. Daß die Redaktion bestrebt ist, daß Neueste aufzunehmen, wenn eS allgemeines Interesse bietet, beweisen nicht allein die erwähnten Artikel, sondern auch der Umstand, daß die gefeierte Tragödin Eleonora Düse hier zum erstenmal Selbst der jüngst verstorbene in einem KonversationS-Lexikon erscheint. „Eisenbahnkönig" Jay Gould fand Erwähnung. Von besonderem Interesse dürste noch die Notiz sein, daß in den ersten fünf Bänden gegen 33 600 Stichworte enthalten sind, ca. 11 000 mehr als in der 13. Auflage.

Leipzig.

Führer: imrctj dorr bayrischen Maid. berg.

Von Jos. Mayen¬

Passau. M. Waldbauers Buchhandlung (Max Coppenraths. Preis 3 Mk. Der bayrische Wald gehört zu jenen Stätten deutscher Erde, die von Er besitzt der Masse der Sommerreisenden gemieden werden. Warum? die Vorzüge frischer Waldluft, den Schmuck der Berge, die Rcmantik einer geschichtlichen Vergangenheit und vieles andere, dazu ist der Lebensunter¬ halt im bayrischen Walde wenig kostspielig. Mögen diese Zeilen dazu beitragen, daß er etwas weniger stiefmütterlich von uns Norddeutschen be¬ handelt werde. Jedem Besucher bietet sich in obigem Werke ein vortreff¬ — lk — licher Führer, welcher allen Touristen warm zu empfehlen ist. 7. Auflage.

Markgraf

(Otter

der Minnesänger.

Von Fritz Eichberg. F. Fontane u. Co. Preis 2 Mk. Gedicht.

Berlin

Ein väterländisches Verlag von

1893.

Fritz Eichberg, welcher den Lesern deS „Bär" durch feine warm empfundenen Gedichte wohl bekannt ist, tritt zum erstenmale mit einer größeren Arbeit an die Oeffentlichkeit, die nicht verfehlen wird, die Auf¬ merksamkeit auf den jungen Dichter zu lenken. Die vorliegende Arbeit zeichnet sich durch ungesuchte Einfachheit und wirklich poetische Empfindung auS; sie behandelt einen geschichtlichen Stofs mit vielem Geschmack und in zündender durchaus origineller Form. Durch das ganze Werk geht ein Zug wohlthuender Frische und prächtiger patriotischer Gesinnung. — Eichberg ist ein Kind der Mark und die Kenntnis feines engsten Vater¬ landes, sowie eingehende Studien des geschichtlichen Stoffes an Ort und Stelle befähigten ihn, ein anschauliches, lebendiges und zugleich hochpoetisches Gemälde jener Zeit zu entwerfen. — Das Buch darf als willkommenes Festgeschenk begrüßt werden und hat Anwartschaft darauf, als echtes, schlichtes Volksbuch in weiteren Kreisen Verbreitung zu finden und Freunde — x— zu gewinnen.

Slnljalt: Verrat

und Treue.

Historischer Roman

auS

der

Zeit der 7jährigen Krieges. Von E. H. von Dedenroth (Fortsetzung); Die Benutzung des Schneeschuhs in der Armee (mit 3 Abbildungen); Zwei Jahre in Frankreich. Erinnerung aus der Okkupationszeit Juli 1871 dis Juli 1873. Von E. Tafel (Schluß); Sieben weitere Beiträge zur märkischen Pflanzensymbolik. Von E. Handtmann (Schluß); Ein märkischer Streifzug auf Schlittschuhen. Bon Kar! Gotthard (Fortsetzung). — Kleine Mitteilungen: Viktor Herzog von Ratibor (mit Abbildung.) Die Freimaurer im Munde der Volkes. Ausruf. — Vereinsnachrichten. — Büchertisch. — Anzeigen.

Richard George in Berlins. 4, Chausseestr. 3ä (SprechstundenMenStagS und Freitags nachmittags von 3—4 Uhr). Abdruck ohne eingeholte Erlaubnis ist untersagt. Fr. Zillessen, Berlin N., Schönhauser Allee 141. — Druck: Buchdruckerei Gutenberg, Berlin N., Schönhauser Allee 141a.

Unter Mitwirkung

r.

Food. Meyeo,

H. DrendicKo, Theodor Fontane, Stadtrat M. Srtfwaoi; und Ernst v. Wttdendourti,

Gymnasialdirektor vi>.

herausgegeben von

Friedrich LMeffen YTTZahrgang.

Der

M 24.

„Bär"

und

Richard George.

erscheint wöchentlich am Sonnabend und ist durch jede Postanstalt (No. 709 ), Buchhandlung und Zeitungsspedition für 2 Ulk. 50 Pfg. vierteljährlich zu beziehen.

11.

Mari

1883.

hvrni unS Treue. Historischer Roman auS der Zeit der 7 jährigen Krieger von

E. A. non Dodonooth.

(10. Fortsetzung.)

als je in diesem Augenblicke; es lag ein Hauch der Romantik in dem Gedanken, ihre Farben an seine Brust zu stecken, für das Recht der Beleidigten zu kämpfen, und wo die Begierde flammt, wo die Eitelkeit nach dem er¬ sehnten Triumphe hascht, wo das Blut wild erregt durch die Adern rollt, da ist von Ueberlegung keine Rede mehr. Hoch erglühend und wie von Begeisterung für das schöne Weib er¬ griffen, beugte Robert das Knie! „Ich schwöre, Ihre Farben als treuer Ritter zu tragen," rief er, „gebieten Sie über mich wie über Ihren Sklaven!"

das sich in dieser Stunde verkauft hat, oder ich werde einen Schurken entlarven. Ich werde mein Wort halten; wird er der Rächer unserer Ehre, so will ich ihm angehören; denkt er mich zu betrügen, so will ich seine Ehre durch einen Pfuhl der Schande zerren, den selbst der Mantel Brühls nicht ver¬

Toni löste eine Schleife von ihrem Busentuch und steckte dem Kittenden an die Brust. Es blitzte ein Strahl des

mit einem Schlage verwandelte, wo das gefolterte Herz sich selber einen Weg suchte, der Verzweiflung zu entgehen, da

W^oni war

sie

schöner

Triumphes aus ihren Augen. „Verlassen Sie mich jetzt" sagte sie mit bebender Stimme, als sei sie selbst ihrer Gefühle nicht länger Meister, „ich laffe Ihnen bis morgen Zeit, mir die Schleife zurückzusenden, wenn Ihr Wort Sie gereut. Gehen Sie — ich muß allein sein — morgen sprechen wir uns wieder!" Robert gehorchte, auch ihm mochte es willkommen sein, und das Geschehene überdenken zu können, da die Gegenwart des Obersten ihn doch daran hinderte, sich so frei zu ergehen, wie er das gewünscht hätte. Die Anwesenheit des alten Herrn war für ihn peinlich und störend, obwohl der Oberst sich zuletzt als schweigender, stau¬ nender Beobachter verhalten hatte. Toni las es aus den Mienen ihres Vaters, als Robert sie verlassen, welche Er¬ klärung er von ihr forderte, um nicht völlig irre an ihr zu Ihr Antlitz ward plötzlich sehr ernst; es legte sich werden. diese Scene beendet zu sehen

ein düsterer Schatten darüber.

„Ja, Vater,"

sagte sie, zu ihm tretend und ihren

Arm

auf seine Schulter legend, „ich werde entweder ein Weib sein,

decken

soll.

Laß mich gewähren, mein Vater!"

Der alte Herr schaute sorgenvoll trübe drein, aber er widersprach nicht; wo das Schicksal mit so rauher Hand den Frieden eines Menschendaseins zerstörte und Leidenschaften in einer Brust erweckte, die ihr ganzes Sinnen und Trachten wie

mußte er schweigen. 7.

Kapitel.

Robert v. Berlet war zu Mute wie einem Berauschten, als er das Haus des Obersten verließ, wie jemandem, dem es nicht klar ist, was er im Taumel der Sinne begangen hat, vor dessen Seele sich sarbenschöne und düstere, verführerische und drohende Bilder bunt durcheinander drängen. Sein Weg führte ihn bei einem freien Platze in der Nähe des Miltizschen Hauses vorbei, den Reitwege umgaben und durchkreuzten. Es wurden hier von Kavalieren und Reitkundigen aller Art fortwährend Pferde zugeritten. Liebhaber von Pferden und Kauflustige schauten dem

Sport mit Kennerblicken zu.

Robert war zu sehr mit anderen Gedanken beschäftigt, um heute Interesse für das Schauspiel auf dem Reitplätze zu hegen. Er war schon beinahe an dem Platze vorüber ge¬ gangen, ohne zu beachten, daß derselbe heute ungewöhnlich belebt war, da erweckte ein lautes Beifallsgeschrei seine Auf¬ merksamkeit.

Als

er nach der Ursache desselben schaute, sah

•na

in Barrisre genommen, und nicht nur die

er Herrn v. Brenkenhof hoch zu Rosse; derselbe hatte eben

kühnem Sprunge eine

8--

278

neugierige Menge, welche sich als Zuschauer angesammelt hatte, sondern Kavaliere, die Sachkenner waren, gaben ihre An¬ erkennung durch laute Zurufe zu erkennen. Robert erkannte sogleich das Pferd, welches Miltiz von ihm gekauft hatte und das man für undressierbar hielt.

Brenkenhof ließ jetzt den Emir im spanischen Tritt gehen. Die Schönheit des edlen Rosses kam zur vollsten Geltung, und es folgte gehorsam dem Meister, der es gebändigt, es sah aus. als gehorche es spielend dem Zügel und dem Schenkeldrucke, nur die Schaumflocken, mit denen es bedeckt war, verrieten, daß es eiserner Gewalt bedurft hatte, seinen Trotz zu bändigen. Er Das Blut Roberts wallte in Neid und Haß auf. gehörte zu den Menschen, welche bei einem Dritten ein Geschick, auf das sie selber stolz sind, nicht ohne Bitterkeit anerkennen. Robert bereute es jetzt, das Pferd an Miltiz verkauft zu haben, denn er gönnte keinem den Triumph, den Emir gebändigt zu haben, am wenigsten aber dem Brandenburger, den er gestern einen Feigling genannt hatte. Der Mann war ihm schon bitter verhaßt, er trug die preußische Uniform, er hatte gestern jene Ruhe bewahrt, die einen Streitlustigen beschämt und erregt,

Es hatte heute sie ein moralisches Uebergewicht kundgiebt. einen peinlichen Eindruck auf ihn gemacht, gerade diesem Manne in der Wohnung Tonis zu begegnen, denn er konnte sich sagen,

weil

Gruß erwartet hatte, „daß Sie mich auf einen Fehler des Emir aufmerksam gemacht haben, ich wollte ihn heute beim Pistolenschießen im „Großen Garten" probieren und bin jetzt zur Vorsicht ermahnt." Es war unter den Anwesenden wohl keiner, der Berlet eine gute Absicht zugetraut; wer nichts Böses denken wollte, der konnte annehmen, daß Robert zufällig, ohne etwas dabei zu beabsichtigen, das Tuch geschwenkt habe. Die kaum zu be¬ zweifelnde Ironie in den Worten des Brandenburgers hatte also für Berlet etwas Beschämendes, während jeder anerkennen mußte, daß dieser sich stolzer aus der Affaire zog, als wenn er gerechtem Unmute in Worten Ausdruck gegeben hätte. „Gut herausgezogen! Berlet, Ihr seid abgeführt! — Mit Dem bindet Ihr nicht wieder an!" so klang es spöttisch oder tadelnd von allen Seiten, während andere Kavaliere die Unvorsichtigkeit Roberts lam mit harten Worten mißbilligten und diese Gelegenheit mit demonstrativem Eifer benutzten, dem bevorzugten Neffen des Ministers zu zeigen, wie man über ihn denke. Robert kochte vor Wut. Am liebsten hätte er Brenkenhof auf der Stelle vor die Klinge gefordert, aber der Branden¬ burger war davon geritten. Er mußte sich damit trösten, daß ihm vielleicht im „Großen Garten" eine Gelegenheit sich bieten würde, seinen Haß befriedigen zu können. Aber auch höflichen

dieser

daß Brenkenhof nachforschen werde, welche Geschäfte den Neffen des Ministers in das Haus des Obersten geführt; kurz, er sah in dem preußischen Offizier einen Mann, mit dem er früher oder später den Degen kreuzen werde, und da mußte es ihn

reizen, denselben bewundert zu sehen.

Er trat zu den Kavalieren, welche der Reitkunst des Brandenburgers Beifall zollten. Er wußte, daß Emir leicht scheute.

„Pferde," sagte er zu einem seiner Bekannten, den er unter den Anwesenden traf, „haben ihre Launen, sie haben ihre guten und schlechten Tage, und es ist noch nicht gesagt, daß jemand, der heute den Emir reitet, ihn morgen aus der Stallthür bringt. Man sieht es übrigens, daß das Pferd dressiert ist. sonst würde es nicht im spanischen Tritt gehen. Der Brandenburger kennt es vielleicht, manche Pferde gehorchen demjenigen, der zu ihnen spricht oder durch ein Geheimmittel sie gefügig macht." Während er also sprach, zog er in demselben Augenblick, als der Reiter vorüber kam, sein Tuch aus der Tasche und schwenkte dasselbe. Was er erwartet hatte, geschah — der Hengst scheute, machte einen gewaltigen Seitensprung und stieg alsdann kerzengrade in die Höhe, als wolle er sich überschlagen. Brenkenhof hatte den tückischen Streich zu spät bemerkt, um den Wirkungen desselben vorbeugen zu können, aber er blieb trotzdem im Sattel, und als der Hengst stieg, gab er ihm Sporn und Peitsche. Das Tier machte einen wilden Satz, aber es fügte sich dann dem Willen seines Meisters, der wie ein Centaur mit ihm verwachsen schien, und anstatt Brenkenhof eine Demütigung bereitet zu haben, hatte Berlet das Gegen¬ teil erreicht: alles jubelte dem unerschrockenen Reiter zu. Leopold v. Brenkenhof wandte das Pferd,

ritt auf Berlet

zu und lüftete den Hut.

„Ich

danke

Ihnen,"

den jungen Mann

heftend,

Plan sollte nicht in Erfüllung gehen. Als der Neffe des Ministers seine Behausung erreichte,

fand er dort den Befehl vor, sich sofort bei seinem Onkel einzufinden, der ihn zu sprechen begehre. Der Minister hatte durch seine Spione Kenntnis davon erhalten, daß Robert einen Besuch im Hause des Obersten v. Miltiz gemacht habe. Robert hätte es bei einiger Ueberlegung vorhersehen können, daß

Brühl einen Mann überwachen

lassen werde, den die Er¬

bitterung zu einem Racheakt verleiten konnte, und daß also sein Gang nicht geheim bleiben konnte. Er war jedoch nicht darauf vorbereitet, hierüber zur Rede gestellt zu werden, noch weniger aber wagte er es, die Wahrheit zu gestehen; in seiner Verlegenheit fand er keine bessere Ausrede, als die, daß er eine Reibung mit Herrn v. Brenkenhof gesucht habe.

„Der Brandenburger." so erzählte er seinem Oheim, „mischte sich gestern in einer Weinhandlung in ein Gespräch, das ich mit Erich führte und that. als sei er eifersüchtig darauf,

ein anderer den Namen des Fräulein v. Rohr hatte gehört, daß er dem Fräulein v. Miltiz den Ich Hof mache und wollte mich daher dort nach ihm erkundigen." daß

nenne.

„Bei Miltiz V" fragte Brühl ungläubig. „Warum nicht? Der Oberst ist mir dankbar dafür, daß ihm die Bedingung erließ, die Person zu nennen, welche seine Supplik dem Könige in die Hände gespielt hat. Ich traf ihn gut gelaunt, da Brenkenhof das Pferd reiten kann, das ich vor einiger Zeit an Miltiz verkauft habe." „Und was hat er Dir über den Brandenburger gesagt?" „Noch nichts, beide scheinen mir sehr intim zu sein. Ich muß diplomatisch zu Werke gehen, wenn ich ihn aushorchen will, denn der Brandenburger scheint sehr mißtrauisch zu sein. Ich werde aber auf alle Fälle mein Ziel erreichen." ich

„Sehr gut,"

sagte

Brühl

nach

„beobachte die Leute, es ist wohl kein sagte

er,

das blitzende Auge auf

der alles andere eher als einen

kurzem

Nachsinnen,

Zufall, daß der Branden¬

burger ein Quartier in dem Hause gesucht und gefunden hat, wo ein mißvergnügter Unterthan des Kurfürsten wohnt. Ja,

■e

279

Argwohn. Doch davon später! Aber vor einem hüte Dich! Du bist reizbar und heftig. Du darfst Dich unter allen Umständen nicht verleiten lasten, mit dem Brandenburger in Händel zu geraten. Es darf nichts ge¬ schehen, was den Argwohn in Berlin vermehren könnte, den man dort bereits gegen uns hegt; der große Marquis von Brandenburg soll ruhig die Flöte spielen und Verse machen, er soll ungestört auf seinen Lorbeeren ausruhen, bis die Stunde schlägt, in welcher wir zur Jagd blasen werden. Der Herr v. Brenkenhof hat wahrscheinlich eine politische Mission, das bezweifle ich keinen Augenblick — die Herren Preußen kommandieren ja Offiziere zu allem, als lasse fich alles nach der Trommel verrichten, und als komme die Weisheit über die Herren der Wachtparade mit dem Kommando. Wir müssen aber höflich gegen den Herrn sein, damit er an unsere Liebe und Freundschaft für seinen König glaubt und von unseren herzlichen Gefühlen nach Berlin berichtet." ich habe noch anderen

„Oheim." rief Robert, „das vermag ich nicht. Ich haste Blut wallt in mir, wenn ich ihn sehe. Er

den Menschen, das

hat mich durch sein unverschämtes Benehmen herausgefordert, ich will und muß ihn züchtigen!"

„Du wirst „Ich

will es!" meine Ehre steht mir höher.

gehorchen, Robert, ich

kann nicht,

mir, Oheim —"

Verzeihe

„Ich will nichts hören," unterbrach ihn der Minister er¬ regt. „Du versprichst mir Gehorsam, oder ich schicke Dich auf den Königstein, bis Dein Blut fich beruhigt hat. Schweig! —

ich befehle

es."

Robert stand wie versteinert da, Lieblinge gesprochen.

so

hatte der Minister

s-

Hier jedoch ward der Eindruck dadurch, daß Brühl geheime politische Pläne enthüllte, völlig verändert. Zum erstenmale äußerte sich der Minister seinem Neffen gegenüber so offen über Dinge, welche freilich überall als Gerüchte und Ver¬ mutungen im Umlauf waren, aber doch als Slaalsgeheimniste gelten mußten, und Robert fühlte fich plötzlich als eine sehr wichtige Person, da ihm solches Vertrauen zu teil wurde.

„Brühl

versteht es besser, Komplotte zu schmieden, als zu

verbergen," sagte Friedrich II., und dieses Urteil bestätigte sich auch heute: der Minister vertraute einem jungen, über¬ mütigen Menschen ein Staatsgeheimnis an, er sprach von dem geheimen, gegen Friedrich gerichteten Bündnis Oesterreichs, Rußlands und Frankreichs, von dem Brühl wußte, ohne ihm förmlich beizutreten — um diesen von einem Vorhaben abzu¬ halten, welches er auf andere Weise hätte verhindern können, wenn seine Autorität als Onkel nicht genügte, den Neffen zum Gehorsam zu zwingen. Robert gelobte seinem Onkel, seine Privatgefühle den patriotischen unterzuordnen, und an die Stelle seiner Begierde nach einer persönlichen Reibung mit Brenkenhof trat der Wunsch, den Monarchen desselben zu täuschen und bei dem großen Werke der Vernichtung Preußens eine thätige Rolle, vielleicht sogar eine wichtige zu spielen. (Fortsetzung folgt.)

Gin märkischer Streiftng auf Schlittschuhen. Von Karl Gattliard.

noch nie zu seinem

„Robert," fuhr Brühl begütigend fort, als er druck bemerkte,

(Schluß.)

den Ein¬

den seine Worte auf Robert gemacht hatten,

„ich verstehe und billige Deine Gefühle, aber nimm Vernunft an, damit wir in Güte einig werden. Ich dürste auch nach Der Mann, Rache, und doch muß ich mich in Geduld fügen. der Schlesien geraubt hat, verhöhnt mich, er spottet meiner, er bewitzelt mich, aber ich schweige, ich muß ihm verbindliche Depeschen schreiben, ich muß mich bezwingen, also mußt Du das auch lernen können. Es liegt mir viel daran, diesen Herrn v. Brenkenhof beobachten zu lassen. Ich möchte ihn eher bestechen und für unsere Interessen gewinnen, als dadurch, daß er zu Händeln gereizt wird — noch dazu durch meinen Neffen — den Argwohn genährt sehen, daß wir uns vor brandenburgischen Spionen und Aufpaffern zu fürchten haben und Heimlichkeiten treiben. Robert, es ist Großes im Werke: wenn der Tag der Rache da ist, wenn alle Mächte Europas über den Räuber Schlesiens herfallen und ihm das Urteil sprechen, wenn man ihn wieder zu einem bescheidenen Marquis von Brandenburg macht — dann thue, was Du willst, dann werde ich Dir, wenn Du willst, Rache an jenem Menschen verschaffen, heute aber gehorche!"

Der Minister

sprach zu seinem

Lieblingsneffen selten in

strengem Tone, er gab meist den Bitten desselben nach, heute hatte er seinen Befehl mit einer Drohung begleitet, und er hätte damit unter anderen Umständen wahrscheinlich den Trotz Roberts herausgefordert, denn eitle, durch Bevorzugung ver¬ wöhnte Naturen erproben gewöhnlich lieber, ob die Strenge wirklich ernst gemeint ist, als daß sie sich einschüchtern lassen.

wir

Wie der Streifzug fort. Baberowsee die Westseite, so flankiert der Bauernsee die Ostseite von Kagel. Beide Seen find durch einen schmalen Graben mit einander verbunden, über den am Südausgange des Dorfes eine kleine Brücke führt. Die Sonne des kurzen Wintertages steht schon dem westlichen Horizont bedenklich nahe, und wir müssen uns daher beeilen, wenn wir noch vor Dunkelwerden das Ziel unserer Fahrt erreichen wollen. Ein frischer Wind im Rücken erleichtert uns den Lauf über den Bauernsee, an dessen linkem Ufer fich eine Reihe von Ge¬ höften. „der Dudel", hinzieht, während fich zur rechten eine weite Schneefläche ausbreitet, aus der hin und wieder eine verkrüppelte Fichte hervorragt. Der Bauernsee verengert sich allmählich, indem von rechts und links je eine mit Schilf und Rohr bewachsene Landzunge in das Wasser hineinragt. Doch

Zwischen

setzen

den Spitzen

unseren

dieser

Landzungen hindurch

gelangen

Zur

rechten zieht sich jetzt wir in den Liebenberger See. Kiefernwald an den See heran, während fich links die ver¬

Feldflur von Kagel ausdehnt, begrenzt von der BerlinFrankfurter Chaussee, deren Richtung wir am Horizont an den Vor uns. sie einfassenden hohen Pappeln verfolgen können. schneite

am östlichen Ende des Sees, markieren fich deutlich die dunklen Umrisse des Müncheberger Stadtforsts. Wir schlagen die Rich¬

tung nach dem rechten Ufer zu ein und zwar dorthin, wo zwischen kahlen Bäumen und Sträuchern das beschneite Dach einer Wassermühle hervorschaut. Hier ist das Ende unserer Schlittschuhfahrt. — An dieser Mühle vorbei wandern wir in wenigen Minuten zu einer anderen, der Liebenberger Mühle

-8 280 an der Löknitz.

wir

kurz

Wir

erreichen hier also wieder den Fluß, den

der

Cisterciensermönche

von Kagel

gewesen.

Eine

Brücke führt uns auf das linke Ufer der Löknitz, wo wir noch zwei Häuser, das ehemalige Zollhaus und den ehemaligen

Braukrug antreffen.

Hier bei Liebenberg, wo der halbe Weg

Berlin und Frankfurt an der Oder ist, ging früher die große Heerstraße nach Frankfurt vorbei; infolgedessen be¬ zwischen

hier eine Zollstätte, die ziemlich bedeutende Einnahmen gehabt zu haben scheint. Schon 1319 bestand der Ort Lieben¬

fand

sich

berg, denn da verstattete der Herzog Wratislaw der Stadt Müncheberg, soviel Bau- und Brennholz als sie gebrauchte, aus der Heide zu Livenberghe zu holen. Durch eine am 1 . Fe¬ bruar 1364 von Berlin aus erlassene Verordnung verlegte der Markgraf Ludwig der Römer die bis dahin über Liebenberg gegangene Straße nach Müncheberg; trotzdem aber wurde der

Verkehr über Liebenberg nicht gänzlich abgelenkt, und der Zoll wenn auch als Nebenzoll von Müncheberg, fort. Dieser Zoll gehörte von altersher dem Landesherrn*). Im Jahre 1469 bestimmte der Kurfürst Friedrich EL unter andern bestand,

den Zoll von Liebenberg zur Dotation für das Kollegium des von ihm gegründeten Domstiftes zu Berlin**). Seit der Er¬ bauung der Berlin-Frankfurter Chaussee, die eine halbe Stunde nördlich von Liebenberg über Müncheberg führt, und seit Vollendung der Niederschlefisch - Märkischen Eisenbahn, ist die alte Heerstraße über Liebenberg gänzlich verödet, und wer dennoch einmal diese Straße benutzen muß, der zetert sicherlich über den unergründlichen, mahlenden Sand, der die Wagen¬ räder tief einschneiden läßt und den Zugtieren die äußerste Anstrengung auferlegt. —

Wir wandern nun

eine kurze Strecke am linken Ufer der

Löknitz entlang und gelangen bald an dem kleinen verschneiten

Kirchhof vorbei zu dem nahe gelegenen Dorfe Kienbaum. Auch Kienbaum hat, wie Kagel, in früheren Zeiten eine be¬ deutsame Rolle gespielt, und sein Name, der seinen Ursprung einer mächtigen Kiefer oder Kiene verdanken soll, die ehemals am Ausgange des Dorfes, nach der Liebenberger Mühle zu,

dürfte keinem intelligenten Bienenzüchter, der mit der Geschichte seiner Wissenschaft nur einigermaßen ver¬ traut ist. unbekannt sein, denn das jetzt so stille, armselige Heidedorf, dessen Bewohner sich abmühen müssen, um dem sterilen Sandboden eine kümmerliche Ernte abzugewinnen, war vor Jahrhunderten der Kongreßort der märkischen Imker. Johannes Colerus, der alte märkische landwirtschaftliche Schrift¬ steller, berichtet in seinem „Nützlichen Bericht von den Bienen oder Immen" vom Jahre 1611 über den jährlichen Kongreß der Bienenzüchter in Kienbaum Folgendes: „Hier in der Nähe von Berlin halten die Ziedler von Fürstenwalde, Storkow, Köpnick, Beeskow und da umher alle Jahre einen Tag zum Kihn-Baum jenseit Luten-Berge (Liebenberg?), am Sonntage nach Bernhardt. Dahin kommen dann viele Ziedler, mehr denn in die dreißig. Da geben sie meinem Herrn (dem Kur¬ fürsten) 4 Tonnen Honig, oder, wenn sie nicht Honig geben können, so zahlen sie dafür 36 Thlr. aus. Da richten und gestanden hat,

Teil

*) S. W. Wohlbrück,

I. S. 682 **) C. E.

und Teil

II.

Geschichte

der ehemaligen Bistums LebuS rc.

S. 194.

Geppert, Chronik von Berlin.

I.

untereinander, was ein jeder das Jahr durch ver¬ Hat sich nun einer etwa an eines andern seinen Beuten vergriffen, oder einen Schwarm auf¬ gefangen, oder was er sonst mag gethan haben, so wird er alldort gebunden und hinter den Ofen gesetzt und wird heiß eingeheizt. Wer ihm einen Trunk Bier schänkt, der muß eine Tonne Bier zur Strafe geben. Es wird ihnen auch allda von wegen meines Herrn verreichet eine Tonne Bier und 2 Schll. Brodt, und ein Viertel Erbsen. Dazu legen sie von dem ihrigen auch noch andere vier Faß und schlemmen etliche Tage nach einander. — Sie haben außen schöne Heiden und schöne Wiesen dazu. Sie kaufen einander die Honig - Zeidelung, Bienen und Beuten ab, wie andere gemeine Erbgüter, geben Leihkauf und werden eingewiesen. Darnach die Heiden sind, darnach geben sie dafür. Wer nur eine halbe Heide hat, der giebt nur die Hälfte; wer eine ganze Heide hat, der giebt es ganz. Um 8 , 9, 10 Schock kann man eine ganze Heide kaufen. — Es hat auch ein jeder Macht, 12 neue Bauten

urteilen

sie

brochen und verwirkt hat.

vor Fangschleuse verlassen hatten.

Die Liebenberger Mühle ist jedenfalls eine der ersten Anlagen

E»-

Band, S. 44.

auszubauen,

willigung

doch

muß

solches

auch

des Heidereuters geschehen.

alle Bäume dazu;

mit Bewußt und Be¬ Es

taugen

aber nicht

die rindfellig und nicht von dichten

sind,

Hier hat man die Bienen in Wäldern in eitel fichtenen oder Kihnbäumen." — So weit Colerus.*) — Wie in Kagel, so erinnert auch in Kienbaum heute nichts mehr an die Zeit der einstigen Größe: kaum dürften sich noch hier und da bei einem der Bewohner ein Paar schwach bevölkerte Bienenkörbe finden. — die

nehnien sie nicht

wir

den Schlitten

Nach

dazu.

einem frugalen Abendbrot im Dorfkruge bestiegen

des Wirtes, der uns an dem prächtigen, mondhellen, sternklaren Winterabend durch den schweigenden, im Winterkleide prangenden Hangelsberger Forst nach der

Station Hangelsberg der Niederschlesisch-Märkischen Eisenbahn befördert, von wo uns dann das Dampfroß bald zu den heimatlichen Penaten zurückführt.

Königin Kurse in der plastischen Kunst. Von

Maul Schmidt-Ueirhcrns. (Mit

2 Abbildungen.)

wohl kein anderes Glied große Volkstümlichkeit erlangt,

Nächst Friedrich dem Großen hat

des Hohenzollernhauses eine so

wie die erhabene Erscheinung der von allen Volksschichten gleich hoch verehrten Königin Luise. — Wie sehr verschieden von einander ist jedoch die Ursache ihres tiefen Eindringens in die Herzen des Volkes! Während Friedrich der Große seine Volkstümlichkeit ruhmreichen Kriegsthaten verdankt, hat Königin Luise lediglich durch ihr stilles Wirken und Schaffen für das Wohl des Vaterlandes, durch ihr ergebungsvolles Leiden und ihren frühen Tod ein fortdauerndes Gedächtnis unter den späteren Geschlechtern des preußischen Volkes sich gesichert. Mit Recht wird sie Preußens Schutzgeist genannt. Wie sehr ihr Andenken im Volke weiter lebt, davon legt eine überaus große Menge von Schriften und bildlichen Dar¬ stellungen aller Art Zeugnis ab; eine erhebliche Zahl von Gemälden und Stichen, sowohl von Zeitgenoffen als auch von *) Näheres über die frühere Bienenwirtschaft in Kienbaum findet sich im 4. Teil (Spreeland) der Wanderungen durch die Mark Brandenburg, von Th. Fontane.

Apotheose ttev Königin Kurse von Preußen

in der Klrciie

xn Pnretz.

--e

282

ei-

späteren Künstlern machen sie zum Gegenstände der Darstellung.

hohe Nachbildung in Biskuitmasse veranstaltet, welche die Schön¬

Naturgemäß weniger zahlreich, jedoch um

heit der Gestalten und den in den Köpfen liegenden Zauber am besten wiedergiebt.

so

bedeutender sind

Werke plastischer Kunst, durch die sie verkörpert wird. Bei dem gegenwärtig von neuem zutage tretenden lebhaften Interesse für alle die Königin Luise betreffenden Dinge er¬

die

1798 — Marmorbüste der Königin Luise nach dem Ver¬ zeichnis der Kunst-Ausstellung von 1798, S. 42.

behandelnden plastischen Dar¬

1799 — Büste der Königin, welche Friedländer wie

stellungen, soweit dieselben allgemeiner bekannt geworden sind,

folgt beschreibt: „Um den von einer Krause umgebenen Hals ist eine Doppelkette geschlungen, an welcher ein Medaillon hängt; das Brustgewand ist mit Franzen besetzt. Von dieser im Jahre 1799 ausgestellten Gipsbüste ist ein Abguß im Schlosse Monbijou, ein anderer, rosa gefärbt, einst im Schadowhause, jetzt im Be¬ sitze von Frau E. S." Die Jahresangabe 1799 befindet sich auch auf zwei mit einander genau übereinstimmenden, mit Schadows Namen be¬ zeichneten Büsten aus grün gefärbtem Gips bezw. rosa Steinpappe im Hoheuzollern-Museum zu Berlin. Dieselben zeigen die Königin, zum Unterschiede von den bisher erwähnten Darstellungen, mit freiem Halse, das mit Band durchwundene Haar in einen Knoten geschlungen. 1800 — Königin Luise mit dem Apfel als Preis der Schönheit in der Rechten. Das 1,25 in hohe Gipsmodell war 1800 ausgestellt. 1802 — Marmorbüste der Königin Luise, von Schadow in seinen „Kunstwerken und Kunstansichten" S. 61 erwähnt. Im Jahre 1804 entstand eine vom Könige bestellte Marmorbüste der Königin unter Lebensgröße, ausgestellt in

scheint

eine Uebersicht

der

sie

daher wohl angebracht.

In dem

erster Linie ist

wir wohl

hier derjenige Meister zu nennen,

die größte Anzahl verschiedenartiger Darstellungen

Johann Gottfried Schadow, geboren 1764, gestorben 1850 als Direktor der Akademie der Künste zu Berlin. Von ihm sind in chronologischer Ordnung folgende Luisen-Bildnisse und andere Werke vorhanden, die auf die Königin Bezug haben:*) der Königin verdanken:

1794 — Büste der Kronprinzessin Luise von Preußen, Ein Gipsabguß derselben befindet nach dem Leben modelliert. sich im Schlosse Monbijou zu Berlin und zeigt die damalige Kronprinzessin mit langem, auf die Schultern fallendem Haar unter einem kleinen Kopfluche, einer schmalen Binde unter dem Kinn und einem über das Brustgewand nach der linken Schadow selbst sagt in seinen Schulter gehenden Bande. „Kunstwerken und Kunstanfichten, Berlin 1848": „Der Kopfputz der Kronprinzessin und die Binde unter dem Kinn sollte eine Schwellung decken, die am Halse ent¬ Es wurde standen war, nachmals aber wieder verschwand. von den Damen jener Zeit als Mode nachgeahmt." Dem Jahre 1795 entstammt eins der hervorragendsten Schadowschen Meisterwerke, das lebensgroße Doppelstandbild der Kronprinzessin Luise und ihrer Schwester, der Gemahlin des Prinzen Ludwig von Preußen, späteren Königin von Hannover. Die in carrarischem Marmor ausgeführte Gruppe befindet sich im Königlichen Schlosse zu Berlin, während das Gipsmodell in der Berliner National-Galerie aufgestellt ist. Letzteres gelangte zuerst auf der Kunstausstellung im Jahre 1795 zur Ausstellung. Die Gruppe zeigt die beiden Fürstinnen in geschwisterlicher Zuneigung aneinander gelehnt. Die anmutigen Erscheinungen zeugen von einem hohen Grade künstlerischer Vollendung. Schadow berichtet darüber in seinen „Kunstwerken und Kunstansichten": „In stiller Begeisterung arbeitete der Künstler an diesem Modell; er nahm die Maße nach der Natur, die hohen Damen gaben von ihrer Garderobe das, was er aussuchte, und hatte so die damalige Mode ihren Einfluß auf die Gewandung." Das Postament von grauem Marmor enthält an der zwei achteckige, weiße Marmortafeln mit Rosen¬ dazu bestimmt, die Namen der beiden Fürstinnen

Vorderseite kränzen,

aufzunehmen.

Die Ausführung erfolgte in den Jahren 1796 und 97 und ist von allen Seiten gleich sorgfältig, da die Gruppe für einen vollständig freien Standpunkt bestimmt war. Das aus¬ geführte Standbild befand sich auf der Kunst-Ausstellung im Jahre 1797, sowie neuerdings wiederum auf der JubiläumsAusstellung von 1886. (Abbildung siehe „Bär", Jahrg. 9,

S. 233). Die Königliche Porzellan-Manufaktur hat eine etwa Vs m *) Siehe Jul. Friedländer, Gottfried Schadow, Aufsätze und Briefe einem Verzeichnis seiner Werke. Zur 160jährigen Feier seiner Ge¬ burt. 2. verm. Auflage. Stuttgart 1890.

nebst

demselben Jahre.

Im

Jahre 1811 fertigte Schadow eine Marmorbüste der Königin auf Bestellung des französischen Generals Rapp (siehe „Kunstwerke und Kunstansichten" S. 115.) Dieser Umstand zeugt zugleich von der Verehrung, welche die Königin selbst bei den Feinden des Vaterlandes genoß. Aus demselben Jahre stammt eine Apotheose der Königin Luise, als Relief in gebranntem Thon ausgeführt. Dasselbe ist nach Friedländer nach einer vom Besteller, dem Steuer¬ verwalter Pilegard in Frankfurt an der Oder angegebenen Es kam infolge Ver¬ Idee angeordnet und modelliert. ist in der Kirche zu und Königlichen Besitz mögensverfalls in Paretz aufgestellt worden. Das von Feilner gebrannte und auf der Oberfläche polierte Relief befand sich auf der Kunst¬ ausstellung von 1812 und wird folgendermaßen beschrieben (s. Abbildung S. 281): „Man sieht die zum Siernenkreise emporschwebende Königin mit auf der Brust übereinander geschlagenen Händen, umgeben von den an ihren Attributen leicht kenntlichen, allegorischen Gestalten des Glaubens, der Treue, der Liebe und der Hoffnung. Kleine Engel begrüßen die Verklärte auf den Wolken. Darunter befindet sich folgende Inschrift: Hohen-Zieritz Juli 1810 vertauschte Sie die irdische Krone den 19.

mit der himmlischen umgeben von Hoffnung, Liebe, Glaube

und Treue und in tiefer Trauer versanken Brennus und Borussia."

Links davon fitzt Borussia im Waffenschmuck, welche

sich

-e

283

vergebens bemüht, der Macht des Todesstoßes zu begegnen, während rechts Brennus, der Ahnherr und das Haupt des Hauses Brandenburg, Rechte stützt.

die in Trauer gesenkte Stirn auf die Am unteren Ende neigt der Todesengel seine

Fackel zur Erde.

Dem Gedächtnis der Königin Luise ist gleichfalls der von -Schadow im Jahre 1809 gefertigte Marmor - Altar auf der Luisen-Jnsel im Berliner Tiergarten gewidmet, der auf An¬ regung des Philologen Fr. Aug. Wolf von den Eigentümern der Häuserreihe im Tiergarten zur Kundgebung ihrer Freude über die Rückkehr des Königspaares nach Berlin errichtet wurde. An diesen Altar knüpft sich die im Volke lange ver¬ breitete Sage, daß das Herz der Königin darunter begraben sei. Ein ovales Porträtmedaillon der Königin Luise (stehe Abbildung Seite 285), von Heinrich Bettkober im Jahre 1798 gefertigt, 26 oru hoch, 21 cm breit, ist als Gipsabguß vielfach verbreitet und zeigt die jugendliche Königin gleichfalls mit der Binde unter dem Kinn.

Aus demselben Jahre stammt ein Marmor-Medaillon von Schlott, im Hohenzollern-Museum zu Berlin in ähnlicher Auffassung. Ein anderes Marmor - Relief im Neuen Palais bei Potsdam stellt die Königin zusammen mit ihrem hohen Ge¬ mahl dar. Von der Meisterhand Wichmanns haben eine Büste sowie

Figur der Königin als Urania, mit der Erdkugel in der Hand, in Gips, im Hohenzollern-Museum zu Berlin Auf¬ stellung gefunden. die

Auf der Ausstellung der Akademie im Jahre 1806 be¬ fand sich ein Gipsmodell von Bardou, die Königin zu Pferde als Chef eines Dragoner-Regiments darstellend. Eine Broncebüste der Königin nach Chr. Friedr. Tieck auf Charlottenhof bei Potsdam unter einem dorischen Baldachinbau am Pavillon bei der Hofgärtnerwohnung auf¬

ist

gestellt.

Ferner schmückt eine Marmorbüste der Königin von Chr. Dan. Rauch einen ihr zum Andenken errichteten Portikus auf der Pfaueninsel. Weitere Porträlbüsten der Königin aus den Jahren 1804 und 1816 befinden sich im Hohenzollern-Museum zu

Berlin. Die am meisten bekannte

Königin Luise ist das ebenfalls von Rauch gefertigte, im Jahre 1815 aufgestellte Marmordenkmal im Mausoleum zu Charlottenburg. Dieses edle Werk stellt die Königin auf einem Sarkophage schlummernd dar und entspricht, abgesehen von der Aehnlichplastische Darstellung der

keit der Gesichtszüge, ganz dem Charakter der Unvergeßlichen.

Rauch führte die ihm vom König Friedrich Wilhelm IH. gewordene großartige Aufgabe mit Treue und Gewissenhaftig¬ keit aus und gab sich der Erledigung derselben mit einem wohl begreiflichen Enthusiasmus hin. Das Modell wurde in Marmor in Rom und das Denkmal selbst, welches den Meister¬ ruhm des Künstlers begründete, in den Jahren 1812 und 1813 ebenfalls in Italien ausgeführt.

Weniger bekannt dürfte das Schicksal des vollendeten Künstlerwerkes sein, welches auf einem unter englischer Flagge fahrenden österreichischen Fahrzeuge von einem amerikanischen Kaper im Kanal erbeutet wurde. Von einem englischen Kaper bei Cadix wiedergewonnen, wurde es nach Jersey gebracht und verkauft, wieder erstanden und auf der Brigg „The Spy"

&

-

von der englischen Regierung am 1. Mai 1815 nach Hamburg gesandt, wodurch dieser schönen Arbeit auch noch eine geschicht¬ liche Merkwürdigkeit verliehen worden ist. Ein zweites ähnliches Marmordenkmal der Königin Luise von Rauch ist im Antikentempel im Park von Sanssouci, in der Nähe des Neuen Palais bei Potsdam, aufgestellt. Die Königin ist hier ebenso wie im Charlottenburger Mausoleum in ganzer Figur liegend und schlummernd in griechischer Ge¬ wandung, geschmückt mit dem Diadem, dargestellt. Nachdem der große Meister das Charlottenburger Denkmal vollendet hatte, rühmte alle Welt dasselbe, und auch der König Friedrich Wilhelm III. sprach seine volle Zufriedenheit aus. Nnr der Künstler selbst war von seinem Werke nicht befriedigt- sein Künstlerauge allein hatte Mängel daran ent¬ deckt. Rauch fertigte daher kurz nach der Aufstellung des Denkmals im Charlottenburger Mausoleum ein zweites Modell ganz im Geheimen, so daß selbst seine Schüler nichts davon wußten. Nach fast zwölfjähriger Arbeit war dies zweite Werk im Jahre 1827 vollendet. Es zeigt gegen das erste Modell einige Veränderungen. So ist der Kopf der Königin etwas zur Seite geneigt, die Hände find anders gefügt, und das Gewand hat eine andere Gestaltung; auch ist es in Lebens¬ größe gehalten, während das erste Werk V2 Fuß über Lebens¬ größe ausgeführt ist. Der Unterschied beider Kunstwerke ist äußerlich wenig bemerkbar, und doch ist das zweite Modell von höherer ästhetischer Bedeutung und von mächtigerem Ein¬ druck.

Rauch hoffte, daß seine jüngste, bis 1830 von ihm eben¬

falls in Marmor hergestellte Schöpfung an ©teile der früheren im Charlottenburger Mausoleum aufgestellt werden würde. Der König ließ es jedoch nicht zu, obgleich er ebenfalls der letzten Arbeit des Meisters seine vollste Besriediguttg nicht versagte. Das erste, ihm lieb. und wert gewordene Denkmal war über der Gruft der Unvergeßlichen im schmerzvollen An¬ gedenken an den unersetzlichen Verlust nun einmal zur Stelle geweiht worden.

Es war schwierig, einen anderen passenden Standort für das letztgeschaffene Denkmal Rauchs zu finden, bis Friedrich Wilhelm IH. entschied, daß als wohl geeignet der Antiken¬ tempel zu Sanssouci dazu gewählt werde, wo es. seit 1830 ausgestellt, noch fortgesetzt mit pietätvoller Verehrung für die Königin Luise die Bewunderung aller Besucher erregt. Die Büste der Königin in schlafender Lage nach dem

Charlottenburger Original wurde von Rauch mehrmals ge¬ fertigt und im Jahre 1834, am Todestage der Königin, im Sterbezimmer zu Hohen-Zieritz auch vom Künstler selbst auf¬ gestellt. Unter den Vorräten des Rattch-Musertms in Berlin befindet sich ein weiteres Marmorexemplar derselben Büste, über dessen frühere Bestimmung nichts bekannt ist. Ein Gips¬ abguß dieser Büste ist aus dem Nachlaß des 1882 in Potsdam verstorbenen General-Arztes vr. Puhlmann dem Märkischen Provinzial-Museum zu Berlin überwiesen worden. Diese Büste ist insofern von Interesse, als sie einer von den vier Abgüssen ist, welche Rauch auf Befehl des Königs für die vier Kammer¬ frauen der Königin fertigte.

Aus neuerer Zeit stammt zttnächst das allgemein bekannte Marmorstandbild der Königin von Erdmann Encke im Berliner Tiergarten, nach der darauf angebrachten Inschrift von ihren Verehrern dem Kaiser Wilhelm zum 22 . März 1877 gewidmet

-s

284

unb am 10 . März 1880 enthüllt. Dasselbe stellt die Königin in späteren Lebensjahren dar und ist an seinem runden Sockel mit einem den Abschied der Krieger, sowie die weibliche Sorge für die Verwundeten darstellenden Hochrelief geschmückt. (Ab¬

bildung

siehe

„Bär", Jahrg.

Schließlich

ist

6,

Auf einer derselben schreibt der Gott der Zeit folgende Worte mit einem Griffel auf einer Pyramide nieder.

„1800 — Neue

ein Werk

„Sie

„Sie ist dahin, die Königin der Herzen." „Aus der Erde Nebel zurück zum ewigen Licht." „Luise, Preußens Schmuck — Ach! ist für uns dahin." Eine Denkmünze mit der Darstellung des Rauchschen Denkmals im Charlottenburger Mausoleum trägt die Aufschrift:

„Luise Aug. Wilh. Amal. Königin von Preußen entschlief den 10 . Juli 1810, um als Engel des Lichts wieder zu erwachen."

Die

Rückseite

zeigt

das Mausoleum mit der Umschrift:

„Dein treues Volk weint um Dich und Alle

segnet

Dich."

Aussprüche, alle diese mehr oder weniger künstlerisch vollendeten Arbeiten aus früherer und bis auf die neueste Zeit legen Zeugnis davon ab, wie sehr das hehre Bild der Königin im Herzen des Volkes Wurzel gefaßt hat. Der schon zu ihren Lebzeiten getriebene Luisen-Kultus steht in der Geschichte des Vaterlandes in seiner Art ohne Beispiel da. diese

Den Empfindungen der Volksseele beim Tode der edlen Dulderin giebt jedoch am schönsten jener Vers unter einer Apotheose der Königin Ausdruck, welche, nach einer Zeichnung von L. Wolfs durch Fr. Jügel in Kupfer gestochen, in Berlin

„Zu

gut für eine Welt voll Mängel, Schwebt Sie. ein früh verklärter Engel,

Auf der zweiten, zum 22 . Geburtstage, erblicken wir das Profilbild der jugendlichen Königin mit dem charakleristischen Schleier unter dem Kinn, der vom Hinterhaupte lang herab¬ fällt; die Rückseite enthält in einem zierlichen Kranze von Rosen und Winden die Inschrift:

Dem Himmel, ihrer Heimat zu."

„Dtzs treuen Volkes Liebe wand dankbar diesen Kranz, d. 10 . März 1798."

Kaufen Sie -och nicht so! Erinnerung an eine vergessene Zeitschrift von

Eine Medaille „Zum ersten Geburtstage in Berlin 1794" — mit Darstellung des Porträts und eines Altars mit Purpur, Diadem und Kranz — bezeichnet die Kronprinzessin als

„des Diadems, des Kranzes wert." ent¬

gegen, wie

„Luise, Preußens Schmuck — der Frauen höchster Stolz" u. dgl. Eine Medaille zur Säkularfeier am 18. Januar 1801 enthält neben den Porträts des Fürstenpaares die Inschrift:

„Dem Königlichen Paare Heil und Dank und neue Huldigungen des treuesten Volks beim Anbeginn des zweiten Säkulums der Monarchie." Nach der Rückkehr des geliebten und innigst verehrten Herrscherpaares nach Berlin im Jahre 1809 erschienen Denk¬ münzen mit den Aufschriften:

„Des Volkes Flehn krönt Wiedersehn" — „Heil den Heimkehrenden."

«,

Mehrere Medaillen aus Anlaß des Todes im Jahre 1810 tragen die Inschriften:

für Dich."

Auf anderen Denkmünzen treten uns Sentenzen

kehren zurück."

bei Schiaronetti erschien:

vereinen ihre Rosen zu

einem schönen Kranz

Zeit —

Daneben steht:

Emil

Hundriesers, des durch seine zum Empfange des Königs von Italien geschaffene „Berolina" allgemeiner bekannt gewordenen Berliner Bildhauers, zu erwähnen. Das von dem Künstler gegenwärtig für die Berliner National-Galerie ausgeführte Marmordenkmal, dessen erster Entwurf auf der Berliner KunstAusstelluug im Jahre 1888 allgemeines Interesse erregte, zeigt die Königin, deren Kopf an die bekannte Schadowsche Büste erinnert, auf einem Empire-Lehnstuhle sitzend, das Auge sinnend in die Ferne gerichtet, in der auf dem Schoße ruhenden Rechten ein geschlossenes Buch haltend, aus dem einige Blumen hervorragen; ein Bild edler Menschlichkeit, das jeden Beschauer aus das innigste anzumuien geeignet ist. (Abbildung siehe „Bär", Jahrg. 17, S. 285.) Nachdem in Vorstehendem die bemerkenswertesten Werke der Bildhauerkunst, welche das Bild der edlen Königin uns vor Augen führen, der Betrachtung unterzogen worden sind, erübrigt es schließlich noch, auf die große Zahl von Denk¬ münzen hinzuweisen, welche die Königin zum Gegenstände haben. Es sind vor allen anderen zwei von der Hand des hervor¬ ragenden Berliner Medailleurs Loos, welche durch anmutige Schönheit der Darstellung besonders erwähnenswert erscheinen. Die erste zeigt die drei Grazien, Blumen pflückend und zu einem Kranze windend. Die Rückseite trägt in einem Kranze die Inschrift:

glückliche

Kehrt wieder zu uns."

S. 141.)

aus jüngster Zeit noch

„Die Grazien

S--

F. Drirnockd.

Es wird so um die Mitte der vierziger Jahre gewesen als ich eines Vormittags, einem Freunde zur Seite, die Landsbergerstraße zum Alexanderplatz entlang ging. Ein ält¬ licher Herr, das weiche Troddelmützchen auf dem ergrautem Haupt, lag im Schlafrock in seinem Parterrefenster, die lange Pfeife im Munde, so daß dieselbe fast das Pflaster der Straße berührte — und sah uns von jenseits der Straße daher¬ kommen. Er winkte — und als wir ihm nahe erwartungsvoll gegenüber standen, sagte er, sein Käppel lüftend und uns einen Augenblick sarkastisch anschauend: „Laufen Sie doch nicht so!" uns zugleich den Dampf seiner Pfeife ins Gesicht pustend. Wir nahmen natürlich unsere Kappen ab, dankten für guten Rat — und liefen, in gleichem Tempo, wie früher, davon. Der Mann war im Recht! Was liefen wir nur so, als ginge das Glück vor uns her und wir müßten es durchaus erhaschen und erjagen. Der Totenkopf: der Russen-Müller, der Heraus¬ geber des Taschenbuchs „Bettlers Gabe", der Neue Jakob¬ straße 3 wohnte, und den ich besuchen wollte, lief mir nicht sein,

-0

285

Wie denn auch bei ihm groß Glück nicht zu holen nachdem er den preußischen Volksfreund von v. Putlkamer übernommen hatte und das Blatt zumeist allein mit seinen düster-schaurig-wilden Geschichten zu füllen strebte. Das Blatt, welches vordem die besten und besseren Schrift¬ steller und Dichter damaliger Zeit, zu seinen Mitarbeitern ge¬ zählt hatte — war mehr und mehr zurückgegangen, besonders ailch schon nach dem Puttkamer sich dem religiösen Streben Ronges angeschlossen hatte und anfing mehr auszugeben, als Während die Honorare früher anständig, der er einnahm. Zeit und den Verhältnissen angemessen warett, gingen dieselben zurück, bis sie zuletzt gänzlich aufhörten — und das Blatt zu Grabe ging. — Und doch! so jemand eine Geschichte der Berliner Journalistik zu schreiben hätte, würde besagter Volkssreund keine unwichtige Rolle darin zu spielen haben; er war ein Spiegel damaliger Litteraturzustände, eine Tafel zeit¬ genössischer Dichter und Schriftsteller. davon.

war; besonders

Doch Besuch.

zurück

Müller

zu kam

theatralischem Pathos

&>

Vaterland und den heimatlichen Boden meiner Ahnen zu ver¬ Was mir geschah, kann ich nicht enthüllen. Müller kam nach Preußen, nachdem er in Riga Schauspieler, in einer Kapsel Erde vom heiligen Rußland auf der Brust tragend, wurde Schauspieldirektor einer wandernden Truppe, schrieb Jahre um Jahre sein Taschenbuch „Bettlers Gabe" — bis er. nach Berlin ziehend, sein schriftstellerisches Einsiedlerleben bis zu seinem Tode fort führte, ohne daß das Dunkel seines Lebens jemals enthüllt worden wäre. In Bezug des Volks¬ freundes jedoch fallen zwei Briefe mir in die Hand. Ludwig Auerbach aus Lahr schreibt: Samstags mittag, wenn im lassen.

ganzen Hause gescheuert wurde, flüchtete ich nach meinem ge¬ heimen Winkel mit dem Volksfreund, um mir eine Zauberwelt des Gemüts daraus aufleben zu lassen. Ja, es ist Wahrheit,

habe ich oft die herzlichsten Thränen geweint und lernte u. s. w. Ein anderer noch lebender Berliner Schriftsteller, weshalb wir seinen Namen verschweigen, ob

Ihren Erzählungen

sagte

meinem

in

seinem

Briefe:

Ich war

ein Knabe von 12 bis 13 Jahren, als ich zum erstenmale Ihre Be¬ kanntschaft machte. Mein seliger

mir mit in höchst

abgetragenem, schwarzem Sammet¬ überzieher, den er als Schlafrock benutzte, mit offener Brust, ohne

Vater borgte

sich

irgendwo den

Puttkamerschen Volksfreund.

Ich las eine Erzählung von Ihnen rc. Ich sehe nach 25 Jahren noch diese frischen, anmutigen Bilder Ihrer Schreibweise vor meinem inneren Auge u. s. w.

Halstuch, entgegen. Er lebte da¬ mals mit einem Fräulein v. B. . . in einem wahlverwandtschaflichem Verhältnis; wie er denn deren Namen auch im Laufe des Ge¬ sprächs oftmals hervorhob, ohne

Karl Spielmann aber schrieb vor einiger Zeit aus Friedland:

noch

sie später

daß man auch durch Näheres über die früheren Lebens¬ schicksale Müllers erfahren hätte.

daß ein Spitz¬ größeren Erzäh¬

Abgesehen davon,

eine

bube

der

Er war und blieb bis auf den heutigen Tag ein litterarisches Rätsel. Die ethnische Gesellschaft, mit ihrem Sekretär an der Spitze, dem Professor St... in Dorpat, hat sich Jahre hindurch Mühe

lungen des preußischen Volks¬ als freundes vom Jahre eigene neue*) Arbeit an eine unserer bekanntesten Zeitschriften verkauft hat, gehe ich damit um,

gegeben, das Rätsel zn lösen, ohne

schreiben, und bitte um alle Jahr¬

daß es gelungen.

gänge,

....

eine Geschichte dieses Blattes

In einem Briefe des genannten Herrn, jetzt als Profeffor an einer unserer Universitäten lebend, heißt es an mich — nach unzähligen früheren Briefen: In Bezug Müllers begegnen sich unsere Gedanken. Ihre Notiz aus der Erzählung Künstlerleben (Volksfreund 1847) ist mir sehr interessant. Leider habe ich bisher noch keinen Band des Volksfreundes zu Gesicht bekommen. Das Buch muß sehr selten geworden sein. Bettlers Gabe 1836 ist einem Penin gewidmet zur Rückerinnerung an jenes Land, Wohl ein russischer wo wir unsere Blütentage verlebten. Freund. Wie denn Müller, der Erzählung nach, am Hofe Peter IEL gelebt haben muß. Was auch mit meiner Notiz aus der Erzählung Künstlerleben stimmt, wo es heißt: Ein Knabe von der Wolga, in der Nähe des kaspischen Meeres, kam, in der Tracht der alten asiatischen Bojaren, und wurde Page beim Großfürsten Paul, zugleich ein Liebling des Gro߬ fürsten. Dem Schreiber der Erzählung ein Freund. Dann heißt es: Ein furchtbares Ereignis, gegen welches ich nicht ankämpfen

konnte

und

durste,

zwang mich plötzlich,

mein

die

Sie

besitzen.

zu

Er

erhielt sie, ich dieselben zurück, ohne daß die besagte Arbeit bis heut erschienen wäre. Der Büchermarkt ist überfüllt — und die Verleger scheuen sich, nicht ganz Zeitgemäßes zu bringen. Zu mehreren ähnlichen

Arbeiten wurde meine Beihilfe nachgesucht, ohne daß ich weiteres darüber erfahren. Der Mohr that seine Schuldigkeit, der

Mohr kann

gehen.

Und ich geh — wenn auch, nachdem ich mehr denn sechzig Jahr die Schriftstellerfeder geführt, nicht mehr im Vordertreffen, sondern bescheiden im Nachtrapp — als Einundachtziger Tag um Tag nach meinem Wald. Und wie damals jener alte Herr in der Landsbergerstraße mir Laufen Sie doch nicht jetzt noch ein mir Nacheilender: Sie doch nicht so!"

zurief:

so

— ruft

nicht selten auch

„Aber, mein Gott! Laufen

*) Ein Verfahren, welches vor Jahren mit mehreren meiner Er¬ zählungen geschehen ist. Sie wurden anonym an Kalender verkauft.

■■a

Die Sophienkirche. Von

Gesrg Duft.

Die alte Sophienkirche hat sich verjüngt — wer das Innere des Gotteshauses betritt, wird über die Wandlung, welche sich dort vollzogen hat, erstaunt sein. Sie ist den Berlinern lieb und wert, diese Kirche, schon wegen ihres schönen Turmes, der zu einer Höhe von 69 m emporsteigt und weithin die Stadt überragt. Er und der Kirchturm der Parochialkirche sind die einzigen von allen unter König Friedrich Wilhelm I. gebauten Kirchtürmen, welche noch in unveränderter Gestalt auf unsere Zeit gekommen sind. Was den Turm aus¬ zeichnet, ist seine schöne, wirksame Silhouette, die besonders oben in der kupferbedeckten Haube mit ihren mehrfachen Ein¬ ziehungen und Ausbuchtungen so durchaus originell ist. Bedünken will uns, daß so mancher moderne Kirchturm gegen diesen malerischen Genossen, den vor 160 Jahren Friedrich Wilhelm I. durch Grael errichten ließ, nüchtern und lang¬ weilig erscheint. Aelter als der Turm ist bekanntlich das Kirchenschiff, in Front er steht. Schon zu Anfang des 18. Jahrhunderts wurde dasselbe errichtet, da die kleine Georgenkirche vor dem Königsthore das einzige Gotteshaus für die außerhalb der dessen

Berliner Festungswerke gelegenen Vorstädte war, und die Be¬ wohner der Spandauer Vorstadt einer eigenen Kirche dringend bedurften. Nach Borrmanns Mitteilungen scheinen Pläne für den Kirchenbau schon im Jahre 1704 vorgelegen zu haben, denn in dem in der Königl. technischen Hochschule aufbewahrten Skizzenbuche des Architekten Pitzler, welcher Berlin wiederholt

in den Jahren 1695, 1701 und 1704 besuch: hat, sollen sich unter den Reiseskizzen vom September jenes Jahres Grundriß, Schmalfront und Querschnitt einer Kirche bestnden, welche ihrer Form und den Abmessungen nach nur aus die Sophienkirche passen.

Die Königin Sophie Luise, dritte Gemahlin König Friedrich I., spendete zum Kirchenbau zunächst vorschußweise eine Unterstützung von 4000 Rthlr. Es wurde alsdann be¬ stimmt, daß die Zinsen dieses Kapitels zur Unterstützung eines Geistlichen, Küsters und Kantors dienen sollten, wogegen sich die Königin das lebenslängliche Patronat über d:e Kirche vor¬ behielt. Die bezügliche, am 31. August 1712 ausgestellte Stiftungsurkunde erhielt die Königliche Genehmigung am 24. September desselben Jahres. Schon am 4. November 1712 fand in der Kirche, welche man als holländische Saalkirche mit rechteckigem Grundriß gebaut hatte, die erste Taufe statt. Man nannte das Gotteshaus in Dankbarkeit gegen die königliche Gönnerin „Sophienkirche", und es hat auch diesen Namen im Volksmunde behalten, trotzdem König Friedrich Wilhelm I. durch Reskript vom 18. Mai 1716 anordnete, daß man den Namen „Spandauische Kirche" gebrauchen solle. Mannigfache Auffrischungen und Aenderungen hat die Kirche im Laufe der Jahre erlebt — die durchgreifendste im Jahre 1834, da auch an der südlichen Langseite die Sakristei¬ räume angebaut wurden. Seit jener Zeit ist verhältnismäßig

wenig für die Erhaltung geschehen, und so trat in unseren Tagen die Notwendigkeit eines Umbaues ein. so

Vergegenwärtigen wir uns den Zustand vor dem Umbau, erscheint er als kein erfreulicher. Abgesehen von dem Zahn

286

fr

der Zeit, der fich als recht bösartig erwiesen, war das Raum¬ verhältnis kein schönes, zumal die früher doppelte Empore auf

herabgemindert war. Die einfach glatt geputzte mit schmaler Voute auf die Umfassungswände auf. Die Fenster nahmen sich gedrückt aus. Eine Apfis war nicht vorhanden. Die Kanzel stand frei hinter dem Altar. Im ganzen genonimen, es bot sich ein nüchterner, durch den überall sichtbaren Verfall unangenehmer Anblick dar. Und wie jetzt! Architekt Kurt Berndt hat ein Werk ge¬ schaffen, das bei aller kirchlichen Würde festliche Freude atmet und den Bedürfnissen der Gemeinde in ausgiebigster Weise entgegenkommt. Der Erstlingsentwurf zum Umbau ist durch die Herren Kyllmann und Heyden gefertigt worden — es hat aber dieser Entwurf durch Berndt tief greifende Aenderungen erfahren müssen, zumal sich bei genauerer Untersuchung des baulichen Zustandes der Kirche herausstellte, daß ein voll¬ ständig neues Dach notwendig war. Was nach dem Abbruch des Daches und der Decke, sowie der Ausräumung des Gottes¬ hauses übrig blieb, waren die nackten Fensterpfeiler, so daß der Umbau eigentlrch als ein Neubau gelten kann. Das Aeußere der Kirche stellt sich nunmehr in recht an¬ eine

einzige

Decke setzte fich

dar: Das Kirchendach, welches in Eisen¬ konstruktion hergestellt wurde, hat einen flacheren, ungebrochenen Aufstieg zur First erhalten; an der östlichen Schmalseite ist ein hoher, vielfach geschweifter, schmucker Giebel in barocker sprechender Weise

Form aufgeführt, welcher hoch oben das Reliefbildnis der Königin Sophie Luise in hübscher Umrahmung zeigt; an den Langseiten sind die Portale durch einfachere Giebel, welche über dem Hauptgesims emporsteigen, gebührend hervorgehoben; endlich auch sind die Ecken auf dem ersten Absatz des Turmes mit hohen, barocken Vasen gekrönt worden. Im Inneren des Baues stellen sich die Aenderungen noch erheblicher dar. Der Fußboden der Kirche und die Fensterpfeiler sind, diese um mehr als einen Meter, erhöht worden. Durch Stichkappen und kräftige Voute hat man einen schönen und wirkungsvollen Uebergang zum Spiegel der neuen Decke geschaffen. Auch sind neue Emporen, ruhend auf schlanken Pfeilern und flacher Wölbung, eingezogen worden. Vor allem aber hat man an der Ostseite eine halbkreisförmige Apsis ge¬ schaffen, beiderseits flankiert von Treppen, welche zu den Emporen hinauf führen. Die Winkel zwischen Treppen und Apfis sind zu kleinen Räumen fiir die Geistlichen benutzt worden. Die Notwendigkeit, Heizkammern für die Dampf¬ niederdruckheizung zu schaffen, hat ferner im südlichen Teile der Kirche zu einem erheblichen Eingriff in die dort gelegenen Gruftgewölbe geführt. Es sind bei dieser Gelegenheit die Särge und deren Inhalt mit größter Schonung und Pietät nach einen: unter dem Innern des Schiffes gelegenen Ge¬ wölbe überführt worden, so daß dort jetzt etwa fünfzig Särge vereint sind. Aus allem wird ersichtlich, wie tief greifend der Umbau gewesen.

Wer jetzt in die Kirche hineinlritt, wird überrascht sein. Geradezu einladend liegt der weite, für tausend Sitzplätze be¬ rechnete, in seinen Verhältnissen schön gegliederte Raum da. Weißer Stuck und Gold bilden eine frohe Farbenstimmung.

Nur hinten aus der Apsis, die

sich mit schönen Trumphbogen öffnet, schimmert die feurige Farbenpracht der Glasgemälde entgegen. Dieser Blick nach jenem Allerheiligsten des Gottes¬ hauses, wo auf dem um drei Stufen erhöhten alten Marmor¬



287

ein neuer weißer Marmoraltar mit hohem Bronceund Leuchtern emporragt, während links am Triumph¬ bogen die alte Kanzel mit neuer Vergoldung Platz gefunden hat, ist von höchster, feierlichster Schönheit. Unterhalb und oberhalb der Emporen des Kirchenschiffes leuchten die farbig gemusterten Säume der gewöhnlichen Fenster, welche oben fußboden kreuz

unter den Stichkappen im Rundbogen abschließen und mit Genien gekrönt sind. Der barocke, zum Rokoko neigende Stilcharakter ist ein¬ heitlich zur Geltung gebracht. Die Ornamente find von dem Bildhauer Kleefeld, in Gemeinschaft mit einer jüngeren, talent¬ vollen Kraft, dem Bildhauer Kretschmar, meist freihändig an Ort und Stelle modelliert worden. Ungemein reizvoll ist die flache, barocke Ornamentik der Decke behandelt. Mit dem un¬ gezwungenen graziösen Spiel der Formen und dem Weiß des Stuckes paart sich hier der Glanz einer strahlenden, goldenen Sonne, aus deren Mitte ein prächtiger und mächtiger, von Wenzel gelieferter Broncekronleuchter, der für elektrisches Glühund für Gaslicht eingerichtet ist, herabhängt. Wirkungsvoll tritt der goldige Schein der an den Emporenpfeiler und an den Wänden angebrachten Bronce-Wandleuchter, sowie das Dieses Gehäuse neu vergoldete Gehäuse der Orgel hinzu. rührt noch von der alten Orgel her, welche im Jahre 1789 der Schiffsbaumeister Köpjohan geschenkt hatte. Das Werk ist völlig neu und vom hiesigen Orgelbaumeister Dinse geliefert worden. Es vereint Schönheit des Tones mit machtvoller Klangfülle. Eine stattliche Menge von Mitarbeitern haben an der Ausstattung des Inneren der Kirche mitgewirkt. Das mittelste, von Geh. Kanzleirat Reich gestiftete Fenster, in der Apsis, welches in feuriger Leuchtkraft den Auferstandenen zeigt, rührt von der Königlichen Glasmanufakiur her; die beiden anderen, dunkler gestimmten Fenster, die Kreuzigung und die Anbetung darstellend, von Jessel, der auch die übrigen Verglasungen ausgeführt hat. Der Altar ist ein Werk der Firma Schleicher. Von der Firma Martin und Piltzing ist das Broncekreuz und der übrige Bronceschmuck des Altars gegossen worden. Ein Gitter zur Kanzel, ein Betstuhl und das Gitter auf der Balustrade der Orgelempore haben Langner und Methling in

&-

Schmiedeeisen vorzüglich ausgeführt. Das in sich in Natur¬ holz ausgeführte, nur leichter gewachste Kirchengestühl ist eine vortreffliche Arbeit von Bunger und Friedrich. Gegenüber der Apfis wird das Gestühl abgeschlossen von einer reich in barockem Charakter mit Emblemen des Friedens und Seraphim¬ köpfen geschnitzten Schranke, die den Bildhauer Kirchner zum Verfertiger hat. Zwischen Schranke und Apsis hat der alte, Werk barocker Kunst, welches am schöne Taufstein, ein Kayser gestiftet wurde, seinen von Polycarpis 1741 29. März Platz erhalten. Den Altarschmuck und die Kanzeldecke Hai die Firma Bessert und Nettelbeck in bekannter feinsinniger Weise

gefertigt.

Denkst du des

Tags?

Denkst du des Tags? — Es war zur Sommerzeit; Wir fuhren durch den Wald, den dicht belaubten, WegloS, wies Frohgemut so gerne thut — Wir Sänger, die wir zwanglos uns gefunden — Auf Kaiserjagdgrund, nach Hubertusstock — Wo Kaiser Wilhelm oft, der sieggekrünte, Mit seinen Paladinen, jagdfroh, jagte.

Er lag vor uns

die Kanzel, wo der Herr

Vielmal gestanden, weidrecht, Wild erlegend. Ein Blick dorthin, und eh' ein Wort gesprochen, War'n wir, als könnt' eS gar nicht anders sein, Ein Lied anhebend, singend auch schon droben. Wie feierlich klangS durch die Sommerfrische, WaldeSdom, das Eichendorffsche Lied: „Wer hat dich, Wald, so hoch erbaut hier droben", Indes zu tausenden die Hirsche gingen, Im Waldgrund, rudelweis, wie Andacht trunken. Wer eS erlebt, vergesien wird ers nimmer. Gesegnet wird die Stunde stets ihm bleiben; Geheiligt ihm der Tag, die Stunde sein. Ich lenke heimwärts meinen Wanderschritt. Die Hirsche ziehen wieder rudelweis Zur kühlen Flut des schönen Werbellin, Indes im Waldesrauschen mirs erklingt,

Im

Wie damals: Lebewohl! du schöner Wald! O, lebe, lebe wohl! — Denkst Du der Tags? 1?.

Brunold.

Kleine Mitteilungen Das Kalksteirriagvv

Rüder

sd-aof, für das t»oi bauende Berlin heut von großer Bedeutung, gehörte in alter Zeit dem reichen Kloster Zinna. AIs im 14. Jahrhunderte die märkischen Städte aus verschiedenen Ursachen darnach strebten, ihre Häuser möglichst massiv zu erbauen, stellte sich das Bedürfnis heraus, ein bestimmtes Recht zum Brechen von Kalksteinen in den vorhandenen Brüchen zu erlangen. jener Zeit findet man denn auch verschiedentlich einen „Berlinischen und Cöllnischen Bruch" in Urkunden verzeichnet. Auf welche Weise der Erwerb erfolgte, ist nicht festgestellt, doch geht aus jenen Aufzeichnungen hervor, daß die beiden Schwesterstädte im Besitze der RüderSdorfer Brüche waren und sowohl an das Kloster Zinna, wie auch später an den „kurfürstlichen Bergschreiber" einen ZinS dafür entrichteten. mußte die Stadt Unter der Regierung des Kurfürsten Joachim Berlin eS gestatten, daß die zur Erbauung der Festung Spandau not¬ wendigen Steine in Rüdersdorf gebrochen wurden. Dabei wurde der Berliner Bruch verschüttet und der „Cöllnische Bruch" mußte nun beiden 1591 die ausdrückliche Be¬ Städten dienen; außerdem bekam Berlin i. fugnis, in kurfürstlichen Brüchen seinen Bedarf an Kalksteinen zu decken. Später erwarb die Stadt in der Nähe der alten Brüche mehrere Striche Land; doch kam eS dabei zu mancherlei Differenzen mit dem Fiskus, welche zu fortwährenden Betriebsstörungen und langwierigen

In

II.

I.

Prozessen führten.

Am 20. März 1858 wurde endlich zur Beseitigung jener Uebelstände zwischen dem Fiskus und der Stadtgemeinde ein Gesellschaftsvertrag

abgeschlossen, nach welchem beide Teile die Ausbeutung der RüderSdorfer Kalkstein- und GipSIager auf gemeinsame Rechnung betreiben und zwar so, daß der Staat mit %, die Stadt mit V« am Reingewinn beteiligt ist. Die technische Leitung, der Betrieb, der Verkauf der erzielten Produkte, sowie die gesamte Verwaltung liegt in den Händen des Staates bezw. des königlichen Ober-Bergamtes zu Halle. Letzteres hat die königl. BergInspektion zu Rüdersdorf beauftragt, der Stadt alljährlich Rechnung zu legen. Der Gewinnanteil Berlins ist von sehr verschiedener Höhe ge¬ wesen; er schwankte zwischen 60 028,80 Mk. (1871) und 202 886,75 Mk. — Aus der (1874); im vergangenen Jahre betrug er 110 036,03 Mk. Höhe dieses Sechstel-Anteils ergiebt sich der sehr bedeutende Wert und die P. B. Ausdehnung der RüderSdorfer Brüche.

Koriins

hat sich nach den vorläufigen Dorr Urohdostand Ergebnlffen der am 1. Dezember veranstalteten Viehzählung während des Während die Zahl der letzten Jahrzehnts außerordentlich vergrößert. Pferde im ganzen preußischen Staate während deS angegebenen Zeitraumes um 9,52 °/0 stieg, betrug die Vermehrung in Berlin allein 35,01 % (43 916 gegen 32 527 i. 1883). Die Zunahme der Rinder belief sich im Staate auf 12,74 %, in Berlin dagegen auf 139,82 % (7392 gegen 3041 Stück). Der Bestand an Schafen hat vom Jahre 1867 bis 92 um 54,75 %. seit 1883 um 31,59 % abgenommen; in Berlin beträgt 1883. Die Anzahl der Schweine ist ihre Zahl 4120 gegen 579 i.

I.

I.

-H3

288

% gestiegen, im ganzen Staate um 35,49 %• Der Bestand an Ziegen hat sich in allen Provinzen ebenfalls bedeutend ver¬ mehrt, Berlin allein weist hier eine Abnahme von 2051 auf 1054 Stück auf, in Berlin uni 102,3

x. B.

in

Kerlirr irn Jahre 1813. Die ersten Ke> fairen Man kann sich denken, mit welcher Ungeduld die Berliner im Anfange des IahreS 1813 die Ankunft der Russen, ihrer Befreier vom verhaßten Joche der Franzosen, erwarteten. Die Haude- und Spenersche Buchhandlung kündigte „russiich-deutsche und deutsch-russische Notheiser für den Bürger und Landmann" an, Fernrohre wurden plötzlich gesuchte Artikel, von allen Dächern spähte man nach Koloken aus. Endlich, am 20. Februar, erschienen die ersten in Berlin. Mit lautem Hurra sprengten sie gegen Mittag durch das Oranienburger, Bernauer (Königs-) und Frankfurter Thor und ver¬ breiteten Furcht und Schrecken unter allen französischen Regimentern. Auf dem Schloßplätze rannte ein Kosak so verwegen auf ein Bataillon Infanterie ein, dos ihm den Weg versperrte, daß dieses in seltsamer Betäubung Platz machte und ihn durchjagen ließ. Erst der Aleranderplatz, der stark mit Infanterie und Artillerie besetzt war, setzte den mutigen Kosaken ein Ziel. Ihr Oberst von Tettenborn erhielt eine Gewehrsalve auf 15 Schritt, ohne daß er oder einer seiner Offiziere verwundet worden wäre. Der in russische Dienste getretene Lieutnant von Hobe erzählte in Aufzeichnungen, die Adami, „Vor fünfzig Jahren", Berlin 1863, mitteilt, daß Tettenborn und sein General Tschcrnitscheff sehr auf eine allgemeine Erhebung der Berliner gerechnet hätten. Zum Glücke für die letzteren geschah davon nichts. Die Berliner riefen zwar Hurra, ließen die Russen hoch leben, schimpften aus die Franzosen, weiter aber thaten sie nichts, und ihre Bürgergarde (ihrer großen Federbüsche auf den Dreimastern wegen damals „Federvieh" vom Volke benannt) hatte Befehl, Ruhe zu erhalten und namentlich darüber zu wachen, daß die Einwohner sich nicht in das Gefecht mischten. Zwischen Weißensce und Berlin entspann sich dann noch ein leichtes Geplänkel.

v.

Küchrrtisch.

Gifer)urt)t der Seeleu. Verlag von Otto Janke.

Roman von Erich Meyer. Berlin 1893. Preis 4 Mk.

Ein vortreffliches Buch, das allen Lesern, die bei der Lektüre zum Denken angeregt werden wollen, ein paar genußreiche Stunden verschaffen wird! Der Verfasser behandelt den Konflikt, der sich in einer Ehe aus der materialistischen Anschauung des Gatten und der christlichen der Gattin entwickelt, mit einer Feinheit psychologischer Motivierung, mit einer Schärfe der Charakteristik, daß sein Roman überzeugender wirkt als eine lange Abhandlung über die Existenz der Seele und deren Unsterblichkeit.

Tie Grenzen, die dem menschlichen Geist gezogen sind, die leere Oede des bloßen Wissens, die notwendige Ergänzung, die das letztere durch daS religiöse Gefühl, die religiöse Empfindung bedarf — alles dies wird in dem vorliegenden Romane in überaus anziehender Form in das rechte Licht 4L G. gestellt.

Kluus Störtedecker. und Leipzig.

Ein Norderlied von Josef Lauf. Köln Verlag von Albert Ahn. Preis 4 Mk., gbd. 5 Mk

Nach seinem vorzüglichen Roman „Die Hexe" hat Laufs sich wieder dem Epos zugewendet, und zwar mit dem Norderlied Klaus Störtebecker,

das seine früheren, mit so ungeteiltem Beifall aufgenommenen Dichtungen in gar mancher Beziehung noch überflügelt. In vollendet schöner, hoch¬ poetischer Sprache schildert der Dichter die Abenteuer des berühmten See¬ fahrers und späteren Piraten, eng verwoben mit einem ergreifenden Roman, in welchem Klaus, als der Sohn des fliegenden Holländers, das natürlich Menschliche mit dem übernatürlich Geisterhaften verbindet. Es wird sicher dem Klaus Störtebecker ergehen, wie allen übrigen Büchern Lauffs: Man beginnt die Lektüre und liest in stets erhöhter Spannung weiter und weiter — x. bis zum Schluß.

Der treue Ioripeu een Eller feil. Stuttgart 1892.

Von Otto Brennekam. Verlag von Greiner und Pfeiffer. Preis 4,80 Mk.

Sympathisch berührt an dem Werke der Zug patriotischer Gesinnung, der dasselbe durchweht. Wer die Reize der märkischen Landschaft einmal im Spiegel der Poesie bewundern will, der lese diese Erzählung Brennekams, aber er erwarte nicht, daß ihm außerdem ein rein ästhetischer Genuß noch geboten wird. DarstellungSfoim und Inhalt bieten wenig Lobenswertes. Die Sprache seiner Figuren entbehrt der Grazie und der Lebendigkeit, welche man von einer guten Prosa verlangen kann. Die Komposition selbst ist wenig einheitlich, der cksus ex machina tritt zu oft in den ver¬ schiedensten Kostümen auf. EL

•gjamburger WciIjrt tret) te bu d). Mit

140 Bildern. Hamburg 1892. Verlag von Otto Meißner. Preis 15 Mk. Im Verlag von Otto Meißner in Hamburg ist zum Besten der not¬ leidenden Waisen ein Prachtwerk „Hamburger WeihnachtSbuch" erschienen,

Meyers Großes Konversation?.Lexikon in neuer, fünfter Auflage. Ein Ereignis von weittragendster Bedeutung für die gesamte, gebildete Welt deutsch sprechender Zunge wird das begonnene Jahr zu ver¬ zeichnen haben. Wie unS die Verlagshandlung des Bibliographischen Instituts in Leipzig und Wien soeben mitteilt, begann dieselbe Ende Februar mit der Veröffentlichung einer auf daS forgsältigfte vorbereiteten neuen, fünften Auflage der großen Ausgabe von Meyers KonversationSLexikon. ES begreift sich leicht, daß diese Thatsache der diesjährigen Be¬ wegung auf dem Gebiete geistiger Produktivität ihren Stempel ausdrücken wird. MeyerS KonversationS-Lexikon, daS in der Weltlitteratur unerreicht dastehende monumentale Werk seiner Art, ist als Denkstein unserer heutigen Kultur- und Bildungszustände mit unserem Geistesleben ausS innigste ver¬ bunden. Jedes Neuerscheinen dieses hervorragenden MusterwerkeS muß daher die weitesten Kreise ziehen. Ein ungefährer Bild von den gewaltigen Leistungen, welche man in der gänzlich neubearbeiteten und vermehrten fünften Auflage von MeyerS KonversationS-Lexikon erwarten darf, entwirft bereits der vor unS liegende Prospekt. Danach wird die neue Auflage auf nahezu 17 5lO Seiten Text mehr als 100 000 Artikel umfaffen und mit nicht weniger als 10 000 Ab¬ bildungen, Karten und Plänen im Text und auf 950 Tafeln, darunter 150 Chromotafeln und 260 Kartenbeilagen, versehen sein. Hinsichtlich der Bearbeitung und technischen Ausstattung versprechen die Bearbeiter und die Verlagshandlung das bestmöglichste. ES ist danach nicht zu bezweifeln, daß sich MeyerS KonversationS - Lexikon auch in seiner neuen Ausgabe allen einschlägigen encyklopädischen Werken würdig zur Seite stellen und seinen wohlbegründeten Ruf und Ruhm weiter ausbauen wird. Der Umfang des Werkes ist auf 272 wöchentlich erscheinende Lieferungen zum Preise von je 50 Pf. (30 Kr. ö. W.) oder auf 17 in Halbfranz gebundene Bände zu je 10 Mk. (6 Fl. ö. W.) berechnet. DaS erste Hest erschien Ende Februar, während der erste gebundene Band Mitte April vorliegen soll, dem in 3bis 4 monatlichen Zwischenräumen die weiteren Bände folgen werden. Wir glauben es unseren Lesern schuldig zu sein, denselben über die litterarische Merkwürdigkeit deS neuen IahreS später eingehend zu berichten.

Inhalt:

Verrat und Treue.

Historischer Roman aus der Von E. H. von Dedenroth (Fortsetzung); Ein märkischer Streifzug aus Schlitlschuhen. Von Karl Gotthard Von Paul (Schluß); Königin Luise in der plastischen Kunst. Schmidt-NeuhauS (mit 2 Abbildungen); Laufen Sie doch nicht so! Erinnerung an eine vergeffene Zeitschrift von F. Brunold; Die Sophien¬ Gedicht von kirche. Von Georg Buß; Denkst du des TagS? DaS Kalksteinlager bei F. Brunold. — Kleine Mitteilungen: Die ersten Kosaken in Berlin im Rüdersdorf. Der Viehbestand Berlins. Jahre 1813. — Büchertisch. — Anzeigen.

Zeit des 7 jährigen Krieges.

Richard George in Berlins. 4, Chauffeestr. 2ä (Sprechstunden DienStagS und Freitags nachmittags von 3—4 Uhr). Abdruck ohne eingeholte Erlaubnis ist untersagt. Fr. Zillessen, Berlin N., Schönhauser Allee 141. — Druck: Buchdruckerei Gutenberg, Berlin N., Schönhauser Allee 141a.

Für die Redaktion verantwortlich: Verlag:

erste Auflage von 2500 Exemplaren binnen wenigen Tagen in Hamburg selbst verkauft wurde, sodaß es erst jetzt möglich ist, den Wünschen weiterer Kreise nach Besitz des Werkes Rechnung zu tragen. Die überaus freundliche Aufnahme des „WeihnachtSbucheS" von seiten deS Publikums ist vollauf gerechtfertigt durch den großen Reichtum an schriftstellerischen und musikalischen Beiträgen und den ansprechenden originalen Bilderschmuck. Zwar nehmen die Hamburg speziell betreffenden Erzählungen, Gedichte und Bilder einen großen Raum ein, auch ist daS Werk ausschließlich von Hamburgischen Malern, Bildhauern, Musikern, Schriftstellern u. s. w. ge¬ schaffen, dennoch oder vielmehr gerade deshalb wird es aber im ganzen Reiche mit um so größerem Jntereffe ausgenommen werden. Aus dem von der Verlagsbuchhandlung ursprünglich geplanten Jugendbuche ist durch zahl¬ reiche ernstere Beiträge ein echtes deutsches Familienbuch geworden, zu dem jedes Glied der Familie gern greifen wird. Zwei besondere Momente sind eS, die den Wert des „WeihnachtSbucheS" noch erhöhen und es zu einer ganz eigenartigen Erscheinung machen: die Mitarbeiterschaft von zahlreichen Kräften, die nie vorher mit ihren Leistungen an die Oeffentlichkeit getreten sind und es auch schwerlich nochmals thun werden, und der wohlthätige Zweck, dem der Ertrag aus der gemeinschaftlichen Arbeit aller Beteiligten gewidmet ist. Der Gedanke, den in den schweren Herbsttagen deS vorigen IahreS verwaisten Kindern den Lebensweg durch ein solches Unternehmen zu erleichtern, ist auf dem Titelblatt durch den Maler Carl GehrtS in rührender Weise zum Ausdruck gebracht. Den reichen und viel¬ seitigen Inhalt auch nur in großen Zügen anzugeben, ist wegen der Fülle des zu berücksichtigenden Materials unmöglich. Auch unter den Illustrationen finden wir fast nur recht tüchtige Arbeiten. Neben den zahlreichen TextIllustrationen bieten noch über ein Dutzend ganzseitige, selbständige Arbeiten viel deS Interessanten und Schönen, wir erwähnen nur den rauchenden und lesenden Bismarck von AllerS. Die Ausstattung des Textes wie der Illustrationen ist eine ganz vorzügliche. DaS Titelbild ist von der be¬ rühmten Firma Hanfstaengl in München in uneigennützigster Weise un¬ berechnet im Dienste der guten Sache hergestellt, der auch wir durch diese kurze Empsehlung dienen möchten; wir hoffen, daß das Prachlwerk auch außerhalb Hamburgs noch recht viele Käufer findet, der Preis ist im Hin¬ EL H. blick auf das, was geboten wird, außerordentlich gering.

desien

Unter Mitwirkung

Dr.

R' @6rinßttter, Df. H. SrondrcKo, Thosdsr Fontane , Stadtrat E. Fviodet, Ford. Meyer, Symnafialdirektor De. M. Krtkwartz und Ernst v. Mttdenvrnrst, herausgegeben von

Friedrich Lillessen Jahrgang. M. 25.

Der

„Bär"

und

Njchgrd George.

erscheint wöchentlich am Sonnabend und ist durch jede Postanstalt (No. 709 ), Buchhandlung und Zeitungsspedition für 2 Mk. Pfg. vierteljährlich zu beziehen.

50

Wkvvsk und

18. März

1893.

Ävrur.

Historischer Roman aus der Zeit des 7 jährigen Krieges von

E. H. ran Dedvnroth.

(11. Fortsetzung.)

rWor

dem Pirnaischen Thore

liegt der „Große Garten", in

welchem sich August der Starke ein herrliches Lustschloß hatte erbauen lassen. Schattige Wege durchziehen diesen

Garten.

Hier labt

sich

der überraschte Blick an der Farben¬

pracht der Blumenbeete, die das Schloß einschließen, dort er¬

freut sich das Auge an dem frischen Grün eines Wiesenplanes, der von Baumgruppen unterbrochen wird. Eine Menge herr¬ licher Statuen schimmern aus dem Laubwerke hervor. Im „Großen Garten" war in der Nähe des Lustschlosses Augusts des Starken von den Kavalieren des Hofes ein Wettschießen veranstaltet. Zu Roß und zu Wagen zog die elegante Welt hinaus. Unter den Damen vom Hofe, welche als Zuschauerinnen hinausfuhren, befand sich auch Anna von Rohr. Sie war vielleicht die einzige, die mit bangem Herzen dem Vergnügen entgegensah.

verstanden, als Bewerber um Annas Hand aufzutreten, so wäre es seine Sache gewesen, schon früher um die Schleife seiner Erkorenen zu bitten und sich rechtzeitig dieser Gunst zu versichern. Er hatte das jedoch nicht gethan und war auch noch nicht zur Stelle, als der Wagen der Gräfin beim Schie߬ plätze eintraf. Eine große Anzahl Herren und Damen war schon versammelt.

Die Gräfin Ogilvy schaute sich befremdet um. Es war eine sehr auffällige Nachlässigkeit des jungen Mannes, für den sie geworben hatte, diese Gelegenheit zu versäumen, sich bei Anna in Gunst zu setzen. Es schien fast, als zeige er für das Projekt Brühls ebensowenig Geschmack wie Anna. Kam jetzt ein anderer, Anna um ihre Schleife zu bitten, so konnte sie denselben kaum zurückweisen, ohne ihn zu beleidigen.

Man hatte Preise für die Damen ausgesetzt; die Kavaliere schossen für die Damen, welche sie für den heutigen Tag zu ihren Rittern erwählt, der beste Schütze hatte das Recht, die von ihm gewählte Dame zur Königin des Tages zu ernennen. Ein großer Teil der Damen hatte schon vorher die Schleifen an die Kavaliere abgegeben, welche für ihre Farben

Und es kam in der That ein anderer, und gerade der¬ jenige, dem sie es am wenigsten gönnte, sich Anna nähern zu dürfen. Das Antlitz der Gräfin errötete vor Unmut. Der Brandenburger sprengte heran, verneigte sich tief und bat um die Ehre, den Preis für das Fräulein v. Rohr erschießen zu

kämpfen wollten, andere hatten sich das Recht noch vorbehalten, ihre Ritter zu wählen, und da die Gräfin Ogilvy Anna in ihrem Wagen mitgenommen hatte, so war letztere darauf ge¬ faßt, die Gräfin werde auch dafür gesorgt haben, daß Erich v. Berlet sich zum Kavalierdienste bei ihr melden würde. Unter den Augen der Gräfin hätte Anna einem Kavalier,

Annas Wangen färbten sich purpurn. Sie wagte nicht ja und nicht nein zu sagen. Sie zitterte, die Gräfin zu er¬ zürnen, aber es schien ihr auch unmöglich, einen Mann zu kränken, dessen Auge freudig strahlte, weil sie ihre Schleife

jene begünstigte, eine Bitte dieser Art nicht abschlagen können, wenn ihm kein anderer zuvorkam. Es hatte bei der Lage der Dinge jedoch etwas Befremdendes, daß Erich v. Berlet

kürlich gefesselt wurde.

den

diese

Möglichkeit nicht verhindert hatte.

War er damit

ein¬

dürfen.

noch nicht vergeben hatte, dessen schöne, stattliche Gestalt auf

dem

edlen Rosse so ritterlich erschien, daß

„Sie

ihr Blick unwill¬

die Baroneffe in Verlegenheit," nahm die zuvorkommend, das Wort, „Fräulein v. Rohr Gräfin, Anna hat über ihre Schleife schon verfügt — da ist der Herr von setzen

--q

290

sie sich, Robert bemerkend, „er wird das Ausbleiben seines Bruders erklären können." Anna senkte den Kopf so tief, als wolle sie ihr Antlitz völlig vor jedem Blicke verbergen, sie fühlte sich aufs tiefste beschämt und verhöhnt. Erich v. Beriet hatte um ihre Schleife nicht gebeten, und er war nicht einmal hier, aber die Gräfin schien demselben die Gunst Annas nnerbeten aufdrängen zu wollen. Robert v. Beriet, der eben eintraf und den die Gräfin durch einen Wink herbeirief, näherte sich der Gruppe, aber Brenkenhof mochte ihn nicht als Zeugen seiner Abweisung

Beriet." unterbrach

sehen.

„Ich trete zurück," sagte er, hoch befriedigt darüber, daß Anna durch ihre passive Haltung ihm deutlich verriet, daß sie es nicht sei, die ihn abweise, „ich wähme, daß die Baronesse ihre Schleife noch nicht vergeben habe. Es wäre mir eine hohe Ehre gewesen, ihr Kavalier zu sein." Damit warf er, die Damen ehrfurchtsvoll grüßend, den Emir herum und ritt davon. „Graf Brühl," redete die Gräfin Robert an, der inzwischen herangekommen war, „hat mir an¬ gedeutet, Ihr Herr Bruder bitte um die Ehre, heute der Kavalier der Baronesse Rohr zu sein, ist das ein Irrtum? Ich sehe Ihren Bruder nicht." „Ich bitte für ihn um Verzeihung," antwortete Robert. „Gewiß ersehnte er das beneidenswerte Glück, sich mit der Schleife der Baronesse v. Rohr schmücken zu dürfen, und er wäre schon längst hier, aber es ist ihm ein Unfall begegnet. Die Pferde der Gräfin Hennicke wurden in der Pirnaischen Gasse scheu, Erich wollte den Wagen überholen und die Pferde zum Stehen bringen, er stürzte aber, als er nach den Zügeln griff.

Er ist nicht

schwer verletzt, aber doch so kontusioniert,

daß er sich nach Hause tragen lassen mußte." „Das ist ja eine Heldenthat," rief die Gräfin,

„hören Sie, Anna, er wagte sein Leben, bedrängte Damen zu retten! Da verdient er es wohl, daß Sie keinem anderen die Schleife gönnen, die Sie ihm zugedacht hatten." „Bat Herr v. Brenkenhof darum?" fragte Robert. „Ich möchte nicht, daß er sich beleidigt fühlt und die Ursache davon mir oder meinem Bruder zuschreibt." Ueberraschung und Unwille malten

sich

in

den Zügen der

Gräfin. „Ich hoffe," sagte sie in höhnisch sarkastischem Tone, „daß der Herr v. Brenkenhof nicht die Anmaßung haben wird, Erklärungen über das zu fordern, was der Baronesse und mir zu thun beliebt. Wäre das aber der Fall, so giebt es Kavaliere genug, die ich an Ihrer Stelle ersuchen kann, dem Herrn aus Brandenburg die gebührende Antwort zu er¬ teilen." „Frau Gräfin," antwortete Robert, gereizt durch den verletzenden Hohn, „Sie würden damit den Intentionen meines Oheims zuwider handeln. Derselbe hat mir empfohlen, höherer Rücksichten halber einen Zwist mit dem Manne zu vermeiden, den der Geheimrat v. Maltzahn protegiert; andern¬ falls würde es mir Vergnügen machen, ihn zu züchtigen, wie er es verdient." „Wenn er sich züchtigen läßt," mischte sich jetzt Anna ins Gespräch, empört über die verächtlich übermütige Sprache. „Ihre Prahlerei ist ganz überflüssig, Herr v. Berlet, wenn Sie dieselbe nicht ausführen wollen. Ich habe meine Schleife keinem versprochen," fuhr sie fort, obwohl sie den zornigen Blick der Gräfin bemerkte, „und werde sie jetzt, da die Gräfin

ki--

Ogilvy

dieselbe

in meinem Namen Herrn v. Brenkenhof ab¬ — das muß Herrn v. Brenkenhof

geschlagen hat, keinem geben

genügen."

Berlet verneigte sich. Schon wurden die Schützen auf¬ Dies war ihm ein willkommener Vorwand, sich aus der Nähe der Gräfin, die ihm höchst zuwider war, zu ent¬ gerufen.

fernen.

„Ihre Erklärung, liebe Rohr," wandte sich diese zu Anna, „würde mich vollkommen befriedigen, wenn Sie etwas deut¬ licher dargethan hätten, daß meine Antwort an Herrn von Brenkenhof ganz und gar Ihren Wünschen entsprochen hat." Anna antwortete nicht. Es wäre ihr leichter geworden, das Interesse für den Genannten in ihrer Brust zu ersticken, wenn der politische Haß gegen die Person des Branden¬ burgers sich nicht in so höhnisch boshafter Weise geltend ge¬ macht, wenn man nicht gleichzeitig in so brutaler Weise über ihre eigene Zukunft verfügt hätte. Brenkenhof war ein Offizier des Königs, den Maria Josephe ebenso tötlich haßte, wie Annas eigener Vater. Dieser Gedanke mußte sie abschrecken. Sie trug also eine völlig hoffnungslose Neigung in ihrem Herzen, wenn sie den Eindruck, den er auf sie gemacht hatte, festhalten und ihm nachhängen wollte. Man hatte ihr gesagt, daß Brenkenhof sich wahrscheinlich als Spion, jedenfalls aber in feindseligen Absichten gegen ihr Vaterland in Dresden aufhalte. Dies würde dazu beigetragen haben, daß ihr Herz sich gegen den persönlichen Eindruck des jungen Mannes ge¬ panzert hätte. Es fand aber das Gegenteil statt. Die statt¬ liche Erscheinung Brenkenhofs fesselte ihr Auge. Unwillkürlich fragte sich ihr Herz, ob man ihn nicht verleumde, wenn man ihm Unritterliches zutraue, ob er gegen diejenigen zurückstehe, die so verächtlich von ihm sprachen. Er trug sich freilich nicht in Brokat und Sammet, er hatte nicht die zierlichen Be¬ wegungen und Manieren der von französischen Tanzmeistern geschulten Kavaliere, aber wenn er die Pistole hob, saß sein Schuß im Schwarzen, und doch hatte er kaum gezielt — die neidisch - verdrießlichen Mienen der Hofkavaliere verrieten es, daß der Brandenburger ihnen den ersten Preis streitig machen werde.

Die Erregung wuchs mit jeder Minute, und Anna froh¬ lockte heimlich. Sie gönnte der Gräfin Ogilvy den Verdruß, welche Bewunderung die Treffsicherheit bei allen Zuschauern ertrotzte. Robert von Berlet war der einzige, der sich annähernd mit ihm messen konnte, aber jener war ihm dennoch um zwölf Ringe voraus.

sehen

zu

müssen,

Brenkenhofs

sich

Es handelte sich um den ersten Preis zwischen beiden. Jeder hatte noch drei Schüsse zu thun; es herrschte jedoch kein Zweifel, daß Berlet schon jetzt den Wettstreit aufgeben konnte. Man sah es Robert an, wie schwer es ihm wurde, seinen Groll und Neid zu verbergen. Es mochte seine innere Er¬ bitterung steigern, daß Brenkenhof die Artigkeit, mit welcher der Neffe des Ministers ihm auf dem Schießstande begegnete, für ernst gemeint nahm und es ihm durch höfliche Worte zu er¬ leichtern suchte, sich in die Rolle eines Befiegren zu finden. Die Kavaliere des Hofes, welche das Pistolenschießen als Belustigung übten, konnten mit einem Schützen nicht wett¬ eifern, der in der strengen Schule eines Seydlitz gewesen war. Seydlitz rit: unter den sich bewegenden Flügeln einer Wind¬ mühle fort. Es ist von ihm bekannt, daß er aus feinem Fenster mit der Pistole den Strick^zerschoß, mit welchem der

-8

291

Turmglöckner die Glocken läutete, und er forderte von seinen Offizieren im Reiten, Fechten und Schießen das Außerordent¬ lichste.

Das Schießen

nach

kurzer Entfernung konnte

einer

feststehenden Scheibe

aus

für einen Offizier, der gewöhnt war,

vom Pferde aus nach Vögeln oder beweglichen Zielen zu schießen, kaum eine nennenswerte Probe seiner Kunst sein.

Mußte man dies anerkennen,

so

sollten die Kavaliere des

Hofes aber auch dadurch überrascht werden, daß der Branden¬ burger sich auf Galanterie verstand. Brenkenhof lag einerseits an einem Triumphe sehr wenig, der leicht zu gewinnen war und nur den Neid der Mitstreiter vermehrte, andererseits wußte er keine Dame, der er den ersten Preis hätte geben mögen, als Anna, und er mochte sich nicht einer zweiten Zurückweisung Er senkte die Pistole, als man ihn wieder zum aussetzen. Schießpfahl rief.

„Ich verzichte,"

sagte er, „ich

will

gegen das Glück nicht

freveln. Ich würde die Ungunst Fortunas herausfordern, wollte ich um den Preis mit Kavalieren kämpfen, denen die Wünsche holder Damen zur Seite stehen."

„Das gilt nicht," rief Robert, der lieber besiegt werden, als den Triumph sich schenken lassen wollte. „Das sieht aus, als hielten Sie uns zu weiterem Kampfe mit Ihnen nicht gewachsen." mich da einer Prahlerei schuldig machen, dächte," erwiderte Brenkenhof, „aber das Welt¬

„Ich würde wenn ich

so

schießen um den

Preis der Königin kann nur für Schleifen¬

ritter gelten, und da wenigstens

ich kein solcher bin. muß ich zurücktreten, glaube ich, dazu keine weitere Berechtigung zu

haben." Einen Augenblick sann Robert nach, da kam ihm ein boshafter Gedanke. „Dann schießen Sie für meinen Bruder," sagte er, „Sie kennen ja dessen Dame."

„Die Dame müßte mich dazu Levollmächttgen," entgegnete Leopold v. Brenkenhof verwirrt, denn er fand keinen anderen Vorwand, diesem boshaftem Streiche auszuweichen. „Nach den Statuten kann jeder Schütze sich vertreten Es genügt, wenn ich Sie im Namen meines Bruders dazu auffordere."

lassen.

Brenkenhof mußte sich fügen, aber war es Absicht, oder war seine Hand unsicher — der Schuß knallte, ehe er die Pistole nach der Scheibe gerichtet hatte, und die Kugel ging

in die Luft.

„Ich bin ein Berlet," sagte er.

schlechter

Vertreter des Herrn Erich von

Robert schoß, aber er zielte gar nicht nach der Scheibe. „In die Luft schießen kann ich auch," sagte er trotzig, um darzuthun, daß er auf solchen Kampf nicht eingehe. Brenkenhof konnte jetzt nicht anders, als Roberts fügen. Seine beiden Kugeln, die er hatte, durchbohrten den Mittelpunkt. Robert eine Elf und eine Zehn. Brenkenhof erntete wunderung, und manch schönes Auge warf

sich dem

Willen

noch abzugeben schoß

aber nur

allgemeine Be¬ prüfende Blicke

Offizier, der dadurch sichtlich verwirrt wurde. Der Sieger empfing aus den Händen des Preisrichters das Diadem für die Schützenkönigin und begab sich damit zu der Tribüne, von welcher die Damen dem Schießen zugeschaut nach dem jungen

hatten.

fr

-

„Auf Begehr des Herrn Robort v. Berlet," sagte er zu Anna, die hoch erglühend kaum aufzuschauen wagte, „habe ich für Herrn Erich v. Beriet geschossen und ihm diesen Preis errungen — wollen Sie ihn aus meinen Händen an¬ nehmen?" Die Gräfin Ogilvy streckte die Hand aus. „Es ist vor allem Sache des Herrn v. Berlet, Ihnen zu danken," sagte sie, Anna mit der Antwort zuvorkommend, aber Brenkenhof übergab ihr das Diadem nicht, denn Anna hatte eine ab¬ wehrende Handbewegung gemacht. Sie war entschlossen, dieser Bevormundung ein-e Grenze zu setzen und nahm jetzt selbst das Wort.

„Ich bitte, Frau Gräfin," wandte sie sich zur Oberhof¬ meisterin, und es war ihr anzusehen, daß sie in diesem Augen¬ blicke das Aeußerste gewagt hätte, ihr Recht zu behaupten, „ich habe vorhin auf eine Zusage Rücksicht genommen, welche Sie für mich, ohne mein Vorwissen gaben. Da aber Herr v. Berlet behindert worden ist, von der Zusage Gebrauch zu machen, so bin ich bei dem Wettkampfe überhaupt nicht beteiligt gewesen." Nach den Regeln dieser Festlichkeiten handelte Anna

nur

wenn Sie den Preis zurückwies. Sie hätte andern¬ falls Brenkenhof vor dem Schießen als Vertreter dessen, dem sie ihre Schleife zugedacht, anerkennen müssen, er wäre ver¬ pflichtet gewesen, als solcher ihre Schleife zu tragen. Ihre Ablehnung war also in Wirklichkeit weder eine Kränkung Brenkenhofs, noch eine solche des abwesenden Erich v. Berlet, aber Anna bewies durch ihr Auftreten, daß sie die Anmaßung Roberts v. Berlet, seinen Bruder als ihren Kavalier ohne weiteres zu betrachten, mißbillige. korrekt,

aus dem Auftreten Annas, daß die geprahlt hatten. Er fühlte, daß die Dame absichtlich die Gelegenheit wahrnahm, um zu bekunden, daß sie sich gegen niemanden verpflichtet fühle und sich bis jetzt noch als vollständig frei betrachte.

Brenkenhof ersah

beiden Berlet

gestern

Nach den Regeln des Wettkampfes schoflen die Kavaliere

nur für ihre Damen. Es war übersehen worden, daß Brenkenhof keine Schleife trug,

er hätte am Preisschießen gar nicht teil¬

nehmen dürfen. Da er als Vertreter Erichs jetzt nicht mehr gelten konnte, gebührte dem nächstbesten Schützen das Recht Brenkenhof überreichte daher das auf den ersten Preis.

Diadem Robert, der sich jetzt nicht weigerte, dasselbe anzu¬ nehmen, schon um der peinlichen Scene ein Ende zu machen und seine Dame — er hatte die Schleife einer Baronin Senfft angelegt — nicht zu verletzen.

Ein Blick Brenkenhofs verriet es Anna, welchen be¬ lebenden Hoffnungsstrahl ihre Erklärung in seine Brust ge¬ worfen, und ob sie das gewollt, oder ob ihr Auftreten allein die Abweisung einer sie demütigenden und verletzenden Be¬ vormundung gewesen — es that ihr wohl, standen zu sehen. (Fortsetzung folgt.)

sich

von ihm ver¬

Silder aus der Mark. II. Burg Mit

Von

Birken gemischter und an Dam-, Reh- und Schwarzwild sehr Kurz vor dem Dorfe Grubo, welches in einer Thalmulde sehr hübsch gelegen und durch einen mächtigen Ziehbrunnen inmitten des Dorfes, sowie durch mehrere uralte Lindenbäume ausgezeichnet ist, ändert sich die Scenerie. Die alte Waldesgeneration ist durch jüngere ersetzt, überall ist der Boden mit der roten Erica bedeckt; hin und wieder leuchten hellgrün die Waldmoose hindurch, auch die jungen 20 jährigen Waldburschen haben sich in ein hellgraues Kleid von Flechten und Bartmoosen gesteckt, um auf dem welligen Boden, der nunmehr anhebt, mit uns nach Rabenstein zu pilgern. Mehr und mehr zerschneidet sich das Plateau und scheidet plastisch Thal und Kuppe, manch schönes Bild bietet sich dem Auge durch die immerwährenden und stets wechselnden Zusammensetzungen von Berg und Schlucht, dunkler Ertca und Hellen Moosen, von Kieferngrün und weißgelben Sandstreifen. reicher Kiefernwaldung besteht.

Rabensteiu. Abbildung.)

Kran; Tisrnar.

von der großen Verkehrsstraße, 12 km südlich von Belzig und 8 km südöstlich von Wiesenburg, liegt, weltvergessen das Dorf Raben. Die 130 Einwohner des¬ selben, mit ihren geringen Bedürfnissen fast ausschließlich auf sich und den leichten Ackerboden angewiesen, ernten gerade so viel, wie sie gebrauchen; für den Betrieb einer Spiritus¬ brennerei reichte die Kartoffelernte oftmals nicht aus, er wurde eingestellt. Aus Wehmui wohl über seinen verfehlten Beruf hat sich der hohe Schlot der Brennerei stark geneigt, so daß seinem Auch schiefen Dasein bald ein Ende gemacht werden dürfte. der hölzerne Turm der alten romanischen Feldsteinkirche zeigt eine geneigte, wenn auch weniger bedrohliche Stellung. Abseits

Krrvg Ravonllern. Nach einer photographischen Aufnahme von

Unter dem Schutze der Burg Rabenstein im 13. Jahr¬ hundert entstanden, blühte Raben schnell empor und galt bis 1530 als Marktflecken; dann verlor es im Laufe der Jahr¬ hunderte mehr und mehr an Bedeutung, so daß die nach Belzig und Wittenberg führenden Chausseen und der Landweg nach Niemegk von den Einwohnern Rubens zur Verfolgung von Handelsinteressen wenig benutzt werden. Und doch ver¬ dient Dorf Raben die Beachtung aller Liebhaber der Mark, aller Natur- und Geschichtsfreunde, nicht zum mindesten auch der Geologen. Erreicht wird das Dorf von Belzig aus auf oben¬ erwähnter Chaussee, welche herzlich schlecht ist und wenig An¬ ziehendes bietet, bis sich kurz vor Raben ein schönes Land¬ schaftsbild zeigt, das im tiefen Thaleinschnitt gelegene Dorf

mit der Burg Rabenstein im Hintergründe.

Für den Wanderer bequemer und reizvoller ist der Zu¬ gang von Wiesenburg. Von hier führt der Weg zumeist durch Forst, welcher vorerst aus hochstämmiger, mit Buchen und

Franz Tismar.

Doch auch das Wasser, unentbehrlich fast zur Erhöhung des Reizes einer märkischen Landschaft, fehlt hier nicht.

Kurz vor Raben entspringt in einem Elsengebüsch die Plane (nicht Plaue, wie der Druckfehlerteufel in Bergaus „Bau- und Kunst-Denkmäler" behauptet). Von diesem Flüßchen sagt Beckmann 1751:

„Die Plane, die Plune,

heißet,

sie in den alten Nachrichten Plane und insgemein die Poleke ge¬

oder wie

nannt, entstehet auf Sächsischem Boden aus einem Berge, und gehet auf Götzow, und fället dichte bei Brandeburg in die Havel. Führet gute Krebse."

Für andere Gegenden wäre der Ursprung eines wenn auch

für

noch

so

kurzen Gewässers weniger bedeutungsvoll, wie

dessen Hochplateau wir uns befinden. Zum befferen Verständnis dieses besonderen Umstandes soll daher erwähnt werden, daß die Plane das einzige Gewässer ist. welches in den zahlreichen Thalschluchten des sonst wasser¬ armen Fläming entspringt. Eine Folge des Wassermangels

den

Fläming, auf

/ 293 ist, daß ganze Dörfer keinen Brunnen haben und das Trink¬ wasser für Menschen und Vieh oftmals weit hergeholt werden muß. Bei starken Gewitterregen und namentlich zur Zeit der Schneeschmelze werden die Schluchten zu Gießbächen, welche den lockeren Sand des Plateaus mit sich nehmen und in die

5*

einer Urkunde von 1217 „zum Ravenstein" nannte. Um 1200 wurde eine hier befindliche Burg Ridicce, (wohl Rädigke) auf¬

Ob dies an derselben Stelle Aufdeckung älterer Fundamente unent¬ geschah, muß bis zur schieden bleiben, doch ist die Ansicht, Rabenstein ruhe auf den

gegeben und Rabenstein erbaut.

Burg, ohne weiteres nicht von der Hand

Thäler ablagern, so daß die tief gelegenen Flämingsdörfer Kultur entbehren.

Resten einer alten

fast jeder

zu weisen.

Kurz hinter der Quelle der Plane vereinigen sich beim Dorfe Raben mehrere solcher Schluchten von Norden, Westen und Süden her, von denen einige über eine Meile weit her¬ kommen. Das Plateau des Fläming besteht aus Sand, Lehm und Thon. Wäre Sand allein vorhanden oder vorherrschend, so würden die atmosphärischen Niederschläge versickern; so aber halten die fetten und undurchdringlichen Bodenbestand¬ teile das Wasser auf und ermöglichen einen regelmäßigen Abfluß, zum Teil wohl unterirdisch. Das eigentümliche Ge¬ räusch dieser unterirdischen Wasserrinnen, ein hohler, dumpfer Schall, hat denselben die örtliche Bezeichnung „Rummeln" ge¬ geben. Durch so viel kleine, fortwährend in Betrieb befind¬ liche Vorratsbehältnisse ist die Plane derart wasserreich, daß sie nach 2 Irrn langem Lauf schon eine Mahl- und Schneide-

1300 wurde Rabenstein, getrennt vom bisherigen großen Nebenbesitz, der Familie von Oppen als Lehn gegeben, bei welcher es bis zum Ende des 15. Jahrhunderts verblieb. 1395 eroberte und zerstörte es Bischof Albert von Magdeburg, 1401 wurde es wieder hergestellt. Dann gelangte es an die Familie von Lppsk (Leipziger) und ging von dieser in den

Dorlrrrer Stratzonpost.

(S. 299.)

mühle und bald darauf noch mehrere treibt. Mit den von Beckmann erwähnten Krebsen sieht es schlecht aus, sie wurden, wie auch anderwärts, durch Seuche dahingerafft; dafür giebt es aber Forellen, die fast bis in die Mündung hinaufkommen und dem Liebhaber als Bachforellen — an Ort und Stelle — einen Leckerbiffen bieten. Von Dorf Raben geht — ohne jedwede Gewähr für die Richtigkeit sei es verbreitet — die Sage, Kaiser Wilhelm I. sei als Prinzregent auf seiner Flucht nach Raben gekommen und hier durch den Bauer Kerkow ge¬

führt worden.

Ist Dorf

Raben somit nicht allen Interesses bar, so be¬ ansprucht doch vor allem die alte Burgfeste Rabenstein die größere Beachtung. Dieselbe krönt die zweifellos zum Zwecke des Baues abgetragene Spitze des steilen Hagen, eines jäh in das Planethal abfallenden Vorsprunges des Fläming. Zu¬ verlässige, auf Urkunden gestützte Nachrichten über die Er¬ bauung der Burg sind bis jetzt nicht bekannt, doch nimmt man das Jahr 1237 als richtig an. Berghaus und Bergau berichten, sich einander ergänzend, daß die Burg Rabenstein, auch Ravenstein und Rauensteyn genannt, in den frühesten Urkunden über den Brandenburger Stiftssprengel als Burg¬ wart nicht erwähnt wird, daher wahrscheinlich eine PrivatBergfeste war, nach welcher sich der zeitweilige Besitzer in

Um

unmittelbaren Besitz des Landesfürsten über. Eine weitere Eroberung und Zerstörung erfuhr es im 30 jährigen Kriege.

Irrr Innern einer Kerliner Strasienpost. Johann Georg I. verkaufte dann Rabenstein an den Witten¬ berger Profossor Dr. Erasmus Unruh für 20 000 Gulden, nach dessen Tode es 1628 durch Erbschaft an die Familie Leyser kam, um 1720 an den Amtmann Georg Christian Friedrich Löseke, 1786 für 40 800 Thaler an den Anhaltinischen Hofmarschall Karl August von Stangen und 1804 für 70 200 Thaler an Frau Erbprinzessin Christine Amalie von Anhalt-Dessau, Landgräfin von Hessen-Homburg, überzugehen. 1825 kam es in den Besitz des Herzogs von Anhalt-Dessau, Bis 1889 war es dessen Nachfolger es heute noch gehört. als Domäne verpachtet, wird aber jetzt für eigene Rechnung des Herzogs bewirtschaftet.

Der Name Rabenstein ist unzertrennlich von der Vor¬ stellung einer alten Felsenfeste, eines Raubvogelhorstes, das freien Ausflug gewährt und stets sicheren Schutz bietet. Ist das in Rede stehende Rabenstein nun zwar kein Raubritternest gewesen, liegt es auch nicht auf zerklüftetem, unzugänglichem Felsgestein, so zeigt es auf der Höhe des Hagen, ringsum von steilen Abhängen und dicken Mauern begrenzt, mit seinem Luginsland, seinen Spuren der Zugbrücke, seinem Zwinger und unterirdischen Gängen, welche auf Aus¬

fälle schließen lassen, doch das Urbild einer uralten Raub¬ ritterfeste. Der etwa 25 m hohe, runde Wartiurm — der

-8

294

Bergfried — steht frei und ragt stolz über alles empor. Er hat einen Durchmesser von etwa 14 m und ist aus viereckig behauenen Feldsteinen hergestellt. Seine Mauern sind am Fuße 4 m dick und verjüngen sich nach oben bis zu 2 m. Auf einer schmalen Holztreppe und im obersten Stock auf einer Holzleiter gelangen wir auf die Höhe des Turmes, die einen weiten Ausblick auf den Fläming und die umliegenden Ortschaften gewährt. Früher war der Turm oben mit einer Brüstung versehen, die verfallen ist. Weiterem Verfall beugte man im vorigen Jahre durch Vornahme größerer Reparaturen vor. Unser Bild (S. 292) zeigt den Turm mit dem be¬ treffenden Baugerüst neben dem Glockenhause. Im ersten Stockwerke des letzteren, welches mit dem angebauten Hause in Verbindung steht, befindet sich eine Kapelle, welche wegen ihrer Originalität Beachtung verdiente. Sie diente früher wohl, worauf die in der Decke befindlichen eisernen Ringe deuten können, als Rüstkammer und wurde durch den preußischen Steuerrat Gottfried Leister, einem Nachkommen des 1576 nach Wittenberg berufenen Pastors und Professors Polycarp Leister, zur Burgkapelle eingerichtet, zum Gedächtnis dessen, daß ge¬ nannter Pastor oder, wie andere meinen, Luther selbst in der Burg gepredigt habe. Der schmale Raum — lV2 m breit, etwa 8 in lang und 3 rn hoch — erweitert sich in der Mitte zwischen Thür und Fenster zu einer Rotunde. An den Seiten befindliche Bänke gewähren 40 Personen bequemen Platz. Am Fenster steht der gemauerte Altar und vor demselben eine den Verhältnissen entsprechende kleine Kanzel. Beide sind mit reich gestickten Decken, Geschenken der regierenden Herzogin zu Anhalt, Friederike, geb. Prinzessin von Preußen, (1849) be¬ legt. Der Steinaltar trägt zwei von einer Krone überragte Wappen, in denen je 2 Mondsicheln dargestellt find, und die

Inschrift: „Am Tage Martini 1717 den 11 . November, war der

»■

Dadurch scheint uns die Inschrift, die vielen schon viel Kopfzerbrechen machte, enträtselt und entziffert. — der

Burg Rabenstein ist jetzt ein Rittergut, zu welchem die Vorwerke Zernsdorf und Wendemark gehören. Das letztere, nur noch aus Tagelöhnerhäusern bestehend, wird abgebrochen, wie auch die eingangs erwähnte Brennerei aufgegeben ist, da die Verwaltung sich in Zukunft auf Forstwirtschaft beschränken wird. Demgemäß wird der zum Rittergut gehörige Ackerboden seit 1889 nach und nach aufgeforstet.

Auch

EN

REDIt ANNOS post Bis CentVM LVtherVs fLens REDIt ANNOS

(Luthers Lehre wird trotz Widerwärtigkeiten alle Jahr¬ hunderte hindurch glänzend bestehen.) Warum wurden aber, so fragt man sich, staben

der Inschrift doppelt groß gemalt?

etliche Buch¬

Ich

schließe mich

der Ansicht des Herrn Oberpräsidenten Grosser auf Rabenstein

in den Hinter¬ grund stellt und in ihnen ein Zahlenrätsel gefunden hat. Denken wir uns die in den beiden Strophen groß ge¬ druckten Buchstaben als Zahlen, so erhalten wir das folgende L — 50 1 Y — C — 100 5 Y — 5 Y 5 I — M — 1000 C — 100 L 50 an, der die in den Versen gesagte Prophezeiung

I =

i

V —

5

M — 1000

L

D

I

— — —

50 500 1

1717

Y V

L

D

= = ~



=

I =

5 5

50 500 1

1717

leidet

Rabenstein

unter

den

niedrigen

Wasser¬

des Fläming. Zwar besitzt die Burg ein altes Brunnenhaus, welches einen 33 m tiefen Brunnen umschließt; derselbe giebt aber seit Jahren kein Wasser. Ein 15 000 1 fassendes Basfingebäude wurde erbaut, zu welchem durch PferdeGöpelbetrieb das Wasser aus dem Thale hinausgeschafft und an die betreffenden Verbrauchsstellen verteilt wird. Der Zu¬ gang zur Burg ist nur von der Ostseite offen. Am Eingänge stehen 3 alte umfangreiche Linden, die, wie unser liebens¬ würdiger Führer, Herr Oberförster Grosser, uns mitteilt, die Blitzableiter für das Rittergut bilden. Wir wollen es ihm gern glauben, sind sie doch von Wind und Wetter, von Sturm,

verhältnissen

Donnergepolter und Blitzesschlag nicht verschont geblieben. Wie immer, ist auch hier der Vordermann am schlimmsten weggekommen,; lichterloh brannte er einst empor, und mannigfach aufgebotene Schutzmannschaften erretteten ihn von gänzlichem Untergange. Ein Teil eines starken Armes wurde ihm ge¬ nommen, trotzdem grünt und blüht er in alter Frische.

31. Oktober alten Kalenders, wurde die erste Predigt hier gehalten." Ferner folgende lateinischen Verse:

LVtherVs post Bis CentVM fLorens

sonst noch aus alter

Zeit vorhandenen Viehstall jetzige erwähnt sein. Er war Gebäuden mag früher der Rittersaal, der, achteckig in ungleichen Flächen er¬ baut, zugleich vielseitige Ausschau gestattete. Von den übrigen

Aus

den Befreiungskriegen.

Erlebnisse eines Offiziers beim Lützowschen Freikorps und im 7. Reserve-Regiment.

Bon

Fritz Dayer.

Es werden heutzutage von so mancher Seite Erinnerungs¬ blätter der Oeffentlichkeit übergeben, welche das allgemeine Interesse mehr oder minder erregen, daß der Herausgeber der nachfolgenden Erlebnisse wohl zu der Hoffnung ^berechtigt zu sein glaubt, mit diesen Erinnerungen seines Großvaters etwas nicht ganz Gleichgiltiges zu bieten.

Die Erinnerungen, unmittelbar niedergeschrieben,

geben

so

recht ein

nach

den

Erlebnissen

Bild jener Zeit, in

der

das Machtgebot des ersten Napoleon genügte, um unliebsame Personen in den Gefängnissen oder auf den Galeeren Frankreichs verschwinden zu lasten, wenn nicht gar die ultima ratio seiner

Willkür in dem Befehl „Fusillez!“ ihren Ausdruck fand. Und andererseits zeigen diese Blätter den ganzen grimmigen Haß, der in den Herzen der ruhmreichen Kämpfer für König und Vaterland gegen den ftänkischen Unterdrücker loderte!

Der Aufzeichner dieser Erinnerungen, hoch betagt im Jahre 1878 zu Königsberg in der Neumark als Landrat a. D. gestorben, war einer der ersten, der das Schwert zur.Besreiung

■^3

295

s--

des Vaterlandes ergriff, und der sich schon den vordringenden Russen anschloß, um gegen die verhaßten Franzosen kämpfen

andere Person die Besorgung derselben übernommen hatte, erfuhr ich erst drei Tage später von meinem Verwandten, dem

zu können.

ich

Am besten vermeint der Herausgeber zu thun, wenn er dazu aufgefordert — diese Erinnerungen möglichst unverändert und nur hier und da mit erläuternden

— wiederholt

Zusätzen versehen, der Oeffentlichkeit übergiebt.

Gott der

Aus meinem Leben. Herr ließ mich am 26. Mai 1788

meinen Besuch machte, meine von ihm ausgeführte Be¬ erdigung. Mein persönliches Erscheinen setzte denselben natürlich in das größte Erstaunen, bis sich die Verwechselung durch die von mir an von Blomberg übergebenen Papiere aufklärte. So wunderbar fing meine militärische Laufbahn an. Nachdem

zu Quartschen

bei Küstrin das Licht der Welt erblicken. Im elterlichen Hause empfing ich durch tüchtige Lehrer ersten Unterricht, besuchte dann, von 1800 ab, das Gymnasium in Küstrin und bezog Michaelis 1806 mit dem Zeugnis der Reife die Universität Frankfurt a. O. — Für die juristische Laufbahn bestimmt, mußte ich die Universität Michaelis 1808 schon wieder verlassen, da nach der Ansicht meiner Eltern durch die Invasion der Franzosen und infolge der so bedeutenden Verkleinerung meines Vaterlandes zu wenig Aussicht auf baldige und gute Anstellung im Staatsdienste vorhanden war. Mein Vater bestimmte mich nunmehr für die Landwirt¬ schaft, und ich lag bis zum Jahre 1812 auf verschiedenen größeren Gütern ökonomischen Studien ob. Da kam, als ich mich gerade auf dem Rittergute Wildenow bei Friedeberg in der Neumark befand, die Kunde, daß die rächende Hand Gottes dem vermessenen Welteroberer auf In glühendem Haß Rußlands Schneefeldern ereilt hätte. gegen die Franzosen, die Zerstörer des Glücks und der Ruhe meines Königs und meines Vaterlandes, schloß ich mich da schon den sie verfolgenden Russen unter Tettenborn an und machte am 18. Februar 1813 unter demselben bei Werneuchen das erste Gefecht gegen die Unterdrücker mit. Von Tettenborn nach Berlin gesandt, um demselben für den mit Czernitscheff beabsichtigten Ueberfall der Hauptstadt Nachrichten über die Stärke und die Stellungen der Franzosen zu bringen, begab ich mich am 18. Februar, abends, in Civilkleidern in die Stadt. Zuvor überließ ich meine Papiere, welche mich bei einer etwa stattfindenden Durchsuchung ver¬ dächtig machen konnten, dem sich ebenfalls bei Tettenborn be¬ findlichen -Hauptmann Alexander Freiherrn von Blomberg*). Wunderbarerweise wurde gerade dieser ausgezeichnete Mensch am Bernauer Thor erschossen, und da er. außer den ihm von mir übergebenen Briefschaften keine anderen Papiere mit sich führte, so ließ ihn ein naher Verwandter von mir, der mich seit längerer Zeit aber nicht gesehen hatte, im Glauben, ich sei der Erschossene, in dem Garten eines Justiz-Kommissarius am Thor einsargen und begraben.

den

Nachdem ich selbst zu Tettenborn mit den eingezogenen Nachrichten nicht mehr hatte zurückkehren können, und eine

*) Er befand sich am ehemaligen Bernauer Thor, später Neuen KönigSthor, ein weißes Kreuz mit der Inschrift: „Alexander Freiherr von Blomberg, geboren zu Iggenhausen am 81. Januar 1788, siel hier als erstes Opfer im deutschen Freiheitskampfe am 30. Februar 1813." Nach Niederlegung deS Neuen KöniglhoreS ist eine Tafel mit derselben Inschrift an einem Pfeiler der Umfriedung der St. Bartholomäuskirche angebracht. — Bei¬ läufig ist die Bezeichnung „als erstes Opfer" nicht richtig! AIS solches war bereits am 18. Februar im Gefecht von Werneuchen Otto von Arnim aus dem Haufe Suckow gefallen, und zwar von der Kugel eines Würz¬ burger reitenden Jägers durch die Brust gefchosien. Er ruht auf dem Kirchhofe zu Werneuchen.

es

mir gelungen, Berlin ungehindert

zu ver¬

war, ging ich über die Oder zurück und benutzte die Nähe meiner Heimat zu einem Besuch im Elternhause. Ich traf die Familie gerade beim Abendbrote, alles in tiefer Trauer. Mein überraschend plötzliches Eintreten wirkte erschütternd! War doch die Nach¬ richt meines Todes auch meinen Eltern mitgeteilt worden, und beweinten sie in mir eins der ersten Opfer des Krieges! —

lassen,

da Tettenborn

nach Norden abgezogen

Das Tettenbornsche Korps verließ ich, als mein König die Söhne des Vaterlandes gegen die fränkischen Unterdrücker zu den Waffen rief.

viel versprechende von Lützowsche Freikorps zog an; und so ging ich von Berlin, zu¬ gleich mit meinem Bruder Karl und einer Schar gleichgesinnter Freunde, auf eigene Kosten als Kavallerist ausgerüstet und gm beritten, über Breslau nach Rogau ab, wo die Kavallerie des Korps organisiert, und wir vom Chef, Major von Lützow, mit Freuden aufgenommen und der 2 . Schwadron (Rittmeister

Das

mich

ganz

so

besonders

von Aschenbach) zugeteilt wurden. Da der Andrang zum Freikorps, besonders von gebildeten jungen Leuten, sehr groß war, so wurde aus diesen eine be¬ sondere Schwadron gebildet, welche der obengenannte Ritt¬ meister führte. Dieser Schwadron gehörte Friedrich Friesen, später auch Theodor Körner u. a. an. Nach rascher

militärischer Heranbildung

und

nach

der

feierlichen Eidesleistung in der Kirche zu Rogau wurde ich mit Körner zum Stabe des Majors von Lützow kommandiert. Wir teilten, vielfach unter einem Zelt oder im selben Quartier, alle die im Korps gerade nicht bedeutenden militärischen Ereigniffe der ersten Monate des Krieges, bis uns der Ueberfall bei Kitzen am 17. Juni 1813, während des Waffenstillstandes

auf Napoleons Befehl durch den württembergischen General von Normann-Ehrenfels ausgeführt, fürs ganze Leben trennte. Wir gehörten zu dem abgezweigten Kavallerie-Detachement, welches mit 30 Mann Mariapolskischer (russischer) Husaren und 80 Mann Kosaken, im ganzen 470 Pferde stark, unter Führung von Lützows und des Rittmeisters von Bornstädt den verwegenen Zug in den Rücken der französischen Armee machte, bis Plauen im Voigtlande kam und auf seinem Rück¬ züge zur preußischen Armee übermächtig und verräterisch über¬

fallen, niedergehauen, versprengt und zu Gefangenen gemacht wurde. — machte Ich selbst — jetzt Adjutant bei von Bornstädt besonders Heranrücken und auf das Lützow den Major von auf die eigentümliche Weise des Marsches der feindlichen Zunächst wollte von Lützow darin Kolonnen aufmerksam. nichts Besonderes erblicken; als aber das Netz, in dem wir ge¬ fangen werden sollten, immer enger sich zusammenzog. sandte er. wenn ich nicht irre, Körner mit einem Trompeter vor, um nach der Bedeutung der feindlichen Bewegungen zu fragen

-e

und

den kommandierenden Offizier auf den abgeschlossenen Waffenstillstand aufmerksam zu machen.

„Es seien nur Truppen, welche andere Quartiere auf¬ suchten," lautete die Lützow überbrachte Antwort. Trotzdem schien mir die Sache nicht geheuer, und mein guter Schutzgeist ließ mich die leichte Feldmütze mit dem Czako vertauschen.

Gleich darauf erfolgte der Angriff des Feindes.

Ich wurde von vier württembergischen Reitern attackiert, wehrte mich, so lange ich konnte, und wurde in dem Augen¬ blick, wo mein Pferd mehrere Säbelhiebe und einen Pistolen¬

Hals bekam und sich bäumte, durch einen Hieb über den Kopf bewußtlos niedergestreckt. durch

schuß

den

Nach Sonnenuntergang erfolgte die schändliche Attacke, und als ich nach einiger Zeit, im Blute schwimmend, wieder zur Besinnung kam, schlich ich in der Dunkelheit ins Dorf und verbarg mich, um der Gefangennahme zu entgehen, in einer Scheune, in welcher mich der Zufall mit meinem späteren Leidensgefährten, dem Herrn von Behr-Negendank, einem Jenenser Studenten und Waffengefährten im Lützowschen Korps, zusammenführte.

Jedenfalls wäre mir durch den kräftigen Säbelhieb der gespalten worden, hätte ich mir nicht von meinem Burschen den mit einem starken, eisernen Ringe versehenen Czako reichen lassen. Czako und Ring waren quer durchhauen,

Kopf

und

so

war der

Nach

sonst tätliche Hieb abgeschwächt worden.

dem Abzug der Würltemberger vertauschte ich

mit

meinem Kameraden die blutige Lützowsche Uniform mit schlechten Bauernkleidern, um in dieser Kleidung möglichst unerkannt und sicher noch in der Nacht nach Jena zu gelangen.

Dies glückte.

Wir legten

Bauernkleider ab und wurden durch Studenten als Studenten eingekleidet, auch von denselben, da keine anderen Papiere zu erhalten waren, mit Matrikeln versehen, um so während des Waffenstillstandes die Elbe passieren und zur preußischen Armee und dem Lützowschen zurückgebliebenen Korps zurückkehren zu können. die

Meine Kopfwunde war durch ein Pflaster und das darüber gekämmte Haar verdeckt. So zogen wir denn, als mecklenburgische Studenten ziemlich anständig gekleidet, am 22 . Juni aus der Gegend von Jena ab; ich, aufgrund meiner Matrikel, unter dem Namen Otto König, von Behr unter dem Namen Wilhelm Götze; körperlicher Gebrechen wegen hätten diese beiden Studenten gegen die Franzosen nicht eintreten können.

In die Elbe zösischen

in der Gegend von Roßlau wurden wir aber von dem fran¬ Kommandanten am 24. Juni, wahrscheinlich als ver¬ Dessau angekommen, um

zu

überschreiten,

296

s-„Ob wir imsta">e wären, eine Bürgschaft in unsere Heimat Mecklenburg

zu

uns eintrat:

für

unsere Verdachtlosigkeit als

zurückkehrende Studenten

zu

beschaffen?

In

welchem

Falle

der General noch zögern wolle, das Todesurteil an uns voll¬ ziehen zu lassen."

Da

in der Stadt und Umgegend ganz unbekannt, eine solche Bürgschaft beizubringen außerstande war, mein Leidensgefährte aber in einem Verwandten, dem Oberforst¬ ich,

in Zerbst, eine solche möglich zu machen glaubte, wenn es gestattet würde, dessen Zeugnis zu erbitten, so genehmigte der Adjutant diesen Versuch, ließ Tinte, Fever und Papier bringen und blieb so lange im Gefängnis, bis das Schreiben vollendet war, um es dann an den Herrn von Kalitsch befördern zu lassen. meister von Kalitsch

Den schimpflichsten Tod vor Augen, in der Besorgnis, daß Herr von Kalitsch

in Zerbst nicht anwesend sein,

auch

wohl Bedenken tragen möchte, zweien ihm unter den Namen König und Götze ganz unbekannten Menschen ein so wichtiges, ihn selbst sehr gefährdendes Attest auszustellen, verlebten wir nicht nur in der Nacht vom 24. zum 25., sondern fast auch den ganzen 25. Juni Stunden höchster Erregung. Daß von Behr beim Lützowschen Korps eingetreten war, daß das Korps den Ueberfall am 17. erlitten hatte: das zu wissen, durfte vorausgesetzt werden, als von Behr unter dem falschen Namen. Student Götze, das Schreiben an Herrn von Kalitsch abgehen und mich als seinen Freund König vorstellen ließ.

Da langte wirklich gegen Abend durch einen alten Diener das rettende Zeugnis des Herrn von Kalitsch. die erbetene Bürgschaft, an und wurde dem Gouverneur übergeben. Daß Herr von Kalitsch in höchster Menschenfreundlichkeit und unter Verachtung der ihm selbst dabei drohenden Gefahr den Bitten zweier ihm völlig unbekannter Leute willfaprte, bleibt der schönste Charakterzug dieses edlen Mannes, dem wir damit unsere Lebensrettung zu verdanken haben.*)

Natürlich erwarteten wir nun unsere Freilassung; doch erfolgte nicht. Wir blieben mit den schwersten Ver¬ brechern zusammen; erst nach sieben Tagen öffnete sich für uns das Gefängnis, und wir wurden, ohne weiteres Verhör, von sieben französischen Soldaten in die Mitte genommen und über Düben nach Leipzig geführt. Hier, hieß es, werde der Herzog von Padua, General Arrighi, weiter über uns be¬ stimmen. Es geschah aber nichts, und wir saßen zwei Tage im Gefängnis zu Leipzig, um von hier aus weiter, stets mit Ketten geschlossen oder mit Stricken zusammengebunden, durch zwei berittene Gendarmen von Station zu Station, von Ge-' fängnis zu Gefängnis transportiert zu werden. So ging es zunächst über Weißenfels, Naumburg, Büttelstädt bis Erfurt, diese

sprengte Lützower erkannt oder betrachtet, bei unserer Meldung

arretiert und dem Gouverneur von Wittenberg, DivisionsGeneral La Poppe, unter einer Eskorte von neun Mann zur weiteren Entscheidung zugesandt. General La Poppe erklärte uns für Spione, mit der Be¬ stimmung, am folgenden Tage, den 25. Juni, erschossen zu werden.

Abgeführt ins Rathaus und dort mit einer Anzahl der gemeinsten Verbrecher in ein abscheuliches Gefängnis gesperrt, lagen wir am Abend des 24. Juni auf unserer Streu, als gegen 10 Uhr noch ein Adjutant des Generals mit der Frage

*) In

den dreißiger Jahren

wurde das Mittel-Oderbruch durch Mein Großvater, der Landrat des Kreises, leitete persönlich die Arbeiten an den gefährdeten Stellen. Da sah er, wie ein schwacher Kahn, in welchem zwei Personen sich befanden, vom linken Ufer über den mit mächtigen Schollen gehenden Strom zu fahren versuchte. Das kleine Fahrzeug wurde fortgerisien, und jeden Augenblick konnte es mit seinen Jnsasien vom Eise zerdrückt werden. Sofort ließ mein Großvater ein schweres Boot mit mehreren Leuten bemannen und den Gefährdeten zur Hilfe eilen. Der Rettungsversuch gelang. Der ge¬ rettete Reisende aber war ein naher Verwandter derselben Herrn von Kalitsch, dessen opferwilliger Edelmut zwanzig Jahre früher den beiden Lützowern das Leben gerettet. So wunderbar ließ die göttliche Vorsehung meinen Großvater daS Dankgefühl bethätigen, welches in ihm bis zu seinem Lebensende für seinen Lebensretter von 1813 lebendig war! schwere Wassersnot heimgesucht.

-8

297

wo vom Kommandanten i f der Citadelle eine neue Marsch¬ route für uns ausgefertigt wurde, und dann immer weiter, stets zu Fuß, in Ketten zwischen zwei Gendarmen, durch die schaudervollsten Gefängnisse von Gotha, Eisenach u. s. w. bis nach Frankfurt a. M. in das Bureau des Marschalls Kellermann, Herzogs von Valmy.

Hier hörten wir zu unserem großen Erstaunen, daß man uns schon seit mehreren Tagen erwarte. Ein General im Bureau gab schriftliche Befehle, und zwei neue Gendarmen führten uns stumm nach Mainz in den eisernen Turm am Rhein und dort in das Gefängnis, in dem der berüchtigte Räuberhauptmann Schinderhannes Acht starke Fallthüren mußten

gesessen

wir

hatte.

wir

bis unters Dach dieses schrecklichen Gefängnisses kamen,

wo

wir bei Kommisbrot und Wasser, der längst?ge-

Auch ein HohenMrr. Von Grrstcrr»

-getjev.

Im Jahre 1792 hatte das monarchische Europa der französischen Revolution den Krieg erklärt, und Preußen dabei die Hauptrolle übernommen. Damals war Prinz Louis Ferdinand,

der Neffe Friedrichs

des Großen,

ein junger

Mann von zwanzig Jahren, der den berüchtigten Feldzug oder vielmehr Rückzug aus der Champagne als Oberst eines Re¬ giments zu Fuß mitmachte. Zufällig begegnete ihm Goethe, der

sich

im Gefolge des Herzogs von Weimar befand.

„Wir trafen ehe

durchsteigen,

Br

auf einen Husarenposten." erzählt der Dichter,

„und sprachen mit dem Offizier, einem hübschen, jungen Mann. Der Kanonendonner war weit über Grandprö hinaus, und er hatte Ordre, nicht vorwärts zu

gehen,

um

nicht

ohne

wohnten täglichen Nahrung, immer ^ ohne Verhör, drei

ursachen.

Wochen lang schmachten mußten. Eine traurigere konnte es wohl kaum Lage

lange besprochen, als Prinz Louis Ferdinand mit einigen! Gefolge ankam, nach kurzer

AIs Spione mit Ketten

geben!

handelt,

be¬ ge¬

schlossen, ununterbrochen

den

in

Gefäng¬

ekelhaftesten

in zerrissener Klei¬

nissen,

dung, ohne jeden Wechsel von Leibwäsche, von Un¬ geziefer zerfressen,

als

Aussicht, sklaven

was'

zu

noch

mit der Galeeren¬

sterben, gewisser

oder, schien,

Tod auf dem Sand¬ Daß zu erleiden! wir für unseren König und Herrn und für unser Vater¬ land litten, das allein war unser Trost in diesem den

haufen

Not eine Bewegung zu

ver¬

Wir hatten uns

Begrüßung und Hin- und Widerreden von dem Offizier verlangte, daß er vorwärts gehen solle. Dieser machte dringende Vorstellungen, auf welche der

Prinz nicht vorwärts ritt,

achtete, sondern

dem

wir dann alle folgen Wir waren nicht

mußten.

weit gekommen, als ein fran¬ zösischer Jäger sich von fern sehen ließ, an uns bis auf Büchsenschußweite heran¬

und sodann umkeh¬ rend wieder verschwand. Ihm folgte der zweite, dann der dritte, welche ebenfalls wieder verschwanden. Der vierte sprengte

bitteren Leiden. Nur einmal des Tages aber, wahrscheinlich der erste, Rechtsanwalt KtrPrhnor, wurde unser Käfig geöffnet, die Büchse ganz ernstlich schoß der neue Bürgermeister von Berlin. (S. 299.) wo uns dann durch einen auf uns ab; man konnte die zerlumpten, schmutzigen Mit¬ Kugel deutlich pfeifen gefangenen in Gegenwart des Wärters das Kommisbrot und hören. Der Prinz ließ sich nicht irre machen, und Wasser und dann auch abwechselnd eine mit widrigem, übel¬ jene trieben auch ihr Handwerk, so daß mehrere Schüsse riechendem Fett gekochte Grütz- oder Kartoffelsuppe zur Nahrung fielen, indem wir unseren Weg verfolgten. Ich hatte den gereicht wurde. Offizier manchmal angesehen, der zwischen Pflicht und zwischen der Ehrerbietung vor einem königlichen Prinzen in der größten Das Ungeziefer kroch buchstäblich auf dem schmutzigen Verlegenheit schwankte. Er glaubte wohl in meinen Blicken Tische herum, und wenn wir auf der widerwärtigen, fast zu etwas Teilnehmendes zu lesen, ritt auf mich zu und sagte: Müll gewordenen Streu lagen, liefen uns Ratten und Mäuse „Wenn Sie irgend etwas auf den Prinzen vermögen, so er¬ über das Gesicht. suchen Sie ihn, zurückzugehen, er setzt mich der größten Ver¬ antwortung aus. Ich habe den strengsten Befehl, meinen an¬ (Fortsetzung folgt.! gewiesenen Posten nicht zu verlassen, und es ist nichts ver¬ nünftiger, als daß wir den Feind nicht reizen, der hinter Grandprs in einer festen Stellung gelagert ist. Kehrt der Prinz nicht um, so ist in kurzem die ganze Vorpostenkette alarmiert; man weiß im Hauptquartier nicht, was es heißen

•e

298

soll, und der erste Verdruß ergeht über mich ganz ohne meine

Schuld."

„Ich ritt zeigt

an den Prinzen heran und sagte: soeben die Ehre, mir einigen Einfluß auf

mir

„Man er¬ Ihre Hoheit

zuzutrauen, deshalb ich um geneigtes Ohr bitte." Ich brachte ihm darauf die Sache mit Klarheit vor, was kaum nötig ge¬ wesen wäre, denn er sah selbst alles vor sich und war freundlich

mit einigen guten Worten umzukehren, worauf denn Der auch die Jäger verschwanden und zu schießen aufhörten. Offizier dankte mir aufs verbindlichste, und man sieht, daß ein Vermittler überall willkommen ist." genug,

Der Rückzug führte den Prinzen nach Frankfurt a. M., sich für die Strapazen des Krieges schadlos zu halten suchte. Mitten in den Zerstreuungen brach aber immer wieder Viele Stunden seine edle, künstlerisch-geniale Natur hervor. war ein Er selbst der Musik. widmete er vorzugsweise vollendeter Virtuose auf dem Klavier, und seine Kompositionen wo er

tragen den Stempel der höheren Weihe und eines nicht ge¬ Musiker, Dilettanten und Virtuosen wöhnlichen Talents. drängten sich an ihn, suchten und fanden bei ihm Aufmunterung und Unterstützung in einem Maße, das seine Humanität oft in überraschender Weise bekundete. Ein heruntergekommener Virtuose wandte sich in Frankfurt an ihn; der Prinz konnte ihm augenblicklich nicht ausreichend helfen, da fand er plötzlich einen Ausweg.

„Kündigen Sie an, daß ich eine Klaviersonate in Ihrem Konzerte spielen werde," rief er, und der Erfolg überstieg jede Erwartung, da sehr viele Einwohner der Stadt voll Neugierde herbeiströmten, um das seltsame Schauspiel zu genießen, einen preußischen

Prinzen in einem

öffentlichen Konzerte

zu

be¬

wundern.

Im

Jahre wurde der Feldzug gegen die Franzosen fortgesetzt. Der Prinz war bei dem Heere, und seine Anwesenheit wurde durch zwei Thaten der edelsten Menschenliebe bezeichnet. Bei der Belagerung von Mainz war ein Vorspannbauer im Gedränge vom Pferde gesunken und ein Packwagen ihm über den Fuß gefahren. Viel Volks umstand zwar den Unglücklichen, ohne ihm jedoch die dringend nötige Hilfe zu bringen. Da eilte der Prinz, welcher an seinem Fenster den Vorfall beobachtete, schnell hinab, hob den armen Bauer ans seine Schultern, trug ihn auf sein Bett und ließ ihn bis zu seiner Wiederherstellung verpflegen. folgenden

Zwei Monate später fand em Gefecht zwischen öster¬ Plänklern und dem Feinde statt, der diesen scharf zusetzte. Prinz Louis Ferdinand war zugegen und sah durch

reichischen

wohlgezielten Schöffe der Franzosen manchen wackeren Kämpfer fallen. Ein Soldat vom Regimente Pellagrini wurde im Zurückweichen getroffen und sank. Im Fallen bat er seine Kameraden flehentlich, ihn doch mitzunehmen. Keiner hörte ihn, da der Feind immer näher rückte; der Prinz ermunterte die Nächsten, den Verwundeten zu retten und bot sogar eine namhafte Summe, aber niemand wollte sich der Gefahr aus¬ setzen, sein Leben oder im besten Falle seine Freiheit zu ver¬ lieren. Da entschließt sich der echte Hohenzoller, schreitet kühn im Kugelregen bis zu dem Verwundeten, packt ihn im An¬ gesicht des Feindes mit seinen starken Armen auf und bringt ihn glücklich herüber, obgleich alle Schüsse auf ihn gerichtet wurden. Die That erregte das größte Aufsehen, die Oester¬ die

mit Begeisterung den Namen der gemeine Soldat jauchzte ihm zu, wo er

reicher nannten

des Prinzen, und sich

zeigte.

Der Krieg nahm für die Verbündeten bekanntlich eine und Preußen sah sich genötigt, den Der Prinz Frieden zu Basel mit Frankreich zu schließen. unzufrieden war mit diesem Ausgange im höchsten Grade und sprach in diesem Sinne unverhohlen und oft in starken Der Friede wirkte nicht Ausdrücken seine Meinung aus. vorteilhaft auf seine feurige Natur, welche ohne Beschäftigung leicht auf Abwege geriet und von dem Strudel der damals Er trug alle herrschenden Frivolität sich hinreißen ließ. Keime eines großen Mannes in sich, aber die Zeit und der Boden waren nicht zu ihrer Entwickelung günstig. Die ge¬ hemmte Thatkraft des Prinzen machte sich wiederholt in Zer¬ streuungen Luft, aber selbst in seinen Leidenschaften behielt Nach einer unruhigen seine bessere Natur stets die Oberhand. Nacht kehrte er zu seinen wissenschaftlichen Studien, am liebsten zur Musik zurück. Alle edlen Gefühle und tiefen Empfindungen, deren er vollkommen fähig war, drückte er in freien und kühnen Phantasien aus. eine stille Einkehr in seine Seele haltend. unglückliche Wendung,

ungeordnete Lebensweise des Prinzen mußte mehr auffallen, da das junge Königspaar, Friedrich Wilhelm HL und die unvergeßliche Luise, als Vorbilder häuslicher Tugend und reinster Sitte erschienen. Zu allerlei ärgerlichen Geschichten, die von der geschäftigen Fama noch

Die

um

so

schlimmer gemacht wurden, als sie an und für sich schon waren, kamen noch Schulden, und zwar in kaum zu bewältigender

Höhe hinzu. Der Prinz war freigebig, großmütig, sorglos, zum Aufwande geneigt, weder voraus- noch nachrechnend. Seine Gläubiger drängten ihn, und der haushälterische Vater gab nur eine verhältnismäßig geringe Zulage; außerdem über¬

ließ diesem der Sohn die ihm zugefallene bedeutende Erbschaft seines Oheims, des Prinzen Heinrich, zur lebenslänglichen Verwaltung, als er gesehen, daß der ihm dadurch bewiesene Vorzug den Vater kränke. Da das Beispiel des Prinzen ver¬ führerisch auf den Kreis der jüngeren, ohnehin zum Uebermut und zur Verschwendung geneigten Offiziere wirkte, die sich ihm anschlossen und in ihm ihr glänzendes Vorbild verehrten, so empfing Louis den Befehl, Berlin zu verlassen und bei seinem Regimente in Magdeburg zu bleiben. Hier besuchte er einmal mit einer ganzen Gesellschaft die Vorstellung englischer Reiter und gab, als der Teller zum Sammeln umherging, für sich und seine Begleitung ein Goldstück, was den Umständen nach weder zu viel noch zu wenig sein mochte. Ein kleiner, elegant gekleideter Kaufmann, der dicht dabei stand, wollte die Ge¬ legenheit, den königlichen Prinzen zu überbieten, nicht vorüber gehen lassen und legte mit auffallender Art zwei Goldstücke

auf den Teller. Ein Begleiter des Prinzen machte diesen auf das Benehmen des kleinen Kaufmannes aufmerksam. Der Prinz aber zog den Hut sehr höflich ab und sagte mit einem lachenden Blick auf das Gold, gleichsam betroffen: „O, davor habe ich den größten Respekt!" Dieser unfteiwillige Aufenthalt in Magdeburg hielt indes nicht ab, von Zeit zu Zeit wieder nach Berlin zurückzukehren. Dort war ein neues geistiges Leben und eine den Prinzen

Geselligkeit im höheren Sinne aufgeblüht. die

Männer wie Gentz,

Brüder Friedrich und August Schlegel, Schleiermacher,

-e 299 Uchte, Bernhardt traten mit den kühnsten Meinungen über Kunst und Wissenschaft hervor. Der Prinz nahm an ihren Bestrebungen den lebhaftesten Anteil, lernte sie meist persönlich kennen und fühlte sich mächtig von dieser geistigen Bewegung angezogen. Später kam noch der berühmte Geschichtsschreiber Johannes von Müller hinzu, der in einem Briefe an eine Dame folgendes Urteil über den Prinzen fällt: „Ich habe ein langes Gespräch mit dem Prinzen Louis gehabt. Ich war überhaupt sehr davon bezaubert: er ist einer der schönsten Männer; er weiß mehr, als ich erwartete. Er hat viel Geist und Energie, ganz gewiß. Er ist ein Mann, der in Zeiten der Not dem Könige und dem Staate solche Dienste leisten wird, wie der große Friedrich sie von Heinrich erfuhr. Er hat unendliche Hilfsmittel in sich. Möchte er nur stets von Leuten umgeben sein, die für den König und das Vaterland Dies ist ein wichtiger Punkt bei einem wie ich denken. Charakter wie der seine. Wissen und Geist haben großes Gewicht bei ihm, und ich würde nie glauben, daß er irgend etwas unternehme, was er von Personen gemißbilligt sehe, deren Zustimmung ihm wert wäre." Auch mit Schiller trat der Prinz bei der Anwesenheit des Dichters in Berlin in ein näheres Verhältnis; er behandelte ihn mit Auszeichnung und zog ihn zu Tisch.

&•-

Gem verweilte der Prinz auf seinem ihm zugehörigen Gute Schlicke, unweit Magdeburg, an der Elbe liegend, wo Diese betrieb er nicht, wie er sich mit der Jagd belustigte. als vornehme Beschäftigung, als eine manche große Herren, eine fürstliche Reservatfreude, sondern mit freiem Behagen, wie eine heitere Anstrengung, wobei an Geschicklichkeit im Rennen, Reiten und allen dazu gehörigen Fertigkeiten es ihm der Geübteste und Fertigste nicht vorthat. Hier wurden Säue abgefangen und der edle Hirsch gehetzt. Nach der Jagd ver¬ sammelten sich Freunde und Bekannte zum frohen, geistreichen Mahle, wobei auch die Frauen nicht fehlen durften. Das Mahl wurde im antiken Sinne durch geistreiche Gespräche und gute Musik gewürzt und oft bis in die späte Nacht verlängert. Neben dem Prinzen stand ein Piano. Eine Wendung, und er fiel in die Unterhaltung mit Tonharmonien ein, die dann der Kapellmeister Dussek, der immer in seiner Umgebung lebte, auf einem anderen Instrumente weiter fortführte. So ent¬ oft zwischen beiden ein musikalischer Wettkampf, ein musikalisches Gespräch konnte man es nennen, das edle, durch Worte angeregte Empfindungen der Seele in bezaubernden Tönen lebhafter fortklingen ließ.

stand

(Schluß folgt.)

Kleine Mitteilungen. Kerlroot? KttraHonpsst. — Die Zahl der in Berlin täglich eingehenden Briefe, welche 1872 nur 80 000 Stück betrug, beziffert sich jetzt auf V2 Million. Diese Zahl giebt ein Bild von der gewaltigen Arbeit, die allein bei der Bricsbeförderung alle Tage durch die Post zu be¬ wältigen ist. Nun gilt bei den StephanS-Jüngern vor allem der Grundsatz: „Dime is money“, und war die Stunde bringt, muß sofort befördert werden. Diesem Grundsätze verdanken die Straßenpostwagen (siehe Abbildungen S. 293) ihre Entstehung, die seit Ende 1889 in den Dienst gestellt sind. Vor diesem Zeitpunkte wurden alle Briefe, die bei den ein¬ zelnen Berliner Postämtern aufgegeben waren, von Karriolwagen abgeholt, nach dem Hauptpostamt geschafft und erst dort für die einzelnen Ausgabe¬ ämter

verteilt.

Die

Straßenpostwagen

fahren

strahlenförmig

Stadt, der in ihnen thätige Beamte verteilt während der Fahrt die Briefe, giebt bei den von ihm berührten Postämtern die für dieselben bestimmten Sen¬ dungen gleich ab und nimmt neue in Empfang. Auf dem Hauptpostamte zwischen Hauptpostamt und den Aemtern bis zur Peripherie der

die Straßenpost mit fertigen Briefbeuteln ein, tauscht dieselben mit den anderen Wagen aus und beginnt von neuem die Fahrt. Im Vergleich zu der früheren Karriolbeförderung wird durch die Straßenposten fast eine Stunde Zeit gewonnen. Nur durch diese Einrichtung und durch

trifft

ein äußerst gewandtes, opfersreudigeS, diensteifriges Beamtenpersonal ist eS möglich, täglich eine halbe Million Briefe zu befördern. Diese Leistung ist um so erstaunlicher, wenn man berücksichtigt, daß im Centrum der Stadt täglich 12 mal Briefe bestellt werden, in den weniger bevölkerten, entlegeneren Ausläufern der Riesenstadt 6—8 mal. Wesentlich erschwert wird der Post diese Gigantenarbeit durch die ungenauen Aufschriften. Vs % (ca. 1700) Briese sind täglich unbestellbar, bei mehr als 24 600 (!) muß die Adreffe vervoll¬ ständigt werden, fürwahr, eine eindringliche Mahnung für alle Lriefschreiber, der armen, vielgeplagten Post das Leben nicht unnötig schwer zu machen und im eigenen Interesse stets nur richtig adressierte Briefe in den Kasten zu stecken.

R. G.

Kirschner, der neue Bürgermeister non Berlin.

Die letzten beiden Jahre haben in den höchsten Aemtern der Reichshaupt¬ stadt einen raschen Wechsel herbeigeführt: wenige Monate, nachdem der Bürgermeister HermannDuncker in den Ruhestand getreten war, rief der Tod Max von Forckenbeck auS seiner verdienstvollen Wirksamkeit und brachte Robert Zelle, den Nachfolger DunckerS, in das höchste Amt der deutschen Reichshauptstadt. Bei der Wahl des neuen Bürgermeisters ging der Rechtsanwalt Kirschner in BreSlau als Sieger hervor und wurde, nachdem er die königliche Bestätigung erhalten, am 16. Februar d. feierlich in sein Amt eingeführt. Ueber den Lebensgang des neuen Bürger¬ meisters von Berlin, dessen energische und durchgeistigte Züge wir auf Seite 297 unseren Lesern im Bilde vorführen, erfahren wir aus authentischer Quelle folgende, bisher ungedruckte Notizen: Kirschner wurde am 10. November 1842 zu Freiburg in Schlesien als Sohn eines Arztes geboren. Im Jahre 1651 siedelte er mit den Eltern nach BreSlau ^über, besuchte

I.

dort daS Gymnasium zu St. Maria - Magdalena und studierte dann in Breslau, Berlin und Heidelberg Jura. Während seines juristischen Vor¬ bereitungsdienstes war Kirschner wieder in BreSlau. 1872 bis 1673 fun¬ gierte er als Kreisrichter in Nakel bei Bromberg. Seit November 1873 bis 1. Oktober 1879 war er Stadtrat und zuletzt Syndikus in BreSlau. Beim Inkrafttreten der neuen Justizorganisation (1. Oktober 1879) legte er sein Amt als Syndikus nieder und wurde Anwalt in Breslau. AIs solcher wurde er bald daraus in die Stadtverordneten-Versammlung gewählt; er gehörte derselben bis Ende 1891 an, wo er seinen Wohnsitz außerhalb BreSIauS in einen Vorort verlegte. Zeitweise war er Mitglied deS BeziikSVerwaltungSgerichtS und des BezirkSrateS in BreSlau; auch war er als Vertreter der Stadt Breslau bis zu seiner Uebersiedelung nach Berlin AIS Anwalt gehörte er Mitglied des Provinziallandtages von Schlesien. dem Vorstande der AnwaltSkammer für Schlesien seit mehreren Jahren an. — Möge dem neuen Bürgermeister von Berlin, der in so mannigsachen Aemtern sich als ein ganzer Mann erwiesen hat, eine lange und gesegnete R. G. Amtszeit beschieden sein!

Der:

maide.

Fall der Künigserle

— Nun bist

Kurg rot gi^rcc-

alter, ehrwürdiger Riese, du König unter den Bäumen deS stußdurchzogenen Spreewaldes! Die Hand des Arbeiters hat dich gefällt, als im Herbststurm du den letzten bunten Blätterschmuck auf die entschlummernden Fluren und in die wandermüden Wellen der Spree niederstreutest. Schon längst warst du gezeichnet, schon oft war die Axt geschärft worden, die dir den Tod bringen sollte. Nun ist Wie stolz ragtest du empor über die eS geschehen, und du bist nicht mehr! Häupter all der BaumeSriesen, weit schautest du hin über die Kuppen des herrlichen SpreewalddomeS! Die Leute maßen dich und sagten, du habest eine Höhe von 25 Metern und einen Umfang von 47« Metern gehabt. Aber keiner wußte dein Alter anzugeben, niemand konnte sagen, wieviel Jahrzehnte hindurch du hier standest, so daß man im Scherze meinte, Adam habe dich gepflanzt und Eva dich begoffen. Was magst du in deinem Leben nicht alles erschaut haben, wovon magst du nicht Zeuge gewesen sein! Wie viele Geschlechter mögen wohl während deines Daseins gekommen und gegangen sein! Unter deinen rauschenden Wipfeln glitten lautlos die flachen Spreewaldkähne mit dem malerisch gekleideten Volke der Wenden dahin, wenn sie den Erntesegen dem heimatlichen Blockhause zusteuerten, hochzeitlich geschmückt zur Kirche strebten und ihre Entschasenen zur letzten Ruhestätte führten, oder wenn in mondeSheller Sommernacht ein Liebespaar Du selbst weißt er ja am besten, verstohlen Kuß und Schwur tauschte. ob der Volksmund recht hat, der da behauptet, König Friedrich Wilhelm IV., der am 30. Mai 1844 mit großem Gefolge von Lübbenau aus die Hallen deS Spreewaldes zu Kahn durchfuhr, habe unrer deinem schattigen Laubdach daS Frühstück eingenommen. KönigSerle sollst du seit der Zeit heißen; aber ein König unter den Erlen, den eigentlichen Bäumen deS EpreewaldeS, bist du auch sonst gewesen. Donner und Blitz, Hitze und Kälte, Sonnenschein und Regen hast auch du nicht mehr,

-6

300

du wechselnd überdauert. Noch ehe der Lenz dir die saftig grünen, glän¬ zenden Blätter an die Zweige flocht, warst du es, den sich die ersten Stare nach meerweiter Wanderung als Ruheplatz erwählten, um aus deinem hohen Wipsel die selige Frühlingskunde dem Spreewälder in da§ Herz zu flöten. Der Wanderer, der von fernher nahte und in Reisehandbüchern von deinem königlichen Aussehen gelesen hatte, schritt oftmals dich bewundernd auf dem Uferpsade an dir vorüber. Du hast die Dichter zu Liedern begeistert; der Maler und der Photograph haben deine Gestalt im Bilde festgehalten. Nun bist du nicht mehr! Schienst du doch kraftlos und gebrechlich! Kahl recktest du schon viele Zweige deiner Krone zu den ziehenden Wolken empor, und dar karge Laub, mit dem du noch im letzten Sommer dein Haupt schmücktest, schien den Leuten als sicherer Zeichen deiner fliehenden Lebens. An deinem Marke hatte der Zahn der Zeit genagt, so daß aus einer großen Höhlung deines unteren Stammes schon das wurzelnde Gras hervorlugte. Wie bald, meinte man, könnte dich ein Weiter stürzen, und wehe dem Wanderer dann, den du unter deinem Riesenleibe begraben hättest! Darum, alter, ehrwürdiger Baum, mußtest du dahin. Vielleicht ist eS auch so gut. Das praktisch denkende Volk fragt heute wenig nach dem. was geistigen Genuß bereitet; der klingende Nutzen gewinnt überall die Oberhand. War doch dein Stamm, den man zersägte und zerstückle, an Holz ergiebig genug; und daß du heute vielleicht schon Staub und Asche bist, wie wenige mag es kümmern! Hast du doch noch nach deinem Tode mit allem, was du bist und hast, dem Menschen gedient, und da? war ja vielen schließlich die Hauptsache. Durch deinen Fall wurde ja auch der schmale Uferpfad breiter Warum mußtest du auch gerade mitten auf dem Wege und bequemer. Wurzel fassen? Jetzt ist der Weg frei, und über die Stätte, wo du standest, wird der rastlose Fuß der Menschen dahineilen, und nur wenige werden dabei deiner gedenken. Vergebens werden die gefiederten Sänger des Lenzes nach dir forschen und fragen, umsonst werden sie die alte Heimat, Nur die Welle, die deinen ihr trauliches Nest, in den Zweigen, suchen. Fuß umspülte und in deren Gemurmel du das heimliche Rauschen deines Wipfels mischtest und so heimliche Zwiesprache mit ihr hieltest, wird von dir erzählen, so lange sie noch durch den Waidesdom und das grüne Eiland pilgert. Und im Gedanken weniger Menschen wirst du, vom Duft der Sage umbreilet, fortleben, alte, ehrwürdige Königserle!

Ewald Müller.

Nereins -Nachrichten der Arbeitssitzung des „Vereins für die Geschichte Berlins" vom 25. Februar gelangten unter dem Vorsitz des Herrn Geh. ArchiorateS B. Reuter zunächst einige neuere Veröffentlichungen zur Vorlage und Besprechung, wie „die noch lebenden Mitglieder der Familie v. Eberstein" vom Rittergutsbesitzer v. Eberstein-Auleben, das Jahrbuch des historischen Vereins der Steiermark in Graz, die Fortsetzung zu dem Werke „Die Generale von 1840—1890", herausgegeben im Anschluß an daS Werk „Die Generale von Kurbrandenburg 1640—1840" von dem Mitgliede Oberst Bog. v. Kleist. Daraus hielt Rektor P. Bellardi einen Bortrag über „Königin Luise, ihr Leben und ihr Andenken in Berlin" unter Zugrunde¬ legung deS von ihm jüngst herausgegebenen WerkchenS mit gleichem Titel. Die Schrift ruft die Erinnerung an die Wiederkehr des Tages wach, an welchem (am 24. April 1893) vor 100 Jahren die damalige Prinzessin Luise durch ihre Verlobung mit dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm in den engeren Kreis der Hohenzollern-Familie eintrat. Ferner führte der Verfasser und Vortragende die Ställen der Erinnerung an Königin Luise in Berlin auf, und zwar das Luisen-Denkmal, die Luisen-Jnsel, das Luisen-Stift, die Luisen-Stiftung in der Markgrafenstr. 10, Luisen-Orden, Luisenstadt und -Kirche, Luisen-Straße, -Platz und -User, Luisen-Schule und -Gymnasium, das Luisenbad und vor allem die Erinnerungen im Hohenzollern-Museum.

In

Touristen-Club für die Mark Brandenburg (gegründet 1884). Die Sitzungen dieser ältesten und größten Vereinigung Berliner Natur- und Wanderfreunde finden an jedem Mittwoch, abends 8^4 Uhr im Restaurant Am 15. März er. spricht Herr Tettenborn, Wallsir. 91, 1. Etage, statt. Oberlehrer Dr. Müllenhoff daselbst „über die Herkunft der märkischen Tiere und Pflanzen", während für den 29. März er. Mitglied Alb. Poppe einen Vortrag über „Sophie Charlotte, Preußens erste Königin" zugesagt hat. — Die Wanderfahrten des Clubs finden regelmäßig an Sonntagen, in 14 tägigen Zwischenräumen statt. Für die Oster - Feiertage wird von der Führerschaft ein zweitägiger und ein eintägiger Ausflug vorbereitet. — Gäste sind bei allen Veranstaltungen des Clubs willkommen, und erfahren Interessenten das Nähere durch den 1. Schriftführer Paul Bumke, NW. 21, Bremerstraße 54—55, II.

S--

gekommenen Sattlers. Auf den Schultern einer braven Frau liegt die Sorge für die Familie, sie ernährt Mann, Kind und eine Schwägerin als Wäscherin. Nichts als die Ehrenhaftigkeit und die Liebe zu ihrem Kinde AIS aber die hat sie aus dem Schiffbruch der Lebenshoffnungen gerettet. Schwester ihres Mannes zur Diebin wird, als unter den Füßen des armen Weibes der Boden zu schwanken beginnt, da macht sie in Gemeinschast mit ihrem schwachen, veikommenen Manne einen Selbstmordversuch — sie wollen Ihr Kind stirbt, sie werden beide gerettet. sich durch Kohlendampf ersticken. Wahrhaft erschütternd wnki die Scene vor Gericht. — Ein völliger Frei¬ spruch erfolgt nicht, aber da man annimmt, daß die That der armen Frau in höchster Verzweiflung ersolgte, wird ihr die Untersuchungshaft als Ver¬ büßung angerechnet. Die arme Wäscherin muß zurück in da? öde Leben, in dem nun auch ihr Kind, ihr Dorchen, fehlt. Aber sie nimmt eS auf — und als der Jugendfreund, dem ihre erste Nei¬ sich, „sie büßt" damit gung gehört hat, verunglückt, erbarmt sie sich seines blödsinnigen, verlassenen

KeHauungspIan fütr dro Urrrrrrte

Sir i'irsjt.

Ein Volksroman von E. Vely. Mannheim 1892. Verlag Bensheimer. Preis 3 Mk., gbd. 4 Mk. In dem vorliegenden Roman führt uns die bekannte und beliebte Erzählerin ein ebenso wahres wie ergreifendes Bilv auS dem Handwerker¬ leben der Gegenwart vor. Die Stadl Hannover giebt das Lokalkolorit zu demselben, und der engere Schauplatz ist die Wohnung eines herunter¬ von

Für

I.

gcrltn.

Berlin

Adrian Saldis Allgemeine Gedtreschreilmng.

Ein

Handbuch des geographischen WisienS für die Bedürfnisse aller Ge¬ bildeten. 8. Auflage. Vollkommen neu bearbeitet von Dr. Fran-z Heidrich. Mit 900 Illustrationen, vielen Textkärtchen und 25 Kartenbeilagen. In 60 Lief, ä 0,75 M. A. Hartlebens Verlag in

Wien. Von dem trefflichen Werk, das wir auf das wärmste empfehlen, liegen jetzt 18 Lieferungen vor, die hiermit den ersten Band abschließen. Derselbe ist ein stattliches Buch von 1152 Seiten, dessen gediegener Inhalt ein schönes Werk für jung und alt darstellt. Die letzten Lieferungen be¬ Auf Grund amtlicher handeln die politisch-sozialen Verhältnisse Afrikas. Publikationen werden in demselben die einzelnen Phasen der Kolonial¬ politik vorgeführt und nach den neuesten Forschungsergebnissen die physi¬ Die kalischen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Kolonien geschildert. Balbis Erd¬ Darstellung ist überall fesselnd und zugleich wissenschaftlich. beschreibung verspricht in jeder Hinsicht ein Volksbuch in bestem Sinne des —lk— Wortes zu werden.

Taschenatlas *»Ue.

Vorwort. Das Andenken an den immer

noch zu wenig gewürdigten

märkischen Geschichtschreiber Nikolaus Leutinger ist neuerdings

durch eine

in

den

Spalten dieses Blattes publicierte Biographie

aus meiner Feder in etwas wieder aufgefrischt worden. Wenn heut auf das gleiche Thema annähernd zurückgegriffen wird, kann dies nur mit der Thatsache entschuldigt werden, daß eine historische Persönlichkeit, bei eingehender Beschäftigung mit der¬ selben, für den der sich einer solchen hingiebt, mehr und mehr an Reiz gewinnt, ja ihm zuletzt naturgemäß zum intimen Freunde wird. Noch ein anderer, weit triftigerer Grund, das Sujet aufs neue in Betracht zu ziehen, liegt indes vor. Derselbe beruht auf der unbestreitbaren und glücklicherweise auch selten bestrittenen Bedeutsamkeit unseres großen, zwar berühmten, dennoch aber in der Gegenwart nur wenigen Fürwahr, es durch eigene Lektüre nahe gerückien Historikers.

ragt seine Gestalt um Kopfeslänge über die aller Zeitgenossen verwandten Faches empor. Wäre nicht der Pommernchronist. Kantzow, so würden wir seines Gleichen im Reformationszeit¬ alter umsonst suchen. Kein bloßer Erzähler von Geschehenem, vielmehr ein Annalist im besten Sinne des Wortes, ein am klassischen Altertum im Geist des edelsten Humanismus ge¬ bildeter Geschichtsforscher erscheint in ihm verkörpert; zugleich ist er eine wahrhaft vornehme Natur, die uns imponierend und befreundend zugleich entgegentritt. Auf den ersten Blick er¬ kennt man den gediegenen und selbstbewußten, wenn auch nicht immer ganz vorurteilsfreien Zuschauer großer wie kleiner Welt¬ ereignisse. die er uns, namentlich was sein eigenes, das 16. Jahrhundert, betrifft, als kompetenter, nicht leicht abzu¬ lehnender Zeuge und Beurteiler in gefälliger Weife vorführt. Einer unserer geistreichsten Tagesschriftsteller, Hermann Grimm, hat den Ausspruch gethan: Niemand glaubt heute mehr au sogenannte exakte Geschichtschreibung; nur von Ge¬ wissenhaftigkeit kann die Rede sein.

Einer solchen nun begegnen wir bei Leutinger in hervor¬ ragendem Maße. Daß er zu wenig Schlagworte und Schlag¬ züge einsticht und der Anekdote abhold ist, hat seiner Popularität, einem Haftiz oder einem Kreusiug gegenüber. Eintrag gethan. Dem hält ein anderer Vorzug die Wage. Vermöge einer gewiffen Diviuationsgabe erhebt sein Gemüt sich bisweilen zu einer grandios zu nennenden Anschauung vaterländischer Dinge, mochten sie auch damals oft kleinlich genug gewesen sein; dergestalt, daß diese ihm gleichsam verklärt, in

321 dem Rosenschimmer einer fast antik zu nennenden Beleuchtung

vor die Seele treten.

Glaubt man nicht in Leutingers Auffassung seiner Bären¬ stadt (urb8 arctoa), jener schlichten reichsfürstlichen Residenz an der Spree, schon der gewaltigen Jetztzeit würdige Anfänge



ich vermeide mit Willen das zur Stunde bis zum Ueberdruß mißbrauchte Wort Welt- oder Millionenstadt — zu erkennen?

der künftigen Großstadt

Dies wird namentlich bemerkbar, wo unser Gewährs¬ mann aus dem Gebiet der Historik auf dasjenige der Geographie oder vielmehr der Topographie übertritt. Er verdient hierin auch mit einem für ihn allerdings anachronistischen Ausdruck der Vater und Schöpfer märkischer Heimatskunde ge¬ nannt zu werden. Welche Eigenschaft aber könnte ihn wohl mehr als diese befähigen, unserem Herzen näher zu treten? Wie seltsam muten uns doch bei Leutinger Orte wie Zossen, Mittenwalde, Gransee u. a. m. an, wenn er die von kunstloser Feldsteinmauer umhegten Städtlein mit Senat und Kurie, mit

einem Forum, mit Konsuln und Patriziern Letztere mögen in Wirklichkeit wahrscheinlich ausstattet. manchmal blaue Schürzen und Zipfelmützen — Pantinen fehlten noch — getragen haben, wenn sie auch das von Spurius Dentatus, einem der Diktatoren des frühen re¬ publikanischen Roms, so würdevoll geübte Rübenputzen, der

Vorzüglichkeit gleichen spezifisch märkischen Bodenerzeugnisses unerachtet, bereits ihren Hausfrauen überließen.

Allerdings

bewahrten

derzeit

selbst

kleine

märkische

Abglanz mittelalterlicher Selbst¬ Stadtgemeinden noch ständigkeit und des daraus entspringenden Selbstgefühls bei Bürgern und Vorstehern; neben altgermanischer Freiheitsliebe auch etwas von jenem lateinischen Kulturbewußtsein, zuerst durch die Kirche, später durch den milderen Anhauch der einen

Außerdem bestand noch manches von seiidem verloren gegangenem architektonischem oder sonstigem Pomp und anderer Vornehmheit, das bald genug im Elend des herannahenden dreißigjährigen Krieges verschwinden und Renaissance herübergetragen.

später zu jenem aschgrauen Spießbürgertum, das unser Vater¬

land

so

lange moralisch entstellt hat, verblassen sollte.

Höchst

interessant

und dankbar aufzunehmen sind ferner

bei Leutinger die ihm geläufigen Latinisierungen unserer Orts¬

Mittelalter überkommen Wurf geschaffen worden ein anheimelnder Duft zugleich

namen. Mögen dieselben aus dem oder von ihm selbst durch genialen sein, immer webt sich um sie

von Wohlklang und leichter Verständlichkeit. Hätten unsere Naturkundigen heutigentags dem Gebrauch nicht des Lateinischen zu Gunsten der Muttersprache abgesagt, so würde ihnen insbesondere für Lokalitätsbezeichnungen das Studium von Leutingers Schriften ans Herz zu legen sein. Angezogen von dem Reiz, der Leutingers Schilderungen innewohnt, ist von mir versucht worden, einen Abschnitt seiner Kommentarien, die TopograpMa Marchiae, in dem Um¬ fang, wie sie wirklich Märkisches behandelt, aus dem Lateinischen übersetzt, wiederzugeben. Jedenfalls möge man sich hüten, hier so etwas wie einen Fontane oder Trinius im Gewände des Resormationszeitalters zu erwarten. Dazu war die Epoche weder an Kritik, noch an Stimmungsausdruck oder an pointiertem Witz reif genug, noch auch der Stil zur Wieder¬

e--

gabe objektiver Eindrücke hinlänglich befähigt. Steigt aber nicht eine Zeit auf die Schultern der anderen? Ein Tertianer

vielleicht, ein Handwerksbursch, wenn es deren überhaupt noch giebt, gewiß, würde heut glauben, es besser machen zu können als der ehemalige Zögling der Meißner Fürstenschule; zumeist mit Unrecht, in manchen Stücken aber allerdings wohl mit Aller Anfang jedoch ist schwer, und treue Wiedergabe Recht. der Wirklichkeit, wo sie unverkennbar bleibt, dankenswert, so

lange Ausführlicheres oder lebhafter Empfundenes eben ganz fehlt.

Es ist die Frage, ob in dieser neuen Version Leutinger nicht vielleicht an Anziehungskraft

einbüßt,

wenn seine Auf¬

zeichnungen jenes von ihm so meisterhaft gehandhabten überaus

humanistischen Gelehrtenlateins

entkleidet an den Ob es gelungen ist, diese Schwierigkeit zu überwinden, mag der Erfolg entscheiden. Nur das Geständnis sei von mir nicht unterdrückt, daß es nicht ganz leicht war. jene Partizipialkonstruklionen ohne Ende und jene unabsehbaren Reihen von Ablativen, worin sich unser Autor gefällt, in ein Deutsch aufzulösen, das er selbst, hätte es ihm beliebt, in der Muttersprache zu schreiben, gewiß in weit anmutenderer Weise

eleganten,

Leser herantreten.

bemeistert haben würde.

Wäre dies geschehen, in wie vieler Händen würden Leutingers nun halbvergessene Werke noch sein, die jetzt, wenn scheuen, in Römersprache mächtig, auch der alten sich ein Meer ciceronianischer Phrasen hinabzutauchen, wie kostbar immerhin die heimatlichen Perlen sein mögen, die in seiner Tiefe ruhen und deren Bergung von mir gewiffenhaft an¬ gestrebt worden ist.

Berlin, im März 1893. *

*

*

I. Vollendung vieler Arbeit, will ich mich von den fremden Fürstentümern zur Mark selbst wieder zurück¬ wenden. Es ist diese, wenn auch nicht in jeder Hinsicht ein glückliches Land, doch von der Natur so reich mit allem zum Leben Notwendigen beschenkt, daß weder benachbarte, noch selbst entferntere Gegenden mit ihr in Vergleich kommen, wes¬ halb sie auch bei den Ausländern in Ruf steht, ja sogar gern von ihnen bewohnt wird. Fünf schiffbare und dem Handel dienliche Ströme, die Elbe, Oder, Spree (Lusvns), Havel

Nun,

nach

und Warthe, bewässern sie, vermöge welcher ihr der Ocean fast mühelos Güter aller Art, die von fernen Küsten kommen, So füllt sich die ganze Mark in staunenswerter zuführt. Menge mit aller Notdurft menschlichen Daseins. Reger Ver¬ kehr besteht mit Polen. Böhmen. Schlesiern und Lausitzern. Das Land ist eben, dabei waldig und oft sumpfig, voller Seen, Flüsse und Quellen, deswegen auch erstaunlich reich an Fischen verschiedener Art. Die Forsten bedecken unglaublich große Räume und sind voller Eber, Hirsche, Rehe, Hasen, Füchse und Bären. Mitten darin sowohl des Luxus als der

Erholung halber erbaute Jagdschlösser: Köpenick, Grunewald (ad viridem silvam), Potsdam, Ketzin, Nezlin, Liebenwalde, Mollenbeck, Grimnitz, Rüdersdorf (Rustorpimn), Storckow, Beeskow, Neumühlen, Masfin, Garz, Hochtid, Jägernburg, Drehna u. a. m., dienen der Mark zu sonderbarlichem Schmuck. Hie und da kommen auch Einöden vor. Häufige Kriegs-

■*3

322

A»-

laufte haben nämlich verursacht, daß der von der Kultur

und die hier

und seltner berührte Erdboden sich über verwachsenen Ackerfurchen wieder in Wildnis verwandelt und seine natür¬ liche Anmut eingebüßt hat. Aufs neue starrt er daun von der Ungestalt frisch aufgeschossener Waldesdickre, wie uns das in der Gegenwart nur allzuoft verödete Fluren und in Trümmer

oder sonst durch Reichwerden ihr Glück machten, und denen es

seltner

Wenn auch nicht gesunkene Gotteshäuser vor Augen führen. wenige unfruchtbare Strecken vorkommen, so hat doch keines¬ wegs Mangel an Anbau das Land traurig gemacht; vielmehr verleiht selbst auf Sandboden schlammherbeiführende Ueberdurch die Ströme den Wiesen und Triften er¬ Fruchtbarkeit. So ist es zumal in der Altmark, welche Philipp Melanchthon eru Galiläa zu nennen gewohnt war; vor allem bei Seehausen, wo der überaus gute Boden zugleich eine solche Festigkeit zeigt, daß beim Pflügen Pferde vorgespannt werden müssen. Gar nicht sechzehn einmal von den Havelinseln, vom Weizboden in der Uckermark und von einigen Gemarkungen um Ruppin zu sprechen, die Nachbarn wie Fremden oft aushelfen, ja sie gänzlich mit des Lebens Notdurft versehen, besonders aber Korn nach Stettin und Hamburg liefern. Hier befleißigt man sich des Ackerbaus in so hohem Grade, daß, was früher Gehölz und Weideland gewesen, jetzt kaum noch vorhanden ist, da die Feldfrüchte alles für sich in Anspruch nehmen.

schwemmnng wünschte

Bergwerke zu eröffnen hat Kurfürst Joachim II. bei Oderberg versucht, doch ohne daß seine Hoffnungen in Erfüllung gegangen wären. Dasselbe gilt für die Salinen bei Belitz

und bei Berlin. Ganz vorzügliche Steinbrüche finden sich bei Rüdersdorf, und zu diesen Eingeleitete Kanäle erweisen sich als Bei Brandenburg. Frankfurt, in hohem Maße nutzbar. Berlin, Beeskow, Fürstenwalde, Wrietzen, Kottbns, Krossen und anderenorts erzeugen Rebenhügel einen Wein mittlerer Güte. Die Rinderzucht ist eine ausgedehnte, während die Herden der Pferde und Schafe sich fast als unzählbar er¬ weisen. Unermeßlich groß ist die Menge der Fische, Krebse, großen Aale und Hechte. Diese werden so massenhaft eingesalzen, daß sie zu vielen Wagenladungen nach der Lausitz,

Thüringen und dem Harz geführt werden. Edle Biere braut man zu Bernau, Gardeleben, Salzwedel, Ruppin, Fürstenwalde und Schievelbein. Auf wohleingerichteten und zahlreichen Mühlen wird zu Kottbns, Beeskow, Fürstenwalde, Berlin, Potsdam, Spandau, Bötzow, Zehdenick, Brandenburg und Rathenow Korn gemahlen, was dem öffentlichen Säckel der Städte und Privaten großen Gewinn bringt. Zollstätten befinden sich fast bei jeder Stadt. Es haben, dem Obigen gemäß auch die einzelnen Distrikte ihre besonderen Attribute. Die Altmark heißt die voll-, die Mittelmark die fischreiche. Die Neumark rühmt sich ihres Herdenreichtums an Rindern, Pferden und Schafen, die Ucker¬ mark der Ergiebigkeit ihrer Ackerkrume. Noch zu unserer Väter Zeit, vor etwa siebzig Jahren, hat hier zu Laude ein wahr¬ haft goldenes Zeitalter geherrscht. Ein Scheffel Roggen galt sechs gute Groschen, ein Faß Bier doppelt soviel. Alle anderen Dinge waren, je nach der Menge, in der sie vorhanden, zu gleich billigem Preise zu haben. Der Hunger trieb die Fremden haufenweis ins Land, wo sie im fetten Korn den ersehnten Hafen zu finden glaubten. Daher jener wüste Zu¬ sammenfluß ausländischer Einwanderung in die Mark. Zu¬ meist kamen solche, die Armut aus der Heimat getrieben hatte. Sachsen,

mit leichter Mühe Zugang zu Aemtern fanden

wohl gefiel, daß sie lieber hier alt werden, als des Erworbenen freuen mochten. Diesem Wohl¬ stand kam nicht wenig die Tugend und Milde der Herrscher zu Hilfe, denn väterlich sorgten diese für ihre Unterthanen. Jetzt sind andere Zeiten, andere Sitten. daher

so

daheim

sich

Wenn auch nicht wenige märkische Adelsgeschlechter untergegangen sind, z. B. die Grafen von Osterburg, Stolpe, Ruppin und Torgau, die Freiherren aus den Familien

Gersdorf. Zeran u. a. m., so bestehen Grafen v. Hohenstein, Lenar, Wernigerode und Regenstein, die Freiherren Puttlitz, Schenk, die aus Baiern stammenden Lützeldorf, die geldernschen Schnlenburge, die Alvensleben vom Stamme Alvos, die Bartensleben vom Stamme Bardows, die Bredows, die aus Böhmen gekommenen Bismarcke, die Arnim, Ouitzow, Jagow, Uchtenhagen, von dem niederen, ritterbürtigen Adel, der die Mark mit hohem Lob erfüllt, gar nicht einmal zu sprechen. Man zählt in der Alt¬ mark allein fünfzig edle Familien; in der Neumark giebt es, nach dem Vermerk des fürfichtigen, um den Staat wohlverdienten Kanzlers Barthus, ihrer zweihundert. Im Ruppinschen kennt man vierzig Rittergüter. Was wäre nicht von der die übrigen Pro¬ vinzen an Größe übertreffenden Mittelmark, was nicht von der Uckermark zu hoffen? So groß war einstmals hiesigen Orts der Stolz des Adels, daß er mit Herzögen und Fürsten Bündnisse schließen konnte und wieder mit anderen solchen um die Oberherrschaft kämpfte. Schadewacht,

Roretz,

noch heut die

Die Mark erzeugt Genies mit glücklichen und scharf aus¬ geprägten Geistesgaben, die es jedoch selten zu etwas bringen, obwohl sie zuerst viel zu versprechen scheinen, sei es auf Grund schlechter häuslicher Erziehung oder weil man vergißt, daß jedes, auch das jüngste Lebensalter schon, die Bestimmung zu

tugendhaftem Wandel habe. Die Mütter, die heutzutage in allen Dingen das Regiment führen und alles nach ihrem Willen ordnen wollen, haben nun einmal von den Vorfahren das Beispiel althergebrachter Einfalt empfangen. Entfernt von jener Eleganz, deren Gebildetere sich befleißigen, halten sie daran fest, mag jene auch noch so sehr nach bäuerlicher Barbarei riechen und schmecken. Dieses gilt für die Rede¬ weise, die Kleidung und Sitten, so daß man, civilisierterer Gewohnheit bar. am liebsten sich an das hält, was man in der Jugend gelernt hat, und, mit dem Maßstabe eigener Be¬ schränktheit messend, die gleiche auf die Kinder Übertragen zu sehen wünscht.

Man weiß,

welch

eine große Hauptsache das

für jeden

ist, was er vom Knabenalter an zu Haus hört, was und

mit

wem er spricht, und welche Lebensführung Eltern, Lehrer und Studiengenossen um ihn her beobachten. Deshalb hat man

mit weisem Vorbedacht treffliche Schulen eröffnet, zu Stendal, Brandenburg. Berlin, Frankfurt, Salzwedel, Gardeleben und Prenzlau, denen indes zu großem Hemmnis dient, daß man nicht immer im Auge behält, die beste Lebensweisheit sei die, welche nicht reich, aber ehrbar und klug macht. Aus jenem Grunde erziehen viele ihre Kinder im Haß der Wissenschaft, fast ganz wie die alten Aegypter, bei denen der Aufwand der Eltern für die Knaben bis zu den Jünglingsjahren die Summe von 20 Drachmen nicht überschreiten sollte. Hieher zielt auch,

■■8

die Fürsten die geistlichen Einkünfte aus Stiftern und Abteien nicht den Zwecken widmen, zu welchen Frömmigkeit sie ursprünglich bestimmt hatte. Es geschieht vielmehr, daß diese zu weltlichem Gebrauch profan verschwendet werden. Ueppiges Wohlleben wird durch sie nicht reicher gemacht, und das Heut hat das Gestern schon wieder vergessen. Da die Märker häufig cholerischen Temperaments sind, so geschieht es nicht selten, daß Naturanlage sie zum Soff, zu Streit, Schlägereien und ähnlicher Unbill leicht veranlaßt. daß

323

S--

Eben deswegen find sie aber auch kriegslustig und leisten im Felde viel. Kommt etwas Melancholie hinzu, der es nicht an strenger Zucht fehlt, so können sie es zu reichem Wissen und zu einer guten Lebensführung bringen. Begehrlichkeit führt zu Kenntnissen, Lebhaftigkeit des Geistes zur Treue, die gute, geistige Veranlagung zu unermüdlicher Arbeit. So wetteifern die Begabten mit jedweder fremden Trefflichkeit, und es ist ihr Lob, daß sie mehr in der Unbescholtenheit, wie in der Schmeichelei leisten.

(Fortsetzung folgt.)

Kleine Mitteilungen Mettbemeev für Entwürfe;it einem rnürkifüien meister zum Unterstabe Pkrrrninrial-Mnfenm in Dertin (Schluß). Den dritten Preis OffizierS, trugen jedoch

erhielten die Berliner Architekten Zaar und Vahl. Die Gesamtansicht ihres Entwurfes (s. Abbildung Seite 316) ist von ungemein malerischer Wirkung, doch ist das von ihnen gegebene architektonische Bild auch in Bezug auf die Umgebung des Museums leider nur künstlerische Phantasie: in Wirklichkeit bietet die dortige Gegend ein ganz anderes Bild. Was den Grundriß dieses Entwurfes anbetrifft, so lasten seine Verfasser im Norden einen Teil des Bauplatzes unbenutzt, um die langgestreckte Form des Ge¬ bäudes zu vermindern. Der Vorzug dieses Entwurfs liegt überhaupt in der praktischen Anordnung und Gliederung der Räume im Innern. Die Durchbildung der Fastaden des auch in den Formen der märkischen Backstein¬ bauten gehaltenen Entwurfes ist hingegen minder glücklich als die der beiden ersten Preise. — Auf die zum Ankauf empfohlenen Entwürfe wollen wir hier nicht näher eingehen; dagegen erscheint uns die Wiedergabe deS Entwurfes vom Architekten Heinrich Reinhardt in Wilmersdorf geboten (f. Abbil¬ dung ©. 317). Dieser Entwurf, der im Stile eines märkischen Cistercienserklosters gehalten ist, trägt sein Motto „Markig, märkisch" mit Fug und Recht, entspricht jedoch leider den modernen Anforderungen an Luft und Licht nicht, die auch an einen Museumsbau zu stellen sind.

R.

Die Rumpeimette.

Gr.

Der grüne Donnerstag war unsern

märkischen Vorfahren im Mittelalter noch ein Feiertag. Während man in den drei vorhergehenden Tagen der Charwoche seinen Alltagsgeschästen nachging, wurde am grünen Donnerstage in allen Familien gebeichtet und kommuniziert. Nahte dann der Abend heran, so eilten die Gläubigen in die Kirche zur Meste, die an diesem Tage ungewöhnlich stark besucht wurde und in Hellem Kerzenglanze erstrahlte. Der in weiß gekleidete Geistliche stimmte nach dem gewöhnlichen Introitus vor dem Altar Psalmen an, und nach der jedesmaligen Beendigung eines solchen wurde eine auf einem Triangel befindliche Kerze ausgelöscht, bis schließlich nur eine einzige übrig blieb, die dann unter dem Altar verborgen wurde, worauf das Miserere erfolgte. Nach demselben ertönte ein entsetzlicher Lärm, eine förmliche Katzenmusik. Auf vorher eigens mitgebrachten und beliebigen Instrumenten wurde das wüste Toben begleitet, und dieser fürchterliche, ohrenzerreibende Skandal bei vollständiger Dunkelheit sollte den Ueberfall des Judas und die Gefangennahme Christi auf dem Oelbergs versinnbildlichen. Hatte man sich endlich genügend ausgetobt, so erschien die versteckte Kerze wieder auf dem Altar, und dann schlichen sich die Andächtigen auS der Kirche. Diese in der Charwoche abgehaltene Messe nannte man die Rumpelmette. Am Charfreitag wiederholte sich der eben geschilderte Vorgang in der Kirche, doch fand neben der Rumpel- oder finsteren Meste auch noch die Anbetung des Kreuzes in großer Prozession statt, worauf dann am Sonnabend, dem sogenannten JudaS-Sonnabend, in der Kirche das Weihwasser, daS neue Feuer und die Opferkerze geweiht wurden. Auch verbrannte man, unter Absingung von Psalmen, daS alte geweihte Oel, welche Ceremonie man „den Judas verbrennen" nannte. Man glaubte allgemein, daß Judas eine solche Strafe verdient habe. Die dabei benutzten, nicht ganz verbrannten Holzscheite wurden gesammelt und aufbewahrt, um, wie man glaubte, sich dadurch vor dem Einschlagen des Blitzes zu schützen. UebrigenS sei noch erwähnt, daß auch die Vornehmen, die Ritter und Schloßherren, sich an dieser kirchlichen Feier beteiligten und zur Erinnerung an die Fußwaschung der Jünger Christi auf ihren Ritterburgen je 12 Greisen eigenhändig die Füße wuschen. Ll. 2l.

Uerei«» -Nachrichten Verein für die Geschichte der Mark Brandenburg. Sitzung

vom 3. März 1893. Herr Oberst-Lieutnant Schnackenburg verglich den Bestand der gegenwärtig mit der Rechtspflege in der Armee betrauten studierten Juristen mit der Zahl der Auditeure im Friedericianischen Heere und gelangte zu dem Ergebnis, daß im Verhältnis zu der Friedenspräsenz' stärke der Truppen die Zahl der Auditeure im Jahre 1786 mindestens dreimal so groß war, als jetzt. Die Auditeure Friedrichs des Großen mußten evangelisch sein und auf einer inländischen Universität studiert haben; sie gehörten mit dem Feldprediger und dem Regiments > Quartier-

des Regiments, hatten den Rang eines Subalternkein OffizierS-Abzeichen. Im Kriege lag ihnen auch die Beaufsichtigung der RegimentS Bagage ob. Ihr Gehalt betrug außer einigen Nebeneinkünsten monatlich 14 Thaler 12 Groschen. Es findet sich vielfach, vaß bei eintretender Vakanz der Auditeur in die mit 23 Thaler 20 Groschen dotierte Stelle der Regiments-QuartiermeisterS aufrückt; bei einigen Truppenteilen versieht ein stavierter Jurist beide Stellen zugleich. Schon durch zehnjährige Dienstzeit erwarb der Auditeur dir Anwartschaft Das Generalauf ein Amt in der Civil-Justiz oder in der Verwaltung. Auditoriat, neben welchem im Kriege ein Feld - Auditoriat gebildet wurde, besten Wirkungskreis sich auch auf die Feld - Polizei erstreckte, besteht seit 1702; als Kollegium wurde es 1718 eingerichiet. Herr vr. KrauSke handelte von der Verwaltung des Preußischen Anteils am Oberquartier von Geldern während der ersten RegierungSzeit Friedrich Wilhelms I. Der Besitz dieses Territoriums wurde den Preußen nur mit Widerstreben von Oesterreich und namentlich von den General¬ staaten überlasten. Erst nachdem die Ratifikation veS Utrechter Friedens zwischen Frankreich und Preußen eingetroffen war, hielten eS die Kommiflare deS Königs überhaupt für thunlich, von einigen Landesleilen, die nicht mit Preußischen Truppen besetzt waren, Besitz zu ergreifen. Die Begehr¬ lichkeit der Haager Regierung, die insgeheim alle Mittel anwandte, um Preußen den schon erlangten Besitz noch zu nehmen, beschleunigte die Vor¬ nahme der Huldigungsfeierlichkeit im preußischen Gelderlande. Bei dem festlichen Akte selbst, 13. September 1713, trat in einigen Gebräuchen die Macht, deren sich in diesem Territorium die Stände noch erfteulen, recht sichtbar hervor. Der König Friedrich Wilhelm suchte im Interesse einer centralistischen Staatsordnung die Bedeutung der Stände möglichst herab¬ zumindern, war aber in diesem Bestreben vorzüglich durch den Utrechter Vertrag mit Karl VI. vom 2. April 1713 gehemmt. Nach diesem Traktate durfte der König in seinem Gelderschen Anteile nur Geldersche Eingesessene, die römisch-katholischen BekenntnisteS waren, anstellen, und mußte die her¬ gebrachten Rechte und Privilegien der Stände schützen und halten. Er war ferner verpflichtet, in der Stadt Geldern ein Tribunal zu errichten. Die österreichischen Diplomaten hatten bei dieser Bedingung offenbar an eine Behörde gedacht, wie den Rouremonder Justizhof, der zu spanischen Zeiten die Polizei-, Justiz- und auch die Finanzhoheit besessen hatte. Da aber der König nicht geneigt war, die gesamte Landeshoheit in die Hände neuer, auf Sonderrechten fußender Unterthanen zu legen, die naturgemäß nach den österreichischen Niederlanden, ihnen durch Religion, Sprache und Verfastung näher stehend, gravitierten, legte er den Buchstaben des Abkommens dahin auß, daß er in Geldern einen Gerichtshof gründete, an den alle Prozeste in zweiter Instanz aus Preußisch Geldern kamen. Die Appellationen von diesem Justizkollegium sollten an dar oranische Tribunal in Berlin gehen. Die Stände wollten aber diese Berussinstanz nicht anerkennen, da sie sich, freilich nur dem Buchstaben nach, auf daS Privilegium de non

evocando von 1310 stützen konnten. ES hat längere Zeit gedauert, ehe fügten und dis' von ihnen insgeheim beliebte Berufung an den Rouremonder Juftizhof einstellten. Diese Widersetzlichkeit in einer verhältnis¬ mäßig unbedeutenden Sache, in der das Recht vollständig auf seilen der Krone war, bestärkte den König noch in seinem Vorhaben, den Gelderschen Ständemilgliedern möglichst wenig Anteil an der Regierung zu geben. Um keinen Anstoß zu erregen, wurde eine JnterimSkommisston im Oktober 1713 auS dem General-Major Hagen, Gouverneur von Geldern, dem Berliner Hofrat Duncker und dem Cleoischen Rate Saint Paul zusammengesetzt, um die Domänen- und PolizeiAngelegenheiten in Geldern selbständig vorerst Ehrenhalber wurde der Marquis HoenSbroech, der vor¬ zu verwalten. nehmste und reichste Geldersche Standesherr, zum zweiten Milgliede dieser Kommission ernannt; es war aber dafür Sorge getragen, daß er keinen erheblichen Einfluß auf die GeschäslSIeilung ausüben konnte. Die Thätig¬ keit der JnterimSkommission gedieh dem durch Krieg und Mißwirtschaft herabgekommenen Geldern zum Segen. Aber politische und konfessionelle Jnteresten verbanden sich gegen diese Behörde, die immer mehr ihren provisorischen Charakter abstreifte und dadurch die Utrechter Verträge ver¬ letzte. Die Beschwerden der Stände wurden vom Könige allerdings abge¬ wiesen, und die ftanzösischen Noten hatten kein besserer Schicksal. AIS aber Karl VI., geistlichen Einflüssen Gehör gebend, die konfessionellen Klagen zu den seinigen machte und in dringender Weise ihre Abstellung forderte, entschloß sich Friedrich Wilhelm, wenigstens äußerlich nachzugeben. sie sich

■m nacst dorn zureiten Spreu crueesuctie.

von

in der letzten Zeit

behaupten,

F.

Albert Schwartz

(S. 395.)

in Berlin.

Herr von Eckardstein berichtet, daß er am Morgen des 19. März eine tumultuarische Menge vor dem Palais des Prinzen von Preußen angetroffen habe, welche dasselbe zer¬ stören und in Brand stecken wollte. Ihm sei sogleich der Gedanke gekommen, das Palais und die Bibliothek zu retten, und da er nicht gehofft habe, daß seine Fürsprache irgend welchen Eindruck auf die erregte Volksmenge ausüben werde, so sei er nach der gegenüberliegenden Universität ge¬ eilt, um von den Studenten Umerstützung zu erbitten, und nach Verlauf einer längeren Zeit sei es ihm gelungen, zwei Studenten in Wichs zu finden, welche mit Hilfe zweier zu¬ sammengebundenen Leitern und eines faustgroßen Stückes Kreide das Wort „Nationaleigentum" an die Wand des

(Fortsetzung folgt.)

*) Wir

uns für die

geben obenstehendem Aufsatze gern Raum nächste Nummer weitere Mitteilungen vor.

und

behalien

D. R.

■6

Palais angeschrieben und

so

dasselbe vor der Zerstörung ge-

rettel hätten.

Beim Durchlesen dieser Erzählung müssen demjenigen, der die Geschichte der Berliner Märztage aus den Berichten von Zeitgenossen kennt, mehrere Punkte auffallen, welche die Erzählung ziemlich unwahrscheinlich machen. Einmal dürfte

lange Zeitraum,

welcher zwischen dem Auftauchen des und dem Anschreiben des Wortes „Nationaleigentum" verflietzt, schwerwiegende Bedenken erregen. der

rettenden

Gedankens

vor: das Palais ist von aufgeregten, nach Rache durstigen Menschen erfüllt, welche bereit sind, die Woh¬ nung des verhaßten Prinzen zu zerstören; Herr von Eckardstein versucht es, einem der Aufrührer klar zu machen, welcher Schaden durch den Brand des Palastes und der Bibliothek angerichtet werden würde; der Mann lacht ihn aus. Nun taucht der rettende Gedanke im Kopfe des Freiherrn auf: „Nationaleigentum" muß angeschrieben werden! Dann folgt eine längere Ueberlegung: wie ist dies zu machen? Mit Hilfe

Man

stelle

sich

Schön! Anstatt nun aber einen der gewiß zahlreich in der Menge anwesenden Studenten herbeizurufen und ihn zu der That aufzufordern, drängt sich Herr von Eckardstein durch die vielköpfige Menge, eilt nach der Universität, bittet um zwei Studenten in Wichs und ein Stück Kreide, setzt außerdem der Profefforenversammlung seinen Plan aus¬ einander, wartet bis die Studenten gefrühstückt haben, drängt — und nun erst sich mit ihnen abermals durch die Menge erfolgt der Akt des Anschreibens, nun erst ist das Palais wirklich gerettet. der Studenten.

Wieviel Zeit mag während dieser Ereignisse verflossen sein? Zwanzig Minuten mindesteirs. Und so lange sollte die empörte Menge gewartet haben, ehe sie mit dem Zerstörungs¬ werk begann?

Kaum glaublich.

Sicherlich hätte doch während

Zeit etwas demoliert werden müssen. Nun ist aber an jenem Morgen des 19. März keinerlei Schaden im Palaste angerichtet worden. Und weshalb nicht? — Weil die Auf¬ rührer überhaupt nicht die Zimmer des Palais betreten haben, weil die tumultuarischen Scenen sich vor demselben und auf dieser

der Rampe abgespielt haben. — Doch davon später.

Der zweite Punkt, der Zweifel erregt, ist der, daß Herr von Eckardstein sich zwei Studenten in Wichs herbeigeholt habe. In Wichs? Dies dürfte kaum möglich sein. Der jener Zeit bestand aus Pekesche oder ver¬ farbiger Schärpe, Degen oder Säbel und

studentische Wichs

schnürtem Rock,

farbiger Cereviskappe, außerdem gehörten weiße Reithosen und Stulpstiefel dazu. Sollten die Studenten in den Revolutiouslagen wirklich in so prächtigem Aufzuge erschienen sein? In dieser unruhevollen Zeit zog, nach der Erzählung von Zeit¬ genossen, jeder seine schlechtesten Kleider an, man kehrte vielfach das Futter der Röcke nach außen u. s. w. Außerdem war den Studenten das Farbentragen von der Regierung ver¬ boten. Durften sie es also wagen, diesem Verbote durch An¬ legen von Wichs Hohn zu sprechen, da man doch nicht wissen konnte, ob die Revolution einen für die Bürger glücklichen Ausgang nehmen würde? — Freilich ist es nicht klar, was Herr von Eckardstein unter „Wichs" versteht. Falls er einen Studenten, welcher in den langen, polnischen Rock gekleidet ist, der das schwarz-rot-goldene Band um die Brust und die dunkelfarbige Studentenkappe auf dem Kopfe trägt und einen

390

Säbel umgeschnallt hat, als einen Studenten in Wichs

be¬

zeichnet. dann ist die Sache eher glaublich.

sich

Doch haben

die Studenten, nach Erzählungen von Zeitgenossen, in jenen

Tagen am

so

wenig wie möglich farbiger Abzeichen bedient, erst find schwarz-rot-goldene Bänder in größerer

20. März

Anzahl aufgetaucht. Und drittens. Angenommen die Sache hätte sich genau zugetragen, wie Herr von Eckardstein berichtet, ist es dann nicht wunderbar, daß keine Erzählung anderer Augenzeugen, kein Bericht eines zeitgenössischen Blattes all dieser Umstände so

Erwähnung thut? Die Geschichte mit der Leiter, welche zwei Studenten von auffallend verschiedener Statur an das Palais anlegen, um das rettende Wort anzuschreiben, ist doch zu charakteristisch, als daß sie nicht in den Berichten von Augen¬ zeugen aufgeführt worden wäre, wenn sie sich thatsächlich er¬ eignet hätte. Aber nirgends ein Wort davon. Das macht stutzig.

Die eben erwähnten Punkte ließen den Schreiber dieser Zeilen an der Genauigkeit der Erzählung des Herrn von Eckardstein zweifeln, zumal er die Geschichte der Märztage ziemlich genau kennt und niemals auf einen ähnlichen Bericht gestoßen war. Um sich genauer zu unterrichten, wandte er sich an einige Bekannte, welche die damalige Zeit miterlebt hatten, um Auskunft; ihren Erzählungen nach verlief die Rettungsgeschichle etwa

folgendermaßen:

Der Andrang der Aufrührer zum Palais des Prinzen von Preußen am Morgen des 19. März war nicht der erste Versuch, dasselbe zu stürmen. Schon in der Nacht vom 18. zum 19. März, während der Kampf um die Barrikaden wütete, und die Straßen vom Knattern der Gewehrsalven widerhallten, hatte ein Trupp Aufständischer dem Palaste einen Besuch ab¬ gestattet, entweder um den Prinzen von Preußen gefangen zu nehmen oder um Waffen zu suchen. Man hatte den Militärposten vor dem Palais überwältigt, entwaffnet und gefangen fortgeführt. Dann hatte man die Oeffnung der Thüren er¬ zwungen, die Zimmer durchsucht und war darauf abgezogen, indem man eine Bürgerwache zurückließ. (Doch ist es auch möglich, daß der Posten erst später aufgestellt wurde, auf diesen Umstand konnten sich die Erzähler nicht mehr genau besinnen). Die Thüren des Palastes mußten geöffnet bleiben, wie denn überhaupt sämtliche Hausthüren in jener Nacht offen sein mußten, damit sich die Barrikadenkämpfer beim Anrücken des Militärs in die Häuser zurückziehen konnten. War irgend eine Thür verschlossen, so wurde sie mit Axthieben gesprengt. Am anderen Morgen, am Sonntag, den 19. März, gegen 10 Uhr, rückte dann abermals eine vielköpfige, erregte Volks¬ menge vor das Palais, um diesen Wohnsitz des „Volks¬ verräters," wie man den Prinzen von Preußen bezeichnete, zu zerstören und niederzubrennen. Hauptsächlich waren Fabrik¬ arbeiter in der Menge zu erblicken. Die Tumultuanten stürmten die Rampe hinan und in das Portal hinein. Aber sie kamen nicht weit, in der Vorhalle traten ihnen mehrere Studenten, die sich im Palais befanden, entgegen und machten die Andringenden auf das Verwerfliche ihrer Absicht auf¬ merksam. Zu gleicher Zeit erschien oben auf dem Balkon des Palastes ein Student mit einer schwarz-rot-goldenen Fahne, schwenkte dieselbe hin und her und redete den Anführern zu, von ihrem Vorhaben abzulassen, da durch einen Brand des

-e SßalafteS

die

391

kostbare Bibliothek

gefährdet sein würde. Die der letzteren sei aber ein Verlust für das ganze

Vernichtung Volk, denn die Bibliothek sei Eigentum des ganzen Volkes, Bei diesen Worten befestigte er ein sie sei Nationaleigentum. weißes Plakat mit dem Worte „Nationaleigentum" an der Brüstung des Balkons, desgleichen die dreifarbige Fahne. (Ob die Schrift auf dem Plakat geschrieben oder gedruckt war, wußten die Gewährsmänner nicht mehr anzugeben, am anderen und den folgenden Tagen prangte jedenfalls ein weißes Plakat mit gedruckten Buchstaben an derselben Stelle.) Ungeheuerer Jubel erhob sich, das Wort „Nationaleigentum" pflanzte sich von Mund zu Mund fort, und au den Thüren und den Wänden des Palastes wurden die Worte „National¬

eigentum", „Nationalgut", „Eigentum der ganzen

Nation"

u. a. mit Kreide angeschrieben. Nachdem darauf auf dem Dache des Palais ebenfalls eine dreifarbige Fahne aufgehißt worden war, zog die beruhigte Menge lärmend von dannen. Dies ist, abgesehen von einigen geringfiigigen Ab¬ weichungen einzelner Erzähler, der Inhalt der Erzählungen von Augenzeugen und Zeitgenossen. Wie ganz anders ge¬ staltet sich die Sache hier, als in der Mitteilung des Herrn von Eckardstein. Kein Wort von einer Leiter, nichts von Studenten in Wichs. Sicherlich ist die letztere Darstellung viel glaubwürdiger als die erstere. Den Berliner Studenten verdankt also das Palais seine Rettung, dies geht aus der letzten Erzählung wie auch aus anderen schriftlichen und ge¬ druckten zeitgenössischen Berichten hervor. Daß die ganze Sache schon vorbereitet war, darf nicht Verwunderung erregen. Am Abend des 18. März war die Königliche Eisengießerei vom Pöbel angezündet worden und in Flammen aufgegangen. Aehnliches konnte mit anderen öffentlichen Gebäuden geschehen.

Mußten daher nicht die Studenten darauf bedacht sein, jenes Gebäude, das die Schätze des gesamten Wissens enthielt, so viel in ihren Kräften stand, bei Zeiten zu schützen? Sicherlich. Deshalb verdient auch nach unserem Dafürhalten die Notiz der „Kr.-Z.". welche Herr George in dem betreffenden Artikel anführt, die meiste Glaubwürdigkeit. Ob nun wirklich Herr vr. Ernst Brand die Veranlassung gegeben hat, daß das Palais vom Studentenkorps besetzt wurde, mag dahingestellt bleiben. Geschehen ist die Besetzung, wie die Berichte der Augenzeugen ergeben, thatsächlich, und sicherlich wird auch Kaiser Wilhelm I. nicht auf leere Angaben hin dem vr. Brand einen so hohen Orden verliehen haben, sondern nach genauer Prüfung des Sachverhaltes. Uebrigens ist der Gedanke, das bedrohte Eigentum vor den Ausschreitungen der erregten Volksmenge durch Inschriften zu schützen, beim Palais des Prinzen von Preußen nicht zuerst angewendet worden. Schon vorher sah man in vielen Ge¬ schäften Zettel mit den Inschriften „Schont das Eigentum" oder „Bürgereigentum" angebracht, und viele öffentliche Gebäude, wie die Stadtvoigtei, die Seehandlung u. a. tragen die Inschrift „Bürgergut" oder ähnliche. Die Besorgnis, es könnten noch weitere Akte der Bolksjustiz, ähnlich denen beim Major von Preuß und beim Handschuhmacher Wernicke, vom Pöbel verübt werden, hatte die Bürger zu diesem Mittel greifen lassen. Da der Verfaffer dieser Zeilen ganz sicher gehen und dem Berichte seiner Gewährsmänner größere Anerkennung ver¬

E^-

wollte, so hat er mehrere zeirgenössische Berliner Zeitungen, sowie einige größere im Reiche erscheinende Blätter behufs Nachricht über die Rettung des prinzlichen Palastes durchforscht und hat im allgemeinen die Richtigkeit der An¬ Die Notizen gaben seiner Gewährsmänner bestätigt gefunden. der Zeitungen folgen hier wortgetreu, der Leser möge selbst urteilen. schaffen

Die „Königlich

privilegierte Berlinische Zeitung

von Staats- und gelehrten Sachen

(Vossische

Zeitung)

berichte! in Nr. 67 (Extrablatt der Freude, herausgegeben am

20. März 1848, mittags,) unter Berlin, 19. März, folgendes: „Um 11 Uhr sammelte sich die Volksmenge, welche soeben die Effekten des Handschuhmachers Wernicke verbrannt hatte, welcher drei versteckie Polen dem Militär verraten hatte, vor Es forderte die dem Palais des Prinzen von Preußen. dortige Bürgerschildwach auf, diesen Posten zu verlassen, da derselbe kein Ehrenposten

für einen Berliner Bürger

sei.

Die

wurde abgelöst, ohne daß ein neuer Posten aufzog. Es verbreitete sich jetzt das Gerücht von der Ankunft von Fabrikarbeitern, welche laut erklärten, das Haus des Prinzen Die von Preußen müsse der Erde gleich gemacht werden. Menge stürmte jetzt heran, da riefen Stimmen aus dem Volke: „Keine Verletzung des Eigentums der Nation! Das Palais des Prinzen von Preußen wird hiermit zum Natioual-Eigentum erklärt! Sogleich sah man mit großer Schrift die genannten Worte an den Thüren des Palais an¬ geschrieben. Bürger, Studenten, Beamte mischten sich unter das Volk und beruhigten die Ausbrüche der Rache. — Nur Gerechtigkeit! riefen sie, und die soll Euch werden! Bedenkt die Nähe der Bibliothek! riefen die Studenten. Lassen wir uns den Ruhm nicht nehmen, daß wir Berliner minder gro߬ mütig als die Pariser find. Ein Redner trat auf den Balkon mit der dreifarbigen Fahne. Ungeheurer Volksjubel. Der Redner ermahnte zur Ruhe, da die für die Freiheit gefallenen Wache

Helden noch nicht bestattet seien! Dies machte einen er¬ schütternden Eindruck; alles warf sich auf die Knie und sprach ein Gebet für die gefallenen Helden. Solche Scenen muß man erlebt haben, um die feste Ueberzeugung zu gewinnen, daß solch ein Volk der Freiheit würdig ist, und daß es die¬ Vor dem ehemaligen Palais selbe zu behaupten wiffen wird. Or. A. S. steht Bürgerwache."

Die „Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen" (Haude- und Spenersche Zeitung) be¬ richteten in Nr. 69 (Dienstag,

den 21.

Marz 1848.) unter

Berlin, 19. März: die königliche Verkündigung allgemeine Amnestie für alle wegen politischer und Preßvergehen Verurteilten) vorgelesen. Das war gleichsam das Vorspiel zu einem anderen bedeutenden Ereignisse: Das

„Air vielen Stellen wurde

(betreffend

die

des Prinzen von Preußen war zu einem „Eigentum der Nation" erklärt worden und diese Be¬

Palais

stimmung von dem Balkon herab verkündet. In dieser Weise war es auch nur vor der zugedachten Demolierung zu schützen.

Ein Manu, angeblich ein Mauergesell, erinnerte in seiner treuherzigen Berliner Mundart, doch die Bibliothek, die uner¬ So blieb der setzlichen Schätze der Wiffenschaft, zu schonen. Palast unversehrt. Auf dem Dache und dem Balkon desselben wehte die deutsche Fahne. Ein Maler stieg auf eine Leiter

-€

392

und schrieb an die Wand und Thüren des Hauses: „Eigen¬

tum der ganzen Nation"." Die „Berliner Zeitungs-Halle" läßt sich in Nr. 69 (Dienstag, den 21. März 1848, Abendblatt) unter Berlin, 20. März, solgendermaßen über die Palaisrettung aus:

„Es gab keinen Pöbel, das Eigentum ward geschont, die Furcht des Spießbürgers vor Excessen bewies sich als eine ungegründete. In der Königstraße wurde an alle Läden ge¬ „Schonet das Eigentum!"

schrieben:

gerichtsgebäude

schrieb

man:

An das Stadt¬

„Bürgergut!" —

Gegen das von Preußen rückte ein tobender Haufe heut morgen (!) heran, um es zu demolieren. Man begnügte sich aber, an dem Gebäude vier große Inschriften anzubringen,

Palais

des Prinzen

in der Mitte: „Volkseigentum", darunter „Nationalgut!" An den beiden Ecken: „Eigentum der ganzen Nation!" Darauf zog der Haufe jubelnd wieder ab."

Zu

Vorfall auf den Doch scheint die Angabe auf da auch die Plünderung der

beachten ist bei dieser Notiz, daß der

Morgen des 20. verlegt wird. einem Druckfehler zu

Wohnung

beruhen,

Majors von Preuß,

des

ebenfalls am 19. März stattgefunden hat, von dem Berichterstatter auf den folgenden Tag verlegt wird. welche

Die „Allgemeine Preußische Zeitung", welche eben¬ falls in Berlin erschien, bringt nichts über die betreffende Be¬ gebenheit.

Von den nicht in Berlin erscheinenden Zeitungen berichtet die

„Augsburger Allgemeine Zeitung"

am ausführlichsten

den Gegenstand, denn sie bringt die Berichte dreier Berliner Referenten. In Nr. 84 (Freitag, 24. März 1848) heißt es unter *) Berlin, 20. März: „Heute strömt und drängt das Volk durch alle Straßen; es freut sich gleichzeitig seines Sieges wie seiner Mäßigung. Die Liebe zum König giebt sich vielfältig zu erkennen, doch vor dem Palais des Prinzen von Preußen haben Demon¬

über

strationen stattgefunden, die einen Augenblick seine Zerstörung fürchten ließen. Die bewaffneten Bürger redeten indessen dem Volke zu, indem sie ihm sagten, daß der König so großes Vertrauen seinen Bürgern zeige, welchen allein er sich anver¬ traut, das Volk nun auch dieses Vertrauen des Königs ehren müsse. Inzwischen wurde auf der Zinne des Palastes unter dem Jubel der Versammelten die schwarz-rot-goldene Fahne aufgezogen, während an den Mauern desselben mit großen Buchstaben die Worte „Eigentum des ganzen Volkes" zu lesen sind."

Ferner in Nr. 20. März, abends:

85

derselben Zeitung

unter ** Berlin,

„Der prächtige Palast

des Prinzen von Preußen Unter den Linden, gegenüber dem Univerfitätsgebäude, sollte gestürmt

werden,

aber

die Studenten

retteten das Schloß (d. h. das Kreide an die Thür schrieben „Nationaleigentum" und dreifarbige (schwarz-rot-goldene) Fahnen am Thor und ringsum auf der Altane desselben auf¬ pflanzten. Dergleichen Fahnen wehen auch überall Unter den Linden." (Referent bemerkt im weiteren, daß er selbst bei der Tumultscene zugegen war).

Palais), indem

sie

mit

L

Berlin, 21. März: „Gestern Morgen war der Palast

Dann unter

des

Prinzen von

&■-

Preußen

in größter

tausenden

sammelten

Eine Masse von mehreren Gefahr. davor und wollten ihn anzünden. Redner stellten vor, daß der Palast nicht dem Prinzen mehr gehöre, sondern der Nation. Man schrieb mit großen Buch¬ staben auf vielen Stellen: „Eigentum der Nation"; man stellte auch vor, welche Schande es für das heldenmütige Berlin seyn würde, wenn solche barbarische That ausgeführt werde und dgl. mehr; allein die Menge behauptete, man müsse dem Prinzen den Volkshaß auf glänzende Weise zeigen. Da er¬ klärten einige schlichte Männer, daß die königliche Bibliothek unrettbar verloren sey, wenn Feuer am Hotel des Prinzen wäre, und sogleich beruhigten sich die Gemüter. Ein Arbeiter sammelte eine Gruppe um sich und rief (ich hörte die Worte genau): „Kinder, wenn die Bibliothek verbrennt, so haben wir keine Bücher, und wenn wir keine Bücher haben, so haben wir keine Gelehrten, und wenn wir keine Gelehrten haben, so haben wir gar nichts! Hoch lebe die Bibliothek!" Dies und das Aufpflanzen der deutschen Fahne aus dem Balkon sich

half." Sonderbar ist es, daß die drei Berichterstatter überein¬ Vorfall auf den 20. März verlegen, obwohl er dem Berichte der Augenzeugen und dem der Berliner Zeitungen zufolge sich am 19. ereignet hat. Auch Herr von Eckardstein verlegt ihn auf den Morgen des 19., und das dürfte wohl auch richtig sein. Die Herren Reporter haben sich alle drei im Datum geirrt.

stimmend den

Die „Kölnische Zeitung" giebt in Nr. 82 (Mittwoch, März 1848) wörtlich den Bericht der „Berliner Zeitungs-Halle" wieder und berichtet in Nr. 83 unter Berlin. 20. März, ganz kurz: „Der Prinz von Preußen, dessen Palast heute nur ge¬ 22.

werden konnte, indem man eine schwarz-rot-goldene Fahne daran steckte und „Eigentum der Nation" auf Thür und Wände schrieb, wird als der Urheber des militärischen Einschreitens angesehen." schützt

Die Leipziger „Illustrierte Zeitung" enthält in Nr. 250 (15. April 1848) einen längeren illustrierten Aufsatz über die Berliner Märztage, in welchem sich folgende Stelle über die Vorgänge vor dem Palais findet: „Dem König kam es sehr zu statten, daß sich der öffent¬ liche Haß, wohl nicht ohne Grund, gegen den Prinzen von Preußen richtete, gegen dessen Palast die Menge anrückte und ihn mit Zerstörung und Brand bedrohte. Letzterem wider¬

und schon wegen der Nähe der Universitäts¬ ein Opfer der Flammen hätte werden können, die Studenten mit aller Kraft. Es wurde der Vor¬ schlag gemacht, das Gebäude als Nationaleigentum zu er¬ klären, und ein Arbeiter trat auf, der das Volk anredete: „Noch liegen unsere Gefallenen zum Teil auf den Straßen," sagte er, „und das nächste Werk unserer Hände sei, sie zu bestatten." setzten sich zuerst

bibliothek,

die leicht

Lauter Beifall ertönte bei diesen Worten, die Bezeichnung ward sogleich an den Palast geheftet, und der König erklärte bald darauf, wahrscheinlich um es vor ferneren Angriffen zu schützen, daß das Gebäude die Be¬ stimmung haben sollte, künftig dort alle Bittschriften und Be¬ schwerden des Volks niederzulegen.

„Nationaleigentum"

Die folgende Nummer (251) derselben Zeitschrift vom

■e

393

22. April 1848 enthält auf S. 267 eine bildliche Darstellung der Vorgänge vor dem Palais des Prinzen von Preußen zu

Berlin am 20. März (!) Auf der Rampe schreibt ein Mann in bürgerlicher Kleidung die Worte „Nationaleigentum" an die Thür des Palastes. Die Rampe sowohl wie der Platz vor derselben find von jubelnden Bürgern, Studenten, Bürgerwachen, Weibern und Kindern erfüllt. Alle diese Berichte bestätigen teilweise die von uns ge¬ gebene Erzählung der Augenzeugen und ergänzen dieselbe in einigen Punkten. Man muß es daher als feststehende That-

&~

rettende Erklärung als „Nationaleigentum" bereits publiciert ist. Und in ähnlicher Weise wird sich wohl auch das Rettungs¬ werk des Herrn von Eckardstein zugetragen haben.

am Balkon

befestigt,

beiden Studenten,

und als Herr von Eckardstein mit den

der Leiter und dem Stück Kreide erschien,

war das Rettungswerk bereits noch

eigentum" an

Nach einer photographischen Aufnahme von F.

betrachten,

daß

die Rettung des Palais der Besetzung der Ansprache des Redners auf dem

durch die Studenten, Balkon, dem Anheften des Plakates „Nationaleigentum" und dem Anstecken der dreifarbigen Fahne zu verdanken ist. Alle anderen Umstände, wie Ansprachen bürgerlicher Leute, mehrfaches Anschreiben der betreffenden oder ähnlicher Worte an die Mauern des Palais, find unwesentlich und haben nur indirekt zur Verhütung weiterer Excesse gedient. Von einer Leiter, welche in der Erzählung des Herrn von Eckardstein eine so große Rolle spielt, ist nur in dem Bericht der „Berlinischen Nachrichten" die Rede, aber hier ist ein Maler, der das Wort anschreibt, und zwar erst, nachdem die

geschehen,

er konnte sich

an dem weiteren Anschreiben des Wortes den Wänden

Der alte Dom nach dem Zusammensturz des Turmes.

fache

Während

letzterer sich in der Universität befand, wurde das Plakat von dem studentischen Redner zugleich mit der dreifarbigen Fahne

Albert Schwartz

nur

„National-

des Palastes beteiligen.

Die

(S. 395 )

in Berlin.

Sache kann sich also möglicherweise so zugetragen haben, wie Herr von Eckardstein uns schildert, aber der eigentliche

sie

Retter des Palastes ist er nicht, dies war die Berliner Studentenschaft, daran läßt sich nichts ändern. Und kann sich Herr von Eckardstein nicht auch irren, können sich nicht heute, nach fünfundzwanzig Jahren, die Einzelheiten der Begebenheit in seinem Gedächtnis etwas ver¬ wischt haben, so daß er sich einbildet, der alleinige Retter des Palastes zu sein, während er nur eine für die Rettung un¬ Die Erregung in jenen wesentliche That vollbracht hat? Märztagen war groß, die Phantasie war äußerst thätig, und schon gleich nach der Revolution traten Leute auf, welche

■•e

394

großartige Heldenthaten verrichtet zn haben glaubten, während sie in Wirklichkeit nur geringfügige Sachen vollführt hatten. Genaueres über die Persönlichkeit des Retters wird sich wohl nicht feststellen lassen, da der einzige Mann, der vielleicht darüber Auskunft geben könnte, Dr. Brand, bereits im Jen¬ seits weilt.

&■

trat Albrecht von Brandenburg, Hochmeister des deutschen Ordens, 1518 zu Berlin in Gegenwart der Fürsten Friedrich von Sachsen, Herzog Georgs, des lievländischen und preußischen Kasimir von Brandenburg und der dänischen Gesandten, die Neumark an Brandenburg ohne Rückhalt ab unter folgenden Bedingungeti: Die Kreuzritter entäußern sich der Neumark und aller Rechte, die ihnen darin zustehen, zu Hochmeisters

Der Kurfürst und seine Nachkommen gestatten, wenn es notthut, den Durchmarsch von Reiterei und Fußvolk von und nach Deutschland durch die Neumark. Sie wollen außerdem den Feinden der Kreuzritter niemals helfen. Gunsten

Fragment aus Keutingers Topographia Marchiae. Übertragung aus dem lateinischen Urtext von Dr.

Carl. Dotto.

(6. Fortsetzung.)

Aus solchem Raube haben

sich

auch

in der Mark viele

bereichert; nicht wenige haben Schlösser und große Güter der Templer, wo diese an den festesten Orten wohnten, ans ihre

Kinder vererbt; so die Schulenburg Angern, die Jagow Aulos, die Pfuel Garzin, die Hohendorf Falkenhagen, andere anderes. Der größte Teil der Templergüter aber fiel an die benachbarten Johanniter, und so entstand die Ballei Sonne¬ burg. Der außerordentlich großen Entfernung halber zahlt Sonneburg an den Ordensgeneral zu Malta nur eine be¬ stimmte Geldsumme, womit dieser sich als zufriedengestellt er¬ klärt hat. Solches Glück neideten den Johannitern die Ritter des deut¬ schen Ordens. Nichts lag diesen mehr amHerzen, als sich die Reste von dem Besitz jener in der Neumark anzueignen. Die Ursache dieses Streites ist, wie Crantzius berichtet, in Polen zu suchen, wo Otto der Lange 1295 nicht wenige Orte mit Waffengewalt einnahm. Später, als Waldemar Krieg gegen Dänemark führte, verpfändete er. um die Mark nach jener Seite zu sichern, die Neumark den Deuischrittern, worauf er bald starb. Nachher, unter Sigismund, 1404, zahlten die Kreuzritter zu Kalisch dem kaiserlichen Gesandten Sliboreus Basenus über den früher bewilligten Preis hinaus noch weitere hundert¬ tausend ungarische Goldgulden. So gedachten sie ihr Anrecht auf diese Provinz noch fester zu begründen. Die Kreuzherren bebauten die ihnen unterworfenen Ländereien mit bewundernswertem Geschick, was zu ihrem Glück auch die Neumark erfuhr. Unter ihrem Schutz wuchsen und gediehen daselbst alle Städte. Als jedoch 1454 die Preußen von den Kreuzrittern abfielen, fing auch die Neu¬ mark an, sich ihrer Herrschaft entziehen zu wollen. So ge¬ wann sie Kurfürst Friedrich II. glücklich zurück, und zwar mit Einwilligung der Marianer, denen er 600 Feldschlangen zu¬ geführt und weitere Hilfe vertragsmäßig zugesagt hatte. Cromerus erzählt, der Brandenburger habe zu gleicher Zeit Botschaft an den polnischen König gesandt, um dafür von demselben Verzeihung zu erhalten. Er habe darum auf das inständigste gebeten und bestimmt Hilfe gegen die Ritter ver¬ sprochen. Ihm ward indes keine genügende Antwort, weil auch der Herzog von Stolpe die Neumark für sich ansprach, wofür er dem Könige Vasallendienst zu leisten versprach, außerdem auch für sein übriges Gebiet gleiche Unterthänigkeit gelobte und dazu noch für jedweden Krieg dem Könige tausend Reiter zuführen wollte. Vapovius fügt hinzu, dem Kurfürsten sei befohlen worden, sich jeden Eingriffs zu ent¬ halten, sonst werde er mit Waffengewalt zurückgetrieben werden. Aber auch Ladislaus von Ungarn und der Böhmenkönig be¬ gehrten das Land. Diesen Drohungen zum Trotz okkupierte es der Kurfürst und vererbte es seinen Nachkommen. Zuletzt

des Hauses Brandenburg.

Abgetrennt von der Neumark sind: Satz, Hauptfitz des Komturs und des Präsekten der Neumark, deren letzter Michael Kochmeister gewesen ist. Heut steht dasselbe unter pommerscher Jurisdiktion. Schwiebus (Swibusium) erbauten die Kreuzritter, von denen es an die Brandenburger kam, welche es wiederum den Böhmen abtraten. Meseritz beharrte unter oft gefahrvollen Prüfungen in der Treue gegen Polen inmitten beständiger Kämpfe mit Zielenzig. Das Herzogtum Glogau vermachte der letzte erblos sterbende Herzog testamentarisch seiner Gattin Barbara, einer brandenburgischen Prinzessin. Da es aber die Markgrafen vertragsmäßig nicht erlangen konnten, so entschädigten sie sich an Krossen.

Die Neumark ist reich an edlen Pferden und überaus starken Hirschen und Rehen, an Wölfen, Ebern. Bären, Schafund Kuhherden, sowie an fruchtbaren Aeckern. Ihre Flüsse

sind fischreich,

so

die Warthe, Drage, Jhna, die Spree und

der Bober.

Jagdschlöffer zur Erholung

des Leibes und der Seele Storkow, Beeskow, Kottbus, Sommerfeld, Krossen, Garz, Hochtid, Jägernburg, Drehna, Masfin, Damm, Ouartz, Neumühlen. Reichen Weinertrag liefern Krossen, Beeskow, Kottbus und Drossen; Biere von Ruf Landsberg, Retz, Bernstein, Schievelbein. Das Land zerfällt in eine obere und in eine niedere Hälfte, den Sonneburger und den Sternberger Distrikt, in das Herzogtum Krossen, in die Herrschaft Kottbus und in das Beeskow-Storkower Land. Abgegrenzt wird die Neumark von der Mittelmark im Westen durch die Oder, nach Norden zu stehen zu oder bei

dagegen durch die Spree.

*

°

*

*

Die vierte Mark endlich ist die Uckermark,

so

genannt

nach dem gleichnamigen See*), der nahe der Grenze Mecklen¬

burgs und Pommerns liegt. Sie beginnt an den Bergen unweit Neustadt-Eberswalde und mißt der Länge wie der Breite nach über zehn Meilen. Ihr Hauptort ist Prenzlau, eine volkreiche und große Stadt. Sie hat einen trefflichen Rat. sechs Kirchen, eine Schule und eine fruchtbare Feldmark. Hier werden an sehr bequemen Orten Jahrmärkte abgehalten; auch ist die Fischerei ergiebig. Vom Könige Primislaus ge¬ gründet und 1275 durch Barnim I. erweitert, teilt sie sich in eine Alt- und in eine Neustadt. Templin ist von den Tempelherren erbaut worden.

*)

Ueckersee.

--e

395

Hier starb 1308 Otto von Brandenburg, Hochmeister dieses Ordens, nachdem er vorher, krank, in der Templerstadt Zielenzig gepflegt worden war. Lychen ist den Mecklenburgern abgewonnen worden. Straßburg aus drei Dörfern entstanden.

Angermünde

erscheint denkwürdig durch die Niederlage

der Pommern 1420 und durch den scheußlichen Husfiteneinfall

von 1432.

Man

&-

Hier, mehr nach der Oder hin, sind auch unterirdische Grotten, die dem hussitischen Aber¬ glauben zu gottesdienstlicher Feier gedient haben. In diesen fanden, durch die Furcht geboten, heimliche Zusammenkünfte statt, und nicht undeutliche Spuren der Böhmen und ihres Glaubens find heut noch nachweisbar. Früher geboten hier die Stolper Grafen, darauf die Pommern. eine Stadtmauer und zwei Kirchen.

sieht dort die Ruinen eines alten Schlosses.

(Schluß folgt.)

Kleine Mitteilungen. Der ADDrurli

des alten Dornes, namentlich die Wider¬ standsfähigkeit, welche der Turm den Sprengverfuchen gegenüber bewies, haben derart das Interesse der weitesten Kreise erregt, daß der Bilderschmuck unserer heutigen Nummer, welche die Hauptmomente der Abbruchsarbeiten wiedergiebt, vielen Lesern willkommen sein dürfte. Unser erstes Bild (S. 388) zeigt unS den Dom, wie er sich Anfang April den Blicken darbot: von dem Langschisi ragen nur noch die Fundamente und Säulen empor, zur Linken steht der gewaltige Steinriese, schon der Kuppel beraubt, deren Glocken an so vielen Freuden- und SchmerzenStagen in der Geschichte Preußens geläutet haben. Ueber die Gründe, welche zur Sprengung dieses Turmes durch Dynamit führten, sind vielfach falsche Ansichten verbreitet: nicht weil das Bauwerk aus Kolosialsteinen aufgeführt war, wurde diese Sprengung durch eine Abteilung der Eisenbahn - Brigade vorgenommen, sondern weil der Unternehmer des Abbruchs mehrere tausend Mark an Arbeitslöhnen sparen wollte. Der Turm bestand im Unterbau aus Sand¬ steinquadern, im Oberbau aus märkischen Ziegelsteinen. Die Mauer war unten 5 m, oben 3 l /2 m stark. AuS dieser Stärke und der vorzüglichen Verankerung erklärt sich der Widerstand, den das ehrwürdige Bauwerk dem Dynamit leistete. Der erste Sprengversuch (8. April) mißglückte gänzlich, weil die Ladung (108 kg Dynamit) aus Rücksicht auf das Königliche Schloß und das Museum eine zu schwache geworden war. Ebenso hatte die zweite Sprengung des Domturmes, die am 12. April stattfand, keinen unmittelbaren Erfolg. Bereits seit dem 10. April morgens waren dreißig Mann der Eisenbahnbrigade unter Leitung der Majors Gerding mit den Vorbereitungsarbeiten beschäftigt. ES wurden im ganzen im Domturme sowohl wie in dem anstoßenden Kellergemäuer 24 Minen gelegt, zu welchen eine verstärkte Ladung und zwar 150 kg Nobel-Dynamit genommen war. Die elektrische Batterie mit dem Leitdraht war am Fuße der Museumstreppe aufgestellt. Die Minen enthielten je nach der Stärke des zu sprengenden Mauerwerks 10-20 Pfund Dynamit. Zum Verschluß waren 5 Pfund Stroh verwendet. Der Kaiser erschien wie bei dem ersten Spreng¬ versuch und ließ punkt 10 Uhr das Signal „Feuern" durch einen Hornisten blasen. Eine Sekunde darauf ertönte eine dumpfe Detonation, verbunden mit gewaltigem Luftdruck. Das riesige Bauwerk hob sich um etwa 15 cm, stürzte aber nicht ein. Wie furchtbar der Sprengstoff gewirkt hatte, zeigten indes die riesigen Staubwolken, die den Turm einhüllten. Diesen Augenblick hält unser Bild auf S. 389 fest. Bei einer näheren Besichtigung der Ruine ergab sich, daß die Minen sämtlich schräg abwärts gesprengt und bis 3 m hohe Mauerstücke herausgerissen hatten. Der Turm war durch und durch zerklüftet, und die Mauersteine waren vollkommen gelockert. Die Sandsteine der Balustrade zeigten Spalten von 5—20 om. Mächtige, über handbreite Risie durchzogen den Turm; der Eingang zu demselben von der Wasiersette war schräg abwärts um 4 m erweitert, und aus dem Eckbau nach der Kaiser Wilhelmbrücke war ein massives Mauerstück von ungefähr 40 Centner herausgerissen. Auch der untere Teil deS Turmes zeigte äußere Risie, und zwar bis zu 3 m Länge und 5 cm Breite. — Nach dem mi߬ glückten zweiten Sprengversuch wurden sosort die Vorbereitungen zu einem dritten getroffen. Gegen 4 Uhr nachmittags bemerkten die im Inneren arbeitenden Soldaten ein eigentümliches Knistern und Knastern in dem Ge¬ mäuer, einzelne Mörtelstücke fielen ab, und die Risie im Mauerwerk erweiterten^sich zusehends. Major Gerding ließ sofort zum Sammeln blasen, und etwa 4 Minuten nach 4 Uhr neigte sich der Koloß ganz langsam nach der Spreeseite und brach dann unter mächtigem Donnerkrach zusammen. Eine Staubwolke hüllte den haushohen Schutthaufen an der Stelle ein, wo amMorgen das Mauerwerk noch dem Dynamit zu trotzen schien. Die Trümmerstätte, welche unser Bild aus S. 393 vorführt, war mit Stein¬ klumpen von 20—40 Kubikmetern bedeckt, und staunend umstanden die wie durch ein Wunder geretteten Soldaten und Arbeiter diese gewaltigen Trümmer, unter denen sie begraben worden wären, falls nicht Gottes Hand sie so sichtbar geschützt hätte. — Unsere Bilder sind nach Photographien des Photographen F. Albert S chw ar.tz, Berlin W 9, Bellevuestraße 22, reproduciert worden, dessen rühmlichst , -bekannte Leistungen auf dem Gebiete der Architektur-, LandschaftS- und Maschinen-Photographie in diesem Blatte bereits öfter hervor¬ gehoben worden find. Auch diese Gelegenheit wollen wir nicht vorüber¬ gehen lasien, ohne auf die reichhaltigen, überaus sorgfältig ausgeführten Sammlungen des genannten photographischen Kunstverlags hinzuweisen. Diese Sammlungen, in denen namentlich Ansichten aus Berlin und der Mark zahlreich vertreten sind, bergen für den GeschichtS-, Kunst- und Naturfreund reiche Schätze, die leider bisher noch nicht die Verbrettung ge>unden haben, die sie verdienen. Die Wahl der Motive legt.ZeugniS von

künstlerischem Verständnis, von einem ausgeprägten SchönheitSgefühl ab, wa§ namentlich in den zahlreichen stimmungsvollen LandschaftSstudien zu Tage tritt. Den Motiven entspricht die vorzügliche Ausführung, die aus der Höhe der modernen Technik steht, so daß die Leistungen der photo¬ graphischen Anstalt von F. Albert Schwartz in ganz Deutschland kaum II. G. ihresgleichen finden dürften.

Vereins - Nachrichten. Verein für die Geschichte der Mark Brandenburg. (Sitzung Herr Oberlehrer Dr. van Nissen erörterte die vom 12. April 1893.) Gründe, aus denen es wünschenswert ist, eine Uebersicht über den in der Mark Brandenburg vorhandenen Bestand an Kirchenbüchern und Kirchen¬ Die Versammlung behielt archiven zu gewinnen und zu veröffentlichen. sich die Beschlußfasiung über die Mittel und Wege zur Erreichung des Zweckes vor. Herr Oberlehrer Dr. Tschirch aus Brandenburg a. H. besprach die jüngst erschienene Geschichte der Stadt Woldenberg i. N/M. von Paul van Nisien, die als ein inhaltreiches Gesamtbild der äußeren Schicksale wie der wirtschaftlichen, rechtlichen, finanziellen und kirchlichen Entwicklung einer kleinen Ackerbaugemeinde sehr wertvolle Beiträge zur Kenntnis der mär¬ Die Darstellung der äußeren Geschichte, der kischen Vergangenheit liefert. Besitzwechsel und Kriegsleiden strebt vielfach über den Rahmen der Stadt¬ geschichte hinaus und erweitert sich zu einer auf selbständiger Forschung ruhenden Schilderung der neumärkischen Ereignisie. — Die Stadlgeschichte bietet manche methodisch feffelnde Probleme. Schon der alte slavische Name der Stadt Dubegawe ist erst neuerdings von Sello auf Grund eines Siegel¬ fundes als zu Woldenberg gehörig festgestellt worden, während er früher ArnSwalde beigelegt wurde; van Nießen stellt im Anschlüsse an diese Forschungen die Anfänge der Stadt kritisch dar und erklärt auch daS spätere Auskommen deS deutschen Namens Woldenberg, den die Stadt vielleicht nach der pommerschen Stammburg der in Driesen angesesienen Friedeberger Vögte von Osten erhalten hat. Mit diesen pommerschen Beziehungen bringt v. N. auch das Vorkommen der Köhr, einer Ackergilde, in Woldenberg zu¬ sammen, deren Namen nach ihm in der Mark nicht, wohl aber in Pommern Demgegenüber wies der Ref. Köhrschulzen in Friesack um üblich ist. 1616 und die Köhr als Ackergericht in kurfürstlichen Dekreten des 17. Jahr¬ hunderts nach und zeigte den Ausdruck überhaupt als vom 13. Jahrh, bis zur Gegenwart durch ganz Norddeutschland in dieser Bedeutung weit ver¬ breitet. Wichtig aber ist van NießenS Nachweis, daß die Köhr in W. an Stelle der Bursprake erscheint und später eine Versammlung der gesamten politisch berechtigten Bürgerschaft darstellt. — AuS der äußern Geschichte, welche die Leiden der großen Kriege ausführlich behandelt, wurde alsdann nur noch die Darstellung der Politik Johanns von Küstrin hervorgehoben, desien unbarmherzige fiskalische Reunionen den Städten sehr verhängnisvoll waren. Der reiche Inhalt der Kapitel, welche WoldenbergS innere Geschichte behandeln, wurde nur gestreift. Ref. erwähnte als ein auffallendes Re¬ sultat die eigentümliche Gestaltung deS Woldenberger Erbrechts, welches nicht auch nach Einführung des römischen Recht? daS SchobfallSrecht kannte; die Schlüffe, welche v. N. an diese Einrichtung bezüglich der Abkunft des Woldenberger Stadtrechts knüpft, bedürfen freilich noch der Bestätigung durch andere rechtsgeschichtliche Quellen. Herr Prioatdozent Dr. Spannagel sprach über daS RavenSbergische AppellationSgericht in Berlin. AIS die Stände der Grafschaft Ravensberg durch¬ 1653 die Wiederaufhebung der kurfürstlichen Kanzlei in Bielefeld 'chte, und der setzten, verzichteten sie auf die Appellationen an die Reichkgc große Kursürst bewilligte ihnen zum Ersatz dasür die Errich mg eines be¬ Die Bedeutung dieses Vor¬ sonderen, höchsten Gerichtshofes in Berlin. ganges war vornehmlich eine prinzipielle. Er bezeichnete einen Schritt vor¬ wärts auf dem Wege, die verschiedenen brandenburgischen Territorien der Kompetenz des Reiches soviel wie möglich zu entziehen und sie. zu einem einheitlichen Staate zu verschmelzen. In materieller Hinsicht hat der Gerichtshof nie eine große Bedeutung erlangt. Die Grafschaft war zu klein, um die Kräfte seiner Mitglieder (1 Direktor und 3 Räte) ausschließlich in Anspruch zu nehmen. Sie versahen ihre Funktionen deshalb nur im Nebenamt. Nach der Erteilung des kaiserlichen Privilegiums de non appellando für alle preußischen Provinzen im Jahre 1702 und der damit zusammenhängenden Gründung deS OberappellationSgerichtS in Berlin 1703 hatte die Sonder¬ stellung der Grafschaft R. in jurisdiktioneller Beziehung keine innere Be¬ rechtigung mehr. Dennoch bewies das R. AppellationSgericht allen Kom-

-8 binationSprojekten gegenüber eine eigentümlich zähe Lebenskraft und wurde erst im Dezember 17f>0 mit dem Kammergericht vereinigt. Herr Archivar vr. MeinarduS berichtete über eine bisher unbeachtete, wichtige GeschichtSquelle auS der Zeit des Großen Kurfürsten, die sich im Geh. Staatsarchiv befindet: Das Tagebuch des Herzog? Ernst BogiSIav von Croy, kurbrandenburgifrben Statthalters im Herzogtum Preußen während des Zeitraums von 1670-1684, aus den Jahren 1670—72. Mit Hilfe de? an demselben Aufbewahrungsort befindlichen NachlafieS entwarf der Vortragende ein Lebensbild deS Herzogs, auS dem hier nur einiges hervor¬ gehoben werden soll. Die CroyS waren ein brabantifches Fürstengeschlecht und an den spanisch-niederländischen Kämpfen vielfach beteiligt. DeS Herzogs Vater, der in kaiserlichen Diensten stand, starb 1620, im ersten Jahre seiner Ehe, bevor seine Gemahlin dem Sohne daS Leben geschenkt hatte. AuS Lothringen, wo hauptsächlich die Güter deS Geschlechts lagen, durch katholische Verwandte verdrängt, begab sich die Mutter, Anna, Schwester des letzten Herzogs von Pommern, nach ihrer Heimat, wo sie bis 1660 in reger Teil¬ nahme an dem Geschick ihres Sohnes, von jedermann hochverehrt und geliebt, gelebt hat. Ein. Marmordenkmal in Stolp und die Einsetzung deS jährlichen sog. CroyefesteS an der Universität Greifswald durch ihren Sohn rufen noch jetzt ihr Andenken wach. Der Herzog war mit dem Großen Kurfürsten gleichaltrig und ist auch nur einige Jahre vor ihm gestorben. (1620—1684) Währcnv seines ganzen Lebens stand er in nahen, teil¬ weise intimen Beziehungen zum kurfürstlichen Hause, die nur während der Zeit des schwedisch-polnischen Krieges einige Jahre unterbrochen waren, um darauf von neuem um so fester geknüpft zu werden. Schon in den 40 er Jahren wurde bei Gelegenheit einer Dienstangebots des Herzogs in einer Sitzung der Geheimen Räte seine staatSmännische Befähigung gerühmt; 1665 trat er dann durch die Annahme der Statthalterschaft von Hinter¬ pommern in die Reihe der ersten Staatsbeamten und Vertrauten des Großen KurfUrstcn ein, der ihn nach dem Tose des Fürsten Radziwill 1670, wie gesagt, zum Statthalter von Preußen bestellte. Hier war die Lage der Dinge infolge der steten Widersetzlichkeit der Stände, die gerade in dieser Zeit, wo die Kalcksteinsche Argelegenheit alle Gemüter in Aufregung hielt, ihre Blicke wieder stark nach Polen richteten, für den Kurfürsten und daS Ansehen seiner Regierung eine sehr schwierige und nachteilige. Vielleicht aus diesem Grunde und um von seinem ganzen Thun Rechenschaft abzu¬ legen, hat der Statthalter vom Tage seiner Abreise nach Preußen an bis zum Ende 1672 ein Tagebuch geführt, das an peinlicher Sorgfalt und auslührlicher Vollständigkeit gewiß seines gleichen nicht hat. ES umfaßt 5 Foliobänve, deren jeder etwa 6—700 eng beschriebene Seiten enthält, und ist ganz eigenhändig vom Herzog abgefaßt. Die Sorgsalt des Vers, erstreckt sich z. B. auch darauf, daß er überall auf früher oder später er¬ zählte Vorgänge hinweist, alle Namen richtig wiedergiebt und, wo er einmal einen „Namen nicht gleich verstanden oder vergesien hat", ihn später ergänzt. Er berichtet nun nicht bloß über die persönlichen kleinen Erlebnisie des Tages, sondern berührt alle Geschäfte, selbst der geringfügigsten Art, von den Verhandlungen mit den Oberräten und Landsländen an, die er vielfach ausführlich wiedergiebt. bis zu den kleinsten Privat-Angelegenheiten, die an ihn herantraten. Es handelt sich also um das ganze Detail der Verwal¬ tung des Herzogtums Preußen, daS in seltener Ausführlichkeit und, wie eS scheint, auch Treue, vor unS aufgerollt wird. Außer den schon angeführten Punkten ist die Kalcksteinsche Sache öfter erwähnt, die Verhandlungen über die Verlängerung der Accise, deren Erträge und die Einkünfte des Pillauschen uns Memelschen Zoller, Angelegenheiten der Städte in Zunft-und Gewerbe¬ sachen, die damals in Angriff genommenen Arbeiten zur Herstellung eines Schifffahrtskanals zwischen Gilge und Deime, die LanvcSkulturarbeilen, die kirchlichen Angelegenheiten, Militaria u. s. w. Von besonderer Bedeutung für die Geschichte und die inneren Zustände in Preußen sind auch die historischen statistischen Zusammenstellungen deS Statthalters über die VcrfoffungS-Einrichtungcn und das Personal und die Handhabung der Ver¬ waltung deS Herzogtums in deren verschiedenen Zweigen, die sich der Vers, wohl zu seiner Information hier und da auf einzelnen Blättern deS Tage¬ buchs gemacht hat, wovon der Vortragende eine Anzahl Beispiele anführte, Für die Geschichte des Herzogtums Preußen liegt hier also eine Quelle ersten RangeS vor. Der Vortragende sührte schließlich noch auS dem Nachlaß des Herzogs einige beachtenswerte Stücke an, von denen besonders ein Reisebuch über die Ausgaben und Einnahmen auf der französischitalienischen Reise des Herzogs aus den Jahren 1641—43 zu nennen ist, weil eS auch geographische, kunsthistorische u. a. Notizen enthält.

396

Zwergen sind die Lutchen menschlicher und weniger Zauberwesen: 2) als die im Grabe keine Ruhe haben, weil sie nicht dem Ritus gemäß beerdigt worden sind, oder weil sie mit schwerer Schuld belastet gestorben sind, oder weil eine an ihnen begangene Schuld ungesühnt geblieben ist; 3) als Ahnen, Voreltern, Schutzgeister des HaufeS; hierauf weist namentlich auch der Verkehr mit einer Familie, der den Lutchen eigen¬ tümlich ist; 4) als die Heiden. Wie die Lutchen das Läuten der Glocken nicht ertragen können und vor demselben fliehen, so zogen sich auch die Heiden vor dem Christentum zurück; 5) als ein untergegangenes Volk; 6) als daS Volk unserer Tage, daS sich zurückgesetzt und unverstanden sieht, als die einsamen Landleute, Schiffer, als die kleinen Leute über¬ haupt, die sich vor dem Großstadttum und den modernen Welt- und LebenSanschauungen scheu zurückziehen. Der Vortrag, der hoffentlich im Monats¬ heft der „Brandenburgia" zum Abdruck gelangt, ließ tiefe Blicke in die Seele des Volkes thun und gewährte einen hohen Genuß. — Zum Schluß legte Herr Techniker W. Pütz 12 Abbildungen von Modellen vorgeschicht¬ licher Grabstätten unserer Heimat vor, und zwar mit kurzen Erläuterungen. Die Originalzeichnungen dieser prähistorischen Gräber waren im Völkermuseum ausgestellt und sind zur Weltausstellung nach Chicago gesandt worden.

Tote,

K.

Der Vortragende gab nur wieder, was er dem Volksmunde

über diese rätselhaften Zwerge abgelauscht hatte, ohne sich an ftemde Forschungen anzulehnen. Die Luichen (lut — Volk, lutki kleines Volk) sind in der Vorstellung der Volker kleine, rot gekleidete, gutmütige Leute, die scheu, zurückgezogen leben, und zwar in Erdlöchern, Höhlen und Gängen, wie man solche beispielsweise bei.Spremberg zeigt. Mit den Menschen verkehren sie nur selten, dann aber auf freundliche, friedliche Weise. Sehr eingehend behandelte der Vortragende die Frage, wer die Lutchen gewesen sind Er erkläite sie: 1) als Natur- und Erdgeister, die in ihrem Wesen vielfach den deutschen Zwergen gleichen. Der Glaube an Erdgeister ist uralt; die VolkSphamasie zeigte schon in Urzeiten das Bestreben, Natur und Welt geistig und seelisch zu beleben. Im Vergleich zu den deutschen

=

Für

Küchertisch.

Grorrznartstrarn. Herausgegeben von vr. Hermann Glogau. Verlag von Carl Flemming. Preis 1 Mk. In Waffen starrend präsentiert sich Central-Europa auf dieser soeben Müller.

erschienenen Dislokationskarte des deutschen Heeres und seiner'Grenznach¬ barn. Im Maßstabe von 1: 3 250 000 nach den zuverlässigsten Quellen bearbeitet, vierfarbig in sauberstem lithographischen Druck ausgeführt, ver¬ anschaulicht diese große, von Le Havre bis Moskau, von Graz - Odessa bis Stockholm-St. Petersburg reichende Karte auss übersichtlichste die Verteilung der Heere Mitteleuropas nach ihren Standquartieren. Alle Truppengattungen, Infanterie, Kavallerie, Feld- und Fußauillerie rc. in ihren Sondereinleilungen nach Bataillonen, Eskadrons rc. sind durch scharf ausgeprägte Signaturen gekennzeichnet. Die General-, Divisions- und Brigade-Kommandos, die Festungen mit detachierten Forts, die befestigten Städte ohne AußenfortS, die isolierten FortS, die Sperrforts, die Küstenbefestigungen, die Eisenbahn¬ linien — letztere unter Sonder - Bezeichnung der doppelgleisigen — kurz alle für den Zweck der Karte in Betracht kommenden Details haben ge¬ wissenhafte Berücksichtigung gefunden. Trotz der Fülle des Gebotenen ge¬ währt diese höchst zeitgemäße statistische Karte ein ebenso lebendiger wie streng sachliches Bild der deutschen HeereSmacht im Vergleich zu ihren Grenznachbarn.

Sirrnonglüctr und Seelenfrieden.

Von Martin Sigis¬ Breslau. Verlag von Georg Wattenbach. Preis 3 Mk. Dieser Roman enthält die Geschichte der tief unglücklichen Ehe einer Frau, die einen Pastor nur geheiratet hat, um versorgt zu sein und die zur Ehebrecherin wird, als ein Freund ihres Mannes einen jungen Doktor ins Haus sührt. Der Verfaffer beweist, daß er ein feiner Kenner der Frauenseele ist und verrät in der Anlage des Ganzen, daß seine Begabung über den Durchschnitt hinausgeht. Wie der Titel andeutet, ist dieser Roman keine Lektüre für die Familie, obwohl er die Grenzen eines berechtigten Realismus nicht überschreitet. II. Gl.

mund.

Die sttririststen Jäger.

in einem Akte

Oper

Rubinstein. Klavwr - Auszug mit

Text.

Leipzig.

von Anton Verlag von

Berthoff Senfs. Unter Rubinsleins dramatischen EistlingSwerken, vier russischen Opern, die in denJahren 1851—53 entstanden, befanden sich auch die sibirischen Jäger. ES war dicS die erste Oper, welche ihren Weg nach Deutschland nahm und am 9. November 1854 in Weimar bei einer festlichen Gelegenheit unter LiSztS Aegide zur ersten Aufführung kam. Peter Cornelius hat den von Jerebtzosi nach einer russischen Volkssage gedichteten Text ins Deutsche übertragen. Obiger Kiavier-AuSzug dürfte vielen willkommen sein. AuS Aufsatzes

redaktionellen Gründen

erscheint

die nächste Fortsetzung des

„Der Schifsbauerdamm und seine Umgebung"

von

Ferd. Meyer in nächster Nummer.

Der heutigen Nummer

Dr.

liegt

eine

greljmcrsdiew Heilanstalt

Görtrersdorf bei,

aus die

wir

ausführliche

Beschreibung

für Knngenkranke

unsere verehrten Leser

der zu

besonders hin¬

weisen.

Anstalt: Verrat

und Treue.

Historischer Roman auS der Von E. H. von Dedenroth (Fortsetzung); Die Rettung deS Palastes des Prinzen von Preußen am 19. März 1348. Von vr. Gustav Albrecht ; Fragment aus LeutingerS Topographia Marchiae. Uebertragung auS dem lateinischen Urtext von vr. Carl Bolle (Fortsetzung). — Kleine Mitteilungen: Der Abbruch deS alten Domes (mit 3 Abbildungen). — VereinS-Nachrichten.

Zeit des

7jährigen Krieges.

— Büchertisch. — Anzeigen.

Richard George in Berlin N. 4, Chausseestr. 2d (Sprechstunden Dienstage und Freitags nachmittags von 3—4 Uhr). Abdruck ohne eingeholte Erlaubnis ist untersagt. Fr. Zillessen, Berlin N., Schönhauser Allee 141. — Druck: Buchdruckerei Gutenberg, Berlin X., Schönhauser Allee 141a.

die Redaktion verantwortlich:

Verlag:

Gr.

Dislokatianskavte dos dorrtsttion Deoros und feiner

Brandenburgia. In der Sitzung vom 26. April hielt W. von Schulenburg einen höchst intereffanten Vortrag über die Lutchen in der Lausitz.

B-

Unter Mitwirkung ,

Köringuier,

Ferd. Merker.

Fontane, Stadtrat Grnst v. Mitdenvrurti, W. Kctkwart^

Dr. H. Drerrdicko, f&ljeoitov

Gymnafialdirektor Dr.

und

herausgegeben von

Friedrich Lilleffen XTK. Jahrgang.

Der

„Bär"

M 34.

und

Wchsrd George.

Buchhandlung und erscheint wöchentlich am Sonnabend und ist durch jede Postanstalt (No. 709 ), beziehen. zu vierteljährlich Zeitungsspedition für 2 Mk. pfg.

50

20. Mai 1893.

Wkvrai unS Treue. Historischer Roman auS der Zeit des 7 jährigen Krieges von

E. A. non Dodonroth.

(20. Fortsetzung.)

sah Robert erstaunt an.

„Ich

denke,

Anna v. Rohr

ist ihres Hofdienstes entlassen?" forschte sie. „Rein, die Königin hat Nachsicht geübt, sie hat

also

Ursache, dafür dankbar zu sein."

ein brandenburgischer Offizier das Jnteresie Annas gewonnen, glauben Sie, daß wir da auf ihre Zuverlässigkeit bauen können?" Robert ersah aus dieser Frage, daß Toni auf seinen Plan

„Sie

wissen,

daß

eingehe.

ist jetzt auch im Hofdienste an¬ nicht zu wisien, um was es braucht gestellt," rief er; „Anna Brenkenhof sich handelt, aber der Umstand, daß der Herr v. Anna liebt, läßt sich vielleicht ausnützen. Er wird, wenn er

„Die

Schwester Annas

nach Dresden kommt. Ihnen den Weg ins Schloß bahnen, wenn Sie ihm versprechen, Anna seine Artigkeiten zu bestellen. Man erfährt vielleicht von ihm Näheres über den Kriegsplan seines Königs, er hegt Vertrauen zu Ihrem Vater und zu

Ihnen, da Sie Unbill erlitten." Robert stockte; in den Mienen Tonis ging etwas vor, das ihn stutzig machte. Ekel und Empörung erfüllten Tonis Brust, als er ihr zu verstehen gab. daß er ihr nicht nur zu¬ mute, die Freundschaft Annas zu betrügen und das Vertrauen des Gastfreundes ihres Vaters zu mißbrauchen, sondern auch durch seinen Vorschlag kundgab, wie wenig ihm an ihrer per¬ sönlichen Sicherheit liege; denn wurde ein derartiger Verrat entdeckt, so konnte er Toni nicht vor Strafe schützen. „Der Plan ist gut," sagte sie, „es ist nur einige Gefahr für mich dabei, aber das interessiert Sie ja nicht." Er Mite aus der Bitterkeit. ihres Tones, daß er zu rasch auf sein Ziel losgegangen war. „Toni." sagte er, „ich ließe mein Leben für Sie und wollte hundertinal sterben, ehe ich Sie gefährdete. Sie haben nichts

Wer sollte unser Thun entdecken? — und wenn das geschähe, so würde derjenige, der Sie antastete, die Königin beleidigen, in deren Auftrag wir handeln. Wohl aber wird mein Onkel den Dienst anerkennen, den Sie dem Vaterlande leisten, zu fürchten.

und mir dann nicht mehr das Glück versagen können, nach dem Sie bahnen uns den Weg zu unserem Glücke." ich schmachte.

als ein Glück ansehe, die Ihrige zu werden?" entgegnete Toni, und ihr Auge flammte, „oder wähnen Sie. daß die Auszeichnung, von Ihnen gefrei zu werden, jedes Opfers wert sei?" „Sie sind unendlich grausam, aber der Hohn kommt nicht

„Sagte

ich es schon, daß ich es

aus Ihrem Herzen."

„Meinen Sie?" lachte Toni bitter auf, „dann verdient Ihre Eitelkeit Strafe. Gesetzt, ich entschlösse mich, auf Ihren Plan einzugehen, so thäte ich das nur unter der Bedingung, daß Sie den Grafen Brühl wissen lassen, ich gäbe mich trotz des Umstandes, das ich seinem Jnteresie diene, zu der Aufgabe her und verbäte mir jeden Dank von seiner Seite. Sie irren

Herr v. Berlet, wenn Sie glaubeu, mein Stolz er¬ laube es, um die Gunjt eines Mannes zu buhlen, der meinen Vater ungerecht und gewaltsam behandelt hat. Ich verzichte hundertmal lieber auf die Ehre Ihrer Huldigungen, als daß Brühl ich mich emiedrigte, Ihnen die Erlaubnis des Grafen hätten so wert, Neigung dazu zu verschaffen. Wären Sie meiner sich sehr.

Sie mir nie dergleichen zugemutet. Ersparen sie sich Ihre Huldigungen! Ich lache darüber." Das Antlitz Roberts färbte sich dunkelrot. Toni erschien ihm in diesem Augenblicke schöner und begehrenswerter als je. Ihr verächtliches Wort reizte ihn, diesen Stolz zu besiegen. „Ich sehe, daß mein Vorschlag Sie verletzt hat," sagte zumute —" er. „Sie zümen mir, daß ich Ihnen ein Wagnis „Ich bin nicht feige," unterbrach Sie ihn heftig. „Ich

■ii

398

werde Ihre Wünsche erfüllen, aber nach meinem Ermessen, zu meiner Befriedigung, nicht um mich um das Glück zu bewerben, das Sie mir in Aussicht stelllen. Herr v. Beriet, Sie huldigen mir und geben sich nicht einmal die Mühe, mich kennen zu lernen, wie ich fühle und denke. Das ist ein Schimpf, denn da huldigen Sie nicht mir, sondern der Maske, die mein Gesicht Ihnen zeigt — suchen Sie sich doch dazu eine Puppe bei Hof!" Damit drehte sie ihm stolz den Rücken. Aber jetzt glühten feine Sinne um so heißer, das Blut wallte. Er warf sich ihr zu Füßen und ergriff den Saum ihres Kleides. „Ich lasse Sie nicht gehen," rief er, „ich halte Sie fest. Und hätte mich nur Ihr Antlitz bezaubert, hätte ich nicht den Stolz Ihres Herzens geahnt, so wäre ich heute mit tausend Ketten an Sie gefesselt. Das Weib, das mich verachten kann, ist der Eroberung wert. Verzeihen Sie es mir, wenn ich noch keinem Weibe begegnet bin, das sich meine Achtung ertrotzt, das zit mir gesprochen hat wie Sie! O, jetzt verstehe ich alles! Sie können meinem Onkel nicht verzeihen, und ich erscheine Ihnen verächtlich, weil ich Ihnen das zumutete, obwohl ich Sie liebe. Aber ich bin nicht der Sklave meines Onkels, und gilt es, mir Ihr Lächeln zu erobern, so richte ich die Lanze gegen ihn. Befehlen Sie, ich gehorche!" „Herr von Berlet," antwortete Toni, und sie schaute mit bitterem Lächeln stolz auf den Knieenden herab, „ich hätte Sie in Ihren Träumen gelassen, aber mich überkam der Gedanke, daß ein leichter Betrug unedel sei, daß ich denjenigen nicht täuschen darf, der mir, selbst wenn er mich betrügt, den Vorwurf machen könnte, ich hätte ihm Neigung geheuchelt. Stehen Sie auf! Sie werden mir niemals mehr sein, als ein Mensch, den ich vielleicht aufhöre zu hassen. Es war mir eine Genugthuung, den Mann zu meinen Füßen zu sehen, der meinem Vater übermütigen Hohn ins Antlitz zu schleudern wagte. Wir sind jetzt fertig mit einander. Hassen Sie mich, wenn's Ihnen beliebt, weil ich die Wahrheit gesprochen habe!"

„Ja

ich hasse

Sie," rief er,

denn wilde Leidenschaften

seiner Sinne kaum mächtig,

tobten in

wider einander, liebe. Sie werden mir ihm

„ich hasse und liebe, ich hasse, weil ich aber gehören, in Liebe oder in Haß." —

Toni lächelte düster. „So gefallen Sie mir besser," sagte sie. „Ich traute Ihnen die rechte Liebe nicht zu, weil ich Sie des rechten Hasses nicht fähig hielt. Der Preis meiner Liebe ist Rache für meinen Vater, Rache für die beschimpfte Ehre meines Namens!" Damit wendete sie sich ab. Robert erwachte wie aus einem Rausche, der ihn betäubt hatte und noch in seinem Banne hielt, obwohl er sich des Truges der Sinne, des Ueberwallens der Leidenschaft bewußt geworden war. Was war das? Sie nannte ihm den Preis für ihre Liebe, nachdem sie ihn verhöhnt. Sie hatte mit seiner Leidenschaft gespielt, bis dieselbe in hellen Mammen aufgelodert war — konnte er ihr jetzt vertrauen? Die Augen waren ihm geöffnet. Sie haßte in ihm das Werkzeug Brühls und warf ihm vor, daß er, als er ihr Herz in Liebe gesucht, ihre Gefühle nicht erraten habe. Sie er¬ schien ihm wie der Versucher; sie bot ihm das Glück ihrer Liebe, wenn er sie an Brühl rächen wolle. Er hatte die Wahrheit gesprochen, als er gesagt, daß er die Lanze gegen Brühl erheben könne, wenn sie es forderte. War er auch der Günstling Brühls, so fühlte er sich doch zu keiner Dankbar¬

keit verpflichtet, im Gegenteil, je mehr ihn der Graf durch Bevorzugung verwöhnt hatte, um so empfindlicher fühlte er sich berührt, wenn jener bei ihm das Gefühl der Abhängigkeit voraussetzte und unterwürfigen Gehorsam forderte. Die Leidenschaft für ein schönes Weib hätte Robert also leicht dahin bringen können, seinen Wohlthäter zu verraten und gegen ihn in die Schranken zu treten, aber die Art, wie Toni dieses Verlangen andeutete, war nicht geeignet gewesen, ihn zu gewinnen. Sie sagte, es gefalle ihr, wenn er sage, daß er sie hasse; sie spottete darüber, daß er glaubte, von ihr ge¬ liebt zu sein, sie forderte seine Eitelkeit heraus, sich für diesen Hohn zu rächen. Wenn er ihr gegenüber jemals edlerer Ge¬ fühle fähig gewesen, wenn der Reiz, den sie auf ihn ausübte, imstande gewesen war, eine Umwandlung in ihm zu vollziehen, so war das in dieser Stunde zerstört. Sie konnte ihm nicht mehr sein, als ein Gegenstand der Begierde; seine Eitelkeit war engagiert, den Kampf aufzunehmen. „Ich halte es für unedel, Sie zu täuschen" — mit diesen Worten wollte Toni dem Gefühle Rechnung tragen, welches die Vorstellungen ihres Vaters in ihr erweckt hatte, aber sie hätte es wohl kaum vermocht, die in ihrer Brust lobende Leidenschaft Robert zu enthüllen, wenn nicht ein anderer Kampf in ihrer Brust sie dazu drängte. Wäre Robert v. Berlet Toni in der That gleichgiltig gewesen, so hätte sie ihn nicht

in ihr Inneres blicken schwer sein werde, mit erregt. Es liegt in den sie liebt; sie kann und quälen, um ihn Das Weib verrät ihre

lassen; die Entdeckung aber, daß es ihr ihm zu brechen, hatte sie leidenschaftlich

Natur des Weibes, den zu reizen, ihn aufs tiefste verwunden, ihn foltern

der

zu prüfen, ob er von ihr lassen mag. Liebe, wo sie des Hasses fähig ist, und lieber möchte sie den vernichten, der ihre Neigung nicht er¬ widert, als ihre Leidenschaft verbergen.

Das leidenschaftliche Weib vernichtet in solcher Weise ihr sie zerstört die Achtung, die der Geliebte für und wo keine tiefere Neigung vorhanden war, wo

eigenes Glück; sie gehegt,

nur ihre Reize den Mann fesselten, da fordert sie ihn auf solche Weise dazu heraus, ihr frivole Huldigungen darzu¬ bringen und ein Spiel mit ihr zu treiben.

„Ich werbe um

den

Preis,"

sagte Robert, und der Blick

mit welchem er jetzt die edlen Linien ihrer Gestalt betrachtete, hatte etwas Stechendes, „ich werde Sie rächen. Soll ich meinen Degen in das Blut meines Oheims tauchen?"

Toni wandte sich wieder zu ihm; sie heftete ihren Blick auf ihn, als wolle sie die innersten Gedanken seiner Brust lesen; schon der Ton seiner Worte mochte ihr verraten, wie wenig er verstehe, was in ihrem Herzen vorgehe. Ein Wort aufrichtigen Mitgefühls hätte ihm in diesem Augenblicke ihr ganzes Herz erobert. Hätte er ihr gesagt, daß er sich jetzt in ihr Denken hineinversetzen könne, daß er empfinde, wie tief er sich selbst erniedrigt habe, als er sich zum Werkzeuge einer eisernen Gewaltthat hergegeben, daß er sich von Brühl los¬ sagen und ihn hassen wolle, so würde sie Vertrauen zu ihin gewonnen haben — seine Worte dagegen erweckten bloß ihren Argwohn. „Ihn töten ist keine Rache," versetzte sie, „aber könnten Sie wirklich um meinetwillen eine Blutschuld auf sich laden, eine Blutschuld an einem Verwandten?"

„Für Sie Sie, und

verkaufe ich

ich ermorde den

mich

an den Bösen.

Minister!"

Befehlen

*2

399

Ein Grauen durchfröstelte Toni. Sprach er die Wahr¬ heit. liebte er sie mit solcher Leidenschaft, oder war das nur eine unüberlegte Prahlerei? hasse Brühl zu tief, um ihm den Tod zu gönnen," das Wort; „er ist es auch nicht wert, daß jemand nahm sie seinetwegen zum Verbrecher wird. Sie machten mir den Vor¬ schlag, geheime Korrespondenzen zu vermitteln und zweifelten an meinem Mute, dem Vaterlande auf diese Weise nützlich

„Ich

werden. Ich würde mich danach sehnen, mir ein solches Verdienst zu erwerben, wenn ich wüßte, daß mit der Be¬ freiung Sachsens von den Preußen auch das Joch abgeschüttelt wäre, welches Brühl auf mein Vaterland gelegt hat, aber soll ich dazu helfen, daß er wieder nach Dresden kommt und als

zu

Minister des Kurfürsten das Land plündert und knechtet? Ich es den Preußen nicht, daß sie uns an Brühl rächen, aber bester, sie besorgen es, als daß es keiner thut. Wer bürgt dafür, daß Brühl die Strafe für alles, was er an Sachsen verbrochen hat, auch wirklich erdulden wird, daß er nicht wieder den König-Kurfürsten überredet, ihm von neuem die Regierung anzuvertrauen? Der Sturz Brühls, seine Ver¬ urteilung — das ist die Rache, die ich fordere, nichts weiter! Und macht in diesem Kampfe der Minister Sie zum Bettler, so werde ich Sie höher achten, als wenn Sie als dessen Günstling vor mir stehen." gönne

&15.

Kapitel.

Leopold v. Brenkenhof stand im Vorzimmer seines Königs, den Befehl zum Eintritt bei Seiner Majestät erwartend. Friedrich II. hatte ihn in das Moszinskische Palais beordern lasten. Der König sprach augenblicklich mit dem Major von Wangenheim. Der scharfe, schneidende Ton seiner Stimme drang durch die Thüre und Vorhänge.

Der König, damals noch nicht in der Mitte der vierziger Jahre, konnte alles durch seine Liebenswürdigkeit bezaubern, ebenso gut jedoch durch scharfe Satire, wo er wollte, ver¬ wunden, endlich aber auch seinen Willen mit einer Schroffheit zur Geltung bringen, dem höchstens ein Mann wie der General Zielen Trotz zu bieten wagte. Der junge Offizier sah, als man ihn endlich ins Kabinett beschied, daß das Antlitz des Majors bleich war; es mußte ein seltsamer Befehl sein, den der tapfere Offizier mit Zittern hingenommen; dem Könige aber sah man es an, daß er durch Widerspruch in eine gereizte Stimmung gebracht worden war. „Er kennt ja wohl die Lokalitäten hier im Schlöffe?" fragte er Leopold, das große Auge auf den Offizier heftend. „Er hat amours im Schlöffe gehabt?" „Majestät," antwortete Brenkenhof errötend, „ich bin nur

die Preußen im Lande sind. Ich bürge er nicht Minister bleibt, und sollte ich ihn Ihnen dafür, daß Es steht jetzt alles, was des Landesverrates anklagen. patriotisch fühlt, zur Königin, und wenn sie noch mit dem

wenig orientiert —" „Weiß Er, wo die Archive sich befinden? Er soll den Major begleiten, dem ich einen Auftrag gegeben. Ich will hinter die gegen mich gesponnenen Ränke kommen und mich in Besitz der Korrespondenzen setzen. Meinetwegen kann Er seine connaissancen dazu benutzen, der Königin von Polen die Sache plausible zu machen, aber Er wird dafür sorgen, daß die Hinterthüren mit Posten besetzt werden. Er haftet dafür, daß man nichts aus den Archiven beiseite trägt, und Er wird die näheren Instruktionen vom Herrn Major erhalten."

Grafen Brühl korrespondiert, so geschieht es, weil er sich jetzt bemüht, das Unglück, welches über das Land gekommen ist, so bald als möglich durch die Hilfe unserer Alliierten zu — ich fühle —" heben. Hierbei zu helfen, fordere ich Sie auf

Brenkenhof nahm den Befehl in steifer, soldatischer Hal¬ tung, ohne eine Miene zu verziehen, hin; er ahnte noch nicht, um was es sich eigentlich handle. Die Anspielung des Königs auf sein Verhältnis zu Anna hatte ihn völlig in Verwirrung

„Genug," unterbrach ihn Toni, „berühren wir die Sache nie wieder mit Worten! Beweisen Sie mir, daß Sie meine Denkungsweise kennen und achten! Ich liebe mein Vaterland nicht weniger als Sie. Ich bin bereit, mit meinen schwachen Kräften demselben zu dienen; aber soll ich Ihnen trauen, so nennen Sie nicht den Namen Brühl in einem Atem mit den

gesetzt.

„Graf Brühl hat

seine Rolle

für immer ausgespielt,"

versetzte Robert, der in dem jetzigen Auftreten Tonis ein Ein¬ lenken sah. „Wenn der König ihn noch nicht in Ungnaden ent¬ lassen und zur Verantwortung gezogen hat, so verschuldet das

der Umstand,

daß

Worten vom Wohle Sachsens!" Robert sah es nicht, daß ihr Auge argwöhnisch forschend auf ihm ruhte; er hörte nur die Zusage und glaubte Toni gewonnen zu haben. „So reichen wir uns denn die Hände," rief er, seine Kniee beugend, „ich schwöre zu Ihrer Fahne. Jetzt weiß ich, wie ich mir die Seligkeit erobern kann. heißung."

Ich habe Ihre Ver¬

Toni duldete es, daß er ihre Hand mit Küssen bedeckte, aber eine eigentümliche Glut füllte ihr Auge, als sie auf ihn niedersah, und dieses Auge schaute fast düster, als er sie verlasten hatte.

„Wehe Dir und mir, wenn Du mich betrügst." murmelten ihre Lippen, als sich die Thüre hinter ihm geschlossen, „und ich glaube es, daß mein Ahnen mich nicht täuscht!"

„Er

kennt ja wohl auch den Mentzel?" forschte der König „Maltzahn hat mir gesagt, daß Er bei Verwandten desselben gewohnt, die von Brühl infam molestiert worden find?"

weiter.

„Zu Befehl. Eure Majestät.

Den Kanzleisekretär Mentzel

im Hause des Oberst v. Mütiz gesehen, aber mich nicht bewogen gesunden, mit ihm zu verkehren." „Hat Er's gewittert, daß der Kerl ein Coujon ist? Aber man kann solche Leute nicht entbehren. Wenn der Mann im Archive ist, mag Er ihn dort lassen."

habe

ich

Der König winkte dem Major v. Wangenheim, zurück¬ zutreten. „Mit Ihm habe ich noch ein Wort zu sprechen," fuhr er zu Brenkenhof fort. „Man hat mir rapportiert, daß Er Liaisons mit den Kammerjunkers der Königin von Polen hat. Es ist aber observiert, daß zwischen dem Hofe und den auswärtigen Legationen durch Emiffäre und Spione geheime Korrespondenzen hinter dem Rücken meiner Armee geführt werden. Ich erwarte von Seiner probite, daß Er darüber die Augen offen hält, und wo Er etwas bemerkt, mir sogleich Meldung erstattet. Er kann wieder sein altes Quartier be¬ ziehen. Versteht Er mich?"

-*b

400

„Zu Befehl, Majestät.

>

Aber halten zu Gnaden, ich wollte unterthänigst bitten, lieber bet der Armee —" „Er wird oräre parieren," unterbrach ihn der König. „Er kann mich durch attention obligieren."

der Königin möglich ist, mich vor dem Aergsten zu bewahren, so werde ich Ihnen den Dienst nie vergessen."

verstehe nicht zu spionieren, ich kann mich nicht ver¬

auf wie von Begeisterung in seinem Auge. „Brenkenhof," sagte er, „der König hat zu mir gesprochen, wie zu einem Manne, der sich dem Vaterlande opfern soll. Gelingt es dem Könige nicht, sich in Besitz der Dokumente zu setzen, so kann er den Friedensbruch nicht rechtfertigen, dann wird man ihn nicht nur in die Acht des Reiches erklären, sondern, was er mehr fürchtet, die Weltgeschichte wird das Urteil über ihn Der König hat nichts auf seiner Sette, als sein sprechen. gutes Recht, das er vor der Welt beweisen will; er geht mit dem Bewußtsein in den Krieg gegen halb Europa, daß er auf Tod und Leben um die Existenz Preußens und seines Hauses zu kämpfen hat. Stünde es anders, ich schösse mir lieber eine Kugel durch den Kopf, als daß ich gehorchte; so aber werde ich ihm und dem Vaterlande alles, selbst meine Ehre opfern, die Königin von Polen wird sich fügen — mit Güte oder Gewalt."

„Ich

stellen und würde Eurer Majestät nicht von Nutzen sein." Der König schaute Leopold scharf, aber nichr un¬

freundlich an. „Ich fordere nicht von Ihm, daß Er bei seinen amours wider die Ehre handelt," sagte er, „aber Er soll mir dazu helfen, daß ich die Ränke der Frauenzimmer und Höflinge zu Schanden mache, ohne ein exemple statuieren zu müssen. Es ist meine Intention, den Haß der Königin von Polen zu kalmieren, und ich werde nur die Canaille aus dem Lande jagen, die Unfrieden stiftet. Gehorche Er mir, und Er kann meiner Affektion gewiß sein." Damit war Brenkeuhof ebenfalls entlassen. „Ich wollte lieber eine Batterie in der Front angreifen," sagte Wangenheim zu seinem Begleiter, als sie das Moszinskische Palais verließen, „als den Gang gehen, den mir der König befohlen. Wir sollen uns in den Besitz des Geheimarchivs setzen."

„Bravo!" rief Brenkenhof, „das gefällt mir besser, als das Bestechen von Verrätern. Der König weiß, daß man Ränke gegen ihn geschmiedet hat, daß man Preußen überfallen uud zerstückeln wollte; setzt er sich in den Besitz der Beweis¬ stücke für den ihm gespielten Verrat, so ist sein Einmarsch in Sachsen gerechtfertigt." „Ganz gut, aber die Königin von Polen hütet die Archive in ihrem Schlosse, und der König hat mir befohlen, Gewalt zu gebrauchen, wenn ich meinen Zweck nicht durch gütliche Vor¬ stellungen erreiche." „Die Königin-Kursürstin wird sich fügen müssen. Unser König ist Herr von Dresden, er hat dem Kurfürsten seine Allianz angeboten, hat ihm selbst Neutralität bewilligt, aber man hat beides abgelehnt und zwingt ihn dadurch, den Eroberer zu spielen, er darf das Staatseigentum mit Beschlag belegen, wo er es findet." „Er darf thun, was er verantworten kann," versetzte der Major, „und gälte es. das verteidigte Schloß zu stürmen, ich wäre dankbar für die Ehre des Auftrages, aber es ist nicht verteidigt, die Leibgarde ist entlassen. Der König schickt mich gegen ein Weib, gegen eine gekrönte Königin, und fordert, daß ich Gewalt brauche, wenn sie nicht gehorcht."

„Sie wird „Sie wird lassen,

einem

sich

fügen."

fich nicht fügen, sondern es darauf ankommen ein Offizier, ein Edelmann, fich dazu hergiebt, Weibe, das auf Habsburgs Thron geboren, Gewalt ob

anzuthun. Der König befiehlt, aber auf mich würde der Schimpf fallen; ich möchte lieber sterben, als gehorchen."

„Die Königin wird es soweit nicht kommen lassen; fie darf ihre geheiligte Person keiner Beschimpfung aussetzen. Das ist unmöglich." „Es ist nicht unmöglich; der König weiß das auch, er kennt das stolze Blut der Habsburgerin, das der Drohung spotten

wird."

„Und dann befiehlt er Gewalt?" „Ich hafte mit meinem Kopfe dafür, daß sein Befehl vollzogen wird. Wenn es Ihnen durch Einfluß auf Damen

„Sie sind entschlossen, im Notfall Gewalt „Ich bin's," versetzte Wangenheim düster,

zu gebrauchen?" aber es leuchtete

Das Antlitz Brenkenhofs war bleich geworden, aber Be¬ wunderung lag in dem Blicke, den er auf den Major heftete. (Fortsetzung folgt.)

Der Schiffdauer-amm und Von

seine Umgebung.

Ferdinand Merjer. (2. Fortsetzung.)

Zur Zeit siedelten

damm

des

Regierungsantritts Friedrichs des Großen

holländische Schiffbaumeister am Schiffbauer¬ an. Von ihnen war der 82jährige Friedrich

sieben

sich

Köpjohann

(kurzweg auch „Köpian" genannt) der begütertste. Namens Gedächtnis, als das eines „Vaters der Armen", wie die Inschrift am Sockel seines Grabdenkmals auf dem die Sophienkirche umgebenden Friedhof lautet, lebt noch fort in der nach ihm benannten und mit 500 000 Mark dotierten Stiftung zur Unterstützung älterer evangelischer Bürgerwitwen der Sophien-Gemeinde. Unvergeßlich auch im Gotteshause hat er sich durch die im Jahre 1789 gestiftete Orgel gemacht. So schmückten denn in dankbarer Erinnerung die Mitglieder der Gemeinde am 6. Juni des letztverwichenen Jahres — dem einhundertsten Todestage ihres Wohl¬ thäters — die noch erhaltene Grabstätte desselben mit zahl¬ reichen Kränzen. Wir bringen dem Gemeinde-Kirchenrat die Errichtung einer Gedächtnistafel an der einstigen Wohnstätte Köpjohanns hiermit in Vorschlag. Diese befand sich auf dem heutigen Grundstück Nr. 12, während Nr. 8 in einer Frontlänge von 18 Ruten die Auffahrt zu dem umfangreichen Schiffbauplatz bildete. Längs der Grenze jenes AuffahrtTerrains wurde im Jahre 1827 die Albrechtstraße angelegt und über jenen Bauplatz hinweggeführt. Nach Maßgabe des in meinem Besitz befindlichen, von dem Baumeister Knoblauch 1764 angefertigten Situations¬ planes des Schiffbauerdammes hatte Köpjohann einenprächtigen Garten angelegt, der von der Grenze Nr. 8 hinter den tiefen Nebengrundstücken bis Nr. 22 sich erstreckte. Das oberhalb

Seines

desselben

gelegene

Schiffbau-Terrain dehnte fich in einem

Friedrich

der

Grohe

irr

Karrssc>rrri.

05.

407).

Nach

einem

Gemälde

vo»

Philipp

Franck.

-s

402

Winkel bis nahe zur jetzigen Luisenstraße und parallel derselben bis über die Schumannstraße aus, ins¬ gesamt einen Flächeninhalt von gegen 128 000 Quadratmetern darstellend. Aus diesem Areal wurden später noch angelegt: die Schumannstraße (1821), die Marien- und Karlstraße (beide im Jahre 1827). Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts war der Schiff¬ bauerdamm nur bis Nr. 28 bebaut. Nr. 1 (Ecke der Friedrich-, stumpfen

damaligen Damm-Straße) und das daneben gelegene „Loh¬ haus" (Nr. 2) gehörten dem Lohgerber Langstraß. Das bereits

erwähnte

Grundstück

der

königlichen

Kalkbrennerei

(Nr. 5 bis 7), welches bis zur Karlstraße reichte, gewährte außerdem

noch verschiedenen Gewerbetreibenden

hinlänglichen

Oben an der Panke lag die Salingersche Loh¬ gerberei, davor die Brennerei mit ihren Scheunen, Oefen und einer „Wohnung"; seitwärts stand das Hessesche Wohnhaus an der Panke, durch eine Brücke mit dem Holzhof (Nr. 3 und 4) verbunden. Vor diesem Hause lag die königliche

Raum.

und an der Fluchtlinie des Schiffbauerdammes hinter einem Stacket die Wohngebäude eines Stein- und eines Viktualienhändlers, an dessen Besitztum über¬

Gipsscheune,

erhoben sich

noch die Scheune des Steinhändlers sich anschmiegte. Eine Art Vorgarten scheint damals schon zu den Annehmlich¬ keiten des Berliner Kneiplebens gehört zu haben, denn wir erblicken vier schmucke Bäume vor des Herrn Sebastian Künitz Schankwirtschaft. Später, und noch vor 30 Jahren,

dies

E*-

Terrain, damals im Volksmunde die „Judenmühle" genannt, von der Karl- und Luisen-, der Charits-, einem Teil der Schumann- und Marienstraße durchschnitten. Hier nun errichtete Ephraim seine Silber- und Kupfer¬ schmelzöfen mit zwölf kolossalen, durch zwei Roßmühlen in Thätigkeit gesetzten Blasebälgen, zum Betriebe der ihm von Friedrich dem Großen gegen eine bedeutende jährliche Summe in Erbpacht gegebenen Gold- und Silber-Manufaktur. Diese, zuvor ein Monopol des Potsdamer Waisenhauses, nahm einen solchen Aufschwung, daß bei derselben 800 Arbeiter be¬ schäftigt und jährlich allein für 300,000 Thaler Borten, Tressen, Schnüre und Flittern angefertigt wurden. Im Ephraimschen Gartenhause am Schiffbauerdamm Nr. 23 — Fidicin nimmt irrtümlich Nr. 20 an — wohnte auch der Botschafter des Sultans Selim IH., Ali Aziz Efsendi, nach seinem am 4. Juni 1797 erfolgten pomp¬ haften Einzug; doch bereits am 29. Oktober des folgenden Jahres ereilte ihn hier der Tod. Sein für die Berliner stehende

ungewöhnliches Leichenbegängnis verursachte einen gewaltigen Zulauf. In einem grünen Sarge wurde die Leiche auf einem einfachen Leiterwagen, von dem herab die Dienerschaft Münzen unter die Menge verstreute, die Friedrichstraße entlang nach der unweit der Hasenheide eiligst hergerichteten Friedhofsstätte

in

die ausgemauerte

Gruft

gesenkt. .

.

.

Wir versetzen uns in die Zeit König Friedrichs I. zurück. Das Reizvolle der Treckschuytenfahrten nach Charlottenburg

gehörte das Grundstück der „Salz-Schifffahrts-Kompagnie." Nr. 9 bis 11 besaß eine Madame Dietrich, Inhaberin eines Holzhofes, über dem jetzt die Riesenschlange der Stadt-

hatte den Monarchen bewogen, durch Eosander einen Graben vom Unterbaum aus nach der Panke ziehen zu lassen, um auf diesem Wasserwege nach dem Lustschloß Schönhausen

bahti sich hinwindet. Nr. 13 bis Nr. 28 wurden, mit Aus¬ nahme von Nr. 22—24, von 6 Schiffbauern und 6 Lohgerbern bewohnt, so daß am Schiffbauerdamm insgesamt 8 Lohgerber und 7 Schiffbauer angeseffen waren.

gelangen zu können.*)

Das

geschichtlich denkwürdige Grundstück

hörte dem bekannten

Nr. 22—24

ge¬

Münz -Entrepreneur Friedrichs des

Großen, Beitel Heine Ephraim. Zunächst lag an der Front

des Schiffbauerdammes

ein

in Form eines rechtwinkligen Dreiecks von 31 Ruten Länge (jetzt Nr. 20 bis 24), durch den man in das stattliche Ephraimsche Wohngebäude Nr. 23 eintrat. Schmuckgarten

Garten, über den 1827 die Luisenstraße (zwischen und 24) hinweggeführt wurde, hatte der Graf v. Wartens leben zu Anfang des vorigen Jahrhunderts auf der ehemaligen Bullenwiese angelegt. Dann besaß ihn der Diesen

Nr.

23

Hofrat v. Köhler, mit dessen Witwe er an den Geheimen Rat v. Hund gekommen war. Nach einem derzeitigen Plan erstreckte sich der berühmte Hundsche Garten im Zuge der Luisenstraße bis hinauf zur Schumannstraße. An den nun¬ mehr Ephraimschen Garten schlossen sich in der Front des Schiffbauerdammes die Grundstücke des Schiffbauers Karsten und der beiden Schiffbauer-Witwen Schultz und Pfeifer

(Nr. 25 bis 28) an; dann folgte das Ephraimsche Orangerie¬ gebäude (Nr. 29 und 30). Von hier aus erstreckte sich, um¬ geben von dem „neugemachten Judengraben", der vor Nr. 34 in die Spree einmündete, bis zum Thorschreiberhaus an der Unterbaumbrücke (Nr. 40) und hinter den vorerwähnten Grundstücken Nr. 22 bis 28 das Ephraimsche Befitztum bis über die

Schumannstraße

hinweg,

begrenzt von dem Jetzt wird das in Rede

östlich

Köpjohannschen Schiffsbauplatze.

Dies Befahren der Panke sollte nun ein Hauptargument

in

den Streitigkeiten bilden, die im Jahre 1702 zwischen dem

Magistrat und der Kurmärkischen Kriegs- unv DomainenKammer entstanden und über ein volles Jahrhundert andauerten. Es handelte sich dabei um die Brückenunterhaltung und Reinigung der Panke, dieses schon damaligen „Schmerzens¬ kindes" unserer guten Stadt. Der Magistrat suchte in einem Jmmediatschreiben auszuführen, der Pankefluß sei- allemal, weil es ein kleines Flüßchen, als den Privaten zustehend confideriret worden, weshalb die Bürger sich desselben ge¬ brauchet, darin gekrebset und gefischt hätten. Darum auch seien von ihm (dem Magistrat) die beiden Brücken unter¬

halten worden." „Nachdem aber," heißt es weiter in jenem Jmmediat¬ schreiben,

„die königliche Jagdkanzlei

sich

den

Fluß

an¬

gemaßet, indem sie die Erlaubnis zur Anlegung einer Polier¬

mühle gegeben, ohne daß der Magistrat den geringsten Vor¬ teil davon habe, so möge die Jägerei auch die beiden Brücken unterhalten; denn wer das Kommodum genieße, müsse auch das Jnkommodum tragen." Jene Poliermühle war ursprünglich im Jahre 1662 von Gemahlin des Großen Kurfürsten, Luise von

der ersten

Oranien,

an der Panke als eine Papiermühle hergerichtet worden, zu deren Gunsten der Kurfürst die Lumpenausfuhr verbot. Das Waffer der Panke wurde, wie aus jenem Streit-

*) Dieser Graben, der bei der Charits vorüberführte, ist unserer Zeit als sogenannter Charittzgraben zugeschüttet worden.

erst

in

-s 403

verfahren hervorgeht, mittels einer vor „undenklichen" Zeiten in diesem Flusse befindlichen Schleuse am Wedding durch den damaligen „Adlerteich" (den später königlichen „Karpfenteich") auf die Mühle geleitet. Wie hier gleich bemerkt sein mag, diente dieselbe zuletzt als Schleifmühle der Königlichen Eisen¬ gießerei, und auch die Brücke existierte noch vor einigen Jahren; sie lag in der Jnvalidenstraße, da wo dieselbe bei der heutigen Berg-Akademie von der Panke durchschnitten wurde. Der Bescheid auf das Jmmediatschreiben des Magistrats lautete nun, daß derselbe der beiden Pankebrücken doch nicht entbehren könne, falls anders er der Hütung mit seinem Stadtvieh und auch der Holzung in seiner Heide sich nicht zugleich mit begeben würde, weshalb er denn gedachte Brücken nach wie vor zu unterhalten verpflichtet sei. Gegen diese Argumentation ließ sich allerdings nichts einwenden, und somit war die Brückenunterhaltungs¬ angelegenheit abgeschlossen. Dagegen suchte nun der Magistrat in betreff der Pankereinigung, unter Berufung auf die Schriften Nicolais, Borgstedes und namentlich Beckmanns, des „Altvaters aller Nachrichten der Neumark Brandenburg," gegen Ende des Jahrhunderts darzuthun, daß die Panke mit ihren Mühlen, Schleusen und der Fischerei ein Fluß sei. Denn zu König Friedrichs I. Zeiten wäre ein neuer Graben angelegt, um vermittelst dieses kleinen Flusses (der Panke) von Charlottenburg und Berlin nach Schönhausen zu fahren. Mithin seien die geforderten Räumungskosten vom Staate zu tragen. Diese ungemein schmeichelhafte Anerkennung unserer Panke verpflichtete gewiß jeden damaligen Berliner zum ergebensten Danke gegen die Väter der Stadt; uns Nachgeborenen aber, selbst dem auf seine Vaterstadt stolzesten Berliner, wird es schwerlich eingefallen sein, die Panke als einen Fluß anzu¬ sehen. selbst wenn dieselbe vor 100 Jahren, bei ihrem Laufe durch den Tterarzneischulgarten mit ihrem (noch ungetrübteren) Gerinne ein Kalt- und Warmwasser-Basfin zum Baden — kranker Pferde versorgte. Nicolai, auf den der Magistrat sich berief, sagt über die Panke: „Dieselbe ist ein kleines Flüßchen, welches von Bernau her, bei dem Dorfe Pankow und dem Jnvalidenhause vorbei, durch den Berlramschen (später Reußschen) Garten fließt; fällt beim Schiffbauerdamm ohnweit der großen Weidendammerbrücke in die Spree." Nachdem nun die Königliche Domänenkammer hervor¬

gehoben, daß Magistrat in der Brückenunterhaltungssrage Anno 1702 ja selber zugestanden, daß die Panke ein kleines Flüßchen und bis dahin den Privatis zugehörig gewesen, welche ungehindert darin gefischt und ge krebset hätten, derselbe mithin auch zur Räumung verpflichtet sei, beschritt der Magistrat den Rechtsweg. Im Jahre 1808 er¬ ging das Urteil zu Ungunsten der Stadtbehörde. „Denn" — so heißt es in den Ausführungen des OberRevifions-Kollegiums — „wer die Beschaffenheit der Panke

kennt, die, an mehreren Stellen kaum vier Fuß breit, durch¬ aus nicht schiffbar ist und kaum drei Meilen weit fließt, kann dieserhalb weder nach dem römischen und allgemeinen Land¬ recht, noch nach dem Sprachgebrauch und den Regeln der

Grammatik dieselbe für einen öffentlichen nur für ein Fließ, einen Bach halten. . . . (Fortsetzung folgt.)

Fluß,

sondern

&•

Fragment aus Krutingers Topographia Marchiae. Uebertragung aus dem lateinischen Urtext von

Dr. (Carl Dolle.

(Schluß.)

Stolpe, wo auf der Höhe eines die Oder überragenden Berges noch Trümmer einer alten Burg stehen, gehört gegen¬ wärtig denen von Buch. '

Schwedt, wo Markgraf Konrad I. starb, wegen vieler Vorzüge Landeskrone genannt, wurde während der Pommer¬ Diese kriege an die Grafen Hohenstein als Lehen gegeben. Stadt war einst eine sehr berühmte, mit Schloß, Kirche, Denk¬ mälern, Hafen, Handelschaft, Ueberfahrt und wildreichen Forsten.

Vierraden,

dem Hofe zu Stettin gehörig, ist Burg von Pommern losgerissen.

seiner mächtigen

In Löcknitz Schulenburg. Stendal

wohnt

in

prächtigem

Schlosse

jetzt

mit

Richard

ist zu einem Dorfe herabgesunken.

Boitzenburg, lange Zeit wüst, ist den um den Staat wohlverdienten Arnims verliehen worden. Abgetrennt von der Uckermark ist das 1177 von Sambo gegründete P äse walk. Die Brandenburger halten es, nach der Einnahme, die das Wohl der Uckermark forderte, trefflich befestigt. Sie verbanden damit den Zweck leichterer Ver¬

Durch übel gesinnte Bewohner entzog Karl IV. that es in die sich Acht. Die Bürger schlugen den sie belagernden Kurfürsten Friedrich II. zweimal aufs Haupt, 1445 und 1469. In

bindung mit der Ostsee. es

der märkischen Herrschaft.

dieser Stadt entsagte Kurfürst Ludwig Romulus gegen Zahlung von 13 000 Mark seinen Rechten zu Gunsten des Pommern¬

herzogs Barnim.

Gartz entriß eine Kriegslist 1476 dem Schloßhauptmann Werner Schulenburg.

Friedland,

an der mecklenburgischen Grenze,

ansehnliche, wohlgebaute Stadt,

die

ist eine

indes Brände stark mit¬

genommen haben.

Stargardt,

bedeutend durch ein prächtiges Schloß und

durch ein Amt, hat Veranlassung zu Kriegen und Rechtshändeln zwischen dem Kurfürsten und den Mecklenburgern gegeben.

Johann I. und sein Bruder Otto erbauten zwischen Sumpf und See ein nahrhaftes Städtchen, welches sie nach Wallgraben sich Brandenburg nannten und mit Mauer und gut bewehrten.

Dies ganze Gebiet gab Markgraf Albrecht IV. seiner Tochter Beatrix, die Heinrich Leo von Mecklenburg heiratete, zur Mitgift.

Die sehr stark bevölkerte Uckermark hat vorzugsweis fruchtbaren Boden und Ueberfluß, nicht allein an aller Notdurft des Lebens, sondern auch an solchen Produkten, welche die Nachbarn brauchen. Daher liefen allein schon der Kornhandel dem Kurfürsten große Einkünfte. Von Adelsgeschlechtern wohnen hier die Schulenburg, Arnim. Trotha, Blankenburg, Buch. Farenholz, Lindstädl, Eichstädt. Ramm u. a. m. Provinzialklöster sind: Krampsow, Seehausen. Himmelpfort; städtische Klöster giebt es zu Prenzlau, Pasewalk und Angermünde.

--s

404

Wenden wir uns nun zur Lausitz, die, nachdem sie schon von Karl dem Großen besiegt worden war, durch Heinrich den Vogelsteller zum zweitenmal unterjocht wurde. Dieser gründete hier eine Markgrasschaft, in welche er den Altenburger Gero einsetzte. Vielfachen Wandlungen ausgesetzt, kam dies Land, als mit Heinrich der Stamm seiner Beherrscher ausgestorben war, auf Befehl Kaiser Konrads um 1036 an Markgraf Konrad von Meißen. Noch bestehen hie und da Denkmäler der Brandenburger in der Lausitz, welche teils die zerstörende Zeit, teils thörichte Mißgunst übel mitgenommen haben. Das Lausitzer Wappen ist ein rotes, laufendes Pferd auf weißem Felde. Der Name Lausitz stammt vielleicht von den Luitizern, einem durch Adel und Reichtum ausgezeichneten Slavenstamme, der hier zu Lande hauste. Die Dorfbewohner halten noch heut hartnäckig am Gebrauch der slavonischen Sprache fest. Städte der Niederlausitz sind: Luckau, in anmutiger Lage mit Dörfern, Gütern, Aeckern, Vorstädten und einem Kollegium. Hier schlug Markgraf Dietzmann von Meißen zweimal die Märker. Kottbus an der Spree, ausgezeichnet durch Schloß, Kirchen, Rathaus, Schule, Leinweberei und bürgerlichen Ver¬ stand.

Guben an der Neiße empfiehlt sich durch seinen guten, reichen Erträge liefernden Weinbau; auch wird hier die Wissen¬ schaft gepflegt.

Lübben (Lubenum) ist der Sitz eines Landeshaupt¬ mannes und einer Hofkammer, von Gideon Kindler, dem hoch¬ ansehnlichen Kanzler der Lausitz, löblich verwaltet. Kal au (Calovia) ist nicht unbekannt durch seine Jahr¬ märkte. Lieberose (Librosium), merkwürdig durch das monumen¬ tale Grabmal Joachims von Schulenburg, nicht minder durch sein Schloß. Letzteres hat erlauchten Familien zum Wohnsitz gedient, so den Solms, Biberstein, Promnitz, Schenk, welchen allen Richard Schulenburg, des großen Joachims Sohn, durch an¬ sehnliche Vergrößerung des Ortes die Ruhmesfackel voranirägt. Von sehr vornehmer Geburt, edlem Gemüt, sprach¬ kundig, urteilskräftig, reich, tugendhaft und überaus wohlthätig, steht er nicht nur als der feingebildete Mäcen der Wissen¬ schaften überhaupt da, sondern hat sich auch unserer Muse so hold erwiesen, daß wir ihm mit einer Verehrung, wie sie sonst nur Göttern erwiesen wird, für immer verbunden bleiben. Es erzeugt die Lausitz freundliche Menschen von an¬ mutiger Schlankheit und nicht allzu robustem Körperbau und sehr schöne Frauen mit milchweißer Haut. Das gemeine Volk tritt etwas rauh und unhöflich auf. Die Ehrbareren sind milder gestimmt und mehr schöner Menschlichkeit zugeneigt. Ihre Sprache klingt etwas gröber und ist leicht von der meißnischen zu unterscheiden;

der slavonischen sind sie gleich¬ ist reich an Vieh und an Wein.

falls kundig. Dies Land Die Oberlausitz ist gebirgiger, die Niederlausitz flacher, selbst sumpfig, waldig und sandig. Da bei den Lausitzern Religion und Künste in hoher Achtung stehen, so folgen sie in den meisten Dingen meißnischem Beispiel, denn sie halten sich für gleichen Ursprungs.

Was im übrigen jene Völker betrifft, die vor Alters die Mark bewohnt haben, so ist hinlänglich erwiesen, daß

k>diese Markgrafschaft eine der ältesten

in Deutschland

sei.

Die

Soliwedeler in der Altmark ist von den Römern a. 10 v. Chr., die Landsberger in der Mittelmark um das Jahr 90 n. Chr. von den Franken; die Brandenburger endlich 982 durch Kaiser Heinrich den Vogelsteller ins Leben gerufen worden. Zuerst hausteu hier Cimbern, dann Thuiskonen und endlich gemeinsam mit den Gothen die Sueven. Von hier aus wandten sich die Angrivarier nach Westfalen, die Lango¬ barden nach Italien; die Semnonen aber setzten sich, nach Ueberschreitung der Elbe. an Spree, Havel und Oder neben den Thuiskonen fest. Nachdem sie später über die Weichsel gegangen waren und sich mehr und mehr dem Norden näherten, gründeten sie das noch heut Schweden genannte Reich und hielten sich daselbst so lange, bis sie von den Gothen, gleichwie die Cimbern von den Dänen, unterjocht und unterdrückt wurden. An ihre Stelle traten an Oder und Warthe die Vandalen, die vielfach mit jenen Franken zu thun bekamen, welche die gewöhnlich Alt-Landsberg genannte Markgrafschaft

Als dann diese Vandalen nach Gallien. hatten. Spanien und Afrika wanderten, wurden die auf sie folgenden Slaven, nach Bändigung der Sachsen, durch kaiserliche Gewalt und durch die Markgrafen hinausgedrängt. Die transelbische Mark hatten anfangs die Cimbem, nachher die Langobarden, zuletzt die Sachsen inne; die ciselbische dagegen die Thuiskonen und die suevischen Semnonen. Was aber jenseits der Oder liegt, besaßen die Vandalen. Die links von der Elbe ansässigen Stämme wurden von den Römern unterjocht, nach deren Vertreibung Langobarden und Sachsen sich daselbst niederließen, welche fast bis auf den heutigen Tag, mit geringer Unterbrechung, die Lande, die den Namen der Altmark tragen, durch Tapferkeit und Waffen¬ gewalt behauptet haben. Von den Franken find sie unterdrückt worden und mit den Vandalen haben sie beständig Kriege ge¬ führt. Nachdem die Slaven an die Stelle letzterer getreten waren, bekamen sie auch mit denselben Händel. Mächtig ge¬ worden, überschritten nämlich diese die Oder und dehnten ihre Grenzen bis zur Elbe und Saale aus, indem sie Brandenburg zur Hauptstadt ihres Reiches machten. Sie haben also all das Land besessen, welches wir jetzt Mittel- und Neumark nennen. Dies währte so lange bis Heinrich der Vogelsteller den Slaven jenes ganze Gebiet entriß, nach Werben und Stendal Besatzung legte und, indem er Brandenburg zu einer Markgrafschaft erhob, den Gegenden diesseits und jenseits der Elbe den Namen der alten und der neuen Mark gab. * Um diesen Stand der Dinge nun klar zu legen, wollen wir später von den genannten Stämmen und Völkerschaften reichlicher Kunde geben. Hierzu von Preußen noch das folgende: errichtet

*

*

*

Das Volk daselbst war wild und trunksüchtig (ferox atque bibax); seine höchste Lust, ehe es gelernt hatte, Honig mit Wasser abzuschäumen, bestand im Trinken von Stutenmilch. Gegen Fremde zeigte es sich im höchsten Grade unfreundlich, roh selbst gegen die Gastfreunde. Heutzutage, wo Deutsche häufig zu ihm eingewandert sind, steht es in tugendhafter Lebens¬ führung keinem anderen nach, wie es denn auch unter den besten Gesetzen, nach Magdeburger, Kulmer und Lübecker Recht regiert wird. Hier herrscht ehrbare Bescheidenheit der Sitten, strenge Zucht, Menschlichkeit, Gastfteiheit, Wohlthätigkeit; hier

-s

405

blühen Kunst, Handwerk und der Handel zu Lande wie zur See. Hier findet jeder wackere und starke Mann noch eine Lebens¬ sphäre. in der er, bei etwas geistiger Begabung, zu Vermögen und Ehrenstellen gelangen kann. Ihre Ortschaften lagen weit von einander entfernt und waren mehr durch die Natur als künstlich befestigt; in Wald und Sumpf verbargen fie fich. Jetzt haben die Einwohner ein Recht, auf wohlgebaute Städte stolz zu sein. Unter diesen zeichnet fich Danzig, gegenwärtig die Hauptstadt Preußens, besonders aus. Nach Lübeck giebt es an der Ostsee außer so reiches, blühendes, mächtiges und gefittetes Gemeinwesen. Sowohl bei Deutschen wie bei Polen hat es viel zu bedeuten; berühmt ist es durch Handel, aus¬ gezeichnet durch Reichtum, besonders hervorragend durch Uebung schöner Menschlichkeit. Die Wisienschaften blühen hier, Fremde finden zuvorkommende Aufnahme, und an altansäsfigenpatricischen Geschlechtern ist kein Mangel. Mit Polen eng befreundet, hat Danzig fich zu einem so hohen Grade von Wohlhabenheit

&■

fie fich leicht, gehen auch Ehen mit ihnen ein; am liebsten treiben sie Handel. Bei einigen unter ihnen, besonders im Samland (Sambia) ist die altpreußische Sprache noch in Ge¬ brauch. Die Kleidung des weiblichen Geschlechts nähert fich im Schnitt der polnischen, obwohl fie vor dieser gewisse Eigen¬ heiten voraus hat. Hieher werden viele Waren von außen her verführt, und es giebt kaum irgend etwas, das man dorr nicht zu kaufen fände.

ihm kein anderes

Vornllmen-Dtrdrümmlgen im märkischen Sprachgebrauch. Bon

G. Kandtrncrnrr.

Kopfschüttelnd und verwundert habe ich seit mehr denn vierzig Jahren einer wunderlichen, in anderen von mir be¬ suchten deutschen Landesteilen mir nicht in gleicher Art enigegengetretenen Sprachgestaltung des

entwickelt, daß es mit jeder Stadt märkischen Redegebrauchs gegenüber¬ Deutschlands den Vergleich aushält, gestanden, welche ich mit keinem anderen ja selbst der schönsten, die es dort Namen als dem in der Ueberschrift dar¬ giebt, durch seine zierlichen Bauten gebotenen „Vornamen-Verbrämungen" Ehre machen würde. Elbing nimmt Das sturm¬ zu bezeichnen vermag. die zweite Stelle ein; das ist eine und die über¬ Alter nahende schnell edle und mächtige Stadt am Flusse welche der Männer, raschende Abnahme Elbinga in Ermeland, der fich nicht wie ich alte Erinnerung pflegen, weit davon in das Haff (Habum) mahnen zur Aufzeichnung. Als Mit¬ ergießt. Hier erbaute Markgraf Heinrich glied der Berliner anthropologischen von Meißen 1237 eine Burg; im Gesellschaft und vermöge meiner lang¬ darauf folgenden Jahre die Lübecker Beziehungen zum Märkischen jährigen die Stadt selbst. Seitdem ist dieselbe Museum in Berlin habe ich so wie um vieles größer geworden. Ihrer das noch so Neigung wie Pflicht, vorteilhaften Lage halber hat fie an so viel haltbare Alte und erreichbare Mitteln zugenommen, so daß fie mit zu sichern. möglich wie den blühendsten deutschen Städten wetteifem kann. Ihre Vorzüge sind: Ich weihe die nachstehenden Mit¬ teilungen dem Andenken eines vor vier unüberwindliche Festungswerke, schöne Rsltaire. (S. 407.) Jahren verschiedenen Freundes, des Bauten, ein würdevolles Patriciat, eine Handzeichmmg Friedriche des Großen. vr. Hugo Düsterhoff, mit welchem ich vor ehrbare Bürgerschaft, großer kauf¬ langer, langer Zeit diese Frage oftmals männischer Verkehr, gute Polizei und streng beobachtete Gesetzlichkeit. Marienburg er¬ eingehend erörtert habe, ohne daß wir uns über die Sache klar zu werden vermochten. Ich bitte alle Kenner und Forscher des scheint unvergleichlich durch Anmut der Lage, gute Sitten Volkslebens der Mark Brandenburg wie Gesamtdeutschlands, und Eleganz des Lebens; auch hat es eine stark befestigte Burg. Königsberg, an der Mündung des Pregels, zerfällt in unserem „Bär" das. was ich selbstverständlich trotz aller in drei gesonderte Gemeinden, von denen jede ihr eigenes darauf verwendeten Mühe nur stückweise darlegen kann, zu ergänzen, zu vervollständigen. Recht hat. Es ist die Hauptstadt des Preußens, welches noch unter Daß wir Märker spottlustige Leute find, unterliegt an¬ den Brandenburgern steht. Es hat ein Schloß, einen Hafen, Aber was soll man von erkanntermaßen keinem Zweifel. eine Domkirche, eine Universität, drei Ratsversammlungen und nachstehend mitzuteilenden die wie Redewendungen, spöttischen ebensoviele stark bevölkerte Vorstädte. Aus einer Gründung sind, sagen? Wie soll unzweideutig Vornamen-Verbrämungen des Böhmenkönigs von 1255 hervorgegangen, hat es fich unter man dieselben deuten? den Kreuzrittern zu einer überaus reichen Stadt entwickelt. mit den Thorn (Torunia), an der Weichselgrenze Preußens, ist be¬ Ich laffe fiebenundzwanzig männliche Vornamen rühmt durch Handelschast und ansehnliche Geschlechter. Hier entsprechenden Verbrämungen folgen. Wo mir und meinen

dürfen dem Gesetz nach nur Deutsche Bürger werden, aber des Verkehrs mit den Polen halber, die da herum auf dem Lande ansässig find und fich mehr und mehr an das preußische Wesen gewöhnen, find alle Dortigen mit dem Polnischen vertraut.

Die preußische Bevölkerung ist der Liebe aber klug, sparsam und gastfrei.

Mit

sehr

ergeben,

den Deutschen befteunden

desbezüglich die Sache erörternden Freunden eine Erklärung Die unverständlich auffindbar war, ist dieselbe beigefügt.

gebliebenen haben ein Fragezeigen hinter sich.

1. Anton. „Anton, mach den Leim warm!" (?) 2. August, a) „Aujust, hast du reine Hände, so trage ihn auf die Post!" August war früher ein häufiger Name,

-—8

406

konventionelle Bezeichnung von Kellnern und Laufburschen. Doch ist hieraus durchaus nicht der Ge¬ brauch obiger Redensart, si quis pepedit, erklärlich ; b) „Aujust, hast du schon gehört?;" c) „August, komm mal runter!" Die „Augusts" galten als vor anderen neugierig. Solches mag eher, als das Vorhergehende, aus der lang¬ weiligen, herumlungernden Bedientennatur erklärbar sein.

nachgerade eine

3.

Carl.

„Carl, Carl, Carl!

kik,

kik,

Ruf

kik!"

des

Rohrsperlings. 4.

Christian.

ran!" Vielleicht

„Chrischoan, an'n Plog

Obrsstiauuiu-Bauer. Frühjahr üblichen gegenseitigen Zuruf: „Landmann, im März Rühr' den Pflugsterz!"

Parallel

slavischen Ursprungs.

dem

5. David. „David, nimm Käs' mit." Im sammenhang mit diesem Sprüchlein wurde versichert, sogenannte „Schicken" sei biblisch zu begründen und

im

Zu¬

das des¬

wegen unanfechtbar wie notwendigerweise unstrafbar. Zu vergl. 1. Samuelis 17,18: Der Knabe David muß auf Anordnung seines Vaters Jsai dem Hauptmann zehn frische Käse mitbringen und fragen, ob es seinen Brüdern wohl gehe. Wenn das in Israel beim Hauptmann angebracht war, warum nicht' Hierlands bei Feldwebel und Unteroffizier, überhaupt bei

Vorgesetzten? 6.

„Eduard — Kartoffelsack." (?)

Eduard.

7. Emil, a) „Emil, friß nicht so viel!;" b) Emil, du möchtest!" Die „Emils", vulgo „Eke u , galten als „faul

und gefräßig." (?) 8.

Ernst.

„Ernst, weest du wat?"

Die Träger des

Namen Ernst galten, wie die „Aujust" für besonders neu¬ gierig. Woher? Vielleicht eine Spötterei über den für Knaben allerdings etwas „ehrpuselig" klingenden Namen. 9.

Ferdinand.

„Name. Strümp!" (?)

10. Friedrich, a) „Frieter, Frieter, na, na!" Ver¬ mutlich entstanden aus einem Unteroffizierszuruf an die in endloser Reihe „Friedrich" heißenden, zu Anfang ungeschickt exercierenden Rekruten. Solch spöttischer Zuruf richtete sich an „Grüne", d. i. junge Leute, welche die ersten tölpelhaften Versuche anstellten, sich beim Tanz oder sonstwie bei jungen Mädchen „niedlich zu machen."

b) »Fritze, Stieglitze,

de

Kiwik is dod,

Liegt under de Banke un krümelt fick

liederlich!" (?) 11. Franz. „Franz mit 'n krummen!" einen Fassung wurde mit dieser Redensart verspottet,

„Franz"

gar

so

Nach

der

der

Zopf

welchen angeblich die ihren Kaisern nach häufig heißenden Oesterreicher längere Zeit als die übrigen

trugen. Es war eine Parallele zu dem gern ge¬ sungenen Marschliede „Immer langsam voran, immer langsam voran, daß die östreichsche Landwehr nachfolgen kann." Solcher Spott richtete sich gegen linkische Jünglinge, ebenso gegen alt¬ fränkisch gravitätische Gecken. Deutschen

oder Unrecht

Recht

vor ihren „Gestrengen" beständig bange

waren. 13. Heinrich.

„Süßer Hein-rich!" Betonung auf der Silbe; im Chor drei bis vier Mal hinter einander geschrieen.*) (?) 14. Hugo. „O Hugo, wie tief bist du gesunken!" (?) zweiten

15. Johann, a) „Johann, spann an!" Johann war und ist häufiger, daher förmlich symbolisch gewordener Kutscher¬ name; b) „Hanne kriegt Wichse." Wurde aus unbelohnt bleibende Dienstleistungen angewandt. Vielleicht, weil über¬

mütige Herren ihre Diener „Johann" vielfach mißbrauchten und mißhandelten; o) „Hanne, faß Mut!" Zuruf an unent¬

thatkräftig an das ihnen vorliegende Werk gehen, als gälte es, der unwidersprechbaren Ordre eines Herrn zu parieren. Auch Kinder, welche eine ihnen vorgesetzte Speise zu effen Schwierigkeiten machten, wurden durch solchen Zuruf veranlaßt, sich ohne Säumen an das Essen zu machen; d) „Hanne Schlunk!" Vielleicht daher, daß Bediente sich heimlich den Mißhandlungen ihrer Herrschaft gegenüber schadlos hielten, indem sie „nachräumten uud auf¬ schlossene Leute, sie möchten selbständig und

räumten;" e) „Hanne Schnurz!" (?) 16. Ludwig, a) „Das größte Portemonnaie hat Ludewig, Ludewig, Ludewig!" Soll aus nicht näher bekannten Spottversen des Jahres 1848 auf König Ludwig I. von Bayern herrühren. (??) b) „Louis — Revierbulle: Hfft, verduffle." Aus Berliner Nachtscenen leicht erklärlich, e) „Lude — rutsch! O weh, die Hosen, die Hosen!" Zuruf beim Eis¬ laufen, Schlittenfahren und Hinfallen; auch an solche, die

„Ludwig" hießen. 17. Lucas. „Lukas, hau ihm!" (?) 18. Leopold. „Polde in't Holte!" d. h. in den Wald als Holzdieb, resp. Wilddieb. Auffällig viele Förstersöhne

nicht

trugen früher den Namen Leopold. Ob und wie mit diesem Umstand die aufgeführte Redensart zusammenhängen mag? 19.

— wat

„Merline, du Grützkopp — Däskopp du nich to!" Wurde gebraucht, wenn jemand

Martin. grapscht

versäumte, insbesondere, wenn er sich „eine gute Partie" — Braut hatte „wegschnappen" lassen;

eine

gute Gelegenheit

Otto.

Otto gab Gelegenheit zu dem Rätsel: „Vorne rund und hinten rund. In der Mitte wie ein Pfund."

21. Oskar.

Frech wie Oskar!

Angewandt auf als un¬

wissend bekannte Prahler.

»Fritze, Fritze, Friederich, de

„Orge, all wedder de Hosen voll?" Viel¬ „Georg" ein öfter als andere wiederkehrender Name von Pagen, Jäger- und Laufburschen war, die mit

20.

Jugendspiel „Fuchs und Kiebitz." Bist

12. Georg.

leicht daher, daß

Brod!"

Höhnischer Zuruf, wenn einem etwas mißglückte, was derselbe etwas großsprecherisch begonnen hatte. Entnommen dem

o)

e-

Unserem seligen Mitarbeiter Oskar Schwebe! war diese Verunzierung seines Vornamens stets sehr unlieb, so wenig dieselbe glücklicherweise auf ihn paßte. Er wurde sehr un¬ gemütlich, wenn man beim Worte „Oskar" auch nur leise

lächelte.

Peter, a) „Peter Matz, Plundermatz"; (?) b) „Peter Muffel" oder „Peter Meffert," verbunden mit 22.

*) Anmerkung. Das bekannte „Heinrich, mir graut vor Dir," ist nicht Volkseigentum, sondern gehört mehr klassisch gebildeten Kreisen an und deren halbgebildeten Nachtretern.

-.tte be¬ thören lassen. Sein Gesandter hatte vielleicht von ihm die Anweisung erhalten, ihre Schwäche auszubeuten. Es war der Gräfin gelungen, einen Kammerdiener des Königs zu bestechen. Derselbe hieß Glasau und war der Sohn eines Zeuglieutenants zu Brieg. Man hatte ihn vor¬ läufig so weit gebracht, daß er den Kundschaftern des Generals

ließ, wußte ganz genau, wie

sie sich durch

v. Spörken und denen der Gräfin Brühl Pässe verschaffte, so oft es ihm gelang, die Wachsamkeit des Geheimkämmerers Fredersdorf, der sich stets bei der Person des Königs befand und dessen Gemächer hütete, zu täuschen.

Da Robert aus Vorsicht jeden persönlichen direkten Ver¬ kehr mit Fricci abgebrochen hatte, so ahnte er es nicht, daß dieser schon mit einem Kammerdiener Friedrichs in Verbindung stand, und diese Entdeckung sollte ihm fast wie ein Fingerzeig des Schicksals in Beziehung auf die von Spörken angeregte Idee erscheinen, als er heute den ehemaligen vertrauten Diener aufsuchte.

Mario Fricci war formell aus dem königlichen Hofdienste entlaffen worden und wohnte in einer kleinen Gasse der Alt¬ stadt Dresdens bei seinem Bruder, der Bildhauerarbeiten. Gypsfiguren und Elfenbeinschnitzereien anfertigte. Der Hausier¬ handel mit solchen Artikeln war für Mario ein bequemer Vorwand für seine Ausflüge im Kundschafterdienste. Fricci schilderte Robert den Vorfall des gestrigen Abends. muß mir auf der Spur sein," sagte er. „Als ich Stadt kam, wurde ich schon durch einen Kammerdiener in die

„Man

-ri>c,r

Kaufe»

«Daststealie

10)

- Kantro: Die lebendige Reliquie von Iwan Turgenjew. Preis 2 Mk, Der Nachtwandler von MauruS Jokai. Berlin, Verlag von Otto Janke. Preis 1 Mk,

KsUotrtisn

Wir lernen den großen russifchenSchriststeller in dem ersten Werke zwar nicht von einer neuen Seite kennen, doch zeigt er sich in diesem SteppencykluS wieder in der alten Stärke, oiewir an ihm wahrzunehmen gewöhnt sind. Die Skizzen, meist Jagderlebnifle darstellend, spiegeln den Charakter deS russischen Volkes in einer siappierend photographischen Treue wieder, vie gerade in der pragmatischen Kürze deS Schilberns Zeichen einer frisch sprudelnden Mehr noch als in seinen älteren Werken, tritt hier Gestaltungskraft ist. die großartige Charakterisierungskunst Turgenjews in den Vordergrund. ES können deshalb diese Aufzeichnungen als erneuter Beweis dafür begrüßt werden, daß ihr Verfasser zu den besten Schilderern unserer Zeit gehört. AuS demselben rührigen Verlage ist zugleich ein anderes Werk, die humoristische Erzählung: „Der Nachtwandler" von MauruS Jokai hervor¬ gegangen, oaS den Humor der ungarischen Schriftstellers zur vollen Ent¬ faltung kommen läßt. Zwar manchmal etwas stark ausgetragen, doch von einer packenden Komik, ist dieses Werk Jokais von ungemein fesselndem Reize, der durch daS bunte Bild deS südslavischen Hintergrundes wirkungs¬ L. Kvoll gehoben wird.

Richard George in Berlins. 4, Chausieeftr. 2d (Sprechstunden DienStagS und Freitags nachmittags von ö —6 Uhr). Abdruck ohne eingeholte Erlaubnis ist untersagt. Fr. Zillessen, Berlin X,, Schönhauser Allee 141. — Druck: Buchdruckerei Gutenberg, Berlin X., Schönhauser Allee 141a.

die Redaktion verantwortlich:

Verlag:

&•-

Ferd. Mörser,

Gymnasialdirektor

vr. M. Srtswartz

und

Ernst n. Wildonstrnrts,

herausgegeben von

Friedrich Messen XIX. Jahrgang.

Der

„Bär"

und

Nichgrd George.

erscheint wöchentlich am Sonnabend und ist durch jede Postanstalt sNo. 709 ), Buchhandlung und

Zeitungsspedition für

M 40.

2

lNk.

50

Pfg. vierteljährlich zu beziehen.

2. Juli

1893.

Usvvai un 8 Treue. Historischer Roman aus der Zeit des 7 jährigen Krieges von

E. H. tu>n Dodonrnlh.

(26. Fortsetzung.)

|jlja§

Auftreten Auroras gab Anna neuen Mut, und bei diesen Worten des Vaters brach die Empörung die Dämme, welche die Angst vor der Brutalität, mit der Rohr sie oft be¬ handelt, in ihr aufgerichtet hatte.

„Und wer sagt Dir," rief sie, „daß ich Dein Blut ver¬ Hast Du mich je gefragt, wie ich denke? Ich will mich nicht verhandeln lassen wie eine Ware, wie ein Tier, das Du fortgiebst an den Käufer, aber ich würde selbst ein ersehntes Glück mir nicht um den Preis erkaufen mögen, daß mein Vater mir flucht. Du hast mir nie Deine Liebe ge¬ schenkt, nie meine Liebe gewollt. Oeffne mir auch einmal Dein Herz, mein Vater, und Du wirst besser von mir denken!" leugne?

Das Herz flutete ihr über, und ihre Augen glänzten in Thränen, aber gerade Thränen waren es, die Rohr nicht sehen konnte.

„Du

flennst schon wieder,"

spottete er,

„habe ich Dich

Ein zimperlich Ding, wie Du, muß Gott danken, wenn man für sie sorgt. Gehorche, und ich werde mit Dir zufrieden sein! Gott hat Dich einmal aus Wachs geschaffen." gebissen?

20.

Kapitel.

Es waren seit der Rückkehr der Schwestern in das Vater¬ haus einige Wochen vergangen. Die preußische Einquartierung hatte das Gut Rohrs verlassen; die Truppen hatten Winter¬ quartiere bezogen und Ortschaften besetzt, welche bis dahin von den Lasten des Krieges weniger heimgesucht und erschöpft waren. Aurora folgte wieder ihrer alten Liebhaberei, den Vater aus die Jagd zu begleiten oder zu Pferde umher¬ zuschweifen.

Es war ein schöner, milder Tag. Aurora hatte den Rappen ihres Vaters bestiegen — der alte Herr lag am Podagra darnieder — und ritt ohne Begleitung in die roman¬ tische Schlucht, welche der Lockwitzbach durchrauscht. Es war das ihr Lieblingsweg. Sie lauschte dort gern dem Rauschen der Bergwasser durch das wild zerklüftete Gestein. Es machte ihr Vergnügen, in kühnem Sprunge über den Bach zu setzen, wo er sich durch Wiesen schlängelt, durch das Thal zu jagen oder, in Träumen verloren, das Roß den Weg gehen zu lassen, den es sich selber wählte. Sie hatte hier nicht zu be¬ sorgen, daß Vagabunden sie belästigten. Jeder Köhler, jeder Holzfäller kannte sie, und überdem steckten Pistolen iw ihren Halstern, die sie besser als mancher Kavalier zu führen wußte. Ein Holzfäller, den sie unterwegs anredete, erzählte ihr, es seien am frühen Morgen preußische Truppen nach Lockwitz gekommen, und auch auf anderen Straßen hätten sich preußische Kavallerie-Patrouillen gezeigt. Sie beachtete diese Nachricht in soweit, daß sie ihren Weg, der nach Lockwitz führte, nicht fortsetzte, sondern einen anderen einschlug, auf dem sie — freilich durch eine enge und steile Gebirgsschlucht — nach dem Gute ihres Vaters zurückkehren konnte. Es mußte etwas Besonderes vorgefallen sein, daß sich verschiedene preußische Truppenkörper in Bewegung gesetzt ,

Die Worte des Vaters trafen das offene Herz Annas erkältend,

wie ein eisiger Hauch,

aber sie sah es auch,

daß

Aurora das spöttische Urteil ihres Vaters teilte, und was ihr Herz dem der Schwester in der letzten Zeit näher gebracht, das verschwand, als Aurora in diesem Augenblicke kein Mit¬ gefühl für sie zeigte und sich ihrer nicht annahm. Eine un¬ beschreibliche Bitterkeit erfüllte ihr Herz. Lebendiger als je ward in ihrer Brust das grauenvolle Gefühl der Einsamkeit im Vaterhause, der Verlassenheit — sie war dem Vater eine Last, sie war Aurora gleichgiltig, der Traum, daß sie ein schwesterlich Herz gefunden habe, war zerronnen. * *

-—«

470

Ihre Phantasie

beschäftigte sich mü den verschiedenen hörte sie plötzlich einen Schuß krachen,

hatten.

Möglichkeiten. Da gleich darauf fielen zwei andere. Aurora befand sich in einem Hohlwege der so steil und schwierig war, daß nur eine Reiterin, die ihres Pferdes sicher war, einen solchen Pfad ohne Unruhe verfolgen konnte. Jetzt erschrak sie aber doch

entsponnen

hatte,

so

— wenn sich ein Gefecht in der Nähe war kein Ausweichen möglich. Das

dröhnte zwischen den Felsen, erweckte das Echo. Sie konnte nicht einmal entdecken, ob es vor oder hinter ihr laut geworden war. Jetzt trat eine unheimliche Stille ein. Sie hörie nichts als das Rollen der Steine unter den Hufen ihres Rosses. Zu jeder anderen Zeit hätte sie geargwöhnt, daß ein Jäger Wilddiebe gestellt habe, aber davon konnte jetzt nicht Krachen

der

Schüsse

die Rede sein.

Doch sie sollte nicht lange im Zweifel über das Geschehene bleiben. Ein Mann, der durch eine schmale Felsenschlucht geflüchtet, erschien plötzlich vor ihr auf dem Wege, aber er konnte nicht weiter, er blutete, seine Kräfte schienen ihn zu verlassen.

„Wer seid Ihr?" fragte Aurora, die ihre Pistolen für alle Fälle aus dem Halfter gerissen hatte, „wer hat auf Euch geschossen?"

Das gebräunte Antlitz des Mannes verriet durch den Schnitt der Züge, daß er nicht das war, wofür er allem Anscheine nach gelten wollte. Er trug die Kleidung eines Bauern aus dem Erzgebirge, aber man sah ihm auf den ersten Blick den Südländer an, besonders da er seine Kopf¬ bedeckung verloren hatte und das pechschwarze, glänzende Haar im Winde wehte; auch die ganze Art, wie der elastische Körper den Kopf trug, zeigte nichts von der Haltung eines Bauern.

„Die Preußen!" antwortete er in fremdartigem Dialekt, „aber lebendig soll mich keiner fangen." Der Mann schien die Absicht zu haben, an dieser Stelle, wo zur anderen Seite des Pfades das Gestein fast senkrecht abfiel, das kühne Wagnis zu versuchen, den Rand des Ab¬ grundes hinab zu klettern. „Dort hinab könnt Ihr nicht," sagte Aurora, die seine Anstrengung, sich fortzuschleppen, sah und seine Absicht erriet, „da würde ein Gesunder den Hals brechen. Aber es verfolgt Euch ja keiner! Ihr seid wohl ein Spion? Redet dreist, ich bin eine gute sächsische Patriotin, und wenn Ihr es wert seid, helfe ich Euch!" „Ich komme aus Böhmen," sagte der Fremde, der einen Augenblick schwankte, ob er der Dame vertrauen dürfe, aber überzeugte, daß er von ihr nichts zu sich wohl davon

so

befürchten habe.

und

fürchte,

„Ich trage Briefe für man sie bei mir

daß

die Königin bei mir

findet,

wenn

ich

zusammenbreche."

Er verstopfte, während er sprach, eine stark blutende am Oberschenkel mit Moos. Das kühn geschnittene Antlitz verriet eine düstere Energie. Aurora konnte an seinen Worten nicht zweifeln. „Der Weg nach vorne ist frei," sagte sie, „es mündet vor einer halben Stunde kein Weg hinein, aber zehn Minuten von hier, dort oben bei der Birke, ist eine Schlucht, durch welche Ihr unentdeckt bis zu der Mühle im Thale gelangen Wunde

könnt, und wenn

Ihr

dort sagt, das Fräulein v. Rohr

schicke

wird der Müller Euch verstecken." „Gott segne Sie!" rief der Fremde, der kein anderer war als Mario Fricci. „Sollte ich zu Grunde gehen, so Euch, so

werden Sie meine Depeschen

gewiß Herrn Robert v. Berlet

Der Herr und ihm schreiben, er solle mich rächen. v. Brenkenhof ist's, der mich lahm geschossen hat!" „Beeilt Euch," rief Aurora, „es scheint, als komme jemand den Weg herauf. Ich werde ihm den Pfad verlegen." senden

Mt

Worten riß Aurora den Rappen herum. Der daß die Vorderhufe des hoch sich Pferdes einen Augenblick über dem Abgrunde schwebten, ehe es sich auf den Hinterbeinen gedreht hatte. Nur wenige hätten ihr das Wagnis nachgemacht, auf diesem Pfade das Roß zu wenden. Sie ritt lauschend den Weg zu¬ rück, den sie gekommen war. Sie schien ihren Ohren nicht zu trauen, es kam ihr vor, als höre sie ein trabendes Pferd nahen, aber wer konnte auf diesem Pfade ein Roß traben lassen, wo das Geröll schon das Reiten im Schritt bei der Steilheit des Pfades schwierig machte. Sie täuschte sich in¬ dessen nicht. Als sie eine Biegung des Pfades passiert hatte, Er sah sie einen preußischen Offizier ihr entgegen kommen. spornte sein schäumendes Roß, als wäre es ihm recht, wenn dasselbe im Galopp an Abgründen vorüber spränge. Aurora war eine selten kühne Reiterin, sie schätzte nichts höher, als kühnen Mul bei ritterlichen Künsten, und ihr Blut wallte in Staunen und Bewunderung; sie sah einen Mann, der mehr wagte, als ihr je in den Sinn gekommen war, der die Gefahr, die ihn bedrohte, gar nicht zu beachten schien. Aber hier schienen auch Roß und Reiter miteinander wie ver¬ wachsen, ein Körper, gleich dem der alten Centauren, das Roß war nicht minder zu bewundern, als der Reiter. Brenkenhof — er war der Reiter — stutzte, als er auf dem schmalen Pfade, der kein Ausweichen gestattete, wo nicht gerade ein Fels um einige Schritte zurücktrat, eine Dame zu Pferde vor sich sah. Leopold hatte eine Truppenkolonne be¬ gleitet, an welche der Befehl ergangen war, das Schloß Lockwitz zu besetzen. Die Truppenzüge, welche der Holzfäller sonst bemerkt, standen mit plötzlich angeordneten Dislokationen in Verbindung, und die Truppen hatten auch besondere Ordre erhalten, bei dieser Gelegenheit alle der Spionage verdächtigen Subjekte aufzugreifen. Brenkenhof hatte erfahren, daß Anna v. Rohr den Hof verlassen habe und in der Nähe von Lockwitz auf dem Gute Ein erklärlicher Zug des Herzens ihres Vaters verweile. veranlaßte ihn, allein auf eine Höhe zu reiten, von welcher man weithin die Umgegend überschauen konnte. Er richtete die Blicke nach den roten Dächern des Gutes, welches hinter den Schluchten des Lockwitzgrundes lag. Da sah er einen Mann der flüchtig vom Schlosse Lockwitz diesen Schluchten zueilte. Er argwöhnte, daß den Mann das böse Gewisien aus der Nähe der preußischen Truppen vertreibe, und machte sich einen Plan, wie er durch einen Ritt auf Umwegen den Flüchtigen diesen

Weg war bäumenden

so

schmal,

von der Schlucht abschneiden könne. ihm nicht vollständig. Der Flüchtige zeitig, um das schützende Terrain in reichen, wo Brenkenhof einer aus

Die Ausführung gelang bemerkte ihn noch recht¬

dem Augenblicke zu er¬ der Dresdener Gegend kommenden Kavallerie-Abtellung, welche schon die Jagd bemerkt hatte, aus der Ferne den Wink gab, die Ausgänge der

■8

471

s--

Es kam nun darauf an, dem Schluchten zu besetzen. Flüchtigen auch den Rückweg abzuschneiden; in die Felslöcher hinein konnte ihm der Reiter nicht folgen, dazu mußten Schützen beordert werden. Brenkenhos ritt hart an der Schlucht nach Lockwitz zurück, die nötigen Befehle hiezu zu erteilen, aber der flüchtige Kundschafter ward zum Angreifer. Ehe Leopold derartiges vermutete, erschien Fricci plötzlich auf einem Felsblock, und mit den Worten: „Das habe ich Dir lange zugedacht!" feuerte er eine kurze Flinte, die er unter seinem Mantel auf der Flucht verborgen trug, auf den Brandenburger ab. Die Kugel pfiff Brenkenhos bei dem Ohre vorüber. „Maledetto!“ knirschte der Italiener, als ihn im nächsten Augenblicke die Pistolenkugel des Preußen ins Bein traf, und wenige Sekunden später, als er eben hinter den schützenden Felsblöcken verschwinden wollte, eine zweite Kugel sich in sein

beim Vorreiten nur hart am Felsen, ich komme schon vorüber." „Sie meinen?" lächelte Aurora spöttisch, „wollen Sie

Schulterblatt bohrte.

wünsche, daß Sie sich meinetwegen nicht der Gefahr aussetzen, in den Abgrund zu stürzen. Wenden Sie also Ihr Pferd, reiten Sie hundert Schritte zurück! Da wird der Weg breit;

Brenkenhos hatte in dem Flüchtling sofort den Italiener erkannt. Er jagte nach Lockwitz, begnügte sich aber damit,

Signal aus der Feme zu geben, denn es war Eile nötig, wollte er Fricci daran hindern, eine der Thal¬ schluchten zu erreichen, in denen ihm Einwohner des Landes Hilfe bringen und ihn verbergen konnten. Er bog in den Weg ein, den Aurora geritten war. Er konnte hoffen, hier wenigstens die Spur des Flüchtigen zu finden, oder wenn dieser den Weg schon passiert hatte, doch zu sehen, nach welcher Richtung er sich gewendet haben mochte. den Posten ein

Brenkenhos ritt ein Pferd dänischer Rasse, welches durch Kreuzung veredelt und trotz seines Feuers ein geschickter Kletterer war. Ec hatte es während des Krieges schon oft im Gebirge erprobt, und da er stets ein kühner Reiter gewesen, so war es erklärlich, daß er bei dieser Gelegenheit alles daran Da sollte ihm die seltsame setzte, seinen Zweck zu erreichen. welches einen flüchtigen sein Auge, werden, daß Ueberraschung deffen mitten in der Dame erblickte, die ihm auf einem Pfade entgegenkam, der kein Ausweichen gestattete, wenigstens parierte sie ihr Pferd an einer Stelle, wo auf der einen Seite der Abgrund sich herabstürzte, auf der anderen ein Felsblock fast bis an diesen Abgrund herantrat. Brenkenhos war schwindelfrei, das hatte er bei seinem Ritte bewiesen. Als er aber jetzt die Dame an so gefährlicher Stelle sah, packte ihn der Schwindel. Es war ihm, als sähe er sie schon hinabstürzen, und zwar durch seine Schuld, denn allem Anschein nach stutzte ihr Pferd vor dem seinen — ward es scheu, trat es nur einen halben Schritt zur Seite, so war

Verbrecher suchte,

Wildnis eine

statt

romantischen

schöne

verloren. „Um Gottes willen, reiten Sie vorwärts!" rief er ent¬ setzt. „Ich werde absteigen und mein Pferd zurückzubringen

sie

suchen."

Aurora maß ihn mit stolzem, übermütigem Blicke. „Haben Sie Furcht?" fragte sie spöttisch herausfordemd. Er glaubte nicht recht zu hören, aber ihr Lächeln nahm ihm jeden Zweifel daran, daß sie seiner Besorgniffe spotte. Das Antlitz des schönen Weibes glühte; sie hielt die Gerte in der Hand eher zum Angriff bereit, als daß ihre Haltung Aengstlichkeit verraten hätte. Er fühlte, daß sie ihn heraus¬ fordern wollte, und seine Haltung ward jetzt auch eine andere. „Ich wüßte nicht, was ich zu fürchten hätte," versetzte er, „wenn Sie Ihres Pferdes sicher find. Halten Sie Ihr Pferd

lieber gleich die Kommandos erteilen, nach denen ich reiten soll? Man macht den Damen Platz, mein Herr Offizier, und nur. wenn Sie sich fürchten umzukehren, werde ich Ihre Zumutung entschuldigen."

nicht

„Es

scheint

Ihnen besonderes Vergnügen

zu machen,

mir

Furcht anzusinnen." entgegnete Brenkenhos. „Ich fürchte aber nur, von Ihnen ungünstig beurteilt zu werden, wenn ich meine Bitte wiederhole. Ich verfolge einen Verbrecher und möchte Verzeihen Sie also, wenn ich, dessen Spur nicht verlieren. anstatt umzukehren, Sie um die Gnade bitte, mich vorüber zu lassen."

„Ich

habe keinen Verbrecher gesehen," antwortete Aurora,

der es daran lag,

den

Spion Zeit gewinnen zu lassen, „ich

dann kommen wir bequem bei einander vorüber." „Haben Sie keine Schüsse gehört? Hätten Sie wirklich keinen flüchtigen Menschen gesehen?" fragte Brenkenhos mi߬

trauisch, denn da das Wenden des Pferdes gefährlicher war, als die Ausführung seines Vorschlages, erweckte das heraus¬ fordernde, trotzige Benehmen der Reiterin Argwohn. Anderer¬ Mit seits sah er aber auch ein, daß er sich fügen müsse. überhaupt Gewalt war hier nichts auszurichten, wenn er Gewalt gegen eine Dame hätte anwenden mögen. „Seit wann inquiriert man Damen bei ihren Spazier¬ ritten?" sagte sie in erregtem Tone, als fühle sie sich beleidigt. „Ich werde mein Pferd wenden und Ihnen Platz machen." Sie machte Miene, ein Vorhaben auszuführen, das un¬ möglich gelingen konnte, bei dem sie unfehlbar in den Abgrund gestürzt wäre.

Der Offizier that denn auch, was

sie

wahr¬

freveln, er sein auf der Damit wandte er Roß werde zurückreiten. Stelle, wie sie es vorher gethan, aber er sprengte auch mit einer Schnelligkeit auf dem Geröll des abstürzenden Weges davon, daß sie wähnte, er müsse den Hals brechen, und es nicht wagte, ihm ebenso rasch zu folgen. Beim ersten Versuch, den sie dazu machte, strauchelte ihr Pferd und sie wäre bei¬

scheinlich erwartet hatte; er beschwor sie, nicht zu

nahe gestürzt. „Sie haben ein treffliches

Pferd."

sagte sie.

als

sie

ihn

an einer breiteren Stelle des Weges erreichte, wo er sie er¬ „Sie find ein kühner Reiter. Ich mache Ihnen wartete.

mein Kompliment." Noch nie war Aurora in dieser Weise einem Manne ent¬ gegengekommen, aber es drängte sie, dem Preußen, den sie so geringschätzend behandelt, etwas Angenehmes zu sagen und Anerkennung zu zollen. Brenkenhos verneigte sich tief, dann aber gab er, ohne ihr ein Wort zu erwidern, seinem Rosse die Sporen und nahm seine Verfolgung, die Auroras Eigen¬ sinn unterbrochen, von neuem wieder auf. Auroras Antlitz erglühte in Scham, Enttäuschung und

Verdruß. Er schien ihre Handlungsweise durchschaut zu haben, und sie konnte ihm kaum deshalb zürnen, daß er, nachdem er ihrem Willen nachgegeben, seinem Ziel von neuem nachstrebte. Das Schlimmste für sie aber war, daß sie entweder den Weg ebenfalls zurückreiten und Brenkenhos dadurch den Beweis liefern mußte, daß sie absichtlich seine Verfolgung des Spions

--s

472

nur auf meilenweitem Umwege das Gut ihres Vaters erreichen konnte. Die Scham gebot ihr das letztere, aber sie war dessen nicht sicher, daß der Offizier sie habe,

gestört

oder

von einem hochgelegenen Punkte des Weges sah und dann doch erriet, daß sie ihm einen bösen Sireich gespielt habe. So verwarf sie den Gedanken. „Du hast dem Brandenburger über Dein Thun keine Rechenschaft zu geben," rief der Trotz

nicht

in ihr. „Was kümmert es Dich, wie er über Dich denkt!" Sie ritt langsam wieder den Pfad hinauf. Vor ihrer

Bild

Seele stand das

des kühnen Reiters, es glich dem

Ideal

e*~

Kavallerie-Vedetten in Zwischenräumen von einigen hundert Schritten aufgestellt waren, welche die Ausgänge der Schluchten beobachteten. Sie mußte diese Postenlinien passieren, sie konnte erwarten, daß man sie ausfragen werde, ob sie einen Flücht¬ ling gesehen. Sollte sie die Unwahrheit reden oder an dem, dem sie ihre Hilfe geboten, zur Verräterin werden? Das eine wie das andere erschien ihr gleich unwürdig, gleich ver¬ ächtlich.

Sie gab ihrem Rosse einen Hieb, daß es hoch aufbäumte und in rasendem Galopp über die Felder dahin flog. „Halt!" riefen die Posten, „Halt!" donnerte es, aber sie

stand

eines Mannes, wie ihre Träume es sich geschaffen. Sie ver¬ es jetzt, daß ihre Schwester für den Mann schwärmen

war ein Weib, eine Dame; die Vedetten

konnte, aber sie verstand es nicht, daß Anna ihre Hoffnungen

auf

aufgegeben

sie

zu schießen,

„Ent¬

hatte.

Liebe flammte Dich zu einem solchen Manne," die

„Du

rief es in ihr,

so

würdest

Dir

drohte

lassen,

nichts. Vor dem Gute ihres Vaters stand ebenfalls ein Pikett, und jedoch

ihm

von

nicht

t

scheuten sich doch,

obwohl die Ordre gebot, jeden in den Sand zu strecken, der dem Haltbefehl nicht gehorchte. Der kühne Ritt besserte

auch,

was da wollte. Ein Weib, das in Furcht verzagt,

dierende Offizier,

ist der Liebe eines solchen

gesehen, wie sie die Posten¬

Mannes nicht würdig. Das fühlt Anna, und deshalb hat sie sich in

linie

der



Der Gedanke Brust wogen, ihr Blut wallen. „Warum führte das Schicksal ihn Anna zuerst in den Weg. könnte!" ließ ihre

auch ihm wollen.

er,

Dir!"

Ihr

Krieg?"

„Nein,

Zürn Schultheiß", Sehren- und Friedrich strafen - Ecke. (S.

Gestein zu erkennen.

in.)

die¬

gewiß nicht unbemerkt geblieben. Er wußte es jetzt, sie die Flucht des Spions begünstigt, daß sie ihm die

Wir fahnden auf

Wahrheit verborgen hatte.

ihr

Leben aufs

Spiel

Er mußte von ihr glauben, daß

verächtlichen Kundschafters willen fast

eines elenden,

gesetzt; er mußte

heimlichen Verrat spinne

oder

ihr, als

sich,

sehe sie

ihn vor

ihr zutrauen,

daß sie

und es war mit Verachtung an¬

doch begünstige,

wie er

sie

schaue.

Jetzt

vor dem Gedanken, ihm zu begegnen. Nein, er durfte nicht einmal ihren Namen wissen, sie hatte ihm ja denselben verächtlich gemacht. Sie ritt langsam weiter. In Gedanken versunken, be¬ merkte sie es nicht sogleich, als sie endlich die Höhe und das freie Feld erreichte, daß überall, bis ins tiefe Thal hinein, erbebte

sie

fürch¬

Vedette

versetzte

sie

aber

gesperrte

Wege sind auch für Damen

und hohe Damen dem Verrate nicht abhold sind. einen Kundschafter des Feindes, und es ist nicht unmöglich, daß er seine Papiere schönen Händen anver¬ traut hat, daß eine Dame im Gefühl ihrer Unantastbarkeit ihm entgegengeritten ist und ihm seine Depeschen ab¬ schöne, vornehme

daß

um

Ich

eine

nicht offen, am wenigsten, da wir wissen, daß viele und

selben

sie

schon,

spöttisch.

wundeten deutlich an dem

waren

zeigen

„Führt der König von Preußen auch mit Damen

Antlitz erglühte in Scham und in Bitterkeit gegen sich selber. Da waren noch die Blutspuren des Ver¬

Brenkenhof

könne

könne auf Sie feuern. Haben Sie die Hallerufe nicht gehört?"

den

verlegen.

zu

sie

„Gott sei Dank," rief „Sie haben Glück,

tete

um dem

Friccis

Verfolger Weg

hatte,

Trotz

meine Dame!

gewendet,

welcher

durchbrochen

der Erwartung,

Sie kam an die Stelle des Weges, wo sie ihr Roß

komman¬

trabte ihr entgegen, mehr zu ihrem Schutze, falls etwa ein übereifriger Soldat sie verfolgen sollte, als in

ihr Schicksal ergeben." „Wenn er Dich lieben

und nicht

dasselbe

genommen hat."

Purpurröte bedeckte Auroras Antlitz, und ihr Auge flammte in Scham und Zorn. „Dann bin ich wohl ihre Gefangene?" fragte sie. „Man entblödet sich vielleicht nicht, mich visitieren zu wollen?" „Habe ich die Ehre, die Baronesse v. Rohr vor mir zu sehen?"

„So

heiße ich."

„Dann genügt Ihre Erklärung,

daß Sie keinen Spion

--3

473

getroffen und keine Papiere von ihm erhalten haben, andern¬ falls müßte ich die Auslieferung der Depeschen erbitten."

„Mein Herr," entgegnete Aurora, „es ist empörend, eine Dame auf der Landstraße mit brutaler Gewalt zu stellen! Ich gebe Ihnen keine Antwort. Der Offizier verneigte sich. füge mich, aber ich

Machen Sie mir

Platz!"

„Baronesse," sagte er. „ich künde Ihnen an, daß Ihre Weigerung,

S-„Das

Verleumdung!" rief Aurora, erschreckt durch die Drohung und kaum ihrer mächtig vor Scham und Aerger über sich selber, tief erregt in Bitterkeit und Zorn. Sie hätte weinen mögen darüber, daß sie sich in diese Lage gebracht „Mein Vater ist ein Ehrenmann," rief sie, „und hatte. Verrat ist ihm verächtlich! Ich bin nur eiu Weib, aber ich ist

kann die Pistole führen und dulde nicht, daß jemand meine

gUtsfdjcmk dev Krtiultyersi Dvauerer Schönhauser Allee und KransechistvaHon-Grko ru Serbin.

(£. 475.)

-Ich

eine

Antwort zu geben, den Verdacht rechtfertigt. Ich bedauere deshalb, Ihnen ankünden zu müssen, daß Sie unter solchen Umständen in Begleitung Ihrer Familie unter Eskorte sofort über die böhmische Grenze gebracht werden, wenn Sie meine Bitte nicht erfüllen. Se. Majestät der König haben strenge

bitte, glauben Sie mir!" Aurora sprach die letzten Worte hastig und in beinahe flehendem Tone. Sie sah Brenkenhof heransprengen, der aus dem Thale kam. Die Scheu, ihm zu begegnen, zwang ihrem Stolze die Demütigung ab, eine Bitte auszusprechen, obwohl

Maßregeln befohlen gegen jeden, welcher der Teilnahme an Verrat verdächtig wird, insbesondere gegen Ihren Herrn Vater, gegen den bereits starker Argwohn vorliegt."

es

Ehre antastet.

in ihr vor Groll

kochte.

„Baronesse," versetzte der Offizier, ein Graf v. Toll, dem es bereits schwer geworden war, seine Pflicht einem so schönen

--S

474

Weibe gegenüber zu erfüllen, „bei Gott, ich für meine Person glaube Ihnen, was Sie wollen. Ehe ich mir Ihren Zorn zuzöge, thäte ich alles, was Sie fordern, nur nichts gegen Ehre und Pflicht. Darf ich Ihre Worte als die Erklärung nehmen, die ich erbeten habe, so sind Sie frei." Aurora senkte den Blick zu Boden; sie kämpfte mit sich, immer brennender ward ihre Ungeduld, denn schon nahte Brenkenhof, aber selbst wenn sie sich entschloß, eine Unwahr¬ heit zu sagen, so mußte sie fürchten, daß jener sie Lügen strafte. Ich bin dann Ihre Gefangene," sagte sie düster, „führen

Sie mich fort! Ich gebe keine Erklärung." Graf Toll hatte alles andere erwartet, als diese Antwort, die mit Auroras Versicherung, daß ihr Vater den Verrat ver¬ achte, in seltsamem Gegensatze stand. „Baronesse," sagte er vorwurfsvoll und in fast schmerz¬ lichem Tone, „woher dieser bittere Haß?" Aurora ward die Antwort erspart. Brenkenhof sprengte heran. Er hatte wohl schon erraten, was vorging, denn als ihm Graf Toll, der sein Untergebener war, Meldung erstattete, hörte er kaum hin. Sein Auge schien Aurora durchbohren, die innersten Gedanken aus ihrer Brust lesen zu wollen. „Ich habe die Dame bereits examiniert, Herr Graf," sagte er, „und das ist wohl die Ursache, weshalb sie Ihnen Lassen Sie die Dame so schroff die Antwort verweigert. passieren! Ich werde

Toll verneigte schweigend neben

Ihnen weitere Befehle senden." sich.

Brenkenhof

ritt

einige

Sekunden

Aurora her, die ihr Roß jetzt in die Dorf-

straße lenkte, welche zum Herrenhause führte.

„Sie haben vielleicht nur einen Akt des Mitleids voll¬ zogen," begann er plötzlich, „als Sie mich an der Verfolgung eines blutenden Menschen hinderten. Ich mag nicht glauben, daß Sie mit einem so elenden Menschen, wie der Flüchtling es ist, in Beziehung stehen. Der König hat sehr strenge Be¬ fehle erlassen; er weiß es, daß der Hof der Königin von Polen Intriguen aller Art gegen ihn schmiedet. Der Umstand, daß Sie und Ihre Schwester plötzlich den Hof verlassen, daß man hier verdächtigen Subjekten auf der Spur ist, die ein Herr v. Berlet besoldet, zwingt den König, Ihren Herrn Vater und dessen Faniilie aus Gegenden zu entfernen, wo Verrat doppelt gefährlich werden kann. Ich will keine weiteren Fragen an Sie richten. Stehen Sie aber den verräterischen Intriguen fern, so wäre es ein falscher Stolz, wenn Sie sich und die Ihrigen lieber einem solchen Verdachte und harten Maßregeln wollten, als mir die Gelegenheit geben, mich für Sie verbürgen zu können." „Herr v. Brenkenhof," erwiderte Aurora, „ich gestehe ein, daß ich die Flucht eines Mannes begünstigte, den ich früher nie gesehen habe; ich und die Meinigen, wir werden uns nie

aussetzen

bei heimlichen Intriguen beteiligen, aber ich werde auch einen Menschen nicht verraten, und wäre er der erbärmlichste Schurke, wenn ich ihm einmal meinen Schutz versprochen habe. Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann und sagen werde. Nun

handeln Sie nach Ihrem Belieben!" Brenkenhof hatte die Ueberzeugung, daß ein Charakter, wie der des Barons v. Rohr. keiner Lüge -fähig sei. Er hatte bereits den Baron auf dessen Schloßhofe gesprochen, und Rohr hatte jeden Argwohn, daß flüchtige Spione bei ihm Hinterhalt finden könnten, mit Entrüstung zurückgewiesen. Aurora da¬

8-gegen war insofern nicht zu trauen, als sie vom Hofe der Königin von Polen kam, und der persönliche Eindruck, den sie bei der ersten Begegnung auf Leopold gemacht, war kein günstiger. Jetzt aber mußte er ihr glauben, denn was sie Es war diesem sagte, trug das Gepräge der Wahrheit.

stolzen Charakter nicht zuzutrauen, daß sie überhaupt eine Er¬

Was sie etwas verbergen wollte. Es glaubwürdig. erklärlich und war aber auch angab, Mann war ihr nicht zuzumuten, daß sie verriet, wohin sich der klärung gegeben hätte, wenn sie

geflüchtet hatte; es genügte aber auch Brenkenhof, zu wissen, daß Beriet oder ein anderer vom Hofe der Königin hier nicht, wie man wähnte, eine Station für den heimlichen Kundschafter¬

dienst errichtet habe.

„Ich bitte Sie alsdann," nahm er das Wort, „die Be¬ lästigung Ihrer Person am heutigen Tage den obwaltenden Verhältnissen zur Last zu legen. Ihre Erklärung genügt mir vollständig. Ich ersehe aus dem Umstande," fuhr er fort, als Aurora, die eine so günstige Wendung kaum gehofft, froh und befriedigt aufschaute, „daß Sie mich bei meinem Namen ge¬ nannt, wie wenig Vertrauen Sie wahrscheinlich Warnungen von mir schenken werden, aber trotzdem muß

ich

Ihnen

sagen,

daß gerade der Mann, dem Sie heute Ihren Schutz verliehen, Herr Robert v. Beriet kann dieser Güte wenig wert ist. einer Sache, die er verteidigt, nur schaden, wenn er sich solcher Subjekte für seine Zwecke bedient, die auch gelegentlich einen Meuchelmord versuchen. Der Mann, den ich heute verfolgte,

Hüten Sie Ihr Haus vor ihm!" sich Brenkenhof verabschieden; schon hatte er nach einer Verbeugung sein Pferd gewendet, da hielt sie ihn mit einem Blicke zurück. „Herr v. Brenkenhof," sagte sie, „ich danke Ihnen für Ihre Warnung. Ich glaube Ihren Worten, denn Sie haben mich wider meinen Willen gezwungen, Sie zu achten." Sie sprengte mit glühenden Wangen in den Schloßhof. Brenkenhof schaute ihr betroffen nach; er errötete jetzt doch bei dem Gedanken, daß er nahe daran gewesen, diese edle Natur durch einen niedrigen Verdacht zu beschimpfen. Der Arg¬ wohn war in ihm immer stärker geworden, daß die Leiden¬ schaft des Parteihasses und die Erbitterung so ergebener An¬ hänger der Königin über die Demütigungen, welche die letztere erlitten, selbst stolze Charaktere zur Wahl niedriger Mittel bei

heißt Fricci.

Damit wollte

Verfolgung höherer Jntereffen verleitet habe, aber er sah jetzt, daß dieser Haß doch seine Grenzen habe, und die Worte Auroras erfüllten ihn mit der Hoffnung, daß auch Anna ihn wieder günstiger beurteilen werde. (Fortsetzung folgt.)

Die Schultheiß' Srauerei. Von

I. K. Muschi.

(Mit 3 Abbildungen). Schultheiß' Brauerei, die größte Brauerei Berlins Die und Norddeutschlands, ist, wie jedermann weiß, mit ihren zahlreichen hocheleganten Ausschänken und Restaurants (siehe Abb. S. 472), mit ihren zahlreichen Biergärten und natürlich vor allem mit ihren vorzüglichen Biersorten ein so wichtiger Bestandteil des modernen Berlin geworden, daß gewiß kein Bewohner der Metropole den „Schultheiß" misten möchte. Daß die Bedeutung und Ausdehnung dieser Brauerei nicht



475

immer die gleiche war, daran erinnert uns ein Zeitabschnitt, der vor kurzem vollendet worden ist. Die Schultheiß Brauerei besteht nun 50 Jahre, gewiß eine bedeutsame Veranlasiung, um unseren Lesern in Wort und Bild eine Erinnernngsskizze an das Schultheiß-

Jubiläum

darzubieten.

Zur Zeit als

die

Schultheiß'

Brauerei

(von

einem

Apotheker, namens Prell) gegründet wurde, bestand noch die Biere. Daß sich alsbald das Herrschaft der obergärigen und der Konsum der sogenannten „bayerischen" Verhältnis änderte

Biere sich hob und ausbreitete, hatte man der Thätigkeit der Schultheiß' Brauerei nicht zum kleinsten Teile zu danken. In geringem Umfange bestand sie zuerst auf dem Grund¬ stücke Neue Jakobstraße 26, um dann nach dem Terrain Schönhauser Allee 36—39 überzusiedeln, wo schon ftüher durch Jobst Schultheiß Kellereien angelegt worden waren. Im Geschäftsjahre 1842/43 wurden 1500 Hektoliter Bier gebraut, während das Jahr 1891/92 eine Produktion von 403 000 Hektoliter aufwies. Der Prachtbau, welcher jetzt die eine Seite des Grund¬ stückes abschließt, wurde im Jahre 1892 erbaut und gereicht, wie ein Blick auf unsere Abbildung (S. 473) lehrt, der Schönhauser Allee zur Zierde. Von Jobst Schultheiß ging die Brauerei 1864 auf Adolph Roeficke und dann auf dessen Sohn Richard über, der auch jetzt noch, nachdem das Geschäft in eine Aktien-Gesellschaft umgewandelt und bedeutend erweitert worden ist, als General-Direktor an der Spitze des großen Etablissements Zu demselben gehören die Tivoli-Brauerei (neue Abt. steht. der Gesamtbrauerei), die Mälzereien Fürstenwalde und Pankow, das Eiskeller-Etablissement Chausieestraße 88, die Niederlagen in Hamburg, Angermünde, Bernau, Brandenburg, Jürerbogk, Lichterfelde, Oranienburg, Potsdam, Prenzlau und Zossen.

II

Wenn wir nun gerade die Malzfabrik Pankow wählen, um sie unseren Lesern im Bilde (S. 477) vorzuführen, so ge¬ schieht dies mit der Absicht, um noch ein Wort über die .„Wohlfahrts-Einrichtungen" der Schultheiß' Brauerei daran zu knüpfen.

Gleich rechts von der Malzfabrik Pankow liegt in einem

großen Garten das „Kinderheim" der Schultheiß' Brauerei, ebenfalls ein stattlicher Bau und zweckentsprechend eingerichtet. Gegründet wurde das Kinderheim 1890. Man wollte den Kindern der Arbeitnehmer Gelegenheit bieten, sich während einiger Sommerwochen in guter Luft von den Folgen der engen, der Gesundheit beeinträchtigenden Stadtwohnungen zu erholen. Das, was von verschiedenen Vereinen durch die

Ferienkolonien angestrebt wird, soll durch das Kinderheim in ausgedehnterem Maße für die Familien der in der Brauerei beschäftigten Arbeitnehmer erreicht werden. Die Ueberwachung der Anstalt ist Diakonissinnen anvertraut und ein eigener Arzt für das Kinderheim angestellt. Die Anstalt erfreut sich eines lebhaften Besuches seitens der Kinder der Arbeitnehmer, wie das bei einer so segensreichen, kostenlos zu benützenden Ein¬ richtung nur natürlich ist. Aber auch in Berlin selbst besteht für die Kinder der

Arbeitnehmer ein eigenes Familienhaus (Schönhauser Allee 39 b), welches ebenfalls unter der Leitung von Diakonissinnen steht. Dort befindet sich eine Kinderspielschule, eine MädchenHandarbeitsschule und der Jungfrauen-Verein, alles

fr-

Einrichtungen zum kostenlosen Gebrauch nur für die FamilienAngehörigen der Brauerei-Arbeitnehmer.

Für

find überdies außer den gesetzlich vorgeschriebenen und Unfallverhütungs-Einrichtungen noch ver¬ schiedene Wohlfahrts-Institute ins Leben gerufen worden, so eine in fünf Gruppen geteilte Unterstützungskasse, welche im Jahre 1892 für Unterstützungszwecke 13 051 Mk. aus¬ gab und mit einem Kassenbestand von 31 822 Mk. abschloß. Daran reiht sich eine Badeeinrichtung für Männer und Frauen; auch die Bäder sind für die Arbeitnehmer und deren Angehörige frei. Es würde zu weit führen, in weitere diese

Krankenkassen-

Einzelnheiten dieses weitverzweigten Betriebes einzugehen; die vorstehenden Notizen zeigen aber deutlich genug, daß die

Schultheiß' Brauerei A.-G. nach

dem Geist

der Zeit

und

nicht nur den Geschäftsbetrieb den Forderungen des wissen¬

schaftlichen Fortschritts zu gestalten versteht, daß sie nicht

nur

gutes Bier zu brauen weiß, sondern daß sie auch die soziale, rein menschliche Verpflichtung ihren Arbeitern gegenüber sehr ernst nimmt

und

ihr in

schönster

Weise gerecht

zu werden

sucht!

Glück auf zu weiteren 50 Jahren!

Aus

dem fürstlichen Familienleben des vorigen Von

Jahrhunderts. Kernrirft Magrrer. (4. Fortsetzung.)

Die folgenden Briefe gehören der Zeit nach dem sieben¬ Sie enthalten die freundlichsten Zu¬ jährigen Kriege an. sicherungen und nehmen auf hin- und hergehende besondere Aufmerksamkeiten Bezug. Des Grafen durch den Krieg er¬ schwerte Lage hatte sich im November 1764 durch den Tod eines Bruders wieder gebessert, und er erhielt des Königs Glückwünsche dazu gleichzeitig mit dem Danke für die Fasanen, welche er übersendet hatte. Dabei spricht eine vom König eigenhändig hinzugefügte Nachschrift die Hoffnung aus, daß die Erbschaft ihn in den Stand setzen werde, einst leichter eine gewisse Reise zu unternehmen. Damit war unzweifelhaft der schon lange geplante Besuch des Grafen in Potsdam ge¬ meint. Friedrich sah gewöhnlich den Grafen bei sich, wenn er alljährlich bei Neiße eine Revue abzuhalten pflegte; mehr¬ mals begab er sich auch bei dieser Gelegenheit nach Ro߬ waldau, wo dann alle möglichen Ueberraschungen und Feste bereit gehalten wurden.

Im

Jahre 1767 übersendet der Graf dem Könige Schaf¬ käse aus den Ostkarpathen und rote und gelbe MyerbalanenBäume, im nächsten Jahre Pflaumen. wofür ihm Friedrich bereitwilligst alles, was ihm Vergnügen machen könnte, aus Der König fügt noch eigen¬ seinen Gärten verabfolgen will. händig hinzu: „Ich hoffe, mein lieber Gras. Euch noch dieses Jahr in guter Gesundheit wieder zu sehen. Lassen wir die elysäischen Felder; Ihr werdet nur zu bald dort ankommen." — Im März 1769 schreibt der König: „Sein Sanssouci sei nur das Schloß der Ruhe und Freundschaft; in dieser an¬ genehmen Einsamkeit schmecke er deren ganze Süßigkeit. Die abwesenden Freunde würden dort nicht vergessen, und des Grafen Gefühle für den König hätten ihn schon lange deren Zahl zugesellt." Im Jahre 1770 ist mehrfach von des Königs Besuch

in Roßwaldau im voraus die Rede,

de:

Graf möge

--8 nur sorgen, recht gesund zu sein, und große Unkosten, die ihm den Aufenthalt dort weniger angenehm machen würden, ver¬ meiden. Unterm 22. Juli 1770 schreibt der König von Potsdam aus, daß er am 31. August in Roßwaldau zu sein hoffe; er wolle dann den Grafen bewundern, wie die Königin von Saba die Weisheit Salomonis, und vor allem dessen Serail, welches jedoch, nebenbei gesagt, ein wenig zahlreicher gewesen sei, als das des Grafen. Wenige Tage später, als hier festgesetzt, kam die Absicht des Königs zur Ausführung. Friedrich, welcher sich im Anfange des September nach Neustadl in Mähren begab, um hier dem Kaiser Joseph einen Besuch abzustatten, nächtigte bei der Hin- und Rückreise am 2. und 3. September auf Roßwaldau, und nie hatte dies mehr einem Feensitze geglichen, als jetzt. Der Graf verehrte den König schwärmerisch und nannte ihn den „Priester des preußischen Heeres", wogegen Friedrich seinen gastlichen

Wirt

„meinen arkadischen Vetter" nannte. Die Aufnahme war ebenso glänzend wie originell. Des Königs Erwartungen wurden bei weitem übertroffen, wie denn dieses Fest in der That alles übertraf, was man bisher in dieser Art in Ro߬ waldau gesehen hatte; man wurde gleichsam von einem Zauber zum anderen geführt, und nichts fehlte hier, was die Freude erhöhen und den Genuß verstärken konnte. Ueberall ertönte Friedrichs Lob; selbst die Sirenen sangen es abends auf dem erleuchteten See. Diese Sirenen, welche der Barke des Königs entgegenschwammen, waren schöne Mädchen mir entblößtem Oberkörper, schuppigen Fischschwänzen von Kork und langen über den Rücken herabwallenden Haaren. Während der Abend¬ tafel führte das Musikkorps eine Arie auf, die der Graf eigens für diesen Tag komponiert hatte, und dte nachher noch lange Zeit von den preußischen Regimentsmusiken gespielt wurde. Das Lied sing an: Vivez, vivez, prince admirable, toujours Content et sans souci etc. Der König, in dessen Gesellschaft sich auch der nachherige Herzog Friedrich von Braunschweig-Oels befand, verließ höchst befriedigt den „Sejour divin“, wie er diese in die Wirklichkeit übersetzte Idealwelt nannte, und lud den Grafen dringend zu einem Besuche in Potsdam ein. An Voltaire schrieb Friedrich, der Graf habe ihm die galantesten Feten von der Welt gegeben. Die folgenden Briefe des Königs an Hoditz atmen noch das Ent¬ zücken über seinen Aufenthalt bei dem Grafen, und als Beweis seines Wunsches, diesen zu erfreuen, übersandte er ihm Schwäne ans den Potsdamer Gewässern, wobei er eigenhändig hinzu¬ fügte, daß deren harmonischer Gesang sich freilich dem der Nymphen von Roßwaldau nicht nähere — und am 11. Oktober: „Wenn die Schwäne den Verstand hätten, welchen die Dichter der Alten ihnen beilegten, würde ich sie beauftragt haben, Euch in der harmonievollsten Sprache alles das zu sagen, was ich an Erkenntlichkeit für den schönen Empfang, den Ihr mir bereitet habt, empfinde. Aber, weil ihr Gesang nicht mehr dem des Cycnns gleicht, beschränke ich mich darauf, zu hoffen, daß sie Euch guten Flaum liefern werden, um die Kissen und Matratzen zu polstern, welche Ihr für Euere Liebesunter¬ nehmungen oder in Eueren Krankheiten gebraucht."

Des Grafen Gesundheit war in der That wankend, und General-Chirurg Fuchs wurde beauftragt, ihn zu behandeln; dennoch konnte er im Frühjahr 1771 die lange, ersehnte Reise nach Potsdam an den Hof des großen Friedrich antreten. Bei dieser Gelegenheit, am 26. März 1771, wid¬ des Königs

476

&

mete Friedrich

dem Grafen die

richteten Episteln,

(Band 13,

welche sich

Seite 69—71).

erste der beiden an ihn ge¬ in des Königs Werken finden.

Heiteres

Sichbehagenlassen

den Freuden des Lebens wird darin gepriesen. ES ist wohl schön, dem Throne sich zu

an

Dann heißt es:

nah'n;

Doch schöner noch, sein eigner Herr zu sein. So wußtet Ihr mit wohlbedachter Wahl

Der Freiheit Glück der Größe vorzuziehn. Ihr, frei von allem Prunk, von allem Stolz, Geführt von der Natur, und ohne daß Ihr selbst eS denkt, ein Schüler Epikurs.

Roßwaldau wird dann als ein göttlicher Aufenthalt bezeichnet, wo Augen und Ohren erstaunt hundert Reize, hundert Wunder Tasso und Ariost

würden beschämt werden, sähen übertroffen. In der weitern Ausführung wird dann bald scherzend, bald moralisierend ebenso der Geschmack wie die Philosophie des Wirtes anerkannt. War diese Epistel dem Grafen unstreitig sehr schmeichelhaft, so mochte ihn doch die reelle Beilage der königlichen Verse nicht minder entzücken; denn sie bestand in einer mit des Königs Bildnis und Brillanten verzierten Dose, darin eine auf 10000 THIr. lautende Anweisung lag. Hoditz befand sich nämlich wieder, trotz aller Erbschaften, in drückender Geldverlegenheit. — Am 19. April kehrte der Graf höchst befriedigt von seinem Aufenthalte in Potsdam nach Schlesien zurück und wählte dabei seiner Gesundheit wegen den Wasser¬ weg, mußte ihn aber infolge eingetretenen Unwohlseins mit dem Landwege vertauschen. entdecken,

sie

sich

beide

durch

die Werke des Grafen

Der Briefwechsel zwischen dem Philosophen auf dem Throne und dem Epikuräer in diesem und den folgenden Jahren atmet unausgesetzt die herzlichsten Versicherungen gegen¬ seitiger Zuneigung und Freundschaft. Häufig begleiten die Briefe kleine Geschenke. Noch in demselben Jahre und im nächsten wieder besucht der Graf den König in Neiße, ebenso 1774.

Nach

seiner Abreise am 23. August

richtet Friedrich

Grafen, die sich im 12. Teile seiner Werke Seite 121—124 abgedruckt findet. Sie wendet sich gegen die Traurigkeit, welche kn- Grafen, der ehemals so heiter war, jetzt niederdrückt; er wolle das Joch des Alters abschütteln und wieder so werden, wie er einst gewesen; aber die Kraft und Gesundheit bedaure man vergeblich, die Zeit kehre nicht wieder, sie rolle dahin und seine zweite philosophische Epistel an den

entfliehe; darüber seufze die Eigenliebe, jedoch der Weise wisse Nachdem dann diese Philosophie an mancherlei sich zu trösten. Beispielen erläutert und ausgeführt worden, schließt der Dichter ans dem Throne: „Der Tempel der schönen Künste bietet Euch seine Zufluchtsstätte; dort vereinigt sich das Angenehme mit dem Nützlichen, dort könnt Ihr, geschützt gegen Sorgen, von der untergehenden Sonne die glänzenden Strahlen sehen, die Nichtigkeit der Eitelkeiten der Welt und von Euren vergangnen Vergnügungen die tiefe Täuschung betrachten, unerschütterlich bei den verschiedenen Schicksalsschlägen bleiben und die Gegen¬ wart genießen, ohne den Tod zu fürchten. Das einzige und alleinige Gut, welches würdig ist, daß man es anrufe, ist die Gesundheit des Leibes und die Ruhe der Seele."

Das ist das

mild verklärte Licht, welches die unausgesetzte, geistige Arbeit des Weltweisen von Sanssouci tröstend und erhebend in den Abend seines mühevollen Lebens hineinleuchten läßt; aber der epikuräische Graf hatte nicht schöne,

« 477 Entsagungskraft genug, um sich daran genügen zu lassen. Er wußte seine Bedürfnisse nicht mit seinen Mitteln in Einklang Seine Finanzen waren zerrüttet; er mußte seine zu bringen. Leute verabschieden und einen kleineren Hausstand einrichten. Friedrich bot ihm deshalb unterm 9. November 1774 ein Asyl in Potsdam an und eine jährliche Pension von 2000 Thlr. Ehe jedoch der Graf hierauf eingeht, nahm er noch einmal zu einem alten Mittel seine Zuflucht, das wiederholt seine Finanzen aufgebessert hatte. Durch alte Verträge war nämlich dem Bischof und dem Kapitel zu Olmütz die Nachfolge in dem Besitz von Roßwaldau zugesichert, falls das Haus der Grafen Hoditz einmal aussterben sollte. Nun war aber unser

Sobald er sich nun in letzte seines Stammes. großer Geldverlegenheit befand, schrieb er an den Bischof und das Kapitel: „Ich muß durchaus ungefähr 30000 Gulden haben: sollten Sie mir diese nicht geben, so erkläre ich Ihnen, daß ich heiraten werde. Ich werde einer jungen, hübschen, liebenswürdigen und gesunden Person meine Hand reichen und meine Maßregeln so zu nehmen wissen, daß es sehr un¬ glücklich gehen müßte, wenn ich nicht binnen Jahresfrist einen

Graf der

Erben haben sollte." — Ein derartiger Brief brachte jedes¬ mal die gewünschte Wirkung hervor. Schließlich aber wurden dem Bischof und seinem Kapitel diese Brandschatzungen zu arg, und sie wandten sich im Jahre 1776 deshalb nach Wien rmd Berlin, um die Zusicherung ihrer Rechte auch ohne fernere

»-

Die Erbitterung war dabei auf beiden Seiten sehr groß, und ohne Zweifel würde der Graf die gedrohte Verbindung vollzogen haben, wenn sich Friedrich nicht zum Vermittler in dieser Sache aufgeworfen hätte. Man kam endlich überein, daß der Bischof und sein Kapitel die Roßwalder Güter im Namen des Grafen, so lange dieser lebte, gegen eine demselben jährlich zu entrichtende Summe, verwalten, der Graf dagegen sein Leben in Friedrichs

Kontribution zu erlangen.

Nähe beendigen sollte. Während dieser Verhandlungen fand noch ein lebhafter Briefwechsel zwischen dem Könige und Hoditz statt, der aber stets Bezug auf den künftigen Wohnsitz des Nach dem Schreiben, durch welches am Grafen hatte.

18. Januar 1776 des Grafen Gratulation zum Geburtstage des Königs beantwortet wurde, erfolgte die Ueberfiedelung des

Grafen nach Potsdam. Da der damals schon siebenzigjährige Greis seiner heftigen Steinschmerzen und seiner Gicht wegen den langen Weg im Wagen nicht gut machen konnte, so ließ der aufmerksame König für ihn ein Oderschiff überbauen, ein paar kleine Zimmer darauf einrichtet: und mit allen erforder¬ Somit hatte Hoditz nur lichen Bequemlichkeiten versehen. seiner Heimat bis zur Oder zu Wa-tM von Weg kurzen den April 1776 kam er in PotSda^'- au. zu machen. Am 24. Am 4. Mai befahl Friedrich in einer französisch gestHriebenen von Kabinettsordre an den Staats- und Kabinettsmi ne ^ eu Finkenstein, daß Hoditz den Titel „Excellenz", ab^ °$

"^r

■8

Charakter

478

eines Staatsministers

und ohne weitere Unkosten erhalten solle, und am folgenden Tage schon wurde ihm die Bestallung als oberster Baudireklor in Schlesien ausgefertigt. In Potsdam hatte der Gras ein geräumiges, sckönes Haus in dem bis zum Stadtkanal reichenden Teile der Jäger¬ straße zum Wohnsitz erhalten, und sein königlicher Gönner und

Freund sorgte außer für die Unterhaltung einer guten Tafel auch dafür, ihm durch ein ansehnliches Jahrgehalt die Besoldung einer kleiner Kapelle und sogar noch kleine Feste möglich zu machen. Hier saß er mit grauem Haar und oft noch hervor¬ leuchtendem Humor im Kreise seiner jungen Sängerinnen als

ein zweiier Anakreon, und wußie selbst als 70 jähriger Greis seinem Krankenbette die Kreise um sich her heiter zu ge¬ stalten. — Als ihn der König in seinem neuen Heim besuchte und den Grasen in einfacherer Kleidung erblickte, als er sie sonst zu tragen gewohnt war, fragte Friedrich: „Wie geht es

an

zu, daß Sie jetzt sich

so

außerordentlich einfach kleiden, während

Sie sonst, selbst in dem abgelegenen Mähren, den Luxus und Glanz eines großen Herrn zeigten?" — „Sire," antwortete Hoditz, „die Sterne glänzen zwar hell in der Nacht, aber beim Nahen der Sonne erbleicht ihr Licht. Ich kann in König Friedrichs Nähe nicht einfach und bescheiden genug auftreten." Auf dieselbe Art, wie Hoditz seine Reise von Oberschlesien nach Potsdam zurückgelegt hatte, pflegte er auch von Potsdam aus Berlin zu besuchen. Der erste dieser Besuche dauerte zehn bis zwölf Tage, und Dieudonns Thibbault, Professor an der Ritterakademie in Berlin, schildert uns in seinem „Friedrich der Große, seine Familie, seine Freunde und sein Hof, Leipzig bei Hartmann 1828" die Festlichkeit, welche Prinz Friedrich von Braunschweig dem Grafen zu Ehren ver¬ anstaltete. Zuerst hatte Hoditz gezögert,^ dem Prinzen einen Abend zu schenken, da das Haus des Prinzen ziemlich entfernt vom Schlosse lag, und der Graf die Fahrt über Steinpflaster fürchtete; doch gab er zuletzt nach und versprach, am nächsten Abend zu kommen. Der Prinz entwarf jetzt sogleich seinen Plan und teilte auch mir (Thisbauli) eine Rolle dabei mit. „Durch Frau von Troussel empfing ich noch abends um zehn Uhr das Programm zum Feste uud die Bitte von seiten des Prinzen, mich bei ihm den nächsten Abend in dem Kostüm eines Dorfschulmeisters einzufinden, um den Grafen in dieser Rolle zu begrüßen. Ich nahm es an; Frau von Troussel holte mich ab, und um sechs Uhr waren wir beim Prinzen." (Schluß folgt.)

König Friedrich

I.

als Fürsprecher der Hugenotten am Zarenhofe }u Moskau?) Von £) ermann D altern. Unmittelbar nach seiner Thronbesteigung ließ Kurfürst Friedrich durch seinen außerordentlichen Gesandten Johann Reyer von Czapliez den moskowischen Zaren Meldung der *) Der obige Aufsatz ist mit Bewilligung des VerfasierS und der Verlagsbuchhandlung der kürzlich erschienenen Schrift: Zur Geschichte

dar

en Kirche in Rußland von Hermann Dalton (Leipzig Duncker & Humblot) entnommen. Ueber die Schrift bringt unser heutl^r Büchertisch eine überaus anerkennende Besprechung. Wir zweifeln mqt daß die Wiedergabe des obigen Abschnitts ihr erst recht Freunde erwehr ^ird.

->

Thronbesteigung überbringen. Noch zwei weitere Aufträge hatte der brandenburgische Botschafter in Moskau auszurichten: einen Handelsvertrag brandenburgischer Kaufleute mit der Stadt Archangel abzuschließen und den Hugenotten eine Zufluchts¬ stätte in Rußland zu erwirken. Es ist wohl das erste Mal, daß ein Gesuch an Rußland gestellt wurde, welches duldsame Aufnahme für um ihres Glaubens willen Verfolgte erbat, das erste Mal auch, daß es alsbaldige volle Gutheißung erhielt, ein hoffnungweckender Ruf, daß ein neuer Tag für dieses Reich heraufkomme. Der Wendepunkt in der Geschichte Rußlands ist so fesselnd, die gewährte Aufnahme der Hugenotten spielt dabei eine so bedeutsame Rolle, daß es gerechtfertigt ist, ihn etwas eingehender ins Auge zu fassen. Die Regierung in Rußland hatten in jenen Tagen noch zwei Zaren inne, die beiden Stiefbrüder des 1662 verstorbenen Zaren Feodor Alexejewitsch. Der ältere Bruder Iwan war schwachsinnig, zur Regierung unfähig; der jüngere, Peter, noch nicht mündig; die Regentschaft lag in der Hand der Stief¬ schwester Peters, Sophie. Seit 1684 läßt sich eine erneute, starke Minierarbeit der Jesuiten, Fuß in Rußland zu fassen, verspüren. Durch das siegreiche Auftreten Cromwells waren

hervorragende katholische Schotten nach Moskau gekommen und hatten als Offiziere bald hohe Stellungen erlangt; wir erinnern an die Generale Meneses, besonders an Patrick-Gordon, Die der das Vertrauen des jugendlichen Zaren gewonnen. Regentin hatte mit Oesterreich und Polen einen Dreibund zum Schutz und Trutz wider die Tataren geschlossen; mit den nach Moskau entsandten Botschaften dieser beiden Länder waren römische Geistliche, alles Jesuiten, nach Moskau gekommen, die dann für die katholischen Kaufleute daselbst zu bleiben uud eine Kirche zu bauen gedachten. Zumal Polen stand völlig unter dem Regiment Roms; es galt in jenen Tagen als ein großes Seminar der Jesuiten; von hier aus hofften sie, gegen die russische Kirche angehen zu können. Sie fühlten sich in jenen Tagen besonders stark und dementsprechend anmaßend. War doch 1686 von China die Nachricht in alle Welt von Jesuiten ausgesprengt worden, als ob die dortige Kaiserin römisch geworden und einen Drohbrief an den russischen Zaren gerichtet habe. Dazu kam ein weiteres Aergernis. 1687 war der hochbegabte Fürst Dolgoruki nach Paris gesandt worden, Unterhandlungen wegen eines Bündnisses mit Frankreich gegen den Sultan anzuknüpfen. Ludwig XIV. war in rücksichtslos beleidigender Weise gegen den Fürsten vorgegangen, der sich erbittert und grollend nach Amsterdam begab, wo er die glänzendste Aufnahme fand. Zu spät erkannte Frankreich den argen Fehler, den es durch seine brüske Geringschätzung des zarischen Gesandten begangen. Heimgekehrt berichtete Dolgoruki dem 16 jährigen Zaren die erlittene, schnöde Behandlung; Peter vergaß nicht die Beleuchtung, in der ihm zuerst Licht auf das katholische Frankreich fiel, auch nicht die andre, in welcher ihm durch die glänzende Schilderung seines Gesandten das reformierte Holland erschien.

Grade um diese Zeit der jesuitischen Wühlereien kam In Paris hatte

der brandenburgische Gesandte nach Moskau.

man alsbald auch Kenntnis von den Sonderaufträgen erhalten, Die die Kurfürst Friedrich seinem Botschafter mitgegeben. Aufnahme der Hugenotten zu hintertreiben , wurden von Frankreich aus alle Hebel in Bewegung gesetzt. Mit einer polnischen Gesandtschaft und unter ihrem Schutze schlichen zwei

■e

479

hervorragende französische Jesuiten nach Moskau, das ihnen völlig verschlossen war, vorgeblich, um als harmlose Missionare die Landreise nach China sich zu erbitten, in der That aber, um die bei der Regentin Sophie noch immer einflußreiche, den Katholiken günstig gesinnte Partei für sich und ihren Kampf auf Leben und Tod wider die Hugenotten zu gewinnen. Schweres stand auch für Rußland in diesen heißen Tagen auf dem Spiel. Eines besonderen Ansehens und auch Ein¬ flusses erfreute sich Baron Keller, der holländische Gesandte; die Schilderungen Dolgorukis von seinem Volke hatten nicht wenig dazu beigetragen, auch den jungen Zaren ihm wohl¬ wollend zu stimmen. Engbefreundet mit Keller war General Lesart aus Genf, dessen glänzender Stern am Hofe in raschem Aufsteigen war. Durch seinen Bruder Ami Lesart, der als Abgesandter von Genf in Paris weilte, da der kleine Frei¬ wegen seiner Aufnahme der durch den Widerruf des Ediktes von Nantes heimatlos gewordenen Glaubensgenossen den Ausbruch eines Krieges mit Frankreich befürchtete, war man in Moskau von den von Paris aus angezettelten Um¬ staat

trieben und Plänen in Kenntnis gesetzt. Ihnen zu begegnen und wie Keller selbst an seine Regierung berichtet: „die Pläne der Jesuiten zu kontrekarieren und die Fortschritte dieser schlechten Brut zu hemmen," dahin ging das eifrige Bemühen des Gesandten, Leforts und der den Protestanten günstig gesinnten, den jesuitischen Plänen feindlich entgegentretenden Partei in Moskau. Auch im russischen Klerus regte es sich

wider die Jesuiten; selbst der Patriarch Joachim erhob seine Stimme wider sie.

Der brandenburgische Gesandte schloß sich alsbald eng an Keller an; beide Männer unterstützten sich gegenseitig in ihrem schweren Kampfe wider die unterirdischen Umtriebe der Schon nach kurzer Zeit kann Keller nach Hause berichten, daß „Reyer auch bei den Großen des Reiches solche Auszeichnungen gefunden, wie sie einem fremden Minister noch niemals zu teil geworden." Die Beratungen Reyers mit den geheimen Bojaren hatten günstigen Verlauf; die Machen¬ schaften jener beiden französischen Jesuiten, den Hugenotten den freien Zugang in Rußland zu versagen, scheiterten; am 21. Januar erfolgte der zarische Paß, der den Hugenotten die freie Niederlassung in Rußland gewährte. Jesuiten.

Das Schriftstück,

dessen hohe

Bedeutung erst durch

den

vorangegangenen erbitterten Kampf ermessen wird, ist uns In deutscher Sprache noch in seinem Wortlaut erhalten. abgefaßt, hat es eine bleibende Stelle in der „vollständigen Gesetzessammlung" gefunden. Aeußerlich mutet es uns etwas fremdartig an: es beginnt mit der Jahresangabe 7179. Das moskowitische Reich zählte damals noch (bis zur Wende des

Jahrhunderts) wie die Juden bis zum gegenwärtigen Tage die Jahre nach Erschaffung der Welt. Der Inhalt rückt diesen „Paß" dicht heran an das berühmte Potsdamer Edikt und macht ihn in mancher Beziehung ihm ebenbürtig. Es klingt wie ein Nachhall auf russischem Boden von einem Ton, der uns zur Freude auf Brandenburger Erde zuerst angestimmt ward und nun drüben ein schönes, langanhaltendes Echo ge¬ funden. Man wittert leicht auch in diesem Paß etwas von

8-

Morgenluft; in Potsdam und Moskau ein Hahnnis in der Frühe, und es sind an beiden Orten Hugenotten, die ihn veranlaßt, zu deren Gunsten er angestimmt ward. Als ob Peter der Große selber schon das Worr zum ersten Male öffentlich ergreife, eine so freie, duldsame Summe verlautet hier. Noch ist um die Stunde des Erlasses der siebzehnjährige Zar nicht zur Selbstherrschaft gelangt; erst ein halbes Jahrspäter schüttelt er die Regentschaft ab, wie auch den, mit dem er bis dahin die zarische Würde hatte teilen müssen; aber an der Schwelle seiner glorreichen Regierung liegt die Urkunde, die auch in ihrem Inhalt dem Worte so ähnlich ist, das der große Kurfürst fast am Schluffe seiner Regierung geredet. In Moskau ist das Wort wie ein weissagender Hinweis auf die kommende Größe des, in dessen Namen es geredet wurde, in Potsdam Ausdruck und Siegel auf eine lange erprobte Größe. Die Geschichte kargt denn doch mit diesem Beinamen. Zwischen dem großen Kurfürsten und Friedrich dem Großen hat sie nur diesem russischen Kaiser die seltene Auszeichnung frischer

gewährt.

Berliner Mümfund. ( 1881 .)

Sei glücklicher als AugusiuS, Sei besser noch als Trojan! So sprachen Römer beim Wechsel Der Thrones den Cäsar an.

Du edler Kaiser vor allen, Die Purpur je eingehüllt, Wo haben sie hingebettet Dar Goldstück mit deinem Bild?

Tief lag eS im Schoß der Erde, Sande beim alten Berlin; Von würd-gen Matronen erklangen Darüber schrill Litanien.

Im

Vielleicht daß es trug ein Semnone Beutel zum Spreeastrom. — Man sieht sie abkonterseiet Heut noch aus der Säule zu Rom,

Im

Wild blickend und ungelecket, Fast mehr noch a!S jener Bär, Der die Tatz- auf Steuerzetteln Darbeut ohn- unser Begehr. Erst alr man die Spiltellirchc Bis zum Fundament abbrach, Stieg wieder die Kaisermünze

Aus Moder empor zum Tag.

Er ging damit

ganz verloren

Berlins allerlängst vis-ö-vis, DaS gereicht von St. Gertrauden Zur PotSdamerthor-Pharmacie.

Verloren wie jene Linde, Die am Thor den Stamm einst bog, Wahrzeichen dem Wanderburschen, Der Deutsch- und Welschland durchzog.

Die Spittelfrauen da oben Und unten Trajanr Gesicht! Wer sagt noch, er sei verschwunden Humor auS der Weltgeschicht'?

Der Scharfenbcrger.

480

e-

Kleine Mitteilungen Ginc T^raterorinnovung.

Ein freundlicher Maitag vor 58 Jahren sah unsere Stadl in Heller Aufregung — der Liebling der Berliner, der „alte Schmelka" wurde zur letzten Ruhe geleitet, und einer zahlreicheren Trauergefolges hätte sich kaum ein Fürst rühmen können. Gab er doch thatsächlich unter den Einwohnern Berlins (damals 275 OVO) wenige, die nicht zu Thränen gerührt wurden, wenn Schmelka als Tischler Balentin in Raimunds „Verschwender" dar Hobellied sang; mit welch unnachahmlicher Komik gab er den Wirt in Goethes „Mitschuldigen" oder in Lessing „Minna von Barnhelm." Wie alt er geworden ist, war nicht über seine zu ermitteln — er schien hoher SechSziger zu sein —; Geburt schwebte ein Dunkel, welches er nicht aufhellen wollte oder konnte. Bei Eröffnung des Königstädtischen Theaters (1624) wurde er für diese Bühne alS Komiker engagiert und verblieb dort, die Gunst des Publikums in hohem Maße genießend, bis zu seinem am 27. April 1837 in Pankow erfolgten Tode. ES machte einen ganz unbeschreiblichen Eindruck auf die Berliner, «IS der damals (mit Staudigl gleichzeitig) hier gastierende be¬ rühmte Schauspieler Rott (vom Theater in Pesths am Abend des 1. Mai an Stelle SchmelkaS den „Tischler Valentin" gab und nach dessen be¬ kannter Melodie die Worte sang: „Da rufend mich aufS Land hinaus, Ja, Pankow heißt der Ort, Da trat ich in ein TrauerhauS, 'Ren Sarg, den brauchend dort. Ein Sarg schreckt sonst den Tischler nicht, Doch diesmal thut mirs weh — Und schwer wird mir die ernste Pflicht, Wenn ich den Toten seh!

Er war in diesem heitern HauS So lange gern gesehn,

Halb sterbend erst ging er hinaus — Nun istr um ihn geschehn. Tot wär nun, der so oft erstrebt, WaS Ihre Gunst ihm bot? — Nein, wer in Ihrem Herzen lebt, Nein, nein! der ist nicht tot!" DaS war gewissermaßen die Einladung zur Leichenfeier, und Zehn¬ tausende strömten am nächsten Tage hinaus nach dem Dörfchen Pankow; das Trauerhaus erwies sich für solche Versammlung als viel zu klein; der Sarg mußte ins Freie getragen werden, und nun hielt Regisseur Genäe seinem toten Freunde eine tiefergreifende Rede. Zwölf Mitglieder der Bühne trugen den Sarg dann zum Friedhofe, und unter dem Segen des Predigers wurde unser alter Schmelka zur Ruhe gebettet. P. B. Der allen älteren Berlinern wohlbekannte Diclir, welcher nach den Freiheitskriegen vier Jahrzehnte hindurch seines Amtes waltete, liebte es, auch dem Humor in seinen Predigten ein Plätzchen einzuräumen. Me er bisweilen Bibelworte militärisch auszulegen versuchte, beweist folgendes Beispiel: Der Text seiner Predigt lautete einst: „Der Herr hat nicht Lust an der Stärke des Rosses noch Gefallen an jemandes Beinen; der Herr hat Gefallen an denen, die ihn fürchten und auf seine Güte harren"; diesen Spruch legte er dahin auS: weder die Kavallerie („Stärke des RosieS") noch die Infanterie (— — „an jemandes Beinen" —) gefallen dem Herrn, und sie sollen nicht glauben, durch ihre Macht vor ihm etwas zu gelten! P. B. Friedrich Wilhelm I. von Preußen geriet einst in große Angst, denn der Kronprinz war an den Blattern er¬ krankt. Der herbeigerufene HofmedicuS Ellert jedoch beruhigte ihn wieder, und der König verordnete, daß zum Zeichen seiner Dankbarkeit dem Arzte, so oft er aus das Schloß käme, zwei Flaschen Ducksteiner Bier und eine Mahlzeit, die aber nicht über sechs Groschen kosten dürfe, unentgeltlich ver¬

Garnifonpfarrer

Acrztlirlies Honorar.

D.

abreicht werde.

Nereirrs -Nachrichten

Der „Verein für die Geschichte Berlins" unternahm am Sonntag, den 11. Juni, seine erste diesjährige Wanderfahrt nach Schloß RheinSberg mit etwa 200 Mitgliedern, deren Gästen und Damen. Nach Verlassen deS Schnellzuges in Gransee gelangte die Gesellschaft um 1 Uhr mittags auf 12 Erntewagen nach Rheinsberg, dessen Hauptstraßen mit Guirlanden und WillkommenSgrüßen reich geschmückt waren. Der Herr Bürgermeister Stroh meyer begrüßte den Verein im Spiegelsaale des Schlosses, dessen Benutzung von der Hofkammer der Königl. Familiengüter gewährt worden war.' Der 2. Vorsitzende, P. Walle, sprach den Be¬ hörden und Gästen den Dank des Vereins aus und erteilte sodann dem Hauptschriflwart, Dr. H. Brendicke, das Wort zu seinem einftündigen Vortrag über Stadt und Schloß RheinSberg. Der Ort war lange in wechselndem Besitz mehrerer adliger Familien (v. Platen, v. Lindow, von Bredow, v. Lochow u. a.), und am 16. März 1734 kaufte Friedrich Wilhelm I. eS vom Sohne des HofrateS de Beoille für den Kronprinzen, der mit H. W. KnobelSdorsi sich den völligen Umbau der SchlosieS im Geschmack eines Watteau angelegen sein ließ. Friedrich zauberte sich hier mit Künstlern und Gelehrten wie A. PeSne, K. H. Graun (Tod Jesu 1755) ein Sanssouci der Jugendzeit hervor, das er im Alter fast absichtlich nicht mehr betreten hat. Hier verlebte er aber auch Stunden weihevoller Muße mit den Predigern Jordan und Beausobre und wirkte in Schäferspielen Verlag und Redaktion:

Der Kronprinz wurde 1738 mit allen und Musikausführungen mit. Ceremonien in den Freimaurerorden aufgenommen, der in ihm noch heut den Beschützer der Humanität sieht. Der Rheins berger Zeit entstammen auch vie beiden Schriften 1736: „Betrachtungen über den gegenwärtigen Zustand der europäischen Staatensystems" und sein „Antimacchiavell" von 1739. Bald nach der Thronbesteigung schenkte Friedrich II. sein TuSkulum 1744 seinem Bruder Heinrich, der vom HubertuSburger Frieden 1763 bis zu seinem Tode 1802 hier residierte. RheinSberg gehörte 1802 bis 1813 Friedrichs drittem Bruder Ferdinand, dann bis 1643 dessen Sohne, dem Prinzen August, und eS ist jetzt Hofkammergut, bis ein neuer Hohenzollernsproß hier Einzug halten wird. Auf der Bühne des Naturtheaters brachte dann Frl Lindenberg der Gesellschaft einen poetischen Gruß, P. Wallö ein Hoch denk deutschen Kaiser, und Herr Edm. Müller ließ in der Stadtkirche auf der Orgel weihevolle Phantasien ertönen.

Küchertisch.

Zur Goslliiciitv der ovangolifetion Kirriio in Rußland. Hermann Dalton. V. 71 S.

Leipzig 1893. Verlag von Duncker Preis 1,40 Mk. Diese auf Grund sorgsamen Quellenstudiums und unter Benutzung von Aklenmaterial, dar nur dem Verfasier zur Verfügung stand, entstandene Schrift, enthält zwei verschiedene Aufsätze: I. Bischof Ritscheis Mit¬ arbeit an dem Gesetz für die lutherische Kirche in Rußland und II. Hugenotten in Rußland. Beide Aufsätze sind Ergänzungen und Nachträge zu des VerfasierS größerem Werke: „Verfassungsgeschichte

Von

und Humblot.

der evangelisch-lutherischen Kirche Rußlands."

Der eine dieser in den Anfang des 19., der andere in den Schluß des 17. Jahrhunderts hinein. Abgesehen aber von dem durch sie vermittelten Aufschluß über wichtige historische Vorgänge, über die bis dahin zum Teil wenig Licht verbreitet war, zum Teil ganz irrige Auffasiungen obwalteten, nehmen beide Aufsätze gerade in der Gegenwart unser Jnteresie in um so höheren Grade in Anspruch, als sie den Beweis liefern, daß eS einst in Rußland auch Zeiten gab, in denen die Herrscher den Bekennern einer anderen Glaubens daS größte Wohlwollen entgegen trugen. Eine Politik, wie sie zuletzt in den Ostsee-Provinzen befolgt wird, findet sowohl durch daS Verhalten PeierS I., des Großen, wie auch durch das der Kaisers NicolauS die schärfste Verurteilung. Hoffen wir, daß die RegierungSgrundsätze der vorgenannten Monarchen, was Toleranz und Wohlwollen gegen Andersgläubige anbetrifft, in dem uns benachbarten großen Zarenreich recht bald wieder zur Geltung kommen, und möge es der in Rede stehenden Schrift vergönnt fein, an ihrem Teile — durch die weile Verbreitung, die Z. sie findet — einigermaßen hierzu mit beizutragen! Aussätze weist uns

Rr>hrr

im Mindo.

Dor Alto mm fflüuievöloij.

Novellen von Hans von Zobeltitz (Hank von Spielberg). Verlag von Max Babenzien. Preis je 3 Mk. Rathenow Beide Erzählungen des gewandten Schriftstellers entstammen dem¬ selben Boden: dem Gebiete des high life; beide ähneln sich auch in der Handlung wie in dem Schicksal der Hauptpersonen. ES scheint fast, als ob der Verfasser dieselbe Grundidee, dar Elend deS vermögenslosen Offiziers, der aus seinem Beruf gerissen, dem Leben hilflos gegenübersteht, in beiden Erzählungen durch denselben Haupthelden charakterisieren wollte. In der ersten wie in der zweiten spielt die amerikanische Erbin eine be¬ stimmende Rolle, hier wie dort löst sich schließlich alles in Zufriedenheit auf. Aber auf diesem Grunde hat HanS von Zobeltitz soviel Detailzüge seiner Charakteristik ausgestreut, daß man sie beide mit Vergnügen lesen kann. AlS Dichtungen erheben sie sich allerdings nicht über die DurchfchnittShöhe, aber als fesselnde UnterhaltungSlektüre bekunden sie aufs neue —Iß— das frische ErzählungStalent der VerfasierS. Polizei Uool-oeeiieotnm. Von Paul Lindenberg. Verlag von PH. Reclam jr. Leipzig. Preis 0,40 Mk. Paul Lindenberg, dessen bekannte Berliner Schriften stets eine warme Aufnahme und weite Verbreitung gefunden, hat in der Philipp Reclamfchen Universal-Bibliothek einen Doppelband: „Berliner Polizei und Verbrecher¬ tum" erscheinen lassen, der das größte Jnteresie erregen dürfte. Der Ver¬ fasser hat mit Unterstützung der Berliner Kriminalpolizei die umfassendsten und eingehendsten Studien machen können, und mit wachsender Spannung begleiten wir ihn auf seinen Kreuz- und Querfahrten, die uns bald die Vorbereitungen zu einem Verbrechen, bald die Festnahme des Thäters auf dunkler That, bald dessen Vernehmung im Polizeipalast, dann das Zu¬ sammenhalten der Verbrecher, ihre Schlupfwinkel, ihre Namen und Sprache schildern und uns ferner auf dar genaueste mit den Hilfsmitteln der Kriminalpolizei im Kampfe inil dem Verbrechertum vertraut machen.

Kovliner

Inhalt:

und

Verrat und Treue.

Historischer Roman auS der Von E. H. von Dedenroth (Fortsetzung). Die Schultheiß' Brauerei. Von B. Muschi (mit 3 Abbildungen). AuS dem fürstlichen Familienleben des vorigen Jahrhund ertS. Von Heinrich Wagner (Fortsetzung). König Friedrich I. als Für¬ sprecher der Hugenotten am Zarenhofc zu Moskau. Von Hermann Dalton. Berliner Münzfund. Gedicht von Di. Carl Bolle. — Kleine Mitteilungen: Eine Theatererinnerung. Garnisonpfarrer Ziehe. AerztlicheS Honorar. — Vereinsnachrichten. — Büchertisch.

Zeit

des

7jährigen Krieges.

I.

— Anzeigen.

Schönhauser Allee 141. — Druck: Buchdruckerei Gutenberg, Berlin Abdruck ohne eingeholte Erlaubnis ist untersagt.

Fr. Zillessen, Berlin N.,

K,

Schönhauser Allee 141a.

görinßruicf,

Ford. Meyer,

Dp.

K. Dvendtcke, Theodor Fontane, Stadtrat E M. Srtpwcrrtz und Grnst v. Mitdendrurh,'

Gymnafialdirektor Dp.

herausgegeben von

Friedrich Lillessen

tty. Jabraang.

Der

M 41.

„Bär"

und

Richard George.

erscheint wöchentlich am Sonnabend und ist durch jede Postanstalt (No. roy), Buchhandlung und Zeitungsspedition für 2 Mk. pfg. vierteljährlich zu beziehen.

50

8.

Juli

1893.

Nevvai mt§ Treue. Historischer Roman aus der Zeit des 7 jährigen Krieges von

G. K. oon Dcdenroth.

(27. Fortsetzung.)

21.

Kapitel.

abreiten und nur durch Patrouillen im Thale nach dem Flüchtigen suchen und die Straßen nach Dresden im Auge behalten. Es war hiermit ausgesprochen, daß er von einem

Vorgehen gegen den Boron v. Rohr Abstand nehme, daß er sich nicht mehr veranlaßt sehe, denselben für das etwaige Ver¬ schwinden des Flüchtlings haftbar zu machen.

„Ich fürchte,"

als Toll seine Posten ein¬ Patrouillen formiert hatte, „wir

sagte Leopold,

gezogen und an Stelle derselben

In machen unseren Leuten und Pferden vergebliche Mühe. diesen Schluchten und Felsen kann sich jemand lange verbergen, ehe wir ihn finden, und wenn die Landeseinwohner ihm helfen, schaffen sie ihn zur Nachtzeit auf Wegen fort, die wir nicht Aber wir müssen unseren Instruktionen gehorchen, kennen. und selbst wenn wir uus vergeblich abmühen, wird die strenge Revision eine heilsame Warnung für die Ortsbewohner sein." „Ich will nicht raisonnieren, Herr Rittmeister."

versetzte

der Graf, sich bedächtig den Schnurrbart streichend, „aber mir scheint es, daß wir die Leute mehr in Respekt setzten, wenn wir uns stellten, als seien uns diese Spione und Kundschafter

gleichgiltig. Es sieht ja fast aus, als ob wir uns fürchteten. Wenn der Feind sich blicken läßt, werden wir ihm schon die Zähne zeigen." Brenkenhof nickte zustimmend. „Sie haben vollständig Recht," antwortete er; „man lacht uns nur aus, wenn man uns ein Schnippchen schlagen kann. Das Fatale ist, daß wir hier in Sachsen nicht als Feinde auf¬ treten dürfen und doch so gut wie in Feindesland find. Der König will die Königin von Polen schonen, und wir haben in Dresden ein feindliches Hoflager, das Ränke und Verrat höchst

wir es antasten dürfen. Aber das wird bald anders werden. Ich habe die Glocken läuten hören, als wolle der König nur erst die Beweise für die Intriguen der Königin in den Händen haben, um der Sache mit einem Schlage ein Ende zu machen, und dazu ist es nötig, daß ihre Helfershelfer in flagranti ertappt werden. Der Bursche,'den ich heute leider nur angeschossen habe, ist ein sehr gefährliches Subjekt. Ich argwöhne stark, daß er mit Lakaien des Königs geheime Verbindungen angeknüpft hat, und ich glaube auch, die Person in der Umgebung der Königin von Polen zu schmiedet, ohne daß

||||a§ Auge des Grafen Toll leuchtete hell auf, als BrenkeuHof den Befehl erteilte, das ganze Detachement solle

kennen, die ihn besoldet."

Graf Toll ließ sein Roß in spanischem Tritt gehen. Er schien ganz mit seinem Pferde beschäftigt zu sein, als er wie gelegentlich die Worte hinwarf, er könne es den Anhängern des sächsischen Hofes kaum verdenken, wenn sie alles daran setzten, dem Könige von Preußen Nachteile zuzufügen, in ähn¬

licher Lage würden preußische Patrioten ebenso handeln.

„Es wäre mir auch nichts peinlicher geivesen," versetzte Brenkenhof, „als wenn ich genötigt worden wäre, den Baron v. Rohr mit seiner Familie über die Grenze eskortieren lassen zu müssen."

„Der Baron argwöhnte

„Er

äußerte sich, als

versetzte Toll. Groll Ihrerseits, der

das Gegenteil,"

sei es persönlicher

Sie veranlasse, einen beschimpfenden Verdacht auf ihn zu werfen." „Er deutete mir Aehnliches an," sagte Brenkenhof, „und überzeugt mich von seiner Unschuld. Er glaubt, ich wolle das mich dafür rächen, daß ich mich vergebens bemüht habe, seiner Tochter näher zu treten."

Das Antlitz Tolls erglühte.

„Ein herrliches Mädchen!" rief er, und

es schien,

als

-s

befriedige es ihn sehr, daß Brenkenhof gestand, mühungen seien vergebliche gewesen.

„Er hat jenige,

welche

zwei Töchter,"

wir

heute

lächelte

sahen,

seine Be¬

der Rittmeister,

habe

ich

erst

„die¬

neuerdings

gelernt. Aber fie schein! mir noch leidenschaftlicher als ihre Schwester vom Hasse gegen die Feinde ihres Vater¬ landes erfüllt zu sein. Der alle Baron haßt alles Preußische so recht von Herzen." Toll schaute darein, als kümmere ihn dieser Haß sehr wenig. Der Trupp hatte inzwischen das Thal erreicht. Da sprengte ein Husar heran. Er kam von einer der ausgeschickten Patrouillen und meldete, daß man in der Mühle Tücher ge¬ funden habe, die mit Blut frisch befleckt seien. Auch hätte man Blutspuren an den Dielen gesehen. Der Müller be¬ haupte zwar, er habe sich am Morgen verletzt, aber er könne keine Wunde aufzeigen. Die ganze Mühle sei durch¬ aber sucht, kein Verwundeter gefunden worden. Die Offiziere sprengten vor und hatten bald die Mühle erreicht. Der Müller war bereits von den Husaren mit Stricken gebunden worden. Er schaute trotzig darein, er wollte kennen

nicht

gestehen,

daß

er

einen Flüchtigen aufgenommen,

und weniger, wo er ihn verborgen habe. Brenkenhof ent¬ deckte, daß das Gespann des Müllers fehlte. Der Müller wollte nicht misten, wohin sein Sohn mit demselben gefahren sei. Es schien zweifellos, daß man den Spion auf diese Weise in Sicherheit gebracht hatte. Patrouillen durchstreiften noch

Spur des Gefährtes zu suchen. Als dasselbe aber in einem entfernten Dorfe gefunden wurde, war es leer. Der Müllerssohn war geflüchtet und der Spion spurlos ver¬ die Gegend, die

So mußte man die Verfolgung aufgeben und als einziges Resultat nur die Gewißheit, daß, selbst wenn der Mann noch gesunden werde, er jedenfalls längst schwunden.

hatte

Gelegenheit gehabt, fich seiner Depeschen, um die es hauptsächlich handelte, zu entledigen.

sich doch

Wer das Leben Friedrichs II. in Dresden beobachtete, hätte nicht geglaubt, daß ihn die Intriguen, welche der Hof der Königin heimlich anzettelte, sehr beunruhigten, überhaupt nur beschäftigten. „Friedrich lebte," schreibt Preuß, „wie in der friedlichen Heimat; er schrieb Briefe, blies die Flöte, gab Assembisen, ergötzte sich in der Oper, in der Bildergalerie, in Hasses Konzerten, er besuchte in Gegenwart des Dresdener Hofes die katholische Kirche, um die Hastesche Kirchenmusik aus das Cäcilienfest zu genießen, und hörte am 23. Sonntage nach Trinitatis in der Kreuzkirche über das gewöhnliche Evangelium vom Zinsgroschen den Superintendenten am Ende predigen, welcher den Denkspruch des schwarzen Adlerordens: „Suum cuique — Einem jeden das Seine" zum Gegen¬ stände seines Vortrages genommen." Die sächsischen Kunstschätze wurden so wenig angetastet, daß Friedrich nur mit Erlaubnis des Dresdener Hofes die Magdalena vom Ritter Hieronpmo Pompeo de Battoni für Die fich kopieren ließ und den japanischen Palast besuchte. Dresdener Bildergalerie war durch August HI. derart be¬ reichert worden, daß man ihren Wert damals schon auf eine halbe Million Pfund Sterling schätzte. Der Kurfürst hatte von der Familie Este die herrliche modenefische Galerie an¬ gekauft, von der wir Correggios heilige Nacht, Tizians Christus mit dem Zinsgroschen und die heilige Magdalena nennen, er hatte auch aus einem Kloster zu Piazenza die Perle der

482

»■

Galerie, Raphaels unschätzbare Madonna di S. Sisto, er¬ worben. Die Galerie befand sich 1756 in dem ehemaligen Stallgebäude am Neumarkte; sie wurde erst 1759, als die Oesterreicher Dresden eroberten, nach dem Königstein gebracht. Friedrich änderte seine Lebensweise, die er in Berlin führte, auch im Feindeslande nicht. Im Sommer stand er oft um drei Uhr, selten nach vier Uhr auf, jetzt im Winter eine Stunde später; ihm genügten fünf bis sechs Stunden Schlaf. Eine Viertelstunde vor dem Wecken ward Kamin¬ feuer im Schlafzimmer gemacht; er kleidete fich selbst an. Der Kammerlakai brachte ihm dann sofort die abends eingegangenen Briefe; erst wenn er diese gelesen, wusch er sich, setzte den Hut auf, den er nur bei Tisch oder im Gespräch mit Personen von Rang abnahm, und empfing den Bericht des General¬ adjutanten, die Fremdenrapporte u. s. w. Erst nach diesen Arbeiten trank er seinen Kaffee und übte dann auf der Flöte, bis die Kabinettsräte um neun oder zehn Uhr zum Vortrag kamen. Er verzehrte während des Vormittags gern schönes Obst, das immer zur Hand sein mußte. Schlag zwölf Uhr ward die Mittagstafel angerichtet, sechs Schüsseln und Obst wurden aufgetragen. Der König trank fast nur Bergerac oder Moselwein; Champagner wurde nur auf besonderen Be¬ fehl aufgesetzt. Der König aß viel und liebte stark gewürzte und fette Speisen. Die Unterhaltung bei Tische war stets heiter und launig, die geistreichsten und gelehrtesten Personen waren Gäste des Monarchen, der alle durch seine Liebenswürdig¬ keit entzückte. Nach Tische arbeitete der König, ritt oder fuhr aus, um Bauten u. s. w. zu besichtigen, dann übte er fich wieder auf der Flöte, um bei dem um sechs Uhr beginnenden Konzerte mitzuspielen; er verteilte die Noten und hörte es gern, wenn Quanz seinem Spiele ein Bravo zurief. So wie das Schloß in Berlin unbewacht blieb, so war Friedrich auch hier im Feindeslande sehr sorglos. War er im Felde, so setzte er oft selbst die Vedetten aus, nachdem er das Lager besichtigt, aber das war Sorge für die Truppen, nicht für seine Person; passierte das Geringste bei den Vor¬ posten, so mußte man ihn wecken, und er eilte hinaus. Während der Nacht waren stets zwei Pferde für ihn gesattelt.

Der König verlegte im März des Jahres 1757 sein Hauptquartier von Dresden nach Lockwitz. Der getreue Kammerdiener des Königs, Fredersdorf, erkrankte, und Glasau trat an seine Stelle. Er hatte den König zu bedienen, seine Schatulle zu verwalten und im Vorzimmer des Monarchen zu schlafen.

Es waren seit dem Tage, an welchem Fricci der Ver¬ folgung Brenkenhofs entgangen, einige Monate verflossen. Auf dem Gute des Barons v. Rohr war die Ruhe inzwischen nicht wieder durch das Erscheinen preußischer Truppen gestört worden, der Baron hatte aber auch die gemeffensten Befehle an die Gutsangehörigen erlassen, keine Kundschafter oder über¬ haupt ftemde Personen aufzunehmen oder ihnen Vorschub zu leisten. Es hatte auf ihn einen gewaltigen Eindruck gemacht, er ohne seine Verschuldung fast in die Lage gekommen war, wegen Verdachts der Beteiligung an Spionage wie ein

daß

Verbrecher des Landes verwiesen und über die Grenze gebracht zu werden. Da Aurora es aber war, die ihm vorstellte, daß die Preußen in ihrem Rechte gewesen, und daß dieselben da¬ durch, daß fie seinem Worte vertraut, ihm persönliche Achtung erwiesen hätten, milderte fich sein

Groll.

Es ging überhaupt

auch für Anna das Leben Vaterhause erträglich machte. Die Illusionen von der im Allmacht des kaiserlichen Hauses, von der Züchtigung, welche dem rebellischen Brandenburger zu teil werden sollte, schwanden, als während des Winters nichts geschah, Friedrich in dem

mit ihm eine Verändemng vor. die

ungestörten Besitze von Sachsen zu bedrohen, als Rohr einer¬ seits die Disziplin, die vortreffliche Schulung der preußischen

Truppen anerkennen, andererseits aber auch hören mußte, wie alle Bitten und Beschwörungen der Königin von Polen die ver¬ bündeten Mächte nicht veranlaßten, ihre Rüstungen zu be¬ schleunigen und einen gemeinsamen Angriff einzuleiten. Es kamen dagegen häufig Gutsnachbarn des Barons, die in Dresden gewesen waren und immer offener über das Ver¬ trauen sprachen, das die preußische Armee auf ihren König Rohr, welchen es früher zur Leidenschaft gereizt hatte, setzte. wenn man dem Genie Friedrichs Anerkennung zollte, mußte sich daran gewöhnen, daß man die Verwaltung Friedrichs selbst in Sachsen der des Grafen Brühl vorzog und seine Gerechtigkeit lobte. Er verschloß den alten Groll in der Brust, und es schien fast, als halte er ihn nur fest, um nicht wetter¬ wendisch zu erscheinen.

Da ließ

sich

eines Tages ein Fremder bei ihm melden,

der, auf der Durchreise von Leipzig nach Dresden begriffen, nur ihm persönlich seinen Namen nennen wollte. Rohr befahl, Das Gefährt desselben den Fremden eintreten zu lassen. hielt auf dem Hofe. Der Baron stand zufällig in der Nähe Der des Fensters; ihm fiel die Bauart des Wagens auf. hintere Teil desselben war ungewöhnlich lang, hatte aber dem Anschein nach kein doppeltes Verdeck, wie das bei Reisewagen zur Unterbringung des Gepäckes im Inneren üblich war, denn die Koffer waren hinten angeschnallt. Der Fremde, dessen Eintreten die Beobachtungen des Das Antlitz Barons unterbrach, war ein junger Mann. schien dem Baron bekannt zu sein, aber er wußte sich nicht gleich zu erinnern, wo er dasselbe schon gesehen hatte. „Verzeihen Sie, Herr Baron," begann der Fremde, der trotz seiner Jugend in einer Weise auftrat, als spreche er zu seinesgleichen, „die Gewißheit, daß Sie ein treuergebener Unterthan Ihrer Majestät find, veranlaßt mich, Ihre Hilfe anzusprechen. Ich erfahre soeben, daß der Weg nach Dresden plötzlich unsicherer als je geworden ist, daß man Reisende schärfer visitiert

—"

„Vor allen Dingen."

unterbrach

Rohr den Fremden,

„sagen Sie mir, wer Sie sind!" Der junge Mann verbeugte sich. „Pardon," sagte er, „aber ich glaubte die Ehre zu haben, von Ihnen gekannt zu

Ich bin der Kammerjunker Ihrer Majestät, Robert

sein.

v. Berlet."

„Dann haben Sie jedenfalls Pässe,"

versetzte

Rohr, dem

anmaßende, selbstgefällige Wesen des jungen Mannes wenig zusagte, und dem es durchaus nicht erwünscht war, gerade dem Bruder des Mannes, welchem Graf Brühl früher Anna zugedacht, Gastfreundschaft zu bieten, da Aurora wenig das

„Andernfalls wäre ich günstig über ihn gesprochen hatte. nicht in der Lage. Sie aufnehmen zu können." Robert schaute befremdet auf. Der kühle Ton kam ihm ebenso

unerwartet, wie ungelegen.

habe nicht nur einfache, sondern doppelte Pässe," erwiderte er, „in dieser Beziehung bin ich ganz sicher. Aber

„Ich

Briefschaften für Ihre Majestät, welche ich vor einer scharfen Visitation bergen muß, und dazu find einige Vorbereitungen nötig. Ich hoffe, Sie verwechseln mich nicht mit meinem Bruder, der sich leider zu wenig patriotisch gezeigt hat, als daß er volles Vertrauen verdiente. Ihr Fräulein Tochter Aurora wird gewiß für mich Bürgschaft leisten." „Herr v. Berlet," entgegnete Rohr mit düsterem Ernste, ich habe

„ich bin ein getreuer Unterthan Ihrer Majestät, aber ich will mit heimlichen Intriguen nichts zu schaffen haben. Ich glaube nicht, daß meine Tochter Lust hat, sich für irgend jemanden zu verbürgen, noch dazu für den Angestellten eines Hofes, an welchem die Ehre des Namens Rohr nicht Bürgschaft genug dafür war, daß kein Glied meiner Familie eines Verrates fähig sei. Ich bedarf aber keiner Bürgschaft, ich übe auch am Feinde keinen Verrat." Robert biß sich auf die Lippen. Einen solchen Bescheid hatte er nicht erwartet, und er mußte es jetzt bereuen, daß er in dem Wahne, man werde sich beeilen, ihm jede Hilfe zu bieten, die Wahrheit verraten hatte. Es kam ihm darauf an, hier in aller Sicherheit die Vorbereitungen für das Weiter¬ schaffen seiner Depeschen nach Dresden zu treffen; er hätte das heimlich thun können, wenn er nur Gastfreundschaft für eine Nacht erhalten, aber er hatte geglaubt, der als Preußen¬ feind bekannte Baron werde ihn um so eher aufnehmen, wenn

für die Sache der Königin alles wage. „Herr Baron," stotterte er, „ich kann mir unmöglich denken, daß Sie mir Hilfe verweigern. Es handelt sich um sehr wichtige Depeschen. Ich würde sonst gewiß nicht persönlich er darlhue, wie er

das Wagnis unternommen haben. Es ist von keinem Verrate die Rede, am wenigsten kann auf Sie eine Verantwortung fallen. Verweigern Sie mir die Aufnahme für eine Nacht, so

sind die wichtigsten Interessen gefährdet; fänden die Preußen

die Depeschen, so ist die Person der Königin bedroht."

Die Situation wurde für den Baron äußerst peinlich. Es war damals allgemeine Sitte, den Reisenden Gastfreund¬ schaft zu bieten; die Verweigerung derselben einem Kavalier gegenüber wäre eine persönliche Beleidigung gewesen, deren Schimpf auf Rohr zurückfallen mußte. Andererseits aber war es für den Baron Ehrensache, beim Feinde keinen Zweifel daran aufkommen zu lassen, daß er Brenkenhof nicht gezwungen sondern freiwillig erklärt, er wolle auf seinem Gute keinen Verrat dulden. „Herr v. Beriet," erwiderte er, und der Kammerjunker sah es seinem geröteten Antlitz an, wie unangenehm es ihm war, Bedingungen stellen zu müssen, „ich würde es als eine Beleidigung ansehen, wenn Sie die Gastlichkeit meines Hauses oder meine patriotische Gesinnung in Zweifel zögen, aber ich habe mich den Preußen gegenüber gewissermaßen verpflichtet, keine heimlichen Anschläge gegen die Sicherheit derselben zu begünstigen, und ich halte auch dem Feinde mein Wort. Seien Sie mein Gast, aber vertrauen Sie mir nicht Dinge an, die mich nichts angehen!" Robert lächelte befriedigt. Er glaubte den alten Herrn richtig zu verstehen, wenn er annahm, daß derselbe nur den Schein wahren wolle, von seinen Heimlichkeiten nichts zu wissen. Der Mensch beurteilt andere nach sich selber, und ihm war ja nur die äußere Ehre heilig. Aber seine leichtfertige Phantasie nahm einen weiteren Flug. Anstatt sich zu sagen, daß es dem Baron peinlich sei, erbetene Gastfreundschaft ab-

-

Thortürmen versehen, steigt aus dem Stadtgraben in die Höhe, der, ansehnlich breit und tief, vom nahen Flusse reichlich mit Master gespeist wird. Sorglich hat man den Zugang zur Stadt verschloffen und die Brücke zum Thore teilweise zerstört. Heiß ist der Kampf entbrannt. Auf dem Mauerumgange und der Bastion sind die Verteidiger beschäftigt, durch Bogen, Armbrust, Schleudern und Schleudermaschinen Tod und Verderben in die Reihen der Feinde zu senden. Die letzteren haben BelagerungSwerkzeuge verschiedener Art aufgerichtet; eS ist ihnen trotz deS heftigen Pfeil- und SteinregenS gelungen, nicht nur schützende Pfahlwände zu errichten, sondern auch an die Ausfüllung des GrabenS zu gehen. Hierbei leistet ihnen die im Vordergründe des Bildes sichtbare Katze vortreffliche Dienste. ES ist dies ein langer, viereckiger Holzbau, der vermöge seiner starken Seitenwände und seines dichten, weit vorstoßenden Bretterdaches die darunter arbeitenden Um zu verhindern, daß die in Maste herüber¬ Krieger völlig sichert. fliegenden Brandpseile daS Holz entzünden, hat man die Katze über und über mit nasten Häuten behängt. Sie steht auf dicken Rädern und kann durch eine Erdwinde vor- und rückwärts bewegt werden. Unter ihrem Schutze werfen die Krieger alles, was nur als Füllmaterial benutzt werden kann, in den Graben. Da sieht man Erde, Stroh, Holzbündel, Baumzweige, auSgeristene Gebüsche, Gebäudereste, ja sogar manchmal Schlacht-

->6 vieh und Leichen eine Brücke bilden, die man dann zur leichteren Vor¬ wärtsbewegung ebnet und mit Brettern belegt. Nun ist die Möglichkeit geboten, an die Mauer selbst heranzukommen und einen Mauerbrecher, „Widder" genannt, vorzuschieben, um die Mauer zu zerstören. Kräftig zieht die Bedienungsmannschaft den an Stricken oder Ketten wagrecht hängenden schweren Balken etwas zurück, damit er dann — nach Art des Widders — mit seiner Eisenstirn um so wuchtiger gegen die Mauer vorstoße und da§ Mauerwerk lockere. DaS Gestell, in welchem der Widder arbeitet, ist aus starken und dicken Planken in doppelten Lagen auf§ beste gezimmert. Festigkeit ist besonders dem Dache nötig, damit e§ nicht von dem mannigfachen Gewerfe zerschmettert werde. Denn die Be¬ lagerten machen die größten Anstrengungen, das unter dem Dache ver¬ borgene, gefährliche Werkzeug unschädlich zu machen und die Krieger an ihrer Thätigkeit zu hindern. Zu diesem Behufe schleudern sie nicht nur schwere Steine, die auf der Mauer bereit gelegt sind und deren Vorrat von den Frauen immer wieder ergänzt wird, von der Mauer auS auf den Widder, sondern sie werfen und gießen auch geschmolzenes Blei, Pech und Schwefel, heißes Wasser, siedendes Oel auf den Angreifer hinab. Der Belagerungsturm steht zum Vorrücken bereit. Er ist auch aus Balken und Brettern zusammengefügt und muß mindestens ebenso hoch sein, wie die Mauer, woraus sich der von den Schriftstellern der da¬ maligen Zeit für ihn meist gebrauchte Ausdruck „Ebenhöhe" („ebenhoe“) erklärt. Gleich dem Widder und der Katze ist auch die Bretterverkleidung der Ebenhöhe mit dicht aneinanderliegenden, nassen Häuten bedeckt; denn mit scharfem Auge erspähen die Belagerten bloßliegende Stellen und wissen durch geschickt geschleuderte Feuerbrände das mühsam erbaute Werk zu verNichten. Weil dadurch die Festigkeit des Baues vermehrt wird, errichtet man den Turm in mehreren Stockwerken, meist, wie auch unser Bild zeigt, in drei, die durch eine dahinter stehende Leiter oder durch Treppen im Innern mit einander in Verbindung stehen. Die Fallbrücke, deren Kon¬ struktion aus der Abbildung deutlich ersichtlich ist, befindet sich hier an der Vorderseite des obersten Stockwerkes. War sie am mittelsten Stockwerke angebracht, so konnten Krieger, die sich auf dem obersten ausstellten, von diesem erhöhten Standpunkte auS die Mauer mit ihren Geschossen bestreichen, schon bevor der Turm auf Rädern oder Walzen an die Mauer herangerückt wurde. Ganz anders ist das Bild, das uns auf S. 497 vorgeführt ist. In¬ zwischen ist daS Schießpulver erfunden worden, und die alten Belagerungs¬ maschinen sind ganz außer Gebrauch gekommen. An ihrer Statt speien die Fleuerschlünde schon auS der Ferne Tod und Verderben. Die gut be¬ festigte Stadt ist denn auch bereits dem mächtigen Anprall der Feinde er¬ legen. Nur die Burg trotzt noch den Belagerern, die aber unablässig be¬ müht sind, in die Mauern derselben Bresche durch die Kugeln der Feld¬ schlangen zu schlagen. Schon steht ein Trupp der Krieger zum Sturm bereit, und der Augenblick dürste nicht ferne sein, da auch die Feste trotz heldenmütigsten Widerstandes in die Hände der Belagerer fällt. — Der Freundlichkeit der Herren Verleger der unter den Illustrationen genannten Werke verdanken wir die Möglichkeit der Wiedergabe dieser Bilder. Hauffs Werke find zu bekannt, als daß wir sie noch empfehlen dürften. Die vorliegende, von der „Deutschen Verlagsanstalt in Stuttgart" besorgte Ausgabe (Preis der Prachtausgabe, zwei Bände, 28. Mk.) verdient aber um der prachtvollen Ausstattung und der vorzüglichen Illustrationen willen unsere ganz besondere Anerkennung, ja Bewunderung. Dar erste Bild ist der zweiten Serie der im Verlage von F. L. WachSmuth-Leipzig erschienenen Kulturgeschichtlichen Bilder von Ad. Lehmann entnommen. Diese Bilder sind nach Aquarellen hervorragender Künstler in Farbendruck aus¬ geführt und haben eine Größe von 88/66 cm. Die Illustration auf S. 497 ist natürlich nur eine verkleinerte Wiedergabe des OriginalbildcS und deutet in Schwäche an, was auf diesem geboten wird. Die Originalbilder kosten per Slück 2,66 Mk., ausgez. 2,80 Mk. Zu in der Serie (je 4 Bilder) ist ein ausgezeichneter Kommentar von Th. Heimann und A. Uebel (Preis je 80 Pf.) geschrieben worden, unter dem Titel: „AuS vergangenen Tagen." Der zu dem Bilde mitgeteilte Text ist der Hauptsache nach diesem Kommentar entnommen.

Die Berliner DforborLttnen, die sich erst in den zwanziger Jahren unsere? Jahrhunderts einbürgerten, fanden vor sechzig Jahren auf dem Tempelhofer Felde statt. Ein Zeitgenosse, der diesen Rennen oft beiwohnte, erzählt darüber: „Bei uns, die wir bei jeder Neuerung den Nutzen verlangen, bürgerten sich die Pferderennen unter der Firma: „Verbesserung der Pferdezucht" ein, und der Aufschwung der preußischen Pferdezucht nach dem Kriege brachte jene Einrichtung bald zu einigem Kredit. ES lasten sich aber viele und gewichtige Stimmen vernehmen, daß jene Rennen doch eigentlich nichts für die Verbesserung unserer Pferde¬ rassen thun und nur das Hazardspiel begünstigen. Die Anwesenheit des gesamten Hofes und der gleichzeitig stattfindende, damals für Berlin hoch¬ bedeutsame Wollmarkt gestalteten die Rennen, welche nur im Juni statt¬ fanden, zu wahren Volksfesten, besonders seitdem damit eine Tierschau und landwirtschaftliche Ausstellungen verbunden wurden. Die ausgesetzten Preise bestanden damals nicht nur in Geld (50 bis 200 Friedrichsd'or), sondern auch in kostbaren Pferden, in Degen, Hirschfängern u. dergl."

x. b.

Kaiser Friedrich als Kedensretter.

Sommer des Jahres 1868.

In

Es war im

der Potsdamer Militär-Schwimmanstalt herrschte ein regeS Treiben, wollte doch ein jeder schwimmkundige MarSsohn vor dem sich ungeniert mitten unter den Soldaten bewegenden Kron¬

Verlag und Redaktion:

504

S-——

prinzen mit seinen Leistungen brillieren. Der hohe Herr, der bekanntlich Meister in dieser Kunst war, hatte sich in Reitsitz auf einen schwimmenden Balken niedergesetzt und die ihn begleitenden Kadetten aufgefordert, ihn aus seiner Position herauszuwerfen. Vergeblich mühten sich die Zöglinge ab, dieses Kunststück fertig zu bringen, da ertönte plötzlich der Ruf: „Mann über Bord!" der von einem schallenden Gelächter begleitet wurde. — Ein sogenannter Rüpel-Tertianer hatte einen kleinen Sextaner drevi manu sinS Wasser geworfen, und da der Knirps mit einer roten Badehose, dem Ab¬ zeichen der Freischwimmer, bekleidet war, so amüsierten sich dessen Kameraden über den so unverhofft in dar naste Element geworfenen kleinen Maul¬ helden, der noch kurz zuvor, aus dem Trockenen hockend, sich seiner Taucher¬ kunst gerühmt halte, aber zu dem angekündigten „Hechtsprung" absolut nicht zu bewegen war. Zappelnd brüllte er nun aus Leibeskräften um Hilfe, bis er endlich erlahmte und vor den Augen aller untersank. Zwei Schwimmlehrer, Unteroffiziere vom 1. Garde-Regiment zu Fuß, sprangen sofort in die Flut, sic ließen sich nicht einmal Zeit, sich ihrer Drillichröcke zu entledigen, dergleichen auch noch einige der in Adamskostümen befind¬ lichen beherzten Kadetten, aber schneller als diese Retter war Se. Königliche Hoheit der Kronprinz zur Stelle. Mit einigen kräftigen Stößen fuhr er pfeilschnell in die Tiefe und brachte den bereits zum zweitenmale Unter¬ gegangenen an das Licht der Welt, dann warf sich der Prinz im Nu auf den Rücken, legte den Kopf der völlig Bewußtlosen auf seinen Leib und schwamm mit ihm der nächsten Leiter zu, wo man ihm den Geretteten unter lautem Jubel sogleich abnahm und nach der OsfizierSzelle trug. Die angestellten Wiederbelebungsversuche brachten den „Stift" schnell aus die Beine, und ein Cognac, den ihm der Thronfolger verabreichen ließ, mundete ihm ganz vortrefflich. AIS nun der Kronprinz erfuhr, daß der „Dreikäse¬ hoch", um der Angel zu entschlüpfen, sich in der Freischwimmerhose „dicke" gethan hatte, lachte er hell auf und sagte zu dem beschämten Drückeberger: 31. M. „Ja, ja, mein Sohn, daS kommt von daS!"

i

Mchertisch. ©pcrnbaU und andere Novellen.

Von Mea Reich ard. Berlin 1893. Verlag von Paul Moedebeck. Preis 3 Mk. Es ist gut, daß ich die Züge der schönen Verfasserin nur im Bilde vor mir habe, daS dem Buche vorangeschickt ist. So kann ich wenigstens die Galanterie hinter der Maske der Kritikers verstecken und brauche nicht zu fürchten, dem Mündchen, daS sicher angenehm und geistreich plaudern kann, direkt zu widersprechen. Geistreich ist Mea Reichard, daS sagen die aber in einer Art, die bei einer Dame, wenn sie auch tiu äs siede ist, nicht gefallen will. Schlüpfrige Geschichten werden heute leider zuviel geschrieben, als daß man darüber noch ein Wort verlieren sollte; aber schlüpfrige Geschichten, die den Ton verraten, welchen man im Kreise verrauchter Lebemänner zu hören gewöhnt ist, unter der Flagge der Litteratur segeln zu sehen, ohne daß sie auch nur etwas mehr als flüchtige AugenblickSbilder sind, stößt ab. Gewiß werden die „Novellen" auch Bewunderer finden; eine Wiener Theaterzeitung ist vielleicht entzückt darüber; wer aber in einem Dichtwerk etwas mehr sucht, als Austern für sein Denken, der —Iß— wird sie nur bedauern können.

Novellen,

Das Sstonbein.

Ein absonderlich-mysteriöser Kriminalfall. Von Aus dem Russischen übersetzt von Wilh. Henckel. München. Verlag von Dr. E. Albert u. Co. Preis 1 Mk. Es ist dies eine derbe Satire gegen die absonderlichen und zuweilen burlesken Vorkommnisse im russischen Schwurgericht, die ihre Streiflichter auf recht bedenkliche Sitten und Zustände gewisser russischer Kreise wirft. Man darf jedoch nicht vergessen, daß der Verfasser ein starker Vergrößerungs¬ glas benutzte, was übrigens jeder aufmerksame Leser leicht bemerken wird. Aber selbst dann, wenn man daS hier Geschilderte stark reduziert, bleibt noch genug übrig, was das sittliche Niveau der betreffenden GesellschaftS—y klaffen als sehr niedrig erscheinen läßt. Dem Glücke nach. Berliner Roman von Paul OSkar Höcker. Berlin. Verlag von Richard Eckstein Nachf. Preis 3 Mk. V.

Burenin.

Ich hätte den bekannten Verfasser lieber aus einem anderen Gebiete thätig gesehen, «IS auf dem des Berliner Romans, der für einen so produktiven Schriftsteller, wie es Höcker ist, nicht ganz ohne Gefahren ist. Zwar besitzt der Autor Zurückhaltung genug, wo es sich um die Schilderung der großstädtischen Lebens oder bester Sumpfes handelt, um sein Buch auch ängstlichen Gemütern empfehlen zu können, doch in der Sucht nach Solche originellen Großstadttypen ist er diesmal zu weit gegangen. Charaktere wie Doktor Rischgode oder Grete Weygold sind nicht nur recht unwahrscheinlich, sondern sie bedürfen auch, um ihre Existenz glaubhaft zu machen, etwas weniger gewaltsamer Charakteristik. Gewaltsam ist aber hier alles: die Handlung, die Entwickelung, die Lösung. Rur im Schildern Berliner Lebens zeigt sich Höcker als der alte; hier haben wir wirklich Bilder aus dem zeitgenössischen Treiben der Großstadt vor unS.

Inhalt:

Verrat und Treue.

Zeit des 7 jährigen Krieges.

Historischer Roman auS der von Dedenroth (Fortsetzung). Humoreske von Carlot Neuling.

Von E. H.

Eine interessante Bekanntschaft. Des Bardenstammes Siedelung in Schwabens Auen, Die deutschen der Zollern Geschlecht aus bardischer Art. Reichskleinodien. Von A. B—tz. — Kleine Mitteilungen: Zu (Schluß).

Die Berliner Pferderennen. retter. — Büchertisch. — Anzeigen. unseren Bildern.

Kaiser Friedrich als Lebens¬

Schönhauser Allee 141. — Druck: Buchdruckerei Gutenberg, Berlin N., Schönhauser Allee 141a Abdruck ohne eingeholte Erlaubnis ist untersagt.

Fr. Zillessen, Berlin N.,

Unter Mitwirkung von

R. görtttßttietr, Dr. K. Krrrrdictrc, ©tjextircur Fontano , Stadtrat G. Friovet, Ford. Mörser, Gymnasialdirektor vi>. M. Krtswartz und Grrrst V. Mikdorrdruets,

Dr.

herausgegeben von

Friedrich Lilleffcn XIX. Zahraang.

Der

M 43.

„Bär"

und

Richard George.

erscheint wöchentlich am Sonnabend und ist durch jede Postanstalt (No. 709 ), Buchhandlung und Zeitungssxedition für 2 Ulk. pfg. vierteljährlich zu beziehen.

22. Juli

50

1883.

Nevvai un8 Treue. Historischer Roman aus der Zeit der 7 jährigen Krieger von

E. H. von Dodorrrotlz.

(29. Fortsetzung.)

23.

Kapitel.

obert v. Beriet hatte bei der einsamen nächtlichen Fahrt, nachdem er das Gut Rohrs verlassen, Muße genug, über seine Erlebnisse und über sich selber nachzudenken. Er hatte nicht geglaubt, eine so schlechte Aufnahme zu finden. Alle seine Dispositionen waren dadurch über den Haufen f

geworfen worden. Sein Plan war ein ganz anderer gewesen; freiwillig hätte er sich nicht persönlich der Gefahr ausgesetzt, beim Ueberbringen geheimer Depeschen ertappt werden zu können.

Robert brachte aus Warschau nicht nur Briefe für die Königin, sondern auch Instruktionen Brühls für dessen Ver¬ traute in Dresden, Mitteilungen über die Dispositionen der gegen Preußen verbündeten Mächte für die demnächst beginnende Campagne, vertrauliche Korrespondenzen für den General von Spörken, welche die Anzeige desselben betrafen, daß der Kanzlist Mentzel des Verrats verdächtig sei, und Anspielungen ent¬ hielten, was zunächst zu thun sei, wenn dem Könige von Preußen ein „plötzliches Unglück" zustoßen sollte. Robert hatte mit Fricci eine Zusammenkunft in der Nähe des RohrEr gedachte, den Italiener dann schen Gutes verabredet. von dort mit den Depeschen heimlich nach Dresden zu ent¬ senden, wollte selbst aber auf dem Gute verweilen und um die Hand der schönen Aurora, für die ihn eine immer heftiger werdende Leidenschaft erfaßt hatte, werben. Der Empfang von Seiten Rohrs machte diesen Plan unmöglich, der überdem nicht den Beifall Fricci's gefunden hatte, denn der Italiener machte schon, ehe man das Gut erreichte, Vorstellungen dagegen, daß Robert ihn nach Dresden schicken wolle. Er deutete geheimnisvoll an, daß ihn ein anderer Plan beschäftige, der seine Gegenwart in der Nähe von Lockwitz erheische.

Robert konnte erraten, was Fricci's Gedanken in Anspruch nahm, aber er hatte sich nicht der Gefahr aussetzen mögen, auch nur verdächtig der Beteiligung an einem Verbrechen zu sein. Er warnte Fricci, etwas zu beginnen, was, wenn es fehlschlage, sie beide ins Verderben bringen könnte, aber diese Bedenken schwanden, als er sich in der Lage sah, auf ein

Verweilen beim Baron v. Rohr verzichten zu müssen. Er entschloß sich, seine Depeschen selber nach Dresden zu bringen und Fricci die Ausführung seines Vorhabens zu überlassen. Schlug der Plan Fricci's fehl, ward er ergriffen, so konnte Robert, wenn er in Dresden war, jede Mitschuld und Mitwissenschaft ableugnen — dieser Gedanke hatte ihn be¬ wogen, sich von Fricci zu trennen, aber jetzt auf der einsamen

Fahrt beschlichen ihn doch Bedenken, ob er nicht besser gethan, dem Italiener sein Vorhaben zu verbieten. Die Furcht rief das Gewissen wach, und wie erbittert auch Robert über die Behandlung war, die er von Aurora erfahren hatte, so überkani ihn jetzt doch das Gefühl, daß er ihrer Liebe nicht wert sei. Es beschlich ihn die Erinnerung an Toni, die er zum Verrat gemißbraucht und dann verlaffen hatte, es war ihm, als vergelte ihm jetzt Aurora, was er an jener verbrochen hatte.

Es war ein heller Wintertag, als er Blasewitz erreichte' waren müde, er selbst war durchfroren und erschöpft Pferde Die durchwachten Nacht und den Anstrengungen der Reise. von der

Er

beschloß, eine kurze Rast zu machen, ehe er die letzte Strecke

des Weges zurücklegte,

welche

für ihn die gefährlichste war,

denn er bedurfte aller seiner Geistesgegenwart, um Revision an den Thoren von Dresden etwaigen durch nlhige Haltung zurückzuweisen. der Nähe von Blasewitz befand sich eine der Gräfin Hennicke, welche ihr Gemahl, der ehemalige

In

bei einer

Argwohn Besitzung

Minister,

-*3

506

von dem Grasen Brühl zum Geschenk erhalten hatte. Robert beschloß hier zu rasten. Der Verwalter war ihm bekannt und mußte cs sich zur Ehre schätzen, wenn ein Neffe des Grafen Brühl bei ihm vorsprach. Der Mann enpfing ihn denn auch mit Ehrerbietung, führre ihn in ein gut geheiztes Zimmer, während man seine Pferde in den Stall brachte, aber es schien Robert, als sei die Höflichkeit des Verwalters erzwungen, als verberge derselbe, daß der Besuch ihn ungelegen komme. Robert dachte nicht anders, als daß der Verwalter aus Furcht vor den Preußen einen Verwandten des Grafen Brühl und Kavalier der Königin nicht gern bei sich absteigen sehe,

nahm keine weitere Notiz von der Stimmung seines Wirres. Man brachte ihm ja Erfrischungen und bereitete ihm eine Ruhestätte; es konnte ihm gleichgiltig sein, ob das gern geschah oder nicht. Er legte sich zu Bett, um einige Stunden der Ruhe zu genießen. und

Die Frau des Verwalters kehrte, nachdem sie die Er¬ frischungen für den Gast in der Küche bereitet hatte, in ihre Wohnstube zurück. Dort saß ein bleiches Mädchen, welches, als der Wagen Roberts in den Hof gefahren, vom Fenster aus den Reisenden gesehen und einen Schrei der Ueberraschung ausgestoßen hatte, der mehr den Charakter des Schreckens; als den der Freude getragen. Das junge Mädchen, dessen krankhafte Bläffe seltsam von den dunklen brennenden Augen abstach, war Toni v. Miltiz. AIs sich bei Hofe der Verdacht immer mehr auf Mentzel richtete und der General v. Spörken den Argwohn äußerte, Robert v. Berlet habe der Nichte des Kanzlisten, der Tochter des mißvergnügten Obersten v. Miltiz,

ein sehr unvorsichtiges Vertrauen geschenkt, hatte Erich v. Berlet sogleich vermutet, daß Robert hier wieder ein Verhältnis an¬ geknüpft und dessen Opfer unglücklich gemacht habe. Erich

hatte warme Sympathien für den Obersten v. Miltiz gehegt, der es gewagt, gegen die Willkür Brühl's aufzutreten und war es ihm sehr verdächtig erschienen, daß Robert der Freund des Hauses geworden war. Er suchte daher Toni unter irgend einem Vorwände auf, als sein Bruder Dresden verlassen hatte, und fand seine Ahnungen nur zu sehr bestätigt: das arme Mädchen war der Verzweiflung nahe. Ihr Vater ruhte

in

Ihre

Verwandte, die Frau des Kanzlisten Mentzel, war dem Elend preisgegeben; dieselbe wußte nicht, ob ihr Gatte, der dem König nach Warschau gefolgt war, schon verhaftet oder entflohen sei, und sie klagte Toni an, daß diese ihren Gatten verraten habe. Robert hatte sich nicht wieder bei Toni blicken laffen; sie sah, wie schnöde er sie be¬ trogen und mit ihr gespielt hatte, ihr Herz fand nirgend Trost oder Rat, denn auch Brenkenhof hatte inzwischen Dresden ver¬ lassen — es stand ihr niemand zur Seite. Da veranlaßte der Erde.

nächste

Erich die Gräfin Hennicke,

sich

der Verlassenen

anzunehmen

und Toni auf dem erwähnten Gute ein Asyl zu bieten.

Die Frau des Verwalters gewann sich bald das Vertrauen der Verlassenen. Toni öffnete der Frau ihr Herz, als sie sah, daß dieselbe fähig sei, dasselbe zu verstehen und mit ihr Die Trostworte der freundlichen Frau bekämpften Toni's, daß ihr Verrat ihren Vater in die Grube gebracht habe. Es war für das unglückliche Mädchen eine Art Genugthuung, daß der Bruder Roberts sich ihrer angenommen hatte; derselbe stand auch im Dienste des Hofes, sein Ruf war untadelhaft, und er verdammte sie nicht. Man betrachtete es in: Hause des Verwalters, der zwar ein zu fühlen.

den bitteren Gedanken

Bediensteter eines Günstlings des Grafen Brühl war, trotzdem aber in dem Regimente des Letzteren stets das Verderben des Landes gesehen hatte, als ein Unglück, daß die Königin von

Polen noch in Dresden verweilte und Ränke gegen Friedrich Man legte es ihr zur Last, daß Sachsen infolge dessen härter unter dem Druck des Krieges litt, als das bei einer anderen Haltung des Hofes der Fall gewesen wäre. So blieb denn nur ein Gefühl, das am Herzen Toni's nagte, lebendig, ein Gefühl, dessen rätselhaften Ursprung allein die wunderbare Laune des Frauenherzes erklärt. Es war nicht Liebe, es war nicht Haß allein, was Toni für Robert fühlte, beide Leidenschaften durchtobten ihre Brust in wildem Kampfe. Der Mann, den ihr Stolz verachtete, dem sie bitter grollte, den sie flammend haßte, der hatte jenen Reiz in ihr erweckt, welchem bei leidenschaftlichen Naturen eine unstillbare Sehn¬ sucht entspringt. Was halfen in solchem Falle alle Gründe der Vernunft, was half es Toni, daß sie ihren Haß schürte, sie mußte sich doch den Vorwurf machen, daß sie Robert be¬ trogen utid mit ihm gespielt habe. Der Gedanke, daß er sie verachten dürfe, empörte ihr Blut, und beschämt ertappte sie ihr Herz bei dem Verlangen, ihn wieder zu ihren Füßen 511 sehen und von ihm zu hören, daß er sie liebe. schmiedete.

Dieser Kampf in ihrer Brust verzehrte ihre Kräfte.

Sic

sagte sich tausendmal, sie könne sich nur verächtlich von ihm abwenden, wenn er ihr wieder nahe, und doch sehnte sic sich nach diesem Wiedersehen;

sie

konnte es nicht ertragen,

von

ihm vergessen zu sein. Jetzt war er in ihrer Nähe, aber er ahnte es nicht, daß ihr Auge ihn gesehen hatte. Er war nicht gekommen, sie zu suchen; der Zufall, das Schicksal führte ihn in dieses Haus, und sie fühlte, daß ihrem Dasein, dem Weh ihres Herzens eine Krisis nahte. .

Die Frau des Verwalters schaute Toni mit wehmütiger,

besorgter Teilnahme an.

„Der Herr wird nicht lange hier verweilen," sagte sie, „er will sich nur ausruhen. Er will ungestört schlafen und hat sich eingeschlossen. Er wird unser Gut verlassen, ohne zu erfahren, daß

sie

hier im Hause weilen."

muß ihn sprechen,"

versetzte Toni mit gepreßter „Ich Stimme, „das Schicksal will es, denn es führt mir den Mann in den Weg. Es muß klar werden zwischen ihm und mir! Ich werde dann ruhiger sein." Die Verwaltersfrau schüttelte zweifelnd den Kopf.

„Lassen Sie sich warnen," bat sie, „reißen Sie die Wunde nicht wieder auf, die kaum vernarbt ist!"

„Sie

ist nicht vernarbt, sie kann nicht heilen, ehe ich

gesprochen habe, und sie

wird

ihn

auch dann nicht

vernarben. Ich bin es mir schuldig, daß ich mich vor ihm rechtfertige."

„Treten Sie ihm nicht in den Weg! Ich meine es gut mit Ihnen. Der Diener erzählte, sein Herr habe auf dem Gute des Herrn v. Rohr bleiben wollen, aber man hat ihn dort nicht behalten, mögen. Er sagt, er wolle Gott danken, wenn er glücklich in Dresden angekommen sei und Herrn v. Berlet den Dienst aufsagen könne. Die Preußen spaßen nicht, alle Wege sind voll Truppen, und es sei ein Wunder, daß sein Herr überall glücklich durchgekommen; er wage Dinge, die ihm den Hals kosten könnten. Wahrscheinlich treibt er Kundschafterei. Drängen Sie sich nicht in seine Geheimnisse,

-e sondern soffen Sie ihn feiner Wege gehen. sonst alle

Er verstrickt uns

in Gefahren."

Toni ließ schlüsse.

507

sich

nicht warnen, sie beharrte bei ihrem Ent¬

Ihr Herz

dachte den Frieden zu finden, den sie durch

ihn verloren hatte. Sie konnte die Zeit nicht envarten, wo sie ihm in den Weg treten wollte, aber er schlief fünf Stunden lang. Endlich Hörle sie ihn nach seinem Diener schellen — die Stunde war da, die sie lange ersehnt hatte, und jetzt zitterte sie dennoch vor Angst und Erwartung. Der Diener sollte Robert melden, daß eine Dame ihn zu sprechen begehre. Sie hörte es, wie er nach dem Namen fragte; sie öffnete die Thüre und zeigte ihm ihr abgemagertes Antlitz, das jetzt wie in Gluten gebadet schien. „Toni!" schrie er aus, so unerwartet war ihm der An¬ blick, und Schrecken malte sich in seinem Antlitz. Sein erster Gedanke war, ihm drohe Verrat von ihrem Hasse.

Der Zufall wollte es, daß sein Treffenhut aus dem Tische lag, und daß Toni auf diesen Tisch ihre Hand stützte. Er riß den Hut an sich, als fürchte er, sie könne denselben be¬ rühren und ihn wegnehmen. Die seltsame Handlung war so auffällig, daß Toni selbst in ihrer Erregung darauf achtete und stutzig wurde. Sie schaute ihn befremdet und fragend an, als er den Hut in die entgegengesetzte Ecke der Stube trug. Der Blick Tonis machte ihn noch mehr verwirrt. „Wo kommen Sie her?" stotterte er. „Ich wohne hier, Robert," antwortete sie, „ich wollte abreisen lassen, ohne Sie gesprochen zu haben, aber nicht Sie es scheint, ich komme

Ihnen

mein Herz kennen zu lernen. Von Miltitz konnten Sie nicht erwarten, daß sie anders handelte, als ich es gethan habe; es wäre sonst für mich ein Schimpf gewesen, daß Sie mich zum Werk¬ Aber ich habe Sie zeuge der Intriguen Brühls ersehen. betrogen, als ich Sie in dem Glauben ließ, Ihre blinde Helferin zu sein. Ich habe schwer dafür gebüßt, daß ich mich von der Leidenschaft verleiten ließ, Unrecht zu thun und zum Unrecht die Hand zu bieten. Ich wollte Ihnen das sagen, damit wir künftig ohne Groll aneinander denken. Ich will, daß Sie mich nicht mehr verachten, aber mich auch nicht schonen. Sagen Sie denen, welche meinen Onkel Mentzel verfolgen, daß ich ihn verleitet habe, daß ich die Hauptschuldige bin, damit ihr Haß sich gegen mich richten möge!" Robert starrte Toni überrascht an; er war nicht fähig, sich

bemüht hätten,

der Tochter des Obersten v.

Gefühle zu verstehen, welche sie zu dieser Erklärung bewogen, und wähnte, sie suche Versöhnung mit ihm. „Toni," anwortete er, „Sie würden das gewiß nicht sagen, wenn Sie ahnten, daß vielleicht sehr, sehr bald die Rache derer, welche Sie herausfordern, auch in Dresden ihre Opfer ereilen kann, oder schenken Sie mir das Vertrauen, daß ich Sie nicht verrate, selbst wenn Sie mich dazu reizen? Ahnen Sie es, daß Ihr Blick noch heute auf mich denselben die

berückenden Zauber ausübt, wie damals, als ich Sie dessen

unfähig hielt, mich zu täuschen?" Das Auge Toni's sprühte Flammen. „Glauben Sie," rief sie, „daß ich mich herabwürdigte, zu Ihnen zu reden, wie ich es gethan, wenn ich es nicht für meine Pflicht hielte, einem Manne, dem ich einst gestattete, um meine Hand zu werben, darzuthun, daß ich nicht mit den heiligsten Gefühlen des Herzens gespielt, sondern nur seinen Wahn getäuscht habe, mich zu seinem politischen Werkzeuge zu machen? Ich würde Sie nicht achten können, wenn Sie zu mir noch von Liebe sprächen, aber ich will von jemandem, der mich einst liebte, nicht schlechter beurteilt werden, als ich Uns trennt das Geschehene für ewig —" es verdiene. „Nichts kann uns trennen," rief er, sie unterbrechend, „wenn es Ihnen leid thut, daß Sie mich getäuscht haben! Tom, es ist süß, einer Geliebten eine Sünde vergeben zu können!" Robert war es in diesem Augenblicke, als könne er sich nicht besser an Aurora rächen, als wenn er Toni seine Liebe erkläre. Es lag aber auch für ihn ein Reiz darin, dieses Weib, das ihn getäuscht, wieder in sein Netz zu ziehen und ihr zu vergelten, was sie ihm gethan. Er ahnte nicht, wie sich ihr machte, indem er ihr jetzt Gelegenheit gab, ihn völlig zu durchschauen und sich davon zu überzeugen, daß er ihrer stets unwert gewesen. Sie maß ihn mit einem Blicke so tiefer Verachtung und Enttäuschung, daß er endlich seinen Irrtum erkannte, und beschämt errötete.

verächtlich er

„Ich

sehr ungelegen."

„Wie können Sie das glauben?" rief er, und er hatte sich von seiner Bestürzung schon wieder gesammelt. „Ich hätte Sie aufgesucht, wenn ich nicht fürchtete, Ihre Thüre vor mir verschlossen zu finden. Ich hätte Ihnen gesagt, daß mein Herz Ihnen nicht zürnen, Sie nicht vergessen kann, auch wenn Sie mich verrieten." „Ich habe Sic nicht verraten. Ich habe Ihr Vertrauen in der Weise benutzt, wie Sie es vorhersehen konnten, wenn Sie

Br

bedaure es nicht, Sie aufgesucht zu haben," sagte

sie, „denn ich fühle mich jetzt befreit von dem ich

mir gemacht,

v. Berlet und ziehe es

Damit verließ

Vorwurf,

den

auf Ihre Verzeihung, Herr vor, daß Sie mich hassen!"

ich verzichte

sie das Gemach.

Robert knirschte in Wut und Scham. Er war in so leidenschaftlicher Erregung, daß er zu seinem Wagen, der bereits angespannt war, eilte, um so rasch als möglich das Gehöft zu verlassen, und erst, als er schon auf der Landstraße war, bemerkte, daß er seinen Tressenhut vergessen hatte; er hatte sein Haupt mit der Reisemütze bedeckt. Er ließ halten und wollte selbst zurückeilen, um sich seinen Hut zu holen. Da brachte ihm der Verwalter denselben, aber preußische Offiziere, welche in gestrecktem Galopp gerade in diesem Augenblicke an dem Wagen vorüber nach Dresden sprengten, sahen ihn, wie er den Hut mil auffälliger Hast dem Verwalter entriß, mit seinen Händen betastete und mit den Augen musterte, als fürchte er, daß eine Berührung fremder

Hände ihn beschädigt haben könne.

Unter den Offizieren befand sich Brenkenhof. Derselbe erkannte Berlet sofort, parierte sein Roß, nachdem er seinen Genoffen einige Worte zugerufen, und wandte dasselbe dem Gutshofe zu, während der Wagen Roberts seinen Weg fortsetzte.

Brenkenhof befragte den Verwalter, ob der Reisende die Nacht bei ihm zugebracht habe, und wo er hergekommen sei. Es war ihm verdächtig, daß Beriet in so geringer Entfernung von Dresden gerastet, das Betasten des Hntes war ihm auf¬ gefallen; er forderte auch zu wissen, mit wem Berlet auf dem Gute verkehrt habe. Zur Erklärung des besonderen Argwohns, der den Offizier beherrschte, müssen wir erwähnen, daß Brenkenhof mil den ihn

•e

508

begleitenden Offizieren ans dem Hauptquartier des Königs zu mit besonderen Aufträgen nach Dresden geschickt war.

doppelten

Boden

und fand in Heute hatte der

demselben

verräterische

Ein Küchenjunge hatte dem Könige gestanden*), daß er ein Gespräch des Kammerdieners Glasau mit einem Fremden belauscht habe. Der letztere habe dem Kammer¬ diener ein Päckchen mit ©ist gegeben, dasselbe in die Chokolade des Königs zu mischen, und dem Manne verheißen, er werde, wenn die Unthat gelinge, durch den General v. Spörken eine reiche Belohnung von der Königin von Polen erhalten und

Kommandant der Königin seinen Besuch melden lassen. Man war darauf gefaßt, Vorstellungen und Drohungen zu hören, aber die Königin spottete derselben — ihre Person war ja uliantastbar. Da meldete der Kammerjunker v. Schönberg, man habe alle Zugänge zu den Gemächern der Königin plötzlich besetzt und lasse niemanden ein, der Kammerjunker Robert v. Beriet sei von seiner Reise zurückgekehrt, aber man verweigere ihm

deren Schuh genießen.

die

Der Gcneraladjutant v. Schulenburg, welcher bei dem Geständnis des Knaben gegenwärtig war, ordnete sofort die Verhaftung Glasaus und die Verfolgung des Fremden an. Der König ließ, so erzählt man, einen seiner Hunde die für ihn bereitete Chokolade kosten — ob dieselbe wirklich vergiftet war, ist ein Geheimnis geblieben. Die spätere kriegsgericht¬ liche Untersuchung gegen Glasau und dessen Verurieilung stellte jedoch die Verbtndung desselben mit Agenten des Generals

stieg

Lockwitz

heimliches

v. Spörken zu hochverräterischen Zwecken fest. Die Erregung der Offiziere, welche der

König

nach

Dresden entsendet hatte, um Maßregeln gegen den Hos ein¬ treten zu lassen, war ebenso erklärlich, als das leidenschaftliche Auftreten des Rittmeisters, welcher bei der Verfolgung Friccis die Emdeckung machte, daß derselbe aus dem Gute des Heren v. Rohr zu suchen sei, wo er schon einmal bei verräterischen Handlungen der preußischen Justiz entschlüpft war. Der Verwalter nahm keinen Anstand, Brenkenhof zu Toni zu führen. So angenehm es Leopold auch war, Toni wiederzusehen und sie in guter Obhut zu finden, war er doch enltänschl. Sein Argwohn zweifelte kaum daran, daß Beriet von dem Anschlag gegen den König wisse, und er hoffte, hier etwas Wichtiges zu entdecken. Er erfuhr aber weiter nichts, als daß Beriet zuversichtlich von einem baldigen Umschwünge der Dinge gesprochen und in auffälliger Weise seinen Hut im Auge gehabt habe; man bestritt es jedoch, daß er in demselben Papiere versteckt oder auf dem Gute jemanden getroffen habe, der ihm solche hätte bringen können. Brenkenhof beeilte

sich, seine

Kameraden einzuholen, denen

er de» Wink gegeben hatte, daß der

Inhaber

des nach Dresden

fahrenden Wagens eine sehr verdächtige Persönlichkeit sei.

24.

Kapitel.

Die Königin von Polen konnte nicht ruhen, die Rache gegen den König von Preußen zu betreiben. Ihre Ungeduld vernachlässigte aber jede Vorsicht; sie schrieb nach Warschau und nach Wien, an Browne und an Soubise; Kuriere flogen hin und her; Agenten schlichen durch die preußischen Vorposten und über die böhmischen Pässe, um bald die angeworbenen sächsischen Soldaten zur Desertion zu verleiten, bald den Oesterreichern mitzuteilen, wo man preußische Magazine und Transporte überfallen könne, oder um Nachrichten von der Stärke und der Marschrichtung preußischer Kolonnen zu geben. Vor wenigen Tagen hatte die Gräfin Brühl ein Faß Tokaierwein aus Polen erhalten, aber der preußische Kom¬ mandant von Dresden sandte ihr den Wein in Flaschen; das Faß, ließ er ihr sagen, habe er für den König behalten. Bei näherer Untersuchung entdeckte man in dem Fasse einen *) geltend.

Archenholz, u. a.

erzählen davon,

Preüß macht dagegen Zweifel

Korrespondenzen.

preußische

Erlaubnis, sich bei der Königin zu melden. Das Blut der Königin ins Antlitz. Die stolze Frau hatte sich an manche Demütigung gewöhnen müssen, aber seit man ihr die Schlüssel zu den Archiven abgetrotzt, war sie wenigstens nicht mehr persönlich belästigt worden. „Ich befehle," rief sie empört, „daß man den Kammer¬ junker v. Beriet sofort zu mir führt. Frau Gräfin Ogilvp,

Sie zu, ob sich jemand in fehlen zu widersetzen wagt!" An der Außenthüre, die zu führte, hatte sich ein Adjutallt des aufgestellt. Er wies Robert v. sehen

meinem Schlosse meinen Be¬ den Gemächern der

Kölligin

Kommandantell von Dresden Berlet mit dem Benierken zurück, daß soeben Befehl gekommen sei, niemanden zu Ihrer Majestät zu lassen, ehe der General die Königin gesprochen habe. Robert erhob dagegen Einspruch, er sagte, er gehöre zum Dienste der Königili, aber der Adjutant beharrte bei seinem Verbote, auch als die Gräfin Ogilvp erschien und ihm den ausdrücklichen Befehl der Königin mitteilte. Ein Blick Roberts verständigte die Gräfin davon, daß er wichtige Nachrichten bringe. „Ich werde Ihrer Majestät melden," sagte sie zu dem Offizier, „daß lnan selbst die Pässe, welche der König von Preußen beti Personen ihres Dienstes erteilt hat, nicht mehr respektiert. Das ist eine Unwürdigkeit —"

Die Königin erschien in diesem Augenblicke selbst, sie war erregt ihrer Oberhofmeisterin gefolgt. „Kammerjunker v. Beriet!" rief sie in befehlendem Tone. Berlet wollte dem Befehle gehorchen und gewaltsam ein¬ dringen, da hielt ihm der Adjutant den gezückten Degen vor.

In

diesem Augenblicke erschien der General v. Finck, ge¬

folgt von mehreren Offizieren. „Verhaften Sie den Kammerjunker v. Berlet!" befahl er seinem Gefolge, und sich gemessen kalt vor der Königin ver¬ neigend, die sprachlos vor Empörung dastand, entschuldigte er sich, daß er sie

belästigen müsse.

mit Ihnen zu verhandeln!" rief die Königin. „Ich nehme alle Anwesenden zu Zeugen, daß man die Souveränität meiner Person nicht mehr achtet." „Majestät," erwiderte der General, „wir sind im Kriege! Es handelt sich um Hochverrat gegen den König von Preußen." „Es handelt sich um Majestätsbeleidigung! In meinem Schlosse gebiete ich. Oder will Ihr König mich etwa durch Gewalt aus Dresden vertreiben? Versuchen Sie es!" „Majestät. Ihre Person ist heilig, aber Ihr Hof ist in gewisser Beziehung kriegsgefangen und auf Ehrenwort ver¬ pflichtet, nichts Feindliches gegen uns zu unternehmen, denn sonst könnten wir ihm den Aufenthalt in Dresden nicht ge¬ statten. Ich habe Befehl, die Schuldigen zu verhaften." „Wen nennen Sie schuldig? Meine Getreuen befolgen meine Befehle."

„Ich

habe nichts

■«a

509

„Majestät, schuldig des Verrats ist derjenige, der in Kriegszeiten Spionage treibt, sächsische Rekruten zur Meuterei und Desertion verleitet und mit dem Feinde Verschwörungen anzettelt. Hier" — damit öffnete der General eine Brieftasche und zeigte der bestürzten Königin Briese, welche sie nach Wien

Dijttanzvadfahvt Wien—Kortin:

s-

gnädigster König, haben befohlen, daß der Kammerherr von Ouestenberg, die Frau Gräfin v. Brühl Excellenz und die

Frau Gräfin Ogilvy sofort unter Eskorte an die polnische Grenze gebracht werden; es wird ihnen der Prozeß gemacht werden, wenn fie sich vor Beendigung des Krieges wieder in

Ankunft des Siegers Josef Fischer-München am Ziel in Berlin.

(S. 515.)

Nach einer Momentphotographie.

hatte — „diese Papiere haben wir aufgefangen. Er¬ kennen Euere Majestät die Siegel für echt? — Es ist er¬ wiesen, Majestät." fuhr der General fort, „daß vonseiten Ihres Hofes Unzufriedenheit unter den ehemals sächsischen Regimentern erweckt wird, daß den österreichischen Generalen Pläne verräterisch mitgeteilt worden sind, daß ein vollständiges Spioniersystem organisiert ist. Seine Majestät, mein aller-

geschickt

Der Generaladjutant v. Spörken hat entfernen, zu Dresden denselben Befehl in betreff sich aus des Kammerjunkers v. Berlet muß ich dahin verschärfen, daß derselbe nach Spandau geführt wird, nicht weil er in seinem Hure wahrscheinlich verräterische Korrespondenzen verborgen hat, nicht weil er hochverräterischer Umtriebe überführt ist, sondern weil noch eine andere Untersuchung gegen ihn einzuSachsen blicken lassen.

-S

letten ist.

aus/

daß

510

Auch sprechen Seine Majestät nochmals den Wunsch

Ihre Majestät

sich

nach Warschau zu begeben die

Gnade hätten."

sie

Maria Josephe war bleich vor Erregung. „Ich bleibe, bis man mich mit Gewalt sortschleppt," sagte in düsterem Tone. „Rufen Sie Ihre Grenadiere! Mag

die Welt das Schauspiel haben, daß man einer Königin Ge¬ walt anthut." „Majestät, das wird nie geschehen, aber unter den Fenstern Ihres Schlosses soll fortan die Exekution an den¬

jenigen vollzogen werden, welche fich verleiten lassen, hoch¬ verräterische Intriguen gegen den König von Preußen zu spinnen. Die Abreise Eurer Majestät nach Warschau würde dem vorbeugen —" „Niemals!" antwortete die Königin, aber sie mußte einer ihrer Damen den Arm reichen, sie war dem Umfinken nahe. (Fortsetzung folgt.)

der

Des Kardenstmnmrs Sie-elung in Schwadens Auen, Zollern Geschlecht aus bardischer

Art.

(Schluß.)

wird

darauf hingewiesen, daß die Volkes brünettes Haar und dttnkeles Pigment besitzt, daß aber der schwäbische Adel im Gegensatz zu dem schwäbischen Volke vorwiegend blondes Haar und helles Pigment aufznweisen hatte. Man braucht nur an den Staufenkaiser Barbarossa und an den verewigten Kaiser Friedrich zu erinnern, um Typen für das bardisch-nordgermanische Geschlecht zu finden. Die bardischen Geschlechter in Schwaben waren das herrschende Volk in diesem Landstriche geworden. Als nun die Longobarden bei dem Untergange des römischen Reiches als kriegsführende Macht und als Bundesgenossen Odoakers auf der Bühne der Weltgeschichte erschienen, erkennen wir in ihiten ein Volk, das zu seiner Zeit schon Kulturfortschritte besaß, welche sie nur durch einen lang dauernden Umgang mit den Römern gewonnen haben konnten. Ihre Königsregister reichen bis zum 3. Jahrhundert zurück. Diese frühe Bekanntschaft mit den Schriftzeichen, die kein anderes deutsches Volk aufzuweisen hat, konnte zu jener Zeit nur von dem Romanentum entlehnt sein. Hierin finden wir aber auch den weiteren Beweis, daß das Volk, zu denen sie nach Rotharis Geschichte eine lange Periode hindurch im Unterlhanenverbande gestanden hatten, kein anderes sein konnte als die Römer. Mit der Erkenntnis dieser Thatsache wird es nun aber auch klar, daß die Wanderung der Longobarden nach dem Süden schon zu Anfang des 2 . Jahrhunderts statt¬ gefunden haben muß. Zu Ptolemäus Zeiten saßen sie nördlich des Pfahlgrabens, bei dem Untergange des römischen Reiches saßen sie in dem Lande Burgundeiba, das fich durch seine longobardischen Namen als der Landstrich zwischen Donau und Neckar herausstellt. Es

große

Masse

nun

des

weiter

schwäbischen

Die Ansichten des Verfassers, daß der Name Burgundeiba als das Thalland der Burgen aufzufassen sei, ist inzwischen einer anderen Deutung gewichen. Es ist ziemlich zweifellos, daß unter den Allemanischen Stämmen, die nach Südwesten vordrangen, fich auch das Volk der Burgunden befand, das

»■

bei.seinem Vordringen nach Westen in dem heutigen Burgund sich seßhaft machte. Und es scheint durchaus nicht ausgeschlossen, das dies Volk eine Periode hier an der späteren später

römischen Reichsgrenze gewohnt hat, um dann den Longobarden

Platz zu machen, die in einer Art von Bundesgenossenverhältnis Den Römern war die Nachbarschaft der Barden, bei denen bereits, wie das gezeigt wird, die römische Kultur Eingang gefunden hatte, willkommen, willkommener zu den Römern standen.

als die der wilden Burgunden, die nur im Kampfe mit dem Die ganze Geschichte der Romanentum gestanden hatten. Longobarden zeigt uns, daß der Kern dieses Volkes nur aus einer Anzahl großer Geschlechter bestand, die sich Heerfippen auch aus Stammesgenossen anderer Völker bildeten und mit der so organisierten Kampfgenossenschaft unendlich viel größere und zahlreichere Völker wie die Heruler und Gepiden besiegen und vernichten konnten. Ihre spätere Herrschaft in Italien, wo sie Jahrhunderte lang die herrschende Macht waren, liefert den schlagenden Beweis, wie nicht allein ihre Heeresorganisation von dem Romanentum entlehnt, sondern daß auch ihre kulturelle geistige Entwickelung eine höhere war, wie die der übrigen germanischen Völker. Wohl find die Longobarden als selbstständiges Volk untergegangen, aber noch jetzt lebt in der Geist des Bardentums, der Kaum kann hat wiedergebären lassen. ein anderer deutscher Stamm so das Interesse unsrer historischen Forschung wachrufen wie der der Longobarden, die, von den dem norditalienischen Volke

Italien geeint,

sich

skandinavischen Küsten kommend, im deutschen Norden zwischen

Elbe und Weser bleibend ein Landgebiet besiedelten, von wo aus eiu Teil des Volkes bis zur schwäbischen Alp und von dort bis über die Alpen nach Norditalien vordrang, um dort bleibend seine Sitze zu nehmen. Dieser Stamm, der nicht allein in der detltschen, sondern in der europäischen Geschichte eine hervorragende Rolle gespielt hat, gewinnt für uns ein noch weiteres hervorragettdes Interesse dadurch, daß seine ge¬ schichtlichen Spuren darauf hinzeigen, daß das Haus der Zolleriü aus bardischem Stamme entsprossen. Nachdem der Verfasser uns die Haltpunkte gezeigt hat, auf welche sich seine Annahme stützt, daß die longobardische Wanderung schon zu Anfang des 2 . Jahrhunderts begonnen, und daß die erste

auf süddeutschem Boden in Schwaben stattfand, geht er dazu über, die bestehenden Annahmen über die Wanderungen der Longobarden einer Kritik zu unterziehen. Die Mehrzahl der Geschichtsforscher war bisher der Ansicht, daß die Wanderung der Loitgobarden erst im 4. Jahrhundert begonnen habe, und daß sie durch das Vordringen der nordMan elbischen Sachsen aus ihren Wohnsitzen verdrängt seien. ließ den Zug der Barden nicht in- südwestlicher Richtung, sondern in östlicher Richtung durch die Länder der Wenden, der Anten und die östlichen Stammsitze der Burgunder gehen, imi dann ins Land der Amazonen und von dort zum Schwarzen Meere zu gelangen, von wo sie dann, von den über¬ mächtigen Bulgaren zurückgeworfen, nach langen Kreuz- und Querzügen zu dem Lande der von Odoaker vernichteten Rugier verschlagen sein sollen. Diese von zahlreichen Geschichts¬ schreibern wie Felix Dahn und Wietersheim vertretene Dar¬ stellung der longobardischen Wanderung gründet fich auf eine Anzahl ebenso sagenhafter wie unklarer Mitteilungen des longobardischen Historiker Paul Warnefried (gewöhnlich Paulus Diakonus genannt). Man deutete die Ländernamen: Wantahip bleibende Siedelung

--8

511

mit Land der Wenden, Antahip mit Land der Anten, Burgundahip als Stammsitz der Burgunden. Dazu kamen die geschilderten Kämpfe mit den Amazonen und Bulgaren,

Jsler Hausen sollten; letztere sollten bis zum Schwarzen Meere vorgedrungen und dort mit den Longobarden zusammen gestoßen sein. Daß die Langobarden auf diesem fabelhaften Zuge auch das Land der Usipiter ge¬ kreuzt haben sollten, welche damals thatsächlich am Mittelrhein wohnten, zeigt nur, daß die ersten zwanzig Kapitel des Paul Warnefried Thatsachen enthalten, welche örtlich wie chronologisch durcheinander geworfen sind, und die nebenher eine Reihe der unglaublichsten Märchen enthalten. Da nun aber nach Paul Warnefrieds Geschichte die Longobarden in den Ländern Antahip und Wanlahip als Albanen gelebt hatten, so waren sie damit zu den Knechten der Anten und Wenden herunter gesunken, eine Annahme, die undenkbar ist, da die Wenden, überall, wo wir ihnen in der Geschichte begegnen, als Feinde des Germanentums dasselbe sofort vernichteten*), wenn sie die Herrschaft über dasselbe erlangen konnten. Abgesehen von der mangelnden Beweiskraft der Mitteilungen, die der Longobarde Warnefried über die früheste Geschichte seines Volkes er¬ zählt, erscheinen die daraus zusammengestellten Kombinationen nur noch um so haltloser, wenn man die thatsächlichen ge¬ schichtlichen Verhältnisse ihnen gegenüber stellt. Alle in die Völkerwanderung eintretenden germanischen Stämme hatten das Bestreben, nach Süden oder Westen vorzudringen. Wie nun der kleine Volkshaufen der Longobarden dazu kommen sollte, dem gesamten Völkerstrome entgegenzustreben und nun gar noch in das Land der Wenden auszuwandern, mit denen er Jahrhunderte lang in Todfeindschaft gelebt hatte, das ist vollständig undenkbar. Und ebenso undenkbar ist, daß die Longobarden durch den Verkehr mit den barbarischen Völkern des Ostens zu der hohen Kulturstufe hätten gelangen können, die sie thatsächlich bei ihrem Erscheinen im Rugilande bekunden. Die slavischen Völker kamen erst viele Jahrhunderte welche erstere damals am

später

in den

Besitz der Schriftzeichen, welche den Longobarden

zu jener Zeit schon längst bekannt

gewesen sein

müssen,

da

ihre Aufzeichnungen bis zum 3. Jahrhundert, wie gezeigt, zurückreichen. Diese Gründe aber liefern den Beweis, daß die Völkerwanderung der Longobarden nach dem fernen Osten einfach eine historisch unhaltbare Vermutung ist, die nur deshalb von einer Reihe von Geschichtsforschern aufgestellt wurde, weil man sowohl bisher über den Zeitpunkt der Aus¬ wanderung wie über die Richtung, die das Volk eingeschlagen hat, keine in die Augen springenden Haltpunkte ge¬ funden hatte, und man deshalb die Warnefriedschen Sagen als willkommenes Material zu dieser Geschichtserzählung be¬ Mit der Beseitigung des Zuges der Longobarden nutzte. dem Osten bleiben uns nur die historischen Lichtpunkte übrig, welche den Zug des Volkes von der Elbe nach Schwaben beleuchten und die Siedelung der aus dem Norden kommenden Longobarden im Zehntlande nördlich der Donau um so wahrscheinlicher machen. Der Verfasser sagt dann im weiteren nach

*) Dieser Ansicht stehen Forscher wie Lisch, Schwartz u. s. w. gegen¬ über, nachdem eS erwiesen ist, daß die Wenden die zurückgebliebenen se߬ haften Germanen duldeten und sie nur in einem Abhängigkeitsverhältnis ließen. Nur so ist die überaus schnelle deutsche Zurückkolonisation und der in den Sagen noch vorhandene germanische mythologische Hintergrund in den ehemals slavischen Landesteilen, z. B. in der Mark Brandenburg, D. R. zu erklären.

fr—

Einverständnisse mit

der

Grimmschen

Auffassung,

wie das unter Albuin geschlossene Bündnis der Longobarden mit den Ostpfälinger Sachsen nur den Beweis liefere, daß im deutschen Norden durch die Bildung des Sachsenbundes zwar der Name der verschiedenen Volksstämme, so auch der der Longobarden, verschwunden sei, daß aber trotzdem der ausgewanderte Teil des Volkes mit den in der Heimat verbliebenen Stammes¬ genossen eine gewisse Zusammengehörigkeit bewahrt haben müsse, daß aber von einer Verdrängung der Longobarden zwischen Weser und Elbe durch eine sächsische Invasion, die niemals stattgefunden habe, keine Rede sein könne. Die nach der Eroberung von Norvitalien sich vollziehende Trennung der Sachsen von den Longobarden war, wie das von einigen Ge¬ schichtsforschern betont wird, durchaus keine alte Stammes¬ feindschaft. Die Longobarden waren bei ihrem Einzug in Italien, wenigstens dem Namen nach, arianische Christen, die ihnen aus dem Norden zu Hilfe gezogenen Sachsen dahingegen noch fanatische Heiden; ihre rechtlichen und religiösen An¬ schauungen waren nicht dazu angethan, sich mit dem christlichen Romanentum verbinden zu können. Den Longobarden, die sogar sehr bald zum katholischen Christentum übergingen und in Jahrhunderte langem Verkehr mit den Römern gestanden hatten, wurde es möglich, sich mit dem Romanentum zu ver. schmelzen. In Nordsachsen war der longobardische Name ver¬ schwunden, aber der bardische Stamm hatte unter den Ost¬ pfälinger Sachsen sich die Führerschaft errungen; selbst bei den einst so mächtigen Cheruskern durften sie einen König einsetzen. Aber nicht allein auf dem Lande, sondern auch auf dem Nordmeere waren sie mächtig; gleich den Jüten und Chauken erscheinen sie in Britanien, um dies keltisch-romanische Ihre Führer Hengist und Horsa Land zu germanisieren. waren Edlinge aus dem Bardengau, ihr Vorort Bardowik war einst der bedeutendste Handelsplatz im ganzen Sachsenlande. Von dort aus machten sie ihre Meerfahnen zu kriegerischen und zu Handelszielen. Schon Karl der Große residierte viele Wochen im Weichbilde dieses großen Siedel¬ platzes, um hier mit Albion und Wittekind, den Herzögen der Ostpfälinger und Westpfälinger, die vor der Nebermacht des mächtigen Frankenkaisers mit ihren Kampfgenossen zu den Dänen geflohen waren, Frieden zu schließen. So dunkel die Geschichte der norddeutschen Stämme auch vom Ende des 2 . bis zum Anfange des 7. Jahrhunderts sein mag, so tritt doch in den deutlichsten Skulpturen das hervor, daß wir in den Ostpfälinger Sachsen die Nachkommen des alten, edelen Barden¬ stammes wiedererkennen dürfen. Ueberall aber, wo wir dem alten Bardenvolke begegnen, in Niedersachsen an der Elbe,

in dem alten Allemannenlande an der Donau, in der PoEbene an den Küsten der Adria, überall sehen wir diesen deutschen Stamm mit eurer Initiative, mit Tapferkeit, mit Verständnis für die politischen Verhältnisse und dementsprechend Die hervorragende mit steter Kriegsbereitschaft auftreten. Rolle, die das Longobardenvolk in der gesamten deutschen Ge¬ schichte einnimmt, tritt um so bedeutsamer in den Vordergrund, nachdem wir konstatieren können, daß die sächsischen und schwäbischen Kaisergeschlechter, und vor allem unser jetziges deutsches Kaiserhaus alt bardischem Stamme entsprossen sind. Wenn Tacitus uns erzählt, daß der kleine bardische Stamm sich den

umwohnenden größeren Völkern gegenüber durch seine Organisation, durch Tapferkeit uub Klugheit in

kriegerische

512 wußte, so bewährt sich dieser Ausspruch bet den Nachkommen der Langobarden dilrch Jahr¬ tausende hindurch. Der Zollern Stamm ist seit sieben Jahr¬ hunderten dem Grundgedanken des Bardentums treu ge¬ blieben. Generation ist auf Generalion gefolgt, mit wechselndem Erfolg häuften sie Arbeit auf Arbeit, stets aber haben sie das Ziel verfolgt, das lang erstrebte, jetzt erreichte. hohem Ansehen

zu erhalten

s*-

Erbprinzen anschließe, sondern auch Bürgschaften gebe, daß in Zukunft desseli Kandidatur nie wieder aufgestellt werde. Eine so entehrende, unter Drohungen vorgebrachte Forderung Damit war für die wies der König selbstverständlich ab. Franzosen der Krieg entschieden, damit aber auch gerade das bewirkt, was man in Paris hatte verhindern wollen: die Herstellung der deutschen Einheit. Ganz Deutschland empfand

mit tiefem Ingrimm die Schmach, die die französischen Macht¬ haber dem greisen Heldenkönige angethan hatten, ganz Deutsch¬

Der Sieger von

Wörth.)

(Mit Abbiloung.)

In

tiefem, scheinbar durchaus befestigtem Frieden begann

das verhängnisvolle Jahr 1870 und verlief dessen erste Hälfte. Alls Rat der Aerzte begab sich der Kronprinz Friedrich zu einer Kur nach Karlsbad, von der er im April zurückkehrte;

einige Monare später, am 14. Juni, ward ihm seine dritte Tochter, Sophie, geboren. Der König Wilhelm hatte sich, wie jedes Jahr, nach Ems begeben, als sich plötzlich die furchtbare Entscheidung nahte. Die gebildeten und tonangebenden Kreise des französischen Volkes konnten es nicht verschmerzen, daß an der Ostgrenze, anstatt des gering geachteten Preußen, ein mächtiges Reich entstanden war, und daß die Nation der Träumer und Philosophen sich anschickte, eine kräftige politische und mili¬ tärische Einheit zu bilden. Sie sahen darin eine Gefahr für die Größe und den Einfluß des eigenen Landes. Den Kaiser, der solches nicht zu hindern und nicht einmal für Frankreich die Genugthuung einer Gebietserweiterung zu erlangen im¬ Sie forderten stande gewesen, machren sie dafür verantwortlich. von ihm durchaus einen Krieg gegen Preußen, dessen Be¬ siegung und Zertrümmerung ihnen dabei als selbstverständlich

mit besonderem Ingrimm drängte mit das Auskommen der wachsender Heftigkeit auf deren Bekämpfung. Napoleon III. kannte freilich die moralischen und materiellen Kräfte Deutsch¬ lands besser als seine Unterthanen und zögerte so lange wie möglich, die Wünsche der Kriegsfreunde zu erfüllen. Aber als uian ihm vorstellte, daß nur ein Sieg über Preußen seinem Hause den Thron erhallen könne, gab er nach und ließ geschehen, daß das Ministerium Ollivier-Gramont die Erwählung eines Prinzen des fürstlichen Hauses Hohenzollern zum spanischen Könige zur Kriegsdrohung gegen Preußen ausbeutete. In seiner Friedensliebe ging das Berliner Kabinett weiter, als selbst die öffentliche Meinung in Deutsch¬ land gut hieß: mit Billigung des Königs zog der Erbprinz von Hohenzollern seine Kandidatur für den spanischen Thron zurück ( 12 . Juli). Für jeden Vernünftigen war damit der Zwischenfall erledigt. Allein eine solche Lösung war nicht nach dein Sinne der Kriegspartei am französischen Hofe. Unter ihrem Drucke verlangte Kaiser Napoleon, daß der König von Preußen nicht allein sich ausdrücklich dem Verzichte des erschien.

Die klerikale Partei

sah

protestantischen Macht und

*) Das Komitee zur Errichtung der Oberlausitzer Ruhmerhalle zu Görlitz hat die Freundlichkeit gehabt, uns den Abdruck obigen Abschnittes auS dem Werke:

„M. Philippion, Friedrich

III.

als Kronprinz und

zu gestatten. DaS Bild auf S. 513 „Kaiser Friedrich III." ist gleichfalls diesem Werke entnommen. Indem wir dem Komitee unseren wärmsten Dank auisprechen, können wir

Kaiser" (Verlag von Grote in Berlin. Preis 6 Mk.)

nicht unterlassen, aus das genannte vortreffliche Werk ganz besonders empfehlend Die Schristleilung. hinzuweisen.

in deren Auftreten eine kecke Herausforderung, auf die es nur eine Antwort gab vom Bodensee bis zum Niemen: Zu den Waffen! Vergessen war der Bruderkrieg von 1866, weggewischt alles, was Nord und Süd bisher in gegenseitigem Mißtrauen trennte. Es galt den gemeinsamen Kampf wider den schlimmen Nachbarn, der seit so vielen Jahrhunderten immer wieder das friedliche Deutschland mit Krieg überzogen und ihm seine schönsten Greuzprovinzen geraubt hatte. land

sah

Juli

König Wilhelm vom Rhein nach Berlin zurück, auf jedem Bahiihofe vom begeisterten Jubel einer Nation begrüßt, die ihm gelobte, mit dem letzten Bluts¬ tropfen ihm in dem Kampfe für Deutschlands höchste Güter beizustehen. Bis Brandenburg fuhr ihm der Kronprinz ent¬ Der gegen, begleitet von Bismarck, Roon und Moltke. Monarch, von den letzten Vorgängen in Paris nicht unter¬ richtet, hoffte noch auf Erhaltung des Friedens; aber die Darlegungen des Prinzen und des ersten Ministers über¬ Bei zeugten ihn bald von dem vollen Ernste der Sachlage. Am 15.

der Ankunft in

reiste

Berlin

Thile Und nun

brachte der Unterstaatssekretär v.

aus Paris. Raume, welchen der provi¬ sorische Potsdamer Bahnhof als königliches Wartezimmer dar¬ bot, und zwar in der Mitte desselben, unter dem historischen Kronleuchter (der sich jetzt im Berliner Hohenzollernmuseum befindet), eine kurze Beratung. Der Kronprinz, halb seit¬ wärts neben dem Könige, stand da wie ein flammender Kriegs¬ gott, das Urbild des teutonischen Zornes, mit zurückgeworfenem Haupte und drohend erhobener Rechten." Also erzählt ein Das Ergebnis der kurzen Be¬ Augenzeuge dieser Scene. sprechung war, daß Wilhelm I. die sofortige Mobilmachung des ganzen norddeutschen Heeres und der Flotte befahl. Sogleich verkündete dies der Kronprinz den auf dem Bahnhöfe anwesenden Offizieren mit den kurzen Worten: „Krieg und die letzten

erfolgte

„in

entscheidenden Nachrichten

dem unscheinbaren

mobil," und die schicksalschwere Nachricht entsprach so sehr dem allgemeinen Gefühl, daß sie unter der Volksmenge, die ihren Der greise König erwartete, begeisterten Jubel hervorrief. Held umarmte in tiefer Bewegung den Sohn, und beide fuhren durch die dicht gedrängten Mafien in das Palais unter feierliche Weise der „Wacht am Rhein": nicht um Preußen wurde gekämpft, sondern um Deutschland, das fühlte mit freudiger Zuversicht Friedrich Wilhelm in jenem großen Augenblicke. Und das verstand man auch in Süddeutschland. So wenig die Könige von Bayern und Württemberg geneigt waren, sich dauernd der Fühmng des Hohenzollernschen Hauses den Linden.

Um

sie erbrauste die

unterzuordnen, dem sie sich mindestens ebenbürtig dünkten: sie begriffen doch, nicht weniger als ihre Minister, daß die nationale Begeisterung sie wie Spreu hinwegfegen würde, wenn sie nicht die ganze Kraft ihrer Staaten an den großen Krieg gegen Frankreich setzten. Noch am 16. und 17. Juli

■e

513

verfügten die vier süddeutschen Herrscher die Mobilisierung ihrer Heere, und ihre Kammern stimmten dem uni so mehr p, als am 19. Juli die offizielle Kriegserklärung Frankreichs au Preußen erfolgte. Tag und Nacht saß der Kriegsrat im Palais zu Berlin. Nach Moltkes Plan sollten drei Armeen gebildet werden: eine erste, den rechten Flügel bildend, unter Steinmetz, mit dem I., VII. und VIII. Corps; eine zweite, das Centrum, unter Friedrich Karl, mit der Garde, dem II., III., IV. . IX.. X. und XII. Corps; eine dritte, der linke Flügel, unter dem Kronprinzen, mit dem V. , VI., XI. Corps, den

beiden

Corps,

s-

Ein Trost für ihn war, daß es ihm gelang, zum Generalstabschef wieder den bewährten und von ihm so hoch geschätzten Blumenthal zu gewinnen, den er mit rührendem Vertrauen und Wohlwollen umgab. Bald aber setzte er sich hinweg über alle Bedenklichkeiten und Hindernisse in der beglückenden Wahrnehmung: „Allgemeine Begeisterung, Deutschland erhebt sich wie ein Mann", und in der frohen Zu¬ werde ausführen können."

versicht: „es wird seine Einheit herstellen."

Man

Kronprinzen sofort nach dem Süden abzusenden,

damit dort Fürsten und Völker in der Hingabe an die große Sache nicht erkalreten. Nur wenige

Tage voll banger Er¬ regung und doch wieder

bayrischen

der

beschloß, den

wüntem-

in gehobener zuversicht¬ licher Slimmung waren

bergischen und der ba¬

Division. Keine Frage, daß Friedrich Wilhelm abermals den dischen

ihm unter den Seinigen gestattet. Am Todestage

bei weitem schwierigsten

der Königin

Auftrag erhielt, die süd¬ deutschen Truppen in den Kampf zu führen, die einerseits nicht in der

19.

mit

Soldaten

hegten.

für den dreiundsiebzigjährigen Monarchen und seinen Sohn ja nicht nur, wie für jeden Demschen, um Ruhm, Größe und Macht des sondern Vaierlandes, zugleich um die Zukunft des eigenen Hauses und vor allem um die

geeignetste, vielleicht die

geeignete,

auch

uuter den Waffen die trennende

Kluft

zu über¬

brücken und die Herzen

für Brüder die einzunehmen. Die Mißlichkeit der Stellung des Kronprinzen wurde noch der

Süddeutschen

nordischen

Kaiser üricirridj. JllnstrationSprobc aus dem Werke: M.

durch die Thatsache er¬

Philippson, Friedrich III. als Kronprinz

(Berlin.

Verlag von Groie)

höht , daß man ihm alle die zahlreichen Fürstlichkeiten, die als Zuschauer dem großen Kampfe beiwohnen wollten, mit ihrem ungeheuren Troß zuwies, was seine Zeit, Kraft und Gedanken In seiner etwas auf Unwesentliches zersplittern mußte. darauf gefaßt, auch er war schwer empfindenden Weise daß er deutsche

mit seinem bunt

dem

greise Großvater allzu ergriffen war, um das Kind halten zu können, und es der Großmutter Augusta übergeben mußte. Handelte es sich

Freilich war die ebenso imponierende wie liebenswürdige und ge¬ winnende Persönlichkeit Friedrich Wilhelms die einzig



betete er

ernste Feier, bei der der

und die preußische Lei¬ tung vielfach Abneigung und Eifersucht

Luise

Vater am Grabe der Großeltern im Mausoleum von Fünf Charlottenburg. Tage darauf fand die Taufe der Prinzessin Sophie statt — eine

bewährten preußischen Schule gebildet waren, anderseits gegen die preußischen

Juli —

zusammengesetzten Heere,

Dialekte erklangen — außer

in

dem zwölf

den Süddeutschen waren

da Schlesier. Posener, Westfalen, Kurheflen, Nassauer, Thüringer, Waldecker, Frankfurter — „schwerlich große Unternehmungen

»nid

Kaiser.

schwerste

persönliche

Verantworlichkeit. Am letzten Tage

Friedrich Wilhelm mit der Gattin noch das Grab ihres verewigten kleinen Lieblings Sigismund; am „Wer von uns die Abreise statt. 26. Juli fand Aber wir siegen!" Das war die wird wiederkehren? Stimmung, die den Prinzen und die hunderttausende deutscher

besuchte

Krieger beseelte. Ueberall, wo Friedrich Wilhelm erschien, wurde er mit jubelndem Zurufe empfangen. Er besuchte die Könige von Bayern und Württemberg sowie den Großherzog von Baden,

514 ihnen für die bereitwillige und bundestreue Unterstützung den Dank Preußens auszusprechen. Die Begeisterung der warm¬ herzigen Süddeutschen bekundete sich in so demonstrativer Weise, daß sie den Prinzen fast verlegen machte, ihn aber auch, wie er in Ingolstadt den bayrischen Offizieren erklärte, hoffen ließ, daß der schwere Kampf, dem man entgegen ging, ein mit Gottes Hilfe sieggekrönter sein werde.

Der Berliner Kriegsral hatte es für wahrscheinlich ange¬ nommen, daß die Franzosen sofort vom Elsaß aus Süddeutsch¬ land überschwemmen würden, um es zum Abfall vom Norden zu zwingen; er halte das auch den süddeutschen Fürsten nicht verhehlt. Mit freudiger Ueberraschung sah man das Zögern der französischen Heere; „ihre merkwürdige Unthätigkeit deutet auf Rechenfehler," bemerkt schon am 28. Juli der Kronprinz in sein Tagebuch. So konnte die Vereinigung der dritten Armee dicht vor der französischen Grenze, in der Rheinpsalz, geschehen. Am 30. Juli organisierte er sein Haupiquartier zu Speier und erließ seinen ersten Heeresbefehl an die Krieger aller deutschen Stämme, die sich unter seiner Leitung sammelien. In schlichten, aber festen Worten betonte er die Bedeutung des gemeinsamen Kampfes für die Ein¬ heit des großen Vaterlandes: „Es erfüllt mich mit Stolz itnd Freude, an der Spitze der aus allen Gauen des Vater¬ landes vereinten Söhne für die gemeinsame deutsche Sache, für deutsches Recht, für deutsche Ehre gegen den Feind zu ziehen"; und als Ziel wurde bezeichnet: „unsere Fahnen zu neuen Siegen zu entfalten für des geeinigten Deutschlands Ruhm und Frieden." In dieser Gesinnung sah Friedrich Wilhelm von Beginn an dem Kampfe entgegen. Nicht nur Deutsch¬ lands Sicherheit und Größe, sondern auch sein Zusammen¬ schluß unter Führutig der Hohenzollern sollte in ihm errungen werden.

In

den vier Tagen,

während deren Friedrich Wilhelm in Speier weilte, schuf er sich sofort, mitten unter den Auf¬ regungen und Mühen des Kriegslebens, ein freundliches und angeregtes Dasein. Viele Freunde sammelten sich um ihn: der Herzog von Koburg, der frühere badische Minister von Roggenbach, der englische Diplomat Morier, der berühmte Schriftsteller Gustav Freytag. Das Gespräch mit diesen her¬ vorragenden Männern stärkte und erfrischte den Prinzen damals und später unter den Sorgen und den für sein gutes, menschen¬ freundliches Herz doppelt furchtbaren Greueln der Blutarbeit. In sein Hauptquartier berief er auch den trefflichen, volks¬ tümlichen Schlachienmaler Georg Bleibtreu, dessen Darstellungen des

dänischen

und böhmischen Krieges bereits den

vollsten

Beifall der Nation gefunden hatten. Wilhelm der Kunst selbst im Getöse

So gedachte Friedrich des Feldlagers und in der aufreibenden Thätigkeit des Heerführers. Aber er bewegte sich auch ungezwungen, nach seiner Weise, unter Volk und Soldaten und schwamm täglich im Mein, inmitten einer aus allen Klassen gemischten Badegesellschaft, der er, je nach Ver¬ anlassung. ernste oder heitere Worte zurief. Endlich waren die süddeutschen Streitkräfte bereit und von den preußischen Armeecorps das Y. und XI. herangekommen.

Sofort ging

es, der Aufforderung

Moltkes entsprechend, gegen Gott furchtlos und beharrlich vorwärts," mit diesem seinem Wahlspruch zog der Kronprinz ins Feld. Am 3. August wurde das Hauptquartier nach Landau ver¬ Noch an legt. am 4. die französische Grenze überschritten. den Feind.

„Mit

demselben Tage fand das erste größere Gefecht des Krieges statt: die mauerumgebene Stadt Weißenburg und das feste Schloß

auf dem benachbarten Gaisberg wurden mit Vernichtung der Division Douay von Bayern und Preußen er¬ stürmt. Der Kronprinz leitete den Kampf von einer Anhöhe östlich von Schwaigen, dem Gaisberg gegenüber. Als er diesen nach erfochtenem Siege hinaufritt, lösten sich die Reihen der gelichteten Battaillone, alles stürzte jauchzend und Hoch rufend zu ihm heran, selbst Sterbende und Schwerver¬ wundete erhoben sich mit letzter Kraft und streckten ihm die Arme entgegen. Bei einzelnen der Getroffenen hielt er, sprach ihnen Trost zu und reichte ihnen die Hand. Er küßte die zerschossene Fahne des heldenmütigen Königsregiments und umarmte dessen verwundeten Kommandeur. Dann, nach den Pflichten des siegreichen Generals, erfüllte er auch die nicht minder ehrenvollen der Menschlichkeit dem Feinde gegen¬ über. Er ließ sich zu der Leiche des gefallenen französischen Divisionskominandeurs Abel Douay führen und verbrachte vor dessen blutiger Bahre stille und doch innerlich bewegte Minuten — ein Anblick, der selbst die gefangenen und verbitterten Franzosen zur Bewunderung hinriß. französischen

So war die Vorhut des feindlichen Marschalls Mac Mahon geschlagen; dessen Hauptmacht, fünf Divisionen Fußvolk und zwei Divisionen Reiterei, erwartete die Deutschen in der von Natur aus sehr starken Stellung auf dem Höhenzuge von Wörth und Fröschweiler. Gegen den Willen des Konprinzen, der erst sein Heer völlig versammelt und aufgestellt haben wollte, ehe er den Kampf begönne, griff das 2 . bayrische Corps am Morgen des 6 . August die Franzosen an, und die nicht beabsichtigte Schlacht wurde bald allgemein. Unter diesen Umständen war zunächst eine gewisse Unsicherheit der Bewe¬ gungen nicht zu vermeiden; aber schließlich entschieden die Tapferkeit der Offiziere und Soldaten sowie die starke numerische Ueberlegenheit des deutschen Heeres gegen vier Uhr nachmittags den Sieg. Er war von den Deutschen durch furchtbare Verluste — über 10 000 Mann — erkauft; dafür war aber auch das Corps Mac Mahons in wilde Flucht geworfen, 9000 Feinde gefangen genommen. Der Kronprinz war gegen ein Uhr auf dem Schlachtfelde eingetroffen und hatte mit ruhigem, ja heiterem Gleichmute seine Befehle erteilt. Er hatte mehrere Male seine braven Truppen ermuntert und in das tödliche Feuer der dem preußischen Gewehr weit überlegenen Chassepots geführt. Zumal die Bayern, die noch nicht die bei den Preußen übliche Schnelligkeit und Gewandtheit in den taktischen Bewegungen besaßen, hat er wiederholt und nachdrücklich zum Angriff beordert. Siegern und Besiegten wurde es unvergeßlich, wie seine hehre Gestalt auf edlem Rosse über das Schlachtfeld sprengte. „Was ihn hauptsächlich auszeichnete," sagt General Sir Beauchamp Walker, der engliche Militärattache im Haupt¬ quartiere des Kronprinzen während der Feldzüge 1866 und 1870, „das war seine Kaltblütigkeit in Augenblicken der Gefahr; mochte kommen, was da wollte, er und Blumenthal behielten klaren Kopf. In der Schlacht war seine Ruhe unerschütterlich; im Glücke blieb er stets menschlich. Was kann ich mehr von dem edelsten Manne sagen, den meine Augen je gesehen?" Solange das blutige Ringen währte, hatte Friedrich Wilhelm mannhaft und einsichtig seiner Pflicht als Feldherr gewaltet und die bunt gemischten Truppen thatkräftig zum 5

•«

515

gemeinsamen Ziele geleitet.

Aber am Abend, als die Auf¬ verflogen war und nur der entsetzliche engem Raume liegenden fast 20 000 Toten das Gemüt bestürmte — da brach seine „Ich verabscheue dies Gemetzel," sagte er habe nie nach Kriegsehren gestrebt, ohne

regung des Kampfes Eindruck der auf und Verwundeten

Kraft zusammen. zu Freytag, „ich Neid hätte es

ich

solchen Ruhm jedem anderen überlassen, und

wird gerade mein Schicksal, aus einem Kriege in

den

anderen, von einem Schlachtfelde über das andere geführt zu werden und in Menschenblut zu waten, bevor ich den Thron

meiner Vorfahren besteige. Das ist hart." — Nur böswillige Voreingenommenheit oder Herzenshärte können den edlen Mann wegen solcher Empfindungen am Abende einer sieg¬ reichen Schlacht tadeln: jedem aufrichtigen und fühlenden Menschen werden sie einen Fürsten nur noch teurer machen, der in heldenhafter Pflichterfüllung seine eigene Natur fest und sicher zu bezwingen wußte und ihren milden Regungen erst Gehör gab, wenn die Selbstbeherrschung unnötig geworden. Nach den Schlachten, so erzählte der langjährige Kammer¬ diener des Kronprinzen, während alles sich der lautesten Freude

Prinz, der doch sonst immer Heiterkeit und Leben zeigte, still in seinem Quartier, und im Gedenken au überließ,

saß der

soeben verstümmelte oder getötete Freunde stahlen sich Thränen aus seinen Augen. — Unermüdlich war er im Trösten der Verwundeten und Sterbenden. Mit jenem ritterlichen Edelmute, der ihm auch die Herzen der Feinde gewann, nahm er sich des verwundet gefangenen französischen Generals Raoul an, schenkte er dessen

Adjutanten, der seinen Chef im dichtesten

Schlachtgewühl treu geschützt hatte, die Freiheit, begrüßte er mit seinem ganzen Stabe die tapferen Franzosen, die nach hartem Kampfe sich hatten ergeben müssen, zog er die gefangenen Berichterstatter Pariser Zeitungen in liebenswürdiger Weise an seine Tafel.



Die Schlacht bei Wörth vor allem hat den Kronprinzen in ganz Deutschland volkstümlich gemacht. Der Ruhm, der seinen Gegner Mac Mahon umgab, der Umstand, daß Süd-

&

-

und Norddeittsche vereint den Triumph davon getragen hatten, die Wiedererlangung des schmerzlich entbehrten Elsaß dttrch diese Schlacht: alles dies verlieh dem Siege einen besonderen Glanz. Seitdem wurde Friedrich Wilhelm als „unser Fritz" in allen Gauen des Vaterlandes gefeiert, seitdem hängt sein

Bildnis in wie in

der

der Hütte des oberbayerischeu Geinsjägers

Kammer

des

Hamburger

Matrosen

so

oder

gut des

pommerscheti Bauern.

Und nun erst seine Soldaten! Sie waren ihrem fürstlichen Führer mit der innigsten Begeisterung ergeben: bayrische Offiziere selbst haben laut anerkannt, daß ihm zumeist die brüderlichen Beziehungen zwischen ihren Leuten und den Preußen zu danken wären. Nicht als ob er die süddeutschen Truppen geschont hätte: im Gegenteil, er mutete ihnen viel zu, um sie den Preußen gleichwertig zu machen, und ihre Generale hatten öfters sein strenges Urteil zu erfahren. Aber mit dem Ernste, der schließlich den Krieger mehr ehrt und erhebt, als weichliche Nachgiebigkeit, verband sich seine tiefe

Herzensgüte; sein freundlich offenes Wesen, die nicht etwa herablassende, sondern natürliche, gemütliche und teilnehmende Art, in der er mit den Leuten wie mit lieben Kameraden Als er verkehrte, erfüllten sie mit grenzenloser Zuneigung. vor versammeltem Regimente einen Soldaten, der sich besonders heldenhaft ausgezeichnet hatte, küßte, zitterte vor tiefster Er¬

im Arme jedes Kriegers. „Für einen sich gern totschlagen," rief mit man solchen Thränen der greise Bayerngeneral von Hartmattn aus. So wurde Friedrich Wilhelm ein echter Kronprinz des Deutschen regung

das Gewehr

Herrn

läßt

Reiches!

Die Führer der dritten Armee hatten keine rechte Vor¬ stellung von der völligen Auflösung des feindlichen Heeres. Sie fürchteten deshalb, in den Vogesenpässen auf hartnäckigen Widerstand zu stoßen, und leiteten mit Vorsicht ihre Scharen Allein aus diesem warett die Franzosen gegen das Gebirge. und beim Einmarsch in Lothringen fanden verschwunden, schnell die Deutschen keinen Feind mehr vor sich.

Kleine Mitteilungen. Mo Drstan; - Radfastrt ? wischen Mioir und stellung der alten,

Devlin.

5 JDer GKjrch

ZTJu&rm.

6 Ein>Scifrn GiAruc/tß

^rr cD^jrr/i e

^

^

Ttini ’tyssl/ijfi



Straßburg

verlassen und war in seine Heimat zurückgekehrt.

,71

fl'

tz

JlasTeriebrnftstÄciTJior. U. G/srrDfyiersjust: DZauJi 12. OVerr,fyAerjr Scu.

/r~£

J/srrPefscfc/tJ SZ/mz/y. Xo.DtzsjBffi/w&ztJ'r/ieiTAar. Das ? ^c/ ufern ,

/f

f

JS Du Z, oA - Cf/ü/i £.

.

ib.Di*G\i7cAc uu/f c/rni, 8.

pF'-

DerJ^aiAJicujj/iJAi

Jferr .jZeArcAens »

9.f-DfrDn>tnnff.i c/uZTAu

^

c

(ZfAn