Der Bär. Illustrierte Wochenschrift [26, 2]

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Der Bär. Illustrierte Wochenschrift.

50 Vf., ,J)er Bär" erscheint jährlich 52 mal und ist durch alle Buchhandlungen, Zeitungsspeditionen und postanftalten zu beziehen (Nr. 866 des ssostkatalogs) und kostet vierteljährlich 2 M. Postgebühren. jährlich 10 M., Linzelheft 20 Pf. — Inferkionspreis für die 4 gespaltene Nonpareillezeile oder deren Raum 50 Pf. — Beilagegebühr: 6 M. pro lOOv Stück inklusive — Inserate und Beilagen werden entgegengenommen von der Expedition des „Bär", SW., Neuenburgerstraße J^a, sowie von allen Annoncen-Erpeditionen. — .^ern'precher: IV. Nr. 365l

26. Jnstrgany.

Sonnabend, 30. Juni 1900.

Dr. 26.

Berliner Wandelllilder. Der Kroll-Cngel. er geborene Ungar hatte es durchgesetzt,' eine der populärsten Berliner Figuren zu werden. Wenn er mit seinem Ponny-

gespann, selbst kutschierend, zwei weiße Zwergspitze neben, hinauffuhr, blieben die Leute

den Groom hinter sich, die Linden

auf der Straße stehen, sahen ihm nach und flüsterten sich zu: „Der Kroll-Engel." Von den charakteristischen Eigenschaften der Himmelsbewohner hatte er wenig aufzuweisen. Mit seinem anfgewichften, pechschwarzen Schnurr- und gestutzten Backenbart,

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mit der wohlgeglätteten, an den Schürfen nach vorn gekämmten Perücke war er ein unverkennbarer Typus, der zwischen dem Semiten und Magyaren die Mitte hielt. War er ein schöner Mann? Er hielt sich dafür und wußte es anderen, Männlein und Wciblein, zu suggerieren. Warum sollte man dem stets n guatre epingles gekleideten „Beau“ nicht den Gefallen thun, ihn dafür zu halten? Ich habe selten einen Man» kennen gelernt, über den so ver¬ schiedenartige Urteile gefällt wurden. Man hat ihn für eine» Poseur, für einen Narren, für einen rücksichtslosen Geschäftsmann, für einen stillen Wohlthäter, für einen Wüstling, für einen vor¬ züglichen Ehemann, für einen feinsinnigen Musiker, für einen musikalischen Ignoranten, für einen Schwachkopf, für einen Witz¬ bold erklärt. Jedenfalls war er ein Original. Man mußte ihn erzählen hören, >vie er nach Berlin gekommen, und warum er sich dort niedergelassen habe. Der ungarische Geiger wollte ein Engagement in Petersburg annehmen und machte in Berlin Station. Es war im Anfang der fünfziger Jahre. „Die Stadt imponierte mir, besonders die Droschkenkutscher und die Offiziere. Als ich vom Bahnhof in die Stadt fahren wollte, konnte ich mich mit dem Kutscher nicht verständigen, ich habe erst

später berlinisch sprechen geleriit. Unter den Linden saßen die Offiziere bei Kranzler vor der Thür und ließen die Beine über das niedrige eiserne Gitter hängen. Hier gicbt's viele, die Geld und nichts zu thun haben, da ist was z» verdienen, hab ich mir gedacht. Am Abend ging ich in Sommers Kvnzertsalon in der Potsdamerstraße. Der Kapellmeister war plötzlich krank geivorden. Der Wirt kannte mich und stützte auf mich zu. „Engel, Sie müssen eilispringeii. Sie müssen dirigieren!" Ich bin anfs Orchester gestiegen, hab eine Geige genommen, hab mir die Aermel zurückgestreift niid iliit dem Bogen den Takt geschlagen. Wie die Berliner

mein Jabot »iid die reinen Manschetten gesehen habe», haben sie applaudiert. Ich bin nicht »ach Petersburg gegangen, bi» da¬ geblieben und ein berühmter Mann geworden." Das Krollsche Etablissement, eine Art Varietee, war nach dem Tode des Besitzers in Schwierigkeiten gerate». Engel heiratete die

'Erbin und übernahm

die Leitung des Lokals. Ueber seine Gattin ivnren die seltsamsten Gerüchte im Umlauf. Sie sollte nm irgend eines Vergehens ivillcn dazu verurteilt sein, nie das Haus zu ver¬ lassen. Sie liebte ihren Mann und sorgte für ihn, und er hatte eine unbegrenzte Achtung vor ihr. „Sie ist menschenschen," sagte er, „nnd geht niemals ans. Wenn ich sie. ans Brandenburger Thor führte lind drehte sic dreimal herum, würde sie nicht wieder zurückfinden."

Engel war ei» Geschäftsmann, den man nicht so leicht hinters Licht führen konnte. Ein Erfinder teilte ihm mit, er ivolle einen lenkbaren Luftballon konstruieren, mit dem er im Krollsche» Lokal anssteigen werde, wenn der „Herr Direktor" die Herstellungskosten übernähme. Engel sah ihm ernst und entschlossen in die Angen. „Banen Tie gleich zwei Ballons!" „Wozu die doppelte Ausgabe?" „Das; ich Ihnen nachstiegen kann, wenn Sie dnrchbrenncn!" Das Krollsche Etablissement hatte sich ans einem Varietee zu einer künstlerisch geleiteten Soinmeroper entwickelt, aber Engels Eines Tages vorsichtige Geschäftsgrnndsätze blieben dieselben. kam ein bekannter Berliner Schriftsteller znm Direktor, nm ihm einen nicht besonders stimmbegabten aber gut gewachsenen Sänger „Sie müssen ihn den Don Inan singen lassen. empfehlen. Trikot und Seidenwams sieht er prächtig ans. Alle Damen iverden entzückt sei». Er ist ein schöner Mann." Engel stellte sich

zu

In

in Positur und steckte die Hände in die Hosentaschen. „Schau'» Sie mich an; Bin ich ein schöner Mann? Sing ich den Don Juan?" Ein besonderer Gönner Engels war der Generalintendant Der Leiter der Soinmeroper ging bei dem Kollegen von Hülsen. vvii der „Königlichen" ans »ab ein. Herr von Hülsen nahm

nicht nur gern praktische Ratschläge von ihm entgegen, sondern veranlaßte ihn auch mit Vorliebe zu einer seiner drastischen, fast immer den Nagel ans den Kopf treffenden Aeußerungen. Engel ivilßte übrigens ganz genau, daß jeder seiner Scherze, wenn er irgend zur Wiedergabe geeignet war, durch den Generalinten¬ danten dem alten Kaiser hinterbracht wncde, der sich köstlich darüber amüsierte. Der alte Herr konnte Engel, dem er den Titel Kommissionsrat verliehen hatte, auch persönlich gut leiden.

Als er einmal das Krollsche Etablissement besuchte, wurde er vom „Sie sehen famos ans, lieber Direktor in die Loge geleitet. daß Sie ewig jung bleiben?" Sie es nur, machen Engel, wie „Geforben, Majestät, alles geforbcn!" Ucbrigens war Engel kein Witzbold im eigentlichen Sinn des Wortes, wie er sich denn auch niemals wiederholte. Was er sagte, war in seinem originellen Beobachten, Empfinden nnd Denken begründet, eine Eingebung des Augenblicks. Uebrigens hätte ich niemandem geraten, sich über ihn lustig zu machen. Engel konnte entsetzlich grob werden, nnd ich habe einmal in einem solche»

Fall eine Aeußerung gehört, die der durch das Zuschlagen des Fensters unterbrochenen des Ritters mit der eisernen Hand an Deutlichkeit nichts nachgab.

Georg Malkvivsky.

411

Eine Seefahrt nach Frankreich. eit der Urväter Zeiten galt es als eine ausgemachte That¬ sache, das; der gerade Weg der beste sei. Da kamen eines Tages die beiden größten Schiffahrtsgesellschaften, der NorddeutscheLloyd inBremen und die Hamburg»?! inerika Linie, und führten das alte Sprichwort ad absurdum, soweit cs sich um eine Reise nach

Znm 0. Juni hatte der Norddeutsche Lloyd Vertreter der deutsche» mit dem neuen Dampfer „Großer

Presse zu einer Fahrt nach Cherbourg

Kurfürst" eingeladen. Mit einer geradezu bezaubernden Liebenswürdig¬ keit nahm der Lloyd seine Gäste ans; Mitglieder der Bremer Handels¬ kammer hatten

sich zu den

Vertretern der großen Schiffahrtsgesellschaft gesellt,

Parishandelt. Der Weg überKöln-Verviers läßt für Rorddentschland an Kürze nichts zu wünschen

Für Lebens¬ künstler ist cs indessen keinBergnügeiysichvier-

übrig.

nndzwanzig

Diner

Stunden

wagen

einsperren zu lassen; ihnen sei der neue Weg über Bremen

Cherbourg

daß

der

bewiesen

die

Bremer Handelsherren, daß sie nicht nur liebens¬ würdig sein können, sondern auch das rechte

lang in den Eisenbahn¬

und

so

Empfang an Bord des „Großen Kurfürsten" etwas Festliches ge¬ wann. Bei dein großen

Wort am

rechten

Ort

zu finden wissen. Trotz der Reden und Toaste herrschte an den fest¬

ge¬

wiesen. ,.Zn Schiff nach Frankreich!" sei die

lich geschmückten Tafeln ungezwungene, eine

Losung derjenigen, für die Reisen nicht gleich¬

gemütliche Stimmung, und der Lloyd ehrte sich selber am meisten Ehrung, die durch die er seinen Gasten

bedeutend ist mit mög¬ lichst rascher Fortbewe¬

gung von einem Ort znm andern, die auch zu teil werden ließ. etwas sehen und neue DerGeneraldirektordes Gegenden kennen lernen Norddeutschen Lloyd, Nrmnrrtzavrn. Lloyd in L)vrddeutsrl;rtt wollen. Wer noch nie Die '.M!M§ino^cu r''^rcuMoa.l 0 on r>ro Dr. Wiegand, Herr in Bremen gewesen ist, verhindert, in Jlsenbnrg Badeanfeiithalt in seinen durch freilich war hat Gelegenheit, eine blühende deutsche Handelsstadt zu sehen, die Helmolt, Herr Direktor v. allein Herr weilen, Kreise zu fröhlichen dem Windrose den Ruhm des deutschen Namens nach allen Richtungen der machten in Lloyd Beamten des übrigen die und Ingenieur Umbach trägt. Zudem durcheilt im Anschluß an die Seereise der Zug von

prächtigen Cherbourg nach Paris die bergige Normandie mit ihren so daß diese Schlachtfeldern, unzähligen de» und Domen gotischen Genüsse Fahrt nicht bloß dem Kunst- und Natnrsrcnnd auserlesene giebt, Anregung bietet, sondern auch dem Geschichtskenner maimigfache

weltmännischer Weise mit Erfolg die Honneurs des Hauses, ach nein, dienen sollte. des Schiffes, das den Vertretern der Presse als Haus nicht das auch wenn Der „Große Kurfürst" ist das neueste, größte Schiff des Norddeutschen

Ltoyd.

Das zur sogenannten

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Luxus eingerichtet.

Barbarossaklasse gehörige Stahl¬ schiff bildet eine Welt für sich, keine allzukleine und auch keine,

i» der man

sich

langweilt.

Es

lang und knapp neunzehn Meter breit. Selbst dem Großstädter, der an den Anblick vierstöckiger Mietskasernen ge¬ wöhnt ist, imponiert der Koloß, ist 177 Meter

der

in

sich

selbst

sicher

fürsten

Rauch.

ruht.

technischen

Man hört wohl, daß

fähigkeit von 11 000 Tonnen besitzt; allein inan kann sich keinen Begriff machen, was 11000 Tonnen sind. Man begnüge sich daher mit der Versicherung, daß das Schiff sehr groß ist und in¬ folge seiner Schlingerkiele einen äußerst ruhigen Gang hat. Man merkt es nicht, daß das Schiff achtundzwanzig Kilometer und mehr in der Stunde machen kann. In dem Koloß finden 270 Passa¬ giere erster Kajüte, 176 zweiter und 2000 ZwischeudeckSpa fin¬ giere Unterkommen. Die Räume die

Reisenden

ersten

Ge¬

schaftstoilette an der Tafel er¬ scheinen. Der Gesellschaftssaal, der ckruwinA room, ist in hell¬ blau gehalten und macht einen äußerst eleganten Eindruck. Ein vorzüglicher Flügel ist dazu bestimmt, die Geselligkeit zu erhöhen; in diesem Raum wird geflirtet und medisiert werden wie zu Hause. Für die Herren der Schöpfung, die nicht mit ihren Gedanken

allein sein wollen, ist das Rauch¬ Mit seiner zimmer bestimmt. romanischen Architektur und seine» lederbezogenen

erster

Kajüte sind mittschiffs in zwei

seiner

Ausstattung des vornehmen, in mit Gold gehaltenen Weiß Saals, die pompös wirkt und daß den Brauch rechtfertigt, die Reisenden immer in Gesell¬

der .Große Kurfürst" eine Trag¬

für

und

mahlin. Bilder mit Szene» ans dem Leben des großen Kurfürsten vervollständigen die malerische

Einzelheiten werden mir meine Leser gewiß gern erlassen; denn Zahlen sind noch weniger als Schall und

Die

Der große

Speisesaal mit seinem hohen Lnftschacht ist ein Muster von Eleganz und Bequemlichkeit. Von der Glasdecke herab grüßen vertrant die Wappen märkischer Städte, an den Wänden prangen die Porträts des großen Kur¬

Dirscnlrran i» Vrcmrrhiwcn.

Stockwerken untergebracht, während sich diejenigen zweiter Kajüte in der Poop (Hinterdeck) befinden. Sonst ist die Ausstattniig so ziemlich dieselbe. Die Gesellschaftsräume der ersten Kajüte sind mit großem

Sitzgelegenheiten

ladet es förmlich ein zu Nichtsthun

und Kartenspiel. Wem „brminoss" über alles geht, kann hier eben¬ sogut wie anderswo über die hohen Eisen- und Kohlenpreise, über das Fleischschangesetz und dergleichen schiinpfen und seinen Whisky oder Wein dazu schlürfen.

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aber auch die Mängel fehler¬ haft konstruierter Schisse werden mit tödlicher Sicherheit auf¬ gedeckt. Das ist ein Triumph

Solch schwierige Probleme lagen jedoch den Vertretern der gänzlich fern. Presse Nicht

einmal

der

soziale

die

Mitternacht

geringste

Frage zu

Versuch, noch

lösen,

des menschlichen Schöpfergcistes,

vor

Ricsenschöpfungen

seine

daß

wurde

Man saß bis »ach Mitternacht beisammen, aber nur Humor und gute Laune fährten das Szepter, und daß Skat gedroschen wurde — Gott Aegir verzeih ihnen die Sünde — wird wohl niemanden über¬ raschen. Fern von den Ge¬ schäften gab man sich dem Frohsinn hin, ein löbliches

planmäßig entstehen, und daß

Unternehmen, das durch das klare Wetter und die ruhige See wesentlich gefördert wurde.

waltigen

gemacht.

Der 10. Juni ernster Tag;

indessen

der

Die Einzelheiten der Versuchs¬ station haben freilich nur für die Interesse, die sic gesehen und bewundert haben. Auch die beste Schilderung und die vortreff¬ lichsten Bilder können die Wirk¬ lichkeit nicht ersetzen.

sahen

wir

wunderten

war

er

die

die Docks, be¬ die Versuchsstation,

Machtfülle

ab¬

zeichen Bremerhavens geworden;

erste

um die gewünschte Größe und

gewaltige

die in den Händen des Norddeutschen Lloyd ruht. Der Ricscnkran in der Nähe des Trockendocks ist zum Wahr¬ er ist

auch

das Symbol des

Lloyd, der den Verkehr zwischen

bauende» Schiffe durch Her¬ stellung eines Paraffinmodclls von cirka fünf Metern Länge zu prüfen und ausfindig zu machen, welche Form die beste sei,

ge¬

zuschätzen,

in Deutschland, dre bestimmt ist, die Pläne der zu die

Die

Maschinen, die die Wassermassen in die Trockendocks einpumpen, muß man angestaunt haben, um einen Begriff von ihrer Leistung zu gewinnen und

galt der Besichtigung der Anlagen des Norddeutschen Lloyd in Bremer¬ haven. Unter kundiger Führung ein

Zufall dabei fast gänzlich

ausgeschlossen ist.

zwei Welten vermittelt.

Tropdcm der „Große Kurfürst" Ladung einnahm und die am Mast befestigten Hebel die Lasten hochhoben und in dem seine

„Baiser Wilhelm der Grosze" im Dock: Vorderansirhk.

Geschwindigkeit mit den möglichst geringen Unkosten zu erreichen.

Da wird bis auf einen Bruchteil der Reibungswiderstand

des

Wassers berechnet, die Tragfähigkeit des projektierten Schiffes und die Leistung der zu bauenden Maschinen gefunden, kurz, in der Versuchsstation wird die Probe auf das Exempel gemacht;

Abgrund unter Deck verschwinden ließen, auf dem Koloß. In seinem Innern aber ein Rnndgang durch die Maschinenräume daß man die große Hitze drunten willig Geradezu dramatisch gestaltete sich

war eine idyllische Ruhe herrschte Bewegung, und

viel Belehrendes, den Kauf nahm. aber das Bootsmanöver, das bot

so

mit in

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bei' Rcgicrungskommiffar Herr von Levetzow ans dem Sonnendeck veranlaßte. Ehe ein Schiff den Hafen verläßt, werden nämlich die Boote sowie die Schotten ans ihre Zuverlässigkeit geprüft. Mit affenartiger Geschwindigkeit kletterte die Mannschaft in die hiiiausgeschwnngenen Rettungsboote und ließ sich znm Wasser¬ spiegel hinabgleiten. Wen» auch das Manöver niemals dem Ernstfall gleich kommt, so verleiht es doch eine gewisse Sicherheit. Möge es dem „Großen Kurfürsten" vergönnt sein, niemals von der Zuverlässigkeit seiner Rettungsboote Gebrauch machen zu

müssen.

Indessen waren diese Manöver und der Besuch der Zwischendeckränmc für die Gäste nur ein Mittel, um die Zeit zu verbringen, die zwischen de» einzelnen Mahlzeiten lag,' denn nirgends wird so oft und so gut gegessen, wie ans dem Schiff. Erst gegen abend trat der Ernst des Lebens in seine Rechte, als die Answanderer in langem Zuge die Schiffsbrücke betraten. O, das war bitterer Ernst! Bon der Scholle losgelöst, ans der sie geboren wurden, und die sie schlecht und recht ernährt hatte, zogen die Landleute, meist Polen, Slowaken und Ungarn, hinaus, dem Glücke nach. Aus den Gesichtern lagerte meist stumpfe Gleichgiltig¬ keit' die meisten von ihnen schienen Kanonenfutter für de» Kampf nms Dasein, ein Teil jener inerten Masse, die glücklich ist, wenn sie als Erdarbeiter ein Unter¬ kommen stndet. Hie und da tauchte aber auch ein Gesicht auf, in dem der Funken der Intelligenz schim¬ merte. Ob einer unter ihnen das Zeug zu einem Jay Gonld oder einem Banderbilt in sich hatte? Die Wege des Schicksals sind oft wunderbar, und manchem der jungen Burschen, die sich um eine» hingewörfenen Groschen balgten, wird es vielleicht vergönnt sein.

schneehaariges Mütterchen mit der Brille ans der Nase niedergelassen und schreibt einen Brief. Ans dem runzeligen Gesicht spricht eine milde Wehmut' so gut, wie sic cs kann, schildert sie wohl ihre» An¬ gehörigen in der Heimat die Erlebnisse der überstandenen Eisenbahn¬ fahrt. Sic ist keine Bäuerin, sondern eine Kleinbürgerin, die wahr¬ scheinlich ihren Sohn oder ihre Tochter in der neuen Welt noch einmal ans Mutterherz drücken will, ehe sie die Auge» für immer schließt. Aus dein Zwischendeck erschallen die Stimmen betender Frauen, die ihr Ave Maria sagen. Ans der Treppe hat sich ein polnisches Jndeumädchen unter einem fleckigen, roten Souuenschirm niedergelassen und liest ihren Spindler oder sonst einen durch sein Alter ehrwürdigen deutschen Roman. Die Angewohnheit der Lage hält noch alle in ihrem Bann. Müde sind sic nicht, denn an ihrem Gepäck hatten sie nicht schwer zu tragen) manche hatten ihre gesamte fahrende Habe in ein rotes Schnupftuch gebunden. Wozu sich auch mit schwerem Gepäck belasten — besonders, wenn man

überhaupt keins haben kann? Doch da wird unsere Aufmerksamkeit abgelenkt. Unser Schiff gerät in Bewegung. Eine Nußschale von einem Dampfer hat sich

Drr „Grosse Kurfürst": Teil dr« Kauchpiuiiirrs I.

Der „Grosse Knrfiu'Jt“: DL>nr»zi»»nrr.

Tausende zu erraffen. Besonders de» Jungen und Jiingstcn dürfte eine freundlichere Zukunft beschiede» sein. Das weibliche Element übcriviegt, aber nur sehr, sehr wenige hübsche Gesichter sind zu erblicken. Frauen und Mädchen tragen eine weiße Medaille mit einem Bild aus der Brust. Unter meinen Kollegen findet die Legende Glauben, es sei ein geweihtes Heiligen¬ Wirklichkeit ist es bild, das vor der Seekrankheit schützen soll.

In

das prosaische

Bild

des Auswandereragcnten.

die Auswanderer wohnlich eingerichtet hatten, Gruppen sondern sich ab. Dort sammelt sich eine Schar junger Burschen um einen Harmonikaspieler, der seinem Instrument eine eintönige ermüdende Weise entlockt. Dort stehen junge Mädchen zusammen und blicken ans das Ufer, wo Nachdem

sich

erschienen sie auf Deck.

fast ganz Bremerhaven versammelt hat. Jener zwölfjährige Slowakenjnnge mit den verschmitzten Angen, der irgendwo die Häuser mit seinen Mausefallen unsicher gemacht haben mag, steht breitbeinig da »nd besieht sich die Gäste ans dem Promenadendeck erster Klasse. In jenem Winkel drüben ans dem Deck hat sich ein sich

Klasse.

vorgelegt, er tanzt nach rechts und links und schleust uns hinaus. Ter Kampf zwischen David und Goliath. Doch nein! Wir wollen gegen unsern gastlichen „Großen Kur¬ fürsten" nicht unhöflich sein. Als der Klügere giebt er nach; er läßt sich ins Schlepptau nehmen und ans die freie Weser hinansbngsiercn. Die am Ufer Harrende» folgen uns bis zur äußersten Landspitze, Taschentücher wehen, Mützen und Hüte werden geschwenkt; es ist ein herzlicher Abschied ans der Entfernung. Auch der „Große Kurfürst" hat seinen Schlepper ver¬ abschiedet; langsam und majestätisch gleitet er die Anßcuwcscr hinab, der offenen See und der sinkenden Sonne entgegen. Die User treten immer mehr zurück und verschwinden in nebelhafter Ferne, aber noch immer trägt uns der breite, ruhige Strom; denn das Feuer¬ schiff und der Leuchtturm liegen noch vor uns. Wer vermag in¬ dessen die Grenze zu erkenneu, wv sich die Fluten der Weser mit denen der Nordsee vereinen?

Während wir noch beim leckern Mahle sitzen, nähert sich die blutrote Scheibe der zur Rüste gehenden Sonne dem fernen Horizont; aber statt sich in den Fluten zu bette», verschwindet sic hinter einer neidischen Ncbelbank. Tie Nacht sinkt hernieder, zu unserer Rechten im Nordwesten leuchtet das Fixlicht von Helgoland; zu unserer Linken blitzen die Blinkfeuer ans den Leuchttürmen der Nordsee¬ inseln ans. Der volle Mond gießt sein Zanbcrlicht ans über die stille, leicht gekräuselte See. Ein Tag voll neuer Eindrücke liegt

hinter uns, »nd ein Tag des süßen Nichtsthuns harrt unser. Des Nichtsthuns? Mit Verlaub! Wir haben uns redlich bemüht, unsere Zeit geschäftig auszufüllen. Die einen liefen aus dem Promenadendeck im Sturmschritt daher, als gälte cs, einen

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neuen Weltrekord zu schliffen, andere erzählten sich Witze, und ich



Was das ist? Mau uehuie, wie es ich spielte „Ccheffclbord". im Kochbuch heißt, ein Promenadendeck, einen Matrosen, ein Stück Kreide, zwölf kreisrunde Holztafelu, von denen sechs einen schwarzen und ebcnsovicle einen weißen Oelfarbenfleck als Kennzeichen besitzen.

Man thue sechs zierliche Schaufeln und vier Spieler hinzu, und das Spiel kann beginnen. Doch nein, die Zubereitung ist doch gar zu schwierig. Ein Stück Kreide zu beschaffen, ist zwar leicht; im Notfälle kann man schließlich auch einen Matrosen anftreibcn, aber ein Promenadendeck hat man nicht immer zur Hand. Be¬ findet man sich aber auf einem solchen, dann braucht man kein Rezept, denn es findet sich immer jemand, der das Spiel kennt. Drei Herren, die sich als Räuberbande konstituiert hatten, nahmen mich in ihre Mitte, spielten mit mir „Scheffelbord" und knöpften mir ein kleines Vermögen ab, ich glaube, es waren

darf ich all die schönen Worte nicht au den Mann bringen! Pfui! Wäre ich ein Xerxes gewesen, ich hätte Dich peitschen lassen, bis Du vor Wut geschäumt hättest. Da ich aber nichts dergleichen war, begnügte ich mich, mit dem scharfen Fernglas, das mir der Kanzler des deutschen Flottenvereins, Herr v. Beanlic», lieh, den Hausfrauen von Dover beinahe in die Kochtöpfe zu gucken. I» fast greifbarer Nähe lag die Hafenstadt vor uns. Der „Große Kurfürst" verfolgte unterdessen unentwegt seine» Kurs. Das „Kleinod in die Silbersee gefaßt", erschien nur »och als ein dunkler Streifen, als wir zum letzten gemeinsamen Mahle zusaminentrompctet wurden. Wieder stiegen Reden zum Lob des Norddeutschen Lloyd, seines Schiffes und unsers Führers. Kapitän Reimkasten dankte; er sprach glücklicherweise nicht in Versen, dafür drückte er sich in einer ausgezeichneten Prosa ans. Die Allotria, die wir nachher im gemütlichen Rauchsalon trieben, dauerten bis nach Mitternacht. O, laßt mich darüber Solche Erinnerungen vertragen nicht Will nian Druckerschwärze. sich ihrer freuen, so muß man sie im geheimsten Fach seines Gedächtnisses bewahren; im Licht der Ocsfentlichkeit verdorren sie. Selbst die Blinklichter auf den Leuchttürmen zwinkerten vergnügt über schweigen.

die

prosaische

llnsinn, den wir anstellten, und der Vollmond hatte sei» breitestes, behaglichstes Lächeln aufgesetzt. So viele vergnügte Leute hat er nnter diesem Breitengrade wohl selten beisammen gesehen. Es waren die letzten Stunden an Bord, und als wir am nächsten Morgen erwachten, lag der „Große Kurfürst" vor Anker im Hafen von Cherbourg. den

Der „Graste Rurfürst": Sxrisessal I. Rlaste.

Nur der Schlachtruf znm Pfennige. Lunch machte ihrem weiteren meuchlerischen Vor¬ haben ein frühzeitiges Ende. Ohne den rettenden Trompetenstoß wäre es ganz sicher eine Mark und darüber geivorden. So ging die Zeit dahin. Die Sonne lachte auf die fröhliche Menschenschar hernieder, die Nordsee hielt die Sonntagsruhe streng inne. In Güte und wohnten Milde, Herzen unseren Menschenfreundlichkeit, so daß cs uns weiter nicht wunderte, als einer von uns den Vorschlag machte, die Auswanderer auf demZivischendeck zu regalieren. Mit achtzig

einemmal hatten wir die praktischcLösung der sozialen Frage vor uns. Die siebzig Mark, die wir aufgebracht hatten, legten wir in Zigarren und Apfelsinen an. Jeder Mann auf dem Zwischendeck erhielt eine Zigarre, Frauen und Kinder bekamen je eine Apfelsine. Die Besitzenden hielten sich zurück, aber was that's? Die große Masse freute sich und nahm je nach dankend der geistigen Veranlagung die Gabe stumpfsinnig oder Deck, ans dem bald etablierte sich Harmonikamann entgegen. Der größer unten Kreise. Je im sich schwangen Paare einzelne und die Fröhlichkeit wurde, und je weiter der Nachmittag fortschritt, — dem desto inehr ergriff einige von uns das Heimweh nach das Ver¬ aber ans ihm; „Großen Kurfürsten". Noch weilten wir gnügen näherte

sich seinem

Ende.

Land in Sicht! Ganz nahe vor uns taucht die englische Küste auf; von links grüßt französischer Boden. Wir sind im Kanal; aber die See ist ruhig. Unser bescheidener Landwehrkaual kann nicht ruhiger sein. Pfui, schäme Dich, Aermelkanal! Wo ist Deine Tücke, wo sind Deine Stürme? Ich hatte mich schon darauf gefreut, pathetisch Deine „schäumenden Wogen", wie sic „hundert Gelenke zugleich" regen, beschreiben zu können, lind nun

Der „Groste Kurfürst": Promrnadcndick.

Cherbourg, Du schmutziges Provinznest, wie bist Du herabgekomme»! Um Dich waren einst Ströme Bluts geflossen, Eng¬ länder und Franzosen stritten um Deinen Besitz, und wenn Du heute noch genannt wirst, so geschieht es nicht Deinetwegen, sondern wegen, der Dich vom Meere trennt. über zweihundert Millionen Francs Werk, das Das ist ein gewaltiges wurde daran gearbeitet, und Jahre lang gekostet hat. Scchszig heute bildet der große Hasen eines der großartigsten Werke der modernen Wasscrbauknnst. Ein riesiger Damm schließt ihn von der offenen Sec ab, und Forts beherrschen ihn vom Strande wie des gewaltigen Kriegshafens

von der Landseite ans. Armes Cherbourg, erinnerst Du Dich noch der Zeiten, als Du durch Wilhelm den Eroberer an die englische Krone kamst, und warst Du damals schon so schmutzig, wühlten damals schon die Hunde in den Kehrichthaufen ans den engen Straßen und Gassen? Und dabei liegst D» so malerisch zu Füßen felsiger Berge, Größe am Eingang waldiger Thalmulden. Bon Deiner einstigen zeugt »och Deine schöne Kirche und

Tein Stadthaus.

Der Aufent-

416

halt in Cherbourg dauerte nicht lauge. Ein Extrazug nahm »ns auf und führte uns in raschem Flug durch die Normandie,' ihre Berge und Thaler zogen vorüber, „kaum gegrüßt, gemieden." Die Kette der Tunnels nahm gar kein Ende. Die Normandie ist die historisch bedeutendste Provinz Frankreichs. Ihr Name war gerade gut genug für den Thronfolger) heute hat mau ihr nicht einmal den Namen gelassen, heute heißt sie Departement Calvados. Weshalb? Wozu? Aber die alten Städte und historischen Stätten hat man ihr nicht nehmen können. Roch steht Catzn mit seiner Stephanskirchc, die Wilhelm der Eroberer, und der Dreifaltigkeitskirche, die Wilhelms Gattin gestiftet hat. Beide Kirchen sind beinahe neunhundert Jahre alt. Der Zug hält in Catzn, und der Blick ans die malerisch gelegene

dem alten Schloß hafte», in dem einst Wilhelm Vater des modernen England, gelebt hat. Catzn der Eroberer, der ist eine große, alte Stadt, und es ist schade, daß man sie nicht besichtigen kann. Ebenso sind Bayeux mit seiner herrlichen Kathe¬ drale und Evreux mit seinem Dom historisch bedeutende Städte.

Stadt bleibt ans

Der Zug hält da mir, um ein wenig zu verschnaufen. Dann geht es fort mit rasender Eile, bis der Eiffelturm sichtbar wird, und bis man bald darauf in das Weichbild von Paris einfährt. Es war eine schöne Fahrt, die eine angenehme Erinnerung fürs ganze Leben bleiben wird. Deshalb sei der neue Weg jedem empfohlen, dem cs ans einen Tag mehr nicht ankommt, und der einen offenen

Sinn für Ratnrschönheiten

besitzt.

M. Folticineano.

Die Kanalseier in Lübeck. i|m

16. Juni vor fünf Jahren wurde in feierlicher Weise der Rord-Ostsee-Kanal seiner Bestimmung übergeben, der Kanal, von dem die freie und Hansestadt Lübeck eine gewisse Schädigung ihres Handels besiirchten konnte. Mußte sie doch annehmen, daß

r

Ausdruck zu geben. Im allgemeinen war beim Dekorieren recht viel Geschmack bekundet worden, so daß die Stadt in ihrem Fest¬ kleide einen imponierenden Eindruck machte. Zn der Kanalfeier waren Einladungen in großer Zahl er-

Der hissorifitzr Moment: Das Durchschneiden des letzten Hindernisses.

Schiffahrtsstraße den Ostseeverkehr — und in diesem hat bisher der Schwerpunkt des Lübecker Handels gelegen — von der alten, aber nicht altersschwachen Travcstadt abziehen würde oder wenigstens abziehen könnte, wenn Lübcckischcrseits nicht geeignete Schritte gethan wurden, die die einstige Königin der Hanse ihre Stellung als Handelsplatz an der Ostsee behaupten ließen. Und diese Schritte waren danialS, als die Eröffnung des Nord-OstsceKanals in so glanzvoller Weise erfolgte, bereits gethan; etliche Tage vorher war der Grundstein zum Elbe-Trave-Kanal gelegt worden, und am vorigen Sonnabend, am 16. Juni, au dem vor fünf Jahren der Nord-Ostsee-Kanal eröffnet worden war, sah endlich Lübeck das große Werk vollendet, von dem es eine neue, eine bessere Zeit erhofft, und konnte es in ungemein feierlicher und würdiger Weise seiner Bestimmung übergeben. Schon tagelang vorher herrschte aus diesem Anlaß eine nicht zu verkennende festlich-frohe Stimmung in Lübeck, die sich von Tag zu Tag steigerte und an dem Festtag einen ungeahnten Höhepunkt erreichte. Der Bedeutung des Tages entsprechend hatte Lübeck ein so festliches Gewand angelegt, wie cs ivohl noch »immer getragen hatte. Der ganze Weg, den der Kaiser passieren sollte, war in eine via, triumphalis umgewandelt worden; die öffentlichen Gebäude und die Privathäuser in den Hauptstraßenzügen waren durch Ehrenpforten, mit Guirlande», Fahnen rc. sehr reich ge¬ schmückt. Aber auch in den Nebenstraßen hatte die Bevölkerung es sich nicht nehmen lassen, ihrer Freude über die Vollendung des Kanalbaues, sowie darüber, daß der Kaiser in eigener Person die neue Wasserstraße eröffnen würde, durch Fahnenschmuck rc. beredten diese

gangen, und gegen 500 Ehrengäste des Senats, soivic etwa 70 bis 80 Vertreter der angesehensten Blätter Deutschlands und der nor¬ dischen Staaten, die ebenfalls als Ehrengäste geladen waren, waren Zeuge der feierlichen Kanaleröffnung. Die Regierungen von Schwede» und Norwegen, viele Handelskammern des In- und Auslandes hatten Vertreter zu dem Fest gesandt, welche die Glückwünsche dieser Korporationen überbrachten. Reichte die Be¬ deutung des Tages doch weit hinaus über Lübeck und seine Fest¬ freude! Das alte Rathaus sah, wie Herr Landrichter vr. Benda, der Wortführer der Bürgerschaft, in seiner Festrede im Rathaus auf die Gäste geistvoll ausführte, manche glänzende Versammlung der Sendboten der Hause. Der Sorge und Pflege des deutschen Gemeinsame wirtschaftliche Handels galten diese Hansetage. Interesse» hatten den alten Bund der „Kaufleute von der deutschen Hanse" ins Leben gerufen; Hanse heißt Schar oder Gemeinschaft. — Die Männer, deren Anwesenheit in Lübeck am 16. Juni die Lübecker ehrte, waren auch gekommen als eine Schar berufener Vertreter gemeinsamer wirtschaftlicher und Haudelsintereffen. Auch So war dieses Fest war dem Nutzen des Handels geweiht. aber Lübeck; in Hansetag ein einmal wieder also wahrlich ein solcher, wie ihn die Väter nimmer gesehen! In unserer Mitte, vom Jubel umtönt, unser Kaiser! Noch niemals vor diesem Tage umschloß einer Hansestadt Festzelt mit des Reiches Kaiser die Bürgermeister und Vertreter von Bremen, Hamburg und Lübeck! Zn den alten Hansetagen entsandten nur einzelne Als Genossen der Hanse in fremden deutsche Städte ihre Boten. Reichen saßen nur Bürger der Hansestädte selbst in wohlbefcstigten

417

Niederlassungen, durch Wall und Graben getrennt von den Land¬ bewohnern, schwerbewaffnet mst Panzer und Schwert, immer bereit zu Kampf und Scharmützel! Auf dem neuen Hansetage am letzten Sonnabend dagegen standen Hand in Hand beieinander Ausländer und Deutsche, wer nur immer berufen ist, Pfleger zu sein des Völker verbindenden, Völker beglückenden Handels. Nicht nur ans allen deutschen Landen, auch aus den Nachbarstaaten im Osten und Westen und den nordischen Reichen, den alten Wurzelstätten des hansischen Handels, die Vertreter der Regierungen der Städte, der Handelskammern, der Industrie fanden sich in Lübeck zu¬ sammen: Kriege vorzubereiten, oder ans dnrchfochtenen Kriegen die Früchte zu verteilen oder die Lasten, das war zumeist der alten Hansetage Zweck. Der neue Hansetag dankt sein Zustandekommen einem Werk, das nur sichere Friedeusznversicht auszuführen ver¬ mochte, das nur unter dem Segen eines von starker Staatsmacht geschirmten dauernden Friedens die Hoffnungen erfüllen kann, die auf seine Zukunft gesetzt sind. Diese schönen Ausführungen treffen den Nagel auf den Kopf, und in diesem Sinne wurde die ganze Kanalfeier be-

Kanalbau gelegt worden war. Eine Tribüne von riesiger Größe hatte etwa 1500 Dainen und Herren der Lübecker Gesellschaft und die Ehreitgäste aufgenommen, die den Kaiser mit lebhaftem Hurra begrüßten. Unter Professor Stiehls vortrefflicher Leitung trug ein gemischter Chor von etiva 400 Personen eine Festkantate vor. Dann hielt der Bürgermeister Lübecks eine Ansprache, in der er auf die Bedenlnng der »eilen Wasserstraße hinwies und dem kaiserlichen Herrn für den Schutz, den er Lübeck angedeihen lasse, Auch die für Lübeck überaus huldvolle Antwort des dankte. Kaisers auf diese Ansprache ist ja inzwischen bekannt geworden, so daß wir es uns versagen können, hier näher auf sie einzugehen. Der Augenblick von geschichtlicher Bedentnng war vorüber — und

inzwischen hatten schon die ersten Schleppzüge den neuen Kanal schwarzgelbe passiert: zum erstenmale wehte in unserem Hafen die Flagge Oesterreichs! Ohne in Lübeck einen Imbiß zu sich genommen zu haben, fuhr der Kaiser durch die Hauptstraßen der Stadt zum Bahnhof

und

setzte

dann seine Fahrt nach Brunshausen fort.

Die Schulen

ganzen Freistaates, zahlreiche Vereine und Gewerke bildeten Spalier, und hinter ihnen stand, eine lebendige Mauer, in musterhaftester Haltung die unzählbare Menge, die dem Kaiser immer wieder huldigte. 5 .£.'..„v Wahrlich! der Empfang, der hier dem Kaiser zu teil wurde, war so ehrlich und so herzlich gemeint, wie er ehrlicher und herzlicher nicht denkbar ist. Abends fand in den Prnnksälen unseres herr¬ lichen Rathauses ein auserlesenes Festmahl statt,

des

1

.

1

an dem etwa fünfhundert Herren, darunter auch die preußischen Staatsminister v. Miguel, Brefeld, v.Hammerstein-Lvrten, v. Thielen, v. Rheinbaben, Staatssekretär v. Podbielski und Graf Waldersee teilnahmen. Die Festtafel wurde durch manches Wort von Bedeutung gewürzt, auch seitens der Minister v. Thielen und v. Miguel. Während

Jaljrf des Kaisers auf dein Dampfer Lubeca nach der Hafenlandungsbrnrlre» vorbei an den Kriegsschiffen Natter und Skorpion.

gniifleu. getrübt. herzogs

Seiber wurde die Festfreude in etwas

Ans Anlaß des Ablebens des Gro߬ Peter von Oldeubnrg war das

des Kaisers zu der Feier zunächst in Frage gestellt, und noch am Abend vor der Feier war es fraglich, ob der kaiserliche Herr der Stadt Lübeck und ihrem Fest durch seine Teilnahme an dein letzteren erhöhten Glanz Endlich im letzten Augenblick geben würde. wurden die obwaltenden Bedenken zerstreut: der iVagriifahrt vor drr Eröffnung des Kanals. Kaiser hielt in die alte Hansefeste seinen Einzug Nrbrn dem Kaiser stlff Vürgermriffrr I>r. Klug. und eröffnete die neue Wasserstraße. Aber unmittelbar nach dem Festakt verließ er dessen war unser unvergleichlicher Marktplatz durch zwei Lichtfontäne» wieder die Stadt, nahm also an dem Festmahl zum allgemeinen und durch andere Arrangements der modernen Beleuchtungstechnik ans Bedauern nicht teil. Das war ein Wermntstropfen in dem Kelch das prächtigste illuminiert: hier wie auf anderen Plätzen der Stadt der Freude! Aber um so dankbarer jauchzte und jubelte die be¬ konzertierten Musikkapellen, und überall beivegte sich eine schier möglich zu, daß er es doch geisterte Bevölkerung dem Monarchen undurchdringliche Menschenmenge in gehobenster Stimmung. In der gemacht hatte, unserem Fest die rechte Weihe zu geben. That, ei» Volksfest im edelsten Sinne des Wortes! Und nirgends präsidierenden dem Kaiser von der wurde Bahnhof Auf dem ein Mißton, nirgends eine Ausschreitung! Lübeck kann auf seine Bürgermeister Herrn Dr Klug empfangen, worauf Se. Majestät mit dem Bürgermeister einen Galawagen bestieg und über die besonnene, ruhige Bevölkerung stolz sein, aber auch ans seine Polizei, die in taktvollster Weise ihres Amtes walrete. herrlichen Wallanlagen nach dem erst kürzlich freigelegten alten Am Tage darauf gab die Handelskammer als die Vertreterin Kaiserthor fuhr. Hier bestieg der Kaiser nebst Gefolge, in dem Lübecker Kaufmannschaft den Ehrengästen ein Fest. Gegen Waldersee, der Generalfeldmarschall Graf Ehrenbürger, auch Lübecks sich fünfhundert Herren, zum allergrößten Teil die Ehrengäste des befand, das Festschisf „Lubeca", und in schnellster Fahrt ging es Senats voin Tage vorher, fuhren mit dem stattlichen Dampfer der Einmündung des Kanals in die Trave zu, wo eine seidene „Willkommen" nach unserem lieblichen Ostseebade Travemünde und Schnur noch den Weg sperrte. Alle Glocken der Stadt ließen ihr von dort aus eine längere Tour in See. Darauf fand machten Türmen den ertönen, und von Geläute feierliches, harmonisches im Kurhause zu Travemünde ein opulentes Festmahl statt, das unserer alten Profanbanten erbrausten' Fanfaren. Die unzähligen einen wohlgelungenen Verlauf nahm. Auch die Herren Minister Tausende waren sich der großen Bedeutung dieses historischen »ahmen wieder an der Beranstaltnng teil, und zwei von ihnen, unserem Kaiser und jubelten dem Augenblicks voll bewußt und v. Hammerstein und v. Thielen, brachten auch Trinksprüche ans, Bürgermeister immer wieder zu. Nun war die sperrende Schnur in denen sie das Projekt des Mittellandkanals streiften. erreicht, das Kaiserschiff zögerte einen Moment: dann war die Der glanzvolle neue Hansetag ist verrauscht, und eine Zeit Schnur durchschnitten und die Bahn für den Verkehr ans dem ernster Arbeit bricht nunmehr für Lübeck an: es muß und wird auch weiten Hinterland der Elbe nach den nordischen Staaten frei: mit allen Kräften bestrebt sein, die neue Wasserstraße rentabel zu die Elbe hatte eine zweite Mündung bekommen, in die Ostsee! Nun folgte der Festakt auf der Stelle gegenüber der Kaiial- machen. Möge ihm das in seinem Interesse und in dem des Oscar Montan. Deutschen Reiches in vollem Maße gelingen! mündnng, auf der vor fünf Jahren der Grundstein zum

Erscheine»

418

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1

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We Rcttcfit). Line Novelle von Gustav Johannes Krcuift. (Fortschimg.)

Sie doch kein so empörtes Gesicht, Herr Hofer," raunte Schröder dem Münchener zu und

chneiden

dann au seine Freunde. „Kinder, wir müssen natürlich niachen, das; wir au Land kommen. Und rudern. Gegen den Wind aufkreuzen geht zu langsam." Die Herren waren einverstanden. Auch Hofer ließ sich ei» Ruder geben, und die „Leonic" flog nach dem Segler¬ schlößchen, von wo sie vor etwa einer Stunde ausgelaufen

wandte

sich

ivar, zurück.

Bord wurde nicht viel gesprochen. Die Herren arbeiteten im Schivciß ihres Angesichts an den Riemen, Au

und auch die Damen schwiegen, von den johlenden Gaffern belästigt, die das Schiff in ihren Booten umschwärmten und aus Leibeskräften arbeiteten, um ja nicht zurückzubleiben.

Marys

große Blauangen hingen in schwärmerischer Be¬ Welche Heldin dem Profil ihrer Cousine. an geisterung Manne das einem gar hatte sic Nun Leonic doch war!

Und so schön auch jetzt, wo der Paletot um ihren Oberkörper schlotterte und die nassen Haare ihr an Stirn und Schläfe klebten. — In diesem Zustande so bild¬ schön zu sein, das sollte ihr eine nachthun. Leben gerettet.

Das warmherzige Kind wäre der Bewunderten ani liebsten um den Hals gefallen, wenn nur das neugierige Volk in den Mietsbooten nicht gewesen wäre, das so zudringlich hinstarrte. Leonie ivicder spähte verstohlen in das Gesicht Hofers, der die Augen unwillig gesenkt hielt und sein Ruder kräftig

Dieser da aber war noch lange keiner von den Ge¬ Er war wohl noch mitten drinnen in der Zeit wordenen. des Ringens und Känipfeus und Aufwärtsstrebcns ohne

Hatte sie doch trotz ihres leb¬ sichtbaren äußeren Erfolg. haften Interesses für die bildende Kunst noch niemals von einem Bildhauer Karl Hofer gehört oder gelesen. Er mußte

wohl der richtige Kunstzigcuner sein. Leonie wunderte sich darum, den jungen Mann so Er mußte doch ein ganz her¬ tadellos vornehm zu finden. vorragender Mensch sein, daß er im Zustand der gründ¬ lichsten Durchweichtheit, eben erst von schwachen Mädchenhänden dem sicheren Wassertod entrissen, einen so wenig kläglichen oder lächerlichen Eindruck machte. Oder sollte er diesen Eindruck bloß auf sie nicht machen? also

War

er

ihr etwa gerade dadurch, daß

des eigenen Lebens aus der so ans Herz gewachsen, daß sie

Sie bemühte sich zu ergründen, >vas für eine Art Mensch ihr Geretteter wohl sein möge. — Bildhauer! Für die Tochter des Kommerzienrats und großen Fabrikanten Leon Lürscn lag um das Künstlertum ein seltsamer, anziehender und zugleich abstoßender Duft. So freigeistig sie auch dachte, ein Künstler ivar in ihren Augen doch immer noch ein Mensch, der die glänzendsten Gaben des Geistes, das kavaliermäßigste Auftreten und dazu noch einen berühmten Rainen nötig hatte, um es vergessen zu machen, daß er im Grunde gar nicht in die gute Gesellschaft hincingehörte, die ihn gleichwohl ver¬ hätschelte und auf den Händen trug.

Im Haus ihrer Eltern verkehrten genug solcher Herren: Modedichter, Modemaler, Modckomponisten. An ihnen allen hatte das feinfühlige Mädchen das Wesen des Empor¬ kömmlings durch die glatte und glänzende Außenseite des Weltmannstums hindurch deutlich wahrgenonimen. Und das waren berühmte Leute, deren Namen täglich in zivanzig Zeitungen zu lesen waren, die über wahrhaft fürstliche Ein¬ nahmen verfügten, und denen nicht bloß die ersten Häuser Berlins, sondern sogar die Empfangsräumc des kunstliebenden Kaisers selbst schon seit Jahren offen standen. Sic hatten also Zeit und Gelegenheit genug gehabt, die Spuren ihrer niedrigen Herkunft und ihrer zum Teil Verhältnissen durchkämpften Jugendjahrc abzuschleifen.

unter den kläglichsten

ihn mit Gefahr hatte, schon

ihn mit Augen ansah, die

ihn verschönten, indem sic über das Abstoßende hinwegsahen hefteten? und sich fest auf das Edle und Bedeutende an ihm Das mutige Fräulein aber liebte cs, nicht bloß andere,

Sie be¬ sondern vor alleni sich selbst scharf zu beobachten. den nehmen, gann also den Eindruck unter die Lupe zu sic auf Siegfried dieser blondbärtige, langbeinige junge ihr dieser wohl machte, und sie erschrak beinahe darüber, wie Mensch gefiel, von dem sie doch nichts kannte als die Außen¬ seite

und den Namen. Wie hilfesuchend sah

um. sich nach den andern be¬ Fremdling den die Augen Sie wollte sehen, mit welchen sic

trachteten.

Was

durch das Wasser zog.

sie

Flut heraufgeholt

sic

beobachtete,

war ganz danach

angethan, sic

In über den Zustand des eigenen Gemütes zu beruhigen. sie wenn zeigte sich, Männer jungen der Gesichtern den charakteristischen jener Ausdruck der ansahen, Herrn Karl Hofer Mißgunst, die minderwertige, aber anspruchsvolle Leute dem entgegenbringen, au dem sie eine starke Ueberlegenheit herausfühlen. Mary aber hing an den offenen, geistvollen und gutmütigen Zügen des Bildhauers mit einen, Blicke, der in seinem widerstandslos hingegebenen Entzücken geradezu komisch wirkte. Ein Leonie brauchte sich also nicht zu beunruhigen. Ab¬ viel so Blick den ersten Mensch, dem die Männer auf neigung widmeten und den ein Mädchen, gleichfalls auf den ersten Blick, so innig bewunderte, der war es schon wert, daß sie, seine Retterin, ihm gut war. Das Boot hatte sich mit seinem Gefolge von Nachen indessen der Anlegestelle des Restaurants „Seglcrschlößchen" soweit genähert, daß die aufgeregten Rufe der an deni 'genug Landungssteg sich drängenden Wirtshausgäste laut herüberklangeu, um Leonie aus ihren Gedanken aufzu¬ scheuchen.

nach der dunkel wimmelnden Menschenmenge erkannte ganz vorn ans dem Steg ihre Eltern,

Sic spähte am Ufer und

Eltern Or. Schröders und die gemeinsamen Freunde der beiden Familien, die den Ausflug nach Schmöckwitz mitge¬ die

419

Hofer händigte erst den beiden Burschen, die seine» Skuller eingebracht hatten und sich nun an ihn heran¬ drängten, den versprochenen Thaler aus und begab sich dann

Sic sah auch das kleine, zweisitzige Bvat am liegen, dessen Insassen offenbar voransgerndcrt waren, Ufer Schauerund Wundcrmär bei den Gästen, nm sich mit der die das Gartenlokal zahlreich bevölkerten, wichtig zu machen. Um ihre Eltern zu beruhigen, winkte Lconie mit Marys macht hatten.

auch »ach dem Restaurationsgebäude, um irgend einem seiner männlichen Bewohner einen trockenen Anzug abzuborgen. Kroncck und Habermann, die sich seitwärts gehalten hatten, sahen ihn: nach. ,,'n schneidiger Junge!" meinte der Assessor. Der Architekt nickte tiefsinnig. „Mir thut nur der gute Schröder leid . . ."

Sonnenschirm und schrie lustig: „Keine Angst! — Beide frisch und gesund." „Nnr pudelnaß!" antwortete vom User her vielstimmiges

Rufen.

Zwei Minuten später stieß der Kiel der „Lconie" knirschend auf den Sand. Die Aussteigeuden wurden sofort von ihren Angehörigen umdrängt, um die sich als äußerer Ring der neugierige Schwarm des Publikums zusammenschloß. Kommerzienrat Lürsen, ein hochgewachsener, stattlicher Herr mit wohlgepflegten blonden Bartkoteletten, der eher aus¬ sah wie ein Diplomat als ein Kaufmann, begnügte sich, seiner Tochter die Wangen zu tätscheln und zu sagen: „Du Wagehals!" Dann fragte er nach dem Geretteten.

Karl Hofer

Der Herr Kommerzienrat stellte sich vor. im stillen über das Wesen des langen, jungen Menschen, das wohl unbeholfen, aber nicht linkisch war. Dieser Herr Hofer besaß offenbar ivcnig Weltgcwandtheit, war aber eine jener glücklichen Naturen, die ohne Anleitung das Richtige treffen. Lürsen, deni alles Ursprüngliche, soweit es nicht gegen den guten Ton verstieß, gefiel, lies; sich erst den Hergang des Unfalles erzählen und erkundigte sich dann wunderte

sich

mit der Miene eines Fürsten, der beim Cercle zu jedem von dem spricht, was ihn persönlich angeht, nach den künstlerischen Weniger Erfolgen und Plänen des jungen Bildhauers. freundlich wurde Hofer von der Mutter seiner Retterin auf¬ Die schlanke, schwarzhaarige Dame, deren Ge¬ die Spuren freilich längst verblichener Schönheit zeigte,

genommen. sicht

konnte es ihm offenbar nicht verzeihen, daß sich ihre ver¬ götterte Tochter um seinetwillen der Gefahr des Ertrinkens ausgesetzt hatte. „Die reine verkehrte Welt!" sagte sic ungnädig. „Ihnen

ja weiter kein Vorwurf zu machen, Herr Hofer. Im Wasser vom Krampf befallen zu werden, das kann jedem Aber die jungen Herren im Boot, die haben sich passieren. nicht gerade schön benommen, daß sie Lconie nachspringen ließen. — Und warum hast Du sic nicht zurückgehalten?" wandte sic sich scharf an Mary. „Ach Tante," stammelte das Mädchen verwirrt, „es ging ja alles so schnell. Und dann . . ." Sie stockte und sah Hofer an, als bitte sic ihn, ihr bciDer verstand den Blick und bemerkte gemütlich zuspringcn. „Dann wär ich ja er¬ Münchncrisch: breiten in seinem ist

trunken, gnä Frau. Und um mich wär's bei Gott schad' Uebrigcns ist Ihr g'wesen, das dürfens mir glaub'». Fräulein Tochter noch immer in einer Gefahr, nämlich in der, sich in ihrem nassen Zeug greulich zu verkühlen. Ich schlag' also vor, Sie schau'», daß wir von der Wirtin ein trock'nes G'ivand kricg'n. Ich werd' für mich den Wirt um eins anreden." Einige von den Umstehenden lachten über diese Rede Er hatte des Müncheners, ohne recht zu wissen, warum. dem er der Ton, in doch nicht den geringsten Witz gerissen, sprach, war so achtungsvoll wie nur irgend möglich gewesen, und doch hatte jeder den Eindruck, die hochfahrende und rücksichtslose Dame sei nicht übel abgefertigt worden. Frau Lürsen selbst sah Hofer einen Augcnbick verblüfft an und Da sie schien zu überlegen, ob sie nicht böse werden müsse. vor, dem sie es zog aber dafür keinen rechten Grund fand, Rat des jungen Mannes zu folgen. Sie eilte, Lconie an der Hand haltend, mit ihr dem Hause zu.

„Glauben Sie ivirklich?" fragte der

Assessor

mit hoch-

gezogenen Augenbrauen.

„Was?" fragte Habermann

zurück.

mit diesem Herrn Hofer was anbändelt? .

„Daß die Lürsen Das möchte ich

Wahrscheinlich ist es aber. Wie sie ihn angeguckt hat vorhin, während wir nach Hause ruderten. Aber wie gesagt, behaupten will ich da noch nichts. Dagegen ist es soviel ivic sicher, daß sämtliche Hoffnungen des Dr. Schröder in das Wasser gefallen sind, aus dem er den Schön war's bayrischen Bruder nicht herausholen wollte. gerade nicht behaupten.

ja nicht. halbe

Aber anderseits ist er hart gestraft.

Million

.

.

Sie hat

eine

."

„Und Rasse!"

schaltete Kroncck ein.

„Sogar zwei

Rassen.

Hambnrgischc nach

dem

Vater

und polnische nach der Frau Mama." „Die hambnrgischc ist mir lieber." Fritz Schröder hatte indessen mit seinen Eltern eine leise Unterredung gefühlt, die sich darum drehte, ob man noch bleiben oder lieber gleich das Schlachtfeld räumen sollte. Der Sohn plaidicrtc für den grollenden Rückzug, der Vater stimmte dafür, zu bleiben. „Du hast Dich hinreichend arg blamiert," sagte der Herr Sanitätsrat scharf, „um Gelegenheit zu suchen, die Scharte

wieder auszuivetzen."

„Ich

ob Du so rasch bereit wärst, ins Papa!" erwiderte der Sohn bissig. „Daß

möchte wissen,

Wasser zu hopsen,

blamiert hätte, gebe ich nicht im geringsten zu. Es hat sich nur gezeigt, welches Geistes Kind die exzentrische junge Dame ist, die ihr mir durchaus habt aushängen wollen. Und was das SchartenanSwetzcn betrifft . . . wenn Du damit meinst, Papa, daß ich mich bemühen soll, die Gunst Wenn Du des Fräuleins zurück zu erobern, da strcikeich. dabei gewesen wärst, ivic sie mich zuerst wütend anfauchte, weil ich dem fremden Kerl nicht so mir nichts Dir nichts nachspringen ivolltc, und wie empörend sie mich nachher ge¬ schnitten hat. Das laß ich mir nicht bieten." ich mich

„Sie hat

Million Mitgift!" fiel

aber eine halbe

Sanitätsrat mahnend ein. „Fritz hat recht," mischte

der

nun die Frau Sanitätsrat ein, die bis jetzt schweigend zugehört hatte. „Er muß nicht bloß auf die große Mitgift sehen; reiche Mädchen giebt's Aber vor allem nmß er eine Frau von feinem mehr. Benehmen haben. Und Lconie hat sich ja heute geradezu Bor drei jungen Männern die unanständig benommen. werfen, um einen vierten, der sie gar sich zu von Kleider apportieren!" zu der Spree nichts angeht, aus Er „Siehst Dü, Papa!" sagte Fritz triumphierend. wußte, daß der Sieg nun, da die Mutter seiner Meinung bei¬ gepflichtet hatte, für ihn entschieden war. Denn daß der Papa der Mama gegenüber seinen Willen durchgesetzt hätte, das sich

war im Schröderschen Hanse vorgekommen. Der alte

seit

Menschengedenkcn

nicht

Herr zog auch richtig ärgerlich an seinem Vollbarte, ivas bei ihm ein Anzeichen widcrwilligcn Nach¬ gebens ivar, und sagte mürrisch: „Meinetwegen! Thut, was

420

Ihr

wollt! Lieber wär mirs gewesen, Du hättest Dich bei Ihr Korps¬ der Geschichte mehr als Mann gezeigt, Fritz. Tapferkeit Hängemensuren die studenten züchtet ja auf Euren ordentlich in Reinkulturen. Warum versagt Ihr denn, ivenn's einmal Ernst ivird, he?" Der Hieb saß. Fritz, der cs nicht vertrug, ivenn über das Koulenrwesen gespöttelt ivurde, bekam einen roten Kopf und wollte heftig antworten; die Mutter schnitt ihm aber das

das Wort ab.

durchaus gezankt „Vorher bleiben wir ein wenig da und zeigen den Leuten ein Die bilden sich sonst ein, wir sind Gesicht. unglücklich darüber, daß das hochnäsige unsern Fritz schlecht behandelt."

„Zankt Euch zu Hause, ivenn werden muß!" sagte sie gebieterisch. aber erst noch kühles, ruhiges iveiß Gott wie

Fräulein Leonie

schon

„Das schönste ist, daß ich mein neues Boot gerade noch ans ihren Namen getauft habe!" murrte der junge Mann ärgerlich.

In

drängte sich Rechtsanwalt Augenblick glatzköpfiger Herr mit röt¬ kugelrunder, Lehniaun, ein kleiner, der Schröders Gasferschivarm, licher Weinkennernase durch den diesem

von der übrigen Gesellschaft getrennt hatte.

„Uff, meine Herrschaften!" keuchte er. „Was für ein ereignisreicher Tag! Ein tapferes, kleines Mädel, die Loni, was, Herr Doktor? Komische Sache! Zieht da ein schwaches Mädchen so einen großen, starken Mann aus dem Wasser! — Originell, was? Da muß nian ivirklich —" „— eine Bowle darauf trinken, Herr Bowlen-Lehniann, was?" ergänzte Fritz Schröder lachend. „Das wollen Sic ja doch anregen, nicht? Haben auch geiviß schon eine ganze Menge Unterschriften für Ihren Antrag gesammelt?" Boivlcn-Lehmann, wie der rundliche Herr in der „Clique" genannt wurde, lächelte mit der Miene eines Mannes, der mit seiner Liebhaberei geneckt wird und sich dadurch halb gekränkt, halb geschmeichelt fühlt. „Sie sind alle dafür," berichtete er. „Einige waren — freilich für Glühivcin, um den Wassermann und die Nixe Aber dann ist der famoser Witz, was? — zu erwärmen.

Natürlich, bei der Hitze!" Er lüftete den Hut und betupfte sich mit dem Taschen¬

Bowlenantrag durchgedrnngen. tuch seufzend die feuchte

Stirn.

„Wir halten natürlich mit, Herr Rcchtsanivalt," Fran Sanitätsrat min.

die dem lieben Kinde, noch

„Uebrigens habe

erklärte

ich der Leonie,

gar nicht ordentlich Glück wünschen können zu ihrer Heldenthat. Wo steckt sie denn? Ich seh sie nicht. Und die Frau Kommerzienrat auch nicht." „Die beiden sind ins Haus gegangen, um das Fräulein in trockenes Zeug zu stecken," erklärte der Rcchtsanivalt. Weiblich „Uebrigens famoses Mädel, die Leonie, ivas? wär's geWeiblich nicht. gerade freilich Geschichte die war Ohnmacht zu in oder kriegen Weinkranipf zu ivcscn, den junge der wie oder Hofer oder fallen. Aber Herr Hüber Mensch heißt, kann sich gratulieren, daß die neue Generation ein wenig emanzipiert ist. Der wäre jetzt eine Wasserleiche, ivenn das Mädcheu weniger forsch geivesen wäre. Uebrigens ein famoser Junge, der Herr Hofer, nicht?" Er kugelte davon, ohne erst eine Antivort abzuivarten. Seinen Zweck hatte er ja erreicht. Sanitätsrats nahmen an der Bowle, die er brauen wollte, teil. Frau Schröder nahm den Arm ihres Sohnes und folgte dem Rechtsanivalt, ivährend sie eifrig auf Fritz einredete, der eine ziemlich finstere Miene zur Schau trug. Der alte Sanitätsrat ging hinter den beiden her und schüttelte den Kopf. Es ivnrmtc ihn noch inimer, daß sein Fritz nicht mehr Schneid gezeigt hatte. Als Frau Lürsen mit Leonie, die sich in einen Anzug der Wirtstochter gesteckt und ihr Haar, so gut es ging, in

Ordnung gebracht hatte, zu ihrer Gesellschaft zurückkehrte, saß diese schon in dem geschlossenen Pavillon, den ihr der Wirt angeboten hatte, weil sie da vor der zudringlichen Menge der Sonntagsnachmittagsgäste geschützt war. Das Erscheinen der beiden Damen rief einen wahren Aufstand hervor. Die ältesten Herren beeilten sich, Leonie zu versichern, daß sie als kleines Spießbürgermädchen geradezu entzückend aussähe. Sogar Bowlen-Lehmann, der auf einem kleinen Tischchen in der Ecke eine niächtige Terrine stehen hatte, an der er herummischte und kostete, ließ seine Lieblingsbe¬ schäftigung einen Augenblick ruhen, uni seinen „famosen Witz" von dem Wassermann und der Nixe bei der Heldin des Tages anzubringen. Frau Lürsen hatte iviedcrum den Ansturm der Damen auszuhalten, die die glückliche Mutter einer solchen Tochter mit Glückivünschen überschütteten, die süß ivie Honigseim und glatt ivie Oel von den beredten Lippen troffen.

Am beredtesten war die Frau Sanitätsrat. „Heute dürfen Sie uns alle auslachen,

Teuerste!" ungewöhnliche flötete sie. „Uns alle, die wir über die etwas Erziehung Ihrer Tochter uns manchmal wunderten. Turnen, reiten, fechten, schwimmen! — Heut hat es sich aber gezeigt, Ihre süße Leonie hat wozu eine solche Erziehung gut ist. sich ja männlicher eriviesen, als alle unsere jungen Herren

— Ich gratuliere ans das allerherzlichste, liebe, liebe Fran Kom¬ meinen

zusammen,

eigenen

Fritz niit inbegriffen.

merzienrat." schmeichelnden Worte genug verriet, daß man

Frau Lürsen hörte die

mit einer

die ver¬ Miene an, -die deutlich Dann borgenen Spitzen herausfühle, sie aber verachte. dieser so, daß Tische langen deni Platz an ihren ivählte sie das Namen dessen Bildhauer, von nieniandem gekannte ihrer mit dem Verbindung ividrige Schicksal in so enge einzigen Tochter gebracht hatte, sich nicht an Leonie heran¬ An der einen Seite drängen konnte, wenn er zurückkani. des Mädchens saß vr. Fritz Schröder, von dem nicht zu erwarten ivar, daß er seinen Vorzugsplatz einem Nebenbuhler An der andern Seite ihrer Tochter so leicht abtreten ivürde. neben ihr die Frau Sanitätsrat. und selbst Lürsen saß aber Frau Platz genommen, als auch kaum hatten Die Damen Karl Hofer in den Pavillon trat. Er hatte sich mit einem hellen Sommeranzuge des

Da der Inhaber des Seglerschlößchens geschmückt. Herr unter Mittelgröße und zudem mit gedrungener ein aber gesegnet war, so schlotterte das, Bäuchlein zunstgerechtcn dem Hand- und Fußgelenken des den an Anzuge was dem aber reichliches Uebermaß zweckloses, Bildhauers abging, als Wirtes

um die Magengrube des jungen Mannes herum. Mit einem humoristischen Blick an seiner wunderlich genug aussehenden Gestalt herab verbeugte sich Karl Hofer vor der Tafelrunde. „Meine Herrschaften — ich bin so frei, mich vorzustellen. Von auswendig bin ich der Seglerwirt, inwendig der Bild¬ hauer Karl Hofer, und der Sprcchanismus is aus München, das hören

S'

ihm ja an."

Die norddeutschen Herrschaften am Tische sahen sich ob Der eine und dieser Zwanglosigkeit ein wenig verblüfft an. nachsichtig, und eine schwerhörige alte ziemlich laut, ivas der junge Nachbar ihren Dame fragte etwas Lustiges zu sein, scheine Herr eben gesagt habe. Es diese lieben Süd¬ verstehe weil die Leute lächelten, aber man die

andere

lächelte

deutschen so schwer.

Hofer

suchte indessen heiteren und unbekümmerten

Blicks

leeren Sessel und entdeckte auch glücklich einen; allerdings zicnilich weit von seiner Retterin, aber dafür an der Seite der blonden Mary.

nach einem

421

nun los, ließ sich mit einem gemütlichen: „Sie erlauben schon, meine Herrschaften!" darauf nieder und sagte zu seiner Nachbarin, die vor Freude, den bewunderten Mann, den Künstler, neben sich zu haben, heftig

Auf

diesen Sitz steuerte er

errötete, in lustigem

ein Hoch!"

Ton:

nimmer auf, bis es finster ivird. „Da ich Wenn einer so kurze Hosen anhat, ist es ein wahrer Segen, wenn man die Fuß' unter ein'm Tisch hat." Miß Mary errötete ob dieser burschikosen Rede natürlich jetzt

steh'

heftiger. Inzwischen war Bowlen-Lehmann mit seinem Kunstwerk fertig geworden, und der kleine, der Gesellschaft zugeteilte Kellnerjunge reichte die gefüllten Gläser herum. Hofer, der sich bemühte, die schüchterne Mary in ein lebhaftes Gespräch zu verwickeln, fühlte sich auf einmal eigen¬ tümlich geniert. Er blickte auf und bemerkte, daß ihn ein beträchtlicher Teil der Gesellschaft wie erwartungsvoll ansah. „Herrje!" zuckte es ihni durch den Sinn. „Die er¬ warten, daß Du jetzt eine Red haltst, die Gesundheit des schönen Mädels da oben ausbringst, das Dich aus dem Wasser geholt hat. — Na, in Gottes Namen!" Er schlug an sein Glas und räusperte sich. „Hört! — hört!" schrie der Architekt Habermann. „Hören wir!" antivorteten in tiefem Baß ein paar alte

Herren, in denen akadeniische Erinnerungen oder Bercinsgewohnheiten sich regten. Er fixierte Der Bildhauer hatte sich indessen erhoben. erst Herrn Dr Fritz Schröder, der ihn vom oberen Ende Als er es erreicht hatte, des Tisches her höhnisch ansah. daß der Widersacher verlegen zur Seite blickte, begann er guten Mutes seine Rede zu schwingen.

Erst schilderte er mit vielem Humor, wie gräßlich ihni als echtem Münchener das viele Wasser gewesen sei, von dem er sich so unvermutet bedrängt gefunden habe. „Wasser,

als Wasser! — Gar nit schnell

Wasser, nix

genug schlucken hab'

ich

können,

meine Herrschaften,

so zu¬

dringlich ist's mir in den Hals hincing'ronnen. Ich hab' natürlich gleich die Besinnung verloren vor lauter Ekel und Widerivillen. Mein letzter Gedanke war: was für ein Unter¬ schied gegen das Münchener Hofbränhans!" Der Spaß wurde.so beifällig belacht, daß der Redner Als die Lacher sich be¬ einen Augenblick innehalten mußte. durch deren launige, in Worten, ruhigt hatten, ivandte er sich eines dank¬ Rührung innige die krause Wendungen hindurch heldenmütige an die hervorklang, baren Herzens wirkungsvoll junge Dame, der er cs verdankte, daß er sich jetzt des rosigen Abendhimmcls und der trefflichen Bowle erfreute, statt einen unverhofften Leckerbissen auf der Sonntagstafel der Spreefische abzugeben.

schloß er, „ich hab' mein' Lebtag gehalten und Gesundheiten ausge¬ Reden auf so viele Leute daß cs mir beinahe ivarum, bracht, ohne recht zu iviffen, ivie eine Entweihung des besten Gefühls, was der Mensch im Leib hat, wie eine Entivcihnng der Dankbarkeit vorkommt, daß ich jetzt auf meine heldenmütige Retterin eine

„Meine Herrschaften,"

Aber Rede gehalten hab' und ihr Wohl ausbringen will. sich. muß er Ausdrücken machen? Mensch was will der Mißbrauch durch vorher schon Wenn die Ausdrucksniittcl

entheiligt worden sind,

so

tiefen Abgrund beivahren. — Bis ich aber dazu Gelegenheit hab', bleibt mir nichts übrig, als ihr in schlichten Worten zu danken, als ihr zu sagen: Sie haben mich leben lassen, dafür lass' ich jetzt auch Sic leben. — Dem Fräulein Leonie Lürsen

ist das eben ein Pech.

Ich möcht' ja gern das gnädige Fräulein, das

mich so

tapfer aus dem Wasser heraufgeholt hat, zum Dank dafür auf meinen Arnieu ans einem wilden Feuer heraustragen oder im Hochgebirg vor dem Absturz in einen tausend Meter-

„Hoch! — Hoch!" fiel die Tafelrunde ein.

Die Gläser

klangen zusammen. Ein lebhaftes Hin- und Herwogen der Gesellschaft folgte. Jeder mußte doch mit jedem, vor allem aber mit Leonie und ihren Eltern, die oben am Tische saßen, und mit dem Bild¬

hauer am unteren Ende anstoßen.

Hofer wurde zu seiner wirkungsvollen, von Humor durchleuchteten Rede von allen Seiten auf das schmeichel¬ Er gab nicht viel darauf, bis er mit hafteste beglückwünscht. zu der Gruppe gelangte, deren Hand seinem Glase in der

Mittelpunkt seine schöne Retterin bildete. Der ivarmc Blick, mit dem ihm Leonie dankte, die Anerkennung, die der diplo¬ Kommerzienrat ihm aussprach, ließen ihn zuerst Zur Gcivißglauben, daß er gut gesprochen haben müsse. heit wurde es ihm durch die sauersüße Miene der Frau Lürsen, deren gegnerische Haltung er längst gemerkt hatte, und durch das Benehmen der Familie Schröder, die ihren Besonders der junge Herr Aerger kaum verhehlen konnte. war im Gesicht ganz grünlich vor Galle. matische

Der Bildhauer leistete sich das Extravcrgnügcn, sich bei dem Herrn Doktor für die Mühe, die er damit gehabt habe, ihn ins Leben zurück zu rufen, noch ganz besonders zu be¬ danken. Dann kehrte er an seinen Platz zurück. Er lächelte gedankenvoll vor sich hin dabei. Der blonden Mary, der die Begeisterung und vielleicht auch ein ganz klein wenig die stark mit Sekt versetzte Bowle von den brennenden Wangen und ans den strahlenden Augen leuchtete, siel seine Miene auf. „Was haben Sic denn, Herr Hofer?" fragte sie, nun schon ganz zutraulich. Der Bildhauer schüttelte das mächtige Haupt.

„Eine

komische

Sach'! —

hal's angefangen und aufgehört. diesen beiden Hochs liegt!"

Mit

einem „Hoch Leonie!" Aber was alles zwischen

II. Als Hofer nach der ermüdenden Heimfahrt in einem übervollen Abteil der Stadtbahn endlich vor dem Thore des Hauses in einer Seitenstraße Charlotteuburgs stand, wo er seine Residenz aufgeschlagen hatte, holte er tief Atem. „Wenn nur der Alte noch nicht schläft!" dachte er. gar nit zum Hinlegen und Maul halten zu möcht' ich mich bei ein'm guten Zigarr'l. Ausplauschen Mut. — Und ein g'scheidtcs Glas Bier möcht' ich haben nach Die ganze dem grauslichen Mischmasch aus dreierlei Wein. gepantschte Bowlenwirtschaft kann mir g'stohlcu werden."

„Mir is

Während dieses Selbstgespräches hatte er den Kampf niit dem Schlüsselloch bestanden. Beim flackernden Schein eines „Wachsstreichholzes" durcheilte er den dunklen Haus¬ flur. Als er in den Hof trat, sah er aus dem Erdgeschoß eines einstöckigen Seitengebäudes hellen Lichtschein dringe». „Gar noch im Atelier sitzt der Alte! — Der is aber g'schcit!" Beim Eintritt Hofers erhob sich ein alter Mann, dcr aussah wie ein Wildhegcr im Ruhestände, von dem Stühlchen, das vor dem Thonmodcll eines mit verblüffender Naturwahrheit wiedergegebenen Schusterjungen mit verschmitzt frechem Gesicht stand.

(Fortsetzung folgt.)

Die VII. Iahrhrmderlsfeier des Mausfelder Bergbaus. des Mansfelder Grafen Johann Georg II. soll auch die Losung sein für die Mansfeldsche Kupferschieferbauende Gewerkschaft! — also sprach Geheimrat Georgi in seiner Begrüßungsrede an den obersten Bergherrn, den jetzigen Grafen von Mansfeld, Seine Majestät den Kaiser. Und der kaiserliche Bergherr gab in seiner Antwort dieser Losung die Ehre: „Dennoch! So möge diese Devise auch fernerhin die Gesinnungen der Knappen beherrschen, wie Ich sic auch zu meiner Richtschnur gemacht habe. Je höher die Schwierig¬ keiten, desto fester das Ziel

Dennoch! Diese Losung

sich die bisherigen fünf Gewerkschaften dann zn der „Mansfeldsche» Kupferschieferbanenden Gesellschaft", die seit 1862 von dem schon genannten Oberbergrat Ernst Lenschner geleitet und deren Bergbau nun zn noch nie dagewesener Blüte emporgehoben wurde. So konnte das Fest des 700jährigen Bestehens des Mansfelder Bergbaus mit Fug und Recht in glnnzcndsterWeise gefeiert werden. Der oberste Bergherr brachte das echte Kaiserwetter mit und konnte mit seiner hohen Gemahlin ans den festlichen Veranstaltungen sehen, in den Angen seiner Bergknappen lesen, daß die Treue zn Kaiser und Reich in der ganzen Grafschaft Mansfeld und in der alten Lntherstadt Eisleben eine gar feste und gute Stätte hat, wo in letzterer „die Fülle der geschichtlichen Erinnerungen" — so lauteten die kaiserlichen Worte — „jedes menschliche Herz ergreifen und

überwältigen muß!"

„Dennoch! Glück auf!"

F. B.

ins Auge gefaßt." Schwierigkeiten aber bietet der Mansfelder Bergbau in Hülle und Fülle. Es ist eine gar mühsame Arbeit diese Gewinnung des lohnenden Denn die geringe Erzes. Mächtigkeit des Flötzes läßt den

Bergmann nur in liegen¬

der Stellung arbeiten, wozu ihm ein am Hut befestigtes Lämpchen leuchtet. Bei jedem Schlag mit der Keilhaue ist er gezwungen den Kopf zn heben, oder, um ortsüblich zn sprechen, einen kruiiiinen zn machen. Zwar ist es den Fortschritten der mo¬ dernen Technik auch hier ge¬ lungen, Maschinen zn erfinden,

Hals

die die Leistungen der Hauer vereinfachen, aber iminerhin werden diese letzteren durch die lokalen Berhältnisse i III Josrplpne von Rohen,oUern f. Erdinnern bei der alther¬ gebrachten Weise der Gewinnung verbleiben müssen. Ebenso ivie die Hüner, haben die „Trecker" eine schwere Arbeit. Sie müssen die vom Häuer losgeschlagenen Schieferstücke in niedrige Wagen, „Hunde" genannt, verladen und diese nach den höheren Förder¬ strecken hinschieben. Die Niedrigkeit und Enge der Gänge läßt diese Arbeit nur kriechend verrichten. Trotz dieser Schwierigkeiten, welche die Arbeit wahrlich nicht verlockend machen, ist es den Leitern der Gewerkschaft, besonders dein am 3. Mai 1898 verstorbenen Geheimen Bergrat Lenschner, gelungen, die Belegschaft von nicht ganz 4 000 Mann auf 18 000 zu erhöhen und die Erzengnng an Kupfer von ehedem 30 OM Zentner jährlich ans 400 000 Zentner zn heben. den Jahren 1892—94 drohte dem Bergbau eine allerDer berühmte salzige See hatte sich ans irgend ernsteste Gefahr. eine Weise Abfluß nach unten zn verschaffen geivnßt und den berg¬ männischen Betrieb beinahe ersäuft. Mit Daransetznng aller Kraft wurde der Kampf mit dein Wasser anfgenommen und endete mit Der uns ans unsern Schuljahren dem Siege der Gewerkschaft. bekannte „salzige See" hat ansgehört zu existieren. Er ist trocken gelegt, und ebenso sind die Schächte bis zur vierte» Tiefbansohle wasserfrei. Heute steht der Mansfelder Bergbau auf .einer Höhe, von der sich die sagenhaften „ersten" Bergleute, deren Namen die Mansfeldsche Chronik des Cyriakus Spangenberg vom Jahre 1572 der Nachwelt erhalten hat, „Rappian und Ramie," sicherlich nichts haben träumen lassen, und der Bergbau mit seinen heutigen Er¬ folgen hätte die alten Grafen von Mansfeld sicherlich ans ihren starken Geldverlegenheiten befreit. Denn trotz ihrer ans dem Berg¬ bau gewonnenen Reichtümer — es wurden jährlich 200M Zentner Kupfer gefördert — reichten für den Aufwand und die Berschwcndnng der Mansfelder Grafen diese für damalige Zeiten (15. Jahrhundert) ungeheueren Einnahmen nicht, und bald waren die Bergherren tief verschuldet. Als dann gar noch die im alten Reich so beliebten Erbteilungen vorgenommen wurden, artete der Bergbau zum Raubbau ans. Endlich, »ach den Wirren des dreißigjährigen Krieges, der den Bergbau im Mansfeldischen gänzlich zerstört hatte, übernahm Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen als Oberlehnsherr die Wiederherstellung. Am 28. April 1671 wurde der Bergbau freigegeben und den Grafen für die Aufgabe ihrer Rechte ein bestimmter Anteil zugesagt. Die Stadt Leipzig als Hnnptgläubigerin erhielt eine jährlich zn zahlende Entschädigung, die auch von den verschiedenen Gewerk¬ schaften regelmäßig entrichtet wurde, bis im Jahre 1807 die in Geldangelegenheiten durchaus nicht gemütliche Regierung Jerome Bonapartes die Abgabe einfach aufhob. Gleichzeitig kani der Bergbau unter dem westfälischen Regiment fast znm gänzlichen Tarniederliegen. Erst seit 1817,, wo die Grafschaft Mansfeld preußisch wurde, datiert ein neues Aufblühen. 1852 vereinigten

Josephine von Hohenzollern

f.

gfifm 19. Juni verschied die Fi'irsiin-Mntter von Hohruzoäern, das älteste Mitglied des Holicnzollcrnschen Hauses, im Alter von 87 Jahren. Die Fürstin, geboren am 21. Oktober 1818 in Karlsruhe, war die Tochter des Grvßherzogs Karl von Baden und seiner Ge¬ mahlin Stefanie von Beanliaruais, der Adoptivtochter Napoleons I. Sie vermählte sich am 21. Oktober 1834 mit dem damaligen Erbprinzen, späteren Fürsten Karl Anton von Hohenzollcrn, der am 2. Juni 1885 starb. Um die Fürstin trauern außer der fürstlich Hohenzollernschen Familie noch das- Königlich Rumänische Hans, da König Karl, ein jüngerer Bruder des regierenden Fürsten von Rnmänien, ihr Sohn ist. Bei der Beisetzung der Fürstin von Hohenzollern war unser Kaiser durch de» Prinzen Friedrich Heinrich von Preußen, den Sohn des Prinzen

Ar

Albrecht, vertreten.

Dr. Oskar Stiibel, der neue brutsche livlonialdirrkkor. I>r. Oskar Stübcl ist von Geburt ein Dresdener (1846 geboren). Er bat Mathematik und Jura studiert, war darauf i,n sächsische» Staatsdienst und wurde 1873 Privntsekretär des Königs Johann. Später trat er als Rrgierungsassrssor in das Ministerium der ans-

In

vr Vsliar

SUiibrl, der neu* fcrutfdjr Rolonlaldirekkor.

markigen Angelegenheiten z» Dresden eia und wurde 1879 in das Auswärtige Amt des Deutsche» Reiches übernommen (s. Bär Nr. 24,

Berliner Chronik). Man rühmt an Herrn vr. Stübcl besonders seine Ruhe, Kalt¬ blütigkeit und feste Hand, Eigenschaften, die gerade für de» Leiter eines dringend noch neuen Berwaltnugsapparates, wie cs das Kolonialamt ist, notwendig sind. Die Bekanntschaft mit wirtschaftlichen Dingen bringt 1)r. Stübel ans seiner konsularischen Thätigkeit mit, und in diplo¬ matische Aiigelegeiiheiten einzudringen hatte er bei der Erwerbung Die Fähigkeiten Kiantschoiis und in Kopenhagen Gelegenheit gehabt. Thätig¬ des neuen KolonialdircktorS erwecken große Aussichten aus seine keit, indes ist auch nicht zu übersehen,

daß die Schwierigkeiten, die ihn

in seinem neuen Amt erwarten, besonders große sind.

42«

Der Boxeraufstand in China. \ic Niederlagen

-

bor chinesischen Lmib- imb Seemacht im Kriege gegen

8 Japan, die Gebietsverluste im Frieden von Schimonoseki, die Fest¬ setzung der Deutschen, Engländer und Nüssen an der Küste de« Reichs b

der Mitte, die Anlage von Eisenbahnen, Bergwerken und Fabriken durch Europäer und Amerikaner, alles das hat de» Groll der Chi¬ nesen nicht nur gegen ' die

„Barbaren

des

Westens", sondern ge¬ gen die Fremden über¬ haupt dermaßen ge¬ steigert,

daß

die

Be¬

hörden der Mandschudynastie ohnmächtig sind gegen den Aufstand des Geheimbundes, der unter dem Namen Ta

Tao Hwei (Gesellschaft vom großen Schwerts schon seit langer Zeit besteht, wenn er sich auch

etwa vor einem

Jahr veranlaßt gesehen

hat, eine andere Be¬ zeichnung zu wähle», die sich der Engländer mit dein Worte Boxer mundgerecht gemacht hat. Tie Lage des diplo¬ matischen .Korps niid der Ausländer hat sich zu Peking in kurzer

Zeit sehr verschlechtert. Die Zerstörung der Telegraphenverbindun¬ ge» 8er Hauptstadt und selbst Tientsins mit der Außenwelt wirkte höchst beuiiruhigend imb gab den

schlimmsten

Ver¬

mutungen Raum. Die Nachrichten, die seit deni 13. Juni bis zur Küste drangen, enthielten nichts Tröstliches, kenn¬ zeichnete» sich aber zum Teil als leere Gerüchte. Am 13. abends sollen die Aufständischen in Peking einmarschiert sein, verschiedene Missionsstativneii soivie die französische Kathedrale zerstört und wiederholt An¬ griffe ans die Gesandtschaften nnternonimen haben. Bon dem unter dem Oberbefehl des britischen Admirals Seyinonr am Morgen des 10. Juni in einer Stärke von 2044 Mann aus Tientsin

aufgebrochenen Trnppeiidetachenieiit fehlte seit dem 13. jede Nachricht. es in Losa, halbwegs zwischen Tientsin und Peking, übernachtet: bis dahin hatte der Bahnkörper nur geringe Be¬ Das Bild änderte sich aber schon am schädigungen anfgewiescn. folgenden Tage sehr z» Uiigunstcn der nur laiigsam vorrückenden Die Eiscnbahuschienen waren ans iveilc Strecken hin auf¬ Europäer. gerissen, die Schivellen verbrannt, die Telegraphenleitungen zerstört. Etwa 12 Kilometer jenseits Losa traf die Spitze Seymonrs ans kleine Scharen der Ausständische», die mit Spcereii und Schivertern, allein Anschein nach aber nur vereinzelt mit Handfeuerivnffcn, ausgerüstet waren. Einige Kilometer iveiter suchlen die Insurgenten die Vorhut der Europäer zu umzingeln, aber diirch das schnelle Heranrücken des Gros derselbe» kamen die Boxer zwischrn zwei Feuer und verloren

Zum 1l. hatte

dabei 35 Man». Am 13. ivnrde von der europäischen Hilfstrnppc Langsang erreicht, wo ein mehrtägiger Aufenthalt zur Wiederherstellung der Eisenbahn angeordnet wurde. In der Mündung des Peiho legte» die Chinesen Torpedos. Der Krieg in China wurde danüt für die Europäer ein Krieg gegen China. Die auf dem russischen Adiniralschifs versammelten fremden Befehlshaber richteten an die Kommandanten der Forts von Takn die Aufforderung, ihre bis zum Truppen 17. Juni 2 Uhr nach¬

mittags zurückzuziehen, worauf die Forts in

der Nacht zum 18.

Juni

um 1 Uhr unvermutet das Feuer eröffneten, das von den deutsche», russischen, englischen, französischen und japa¬ nischen er¬ Schiffe»

widert wurde.

Nach siebenstündigeni Bom¬ bardement wurden die Forts genommen: bei der Erstürmung fielen von dein deutschen Kriegsschiff Iltis drei

Manu, während

sieben

andere verwundet wnrden.

Aber auch aus dem

Süden

des Reiches kamen beunruhigende Nachrichten, und and) in der Provinz Kwan gst

drohen Unruhen a»s-

In

Kiveihzubrechen. sten sind bereits 5000 Ansständische versamnielt. Die deutschen Streitkräfte in Ostasien setzen sich

gegenwärtig in fol-

geuderWeisezusamine». Die fünf zum Krenzergeschwadcr gehörenden Schiffe Hansa, Hertha, Kaiserin Angusta, Gefion und Irene haben 2030 Mann an Bord, die beiden Kanonenboote Iltis und Jaguar 242 Mann,' die Besatzung im Kianlschougcbiet ist einschließlich der Chiueseukompaguie 2000 Mann stark: der inzwischen in Taku einge¬ troffene Ablösungstrausport für das deutsche Kreuzergeschwader beziffert sich auf 1200 Mann. Im ganzen unterstehen mithin den, Chef des Krenzergeschwaders, Vizeadmiral Bendeinann, und dein Gouverneur in

Tsingtau, Kapitän z. S. Jäschke, gegenwärtig etwa 5500 Man». Mil der Ausreise deS Kanoneiiboots Tiger aus dem Kieler Hafen ist 111111 = mehr das achte deutsche Kriegsschiff Hach den chinesischen Gewässern ab¬ gegangen. Außerdem soll der große Kreuzer Fürst Bismarck seine Ausreise demnächst antreten, und auch der Transport des ersten Seebataillvns wird vorbereitet. Die Zahl aller vor Taku verankerten Kriegsschiffe beziffert sich ans 42. Ter französische Mariueuiinistcr befahl die sofortige Ausrüstung einer Krenzerdivisiou, und von Tonkin sind französische Truppen nebst Artillerie nach Taku nuterivegs. Auch die übrige» interessierten Mächte haben Verstärkungen ihrer Truppen angeordnet.

424

Vereins-Nachrichten.

Herr Professor Dr. Schiemann behandelte sodann die musterhafte Edition des Briefwechsels zwischen Friedrich Wilhelm III. uud Alexander I. und charakterisierte Politik »ud Persönlichkeit beider Monarchen und ihrer Umgebung. Verein für die (Geschichte Berlins. Die von Emanuel Bardou 1802 angefertigte Büste von Daniel Chodoiviecki hat jüngst der „Verein für die Geschichte Berlins" von den Nachkommen Chodowieckes erworben. Die Büste ist in dieser Form nicht vervielfältigt worden und auch in anderem Zuschnitt lehr selten. Der Verein hat den ersten Abguß dieser Büste in Elscnbeinmasse nunmehr dem Protektor des Vereins, dem deutschen Kaiser, für die Königlichen Sammlungen überreichen lassen, und Seine Majestät haben dem Verein durch ein Schreiben des Kultusministers vom 30. v. M. an den Vorstand huldvoll die Mitteilung zugehen lasse», daß Hochdieselbcn das dargebotene Exemplar der Nachbildung der genannten Büste von dem Verein anzunehmen geruhten.

--—

Verein für Geschichte der Mark Brandenburg. Sitzung vom 13. Juni 1900. Herr Dr. von Riehen aus Stettin sprach über die Kämpfe »m Der Warthehandel reicht in frühe die Schiffahrt auf der Warthe. Zeiten zurück: vielleicht ist er betrieben worden, che noch die brandenburgischen Markgrafen bis an die Oder vorgedrungen waren, und nanientlich Heringe sind wohl auf der Warthe nach Polen gegangen. Später haben die neumärkischen Städte, voran Landsberg, den Strom befahren. Von Polen her sind besonders Getreide und Holz stromab Landsbcrg hat bei seiner Gründung ein nach Stettin gegangen. Niederlagsprivilcg erhalten, 1389 hat man es ihm bestätigt. Bedeutend kann aber der Verkehr auf dem Flusse bei der Unsicherheit und dem wechselnden Stande des Fahrwassers nicht gewesen sein: seit der Zeit des deutschen Ordens in der Neumark wird er durch hohe Zölle in Küstrin und Landsbcrg sehr beeinträchtigt, desgleichen durch die Neu¬ ordnung der Landstraßen von Stettin auf Polen und Schlesien. Für Frankfurts Interesse eintretend, will später Kurfürst Joachim (1511) alle Schiffe notigen, über Küstrin hinaus stets erst »ach Frankfurt zu fahren. Damals ist schon durch Wehre und Untiefen die Warthe säst unbefahrbar, nur Kähne und Floße gehe» von Polen her den Strom hinab. Trotz

harter Küu:pfe mit Pvinmcrn hält Joachim sein Verbot ausrecht.

Bei

Bücherkisch. lernst Edler v. d. Planitz, Die Lüge von Mayerling. Berlin, A. Pichler & Co. — Der Verfasser, bekannt durch frühere Veröffent¬ lichungen über das Trauerspiel von Mayerling, polemisiert mit großem Geschick gegen die sensationellen „Enthüllungen" der Gräfin Odescalchi,

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Eine Skrasre in Peking. der Landestcilunq 1536 sorgt Frankfurt dafür, das; Landsberg nur eine sehr beschränkte Beschiffung des Flusses gestattet ivird. Aber gerade jetzt regt Stettin bei Polen und den märkischen Fürsten eine Eröffnung der Warthe an: trotz langer Verhandlungen kommt nichts zustande, alle Interessen sind geteilt. Erst 1557 scheint die Sache in Fluß zu kommen: Joachim ist bereit, Fraukfnrls Interesse zu opfern, um mit dem Kaiser gemeinsam den Oder-Sprcekanal zu eröffnen uud von Polen die An¬ nahme seines Sohnes als Thronfolger zu erreichen: er gesteht Hans die Freiheit zu, die Warthe zu öffnen. Ter aber will vorher die Ver¬ legung der Landstraße von Danzig her durch die Reumark erzwingen, verspricht Polen dann, die Warthe frei zu geben. Polen aber will sich nicht ganz Hans in die Hände geben, verlangt beharrlich gemeinsame Beratung der Sache mit Pommern, die Hans immer wieder abschlägt; er hat inzwischen eine große Erhöhung seiner Zölle in Küstrin vor¬ genommen, bleibt aber bei seiner Weigerung. Seit 1562 verwächst der Streit mit dem um die Freiheit des Oderbaumes, jeder verlangt vom andern Beseitigung der Beschwerungen des Handels: auch in Polen sind die Interessen des Adels und der Städte widerstrebend. Noch mehrfach sind die Verhandlungen erneuert. Erst als die Polen Johann Sigismund mit Vorenthaltuna seiner Rechte auf Ostpreußen bedrohen konnten, zeigte sich die märkische Regierung geneigter, und obwohl die märkischen Stände schiver befürchteten, polnisches Korn werde fortan die Mark überschwemmen, gab Joh. Sigismund 1618 im Vertrage von Trebisch die Warthe im wesentlichen für Polen frei, zum Teil auch für Landsberg. Dennoch ist eine ausgedehntere Schisfahrt erst in Gang gekommen, seitdem unter Friedrich dein Großen das Fahrwasser reguliert und 1750 die Zölle aufgehoben wurden. Vernulwortlicher Redakteur:

Nr. M.

Fokticineauo, Berlin.

—-

die im Oktober 1899 in der Pariser „Revue des Revnes" veröffentlicht

wurden und auch in deutsche» Blättern viel Staub aufwirbelten. Seine Ausführungen sind recht überzeugend: ob er indessen in seiner Auf¬ fassung in allem recht hat, kann der Fernerstehende natürlich nicht be¬ urteilen. Da die Eingeweihten prinzipiell schweigen, iverdcn jedenfalls die extravagante» Kombinationen nicht so bald zur Ruhe kommen, und ein positiver Beweis, daß diese oder jene Vermutung sich mit der historischen Wahrheit deckt, fehlt noch iniiner. Adolf Palm, Im Lindenhof u. s. lv. Stuttgart und Leipzig, die sich nicht sehr deutsche Verlagsanstalt. 1900. — Drei Erzählungen, ' Die beste, die das über das Maß des Gewöhnlichen erheben. Interesse des Lesers wirklich fesselt, ist die dritte, die schon früher einmal veröffentlichte „Muttergottes von Altötting". „Das Lob der Armut" ist eine ganz nette Feuilletouskizze, „Im Lindenhof" ist entschieden der schwächste Teil der Sammlung.

Die Freunde des „Bür" bitten wir, unserer Zeitschrift in ihren Bekanntenkreisen Eingang zu verschaffen durch Benutzung der Adressenliste, die wir dieser Rnnimer beigelegt haben. Ter vielseitige Inhalt des „Bär" und die vortrefflichen Illustrationen rechtfertigen unsere Bitte, deren Erfüllung den Lohit in sich trägt, das? dadurch eine gute, Geist »nd Geschmack bildende Lektüre immer weiteren Kreisen zugänglich gemacht wird.

Druck uud Verlag:

Friedrich Schirmer, L-vliu

SW., Reueudurger Strafte Wa.

Der Bär. Illustrierte Wochenschrift.

„Der Bär" erscheint jährlich 52 mal lind ist durch alle Buchhandlungen-, Zeitungsspeditionen und Mastanstalten zu beziehen (Nr. 866 des Postkatalogs) und kostet vierteljährlich 2 M. 50 Pf., jährlich 10 M., Linzelheft 20 Pf. — Inferkivnspreis für die 4 gespaltene Nonpareillezeile oder deren Baum 50 Pf. — Beilagegebühr: 6 M. pro *000 Stück inklusive Postgebühren. — Inserate und Beilagen werden entgegengenommen von der Expedition des „Bär", SW., Neuenburgerstraße *trrs „Deutschland". nennen — und rafft sie hori¬ zontal dicht unter dem Kreuz in die Höhe. O, meine Damen, sprechen, Strippen. Es sei ferne von mir, diese klassische Be¬ wenn Sie wüßten, wie häßlich das aussieht! Und doch wäre zeichnung i» die Litteratur einführen zu wollen, aber sie ist un¬ Man orakelt jüngst so viel dem Uebelstande leicht abzuhelfen. Wen» die Tropfe» so schnell ans einander gemein anschaulich. Wie wäre es, von bevorstehender Reform der Franentracht. folgen, daß sie für das Auge einen ununterbrochenen Streifen ivenn man sich endlich einmal definitiv für fußfreie Kleider ent¬ bilden, die einem wie mit dichten Parallellinien die Aussicht ver¬ hüllen, so regnet es eben Bindfaden oder Strippen. Ich liebe schließen könnte? O, dieser Regen, der selbst dem couragiertesten Agrarier be¬ den Ausdruck, weil in seiner Konsonantenfolge ein zornig-verächt¬ sonders um die Erntezeit zu viel wird, wirkt in der Reichshaupt¬ licher Klang liegt, der meinem Empfinde» den herrschenden stadt segensreich befruchtend — auf die verlängerte Theatersaison. klimatischen Verhältnissen gegenüber entspricht. Es läßt sich nicht leugnen, Berlin hat sich in Anbetracht seiner An die Sommeroper hatten wir uns seit Jahren gewöhnt, und mit einem Pronienadenkonzert verbunden, war sie auch wirklich, sandig-trockenen Vergangenheit eine feucht-regnerische Zukunft zu¬ Leider szenenweise genossen, erträglich. Seitdem das Schillcrtheater an¬ gelegt, und es macht den Tropen ihre Regenzeit streitig. gefangen hat, im Juli musikalisch bildend auf die breiteren Schichten ist dabei ein Irrtum in der Saison untergelaufen. Unseren sechs¬ des Volkes zu wirken, bedarf es so nachhaltiger Regengüsse, um monatlichen Winter haben wir hübsch beibehalten und sind dafür Das ist ein schlechter Tausch, aber diesem anerkennenswerten Streben zu einem Kassenerfolge zu ver¬ um den Sommer gekommen. helfen. Selbst Haust Rieses sonniges Lachen braucht die regen¬ gegen Thatsachen ist nicht anzukämpfen. Der erste Eindruck, den ich allmorgenllich von den veränderten trübe Lnftstimninng draußen als wirksame» Gegensatz, um zu voller Die Geltung zu gelangen. klimatischen Verhältnissen empfange, ist ein musikalischer. Und die Stadtverwaltung findet die Himnielsgüsse »och nicht fallenden Tropfen trommeln auf dem Zinkbclag der FensterIn Strömen kommt er von oben herab, und unten ausreichend. brüstung meines Schlafzimmers einen Ehopinschen Tanermarsch, Auch er rasselt langsam und schwerfällig der Sprengwagen. der nicht ohne Abwechslung ist. Wird der Regen direkt gegen die öffnet seine Schleusen und liefert sprühend seinen Beitrag zur Metallsläche gepeitscht, so giebt es einen anhaltenden Wirbel, komnit er Straßenreinignng. Vom Trottoir her aber ruft ihm ein Gamin seitlich von der Traufe des Onergebäudes, so wird der Rhythmus durch zu: „Männeken, Sehen Sic sich vor. Sie werden naß werden". lang nachhaltende Pankenschläge unterbrochen. Jedenfalls handelt es Sic haben es nicht mehr so gut wie früher, unsere lieben Straßen¬ sich um eine Reveillc, die einen weiteren Schlaf unmöglich macht. jungen. Bor beinahe drei Jahrzehnten wohnte ich in der Friedrich¬ Nachdem ich mich mißmutig angezogen, unterwerfe ich meinen stadt, die durch ihre periodisch wiederkehrenden Ueberschwemmuiigen Balkon einer Inspektion, um mich zu überzeugen, daß mir wieder berühmt war. Bei jedem starken Regenguß schwollen die Rinn¬ aufgeblühten Pelargonienknvspeii ver¬ der größere Teil der eben steine zu reißenden Wasserbächen an. Die Bohlen der Uebergünge regnet ist, nehme Hut und Ueberzieher älteren Datums und wage hoben und lösten sich. Langsam steigend quollen die trüben Fluten mich zögernd auf die Straße. Das Straßenbild draußen hat sich total verändert. Auf den über den Straßendamm hin. Ans den Hinterhäusern aber tauchte Mit Stangen eine freudig johlende Schar kleiner Barfüßler ans. sonst so belebten Trottoirs sieht man nur einzeln wandelnde Regen¬ bewaffnet bestiegen sie die willkommene» Flöße und spielte» schirme. Strömt einmal ei» kräftiger Guß hernieder, so drängen Marine mit einer Flottenbegeisternng, die nur die Staatsgewalt sich Männlein und Weiblein nnter vorspringenden Balköne» und in Gestalt eines Schutzmannes einzudämmen vermochte. Jetzt bedarf Hausthüren zusammen und spähen erwartniigsvoll z» dem wolkcnes trotz des guten Willens des Himmels schon des Bruches bedcckten Himmel hinauf. Tritt eine kleine Regenpanse ein, so eines Kanalisationsrohres, um ähnliche Zustände herbeizuführen. wagen sie sich ängstlich trippelnd aus ihrem Schutzwinkel heraus, Es ist eben alles besser geworden in Berlin, und ich habe »in nach wenigen Schritten von neuem unterzuschlüpfen. -

427

cnbgilticj beschlossen, sogar während der Hnndstage die Reize der Reichshanptstadt über mich ergehen zu lassen. Der Triumphstuhl auf meinem Balkon erseht mir den Strandkorb, und Wasser sehe ich durch das rankende Laub des wilden Weins mehr als mir lieb ist. Die Berge denke ich mir ohne große Anstrengung der Einbildungskraft hinter Nebelschleiern verborgen, und der mechanische

Bcrgstcigeapparat tritt hygienisch für die Hochtonren ein, die als Bergkraxclei von jeher mein Mißfallen erregt baden. Da ein Ab¬ sturz bei der soliden Konstruktion meines Balkons ausgeschlossen ist, sehe ich ruhig der Weiterentwicklung der Berliner „Regenzeit" entgegen und freue mich nach Ausfall des Sommers auf den

Georg Malkowsky.

kommenden Winter.

Enthüllung des Kaiser Wilhelm-Denkmals in Holtenau. as neue Kaiser Wilhelm-Denkmal, eine Schöpfung des bekannten Bildhauers Professor Ernst Herter zu Berlin, ist nunmehr in Gegenwart Seiner Majestät des Kaisers feierlich enthüllt worden. Ein schlanker, einfacher Sockel trägt die in ruhiger, würde¬ voller Haltung dargestellte Figur des greisen Fürsten, die eine Höhe

von über sechs Metern ausweist und somit die größte Porträtstatue aus Bronzeguß repräsentiert, die in Europa zu finden ist. Als figürlicher Schmuck befinden sich an dem Sockel die gleich¬ falls in Bronzeguß hergestellten Gestalten zweier, ans den Schnäbeln altmodischer Drachenboote sitzender germanischer Krieger, von denen der eine, mit Streitaxt, Speer und Schild zum Kampfe gerüstet.

Mit

der Herstellung des

Gusses

war die bekannte Firma

Aktiengesellschaft vormals H. Gladenbeck in

unserem Nach¬

barort Friedrichshagen betraut, und sie hat die ihr gestellte Aufgabe auch in durchaus zufriedenstellender Weise gelöst. Die Güsse, zu denen insgesamt etwa 260 Zentner Bronze gebraucht wurden, wovon ans die Kaiserstatue allein etwa 120 Zentner entfallen, sind vorzüglich gelungen und machen der Firma, die übrigens auch die bekannte, von Professor Gustav Eberlein modellierte Christusstatue für die Garnisonkirche in Kiel in Bronze gegossen hat, alle Ehre. Unser Bild stellt den Moment der Enthüllung dar und bedarf wohl kaum einer besonderen Erläuterung.

Srück-nlasrr i» Tluigiau.

437 deutsch-ostafrikanische Schlchtruppe gebildet worden, um die europäischen Mannschaften, für die der Dienst in dem ungewohnten Klima immerhin zienilich anstrengend ist, einigermaßen zu entlasten und zu unterftüßen. Das Dienstreglement, nach dem die langbezopften Söhne des „himmlischen" Reiches das Soldatenhaudwerk erlernen, ist genau dem alt¬ gewohnten preußischen entsprechend und stellt also Ansprüche an die Leute, die sie in China jedenfalls noch nicht kennen gelernt haben.

Helden

des„Illis".

Korvettenkapitän Wilhelm La ns, der im Verlauf des Gefechts vor Takn schiververwundete Kommandant des „IltiS", ist am 6. März 1861 zu Loosen bei Wesel ge¬ boren. Im Kadettenhaus zu Berlin vor¬ gebildet, trat er am 23. April 1878 als Kadett in die Marine, wurde 1879 See¬ kadett, 1881 Leutnant z. S., 1885 Ober¬ leutnant, 1889 Kapitänleutnant und 1898

Vberrnakrojr Felix Volhe.

Oberleutnant |. S. Hans Hellmann.

Korvettenkapitän; 1894 war er Chef des Trotzdem aber heißt es, daß die Herren Stabes des 2. Geschwaders der Herbstab¬ gut allgemeinen recht im sieh hiermit übuugsflotte, mährend der Herbstmanöver finden, nur die preußische Sauberkeit 1896 bis 1898 dem Flottenchef zugeteilt. soll ihnen unangenehm sein und wird Am 1. Dezember 1898 erhielt er das von ihnen einfach als eine gänzlich über¬ das Kanonenboot Kommando über flüssige Quälerei betrachtet. „Iltis", mit dem ^er im Februar 1899 Daß im übrigen der Andrang zu der die Ausreise nach Ostasien antrat. Für Truppe ein sehr großer ist, haben die die Waffenthat vor Takn wurde er mit Horvettenliapitän Wilhelm laus. Tageszeitungen schon mehrfach berichten dem Orden pour le merite ausgezeichnet. können. Seitdem es feststeht, daß »um Oberleutnant z. S. Hans Hellmann, der am 17. Juni gefallen deutscherseits nicht, wie anfangs befürchtet wurde, beabsichtigt, ein ist, wurde am 6. Dezember 1873 zu Reiste als Sohn des Stadtsyndikus Attentat auf die bekanntermaßen hochheiligen Zöpfe zu vollführen, Hellmann geboren, besuchte das städtische Realgymnasium seiner Vaterfinde» recht viel Chinesen Gefallen an der schmucken, kleidsamen Khatei-

Uniform, die sich ja auch außerdem möglichst an die Landestracht anschließt, um de» bekanntlich sehr konservativen Chinesen nicht allzu fremd zu erscheinen.

trat am 9. April 1892 als Kadett in die Marine, wurde 1893 Seekadett, am 15. September 1895 Leutnant z. S. und am 16. No¬ Seit dem 1. Dezember 1898, dem Tage vember 1898 Oberleutnant. der Indienststellung des „Iltis", gehörte er dem Stabe dieses Känonenbootes an. stabt,

438 Ausscheide» seines ihm wohlwollenden Chefs wurde v. Ketteler als Legations¬

Von den vor Taku gefallenen Mann¬ schaften des Iltis bringen wir das Bild dcsObennatrosen

Felix Böthe,

rat nach Washington versetzt.

der,am

Klrmeils Freiherr von Scttrlcr. der deutsche Gesandte in Peking. ) zum Schluß vereinigten sich im letzten Chorsntz aus Mendels¬ sohns Oratorium Paulus noch einmal Chor und Orchester zu mächtiger Gesamtwirkung. Dr. Muck, der an allen drei den Tage» vormittags in Generalproben und nachmittags i» den eigentlichen Festauf-

führungen unermüdlich seines Amtes geivaltet hatte, ver¬ leugnete als Konzertdirigent eben so wenig wie als Opern¬

Oberbürgermeister von Görlitz, Büchtemann, zunächst an den Grafen Hochberg und dankte ihm für seine hochherzigen, von echt aristokratischer und deutsch-idealistischer Gesinnung zeugenden, strebungen,

und

kapellmeister seine gediegenen musikalischen Grundsätze und die ideale Auffassung seines Berufes. Tic Sache, die er

Be¬

mit wärmster Ueberzeugung vertritt, ist ihm heilig; ihr

der Stadt Görlitz in so besonderem Maße Rächstdem zu gute kommen. sprach er dem Berliner Hof¬ kapellmeister Dr. Muck seine Festkomitees An¬ des und erkennung für die bereitwillige Uebernahme der künstlerischen Leitung des Musikfestes aus. Die königliche Kapelle von

die

ordnet er alle persönlichen Mo¬ Er bleibt stets mente unter. der Diener des Komponisten, dessen Geist er ans seinen Schöpfungen mit feinstem, musi¬ kalischem Empfinden und Ver¬ stände erforscht. Ihm aalten denn auch in erster Reihe die

verschiedenen schlesischen Gesang¬ vereinen zusammensetzte, waren zu würdiger Ausführung des

Ovationen des Publikums an allen drei Festtagen, die sich nach dem Konzert bis aus die Straße fortpflanzten. Die Festhalle selbst macht einen nichts weniger als ein¬ ladenden, ja ernüchternden Eindruck. Alle Bedenken aber,

Programms aufgeboten. Das Hauptwerk des

bald man

Berlin, in Stärke von IllvMnnn, ergänzt

durch

fünfzig

etwa

ansässige Musiker, gemischter Chor von

in Görlitz

und ein 800 Personen,

der

sich

aus

die

ersten

Tages, des 17. Juni, mar das Requiem von Bcrlioz, da? den Berlinern durch de» Ochsschcn Gesangverein wieder¬ holt geboten worden ist. Es stimmte die Zuhörer zu weihe¬ voller Andacht, da die Ausführung kaum einen Wunsch unbefriedigt ließ. Das die Schrecken des jüngsten Gerichts versinnbildlichende „Dies irae“ war von erschütternder Wirkung. Den Schluß des ersten Konzerts bildete Beethovens Eroica-Sinfonie. Die Ausführung war eine nahezu ideal-vollendete. Das Programm des zweiten Tages war mannigfaltiger, abivechslnugsreicher, die Solisten traten schon mehr in den Vordergrund. Zunächst kamen ältere Meister zu Worte. Gluck war vertreten mit der Alcestc-Ouvertüre und der Fnrienszcnc aus Armidn. Ihm folgte Händel mit der nicht häufig gehörten Cäcilien-Ode. Meister Brahms, der so geschickt auf klassischem Boden weiter zu bauen wußte, löste Händel mit seiner Rhapsodie für Altsolo, Männerchor und Orchester ab. War die Stimmung am ersten Tag unter Zuhörern und Aus¬ führenden eine von Anfang an einheitlich-weihevolle, so schwankte sic am zweiten anfänglich unbeständig hin und her; je nach dem Geschmack fühlte sich der einzelne von Gluck, Brahms und Händel mehr oder weniger angezogen. Da kam aber ein gewaltiger Geist daher, schuf mit einem Schlag Wandel und bannte alle ohne Widerstand. Das war der Geist Richard Wagners, der aus dem Lohcngrin zu uns sprach. Die Erzählung Lohcngrins kam in der verlängerten Fassung, die ihr Wagner ursprünglich gegeben, zu Gehör. Verpflanzt man sic überhaupt in den Konzertsaal, Vermriivortlicher Redakteur:

Dr. M.

Folt icii«eano,

aufsteigen, erst

schwinden, so¬ einige Musik¬

in der Halle vernommen: dann ist man von der aus¬ stücke

Generalproben wie zu den Konzerten

gezeichneten Akustik dieses Rau¬ mes entzückt. Nach Tausenden zahlte» die Zuhörer. Der Andrang zu den war ein gleich geivaltiger. Aus

Berlin, Leipzig, Dresden, Breslau, Posen, Neichenbcra in Böhmen waren Musikfreunde, Künstler, Kritiker und Musiklehrer herbeigeeilt. Es ist keine Frage, der inaterielle Vorteil, der Görlitz aus dieser Veranstaltung crivächst, ist nicht gering, und man begreift leicht, daß Stadt und Bewohner alles aufbieten, um den Gästen de» Aufenthalt so angcuehm wie möglich zu machen. Die Veranstaltung von Musikfesten überhaupt ist eine Sitte, die sich im Rheinland längst eingebürgert hat, und eine Nachahmung derselben in de» nördlichen und östlichen Teilen unseres Vaterlandes, i» denen es um die Pflege guter Musik nicht sonderlich bestellt ist, ivärc wohl zu wünschen. Sorgfältige Pflege der Musik auf Grundlage der Werke, die uns unsere Meister geschenkt, ist eine erste, vornehme Kulturansgabc der deutschen Nation, eingedenk des Wortes Goethes: „Was Du ererbt von Deinen Vätern hast. Erwirb es, um es zu besitzen." Von Görlitz schieden mir mit dem erhebenden Bewußtsein, daß auch in unserer prosaischen, gar zu materialistischen Zeit doch Tausende an einen Ort zusammengeströmt waren, um sich fern von allen Berufsgeschäften und unbeeinflußt durch Tagesfragen ganz der Pflege und dem Genusse der Musik hinzugeben. Ihre Macht über die Gemüter ist Max Kadisch. und bleibt ungebrochen.

Berlin. — Druck und Verlag:

Friedrich Schirmer, Berlin

8YV., Nenenbnrger

Strafe

14 a.

Der Bär. Illustrierte Wochenschrift.

„Der Bär" erscheint jährlich 52 null und ist durch alle Buchhandlungen. Zeitungsspeditionen und Postanstalten zu beziehen (Nr. 866 des Postkatalogs) und kostet vierteljährlich 2 M. 50 Pf., Stück inklusive Postgebühren. jährlich 10 M., Linzelheft 20 Pf. — Insertionspreis für die 4 gespaltene Nonpareillezeile oder deren Raum 60 Pf. — Beilagegebühr: 0 M. pro s 000 — Inserate und Beilagen werden entgegengenommen von der Expedition des „Bär", SW., Neuenburgerstraße 14 a, sowie von allen Annoncen-Lrpeditionen. — Hern'precher: IV. Nr. 565t

26. IllstrgNIly.

Juli 1900.

Somnibend, 14.

jU\ 28.

Berliner Wandeldilder. Wie die Berliner dröhnen. eulich hörte ich bei den Herren,

die sich

die Wohlfahrts¬

Lande zur Aufgabe

machen, einen pflege auf dem Redner mit der fachkundige dem Vortrag, in interessanten großer Bestimmtheit behauptete: wen die Wohnungsfrage einmal packt, den läßt sie nicht wieder loS. Das wollte ich denn doch ausprobieren, und da uns Goethe mit dichterfürstlichem Wohlwollen

Ist

n

eintreten wollte. Es handelte sich auch damals die Behausungen der sogenannten kleinen Leute, nur in Berlin, sondern in den großen Städten las ich kürzlich in der Zeitschrift für Gesetzgebung, Volkswirtschaft einen aus den achtziger Jahren greifenden .Mahnruf in der Wohnungsfrage",

insbesondere um

und zwar nicht

überhaupt. Da Verwaltung und stammenden er¬

worin Schmoller

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Guirnbreg-Fcirr in Baini: Wagen der deutsche» WlasslKer.

Rat hinterlassen hat, nicht unnötigerweise in die Ferne zu schweifen, so machte ich Berlin zu meinem Versuchsfeld. Zunächst ivarf ich einen Blick in den diesjährigen Berwaltnngsbericht des Magistrats und hatte die Freude, daselbst die Be¬ den guten

merkung zu finden, daß sich unsere Wohnungsverhältnisse von Jahr sanguinischen zu Jahr bessern. Doch darf man sich dadurch nicht zu Wohnungen der die denn verleiten lassen: Schlußfolgerungen

ärmeren Klassen lassen noch immer viel zu wünschen übrig. Im allgemeine» ist aber eine Bcsscrnng unbestreitbar, was schon ans der Thatsache zu ersehen ist, daß die Zahl der Grundstücke sowie der Wohnungen in erheblich höherem Grade gestiegen ist als die Bevölkerung. Das war nicht immer so, ja, es ist noch gar nicht lange her, daß bittere Klagen laut wurden, weil keine Besserung

das eingeschläferte Gewissen der Gesellschaft zu wecken versuchte, indem er die Aufmerksamkeit auf die jämmerlichen Armcngnarticre lenkte und die tiefen sittlichen, wirtschaftlichen und gesundheit¬ lichen Schäden bloßlegte, die daraus für Staat, Haus und Familie erwachsen. Auch Miguel, damals Oberbürgermeister in Frankfurt a. M., erhob in den Schriften des Vereins für Sozial¬ politik seine gewichtige Stimme, wobei er als den Kern der llebelstäiide die Ileberfüllnng der Wohnungen bezeichnete, und zu ihrer Beseitigung nach der heilenden Hand der Gesetzgebung verlangte, damit sie eine bessere, de» sanitären Anforderungen entsprechende Benutzung der Wohnungen sichere. Angesichts dieser schwerwiegenden Klagen erfüllt es mich mit lokalpatriotischer Gcnngthunng, daß Berlin damals hinsichtlich der ■

442

gerügten Mißstände unter den deutschen Großstädten wenigstens nicht an letzter Stelle stand, obschon auch hier die Zustände traurig genug waren und auch jetzt noch sehr besserungsbedürftig sind. Was die Zahl der Wohnungen mit nur einem heizbaren Zimmer betrifft, so hielt sich Berlin ungefähr in der Mitte, wogegen Dresden, Breslau, Stettin, Königsberg und Chemnitz schlimmer daran waren. Auch bezüglich der Ueberfüllung dieser winzigen

Wohnungen bot beispielsweise Dresden ein noch abschreckenderes Bild als unsere Stadt. Derartige Mißstände darf man übrigens nicht lediglich als eine Folge unserer modernen Entwicklung be¬ trachten; sie haben sich in den großen Städten zu allen Zeiten recht unangenehm

bemerkbar gemacht.

Eine leider sehr bedeutende Rolle spielen bei den mißlichen Wohnverhältnissen die Schlafleute, die hauptsächlich die Uebcrfüllung der kleinen Wohnungen verursachen. Berlin darf sich in¬ dessen auch in dieser Hinsicht eines Fortschritts zum Besseren rühmen. Unter 10 000 Personen befanden sich bei der vorletzten Zählung 600 Schlafleute, bei der letzten aber nur noch 471. Gleichwohl erreicht ihre Zahl auch jetzt noch die stattliche Höhe von 78 OM Köpfen, und es giebt Haushaltungen, in denen die Schlafleute auch heute erschreckend zahlreich zu finden sind, so daß die einge¬ tretene Besserung noch weit davon entfernt ist, einen günstigen Zustand zu bedeuten. Der Rückgang in der Zahl der Schlafleute ist erfreulicherweise insbesondere den Familien mit Kindern zu gute gekommen: bei der vorletzten Zählung hatten noch 16 Prozent dieser Haushaltungen Schlasleute auszuweisen, während sich solche bei der

letzten Zählung nur noch in 13 Prozent derselben Haushaltungs¬ kategorie vorfanden. Auch die Dichtigkeit des Zusammenwohuens der Schlafleute ist im allgemeinen zurückgegangen.

Diese Fortschritte verdankt Berlin der Verbesserung seiner Verkehrsmittel, infolge deren sich der erfreuliche Umschwung in überraschend kurzer Zeit vollzogen hat. Es sind noch nicht viel mehr als zehn Jahre verflossen, seit Paulseu in seinem System der Ethik bei der Besprechung der Wohnungsfrage es als den schönsten Gewinn der fortschreitenden Ausbildung der modernen Verkehrsmittel bezeichnet, wenn sie die Meuschenmasscn, die sie in großen Städte zusammengeführt hat, auch wieder ausbreiten würde, — und heute sehen wir diese» Wunsch in Berlin zum großen Teil bereits erfüllt. Die Flucht aus der Millionenstadt bereichert den Kranz von Vororten, der die Reichshauptstadt rings umgiebt. Freilich wird auch da schon die Klage erhoben, daß sich das Mietskaseruenwesen immer mehr breit macht. Wie unglaublich schnell sich die Vororte entwickelt haben, dafür ist Charlottcuburg ein drastisches Beispiel. Unsere NachbarResidenz war Ende der fünfziger Jahre ein Städtchen von 11 OM Einwohnern; aber dieses bescheidene Städtchen von ehedem ist nun zu einer Großstadt mit mehr als 1800M Köpfen und einem Grund¬ wert von 772 Millionen Mark emporgewachsen. Und doch ist es noch von anderen aufstrebenden Vororten in der prozentualen Zu¬ Weißensee nahme um mehrere Nasenlängen geschlagen worden. und Schmargendorf sind es, die den Vogel abgeschossen haben: sie zeigten bei der letzten Volkszählung einen Zuwachs von 132 bezw. 142 Prozent. Die Kolonisationsbestrebuugen in der Umgebung von Berlin begannen gleich nach dem französischen Feldzug, als infolge der starken Einwanderung sich eine unheimliche Wohnungsnot einge¬ stellt hatte. Wie ich aus einem Vcrwaltungsbericht der damaligen Zeit ersehe, war der Zudrang zu dem Asyl für Obdachlose oft so groß, daß die jüngeren Leute zu gunsteu der älteren und schwächeren zurückgewiesen werden mußten.

In

ganz

Berlin sollen

damals nur 162 Wohnungen leer gestanden haben, und die Rot steigerte sich in dem Maße, daß 136 Familien, die kein Obdach fanden, sich selbst auf der vormaligen Schlächterwiese vor dem Kottbuser Thor die sogenannte Barackenstadt aufbauten. Auch anderwärts entstanden ähnliche Niederlassungen, und die Baracken¬ wirtschaft nahm erst ihr Ende, als die Bude» durch die Feuer¬ wehr gewaltsam zerstört wurden. Die Möbel ihrer Bewohner wurden nach dem Friedrich-Wilhelm-Hospital geschafft und den Insassen das Arbeitshaus als vorläufiges Obdach angewiesen. In den darauf folgenden Jahren begann der Zug »ach den Vororten. Aber die Wanderlust der Berliner datiert nicht erst seit

jener Zeit, nur hielt sie sich früher mehr in den Grenzen des Mau ist dem Nomadentum in der Berliner Be¬ Weichbildes. völkerung frühzeitig auf die Spur gekommen, und diese Bczeichnniig ist nicht allzu übertrieben; doch möchte ich nicht so weit gehen wie Schwabe, der in einer älteren Abhandlung hierüber sagt, daß das Nomadentum, das in den ersten Stadien der menschlichen Entwicklung herrschte, auf dem höchsten Punkt der Kultur, also in der Großstadt, wieder zur Geltung komme. Schwabe hat festgestellt, daß in einem zehnjährigen Durchschnitt,

von 1860 bis 1870, die Umzüge in Berlin nahezu 50 Prozent betrugen, das heißt also: von je zwei Mietern zog im Jahr einer aus. Sehr auffallend ist dabei die Thatsache, daß die Zahl der Umzüge mit dem Angebot der Wohnungen gleichen Schritt hielt. Je größer das Angebot, desto größer die Zahl der leer stehenden Wohnungen und desto größer die Zahl der Umzüge. Daraus glaubte nun Schwabe den Schluß ziehen zu können, daß es eine Täuschung sei, die Umzüge in erster Linie den Mietssteigerungen zuzuschreiben und meinte, daß das Umziehen keine äußere Ver¬ anlassungen habe, sondern ein charakteristisches Merkmal der Großstadt und der großstädtischen Bevölkerung bilde. Die neueren Erhebungen zeigen allerdings, daß die Berliner die geringe Se߬

haftigkeit fortgesetzt bewahren.

Was nun die leerstehenden Wohnungen anbelangt, so hat es in Berlin immer gegeben, und zwar ist ihre Zahl nach den

solche

Vermaltuugsberichtcn aus de» verschiedenen Perioden meist nicht unbeträchtlich. Daß ein nicht unbedeutender Teil der Wohnungen immer unbewohnt ist, liegt, wie schon der städtische Mägistratsbericht vom Jahre 1828 hervorhebt, in der Natur der Sache, da durch Todesfälle, Reparaturen oder Aufgeben des hiesigen Wohn¬ sitzes fortdauernd der Fall eintritt, daß Wohnungen leer werden. Um übrigens die Zahl der leerstehenden Wohnungen nach ihrer wirtschaftlichen und sozialen Seite hin richtig beurteilen zu können, müßte man durchweg die Ursache des Leerstehens wissen,

die ist

aber aus den statistischen Ermittlungen nicht zu ersehen.

In

der ersten Hälfte der neunziger Jahre ist die Zahl der leerstehenden Wohnungen sehr gestiegen, sie geht jedoch jetzt ivicdcr

herab, betrug indessen Ende 1897 noch immer 22 0M Wohnungen mit einem Mietswert von 10 Millionen Mark. Vermietet waren aber 468M0 Wohnungen mit einem Mietswert von 324 Millionen Mark. Nach dem Ergebnis der letzten Volkszählung waren nur 1800 Woh¬ nungen mit zehn und mehr Zimmern und 44 000 Wohnungen Dagegen wurde» mit vier und mehr Zimmern vorhanden. 202M0 Wohnungen mit nur einem heizbaren Zimmer gezählt, in denen etwa drei Siebentel der Berliner Gesamtbevölkerung hausten. Trotz dieser großen Zahl macht sich fast bei jedem Um¬ zugstermin ein Mangel an kleinen Wohnungen mehr oder weniger fühlbar. Das erklärt sich daraus, daß die Arbeiterbevölkerung sehr rasch gewachsen ist, während der Bau. entsprechender kleiner Wohnungen damit nicht gleichen Schritt hält. Die Entwicklung der Bewohnungsdichtigkeit der Grundstücke ist jedoch im Vergleich

Der Anteil der den früheren Zählungen nicht ungünstig. Mietskasernen mit mehr als 2M Bewohnern hat sich vermindert, aber immerhin giebt e8 noch dreißig Grundstücke mit mehr als 5M Bewohnern. Hinsichtlich der Verteilung der Bewohnerzahl des entschiedene Abnahme der Dichtigkeit eine sich macht Wohnens bemerkbar. Die durchschnittliche Zahl der Bewohner pro Haushaltung ist von 4,17 auf 3,97 herabgegangen, und zwar am stärksten bei den Wohnungen mit einem Wohnraum, die übrigens relativ zurückgegangen sind zu gunsteu der Wohnungen mit zwei Räumen. Die durchschnittliche Zahl der Wohnungen auf den Grundstücken beträgt 19; auch sie ist zurückgegangen, wenn auch nur zu einem geringen Bruchteil. mit

Von großer Wichtigkeit ist aber auch die Frage nach der Be¬ schaffenheit der Wohnungen, und da zeigen die Behausungen der armen Klassen vielfach ein sehr beklagenswertes Bild. Ich fand in einem Bericht die Schilderung eines Hauses, die geradezu grauenerregend ist. Dieses Haus wurde von 250 Familien be¬ wohnt. Auf einem Korridor lagen 36 dieser kleinen Wohnungen. Die Fensterscheiben waren vielfach durch Papier, Holz oder durch ein Tuch ersetzt. Der Fußboden hatte so große Löcher, daß mau

443 Geschichte der Wohnungen nennen, und in der That, wenn man die gute Stube unserer Vorfahren mit den heutigen Salons vergleicht

hüte» mußte, hiueiiizufalle». Keine Familie besaß zwei Zimmer, und zuweilen fand sich nur ein Bett für eine Familie mit fünf Kindern vor: vier schliefen im Bett, die übrigen Personen aus der Erde. Mitunter wohnten zivei, ja, sogar auch drei Familien in einem Zimmer, das durch einem Kreidestrich abgeteilt war. Solche Schilderungen zeigen deutlich, wie viel es in Berlin zu thun giebt, sich

und einen Blick in die kleinen Mansardenstübchen wirft und in die Kellerwohnungen und in die Hinterhäuser, so kann man dabei mehr Kulturgeschichte lernen, als aus manchem dicken Buch von tausend — der Seiten. Ja, die Wohnungsfrage ist wahrhaftig interessant, packt, einmal sie wen recht: Wohlfahrtspfleger auf dem Lande hat Kukutsch. Gustav wieder los! sie nicht den läßt

um das Elend der Armenquartiere zu lindern. Schmoller sagt, nkan könnte unsere ganze Kulturgeschichte eine

Die Gutenberg-Feier in Mainz. ii. er Sommer 1900 steht im Zeichen des Greifen, des kleinen

Symbols im Buchdruckerwappen. Kaiser Friedrich III. (1415—1493) hat das schöne Wappen der Zunft verliehen, die es allzeit zum Segen der Menschheit hoch in Ehren hielt. Das Schild mit dem zum Fluge gerichtete» Adler charakteristischen

eines Genius wird zur siegenden, leuchtenden That, zur That, welche die Macht der Finsternis bricht, welche das Chaos entwirrt, den Sonnen, Planeten und Monden ihre Bahnen weist und der Wclten-

uhr einen Pendel schafft — das Wort wird Licht und Kraft! lind so ward auch das Wort Gutenbergs Licht und Kraft.

Gruppe der Tup»l>rsptzir.

wird von einem Greifen überragt, der mit ballen gegeneinander preßt. Der Greif ist

den Klanen zwei Druck-

jetzt

in diesen Sommer-

tagen zu großen, kaum geahnten Ehren gelangt. Auf dem ganzen Erdenrund, in allen Kultnrstaatcn beider Welten hat man der Knust, die er repräsentiert, rauschende Huldigungen dargebracht, indem man den Geburtstag des Erfinders zu einem Volksfest, einem Weltfcst stempelte.

Hat die Erfindung der Bnchdrnckerknnst wirklich die epochale Bedeutung, die man ihr zuschreibt? „Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen!" ruft Faust verdrießlich ans, als er den ersten Vers des Johannes-Evangeliums in sein geliebtes Deutsch über¬ tragen will. Und getrost schreibt er nieder: „Im Anfang war die That." Freilich, die That prägt sich deutlicher als das Wort in das schwindende Geleise der flüchtig entrollenden Zeit. Aber welchen gewaltigen Einfluß haben nicht auch die durch die Sprache dar¬ gestellten Aeußerungen der menschlichen Vernunft ans die kulturelle Entwicklung der Menschheit ausgeübt! Es wäre müßig, den Wert der Thaten und Worte gegeneinander abzuwägen. Einem großen Worte wohnt die Bedeutung einer That inne. „Ein geistreich anfgeschloss'nes Wort wirkt ans die Ewigkeit" sagt Goethe Das Wort

So hat cs im Wechsel der Jahrhunderte Thaten geboren und Thaten gereift, es hat die Menschheit zu der Knltnrhöhe emporgetrage», die kaum je geahnt werden konnte. Und was war der Lohn des Lichtspcnders für sein Werk? Wie alle großen, führenden Geister trug er den Lohn nur in sich selbst. Zn Lebzeiten verhöhnt und verachtet, von den Mitarbeitern mißbraucht und ausgeraubt, von den Zeitgenossen vergessen und verlassen, stieg er erst im Lauf der Zeiten auf den Gipfel seines Ruhms empor. Von allen Seiten wurde dem Großen die Erfindung streitig gemacht, seine Jünger spielten sich als seine Meister auf. Aber das Gcrichl der Geschichte hat sie in ihre Schranken verwiesen. Ein Mainzer Humorist wies die Lügner zurück mit den launigen Worten: „Ersinne is die Kunst,

Jeder!" Und die Mainzer sind zu allen Zeiten mit Wort und That, mit wissenschaftlichem Pathos und mit überzeugendem Volksgefühl, mit Witz und Geist eingetreten für ihren großen unsterblichen Mit¬ bürger. Lange Zeit hat man der Rheinsstadt diesen, ihren größten Sohn, streitig gemacht. Erst im letzten Jahrhundert haben Doku¬ mente und Urkunden die Wahrheit unzweideutig enthüllt. Noochmache kanns'

e

444

Hub nun wollte die Stabt Mainz auch zeigen, wie sie bie Eivigkeitsbebeutnng ihres Ahnen zu würdigen, wie sie bie crlösenbe That eines Gntenberg zu preisen, z» feiern, zu verherrlichen weiß. Aurea Mognntia hat ein Jubelfest ersonnen, bas in ben Annalen ber Gebenktage mit Flammenschrift für alle Zeiten prangt. „Unserm Gutenberg", so leuchtete es in Riesenlettern von ben Triumphbogen hernieber, bie baS im Herzen ber Stabt errichtete Denkmal um¬ schlossen. Jeber Mainzer fühlte sich in diesen Tagen als ein Nach¬ komme jenes Weltbefreiers, als ein Mitbeteiligter der universalen

Idee, die die Welt zur Knlturwelt erhob. Und jeder Mainzer trug unwillkürlich in dieser Erinnerung den Kops noch etwas höher als gewöhnlich und brückte in Gedanken dem große» Gutenberg die Hand als Bruder und Mitbürger. feiern, die Mitbürger Gutenbergs, das muß man ihnen lassen. In wohlgrsetzten, akademischen Reden, in feierlicher Jubelkantate, in kernigen Trinksprüchen, bei Wein und Champagner erscholl das Lob des Meisters von allen Seiten. Auch die Majestät des Volkes kam zu Wort. Und das mit Recht bei der Feier eines Mannes, der als der größte Volksfreund aller Zeiten gelten darf. Unter freiem Himmel ertönte von 2000 Männernnd Knabenstimme» das Tedeum, das den Dank des Volkes ver¬ kündete. Majestätisch und feierlich klangen aus der Ferne die Gewehrsalven, die Trommelwirbel und der Donner der Geschütze herüber, die den Grundbaß des Chores angaben. Und nun ver¬ einten sich all die Tausende, die hier das Festanditorium bildeten, zu einem neuen Chor, einem wie improvisatorisch von deni Augenblick, von der Situation geschaffenen Volkschor, um das Gutenberglied anzustimmen, das schon bei der Aufstellung des Denkmals 1837 den Grnndton der Feier bildete. Machtvoll, erhebend und ergreifend wie Meeresgebraus donnerten die Tonwellen empor:

Run, Feste wissen

sie zu

„Heil Dir, Mognntia, Juble, der Tag ist da, Längst schon ersehnt! Wo dankbar eine Welt Sich zu dem Fest gesellt. Das den Gefeierten Ruhmvoll bekrönt." Ans diese Huldigung in Wort und Ton folgte die Feier in historische Festzng, der gleichsam als seinem Standbild vorüberzog. Eine wandelnde Welt- und Kulturgeschichte des verflossenen halben Jahrtausends. Jede einzelne wichtige Epoche wurde durch eine >

Bild und Farbe, der große die That des Erfinders vor

Gruppe charakterisiert. Alle Trachten, Waffen, Fuhrwerke waren getreu den historischen Originalen nachgebildet. Die Vielgestaltig¬ Das Auge keit des Riesenbildes wirkte geradezu verblüffend. ward nicht müde, sich satt zu sehen, dem Ohre schmeichelten alte Weisen, die die zahlreichen Mnsikkorps, zum Teil auf altertümlichen Instrumenten, nach den Originalkompositionen spielten.

Der Reichsherold eröffnete den Festzng. Die erste Gruppe galt der Typographia, von den vierundzwanzig durch Knaben getragenen

Buchstaben des Alphabets eingeführt,' cs reihten sich die Gehilfen und

Schüler Gutenbergs, Fust, Schösser, Pfister und Mcntel an. Auf kunstvoll aufgebauten Wagen thronte die erste Buchdrnckpresse. Kurfürst Diether von Isenburg zog mit Gefolge vorüber. Run kamen die Zünfte; die Bierbrauer führten ihr Maischfaß mit, die Schuhmacher hielten einen Riesenstiefel, die Fleischer bekränzte Ochsen, die Glockengießer ihre Kirchenglocken. Auf dem Wagen der Schmiede lohte das Feuer in der Esse, und Meister und Gesellen bearbeiten im Takt mit ihren Hämmern das Eisen auf dem Ambos. Farbenprächtig war der Aufzug des Kurfürsten Adolf von Nassau,

Wage» die Burg Eltville schmückte, die Stätte, wo Guten¬ berg seine Tage beschloß. Buntes Leben und fröhliches Treiben brachten die sonngebräunten Winzergestalten, die Kelter und Most¬ butten nachzogen. Die Rhein- und Weinstadt kam als durstige Gesellschafterin gleich hinterdrein, „Heil Dir, Mognntia" schallte dessen

von allen Windrichtungen empor. Die Sängerzunft, Hans Sachs im Mittelpunkt, bildete einen schroffen Gegensatz zu den Vertretern des rauhen Kriegshandwerks, Feldobrist Georg von Frundsberg mit seinen Landsknechten und Reisigen. Jetzt erschien das „Glückhafft Schiss" mit den berühmten Poeten und Satyrikern, Till Eulenspicgel, Geiler von Kaisersbcrg, Thomas Murner, Sebastian Brandt und Johann Fischart. Da¬ nach kam eine Gruppe berühmter Buchdrucker aus dem 15. und 16. Jahrhundert und anschließend daran die Bnchillustration mit ihren Vertretern, wie Albrecht Dürer, Hans Holbein der Aeltere Pagen und und Jüngere, Lukas von Leiden, Hans Sebald. mit der Zensor der Henkersknechte, Verleger, Schildträger, reisende Schössen, Bote, hinkender ein Scharfrichter, Schere, ein großen Zeitnngsvcrkaufer und Zeitungsschreiber symbolisierten den Lauf der Entwicklung, den Buchdruck und Presse vollführt haben. Den historischen Größen, wie Kurfürst Friedrich Wilhelm, Kurfürst Erzbischof Johann Philipp von Schönborn und Friedrich dem Großen, folgten die litterarischen Lichtmomente, verkörpert in Den dem Halberstädter Dichterkreis und Theodor Körner. in der die Periode, kennzeichnete die Höhepunkt des Ganzen Buchkunst ihre höchsten Triumphe feierte, in der sie berufen ward, die unsterblichen Meisterwerke eines Goethe, eines Schiller, eines Klopstock und Wieland zu verherrlichen, der Welt zu schenken. Eingeführt durch die kunstsinnige Herzoginwitwe Amalie von SachsenWeimar, die auf dem Verkehrsmittel ihrer Zeit, der Portechaise, erscheint, naht der Wagen der deutschen Klassiker, von Pallas Athene beschirmt und geweiht. Die Erfindung Gutenbergs hat ihre Mission erfüllt, sie hat ihr höchstes Ziel erreicht. Es strömen die modernen Generationen herbei, um ihren Dank und ihre es

Huldigung darzubringen. Die moderne Kunst, die moderne Kulturwelt, angedeutet durch die Genien der fünf Weltteile, Germania, die neu erstandene, die deutschen Staaten und die Hüter des er¬ rungenen Geistesschatzes, die deutschen Universitäten, sie alle beugen sich vor der Macht und Schöpferkraft des Meisters und vereinen inniger, warmer Begeisterung zu dem gen Himmel sich ans K. brausenden Ruf: Heil! Heil Gntenberg!

Städte- und Laiidschastslnlder. Die samländische Halbinsel und ihre Schätze. Erdnmwälzungcn, die auf unserm Planeten stattgefnnden haben, ist der Bernsteinboden öfter umgelagert Wir finden den Bernstein und abgeschwemmt worden. daher nicht bloß auf dem Meeresboden der Ostsee und ihren Küstengebieten, sondern weit bis in das Binnenland hinein. Richt unbedeutende Funde werden alljährlich in den Pro¬ vinzen Ost- und Wcstprenße», besonders in der Johannisbnrger und Tuchler Heide, in Pommern und Posen durch Erdgrabnngen ei den vielfachen

Den größten Bernsteinreichtnm jedoch hat die sogenannte „blaue Erde" des Samlandes, auf die wir noch später zurückkomme» werden, auszuweisen. Das „Gold des Samlandes", wie der Bernstein oft genannt wird, dessen Wert zwar nicht dem des wirklichen Goldes, wohl aber bei Stücken über 75 Gramm dem des Silbers gleichkommt, zu Tage gefördert.

im graue» Altertum ein geschätzter Schmnckgegenstand Griechen, Römern u a. bei de»

war

schon

aus

öery

^es^vic mit irdischen Frauen, an der Haltung und am Gange erkennen, sobald sie sich von ihnen geivandt haben.

„Minerva!"

Leise seine blonden Locken streichelnd,

begann

sie

dann

zu sprechen: „Ich liebe Sie auch, Meister Hofer. — Und ich bin in diesen: Augenblick so glücklich wie nie zuvor und zugleich so unglücklich. Denn ich muß Dir trotz aller meiner Liebe ant¬

worten: Wir beide sind nicht für einander." Die Erregung zwang sie, innc zu halten. Der Mann blieb in seiner Stellung, ohne sich zu regen. Endlich schlug ihre weiche, leise Stimme wieder an sein Ohr. „Ich glaube Dir, was Dn mir gesagt hast: Daß Du mich liebst. Du hast mir freilich verschwiegen, daß Du auch eine andere liebst. Aber dieses Gefühl willst Du ja in Dir niederringen, großziehen.

es

zertreten,

und die Liebe zu mir hegen und

Darum durftest Dn schweigen.

Und gerade darum muß ich reden. Laß' mich zum zweitenmal Dich retten, Meister. Denn jene andere Liebe würdest Du nimmer los, iveil sie die Richtige, die Echte ist. Die Neigung zu mir kannst Dn noch eher abthun; denn die ist bloß Dankbarkeit, Beivunderung, Freundschaft, die zur Leidenschaft geworden ist, weil ich ein Weib und jung und schön bin. Ich habe viel nachgedacht über uns beide und. . die andere. Soll ich Dir sagen, Karl, zu ivelchcm Schluß Daß gerade das, ivas Du an mir bcich gekommen bin? ivunderst, die echte Liebe zu mir nicht hat aufkommen lassen. Deine Natur ist es, Herr zu sein und Dich herabzulassen. Du suchst im Weib ein großes Kind, das Du hätscheln und

hinein.-

Eine Minute später sah Birkheimer, der iin Hofe auf¬ geregt auf und abschritt, Lconie ans der Thür des Ateliers treten. Die Handschuhe hatte sic in der Hand, während des Gehens steckte sie den Hut auf ihrem Haare fest. Ihr Gesicht

müssen, während ich spreche."

Sie führte den großen, starken Mann, der ihr willenlos folgte wie ein Kind, an ihren Sitz und zog ihn zu sich nieder, so daß er ihr zu Füßen saß und seine Stirn auf ihr Knie lehnte.

sich rasch zu

flüsterte er.

Daun eilte er in das Atelier. Da stand mitten in- dem iveiten Nanme Karl Hofer niit über der Brust gekreuzten Armen hoch aufgerichtet. Ueber Gesicht und Bart aber rannen ihm stromiveise die Thränen.

Das

ist nun drei Jahre her. Der berühmte Bildhauer Karl Hofer lebt jetzt mit seiner lieblichen Gemahlin, Frau Mary, in München, wohin er vor etwa einem Jahre als Professor an die Kunstakademie be¬ rufen worden ist. Willibald Birkheimer ist natürlich mit¬ gegangen und handlangcrt fleißig im Atelier seines Neffen.

Lconie ist Schriftstellerin regen

lichen

geworden.

Ihre Romane

er¬

wegen der Kühnheit der Stoffwahl und der männ¬ Kraft der Behandlung großes Aufsehen. An ihr erstes

Buch hätte sich beinahe ein Skandalprozeß geknüpft. Er führte den Titel „Eine Ehe" und geißelte die Fäulnis im Liebesleben der modernen Gesellschaft. In den Hauptpersonen des Romans wollte man den Berliner Mvdcarzt Dr. Fritz Schröder und seine Frau, die Tochter eines Großkaufmanns aus Hamburg, erkennen. Bei Bällen und anderen Festen fällt die gefeierte Dichterin vor allen andern Damen ans. Neben ihrer edlen, in jedem kleinsten Zuge durchgeistigten Schönheit ist eine kleine Sonder¬ barkeit die Ursache davon. Leonie Lürscn trägt nie auch nur den geringsten Schmuck außer der Rettungsmedaille am Bande. Sic liebt cs aber nicht, gefragt zu werden, ivie sie diese so selten in den Besitz einer Frau gelangende Auszeichnung erworben hat.

484

Albrecht von Brandenburg -Knlmbach. tncr der tapfersten und nnternchmendsten Parteigänger znr Zeit war der Markgraf Albrecht von Brandenbnrg-Knlnibach, mit dem Beinamen Alcibiades, wahrscheinlich, weil er alle Tugenden und Laster des griechischen Jünglings in seiner Person vereinigte nnd wie dieser in der Verbannung starb. Er war der Sohn des Markgrafen Casimir nnd der Snsanna, Tochter des Bayernherzogs Albrecht IV., nnd hat am 28, März 1522 zu Ansbach das Licht der Welt erblickt, wo man ihm auch bei seiner Taufe den Rainen seines berühmten Großahnherrn Albrecht

g der? Passaner Vertrages

(Achilles) beilegte.

Sein Vater starb als kaiserlicher Obcrfeldherr am 21, Sep¬ tember 1527 zu Ofen im Kriege gegen die Türken nnd den Woiwoden von Siebenbürgen, der sich die ungarische Königskrone erobern ivvllte. Infolgedessen stand der fünfjährige Albrecht als Waise da, allein der Leitung seiner Mutter überlassen, welcher seine wilde, unbändige Knabennatnr große Rot nnd Plage brachte. Das Fürstentum war so stark ver¬ schuldet, daß zur Erhaltung des Hofes so gnt wie nichts übrig blieb nnd man sich schon in der frühesten Jugend Albrechts gezwungen sah, alle goldnen und silbernen Gefäße und Kostbarkeiten der Kirchen zi, Ansbach, Knlmbach, Schwabach nnd Hof einschmelzen mib zusammen mit den fürstlichen Schätzen vernüinzen zu lassen. Sein Onkel, Markgraf Georg, ließ ihn durch den berühmten Philologen Osopäus im evangelischen Glauben unterrichteil, dem er selbst angehörte, nnd verfeindete sich dadurch nicht wenig mit Kaiser Karl V, und König Ferdinand, die die Absicht hatten, Albrecht in Oesterreich für die katholische Kirche erziehen zu lassen. Das kriegerische Lcbeii jener Zeit erfaßte auch den jungen Fürsten, der weniger Lust hatte am Lernen, als die ivildesten Pferde zu bändigen. Tag nnd Nacht mit der Armbrust die Wälder zu durchjage» nnd sich sollst in allen Waffen zil üben. Zuerst trat er gegen seine evangelischen Glanbensgenossen in die Dienste des

Kaisers nnd focht unter Habsburger Fahnen gegen die Franzosen nnd den schmalkaldischen Bund, wo¬ bei er bei der Belagerung von Metz eine nicht geringe Rolle spielte. Im Jahre 1547 hatte er das Unglück, bei Rochlitz in die Gefangenschaft des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen zu geraten, aus der ihn aber die im Monat daraus stattfindende Schlacht von Mühlberg wieder be¬ freite, Nun half er dem besiegten Feinde und Kriegsrnünxrn dem eigenen Lande das Interim ausdringen, feste Sachsen das belagerte unter Moritz von Magdeburg und schloß sich 1552 mit 8000 Landsknechten dem berühmten Zuge desselben von Magdeburg bis Innsbruck an, dort den Kaiser Karl gefangen zu nehmen und diesen dadurch zu zwingen, die evangelische Kirche anzuerkennen und die unrechtmäßig gefangen gehaltenen Häupter des schmalkaldischen Bundes, Johann Friedrich von Sachsen und den Landgrafen Philipp von Hessen, freizugeben.

Als dieser kühne Plan mißlang, versuchte er Verhandlungen mit Frankreich anzuknüpfen und durchzog plündernd nnd brand¬ schatzend die Main- nnd Rheingegcnden, indem er behauptete, daß der Passaner Vertrag, der zwischen dem bevollinächtigten Bruder des Kaisers, dem römischen König Ferdinand nnd Moritz von Sachsen am 16, Jnli 1552 geschlossen und in dem sämtliche An¬ sprüche des letzteren befriedigt wurden, für ihn nicht verbindlich wäre, weshalb kurz darauf die Rcichsacht über ihn ausgesprochen wurde. Als sich nun die Verhandlungen mit Frankreich zerschlugen, suchte sich Albrecht wieder mit Karl V, ansznsöhnen, was ihm auch in kurzer Zelt gelang, da sich dieser durch allerlei Anfälle und Widerwärtigkeiten in größter Verlegenheit befand. An der Spitze von 10 000 Landsknechten trat er wieder in des Kaisers

Daß Karl V, unter diesen Umständen das Vertrauen der verlor, weil er, um den Fricdensstand im Reiche einging mit einem Fürsten, der allgemein Bündnis ein erhalten, zu als Rcichsfeind iilid Friedensbrecher bekannt war, ist leicht ver¬ ständlich, Als Aeqnivalent für Albrechts Hilfe mußte ihm der Kaiser die Verträge, die Albrecht beii Bischöfen von Wüczbnrg nnd Bamberg abgetrotzt und die er sogar selbst in der Passaner UeberDienste.

deutschen Fürsten

einknnft verworfen und kassiert hatte, gutheißen und bestätigen nnd den Besitz alles dessen, was der Friedensstörer durch Raub, Brand¬ schatzungen und Erpressungen aller Art an sich gebracht, gewähr¬ leisten, eine Rechtsverletzung, wie sie sogar in der falschen treulosen des Kaisers Diensten Politik Karls V- selten anzutreffen ist. Herzog schlug Albrecht am 4, November 1552 bei St. Nicolas den

In

von Anmale nnd nahm ihn gefangen, belagerte dann das von Frankreich auf eine unerhörte Weise im tiefsten Frieden geraubte Metz und deckte, als die Belagerung wegen schrecklicher Kriegssenchcn aufgehoben werden mußte, den Rücken des kaiserlichen Heeres,

Im Jahre

1553 erneuerte Albrecht seine Ranbzüge in Franken, Da verbanden sich ans Bitten der Bischöfe von Würzburg und Bamberg mehrere Fürsten mit dem Kurfürsten Moritz von Sachsen, um Albrecht endlich unschädlich zu machen. Bei dem in der

Landdrostei Lüneburg gelegene«: Dorfe Sievershausen, am 9. Juli 1553, über¬ raschten die Verbündeten seine Armee aus¬ nnd sprengten sie vollständig einander, wobei allerdingsKursürstMoritz aufgab; so schwer verwundet wurde, daß er am 11, Jnli seinen Geist kurze Zeit darauf wurde der Rest der Räuberbande bei Braunschweig völlig vernichtet. Die Albrccht'schen Erblande wurden nun von seinen Feinden sehr schnell eingenommen, seine Burgen zerstört, die starke Feste Plassenbnrg am 22, Juni 1554 erstürmt und ge¬ schleift, über Albrecht selbst aber nochmals die Reichsacht aus¬ gesprochen.

Nachdem Albrecht nun erst eine Zeitlang an den Höfen seiner Verwandten umhergeirrt war nnd vergeblich Beistand an Geld und Leuten gesucht hatte, floh er nach Frankreich, von wo aus er zwar

später auf erhaltenes sicheres Geleit zurückkehrte, ohne aber je wieder in den Besitz seiner Länder zu gelangen. Er starb kurz daraus in Pforz¬ heim 1555 bei seinem Schwager, dem Markgrafen von Baden, ohne männliche Erben zu hinterlasse», im Alter von 33 Jahren, Als ihm seine Aerzte Johann Lang und Georg Renz mitteilten, daß er nur noch wenige Stunden seine alten Diener, seinen z» leben hätte, ließ er alle aus Silber. Schwager nnd die Kriegsobcrsten Jakob von Oßbnrg nnd Franz von Thüngen an sein Lager treten, worauf er zu ihnen folgende Worte sprach: „Ich weiß wohl, daß ich sterbe» muß, darum habe ich Euch zusammen berufen lassen, daß Ihr mir vor Gott am jüngsten Tage und auch hier vor aller Welt das Zeugnis geben könnt, daß, wiewohl ich hoch und schwerlich von Bielen beleidigt und von meinen Landen und Leuten vertrieben bin, ich dennoch von Herzen verzeihe und vergebe, allen denen, die mich je beleidigt haben nnd sonderlich auch denen, die aufs heftigste gegen mich gehandelt, vertrauend ans die Gnade Gottes, daß auch mir Gott alle meine Sünden vergebe nnd ver¬ zeihe, denn heute will ich sterben wie ein deutscher verjagter Fürst nnd als ein frommer Christ, Um dies von Gott zu erlangen, sprechet mit mir nnd für mich ein Vaterunser," In der Willschen Bibliothek zu Nürnberg befindet sich noch die langatmige Originalhandschrift von Hans Sachs, die Himmel¬ fahrt Markgraf Albrechts von Brandenburg, die so recht seinen Haß gegen den Todfeind durchblicken läßt, Albrecht war ein geborener Kriegsmaun, kurz von Rede, abelSeine Leute, mit denen er ebenso Not energisch im Handeln, und Entbehrung, wie Genuß und Ueberfluß brüderlich teilte, hingen mit abgöttischer Liebe an ihm; er sah ihnen manches nach, ver-

485

langte aber strengen Gehorsam und Subordination. Sein ganzes Auftreten hatte einen Anstrich von Wildheit' wenn er tut Panzer¬ hemd mit wallendem rötlichen Bart und Haar auf seinem Streit¬ hengste wie ein Unwetter angesprengt kam und gegen feindliche Dörfer wohl selbst die Brandfackel schwang, befiel die Feinde Furcht und Zagen. Kirchliche Dinge sollen ihm wenig ani Herzen Als er gegen Magdeburg zog, stellte ihm der gelegen haben.

Prediger Wolfgang Rupertus vor, daß ein solcher Krieg

nicht

mappen oder den brandenburgischen Adler mit diesem Wappen auf der Brust. Ueber dem Wappen auf jedem Stück A. M. Z. B. Albrecht Markgraf zu Brandenburg, neben oder unter dem Wappen die Jahreszahl 15—53, auf einigen noch daneben Rosen oder Kreuze. Im Munde des Volkes werden sie Schweinfurter Klippen genannt, weil er sie dort bei einer zweifachen Belagerung aus Kirchen- und Jnnungssilber hat herstellen lassen, gezwungen durch großen Geldmangel, in dem er sich fast immer befand und mit dem man kein Heer erhalten kann. Das richtigste Urteil über die Person des tapfern Mannes füllt wohl Ranke, er sagt: „Der Widerstreit von Armut und Kriegslnst, Dienstverhältnis und Stolz, Recht und Gewalt, worin er lebte, und die Uebertänbung jener innern Stimme, die er doch immer hörte, gaben seinem ganzen Wesen einen Beigeschmack von Wildheit, der sich denn fortan an seinen Namen geknüpft hat." Aber merkwürdig: Bei alledem hing das gemeine Volk ihm an. Er war ei» Charakter, dem man seine Fehler nachsieht, weil man Brause. sie von keiner Bosheit herleitet.

Sobieskys Siegeswagen. Beutestück, das den Truppen des Generalleutnants Henning Alexander von Kleist-Raddatz während des ersten schlesischen Krieges in einem Kloster Oberschlesiens in die Hände fiel, war der Siegeswagen des Polenkönigs Johann Sobiesky. Die Stadt Wien hatte ihn seiner Zeit nach der Weise der römischen Triumphwagen — mit einem Baldachin, von Säulen getragen — anfertigen und mit stark vergoldeten Figuren und Trophäen reich verzieren lassen. Nach einer beglaubigten Ueber¬ lieferung sollen 3000 Dukaten aus der Stadtkasse hierfür gezahlt worden sein. Der Polenkönig hatte bekanntlich am 12. Sep¬ tember 1683 im Bunde mit deutschen Hilsstruppen die gefährdete Stadt aus den Händen der grausamen Türken gerettet. Dafür erhielt er dieses Ehrengeschenk. Rach Sobieskys Tode aber hatten seine weiblichen Nachkommen den Siegeswagen auf ihre in Oberschlesien gelegenen Güter mit¬ genommen und ihn einem Kloster in Verwahrung gegeben. Von dort brachten die siegreichen Preußen ihn im Triumph ihrem Helden¬ führer, dem General von Kleist, mit, der hierüber besonders er¬ freut mar. Als der Siegesmagen Friedrich dem Großen vorgeführt wurde, erzählte der General ihm treuherzig, daß er kurz vor Ausbruch des Krieges in seinem pommerschen Heimatdorfe Raddatz bei Neustettin eine neue Kirche gebaut, in der nur noch die Kanzel fehlte. Er dächte es sich ganz herrlich, wenn dieser Siegeswagen, als be¬ ständiges Andenken an den glorreichen Krieg, in der Kirche auf¬ gestellt als Kanzel diente, von der herab der Geistliche allsonntäglich den Sieg Christi über die Feinde unserer Seligkeit verkündete. Der König überließ seinem verdienten General das wertvolle

/Min wertvolles SS?

ohne Schaden der Seele geführt werden könnte, da sagte er: „Fahren wir zum Teufel, Pfafs, so sollst Du mit uns fahren", und nahm ihn als Feldprediger zu sich. Es beweist dies auch wohl die oben abgebildete, als einzig bekanntes Stück im Berliner Münzkabinet befindliche Münze mit der Aufschrift: „Zu Ehren Markgraf Albrcchten und zu Schanden allen Pfaffenknechten!"

des Krieges wurde Albrechts Statthalter, Wilhelm von Grumbach, der spater noch eine hervorragende Rolle in den Gothaischen Händeln 1567 spielte, von wnrzbnrgischen Räten und Domherrn angesprochen, warum sein Herr, der Markgraf, den

Zu Anfang

Beutestück gern zu dem genannten Zweck. Sv nahm dieser denn nach Beendigung des ersten schlesischen Krieges den Siegeswagen mit in sein Heimatdorf Raddatz und ließ ihn in der Kirche hinter dem Altar aufstellen. Mit der Vorderbrüstnng ruht der Wagen auf dein Altar" der Baldachin aber Auf einer ist an der Kirchendecke mit starken Seilen befestigt. kleinen Kanzeltreppe steigt man von der Rückseite her in den Wagen hinein. Unter dem Baldachin befindet sich die Inschrift:

„Currus triumphalis Johannis Sobiesky, Regis Polonorum"

Lriegsmünirn Bischof

feindlich

überziehen

«US

wollte,

Silber.

worauf

dieser

antwortete:

Wo man's nehmen wollt, denn müsse Geld haben. bei denen so es hätten? Der Bischof von Würzburg könnte wohl

„Sein Herr

Darauf mußte er bedacht dreist elfhunderttausend Gulden geben. würde sonst dem Stift es habeil, so wollte es Teufel sein, der Die angeführten Kriegsmünzen sind fast ohne übel ergehen!" Ausnahme von großer Seltenheit, entweder führen sie ans der einen Leite, ans welcher sie nur beprägt sind, das Hohenzollern-

;

auf demselben sieht mau den Sobieskyschen Schild, den weißen Adler und den verschlungenen Namenszug J. 8. R. P. und außer¬ dem eine Anzahl türkischer Trophäen von Turbanen und HelleDer Wagen ist, wie bereits angedeutet, vergoldet und barden. größer» Felder sind in zierlicher Weise mit feiner seine Goldmalerei bedeckt. Außer den genannten Darstellungen sind eine Menge musizierender Knaben, Genien mit Wappen, allegorische Figuren, glänzende Wasfenzierde» und dergl. m. daran abgebildet. Auf dem Mittelfelde der Brüstung aber ist gleich nach seiner Aufstellung in der Kirche das v. Kleistsche Wappen übergemalt worden! man sieht jedoch die ursprüngliche feine Goldmalerei noch durchschimmern. Zur rechten und linken Seite des Wappens stehen der Raine und die Titel des Generals Henning Alexander von Kleist! darunter die Jahreszahl 1742, die später, nachdem der Generalleutnant von Kleist zum Generalfeldmarschall ernannt worden, in 1747 umgeschrieben worden ist. Die goldverzierten Räder des Wagens standen bis gegen Ende des Jahres 1806 hinter dem Altar in der Kirche. Sie wurden von den Deutschland überschwemmenden Franzosen geraubt, und der damalige Besitzer von Raddatz, Oberst Leopold von Kleist hat sich 1815 vergeblich bemüht, die Rüder aus Paris beim Friedens¬ schlüsse wieder zu erhalten. In früheren Zeiten geschah es oftmals, daß vornehme Polen nach dem Dorfe Raddatz mallsahrteten, »in am Altar der Kirche unter dem Siegesivagen ihres ehemaligen Königs ihre Gebete zu verrichten.

486

Kommandeure

im deutschen Expeditionskorps für China.

und Joachim Albrecht von Preußen ernannt und gleichzeitig k Ia suite

Im nächsten Jahre wurde er dem braun¬ des Regiments gestellt. schweigischen Husareuregiment Nr. 17 aggregiert und 1898 Kommandeur desselben) am 27. Januar 1899 erfolgte seine Beförderung zum OberstLeutnant.

Sessel Beauftragt mit der Führung der 28. Division, unter Beförderung zum Generalleutnant durch kaiserliche Ka-

/Generalmajor

\pf

ist

u.

binetsordre zum Kommandeur des vstasiatischen Expeditionskorps er¬ Im Jahre 1848 geboren, am 7. April 1866 aus dem Kadettenhaus beim 2. Garderegiment z. F. als Leutnant eingestellt, machte v. Sessel bei diesem Regiment die Kriege von 1866 und 1870/71 mit, besuchte dann die Kriegsakademie und kam 1878 als Ober¬ leutnant zum 2. magdeburgischeu In¬ fanterieregiment Nr. 27. Im Jahre 1876 wurde er zum Geueralstab kommandiert und 1878 als Hauptmann i» den Generalstab versetzt. Zunächst war er im Großen Generalstab, dann im Stab des 3. Armee¬ korps und der 7. Division thätig. Im April 1884 wurde er Kompagniechef im

nannt worden.

Major Hoffmaun, der Kommandeur des ostasiatischen Feldartillerieregimeuts, ist 48 Jahre alt und seit dem 9. März 1872 Offizier. Er wurde am 22. März 1881 Oberleutnant, 1887 Hanpimaiin und am 27. Januar 1896 Major, befehligte dann bis zu seiner im September 1899 erfolgten Eruennnng zum Kommandeur des niederschlesischeu Feldartillerieregimeuts Nr. 5 in Glogau die reitende Abteilung des Regiments in Sagau.

Freiherr Mumm v. Schwarzenstein, der nrnernannke diplomatische Vertreter des deutschen Reiches in China.

4. rheinischen Jiifauterie-Reginieiit Nr. 30 und kehrte im Herbst 1885 in den Großen Geueralstab zurück. Im November des¬ den selben Jahres wurde er Major. Jahre» 1886 bis 1888 stand er bei der 1888 20. Division, bis 1889 beim 10. Armeekorps in Hannover, war hierauf ein Jahr lang Bataillonskommandeur im 6. ostpreußischen Infanterieregiment Nr. 43 und wurde dann Chef des Stabs des 1. Armeekorps. Im Juli 1896 übernahm er das Kommando des 2. Grenadierregiments. Im April 1897 erfolgte seine

Axie Ernennung des bisherigen deutschen Gesandten in Luxemburg, des Frei¬

In

v. Schwarzenstein, zum Vertreter des deutschen Reiches in China beweist aufs neue, daß die deutsche Regierung so wenig wie die übrigen Regierungen die chinesische Aktion als einen Krieg im völkerrechtlichen Sinne auffaßt. Die diplomatischen Beziehungen sollen zwischen den beiden Ländern offiziell

herr» Mumm diplomatischen

nicht

abgebrochen

werden.

Vorläufig

allerdings wird der neue Gesandte die Hauptstadt des Reiches der Mitte nicht

Beförderung zum Generalmajor und Kommandeur der 28. Jnfanteriebrigade betreten können. in Düsseldorf. Boni 8. Oktober 1898 bis Freiherr Mumm v. Schwarzenstein, zum 22. Mai d. Js. war er mit der ein Sproß des bekannten Frankfurter Wahrnehmung der Geschäfte eines Ober¬ Patriziergeschlechts, steht im 40. Lebens¬ quartiermeisters beauftragt. Hierauf über¬ jahr. Er war zuerst als Referendar nahm er die Führung der 28. Division Generalleufnanf v. Lestel, Kammergerichts zu des im Bezirk in Karlsruhe und erhielt im ersten Drittel Kommandeur des deutschen Expeditionskorps für China. Berlin beschäftigt, wurde 1885 zum des Monats Juli die Beförderung zum Kammerjunker ernannt und kam 1886 Generalleutnaut und zum Kommandeur als Botschaftsattache nach Paris. 1888 ging er als Legationssekretär des oslasiatischeu Expeditionskorps, das sich aus zwei Jnfanteriebrigaden, wurde 1891 zum Kammerherrn ernannt und nach Washington, einem Reiterregiment, einem Feldartillerieregiment und einem PionierBataillon zusammensetzen wird, ivozu noch eine Telegraphenahteilung, kehrte 1892 nach Europa zurück, um als Legationssekretär bei der 1893 finden wir ihn beim Gesandschaft in Bukarest einzutreten. eine Eisen bahnbaukompagnie, eine Sanitätskompaguie, Munitionspäpstlichen Stuhl in Nom, von wo auch seine Beziehungen znm Kolonnen, Proviantkolonne» und vier Feldlazarette kommen. Auf dem Truppenübungsplatz in Münster erhielt am 7. Juli der Grafen v. Bnlvw datieren. 1894 trat Mumm v. Schwarzenstein Ernennung zum unter gleichzeitiger Rat Vortragender als Kommandeur des braunschweigischen Husarenregiments Nr. 17, Lberst-

UberNlcnInaiit v. Rni)leM,

Major Hoffmann.

Stoiimnnbcm: des ostasiatischen Reiterregiments.

Kommandeur des oslasiatischeu Feldartillerieregimeuts.

lentnant v. Arnstedt, den kaiserlichen Befehl, die Führung der nach China abgehenden Kavallerie-Abteilung zu übernehme», v. Arnstedt. gegenwärtig 48 Jahre alt. ist seit dem 2. September 1870 Kavallerieoffizier. Er erwarb sich im deutsch-französische» Krieg das Eiserne Kreuz, wurde Ritt¬ am 14. Januar 1879 Oberleutnant und am 12. Februar 1884 Husareuregiment meister. Als solcher kommandierte er im 2. westfälischen Nr. 11 eine Eskadron. Am 2. September 1892 rückte er zum Major auf, in welcher Charge er zunächst das Kommando der 5.. in Düssel¬ dorf stehenden Eskadron des Regiments behielt. Im Jahre 1896 wurde er zum militärischen Begleiter der Prinzen Friedrich Heinrich

Legatwnsrat in die politische Abteilung des Aus¬ Amtes zu Berlin eilt und siedelte 1898 als außer¬ ordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister »ach Luxemburg Wirklichen

wärtige» über.

Von hier scheidet er nun, um als Vertreter Deutschlands nach Vertretung des Ostasien zu gehen, nachdem ihn sein Berus 1899 zur auf einige deutschen Voischasters, Herr» v. Holleben, zum zweitenmal Monate nach Washington geführt hatte. Sowohl seine vorgesetzte Behörde als auch der Kaiser waren von seiner Thätigkeit in Washington, die, so kurz sie auch war.

487 doch wesentlich dazu beitrug, die in jener Zeit gerade schärfer bcrvortretende» Gegensätze zwischen Deutschland und den Bereinigten Staate» zu mildern und zu versöhnen, Außerordentlich befriedigt, und schon

Lorbeeren. Auch das Ausland sollte der so rcichbegabten Künstlerin und Virtuosin nicht verschlossen bleiben. Frankreich. England und die Vereinigten Staaten von Amerika waren ebenfalls Zeugen ihrer pinnistischen Leistungen und künstlerischen Erfolge gelegentlich der wieder¬ holten Gastspieltourneen, die Mary Krebs durch diese Länder unternahm. Bereits vor Jahren ivar die Verstorbene vom König von Sachsen zur königlich sächsischen Kammervirtuosin ernannt worden. An der Seite ihres Gatten und ihrer Mutter hatte sie in einer Villa zu DresdenStrehlen, wo sie jetzt auch der Tod ereilte, ihren ständigen Wohnsitz aufgeschlagen.

Berliner Chronik. Am 13. Juli starb in Jnterlaken der General der Kavallerie Graf Theodor von Schliessen, der srühcrc Kommandant von Berlin.

Der Verstorbene, ein älterer Bruder des Generalstabschefs, war am 26.

April

1881 zu

Berlin geboren.

Juli waren 50 Jahre seit dem Tode des Johann August Wilhelm Reander

grosien Kirchen¬ verflossen, nach historikers welchem die Neanderstraße in Berlin ihren Namen hat. Am 15. Juli feierte der Gerichtschemikcr Dr. Bischoff das Jubi¬ läum seiner 25jährigen Thätigkeit als Chemiker des Polizeipräsidiums

Am 14.

in Berlin. Am 15.

Juli

starb im 78. Lebensjahre

Hugo Stubenrauch. Am 15.

Juli

starb

der Geheime Justizrat

im 80. Lebensjahre der Geheime Sanitätsrat

Dr. Samuel Kristeller.

Dir König hat Professor Ende als Präsidenten, Professor Joachim als stellvertretenden Präsidenten der Nkadeinie der Künste für das am 1. Oktober beginnende Geschäftsjahr bestätigt.

Freiherr Mumm v. Schwarzenstein, der iieuernannte diplomatische Vertreter des deuschen Reiches in China.

damals war man davon überzeugt, daß sein Luxemburger Posten nur eine kurze Durchgangsstation sein werde.

Mary Krebs

1'.

Pecrilletot) des föäp.

eW5WWW?WW?W:55WWWW7WmvWW?5W?W^; mWWW^W5W?m5?mm'j va ,

^ör)fbü t)d cftPübcl notct). _____ ^edor von Zobeltitz.

Eine Siebes- und jflolizeigeschichte von (Fortschung.)

ravo, gnädiges Fräulein!" rief der Polizist und niarkierte mit den Handflächen das Zeichen des Applauses. „So ist cs recht! Die kleine Russin ist der gemeinsame — pardon, ich will nicht indiskret sein, aber ich nehme Feind

entgegnete Frau von Seefcld; sondern ging direkt auf ihr Ziel

„Jawohl, mein Fräulein," sie machte keine Umschweife,

los.

Sie hatte das, was sie sagen wollte, sich vorher reiflich „Wir haben Sie in letzter Zeit häufig mit Herrn

überlebt.

an, daß außer dem freundschaftlich-mütter¬ lichen Interesse Ihrer Frau Mama für Herrn von Kelles auch Ihrerseits gewisse Beweg¬ gründe mitsprechen iverden, Ihren Guts¬

nachbar einer gefährlichen Bekanntschaft zu Wie Sie mit Fräulein von entreißen Holm fertig werden «vollen, weiß ich freilich nicht. Die Sache dünkt mich nicht leicht. Aber die weibliche Diplomatie hat ja von jeher größere Lrinniphc gefeiert als die

....

männliche. Und nun bitte ich gehorsamst um die Erlaubnis, mich empfehlen zu dürfen."

Er

verabschiedete

draußen eine

sich

und

steckte

Zigarre an, während

sich

er halb¬

hinsprach: „Gottseidank, daß 's fehlte mir noch, ich nach München muß! mich in die Frauenzimmcrgeschichten hinein¬ zumischen und mich von den Damen Seefeld als Privatdetektiv engagieren zu lassen!" Er blies den Rauch seiner Havanna durch die Nase und schritt die Treppe hinab. Unten vor dem Portal erivartete ihn der Herr mit dem grauen Zylindcrhut, der deni Baron Kelles schon aufgefallen war, und mit dem Ebert langsam und in lebhaftem Gespräch

laut vor

sich

...

die Promenade

hinabschritt.-

Was Frau von Seefeld sich vornahm, sie auch auszuführen. Sie konnte pflegte das die stumm klagenden Blicke ihrer Tochter nicht mehr sehen; sie wollte auf eigene Hand die Vorsehung spielen. Dieser Herr von Kelles ivar ein Mensch ohne Initiative. Seit zwei

Jahren machte er Gertrud den Hof; alle Welt sprach bereits darüber; aus seinen An¬ deutungen ging hervor, daß man die Ver¬ lobung gewissermaßen als Trumpf auf die Kissinger Kur setzen wollte — und nun kam da eine zweifelhafte kleine Russin und warf alle Pläne über den Hansen. Das ging nicht.

Frau von Seefcld paßte die Gelegen¬ heit ab, da Herr von Holm sich nach der Saline zum Baden führen ließ, um ihre Karte und die Gertruds auf das Zimmer Saschas zu schicken. Beide Damen wurden sofort angenommen. Sascha kam ihnen in eleganter Morgentoilette entgegen. „Gnädigste Frau — Mademoiselle," sagte sic mit höflichem

Lächeln, „ich bin sehr beglückt durch Ihren Besuch. Wollen Sie, bitte, Platz Nehmen. Führt Sie, wenn ich fragen darf, ein besonderes Anliegen zu mir?"

vrauuschwrig: Pas Pemnirrsche Hau«.

Gestatten Sic mir die von Kelles zusammen gesehen. Frage, ob Sic ein tieferes Interesse an Herrn von Kelles nchnien?" „Oh, Mama!" fiel Gertrud plötzlich ein. Die schroffe und rücksichtslose Art der Mutter war ihr unendlich peinlich.

Sascha lächelte wieder und strich vom Handgelenk zurück.

sich

die Armbänder

muß gestehen, daß mir Ihre Frage etwas über¬ Ihr Blick raschend kommt, gnädige Frau," erwiderte sie. streifte Gertrud — zuerst mit leicht verhaltener Neugier, dann mitleidig. „Ueberraschend — aber nicht unbegreiflich. Da ich Ihr Fräulein Tochter ansehe, dämmert das Verständnis

„Ich

.

für Ihre Frage in mir auf . . . Und nun zur Antwort: nein, ich habe keinerlei tieferes Interesse für Herrn von Kelles übrig — ich kann sogar behaupten, daß er mir vollkommen gleichgiltig ist!" . . .

In diesem Augenblick geschah etwas, ivas weder Frau von Scefeld noch Sascha erwartet hatten: Gertrud sprang Sie plötzlich auf und fiel Sascha schluchzend um den Hals. sprach kein Wort dabei, aber ihr ganzer Körper bebte. Sascha strich ihr über die Stirn und küßte sie auf beide Wangen. „Nun muß ich wohl verstehen," sagte sie, mit reizender „Armes, Zärtlichkeit Gertrud an den Sessel zurückführend. — liebes Fräulein ich glaube, Sic haben Ihr Herz einem etwas flatterhaften jungen Manne geschenkt" —

„Einem Windbeutel," bemerkte Frau von Scefeld trocken; „i pfleg immer die Wahrheit zu sagen. Es ging so nicht weiter. Aber Ihre Erklärung beruhigt uns noch nicht ganz, Fräulein von Holm. Der Kelles muß kalt gestellt werden. Er muß bis in jedes Ncrverl rein fühlen, daß er Ihnen wurscht ist. Läßt sich das machen?" „Es ließe sich schon. Ich verstehe: Sie wünschen eine Radikalkur. Er hat mir heute einen Brillantschmuck geschickt. Den soll er zurück bekomnien und zwar mit einem Dankbriefe, der ihm eine weitere Annährung unmöglich machen wird." „Er ist sehr dickköpfig, liebes Fräulein von Holn, —" „So bleibt mir nichts anderes übrig, als abzureisen." „Es ist viel verlangt, aber cs wär' das Geschcidtestc . . . Hören Sie zu, gnädiges Fräulein, wir kommen auch als Warnerinnen. Ja wahrhaftig, als Warnerinnen. Es wird mir nicht ganz leicht, auszusprcchen, was ich gehört habe. Thu' ich's dennoch, so geschieht es auch in Ihrem Interesse. Man erzählt sich, Ihr Herr Vater habe sich politisch stark kompromittiert, erzählt auch, daß die Polizei Ihrer Heimat nach ihm fahnde. Die ganze Kurgesellschaft spricht davon — beachten Sie einmal die Blicke, die man an der Table d'hote Ihnen zuwirst! Wenn Sie auf der Promenade erscheinen, folgen Ihnen die Augen aller; aber es ist nicht nur Ihre Schönheit, die auffällt — man raunt und flüstert sich in die Ohren, Ihr Herr Vater werde seit Jahren verfolgt und irgend eine bösivillige Zunge scheint dies auch bereits dem Besitzer unseres Hotels mitgeteilt haben —"

Frau von Seefeld schwieg plötzlich. Sie ivußte nicht mehr als das, was Herr von Ebert ihr heute früh an¬ deutungsweise über den Baron Holm mitgeteilt hatte. Aber sie spann den Faden phantasicvoll weiter — absichtlich, ivcil diese gefährliche Nebenbuhlerin aus dem Hause und in alle Weiten treiben wollte. Sie überlegte garnicht, wie grausam ihr Egoismus war. In der Wul ihrer Mütterlich¬ keit und in dem Bestreben, den ungetreuen Kelles unbedingt für ihre Tochter zir retten, hätte sie vermutlich noch mehr er¬ dichtet, ivcnn ihr das Benehnien Saschas nicht auffällig ge¬ sie

wesen wäre.

Sascha hatte anfänglich mit eisiger Kaltblütigkeit und einem hohnvollen Zucken um die Mundwinkel zugehört. Aber ganz plötzlich wandte sie sich um. Und nun sahen die Damen

Scefeld, wie die geschmeidige Gestalt der jungen Russin mehr und mehr zusammensank, sich wie unter einem qualvollen Schmerze zu krümmen begann und dann auf einmal in die

Sascha stürzte vornüber, längshin auf den Kniee brach. Teppich, und ihre Finger krallten sich zusammen und alle ihre Glieder flogen in gewaltiger Aufregung.

„O

Schmach — o Schmach!"

stöhnte sie.

„Soll

denn

Nie Ruhe — nirgends Ruhe!

ewig währen?! Vertrieben — verjagt — ehrlos und heimatlos . Ein wildes Schluchzen erstickte ihre Stimme. dies Dasein

.!"

Etivas unbewußt Gertrud kniete neben ihr nieder. Sympathisches zog sie zu der Jammernden. Frau von Seefeld wußte gar nicht, was sie beginnen sollte. Sie war sehr verlegen geworden, denn an eine derartige Wirkung ihrer Worte hatte sie nicht gedacht. Schließlich zog sic ihr Flacon mit englischem Niechsalz hervor und beugte sich gleichfalls zu Sascha herab. „Aber, liebes Kind," sagte sie, „liebes Kind, wer wird . . . Was ist denn nur? . . So beruhigen Sie sich doch, mein Herz! . . Jööses, was derlebt nian nicht alles . .!"

denn

erhob sich. Sie strich ihr Haar zurück und be¬ tupfte mit ihrem Taschentuch die feuchten Augen. Noch hob Sascha

und senkte ihre Brust sich rasch; aber sie beherrschte sichtlich mit starker Anspannung ihrer Kräfte.

sich

„Vergeben Sie mir," sagte sie, die Worte hastig hervor¬ „Es giebt Augenblicke, da auch der kräftigste Wille erschüttert ivcrden kann . . . Ich habe Ihnen nichts mehr zu verheimlichen, gnädige Frau — auch Ihnen nichts, Es ist wahr, was die Menge Fräulein von Seefeld spricht! Mein unglücklicher Vater ivurde, im Grunde ge¬ nommen gegen seinen Willen, vor sieben Jahren in eine politische Verschwörung verwickelt. Hundert Indizien sprachen für seine Schuld; es handelte sich bei ihm um rasche Flucht oder um Sibirien. Unsere Besitztümer wurden eingezogen; als Bettler flohen ivir in die Welt, von einer ganzen Meute von Detektivs und Polizeiagentcn verfolgt. Aber diesseits der russischen Grenze ivarcn wir wenigstens einigermaßen in Sicherheit; um sich durch das Leben zu schlagen, wurde mein Vater Diamantenhändler. Das Geschäft ernährte uns; um mit der guten Gesellschaft in Verbindung bleiben zu können, stoßend.

...

erheuchelte mein Vater eine besondere „Passion" für die blinkenden Steine — das gab ihm trotzdem Gelegenheit, hie und da seine Ware unter der Hand an den Mann bringen zu können . . . Aber der Fluch der Vergangenheit heftete sich an unsere Fersen. Wir standen auf der Liste der Geächteten. Wo wir uns für längere Zeit niederließen, wurde es ruchbar, daß mein Vater heimatlos geworden; Russen finden sich überall, und unsere Flucht halte derzeitig Aufsehen erregt.

Da wurde dann abermals zum Wanderstabe gegriffenseit Jahren irren wir in der Welt uniher — o, gnädigste Frau, es ist ei» hartes Schicksal, das uns betroffen hat, aber ich will nicht klagen, meinem Vater zuliebe trag' ich es tapfer! Ich danke Ihnen für Ihre Warnung, wir reisen noch heute ab" . . .

...

Sie küßte Frau von Seefeld die Hand. Sie hatte ihre volle Ruhe wiedergeivonncn; sie war wieder ganz Dame. Das junge Mädchen hatte das Gertrud umarmte sie. Empfinden, als müsse es an Sascha irgend etivas gut niachen. Frau von Scefeld hielt die Hand der Russin fest; auch sic war bewegt. „Alles Gute auf Ihren Weg, liebes Kind," sagte sic. „Und ivcnn ich Ihnen in irgend einer Weise gefällig und dienstbar sein kann, so verfügen Sic über mich."

„Ich „und

gebe

danke

Ihnen, gnädige Frau." erwiderte Sascha,

Ihnen Ihre

Wünsche zurück"

Die Damen Scefeld entfernten

sich.

. .

.

arme Wesen thut mir in der Seele Gertrud im Zimmer ihrer Mutter. „Ich hätte etwas Liebes erwiesen."

leid/' sagte ihr so gern

„Das

Kind — aber was!? Ich kann dem Alten doch nicht aus Sympathie für die Tochter für a paar Zausend Mark Brillanten abkaufen! — Seien wir froh, daß dre Sache in Ordnung ist! Die Holms reisen ab, und Kclles Verzeihe ihm nicht gleich wieder, hat das Nachschauen. Trudele. Sei'mal vernünftig! Spiel' a bissel die Beleidigte.

„Ich ja

auch,

abbitten-o

Du mein er kriechen und wenig! zu viel Mannsleut' die noch kennst Kind, Du Je, mein Deinen Mutter! Deine mal auf Hör' sie. kenn' Aber ich seligen Vater hab' üb mir auch erst so peu ä peu heran¬

Zu Kreuze muß

ziehen müssen!"

.

abgereist, ließ sich nicht rütteln. Sascha war fort; nicht ein¬ mal ein Dankeswort für den Brillantschmuck hatte sic für ihn Es war im Grunde genommen glcichgiltig, ob hinterlassen.

der überhasteten Abreise waren oder nicht; was wollte er noch bei ihnen? — Er fühlte, daß das Bild der jungen anmutigen Russin sich nicht so rasch in seinem Herzen verivischen ließ. Und gerade jetzt vor

Gertrud hinzutreten

Er konnte den Gedanken nicht ausdcnken. Er befand Und sich in dem Stockivcrk, in dem die Seeselds wohnten. nun öffnete sich auch eine Thür und Frau von Seefeld er¬ auf der Schwelle, stutzte leicht, erwiderte aber höflich dessen Gruß.

schien

.

.

„Ah, Herr von Kelles,"

Sascha trat ein, ein Portefeuille

Es klopfte. „Vergebung, wenn

-

die Seefelds mitschuldig an

ich nochmals

in der Hand.

störe," sagte sie hastig

„Sie

etwas spitz; abgereist."

sagte

als sic,

Kelles sah,

sie

nichtsdestoweniger

hier? — Die Holms sind, soviel

ich höre,

und aufgeregt. „Ich muß doch noch auf Ihr liebenswürdiges Anerbieten von vorhin zurückkommen, gnädige Frau. Papa Er ist außer sich und will auf der ist soeben heimgekehrt. Stelle abreisen. Noch mit dem Mittagszug. Nach Ostende.

„Auch nicht den Holms sollte mein Besuch gelten, ver¬ ehrte, gnädige Frau," erividerte Egon, „sondern Ihnen und Fräulein Gertrud. Aber ich sehe, Sie sind im Begriff aus¬

zusammenpacken

— wir haben so lange nicht das Vergnügen gehabt, niit Ihnen Zusammensein zu dürfen, daß wir gern noch etwas verweilen. Treten Sie nur näher!" . . .

Ich habe in fliegender Hast meine Koffer Aber es fehlt uns an deutschem Gelde, und es ist müssen. Können Sic mir, keine Zeit mehr, zum Bankier zu schicken. gnädigste Frau, ein paar Fünfhundertrubclschcine einwechseln?" Frau von Seefeld war mit Vergnügen dazu bereit. Schließlich übergab Sascha Gertrud noch ein kleines, ver¬ schnürtes Paket mit der Adresse: „Baron Kellcs. Eigen¬ händig zu erbrechen."

Herr von Kelles mir sandte, gnädiges Fräulein," sagte sie dabei. „Daß Sie ihm die Brillantcnkrone zurückerstatten, scheint mir eine Strafe, die er verdient hat." „Recht so!" rief Frau von Scefeld triumphierend. „Fräulein Sascha, Sie sind ein liebes Geschöpf! Lassen Sie sich noch einen Kuß geben! Gott mit Ihnen und Ihrem

„Es ist

der Schmuck,

armen Vater!"

.

.

den

Hals.

sehr

Und er that es. Es folgten peinliche Minuten. Frau Seefcld gewährte es offenbar eine gewisse Schadenfreude, von von Kelles ergötzen zu sich an der Verlegenheit des Herrn Kohlen und wurde auf wie können. Gertrud dagegen saß diesem und jenem von sprach Kelles bald blaß, bald rot. Aber erwähnen. zu Holms und vermied geflissentlich, die Frau von Seefeld kam wieder aus sie zurück. ich's vergesse, Herr von Kelles", sagte sie, „nur Gertrud, gieb doch Herrn haben eine Bestellung für Sic. von Kellcs das Paket, das Fräulein von Holm Dir vor ihrer Abreise anvertraut hat!"

„Eh'

Egon wurde immer verlegener.

„Ein Paket — für mich?" stammelte er. „Und von — von Fräulein von Holm?!" Sa „Jawohl — von Sascha," fuhr Frau von Seefcld fort. Der Augenblick des Triumphs

schien

ihr gekommen; er mußte

„Sie wollten doch „Sascha" sagen, werden. Vorname war Ihnen geläufiger als Der von Kellcs? Herr ich bin . . . Herr von Kelles, Bezeichnung zeremonielle die Wort, ein offenes einmal inir Sie gestatten eine alte Frau; ruhig Bleibens dabei meinctivegen. Strafpredigt eine kleine — — aber kurz fassen, ich will mich ganz sitzen i bitt' Sie zuhören müssen Sic schon, da hilft Ihnen kein Engel und ausgekostet

Dank," flüsterte . . werden!" wird er wieder mein „Dem Himmel

sei

sie.

„Ich

hoffe, nun

IV. Abreise der Blitze getroffen. Den wie vom er war hörte, Holms zer¬ und Walde umher er im irrte hindurch ganzen Tag veranlaßt haben die Beiden was Kopf, marterte sich den könne, Kissingen so unerivartet rasch zu verlassen. Schließlich kam er zu der Ueberzeugung, Gertrud und ihre Mutter Es war ihm peinlich genug, die müßten dahinter stecken. Damen Seefeld aufzusuchen, die er so lange vernachlässigt hatte; aber er wollte Gewißheit habe».

Als Herr von Kelles von der plötzlichen

nach dem Hotel de Russie traf er im grauen Zylinderhute. Das Herrn wiederum den kleinen „Ein ekelhafter war heute das sechste oder siebentemal. Kerl," sagte sich Kelles; „es macht förnilich den Eindruck, als verfolge er mich. Nette Bekanntschaften, die dieser Herr von Ebert hat!" . . . Der Portier des Hotels sagte ihm, daß die Damen auf Mit etwas geneigtem Kopfe stieg auf ihren Zimmern seien. Kelles die Treppe hinauf. An der Thatsache, daß die Holms

Auf

„Bitte

.

Am Fenster warteten die Damen und sahen der Abfahrt von Holm und seiner Tochter zu. Als der Wagen Herrn des Kofferlast und dem wehenden Schleier Saschas seiner mit verschwunden ivar, siel Gertrud ihrer Mutter stürmisch um den

zugehen" —

dem

Wege

Teufel. . . Sic sind ein Flatterhans, Herr von Kelles." — „Aber Mama" — „Stille, Trudel! Du kannst nichts weiter als „Mama" sagen — dös kenn i schon — cs ist ein wahres Glück, daß wenigstens ich nicht auf den Mund gefallen bin . . Flattcrkein

.

lieber Kelles; ich wiederhole es. Wo Sic einen Schmetterling sehen, müssen Sie hinterher, wo Sie — ein Blümchen finden, müssen Sie die Hand ausstrecken"

hans habe

ich gesagt,

„Gnädige Frau" — Egon faßte wieder Mut — „es kann Keiner gegen die eigene

Natur" —

„Wenn man will, gewiß! Reden Sic mir nicht so etwas, Egon! Ich habe Sie aufwachsen sehen; Sic haben schon als Junge nicht viel getaugt. Aber ich habe Sie trotzdem sehr lieb, und deshalb nehnic ich mir die Freiheit, Ihnen einmal gehörig die Wahrheit zu sagen. Was ist das mit der Sascha 'ne Mordsdummheit gewesen! von Holni wieder anial für

516

Kurschneiderei gedacht?!"

Kelles sah mit einem Blick, der einem Geistesgestörten anzugehören schien, von der Tochter zur Mutter und von der Mutter zur Tochter.

liebe, gnädige Frau — gar nichts, es war eine kleine Schäkerei, eine Abwechslung" —

Versteh'n

Werden's nur ruhig a bissel rot — es steht Ihnen nicht schlecht! Was haben Sie sich eigentlich bei dieser ganzen

„Gar nichts,

„Eine Abwechslung — i je! Zwischen Racoczy und Soolbad! Eine Abwechslung! Um der Abwechslung halber schicken Sie einem jungen Mädchen aus hochachtbarer, wenn auch tief unglücklicher Faniilie einen Brillantschmuck. Haben Sie denn gar nicht an den Ruf des armen Wesens gedacht? . . Danken Sie Gott, daß ich eine so energische Natur bin. Ich habe einfach mit Sascha gesprochen, und in ihrer Ehren¬ haftigkeit hat sie keinen Augenblick gezögert, Ihnen den Schmuck wieder zuzustellen und auf der Stelle abzureisen . . . Und nun machen Sie das Paketerl getrost auf — und dann wollen wir die ganze Geschichte begraben und vergessen sein lassen. Einverstanden, Kelles?! . . Kelles zuckte mit den Schultern hin und her. Er hatte einen gewissen Respekt vor der schwiegcrmütterlichen Geradheit dieser stattlichen Frau, die das Gegenteil ihrer stillen, schüchternen Tochter zu sein schien. Zudem sagte ihm die Klugheit — die sonst nicht zu seinen hervorragendsten Eigen¬ schaften gehörte — daß ein resigniertes Ergeben in diesem Fall das Weiseste sein würde. So küßte er denn Frau von Seefeld die Hand und wiederholte, mit einem um Verzeihung bittenden Seitenblick ans Gertrud:

„Also einverstanden, gnädige Frau! Jeder Mensch kann einmal eine — Dummheit machen, wenn" —

Er

stockte.

Er hatte

mechanisch die

Siegel des Pakets

gelöst, das er in der Hand hielt. Aber kein Schmuck blitzte ihm aus der Hülle entgegen — nur eine Anzahl zusammen¬ Und dann ein gefalteter alter Zeitungen fiel zur Erde.

konvertiertes Briefchen, nach spanischem Flieder duftend, dunkelrotes Papier mit einem silbernen Monogramm in der Ecke.

„Was — ist das?" stammelte Kelles. „Ein Brief — von Sascha vermutlich,"

sagte

Frau

von Scefeld, gleichfalls mit verivundertem Kopfschütteln; „so öffnen Sie ihn doch!" . . . Kelles riß das Konvcrt ans und durchflog den

Er wurde leichenblaß. „Herr von Kelles — um Gott" nach

ihrcni Herzen.

. . .

Inhalt.

Gertrud griff

„Gnädige Frau," flüsterte er tonlos, „lesen Sie bitte.

Sie das?!"

.

.

. .

.

Frau von Scefeld nahm

den

Brief und las:

„Lieber Herr von Kelles!

Ich habe

es

mir überlegt.

Ich werde

den Schmuck

Und zwar werde ich doch mit auf die Reise nehmen. ihn als Andenken an Ihre Verlobung mit Fräulein Darf ich das? — Adieu, mein von Scefeld betrachten. Herr; ich danke, auf Nimmerwiedersehen. Sascha."

Es klopfte an die Thür. In der allgemeinen Ver¬ wirrung überhörte man es. Gertrud verbarg das glühend rote Gesicht an der Schulter ihrer Mutter, die völlig fassungs¬ los geivorden ivar. Und abermals klopfte es. Jetzt aber wurde das Herein nicht abgewartet: ein kleiner Herr in langem schwarzen Rock, einen grauen Zylinderhut in der Hand, trat in das Zimmer.

„Verzeihung allerseits." —

„Was wollen Sie?!"

schrie Kelles ihn an; er haßte förmlich. „Wie können Sie cs wagen, hier einzutreten, ohne daß man es Ihnen erlaubt hat?!" „Mein Amt ist meine Visitenkarte," erwiderte der Kleine ruhig. „Ich bin der Polizeiagent Trictz. Hier meine Marke. Und Sie sind der sogenannte Baron von Kelles — nicht diesen Menschen

wahr?"

Sind Sie ver¬ rückt geworden!? Scheren Sie sich hinaus! Ich habe mit Polizciagenten nichts zu thun! Heiliges Donn..." —

„Ich bin

der Baron von Kelles, Herr!

Herr von Kelles kam gar nicht zum Ausfluchen. Voll unerschütterlicher Ruhe hatte sich der kleine Agent bereits an die Damen gewandt.

„Frau von Seefeld und Tochter — nicht wahr?" sagte er. „Ich weiß gut Bescheid. Recte Lina Krause und Auch Sie Verursachen Sie kein Aufsehn! Amalie Bnlke. Unten steht ein geschlossener Wagen. willig folgen, werden Ihnen Hand¬ schellen angelegt; im Vestibül warten vier Gendarmen. Ich Sie neigen zu Gewaltwarne Sie also, August Hederich! thätigkciten. Hand aus der Hosentasche! Haben Sie viel¬ leicht einen Revolver bei sich, Hederich?!" — nicht, August Hederich. Wenn Sic mir nicht

( Schluß folgt.)

517

Louis Drucker, der vergnügte Weiiiwirk. Ein Berliner Original aus vergangener Zeit.

J

ouis Drucker, der „vergnügte Weinwirt", wie er sich selbst in seinen Anzeigen zu nennen pflegte, kann als der Vater der

Er war

ein modernen humoristischen Reklame betrachtet werden. Reklamegenie, und dies um so mehr, als er vor über einem halben Jahrhundert lebte, zu einer Zeit also, da die Reklame Heute würde er noch in den bescheidensten Anfängen sich befand. wohl kaum diejenige Aufmerksamkeit erregen, die man ihm that¬ den dreißiger und vierziger Jahren sächlich seinerzeit schenkte. aber machte er mit seiner mit Witz in Szene gesetzten Reklame nicht nur in Berlin Sensation. Seine Anzeigen in der „Hände- und Spenerschen Zeitung" und in der „Bossischen" wurden nicht nur von den Berlinern ge¬ lesen und belacht, nein, sie machten als charakterische Aeußerungen des Berliner Witzes die Runde durch die gesamte deutsche Presse,

In

und selbst in Wiener Blättern, in Bäuerles „Theater-Zeitung" und Saphirs „Humorist" wurden sie beinahe regelmäßig nach¬ gedruckt, und das erste der beiden genannten Wiener Blätter ver¬ stieg sich sogar zu der Behauptung, daß es mit dem vielgerühmten Berliner Witz nicht weit her sei, da es nur zwei wirklich witzige Berliner gäbe, Louis Drucker und Ludwig Rellstab. Louis Drucker war in der That ein Genie' er hat der Reklame neue Wege gezeigt. Er war das Vorbild aller jener Zeitungsinsercnten, die durch originelle Ankündigungen die Kunden Heute giebt es deren in jeder Stadt einige, Louis anlocken. Dunker aber, der „vergnügte Weinwirt" war der Erfinder der humoristischen Zeitungsanzeige. Aber nicht durch seine originellen, oft ungemein witzigen An¬ zeigen in den Zeitungen, sondern auch durch andere gute und So hatte er schlechte Scherze wußte er sich bemerkbar zu machen. zum Beispiel in seinem Weinlokal, Potsdamerstraße 5, früher Spandauerstraße 49, eine Ausstellung von allerlei Kuriositäten Von welcher Art sic waren, können wir aus veranstaltet. seinen Ankündigungen ersehen. So machte er zum Beispiel einmal bekannt, daß er wegen Raummangel beabsichtige, „die Pike, welche die Familie Stuart gegen die Königin Elisabeth zu hegen die Ge¬ fälligkeit hatte, zu dem Spottpreis von 675 Thaler Gold, nebst Zinsenvergütignng vom Jahre 1714 zu verkaufen." Ein andermal wieder, als in Berlin die Lisztverhimmelung ihren Höhepunkt erreicht hatte, kündigte er an, daß er „durch einen glücklichen Zufall in den Besitz eines Hosenträgers gelangt sei, den der berühmte Virtuose Herr Franz Liszt im Gebrauch hatte. Um den Wünschen vieler Berliner Damen zuvorzukommen, die kein Andenken von ihm besitzen, wolle er diesen Verlegenheitsaushelfer in kleine Stücke parzellieren, und, soweit es der Raum gestattet, einer jeden ein Endeken zukommen lassen." Der Schluß der Annonce aber lautete recht ungalant und ohne Witz gegen die Liszt verhimmelnden Berliner Damen: „Mit Zwangsjacken für tolle Frauen kann ich jedoch nicht aufwarten." Die Geschicklichkeit Druckers bestand darin, daß er in seinen Zeitungsanzeigen meist an Tagesereignisse anknüpfte, zu lokalen oder Zeitfragen in witziger Weise Stellung nahm und so das Publikum veranlaßte, unablässig sich mit ihm zu heschäftigen, ohne daß er direkt seinen Weinkeller anpries. So las man zum Beispiel die folgenden Anzeigen:

— „Ich und meine Familie sind in die größte Trauer versetzt. Gestern Nachmittag um 5'/z Uhr endete ihre irdische Laufbahn mein Handpfcrd, die Stute Ludovika Rossiana, gezeugt vom Apfel-Kader und der Kleopatra Jonas in einer der schönsten Gegenden Lithauens. Sie war eine treue Stütze meines Alters' stets behilflich zu meinem Fortkommen! Beileidsbezeugungen werden nur persönlich in meiner Weinstube angenommen, damit mein brennender Schmerz einigermaßen gelöscht werde. Die Rennbahn des diversen Vergnügtseins erleidet dadurch keine Hindernisse, und werde ich mich bemühen — Fortsetzung folgt. Berlin, oder:

den 8.

April 1838. Louis Drucker, Spandanerstr. 49."

„Orpheus Erben.

Einem Mythos zufolge soll Orpheus durch seinen Gesang und die Töne seiner Leier große Lasten bewegt und ganze Städte in einem Nu zusammengebaut haben. Dies Talent muß auf die Bauleute überhaupt übergegangen sein, wovon man sich bei dem Neubau am Museum allmorgendlich einen Begriff niachcn kann, nur daß die dortigen Orphensse ihre Lasten nicht durch Melodien, sondern nur durch einzelne, heulende Töne bewegen, die unwill¬ kürlich an den monotonen Gesang der Matrosen erinnern, wenn sie den Anker heranfwinde», worauf dann in kurzer Zeit bei den Passagieren die Effekte der Seekrankheit eintreten."

Als in Berlin sich einmal einige Harfenistinnen hören ließen, die bald in recht übler Nachrede standen, veröffentlichte der ver¬ gnügte Weinwirt folgende Scherzfrage:

„Wer kennt de» Unterschied zwischen einem Wunder und einem Harfenmädchen?" Da Niemand das Rätsel lösen konnte oder löste, so fand sich ein paar Tage darauf in den Blättern die Antwort:

„Ein Wunder ist unbegreiflich, ein Harfenmädchen hingegen begreiflich."

Als ein bekannter Bankier in Berlin Konkurs machte, erließ Louis Drucker im Anzeigenteil der Berliner Zeitungen eine „Anfrage an alle in- und ausländischen Ornithologen: Was ist ein Pleite-Geier?"

In

einer der nächsten Nummern der Zeitungen erschien dann eine naturwissenschaftliche Erläuterung des Pleite-Geiers, die in dem Satze gipfelte, daß, während alle andern Geier stets fliegen können, die Pleite-Geier meist erst nach der Pleite flüchtig werden."

Oft waren die Scherze, durch die Louis Drucker die Auf¬ merksamkeit der Berliner auf sich zu lenken wußte, freilich recht gewaltsamer Art. So erzog er beispielsweise seine vier Söhne im Alter von fünf bis zwölf Jahren in recht eigentümlicher Weise zu „vergnügten Weinhändlern". Er ließ sie zum Beispiel nicht in gewöhnlichen Kinderkleidern gehen, sondern als Gigerl oder wie es damals noch hieß, als Stutzer nach damaliger neuester Mode in Sammetwesten, Lcibrock und Mackintosh. Dazu mußten sie einen Stock mit goldenem Knopf tragen, eine Geldbörse in der Hand halten und sich mit Zylindernhr und Lorgnette bewaffnen. diesem seltsamen Aufzug ließ er die vier Kinder Unter den Linde» hernmspazieren und frequentierte mit thuen Konditoreien und Weinhäuser. So erschien er z. B. an einem schönen Sommer¬ morgen mit ihnen in der Schmidtschen Weinhandlung Unter den Linden. Kaum eingetreten, fragt er die beiden Aeltesten: „Run, trinken?" „Wir möchten gern eine Flasche Jungens, was wollt haute« Sauternes haben," hieß die Antwort. „Laßt Euch geben, Bengels!" und sich an die zwei Jüngsten wendend, fragte er wieder: Maitrank trinken?" „Ja, Vater!" „Zwei Becher Mai¬ „Wollt trank für die Jungens!" Nachdem beides gebracht worden und die Knaben einander weidlich zugetrunken hatten, zog der vergnügte Weinwirt eine Cigarrentasche hervor, reichte jedem der Kleinen einen Glimmstengel und ließ die Anwesenden wissen, er Halte eine Sorte leichter Cigarren „für die Lumpen" und suche sie auch hierin den Anforderungen der Gegenwart gemäß auszubilden. Einer der Gäste versuchte es, ihm das Unstatthafte solcher Erziehungsmethode vor Augen zu lege» und wie diese notwendigerweise nachteiligen Einfluß auf Gemüt und Charakter der Kinder ausüben müsse, er „Ei was! was fällt, das fällt, man aber erwiderte pathetisch: Nicht wahr, kann sonst kein vergnügter Weinhändler werden. Louis?" wendete er sich zu seinem Jüngsten, indem er ihn beim Kopf nahm. „Ja, Vater," antwortete dieser im feinsten Diskant, „was fällt, das fällt, man kann sonst kein vergnügter Weinhändler

In

Ihr

Ihr

werden!"

Daß Louis Drucker kein großer Freund der Mäßigkeitsbe¬ So erließ strebungen war, wird man sich leicht denken können. er denn, als einmal eines Versammlung des Mäßigkeitsvereins in Berlin stattfand, folgende Anzeige: „Leider war ich durch trinkende Geschäfte verhindert, der Versammlung des Mäßigkeitsvereins am Montage de» 20. Januar im Lokale des Herrn Sommer, Potsdamerstraße Nr. 9 persönlich beiwohnen zu können. Ich bin jedoch einigermaßen für die Ent¬ behrung der auf die Moral wirkenden Vorträge entschädigt, da die Mehrzahl der Mitglieder mich später mit ihrem Besuche beehrten und mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit mittheilten, daß der Beifall der Zuhörer so hinreißend war, daß der Redner nicht zu Worte kommen konnte. Der Verein würde wohl thun, hierfüro seine Sitzungen in meinem Lokale zu halten, indem ich mich für eine ruhige Haltung des Auditoriums im Voraus verbürge. Nächsten Sonnabend den 25. Januar findet ein ungeheures Bergnügtsein bei mir statt. Freundschaftlichen Gruß Louis Drucker, Hoflieferant des Fürsten von Schönburg Durchlaucht, Studentenfrcund, Weinvertilger, auch geheimer Mitarbeiter mehrerer nie in den Druck kommenden gelehrter Werke und Inhaber einer zu Weihnachten mir geschenkten silbernen Dose." Andere Anzeigen lauteten:

„Hochverehrte Mitmenschen, welche gleichfalls an den Knospen der Natur Freude fange», lade ich am 30. und 31. Dezember ein, mich mit Ihrem Besuche zu beehren, um Ihren guten Rath einzu¬ holen, auf welche Art und Weise die Tage des hoffentlich segens¬ Mein reichen Jahres 1838 am angenehmsten zu befördern seien. mit erster Capellmeister und Musikdirector Monsieur Hirsch nsird vollständigem Orchester diese herzergreifende Scene und Fantasie auf der 0-Saite begleiten, und Fräulein Amalie eine Arie ans

„Moisasurs

Zauberfluch" dankbarst vortragen.

Ohne

weitere

618

Veranlassung empfangen Sie geschätzte Leser und Leserinnen den Tribut aufrichtiger Gefühle des vergnügten Wcinhändlers." „Zur Nachfeier des mit Lorbeerkränzen bekrönt gewordenen fünfuudsechzigjährigen Capellmeisterhauptes fPrioateigcnthum des Herrn Louis Hirsch) heute abermals große musikalische Akademie, wo vielmöglichst classische Werke berücksichtigt werden sollen, als „Iphigenie in Aulis", „Julerl die Putzmacherin", „Die vier Jahreszeiten", „Die sieben Mädchen in Uniform". Les feminies des Orchesters haben ihre Mitwirkung zugesagt. Im Voraus^sür den Beifall dankend, empfehle ich gleichzeitig aus besonderer Für¬ sorge meinen geehrten Gästen, eine neueste Sorte der feinsten Ohrenbaumwolle, das Pfund zu 20 Silbergroschen, bei größerem Bedarf 10 Prozent Rabatt. Louis Drucker, gefälligst um 7 Uhr. Spandauerstr. Rr. 49." Diese und ähnliche Anzeigen waren die Geisteswerkc Louis Druckers. Einmal kündigte er sogar ein Buch au, aber das war auch nur ein Reklamescherz. Die Anzeige lautete:

„Demnächst erscheint in unserem Kommissionsverlag: „OriginalFlaschen", Lieder des Weines, von deutschen Dichtern. Gesammelt und herausgegeben von Louis Drucker, vergnügten Weinhändler in Berlin. Mit lithographiertem Porträt des Herausgebers, und einer Beigabe über sein Leben, sein Wesen, sein Wirken und seine Bordeaux, Epernay und RüdesVerdienste um die Menschheit. heim, bei Durst und Comp."

Und nicht nur Louis Drucker selbst füllte mit den Erzeugnissen des Witzes die Zeitungen, sondern er ward selbst zum Helden einer Erzählung gemacht, die in den vierziger Jahren in einem Berliner Blatt erschien. Das war zwar keine bedeutende dichterische Leistung, kein Meisterwerk der Poesie, aber mau las diese Erzählung doch

aus großem Interesse, denn ihr Held war einer der Populärsten

Männer Berlins.

Eugen Jsolani.

Herzog Alfred von Sachsen-Coburg-Golha

f.

«Wach kaum siebenjähriger Herrschaft hat Herzog Alfred infolge einer Herzlähmung am 80. Juli auf Schloß Rosenau das Zeitliche ge¬ segnet. Alfred Ernst Albert, Prinz von Großbritannien, Herzog von Sachsen-Eoburg-Gotha, mar der zivcitc Sohn der Königin Viktoria.

sM

Ernst Ludwig von Hessen: Prinzessin Alexandra am» 20. April 1896 mit dem Erbprinzen Ernst zu Hohenlohe-Langeuburg, der jetzt die Regentschuft für den minderjährigen Herzog Karl Eduard übernommen hat.

Der Herxensroman des Serben-Königs. wir von sogenannten Mesalliancen in fürstlichen Häusern hören, und das ist uns in den letzten Jahren gar nicht so selten beschicken gewesen, so können wir im allgemeinen immer eine gewisse Nur zu sympathische Anteilnahme in der Oeffentlichkeit konstatieren. oft lverde» ja die Ehen fürstlicher Personen aus Rücksichten der Konvenienz, aus Politik geschlossen, und je höher der Mann auf der Leiter der menschlichen Gesellschaft steht, desto geringer wird die Zahl der „ebenbürtigen" Damen, die auch nach Alter und Religion und mit Rücksicht auf die politischen Beziehungen der Völker ihm die Hand zum Bunde reichen können. Man kann daher oft die Meinung hören, daß wahrhaft glückliche Ehen, voller wahrhafter Liebe und Harmonie, wie sic im Vürgerstande vorkouimen, auf den Höhen der Menschheit SU^ctin

sehr selten sind.

Deshalb hat man ein sympathisches Mitgefühl mit einem hoch¬ geborenen Prinzen, der, die Schranken der Vorurteile überspringend, sein Lebcnsglück höher einschätzt als äußere Ehren, die ihm von Leuten dargebracht werden, deren Wesen ihm nur zu genau bekannt ist. Wir fühlen Bewunderung für das Mädchen aus deni Volke, dessen Herzens¬ und Geistesgaben einen Thronerben zu fesseln vermögen, und wir empfinden die Macht der alles überwindenden Liebe, wenn wir hören, daß ein Prinz um des geliebten Mädchens willen auf sein zukünftiges Hcrrschcrglück verzichtet. Eigenartig berührt uns freilich ein Fall, wenn trotz alledem nicht die volle Gleichberechtigung zwischen den beiden an¬ erkannt werden soll, deren persönliche Eigenschaften einem Walle von Ter geistige Adel reicht trennenden Hindernissen gewachsen waren. oftinals nach de» herrschenden Ansichten nicht aus, um den Mangel des höchste» Geburtsadcls zu verdecken. Der gemeine Mann versteht dergleichen nicht, und die Frau ist erst recht geneigt, eine Beleidigung der gesainten Weiblichkeit darin zu erblicken, daß eine Frau zwar gut genug sein soll/ um die Gefährtin des Mannes iu allen Stücken zu sein, daß aber die von ihr geborenen Kinder als etwas Minderwertiges von einem Teile der Erbschaft ausgeschlossen werden sollen, die ihnen anstandslos zugefallen iväre, wenn sic eine, wenn auch weniger hoch¬ sinnige, so doch höher geborene Mutter gehabt hätten. Alle diese sympathischen Gefühle scheinen aber bei der Verlobung dcs serbischen Königs Alexander mit der Witivc Draga Maschin zu schwcigeii. Hier haben wir den Fall, daß ein König eine Frau aus deni Volke zu sich erhebt, und der Fall liegt noch ganz besonders günstig. Alexander ist regierender König, das Haupt seiner Dynastie, er hat keinen Menschen um seine Einwilligung zu fragen, kein Hausgesetz bindet ihn, nichts schließt die Braut von den höchsten Ehren einer wirklichen Königin, nichts schließt die von ihr dem Könige zu schenkenden Nachkommen von der Thronfolge aus; ja, sogar ein Schimmer der Popularität könnte aus dieser Ehe auf die Dynastie übergehen, die im Glanze der Krone nicht vergessen hat, daß die Vor¬ und fahren noch vor hundert Jahren arme Hirten waren trotzdeni? Der Vater des Königs erklärt sich offen Ueberall Ablehnung! gegen das Projekt, die Mutter ist in Verzweiflung, das Ministerium weigert sich, im Amte zu bleiben, und die Abordnung der Belgrader Kaufmannschaft, der der König in beweglichen Worten seine glühende Liebe zu seiner Braut geschildert hat, bleibt dabei, daß diese Ver¬ bindung nicht zum Segen dcs Landes sein werde — bedrückte Stim¬ mung überall — überall das Gefühl: der König spielt mit seiner Existenz. Man hat allgemein den Eindruck, daß es sich hier nicht um eine Liebesheirat handelt, sondern daß der junge, unerfahrene Monarch einer sehr erfahrenen ihm an Jahren überlegenen Dame ins Garn gegangen ist. Kein liebevoller Berater, kein sorgsam wachendes Eltcrnpaar steht dem 24jährigen Jüngling zur Seite, und was er von seinen Eltern in jungen Jahren erlebt hat, das konnte auch gerade keinen festigenden Halt für ihn biete». Man entsinnt sich der fortgesetzten ehelichen Zerwürfnisse zwischen Milan und Natalie, die schließlich zu einer Scheidung führten, deren Giltigkeit freilich bezweifelt wurde, und zu jungen der Wicderverheiratung der getrennt Lebenden führte. Jahren erlebte es Alexander, daß seine Mutter ihn nach Wiesbaden entführte, von wo der Vater ihn init der Polizei abholen ließ. Kaum hatte man den jungen Prinzen nach Belgrad zurückgebracht, da dankte plötzlich Milan, vermutlich unfreiwillig, 1889 zu Gunsten seines Sohnes ab und ging außer Landes. Der junge König blieb unter der Vor¬ mundschaft der drei Regenlen in Belgrad, und schon 1893, im Alter Das Mi߬ von siebzehn Jahren, machte er seinen erste» Staatsstreich. trauen der Parteien im Lande veranlaßte ihn später, seinen Vater zurückzurufen und an einer scheinbaren Aussöhnung mit der Mutter zu arbeiten. An großen Vorbildern mciischlischer Charakterstärke hat Seine Um¬ sich die Individualität des Knaben nicht bilden können. gebung nennt ihn launisch, nervös, cigenioillig. Die Braut, die sich der 24jährige Jüngling erkoren hat, zählt 38 Lenze. Sie ist Witwe, und die böse Welt in Belgrad, die ja allerdings in moralischer Hinsicht kaum verwöhnt ist, sagt ihr nach, daß sie in frühere» Jahren, als sie Hofdame bei der Königin Natalie war, schon Jedenfalls steht sie in zu Milan Beziehungen unterhalten habe. keinem guten Rufe, und es dauerte vier Tage nach dem Rücktritt deS alten Ministeriums, bis sich ein neues fand, das unter diesen Verhält¬ Keiner der bedeutenden nissen die Regierung übernehmen wollte. Parteiführer wollte die That des Königs unterstützen, die allgeinein als -ine verhängnisvolle, als eine das monarchische Gefühl des Volkes

....

In

Herzog »Isred von Sachlrn-Dot'urg-Gotlr»

f.

Er bestieg nach dem Tode seines kinderlose» Oheims, des Herzogs Ernst II., am 22. August 1898 den Thron von Sachsen-Eoburg-Gotha und legte daraus die Stellung eines britischen Großadmirals und Mitgliedes des englischen Geheinicn Rates nieder. Von seinen Töchtern vermählte sich Prinzessin Maria am 11. Januar 1893 mit dem Prinzen Ferdinand von Rumänien: Prinzessin Viktoria am 19. April 1894 mit dem Großhcrzog

519

Lauter unbekannte Männer aus stark gefährdende angesehen wurde. der höheren Beamtenschaft, die bisher politisch noch keine Nolle gespielt haben, fanden sich schließlich bereit, die Geschäfte zu übernehmen.

Die serbische Nation hätte es gern gesehen, wenn der junge König seinen stets wankenden Thron durch eine Verinählung mit einer Prinzcsstn aus einem hohen Hause gestützt hätte. Sic hätte auch nichts dagegen gehabt, wenn er aus den angesehenen Wvjewodcngcschlechtern oder aus dem achtbaren Bürgerstande die Königin geivählt hatte. Die Unterschiede sind in einem Lande, das so lange unter türkischer Fremdherrschaft gestanden hat, nicht so stark wie im zentralen oder westlichen Europa. Die erste serbische Fürstin, Miloschs Gemahlin Ljubitza, stammte aus einem alten serbischen Adelsgeschlechte, das unter der Türkcuherrschaft zum Bauernstände herabgesnnken war, dem ja Milosch selbst auch angehörte. Auch Alexander Karageorgjewiisch hatte eine Wojewodentochter Persida Ncnadowitsch zur Frau, und der dritte Fürst, Michael, ivar mit der ungarischen Magnatin Julia

___

Spenden unentgeltlich vom Aufgabeort nach der Sammelstclle zu be¬ fördern. Ueber den Eingang der Liebesgaben wird in der Presse ein Rechenschaftsbericht erstattet werden. Nähere Auskunft erteilt auf Wunsch die Geschäftsstelle des Berliner Vereins von. Roten Kreuz, Holzmarktstraße 65.

Bücherkifch.

Komödie« des Lebens von Rudolf Herzog.

E.

Piersons

Ver¬

lag, Dresden und Leipzig 1899. Unter dem Titel „Komödien des Lebens" hat Rudolf Herzog vor kurzem eine neue Sammlung seiner Novellctten und Skizzen er¬ Der junge Schriftsteller hat in den „Komödien des scheinen lassen. Lebens" eine ganze Reihe wahrhcits- und cmpfittdungsvollcr Bilder aus dem Leben entrollt. Sehr lustig und vergnüglich ist vor allem da

Bönig Alexander von Serbien und seine Seoul, Fenn Droga Walchin, geborene Lunjrwiya.

Hnnyadi vermählt. Aber die Serben haben auch die Fürstin und spätere Königin Natalie Keschko, die Mutter des jetzigen Königs Alexander, in betreff ihrer Abkunft nichts einzuivendcn,' obivohl sic nur die Tochter eines russischen Obersten war. Eine im Volke sicher wurzelnde Dynastie würde des vollsten Bei¬ falls aller Volksgenossen gewiß sein, wenn der König oder der Thron¬ folger ein einheimisches Kind ausländischen Prinzessinnen vorzöge; eine durch Jahrzehnte hindurch solchen Erschütterungen ausgesetzte Dynastie, wie die der Obrenowitsch in Serbien, würde jedoch klug gethan haben, wenn sie eine starke Stütze an großen Hcrrscherfamilien gesucht hätte.

Berliner Chronik. Am 25. Juli starb in Eharlottenburg im Alter von 60 Jahren der Oberpfarrcr Hermann Müller. Am 31. Juli feierte der Dozent an der Berliner Universität, Ge¬ heimer Medizinnlrat I)r. Albert Guttstadt, sein fünfnndzivanzigjähriges Dozenten-Jubiläum. Am 1. August waren zehn Jahre seit der Eröffnung des Kaiscrund Kaiserin Friedrich-Krankenhauses verflossen. Am 1. August wurde der elektrische Betrieb auf derWannscebahn aufgenommen. Zunächst verkehren nur wenige Züge zwischen Berlin und Zehlendorf. Am 2. August blickte die Berliner Elefautcn-Apotheke auf ein 125 jähriges Bestehen zurück. Zum Rektor der Berliner Universität für das Studienjahr 1900/1901 ist der Professor der Theologie vr. Harnack gewählt worden.

Vereins-Nachrichten. Vcrliner Verein vom Roten Kreuz. Einverständnis mit dem Zentral-Komitec der deutschen Vereine vom Noten Kreuz hat der Berliner Verein vom Rote» Kreuz in den Wärmchallen am Alexanderplatz (Bogen 97—99) eine Sammel¬ stelle für Liebesgaben, die für das ostasiatischc Expeditionskorps bestimmt sind, errichtet. Erwünscht sind in erster Linie Lebens- und Gcnußmittel, wie Weine, Spirituosen, Mincralivässcr, Fruchtsäfle; ferner Kolonialwaren, insbesondere Kaffee, Thee, Kakao, Zucker, Reis, Dürrgcmüse, Konserve», Kompotts, soivie Tabake und Cigarren. Die Berliner Spediteure haben sich in dankenswertester Weise bereit erklärt, die

Im

der „Pastor Husar" und sein drolliges theologisches Seitenstück „Abge¬ Eine kanzelt", ein Auszug aus dem Klcinstadtlebe» Mecklenburgs. heitere Weltanschauung ist es auch, welche den „Hans tut Glück" dik¬ tiert hat, den Herrn „Kunstkritiker", die „Sonderbare Leute". Gedichte von Irma Krauschner. Mit dem Bilde der Verfasserin. Dresden, E. Piersons Verlag. Preis Mk. 1.50. Ein frauenhaftes, wahr und schlicht empfindendes Gemüt spricht aus diesem Büchlein, das sich an die fein Empfindenden wendet und weniger durch die Originalität als vielmehr durch die Sinnigkeit der Das echt weibliche Talent der Gedanken für sich einnehmen will. Dichterin äußert sich auch in der Wahl der Stoffe, in dem mild ver¬ söhnenden Ton ihrer Lieder, die selbst im Schmerze nicht herb oder gar verletzend werden, sondern immer entweder harmonisch oder resigniert

ausklingen.

Dichter und Richter von Ernst Wichert.

Zeitgenössische Selbst¬

biographien. Bd. 2. Schuster u. Locfflcr, Berlin 1900. Im 2. Bande der „Zeitgenössischen Selbstbiographien" schildert Ernst Wichert seinen Lebensweg in anschaulicher, humorvoller Weise. Aus des Dichters Lcbensverhältnissen ist vieles durch seine Werke bekannt, in der Selbstbiographie sindct sich daher manches wieder, was in den Novellen und Erzählungen geschildert ist, aber in dem neuen Rahmen erscheint es trotzdem neu und interessant. Wichert läßt uns in seiner Lebensbeschreibung manchen Blick in das Innere der Dichterwcrkstatt thun, wir werden über den Ursprung seiner Schöpfungen unterrichtet, erfahren, wie jedes bemerkenswerte Ereignis von ihm sogleich in dramatischer Hinsicht geprüft und zum Dratna oder zum Roman benutzt ivird. Seine dichterische Veranlagung zeigte sich schon früh: Vorgänge im Vatcrhause oder in der Schule wurden in epischer Form behandelt oder zu dramatischen Entwürfen benutzt. Der Vater, der selbst gedichtet hatte, unterstützte die Neigungen seines Sohnes, munterte ihn zu Ver¬ suchen auf und ging die Dichtungen und Entwürfe mit ihm durch. Der angehende Dichter lernte bei diesen Besprechungen sehr viel und hat später, wie er selbst angiebt, jede dramatische Arbeit vier- bis fünf¬ mal umgeformt. Die ersten Entwürfe erstreckten sich naturgcniäß auf das Gebiet des Romantisch-Heroischen und wurden von dem Verfasser und seinen Schulqcnossen vielfach selbst aufgeführt, die Requisiten und Kulissen stellten sich die kleinen Mimen gleichfalls eigenhändig her. Durch solche Beschäftigung, die sich auch auf die Universitätsjahre und später hinaus ausdehnte, wurde die dichterische Neigung Wichcrts lebhaft befördert und die Erstlingswerke scheinen in ziemlicher Zahl entstanden ist zu sein. Die meisten Manuskripte sind verloren gegangen, manches erhalten und nachmals umgearbeitet worden. Interessant ist cs, wie

520

Wichert über den Wert dieser erste» Schöpfungen urteilt,' der kritische Beobachter, der scharfsinnige Jurist blickt aus diesen scheinbar harmlosen Erzählungen überall heraus. Tic Schilderung seiner Jugendzeit und seiner Uuiversitätsjahre hat Wichert in der aus seinen Werken bekannten, interessanten, von Humor durchwehten Art abgefaßt. Das Leben im Hause zu Königsberg und auf der Schule in Pillau, die Gymnafialzeit und das Königsbcrger Studcntenleben werden anschaulich dargestellt, der Entwicklungsgang des Verfassers zieht ebenso anschaulich an uns vorüber und neben den mannigfachen Kleinigkeiten, die das Ganze interessant gestalten, finden sich scharfgczcichuetc Bilder von bemerkenswerten Persönlichkeiten, mit denen der junge Wichert in Berührung kam. Aeußerst humoristisch ist des Dichters erster Versuch, einem Berliner Verleger seine Tragödien „Johann Huß" und „Kaiser Otto III." zum Druck zu übergeben, ge¬ schildert, ebenso seine Empfindungen während der Ersta»fführ!>ng seines Schauspiels „Unser General Aork", und wie eine reizende Rovellette liest sich die Schilderung seines Ehelebens während seiner Anwesenheit als Richter in Prökuls bei Memel. Was er dort unter deni litauischen Volk erlebte, hat Wichert nachmals in Novellen und Erzählungen wiedergegeben, auch der Gedanke zu mehreren Dramen aus der litauische» und altpreußischen Geschichte wurde zu jener Zeit gefaßt. Durch das kleine Lustspiel „Ihr Taufschein", das Wichert bereits 1864 geschrieben hatte, war er weiteren Kreisen bekannt geworden, und als zwei andere Lustspiele „Der Narr des Glücks" und „Biegen oder brechen" ebenfalls Erfolg hatten, war das Glück des „Königsberger Lustspieldichters", wie Wichert nun genannt wurde, gemacht. Seine pekuniären Verhältnisse, die von Hause aus wenig glänzend waren, besserten sich; er konnte nunmehr mit seiner Familie sorgenfrei lebe» und neue» Mut zu dichterischen Entwürfen schöpfen. I» rascher Folge entstanden in den siebziger Jahren die verschiedenen Schauspiele, die noch jetzt auf den; Repertoire stehen, wie „Ein Schritt vom Wege", „Die Realisten", „Die gnädige Frau von Paretz" und „Der Freund des Fürsten", denen sich eine große Anzahl von Romanen und Novellen Es war jene Zeit, in der auch Felix Dahn in Königs¬ anschlössen. berg weilte und mit Wichert den Ruhm teilte, „am Pregel das dichtende Deutschland zu vertreten." Im letzten Teil seiner Selbstbiographie kann Wichert naturgemäß von großen Erfolgen und besonderen Ehrungen berichten, und dieser Abschnitt, in dem der Dichter sich im Glanze seines Ruhms sonnt, läßt die unbefangene, humorvolle Heiterkeit der früheren Abschnitte vermissen. Interessant bleibt aber auch in diesem Teil, was uns der Autor über die Entstehung und den Gedankcngang seiner Werke mitteilt, und von besonderem Interesse ist die in den beiden letzten Kapiteln angestellte Rückschau über den Entwicklungsgang als Richter und Dichter und über das geistige Leben in Deuischlaud in der zweiten Hälfte des G. A. 19. Jahrhunderts.

Der Marconische Einpfangsapparat ist demnach als ein außer¬ ordentlich feines Relais zu betrachten. Denken wir uns jetzt an die Stelle des Morse eine große elektrische Batterie in Verbindung mit einem großen Induktionsapparat, jene Einrichtungen, die zur Er¬ zeugung Hcrzscher Wellen notwendig sind, so kann mau dadurch den Mittelpunkt eines neuen Systems Herzscher Wellen erzeugen, die wiederum über vierzehn Kilometer wirken, auf eine gleiche Einrichtung stoßen n. s. w. Man sicht sofort, daß man auf diese Weise, theoretisch wenigstens, ins Grenzenlose sprechen kann. Uebrigcns hat Guarini auch bei den deutschen Firmen, denen er seine Erfindung anbot, kein Entgegenkommeu gefunden.

Kleine Mitkeilnngen. Lubtvig Manxel, der Schöpfer des Monumentalbrunncns für Stettin, hat auch das Medaillon, das der ehemalige Kultusminister Bosse dem militär-ärztlichen Friedrich-Wilhelms-Juftitut als Jubiläumsgabe In dem Schoß einer gcstiftete, in realistischer Weise durchgeführt. geslügeltcn mit Panzer und Adlerhelm geschmückten Hygiea ruht mit Die linke geschlossenen Augen das Haupt eines verwundeten Kriegers. Hand der Göttin hält den Schlangenstab, die rechte reicht dem Arzt, der

Industrie und Handel. Drahtlose Telegraphie auf grohe Entfernungen. Von

italienischen und englischen Blättern wird jetzt die Nachricht verbreitet, daß es Marconi gelungen sei, die Wellcntelcgraphie über beliebige Strecken auf dem Wasser und auf dem Lande auszudehnen. Man schreibt darüber: Marconi scheint im Begriff zu sein, die an und für sich schon große Bedeutung seiner Erfindung, der Wcllentelegraphie, für die Praxis zu einer ungeahnten Erweiterung zu bringen, indem er durch Benutzung einer Erfindung seines Landsmanns Guarini die Anwendbarkeit der drahtlosen Telegraphie für größere Entfernungen, also zur Ver¬ bindung der Kontinente untereinander erstrebt, die bisher nur.durch kostspielige Ileberland -Linien und noch kostspieligere Unterseekabeln

möglich war. Tie Guarinische Erfindung, die, wie dieser italienische Ingenieur in einem kürzlich in seiner Heimatsstadt Bari gehaltenen Vortrag er¬ klärte, schon seit längerer Zeit von Marconi geprüft ist, betrifft einen Ter Kohärer, antomalischen Wiederholer für Marconi-Enipfänger. der die elektrische» Wcllenzeichcn aufnininit, bethätigt also nicht den Morseschreiber, sondern schließt den Strom für einen zivcitcn MarcouiSender, und so fort von Station zu Station, die soweit von einander etabliert werden, als cs angängig ist, also auf dem Lande höchstens 200, auf dem Wasser höchstens 400 Kilometer. Der Apparat scheint bereits die so sicher zu funktionieren, daß Marconi nach Amerika gereist ist, um Vorbereitungen für eine Verbindung von Newyork und London durch Wellcutclegraphie zu treffen, indem er beabsichtigt, die Linie der Stationen an der kanadischen und grönländischen Küste des atlantischen Ozeans entlang zu führen, wo Mceresnrme von mehr als 400 Kilometer Breite nicht in Frage kommen, so daß die Wiederholer-Stationen überall auf festem Boden aufgestellt werden können. Die Guarinische Idee, die, wie cs scheint, in Verbindung mit den Marconischen Methoden eine Revolution im Nachrichtenwesen hervor¬ Sie wurde bereits vor drei rufe» dürfte, ist übrigens nicht neu. Jahren von unserm Mitarbeiter, dem Ingenieur Franz Bcndt, ausge¬ sprochen, der sich damals vergebens bemühte, die großen Firmen dafür zu interessieren. Er schrieb am 19. September 1897 in der Technischen Rundschau der Bossischcn Zeitung, also zu einer Zeit, als die Wcllcntelegraphie sich noch in ihren Anfängen befand: In de» Kreisen der Fachleute, aber auch der Laien, wird jetzt häufig die sich hier anschließende Frage erörtert, ob die Marconischen Apparate es nicht zulassen, auch über größere Entfernungen zu sprechen, vielleicht gar über den Ozeane Wirklich stehe» diesem Verlangen keine prin¬ zipiellen Schwierigkeiten gegenüber. Marconi erzeugt Herzsche Wellen, die sich nach allen Richtungen ausbreiten. Treffen sie in einer gewissen

Entfernung auf seinen genial erdachten Empfangsapparat, so ermög¬ lichen sie durch diesen die Auslösung eines Lokalstroms, der wiederum einen Morseapparat befähigt, Zeiche!« zu geben. Verantwortlicher Nedakterrr: I)r. M. Folticineauo. Berlin. — Druck nnd

Medaillon für das Friedrich Wilhelm-Institut.

Im Hintergründe den Verwundeten verbindet, eine Schale hinüber. erblickt man die Front des Unterrichtsgebäudes in der Friedrichstrabe.

Die überaus schwierige Aufgabe, Porträtähnlichkcit — der Arzt—trägt mit die Züge des ehemaligen Direktors der Akademie llr. Grimm Jdeallypus, moderne Uniform mit antikisierender Gewandung zu ver¬ einigen, das ganze malerisch zu gestalten, ohne die Gesetze des Reliefs zu verletzen und die Gruppe zwanglos in die gegebene Rundfvrm hineinzupassen, ist mit schönem Gelingen gelöst. Bürgerbrief' der Stadt Guben. Im Besitze des Lehrers Richter-Strausberg befindet sich ein unter Familienpapiercn vor¬ gefundener Bürgerbrief der Stadt Guben aus dem Jahre 1812. Wir lassen seinen Wortlaut hier folgen: „Nachdem bei uns Bürgermeistern und Rathe der königlich sächsischen Kreisstadt Guben im Markgrasthum Niedcrlausitz Johann Gottlieb B. um das hiesige Bürgerrecht gebührend angesucht hat, Wir auch dies Gesuch bewilligt haben, und er hierauf folgenden Eid „Ich Johann Gottlieb B. schwöre zu Gott, dem nllcrdurchlauchtigsten und großmächtigstcn Fürsten und Herrn, Herrn Friedrich August, Könige zu Sachsen rc., meinem allergiiädigsten Fürsten und Herrn, und E. E. Rathe der Stadt Guben, gehorsam, getreu und gewehr zu sein, auch alles, was wider E. E. Rath geredet oder vorgenommen wird, nnd ich angehöret und vernommen habe, als¬ bald zu offenbaren, der Stadt Ehre, Nutzen und Frommen besördern und Eintracht stifften, Empörungen, Zwietracht und Aufruhr aber wahr . nach meinem höchsten Vermögen verhindern zu helfen. So als mir Gott und sein heiliges Wort durch Jesum Christum helfe!" am heutigen Tage würklich abgelegt, ihm auch dnrchgchends nachzu¬ kommen, mittelst Handschlags angelobet hat: Als ist ihm darüber dieser Schein unter Unserm, des Raths, und gemeiner Stadt gewöhnlichen Siegel auch mit gewöhnlicher Unterschrift erteilt morden. Guben am 9. März 1812. Bürgermeister und Rath daselbst. L. S. Verlag:

Friedrich Schirmer, Berlin

8 W., Reueuburger Strafe 14a.

Der Bär. Illustrierte Wochenschrift.

vierteljährlich 2 M. »0 Pt«» Zeitungsspeditionen und Postanstalten zu bezieken (Nr. 866 des Postkatalogs) und kostet „Der Bär" erscheint jährlich 52 mal und ist durch alle Buchhandlungen, — Beilagegebühr: 6 M. pro 1000 Stück inklusive Postgebühren. 50 Raum deren Nonpareillezeile oder Pf. gespaltene — Infertivnspreis für die 4 Fernsprecher: IV. Nr. 365\. jährlich 10 M., Linzelheft 20 Pf. sowie von allen Annoncen-Expeditionen. — Inserate und Beilagen werden entgegengenommen von der Expedition des „3är", SW., Neuenburgerstraße

Ul. 33.

Sonnabend, 18. August 1900.

26 JahvgttNg.

Das „Brandenburg"- Geschwader aus der Fahrt nach China. ie gewaltige Machtentfaltung, zu der unsere Marine durch die Wirren in China gezwungen worden ist, kennzeichnet am besten den Ernst der Situation. Das „Brandenburg"-Geschwader bildet, da von den Schiffen der Kaiserklasse erst zwei vollendet sind, noch immer den Kern unserer Schlachtflotte. Bier gleich große, und auch sonst in jeder Beziehung gleichartige Schiffe, die eine taktische Einheit von großem

Weißenburg.

Wörth.

Aviso Hela.

bei Gelegenheit einer eingehenden Besprechung unserer deutschen Flotte genauere Daten gebracht. Interessieren aber dürfte es viel¬

leicht die Leser, zu erfahren, wie es um das Kohlenfassungsvermögen der Panzer bestellt ist. Das „Brande»burg"-Geschwader ist in dieser Hinsicht sogar Zeit besser daran, als die alte, brave „Deutschland", die seiner ein den Prinzen Heinrich denselben Weg tragen mußte und stolz als

Kurfürst Friedrich Wilhelm.

Brandenburg.

Die Linienschiffe der Brandenburgs affe auf der Fahrt tmil; China. sind sie vorläufig noch die bedeutendste Waffe, die wir in die Wagschale zu werfen im Stande sind, und ihre Entsendung auf eine so lange Reise ist somit ein sehr

Gefechtswert darstellen,

ernster

Schritt,

den

nur

die

dringendste

Notwendigkeit recht¬

fertigen kann. Diese Notwendigkeit freilich ist in höchstem Maße vorhanden! Die sämtlichen vorhandenen und zur Verfügung stehenden Kreuzer sind an der chinesischen Küste versammelt oder auf dem Wege dorthin: aber bei der gewaltigen Ausdehnung dieser Küste genügen sie nicht im Entferntesten, und, wohl oder übel, müssen nun die Schlachtschiffe aushelfen. Große, beziehungsweise die Bewaffnung und Schiffe, die unser Bild in Begleitung des bei¬ Panzerung der „Heia" ans hoher See zeigt, hatten wir bereits Avisos gegebenen Ueber

die

tRach einer Originalzeichnung von C. Schön in Berlin.)

„Panzerkreuzer" bezeichnet wurde, während ihre Maschinen sie mit kaum 13 Meilen pro Stunde durch die See zu treiben vermochten.

Die „Brandenburg" und ihre drei Schwesterschiffe besitzen einen Aktionsradius von 4500 Seemeilen, das heißt, sie können — unter Volldampf bei einer Geschwindigkeit von 10 Knoten laufen sie 16 — eine Strecke von 4500 Meilen zurücklegen, ohne Kohlen aufzufüllen.

Der Aktionsradius der „Deutschland" beträgt nur 2500, der der „Hela" 3500 Meilen. Für einen Kreuzer sind aber alle denn diese Dampfstrecken nur gering und dieser Umstand ist es auch, der die Veranlassung zu der verringerten Marschgeschwindig¬ keit gegeben hat, die den Schiffen vorgeschrieben ist.

die mit 10 Meilen Geschwindigkeit können sich nattirlich selbst bei haben, 6600 Meilen Aktionsradius Unsere modernen Kreuzer,

solchen Entfernungen eine schnellere

Fahrt nicht gestatten,

bei den

Schlachtschisfen, deren Kohlenvorrat geringer bleiben muß, weil Panzer und Armierung hier größere Gewichte in Anspruch nehmen, würde eine forcierte Reise eine viel zu häufige Ergänzung des kostbaren Brennmaterials, das im Auslande überdies sehr teuer ist, bedingen.

Es ist das erstemal, daß unsere junge Flotte eine so bedeutende Macht im Auslande entfalten kann, wie ja auch zum erstenmale deutsche Truppen in solcher Stärke den Boden Europas

Erdteil einzutreten für Deutschlands Ehre Glückliche Reise und frohe Heimkehr ihnen allen! H. de Meville.

verlassen, um in fremdem

Gras Waldersee als Gberstkommandierender der verbündeten Truppen in China. in China sind ins Stocken geraten, die ver¬ einigten Truppen hatten sogar Mißerfolge zu erdulden, weil es an einer einheitlichen geschickten Leitung fehlte. Unter den Generalen und Admiralen herrschte Eifersüchtelei' alle fühlten sich berufen zu kommandieren, aber niemand wollte ge¬ horchen. Da durchhieb Kaiser Wilhelm II. den gordischen Knoten mit einem Schwertschlag, indem er den Mächten seinen besten Offizier als Kandidaten für die Würde eines ie Kämpfe

doch warfen die nationalistischen Organe wendigkeit machten; der Regierung vor, daß sie, indem sie als Oberkomman¬ dierenden der französischen Truppen nicht den General gewählt habe, dessen Wahl sich allen aufdrängte (gemeint ist General die Negrier), dem Kaiser Wilhelm die Gelegenheit gegeben Hütte, mo¬ ungeheure Deutschland aus der ergreifen, Initiative zu ralische Vorteile ziehen werde, die Frankreich hätten zufallen müssen.

Daß in Oesterreich die Wahl günstig aufgenommen wird, erscheint

Oberstkommaudierenden präsentierte. Graf Waldersee ist unstreitig ein

bei

schrieb

Mann am So die Times, die Wahl, die

Graf

als Offizier in die Gardeartillerie und war 1858—59 Adjutant der 1. Artillerieinspektion, wurde 1862 Hauptmann, 1865 Adjutant des Prinzen Karl von Preußen, 1866 in den Geueralstab versetzt und zum

Major befördert.

sein

werde.

auf Waldersee gefallen ist, könne namentlich unter den obwaltenden Umständen nur mit Genungthuung begrüßt werden. Allerdings werden acht Wochen vergehen müssen, bevor

Graf Waldersee

die thatsächliche In¬ übernehmen kann. zwischen aber werden die Eifersüchteleien unter den Befehlshabern an Ort und Stelle schwinden vor dem Gefühl der gemeinsamen Unterordnung unter den ausgezeichneten Offizier, dem sie vom Augenblick seiner offiziellen Ernennung an gleichmäßig Gehorsam schulde». Die übrige englische Presse drückte sich ähnlich aus, hoffte

Leitung

jedoch, die Wirren in China im wesentlichen beendet zu sehen noch vor der ziemlich langem Zeit, die verstreichen müsse, bis der neue Oberfeldherr in Aktion treten könne.

In'Frankreich war man von der Ernennung weniger erbaut. Man hat dort erwartet, daß ein französischer oder russischer Offi¬ zier mit dem Oberkommando betraut würde. Die Pariser Blätter zwar einmütig die Ansicht ans, daß die großen Talente das Ansehen des Grafen Waldersee seine Ernennung zum Generalissimus der verbündeten Truppen in China zur Not¬ sprechen

und

Waldersee nahm

am Feldzug in Böhmen im großen Hauptquartier teil, kam nach dem Frieden zu dem Generalkommando des 10. Armeekorps in Hannover, wurde 1870 Militärattachee in

der rechte

Platze

Freundschaftsver¬

Alfred Graf von Waldersee, ge¬ boren 8. April 1832 zu Potsdam, trat aus dem Kadetttenkorps 1850

von Waldersees Fähigkeit wird auch im Auslande geteilt, und allgeinein ist die Ansicht verbreitet, daß die Wahl des Kaisers eine glückliche ist. Der Zar beglückwünschte den Grafen zur Annahme der ihm er¬ teilten Mission. Besonders in Eng¬ land ist man darüber erfreut, daß der Gras die Leitung der Ope¬ rationen in China übernehmen wird' mau erkennt rückhaltlos an, rechten

engen

hältnis zwischen Oesterreich-Ungarn und Deutschland selbstverständlich.

sehr geschickter Stratege, er war einst die rechte Hand Mvltkes, und der greise Feldmarschall hatte in Waldersee seinen berufensten Nach¬ folger erblickt. Die hohe Meinung

daß der

dem

Paris und Flügeladjutant, trat

bei

Mobilmachung zum großen Hauptquartier, wurde 1871 Chef des Generalstabes der Armeeabteilung des Großherzogs von MecklenburgSchwerin und war Stabschef des Gouverneurs von Paris, mährend deutsche Truppen in Paris standen, dann vom Juni bis September Ge¬ bei der französischen Republik. Regierung schäftsträger der deutschen Kommandeur des 13. Ulanen¬ und Oberst Waldersee als Hierauf trat regiments in den praktischen Dienst zurück, wurde 1873 Chef des Generalstabes des 10. Armeekorps, 1876 Generalmajor und 1880 General ä la suite. Er wurde 1882 Generalquartiermeister und Ver¬ treter des Chefs des Generalstabes der Armee, in demselben Jahre Generalleutnant, bald darauf Generaladjutant des Kaisers. Unter Kaiser Friedrich 1888 zum General der Kavallerie befördert, wurde Waldersee bald nach der Thronbesteigung Kaiser Wilhelms II. als Nachfolger Moltkes zum Chef des Generalstabes der Armee ernannt der

und auch in das Herrenhaus und den Staatsrat berufen. 1891 wurde er zum kommandierenden General des 9. Armeekorps er¬ nannt; im Januar 1895 erhielt er den Schwarzen Adlerorden, und im September 1895 wurde er Generaloberst der Kavallerie.

Die zweite Heirat König Friedrich Wilhelms III. Sonntag, den 5. November 1824, hatte der evangelische MS Bischof Eylert, der vertraute Ratgeber König Friedrich Wilhelms III., vor dem letzteren und seinem Hose über das Thema „Richtet nicht!" (Ev. Matth. 7, 1) gepredigt. Nach dem Gottesdienst kani der Oberst von Witzleben zu dem Hofprediger in

daß der König ihn sprechen wollte. Bischof Eylert glaubte, Friedrich Wilhelm wolle ihn, wie dies oft geschah, in Kirchen- oder Schulangelegenheiten um Rat fragen. Sehr erstaunt war der Bischof jedoch, als der König ihn bei seinem Eintritt in seiner bekannten lakonischen Weise anredete: die Sakristei und sagte ihm,

523

„Nun wird das Richten angehen!" Der Bischof schwieg, da er nicht wußte, was er aus den Worten des Königs machen sollte; als aber der König wiederholte: „Das Richten wird nun angehen!" versicherte er, daß er in seiner Predigt ohne alle persönliche Be¬ ziehung vor lieblosem Aburteilen gewarnt habe, „Weiß wohl", sagte der König, „aber das Richten wird doch angehen, und zwar über mich selbst," — „Wie sollte das zugehen?" erwiderte der Bischof, Ein König muß es sich zwar ge¬ fallen lassen, daß das ganze Volk ihn und sein Thun beurteilt; er ist wie eine Stadt auf hohem Berge, die jedermann sieht; aber Ew. Majestät haben besonders seit dem Jahre 1813 die öffentliche Meinung für sich; man ehrt und liebt Sie," „Hilft nichts", fiel der König wieder ein, „das Richten über mich wird dennoch nun angehen; will Ihnen nur sagen:

„will

wieder heiraten.

wohl?" „Nein, ich erschrecke nicht", war die Antwort Eylerts, „aber ich erstaune; wenn ein König heiraten will, so weiß das vorher die ganze Welt," — „Sie soll", erwiderte der König, „es diesmal aber vorher nicht wissen; erst nachher, wenn es geschehen, wird Die ganze Sache ist noch ein Geheimnis". Dann sie es erfahren.

e

der König,

der

Erschrecken

sich

an den Tisch seines Arbeitszimmers

mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit fort: „Ich bin in meinem häuslichen

te,

Glanz der Krone wollte und konnte er ihr nicht als Ersatz für Aus dieser Erwägung heraus diese Verschiedenheit im Alter bieten. hatte der König der Gräfin noch vierzehn Tage vor der Hochzeit ge¬ schrieben, „sie möge sich vor Gott und ihrem Gewiffen noch einmal redlich prüfen, Älenn es ihr im geringsten leid sei, so würde er, so schwer es ihm auch falle, sie ihres Versprechens entbinden," Die Gräfin aber antwortete dem König, „sie sei durch seinen Brief nur noch mehr in ihrem Entschlüsse befestigt, sie liebe ihn von Herze», sie achte ihn aufrichtig, ihr ganzes Bestreben werde nur dahin gehen, ihn so glücklich zu machen, als sic es könne." König Friedrich Wilhelm HL, der die bösen Zungen vor eine vollendete Thatsache stellen wollte, ließ seine Trauung mit der jungen Gräfin Harrach — sic erfolgte „zur linken Hand" — ganz in der Stille vollziehen, Rur wenige Eingeweihte ahnten, zu welchen Zweck der würdige Bischof Eylert sich am 9. November 1824 Die in die Kapelle, des Charlottenburger Schlosses begab. Trauung fand in Gegenwart der Eltern der Braut, des Kronprinzen, des Großherzogs von Mccklenburg-Strelitz und einiger höherer Hofbeamten bei verschlossenen Thüren statt, Bischof Eylert sagte zum Schlüsse seiner kurzen Tranrede zu der Braut, die bei ihrer Vermählung zur Fürstin von Liegnitz erhoben wurde, „ihr sei das große, bedeutungsvolle Los zugefallen, dem Könige

das Leben zu erheitern und zu ver¬ schönern, seine Lasten zu erleichtern, seine Sorgen zu zerstreuen und da¬ durch wohlthuend auf seine Stim¬ mung zu wirken, und zu stiller, ohne Aufsehen zu machen, sie dies thue, ich mich trösten, daß sie den besten umso liebenswürdiger werde sie sein. Menschen in der Welt, den Prinzen Rach der Trauung ging der König Friedrich der Niederlande, heiratet, auf den Kronprinzen zu, umarmte Sic ist ein gutes Kind, freundlich ihn und sprach die für ihn be¬ und liebevoll wie ihre Mutter, eine zeichnenden Worte: „Wissen die Un¬ zweite Luise, Ich sympathisiere mit sterblichen die Werke der Sterblichen ihr, und sie hängt mit ganzer kind¬ hier, so wird Deine verewigte Mutter licher Seele an mir. Sie besorgt sich dieser Stunde freuen, Du wirst alle meine Häuslichkeiten, versüßt sie in ihrer Verpflichtung im Herzen mir meine einsamen Stunden, liest behalten. Du wirst länger leben mir vor, sitzt an meinem Bett, wenn als ich, und nach meinem Tode recht, alles ich krank bin, macht mir meiner christlichen rechtmäßigen Ge¬ versteht mich, erinnert mich an eine mahlin ein treuer Freund und selige Vergangenheit. Ach, behielte sein," Gönner ich sie, ich würde nicht ans Wieder¬ Auf das Publikum wirkte die heiraten denken. Der Umgang Bekanntmachung der zweiten Ver¬ mit einem sanften, ver¬ heiratung ivie ein Blitz aus heiterem ständigen, gemütlichen weib¬ Himmel. Das Richten begann! lichen Wesen ist mir durch Das hatte man vom Könige nicht meine Frau, durch meine erwartet! Gerade in den loyalsten Tochter zum Bedürfnisse, zur Kreisen empfand man diese zweite andern Natur geworden. Ohne Ehe als einen Frevel am Ge¬ das kann ich nicht leben. In der Königin Luise, dächtnis der That giebt es Stimmungen des die schon damals im Herzen des Gemüts, die nur Anklang finden Volkes als eine Heilige lebte. Die bei einem verwandten weiblichen abenteuerlichsten Gerüchte gingen Herzen; es ist damit etwas anderes, von Mund zu Mund, und wie wie mit einem Freunde, den ich, immer kritisierten die Berliner am so viel Mühe ich mir auch darum Fürstin Auguste von lirgnih. schärfsten. und am lautesten Es gebe, aber auch nicht habe. die verstummten aber Schließlich Schweigen, und giebt ein Stillesein bösen Zungen. Die junge Fürstin Liegnitz beseitigte am 25. Mai 1826 ein Sprechen und Mitteilen, ein Helfen und Beistehcn, ein Kommen, einen Stein des Anstoßes, indem sie zur evangelischen Kirche über¬ Gehen und Anblicken, welches, umflossen von weiblicher Anmut, trat, Die Befürchtung, daß sie in politischen Dingen nach Macht angenehm ist, und auch bei der trübste», widerwärtigsten Stimmung Einstuß streben würde, erwies sich als völlig unbegründet. in kranken, ver¬ und besonders giebt es angenehm bleibt. Und dann Sie bewies im Gegenteil überall in den schwierigen Verhältnissen, drießlichen Tagen Hilfeleistungen und Erleichterungen, die kein Lakai, in die sie ihre Ehe mit Friedrich Wilhelm lll. gebracht, die kein Arzt, kein Freund, die nur eine sanfte, weibliche Hand, oft auch Klugheit, die Hcrzensgüte und den Takt, den der König bei ihr selbst nicht einmal die einer guten Tochter, sondern nur die einer vorausgesetzt hatte. Im Sturm aber eroberte sie die Herzen der lieben, freundlichen Ehefrau leisten und geben kann. Ich muß also hinfällig werde," Berliner und des ganzen preußischen Volkes, als der König am 14. No¬ und alt da ich wieder heiraten, um so mehr, Das waren die Beweggründe, aus welchen sich der vicrund- vember 1826 das Unglück hatte, sich beim Ausgleiten auf der Treppe Friedrich Wilhelm sagte in seines Palais ein Bein zu brechen, füufzigjährige König vierzehn Jahre nach dem Tode der Königin vielen, bin nicht besser als andere. „Begegnet Wahl war ans seiner schlichten Weise: Seine die entschloß. Luise zu einer zweiten Ehe Wer weiß, wozu es gut ist". Dieser Unfall gab der Fürstin liebliche und jugendfrische Gräfin Auguste von Harrach ge¬ Liegnitz Gelegenheit zu beweisen, welch eine treue Hausfrau und fallen, die am 30. August 1800 geboren war. König Friedrich Wilhelm III,, der alle Jahre die Heilquellen in Tcplitz auf¬ liebevolle Freundin der alternde König sich in ihr gewonnen hatte. Da hörte das „Richten", das der bedächtige König gefürchtet hatte, suchte, hatte die junge Gräfin, eine Tochter des Grafen Ferdinand in dem von Rayski, auf, und die öffentliche Meinung war mit der zweiten Ehe Friedrich Christiane Freiin der und von Harrach Wilhelms versöhnt, da sich die schöne und junge Fürstin in jeder Be¬ böhmischen Badeorte kennen gelernt; er hatte sie dort mehrere Jahre beobachtet und hatte sie lieb gewonnen, weil sie die Eigen¬ ziehung als eine würdigeLebensgefährtin des alternden Königs erwies. Am 7 Juni 1840 starb der „alte Herr", wie die Berliner schaften der Anmut, der Weiblichkeit, des gesunden Verstandes, der den König fast ausschließlich nannten. Die Fürstin Liegnitz, die Anspruchslosigkeit und Unbefangenheit hatte. Schließlich war der bei seinem Tod erst vierzig Jahre alt war, verbrachte ihr ferneres bedächtige und gewissenhafte König mit sich und der jungen Gräfin der Entschluß zu einer Leben in stiller Zurückgezogenheit in Berlin und Potsdam und in ihm Leicht war ins Reine gekommen. Er fürchtete nicht allein das den Sommermonaten meist am Genfer See. Am 5. Juni 1873 zweiten Ehe nicht geworden. Reben¬ „Richten", das Urteil der Welt, sondern er war sich auch klar da¬ starb sie in Homburg und wurde fünf Tage später in der beigesetzt, feierlich Charlotteuburg des Mausoleums zu ein gruft gewissem Opfer Sinne Harrach in rüber, daß er der Gräfin Richard George, zumute. Der König war dreißig Jahre älter als seine Braut, den von schweren Verlusten ge¬ troffen. Nun verläßt mich auch die letzte Tochter Luise; ich werde sie sehr vermissen, Rur damit kann Leben

524

Städte- und Landschastslnlder. Eisenach und die wie die Art ihrer Bewohuer, ist auch der Charakter der Gebirge. Ein jedes N stellt ein Individuum für sich vor. Sucht man nach einer kurzen treffenden Charakteristik für das Waldidyll im Herzen Deutschlands, für den Thüringer Wald, so kann man ihn nur als lieblich bezeichnen. Fast gänzlich fehlen schroffe Steil¬ abstürze, imposante Felspyramidcn, die gerade dem Bewohner der

'»^verschieden wie die

»

/

deutschen Gaue,

Warlburg.

klangvollen Reimen besungen: der von Frau Venus eingefangcne Miiinesäuger zieht reuig gen Rom und beichtet dem Papst Urban Dieser aber erhebt den Kreuzcsstab in seiner seine Schuld. Hand und spricht entrüstet: „So wenig dieser dürre Stab grünen wird, so wenig hast du jemals Verzeihung zu hoffen, bei Gott und bei Menschen." Getroffen durch diesen harten Bescheid zog der Unheilige zurück in den Hörselberg, wo er freudig empfangen wurde und sich noch heute bei Frau Venus aufhält. In Rom aber begann

Stab des Papstes zu grünen, die ausgesandten nicht mehr, der alte Eckart, ein Mann Tannhäuser erreichten Boten ihn vergebens gewarnt. Ein tief¬ Barte, hatte weißen langem mit sinniger Mythus, der an die heiteren Göttergeschichten des Olymps nach dreien Tagen der

anklingt. er

Heute hat der Wanderer auf dem Hörselberg, selbst wenn zufällig ein Sänger sein sollte, derlei Fährlichkeiten nicht zu

überstehen.

Indessen der große Touristenschwarm Eisenachs der Stadt zu, die freundlich bewaldeten Höhenzuge, von dessen Höhe ihrem hohen Dache herniedergrüßt, das

wendet sich vom Bahnhof eingebettet liegt in dem ernst die Wartburg mit im strahlenden Sonnen¬

wie Silber glänzt. Obwohl Eisenach der Bevölkerungsziffer zählt, nach nur eine Kleinstadt ist, die gegen 25000 Einwohner wenigstens ist die äußerliche Erscheinung und das Leben daselbst, im Sommer, ein durchaus großstädtisches, und das macht nicht nur der lebhafte Touristenverkehr, der gelegentlich zu beängstigender Höhe anschwillt. Seitdem Fritz Reuter sich im Jahre 1863 hier niedergelassen hatte und von diesem friedlichen Asyl aus, zu dem pilgern, noch heute die dankbaren Verehrer der plattdeutschen Muse unsterbliche Werke geschaffen, seitdem ist Eisenach als Villenstadt in Mode gekommen. Ein reicher Kranz prächtig angelegter Landhäuser schlingt sich um die alte Stadt, sie haben die Höhen erklettert, auf dem malerischen Gipfel des Hainsteins, gerade der Wartburg gegenüber, sind vornehme Pensionen entstanden, wie in den Fels¬ schluchten des Anna- und Marienthals auf dem Wege nach dem gewerbefleißigeu Ruhla. Und außerdem hat Eisenach durch seine zentrale Lage und als Knotenpunkt wichtiger Verkehrsadern den Vorzug, eine Kongreßschein

Lisrnach: Der Marktplatz. Richard Köhler in Berlin.)

(Photographische Ausnahme des Herrn Gehetmsekretärs

Ebene für ein Bergland unentbehrlich dünken. Um die sanft ge¬ schwungenen Kuppeln der Berge schlingt sich der grüne Mantel eines hcrlichen Waldes, wie er in dieser Ausdehnung und vor allem in dieser Abwechslung, wenigstens in der Heimat, kaum irgendwo

anzutreffen ist. So ist denn mit Recht das gesegnete Thüringen das Dorado aller Erholungsbedürftigen geworden, die eigentliche Bergpartien weder ausführen wollen noch können.

Und diese Landschaft ist nicht minder interessant durch ihre Natnrschönheiten wie durch die Städte, die sie enthält. Von der Musenstadt Jena und dem weinumkränzten Naumburg angefangen, weiter zu dem durch seine litterarische Vergangenheit denkwürdigen Weimar, der Gartenstadt Erfurt, den Sitzen der Spielwarenindustrie Sonneberg und Saalfeld — welche Fülle von wechselnden Bildern und Eindrücken. Gewiß kann man darüber streiten, welcher Stadt

man die Palme reichen soll bei so verlockender Auswahl. Allein Touristenso viel ist sicher, kaum ein Glied des ungeheueren schwarmes, der sich über Thüringer Fluren ergießt, wird verab¬ säumen Eisenach und die Wartburg aufzusuchen. Man thäte auch Unrecht daran, mehr vielleicht, als Rom zu sehen, aber nicht den Papst, welche Unterlassungssünde weitaus häufiger begangen wird.

Denn abgesehen von dem landschaftlichen Reiz

Eisenachs und seiner Umgebung, verknüpft sich hier damit eine Fülle historischer Erinnerungen und auch der poetisch wenig Ver¬ anlagte, wird in eine weihevolle Stimmung versetzt, wenn er die

Stätte

so

romantischer pocsieumwvbencr Sagen betritt.

heraus aus dem dumpfen, rauchgeschwärzten Bahn¬ hof von Eisenach, so präsentiert sich dem Beschauer alsbald ein über¬ aus liebliches Landschaftsbild. Der Hörselberg erhebt sich ihm gegenüber, von dessen Höhe ein prächtiger Rundblick zu genießen ist. In seinen zerrissenen Schluchten residiert der wilde Jäger und Iran Holle, die in stürmischen Winternächten dem Thale ihre Visiten abstatten. Aber noch ungleich fesselnder ist die durch Richard Wagners geniale Tondichtung erst weiteren Kreisen bekannt gewordene hochromantische Sage von Tannhäuser und der Venus. Allerdings lautet diese in ihrer schalkhaften Ursprünglichkeit ganz

Tritt mau

anders.

Griesebachs „Neuer Tannhäuser" hat diese Aveutiure in

Eiftnach: Villa Leuker. (Photographische «»fmchme des Herrn Geheimsekretärs

Richard Köhler

IN

Berlin.)

Eine Reihe politischer Parteien sogar und wirtschaftlicher Vereinigungen haben hier wiederholt, Spitz¬ ihren auch oder Rufständig getagt und von der Stadt ihren namen erhalten. alte Das alles überdenkend schlendert der Wanderer durch das des Ludwig Landgrafen des Steinbild das Ricolaithor, auf dem

stadt pur excellence zu sein.

525

Bald

steht man vor der Nicolaikirche, Baudenkmal aus dem 11. Jahr¬ einem köstlichen, romanischen restauriert worden Pläne» prächtig alten nach den hundert, das Lutherdenkinal gelangt man zu dem Markt¬ schönen am ist. Vorbei die alte grvßherzogliche Schloß, Rathaus, das dem das platz, auf St. Georgcnkirche und das prachtvolle Postgebände gelegen sind. Bor der Georgenkirche steht das schöne Standbild des berühmten Komponisten Johann Sebastian Dach, der in Eisenach (im Jahre 1685) geboren wurde. Sein Geburtshaus befindet sich ganz in der Nähe der Gebnrtsstätte eines andern weltberühmten Sohnes dieser Stadt, des Malers Friedrich Preller. Seine mit dem Zauber südlicher Landschaften durchglühten Odysseebilder befinden Auch sich in Weimar, die Kartons im Museum zu Leipzig. die großen.Galerie» von Berlin, Dresden und München besitzen einige der herrlichen Gemälde als wertvolle Prachtstücke ihrer

Bärtigen eingemeißelt ist.

größten Teil seiner Bibelübersetzung ausarbeitete. An der Stätte, wo in der Nacht vom 18. zum 19. Oktober des Jahres 1817 die deutsche Burschenschaft ihr denkwürdiges Fest feierte, wo nach begeisterten Reden der Jünglinge ein Scheiterhaufen sich erhob, auf dem die Bücher der Volksfeinde aufflammte», dort erhebt

Sammlung. Statten wir

noch dem

schön

angelegten schattigen Karthaus-

garten einen Bcsnch ab, so ist das Interesse des hastenden modernen Vcrgnügungsreisenden an der Stadt im wesentlichen er¬ schöpft.

Bevor er aber znr Besteigung der „Krönt attraction", der sich rüstet, wird er wohl kaum verabsäumen, die Villa

Wartburg

am Hainstein gelegen, aufzusuchen. Nach dem Heimgänge seiner getreuen „Lowising" ist die Villa in demselben Zustande erhalten, wie sie der sterbende Dichter verlassen, als er im Jahre 1874 die Angen schloß. Auch eine Sammlung von Richard Wagner birgt das anmutige Heim. Auch Reuters Grab werden so manche pietätvoll aufsuchen, die er erfreut und erheitert hat. Es wird begeisterte Verehrer des toten Poeten geben, die sogar nach dem alten Wirtshaus „Zum hellen Mond" pilgern werden, an dessen Stammtisch der Humorist so manche Stunde des Tages und sogar der Nacht zubrachte. Die dumpfen feuchten Kascmatten von Magdeburg haben es verschuldet, daß innere Befeuchtung dem gefeierten Liebling des deutschen Volkes so nötig ward, die so manches noch in ihm schlummernde vorzeitig zerstörte.

Fritz Reuters

Aufwärts der Wartburg entgegen durch schönen Wald auf angenehmen bequemem Wege! Da liegt er vor uns, der wieder erstandene stolze Prachtbau. Liebevoll anknüpfend an die Tradition der in Schutt gesunkenen alten Herrlichkeit hat die moderne Kunst bei der Wiederherstellung der Wartburg einen ihrer schönsten Triumphe gefeiert. Architektur, Plastik und Malerei vereinen sich Wie das Heidelberger hier zu einem harmonischen Ganzen.

Etftnartz: Llisabrltzenbrunnen. (Photographische ilusiiahmc des Herrn Geheimsckretars

Richard Köhler in Berlin.)

das wundcrherrliche Landgrafenhaus mit seinem un¬ endlich reichen Inhalt an Bild- und Architektnrwerken.

sich

jetzt

Aber unberechenbar wie Touristen manchmal sind, begeben wir uns nicht in das reich geschmückte Innere, wir lassen den Vorhang fallen über die Fülle des Sehenswerten, das er birgt. Gerade wo die Spannung am größten ist, steht ja passender Weise das: Fortsetzung folgt. Der „Bär" wird später die prächtigen Räume und die nicht minder imposante Aussicht in Wort und Bild wieder¬ geben. Heute begnügen wir uns mit einem Blick auf die ganze Wartburg, der die verschiedenen Teile deutlich zeigt, den ro¬ mantischen alten Hof, sowie den Eingang, hinter dem die Wart¬

burg

gelegen ist.

biegen dann ab und gelangen auf schattigem Waldpfade Den Ausgangspunkt für alle diese an¬ in die Stadt. zurück mutigen Touren bildet der Karthausgarten, von dem aus wir zur Wartburg aufstiegen Dicht dabei liegt das liebliche Johannis¬ thal mit einem Wasserfall, dem es leider zumal im Hochsommer gänzlich am „Besten", nach Pindar, fehlt. Dafür entschädigt die Frische der Wiesen, der herrliche Baumbestand auf den ver¬ schlungenen Pfaden, von Felstreppen angenehm hie und da unter¬ brochen, und vor allem die wechselnden hübschen Ausblicke von

Wir

Eifrnoch: Fritz Lruicr» «r-b. (Photographische »ilfmihme des Herrn GehcimsckretärS

Richard Köhler in Berlin.)

Schloß gerade in seiner durch Vandalismus bewirkten Zerstörung die schönste Burgruine in deutschen Landen und wohl weit darüber hinaus ist, so ist die Wartburg eine bewohnbare Burg, ein Schloß geblieben, trotzdem vielleicht kein Stein mehr derselbe ist wie zu Zeiten des berühmten Sängerkrieges, der heiligen Elisabeth oder des Martin Luther, der als Junker Jörg da droben den

verschiedenen Punkten.

Allein der Hauptstrom der Wanderer nimmt eine andere Richtung. Auf der alten Poststraße nach Meiningen und Kobnrg oder auf einem anmutigen Fußwege begiebt er sich in das vielgcrühmte Maricnthal. Bon einer mächtigen, steil abfallenden Felsivand, dem Breitcngescheid herab, das ebenfalls eine schöne

526

Aussicht bietet, grüßt ein kollossales M. und zeigt damit den Namen In des Thals an. dem Mühlthale am

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am Wege, der zur enge»

soll.

einem Felsschroffen

Weg, der in der feuchten

bei

sich

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durch ihren Gemahl und die Ver¬ wandlung der Lebens¬

rnittel in Rosen

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ab¬

haben

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Ueber-

die

raschung

Drachenschlucht

nahebei haust eine ver¬ wünschte Jungfrau, die werden

erlöst

überbietenden

kann,

an

die

den»

Wilhelmsthal oder wei¬ ter nach Ruhla, der Heimat

den

der

auf anderen Wegen weiterzieht in das lieb¬ liche Land hinein — dem wird später immer noch

National¬ be¬

der einer kanntlich wichtigsten Hebel und der endlich Stützen wiedererlangten Einheit unseres Volkes. Unweit liegt der rourautische

Elsabethbrunneu,

Pfeifen-

und einer Reihe anderer Fabri¬ kationszweige, oder auch

Weiterwandernden eine mahnt. Am 14. August 1859 wurde

hier

der

oeschläge

Tafel

verein begründet,

der

Reiinstieg steigt, der sich über den ganzen Thü¬ ringer Wald hinzieht, nach dem idyllischen

von einer Erlösung verlautet nichts. Eine ernstere Stätte es,

Höhe¬

Romantik erreicht. Wer nun noch auf die hohe Sonne und von da auf den

punkt

einander ihr zur Ge¬ nesung wünscht. Dieser eigenartige Liebes¬ zauber scheint noch nicht geglückt zu sein,

sei¬

schönsten nicht zu

nen

wenn jemand bei ihrem Riesen zwölfmal hinter¬

ist

unser Bild zeigt die Säiigerbank

Landgrafeiischlucht und dem Dracheiisteiu leitet. Den Glanzpunkt die¬ ser genußreiche» Wan¬ derung aber bietet das Annathal, über dessen Eingang ein A. an¬ gebracht ist. Prächtige Buchen und Nadel¬ hölzer säumen den engen kühlen, durch schroffe Felsen sich windenden

Eingang speiste der Sage nach die heilige Elisabeth Arme bei einer Hungersnot, wo¬

In

*

den

und

Erinnerung

Eiserrarh: Die Drarhensrhlurht. Richard Köhler in Berlin.)

(Photographische Aufnahme des Herrn Geheimfekretärs

das

Bild

einer geiinßreichenWaiivor deruiig wieder Augen führen.

Rudolf Grätzer.

Die Entwicklung des neueren deutschen Romans. IV. Drr humoristische Roman. ^^^aS

ein wenig dünne und seichte Flüßchen

neueren

deutschen

Humors ist englischen Ursprungs. Nach England weisen vereinzelte tüchtige Ansätze des 18. Jahrhunderts, wie des Jtzehoer Buchhändlers Müller vortrefflicher Roman „Siegfried von Linden¬ berg"! von England kam aber auch die Hippokrene, die den Pegasus des Großmeisters deutschen Humors, Jean Paul Friedrich Richter, tränkte. Jean Paul ist undenkbar ohne die englischen Humoristen, Bon diesem hat er die auf tausend Ab¬ besonders Sterne. schweifungen und Einschachtelungen beruhende Technik, die des Lesers Aufmerksamkeit aufs höchste anspannt, in dem sie sie scheinbar zerstreut, von ihm jene Sentimentalität, jene empfindsame Auf¬ fassung des Lebens, wie sie durch Zjorcks Reise schon früh »ach Deutschland gekommen war. Jean Paul ist einer der wichtigsten Vermittler zwischen englischer und deutscher Romantik. Trotz seiner Unermüdlichkeit, abzuschweifen und einzuflicken, auf die er sich in späteren Werke» sogar etwas zu gute thut, ist Jean Paul be¬ trächtlich konziser als etwa Sterne im „Tristram Shandy". Er vermeidet es, den dünnen Faden der Handlung ganz zu zerreißen, wie dies Sterne, scheinbar wenigstens, gern thut. Aber freilich, auch Jean Paul stellt die strengsten Anforderungen an die Auf¬ nahmefähigkeit seiner Leser, ja er gefällt sich darin, sie auf jede denkbare Weise zu verwirre». Schon in der Forint bald ist es ein Gewährsmann, der eine Hundepost eigens organisiert hat, um dem Dichter die Errätst»»« korbweise zukommen zu lassen, bald

der Roman in Gestalt von Blumen-, Frucht- und Dornstücken auf, bald wird er in Jubelperiodeii und Zyklen, bald in Zettel¬ kasten, in Sektoren serviert. Und wie unerschöpflich ist der Ver¬ fasser, durch Extcablättchen und Einlagen aller Art, durch Ver¬ sicherungen, daß nunmehr Stoekungen zu erwarten seien, durch Vertröstung auf die Zukunft und Beziehung auf die Vergangenheit, durch Verflechtung mit der eigenen Person und den eigenen Werken, durch Reflexionen, Satiren und Epigramme, die mitunter den vor¬ züglichsten Wert des Buches ausmachen, den Leser in Atem zu halten! Wie liebt er es, ein und dieselbe Person unter mehreren Namen und Bezeichnungen sVietor, Sebastian, Horion, der junge Lord, der Doktor, der Hofmedicus in „Hesperus") auftreten zu lassen! Welch sprachlicher Prunk, welche Fülle von Bildern und Dergleichen ans allen Zweigen menschlichen Lebens und Denkens stürmt auf den Leser ein, welcher Menge des verschiedenartigsten Stoffes muß er sprungweise seine Aufmerksamkeit zuwenden, wie muß er stets bereit sein, dem Verfasser, der ihn in die fremden Zonen entführt hat, wieder zur eigentlichen Handlung zurückznfolgen. „Es ist wahrlich ein Jammer," lacht der Dichter selbst gelegentlich, „seit ich und das Publikum im fürstlichen Zimmer sind, folgt eine Ausschweifung nach der andern — ich meine Sternische" oder er sagt mit einem schelmischen Seiten¬

tritt

blick ans seine Rezensenten: „Ich wünschte, ich schweifte gelegentlich Freilich befinden ein wenig aus, aber es fehlt mir an Mut."

527

unser diese» Kunstmitteln zur Verwirrung des Lesers Züge eines wahrhaft genialen Humors, die in ihremZlebermnt und ihrer souveränen Hintansetzung von Gewohntem und Kon¬ ventionellem nicht bloß der gesamten romantischen Ironie miistergiltig werden, sondern, bewußt oder nicht, bis auf unsere modernsten sich

Humoristen, wie den Amerikaner Mark Twain, fortwirken. So behauptet Jean Paul, nachdem er sim „Hesperus") den Leser bändelang in allen möglichen Vernennungen und Verkappungen genarrt hat, plötzlich, er selbst sei der gesuchte sechste Sohn des Fürsten; und nun tritt der Dichter frischweg als Romangestalt ans, tritt in Beziehungen zu den anderen Romanfiguren, wobei er aber nicht vergißt, alle Mühsal des Verfassers, über die er so oft geklagt, mit in seine neue Rolle hinüber zu nehmen. Diese Fiktion spielt dann noch in anderen Büchern Jean Pauls („Un¬ Ein andermal läßt er sichtbare Loge", „Siebenkäs") weiter. zwei Herzensfreunde, einem angeblich Haitischen Brauch folgend, die Namen tauschen, so daß Leibgeber eigentlich Siebenkäs, Sieben¬ käs eigentlich Leibgeber ist. Da dieser Namentausch nochmals er¬ folgt und die Freunde im Aenßern beinahe kongruent sind, so ist Aber auch dies ein Motiv von stärkster humoristischer Kraft. neben den „Sternischen Ausschweifungen" hat Jean Paul doch »och etwas anderes von den Engländern gelernt, etwas das seine humoristische Größe ausmacht und ihn den Modernen nahe bringt: dies ist die Andacht zum Kleinen. Man muß sich nur die ersten Bändchen des „Siebenkäs", den häuslichen Krieg, sowie die allmählige Entfremdung zwischen Firmian und Lenette ins Ge¬ dächtnis rufen, um die kaum erreichte Meisterschaft zu würdigen, die die kleinlichste und von manchem kaum gefühlte Misere des

Alltags künstlerisch nachzuempfinden, den kaum sichtbaren Reib¬ flächen zwischen Mann und Frau nachzuspüren, Sandkorn ans

Sandkorn bis zur unübersteiglichen Schranke zu türmen weiß, wobei man freilich die naive Rohheit in Firmians Sterbekomödie Schließlich muß Jean Paul kaum mehr erträglich finden wird. auch als Charakteristiker anerkannt, wenngleich nicht überschätzt werden: er weiß ebensogut vergnügt-beschauliche Naturen zu zeichnen, „deren Schmetterlingsrüssel in jeder blauen Distelblüte des Schicksals offene Honiggefäße genug fand", wie skurril überlegene Käuze, die stark auf E. T. A. Hoffman« eingewirkt haben. Etwas tiefer stehen seine schwärmerischen Jünglinge, lilienzarten Jungfrauen und erhabenen Greise. Es wäre überhaupt unrichtig, Jean Paul ungewöhnliche poetische Phantasie nachzurühmen; er arbeitet im Grunde doch mit einer recht beschränkten Anzahl zum Teil überkommener Motive. Die erwähnten überempfindsamen Jünglinge und lymphatischen Mädchen, wenn möglich von ge¬ heimnisvoller, hoher und diskreter Geburt, mächtige und gleichfalls geheimnisvolle Väter, brutale Fürsten, buhlerische Fürstinnen, ab¬ scheuliche Hofleute bei entschiedener Vorliebe für gute Gesellschaft, Duell von Herzensfreunden, der bekannte geheimnisvolle Bund, mehr oder weniger rationalistisch erklärt, dazu um der empfind¬ samen Stimmung willen eine besondere Vorliebe für Körper¬ gebreche» aller Art, Ohnmachten, Blindheit, Blutspeien — das sind so die wichtigsten Requisiten, die man in Jean Pauls Romane» Nur parteimäßige Verblendung konnte immer wieder antrifft. Jean Paul neben Goethe stellen.

Die Saat, die Jean Paul ausgestreut, ist zunächst nur spärlich aufgegangen.

Wir

sprachen

schon

von

der

Nachwirkung,

die

Jean Pauls Form auf jene der Romantiker nahm; ebenso lassen sich in Jmmermanns „Münchhausen" neben vielen anderen auch Aber von einer Jean Panische Einflüsse deutlich nachweisen. wirklichen Schule Jean Pauls kann nicht gesprochen werden; mag man auch Adalbert Stifter immer immer wieder in oberflächlichster Der nächste große Weise mit Jean Paul zu verketten suchen. Humorist, den Deutschland auszuweisen hat, ist völlig unabhängig Reuter kam nicht durch von Jean Paul: es ist Fritz Reuter. die Litteratur, er kam durch lebendigstes Volkstum zum Humor. _

Ist

er nicht der größte, so ist er zweifellos der reinste deutsche Er steht nicht über seinen Gestalte», er meistert sie nicht, er lebt mitten unter ihnen, wenn er auch nicht wie Jean

Humorist.

Paul leiblich im Roman »mherwandelt. Bei Reuter tritt Satire und Ironie, wenn sie nicht ganz fehlen, doch weit zurück. Wenn Er irgendwo, so ist bei Reuter Liehe die Quelle des Humors. läßt seine Leute die putzigsten Dinge begehen, er weiß wie kaum ein zweiter, die naive Borniertheit darzustellen, wie sie sich so köstlich in jedem Zug von Entspekter Bräsigs breitem Gesicht ab¬ malt. Und Reuter lächelt ja auch recht herzlich zu den Streichen und Thorheiten seiner Geschöpfe: ^aber er macht sich kaum über eins, höchstens über die gespreizte Frau Groterjahn, lustig. Denn, wie erwähnt, je drolliger es eines seiner Kinder treibt, umsomehr liebt es Vater Fritz. Darum hat er auch keine Vorliebe für die Käuze Jean Pauls, für die Leibgeber-Schoppe, die so scharf, so

und kantig sind, daß sie den verwunden, der ihre rauhe Reuters Lieblinge sind fast alle Pracht¬ Schale abstreifen will. menschen; denn wo er nicht lieben kann, da haßt er. Gewiß sind auch die Pomuchelskopp und Slus'uhr mit Humor betrachtet; aber da ist nichts von Ironie, da ist helle, flammende Entrüstung. Dies sind nicht Käuze, es sind Tröpfe. eckig

Gern wenden wir uns von den „Humoristen" halbvergangener

v. Winterfeld mit ihrer harmlosen Schmutz¬ freude das menschliche Gehirn wohl nur im ersten und letzten Stadium seiner Entwicklung zu reizen vermögen. Aber wir freuen uns, daß der bedeutendste, zugleich freilich einzige, Schüler Jean

Zeit ab, die wie A.

ungebrochen in unsere Zeit hereinrngt: Wilhelm Raabe. Raabe hat das Heimliche, Unbeachtete, Verborgene künstlerisch mindestens eben so sehr in seiner Gewalt wie Jean Paul; er übertrifft ihn in der Gestaltung eines individuellen Milieus. Wohl liebt auch er es, durch Exkurse aller Art seine Subjektivität zum Ausdruck zu bringen, ja, ein und das anderemal tritt er wohl nach bewährtem Muster am Schluß des Romans persönlich aus; aber nirgends zerreißt er die Komposition. Raabe überragt Jean Paul noch in einem wesentlichen Punkte: die Mühseligen und Beladenen, die Zurückgesetzten und Verachteten, für die Jean Paul ja auch manches gute Wort gefunden hat, sind seine Lieblinge, und diesem großen Mitleid dankt er eine neue, prächtige Spezies von Charakteren. Die lichten Idealisten und die herben Käuze hat er von Jean Paul übernommen. Aber jene alten, stnrmgeprüften Männlein und Weiblein, denen unter der wetterbranneu, runzligen Haut und den abgeschabten Kleidern ein warmes, frohes, hilfsbereites Herz schlägt, sind sei» eigenes, schönes Eigen¬ tum. Er sucht nicht wie Jean Paul die höheren Kreise, »och die Auserwählten im Geiste, er freut sich auch des Sonnenstrahls, der in der Gosse glänzt, und ihm sind auch die Einfältigen selig, lind doch ist er ein Aristokrat im guten Sinn: seine Ohren sind pöbel¬ scheu, Neuerungen, die die große Menge bejubelt, weist er mi߬ trauisch ab. Aber es trug Raabe goldene Früchte, daß er sich ein — im wenig unter die Menschen wagte: fast unerschöpflich ist — einer und Typen, seiner Fülle die Paul Gegensatz zu Jean jeden Gestalt hängt (wie Paul Gerber in seiner lesenswerten Schrift über Raabe hübsch nachweist) etwas von ihrer Eigenart, ihrem Lebensberuf, ihrem Alter an. All diese Kinder umfaßt Raabe mit der gleichen Vaterliebe: nur die Selbstlinge, die Egoisten, die kalten Streber verfolgt er, darin Reuter verwandt mit heiligem Zorn. Mit Recht sagt Anna Beyer in einem Aufsatz, der sich mit Raabes Gestalten befaßt: „Raabe kennt im großen und ganzen nur zwei Arten von Menschen, nämlich solche, die ein Herz haben für alle lebendige Kreatur und solche, die nur sich allein in dieser Welt für wichtig halten. Die erste Art ist gut, möge sie auch ihr — und Leben nicht rein erhalten haben von Flecken; die zweite ist ihn an sie ekelt schlecht, absolut wäre sie wie das Genie selber, wie Molche und Ungeziefer." Und noch in einem schlägt der Jünger den Meister: Jean Paul fehlte der Sinn für Geschichte und Vergangenheit, Raabe lebt in deutscher Vorzeit und ist so zu¬ gleich einer unserer hervorragendsten historischen Romanziers Niemals fehlt es ihm an kräftigen nationalen Accenten.

Pauls

Ungerecht wäre es, Heinrich Seidel, wenngleich er nicht zu den eigentlichen Romanschreibern zählt, nicht in diesem Zusammen¬ hang zu nennen. Die köstlichen Sonderlinge, die ernst-drolligen behaglichen Käuze, die wir ihm in so reicher Fülle verdanken, nicht

minder die am Kleinen, Bescheidenen, Veralteten hängende Welt¬ anschauung hat er von Jean Paul geerbt; nur sind es, seiner Richtung entsprechend, nicht die Viktor und Albano, es sind die Wuz und Fixlein, an deren Tisch Seidel zu Gast gesessen. Und wenn ihn ein strenger Kritiker Monotonie der Fabel, Eintönigkeit der Technik zum Borwurf macht, so richtet sich dieser Vorwurf im Grund direkt gegen Jean Paul.

Es scheint, als sollte Jean Panls Samen auch unter den Modernen noch aufgehen. Otto Julius Bierbaum wirkt vor¬ läufig freilich mehr durch die behagliche Ungeniertheit, mit der er auch an den bedenklichsten Situationen und Zuständen des Menschen¬ lebens vorübergaukelt (hierin ist er O. E. Hartleben verwandt), als durch die intime Versenkung in das Seelenleben eines jener drollig-skurrilen Patrone Jean Panischen Ursprungs. Hier über¬ wuchert denn doch die Manier noch die wirklich künstlerischen Intentionen. Auch der „Höhlenmolch" Rudolf Huchs oder A. Schusters, wie er sich als Humorist nennt, stammt aus der Jean Panischen Urwelt. Aber- trotz all solcher hoffnungsreicher Ansätze ist es doch nur der alte Raabe, deu die Gegenwart und wohl auch eine recht lange Zukunft als den Meister deutschen

Humors zu verehren haben wird.

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528

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(Schlich.)

crtrud war leise weinend in einen Sessel gesunken. Frau von Sceseld starrte sprachlos, mit iveit offenen Augen, ans de» unheinilichen kleinen Mann; „ein Verrückter hat sich eingeschlichen," das war ihr erster Gedanke. Herr von Kclles aber schrie, braunrot vor Wut: „Der Teufel ist Ihr Hederich, Mann! Auf der Stelle

Visitenkarte Saschas entdeckt hatte — das Datum seines Und gerade diese Ziffer hatte eine jener Geburtstages! die Herr von Holm ihn« im Laden des getragen, Banknoten Juweliers zum Einwechseln gegeben hatte! Herr von Holm ivar allem Anschein nach ein gemeiner Verbrecher, ein ge¬ wöhnlicher Dieb . . . und Sascha — Sascha -— —

Eisenach und die Wartburg:

Dee Haiustcin.

(Pho'ographische Ausnahme des Herrn Geheimsekretärs

Sie das Zimmer oder ich rufe Kellner und Haus¬ herbei! Zum Donnerwetter, was wollen Sie eigentlich?!"

verlassen knecht

verhaften — nichts iveitcr. Nichts iveiter, August Hederich. Sie und die Anialie Bulke und die Lina Krause will ich verhaften. Wollen Sie bestreiten, daß Sie gestern einen Fünfhundertrubelschein bei dem Bankier Fäustle cingcivechsclt haben? Und Sie, Lina Krause, heute früh einen solchen bei deni Direktor dieses Hotels? Und wollen Sic weiter bestreiten, daß diese Banknoten aus den, großen Ein¬ bruch in München vom Dezember vorigen Jahres stammen? Dem Einbruch beim Bankhause Dillinger und Compagnie? Wir haben die Nummern der gestohlenen Noten notiert.

„Sic

das sind die Nummern, die Sie vor¬ schniuggeln versuchten; ich denke, der Publikum zu ins läufig Rest ivird sich auch noch finden. Und nun kein Wort weiter! In Ihrem eigenen Interesse rate ich Ihnen, nicht erst das ganze Hotel rebellisch zu machen!" . . 17 356 und 29 815,

Die Wirkung

war eine unbeschreibliche. mit leichteni Aufschrei in einen Sessel,

dieser Anklage

Frau von Sceseld sank dann folgte Herr von Kellcs. Er schrie nicht auf, nur leise. Nummer 17 356! Dieselbe Ziffer, die

er röchelte er auf der

Richard Köhler in Berlin.)

Mit aller Gewalt stemmte erhörte der Thatsachen.

sich

Kellcs gegen das Un¬

„Es ist unmöglich," stöhnte er, „unmöglich"Frau von Sceseld hatte ihre Ucbcrlegung wiedergefunden. Sie erhob

sich.

„Ich zögere nicht, Ihnen zuzugestehen, daß die Sachlage „Trotzdem gegen uns spricht," sagte sie zu dem Agenten. sind keine Verbrecher, mein werter Herr. Ich habe Papiere bei mir, die für unsere Respcktabilität bürgen. Zudem sind Sic, irre ich nicht, mit Herrn von Ebcrt sind Sie im

Irrtum.

Wir

bekannt" —

„Jawohl — das

ist

er!"

schrie

Kellcs.

„Ich

habe die

beiden zu öfterem miteinander gesehen!"

Herr Trictz lächelte ivicder. „Von diesem Herrn von Ebcrt," erividertc er, „habe soeben den telegraphischen Befehl, Sie drei festzunehmen."

„Uns

festzunehmen?!" riefen dies gemeinsam.

.

..

ich

Kelles und Frau von Seefeld

wenn Sie sich Baron Kelles und Frau und Fräulein von Secfeld nennen! Sic

„Ja — Sic! Denn Sie lügen,

529

haben sich im Besitze gestohlener Banknoten befanden — das Auch die Nanien der Diebe kennen mir; sic steht fest. heißen August Hederich, Amalie Bulke, Lina Krause und Iwan Teschkoff. Der Teschkoff fehlt uns noch, aber auch

den werden wir finden!" . . Kelles rang die Hände.

Er

Grimm.

„Lassen Sie uns

auf unsern Zimnicrn bewachen,

Und dann Mensch, wenn Sic uns für Verbrecher halten! auf der Ebert von Herrn telegraphieren Sie gefälligst Ihrem

Stelle zurück, ivie sich die Sache verhält. warten, was er Ihnen antworten wird!" .

sagte gar nichts mehr.

Herr Trietz

schien sich

Er

erschüttert zu fühlen.

Wir wollen .

ab¬

.

in seinem Sclbstbeivußtscin etwas lenkte ein.

verlassen das Haus nicht. werde ich mich Jnzivischen Ich habe Gendarmen unten. Also ich warne Sie, mit Herrn von Ebert verständigen. bleiben Sie auf dem Zimmer!"

„Gut also,"

sagte er.

Er ging, mit

einem

„Sie

letzten

prüfenden Blick auf

die

Gruppe.

V. Herr von Kelles war wieder still geworden. Nicht so Frau von Seefeld. Sie hatte ihren Mut und ihren Dialekt wiedergefunden. Mit verschränkten Armen blieb sie vor Kelles stehen und wiegte den Kopf hin und her.

„Das ist das Resultat," sagte sie. „Einer Vcrbrecherin Einer Person, haben Sic Hand und Herz schenken wollen! Lina Knulke heißt" — Kelles, „Bulke soll sie heißen" —

die Amalie Krause oder

„Bulke,"

ächzte

Nicht mir Namen, sondern mit That¬ Egon, wenn dös Ihre sachen haben mir zu rechnen. gute selige Mutter wissen thät! Ihr braver, verstorbener Vater, der den roten Adlerordcn zweiter Klasse hatte, — Ihr Großvater, der Senior des Eisernen Kreuzes war, ein Ehrenmann, der an den Befreiungskriegen ruhmreichen Anteil

„Es

ist

egal.

genommen! Egon — Egon!"

Kelles hob flehend die Hände empor. Eisenach: Die Wartburg. Richard Köhler in Berlin.)

(Photographische Aufnahme des Herrn Geheimsekretärs

Ahnung dämmerte nebelgrau in ihn: auf. diese Ahnung schmetterte ihn fast zu Boden. Frau von Seefeld warf ihm einen Blick zu, der zu be¬ sagen schien: „Wie tief, o Egon, sankest Du! und uns Pfui über Dich und Dein verwahrlostes zogst Du mit! Herz!" . . . Aber Frau von Seefeld hatte ivenigstcns noch Sie trat dem Polizeinicht ihre Gcistesgcgcnivart verloren. Eine Und

entsetzliche

agenten sehr energisch entgegen.

„Ich rate Ihnen gutwillig, sich nicht an uns zu ver¬ greifen, mein Herr; denn ich wiederhole Ihnen, Sie lassen sich

durch

Indizien

die

täuschen,

hinfällig sind.

Ich habe

Herrn von Holm, oder vielmehr seiner Tochter, ein paar Fünfhundertrubelscheine eingcivechselt." —

„Ich habe ihm auch ein paar Fünfhundcrtrubclschcinc eingewechselt," stöhnte Kelles. „Wer ist Herr von Holm?" fiel Trietz

barsch ein.

„Der

Kennen wir, meine liebe nicht wahr? kennen wir ganz genau! Lassen Sic alle Aus¬ flüchte und nehmen Sie Vernunft an! Sie folgen mir auf — alle drei! Das die Polizei und bleiben vorläufig in Hast

große Unbekannte,

Dame —

Weitere wird

sich

finden."

.

.

.

Das war ja Jetzt erbleichte auch Frau von Seefeld. — schrie Polizciagcnt! Gertrud ein entsetzlicher Mensch, dieser gellend auf, als Trietz ihren Arm berührte, um sie zum Auf¬ Und da empörte sich auch das verzweifelte stehn zu nötigen. Herz des Herrn von Kelles. iverdc unter keinen Umständen dulden, daß diese Damen in Haft gebracht werden!" schrie er, außer sich vor

„Ich

„Gnädige Frau, lassen Sie meine Familie in Ruhe liegen!" rief er. „Ich — nun also, ich war ein Esel! Ich gesteh' es zu. Ich habe mich fangen lassen. Ich habe thöricht gehandelt. Ich war" —

Nun legte Frau von Seefeld ihre Hand auf Kelles Schulter. brauchen es nicht zu wiederholen, Egon," sagte sic. „Esel ist ein starker Ausdruck. Ich würde sanfter gcivcsen sein. Aber dennoch, daß Sie in der Beurteilung Ihrer selbst keine Schonung kennen, söhnt mich wieder a bissel aus. Und

„Sic

nun geben Sie Trudel die Hand und sagen Sie auch ihr Und dann wollen wir uns unserm ein versöhnliches Wort. bitt', mehr als wie einstecken kann man Schicksal ergeben. uns doch net! Den Kopf wird's chnun ja nit kosten". . . .

I

Kelles schielte zu Gertrud hinüber. Sie lag noch immer im Fauteuil, hatte den Kopf in die Polster zurückgedrückt und schluchzte. Kelles erhob sich, ging zu ihr und berührte sie

sanft.

„Fräulein Gertrud — liebe Gertrud — Trudchen" — Die Mutter war an das Fenster getreten und lauschte Diese Abstufung in der Anrede, vom Förm¬ aufmerksam. lichen bis zur Zärtlichkeit, gefiel ihr gut. Nun war sie neu¬ gierig, ob Gertrud ihre Lehren beherzigen und zunächst ein wenig die Widerspenstige und Grollende spielen würde.

Sic Aber Gertrud fehlte das mütterliche Naturell. hefsiger. ivcinte noch und den Hals sprang auf, fiel Kelles um „Das Mädel ist zu ivcich," dachte Frau von Seefeld, „das hat sie vom Vater; der konnte keine Raupe zertreten." Aber Der Augenblick dann hatte cs Frau von Seefeld eilig. niußte ausgenutzt werden; sie hatte lange genug mit ihrem Segen gewartet.

So trat sie denn hinter das sich in den Armen liegende Paar und sagte: „Na, Gott sei Dank! Werdet glücklich, Kinder!" . . .

-Es

währte recht, recht lange, che Herr Trich und diese Wartezeit hatte trotz der Liebensivürdigkeit von Fräulein Gertrud und der sichtlichen Milde ihrer gestrengen Frau Mutter ctivas ausgesprochen Peinliches für Kelles. Weder Gertrud noch Frau von Seefeld erwähnten auch nur niit cineni Wort den Grund dieser nnfreiivilligen Klausur, der Name Holm kam nicht mehr über ihre Und gerade das war Herrn von Kelles so unan¬ Lippen. genehm; es wäre ihm lieber gewesen, seine künftige Schwieger¬ mutter hätte ihn noch einmal recht kräftig heruntergeputzt. Herr von Kelles schämte sich. Und ivenn Fräulein Gertrud ihr niedliches Köpfchen an seine gut gepolsterte Schulter legte, dann schämte Herr von Kelles sich noch mehr . . . zurückkehrte,

etwas vorgekommen! Behandelt uns als Verbrecher und meint dann in freundlichem Selbst¬ trost, geschadet hätte es uns ja nichts . . Kinder, nun hört; jetzt dinieren wir auf dem Zimmer und trinken eine Flasche

Ist mir

suchen kann!

sich

Und morgen früh reisen wir ab."

Champagner dazu.

Frau von Seeseld in Die ganze Geschichte gmg ihr doch gewaltig im Kopf herum. Daß auch sie sich von Sascha Holm so gründlich hatte täuschen lassen, ärgerte sie Kelles war grimmig. Bei Kelles war das etwas anderes. blind, wenn sein thörichtes Herz sprach. Aber sic, die kluge, kühle, verständige Seefeld — es war unglaublich! Das eine Diskret hatte

so

. .

.

währenddessen

die Fensternische zurückgezogen.

aufgeklärt und geordnet, Klatsch und Spott so ehe schleunigst abreisen, mußte man . recht Zeit hatten, in Fluß zu geraten „Da komnit er!" schrie Frau von Seefeld plötzlich. Gertrud und Kelles sprangen an das Fenster... Ja, da kam er! Herr Trictz raste förmlich querüber die Promenade, den grauen Cylindcrhut tief im Nacken, mit cchauffertem Gesicht, Fünf Minuten später die kurzen Beine gewaltig werfend. stand er im Zimmer. „Ich muß um Verzeihung bitten," keuchte er; „cs war ivirklich ein Jrrtuni! Aber den Herrschaften hat er ja nichts Wissen Die Gendarmen sind auch schon fort! geschadet!' Sie vielleicht, wohin dieser Herr von Holm mit seiner stand

fest,

sobald

die

Sachlage

.

.

Tochter gereist ist?" „Nach Ostende," antwortete Frau von Seeseld.

Eisenach und

dir warlburg: Aller Hos der wariburg.

(Phoiogwphifchc Ausnahme des Herrn Geheiiusekretärs

Richard Köhler in Berlin.)

Am Abend kam auch noch ein Eilbrief von Herrn von Ebert aus München. „Laden Sie nicht alle Schuld an dem Mißverständnis auf meine Schultern ab, teuere gnädige Frau," schrieb er. „Trietz ist Polizcianivärter und sollte sich die Sporen verdienen. Aber er hat sich statt dessen so grautiermäßig benommen, daß ich leider gezwungen bin, ihn zu ersuchen, sich nach einem anderen Beruf umzusehen, der weniger Scharfsinn Und was nun Herrn und erfordert als der kriminalistische.

Fräulein von Holm betrifft, so denke ich, Sie können den Göttern danken, daß sic die Bekanntschaft dieses Paares mit — einigen tausend Mark ausgeglichen haben. Nicht ivahr?"

Frau von Seefeld, nachdem sie Kelles und ihrer Tochter diesen Brief vorgelesen hatte, „wir können Auch noch in anderer Be¬ immerhin Gott dankbar sein. wünsche ich eigentlich, deshalb Und ziehung als Ebert meint.

„Ja,"

sagte

daß die Sascha glücklich und kommen möge."

ungefährdet nach Ostende ent¬

Kelles fuhr aus tiefem Sinnen empor.

— so hat sie ge¬ „Nach Ostende," meinte er, „nun ja sagt! Aber gerade deshalb glaube ich, daß sie nach Paris oder London oder Konstantinopcl oder sonst wo anders hin, aber nicht nach Ostende geflüchtet sein

*

Lisrnach und dir warlbnrg: LingLng zur Wartburg. Richard Köhler in Berlin.)

„Nach Ostende — aha — so so! Besten Dank! Empfehl' mich gehorsamst!" Und Herr Trietz raste davon. Die Zurückgebliebenen schauten sich an. „Nun ftage ich jeden Menschen," sagte Frau von Seefeld, „ob dieser merkwürdige Polizeiagent nicht seinesgleichen

. . .

*

in der That. Die Holms wurden nicht er¬ Jahre später tauchte ihr Name ivieder in drei mittelt. Erst Kelles und Gertrud waren längst ein den Zeitungen auf. Paar geivorden und zivar ein zufriedenes und glückliches. Einen dicken Jungen hatten sie auch schon, der in seinem in Aeußeren nach dem Vater und inbezug auf die anhaltendem Heulen sich kundgebende Weichheit des Gemüts An einem Sommcrmorgen beim nach der Mutter artete.

So war

iPhotographischc Aufnahme des Herrn Geheimsekrclärs

■x

wird."

es

Frühstück schob Frau von Kelles ihrem Gatten die Zeitung zu und deutete auf eine Stelle, die unter der Spitzmarke „Petersburg" folgenden Bericht brachte: „Den Behörden ist es endlich gelungen, einer gefähr¬ lichen Diebsgesellschaft Herr zu werden, die seit einigen

531

Jahren Rußland und Deutschland und auch die Balkan¬ staaten unsicher gemacht hat. Es handelt sich um vier, allsaint aus den Ostsccprovinzen staniiiicndc Personen mit Namen August Hederich, Ivan Teschkosf, Lina Krause und Amalie Die Streiche, die dieses vierblättrige Kleeblatt im Bulke. Laufe der letzten zehn Jahre verübt hat, würde einem Goboriau interessanten Stofs zu eineni Kriminalroman gegeben Die Bulke war die Tochter erster Ehe der Lina haben.

halten pflegte und nur die „Ausbaldowerung" der Geschäfte besorgte, spielte der Vierte im Bunde, der junge Teschkosf, ein Bursche von eigentümlich melancholischer Schönheit und gewaltiger Körperkraft, die Rolle des Kämpfers in allen jenen Fällen, in denen die Diebe bei ihrer Arbeit überrascht wurden. Er ivar ein vorzüglicher Boxer und nahm es nüt einer ganzen Anzahl von Polizisten aus, wenn es galt, seinen Der letzte große Koup Gefährten zur Flucht zu verhelfen. jener Bande war ein Einbruch bei einem Münchener Banquier

vor etwa vier Jahren geivesen. Dann hatten sich Hederich, Teschkosf und Bulke als Herr und Fräulein von Holm und deren Diener einige Zeit in Kissingen aufgehalten, daselbst einen Teil der gestohlenen Banknoten umgesetzt und auch bei einem Juivclicr verschiedene Betrügereien verübt und waren schließlich nach London geflüchtet, wo sie mit der Lina Krause wieder zusammentrafen. Von London ging es nach Bukarest, Sofia, Rom, Wien, Warschau und Petersburg, und überall hinterließen sie Spuren ihrer Thätigkeit. Nun sind sie endlich bei Gelegenheit eines großen Betrugs, den die Bulke gegen den Fürsten I., Gcneraladjutanteu des Zars, in Szene zu Merksetzen versuchte, gefaßt und dingfest gemacht worden. Kreisen würdigeriveise bringt man gerade der Bulkc in den der Petersburger Lebcwelt viel Sympathien entgegen; man sagt, sie sei ein merkwürdig anziehendes Geschöpf von eigen¬ artigem Liebreiz und bedauert, Grunde gehen muß." . . . Eisriisclj und die Wartburg: Johannisthal. Richard Köhler in Berlin.)

daß

sie

so

schmählich

zu

Herr von Kellcs legte die Zeitung fort, trank seine Tasse nickte. und leer

(Photographische Aufnahme des Herrn Geheimsekretärs

Krause, ein bildhübsches Mädchen, das im Hause eines esthländischen Edelmannes, eines Barons Holm, aufgewachsen und erzogen worden ivar und sich als Spielgefährtin der

jungen Baronesse von Holm einen Firniß von Bildung an¬ geeignet hatte, den sie in ihrem späteren verbrecherischen Wie es scheint, hat Leben geschickt zu vcrivertcn verstand. ihre Mutter selbst sie auf die abschüssige Bahn geleitet. Diese Frau ivar die Tochter eines kleinen Kaufmanns aus Reval, wurde später Schauspielerin und fiel dann in die Hände eines gewissenlosen Hochstaplers, des oben genannten Hederich, eines ehemaligen Kellners, der mit erstaunlicher Geivandtheit als aristokratischer Lebemann vorn reinsten Blute aufzutreten wußte. Während die Krause sich bei den Operationen der verbrecherischen Gesellschaft gewöhnlich ini Hintergründe zu

„sic hatte so etwas — so et¬ Sie konnte einem schon den Kopf verdrehen, was . . . von Holm . . . Aber daß sie eigentlich Amalie Sascha diese mir das Schmerzlichste gewesen. Heut kann ist Bulkc hieß, Ich finde diesen ich ja ruhig darüber sprechen, Trude.

„Ja,"

sagte er langsam,

Namen zu ordinär."

Frau Gertrud

zuckte

mit den Achseln und lachte.

„Naine ist Schall und Rauch, lieber Egon. Ich hätte — ich bin der Person ein besseres Ende gewünscht. Nun ja ihr sozusagen dankbar. Sie war's, die die Entscheidung herbei¬ geführt hat. Ohne sie hättest Du Dich vielleicht noch länger Also Du und ich — wir können ihr schon ver¬ besonnen. geben!" —

Ende.

532

Märkischer Wein. des neuen Schlosses, das Kurfürst Joachim II. in Cölln an der Spree und Berlin an Stelle der Burg er¬ richten ließ, waren drei Tafeln in Hufeisenform aufgestellt. Durch das ganze Gebäude dehnte der Saal sich aus. Bilder des Meisters Cranach schmückten ihn, während die Galerie, die sich vor dem Saal innerhalb des Hofes befand, Büsten deutscher Fürsten ent¬ hielt, die „mit täuschender Aehnlichkeit nach dem Leben bemalet" waren. Rur an der inneren Seite reihten sich die Edelleute um die Tafeln. Ein wenig erhöht, auf einer Estrade in Form eines erlegten Löwen, hatte der Kurfürst seinen Platz. Zwischen den Taseln war der Boden mit grünem Rasen bedeckt. Eine Brücke spannte sich über ihn aus, und ein Wagen, mit Fässern beladen und von Küfern begleitet, kam auf der Brücke daher. Die Fässer wurden vor die Schenktische gerollt, und durch Schläuche floß ungarischer, fränkischer, rheinischer und märkischer Wein in Humpen

Mm Prunksaal

und Krüge.

Bei den Klängen der Musik kamen Mädchen über die Briicke. Bekränzt, mit Bändern geschmückt und den Handspiegel als Zierrat zur Seite, brachten sie die Speisen, die Diener bis zu den Fürschneidern an den sechs Enden der Tafel trugen. Ein kaltes Essen ging voran: Westfälischer Schinken, gebratener Schwan in vollem Federschmuck, Ochsenkopf mit vergoldeten Hörnern, Wildschweins¬ kopf, geräucherte Zunge und Kapaun. Dampfende Suppe machte den llebergang zu den warmen Speisen, über jedem Suppeirteller lag ein hölzerner Span, an dem ein gebratener Bogel „zum Abznusen" war. Dann folgte Rindfleisch mit Meerrettich und Kalbsgekrösc, Spansau, Hirschziemer, Lungen- und Lampretenbraten. Pasteten wurden gereicht, aus denen sich jeder ein gesottenes Fcldhnhn nahm. Es kam auch noch Wildpret in Pfeffer gedünstet, gebratene Gans mit Aepfeln und Quitten gefüllt und Rehkeule, die Jäger an langen Spießen brachten. Ein Spielmann sang zur Fiedel, ein Singemeister zur Mandoline. Auch dessen Schüler, ein blau und weiß gekleideter Jüngling, durfte vor den Fürsten und seinen Gästen erscheinen. Schnallen blitzten auf seinen Schuhen, ein breiter Ringkragen bedeckte das Wams, ein Mantel wallte ihm um die Schultern, und weiße Federn schwankten an seinem spitzen Hut. Er sang vom Schelmen Leander, der ein Schneiderlein narrte und um die Liebste betrog. Dann folgte ein Wcinlied: will Euch dessen bringen und fröhlich, „Mein lieber Herr, ich'auf, ihr Herr'», heran und dran! Das fröhlich singen: Frisch Füßchen hat kei'n Panzer an." So ging das Mahl zu Ende, und der „Mischtrank" wurde gereicht. Für die Männer wurde ein märkischer Wein mit starken Gewürzen, Muskatnuß, Nelken, Ingwer, oft auch mit Bier ge¬ mischt, während die Frauen ihn mit Honig, Zucker, zuweilen auch mit Rosenblättern mischten. Dann ward er Laubcr- oder Lauter¬ trank genannt. Diese Mischung war schon zur Zeit Friedrichs I. von Hohenzollern bekannt. Seine Gemahlin sandte Kranken einen Krug „halb Wein halb Braunbier", das die Frauen nicht nur aus Malz und Hopfen, sondern auch aus Weizen und Hafer brauten. Ein gutes Bier zu bereiten, war eine besondere Frauentugend, „wofür ihnen .viel Lob und Dank, Ehre und Ruhm gebührte." Joachim II. hatte die erlesensten Weine in seinen Kellern: Malvasier von Rapoli de Malvasia in Morea, Muskateller aus Griechenland und Spanien, Reinfau oder Reynfal, der zu Prosecco bei Triest gebaut wurde, und Passuner aus Bassano in Benetien. Ungar- oder Rheinivcin pflegte er mit seinen Gästen

täglich zu trinken, während er sich des märkischen Weines meist nur zum Mischtrank bediente. Der Adel folgte diesem Beispiel, aber die Bürger tranken den einheimischen Rebensaft, wie die Kärrner ihn in die Städte brachten. In fast jedem märkischen Bürger- und Banernhanse lag neben der Biertonne ein Füßchen Wein. An einer Wein¬ steuer, die höher als die Bierzinse war, fehlte es nicht, und wer sich ein Ohm oder ein Fuder kommen ließ, mußte eine hohe Ab¬ gabe entrichten. Selbst ärmere Leute tranken damals ihr Kännchen Wein. Sie holten ihn vom Auszapfer, wie man den Schankwirt damals nannte, bei dem sich gewöhnlich auch die Jnnungsstube befand. Dann war neben dem Jnnungswappcn über der Haus¬ thür noch eine Traube gemalt. Die Schmiede, die nach dem Sagenhelden ihres Handwerks, dem Witige, dem Sohne Wilands des Schmieden, Hammer und Amboß im Schilde führten, ließen Unter statt der Traube einen Rebenkranz um dasselbe befestigen. dem Wappen der Weißbäcker, das aus einer von zwei schreitenden Löwen bekrönten Brezel bestand, war zum Zeichen des Wein¬ schanks ein blaugrüner Stern angebracht. Die Vornehmen kamen schon am Morgen in die Geschlechterstubcn, um märkischen Wein init starken Gewürzen gemischt zu trinken. Die Handwerker suchten die Zechstnben ihrer Innung erst am Abend auf. Dort ward nur ganz junger Wein, einjähriger, sogenannter Firnewein, ohne Mischung geschänkt. Zur Zeit der Weinlese ward ein Ausflug zu einem Weinbauer in Vorschlag gebracht.

in der Mark! In den ersten Septcmbertagen zog damals die ganze Dorfbevölkerung in die Berge. Ein Spielmann ging den Schnittern, Winzern und Winzerinncn mit Bütten auf dem Rücken voran; das Singen und Lachen schallte im Echo thalanf, thalab. Aeltcre Leute folgten mit Körben, in denen Brot, Eier, Käse und Kräpfel lugen. War die letzte Traube von der Rebe gelöst, so bewegte sich der Zug, dem jetzt ein Knabe mit einem Rebeukranze voranschritt, während die mit Bütten be¬ ladenen Karren ihn beschlossen, wieder ins Thal hinab. Dort fanden sich die inzwischen erschienenen Städter zum Tanze unter der noch grünen Linde ein. Mit Hellebarden und Spitzen bewaff¬ Weinlese

schon

umstanden dieselbe. Die Burschen steckten WeidenMützen, die Mädchen Weinblätter an die Schultern, die blättcr an und wenn der Tanz zu Ende war, trat die Jugend zum Ringel¬ reihen an, nachdem sich die Aelteren in den Krug und die Spinnnete Knechte

stnbe begeben hatten.

Die Begründung des Weinbaues in der Mark verliert sich im Dunkel der Zeiten. Man glaubt, daß Albrecht der Bär zuerst Cetzreben durch Rheinländer nach Brandenburg kommen ließ; sicher ist, daß die Dominikaner schon 1187, zur Zeit Ottos II., WeinAuch um Stendal, gelände am Berliner Krenzberg hatten. Rathenow, Oderberg, Guben und andere Orte wurden damals Weinberge angelegt; einige Familien änderten ihre Namen in Weingärtner öder Weinlöben um. Die Ausfuhr des märkischen Er wurde zu Weines nahm immer größere Ausdehnung an. einem der wichtigsten Handelsartikel, den man zu Wagen und Schiff nach Preußen, Böhmen, Polen, Rußland, Norwegen und sogar »ach Frankreich „zu Weiiifülschnngen" versandte. Friedrich I. von Hohenzollern legte die Pflanzungen bei Treuenbrietzcn an. Joachim I. ließ im nächsten Umkreise von Cölln-Berlin sechsundncnnzig Weinberge zählen; ihr Ertrag war so ergiebig, daß man aus einem einzigen Berge hnndertfünfzig Tonnen gewann. Später wurden besondere Weinmeisterordnungen ausgestellt, der Landesherr hielt sich einen Weinheckermeister, und der aus Brandenburg an der Havel gebürtige Dichter Georg Sabinus pries das Gewächs seiner Vaterstadt in den hellsten Farben. Er nannte den märkischen Wein Freudenwecker und hob seinen besonderen Wohlgeschmack hervor. Zwar meint Nordhoff in seiner Schrift über den Weinbau in Norddeutschland, daß der Dichter sehr ins Schöne gemalt; dennoch, fügt er hinzu, dürfte unsere an mundgerechte Stoffe gewöhnte Zunge über die alten Landweine nicht richten. Es sei klar, daß sie den südlicheren, zumal in kälteren Lagen und Jahren, an Güte nach¬ gestanden hätten. Wo die Arbeit billiger war, mochten manche Pflanzungen als Liebhaberei der Fürsten angelegt sein und erhalten werden, gleichviel, ob sie ein gutes oder schlechtes Gewächs brachten. An Sorten ward Rotwein verschiedener Art und weißer, dieser vorherrschend, gewonnen. In gutem Thon- und Lehmboden gedieh er an Stöcken und. Spalieren, in denen es Lauben und Kosewinkel gab. Auf weniger fruchtbarem Boden empfahl sich der Zwergbau, der geringere Nahrung und Wärme brauchte. Bei diesem genügte es, wenn die Rebe nur einen Fuß über der Erde lag, „so daß die Trauben niedrig um den Stock herum in den vom Grunde zurück¬ kehrenden Sonnenstrahlen hangen". Weinpressen waren zur Zeit Joachims II. noch unbekannt, und um den Saft zu gewinnen, wandte man unter die Füße gebundene, eiserne Platten an, mit denen die Trauben zertreten wurden. Das völlige Zerquetschen So geschah durch Bretter, die mit Steinen belastet waren. wurde ein reiner Wein gewonnen, doch das Mischen mit Bier und allerlei Gewürzen, sowie das Verschneiden war schon im Mittelaller hinreichend bekannt. Zwar sollten die von den Branden¬ burger Kurfürsten erlassenen Landesgesetze das Verschneiden und jegliche Fabrikation verhüten, auch bedrohten Vereinbarungen unter den Nachbarländern und Städten die Weinfälscher mit den härtesten Strafen. Doch blieben solche Bestimmungen selbstverständlich ohne

Erfolg. Näher gelegene Absatzgebiete für märkischen Wein waren in Mecklenburg, Lausitz, Thüringen und Hessen, obgleich sich der Die eigene Weinbau in diesen Ländern bis Memel erstreckte.

mecklenburger und hessischen Fürsten waren dem „Berliner" Rebensaft, wie sie bei ihren Herbsteinkäufen der märkischen Weine Diese aus den Nachbar¬ melden ließen, besonders gewogen. ländern gekommenen Aufträge sind vermutlich mit barem Gelde beglichen worden, während der aus der Mark über Stettin oder Lübeck nach Preußen, Böhmen, Rußland, Norwegen und Frank¬ reich versandte Wein vielfach dem Tauschhandel unterworfen war. 'die Fässer nach den Hafenstädten gelangten, mußlcn Bevor Zollstätten halten. Zwischen Hamburg zahlreichen die Wagen vor Schlug ein und Magdeburg war siebzehnmal Zoll zu entrichten. Wagen um, so daß die Fässer zur Erde rollten, so trat Grnndruhr ein: nämlich das Recht für die Territorialbcsitzer, das auf dem Boden Liegende als ihr Eigentum zu betrachten. Je nach der Größe der Ladung ward sie in Schuten, Koggen den entfernter und Frachtschiffen über die See gebracht. gelegenen Ländern scheint sich der Warentausch lebhaft entwickelt Aus Preußen kehrten die Ileberbringer des Weines zu haben. vielleicht zur Hälfte mit Geld, sonst aber mit dafür erhaltenen

In

533

Talg, Pfeffer, Safran, Salz, Kerzen und Rußland bezahlte man den Wein vielfach mit „rußke Felle" und „Ledderwerk", mit Juchtenledcr und feinerem Pelzwerk, in Norwegen mit Thran und Seehnndspeck. Frankreich beglich die Forderung der Märker für ihren Wein häufig mit Silberschmnck, Riemen oder Gürtelwerk mit Silber beschlagen, silbernen Knöpfen für Wämser und Kamisolc, sowie in der mittel¬ alterlichen Zeit mit Kirchengerät, Kelchen, Patenen und Altar¬ decken. Ob die heimgekehrten Fuhrleute für den Absatz dieser Waren Zwischenhändler fanden? Oder ob sie dieselben den bis¬ herigen Eigentümern direkt überbrachten? Wie der Handel zum

Nikolaus Lenau.

Ware», Bernstein,

Butter zurück.

In

Uebrigens werden die Abschluß gelangte, ist nicht ersichtlich. aus der Ferne Zurückgekehrten den heimischen Boden mit dem Gefühl großer Erleichterung betreten haben. Welchen Gefahren waren sie während des Weintransports ausgesetzt! Sie konnten von Glück sagen, wenn ihnen auf der Reise kein Unfall Nur größere Scharen gewährten eine gewisse begegnet war. Sicherheit. Die einzelnen Reisenden kamen selten ohne Raubanfall fort. Piratenschiffe durchstreiften die See, und der zunial an den pommerschen Küstenstrichen immer mehr verwilderte und verarmte Landadel sah den Straßenraub als einen erlaubten Akt der Selbst¬ hilfe an. Um 1515 war die Räuberbande der Lodes in Hinterpommern besonders gefürchtet. Die den Kaufleuten geraubten Tuch¬ ballen maß sie sich mit den Knebelspießen statt mit Ellen zu, und wenn sie einen Wagen mit Wein erbeutet hatte, so mußten die Fuhrleute die Fässer in ihr Räuberlager an der Grabow bringen.

Ein Grdenkblatt zum fünfzigjährigen Todestage. or fünfzig Jahren, in den letzten Tagen des August, bestattete man dem Friedhofe zu Weidling bei Wien einen unglücklichen Menschen zur ewigen Rübe: Nikolaus Lenau, den Sänger schwer¬ mütiger Lieder, den genialen Dichter des „Savonarola" und des „Faust". Drei Jahre vorher hatte man ihn wegen unheilbarer Geistes¬ krankheit in die Irrenanstalt zu Obcrdöbling bringen müssen, wo er langsam dahinsiechte, bis ihn der Tod am 22. August 185V vo» seinen

S auf

Leiden erlöste. Ein reiches Geistesleben war mit dem unglückliche» Dichter dahingeschieden, ein Geistesleben, das die herrlichsten, tief¬ empfundenen Werke geschaffen hatte, das aber beständig an völliger Haltlosigkeit gekrankt hatte und von tiefer Schwermut erfüllt war. So lange Lenau kein großes Ziel vor Augen hatte und »nr seinem Talent lebte, so lange er sogar seine Schwermut als Quelle seiner dichterischen Schöpfungen bcnupcn kvnnte, vermochte sein Geistesleben ungestört dahinzufließen, als er sich aber auf seine Bestimmung als Mensch besann, als er den Entschluß faßte, ei» Lebcnsglück zu begründen, da wurde er sich seiner Schwäche und Haltlosigkeit bewußt, er sah ein, daß ihm die Spannkraft fehlte und verzweifelte an dem Gelingen seines geplanten Unternehmens. Tiefe Schwermut bemächtigte sich seines ohne¬ hin schon zerrütteten Geistes und unheilbarer Wahnsinn umnachtete

bald seine Sinne.

Ueber die Ursachen, auf die Lenaus Geisteskrankheit zurück¬ zuführen ist, ist viel geschrieben worden. Man hat auf das aus-

Während der Herrschaft der beiden Joachims scheint der märkische Weinbau am ergiebigsten gewesen zu sein. Daß auch Kurfürst Johann Georg Wert auf das einheimische Gewächs legte, geht aus seiner Bestimmung kurz vor der Hochzeit seiner Tochter hervor. Er ließ seinem Schwiegersohn etliche Fässer „selbst¬ gekelterten Weines" senden und versprach ihm, diese Gabe in jedem zukünftigen Weinmond zu wiederholen. Doch bald, noch zur Zeit Joachim Friedrichs gegen Anfang des siebzehnten Jahrhunderts, ward der Weinstock allmählich aus dem Norden auf ein südlicheres der Mark sing die Rebe an zu verdorren Gebiet verdrängt. und sank im Lause der Zeiten zu einer Schlingpflanze der Häuser herab. Was die alte wirtschaftliche Blüte untergrub? Die ihm zusagende Bodennahrung hatte der Weinstock schwerlich verzehrt) diese hätte sich durch neue Zufuhr ersetzen lassen.

In

Wie uns Nordhoff belehrt, hat das inzwischen rauher ge¬ wordene Klima der nordischen Rebe die frühesten und größten Gefahren gebracht. Noch schädlicher wirkte später der Wandel der Kulturverhältnisse ein. Der Rebenbau, der an den Klöstern so festen Halt gefunden, mußte ersterben, als die Mönche die Hände immer mehr in den Schoß legten) überdies gingen zahlreiche Klöster mit der Reformation im Osten und Norden ein. Die Bildung war Die Lehren der eine andere geworden, die Sitte förmlicher. klassischen Schriftsteller und ein regerer Verkehr mit dem Auslande hatten den Kreis der alten Ideen gestört und umgestaltet. Der Geschmack verfeinerte sich, und ihm konnten Säuerlinge und Mischtrunke nicht mehr so zusagen wie ein funkelnder Rheinwein im hellen Glase. Das Auge wollte auch etwas haben. Auch rief der befestigte Landfriede sicherere Verkehrsbeziehungen zum In- und Auslande hervor. Vom Rhein und der Mosel, aus Oesterreich und Frankreich wurden bessere Sorten eingeführt. Diese verdrängten den Landwein von den Tafeln der Vornehmen, und auch die arbeitende Klasse verlangte andere Genüsse, die sie hauptsächlich im Bier, Branntwein und später im Kaffee fand.

Mit dem rauher gewordenen Klima wurden die durch den Weinbau bisher erzielten Erträge geringer. Die Grundbesitzer sahen ein, daß der weniger davon berührte Ackerbau größeren Gewinn brachte und verlegten sich emsiger auf Obst-, Gemüse- und Getreidebau. Wie in Hessen und Sachsen mußten auch in der

den Ackerfeldern weichen; die einst so sorgsam gepflegten Weingärten wurden allmählich mit Buchweizen und Doch erst der Roggen besät, andere zu Viehtriften gemacht. dreißigjährige Krieg versetzte dem märkische» Weinbau den Todes¬ stoß. Das ergreifendste Bild von der Zerstörungswut der kaiser¬ lichen und schwedischen Heerhaufeu in dieser Beziehung ist Friedrich von Raumer zu danken. Nordhoff bemerkt nur, daß damals der Brandenburger Weinbau bis auf geringe Reste an der Havel voll¬ ständig schwand) die wenigen überhaupt noch vorhandenen Wein¬ berge wurden den Bürgern genommen.

Mark die Weinberge

Schmiegsam hat sich die Rebe einst dem nördlichen Klima gefügt. Allmählich rauher geworden, versetzte dieses, sowie Fehden und Kriege dem dortigen Weinbau die tödlichsten Schläge) die alte Weinzone des Nordens liegt seitdem fast völlig brach. Zwar erstand der Rebe in Friedrich dem Großen, der auserlesene Wein¬ stöcke zum Anpflanzen verschenkte, wieder ein Schützer und Pfleger, doch war sein Bemühen, sie in der Mark zu neuem Dasein zu er¬ wecken, von keinem nachhaltigen Erfolg. Der märkische Weinbau K. N. St. lebt schwerlich je wieder auf.

Nikolaus Lenau. schweifende Leben seines Vaters und das traurige Geschick seiner Mutter hingeiviese», inan hat den Grund des Wahnsinns in den mnniiigsachen Liebesneignnge» des Dichters, besonders in der unseligen Neigung zu Bertha und in der Leidenschaft für Sophie Löwenthal, zu finden gesucht; aber man hat einen Punkt wenig beachtet, die Haltlosigkeit seines Charakters und den Mangel an . sittlicher Kraft, die sein ganzes Leben und Wirken durchziehen. Das beständige Hinundherschwanken zwischen dieser und jener Beschäftigung, der gänzliche Mangel eines großen Ziels, für das er streben nnd schaffen konnte, sein unstetes und überstürztes Handel» und das plötzliche Aufgeben eines Entschlusses, sobald er einen solche» gefaßt hatte, mußte» verderblich auf seinen er¬ regten Geisteszustand wirken und allmählich die Katastrophe, der er erlag,

herbeiführen. Selbstverständlich ist dieser Mangel an sittlicher Kraft nicht als alleinige Ursache seiner Gcistesumnachtung anzusehen, auch die andere» erwähnten Umstände müffcn zur Erklärung'dersclben herangezogen werden; besonders verdient die pathologische Seite seines Zustandes eingehende Berücksichtigung. Lenau, welcher am 13. August 1802 zu Csatod, un¬ weit Temesvar in Ungarn, geboren wurde, ivar der Sohn des könig¬ lichen Kanieralbeaniten Franz Nicmbsch, Edler von Strehlcnan, und stammte aus einem alte» Adclsgeschlecht, das schon im 16. Jahr¬ hundert in Strehlen in Schlesien rühmlich erwähnt wird. Wie die meisten seiner Vorfahren war auch Lenaus Vater Offizier gewesen und hatte sich bereits in jungen Jahren durch Leichtsinn nnd große Berschivendungssucht nicht gerade zu seinen, Vorteil ausgezeichnet. Schon als Kadett hatte er ein Verhältnis mit Therese Maigraber, der Tochter des verstorbenen Oberstskals von Pest, angeknüpft, nnd dieses

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Verhältnis war, wie bei dem leichtsinnigen Charakter des angehenden Offiziers i»id dem feurigen Tempcraittcnt des Mädchens kaum anders zu erwarten war, nicht ohne Folge geblieben. Durch die Vermählung mit Therese suchte der junge Offizier seinen Fehltritt wieder gutzumachen. Anfangs schien cs, als ob die Liebe der Gattin ihn von seinem aus¬ schweifenden Leben, besonders von seiner Spielwut, zurückhielte; aber sobald der erste Ltebesrausch verflogen war, gewann seine Leidenschaft für Schwelgerei und Hazardspiel wieder die Oberhand, das tolle Leben begann von neuem. Franz Niembsch hatte kurz vor der Hochzeit seinen Abschied vom Militär genommen und war 1799 als Beamter bei der königlichen Kameralherrschaft angestellt worden. In dieser Eigenschaft ivar er zwei Jahre später in Csatod beschäftigt und suchte von hier aus oft das benachbarte Temesvar auf, um seinem Hange zum Glücksspiel zu fröhnen. Da das Diensteinkommen nur gering war, mutzte bei der zügellosen Lebensweise des Gatten die Mitgift der Ehefrau bald auf¬ gezehrt sein, und Nicnibsch sah sich genötigt, Schulden zu machen, um seine Spielverlustc zu decken. Hierdurch brachte er seine Familie oftmals in die bitterste Not, und es war kein Wunder, daß die Gattin über das wüste Treiben ihres Mannes in düstere Schwermut verfiel. Häufig mutzte sie ihn aus Temesvar zurückholen, und bei einer solchen Ge¬ legenheit, als Niembsch wieder mehrere Tage vom Hause fort war, konnte sie flch durch Augenschein überzeugen, daß seine Ansichten von ehelicher Treue etwas sehr bedenklicher Natur ivarcn. Dieser Auftritt mit seinen unausbleiblichen Erörterungen und Aufregungen fand gerade zn jener Zeit statt, als Therese sich von neuem Mutter fühlte: einige Monate später wurde Nikolaus Lenau geboren. Aus diesen kurzen Angaben über die Eltern des Dichters wird es schon allein klar sein, daß das Erzeugnis dieser Ehe in hohem Grade erblich belastet sein mußte. Der Vater ein Wüstling schlimmster Sorte, der außerdem mit Luös behaftet gewesen sein soll, die Mutter eine schwermütige, vergrämte Frau, die während der Schwangerschaft die schwersten Aufregungen durchmachen mußte, kein Wunder, daß Lenau de» Kein, zu schwermütigem Dahinbrüten, dem Vorboten geistiger Um¬ nachtung, schon bei der Geburt als Erbteil der Eltern in sich trug. Eine vernunftgemäße, abhärtende und gcsundheitfördernde Er¬ ziehung hätte hier gedeihlich eingreifen müssen; aber leider wurde Lenau von seiner Mutter verzogen und verweichlicht und wuchs zu einem eigenwilligen, schwächlichen Knaben heran. Hierzu kam, daß Niki, wie er genannt wurde, oft Zeuge der unerquicklichen Auftritte zwischen den Eltern war, daß er Kunde von dem wüsten Leben des Vaters erhielt und teilnahm an dem Betrübnis und der Schwermut seiner geliebten Mutter. Solche Eindrücke in jungen Jahren find entscheidend für die Charakterbildung des Kindes und auch bei Lenau sind ste nicht ohne Nachteil vorübergegangen. Aus seinen Dichtungen und aus seinen Briefen können wir es ersehen, daß er diese trüben Eindrücke seiner Jugend nie hat verwischen können. Er wurde früh ein tiefernster Mensch, dem es als eine Untreue gegen fick, und andere erschien, eine schmerzliche Erinnerung auch nur vorübergehend zu vergessen, er mußte ihr längere Zeit nachhängen, sie ganz durchkosten und „sich rückhaltlos in den Schmerz hineinbohren." Lenau war nicht so glücklich veranlagt,

wie Goethe und ande c Dichter, die ihren Schmerz in Gedichten aus¬ hauchte» nnd sich so von quälenden Erinnerungen befreiten, er saß in tiefsinnige Grübelei versunken und lauschte den Stimmen seines Innern, die ihm die trübseligsten Bilder ausmalten, die schwermütigsten Ge¬ danken zuflüsterten. Eine tüchtige Erziehung hätte manches zum Vorteil Lenaus ändern können, und die Mutter mußte wohl eine ähnliche Empfindung haben, als ste nach dem Tode des Vaters, und nachdem fic durch ein kleines Erbteil von seiten ihrer Mutter in eine bessere Lage versetzt war, deni Knaben einen Lehrmeister hielt. Aber verkehrt wie ihre bisherige Er¬ ziehung war auch die Wahl dieses Lehrers. Anstatt einen liebevollen, nachgiebigen, aber strengen Pädagogen zu wählen, übergab sie ihren Sohn einem pedantischen Pfarrschullehrer, dessen einseitiger Unterricht und dessen Härte den Knaben abstieß. Er lernte infolgedessen nur wenig und schweifte mehr in Feld und Wald herum, wo er eifrig dem Vogelfang oblag. Diese übertriebene Neigung Lenaus, den Vögeln nachzustellen, — ein Hang, der von vielen Psychiatern als charakteristisches Zeichen degenerierter Naturen angesehen wird — ist gleichfalls bezeichnend für seinen eigenartigen Charakter, und diese Neigung machte sich schon in den Kinderjahren bemerkbar. Auch die große Vorliebe für Musik, die Lenau schon damals offenbarte, weist ans die Weichheit seines Gemüts hin. Beim Klange der Fidel oder der Guitarre liebte er es, seinen trüben Gedanke» nachzuhängen, und wie in der Jugend versetzte ihn im späteren Lebensalter Musik in die schwerinütigste Stimmung. Die Musik war keine Erquickung, sie war nur ein Opiat für ihn. Als die Mutter sich im Jahre 1811 wieder vermählte, änderte sich in der Erziehungsmethode Lenaus nichts, eher wurde die Sache ver¬ schlimmert. Der Stiefvater, ei» Arzt Karl Vogel, war ein sehr nach¬ giebiger Mann, der den Kindern seiner Therese ein liebevolles Herz entgegenbrachte und die weichliche Zärtlichkeit der Mutter für Niki sehr begünstigte. Die Schädigungen dieser schlaffen Erziehung machten sich bald bemerkbar, als Lenau nach vollendetem Schulbesuch sich für einen Lebensbernf entscheiden sollte. Er schwankte lange hin und her und entschied sich endlich für das Studium der Philosophie. Er besuchte auch die Vorlesungen auf der Hochschule zu Wien niit großen, Eifer und bestand die Prüfungen glänzend; aber er war von seinen Erfolgen wenig befriedigt. Sein Forschungseifer war gciveckt, doch so viel er auch grübelte und forschte, cs gelang ihm nicht, eine ihm zusagende Erklärung der Bestimmung des menschlichen Daseins z» finden. Dieser Gärungsprozeß, der sich ja in jedem jungen Menschen seines Alters zu vollziehen pflegt, war für ihn von den verderblichsten Folgen; er verlor schon damals sein, Selbstvertrauen und die ihm eigene Schwermut machte sich in finsterer Laune und in Weltschmerz geltend. Einen Trost in der trüben Stimmung bereitete ihm die Dichtkunst, deren Flammen durch seinen Freund und späteren Schwager Anton Schurz geweckt worden waren, und es schien zeitweise, als ob er die trübseligen Ge¬ danken abschütteln und wieder aufleben wollte. Der Mangel an Energie und das Verkennen seiner LebenSbestimmung ließen ihn aber immer

wieder in den alte», schlaffen Zustand zurücksinken. Dazu kam, daß Lenau nicht wußte, was er beginnen sollte. Auf dcu Rat seines Gro߬ vaters hatte er das philosophische Studium aufgegeben und deutsches Recht studiert. Die Vorbereitung zu den Prüfungen dauerte ihm aber zu lange, er studierte ungarisches Recht und, nachdem er dieses eine Zeitlang getrieben, wandte er sich wieder der Philosophie zn, um schließlich beides aufzugeben und sich der Landwirtschaft zu widmen. Natürlich war dieses Studium ebenfalls nicht von langer Dauer, und auch in den nächsten Jahren, in denen L.ena» sich abwechselnd der Litteratur, Medizin und Rechtsgclehrsamkeit zuwandte, kam er zu keinem endgiltige» Entschluß über seinen ferneren Lebensbernf. In die erste Zeit seiner Studienjahre fällt auch die schon erwähnte Liebe zu der schönen Bertha/ die von unheilvollem Eindruck auf das Gemüt des neunzehnjährigen Jünglings war. Lenau liebte das Mädchen, das er zufällig kennen gelernt hatte, mit der ganzen Glut seines heißblütigen Temperaments, beachtete aber nicht, daß sie seiner aufopfernden Liebe nicht würdig war. Als ihm endlich die Augen ge¬ öffnet wurden und er Einblick in das liederliche Leben seiner Geliebten und ihrer Mutter erhielt, als ihm das Mädchen schließlich, nachdem sie genug Geld von ihm erpreßt hatte, treulos den Rücken kehrte, war er der Verzweiflung nahe und trug sich mit den düstersten Gedanken. Was er damals litt, hat er in den Gedichten „Sehnsucht nach Vergessen", „Das tote Glück" und „Die Waldkapellc" ausgedrückt; in letzterem schildert er in der wahnsinnig gewordenen männlichen Gestalt, mit nur Daß der unglückliche Ausgang zu richtigem Vorgefühl, sich selbst. dieses Verhältnisses, das acht Jahre lang bestand, von den nach¬ teiligsten Folgen für Lenaus Gemüt war und seinem Trübsinn und Weltschmerz nur allzu förderlich war, liegt auf der Hand. Denn er sagt selbst an einer Stelle: „Was einmal tief und wahrhaft Dich gekränkt. Das bleibt auf ewig Dir ins Mark gesenkt." Bald nach diesem folgenschweren Ereignis traf den jungen Dichter ein neuer, schwerer Schlag: seine geliebte Mutter, deren unheilbare Krankheit ihm manche trübe Stunde bereitet hatte, starb im Oktober 1829. Wie groß seine Betrübnis war, und wie nachhaltig der Schnierz über diesen Verlust sein Inneres durchwühlte, das läßt sich aus seinen Ge¬ dichten und Briefen und aus Schilderungen seiner Freunde ersehen. Sein Schivager Schurz und andere Bekannte versuchten mancherlei, um ihn seiner Betrübnis zu entreißen. Sie beredeten ihn dazu, seine Studien zu unterbrechen und eine Erholungsreise zu unternehmen, sie munterten ihn durch kleine Lustbarkeiten auf und veranlaßten ihn, Ge¬ dichte darüber zu machen, und sorgten dafür, daß einige seiner Dichtungen gedruckt wurden. Dies war für Lenau eine große Freude; denn die Liebe zur Dichtkunst erhob ihn zuweilen über die trübe Stimmung, die ihn fast täglich, beherrschte, und da ihm gerade um diese Zeit ein kleines Kapital aus der Erbschaft der Großmutter zufiel, so beschloß er, seine weiteren Studien und die Schlußprüfung aufzugeben und sich ganz der Dichtkunst zu widmen. Die Erfolge, welche er mit der ersten Ausgabe seiner Gedichte, die in Stuttgart erschienen, hatte, erfreute» Lenau sehr und bestärkten ihn in seinem Entschlüsse. Er lebte etwas auf, gab sich völlig der Be¬ schäftigung mit der Poesie hin und war viel auf Reisen, da er die Druck¬ legung der zweiten Auflage seiner Gedichte überwachen wollte. Zu diesem Zweck nahm er. auch längeren Aufenthalt in Stuttgart, und hier trat das Verhängnis wieder an ihn heran; er lernte ein geistreiches Mädchen, Lotte, die Tochter des Ulmer Oberjustizrats Gmclin, kennen und ver¬ liebte sich leidenschaftlich in sie. Obwohl seine Liebe erwidert wurde und das Zusamniensein mit dem geliebten Mädchen ihn unsäglich glücklich machte, schwankte er doch hin und her, ob er einen festen Herzensbund schließen oder entsagen sollte. Die Erinnerung an jene unselige Liebes¬ — „zweimal geschichte in Wien siel mit voller Schwere auf seine Seele Briefe — und die ist kein Traum zu träumen", schreibt er in einem Folge seiner schwermütigen Erwägungen war, daß er alle Beziehungen zu dem geliebten Lottchen abbrach und eine Reise nach Amerika unter¬ nahm. Bor seiner Abreise hatte er der Geliebten die „Schilflicder", die mit zu den hervorragendsten Schöpfungen Lenaus gehören, gewidmet. Amerika, dem Lande der Freiheit, hoffte der Dichter Befreiung von der auf seinem Geiste, auf seiner Denkweise ruhenden Last zu finden: bewußt denn er war sich seines trostlosen Schwächezustandes allmählich geworden, und auf der Hinfahrt strömte er seine Hoffnungen in den erhabendstcn Liedern aus. Aber schon gleich nach der Ankunft begannen nicht, die seine Erwartungen zu sinken, Land und Leute gefielen ihm Verhältnisse erschienen ihm dort noch elender als im Vaterland, er fühlte sich bedrückt und kehrte enttäuscht heim. Er hatte einen Teil seines Vermögens eingebüßt und brachte dafür zwei böse Errungen¬ Gesundheits¬ schaften mit, den Skorbut und die Gicht, die auf seinen zustand ununterbrochen nachteilig ciuivirkteu. Wiederherstellung Nach einem längeren Aufenthalt in Stuttgart zur größere seiner Gesundheit begab sich Lenau nach Wien, uni dort eine Arbeit, den „Faust" zu beginnen. Bald nach seiner Ankunft lernte er die Gattin Sophie des Hofkonzipisten Löwe »that kennen und ver¬ liebte sich sofort wahnstnnig in die interessante Frau. Obwohl diese Liebe völlig aussichtslos für den Dichter war, hing er ihr doch mit ist zu einer seltenen Ausdauer nach, und aus seinen Briefen an Sophie ihr auf¬ ersehen, mit welcher grenzenlosen, überschwenglichen Liebe er zu verstand blickte. Selbstverständlich konnte Sophie, auch ivcnn sic Lenau und sich zu ihm hingezogen fühlte, seine Neigung nicht erwidern, und der Dichter, der dies schmerzlich empfand, siechte in verzehrender Leiden¬ ging schaft dahin. Er suchte schließlich seine Liebe zu unterdrücken. Er auf Reisen und suchte Zerstreuung und Ablenkung im Verkehr mit anderen weiblichen Wese», er arbeitete fleißig — der größte Teil seiner Dichtungen ist ja in jener Zeit entstanden — und überwachte die Druck¬ legung seiner Werke selbst, doch vergebens. Immer wieder kehrten seine Gedanken zu Sophie zurück, und das Schlimmste dabei war, daß diese in ver¬ selbst, sobald sie merkte, daß Lenaus Neigung zu erkalten schien, werflicher Eifersucht und Eigenliebe ihm Vorwürfe machte und mit Selbstmordgedanken drohte. Lenau fehlte die Kraft, dieses unheilvolle

In

l

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Verhältnis abzustreifen, obwohl er selbst einsah, dast dieses aufreibende Sinnen und Grübeln für ihn verderblich war, und so beschleunigte diese Liebe zu Sophie nur die Katastrophe. J»i Juli 1844 zeigte sich in Frankfurt a. M. der erste Ansbruch des in Lenau schlummernden Wahnsinns, die Anfälle wiederholten sich ini Sommer desselben Jahres, und im Oktober begann der Acrniste zu toben und mußte in die Heil¬ anstalt zu Winnenthal bei Stuttgart gebracht werden. Anfangs hatte er noch einige lichte Augenblicke, wo er mit den Freunden verkehrte, aber sein Zustand verschlimmerte sich mehr und mehr, und 1847 war die Aussicht auf Besserung völlig ausgeschlossen. Mau versuchte cs mit einer Luftveränderung und brachte den Kranken in die Irrenanstalt nach Döbling bei Wien, doch vergebens, die geistige Umnachtung hielt den unglücklichen Dichter bis an seinen Tod umfangen. vr. Gustav Albrecht.

superinlendent der drei Häfen Tientsin, Tschifu und Riutschwang. Er befehligte 1883 und 1884 die Truppen in de» an Tonkin grenzenden Provinzen. Am 17. April 1895 schloß er mit Japan den für China ungünstigen Friedcnsvcrtrng von Schimvnoseki und wurde ini August desselben Jahres als leitender Minister »ach Peking berufen. Nach der Heimkehr von seiner Europa- und Amcrikareise, die ihm im Ausland überschwengliche Ehrenbezeigungen gebracht hatte, wurde er in das Tsungli-Aamen berufen, aber im August 1898 zu Beginn der in Peking aus¬ brechenden Reaktion aus seinen wichtigsten Aemtern entfernt.

Berliner Chronik. Am

7.

der Führer

Li-Hung-TIchmig. IKenn auch Reuters Telegraphenbureau die Nachricht vom Selbstmord SM Li-Hung-Tschangs zu voreilig verbreitet hat, so mag doch die

politische Lage Chinas dem alten erfahrenen Staatsmann verzweisclt genug dünken, um das Gerücht des Selbstmords erklärlich erscheinen zu lassen. Wiederholt ist während der letzten Wochen an Li-Hung-

August starb im 74. Lebensjahre der

sozialdemokratischen Partei

Wilhelm Liebknecht, und Chef-Redakteur des

„Vorwärts".

Am 7. August feierte vr. Adolf Bastian, der Direktor des Museums für Völkerkunde, sein 50 jähriges Jnbiläum als vr. rnsck. Er wurde anläßlich dieser Feier durch den roten Adlerorden zweiter Klasse mit Eichenlaub ausgezeichnet. Am 9. August starb vr. Moritz Gnmbinncr, einer der Senioren der Berliner Presse. Er war der Leiter des stenographischen Bureaus der „Kölnischen Zeitung" und gehörte zu den Gründern des „Vereins

Berliner

Presse." 10. August

feierte der Geheime Medizinalrat Professor der bekannte Nervenarzt, den 60. Geburtstag. Der Privatdozent der romanische» Philosophie vr. Oskar SchultzGera bei der Berliner Universität ist zum außerordentlichen Prosessor

Am

vr. Albert Eulenburg, befördert worden.

Kleine Mitteilungen.

Li-Hung-Tschang. Tschang der Ruf der Machthaber in Peking ergangen, wo man die Klugheit des gewandten greisen Diplomaten benutze» möchte, um die geschlossenen Reihen der verbündeten Mächte zu sprengen und selbst im Fall der Niederlage einen Unterhändler zur Verfügung zu habe», der bei den fremden „Barbaren" »och einen Rest von Vertrauen besitzt. Li-Hung-Tschang hat auch bereits im Beginn seiner Ueberlandrcise von Kanton, wo er als Vizekönig waltet, nach Peking unterwegs den Versuch unternommen, mit den Konsuln in Schanghai in Unterhandlung zu treten. Diese lehnten es aber einmütig ab, mit dem verschlagenen Ostasiaten zu verhandeln, solange nicht durch Handschreiben oder von Peking eintreffende Europäer der vollständige Beweis erbracht sei, daß sich die Gesandschaften und die Fremdenkolouie in der chinesischen Haupt¬ stadt voller Sicherheit erfreuten. Rn» wünschte der Vizeküniq von Kanton wenigstens das Zu¬ geständnis zu erhalten, daß die Truppen der vereinigten Mächte dann zurückgezogen würden, wenn der Pekinger Regierung die Sicherung der

Gesandten gelänge'

doch

ließ er

sich zn

der Aeußerung hinreißen, daß

iin Weigerungsfall die Verantwortlichkeit für einen etwa erfolgenden Ausbruch des Fremdenhasses den Mächten zufallen würde. Die Konsuln in Schanghai, von vornherein gegen Li-Hung-Tschang argwöhnisch, ließen den verdächtigen Unterhändler ans Schritt und Tritt von einer europäischen Polizeieskorte beobachten. Schließlich erklärte der Vizekönig verdrossen, wenn ihn die Mächte nicht unterstützen und nicht mit ihm unterhandeln wollten, müsse er darauf verzichten, die drohende Krisis zu beschwöre». Li-Hung-Tschang steht im 80. Lebensjahre: er ist am 14. Fe¬ bruar 1821 in der Provinz Rganhwei geboren. Im Jahre 1853 hat er tapfer gegen die Taiping in seiner Heimat gefochten' 1861 wurde er oberster Richter der Provinz Tschekiang, 1864 Oberstatthaltcr der beiden Kiang, 1870 Oberbefehlshaber in Petschili und zugleich Handels-

Friedrich der Grotze und die Fische. Als der Berliner Naturforscher Marcus Elieser Bloch (1723—1799) eine Naturgeschichte der Fische herausgeben wollte, wandte er sich am 25. März 1781 an Friedrich den Großen, damit dieser die preußischen Domänenkammeru veranlasse, ihm Listen von allen in den preußischen Staaten existircnden Der König ließ am 27. „Martz" aus Potsdam Fischen einzusenden. (Sanssouci) folgende Antwort ergehen: „Seiner Königlichen Majestät von Preußen, Unser allergnädigster Herrr, lassen den Doktor Bloch aus seine Unterthänigste Anzeige vom 25. dieses, und in Ansehung des darin gethanen Antrages, hierdurch zu erkennen geben, daß es nicht nöthig ist, von denen Cammcrn eine Liste von den Fischen zu er¬ fordern, denn das wissen sie schon aller Weges, was es hier im Lande vor Fische giebet, das sind auch durchgchcnds dieselbe Arthcn von Fischen, ausgenommen ini Glatzischen, da ist eine Art, die man Rauten nennet, oder wie sie sonst heißen, die halt man weiter nicht, sonsten aber sind hier durchgchcnds einerley Fische, die man iveiß und kennet: Und dannen ein Buch davon zu machen, würde unnöthig seyn, denn kein Mensch wird solches kauffen: die zugleich mit eingereichte KupserAbdruckc, von einigen Fischen, erfolgen hierbei wieder zurück." Friedrich der Große aß gern Fische: in dc. beanstandeten Küchenrechnung vom 9. November 1784 kommt vor „Hering und Erbssen kan 1 Thlr. kosten." Und als er in Ostfriesland war, schrieb er am 17. Juni 1751 von „Wenn Siegeii aus an den Kammerpräsidcuteu Lcntz in Änlich: Ich wieder »ach Ostfriesland komme, Mus Ich wider von den schönen Emder Secsischen haben." Der erlle Kanal der Mark Brandenburg wurde auf An¬ regung einer Frau angelegt. Tie erste Gemahlin des Großen Kurfürsten, Luise Henriette, eine geborene Prinzessin von Oranie», kannte diese be¬ queme Art der Wasserverbindung von ihrer Heimat Holland her. Nun hatte sie bemerkt, wie schwer die Schiffsladungen von Frankfurt an der Oder nach Berlin und dessen Umgebung zu schaffen seien. Die Waren mußten in Frankfurt auf Wagen geladen, bis Fürstenwalde gefahren (fünf Meilen weit in sandigem Boden) und dann wieder auf Spree¬ kähne geladen werden. Der Kurfürstin Luise Henriette ist es zu danken, daß in den Jahren 1662—1668 der Kurfürst dem Italiener Chiese befahl, von Briesekow bis Neubrück zwischen Oder und Spree einen 50 Fuß breiten und 6 Fuß tiefen Kanal anzulegen. Der Kanal ist 8 Meilen lang und hat 10 Schleusen und ein Gefälle von 65 Fuß. Oft waren Hügel von 60 Fuß Höhe zu durchstechen. Der Kanal heißt der FriedrichWilhelmsgraben oder der Müllroser Kanal. Zu Anfang dieses Baues herrschte in Brandenburg eine große Teuerung: so kamen viele Arbeits¬ leute zu Brot. Vor 200 Jahren wurde in Berlin einer der Paladine Friedrichs des Großen, Friedrich Wilhelm Ouirin von Foccadc de Biaix, als Sohn des Generalleutnants Jean Ouirin de Foccade de Maix geboren. Mit 14 Jahren trat er in die preußische Armee, wurde bald Fähnrich, im Januar 1716 Sekond-, im Mai 1719 Preinierleutnant, 1732 Major. 1740 Obrstlcutnant und im Mai 1743 Oberst. Im letzten Jahre erhielt er die Amtshauptmannschaft Zinna. Bei Soor wurde er i» den rechten Unterschenkel geschossen und blieb für tot auf dem Wahlplatz liegen, nach¬ dem er nach des Königs eigenem Geständnisse das meiste zum Siege beigetragen hatte. Dafür überhäufte ihn der König mit Gnaden, dem pour ls inüi'its, einen: Gehalte von 600 Thalern und einer Domherrnstclle in Havelbcrg. Von jener Verwundung war eine Schwäche des Fußes zurückgeblieben. Sobald Friedrich bei einer Cour im Berliner Schlosse inerkle, daß Foccade sich wegen des ungewohnten langen Stehens in eine Fensternische lehnte, da brachte er „dem so braven und würdigen Manne" eigenhändig einen Stuhl. Im Dezember 1747 stieg Foccadc zun: Generalmajor empor, im Juli 1748 erhielt er das Regiment, dessen Chef schon sein Vater gewesen war. Nachdem er am 5. Dezember 1757 Breslau zurückerobert hatte, schrieb ihm Friedrich der Große: „Mein lieber General-Leutnant v. Foccade. Ich weiß, daß Er bei dieser Be¬ lagerung viel ausgestanden bat, und es ist ein Glück für Ihn, daß wir bald Herren der Stadt geworden sind, iveil Er sonst, ohne daß ich Ihm

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Iinttc helfen oder ablöse» lasten können, noch mehr würde haben aus¬ stehe» müssen. Ich danke Ihm aber dafür, und da er am meisten ausgestanden hat, so soll Er auch allein die Ehre davon habe». Ich erteile Ihm hiermit nicht nur den schwarzen Adlerorden, sondern er¬ nenne Sic auch zuin Vize-Gouverneur von Breslau. Seinem ältesten Sohn aber, welcher bei mir Adjutant ist, habe ich die vakante GrenadierKompagnie beim Golzischen Regiment erteilt, weil er sie wohl meritlert." Nach dem Hubcrtusburger Frieden ließ der König seinem langjährigen treuen Diener 8000 Thaler als Gnadengeschenk auszahlen. Der graue Held, der außer bei Soor auch bei Mollwitz, Hohenfriedberg, Prag, Roßbach, Leuthen, Zorndorf, Torgau und Freiberg tapfer mitgcfochten hatte, starb am 25. März 1765 i» Berlin mit Hinterlassung von elf Kindern, die ihm seine Gemahlin, eine Montanlien de St. Hyppolit, außer wieder zwölf gestorbenen, geboren hatte.

Ehrenjungfrauen als Verräterinnen. Während der bekannten „Campagne in Frankreich" wurde Verdun von der Mitternacht des 1. September 1792 an bis zum Morgen des 2. September früh acht Uhr heftig bombardiert. Als die Festung dann zur Uebergabe aufgefordert Gedrängt von der wurde, erbat sie sich 24 Stunden Bedenkzeit. Bürgerschaft, mußte der Festungskommandant Bcaurepaire noch am selben Tag in die Uebergabe willigen; als er aber seine Zustimmung gegeben hatte, zog er ein Pistol und erschoß sich. Der König Friedrich Wilhelm II. von Preußen zog darauf an der Spitze seiner Truppen in Verdun ein. Die royalistisch gesinnte Bevölkerung empfing ihn jubelnd, vierzehn Ehrenjungfraue» boten ihm Blumen und Früchte. Am 10. Oktober 1792 kam beim Rückzüge der verbündeten Truppen Goethe nach Verdun und fragte seine Führer nach einem wunderschönen Mädchen, das sich aus dem Fenster eines wohlgebauten Hauses bog. Der Füher nannte ihren Namen und fügte hinzu: „Das hübsche Köpfchen mag sich nur fest auf den Schultern halten; sie ist auch eine von denen, die dem König von Preußen Blumen und Früchte überreicht haben!" Am 14. Oktober zogen die Republikaner in Verdun ein, und ein furchtbares Strafgericht begann. Die Köpfe von 33 angeblich verräterischen Einwohnern sielen unter dem Beile der Guillotine, und nur zwei Mädchen von 17 Jahren, Barbe Henry und Claire Tabouillot, entgingen diesem Schicksale, wurden aber zu sechsstündiger Ausstellung auf dem Schaffot und zwanzigjähriger Zuchthausstrafe verurteilt. Erst das Ende der Terroristenherrschast befreite sie wieder. Barbe Henry starb, Claire Tabouillot aber richtete im Jahre 1814 an den König Friedrich Wilhelm III. nach Paris ein Schreiben, worauf sie am 2. Juni folgende Antwort erhielt: „Ihr Brief vom 26. Mai hat mir eins der traurigsten Ereignisse der französischen Revolution ins Gedächtnis zurück¬ gerufen, dessen Andenken das Herz meines Herrn Vaters, des hochseligen Königs, mit Erbitterung erfüllte; ich halte es für meine Pflicht, dem Opfer, das dieses schreckliche Attentat überstanden hat, einen Beweis von der Teilnahuie zu geben, die Sie mir einflößen. Ich habe mir vorgenommen. Ihnen von Berlin aus einen Schmuck zugehen zu lassen, der Sie daran erinnern ivird, wie sehr ich an Ihren, Schicksale und an dem Ihrer Leidensgefährtin Anteil nahm." Ende August 1815 kam an Claire Tabouillot eine mit Diamanten in Form der Namens-Chiffre des Königs verzierte Bonbonniere und folgender Brief an: „Paris, den 24. August 1815. Die Ereignisse, die so schnell aufeinander gefolgt sind, tragen die Schuld daran, daß ich nicht eher dem Ihnen am 2. Juni vorigen Jahres gegebenen Versprechen nachkommen konnte. Ich bitte Sie, beifolgende Bonbonniere mit meiner Namens-Chiffre als ein Andenken anzunehmen und sich dabei zu erinnern, wie sehr ich Anteil nahm an den Leiden, die Sie im Jahre 1792 erduldet haben." König und Minister. Im Jahre 1752 betonte es Friedrich der Große, wie Adolf Stölzel 1888 in der Rechtverwaltung und Rechtanfaffung Brandenburg-Preußens mitteilt, daß „überall der Landesgesetze und Rechte gemäß zu verfahren und zu entscheiden sei, allermaßen er sich hierin keineswegs mischen oder für einen oder den andern Teil be¬ sonders Partei nehmen werde, viel mehr wolle, daß alles der Rechte und Landesgesetzc geniäß behandelt werde, da er sich selbst denselben in seine» eigenen Sachen unterwerfe." Taniit stand im Widerspruch, daher den. Justizminister von Münchhausen einmal befahl, das Kainmergericht nuzuhnltcn, daß es die einem adlige» Konkursschuldncr abgeschlagene» Uuterhallsgelder auf 1200 Thaler festsetze. Münchhausen aber antwortete dem König, „vom Justizminister könne ein solcher, allen gesetzlichen Vor¬ schriften zuwider laufender Akt nicht ausgehen." Friedrich der Große war über diese sehr entschiedene Meinung sehr ärgerlich und diktierte seinem Kabinettssekretär folgendes: „Mein lieber Jnstizminister von Münch¬ hausen. Er ist ein sehr rechtschaffener Mann, aber ein recht grober Esel." Münchhausen fühlte sich dadurch beleidigt, faßte aber seine Entgegnung in folgende Worte: „Majestät wolle allergnädigst geruhen, dem Abfasser seines letzten Schreibens an den ersten Diener des Staates seine unziemlichen Ausdrücke gegen denselben allen Ernstes zu verweisen." Ter König empfing diesen Brief, las ihn und schwieg, aber er vermied cs auch, mit dem Minister von Münchhausen zusammen zu kommen. Endlich bei der jährlichen Ministerniusternng in Charlottenburg war dies un¬ vermeidlich. Friedrich der Große näherte sich Münchhausen, sah ihn mit einem seinerleuchtenden Blicke an und sagte: „Na, mein lieber Münch¬ hausen, ich habe es meinem Kabinettssekretär gejagt!"

Der erste Freiwillige von 1613. Mittwoch, erschien Friedrich Wilhelms III. Aufruf zur freiwilligen Be¬ waffnung in Breslau; die Berliner Zeitungen machten ihn erst am Diens¬ tag, den 9. Februar bekannt. Nur die Vossische Zeitung bringt ihn an der Spitze des Blattes, in der Spencrschen steht er als vierter Artikel unmittelbar hinter der Meldung, daß in diesen Tagen wiederuiu Nlehrere kaiserlich französische Tivisions- und Brigade-Generale von der Oder hier angekommen und durchgegangen seien." AIs erster Freiivilliger meldete sich bei dem Landratc des Haoelländischc» Kreises, von Brcdow auf Sentzke, der damals 36 Jahre zählende Dichter Freiherr de la MotteFouquv, der bekannte Verfasser des Liedes „Frisch auf zum fröhlichen Jagen." Er wurde zum Anführer der im Hnvcllande znsainnientretenden

Am 3. Februar 1813, einem

Verantwortlicher Redakteur:

Di-.

freiwilligen Jäger ernannt. Am frühen Morgen des 22. Februars schied Fouquä, wie er selbst in seiner „Lcbensgeschichte" erzählt, von seiner Gattin gesegnet und sich nur mühsam ans den Armen seines

bitterlich weinenden Töchterlcius entwindend, vom hciaiischen Herde, rief den paar Jägern, die sich schon auf seinem Gute Ncnnhauscu bei Rathenow zu ihm gefunden hatten, mit freudiger Stimme, aber feuchten Augen zu: „Hoch lebe der König! In Gottes Rainen! Vorwärts marsch!" Am 24. Februar wurde er mit seiner Schar in der Garnisonkirche zu Potsdam an deni geöffneten Grab¬ gewölbe Friedrichs des Großen vom Garnisonprcdiger Eylert feierlich stieg zu Pferde und

eingesegnet.

Die Berlinerinnen und der Strickstrumpf. Vor fünfzig Jahren schrieb Theodor Mügge: „Eines ist mir auf meinen WeihnachtSWanderungen wieder zum vollen Bewußtsein gekommen, nämlich, daß der Fleiß der Damen unübertreffllich genannt werden muß, uud wohin mau auch kommen möge auf Erden, nirgends seinesgleichen gefunden werde. Gehe, wohin Du willst (in Berlin), suche sie in Gesellschaft, suche sie in Konzerten, triff mit ihnen zusammen in Kaffeegärten und Wintergärten, im Juli bei 25 Grad Hitze und im Januar bei grönländischer Kälte, nie werden die fleißigen Hände ruhen. Das unvermeidliche Strickzeug ist der ebenso beständige Gefährte durch das irdische Dasein einer echten Berlinerin von der Wiege bis zum Grabe, wie der Pfauenfächer die

Töchter

Indiens durchs

Leben begleitet.

Die Pariserin wickelt

sich

in

Gesellschaft den Glaceehandschuh um die schmalen Finger und spielt mit ihren Ringen, die Engländerin faltet die Hände zusamiuen und sieht bedächtig vor sich hin, die Berlinerin strickt, und je mehr sie i» Be¬ geisterung gerät, um so rascher fliegen die Radeln und der verhängnis¬ volle Faden, au welchen sich magisch die ganze Kette ihrer Gedanken und Empfindungen klammert. Als ich gestern in Sommers Salon war, fiel mir das alles recht lebhaft ein, denn au allen Tischen spielten die

blitzenden Stahllanzen ihre gefährlichen Spiele. Amors Pfeile können nicht mutwilliger hin und herfahren, und ich möchte behaupten, der kleine Gott habe die Stricknadel so recht eigentlich für Berlin zu seiner Hauptwaffe erkoren. Wie viele Liebes- und Herzensgeschichten haben wir beim Strickstrumpf begonnen! Wie viele zärtliche Neigungen sind durch ihn nicht schon in felsenharteu Seelen erweckt worden, und die Berlinerinnen verstehen es, tausend kleine Koketterien in diese spielende Geschäftigkeit zu legen. Ins Auf- und Niederblicken, in das raschere und langsamere Tempo der Arbeit, ins Anhalten, ins Fallenlassen des Fadens, im Maschenverliercn, ins Anknüpfen, Ausruhen, in ihr Schweigen wie in ihre Gesprächigkeit legt die Strickerin so viel Ernst oder Schalk¬ heit, so viel Aufforderung oder Abwehrendes, soviel Liebenswürdigkeit oder schnippische Külte, daß sie durch den Strickstrumpf ebenso gut redet, wie die Orientalin durch die Blumensträuße."

Die Freitreppe. Als der später berühmt gewordene Schau¬ spieler Ludwig Dessoir noch auf der Spandauer Bühne unter dem Direktor Krausnick als Liebhaber, Held, Komiker und Bösewicht auftrat, ging er oft mit dem bekaunten Uhrmacher Naundorf, der sich dann für Ludwig XVII. ausgab, zu Fuße nach Berlin, um dort einer Vorstellung im Schauspielhause beizuwohnen. Dabei legte er einmal den feierlichen Schwur ab, wenn es ihm einst gelinge» sollte, im Berliner Schauspiel¬ haus auftreten zu dürfen, nur über die große Freitreppe seinen Einzug in die geweihten Räume halten zu wollen. Ehe es so weit kam, führte Dessoir ein unstetes Wanderleben, aber im Jahre 1847 endlich rief der Generalintendant von Kästner ihn von Karlsruhe, wo er Hofschauspielcr war, zu einem Gastspiel nach Berlin und ivar nicht wenig erstaunt, als ihm Dessoir von seinem Schwur erzählte. Die Freitreppe war für ge¬ wöhnlich geschlossen, aber Dessoir setzte es durch, daß der Zugang zu ihr au seinem ersten Gastspielabend ihm eröffnet wurde, und stolz zog der Künstler über die breite Freitreppe in die geweihten Räume ein.

Di do dumm! Der als Improvisator und als Sonderling be¬ rühmte Dichter Gottlob Wilhelm Burmann (geboren in Lauban. am

18. Mai 1737, gestorben in Berlin am 5. Januar 1805) befand sich einmal in heiterer Gesellschaft. Es wurde getrunken, gelärmt, gescherzt und endlich auch gesungen. Man kam aber in der Weiulanne auf nichts Gescheiteres als auf ein ziemlich triviales Trinklied, bei dem jede Strophe mit dem Kehrreim: Di do dum! endete. Burmann hielt lange an sich; endlich brauste er auf: „Das ist ja zum Davonlaufen! Wie'kann mau Ein allgemeines Gelächter erhob sich. „Bur¬ so etwas Albernes singen!" mann hat recht," riefen die einen. „Ach was," schrien die anderen, „wir können singen, was wir wollen! Wem es nicht paßt, der mag gehen!" Burinauu wollte eben mit einer derben Grobheit antworten, da rief einer der Trinkgcnossen: „Tadeln kann jeder! He, Burmann, bringt doch das Di do dum in einen schönen Vers!" „Weuu's weiter nichts ist!" cntgegnetc Burmann schnell, stand auf und deklamierte: Die Dido lebte froh. Doch brachte sic sich um. Als ihr Acncas floh. D. Das war von Dido dumm!

Büchrrkisch. Ein

verschlossener Mensch. Roman in zwei Bänden von Max Dresden, E. Piersons Verlag. Kretzer. Zweite Auflage. Preis M. 3.—. Wie der Held des Buches zu seines Freundes Bestem, a» den ihn

unlösliche Bande der Dankbarkeit fesseln, sich unausgesetzt opfert, wie er, der Proletnriersohn, dem Freunde zn Liebe blutenden Herzens der ersten Jugendliebe entsagt, wie er selbst bereit ist, für jenen die Ver¬ antwortung einer Blutschuld auf sich zu nehmen, um die Ruhe und den Friede» des Hauses zu schützen, dem er sein Leben und seine Er¬ ziehung verdankt, — das hat Kretzer überzeugend und eindringlich zu schildern gewußt.

M. F olticiueauo, Berlin. — Druck uud Verlag:

Friedrich Schirmer. Berlin

SW., Neneuburger Striche 14a.

Der Var. Illustrierte Wochenschrift.

kostet vierteljährlich 2 M. 50 „Der Bär" erscheint jährlich 52 mal und ist durch alle Buchhandlungen, Zeitungsspeditionei, und Postanstalten zu beziehen (Nr.— 866 des Postkakalogs) und Beilagegebühr: 6 M. pro WOO Stück inklusive Postgebühren. jährlich 10 M., Linzelhefr 20 Pf. — Infertivnspreis für die 4 gespaltene Nonpareillezeile oder deren Raum 50 Pf. — Inserate und Beilagen werden entgegengenonnnen von der Expedition des „Bar", SW., Neuenburgerstraße W a , sowie von allen Annoncen-Erpeditionen. — Fernsprecher. IV. Nr. 3651.

Sonnabend, 25. August 1900.

26. Jahrgang.

rlr. 34.

Berlin er W a n d e Lll i ld er. Bekränzte Thüren. 'eit

acht Tagen wandle ich,

so

oft

ich Bekannte aussuchen

Sie bestehen ans Astern und spärlichem Laubwerk, hängen trübsinnig an den Pfosten herab und umschließen dicht unter dem Gesims eine rote Papier¬ tafel mit der stereotypen Inschrift: „Herzlich willkommen!" Gegen

will, unter Ehrenpforten.

znm erstenmal auf der Straße begegne, zu erkennen. Er ist ent¬ weder bis zur Unkenntlichkeit dünn oder so anfsallcnd braun geworden, daß ick ihn für ein Mitglied der chinesischen Gesandtschaft in Zivil halten könnte. Im ersteren Fall war er „in den Bergen," im zweiten „an der See." Diese Veränderung thut meinen Ge-

fühlen keinen Abbruch: denn nach vierzehn Tagen hat er wieder

bin ich von scher mißtrauisch gewesen, erinnert mich stets an „des Winters kommend Wenn Minna, Auguste oder Rosa aus mein Mißvergnügen". Klingeln öffnet, sehe ich ihr prüfend in -die mehr oder weniger „Die Herrschaft ist wieder da!" und schönen Augen, sie sagt: im Korridor höre ich hinter mir ihren schweren Seufzer. Mein Mißtrauen gegen Gedrucktes und Astern hat sich wieder einmal als gerechtfertigt erwiesen: die Herrschaft hätte ruhig noch länger

der Ferienbunimler ernsthaft die Frage vor: „Warum bin ich denn eigentlich fortgewesen" und gelangt nach einigem Nachdenken zu dem Schluß: „Weil die anderen auch fort waren." Ob das als zureichender Grund gelten kann, muß er mit seinem Gewissen aus¬

bleiben können. Mitte August, sobald die Schulferien abgelaufen sind, fange ich an, keinen meiner Bekannten, dem ich nach der Sommerreise

mit seinem Geldbeutel. übrigen halte ich das „Fortgewcsensein" nur für einen Vorwand für das „Wiederdasein", und die einzige Erinnerung an

gcdruckte Gefühlsergüsse

und

die

Aster

um zehn Pfund zugenommen und ist soweit ausgeblcicht, daß seine Zugehörigkeit zur kaukasischen Rasse über jeden Zweifel erhaben erscheint. Es ist alles beim alten. Um die Mitte des Septembers legt sich

machen und

Im

588

die genossenen Ferienfrenden ist noch wenigen Tagen die welkende, melancholisch herabhängende Guirlande mit der apokryphen Inschrift. Das Bestreben des Großstädters, für eine Zeitlang wirklich ans

habe nur ein einzigesmal in meinem Leben einen Mathematikprofessor jodeln hören. Es kam ihm sicher von Herzen, aber für mich war es unendlich komisch. Das Jodeln ist nun einmal nicht

seiner Haut herauszukommen, war wieder einmal fruchtlos. Es gehört viel Glauben dazu, sich einzubilden, daß man auf dem llmwege des vierwöchentlichen Wechsels der Daseinsbedingungen zu einer naturgemäßen Lebensweise gelangen kann. Ein Geheim¬ rat meiner Bekanntschaft, der zu den eingeladensten Bewohnern der Reichshanptstadt gehört und während der Saison allwöchentlich

der einem Mathematiker adaequate Gefühlsansdrnck. Der Einfluß der Sommerfrische ans den Großstädter ist nach meinen Erfahrungen ein durchaus vorübergehender, dagegen ist der Einfluß des Großstädters auf die Sommerfrische augenfällig und

fünf Diners und ebenso viele Soupers zu ertragen hat, geht all¬ jährlich vier Wochen nach Kissingen mit darauffolgender vierzehntagiger Nachkur in Tyrol und bildet sich ein, mit diesen sechs Wochen der Enthaltsamkeit sechs Monate der Schlemmerei wett zu machen. Ich beneide ihn um diese Vertrauensseligkeit, kann sie aber beim besten Willen nicht teilen. Auf den viel einfacheren gesellschaftlich - gastronomischen

Ver¬

Weg der Reduktion pflichtungen auf die Hälfte ist er niemals verfallen. Ich kenne Gelehrte und Bureaumenschen, in denen sich so um Ende Jnli seiner

bleibend.

Von Heringsdorf bis nach Krummhübel, von Kranz bis nimmt die Natur mehr und mehr den Bororts¬

nach Wiesbaden

charakter an, d. h. sie richtet sich ans die „Saison" ein. Eine der ersten Etappen in dieser Entwicklung ist die Begründung des landes¬ üblichen „Verschönerungs-Komitees" und des „Vereins zur Hebung des Fremdenverkehrs." Hat man es denn noch zu einem Kurund zu einem Saisontheater-Direktor gebracht, so ist die Sommer-

frischen-Filiale der Großstadt fertig. Es ist merkwürdig, wie sich der Sinn für Entfernungen bei dem Reichshanptstädter in den letzten Jahrzehnten verschoben hat. Wer einigermaßen etwas auf sich hält, geht im Frühling nach

Von der Pariser Weltausstellung: Ein Gemach im österreichischen Halste.

herum ein anderes Ich zu regen beginnt, das mit der Aufgabe des Pferdeabonnements beginnt und sich schließlich als richtiger Berg¬ kraxler mit Rucksack und Wadenstrümpfen entpuppt. Das ganze Jahr hindurch können sie sich nicht entschließen, den Weg nach dem Bureau zu Fuß zurückzulegen und halten das Hinaufklettern auf ihren lederbezogenen Drehstuhl für eine Kraftleistnng. Nur um die Hundstage herum erwacht in ihnen der Naturmensch. Da ist ihnen kein Richtsteg schmal, keine „Spitze" hoch genug. Sie er¬ innern sich plötzlich, daß sie einen Körper besitzen, dessen Muskelapparat der Uebung bedarf, wenn er nicht früher versagen soll, als ihm bestimmt ist. Sie versuchen eine zchnmonatliche Stnbenhockerei durch eine achtwöchentliche Bewegung in der freien Luft aus¬ zugleichen! Ehe die Guirlanden welken, ist wieder alles beim alte».

Wer einmal der „Großstadt" verfallen ist, wird sie körperlich und geistig ebenso wenig wieder los, wie es dem Kulturmenschen unmöglich ist, sich zum Naturmenschen zurückzubilden. Der Haut¬ wechsel ist ein Vorrecht der Schlange, und schließlich läßt sich mit einer Aenderung der materiellen Daseinsbedingnngen überhaupt nichts erreichen. Worüber wir beim besten Willen nicht hinaus¬ komme», das ist der geistige Dunstkreis, der uns umschließt. Ich

Cannes und im Sommer an das Nordcap. Der wissenschaft¬ liche Wert der Erforschung des Nord- und Südpols ist mir nie¬ mals ganz klar gewesen. Ich fange an zu fürchten, daß es sich auch hier eigentlich nur um die Erschließung neuer Sommerfrischen

handelt, die dem Großstädter die Möglichkeit einer Flucht ans sich heraus vortäuschen. Es bleibt schließlich doch alles beim alten. Die Guirlande über der Thür und das „Herzlich willkommen!" gewinnen seltsame Bedeutung. Eigentlich soll es heißen: „Siehst Du, da bist Du nun einmal wieder draußen gewesen, hast versucht, ein anderer zu sein, und kehrst schließlich als der¬ Nach wenigen selbe reuig zu den heimischen Penaten zurück. Färbung braune die sehen, daß Spiegel Tagen wirst Du es im Wochen später paar ein wenn und Du verblaßt, Deiner Wangen Stammkneipe Deiner Vorraum Antomatenwage im die zögernd 'das Normalgewicht von besteigst, wirst Du konstatiere», daß Du Daß Dein geistiges 185 Pfund glücklich wieder erreicht hast. Niveau sich nicht wesentlich geändert hat, ist selbstverständlich, denn ein Pfingsten giebt es nur für die Armen im Geiste, die plötzlich in fremden Zungen zu reden ansangen. Intellektuelle Hyperknltur des Einzelwesens läßt sich beim besten Willen nicht zurückbilden."

639

Luft Norwegens weht Dir aus

den Stücken Ibsens entgegen, landschaftliche Schönheit strenge die Schließlich kommt Dir selbst und wenn man Kunst vor, „genialen" Leistikow von der Mark wie kann man schließlich sogar unterscheidet, mehr nicht Natur gar und

Herzlich willkommen! d. h. Du hast nun wieder das unveräußerliche Recht, Berliner zu sein, und zu leben, wie es sich für den Großstädter schickt. Der kurze Traum von der Rückkehr zur Natur ist ausgeträumt. Wenn Du Alpenlust atmen willst, siehst Du Dir die Kreuzlschreiber von Anzengruber an, und die eisige

Georg Malkowsky.

ohne beide auskommen.

Von der Pariser Weltausstellung. VII. Lichts ist natürlicher, als daß die Ansstellungsbesucher bei der drückenden Hitze sich den Pavillons der nordischen Länder zuwenden, um wenigstens die Illusion wohl¬ thuender Kälte zu genießen. Außerdem vermutet man nicht mit

Unrecht, daß die Architektur und Einrichtung der betreffenden Bau¬ werke, wenn sie ein treues Bild der Kultur jener Gebiete ver¬ anschaulichen sollen, dem Schutze gegen die äußere Temperatur Rechnung traaen müssen — wenn sie aber aeaen den Winter ihre

und den Dielen der Stufenbahn überragt. Der gewölbte Eingang in das langgestreckte, niedrige, aus massivem Stein gebaute Hans gleicht dem Portal eines romanischen Kirchleins, und vollends das Dach mit seinem sechseckig schlank emporstrebenden, oben über Giebeln sich abrundenden Helmtürmchen verstärkt den Eindruck, daß wir eine ländliche Andachtsstütte betreten. Das vorspringende

Gebälk hat uns bereits angenehme Kühle versprochen, und das diese Zusage ehrlich ein. Unser Bild gewährt einen

Innere löst

Inneres des isländischen Hauses. muß es umgekehrt jetzt hübsch kühl dort sein! der That ist diese Schlußfolgerung bei einigen der nor¬ dische» Ausstellnngsgebäude ziemlich zutreffend. Schon Dänemark hat in seinem bürgerlichen Privathause des besten Renaissancestils, das von den Bögen der elektrischen und Stufenbahn und den Bäumen des Quai d'Orsay beschattet wird, eine „kühle Ecke" der

Bewohner bergen,

so

In

„Bölkerstraße" geboten, die ihm guten Zuspruch sichert. Der Bau weist eine geschmackvolle Verbindung von Gebälk und Backstein auf; der Oberstock, ganz ans Holz, mit einem freundlichen Erker¬ türmchen, wirft mit seinen roten Ziegeln die Sonnenstrahlen zurück, und die Anordnung des Innern ist nicht minder geeignet, eine Wir befinden uns in einer „kellerige" Wirkung zu erzeugen. Seitengalerien, in welchen zwei mit Halle hohen, gut ventilierten Zimmer eingerichtet sind. Eines ausgestattete mehrere prachtvoll derselben, das unsere Abbildung zeigt, repräsentiert das Zimmer des Königs im Schlosse von Kopenhagen. Die Möbel sind von einfacher Vornehmheit und erinnern an die Gemächer des „Bürger¬ königs" und seiner Familie im Trianon. Roch kühler ist der Pavillon Finnlands, gegenüber dem Teutschen Hause gelegen und gleichfalls von hohen Baumkronen

Durchblick durch den mittleren Pfeilerbau, auf dem der Glocken¬ turm ruht, und der mit Darstellungen aus der finnischen Sagenwelt geziert ist. Der Fries der Halle weist kunstvolle Holzschnitzereien auf. In Glaskästen sind höchst bemerkenswerte Arbeiten aus den Kunstschulen des Landes, Handfertigkeitsarbeiten, Werkzeuge und Erzeugnisse der nationalen Industrien, des Ackerbaus, der Forst¬ wirtschaft, der Fischerei, des Bergbaus, der Marmorsteinbrüche zu sehen.

stand

Jedermann kann

sich

hier überzeugen, welch hohen Kultur¬

Finnland dank seiner bisherigen relativen Unabhängigkeit

erreicht hat, und begreift, wie berechtigt der Wunsch dieses braven Volkes ist, auch ferner seine Selbstverwaltung zu wahren. Ist es Ihnen noch nicht frisch genug? Gut, gehen wir noch weiter nordwärts, nach Island! Wir überschreiten die Jena¬ brücke; denn die dänischen Besitzungen in den arktischen Regionen haben als Kolonien ihren Platz im Trocadero-Palaste bekomme». Hinter den monumentalen Säulenkolonnaden des mächtige» Bau¬ werks finde» wir in reicher Auswahl und übersichtlicher Anordnung ein Bild des ganzen Lebens der Isländer. Wir sehen sie in ihren Fellkleidern den Gefahren der See und des Landes trotzen, sehen, wie sie wohnen, wie sie ihre Schisse zimmern, ihre Häuser bauen.

ihre Jagdgeräte, ihre Netze, Segel, Taue fertigen, ihre Wollhandschuhe stricken, ihre Angelhaken schmieden, Fische sangen und kennen. trockne»! wir lernen sie als Vogelsteller und Bärenjägec Was sind wir verweichlichte Menschen der gemäßigten Zone, die zu lernen brauchen, gegen diese Universaljeder täglich eine ganze Reihe von Fertigkeiten und Künsten üben muß und es in allen zur Virtuosität bringt! Gern möchte ich Sie auch nach Grönland bringen, aber ich Dagegen wird fürchte. Sie könnten sich eine Erkältung zuziehen.

wir nur ein Handwerk ineuschen,

deren

Sie gewiß interessieren, da wir doch einmal in der Nähe, am Trocadero, sind, einen Blick in das Reich der Mitte zu werfe». Mau hat China sehr sinnreich an das Wir steigen in Petersburg ein, asiatische Rußland angeschlossen. rind Ostsibirieus in einem Westivechselreicheu Gegenden lassen die vibrierenden Salonwagen täuschend wir im während Panorama, Mandschurei, — bis der die dann vorüberziehen, uns sitzen, an das auf der Aus¬ China, anssteigen!" „Peking! Alles ertönt: Ruf stellung von 1889 gar nicht vertreten war, hat sich auch diesmal nicht in große Kosten gestürzt. Bon seinen fünf Pavillons ist aber der. es

nämlich

welcher das

den unsere Abbildung das ans der Aus¬ Thor, Dieses

„Thor von Peking" zeigt, und

wiedergiebt, äußerst merkwürdig. stellung nur in reduzierter Größe dargestellt ist, hat eine Höhe von dreiunddreißig Metern und ist eines der wohlgefüllten Arsenale, welchen die Boxer ihre Waffen entnommen haben. Die verkleinerte Ausführung läßt den Oberbau von fünf Etagen und das kunst¬ Ein Volk, volle Schnörkelwerk mit voller Wirkung hervortreten. das solche Bauwerke auszuführen und mit Kriegsmitteln auszu¬ statten weiß, darf nicht leicht genommen werden,' um ihin die Spitze zu bieten, muß man damit anfangen, es begreifen zu

Dazu bietet allerdings die Ausstellung treffliche Gelegen¬ lernen. heit. Roch nie sind in Europa so viele Chinesen beisammen in gewerblichem und künstlerischem Schaffen gesehen worden: Weber, Zeichner, Papiermaler, Emaillenre, Ciselierer, Schuhmacher, Schneider, Friseure, Perlmutter- und Schildkrötarbeiter, Drechsler, Bambusarbeiter, Gold- und Silberarbeiter u. s. w. Und alle diese Leute zeigen ihre Geschicklichkeit auf die höflichste, liebens¬ würdigste Weise; offenbar ist kein Boxer unter ihnen!

Carl Miutorp.

Die Entwicklung des neueren deutschen Romans. V. Der Frauenroman. der Frauenroman

ist

nicht rein weiblichen Ursprungs;

auch er stammt von einem Vater, und dies ist jener Karl Heun, der, au gewisse belletristische Traditionen des vorigen Jahrhunderts anknüpfend, unter dem Name» Clauren zu den am meisten gescholtenen und gelesenen Schriftstellern Deutschlands zählte. Seine 1818 erschienene „Mimili", dieses echte Schweizer Bauernmädchen mit seinen botanischen, geographische» und ety¬

mologischen Kenntnissen, seinen Schwanenhändche» und eleganten Nachthäubchen, das in seiner naivsten Unschuld sich wie eine Prevostsche demi-vierge benimmt und schließlich den tot ge¬ glaubten Freiheitskämpfer ^kriegt", ist die Ahne einer ganzen Dynastie geworden. Sie spukt noch in den verflossenen Garten¬ E. Werner, Heimburg und Ge¬ laubenromane» der nossinnen. Läßt sich auch mancher dieser Schriftstellerinnen, wie der Musagetiii Marlitt (Engenie John) selbst, ein gewisses Fabulier¬ talent nachrühmen, so haben sie sich doch durch fast systematische Schablonenhafte Fälschung des Weltbildes schwer versündigt. Charakteristik, krankhafte Neigung zum Unwahren, dabei bei aller gouvernantenhaften Prüderie keine rechte innere Reinheit, so er¬ scheinen uns heute diese Lieblingsschriftstellerinneu unserer Mütter, deren Führerin durch das boshafte Witzwbrt am besten charakterisiert ivurde: „O wäre alles, was sie geschrieben, Geheimnis der alten Mamsell geblieben!" Zunächst waren es aber gar nicht diese wässerigen Familiengeschichtchen, in deren Verlauf jedesmal eine märchenhaft liebliche „Sie" durch einen fabelhaft interessanten „Er" beglückt wurde, denen sich die weiblichen Federn zuwandten. Wir haben schon an Luise Mühlbach dargethan, daß der Griffel der Klio, auch wenn er vereint mit dem Stilns der Kalliope seine Arbeit thun soll, in weiblichen Händen nicht eben am besten aufgehoben ist; und wer sich etwa der schweren Langweile erinnert, die er der Scott-Nach¬ ahmerin Henriette Paalzow dankt, dürste kaum zu einem viel freundlicheren Urteil gelangen. Nur in jenenr Grenzbezirk zwischen dem historischen und Zeitroman, der, wie einzelne Romane des Alexis, sich an einer eben verstrichenen Epoche genügen läßt, fühlten sich die Damen heimischer. Vor allem aber war es der Zeitroman, der, dem allgemeinen Zug entsprechend, von den Frauen ausge¬ nommen wurde. Hier ist vor allem Jda Gräfin Hahn-Hahn, die berühmte Konvertitin, zu nennen, die mit den höheren Zwecken, wie sie sich ihr aus der begeistertsten Bekehrung zum Katholizismus ergaben, erst in den Zeitroman hineinwuchs, ja schließlich etwas ihren älteren wie eine Antipode der Jungdcutscheu wurde. Büchern, wie in „Cecil" l 1844) oder „Leviu" (1848) ist noch wenig von der späteren Tendenz zu spüren. Wir treffen zunächst nur die wohlbekannten, mehr oder weniger mit sich und der Welt zer¬ fallenen romantischen Helden an, wie sie ja auch dem jungen Deutschland nicht fremd sind. Cecil, ein unividerstehlichcr junger bürgerlicher Diplomat, hat seinen Freund getötet, seine Braut und ein Mädchen, das für ihn schwärmte, — freilich nicht wissentlich — ins Grab gebracht und erfreut sich doch der vollen Sympathie der Verfasserin. Auch in religiöser Beziehung fehlt es noch nicht an Toleranz für die übrigen christlichen Bekenntnisse. Schlimmer

Marlitt,

In

Levin aus, diese hochgestimmte nicht mehr von der Schuld au hat, freisprechen kann und dem das Sakrament der Ehe zu schwerem Vorwurf gemacht wird. Schon erscheint hier das Kloster als letztes und höchstes Asyl. Aber erst nachdem die Hahn-Hahn 1851, wie Gottfried Keller sagt, „mit Geräusch katholisch" ge¬ worden war, entstanden jene tendenziösen Zeitromane, deren um¬ fangreichster 1860 unter dem Titel „Maria Regina" erschien und ivie ein bewußter und gewollter Gegensatz zu Gutzkows „Ritter vom Geist" anmutet. Nur der glühende Fanatismus der Neu¬ bekehrten kann ein Buch wie dieses erklärlich machen, das wohl niemandem, zu welcher Weltanschauung er sich bekennen mag, einen künstlerischen Genuß gewährt. Nicht bloß, daß der Roman weit eher einer langatnrigen und unermüdlichen Apologie katholischer Dogmen gleicht, so wird mit blinder Wut gegen alles Akatholische augerannt. Da werden Freigeister, Jakobiner und Blutsäufer wahllos zusammengeworfen; da giebt es hämische Tiraden gegen „den ungeheueren Apparat der Wissenschaften, der sich an die Bildungen der Natur heranwagt," gegen Ge¬ schichtsforschung, gegen das „Ungeheuer Industrie," gegen das glaubenlose Amerika, gegen Lessing und seine Emilia, Shakespeare und den „Othello," gegen Goethe, der nur „für junge und alte Kinder paßt. die mit dem Leben nichts anzufangen wissen," gegen Kunst und Theater; da fehlt es (neun Jahre nach dem Uebertritt der Verfasserin) nicht nix den boshafteste» Ausfällen gegen „den in tausend Sekten zerfallenden Protestantismus," während die Inden empsindsam als Unerlöste bemitleidet werden. So macht be¬ sich ans jeder Seite des Romans ein vertrotzter Zelotismus merkbar, der sich an sich selbst berauscht: das Wvhlverhalten eines jeden steht in geradem Verhältnis zu seiner Dogmeugläubigkeit und schließlich findet jeder das Ende, das ihm zukommt, von dem Märtyrertod der cxstatischen jungen Heldin bis zu dem schmählichen Ende der Lässigen und Ungläubigen. Daß der Roman durch die beständigen geistlichen Dispute und Laienpredigten auch technisch Und doch hat die nicht gefördert wird, liegt auf der Hand. Hahn-Hahn Schule gemacht und gerade dort, wo sie es am Fanny Lewald, einer jüdischen wenigsten erwarten mochte. Familie entstammend, begann mit jenem Mittelding zwischen historischem und Zeitroman, für das die Lewald freilich nicht all¬ zuviel Diskretion mitbrachte. Barnhageu von Ense mag eigentümlich berührt gewesen sei», als ihm eine Mandel Jahre nach dem Hin¬ sieht es ja schon um den Grafen Künstlernatur, den i»au durchaus all dem Unheil, das er angerichtet sein zügelloses Anstürmen gegen .

seiner Gattin ein Rvnian („Prinz Louis Ferdinand" wurde, in dem die Rahe! eine im Grunde recht zugeeignet 1849) Obgleich es ja an Lob ihrer Geistesgaben niedrige Rolle spielt. nicht fehlt und sich nichts zuträgt, was ihren Ruf schädigen könnte, so erscheint sie, als einig schmachtendes kleines Juden»lädchcn, das jederzeit bereit wäre, sich dem Prinzen an den Hals zu werfen, doch wesentlich anders, als man Nahet Lcvin-BarnAber eben so wenig Takt wie ans hagen sich vorzustellen pflegt. der Widmung dieses Buches an den Gatten der Verstorbenen spricht ans der Art, in der Personen, deren Gedächtnis noch lange scheiden

541

Die Lewald ist nicht historisch geworden ist, vorgeführt werden. Diese hier kaum mehr als eine demokratische Luise Mühlbach. Frau nun, die mit einer Persiflage der Hahn-Hahn („Diogena" Altersroman 1847) eingesetzt hatte, die ihr Lebelang bis zn dem „Haus Darner" für die Emanzipation der Juden gekämpft hat wobei über die Stellung der Juden zwar viel geklagt wird, ohne daß aber, außer etwa im Roman „Jenny", die Assimilation mit den christlichen Mitbürgern nennenswerten Schwierigkeiten be¬ an¬ gegnet), diese Fra» fühlte sich durch „Maria Regina" derart geregt, daß der erste Teil ihres achtbändigen Romanes „Von Ge¬ schlecht zu Geschlecht" (1864) deutliche Spuren dieses Buches trägt. Während auch sic sonst das deutsche Volk bei der Arbeit aufzu¬ suchen liebt, bewegen wir uns nun in Adelskreisen, die Tendenz ist eine katholisierende, die intoleranten evangelischen Eltern der katholisch gewordenen Baronin werden ins Unrecht gesetzt, der Volksaufstand gegen die katholische Gntsherrschast ist von der Hahn-Hahn übernommen, der Schloßkaplan in seiner milden Weisheit ist ein Abkömmliing des gräflichen Priesters in „Maria Regina". Im übrige» hat auch die Lewald ihren Lieblingsjungen den nicht Helden: Tausendsasa der Romantiker, alten Tausendsondern den künstler, der es ans möglichst niedrigen Anfängen zn einer ge¬ bietenden Stellung in Handel gebracht hat und Industrie 1

(„Von Geschlecht zu Geschlecht" 2. Teil und „Hans Darner") und nun ans seine gesamte Um¬ gebung einen schrankenlosen Ein¬

Gewiß iü sie nicht, wie man überschwenglich behauptet hat, der größte lebende Dichter, gewiß liegt ihre eigentliche Größe ans dem Gebiet der Novelle, gewiß greift auch sie, zumal wenn sie dir Satire zu handhaben sucht, bisweilen daneben. Aber wem so wie ihr das Leben sich znm Kunstwerk gestaltet, wer so in den Herzen auch der Niedersten, Verachtetsteu und Unbegriffensten zu lesen weiß, wem die Seele des verstoßenen Gemeindekindes, der rohen Dvrsmagd, der kleinen Uhrmacherin vom Dorfe, der Ehebrecherin, des Mannes, der dem Mörder seiner Tochter nicht zu grollen vermag, so offen steht: wer so mit großen und gütigen Augen ins Leben sieht und ohne jemals den tiefsten Schatten aus dem Weg zn gehen doch überall ein Fleckchen Sonne erspäht, der steht ans dem Gipset der Knust. Und müßig wäre eS, um den Platz zu streiten, der ihm oben auf der Höhe noch zukommt. Mit Marie Ebner ist der Bann gefallen, der auf dem litterarischen Wirken der Frauen gelegen haben mag. Niemand darf es heute mit Fug wagen, über Blaustrümpfe und dergleichen zn spotten. Denn seit dem Auftreten der Ebner mußte alles weichen, was an Schablonenhaftem, Unwahrem, Unerlebtem an der Franen-

Die „Ebner hastete. als Erzieherin" ist gewiß nicht minder bedeutend, als „die Ebner als Künstlerin": denn sie hat ihr Geschlecht zur Kunst erzogen, sic hat auch die Frauen gelehrt, ein Stück Leben mit ihrem Tempe¬ Wohl rament z» betrachten. ragt die Marlitterei noch in unsere Tage hinein, wohl fristet noch die nicht niedrig genug zn

litteratur

Eschstruth ihr kü»imerliches Dasein, wohl sind die dunklen Scharen der „Untcrhaltniigsromane" ans weiblichen Federn, wie sie Sofie Jung¬ Genossinnen st ans und zahlreiche kultivieren, noch ebenso viele Wahrzeichen ans böser Zeit. Ossip Sch»bin (Lola Kirschner), die vielgelesene, die ja ans allen Kreisen des österreichischen Adels und der „Boheme" manches nicht zu unterschätzende Weltbild gezeichnet hat, ist doch »nr arm¬ selig als Menschenmalcrin und krank an echt weiblichen Sünden wider den heiligen Geist der Poesie, So darf man auch über der braven Idee, in deren Dienst sich Bertha v. Suttner gestellt hat, nicht ihre unzulängliche Kunst vergessen. Diese beiden Oesterreicherinnen haben mit ihrer großen Landsmännin nur die Anstriacisnic» gemein. Ein her¬ bes Können spricht dagegen aus den Werken von Emilie Mataja die sich in die ge¬ (Mariot), sinnländischrn Hauses. Inneres des heimste» Falten der Menschcnseele einzubohren liebt. Und welch ein Fortschritt in der jungen weiblichen Generation! Da ist die prächtige Gabriele Reuter, die V., von Holst, der unter Frobenstraße 17, ist der Dackel von dem Titel: „Auf verbotenem Gebiet" in der schwedischen Abteilung der großen Kunstausstellung das Publikum fesselt, in Kupferätzung lPhotvgravure) herausgegeben. Das Bild erschien in Kabinet-

eines

Bühnenfängers gehört hätte.

an¬

Der ausgezeich¬ Barytonist hat

nete

Hofoper in den

I.

format und

die Glanzzeit unserer

Frani

n

f

mit immer gleichem,

ja steigendem Erfolg dem

ein¬

schon

gestorben am 12. August 1900.

Im Jahre

mit ehernem Griffel in die Tafeln der Musikgeschichte

auch

als Künstlerpostkarte.

sech¬

Setz 4-

ziger und siebziger Jahren gesehen, die Künstlerinnen wie die Mallinger, Brandt, Lucca und Künstler wie Niemann, Frickc, Krolop und ihn selbst zu einem einzig gro߬ artigen Ensemble vereinigtet er hat den Niedergang der Oper in den achtziger Jahren erlebt und zeugte allein als Säule von verschwundener Pracht. Er stand und behauptete sich in erster Reihe, als zu Ende der achtziger Jahre eine neue Glanzzeit unter der Leitung des Grafen Hochberg anbrach, Mit dem Pfunde, das ihm die Natur verliehen, eine Baryton¬ stimme von phänomenaler Schönheit, Weichheit und Fülle, hat er redlich in künstlerischem Sinn gewuchert. Dieses von dem Sänger stets sorgfältig gehütete und gepflegte Kleinod diente ihm willig zur Verwirklichung seiner vornehmen künstlerischen Intentionen. Für ihn gab es' keinen Komponisten, keinen Stil, dem er nicht Er war ein ebenso vorzüglicher hätte gerecht werden können. Mozort- und Meyerbeersänger, wie Verdi- und. Wagnerinterpret; er war in der deutschen Spieloper so gut zu Hause wie in der französischen. Auch kannte er keinen Unterschied zwischen hohen und tiefen Barytvnrollen; ihm stand das tiefe Register für den fliegenden Holländer und Wotan ebenso klangreich zu Gebot, wie das höchste für den Heiling und Tellramund. Leider war der Künstler durch seine Kurzsichtigkeit in der freien Bewegung auf der Bühne behindert und blieb in Rollen heroischen Charakters bezüglich der Darstellung hinter manchem feiner' engeren Fachkollegen zurück, wußte dieses Manko aber stets durch seinen harmonisch abgetönten und formvollendeten Gesang auszugleichen. Unübertreffliches aber bot Betz in der Verkörperung einfach¬ bürgerlicher Gestalten, zumal, wenn solche seitens des Darstellers Mit seiner eine starke Dosis gemütvollen Humors erfordern. Wiedergabe des Plumket (Martha) des Flnth (Lustige Weiber) und vor allen Dingen des Hans Sachs (Meistersinger) hat er sich

Berliner Ctzronik.

.

Am 13. August starb in Kassel im 42. Lebensjahre der Bühnen¬ dichter Karl Laufs, dessen Schwänke „Ein toller Einfall" und „Pen¬ sion Schüller" vielfach über Berliner Bühnen gegangen sind. Professor Hermann Grimm gedenkt zum April nächsten Jahres von seinem Lehrstuhl zurücktreten. Der Gesanglehrer Paul Schöpf ist zum Professor ernannt worden. Dem verstorbenen Litterarhistoriker Wilhelm Scherer ist in der Aula der Universität eine Marmorbüste errichtet worden. Sie ist ein Werk des Bildhauers Karl Scsincr in Leipzig.

Kleine Mitteilungen. Vor dom Zusammenstoß der Erde mit einem Kometen

fürchtete inan sich schon einmal vor nicht allzu langer Zcit,am 13. Juni 1857. Nun flog am 8. Juni, abends gegen 7 Uhr in Berlin das an der Kirschallec gelegene Laboratorium des Feuerwerkers Doberinont in die Luft. Die Explosion tötete den Feuerwerker, einen seiner Arbeiter, eine in einem benachbarten Garten beschäftigte Frau und den ebendort zum

Thcaterarbciter Holz. Schwer verwundet sich aufhaltende» wurde Dobermonts Tochter. Einen in einem Nachbarhause liegenden Schwerkranken hob die Explosi» mitsamt seinem Bett in die Luft und schmetterte ihn als Leiche auf die Erde. An der Hinterfront der benachbarten, aber vom Laberatorium durch einen größeren Zwischen¬ raum getrennten Kasernen zersprangen alle Fensterscheiben. Damals lebte in Berlin ein reicher Fabrikant (nach andern Angaben ein Klempnermeister), der fest an den baldigen Untergang der Welt glaubte und ganz tiefsinnig vor Besorgnis geworden war, was mit seinem Gelde werde» sollte. Als am 8. Juni die Explosion des Dobermontschen Laboratoriums in ganz Berlin hörbar war, glaubte der Unglückselige, die Zeit des allgemeinen Chaos sei gekommen, ergriff ein Beil und schlug damit Besuche

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mit einen zufällig anwesenden Freund und daun auf Weib und Kinder wütend los. Taun zertrümmerte er unter lautem Geschrei die Möbel und wurde von de» berbeigeeilteu.Nachbar» mit Mühe entwaffnet und gebändigt. Noch an demselben Abend nahm ih» die Charitee auf — ein Opfer der Furcht vor dem Zusammeustotz der Erde mit einem Kometen! Friedrich der GroHr über die Tortur. Wen» auch Friedrich der Große manche veraltete Aeußerlichkeiteu der Justiz noch bestehen ließ. z. B. in Berlin am 15. August 1786 ei» „Halsgericht" über den Mordbrenner Höpner aus Landsberg an der Warthe „gehegt" oder der Stäuber Johann Heinrich Kaatz aus Schlüffelberg am 29. November 1752 für vogelfrei erklärt wurde (er starb aber in einem oldeuburgischeu Dorfe in der Nähe Bremens als — Schul¬ lehrer), so hob er doch bald und) seiner Thronbesteigung am 81. Juli 1710 die Strafe des Sackens auf und gestattete am 3. Juni 1740 die Tortur nur bei Majestätsverbrechen, Landverrat und bei großen Mord¬ thaten, durch die viele Menschen ums Leben gekommen oder in die viele Delinquenten, denen Comiexiou herauszubringen nötig, verwickelt waren. Trotz dieser köuigl. Kabiuettsordre brachten aber die Richter auch in anderen Fällen die Tortur noch in Anwendung. Dies beweist ein Schreiben Friedrichs des Großen a» den Staatsminister von Bismarck (Lewiu Friedrich von 23., Justizmiiiister 1723—1763, starb 1774 auf seinem Gute Briest bei Stendal, 72 Jahre alt): „Mein lieber Geheimer Etatsminister von Bismark. Auf Euren Bericht vom 19. dieses, den in großem Nerdacht wegen begangenen Mordes und Beraubung auf öffentlicher Land¬ straße stehenden Schäfer, Gört weckt der alte wendische Ort Einst war es Jaczos, des letzten

Von Köpenick an beginnt nun jenes eigenartige Uscrbild, in gewaltige Fabriketablisseinens, wie Spindlersfeld, RiederSchönweide mit traulichen Wald- und Wicscn-Eckchen und großen, für Massenbesuch eingerichteten Sommerlokaleu abwechseln. Da ist Sadowa, Hasselwerder, Rener Krug, Tabberts Waldschlößchen, dem

dann die beiden der Stadt Berlin gehörenden Eierhäuschen und die vielen Lokale in Treptow, Stralau und am Rnmmelsburger See. Fast allen ist gemeinsam, daß sie in der Woche sehr schwach besucht, an Sonn- und Feiertagen aber überfüllt sind. Der Berliner Kleinbürger hat eine gewaltige Vorliebe für diesen Teil seiner Spree. Zu Huuderttausenden sucht er sie an seinen Unaufhörlich schleppen da die vollbesetzten Rasttagen auf. Dampfer ungezählte Menschcnmassen hinaus! die der Spree parallel laufenden Bahnen, die Görlitzer und die Schlesische, leisten

fi55 auch das ihrige. Dazukommen daun noch die vielen „wilden"

Meist als Pärchen da stundenlang den Fluß hinauf, tanzen sich in einem der llferlokale heiß und ersetzen dann bei der Heimfahrt die fehlende La¬ terne und die mangelhaften Ruderkenntnisse durch trautes Geplauder und begeisterten Gesang: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten-" Daß dabei nicht noch mehr Ruderer. paddeln

sie

Unglück geschieht, als that¬ sächlich der Fall ist, zeugt für die Geistesgegenwart und Umsicht der DampferÄischK-Itr» in der Spree.

führer.

Einen exklusiv vornehmen Charakter wahren sich die beiden Treptower Restaurants: das alte „Zeunersche" und die neue, ans der Treptow vorgelagerten Insel errichtete „Abtei". Anfang der siebziger Jahre breitete sich hier noch das Sprcebett frei aus; da kam jemand auf die Idee, aus einer dort vorhandenen Untiefe durch Anschüttung von Berliner Bauschutt eine Insel zu schaffe». Jahrzehntelang lag dann die nach und nach reich mit Bnschiverk und hohen Bäumen dicht verwachsene Insel, ans deren Grün nur eben ein paar Dächer hervorblickten, wie ein verschlossenes Paradies inmitten des sie umtobenden Menschentrubels. Vor wenigen Jahren erst kaufte ein unternehmender Restaurateur das verwunschene Eiland an, rodete den Baumbestand so weit wie nötig ans und errichtete dann jenes seltsame Gemäuer einer alten Abteirnine, von der nur eben noch einige Mauern, Strebebogen und Fialen in die Lüfte ragen. Das Restaurant vornehmen Stils, in das das ganze dann umgewan¬ delt wurde, ist bald der Lieb¬

ling des Berliner Publikums ge¬ worden, und an heißen Sommer¬ geben abenden sich hier selbst den fernen Weste» bewohncnde Fa¬ milien Stelldich¬ ein.

Faß stott machen und wieder besteigen, und das ist außerordentlich schwierig und gelingt erst nach manchem vergeblichen Versuch. Es ist deshalb auch fast unmöglich, vorher zu bestimmen, wer Sieger bleibt; denn noch unmittelbar vor dem Ziel kann man Pech haben und alle Chancen verliere». Die Zuschauer wetten trotzdem eifrig ans die einzelnen Wettfahrer; denn ohne Wetten giebt es in Berlin keinen

Sport.-

Jetzt fangen auch in Stralau schon an die Schlote und Fabrik¬ gebäude eins neben dem andern in die Lüfte zu ragen, während auf der Treptower Seite der große, der Stadt Berlin gehörige Park dem User noch ans eine weite Strecke in die Stadt hinein einen freundlicheren Charakter verleiht. An der großen Spreeausbuchtung, dem Rummelsburger See, liegen auch die ersten jener riesigen Mörtelwerke, in denen der von oberhalb kommende Sand und die Kalksteine ihr schnelles Ende finden. Da sind merkwürdige, lange Gerüste errichtet, an denen breite, endlose Bänder auf Rollen unanfbörlich hin und her lausen und in unglaublich kurzer Zeit die Entleerung eines solchen voll¬ beladenen Sandkahnes vollbringen. Die Kalköfen recken sich empor, und wenn dann Kalk, Sand und Wasser ihre innige Vermählung vollzogen haben, dann wird der zähe Brei in grojzen Tankschiffen weiter in die Stadt hinein geschleppt, um an den Onais der Hafenbassins mittels rotierender Krane wieder eben so schnell in Wagen umgeladen und a» die einzelnen Baustellen geführt zu werden. Hier oben fängt aber auch schon die berüchtigte Verunreinigung des Spreewassers an, zu der jede der vielen Jndnstriestätten ihren Teil beiträgt. Man kann wirklich kaum begreifen, daß der Berliner mit solcher Vorliebe die Flußbäder besucht; denn einen sehr er¬ frischenden Eindruck macht die grünlich-braune Brühe, die das Spreewasser innerhalb der Stadt ist, wirklich nicht. Gleichwohl erfreuen sich die vielen, teils städtischen, teils in Privatbesitz be¬ findlichen Flnßbadeanstalten eines regen Besuches. der Nähe der eisernen Gilterbogenbrücke liegen ans dem rechten Sprecnfer einige jener renommierten Bootswerften, die die zarten, schlanken Boote für die Klubs bauen, und neben ihnen die Zillenschlächte¬ reien. DerZillenschlächter ist ein ganz eigener Typ der Oberspree. Er kauft die mäch¬ tigen Lastkähne, die „Zillen",

In

wenn sie ausge¬ dient haben, ans und schlachtet sie ans, d. h, er ver¬ wertet ihre Plan¬ ken und Spanten als Brennholz und das Metall als „Alt Eisen."

Schräg gegen¬ über in Stralau winken die altehrwürdige Kir¬ che und vor ihr die Liebesinsel als alte Wahr¬ zeichen der Oberspree und des berühmten

„Stralau er

-

Bald

begegnet

uns

nun da-s erste jener monu¬ mentalen Brükkenbanwerke, mit denen die Stadt

Die Spree bei StrsLarr.

Fischzuges", auf dem immer noch die verzauberte Prinzessin Rnmeliiie von Rummelsburg in Gestalt eines ziemlich großen, getrockneten Hummers umhergetragen wird. Eine andere Volksbelustigung, nicht minder komisch als der Fischzug mit seinem Ulk, ist das „Flußpferdreiten". Die Flu߬ pferde sind leere Bier- oder Petroleumsässer, an denen vorn ein aus einem Brett herausgesagter, bunt bemalter Pferdekopf befestigt ist. Die Wettfahrer erscheinen im Kostüm der Parforcereitcr mit rotem Frack oder im Stallnieisterkostüm, wobei selbst die Pfundsporen an den Kanonenstiefeln nicht fehlen. Sie müssen sehr gute Schwimmer sein; denn die zu Rennpferden veredelten Fässer haben ans ihrem früheren Beruf eine leidenschaftliche Vorliebe für das Rollen um die eigene Längsachse beibehalten. Jede unvorsichtige Bewegung des ans dem Faß Sitzenden veranlaßt das Faß zum Rollen nach rechts oder links, wobei natürlich der „Reiter" unfehlbar ins Wasser fällt. Die Fortbewegung der Flußpferde beim Rennen erfolgt durch Anwendung des Doppclrnders, der sogenannten „Paddel". Rur ganz gleichmäßige, leichte Rnderschlage bringen den Wettfahrer weiter. Sowie er in Eifer gerät, zu heftig paddelt oder irgend eine ungeschickte Bewegung macht, füllt er ins Wasser und erregt die ungeheuerlichste Heiterkeit der Zuschauer nicht allein durch den Fall, sondern noch viel mehr durch die krampfhaften, komischen und doch vergeblichen Versuche, sich ans dem Faß zu er¬ halten. Die Paddel dient dabei als Balanzierstange. Wenn aber der Wettfahrer, um sich vor dem Fall nach links zu bewahren, die Paddel nur eine Kleinigkeit zu viel nach rechts balanzieren läßt, rollt er sofort nach rechts ins Wasser. Dan» heißt es nicht nur schwimmen, sondern auch Hut und Paddel wieder auffischen, das

ihren Fluß so vielfach überspannt hat, die Oberbaumbrücke. In zwei Stockwerken, deren oberes den Körper für die elektrische Hochbahn abgeben wird, ist sie unter Anlehnung an den Stil altmärkischer gotischer Bauwerke in Ziegelrohbau errichtet und beherrscht weithin den Fluß, dessen Bett sich nun zwischen Fabriken, Färbereien, Gaswerken immer mehr ver¬ engt, und dem dann bald durch die Viadukte der Stadtbahn auch noch ein Teil seiner Breite genommen wird. Trotzdem er an zwei Stellen schon Kanalabzwcignngen erfahren hat, die sich weithin durch die Stadt ziehen und erst unterhalb in Charlottenbnrg sich wieder mit ihm vereinigen, scheint kaum eine nennenswerte Entlastung dadurch eingetreten zu sein; die Fülle der Ladung »chmenden und löschenden Frachtschiffe ist hier so groß, daß er seine trüben Fluten kaum zwischen ihnen durchschieben zu können Hier scheint. So geht es bis zur Jannvwitz- und Waisenbrücke. zweigt sich noch der sogenannte Kupfergraben ab, die Spree selbst aber breitet hier im Herzen von Alt-Berlin

ihr Bett

noch

einmal weit aus. Hier siebt wirk¬ lich noch „AltBerlin" an ihre»

Ufern. sigen

Aus rie¬ Pfühlen

Gotkiirb, seine Zille „jkakend".

556

mit Bohlenbelag bestehende Uferböschungen, teilwcis auf Holzpfählen errichtete, oft schon recht schief stehende Fachmerkbauten,

dazu fest verankerte Waschbänke und die Fischkästen der Berliner Fischerinnung, so setzt es sich fort bis zur Müyleiidammschleuse, Der Umbau des Mühlendammes in seiner jetzigen Gestalt war eine der größten Bauleistnngen der Stadtverwaltung in den letzten zehn Jahrein Man kann nicht gerade sagen, daß er Berlin ver¬ schönt hat- denn das burgartige Sparkasfengebäude sucht an Unschönheit wohl seinesgleichen. Die Brücke ist leider auch, trotz aller Einsprüche der Flußschiffahrtsvereine, um ein paar Fuß zu niedrig gebaut worden, so daß die große» Elb- und Oderschisfe die Stadt nicht passieren, sondern eben nur bis hierher gelangen können; ein Fehler, der wenigstens nicht leicht wieder gut zu machen ist. Ein überraschend anderes Blld gewährt der Fluß sofort, wenn man die Schleuse passiert hat. Zwischen hohen Ouaimauern strömt er dahin. Monumentale Gebäude zieren seine User, das unver¬ gleichlich schöne Denkmal des großen Kurfürsten grüßt zum alters¬ grauen Hohenzollernschloß hinüber, die hohe Kuppel des neuen Doms spiegelt sich in seinen Fluten, und die Säulenhallen der Museen und der dreieckige Giebel der Nationalgalerie erinnern daran, daß man von „Spreeathen" spricht. So geht es weiter an dem mäch¬ tigen Steinblock des Reichshauses vorbei. Bald beginnt die Anlage

Ganz neue Ausblicke für Berlins Wasserverkehr eröffnen Pläne für die neuen Wasserstraßen, den Mittellandkanal und Berlin-Stettiner Ostseekanal, Fast möchte man meinen, es sei Raum mehr auf dem Fluß für neue Belastung, — aber die Carl Langhammer, treue Spree wird's schassen!

die den kein

alte

Auch der Berliner Garnison bietet die Spree einen vorzüg¬ Da werden Rotbrücken geschlagen, feste lichen Uebungsplatz. Brücken gebaut, Schwimmübnngen für die Kavallerie veranstaltet und Versuche angestellt, wie man den Brückenbau, der besonders für die Artillerie notwendig erschien, umgehen können. Ein seitens der Artillerie neuerdings in Ermangelung einer geeigneten Brücke häufig in Anwendung kommendes Verfahren, Geschütze über ein Gewässer zu schaffen, besteht darin, daß die¬ selben, wie unsere Abbildung zeigt, mittels daran befestigter der Tonnen zu einer Art Fähre (Floß) eingerichtet werden. Regel benutzt man hierzu je acht unter sich durch Bretter, bezw, Sind die so am Lande zuin Balken verbundene Tonnen, Schwimmen vorbereiteten Geschütze (Protzen) bis dicht an das Ufer des Gewässers gefahren, so werden die Pferde

In

«eschütztransport aus Tonnen.

der Onais in zwei Absätzen, und hier spielt sich der große Frachtschiffahrtsverkehr ab, der die Güterbeförderung zwischen Ham¬ burg und Berlin zu Wasser vermittelt. Eigene große Dampfergesellschaften bestehen zu dem Zweck, und die hier ankernden Fahr¬ zeuge weisen einen ganz anderen, mehr dem Seeschiff ähnlichen Typ aus. Doch wenn der Fluß die „Zelten" im Tiergarten und Schloß Bellevue passiert hat, dann wiederholt sich bald nur in noch

vergrößertem Maßstabe das

Bild, das

seine Ufer oberhalb

der Jannowitzbrücke zeigten: Die Stätten der Industrie, die rauch¬ geschwärzten Schlote, einer »eben dem andern, und ans dem Wasser ein Hasten und Drängen der Ladung löschenden und einnehmenden Schiffe,

abgeschirrt, die Geschütze von den Bedienungsmannschaften ins Wasser gestoßen und von mit je fünf Artilleristen bemannten Kähnen aus mittels Taue unter Benutzung von Rudern oder Staken dem jenseitigen User zugesteuert, wo die sehr leicht schwimmen¬

den Geschütze von Mannschaften ans Land gezogen werden. Die Pferdegeschirre werden zn Paketen zusammengejegt und in Kähnen übergeführt, die schwimmenden Pferde aber am Halfter von in Kähnen sitzenden Mannschaften ans andere Ufer geleitet. Die Artillerie ist durch dieses Verfahren in die Lage gesetzt, im Ernstfall auch ohne die Beihilfe vvn Pionieren ein Gewässer

überschreiten zu können.

Naturdenkmäler und künstliche Urwälder as neue Jahrhundert bringt unseren Naturfreunden, den Freunden unserer Heimat, eine schöne Gabe zur Begrüßung: eine Kunde, die vielen von ihnen eine lange, heimlich lastende Sorge zu benehmen und frohe Hoffnung dafür zu spenden geeignet ist. Der Staat wird sich in Zukunft den Schutz der Naturschönheiten und der Naturbesouderheiten in größerem Maßstab

Eine Aktion ist im Werke, die den Schutz der natürlichen Schätze des Vaterlandes in ein bestimmtes Die preußische Regierung, speziell das System bringen wird. Domänen und Forsten, findet, daß Landwirtschäft, Ministerium für es wohl des Schweißes der Edle» wert wäre, nicht allein den marmornen und ehernen Denkmälern ans der Vergangenheit, nicht angelegen

sein lassen

als bisher.

Stammes überwallt, ebenso das an der Seite befindliche kleine Flugloch der Bienen. Wir sehen schließlich die „Starke Eiche", die außerhalb des Waldes an der Landstraße von Elbing nach Tolkemit steht, ans dem Gut Cadinen, das dein Kaiser gehört. Sie ist einer der stärksten Bäume von ganz Deutschland; der Stamm ist bereits ausgehöhlt und kann durch eine verschließbare Thür betreten werden, elf Soldaten mit Gepäck haben darin Platz. Das sind, wie gesagt, nur Beispiele. Sie lassen sich ver¬ mehren. Es giebt seltene Bäume, wie die Eibe, die als Waldbaum immer mehr zurückgeht; es giebt Sträucher, wie die Elsbeere, die zu den mannigfachsten Verwendungen (als Werkholz, ferner zu Mus, Saft, Branntwein, Konfitüren) geeignet ist, und die doch bisher wenig beachtet wurde. Es giebt auch allerlei Gewächse, deren Vorkommen in jenen Gegenden für den Pflanzengeographen vvn einem besonderen wissenschaftlichen Interesse ist, und es finden sich auch „subfossile", vergrabene Reste von früheren, inzwischen verschwundenen Beständen, die immerhin als historische Natur-

bloß den historisch denkwürdigen Häusern, Schlössern, Burgen, Grabstätten u. s. w. ihre Sorgfalt zuznivenden, sondern auch die Naturdenkmäler unter ihre schützende» Fittiche zu nehmen.

Naturdenkmäler im weitesten Sinne. Nicht bloß hier und da eine uralte Linde oder Eiche, unter denen schon die alten Germanen oder Wenden geopfert haben mögen; nicht bloß hier und da einen

dokumente beachtet zn werden verdienen. Aber es handelt sich auch um die Erhaltung ganzer Bestände, ganzer Waldungen, in ihrer ursprünglichen, natürlichen Schönheit. So finden wir aus Westpreußen die „Chirkowa" angeführt, einen freudig gedeihenden Laubholzbestand inmitten der Tucheier Heide.

Kiefernwald ab¬ in einer kaum vollzieht ringsum sich gegrenzt, und der Uebergang den reichsten Dieser Bestand umschließt 10 Meter breiten Zone. und schönsten Elsbeeren-Standort Westpreußens, der der ganzen Landschaft ein eigenartiges Gepräge giebt. Bisher sind nur kleinere Partieen des südlichen Teils abgetrieben, und es ist zu wünschen, daß die Chirkowa auch in Zukunft thunlichst vom Kahlschlag ver¬ schont und in urwüchsigem Zustand erhalten bleibt. Eine andere Eigenart behauptet der Ziesbnsch, gleichfalls eine Oase in der Kiefernheide. Er enthält den reichsten Eiben-Standort nicht nur im preußischen Staat, sondern weit darüber hinaus. Er war früher größer, aber ist immer noch in gutem Stande, wohl

Sie ist ziemlich scharf

Zweibeinige Aolbnche.

gegen den sie umgrenzenden

\

(Kgl. Obcrförstcrli Neustadt, Gegend des Putziger Wiek, in Westprenstni.)

kurios verwachsenen Baum oder einen erratischen Block will man als Erinnerung an vergangene Tage. Vielmehr geht dahin, die Natur überhaupt vor roher, oftmals über¬ die Absicht Zerstörung in Schutz zu nehmen. nutzloser ja flüssiger, stehen lassen

Die einzelnen hervorstechenden Exemplare von besonders auf¬ fallenden Bäumen fallen ja freilich immer zuerst ius Auge und interessieren zunächst, und jeder Naturfreund würde es tief bedauern, wenn die Axt gleichgiltig auch an diese eigenartigen Gebilde gelegt würde wie an irgend andere Stämme ohne besonderes Interesse. Die diesem Aufsatz beigegebenen Abbildungen — sie entstammen dem „Fvrstbotanischen Merkbnche", das Prof. Conventz zu Danzig für die Provinz Westpreußen herausgegeben hat, die erste Frucht der geschilderten Bestrebungen des Ministeriums — führen einige derartige seltenere Erscheinungen vor, die als Naturdenkmäler ge¬ schont werden sollen. Wir sehen da eine „zweibeinige Buche" aus der Gegend des Putziger Wiek; zwei Stämme, die ursprünglich jeder für sich einen Baum abgeben sollten, sind in dreiviertel Meter Höhe, ob mit, ob ohne Zuthun der Menschen, zusammen¬ gewachsen zu einem ganz einheitlichen Stamm und einer einzigen Krone. Man findet auch zweibeinige Eichen, Kiefern u. a. Ein anderes Bild zeigt uns eine „Knollenkiefer" ans dem Bezirk der Obcrförsterei Pclplin, wie sie hie und da in gewöhnliche Kiefern¬ bestände eingesprengt vorkommt; der ganze Stamm ist, ohne daß man einen Grund dafür wüßte, mit verschieden starken Auswüchsen und Anschwellungen besetzt, und wenn die Knollcnkiefer in Gruppen auftritt, so giebt sie ein ganz eigenartiges Waldbild. Wir sehen da ferner eine „Bcutkiefer", d. h. eine stämmige Kiefer, die man an einer Stelle ausgehöhlt hat, um einen Hohlranm für die Bienen zu schaffen. Die „Beuten" sind jetzt verlassen und neue dürfen nicht angelegt werden, weil diese Art von Bienenzucht doch gar zu waldverwüstend auftritt; die große Oeffnnng, durch die der Imker zu dem Bienenstock gelangen konnte, und die gewöhnlich vernagelt war, sind an den Rändern durch das Wachstum des

Knollenkirfrr. (Kgl. Oberförstcrei Wirthy bei Preußisch-Stargard, Westpreußen.)

Folge seiner isolierten Lage und schweren Zugänglichkeit; neuerdings wird er durch die Forstverwaltung sorgsam geschont. Schon wiederholt aber hat ihm Gefahr gedroht. Anfang der siebziger Jahre wollte man an seinem Rand eine Volksschule für mehrere benachbarte Ortschaften errichten; die Regierung lehnte eine

558

indes bei: Plan ab. Später planten die Adjazenten, den Wasser¬ spiegel des Mukrz-Sees um einen Meter zn senken- es gelang noch einmal, den Plan zu vereiteln. Aber es kann früher oder später eine neue Gefährdung eintreten. Deshalb wäre zu wünschen, daß der in seiner Art einzige Bestand für alle Zeiten wirksam

Roch in kurzvergangener Zeit war das trinken bekommen! Siebengebirge, diese Perle des Rheinlandes, in Gefahr, als ein Opfer der Steinbrüche gänzlich vom Erdboden zu ver¬

Seit Jahren beklagen wir den Rückgang unserer Vogelwelt — eine Folge davon, daß die Waldkultur die alten morschen Stämme, ihre natürlichen Nistplätze, ausrodet, obwohl sie weder als Nutzholz noch als Brennholz einen Wert haben, der das Fällen lohnt, und obwohl sie nirgend im Wege sind. Die Anstrocknung ausgedehnter Moore hat die. Folge gehabt, daß unsere Zugvögel veränderte Flugbahnen gesucht haben; die Vögel

schwinden.

aber im Haushalt der Natur wichtige Regulatoren, Verbündete gegen die lleberhandnahme der Jnsektenwelt. sind

unsere

Natürlich wird kein Mensch verlangen, daß man ans die Ausnutzung des Landes und seiner Produkte verzichten solle. Aber vieles ist überflüssigerweise, gedankenlos vernichtet worden, vieles^hätte sich anders machen lassen, an vielen Stellen hätte die Kultur dasselbe erreicht und geleistet, wenn man sie bedeutet hätte! hier ist heiliger Boden, geh ein Stückchen weiter. Gewiß ist der Landwirt im Rechte, wenn er einen ihm gehörigen Sumpf in Ackerland umwandelt; aber es wird ihn nicht ärmer machen, wenn er ein wenig Wald oder Busch ans seinem Grundstück stehe» Und wer einen Forst im Gebirge besitzt, der mag seine» läßt. Nutzen davon ziehen, aber er pflanze nach, daß der Wald sich verjüngt und nicht kahlgewaschene Felsblöcke übrig bleiben, ihn: der ganzen Niederung, die den: Hoch¬ Ucberschwemmung ausgesetzt ist, zum Ver¬

selbst znm Schaden und

wasser

und

der

derben.

Der Egoismus des einzelnen darf nicht die Nation schädigen. Gerade der Kulturmensch, der Städter, der Industriearbeiter, be¬ darf heute in viel höherem Grade als früher der Rückkehr zur Natnr. Er bedarf von Zeit zn Zeit der Waldeinsamkeit, der cchten, unverfälschten Natur, der er entfremdet wird, der wirklichen

Wildnis. .

Beul Kiefer.

Wir werden

(Kgl. Oberförsterei Rehberg, Tucheler Heide, in Westpreußen.)

geschützt

wird,

sei es durch

Ministerinlerlaß oder durch Kabinettsordre.

Diese Beispiele aus dem westpreußischen Gebiete mögen genügen.

Für alle Provinzen der preußischen Monarchie sollen solche forstbotanische Merkbücher, in denen die schutzbedürftigen Bestände verzeichnet sind, herausgegeben werden. Diese Bücheb sollen den Forstbeamten dienstlich zur Verfügung gestellt werden, und nach den: Entgegenkommen zu urteilen, das bisher die Männer der grünen Farbe der Idee gezeigt haben, ist wohl zu hoffen, baß die in

unseren Nachkommen Urwälder hinterlassen.

Aus den öden Strecken, die für die Landwirtschaft wertlos sind, wird die selbstthätige Mutter Natur, mit geringer Unterstütznng der natnrbedürftigen Menschheit, in langsamem Wachs¬ Heiden und Moore, mit denen jetzt tum Wälder erstehen lassen. Seen und Bäche werden aufräumt, unheimlich Mensch so der innerhalb dieser Nationalparks in ihren: natürlichen Zustande, mit ihrer natürlichen Bevölkerung und in unbeeinflußter Ent¬ Die Pflanzen- und Tierwelt wird wicklung, bewahrt bleiben. man, wem: die erste Hilfe geleistet ist, chich selbst überlassen, und der Mensch der kommenden Jahrhunderte wird sich darauf be-

diesen mit Unterstützung der Regierung herausgegebenen Büchern ausgesprochenen Wünsche auch ihre Berück¬ sichtigung finden. Wo es sich um einzelne Bäume oder kleinere Waldstreifen handelt, wird der Försterselbst gern das seine thun, und jetzt, nachdem das Interesse einmal auf diese idealen Waldesschätze ge¬ lenkt ist, wird bei der Ausführung wohl noch niehr geschützt werden, als bisher als schätzenswert bekannt war. Wo es sich um größere Komplexe handelt, werden-höhere Instanzen eingreifen 'müssen.

Auch die Privatforsten wird man für die Idee gewinnen und begeistern müssen. Es ist ja eine ge¬ meinsame Angelegenheit des ganzen Volkes, und es handelt sich nicht allein um ein paar Bäume.

Seit langen: beklagen die Naturfreunde, wie die immer zunehmende Kultur ärger in unseren Natur¬ schätzen wüstet, als es die Barbaren der Vorzeit gethan haben. Wo sind das Wisent und andere jagdbare Tiere, die Zierden der Wälder unserer Ahnen, ge¬ blieben? Wo die Biberkolonien der mittleren Elbe? Wo der blaue Mansfelder See? Wie sind in den Flüssen die Fische und Krebse ein Opfer der Entleerungen unserer Fabriken geworden! Hat doch Berlin selbst einige Wochen lang karbolhältiges Leitnngswasser aus dem Müggelsee zu 1

Btaxhi ffiirfjc. (Sabinen, unweit Elbing, in Westzrenben, Besitzung des Kaisers.),

schränken, diese Naturdenkmäler zu schützen und aus ihren: Besuche immer wieder neue Lebenslust, neue Anregung zu schöpfen.

559

Die Entwicklung des neueren deutschen Romans. VI. Der Roman der Gegenwart. suchten wir, stets die am meisten charakteristischen Typen hervorhebend, uns über die Summe jener Bestrebungen klar zu werden, die die deutsche Romandichtung bis au die Schwelle unserer Tage beherrschten.

TMxii den vorausgehenden Aufsätzen

vm/

In

unserer letzten Untersuchung folgten wir bereits den Fußspuren der modernen weiblichen Vorposten. Nun gilt es, den geistigen Prozeß anzudeuten, der

sich

in dem großen Stilumschwung der letzten zwanzig

Jahre ausdrückt. Nationale wie universelle Eindrücke machen in gleickier Weise bemerkbar. Nach der Reichsgründung zeigte

sich sich

außerordentlicher wirtschaftlicher Aufschwung in der neuen Reichshauptstadt, dem ein erhöhtes Interesse für den nun¬ mehr organisierten vierten Stand und die von ihm aufgeworfene soziale Frage unmittelbar folgte,' daneben steigerte sich die Neigung für den ruhmreichen Wehrstaud. Neben solchen Einwirkungen ans dem eigenen Volksleben fehlte es nicht an fremden litterarischen Vorbildern, deren Bedeutung von Jahr zu Jahr wuchs. Immer empfänglicher wurde man für die „litterature impersoneile“ eines zunächst

ein

Flaubert, die die Person und die Gesinnungen des Verfassers völlig verschwinden ließ und nur die möglichst plastische Darstellung eines Stückes Leben als Kunst anerkannte) daran schloß sich Zolas be¬ rühmte Deftnilion der Kunst als eines Stückchens Leben durch ein Temperament betrachtet, und dieser Theorie folgte der mitunter peinliche Realismus seiner Romane, jener „Zettelkastenrealismiis", der es scheinbar verschmäht, sich auf ein Cegnient des Lebens zu beschränken, aber auch jener Verismus, der, überkommene Werte umwertend, Schlagivorte wie hoch und niedrig, würdig und un¬ würdig außer Geltung zu setzen sucht. Eine nicht zu leugnende Vorliebe für Kreise, die man bisunn sozialethisch als minderwertig zu betrachten gewohnt war, trat bei Zola, ganz besonders aber bei den Goncourts hervor, während dieses Prinzip des Mitleides bei einem so verführerischen Talent wie Maupassant ganz durch das sexuelle Moment verdrängt wird. Dagegen erhoben sich im Norden die großen Apostel des Mitleides, von denen nur der neueste, Leo Tolstoi, Erwähnung finden mag. Die Tendenz des alles Verstehens und alles Berzeihens wird in Tolstois Romanen durch mächtige Weltbilder abgelöst, in denen die russische Gegenwart¬ gesellschaft-in Krieg und Frieden in breiten Farben abgeschildert wird. Und neben so viel Altruismus ein großer egoistischer Rückschlag im eigenen Land: die Philosophie Friedrich Nietzsches) die den Abscheu vor der Herde und das Recht der Individualität aufs Schild hob. Solche geistige Strömungen wirkten am lebhaftesten auf die deutsche Epik etwa in dem Jahr, das den ersten Kaiser des deut¬ schen Reiches zu seinen Vätern abberief. Alles schien nach Stoffen aus der Gegenwart, nach sozialen Beziehungen, mindestens doch neuer Auffassung der Dinge hinzuarbeiten. Und so vor¬ bereitet traten die Wortführer der „neuen Epik", traten die Conrad Albcrti (Sitteufeld), Karl Bleibtreu, M. G. Conrad ungefähr gleichzeitig ans den Plan. Keiner war seiner großen Aufgabe ge¬ wachsen. Bon Alberti stammt eine Art Programmroman „Die Alten und die Jungen" (1889). Hier soll der Kampf der beiden Generationen, der von 1848 und der von 1870, ausgekämpft werden, hier werden die mackeren Anhänger der neue» Kunst gegen die teils schändlichen, teils blödsinnigen alten „Idealisten" aus¬ gespielt. Hier werden die Finanzkreise der Berliner Gesellschaft zwar im wesentlichen nur schwächlich, dafür aber mit geradezu unheimlichem Blick für das Schmutzige und sittlich Unerhörte charakterisiert, und hier werden Streifzüge in die entlegensten Schlupfwinkel des Berliner Nachtlebens unternommen, Streifzüge, die weniger von den Goncourts und Maupassant als gewissen Auswüchsen der Schandlitteratur entlehnt scheinen. Bon der „Tendenz" des Buches soll geschwiegen werden, ebenso von der „Neuheit" seiner Weltanschauung. Aber was zwei Jahre früher Michael Georg Conrad sich von der Isar vorrauschen ließ, war kaum viel reinlicher. Die Häuser der besseren Bürgerklasse werden in diesem Münchener Roman als die eigentlichen Stätten des nach

Lasters bezeichnet, itub das Behagen am Sexuellen geht mit einer merkwürdigen Vorliebe für Unappetitliches Hand in Hand. Und wenn der Revoloerjournalist in einem umfänglichen Selbstgespräch sich und den Lesern eine Liste all seiner Schändlichkeiten giebt, so ist dies eine technische Naivetät, wie sie nur »och von Bleibtrcu in seinen um jene Zeit erschienenen Romanen übertroffen wird. Die „Propaganda der That," mit ihrer schwarzen Dame und ihrem, geheimnisvollen Mord, erinnert im Grund au die Rihilistcnnnd Detektiveromane, wobei bekannte Persönlichkeiten in leicht zu durchblickenden Masken noch den Reiz des Werkes erhöhen müssen. Prophezeiungen von Republik und Revolution sorgen überdies für „Aktualität". Die Leute benehmen sich aber nicht anders, als machte» sie sich über sich selbst lustig und verfolgten nur den einen Zweck, den Leser anfs genaueste über alles, was ihn interessiere» könnte, zu unterrichten. Bezeichnend für Bleibtreus Technik ist cs, daß mau die wichtigste» Begebenheiten nur aus Unterredungen, das Milien aus förmlichen Bühnenanweisungen kennen lernt, und

Hilfsmittel des Briefes nicht verschmäht wird. Pioniere, unter denen nur noch der psycho¬ logisch tiefgehende, aber manirierte und wenig geschmackvolle Hermann Bahr Erwähnung finden mag, eben keine großen Epiker, und doch ging von ihnen eine Fülle starker Anregungen ans. Vor allem war es der Wirklichkeitssinn, das Gefühl für die Gegenwart, das durch sie gestärkt wurde, und dem ein eigener, freilich viel mißbrauchter Zweig, der Berliner Roman, sein Dasein verdankt. Hier steht das Gegenständliche, Znstäudliche, Aktuelle im Vorder¬ grund. Hatte man früher eine gewisse Diskretion darin gesehen, vom Ort der Handlung möglichst verschleiert, als von einem idealen 3i zu sprechen, so knüpfte mau nun behaglich au all die jedermann geläufigen örtlichen Vorstellungen, die Plätze, Straße», Restaurants, die jeder kennt, au. Berlin sollte (der Versuch anderer örtlicher deutscher Romane erstickte vollends im Keim) dem Deutschen das Zentrum des Romans bedeuten, gleichwie dies Paris für den Franzosen geworden ist. Kein deutscher Roman bietet bisnun ein Weltbild von Berlin wie Zolas „Paris" von der französischen Haupt¬ stadt. Rur die einzelnen Schichten der Gesellschaft wurden gezeichnet. So wandte sich Max Kretzer als einer der ersten dem Klein¬ bürgertum, dann aber auch den sozial am tiefsten stehenden Kreisen zu, und er geißelte, ungleich tiefer, ernster und bei aller Rücksichts¬ losigkeit doch reiner als Alberti, gewisse soziale Schädlinge aus dem Kreise der Plutokratie. Gerade die besitzenden Klassen, die Aristokratie der Geburt und des Geldes in Berlin W., fanden in Paul Lindau einen Schilderer, der die buntesten Farben auf seiner Palette hat. Läßt sich gegen manche» echt „romanhafte»" Ton auch gerechtes Bedenken erheben, so tritt doch das Gesamtbild höchst lebendig hervor. Lindau ist ebenso elegant, wie Alberti gehässig war, und man merkt es seiner Darstellung immerhin au, daß sein täglicher Umgang ihn ins Tiergarteuviertcl führt. Ein böses Nachtbild ans diesen Kreisen entwarf erst vor wenigen Jahren Fritz Mauthner, als er die „bunte Reihe" vorführte, die sich aus Finanz und Bohenic harmonisch zusammensetzt, um unter allerlei Kabalen und Schurkereien ein „Knnstinstitut" zu gründen. Dieses Buch ist eine der grimmigsten und farbigsten GroßstadtSatiren. Weniger ernst nahm es Heinz Tovote, der Schüler Maupassants, der mit verletzender Ausschließlichkeit unter der Halb¬ welt umherschleudert und au Treue des Lokalen sei» Aenßerstes leistet. Wäre Tovote ein deutscher Maupassaut, so könnte man R. zur Megede einen deutschen Murger sehr mim grano salis er seine Leser „Unter Zigeuner." Mauthner führt wie nennen) Aber zur Megede leitet zu jener Gruppe von Romanschreibern hinüber, die sich in de» privilegierten Klassen der Gesellschaft, denen sie selbst angehören, am ivohlsten fühlen, die, selbst Offiziere, das Milieu des seit 1870 mächtig entwickelten Wehrstandes bevor¬ zugen. Wir erinnern nur an Georg v. Ompteda, dessen „Silvester v. Geyer" das Leben des Truppenoffiziers mit echtem Realismus, gleich fern von Verklärung wie von Verkleinerung schildert, und au daß selbst das gute, alte

So waren

diese

I.

ft 60

Rudolf Stratz, der dm Offizier

auch dau» »och gern ein Stück Weges begleitet, wenn er den buuteu Rock ausgezogen hat, und der sich besonders auf dem Turf gut auskennt) für Oesterreich kommt noch der phantasievolle Karl v. Torresani dazu.

All diese Strömungen und Klasseninteressen zu vereinen, blieb einem vorbehalten, der zur Zeit des Berliner Sturmes und Dranges seinem 70. Lebensjahr nahe war. Das war Theodor Fontane, FlaubertS größter Schüler. Auch er hat den Berliner Roma» in seiner Totalität nicht geschrieben. Aber all seine Romane zu¬ etwas wie ein Bild von Ganzalles übersehenden, begreifenden und verzeihenden Kiinstlerschaft umfaßt Fontane alle Kreise der Berliner Gesellschaft: er lebt mit den Poggenpuhls und Stechlins ebenso wie mit Kommerzienrat van der Straatens und Treibeis, mit der bedenklichen Witwe Pitelkow und ihrer braven Schwester Stine wie mit der kleinen Lene und ihrem Leutnant Botho, er fühlt mit Effi Briest, der thörichten kleinen Ehebrecherin, so warm wie mit der leidenschaftlichen Frau Melanie und all den armen, kleinen Mädchen, deren Tugend in dem heißen Drängen der Großstadt nicht stand Hielt. Fontane hat mit allen Vorurteilen, mit alle» Moraldogmen in der Litteratur gründlich aufgeräumt. Trotz seiner schlichten, fast naiven Technik ist er ein gewaltiger Darsteller des Milieus: die märkische Luft aus Stadt und Land weht kaum bei Alexis so kräftig wie bei Fontane. Die absolut objektive Art Fontanes, die nichts auf den Stoff, alles auf die Darstellung giebt, beginnt Schule zu machen: „Eysen", das letzte Buch Omptedas, ist wohl das bedeutendste Produkt dieser Schule. Neben diesem Drang nach direkter Wirklichkeitsmalcrei zeigt sich eine entschiedene Vorliebe, die geistigen Fragen der Zeit im Roman zu verarbeiten. Dies ist vornehmlich die Art der so¬ genannte» „Aelteren". Nur wenigen war es gegeben, wie dem unvergleichlichen Gottfried Keller im „Martin Salander" (1886), schlicht und schön das Bild einer Familie zu entwerfen und dies fast »»merklich zum Weltbild der ganzen Gesellschaft zu erweitern. (Hierin suchte ihm von den jüngeren Deutschen Hermann Heiberg, Die anderen von doch nicht mit vollem Erfolg, nachzueifern.) Kellers und der nächsten Generation verhielten sich verschieden: selbst Wilhelm Jordan hat in seinen jetzt höchst überschwenglich getadelten Romanen aus den achtziger Jahren den Versuch gemacht, zu gewissen Fragen der Wissenschaft und des Lebens Stellung zu nehmen. Ungleich voller gelang dies dem großen Epiker Adolf Wilbrandt in den Romanen, die er in den letzten zehn Jahren Ans vollsaftigein Milien, bei höchster, teilweis auch dichtete. Fontane übertreffender Fähigkeit, Menscheil zu formen niid mitnnter fast zu starker Anlehnung an Geschautes und Erlebtes findet Wilbrandt die stärkste künstlerische Anregung heute in Fragen der Kunst und der Kritik, morgen in jenen neuester Philosophie, über¬ morgen in solchen der Hygiene. Aber bezeichnend genug, sind es sammengenommen

Berlin.

Mit

der

geben

doch

gleichen,

mehr die Träger der Ideen, als diese Ideen selbst, die ihn künstlerisch befruchten, und nirgends fast sind diese blühenden Kunstwerke von des Gedankens Blässe angekränkelt. Aehnlich wie Wilbrandt ging Spielhagen in mehreren seiner letzten Romane, gingen manche andere der Aelteren, gingen aber auch zwei der bedeutendsten Wortführer der „Jungen" vor. Diese Ausnahme und Verarbeitung der neuen Ideen der Zeit machen den Haupt¬ wert, der Romane von Hermann Sudermann aus: „Katzensteg" (1889) gießt neuen Wein in alte Schläuche. Gewiß ist die Zeit der Befreiungskriege, die wir so oft im halbgeschichtlichen Roman der Deutschen begegnen, mit Absicht gewählt;, aber es wird gezeigt, wie auch in der Zeit höchster nationaler Anspannung die Instinkte des Menschen dieselben bleiben, wie der von aller Welt Geschmähte und Gehetzte in den Armen der mit ihm und durch ihn Verfehmteu Ruhe fände und wie im Grund nur der überkommene Sittenbegriff die beiden tritt. Und vollends „Frau Sorge" (1887) predigt mit eherner Stimme die große Erkenntnis, die Anzengruber in die lapidaren Worte zusammengefaßt hat: „Wenn Du in der Schul' die Kinder lehrst: ,Ehret Vater und Mutter/ so sag's auch von der Kanzel den Eltern, daß sie danach sein sollen!" So er¬ scheint ein durch Jahrhunderte einseitig aufgefaßtes Verhältnis in neuer Beleuchtung. In gleicher Weise suchte Fritz Manthner in seinem erfolgreichsten Roman „Kraft" (1894), an den Kern der Rietzscheschen Lehre schlagfertig anknüpfend, einen anderen durch Jahrhunderte geheiligten Begriff der Ethik neu zu werten. So sehen wir Aeltere und Jüngere einträchtig vereint im Dienst der Zeit. Einzelne der Besten stehen freilich scheinbar ab¬ seits, indem sie die „neuen" Ideen zwar aus ihrer Produktion nicht ausscheiden, aber sie ihr doch nur auf dem Weg der Polemik einverleiben. Dies that Paul Heyse in seinem „Merlin" (1892), dessen Jugendromane doch als befreiende That in künstlerischem und sittlichem Sinn betrachtet sein wollen, und der in seinem letzten Roman („Ueber allen Gipfeln" 1895) sich etwas von oben herab zwischen

mit

Nietzsche

abzufinden

suchte.

Dies

that

Hans

Hopfen

(„Glänzendes Elend" 1893), der doch drei Lustren vor der neuen Strömung in „Juschu" eine tiefgreifende Anregung zu künstlerisch objektiver Betrachtung der Gefallenen und im „Grauen Freund" ebenfalls schon zu jener Zeit einen lebendigen Berliner Gesellschafts¬ roman geschrieben hatte. Man sicht, die Kluft zwischen Rechts und Links, die sich täglich mehr schließt, war niemals so tief, wie Und nun erst heute, da gerade die „Jungen" sich im sie schien. Roman von der Gegenwart wieder abzuwenden beginnen; zwar ist der „allegorische Satanismus" des deutsch schreibenden Polen Przybyszcwski noch zum mindesten nicht spruchreif. Aber selbst das Göttliche, Mythische auf menschliche Elemente zu zerlegen, ist ein interessanter Versuch, den Ludwig Jacobowski im Vorjahr („Loki") unternommen hat. Und so blüht und leuchtet es ans Rudolf Fürst. allen Wegen deutscher Romandichtung.

561

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We |cb«in)i)is^o11c Ppctrjdc. Erzählung aus der Sommerfrische von Georg Buß. iSchluh.)

immer mäkeln muß," sagte mit süßester Stimme Fräulein von Ganswind. „Wer nichts ge¬ wohnt ist und von nichts herkommt, spielt sich in der Pension immer am großartigsten auf." Allgemeine Zustimmung, und besonders lebhaft von Fräulein Keilpflug, deren Vater Königlicher Hofschornsteinfegermcister war, worauf sie sich, wie Fräulein Eulcnivcin gelegentlich mit zarter Stimme lispelte, schrecklich viel zu gute that. Die Sonne rückte immer tiefer in die Laube hinein, und die Temperatur wurde unerträglich. Die Damen schwitzten wie in einem russischen Dampfbad. Selbst Fräulein von Ganswind hielt nicht mehr stand. „O, schrecklich!" — „Nein, diese Glut!" — „Eine entsetzliche Hitze!" ächzte man. Endlich wurde der Beschluß gefaßt, diese Laube aufzugeben und in uch so eine, die

Fräulein Nauniann zu flüchten. Ironisch nahm Fräulein Naumann die Flüchtlinge auf. „Ich wußte, daß Sie mir nachfolgen würden," sagte sie

jene von

lächelnd,

während

sie

sich

behaglich

auf ihrem

schattigen

Plätzchen dehnte und reckte.

Und ein Geheimnis will ich Ihnen verraten — bereiten. die Zitronen habe ich vorgestern direkt aus Spanien er¬ halten —' feinste Sorte! Also wer will, der hebe die Hand

So —

sieben Glas! Nun, ich gehe!" Und Fräulein Klugniann wandte sich, um mit den von Heller in Hasscnstcin bezogenen Zitronen die viel gepriesene Limonade zu

hoch!

brauen.

„Oh wie reizend," rief Fräulein von Ganswind, „sie will uns Limonade aus Eis bereite». Welche Aufopferung!" Und sic eilte Fräulein Klngmann nach, hing sich in ihren Arm und flüsterte im zärtlichsten Ton: „Oh wie gut Sie sind! Sic wissen nicht, wie lieb ich Sic habe. Darf ich Sic von jetzt ab Muttchen nennen?" dem

Fräulein Klugmann war gerade daniit beschäftigt, an Resultat der Multiplikaton 7 X 40 — 280 die Summe

von 30 zu subtrahieren, um den Gewinn aus den sieben Glas Linionade auf Eis festzustellen. Etwas erschreckt fuhr sie aus dieser rechnerischen Beschäftigung empor, aber sie faßte sich sofort und flötete im rührendsten Ton: „O Sic liebes Kind, nennen Sie mich, wie es Ihnen Ihr gutes

Die Flucht der Damen aus der einen Laube in die andere war in der Villa nicht unbemerkt geblieben, und auf der Veranda erschien Fräulein Klugmann, um zu ihren ge¬ liebten „Küchlein", wie sie ihre Gäste mit Vorliebe zu nennen

Herz eingicbt!"

pflegte, hinabzusteigen.

gern den Kaffee mahlen und andere kleine Beschäftigungen ab¬ nehmen, damit Sie ein wenig Ruhe haben. Nicht wahr,

„O, ich sehe, daß die Damen von der Sonne belästigt wurden," jammerte sie mit dem Ton tiefsten Mitleids. „Beim Zeus, die Sonne sticht wie ein scharf geschliffener Dolch — wir werden höchst wahrscheinlich ein Gewitter bekommen. O, Sie haben sich ein sehr schattiges Plätzchen ausgesucht — die Nun, wenn Sie im nächsten beste Laube im ganzen Park. Jahre wiederkommen, wird schon alles mehr angewachsen sein. Der wilde Wein wuchert nämlich nüt einer wahrhaft staunens¬ werten Schnelligkeit empor." Sie griff nach einer der mageren, kraftlosen Ranken und wies sic hin. „Sehen Sie, binnen wenigen Monaten ist sic um mehr als einen Meter empor¬ geschossen. Und ebenso kommen die Bäume vorwärts. Dieses Apfelbäumchen" — sie wies auf eins der besten stielartigcn Stämmchcn hin — „habe ich selbst gepsianzt, auch jenes Birnbäumchcn und dort die Zwetschenbäumchen. Ich habe sic lieb, als ivärcn sie meine Kinder." „Ja, ja," sagte Fräulein Nauniann, „die kleinsten Kinder man bekanntlich am allerliebsten." hat Verstohlen hatte die Pensionsmutter nach der verlassenen Laube geschielt und wahrgenommen, daß die Kaffeetassen Während sie eine wahre Lammesnoch völlig gefüllt waren. micnc annahm, rief sie mit höchster Teilnahme: „Oh, ich sehe, daß die Damen ihren Kaffee kaum angerührt haben. Ja, bei dieser Hitze! Selbst der beste Kaffee mundet einem nicht. Beim Zeus, niir geht es auch so. Aber ich mache einen Vorschlag — ich braue den Damen Zitronenlimonadc auf Eis — ganz kalt und recht erfrischend! Selbstverständ¬ lich berechne ich das große Glas mit nur vierzig Pfennig — verdienen will ich gar nichts, nur den Damen eine Freude

„Also, Muttchen, dabei bleibt es!" jubelte Fräulein von Ganswind. „Und nun darf ich Ihnen, die Sie so viel geplagt sind, etwas in der Wirtschaft helfen. Ich will Ihnen

Muttchen?"

Fräulein Klugmann durchrieselte

kalt. „Kaffee mahlen, Du dumme Gaus, das fehlte noch gerade," dachte sie. Und mit rührender Besorgnis sagte sie laut: „Nein, mein liebes Kind, das ivollen wir bleiben lassen. Sie sind hier, um sich es

nicht uni Kaffee zu mahlen. Genießen Sie die herrliche Luft, ruhen Sie, malen Sie in Wasser und in Ocl, malen Sic nur zum Andenken ein hübsches, großes Blumcnstück. Gewiß, ich werde Ihnen auch ohne Kaffee mahlen eine wahrhaft mütterliche Freundin sein und bleiben!" Und eilig schritt sie nach diesen Worten dem Hause zu.

zu schonen,

*

*

*

„Pfui Deibel!" rief Fräulein Naumann, als sie die Limonade gekostet hatte. Der Zucker schmeckt abscheulich nach Rüben, und die spanischen Zitronen sind so sauer, daß sie einem den Mund zusammenziehen. Und wo ist das Eis?" Sie wollte in ihrem Univillen noch weiter reden, als die Gartenthür stürmisch geöffnet wurde und mit großen Schritten eine

recht robust gebaute Dame ältlichen Gepräges, Oberlippe ein leichter Flaum zierte, aus die Laube

hohe,

deren

zueilte.

„Ach, Fräulein von Scheerbaum!" tönte es aus einem halben Dutzend heller Kehlen. „Wie reizend, daß Sic noch gekommen sind." „Uff," stöhnte Fräulein von Scheerbaum. „Himmel, ist das eine Hitze! Ich bin halb tot! Und der Wein an der table d’höte! Wissen Sie, es ist zum umfallen. Aber ich

tonnte ja nicht anders. Onkel und Tante Marwitz sind extra meinetwegen von ihrem Gut auf einen Tag hierher zum Besuch gekommen, und da mußte ich doch wohl mit ihnen Eben sind sie mit dem Wagen abgefahren." essen.

Sehr elegisch klang das „Pfui Deibel," das Fräulein Naumann nach dem Oesfnen des ersten pflaunicnwcich ge¬ kochten Eies leise vor sich hinbrummte.

Sie hielt einen Augenblick inne und griff nach dem ersten besten Glas Limonade und trank. „Pfui, ist das ein Zeug!" rief sie, indem sie ausspuckte. „Na, wissen Sic, ich kann was erzählen." Alle spitzten die Ohren. 's ist ein wahrer „Wissen Sie — die Dragon — Skandal! Na, Sie ivar auch bei der table d’höte. Sie saß zwischen zwei Herren — ich konnte sie ganz genau be¬ obachten — und sie hat mit dem einen kokettiert, daß es eine wahre Affenschande war. Sie hat ihm Wein eingeschänkt, aus einem Glase mit ihm getrunken, ihn, vorgelegt, sie haben sich mit verliebten Augen angesehen und sich sogar die Hände gedrückt. Kurz, ich sage nochmals, ein wahrer Skandal! Ich b>„, bei Gott, kein Zimperlappen — die Freifräuleins von Scheerbaum sind das nie gewesen —, aber was zu viel ist,

Der Rcgieruugsrat Dragon und seine Gattin waren Trennung sollte gegen mittag ein Ende haben. Nach sechs Tagen wurde endlich die beiden Zimmer im Kurhause frei, und um zwölf Uhr konnten sie

viel!" Ein Sturm

ist zu

der Entrüstung erhob sich unter den Damen, und die manuigsachsten Vorschläge wurden laut, um die Pension von diesem verwerflichen Menschcnkinde zu befreien.

Vorläufig

ivollte man jedoch Fräulein Klugmann aus Schonung nichts mitteilen, sondern den Fall in solcher Weise erledigen, daß die Dame des Hauses möglichst unbehelligt bliebe.

Fräulein Klugmann aber stand oben in gedeckter Position auf der Terrasse und beobachtete, ob ihre Limonade auch nicht allzu abfällig beurteilt werde. Aber die Damen hatten jetzt wichtigere Dinge zu thun, als sich um solche Kleinigkeiten zu bekümmern, llnd vergnügt rieb sich Fräulein Klugmaun die Hände. Wohlgemut eilte sie zur Küche, als Auguste ihr leise meldete, daß die „frischen" Eier aus Berlin angekommen seien — „500 Stück in Häcksel!"

*

*

Oh, es waren wieder fürchterliche Dinge, die Fräulein von Gansivind am anderen Tage beini Nachmittagskaffee in der Laube mitzuteilen hatte. Fräulein Dragon habe sich auf dem Waldwege hinter der herzoglichen Villa mit einem Herrn — geküßt! Ganz deutlich habe sie cs gesehen. Der Herr habe sogar seinen Arm um die Taille des Fräuleins gelegt, und so seien beide eine weite Strecke gegangen. Selbstver¬ ständlich habe sie, Fräulein von Ganswind, die sittenlose Person beim Vorübergehen mit durchbohrendem Blick, ohne zu grüßen, von oben bis unten gemustert. Aber diese sei nicht einmal rot geivorden, sondern habe sie sogar stech an¬ geschaut!

Alle Damen ivaren in Aufruhr. „Unbedingt muß sie aus der Pension entfernt werden — das sind wir unserer Ehre schuldig! Wir werden blamiert! Wer weiß, welch eine Person sich unter dem Namen Dragon verbirgt." An dieser Weise wurde debattiert. Schließlich einigte man sich dahin, den folgenden Tag vereint nach dem Waldwege zu wandern, sich dort in der halbkreisförmig von einer Hecke umfaßten Nische nieder¬ zulassen und zu beobachten, was sich ereignen werde, wenn „die Person" mit ihreni Galan den gewohnten Morgenvaziergang mache.

Tief erschöpft von der langen Debatte, schritt man zum Abendtisch, auf dem Fräulein Klugmanii die angeblich soeben deni Hühnerstall entnommenen „frischen" Eier in zierlicher Anordnung niedergelegt hatte.

*

*

heute sehr vergnügt, denn die

bereits bezogen iverden. Beide schritten den lieb geivounencn Waldweg entlang, vertieft in heiterem Gespräch über die Leiden und Freuden, die sie bis jetzt in Hassenstein gekostet hatten. „Du hast doch Deine Sachen gepackt und der Wirtin

mitteilen lassen, daß Du heute ausziehst?" „Genuß, Fedor, ich habe alles gethan, was Du ange¬ ordnet hast." „Gut so, Lieb. Ich habe dem Johann schon gesagt, daß er um elf Uhr Deine Sachen holen und nach dem Kur¬ hause schaffen soll. Dich von Deiner Wirtin zu verabschieden, ist wohl kaum nötig, denn Du hast sie ja kaum zu Gesicht bekommen?"

„Um Gottes nullen nicht, ich habe gar kein Verlangen Seit der Kaffeegeschichte haben wir aus Kriegsfuß gestanden, und ich habe nur noch die Köchin gesehen. Und

danach.

was die übrige Gesellschaft anbetrifft, freundlichste gewesen.

so

ist

sie

Passierte ich sie im Garten,

nicht

die

so tuschelte

sie hinter mir her, als sei ich so eine hergelaufene Aben¬ teuerin." „Na, nun hat alles Leid ein Ende," tröstete der Re¬ gierungsrat. „Der hiesige Aufenthalt ivird uns ausgezeichnet bekonimen. Ich fühle mich schon jetzt zwanzig Prozent leichter als in der Stadt. Sieh, ich kaun schon jetzt mit Grazie jedes Hindernis nehmen." Und mit einem kräftigen Satz sprang der Regierungsrat über den Bach, der seitlich

des Weges schäumend dahinschoß.

„Ich auch," rief

indem sie nachfolgte. Er Und dem einen Sprung glücklich in der freien Natur

sie lachend,

in seinen Armen auf.

fing sie folgten andere.

Beide ivaren und gaben sich wie frohgemute Kinder, die aller beengenden Der Regierungsrat suchte seine Frau Fesseln entledigt sind. zu haschen, aber sie entivand sich ihm ivie eine Eidechse.

Behend eilte er ihr nach, jetzt mußte er sie fassen — nur hatte sie erreicht und umfing sie, und in glückseliger Stimmung drückte er auf die Lippen seines lieben Wildsangs einen Kuß so herzhaft, daß er weithin zu hören ivar. „Himmeldonnerwetter!" rief der Regierungsrat über¬ rascht, als er aufschaute. Er hatte ein sehr starkes Räuspern gehört, das sehr drohend und unheilvoll klang. Und „Fedor, die Damen aus der Pension!" preßte die Regierungsrätin hervor, deren Gesicht sich in die rosige Glut der Verlegenheit getaucht hatte. Ja, die Damen aus der Pension! Wie acht Parzen saßen sie dort mit erbarmungslosen Mienen, mit nieder¬ schmetterndem Hohn in ihren Blicken und mit beißendem Spott in den Mundwinkeln. „Wie ordinär!" lispelte Fräulein von Gauswind, „ivie sittenlos!" Fräulein Keilpflug und „wie frech!" Fräulein von Scheerbaum. „Pfui Deibel!" klang es leise von den Lippen des Fräulein Naumann und „himmelschreiend!" von denen des Fräulein Eulenwein. Die drei anderen Damen schienen geradezu erstarrt zu sein — nur ihre Augen flackerten in verzehrender Glut. Aber der Regieruugsrat ivar der Situation geivachsen. lieber sein Antlitz flog ein vergnügtes Lächeln, und galant noch ivenige Schritte und wirklich, er

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bot er seiner jungen Fron den Arm. leichten Schrittes den Damen.

Dann nahte

er sich

„Ich erfahre soeben," sagte er mit lauter, scharfer Stimme, „daß ich die Ehre habe, Damen aus der Pension Silesia vor mir zu sehen. Gestatten Sie, meine Gnädigsten, daß wir uns vorstellen: Regiernngsrat Dragon nebst Frau aus Berlin." Die Gesichter der Damen verlängerten sich zusehends. „Ich ergreife die Gelegenheit," fuhr der Regierungsrat fort, „Ihnen, meine Gnädigsten, für das lebhafte Interesse, das Sie meiner Frau entgegen gebracht haben, meinen ver¬ bindlichsten Dank auszusprechen. Dieses Interesse weiß ich um so höher zu schätzen, als ich sehe, daß die Damen meiner Frau an Jahren bedeutend über sind. Da die von uns im Kurhause bestellten Zimmer heut endlich frei geworden sind, so wird meine Frau die Gastfreundschaft der Pension Silesia für „junge" Damen nicht länger in Anspruch nehmen und dieser liebreizenden Stätte, wo sich inmitten jugendlicher und einträchtiger Menschen unter der Direktion des Fräulein Klugmann so vortrefflich weilen läßt, den Rücken kehren." Und nach leichter Verbeugung schritten der Regierungsrat und seine Parzen, die erst allmählich ihre Fassung wiedergewannen und dann von ihren spitzen Zungen den ausgiebigsten Gebraurh machten.

Frau davon, gefolgt von

den wütenden Blicken der

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X-

„Ich soll das Gepäck von Zimmer Nr. 9 abholen," sagte der Johann vom Kurhaus zu. Auguste, die gerade vor der Villa Silesia herumhantierte.

„So — für Frölein Dragon —

„Nun ja, die Zimmer, die

sie

vor

sechs

Tagen im Kur¬

sind jetzt frei geworden. ivohnt doch schon eine ganze Woche bei uns."

bestellt

haben,

Der Herr

„Was," fuhr Auguste auf, „sie ist verheiratet un Regierungsrätin? Na, das muß ich Frölein Klugmann melden. Na so was!" Eilig stürzte sie davon. Fräulein Klugmann tauchte bereits in der Ferne auf, und Auguste berichtete atemlos die große Neuigkeit, die sie erfahren. Lots Töchter wurden zu Salzsäule», aber Fräulein Klugmann wurde noch starrer. „Wasser!" ächzte sie, „Wasser!" Und Auguste besprengte sie mit Wasser.

„Oh, so niauit. „Oh,

eine

Hinterlist!" stöhnte endlich Fräulein Klug-

Mir so etwas zu bieten! so eine Niedertracht! Oh, den guten Ruf meines Pensionats für junge Mädchen zu entweihen! Ich werde sie verklagen — sie hat ein falsches

Hinterlist!" — Zeus, beim die Sachen nicht heraus

nur „Helene Dragon aus Berlin". kreischte sie, „ich gebe

„Oh,

diese

— ich beanspruche Schadenersatz und Genug¬ thuung. Oh, eine verheiratete Frau in meinem Hause unter all den jungen Mädchen — oh!" Sie machte Miene, noch¬ mals in Ohnmacht zu fallen, aber Johann fuhr grob da¬ „Die Sachen zurückbehalten, bet würde Ihnen zwischen: woll dheuer zu stehn kommen, denn der Herr Regierungsrat kann sehre eklig wärn un würde Ihnen uff den Kopp Un Frauenzimmer is Frauenzimmer, ob se ver¬ kommen. heiratet is oder nich. Thun Se man nich so, un rücken Se ich verklage sie

—"

Johann machte eine drohende Bewegung und brummte etivas von verrückter alter Schraube, die froh sein solle, das; überhaupt eine Negierungsrätin in die Sachen heraus, sonst

ihr altes Mauerloch hineingezogen sei. „Sie Flegel, Sie unverschämter Geselle, Sie Räuber!" kreischte Fräulein Klugmann von neuem. Aber hohnlachend lud Johann die Sachen auf und fuhr davon. Eine halbe Stunde später standen teilnahmsvoll die jungen Danien der Pension Silesia um Fräulein Klugmann, die noch verschiedenemale in Ohnmacht gefallen war und nun stöhnend den Bericht anhörte, den ihr Fräulein von Gansivind über den Vorfall im Wald erstattete. -X-

nicht wahr?"

Johann kratzte sich hinter den Ohren. „Frailein? Nee, für Frau Regiernngsrat Dragon, die hier geivohnt hat." Auguste stutzte. „Frau Regierungsrat Dragon?" hause

Nationale angegeben, sie hat ins Fremdenbuch eingeschrieben: Fräulein! Hier sehen Sie — hier — hier!" Sie griff nach „Ja hier — hier!" Aber sie dem Fremdenbuch und suchte. dort kein Wort, sondern stand „Fräulein" von denn stutzte,

*

*

Vierzehn Tage waren verflossen. An der table d'höte war eine fröhliche Gesellschaft versammelt, in der sich auch der Kreisphysikus befand. „Nun, Herr Kreisphysikus," fragte der Regierungsrat, „wie steht es mit den Danien in der Pension Silesia?" des Kurhauses

„Nicht besonders. Es ist eine Massenerkrankung an ver¬ dorbenen! Schinken und auch wohl an anderen schlechten Nahrungsmitteln. Wir iverden dem edlen Fräulein Klugmann das Handwerk gründlich legen müssen — sie bringt unser Bad geradezu in Verruf. Die Pensionärinnen pflegen sich in solchen Pensionen ä la Klugmann nur zu oft mit schönen Redensarten abspeisen zu lassen und merken erst später und gar erst, wenn sie ivieder daheim sind, uue miserabel sie es gehabt haben, und ivie sie gerupft ivorden sind. Ich garantiere, Herr Regierungsrat, daß die Pension Silesia des Fräulein Klugmann in Bad Hassenstein im nächsten Jahre nicht mehr besteht."

— die der Herr Kreisphysikus hat Wort gehalten Pension Silesia existiert nicht mehr.

lind

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Ein fürstliches Leichenbegängnis im 16. Jahrhundert. 1592, 17. Suntj ist der durchlauchtiger, hochgeborener fürst und her, her Ernst Ludwig, Herzog von Stettin-Poiniueru, >u. g. f. (mein gnädiger Fürst) und her, in godt selig entschlasfen und den 29. Julis — nachdem s. f. g. (seine fürstlichen Gnaden» sieben und vierzig jar alt gewesen und mit seiner fürstlichen gnädigen gemalin, der durchlauchtigen hochgebornen fürstin und flauen, fronen Sophie Hedwig, geborn zu Braunschwcig und Lünenburg etc. funfzehndehalb jar jm eestande gelebt — zu Wolgast zur erden bestetigt," also beginnt das in der Ratsbibliothek zu Stralsund befindliche „Memorialbnch" des Joachim Lindemann die ausführliche Beschreibung des Leichenbegängnisses eines Herzogs von Pommern. Mit aller Pracht der damaligen Zeit sollte die Bestattung vor sich gehen, deshalb dauerten die Vorbereitungen fast sieben Wochen, und die Herzogin-Witwe erbat dazu von den vier größeren Städten des Landes Stralsund, Greifswald, Anklam und

Mnno

W

Demmin zwölf Trabanten in Tranerkleidern mit schwarzen Binden um Hut und Hellebarde und zwölf bewaffnete Knechte) allein die Städte schlugen die Forderung „als eine beschwerliche und vormals unerhörte neuerunge collegialiter" ab, was ihnen von dem fürst¬ liche» Hofe sehr übel aufgenommen wurde,- denn als die zur Trauerfeier Abgesandten, je zwei aus den genannten Städten — „aber von Demmin niemandts, weil alldar pogtio §rs88irst" — in Wolgast erschienen, begegnete man ihnen höchst ungnädig. Am Morgen des für die Bestattung angesetzten Tages schickte der Kanzler ihnen einen Zettel, der folgenden Inhalt hatte: „Der siebte gesandten warten bei der fürstlichen leichbestatigunge unseres hochseligen fürsten und Hern »mb Halbwege achten zu morgens auf, und folgen in der procession dem adelichen vorgeschriebenen frauenzimmer hinunter in die kirche und widerumb aufs Hans." Die Abgesandten waren empört über diese Anordnung, da bei der Be¬ stattung des Vaters des Herzogs „der siebte gesandte stracks nach den manspersonen und also noch vor dem fürstlichen frauenzimmer gegangen," und drohten, sofort die Stadt zu verlassen. Allein nach lange» Unterhandlungen gelang es deni herzoglichen Kanzler Henning von Rami», sie zum Bleiben zu bewegen, woraus zum Schluß der Sprecher der Städte ma^iotsr Eusebius Menius er¬ klärte, ein andermal wollten sie lieber zu Hause bleiben als den letzten folgen! Eine ganze Stunde hatten die Unterhandlungen ge¬ dauert, wobei man „hin und wider nf den gemechern gefruestuckt," während dessen sich der Leichenzng auf dem Kirchplatz ordnete. Voran gingen neun Edelknaben in drei Gliedern, denen dreißig kleine und fünfzig große „arme" Schüler folgten: alsdann kamen die im Amt Wolgast ansässigen bürgerlichen Besitzer, an welche sich die Geistlichkeit aus den Städten Wolgast, Greifswald, Anklam und Stralsund anschloß. Sehr bezeichnend für die damalige Zeit ist die Bemerkung, welche der Chronist einschaltet, daß die Schüler jeder einen Ortsthaler, die Pastoren 2 Thaler, der amtierende Geistliche Runge eine Engelotte (2 Thaler 21'/, Sgr.), der Super¬ intendent aber einen Rosenobel (2 Dukaten) erhielt! Der Geist¬ lichkeit zunächst folgte die Universität Greifswald, für welche der Herzog viel gethan hatte, und dann der Hofstaat der fürstlichen Gäste, welche zum Leichenbegängnis erschienen waren, an die sich der Paukenschläger und die Tromniler des verstorbenen Herzogs mit umgekehrten Trommelstöcken schlossen. Der nun folgende Teil des Zuges ist der interessanteste, da er neben den damaligen Adclsgeschlechtern Pommerns auch die verschiedenen Wappen genau aufzählt, welche das Herzogshaus führte) die Anordnung war derartig, daß einer der Ritter die betreffende Fahne trug, während hinter ihm ein „bekleidetes" Pferd von zwei Edelleuten geführt wurde, welches vor der Brust und an den Seiten dasselbe Wappen auf der Tranerdecke hatte. 1. Christoph v. Rami» mit der Blutfahne, dann Joachim Eich¬ städt mit dem Wappen des Herzogtums Stettin, dem Greifen mit der Krone, alsdann das Pferd, geführt von Jürgen von

Ramin; 2. Levin von Petersdorf mit dem pommerschen Greife») das Pferd von Markward Rausche und Tonnies Lußkow geführt; 3. 4. 5.

6. 7. 8. 9. 10.

Adrian Rexin mit dem Cassubischen Greifen) Jürgen Borke mit dem Wendischen Greife»; Rikwan von der Lancken mit dem Wappen des Fürstentums Rügen; Otto von Schwerin mit dem Wappen des Landes Usedom. Eggert Dochow mit dem Wappen des Landes Bart) Rüdiger Rienkerken mit dem Wappen des Landes Wolgast) Clans Beer mit dem Wappen der Grafschaft Gützkow; Ludwig von Pntbus mit deni ganzen pommerschen Wappen auf einer großen Trauerfahne.

Den Beschluß machte Heinrich v. d. Lancken, welcher auf dem zehnten Pferde ritt und des Herzogs Küraß trug. Die Pferde wurden sänülich mit in die Kirche hineingeführt und blieben dort, bis nach der Trauerfeier die Leiche in das Gewölbe überführt wurde.

Auf die Fahne» folgte der LandmarschaU Albrecht Malzahn an der Spitze des adligen Gesindes des Herzogs und sämtlicher Edelknaben des fürstlichen Hauses, darauf der Kämmerer, welcher allein ging, und endlich in einem Gliede der Hofmarschall Hans von Eickstedt mit einem umflorten Schwert, dessen Spitze er nach unten hielt, der Kanzler Henning von Ramin und der Hof-Gerichtsverwalter Bnrchardt Horn, beide mit nniflorten Petschaften in den Händen. Hierauf folgte, getragen von sechzehn, dem Namen nach auf¬ geführten Rittern und geleitet von vierundzwanzig Edelleuten, welche umflorte Lichte in den Händen hatten, „der leich, welcher in einem holtzern, aus- und einwendig gepichten sarcke, darin oben gegen dem angesichtc ein fenster, und dasselbe holtzerne sarck, widerumb in ein zinnern sarck gesetzt, gelegene) und darauf ein leinentuch und ein sammitten decke mit einem von silbertuch gemachten krentze daran gestickt gewesen von golde und silber, das pommersche und chur¬ fürstliche sechsische ans der rechten, und das braunschweigesche und brandenburgische wapen, mit allen Helmen, fcf)ilben und färben, ans der linken seiten; und ist die bhare, auf der f. (fürstliche) leich getragen, mit sechszehen schwarzen stutzen (Tragen) gefertigt ge¬ wesen." Dem Sarge unmittelbar folgten die männlichen Angehörigen des verblichenen Fürsten, an der Spitze der neue Herzog, Philipp Julius, an welche sich der braunschweigische und die beiden nieder¬ sächsischen Gesandten schlossen; den Schluß der „Mannspersonen" bildeten die landt- und hvfrhate, so sonsten zu keinen sonderbaren diensten verordnet," der Hofmeister und die Junker der fürstlichen Witwe und das adlige Gesinde des Herzog Philipp von Braun¬ schweig, des Bruders der verwitweten Herzogin. Nun hätte nach der von den Städten verlangten Ordnung die abgesandten Bürger kommen müssen) allein augenscheinlich wollte man ihnen die fürstliche Ungnade recht deutlich zeigen, und deshalb war für sie kein Platz gelassen, sondern es folgte zunächst die fürstliche Witwe, geführt von ihrem Bruder, dem Herzog von Braunschweig und dem Vetter ihres verstorbenen Gemahls, Herzog Philipp von Pommern-Stettin; daran schloß sich die Tochter Elisabeth Magdalena, geführt von Herzog Franz von PommernStettin und Otto von Heim, einem braunschweigischen Edelmann, Herzogin Anna von Mecklenburg, die Schwester des Verstorbenen, und die anderen weiblichen Angehörigen des Herzogshauses, sowie die Gemahlinnen der fürstlichen Gäste. Den Schluß deS „fürst¬ lichen frauenzimmers" bildeten „drei von Adel", und dann kam das

weibliche adlige Gesinde der Herzogin, der fremden Fürstinnen, die „fronen und jungfrauen von adeill, so vom lande verschrieben, in glidern je drei und 3 zusamen; und wurden abgelesen, wie sie nach ihrem alter gehen solten (!) und in die stule hinter der f. widtwen nach einander ordentlich eingewiesen." Alsdann folgte wieder ein „bekleidet pferdt," wahrscheinlich um den Abstand von dem Adel zu markieren, „und obschon der siebte abgesandten nach diesen zu folgen abgelesen worden, auch von fürstlichen hause biß in die stabt, ungefer bis an den breiten stein, also gegangen: so haben doch der fürstliche» widtwe kammer-, megde- und andere bnrgerfrauen, so hinter der stedte abgesandten zu folgen verordnet gewesen, sich daselbst eingedrungen und vor den siebten gefolgt, also daß der stedte abgesandten und das übrige Hofgesinde die letzten gewesen." Als der Zug in die Kirche eingetreten war, wurden die Thüre» geschlossen, und der Superintendent O. Jakob Runge stimmte den Gesang „Erbarme Dich meiner, o Herr Gott" und „Wir glauben all" an, worauf der Hofprediger Friedrich Runge eine „ziemlich lange collecta" hielt. Während dessen war der Sarg vo dein Chor niedergesetzt worden, das Schwert und die Siegel wurden auf die Bahre niedergelegt, und das Leichengefolge gruppier.« ü b in der Kirche, wie vorgeschrieben war. Nach beendigter PuMg! Güte sang die Gemeinde „Mit Fried' und Freude", „Haben wir die empfangen" und „Nun lasset uns den Leib begraben," worauf der Sarg von der Bahre aufgehoben und in das fürstliche Erbbegräbuie überführt wurde. Während das geschah, entnahmen der Kanzler Albrecht Malzahii und Nikolaus Zastrow das Schwert und die beiden Siegel und überreichten es dem jungen Herzog, der neben seiner Mutter vor dem Altar saß. Herzog Philipp Julius nahm die Insignien seiner neuen Würde in Empfang und ließ Schwert und Petschafte, dem Marschall, dem Kanzler und dem Hofgerichtsvermalter wieder zustellen, worauf in derselben Rcichenfolge wie man gekommen, der Zug die Kirche verließ. „Der stedte abgesandte aber sein uf dem markte nbgetcetten, und hat ein jeder sich in seine Herberge verfugt und daselbst Malzeit gehalten, der Ursachen, das sei» sie der anordnunge nach, andern zu schimpf, die letzslcn nit

wollen!"

A. W.

Gangloff.

Das alte Stralsund. Edelstein im Kranze pommerscher Städte ward Stralsund nach kaum hundertjährigem Bestehen genannt. Fürst Jaromar I. die Stadt 1209 gegründet; im Wappen führte sie einen Strahl Den Namen erhielt oder eine aufwärts gekehrte Pfeilspitze. Stralsund von der südöstlich gelegenen Insel Strela, dem jetzigen

in s hat

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Dänholm, und dem Sund, dem Pommer» und Rügen trennenden So entstand die Bezeichnung Stadt zum Strelasunde, z»m Sunde oder auch der Sund; später ward der Name Stralsund gebräuchlich, während die slavische Bevölkerung Stralow sagte. Aus Niedersachsen eiligem änderte Kaufleute, Handwerker, Schisser und Fischer sollen die ersten Bewohner gewesen sein. Ja¬ romar sorgte für Verbreitung deutscher Kultur und deutscher Ge¬ werbethätigkeit. Unter seiner Leitung entstanden an Pfahlbauten Mecresarm.

erinnernde Fischerhütten und Lehmhäuser, die an beliebigen Plätzen, ohne bestimmten Straßenplan errichtet wurden. Inmitten derselben wurde mit dem Ban einer Kirche begonnen, von der 1210 die von mächtigen Steinhaufen umgebenen Grundmauern standen, als die beutelustigen Pommern die Stadt überfielen. hinter die sich Jaromar mit den Be¬ Bis auf jene Mauern, 'hatte, ward Stralsund zerstört; doch aus wohnern geflüchtet Furcht vor den Dänen, die Jaromar zu Hilfe gerufen, zogen die

Sieger ab.

Aus den Trümmern erhob

sich

die

neue

Stadt uiit

Häusern nach einem bestimmten Plane, der von dem nächstfolgenden Fürsten Witzlow I. herrühren soll. Noch vor dem Geburtsjahr der großen Hansaoereinigung ver¬ lieh er Stralsund das lübischc Recht. So gewann Stralsund die Grundlage, auf der sich die Entwicklung deutschen Bürgertums aufbauen konnte; denn Selbständigkeit der Verwaltung und der Rechtspflege war die Folge des Privilegiums. Auch sonst erwies sich Witzlows Förderung der Wohlfahrt der Stadt nach den ver¬ schiedensten Richtungen. Damit sich der Handel der Lübecker nach Rügen erstrecken sollte, gewährte Witzlow auch ihnen Vorteile, ohne zu bedenken, daß die Stralsunder darin eine Schädigung ihrer Geschäftsinteressen sehen würden. Die zwischen den beiden Städten erwachsende Eifersucht führte zu Zwist und Streit, und trotz des „für einige Zeiten" geschlossene» Bundes brachen die Lübecker 1249 in Stralsund ein. Die Stadt ward geplündert und völlig zerstört; angesehene Bürger wurden gefangen nach Lübeck geführt, und erst nach vierjährigen Kämpfen fand eine Einigung statt. Diesmal vergingen geraume Zeiten, che Stralsund weit größer wieder erstand und durch Anlage von Wällen und Teichen einen festungsartigen Anblick erhielt. Witzlows Nachfolger bemühten sich, ihre festländische Licblingsstadt zur- zweitmächtigsten und einflu߬ reichsten neben Lübeck im Hansabund zu machen. Damals sollen breitesten haben; die die Straßen zuerst Namen erhalten wurden am Markt und in der Nähe wichtiger Gebäude angelegt. Bei dem Bau der neuen Häuser wandte man vielfach glasierte Ziegel an, jene bunten Formenmuster, die aus dem Orient und dem europäischen Süden nach dem europäischen Norden kamen. In zierlichsten Formen, mit Bogen, Blenden, vielen Fenster», Fialen und Beschlägen, ragten die Giebelhäuser auf. Außer den großen, breiten Treppen mit geschnitzten Geländern und den offenen Galerien im Hausflur war die innere Einrichtung einfach. Der Bürger, der nur für sein Gewerbe lebte, gab nichts auf Zier und Tand. Selten ließ er seine Zimmer mit besserem Hausrat schmücken, und auch in den städtischen Ritterwohnungen, wie man die Häuser der Adlige» nannte, hatten in de» kleinen Stuben, die der Kamin oft zur Hälfte versperrte, nur die notwendigsten Geräte Platz. Ein Schränkchen in der Mauer barg die Kleinode und Schriftstücke der Familie, eine Truhe die Gewänder und die Leinwand, den Schatz festeren

der Frau.

Die Adligen bauten sich gern in der Nähe der Dominikaner und Franziskaner an, denen Fürst Jaromar II. ein Kloster, das seifige Gymnasium und Waisenhaus, sowie einen Teil des Johannisklosters zur Ansiedelung gab. Die Mönche unterwiesen die Stralsunder in der Hühnerzucht, um die Eier zu Fastenspeisen Die geistlichen und weltlichen Grund¬ verwenden zu können. herrschaften ließen sich den Zehnten hauptsächlich in Hühnern und Eiern leisten; bei diesen Leistungen war am leichtesten Pünktlichkeit möglich. Ueberhaupt ergab der Eierzehnt solchen Ueberfluß an Eiern, daß man bei großen Bauten, Klöstern, Burgen, Türmen und Kirchen den Kalk nicht nur mit Kuhmilch, sondern auch mit Eiern mischte. Erst durch den mit Eiern gemischten Kalk erhielt er größere Festigkeit. Jaromars Sohn, Witzlow II., hat Stralsund die erste Hafen¬ anlage zu verdanken. Während der Herrschaft seines Nachfolgers, des als Minnesänger gefeierten Witzlow III., riß ein Sturm den Streifen von Mönchgut bis zum Vorgebirge Thiessow fort. So entstand eine neue Fahrstraße, das neue Tief, das den Stralsunder« eine Durchsähet für größere Schiffe nach Südosten gewährte. Witzlow hielt sich gern in Stralsund auf, bis er in einen Krieg mit der „ihm über den Kopf wachsenden Stadt" verwickelt wurde. Mehrfach, wie Lappe in seinem Pommerbuch berichtet, belagerte er die Stadt mit Hilfe auswärtiger Fürsten. Die Stralsunder dagegen erhielten Beistand von den poinmerschen Herzögen und den brandenburgischen Markgrafen. Damals schickten die Hansastädte ihre Gesandte» zu dem König Erich von Schweden und Dänemark. Rach der Mahlzeit lud er sie in seinen Lustgarten vor der Stadt. Er ritt, die übrigen gingen, und um die Gesandten in ihren langen Kleidern in Verlegenheit zu bringe», wühlte er die schmutzigsten Stellen aus. Als man an

kam, wollte keiner von den Gesandten seinen Anzug verderben, und einige riefen ihren Diener, um sich hinüber¬ Aber der Stralsunder Bürgermeister Ewert tragen zu lassen. von Houesen rief: „Was stehen wir hier und lassen den König allein reiten? Meine Herren vom Sunde sind wohl so reich, daß So schritt er sie mir einen neuen Rock wieder geben können." init seiner Marderschaube durch die Wasserlache, ohne den Rock aufzuheben. Das gefiel dem König, obgleich er dem Bürgermeister böse war; er schenkte ihm eine neue Zobclschanbc und verstand sich zu günstigen Bedingungen für die Stralsunder. Diese hatten Witzlow in seinem Schlosse Rngard belagert und das Schloß verbrannt. Im dann erfolgenden Friedensschlüsse bestätigte er ihnen die alten Privilegien und fügte „gegen klingende Münze seitens der Bürger" neue hinzu. Einer seiner Nachfolger, Wratislaw IV., ließ sich als erster pommerscher Herzog in Stralsund huldigen. Eine glänzende Rolle haben die rügenscheu und ponimerHäufige Geldverlegenheit schen Fürsten damals nicht gespielt. zwang sie, von ihrem Einlagerecht in Klöstern, Dörfern und Städten ausgedehnten Gebrauch zu machen. Die poinmerschen Herzogsmünzen, sagt Professor Rudolf Hannke, waren gegenüber den zahlreichen städtischen Münzen nur sehr spärlich vertreten, wo¬ raus auf den beiderseitigen Wohlstand z» schließen ist. Die Stral¬ sunder kamen denn auch mehrfach in die Lage, „arme regierende Herren mit ihrem Gefolge auf längere Zeit bei sich aufnehmen zu müssen." Einzelne begnügten sich mit einer Wohnung im Kloster, während die anspruchsvolleren Herberge und Bewirtung im König Artushof oder Ahrendshof wünschten. Dort wohnte 1364 die stolze nordische Königin Margarete, als ein Hansatag in Stral¬ sund stattfand. Von dem Artushofe zogen die Bürger zum Mai¬ reiten aus und begrüßten den Maikönig im großen Saale, wo der Bürgermeisterschmaus nach erfolgter Neuwahl abgehalten und jede vornehme Hochzeit gefeiert wurde. Der von Bartholomäus Sastrow bei dieser Gelegenheit in Greifswald erwähnte Brauch war auch in Stralsund üblich. Am Nachmittage ging es auf den Stein. Rach drei Uhr versammelten sich diejenigen unter den Geladenen, die dem Bräutigam Beistand leisten wollten, in dessen Haus. Dann gingen sie nach dem Markte, der Bräutigam zwischen zwei Bürger¬ meister» oder zwischen den beiden Vornehmsten im Zuge. Auf der Der einen Seite des Marktes lag ein vierkantiger Stein. Bräutigam bestieg ihn, während die anderen in derselben Ordnung, wie sie gegangen, etwa fünfzig Schritte zurückblieben. Die Spielleute mit ihren Pfeifen stellten sich um den Bräutigam und Dann stieg er wieder spielten ein paar Paternoster lang. Der dem Hochzeitshause. nach alle gingen herab, und Bräutigam mußte aber allein auf dem Stein stehen, „damit, wenn jemand etwas gegen die Verbindung einzuwenden hätte, Den Fürsten es noch vor der Kopulation anbringen möchte." war eine Einladung zu solcher Hochzeit überaus erwünscht. Sie führten die Bürgermeisterin oder die Frau des ältesten Ratsherrn zum Tanze und fanden Gelegenheit, mit den Spitzen der Kauf¬ mannschaft und den größere» Schiffspartnern Politik zu sprechen. Allmählich hatten sich die andere» pommcrschen Städte um diesen Selbst die kleinste» hanseatischen Vorort in Pommern gruppiert. Städte drängten sich dazu, „irgendwie die Sec zu erreichen und gleich dem Verdürstenden und Verkommenden nach diesem Lebens¬ Durch die sich rasch vergrößernde Be¬ elemente zu gelangen." völkerung übte Stralsund vor allen übrigen Städten den ent¬ scheidenden Einfluß aus und gab oftmals den Ausschlag. Damals sollen Schweden, Norweger, Dänen und sogar Italiener zur dauernden Niederlassung nach Stralsund gekommen sein. Der Aufschwung des Städtebuudes und die sich stetig ver¬ mehrenden Handelsbeziehungen der Stralsunder erweckten mehr Von den schwächeren und mehr das Selbstgefühl der Bürger. nordischen Staaten war ihnen gleich sämtlichen Hansastädten das Monopol eingeräumt, nicht nur den direkten Ein- und Verkauf der Ware au Ort und Stelle, sondern auch, was die Hauptsache war, den gesamten Zwischenhandel zu betreiben. Dieser war die eigentliche Quelle ihres Reichtums und legte den Grund zu Stral¬ sunds Blütezeit, die bis zum Untergänge der Hansa gedauert hal. Seit dem Ausgang des 14. Jahrhunderts wurde Stralsund der Hauptstapelplatz des Ostseehandels. Große Einnahmen brachten der Getreideverkanf und der Heriugsfaug. Bei dein Umsatz der Kaufmannswaren und im Warentausche standen Pelze, Felle, Thran, Seehundsspeck, Salz, Safran und Pfeffer obenan. Das Tuch wurde hauptsächlich in London und den Niederlanden einge¬ kauft. Engländer, Franzosen und Holländer kamen häufig nach Stralsund, und ihre Silbermünzen brachte» Wohlstand und Reich¬ tum in die Stadt. Stralsunder Gastfreundschaft ward weit und breit gerühmt. Die Fremden kehrten bei ihren Geschäftsfreunden oft wochenlang ein; auch das aus einem Schreiber und Knechten Die älteren Häuser bestehende Gefolge fand dort Unterkunft. waren inzwischen vergrößert, neue vielfach gebaut worden. An dem geräumigen Hofe standen Kornspeicher, Ställe und das Kemmladeu genannte Hintergebäude, das mit dem Vorderhause durch Treppe oder Bogengang verbunden war. Im unteren Teil des Keminladens wohnte die Familie, oben waren ein Saal und Fremdenstuben, während das Vorderhaus meist nur Geschästseine große Pfütze

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umher in den Gärten der Vorstädte, so siehst Du salles ergrünen räume und Warenböden enthielt. Allmählich hatte sich die innere von Blumen allerlei Art. Hier schließt eine lebendige Dornhecke Einrichtung verändert, die frühere Einfachheit einer glänzende» Ausstattung Platz gemacht. Der reiche Erwerb erweckte den Wunsch einen Lustgarten ei»; dort umzieht eine bretterne Planke üppige Gemüsefelder. Hier ladet ein schattiger Sitz unter einer Weinlanbe nach prächtige» Zimmern, kostbaren Kleidern und Geräten. Der Frau des reichen Bürgermeisters Wnlflam, die eine silberne Fu߬ zur Ruhe ein: dort rankt grünender Epheu an den Giebeln stolzer Häuser hinaus, die, auf blumenreichen Plätzen aufgeführt, entweder bank und silberne Schüsseln besaß, brauchte die Frau eines reich durch kunstreiche Gemälde oder durch herrliche Statuen geschmückt per¬ Sie sich nachzustehen. schaffte nicht gewordenen Kaufherrn sind, während eingelegte Steinchen das ebene Aestrich bezeichnen, sische Teppiche, Fußdecken von feinstem englischen Tuch, elfen¬ und bunte Mosaikarbeit die Decke ziert. Hier weidet sich das beinerne Kämme, silberne Spiegel, Rosenöl und eine Laute ans Auge an regelmäßig abgeschnittenen Blumenbeeten: dort erblickst Cedernholz an. Von der Reise brachte der Mann ihr duftende Du nicht fern von der Ringmauer waldige, mit vielen Eichen be¬ Wachskerzen, eine Lampe, zierliche Gläser und ein Damenbrett mit. Was soll ich erwähnen die ungeheuren Dämme, die setzte Höhen. Farbigglasierte, mit Ornamenten und Figuren verzierte Ofenkacheln Brustwehren und vielen Wälle und Warttürme? Schiffswerft, die ans der ließ er aus Holland kommen, und mit einem Schmuck, Was der Gebäude mit Marmor und reichem Zierrat geschmückt, Venedig verschrieben war, ging die Frau zur Kirche. Im Hause und der Häuser, ausgestattet mit gestickten Vorhängen? Beschreiben, trug sie ein wollenes Kleid, die Gretchentasche zur Seite: bei einem wie das Rathaus mit goldenen Sternen hoch durch die Lüfte mit GoldGewand an, sie seidenes Besuch oder Gastmahl hatte ein daher glänzt, oder wie die Spitzen der Türme fast an die Wolken nnd Silberfäden durchzogen und mit Marder oder Zobel verbrämt. Der in der Stadt wohnende Adel, der es dem „Krämer" reichen? Da kaum Homer, auf dessen zarter Lippe eine Biene saß, Er das alles würde verherrlicht haben, so vermag auch ich nicht alle nicht gleichthun konnte, hielt an der alten Einfachheit fest. Preiswürdigkeiten der sundischen Stadt zu erwähnen." blieb abgeschlossen, sogar in der Kirche, wo auch die Kaufleute Neben dieser glänzenden Schilderung stellten die Stralsunder Rikolaider in ihr eigenes Gestühl hatten. Es ist jetzt noch Chroniken düstere Mitteilungen von dem damals -ort her 'tuenden, kirche und zeigt einen Mann mit erhobener Keule, alle abwehrend, übermütigen, zügellosen Geschlecht, also daß bie Stadt' mehr Gefahr die nicht zum Stande gehören. Von dieser Kirche, der Marien¬ von inwendigen Meuterern als von auswärtigen Feinden yar. kirche und dem Rathaus, hat Louis Passarge treffend bemerkt, Die Prediger klagen über ihre Sorge und Mühe mit Schwärmern daß diese imponierenden, unsere Bewunderung erregenden Bauund Wiedertäufern, Dieben und Mördern, Besessenen und Kranken. iverke mit ihren kolossalen Dimensionen den Eindruck machen, als Selbstrache war damals allgemeine Sitte, und sie wurde dadurch stammten sie ans einer unbekannten Borwelt, wie das Geschlecht erleichtert, daß jeddr mit einem Seitengewehr oder einem großen der Megatherien, deren Knochen wir in den tiefen Erdschichten entdecken. Was läßt sich an Energie und stolzem Selbstbewußtsein Messer bewaffnet war. Raven Barnelow, ein herzoglicher Vogt mit diesen kolossalen Mauerflächen, diesen Fassaden, Türmen und auf Rügen, wurde in Stralsund aufs Rad geflochten; Starke Suhl», aus altem Adelsgeschlecht, überfallen und erdolcht; Wulf Hallen vergleichen! Eigentümlich berührt es, durch die runden Wulflam, der mächtige Bürgermeister, von Suhms Sohn getötet. Mauerösfnnngen des Rathauses den blauen Himmel oder den Mond zu erblicken, oder auf dem Straßenpflaster die Schatten- Geschlechter kamen und gingen, die einen raffte die Pest hinweg, andere verarmten und verschollen; die Frau des reichen Wulflam linien der Spitzen und Zacken zu verfolgen. Die an der Nord¬ ging mit einer silbernen Schüssel, dem einzigen Andenken an ihren seite befindliche Halle erinnert mit ihren achteckigen Pfeilern an Baustil der Marienburg, und der als Durchgang dienende früheren Reichtum, betteln. den^ Von den in der Chronik erwähnten auswärtigen Feinden ward Hof mit seinen von Säulen getragenen Galerien hat eine südliche Stralsund zwar noch mehrfach bedroht, doch fügten iveder Herzog Physiognomie. Wie sind die gewaltigen Steinmassen des Rat¬ hauses durchbrochen und gegliedert, durch Türmchen, Blenden, -Erich der Jüngere von Calenberg, noch die Dänen der Stadt ernstlichen Schaden zu. Erst im siebzehnten Jahrhundert, als der Wappen und vergoldete Kupferscheiben zu einem abwechselnngsschwere Schädigungen und schließlich den Untergang Hansabund Steinen könnte den reichen und farbenfrischen Bilde gestattet. Aus erlitt, erfuhr Stralsunds Blütezeit den Todesstoß. Den west¬ man herauslesen, „daß die stolzen Ahnen und Väter Zeugnis ab¬ europäischen Rationen, namentlich den Holländern gegenüber, war legen wollten von imponierenden Gewalt und Macht in den der^ das Handelsmonopol der Hansa in der Ostsee nicht länger aufrecht hoch aufgerichtete» Steinwänden und von ihrem Reichtum und zu erhalten; das ganze System mittelalterlicher Privilegien und weltninspannenden Handel in der zierlichen Auflockerung und Durch¬ Bevormundungen brach zusammen. Rene Handelswege waren seit brechung dieser steinernen Mauern." Entdeckung der westlichen Hemisphäre in Aufnahme gekommen, und 1524 die der Stadt, in Stralsund war die erste norddeutsche die einzelnen Völker waren so weit in Selbständigkeit imb Unter¬ Macht der römischen Hierarchie unter dein Einfluß einer volks¬ nehmungslust erstarkt, daß sie mit eigenen Mitteln Handel und Reformierten und Zwischen den Partei tümliche» gebrochen wurde. Tauschverkehr betrieben und von der lästigen Monopolstellung des Katholiken kam es zu harten Kämpfen, deren Schauplatz häufig Durch den ivestfälischen Hansnbnndes nichts wissen wollten. die Nikolaikirche war. Ein heftiger Tumult und Bildersturm brach Friedensschluß kam die Hälfte der wendischen Hansastädte mit dort 1525, am Montag nach Palmarum, aus. Der auf der Kanzel Stralsund an der Spitze unter schwedische Oberhoheit, und die stehende Mönch wollte die Satzungen der Lutheraner widerlegen: „er wußte aber nichts anderes, als das alte Lied von dem heiligen einst so stolze und reiche Hausastadt, die zweitmächtigste und einflu߬ Vater in Rom, der Kraft des Ablasses und der Vorbitte der reichste neben Lübeck, sank von ihrer Jahrhunderte lang behaupteten Heiligen". Die Frauen fingen an zu murren, einige riefen: „er Höhe zu einer mittelgroßen Provinzialstadt herab. lügt!" zogen den Pantoffel ans und warfen ihn nach dem Redner. Das war bas Zeichen für alle, und jede warf nach der Kanzel, was sie bei sich hatte. Man riß den Mönch herab, schleppte ihn Wxtkerreime und Abzählverse. auf den Markt und an den Pranger. Die aus der Kirche ge¬ ZMie wird's Wetter?" holten Heiligenbilder wurden um den Mönch gelegt, den man mit Diese bange Frage wird in Stadt und Land täglich uoi; seinen Schutzgöttern verbrennen wollte: doch die noch rechtzeitig Groß und Klein aufgeworfen. Hier gilt es den Wunsch, gntcs eingreifende Obrigkeit rettete ihn und ließ die Bilder wieder an — dort zur An¬ Ort und Stelle bringen. Rur allmählich wurde, ivie Bartholomäus Wetter z» einer Festlichkeit, einer Reise zu haben führung einer Feldarbeit — eines Baues — einer notwendige» Sastrow, einer der bedeutendsten Stralsunder Bürgermeister, in Ausbesserung. seinen Denkwürdigkeiten berichtet, der papistische Sauerteig zur Wenn sich der erfahrene Mann und der Gelehrte bei bei An Kirche hinausgefegt. Sechzehn Jahre später aber herrschte Einigkeit. Die Stralsunder waren stolz, daß sie den übrigen norddeutschen sichten auf künftiges Wetter auf bestimmte Zeichen verlassen, w Städten im Bekenntnis des Evangeliums vorangegangen und machen die Kinder es einfacher. Sie singen ihre Wettervers.yen. die in den verschiedenen Gegenden mit verschiedenen Worten, im pflegten bei vorkommenden Gelegenheiten daran zu erinnern. Als Sinn aber stets gleich, um gutes Wetter bitten. Herzog Philipp 1541 zur Huldigung nach Stralsund kam, zogen Tanzend und hüpfend dreht sich eine Schar der Kleine» in ihm dreihundert Bürger in roter englischer Kleidung mit schwarzem der Mark Brandenburg auf dem Platz umher, dabei mit eintöniger Sammet entgegen. Am Ann trugen sie eine Binde mit den vier Melodie singend: Buchstaben G. W. b. E.: Gottes Wort bleibt ewiglich. Der Herzog, „Lieber Regen — geh weg, dem im Artushof ei» Gastmahl gegeben wurde, fragte nach der Liebe Sonne — komm wieder Einwohnerzahl der Stadt. Damals hatte Stralsund 40 000 Be¬ Mit Deinem Gefieder, wohner und wurde von einem dort geborenen Dichter, Zacharias Mit Deinem goldnen Strahl, Orthur, beschriebe»: mit starken Farben und verschwenderisch im Komm wieder herdal!" Lob, wie Sastrow meinte, aber im Grunde doch wahr: denn an Diese Bitte ist ganz einfach und kindlich gehalten und hat mit Fülle und Reichtum stände Stralsund vielleicht nur Lübeck nach. Orthus nennt seine Vaterstadt des strengen Rechts wie der der germanischen Mythologie wenig zu thun, die sich dagegen in andern Wctterverschen zeigt, trotzdem nur wenig Leute, die singenden Redlichkeit Bewohnerin: sie wäre ein sicherer Standort für Kinder schon gar nicht, eine Ahnung von dein Ursprung jener meerdurchfurchende Kiele, ein günstiger Hafen dem segelführenden Verse haben. Fahrzeuge. Wohl möchte Stralsund von anderen Städten an Wir verdanken den Brüdern Grimm und dann besonders Macht, Umfang und Einwohnerzahl übertroffen werden, aber Mainhardts Forschungen höchst interessante Aufklärung der Wilhelm nirgends gäbe es so viel Ueberslnß an den Dingen, die über die Entstehung dieser Reime. tägliche Bedarf des Lebens erheischte. „Lustwandelst Du fröhlich ¬

I

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So fingen ,v B. in Preßbnrg die Kinder — besonders veränderlichem Wetter im März und April: „Liab Frau, mach's Thürl ans; Laß die Habe Snnn' heraus, Laß den Regen drinna,

bei

Laß den Schnee verbrinna, D'Engel sitzen hinterm Brunn', Warten ans die liabe Sunn'!" Zeigt sich nun wirklich die Sonne, so fallen die Kinder, die beim ersten Verse herumtanzten, aus die Kniee und singen: „Snnn' kommt — ’nSunn' kommt — Brunnen." D'Engel faH’n in Die Erklärung dieses Verses ist folgende: Rach altgermanischem heidnischen Glauben hat Frau Holle, die milde Göttin, den Sonnenschein, den Regen und Schnee ver¬ borgen und läßt solche nur ans ihr Geheiß hervor aus dem Wolkengewässer, dem himmlischen Brunnen. Die „liab Frau" ist also ohne Zweifel Holda oder Perchte, die übrigens in späterer christlicher Zeit sehr oft mit der Jungfrau Maria identifiziert er¬ scheint, wie schon der in Holstein gebräuchlicher Vers darlegt: „Dor hangt de Klokken (Uhr) an de Wand, Baven (draußen) sitt Margreten, Latt de Water fleteu. Inner (innen) sitt Marit Mit dat lütte Kind in'n Schot Lean Sonne kümm!" Außerdem erscheint Margarete hier als Regengöttin, und wir wissen ja auch, daß am Margaretentag Regen nicht gern gesehen wird. Wenn also auch die Margret »ach obigem Verse den Regen, Maria die Sonne spendet, so sind doch noch andere Varianten erhalten, nach denen Maria (Holde) selbst im ewigen Licht sitzt und eine andere freundliche Gesellschafterin der Himmelskönigin die Sonne scheinen läßt. Da diese Sonne nun von aller Urzeit her im germanischen Altertum mit einem Rad verglichen wurde, so fand das Volk passend, jener Begleiterin den Namen der heiligen Katharina von Alexandrien beizulegen, die, ihrer Legende getreu, (nach der das Rad, ans das sie geflochten werde» sollte, auf ihr Geheiß zersprang) von der Kirche mit einem Rad dargestellt wird. So finde» wir in den Niederlanden: „Maria bowen im Himmel D' Engclche singen zoo schoon —

Maria

D'

bowen all Engelche singen:

Gloria. Sinte Katheline Laet de Sonne schiene

Laet der Regen owergan u. s. w." mir an Katharina wendend: „Sonne — Sonne — Kathrine Lat de Sonne schiene

oder einfacher, sich

Lat den Regen owergan- " dessen älteste Pfarrkirche di5 zu St. Katharina Danzig, während in ist. es lautet: „Adrian — Adrian — laß den Regen owergan Lat de Sonne schiene — liebe St. Kathrine." Uebrigens hört man auch in der Mark Brandenburg von der Jungfer Katharine, wenn es heißt: „Blaue, blaue Wolken, Marie hat gemolken Sieben Küh' in einem Stall, Jungfer Katharina." Im Laufe der Zeit sind die Wetterbittverse zu den noch sehr gangbare» „Abzählspielen und Reimen" geworden und damit ist ihr Ursprung natürlich ganz in Vergessenheit geraten. Hier wurde also ursprünglich Thonar als Bnllerjan um Auf¬ hören des Gewitters angerufen. Der Variationen in Abzählspielen, die an deutsche Mythen erinnern und in der deutschen Göttersage ihren Ursprung haben, giebt es unzählige. Im Laufe der Jahrtausende sind sie aber vielfach so entstellt worden, daß nur schwer der eigentliche Sin» festgestellt ist. Oft, ja meist spielen drei Nornen neben Marie oder Holde eine Rolle. So lautet ein in Hessen üblicher Abzählreim:

„Sonne — Sonne — scheineMarie Kattareine! Zu Frankfurt in dem Boggchans Da gucke drei Marien heraus. Die ein spinnt Leide, Die anner dreht Weide, Die dritte schließt den Himmel auf .

Es handelt sich in diesen Wettereimen jedenfalls stets um eine die Sonne zurückhaltende Macht der Gottheit, die nebst ihren Begleiterinnen angerufen wurde. Wenn heut ein Kind spielend diese Abzählreime von andern Kindern lernt, so denkt es gewiß nicht daran, daß ein uralter Sinn und Bitte diesen oft ent¬ stellte» Versen zu Grunde liegt, ei» Sin», der uns zeigt, wie kindlich der Götterglaube der alten Germanen war, und wie poetisch, wenn sie sich eine schöne, königliche Frau, die milde Göttin Holde, im ewigen Lichte vorstellten und ihre Bitten, um Sonnenschein und Regen zum Gedeihen ihrer Felder vor sie brachten. höhere,

Emil von Wnltih. ^er Senior des alten märkischen Geschlechts, das bereits unter den Askanierfürsten, neben den Ouitzows und Holtzendorfs ge¬ nannt wird, Major z. D. Emil von Maltitz, vollendet am 6. Sep¬ tember sein 80. Lebensjahr. Als Sohn des Bataillonskommandeurs Freiherr» Philipp August von Maltitz zu Breslau 1820 geboren, kam er schon im Alter von fünf Jahren wieder in die heimische Mark, da bei der Formierung des Garde-Landwehr-Jnf.-Regiments, des heutigen Garde-Füsilier-Regiments, sein Vater nach Spandau versetzt wurde. Er besuchte die Kadettenhäuser zu Potsdam und Berlin, während welcher Zeit er auch prinzlicher Page war, und trat später als Leutnant in das Infanterie-Regiment Großherzog von Mecklenburg-Schwerin Nr. 24. Als solcher an der Bekämpfung der Revolution in Berlin, Baden und Westfalen teilnehmend, wurde er 1852 Oberleutnant, 1855 Hauptmann und 1858 Kompagniechef; im No¬

Ss

vember 1861 z.

alsMajor

D. mit Tragung der

Regimentsuniform zum

Laiidwehr-Bataillons3. Bat. (Sorau) 12. Landwehr-

Kommando

Regiment kommandiert und wenige Jahre, da¬ rauf als 3. Stabs¬ offizier zum BezirksKommando in Berlin ernannt, kam er 1870 als I. Adjutant der Etappen-Jnspektion der II. Armee nach Metz und im Dezember des¬ selben

Jahres

als

Kommandeur des Be-

lagernngstrainsl.Res.Division) nach Belfort,

wo er mit der Par¬

lamentairflagge einritt und bis zur Entlassung der Truppen verblieb, dann als Bezirkskom¬ mandeur nach Berlin

Am zurückkehrend. 8. Oktober 1881 wurde Emil von Maltitz, der Gcanskewitz sich im Juni 1851 mit Emilie von Plate» a. d. H. in Charlottenbnrg vermählt hatte, von der Dienstleistung ent¬

bunden. — Er lebt in Berlin, in Genealogie und Heraldik schrift¬ stellerisch thätig. U. a. ist der alte, rüstige Herr Herausgeber des Handbuchs für den deutschen Adel. Als Senior seiner Familie leitet er die Familientage de» Ge¬ schlechts und kennt nach dem Vorbild Kaiser Wilhelms I. nur eine Ruhe

in der Arbeit.

Kleine Mitteilungen. Ein Vliür in die Berliner Sammelgelle des Roten In¬

Kreuzes für teresse,

Maße die

.

."

ostanatische Expeditionskorps zeigt das

große

In

allen Schichten der Bevölkerung regt sich im reichsten bewährte Opfcrwilligkeit unserer Mitbürger. Hoch und niedrig, die schlichte Soldatenmultcr und der reiche Fabrikherr, sie alle bringen ihre Gaben, um unseren im fernen Osten für die Ehre Deutsch¬ lands kämpfenden Söhnen die Strapazen des Krieges ivcniger fühlbar Ganz besonders zn machen, und jede Gabe ist gleich willkommen. groß ist die Beteiligung der Berliner Geschäftswelt, die es als ihre Ehrenpflicht erachtet, den übrigen deutschen Städten an patriotischer Gesinnung voranzugehen. Die Sammelstelle befindet sich bekanntlich in der Wärmehalle am Alernnderplatz (Stadtbahnbögen 97/99), die Ab¬ holung und Beförderung ans den Wohnungen der Geber erfolgt kosten¬ frei durch die Berliner Spediteure.

verfolgt.

Daß die Nornen gemeint sind, geht schon ans ihrer Be¬ schäftigung, dem Spinnen, hervor. Ganz materiell und gewiß höchst entstellt ist der Reim: „Liebe, liebe Sonne — Butter in die Tonne — Mehl in den Sack! Schließ das Thor des Himmels auf — Liebe Sonne — komm heraus!"

da?

mit dem die Berliner Bevölkerung die Vorgänge in Asien so

S6S

Das IRetflccJIüift. Nach dem Hiibertusb arger Friede» bezog der berühmte preußische Reiterfährer, Freiherr von Seydlitz mit seinem Ncgiinentc Standquartiere in Ohlan. Hier entstand nun eine PflanzScydlitz konnte im Vertrauen auf die schule der preußischen Reiterei. Gewandtheit seiner Leute, von denen die auserlesensten seine LeibSchmadron bildeten, Manöver ausführe», deren Schnelligkeit und Ge¬ nauigkeit alles in Erstaunen setzte. Nur die Rekruten, die auf wild gemachten Pferden in der Karriere nicht herunterfiele», wurden zu den geregelten Reitübungen zugelassen, die anderen als Burschen, Pferdcwärter u. s. w. verwendet. Einst fragte ihn Friedrich der Große: „Wie kommt cs nnr, daß bei Seinem Reginicntc so viele Leute den Hals brechen?" „Eure Majestät", war die schnelle Antwort, „dürfen nur befehlen, und cs soll nicht mehr vorkommen, aber ich bin dann auch außer Schuld, wenn das Regiment gegen den Feind nichts aus¬ richtet." Tic Frau des Ministers von Schlabrendorf, deren Sohn als Cornct in seinem Regiment diente, tröstete er auf ihre ängstlichen Klagen wegen des tollkühnen Reitens mit den Worten: „Ihre Exzellenz können ganz ruhig sein: einen Cornet und eine Katze kann nian von einem Turm herunterwerfen. und sic brechen doch nicht den .Hals." Im Jahre 1767 erhielt Scydlitz die Ernennung znm General der Kavallerie. Ta ließ er Apell für seine Leibschwadron blasen und erklärte ihr, nun wolle er, wie jeder Schuster und Schneider, mal sein Meisterstück machen. Darauf ritt er mit der Schwadron an de» OhlanFluß, schwamm in die Mitte desselben und ließ im Wasser mit schwim¬ menden Pferden allerlei Uebungen anstelle». Das „Meisterstück" gelang vortrefflich- der Meister dankte seinen Gesellen und gab ihnen einen reichlichen Meisterschniaus. Danzigrr Schokolade. Am 24. Mai 1807 hatte der französische Marschall Lefeborc Danzig zur Kapitulation genötigt. Als er darauf nach Paris zurückkehrte, lud ihn Napoleon I. früh uni sechs Uhr znm Frühstück ein. Napoleon arbeitete gerade mit Berthier/als ei» Adjutant den Marschall anmeldete. „Gut," sagte der Kaiser, „lassen Sie den Herzog eintreten." „Sire," entgegncte der Adjutant, „der Herr Marsch all Lefeborc steht im Vorzimincr." „Denken Sie, ich rede Ihnen etwas Märchenhaftes vor? Hole» Sie den Herzog!" Kopfschüttelnd ging der Adjutant, den Befehl auszuführen. „Mein Herr Herzog," sagte er zu Lefcbvre, „der Kaiser erwartet Sie. Wollen der gnädigste Herr mir folgen!" Der Marschall stutzte und sah den Adjutanten mit bedenklicher Miene an. „Da kommt der Herzog von Danzig," rief Napoleon, als Lefcbvre eintrat, „kommen Sic, mein lieber Herzog, setzen Sie sich hierher und frühstücken Sic mit uns! Wünschen Sie Schokolade, Herzog?" „Sire" — stammelte Lefcbvre. „Mein lieber Herzog von Danzig," sagte der Kaiser, „nehmen Sic hier dies Pfund Schokolade von mir an, es ist echte Danziger Schokolade, andere biete ich Ihnen nicht an." Und bei diesen Worten überreichte er dem immer mehr verblüfften Marschall ein Päckchen in Form eines länglichen Vierecks. Tann machte er ihn auf eine Pastete aufmerksam, die auf bcm Tische stand, und die Form einer Stadt mit Türmen, Wüllen und Häusern hatte. „Greifen Sie zu, Herzog von Danzig, das ist Ihre Eroberung, das ist Danzig, erweisen Sie ihm die Ehre, es nochmals einzunehmen." Als Lesebvrc nach Hause kam und das Paket öffnete, fand er darin 100 000 Thaler in Bankanweisungen. Seitdem wurde es bei den französischen Soldaten Sitte, das Geld „Danziger Schokolade" zu nennen. Wenn ein Kamerad den anderen anborgen wollte, so sagte er zu ihm: „Sieh doch einmal nach, ob Tu nicht ein Stückchen Danziger Schokolade für mich in der Tasche hast!" Ein treuherziger BittsteUer war Hans Henckel in Länkewitz, der am 15. Februar 1868 an den Großen Kurfürsten folgendes Schreiben richtete: „Hochwürdigster, Durchlauchtigster, Grvßmächligstcr und Allerttnüberwindlichstcr. Hochgeehrter Herr Kurfürst! Treue Dienste geben treuen Lohn, sagt der Hanshalter Sirach im fünften Kapitel. Euch thue ich hiermit kund und zu wissen, daß der Küsterdienst in Länkewitz nnjctzt ledig ist, und ich zu solcheni Dienst sehr wohl geschickt bin, und wenn Eure Großmächtigkeit meine Person sehen und singen hören sollten, würden Sie sagen: Der Kerl ist bei nieincr Seel nichr wert, als daß crKüstcr sein soll; er könnte wohl predigen. Daßaberunser Schulze, der Hundsfott, mir feind ist, das macht, daß meine Frau ebenso einen roten Rock hat, als des Schulze seine Fra», und wenn ich den Dienst erst haben werde, so mir schon gewiß genug ist, will ich meiner Frau noch einen besseren Rock machen lasse», als des Schulzen seine hat, es mag den Hundsfott verdrieße» oder nicht; und wenn ich das Primarinm kriege, muß es unser Schulze nicht ivissen, sonst stößt cr's wieder um. Ich verlasse mich ganz gewiß dazu, und verbleibe Euer guter Freund, weil (so lange) ich lebe." Darauf erhielt er folgendes Dekret. „Supp¬ likanten werden nach abgelegter Probe sechs Dukaten beivilligt, und wann er tüchtig befunden wird, soll er de» Dienst ohne Einwendung des Schulze» haben. Friedrich Wilhelm, Kurfürst."

Denkwürdigkeiten und t»rin»crungcn des («cneralfcldinarschalls Hermann von Bogen, 1771—1813. Neue, bearbeitete Ausgabe in 2 Bänden. Mit Bildnis. Stuttgart. Verlag von Ro b. Lutz, 1899. Boycns Verdienste um den preußischen Staat und besonders seine Thätigkeit auf dem Gebiete der Organisation des Kriegswesens sind wiederholt von den Geschichtsschreibern gewürdigt ivorden, und nament¬ lich Heinrich v. Treitschke hat in seiner „Teutschen Geschichte" hervor¬ gehoben, daß Boyen neben Scharnhorst und Gncisenau zu den be¬ deutendsten Reformatoren des neueren Heerwesens gehört. Trotzdem hat der Name Hermann von Boyen noch nicht einen so volkstüm¬ lichen Klang angenommen, wie Scharnhorst oder Stein, Blücher oder Gncisenau, und dies liegt wohl zumeist daran, daß diese Männer mehr in der Ocsfcntlichkcit standen und zu dem Volk in nähere Berührung traten, während Boyen, meist im Kabinett und in geheime» Missionen Dr. M.

Folticineaiio.

w

genommen hätte. Nach dcni Frieden von Tilsit wurde Boyen nach Memel an den königlichen Hof berufen, um an de» Arbeiten der Kommissioue» zur Reorganisation des Heeres teilzunehmen. In ausführlicher Schilderung verbreitet sich Boyen über die schwierigen Arbeiten dieser ans Gneisenaa, Scharnhorst, Massenbach, Grolman, Götzen und Bronikowsky zusammen¬ gesetzte» Kommission, über die Anfeindungen und Hindernisse, die ihr :>'Y in den Weg gelegt wurden, über die allmähliche Anbahnung formen und die endgiltige Einführung der allgemeinen Webrpn.NN Seine eigenen Verdienste um das Zustandekommen de Resorinu'-rls verschwcigt Boyen nicht, verfällt aber dabei nicht ir Selbstüberhebung, sondern läßt allen bei dem Werk Beteiligten volle Würdigung wider¬ fahren. Eingcflochtcn in diese Schilderungen sind inieresiaute Berichte über die damalige politische Lage, über das Leben ain königlichen He-f und in den adligen und bürgerlichen Kreisen, über den Zustand des Heeres und des Offizierskorps, über den im preußischen Sbmie Herrichen¬ den Geist und das Anwachsen der Volkserhebung, so daß da' Werl einen wertvollen Beitrag zur Geschichte Preußens bildet. Ten grollte!! Raum in den Denkiuiiroigkeilen Boycns nehmen die Berichte ab » die Vorgänge vor und nach dem russischen Feldzug und die Zeit der Freiheitskriege ein. Boyen war in jener Zeit in den verjchiÄtensten Missionen thätig und nahm an allen politischen Verhandlungen, an den Vorbereitungen znm Kampfe und an diesem selbst regen Anteil. Mit der Beschreibung der Schlacht bei Leipzig enden die Anszeichnnnge» des Verfassers, der auch in der folgenden Zeit bis zu seinem am 15. Fe¬ bruar 1848 erfolgten Tod eine hervorragende Rolle in der preußischen G. A. Geschichte spielte. t

:

1

IV. Band. Berlin, gesammelte Erzählungen. 1900. Preis 4 M. Der vorliegende Band vervollständigt die vor drei Jahren in demselben Verlage erschienene Sammlung der Raabeschcn Erzählungen; er bietet „Meister Autor", „Wnnnigel" und „Deutscher Adel". Die leider kleine, aber treue und begeisterte Gemeinde des hochbetagtcn — offen¬ Poeten wird auch dieses Buch mit herzlicher Freude begrüßen bart sich doch darin seine Eigenart wieder in hellstem Lichte. Mn Die äußere Fabel und Recht wird Raabe ein Herzensrealist genannt. die die Umstände des Lebens übersieht er oft, aber er kennt und nennt innersten Geheimnisse; er weiß, welche Tragödien die Zufälle, Wider¬ lichkeiten und Kleinigkeiten des Lebens im Herzen eines Menschenkindes bewirken; er begreift nicht, daß cs Leute giebt, die das Erfinden von Geschichten zu ihrer Lebensaufgabe machen, da doch täglich so wunder¬ Jeder muß eben Rabe, einen der wunder¬ same Tinge sich ereignen. lichsten, aber auch hochstehendsten Dichter des deutschen Volkes, erst ans eigene Faust entdecken; dann wird er ihn aber auch hüten und halten, P. B. ivie ein liebes Geheimnis und einen kostbaren Schatz.

Wilhelm Raabes Otto Jaule,

Bücherkisch.

Beraurwortlicher Redakteur:

thätig, weniger an die Oeffentltchkeit trat und trotz seiner umfassenden Thätigkeit auf politischem Gebiet in Volkskreisen nicht allzu häufig erwähnt wurde. Dies ist nun etwas besser geivorden, seit im Jahre 1889/90 die „Erinnerungen aus meinem Leben", die Boyen 1834 bis 1836 versaßt hatte, herausgegeben worden sind. Die in einfacher Sprache geschriebenen Erinnerungen fanden Anklang bei der deutschen Nation und würden auch in weitere Kreise gedrungen sein, ivenn das Werk durch die vielen Beilage» und Urkunden nicht'zu umfangreich für eine einfache Lektüre gewesen wäre. Nachdem man dies erkannt hatte, faßte man den Entschluß, die „Erinnerungen" in abgerundeter, ver¬ kürzter Form nochmals zu veröffentlichen und so ein Volksbuch zu schaffen, das de» Namen Hermanns von Boyen in die weitesten Kreise Deutschlands tragen sollte. Dieses Buch liegt jetzt vor und hat seit der kurzen Zeit seines Erscheinens schon viele Freunde gewonnen. Hermann von Boyen, der ans einer alten Soldatenfamilie stammt und am 23. Juni 1771 zu Krcnzburg in Ostpreußen geboren wurde, giebt im ersten Kapitel seiner „Denkwürdigkeiten" ein anschauliches Bild von seinem Entwicklungsgang im Jugendaltcr und als junger Soldat und geht dann bereits im nächsten Abschnitt zu einer Schilderung der Geschichte seiner Zeit, sofern sie mit seinem Lebenslauf in Berührung steht. über. Die Ereignisse während des polnischen Feldzugs 1793—94 werden mit kritischer Schärfe beleuchtet, die Zustände unter der Re¬ gierung Friedrich Wilhelms II. und im Anfang der Regierung seines Nachfolgers werden in kurze», aber scharfen Umrissen gekennzeichnet und die Vorzüge und Fehler beider Regenten gegenübergestellt und mit einander verglichen. Die Wirkungen und Einflüsse der französischen Revolution und der damals auch in Preußen auftauchende Freiheits¬ drang geben Boyen Veranlassung zu manchen interessanten Be¬ merkungen, und besonders die Zerfahrenheit der preußische» Negierung, der Sorglosigkeit im Ministerium und im Heere, die Verblendung, mit der man in leitenden Kreisen der drohenden Gefahr entgegenlief, und die verschiedenen Ursachen, die das Unglück des Krieges von 1806 hervorriefen, werden von Boyen eingehend dargelegt. Er wurde durch alle diese Ereignisse lebhaft bewegt und reichte dem König über den bevorstehenden Krieg eine Denkschrift ein, die seine Be¬ rufung zur Dienstleistung beim Gencralstab unter dem Befehle des Herzogs von Brannschweig zur Folge hatte. Was Boyen dort erlebte, war gerade nicht dazu angethan, ihn und alle einsichtigen Offiziere mit großen Hoffnungen zu erfüllen; aber sein Einfluß war damals noch so gering, daß er keine Maßregeln zur Verhütung des Unheils treffen konnte und die unglücklichen Schlachten bei Jena und Anerstädt mit erleben mußte. Sehr scharfsinnig sind die kritischen Betrachtungen, die Boyen an die verunglückten Opcrationsplänc knüpft, und äußerst einleuchtend seine Ansichten über den Zustand des Heeres und über die allgemeine Wehrpflicht, die er nochmals int Verein mit Scharnhorst und anderen einführen sollte. Bis es dazu kam, hatte Boyen aber noch manche Enttäuschungen zu erleben, und wenn er auch dem Cha¬ rakter Friedrich Wilhelms III. volle Gerechtigkeit widerfahren läßt, so kan» er sich bei der Schilderung der damaligen Zustände und Vor¬ gänge doch nicht verhehlen, daß bei einiger Energie des Königs Krieg gegen Napoleon einen wesentlich anderen, günstigeren Verla»!

Berlin. — Truck und Verlag:

Friedrich Schirmer, Berlin

SW., Neuenburger Straße 14a.

Illustrierte Wochenschrift. „Der Bär" erscheint jährlich 52 mal und ist durch alle Buchhandlungen, Zeitungsspeditionen und Postanstalten zu beziehen (Nr. 866 des Postkatalogs) und kostet vierteljährlich 2 M. 50 Pf., jährlich 10 M., Linzeiheft 20 Pf. — Infertionspreis für die gespaltene Nonpareillezeile oder deren Raum 50 Pf. — Beilagegebühr: 6 M. pro *000 Stück inklusive Postgebühren. — Inserate und Beilagen werden entgegengenommen von der Expedition des „Bär", SW., Neuenburgerstraße *q.a, sowie von allen Annoncen-Lxpeditionen. — Fernsprecher: IV. Nr. 365*. -*>

26 Jahrgang.

Sonnabend, 8. September 1900.

|U*.

36

Berliner WandellliLder. Etwas vom Berliner „Dialekt".

B

Wunder und Zeichen: Unter den akademischen Aufgaben des laufenden Jahres befindet sich die Erforschung des Berliner „Dialektes", Man darf neugierig sein, was dabei herauskommen wird. Jedenfalls eröffnet die Stellung des Themas überraschende Aussichten in die Zukunft. Die deutsche Sprache hatte sich bisher keiner sonderlichen Pflege auf unseren S geschehen

NIbr-chk von Vrondenburg.

verleibt werden? Das kann hübsch werden. Das „Dresdnerische", das „Leipziger", das „Magdeburgische", das „Königsberger" rc. sind zu gleichen Ansprüchen berechtigt, und schließlich darf man die Befürchtung hegen, daß selbst die exakteste Wissenschaft nicht mehr imstande sein wird, in der babylonischen „Dialekt"-Verwirrung Ordnung zu stiften.

Joachim I.

Hochschulen zu erfreuen, in soweit ihre Entwicklung über das früheste Mittelalter hinausging, und es hat lange genug gedauert, bis sie in ihrer modernen Entwicklung überhaupt hochschulfähig

und durch eigene Lehrstühle vertreten wurde.

Der Berliner „Dialekt"! „Hier stock ich schon. Wer hilft mir weiter fort?" Ich habe mir eigentlich unter Dialekt etwas we¬ sentlich anderes vorgestellt, seitdem mir ans der Schule die Unter¬ schiede der jonischen und dorischen Mundart halbwegs klar ge¬ Ueber die ober-, mittel- und niederdeutschen Dia¬ worden waren. lekte ist schon manch gelehrtes Wort gesagt und geschrieben worden. Soll das „Berlinische" nun als gleichberechtigt dieser Reihe ein-

Dirkrich von Bülow.

Zweifellos werden sich die städtischen Archive und Büchersammlnngen in der nächsten Zeit einer ungewohnten Frequenz er¬ freuen, und unser germanistischer Nachwuchs wird mit heißem Bemühen vergilbte Pergamente und Urkunden studieren. Ich kann mir nicht denken, daß übermäßig viel dabei herauskommt, wie es denn durchaus wahrscheinlich ist, daß dem eifrigen „Dialekt¬ forscher" jemals eine schriftlich fixierte Redensart wie „Haaptamanich" aufstößt, die in unser geliebtes Hochdeutsch übertragen „hab' dir man nicht" lauten würde. Wie wäre es, wenn die Herren Preisbewerber sich entschließe» könnten, Archive Archive sein zu lassen und ihr Stubenhocken in

L -i. Arv

..

..





jiv.

ein Plem-air-

Rühns." „Mutter,"

aus? Ja, Vater?"

sprochen, daß

Spenerschen Zeitung vertieft, und sein Söhnchen, ein munterer Bursch' von zehn, elf Jahren stand am Feuster und spähte

„I,

Meister Ulrich war Seifensieder; einige Stufen führten aus dem Zimmer hinab nebenan in den kleinen Laden, und hinten, auf dem Hof, mit der Rückfront gegen die wild aus den Schleusen und Rädern der städtischen Mühlen am Mühlen¬ damm hervorschießende Spree lag die nicht allzu' lieblich duftende Werkstatt des Meisters.

Da ging die Thür auf, und

eine stattliche

Frau trat

herein, in Morgenrock und Wirtschaftsschürze, eine schneeweiße Haube auf dem leicht ergrauten Haar.

„Na, Vater, nun

komm essen!" sagte sie.

„Ja, Kind, jleich!"

entgegnete Vater, „ich muß das bloß

erst zu Ende lesen!"

„Unsinn!"

versetzte seine bessere

Hälfte, „das kannste auch

nachher lesen!"

'ne Kritik über ein neues Stück von „Nee, Mutter, es ist das interessiert Schauspielhaus; Kotzebue'n im Königlichen mir aufs höchste!"

„Wat

vcrstehste denn von Kotzebue'n!"

Vater richtete

sich

aus;

selber am Theater jewesen

„Als Statist!"

„Du bin!"

versetzte seine

hast

wohl

Frau, „bis

vergessen, daß ich

sie

Dir

entlassen

haben wegen Deiner T-Beene."

Frau von oben bis unten, 'n sehr jutes dann sagte er herablassend: „Jrethe, Du bist Weib, aber von Kunst verstehst Du absolut jar nischt!" „Na, det is mir janz ejal, jetzt kommst Du essen!" Damit nahm sie ihrem Eheherrn'die Zeitung weg und legte Vater Ulrich maß

seine liebe

mit der Hand darauf schlagend, auf den Tisch. „Wat jiebt's denn heute?" fragte Vater etwas unwillig. „Jänsebraten!" Auf diese erfreuliche Auskunft hin erhob Ulrich ohne weitere Einrede und folgte seiner Frau in Vater sich dunkle Hinterzimmer, dessen Fenster in den Hof ging lange, das

sie,

und über das kleine Gärtchen hinweg, das neben dem Werk¬ stattsgebäude lag, sogar Aussicht auf die Spree gewährte. Am Eßtisch rückte und polierte noch eifrig die Tochter des Hauses, Luise, ein etwa zwanzigjähriges, bildhübsches Mädchen, blondhaarig und blauäugig.

sagte Fritz, „nicht wahr,

Vater hat

doch ver¬

wir heut ausführen?" „Heute?" fragte die Mutter, „Junge, stipp' nicht immer mit dem Brot in die Suppe! — Na ja, wir ivollten ja wohl heut wieder den jungen Mann in den Zelten treffen?" Sie

„Junge, sei still!" „Ach, Vater, nach den Zelten, ja? Ich werd' geh'n und Pfaffkow bestellen! Ja, Vater, soll ich gehen?" „Junge, wenn Du nicht fülle bist, bleibst Du zu Hause, und wir anderen fahren allein! Verstandez-vous?" Diese Unterhaltung spielte sich in dem Vorderzimmer eines der kleinen Häuschen in der Poststraße in Berlin ab. Der Vater saß, von der Arbeit Last und Mühe ausruhend, im großgeblümten Schlafrock auf dem Lehnstuhl, in die Lektüre der

in den lustigen Sonnenschein des späten Herbsttages hinaus.

bondcpt Jjabneo-

sah Luise an, diese errötete etwas.

gab der Vater den Ausschlag, „nehmen wir Wagen! Fritz, Du kannst Pfaffkoiv nachher bestellen!" „Vater," versetzte Fritz, „weißt Du, ich hab ihn schon lange bestellt: um eins kommt er!" also

jut!" „Ist 'n

sicherm

Du Limmel!" rief seine Mutter und faßte mit Griff ihres Sprößlings Ohrläppchen.

„Mutter,"

der Junge,

„ich

Wagen man erst da ist, dann fahrt

Ihr

lachte

dachte,

wenn

der

auch!"

„Ach so!" versetzte der Vater, also was sie in Frankreich, wie ich auf der Wanderschaft da war, immer kait accompli

nannten!"

Das Erscheinen des Gänsebratens machte der Unterhaltung zunächst ein Ende, und nach beendeter Mahlzeit ividnicte sich alles seiner Toilette.

Punkt eins hielt der Kutscher vor der Thür, und die Familie Ulrich stieg ein. Vater im langen, kaffeebraunen Gehrock mit Jabot, einen grauen Zylinder auf dem Kopfe, Frau Ulrich in schwarzseidener Krinoline und Luise in hellem, Kleide, einen ganz nach hinten gekippten, breitrandigen Strohhut auf dem blonden Haar. hochgeschnürtem

Fritz kletterte vergnügt auf den Bock, und im ruhigen Trabe rollte der Landauer davon.

Es ging durch die Post- in die Königstraße, die Haupt¬ Hier standen fast durchiveg verkehrsader des alten Berlin. zweistöckige Häuser, und im Erdgeschoß waren stattliche Ge¬ schäfte und Kontors. Im Schritt rollte der Wagen über die Lange-, jetzt Kurfürstenbrücke, an dem schönen Schlüterschcu Standbild des Großen Kurfürsten vorüber und dem hier liegenden prächtigen Badehaus und dann über den elend gepflasterten Schloßplatz am Schlosse hin und über die Schloßbrücke, damals Hundebrücke geheißen, eine einfache hölzerne Zugbrucke, in die Linden. und mit Stolz flog sein Auge über die schönen Gebäude, die hier sich er¬ hoben: das Zeughaus, Palais des Prinzen Heinrich, an der Stelle, wo jetzt die Universität steht, daneben die Akademie; auf der anderen Seite das königliche Opernhaus, dahinter die katholische Kirche, am Ende des weiten Platzes, und die Bibliothek; im Hintergrund, jenseits der Spree, Schloß und 'fürwahr ein herrlicher Anblick, und Das war Domkirche. das Herz jedes alten Berliners schlug höher, wenn er diesen Stadtteil berührte oder wohl gar ihn einem Fremden zeigte.

Vater Ulrich

saß behaglich zurückgelehnt,

Weiter rollte der Wagen die Linden hinab; stattliche Gebäude zu beiden Seiten, die stolzen Linden mit ihren hoch¬ '

in allen Farben des Herbstes spielend, sich in buntem Gewimmel die festlich geputzte Menge;, überall ragten die grauen und dunklen Zylinderhüte der Herren über die Menge, und leuchteten ihre Jabots und steif gestärkten Halskragen, und rauschend schleppten die Krmolmen der Damen auf dem Kiesweg, und wie bunte Schmetterlinge gaukelten die riesigen Hüte auf den hochge¬ kämmten Haaren. Und über dem allen schwankten an mächtigen Ketten in der Mitte der Straße sogar Laternen! Die Bänke waren bei dem milden Wetter dicht besetzt, und an dem Eisengeländer, das, durch hohe Sandsteinkegel als Stützen laufend, den Promenadenweg einfaßte, standen zahlreiche Gruppen; man betastete das Geländer mit den Spazierstöcken und gab sein Urteil darüber ab; denn der König Friedrich III. hatte es erst kürzlich gestiftet. ragenden Wipfeln,

und darunter erging

Schloß Bellevue vorüber an die Spree und an dieser hin zu den Zelten führte.

Die Zelte waren vier kleine Häuschen mit hübschen Laubengärten, und unter dem bunt rankenden, wilden Wein saß bei Bier und Kaffee die frohe Menge, noch einmal, eh' es Winter wurde, die sommerliche Freude, im Freien zu sitzen, genießend.

„Zelt Nummer Eins!" rief Vater Ulrich

gebieterisch, und

der Wagen hielt.

Die Familie Ulrich fand in den Lauben noch einen größeren Tisch frei, und kaum hatte sie Platz genommen, als

Jetzt rollte der Wagen

über das Viereck, den heutigen das stolze Brandenburger Thor hinaus in den Tiergarten, damals noch mehr Wald als Park. Die breite Charlottenburger Chaussee war vou Fuhrwerken und Spaziergängern belebt und ebenso rechts — an der Stelle des heutigen Königsplatzes mit seinen stolzen Monu¬ mentalbauten — der weite, weiß schimmernde Exerzierplatz, auf dem Hunderte von Kindern mit Ballschlagen und Drachensteigen sich erlustigten, während die Erwachsenen, wenn sie sich nicht an den "Spielen ihrer Kleinen beteiligten, im warmen Sonnenschein lagernd, sich dem Inhalt ihrer Ptoviantkörbe widmeten. Pariser Platz,

und

durch

„Es heißt," sagte Vater Ulrich zu seiner besseren Hälfte, würde nu mal Zeit, daß der bewußte junge Mann mit der Sprache rausjinge!" cs

„Na

eben," versetzte seine Frau, „den janzen Sommer hat er bei--uns rumjeduckmäusert und Kaffee und Schokolade jetrunken! Der scheint zu denken, wir haben ein Kaffeehaus!" „Den muß man wahrscheinlich erst mit der Nase druf 'ne stoßen!" sagte der Vater wieder, „es jiebt so Freier!" schon

„Ach, es ist mit seiner unglücklichen Stotterei!" bemerkte

Fräulein Luise.

„Ich liebe Dir, —" entgegnete der Vater, „oder sei mein! soviel wird er wohl rauskriegen! Und ivenu er das gesagt hat, braucht er sein janzes Leben lang nichts mehr zu sagen! Was soll der Mann in der Ehe auch noch sagen?" „Das beste ist ja schon, er sagt nichts!" versetzte die Mutter mit einem scharfen Seitenblick auf ihren Gatten. „Wir 'n müssen eben mit ihm Geduld haben! Es ist herzensguter Mensch, der junge Matz, und Und Luise mag ihn leiden!"

„Er thut mir

immer

so

hat sein gutes Auskommen.

leid!"

sagte Luise,

„der arme

Kerl!"

„Am meisten," fuhr Mutter Ulrich fort, „würde sich die ärgern, die Luise für ihren Zierbengel schon lange auf dem Kieker hat!" „Der junge Kulicke," rief Vater entrüstet, „und Luise!

Aus dem romaniischen Berlin: Durchgang an der Fischerstrsye und »n der Fischerbrücke.

Kulicke

Nicht daran zu denken!" Unterdessen hatte der Wagen in gemächlichem Trabe die „Puppen" erreicht, den heutigen Großen Stern, so genannt wegen der hier aufgestellten sechzehn Statuen, im Volksmuud kurzweg Puppen getauft und die Schar der eigenen und Miets¬ fuhrwerke, sowie der offenen Thorwagen, die die Fahrgäste gesellschaftsweise beförderten, — „für zwei Gute die lumpige Person" — teilte sich hier. Links fuhr man zum Hofjäger, die breite Hosjägerallee

entlang, geradeaus ging der Haupt¬

strom die Chaussee weiter nach Charlottenburg. Unser Wagen bog rechts in einen sandigen, holperigen Fahrweg, der am

eilig herangeschossen kam, ein hübscher Mensch niit freundlichen, gutherzigen Augen; er zog den grauen Zylinder tief und sagte: „B . . B . . Bon jour!" „Bonjour, Monsieur Matz!" entgegnete Vater Ulrich, „platzez-vous, s’il vous plait!“ Der junge Matz, von Beruf Seidenfärber, war ebenfalls längere Zeit in Paris gewesen, und Vater Ulrich liebte es deshalb, bei ihm seine französischen Kenntnisse an den Mann zu bringen.

ein

junger Mann

Monsieur Matz war neben Luise, die ihn freundlich be¬ grüßt hatte, gesetzt worden, und Luise kredenzte den just auf¬ getragenen Kaffee, als eine kleine dicke Dame in knallroten, Federhnt auf den Tisch losgesteuert kam, neben ihr ein



/ schmächtiger junger affektiertem Wesen.

„Aha:

Mann in affektierter Kleidung und von

die Kulicke!" murrte

Filius!"

Frau Ulrich, „und der Herr

mich unendlich.

„8'il

Dürfen wir Platz nehmen?" vous plait!" sagte der Vater mit einer nachlässig

großartigen Handbewegung.

„Die Herrschaften haben gewiß einen kleinen Spaziergang gemacht," fuhr die Kulicke redselig fort, „wir, mein Alfonschen und ich, sind gefahren —" „Auch gefahren!" unterbrach Frau Ulrich,

sich

in Positur

setzend.

„Ach, wie reizend!" rief die Kulicke, „es hat Ihnen wohl viel Spaß gemacht? Wenn man so selten fährt, genießt man's doppelt! Wir haben einen Wagen genommen, ivissen Sie, mein Atfonschen steht sich jetzt so gut —"

„Freut mich für deu jungen Mann," unterbrach Mutter Ulrich; sie saß mit untergeschlagenen Armen und eingekniffenen Mundwinkeln, unbeweglich, nur die Augen fuhren umher.

„Ja!

er genießt bei seinem Chef eine

völlige Vertrauens¬

Nicht Alfonschen?"

„Ja, Mama!" versetzte der, „er überläßt mir das ganze Geschäft, alles habe ich unter Verschluß, sogar die Kästen mit Zuckerkandi und Bonbons, Mademoiselle Luise!"

„Ach?" sagte trauensstellung?"

diese

über die Achsel,

„ist das die Ver¬

„Allerdings, Mademoiselle," rief Alfons, „bedenken Mademoiselle, wie die kleinen Mädchen mich umschmeicheln nach meinen Schätzen, flink und listig wie die Mäuschen, Mademoiselle!" „Dann stellen Sie nur hübsch Fallen auf, Monsieur Kulicke," versetzte Luise, wieder über die Achsel, „vielleicht fängt sich eines!" „Darum ist mir nicht bange," erwiderte Alfons, „mit Speck fängt man Mäuse, aber mit Zucker vielleicht- noch viel besser, nicht wahr, Monsieur?" wandte er sich an Herrn Matz. Dieser errötete, wie immer, wenn er plötzlich angeredet wurde, und versetzte mühsam: . . . . ich w. . w . . weiß nicht!"

„I. i. i. i.

Alfons lächelte höhnisch, wofür ihm Luise einen bitter¬ doch ihr Vater entgegnete: „Herr Matz will damit sagen, daß er mit Mausifalli, Ratzifalli und solchen Jeschäften nichts zu thun hat!" bösen Blick zuwarf,

„Sehr richtig!"

sagte

Mutter Ulrich scharf;

sie saß

immer

mit untergeschlagenen Armen, unbeweglich. Vater Ulrich sah seine Ehehälfte bei dieser Beistimmung erfreut an; er wußte, daß er für seine Abfertigung einen Ausgehtag gut hatte. „Erlauben Sie," versetzte die Kulicke, „Sie haben vom Kausmannsstande wohl nicht die richtige Auffassung." noch

„Wir sagte

uns nicht viel aus der Käsekrämerei!"

machen

Mutter Ulrich.

„Der Schuster bleibt ja allerdings am besten bei seinem Leisten!" erwiderte die Kulicke spitz. „Mademoiselle," wandte sich Alfons, unbekümmert um Luisens abweisende Haltung, wieder an diese, „hier werden Wollen wir eine Spazierfahrt unter¬ Kähne vermietet! nehmen?"

jnngen Mädchen an, daß es wohl wandte sich an seinen stotternden Lieb¬ es doch Lust hatte; denn auch beteiligen, Herr Matz?" Sie sich haber: „Würden

Man

I. I.

gegnete Matz.

„Ach! welch reizendes Zusammentreffen!" rief die Kulicke, die lang behandschuhten Hände zusammenschlagend, „ich freue

stellung!

j.

j... . ja! s. . s. . sehr gern!" erwiderte der. „Können Sic im Notfall schwimmen?" fragte der Vater. ent¬ . . Jrund!" „B . . b . . b . . bis auf den „O

sah es

dem

„Na, denn man los!" sagte Vater. „Sei vorsichtig, Alfonschen!" bat die Kulicke, „sieh Dich vor! Fall nicht ins Wasser, Kind, hörst Du?" „Herr Matz, halten Sie Alfonschen bloß ein bißchen fest!" mahnte Vater Ulrich und sah seine Frau an; er glaubte, sich einen zweiten Ausgehtag verdient zu haben. „Mutter, ich darf auch mit!" ries Fritz.

„Du bist noch zu zappelig!" sagte die Mutter. „Gott ja, das arme Jüngelchen!" lächelte die Kulicke. „Ich gebe schon auf ihn acht!" sagte Luise; so wurde denn Fritz die Mitfahrt gestattet, und die jungen Leute gingen zu den Booten.

Der Vermieter zog einen größeren Kahn längsseits Stegs und hielt ihn beim Einsteigen.

des

Zuerst nahm Luise Platz; sie that einen allerliebsten Auf¬ als der Kahn unter ihren Füßen schwankte, und fiel mehr auf den Steuersitz, als sie sich setzte.

schrei,

Gerade ihr gegenüber, auf der ersten Ruderbank, wollte Matz Platz nehmen, doch wie er zum Einsteigen umständlich die Beine hob — er schien zu überlegen, ob er zuerst mit dem rechten oder dem linken Fuß in den Kahn treten'sollte, kam ihm der flinke Ladendiener zuvor und schoß mit fliegenden Rockschößen aus die Bank vor Luise, daß der Kahn sich be¬ denklich auf die Seite legte, und Luise einen zweiten aller¬ liebsten Aufschrei that.

Matz niußte nun ivohl oder übel auf der andern Ruder¬ bank Platz nehmen und anstatt Luisens reizendes Gesichtchcn dieses „vcrf. . . fluchten L . . . . . ladenschw .. . wengels" Rückfront betrachten. Fritz setzte sich ans das kleine Tritt¬ bänkchen im Schnabel des Kahns, der Vermieter gab dem Fahrzeug einen kräftigen Stoß, und sanft glitt es auf den

l.

Strom hinaus. Matz hatte seine Ruder eingelegt und petschelte wacker draus los, und unter seinen gleichmäßigen Ruderschlägen glitt der Kahn sanft stromab.

Alfons ivußte ivohl besser mit der Elle umzugehen als mit dem Ruder; zunächst stieß er, als er das linke Ruder einlegen wollte, Luise damit unter das Kinn; er machte zahl¬ lose entschuldigende Bücklinge, unterdessen siel ihm das rechte

ins Wasser, Luise

haschte es gerade noch und reichte es ihm

wieder.

Endlich hatte Alfons beide Ruder in den Dollen und begann mit verdoppeltem Eifer das Versäumte nachzuholen. Er legte die Riemen so flach ein, daß das Wasser wie mit einer Schöpfkelle geworfen nach hinten spritzte, dann haute er wieder einmal mit dem Blatt auf das Wasser, daß es quatschte und klatschte.

„Planschen Sie doch nicht so, Herr Alfons!" sagte Luise ärgerlich, die gar nicht wußte, wie sie den kalten Wasser¬ strahlen ausweichen sollte. „Pardon, Mademoiselle!" stammelte Alfons. „Ueberlassen Sie das Rudern nur lieber Herrn Matz," fuhr Luise fort, „ich habe nicht Lust, mich von Ihnen hier einsprengen zu lassen, als sollte ich geplättet werden!"

Ganz zerknirscht zog Alfons die Ruder ein, er war völlig erhitzt und außer Atem.

„Ach, Herr Matz! sehen Sie da drüben die schönen See¬ rosen!" rief Luise, „wir wollen hinüberfahren!" Der Kahn glitt ruhig durch die sanft murmelnde Strömung zum andern Ufer, wo statt des Lehrter Bahnhofs mit seinen

579

unzähligen Rangiergleisen sich noch endlos die Wiesen dehnten, und vorn am Ufer

Luise pflückte vom Nachen

wiegten.

sich

Schilf und Seerosen auf der stillen Flut aus die herrlichen

heut rauschen.

Schweigend fuhren die beiden Familien, jede für sich, Hause, und Luise teilte statt ihres Verlobten ihren Eltern dessen Werbung mit.

Blüten.

nach

hatte Alfonschen nachgedacht, ivie er seine werte Persönlichkeit wieder zur Geltung bringen könnten. „Mademoiselle!" rief er plötzlich ganz glücklich, „sollen ivir

sie

Unterdessen

mal kippeln?"

Doch Alfons stand schon aufrecht Tritte abwechselnd auf die linke und rechte Seite des Nachens das Fahrzeug in schaukelnde Bewegung, eifrig unterstützt von Fritz.

„Nein!"

schrie Luise.

im Kahn und brachte durch

Andere Zeiten, andere Leute, doch die Liebe

bleibt dieselbe!

Vor ihrem Hause in der Poststraße kam die Kulicke, — wohnte nebenan, —■ noch einmal herüber, nahm die Eltern beiseite und sagte: „Mein Alfonschen wird wohl den Schimpfen davon kriegen, er hat schon eine ganz rote Nase! Eigentlich hat er's doch nur um Luise gethan, — wissen Sie, die beiden sollten ein Paar werden!"

„Lassen Sie die Dummheiten!" rief Luise.

„Sch.

.

sch . .

schmeißen

Sie uns

b

.

.

b . .

bloß nicht

nm!" sagte Matz. ich

„Herr Mätz," rief Luise, „halten Sie doch aus Ordnung, ängstige mich halbtot! Fritz, Du Lümmel!" Alfons und Fritz lachten laut und traten um so ärger.

„H. allein ins

.

hören Sie mal,"

W.

.

Wasser, sov

w.

sagte Matz, .

.

viel Sie

„f. fallen Sie L. Lust haben, .

.

. ivenn Sie sich hinsetzen, h . . jetzt nicht h . . h . Ihnen mit dem R. . Ruder auf den Kopp!" Auf diese freundliche Aufforderung hin nahm Alfons Platz, und Luise sagte: „Wir tvollen zurückfahren, es ivird

aber

.

hau ich

auch schon

kalt.

Mir

ist alle Lust verdorben."

„Sind Mademoiselle mir böse?" fragte Alfons und er¬ griff zärtlich Luisens hübsche Hand. Doch diese fuhr zurück und antwortete mit einem so schallenden Klaps, daß Alfons sich die Finger rieb. Die Sonne war indessen untergegangen, und der Abendhimmel flammte in Purpur und Violett. Es wurde empfindlich kühl, und drüben auf den Wiesen begann der Herbstnebel zu dampfen.

Am Landungssteg wollte Schnell ruderte Matz zurück. Alfons zuerst aus dem Kahn springen, um Luise behilflich sein zu können; er sprang, während der Kahn noch fuhr, ach! zu kurz! und mit dem linken Bein bis ans Knie ins Wasser, während der Vermieter ihn mit kraftvoller Faust am Jetzt lachte Genick packte und vollends aufs Land zog. Luise, und wer zuletzt lacht, lacht am besten.

Alfons niußte zurückbleiben, um in der Bude des Kahnden Stiefel auszuziehen und das' Wasser auszu¬

meisters

Unterdessen traten Luise und Matz unter die Bäume des Tiergartens, Fritz war die wenigen Schritte bis zu den gießen.

Zelten voraufgelaufen.

Tiefes Abenddunkel herrschte zwischen den mächtigen Stämmen, doch durch die hohen Kronen der Bäume glühte das verschwinimende Purpur des Abendrots. Matz nahm unwillkürlich den Hut ab, ihm war fast feierlich zu Mut. Auch Luise war in eigenartiger Erregung, und die Seerosen zitterten in ihrer Hand.

Da blieb Matz stehen und sagte leise, fast ohne zu „Fräulein Luise, ich habe Sie lieb!" Und sie sank

stottern:

an seine Brust, und die hohen Kronen der alten Tiergarten¬

wie segnend über ihnen, Rauschten über den Leuten in steifem Hut und Krinoline, wie sie über uns bäume rauschten

Aus

dem romantische»

Berlin: ,,A» der Fischerbrückr,

4. Hos."

Mutter Ulrich, steif ivie ein Pfahl, verlobt!" „Mit dem Stotterer?" schrie die Kulicke. „Nein! das geht nicht! Mein Alfons ist doch eine bessere Partie! Der muß sein Wort zurücknehmen!" „Zurücknehmen?" fragte Vater. „Nein, Madam' Kulicke! der Manu ist froh, daß er's raus hat!" — jlaube, Ich „Bedaure!"

sagte

„meine Tochter hat

sich eben

680

Hexen -M einhold. (^eit Wilhelm Meinhold,

M

der Verfasser des Romans

„Maria

Schweidler die Bernsteinhexe," im Frühling 1850 nach Charlvttenburg gezogen war, kam er oft zu Fuß nach Berlin. Einige fünfzig Jahre alt, sah er im langen Rocke, hohen Stiefeln, rundem Hute und der Blücherpfeife im Munde wie ein pommerscher Bauer ans. Wer ihn im Tiergarten erblickte, blieb erstaunt stehen, wenn er ihn halblaut vor sich hinsprechen hört«' allmählich gewöhnte man sich an seine Selbstgespräche, und wer ihn persönlich kannte, ließ ihn ungestört weiter gehen. Aus dem Tabaksqualm und den Gewässern des Tiergartens stiegen am Hellen Tage Geister vor ihm auf, mit denen er sich unterhielt. Die guten und bösen Geister waren ihm genau bekannt' er riet, sie zu ehren, zu versöhnen oder zu fürchten, da sie einen Einfluß auf unsere Schicksale hätten, und fügte hinzu, daß es eine Unsterblichkeit gäbe, die für den in der Macht guter Geister stehenden Menschen heilbringend, für den von bösen Geistern beeinflußten Menschen unheilvoll sei. Diese Ueberzeugung hatte er in seiner Jugend schon vertreten, später geleugnet, sich zuletzt aber wieder zum Geisterglauben bekannt. Eine Schwedin, Gräfin Hager, be¬ stärkte ihn darin' sie empfahl ihm einen Romanstoff und sandte ihm die Schriften des Philosophen und Geistersehers Swedenborg, in die er sich so vertiefte, daß er nicht nur an die seligen und unseligen Geister, sondern auch an das persönliche Dasei» des Teufels glaubte. Nixen und Kobolde waren ihm gleichfalls be¬ kannt. Selbst am hellen Tage sah ex sie im Berliner Tiergarten, und der Verkehr mit Verstorbenen kam ihm nach der Swedenborgschen Lehre „ganz behaglich" vor. König Friedrich Wilhelm IV., auf dessen Wunsch er nach Charlottenburg gekommen, war ihm huldvoll gesinnt. Die Mit¬ teilung, daß der Monarch die „Bernsteinhexe" mehrfach las und sich nach dem Verfasser erkundigen ließ, hat Robert Habs in seiner Der vorzüglichen Ausgabe dieses Romans wesentlich ergänzt. Roman entstand schon 1826 in kürzerer Gestalt unter dem Titel „Die Pfarrerstochter von Coserow" und wurde von Schickh, dein Her¬ ausgeber des „Wiener Modenjonrnals", zum Abdruck erworben. Die dortige Zensur erhob Einspruch, und nach völliger Um¬ gestaltung des Manuskriptes erschien der Roman vier Jahre später in der „Leipziger Rovellen-Zeitnng". Trotz des ihm gespendeten Beifalls wollte sich kein Verleger für die Buchausgabe finden. Das Journal „Christoterpe" druckte einige Kapitel mit einer empfehlenden Einleitung ab. So ward der König auf den Roman aufmerksam, verlangte das Manuskript nebst Angabe der geschicht¬ lichen Quellen und bestimmte die Berliner Firma Dnncker und Humblot 1843 zur Uebernahme des Verlages. Seitdem erhielt sich_ das Werk in der Gunst der Leserwelt, die seinen Wert schätzen wird, so lange man diesen Roman „als Nachahmung und ebenbürtigen Bruder der Geschichte anerkennt, wie es seit Flaubert Denn allerdings sind die ästhetischen und Scheffel geschieht. Grundsätze, deren erste Aufstellung und Bethätigung das Verdienst Meinholds ist, erst mit Madame Bovary und Ekkehard zur all¬ gemeinen Geltung gelangt." Auf dem Titel der „Bernsteinhexe" heißt es: „Der inter¬ essanteste aller bisher bekannten Hexenprozesse, nach einer defekten Handschrift ihres Vaters, des Pfarrers Abraham Schweidler in Coserow ans Usedom." Meinhold erklärte, daß er das in Schweins¬ leder gebundene Manuskript unter einem Chorstuhl der dortigen Kirche gefunden habe. Ob er dem König die Wahrheit gesagt, oder was er auf dessen Frage nach den historischen Quellen er¬ widert hat, ist nicht bekannt. Doch wenig später gestand er öffentlich, das Werk sei ein Erzeugnis seiner Phantasie; er habe das Material nicht im Chorstuhle gefunden, das Ganze sei viel¬ mehr seine eigenste Erfindung. Darüber entstand eine gewisse Erregung, doch der König beivahrte ihm seine Huld. Sieben Jahre später lud er ihn nach Charlottenburg ein und machte ihn mit dem Fürsten Pückler-Muskau bekannt. Der Fürst wohnte damals am Pariser Platz, dicht beim Brandenburger Thor. Eine „immer frierende Sklavin", die er aus Aegypten mitgebracht, öffnete Meinhold die Thür; er sah den Fürsten init einem brandroten Shawl um die Schultern geschlungen, in die Lektüre eines Kochbuches vertieft. Pückler erhielt zur selben Zeit auch den Besuch Heinrich Laubes, der kurz vorher zum Direktor des Wiener Burgtheaters ernannt war. Seine halb an die Kosaken, halb an die Mulatten erinnernden Gesichtszüge machten Meinhold anfangs „nervös", doch verkehrte er öfters mit ihm, da Laube die „Bernsteinhexe" zu einem Bühnenwerke benutzt hatte. Pückler neckte ihn mit seinem „Jagdbrevier", da er sich für einen gewaltigen Jäger hielt; er soll aber, keinen Hasen ge¬ troffen haben. Der Fürst ließ Meinhold von dem Leben und Treiben auf .

der Insel Usedom erzählen, da Meinhold im Dorfe Netzelkow geboren war. Sein Vater, ein Pfarrer, trank täglich zur Ab¬ härtung vierzehn Quart kaltes Wasser und quälte auch seinen Sohn damit, bis dieser nach Wolgast in die Schule kam. Früh wurde ein Hang zur Einsamkeit in ihm wach; ihn im Verkehr Mitschülern geselliger zu machen, wollte den Lehrern nicht

mit

den

gelingen. Auch der Vater klagte, daß der Knabe am liebsten allein stundenlang am Strande war. In den Ferien daheim konnte er Sonnen¬ erste wenn der sie, er sah Dann schauen. Wellen in die strahl über die Fluten zuckte, oder am wolkenlosen, tiefblauen Mittag, wenn die Sonne mit tausenden blitzenden, spielenden Punkten ans jeder Welle tanzte. Oder im Grau des Abends, bis der Mond die verschleierte Ferne dnrchdrang und sich im glänzenden Streifen, der breiter und breiter wurde, über die Fluten legte. So lernend und träumend wuchs Meinhold aus. Kaum zum Jüngling gereift, bezog er die damals noch schwedische Hochschule in Greifswald, wo Ludwig Theobul Kosegarten Professor war. Ihm brachte der junge Theologe seine ersten poetischen Versuche, und der berühmte Dichter der „Jucunde" lud ihn in sein Hans. Wiederholt sah Meinhold den Professor mitten im Zimmer auf sie dem Bauch liegen, wenn ihn, in seinem Pathos zu reden, holde Muse besuchte. In dieser Lage kamen ihm nach seiner Meinung die besten Gedanken, Ideen und Gestalten stiegen ihm Meinholds Eintritt störte ihn gleichsam aus dem Boden empor. zu: rief er ihm nur „Ich dichte, o Jünglich! Schreite nicht weiter, auf leicht beschwingter Sohle einher, verscheuche mir meine Götter

nicht!"

Kosegartens Empfehlung und dem Einfluß der Familie Hoefer Greifswald verdankte Meinhold gute Hanslehrerstellen ans Rügen. Später von dem Prediger Gering in Gützkow zum Amts¬ gehilfen erwählt, schrieb er um jene Zeit ein Trauerspiel: „Herzogin Sophie von Pommern." Jean Paul beurteilte es günstig und empfahl den Autor dem Präsidenten von Sack, der ihm

in

1820 zum Rektorat der inzwischen auf Usedom errichteten Schule verhals. Dort und in Coserow, wo er bald Pfarrer wurde, sind die seine Gedichte und das Epos „St. Otto von Bamberg oder Kreuzfahrt nach Pommern" entstanden. Dieses ist längst ver¬ schollen; obgleich ein „ziemlich kotholisierendes Werk," ward es Index gleich der „Bernsteinhexe" von der Wiener Zensur auf den Wunder gesetzt: denn ein Heiliger, schreibt Robert Habs, der keine thut, wurde von ihr mit Recht nicht für voll angesehen. Einzelne Gedichte Meinholds, besonders die Romanzen „Karl XII. und der Bader Müsebank", „Der Bader Lange an der Tafel Bogislafs X." und „Schill" stehen dagegen noch heute in vielen Lesebüchern; jüngere Knaben tragen sie gern bei Schnlprüfungen vor. Ans weitere Empfehlung des Präsidenten von Sack erhielt Meinhold 1826 die besser dotierte Pfarre in Krummin bei Wolgast. Die ländliche Stille war ihm auch dort am liebsten. Der dem Knaben innewohnende Hang zum Träumerischen blieb auch dem Mann eigen. Die Wolgaster klagten, daß er sie fast gänzlich miede; einsame Wanderungen durch Wald und Heide zog er jedem Krummin schrieb er humoristisch gefärbte Heimat¬ Umgang vor. bilder, und bald nach seiner Ankunft entstand dort die Novelle „Die Pfarrerstochter von Coserow", der erste Entwurf zu dem Roman „Die Bernsteinhexe". Rasch folgende, neue Auflagen lassen den nachhaltigen Eindruck dieses Romans auf die Zeitgenossen am besten erkennen. Weit entfernt, ein in Sprache, Ausdrücken und einzelnen Wen¬ dungen frei erfundener Bericht aus dem siebzehnten Jahrhundert feinsten zu sein, ist er vielmehr ein aus kleinsten Zügen und in Schattierungen gruppiertes Gemälde, das in seiner Treuherzigkeit und Farbenpracht die Herzen bewegt und ergreift. Einzelnes darin, wie die „Ankunft des großmächtigsten Königs Gustavi Adolplsi", wird in dieser rührenden Schlichtheit selten geschrieben werden. Nie wieder ist Meinhold denn auch etwas Aehnliches gelungen; Bork, sein 1848 erschienener dreibändiger Roman „Sidonia von die Klosterhexe" erfordert die größte Geduld des Lesers, um ihn störende selbst nur teilweise zu genieße». Robert Habs erwähnt das Beiwerk darin, die zahllosen Noten und Extrablätter, und teilt ein bezeichnendes Wort des Verlegers mit: „Daß er den Verlag des Werkes abgelehnt haben würde, wenn er derartiges Beiwerk vorausgesehen hätte." Einige Ausflüge, die Meinhold damals von Krummin unter¬ nahm, führten ihn über Greifswaid. Dort stellte der Gerichts¬ direktor Hoefer ihm seinen Sohn Edmund vor, der 1842 bei den Jägern diente. Edmund Hoefer, der später zu so großem Ansehen

In

Erzähler, dessen Heimatbilder „Aus dem Volk", „Schwämmet und „Land und See" dauernden Wert behalten, kam dann nach Krummin, ward aber von Meinhold mit guten und bösen Geistern geplagt und ergriff vor ihnen die Flucht. Um jene Zeit entstand Meinholds Dichtung „Athanasia oder die Habs bemühte sich, auf Verklärung Friedrich Wilhelms III." diesen Mischmasch von hohlem Pathos und unfreiwilliger Komik näher einzugehen. Es kommt z. B. darin vor, daß Napoleon „ew'gen Mutes trunken" ins Fegefeuer springt und dabei seinen ehemaligen Waffengefährten zuruft: „Mir nach, Kam'raden! Mut! Viktoria!" Blücher läßt zu Ehren des Königs im zweiten Himmel gelangte

das Gewehr präsentieren. Von Meinholds dramatischen Arbeiten kann man füglich Sie entstanden vor seiner Uebersiedlung nach Reh¬ schweigen. winkel, wo er auf Fürsprache des Königs 1844 die Pfarrstelle erhielt. Seine schon in dem Epos „St. Otto" sichtbare Hinncignng zuni Katholizismus trat allmählich immer schärfer hervor.

581

und plötzlich wußten die Bauern nicht mehr, was sie van ihrem Statt ihnen gewohnte erbauliche Predigten denken sollten. zu halten, führte er ihnen seine Geister nach Swedenborgs Lehre vor. Gott sei ein Wesen in menschlicher Form, und Vater, Sohn und Geist seien nur Wesensteile des einen Gottes. Er habe die unseligen Geister bestimmt, die schlechten Menschen bis in den siebzigsten Höllenpfuhl zu leiten, doch die seligen Geister zum menschlichen Dienst bestellt. Wer sich ihnen, besonders aber dem Schutzengel Asthumi vertraue, würde von ihm zum Tempel der Weisheit geführt, dessen Spitze bis zu den Sternen reiche. Diese Geistergeschichten wurden den Bauern zu viel. Sie wandten sich an die Behörde in Stargard und Stettin. Ein Bericht über Meinhold, „der noch dazu ausgesprochene katholische Gesinnung an den Tag gelegt", ging nach Berlin. Fast gleichzeitig, im Re¬ volutionsjahre 1848, ließ er ein „freies Schutz- und Trutzwort" er¬ scheinen: „Die Babylonische Sprachen- und Jdeen-Verwirrung'der modernen Presse". In der Besprechung der damaligen sozialen und politischen Fragen legte ec eine scharfe Lanze für das Feudal¬ system ein. Das Volk müßte durch den Adel und den Priesterstand bevormundet werden, dessen höchste und einzige Obrigkeit der König sei. Dieser erhielt die Schrift, die in den Hofkreisen Beifall fand, sonst aber großen Widerspruch erregte) und als der Monarch auch den Bericht über Meinholds eigentümliche Kanzelreden und katholische Neigungen empfangen hatte, rief er ihn nach Charlottenbnrg. Zwar legte Meinhold sein Pfarramt sogleich nieder, doch längere Krankheit, die er nie ganz überwand, verzögerte seine Ab¬ reise bis zum Frühling 1850. Charlottenburg fand er Muße zur Fortsetzung der Herausgabe seiner gesammelten Schriften, deren erste Bände schon früher erschienen waren. Damals sah er in Berlin auch die Gräfin Jda Hahn-Hahn, die sich von Babylon nach Jerusalem gewandt hatte, um die Sünden dieser Welt ab¬ zustreifen und eine gläubige Katholikin zu werden. Trotz Meinholds wieder stärker auftretender Krankheit konnte er noch einen neuen Roman „Ritter Sigismund Hager voll und zu Altensteig und die Reformation" beenden. Sein Sohn Aurel gab ihn nach des Vaters Tode heraus. Meinhold starb schon im November 1851 in Charlottenburg) dort und in Berlin war er eine bekannte Persönlichkeit. Allerlei Geister sah er bis zuletzt, im Erzählen von Gespenstergeschichten blieb er unermüdlich, und seine „Hexen¬ romane" trugen ihm den Namen „Hexen-Meinhold" ein, wie ihn Fürst Pückler mit Vorliebe nannte.

Pfarrer

In

Eine neue Nuellr über die Berliner Dichterin Anna Luise Karschin.

»

or hundert Jahren waren schriftstellernde Frauen in Berlin eine Seltenheit. Schon ans diesem Grunde erregte die „Karschin" bte allgemeine .Aufmerksamkeit der Spree-Athener. Wenn auch Lessing den geringen Wert ihrer Dichtungen sofort erkannte, so gab es doch Leute genug, die „die deutsche Sappho" bewunderten, und ihre Verse wurden in den ersten Kreisen der Residenz für Aeußerungen eines großen Dichtergcnies gehalten. Man trug die Karschin in der ersten Zeit nach dem Bekanntwerden ihres Talents auf Händen. Vornehme Herren schätzten sich glücklich, sie in ihren Häusern aufzunehmen und sammelten ihre Improvisationen. Schwebel erzählt in seiner Geschichte Berlins, er habe im reichs¬ gräflich Schwerinschen Schlosse zu Tamsel ein ganzes Spind voll Oden der Karschin, sauber abgeschrieben, gefunden. In der That war ihr Talent, plötzlich, ohne Besinnen, jeden Gegenstand in Versen zu behandeln, erstaunlich, und selbst so angesehene Gelehrte, wie Ramler und Gleim, ließen sich anfangs dadurch täuschen. Bekanntlich war die Karschin in ihrer Jugend Kuhhirtiu ge¬ wesen und hatte schon damals ihre Zeit durch Bersemachen ver¬ kürzt. Als sie als Frau des Schneiders Karsch, eines unerträg¬ lichen Trunkenbolds, in Fraustadt lebte, wurde sie — es war im Jahre 1760 — von dem Baron von Kottwitz „entdeckt" und ver¬ anlaßt, nach Berlin zu kommen. Ueber ihr erstes Auftreten in Berlin schreibt Gleim in einem Brief an Uz ans Hälberstadt vom 8. Oktober 1761:*) „Seit dem Tode meines Kleists, mein lieber bester Freund, bin ich mehr tot, als lebendig gewesen. . . Ihr Gleim, der noch immer Stumm über seiner Urne weint, wäre vielleicht noch lange auch für seinen besten Freund tot ge¬ blieben, wenn ihn nicht eine feintreffliche Muse in leibhafter Gestalt ins Leben zurückgerufen hätte) ihren irdischen Nahmen, mein Liebster, werden Sie schon gehört haben, aber alle Wunder dieser außerordentlichen Frau wissen Sie gewiß noch nicht) denn die im Druck erschienenen Gedichte sind nur von der Frau Karschin; die sie als Sapho, Horaz, Anacreon und Uz gesungen *) Dieser Brief, wie die weiter zitierte», findet sich in dem neuesten, vor knrzem heransgelonimenen Bonde der „Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stnttqart". Er enthält den Briefwechsel zwischen Gleim und Uz 1741—1790, heransgegeben von Carl Schuddekopf.

hat, liegen noch bey mir in Verwahrung, und nur wenige Ab¬ schriften sind in den Händen ihrer nächsten Musenfreunde. Sie, mein liebster, sollen sie zuerst sehen, sobald ich nur Zeit habe, Abschriften davon nehmen zu lassen) mit unglaublicher Leichtigkeit singt sie alles, was sie singen will; die Vorbitte an Sie, den ganzen Bogen meine ich, den Sie hiebey empfangen, hat sie ge¬ schwinder geschrieben, als ich ihnen dis Blättchen schreibe, und sie können sie als eine kleine Probe ihres Genies ansehe». Arbeiten kann sie nicht) und so lieb ihr Horaz ist, so ist ihr doch nicht möglich die Feile zu gebrauchen, die er seinen Schülern in die Hand zu nehmen befiehlt; neunmahl umschreiben oder wieder ab¬ schreiben kann sie, was sie gesungen hat) gemeiniglich aber hört man alsdann einen ganz andern Gesang; in Gesellschaft, die ihr angenehm ist, läßt sie Kleinigkeiten ihrer Muse hören; Epigramme, dergleichen keine Anthologie schöner hat; an einem Abend, den wir bey Herrn Beyer, dem Verfasser der Kleinen Lieder, neulich zubrachten, beschenkte sie die Gesellschaft mit einem halben hundert; wir konnten nicht so geschwind schreiben, als sie bey dem geringsten Anlaß sie sagte; ein deutscher Martial, der sie mit Mühe erfunden hätte, dürfte nicht besorgen, daß wegen des falschen Witzes ein Naugerus dem Catnllus jährlich ein Exemplar opferte; sehen sie hier eines oder ein Paar. Als ein Schweinskopf auf der Tafel stand: Des Waldes Tiere sind dem Löwen Unterthan, Der Eber schäumt und droht mit starkgewachs'nem Zahn Des Jägers stark geword'nen Gliedern; Ich bin ein schwaches Weib und wehre mich mit Liedern. Als sie gefragt wurde: ob sie sich vor dem Blitz fürchtete? Zeus schilt im Wolkenhimmel. Sein lauter Donner spricht's. Er schilt dem Kriegs-Getümmel, Den Dichtern thut er nichts. Als Herr Ramler kalt genannt wurde, an mich: Dein Ramler ward am kalten Belte*) Gebohren auf begrünter Flur, Trau aber nicht auf seine Kälte, Im Herzen ist er Epicnr, Die saphischen Gesänge, die sie im Caracter der Griechin gesungen hat, würde ein Wolf für aufgefunden halten, wenn sie sie griechisch gesungen hätte; von diesen, mein liebster Freund, sollen sie sich mit Vorgebnng meines Stillschweigens und einem Briefchen die Abschriften erwerben." Bekanntlich hat Gleim im Jahre 1764 „Auserlesene Gedichte" der Karschin herausgegeben. dem Brief der Karschin an Uz, den Gleim seinem Schreiben beilegt, teilt die Dichterin einige Kinder ihrer Muse mit. Da heißt es u. a.:

In

Ein Lied. Gleim dem Liebesgott zum Trutz Der Musen Freund, und Feind der Schönen. Du besserst ihn nicht, liederreicher Uz, Ich rühr ihn nicht. Er sitzt uns alle höhnen. Mit Recht fügt sie hinzu: „Vergleichen Sie diese Gesänge nicht mit den Ihrigen, lyrischer Dichter, Sic haben für die Welt gesungen, Ich Singe für Gleim. Dieser einzige Theil der Großen Menschlichen Gesellschaft macht meinen Apoll, meinen Stolz, rühm re. Uz antwortet am 12. December 1761: „ . . . Ihrer Sappho antworte ich in beyliegendem Schreiben. Sie ist in allen Absichten ein bewundernswürdiges Frauenzimmer. Ihre Poesie ist so feurig, so mahlerisch und geistreich, daß sie hin¬ reißt. Was würde sie seyn, wenn sie ihr unvergleichliches Genie mit mehrerer Geduld bearbeitete! Ich weiß nicht, wie ihre Er¬ ziehung gewesen. Wenn sie aber in jüngeren Jahren keine An¬ weisung gehabt, so ist sie noch mehr ein Wunder. Ich erwarte ihre Geschichte und ihren Roman. Theilen Sie sich darein." Gleim spricht in einem der folgenden Briefe (vom 16. Ja¬ nuar 1762) mit neuer Begeisterung von der Karschin und berichtet in kurzen Worten von deren Leben und von seinem Roman, der übrigens wenig Romantisches an sich hat: „Ich sagte, als ich zu Berlin int letzten Maymonath sie zum ersten mahl sahe, sie fönte eine deutsche Sapho sein) ich hatte eine Ode von ihr gelesen, die sich anfängt: „Sohn Cytharens, kleiner Weltbezwinger," welche hinlänglicki war, von ihrem Geist mir einen völligen Begriff zu geben." Eine interessante Beobachtung flicht Gleim in seine Ver¬ herrlichung der Dichterin ein: . . . kurz, die Alten waren ihr alles in allem. Die Uhrsach ist leicht einzusehen) die alten waren, wie sie, niehr von der Natur gebildet, als von der Kunst. Sie samleten ihre Bilder aus der Betrachtung der Welt, wir samlen sie aus Büchern; ein Mahler, der immer copirt, wird nie ein Raphael werden, und ein Dichter, der Hirten und Helden nur im Virgil gesehen hat, nie ein Homer." Diese Selbsterkenntnis ist bei Gleim höchst merkwürdig, weil er sich in der Folge, als Goethes und Schillers Werke erschienen, sehr abfällig darüber aussprach. Noch ist der

*) Ani Rande: „Er

ist aus Colberg gebürtig."



3n der weiteren Korrespondenz, in der es sich namentlich um Herberschasfung von Subskribenten für die Ausgabe der Karschinschen Gedichte handelt, findet sich (Uz an Gleim den 28. Juli 1762) ein „Sinngedicht" des^ bekannten Schriftstellers Thümmel auf die Karschin, in dem er seiner übeririebenen Bewunderung Ausdruck giebt. Auf die Frau Karschin. Ein güldnes Saitenspiel entfiel Apollens Hand: Es tönte in der Luft noch einmal — und verschwand. Beklagt von dem Olymp, sieht Amor es entschwinden, Fliegt nach — durchsucht die Welt —und weint und kann's nicht finden: Der himmlische Verlust lag in bemoosten Gründen, Wo Phillis weidete, die ungesucht es fand.

Die Subskription ging sehr langsam von statten, und es dauerte bis zum Jahre 1764, daß endlich der Druck der „aus¬ erlesenen Gedichte" beendet werden konnte. Unterdessen hatte auch bei ihren bisherigen Bewunderern mancher ein nüchterneres Urteil gewonnen. Ramler schreibt an Gleim (S. 509): „Von der Mad. K. habe ich sagen hören, daß sie de» König gesprochen und von ihm die Versicherung erhalten habe, daß er für sie sorgen wolle. Einige sagen von einer Pension, die sie bereits erhalten hätte, 200 Thlr. jährlich, und von einem Hause und Garten in Charlotteuburg, welches sie sich auszubitten die Dreistigkeit gehabt. Ich werde mich freuen, wenn sie so versorgt ist, daß sie nicht mehr nöthig hat, Leberreime zu machen und aus den Tasten zu poetisieren, sondern gut zu wirtschaften anfängt und keinem mehr mit allzu vielem Ueberlaufen beschwerlich fällt. Ich fürchte mich ein wenig für ihren ersten Besuch (nach der Rückkehr aus Pommern). Ich bin ihr nicht allein auf ein Paket Poesieen Antwort schuldig ge¬ blieben, sondern ich fürchte mich auch für die große Ruhniredigkeit rc."

Friedrich Nietzsche t» ine erschütternde Tragödie ist nun ausgespielt, eine Tragödie, so recht geeignet zum Nachdenken über die Erbärmlichkeit der menschlichen Kreatur: Der Dichter unter den Philosophen, der himmelanstürmende Titan Friedrich Nietzsche in am 25. August einem Schlaganfall erlegen. Ein reichbegabtes Leben ist damit zu Ende gegangen, ein Leben freilich, das zum Schluß der Tragödie kaum noch Leben zu nennen war' denn Nietzsche war bereits seit länger als einem Jahrzehnt tot — geistig tot — unheilbarer Wahnsinn hielt seinen einst so feurigen Geist umfangen. Eine gemeine Ironie des Schicksals war es, daß gerade er, der sich ein geistig Erlöster dünkte, der seine Mitbrüder zum menschenwürdigen Dasein zurückführen, sie zum Uebermenschen erziehen wollte, daß gerade er mit Blindheit geschlagen wurde und einsam dahin¬ dämmern mußte, auf die beständige Hilfe seiner Umgebung an¬ gewiesen. Man fühlt sich versucht, an die Richtigkeit der antiken Anschauung von der Strafe der neidischen Götter zu glauben, wenn man bedenkt, wie der von einer starken Gemeinde gläubigerAnhänger umgebene Lehrer, von geistiger Umnachtung ergriffen, plötzlich von seinem Katheder herabsteigen muß, wie der selbst-

S

Auch Gleim läßt allmählich in seiner unbedingten Bewunderung nach. Uz schreibt noch am 2. August 1763: „Wie wird sich der Karschinsche Gesang ausnehmen! Ganz Deutschland horcht schon lange und wird ungeduldig, daß es vergebens horcht. Ich habe Lieder, die sie beym Frieden gesungen, in den Buchläden gefunden: sie

ftnb

Darauf antwortet aber Gleim am „Die Friedenslieder der Frau Karschin können wohb ihren Beyfall ganz haben, mein liebster Freund,

ihrer würdig."

9. August:

unmöglich wenigstens können die Thaten des Königs verwandelt in Planeten, und alle die Erdichtungen, die sie immer Frageweise anbringet, und bey denen nian immer nein sagen muß, weil man von allen den schönen Sachen, die sie für so ausgemacht annimmt, nichts gehöret hat, meinem Uz unmöglich gefallen haben. Die gute Frau macht von ihrer Fähigkeit einen allzugroßen Mißbrauch, und nach¬ gerade glaubt sie nicht mehr, daß sie was mittelmäßiges schreiben kann. Ich habe ein paar Stellen ihrer so eilfertig gesungenen und gedichteten Stücke getadelt, bin aber übel angekommen. Und sonst konnte sie den Tadel so gut vertragen. Aber wen verdirbt nicht allzu vieler Weyrauch? Man hat sie zu viel gelobt und be¬ wundert, ich habe mir keine Vorwürfe deswegen zu machen, den» ich habe allezeit die Mittelstraße gehalten. In ihrem letzten Schreiben giebt sie mir doch recht, daß sie meinen freundschaftlichen Erinnerungen mehr hätte zutrauen sollen, und sieht nun selbst die angezeigten Fehler."

Endlich, nach vielen Aergernissen mit Subskribenten, Sammlern und Buchhändlern wurde die Ausgabe der „auserlesenen Gedichte" der Karschin fertig, und Gleim, dessen Bemühungen das Gelingen hauptsächlich zu danken war, schreibt am 11. Dezember 1764 an Uz: „So viel als die Karschin für ihre Sammlung bekommen hat, kan sich noch kein deutscher Dichter rühmen Zwey tausend Thaler in Louisd'or und etwas darüber sind nach Abzug der Kosten übrig geblieben. Ich habe eine ausnehmende Freude darüber, daß es mir nun so weit mit der armen Karschin gelungen ist. Alle meine berlinischen Freunde waren dawieder und glaubten, es würde nichts herauskommen. Nun sehen sie das Gegentheil und glauben mir, daß der Deutsche so gut wie der Engländer einzunehmen ist." Einige Zeilen weiter heißt es: „Die Frau Karschin schreibt mir noch sehr oft. Aber alle ihre Briefe sind voller Klagen über die Untreue ihrer Freunde! Man hält ihr in der That zu wenig zu gute."

....

Leider wurden ihr Gleim und Uz doch auch allmählich untreu, wenigstens ist in dem Briefwechsel immer weniger von ihr dieRede; im Jahre 1770 am 16. Mai wird sie zuletzt von Gleim kurz erwähnt. Gleim spricht von seiner Richte und sagt, daß sie den von der Frau Karschin Gleminde getauft worden sei. letzten zwanzig Jahren — sie starb 1791 — wird nicht einmal ihr Name in den Briefen genannt. Ihres Todes wird nicht ge¬ dacht. So rasch vergaßen die Gleim und Genossen die einst hoch erhobene „deutsche Sappho".

In

Frirdrtztz Nietzsche

f.

himmelanstürmende Titan, der sich selbst einen zweiten Antichrist nannte, von dem Vernichtungsstrahl getroffen, aus seiner Höhe herabgestürzt wird. Die Strafe — wenn wir der antiken Anschauung weiter folgen wollen — war hart, grausam hart, aber — sie war nicht unverdient. Wer sich über die Götter erheben will, den schlagen sie mit Blindheit — und Nietzsche wollte sich erheben, er wollte sich über das Alltägliche erheben und seine Mitmenschen mit sich fortreißen zur Höhe der Vollkommenheit. Was er unternehmen wollte, war nichts Neues. Schon viele vor ihm wollten Aehnliches unternehmen, aber — sehen wir uns um in der Geschichte der Menschheit — alle sind bei diesem Versuch gescheitert, entweder durch den Unverstand ihrer Mitmenschen, oder weil sie selbst an einem glücklichen Ausgang ihrer Weltbeglückungstheorie verzweifelten. Nur die Art und Weise, wie Nietzsche seine Gedanken vorbrachte, war neu. Durch seine stilistische Gewandtheit, durch seine kunst¬ vollen Aphorismen und zum Teil auch durch dunkle Gedanken wußte er seine Jünger anzulocken und zu begeistern, und da er die Selbstschätzung in sehr ausgeprägter Form lehrte, so griff be\ sonders die stets zur Ueberheounq geneigte Jugend begierig nach der dargebotenen Lockspeise, und Nietzsche, obwohl ein Gegner aller sozialen Theorien, wurde populär, wurde der Modephilosoph der Anhänger des Sozialismus. Und in diesem raschen Bekanntwerden seiner Ideen, seiner sogenannten „Herrenmoral" lag eine Gefahr für seine,Anhänger, für das Volk überhaupt; denn hastig aufgebewußte,

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nominell und vielfach mißverstände», mußten diese Idee» ver¬ derblich ans die Gemüter einwirke», vergiftend und zerstörend. Eine seltsame Laune des Schicksals mar es, daß gerade zu der Zeit, als Nietzsches Ideen Eingang bei einem großen Teil des Volkes fanden, seine Thätigkeit jäh unterbrochen wurde. •— Das

Fatum!

Die Erinnys!

--

Lebensgang ist äußerst einfach und kurz. Am 15. Oktober 1844 wurde er in Röcken bei Lützen als Sohn eines Pfarrers geboren und verbrachte seine Jugend in Naumburg a. S., wo sein Vater im Amte war. Im Sommer 1849 starb letzterer an Gehirnerweichung-, und der Knabe war nun der Erziehung einer weichherzigen Mutter, einer liebevoll besorgten Großmutter und einiger verzärtelnder Tanten überlassen. Allzustarker weib¬ licher Einfluß ist für ein zartes Knabengemüt nie gut, und man kann es verstehen, daß der kleine Nietzsche an den Spielen seiner derben Schnlgenossen wenig Gefallen fand. Einsamkeit und em¬ siges Vertiefen in Bücher war ihm in der Jugend wie im späteren Alter eigen, und es ist sehr wohl möglich, daß er durch allzu eifriges Studium und durch Ueberarbeitung den verderblichen Keim, der durch erbliche Belastung in seinem Innern schlummerte, nährte und schließlich zur Entfaltung brachte. Ans der Schule zu Naumburg und später zu Pforta war er ein Musterschüler, und als Student der klassischen Philologie zu Bonn und Leipzig zeichnete er sich gleichfalls durch regen Fleiß und umfassendes Wissen aus, so daß sein Lehrer Ritschel bald eine hohe Meinung von ihm bekam. Seiner Empfehlung hatte Nietzsche es auch zu verdanken, daß er, noch bevor er sein Examen gemacht oder promoviert hatte, als Professor an die Universität Basel berufe» wurde. Von der Leipziger Fakultät wurde ihm daun ohne weiteres wegen der von ihm veröffentlichten wissenschaftlichen Arbeiten die philosophische Doktorwürde verliehen. Nietzsches

Als 25jähriger Jüngling irat Nietzsche sein Amt als akade¬ Lehrer an. Er mußte sich tüchtig einarbeiten, z»mal er auch verpflichtet war, Unterricht an einer Lehranstalt zu erteilen, und diese Studien nahmen, seine geistigen Kräfte sehr in Anspruch. Während des deutsch-französischen Krieges war er als Kranken¬

mischer

pfleger im Felde thätig und zog sich hierbei eine schwere Krankheit Folgen er lange zu leiden hatte, da er durch be¬ ständig wechselnde Kurversnche das Uebel nur noch verschlimmerte.

zu, an deren

Vermutlich hatte diese Erkrankung im Verein mit der geistigen lleberarbeitnng das in ihm schlummernde Leiden zum Ausbruch gebracht, denn seit 1876 litt Nietzsche an beständigen Migränean¬ fällen, und 1879 hatte sich dies Leiden so gesteigert, daß er um leine Entlassung aus dem Lehramt bitten mußte,, welche ihm von der Stadt Basel mit voller Pension gewährt wurde. Um Heilung zu erlangen, hielt sich Nietzsche in den folgenden ^ Zähren bald in der Schweiz, bald in Italien und in der Riviera ans, war aber dabei unausgesetzt schriftstellerisch thätig. Professor Ziegler, der eine interessante Biographie Nietzsches (Berlin 1900) verfaßt hat, sucht aus den anormalen Gedankenverbindungen in seinen Werken nachzuweisen, daß die geistige Erkrankung des Autors bereits in die Zeit zwischen 1882 und 1885 füllt. Das Leiden als körperliches Gehirnleiden reicht aber vermutlich noch weiter zurück. Im Jahre 1889 fiel Nietzsche dann völlig dem Wahnsinn anheim und hat seit dieser Zeit in einem bedauerns¬ würdigen Dämmerzustand dahingelebt, unberührt von den Vor¬ gängen um ihn her, ohne Empfindung für die liebevolle Pflege, die seine Schwester ihm zuteil werden'ließ. Nietzsche war von seinem eigentlichen Fach, der alten Philologie, bald nach Antritt seiner Professur abgekommen und hatte sich mehr und mehr der Philosophie, der Soziologie und der Musik zuge¬ wandt. Seit 1876 etwa, seit dem Jahre, wo sein Kopfleiden stärker hervortritt, beginnt Nietzsche mit seinen eigenen philosophischen Ideen, mit seinen moralisch-cynischen Schöpfungen hervorzutreten. Während er bei seinen früheren Arbeiten der Weltauffassung Schopenhauers huldigte und die künstlerisch-musikalischen An¬ schauungen Richard Wagners verehrte, tritt er in seiner zweiten Schaffensperiode seit 1876 als selbständiger Denker auf, ver¬ wirft die Ansichten Schopenhauers und Wagners als veraltet und übertroffen und baut ein neues Moralsystem ans, das angeblich originell ist und die Kraft haben soll, eine neue gesegnete Kultur anzubahnen und die Menschheit in diese neue Epoche der Entwicklung überzuführen, oder kurz gesagt, welches imstande sein soll, die Menschheit zu beglücken. Ilm dieses System durchführen zu können, greift Nietzsche zu den un¬ gewöhnlichsten und gewagtesten Mitteln. Die Verneinung jahr¬ hundertealter Kultur, die Verwerfung des Christentums, die Er¬ hebung aller befähigten Individuen zur Machtsphäre und die Unterdrückung der nur zur Zwangsarbeit Befähigten durch jene Kaste veredelter, aristokratischer „Uebermenschen" sind die hervvrspringendsten Punkte der Philosophie Nietzsches, die nur durch „Umwertung aller Werte" zustande kommen kan». Obwohl Nietzsche in allen Schriften seiner zweiten Periode immer wieder seine Ideen auseinandersetzt, vergißt er doch eins zu sagen, wie er sich dieses neue Leben, dieses Herrschen des „Uchermenschen" im einzelnen gedacht hat. „Wie die Welt aussieht, in der die neuen „Edel¬ menschen" sich ausleben, Wollust, Herrschsucht und Selbstsucht zu

Tugenden geworden sind und die Ausbeutung zum Prinzip erhoben ist, die Welt mit den neuen Tafeln und den oder dem herrschenden Einzelnen, das erfahren wir nicht." Ob seine Krankheit ihn daran hinderte, sein System weiter auszubauen und dem „Reich Zarathustras" seine Vollendung zu geben, ob er überhaupt unfähig war, dies zu thun, wer will es entscheiden? Vermutlich ist das letztere der Fall, denn sein System ist ans Grundsätzen aufgebaut, die aller Kultnrentwicklnng zuwider¬ laufen. Durch glänzende Sprache und geistreiche Aphorismen hat Nietzsche für seine Gedanken Propaganda gemacht und sich zahl¬ reiche Anhänger geschaffen, von denen die meisten ihn vermutlich gar nicht verstanden haben. Denn, wie Professor Ziegler treffend sagt, „Nietzsche versteht man nur entweder ganz oder man versteht ihn gar nicht." Nietzsches Einfluß auf die moderne Welt ist ein ganz hervor¬ ragender gewesen und wird es stets sein, so lange es Leute giebt, die sich von seinen Aphorismen, von seiner glänzenden, dichterischen Beredsamkeit blenden lassen. Wer sich aber Mühe giebt, tiefer in seine Anschaungen einzudringen, und ihn zu ver¬ stehen versucht, der wird sich bald mit Achselzucken von ihm abwenden, denn seine Moral ist wohl gleißend und anfangs bestechend, aber durch und durch vergiftet und verderbenbringend. Wird der Philisoph der „Herrenmoral" zur Zeit auch noch von Tausenden blinder Anhänger als Abgott verehrt, so wird doch einst die Stunde kommen, wo man mit Bedauern über das System Nietzsches hinfortgehen wird, mit Bedauern, daß ein so reichbe¬ gabter Mensch auf so abschüssige Irrwege geraten konnte. G. A.

Kleine Mitteilungen. Das neue Märkische Museum inr Krillirischen Park,

das erst im Jahre 1904 wird bezogen werden können, soll einen eigen¬ artigen Fensterschmnck erhalten. Zn dem Behuf werden schon seit zehn Jahren die in Berlin und der Provinz Brandenburg geführten Wappenzeichen gesammelt, die, auf Glas farbig gemalt und eingebrannt, dem Beschauer später an den Fenstern des neue» Museums entgegenlenchten werden. Da die Kosten der Sclbstbeschaffung sehr groß geworden wären, so wurde de» Wappen, sühreuden Körperschaften bezw. Personen die Stiftung ihrer Wappenschciben anheimgestellt und der gleichmäßigen und billigen Herstellung wegen mit einem Glasmaler ein Abkomme» getroffen, »ach dem dieser für jede Wappcnscheibc ohne Unterschied nur zehn Mark zu fordern hat. In Betracht kamen die Städte, die Adelsfainilien, die Innungen, die studentischen Bereinigungen, sowie wissenschaftliche und Knnstvereine. Diese Sammlung ist schon jetzt über Erwarten groß geworden; sic wird, abgesehen von ihrem eigentliche» Wert, zugleich eine kunstvolle Ausstattung der Fenster in dem neue» Musenmsgebände ermöglichen. Im letzten Jahre sind von Städte» n. a. Schöneberg und Potsdam, von Adelsfainilien die des Frhrn. von Bock und von Messerschmidt hinzugekommen. Im ganzen enthält die Sannnlung gegenwärtig die Wappen von 14N Städten, von denen mehrere mit zivci Wappen vertreten sind, 224 Adelsfamilie», 48 studentische Bereinigungen, 55 Berliner Gewerken und 4 wissenschaftlichen Vereinen, zusammen also über 470 Wappen. Baron Bey. — Am 29. Juli 1839 stellle Mchnict Hafisz, Muschir von Siras, dem „preußischen Offizier Baron Bey, einem talentvolle» Man», der seine Pflicht als treuer und tapferer Mann vom Anfang bis zu diesem Augenblick gethan und sich seiner Aufträge in voll¬ kommenster Weise erledigt hatte," ein glänzendes Zeugnis ans und am nächsten Tage empfahl er denselben Baron Bey dem Sultan in den schmeichelhaftesten Ausdrucken. Wo ist dieser Baron Bey? Jeder unserer Leser kennt ihn, auch wir können ihm nur glänzende Zeugnisse aus¬ stellen. Das Rätsel löst sich, wenn wir verraten, daß dieser Baron Bey in der Lebensgeschichte unseres Moltkc eine Rolle spielt (vgl. deren 1. Band, Berlin, Mittler 1892) und daß am 3. September 1839 der außerordentliche Gesandte und bevollmächtigte Minister des Königs von Preußen» bei der Hohen Pforte, von Königsmark, bescheinigt, bei den Türken sei Moltke allgemein bekannt unter dem Namen eines Baron Bey. Friedrich der Grosse als Arzt. Im Spätherbst 1761 stand die preußische Armee in Böhnicn. Friedrich der Große ließ sie einmal des Nachts aufbrechen und weiter marschieren. Neben dein König ritt ein Unteroffizier der Avantgarde, der auf seine Fragen nur sehr kurze Autivorten gab. Das fiel ihm auf, und er fragte: „Was fehlt Ihm denn?" „Ach, Majestät, ich habe entsetzliches Leibschneiden." „Er hat sich gewiß erkältet. Dagegen helfen Magentropfcn." Friedrich wandte sich an einen Offizier seines Gefolges. „Herr Major, geb' Er doch einmal dem Unteröffizier Seine Flasche Mit den Magentropfcn! Ich weiß. Er führt eine bei sich. Da, Unteroffizier, nun trink' soviel, wie Er glaubt, vertragen zu können!" Der Unteroffizier trank die Flasche, die ein Achtclqnart hielt, ans einen Zug aus und gab sie dem Major leer zurück. Nach einer halben Stunde fragte der König: „Nun, ivic befindet Er sich jetzt?" „Majestät, wie neugeboren!" „Sieht er, ich bin der Doktor, und der Major hier ist der Apotheker." In der Schlacht bei Kunersdorf wurde dem Leutnant von Stubenfcll der eine Arm durch eine Kanonenkugel weggerissen, und der Leutnant von Heilsberg erhielt eine Kartätschcnlndnng ins Gesicht und in de» Leib. Beide lagen in ihrem Blut, kein Chirug wollte sie verbinden. Ta kam Friedrich der Große hinzu, fühlte ihnen an den Puls und sagte: „Sie habe» ja »och kein Fieber und sind junge, frische Leute. Laßt sie zur Ätzer und verbindet sie daun!" Das geschah, und die beiden Offiziere halten ihr Leben dem König zu verdanke». Sic dienten bis zum Hnbcrtusbnrger Frieden und erhielten dann gute Versorgungen in Preuße». Ueberhanpt sorgte Friedrich der Große in umfassender Weise für die verwundete» und kranken ^Soldaten. Er schickte Militärärzte zu ihrer Ausbildung

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das 1724 gegründete Collegium medicoließ 1744 durch den General Grafen von Rothenburg, außerordentlichen Gesandten in Paris, zwölf französische Aerzte engagieren und kassierte 1746 den Regiments-Feldscher des Dragoner-Regiments Bayreuth, der es verabsäumt hatte, die gehörige Anzahl Feldschers beim Regiment anzustellen. Schon als Kronprinz besuchte er eifrig die Militärhospitäler und gab oft selbst sanitäre und medizinische Vorschriften. Als der General von Müuchow im Februar 1745 meldete, der Major v. G. sei am Fleckenfieber gestorben und drei Offiziere und ebensoviel Füsiliere lägen an derselben Krankheit danieder, schrieb der König, die erkrankten Soldaten sollten zur Ader gelassen, dann sollten ihnen Vesicatoria gesetzt werden, zugleich sollten sie mit Zitronensaft oder Essig gemischtes Wasser trinken. So sei er „mit diesem Succeß" bei seinem Regimente verfahren. Ruhrkranke kurierte er im bayrischen Erb¬ folgekriege erfolgreich mit Brechweinstein. Gegen das Faulfieber empfahl er Spiritum vitrioli in vielem Wasser zu nehmen. Sich selbst wußte er, wenn ihn das Podagra plagte, durch Enthaltsamkeit im Essen und Trinken, schweißtreibende Mittel n. a. zu heilen. An Voltaire schrieb er 1765: „Da ich finde, daß Elixire und Tränkchen mir nicht die ge¬ ringste Hilfe geben, so unterwerfe ich mich einer strengen Diät und habe inich dabei bis jetzt recht wohl befunden." An den Geheimen Kämmerer Fredersdorf richtete er die Worte: „Glaube mihr, ich verstehe mehr von der Anathomic und Medicin wie Du, Alter, Deine Krankheit laesset sich nicht zwinge», sie ist Compliziret und gehört ein Habiler (geschickter) Docter dartzu die Mittels so ein zu richten, das was das eine Hclsfen sol, das andere nicht Schadet." Bekannt ist ja auch, wie der große König sich mit Aerzten gern über medizinische Gegenstände unterhielt, wie er den vr. Tralles in, Breslau, der den Prinzen Ferdinand von Preußen bei einem heftigen Entzündungsfieber behandete, über dessen Krankheit und ihre Heilung ausführlich befragte und mit dem hannüvcrischeu Leibarzte Ritter vr. Zimmermann 1771 fast sämtliche Krankheiten und deren Hejlung besprach. Zielen als Wustrauer Gutsherr. Der Vater des berühmten preußischen Husarenführers Hans Joachim von Zielen besaß von dxn Aeckeru des Dorfes Wustrau nur ungefähr den sechsten Teil; das übrige lag in den Händen zweier anderer Gutsbesitzer von Wustrau. Sein Einkommen betrug 4—500 Thaler jährlich, die er nicht einmal in Ruhe verzehren kounte, da ihn übermütige und reiche Nachbarn oft in endlose Rechtshändel verwickelten. Der Sohn hatte schon als Jüngling allerlei Pläne in Bezug auf sein väterliches Erbgut vor, aber die beiden ersten schlestschcn Kriege gaben ihm vollauf Beschäftigung, und erst im Jahre 1746 konnte er an die Verschönerung seines Wustrauer Besitzes und ernstlich an die Erbauung eines neuen Wohnhauses denken. Freilich hatte er nur 800 Thaler zur Verfügung, aber der König unterstützte ihn wesentlich. Er schenkte ihm eine große Partie Bauholz und Dennoch mußte Ziele» Schulden 80 Prahmen (Kähne) Kalksteine. machen; denn er ließ dem Hause so solide und feste Mauern geben, als sollten sic einer ganzen Ewigkeit Widerstand leisten. So unnmschränkt er sonst seine Gemahlin (Levpoldine Judith, geborene von Jürgas) auf dem Gute wirtschaften ließ, so selbständig überlegte er den Banplan und sorgte für dessen Ausführung, während sie besorgt ans die immer mehr anwachsende Schuldenlast hinblickte. Bei Aufhebung der Ackcrgcnicinheit überließ er seinen Wustrauer Unterthanen freiwillig das Beste. Endlich hatte er das ganze Dorf, größtenteils allerdings mit geliehenem Gelde, an sich gekauft und begann, besonders tut Winter, wo die Landleute mehr Zeit hatten, sogar mit Hilfe frenlder Dorfschaften gewaltige Veränderungen auf seinem Besitztum. Auch zog er nun Ansiedler nach Wustrau und baute ihnen Häuser, kurz, die That¬ kraft Zielens zeigte sich nicht nur auf dem militärischen, sondern auch Jahre 1770 setzte ihn eine in auf dem ökonoüiischen Gebiete. Wustrau ausbrcchende Viehseuche in große Verlegenheit; aber sein König, vom Obersten von Prittwitz davon benachrichtigt, half ihin mit einem Geschenk von 10000 Thalern wieder ans. Jedes Mal, wen» Zieleil nach Wustrau kam — dies geschah seit 1766 jeden Sommer auf mehrere Monate —, brachte er neue Pläne, neue Entwürfe mit, und seine letzte Unternehmung, war es, ein dürres Sandfeld unten bei dem Dorfe mit Lehmerde befahren und mit Gerste besäen zu lassen. Ja, mit 80 Jahren begann er »och den Bau eines schönen und geschmackvollen Kirchturms. Die Kosten, 4—5000 Thaler, bestritt er ans seinen Einkünften und aus seinem Gehalte. Sein Denkmal in der Kirche von Wustrau schmücken mit Recht in Stein gehauen außer anderen Emblemen Hirtenstab, Pflllgschar und ein Büschel reifer Weizenähren. hat zu mancherlei Die Ableitung des Namens lächerlichen Erklärungen geführt. Da soll „Berlin" chas Verkleincrnngsivort sein von Bär, Beere, Perle. Sogar auf das Griechische ist man zurückgegangen, hat Berlin kurzweg zu einer griechischen Niederlassung erhoben und seinen Namen als bsrys linos, d. h. schweren Sitz, ge¬ deutet. Mahn bildete das Wort „Berlin" zuerst von dem keltischen bsrte (Brachfeld), dann vom keltischen paür, peür, pör (Weide) und ilüyn (Hain) ab, so daß also „Berlin" ursprünglich ein Weidehain ge¬ wesen sei. Niecke denkt ebenfalls an keltischen Ursprung und schlägt biorilns, birliue, die Fähre, oder bairline, der Damm, als zu Grunde liegend vor! Endlich geht der Franzose Bullet auf das keltische der, die Krümmung, und Un, der Fluß, zurück, faßt also „Berlin" als Flußkrümmung. Allein so gut wie diese Erklärung auf die Kaiserstadt paßt, so wenig entspricht sie der Lage der anderen Ortschaften, die den¬ selben Namen (Berlin, Perlin, Parlin, Barlin, Bellin, Bcrlinchen u. a.) führen. Ueberhaupt ist cs, worauf Killisch hinwies, doch sehr fraglich,' ob Kelten in die zu ihrer Zeit noch völlig versumpfte und versandete, zur Ansiedlung wenig anlockende Mark Brandenburg gekommen sind. Nun bleibt noch die Ableitung aus dem Slavischen übrig. Für diese spricht schon der Umstand, daß das am rechten Spreeufer gelegene Kölln Kölln bedeutet ini Wasser stehende Pfahl¬ slavischen Ursprungs ist. bauten. Der am linken Sprceufer liegende Teil hieß ursprünglich „der" Berlin. Der Ritter Hermann Vorlaut zu Lichtenberg 1392, der Ritter Heinrich von Reichcnbach 1394 und Wichard von Rochow im Anfange imct) Paris, erweiterte chirurgicum in Berlin,

Im

„Berlin"

BermUworilicher Redakteur:

vr.

sä.

Folttciiiean»,

Berlin. — Druck

UI

15. Jahrhunderts schreiben „die vier Gewerke und die ganze Gemeinheit, die Rathsherren, die ehrsamen Bürgermeister und Raths¬ herren — An dem Berlin". Im Slavischen bedeutet psro die Feder. Die zweite Silbe weist auf einen noch im Polnischen erhaltenen Stamm hin, der sich mausern bedeutet. So bedeutete aber „Berlin" den Mauserplatz der Gänse und Enten, den Weideplatz für das Federvieh der Köllner Bürger, eine Erklärung, die ausgezeichnet auch für die anderen Ortschaften, die „Berlin" oder ähnlich heißen, sich eignet. Ihr gegenüber fallen an Ableitungen aus deni Slavischen (von ber, nimm, und lin, die Schleie, oder von bor, der Wald, und gllno, der Lehm, oder von bor und rolln», der Acker, oder endlich von bero, die Stange, das Szepter) in nichts zusammen. Der Demagog. Für Klein-Glienicke bei Potsdam hatte der preußische Rcgierungs- und Schulrat Wilhelm von Türk den Seidenbau eingeführt, Maulbeerbäume anpflanzen lassen und eine Waisenanftalt gegründet. Trotz dieses segensreichen Wirkens war er beim Könige Friedrich Wilhelm III. nicht beliebiger galt ihm in Folge verleumderischer Einflüsterungen für einen Volksanführer, für einen Demagogen. Als Türk im Jahre 1822 mit seinem Freunde, dem Bischose Kulemann Friedrich Eylert, nach Pyrnwnt kam, wo sich nebst dem Fürsten Hardenberg auch der König befand, bemerkte letzterer den Verkehr Eilerts mit dem Regierungsrate sehr mißfällig. Eines Tages sagte er in seiner kurzer Weise zu dem Bischöfe: „Scheinen mit Türk ja sehr vertraut zu sein, gehen oft mit ihm!" Der so Angeredete schwieg erstaunt und erfuhr dann erst durch den Oberst Jobst von Witzlebcu, den Königlichen Adjutanten, den Grund der Abneigung Friedrich Wilhelms gegen Türk. Beide beschlossen als Freunde der Wahrheit, den König aufzuklären und thaten dies mit den beredsten Worten. Der König hörte sie mit Wohlgefallen an und sagte: „Ist mir lieb, mein Urteil zu berichtigen, habe nun von dem falsch angeklagten Mann andere, vorteilhafte Meinung". Und von Stund an änderte er seine Gesinnung. Türk erhielt beim nächsten Ordeusfeste den roten Adlerorden, wurde vom König bei jeder Gelegenheit freundlich angesprochen^ sein Waisenhaus erhielt königliche Unterstützung und königliche Freistelle», und als er sein Amt niederlegte, um sich in ländlicher Abgeschiedenheit ausschließlich seinen milden Anstalten zu widmen, beivilligte ihm Friedrich Wilhelm seinen vollen Gehalt als Pension. Dies alles hatte ein Wort zur rechten des

Zeit als Folge!

Wrangels Protest. Als man in, Jahre 1872 fälschlicherweise den damals 88 Jahre zählende» Fcldmarschall von Wraugel totgesagt hatte, erschien in einer rheinischen Zeitung folgender Protest von Wraugel: mich Eener solche Streiche, Wie inan mir zu verleumden wagt! Nie is mich noch passiert das Gleiche, Mir hat man, denkt Euch, todtgcsagt! Man sollte, straf' mir Gott, doch keine

Nun

seh'

Verleumdung mich anthun darin: Von wegen mir und mich alleine

Steht's

fest, daß ich

unsterblich bin!

Vereins-Nachrichten. Verein für dir Geschichte Berlins. Der Verein besichtigte am Mittwoch, den 22. August das

für Gärunasgewerbe und Stärkcfabrikation,

Institut

sowie! die Ver¬ suchs- und Lehrbraucrei in der Sccstraße, unter Führung des Herrn vr. Neumann. Das Institut bildet eine Abteilung der Königliche» Das Grundstück und die landwirtschaftlichen Hochschule zu Berlin. Gebäude sind fiskalisches Eigentum, die innere Verwaltung jedoch, die Aufbringung der Mittel für das Personal und den Betrieb sind gewerb¬ lichen Verbänden übertragen, deren wichtigsten die beiden juristischen Personen sind: ,;Vcreiu der Spiritusfabrikauten" und Verein „Versuchs¬

und Lehranstalt für Brauerei in Berlin". Die Förderung der Gewerbe wird durch wissenschaftliche Forschungen, durch praktische Versuche, Veröffentlichungen und Unterricht erstrebt, und diese» Zwecken dienen Laboratorien und Unterrichtsgebäude, sowie Ver¬ suchsfelder, eine Hopfenplantage und ein Vegetationshaus. Die Be¬ deutung der hier vertretenen Gewerbe für die Nationalwirtschaft geht daraus hervor, daß der Wert der verarbeitete» Rohstoffe 540 Mill., der Wert der Erzeugnisse 1100 Mill. und der der Landwirtschaft über¬ wiesenen Futterstoffe 70 Mill. Mark jährlich beträgt. Die Anstalt wurde 1874 als Versuchsanstalt des Vereins der Spiritusfabrikanten begründet, und zu ihrem Leiter Professor vr. M. Delbrück berufen; mit der Anstalt wurde eine -Glasbläserei, die Brennereischule und die Versuchsbrauerei verbunden. — In der geräumigen Oberlichthalle wurden die Anwesenden vom ersten Vorsitzenden, Herrn vr. Beringuier, begrüßt, und von da aus in das botanische und analytische Laboratorium geführt, wo besonders die Hefenreiuzuchtkulturen interessierten'. Etwa 300 Hefearten werden in Gelatine aufbewahrt. Hier werden die Lebensbedürfnisse und Eigen¬ tümlichkeiten der konkurrierenden Pilze (Mikroorganismen) geprüft und die Gesetze der natürlichen Reinzucht festgestellt, die unter Umständen auf dem Gebiet der Bekämpfung menschlicher und tierischer Infektions¬ krankheiten gute Dienste leisten. Der Gersten-, Hopfen- und Kartoffelbau wird statistisch verfolgt und alle Gewerbe beleuchtet, die auf der Wirk¬ samkeit kleinster Lebewesen beruhen. Die Versuchsbrauerei erzeugt jährlich 10 000 Hektoliter Bier, das nur an Private abgegeben wird. Das Sudhaus ist für ein Einmisch¬ quantum von 1000 Kilogramm Malz berechnet; der Maischbottich faßt 70 Hektoliter, der Lauterbottich 60 Hektoliter. Alles ist zum Unterricht leicht zugänglich gemacht. Das Kellereigebäude umsaht einen Lager¬

raum von 2500 Hektoliter. Verlag:

Friedrich Schirmer, Berlin

SW, Reiieuburger Strafte 11».

Der Bar. Illustrierte Wocheuschrist.

vierteljährlich 2 M. »0 Pf., „Der Bär" erscheint jährlich 52 mal und ist durch alle Buchhandlungen, Zeitungsspeditionen und Postanstalten zu beziehen (Nr.— 866 des Postkatalogs) und kostet Beilagegebühr: 6 M. pro sOVO Stuck inklusive Postgebühren. jährlich IO M., Linzelhefr 2O Pf. — Infertionspreis für die 4 gespaltene Nonpareillezeile oder deren Rauni 50 Pf. — Fernsprecher: IV. Nr. 3651. — Inserate und Beilagen werden entgegengenommen von der Expedition des „Bär", SW., Neuenburgerstraße J 4 a, sowie von allen Annoncen-Lrpeditionen.

|U\ 37.

Sonnabend, 15. September 1900.

26. JnipsiNUA.

Berliner Wandelbilder. Zwei Weltanschauungen auf einmal. ei aller Vorliebe

für Berlin konnte

ich

in

den letzten

Jahren

das Gefühl nicht los werden, als ob der Reichshanptstadt irgend etwas höchst Notwendiges fehlte. Vom Fischerdorf bis znr Kaiserstadt, das ist immerhin innerhalb dreier Jahrhunderte ein recht hübscher Fortschritt, aber die Liebe ist nun einmal eifer-

Herzog!» von Mbany. Herzogin von Schleswig-Holstein.

Herzog von

Weltanschauung ist — vielleicht läßt es sich am besten an einem Beispiel klar machen: Wenn ein Wurf junger Hunde geboren wird, dann sind sie blind und haben sie nicht, und daun werden Es hat ja bei den Berlinern ein sie sehend und bekommen sie. wenig lange gedauert, und nun haben sie sie, und wenn man sich

Die Kaiserin.

Gräfin Gersdorf. Herzog Ernst Günther.

Von der grossen Herbstpsrade. und kann an wenn sic nur empfunden werden, lange gefehlt hat, süchtig

selbst

bekommen hat: eine

Eine Weltstadt begreifen, daß es so wissen Sie denn ü

Gegenstand keine unbestimmbare vierzehn Tagen weiß, unbedingt brauchte eine

Mängel ertragen, Ilnvollkonimcnheit ich, was Berlin so und nun endlich

schau ung. !

Man kann kaum

be-

Ja, meine Herren, was eine Weltanschauung ist? Eine

möglich gewesen ist!

von seinem Staunen ob des holden Wunders erholt hat, erfüllt einen die stille Freude, daß nun endlich einem bisher dumpf und un¬ klar als unabweisbar empfundenen Bedürfnis abgeholfen wurde. Es ist immerhin interessant, festzustellen, wie eine Weltan¬ Vor schauung unter modernen Verhältnissen ins Leben tritt. 1900 Jahren war die Sache überaus einfach. Ueber Bethlehem ging ein Stern auf, die Hirten beteten an, die Engel sangen, und die Könige aus dem Morgenlande brachten Gold, Weihrauch und

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in das Gewand später, so Etwas Religion. beglaubigten der durch Osfcnbarung entstand hinein, Zeit neueste in die bis herum um das Mittelalter

Myrrhen.

Die.neue Weltanschauung kleidete

sich

in aller Stille in den Gehirnwindungen eines einzelnen Wcltweiscn, wurde dort zum philosophischen System und durch¬ drang langsam aber sicher alle Manifestationen des Zeitgeistes. Im Jahrhundert der Eisenbahn, des Telegraphen und der täglich zwei- bis dreimal erscheinenden Zeitungen nimmt die Sache na¬ ' türlich einen bei weitem schnelleren Verlauf. Die Weltanschauung sie meist

konzentriert

sich

gewissermaßen

zu

einem

die Tageserscheinungen

zusammenfassenden Leitartikel, sie wird zum Prcßerzcngnis, dem man baldmöglichst die größte Publizität zu verschaffen sucht. Man eröffnet sie zunächst wie einen Klub oder wie ein Wirtshaus vor

geladenen Gästen und ersucht daun das verchrliche Publikum, freundlichst näher zu treten und sich von ihren unvergleichlichen

Vorzügen zu überzeugen.

Die Beleuchtuugsprobe der neuen Berliner Weltanschauung hat am letzten Tage des August im Beethovensaale der mit Recht für ähnliche Zwecke so beliebten Philharmonie stattgefunden. Das Programm, gewissermaßen die Speisekarte, war überaus ver¬ heißungsvoll. „Was bislang Werden war, will die neue Ge¬ meinschaft zur Reife bringen, was Sehnsucht war, will sie.erfüllen, das Hoffe» zur Gewißheit, das Wissen zu Leben, das Wollen zu That erhöhen. In inniger Verschmelzung von Religion, Kunst, Wissen und Leben sucht die Neue Gemeinschaft das Menschen- und Menschheitsideal, die Vollendung des einzelnen und der Gesamt¬ heit zu verwirklichen. Die Reue Gemeinschaft bildet einen Orden vom wahren Leben, der bestrebt ist, ein vorbildliches Leben z» führen, nach allen Seiten hin das höchste Kulturideal in That umzusetzen, die unbedingte Freiheit des Individuums mit den Anforderungen der Gesamtheit harmonisch zu vereinigen." Fassen wir einmal zusammen: „Zur Reife gebrachtes Werden — erfüllte Sehnsucht — gewisses Hoffen — zum Leben erhöhtes Wissen, zur That erhöhtes Wollen — Verschmelzung von Religion, Kunst, Wissen und Leben — harmonische Vereinigung der Freiheit des Individuums mit den Anforderungen der Gesamtheit." Die ersten Schlagworte klingen alt und wohl bekannt an mein Ohr,

bei den letzten stutze ich: Wenn der Schutzmann einen nächtlichen Ruhestörer beim Kragen nimmt, sucht er auf seine Weise ebenfalls

begeisterungsvollen, als verständlichen Jubelhymnus auf die neue Weltanschauung, auf die man immer neugieriger wurde, je weniger man davon erfuhr. Auch ihr Hauptvertreter vermochte in dieser peinlichen Situation keinen Wandel zu schaffen, so eifrig er auch versicherte, er wolle uns mitteilen, wie wir handeln müßten, um fröhlich z» sein. Er konnte nur konstatieren, daß besagte Fröhlichkeit auch ohne weiteres Handeln, durch seine bloßen Worte, einzutreten drohte, was ihm um so unangenehmer sein mußte, als ja dann die ganze, auf Fröhlichkeit basierte Welt¬ anschauung überflüssig würde. Auch die Herren, die nach ihm sprachen, unter anderen ein jüngerer Romandichter, der seine per¬ sönliche Weltanschauung bisher in der novellistischen Fruktifizierung Berliner Kriminalfälle niedergelegt hat, begnügten sich damit, die Anwesenden aufzufordern, „ihr Leben nach ihrem ureigensten

Empfinden zu gesralten," was denn auch wohl jeder der An¬ wesenden, dieser dankenswerten Anregung folgend, früher oder später thun dürfte, insoweit er nicht durch die moderne Gesellschafts¬ ordnung daran verhindert wird. einer neuen Ich hatte mir, offen gestanden, die Begründung Berliner Weltanschauung wesemlich anders vorgestellt und blieb sinnend vor der Saalthür stehen, als mein Blick auf die An¬ kündigung einer zweiten Weltanschauung fiel, die am darauf¬ folgenden Tage in denselben Räumen stattfinden sollte. Das durfte war dieselbe ich mir wirklich nicht entgehen lassen. Die Dekoration auf, Goethes Büste die Palmenhain dem aus ragte geblieben, nur und Beethoven, trug Abendunterhaltung musikalischen der Kosten die

Prolog in Gestalt Goethescher Gedichte sprach ein weibliches Mitglied des deutschen Theaters. Die Herren hatten die re¬ auf daktionelle Verantwortung für ihre neue Weltanschauung mich hat Das Giordano Bruno und Wolfgang Goethe abgewälzt. den

verstimmt.

mir der Naturmensch Gustav Nagel offen gestanden und soeben lieber, der wenigstens persönlich für seine Lehre eintritt

Da

ist

Deutschland angetreten hat. Sein hemdenartiges Gewand läßt Brnst und Kniee frei, unter dem Arm Säckchen mit trügt er eine im Futteral steckende Friedensfahne, ein — An¬ Paket ein und Brot und Mohrrüben rohen Kartoffeln, Wcltausichtspostkarten. Wenn er auch auf den letzteren seine aphoristische schanng eodifiziert hat, zeichnet sie sich wenigstens durch seine Propagandareise

durch

Von der Herbstparade: Vorbeimarsch der Truppen. die Freiheit des

Individuums mit

den Anforderungen der Gesamtheit

sich das nicht immer ganz „harmonisch" liegt es eben an den angewandten Mitteln. Auf die Mittel kommt es an, meine Herren! Da es sich um eine „harmonische" Vereinigung immerhin nicht ganz leicht zusammenschließender*Dinge handelte, suchte man auf die in der Philharmonie behufs Gründung einer neuen Welt¬ anschauung Erschienenen zunächst durch eine Musik zu wirken, die hinter einem ans dem Podium aufgestellten Palmenhain hervor¬ klang. Ein Mitglied der Deutschen Theaters sprach einen mehr

zu vereinigen, und wenn

vollzieht,

so

ihrem Vorteil von ihren Kürze aus und unterscheidet sie so z^> Konkurrentinnen. beiden Bis zu seiner An¬ Gustav Nagel ist meine letzte Hoffnung. zwischen zwei kunft in der Reichshanptstadt stehe ich n^ie der Esel die Weltanschaungen, Heubündeln, zwischen zwei neuen Berliner ein¬ von nichts durch sich wenigstens bei der Belenchtnngsproba schwerer inachtcn, ander unterschieden und uns die Wahl vm so sie da sind und haben, daß als ihre Propheten bisher nur erklärt müssen. werden bt'grüßt Jubelhymnen begleiteten musikalisch

mit

Gi org Malkowsky.

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Die große Herbstparade aus dem Tempelhoser Felde.

w

|ie alljährlich stand am 1. September das Gardekorps auf dem Tempelhofer Felde vor seinem obersten Kriegs¬ herrn in Parade. Die Reihe glänzender militärischer Akte, die einen solchen Paradctag ausfüllen, wurde durch die feier¬ liche Abholung der neuen, jung geweihten Fahnen aus dem Palais Kaiser Wilhelms I. durch den Kaiser, der die neuen Feldzeichen persönlich ihren Truppen zuführte, »och erweitert) die Teilnahme dreier Regimenter des III. Armeekorps, zahlreicher fürstlicher Damen, vieler Prinzen und fast sämtlicher Diplomaten gestaltete die dies¬ jährige Herbstparade noch großariiger und glänzender als in

uniform des 1. Garde-Regiments mit dem Bande des Schwarzen Adlerordens und der Kette des Hohenzollernscheu Hausordens und dem Feldmarschallstab. Als der Kaiser an der Spitze der Fahnen¬ kompagnie am Steuerhause angelangt war, wo er die Kaiserin und die fürstlichen Damen begrüßte, und wo das kaiserliche Haupt¬ quartier ihn erwartete, schwenkte die Leibkompagnie des 1. GardeRegiments zu ihrer Paradeaufstellung ab, während noch ein Teil von Fahnen, die bei einzelnen Truppenteilen verblieben waren, sich den vom Kaiser geführten anschloß.

Mit

den gesamten Feldzeichen

rückte der Kaiser nun

in das Karree ein, Front gegen die Paradeaufstellnng, und übergab die Fahnen

früherenJahren. Ber¬ lin wurde diesmal schon früh aus dem Schlummer geweckt, zeitiger als sonst be¬ gann es sich in den Straßen zu regen, die sich von Stunde Stunde immer zu mehr füllten. Schon vor 7 Uhr zogen die Truppenteile mit klin¬ gendem Spiel aus den verschiedensten Stadt¬

den betreffenden Kom¬ mandeuren mit einer Ansprache, während die ganze Paradeaufstellnng präsentierte. Sodann wurden die Fahnen bei ihren

Truppenteilen einge¬ stellt, diejenigen des ostasiatischen

Expe¬

ditionskorps bei der

teilen und den um¬ liegenden Ortschaften

Die Fahnen - Kompagnie.

Paradefelde zu. Von fürstlichen Damen fuhren die Herzogin von Schleswig-Holstein Coburg in offener, vierspänniger Tempelhoser Felde. Die Kaiserin, zum erstenmale dem

Herzogin von Albany und die mit dem jungen Herzog von Equipage mit Vorreiter zum

seit der Trauer um ihre Heim¬ Mutter in dem weißen Uniformreitkleide deS KürassierRegiments Königin mit dem Hohenfriedbcrger Schild auf der Brust, geschmückt mit dein Bande des Hohen Ordens vom Schwarzen

gegangene

Adler, begab sich, einen Rappen reitend, in Begleitung ihres Bruders, des Herzogs Ernst Günther, der die Paradeuniform der Leib-Garde-Husaren angelegt hatte, vorauf und hinterher von je einem Zug der Leibgarde der Kaiserin begleitet, ans das Paradefeld. Ter Kaiser ritt auf hellbraunem Pferde, in der Parade-

ostasiatischen Jäger¬ kompagnie, welche die 5. Kompagnie des

Garde-Jäger-Batail¬ lons bildete und bei dem Vorbeimarsch die Fahnen mit der Standarte beim Kaiser vorbeisührte. Als die Einstellung vollzogen, begann das Abreiten der Paradeaufstellung, von der die Ehrenbezeugungen zuerst i>» ganzen, dann brigadeweise ausgeführt wurden. Das zweite Treffe» wurde vom linken Flügel aus besichtigt. Die Suite deS Kaisers, au dessen Seite seine erlauchte Gemahlin ritt, war so groß, daß sie sich über die Front eines Bataillons hinausdehnte. Unter dem Ge¬ rassel der Trommeln und dem Geschmetter der Trompeten senkten sich dann die ruhmbedeckten Feldzeichen zur Erde, uild die Truppen¬ teile begrüßten den Kaiser mit einem dreimaligen Hurrah. Dann folgte der Parademarsch. Ans dem Rückwege wurden dem Kaiser dieselben Ovationen, und noch in erhöhterem Maße dargebracht, wie beim Marsch nach dem Paradeselde.

Eine verschollene Eremitage im Tiergarten. eim Durchschreiten der Tiergartenstraße bis zur HofjägerAllee zweigt sich, links von der letzteren, ein Fußweg ab, der an einem Graben zwischen dem „Großen Weg" und

bis nahe zur Drakestraße entlang führt. Hier fällt der Blick ans eich altes, würfelförmiges Sandstciu-

der Stülerstraße

fast gleicher Höhe sich er¬ hebt. Mit einem zu beiden l Seiten herabhängenden Grabtnche bedeckt, zeigt die Urne das HedaillonbildniS eines Offiziers ans der Fridericianischen Zeit, wckhrend die darunter befindliche In¬ eine Urne von

Postament,

ans

dem

schrift

der

Würfelseite stautet:

ans

„Friedrich von Probst,

Lieutenant des Regiments Friedrich von Braunschweig. Geboren Die Gestorben den 2. Martii 1788." den 17. Januar 1743. Seitenfläche rechter Hand ,^eigt en liaut-relief einen von einem Ringkcagen gekreuzten DegetU auf der linken Fläche erscheinen die Emblembe des Gartenbaues Harke, Spaten und Gießkanne. Auf der Rückseite lautete die jeflt kaum »och zu entziffernde Inschrift: „O du glücklicher Schatte'», wohin Gott und dein Glück dich führen, genieße selige Rnhj »»d Seligkeit, indeß wir hier deinen schnellen Abschied betrauet», bei dieser Urne an dich denken und um dich weinen." Die dortigen

AnwoljM des Tiergartens hatten das Denkmal zur Erinnerung an den i Verstorbenen, der sich durch gärtnerische

Anlagen und Spaziergänge bei der damaligen Fasanerie um die Verschönerung des Tiergartens verdient gemacht, anfänglich ans der linken Seite des später zugeschütteten Grabens gegenüber dem damaligen „Hofjäger" errichten lassen. Hiernach führte das Denk¬

mal die Bezeichnung „Hofjäger-Denkmal". Von dem Obcrforstbau-Jnspektvr Hennert ist uns ans dem Jahre 1788 sin welchem von Probst verstarb) eine Schilderung der „Eremitage" erhalten geblieben, die sich inmitten eines 125 Schritt langen und breiten Gehölzes auf der Mittagsscite des Tiergartens befand und von demselben durch jenen FloßWestlich dehnte sich ein Wiescngrund graben abgesondert war. bis zur Fasanerie hin. Der Vorbcsitzer dieses Gehölzes, Gensdarmerie-Rittmeister v. Massow, hatte inmitten hoher Erlen und niedriger Baunigruppen ein Häuschen aus Baumrinde hergerichtet, das unter

war und die Aufmerksamkeit der Berliner erregte. diesem Zustande überkam Leutnant v. Probst die schlichte Anlage, zu der man durch den Garten des Hofjägers und dann über eine Floßgrabenbrücke gelangte. Der neue Besitzer legte nun¬ mehr unter Benutzung der Abwässer des nassen Erlcngrundes einen kleinen Teich an, dessen Wasserspiegel von dem Laubdach der hohen dem Rainen der Einsiedelei oder Eremitage bekannt

In

5SS

Banmgrnppen in „feierliches" Dunkel gehüllt, der Szenerie einen geheimnisvolle» Zauber verlieh, die Sinne gefangen hielt und „Empfindlingen der Andacht, Riickerinnerung an verlorenes Gute und schwermütiges Gedenken an abgeschiedene Freunde" erweckte. Dieser Eindruck wurde noch verstärkt durch ein Denkmal der Andacht, das v. Probst in Gestalt einer schlichten Kapelle init einem eilisachen Rascnaltar und seitwärts mit einer Grabstätte errichtet hatte. Diese sollte symbolisch die „letzte Ruhestätte eines glücklichen Bewohners der Einsamkeit darstellen, der in der Abend¬ dämmerung seines Lebens mit Ruhe und Heiterkeit dem Tode ent¬ gegensah." Ein weiteres Denkmal errichteten. Probst mit eigener

Hand seinem abgeschiedenen Freunde, dem Freiherrn v. Rochow, Auf einem kleine» dessen Leben der Wohlthätigkeit gewidmet war. Rasenhügel befand sich ein niedriges Postament mit einer halb geöffneten Urne, aus der sich die Seele des Entschlafenen im Bilde

Schmetterlings erhob, gleichsam „die Reste des irdischen Standes abschüttelnd und sich zu kühnerem Fluge emporschwingend." Wer fühlt sich bei dieser Silderung einer weltentrückten poetischen Szenerie nicht zurückversetzt in die Zeit der „weich ge¬ schaffenen Seelen"! Heiterer gestaltete sich der Ausblick von dem Rasensitz in einem kreisrunden „Kabinett" hinter der Kapelle, wo ivogende Kornfelder, vom Sonnenlicht vergoldet, sich ausdehnten. Schließlich gelangte man noch durch zwei ans Zweigen und Baumrinden her¬ gerichteten Pforten in eine Pflanzung ausländischer Holzarten, hoch¬ stämmiger Rosen und Pappeln. Die von dem Schimmer der Romantik umgebene Gesamt¬ anlage machte, wie Hennert seine Schilderung beschließt, dem Geist und Herzen ihres Erbauers viel Ehre. Auf ein Herz, das gegen die entzückenden Eindrücke der schönen Natur nicht unempfindlich ist, blickt auch der Schöpfer derselben mit Wohlgefallen herab. Probst, der den Charakter dieses Hains durch Denkmäler eines

echter Tugenden,

Genügsamkeit verstärkte,

und

der Freundschaft

lud auch die Nachgebliebenen zum Genuß sanfter Freuden ein.

-Leicht

müsse die Erde Den Gebeinen des Redlichen sein! Süß ist uns sein Wäldchen, Süß der Schatten

....

Und ringsum stoßen wir sonst noch auf Erinnerungen au anheimelnden und urwüchsigen Reizes, die die alles nivellierende Kultur im Laufe der Jahre verwischt hat.

Stätten

So blicken wii^ zurück auf die bereits erwähnte Fasanerie, die Friedrich der Große im Jahre 1742 herrichten ließ, um die königliche Hofküche mit diesem Geflügel zu versorgen, von welchem später alljährlich gegen 600 Stück geliefert werden konnten. Die Fasanen nisteten auf den Bäumen, erhielten ihre Fütterung zu bestimmten Zeiten und verbrachten den Winter in besonderen Ge¬ bäuden des umzäunten Reviers. Eine besondere Vorliebe für die hegte die Gemahlin Friedrich Wilhelms II.; sie ließ sie durch gärtnerische Anlagen verschönern, und schon früh¬ zeitig beschäftigte sich hier der Kronprinz (nachmals König Friedrich

Fasanerie

Wilhelm III.) nebst seinen Brüdern mit dem Gartenbau. Wie viele von den Abertausenden, die den Zoologischen Garten besuchen, haben wohl eine Ahnung davon, daß sie auf dem Grund und Boden der vor nunmehr 58 Jahren »ach Char¬ lottenhof bei Potsdam verlegten Fasanerie wandeln! Auch der „Hofjäger" — später eins der beliebtesten Ver¬ gnügungs-Etablissements der Berliner — durch dessen Garten man über die Floßgrabenbrücke nach der „Eremitage" gelangte, ist vor etwa dreißig Jahren der Bebauung zum Opfer gefallen. Gleich¬ zeitig erfolgte, auf Veranlassung eines Rachkommens des Leutnants v. Probst, die Versetzung des Denkmals nach der heutigen Stätte.

Ferdinand Meyer.

Mirabeans geheime Sendung nach Berlin 1786-87 Aufenthalt Mirabeans in Berlin — zuerst von Januar bis Mai 1786 als einfacher Reisender und dann von Juli 1786 bis Januar 1787 als geheimer, wenn auch nicht

M

er zweimalige

beglaubigter diplomatischer Agent der französischen Regierung — bietet in doppelter Beziehung das höchste Interesse: einesteils für die Erkenntnis und Beurteilung des in seinen guten wie schlimmen Eigenschaften gleich außerordentlichen Mannes, vor allem aber weil sein Aufenthalt in eine Zeit fiel, wo sich mit dem Tode Friedrichs des Großen und der Thronbesteigung seines Nachfolgers der folgenschwerste und verderblichste Umschwung vorbereitete, der in der Geschichte des preußische» Staates zu verzeichnen ist. Mit der Fähigkeit zur schärfsten und durchdringendsten Beobachtung ausgestattet, in betreff der Mittel, sich Nachrichten zu verschaffen, von keinem Skrupel eingeengt, im Besitz der glänzendsten Darstellungsgabe, hat er Berichte geliefert, die in ihrer Art Meijterstücke sind. Trotz ihrer zahllosen Geschmacklosigkeiten, ihrer vom persönlichsten Interesse veranlaßten Uebertreibungen sowohl nach der guten wie — freilich überwiegend — nach der schlechte» Seile hin, trotz seines Bestrebens, seine eigenen Verdienste nur ja ins rechte Licht zu setzen, ivobei er wohl nicht immer streng bei der Wahrheit blieb, trotz des in ihnen sich nur zu oft bcknudendeu Cynismus bilden sie noch heute eine Lektüre, die nicht nur die Aufmerksamkeit der Geschichts¬ forscher verdient, sondern auch darüber hinaus geeignet ist, jeden zu fesseln, der sie auch nur um das rein litterarischen Genusses

willen zur Hand nimmt. Müde des ewigen Kampfes gegen seine Familie und der Skandalprvzessc, in die er unablässig verwickelt war, in gedrückter materieller Lage und bedrängt von seinen zahlreichen Gläubigern, hatte Mirabeau seit dem Jahre 1783 die verschiedensten Anläufe gemacht, von seiner Feder zu leben, war überall anf das Mi߬ trauen gestoßen, das sein Vorleben jedermann einflößen mußte, und hatte im Grunde nichts erreicht. Doch war er sich bei Gelegen¬ heit des Streites zwischen Oesterreich und Holland ivegcn der Flußschiffahrt, in dem er mit Leidenschaft für die letztere Macht Partei ergriff, seiner hervorragender politischer Begabung bewußt geworden, und von nun an ging sein Ehrgeiz dahin, ans diplomatischem Gebiete eine Stellung zu gewinnen. Er glaubte, seine Sache besser machen zu können als alle die gerühmten Geheimagenten des Königs im Auslande, besser als Dumouriez in Polen, Beaumarchais in Deutschland, besser selbst als Voltaire bei Friedrich dem Großen.

Er sich emen bestimmten Wirkungskreis zu suchen. faßte Ende 1785 den Entschluß, nach Berlin zu gehen, als einfacher Reifender, voll Begier, den König in der Nähe zu sehen, die Hilfs¬ mittel des preußischen Staates zu studieren und darüber ein um¬ fangreiches Werk zu schreiben, von dem er Großes für seine Zu¬ kunft und seinen Namen erhoffte. Am 25. Dezember 1785 reiste er mit seiner Freundin Frau von Nchra, und dem kleinen Lucas von Montigny, seinem Adoptiv¬ söhne, von Paris ab und kam über Rancy, Frankfurt, Leipzig am am 19. Januar 1786 in Berlin an. Als einzige Empfehlung hatte er einen Brief des Grafen von Vergennes, des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten, an beit französischen Gesandten Grafen von Estcrno. Auch hoffte er bei dem Prinzen Heinrich durch Vermittlung des Marauis von Lochet, der sich in dessen persönlicher Umgebung befand, Anlehnung zu finden, da er ir Erfahrung gebracht hatte, daß der Prinz, unzufrieden mit dc Unfähigkeit des Grafen von Estcrno, einen anderen Vertreter Frankreichs, einen Mann von Kraft und Energie, noch vor dem Tode des Königs in Berlin zu sehr» wünschte. Mit einer Kühnheit ohnegleichen ging Mirabeau, kaum an¬ gelangt, anf sei» Ziel los. Am 2L. Januar schon erbat er sich bei Friedrich eine Audienz, in einem kurze» Schreiben, das bei aller Bewunderung für den Herrsche^: doch einen festen, männlichen Ton wahrte. Seit seiner Geburt habe er „die Welt von Friedrichs Name» erfüllt gefunden und den Wunsch gehegt, den größten Mann dieses Jahrhunderts und so vieler anderer, in größerer Nähe zu Es galt nun,

Schon sehen, als man gewöhnlich Könige zu sehen bekommt." ani nächsten Tage antwortete Friedrich freundlich zustimmend und Atn selben Tage erhielt der setzte die Audienz auf den 25. fest. König eine Anzahl Bücher von Mirabeam zugesandt und beauftragte den Grafen Goertz, diesem dafür in seinem Namen zu danken, fügte hinzu, er sei sehr begierig, zu erfahren,! durch welchen glücklichen Zufall dieser Reisende nach Berlin gekrümen sei, und befahl dem General, Erkundigungen darüber einznzitcheu. Der Graf Estcrno war über MirabeemS Ankunft nichts weniger als entzückt. Er sprach sich in einem Bris fe an Vergennes sehr ver¬ wundert darüber aus, daß der König ihm foport eine Audienz bewilligt habe. Mißtrauen erregte bei dein Gesandtei t namentlich der Umstand sei. und er fürchtete, daß Mirabeau ohne erkennbare Mittel empfahl ihn- in seiner Vergennes fallen. könnte Last ihm zur er

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Antwort die äußerste Zurückhnltnng gegen den Grafe». I» einem zweiten Schreiben vermutet Esterno, Mirabeau wollte in Berlin bleiben, nm hier in aller Freiheit seine Schriften drucken zu lasse». „In dieser Hinsicht konnte er seinen Aufenthalt nicht besser wählen, denn wenn er nur von dem Wiener Hofe nichts Gutes spricht, kann er ruhig Gott, seine Heiligen und alle Könige der Welt lästern, mit Einschluß des Königs von Preußen." Am 25. Januar schreibt Friedrich an den Prinzen Heinrich: „Wir haben hier einen Herrn von Mirabeau, den ich nicht kenne. Er >vird heule zu mir kommen. Soweit ich ihn zu beurteilen vermag, ist er einer jener entnervten Satiriker (un de ces effemine satiriques), die für und gegen jedermann schreiben. Man sagt, daß dieser Mann eine Zuflucht in Rußland suchen will, um von da aus ungestraft seine Bosheiten gegen sei» Vaterland zu schleudern." Die Audienz verlief ziemlich günstig für Mirabeau. Rur fühlte er sich durch die physische Schwäche des Königs peinlich berührt und wagte deswegen die Unterredung nicht allzulange aus¬ zudehnen, die unter anderen Umständen, wie er sich später äußert, sein Glück gemacht haben würde. „Dieser außerordentliche Mann," fügte er hinzu, „wird bis an sein Ende herrschen, und die Sonne möge dieses Ende möglichst weit hinausschieben." Beim Abschiede liegt Mirabeau durchblicken, daß er nach Petersburg gehen würde, wenn mau ihm nicht gestatten würde, seine Fähigkeiten in Berlin zu bethätigen. Schon am nächsten Tage wird er deutlicher. Er schreibt an den König, er würde nur notgedrungen nach Rußland gehen; „ich würde gewiß nichts dieses rohe Volk und diese milde Gegend (cette nation ebauchee et cette contree sauvage) auf¬ suchen, wenn es mir nicht schiene, daß Ihre Regierung zu voll¬ ständig eingerichtet sei, als daß ich mir je schmeicheln dürfte, Ew. Majestät nützlich zu werden. Ihnen zu dienen und nickt müßig in den Akademien zu sitzen, wäre ohne Zweifel das vornehmste Ziel meines Ehrgeizes, Sire. Aber die Stürme meiner ersten Jugend und die Enttäuschungen, die ich in meinem Vaterland, erleben mußte, haben meine Gedanken zu weit von diesem schönen Plane entfernt, und ich fürchte sehr, daß eS zu spät." Am 28. Januar antwortete Friedrich zurückhaltend: „Sie können übcrzeugt sein, daß ich stets an dem Schicksal eines Mannes von Ihrem . k Verdiensten Anteil nehme, indem ich von ganzem Herzen wünsche, daß es sich auf das günstigste und Ihren Hoffnungen gemäß gestalte." So ivaren Mirabeaus Erwartungen, iu Preußen einen Wirkungs¬ kreis zu finden, getäuscht. Er hielt sich zwar noch ungefähr drei Monate in Berlin auf, hauptsächlich jedoch, um Stoss zur Abfassung seiner Histoire de la Monarchie prussienne zu sammeln. Er suchte zu diesem Zwecke Zutritt zu dem Prinzen Heinrich, was ihm auch gelang, ebenso zu den Minister» und andern hohen Beamten, sowie zu den fremden Diplomaten, knüpfte Beziehungen zu dem Major Mauvillon, zu Dohm, zu Nicolai au und war ans das angestrengteste thätig. Gegen Mitte April war er mit seiner Arbeit fertig; er schützte iu einem Briefe an den König vom 14. April unvorhergesehene Umstände und eine schwere Erkrankung seines Vaters, die ihn nach Frankreich zurückriefe», vor, machte noch einmal eine Anspielung auf seinen Wunsch, in preußische Dienste zu treten und schloß mit dem Ansdruck ewiger Dankbarkeit, Ergebcnheit und Verehrung. Friedrich blieb taub gegen sein Aner¬ I bieten, bewilligte ihm aber gütig am 17. April eine Abschiedsaudienz, die ungeführ eine Stunde dauerte. Mii einer umfassenden Kenntnis aller Verhältnisse in Preußen ausgerüstet, traf Mirabeau am 22. Mai wieder in Paris ein und suchte den Abbe von Perigord, den späteren Fürsten Tallcyrand auf, der schon damals eine sehr einflußreiche Stellung bei Hofe einnahm, ohne jedoch in seinem Ehrgeiz befriedigt zu fein. Mirabcau letzte ihm auseinander, daß er, der in engen Beziehungen zu dem ^ ßrinze» Heinrich, dem Herzog von Braunschweig und anderen ein¬ flußreichen Persönlichkeiten stehe, der geeignete Mann sei, Frankreich in Berlin bei dem bald zu erwartenden Tode des Königs zu ver¬ treten, und daß er hoffe, bei dieser Gelegenheit Frankreich die wichtigsten und wertvollste» Dienste leisten zu können. Der Abbe ging darauf ciu, zumal er schon aus anderer Quelle wußte, daß Prinz Heinrich mit dem Grafen Esterno unzufrieden war, und empfahl Calonne die Sendung MirabcauS. Dieser stimmte zu, nachdem Mirabeau einen vom 2. Juni 1786 datierten Bericht über die augenblickliche Lage Europas eingereicht hatte, in dem er mit vielem Scharfsinn und vielem Freimute die gegenteiligen Be¬ strebungen Oesterreichs und Preußens, die holländischen Wirren, die Haltung Englands und endlich die ungünstige Lage Frankreichs all diesen Momenten gegenüber beleuchtete. Mau kam unter Billigung von seiten Bergenncs überein, daß Mirabeau als Ge¬ heimagent nach Berlin gehen und von da aus fortlaufende Berichte einsenden sollte. Diese sollten zunächst an den Abbe von Perigord gehen, der sie entziffern sind umarbeiten sollte. Dann sollten sie au Calonne gehen, diese« sollte sie weiter au Bergenues geben, der sie dann dem König unterbreiten würde. Diese Berichtcrstatt» >g erstreckte sich vom 5. Juli 1786 bis zum 19. Januar 1787 \\M umfaßt im ganzen 66 Briefe. Bekannt ist ein großer Teil von ihnen geworden durch die unerhörte, unter der für Mirabeau schnachvollsten Umstanden erfolgende Veröffent¬ lichung im Jahre 178Mes ist die berüchtigte Historie secrete de ■

I

t

Trotzdem sich Mirabeau die Herausgabe hatte bezahlen lassen, besaß er doch die Stirn, seine Urheberschaft zu leugnen und die alberne Komödie eines Einbruchs bei seinem Sekretär, wobei die Papiere gestohlen worden seien, für Wahrheit auszugeben. Niemand glaubte ihm jedoch.*) Es war ein unge¬ heurer Skandal, wiederum ganz würdig des Namens Mirabcau. Denn nicht nur, daß die skandalösesten Ereignisse am Berliner Hofe mit widerlichem Cynismus offen besprochen wurden, Prinz Heinrich, die festeste Stütze des preußisch-französischen Einernehmens, war darin auf das gehässigste geschildert worden und befand sich zum Unglück zur Zeit des Erscheinens des Buches gerade in Paris. Obgleich er selbst über die Angriffe sehr gelassen blieb, glaubte doch der Pariser Hof, es ihm schuldig sei» zu müssen, das Buch öffentlich durch den Henker verbrennen zu lasse». Obgleich noch verschiedene Ausgabe» des Briefwechsels ver¬ anstaltet wurden, ist eine vollständige Veröffentlichung doch erst jetzt erfolgt: La mission secrete de Mirabeau ä Berlin

la cour de Berlin.

1786—1787 d’apres les documents originaux des Archives des Affaires etrangeres. Avec introduction et notes par Henri Welschinger. Paris, Librairie Pion, E. Pion, Nourrit et Cie., imprimeurs-editeurs. 1900. Die hier gebotenen Aktenstücke sind in ihrer Gesamtheit zwar nicht unbekannt geblieben, sie sind von zahlreichen Forschern ein¬ gesehen und benutzt worden, unter anderen auch von Stern in seinem umfassenden Werk über Mirabeau; aber dem größeren Publikum sind sie hier zum ersteninal zugängig gemacht worden, und Welschinger hat recht, wenn er behauptet, daß von allen Schriften Mirabeaus diese trotz ihrer zahlreichen Geschmacklosig¬ keiten, ihrer Uebertreibungen und des in ihr nur zu oft sich bekuudendeu Cynismus am ehesten einen Neudruck verdient, weil in keiner andern die Genialität des großen Franzosen in Beobachtung und Darstellung so deutlich zu Tage tritt wie iu ihr. Die Ausgabe ist mit der erdenklichsten Sorgfalt hergestellt worden. Durchgängig hat Welschinger den Wortlaut der ersten Ausgabe mit den von Mirabeaus eigener Hand geschriebenen Entwürfen verglichen, die sich, wie auf dein Titel des Buches erwähnt, im Archiv des Ministeriums der auswärtige» Augelegeuheiteu in Paris befinden. Die einzige Abweichung besteht in der Ersetzung der veralteten Orthographie durch die jetzt gebräuchliche. Außer dem berichtigten alten Text enthält die neiw Ausgabe bisher unveröffentlichte Briefe von Mirabeau und Tallcyrand, außerdem mehr als vierzig Stellen, die von Mirabeau unterdrückt worden waren, von denen fünfzehn den Umfang von ganzen Briefen erreichen. Von großem Interesse ist ferner die Veröffent¬ lichung einiger Briese in der Form, die ihnen von Tallcyrand gegeben worden ist, ehe sie dem Generalkontrolleur der Finanzen, dein Minister der auswärtigen Angelegenheiten und endlich dem König selbst vorgelegt wurden. Im Anfang werden noch einige wichtige, bisher unbekannte Schristflücke abgedruckt, so das Bruch¬ Tallcyrand stück eines sehr interessanten Brieses von Mirabcau an (vom 14. März 1787), worin er die Grundgedanken seines Werkes über die preußische Monarchie entivickelt und sich mit großer Offenheit über die Hoffnungen ansspricht, die er für seine Person an seine Sendntig nach Berlin geknüpft hatte, und neben einigen anderen Aktenstücken, die sich ans die knrische und holländische Frage be¬ ziehe», mehrere hier zum erstenmal veröffentlichte Depeschen von Berlin, die sich auf die Veröffentlichung der Historie secrete beziehen, und endlich einige amtliche Berichte des französischen Gesandten in Berlin, des Grafen von Esterno, die zur Vervoll¬ ständigung und Prüfung der Briefe Mirabeaus dienen können. Außerdem hat Welschinger auf Grund der Originalberichte die Namen, die iu den bisherigen Ausgaben nur durch die Anfangs¬ buchstaben angedeutet waren, vervollständigt und den Briefen kurze Erläuterungen beigegeben, in denen er auf die Bemerkungen des Barons von Trenck zu Mirabeaus Briefen Bezug nimmt und die nötige» Aufklärungen über die erwähnten Personen giebt. Schließlich berichtet Welschinger über das Schicksal der Originalhandschriften. Danach sind sie von Mirabeau seinem vertranten Freunde, dem Grafen von La Marck, letztmillig vermacht worden; dieser hinterließ sie seinerseits dem Herrn von Baeourt; nach dessen am 28. April 1865 erfolgten Tode gelangten sie in das Archiv *) Wir führen nur das Urteil des Briefwechsels zwischen Grimm und Diderot an (Gvrrespondance litteraire, philosophique et critique de Grimm et Diderot, Tome IV): „Ties ist vielleicht," heitzt es hier unter anderem, „das unbegreiflichste und frechste Buch, das man je zu veröffentlichen gewagt hat. Wir erwähneil es auch nur, nm

Entrüstung zu überliefern. Es genügt, ein Dutzend Seiten dieses nieder¬ trächtigen Briefwechsels zu lesen, nm zu sehen, das; es ganz einfach die Berichte sind, die der Graf von Mirabeau während seines Aufenthalts in Deutschland an Herrn von Calonne und den Herzog voir Lanzun gesandt hat." Tann wird gesagt, Mirabeau habe sich nicht gescheut, betrauen sich gegen Bezahlung mit dem Gewerbe eines gemeinen Spions am Berliner Hofe Subalterne zu lassen (de 8e scfiarger d'aller exercer a juste prix le metier d’espiou ä la Cour de Berlin). . . . Was aber alle Begriffe übersteigt, ist, das; sich ein Mann von Geist und Begabung findet, der mit der Niedrigkeit, die ein solcher Auftrag voraussetzt, die Unverschämtheit verbindet, ihn ganz offen einzngestehen. und daß er sich nicht scheut, das ihm anvertraute Geheimnis, die heiligsten Rechte der Gastfreundschaft und die Rücksichten zu verletzen, die man mit der peinlichsten Gewissenhaftigkeit der Freundschaft und erwiesenen Wohlthaten schuldet." In der Folge wird noch von der „Frechheit seiner Urteile über die ersten Personen Europas" gesprochen und von der „Unverschämtheit der Erzählungen, die er die berichtet oder erfindet, um sie zu rechtfertigen", ferner, das; er „ohne Scham und Scheu fürstlichen Personen selbst, von denen er eingesteht, die augenfälligsten Beweise ihres Wohl¬ Niederträchtigund „Ungeheuerlichkeiten den endlich von wollens erhalten zu haben, anfalle", infamies qm leiten", von denen die zwei Bände erfüllt seien (les horreurs et les rempUssent. ces doux volumes). es der allgemeinen

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wo sie mit Adoptivsohn, Lucas von Montigny, pietätvoll aufbewahrt und 1885 unter dem Ministerium Jules Ferrys bei der Versteigerung der.Sammlung von Dnbrunfaut für 3000 Franks angekauft worden sind, einen der ivcrtvollsten Schätze des Archivs bilden. Bekannt ist die unendliche, beinah schwärmerische Verehrung, die Mirabeau für Friedrich den Großen empfand. In seinem Werke über die preußische Monarchie heißt es über den König: „Nie war ein Sterblicher mehr zur Herrschaft berufen als er. Er wußte es und schien sich für die allgemeine Weltseele zu halten. Friedrichs Leben endete am 17. August 1786, seine Regierung erst Nachdem er die Teilnahmlosigkeit der Be¬ am Tage vorher." völkerung Berlins gerügt hat, fährt er fort: „Es ist also die sicherste Berechnung des einzelnen, gut zu sein. Es ist das einzige des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten, de» übrigen Manuskripten Mirabeaus, die von dessen

zu werden! Ja, aber wagen wir die Behauptung! die Güte allein wird au der höchsten Stelle einem Volke niemals wahrhaften Segen bringen. Um es zu erneuen, um es zu ver¬ größern, um es zu erheben, und um es glücklich zu mache», kommt es viel mehr darauf an, Gehorsam als Liebe zu finden. Der Mensch haßt ohne Zweifel die Unterdrückung; aber er will geleitet werden. Der Gerechtigkeit ist ihm wichtiger als die Güte, die, in hoher Stellung gewährt, ihn oft verletzt, und der Fürst, der um die Gunst seines Volkes buhlt, wird niemals die Bewunderung der Nachwelt finden. Einen auffallenden Gegensatz zu Mirabeaus gcist- und lebcnssprühenden Berichten bilden die trockenen und rein gcschäftmaßigen Schreiben, die der offizielle französische Gesandte in Berlin, Graf von Esterno, nach Paris gelangen ließ.

Mittel, geliebt

Paul Seliger

(Leipzig-Gautzsch).

Die Belagerung der Gesandtschaften in Peking DMls im Mai die Boxerbewegung einen bedrohlichen Charakter ankEM» nahm, erbat der ermordete Gesandte Frhr. v. Kettcler vom Gouvernement Kiautschou dringend die Entsendung eines Hilfs¬ korps. Dasselbe ging sofort in Stärke von 50 Mann vom 3. See¬ bataillon unter Führung des Oberleutnants Grafen v. Soden an Bord des großen Kreuzers Kaiserin Augnsta von Tsingtau nach

Aisred Gras v. Soden, Führer

des dcmschen Echuhkommandos.

Taku in See und traf Ende Mai in Peking ein. Die deutsche Abteilung fand die Hauptstadt bereits im vollen Aufruhr. Ueber die weiteren Schritte dieses Detachements und der deutschen Gesandtschaft hat Graf v. Soden einen Bericht an den Gouverneur von Kiautschou erstattet, den letzterer am 24. August in nachstehendem Auszug nach Berlin telegraphiert hat: „Am 21. Juni wurden die Feindseligkeiten gegen die Gesandtschaft er¬ öffnet, diese am 22. Juni infolge Mißverständnisses geräumt und die Uebersiedelung nach der englischen Gesandtschaft vollzogen. Kurze Zeit darauf wurde die deutsche Gesandtschaft wieder besetzt; die österreichische und die italienische waren inzwischen abgebrannt. Von da ab war das deutsche Schutzkommando unaufhörlich im Gefecht gegen chinesische Truppen des Tnnafuhsiang und Junglu. Vom 16. Juli bis 9. August war Waffenstillstand. Das Deta¬ chement besetzte während dieser Zeit den neben der deutschen Ge¬ sandtschaft in der Straße der Legatioucn gelegenen Klub, den Frhr. v. Kettcler zu jener Zeit ins Leben gerufen hatte, da er noch Attachs in Peking war. Bis zum 14. August litten die Deutschen unter mörderischem Feuer aus nächster Nähe. Am 14. wurde in der Frühe Geschütz- und Gcwchrfener außerhalb der Stadt hörbar. Die^ Chinesen verließen nachmittags ihre Stellungen, als ein indisches Regiment erschien. Das Detachement ging nun vor und besetzte das Haitethor, erbeutete acht Kanonen, eine Fahne, viele Waffen und Munition. Nur 25 Mann hatten mehr als 1000 gegenübergestanden, von denen über 200 gefallen sind. Die Seesoldaten haben sich hervorragend benommen; alle Europäer haben ihre Ruhe, Unerschrockenheit und ihr gutes Schießen bewundert. Gefallen sind elf, verwundet zwölf Mann, alle übrigen sind gesund."

Nach Empfang dieses Berichts sandte der deutsche Kaiser sofort ein Telegramin an den Grafen v. Soden, in dem er ihm und seinen Mannschaften die herzlichsten Glückwünsche zum guten Erfolg der heldenhaften Ausdauer anssprach, dem tapferen Offizier den Roten Ädlervrden 4. Klasse mit Schwertern verlieh und zu Vor¬ schlägen behufs Dekoration der braven Mannschaften aufforderte.

LrulNÄNk Ulrich v. Lorsch, zur

deutsche» Gejandtschuft koiniiumdiert.

Der heroische Führer des Schutzkommaudos, Oberleutnant Alfred Graf v. Soden, ist am 9. Dezember 1866 zu Reustädtles im bayrischen Regierungsbezirk Unterfrankeu geboren und im Januar 1887 in die Armee eingetreten. Er wurde im folgenden Jahr Leutnant und im Dezember 1895 Oberleutnant. Im Herbst 1897 wurde Graf v. Soden nach China kommandiert als Führer des Seesoldatenkommaudos an Bord des Kreuzergeschwader-Flaggschiffes Kaiser und wenige Monate später der 1. Kompagnie des 3. See¬ bataillons zugeteilt. Nachdem er vom August 1898 bis Februar 1899 zweiter Adjutant beim Gouvernement in Kiautschou gewesen war, kehrte er im April v. I. mit dem Dampfer „Darmstadt" in die Heimat zurück und that wieder beim 1. Seebataillon Dienste, bis er im letzten Frühjahr zum zweitenmal nach Ostasien ging. Hier verblieb er, bis ihm, dem ältesten Leutnant des Bataillons, der Befehl über die Pekinger Schutzabteilung übertragen wurde. Nach der Ermordung des Frhr. v. Kettcler war die Leitung der Geschäfte der deutschen Gesandtschaft deren erstem Sekretär, Claus v. Below-Saleske, zugefallen. Dieser, im November 1888 in den Staatsdienst getreten, war anfangs Kammergcrichts-Resereudar, wurde 1894 Legationssckrctär beim Generalkonsulat in Kairo, kam 1896 zur Botschaft in Konstantinopel, 1897 als zweiter Botschafts¬ sekretär nach Madrid und im Januar 1899 als Gefaudtschaftsals erster Sekretär sekrctär nach Stockholm, von wo er Ende v. au die Gesandtschaft in Peking versetzt wurde. Seit 1892 war v. Below-Saleske königl. preußischer Kainäierjuuker. Der zweite Sekretär der deutschen Gesandtschaft, I)r. v. Bergen, kam 1896 als Attache nach Guatemala, war hierauf Hilfsarbeiter im Ausivärtigen Amt zu Berlin und seit 1899 zweiter Gesandt¬ Leutnant Ulrich v. Loesch, seit dem schaftssekretär in Peking.

I.

591

Innenseite der Ostmaner der Tartarenstadt, ostwärts des Gesandten¬ viertels. Am Tage nach der Einnahme bot Peking ein Bild völliger Verwüstung. Die Gesandtschaftsstraße war kaum wiederzuerkennen. Alle von Fremden bewohnt gewesenen Häuser lagen in Schutt und schönsten Asche. Von der französischen Gesandtschaft, einem der Gebäude der Stadt, standen am 15. nur noch Teile der Umfassungs¬ mauern, und auch diese sahen aus wie Siebe, so ungeheuer war das ans die Gesandtschaften gerichtete Feuer gewesen. Die italienische Gesandt¬ Flächen schaft ist nur »och kenntlich an einigenGrenzmauern. Auf weite hin sind die Häuser der Eingeborenen Gebäude, die dem niedergebrannt. Feuer standhielten, sind ans reiner Vernichtnngswnt niedergerissen worden. Die Fläche der Stadtmauer bot ein seltsames Bild. Alle dreißig Meter stieß man auf Barrikaden, die aus Steinen und Sand¬ Die Chinesen säcken errichtet waren.

I.

zur Gesandtschaft iu Peking kommandiert, wurde am 6. März 1874 zu Obcrstephansdorf in Schlesien geboren und am 27. Januar 1896 beim 2. Schlesischen Dragonerregiment Nr. 8 König Friedrich III. Offizier. Seit September 1898 stand er, mit den Vorbereitungen zum Eintritt in den diplomatischen Dienst be¬ schäftigt, ä la suite des Regiments. Auch der in Peking ein¬ geschlossen gewesene Stabsarzt Dr. Gustav Velde von der deutschen Gesandtschaft hat seinem in Frankfurt a. M. lebenden Vater seine Errettung telegraphisch mitteilen können. — Den Schauplatz der vom 21. Juni bis zum 14. August mit nur einer größeren Unterbrechung um die Gesandtschaften tobenden Kämpfe schilderte der frühere chinesische Zolldirektor L. v. Fries in Presse" folgender¬ der „Neuen Freien ' „Die Gesandtschaften der maßen: fremden Mächte sowie das Generalinspektorat der Seezölle liegen innerhalb der großen Umfassungsmauer der Stadt,

1. Januar b.

glücklicherweise ziemlich geschlossen, bei¬ Gegenüber dem Generalsammen. inspektorat ist die österreichisch-ungarische Gesandtschaft auf einem Platz erbaut, wo sich früher ein einem Mandarinen gehöriges Palais mit Tempel befand) sie ist vom Jnspcktorat nur durch eine schmale Gasse getrennt. Vom Park des Jnspektorats, in dem außer dem Palais des Sir Robert Hart noch mehrere Häuser der verschiedenen Sekretäre liegen, kann man durch eine Pforte in den Park der französischen Legation kommen, die bereits in der Gesandt¬ schaftsstraße liegt. An die französische Gesandtschaft schließt sich unmittelbar die belgische, deren Garten ebenfalls noch an die Rückseite des Parks des Gegenüber Zolliuspcktorats grenzt. Llsus v. Vrlotv-Sslrskc, erster der französischen und der belgischen Gesandtschaft liegen in Seitengassen das Klubhaus mit Eislaufplatz und in der Gesandtfchaftsstraßc selbst das deutsche Palais, während sich unmittelbar an die belgische Bon letzterem angeschlossen die russische Gesandtschaft befindet. Palais ab wendet sich die GcsandtschaftSstraße in scharfem Winkel rechts und wird hier von einem Kanal durchzogen; in diesem Teile der unsanberen Straße befindet sich die prächtige, weitläufige

I»r. d.

Vrrgrn,

hatten den Versuch gemacht, die ameri¬ kanische Gesandtschaft in die Luft zu sprengen. Am 15. brannten die Ver¬ bündeten mehrere Stadtthore nieder; überall in der Stadt flammten Feuer auf. Mehrere Gebäude der kaiserlichen Stadt wurden von den alliierten

Truppen in Brand geschossen. Nach dem Bericht des Grasen v. Soden hat das deutsche Detachement mit den Tnngfuhsiangs chinesischen Truppen

kämpfen gehabt. Bekenner des Islams, machte sich bekannt durch die Grausamkeit, mit der er seine 1896 zum Aufstand übergegangenen Glaubens¬ genossen in der Provinz Kaufn nieder¬ warf. Die 9000 Mann starken Truppen Tnngfuhsiangs, alle von glühendem Sekretär bei der deutschen Gesandtschaft. Fanatismus gegen die Fremden beseelt, wurden 1898 nach Peking herangezogen, dann aber auf Betreiben des diplomatischen Korps von der Hauptstadt weiter weg verlegt. Junglu, ein etwa 50 Jahre alter vornehmer Mandschu, bis 1898 Generalgouverneur in Tientsin, wurde im Dezember 1898 zum Oberbefehlshaber aller Truppen in der Provinz Petschili ernannt. Nur die ungefähr 10000 Mann starken, aus Baunerlenten formierten Pekinger Feldtrnppen unter

zweiter Sekretär bei der deutschen Gesandtschaft.

britische Legation. Dieses ganze, ziemlich eng begrenzte Gebiet ivird nun von der Stadtmauer, einem monumentalen Bau, voll¬ ständig beherrscht, von einer Mauer, die die Höhe eines mehr¬ stöckigen Hauses und eine Breite hat, daß zwei Geschütze gemächlich iiebeucinanderfahren, ja sogar manövrieren können. Das Betreten dieser Mauer war bis vor etiva 20 Jahren den Fremden gestattet; damals erwirkte jedoch der Einfluß chinesischer Mandarine ein Ver¬ bot, und zwar ans dem Grunde, weil man von der Mauer herab das Treiben in der Hochschule, der Sternwarte und den Häusern verschiedener Würdenträger aus der Vogelschau betrachten konnte, ivas diese Herren genierte. Das Observatorium liegt auf der

W lüg

i

*

.

und

Junglus

Tungfuhsiang,

Slabsarzk

vr. Gustav

Velde, der Arzt der

zu

selbst

deutschen Gesandtschaft.

dem Kommando des Prinzen Tsching, die später gegen die Boxer Partei ergriffen, wurden nicht dem Oberbefehl Junglus unterstellt.

Der größte Teil der Streitkräfte Junglus, vielleicht 30000 Mann, machte gemeinschaftliche Sache mit den Aufständischen. An Feldartillerie waren bei Ausbruch des Krieges bei den chinesischen Feld¬ truppen in Petschili etwa 60 Kruppgeschütze von 7,5 bis 9 cm Kaliber und etwa 40 Grusonsche Gcbirgsgcschütze vorhanden. Die Infanterie aller dieser Truppen war schon 1898, als sie Admiral Lord Charles Bcresford besichtigte, ganz überwiegend mit Mausergewehren bewaffnet, doch waren damals, vor kurzem fast überall, an Stelle der deutschen Jnstructcure russische Offiziere getreten.

592

^edilletor) des

J§äp.

Pskep and Sol)y. Erzählung von

Freiherr von Schlicht. (Nachdruck verboten.)

it

großen,

erregten Schritten

ging der Fabrikbesitzer

und Kommerzienrat Golliner in seinem Arbeitszimmer auf und ab und warf von Zeit zu Zeit einen Blick auf seinen Sohn, der mit halb ängstlichen, halb bittenden und flehenden Augen jeder seiner Bewegungen folgte und sich bemühte, aus dein Gesichtsausdruck seines Vaters dessen Ge¬ danken zu lesen. Jetzt blieb der Kommerzienrat vor seinem Sohn stehen, und deutlich trat dabei die äußere Verschiedenheit der beiden zu Tage. Der Kommerzienrat war von kleiner, untersetzter Gestalt, breit, stark und muskulös, er bot das Bild eines Mannes, der in seinem Leben nicht nur geistig, sondern auch körperlich stark gearbeitet hatte. Aus feinem bartlosen Gesicht mit der hohen Stirn und den klugen, Hellen, blitzenden Augen sprach eine eiserne Energie, die vor keinem Hindernis zurück¬ schreckt. Seine ganze Erscheinung mußte auf jeden Fremden zuerst einen etivas abstoßenden Eindruck machen, man hatte das Empfinden: „mit dem Mann möchtest Du im Bösen Und in der That ivar der nichts zu thun haben." Kommerzienrat von einer Heftigkeit, von einem Jähzorn, die in der ganzen Fabrikgegend fast sprichwörtlich ivaren. Er duldete keinen, auch nicht den geringsten Widerspruch, er ver¬ langte, daß man seinen Anordnungen blindlings Folge leiste und war unerbittlich gegen diejenigen, die sich etwas zu schulden kommen ließen — andrerseits war er aber auch von einer großen, natürlichen Gutmütigkeit und hatte für Seine die Armen und Kranken stets eine offene Hand. Heftigkeit und sein maßloser Jähzorn zeigten sich nicht nur im geschäftlichen, sondern auch im privaten Verkehr: auch dort wollte er der erste sein und seine Ansichten und Anschauungen immer zur Geltung bringen. Nicht immer gelang ihm dies, die Zahl seiner Feinde nahni stets zu, und Leute, die den Kommerzienrat nur oberflächlich kannten, die sich nicht die Mühe gaben, den goldenen Kern aus der rauhen Schale hervorzusuchen, hielten ihn für einen Menschen, niit dem man nicht umgehen könne. So fühlte er sich einsam und verlassen trotz seines Geldes, trotz seiner Besitzungen, trotz der zahllosen Ehrenämter, die er bekleidete, zumal er schon vor vielen Jahren das Unglück gehabt hatte, seine Frau zu verlieren. Trotzdenl er auch ihr durch seine Heftigkeit oft das Leben fast unerträglich geniacht hatte, ivar sie ihm sein Ein und Alles gewesen, und erst seitdem er seine Gattin verloren, hatte er seine ganze Liebe auf seinen Sohn übertragen, der nach seiner Meinung früher oft trennend zwischen ihm und seiner Frau gestanden hatte, da die Mutter immer, oft gegen ihre bessere Ueberzeugung, die Partei des Knaben ergriff, um ihn gegen die Heftigkeit des Vaters zu schützen.

Richard war in seiner ersten Jugend ein schivaches, zartes Kind gewesen, er hatte viel gekränkelt und erst ganz allmählich hatte sich seine Gesundheit gefestigt. Er war jetzt zwanzig Jahre alt, mittelgroß, schlank und elegant gewachsen, von tadelloser Haltung und untadelhaftcn Manieren; mit dem jugeudfrischcn, rotwangigen Gesicht, den großen, etwas schwärmerischen reh¬ braunen Angen und dem dichten, tiefschwarzen Haar bot er

eine jugendliche Erscheinung, der ein jeder gleich gut sein mußte. Klar und rein wie der Blick seiner Augen, war das Innere seiner Seele, in der kein Falsch, keine schlechten Ge¬ danken Platz hatten; er ivar ein offener, ehrlicher Charakter,

in einem aufgeschlagenen Buch. Immer noch sahen Vater und Sohn sich schweigend in die Augen, als wollten sie sich nicht durch Worte, sondern

in dein nian

lesen konnte wie

nur durch Blicke verständigen. „Vater," bat Richard endlich, „Vater, sei mir nicht böse!" „Böse?" wiederholte der Kommerzienrat, und ein fast gütiges Lächeln umspielte für einen Augenblick seinen Mund, und seine Augen blickten zärtlich auf sein Kind, „warum soll Du hast mir in Deiner Jugend selten ich Dir böse sein? dazu Gelegenheit gegeben, obgleich mir niemand den Borwurf kann, gegen Dich nachsichtig gewesen zu sein. Du mir alle Zeit ein guter Sohn gewesen — mancher andere hätte sich vielleicht als das Kind seines reichen Vaters auf¬ gespielt und es mit seinen Arbeiten und der Erfüllung seiner Pflichten weit weniger ernst genommen. Ein jedes Vermögen kann verloren werden, nur ivas wir an Kenntnissen und Fähigkeiten besitzen, ist ein ganz sicheres Kapital, das unter allen Umständen seine guten Zinsen bringt. Ich habe in machen

bist

früheren Jahren Rücksicht genommen auf Deinen zarten Körper, ich war kein ehrgeiziger Vater, der außer sich geriet, wenn Du einmal sitzen bliebst, und der Dich mit Gewalt durch die Klassen prügelte und jagte; so etivas hat nach meiner Meinung keinen Zweck. Nun hast Du Dein Ziel er¬ reicht, unter der Dispensierung vom mündlichen Examen hast Du Dein Abitur glänzend bestanden. Die Belohnung, die ich Dir zugedacht, eine Reise um die Welt in Begleitung und erfahrenen Mentors, weisest Du zurück, weil Du nicht, ivie ich hoffte, in meine Fabrik eintreten und diese später übernehmen willst, sondern weil in Dir der Ehr¬ geiz wach geworden ist, Offizier zu werden, und weil Du Dir sagst: je eher ich eintrete, desto besser ist es." eines

klugen

rief Richard, „ich habe mich, allerdings ohne Dein Wissen und hinter Deinem Rücken, danach erkundigt. Im Vergleich mit den jungen Leuten, die aus dem Kadettenkorps oder von der Presse kommen, bin ich alt, sogar sehr alt, die meisten sind bereits in meinen Jahren Offizier, noch aber ist es für mich nicht zu spät, zumal infolge der bestehenden Allerhöchsten Bestimmungen die Abiturienten, ivenn sie sich in der Armee gut machen, später vorpatentiert

„Ja, Vater, das

ist es auch,"

werden, um den Jahresunterschied wieder auszugleichen. Noch für mich nicht zu spät, aber länger darf ich auch nicht zögern, und deshalb bitte ich Dick noch einmal: erlaube mir, Offizier zu werden, gestatte mir, den Beruf zu ergreifen, der

ist es

und begehrenswerteste erscheint. Glaube mir, Vater, ich werde Dir und dem Rock, den ich in Zukunft trage, Ehre niachcn. Und auch noch einmal die Bitte: zürne mir nicht, daß unsere Gedanken über meine Zukunft so weit

mir als der

schönste

auseinander gehen." Wieder ging der Kommerzienrat in seinem Zinimcr erregt auf und ab, die Worte seines Sohnes waren trotz aller Liebe

zu seinem einzigen Kind doch nicht ganz nach seinem Herzen, und nur schwer bezwang er sich zur Ruhe, nur gewaltsam kämpfte er seinen Zorn, seine Heftigkeit nieder. Aber er

wollte ruhig bleiben, und es gelang ihm.

Er ließ

sich

auf

am Schreibtisch nieder und blickte noch einen Augenblick sinnend vor sich hin; dann sprach er: „Mein lieber Sohn, alles, was Du mir sagst, erzürnt mich nicht; aber es betrübt mich. Wenn Du mich danach ruhiger siehst, als Du es vielleicht erivartetest, so liegt der Grund hierfür darin, daß ich mich schon seit langer Zeit über Deine Ab¬ seinen Sessel

neigung gegen meinen Beruf und gegen meine Thätigkeit nicht täuschte. Ich hab's gewußt, daß diese Stunde kommen würde; nun ist sie da, und ich will Dir offen und ehrlich meine Ansicht sagen, Dir auch manches mit¬ teilen, was Du bisher vielleicht noch nicht wußtest. Ich bin ein Mann aus dem Volk. Mein Vater war ein Fabrik¬

arbeiter, der glücklich ivar, wenn cs ihm in der Akkordarbeit gelang, am Sonnabend abend als Lohn für- eine saure Woche dreißig Mark niit nach Haus zu bringen, um meine Mutter und uns fünf Kinder zu ernähren. Daß ich da nicht eine Schulbildung genießen konnte, wie sie Dir zu teil geworden Auf Holz¬ ist, brauche ich wohl nicht besonders zu betonen. pantoffeln und in den abgelegten Kleidern der älteren Brüder, die später alle nach drüben auswanderten und ihr Glück machten, ging ich in die Volksschule, und mit sechzehn Jahren trat ich als gewöhnlicher Arbeiter in eine Eisenfabrik ein. Zehn Jahre, deren ich mich nicht schäme, und die die Grund¬ lage meines späteren Lebens bilden, habe ich dort zugebracht — vom frühen Morgen bis zum Feierabend habe ich dort hart körperlich gearbeitet und dann zu Haus die Abendstunden benutzt, um meine Kenntnisse zu bereichern. Vom Lehrling avancierte ich nach und nach zuni Maschinenmeister, und in dieser Stellung war das Glück mir günstig, denn die meisten großen Erfindungen verdanken einem Glückszufall ihre Ent¬ stehung. Unsere große Bohrmaschine erwies sich bei einem großen Auftrag, den wir zu erledigen hatten, als ungeeignet — sie arbeitete zu langsam, und sic ivar zu schivach, um die harten Eisenmassen zu bewältigen. Eine neue Maschine mußte angeschafft werden, aber die Direktoren erschraken vor den großen Unkosten, sie zögerten und zauderten, zumal keine der Maschinen, die ihnen angeboten wurden, ganz ihren Er-

wartungen entsprach.

Da machte ich den Vorschlag, die alte Maschine für einige Zeit außer Betrieb zu setzen und nach meinen An¬ ordnungen umzuändern; nach meiner Meinung war cs einen besseren und — nicht umsonst herbeizuführen schnelleren Gang des Werkes hatte ich jahrelang die Maschine bedient und mich eingehend mit ihr beschäftigt. Nach einigem Zögern wurde niein Vor¬ schlag angenommen, und ich machte mich an die Arbeit; der

möglich,

dem Schaden leicht abzuhelfen,

Erfolg war geradezu überraschend,

ich

wollte nur eine Aen¬

derung vornehmen und machte eine Erfindung, deren Trag¬ iveite für den ganzen Maschinenbau gar nicht abzusehen ivar. Meine Direktoren ivarcn edel genug, mir meine Erfindung nicht streitig zu machen, im Gegenteil, sie halfen mir, ein Patent zu erlangen und unterstützten mich in jeder Weise. Sie wollten mich für immer au sich fesseln, aber bald traten andere kapitalskräftige Herren an mich heran, und nach einem Jahr gründeten mir diese Fabrik, deren Leiter und Mitbesitzer ich

ivurde.

Aus den kleinsten Anfängen haben mir die Fabrik zu was sic heute ist — mit kaum fünfzig Ar¬

dem gemacht,

beitern fingen wir an, heute beschäftige ich Tausende; ich habe die Herren, die mir zu Beginn halfen, später ausgezahlt, heute ist alles mein Eigentum — aus eigener Kraft habe ich

gemacht, der ich heut bin. Das Glück ivar und blieb mir treu; zu der ersten Erfindung gesellten sich neue, logisch ergab sich eine Aenderung und Verbesserung aus der andern, und die Ausdehnung der Fabrik ivuchs von Jahr zu Jahr. Ich bin ein reicher Mann, aber ich bin es nicht geworden ohne harte Arbeit, nicht ohne große Entbehrungen. Nur wer spart, nur wer ivcniger ausgiebt, als er verdient, bringt es zu etwas. — Als ich schon viele Tausende besaß, habe ich nicht viel anders gelebt, als zu der Zeit, da ich ganz arm war. Ich war es nicht anders gewöhnt, und meine Frau, Deine Mutter, auch nicht — sie war, ivie ich, mich zu dem

aus dem Volk.

als ich sie gewöhnliche Arbeiterin, heiratete, aber ich hätte keine bessere Frau, Dir keine Treu hat sie in den schweren bessere Mutter haben können. Tagen zu mir gehalten, für sie hab ich gearbeitet, und für Dich und Euretwegen freute ich mich auch über die Orden und Titel, über die äußeren Auszeichnungen, die mir zu teil wurden; ich selbst lege gar keinen oder doch nur geringen

Sie

war

eine

Wert darauf, wenigstens haben sie mich nicht stolz und hoch¬ mütig gemacht. Moltke war es, der einmal sagte: „Wenn man viele, viele Jahre ein armer Teufel ivar ivie ich, so geivöhnt nian sich auch später, wenn man über größere Geld¬ mittel verfügt, schwer an das Geldausgeben, da bleibt man auch im Alter, wie man in der Jugend war." Ich möchte das Wort etwas variieren und sagen: „Wer so lange ein gewöhnlicher Arbeiter, ein Mann aus dem Volke ivar, ivie ich, der bleibt es mit seinem Fühlen, Denken und Empfinden auch später. Wenn ich zu Hofe befohlen ivcrdc, wenn mir die Auszeichnung zu teil wird, an der Tafel meines Landes¬ herrn speisen zu dürfen, so bin ich mir der Ehre und der Auszeichnung wohl bewußt; glücklich aber bin ich erst, ivenii ich dem Parkett entronnen und mich wieder unter meinen Arbeitern beivcge, zu dciren ich gehöre, mit denen ich mich eins weiß. Und nun kommst Du und bittest mich um Erlaubnis, Offizier werden zu dürfen — ich will Dich nicht länger im Ungewissen lassen, ich erfülle Deinen Wunsch, denn ich glaube es nicht verantworten zu können, mein einziges Kind zu zwingen, einen anderen, ihm unsympathischen Beruf zu ergreifen." Richard ivar aufgesprungen und schlang stürmisch die Arme um den Hals seines Vaters: „Wie soll ich Dir danken?

Nicht mit Worten, nur durch die That kann cs geschehen — Du wirst es nie bereuen, mir Deine Einivilligung gegeben zu haben." Zärtlich strich der Vater mit der harten, auch heute noch schwieligen Rechten über das dichte, weiche Haar seines Sohnes; dann sagte er: „Höre mich noch einen Augenblick an. Nicht leichten Herzens gebe ich meine Zustimmung, und ich null Dir meine Bedenken nicht vorenthalten. Zunächst glaube ich nicht, daß es Dir sehr leicht werden wird, ein gutes, altes Regiment zu finden — für viele, viele Leute, die engherzig urteilen, die zum Teil auch mit Neid und Mißgunst auf meine Erfolge blicken, bin ich weiter nichts als ein Parvenu — ich bin stolz darauf, daß ich es im guten Sinne des Wortes bin, aber die meisten deuten das Wort gehässig — und wer weiß, ob nicht auch die Offiziere, denen Tu beizutreten Bei aller Anerkennung vor unserem wünschest, so urteilen. Offizierkorps, das im Krieg und im Frieden sich unvergäng¬ liche Lorbeeren geholt hat und noch beständig holt,, kann

von einem bestimmten Kastengeist freisprechen. Verstehe mich recht, dies soll kein Vorwurf sein, eher ein Bismarck hat einst gesagt: Lob, eine hohe Anerkennung. — Alles können die anderen Nationen uns nachmachen, nur

niemand

es

594

nicht den „preußischen Leutnant", und der Mann wußte, Ivas Ohne seinen Kastengeist, ohne seine teilweise vcrer sagte. vcraltetcn Anschauungen beizubehalten, wäre das Ossizierkorps heute nicht mehr das, ivas es ist. Ich ehre und achte die Anschauungen der Offiziere, aber, und das ist für mich der Kardinalpunkt: ich teile sie nicht, und ganz besonders habe ich über den Begriff „Ehre" eine geradezu entgegengesetzte

das Duell verAuffassung. Die Ehrengerichte niögeu iverfe ich, und nach meiner Ansicht wird man durch einen Selbstmord nicht rehabilitiert. Ich habe mich bemüht, Dich nach meinen Anschauungen zu erziehen, und nun nullst Du in Kreise eintreten, denen ich ganz ferne stehe, die mir fremd sind und fremd bleiben werden selbst dann, wenn ich durch sein,

-

Dich fortan noch häufiger als bisher in persönliche Berührung mit ihnen kommen sollte. Du wirst Dich hineinleben, wirst Dich sogar hineinleben müssen in die neuen Ansichten, denen Du begegnest, und ich fürchte, ich fürchte — das wird Dich mir entfremden, wir werden uns eines Tages nicht mehr kommen, in haben." der ich cs bereue, Deinen Wunsch erfüllt zu „Nie, nie Vater, wird dies geschehen," rief Richard fast entsetzt. „Vater, wie kannst Du nur denken, daß so etwas, ivie Du es schilderst, eintreten sollte, wie kannst Du Dich nur mit solchen Gedanken quälen? Wie sollte ich je aufhören verstehen, und vielleicht

ivird

noch

die Stunde

können, Dich zu lieben und zu verehren, wie sollte es möglich sein, daß wir uns sogar fremd würden?" Es klang mehr als Trauer, fast vollständige Verzagtheit aus diesen Worten, und die vor kurzem noch so fröhlichen

Augen ivaren feucht von zurückgehaltenen Thränen. Auch dem Vater wurde weich um das Herz, und liebevoll „Ver¬ zog er den Sohn an sich, um ihm Trost zuzusprechen. zage nnr nicht, mein Junge, vielleicht sehe ich zu schwarz,

vielleicht wird alles besser, als ich denke. — Was ich thun kann, um Dich in Deinem neuen Beruf glücklich zu machen, ivird jedenfalls geschehen. Wir wollen beide frohen Muts

in die Zukunft blicken." Und die Zukunft gestaltete

hell und sonnig. Durch die vielen Beziehungen, die der Kommerzienrat hatte, gelang es ihm ohne Schwierigkeiten, seinen Sohn bei einem vor¬ nehmen Kavallerieregiment anzubringen. Der Kommandeur sich

nahm den jungen Avantageur gern auf, und demgegenüber mußten wenigstens in der Oeffentlichkcit die Stimmen der anderen Offiziere verstummen, die Richard zuerst zwar höflich, aber doch zurückhaltend willkommen hießen. Wie sein Vater es vorausgesehen hatte, so geschah cs: viele verdachten ihm seine Herkunft und betrachteten ihn als nicht gleichstehend. Dazu kam, daß Richard über eine monatliche Zulage verfügte, die selbst für die Verhältnisse des reichen Regiments sehr hoch war, man fürchtete, daß er den „Geldprotzen" herauskehren und sich dadurch, wie die stehende Redensart heißt, „unan¬ genehm bemerkbar" machen würde. Man nahm sich vor, ihn als Avantageur sich gehörig zu erziehen, ihm nicht das geringste durchgehen zu lassen und ihm die militärischen Daumenschrauben

anzulegen — schlug er trotzdem nicht ein, so konnte man ihn ja später, wenn er nach dem Besuch der Kriegsschule zur Offizierswahl gestellt wurde, immer noch an ein anderes Regiment abstoßen — es gab ja Gott sei Dank in kleinen Grenzgarnisoneu noch genug Regimenter, die in ihrem Nach¬ wuchs weniger wählerisch waren. Aber schon nach wenigen Tagen sahen die Offiziere ein, daß alles Reden vor der Zeit, wie so oft, auch hier voll¬ ständig unnötig gewesen war, und schon nach ganz kurzer

Zeit lautete das Urteil über den neuen Avantageur kurz und bündig: „Der wird." Er ließ sich in keiner Hinsicht etwas zu schulden kommen. — Trotzdem er an Jahren älter war als

mancher der jungen Offiziere, folgte er schaftlichen Verkehr jeder Belehrung, Auch in dienstlicher Hinsicht sprechen. nicht das geringste an ihm auszusetzen;

im geselligen und

gesell¬

ohne jemals zu ividcrhatten seine Vorgesetzten er

war diensteifrig,

ge¬

wissenhaft und pünktlich. Im lebte er einfach und bescheiden, jedes Protzen, jedes Renommieren seinem Wesen war er, wie sich das lag ihm ganz fern.

Kasino und außerhalb desselben

In

höflich und zuvor¬ und so Offizicrswahl zur Richard als dachte nach anderthalb Jahren, stand, niemand mehr daran, ihn „abzustoßen" — er wurde einstimmig geivählt, und jeder stimmte dem Kommandeur bei, als dieser sagte: „Meine Herren, ich glaube, wir können uns alle gratulieren, nach meiner Meinung habeit wir in dem

für

einen Avantageur gehört,

bescheiden,

kommend, dabei aber doch munter,

frisch und lustig,

jungen Gollmer eine sehr gute Acqnisition gemacht." Nicht jeder hält als Offizier, was er als Fähnrich zu werden verspricht — Richard aber that es. Selbst die trotz aller herrschenden Strenge doch flotten, freien und fröhlichen Kriegsschulmonate hatten ihn nicht geändert, er kam zurück, wie er gegangen war und wurde ein äußerst tüchtiger Offizier, der sich bei den Vorgesetzten der größten Anerkennung seiner Leistungen und seines Diensteifers, bei den Kameraden sich der größten Beliebtheit erfreute. Seine Briefe, die er nach Hause richtete, verrieten eine zufriedene und glückliche Stimmung, und wenn er bei seinem Vater auf Urlaub weilte, sprach und

erzählte er von nichts anderem als von seinem Regiment. Diensteifrig, erfüllt von Liebe und Begeisterung für seinen Beruf, wie er war, konnte es nicht unterbleiben, daß das Vertrauen seines Kommandeurs ihn eines Tages zum

Adjutanten machte.

Richard konnte

sich

vor Freude über Amt nie er¬

kaum fassen, er hatte dieses

diese Auszeichnung wartet, sich noch weniger jenials durch Augendienerei und Streberei darum beworben; so kam ihm seine Ernennung Sofort schickte er ein und Beförderung völlig überraschend. Telegramm mit der frohen Nachricht au seinen Vater, das dieser nicht, wie der Sohn gehofft, mit einer Glück¬ wunschdepesche umgehend, sondern erst ani nächsten Tage mit einem ausführlichen Schreiben beantwortete. Eine Stelle des Briefes lautete: „Ich freue mich mit Dir, und ich freue mich für Dich. Laß mich Dir aber eins sagen: werde nnr nicht stolz und übermütig, sondern bleibe, wie Du warst;

wenn Du es kannst, möchte ich Dich bitte», werde noch gewissen¬ hafter als bisher; alles soll kein Tadel für die Vergangen¬ heit, sondern nur eine Mahnung für die Zukunft sein, nicht nachzulassen in Deinem Diensteifer. Ich habe mir sagen lassen, die Stellung, die Du jetzt einnimmst, sei eine sehr be¬ vorzugte — Du hast viele Rechte und genießest viele Bevorznguugcn — wer Rechte hat, übernimmt aber damit viel, viel mehr Pflichten, die oft wenig angenehm und erfreulich sind. Auch Du wirst es erfahren. Und nun wünsche und hoffe ich, daß Du in Deiner neuen Thätigkeit die Befriedigung findest, die Du von ihr zu erwarten scheinst."

Namentlich als die ersten Tage der Freude verrauscht waren, als die ernste, fleißige Thätigkeit auf dem Bureau begann, mußte Richard oft an diese Worte seines Vaters denken. So manches, von dem er früher nichts gewußt und geahnt, trat an ihn heran, Viel und Vielerlei gab es zu thun, das im Anfang gar nicht seinem Geschmack, seinen Neigungen entsprach, und nicht selten wurde er mit einem Auftrag bedacht, dessen Durchführung vielen Takt, viel Höf¬ lichkeit und Gewandtheit, zugleich aber auch große Energie Denn als Adjutant war er dem Kommandeur erforderte. in vieler Hinsicht auch für die Erziehung der jüngeren Ka¬ meraden verantwortlich, da galt cs zu tadeln und zu be¬ lehren,

ohne Mißstimmung

zu

erregen,

ohne

zu

verletzen.

595

ruhige, sich stets gleich bleibende freundliche Art ließ ihn auch hier immer das Richtige finden — und die ältesten Leutnants konnten sich nicht entsinnen, daß auf einen Adjutanten jemals so wenig

nicht, wenn erwachsene Menschen sich schon zu früher Stunde unmäßig benehmen. Das klügste wird sein, ich hebe die Tafel auf, dann wird auch der feuchten Sitzung da unten ein Ende bereitet, glauben Sic nicht auch?"

ivar wie auf Richard. Etivas schelten gehört zum Handwerk — ist doch nach einem alten Wort

Richard stimmte seinem Kommandeur bei, und gleich darauf erhob man sich vom Tisch, um in das Rauchzimmer und in das Lesekabinett zu gehen, bis die Ordonnanzen die Spcisetische abgeräumt hätten. Für den weiteren Verlauf des Abends waren noch allerlei lustige und scherzhafte Aufführungen

Das war nicht immer leicht, aber

gescholten

seine

morden

derjenige militärische Vorgesetzte der schlechteste, Untergebenen gar nichts auszusetzen haben.

an

dem

die

Ein Jahr, nachdem Richard zum Adjutanten ernannt Der ivar, erfolgte seine Beförderung zum Oberleutnant. Militärkabinett dem Nachricht aus bie fügte cs, daß Zufall gerade an Richards Geburtstag eintraf. Man muß die Feste bekanntlich feiern, wie sie fallen, und dieses Doppclfcst sollte im Kasino gehörig gefeiert werden, zumal vorgestern eine nicht unbedeutende Anzahl von Reserveoffizieren, die nun offiziell eingeladen werden sollten, zu einer achtwöchcntlichcn Uebung eingezogen worden waren.

Am Nachmittag vereinigten sich alle Herren zu einem großen Liebcsmahl in den festlich geschmückten Räumen des Kasinos — Richard war der Held des Tages, und als er den Speisesaal betrat, wurde er mit einem Tusch der Regimentsmusik, die während der Tafel konzertieren sollte, begrüßt. Aber ganz frei von Trauer war der heutige Tag doch nicht für ihn; er hatte gehofft, daß sein Vater ihm die große Freude machen würde, das heutige Fest mit ihm zusammen zu verleben — er liebte seinen Vater über alles, und er war stolz ans ihn; gern, sehr gern hätte er ihn einmal als Gast bei sich im Kasino gesehen, ihn seinen Kameraden und näheren Vorgesetzten vorgestellt, ihn mit diesen in Berührung gebracht. In einem ausführlichen Telegramm hatte er an: frühen Morgen seinen Vater gebeten, ihn zu besuchen, aber wie immer bisher hatte die Antwort auch dieses Mal ablehnend gelautet: „Sei damit zufrieden, mein lieber Sohn, daß ich heute noch mehr als sonst in Gedanken bei Dir bin. Glaube mir, dem viel Aelteren, ich passe nicht zu Euch, nicht unter Euch. Ein unüberlegtes Wort von mir könnte Dir schaden, Dir Deine ganze Position unter Umständen verderben — ich bleibe fern, nicht weil ich Dich nicht liebe, sondern gerade, weil ich Dich liebe." Richard neben seinem Kommandeur, das als einen Beweis dafür, daß sein hatte der sich Adjutant in ihm nicht nur den Vorgesetzten, sondern auch seinen ältesten und besten Freund sähe. Wie immer herrschte — erst als dem zuerst eine ziemlich langweilige Stimmung Hoch ans Se. Majestät den Kaiser das Hurrah auf das Ge¬ burtstagskind und auf den jüngsten Oberleutnant gefolgt

Bei Tisch

saß

ausgebctcn

war, als der Champagner in den Kelchen schäumte, als die Kapelle anstatt der ernsten Ouvertüren flotte Walzer und Märsche spielte, tauten die Gemüter ans, und bald herrschte dci7 Humor überall. Es wurde gelacht und gescherzt, das Trinken aber dabei nicht vergessen. In dem Regiment galt es als Grundsatz, daß es sich nicht gehöre, schon beim Käse zu viel des Weines genossen zu haben — man trank, aber man betrank sich nicht, nur einige Herren der Reserve machten heute darin eine Ausnahme, die thaten des Guten zu viel. paarmal mißbilligende Blicke nach der lauten, lärmenden Gesellschaft geworfen, und als nach Beendigung des Mahls die Zigarren und der Kaffee herumgereicht wurden, sagte er zu seinem Adjutanten: „Thun Sic mir doch den Gefallen, lieber Gollnier, und nehmen Sie Sic wissen, ich liebe es sich der Herren nachher etwas an.

Der Oberst hatte

schon ein

geplant. Auch die durstigen „Reservczccher", wie ein Leutnant sie vorhin getauft hatte, ivarcn, als der Herr Oberst sich erhob, aufgestanden, um den anderen Herren eine gesegnete Mahlzeit zu wünschen — aber als die übrige Gesellschaft in die Ncbcnräume gegangen war, ließen sie sich wieder an ihren Plätzen

nieder.

Richard trat auf die Gruppe zu: „Nun, meine Herren?" fragte er scherzend, „gefällt cs Ihnen bei uns? Aber nne ist es, wollen nicht auch Sie einen Augenblick nach nebenan gehen — ich glaube, die Ordonnanzen werden Ihnen gleich mit den Besen zwischen die Beine fahren und Ihnen den

Aufenthalt hier ungemütlich machen." „Ah, Sie sind's, Gollmer, Held des Tages und bevor¬ zugter Liebling der Götter," rief einer der Reserveoffiziere, ein Herr von Bolten. Er erfreute sich keiner allzugroßen Beliebtheit, und man trug sich mit der Absicht, ihn, wenn er sich auch

verstände,

während dieser Uebung nicht ganz zu akklimatisieren zu

den Reserveoffizieren

des

Trains

versetzen zu

lassen.

Richard war von dieser Anrede und dieser kardialen Be¬ geisterung wenig erfreut, aber trotzdem ließ er cs sich nicht merken, im Gegenteil, er ging absichtlich auf die Worte ein: „Der Liebling der Götter, wie Sic mich nennen," gab er zur Antwort, „dankt für den freundlichen Willkommensgruß, wieder¬ holt aber seine Frage: Wollen nicht auch Sie für einen Augenblick einen Wohnungswechsel vornehmen?"

Herr von Bolten hob die

noch fast volle Sektflasche ans

dem Kübel und betrachtete prüfend den Inhalt: „Was, meine Herren, das trinken wir erst noch aus, solche Eile wird cs wohl noch nicht haben, und Sie, Gollnier, trinken ein Glas mit, nicht wahr, meine Herren, das verlangen wir, wir wollen auch etwas von dem Geburtstagskind haben und

Wohl mit ihm anstoßen. Ordonnanz, noch ein Glas Herrn Regimentsadjutanten." Gollmer sah ein, daß jeder Widerspruch vergeblich sei.;

auf

sein

für

den

er sagte sich: „Je eher die Flasche leer wird, desto besser ist cs." Er leerte sein Glas auf einen Zug und ließ cs sich gleich wieder füllen.

Er war vollständig klar im Kopf und

konnte daher noch am meisten vertragen, während die anderen schon stark erhitzte Köpfe hatten.

Glas wieder wollte, eigentlich ist dieser deutsche Schaumwein ein ganz elendes Getränk, eines so vornehmen Regiments ganz unwürdig. Kann man hier für Geld und gute Worte kein besseres Zeug bekommen? Wir wollen eine Flasche Pommeri) zusammen trinken. Er winkte einen Soldaten herbei und griff in die Tasche, aus der er einige Goldstücke hervorholte: „Hier, Ordonnanz, haben Sie Geld, wenn es hier im Kasino kein anständiges Getränk giebt, laufen Sie über die Straße und holen Sie bei einem Weinhändler zwei Flaschen Pommeri), aber schnell Herr von Bolten

schenkte anch

voll: „Wissen Sie, Gollmer, was

mein Sohn."

sich

sein

ich sagen

(ec«

foIat .)

Bilder aus China.

Die Ausbeute dieser beitet werden, liefern täglich 20 Tonnen. Minen ist ein beliebter Ausfuhrartikel von Wuhu: der Kohlen¬ export, der im ersten Jahre 2091 Tonnen betrug, hob sich bereits

seines guten Thees nicht gebührend berücksichtigte Jantsegebiet ist durch die jetzige» chinesischen Wirren in Die Fahrt ans den den Vordergrund des Interesses gerückt. bequem eingerichteten Stroiiidanipfern des Jantsekiang oder Blanc» Flusses, eines der schönsten Ströme des südlichen China, bleibt eine angenehme Erinnerung. Der Jantsekiang kommt vom Kuenlün und ergießt sich »ach einem Lauf von 5340 Kilometern, von denen 1275 schiffbar sind, in das Ostchinesische Meer. Bon großer romantischer Schönheit ist das linke Ufer des Flusses, das mit seinen Burgen und Ruinen lebhaft an den Das rechte Rhein erinnert und anßcrordertlich dicht bevölkert ist. Der Verkehr auf der Ufer ist, soweit das Auge reicht, flach. Wasserstraße ist besonders zur Zeit der Theeernte außerordentlich lebhaft. Das Flußbett ist so tief, daß selbst große Dampfer bis nach Hanta» hinanfkonimen können, um den Thee, dessen Hauptstapelplatz jene Stadt bildet, zur Ausfuhr zu verladen.

im nächsten Jahr um 451 Tonnen und beträgt gegenwärtig 1071 Tonnen mehr als anfangs. Die schöne Lage der Stadt Wuhu, die breiten, mit Back¬ steinen gepflasterten Straßen, wie inan sie selten in chinesischen Städten findet, sowie die lebhafte, fleißige, genügsame Bevölkerung machen auf jeden Besucher Wuhus einen angenehmen Eindruck, mährend die hohe, verwitterte Pagode an die Vergänglichkeit alles Irdischen gemahnt. Ein freundliches und eigenartiges Bild bietet der Sommeranfenthalt auf dem Felskcgcl bei Tschinkiang. Der in den Felsen mühevoll eingehauene breite Treppcnwcg, die reizenden Häuser am Abhang des Felsens sowie der Tempel ans dein Gipfel zeugen von der außerordentlichen Geduld und Arbeitsamkeit der Chinesen. Ein derartig gelegener Sommeranfenthalt ist wohl recht romantisch, aber doch auch etwas unbequem. Die Stadt Wntschang, mit Artillericlager und 500000 Eiu-

Mas D-

trotz

schöne

pogodr zwischen wich» und Tai;'i»ghl,en.

Die Stadt Wahn am rechten Ufer des Jantsekiang in der Provinz Rganhwci ist durch den Vertrag von Tschifn vom 1. April 1877 für den ausländischen Handel eröffnet worden. Wuhu, halbwegs zwischen Tschinkiang und Kinkiang, ist infolge der Wasserverbindung, die zivei Kanäle mit dem Inneren der Provinz herstellen, für den Handel sehr günstig gelegen. Ein breiter Kanal, der im Winter 5 bis 6 , im Sommer 10 bis 12 engl. Fuß Tiefe hat, verbindet den Hafen von Wuhu mit der 50 Meilen entfernten wichtigen Stadt Ringkufn im südlichen Rganhwci. Ein anderer Kanal führt 8 Meilen südwestlich nach Taipinghsien, einem ausgezeichneten Theedistrikt. Dieser Kanal, der nur im Sommer befahren werden kann, berührt Rauling und Kingshien, Während des Sommers und ivo Seidenkultur betrieben wird. Herbstes kommen von Taipinghsien 300 Pikul Thee (zu je 67,5 Kilogramm) ans Booten nach Wahn; im Winter ist jedoch der Die Kanal ausgetrocknet und jeder Wasseroerkehr unmöglich. Seidendistrikte von Rauling und Kinghsien liegen 50 Meilen von Wuhu entfernt. Dicht am Kanal führen von Ringkufn und Taipinghsien noch zwei andere Verkehrswege nach Suan und Tnngpo. Es ist begreiflich, daß die günstigen Wasserverbindungen von Wuhu sehr dazu beigetragen haben. Ein- und Ausfuhr sichtlich zu heben: der Wert des Jahrcsimports bezifferte sich kürzlich ans 2088152 Tacls. Die Kohlenminen von Tschitschow in der Nähe von Tatnng, die mit Maschinen nach europäischem System bear-

wohnern, liegt am rechten Ufer des Jantsekiang, Hankau gegen¬ über. Die Bevölkerung ist wegen ihres Fanatismus und Frcmdenhasses sehr berüchtigt.

Die Stadt Kanton in Südchina wird durch die Gärung, die in dieser Stadt herrscht, jetzt ebenfalls in den Vordergrund des Interesses gerückt. Auch hier beginnt der Fremdenhaß um sich zu greifen. Das eigentliche Kanton bildet ein unregelmäßiges Viereck, umgeben von einer 8 Meter hohen, 6 Meter dicken, auf SandsteinFundament aus Backsteinen erbauten Mauer von etwa 10 Kilo¬ meter Umfang, und wird durch eine von Westen gegen Osten lau¬ fende Ouermauer in zwei Hauptteile geteilt, die nördliche Altstadt, die vier Fünftel des Ouadrats einnimmt und im Südwestcn das Mandschuviertel einschließt, und die südliche Reu- oder Chinesen¬ stadt. Durch die Umfassungsmauer führen zwölf, durch die Scheide¬ mauer vier Thore. Die Stadt wird von mehreren viel benutzten Kanälen durchschnitten. Zu beiden Seiten schließen sich große Vorstädte an (im Südwesten Scha-mien am Flusse, vorzugsweise Sitz der Europäer):

jenseits des Flusses und südlich gegenüber liegen die Vorstädte Ho-nan und Fa-ti. Dazu kommt noch die schwimmende Schiffer¬ stadt oder Vorstadt der Tan-kia, d. h. Bootbcwohner, die sich 7 bis 8 Kilometer weit auf dem Flusse erstreckt und aus dicht an¬ einander gedrängten, an Pfählen befestigten, lange Gassen bilden¬ den Fahrzeugen besteht, deren jedes einer Familie als Wohnung

597

Man schätzt diese Boote ans 80000 mit etwa 300000 Einwohnern, die sich von Hafenarbeit, Stromschisfahrt und Fischfang nähren. DaS Mandschnviertel enthält viele ans Erde errichtete, getünchte Häuser, während sonst Lnststeinbanten vor¬ herrschen, dagegen aber breitere Gassen. Sonst sind sie durch¬ schnittlich 3 bis 4 Meter breit, so daß nur Sänften, nicht aber Fuhr¬ werke passieren können. Die Gassen sind meist gut gepflastert, weniger schmutzig als in anderen chinesischen Städten,' in Zwischenräumen sind sie mit Denkmälern zur Verherrlichung von Tugenden und Großthaten geziert. Stadt und Vorstädte haben leidliche Ent¬ wässerung' als Trinkwasser wird das ans der hochgelegenen Rordseite der Stadt gewonnene Bergwasser verkauft. Die dem Handel und Gewerbe dienenden Häuser sind mehr¬ stöckig und oft durch Matten verbunden, die von den engen Gassen das Sonnenlicht abhalten. Zn den ansehnlichsten Straßen gehören die China- und die Altertümerstraße! sie enthalten die von den Fremden am meisten gesuchten chinesischen Waren. Die Stadt zählt 120 Tempel mit 2000 Priestern und Nonnen, von denen neun Zehntel Buddhisten sind. In der Altstadt befindet sich eine und Heimat bient.

Sornmrrsufenkhalk auf einem

mohammedanische Moschee (dazu als Minaret gehörig Kwang-tha, „die glatte Pagode"! die Moschee ist 1350 nach einem Brande, dann um 1465—88 und im 17. Jahrhundert mehrmals umgebaut) und mehrere uralte Pagoden, eine aus dem 6 . Jahrhundert (Fa-thap, „die blumige Pagode"), zwei kleinere des 250 gegründeten Kwang-Hio-sse u. a. Kanton ist der Hauptsitz der Seidenweberei und Stickerei; Baumwollweberei, Färberei und ihre Nebeugewerbe, Glasindustrie, Papierfabrikation sind hoch entwickelt, Metall- und Porzellanindustrie sind namentlich in der Umgebung stark verbreitet. Früher war Kanton der einzige dem auswärtigen Handel in China ge¬ öffnete Hafen, doch nimmt der Handel auch infolge der Konkurrenz Hong-kvngs und der Benutzung der Landwege von Tongking aus etwas ab.

Kunst und Wissenschaft. Wie Vereinigung

der Knnstfrennde für amtliche PnbliEs kationen der König!. National-Galerie hat den „Großen Preis" der Pariser Weltausstellung erhalten. Die Zusammen¬ stellung der Bercinsgabcu für die Periode Oktober 1900/1901, die der neue Verlags-Katalog bringt, zeigt, wie die Leitung des Institutes

darauf bedacht

ist,

unter Vermeidung

der Auswüchse, den

ver-

dem schiedensten Geschmacksrichtungen 'machen

Publikum

gute

ästhetische neue

wir anfmerksam auf zwei

Rabrnng zuzuführen. Vorab

Bildnisse unseres Herrscherpaares: das der Kaiserin einmal als Brust¬ bild, sodann in ganzer Figur mit der kleine» Prinzessin Viktoria Luise zur Seite svon Fritz August v. Kanlbach), und das des Kaisers, Brustbild, nach dem Original von Weist. Die ältere klassische Kunst ist vertreten durch die Nachbildung der Madonna bclla sedin von Raphael, nach der schönen alten Kopie im Dres¬ dener Museum, und die einheimische Geschichtsmalerei durch Leutzes berühmtes Bild „Washingtons liebergang über den Dela¬ ware" nach dem Original in der Knnsthalle zu Bremen. Ebenfalls der älteren Zeit gehört das Bild des liebenswürdigen Wiener Meisters Waldmnller „Nach der Schule" (National-Galerie) an. Daneben finden wir Carl Becker mit einem der beliebtesten seiner früheren venetianischen Gemälde „Heimliche Botschaft" (Karneval Scheurcnberg mit einem außer¬ in Venedig), und ihm gesellt sich ordentlich graziösen Bildchen „Amüsante Lektüre," das sich im Falat ist das um Besitz Sr. Mas. des Kaisers befindet. Von seines ungeschminkten Realismus willen hochgeschätzte Werk ans

I.

I.

Frlskrgrl

bei Tfrhirrkiang.

der National-Galerie „Bärenjagd in Rußland" gewählt, das der Erinnerung au einen Jagdansslng unseres regierenden Kaisers seine Entstehung verdankt. Den großen Stil'realistischer Dar¬ stellung repräsentieren R. Frieses „Wüstenrünber," jenes packende Löwenbild aus der Dresdener Galerie. Zahlreich und mannig¬ faltig ist wieder die Landschaft vertreten: Voran A. Calame, der Großmeister der Alpenmalerei, mit einem grandiosen „Montblanc" saus Berliner Privatbesitz)! ferner E. Kanoldt mit zwei in der Stimmung sich fein ergänzenden stilvollen Landschaftskompositionen mit de» Staffagefiguren der Diana und der Jphigenia. Ferner finden wir eins der letzten Bilder O. v. Kameles, welcher der Vereinigung der Kunstfreunde so manche ivertvolle Vorlage ge¬ spendet hat: eine Ansicht des Schlosses Chillon am Genfersee. Zwei kleinen Kabinettstücken — Motiven vom Hardanger- und vom Nord-Fjord — hat sodann Rasmnssen seine nordische Heimat ver¬ anschaulicht, und endlich erfreut uns Kröner mit mehreren Dar¬ stellungen aus der Welt des Jägers: „Ein Platzhirsch in der Zeit der Hochbrnnst," eine „Herausforderung zum Kampf" (zwei kapitale Hirsche) und eine „Episode ans der Saujagd" — alle mit der Liebe und Schärfe der Beobachtung behandelt, die nur ein Praktiker im Waidwerk besitzt. Die sauber illustrierten Kataloge, die auch Auskunft über die Einrahmung der Bilder geben, stehen jeder Zeit kostenlos zur Verfügung der Kunstfreunde. Wir erinnern daran, daß die Mit-

&98

gliedschaft der SScreinifjinifl durch einen Jahresbeitrag von 20 M. erworben wird, wofür ei» Bild nach freier Wahl geliefert wird. In jedem dritten Jahre steht den Mitgliedern außerdem ein Normalblatt als Prämie nach eigener Auswahl ans dem gesamten Verlag zu. Anmeldungen werden in den beiden Geschäftslokalcn: Markgrafenstr. 57 und Potsdamerstr. 23, deren Ausstellungen immer zugänglich sind, und außerdem auch im Bureau der National-Galerie entgegengenommen.

(Unter den Linden 1) eröffnete am Sonntag, eine neue Ausstellung und damit zugleich die Reihe seiner Veranstaltungen in der Herbst- und Wintersaison 1900/1901. Es bleiben jener ersten Ausstellung zunächst erhalten der berühmte Wandschmuck Max Klingers, jenes erstaun¬

/Eduard Schulte

5?

den 2. September,

Centaur" erwähnt.

von

Im er

Tod

S denn Umnachtung

des

C. Adolf Bermann (München)

noch

besonders

Heim Friedrich Nietzsches. Philosophen und

schon seit

zehn

Dichters konnte nicht überraschen.

Jahren, während deren

Nietzsche

in geistiger

fortwährend kränkelte, konnte man fast jeden Tag seinen Tod als Erlösung für ihn erwarten. Nunmehr ist Friedrich Nietzsche, der großes Aufsehen in der philosophischen Welt hervor¬ gerufen und viele Anhänger gefunden hat, erlöst von seinem Leiden, das für ihn nur ein unthätiges, krankhaftes Leben bedeutet hat. Beim Ausbruch der heillosen Krankheit, im Jahre 1889, eilte Fra» Dr. FörsterNietzsche, die Schivester des Erlösten, aus Süd-Amerika nach Süd-Italic», »m vcm erkrankten Bruder die notwendige Pflege z» besorge». Von nun an wanderte sie von Ort zu Ort und suchte eine Stelle, wo dem Duldenden mehr oder weniger Linderung verschafft werden konnte. Endlich, im Jahre 1897, siedelte Frau vr. Förster-Nietzsche mit ihrem kranken Bruder nach Weimar über, wo Friedrich Nietzsche in einem alleinstehenden, zwei¬ bekannt untcr dem Namen stöckigen Gebäude, „Silberblick", Unterkunft fand. Dieses Haus, um¬ geben von einem junggepflanztcn Garte» und einem Gitter, ist von Frau Metta von Salles speziell für Friedrich Nietzsches Aufenthalt angekauft worden, damit cs ihm bis zum Ende seines Lebens als behag¬ liches und in jeder Beziehung den Fordernngen entsprechendes Heim diene. Um dieses Heim näher kennen zu lernen und über das Leben Friedrich Nietzsches in der letzten Zeit authentische Informationen zu erhalten, begab ich mich, von der Rheintour zurückkehrend, nach

Weimar.

Das Haus „Silberblick" liegt außerhalb

der Stadt, am Ende der Luiscnstraße; ein wohlgepflegter Garten umgicbt das mit Guirlanden und Blumen geschmückte Hans, an dessen Eingang das Schild „Nietzsches Archiv" hängt. Im Innern ist die Wohnung mit lauter Erinnerungen ans dem früheren Leben Friedrich Nietzsches ausgestattet. Nach der freundlichen Begrüßung seitens der Schwester Nietzsches, erzählte mir die äußerst liebens¬ würdige Dame, ivic Nietzsche seine Gedanken und seine Werke in festgebundenen Heften, die er stets bei sic das sich trug, niederschrieb. Insbesondere lenkte Gespräch aus das Werk „Also sprach Zarathustra". „Jede zehn Tage schrieb mein lieber Bruder einen Band", sagte Frau Förster-Nietzsche, „er arbeitete von früh morgens bis in die Nacht, und dann, um einzuschlafen, nahm er sehr viel Chloralhpdrat ei», was sehr schlimme Folge» für seinen Zustand hatte." Auf mein Befragen, ob dieses Mittel von den Aerzten empfohlen war, antwortete Frau Förster-Nietzsche: „Ach nein! mein lieber Bruder wurde so viel von den Aerzten behandelt, daß er dann schließlich den Acskulapen nichts mehr zutraute und sich selbst ein eigner Arzt geworden war". Wir gingen dann in das nächste Zimmer, woselbst Hier sind die Wände sich Nietzsches Archiv befindet. mit verschiedenen Porträts und Erinnerungen ans dem früheren Leben Nietzsches geschmückt, so z. B. ein Bild der Burschenschaft „Francouia" in Bonn, welcher Fr. Nietzsche als „Aktiver" angehörte; an der anderen Wand hängt ein Säbel, der dem Philosophen, dem ehemaligem Artillerie-Offizier, ge¬ hörte, sowie mehrere Bilder, darunter das von C. Störung gemalte Porträt Nietzsches, das ihn ans der Veranda seines Hauses in Naumburg daistellt. Tic ans einer Etagere untergebrachte Bibliothek, die er auf Reisen stets mit sich genommen hat, besteht teils aus französischen, teils aus deutschen Werken von Daudet, Briinctiorc, E. v. Harlmnnii re. den Ecken bcsindcn sich zwei Glasschränkc. in denen Nietzsches Hefte und Schriftstücke aufbcivahrt sind. Es ist, abgesehen von den bereits erschiencueu

In

noch sehr viel Material vorhanden, das nur allmählich veröffentlicht werden kann. Die Gedichte wurden von Frau Förster-Nietzsche sorgfältig gesammelt und vor kurzer Zeit unter dem Titel: „Gedichte und Sprüche" (Leipzig, C. G. Naumann) herausgegeben. Frau Förster-Nietzsche hat dabei lediglich den Zweck verfolgt/der ganze» Welt nachzuweisen, daß ihr Bruder zu gleicher Zeit Philosoph und Dichter wär, was bekantlich von vielen Litteraten bestritten wird. Die von Nietzsche persönlich zusammengestellten etwa 300 Aphorismen sind zu einem Werke „Böse Weisheit" vereinigt. Auch hat Frau Förster-Nietzsche den ersten Plan der „Umwertung", der von Fr. Nietzsche fast vollständig angeordnet ist, zur Bcrösfentlichung be¬ arbeitet. Die pietätvolle, feinsinnige Dame teilte mit, daß ihr noch viel Arbeit bevorstehe, uni die übrigen Nachlässe von Friedrich Nietzsche in einer ihrcni Werte entsprechenden Art der gebildeten Welt zu übergeben. Das Gespräch ging dann ans die in der letzten Zeit gepflogene Lebens¬ weise Nietzsches über. In der Weimarer Wohnung fühlte er sich dank der zweckmäßigen Fürsorge seiner Schivester sehr wohl. Gewöhnlich stand er um sieben Uhr morgens auf und »ahm sein Frühstück ein, dann legte er sich auf das Sofa, wo er schlummerte oder auch bis zu Mittag munter blieb: in dieser Zeit wurde ihm die Zeitung oder eine Reihe kurzer Erzählungen und Gedichte vorgelesen. Das Mittag-

zwölf Bänden,

Silder an» LIjilia: Maektstrage



Nankon.

liche und wundervolle Werk des damals kaum fünfnndzwanzigjährigen Künstlers, und ferner die Kollektionen von Günther Meltzer (Potsdam) und dem Wiener A, H. Schram. Von deutschen Künstlern ist außerdem Will). Leibl mit einem hervorragend schönen Männerkopf vertreten und W. Hieronimus mit einer größeren Sammlung seiner Werke. Dann aber beteiligt sich namentlich das Ausland an dieser Ausstellung, Frankreich n. a. durch Marc Antigua, Paul Antin, Paul Bergeret und H. H. La Thaiigne,

sämtlich aus Paris, und unter den englischen Künstlern finden sich die beiden schottischen Landschafter Engen Dekkert und George

Henry, ferner Rob. W. Allan (London), Amy Draper (London), in Paris lebende Amerikaner Albert Takin Gihon, A. F. W. Hayward (Londons, der kerngesunde und kräftige John Smith Lewis (Paris) und Charles Stuart. Bon den Plastiken seien endlich die beiden Bronzen „Vorfrühling" und „steinwerfender der

vegetarischer Speise; Fleisch wurde nur in kleinen Portionen verabreicht: nachmittags — falls gutes Wetter war — brachte mau Nietzsche in einem Sessel in den reizend gelegenen Garten hinaus, und oft kam es vor, daß er noch einen kleinen Spazier¬ gang in Begleitung seiner Schwester und der unermüdlichen Pflegerin Alvine machte. Der allgemeine Zttstand Nietzsches in der letzten Zeit, ivar befriedigend; er sprach viel und gut und ries sogar einmal seiner ihn stets bewachenden Schwester zu: „Schwester, nicht wahr, nun sind wir glücklich!" Es kamen aber Tage vor, ivv er nicht sprechen konnte und eine starke Lähmung in der linken Körperseite spürte und dabei schmerzlich stöhnte. Aus Befragen, ob er Schmerz empfinde, verneinte er, mir dein Kopfe ablehnend schüttelnd. Sein Lieblingsaufenthalt ivar am Fenster, von wo er auf eine verwaiste Windmühle ohne Flügel lind etwas weiter auf ein alleinstehendes Haus minutenlang blickte. Dieses melancholische Naturbild rief in dem früheren Philosophen von Zeit zu Zeit bemerkenswerte Aeußerungen hervor. Nunmehr hat ein Schlaganfall dem Leben Friedrich Nietzsches ein Ende bereitet: er ist gestorben, und die irdischen Ueberreste sind nach seiner Gebnrtsstadt S. Zuckermann. Stöcken überführt worden, offen bestand hauptsächlich aus

Evrline Schnmann-Heink. Berlin mar das Alt- und Mezzo¬ durch Kuustgrößeu ersten Ranges ver¬ die Namen Jachmanii-Wagner und Die denken, um dessen inne zu werden.

Königlichen Hofoper in n S sopranfach von jeher treten. Man braucht nur an der

Mariatine Brandt

zu

Hofbühne blieb also ihrer Tradition getreu, als sie vor zwei Zähren Frau Schnmanii-Hcink in ihren Personalbestand aufnahm. Ihr Heimatsrecht halte die Künstlerin aber schon lange vorher in Berlin erworben. Die in den achtziger Jahren noch unter Engels Leitung stehende Krollsche Bühne vermittelte uns diese wertvolle Bekannt¬ schaft, Bei den beschränkten Repertoire-Verhältnissen dieses.The¬ aters sonnte sich die Sängerin nicht gleich in dem ganzen Umfang ihres künstlerischen Schaffens und in ihrer Bedeutung für die deutsche Bühne überhaupt entfalten. Indessen schon als Darstellerin der singenden komischen Alten, einer Nancy (Martha), Reich (lustige Weiber), Pamela (Fra Diavolv) erregte sie das Interesse des Publikums und der Kritik in weit höherem Maße, als es die Vertreterinnen dieser Rollen ge¬ wöhnlich vermögen. Gastspiele berühmter Tenore bei Kroll gaben ibr daun aber Gelegenheit, ihre Azucena im Troubadour und ihre Fides im Propheten zur Darstellung zu bringen und sich als die lang ersehnte Nachfolgerin von Marianne Brandt zu offenbaren.

Erst durch den Tod von Pollini wurde Frau Schnmann-Heink frei; und diesmal zögerte die Intendantur nicht, diese dem Range der Hofbühne so würdige Kraft der Oper zuzuführen, Die Künstlerin ist im Besitz einer pastosen Stimme von echtem

Dieses edle Altklange, was an sicki schon eine Seltenheit ist. Organ erhielt in vortrefflicher Schule eine gründliche Durch¬ bildung; zudem ist die Sängerin eine durch und durch musikalische Natur, man merkt ihrem Gesang an, daß er ihr ein Herzens¬ bedürfnis ist. Daher hat der Ton. auch jene wundersame, seelische Färbung, durch die er geraden Weges in das Herz des Hörers dringt. Zu der an sich schon herrlichen Gottesgabe einer schönen Stimme gesellen sich hier also noch Temperament und musikalisches Empfinden, persönliche Eigenschaften, die man von keinem Lehr¬ meister, von keinem Vorbild annehmen kann, die aber natürliche

Mitgift

sein

müssen,

soll eine höchste künstlerische Stufe erreicht

werden.

lind nun die schauspielerische Begabung dieser Frau! Will man das Prädikat genial überhaupt einem reproduzierenden Künstler zukommen lassen, so wäre es hier wohl am Platze. So werden unter den Händen der Sängerin eine Azucena, eine Ortrud, eine Jrmentraut (Waffenschmied) und Gräfin (Wildschützf zu wahrhaft lebensvollen Gebilden, die das Interesse des Publikums vom ersten Auftreten auf der Bühne bis zum letzten Abgänge fesseln. Gesang und Spiel offenbaren sich hier. als Aeußerungen einer künstlerischen Individualität, die ans eigenen reichen Äitteln zu geben weiß.

Da Frau Heink durch ihre vortreffliche Stimm- und Sprachbehandlnng als eine Meisterin deS schönen Gesanges mit Recht gilt, ein Titel, den bei dem heutigen, niedrigen Niveau der Gesangs¬ kunst nur wenige Sänger verdienen, ist sie auch im stände, in den verschiedenartigsten Gattungen der Oper Ausgezeichnetes zu leisten. Sie ist heut ein ebenso vortrefflicher Orpheus, wie morgen eine einzige Ortrud und Erda, und als Wagnersängerin hat sie ja auch die bayrenther Weihen empfangen. Das Bemerkenswerteste an dieser Frau bleibt aber doch ihre Begabung für das komische .Fach, In diesem ist sie thatsächlich ohne Rivalin; selbst von ihren berühmten Vorgängerinnen hat keine in diesen Rollen eine so scharf ausgeprägte Individualität ,

erkennen lassen.

Aber Frau Schnmann-Heink ist nicht nur eine große Sängerin, sondern auch eine vortreffliche Gattin und fürsorgliche Mutter einer zahlreichen Familie. Obgleich sie sich heute Weltrnhm ersungen, in London, in Rew-Aork ebenso gefeiert und gern gesehen ist wie in Berlin und Hamburg, ist sie doch eine Frau von bürgerlicher Einfachheit in ihrer Lebensführung geblieben. Zu wünschen wäre es nur, daß die Künstlerin durch allzu weit ausgedehnte Reisen und Gastspiele nicht vor der Zeit ihre Kräfte schwächte, damit Berlin sich auch vollkommen und auf lange hinaus an dieser vortrefflichen Mitbürgerin erfreuen könne.

Berliner Chronik. Am 5. September feierte Georg Vierling, der hervorragende Gesangskomponist und Bach-Interpret, seinen 80. Geburtstag, Der Kaiser hat die Wahl des bisherigen zweiten Bürgermeisters von Königsberg i, Pr, Brinkmann zum zweiten Bürgermeister von Berlin b e ft d t i g t.

Kleine Mitteilungen.

Evrline?rhum«nn-Hei»k.

Man kann getrost behaupten, das; die Wiege des heutigen In Hamburg, Ruhmes der Sängerin in Berlin gestanden hat. wo Frau Heink in den achtziger und neunziger Jahren dem Stadttheater angehörte, führte sie zuerst als Vertreterin kleiner und kleinster Rollen ein gar bescheidenes künstlerisches Dasein; erst, als sich von Berlin ans ihr Ruf, als der einer Künstlerin von außerordentlichen Gaben, verbreitete, wurde auch an der Alster die Bahn frei für die volle Entfaltung ihres künstlerischen Könnens. Hatte die Königliche Intendantur damals versäumt, sich dieser Kraft zu versichern, so wußte der geschickte Direktor Pollini sie um Hamburg zu ketten. Die Aussichten, Frau Heink für Berlin zu gewinnen, wurden in dem Maße geringer, als das Verlangen danach wuchs; denn so fester an

sie nun Gelegenheit, auf der Hofbühne als Gast erkrankte Fachkolleginnen — zumeist auf telegraphische Be¬ rufung — einzutreten und ihre eminente Schlagfertigkeit darzuthnn.

gar oft hatte

für

Berliner Ferienkolonien. Nachdem die meiste» Familien von ihren Erholungsansenthalten zurückgekehrt sind, beglückt über den guten Erfolg der Ferienreise bei ihren Kindern, erinnern sie sich wohl jetzt gerade am lebhaftesten der vielen lausend armen und kränklichen Kinder, denen eine solche Erholungsreise nicht zuteil werden konnte. War das Komitee der Ferienkolonien auch in der Lage, in diesem Jahre fast 3500 Kinder an die See, in Soolbäder oder ins Gebirge entsenden zu können, so mußte doch mehr als die doppelte Zahl der Angemeldeten zurückbleiben, weil die Mittel hierzu fehlte». Und doch wären die Gelder mit einiger¬ maßen gutem Willen leicht zu beschaffen, wenn jeder, der so glücklich war, eine solche Ercholnng zu genießen, nur 10 Pfennige beisteuern würde. Gelegenheit für eine solche Spende wird durch die Sammel¬ büchsen der Ferienkolonien geboten, die in Restaurants, Wein¬ stuben, Hotels, Geschäftshäusern, Apoteken re. aufgestellt sind. Weitere Büchsen iverden auf Wunsch gratis durch das Bureau, Kransnickstr. ö, gern abgegeben.

Molzl, Schinken und Würste. Bevor sich Friedrich Wilhelms I. von Preußen ziveite Tochter Friederike Luise am 18. Mai 1729 mit dem Markgrafen Karl Wilhelm Friedrich von Ansbach vermählte, sagte ihr Vater: „Höre, Luise, wir wollen eine» Vertrag mit einander schließen. Ihr habt in Ansbach schönes Mehl, ick, aber esse gern gute Pasteten, ihr in In unserem Lande giebt es bessere Scknnke» und Würste als meiner¬ Ansbach habt. Schicke du mir da von Zeit zu Zeit Mehl, ich Vertrag seits werde dich mit Schinken und Wstrste» versorgen!" Der gehalten. redlich Tode zu des Königs wurde bis

600

Kaiser Wilhelm I. und der alte Lehmann. Dicht hinter -ei» Steucrhausc auf dein Tempclhofer Feld bei Berlin war für den alte» Kaiser Wilhelm eine Einrichtung getroffen, die ihm bei Trnppenund Paraden das bequeme Besteigen des Pferdes er¬ befichtigunge» ' möglichte. Diese Vorrichtung, iin Munde des Volkes die Kaiserschanze genannt, wurde bei solche» Gelegenheiten stets von einem vor dem Halleschcn Thor allgemein unter dein Namen des alten Lehman» be¬ kannten Herrn mit Reisig und Laub geschmückt. Dem greisen Monarchen ivar diese Thatsache auf' irgend einem Wege bekannt geivordcn, und er liest bei einer Frühjahrsparade den alten Lehmann, der stets in un¬ mittelbarer Nähe jenes Platzes schon früh Posto gefaßt hatte, zu sich heran bescheiden und dankte ihm huldvoll für die erwiesene Aufmerk¬ samkeit. Nun wollte es der Zufall, daß der alte Lehmann sich einige Zeitlang ans einer Besitzung in Rußland aufhalten und die Aus¬ schmückung des denkwürdigen Platzes unterlassen »iiißte. Mit um so größerem Eifer suchte er in> nächsten Frühjahr das Versäumte nachzu¬ holen, was dem Monarchen sofort auffiel, als er die Schanze betrat. Freundlich lächelnd rief er dem Flügeladjutanten mit ziemlich lauter Stimme zu: „Nun, der alte Lehmann ist wohl ivieder auserstanden?" und sah nach der Richtung hin, wo Lehmann immer zu stehen pflegte. Kaum hatte der Kaiser ihn erblickt, als er ihm, auf die Ausschmückung zeigend, freundlich zunickte. Der alte Lehman» meinte, er wurde diesen Aiigenblick nie vergessen. Ulld dann ist er im Jahre 1888, tief ergriffen über de» Tod des allverchrtcn Lnndesherrn, am 10. März hinausgewandcrt ans das Tenipelhofer Feld und hat thränenden Auges und linr mit Mühe in dem harten Erdreich der Schanze einen Mast mit einer Trauerfahne ausgepflanzt. Auch eine Erscheinung drr Weitzen Frau. Während der letzte» Rcgicrungsjahrc Friedrich Wilhelms I. zeigte sich des Nachts wiederholt die Weiße Frau im Berliner Schloß, in dem damals die Gemahlin des Markgrafen Philipp von Braudellburg-Schwcdt krank darnicderlag. Als diese nun starb, sprach es ganz Berlin öffentlich ans, daß die Erscheinung der Weißen Frau ihren Tod prophezeit habe. Einem General verdroß es jedoch, daß drei Soldaten seines Rcgiincnis bei diesen Geistcrerlcheinungen die Wache im Schloß gehabt hatten und darauf schwuren, sic hatten mit ihren eigenen Augen das Gespenst ge¬ sehen. Er ließ sie rufen und vor dem Auditeur ein förmliches Verhör mit ihnen anstellen. Sie gaben folgendes zu Protokoll: „Wir sahen in den namhaft gemachten Nächten kurz vor beut Tode der Markgräfin nahe bei deren Zimmern die Weiße Frau, wie sie, von Kopf bis zll den Füßen weiß gekleidet, einen brennenden Wachsstock in der Hand, einen Schlüsselbund an der Seite rasch an uns vorüberging, Tics geschah in der ersten ilnd zweite» Nacht bald nach zwölf, in der öritlc» und letzten Nacht kurz vor ein Uhr." Verdrießlich schrie der General: „Kerls, warum habt Ihr sic den» nicht angerufen, wie es Eure sackermcntsche Pflicht war?" Darauf schwiegen zwei der Soldaten, der dritte aber sagte: „Exzellenz, ich habe der Erscheinung ein „Halt, wer da" zu¬ gebrüllt, aber darauf ist sie vor meinen Augen in de» Boden gesunken." Ter General zuckte mit den Achseln,' er wußte nicht, ivic er sich die Sache erklären sollte. Zufällig hörte der Hofprediger Gronau von dieser Spukgeschichte und fand auch sogleich des Rätsels Lösung. Seine Nickte, Fräulein Adler, war Kammermädchen bei der verstorbenen Markgräfin gewesen und hatte ihm kurz vor dem Tode erzählt: „Einen fürchter¬ liche» Schreck hatte ich in der vergangenen Nacht. Kurz vor ein Uhr holte ich, ei» Licht in der Hand, ans einem nahe» Zimmer Erfrischungen für meine kranke Herrin, da brüllte mir die unvernünftige Schildwachc ihr „Halt, wer da!" in einem so fürchterliche» Ton zu, daß ich vor Schreck in die Kniee sank und beinahe die Schloßtreppe hinuntcrgcfallen wäre. Ich begreife nicht, ivnruni sic mich gerade diesmal anschrie, nachdem sic mich in den beiden vorangegangenen Nächten unbehelligt hatte passieren lassen. Ich ivar aber auch so böse auf sic, daß ich gar nicht antivortctc, sondern, nachdem ich mich von meinem Schreck erholt hatte, ruhig meines Wegs weiter ging." Gronau eilte sofort zu seiner Nichte, nahm sic mit zu jenem Auditeur und ließ ihr die über die spukende Erscheinung anfgcnomnieuen Akten vorlegen: Alles, jeder Nebenumstand paßte, Fräulein Adler hatte, ohne es zu wollen, die Weiße Frau gespielt! König und Querulant. In den letzten Jahren der Regierung Friedrich Wilhelms II. von Preußen sandte ein Kaufmann einen Wechsel¬ protest erst am nächsten Postlage, nicht mit der noch au demselben Tage abgehenden Post. Er wurde deshalb verklagt und verlor den Prozeß in alle» Instanzen. Als nun Friedrich Wilhelm III. den Thron bestieg, ersuchte ihn der Kaufmann um eine Revision seines Prozesses. Abschläglich beschieden machte er die zweite Eingabe. Nun belehrte ihn eine Kabincttsordrc, daß sein Prozeß nicht anders als geschehen habe ausfalle» können. Unbekümmert darum faßte der Kaufmann ein drittes Mitschreiben ab und wagte cs sogar, damit zu drohe», er werde die Akten seines Prozesses drucken laßen und so der Oeffentlichkeit preis¬ geben. Da erhielt er folgende geharnischte Kabinettsordre: „Es ist allerdings Mein fester Vorsatz, dafür zu sorgen, daß auch dem geringsten Meiner Unterthanen Gerechtigkeit widerfahre, aber Ich werde Mir nie von irgend einem unnützen Onärulantcn einseitige Gesichtspunkte auf¬ dringen lassen, um gegen die Meinung Meiner bewährteste» JustizBeamten über Recht und Unrecht zu entscheiden. Lasset Mcinetivegen über euren Proceß drucken, was ihr bei der Polizei verantworten könnt, und zeigt Mir den Richter an, dem ihr es beweisen könnt, daß er nach Privalabflchtru gegen euch entschieden habe, aber hütet euch wohl, Mir bloße leidenschaftliche Muthmaßungen für Wahrheit zu geben oder bos¬ hafte Verleumdungen anzubringen, wofür Ich euch nach der ganzen Strenge des Gesetzes werde züchtige» lassen. Wollt oder könnt ihr dies nicht, so behelligt Mich nicht wieder durch unbescheidenen Uebcrlauf in eurer bis zum Ucberfluß untersuchten und entschiedenen Wechselsachc, ihr werdet gewiß übel dabei fahren, denn meine Zeit gehört dem Unterthan, der Ruhe, Ordnung und Aufrechtcrhaltnng der Gesetze liebt und wünscht, nicht aber dem, der solche zu untergraben sucht. Dies zur Achtung auf euer nochmaliges Schreiben vom 16. d. Berlin, den 16. December 1767. Friedrich Wilhelm." Verantwortlicher Redakteur:

Dr. M.

Folticineano,

Der Besieger des „Warschau Vorwärts". Don feinem Gute Kricblowitz ans besuchte der alte Blücher oft einen alten SchulKamcraden, der in Rostock, seiner Vaterstadt, ivohnte. Der Kanicrad besaß einen zahmen Kranich, der frei auf dem Hofe herumlief und sich oft mit den Knaben im Hause neckte. Nur Freuidc sonnte er nicht leiden, Als die sondern ging mutig auf sic zu und trieb sie in die Flucht. Knaben eines Tages wieder einmal mit dem Kranich spielten, sah Blücher, eine lange Thonpfeife im Munde, zum Fenster hinaus und schaute behaglich den Sprüngen der Knabe» und ihres geflügelten Genossen zu. Aber er wußte die Benierknng machen, daß die Jungen Schnabel fürchteten und sich sich vor dem Vogel und dessen spitzigem vor ihm zu Paaren treiben ließen. Deshalb rief er wiederholt: „Druff,

Kiunings (Kinder)! Immer vorwärts!" Lachend entgegneten die Kinder: Nicht lange, da kam Blücher, die „Durchlaucht, he is billig (beißig)!" Militärmütze schiefgerückt, die qualmende Pfeife im Mund, i» den Hof herunter und stellte sich breit vor den Kranich hin, trotzdem ihn die Knaben vor ihm warnten. „Dumme Jungens", brummte der Alle, „denkt ihr, ick fürchte mir vor bet Brest!" lind herausfordernd blies Der Kranich er dem Kranich eine dicke Rauchwolke in die Augen. klapperte entrüstet mit dem Schnabel, dann streckte er diesen vor, und knacks! war Blüchers »enc Pfeife mitten durchgebrochen. „Enfamichtcs Bccst!" schrie Blücher erbost, „eene ganz neue Pip'!" Ilnd er versetzte dem Vogel mit dem Stück Pfeifenrohr, das ihm in der Hand geblieben war, einen Schlag auf de» Kopf. Da stürzte der Vogel, wütend mit den Flügeln schlagend und laut kreischend auf ihn los, und „Marschnll Vorwärts" ergriff das Hasenpanier und wollte in das Hans zurück¬ eilen. Aber die Thür war zugeschnappt, und die Schnabclhicbe des Kranichs ließen ihm keine Zeit, sic zu öffnen. Der Kranich trieb ihn vor sich her, und er rief fortwährend: „Holt ecu Mecst, en Mcest und stellten (Messer)!" Die Knaben wollten ihre» „Hans" beruhigen den Haufen und verfolgte sich ihm in den Weg, aber er rannte sic über den ..Marschall Vorwärts" weiter. Endlich gelang es diesem, die Thür zu entschlüpfen, und der Kranich behauptete stolz den Schauplatz. Acrgcrlich lachend hat Blücher den Vorgang oft seinem alte» Rvstocker Schulkameraden erzählt, und mußte cs sich gefallen lassen, daß ihn dieser mit einem „Besieger" neckte.

zu öffnen und

Vereins-Nachrichten. „Vrandenburgia", Gesellschaft für Heimatkunde der Provinz Brandenburg zu Berlin. 7. (4. nußerordentl.) Versammlung des 9. Vereinsjahres, Sonntag, de» 16. September 1900 in Mittemvalde. Abfahrt mit Vorortszug um 11.85 V. vom Görlitzer Bahnhof nach Königswustcrhauscn. Ankunft Abfahrt mit der Kleinbahn nach Mittemvalde daselbst mit 12.25 N.

Uhr, Ankunft in Mittemvalde um 1.25 N. Gemeinsames Mittag¬ den Teilnehmern ans Mittenwalde von 1 Uhr 30 M. bis etwa 3 Uhr 30 Min. im Fuhrmannschc» Hotel zum Deutschen Kaiser Besichtigung der Kirche, Orgelä Couvert 2 Mark ohne Wcinzwang. spiel, Gesangsvortrag unter gütiger Mitwirkung der Opernsängerin Fräulein Mertens. Gang durch die Stadt bis zum Mühlcnbcrge bis Vortrag über die Geschichte Mittcnwaldes von Herrn etwa 5V* Uhr. Probst Sandmann. Abendessen. Es ist auch an ein Tanzvergnügen Rückfahrt mittels Exzwischen etwa 8 und 9 7a Uhr abends gedacht. traznges von Mittemvalde gegen 10.30 R., so daß ab Wusterhausen 10.50 N. die Berliner Teilnehmer niit Vorortzug um 11.43 N. auf dem Görlitzer Bahnhof eintreffen. Die Benutzung des Extrazugcs setzt jedoch voraus, daß für denselben mindestens dreißig Mark aufgebracht werden. Kommt der Extrazug nicht zu stände, so muß der letzte Klcinbahnzug ab Mittenwalde uni' 8 Uhr benutzt werden. Ankunft in Kvuigswusierhauscn 8.25 N., von dort geht der nächste Vorortzng um 8.50 N., An¬ kunft Görlitzer Bahnhof um 9.43 N. In Mittemvalde hat sich ein Festausschuß für den Tag gebildet, bestehend u. a. aus den Herren: Bürgermeister Daur, Stadtvcrordnetcnvorstcher Mertens, Amtsgerichlsrat Boelhke, Probst Sandmann, Pastor Sandmann, Rechtsanwalt niid Da die alte Stadt Mittemvalde mancherlei Notar Schlesinger. Merkwürdiges, bietet, wird um recht zahlreiche Belcilignng gebeten. Gleichzeitig wird ersucht, die Tcilnehmerzahl bei Herrn Kustos Buchholz. Märkisches Museum, SW., Zimmerstraße 90/91, bis spätestens Freitag, den 14. September, nachiuiftags 2'/, Uhr, anzumelden, damit dem Wirt im „Teutschen Kaiser" und der Klcinbahnverwaltung rechtzeitig Nachricht gegeben werde» könne.

n»i

1

essen

mit

Tintcnfas? „Perfekt". Eine ebenso praktische wie originelle Neuerung auf dem Gebiete der Schrcibwareuindustrie wird uns in Gestalt eines neuen, durch D. R.-P. Nr. 111 263 dem Erfinder Heiur. Müller in Gr.-Gerau (Hessen) gesetzlich geschützten Tintenfasses „Perfekt" bekannt. Es ist aus Porzellan gefertigt, durch Delfter Malerei ge¬ schmackvoll geziert und hat neben großer Reinlichkeit ini Gebrauch den Vorzug, daß die Tinte nicht mit Metall in Berührung kommt und somit Eine einmalige Füllung reicht auf die auch nicht verderben kaun. Tauer eines halben Jahres und länger aus. Dabei kann die Tinte bis zum letzten Rest bei stets gleicher Tunktiefe ausgenutzt werden. Die letztere Eigenschaft gewährleistet insbesondere die grüßte Sicherheit gegen das Klecksen der Schrcibfedern, zumal die letzteren infolge der gleich¬ mäßigen Tunkticfe niemals überfüllt werde» können. Ein Fcderlager vervollständigt die in jeder Beziehung praktische Neuheit. „Perfekt" ist erhältlich in vier Nummern (weiß): Nr. 1 mit einem Tintenbchältcr iu»r für Schreibtintej zu 1,30 M.. Nr. 2 mit zwei Tintcnbehältcrn (für Buch- und Kopiertentc) zu 2,60 M., Nr. 3 für den Damcntisch 1,30 M., Nr. 4 Schilltintenfaß finit einem Tintenbehälters zum Einhängen in die Schultische per Dutzend 7,20 M. Mit Delfter Malerei erhöht sich der Preis um ein Geringes. Wo noch nicht erhältlich, liefert der Erfinder.

Berlin. — Druck und Verlag:

Friedrich Schirmer, Berlin

SW., Neueuburger Straße 14a.

Der Bar. Illustrierte Wochenschrift.

„Der Bär" erscheint jährlich 52 mal und ist durch alle Buchhandlungen, Aeirungsspeditionen und Mastanstalten zu beziehen (llr. 866 des postkotalogs) und kostet vierteljährlich 2 M. 50 Pf., jährlich 10 M., Linzelbefr 20 Pf. — Insertion» preis für die 4 gespaltene Nonpareillezeile oder deren Raun» 50 Pf. — Beilagegebühr: 0 M. pro 1000 Stück inklusive Postgebühren. — Inserate und Beilagen werden entgegengenonnnen von der Expedition des „Bär", SW., Neuenburgerstraße 14 a, sowie von allen Annoncen-Lrpeditionen. — Fernsprecher: IV. Nr. 3651.

26. Jnstvftnnft.

Sonnabend. 22. September 1900.

Dtp.

38.

Berliner Wandelbilder. Noch einmal Dialekt und Weltanschauung. eit einigen Wochen merke ich erst, wie Herzen liegt. Das haben mit ihrer gabe die Hochschule und mit ihren die Philharmonie gethan. Daß der Berliner

mir Berlin am „Dialekt"-Preisauf-

sehr

„Weltanschauungen" „Dialekt" hat,

einen

Nu» drin roniaiililUirn

mit diesem als der Ausdrucksform einer eigenartigen Auffassung der Anßendinge eingehender beschäftigt, wird man am Ende zu der Ueber¬ einer

ist

„Einheitlich" kaun diese Weltanschauung nicht sein ebenso wenig, wie die Ausdrucksform, in der sie sich bewegt. Der Berliner

Brrlin: Blitft von

ist gewissermaßen amtlich konstatiert, und wenn man sich

zeugung gelangen, daß es dem Reichshauptstädter auch an

Art Weltanschauung nicht mangelt, die zwar nicht „einheitlich" aber doch von Fall zu Fall recht charakteristisch äußert.

sich

der „Änsrlbrücke

ist eben ein Produkt seiner Geschichte, die an Buutscheckigkeit nichts

übrig läßt, und wenn mau das Berlinische nun doch einmal durchaus wissenschaftlich als Sprachdokument behandeln will, wird mau sich zunächst mit seinen slavisch-fraiizösisch-jüdischeii

zu wünschen

Äalfanzereien (ä la sramjaise), Budike (boutique), Hujo (haut gout), plümerant (bleu mourant), Mottenkopp jewieft (vif), (marotte) u. s. w. sind Ausdrücke, die wir sicher der französischen Kolonie verdanke», und Kalle, schicker (betrunken), Schmutz (Betrug), schofel, Schnorrers Stuß, können ihren talmudisch-polnisch-jüdischen Ursprung nicht verleugnen. Am Ende hat das, was man gemeinhin als Berliner Witz bezeichnet, mit germanischem Humor wenig zu thun und läßt sich am besten Elementen

abfinden

müssen.

Natürlich knüpfen die Berliner Redensarten, in denen

sich

der

lokale Bezeichnungen an. Wenn Volksgeist Puppen", so ist diese Redens¬ die geht bis in „das heißt es z. B. erinnert, daß die „Zelte" der sich verständlich, für den art nur ehemals weit draußen lagen, und daß man die vor ihnen errichteten Sandsteinfignren als „Puppen" bezeichnete. Dieses längst über¬ wundene „Draußenliegen" hat auch der Matthäikirche zu dem Namen als „des lieben Herrjotts Sommeroerjnicgen" verholfeu. Eine intimere Kenntnis der hauptstädtischen Zustände setzt es spiegelt,

vielfach

an

voraus, wenn man die Redensart verstehen will: „er spuckt de Das heißt näm¬ Schwäne an de Friedrichsbrücke uf'n Kopp." eifrig mit den während wenig daß er sich zu thun, lich : er hat so Wer diesen des Winters hereinkommenden Schwänen beschäftigt. lokal bedingten Ausdrucksformen nicht das nötige Verständnis entgegenbringt, setzt sich der Gefahr ans, mit einer gewissen Be¬ rechtigung gefragt zu werden: „Se sind woll nich von hier?"

Für die Mängel und Schäden seines lieben Nächsten hat der Berliner ein ungemein scharfes Auge, und er läßt sich leicht zu 's »'Mensch zum abjewehnen" Urteilen hinreißen, wie etwa: „Det und „von den mccht' ich n' Ablejer haben," wenn er sich das Objekt seiner Kritik nicht gar „ufn Feisenkopp" wünscht, „die Bcene über'» Abjuß." Besonders für körperliche Gebrechen findet er leicht einen niehr bezeichnenden als geinütvoll-mitleidigen Ausdruck: Wer schielt „is ’n bissen schüchtern uf de Oojen", eine kokette Dame „klappert 't Gesichte zu viel niit de Fensterladen", der Pockennarbige hat mit 'n kleenen Verdruß", uf'n Rohrstuhl gesessen", der Bucklige „hat der Rückenmärker erfreut sich „verjniegter Beene", wie denn un¬ regelmäßige Extremitäten den ästhetischen Sinn des Berliners besonders beleidigen. X-Beine bezeichnet er als „Bäcker"-, 0-Bcine als „Klamottenbeene" (man kann einen Mauerstein (Klamotte) hindurchwerfen). Wer über seinen großen Füße» oder „Rabatten¬ tretern" die Hosen aufkrempelt, hat „die Beene zu weit durchjestochen," und wenn er noch gar sennnelblondes Haar, „eonleur de Borstwisch", aufzuweisen und sich „einen Jlasscherbcn (Monocle) 't in Ooje jetreten hat", so gleicht er ein^r „abgewischten Warnungs¬ tafel" und macht als „Anjnst mit de Jewittcrbacken (aufgeblasener Mensch) auf den Berliner doch nur den Eindruck, als „ob er uf'n 'n Sack jcjrifsen wäre". (In den kleinen Ge¬ Mühlendamm aus

fassen

und

den

erhaschten

Gegenstand

behalten.)

'n eichenes Brett sieht, Wer wie der Reichshauptstädter „durch 'n wennt Loch hat", erblickt in seinem weniger begabten Nächsten natürlich leicht „'n Rindvieh mit Eichenlaub", und erklärt ihm: „Dummheit is ooch ne Jade Jottes, aber man muß se »ich mi߬ brauchen".

als eine vergröberte Mischung gallischen Esprits mit semitischer Wortspielerei erklären.

Zeit für einen Sechser in einen an der

schäften konnte man seiner

Thür aufgestellten Sack

Der Berliner hat den Personen und Dingen der Welt

gegen¬

über seinen „Stehsitz" und betrachtet sie von diesem überlegenen Standpunkt aus naturgemäß mit einer gewissen „Wurschtigkeit". Er sucht zu helfen, wo er helfen kann. Ist jemand zu Fall gekommen, so ruft er ihin mitleidig zu: „Kommen Se her, ich wer' Ihnen nfhelfen", oder er ermutigt ihn: „Nur nich ängstlich, sprach der Hahn zu'n Regenwurm". Haben sie einem „de Oojen ansjewischt"

(betrogen), 'n scheniert

so

oder tröstet ihn: kleenen jeht's uischt an".

„stößt er ihm Bescheid"

jroßen Jeist nich, un

Steht der Berliner

'ix

Verhältnissen

gegenüber,

die

er

„Det noch

ihm „klar wie Kloßbrühe" Dann überlegt er entfernt". sehr weitem von „machen sich und aber welche Käse, Sechser gesagt vor'» leicht „es ist Sache, die sich Nummer", und wenn er schließlich einsieht: „et finge wol, aber et jeht nich", so ermutigt er sich selbst mit dem Kernsprnch: „un wenn der janze Schnee verbrennt, die Asche bleibt uns doch." Schließlich „hilft kein Manlspitzen, jefiffen muß sind" und „wenn man's nich zum Verjniegen dähte, for Jeld bähte man's gewiß nicht

übersehe»

kann,

so

sind

sie

übrigen ist der Reichshauptstädter durchaus für Be¬ zugänglich und paßt jedem geschickten Lebenskünstler auf lehrung die Finger: „wenn Se das noch mal machen, kann ich's ooch." auch."

Im

Vom Dogma hält der Rcichshanptstädter nicht sonderlich viel und dürfte neuen Weltanschauungen schon deshalb wenig zugänglich sein, weil er von dem Grundsatz ausgeht: „Wer't jloobt, wird Seine Weltselig, un wer't nich jloobt, kommt ooch dahin." zuge¬ materiell bedenklich zwei konzentriert etwa in sich weisheit spitzte» Maximen: ,,'t Leben is scheen, aber kostspielig" und „um¬ 't Leben. sonst is der Tood, un der kost' ooch noch Warum ich diese unvollständige Blütenlese von Berliner Aus¬ drücken und Aphorismen gesammelt habe, weiß ich selber um so weniger, als ich, wie schon bemerkt, weder die Absicht habe, mich an dem akademischen „Dialekt"-Preisausschreiben zu beteiligen, noch die entfernteste Hoffnung hege, aus der Berliner Skepsis eine neue Weltanschauung herauszudcstillieren. Weder der germanistische noch der philosophische Nachwuchs wird sich um meine bescheidene Blütenlese kümmern, und ich verspreche hiermit feierlich, weder die „dialektischen" Preisarbeiten zu lesen, noch den harmonische» Zu¬

sammenklang der modernen Weltanschauung durch kritische Mißtöne

irgendwie zu stören.

Georg Malkowsky.

Das neue Landgericht und Amtsgericht I. in Berlin. aus der Urväter Zeiten hat man in den letzten Jahren ganz gewaltig aufgeräumt in AltBerlin, in fast allen Straßenzügen um die Nikolai-, Marien- und Klosterkirche herum sind die altertümliche», vielfach sehr interessanten Häuser verschwunden und monumentale Neubauten an ihre Stelle getreten. Neues Leben blüht aus den Ruinen. Der Anfang mit dieser Veränderung des Straßenbildes von Alt-Berlin wurde vor zwei Jahrzehnten mit der Dnrchlegnng der Kaiser Wilhelm-Straße gemacht. Diesem Unternehmen fielen die alten Buden am Reuen Markt, die Spelunken an der Königsmaner und am Geckhol, die Papenstraße und Kalandsgasse zum Opfer, und ein Jahrzehnt später wurde auch die wenig idyllische Rosenstraße verbreitert und wenigstens auf einer Seite an Stelle der schmierigen Kleiderläden mit prächtigen Kaufhäusern in monu¬ mentalem Stil bebaut. Bald darauf folgte der Abbruch des Trödel-

it

den Ueberresten

Marktes auf dein Mühlendamin und der Umbau des letzteren in die Brückenanlage mit dem kastellartigen Sparkassengebünde, und einige Jahre später hatte auch für die enge» Gassen und winkligen Hänschen am Molkenmarkt zwischen Eier-, Bollen- und Probstgasse die letzte Stunde geschlagen, hochragende Kaufhäuser erheben sich jetzt auf diesem Viertel längs der Spandanerstraße, mkd

ihnen schließen sich die imposanten Neubauten der Firma R. Israel bis zur Königstraße hin an. Nun hat man auch in das alte Verkehrshindernis, das die ehemaligen Festungsterrain angelegte Reue Friedrichstraße dem auf seit den Tagen Friedrichs des Großen bildete, Bresche gelegt, und zwei neue Querstraßen, die Schickler- und die Grunerstraße, ver¬

mitteln den Verkehr von Alt-Berlin nach dem Wollwarenviertel am Grünen Weg und am Alexanderplatz und weiterhin nach dem Zwar stehen die meisten alten Häuser jener Osten Berlins.

603

Gegend, in der Juden- und Klosterstraße, in der Waisen- und Stralauerstraße noch, und auch die alten Gebäude der Klosterkirche und des Lagerhauses, die Parochialkirche, die Waisenhauskirche und der große Jüdenhof erinnern an längst vergangene, glückliche und unheilvolle Zeiten, aber hie und da steckt doch schon so ein moderner Prachtbau seinen naseweisen Sandsteinhügel in die Luft, auch hier beginnt sich neues Leben uuter den Ruinen zu regen. Dies macht sich besonders in dem Ieil der Reuen Friedrichder zwischen König- und Stralauerstraße liegt, bemerkbar; denn hier erhebt sich jetzt au der Ecke der Gruuerstraße, nunmehr von de» Baugerüsten befreit, der glänzende, hochragende Bau des straße,

Land- und Amtsgerichts I in bewundernswerter Schönheit. Die Hauptfront des umfangreichen Gebäudes liegt in der Gruuer¬ straße und wird von zwei mächtig aufsteigenden, luftigen Türmen begrenzt, von denen aus die Seitenflügel sich längs der Stadtbahn und in der Reuen Fricdrichstraße entlang hinziehen. Obwohl erst zwei Drittel des Gesamtbaues, der einen Flächenraum von 25 000 Ouadratmeterii bedecken wird, vollendet sind, so übt dieses Bauwerk doch schon einen gewaltigen Eindruck auf den Beschauer aus, und von welcher Seite man sich auch dem Gebäude nähern mag, ob von der Königstraße oder vom Alexanderplatz, überall treten die prächtigen Formen der Architektur dem Auge wirkungs¬ voll entgegen. Vielleicht würde der imposante Bau auf einem freien Platz noch viel gewaltiger wirken, aber dann würden wieder manche Einzelheiten der künstlerischen Ausführung der Beobachtung entgehen, die man an dieser Stelle in der abgeschlossenen Ruhe der

werden soll. Außerdem ist die ganze südwestliche Fassade mit dem Sinnbild der Gerechtigkeit, mit der Wage, verziert. Bon ganz besonderer Schönheit in der künstlerische» Anord¬ nung des Mittelbaues und der Sciteutürme ist die Front in der

Gruuerstraße, ivo das Landgericht untergebracht wird. Der durch einen Säulenbau und Pilaster verzierte Mittelbau wird von einem hochorigiueUen Giebel gekrönt, und über diesem baut sich dann als Bekrönung des Ouerdaches ein neuer Giebel auf, der mit Wage und Schwert, und einem großen Adler und der auf Säulen ruhenden Königskrone geziert ist. Das Portal des Mittelbaues an der Rordwestseite wird durch ein Gitterthor geschlossen, das ein Forum in perspektivischer Auffassung darstellt und ein Kunstwerk Ueber dem schmiedeeiserner Arbeit ersten Ranges sein wird. mittelsten Fenster, das von Säulen mit flammenden Gefäßen ein¬ geschlossen wird, blickt die Göttin der Gerechtigkeit, dem sonstigen Gebrauch entgegen, mit unverhüllten Augen hernieder.

Ecken

Ganz eigenartig sind die beiden Türme, welche sich auf den des Gebäudes erheben und in ihrer durchbrochenen Ans-

Umgebung ruhig und ungestört betrachten und genießen kann.

Berlin hat mit

diesem Neubau des

Land- und Amtsgerichts

einen Justizpalast erhalten, um den uns andere Städte beneiden anerkennenswerter Liberalität haben die Staats¬ können. behörden dem ausführenden Baumeister, dein Landbauinspektor Otto Schmalz, gestattet, seiner künstlerischen Neigung zu folgen und an Stelle der meist im Kasernen- oder Tempelstil gehaltenen

In

Staatsgebäude ein würdevolles und zugleich echt künstlerisches Bau¬ werk aufzuführen, das nicht in der Masse der benachbarten Häuser eingeengt ist, sondern luftig in die Höhe strebt, viel zu luftig viel¬ leicht für den Sitz einer strengen Gerichtsbarkeit. Aber der Bureau¬ kratismus ist ja an und für sich schon pedantisch genug, daß er sich wohl mal mit einem luftigen Gewand umhüllen darf.

Der aus bestem schlesischen Sandstein errichtete Ban scheint aus Felsquadcru aufgetürmt zu sein, zwischen denen die vielen Fensterreihen wie schimmernde Krystallplatten erglänzen, während die schlanken, durchbrochenen Sciteutürme wie gigantische Felsspitzcu Daß das neue Gebäude ein Felsen in die Luft ragen. für die preußische Rechtspflege, ein „roolisr äs broiE", wie Friedrich Wilhelm I. sich ausdrückte, sein soll, das drückt sowohl eine eigenartige Zierde au der Ecke der Reuen Friedrich- und Gruuerstraße, ein von einer starken Kette um¬ schlungener Felsen, aus, wie auch die Inschrift über dem Portal des Amtsgerichts in der Neuen Friedrichstraße: „Streit wird ver¬ wehen, Zeit wird vergehen, Recht muß bestehen". Dieses Portal und die umgebende Fassade enthalten auch sonst allerlei Hiniveisc auf die uuerbitterliche Strenge der Gerichtsbarkeit. So spannt sich über die Eiugaugsthür der Rachen eines Ungetüms mit gewaltigen Augen, dessen scharfe Zähne andeuten sollen, daß jeder, der die Schivelle des Hauses überschreitet, sich in die Gewalt des Gerichtes begiebt. Darüber ist eine Gestalt angebracht, die in jeder Hand eine Kugel von gleichem Gewicht trägt, und die In¬ schrift hierzu lautet: „Jedem das Seine". Zur Rechten und Linken hiervon sieht um» zwei Streithähne, die wütend auf einander losgehen wolle», aber von einer starken Hand zurückgehalten werden. Ueber dem Portal an der Wand ragt der Arm der Gerechtigkeit mit einem meterlangen Schwerte in die Straße hin¬ aus, und ein darunter befindliches Band mit Zahlen zeigt, daß das schrügsteheude Schwert zugleich als Souneuzeiger benutzt

Das neue Landgericht und Amtsgericht I. in Berlin.

Auf einem festen Unterbau in der Säulcnbündel empor und schlanke streben Daches Höhe trage» einen im einfachen Barockstil gehaltenen Kuppelbau, dessen Um den unteren Teil dieses Spitze sich hoch hinaus streckt. Kuppelbaues schlingt sich bei beiden Türmen in großen ver¬ führung wundervoll wirken. des

schnörkelten Buchstaben die

Inschrift: „Fürchte Gott, thue Recht,

niemand."

Flammende Gefäße und Obelisken umgeben den Kuppelbau und verleihen ihm einen kunstvollen Schmuck. Diese beiden weithin sichtbaren Türme, denen sich auf der ent¬ gegengesetzten Front zivci gleichartige anschließen werden, gewähren, von fern wie von nah betrachtet, einen ganz eigenartigen, aber scheue

jedem zusagenden Eindruck.

Berlin besitzt in diesem neuen Gerichtsgebäudc ein Banwerk, das sich den schon vorhandenen Prachtbauten würdig anschließt und sicherlich für eine Reihe weiterer Staatsbauten vorbildlich G. A. wirken wird.

604

Nus dem romantischen Berlin.

w

leim es nicht gar zu abgedroschen wäre, möchte man das alte Wort von der vergänglichen „Gloria mundi" anführen; eS drängt sich unwillkürlich und beinahe un¬ abweisbar auf, wenn man vor der .altehrwürdigen Waisenkirche steht. Der Leser sieht, daß ihn diesmal unser Spaziergang auf die altberlinische Seite unserer Rcichshanptstadt führt, nachdem wir das vorigemal dem alten Köln, oder wie man auch schreibt „Kölln",

statt, und wer Glück hat, kann sich bei solcher Gelegenheit umsonst frisieren lassen. Er wird- liebenswürdig hineinkomplimentiert, auf den Stuhl gesetzt und in vollendeter Weise bearbeitet, muß aber dafür stillhalte», bis die Herren Meister seinen Kopf gehörig ge¬ prüft haben; denn der Lehrling soll zeigen, was er kann. An der Ecke prangt dann ein Riesenplakat eines modernen Eiweiß-Nährstoffes mit einer überlebensgroßen figürlichen Dar¬

einen Besuch abgestattet haben.

stellung.

Der Maler hat das altersgraue Gemäuer von der Wasserseite aufgefaßt, und da sieht es noch am besten ans. Bon vorn ist es

Noch schlimmer als dem Schilde Friedrich Wilhelms l. ist es aber dem seines Vaters, Friedrichs J., ergangen, der das Waisen-

Die waiferrkirrhr.

Knltnrhistoriker interessanter. Die Räume zwischen den hohen Kirchenfenstern sind durch allerlei Firmenschilder angefüllt. Ein Magazin für bürgerliche Wohnungseinrichtungen, eine Niederlage wasserdichter Segeltuche, eine Möbelfabrik und andere moderne Kultur-Errungenschaften Hausen da, wo früher die Stimme des Predigers und der Klang der Orgel ertönte, und wo die Fürsorge für die armen Waisenkinder eine ihrer vorzüglichsten Stätten fand, lieber dem Hanptportal ist noch das verwitterte Schild zu sehen, auf dein in schön verschnörkelten Buchstabe» die Mitteilung zu „Unter der Gott gebe immerwährenden beglückten lesen ist: Regierung Friedrich Wilhelms, Königs in Preußen, Markgrafen und Churfürsten zu Brandenburg, souverainen Printzen von Oranien, ist dieser Thur» und das daran stoßende Teil des Großen FriedrichsHospitals glücklich erbaut und vollendet im Jahre 1727." Darunter hängt ein recht unelegantes Blechschild, welches anzeigt, daß hier die Fachschule der Barbier-, Friseur- und Perückenmacher-Jnnnng" zu finden ist. Hier finden auch die Lehrlingsprüfu »gen der Innung

für

den

Hans gestiftet hat. Es ist an der Seite der Stralanerstraße an¬ gebracht und in ähnlicher Weise ausgeführt wie das über dem Hanptportale. Auf ihm wird von der Begründung der humanen Anstalt im Jahre 1702 erzählt, also einer der ersten Handlungen des eben gekrönten ersten Prenßenkönigs. Aber was darauf steht, ist nur mit einigem Halsverrenken zu lesen; denn quer darüber geht ein Holzschild, das Bierdrnckapparate für Kohlensäurebetrieb

ankündigt' daneben werden Segeltuche für Tropenausrüstungen empfohlen, Wagen mit großen Kisten stehen im Hofe, und die oberen Stockwerke enthalten auch Wohnungen. Rote und weiße Gardinen hängen an den Fenstern, und Blumenstöcke bringen etwas Grün in das verwitterte Schivarzgrau der Maliern. Ob dieser Zustand noch lange dauern wird? Man sprach früher davon, daß hier einmal ein zweites (oder drittes) Rathaus

Stadt Berlin herkommen sollte, und es ist anzuerkennen, daß die Stadt sich nicht dem modernen Zuge nach dem Westen anschließt, der

sondern in ihren Ursitzen bleibt.

Aber nichts ist bekanntlich

so be¬

605

ständig wie das provisorische, und seit die Waisenkirche ihrer ur¬ sprünglichen Bestimmung entfremdet ist, ist schon geraume Zeit ver¬ gangen,' selbst als vor drei Jahren ein ziemlich starkes Feuer den Turm verheerte, hat das die Entscheidung über die Beslimmnng des alten Hauses nicht beschleunigt. Das einzige war, das; die alte llhr, die jahrelang zum Aerger der Passanten immer falsch

ausmachten.

Aber überall leuchtet

schon der

Gruß der neuen Zeit

hinein. der

So kannst Du noch allerlei kleine Gassen und Wege zwischen Stralaner Straße und der Königstraße durchwandeln, die Dich

Manche sind freilich alte Leben erinnern werden. Charakter ursprünglichen schon kassiert, und manche sind ihrem mehr und mehr entfremdet.

recht an das

Lohnend ist es auch, einen Blick in die tiefen Höfe der Stralaner Straße zu thun, deren Grundstücke bis zur Spree hinabreichen, und wenn Du still beschaulich die schmale Gasse „Am Krügel", vielleicht die Stelle der ersten altberlinischen Ansiedelungen, am Molkenniarkthügel, hinabwandelst, so kannst Du auf einige Zeit wohl vergesse», daß Du im modernen Berlin bist. Nur gedämpft klingt das Straßengeräusch an Dein Ohr, und wenig Leben macht Deine Phantasie kann Dir sich in der Straße selbst bemerkbar. Kleinstadt vorzanbern, mittelalterlichen einer Winkel einen stillen und

i

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sie

braucht

sich

gar nicht sehr anzustrengen.

Ein paar Schritte über die moderne Mühlendammbrücke bringen Dich dann nach Alt-Kölln, das Du Dir neulich schon ver¬ ständnisinnig angesehen hast, und wenn Du Lust hast, magst Du Vielleicht thust auch hier und da in alte Häuser hineinschauen. die Petristraße, die Schritte in Du bei der Gelegenheit ein paar

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IVaisrnstr. 14 .

gegangen

war und dann jahrelang still gestanden hatte, en'ogiltig

das Zeitliche segnete. Auch sonst ist Altertümliches und Romantisches allerlei in Altsehen. Wenn Du in die Waisenstraße einbiegst und sie

Berlin zn

bis zu ihrem Ende verfolgst, wo sie hinter der alten Klosterkirche als Sackgasse endigt, so kannst Du Dir wohl eine Vorstellung von vergangenen Zeiten machen. Hier spielt sich noch ein guter Teil des Lebens auf der Straße ab. Kinder spielen auf der Straße, Weiber klatschen, und von Feiister zn Fenster fliegt lebhafte Unterhaltung. Ein Wage» kommt selten hier entlang. Die Häuser sind noch ganz von alter Banart. Vorspringende Treppen, die den Bürgersteig unterbrechen, enge und krumme Treppen im Innern, finstere Gänge, niedere Zimmer. Die Be- und Entwässerungs¬ anlagen, wie man jetzt sagt, ersichtlich als fremdes Einschiebsel hineingelegt, unbequem, ungemütlich. Doppelfenster sind ein un¬ bekannter Luxus — dafür hat man aber hier auch unerhört billige Mietspreise. Kleine Leute wohnen hier, Handwerker und Arbeiter, die in den Geschäften der City zn thun haben und an ixes Lebens Comfort nicht zn große Ansprüche machen. Das „möblierte Zimmer" ist unbekannt, dagegen zahlreich vertreten die'„Schlafstelle". Aehnliche Verhältnisse findest Du noch viel in

den

kleinen

Wenn Du in die Kleine Stralauerstraßc Gäßchen jener Gegend. gehst, die weniger eng ist und etwas höhere Häuser ausweist, so triffst Du am Ende, am User der Spree, noch eine veritable alte Gerberei, und Du kannst noch die Lohgerber ihre Felle im Spree¬ strom wasche» sehen, wie zur Zeit des falschen Waldemar. Dort an der Spreeseite haben die hinteren Häuser noch vielfach allerlei Balkons und Galerie», die ans Pfählen in der Spree stehen, die Schule der Wendenzeit, und drüben hängen noch, ebenfalls ans Pfühlen, die Fischkästen, ganz wie damals, als die Fischer »och ein großes Hauptkontingent der Bevölkerung von Berlin-Kölln

Siralaurrstr. 88, hinterer Hos. Auch von der Gertraudtenstraße bei der Petrikirche abzweigt. von hier hat uns der Maler ein Bildchen beschccrt. Freilich, an der Ecke der Gertraudtenstraße ist es schon recht modern geworden.

K. M.

606

Die Oderbruch-Fischerei in kulturgeschichtlicher Beleuchtung n verschiedenen Flußläufen der Mark finden wir Städte- und Dörfer, die den historischen Kietz bis zur Gegenwart vererbt haben. Ganz ohne Ausnahme kehrt der Raine Kietz als Bezeichnuug eines Stadtteils in den Randstädten des Oderbruchs

wieder: Frcienwalde, Oderberg, Wriezeu, Küstrin.

Selbst Orte,

die nach den gerade

hier sehr tief ein¬ greifenden Meliora¬ tionen nicht mehr ans unmittelbar grenzen, Wasser haben den Kietz nicht bei¬

aufgegeben,

spielsweise Lunow und Zehden, welch letzteres, trotzdem es volle eine heute Stunde vom Oder¬

lauf entfernt liegt, Zehden a. Oder zu nennen

sich dennoch

pflegt,

eine

That¬

sache, die eben

historisch zu

nur

recht¬

fertigen ist. Wie bekannt, deu¬ ten die Kietze wen¬ dische Niederlassun¬ gen an. Es ist kein

Wunder, daß bei dem gewaltigen, jederBeschreibung fast Fisch¬ spottenden reichtum der Mark vergangenen in Jahrhunderten die

existenzsichernde Fi¬ scherei den Wenden

Lieblingsbe¬ als schäftigung erschien. Aber selbst wenn

man die Möglichkeit macht, wird Ansiedlung einer Vorbedingung zur des Fischfanges nicht vorteilhaft Wassers als größeren eines Vorhandensein mau das Das fanden auch später die ins Wendenland zurück¬ begrüßen. flutenden Deutschen heraus, weshalb sie sich zumeist in unmittel¬ barer Nachbarschaft der Wenden ansässig machten. Die gute Ent¬ wicklung der so entstandenen Städte und Dörfer zeigte, daß hierin kein Mißgriff lag. Ihrem Gewerbe entsprechend, waren die Wenden mit ihren Wohnstätten möglichst nahe ans Wasser gerückt, während die später hinznkomnieuden Bewohner deutscher Zunge, dem Ackerbau vorwiegend nachgehend, gern weiter zurücktraten, um trotz der Lage am Wasser hinreichende Sicherheit gegen UeberschwemGewiß folgten sie dem wendischen Beispiele mungen zu haben. nicht darin, daß sie auch auf hervortretenden Erhöhungen der Moräste und Sümpfe ihre Wohnsitze errichtet hätten, wie es im Wenn man das Eindringen der Deutschen Oderbruche geschah. in die wendischen Gaue bedenkt und dabei die Lage der Kietze zu dem gesamten Stadtgebiete in heutiger Gestalt betrachtet, so kann man irrtümlicherweise zu der Annahme gelangen, in den Kietzen hätten die verdrängten, gleichsam nur noch geduldeten Wenden ihren minderwertigen Aufenthalt gefunden, wo ihnen dann kein anderer Erwerbszweig als die Fischerei übrig geblieben sei. Das ist eben ein Irrtum. Den Fischreichtum der Märkischen Gewässer rühmt Otto von Bamberg, der Apostel der Pommern, im 12. Jahrhundert: „Das Land, so die Wenden durch ihre Kultur verbessert haben, hat eine»

unglaublichen Reichtum und Ueberfluß an Fischen aus dem Meer,

wie aus den Flüssen, Seen und Bächen." Johann Colerus be¬ richtet 1589 aus Oderberg: „Hier giebt es in Flüssen, Teichen, Gräben und Bächen so ungeheuer viel Fische, daß man sie mit Handnetzen und Köchern fangen kann, daher die Stadt neben Wriezen den größten Fischhandel in der Mark betreibt. Es werden durchschnittlich in der Stadt jährlich 600 bis 700 Tonnen gesalzene Hechte verkauft, ohne der Fische zu gedenken, die die Fuhrleute wöchentlich ein- bis zweimal in Wasserfüssern nach Berlin fahren." Derselbe Colerus erzählt, daß 1595 in dem Dorfe Onilitz (jetzt gefangen Ren-Hardenberg) an einem Tage 500 Tonnen Fische worden seien. 1579 hatte auch Riedcrfinow einen guten Tagesfang auszuweisen: 100 Tonnen Gesen, Hechte, Bleie, Güstern und Plötzen.

In

Liepe kamen 1736 Fische von fünf Fuß Länge und einem halben Zentner Schwere vor, dazu Karpfen bis 9 und Hechte bis 18 Pfund. Die ungeheueren Fischziige, soweit sie im Winter vor¬ kamen, waren allerdings oftmals eine bedenkliche Erscheinung. Unter dem Eise trat Luftmangel ein, infolge dessen die Fische betäubt wurden und wie tot eingefangen werden konnten. Ein solcher Fall war der obengenannte Fang in Quilitz. Im Jahre 1890 ich Zeuge eines derartigen allgemeinen Fischsterbens in der alten Oder. An offenen Stellen, nahe am Ufer des eisbedeckten Stromes, schwamm die vorjährige Brut zu Tausenden tot umher; die größten Fische wurden mit bloßen Händen herausgegriffen, eine Möglichkeit, die sich die Bevölkerung nicht entgehen ließ, während die Berufsfischer die traurige Erscheinung nach ihren Ursachen und Folgen erörterten. Oftmals glaubte man als Ursache solcher Vor¬ kommnisse die Einleitung von Fabrikwässern in die Flnßläufe betrachten zu müssen; doch scheint das nur teilweise richtig zu sein. Die Fischer beschränken sich in solchen Fällen ans das Hauen von Luftlöchern, da ihnen uach Lage der Sache andere Maßregeln

war

löcherhauende Thätigkeit der früheren Fischer weisen auch die Steinbeile hin, die man mehrfach mitten im Oderbruch an einstmals unzweifelhaft unbewohnbaren Stellen gefunden hat. Als Fischarten früherer Perioden werden genannt: Plötzen, Rotaugeu, Karpfen, Zander, Lachse, Barsche, Störe, Hechte, Bleie, Giebel, Karauschen, Muränen, Kaulbarsche, Güstern, Gründlinge, Barmen, Gärten, Dübel, Ukelei, Stichlinge, Welse, Aale, Schmerlen,

nicht zu

Gebote stehen.

Auf

die

Lampreten, Neunaugen, Peitzger, Quappen, Butten, Schleie, Stein¬ beißer, Stinte, Zarten u. a. Daß bei diesem Fischgcwimmel auch andere, denselben Existenzbedingungen unterworfene Wassertiere nicht fehlten, liegt nahe. Namentlich der jetzt leider so seltene, fast ganz ausgestorbene Krebs kam in Unmassen vor. 1718 wurden allein in Küstrin 32 500 000 Schock verzollt. Man bezahlte das Schock mit wenigen Pfennigen, und es kamen sogar Zeiten, wo sie niemand umsonst haben mochte. Aber schon im Anfang des vorigen

Jahrhunderts hatte sich die Preislage der Krebse wesentlich ge¬ ändert; man zahlte bereits soviel Groschen wie früher Pfennige. War die Fischerei auch ergiebig, so erforderte sie doch an¬ gesichts der niedrigen Preise der Ware andauernde und schwere Arbeit in Wind und Wetter. Da der heimische Markt überfüllt war, so richtete man gar bald sein Augenmerk auf den Versand. Als Hauptmarkt des Oderbruches entwickelte sich Wriezeu, das träumt. noch heute von jenen Zeiten seiner wirtschaftlichen Größe ent¬ den Markttagen aus den kanien an Hunderte von Kähnen legenen Gebieten

des

versumpften Bruches hier zusammen, ihre

Ware zum Verkauf zu stellen. Die Fischtransporte gingen weit über die Grenzen der Mark hinaus, nach Sachsen, Böhmen, Oester¬ reich, Polen.' Der Verbrauch an Fischen war zu damaliger Zeit, einmal ihrer Wohlfeilheit wegen, andererseits den Gebräuchen der

katholischen Bevölkerung entsprechend, viel größer als jetzt. Das Einsalzen, Dörren und Räuchern der Fische bildete die Zunft, Einigung oder Innung der Hechtreißer aus, die mit geringeren Rechten der Kietzergilde zur Seite trat. Schon öfter hat man bei Nachgrabungen Unmassen von Fischschuppen, vermengt mit Aschenund Kohleurcsten, gefunden, die auf jene Fischreißer zurückzuführen

Ueber die Art des Räucherns führt Colerus an: „Ganze Häuser in der Art von Kalkscheunen wurden hergerichtet, in welchen die vorher gesalzenen Fische mit Braunbier besprengt zu Bücklingen sind.

607

geräuchert wurden." Von fetten Quappen schnitt man auch wohl Streifen, die getrocknet gleich Kien zum Feueraumachen Verwendung fanden. Geringwertige Weißfische dienten als Schweinefuttcr. Da den Kichern das Privilegium des Fischfanges zustand, hatten sie dem Landesherr» eine Abgabe zu leisten. Diese wurde öfter umgewandelt und abgeändert' namentlich trat später an die

Stelle von Naturalien mehr und mehr eine Gcldleistung. Bei solchen Gelegenheiten pflegte die Bestätigung der alten Gerechtig¬ keiten

In

einer Urkunde von 1390 heißt es: „Die her zum Schloß, d. h. dem Markgrafen Stellvertreter, auch geistlichen Stiftungen zu. Die

stattzufinden.

Kietze gehören seit alters

oder seinem

Kietzer sind daher schuldig, acht Dienste zu thun mit dem Leibe der Erntezeit dienen sie Kossäten zu des Schlosses Notdurft gemäht

Tage auf dem Schloß allerlei zu Wasser und zu Lande. In gleich. Auch das Heugras, so wird, haben sie zu heuen und

wegzutasseu, auch Botengänge zu thun bis zu zwei Meilen; dafür haben sie ihre Briefe und Siegel mit den Gerechtigkeiten und Frei¬

heiten von alters her". Die Oderberger Fischer wurden durch eine Urkunde Frie¬ drichs II. von den persönlichen Diensten bis auf solche auf dem Wasser befreit, mußten aber dafür in zwei Raten jährlich 12 böhmische Groschen und gewisse Fischquanten entrichten. Diese

Abgabe wurde später der Stadtgemeinde zugewiesen. Das Ver¬ hältnis zwischen der Fischergemeiudc und der Stadt gestaltete sich zeitweise recht eigenartig. Die heutige Oderberger Fischergemeinde bildet gleichsam einen Staat im Staate oder, richtiger gesagt, eine Gemeinde in der Gemeinde. Es gehören ihr 37 Fischer an, von denen im jährlichen Wechsel jeder einmal das

bekleidet.

In

die Fanggeräte gänzlich vernichten.

Mit

der

Strom entlang, wobei nur der

fischer den

Darre

geht derRanb-

scharfe Blick des Ein¬

Ein geweihten die widerrechtliche Thätigkeit erkennen kann. blinkerndes Blechstück in Gestalt eines Kleinfisches, an einer sehr langen Schnur im Wasser schleppend, wird vom Strom in schnelle Drehungen versetzt und lockt den raublustigen Hecht an, der nach

mit der Hand in den Kahn wandert. allgemeinen fischt der Fischer auf allen Wasserflächen, die mit dem Hauptgewässer in Verbindung stehen, seinem Kahn also Bei den mechselvollcn Wasserstäuden der Oder zugänglich sind. stellen sich hierbei wiederholt eigentümliche und teilweise Streit her¬ beiführende Verhältnisse heraus, sobald nämlich die Fluten weit¬

kurzem Ruck

Im

hin angebaute Felder, Gärten und Höfe bedecken, oder gar mit benachbarten Seen und Gruben in Verbindung treten. Wenn in der eingangs erwähnten Urkunde Friedrichs II. die Fischer von persönlichen Diensten bis auf solche auf dem Wasser befreit wurden, so erinnert eine Sitte der Gegeuivart au dieses Fast alljährlich fordern die größeren so geschaffene Verhältnis. Abgesehen von dem Gewässer ein Menschenleben zum Opfer. unverschuldetes, wie ist und Flößer Berufsleben der Fischer, Schiffer auch leider

gar

auf dem Wasser.

so

oft verschuldetes Unglück nirgends so häufig wie solchen traurigen Fällen üben die Fischer frei¬

Ju

der Nächstenliebe, den Leichnam aufzufischen und die Ausdauer und große Mühe erfordert. Arbeit, eine zu bergen, Die jahrhundertelange Kulturarbeit auf märkischer Erde hat ganz neue Zustände geauch in den Fischereiverhältnisseu

willig das Werk

Amt des Fischiueisters

der Behausung des Fischnicisters tagt die „Gemeine",

In

der Fastnachtsversammluug d. h. die Versammlung der Fischer. werden drei Tage lang die wichtigsten Geschäfte geordnet: Fischmcisterwahl, Berteilung der Fischstellen u. dergl. Zn dieser Ver¬

sammlung erscheint auch die Ortsobrigkeit zur Aufnahme eines Da die Interessen der Fischer gleichartig sind, sie zu¬ Innung einen festen Zusammenhang, auch die ihre durch dem wiederholte Gelegenheit zu vertraulicher Vorbesprechung haben, so sind sie in der Lage, in kommunalen Angelegenheiten ihren Einfluß Auf die 37 Inhaber der wirksam zur Geltung zu bringen. Fischcreigerechtigkeit sieht man vielfach scheel, namentlich nachdem sie durch eine ganz unvorhergesehene Entwicklung der Dinge in den Besitz einer guten Rente gelaugt sind. Es wurde nämlich der große Oderberger See als Holzlagerplatz für die vielen an der alten Oder aufgebanteu Dampfschneidemühlen ausersehen. Hier lagern nun Millionen russischer und polnischer Hölzer, die, nacherfolgter Bearbeitung ihren Weg weiter ins Land hinein, vorwiegend nach

Protokolls.

der Reichshanptsladt, nehmen sollen. Zwei Drittel des beträcht¬ lichen Lagergeldes fließen der Fischergcmeinde zur Verteilung zu; dieses Kapital, so meint nun mancher Richtfischer, geht der Stadt verloren. Was ans der alten landesherrlichen, später der Stadt zugewiesenen Abgabe geworden ist, kaun ich leider nicht verraten. Werfen wir nun einen Blick auf die althergebrachte Ausrüstung

'

von Fischer und Kahn. Die Fischerkähue sind durchweg leicht ge¬ baut, von kleiner Gestalt und mit einem wasserdichten Behälter für gefangene Fische versehen. Jeder Fischer hat sein primitives Abzeichen, daS auf seinen Gerätschaften allenthalben angebracht ist: Kerbe in Gestalt römischer Ziffern in mannigfaltigster Zu¬ sammenstellung. Im Kahn lagern Fanggeräte, wie Reusen, Bolljaken, Aalschnüre, Netze. Besondere Sorgfalt wird auf die Her¬ stellung der Netze verwandt, die zumeist die Winterarbeit des Fischers bildet. Der steten Nässe wegen trägt der Fischer Holzschuhe mit oder ohne Strohfüllung, daher im Oderbruch die Holz¬ schuhfabrikation nicht unbedeutend ist. Die Zweckmäßigkeit dieser obendrein noch billigen Fußbekleidung wird derart gewürdigt, daß selbst die Jugend zum größten Teil mit ihr ausgerüstet ist. Die Sicherung seines Eigentums macht auch dem Fischer manche Beschwerde. Auf den ausgedehnten Wasserflächen fehlt es nicht au Elementen, die da ernten, wo sie nicht gesät haben. Die aufgestellten Reusen werden ihres Inhalts entleert, und der Eigen¬ tümer muß oft froh sein, wenn nicht Bosheit und Zerstörungssucht

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iT

vr. -3

Aus dem romantischen Srrlin: Line Hofrckr prlristr.

In

15 .

einer Zeit, wo die einstigen urwald-ähnlichen Jagd¬ gründe keine» Raum mehr beanspruchen dürfen, übt der viel" festige Verkehr auch auf dem Wasser seine Herrschaft aus, und der dadurch mit bedingte Niedergang des Fischbestandes ist als unwesentlich zu erachten gegenüber anderen großen Segnungen schaffen.

der fortschreitenden

Kultur.

608

^ecul leset) !j m

d les ] |§äp.

\Jate13 üt)d Erzählung von

Sot)i).

Freiherr von schlicht.

(Nachdruck verboten.)

«Schluß.,

an, den ihm gewordenen Auftrag auszuführen, aber Richard hielt ihn zurück: -„Gehen Sie in das Ordonnanzenziminer und warten Sie dort

er

Soldat

schickte sich

weitere Befehle ab, che Sic fortgehen." Die Ordonnanz verschivand, und erregt wandte sich Herr von Bolten an den Adjutanten: „Darf ich Sie fragen, was das heißen soll? Was soll der Soldat denken, wenn Sic

nieinen Befehl, den ich erteilte, umändern?" Richards Stimme klang sehr ernst und sehr bestimmt,

als er crividcrte: „Fragen Sie sich lieber selbst, was die Ordonnanz denken soll, wenn Sie ihm einen derartigen Auf¬ trag geben. Bedenken Sie bitte, daß Sie den Vorzug haben, sich in einem Offizierkasino zu befinden, und daß Sie nicht in einem öffentlichen Restanrant sitzen. Dort können Sie sich bestellen, was Sie wollen und soviel tadeln, wie Ihnen beliebt, hier müssen wir Sie schon bitten, zufrieden zu sein mit dem, was wir Ihnen vorsetzen, und ich denke, der Wein, der uns allen genügt, wird auch für Sie nicht zu schlecht sein." „Ich danke Ihnen für diese Belehrung", gab Herr von Bolten höhnisch zur Antwort, „aber Sie wissen ja, de gustibus non est disputandum, die Geschmäcker sind eben verschieden — dem Bürgerlichen schmeckt manches, was dem Adel nicht mundet." „Aber Bolten, Herr von Bolten, reden Sie keinen Un¬ sinn", riefen einige der anderen Reserveoffiziere lachend, und auch Richard zog die Aeußerung in das Scherzhafte, er stimmte in die Heiterkeit der übrigen mit ein und fragte dann: „Glauben Sie wirklich, daß der adelige Geschmack in manchen Dingen sich so stark von dem bürgerlichen unter¬ scheidet? Das habe ich bisher nicht gewußt." „Woher sollen Sie das auch wissen? erwiderte Herr von Bolten mit verletzender Geringschätzung, „Sie als Sohn eines Arbeiters und einer Frau ans dem Volke, die ein gewöhnliches Fabrikmädel war und einem Gerüchte zufolge auch

als Frau

keine glänzende

Perle gewesen sein soll —"

Aber weiter kam er nicht, mit einem jähen Satz fuhr Richard in die Höhe, jeder Blutstropfen war aus seinem Ge¬ sicht gewichen, dick und schwer aber lagen die Zornesadern auf seiner Stirn — für eine Sekunde dachte er daran, mit seiner Faust den Menschen zu zerschmettern, der da wagte, ihm aus seiner Geburt einen Vorwurf zu machen, der den Mut hatte, seine Mutter, die er und sein Vater wie eine Heilige verehrten, zu verdächtigen und im Grabe noch zu beschimpfen. Krampfhaft ballten sich die Finger seiner rechten Hand — aber mit eiserner Energie zivang er sich zur Ruhe. sind betrunken, Herr von Bolten, und bis ich den Ge¬ genbeweis habe, halte ich Sie noch für einen zu großen

„Sie

Ehrenmann, als daß Sie Ihre Worte nicht, wenn Sie nüchtern geworden, bereuen und zurücknehmen werden." Herr von Bolten zuckte geringschätzend die Achseln: „An Ihrem Urteil ist mir verzweifelt wenig gelegen, und im übrigen verbitte ich mir, daß Sie mir Trunkenheit vorwerfen — ich bin nicht betrunken — wovon soll ich denn betrunken fein, etwa von diesem elenden Zuckerivasser hier? Ist ja

in

lächerlich — ich denke ja nicht daran", und ohne abzusetzen leerte er sein volles Glas. „Und trotz ihrer gegenteiligen Behauptung muß ich den Glauben an Ihrer Trunkenheit aufrecht erhalten," gab Richard zur Antwort. „Denn sonst bliebe mir nichts anderes übrig,

als Sic einen Schurken zu nennen." Wie von der Viper gestochen, sprang Bolten in die Höhe; seine vom Wein geröteten Wangen färbten sich noch dunkler,

und leine Stimme klang fast heiser vor Erregung, als er rief: „Was? Das wagen Sie mir hier zu sagen? Wissen Sie wohl, daß ich meinen adligen Namen nicht von einem bürger¬ lichen Parvenü beschimpfen lasse?" Und che jemand wußte, wie es geschah, ehe einer der Herumsitzenden, die vergebens durch Worte und Gebärden versucht hatten, Bolten zu beruhigen, aufspringen konnte, um das Entsetzliche zu verhindern, hatte Bolten mit der flachen Hand Richard ins Gesicht geschlagen. Für einen Augenblick lähmte alle banges Entsetzen, selbst Bolten stand starr und unbeweglich, als lähme ihn der Schreck über das, was er gethan — dann aber folgte eine Szene der beispiellosesten Erregung. Man hatte den Schlag gehört,

einige Herren im Nebenzimmer waren, da die Thür offen stand, Augenzeugen gewesen; sic alle, der Komniandeur an der Spitze, eilten herbei, gleichsam, als wollten sie durch ihr Die Erscheinen die That wieder ungeschehen machen. Kameraden, ihres Herren der Reserve, die über das Benehmen der ihnen allen zur Last fiel, außer sich und empört waren,

auf Bolten ein — der aber hatte seinen cynischcn Gleichmut wiedergefunden und schlürfte, als sei gar nichts besonderes vorgefallen, seinen Sekt. Schließlich wandten sich auch seine Freunde von ihm ab und ließen ihn allein. Alle eilten auf Richard zu, der, auf den Kamin sich schwer an¬ lehnend, verzweifelnd da stand. Er war totenblaß, dunkelrot nur leuchteten auf seiner linken Wange die Stellen, die die Hand seines Gegners berührt hatte. Das frohe Fest war jäh unterbrochen; begleitet von einigen älteren Kameraden suchte Richard seine Wohnung auf, und auch Herr von Bolten ging in sein Hotel, um dort die Zeugen und Sekundanten des Regimcntsadjutantcn zu erwarten; denn darüber täuschte sich niemand: trotz der erst vor kurzer sprachen

Zeit

erlassenen

Allerhöchsten Bestimmungen,

die bezweckten,

eine Herabminderung der Duelle unter den Offizieren herbei¬ zuführen, war in diesem Fall eine gütliche Beilegung aus¬ Die schwerste Beleidigung ist der Schlag — nur geschlossen. mit der Waffe in der Hand kann hierfür Genugthuung ge¬

fordert und gegeben werden. Als Richard seine Wohnung in Begleitung seiner Freunde betrat, fand er dort zu seinem höchsten Erstaunen seinen Vater vor, der es sich während der Abwesenheit seines Sohnes mit einem guten Buch und einer guten Zigarre auf der Chaiselongue bequem gemacht hatte. Nun sprang er „Nicht wahr, auf und eilte den Eintretenden entgegen: Ueberraschung? eine Richard, das ist doch noch einmal Kaum habe ich

Dir

gemeldet,

daß ich

heute

nicht kommen

609

kann, da erhalte ich ein Telegramm, das mich für morgen in einer dringenden geschäftlichen Angelegenheit nach Berlin ruft. Der nächste Weg dorthin führt ja nun gerade nicht

über Deine hiesige Garnison, aber ein Doppeltst wie das heutige feierst Du ja nicht jeden Tag. Da habe ich den Umweg nicht gescheut, und hier bin ich nun. Offen und ehr¬ lich gestanden, habe ich nicht erwartet, daß Du schon so früh nach Haus kommen würdest — aber willst Du mich nicht mit den anderen Herren bekannt machen?"

Vater vor gar nicht gedacht hatte. „Verzeih, Vater," bat er, „ich war so, so überrascht — meine Herren, Sie gestatten, mein Vater — Rittmeister von Wolfs, Oberleutnant von Keller und Ober¬ leutnant von Kühn." Der Kommerzienrat reichte den Herren die Hand. „Ich freue mich, Sie persönlich kennen zu lernen — aus den Briefen meines Sohnes sind Sie mir schon lange bekannt. Wie ist es, meine Herren, wollen Sie mir die Freude machen und mit mir und meinem Sohn heut abend noch zur Nacht speisen — cs ist ja noch früh am Tage, kaum nenn Uhr, und vor zwölf brauchen wir ja nicht unbedingt schlafen zu Richard war

sich zu sehen, daß

so

verivirrt, gerade

jetzt

seinen

er an das Nächstliegende

noch

einen Augenblick saß der Kommerzienrat da,

Für

vor Schrecken über das, was er vernommen,

entsetzt

starr über die auf, und

dann aber raffte er sich die Zornesadern schwollen ihm an, als er nun sagte: „Meine Herren, wenn ein Mensch so handelt, überhaupt so handeln kann wie Ihr Kamerad, ist er ein Schurke, der da verdient, daß man ihn mit der Reitpeitsche züchtigt, wenn er nicht bevorstehenden Ereignisse;

dafür zu schlecht ist. Die Worte eines solchen Menschen können weder die Tote noch den Lebenden beleidigen — auch sein Schlag kann nach meiner Ansicht niemanden entehren, meinen Sohn, der an dem ganzen Vorfall nicht die geringste

selbst

Schuld

Für

trägt,

mich und

nach

meiner Auffassung

am

allerwenigsten.

für alle Verständigen bleibt mein Söhn

trotz¬

dem der Ehrenmann, der er bisher ivar und auch heute noch

Jede Schuld fordert ihre Sühne, stellen Sie Ihren Herrn Kameraden vor Ihr Ehrengericht und urteilen Sie ihn ab, stoßen Sie ihn hinaus aus Ihrem Kreis, dessen er sich un¬ würdig gezeigt hat — dann ist der Schuldige bestraft. Kommt cs aber zum Zweikampf, ist er ein besserer Schütze als mein Sohn, so wird er mit der geringeren Strafe davon ist.

konimcn.

Und deshalb, meine Herren, wird nichts aus dem

Duell — deshalb habe

ich mir meinen Sohn nicht großge¬ deshalb habe ich nicht für ihn gearbeitet und mich gemüht, deshalb habe ich nicht Schätze für ihn gesammelt, damit ein Schurke ihn im Duell töte. Mir will ich mein Kind erhalten, denn jede Liebe ist mehr oder weniger Egoismus, aber auch meinem Sohn will ich sein junges Leben retten, ihn schützen und bewahren vor Verwundungen, die ihn vielleicht zum Krüppel machen, ihn vielleicht einem Und darum, meine frühen Tod entgegen siechen lassen. Herren, noch einmal: das Duell findet nicht statt."

zogen,

gehen."

Ein verlegenes Schweigen folgte

diesen

Worten, niemand

ivußte recht, was er sagen sollte, die Herren sahen sich gegen¬ als erwartete der eine von dem anderen Rat und Hilfe, und Richard sah scheu zu Boden. Verdutzt blickte der Kommerzienrat die vor ihm Stehenden an. So sehr er sich im ersten Augenblick gefreut hatte, seinen Sohn und einige der anderen Offiziere zu sehen, jetzt bereute seitig an,

er es schon wieder, gekommen zu sein. ich passe nicht

hierher," sprach er zu

„Na, meine Herren,"

sagte

„Ich hab's ja

gesagt,

sich selbst.

er

endlich,

„dann nicht.

Wenn Sie nicht mit mir zusammen speisen wollen, zwingen kann ich Sie natürlich nicht — nach meiner Meinung ist aber jede Einladung wenigstens ein Wort des Dankes ivert."

Richard sah seinen Vater flehend an, er wußte, die ge¬ ringste Kleinigkeit konnte ihn in Zorn versetzen, und allzu wählerisch war er dann mit seinen Ausdrücken nicht.

„Aber Vater, wie kannst Du nur so ctivas denken," ergriff das Wort: „Herr Kommerzienrat, ich bedaure aufrichtig, daß Sic unser Schivcigcn sagte er, und auch der Rittmeister

Vergebens hatte Richard versucht, seinen Vater zu unter¬ Jetzt aber bat er mit flehender Stimme: „Vater, bedenke, ivas Du sagst — ich kann nicht so weiter leben, für alle Zeiten würde ich den Schlag zu fühlen glauben — ich will, ich muß mir Genugthuung verschaffen." brechen.

der Rittmeister, der mit seinen Kameraden ver¬ Blicke ausgetauscht hatte, trat jetzt vor: „Herr wunderte Komnierzienrat, wir begreifen Ihren Schmerz und Ihre Ver¬ zweiflung, wenn Sie an den Tod Ihres Sohnes denken. Noch aber lebt er, und warum soll der Sieg denn nicht der

Auch

gerechten Sache beschicdcn sein?

Ihrem Urteil über die That

falsch deuten, unter anderen Umständen ivürdc es uns eine große Ehre sein, mit Ihnen soupieren zu dürfen, aber heute geht es nicht. Wir sind hierher gekommen, um in einer-sehr ernsten Angelegenheit zu verhandeln." Er wandte sich an Richard: „Ist es Ihnen recht, Gollmer, ivenn ich Ihrem Herrn Vater den Vorfall mitteile?" Richards Wangen färbten sich dunkclrot vor Scham bei der Erinnerung an die ihm widerfahrene tödliche Beleidigung, trotzdem sagte er: „Ich bitte Sie darum, Herr Rittmeister,

unseres Kameraden von der Reserve stimmen wir vollständig Trotzdem aber ist bei, wer so handelt, entehrt sich selbst. nach den in unseren Kreisen herrschenden Ansichten, die ja auch die Ihres Herrn Sohnes sind, ein Duell unvermeidlich — Ihr Herr Sohn kann so nicht iveitcrleben, wenigstens

es mein Vater doch." „Was muß ich erfahren, meine Herren? Was ist vor¬ gefallen — meine Herren, ich bitte dringend um Aufklärung." der höchsten Erregung blickte der Konimerzienrat von einem zum andern, und als der Rittmeister nun den traurigen Vorfall schilderte, lauschte er, sich gewaltsam beherrschend, mit

traurig genug."

erfahren ivird und nmß

In

gespanntester Aufmerksamkeit.

„Ein

böser

Zufall will es, Herr Kommerzienrat," schloß Sic gerade jetzt zugegen sind, wo cs sich

der Sprecher, „daß

für uns daruni handelt, die Bedingungen für den Ziveikampf Ein Duell ist unvermeidlich, morgen früh schon muß es stattfinden, mit Ihnen hoffen wir alle, daß es Ihrem Herrn Sohn gelingen wird, seinen Gegner nach Gebühr ab¬ festzustellen.

zufertigen."

kann er nicht Offizier bleiben.

Das werden Sie nicht wollen,

daß er Ihretwegen seinem Berns, seiner Carriere entsagt, und deshalb bitte ich Sie, legen Sie uns keine weiteren Schwierigkeiten in den Weg, die Angelegenheit

ist so ivic so ernst und

Dröhnend schlug der Kommerzienrat mit der Faust auf „Und trotz Ihrer Worte, Herr Rittnicister, bleibt Geben Sic sich keine Mühe cs bei dem, was ich sagte. mehr, mich umzustimmen — dazu bin ich zu alt, und dazu ist mein Schädel zu hart, der geht nicht mehr ab von einer Meinung, die er einmal faßte." Und als nun Richard von ueuem die Arme emporstrcckte und seinem Vater flehentlich ersuchte, sich zu fügen und keinen weiteren Widerspruch zu erheben, setzte der Kommerzienrat fest und bestimmt hinzu: „Richard, als es sich um Dein Lcbensglück handelte, habe ich mich Deinen Wünschen gefügt — jetzt aber steht auch mein Lebensglück auf dem Spiel; denn wenn auch Du mir genommen würdest, dann wüßte ich wirklich nicht, was ich den Tisch:

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auf dieser Welt noch sollte. Darum darf das Duell nicht stattfinden — wenn der Herr Rittmeister mir sagt, daß Du dann in Zukunft nicht mehr Offizier bleiben kannst, so thut mir das Deinetwegen leid, mir selbst ist es gleichgiltig, für nach erleidest Du auch dadurch keine Einbuße an Deiner Komm zu mir in die Fabrik, an Arbeit und Thätig¬ Ehre. keit wird es Dir nicht fehlen, Du wirst vergessen, und die Stunde ivird kommen, in der Du mir dankst, Dich von dem Zweikampf zurückgehalten zu haben. Und nun, meine Herren, darf ich Sie wohl hitten, meinem armen Jungen bis zu meiner Rückkehr Gesellschaft leisten zu wollen. — Ich selbst gehe zum Herrn Oberst." Richard warf sich seinem Vater zu Füßen und umklamnierte seine Kniee: „Vater, ich flehe Dich an, gehe nicht hin zu ihm, sage ihm nicht, was Du uns gesagt hast, Du warst nie Soldat, Du weißt nicht, ivas Du thust." Aber geivaltsam machte der Kommerzienrat sich frei, und auch des Einspruchs der anderen Herren nicht achtend, stürmte er davon.

In der größten Erregung blieben die Offiziere zurück. „Meine Herren," sagte Richard, „es unterliegt keinem Ziveifel, daß mein Vater seinen Willen durchsetzen wird, trotzdem muß Bitte, das Duell stattfinden und zwar möglichst sofort. wir Gegner, meinem mit Sinne diesem in sprechen Sie tageshell sich ja die Reitbahn, könnten uns in der großen erleuchten läßt, treffen und heut abend noch die Sache austragcn." Aber als die Herren damit beschäftigt waren, die Bcdiugiingen zu vereinbaren, erschien der Kommerzienrat wieder' sein Gesicht hatte einen sehr

ernsten Ausdruck, aber es klang

wie Genugthuung aus seinen Worten, als er nun, auf das Protokoll hinweisend, sagte: „Bitte, geben die Herren sich keine Mühe weiter — mein Sohn wird sich nicht schießen;

allerdings habe ich dieses nur dadurch erreicht, daß ich den Herrn Oberst ermächtigte, telegraphisch für meinen Sohn den Abschied zu erbitten." „Vater," schrie Richard auf, „ivie konntest Du das thun? Willst Du mich denn für mein ganzes Leben un¬ glücklich machen? Weißt Du, was Du gethan? Ausgestoßen hast Du mich aus der Gesellschaft der Ehrenmänner, mit

|\üf

_

sagen, selbst alte „Freunde" zucken mit gut gespieltem Be¬ dauern die Schultern. Der Hunger nagt und bohrt, und kaltherzige Gläubiger drohen mit der Pfändung. Man sucht unter den Hab¬ seligkeiten etwas hervor, das in den sachkundigen, streng prüfenden Augen des Schatzmeisters im Leihamt voraussichtlich einen gewissen Geldwert besitzt und macht sich, im Herzen bitteren Gram über die schlechte Weltordnung und den Mangel au Erbarmen unter den Menschen, mit unwillkürlich zögernden Schritten ans den Weg zum

Bedrängnis.

*

mehr zu ihnen.

Vater und Sohn blieben allein zurück, stundenlang

saßen

sie noch zusammen, bis sie sich endlich zur Ruhe niederlegten. Der Kommerzienrat wollte seinen Sohn Richard nicht allein lassen, so hatte der Diener auf der Chaiselongue ein Lager für ihn bereitet und den Auftrag erhalten, rechtzeitig zum Abgang des Zuges zu wecken — Richard hatte versprochen,

seinen

Vater nach Berlin zu begleiten.

Es war fast zivei Uhr, als die beiden sich für einige Stunden schlafen legten; aber lange hatte der Kommerzienrat noch nicht geschlummert, als er plötzlich erschrocken in die Höhe fuhr. Er sprang aus und stürzte in das Nebenzimmer. Dort lag sein Richard, sein Stolz und seine Hoffnung, seine Liebe und sein Glück, halb ausgekleidet auf seineni Bett, der Revolver war zur Erde niedergefallen, aus einer Wunde an der Schläfe floß das

Blut.

An dem Leuchter aber, der auf dem Nachttisch stand, war ein Zettel befestigt, der die Worte enthielt: „Vater, ver¬ — die Schmach, zeih mir, aber ich kann nicht weiter leben die inau mir zugefügt, und die zu rächen Dein Einschreiten verhinderte, ist zu groß. Vater, wie konntest Du mir das anthun? Ich kann's nicht fassen!" Laut aufstöhnend, in unnennbarem Weh umschlang der Vater mit seinen beiden Armen die Leiche seines Sohnes, lind während ihm die heißen Thräueu über die Wangen liefen, sprach er, als hätte er einen Lebenden vor sich: „Richard, erinnerst Du Dich noch? Als Du mich batest, Offizier werden zu dürfen, sagte ich zu Dir: „Wir werden uns entfremden und eines Tages nicht mehr verstehen, und die Stunde wird kommen, in der ich es bereue, Deinen Wunsch erfüllt zu haben. Richard, entsinnst Du Dich dessen noch?" Aber der, dem diese Worte galten, gab keine Antivort — mehr — die bleichen Lippen waren verstummt für einig.

Adolf Flachs.

eufzend entschließt man sich endlich zu dem schweren Gang nach dem Leihaint. Alle Hilfsquellen versiegen und ver¬

*

Schluchzend verbarg Richard sein Haupt in den Händen, — sie und leise, fast unhörbar entfernten sich die Offiziere gehörte nicht hatten hier nichts mehr zu thun, der Kanierad

den) Jfeibantf. Don

letzten Helfer in der

Geringschätzung iverden alle auf niich hinabblicken, ich habe auf meiner Ehre einen Flecken, den keine Euügkeit von mir Vater, Vater, wie konntest Du das thun?" nehmen wird.

*

Hier also ist die Straße, und dort das graue, unfreundliche Gebäude, in dem das Leihamt untergebracht ist. Der Geldbedürstige wirft forschende Blicke um sich — Gott sei Dank, in diesem Augenblick sind wenig Menschen zu sehen, und darunter kein einziger Bekannter. Rasch, in geduckter Haltung,

_

(Nachdruck verboten.)

Thor — als wäre er

ein Verbrecher, der sich in Anspruch nehmen Leihamt das er daß einschleicht. Er schämt sich, sagt mau doch Schande, keine ist Armut muß. Warum eigentlich? und glaubt andere vieles wie so es, man sagt immer. Ja r.ohl,

schlüpft er in das

es selber nicht. Täuschen wir uns nicht! In unseren Tagen wirkt Mittellosigkeit ein wenig entehrend. Wer kein Geld verdienen kann, gilt als untüchtig oder arbeitsscheu. Jeder kennt diese Fälle, da gediegene und arbeitsfrendige Menschen im Kampf mit widrigen Verhältnissen elend zu Grunde gegangen sind; und dennoch spricht der Wohlhabende halb mitleidig, aber auch halb verächtlich von einem „armen Teufel." Die meisten Menschen sind eben Erfolg¬

anbeter.

*

*

*

Schwere, dumpfe Lust erfüllt den Saal des Leihamtcs, staub¬ Fensterscheiben dämpften das Tageslicht. Die Gesichter der meisten ans dem Publikum erzählen stumm von schwerem Kummer. Man tritt leise auf, es wird fast nur im Flüsterton

bedeckte

611

gesprochen, selbst hie Beamten mäßigen ihre Stimmen gleichsam in instinktiver Scheu vor dem Schmerz, der die Leute da quält. Wie ein stiller Seuszer geht es durch de» Raum, jeder sieht den

andern von der Seite an, mit einem Gesicht der Scheu und Augst. Die Thorheit verläßt den Menschen auch in der Not nicht. „Was liegt daran", möchte man all denen zornig zurufen, „wenn diese Dir Unbekannten nun missen, daß Du in Geldverlegenheit bist! Im übrigen, Du weißt es ja auch von ihnen — warum also schämt

Ihr

Euch

vor einander,

Ihr

*

*

Zwei elegant gekleidete Herren treffen sich ganz unerwartet vor dem Tisch, auf dem die Versatzgegenstände zur Schätzung vor¬ gelegt werden.

„Ach, Herr A.! Sie — hier?" rief B. aus. „Ach, gute» Tag, lieber Herr B., wie geht es gegnete Herr A. scheinbar einigermaßen überrascht.

Ihnen?" ent-

heute nach Ostende, nicht zur Erholung, Gott sei Dank, ich bin gesund — bloß zur Zerstreuung. Und da will ich meine Wertsachen hier hinterlegen, hier sind sie sicherer verwahrt

„Ich

reise

als in meiner Wohnung."

„So,

so, so!

da thun

Sic

ganz recht!" verseht Herr A. und

B. ist ein vortrefflicher Lügner. „Und was führt Sie hierher, Herr A.", fragt nun Herr B. „Eine kleinliche Sache," lacht Herr 21., obgleich ihm sehr „Sie werden es gar nicht glaube»! Morgen schwer zu Mut ist. ist der Geburtstag meiner Frau, und ich möchte ihr etwas recht — meine Schönes zum Geschenk machen. Nun — unter uns gesagt Frau hält mich mit dem Taschengeld etwas knapp. Von einem denkt sich dabei, der gute

Freunde etwas borgen, hieße das Geheimnis verraten, daß ich ich fühle mich dabei wahrhaftig sehr unter dem Pantoffel stehe schämt sich Naturen . . . aber man solche giebt es glücklich Uhr kurze meine goldene Einfall, den auf ich Da kam dessen. belehnen . ." zu Zeit hier „Eine prächtige Idee, Herr?" meint lächelnd Herr B. und sagt hinters Licht". sich heimlich: „Mit dieser Lüge führst Du mich nicht

...

...

*

*

*

Ein weißhaariges Mütterchen, ein Bündel in der Hand, tritt an den Tisch vor. Sie wünscht ein Darlehen von 20 Mark. Der Schatzmeister sieht das seidene Kleid, das die Alte mit zärtlich glättender Hand ausgebreitet hat. Der Beamte macht ein ernstes Gesicht und raunt dann der Alten mit sanftem Ton zu: „Sie können höchstens fünf Mark bekommen." Die Greisin schreckt zusammen, schließt die Augen und sinnt eine Weile nach. Woran denkt sie? 21» ein krankes Enkelkind oder an den Vizewirt, der die Miete verlangt, widrigenfalls er sie auf die Straße werfen wird? „9hm?" mahnt leise der Schatzmeister. Die 2llte erwacht ans ihrem Grübeln, kneift den Mund zu¬ sammen und nickt — sie kann nicht sprechen

tritt

.

. .

Ein junger Mann mit frischen Farben im fröhlichen Gesicht ein. 2lllcm Anschein nach ein Student, dem der Monat zu

lang und der Wechsel zu klein ist. Mit neugierigen Blicken mustert Publikum und senkt dann, als er fast lauter bekümmerte Mienen sieht, den Kopf. Er ärgert sich über alle diese Menschen, die traurig sind, weil sie kein Geld haben. Wie kann mau sich Durch diese Thoren will so etwas doch nur zu Herzen nehmen. er sich die gute Laune nicht verderben lassen, und er summt für sich: Ouucksamus igitur. Endlich gelangt auch er an den Tisch, wo der Schatzmeister sein wichtiges Urteil abgiebt. Der junge Mann reicht eine silberne Uhr hin und wünscht darauf zehn „Meter" Vorschuß. Der Beamte lächelt und bietet 2 Mark 50 Pfennig an. Der Jüngling macht ein verblüfftes Gesicht und entschließt sich endlich, auch die kleine Summe anzunehmen. Lustig ist er hineingekommen, verstimmt zieht er fort. er das

ihren Schmuck zusammen und geht weg.

„Es wundert

Narren?"

*

Eine lebhafte Russin erscheint. Sie will heute noch nach Karlsbad reisen, hat keine Geduld zu warten, bis ein Geldbrief ans ihrer Heimat eintrifft. Der Schätzmeister erklärt, er könne ihr auf ihre Juwelen 300 Mark anweisen. Gut. Dann fragt er nach Erstaunt beantwortet sie die Namen und Adresse der Dame. Fragen. Nun verlangt der Beamte die Vorzeigung einer Le¬ gitimation. Die Russin wirft ihm einen entrüsteten Blick zu, rafft mich bloß," eiferte sie zu ihrem Begleiter, „daß

man nicht noch Vorlage eines Jmpfzengnisses und 2lrmenscheines, eines Certificates über Unbescholtenheit und eines Taufscheines verlangt. Schon aus Zartgefühl sollte man jede Frage unter¬ lassen. Und welchen Nutzen haben die Legitimationspapiere? Wer Unredliches ins Leihamt trägt, sorgt schon für einen UrkundenWisch."

immer mehr im Zorn, ihre Sprache wird drastischer, jedes dritte Wort ist eine Beleidigung für das System und die Beamten.

Die Russin redet

sich

*

*

*

Ein anmutiges junges Mädchen zieht ein prächtig funkelndes Freie Station und aus ihrem Reticule hervor. 30 Mark Gehalt — bei zufriedenstellender Leistung ein Ge¬ Und sie hatte die alte schenk — das war vereinbart worden. kranke Rentiersfrau aufopferungsvoll gepflegt und betrauert, nicht etwa im Hinblick auf das in Aussicht gestellte Geschenk, sondern weil sie aufrichtiges Mitleid empfunden mit der vor Schmerzen Die dreißig Mark halte sie dann einer gepeinigten Frau. wollte sie für kurze Zeit das herrliche nun geborgt, Freundin Ilrmbaud hinterlegen, um es sofort wieder einzulösen, wenn sie Llrmband

wieder Geld verdient.

Der Schätzmeister sieht

den Schmuck

an, sieht das Mädchen

an und flüstert: „Drei Mark".

Das Mädchen erbleicht.

„Bloß drei

.

. .

wirklich?" stam¬

melte sie. Und der Beamte sagt: „Wirklich! Die Diamanten sind das Gold hat einen Wert von fünf Mark."

Glas,

Eine Falte erscheint zwischen den 2lugen des Mädchens, das den Schmuck zurücknimmt und traurig weggeht.

*

In

* .

*

einem anstoßenden Saale werden Pfandscheine

verlängert

und Pfänder eingelöst.

Hier erblickt man öfter fröhliche Gesichter. Wer eine» Gegen¬ stand, der ihm lieb ist, endlich wieder aus der Gefangenschaft be¬ freit, dem merkt man es an seinem Gehaben an. häusig verdutzte Gesichter — nämlich, wenn der Beamte die Summe nennt, die an Zinsen zu entrichten ist. Man ist gewohnt, ein Leihamt als Wohlthätigkeits-Jnstitut zu betrachten und ist bestürzt zu erfahren, daß man sehr hohe Zinsen zu entrichten hat, insofern das Pfandobjekt nicht innerhalb sechs

Man sieht

auch

Monaten behoben oder der Schein nicht rechtzeitig verlängert worden ist. In diesem Raum wartet das Publikum nicht auf Geld, die Stimmung ist hier auch nicht so gedrückt, und mau hört da mit¬ unter kühne Aeußerungen, allerdings nicht gar zu laut.

„Wenn die Herren Beamten nur flinker sein wollten, daß man endlich ans diesem stickigen Raum fortkäme!"

„Es sind eben großen 2lrbcit."

zu

wenig Beamte im Verhältnis zu der

„I

wo! Sollten weniger quasseln und rascher arbeiten!" „Rascher? Nee! Das muß in Ruhe abgemacht werden, sonst kommt eine heillose Verwirrung heraus."

„Ra, wissen Sie, sputen könnten sich die Herren doch ein wenig. Sehen Sie, ich bin hier ein alter Kunde, ein Stammgast, und komme sonst immer knapp vor Sperre. Da sollten Sie mal sehen, wie das hurtig geht — die Herren möchten eben auch bald fort und geben sich mehr Mühe."

_

612

Nus der Jugendzeit des Kurfürsten Johann Cicero.

(Nachdruck verboten.)

Mie Wirksamkeit der ersten hohenzollerischen Kurfürsten in der Mark Brandenburg ist trotz mancher wertvollen Veröffent¬ lichungen immer noch in ein gewisses Danket gehüllt und bedarf Während die Politik der in vieler Hinsicht noch der Aufklärung. beiden Kurfürsten Friedrich I. und Friedrich II. in einem für die Wohlfahrt des märkischen Landes allzu günstigem Lichte darge¬ stellt zu werden pflegt und durch legendäre Entstellungen auf die künftige Machtstellung Brandenburgs hinstrebend erscheint, wird bei der Wirksamkeit der beiden folgenden Herrscher zu wenig das enge Verhältnis, in dem sie zu dem Adel und zu den Bewohnern der Mark standen, berücksichtigt und ihre Politik infolgedessen auch von einem falschen Standpunkt aus betrachtet. Besonders die Regiernngszeit und überhaupt das Leben des Kurfürsten Johann Cicero ist von den bisherigen Geschichts¬ schreibern sehr stiefmütterlich behandelt worden, und obwohl er zuerst ein innigeres Band zwischen dem neuen Herrscherhaus und der märkischen Bevölkerung geschaffen hat, sind seine Verdienste nicht gebührend geivürdigt worden. Es ist deshalb von Interesse, daß neuerdings Professor Dr. Friedrich Wagner, Oberlehrer am Friedrich-Wilhelm-Gymnasium in Berlin, den Versuch gemacht hat, durch eine auf wertwollen Quellen beruhende Arbeit sProgr. Ostern 1900) ein Bild der Jugendentwicklnng Johann Ciceros zu entwerfen und hierdurch zum Verständnis seiner Stellung zur Mark und zu den Märkern und seiner Wirksamkeit als Regent und als Kurfürst beizutragen. Johann Cicero wurde am 2. August 1455 als zweiter Sohn des Markgrafen Albrecht und seiner ersten Gemahlin Margarete Wie der Sekretarius Johann von Baden zu Ausbach geboren. Volker in seinem Rotizbüchlein berichtet, ist die Mutter zwei Jahre später am 21 November 1457 gestorben und hat ihrem Gemahl Der erstgeborene außer dem Sohne drei Töchter hinterlassen. Sohn Wolf war in jungen Jahren 1450 gestorben, wie ans einem in: Kgl. Hansarchiv zu Charlottenburg befindlichen Beileidsschreiben des Ritters Apel Vitzthum hervorgeht. Aus den ersten Lebensjahren des Prinzen ist nichts Bedeu¬ tendes zu berichten, nur die Thatsache, daß das einjährige Knäblein bereits so kräftig entwickelt war und seinen Schwestern so viel zu schaffen machte, daß die älteste derselben, die sechsjährige Ursula, sich veranlaßt sah, im Anglist 1456 an den Vater, der damals als „Hofmeister und Hauptmann" Kaiser Friedrichs III. häufig abwesend war, einen Brief zu richten, in dem sie sich über den Bruder beklagt, „daß wir von ihm mit Schlagen und anderer ungebührlicher Mißhandlung täglich viel Gewalts und Ueberlasts haben und dulden müssen", und den Vater bittet, er wolle sich „in kurzem anheims verfügen und uns solcher Gewalt und solchen Hochmuts gegen unseren Bruder Rat schaffen". Der unbändige kleine Prinz verlor, wie erwähnt, bald seine Mutter und erhielt ein Jahr darauf (12. November 1458) in der Herzogin Anna von Sachsen eine Stiefmutter, die sich des Prinzen wie der übrigen

Kinder mit niütterlicher Sorgfalt annahm. Wie weit sich ihre Fürsorge nnd die ihres Gemahls Albrecht Achilles bis in die kleinsten Einzelheiten der Erziehung erstreckte, ist aus dem Brief¬ wechsel der beiden Ehegatten zu ersehen, und es berührt äußerst wohlthuend, wie die Markgräfin ihrem Gemahl von den geringsten Vorkommnissen in der Kinderstube Mitteilung macht, oder wie Albrecht, von Rcgiernngssorgcn bedrückt, doch der Kinder gedenkt und ihnen Pferdchen und Puppen übergeben läßt, mit der Angabe, Vater nnd Mutter hätten sie aus der Mark geschickt und würden bald mehr mitbringen. Der kriegerische, thatenlustige Albrecht Achilles als fürsorglicher Vater und Erzieher — ein eigenartiges Idyll, das uns aber den trotzigen Kriegsmann menschlich näher bringt. Der Markgraf selbst war von seinem Vater, Kurfürst Friedrich I., sehr streng erzogen worden und bemühte sich nun, seine Kinder nach den gleichen Grund¬ Sparsamkeit war das Leitmotiv bei der Er¬ sätzen zu erziehen. ziehungsmethode Friedrichs I. gewesen, zur Sparsamkeit und genauen Einteilung der Einkünfte suchte auch Albrecht Achilles seine Kinder, nnd besonders seinen Stammhalter Johann, zu erziehen, und das Verdienst dieser Erziehung ist es, daß Johann nachmals als Regent nnd Kurfürst die Finanzen seines Haushalts in guter Ordnung hielt und durch Sparsamkeit den Wohlstand des Landes zu heben suchte. Anfangs allerdings war die Einschränkung, die Albrecht seinem Sohn in jeder Hinsicht auferlegte, nicht nach dessen Ge¬ schmack, und häufig kehren in seinen Briefen die Klagen wieder, daß er sich nicht standesgemäß kleiden könne, daß er sich viele Entbehrungen auferlegen müsse, daß er unbedingt Zuschuß brauche. Aber der Markgraf hielt au seinem als richtig erkannten Er¬ ziehungssystem fest uird ließ sich nur selten zur Nachgiebigkeit

erweichen. Ueber die Jugendzeit und die Erziehung des Prinzen Johann sind wir im allgemeinen durch die Briefe nnd Befehle Albrechts ziemlich genau unterrichtet. Bis zum zwölften Jahre wurde der Prinz in Franken mit den Geschwistern zusammen erzogen. Den


oar namentlich in Bezug auf die über die Schneekoppc führende Grenzlinie ein Punkt streitig geblieben. Eine Menge alter Leute, ehemalige Gcbirgsführer, Jäger und dergleichen, waren als Zeugen aufgeboten, die be¬

kunden sollten, daß die Grenze mitten durch die auf der obersten Spitze der Koppe stehende Kapelle gehe, die angeblich ans gemeinschaftliche Kosten der österreichischen und schlesischen Grundherren, zweier Grafen Schasgotsch, zur Bekräftigung des Friedens nach langjähriger Fehde er¬ richtet worden sein sollte. Die Aussagen der Zeugen stimmten aber nicht überein hinsichtlich der angeblich früher vorhandenen Grcnzzeichen innerhalb der Kapelle. Als ich nun im Späthcrbstc des Jahres 1850 einige Wochen in Warmbrunu verweilte, benutzte ich die Gelegenheit, um das dortige gräfliche Archiv zu durchforschen. Hierbei entdeckte ich die „Erektionsurkunde der Kapelle auf der Schneekoppe," aus der sich unzweifelhaft ergab, daß die Kapelle ausschließlich von dem schlesischen Grafen von Schasgotsch errichtet ivorden ist. Da nun bei dem Hubertus¬ burger Friedensschluß das Prinzip festgesetzt ist, daß die Landesgrenze dem Zuge der Privatgreuzen zwischen den österreichischen und schlesischen Gutsbezirken folge, so konnte dagegen nichts eingewendet werde», daß die Landesgrenze südlich von der Kapelle gezogen und der oberste Gipfel der Schneekoppc Preußen zugewiesen wurde. Als technischer Kommissar war mir der Bauinspektor in Hirschberg, Salzenbcrg, der Mit demselben reiste ich in spätere Geheime Oberbaurat, beigeordnet. demselben Herbst behufs Schluyvcrhandlung mit dem österreichischen Kommissar nach dem Schlöffe von Nagod in Böhmen, >vo alle Streitig¬ keiten, da der Landeshauptmann ein friedlich gesinnter Biedermann war itnd auch wir nicht streitsüchtig waren, gütlich beglichen wurden und insbesondere anerkannt ivurde, daß der oberste Gipfel der Schneekoppc Preußen zugehöre."

Die mustkalische Matratze. Friedrich Wilhelm III. von Preußen hatte in seiner Anspruchslosigkeit und Bescheidenheit Ehrungen seiner Person gar nicht gern. Wenu es sich thun ließ, suchte er sie zu ver¬ meiden. Den fürstlichen Empfang, den ihm die Berliner Bürgerschaft bei seiner Rückkehr aus dem Feldzüge gegen Napoleon am 7. August 1814 zugedacht hatte, nahm cr nur für die gleichzeitig- einmarschierenden Garden an, während cr selbst schon am ö. beinahe unerkannt in Potsdani eintraf. Desto peinlicher war cs für ihn, wenn er auf Reisen sich den Huldigungen seiner Unterthanen nicht entziehen konnte. Er mußte die Gesänge der Schulkinder, die Ansprachen der Bürgermeister, die Deklamationen der Ehrenjiingfraucn, die Musik der Bürgerwehren mit anhören und befand sich nicht eher in behaglicher Stmmung, als bis des Abends nach dem unvermeidlichen Festessen und dem Abendständchen der Gesangvereine endlich Ruhe eingetreten ivar. Einmal sollte ihm aber die Ruhe erst spät zu teil werden. Er war in dem erste» Gnsthof eines kleine» Slüdtchens abgestiegen. Erschöpft von den Anstrengungen des Tages warf cr sich am späten Abend auf sei» Lager, da knarrte es unter ihm, und die musikalische Matratze begann zu intonieren: „Heil

Dir im Sicgerkranz!" Dir Rückkehr des „Alten Frih" nach Berlin 1745 und 1763. (Eine Parallele.) Als Friedrich der Große nach deui Frieden zu Dresden in seine Residenz als Sieger einzog, wurde ihm ein feierlicher Empfang zu teil. Am 29. Dezember, dem Tage des Einzuges, ivar die Bürgerschaft, in Kompagnien eingeteilt, vom Schlosse bis zum Thor auf beiden Seiten der Straße unter Geivehr getreten. Die Kaufleute, Schlächter und Schützengilde befanden sich zu Pferde, ivozu noch eine Abteilung königlicher Jäger und Postillone kamen. Der Magistrat — I» empsing de» König am Thor. „Auf dem Köllnischen Gymnasium"

648

fährt der Bericht fort — „befanden

sich

alle Kirchen- niid Schnlbedicnte

Königs Annäherung nebst dreimal nnter Begleitung von Jnstrnnienten die Worte sangen: Vivat, vivat Friedericus Rex, vivat Augustus, Magnus, Felix, Pater Patriae. Aui Schloß war der Zulauf der Menschen so ungeheuer groß und ungestüm, daß der königliche Wagen, um Unglück zu verhüten, mehrmals halten mußte, während welcher Zeit die hier stehenden Kadctts Lorbecrkränze hineinwarfen. Der Empfang des Königs bei Hofe war ebenso zärtlich und cmpfindungsvoll als prächtig. Auf dein Abend war ganz Berlin erleuchtet und mit Sinnbildern von mannigfaltiger Er¬ findung geziert. Unter solchen zeichnete sich die Idee eines Bürgers aus, welche man sehr sinnreich fand. Sie stellte den österreichischen General Grün, auf einem Krebs reitend, vor. Die Unterschrift war: Der General Grün, Will nach Berlin. Der König selbst fuhr gegen abend in der Stadt umher und nahm sämtlichen Gymnasiasten,

welche

bei des

an diesen Freudensbezeugungen den lebhaftesten

Anteil'

so

wie

dessen

Zufriedenheit überhaupt so groß war, daß er gegen jedermann, der sich ihm näherte, darüber seine frohe Eiiipfindungeii äußerte und sein volles Vergnügen ausdrückte." — Wie ganz anders gestaltete sich sein Einzug in Berlin iiach dem Hubertusburger Frieden! Die Erwartung der getreuen Berliner sollte

sehr getäuscht werden. Dieselbe Quelle, der die Beschreibung des Ein¬ zuges im Jahre 1745 entnommen, berichtet über den 30. März 1763: „Vom Morgen dieses Tages an waren alle hiesigen Einwohner in der lebhaftesten und eifrigsten Bewegung, um beit so lang vermißten Monarchen würdig zu empfangen, wodurch ein Getümmel in allen Straßen und besonders in der Gegend entstand, woher man ihn er¬ wartete. Die wohlgekleidete Bürgerschaft stand in zwei Reihen vom Königsthor bis zum Schloß unterm Gewehr. Die Kaufmannschaft, an deren Spitze die Kompagnie des Bankiers Gotskowski war und bei der sich der Freund und Gesellschafter des Königs, der alte Marquis d'Argens, befand, machte vorzügliches Aufsehen. Auch zeigte sich das Schläehtergeiverk und die Schützengilde in prächtigen Anzügen zu Pferde. Es waren Ehrenpforten errichtet, und der hiesige Magistrat erwartete an der ersten den Vater der Stadt. Aber man wartete vom Morgen an vergeblich, denn er erschien erst des Abends spät und nahm einen weite» Umweg durch die Vorstädte nach dem Schlosse zu, so daß diese Anstalten sämtlich umsonst ivaren. Diejenigen, welche an solchem Tage vorzüglich beelscrt gewesen waren, sich hervorzuthun, wurden deshalb sehr niedergeschlagen, und die übrigen Berliner ahndeten aus diesem Vorgang nicht viel gutes für die Zukunft." Wenn auch diese Ahnung in der Folgezeit sich als grundlos erwies, so konnten lange Zeit die Berliner die Enttäuschung, die der König ihnen am 30. März 1763 bereitet hatte, nicht vergessen.

Die erste Postkutsche nach Potsdam.

Ein Zeitungsbericht

aus dem Jahre 1754 meldet: „Den ersten April ging die erste Post¬ Diese bequeme Ge¬ kutsche (Jourualicre) von Berlin nach Potsdam. legenheit für die Bewohner beider Städte, zu einander zu kommen, Ter Preis für die Uebersahrt für empfing den vorbedachten Namen. eine Person von einem Orte zum andern ivar aus die mäßige Summe von zwölf Groschen festgesetzt. Diese Veranstaltung fand soviel Beifall und Gebrauch, daß im Juni schon eine zweite Jourualicre eingelegt werden mußte. Taufen beim Lossprechen der Lelzrjungen. Durch ei» besonderes Edikt im Jahre 1674 untersagte der Große Kurfürst das „sogenannte Taufen beim Lossprechen der Lchrjungen bei den Gewerken und Innungen der Knrmark Brandenburg, bei hundert Thaler Strafe und dem Verlust aller Privilegien." Die außerordentlich hohe Strafe wird in dem Edikt dadurch begründet, daß „diese Taufe und die dabei zngcgencn Paten bloß Mißränche gegen die heiligen Sakramente wären und zur Beschimpfung des geistlichen Ministeriums dienten, zu geschwcigen der sogenannten Predigt, die mit lauter Schandpossen und Narrentcidingcn in solcher Versammlung gehalten würde."

Kapellmeisters Graun „Tod Jesu" wurde am 11. April 1754 zum erstenmal in der Domkirche aufgeführt. Nachrichten bestätigen, daß der Hof zugegen war. Das Meisterwerk wurde nicht mit beut ver¬ dienten Beifall aufgenommen, „weil man den musikalischen Vortrag gewisser Teile desselben mehr theatralisch als dem Gegenstand ange¬ messen

fand."

Ueber den Ursprung der ominösen Bezeichnung „Ochsen¬

kops" giebt der „Versuch einer Historischen Schilderung der Hauptveränderungen, der Religion, Sitten, Gewohnheiten, Künste, Wissen¬ schaften u. s. w. der Residenzstadt Berlin seit den ältesten Zeiten bis zum Jahre 1786, (Berlin 1798) 1. Bd. S. 204 folgende Erklärung: Im November 1758 kam der Bau des großen Arbeitshauses am Exerzierplätze vor dem Königsthore zu stände, und den 12. d. M. ward es durch den Propst Koppen feierlich eingeweiht. Dies ansehn¬ liche und für die Residenz äußerst wohlthätige Gebäude enthält hin¬ länglich Rauni zur Aufbewahrung vieler Armen, Bettler und Tauge¬ nichtse, ivelche dem Publikum nicht wenig zur Last zu fallen pflegen. Anfänglich nannte man das Gebäude „den Ochscnkopf", mit welcher Benennung man sehr verächtliche Begriffe verband und nach solcher die Personen, welche in gedachte Anstalt gebracht wurden, für ge¬ Sie rühret eigentlich daher, weil zuerst schändet und ehrlos ansehe. zur Aufbeivahrnng des mutwilligen Gesindels und der Bettler ein Privnthaus auf der Friedrichstadt und in der Folge noch einige zunächst dabeigelcgene Häuser gemietet worden waren. Da nun ersteres dem hiesigen wchlächtergcwerke gehörte und über dem Haupteingnng sich ein Ochscnkopf zur Verzierug oder vielmehr als ein Zeichen der Besitzer und ihres Gewerbes angebracht befand, so wurde es gemeinhin der Ochsen¬ kopf genannt. Wenn jcniand ungeratene Kinder oder böses Hausgesinde hatte, pflegte man sie mit dem Ansdruck zu bedrohen: „Ich werde Dich in den Ochscnkypf bringen lassen", welches zwar sehr schreckte, aber auch Verantwortlicher Redakteur:

vr. M. Foltieineano, Berlin.

viel Unschickliches mit sich führte, wodurch die Wohlthätigkeit, welche in dem Institut selbst lag, leiden mußte und von der verdienten Achtung verlor.

Ausschmückung der Berliner Kirchen mit Maien an den Pfingllseierkagen. Im Jahre 1748 wurde ein Reglement er¬ lassen, welches die Ausschmückung der Berliner Kirchen mit Maien an den Pfingstfclertagen untersagte, „um die Forsten, welche dadurch ge¬

schädigt wurden, daß man diese Maien in großer Menge um diese Zeit aushieb, zu schonen." Auf das platte Land ward dieses Verbot eben¬ falls ausgedehnt, und die Landrätc waren angewiesen, durch ausge¬ sendete Voten sich davon zu überzeugen, ob dem Folge geleistet wurde. „Ob nun schon diese Kirchenverzierungen", heißt es in einem Bericht ans dem Jahre 1798, „aufgehört haben, so ist cs dennoch den Berlinern eigen geblieben, in den Pfingstfeicrtagen ihre Wohnungen mit Maien auszuschmücken. Diese Gewohnheit ist sehr alt und ihrer Natur nach verdiente sie keinen Tadel, wenn nnr nicht der Holzmnngel solche Vorsicht notivendig gemacht hätte, auch diese kleine Freude zu stören.

Aushängen der Mietszeltel. 1765 verordnete das PolizeiDirektorium von Berlin das Aushängen der Mietszettel, um den Bürgern dadurch das Unterkommen zu erleichtern". Lesling-Trsuerfeier. Am 24. Februar 4781 veranstaltete die Döbelinsche Schauspiclgciellschaft zum Andenken an den (15. Februar „Tie Bühne desselben Jahres) verstorbenen Lcssing eine Trauerfeier. war völlig mit schwarzem Tuch behängt und mit solchen Verzierungen versehen, welche auf diese Handlung und aus den Verstorbenen Bezug hatten. Die Tochter Döbelins hielt eine rührende Rede, die allge¬ Hierauf meinen Beifall fand und den Anwesenden Thränen entlockte. wurde „Emilia Galotti" vorgestellt."

Vereins-Nachrichten. Verein für die Geschichte Berlins. Die dem „Königlich Sächsischen Altertumsverein"

von

für die Geschichte Berlins" durch seine Vorsitzenden Amts¬ gerichtsrat Dr. Böringuier und Professor Dr. Voß überreichte, von Professor Ad. M. Hilde brau dt gemalte Adresse hat folgenden Wortlaut: „Ter Verein für die Geschichte Berlins ergreift mit Freuden die Gelegenheit, dem Königlich Sächsischen Altertmnsverein zur Feier seines fünfundsiebzigjährigcn Bestehens den dem „Verein

Trotz der Verschiedenheit der der unscrigen sind es doch in den wechselnden Jahrhunderten mancherlei innige Beziehungen gewesen, welche von der Kunst und Kultur Dresdens nach unserer Heimat Berlin herüberleiten. Die steinernen Bildwerke in den Kirchen unserer Mark sind großenteils aus sächsischen Landen zu uns herübergebracht. Dieselben sind gemeißelt aus dem Sandstein, der an den Ufern Ihres Mit den Werksteinen zugleich heimatlichen Stromes gebrochen wird. kamen vielfach auch die Künstler Ihrer Heimat zu uns herüber. Der Erbauer des alten Berliner Schlosses, Caspar Theiß, stand unter den Eindrücke», die er von sächsischen Schloßbanten empfangen hatte. Ein hervorragender Steinmetz unseres Schlosses, Hans Scheußlich derselben Zeit ließ unser aus Schneeberg, war ein Sachse.

herzlichsten Glückwunsch auszusprechcn.

Geschicke

Ihrer Landeshauptstadt und



Kurfürst Joachim II. Gartenanlagen nach den Vorbildern ausführen, welche in Dresden Kurfürst August und seine Gemahlin, die Knrfürstin Anna, in ihren gefeierten Lustgärten geschaffen hatten. Die Berliner Porzellanmanufaktur, die den Glanzpunkt des Berliner Kunstgewerbes im 18. Jahrhundert bildet, ist fast in allen Ein¬ richtungen nach dem Muster der berühmten Manufaktur des sächsischen Königshauses eingerichtet. Dies nur einige Beispiele für die künst¬ lerischen Anregungen, welche unsere Stadt den sächsischen Landen und

der Kunstpflege des sächsischen Fürstenhauses zu verdanken hat. Die gemeinsamen Wurzeln unserer Kultur gehen _ ineinander über wie die Wellen der beiden Flüsse, welche an den Ufern unserer beiden Hauptstädte vorüberfluten. Dessen werden die Mitglieder des „Vereins für die Geschichte Berlins" bei ihren Arbeiten stets ein¬ gedenk bleiben und auch in Zukunft Ihre Forschungen mit den lebhastesten

Sympathien verfolgen."

Vüchrrtisch. Eine neue Kriegskarte von China,

bearbeitet von P.

Krauß,

Verlag des Bibliographischen Instituts in Leipzig und Wien soeben erschienen. Preis 80 Pf.

ist im

Jeder Zeitungsleser, gleichviel welchem Berns und welcher politischen Richtung er angehört, verfolgt mit wachsendem Eifer die im Vordergrund des politischen Interesses stehenden Vorgänge in China, und oft genug mag ihm der Wunsch nahe getreten fein, eine Karte des Kriegsschau¬ platzes zur Hand zu nehmen, um den Zeitungsberichten intensiver nach¬ zugehen. Die neuesten Ereignisse weisen darauf hin, daß die chinesische Frage die Welt noch lange in Spannung halten wird: unsern Lesern wird deshalb eine Oricntierungskartc von Ost-China nebst Spczialdarstellnngeu der Provinzen Tschili und Schantung, des Unteren PeihvLaufes, sowie Plänen von Peking, Tientsin, Taku, Tsingtau, Schanghai, Kanton und Hongkong ein willkommenes Ansknnftsmittcl biete». Die Karte ist mit besonderer Rücksicht auf die gegenwärtige Lage in China nach den neuesten Quellen entworfen, die Darstellung ist klar und über¬ sichtlich, der Druck mustergiltig.

— Druck und Verlag:

Friedrich Schirmer, Berlin

SW., Neuenburger Straße 14a.

Der Bär. Illustrierte Wochenschrift.

und koste, vierteljährlich 2 JB. o» Pf., „Der Bär" erscheint jährlich 52 mal und ist durst! alle Luchhnndiungen, AeilungSsPeditionen und Postanstalten zu beziehen für.— SSS des Postkatalogs) Beilagegebühr: 6 M. pro 1000 Stück inklusive Poitgebühren. — InjeLtionspveis für die 4 gespaltene Nonpareillezeile oder deren Raum 50 Pf. jährlich 10 M., Einzelheft 20 Fernsprecher: IV. Nr. 365t. Annoncen-Erpeditionen. allen von Neuenburgerstraße a sowie t4 , — Inserate und Beilagen werden entgegengenommen von der Erpedition des „Bär"", 8VV.,

26. Instryony.

Das Nllguste Viktoria-Krankenhaus blickt der Verein vom Roten Kreuz, Zweigverein Berlin, auf seine neueste Liebesschöpsüng. Stattlich und freundlich zugleich erhebt sich der weiß-rote Bau, das lang¬

it Stolz

ersehnte Krankenhaus, draußen in Neu-Weißensee, eine gute halbe Stunde vom Zeiitrnin der Millionenstadt entfernt. Seit sechs Jahren erst besteht dieser Berliner Zweigverein des Vaterländischen Fraucnvereins, und manchen Erfolg hat er seitdem schon zu verzeichnen.

Verschiedene Koch- und Haushaltungsschulen, über alle Gegenden Berlins verteilt, legen Zeugnis ab von seiner Fürsorge für die

wirtschaftliche Ausbildung der Sein weiblichen Jugend. Hauptwunsch und Hauptziel von Anfang an aber war die

Errichtung

eines

Dr. 41.

Sonnabend. 13. Oktober 1000.

zu Nen-Wcißensee

einen weißlich-hellen Anstrich, mit roten Ziegelkanten abgesetzt, dazu grünglasierte Dachziegel. Das erste, das wir, von der Straße kommend, betreten, ist das Schwesternhaus, in dem sich gleichzeitig die Bureaus und Verwaltungsräume, die Apotheke und die Wohnung der.Hausmeisterin befinden. Seitlich davon liegt der langgestreckte Pavillon, dessen unterer Saal die Männer aufnehmen soll, während der obere für Frauen und Kinder bestimmt ist. Beide Krankensäle, sowie die daranstoßenden Räume, sind durchgehcnds in weiß und blau gehalten, so daß der erste Eindruck ein ungemein wohlthuender ist. Je zehn Fenster an jeder

Saalivand sorgen für Luft Sowohl unten und Licht. vor dem Männer- wie auch oben vor dem Frauensaal ist ein geräumiges Zimmer mit langen, weißen Tischen, mit

T'

eigenen

Krankenhauses unter Leitung der eigenen Schwestern, das nicht nur den Pflegebedürftigen eine Zufluchtsstätte, sondern angehenden zugleich auch Schivestern eine Lehrschule

Rohrstühlen und Ruhebetten als Tagcsraum vorgesehen, in dem die außer Bett befindlichen Kranken bequemen

speisen und sich beliebig auf¬ halten können. Eine große, gedeckte und mit Fenstern ver¬ sehene Veranda, die eventuell auch als Liegehalle benutzt werden kann, grenzt das obere Zimmer ab. Außer diesen Sälen und Zimmern um¬ schließt jede Etage noch die Schwesterndienstzimmer,einige mit mehr Komfort ausgestattete Extrazimmer, für ein und zwei

Der einmütige Wille hierzu war da; nur eines, in diesem Falle das sein

sollte.

beste,

fehlte noch: die nötigen

Mittel, um entsprechend

den

Bau

zweck¬

herstellen

und

einrichten

zu mustergiltig können. Aber wo ein Wille ist, da findet sich auch ein Weg, und unermüdlich wurden Bazare veranstaltet u. s. w., was dem Verein alljährlich

D«s Auguste Vikkoris-Arankenhaus >u llru-weisteniee. Für den „Bär" aufgenommen von Frau L. ©eifrig.

Ueberschuß einen hübschen Dazu kam noch die werkthätige Hilfe in den Schoß warf. privater Kreise, die Bewilligung eines staatlichen Darlehns, so daß der Plan endlich Gestaltung gewinnen konnte. Die Wahl hierbei fiel auf Rcu-Weißcnsee, einem nord-östlich von Berlin

liegenden Borort, der bisher noch kein Krankenhaus besaß und im großen ganzen von einer wenig bemittelten Bevölkerung be¬ wohnt wird. Gemeinde »nd Kreis kamen dem Frauenverein bei

Erwerbung eines passenden Grundstückes in dankesmerter Weise und bald begann auf dem neu erstandenen Eigentum eine rege Thätigkeit, die ihre Krönung in der am 29. September vollzogenen feierlichen Einweihung des inzwischen fertig ge¬ Ausgedehnte Garteuaulngen um¬ stellten Krankenhauses fand. schließen die drei Hauptgebäude: das Schwesternhaus mit den freundlich eingerichteten Schwesternzimmern und dem schönen, großen Betsaal, das Wirtschaftsgebäude und den Krankenpavillon, sowie die vier Baracken, die aushilfsweise ausgestellt wurden, bis ein zweiter Pavillon, der im Plan bereits vorgesehen und für den die erforderlichen Mittel zum Teil schon vorhanden sind, in Angriff genommen werden kann. Uebereiustimmend zeigen alle drei Häuser entgegen,

Krankenbetten berechnet,

die

den neuesten hygienischen Einrichtungen versehenen Badezimmer, einen Küchcnraum, von dem aus das Essen in einzelnen Portionen

mit

w. Das Untersuchungszimmer derAerzte liegt im ersten Stockwerk, die beiden Operationsräume nehmen einen besonderen Flügel zu ebener Erde ein. Man durchschreitet einen langen, gedeckten Korridor, um sie zu erreichen. Sie gliedern sich in einen großen und einen kleineren Operationssaal, beide durch ein ziemlich breites, doppeltes Fenster miteinander verbunden und ausgestattet mit allen einschlägigen Hilfsmitteln, die Wissen¬ schaft und Industrie in neuerer Zeit ersonnen und geschaffen haben. In einem kleinen Vorraum bergen Groß-Glasschräuke die blitzenden Instrumente, die Laken, Operationsmäntel u. s. w., ein Separat¬ zimmer ist für die oft notwendige Nachbehandlung der Kranken bestimmt und demgemäß mit orthopädische» und anderen Apparaten versehen. Sämtliche Räume werden durch Dampfheizung erwärint, nur in den Baracken sind Gasöfen aufgestellt, ebenso in den Bade¬ zimmern. Interessant ist die Einrichtung des Wirtschaftsgebäudes, das Alles geht hier ins Große. zugleich als Maschinenhaus dient. ausgegeben

wird, Wäschekammer u.

s.

690

Riesendampfkessel, in denen Kaffee, Brühe und Gemüse gekocht werden, nehmen die Mitte der Anstaltsküche ein, daneben ist ein Kochherd aufgestellt, der auch nicht zu den kleinsten seiner Art

Drei

zählt, und ein mächtiger Kartoffeldämpfer neuester Konstruktion. Die fertigen Speisen wandern aus der Küche in den Anrichte¬ raum, wo sie auf einem Gasherd aufgegeben werden, ehe die mit heißem Wasser gefüllten Wagen sie nach den Pavillons und Ba¬ racken überführen. Das Souterrain birgt dieFleischkammer, außerdem

Mvanheti\aaU (Photographische Aufnahme von Frau L. ©eifrig, Berlin.)

eine

Art

Vorküche,

in der alle

Gemüse u. dergl. zugcputzt werden, den eigentlichen Küchenraum befördert,

bevor ein Aufzug sie in den Flaschenkeller, Waschhaus, Desinfektionsraum und ähnliche Wirtschaftsgelasse. Im ersten Stock wohnen die Dienstboten.

Geleitet wird das Auguste Viktoria-Krankenhaus und vor allem die Schwesternschule von der bisherigen Münchener Oberin Fräulein von Wallmenich; ihr zur Seite stehen neunzehn Schwestern. Vorläufig zählt die junge Schwesternschule erst drei Novizen, doch sind bereits für Oktober noch weitere Schülerinnen in Aussicht. Die Schülerinnen werden in Jahrcskursen ausgebildet und dann entweder im Hause selbst oder auf anderen Stationen verwendet. So hofft der Verein vom roten Kreuz einen Stab berufstüchtiger Schwestern heranzuziehen, die überall mit Ehren bestehen und dem Ruf ihres Abzeichens die verdiente Würdigung verschaffen werden. Mit dem Krankenhaus verbunden ist eine Poliklinik; auch sind mit ver¬ schiedenen Berufsgcnossenschaften Vereinbarungen dahin getroffen, daß diese einen Teil ihrer Kranken nach Weißensec legen wollen. Die Verwaltung dieses ganzen großen Apparates liegt in den Händen des ersten dirigierenden Arztes vr. Weber, den noch ein zweiter Chefarzt vr. Bode nnd zwei Assistenzärzte in seiner beruflichen Thätigkeit unterstützen. Letztere wohnen beständig im Weißcuseer Krankenhause, so daß sie stets für die Patienten zur Hand sind und über alle Vorkommnisse Kontrolle führen können.

Groß angelegt, bis ins Kleinste durchdacht, durch Liebe ge¬ gründet und von Liebe getragen — so hat der Berliner Zweig¬ verein vom roten Kreuz sein Auguste Viktoria-Krankenhaus, das Kind mancher sorgenvollen Stunde, der Oeffentlichkeit übergeben. Seine Pforten haben sich aufgethan, um an Hilfesuchenden einzu¬ lassen, so viele seine Räume fassen können. Möge es, dem Wunsch und Willen seiner Gründer gemäß, der Menschheit ein Segen werden! Gertrud Triepel.

*

*

*

meisterin Gräfin Brockdorf und Fräulein v. Gcrsdorf vertreten. Unter den Anwesenden befand sich die Prinzessin Elisabeth zu Hohenlohe, viele Militärs, der Generalstabsarzt der Armee von Coler, Geistlichkeit beider christlichen Konfessionen und der größte Teil der Mitglieder des Vaterländischen Frauenvereius, Zweigverein Berlin. Es sprachen auf dem mit herrlichen Blumen und Blattpflanzen geschmückten Podium Militär-Oberpfarrer Konsistorialrat Wölfing, General von Spitz als Vertreter des Zcntral-Komitees vom Roten Kreuz in Deutschland, Staatsmiuister a. D. Hofmann im Namen des Vaterländischen FrauenHanpt-Vereins, der Landrat v. Treskow im Namen des NiedcrBarnimer Kreises, Amtsvorsteher Feldtmann für die Gemeinde Weißensee, Frau Kammergerichtsrat Uhles als Vorsitzende des Zweigvereins und der Verwaltungs-Direktor und Chefarzt der inneren Abteilung Herr vr. Weber im Namen aller Angestellten des Krankenhauses. Meist in schwarz gekleidet erschien die Damen¬ welt, und nur ernstes, verhaltenes Flüstern drang ans einzelnen Gruppe», gleichsam als wolle man den Ort, der naturgemäß viel Leid und Elend sehen wird, durch weltliche Lust nicht entweihen. Zwei Reden aber gossen Frohsinn und Hoffnungsfreudigkeit über die Anwesenden aus und wie eine höhere Botschaft drang dabei herr¬ licher Sonnenschein durch die Wolken. Konsistorialrat Wölsing segnete die Eröffnung der Krankenhauspforten mit den Worten Jesaias: „Deine Mauern sollen Heil und Deine Thore Lob heißen."

In

längeren Worten bewies er die Stanimverwandtschaft und „heilen". Anerkennenswert war aber das Programm des Herrn Or. Weber, wonach das Krankenhaus: 1 . in Kriegszeiten zur Aufnahme der im Felde verwundeten Krieger, 2. in Friedenszeiten zum Wohl der Weißenseer, des Barnimer Kreises und zahlender Patienten aller Orten, sowie bei außer¬ ordentlichen Notständen und Epidemien Hilfe leisten werde, 3. aber zur Ausbildung geschulter Bernfsschwestern und freiwilliger Kranken¬ pflegerinnen dienen solle. Heilung, und, wo diese nach menschlichen Kräften unmöglich, Linderung soll jeder finden, der Hilfe suchend in die Pforten des Krankenhauses tritt. Seine ganze Kraft nnd sein ganzes Können will Herr vr. Weber mit seinem ganzen

von

„Heil"

E röffn ung s frier. (Photographische Ausnahme von Frau L. ©eifrig, Berlin.)

Personal dem Krankenhaus widmen. Die Wahl des Ortes Weißensee Am

September hatte sich eine gewählte Gesellschaft in Weißensee zur Eröffnung des Krankenhauses eingefunden. Man erwartete die Kaiserin zu dem feierlichen Akt, sie war aber, da sie erst am Abend vorher aus Cadtnen und Plön eingetroffen war, noch zu ermüdet von der Reise und wurde von der Oberhof¬ 29.

ist lediglich seiner

Initiative

zu danken, wodurch der Vaterländische

Frauen-Zweigverein eine Handlung der Humanität wie der aus¬ gleichenden Gerechtigkeit ausgeführt hat. Vierzig Freibetten für Ortsarme und Krankenkasseilmitglieder von Weißensee stehen für diese zur Verfügung. O. Henke.

Aus der Vergangenheit des Westportal der altehrwür¬

digeil

kirche

Marien¬

steht ein

zu Berlin schlichtes,

steinernes Kreuz mit fünf Löchern, die einst zur Be¬ festigung eines Kru¬ zifixes oder einer ewigen Lampe ge¬ dient haben dürften. Dieses roh gear¬ Steinkreuz beitete erinnert an eine

blutige Gewalt¬ that der Berliner aus des

dem Anfang 14. Jahrhun¬

derts. Man schrieb das Jahr 1326. Der Laurentius¬ markt, der am 10 . August in Cölln begann, hatte zahlreiche Landleute nach den Schwesterstädten Berlin und Cölln gelockt. In Scharen durchzogen diese und die einheimische Bevölkerung die Gassen, und neben den Handelsgeschäften wurden die politischen Verhältnisse lebhaft besprochen. Diese waren trübe genug. Zwar hatte die Mark seit zwei Jahren einen Laudesherrn, den Mark¬ grafen Ludwig — es >ist der Herrscher, dem unlängst in der Siegcsallee ein Denkmal errichtet worden ist — aber der neue Landesfürst war minderjährig, und sein Vater, Ludwig der B^ayer, der ritterliche Kaiser aus dein Geschlecht der Wittels-

Da«

Lulhrr- Denkmal

bacher, der anstatt seiner regierte, hatte sich den unversöhnlichen Haß des Papstes zugezogen. In Avignon befahl Johann XXII. am 1 . August 1325 allen Edelleuten, Vasallen, Bürgern und Bauern der Mark Brandenburg, Ludwig, den Sohn des gebannten Kaisers, nicht als Markgrafen anzuerkennen, noch ihm irgend wie zu gehorch.'». Die Berliner aber ließen sich durch den Fluch des Papstes nicht beirren; sie hielten in unwandelbarer Treue fest an Kaiser und Reich und wankten und wichen nicht, so viel auch Rudolf von Sachsen, das Haupt der aSkanischen Partei, und bie Geistlichkeit ihre Treue zu erschüttern suchten. Neben dem Bischof Stephan II. von Lebus, der 1325 die Polen und die Litauer ins Land gerufen, deren Raubhorden namentlich die Neu¬ mark entsetzlich verwüsteten, waren Probst Eberhard von Berlin und Probst Nikolaus von Bernau die eifrigsten und that¬ kräftigsten Parteigänger des Papstes in der Mark. Probst Nikolaus von Bernau besuchte zum Laurentiusmarkt 1326 seinen geistlichen

neuen Marktes.

Freund und Amtsgenossen in Berlin. Was zwischen ihm und der Berliner Bevölkerung sich ereignet hat, lägt sich urkundlich nicht feststelle». Hat er Aufruhr gegen Kaiser und Reich gepredigt? Hat er den Berlinern ihre Treue gegen „das ketzerische, kirchen¬ räuberische und von Gott verfluchte Haus der Wittelsbacher" vor¬ geworfen? Hat er den Rat und die Bürger in der Marienkirche in ungebührlicher Weise wegen einer unberechtigten Forderung gemahnt oder den Peterspfennig ungestüm eingefordert? Diese Als sich aus den Urkunden nicht beantworten. Thatsache steht jedoch fest, daß die mild erregte Bolsmeuge in die Berliner Probstei, in der der Probst Nikolaus abgestiegen war, mit bewaffneter Hand eindrang, „von einem teuflischen Geist erfaßt" den Probst gewaltsam herausholte und „ihn im Ungestüm

Fragen lasse»

der Leidenschaft öffentlich verbrannte."

Vermutlich geschah

dies am 16. August 1326 auf dem neuen Markt. Die Einzel¬ heiten der Gewaltthat laßen sich aus den Urkunden ebenso wenig feststellen wie die Veranlassung dieser leidenschaftlichen

Volksjustiz. Der furchtbaren Blutthat — der Mord eines Priesters war eins der schwersten Verbrechen, die das Mittelalter kannte — Die Brüder des verbrannten folgte eine furchtbare Strafe. Probstes, der Pfarrer Heinrich von Eberswalde und Albrecht, „der Sohn Adelheids", erhoben Klage wegen der Gewaltthat, und der Baun wurde über die von Priesterblut besudelten Schwester¬ städte verhängt, der Bann, ein einfaches Wort aus Priestermund, aber ein Wort von verhängnisvollsten Folgen in einer Zeit, in der die Kirche mit ihren Instituten im Mittelpunkte des gesamten Lebens stand! Eigentlich schloß das Interdikt ein völliges Verbot Die Kirchenglocken jedweder gottesdienstlichen Handlung in sich. schwiegen, die Thore der Kirchen schlossen sich, die Kinder blieben ungetauft, die Brautpaare uneingesegnet, die Verstorbenen wurden in ungeweihter Erde bestattet, und außer Sterbenden sollte niemand

aas dem Neuen

Markt.

Es ist jedoch nicht anzu¬ das heilige Abendmahl empfangen. nehmen, daß in Berlin und Cölln das Interdikt in dieser Strenge ausgeführt worden ist. Die Stiftung zahlreicher Altäre in den Berliner Pfarrkirchen während des Interdikts, die Ablässe, welche verschiedene Bischöfe den Kirchen in Berlin und Cölln unter Zu¬ stimmung des Bischofs von Brandenburg erteilten, die Thatsache, daß der Berliner Rat 1340 fünfzig Mark Silber für den Bau sack struoturam) der Marienkirche aufnahm, lassen darauf schließen, daß fortgesetzt gottesdienstliche Handlungen in den Berliner Kirchen vorgenommen wurden. Es werden sich wohl Priester gefunden haben, die dem Markgrafen mehr als dem Papst gehorchten. So ist von den Franziskanern, die in unerschütterlicher Treue zu den Wittelsbachern hielten, ohne weiteres anzunehmen, daß sie in der Klosterkirche, die damals als Hofkirche diente, ohne Rück¬ Nichtsdesto¬ sicht auf das Interdikt nach wie vor die Messe lasen. weniger muß der Bann schwer auf den Schwesterstüdten gelastet

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haben. Das beweisen die zahlreichen Urkunden, die aus dieser Jedenfalls litt der Handel wildbewegten Zeit erhalten sind. schwer unter dem Interdikt: jeder Berliner und Cöllner galt als Priestermörder und war gleichsam vogelfrei, und das schloß eine schwere Schädigung sämtlicher Handelsbeziehungen in sich. Der Rat von Berlin und Cölln ließ nichts unversucht, um die Schwesterstädte von dem auf ihnen ruhenden Bann zu befreien. Zweimal — 1331 und 1334 — schickte er einen Gesandten nach Avignon, dem Sitze der Päpste; Kaiser Ludwig der Bayer intervenierte vergeblich zu Gunsten der Städte, und erst 1335, nachdem der unversöhnliche Johann XXII. gestorben war, kam zwischen dem Bischof Ludwig von Brandenburg und den Städten Berlin und Cölln ein Sühnevertrag zu stände. Aber unter welchen Bedingungen! Die Bürger beider Städte mußten für des Propstes Seelenheil „einen Altar mit zwölf Stücken Goldes in der Pfarr¬ kirche ausstatten, wo er getötet ward." Ferner wurde ihnen auf¬ gegeben, „ein steinernes Kreuz, zwei Faden hoch, auf die Stelle zu setzen, wo er getötet ward", und auf demselben sollten sie „ein ewiges Licht unterhalten bis zu der Zeit, wo sie das Kreuz nach des Bischofs Rat durch ein besseres ersetzen". Der Altar, das Kreuz und das Licht sollten bis zum 16. August 1835, dem Todestage des Propstes, fertig sein. An diesem Gedenktage sollten in ganz Berlin und Cölln für die Zukunft Vigilien und Seelen¬ messen gelesen werden. Der Bischof von Brandenburg versprach in dem Vertrage, die ganze Angelegenheit, den Probst betreffend, auf sich zu nehmen und die Bürger in seinen Schutz zu nehmen". Aber er that diesen Vermittlerdienst nicht umsonst, sondern ließ sich für denselbeu 850 Mark Silber geben — eine für damalige Zeit ungeheure Summe, die in heutigem Geld einen Wert von etwa 150 000 Mark hat. Die Berliner erfüllten diese Bedingungen pünktlich. Sie er¬ richteten in St. Marien den Altar für den Propst, der dem 4). Matthias, dem Ersatzmanne des Judas Jscharioth, und den Märtyrern Stephanus und Hippolytus geweiht wurde; sie er¬ richteten das Steinkreuz und zahlten dem Bischof von Brandenburg das Sühnegeld, der schon am 15. Mai 1336 über die ganze Summe quittierte. Die formelle Erledigung der Angelegenheit ließ jedoch noch viele Jahre auf sich warten: erst am 6. Juli 1344 hob Papst Clemens VI. das über die Schwesterstädte verhängte Interdikt auf, und erst im Sommer 1345 verkündigte der Bruder Gerhard von Königsberg im Aufträge des Bischofs von Brandenburg, daß alle Einwohner von Berlin und Cölln, welche sich an der Ermordung des Propstes von Bernau unschuldig fühlten, vom Bann losgesprochen seien, und daß der Bischof von Brandenburg auch den Schuldigen verzeihen wollte, wenn sie sich reumütig bei ihm einfänden. Diese frohe Botschaft wurde au drei hinter einander folgenden Sonntagen des Jahres 1345 am 26. Juni in der Nikolaikirche, am 3. Juli in der Marienkirche, am 10. Juli in der Petrikirche feierlich verkündigt. Die Schuldigen aber, die eigentlichen Mörder des Propstes, wurde» für den 16. Juni 1346 vor das geistliche Gericht zu Brandenburg geladen. Die geistlichen Herren warteten bis Sonnenuntergang. Da aber niemand vor ihnen erschien, da ferner niemand gegen die Los¬ sprechung der Schuldigen Einspruch erhob, so hatte die Sache damit ihr Bewenden. Am 18. August 1347 erklärte sich, nachdem der Rat von Berlin und Cölln sich zur Zahlung eines jährlichen Sühnegeldes von einem Pfund brandenbnrgischen Pfennigen — etwa 150 Mark heutigen Geldes — verpflichtet hatte, auch die Kirche von Bernau für befriedigt, und damit war endlich der Priestermord gesühnt, mit dem sich die Berliner vor einundzwanzig Jahren befleckt hatten. Das schlichte Steinkreuz am Portal von St. Marien, das noch heute nach fast 600 Jahren an diese That blinder Parteiwut erinnert, ist offenbar nicht das Kreuz, von dem in dem Vertrag vom Jahre 1335 die Rede ist; denn dieses Kreuz sollte zwei Faden, d. h. 12 Fuß hoch werden, während das heutige Kreuz,, Es ist das wir im Bilde wiedergeben, viel niedriger ist. daher anzunehmen, daß die beleidigte Kirche auf das kolossale Kreuz verzichtete und sich mit dem niedrigeren begnügt hat. Wann dieses Sühnedenkmal aufgestellt ist, lätzt sich urkundlich nicht fest¬ stellen. Sein Standort war früher ein anderer; wir wissen aber nicht, wo das Kreuz ursprünglich gestanden hat. Die Nachrichten über den früheren Standort stammen erst aus späterer Zeit und widersprechen sich. Da die wütende Volksnienge den Propst wahr¬ scheinlich

mitten auf dem neuen Markt verbrannt hat —

schon

der Feuersgefahr wegen wird man gerade die Mitte des Marktes gewählt haben — dürfte die Annahme, daß das Sühnekreuz ursprünglich hier gestanden, viel Wahrscheinlichkeit für sich haben. Im Bewußtsein des Volkes ist die Erinnerung an die Blutthat, an die das Kreuz mahnen soll, längst völlig erloschen. Es dürfte nur wenige Berliner geben, die über die Veranlassung zur Errichtung dieses altersgrauen Denkmals Auskunft erteilen können. Die Er¬ zählungen, die der Volksmund an das Kreuz knüpft, bewegen sich alle in gänzlich unhistorischer Richtung. So erzählt man sich von einem Dachdeckergesellen, der vom Marienkirchtnrm gestürzt und dem zu Ehren das Steinkreuz errichtet worden sein soll, und Kosmar berichtet in seinen „Sagen und MiScellen aus Berlins Vorzeit"

von einem Musiker, der auf dem Kirchturm znm Lobe Gottes einen Choral geblasen, »nd den der Teufel von dem Turm auf die Straße hinabgestürzt habe:

„Der Teufel

siehet

ihn lachend fliegen,

Sieht ihn zerschmettert schon unten liegen. Da aber hat Gott das Blättchen gewandt; Denn der Musikus stand in Gottes Hand! Und wie er stürzet vom hohen Turm, Kommt schnell vom Himmel mit wildem Sturm Der Wind hernieder, der fürbaß sich jetzt In alle Falten seines Mantel setzt. So wird er nun langsam bei dem Kragen Vom Wind herab zur Erde getragen —

Und die Stelle, wo er gesund traf ein. Bezeichnet noch heute ein Kreuz von Stein."

Fast zwei Jahrhunderte nach der Verbrennung des Propstes Nikolaus von Bernau wurde der Neue Markt Zeuge einer öffent¬ lichen Gerichtsverhandlung, in welcher 41 märkische Inden znm Feuertode verurteilt wurden, weil sie geweihte Hostien ge¬

schändet und angeblich Christenkinder gemordet und ihr Blut zu rituellen Zwecken benutzt hatten. Im Juli 1510 ließ der Berliner Richter Hans Brackow auf dem neuen Markte für diese öffent¬ liche Gerichtssitzung, dic am 19. des genannten Monats stattfand, Es bestand aus ein eigenartiges Gerichtspodium aufführen. drei Etagen: oben saßen die gelehrten Juristen, auf dem mittleren Podium hatten Hans Brackow und die Schöffen Platz genommen, ans dem untersten saßen die angeklagten Inden und Paul Fromm, der die Hostien in der Kirche zu Knoblauch gestohlen und an den Inden Salomo in Spandau verkauft haben sollte. Die angeklagten Juden, die sämtlich gelbe und weiße spitze Hüte auf hatten, er¬ Vor allem Volke schienen mit „jüdischem Gesang" vor Gericht. ließ der Richter „den gehalten Prozeß gegen Paul Fromm und die Inden von Anheben bis zu Ende, und sonderlich die mannig¬ faltigen Indizien und Anzeichen, auch ihre Aussagen und Bekennt¬ nisse mit lauter Stinime und Wort für Wort" vorlesen. ^Es ge¬ schah dies in Gegenwart einer großen Volksmenge, die sich ans Die allen Ständen, aus Geistlichen und Laien zusammensetzte. Angeklagten blieben bei ihrem Geständnis, sie widersprachen den gegen sie erhobenen Anschuldigungen nicht; wußten sie doch, daß

längst über ihr Schicksal entschieden sei, und daß mit dieser öffent¬ lichen Gerichtsverhandlung nur dem Volke ein aufregendes Schau¬ Das Urteil, mit dem man sie dem spiel geboten werden sollte. Feuertode überantwortete, lautete: „Dieweil der böse Christ (Paul Fromm) sich an dem hochwürdigsten, heiligsten Sakrament ver¬ verkauft, die Kirche erbrochen, die gessen, dasselbe gestohlen, Monstranz und ein Büchslein, in dem das Sakrament gelegen . . . so soll man ihn auf einen Wagen binden, die Gassen ans und

nieder fahren, mit Zangen reißen und darauf in ein Feuer legen. Und dieweil die boshaften, schnöden, verstockten Juden ihre böse Handlung mehrfach außerhalb und vor Gericht bekannt, so soll man sie zu Pulver verbrennen, damit alle anderen ein abschreckendes Beispiel haben, und solche Uebelthat für die Zukunft nicht begehen." „Darauf hat der Scharfrichter den Paul Fromm genommen, auf einen niedrigen Wagen gesetzt, nackt ausgezogen, durch die Hauptstraßen der Städte Berlin und Cölln gefahren und dabei mit glühenden Zangen gerissen." Den „schnöden Inden" hat inzwischen der Rabbi, der unter ihnen war, Gebete vorgelesen, und die Schicksalsgefährten des Rabbi haben dazu mit hohen Stimmen in hebräischer Sprache Amen gesagt. Dann haben alle Juden „mit wunderlichem Geschrei und seltsamem Accent für und für gesungen," bis sie zu der Stelle des peinlichen Gerichts gekommen sind. Dem Christen Paul Fromm war ein besonderer Pfahl mit Holz, Reisig und Pech errichtet, ein Geistlicher tröstete ihn unter Hinweis auf das Leiden Christi, und er starb, „so vil zu mercken Für die Verbrennung der Juden gewest ist, mit rew und leyde." hatte der Nachrichter ein großes Gerüst in Form eines Tabernakels errichten lassen, ein „wunderlich gebeude", das drei starke Roste in Mannshöhe übereinander enthielt. Jeder, Rost war mit Holz, Stroh und Pech belegt, und die armen Delinquenten wurden mit Halseisen an starke Balken geschmiedet, „die lang und quer" gezogen waren. Das fürchterliche Strafgericht wurde also auf einem Scheiterhaufen vollzogen, der sich in drei Stockwerken auf¬ Als der Priester den sterbenden Paul Fromm, dessen baute. Marterpfahl neben dem Gerüst für die Juden stand, zur Reue ermahnte, „da haben etliche verfluchte schnöde Juden ihre Bosheit noch nicht unterdrücken können, sie haben Gott und die Christenheit geschmäht, und das Kruzifix, den Priester und die Christen öffentlich angespieen, verhöhnt und verschmäht." — Doch:

„Der Henker ist da und schmiedet so froh Acht und dreißig Juden über Pech und Stroh. Die einen oben auf sind zum Himmel gcricht't. Die andern liegen abwärts mit fahlem Gesicht. Ihre spitzen Hüte find gelb und sind weiß — Da knittert's im Stroh, und die Luft wird so heiß!

653

Es schrien die Juden — ein Rabbi war dabei,

sprach ans hebräisch die Litanei, schrien, doch wer weiß denn, was solch ein Jude Hoch aus schlug die Lohe, da würd' es still!"

Der Sie

ihn

Johann Georg

will!

Waren die Unglücklichen schuldig, deren Tod Hermann Kletke in diesen Strophen so packend schildert? Wer wollte das mit Bcstiinnitheit bejahen? Die Folter hat manchem Unschuldigen „Geständnisse" entwunden, und auf diesen „Geständnissen" fußen die späteren Darstellungen, die das Strafverfahren rechtfertigen sollen. Drei von den Juden traten aus Furcht vor Folter und Feuertod zum Christentum über, einem von diesen schenkte mau aus unbekanntem Grunde das Leben, die beiden anderen, Jakob von Brandenburg und Joseph von Seehansen, wurden am 20. Juli enthauptet. Alle Juden in der Mark wurden von Kurfürst Joachim I. aus den brandenburgischen Landen vertrieben. Vor ihrer Vertreibung aber mußten sie für sich und ihre Erben in einem Eide feierlich geloben, sich wegen der erlittenen Verfolgungen niemals zu rächen und mußten für den Fall, daß sie diesen Eid brechen würden, im voraus alle Strafen Sodoms und Go¬ morrhas über sich hcrabrnfen, die ihnen von Rechts wegen zukämen, da ihr Geschlecht sich selbst verflucht hatte, als es Jesum

sofort verhaften, die Untersuchung ergab

Lippold geführten amtlichen Kassen in Ordnung waren. Der Angeschuldigte wurde aus dem Turme entlassen, aber in seiner Behausung weiter bewacht. Da hörte ein Wächter, daß Lippolds Weib ihren Mann der Zauberei und Lippold wurde von des Mordes des Kurfürsten beschuldigte. neuem verhaftet, und die Folter that ihre Schuldigkeit: der Jude gestand, daß er mit dem Teufel verkehrt, Zauberei getrieben und den Kurfürsten vergiftet habe, um einen Diebstahl, de» er bei Joachim I. verübt, zu verheimlichen. Auf diese Verbrechen stand der Tod. Lippold widerrief zwar vor „gehegter Bank" alle Geständnisse, als der Scharfrichter ihn aber aufs neue folterte, daß „ihm das Bluet zum Hälfe auslief," da bekannte sich der Unglückliche zu seinen früheren Aussagen. Auf dem Neuen Markt war inzwischen das Blutgerüst errichtet worden, das seinen Leiden ein Ende machen sollte. Auf der Fahrt nach der Hiurichtungsstätte wurde er vom Scharfrichter „10 mahl mit glüendeu jedoch,

daß

die

von

Zangen gegrieffen oder gerissen, gezwecket, darnach auff dem Reuen Markt mit 4 Stößen gerädert, Bauch und Brust wurden mit einem Beil aufgehauen, das Herz ihm aufs maul geschlagen, die Hertina in ein Zuber geworfen, der Kopf ab und der Körper in viertel zerhawcu, die Misscra sambt dem Zaubcrbuch ofm Rewen-

Der Neue Ularftf irr früherer Gestalt.

also sprach: „Sein Blut komme auf uns und Kinder!" Die Verbannung der Juden aus der Mark ist nicht von langer Dauer gewesen. Schon unter dem stets geldbedürftigcu Sohn und Nachfolger des Kurfürsten Joachims I., in dessen Regierung die Verbannung der Juden fällt, wurde ihnen der Aufenthalt in der Mark wieder gestattet, und am 20. Januar 1566 erhielt der Jude Lippold von Joachim II. eine Bestallung, in

verurteilte und

unsere

welcher ihm neben der Verpflichtung, dem Kurfürsten Darlehttzu verschaffen, die Aufsicht über die märkischen Juden und die Einziehnng des Schutzgeldes, übertragen wurde. Lippold genoß das Vertrauen Joachims II. in vollstem Maße, er wurde Kämmerer des Kur¬ fürsten, mißbrauchte die ihm eingeräumte Gewalt aber derart, daß er bei Christen und Jude» bald der gehaßteste und gefürchteste Mann war. Nach dem Tode Joachims (3. Januar 1571) ließ

markt verbrannt." Au dem Tode seines Herrn ist Lippold zweifel¬ los unschuldig gewesen: selbst Lippolds Richtern erschien es un¬ glaublich, daß er „seinen eigenen Herrn, der ihn wohl leiden konnte, und ihm Gnade und Gutes gethan, so böslich hätte vom Leben zum Tode bringen können." Lippold war ein arger Wucherer und Leuteschinder, der überall auf die Macht pochte, die er durch die Gunst Joachims II. besaß. Unter der Herrschsucht des Juden hatte» namentlich dessen Glaubensgenossen leiden müssen, sogar seine eigenen Verwandten hatte Lippold betrogen und übervorteilt, und überall in der Mark wurde seine Hinrichtung mit Genugthuung begrüßt. Die märkischen Inden aber wurden in den Sturz ihres angesehensten Glaubensgenossen und harten Bedrückers hinein¬ gezogen: sie wurden aufs neue aus der Mark verwiesen und mußten wiederum zum Wauderstab greifen und sich in fremden Richard George. Landen eine neue Heimat suchen.

Mbeckischer Heldenmutzur See. Nach den bei der Königs. Negierung zu Königsberg i.

S

as Leben des Seemannes ist überaus mühselig und reich an gefahrvollen Abenteuern. Wenn das schon in friedlichen Zeiten der Fall ist, um wieviel mehr aber erst in unruhigen Zeitläuften! Eins der seltsamsten Abenteuer hatten in dem Kriegs-

j)r.

befindlichen Kftcn erzählt von

Oscar

TU a n t a u.

Kapitän und der Steuermann Nachfolgend sei nach einer aktenmäßigen Feststellung das fast beispiellose Erlebnis des Brüderpaars wieder-

jähr 1813 zwei Brandt,

gegeben.

zu

Lübecker Schiffer, der

bestehen.

664

Es war am 30. Oktober des weltgeschichtlich hochbedeutsamen Jahres 1813. Im Hafen Sheerneß vor London herrschte ein sehr

lebhaftes Treiben. Nachdem einige Tage hindurch ein ziemlich heftiger Sturm getobt hatte, war günstige Witterung eingetreten. Infolge dieses Witterungsumschlags zum Guten wurde nun am Hafen mit Bienenfleiß gearbeitet, und eine ganze Anzahl Schiffe rüstete sich zur Ansfahrt in das Meer. Eins der ersten Schiffe, die an diesem Tage den Hafen von Sheerneß verließen, war die „Elfriede", ein schmucker Segler, der A. Becker in Memel gehörte. Das vortrefflich dem Kaufmann gebaute Fahrzeug hatte Rum und Reis geladen, welche Güter es für die preußische Regierung nach Swinemüude bringen sollte. In dem aus Lübeck gebürtigen Kapitän Carl Heinrich Brandt, der schon seit fünf Jahren in Memel ansässig war, hatte das Schiff einen kundigen und zuverlässigen Führer, der sich in Schiffahrts¬ Außer dem Schiffsführer kreisen großer Beliebtheit erfreute. befanden sich noch an Bord der „Elfriede" der Bruder des Kapitäns, Johann Heinrich Brandt, ein ebenfalls sehr tüchtiger Seemann, vier Matrosen, der Koch und zwei fünfzehnjährige Schiffsjungen. Da es in dieser unruhigen Zeit auf der Nord-, wie auch auf der Ostsee nicht besonders sicher war, hatte der Kapitän, um unvorhergesehenen Zufällen wirksam begegnen zu können, sein Schiff bis zu einem gewissen Grade armiert; eS war mit zwei Kanonen versehen; außerdem befanden sich in der Kajüte fünf Gewehre, sogenannte Donnerbüchsen, eine Pistole und ein Säbel. So ausgerüstet, mar die gesamte Mannschaft guten Muts und hoffte, angesichts der günstigen Witterung, eine gute und schnelle Fahrt zu haben. Schon war es am 1. November in die Nähe von DoggersBank gekommen, als um 1 Uhr mittags eine englische Brigantine am Horizont sichtbar wurde. Sofort wandte sich ihr das regste Interesse der. Mannschaft unseres Schiffes zu, und das umsomehr, als die Brigantine, wie man mittels des Fernrohrs erkennen konnte, sich in offenbarer Rot befand. Sie hatte, wie Kapitän Brandt wahr¬ nahm, fast alle Segel verloren. Dazu redete die Notflagge, die sie gehißt hatte, eine dem Seemann nur zu verständliche Sprache. Ohne Besinnen war daher Kapitän Brandt entschlossen, den Bedrängten Hilfe zu leisten, und ließ augenblicklich beidrehen. Nun kam die Brigantine bald heran, und durch das Sprachrohr klang es in englischer Sprache herüber: „Rettet uns! Das Schiff will sinken!" Auf die Entgegnung des Schiffsführers der „Elfriede": „Die Mannschaft komme zu uns herüber!" wurde geantwortet: „Wir können nicht; unsere Boote sind sämtlich zerschellt!" Und in der That! An der Brigantine ist nirgends ein Boot zu entdecken! Ganz deutlich sieht man, wie an den Pumpen des beschädigten Schiffes unablässig gearbeitet wird, um das lecke Fahrzeug über Wasser zu halten. Der Kommandeur der „Elfriede" läßt nun ein Boot aussetzen, nimmt mit vier Matrosen darin Platz und rudert nach der Brigantine hinüber. Nachdem er das sinkende Schiff mit zweien seiner Leute betreten hat, erkennt er ohne weiteres, daß es sich in wirklich übelstem Zustande befindet. Die Mannschaft gebärdet Die Frage nach ihrem Kapitän beantwortet sich wie verzweifelt. sie dahin, daß er und einer seiner Leute gestern mit dem Segel¬ baum über Bord gestürzt seien. „Wo ist der Steuermann?" Einer von der Besatzung stellt als solcher vor, bemerkt aber zugleich, daß ihm die Kenntnisse sich der Schiffahrtskunde abgehen. Aus den ihm vorgelegten Schiffspapicreu ersieht Brandt, daß das verunglückte Schiff wirklich ein englisches sei, „Favorite" heiße und mit einer Ladung Weizen von Königsberg komme; der Name des Kapitäns ist Daniel Fell ge¬

I.

wesen. Nachdem Kapitän Brandt die „Favorite" untersucht hat und nun überlegt, was zu thun sei, wirft die Mannschaft derselhen nicht ihrem Schicksal zu sich ihm zu Füßen und fleht ihn an, sie überlassen; er möge sie auf sein Schiff nehmen. Selbstverständlich ist der edle Kapitän ohne weiteres bereit, diese Bitte nach See¬ mannsbrauch zu erfüllen. Die Mannschaft der „Favorite" bestand aus sieben Seeleuten; außerdem befand sich noch ein etwa zwölfjähriger, hübscher Knabe an Bord der Brigantine. Diesen und zwei Mann des fremden Fahrzeugs ließ Brandt in sein Boot steigen und führte sie nach der „Elfriede"; dann wurden die letzten fünf Matrosen mit ihren Kleidungsstücken von dem lecken Schiff herübergeholt. Kaum befanden sich die Fremdlinge an Bord des rettenden Seglers, als der angebliche Steuermann der „Favorite" an den Kapitän Brandt herantrat und ihn darauf aufmerksam machte, daß »och ein bedeutender Vorrat gut erhaltener Lebensmittel auf dem verlassenen Schiff zurückgeblieben sei. Es wäre doch schade, wenn diese umkämen, zumal sie hier der jetzt verstärkten Mann¬ schaft sehr gute Dienste leisten könnten. . Man müßte daher den Proviant doch herüberholen. Dem Schiffsführer leuchtete das Zweckmäßige dieses Vorschlags ein, und er forderte die Geretteten auf, mit seinem Boot nach der Brigante hinüberzurudern und die Vorräte zu holen. Allein die Leute entschuldigten sich mit großer Mattigkeit, die sie nach den entsetzlichen Anstrengungen und nach den seelischen Qualen der letzten Tage kraftlos gemacht habe.

Nunmehr erbot die Besatzung der „Elfriede" sich, den Proviant Vier Matrosen und der Koch rudern bald sorglos nach der Brigantine hinüber. Bald sind die wackeren Matrosen der „Elfriede" außer Ruf¬ weite, und das Brüderpaar Brandt befindet sich mit den beiden Schiffsjungen allein unter einer Schar Menschen, die sie noch nie zuvor gesehen hatten. Doch sind sie unbesorgt. Was sollte ihnen hier auch Böses wiederfahren können? Die Geretteten sind völlig nach der Art englischer Seeleute gekleidet, und Engländer und Preußen sind ja für die große Sache der Freiheit miteinander zu retten.

verbunden. Was sollte der Kapitän mit seinen Leuten also fürchten? Außerdem hat der Schiffsführer die übrigens unbewaffnet scheinenden Matrosen vor sicherem Untergange gerettet, sie sich also zur Dankbarkeit verpflichtet. Auch nicht im entferntesten steigt also in den Herzen der Gebrüder Brandt irgend welche Besorgnis auf. Die Mannschaft der „Favorite" hat es sich inzwischen auf der „Elfriede" nach Möglichkeit bequem gemacht. Das ihnen ge¬ reichte Mahl verzehren die Leute, ans der Back des Schiffes sitzend, mit Heißhunger, während der Kapitän und sein Bruder, der Steuermann, ans dem Halbdeck stehen und nach dem verlassenen Schisse blicken, nach ihrer Mannschaft, die dasselbe eben erklettert hat und den Proviant ins Boot schafft. Die Schiffsjungen be¬ finden sich in der Nähe des Kapitäns. Plötzlich wird es ans dem Vorderteile des Schiffes laut. Als die Gebrüder Brandt sich umwenden, sehen sie die fremde Mann¬ schaft, mit Pistolen bewaffnet, ans sich zustürzen. Im Augenblick sind sie umringt, und drohend richten sich sieben Pistolenläufe auf ihre Brust, während die heiseren Kehlen in wildem Durcheinander ihnen zurufen: „Wir sind keine Engländer; ivir sind französische Kaper. Euer Schiff ist unsere Prise! Ihr seid des Todes, wenn

Ihr

Euch z» widersetzen wagt!" Die Bestürzung lähmt die Zunge,

fesselt die Glieder der so meuchlings Ucberfallenen. Waffenlos, wie der Kapitän und sein Bruder sind, sind sie der großen Uebermacht gegenüber ohnmächtig und müssen es sich ruhig gefallen lassen, daß sie in die Kajüte hinabgestoßen werden, deren Thür die Seeräuber hinter ihnen

verschließen.

Hier kommt den armen Gefangenen bald ihre volle Besinnung wieder und mit ihr die Erkenntnis ihrer furchtbaren Lage. Rettungslos sind sie von der Laune derer abhängig, denen sie das Leben retteten, und die sie jetzt in wildem Freudentaumel auf dem Verdeck tanzen hören. Rettungslos verloren! Doch nein! Nicht ganz hoffnungslos ist ihre Lage! Zwar sind sie nur zwei gegen der Kajüte sieben. Allein sie haben Mut und — Waffen. befinden sich ja die Donnerbüchsen, welche die Seeräuber zum Glück bis jetzt noch nicht bemerkt haben. Das Bewußtsein seiner guten Sache giebt dem Brüderpaar erhöhten Mut, und die beiden beschließen, auf alle Fälle ihr Leben Bald hat der so teuer wie nur irgend möglich zu verkaufen. Kapitän die Donnerbüchsen in aller Eile und doch mit größter Sorgfalt geladen, während sein Bruder darauf achtete, daß sie nicht von ihren Todfeinden überrascht wurden. Mittlerweile war das nach der Brigantine entsandte Boot zurückgekehrt. Kaum aber war es in die Nähe der'„Elfriede" ge¬ kommen, als die Seeräuber den Bootsinsassen zuriefen, nicht näher heranzurudern; das Schiff fei jetzt ihr, der Fremden, Eigentum, und sie würden jeden niederschießen, der es wagte, ihnen den Segler streitig zu machen. Zwar waren zwei der Matrosen bereit, es mit den Seeräubern aufzunehmen; doch die andern drei wollten davon nichts wissen, weil sie in der Minderzahl und ohne Waffen waren. Als die Piraten auf das Boot einige Schüsse abgaben, ruderten die See¬ leute nach dem sinkenden Schiff zurück. Inzwischen fing es an zu dämmern, und die ungeschickten Seeräuber wußten nicht, wie sie steuern sollten. In ihrer Rat¬ losigkeit beschlossen sie, die Hilfe ihrer Gefangenen in Anspruch zu nehmen. Sie riefen den Steuermann Brandt an Deck und forderten ihn ans, den Kurs nach Frankreich oder noch Notwegen anzugeben. Falls er sie aber hierbei hintergehen und versuchen würde, sie ihren Feinden auszuliefern, würde man ihn auf der Stelle niederschießen. Der Steuermann gab Nordost bei Ost an; dies sei die Richtung nach Bergen; thatsächlich war es jedoch der Kurs nach Gothenbnrg. Als der Steuermann die Kajüte verließ, gelang es dem Kapitän, ihm noch zuzuraunen, er solle die Leute ans einen Fleck zusammen¬ bringen, damit er, der Kapitän, weniger fehl schieße. Infolgedessen kommandierte nun der Stenermann: „Hol' an Steuerbordbrasse!" In Ausführung dieses Befehls beeilten sich die Piraten, an Steuer¬ bord zu kommen und die Brassen steif zu holen. Diesen Augenblick benutzte der Steuermann, an die Kajüteuthür zu treten »nd sich von seinem Bruder eine Flinte in die aus den Rücken gelegten Hände geben zu lassen. In der nächsten Sekunde feuerten beide Brüder, und vier Seeräuber wälzten sich in ihrem Blute. Drei waren jedoch anscheinend nur leicht verletzt; sie sprangen bald wieder ans. Indessen hatten die Gebrüder Brandt die abgefeuerten Gewehre von sich geworfen und geladene ergriffen.

In

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Der Kapitän springt nun durch das Kajütenfenster an Deck, während sein Bruder die Kajüte durch die Thür verläßt. Zu beiden Seiten des Gemachs nehmen sie Aufstellung. Mit Wut¬ geheul stürzen sich die sechs Piraten aus die heldenmütige» Brüder und feuern ihre Pistolen auf sie ab. Zum Glück verfehlen die Kugeln ihr Ziel. Wieder nun krachen zwei Schüsse aus den Donnerbüchsen, und zwei Piraten stürzen zu Boden; einer ist tot, der andere schwer verivuudet. Blitzschnell springen die tapferen Seeleute jetzt in die Kajüte. Der Steuermann entreißt einem der zitternden Schiffsjungen die letzte geladene Büchse und giebt sic seinem Bruder. Dieser springt damit an Deck. Dem letzten Schuß will er das würdigste Ziel geben; er legt auf den Anführer der Bande an, ein Blitz, ein Knall, und getroffen sinkt der Piraten¬ häuptling nieder. Allein er rafft sich augenblicklich wieder auf und stürzt sich auf den Kapitän, der ihn mit einem wohlgczielten Kolben¬ schlag niederstrecken will. Doch das Deck ist bereits mit Blut über¬ gössen und daher schlüpfrig geworden. Kapitän Brandt gleitet ans und kommt zu Fall. In diesem Augenblick erhält er von seinem Gegner einen Dolchstich in die Brust, der vom Schlüsselbein ab bis zu den kurzen Rippen der rechten Seite geht. Zwar ist die Verwundung nicht tödlich, allein schwer genug, so daß der Kommandeur für kurze Zeit die Besinnung verliert. Sein Bruder hat unterdessen eine Büchse laden können und eilt mit der Waffe an Deck. Der Schuß kracht; da aber ruft der der Eile hatte er die Steuermann; „Meine Hand ist weg!". Büchse zu stark geladen; sie war geplatzt und hatte, dem bedauerns¬ werten Schützen den Daumen weggerissen. Der gellende Schmerzensschrei des Bruders ruft den am Boden liegenden Kapitän ins Leben zurück; er ruft dem Steuermann zu: „Hol' den Säbel herauf!" Während der jünge Brandt, trotz des wilden Schmerzes, den ihm die Verwundung verursacht, hinunter eilt, rafft sein Bruder sich unter Aufgebot seiner ganzen Kraft auf, entwindet seinem neben ihm am Boden liegenden Feinde den Dolch und versetzt dem Piratenhäuptling mehrere so heftige Stöße, daß die Klinge abbricht. Der Anführer der Bande ist tot. Die Anstrengung hat den tapferen, verwundeten Mann völlig erschöpft; kraftlos lehnt er sich gegen die Kajüte und muß nun unthätiger Zeuge des wilden Kampfes auf Lebe» und Tod sein, den sein Bruder zu bestehen hat. Dieser ringt wenige Sekunden mit einem baumlangen Seeräuber, der mit einer Handspake und und einem Dolch bewaffnet ist. Dem gewandten Steuermann gelingt es, ihm mit dem Säbel zwei Finger abzuschlagen und ihm sodann den Schädel zu spalten, worauf der Pirat entseelt zu Boden sinkt. Jetzt sind nur noch zwei kampffähige Feinde übrig. Sie sehen ihre Genossen teils tot, teils verwundet im Blute schwimmen. Da ist es mit ihrem Mut vorbei, und um Gnade flehend, fallen sie ihren Gegnern zu Füßen, obgleich sie sehen, daß der erschöpfte Kapitän unmöglich Widerstand hätte leisten können. Nachdem sie dem Befehl des Steuermanns, die Waffen niederzulegen, nach¬ gekommen waren, mußten sie nach einander zu ihrem Ueberwinder herantreten, und zwar thaten sie es unterwürfig, auf den Knieen kriechend. Hieraus mußten sie die Hände auf den Rücken legen; der Steuermann ließ nun durch einen der Schiffsjungen, der sich während des blutigen Dramas ängstlich in den Wanten aufgehalten hatte, Stricke herbeibringen, band selbst den beiden Piraten die Hände auf den Rücken und brachte sie dann nach der Kajüte. Mittlerweile war es sieben Uhr abends geworden. Die Lage der todesmutigen Brüder war trotz der völligen Befreiung immer noch eine sehr mißliche. Beide waren verwundet; den Kapitän hatte das Bewußtsein abermals verlassen; beide waren kraftlos und trotzdem auf sich allein angewiesen; denn die Schiffsjungen konnten ihnen wenig nützen. Wohl waren sie mit ihrem Schiff nicht all¬ zuweit von der Brigantine entfernt; allein, durften sie hoffest, das Fahrzeug in der Dunkelheit zu erreichen? Und wenn sie unter dem Schatten der Nacht an ihm vorbeisegelten, wohin konnten sie bis zum nächsten Morgen verschlagen werden? Wahrlich, dann war die Möglichkeit, die Besatzung auf der „Favorite" wiederzufinden, so gut wie ausgeschlossen. Aber der Steuermann ließ den Mut nicht sinken. Nachdem er mit Hilfe der beiden Schiffsjungen die Wunde seines Bruders und seine eigene, so gut es ging, verbunden hatte, ließ er eine Laterne aufhissen und Blaufeuer abbrennen. Durch sein Perspektiv glaubte er nun das andere Schiff noch schwach zu erkennen und »ahm vertrauensvoll den Kurs auf jenen auffälligen Punkt, der Einer der verwundeten See¬ sich vom Horizont undeutlich abhob. räuber war, als der Steuermann die Segel beisetzte, wieder zu sich gekommen. Um sich und seinen Bruder für alle Fälle zu schützen, spaltete der jüngere Brandt dem Seeräuber, der ja kein Mitleid verdient hatte, mit dem Säbel das Haupt, so daß er tot zurücksank. Nach unsäglicher Mühe gelang eS dem kühnen Steuermann endlich gegen 10 Uhr, der Brigantine, die noch etwas aus dem

In

Wasserspiegel hervorragte, näher zu kommen. Jedoch rief das Er¬ scheinen der „Elfriede" bei der Mannschaft auf der „Favorite" keine Freude hervor, sondern verbreitete unter ihr großen Schrecken. Sie glaubte natürlich, daß die Seeräuber nahten, um sich ihrer zu bemächtigen. Die Matrosen versteckten sich daher sämtlich bis auf einen, der auf Deck zurückblieb. Diesem rief der Steuermann zu, er solle mit seinen Kameraden wieder an Bord der „Elfriede" zu¬ rückkehren. Wohl kamen nun die übrigen Matrosen aus ihrem Versteck hervor; allein man glaubte den Worten des Steuermannes nicht. Au die Möglichkeit, daß er mit dem Kapitän die sieben Seeräuber überwältigt haben konnte, dachte natürlich niemand. Die Seeleute waren vielmehr der Meinung, ihr Steuermann werde von den Piraten gezwungen, sie in eine Falle zu locken. Erst, nachdem er ihnen alles, was sich in den letzten Stunden auf dem Schiffe ereignet, geschildert hatte, überwanden sie endlich ihre Zweifel und verließen nun die Brigantine. Als die Matrosen sich wieder an Bord der „Elfriede" befanden, kannte ihre Freude keine Grenzen, und manchem von ihnen stahl Hatten sie doch sich eine Thräne aus dem dankerfüllten Auge. schon mit dem Leben abgeschlossen! Nur höchstens noch eine Stunde, und die Brigantine wäre unfehlbar gesunken. AIs die erste große Freude sich gelegt hatte, wandte sich das Interesse der Besatzung der „Elfriede" wieder den Seeräubern zu. Zwei derselben waren todt; mau gab ihnen ein Grab in den Wellen. Nun erinnerte sich der Steuermann, daß einer der ver¬ wundeten Kaper sich nach dem Roof geschleppt hatte. Man eilte hinab und fand ihn hier nicht nur lebend, sondern auch kampfesmutig vor; er setzte sich verzweifelt zur Wehr und wurde daher Ein vierter Seeräuber, der tödlich ver¬ über Bord geworfen. wundet war, gab nach einigen Stunden seinen Geist auf, und sein

Leichnam ward ebenfalls ins Welleugrab gesenkt. Ein fünfter Pirat lebte noch zwei Tage; nachdem er sein Leben ausgehaucht hatte, mußte er seinen Genossen in die Tiefe des Meeres folgen. Die letzten beiden Seeräuber endlich blieben in festem Gewahrsam und wurden, als das Schiff Gotheuburg anlief, dort der Polizei über¬ geben, welche sie dann nach England auslieferte. So hatte eins der seltsamsten und gefährlichsten Seeabenteuer sein Ende erreicht. Als die Gebrüder Brandt von der Behörde darüber vernommen wurde», konnten sie auch über die Frage erschöpfend Auskunft geben: Wie waren die Seeräuber auf jene Brigg gekommen, die doch unzweifelhaft eine englische war, und auf' welche Weise hatten sie sich die unbedingt richtigen Schiffs¬ papiere verschafft? Daß die beiden Brüder diese Fragen absolut richtig beant¬ worten konnten, verdankten sie dem zwölfjährigen Knaben, den die Korsaren bei sich gehabt hatten, und dessen sich nachher Kapitän Brandt und sein Bruder liebevoll annahmen. Der Knabe sagte aus: Die englische Brigantine sei wirklich von einem Kapitän Fell ge¬ führt worden, wie die Papiere angaben. Sie habe Weizen von Königsberg nach London bringen sollen und sei zunächst nach Karlskrona gesegelt. Bei Doggers-Bank sei sie von einem fran¬ zösischen Kaper, der anfangs die englische Uuionsflagge gehißt hatte, angehalten und genommen worden. Kapitän Fell und seine Mannschaft wurden nun auf das französische Panzerschiff gebracht, während die Franzosen die englische Brigg bemannten und voraus¬ Ein Sturm zerschlug die Boote, trennte die beiden segelten. Schiffe und brachte das geraubte Fahrzeug, nachdem es lange um¬ hergetrieben hatte, in die Gefahr, in der es von der „Elfricde" angetroffen wurde. Gleich beim Erscheinen derselben hatten die Seeräuber beschlossen, sich ihrer zu bemächtigen, was ihnen ja auch bis zu einem gewissen Grade gelungen war und sicher auch ganz gelungen wäre, wenn die Gebrüder Brandt nicht so heldenmütig den Kampf gegen die Piraten aufgenommen hätten.

Der Knabe, der diese Aussagen machte, war der Sohn des Kapitäns Fell, den die Piraten ihrem Vater (vielleicht als Geißel) entrissen und auf die „Favorite" genommen hatten. Im Kampf war dem Kleinen eine Kugel durch den Arm gegangen. Selbst¬ redend wurde er von der Besatzung der „Elfriede" so gut gepflegt, wie es nur möglich war. Nachen: feine Wunde, rote auch die der Brüder Brandt, in Gothenburg geheilt war, nahmen diese ihn nach Swinemünde und dann nach Memel mit, von wo er zu seinem Vater, der auf dem Kaperschiff sich an Land gerettet hatte, geschickt werden konnte.

In einer Zeit, in der jedes Herz für alles Große weiter geöffnet war als jemals, mußte der fast beispiellose Heldenmut der Gebrüder Brandt die größte Bewunderung erregen, und das Brüderpaar wurde denn auch gebührend gefeiert. Der König von Preußen verlieh sowohl dem Kapitän, wie auch dem Steuermann das Eiserne Kreuz am schwarzen Bande, wie es sonst nur mit den Waffen vor Vor einer Versammlung der Vor¬ dem Feinde verdient wird. nehmsten der Stadt Memel wurde ihnen diese Auszeichnung durch den

Major und Polizeidirektor

Flescher feierlich überreicht.

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des JJät . Pecrilletot) ■»♦»ytyy^vvywwtyv’wwj’wwj'vtws'wws'wj'wwwyyw^wwvwvtwwfttwi 3

Hiooi-is. Line Großstadtgeschichte von nton Waibling hungerte. Das konnte nicht anders sein; denn zum zweitenmal schon wurde es Abend, seitdem er nichts mehr gegessen hatte. Gegen Ende des Monats ivar ihm dergleichen wohl schon öfter widerfahren; heute aber schrieb man erst den zivölften. Und wenn er auch heute die unschätzbare Fähigkeit besessen hätte, bis zum Einnnddrcißigstcn weiter zu hungern, so würden seine Zukunsts¬ aussichten damit doch um nichts gebessert worden sein; denn er hatte ja beim Monatsivechsel keine Einnahmen mehr zu

erivarten.

Der alte Bartiuclli war gestorben; und wenn es sonst auf Erden niemanden gab, der ihn betrauerte — Anton Waibling betrauerte ihn sicherlich aus schmerzerfülltem Herzen. Denn seit mehr als zwölf Jahren war der alte Bartinelli sein Wohlthäter gewesen, seine Vorsehung und seine Zuflucht in allen Nöten. Wo immer er sich mit seinem weltberühmten Zirkus befinden mochte, in Wien oder in St. Petersburg, in Haniburg oder in Odessa — pünktlich ging doch am ersten

Monats dasselbe

bescheidene Sümmchen,

das er dem ehemaligen Kunstreiter gewissermaßen als Pension ausgesetzt hatte, an Anton Waibling ab. Und wenn es irgend ein außergewöhnliches Unglück gab, einen besonders hartnäckigen Gichtansall oder eine unumgänglich nötige Neuanschaffung an jeden

Kleidern und Stiefeln, so ivar der alte Bartinelli auch zu einem „Vorschuß", dessen Verrechnung regelniäßig vergessen wurde, ohne viele Umständlichkeit immer bereit.

Nun aber ivar er tot, und mit ihm schien auch die Erinnerung dahin gegangen zu sein an die glänzenden Triumphe, die Anton Waibling vor beiläufig fünfundzwanzig Jahren in seinem Zirkus gefeiert, an die zahllosen ausver¬ kauften Häuser, die er damals seinem Direktor verschafft, an die vielen Tausende, die er ihm mit seinen verwegenen Reiterprangenden Mannesschönheit eingetragen. Der neue Pharao — hier war es des alten Bartinelli Schiviegersohn — wußte nichts von Josef und seinen Ver¬ diensten. Zum erstenmal seit beinahe dreizehn Jahren war die kleine Geldsendung beim Monatsivechsel ausgeblieben, und künsten und seiner

als Anton Waibling sich am fünften mit einer bescheidenen Anfrage an den Kassierer geivendct hatte — die Gesellschaft weilte gerade in Berlin — da ivar ihm mit cineni Achsel¬ zucken der Bescheid geworden, der Herr Direktor habe seinen Namen von der Liste gestrichen. auf seinen Vorteil verstand, wäre nun unveriveilt zu dem neuen Pharao gegangen, hätte ein paar demütige Kratzfüße gemacht und mit jämmerlicher Miene gebeten, ihn doch um Gottes willen nicht dem Elend zu über¬ liefern. Oder er hätte sich vielleicht auch in die Brust geworfen und hätte mit berechtigtem Künstlerstolz an die glorreiche Vergangenheit erinnert, an die Tage, da er die große „Attraktion" des Zirkus gewesen war — oder an jene, da der jetzige,Herr Direktor von ihm die erste Unterweisung erhalten hatte in der schwierigen Kunst, ans dem uugesattelten

Ein Mann, der

Pferde zu stehen.

sich

w. ^elmuth.

Aber Anton Waibling that nichts von alledem. Er den mächtigen Filzhut und ging schweigend seinen — diesen dornenvollen Weg, der während der nächsten Weg Tage immer häufiger zum Pfandleiher und immer seltener ins Spcisehaus führte. Ein goldener Siegelring, eine silberne Uhr und ein Spazierstock mit Elfenbeinkrücke hatte eben hin¬ gereicht, ihn noch fünf Tage lang notdürfüg zu ernähren. lüftete

Nun aber, da seine letzte Kostbarkeit, eine silberglänzende Tabaksdose, viermal als unecht zurückgewiesen war, nun waren alle Hilfsquellen versiegt — und Anton Waibling hungerte. „Verkaufen Sie doch den Pinscher da!" hatte ihm mit der ganzen Fühllosigkeit seiner Gattung der letzte Pfandleiher gesagt, dem er klopfenden Herzens die „silberne Dose" an¬ geboten. „Es ist ein ganz hübscher Köter, für den Sie immer paar Mark kriegen. Und Ihnen ist der unnütze Fresser ja doch bloß zur Last." Bis in seine letzte Stunde konnte den Mann die Er¬ innerung an den Blick nicht verlassen, mit dem Anton Waibling ihn aus diese Worte hin gemessen. Die dunklen Augen, die einst so manchen zündenden Funken in leicht entflammte Frauenherzen geworfen, sie wußten auch heute noch eine sehr beredte Sprache zu führen, und der kleine, verhutzelte Pfand¬ noch

ein

leiher zog

sich

ängstlich in

eisernen Geldschranks zurück,

den schützenden

Bereich seines

als ihn ihr sprühender Zorues-

blick getroffen hatte.

Einer Antwort würdigte ihn der ehenialige Kunstreiter Aber er bot nnn auch keinem niehr seine silberne Dose Er war sehr erschöpft, denn mit seinem lahmen Bein — ein unglücklicher Sturz vom Pferde hatte ihm vor sechzehn Jahren die verhängnisvolle Verletzung eingetragen — wurde ihm das viele Gehen sauer. So setzte er sich am Kanal auf eine Bank, und der kleine weiße Pinscher mit den unverhältnismäßig großen, schwarzen, sprechenden Augen sprang ihm nach seiner Gewohnheit auf den Schoß. „Wer wird Dir nun heut abend Dein Würstchen kaufen, armer Souris?" fragte ihn Anton Waibling wehmütig. „Und nicht. an.

wo werden wir schlafen?" Souris wußte darauf freilich keine Auskunft zu geben; aber er sah sehr wohl, daß sein Herr traurig war, und er Mit sanfter, versuchte ihn zu trösten, so gut er konnte. schmeichelnder Berührung leckte seine spitze, kleine Zunge Waiblings Hand — diese arme, verstümmelte Hand, die nur noch drei von ihren fünf Fingern behalten hatte. Der Biß einer Löwin hatte sic so zugerichtet, derselben Löwin, der er sein achtmonatliches Krankenbett vor zwölf Jahren und das frühe Ende der nach jenem Sturz begonnenen Tierbändiger-

Laufbahn zu danken hatte. Es war eben nicht mehr viel Staat zu machen mit seinem einst so schönen, kraftstrotzenden Körper. Die Gicht hatte auch das ihrige gethan, und cs ließ sich vermuten, daß der Hunger da leichtes Spiel haben würde. Aber daran dachte Anton Waibling jetzt nicht, sondern einzig daran, woher Souris sein Würstchen bekommen, und ivo er in der kalten Märznacht schlafen würde. Denn in ihre bisherige Wohnung konnten sie nicht zurück. Die brave Frau

657

Mikley war zwar nach ihrer eigenen, häufig wiederholten Versicherung „eine Seele von einer Frau", in Sachcil der Mietszahlung aber verstand sie keinen Spaß.

sich schon durch. Aber wenn man für ein paar hundert Leute zu sorgen hat ivie ich — ich möcht' Euch wahrhaftig meine

„Das war die letzte Nacht, Herr Waibling!" hatte sie Morgen am erklärt, „Ihre Wäsche und den Sommcranzug behalte ich als Pfand für die fällige Miete. Und ohne Geld komnien Sie mir nicht wieder herein!" Sie ivar eine energische Frau, der man's ohne weiteres glaubte, daß sie in solchen Dingen Wort zu halten wußte. Anton Waibling hätte es nimmer gewagt, ohne Geld zu ihr

Das klang so aufrichtig, daß Anton Waibling beinahe etivas ivie Mitleid für den armen Direktor fühlte. Er mußte schon seinen ganzen Mut zusammennehmen, um noch einmal zu beginnen: „Wenn ich mir die Bitte erlauben dürste, Herr Direktor —" Aber des alten Bartinelli Schiviegersohu hatte nicht Zeit,

Und da ihm nun niemand ans seine Dose etivas leihen wollte, würde sein Bett in dieser Nacht voraus¬ sichtlich leer bleiben müssen.

zurückzukehren.

Aber es gab doch vielleicht noch ein Mittel, das äußerste abzuivendcn. Man mußte nur ein wenig Mut haben und alle thörichte Scham von sich abthun. Wenn des alten Bartinelli Schwiegersohn ihn von der Liste der „Pensionäre" gestrichen hatte, so war es wohl nur geschehen, weil er ihn in behaglichen Verhältnissen glaubte, weil er nichts von seiner

traurigen Lage wußte. Es kostete vermutlich nur ein Wort, ihn zur Weitcrgcivährung der kleinen Unterstützung zu ver¬ anlassen. Wurde doch der Nachlaß des alten Bartinelli von Eingeiveihten auf mehrere Millionen taxiert.

„Komm, Sonris — wir wollen zum Zirkus hinunter gehen!" sagte Anton Waibling. Und schwer schleppte er sich auf seinem lahnien Bein weiter, bis der stattliche Rundbau vor ihm aufragte. Es war noch eine Stunde bis zum Beginn der Vorstellung, und die Thüren waren noch geschlossen. Ein paar hundert Menschen aber standen doch schon da, die sich auf der Galerie und im dritten Rang die Plätze sichern wollten. Eben ging Waibling mit sich zu Rate, ivie er es anfangen sollte, in das Gebäude zu gelangen, da klapperte hinter ihm der Hnfschlag eines Pferdes, und Souris ließ ein leises Gebell vernehmen, wie wenn er seinen Herrn daraus aufmerksam machen wollte, daß der glücklichste Zufall von der Welt ihm alles weitere Kopfzerbrechen erspare. Und in der That — auf einem blanken, tänzelnden Braunen kam der neue Herr Direktor eben von seinem ge¬ wohnten Nachniittags-Spazicrritt zurück. Mit seiner eleganten Figur und seinem aufgewirbelten schwarzen Schnurrbart erschien er den Nähmamsells und den Dienstmädchen, die sich

Sie drängten, wie ein Prinz. verstohlen sehnsüchtige Blicke zu ihm hinauf und stießen einander bedeutsam mit den Ellbogen in die Seite. Anton Waibling aber zog grüßend seinen breitrandigen Hut und hinkte auf den Fahrdamm, so daß des alten Bartinelli vor dem Gallerieeingang

warfen

Schwiegersohn hart an ihm vorüber mußte.

Anfänglich

als ob der Herr Direktor ihn trotz¬ Weil er aber gar zu gewaltig dastand

schien cs,

dem übersehen wollte. seinem grauen, verschossenen

Havelock und mit seinem mächtigen, noch immer dunkellockigen Kopfe, verzog der Reiter im letzten Moment das Gesicht doch noch zu einem halben

in

Lächeln und reichte ihm zur neidvollen Verivunderung Umstehenden vom Rosse herab die Hand.

aller

„Guten Tag, Waibling! — Wie gcht's Euch denn, alter Knabe? — Seht ja brillant ans — wirklich ganz brillant!" Dem ehemaligen Kunstreiter saß plötzlich was in der Kehle, das er nicht wegbringen konnte, ivie er auch drückte und würgte. „O, mit der Gesundheit geht's ja so leidlich, Herr Direktor," stammelte er mühsam, „aber im übrigen —" Schlechte Zeiten — — Und Ihr seid immer aber nicht bloß für Euch, Waibling! noch besser daran als unsereiner. Ein einzelner Mensch schlägt

„Na ja,

kann mir s schon denken.

Sorgen nicht wünschen, alter Freund!"

hier eine Stunde lang mit ihm zu unterhalten. „Ein Billet für heul abend?" fiel er ihm in die Rede, und der blanke Braune fing schon an, iveiter zu tänzeln. „Geiviß — das haben wir für einen alten Kunstveterancn immer übrig. Meldet Euch nur nachher an der Kasse, — Waibling! Es wird Euch Spaß mache», zu sehen, daß der Nachwuchs auch was leisten kann. Na — und laßt'S 'n Abend!" Euch weiter gut gehen! sich

von den sehnsüchtigen Blicken der Nähmamsclls und der Dienstmädchen begleitet. Souris saß im Schmutz des Straßendammes ans den Hinterbeinen und bettelte. Der Hunger und die Müdigkeit waren ihm aus den großen, schwarzen Augen zu lesen — wenigstens für einen, der sich halbwegs auf die Sprache von Hundeaugcn versteht. Und Anton Waibling verstand sich darauf. Behutsam wie

Fort war

er,

einen Säugling nahm er den Pinscher aus den Arm, so daß nur sein weißes Köpfchen unter der Pelerine des Havelocks hervorsah, und nach einem letzten Blick auf den stattlichen Sandsteinbau des Zirkus hinkte er von dannen. —

„Heinrich Ouielitz, Weingroßhandlung," stand auf einem mächtigen Schild über der Hausthür, durch die er eine halbe Stunde später mühseligen Schrittes stampfte. Dreimal war er vor dem Hause auf- und niedergegangen, che er sich dazu Nun aber war er gerüstet und um des entschlossen hatte. armen kleinen Souris willen bereit, den bitteren Kelch der Demütigung bis zur Neige zu leeren. Aus dem großen Hauptcomptoir wies man ihn auf seine Frage in das Kabinett, das schon zur Privatwohnung des Herrn Ouielitz gehörte. Da saß der Inhaber der Firma rauchend vor seinem schön geschnitzten Schreibtisch, hatte die Beine behaglich übereinander gelegt und las die AbendEr ivar sehr dick und Ausgabe der „Vossischen Zeitung". ziemlich kahlköpfig. In seinem bartlosen Gesicht aber ivar etwas ungemein Würdevolles. Man sah es ihm wahrhaftig nicht mehr an, daß er zwanzig Jahre lang Purzelbäume geschlagen hatte, um die Leute lachen zu machen. der Besucher bescheiden machte er, als sich nach ihm umgedreht dann, da er sich langsam und räusperte, und ihn erkannt hatte, klatschte er sich mit der flachen Hand auf den Schenkel, daß es knallte.

„He?"

„Na, da schlag' doch einer lang hin! Anton Waibling! — Ist es die Möglichkeit? — Man soll nicht sagen, was'ne Was verschafft mir denn das außerordentliche Sache ist. Vergnügen?" Der Kunstreiter hatte den Hund auf den Teppich nieder¬ gesetzt und zerknüllte in heftigem, innerem Kampfe den breit¬ randigen Filzhut zwischen seinen acht Fingern.

„Es geht mir nicht gut, Ouielitz! Du iveißt, daß ich Und weil wir in meinem Fache nicht nichr arbeiten kann. doch mal Freunde gewesen sind —" „He? — Freunde? — Sagtest Du nicht Freunde? Na ja, dann ivar es auch wohl aus Freundschaft, daß Du mir meine Brant abspenstig machtest — damals — Du erinnerst Dich vielleicht noch — in Wien, als wir zusammen bei Bartinelli waren?"

658

„Laß die alten Geschichten vergessen sein, Quiclitz! Es ivar nicht recht von mir, aber ich habe meine Strafe schon erhalten. Als ich das Unglück hatte mit dem Sturz, der mir die Hüfte verrenkte, hat sie mich ja wieder verlassen. Und nachher —" ,

"Ja,

Gott sei Dank, „Nachher wurde sie meine Frau. Und heute ist sie froh, daß sie es geworden ist, so ist es! denn mit Dir — aber Du hast recht, wir wollen nicht iveiter davon reden. Also es geht Dir schlecht, Waibling? Na ja, Der alte Bartinelli kann nichts das will ich schon glauben. mehr rausrücken. Und mit dem Leierkasten möchtest Du doch nicht gern gehen — wie? Du würdest sehr gern eine kleine Unterstützung von mir annehmen, wenn ich das Ding richtig verstehe."

Anton Waibling war dunkelrot geworden und schüttelte heftig den Kops.

„Kein Almosen, Quiclitz — so weit bin ich noch nicht. Aber wenn Du mir irgend eine Beschäftigung geben könntest, mit der sich ein paar Groschen verdienen lassen — nur so viel, daß ich nicht gerade zu verhungern brauche

—"

Der ehemalige Clown zog die Brauen in die Höhe und nahm eine nachdenkliche Miene an. Ein paar Minuten vergingen, bevor er sagte:

„Wenn Du im Keller arbeiten willst — beim Abziehen oder Flaschen spülen. — Mein Küfer wird, ivie ich denke, Zwei Mark pro Tag — noch einen Mann brauchen können. ist

Dir

das recht?"

Anton Waibling würgte wieder; dann aber antivortcte er entschlossen:

„Ich ich danke

muß alles annehmen, was

Dir jedenfalls

auch

sich

mir bietet — und

dafür, Quiclitz —"

Die Thür zum Nebenzimmer wurde geöffnet, und eine gewachsene, schlanke Dame, deren Erscheinung noch Sie war mit imnier schön zu nennen war, rauschte herein. großer Eleganz zum Ausgehen angekleidet, und ohne von der Anwesenheit des Fremden irgendwie Notiz zu nchnicn, beugte sie sich mit einer kleinen Liebkosung über ihren dicken hoch

„Hundert Mark? Da sind

mein Liebling! Und da als Gratiszugabe. Unser alter Kollege Anton Waibling hat mich eben gebeten, ihn in meineni Keller zu beschäftigen. Na, er wird Dir doch nicht sie,

noch eine Ueberraschung

ist auch

noch einmal gefährlich werden, mein Täubchen?"

Ein unsäglich geringschätziger Blick aus Lisettens braunen Augen streifte die Gestalt in dem verschossenen grauen Havelock.

Dummheiten!" sagte

sie und wandte sich wieder achtlos den kleinen Pinscher, der sich schmeichelnd herangeschlichen hatte, auf das zarte Pfötchen, so daß er ein jämmerliches Wchgcschrei aussticß, und daß Liselte im ersten Moment erschrocken zurückfuhr.

„Ach,

nach der

Thür; dabei trat

sie

„Hierher, Souris!" sagte Anton Waibling mit bebender Stimme, indem er sich nach dem Tierchen bückte. Aber es war ein unvorsichtiges Wort gewesen, das er da gesprochen; denn in den Augen des Weibes, das er einst mit deniselben Schineichelnamen genannt hatte, blitzte es zornig aus. hinaus, Heinrich! Du weißt, ich mag das Viehzeug nicht in der Wohnung. Seit wann ist es denn auch Mode, daß man einen Hund mitnimmt, wenn man als Bittsteller herumläuft?"

„Jage

doch

den abscheulichen Köter

Krachend flog die Thür hinter ihr ins Schloß. Selbst Heinrich Quiclitz, der doch sonst keiner von den Feinfühligsten war, schien ein wenig betreten.

„Du

kannst

also morgen ansangen,

Waibling!" meinte

„Und wenn Dir vielleicht augen¬ er freundlicher als vorhin. blicklich mit einer Kleinigkeit gedient ist — wir können es ja später ratenweise ivieder abziehen

—"

Aber der Kunstreiter machte eine verneinende Gebärde. „Ich danke Dir, Quiclitz — ich brauche nichts! — Ent¬ schuldige mich nur bei Deiner Frau ivcgen des Hundes. Er soll sie nicht ivieder inkommodieren. Guten Abend!"

„Wie weit

ist!" dachte der Zigarre anzündete.

er doch heruntergekommen

ehemalige Cloivn, indem er sich eine frische „Aber ein bißchen weniger unfreundlich hätte sie schon sein können. Am Ende ist er ja nur noch ein bedauernsivcrtcr

armer Teufel."

Gatten.

„Gieb mir hundert Mark, Schatz! Ich muß ein paar kleine Besorgungen machen!"

Anton Waibling kannte die Stimme wohl, die Helle Stimnie der allerliebsten, lustigen Ballettänzerin, die sechs Monate lang seine „süße, kleine 8ouri8, sein angebetetes Mäuschen" gewesen war. Es war seines Lebens glücklichste Zeit gewesen, dies liebestolle halbe Jahr - - und so wenig hatte er es vergessen seinen

letzten

können,

daß

F«und auf Erden,

kleinen Pinscher, auf Lisettens Kosenamen er

den

getauft hatte. Seitdem sie vor sechzehn Jahren von seinem Krankenbett geflohen war, hatte er sie nicht wiedergesehen. Und nun, da er sie wiedersah, nun brachte es ihn außer Fassung, daß sie noch immer so schön war, und daß er — eine einzige Sekunde war hinreichend gewesen, ihn darüber aufzuklären — daß er noch imiiter nicht aufgehört hatte, sie zu lieben.

Souris gab keinen Laut von sich, als ihn sein Herr mit¬ samt dem großen Ziegelstein, daran er ihn festgebunden, von dem kleinen Handkahn unweit der Brücke sanft ins Wasser gleiten ließ. Vom Ufer aus aber rief in demselben Augenblick ein Schutzmann herüber:

„He — Sie da! Was machen Sie denn eigentlich, wenn man fragen darf?" werden Sie gleich sehen!" sagte Anton Waibling ruhig, hob die Arme empor und plumpste schwer hinein in die hoch aufspritzende dunkle Flut.

„Das

Nun waren sie wieder beisamnicn — Souris und er, und nun brauchten sie nicht länger um das Nachtquatier zu sorgen, das der invalide Kunstreiter in der Millionenstadt nicht hatte finden können

.

. .

659

Berlin vor fünfzig Jahren. Mch blättere in alten verstaubten Zeitnngsblättern, Berliner Zeitungen sowohl, wie auswärtige aus den vierziger Jahren, und finde da die folgenden Mitteilungen, Notizen und Scherze, die vielleicht in ihrer Gesamtheit ein anschaulicheres Bild des Lebens der preußischen Hauptstadt vor fünfzig Jahren geben, als es eine ausführlichere Beschreibung der Stadt thun könnte. Ich greife willkürlich aus allen den Mitteilungen das Folgende heraus:

I. Am 1. August 1843 machte eine große Gesellschaft eine Spazier¬ fahrt von hier nach Potsdam. Einige der Teilnehmer verspäteten sich am letzten Ort in der Meinung, daß noch um zehn Uhr abends ein Eisenbahnzug nach Berlin abgehe. Kurz vor neun Uhr stellten Zurückgebliebenen am sich die aus dreizehn Personen bestehenden Bahnhof ein und sahen die dampfende Lokomotive zur Abfahrt bereit, erfuhren aber von dem Bahnhofsinspektor, daß der gewöhnliche Zug bereits vor eineinhalb Stunden abgegangen sei, und jetzt nur ein Extrazug für Se. Majestät den König abgehen werde. Auf die Frage, ob sie nicht mit diesem Zug mitfahre» könnten, antwortete der Inspektor natürlich verneinend. Nun schickte die Gesellschaft Dicht außerhalb des Bahnhofs begegnen sich zum Rückzug an. Da faßt einer aus der Gesellschaft, sie dem Wagen des Königs. den es besonders drängte, am folgenden Tage früh in Berlin zu sein, ein achtzehnjähriger Malergehilfe, sich ein Herz, er trat an den Wagen des Königs heran und fragte in der einfachsten Weise, ob er und seine Freunde nicht mitfahren dürften, da sie niorgen früh in Berlin sein müßten. „Ja, ja, lieben Kinder," sagte der König, „rückt noch einen Wagen an!" Sogleich wird ein Personen¬ wagen dicht an den königlichen Wagen angeschoben, ein Kondukteur steigt mit der Gesellschaft ein, und nachdem der König, aus seinem Wagen sich herausbeugend, noch gefragt hat: „Nun, seid Ihr alle im Wagen?" geht der Zug ab und bringt die Verspäteten nach wenig über einer halben Stunde an den ersehnten Ort.

II. Ans Berlin wird geschrieben: Die ärztliche Praxis wird hier sozusagen im Mindestversteigernngswege betrieben. Biele Doktoren versprechen in Zirkulare» billige Behandlung, und nun macht ein reicher Doktor bekannt, daß er für ein monatliches

Salär von

einem Silbergroschen

das ganze

Jahr

hindurch eine

Familie bei vorkommenden Krankheiten behandeln wolle. Sehr traurig! Noch trauriger für den, der die Not so mancher junger

Aerzte kennt, die kein Vermögen haben, und solcher, die gern wirken möchten, und keine Patienten haben.

Seltener Glücksfall. Berlin ein jetzt gewiß seltener Glücksfall. Ein Bedienter hatte unlängst bei einem Trödler zu dem geringen Preis von 1/, Thlr. eine Busennadel gekauft, die ihm später nicht mehr gefiel, so das; er sie umzutauschen beschloß. Der Goldarbeiter, an den er sich deshalb wendete, ein Ehrenmann, wollte sie indes nicht annehnen, forderte vielmehr von dem Bedienten ein Zeugnis seines Herrn über den rechtmäßigen Besitz der Radel, und es ergab Verlangen nicht unbegründet war; denn der sich bald, daß dieses unscheinbare Stein in der Busennadel ergab sich als ein Diamant Kürzlich ereignete sich in

l

von 150 Thlr. an Wert.

Aus der Berliner Kriminal-Chronik. Ein höchst merkwürdiger Kriminalfall ist in diesem

Augenblick Gegenstand der allgeineinen Unterhaltung in Berlin. Was wir an damit verwandten Ereignissen aus früheren Jahren in der Er¬ innerung haben, kommt an Interesse, Kühnheit und schlauer Kompliziertheit dagegen nicht auf. Die Zeitungen haben schon davon gesprochen, aber ohne den Nerv der Sache wiederzugeben; berichte ich auch nur nach dem Gerücht, so glaube ich doch, daß cs diesmal eine sehr gute Quelle hat. Seit einigen Jahren lebt hier eine Engländerin aus hoher Familie, ausgezeichnet durch ihre Bildung und ihre geselligen Talente. Sie hatte Eingang gefunden in den hohen und höchsten Kreisen der Gesellschaft, ja, man be¬ hauptet, daß sie auf dem Punkt stand, über die Schwelle zu treten zu noch höheren. Das religiöse Thema der Zeit war auch ihres. Sie förderte es nicht allein im Umgang und durch Gespräche, sondern trat auch als Schriftstellerin auf; die Bekenntnisse der Fürstin Galliziu, von ihr übersetzt, sind vor einigen Monaten hier Sie führte den lebhaftesten Briefwechsel bei Ascher erschienen. mit litterarischen und anderen Notabilitäten hier und auswärts. Die Ausbreitung religiöser Gesinnungen erschien immer dabei als Hauptzweck. Einmal während ihres Aufenthaltes in Berlin unter¬ nahm sie auch eine Reise nach England, wohin sie sich an dortige Gelehrte Empfehlungen von einem berühmten Schriftsteller verschaffte. dankte dem Adressaten Der geistvolle, englische Kritiker in einem verbindlichen Schreiben, daß er ihm die Bekanntschaft der jungen Dame verschafft habe. Als unverheiratet, und etwa im Alter von 28 Jahren, fand sie es schicklich, nicht allein zu

C.

wohnen, sondern hatte sich bei mehreren angesehenen Familien hier und in Potsdam in Kost begeben. Indem ich die Geschichte, wie sie jetzt bekannt ist, hier wieder erzähle, so fühle ich, daß das, was ihr hier die pikante Würze giebt, die Namen der hochgestellten und geachteten Personen, welche dabei unschuldig mitspielen, mir Genug, daß man der Eng¬ die Diskretion zu nennen verbietet. länderin zu Ehren Gesellschaften gab. Fremden den Ehrenplatz neben der geistreichen Dame einräumte, und einer unserer ersten Geister am Abende vor seiner Abreise nach England bei ihr Thee trank. Miß H. . . . hatte unter anderen auch bei einer Obristi» von gewohnt. Jetzt lebte sie schon seit Monaten mit einer andern Familie; es braucht nicht angeführt zu werden, daß eine jede es sich zum Glück schätzte, die liebenswürdige Engländerin Die Obristin saß bei Tisch, als ein bei sich aufzunehmen.

....

Sie Geräusch in der verschlossenen Rebenstube sie aufschreckte. öffnete die Thür und erblickte zu ihrer Bewunderung die Miß Thür H. . . . „Mein Gott, wie kommen Sie hier herein? Die „Sie war offen", entgegnete die Fremde, ist ja verschlossen."

Die Dicnstleute wurden ge¬ „ich wundere mich auch darüber." rufen, sie lassen sich aber nicht schelten wegen ihrer Nachlässigkeit, behaupten vielmehr, die Thüre sei fest verschlossen gewesen. Man nimmt die Sache leicht, und Miß H. . . . sagt lächelnd: so könnte man sich auf die besten Dienstboten verlassen, wenn man nicht alles selbst nachsähe. Aber als sie fort ist, vermißt die Obristin in dem auch fest verschlossenen Sekretär ein Paket mit Kassen¬ anweisungen. „Das kann nur die Miß H. . .. gestohlen haben!" rufen die durch langjährige Dienste erprobten Leute der Wirtin ans einem Munde. Ein entsetzlicher Argwohn, den sie vergebens treibt zu unterdrücken sucht, der aber immer von neuem aufsteigt, man und aus, ihn spricht Sie zur Engländerin. die Obristin mag sich vorstellen, wie die gekränkte Dame ihr antwortet. Kaum

ist die Obristin zu Hause, kommt ihr auch schon ein Billet nach, mit der Drohung einer Injurienklage, wenn sic ihr nicht eklatante Die geängstigte Obristin geht indessen Genugthuung verschaffe. dem berühmten Polizeirat Dunker, Bestohlenen, aller doch zum Hort erst in der ihr wenig Hoffnung macht, weil sie ihm ihren Besuch zweiter Instanz geschenkt habe. Dunker geht jedoch am selben Abend hin, und nach einer kurzen Unterhaltung und der ersten Lüge, auf der er sie ertappt, ist der feine Menschen- und Ver¬ brecherkenner so von Miß H- - -'s Schuld überzeugt, baß er es ihr ins Gesicht sagt, und, ihrer Ohnmachten und verräterischen God damns ungeachtet, zur Untersuchung schreitet. Hier fanden sich wundersame Dinge, wenngleich nichts, was den Verdacht des Eine unbe¬ vorliegenden Verbrechens zur Gewißheit steigerte. deutende Bijouterie sollte aber zu noch größeren Entdeckungen führen. Als die Obristin sie zu Gesicht bekommt, erschrickt sie heftig. Die Brosche gehört ihr; sie war selbst ohne Wert, aber wer diese genommen, mußte auch bei ihren Juwelen gewesen sein, die fest Sie öffnet dasselbe, verschlossen in einem geheimen Fache lagen. Ein noch größeres Glück, und, o Glück! das Kästchen ist da. als man es öffnet, fehlt auch kein einziges Stück. Aber als man die Pretiosen bei Licht besieht, ist wohl Gold und Fassung dieselbe, — aber statt der Diamanten sind böhmische Steine eingesetzt. fest, unzweifelhaft Genug, Miß H. . . ist eine Diebin, es steht Keine Diebin aus und sie soll auch schon selbst bekannt haben. Armut und Edelsinn oder aus Manie, vielmehr, was die Motive anbelangt, eine ganz gemeine Verbrecherin, aber eine ungewöhn¬ liche Betrügerin, über deren Lebenslauf noch ein tiefes Dunkel ruht. Ihre aufgefundene Korrespondenz giebt nur darüber Licht, wie sie es verstanden, sich Konnexionen z» verschaffen und ein merkwürdiges Netz über alle vornehmen und einflußreichen Personen auszubreiten, dergestalt, daß sie durch die eine die andere verstrickte, Schützling und jeder Gönner glauben mußte, sie sei der besondere erwarten. des andern. Was herauskommen wird, steht noch zu Hier nur so viel, daß sie mit sehr hohen Personen über die Viel deutet darauf, daß sie im kölnische Frage korrespondierte. Begriff stand, den Schauplatz ihrer Intriguen zu tauschen und Bis jetzt hat sich über ihre Herkunft nach Italien gehen wollte. des Marquis von H. ... . die der Sproß nur ermittelt, daß Sie selbst Tochter eines llnterförstcrs aus dem Bremischen ist. die Qualität sie obwohl Aber englifiert. deutschen Paß ihren hat als Diebin eingestanden, will sie doch von der einer englischen Aristokratin nicht lassen und giebt jetzt vor, das gestohlene Kind aus einer so großen Familie zu sei», daß ihr Mund dieselbe nicht anssprechen dürfe. Soviel weiß bis jetzt das Publikum von einer Hochstaplerin, die in unseren Zeiten ihresgleichen sucht.

In einer Berliner Menagerie erteilte der Wärter folgende Auskünfte: „Hier seh'n Se den schönsten afrikanischen Elephanten aus Afrika, wo er viele Kunststücke macht. Er is gegenwärtig 10 Jahre alt und wächst bis ins 30. Jahr, dann wird er aber immer größer. Hier seh'n Se die große Hyäne aus dem Mittel¬ ländischen Meer. Sie budelt de Toten aus der Erde und frißt sie lebendig uff. Hier seh'n Se die große Riesenschlange, die frißt einen Ochsen auf einen Schluck. Jeden Se acht! Das Vieh hat

660

oft se fressen will, macht sie immer's Maul uff! Hier sey'n Se das große ungeheuere Meerungeheuer, das vor etlichen Jahren bei einem ungeheueren Sturm aus Land gcbrescht worn is. Es is 12 Ellen in der Dicke und 12 in der Breite. Es erreicht ein hohes Menschenaller. Der König hat demjenigen, der dem Ungeheuer einen Rainen geben kann, 6 Thaler, 16 Silbergroschen und 6 Pfennige versprochen." die jrofte Merkwürdigkeit

in

sich, daß, so

Eine herrschaftliche Säugamme, welche sich bei Erfüllung ihrer Pflicht gerne mit den Werken älterer Litteratur bekannt machte, las emsig den Rinaldo Rinaldini, als der ihr anvertraute Säugling seinen Appetit laut kund gab. Als das Geschrei des hungrigen Kindes endlich zu arg wurde, warf sie wütend das Buch iveg und rief: „Geheimenrats Fritzchen! Kannst Du nicht warten, bis Rivaldo tot is?"

Die Hausfrauen wird es interessieren, eine kleine Charakteristik der Berliner Dienstmädchen des Jahres 1845 zu erhalten. Ein damaliges Blatt schreibt über diesen interessanten Gegenstand: Von allen Klassen der Gesellschaft scheint hier die der weiblichen Dienstboten am meisten die Volkssouveränität befestigen zu wollen. Während früher die Hausfrau zu jeder Zeit nur nach den Gesindevermietuugscomptoireu zu schicken brauchte, um sofort eine ganze Menge dienstloser Mädchen zur beliebigen Auswahl ankommen zn sehen, hat sich die L>ache jetzt umgekehrt, indem die letzteren sich bei jenen Comptoiren gar nicht mehr nach Diensten erkundigen, sondern sich fast ausschließlich durch das Jntelligenzblatt anbieten und den Hausfrauen überlassen, ihnen die Visite zu machen. Zeigt die suchende Hausfrau hierbei nicht eine gewisse Bescheidenheit, Herablassung und einen gewählten Anzug, so erfolgt in der Regel die Antwort: „Ich bin schon versagt, Sie hätten früher kommen müssen!" oder es beginnt durch das Mädchen folgendes Examen: Mann? Wieviel Kinder haben Sie? Wie Was ist denn

Ihr

Sie? Was geben Sie Lohn und Weihnachten? Wird die Wäsche in oder außer dem Hause besorgt? Halten Sie jemand zum Wassertragen? Wie oft wird gescheuert? Wie oft kann ich ausgehen, und wie oft in der Woche kann mich meine Cousine besuchen? Mein Cousin ist übrigens Demokrat, und ich muß mit ihm in die Bezirkskonzerte gehen können. Weshalb zieht denn hoch wohnen

Leg' dich nie zum Fenster raus Berlin nach Elfen, Weder Treu noch Ruglisch kann Daun dem Menschen 'helfen. Willst von einem heitren Mahl Freude du erleben, Mußt du — wenn du scheidest — Freund, Rie ein Trinkgeld geben!

In

„Was is vor eenem

een Unncrschied zwischen eenem

Schaudarm und

Constablcr?"

„Det weeß ich »ich." „Ick aber will es Dich sagen;

es is derselbe Unnerschied als zwischen eenem Kümmel und eenem Pommeranzen, der eene is weiß, der andere is selb; innewendig sind se aber alle zwee bede —

Fusel."

*

»

*

Ein Berliner Bürger, der die gewöhnliche Bürgerwehrübung mitmachen sollte, bat um Dispensation r»id schloß seine Vorstellung mit den Worten: „Ucbrigens kommt meine Frau jede Stunde in die Wochen, und ich bitte den Herrn Hauptmann, mich ganz er¬ gebenst davon zu befreien!"

Knabe: Vater, wenn ich erst groß geworden bin, will ich Finanzminister werden! Vater (klopft ihn lächelnd ans die Wange): Ra ja, kleiner Spitzbube!

*

*

streitet, und man geht eine Wette ein. Beim Aussteigen im Post¬ hof giebt der Reisende einem der Träger seinen Reisestock vom Postgebäude über die Straße »ach einem nahen Gasthofe in der Spandauer Straße zu tragen und reicht ihm als Lohn einen Dukaten. — Ach, Männeckc», sagt der Träger vergnügt, haben Se »ich noch etwas kleenes Jeld? Sonst muß ick det Dings gleich

— Der Gutsbesitzer zahlte die Wette.

Heiratsantrag. Ein Mann von mittelmäßigem Vennögen, das aber dennoch ausreicht, um billigen Anforderungen zu genügen, von ziemlich kräftiger Anhalt Beruburger Konstitution, annoch ungctrösteter, zurückgelassener Witwer einer annoch ebenfalls »»getrösteten, in ein anderes Leben eingegangenen Witiverin, aus dem Grunde der Versöhnung Vater von zwei lieblichen Kindern, zwar schwarz von

aber rosenrotem Gemüte, und dabei Beamter einer kleinen Stadt, die nicht weit von der Landstraße liegt, wünscht sich wieder zu verändern und eine brave Lebensgefährtin zu finden. Mit dem Dahinscheiden seiner obenerwähnte» dritten Ehehälfte mit der Oesfentlichkeit in keiner Verbindung, wählt er den Zeitungs¬ weg zu einer Angelegenheit, die, wie Schiller sagt, „die Stille liebt und die Rächt". Was die Forderungen betrifft, sind diese bescheiden; das Wesen, das ihn beglücken soll, muß Mädchen, aber kinderlos sein; jung, aber wohlhabend; schön, aber sittsam; sollte sie dabei sogar auch kochen können, so würde dies dem häuslichen Herde einen Reiz mehr verleihen. Was meine Gesinnung betrifft, haben mich die Renzeit, die Klubs, die Studenten rc. unberührt gelassen, und das fordere ich auch von jener, die diese meine, ihre Hand zu erringende Auf¬ forderung liest, und ihr nachzukommen gedenkt.

Haaren,

rc.

Unglück über Unglück. Ein armer Schuh', nacher in Berlin spielte ein Viertel in der

Lotterie und beschloß, jeder Ziehung diesmal persönlich beizuwohnen. „Kinder," sagte er beim Fortgehen, „ick thue jetzt uff das Lotterie¬ spiel gehen, um zu sehen, ob mich die jöttliche Fortuna noch ein — bißchen hold is. Wirft sie mich einen jroßeu Gewinn zu, dann — nach Fuß zu nicht gehe ick dann Manteufel! bei Radewitz und Hause, sondern ick lasse mich man in der Pvrtechaise nach Hause tragen. Und wenn Ihr mich daun seht kommen thun, dann hat mich Fortuna zu einem jroßen Mann gemacht, und Ihr iverft die jauze Schusterei zum Fenster hinaus." Damit ging er und wohnte der Ziehung bei. Die Zuschauermeuge war aber schon so zahlreich anwesend, daß er nur noch ein kleines Räumchen auf einem alten Treppengeländer erwischen konnte. Die ausgerufenen Nummern Auf einmal ertönte ein wurden mit Aufmerksamkeit verfolgt. Krachen und Prasseln; das Treppengeländer brach, und eine Menge Menschen stürzte auf die Treppe hinab, nicht ohne sich erheblich zu beschädigen. Unter ihnen befand sich auch der Schuhmacher. Man schickte »ach einer Portechaise und ließ ihn nach Hause tragen. Kaum sah der Lehrjunge die Portechaise, so ging es Kling! Kling! Puff! Puff! und die Werkstatt samt dem Werkzeug wurde zum Fenster hinausgepfeffert. Leider hatte er sich geirrt; denn der — ein Bein Meister hatte, statt das große Los zu gewinnen gebrochen.

*

Ein Gutsbesitzer reiste vor einigen Tagen in Gesellschaft eines Franzosen nach Berlin. Der Franzose erzählt, daß die Erfahrung ihn belehrt habe, daß die Packträger in Berlin sich nie zufrieden zeigten, man möge geben, ivas man wolle. Der andere wider¬

kleene machen lassen.

Ihre?

*

*

*

ick Ihnen bitten vor den blinden Flöteumanu! „Wo is er denn mein Döchterken? Ick hör' ihm ja nicht blasen!" Entschuldigen Sie, er is krank; aber hier ist seine Flöte.

Dürft

Eine zanksüchtige Madame, bei der es ein Mädchen kaum zwei Tage aushalten konnte, schickte ihre Köchin au den Brunnen, um frisches Wasser zu holen. Diese traf dort eine Freundin, welche die Frage an sie richtete: „Ricke, was giebt's denn Neues in Berlin?" — „Was soll's man Neues geben; das einzige weiß ich, daß ineine Madame gestern glücklich in die Wochen gekommen — ist!" — „Was hat sie denn? einen Jungen oder ein Mädchen?" ein Mädchen fragen, zu danach sein, dumm „Wie kannst Du so kann es nicht sein, das hätte es nicht neun Monate bei ihr aus¬ gehalten."

*

* .

*

Bnddelmeier meint: Der berühmte Gelehrte Confucius pflegte zu sagen: „Gleichheit oor's Gesetz und frische Wurscht sind zwei propre Sachen, aber sie sind nicht immer zu haben." Folgender Liebesbrief, für dessen Authentizität gebürgt wird, wurde neulich au ein Dienstmädchen gerichtet und lautet wörtlich also: Werthgeschätzte Unbekannte! Seitdem ich das unaussprechliche Glück getroffen, einige Minuten Sie gesehen zu haben fühlte ich mich wie von einen mächtigen Zauber umfangen, denn überall schwebt mir Ihr liebliches Bild vor Augen, wo bei mir das Herze vor Freude hüpft, ich kann es mir nicht anders erklären, als daß die Liebe es ist, die ihr Spiel mit mir treibt. Aber wo soll das am Ende hinaus? die Liebe läßt mir Tag und Nacht nicht Ruh, sie leitet alle nieiue Gedanken und Gefühle nach einem Punkte, und dieser Punkt sind Sie, um die sich mein ganzes Wesen dreht, bald ist es ihre Gestalt, die mich anlächelt, bald ist's ihr frohes ungezwungenes Gemüth, die mich ermuntern. Ach ich fühle so gar,

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das ich es nicht vermag meine Gedanken von ihnen abzuwenden. Sie haben vielleicht wieder Ihren willen in meinen Herzen Platz genommen: ich kann und mag Sie nicht daraus verscheuchen. Ueber dies muß ich gestehen, das seit Sie von meinen Herzen Besitz genommen, ich mich in meinen Innern wie in meinen Alle rauschende Vergnügungen und Aenßeren veredelt fühle. wilden Zerstreuungen ekeln mich an. Einsam in der fremden Natur fühle ich Wonne und Erquickung seit Sie in meinen Herzen und Gedanken meine Begleiterin sind. Nichts könnte mich mehr erfreuen und erheben, als Ihre nähere, schätzbare Bekanntschaft, ein öfter Umgang mit Ihnen o Himmlische Unbekannte Nach einer bald gefälligen Antwort von Ihren lieben sanften

—-.

Händchen verlangt sehnlichst Berlin den 12. März 1846.

Ihr

treuer Verehrer.

A-P—st.

Ein Blick auf die Veterinärkunde und ihre instrumentalen Hilfsmittel.

s

ie Anfänge der Tierheilkunde reichen bis zu den ersten Ver¬ suchen der Tierzähmung zurück; der erste Viehzüchter war auch der erste Tierarzt, dessen Kenntnisse sich auf die Erfahrungen stützten, die er im täglichen Umgang mit den gezähmten Tieren

auch in Berlin, angeregt durch das Wüten einer verheerenden Rinderpest in Deutschland, eine Tierarzncischule eröffnet, um deren Gründung sich namentlich der Oberstallmeister Graf von Li »den an bedeutende Verdienste erwarb. Doch ungeachtet des wissenschaft¬ lichen Systems, das nunmehr die Grundlage in der Ausbildung der Tierärzte wurde, blieb doch noch immer in weiten Kreisen die Behandlung der Krankheiten der Haustiere Schmieden und Hirten überlassen. Man hatte, insbesondere auf dem Lande, zu dem ge¬ lehrten Roßarzt nicht das Vertrauen wie zu dein alten Schäfer, dessen Besprechungen und Wnndertränke nicht nur dem kranken Vieh, sondern auch dem leidenden Menschen helfen mußten. Selbst als die Veterinärkunde eine auf den Hilfsmitteln der exakten Naturforschung beruhende Methode erhielt, als ihre Disziplinen nach den nämlichen Grundsätzen zu arbeiten begannen, ivie die auf die Menschen angewandte medizinische Wissenschaft, selbst dann betrachtete man sie noch immer vielfach als ein Stiefkind der

Wissenschaft. Den bahnbrechenden Arbeiten eines Andreas Christian Gerlach über die Seuchen und Parasiten der Tiere, über die Ma߬ regeln zur Verhütung der Rinderpest und über die gerichtliche Tiermedizin ist es in erster Reihe zu verdanken, daß die Erkenntnis über die kulturelle Bedeutung der Veterinärkunde in immer weitere Kreise drang. Er muß, da er einer der ersten war, der die Auf¬ merksamkeit auf eine Untersuchung des Fleisches lenkte, als der Durch eigentliche Schöpfer der amtlichen Fleischbeschau gelten. diese Maßregel und die anderen Bestinimungen der seitdem ins

gewann. Trotzdem hatte man in den Kulturepochen des Altertums von den Lebensbedingnngen der

Haustiere ungenügende Kenntnisse.

Zwar

sind aus dem griechischen und römischen Altertum noch ein¬ zelne Werke vorhanden, ans denen hervorgeht, daß man schon damals anatomische Studien an Tierkörpern vorgenommen und auch manche Krankheiten der Haustiere aufge¬ funden hatte, aber bei dem Mangel physiologischen Wissens entbehrten doch alle diese Abhandlungen des wissenschaftlichen Charakters in dem heutige» Sinn des Wortes. Ueberdies beziehen sie sich fast ausschlie߬ lich auf das allerdings edelste und für die Zivilisation wichtigste aller gezähmten Tiere, auf das Pferd. Ist es doch aus der Geschichte ge¬ nügend bekannt, daß bereits zur Zeit der römischen Weltherrschaft der Hnsbeschlag eingeführt war und dem Marescallns des römischen Heeres nicht nur das Amt des Huf¬ schmiedes, sondern auch des Ro߬ arztes oblag. Die Roßärzte übten ihre Kunst fast nur im militärischen Dienst aus. Kamen auch durch die Beziehungen des Rittertums zum Kriegsdienst die veterinären Fortschritte der Entwicklung der Pferdezucht im allgenieinenzu statten, so bildete dennoch das durch die späteren Jahrhunderte fortbestehende Feudalsystem eine schiver zu über¬ windende Schranke für eine Ent¬ faltung der Kultur des übrigen Nutz¬ viehes. Man hatte namentlich in Deutschland nicht das geringste

Verständnis dafür, welche fördernde Wirkung eine rationelle Vieh¬ zucht auf den Fortschritt der Landwirtschaft ausübe. Während Italien schon am Ende des 13. Jahrhunderts hervorragende Werke über Landwirtschaft besaß, war das im Jahre 1482 in Augsburg herausgegebene „Buch der Natur" überhaupt das erste in deutscher Sprache, das den landwirtschaftlichen Betrieb behandelt. Wenngleich die Verheerungen des dreißigjährigen Krieges den Ackerbau und die bereits emporgcdiehene Viehzucht wiederum in Verfall brachten, so trugen doch die kriegerischen Schrecken nicht unwesentlich zur Vermehrung der Erfahrungen über die Pathologie des Pferdes bei. Ein zur damaligen Zeit von dem kurbrandenburgischen Roßarzt Böhme verfaßtes hippologisches Werk zeigt schon eine wissenschaftliche Grundlage und den Beginn einer neuen Phase in der Veterinärkunde. Hatte doch auch der Schöpfer der ersten Tierarzneischule in Deutschland, Adam Kersting, als Roßarzt in kurhessischen Diensten seine reichen Erfahrungen im siebenjährigen Kriege in instruktiver Weise verwertet. Mit dem von ihm trefflich organisierten Unterricht in dem 1778 seiner Initiative entsprossenen tierärztlichen Institut zu Hannover folgte er dem von Bourgelat und Lafosse in Frankreich gegebene» Beispiele. Erst 1790 wurde

Die SchneNfrheer-Mafrhine.

Leben getretenen Beterinärpolizei, durch die erlassenen staatlichen Gesetze zur Abwehr und Unterdrückung von Viehseuchen, durch wissenschaftliche Feststellung der Uebertragsfähigkeit einer Anzahl von Tierkrankheiten auf den menschlichen Organismus, durch alle diese Ergebnisse ihrer bedeutsamen Entwicklung kam nun die Tier¬ medizin auch bei der Allgemeinheit zu einem wachsende» Ansehen. Man sah nun in ihr einen wichtigen Faktor im Dienste der öffent¬ lichen Gesundheitspflege und begann mehr und mehr ihre» großen Anteil an der Ausbildung des neuesten Zweiges der Naturwissen¬ schaft, der Bakteriologie und Seuchenlehre, anzuerkennen. Gerlach, der 1870 zum Direktor-der Tierarzneischnlc in Berlin berufen wurde, deren Vorgarten auch das eherne Stand¬ bild dieses Reformators der Vcterinärknnde ziert, strebte nun mit rastlosem Eifer dahin, für seine Jünger eine erhöhte Vorbildung Die Erweiterung des tierärztliche» Unterrichts in zu erlangen. der pathologischen Anatomie, Physiologie und Histologie, kurz in allen Zweigen der Humanmedizin veranlaßte denn auch Deutsch¬ land und die anderen Knlturstaaten für die Zulassung zum tier¬ Gegenwärtig ärztlichen Studium Primanerreife vorzuschreiben. macht sich bereits überall das Bestreben geltend, die Forderung

662

Vorbildung zu diesem Studium auf das Abiturientenexamen Die Erreichung dieses Zieles ist nur als eine Frage kürzester Zeit anzusehen. Infolge dieser gewaltigen Reorganisation des tierärztlichen Studiums in den letzten Jahrzehnten, mit der auch die Umwandlung der tierärztlichen Lehranstalten in Hoch¬ schulen zusammenhing, ist es der Veteriuärkunde gelungen, fast in allen ihren Zweigen den mächtige» Fortschritten der Gesamtder

auszudehnen.

Wie letztere hat auch die Tierheilkunde alle exakten Beobachtung, die Perkussion und Aus¬ behufs der pathologischen Forschung die chemische Ana¬

medizin zu folgen.

Hilfsmittel einer kultation,

lyse und das Mikroskop in Anwendung gebracht; sie hat ferner, dank der ersprießlichen Wirksamkeit zahlreicher forschender Prak¬ tiker, — mir heben nur unter den bahnbrechenden Pionieren der Veterinärchirurgie Namen wie Möller, Proehner, Bayer her¬ vor — in der Technik der Operationen und der Wundbehandlung die höchste Stufe der Meisterschaft erreicht. Allerdings wäre die Tiermedizin nimmer zu dieser großartigen Entwicklung gelangt, wenn sie nicht die erfolgreiche Unterstützung der mechanischen Technik in der vollkommenen Herstellung der instrumentalen Hilfsmittel gehabt hätte. Wie man noch am Beginn der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts die Be¬ strebungen der Veterinärkunde völlig unterschätzte, so legte die chirurgische Jnstrumentensabrikation auch keinen Wert ans die Er¬ zeugung der tierärztlichen Instrumente. Die Darstellung letzterer bildete einen nebensächlichen Zweig des Schaffenskreises der chirurgischen Instrumentenmacher. Als nun die Tierheilkunde zu einer immer bedeutenderen wissenschaftlichen Entfaltung gelangte und an die Erzeugung ihrer instrumentalen Apparate immer größere Anforderungen stellte, wäre sie in der Wirksamkeit der Technik den größten Schwierigkeiten begegnet, wenn nicht die Vor¬ aussicht eines Berliner Gewerbetreibenden, des hochverdienten Be¬ gründers der heute zu einem Welthause emporgediehenen Berliner Fabrik von H. Hauptner, zur richtige» Zeit den Weg der Hilfe

angebahnt hätte.

Hauptner

Es war im Jahre 1857, als Herr Hans

unscheinbare Werkstätte für die Herstellung chirurgischer Instrumente ins Leben rief, jedoch der Fabrikation der tierärztlichen technischen Hilfsmittel seine Hauptthätigkeit zuwandte. Kaum erkannte er, daß seine Bestrebungen ein weites Verständnis in allen Fachkreisen fanden, da begann er seine Auf¬ gaben zu erweitern und die der Tiermedizin dienenden Erzeugnisse zu einer Spezialität seines Schaffens auszubilden. Alle neuen Konstruktionen bedeutender Tierärzte wußte er in mustergiltiger Weise zu verkörpern, an vielen die verbessernde Hand anzulegen, den Tierarzneischulen, ihren Wünschen entsprechend, die Apparate zum Unterricht darzubieten, kurz, er entfaltete eine ersprießliche Wirksamkeit, die ihn bald mit allen Ländern der Erde in geschäft¬ lichen Verkehr brachte. Aus der winzigen Werkstätte wurde schon in kurzer Zeit ein fabrikmäßiges Unternehmen, das sich immer mehr und mehr den wachsenden Bedürfnissen der Veteriuärkunde anzupassen vermochte. So stieg die Firma, die den Vorzug hat, nicht nur die erste, sondern auch die einzige Spezialfabrik ihrer Art auf der Erde zu sein, zu einem Welthause in des Wortes höchster Bedeutung empor. Sie wurde Lieferantin der sämtlichen tier¬ ärztlichen sowie der landwirtschaftlichen Hochschulen im In-und Aus¬ land und maßgebend für alle technischen Fortschritte ihres Faches. Ihr Betrieb nahm nun eine solche Ausdehnung an, daß ihr Begründer sich veranlaßt sah, auf dem erworbenen Grundstück, Lnisenslknße 53, in unmittelbarer Nachbarschaft der Königlichen tierärzt¬ lichen Hochschule, einen neuen, umfangreichen Fabrikbau errichte» zu lassen. Mit der im Jahre 1886 bewirkten Uebersiedlung der Fabrik in dieses neue. Heim und in noch höherem Grade mit dem 1891 erfolgten Eintritt des Herrn Rudolf Hauptner in die Firma trat für das Unternehmen eine neue Aera des Aufschwunges ein. Der neue Gesellschafter, ein Sohn des hochverdienten Schöpfers der Fabrik, war als technisch und wissenschaftlich ausgebildeter Fachmann bereits mehrere Jahre vorher ein thatkräftiger Genosse der Bestrebungen seines Vaters gewesen. Von dem fortschreitenden Geist der Veteriuärkunde tief durchdrungen, trug er ein wesentliches dazu bei, das technische Können der Fabrik einer so hohen Stufe der Meisterschaft zuzuführen, daß es nunmehr selbst den weitest¬ gehenden Anforderungen gerecht zu werden vermag. Die hohen Auszeichnungen, die der Firma H. Hauptner auf etlichen nationalen und internationalen Ausstellungen verliehen wurden, sind gleichfalls sprechende Zeugen von der vielumfassenden Anerkennung des erfolgreichen Wirkens der Firma. Wurde ihr auf der Berliner Gewerbe-Ausstellung des Jahres 1896 die höchste Auszeichnung für wissenschaftliche Instrumente: die silberne Staatsmcdaille für gewerbliche Leistungen zuerkannt, so hielt die internationale Jury der jetzigen Pariser Weltausstellung die dar¬ gebotenen Schöpfungen der Firma, welche die Bewunderung aller Fachkreise erregten, des „großen" Preises würdig. Diese ehrenvolle Verleihung war die einzige, die in der Klasse „Chirurgische In¬ strumente", zu deren Preisgericht außer verschiedensten Aerzten, Uni¬ versitätslehrern und Fachtechuikern nur ein einziger Tierarzt ge¬ hörte, vergeben wurde. Sie kann auch als ein Merkmal von dem hohen Ansehen gelten, das die Tiermedizin in der Gegenwart er¬ reicht hat. Doch die Firma errang in Paris noch eine weitere Aus¬ eine

Für ihre in der Gruppe „Landwirtschaft" ausgestellten Apparate für Tierzucht und Tierpflege, die eine besondere Abteilung ihres Schaffens repräsentieren, wurde sie mit der „Goldenen Medaille" preisgekrönt. Wenn man einen Rundgang durch die mustergiltig angelegten und in vollkommenster Weise ausgerüsteten Werksäle dieser Fabrik vollführt, denn empfängt man eine fesselnde Anschauung von dem hier durchgeführten Prinzip einer vielgegliedcrten Arbeitsteilung. Erst die Zusammensetzung der mittelst der verschiedensten PräzisionsWerkzeugmaschinen hergestellten einzelnen Teile erschließt und die Bedeutung der in die Erscheinung tretenden fertigen Gebilde. Aus dem mit hesondcrer Kunstfertigkeit ausgeübten Prozeß des Schleifens, durch de« die Instrumente die Eigenart ihrer wirkenden Kraft er¬ halten, aus der Wirksamkeit des Sandstrahl-Gebläseapparntes, mit dessen Hilfe die Erzeugnisse in höchst gleichmäßiger und dauerhafter Weise mattiert werden, aus den Ergebnissen der des Vernickelns dienenden galvanischen Bäder und ans vielen andern maschinellen Apparaten vermag der Beschauer zu erkennen, daß'in diesen Werk¬ stätten der fortschreitende Geist der Technik, der unserem Zeitalter das eigenartige Gepräge verliehen hat, die absolute Herrschaft führt. Wie dieser Geist, weleber der angewandten Wissenschaft entsprossen ist, wiedernm der Wissenschaft dient, lehrt uns eine Betrachtung des reichhaltigen Instrumentariums, das diesen Werk¬ stätten entstammt und in dem Verkaufsmagazin der Firma in über¬ sichtlicher Anordnung anzutreffen ist. Eine solche Betrachtung führt uns überzeugend^vor Augen, wie eng die verwandtschaftlichen Beziehungen der Tierheilkunde zur Humanmedizin sind. Denn wir erblicken hier nicht nur kunst¬ voll gearbeiteteJnstrumente für anatomische, physiologische und patho¬ logische Untersuchungen, mikroskopische und andere Apparate, für zeichnung.

bakteriologische

Forschungen,

sondern

auch

die

wechselreichsten

Instrumente für Untersuchungen der Nasen- und Rachenhöhle, für Operationen an den Augen, am Kehlkopf, an der Luftröhre, im Schlunde und an den Zähnen. An dieser Stelle sehen wir die verschiedenen, dem Dienste der Tiermedizin gewidmeten geburts¬ hilflichen Instrumente, an anderer solche zur Ausführung von Injektionen und der Schutzimpfung bei bestehenden Seuchen. Hier finden wir die mannigfachen Apparate, die als Zwangsmittel zur Anwendung kommen müssen, um ein Tier operieren oder nur untersuchen zu können, dort die eigenartigen Erzeugnisse, die für die Tierzucht und öffentliche Gesundheitspflege bestimmt sind. Namentlich wird unsere Aufmerksamkeit durch Instrumente zur Ausübung der Milchkontrolle, sowie deb Fleischbeschau in hohem Maße gefesselt. _ Die den Zwecken der Landwirtschaft dienende Spezial¬ abteilung der Firma läßt uns an einer Reihe von eigenartigen Apparaten erkennen, in welchem engen Zusammenhange die Veteriuärkunde mit der einen Zweig der Agrikulturwissenschaft bildenden Tierznchtlehre steht. So sehen wir in diesem Magazin die der Firma gesetzlich geschützten Tätowierzaugeu, sowie die mit Gebrauchsmusterschutz versehene» Crotalia-Marken, durch welche die Identität von Zuchttiere» auf Lebenszeit untrüglich festgestellt wird. Ferner vermögen wir hier Pferde- und Viehmeßstöcke, Schneide¬ apparate zum Enthornen des Rindes, Apparate für die Dressur und gegen gewisse Angewohnheiten der Tiere, sowie eine Anzahl maunigfaltiger Ohjekte für die Tierpstege in Augenschein zu nehmen. Einen ebenfalls vollauf berechtigten ehrenvollen Namen errang die Firma H. Hauptner durch die von ihr höchst sinnreich kon¬ struierte und ihr reichsamtlich patentierte Schnellschermaschine. Wie aus der dieser Abhandlung beigefügten Abbildung ersichtlich ist, stellt dieses wichtige landwirtschaftliche Gerät ein Gestell mit einem Rade dar, dessen Bewegung, je nach Wahl, teils vermittelst Handbetriebs, teils mit Hilfe einer kleinen Dampfmaschine oder eines Elektromotors bewirkt werden kann. Des weiteren besteht der Apparat aus einer oder mehreren Spiralwellen, die durch das betreffende Rad in Drehung versetzt werden. Diese Drehung wird nur durch eine am Handgriffe der Spiralwellen befindliche Scheibe vermittelst eines mit ihr verbundenen exzentrischen Zapfens auf einen mit letzterem in Verbindung stehenden Scherkamm über¬ tragen. Bewegt man nun diesen Kamm mit großer Schnelligkeit gegen den Haarstrich des zu scherenden Tieres, so erzielt man, vornehmlich bei der Wollschur, einen überaus schnellen und dabei in jeder Beziehung vollkommenen Schnitt. Bei der Benutzung dieser Maschine bleibt das Tier vor Verletzungen, wie sie bei der Handschur fast kaum zu vermeiden sind, durchaus bewahrt. Auch diese Schöpfung der Fabrik ist, ihren anderen Erzeugnissen gleich, überall auf der Erde, wo die Agrikultur vom Geiste des Fortschrittes geleitet wird, zur erfolgreichen Einführung gelaugt. Der in drei Sprachen verfaßte, mit reichen Abbildungen ausgestattete Katalog der Firma, den die Kritik des In- und Auslandes einstimmig als ein mustergiltiges Werk bezeichnet hat, kann als ein sprechendes Merkmal von der vielumfassenden und ersprießlichen Wirksamkeit der Firma auf dem Gebiete der Veterinärkunde und Tierzucht gelten. Mit hoher Genugthuung müssen wir es nochmals hervorheben, daß diese Berliner Fahrik, die mit so wachsendem Erfolge sich in den Dienst der Wissenschaft gestellt hak, die einzige ihrer Art in Paul Hirschfeld. der ganzen Kulturwelt bildet.

663

Kunst und Wissenschaft. §Eouumentale Brückenanlagen

ZA

von wesentlich architektonischer

Wirkung stoßen in Berlin ans ein unüberwindliches Hindernis. Der Wasserlauf der Spree ist innerhalb der Stadt nicht imposant genug, um mächtige Bogen- und Pfeilerstellnngen, Ballnstraden und Brüstungen zu rechtfertigen. Schon der Große Kurfürst wirkt auf die Lauge Brücke beinahe erdrückend. Sollen die Flußübergänge künstlerischen Schmuck erhalten, so wird dieser haupt¬ sächlich auf das Anmutige gerichtet sein müssen. Die Kandelaber der Kaiser Friedrichsbrücke zwischen Nationalgalerie und Börse Von dem Bildhauer Pieper bieten mustergiltige Beispiele. modelliert, von Gladenbeck gegossen, zeigen sie graziös bewegte Männer- und Frauengestalten, die als Fackelträger gedacht sind. Den Oberkörper leicht seitlich emporgerichtet, den Standfuß mächtig aufgestützt, erheben sie

mit dem einen Arm eine

Fackelhandhabe,

in die eine Laterne von mächtiger Größe

ein¬

Das

gelassen ist. hinter den bauschende

sich

Schultern Gewand bringt Leben und Be¬ wegung in die ruhenden Gestalten, die sich auf einfachen, pfeilerartigen Postamenten erheben.

wir,

sehen

daß

neben

Ge¬

ans der RationalGalerie und dem Dresdener Museum auch solche aus dem Privatbcsitz des Kaisers zur Unterlage gedient haben, und Künstlernamen wie Calame, C. Becker, Fritz Aug. v. Kaulbach, Friese, Kröner glänzen Bemerkt sei, daß hervor. unter den neuesten Publika¬ tionen sich auch ein Porträt in Marinedes Kaisers mälden

Vereinigung der Kunstfreunde. Meim Beginn des

Uniform (nach dem Original von Carl Ziegler) befindet.

(18.) Ver¬

Kleine Mitteilungen.

für amtliche

16. Septenibcr wurde in Kriegs¬ dorf bei Merseburg (preußische Provinz Sachsen) einem von den elf in Wesel als „Straßen¬

neuen

einsjahres der Ver¬ einigung der Kunst¬ freunde

Publikationen der Kgl.

National-Galerie sei darauf hingewiesen, daß unser Kaiser, welchen die Vereinigung gleich¬ wie die meisten ge¬ krönten Häupter Euro¬

pas

zu

ihren

Mit¬

gliedern zu zählen die Ehre hat, den Erzeug¬ nissen des O. TroitzschAteliers fort¬ schen dauernd seine Auf¬ merksamkeit in beson¬ derer Weise widmet.

Zahlreiche Bilder des Verlags der „Ver¬ einigung" befinden sich als Wandschmuck in Königlichen Schlössern und aus de» Kriegs¬ schiffen. (Häufig werden ans Allerhöchsten Befehl Kollektionen derselben an verschiedene An¬ stalten des und

In-

LakernrnirSgeri» «I,f der Kaiser Friedrich-brücke.

der Originale derselben bürgt der Umstand, daß da? Institut von Hans ans mit der Rational-Galerie in Zusammenhang steht, deren malerische Schätze es in erster Linie zu verbreiten bestrebt ist, und deren früherer Direktor Geheimrat Max Jordan jetzt der „Ver¬ einigung" mit Rat und That zur Seite steht. Auch mit anderen nicht minder berühmten Kunstsammluugeu Deutschlands, vor allem mit der Galerie zu Dresden und dem Museum zu Breslau unter¬ hält sie fruchtbare Verbindung. Für die Vortresflichkeit des ihr eigentümlichen Farben-Lichtdruck-Vcrfahrens aber, das die Originale in denkbar größter Treue wiedergiebt, beruft es sich auf die Zeug¬ Hier sei nisse erster Künstler, deren Werke es reproduziert hat. nur einer für alle genannt: unser Altmeister Adolf von Menzel, der angesichts der Nachbildung seines herrlichen „Flötenkonzertes Friedrichs des Großen" erklärte, daß er „in Anbetracht der vor¬ liegende» großen Schwierigkeiten diese Leistung bewundern müsse." Aus dem soeben zur Ausgabe gelangenden Verlags-Verzeichnis für das 18. Vereiusjahr er¬

Auslandes versendet.) Richt minder verwendet die Preußische

Kultus-

uud Kunstverwaltung die ans den Werkstätten der Bereinigung her¬ vorgehenden Bilder, namentlich Porträts des Kaiserpaars und reli¬ giöse Darstellungen für Schulen und gottesdienstliche Gebäude. Alle Konfessionen finden in den zahlreichen, den höchsten Höhen älterer und neuester Kunst entlehnten Reproduktionen Befriedigung. Hat doch selbst Papst Leo XIII. dem Leiter des Instituts Und O. Troitzsch die große goldene Kunstmedaille verliehen. kürzlich ist der Vereinigung die seltene Auszeichnung zu teil ge¬ worden, daß eine umfangreiche Sammlung ihrer Erzeugnisse in der Bibliothek des Kongresses zu Washington Aufstellung gefunden hat, wo sie täglich von mehreren Tausend Besuchern gesehen und — wie das Schreiben der betreffenden Behörde sagt — „wegen ihrer Schönheit als Kunstprodukte, ihres geschichtlichen Interesses und der Vollkommenheit des technischen Verfahrens außerordentlich geschätzt werden und erzieherische Wirkung ausüben". Das Verständnis und der Genuß der Kunst kann durch nichts mehr gefördert werden, als durch die Verbreitung von Nachbildungen anerkannter Werke, wenn sie, wie hier, in reicher und gediegener Auswahl und mustergiltiger Ausführung zn mäßigem Preise dar¬ geboten werden. Für den künstlerischen Wert und die Auswahl

Wedelt- Denkmal.

ränder"

Am

erschossenen Schillschen

Offizieren, Albert von Wedell, Es ist ein Denkmal gesetzt. gefertigt vom Leipziger Bild¬ hauer Jnhoff, besteht aus einem gegen fünf Meter hohen Sandstcinsockel und zeigt Albert von Wedell in Relief, wie er den Rock aufreißt und den franzö¬ sischen

Voltigeurs zuruft: „Zielt

hierher! Hier sitzt das preußische Herz!" Ueber dem Relief erhebt sich ein Adler mit ausgebreiteten Flügeln, der in seinen Fängen eine Sch lange festhält. Ucbrigens setzt Kriegsdorf dieses Denkmal dem tapferen Schillschen Offizier als fein Hcimatsort. Nach ande¬ ren Nachrichten ist er in Brauns¬ fort (Pommern) geboren, wie auch sein Bruder und Leidens¬ gefährte Carl von Wedell.

Eine Schilderung Friedrichs Hk. aus dem Jahre

Zu jener Zeit, wo der ewig unvergeßliche Kaiser rsierncnkrLgrr Friedrich III., „unser Fritz", wie -»f der Kaiser Friesrichsbrück«. ihn das deutsche Volk mit Vorliebe nannte, im Begriff stand, (25. Januar 1858), sich mit der Tochter der Königin Viktoria zu vermählen. spricht sich eine damalige Zeitung folgendermaßen über ihn aus: Der Prinz steht jetzt in dein blühenden Alter von 26 Jahren. Seine Ge¬ sundheit, die vor seiner Reise nach Italien nicht allzu stark erschien, hat Er ist zwar schlank von Gestalt sich seit derselben merkwürdig gekräftigt. und hat fein volles Gesicht: aber sein ganzer Körperbau ist von der Art, daß er bestimmt zu sein scheint, an dem kernigen Stamm der Hohenzollern gleichfalls ein starker Zweig zu werden. Bekanntlich hat er keineswegs bloß die militärische Laufbahn verfolgt, sonder» längere Zeit in Bon» den Studien obgelegen, auch in Breslau und Potsdam sich bemüht, mit der Verwaltung und Justiz sich bekannt zu machen. Nach dem Plane seiner Eltern soll er sich niöglichst in jeder Provinz einige Zeit aufhalten, um die dortigen Verhältnisse und Persönlichkeiten Wie sein königlicher Oheim (Friedrich näher kennen zu lernen. Wilhelm IV.) und sein Vater besitzt er das Talent der Rede in hohem Grade, er spricht aus dem Stegreif mit großer Gewandtheit.

1858.

Elbr-Oder-Kanalprojekrt. Rachdeni zu Anfang des Jahres 1548 der König Ferdinand von Böhmen mit dem Kurfürsten Joachim II. von Brandenburg in Augsburg die Frage erörtert hatte, „durch welche Mittel und Wege küufüg die Kaufniaunsgütcr von den Niederlanden durch Sachsen und Brandenburg auf der Elbe und Oder bis »ach Böhmen geführt, diese beiden Ströme ineinander geleitet und sonderlich

öic Oder eröffnet und schiffbar gemacht werden könne," traten int Oktober desselben Jahres kaiserliche/kurbrandenburgische und kursächsische Abgesandte zu Frankfurt an der Oder zusammen, um über dieses dem deutschen Handel ohne Zweifel sehr vorteilhafte Unternehmen zu berate». Während aber der Kaiser und Kurbrandenburg im allgemeinen ein¬ verstanden waren, trat Kursachsen aus kleinlichen Gründen entgegen. Der Kaiser beraitmte eine zrveite Veisammlnng nach Frankfurt a. d. Oder aus das Jahr 1566 an. Diesmal schickte Kursachsen gar keinen Ver¬ treter und berief sieh auf seinen früheren Protest. Auch eine im Früh¬ jahr 1571 in Magdeburg in dieser Angelegenheit stattfindende Konferenz führte zu keinem Resultate. Der sächsische Kurfürst August suchte nach¬ zuweisen, daß unter eüiem Elbe-Oder-Kanal der Handel Leipzigs leiden würde, und die Lüneburger pochteti auf das Stapelrecht ihrer Stadt. Andererseits verlangte Kurbrandenburg freie Schiffahrt, besonders auf der Elbe, wo es von Dresden bis Hamburg 28 Flußzollstätten gab. Die Konferenz ging auseinander, ohne nur das geringste erreicht zu haben.

Fürst und Förster. Im Jahre 1758 zur Regierung gekommen, bemühte sich Fürst Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau die Ueberschwemmungen der Elbe und Mulde durch ein umfassendes Teichsystem unschädlich zu machen. Don Wörlitz aus leitete er das Ganze und fand sich bei drohender Gefahr persönlich ein, das Einzelne besorgte sein Förster, namens Wöpke in Rehsen. Das war ein origineller, frei¬ mütiger, praktischer, mutterwitziger, aber mit der Feder nicht recht ver¬ trauter Mann. Die Schreibe», die er an den Fürsten richtete, sind höchst ergötzlich zu lesen. Hier eine Probe: „Unterthänigster Wasserbericht. Durchlaucht! ich kann, Gott straf mir, das Wasser nicht länger Halen und wenn sie mich nicht zu Hülfe kommen, da lahs ichs, hol mich der Teufel losen zur Schockjchwerenoth." Als der Fürst am 1. Juli 1807 den Titel eines Herzogs angenommen hatte, kam der Förster beim ersten Begegnen mit ihm in arges Gedränge. Bald sagte er „Herzogliche", bald „Fürstliche Durchlaucht" und verbesserte sich dann mürrisch und Wöpke, sprich brummend, bis der Herzog lachend zu ihm sagte: doch, wie dir der Schnabel gewachsen ist." „Gott straf' mir," brummte der alte Nimrod, „Se han recht, Durchlaucht! se fin uu schon so lange mit dem Ferscht ausgekommen, mit dem Herzog wird's ooch »ich

„I,

besser

geh'»!"

Der höfliche Mephisto.

Anton Heinrich, Fürst Radziwill (1775 bis 1883) komponierte nicht nur Arien und Chöre aus Goethes „Faust", sondern brachte ihn am 28. Mai 1830 zur Feier des Namenstages seiner Gemahlin aus der kleine» Bühne seines Berliner Palais zur Auf¬ führung. Zelter, der Dirigent der von ihm begründeten Singakademie, schrieb darüber an seinen Freund Goethe: „Denke Du Dir nur den Kreis dazu, in dem Alles vorgeht: einen Prinzen (Herzog Karl von Mecklenburg) als Mephisto, unsern ersten Schauspieler (Pius Alexander Wolff) als Faust, unsere erste Schauspielerin (Frau Auguste Stich, ge¬ borene Crelinger) als Gretchen, einen Fürsten als Komponisten, einen wirklich guten König (Friedrich Wilhelm III.) als ersten Zuhörer mit seinen jüngsten Kindern und dem ganzen Hofe, eine Kapelle der ersten Art, wie man sie nirgends findet (die königliche), und endlich einen Singchor von den besten Stimmen unserer (Sing-) Akademie aus ehr¬ bare» Frauen (darunter Laura Förster, der Gattin des Schriftstellers Friedrich Förster, die den gesanglichen Teil Gretchens übernommen — und dies alles hatte), schönen Mädchen und Männern von Rang ausgeführt von dem General-Intendanten der königlichen Schauspiele (Grasen Brühl), so solltest Du mir den Wunsch nicht schlimm heißen. Dich unter uns gehabt zu haben." Es folgten der ersten noch andere Aufführungen. Bei einer derselben ließ der Dar¬ steller des Mephisto, Herzog Karl von Mecklenburg, nach den Worten der Beschwörungsformel: „Der Herr der Ratten und der Mäuse" die nächste Zeile mit Rücksicht auf sein vornehmes Publikum weg. Da tauchte der weiße Kopf des alten Fürsten Radziwill aus einer Versenkung auf, und seine mächtige Stimme rief: „Herzog Karl! Ich kann Ihnen die weggelassene Zeile nicht schenken! Noch einmal! Da capo!" Und zum großen Vergnügen der Zu¬ schauer mußte sich der höfliche Mephisto auch als Herr „der Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse" bekennen.

Der erfle General der Artillerie, den die preußische Armee besessen hat, war Christian von Linger. Geboren 1669, trat er 1688 i» die preußische Artillerie ein, wurde 1696 Leutnant und halb darauf Preinierlentnant, 1701 Kapitän, 1705 Major, 1709 Oberstleutnant. Aus unbekannten Gründen trat er aus dem Dienst. Er meldete sich wieder 1714, zeichnete sich bei der Belagerung vou Stralsund ans, wurde am 19. Februar 1716 zum Oberst und Chef des Artilleriekorps ernannt, erhielt im Januar 1724 die Anttshanplinannschaft Rosen¬ burg. stieg 1728 zum Generalmajor und im Fe¬ bruar 1741 zum Generalleutnant ans und kommandierte die Artillerie bei der Belagerung von Brieg. Im Jahre 1742 richtete er das Feldartillerieregknient ein und brachte es von 600 auf 1570 Mann. Sein unermüdliches Streben, das ihm anvertraute Korps zu heben und weiter auszubilden, brachte» ihm im Mai 1743 das Patent als General der Infanterie und im Februar 1744 den Schwarzen Adlerorden ein. Bei der Belagerung von Prag feuerte die preußische Artillerie unter seiner Leitung so geschickt und mit solchem Erfolge, daß der Kommandant Graf von Harsch sich zur Kapitulation genötigt sah. Infolgedessen ernannte ihn Friedrich der Große zum General der Artillerie, eine Auszeichnung, die in Preußen noch nie da¬ gewesen ivar und noch nie wieder dagewesen ist. Linger starb in Berlin am 17. April 1755. Die tLoblenxer in Strümpfen. Ant 23. Oktober 1794 rückten die Franzosen unter Marceau in Coblenz ein. Pierre Bourbotte ließ Verantwortlicher Redakteur:

I)r. M. Folticineauo, Berlin.

als Zivilgouverneur von der Stadt zunächst l*/2 Millionen Franks in Silber, nicht in wertlosen Assignaten, auszahlen, dann verlangte er für seine Soldaten Schuhe. Diese in der verlangten Menge auf eininal zusammenzubringen, war den Behörden von Coblenz unmöglich; aber der pfiffige Bourbotte fand doch einen Weg, zu Schuhen zu kommen. Er ließ ankündigen, daß er auf dem Markt eine Rede halten werde und lud die Cvblenzer dazu ein. Neugierig kamen diese gelaufen, er sprach mit hinreißendem Feuer, bis seine „Sansculotten" die eifrig zuhöreuden Bürger völlig umzingelt hatten; dann endete er seine Ansprache mit dem eigentümlichen Schluß: „Bürger von Coblenz, zieht die Schuhe und Stiefel aus und gebt sie den Soldaten!" Noch standen die Coblcuzer verdutzt da, als ihnen die Soldaten höflichst ihre Fu߬ bekleidungen abzogen und ihre eigenen Füße damit bekleideten. — Einen ähnlichen Vorgang erzählt der Hauptmann Koch vom 2. brandenburgischen Greundierregiment Nr. 12, Prinz Karl von Preußen, aus dem Feldzuge von 1870. Es fiel ihm auf, daß in dem Dorfe Parennes (an der Grenze der Bretagnei die Bauern nicht wie in anderen Orten zusammenströmten, wenn die Regimentsmustk auf dem Dorsplatze spielte. sich

Er fragte seinen Ouartierwirt danach. Dieser erzählte nach verlegenem Zögern den Grund. Bei der Verfolgung Chanzys war ein deutscher Truppenteil von allem entblößt in das Dorf eingerückt; am Nachmittag hatte die Regimeutsmusik auf dem Dorfplatz gespielt, und jung und alt war herbeigeeilt, um sie zu hören. Plötzlich ergriff jeder Soldat einen der Bauern, und ein Offizier rief: „Otez.lea bottes!“ (zieht die Stiesel aus). Die Bauern von Parennes mußten gute Miene zum bösen Spiel machen und ihre Stiefel hergeben. Seitdem flüchtete alles vor der deutschen Militärmusik und trug Sabots (Holzschuhe).

Stadt und Livree. Seit dem Jahre 1627 wurde Stralsund häufig von den Kaiserlichen gebrandschatzt. Am 14. November 1627 verlangte der Oberst Ernst Georg Sparre 150 000 Thaler und davon das Drittel sofort und bar, wogegen die Stadt frei von Einquartierung bleiben sollte, und am 21. Januar 1628 forderte er tut Namen des Generals von Arnim 60 000 Thaler. Dabei wies er IM Rosenobel, die man ihm zum Geschenk mache» wollte, lächelnd ab, sah aber mit demselben Lächeln ruhig zu, ivie sie sein Sohn einstrich; dann zog er einen Zettel aus der Tasche und überreichte ihn den, Bürgermeister mit der höflichen Bitte um baldige Erledigung, weil seine Bedienten neue Livreen sehr nötig hätten. Auf dem Zettel standen folgende Worte: „Ich verlange: 1000 Ellen güldene Gallaunen (Tressen, Borte»), 1000 Ellen silberne Gallauuen, 1000 Ellen gvld- und silberne Gallaunen, 25 Ellen rothen Atlatz (Atlas), 80 Ellen bestes Scharlaken (Scharlach), 20 Ellen allerley Farben güldener Stücken zu Camisoleu, 30 Ellen rothen Sammit (Sammet), 30 Dutzend halb silberner, halb güldener Knüpfe, 2 Pfund Seide, halb weiß, halb gelb, 8 gute Eleudshäute, 150 Ellen braun Liberey(Livree)-Tuch, Englisch, 50 Ellen rothen Boy, 50 Ellen silber färben en Boy." Es ist in den Ausgabenregistern der Stadt nicht nachgewiesen, ob der Oberst dieses Geschenk, dessen Wert sich auf 80M Gulden belief, erhalten hat. Der *

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Der Bär. Illustrierte Wochenschrift.

666 des posikatalogs) u»»d käste» vierteljährlich 2 M. 50 Pf.» „Der Bär" erschein» jährlich 52 mal und ist durch alle Buchhandlungen, Aeirungsspcditioncn und post.instalte» zu beziehe»: (Nr.- Beilagegebühr: 6 M. pro »ONO ^tück inklusive postgebübren. jährlich« 10 M.» Linzelbef» 20 Pf. — Inferlionspreis für die 4 gespaltene BonpareiUezeile aber deren Baun» 50 Pf. allen Unnoncen-Lrpeditionen. — .^ern'precher. IV. Nr. 365». Neue,»bnrgerstraße a, »o»vie von »4 SW., des Expedition — Inserate und Beilage»» »verden entgegengenoinmen von der „Bär".

26. InljrAMlA.

Soi»»»,»kcn-,

|U\ 42.

20. Oktober 1900.

Moltkes Herzens leben. (Zu seinein hundertsten Geburtstag.) n einer stillen Nenjahrsnacht, während der damalige Hanptmcinn, spätere General-Feldinarschall Helmuth von Moltkc im fernen Orient weilte und im Kcimpfe mit den wilden Kurden und Aegyptern seine Kräfte maß, schrieb die Generalin Henriette von Moltke zu Schleswig an ihren Sohn folgenden

Brief: „Nun

schlägt

des

Was wird das neue Jahr uns bringen? Reichen Segen und Gesundheit für Dich, mein teurer Helmuth, darum bitte ich Gott in dieser Stunde, und bald eine liebende Gefährtin an Dei¬

Jahres

letzte

Stunde!

gewesen; eigenartig seine Thaten und Erlebnisse im fernen Morgenlande; eigenartig auch die Schilderungen, die er darüber in die Heimat sandte; sie erinnern in ihrer Farbenpracht an die Märchen ans „Tausend und Eine Nacht"; auf eigenartige Weise sollte er auch in den Besitz der späteren Lebensgefährtin gelangen. Zn seiner jüngsten Schwester Auguste hat Moltke einmal die Worte geäußert: „Die Ehe ist eine Lotterie; feiner weiß, welches Los tr zieht. Sollte ich einmal heiraten, so seltenen Mannes

Möchte ich ein Mädchen

wählen, das Du er¬ Moltke zogen hast." hatte damals schwerlich

ner Seite, die Dir eins frohe Häuslich¬ keit verschafft. Du bist in dem Alter, wo man nicht mehr mit

daß Er¬ füllung gehen, und daß er aus dem Hause dieser

Leidenschaft blinder wählt, dafür ist mir für Dich nicht mehr bange.

Du

hast es

mit

Anspruch machen Möge Dir die Vorsehung nun ein Deinem Herzen wür¬ diges Wesen zuführen! Dies möchte ich so gern keit

zu dürfen.

noch erleben, wie innig würde ich mich Deines Glückes freuen!" Es war der treuen Mutter nicht mehr beschieden, ihren Herzens¬

gehen

bevor

vermählt, der, ans Colton House in der Stafford Grafschaft stammend, in erster Ehe mit Marie Johanne von geb. Ernestine,

in Erfüllung

Vaterland znriickkehrte, war sie zur ewigen

Stasseldt, gewesen

Ruhe eingegangen. Aber der Segen, den die Mutter in jener ein¬ samen Nenjahrsnacht auf den Söhn hernbgeflcht, sollte wenige Jahre später in Er-

Lebensschicksale

des

in

mit einem Engländer, John Heyliger Burt, ESq., einem Witwer

zu sehen ; noch der Sohn ins

fllllnng gehen. Eigen-' artig waren bisher die

Worte

Lieblingsschwester die Braut holen würde. Es ist bekannt, daß Moltke nach dem Tode seiner Mutter einen Teil jener köstlichen der „Briefe aus Türkei", welche jetzt ein Gemeingut des deut¬ schen Volkes geworden sind, an diese seine Lieblingsschwester rich¬ tete. Sic war seit 1834

unermüdlichem Streben dahin gebracht, auf eine glückliche Häuslich¬

wunsch

können,

ahnen

diese

später

verheiratet

war und sich Holstein in

niedergelassen

hatte.

Von den drei Kindern, welche John Burt in die zweite Ehe gebracht,

früh

war der Sohn

Wollkr Im rNtrr von fünfzig Jahren. Nach einem Gemäloe, gezeichnel uox R.

klu-?: Müller Bohn. Gras Molike.

(Benag von

£>

Paul Rittet,

ob er fl. historischer Verlag. Berlin.)

die

älteste

gestorben, der beiden übrig bliebenen Töchter

ge¬

war

666

mit dem Baron von Brockdorff in Holstein vermählt, während die jüngere Schwester, Bertha, Maria Wilhelinine Bnrt, Moltkes spätere Gattin, in dem Hause ihres Vaters verblieben war. So war der Wunsch Moltkes, einst eine Gattin zu besitzen, die von seiner Licblingsschwester erzogen worden war. also wirklich zur Thatsache geworden, und Mary Bnrt hatte in Augnste von Moltke eine zweite Mutter erhalten, von welcher sie dankerfüllten Herzens noch später sagte: „Es ist wohl hart, seine Mutter so früh zu verlieren, aber wem sie so ersetzt wird, wie uns, der ist nicht zu beklagen."

Maria Wilhelinine Burt war eine anmutige, ebenso durch Schönheit wie durch Geist ausgezeichnete Jungfrau. Sie hatte die Rcisebriefe des ihr persönlich unbekannten Oheims mit großem, sich immer steigernden Interesse, mit einer wahrhaft persönlichen An¬ teilnahme gelesen. Sie hatte seine kühnen Erlebnisse mit atemloser Spannung verfolgt, hatte ihn im Geist begleitet auf die schmalen Gebirgspfade, wo ihn das Saumtier an schwindelnden Abgründen vorüberführte. Sie hatte gezittert für sein Leben, als sie von den tollkühnen Fahrten auf dem reißenden Euphrat und Tigris las, sie hatte jedes Ereignis mit ihm im Geiste noch einmal dnrchgelcbt; hatte mit wachsender Bewunderung die geistvollen Schilderungen von Land und Leuten, von Sitten und Gebräuchen im Orient ver¬ schlungen; sie fühlte in diesen Schildernugen den Odem eines ver¬ wandten Geistes wehen und empfand für diesen Mann, schon ehe sie ihn gesehen, ein Gefühl unbegrenzter Verehrung und Be¬ wunderung. Und als er bald nach seiner Rückkehr von seinen sie

ereignisreichen Wanderfahrten in das Haus ihres Vaters trat, da fühlte sie sich seltsam bewegt von dieser ganz ungewöhnlichen Erscheinung, die weniger durch in die Angen fallende Körper¬ vorzüge, als durch den Adel des Geistes und die Eigenart des Wesens fesselte und sie bald so unwiderstehlich anzog, daß alle ihre Gefühle zusammenschmolzen in das eine beseligende einer

Dem Erwachen der Liebe gingen hier ähn¬ voraus, wie sie Shakespeare seinem Othello in den Mund legt: tiefen Herzensneigung.

liche

seelische Erscheinungen

So sprach ich denn von manchem harten Fall, Von schreckender Gefahr zu See und Land, Wie ich ums Haar dem Tod entrann; Von meiner Reisen wundervoller Fahrt, Wobei von weiten Höhlen, Wüsten, Steppen, Steinbrüchen, Felsen himmelhohen Bergen

Zu melden war im Fortgang der Geschichte. Sie liebte mich, weil ich Gefahr bestand; Das ist der ganze Zauber, den ich brauchte. in den Stürmen des Lebens hart¬ konnte sich dem Zander dieser anmutigen Sein Herz, das bisher Weiblichkeit ebenfalls nicht erwehren. Und

der

geschmiedete

schweigsame,

Mann

einsam geblieben war, verlangte nach sich ihre Seelen für immer gefunden.

Mitteilung, und bald hatten

Wie die zarte Epheuwinde an dem mächtigen Eichenstamm sich emporrangt, so klammerte sich die kaum sechzehnjährige Braut an den geliebten Mann, der ihrem neuen Dasein erst Halt geben sollte. Mit der Fülle seines reichen Geistes, mit der Wärme seines kindlich reinen Gemütes vermochte er es leicht, die in der jungen Frühlingsknospe schlummernden geistigen und Herzensanlageu zur Die junge Braut kann sich nicht schönen Entfaltung zu bringe». genug thun in dem Bestreben, den Beifall des geliebten Mannes zu erringen, und in rührender Weise klagt sie: „Ich habe Sorge, ob ich Dir als Frau auch alles sein kann, weil ich noch so jung und unerfahren bin. Darum ivill ich mich nun bestreben, nicht widerspenstig oder strong headed (starrköpfig) zu sein, damit ich Dir immer nachgebe, wenn ich unrecht habe. Ich habe noch gar keine tournurs, und mir fehlen noch so- ganz alle geselligen Gaben. Darum will ich mich so gern überall von Dir leiten lassen. Dazu gehört freilich viel Geduld von Deiner Seite, mir alle Verstöße nachzusehen, die ich noch machen werde. Ich will die Zeit recht benutzen, mich im Sprechen zu üben und alle Visiten mitmachen."

„Helmuth war mit mir zufrieden" — Dieses Bewußtsein war Und in diesem Jnder schönste Lohn ihrer jungen Liebe.

einander-Aufgeheu der gegenseitigen Neigungen verstand sic e? schon als junge Braut, dem ernsten Manne die Sorgen von der Stirne zu scheuchen. „Sage mir, warum Du Hypochonder bist, und wie Du es nur sein darfst? — Werden wir nicht in gegen¬ seitiger Liebe beide ein schönes, glücklick)es, friedliches und gott¬ gefälliges Leben führen können? Wenn es nicht glücklich würde, so ist es meine eigene Schuld, und ich bitte Gott, daß er mir die Kraft und Fähigkeit gebe, Dich in unsrer Ehe Dein häusliches Glück finden zu lassen. Ich kann mir keine größere Glückseligkeit auf Erden für eine Frau denken, als wenn sie dessen bei ihrem Manne gewiß ist. Gewiß, Du verdienst vor allen Männern glücklich zu werden, und ich erkenne, zu welcher hohen, heiligen Pflicht Gott niich berufen hat, die Gefährtin Deines Lebens zu sein."

Und als Helmuth von Moltke noch ehelichen Verbindung

die Erwählte

wenige Wochen vor der

auf sein ver¬ glaubte, antwortete sie ihm in rührender Anerkennung seiner großen Herzensvorzügc: „Ich weiß wohl, daß es im Moltkeschen Charakter liegt, sich wenig zu äußern und mitzuteilen. Du hast auch oft etwas in Deinem Wesen, was zurückhaltend scheint und manche hautain (hochmütig) nennen. Mag die Welt Dir denn auch öfters eine Aeußerung des Gemütes geraubt haben, so trägst Du ja doch einen Schatz von Reichtum, Weichheit und Adel des Herzens in Dir, wie man es gewiß bei Männern nicht wieder findet. Und selbst von Frauen giebt es wenige, die Dich an Wärme des Gemüts und an so rührend tiefem Mitgefühl für andere übertreffen. Was mich bei Dir so rühren kann, ist die übergroße Bescheidenheit Deines Charakters und vor allem die Gutmütigkeit, die Du bei jeder Sache an den Tag legst. Sobald Du irgend jemand unfreundlich begegnet bist, so thut es Dir nachher so leid, und Du suchst es auf alle Weise wieder gut zu machen." seines Herzens

schlossenes Wesen aufmerksam machen zu müssen

Nachdem Moltke am 12. April 1842 zum Major befördert worden war, schloß er mit der Erwählten seines Herzens am 20. April 1842 in der Lanrentii-Kirche zu Itzehoe den Bund fürs Leben. Glückliche Tage waren es, die nun für den liebebedürftigen, bisher so einsam stehenden Mann ins Land zogen. Zwar hatte der Himmel diesem Paare eine seiner lieblichsten Gaben, den Kindersegen, vorenthalten; aber in der innigen Geistes- und Seelengemeinschaft, in der die beiden miteinander lebten, Um so mehr empfanden sie diesen Mangel nicht schmerzhaft. konnte die junge Frau ganz dem geliebten Manne leben. Sie suchte ihren Stolz darin, als tüchtige Fußgängerin an seinen

Wanderungen teilzunehmen Seite ihr Roß zu tummeln.

oder als

kühne Reiterin

an

seiner

Als Freiherr von Moltke noch in Magdeburg seinen Sitz hatte — er wohnte hier mit seiner jungen Frau viele Jahre im Hause am Domplatz Nr. 7. — konnte man beide häufig bei Sturmwind und Schnee über das Glacis oder nach dem Herren¬ sehen, und auch später, als Moltke als Chef des Generalstabes seinen Aufenthalt dauernd in Berlin genommen, sah man das wetterfeste Paar, welches keine Unbill der Witterung Die scheute, häufig durch die Reitivege des Tiergartens sprengen. junge Gattin war in Freud und Leid, in guten und schlimmen Tagen sein guter Kamerad geworden. Das galt besonders auch von allen seinen geistigen Bestrebungen, an denen sie den regsten Anteil nahm, und denen sie das feinste Verständnis und das Am wohlsten fühlte sich das wärmste Interesse entgegenbrachte Paar daheim in der stillen, einfachen Häuslichkeit. Für den Glanz und Flimmer großer Gesellschaften hatten beide wenig Sinn. Des¬ wegen beteiligten sie sich auch an dem Gesellschaftsleben in

krug reiten

Magdeburg sowohl wie später an dem der Residenz nur in sehr geringem Maße, und wenn sie dennoch gezwungen waren, in den Zirkel» der vornehmen Welt zu erscheinen, dann fesselte Frau von Moltke alle durch die Einfachheit und Natürlichkeit ihres Wesens und durch die Anmut ihrer Erscheinung, die auch den damaligen Kronprinzen, den späteren Kaiser Friedrich, so sym¬ pathisch berührte, daß er von ihr sagte: „Sie ist eine wahrhaft schöne Natur." Auch bei seinem Vater und der Kaiserin August« stand Moltkes Gattin in sehr hoher Gunst. Sie nahm häufig an den kleinen Theaterzirkeln teil und beteiligte sich dann in ihrer

Es

zugezogen.

kälte

niigesuchtenEiufachheit, mit einer Handarbeit

war am heiligen Christ¬

auch auf Gemahlin über¬ gehen. Fern von allen

abend, als die noch immer jugendliche Frau für immer die Augen schloß, im Sterben noch den verzweifelten Gat¬ ten tröstend, ihm die den von Thränen Augen küssend und ihn in ihren: frommen Ge¬ müte mit schon ver¬

weiblichen

sagender Stimme noch

beschäftigt, in der un¬ gezwungensten

Weise

der Unterhaltung. Die stete, innige Geistesgemcinschaft ließ viele an

Neigungen und Cha¬ raktereigentümlichkeiten des Gatten

die

und

Schwächen

auf

kleinlichen

den

hinweisend,

den

im stände

Dingen des Lebens, fand sie ihr Genüge nur in der innigsten Teilnahme an dem

der allein

Geistesleben des Gat¬

schrieb König

ten, dessen ruhigerErnst

seinem treuen

Stirn

ihre

auch

ist,

In

zu

tiefer Teilnahme

folgenden

Wilheml. Paladin Beileids-

bricf:

'

herrliche Tage waren es, welche das Moltkesche Ehe¬

paar

Wunden zu

zu heilen.

umschweben schien.

Schöne,

solche

25.12. 68 .11 Uhr.

„In diesem Moment erfahre ich, welch' ein

in beglückender

schmerzlicher,

Gemeinschaft so ver¬ lebte, Tage des reinsten Glückes, nicht durch den leisesten Hauch ge¬ trübt. Beide waren in

kommen!

Ihr

geistiger und seelischer

ge¬

wesen, eine mitfühlende,

mitdenkende Seele, die auf jeden Gedanken des geistesverwandten Mannes mit Leichtigkeit

Name gehört aller Zeiten an, warum mußte bei solchen: Verdienste die schöne Häuslichkeit zerstört werden! Ein Beweis mehr, daß Gottes Wege nicht die unsriGott gen sind! der

Beziehung völlig eins Sic war geworden. dem Gatten in guten wie in bösen Tagen ein treuer Gefährte

schwe¬

rer Schlag Sie ge¬ troffen hat! Nichts hienieden ist voll¬

Mary von Moltke» Gemahlin

des Grafen von Mo.tke. Hob erg.

Nach einem Gemälde, gezeichnet von R.

Aus: Müller-Bohn, Graf Moltke.

(Verlag von

Paul Kittel,

historischer Verlag, Berlin.)

Geschichte

wird Ihnen im

ge¬

rechten Schmerz Seine Tröstung nicht vorenthalte».

einzugehen im stände ivar. Wie einsam, wie entsetzlich verlassen mußte sich der unglückliche Mann fühlen, al§ der Tod am Weih¬ nachtsabend des Jahres 1868 in grausamster Weise das Glück der beiden nur für einander lebende» Gatten zerstörte. Die junge, kräftige Frau, die ihren Körper durch gemeinschaftliche Reitübnngen und Fußtouren mit ihrem wctterharten Gemahl gestählt zu haben

Ihr

treu ergebener dankbarer König

Wilhelm.

Ihrem Andenken hat Moltke die Kapelle errichten lassen, die seitdem für ihn ein heiliger Wallfahrtsort war, nach dem er oft Schritte richtete, um sinnend und vergangener schöner Tage am Grabe der Hingeschiedenen weihevolle Augenblicke der Erinnerung zu feiern, bis auch er au der Seite der Teuren hier zur ewigen Ruhe einging. seine

gedenkend

glaubte, erlag einem heftigen Gelcnkrhcuniatismus, den sie sich »ach einem etwas zu anstrengenden Spazierritte bei scharfer Winter¬

Von Falkenberg nach Freienwalde.

^

er nördliche Höhenrand des Oberbarnimer Plateaus ist seiner landschaftlichen Schönheiten wegen von altersher berühmt und wird seit Jahrzehnten von Ansflüglern und erholungs¬ lieblicher Abwechslung bedürftigen Sommergästen aufgesucht.

In

gestalteten Berglehnen

am Rande des Nieder-Oderbruchs von Eberswalde bis Freienwalde dahin, durch¬ schnitten von anmutigen Thälern und von wildromantischen Schluchten, beschattet von prächtigen Lanbbänmen und düsteren Nadelhölzern. Ob man die Chaussee, die sich am Fuße des Höhenrückens dahinschlängclt, entlang schreitet und zu den be¬ waldeten Bergkuppen hinanfschaul, oder ob man über Berge und Thäler auf und ab wandert und in das Blättergewirr des Wald¬ gebiets oder in die sumpfige Niederung herabblickt, überall eröffnen ziehen

sich

die eigenartig

Feldzuge 1870 war ein General von Tümpling Koiiitiiandeur des VI. (Schlesischen) Arnicekorps. II. Bo» Bose. In der zu Anfang mitgeteilten Dresdener Urkunde von 1398 wird auch, wie bereits hervorgehoben, ein „Heinrich Bose" als Zeuge genannt. Er besaß damals das Rittergut Zöthen, und dieses verbleibt nachweislich seiner Familie mehrere Jahrhiinderte lang; cs wtirdc verkauft, und seitdem wird der Name des Geschlechts in der Grafschaft nicht mehr genannt. (Zöthen, 1273 Cethene, gemeinhin sagt man: Zithen, entstanden ans dem wendischen „Zito" oder „Zedo" — Getreide.) Diese Besitzer von Zöthen scheitle» auch das benachbarte Dörfchen und Gut Poseivitz angelegt und ihm den Namen gegeben zu haben, da es in Urkunden älterer Zeit nicht genannt ivird, »nd cs in Dokumenten: „Poseivitz" und „Boscwitz" geschrieben ist, gleichwie seine Gründer sich „von Pose" und später „voii Bose" nnteizeichneten. Auch dieses alte Geschlecht lebt noch fort; ein Abküminling mar 1870 General und Kommandeur des XI. Armeekoips; er wurde bei Wörth schwer

verwundet.

Von dem Dörfchen Seidcwitz (früher abzuleiten von „Zito" oder „Zedo" — Getreide, später Sidcwitz) eiitlehnte diese Faiiiilie ihren Gcschlechtsnamen; sic besaß da¬ selbst ein Freigut, und im Jahre 1385 wird ein von Seydewitz, begütert in Heynche», als Zeuge angeführt. 1422 ist einem Herm von Scideivih das Steinhaus zn Eisenberg in Lehen gegeben, und 1515 wird ein „Nickol von Seydewitz" als Herr auf Haardorf erwähnt. 1517 ». 1634 sind Balthasar und Caspar von Seydewitz im Besitz von Casckirchen. Der Scydewitzsche Name ivird von da an im Bezirk Camburg nicht mehr gefunden. Die Töchter dieses Geschlechts sollen sich bis auf die Neuzeit immer durch große Schönheit ausgezeichnet haben. (Den Ver¬ fasser unterstützten schätzbare Angaben, die sich in einem kleinen, nur wenig gekannten Wcrkchcn von „Carl Hölzer" besiiiden.)

III.

Von Seydewitz.

Zedewitz, aiich

Carl Hoffman».

Vnchertisch. Kleines Gottschcd-Tenkmal. errichtet voii

Preis

2

Dem deutsche» Volk zur Mahnung

Engen Reichel. Berlin. Gottsched-Verlag.

1900.

Mark.

Dem Werk „Ein Gottsched-Denkmal", in welchem uns Eugen den von aller Welt für einen armselige», lächerlichen Pe¬ danten und Litteratnrverdcrber gehaltenen Ostpreußen überraschendster Weise als einen, das ganze deutsche Geistesleben seiner Zeit von Grund aiis revolntionicrcndcn, seiner Zeit nm viele Jahrzehnte vorauseilenden Geisteshelden vor Augen führt — läßt nunmehr der nclierstandeiic „Gvttfchcdevangelist" dies „Kleine Gottsched-Denkmal" folgen, mit welchem er Gottsched den Weg zu», Herzen des deutschen Volkes bahiicn will. Es kommt bei dieser von Reichel geschaffenen GotlschedBeivegung wohl weniger darauf an, daß Gottsched (wie Reichel aller¬ dings mit Bestimmtheit hofft) unserem Volke wieder ein vertrauter Autor werde (der große Johann Sebastian Bach, für bcffcit Popu¬ larisierung ja nun bereits seit etwa einem halben Jahrhundert von erlisten Musikern niid Miisikschriftstellern gekämpft wird, ist ja ebenfalls dem deutschen Volk kein vertranter Komponist geworden und wird es wohl schwerlich jemals werden) — es scheint uns vielmehr in diesem zweifellos tief sehr ernste», jeden gcrcchtigkcitsliebcnden Deutschen bewegenden Fall in der Hauptsache darauf anzukommen, daß das Bild, tvelches heute jeder Teutsche von Gottsched im Bewußtsein trägt, eine gründliche Umwandlung erfahre. Ob dann die Deutschen, die ja selbst ihre berühmtesten Dichter und Denker nur dem Namen nach zu kennen pflegen, die Schriften Gottscheds in ihrer Bibliothek haben oder nicht — das ist von geringerer Bedeutung: ivichtig ist cs vor allem, daß die lenchtciidc Gestalt dem deutschen Volk wieder so ins Bewußtsein trete, wie sie den, Schriftsteller im zweiten Drittel des achtzehnten Eugen Reichel sucht zu beweisen, Jahrhunderts entgegenbrachte. unseres Volkes nicht nur Reformator daß wir dem geistigen ' unsere klassische Litteratur, nicht nur unsere deutsche Philosophie, nicht nnr unsere Populär-Wissenschaft verdanken, sondern daß wir ohne ihn heute wahrscheinlich keine ausgebildete deutsche Sprache besäßen, ohne die ivir dann eben keine große Litteratur hätten, geeinigtes Volk geworden so vielleicht nie ein wenigstens äußerlich — wären. Tie Einheit der Sprache erst macht die Einheit eines Volkes Gottsched hat uns diese allgemein giltige Schrift- und Unigangssprnche mit unsäglichen Mühen geschaffen — und wenn er auch kein anderes Verdienst hätte als dieses, so müßte er schon deshalb von uns als ein Nationalheld ersten Ranges betrachtet werden. Möge sich jeder Leser überzeugen, ob dem Verfasser diese Ehrenrettung gelnngcn ist.

Reichel

Berlin. — Druck und Vertag:

Friedrich Schirmer, Berlin

SW., Reuendurger Straße

Ua.

Der Bar. Illustrierte Wochenschrift.

„Der Bär" erscheint jährlich 52 mal und ist durch alle Buchhandlungen, Zeitungsspeditionen und Postanstalten zu beziehen (Br. 866 des Postkataloas) und kostet vierteljährlich 2 M. 50 Pf., jährlich 10 M., Einzelhefr 20 Pf'. — Injerkionspreis für die 4 gespaltene Nonpareillezeile oder deren Raum 50 Pf. — Beilagegebühr: 6 Ul. pro J000 Stücf inklusive Postgebühren. Inserate und Beilagen werden entgegengenomnien von der Expedition des „Bär", 8>X'., Neuenburgerftraße l4a, sowie von allen Annoncen-Lrpeditionen. — Fernsprecher: IV. Nr. 365t

26. Jnhvgnng.

Kp. 43.

Sonnabend» 27. Oktober lsiOO.

Kaiser Friedrich und das Kunstgewerbemuseum. ür Kaiser Friedrich war die Beschäftigung mit der Kunst nicht der Ausfluß einer fürstlichen Liebhaberei, sondern das heiße Streben nach dein Ziele: Förderung, Freude, Genuß und Belehrung in die weitesten Kreise des Volkes zu tragen, mit einem Worte, durch die Kunst das Volk geistig und sittlich zu heben. Wie groß er von der zu stiller Sammlung und zur Ver¬ edelung aller geistigen Kräfte anregenden Kunst dachte, durch deren Werke das Schönste und Reinste aller Zeiten und Völker zu uns redet, das hat er am fünfzig¬ jährigen Gedenktage der Gründung der Museen ausgesprochen. „Wir wissen," sagte er, „wie in den Tage» unseres größten nationalen Unglücks, als alles zu wanken schien, der Gedanke an die idealen Ziele des Menschen sich schöpferisch stark und lebendig erwies. Dankbar

Es ist unmöglich, in dem Rahmen dieses Aufsatzes die segens¬ Kaiser Friedrichs für alle Gebiete der Kunst auch nur annähernd zn erschöpfen. Was er in der Eigenschaft als Protektor der königlichen Museen für die Wiedererweckung des künstlerischen Sinnes, zur Belebung eines neuen, regen Interesses für die Antike gethan, welchen fördernden Einfluß, welche that¬ kräftige Unterstützung er bcn Ausgrabungen in Olympia zu teil werde» ließ, wie er bei jeder Ge¬ legenheit voll warmer Anerkennung der Männer gedachte, welche in freier Thätigkeit bereit waren, ihre reiche Wirksamkeit

ihr sachverständiges Urteil der Kunst und ihren An¬ Kenntnisse und

stalten nutzbar zu machen — das steht mit goldenen Lettern in den Büchern der Kunst eingeschrieben. So nahmen denn auch die Jünger der Kunst,

die Künstler

selbst,

in

dürfen wir grundlegende Arbeit jener trüben Zeit geschaffen. Aber wir werden dieses Genusses nur froh werden, wenn wir auch der Verpflichtung eingedenk sind, die er uns auferlegt.

der Wertschätzung des Kronprinzen

Es gilt vielleicht heut mehr denn je, an unsern idealen Gütern feil¬ zuhalten und die Erkenntnis ihres Wertes und ihrer rettende» Macht unserm Volke mehr und mehr zn

zur Verfügung gestellten lichst Charakteristik, „hatte den schönen Künsten in seinem Herzen und seineni Heim eine freundliche Stätte und einen weiten Platz eingeräumt, und wenn es dein Kronprinzen auch versagt blieb, in ähnlicher Weise wie einst Ludwig I. von Bayern oder König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen für die Knust sichtbar

heute genießen, ivas die

erschließen."

Die Kunst

und seiner gleichgesinnten Gemahlin Stellung ein.

eine hohe

„Das krouprinzliche Paar",

so

schreibt Anton von Werner in einer dem Verfasser dieser Skizze freund¬

dem Volke

das war zugänglich zn Kaiser Friedrichs leitender Gedanke. Er sah, daß nichts einem leeren und unfruchtbaren Wohlleben wirk¬ samer entgegen arbeitet, als der Genuß, den die verständnisvolle Beschäftigung mit wahrer Kunst machen,

thätig zu sein, so war doch die Teilnahme, welche das hohe Paar an den Künstlern und ihrem Schassen Kaiser Friedrich. nahm, gerade in den siebziger bereitet. und mit ihren Denkmälern parlamentarischen Kämpfe politischen und welchen die an Jahren, ohne Anlehnung i» selbst Kunst wie die Er sah auch, um den inneren Ausbau des deutschen Reiches das öffentliche systematisch angelegte und stetig vervollständigte Sammlungen sich Interesse i» höchstem Maße in Anspruch nahmen, von nicht zn nicht entfalten konnte, und ivie unentbehrlich ein gewisses Maß voll Vorbildung und gutem Willen ist, um sich jenen Genuß zuzueignen. »nterschätzcndem Einfluß. Das krouprinzliche Paar suchte die Darum war es vor allem die Nutzbarkeit der Sammlungen, deren Künstler in ihren Ateliers bei der Arbeit auf und empfing sie im Kronprinzlichen Palais zu Berlin und im Renen Palais zn Förderung ihm ain Herzen lag. Mochte es sich nun um Er¬ nud Ver¬ Beschaffung Potsdam in anregender Geselligkeit." leichterung für den Besuch, oder um die oder um Verständnisses handeln, War Kaiser Friedrich durch Erziehung, Bildung und Reisen breitung von Hilfsmitteln des Kunstwerkes zn von an innig mit der Antike vertrant und auch darin ein eines früh Wirkung die Aufstellung, die eine Art der Deutscher, daß er, wie seine große Vorfahren, die deutschen machen ver¬ echter zugänglich zu Verständnis dem so erhöhen und es Liebe an Italien und seiner Kultur hing, so und inniger eine Freude Kaiser, mit Schritt dahinzielendende jeder ihm war sprach, so galt seine Liebe doch zunächst der deutschen Kunst, ganz besonders seiner Unterstützung gewiß*). der deutschen Kunstindustrie, mit deren Entwicklungsgeschichte er Trauerfeler der ») Skh. Regierungsrat R. Schöne in seiner Gedächtnisrede bei der Schon vor einem Jahrhundert, eingehend beschäftigt hatte. Knnstgewerbeumseums

Kgl. Museen, gehalten am I.

Juli

1888 im Ltchthofe de«

»gl.

sich

682

als man einen Niedergang des KunstgewerbeS zu befürchten glaubte, war der Gedanke erwacht, diesem Rückgänge durch Ansanimluug würdiger Vorbilder, durch Ausstellungen, vor allem aber durch Begründung neuer Lehranstalten wirksam entgegen zu Die schwere» Zeiten der politische» und nationalen arbeiten. Erniedrigung unseres Vaterlandes zu Anfang dieses Jahrhunderts, das vollständige Stocken von Handel und Gewerbe hatten Erst nach den aber alle diese schönen Anfänge im Keim erstickt. Freiheitskriegen kamen diese Bestrebungen durch Beuth und Schinkel wieder in Fluß, und als ersterer im Jahre 1821 die Gewerbeschule gründete, ans welcher später die technische Hoch¬ schule erwuchs, sollte auch das Knnstgewerbe eine wesentliche Förderung erfahren. Die mit dem Institut verbundene Mnsterzeichenschnle, die Werkstätten für Modelleure, Knnstgießer und Ciseleure, die durch Schinkel angeregte und unter seiner geistigen Führung stehende Herausgabe eines Prachtwerks, welches wert¬ volle Vorbilder für Fabrikanten und Kunsthandwerker enthielt, seine Förderung der Zinkgnßiiidnstrie, der Silberschmiedeknust, der Weberei und Wirkerei, die Hebng des künstlerischen Geschinacks durch die ebenfalls von Schinkel angeregte Verschönerung der inneren Ausstattung der Wohnungen — alles dies waren mächtige Fortschritte ans dein einmal begonnenen Wege.

Dem Beispiele der Hauptstadt folgten die Provinzialstädte mit der Gründung von Kunst- und Gewerbeschulen, und als die von dem edlen Prinzen Albert, dem Schwiegervater Kaiser Friedrichs, im Jahre 1851 ins Leben gerufene erste Londoner Weitausstellnng die verschiedenste» europäischen Rationen zu einem fried¬ lichen Wettkampfe auf den Plan rief, begegnete dieses Unter¬ nehmen auch in Preußen, vornehmlich in Berlin, großem Ver¬ ständnis in den gewerblichen Kreisen. Freilich, das bewies diese und auch noch die im Jahre 1862 in London wiederholte Aus¬ stellung, daß Preußen in Bezug auf kunstgewerbliche Leistungen erst in dritter und vierter Reihe marschierte, und es bedurfte noch ver¬ schiedener Niederlagen in den friedlichen Wettkämpfen der Gewerbe, um die maßgebenden Kreise davon zu überzeugen, wie wichtig gerade das Knnstgewerbe für den nationalen Wohlstand ist, indem es, das Rohprodukt veredelnd, unter Beihilfe eines künstlerisch gebildeten Geschmacks und unter nur geringem Aufwand von Material und finanzieller Unterstützung wirtschaftlich die größten Werke erzeugt.

Zur Verbreitung dieser Ueberzeugung in weiteren Kreisen hat namentlich das Kronprinzliche Paar hervorragend beigetragen. Im Auftrage desselben gab Dr. jur. H. Schwalbe im Jahre 1866 eine Denkschrift heraus, die die Förderung der Knnstindnstrie von der Gründung von Knnst-Jndnstrieschnlen, wie solche seit langer Zeit in England bestanden, abhängig rnachte. Bald nach dem Kriege 1866 bildete sich ein Komitee, das die Gründung eines Kunst- und Gewerbemnsenins sich als Ziel gesteckt hatte. Der am 1. Dezember 1866 erschienene Aufruf zeigte siebzig Unterschriften aus den Reihen hervorragender Mitglieder der Kaufmannschaft, Künstler, Gelehrten und Zeitnngsredakteure. Bereits am 19. De¬ zember fand eine öffentliche Versammlung statt, die über Zweck und Ziele des in Aussicht genommenen Instituts eingehend beriet. Dieses sollte nach einer weiteren Versammlnng des Ausschusses, der am 25. März 1867 die Satzungen vorlegte, den Namen „Deutsches Gewerbemusenm zu Berlin" führen und den Zweck haben, „den Gewerbetreibenden die Hilfsmittel der Kunst und Wissenschaft zugänglich zu machen." schweren Sorgen Wenn die Königliche Staatsregiernng sich auch nicht ablehnend verhielt, so blieb doch in der Hauptsache die Aus¬ gestaltung und Weiterführung zunächst der Prioatthätigkcit über¬

Das junge Institut hatte aber zuvörderst mit

zu kämpfen.

lassen.

dem die Sache sehr am Herzen lag, Wesentlich auf seine Fürsprache ivnrde dem deutschen Gcwerbemnsenm unterm 18. August 1867 die Rechte einer juristischen Person verliehen und ihm durch eine Schenkung von 45 000 Mark von seiten der Königlichen Staatsregiernng die erste größere finanzielle Unterstützung zu teil, die wesentlich zu Ankänsen auf der Pariser Weltausstellung verwendet werden sollte. Rach dem in der Stallstraße ein Lokal gemietet und die Sammlungen

Da griff der Kronprinz,

mit fester Hand ein.

12 . Januar 1868 die Anstalt mit 230 Schülern, welche in vier Sonntags-, vier Abend- und zwei Einige Wochen Tageskursen unterrichtet wurden, eröffnet werden. Bereits am 7. April später fand die erste öffentliche Vorlesung statt. desselben Jahres wurden die beiden ersten Sammlungssäle dem Publikum erschlossen. Um dem jungen Institut auch außerhalb Berlins Freunde und Geltung zu verschaffen, hielten die verdienstvollen Direktoren, Grnnow und Dr. Lessing, in Potsdam, Magdeburg, Halbcrstadt, Stettin, Posen n. s. w. Vortrüge über die Zwecke und Ziele des Gewerbemnsenins. An diese Vorträge reihten sich Wander-Ausstellunge», wobei solche Skücke der kunstgewerblichen Sammlungen, die durch den Eisenbahntransport nicht gefährdet wurden, in eigens dazu angefertigten, leicht zerlegbaren Schränken auch weiteren Kreisen zugänglich gemacht wurden. Das Interesse für die junge

geordnet waren, konnte am

Anstalt wuchs von Tag zu Tag. Von grundlegender Bedeutung für die Ansgestaltniig und weitere Entwicklung des Knnstgeiverbemuseums war die im Herbst 1872 veranstaltete Ausstellung älterer kunstgewerblicher Gegenstände im Königlichen Zeughanse. Sie war das ureigenste Werk des Kronprinzenpaares, das nicht nur die erste Anregung dazu gegeben, sondern auch durch Geivinnnng eines Ansstellnngslokals, durch Auswahl und Unterbringung der Ausstellungsobjekte, vor allem aber durch die Beschaffung der Geldmittel das Unternehmen in uneigennütziger Weise unterstützte. In mehreren Beratungen, die die Grundzüge des Unternehmens feststellen sollten, hatte der Kronprinz selbst den Vorsitz geführt. Auf seine und seiner Gemahlin warme Fürsprache war ans dem Allerhöchsten Dispositionsfonds die Summe von 30 000 Mark zur Unterstützung des verdienstvollen Werkes gewährt worden. Wesentlich ihrem Einfluß verdankte der Ausschuß auch die schnelle Gewinkiung eines Ansstellnngslokals; die oberen Räume des Königlichen Zeughauses waren dazu beivilligt worden. Nachdem der Kronprinz und die Kronprinzessin am 8 . Mai das Protektorat der Ausstellung übernommen, leiteten sie persönlich die Auswahl der durch die Gnade des Kaisers bewilligten Kunst¬ werke ans sämtlichen königlichen Schlössern, stellten auch bereit¬ willigst ihre eignen Sammlungen zur Verfügung. Ihr hochherziges Beispiel fand bei den Besitzern kunstgewerblicher Gegenstände leb¬ hafte Rachahmnng. Die Prinzen Karl und Alexander von Preußen, die Herren Oberleutnant von Brandt, Konsul Gärtner, Graf Harrach, A. von Heyden, Bankier Ferdinand Jacques, Stadtrat Löwe,

General von Pencker, Graf W. Ponrtalss, Bildhauer SnßmannHellborn u. a. m. stellten bereitwilligst ihre Besitztümer zur Ver¬ fügung; ihnen schlossen sich die Königlichen Museen, die Königliche Knnslkamnicr und andere öffentliche Sammlungen an, und die Räume konnten die Kunstgegenstände kaum fassen. Die am 1 . September desselben Jahres durch den Kronprinzen persönlich eröffnete Ansstcllnng, welche bis zum 17. November währte und von mehr als 6000 Personen besucht wurde, ließ er¬ kennen, welche reichen Schätze

an kunstgewerblichen Gegenständen

aller Stilperioden in der Hauptstadt zerstreut waren, und wie lohnend es sein würde, auf Grundlage und durch möglichste Ver¬ einigung dieses Bestandes ein Kniistgeiverbemnsenm herzustellen. Durch die Ansstcllnng im Zeughanse war das Museum zum erstenmal ans der Abgeschiedenheit in der Stallstraße vor ein größeres Publikum getreten. Das Interesse weiterer Kreise für kunstgewerbliche Gegenstände kam natürlich dem Institut selbst zu gute. Dadurch wurde auch die Aufmerksamkeit auf die ungenügende» Lokalitäten gelenkt, in welchen das Museum bisher sein Dasein hatte fristen müssen; vor allem galt es, den inzwischen von der Königlichen Staatsregiernng angekauften, sehr wertvollen Minntoliund Hanemann-Sammlnngen ein geeignetes und würdiges Unter¬ komme» zu schaffen. Der neue Bau eines Museums war indessen selbst im günstigsten Falle vor Ablauf einiger Jahre nicht zu er¬ warten. Da traf cs sich, daß durch die Ucbersicdclung der Königlichen Porzellan-Manufaktur nach Charlöltenburg die beiden auf den Grundstücken Leipzigerstraße 4 und Königgcätzerstraße 120 gelegenen, bereits von Friedrich dem Großen errichteten Gebäude frei wurden; in diese Räume, welche schon 100 Jahre früher ebenfalls einem wichtigen Knnstgewerbe gedient hatten, wurde das Museum Ende

68Ü

Mai

Jahres 1873 übergeführt. Fast gleichzeitig mit der Uebererklärte sich die Königliche Staatsregicrung bereit, in nicht allznfcrner Zeit ein eigenes Gebäude für das Museum her¬ zustellen, die ihm bisher nur leihweise überlassenen kunstgewerb¬ lichen Gegenstände, vor allem die wertvolle Minutoli-HancmannSammluiig, als Eigentum zu übertragen und, was das wichtigste war, das Museum mit einem jährlichen Zuschuß von 54 MO Mark des

sicdeluiig

zu unterstützen. Nunmehr konnte der Vorsteher des Museums seine Hände freier regen. Sehr wichtig, ja bahnbrechend für die Entwicklung des Kunstgewerbes war der von dem Kronprinzen angeregte Gedanke, die Besitzstücke des Museums in höherein Grade als bisher den weitesten Kreisen zugänglich und nutzbar zu machen. Dies sollte zunächst durch die Veranstaltung jährlich stattfindender Weihnachtsmessen erzielt werden, ein Gedanke, für den auch der bekannte Geheime Regiernngsrat Reulaux lebhaft eintrat, der bekanntlich nach seiner

Gemcindeschnlen hinsichtlich des Zeichenunterrichts erkannten. Sollte das Kunstgewerbemuseum Tüchtiges leiste», so mußten die Schüler desselben bereits mit größeren Vorkcnntnissen in die Anstalt treten, damit sie sich schneller höheren kunstgewerblichen Zielen zuwenden konnten. Von bahnbrechendem Werte nach dieser Richtung hin wurde der auf Veranlassung des Stadtschulrats Bertram im Schul¬ jahre 1875/76 für die städtischen Berliner Gemeindelehrer am Kunstgewerbemuseum eingerichtete Ornamentzeicheukursus, der ini ersten Jahre 47, im zweiten 57, im dritten bereits 74 Teilnehmer zählte und bald darauf in zwei Kurse geteilt werden mußte. Der ganze Zeichenunterricht in den städtischen Gemeindeschulen wurde seit jener Zeit ans eine andere Grundlage gestellt. Auch die unter der Leitung des Direktors Jessen sich schnell entwickelnde Handwcrkerschule diente denselben Zwecken. Die genannten Anstalten wurden nach und nach in immer engere Beziehung zu den Zielen des Kunstgewerbemuseums gesetzt.

Das MrnNgewerbelnrrlrunr in Berlin. der Weltansstellnng in Philadelphia über das da¬ Gewerbe jene offenherzige, aber scharfe Kritik: „Billig, aber schlecht" fällte, die weiten Kreisen des Gewerbes und t Handelsstandes plötzlich die Augen öffnete. Die sich seit jener Zeit Rückkehr von

malige

deutsche

regelmäßig wiederholenden Weihnachtsmcssen brachten jedesmal die im abgelansenen Jahr geleisteten Arbeiten des Kunsthandwerks weiten Kreisen zur Anschauung und wirkten — durch die geübte Kritik sowohl wie durch die Förderung des Interesses — äußerst belebend und anregend ans die weitere Entwicklung des KiinstgewerbeS; sie waren in zweiter Linie dem Museum auch selbst fördernd, das auf Anregung des Kronprinzen am 31. März 1879 den bisherigen Namen „deutsches Gewerbemuseum" in die treffendere Benennung „Kunstgewerbemuseum" umwandelte und dadurch auch äußerlich andeutete, daß Kunst und Gewerbe Hand in Hand gehen müßten.

Von hervorragender Wichtigkeit war der Umstand, daß ein¬ sichtsvolle Pädagogen — wir nennen die Stadtschulräte: Professor Dr. Hoffman» und Professor Dr. Bertram — die wichtige Wechsel¬ verbindung des Kunstgewerbemuseums mit den Fortbildungs- und

unermüdlichsten Förderer all dieser Be¬ immer und immer wieder der deutsche Kron¬ prinz. „Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir", hatte er bei der Jubelfeier zu Bonn den Studenten zugerufen, und dieser uralten pädagogischen Wahrheit suchte er auch hier wieder gerecht zu werden. Sollten die Schüler dereinst auf den Gebieten der Kunst, des Kunstgewerbes und des Knnsthandwerkes etwas Tüchtiges leisten, so mußten sie geeignete Vorbilder haben, Vor¬ bilder, die nicht aus der Theorie entstanden waren, sondern solche, die aus der praktischen Wirklichkeit, aus dem Handwerks- und Gewerbeleben der wahren pulsierenden Gegenivart oder aus dem¬ jenigen früherer Gewerbe-Epochen heraus gegriffen wurden. Und diese Vorbilder fanden sich in den reichen Schätzen des Kunstgewerbemuseums und zahlreicher anderer Sammlungen. Der Besuch derselben war für die Schulen, namentlich die Fortbildungs¬ schulen, bisher aber ein wenig fruchtbringender gewesen. Planlos, von niemand angeleitet, waren die Schüler bisher in den herrlichen Räumen von einem Gegenstände zum andern geirrt. Viele Samm¬ lungen waren ihnen gänzlich verschlossen, oder die Besichtigung lag zu

Als

einer

strebungen zeigte

der

sich

einer Zeit, zu der es ihnen iiniiiüglich war, diese Schätze eingehend kennen zu lernen. Da war es wieder des Kronprinzen schöpferischer Er sorgte dafür, daß den Gedanke, der hier helfend eintrat. jungen Leuten die Räume im Kunstgewerbemuseum in einer mehr ergiebigen Weise als bisher erschlossen wurde» und ordnete au, daß der Besuch seitens der Schüler in Begleitung kundiger Lehrer erfolgte, damit die Schüler erst die rechte Ausbeute von dem Besuch hatten, Rektor Paulick, der verdienstvolle, langjährige, leider zu

früh verstorbene Leiter der X, Fortbildungsschule, welchen der Kronprinz mit seiner ganz besonderen Gunst auszeichnete und jedes Jahr besuchte, mußte ihm jedesmal eingehend Berichi Aber darüber erstatten, ob diese Besuche auch fleißig stattfanden. er begnügte sich nicht damit. Wie er die Kunst in erster Reihe nicht als ein Erwerbs-, sondern vielmehr als ein Bildungsmittel auffaßte, so suchte er dementsprechend ihre Erzeugnisse den weitesten Kreise» des Volkes zugänglich zu machen.

Wenn ein Teil dieser herrlichen Ideen sich bisher nicht ver¬ wirklicht hat, so lag es eben daran, daß dem fürstlichen Volksfreund als Kronprinz nicht derjenige Einfluß auf die maßgebenden Faktoren zustand, wie er ihn als Kaiser hätte ausüben können. Seine Hände waren ihm durch zahlreiche Rücksichtnahmen und durch die Unzulänglichkeit seiner Mittel gebunden. Er selber batte einmal diesen Zustand des Gebundenseins mit den Worten bezeichnet, „das; der Kronprinz nur zu wünschen, der Kaiser aber zu befehlen habe." Was er aber in diesem Sinn erstrebt und während der ihm nur noch kurz bemessenen Zeit seines Lebens auch verwirklicht hat, das .hat er mit trefflichen Worten bei einer der Prüfungen in der genannten Anstalt gegenüber den städtischen Vertretern und dem Rektor der Anstalt ungefähr in folgenden Worten geäußert: „Wenn der Handwerker den ganzen Tag an die Arbeit gefesselt ist, so »ins; ihm durch besondere Einrichtungen, in erster Linie durch elektrische Beleuchtung des Kunstgewerbemuseums und der übrigen Kunst¬ sammlungen die Möglichkeit erschlossen werden, in diesen Räumen in nutzbringender Weise auch abends seine Studien zu machen," Die Aeußerung that er speziell in der Bildhauergruppe und ver¬ sprach, seinen ganzen Einfluß aufzubieten, damit der von ihm ins Auge gefaßten Vergünstigung möglichst schnell entsprochen werde, „Die herrlichen Sammlungen", sagte er weiter, „werden nicht namentlich von denjenigen, die den größten Die Kunst ist nicht für wenige Auserkorene da, sondern um die Masse des Volkes nach jeder Richtung hin zu bilden; darum muß der Staat Einrichtungen treffen, daß diese Schätze dem ganzen Volke erschlossen werden. Unter Führung von Lehrern muß dieser Besuch ein nutzbarer, plan¬ mäßiger für sämtliche Fortbildungsschulen Berlins werden. Dann, genügend

Nutzen

benutzt,

daraus ziehen könnten.

„so hoffe ich," schloß er, „wird die Zeit nicht mehr fern sei», wo Nord und Süd in Deutschland sich zu diesem edlen Wettstreit innig die Hand reichen und dem Ausland gegenüber erfolgreiche

Konkurrenz bieten können."*) Ein neuer Abschnitt für das Kunstgewerbeinuseuin begann im Jahre 1891, wo es aus den provisorischen Räumen der alten Porzellanmannfaktur nach dem neuen, inzwischen fertig gestellten herrlichen Heim in der Prinz Albrechtstraße übersiedeln konnte. In der würdigen Umgebung präsentierten sich die Erzeugnisse des Kunstfleißes uin so schöner, und das Interesse für die stetig sich vermehrenden Sammlungen wuchs seitdem von Tag zu Tag, Werfen wir noch einen Blick auf die Entstehung des MonumentalbauS. In der kurzen Zeit von vier Jahren war er voll¬ endet worden. Wie er selbst die Erzeugnisse des Kunstgewerbes in den kostbaren Schätzen seiner Sammlungen barg, so hatten alle Zweige des Kunsthand Werkes an seinem Aufbau und an seiner Die Fundamentierung des Baus Ausschmückung teil genommen. hatte am 23, April 1877 begonnen; die Unterrichtsanstalt konnte Am bereits am 1, Oktober 1880 in die Räume übersiedeln.

Juni 1881 folgten die Sammlungen; die letzten derselben wurden am 1 . Oktober 1881 aus dem Jnterimslokal der alten Porzellanmanufaktur in das neue Haus übergeführt. Nur durch das freudige Zusammenwirken aller Kräfte, vor allem durch das großmütige und thatkräftige Eingreifen des Kron¬ prinzen und seiner kunstsinnigen Gemahlin, deren liebevolle Teil¬ nahme an dem Gelingen des schönen Werkes lebendig blieb, konnte die Riesenanfgabe in so kurzer Zeit vollendet werden, Kunst und Knnsthandwerk reichten sich dabei zu schönem Bunde die Hand, geführt und geleitet von dem schöpferische» Genie der Baumeister Martin Gropins und Heino Schmieden, welche den herrlichen Bau zwar gemeinschaftlich begonnen, aber nicht gemeinschaftlich vollenden sollten; ein allznfrüher Tod berief den erstgenannten Meister vor¬ 20,

zeitig aus seinem Wirken ab, Das Werk der Meister aber wird Generationen überdauern. Entstanden aus den Bedürfnissen der künstlerisch schaffenden Arbeit, unterstützt und gefördert von der liebevollen Huld kunstsinniger Fürsten, bestimmt z» der schönen Aufgabe, die kunstgewerblichen Schätze aller Völker und Jahrhunderte dein gegenwärtigen und zukünftigen Beschauer vor Angen zu führen, steht es da als Monument des deutschen Kunstfleißes, dem Kunstgeschuiack ferner Geschlechter die Wege weisend, als das Wahrzeichen eines »ach den höchsten und idealsten Gütern des Lebens ringenden Volkes,

Herman» *) Nach persönlichen Mitteilungen des Rektors büduugsschnle.

Müller-B ohn.

Paulick,

s.

Z. Leiter der X. Fon-,

Die Schorfheide, der bedeutendste kaiserliche

W

ie fast alle Hohenzollernfürste», so ist auch Kaiser WilhelmII. ein leidenschaftlicher Jäger und treffsicherer Schütze, Nur

selten giebt er einen Fehlschuß ab; als echter, rechter Waidmann ist er mit besonderer Liebe Pürschjäger, der sich nirgends so wohl fühlt als in der Schorfheide, Zwar lockt ihn im Frühjahr die Anerhahnbalz in den Forsten Thüringens und Badens und die Pürsche aus den Rehbock in Cadine» und den Revieren des Burg¬ grafen zu Dohna-Schlobittcn, auch verschmäht er nicht nach der sommerlichen Ruhepause die Hühner- und Fasanenjagd und eine Streife auf Hasen; aber die reine Waidmaunsfrende verspürt er erst, wenn er in den weiten Forsten von Rominten nnd der Schorf¬ heide den geweihten König der Wälder ins Blatt treffen kann. Die Schorfheide, Werbellinheidc, auch Werbellincr Forst ge¬ nannt, zählt mit dem Grnncwald bei Berlin, dem Wildpark bei Potsdam, der Ruppiuer Schweiz, der Heegermühlheide bei Ebcrswalde, dem Blumenthal bei Straußberg, dem Tprcewald nnd Sorauer Wald zu den größten und bedeutendste» Waldungen in

Iagdgrund in der SNark. Sie liegt etwa 55 Kilometer ganzen Mark Brandenburg. nördlich der Reichshauptstadt Berlin und ist am bequemsten zu erreichen, wenn man mit der Berlin-Stcttiner Bahn bis Eberswalde fährt und von dort die Bahnlinie Eberswaide-Templin-Fürstenf bcrg i, Meckl, bis zur Station Werbellinsee (Kaiserpavillou) ober Auf dem teils lehmigen, teils lehmig Joachimsthal benutzt. belegen, reicht die Schorsheide im Uckermark sandigen Plateau der Finowkanalniederung zwischen Liebenwcstde Süden bis gegen die der

(Havel) und Eberswaldc; im Norden stößt sie an die Besitzungen des Grase» Aruim-Boytzenbnrg, dessen Forsten, obgleich sie/ sicki über 40 000 Morgen erstrecken, zur Werbellinheidc verschwstndend 'nahezu denn diese bedeckt ein Areal von klein erscheinen; 110 000 Morgen (27 371 Hektar) und umfaßt in den vier Ober¬ förstereien Groß-Schöncbeck, Pechtcich, Grimnitz nnd /Reiersdors vierundzwanzig Schntzbczirke. In diesem ausgedehnten Waldrevier liegen nur ein einziges größeres Dorf, zwei Kolonien Friedrichs des Großen und am Rande zwischen Werbellinsee und' Grimnitzsee

685

das von dem Kurfürsten Joachim Friedrich 1604 gegründete Städtchen Joachimsthal, in dem dieser 1607 das „Joachimsthalsche Gymnasium' errichtete, das bekanntlich 1655 nach Berlin verlegt wurde. Sonst trifft man inmitten der großen Heide nur die einsam liegenden Forsthäuser. Meilenweit kann man wandern, ohne daß man einem Menschen begegnet, doch Auge und Herz wird Genüge

Wälder arm an Hirschkühen sind, und der Wald dröhnt dann von wütend Kämpfenden, dem Aneinanderschlagen während die Erde, ringsum aufgewühlt, zu bersten scheint; weithin durch den Wald und über die Wasser¬ spiegel des Werbellin- und Grimnitzsees erschallt der eherne Brunst¬ schrei, der alles Getier ringsum vor Furcht erbebe» läßt. Ein¬ dringling kämpft gegen Eindringling; und das Resultat der Liebeskämpse pflegt in der Regel das zu sein, daß, während die fremdländischen Herren miteinander kämpfen, auch wohl sich töten, dem Gestampf

der

der viclzackigcn Geweihe,

der einheimische Märker den Liebespreis davon¬ trägt. Etwa nach vier Wochen kehren die fremden,

heißblütigen Ritter wieder heim. Freude aber erfüllt in solchen Herbstestagen der Brunstzeit die Brust des Jägers; und auch in dein kaiserlichen Jagdschloß der Schorfheide, in Hnbertusstvck, muß dann der Friede dieser Waldeinsamkeit weichen. Wenn der November¬ sturm sausend durch die Bäume fährt, daun ist hohe

Zeit in Hubertusstock.

sieht man dem kaiserlichen Hof

Mit Spannung mit

seinen Gästen

entgegen, der in der Werbellinheide seine Gala¬ jagden abhält. Kaiser und Könige, Herzöge und Fürsten aller Herren Länder sind schon in Hubertusstock zu Gaste gewesen, um sich an dem edlen Waidwerk

in der wildreichen Schorf¬

heide zu erfreuen.

Jagdschloß Hubertusstock (Vorderseite).

finden getreu dem märkischen Spruche: „Wiese, Wasser, Sand, das Märker-Land, Und die grüne Heide, das ist seine Freude." Den größten Teil des Waldbodens bedeckt die märkische Kiefer, doch trifft man auch iveite Gebiete mit prachtvollen Buchen und Eichen. Als Woldgrnnd mag die Schorshcide innerhalb der Mark überflügelt werden, als Jagdgrund steht sie einzig da, nicht nur in

st

der Mark, sondern weit darüber hinaus. Der Wildstand in der Schorfheidc gleicht einer Paradetruppe.

Das Jagdschloß Hubertusstock liegt auf der Nordseite des Werbellinsees und ist eineSchöpfnng Friedrich Wilhelms IV. An der Stelle, wo der König einst, nach heißem Jagen Rast machend, seinen Stock in die Erde stieß, ließ er auch ein Bildstöck'l errichten, das in bunten Farben auf goldenem Grund die bekannte Legende zeigt, wie dem scheu betroffenen, andächtig niedecknienden Sankt Hubertus ein Hirsch mit dem leuchtenden Kreuz zwischen dem Geweih erscheint. Nicht weit von diesem Bild, wo ein Brünnlein in einer Thalsenkung entspringt, befindet sich unter einem Säulen¬ dach die Figur Siegsricds mit Speer und Hifthorn. Hubertusstock ist nur ein schlicht im Schweizerstil erbautes Jagdschlößchen von

Letzlingen (Regbz. Magdeburg, Kreis Gardelcge»), so heißt es, ist für den Gebrauch: Werbelli» und Grimnitz aber sind für die Repräsentation. Dort jagen die Hohcnzollcrn »m des Jagens

willen; in Werbellin jagen

sie

nur an

Galatagcn, um ihren Gästen zu zeigen, was hohe Jagd in Die Schorfheidc Marke» sei. den dient eigens dem Zweck, das Wild zu pflegen. Der Werbellinsee, unstreitig der schönste afler märkischen Seen, ist „die große Tränke", während außerdem Brunnen in den Wald gegraben sind und überall ausgebreitete Heu- und Moosbetten über die Gefahren und Beschwerden des Winters hinweghelfen. Forst-

und

Letzlingen ist nichts destowcniger dieser und jener

Rival, und in

ein Branche

sogar ein siegreicher. Aber an Rotwild bleibt die Schorshcide la tete. Ihre Forste» umschließen 3000 Hirsche, die größte Zahl, die,

soweit die Kenntnis davon reicht, an irgend einem Punkte der Welt, inner¬ halb eines abgegrenzten Reviers, ge¬ halten wird, also ist Werbellin der größte Wildpark Europas, vielleicht der ganzen Welt. Um die Brunstzeit, etwa von Mitte September bis Mitte Sktober, umschließt die Werbellinheide noch weit, weit mehr. Dann kommen nämlich die stärksten Waudcrhirsche an hundert Meilen weit zum Werbellin gezogen, ans

Pommern, Schlesien, ja selbst aus

Litauen

und Polen, deren

Jagdschloß Hubertusstock (Bückleikr). bescheidener Größe und einfacher Ausschmückung im Innern; aber dafür liegt eS so recht im Herze» des grüne» Waldes. Ein ge¬ schnitzter Balkon zieht sich in Höhe des ersten Stockwerkes um alle

vier Seiten des Hauses, während zahlreiche Geweihe innen und außen über den Fenstern prange». Das heitere Waldleben, das mit ihren sich ringsumher entfaltet, der Blick in die Jagdgrnndc

6% und feine Seen umsponnen hat. In¬ mitten der Waldungen bauten sich die Markgrafen Jagdhäuser, so am User Werbellinsees das Jagdschloß des Werbelli«, am Grimnitzsee das Jagd¬ schloß Grimnitz, von denen letzteres in der Geschichte des brandenburg-preußi¬

Staates dadurch Berühmtheit erlangt hat, daß auf ihm 1529 der Erbvergleich zwischen Brandenburg und Pommern abgeschlossen wurde. Das Werbelliner Jagdschloß wurde 1247, das Grimiiitzer etwas später erbaut. schen

Außer diesen beiden gab es in der Schorfheide noch ein drittes Werbellinschloß, Schloß Boeteu, das ungefähr in der Mitte lag zwischen den heutige» Städten Biesenthal und Boytzenburg; es diente zum Schuß des

Dir Sslianicrburg. unter denen das Wild sorglos lagert; der Blumeuteppich der Heide, der Anblick der schmucken, muster¬ haft sauberen Wirtschaftsgebäude, —alles ist von so wohlthuender Anmut, sorgloser Ruhe und behaglichem Frieden, daß es immer schattenden Baumgruppen,

aufs neue entzückt.

Die

umfangreichen Waldungen der Schorfheide am Werbellin-

und Grimnitzsee sind von altersher ein beliebtes Jagdrevier ge¬ wesen, nicht nur für viele Fürsten aus dem Hause Hohenzollern, sondern auch für eine ganze Zahl der brandenbnrgischen Mark¬ grafen aSkanischen Stammes, die hier oft weilten, wie eine Menge Urkunden beweisen. Kein Wunder, daß die Sage dieses Waldrevier

Werbelliner

der er¬ giebigen Fischerei im Grimnitz- und Werbellinsee. An Stelle des ehemaligen Schlosses Werbelli» erhebt sich seit 1879 am Ufer des Sees ein stattlicher Turm, die Askanierburg genannt, von deren

Jagdreviers,

aber

auch

Zinnenkranz sich ein prächtiger Blick über dcn Werbelli» er¬ schließt. ^Am 30. September 1881 wurde die Askanierburg von dem fürstlichen Erbauer der Prinzeß Friedrich Karl als Geschenk überwiesen. Die alten

Burgen

und

Jagdhäuser

des

ersten

brauden-

burgischcn Herrschergeschlechts sind verfallen, die Schlösser Ottos IV. und Waldemars sind dahin) die nachkommenden Geschlechter und Generationen haben es vorgezogen, ihre Sommersitze näher der Residenz aufzuschlagen, jedoch dem Forste, der Schorfheide, t»id alle bis heutigen Tages treu geblieben. Werbelli» blieb der kost¬ barste Jagdgrund der Hohenzollern.

Emil Böhm.

Das Hofmann-Haus. m vergangenen Sonntag ist in der Sigisinuudstraßc 4 in Gegenwart zahlreicher Vertreter der Wissenschaften und der staatlichen und städtischen Behörden das Hofmann-Haus feierlich eingeweiht worden. Das Ge¬ bäude, daö dem Andenken des be¬ rühmten Berliner Chemikers August Wilhelm von Hofmanu gewidmet

Portal, Die

über

breiten,

das dreiteilige Mittelfenster aufbaut. Erker zu beiden Seiten des Mittelfensters aus der in der Mitte glatten Fassade hervor

dem

sich

hellen

treten kraftvoll

ist, stellt sich als ein Prachtbau ersten Ranges dar und bildet eine hervor¬ ragende Zierde der vornehmen und stillen Sigismniidstraße. Die im Stil eines mitteldeutschen Patrizierhauses gehaltene Fassade aus hellem Sand¬ stein ist reich gegliedert und wirkt bemcntsprechend rxcht anmutend. Der Entwürfen des Baurats nach den Otto March in Charlotteubnrg in den Formen deutscher Renaissance aus¬ geführte Bau zeigt drei Stockwerke mit hohen Fenstern und breiten Erkern und ist oben von einem spitz zulaufen¬ den, in Felder gegliederten Renaissancegiebel gekrönt. Unter diesem Giebel zieht sich an der First des Hauses ein bübscher Fries entlang, der zugleich den Abschluß der Fensterpaare des In der oberen Stockwerks bildet. Mitte des Hauses befindet sich der Haupteingang, ein breites, tiefliegendes Mordende de« Werbellinsee».

687

und laufen nach dem obersten Stockwerk zu in Balkons aus. Die über dem Mittelfenster des ersten Stocks befindliche In¬ schrift — HOFMANN-HAUS — deutet die Bestimmung des Ge¬ bäudes an, welches seinem Charakter als Erinnerungszeichen für

fich an der dortigen Universität, besonders unter LiebigS Leitung, chemischen Studien gewidmet. Schon in der Studienzeit zeichnete

Hofmann durch wichtige Arbeiten über die Basen des Steinkohlentheers aus und habilitierte sich bereits mit 27 Jahren an der Universität Bonn, wo er auch bald darauf zum außerordcntSeine akademische Thätigkeit in lichen Professor ernannt wurde. Bonn war nur von kurzer Dauer, da er bereits gegen Ende des Jahres 1845 einem Rufe nach London folgte. Hier hat er zwei Jahrzehnte hindurch mit großem Erfolge an dem von ihm neu sich

of Chemistry gewirkt und kehrte 1864 nach Bonn zurück. Rach zwei Semestern, während welcher Zeit er das große Laboratorium der Universität einrichtete, wurde er nach Berlin berufen und hat hier bis zu seinem Tode am 5. Mai 1892 als Professor der Chemie gewirkt. Wegen seiner Verdienste wurde ihm 1888 der persönliche und 1890 der erbliche eingerichteten Royal College erst

Adel verliehen. Hofmanns Entdeckungen erstrecken

sich auf das gesamte Gebiet und nichtorganischen Chemie, und in zahlreichen litterarischen Arbeiten hat er die Ergebnisse seiner Forschungen niedergelegt. Ein Hanptverdienst erwarb sich Hofmann durch die Gründung der Deutsche» Chemischen Gesellschaft im Jahr 1868,

der organischen

chemischen Wissenschaft und In¬ Da die Gesellschaft nunmehr, wie erwähnt, ihren Sitz im Hoffmannhause aufschlagen wird, so ist zu vermuten, daß dieses in Znknnft den Zentralpunkt für die weit¬ Die verzweigten Interessen der deutschen Chemiker bilden wird.

welche bald der

Mittelpunkt der

dustrie in Deutschland wurde.

Statue Hosmanns ist im Treppcnhanse des ihm geweihten bäudes

ausgestellt

und zeigt

den

ernst blickenden

Ge¬

Gelehrten in

Hosma»»« Standbild.

Hofmann gemäß den Zwecken der chemischen und dienen soll. Deshalb sind zwei große Laboratorien und ein »msangreicher Hörsaal im Hanse untergebracht. Letzterer liegt im hinteren Teil des 35 Meter tiefen Gebäudes und geht durch zwei Stockwerke hindurch; er umfaßt ziemlich 300 Sitz¬ plätze, welche nach Art eines Amphitheaters bis zur halben Höhe des Saales ansteigen. In diesem Hörsaal sollen öffentliche Vor¬ träge ans dem Gebiete der Chemie, Physik und Technik und ver¬ wandter Wissenszweige abgehalten werden. Da diese Vortrüge meist mit Experimenten und Demonstrationen verbunden sind, so hat der Tisch des Vortragenden eine ziemliche Länge erhalten, und außerdem befindet sich hinter demselben ein besonderes Vorbereitnngszimmer. Das Vorderhaus ist im großen und ganzen für die Zwecke der Deutschen Chemischen Gesellschaft eingerichtet. Das erste Geschoß wird die Redaktion der von der Gesellschaft herausgegebenen wissenschaftlichen Veröffentlichungen und das Sekretariat, das zweite Stockwerk die Bibliothek, das Lesezimmer und den Sitzungssaal der Gesellschaft aufnehme». Im dritten und vierten Stockwerk werden die Verwaltiingsrännie für die Bernssden Chemiker

technischen Wissenschaften

gcnvssenschast der chemischen Industrie und des Chemischen Industrievereins untergebracht werden. Das Erdgeschoß enthält Wohnränme für das HauSpersonal und die Gardcrobenzimmer. Das Hofmann¬ hans, welches durchweg mit den neuesten Erruugenschaften der Technik ausgestattet ist, wurde ans Beiträgen der Besitzer bedeutender chemischer Etablissements errichtet und wird von dem Kuratorium der Hofmanhaus-Gesellschaft, deren Vorsitzer Dr. Martins ist, verwaltet. Der berühmte Chemiker August Wilhelm von Hofmann, dessen Gedächtnis das stattliche Haus in der Sigismnndstraße ge¬ weiht ist, wurde am 8 . April 1818 zu Gießen geboren und hat

HofiiiannH»»» in der Sigisuiundstrage.

ruhiger Haltung, wie er die rechte Hand beim Vortrag aufwärts hebt, während die linke den Professorentalar znsanimenhält. Das Standbild, welches in einer Rische von hellgelbem Marmor steht, — t. ist ei» Werk des Bildhauers Hidding.

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Peüilletot) des J|äp. Dy Wessely. Erzählung von

Lothar Brenkendorf. (Nachdruck verboten.)

s ivar um die Mittagszeit eines schönen Sommertages, als die schlanke Gestalt eines elegant ge¬ kleideten Herrn von vielleicht dreißig und einigen Jahren auf deni Promenadcnweg auftauchte, der ans dem Innern des reizenden süddeutschen Badeortes 23. zu der Villa des Professors Fabricius hinauf führte. Vor fünf Jahren, als er durch ein hartnäckiges Augenleiden genötigt wurde, sein Lehramt nieder zu legen, halle sich der berühmte Gelehrte das liebliche Tuskulum erbaut, um den Abend seines reichen Lebens inmitten einer herrlichen Natur still Er stand in dem Ruf, ein und friedlich zu verbringen. wenig menschenscheu zu sein, und nur selten ivagte sich des¬ halb ein Besucher in die Villa Erika hinauf, wie traulich und anheimelnd sie auch mit ihrem weißen Gemäuer aus Der Fremde aber, deni dichten Grün hervorlugen mochte. der heute nach einem kleinen Zögern die bell klingende Glocke zog, hatte wahrlich keine Ursache, sich über eine unfreundliche Aufnahme zu beklagen. Der Diener, der ihm geöffnet, hatte kaum einen Blick auf die überreichte Visitenkarte geworfen, als er mit großer Zuvorkommenheit sagte: „Wollen Sic nur die Güte haben, hier einzutreten, mein Herr! — Sie werden von dem Herrn Professor bereits erwartet." Eine hohe Flügelthür that sich vor deni Aukömmlüig aus, und er sah sich in eiuem geräumigen, fast nur mit ge¬

ß

waltigen Bücherregalen ausgestatteten Gemache, durch dessen Fenster das Licht angenehm gedämpft herein drang, weil draußen eine breitästige Kastanie schirmend ihren tiefgrüuen Von einem einfachen Blätterrcichtnin davor ausbreitete. Schreibstuhl vor dem niächigen, mit Büchern und Papieren bedeckten Arbeitstisch inmitten des Zimmers erhob sich eine mehr zierliche als kraftvolle Männergestalt mit lang herabwallcndem, silbcrgranem Haar nnd seinem, bartlosem Gelchrtenantlitz, ans dem sich zwei schöne blaue Augen mit jenem rührend, hilflosen Blick, der den halb Erblindeten eigentümlich auf den Besucher richteten. „Mister Herbert Ellesmcre?" fragte er, und als jener bestätigt hatte, fügte er mit gewinnender Liebenswürdigkeit hinzu: „Ich heiße Sie herzlich willkommen; denn Sie sind mir von meinem Freunde Reymond empfohlen worden, und Sic sprechen ich ivciß, was eine solche Einpschlung wert ist. ist,

doch deutsch?"

„Ich habe meine Studienzeit zum großen Teil in Deutschland verlebt, Herr Professor, und ich habe mich während der letzten drei Jahre fast ununterbrochen in Berlin aufgehalten. Es hat mir also nicht an Gelegenheit gefehlt, mich in Ihrer schönen Sprache zu vervollkommnen." „Das ist mir sehr lieb. Ich bin immer in einiger Ver¬ legenheit, wenn ich mich eines fremden Idioms bedienen Sie sind also hierher gekommen, um in der Stille soll. dieses weltentlegenen Erdenfleckchens eine größere wissenschaft-

liche Arbeit zu vollenden?"

„Ich ivage kaum, die Frage zu bejahen. Denn ich bin eigentlich nur. ein Dilettant, der ohne die großmütige Unter-

slüpnng gelehrter Gönner

sicherlich

nicht

das geringste zu¬

stande brächte."

„Na, wir werden ja

wieviel von dieser Selbst¬ kritik auf Rechnung der Bescheidenheit zu setzen ist," lächelte „Jedenfalls stelle ich mich Ihnen mit nieinem Fabricius. Rat und Beistand gern zur Verfügung. Professor Reymond schreibt, daß Sie mir ein fertiges Manuskript zur Begut¬ Sie haben es doch mitgebracht?" achtung vorlegen nwlltcn. „Dazu hatte ich allerdings nicht den Mut. Aber wenn Sie gestatten, Herr Professor, daß ich es Ihnen in den nächsten Tagen überbringe —" „Gewiß — ich bitte darum. Zwar kann ich selber nicht mehr lesen; aber ich habe zum Glück einen Gehilfen, der hundertmal wertvoller für mich ist als zivei gesunde Augen. Vielleicht gestatten Sie mir, Sie sogleich mit diesem meinen sehen,

Amanuensis bekannt zu machen." Mit der Sicherheit eines Mannes, der des Augenlichts nicht mehr bedarf, um sich in der gewohnten Umgebung zu¬ recht zu finden, öffnete der Professor eine zweite Thür

und ries:

Da ist Mister„Komm doch einmal herein, Kind! Reymond so viel Freund uns dem von Herbert Ellesniere, hat." des Guten geschrieben Der Engländer vernahm einen leichten

Schritt, und

seine dunklen, etwas schwermütigen Augen öffneten sich weit in beivunderndcm Erstaunen, als sic gewahrten, daß der Gehilfe des Professors Fabricius eigentlich eine Gehilfin ivar, nnd zivar ein wunderschönes junges Mädchen von höchstens Ihre anmutige Gestalt und ihr holdes, zwanzig Jahren.

jugcndfrisches Gesichtchen konnten wahrlich jede andere Vor¬ stellung eher erwecken, als die der Gelehrsamkeit und Be¬ schäftigung niit trockenen wissenschaftlichen Dingen, wenn sic auch die schön gewölbte Stirn -und die großen, sinnenden Denkcraugen ihres Vaters geerbt hatte. „Meine Tochter Erika," sagte der Professor vorstellend,

„der Stab nnd die Stütze iiieines hinfälligen Alters." Eine Welt von Liebe und Zärtlichkeit war in seiner Es bedurfte für den Fremden keiner Erklärung Stimme. nnd keiner Beobachtung mehr, lim ihn davon zu überzeugen, daß hier eines jener rührend innigen Verhältnisse obwalte, wie sie selbst zwischen Vater und Tochter nicht allzu häufig Er machte Fräulein Erika seine Verbeugung vorkonimen. nnd wußte ihr mit der Gewandtheit des Weltmannes einige artige Worte zu sagen, wie sie der 2lrt der Vorstellung an¬ Aber der beivundernde Ausdruck blieb in gemessen waren. seinen Augen, so oft er sie zu ihrem liebreizenden Antlitz er¬ hob, und sein ernstes Gesicht schien heiterer zu werden, während er dem Klang ihrer weichen, glockenhellen Stimme Sie erkundigte sich nach einigen Berliner Bekannten, lauschte. mit denen er durch seinen Gönner, den Professor Reymond, in Berührung gekommen sein konnte, und sie legte dabei so viel liebenswürdige Natürlichkeit an den Tag, daß Ellesmere sehr bald zu der Gewißheit gelangen mußte, die Beschäftigung als Gehilfin ihres Vaters habe ihr »och nichts von der

689

bezaubernden Naivetät der glücklichen Jugend zu rauben ver¬ mocht. Dann aber verstummte sie, denn Fabricius hatte das Gespräch wieder

aus

die

wissenschaftlichen Arbeiten des Be¬

suchers gelenkt, und die beiden Herren gerieten uninerklich in Ja, es kam eine sehr gelehrte Auseinandersetzung hinein.

sogar in Bezug auf ein geringfügiges historisches Faktum zu Der einer kleinen Meinungsverschiedenheit zwischen ihnen. mit der und Ansicht, Lebhaftigkeit seine mit vertrat Professor am gegenüber Gelehrten die deni großen Bescheidenheit,

Platze war, wollte der Engländer eben seine Behauptung zurückziehen, als in der entferntesten Ecke des Zimmers eine glockenhelle Stimme laut wurde: „Diesmal sind Sie im Unrecht, Herr Professor! — Ich berufe mich gegen Sie auf die Autorität des berühmten

Historikers Ewald Fabricius, der im fünften Band seiner zweiter Wsatz, folgendes Weltgeschichte auf Seite 317, schreibt.

Sie halte das Buch in der Hand und las die Stelle die Ellesmeres Auffassung unzweideutig bestätigte. vor, Fabricius, der sich so aus seinen eigenen Werken widerlegt

Irrtum

ein, der andere aber blickte junge Mädchen, das nur seltsame das ehrfürchtig auf fast in den Stand gesetzt erstaunliches Wissen durch ein geradezu sah, gestand lachend den

worden sein konnte, ihm diesen unerivartcten Beistand zu leisten. Ein paar Minuten später erhob er sich zur Verab¬ schiedung, denn die Zeitdauer, die

für einen

ersten Besuch

als

gilt, war bereits überschritten. „Ich erwarte Sie also recht bald mit Ihrem Manuskript,"

schicklich

„Selbstverständlich ist auch meine Bibliothek ganz zu Ihrer Verfügung. Wenden Sie sich nur an nicinen blonden Bibliothekar dort, wenn Sie ctivas brauchen! — Uebrigens — haben Sie denn hier schon eine sagte

Professor.

der

Wohnung?"

„Ich

habe die

Villa Belvedere

am Herzogsweg gemietet,

Herr Professor." „Ah — eine vortreffliche Wahl! Ich kenne das reizende Häuschen ivohl. Und Sie haben gleich die ganze Villa mit Beschlag belegt?" „Ich ivar dazu genötigt," lautete die merkivürdig unsichere Erwiderung, „denn ich bin nicht allein."

Er verbeugte sich abermals sehr tief gegen Erika und ging. „Ein angenehmer und liebenswürdiger Mann," meinte Laune versetzt seine Arbeiten freuen, wenn ivcrde mich worden war. „Ich ihn recht lauge hier festhalten." Das junge Mädchen hatte darauf nichts zu antivortcn;

Fabricius, der durch den

Besuch

in die

beste

aber der Fremde mußte doch ivohl auch ihr nicht gerade mi߬ fallen haben, ivcnn anders der sonnig heitere Ausdruck des reizenden Gesichtchens ein getreuer Spiegel ihrer Gcmüts-

ftimmung ivar. — Am nächsten Vormittag schon sah sie Herbert Ellesmere wieder. Sie machte auf einer der abgelegenen, wenig belebten Promenaden den gewohnten Morgenspazicrgang mit ihren» Vater, als plötzlich die schlanke, vornehme Gestalt des Er zog Engländers aus einem Seitenweg auftauchte. grüßend seinen Hut, aber er konnte nicht wohl stehen bleiben, um eine Unterhaltung anzuknüpfen, denn er befand sich in der Gesellschaft einer Dame, die offenbar noch viel gebrechlicher war als der Professor Fabricius. Sie war von kleiner, über¬ aus schmächtiger Gestalt und hatte sich an den Arni ihres stattlichen Begleiters gehängt wie ein Kind, das in Furcht ist, es könne seinen Beschützer verlieren. Ihr Gesicht war so dicht verschleiert, daß Erika im Vorübergehen nichts als seine er¬ schreckende Magerkeit wahrnehmen konnte; die beiden Haar¬ strähnen

aber,

die an den Schläfen

unter

dem Kapottehut

waren schneeweiß. So mußte e§ wohl die Last der Jahre sein, unter der die arme kleine Gestalt so mumienhaft zusammengeschrumpft war, und auch die liebevolle Fürsorge, mit der Herbert Ellesmere augenscheinlich jeden ihrer Schritte behütete, glich ganz jener ritterlichen Aufmerk¬ samkeit, die ein wohlerzogener Sohn im Verkehr niit seiner sichtbar wurden,

hinfälligen Mutter an den Tag legt.

Ein paar Stunden später ivußte die Hausdanic des Professors, die über alle Neuigkeiten von W. stets sehr genau unterrichtet war, in Bezug aus den Bewohner der Villa Belvedere bereits allerlei zu erzählen. Er mußte wohl ein sehr reicher Mann sein; denn er hatte für sich und für die anscheinend sehr leidende Dame, die sich in seiner Begleitung befand, eine aus drei Köpfen bestehende englische Dienerschaft mitgebracht. In der jüngsten Nummer der Fremdenliste aber standen die neuen Ankömmlinge als Mrs. und Mr. Ellesmere zu lesen. Es war also kein Zweifel mehr, daß es wirklich Mutter und Sohn gewesen, die Erika aui der Promenade

getroffen hatte. Noch vor Ablauf dreier Tage wiederholte der Engländer seinen Besuch in des Professors Haus. Es traf sich, das; Fabricius ihn nicht sogleich cnipfangen konnte, und daß er

wohl eine halbe Stunde mit Fräulein Erika allein blieb. Von wissenschaftlichen Dingen war dabei nicht viel zwischen ihnen die Rede; Langeweile aber schien trotzdem keines von ihnen empfunden zu haben; denn Erika sah sehr heiter aus, als der Professor endlich erschien, und Herbert Ellesmeres Augen leuchteten in einem seltsam freudigen Glanz. „Sie sind mit Ihrer Frau Mutter hier, ivie ich höre," meinte der alte Herr ini Verlauf des weiteren Gesprächs,

„und man hat mir erzählt, daß Krankheit."

sic

leidend sei.

Hoffentlich

ist es keine bedenkliche

wieder auf Erikas holdem Gesichtchen ruhte, fuhr wie in plötzlichem Erschrecken zusammen, und während er den Kopf rasch nach dem Fenster wandte, kam und ging in schnellem Wechsel die Farbe auf

Der Gefragte,

dessen

Blick

eben

seinen Wangen.

„Sie ist vollkommen hoffnungslos, Herr Professor," sagte er mit merklich zitternder Stimme. Und zögernd, wie nach schwerem inneren Kampfe, fügte er hinzu: „Nach der Erklärung der bedeutendsten Aerzte giebt es keine Aussicht aus Rettung

Die Tage der Patientin sind gezählt, und die Art ihrer Krankheit macht es mir zur namenlos traurigen Pflicht, sie von allem Verkehr mit der Außenwelt abzuschließen." mehr.

Eine peinliche Stille folgte seinen Worten. Vater und Tochter fühlten, daß hier eine ivundc Stelle in Ellesmeres Herzen berührt worden sei; sie mochten keine weitere Frage thun und nahmen sich in stummem gegenseitigen Einverständnis vor, auch künftig einen Gesprächsgegenstand zu vermeiden, der offenbar nur die schmerzlichsten Gefühle in der Seele ihres neuen Bekannten wachrief.

Der Engländer hatte dem Professor seine Abhandlung mitgebracht, und als er sich am nächsten Tage wieder ein¬ stellte, durfte er aus dem Munde des berühmten Gelehrten die schmeichelhaftesten Dinge über seine Arbeit vernehmen. Fabricius behandelte ihn schon ganz wie einen guten Freund des Hauses; er interessierte sich lebhaft für sein neues, in der Vollendung begriffenes Werk und wünschte von jedem weiteren Fortschritt desselben unterrichtet zu werden. So geschah es auf die natürlichste Art von der Welt, daß Herbert Ellesnicre zu einem täglichen Besucher der Villa Erika wurde, und daß sich auch sein Verkehr niit dem liebreizenden Töchterchen des Professors immer mehr zu einem kameradschaftlich vertraulichen gestaltete.

690

Von seiner kranken Mutter war in der That zwischen rhncn nicht mehr die Rede gewesen, und auch auf der Promenade hatte Erika die kleine verschrumpfte Dame nicht wiedergesehen. Ihr Zustand mußte sich wohl seit der Ankunft in W. noch mehr verschlimmert haben, so daß sie genötigt war, auf weitere Spaziergänge zu verzichten. Denn auch die Hausdame des Professors, deren scharfem Spürsinn sonst nicht so leicht etwas verborgen blieb, hatte sich bisher vergebens bemüht, sie zu Gesicht zu bekommen oder etivas Näheres über Soviel nur hatte sie festgestellt, daß in der Villa Belvedere keinerlei Besucher empfangen ivurden, und daß die englische Dienerschaft von einer ganz merkivürdigcn Ver¬ schwiegenheit sein mußte, da doch sonst auf dem Wege des sic zu erfahren.

Domcstikenklatsches sicherlich dieses oder jenes

in die Oefsent-

lichkeit gedrungen wäre. Unzweifelhaft waren es sehr vor¬ nehme Leute, diese Ellesmeres, und ebenso unzweifelhaft be¬ stand ein sehr harmonisches Verhältnis zwischen ihnen, denn abgesehen von seinen Besuchen bei Professor Fabricius lebte

Herbert offenbar nur seiner Arbeit und der Pflege seiner leidenden Mutter. Man sah ihn niemals bei den Konzerten auf der Kurpromenade oder bei den Rcunions, und wieviele Angeln auch schon nach ihm ausgeworfen worden waren, noch war cs keinem gelungen, irgend welche gesellschaftlichen Be¬ ziehungen zu ihm anzuknüpfen. cs wieder eines Tages, daß Professor sein Mittagsschläfchen noch nicht beendet hatte, als Herbert Ellesmere in der Villa erschien. Erika selbst hatte ihm geöffnet, und nun trat er mit ihr in den kleinen Empfangs¬

Da Fabricius

geschah

salon ein, der neben ihres Vaters Arbeitszimmer lag. Es ivar sehr heiß, und sie trug ein sommerlich leichtes, hellfarbiges Kleid, das ihre schöne Gestalt nur noch reizvoller und an¬ mutiger erscheinen ließ. Auch ihre roten Lippen dünkten ihm heute noch frischer, ihre blauen Augen noch strahlender als sonst, alles, was weibliche Schönheit und Jugend au sinnbcthörendem Zauber besitzen, schien ihm heut in ihrer hold¬ seligen Persönlichkeit vereinigt.

Die Fenster waren weit geöffnet und schivere, süße Düfte strömten von den Blumenbeeten des Gartens zu ihnen herein. Eine eigentümliche Beklemmung kam über die beiden, die sonst in ähnlicher Situation die Minuten des Alleinseins so heiter und unbefangen verplaudert hatten. Mühsam und ein¬ silbig schleppte sich eine Weile die Unterhaltung hin, dann griff Erika, in dem Bestreben, ein neues Gesprächsthema zu finden, nach einem illustrierten Prachtivcrk, das nian ihrem

Morgen übersandt hatte, und legte cs vor Ellesmere auf den Tisch. Er fing wirklich an zu blättern und sich über die einzelnen Abbildungen zu äußern, während seine Gedanken offenbar bei ganz anderen Dingen weilten. Einer der Stiche aber fesselte doch seine Teilnahme, und Erika trat, durch sein warmes Lob neugierig gemacht, an seine Seite, um ihn ebenfalls zu betrachten. Herbert fühlte die leichte Berühung ihrer jugcndivarmen Gestalt, und er atmete für einen Moment den feinen Duft ihres seidig glänzenden, goldblonden Haares. Da überniannte ihn die Leidenschaft, gegen die er so lange mit Aufbietung seiner ganzen Willens¬ kraft angekämpft hatte; er schlang seinen Arm um Erikas biegsamen Leib und zog sie ungestüm an sich, während seine Lippen heiße Liebesworte stanimclten. Und sie sträubte sich

Vater an

diesem

nicht ernstlich gegen seine stürmische Liebkosung. Auch ihr junges, glückdurstiges Herz schlug ihm ja längst in zagender Sehnsucht entgegen; er war ihr als der verkörperte Inbegriff edler Ritterlichkeit und stolzer Manneskraft erschienen, seit sic ihn zum erstenmal gesehen, und ivenn er gegangen war, hatte Woher sie die Stunden gezählt, bis er wiederkommen würde. sollen, nehmen Kraft diesem Augenblick die batte ne £a in

ihm zu widerstreben! Ihr blondes Köpfchen sank schämig an seine Schulter, und dann, als sie die blauen Augen voll zu ihm aufschlug, flog es wie ein Abglanz nanienloscr Glück¬ seligkeit über ihr Antlitz. „Ja, ich liebe Dich, Herbert," hauchte sic, und willig ließ sie's geschehen, daß seine Lippen sich leidenschaftlich heiß auf die ihrigen preßten. Da knarrte hinter ihnen die Thür, und Professor Ewald Fabricius erschien auf der Schwelle seines Arbeitszimmers. Wie traurig es auch um die Sehkraft seiner armen Augen bestellt sein mochte — daß hier etivas ganz Außergeivöhnljches vorging, erkannte er doch, und erschrocken rief er den Namen seines Kindes.

Erika machte sich aus Herberts Armen frei und warf bestürzten sich halb lachend, halb weinend an die Brust des erschreckende wie eine nicht, So sah sie es alten Herrn. Veränderung plötzlich in Ellesmeres Zügen vor sich ging. Er war totenbleich geworden, seine Lippen zuckten, und mit unheimlich düsterem, verzivciflungsvollem Ausdruck starrten Dann aber, als Fabricius in rühren¬ seine Augen ins Leere. dem Ton fragte, ob er denn gar nicht erfahren sollte, was hier geschehen sei, schien ihm doch das Bewußtsein zu kommen, daß er nicht länger stunini und fassungslos dastehen dürfe. Und nun stieß er in hastigen, sich überstürzenden Worten hervor: „Ich bin Ihnen allerdings eine Erklärung schuldig, Herr Professor; aber ich fühle mich in diesem Augenblick nicht fähig, Vergönnen Sie mir nur eine kurze sie Ihnen zu geben. — Heute abend noch sollen — Stunden! paar ein nur Frist Sie alles erfahren." Erika wandte sich überrascht nach ihm um; aber sic sah nur, daß Herbert Ellesmere, ohne einen Blick auf sie zu werfen, gleich einem Verfolgten aus dem Zimmer stürmte. Für einen Monient wohl machte diese seltsame Aufführung auch sic betroffen; aber ihre junge Glückseligkeit ließ doch keinen ernstlichen Zweifel auskommen in ihrem Herzen. Dies alles hatte sich ja wie nach einer höheren Fügung so rasch und unerivartet vollzogen. Auch ihn hatte offenbar eine unwiderstchliche Gcivalt getrieben, sich früher zu entdecken, als es ursprünglich in seinem Plan gelegen, und Erika glaubte zu verstehen, daß cs dem feinfühligen, in den strengen englischen Schicklichkeitsbegriffen aufgeivachseuen Mann peinlich sein müsse, unter dem Zwang einer Ueberrnmplung seinen Antrag bei ihrem Vater vorzubringen. So erklärte sie auch dem Professor das scheinbar so befremdliche Verhalten Herberts, und er ließ sich leicht genug überreden, daß dies in der That die einzige

richtige Deutung sei. Und nun wurde er nicht niüdc, sein geliebtes Kind niit halb wehmütigen, halb beglückten Zärtlich¬ keiten zu überhäufen.

„Es wird mir wohl nichts

anderes übrig bleiben,

als

Dich ihm zu geben," meinte er. „Wir wissen ja im Grunde nur sehr wenig von ihm; aber seine Licbcnsivürdigkcit hat .ihni meine Zuneigung gcivonnen, und ich zivcifle nicht, daß ein Mann, den Professor Rcymond nach zweijähriger Bekannt¬ schaft so warm empfehlen konnte, auch meine Achtung und mein Vertrauen verdient. Er wird mich ja voraussichtlich heute abend genauer über seine Verhältnisse unterrichten, und wenn die Prüfung auch da zu seinen Gunsten ausfällt — so will ich in Gottes Namen das schiverste Opfer meines Lebens bringen, um Dich, niein Kleinod, glücklich zu sehen."

An

diesem

Nachmittag arbeitete er nicht mehr, und Erika

selbst konnte der bedeutsamen Entscheidung, die

ihr der heutige

Abend bringen sollte, nicht ungeduldiger entgegen harren als der halb erblindete Greis, der ruhelos in seinem Zimmer auf

und niedcrivanderte, um horchend stehen zu bleiben,

so

oft er

691

das Geräusch von Schritten auf den Kieswegen des Gartens zu vernehmen meinte.

Die abendliche Dunkelheit hatte bereits ihre Schatten über das waldumkränzte Thal geworfen, als endlich die Glocke anschlug, deren Klang den beiden sehnsüchtig wartenden Herzen nichts anderes verkünden konnte, als Herbert Ellcsmeres Er¬ scheinen. Erika flüchtete in ihr Giebelstübchen hinauf, und der Professor warf sich univillkürlich ein wenig in die Brust, wie es einem Mann wohl ansteht, der solche Kostbarkeiten zu vergeben hat. Gleich darauf wurde an die Thür des Arbeitszimmers geklopft; aber es war nur das wohlbekannte Klopsen seines Dieners, und im gleichgültigsten Ton meldete ihm der junge Mensch: „Der Hausdiener von der Billa Belvedere hat soeben diesen Brief für den Herrn Professor abgegeben." Eine furchtbare Ahnung legte sich zentnerschwer auf die Brust des alten Mannes. „Rufen Sie meine Tochter!" brachte er mit Anstrengung hervor. „Sagen Sie ihr, daß ich sie dringend bitten ließe, zu mir zu bemühen." Kaum zwei Minuten vergingen, bis sie erschien. Auch ihre blauen Augen öffneten sich weit vor Uebcrraschung, als sie den Vater allein fand, und als sie seine verstörte Miene sich sogleich

sah.

Mit

zitternder Hand hielt ihr Fabricius den noch un¬

erbrochenen

„Er

Brief entgegen.

ist nicht gekommen, sondern er hat geschrieben.

Sage

mir um Gottes willen, Erika, was das bedeutet!" Der Umschlag, den ihre Finger gelöst hatten, fiel zu Boden, und sie las; aber nicht laut und vernehmlich, wie der Professor es erwartet hatte, sondern still für sich in einem angstvoll über die Zeilen hinirrenden Blick und einem Gesicht, das innerhalb weniger Sekunden die durchsichtige Blässe und Starrheit des Marniors angenommen hatte. Sie stieß keinen Schrei des Entsetzens aus, und sie siel auch nicht in Ohnmacht, aber als ihr Vater in fieberhafter Spannung fragte:

„Nun, willst Du niir denn nicht mitteilen, Kind, was Briefe steht —" da erwiderte sie mit einer völlig tonlosen Stimme, die er kaum als die ihrige erkannte: „Es ist alles aus, Vater! — Er wird niemals kommen. Aber diesen Brief — ich kann ihn Dir nicht vorlesen — ich in

diesem

Und es ist ja auch gleichgiltig, was darin steht. Ellcsniere nennt sich selbst einen Nichtswürdigen. Ist das noch nicht genug?" „Aber ist es denn möglich?" ries Fabricius, und zivei „Mein Kind — Helle Thränen zitterten in seinen Wimpern. mein armes, geliebtes Kind — wie wirst Du dies Entsetz¬ kann nicht.

ertragen!" „Wie es sich für Deine Tochter geziemt!" erwiderte sie „Laß mich nur diesen Abend allein auf meinem Zimmer fest. bleiben; morgen — das gelobe ich feierlich — morgen werde ich Dir mit keinem Wort der Klage oder des Jammers mehr lästig fallen." Er hätte sie zwar viel lieber bei sich behalten, um so mehr, als er ja noch gar nicht wußte, was in deni unglück¬ seligen Brief stand, aber es dünkte ihn eine Grausamkeit, ihr die Bitte zu versagen, die sie aus verziveifelndeni Herzen an liche

ihn richtete, und es wäre das sicherlich die erste Grausamkeit die er seit der Stunde ihrer Geburt an ihr So küßte er sie zärtlich auf die Stirn und begangen hätte. Aber als sie bät sie mit zitternder Stimme, tapfer zu sein. daun gegangen war, tastete er nach dem Brief und niachte sich daran, ihn mit Hilfe des kläglichen Restes, der ihm von seinem Augenlicht noch geblieben war, ohne fremden Beistand gewesen,

Er mußte das Blatt han unter die Lampe halten und mußte sich der verschiedensten Gläser und Lupen bedienen; trotzdem aber ivärc ihm die niühcvolle Arbeit sicherlich nicht gelungen, wenn Herbert Ellcsmeres Schrift nicht so schöne und gleichmäßige Charaktere gezeigt hätte. Nach langer Qual war er endlich mit seinem Vorhaben zu¬ stande gekommen und hatte gelesen: zu entziffern.

„Herr Professor!

Der verdammenswerteste und zugleich der unglücklichste aller Menschen ist cs, der vor Sie hintritt mit dem Bekenntnis, daß er ivie ein Ehrloser au Ihrer Tochter und an Ihnen gehandelt hat. Zu derselben Stunde, da mau Ihnen diesen Brief übcrgiebt, crivarten Sic mich ohne Ziveifcl als Beiverbcr um Fräulein Erikas Hand. Sie haben ein Recht dazu, und doch kann ich Ihrer Erwartung nicht entsprechen. Ich darf meinen Arm nicht ausstrecken nach dem köstlichsten Glück; ich kann nicht mit einem Schlage menschlichen Gesetze zertrümmern, die es Aber ich habe auch nicht den Mut, Ihnen

und

die göttlichen

mir verbieten.

von Angesicht zu Angesicht zu sagen, daß Sie die Thür Ihres Hauses einem Elenden geöffnet, daß Sie Ihr gro߬ herziges Vertrauen einem Nichtswürdigen geschenkt haben. Erlassen Sie es mir, denn an den traurigen Thatsachen würde durch eine persönliche Besprechung nichts mehr ge¬ ändert werden können. Ich bin in der verziveifeltcn Lage eines Menschen, der nichts zu seiner Entschuldigung anzu¬ führen vermag; ich muß die ganze Last Ihres Abscheus und Ihrer Verachtung aus mich nehmen ohne jede Hoffnung, daß Sie jemals dahin gelangen könnten, mir zu verzeihen. Eine ivie furchtbare Strafe dies Bewußtsein für mich bedeutet, können Sie nicht ahnen, und ich darf nicht versuchen, es Ihnen zu schildern; denn Sie würden cs mit Recht für eine neue Beleidigung halten, wenn ich noch einmal wagen wollte, So von meinen Empfindungen für Ihre Tochter zu reden. bleibt mir nur noch die Pflicht, meine vcrabscheuenswürdigste Persönlichkeit für immer aus Ihrem Gesichtskreis zu ent¬ fernen, und der Wunsch, daß dadurch in nicht zu ferner Zeit auch mein Name in Ihrem Gedächtnis erlöschen möge."

„Ah, der Erbärmliche!" rief Fabricius, und seine armen, „Er zieht sich blinden Augen sprühten in maßlosem Zorn. zurück, ohne daß es ihm auch nur einfiele, einen Grund für Aber er täuscht seine schändliche Handlungsweise anzugeben. damit alles Ende Er soll zu sei. glaubt, daß sich, wenn er Noch habe ich doch wohl Kraft genug, einen Buben zu züchtigen, der die Ehre meines Hauses zu beschimpfen wagte."

mir Rede

stehen.

Er klingelte nach seinem Diener und befahl, ihm Hut und Stock zu bringen. Daun nahm er den Arm des jungen Mannes und sagte: „Führen Sie mich jetzt nach der Villa Belvedere — aber schnell, denn ich habe keine

Er war

Zeit zu verlieren."

fast atemlos, und aus seiner hohen Gclehrtenstirn

perlte der Schweiß, als sie das Ziel ihres Weges erreichten. Der Diener mußte die Glocke ziehen, und sobald ihnen von innen geöffnet wurde, verlangte Fabricius in befehlendem Tone, Mr. Herbert Ellcsniere zu sprechen. Aber eine uner¬ wartete und völlig niederschmetternde Antwort wurde ihm zu teil. „Die englischen Herrschaften sind schon vor zwei Stunde» samt und sonders nach dem Süden abgereist. Die Wärterin meinte, daß sie der kranken Dame wegen nach Nizza gingen. Aber der Entschluß muß sehr plötzlich gekommen sein, denn heute morgen hieß es noch, daß sie den ganzen Sommer hier zubringen würden." — (Schuch foi n t.)

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Auf einem anderen:

Der Gebettrppich.

„El-cheir fi-inä wäka“

'rtfn jeder größeren Teppichmannfaktnr findet inan ein reichhaltiges

E

Lager jener kleinen schmalen Teppiche, sogenannter Carpets, die vom Publikum mit Vorliebe als Vorleger für Betten oder Divans nnd Sofas benutzt werden. Gewöhnlich sind es Knüpsleppiche, bei deneii also die plüschartig emporstehenden Woll- oder Seidenfäden in die Kette mit der Hand eingeknüpft sind. Diese Technik, die bekanntlich im Orient seit alter Zeit geübt wird, ist auch von unseren deutschen Tcppichmanufaktnren in Schmiedeberg, Kottbus, Springe bei Hannover, Görlitz, Wurzen, Reneudorf bei Potsdam und Ansbach bereits seit einer Reihe von Jahren über¬ nommen worden. Bei jenen Carpets findet man meist eine Mnsternng, die eine gewisse Aehnlichkeit mit einer Nische besitzt. Diese Nische ist ent¬ weder einfacher oder reicher gestaltet oder bleibt nur beschränkt ans die obere, giebelartige Bedachung. Immer aber ist die Absicht, dieses Architektnrmotiv darzustellen, erkennbar. Die Käufer solcher Carpets haben meist keine Ahnung, ivas die Nische bedeuten soll, »nd weshalb sie überhaupt als Musterung des Teppichs gewählt wurde. Sie raten hin und her, ohne in beii meisten Füllen das Richtige zu treffen. Diese Carpets sind, um es kurz zu sagen, Kopien orientalischer Gebetteppiche.

Der Orient ist das Ctammland der Webeknnst, und in seinen Teppiche» hat er schon in vormittelalterlicher Zeit eine Höhe der Leistungsfähigkeit erreicht, gegen welche die der abendländischen Völker erheblich zurücktrat. Seit dem Auftreten Muhammeds uiid der be¬ ginnenden Ausbreitung des Mnhainmedanisnins hat der Orientale, sofern er ein Anhänger des Propheten ist, mit besonderer Vorliebe den Gebetteppich gewebt. Und das hat seinen bestimmten Grund; denn befindet sich der Rechtgläubige auf der Reise, oder ist er gar ein Romade, der keinen festen Wohnsitz hat nnd auf der ewigen Wanderschaft durch Steppe und Wüste begriffe» ist, so vertritt der Gebetteppich geradezu die Stelle der Moschee. Die Rische, die als Muster in den Gebetteppich eingeknüpft ist, bedeutet nichts weiter als jene Rische an der Moschee, an der der Sohn Muhammeds seine täglichen Gebete zu verrichten pflegt. Mehrere Gebetnischen befinden sich an der Außenmandnng einer jeden Moschee. Sie heißen im arabischen mihräb, Mehrzahl mahärlb, nnd zeigen die Kibla an, die Richtung nach Mekka, wo Vor der Gebetnische steht sich das Grab des Propheten befindet. mit zugewandtem Antlitz der Vorbeter und hinter ihm die Menge der Gläubigen, die sich im Gebet und in ihren Bewegungen genan nach jenem richtet. Die architektonische Gestaltung der Gebetnische Hängt selbst¬ frühmittelalter¬ verständlich von der Architektur der Moschee ab. licher Zeit deckte nian die Lichtöffnungen und demgemäß auch die Rischen mit zwei schräg gegeneinander geneigten Steinbalken ab, später wurden diese Balken steiler gegeneinander gerichtet, so daß der Winkel im Treffpunkte spitzer wurde; dann kam der Bogen auf, kielartig, hufeisenartig, treppenartig nnd später immer phan¬ tastischer, so daß er oft große Aehnlichkeit mit dem Tudorbogcn der englischen Gotik besitzt. Alle diese Wandlungen hat auch die Gebetnische auf dem Gebetteppich mitgemacht, so daß ihre Ge¬ staltung einen Anhalt zur Altersbestimmung eines solchen Teppichs giebt. Aber schließlich hat der Nomade, der fern aller Kultur einsam sein Leben verbringt, de» Zusammenhang der Nischenfigur ans dem Gebetteppich mit der Gebetnische der Moschee vergessen, nnd er begnügt sich lediglich mit einer giebelartigcn Spitze ans dem Teppich, während das Bild der Rische durch phantastische Alle neueren Teppiche, Ornamente nnd Buchstaben ersetzt wird. die die Nomadenfrauen geknüpft haben, lassen daher den Znsammenhang mit der Gebetnische der Moschee nur noch ahnen. Klar und deutlich jedoch ist sie wieder ausgeprägt auf den modernen abendländischen Carpets; denn aufmerksam gemacht von hervor¬ ragenden Orientalisten, insbesondere von Professor Pr. Joseph Rarabacek in Wien, wühlte man zum Kopieren die alten Exemplare des Orients, ans denen die Gebetnische vollkommen iviedergegeben Auch die von Abendländern, insbesondere von Engländern, ist. Franzosen nnd Deutschen in Kleinasien und Persien errichteten Manufakturen, die dort unter Benutzung der geübten nnd an¬ spruchslosen heimischen Arbeitskräfte Teppiche knüpfen lassen, brachte» das alte Rischenmuster wieder zu Ehren. Diese alten Exemplare weisen auch meist inhaltsvolle Sprüche aus dem Koran oder andere Sinnsprüche ans, die zwischen den Pfeilern der Rische auf dem Grunde oder in den Winkeln des Giebels oder des Bogens eingeknüpft sind. Stets sind die be¬ tressenden Schristzügc ornamental umgestaltet, so daß der Laie kaum merkt, daß er Schriftcharaktere vor sich hat. Gerade in der ornamentalen Umgestaltung der Buchstaben haben jene Verfertiger der Teppiche in alter Zeit eine große Meisterschaft bekundet. Da heißt es auf einem:

In

.,dskir Alliih nur el-imän“ Die Erinnerung an Gott ist das Licht des Glaubens.

„Das

Beste liegt in dem, was geschehen ist."

Aus einem dritten ist nur die Anrufung Gottes „Alläh-ilKurz, eS kommen zahlreiche Verschiedenheiten vorhanden. vor, die aber immer dem frommen Zweck des Teppichs Rechnung tragen. Außer den Inschriften finden sich auch noch andere sinnvolle Verzierungen. Eine der gebräuchlichsten ist jene des Lebensbanmes, der meist von pyramidaler Gestalt den Raum in der Nische Vornehmlich zwischen den Säulen der Bedachung einnimmt. weisen persische Gebetteppiche diesen originellen und wirkungs¬ vollen Schmuck auf. Zwei heilige Bäume versetzten die alten Perser ins Paradies, den Allsamen, von dem die Samen aller Bäume auf die Welt herniederregnen, sobald der sich der auf ihm horstende Falke niederläßt und vermöge seiner Schwere tausend Acste bricht, und der weiße Haoma in der Quelle Arckviyura Anähita, deren Wasser dein Unsterblichkeit verleiht, der von ihm genießt. Um den weißen Haoma stehen denn auch alle heilsamen Bäume der Welt. Bei den Muhammedanern entspricht dem Allsamen die Sidre, ein Baum, der im siebenten Himmel zur rechten Seite des Thrones Gottes steht, und über den hinaus sich kein Himmelsbewohner verfügen darf, daher der Baum auch „die Sidre des äußersten Endes" heißt. Mitten im Paradiese steht der zweite Baum, der Thüba- oder Lebensbanm, unter dessen Schatten der fromme Muslim, falls er Zeit seines Lebens die Gebote streng beachtet, das künftige Leben in Freuden getiießen

Alläh“

wird. Wie benutzt nun der Orientale solche Gebetteppiche? Run, er breitet zur Stnitde des Gebets den Teppich derart auf dem Boden aus, daß die Spitze der Rischenfignr gen Mekka znm Grabe des Dann wirft er sich auf den Teppich Propheten gerichtet ist. nieder und verrichtet das Gebet, indem er sich wiederholt nach Mekka hin verbeugt. Solche Gebetteppiche gelten in den Familien als geradezu geheiligte Stücke des Inventars, und nur in äußersten Nothfällen, wenn der Hunger alle Widerstandskraft bricht, werden sie ver¬ äußert. Und wenn die Romadenfrau solche Teppiche knüpft, oft während des Wanderznges hoch oben auf schwankendem Kamel, dann pflegt sie zuweilen fromme Gebete zwischen der Arbeit zu murmeln und zu betheuern, daß Gott Gott und Muhammed sein Prophet ist. Zur Vervollständigung dieser Skizze mag aber nicht unerwähnt bleiben, daß es nicht nur geknüpfte Gcbetteppiche, sondern auch solche gobelinartiger Natur gibt, bei denen also bunte Wollfäden zwischen llnter- und Oberfach der Kette genau wie bei den Gobelins durchgezogen werden. Diese gobelinartigen Gebetteppiche werden besonders in Transkankasien hergestellt, und zwar sind besonders beliebt im Handel mit orientalischen Tep¬ pichen die Snmak- oder Sumach-Teppiche, die, wenn sie ans neuerer Zeit stammen, au der Rückseite mit Fadeneuden übersäet sind, während bei den alten Exemplaren die Rückseite glatt wie die Vorderseite ist.

Es bedarf wohl kaum eines besonderen Hinweises, daß bismoderne abendländische Teppichfabrication, wenn sie die alten orientalischen Gebetteppiche für de» profanen Zweck der Bett- und Sosavorleger kopiert oder wenigstens die Gebetnischen als Muster benutzt, nur geringen oder gar keine» Beifall beanspruchen kann. Uns sagt solch eine Gcbetuische gar nichts, weil sie unserem Glauben fern steht. Wohl aber nehmen wir Anstoß daran, weil durch sie die Musterung der Carpets eine unsymmetrische wird; zeigt doch die eine Schmalseite den Sockel, die andere hingegen den Giebel Wenn es sich um eine ^Wandoder Bogen der Gebetnische. bekleidung handelte, also die Nischenfigur in senkrechter Stellung stehen würde, dann ließe sich die Wahl jenes Musters noch ent¬ schuldigen, vielleicht sogar verteidige». Als Fnßbvdenbelag aber hat der Teppich mit der Nischenfigur keine stilistische Berechtigung. Man kann nur wünschen, daß bei der Wahl der Muster selbständiger verfahren und die Erfindungskraft stärker als bisher angespannt werde. Zwar sind die Zeichner seit einigen Jahre» eifrig der der Arbeit, Neues und Interessantes zu schaffen; aber die Hinneigung zu den Vorbildern des Orients steckt ihnen noch immer stark in den Gliedern. Und dann kann auch nicht verhehlt werden, daß die Teppichindnstrie nicht die Aufgabe haben kann, die alten Pracht¬ teppiche des Orients, mögen sie auch noch so schön sein, lediglich zu kopiere», um die Sucht gewisser Käufer nach „echten" alten Teppichen zu. befriedigen, sondern daß sie die Verpflichtung hat, eigene Ideen, die dem geläuterten Geschmack der Zeit entsprechen, znm Ausdruck zu bringen, auf daß ihr Schaffen nicht lediglich als eine Nachahmung des morgenländischcn KnnstfleißeS erscheine.

Georg Bnß.

Aus China. Wekiug, das Ki der altchinesichcn Jahrbücher, das Kambalik des $$ vetenianischen Weltreisenden Marco Polo, erhielt seit 1279 durch Kublai Chan seine heutige Gestalt und Ausdehnung, ist also

eine Kulturstätte von einer vielhundertjährigeu Vergangenheit. Trotzdem überrascht die kaiserliche Residenz des „blumigen Reichs der Mitte" durch den Mangel an geschichtlichen Denkmälern und durch eine so regelmäßige Anlage, daß sie darin kaum von den Städtegründungcn ans ainerikanischem Boden überneuesten

troffei, wird.

Die größte Sehenswürdigkeit der „Hauptstadt des Nordens" das buntfarbige Straßenlcben, worin sich allerdings zwischen der Tataren- und der Chincsenstadt ein auffallender Unterschied Die Tatarcnstadt, der Sitz des herrschenden Volkes der zeigt. Maudschu, verharrt vergleichsweise in vornehmer Ruhe, schon weil sie die verbotene oder Purpnrstadt umschließt, deren orangegelbe Porzellaudächer über die roten Mauern der kaiserlichen Stadt emporragen. Breite und sonnige Straßen durchziehen die Stadt ist

der Tataren, eingefaßt von grauen Mauern, die nur hier und da Hinter den von einem schönen Thorbogen unterbrochen werden. Mauern werden die mit blauen und grünen Glasurziegeln gedeckten Dächer der Amtshäuser und der Vornehmen sichtbar, während bei

allen übrigen Gebäuden schlichte, graue Hohlziegel Verwendung gefunden haben. In der Tatarenstadt fehlt es an Theatern, Opinmund Theehäuser». Wer derartige Stätten der Unterhaltung und des Genusses der bezopften Unterthanen „des Sohnes des Himmels" sucht, hat sich nach der Chinesenstadt zu wenden, in deren engeren Straßen vom frühesten Morgen bis tief in die Rächt hinein ein überaus reges Leben herrscht. In langen Reihen fahren hier die kleinen, zweiräderigen EsclDie Vor¬ uud Maultierkarrcn die Ptraßen hinaus und hinab. nehmen und die Würdenträger benutzen znm Vorwärtskommen die Sänften, minder Beniitteltc den zweisitzigen chinesischen Schub¬ Reiter und mit Waren hochbcpackte Kamele suchen das karren. dichte Gedränge der Fußgänger zu durchbrechen, zwischen denen fliegende Händler, Restaurateure und Barbiere, Quacksalber und Geschichtenerzähler mit lautem Geschrei ihre Thätigkeit in empfehlende Ernnerung bringen. Mit allerlei Gebrechen behaftete Bettler suchen in nicht selten aufdringlicher Weise das Mitleid der Vorüber¬ Die die Straßen einfasseudeu einstöckigen gehenden zu erregen. Häuschen werden von hohen, schlanken Pfeiler» überragt, von

verschiedenfarbige, schmale Holzschilder herabhängen; in goldenen Schristzeicheu ausgesührte Inschriften geben Kunde davon, welches Geschäft in jedem der Häuser betrieben wird. Unter den Dächern dieser Häuser ziehen sich oft mit geschnitzten Balustraden Dann und mann zeigt die Straßen¬ versehene Galerien hin. front eines Gebäudes reiche Vergoldung und Bemalung. denen

Bisweilen stehen inmitten der Straßen noch lange Bndenreihen. Fisch-, Fleisch-, Gemüse-, Porzellan- und andere Märkte versorgen die Stadt mit dem alltäglichen Bedarf. Ueber allein aber lagert ein stauberfüllter Dunst, der in den Regenmouaten Juli und August durch knietiefen Morast auf allen Straßen abgelöst wird. Freilich rinden sich hier und da noch Spuren einer regelrechten Pflasterung, aber der öffentliche Wegebau liegt in China schon längst im argen. Dieser Mißstand hat um so weniger Abhilfe zu erwarten, als ihm die Abneigung aller Orientalen gegen die Ausbesserung verfallender Bauten auf mehr als halbem Wege entgegenkommt.

r Behaglicher und erfreulicher gestaltet sich ein Ueberblick iif>e BefcstigungSerbauten die Stadt von der Höhe der 1420 und 1553 mauern aus. Der Staub und Schmutz der Straßen drängt sich

hier nicht mehr dem Beschauer auf, der vielmehr zwischen dem Einerlei der chinesischen Wohnhäuser die Wipfel zahlreicher Zierund Obstbäume auftauchen sieht.

An baulichen Sehenswürdigkeiten bietet die Umgebung Pekings mehr als die Hauptstadt selbst; namentlich sind die Thäler der im Norden aufsteigenden, streckenweise sogar schön bewaldeten Berge reich an Tempeln, Pagoden, Lnstschlösser» und pietätvoll gehegten Grabstätten. In einem von Süden her fast offenen Thalkessel des Gebirges Küntu-schan befinden sich die Mausoleen der Miugdynastic, die 1368 bis 1644 die Geschicke des damals blühende» Reiches lenkte. Zu dieser Gräberstadt führt eine gerade, mit Steinplatten belegte Straße, deren Beginn ein aus Marmor und Ziegelsteine» aufgeführtes Eingangsthor bezeichnet. Nachdem der Wanderer einen zweiten Portikus durchschritten hat, erblickt er zu beiden Seiten der Straße mächtige Steinbilder von Pferden, Kamelen, Elefanten, Löwen, Kriegern und Mandarinen, gleichsam gigantische Wächter jener Nekropole, in der das letzte einheimische Heiischergeschlcchr Chinas seine Ruhestätte gefunden hat.

694

Königin Wilhelmina nnd ihr Bräutigam. 17. Oktober wurde die Verlobung der Königin der Nieder¬ lande mit dem Herzog Heinrich von Mecklenburg-Schwerin amtlich bekannt gemacht, lieber die liebenswürdige junge Fürstin ist schon so viel geschrieben worden, daß es schwer fällt, etwas neues zu ihrer Charakteristik beizubringen. Anders liegen die Ver¬ hältnisse mit dem Bräutigam, der ans seinem bescheidene» Garnisvnsleben plötzlich in den Vordergrund des allgemeinen Interesses gerückt wird. Einer seiner früheren Lehrer behauptet von ihm in schmeichel¬ hafter Weise: „Ein Mensch wie Gold würde man von einem andern Sterblichen sagen, der dem Herzog Heinrich gliche. Mit einem sehr hellen Verstände verbindet Herzog Heinrich eine seltene Festigkeit des Charakters nnd Willens, ein ganz ungewöhnliches Maß von Pflichtbewußtsein, weitgehendes Interesse für alles Wissens¬ werte, eine große Herzensgute und ein tiefes Gefühl der Dank¬ barkeit für diejenigen, denen es vergönnt war, seine körperliche und

Mm

es

späten Lebensabend Dinge vollbracht hätte, die anderen kaum auf der Mittagshöhe ihres Lebens gelingen. War er auch kein Mehrer, so war er doch ein treuer Verwalter des ererbten Besitzstandes. einem Handschreiben erkennt der Kaiser die treue Pflichterfüllung seines Kanzlers an. Der Kaiser schrieb:

In

So ungern Ich Sie auch aus Ihren bisherigen Stellungen im Reichs- und Staatsdienst scheide» sehe, so babe ich doch geglaubt. Mich nicht länger dem Gewicht der Grunde, die Ihnen die Befreiung von der Bürde Ihrer vcrantwortungsrcichen Aemter wünschenswert erscheinen lasse», verschließen zu dürfen. Ich habe daher Ihrem Antrage auf Dienstentlassung mit schwerem Herzen stattgegeben. Es ist mir Bedürfnis, Ihnen bei dieser Gelegenheit, wo Sic im Begriff stehen, eine lange und ehrenvolle Dienstlaufbahn abzuschließen, für die langjährigen treuen und ausgezeichneten Dienste, ivelche Sie in allen Jbne» übertragenen Stellungen dem Reich und Staate, sowie Meinen Borfahren und Mir mit aufopfernder Hingebung nnd unermüdlicher Pflichttreue unter den schwierigsten Verhältnissen geleistet haben. Meinen wärmsten Dank »och besonders anszusprechcn. Möge Ihne» nach einer

Hrrzog Heinrich von Mecklenburg-Schwerin.

Königin Wilhrlmina von Holland.

Ausbildung zu fördern. Der eifrige Jäger, der keine Strapazen nnd keine Gefahr scheut, ist auch ein Jägeroffizier von regstem Diensteifer und echt soldatischem Wesen, einfach und schlicht liebenswürdig, ist er der Liebling seiner Kaineraden, schlicht, offen und gewinnend, auch der Liebling seiner Mecklenburger. Heiteren Tempcrainents, dabei aber des nötigen Ernstes nicht entbehrend, geistige

jngendfrisch nnd dabei durch Weltreisen über einen weite» Gesichts¬ kreis verfügend, ist Herzog Heinrich als eine sehr glückliche Wahl sowohl für das zukünftige Familienleben am Haager Hofe, als auch für die Niederlande zn bezeichnen."

fo thatenreichcn Vergangenheit durch Gottes Gnade ein langer und glücklicher Lebensabend befchiedeu sein. Als äußeres Zeichen Meiner Anerkennung und Meines danerudcn Wohlwollens ver¬ leibe Ich Ihne» den hohen Orden vom Schivarze» Adler mit Brillanten und lasse Ihnen dessen Insignien hicrneben zugehen.

Ich verbleibe

^

6^er einundachtzigjährige Fürst Hohenlohe hat am 17. Oktober seine Aemter als Reichskanzler und preußischer MinisterDie Last der Jahre machte es ihm Präsident -niedergelegt. unmöglich, der schweren nnd verantwortungsvollen Aufgabe als Leiter der Reichspolitik gerecht zu werden. Er hatte ein schweres Opfer gebracht, als er vor sechs Jahren in einem Aller, in dem sich andere zur wohlverdienten Ruhe setzen, an die Spitze der Regierung trat. Welterschütternde Thaten hatte niemand von ihm erwartet,' es wäre auch wider die Natur gewesen, wenn er am

wohlgeneigter und dankbarer Kaiser und König Wilhelm, I. N.

Homburg v. d. H., den 17. Oktober 1900.

Fürst Hohenlohe, der die Gymnasien in Ansbach und Erfurt dann in Lausanne, Göttingen, Heidelberg und Bonn studierte, begann seine Beamtenlanfbahn in Preußen; er wurde zunächst Auskultator beim Jnslizamt in Ehrenbreitstein, später Negierungs-Referendar in Potsdam und Breslau. Als indessen sein älterer Bruder Viktor das dem Hanse Hohenlohe zugefallene Herzogtum Ratibor übernahm, wurde Prinz Chlodwig Majoratsherr auf Hvhenlohe-Schillingsfürst nnd trat als erbliches Mitglied in die bayerische Kammer der Reichsräte. Hier fand er zuerst Ge¬ legenheit, de» nationalen Sinn zu bethätigen, der ihn in allen Lagen des Lebens ausgezeichnet hat. Jin Herbst des Revolntionsjahres 1848 erwarb er sich seine diplomatischen Sporen, da ihn der Reichsoerweser zu seinem Gesandten beim Papst, beim Gro߬ herzog von Toscana und in Griechenland ernannte. Die mit dem besuchte und

Der Kanzlrrwechsel.

Ihr

69ö

Jahre 1866 einsetzende Umgestaltung ui Deutschland rief ihn wieder auf 31. Dezember desselben Jahres bis bayerischer Ministerpräsident: noch

der politische» Verhältnisse die politische Buhne. Vom zum 7. März 1870 war er

vor Ausbruch

dentschMehrheit des

des

Krieges schied er wegen seiner der Abgeordnetenhauses nicht genehme» kirchenpolitische» Haltung ans dem Amt, aber er hatte vorgesorgt, daß in der entscheidenden Stunde Bayern den Anschluß an Rorddentschland fand. Bernhard von Biiloiv wurde am 3. Mai 1819 zn Klein-Flottbach in Holstein geboren. Er studierte in Lausanne, Leipzig und Berlin Rechts- und Staatswissenschaften »nd machte den dentsch-französischen Krieg als Offizier mit. Nach dem Friedensschluß wandte er sich wieder dem Studium zn und legte im Jahre 1872 die erste juristische Prüfung ab, worauf er zunächst beim Landgericht und dann beim Bezirkspräsidinm in Metz beschäftigt wurde. Da er sich nicht ans seine Fachwissenschaft beschränkt, sondern mit hellem Geist sich eine umfassende, allgemeine Bildung angeeignet hatte und ihn gesellige Talente in hervorragendem Maße auszeichneten, mußten ihm in der diplomatischen Laufbahn die besten Aussichten winken. Nachdem er von 1874 ab im Auswärtigen Amt gearbeitet hatte. sranzösischen

Kleine Mitteilungen. Gubener Weinlese. Der Gartcnbauvcrcin

selbständigen Posten versah er zuerst mährend des russisch¬ Petersburg, wo türkischen Krieges als Geschäftsträger in Athen. er namentlich bei den Verhandlungen über die bulgarische Frage mehr in den Vordergrund getreten war, war eine Vorschule für seine Thätigkeit am Balkan. 1888 wurde er Gesandter in Bukarest, wo er Gelegenheit halte, für die Annäherung Rumäniens an Deutschland und für den Abschluß des deutsch-rumänischen Handels¬ vertrages zn wirken, die beide während seiner Amtsführung zu stände kamen. Im Dezember 1893 wurde der Bukarester Gesandte als Nachfolger des Grafen Solms-Sonncnwalde zum Botschafter in Rom ernannt, im Januar trat er den Posten an, ans dem er dreieinhalb Jahr eine ersprießliche Thätigkeit entwickelte, bis er in das Auswärtige Amt berufen wurde.

Jahre

feiert in

sei»

eigenem Ermessen die Festlichkeit, wie auch die Weinbergsbesitzer die Feier der Weinlese abweichend vornahmen. Die im Voidergrund stehende Fcuerwerkerei übte namentlich ans die Jugend einen nngehenren Reiz ans. Ans allen Bergen wurden zusammengetragene Rcbeubündel, alte

«ras Sülow.

Fürst Hohenlohe.

trat er 1876 als Attache an der deutschen Botschaft in Rom unter Herrn von Kendell in den eigentlichen diplomatische» Dienst ein. Ans dem Berliner Kongreß 1878, ans dem sein Vater, der da¬ malige Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, »eben Bismarck und dem Fürsten Hohenlohe als Vertreter des Deutschen Reiches fungierte, war er dem Sekretariat beigegeben. Zwei Jahre darauf kam er als zweiter Botschaftssekretär nach Paris, wurde 1883 dort erster Botschaftssekretär und im folgenden Jahre in gleicher Eigenschaft nach Petersburg versetzt. Einen

zn Guben

fünfzigjähriges Jubiläum und eröffnete ans diesem Anlas; am 22. September unter dem Protektorat des Prinzen Heinrich Der Gartenbau zu Schönaich-Carolath eine Gartenban-Ausstellnng. hat seit Jahrzehnten die früher herrschende Nebe ganz verdrängt, und wenn auch noch die Winzer geblieben sind, wenigstens dem Namen nach, so habe» sie doch selber an Stelle ihres Winzerocreins den Bereit, der Obst- und Gemnsegürtner gesetzt. Sicherlich finden die Winzer beim Obst- und Gemüsebau, der hier außerordentlich intensiv betrieben wird, ihre Rechnung ungleich besser als bei der Kultur der unzuverlässigen Rebe. Die veränderten Verhältnisse rufen in uns die Erinnerung an jene Tage wach, wo es den Gubener Kindern noch vergönnt war, die frcude- und glanzvollen Tage der Weinlese zu begehen. Ursprünglich wurden die Festtage durch die Ortsbchörde festgesetzt, die auch an einzelnen hochgelegenen Punkte» der Berge Hotz zur Abbrennung in der Dunkel¬ heit anfahren ließ. Später veranstalteten die einzelnen Tabagiecn nach diesem

Baumzackcu, zerrissene Tecrbänder grls Kien benutzt) und sonstiges Brennbare angezündet und mit unermüdlichem Eifer bis in die Nacht hinein genährt: auch Tecrtonnen waren sehr beliebt, nicht minder eine Reihe teergetränkter alter Besen. Ans den Besitzungen ivohlbabenderer Bürger stieg ivohl auch ein regelrechtes Feuerwerk ans, und das Schieße» in den Weinbergen hörte gar nicht auf. Eine alte Flinte gehörte mit zur Ausstattung eines Berghäuschens: sie wurde allerdings auch mit¬ unter benutzt, um zur Nachtzeit Schreckschüsse gegen Diebe abzugeben, wobei mau auch Mittel anwandte, die ausreichend waren, den Dieb vor etwaiger Gleichgiltigkeit gegen blindes Schießen zu bewahren. Heute ist die Feier der Weinlese nur noch in schwachen Zügen vor¬ handen: sie würde wahrscheinlich in ihrer ursprünglichen Urwüchsigkeit C. R. auch gar nicht mehr geduldet werde» können. Ungnade! Nach der Schlacht bei Kolli» zog sich Prinz Anglist Wilhelm, der Bruder Friedrichs des Großen, gegen dessen Ordre, vor den Ocstcrrcichern, deren Hauptmacht ihn bedrohte, bis nach Zittau zurück. Unterwegs verlor er gegen 10 000 Man», viel Artillerie und seine ganze Bagage. Ter König empfilig ihn am 29. Juli in Bautzen sehr ungnädig. Als der Prinz in Begleitung des Herzogs von Bevern, des Prinzen von Württemberg und seiner übrigen Generäle ans ihn zuritt, lenkte Friedrich sein Pferd so, daß er seinem Bruder den Rücken zudrehte: er drehte sich erst nach einer Viertelstunde unt, sah aber den Prinzen nicht an. sprach kein Wort, sondern nahm nur flüchtig den Hut ab. Endlich rief er den General von der Goltz zu sich und sprach in erregtem Tone: „Sag' Er meinem Bruder und allen seinen Gcnerälrn, wenn ich gerecht handelte, könnte ich ihnen allen den Kopf vor die Füße legen lassen." Der Prinz wollte ihm den Rapport über-

In

derselbe wurde ihm ans der Händ gerissen, August Wilhelm lchricb nun an den König: „Ich bin vollkommen davon überzeugt, daß ich nicht in eigensinniger Laune verfahren bin. Ich bin nicht den Rat¬ schlägen unfähiger Leute gefolgt, ich habe gethan, was ich von Nutzen für die Armee hielt. Alle Ihre Generäle werden mir darin recht geben. Ich halte cs für unnütz, Sie zu bitten, mein Benehmen prüfe» zu lassen, Sie würden mir damit eine Gnade erivcisen, und die kann ich nicht er¬ warten." Friedrich der Große aiitwortete darauf: „Ihr schlechtes Be¬ nehmen hat meine Angelegenheiten zu Grunde gerichtet: nicht die Feinde, sondern Ihre schlecht genommenen Maßregeln haben das zu Stande gebracht. In dieser traurigen Lage bleibt mir nichts anderes übrig, als die äußerste Verlegenheit. Ich werde mich schlage», n»d wen» wir nicht siegen können, werden wir uns alle töten lassen. Ich beklage niich über Ihre Unfähigkeit und Ihre geringe Urteilskraft. Wer nur »och inenigc Tage zu leben hat. der versteht nicht zu heucheln. Der größte Teil des Unglücks, das ich voraussehe, kommt einzig und allein von Ihnen her; die Schuld daran drückt Sie inchr als mich." Ter Prinz bat um Erlaubnis, mit dem ersten abmarschierenden Truppen¬ teile nach Dresden zu reisen. Friedrich ließ ihm mitteilen, daß noch an demselben Tage Truppen dahin abgingen. Von Dresden ans begab sich Anglist Wilhelm nach Leipzig, wo man sich kaum getraute, den in Ungnade Gefallenen zu besuchen. Nur der Herzog Ferdinand von Brannschweig that dies. Tann ging der Prinz nach Berlin, wo er zu kränkeln anfing, und starb, erst 36 Jahre alt, am 12. Juni 1758 in Oranienburg. Friedrich der Große ivar über seinen Tod schmerzlich gerührt: er schrieb an den Feldmarschall von Kalkstein am 21. Juni 1758 ans dem Feldlager bei Prosnitz: „Mein teurer Marschall, eine Reihe von Unglncksfällcn, die mich seit einigen Jahren verfolgt, hat mir so¬ eben einen Bruder entrissen, den ich, trotz des Kummers, den er mir vcrnrsaäit, zärtlich-geliebt habe." Der Waldteufel von Neumark. In, Frühling des Jahres 1785 verbreitete sich in der Gegend des westprenßischen Städtchens Neumark das Gerücht, im nahen Walde streife ein fürchterlicher Waldteufel rimhcr und falle die ihm begegnenden Menschen an. Nicht lange, und viele Ncuniärker und Landleuic hatte» ihn mit ihren eigenen „gesunden" Augen gesehen. Ein Dorfschulze gab an Amtsstelle Folgendes zu Protokoll: „Eines Morgens ganz früh schlug ich im Walde Holz. Neben mir lehnte meine scharf geladene Flinte: denn man hatte mich davor ge¬ warnt, so ohne weiteres in den Wald zu gehen, in dem der Waldteufel banse. Plötzlich knackte cs im Gebüsch, und das Gespenst näherte sich mir. Es sah aus wie ein halbnackter, von der Sonne verbrannter Mensch. In der rechten Hand hielt es einen langen, dicken Knüttel, an dem eine riesige Art befestigt ivar. Ich faßte mir ein Herz, legte die Flinte an und wollte das Ungetüm totschießen. Aber ohne Furcht zu zeigen, schritt es langsani auf mich zu. Als es immer näher kam, er¬ innerte ich mich daran, einmal gehört zu haben, daß dergleichen Un¬ geheuer kugelfest seien. Da überfiel mich Zittern und Zagen, ich warf die Flinte weg und suchte mein Heil in der Flucht. Der Waldteufel eilte mir nach, und ich war nur froh, daß ich besser laufen konnte als er." Dieses Zusammentreffen des Dorfschulzen- mit dem Gespenst hatte zur Folge, daß sich niemand mehr in jenen Wald getraute, und die Knechte und Mägde sich weigerten, das Vieh dahin aus die Weide zu treiben. Endlich boten die Behörden die Bürgerschaft von Neumark und die Bauern der ganzen Gegend auf und befahlen, den Wald zu umstellen und den Waldteufel zu fangen. Furchtsam und vor jedem Geräusch erschreckend, drang inan in den Wald ein: aber was man fing-, waren nur ein paar Hasen, denn der Waldteufel konnte sich ja in feiner Eigenschaft als Gespenst unsichtbar machen: er war völlig verschwunden! Nach einiger Zeit tauchte er wieder auf. Am 80. Juni 1785 fuhr ein Töpfermeister ans Neumark mit seinem Lehrburschen längs dem Walde hin, um Lehm zu graben. Plötzlich hörte er ein fürchterliches Schnarchen. Es überlief ihn eiskalt, die Fabrleinc siel ihm ans der Hand, das Pferd, zog den Wagen weiter, und plötzlich sahen Meister und Lehrbnrschc den Waldteufel schlafend vor sich. Ter Meister überlegte nicht lange. Wenn das Ungeheuer erwachte, so war es um ihn geschehen. Kurz entschlossen sprang er vom Wagen, holte mit der Lehmhacke aus und versetzte dem Waldteufel einen so kräftigen Schlag auf den Kopf, daß das Gehirn iveit ninherspritztc: dann' fuhr er in die Stadt zurück und verkündete triumphierend seine Heldenthat. Zu seinem größten Erstaunen wurde dem Erschlagenen er von den Stadtgerichten gefänglich eingezogen. erkannte man einen seiner Fahne entlaufenen preußischen Dragoner, den mau längst schon steckbrieflich verfolgte. Der tapfere Töpfermeister erhielt als Strafe sechsjährige Fcstungsarbcit. reichen,

In

Der Raub der Viktoria vom Brandenburger Thor i»

einen Unbekannten in den jetzt äußerst selten geivordenen „Neuen Fakkcln" („ein Journal in zwanglosen Heften. Ziveitcr Band, erstes Heft. — Zerrissen ist des Truges goldner Jlvr, Tie Wahrheit hebt die Falkcl nun empor! — Deutschland 1818") zu folgendem wohlgemeinten Gedicht: Ihres Eifers starke Flügel Als man noch im Friedensschatten, Hielt Viktoria am Zügel. Wo sich Lieb' und Eintracht galten. dem Wagen, den sic zogen, Unter Friedrich Wilhelms Hand Seines Lebens Himmel fand; Stand sic, wie ein Fels in Wogen. Als noch nicht der Ivildc Krieger Fremde aus der weiten Ferne Gleich dem frechsten aller Sieger Weilten hier betrachtend gerne, Tilgte von der Baterflur Bliebe» ivie gefesselt stehn, Unsres Glückes goldnc Spur: Solch ein Kunsiivcrk anzusehii. Ja, cs war der Hauptstadt Zierde, Ach! da stand in seiner Pracht, Wo ein Friedrich einst regierte, Wie ihn schöne Kunst gemacht. Ter in hohem Siegesflug Auf dein Tbor ein crzner Wagen, Dessen Raub wir noch beklagen. Seiner Feinde Macht zerichlug. Ja, es war des Volkes Wonne, Rosse, voller Kraft und Leben.

Berlin durch die Franzosen

sich

mit mut'gem Streben,

Nach dem Ziele, solider Weilen, Rasch, wie

Himmel . . . Und aus der Wut im Schlachtgetümmel Stürzt sich hervor die Feindcöschar.

Mein Vaterland! dir droht Gefahr! Es kam ein branseiid Heer gezogen, So wild, als wie im Sturm, die Wogen; Es wälzt, mit Raub und Mord im Sinn, Sich eilends nach derHanplstadt hiii. Es faßt' ein ungestümer Schmerz Ter edlen Brennen blutend Herz. Nichts kann das ungerechte Walte» Der Feinde in den Schranken halten. Der Mann, der Eigentum nicht ehrte,

Ter fühllos Völkerhcil verheerte, Ter Fürstenthrone niederstieß.

Bande, Dem Bolk ein schönes Werk der Kunst entreißt. Entscheidet selber, wie der heißt . . Ter feige Dieb raubt nur bei Nacht, Am Tage der Barbar mit seiner Ueberniacht.

Wärst du ein Fürst, »nd wirst du nicht erschrecken, Nach fremdem Gute deine Hand zu strecken?

Kannst du mit dieser Beute prunken In Gallia, inte tief ist dann ge'nnkcn Ein Volk, das seinen Herrscher ehrt, Der nur durch Raub sein Gut vermehrt. Ich glaubt' es nicht in jenen Schrcckenstagen,

Taß uns entrissen würde dieser Wagen. Doch ach! uns schlug die grausen-

volle Stunde,' Wo er vom Thor genoinme» wurde, eine Wunde, Die noch der Rache Glut in unsern Herzen nährt. Und deren Schmerzen keine Zeit verzehrt. Was wir, der Hauptstadt Bürger, da empfanden. Als wir verzweifelt um den Wagen standen: Als wir ihn in der Feinde Klanen, Die uns verlachten, ruhig mußten schauen;

wagt's, in schauderhaften Bildern, Ta unsrer Seelen Wut zu schildern? Berlin, dein Denkmal ist dahin! O! wein' ihm nach mit trübem Wer

Sinn!

Der Mau» auf einem Throne, Stahl deines Thores Beraubt des Schmuckes, schönes

Krone.-

Thor,

Sturmwind, hinzueilen. Verantwortlicher Redakteur:

Tenii des Friedens Segensonnc linier Friedrich Wilhelms Schild Schien so hell, so freundlich, mild.

I)r. M.

Folticineano,

Durch das ich oft, im Frühlingsflor, Zum nahen Schattenhain hinwallte, Wo Philomelens Lied erschallte. Stellst du, wer deinen Wagen sah. Ihm nun entehrt, geschändet da.

Ach! du erinnerst an die Zeiten, Wo uns die schwerste» Erdenleidcn, Durch ihren Druck zur Erde beugten, Und Götter sich nicht helfend zu

uns neigten! redest noch von jenen Tagen, Wo uns des Feindes Lust, zu plagen

Du

Mit

Tenfelsknnst und voll Beistand Ter Hölle Mittel selbst erfand. Tie Zeit verbindet alle Schmerze», Und endlich trösteten sich Herzen. Wir dachten an den Wagen nach, Doch, frei von unsrer Feinde Joch, Erfreute der Besitz der bessern Güter, Die leidenden Gemüter.

Berlin. — Druck und Verlag:

Friedrich Schirmer, Berlin

Bon neuem stürmten um un? wilde Kriege, Und Deutschland war der Zeuge großer Siege, Die sich der Feind durch seine Ueberniacht errang. De»,, ivas er kühnlich wollte, schnell gelang. Erfrechet durch des Glückes Spiel, Setzt

sich

die Herrschsucht nimmer¬

mehr ein Ziel: Sie schreitet herzlos über

Blut und

Leichen, Und reckt die Räuberhand nach fremden Reichen. Roskoiviens Herrschaft sollte von

der Erden einem Schlag vertilget werden: Der stolze Sieger trug schon, ohne

Mit

Retten,'

Der kein Gesetz mehr gelten ließ: Zog ein in unsre Königsstadt, Entehrte sich durch eine That, Ich kann davon nicht schweigen, Sie hat ja hundert Zeugen. Er sah den Wagen auf dem Thor, Ta brach, wie aus der Höll', hervor Der Wunsch: ihn weg zu führen: Wir mußten ihn verlieren. Wer Sieger ist im Fcindcslandc, Und wie ein Oberhaupt von einer

begeisterte

In

Bäumten

Auf einmal donnerte der Schicksals-

Für Rußlands Völker mit

sich

Sklavcnkctten.

Halt ein!

halt ein!

du

frecher

Krieger, Himmel wohnt ein größrer Sieger! Siehst du des Frostes kalte Hand, Die schnell dir deinen Raub ent¬ wand? — Siehst du des Hungers grausamWeh

Im

in dem deine Legionen Schnee? — Du findest in der Flucht dein Glück, Und lässest Sterbende zurück! Nun setzt das junge Niesenheer Und

Der Brennen sich dir kühn zur Wehr: Und wider dich, wie eine Wolke, Zieht her die Schar vom NordenBvlkc. — Groß-Becrcn, Lübnitz (?), Dennewitz, Wo Feindesmacht und ihr Geschütz Ter Brennen Tapferkeit erlag. Die sich den Weg zum Ruhme brach. Das sind die Felsen, ivo die Franken Hinab von ihrer Größe sanken. Bei Leipzig ward die Völkerschlacht Geschlagen durch die Bundesmacht. Dir zürnt der Himmel, und kein Retter Naht helfend dir im Kriegcsiveticr! Ter Grimm der Völker ist erwacht, Verschwunden ist die Sklavcnnacht,

Sie sind mit Rache aufgebrochen Und haben ihre Schmach gerochen. Rhein, über deine raschen Wogen Sind schnell die Sieger hin¬ geflogen.

Das Rachschwcrt in derHeldcnhand, Stehn sie anjctzt im Frankenland. Sic nahn sich schon Paris, der Stadt, Die Völkergut verschlungen hat. Und da ist auch der Wagen, Um den wir jetzt noch klagen. —

O! Friedrich

Wilhelm,

diesen

Wagen Laß ja dem Feinde nicht! Wir bitte» drum, und müßten wir selbst tragen Sein zentnerschwer Gewicht. Dem Frankcn bleibe fürderhin von uns kein Zeichen, Mit dem er brüstet sich. Er mußte unsers Heeres Stärke weichen.

Dem keine Stärke glich. Und, stehst du iviedcr aus dem Thor, du Wagen.

Dann schlagen dankend wir an unser Herz,

lind wollen's freudejnbelnd allen sagen:

Ter Held und Vater, Friedrich W i l h e l i», hat den Schmerz, Ter uns zerriß, in Wonne um¬ gestaltet. Und Himmelfriedc ist's, der über

uus jetzt waltet! — Z» lange weilst Du, König, fern:

kehr' bald zurück. sich nicht nach Dir, Du, unsres Volkes Glück? komm, im Glanz von schönen

Wer sehnt

O!

Friedcnstagen,

wir: vergiß ja nicht den Wagen!

Und nochmals bitten

SW., Nenenburger Straße 14a.

Der Bär. Illustrierte Wochenschrift.

M.

„Oer Bär" erscheint jährlich 52 mal und ist durcb alle Buchhandlungen, Zeitungsspeditionen und Mastanstalten zu beziehen (Nr. 866 des Postkatalogs) und kostet vierteljährlich 2 50 Vf., — jährlich 10 M., Linzelheft 20 n jerti v ns preis für die 4 gespaltene Nonpareillezcile oder deren Rann» 50 Pf. — Beilagegebühr: 6 pro 1000 >tück inklusive Postgebühren — Inserate und Beilagen werden entgegengenonnnen von der Expedition des „Bär", SW., Neuenburgerstraße Ha, sowie von allen Annoncen-Lrpeditionen. — Fernsprecher: IV. Nr. 365».

I

pf.

26 Jnhrgnnfl.

M.

Ar. 44

Sonnvbnrd, 3. November >900.

Das Denkmal Louis Ferdinand in Halkerstadt. n diesen Tagen

wurde in Tausenden deutscher Herzen das

Gedenken wieder wach an die Helden von Möckern, Wachan

Hat aber der Oktober des Jahres 1813 den Waffen der Verbündeten Sieg und Ruhm verliehen, so ist und Probstheida.

Schimmelpfennig die Seinen vergebens zum Stehen zn bringen und siel, schon aus vier Wunden blutend, durch einen Säbelhieb des französischen Husareuwachlmeisters Guindet.

Den Namen des tapferen Prinzen Louis Ferdinand von Preußen

führt das 2 . magdebnrgische Infanterieregiment Nr. 27 in Halberstadt, auf dessen Grund und Boden — im Garten

nicht zn vergessen, daß sieben

Jahre vorher, gleichfalls im Oktober, für den Staat des

Großen Friedrich eine trübe



Zeit hereinbrach, daß aber auch in dem Leidensjahre 1806—1807 jene Läuterung in Staat und Gesellschaft

10. Oktober in Gegenwart des gesamten Offizierkorps ein dem vor 94 Jahren den Heldentod

einsetzte, die erst die gewaltige

gestorbenen

Erhebung

von

1813

des Regimentshauses

cr-

am

Hohenzollern-

Denkmal

sprossen gewidmetes

feierlich enthüllt worden ist.

möglichte.

Zn

den

Die

Lieblingen der

preußischen Armee

in

doppelter Le¬ einem Mo¬

und

des

bensgröße nach

Volkes hat

im¬

mer Prinz Louis Ferdinand

Bildhauers Haus Dammanu iu Charlvtten-

gehört, der Reffe des großen

burg

Königs, der mit hellem Blick frühzeitig die Schäden er¬

des Prinzen erhebt

preußischen

dell

Heer

seit

gegossene

Bronzebüste

sich auf auf einem roten Saudstein¬

kannt hatte, an denen das preußische

des

sockel,

Sinnbilder

den

des

Kriegs und des Sieges

dem

so¬

Heimgang Friedrichs Großen krankte, und der das Versagen der brüchig ge¬ wordenen Waffe ahnenden Schon Geistes voraussah.

wie die Chiffre

des

ments

zieren.

Die

Seiten

des

Stirnseite

„Prinz

im ersten Gefecht des Feld-

Ferdinand die Seite

von

Preußen,"

links

„Saalfeld

des

bei

Saalfeld

vier

Sockels weisen folgende Inschriften aus: die

zugs von 1806 ist der Prinz, nicht viernnddreißignoch

jährig,

Regi¬

Louis

1806," die Seite rechts „Halberstadl den 10. Oktober 1900," die Rückseite „Dem Offizicrkorps

den 10. Oktober

ge¬

fallen, wo am 10. Oktober das Korps des französischen Marschalls Lannes nach

gewidmet

Ueberschreitnng

der Reserve Eisenschmidt."

des

Thü¬

ringer Waldes auf die voin Prinzen geführte 8300 Mann

Vorhut der preußischen Armee stieß, den nur halb starke

Das am 10 . Obiober enkhullte

Ferdiuaud-Denbmai im «arten de« Infanterieregiments pritts Louis Ferdinand von Prenlirn ( 2 . magdebnrgische« Nr. 27 ) in HalbrrUadi.

starken Gegner überflügelte

und zum Weichen brachte. Der Wölsdorf an der von Saatfeld nach Schwarza führenden Straße an der Spitze von fünf Schwadronen sächsischer so

Prinz

suchte bei

Husaren und zwei Eskadrons

prilli Louis

des preußischen Hnsaren-Rcgiments

2A'XJ

vom

Hauptmanu

Dem Andenken des Prinzen Louis Ferdinand ist bereits ein Denkmal geweiht, das ihm seine Schwester, die Fürstin

Radziwill, am 10 Oktober 1823 auf der Stelle, wo er 1806 von franzö¬ .

Reitern niedergehauen wurde, errichten ließ. Dieser Denkstein steht bei dem Orte Wölsdorf, nordwestlich von Saalfeld. Die Leiche des Prinzen ist in der Hohenzollerngruft im Dom zu Berlin beigesetzt.

sischen

VJrAo

6S8

Auch ein Hohenzollerngrab M^ei

so schnell um sich griff, daß am Morgen schon das ganze Dormitorium, das Priorat und sämtliche Dächer bis an die Kirche in heller Glut standen. Von allen Seiten kam Hilfe herbei; die Spritzen von Bnrscheid und Bergisch-Gladbach thaten chr möglichstes; mit der größten Anstrengung und Verwegenheit suchte man zu retten; allein die Gefahr wuchs, und nachdem mau Sibilla die beweglichen Gegenstände ans den brennenden Gebäuden weg¬ von Brandenburg, Tochter des Kurfürsten Albrecht geschafft hatte, konnte man wenig mehr als zuschauen. In den Klostergebüuden ivar der Brand zu mächtig, als daß er bewältigt Achilles, enthält. In schöner Gegend, etwa in der Mitte des ehemaligen Herzog¬ werden konnte, und das hohe Dach der Kirche, welches gleichfalls von den Flammen ergriffen wurde, vermochten die Spritzen nicht tums Berg, zwischen steilen, bewaldeten Bergen, an der die Gegend zu erreichen. Allmählich krachten die Mauern der beiden Dormibelebenden Dhün, einem inunter rieselnden Waldbach, war es, wo torien unter den prasselnden Glnten zusammen — der schöne Kreuz¬ das Schloß Altenberg lag, das Graf Adolf von Berg seinem Bruder Eberhard verlieh, um dort ein Cisterzieuser-Kloster zu er¬ gang und so manches herrliche Denkmal der Borzeit war nicht mehr. Das Dach der Kirche, zum Schutze des Bauwerks bestimmt, richten. Rüstig wurde der Bau begonnen, und in einiger Zeit wurde ebenfalls vom Feuer verschlungen, und hoch schlugen die erhob sich daselbst eine stattliche Abtei mit allen erforderlichen Flammen um den Turm zusammen. Es war ein furchtbar präch¬ Baulichkeiten, so daß dieselbe im Jahre 13 83 bezogen werden konnte. tiges Schauspiel. Gleich einem bläulichen Schwefelregen triefte Besonders erhaben war aber die Klosterkirche. gotischem Stil aufgeführt, machte sie einen großartigen Eindruck. Auf einer das geschmolzene Blei und Messing des Kirchturms herab, als ein glühender Bach stürzte es über bas Gewölbe der Kirche, verheerend Grundfläche von 9000 Quadratmetern etwa, in der Form eines und versengend. Richt ohne Grund war man für das Innere der Kreuzes erbaut, dessen Mittellinien nach dem Meridian gerichtet sind, und das an dem Punkt, wo die Kreuzschiffe mit dem Hauptschiff zu¬ Kirche besorgt, denn die Mauer, die die Orgel von dem alten sammenstoßen, den hohen, mit Blei gedeckten Holzturm trug, gewährte Dormitorium trennte, war dünn und zum Teil schon eingestürzt. Da wagten sich beherzte Männer in das Innere der Kirche, und das riesenhafte Aeußere des himmelanstrebeuden Domes in der es gelang ihnen, bereits entzündete Bretter an der Orgel zu löschen romantischen Umgebung einen höchst anziehenden Punkt. Das Riesen¬ Erst und so wesentlich' zur Erhaltung der Kirche beizutragen. mäßige des Bauwerks, der schlanke Steinschmuck der Fenster und deren nach drei Tagen angestrengter Arbeit war man des Feuers so weit sinnreiche, überall bedeutsame Figuren, das dunkle Schieferdach der Herr geworden, daß das Gotteshaus gerettet war. Unersetzlich Kirche und das hellgraue Blei des Turmes hatten gegen das war aber der Verlust. Das Dach der Kirche war verzehrt, ihr lachende Grün der Berge und die frische Lieblichkeit des freundlichen Thales neben den weißen und bunten vielgestaltigen Klostergebäuden Gewölbe durch die Hitze angegriffen und gelockert. Die Südseite des Thores trug Brandmale, und bie äußere Umfassungsmauer des etwas höchst Ehrwürdiges. Viel des großen Eindrucks ist jetzt freilich verloren gegangen; denn es brachen trübe Tage herein, die südlichen Kreuzgiebels war stark beschädigt, während die Sakristei, bas Kapitelhaus, der Kreuzgang — die bemerkenswertesten Abtei¬ alles Herrliche zu vernichte» drohten. Am 4. Februar 1803 wurde gebäude — sowie das prachtvolle neue Dormitorium, die Prälatur, die Abtei Altenberg aufgehoben, wobei ihre sämtlichen Güter von das Priorat und alle Nebengebäude in Schutt und Asche lagen. der damaligen bayrischen Regierung für Staatseigentum erklärt Die Kunde von diesem Brande verbreitete nicht bloß Trauer wurden. Die dem Kloster zugehörigen beweglichen Gegenstände wurden teils verkauft, teils nach Düsseldorf gebracht. Der Kirche durchs Land, sondern regte zur Teilnahme an, so daß der Wunsch wurden einige Geräte, sowie ein großer Teil ihres Schmuckes ge¬ laut wurde, bie Reste dieses Bauwerks wenigstens zu erhalten. lassen, da sie nach wie vor dem Gottesdienst dienen sollte. Auch Zu dem Zwecke wurde eine allgemeine Haus- und Kirchenkollekte augeordet, die zivar reichlich ausfiel, doch nicht soviel abwarf, daß bewies man noch einige Pietät für die Ruhestätten der früheren die Kirche gänzlich wieder hergestellt werben konnte. Um das von Landesfürsten. Drei Jahre später jedoch wurde das Kloster Alten¬ der Glut beschädigte Gewölbe zu schützen, wurde an Stelle der berg an den Kaufmann Pleunissen in Köln verkauft. In dem alten Bedachung ein schlichtes Ziegeldach gesetzt, und außerdem die vom Freiherrn von Hompesch im Namen des Königs Maximilian von Bayern unterzeichneten Vertrage wurde u. a. bestimmt, daß Brandmale im Innern der Kirche entfernt, wobei die rohe Un¬ wissenheit jedoch manches schöne Denkmal übertünchte und die reichen die Kirche für den Gottesdienst stehen bleibe, daß der Käufer Vergoldungen sowie die Pfeilerbekrönungen verhüllte. Als aber im zunächst an ihr kein Eigentums-, sondern nur das Kollationsrecht Jahre darauf, am 10. August 1817, der damalige Kronprinz Friedrich des anzustellenden Pfarrers erlange, die Kirche selbst aber mit den darin befindlichen Gegenständen ihm erst zufalle, wenn sie in Wilhelm, die Grabstätte der hier ruhenden Ahnen besuchte, Trümmern liege und nicht wieder aufgebaut werde. Dabei behielt gab man sich der frohen Hoffnung hin, daß Mittel und Wege gefunden werden würden, das Bauwerk vor dem gänzlichen Verfall sich die Regierung vor, die in Altenberg befindlichen Knnstschätze, zu schützen. Allein während man über die Erhaltung desselben die Grabmale der Grafen von Berg samt den Geschichtstafeln u. s. w., redete und schrieb, wurde von eigennützigen Leuten darin geplündert. den porphyrnen Altarstein, die gemalten Glasfenster u. s. w. aus Die Pfeifen der Orgel wurden als altes Zinn verkauft, bie Blei¬ der Kirche zu nehmen, um sie zum Schmucke der Hauptstadt röhren und Messingbecken weggenommen und das große metallene Düsseldorf zu verwende». Dies sollte bis zum Mai desselben Jahres sich vollziehen; die Gräber sollten mit gewöhnlichen Platten Kreuz über dem westlichen Eingang aus das Gewölbe gestürzt. Schlimmer aber wütete der Zahn der Zeit im Verein niit den belegt und die Glasmalereien durch gewöhnliche Scheiben ersetzt Elementen. Das schlechte Dach ließ so viel Feuchtigkeit hindurch, werden. Doch es kam anders. Kaum hatte man mit der Räumung daß das Gewölbe nicht widerstehen konnte; so brach denn an> begonnen, so fiel (am 15. März 1806) das Herzogtum au Frank¬ 1 . Oktober 1821 die Treppe zum Chorgewölbe zusammen und riß reich, und viele herrliche Kunstwerke der ehemaligen Abtei und der einen Teil des letzteren mit hinab. Außer fünf Pfeilern mit dem Klosterkirche kamen in fremden Besitz; die prachtvollsten Glas¬ darauf befindlichen Gewölbe stürzte auch ber südliche Krcuzgiebel ein. gemälde wurden verkauft, und manche Zierde der Kirche wurde Kanin war dies ruchbar geivorden, so erschien auch schon der geraubt. Als die Franzosen das Herzogtum wieder verlassen Rentmeister des Freiherr» von Fürsteuberg — des damaligen hatten und das Land an den rechmäßigen Herrscher gelaugte, Besitzers des Abtei-Grundstückes — um die Kirche den Kaufdessen Ahnen sich Altenberg zur Ruhestätte gewählt hatten, wurde bedingungen geinäß als Ruine für das Eigentum seines Herrn auch den herrlichen Vermächtnisse» altdeutscher Kunst eine höhere Aufmerksamkeit geschenkt. zu erklären, und alles bewegliche darin bei Seite zu schaffen. Eine königliche Kabinettsordre vom Tags darauf erschien auch eine Königliche Kommission zur Be¬ 4. Oktober 1815 verbot die Veränderungen au alten Kirchen und sichtigung des Gotteshauses in Altenbcrg, bie gegen bie Sicherung Klöstern, sowie au ander» Denkmalen der Vorzeit und stellte die der leichtverderblichen Sachen nichts einzuwenden hatte. Infolge¬ Altertümer und Kunstschätze unter die Aufsicht der betreffenden königlichen Regierungen. Da wurden auch die in Altenbcrg dessen wurde jedoch der ehrwürdigen Stätte arg mitgespielt; drei Tage lang waren Arbeiter beschäftigt, um loszubrechen, was irgend noch vorhandenen Kunstgegenstände und Kultusgeräte inventarisiert wertvoll war. Die bemalten Fensterscheiben wurden ausgehoben, und die leichter beweglichen Sachen in Verwahr gebracht. Kaum war jedoch auf diese Weise Fürsorge für die Erhaltung des herr¬ die Kirchenuhr, die Gedächtnistafeln, Bilder und Wappenschilder n. lichen Baudenkmals getroffen, als es von anderer Seite weggenommen und sogar die Gräber geöffnet, bis am 6 . Oktober bedroht wurde. die Kunde an das Bürgermeisteramt zu Odenthal gelangte, und der im Dormitorium eingerichteten Salmiak- und Farbstoffdem Unwesen gesteuert und die Kirche unter polizeilichen Schutz Fabrik war bereits öfters Feuer ausgebrochen, das jedoch stets recht¬ gestellt wurde. Allgemein wurde der tiefste lluwilleu laut über eine Kirchenverwüstung, wobei selbst die Gräber nicht verschont zeitig bemerkt und gelöscht worden war. In der Nacht vom 6 . ans den 7. November 1815 brach aber, wahrscheinlich auf dem Boden blieben, und herrliche Bildhauerarbeiten zertrümmert worden waren, Schließlich entschied das des Kapitelhauses, wiederum ein Feuer aus, und als man dieses um ein wenig Eisen zu gewinnen. königliche Landgericht zu Köln, dem die Sache unterbreitet wurde gegen ein Uhr des Morgens bemerkte, loderte schon ein Teil des — »achbem ein Teil der Sachen wieder zurückgebracht worden war — Daches in lichten Flammen, und bevor eine hinreichende Anzahl Menschen zur Rettung herbeieilen konnte, war dem Verderben nicht daß erst durch den Wiederaufbau der Kirche der Beweis erbracht sei, daß man sich an Staatseigentum vergriffen habe. mehr zu steuern, da das Feuer, durch die leicht brennbaren Fabrik¬

der in neuerer Zeit in hervorragendem Maße bethätigten alter Baudenkmäler wurde auch das staatliche Interesse der altehrwürdigen Kirche der ehemaligen Cisterzienser-Abtei Altenberg — dem sogenannten Altenberger Dom — zugewendet, dem Bauwerk, das nicht bloß eine Perle unter den alten Baudenkmälern, sondern auch dadurch besonders denkwürdig ist, daß es die Grüfte der Grafen und späteren Herzoge von Berg und der Leichensteine des wüste» Kirchhofs zu Sankt Nikolai in Leipzig drei Studenten. Sie hatten sich für einen Groschen Kirschen gekauft und verzehrten sie in aller Ruhe und Gemütlichkeit. Ihre Namen waren Franz Starck, Johann Ofsenhaimer von Burckhausen und Balthasar von Logau (tu den von Zarucke herausgegebenen Akten wird letzterer stets einfach „Loge", nur einmal „Baltzsar von Logaw" genannt). Sie ivaren noch in ihre angenehme Beschäftigung vertieft, da rannte cücubeii Laufes der Student Andreas Mörder ans Franken an ihnen vorüber, verfolgt von über zwanzig Schuster- und Kürschnergesellen, die ihre Degen gezogen hatten. Am Hause des Barbiers Mater» holten sie ihn ein und rangen ihm das Schwert aus der Hand: aber er zog den Dolch und brachte einem Gesellen eine Wunde ans der Brust bei; dann entfloh er. Rasend vor Schmerz und Wut blickte der Verivundete um sich, da fiel sein Auge aus die drei Studenten, die im Gefühl ihrer Unschuld sitzen geblieben waren. Er stürzte mit gezückter Wehr auf sie zu; zwei von ihnen ergriffen die Flucht, Logau wollte die Kirschen nicht im Stich lassen, warf jedoch eine schwere Bleikugel seinem Angreifer ins Gesicht und griff dann zum Schwert. Da glitt er aus und fiel zu Boden. Ueber den wehrlos Daliegenden fiel der Kürschnergeselle her und hieb auf ihn los, wobei er ihm den Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand durchschnitt, dann lief er davon. Eiligst berichteten die beiden anderen Studenten dem Rektor der Universität, was geschehe» Der Rektor, Professor Doktor Udalrich Steudler, sandte seinen ge¬ sei. schworenen Famulus Gangolf zum Bürgeruieister Wolfgang Widemann, um die Gefangennahme des Uebelthäters zu veranlassen. Dieser sowohl wie auch noch zwei andere an jenem Tumulte beteiligt gewesene Ge¬ sellen wurden ins „Hundeloch" gesteckt, aber schon am folgenden Tage auf gethane Fürbitte und gestellte Bürgschaft wieder freigelassen, wo¬ gegen der Rektor durch den Univcrsitätsnotar Paulus Lobasar Protest einlegen ließ. Gleichzeitig benachrichtigte er de» Bruder Balthasars von Logau, Matthias von Logau, von dem Geschehenen durch folgendes Schreiben: „Vnser freuntliche dienst allcczeyt beuhor. Edler, vhester, günstiger her vnd guter freundt! Wir ivollcn e. g. (euer gnaden) nicht bergen, das euer lieber bruder Balthaßar Loge, vnser vniversitet glidmaß, die tage vor vnns erschincn vnd ons clagende zn vorstehen gebenn, wie er sontags nach corporis Christi auff dem abendt von

von Logau.

eyncm handwcrcks gesellen anff geweyter stat. nechstc collcgijs gelegen, »herfallen vnd an seyncr rechten handt sher gestumlct fei) worden», alßo das er darüber czwen finger verloren vnd der dritte fast vorleczet sey. Weil er dann c» solchem schaden vnnerwartcter fach sinnen vnd sich sunst alczeit erbarlich vnnd frumblich bey uns gehalten, hat er vns vmb vvrschrifft an euch gepetenn, im des lege» e. g. bekentlich zu seyn». Als (also) haben wir ihm solchs der warheit zu gut fuglicher weiß nyt wißen aveczuschlahenn, vnnd ist zuvor der halben von vns fleystge crforschung anst beydenn teylcn beschern vnnd sich der maßen erfunden, das er in diser fachen gancz unschuldig gewesen, dan (denn) er yhe nit in dem vorsacz aber (oder» vornemen außgäugen, das er yemant beschcdigen wolle, snnder sjondern) segne kurczeweille mit seyner geschelschaft auff dem Kirchhofs zu suchen», wie yr dan zur zeit weytcr zu vornemen. Nach dem auch ein crbar radt alhir zu Lcypczig den yenigcn, so sich tzu solcher that schuldig bekandt, ain tag aber czwen, wiewol er sunst durch ander handt vorleczet, mit gefenckniß eingeczogen vnd ynnen be¬ halten, vnd aber nur gleich wol ane (ohne) vnsern wißen vnd willen außborge» laßen, szo ist hirauff vnser beger, ihr wollet mit radt der freundtschafft (Verwandtschaft) vns dieser fachen halber auff kurczt (binnen czu kurzem) widerumb antworth gebe», darnach mir vns hinforder richten. Habet, wir c. g. auff vorgenantes Waltaßers (Balthasars) enrs bruder» anrege» vnd zimlich beger nicht wollen vorhalten (verhehlen), dan euch vnd den eurn freuntliche dienst zcu erczcygen seynd wir alczeit willig." Darauf schrieb „Den hochgelerten, achtbar» Hern doctoribus, magistris der löblichen vniversitet zu Leypczigk, meynen günstigen hernn vnd besunder guttcu freunden Mathes Loge von Aldendorff zcu Flambicz auff Benhau": „Meynen freuntliche» vnnd willigen dienst. Achtbare vnnd hochgelarte, günstige liebe Heren», besundere guttc freunde! E. a. schreybenn meines lieben bindern, Waltaßar Logen», cantoris zum heylige» creucz czu Breßlau, zu gestandenen vnfhal (Unfall) vnnd daryn angezeigte vnschuld habe ich vernumcn vnnd, wiewol mir als einen trauen (treueni bruder meynes lieben bruder» ihcrmerlicher (jämmerlicher) fhal höchlich leyd vnnd bekumert, dennach wüste ich mich seyner vnschuldt vnnd gcrechtigkait, der ehr ane czweyffel bey got, der oberkait vnd euch wird gewißlich empffinden;.welche auff eur schreyben angesehen, die hernn f. yre gnaden der bischoss vnnd herczog Friderich (von Liegnitz) von wegen meyne» bruder an fürstliche gnad herczog Gorgen (von Sachsen) rc. vnnd eyneu erbarn radt zu Lcyptzigk vorschreyben, damit der ihcnig freueler gestrafft wurde. Ist der wegen mein frcundtlich vnnd fleystge bitte, yhr wollet meynen lieben» brndern. als cür glid vnnd schuler, mit rath vnd hulff nicht ocrlaßenn, nicht allein yhme zu gute snnder auch erhaltung ewer selbst freyheiten vnnd vniversitet; dan in solcher onsicherheit vil retliche vnnd vornunstige leuthe beschwert seyn worden, yhre linder dahin zu schicken». Eur a. freuntlich zu dienen wil ich mit sampt meyne», hernn vnd stunden willig befunden werden. Beuhele (befehle) hie mit eur a. meynen lieben bruder. Geben zu Camencz, montags nach Petri Pauli, 36 iar (Jahr)." Darauf protestierte der Rektor nochmals energisch dem Bürgermeister gegenüber wegen der Frei¬ lassung des Gesellen. Der Bürgermeister rückte mit dem Geständnis heraus, der Geselle sei entschlüpft, während seine Bürgen in Naumburg zur Messe gewesen wären; er wolle sich vielleicht seinen „Gcburthbrieff" holen, da er beabsichtigte, seine Meisterin zu heiraten. Letzteres war nicht wahr; der Rektor vernahm, daß er in „den Krieg gelauffen und zu Nnrmbergk sich bcrunibt (gerühmt), wie er allein vier Studenten ge¬ schlagen, gestnmelt vnd finger abgehauen habe." Nochmals forderte der Rektor den Bürgermeister auf, „einen tractat zu halten"; er wurde bestellt „zu morgeust vmb 8 vhr." Um 10 Uhr ließ ihm der Bürger¬ meister sagen, er könne erst um 12 Uhr erscheinen, dann verschob er die Besprechung nochmals, und endlich gab er den groben Bescheid, „er heile Sv schickte denn der Rektor an den gautze» tag nicht der weil." Matthias von Logau einen kurzen Bericht über das Vorgefallene. Die Antwort erhielt erst sein Nachfolger, der am 16. Oktober zum Rektorgewählte Professor Christopherus Montag aus Graudenz. Sie wies ans die Mitschreiben hin, die die ganze Familie („Hauß Seidlitz von Schonselt vfsn burgklehen zum Jaur, der fnrstcnthumer Schweidnitz vnd Jaur Hauptmann, Hanß Gotzsche von Kynast off der Fischbach, Ro. Ka. Mas. rath, Georg Loge als vater, Friedrich und Dominik Logen, Nickel vnd Hanß Reibenitz, Henrich und Hanß Schmidel, Georg vnd Nickel von der Heide, Gottfride von Adelbach von Seydl in macht der andern stenntschafst)" au den Herzog Georg von Sachsen geschickt hätten. Von hier an schweigen die Akten. Ein zweiter Balthasar von Logau wird 4546 als Leipziger Student erwähnt, Matthias von Logau in demselben Jahr und ebenfalls als Student in Leipzig. Am 10. November vor hundert Jahren starb in Berlin der Bühnendirektor und Schauspieler Johann Christian Brandes. Geboren am 15. November 1735 in Stettin, hatte er eine wechselreichc Jünglingszcit als Kaufmanns- und Tischlerlehrling, Schweinefütterer, Hauswart bei einem Ouacksalber, Tabakkrämcr und Bedienter zu überstehen, bis er 1756 zu Lübeck in die Schönemannsche Schauspieler-gesellschaft eintrat. Als diese sich auflöste, wurde er Schreiber beim Hamburger Dichter Dreyer und darauf bei einem dänischen General, endlich betrat er wieder die Bretter. Er wurde Direktor des Hamburger Theaters, setzte sich^1788 zuerst in Stettin, seit 1793 in Berlin zur Ruhe und starb in letzterer Stadt. Seine Stück „Ariadne auf Naxos" war das erste deutsche Mclodrauie. Seine Lustspiele (u. a. „Der geadelte Kaufmann," „Der Gasthof oder Trau, schau, wem," „Der Landjunker in Berlin," „Die Komödianten in Quirlcquitsch") gingen mit großem Erfolg über die deutschen Bühnen. Bomb« ä la Sardauapale. Es ist bekannt, daß Friedrich der Große bis an sei» Lebensende nichts lieber aß als schwer verdauliche Speisen. Der hannüverische Leibarzt Zimmermann (der Verfasser der „Einsamkeit") sah ihn am 30. Juni 1785 zn sich nehmen „sehr viel Suppe, die aus der allcrstärksten und aus den hitzigsten Sachen gepreßten Bouillon bestand", wozu der König noch „einen großen Eßlöffel voll gestoßener Muskatenblüthen und gestoßenen Ingwers nahm", sodann „ein gutes Stück Rindfleisch, das mit einem halben Quartier (1 Ouartter — 0,25 Quart, 1 Quart — 1,136 Liter) Branntwein gedämpft war," hierauf Makkaroni mit Parmesaukäse und dem Safte von Knoblauch endlich „einen ganzen Teller voll Aalpastete, die so hitzig und so würz

hust war, das; es schien, sic fei in der Hölle gebacken." Zu dcu Liebliugsipciscn Friedrichs des Große» gehörte die Bombe a la Sardanapale, die er in folgende» Verse» besang: Ce Lucullus Ne goüta rien d’aussi sin, d'aussi bon Que cette bombe a la Sardanapale, Ce met des Dieux qu’aucun ragoüt n’egale sLnkiill kostete nichts so FeineS, so tdittes als diese Bombe ä la Sardauapale, dieses Gericht für Götter, dein kein Ragont gleichkommt). Wie ivird nun dieses „Gericht für Götter" hergestellt? Man bestreiche die Blätter eines Weißkohlkopfs mit Farce, lege sie über einander und dazwischen Bratwitrstchen, schmore sie in einer mit Speck oder Schinken ausgelegten Kasserolle in kräftiger Bvitillon und bei starker Hitze, stürze dann die Kasserolle ui», placiere die „Bombe" und setze sie mit einer Sauce zusammen ans den Tisch,

Guten Appetit!

Brandenburg - preussische Prophezeiungen. Außer der Lehninschen Weissagung, an deren Echtheit niemand mehr glaubt, giebt es noch andere, die weniger bekauut find. Eine rührt her von Nicolaus Lentlinger, der 1547 zu Landsberg in der Mark geboren wurde, aus verschiedenen Universitäten studierte, hier und da Schul- und Pfarrdienste verrichtete und 1583 seine Pfarrstelle in Landsberg aufgab und ans Reisen ging. Im Jahre 1585 erhob ihii der König von Dänemark, Christian III., in den Adelsstand. Er brachte eine wertvolle Sammlung uoit Büchern und Handschriften znsamine». Als er 1592 eine zweite Reise nach Italien nnternahni, verbreitete sid> das Gerücht, er sei ge¬ storben. diesem Glauben verkaufte man Bibliothek und Manuskripte. Zurückgekehrt verlangte er Genugthunug, erhielt sie aber nicht. Im Gegenteil wurde er als Ketzer verklagt lind mußte das Land räuineu. Nach manchen Irrfahrten kam er nach Osterbnrg in der Altmark und

In

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wurde vom Kurfürsten Joachim Friedrich zum Historiographen ernannt. Lentliiiger starb 1612. Seine Schriften gaben im Jahre 1729 Johann Gottlieb Krause und Georg Gottfried Küster heraus. Dariii findet sich eine int Jahre 1592 an den Rat von Spandau aus Wittenberg gerichtete Widinnngsselirift, in der es heißt: „Et qnidem extant quaedarn vaticinia de Aquila Brandenburgensi ipsiim regln in diadema adhuc accepturum, vidique ipse in monasterio tales rhythmos littet is. germanicis comipte scriptos.“ (Hub zwar giebt es einige Prophe¬ zeiungen vom brandeuburgischen Adler, der noch einmal die königliche Krone erhalten ivird, und ich habe selbst in einem Kloster folgeiide mit deutschen Buchstaben undeutlich geschriebene Reime gesehen):

Das weiße Pferd leibt großen Drnnck, Behält doch endlich die Ueberüand (Westphalen). Das Rauten-Kräntzleiu wird wieder blühn Und sick) in Ehren sehr freun (Sachsen). Ter Rothe Adler ivird gar hoch fdjmebcit Und sich viel über ander erheben (Brandenburg). Neque sane negari potest Principnm Brandeburgensium sapienter acta, gloriose gesta, laudabilitor facta merit-aque in Universum Imperium pace atque belle in robus civilibub & ecclesiasticis plurimum eminere. Vidimus Intra anni spatium Prin¬ cipes in Germania decem nobis per mortem inopinatam ereptos. Vidimus mutationes in regnis & rebuspubliciä ac imminet fatalis periodus Germaniae, sedet Marchiae Brandenburgensi. quae ab Henrico Aucupe Imporators mediocriter Annos 663

floruit & interim septies insignem mutationem est perpessa & septimo quoque Principe. Certum autein est Principnm familias quadam circumscribi periodo, qua excursa exactaque vel dignitatem amittant vel intereant vel ad angusthls fastigium adscendant. (ES kaun auch nicht gelenguet werden, daß der Fürsten von Brandenburg weise »üb ruhmreiche Thaten und löb¬ liche Verdienste um das gesamte deutsche Neid) in Kriegs- und Friedenszeiten, in Staats- und Kirchensachen sehr hervorlenditeu. Wir haben gesehen, wie innerhalb eines Jahres zehn Fürsten in Deutschland durch einen nnerwarteten Tod entrisse» wurden. Wir haben Veränderungen in Reidieii tind Staaten geiehen, und eine verhängnißvolle Zeit steht Teutsdiland zuvor, aber auch der Mark Brandenburg, die vom Kaiser Heinrich beut Vogelsteller an bis jetzt 663 Jahre mittel¬ mäßig blühte und inzwischen siebennial eine bedeutende Ver¬

änderung erlitten hat und zwar allemal unter dem siebenten Fürsten. Es ist aber gewiß, daß die fürstlidien Familien einen Zeit¬ lauf d»rchliiad)en, nach dessen Beendigung und Ausgang sie ihr An¬ verlieren und untergehen oder zu einer höheren Stufe gelangen.") Sid)tbar den Stempel der Lüge trägt an der Stirn eint Traum, den der Berliner Doitiküster Andreas Otto in der Lstcruacht 1620, zwischen dem 8. und 9. April, früh von 2 bis 3 Uhr, geträumt habeii will. Er erzählte ihn am andern Tage dem Berliner Konsistorium und später seinem Sd)wager Haino Flörcke, Kanzlei-Aktuar in Tangermünde. Letzterer schrieb ihn Wort für Wort nach, und sein Protokoll benutzte Barthold Ringwald zu einem Gedichte, das noch im Jahre 1620 in der Nungischen Druckerei im Grauen Kloster zu Berlin gedruckt ivorden Dieser Dichter muß Bartholomäus Ringwaldt gewesen seilt, sei» soll. der 1530 zu Frankfurt an der Oder geboren wurde und seit 1566 Pfarrer in Langenfeld in der Neumark war. Da er zwischen 1598 und 1600 gestorben ist, konnte er frellich im Jahre 1620 nicht mehr dichten. Daß der Traum eine spätere plumpe Fälschung war, geht ans folgenden genauen (und deshalb interessanten) Schilderungen der Ent¬ wicklung Berlins hervor: „Zuerst sahe id> das damalige Berlin tu seinem jetzigen Zustande (unter Georg Wilhelm), ich sahe an alte Wohnungen und Gebäude, die Einwohner gingen in ihrer jetzigen Tracht, und die Hof-Bedienten und Großen gingen zu Fuß, id, sahe nicht mehr als 4 Kutschen, und des alten (?) Churfürsten Georg Wilhelms Kutsche war mit Tuck) und seidenen Frantzen ansgeschlagen: doch gingen die Leute in ihrer saubern Tracht, hatten alles, was sie trugen, von massivem Silber (?). Die Redlichkeit ivar i>» Handel und Wandel aufrichtig; was ein Mann bey seinem langen großen Bart und mit dem Dänin versprach, das war wie ein Eoangelinm. — Der Printz (Friedrich Wilhelm), so in diesem Jahre gebühren und in der Wiegen sehen

Verantwortlicher Redakteur:

vr. M. F o lricineano. Berlin.

liegt, wird diese Stadl befestigen, noch eine Stadt anbanen und sie mit Wällen und Zugblücken umschließen; ivo man vordem Schlag-Brückeit und Kuppel-Dämme gesehen, stehen ietzo die sd)ö»steii Portale, und ans den alten höltzeriteii Häusern sind steinerne geworden. Ich sahe die neue Stadt, so Friedrichs-Werder, und auch eine kleine Ren-Stadt, nach dem Thier-Garten zu, so Torotheen-Stadt, nach dessen Gemahlin Rahmen, Bude» genennet ivar. Es war der Mühlen-Damm mit schon gemanerten 'waren bebauet, ein neuer Cran (Krähn) und die Schleuste alles wohl gebaut, daß grosse Schiffe einlauffen konnten: man konnte unter den gewölbten Buden auf den Mühlen-Damm trocken gehen, mitten stund das Portrait ans bem Portal, da eine Brücke angeleget war, daß man ivieder nach einer nen-atigelegten Stadt gehen konnte. Die Leute waren schon politisch (poliert, fein), und ihre Trad)ten ivaren und, der Frantzösifchen Mode eingerichtet, und also ivaren auch die Gemüther in ihren deutschen Knäbel-Bärte» anders eingerichtet. — Und ich sahe einen munteren jungen Mann in silbernem Stück tind Purpurmantel (Friedrich III., dann König Friedrich I.). Berlin hatte eine gantz andere bekommen. Es standen schone Palläste, das Schloß war umgekehrt Gestalt (d. h. die Hanptfront ging nach der Schloßfreiheit z»), verändert und erweitert. Der Nachfolger ward König, mib also veränderte und ver¬ größerte sich der Staat. Er ivar ein Liebhaber des Friedens und war doch dabey ein Sohn Marlis und Apollinis, indem er schöne und propre Soldaten hatte, eine grosse Hof-Stadt führte, und also alles in Berlin zu seiner Zeit in Magnificence und Pracht lebte. Dieser Regent hat die nette Parochial-Kirche in der Kloster-Strasse, worauf das GlockenSpiel, gebaut, das große Arsenal (Zeughaus), die Charlvttenbnrg, die vielen Kirchen und die präd)tigen Lnst-Hänser um Berlin. Absonderlich ist das Andenken voii dem seligen Vater, dem grossen Kurfürsten von Brandenburg, Friedrid; Wilhelm, in der messingenen Statue zu Pferde auf der langen Brücke zti admiriren. Hub da ich dieses alles mit der größten Admiration ansehe und den Pomp, Splendenr nud Lustre deS Hoses, and; das Wimmeln des Volkes und Raßeln der Caroßen ansehe und die nvuibrense (zahlreiche) Hof-Statt, die da im hellen Glantz pranget, meint 24 Trompeter und 2 Paar Heer-Pauken jedesmahl zur Tafel blasen (sic!), werde ich gantz ausser mir selbst gesetzt und in die größte Verwunderung gebracht, als ich and) den König in 'Lebens-Grösse auf einem Piedestal von Messing gegoßeit auf dem Molcken-Markt und an dem Arsenal im Brttst-Bilde sehe. — Dan» erblickte ich statt der Caroßen lauter Soldaten auf den Straßen (Friedrich Wilhelm I.), und selbige waren vortrefflid) disciplinirt und in Exercitien perfect. Hierbey deuchte mich, als wenn die Einwohner nicht so muntres Gemüths wären, wie vor diesem, doch florirteu die Handwercker, die da ivegen des Dielen Banen grosse Verdienste bekamen, denn die Häuser egal, propre und in einer Couleur gezieret wurden, welches sehr magnific liesse. Und da die Stadt in ihrem Bezirck prächtig anzusehen ivar, so fdjicn es, daß gegen der vorigen Zeit, das man damals nicht angemercket, grosser Geld-Mangel unter Hohen und Niedrigen sich hervor that, allermaßen die Großen kleinere Besoldung, und die Niedrigen keine Nahrung hatten, denn Alles durch die Freyheit gehindert, also abgenoinmen, daß es bey manchen außerhalb der Strassen gläntzete, uiid in dem Hause Dann wird noch der Brand der schlecht und elend anzuschauen war." Petri-Kirche (29. Mai 1730) „prophezeit". Der ganze Traum endet mit einer Verherrlichung Friedrichs des Großen. Ein 114 jähriger Bauer, Andreas Heinicke, aus dem Dorfe Mattv im Fürstentum Glogau weissagte die Besiegung Polens durd) Preußen mit Hilfe Schwedens und Rußlands, die Ausrottung des katholischen Glaubens daselbst, die Eroberung Schwedens und die Belagerung uub Niederbrennung Roms: „solche Zeit ivird sid) atiheben von 1741 bis 1748." Wann jedoch dieser Bauer gelebt hat, giebt unsere Quelle („Europäisiher Staats-Wahrsager") leider nicht an. Nicolans Drabicius (geb. 1587, hingerichtet 1671), dessen Prophezeiunngeu Comenius unter dem Titel „Lux in tenebris“ (Licht in der Dunkelheit) herausgab, hatte 1654 die Offenbarung, daß der Kurfürst von Brandenburg Herr von Mähren und Schlesien werden würde. Theophrastus Paracelsus schrieb im Jahre 1546: „Die Schlesinger werffen ein eigenes Haupt auf: Dem wird viel Bolds anhangen. Erleidet zwar darüber grosse Gefahr, dod; erhält es das Feld und bringt Schlesien in seine Gewalt und hilft einem damit, der er zuvor

verfolgt."

In einem sehr alten Manuskripte der Thornischen Kauzlei, das von Stanislaus Nesca, Abt zu Andrzejow, herrühren soll, heißt es

„Ad septicollim Dominum redibit Prussia. Deflectet n. a.: (Preußen wird zurückkehren zum Pomerania. Marchia lugebit.“ Herrn der sieben Berge. Pomniern wird abfallen. Die Mark ivird traurig sein.) Doch: eben, jam satis est!

Büchertisch. Mwao vom Nakhahmerunfug. Wir

werden

um Aufnahme fol¬

gender Zuschrift ersnd)t:

Von verschiedenen Seiten sind Anfragen an mich gelangt, ob ein von dem Berliner Verlage Herm. Eidsblatt angezeigtes Buch mit dem Titel: „Käthd)en, Karldien und ich!" eine Fortsetzung meiner Bücher: „Käthe und ich" und „Käthe, ich und die Andern" (Verlag von Friede Sdiirmer, Berlin) sei. Es sei mir die Erklärung gestattet, daß diese Annahme auf einem Irrtum beruht, der durch die Nachahmung des Titels hervorgerufen wird und durch den Umstand, daß als Antor vott „Käthdsen, Karlchen und ich!" eine Dame — Käthe Sä,sitze — zeichnet. Dieser Name klitigt eben an den meinen an. Im Uebrigen denke ich nicht daran, die „Käthe"-Litteratur um einen weiteren Band zu vermehren. Berlin, den 26. Oktober 1900. Manuel Schnitzer.

— Truck und Verlag:

Friedrich Schirmer, Berlin

i

SW., Neuenbnrger Stratze

Hu.

Der Bär. Illustrierte Wochenschrift.

„Der Bür" erscheint jährlich 52 mal und ist durch alle Buchhandlungen, Zeitungsspeditionen und Postanstalten zu beziehen (Nr. 866 des Postkatalogs) und kostet vierteljährlich 2 M. 50 Pf., jährlich 10 M., Einzelhefr 20 Pf. — Infeitionspreis für die 4 gespaltene Nonpareillezeile oder deren Raum 50 Pf. — Beilagegebühr: 6 M. pro (000 Stück inklusive Postgebühren. — Inserate und Beilagen werden entgegengenommen von der Expedition des „Bär", SW., Neuenburgerstraße (Hu, sowie von allen Annoncen-Lrpeditionen. — Fernsprecher: IV. Nr. Z65(.

26. Jnstlgnng.

Sonnabend, 10. November 1900.

|tv. 45.

Logierbesuch in Berlin.

D k

te

„Saison" hat begonnen!

Die „Wintervergnügen" sind

in vollem Gang, die Premieren der Theater drängen sich, und in der Friedrich- und Leipzigerstraße wogen Berliner Provinzler in dichtem Knäuel. Und das ist nun neugierige und auch die Zeit, wo sich sämtliche Verwandte von „da draußen"

Frenidenstnbe muß doch eben jeder anständige haben, — kennen wir zur Genüge ihre kleinen, liebens¬

„zweischläfrige" Mensch

würdigen Eigenheiten, wissen wir aus Erfahrung, welche besonderen Wünsche jede der guten Seelen bei ihrem Berliner' Aufenthalt zu befriedigen sucht.

Johann v. Löben.

Graf Hirronumus v. SelxlirK.

Kurfürst Joachim Friedrich. (Photographische Aufnahme von grau

ihrer lieben „Berliner" erinnern, — imb wo man morgens ans dem Frühstückstisch einen Brief vorfindet, der uns die erfreuliche Ankündigung bringt, daß Onkel und Tante, oder Bruder und

Schwägerin, oder der Vetter und die liebe Cousine uns mit ihrem für „einige Tage" „erfreuen" wollen! Aber man sagt doch gleich, „dicht an die höchste Freude grenzt der Schmerz." Ach, wie wahr ist dies Wort! Abgesehen davon, daß die lieben Verwandten mit prooinzlerischer Naivetät bei uns eine, natürlich große und bequeme, Frenidenstnbe voraussetzen, — mein Gott, eine Besuch

Louise Geifrig, Berlin,)

Da ist zunächst die Tante Pfarrer aus Sauzkehmen, In ihrem besten Staat tritt sie in die Erscheinung! Für die Straße das wetterfeste, mauscgraue „Lllster"kleid, das ringsum ebenso praktisch wie auf nie gesehene Weise anfgeschürzt wird, so daß der gediegene, wattierte Seidenrock, der Stolz ihres Daseins und der Gegenstand des Neides für sämtliche Sauzkehmener Honoratioren¬ frauen zum Vorschein kommt. Für Repräsentationszwecke das gute Kasfeebranuseidene mit der echten Spitzenkrause um den Hals und der Machart von 1880. llcbrigens ist die Tante Pfarrer leicht

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zu befriedigen.

Wenn

sie sich nicht

in dem „Sündenbabel"

so sehr

„graulte", so daß sie keinen Schritt aus dem Hause allein thut, was bei ihrer unglaublichen Leistungsfähigkeit, die mit dem festen Vorsatz, „alles zu sehen," Hand in Hand geht, für den nervösen Großstadtmenschen einigermaßen ermüdend wirkt, so wäre sie ein ganz angenehmer Besuch. Ihr erster Gang, nachdem sie des Morgens um sieben Uhr gestiefelt und gespornt am Frühstückstisch erschienen ist, ist nach dem Panoptikum, natürlich inkl. Schreckens¬ kammer. Mit weit offenen Augen und innigem Genuß durchwandert sie die Säle, entriistet sich moralisch über die etwas offenherzigen Empiredamen und die wunderschönen Haremsfrauen, grault sich mit Genuß in der Schreckenskammer und fällt prompt auf all die kleinen Panoptikumscherze, die Wachsfigur als Zuschauer, den Wachsjüngling, der vor der verführerischen Obaliske in entzücktes Schauen versunken scheint, hinein. Vom Panoptikum wandert sie nach dem Schloß, vom Schloß nach dem Palais Kaiser Wilhelms, von da nach dem Museum, wo sie ebenfalls mit sittlicher Ent¬ rüstung die lex Heinze - fähigen Statuen und Bilder betrachtet, und es als „eine wahre Schande" erklärt, das; „so was" öffentlich ausgestellt wird. Da sie die „Elektrische" fürchtet wie die Sünde, und sich „in so eine Menschenfalle" nie hineinsetzen würde, muß man eine Droschke requirieren, die sie uns Iiatürlich zu bezahlen überläßt — pah, die paar Mark —> und so langen wir erschöpft

ain häuslichen Herd wieder an. Rach eingenommenem Mittagsmahl, wobei sich die Tante Pfarrer kritisch und geringschätzend über das Gemüse und das Obst ausgelassen hat, und schnüffelnd behauptet, am Braten die

„Margarine" zu riechen, setzt sie sofort ihren Hut wieder aus. Unsere dringende Vorstellung, doch ein Mittagsschläfchen zu machen, brandmarkt sie mit einem zerschmetternden „in Sanzkehmen kann ich den ganzen Winter noch genug schlafen", und wohl oder übel begeben

wir uns wieder auf

die Wanderschaft.

Diesmal geht es natürlich zu Hertzog, welche Provinzlerin ginge mal nicht zu Hertzog, Droschke zwei Mark, und hier wandelt sie zwei Stunden umher, hochachtungsvoll alles bestaunend. Hertzog imponiert ihr, von Hertzog bezieht sie ihre Sachen, Hertzog ist ein solides Haus, und sie erzählt jedem Verkäufer ganz detailliert, was sie in den letzten drei Jahren alles von dort bezogen hat. Da sie für halb Sanzkehmen die Einkäufe besorgt, ,erstehen wir rnehrere mansegraue Kleider, unendlich viel schwarze Stoffe, Schürzen, Leinwand, in Sanzkehmen verabscheut man Baumwolle, steigen vom Souterrain in den dritten Stock, rennen von rechts oben nach links unten und stehen endlich vollständig „ausgepumpt" wieder auf der Straße. Natürlich wiederum Droschke. Jetzt wünscht Tante das Straßenleben zu studieren. Unerschrocken, kurz geschürzt, stürzt ins Gewühl der Friedrichstraße, besteht darauf, ans der linken Trottoirseite zu gehen, starrt erstaunt jedes Wesen mit Federhut und feuerroten „Dessous" an, macht ungenierte Be¬ merkungen, weigert sich, ins Bierhans zu gehen — was würden die Sauzkehmer dazu sagen — und scheint weder Hunger noch Durst und Müdigkeit zu kennen. Rach acht Tagen reist sie ab, kreuzfidel, sehr erbaut von der denkbar besten Ausnutzung ihrer Zeit, und läßt uns zurück, zer¬ schlagen an Leib und Seele, mit durchgelaufenen Sohlen, nervös, mürbe und mit einem sehr zusammengeschrumpften Portemonnaie. Vierzig Mark haben wir allein für Droschken bezahlt, abgesehen von all dem andern. Die Pfarrertante findet bald Nachfolger. Diesmal sind es Verwandte vom Rhein, Bildungsbeflissene, Theaterwölfe, Galerie¬ sie sich

hyänen. Von Schulte zu Keller und Reiner, vom kunstgewerblichen Museum nach der neuen Bildergalerie, vom Deutschen Theater nach der „Sezession". Sie möchten Ateliers besuchen, sie finden es „komisch", daß wir nicht im intimsten Verkehr mit Dutzenden von berühmten Leuten stehen, sie wollen genau wissen, wie viel Premieren es schon gegeben hat und sind erstaunt, daß wir noch Es erscheint ihnen selbst¬ keine einzige davon besucht haben. verständlich, daß wir die Billets besorgen, und sie sind ver¬ schnupft, wenn sie nicht die besten Plätze im Saal haben, sie „überlassen" uns alle nötigen Laufereien, weil orientiert sind.

wir ja

genau

veranlagt, und ihr letztes Wort, stehen, ist: „Ganz hübsch Konpeethür der — — hier doch nicht", was ja giebt's war's ja, aber einen Rhein aber als Resümee nach so freilich eine unbestrittene Thatsache ist, viel Aufopferung auf uns nur mäßig erfreulich wirkt. Uebrigens sind

sie sehr kritisch

als wir aufatmend vor

Und dann die anderen Logierbesnche! Die naiven Gemüter, all und jedes mit Natnrlauten des höchsten Erstaunens be¬ trachten, die Stoiker, die gleich Indianerhäuptlingen alle Errungen¬ schaften der Kultur mit kaltem Gleichmut betrachten, und das alles schon irgend wo anders viel schöner gesehen haben, die furchtbaren „Kommissionenbesorger", die von frühem Morgen bis sin die sinkende Nacht aus einem Geschäft ins andere Hetzen, und dabei unsere Anwesenheit beanspruchen! Allen ist ein schöner Zug gemeinsam, der erhabene Egoismus des llebermenschentums, dein alle andern Menschen nur Gewürm sind, dessen Wohl und Wehe' ihnen gänzlich „wurscht" ist. Ob wir die Dinge, die sie betrachten wollen, schon hundertmal gesehen haben, ob wir. den Anstrengungen, die sie uns zumuten, gewachsen sind, ob wir häusliche oder Bernfspflichten zu erfüllen haben, und last not least, ob wir auch über die nötigen die

Moneten zu dem kostspieligen Amüsement verfügen, das kümmert diese göttlich Unbefangenen nicht, sie sind ja unser Besuch, und all das ist einfach unsere Pflicht!

Beinahe hätten mir nach eine besondere Spezies vergessen, oder Vetter, der seine Frau zu Hause gelassen hat. Mit listigem Augenzwinkern wendet er sich au den Gatten und Familienvater und heischt von ihm die ausgedehnteste Einführung in die köstlichen Mysterien des Berliner Nachtlebens. Vergebens protestiert der Unglückliche, der seine Nachtruhe bedroht sieht, und vor dem die unerfreulichsten Visionen von heißen, parfümdustenden Sälen mit mittelalterlichen „Damen", von schlechtein Sekt zu fünf¬ zehn „Emmchen" die Flasche, oder im gelindesten Fall von ungenie߬ barem Bier drei Zehntel Liter eine Mark aufsteigen. Vergebens schützt er Unkenntnis vor, verschlügt sich hinter seine moralischen Qualitäten oder sucht dem Vergnügling klar zu machen, daß die den Onkel

„Mumpitz" ist. Es nützt ihm nichts, — er muß mit.

ganze Sache nur

auch

die moralische Verpflichtung,

Uebrigens hat er dazu

denn wer weiß, was der

sich

durchaus amüsieren Wollende alles anrichten würde, in welche Fallstricke und -Gruben er geraten könnte. — Und so zieht er denn seufzend mit dem energischen Plaisierstengel ab und kommt am frühen Morgen heim, müde, verärgert, angeekelt, und mit sehr erleichtertem Geldbeutel. Aber es war kolossal, ganz famos. — „Wie Ihr Berliner es doch gut habt", seufzt der naive Provinz¬ mensch, als er widerwillig zu den häuslichen Penaten zurückkehrt!

Ja, gut haben wir's, —

ohne Logierbesuch!

Louise Sch ul ze - B rück.

715

Versteckte Geschäfte.

W

ie bio

Pilze wachsen in Berlin die Geschäfte aus der Erde

Aber fast ebenso schnell verschwindet eines oder das andere wieder vom Schauplatz. Die Konkurrenz ist zu stark. Die Anforderungen, die an die Kräfte eines Ladeninhabers gestellt werden, sind beinahe übermenschlich. Mit bunten, lockenden, in das Auge fallenden Waren werden die Schaufenster ausgelegt. Man überbietet sich darin, die geschmackvollsten Dekorationen, die auserlesensten Artikel, die neuesten Neuheiten der staunenden Menge zu zeigen, und dabei alles so billig wie möglich zu liefern. Dieses Prinzip ist wohl von London zu uns herüber gekommen. In Paris kennt man es nicht. Welche Anstrengung, wieviel schlaflose Mancher Rächte, wieviel Sorgen fordert seine Durchführung. Kaufmann stapelt hinter den hohen Fensterscheiben für mehrere Tausende von Mark glänzende Sammet- und Seidenstoffe auf, silbernes und goldenes Gefunkel. Mit Mangel und Entbehrung werden sie erkauft. empor.

Interessant sind die Bilder, die sich dort entrollen. Immer handelt es sich um irgend eine günstige Gelegenheit. Ein Pariser Reisender war da und hat dem Geschäfte alle die eleganten ab¬ gepaßte» Roben aus Seidengaze in allen Farben, mit eingewirkten Lilien, die noch mit Flittern benäht sind, zu einem Spottpreis überlassen.

Ahnung haben. Die Inhaber dieser Verkaufsstätten Sie lassen keine Schilder in machen keine laute Reklame. Straßenbahnen anbringen. Sie treiben ihren Handel nur auf Empfehlung hin und sind vielleicht in dieser Hinsicht mit jenen Sammlungen von Kuriositäten und Antiquitäten in verstaubten Hinterräumen vergleichbar, mit solchen, wie sie Italien in Menge aufweist, in denen Kunstliebhaber und Jünger der Musen ganze Tage herumstöbern können.

Diese Stoffe hatten als Muster gedient und nun schon ihren Zweck erfüllt. Wie Hungrige fallen die weiß behand¬ Diese liegen in einem schuhten Frauen über diese Kleider her. bunten Wirrwarr durcheinander' sie werden herausgezerrt, be¬ „Das giebt es ja wundert und mit Kennermiene abgeschätzt. „Das nirgends so billig!" rufen die Stimmen fast zugleich. „Das Dreifache, kostet im Spezialgeschäft das Doppelte!" gnädige Frau," ruft die Inhaberin des Geschäfts dazwischen, „Wir haben ja keine Unkosten und begnügen uns mit einem geringen Nutzen!" Bei diesen Worten läuft sie zum Telephon, um die Bestellung einer vornehmen Dame der besten Gesell¬ Und draußen an der Eingangsthür schaft entgegenzunehmen. klingelt es alle Augenblicke. Eine Käuferin nach der andern tritt ein. Der enge Korridor füllt sich. Man stößt sich in einer am Weg stehenden Kiste. Aber das nimmt man ohne jedes Murren hin. Schnell wird der Deckel aufgehoben, hineingesehen, ob nicht irgend ein preiswerter Gegenstand daraus zu erraffen ist. Wahrlich, da liegen verhüllt, aber doch sichtbar, prachtvolle Boas aus Pelz, Federn und Tüll! — Die Menge flutet durch die geöffneten Thüren in die Zimmer. Die eine Dame beugt sich über einen Eine andere nimmt seidene Stoß hochanfgetürmter Spitzen. Matinees und Sammetblnsen von den Bügeln, während die dritte Eine vierte nimmt die sich der gestickten Batistmäsche zuwendet. Handschuhe in Augenschein. Es sind solche aus weißem Wildleder, für das höhere Militär gearbeitet — und wahrscheinlich verschnitten. Aber hier finden sie für den Preis von sechzig Pfennigen das Paar begeisterte Abnahme.

Namentlich im Westen und Nordwesten Berlins haben die In diese» Stadtteilen lebt ein kaufkräftiges Publikum. Es hat Geld uud Sinn für kostbare Blusen, französische Modelle, für Ueberwürfe aus Spitzen übrig und ist dem Wahne leicht zugänglich, da oben in einer ersten Etage, ohne Schaufenster, ohne Ladenpersonal, einzig und allein von dem Besitzer des Geschäftes uud seiner Frau bedient, billiger als irgend sonst wo zu kaufen.

Viele, viele Stunden verbringen die Damen in diesen ver¬ Sie wandeln von einem Raum zum anderen, ganz heimisch, wie im eigenen Hause. Mit Engelsgeduld warten sie, bis sie bedient werden und wiederholen mit Ruhe und Mäßigung eine Frage so oft, bis sie endlich beantwortet wird. Man muß eben Rücksicht nehmen, denken sie, wenn man die gute Gelegenheit hat, billig das Neueste und Geschmackvollste zu er¬ Emma Reichen. stehen.

Vom frühen Morgen bis zum späten Abend gehen Spazier¬ Sie bewundern die gänger und Kauflustige daran vorüber. Neuheiten, staunen über die Billigkeit, studieren die Einzelheiten, machen Bemerkungen, treffen in Gedanken eine Wahl, um schließlich in einem Riesenkaufhaus ihre Einkäufe zu decke». Elegante Frauen aber, die in rauschenden Seidenjupons ein¬ herschreiten, mit langen Zobelkatzen zurückgelehnt im Wagen sitzen, haben noch andere Ziele. Sie suchen jene versteckten Geschäfte auf, von deren Bestehen die Mehrzahl der Bewohner Berlins kaum

eine

versteckten Geschäfte Boden gewonnen.

steckten Geschäfte».

Die neuen Denkmäler in der Siegesallee.

B

in sonniger Herbsttag, wie sie uns dies Jahr in reicher Fülle beschert hat, erglänzte über Berlin, als in den Morgen¬ stunden des 26. Oktober die Promenadenwege der SiegesAllee sich mit einer schaulustigen Menge füllten, die herbeigeeilt war, um der Enthüllung der Denkmalsgrnppen des Kurfürsten Joachim Friedrich und des König Friedrich Wilhelms IV. beizu¬ wohnen. Das sprichwörtliche „Hohenzollernmetter" hatte sich auch diesmal wieder rechtzeitig eingestellt. Mancher, den sein Weg zu¬ fällig am Festplatz vorüber führte, blieb stehen, um sein Auge zu weiden an dem glänzenden Schauspiel, das dort drüben am Rande des in leuchtendem Herbstschmnck prangenden Tiergartens sich

abspielte.

Das Gesamtbild war das

Die Minister und der neue stattliche Zahl erlesener Gäste. Reichskanzler, die Chefs der verschiedenen Kabinette und zahlreiche Offiziere, die beiden Bürgermeister von Berlin, Professoren, Künstler und andere hervorragende Personen waren erschienen, und außer¬ dem hatten dem Denkmal Joachim Friedrichs gegenüber die eine

Schüler des Joachimsthalschen Gymnasiums mit dem Lehrkörper uud dem Denkmal Friedrich Wilhelms IV. gegenüber eine Ehren¬ kompagnie vom Grenadier-Regiment König Friedrich Wilhelm IV. 2) mit dem gesamten Ofsizierkorps Aufstellung

(I. Pomm. Nr. genommen.

fiel zunächst die Hülle und die in spanische Friedrichs, Joachim Denkmal von Hoftracht gekleidete Gestalt des Kurfürsten und die Büsten seiner Zeitgenossen Johannes von Löben und Graf Hieronymus Schlick Der Kaiser besichtigte zeigten sich den Blicken der Anwesenden. nebst seiner Gemahlin die Gruppe sehr eingehend und sprach dann Nach der Ankunft des Kaiserspaares dem

gleiche wie bei den früheren Ent¬

Bon allen Seiten rollten die Kutschen heran, und hüllungen. nach und nach sammelte sich vor den von Adlervelarieu umhüllten und mit blühenden Gewächsen umgegebenen DenkmalSgruppeu

716

bem Schöpfer derselben, dem

Bildhauer Norbert Pfretzschncr,

seine Aiierkenming aus, wobei er ihm den Königliche» KronenHierauf zog der Monarch mehrere ordcu vierter Klasse verlieh. Anwesende, unter ihnen drei Nachkommen des kurfürstlichen Mi¬ nisters von Löben und den neuen Bürgermeister von Berlin, in ein Gespräch und begrüßte dann, als er zur andern Nische hin¬ überschritt, die Schüler des Joachimsthalschcn Gymnasiums mit Ein hundertstimmiges einem lauten „Guten Morgen, Jnngeus!"

„Guten Morgen, Majestät!"

war die Antwort, dann stimmten

die Schüler jubelnd in das vom Direktor der Anstalt ausgebrachte Hoch ein, das im Publikum ein tausendfaches Echo fand.

Als das Kaiserpaar die Charlottenburger

Chaussee überschritten

Denkmal Friedrich Wilhelms IV. näherte, hatte und ertönten militärische Kommandos. Die Ehrenkompagnie präsentierte, die Musik intonierte den Präsentiermarsch und die Nationalhymne, die Fahne senkte sich vor dem obersten Kriegsherrn, und mit prüfendem Auge schritt der Kaiser an der Spitze seines Gefolges die Front hinunter. Dann fiel ans einen Wink des Monarchen unter der Ehrenbezengnng der pommersche» Kompagnie die Hülle vom Denkmal König Friedrich Wilhelms IV. Auch diese Gruppe wurde vom Kaiserpaar eingehend besichtigt, worauf der Kaiser dem Schöpser derselben, dem Bildhauer Karl BegaS, unter anerkennenden Worten seinen Dank anssprach und ihm den Krvnenorden dritter Klasse verlieh. Verschiedene Nachkommen der in der Gruppe auf¬ gestellten Zeitgenossen des Königs, Alexander von Humboldt und Christian Rauch, waren zur Enthüllung eingeladen und wurden sich dem

vom Kaiserpaar durch Ansprachen ausgezeichnet. Ein Parade¬ marsch der Ehrenkonipagnie beschloß die Feier, und nach der Ab¬ fahrt der hohen Herrschaften legten das Offizierkorps des genannten Regiments und eine Deputation ehemaliger Regimentsangchöriger Kränze mit Widmnngsschleifen am Fuße deS Denkmals nieder.

Die Gruppe

des Kurfürsten

Joachim Friedrichs (1598 bis

1608) und seiner Zeitgenossen, des Kanzlers Johann von Löben und des Grasen Hieronymus Schlick, ist ein Werk des BildbanerS Norbert Pfretzsch »er, deS Schöpfers des Jnng-BismarckDenkmals ans der RndelSbnrg. Ter Kiinstler hat den Kurfürsten in reicher, deutsch-spanischer Hostracht mit gefälteltem Wams und gepufften Kniehosen, langett Strümpfen und Schnallenschuhen und mit kurzem Mäntelchen dargestellt. Das Haupt mit dem klugen, sinnenden Gesicht bedeckt ein Federbarett. Die Rechte stützt der Kurfürst in die Hüfte, während die Linke mit dem Griff eines zierlichen Degens spielt. Die Gestalt lehnt sich gegen ein vier¬ eckiges Postament, ans dem sich das Modell eines Giebelhauses

im Renaissancestil befindet, das an eine Gründung des Kurfürsten, an die Stiftung der Fürstenschnle zu Joachimsthnl erinnert. Ein auf der Vorderseite des Postaments angebrachtes Segelschiff weist aus die Anlage des Finowkanals hin, während ein aus der Breit¬ seite verzeichneter Spruch, der einer alten Biographie des Kur¬ fürsten entnommen ist:

Erhält des Friedens Wohlsahrtsitand Durch der Gesetze festes Band, die Bedeutung Joachim Friedrichs als Diplomat und Friedenssürst hervorhebt. Der viereckige Sockel, auf dein die Figur steht, ist mit reicher Ornamentik und Emblemen des reformierten Glaubens,

sowie zngeS

mit der getreuen Wiedergabe in Gold geschmückt.

des handschriftlichen Ramens-

Die Architektnrsormen der Rnndbank zeigen reiche Renaissance¬ ornamente, und auch die Abschlüsse nnd Lehnen sind in diesem Stil ausgeführt. Die beiden Büsten der Seitenfiguren sind ohne Arme dargestellt und stehen, da sie sich auf der Brüstung der Bank er¬ Der heben, nur in losem Zusammenhange mit dem Ganzen. Kanzler von Löben erscheint als kluger Staatsmann nnd sinnender Gelehrter, Gras Schlick als erfahrener Hofmann mit behäbigem GesichtsanSdrnck nnd unverkennbar böhmischem Typus. Die letztere Büste mit dem breiten, glatrasierten Gesicht, dem runden Barett mit vorn angesteckter Feder und dem chemisettartig zugespitzten Brnstteil übt einen etwas komischen Eindruck ans den Beschauer ans, nnd man kann es wohl verstehen, daß am Tage der Enthüllung ans der Volks¬ menge der Ausruf ertönte: „Det is ja Kasperle mit'S Oberhemde."

Ueberhanpt gewährt die ganze Nische — eS mag dies an den eigen¬ artigen Kostümen lind den überreichen Ornamenten liegen — einen mehr grotesken als erhabenen Eindruck, nnd die sehr gezwungen erscheinende Haltung der Hauptfigur verstärkt diesen Ausdruck noch mehr. Nähert man sich von der Charlottenburger Chaussee der Dcnkmalsgrnppe, so sieht es ans, als ob die Figur des Kurfürsten vom Postament herabzufallen droht, nnd steht man vor dem Denkmal, so kann man sich des Gedankens nicht erwehren: „Wie lange kann ein Mensch in dieser Stellung ausharren?" Die eigen¬ artige Haltung des Kurfürsten, besonders die fest in die Hüfte gepreßte Rechte nnd die Stellung der Beine, die durch die gepufften Kniehosen sehr kurz erscheinen, hat denn auch schon die Spottlnst der Berliner herausgefordert, und wenn man länger vor der Gruppe verweilt, so kann man Bemerkungen, wie „Der hat woll Bauch¬ schmerzen?" oder

„Den

drückt det Korsett!" oder

„Ob

den »ich de

Wenn diese Ausrufe, die der dem Berliner eigenen Spottlust ihren Ursprung verdanken, auch nicht maßgebend sind für eine kritische Beurteilung des Kunstwerks, so zeigen sie doch, daß die Gruppe in ihrer Gesamtheit nicht den er¬ habenen und künstlerischen Eindruck ausübt, wie die Friedrichs des Großen oder die Heinrichs dc>s Kindes, vor denen derartige Aeußcrnngen nicht laut wurden. Es ist zu bedauern, daß eS dem Künstler nicht gelungen ist, diesen grotesken Eindruck abzuschwächen, da die plastische Durcharbeitung der Körper nnd der Gesichtsteile von Beene

innschlafen?" hören.

großem Fleiß nnd Kunstverständnis zeugt.

Der in der Denkmalsgrnppe dargestellte Fürst nimmt eine eigenartige und bedeutsame Stellung i» der brandenbnrgischprenßischen Geschichte ein. Er wurde nicht nur durch die Ver¬ kettung der Umstände der Stammvater des preußische» Königshanses, sondern auch der Mehrer und Erhalter des knrbrandeiibnrgischen Staates. Als Administrator des Erzstifts Magdeburg batte er Gelegenheit gehabt, die Gefahren, die dem Protestaiitismns von Nach seinem katholischer Seite drohten, kennen zu lernen. Regierungsantritt machte er es sich zur Pflicht, feine Unterthanen vor Verlust der ihnen zugestandenen Rechte zn schützen, nnd er bat seinen Plan mit Besonnenheit und Energie durchgeführt. Die testamentarisch angeordnete Teilung der Mark wußte der Kurfürst durch gütliche Einigung mit seinen Stiefbrüdern fernzuhalten,- nnd seinen einsichtsvollen Veranstaltungen ist es zuzuschreiben, daß dem Kurhaus Brandenburg die Erbfolge i» Preußen und die Aussicht ans die Erbschaft in Cleve erhalten blieb. Durch die thätige Bei¬ hilfe sreidenkender, einsichtsvoller Männer, ans denen er seinen Geheimen Staatsrat bildete, war es ihm möglich, den Niedergang Brandenburgs, der sich seit Joachims II. Zeiten bemerkbar machte, auszuhalten nnd dem Kurhaus eine seiner Bedeutung entsprechende Stellung im deutschen Reiche zu verschaffen. In hervorragender Weise wurde der Kurfürst bei seinen politischen Ilnternehmnngen von seinem Kanzler Johann von Löben, der in der Gruppe aufgestellt ist, unterstützt. Johann von Löben, der ans märkischem Adelsgeschlecht stammte, war schon während der Magdeburger Administration der Ratgeber Joachim Friedrichs und zeichnete sich später als Minister und Kanzler in der inneren wie äußeren Politik ans. Obwohl er ei» so bedeutender Staatsmann war,

der viele Lebenserfahrungen und eine hohe, gelehrte Bildung besaß, so war seine politische Thätigkeit mit dem Tode Joachim

Friedrichs zn Ende,' den» der Nachfolger Johann Sigismund entließ den Kanzler mit allen Zeichen der llngnade. Zwar wurde Löben 1627 »och einmal in den Staatsrat gewählt und gehörte ihm bis zn seinem Tode 1636 an, eine politische Rolle hat er aber nicht wieder gespielt. Reben Johann von Lüben war der zweite

in

der

Gruppe

ausgestellte

Zeitgenosse,

Hieronymus

Schlick, Graf von Bassano und Weißkirchen, der Vertraute nnd Ratgeber des Kurfürsten. Der böhmische Edelmann, welcher über zwanzig Jahre lang in brandenbnrgischen Diensten thätig war, befand sich meist in der Umgebung des Kurfürsten und begleitete den Armen des Grafen Schlick ihn auch auf seinen Reisen. ist Joachim Friedrich, als er am 18. Juli 1608 von Storkow

In

Grünn» verschieden. Die zweite der enthüllte» Gruppen, daS Standbild König

nach Köpenick zurückkehrte, bei

Friedrich Wilhelms IV. Rauchs umfassend,

ist

ein

und die Büsten Humboldts nnd Werk das Bildhauers Carl Begas

717

lind macht itu-flcn der idealen Auffassung der Figuren und der Ausführung der Architektnrformeu in Schinkelschem Stil einen sehr vornehmen Eindruck. Der König ist in zwangloser Haltung dar¬ gestellt, barhäuptig und mit der frackartigen Uniform seiner Zeit bekleidet; der Mantel ist leicht auf die Schultern gelegt und wird von der linken Hand, die sich in die Hüfte stützt, zusamincngerafft. In der Rechten hält der König den breiten Federhut. Der Künstler hat den Monarchen in jugendlicher Auffassung dar¬ gestellt, ungefähr im Alter seiner ersten Regiernngsjahre. Das das Gesicht scheint wie von hochsinnigen Plänen verklärt. Der idealromantische Zug, welcher die Triebfeder zu des Königs Handlungsweise bildete, ist in dem Standbild trefflich zum Ausdruck gebracht. Dem einfachen Cha¬ rakter Friedrich Wilhelms IV. entsprechend ist die Ausstattung

Auge blickt schwärmerisch empor,

der Rundbank in einfachen, aber edlen Formen gehalten, und auch am Postament der Hauptfigur und an den Sockeln der beiden

waren seine Erfolge weniger günstig. Die lebhaften Wünsche nach einer landständischcn Verfassung wies er besläudig zurück, weil ihm die liberalen Ideen ziemlich gleichbedeutend mit revolutionäre» Umtriebe» waren, und diese unglückliche Meinungsverschiedenheit zwischen dem König und den angesehensten Vertretern des Volks bat z» den unerquicklichsten Vorgängen im Verlauf der Regierung Friedrich Wilhelms IV. geführt. Erst infolge der Märzrevolution entschloß sich der König znm Nachgeben und zur Einführung einer konstitutionellen Verfassung, aber das Vertrauen zu seinem Volk war erschüttert, er hatte die rechte Freude an der Regierung verloren. Er überließ die Regier» »gsgeschLfte immer mehr dem Beamtentum »nd der Adelspartei, und als sich im Herbst 1857 die ersten Spuren einer Gehirnerweichnng bei ihm bemerkbar machten, übergab er die Zügel der Regierung voll¬ ständig seinem Bruder Wilhelm, dem späteren König und Kaiser seines Volks

Wilhelm I.

Christian Aauitj.

Alexander v. Humboldt.

König Friedrich Wilhelm IV. Die Köpfe der Büsten ist jeder prunkende Schmuck vermieden. beiden Zeitgenossen, des berühmten Gelehrten Alexander von Humboldt und des Bildhauers Christian Rauch, sind sehr schön durchgearbeitet und sehr porträtähnlich, was von großer Bedeutung für den Gesamteindrnck ist, da das Berliner Publikum die Gesichtszüge der beiden Männer ans zahlreichen Abbildungen ziemlich genau in der Erinnerung hat. Der ideal-romantische und schwärmerische Zug, den der Künstler in der Haltung und in dem Blick des Königs so vorzüglich znm Ausdruck gebracht hat, ist mit den Unternehmungen und der ganzen

Rcgiernngszeit Friedrich Wilhelms IV. eng verknüpft. Ideale, hochstrebcnde Ziele waren es, die der König sich beim Antritt seiner Regierung setzte, und auf dem Gebiete der Künste und Wissen¬ schaften ist es ihm auch gelungen, eine seinen Neigungen ent¬ sprechende und für die Entwicklung der deutschen Kunst höchst be¬ deutsame Richtung anzubahnen. Auf politischem Gebiet dagegen

Wenn es Friedrich Wilhelm IV. auch nicht gelang, aus politischem Gebiet nennenswerte Vorteile zu erlangen, so ist seine Regierung dennoch durch feine Fürsorge für Kunst und Wissenschaft, für Industrie und Handwerk segensreich für Preußen gewesen, und die zahlreichen Kunstwerke und Bauten in Berlin und Potsdam, die Sammlungen wissenschaftlicher und künstlerischer Forschungen

und Erzeugnisse und die mannigfachen Wohlsahrtseinrichtunge», die seiner Zeitepoche ihren Ursprung verdanken, sind eine bleibende Erinnerung an den kunstsinnigen und edeldenkenden König, den nur die ungünstigen politischen Verhältnisse an der vollen Ent¬ Namen, wie wicklung seines reichen Geisteslebens hinderten. der in jenen Verkörperung als Humboldt und Rauch, deren Büsten Richtung künstlerischen wissenschaftlichen und Zeiten herrschenden Preußen die Vorteile, die Genüge zur kennzeichne» sind, aufgestellt und mit ihm Deutschland der Regiernngszeit Friedrich Wilhelms IV. Dr. G. A. verdankt.

718

Stettin vor 123 Jahren. eber den Ursprung und das

Jahr

der Erbauung von Stettin

Die übrigen Kirchen gehörten

den Lutheranern.

Es waren dies:

Um die Zeit der Bekehrung der

herrscht völlige Dunkelheit. Pommern zum Christentum war sie schon eine ansehnliche Stadt. Als Götzendiener beteten die Einwohner den Triglaff mit mit drei Köpfen an und hielten ihm ein schwarzes Pferd. Die Stelle seines Heiligtums soll auf dem Stadthofe gewesen sein.

königliche, im gotischen Stil erbaute Kathedrallirche Ihr zu St. Marien, 1263 vom Herzog Barnim I. gestiftet. 500jähriges Jubelfest wurde 1763 mit großer Feierlichkeit be¬ gangen. 1732 wurde sie mit einem neue», 348 Fuß hohen Turm versehen, nachdem der alte 1677 bei der Belagerung eingeäschert

Das Wappen der Stadt stellt einen roten Greisenkopf vor und wurde 1660 mit einer königlichen Krone, zwei gekrönten Löwen und einem Lorbeerkranz vermehrt. In dem alten Stadt¬ siegel, in welchem die Stadt Stittin genannt wird, führte sie einen Mann mit langen Haaren und Kleider», der auf einem Stuhle sitzt, in der rechten Hand ein Schwert und in der linken ein Szepter hält und neben sich zwei Greife und zwei Schilder hat.

worden war. Einem in der Kirche aufgehängten Marienbilde wurden in alten Zeiten unzählige Wunder nachgerühmt. Unter den in der Kirche befindliche» Begräbnissen zeichnete sich das des Stifters und das der Gräflich Mellinschcii Familie besonders ans. 2. Die unter dem Patronat des Magistrats stehende Jacobikirche, 1187 von Jacob Berniger erbaut. 3. Die dem heiligen Nikolaus gewidmete Kirche, 1335 unter Herzog Otto I. von Kaufleuten und Seefahrern gestiftet und aufgebaut. 4. Die St. Petri- und Paulikirche, 1124 auf Veranlassung Bischofs des Otto von Bamberg für die bekehrten Wenden an¬ gelegt, ivar erst aus Holz und wurde unter Barnim I. aus Stein

Dadurch, daß die ponimerscheii Herzöge Stettin zu ihrer Residenz erwählten, erhielt sie an Volksmenge und Reichtum einen bedeutenden Zuwachs. 1360 trat die Stadt in den Hanseatischen Bund und erreichte dadurch einen großen Aufschwung. Im 16. Jahr¬ hundert findet man Nachrichten von einem wieder aufgelebten Verkehr mit Polen auf der Oder und Warthe und mit Spanien.

Zu den Unglücksfällen, die die Stadt erlitt, gehörten die Pest 1625 und 1712, wodurch jedesmal etliche 1000 Einwohner auf¬ gerieben wurden, und die vielen Belagerungen. Während die Kaiserlichen und Brandenburgischen Truppen 1659 vergeblich die Stadt belagerten, gelang es dem Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm 1677 sich der Stadt zu bemächtigen, nachdem er sie vom 25. Juni bis 14. Dezember desselben Jahres belagert hatte. 1713 wurde die Stadt von den Russen bombardiert und der größte Teil in Asche gelegt. Erst durch den Stockholmer Frieden blieb Den sie unter preußischer Hoheit und erholte sich dann zusehends. Huldigungseid leistete sie am 10. August 1721. 1777 zählte Stettin 1558 Häuser und 14 670 Einwohner (gegenwärtig 152 000 Einwohner). Von den Baute» war das vom Herzog Johann Friedrich gegen Ende des 16. Jahrhunderts auf dem Altböterbcrg erbaute und 1616 von dem Herzog Philipp II. erweiterte Schloß der vornehmste.

Die auf dem sogenannten Ochsenberge 1775 erbaute Kaserne enthielt vier Stockwerke mit 96 Stuben und Kammern, für 96 be¬ weibte und 384 ledige Soldaten. Die alten Baracken bestanden aus 32 Soldatenwohnungcn. An Militär lag damals in Stettin: 1. Das Regiment von Bevern, 1677 errichtet, bestehend aus 2 Kompagnien Grenadieren und 10 Kompagnien Musketieren (Chef ivar Herzog August Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg-Bevern). 2. Das Regiment von Hake, 1677 aus den märkischen und pouimerfchen Garnisonen errichtet. 3. Das Landregiment von Posek, aus 7 Kompagnien bestehend. 4. 1 Kompagnie Artillerie, 1716 errichtet. 5. 1 Eskadron Husaren, 1742 errichtet. Das drei Stockwerk hohe Rathaus war 1245 und das zwei Stockwerk hohe Landschaftshaus 1729 erbaut worden.

In der am Schloß angebauten Schloß- oder St. Ottenkirche ruhten die Gebeine verschiedener Pommerscher fürstlicher Personen, !>. a. die der Gemahlin Barnims des Große», Agnes, ihrer Söhne Casimirs VI. und Bvgislavs VII., ferner die Gebeine Bogislavs VIII., Ottos II., Casimirs VII., Ottos III., Casimirs VIII., Bvgislavs des Großen, Georgs I. nebst Gemahlin, Johann Friedrichs Gemahlin, Barnims XI. nebst Gemahlin, Georgs III., Philipps II., Franzens I. und des letzten Herzogs Bogislavs XIV. 1726 wurden in die Kirche auf Anordnung des Königs Friedrich Wilhelm sämtliche königliche Beamte und deren Familien cingepfarrt; die 1721 errichtete französisch-reformierte Kolonie, aus etwa 300 Personen bestehend, hielt auch in dieser Kirche ihren Gottesdienst ab. Das französische Konsistorium, welches dem französischen Konsistorium in Berlin unterstellt war, bestand aus zwei Predigern, sechs Kirchenältesten und einem Rendanten. Ten Römisch-Katholiken war zur Uebung des Gottesdienstes 1737 ein großer Saal im Schloß eingeräumt worden. Die Zahl der Glieder dieser Gemeinde belief sich in der Stadt auf 300, vom Militärstande auf 700 Seelen.

1.

Tie

erbaut. 1677 wurde sie fast gänzlich eingeäschert. 5. Die St. Johanniskirche in der Heiligen Geiststraße, 1240 von Franziskanermöncheu erbaut, welche aus Westfalen gekommen Seit 1722 wurde sie den Deutsch-Reformierten — etwa waren. 160 an der Zahl — zu ihren gottesdienstlichen Versammlungen angewiesen. 6. Die Kirche der heiligen Gertrud aus der großen Lastadie, 1308 vom Herzog Otto I. gegründet. 1400 unternahmen vier weiße Carmelitermönche, welche vom Bischof zu Bamberg aus¬ 1650 bis geschickt waren, einen Neubau, der 1441 zustande kam. 1660 wurde die Kirche gründlich ausgebessert. Juden waren damals in Stettin nicht vorhanden, sowie auch

in ganz Borpommern nicht. Stettin war damals reich an Hospitälern und Stiften. Da war das Hospital zu St. Gertrud, das Hospital zum grauen Kloster (1240 erbaut), das Petrische Hospital (1562 vom Herzog Barnim VIII. und seiner Gemahlin gestiftet), das Berkhofsche Stift (1633 von dem Ratskämmerer Berkhof errichtet) u. s. w. Für die Armen waren zwei Armenhäuser vorhanden. Im Waisen¬

haus (1684 erbaut) wurden 24 Bürgerkinder beiderlei Geschlechts in Kleidung, Essen und Trinken unterhalten, auch erhielte» sie Unterricht in Religion, Schreiben und Rechne», sowie in Hand¬ arbeiten. Auch für die Witwen der Königlichen Beamten und der Geistlichen war in ausreichendem Maße gesorgt. Die Witwenkasse der ersteren wurde 1767 gestiftet. Ein jedes Mitglied hatte vierteljährlich 1 Rthlr. beizusteuern. 1774 wurde von diesen Beamten eine Sterbekasse errichtet. Die Kasse für die Predigerwittwen bei der St. Petrikirche wurde 1641, und die bei der Nikolai- und Jakobikirche 1767 errichtet. Außerdem sind an Stipendien zu nennen: das Jacobische (1677 gestiftet), das Kraaseniksche, das Meyersche (1705), das Conowsche (1738), das Cauteninssche (1723), das Patovinische, das Podelsche (1616) und das Keidtsche (1737) und elf Vermächt¬ nisse für die Armenanstalten. Die Fürsorge erstreckte sich im weiteren auf die Schulen und Erziehungsanstalten. 1777 waren vorhanden: 1. Das aus den ehemaligen Kanonikaten der St. Marien¬ stiftskirche entstandene königl. akademische Gymnasium, das 1541 unter dem Namen „Fürstliches Pädagogium" gestiftet wurde, kam unter den Herzögen Barnim VIII. und Philipp 1543 zustande. Karl XI., König von Schweden, erhob es 1667 zu einem akademischen Gymnasium, das später den Namen Carolinum führte. 2. Die große Ratsschule, 1391 angelegt, kam erst 1540 in Wirksamkeit mit 10 Lehrern. 3. Das Jageteufelsche Kollegium, 1399 gestiftet und 1412 in Wirksamkeit getreten, diente dazu, 24 arme Knaben frei zu unter¬ halten und zu unterrichten. 4. Die Ministerialschule, seit 1737 nach und nach entstanden, Sie bildete zugleich eine Anlage zum Küster¬ hatte 5 Klassen. und Schulmeisterseminar. Dann waren noch da: die Lastadische, die Sternbergsche, die Deutsch-Reformierte und die französische Schule.

719

Außer mehreren öffentliche» Bibliotheken waren die Bibliothek Gymnasiums, der Ratsschule, der Freimaurerloge, besonders die Nikolaischc Kirchenbibliothek und die Bibliothek des Apothekers Meyer, verbunden mit einem ausgedehnten Naturalienkabinett, von Bedeutung. An Bnchläden gab es zwei (den Nikolaischen und den Paulischen in der Schuhstraße). An Druckereien gab es ebenfalls zwei (die der König!. Pommerschen Regierungs- wie auch Kriegsnnd Domänienkammer des Buchdruckers Essenbart und die Brucksche). In der Essenbartschen Druckerei wurden wöchentlich — Montags »nd Freitags — eine privilegierte Zeitung, und- ebenso oft und an denselben Tagen unter Aufsicht des Pommerschen Jntelligenz-AdreßKomtors, das mit dem Grenzpostamte verbunden war, die Pommerschen Jntelligenzblätter zum Besten des Potsdamer Waisen¬ des

hauses herausgegeben.

Die Zahl der Laternen zur Erleuchtung der Straßen betrug 315.

Zur nächtlichen Bewachung der Straßen waren ein Stadtwacht¬ meister, drei Wachtknechte und dreizehn Nachtwächter bestellt, deren Anzahl im Winter verdoppelt wurde. Der See- und Landhandel Stettins war sehr beträchtlich. Der erstere erstreckte sich nicht nur auf alle Reiche und Länder an der Ostsee,- sondern auch auf Holland, Frankreich, Spanien, Portugal und

Italien.

Seewärts waren 1777 in Stettin eingetroffen: 368 Schiffe beladen, 260 Schiffe leichter beladen und 817 Schiffe mit Ballast. Ausgeschifft wurden 1148 Schiffe beladen, 314 leichter beladen und 102 Schiffe mit Ballast.

auf der Oder und Warthe stand in voller Blüte. 150 Schiffe gehörten Stettinschen Kaufleuten, Schiffern und anderen Einwohnern. Außer den Schiffsbauanstalten verdienen noch eine Anzahl Fabriken genannt zu werden. Vier Tuch-, elf Zeug-, elf Hut- und vierzehn Strninpfwaren-Manufakturen, vierzig Garn- und Banmwollen- und sieben Bandfabriken, eine Papier- und eine Segeltnchsabrik. In den Manufakturen waren 147 Stühle mit 815 Arbeitern beschäftigt. Wichtig waren auch die Siedereien für schwarze Seife. Auch der Schiffsverkehr

Außer den Wochenmärkten wurden in Stettin damals jährlich zwei Krammärkte, jedesmal vierzehn Tage, und mehrere Vieh- und Wollmürkte abgehalten. Die Königliche Leihbank lieh Kapitalien zu fünf Prozent aus und verzinste Kapitalien zu zwei Prozent. Die Gerechtsamen und Privilegien Stettins waren ganz be¬ deutend; es waren davon einige vierzig, die sich bezogen auf Zoll-, Steuer- und Handelsfreiheiten, Bau-, Fisch-, Vieh- und Jagd¬ gerechtigkeiten, auf die Gerichtsbarkeit, auf das Münzwesen u. s. w. Das Recht des Magistrats, mit rotem Wachs zu siegeln, wurde vom Kaiser Maximilian II. 1570 erteilt. Zu den Vorrechten der Bürgerschaft gehörte die priviligiertc Schützengesellschaft, die bereits 1597 nach einem Privilegium von diesem Jahre vorhanden war, und deren Vorrechte 1561, 1581, 1644, 1681, 1700 und in den folgenden Jahren bestätigt worden waren. 1721 wurde der Gesellschaft vom König Friedrich Wilhelm großer silberner Pokal und in dem folgenden Jahre sein Bildnis verehrt. Das Schützenhaus war von aller Einquartierung und dem Servis befreit. Die Postverbindungen Stettins waren für damalige Ver¬ hältnisse ganz vorzüglich und wurden durch fahrende und reitende ein

Posten, Fußbotcn und durch Kähne (tut Winter durch Eisschlitten) hergestellt. Wöchentlich zweimal war Verbindung mit Gollnow, Gartz, Greisfenhagen, Berlin über Löckwitz, Prenzlau und Zehdenick, Berlin über Angermünde, Neustadt-Eberswalde, Berlin über

Pyritz und Küstrin; mit Vorpommern über Ueckermünde und Anklani nach Hamburg, Mecklenburg, Norwegen, Schweden n. s. w.; mit Hinterpommern und mit Ostpreußen über Stargard, Massow nach Rußland, Polen u. s. w. Zu dem Eigentum der Stadt gehörten: die Stadt Pölitz mit 196 Häusern und 1000 Seelen, 1260 vom Herzog Barnim 1. an¬ gelegt und von Otto I. 1321 der Kämmerei geschenkt, sechs Dörfer sowie die 5 Erbzinsgüter: Bergland, Langenberg, Schwabach,

Schwankenheim, Schwarzow 10 Wassermühlen.

und

außerdem

3

Pächtereicn und

Der Marienberg bei Lenken (Elbe) Elbthales wird durch eine drei Kilometer lange, in Sichelform auftretende Bergreihe gebildet, ans der sich in der Rahe des fischreichen, von Rohr und Gebüsch umrahmten, 190 Hektar großen Rudower Sees der etiva 44 Meter hohe Marienberg, in der Vorzeit unserer Mark Kesten-Hiseken oder Isekenberg genannt, erhebt, der seit uralter Zeit eine Kultusstätte der alten Germanen (Semnonen) und nach diesen der Slaven (Rhedarier) war. Mag die Annahme vom Prediger Handtmann-Seedorf, ans dem Marienberge bei Lenzen (Elbe) habe einst das größte Heiligtum der Wenden, das heidnische Rhetra, gestanden, zutreffen oder nicht, so ist doch geschichtlich nachgewiesen, daß die Wenden in der Prignitz ans diesem Berg und im nahen Torf Mellen und auch wohl in Boberow am See gleichen Namens ihre Götter, namentlich den Radegast, verehrten. Bei den ersten Christianisierungsversnchen im westlichen Brandenburg wurde der Götzentempel ans dem Marienberg zerstört und an dessen Stelle ein Kloster und eine Kapelle zu Ehren der Mutter unseres Erlösers erbaut. Die Kirche war in Kreuzform erbaut. Der Eingang geschah von Süden aus. Oestlich von dem Ganzen lag der Friedhof. Kuriert wurde die Kirche von Lenzen ans, und die Bewohner der zunächst liegenden Dörfer verrichteten hier ihre Andachten. Durch die Versammlung der Gläubigen an sogenannten heiligen Orten wurden verschiedene Bedürfnisse des häuslichen Lebens berührt und empfunden, und um sie möglichst zu befriedigen, fanden sich Händler ein, und so begann hier am Marienberg ein Markt, der später ans Ersuchen deö Magistrats in die Stadt verlegt wurde. Der bedeutendste Markt war der um Lichtmessen herum. Dem Markte ging regelmäßig eine Frühmesse voraus. An den großen Festen, namentlich im Maiengrün des Pfingstfestes, wechselten ernste Gottesdienste, andächtige Verehrung der Mutter Maria, feierliche Prozessionen der Lenzener Geistlichkeit, deren Zahl sich einst auf nenn belief, der Behörden, der Gilden und der Einwohner und lustiges Jahrmarktstreiben. Die Mönche des Klosters entnahmen ihren Bedarf an Fastenspeisen und Sylvesterkarpfcn dem Rudower See oder der drei Kilometer entfernten Elbe. Nach¬ dem in den unruhigen Zeiten der Onitzows, die in der Prignitz ic

östliche Grenze des Lenzener

'tf&d über

der Besuch zurückgegangen war, die meisten Dörfer selbst mit Gotteshäusern versehen wurden, ja, das Licht der Reformation auch diese Ecke der Mark erleuchtete, Kapelle und Kloster oft beschädigt wurden und endlich unbenutzt dastanden, den Winden und Wettern preisgegeben, zerfielen sie allmählich. Rach dem großen Brande des Jahres 1703, der die Stadt Lenzen an den Rand der Vernichtung brachte, wurden die Gebäude ab¬

zahlreich ansässig waren,

Außer getragen und das Material zu. Neubauten verwendet. einigen noch vorhandenen Backsteinresten erinnert heute auf dem Marienbcrge bei Lenzen nichts mehr an das einst hier befindliche Die Fischreiher ans dem benachbarten Storbitzer Kloster re. Forst stehen oft zu Dutzenden in philosophischer Ruhe ver¬ sunken am Fuß des Berges und scheinen zu trauern um die Im Jahre 1638 Oede und Stille auf und an dem Berge. wurde diese Stille durch Schwertgeklirr und das Schreien roher Kriegslente unterbrochen. Schwedische Truppen hatten den Be¬ wohnern Lenzens, man schrieb wohl den 5. Oktober, fast ihr ganzes Vieh geraubt, und erschlugen oder verjagten nun hier ans und am Berg die ihnen nachsetzenden Bürger der Stadt. Rach dem oft geschmähten Jahre 1848 turnte die Jugend Lenzens hier etliche Zeit. Vor wenigen Jahren regte Pastor Beuster-Wronke, ein ge¬ borener Lenzener, an, am Marienberg ein Emeritenheim für Pastoren zu gründen, aber das Projekt scheint, wie viele, einzuschlafen. den Tagen des Herbstes, wenn das Sterben durch die Natur geht, spricht hier oben ans dem Marienberge die Erinnerung Wenn die Herbststürme am eindringlichsten zu dem Besucher. durch die Gipfel der Föhren und Pappeln fahren und das Ge¬ triebe und Wagengerassel des Verkehrs in der Stadt übertönt, wenn der Regen "die hernieber rauscht und die heraufziehende Däm¬ dunklen Waldbergc in Schatten hüllt, tritt die merung erst Gegenwart zurück, und die Vergangenheit steigt auf. Die Natur bleibt dieselbe, der Berg ragt seit Jahrtausenden auf, alljährlich sprießt frisches Grün hervor, — nur des Menschen Werke ver¬ gehen und sinken dahin, wie er selbst. Ein Geschlecht schnitzte den Radegast, ein anderes baute die Kapelle und das Kloster und ein Friedrich Seeger. drittes zerstörte alles.

In

720

B«^^Wi WW^WWW^WWW?wvW?W5WmWWW^WwmwwwvWvwvvy^a ;

Hie Anisei. Novelle von

^Narie Bernkard. (Nachdruck verboten.)

war keine gewöhnliche Amsel, — bewahre! Erstens war sie in einem Walde gefangen, der seit undenk¬ lichen Zeiten in der ganzen Umgebung „das Zauber¬ wäldchen" hieß, — wie viele Leute behaupteten, kam der Name daher, daß man sich sehr leicht in diesem Wald ver¬ irren konnte, andere aber sagten, cs sei dort wirklich nicht geheuer — zweitens sang und flötete diese Amsel ganz be¬

B

ö

sonders süß und lieblich, iveit schöner, als alle ihre gefiederten

Kameraden, endlich

.

.

das .

sagte

jeder,

der

sie

Johannes Erdmann, der

drittens . . Meta Wolfs in

hörte, sie



halte einem zierlichen, selbslgeschnitzten Käsig gebracht, das Bögelchen nicht ohne Mühe für sie gefangen, — und

Johannes Erdmann ivar Meta Wolffs „stiller Bräutigam". Einige Leute im Dorf mutmaßten das wohl und fragten die hübsche Meta zuweilen: „Na, Meta, — wie ist's denn mit dem Johannes? Wird Ihnen die Zeit auch nicht lang? Und werden Sie ihm auch treu bleiben?" Sie schlug dann die Augen nieder und gab eine aus¬ weichende Antwort. Die Leute sollten sie in Ruhe lassen! Die Leute brauchten nicht alles zu wissen! Geben konnte ihr doch keiner was, und sic ivolltc auch von Fremden gar nichts

...

Außerdem so ganz felsenfest stand die Geschichte gar nicht! Verlobt, — na ja! Im stillen verlobt war Meta, das mußte sie sich eingestehen. Aber vor dem Trau¬ altar hatte sie noch nicht ja gesagt, und bis dahin . . . wer weiß!! — Sie war die „Schönheit" des großen, wohlhabenden Kirchdorfes, diese Meta Wolfs, und das wußte sie selbst am besten. Wenn sie in ihrem sauber aufgeräumten, freundlichen Stübchen vor dem Spiegel stand und langsam ihr goldhclles Haar kämmte und flocht, dann wog sie oft die seidenglänzendcn, schweren Flechten aus der Hand und lächelte dazu, — ein haben!

noch

Lächeln des Triumphs und der Befriedigung! Es gefiel ihr sehr wohl, daß sic eine so weiße Haut hatte, so feingeschnittene Züge, so träumerische, lichtblaue Augen. Sie galt für „apart" und hochmütig im Dorf, — auch das wußte sie, aber es focht sie nicht an. Seitdem sie ein Jahr in der großen Stadt gewesen war und dort Schneiderei und Pntzmachen gelernt hatte, ivar ein entschiedener Zug nach dem „Höheren" bei ihr zum Durchbruch gekommen, — sie sprach besser, benahm sich besser und kleidete sich geschmackvoller als alle ihre Altersgenossinnen, sie halte auch mehr gelernt als die und ging oft zuni Herrn Pfarrer, uni sich Aufgaben von ihm geben zu lassen oder ein Buch von ihm zu erbitten. Das alles galt für Ucbcrhebung und Dünkel in den Augen ihrer Nachbarn, — aber die wohlhabenden Bauern¬ frauen und Töchter ließen doch alle nur bei Meta Wolfs ihre Kleider und Hüte arbeiten, — sie hatte erstaunlich geschickte Hände und einen guten Geschmack etwas zu fei» für die an grelle Farben geivöhnteu Leute, aber Frau Prediger, Frau Lehrer, Frau Rendant ließen auch ihre Garderobe von ihr Herstellen, ja, sic hatte sogar mehrmals aufs Schloß kommen müssen, um den jungen, gnädigen Fräuleins die Werktagskleider und die Tenniskostüme zurechtzustutzen und

....

das Morgengewand der gnädigen Frnn neu aufzuarbeiten, — wenn die Honoratioren mit Meta Wolfs zufrieden ivaren, so die Dorfiusassen doch keinen Tadel erlauben! Seit ihrem achtzehnten Jahr stand das Mädchen ganz allein. Da war ihr die Mutter gestorben — den Vater hatte sie kaum gekannt — und sie lebte nun seit beinahe vier Jahren weiter im sogenannten „Weberhäuschen", wo sie zwei kleine

durften

sich

Zimmer und eine winzige Küche bewohnte. Viel beobachtet, viel beneidet und besprochen, wie Meta war-niemand konnte das geringste Nachteilige über sie sagen; sie hielt sich von allen öffentlichen Lustbarkeiten fern, war zurückhaltend gegen die jungen Männer und bevorzugte keinen einzigen von sind ihr alle nicht gut genug, sic ist viel zu hochmütig, um sie zu beachten!" sagten die Freundinnen mit der bekannten wohlwollender Betonung. Gcwöhlich folgte noch der Schlußsatz: „Und ich find' sic gar nicht mal so besonders hübsch! Das; die jungen Leute sich um die so den

ihnen,-„die

Pelz zerreißen!" Denn — der Wahrheit die Ehre — das thaten sie. Meta Wolfs mußte viele Schmeicheleien anhören, grobe und feine, viele Geschenke zurückweisen, häßliche und hübsche, ver¬ Sic that das schiedene Freier heimschicken, junge und alte. alles in ihrer netten, ruhigen, ein ganz klein wenig koketten Manier — sie ivollte sich niemanden zum Feinde machen, in ihrer Abweisung lag nie etwas, das direkt zurückstieß; es war viel hübscher, die Leute blieben gut Freund mit ihr. Johannes Erdmann kannte sic auch schon lange. Er war der Schulzensohn im Dorf, ein langer, etwas ungelenker Mensch, gar nicht schön anzusehen, schüchtern im Wesen, schwer

....

aber ein tüchtiger, solider junger herausgehend, Mann, dem der alte Vater, sobald Johannes vom „Soldatcnspielen" frei kam, sofort den ganz ansehnlichen Hof und Besitz übergeben ivolltc. Zweimal hatte der Schnlzcnsvhn sich zurückstellen lassen — einmal war der Vater bedenklich

aus

sich

erkrankt und der junge

Manu als Stellvertreter unentbehrlich,

das zweitemal war sein linker Lungenflügel ärztlicherseits nicht ganz in Ordnung befunden worden, . . das kam daher, weil Johannes, erhitzt von schwerer Feldarbeit, wie er war, in den eiskalten Mühlbach gesprungen ivar, um mit eigener Lebensgefahr der Witive Berger kleines Mädchen heraus¬ zuholen, das über den Steg gelaufen und hinabgestürzt ivar. — Dies lag nun fast zwei Jahre zurück, und bei der letzten Aushebung ivar Johannes für gesund erklärt worden und mußte in die Stadt, seine Militärzeit abzudienen. .

Zuvor aber hatte er sich in aller Stille mit Meta Wolfs „versprochen". Sie wußte hinterher selbst kaum, wie es gekommen war. Eigentlich war die Amsel schuld daran gewesen. Meta hatte sich schon immer einen kleinen Vogel ge¬ wünscht, — einen, der ihr bei der Arbeit etwas vorsang, den Ihre übrigen sie sich zähmen, über den sie sich freuen konnte. „Verehrer" konnten oder wollten sich mit dieser ihrer Idee nicht vertraut machen, aber Johannes Erdmann hatte ihre einst flüchtig hingeivorfene Bemerkung behalten. — — Es

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war ein schwüler, feuchtwarmer Frühlingsabcnd gewesen. Meta hatte besonders viel Arbeit gehabt und den ganzen Tag an der Nähmaschine gesessen, fast ohne aufzuschauen. Nun aber konnte sie nichts rechtes mehr sehen, der Kops ivar ihr wüst, die Glieder waren ihr steif. Sic hielt es in ihrem Stübchen nicht mehr aus, — sie lief hinaus in den nahen Wald, wie sie ging und stand. Es war dort ganz einsam. Die Dorfbewohner wären ivic Verrückte vorgekommen, wenn sie im Walde' hätten spazieren gehen sollen. Wer Feierabend gemacht hatte, stand oder saß vor seiner Thür und ruhte sich aus, die jungen Leute hatten ihr ganz bestimmtes Stelldichein beim Krug oder beim „Laden", einem Etablissement, in dem schlechterdings alles zu haben war, von, Hoscnknopf bis zum Seidenkleid! sich

den

Meta aber, als die „Aparte", die Wald und liebte die Einsamkeit.

Rechenschaft darüber, weshalb es sic

statt

schwatzender,

lachender

ihr

sie

einmal war, liebte

Sic gab so

sich

keine

wohl ivnrde, wenn

Menschenstimmen

herum nur Blätterrauschen und Vogellaute hörte, genügte die Thatsache.

um

Um diese Jahreszeit war es mit deni Blätterrauschrn freilich noch nicht weit her. Was an Blättern da war, saß noch schüchtern zusammengedrückt, eng aneinander geduckt an den Zweigen, — die Blattknospen waren vor kurzem erst anfgesprnngeil. Aber ein Treiben und Schivellcn ging durch den frühlingsgrüncn Wald, — man meinte, alles wachsen und werden zu sehen, meinte, den tricbkräftigcu Saft in den Acsten quellen zu hören, das wohlige, langsame Dehnen der eben empor gesprossenen Triebe beobachten zu können. Die Sonne war beinahe hinunter, nur schräge Goldpseile schossen noch hier und da durch den Wald. Ueber Tag hatte es ein wenig geregnet, die Moospolster waren saftig grün und hielten einzelne versprengte Regentropfen fest, die gleich Ein Ouellcheu gluckste und rieselte Diamanten flimmerten. und kicherte stillvergnügt für sich im Grunde und trieb sein Spiel über glattgewaschene, bunte Kieseln. Die Maiblumen standen am Fuß der alten Bäume im üppigsten Blattschmuck hatten aber ihre süßen Gesichtchcn noch nicht erschlossen' Dafür hing es ivie schwerer, warmer Veilchenduft in den Mit schwirrendem Laut trugen die Vögel stillen Lüften. Halme und Federn zum Nest, — ein paarmal schluchzte von fern eine Nachtigall auf, ivic in Sehnsucht vergehend. — Schön ivar es gewesen, — ach, schön, so mitten im lenzatmendeu Walde ganz allein! Meta hatte dagestanden wie verträumt, und hatte geschaut und gelauscht, — ihr ivar's gewesen, als müßte sic auf etwas ivarten, aber hätte sic jemand gefragt, — sie würde nicht haben sagen können, was cs war! — —

....

vor ihr

gestanden, wie aus dem Erdboden gewachsen. An den hatte sie nicht gedacht, auf den nicht gewartet — das stand fest, aber fortweisen konnte sie ihn nicht gut, wie er sie in seiner bekannten, verlegen freundlichen Manier grüßte und ansah.

Er hatte

gern, das hatte sie recht gut gemerkt, trotz¬ dem er nie ein Wort davon über seine Lippen gebracht hatte. sic sehr

„Was

thun

Sic

Mctachen?" hatte er

sie

denn

so

spät

allein

im

Wald,

gefragt.

„Ich, — ach, Gott, ich hab mich so heiß und müd ge¬ näht, da wollt ich mir frische Luft holen. Aber wie kommen Sie hierher, — und was tragen Sie da in der Hand?" Da hatte er nist einer linkischen Bewegung das rotbunte weggezogen und hatte Meta einen niedlich ge¬ schnitzten Käfig sehen lassen, in dem ein Vögelchen saß. Taschentuch

haben-"

Die Zunge war ihm trocken geworden, er

schluckte und Augen sprachen immer weiter, und das einzige Hübsche an dem ganzen Menschen waren diese guten, trenblickenden, blauen Augen, mit denen er jetzt Meta Wolfs unverwandt anschaute.

brachte den Satz nicht zu Ende, aber

seine

Es fiel ihr ein, wie ihre verstorbene Mutter zwei, drei

sich

.... ihr

Und mit einemmal hatte Johannes Erdinauu

„Für Sic, Mctachen!" sagte er verschämt. „Weil Sie 'ne 'n Amsel ist immer gern' mal' Vogel haben wollten . . . es — sie singt sehr nett, . . . ich hab' sie selbst eingefangen und das Bauerchen geschnitzt, weil — weil ich dacht', Sic 'n könnten sich d'rübcr bißchen freuen." — „Aber ja! Ich freu' mich! lind sehr sogar! Das reizende Tierchen! Es ist so gut von Ihnen, Johannes — so gut! Daß Sic sich für mich so viele Mühe gemacht „Na, was das betrifft, — die Müh', mein' ich — da sollt' mir wohl nichts zu groß und zu schwer sein für Sic, Mctachen! Da thät' ich gern noch was ganz anderes, wie 'n 'ne Bauer schnitzen und Amsel fangen. Sic sollten bloß — mal sehen, was ich alles könnt', wenn wenn —" doch

Wochen vor ihrem Tode einmal von verschiedenen jungen Leuten, Bauersöhnen ans dem Dorf, gesprochen und an ver¬ schiedenen dies und jenes zu tadeln gefunden hatte. „Nimm 'mal die nicht, wenn sie um Dich freien kommen, mein

'mal

„Aber wenn warnend gesagt. das ist der Johannes Erdmann Dich haben 'n 'n ordentlicher und guter Mensch, — da greif' Du zu, ich geb' Dir meinen Segen noch vom, Himmel herunter!" Töchterchen!"

sichts

hatte

sie

will,-ja,

Meta wurde recht verlegen, daß ihr gerade jetzt ange¬ des Johannes diese Bemerkung einfiel, — und dazu

wehte

sie

der Lenz- und Veilchenduft ans

dem

sprossenden

Walde an, das junge Laub strömte einen frischen Wohlgcruch aus, die Nachtigall war auch näher herangekommen und schluchzte so weich, . . .cs lockte alles um sie her

....

alles! Und die kleine Amsel in ihrem Käfig begann plötzlich leise zu singen

....

„Seh'n Sic —

Sie, Mctachen, die will mir 'n heraus. „Haben Sie sic Amsel mein ich?"

seh'n

helfen!" stotterte Johannes bißchen

gern,-die

„Sehr,

Ich bin ja ganz glücklich über sic!" „Und haben Sie auch — und können Sic vielleicht ’it bißchen gern haben? Bloß auch, — Mctachen — mich 'n — klein bißchen? ich ach, Gott, — ich hab' Sie Ich schon zu lieb!" Da war cs heraus, — und da war cs geschehensehr gern!

rasch wurde der Käsig mit der kleine» Amsel auf das grüne Moospolster gestellt, denn Johannes brauchte seine beiden Arme — brauchte sie, um die schöne, blonde Meta an sein Herz zu ziehen und fest an sich zu pressen, — so fest, daß es ihr weh that.

rasch,

„Bist ja viel

für



bist ja viel zu fein und zu schad'!" flüsterte er abgebrochen, während er sie küßte, von sich schob, um sie entzückt zu betrachten, an sich zog und 'ne von neuem küßte. „Wie Prinzessin —. ich hab' mich ja nie getraut, Dir zu zeigen, wie lieb ich Dich hatt', — immer schon — aber Du hast das gewiß lang' gemerkt, so klug, wie zu schön

mich,

....

Du bist! Ich — ich bin es ja gar nicht wert, aber wart' bloß, — wart', wie ich werd' arbeiten thun, wenn Du meine Frau bist! Sollst gar nichts machen von rauhen und groben Arbeiten, — gar nichts! Ich leid' es nicht! Bloß nähen, wenn Dir das Spaß macht — und Bücher lesen — kannst mir auch vorlesen, ich hör' gern zu, — Deine feinen Händchen, die bleiben so fein, das sag' ich! Aber nun muß ich bald fort zum Dienen, — Gott, Gott, was werd' ich mich

722

bangen! Aber, nicht wahr, mein Metachen, wir schreiben uns manchmal Briefe?"

etwas anderes stand nie in diesen Briefen, die in steifen oder auch schwülstigen Wendungen abgefaßt waren, wie eben Leute

niit mangelhafter Schulbildung es nicht anders können.Meta aber schrieb viel leichter und freier, sie hatte ein an¬ geborenes Gefühl für das, was hübsch sic nett und anmutig zu plaudern wußte, sobald sie wollte, so verstaub sie sich auch gewandt mit der Feder in der Hand druckte Johannes des Mädchens Hand. geben. Sie konnte hübsch darüber berichten, ivie prächtig könnt' keine zu „Ich 'ne — andere lieb haben, nne Dich, und ivenn's Gräfin wär', der Winter aussah, recht ivie ein riesiger Eispalast, und wie keine! Immer, wenn ich in der Stadt bin, denk' ich an meine das gemütlich war, spät abends in ihrem warmen Stübchen, Meta, das ist die Beste, — die Liebste, — die Schönste, — wenn alle Arbeit beiseite gethan war, bei einem guten Buch Gott, ivas werd' ich mich bangen!" zu sitzen, das ihr der Herr Pfarrer geliehen hatte — und wie Seilt Blick ivar auf den Käfig mit der Anisel gefallen. wundervoll der Sternenhimmel anzusehen war bei klarem „Die hat uns zusamniengcbracht, — die, und keine andere! Frost. Ueber ihre Kunden konnte sie kleine, drollige Be¬ Noch nie, solang', ivie ich Dich kenn', hast niich so freundlich merkungen machen, die von richtiger Beobachtungsgabe und angesehen, wie vorhin, als ich Dir die Amsel gab. Und nun von Humor zeugten, sie war auch hin und wieder aufs hör mal zu, meine schöne Meta, nun will ich Dir was sagen!" Schloß gekommen, und die jungen Damen wgren sehr liebens¬ Dem stillen, unbeholfenen Menschen war die Zunge würdig gegen sie gewesen. Ja, ja, — — wenn Meta ihre gelöst, er war ivie ausgetauscht. eigenen Briefe mit denen ihres.Hans verglich, dann kam ihr — häufig sein Ausspruch an jenem Verlobungsabeud in den „Die kleine Amsel sieh mal, meine Liebste, das soll — Sinn: „Bist ja viel zu schön für mich, — zu fein und zu Dein Gewissen sei», Deine Liebe zu mir! Was Dir die — schad'!" Und sic kam sich sehr edel vor, daß sie trotz dieser kleine Amsel wird sagen und singen, das thu' Du, und 'mal Erkenntnis treu zu dem „stillen Verlobten" dann ivird's das rechte sein! Immer, wenn Du nicht Mit der Anisel hatte das übrigens ivirklich eine eigene Be¬ iveißt, was zu thun, und ivo Recht liegt und ivo Unrecht, — wandtnis. Zuweilen sah Meta das Tierchen mit ganz scheuen und Du möcht'st mich fragen, und ich bin nicht bei Dir, — 'n und Du hast keine Zeit, mir Brief zu schreiben, und bist Blicken von der Seite an, was steckte denn nur in dem uneins mit frag' Du unsere Amsel um Vogel? — — Die Amsel sang wuudcrlieblich und war sehr zahm ge¬ Rat, die wird Dir sagen, was Du thun sollst." — jeder Mensch, der Meta besuchte oder etwas bei Erregung der Verlobungsstunde worden, hatte Meta das ivirklich versprochen, und es war ihr ganz. ihr zu bestellen kam, freute sich über das Vögelchen. Es spazierte sehr viel außerhalb des Käfigs herum, schwirrte frei ernst damit gewesen. Später hatte sie darüber lachen müssendurchs Zimmer, saß auf den Blumentöpfen am Fenster, hüpfte — Licber Gott, ihr Hans cs klang ihr viel flotter, ihn seiner Herrin auf die ausgestreckte Hand unb pickte ihr Zucker„Hans" zu nennen! — besaß doch ein recht kindliches Gemüt! krümchen vom Mund; es kam auf Kommando gehorsam wieder Sie fand das Vögelchen reizend und freute sich, cs zu haben, wagte hinein, sich nie au den Nähkorb oder an die Maschine — aber das war doch zu komisch: eine Amsel sollte ihr Rat und flog auch ini Sommer trotz des offenen Fensters nicht geben, sollte ihr helfen, iveun sie nicht wußte, was thun! davon. Dies alles war gut und schön, und frenide Leute — Nein, das wollte sie denn doch lieber selbst besorgen, sie konnten es nicht genug anstauneu und loben, — — aber wahr nicht unisonst die kluge Meta, die dreimal soviel gelernt Meta ganz allein wußte, daß die Amsel noch ihre besonderen hatte, wie andere Mädchen ihres Standes. Ein guter, lieber hatte. Eigenheiten Mensch aber ivar ihr Hans ivirklich und hatte sie über die Wie kam es, daß die Amsel laut und fröhlich saug und und wenn sie das jetzt noch nicht so recht Maßen lieb, sobald Meta mit guten, herzlichen Gedanken bei ihrem lockte, und erwidern konnte sich oft besinnen mußte, daß sie im stillen — weilte, sich seine vortrefflichen Eigenschaften vorhielt, Hans die ganze Sache war war und wahrhaftig verlobt war, Liebe zu ihr, seine Arbeitsamkeit und Pflichttreue, — seine ihr doch recht übereilt die Amsel konsequent schwieg und still in ihrem und daß ivar es ein so wonniger Frühlingsabend im Wald gewesen, Käsig saß, sobald Meta sich Vorwürfe machte wegen dieser so lockend und düfteschwer, hatte die Nachtigall übereilten Verlobung und sich zaghaft fragte, ob sie wirklich so sehnsüchtig geschluchzt, — und warum hatte Johannes Erdmann da, gerade da, vor ihr gestanden und hatte ihr recht daran thue, Johannes Erdmann heiraten zu wollen, — ob sie denn nicht in allem Ernst „zu schade" für ihn sei? eine Amsel gebracht?? Wenn das junge Mädchen sich vor dem Spiegel das Haar war beinahe ein und ein halbes Jahr — kämmte und immer wieder kämmte und es absichtlich in die seit jenem Abend vergangen. Meta war fleißig, hatte viel Sonne hielt, damit es wie eitel Gold flimmerte und sich so zu thun, legte nianchen Thaler und manches Goldstück beiseite, „für später", sorgte aber noch gar nicht recht für ihre Aus¬ recht selbstgefällig als die „schöne Meta", die sie war, be¬ schaute, warum konnte die Amsel denn dazu nicht auch steuer, das konnte nian, wenn es denn sein mußte, ihre Zustimmung geben und singen? Sie verstand jedes alles fertig kaufen. — Die „stillen Verlobten" korrespondierten auch mit ein¬ Wort ihrer Herrin, — dies bildete sich Meta wenigstens steif und fest ein! — sie wußte genau, wenn Meta sie zum Singen ander, — o ja! Aber in Johannes Erdmanns Briefen war aber sie gehorchte nur, wenn sie mit Meta aufforderte, herzlich wenig Inhalt, ein Brief glich dem andern genau. Wie der Dienst war — und was der Unteroffizier that — zufrieden war, soviel war sicher! und was die Kanicraden sagten — und wie die oft durch¬ „Die kleine Amsel, — das soll Dein Gewissen sein. gingen und sich allerlei zu schulden komnien ließen — aber Deine Liebe zu mir!" So hatte Johannes Erdmann ge¬ er that da nicht mit — seine Vorgesetzten waren sehr mir sprochen, und wahrhaftig, so oft auch Meta diesen Ausspruch ihm zufrieden, sie wünschten, er bliebe ganz beim Militär — hinterher belächelt hatte, es schien, als sollte er sich erfüllen. und er sehe nach keinem Mädchen, habe bloß seine Meta im Sie hatte es bei ihrer Misi, — so hatte sie die Amsel getauft, Sinn, dafür müsse sie ihm aber auch treu sein wie Gold, . . . mit allem Möglichen versucht — mit Schmeichelei, mit List,

Das versprach sie ihm; sie verabredeten auch, daß fürs niemand im Dorfe ihr Geheimnis zu wissen brauche, da sie ja doch erst in zn>ei Jahren heiraten konnten. „Und bleibst Du nur auch gut, — ja? Und siehst nach keinem andern, — nein?" In selbstvergessener Erregung erste

klang,-ivie

hielt.-

-Jji

Dir,.dann

....

gekommen,.ja,.warum

-warum

-Jetzt ....

....

....

728

....

mit Futterentzichung und Strafe, es hals nichts! Mlsi hüpfte in ihrem Häuschen von Sprosse zu Sprosse, legte das Köpfchen zur Seite, sah die Herrin aus ihren klugen, schivarzeu Perläugelchen scharf und prüfend an und hielt konsequent den Schnabel, wenn Meta keine Belohnung verdiente.

Daß dies Manöver eine Folge ihrer eigenen Stimn.ung war und das Vögelchen, gleich hundert andern Tieren, sich einfach gegen jeden Zwang sträubte und nur freiwillig seine Lieder spenden wollte, kam Meta gar nicht in den Sinn. Aus Zufall war sie aufmerksam auf das Thun und Treiben der Amsel geworden, und nun stand es fest bei ihr: Misi war gleichsam von ihrem Hans als Wächter über sie gesetzt worden, und es galt, sich ihre Zufriedenheit zu erwerben.

Oft, wenn das Mädchen an schwülen Somnierabeuden träumend am offenen Fenster saß, die sonst fleißigen Hände im Schoß gefaltet, dieAugcn nach dem sternenbesätenHimmel empor¬ gerichtet, dann kam es wie ein fragender Ton dicht neben ihr aus dem Käfig, Misi kam aus dem offenen Thürchen, setzte sich der Herrin auf die Schulter und fragte von neuem: „Nun? Nun, Du Träumerin? Wo bist Du niit Deiner Seele? Denkst Du an ihn, — an ihn, — an ihn?" Und wenn Meta das wirklich that, dann hob es neben ihr an: „Tui — tui — tuiiich!" Und die Amsel begann zu locken, süß und wohllautend, daß die Töne fast die kleine ge¬

fiederte Brust zu sprengen schienen. es Herbst geworden. In buntem Blättcrprangte der Wald, phantastisch anzusehen in seinen leuchtenden Farben vom lichtesten Gelb bis zum satten Rost¬ braun. Zuwcilenz uckte cs schon wie ein Schauern, ein Frieren über die Erde, aber das ging vorüber, und mittags lachte immer noch warm die Sonne.

Nun war

schmuck

Meta hatte für ein paar staat

zu nähen,

sich

reiche Bauernfrauen Hochzeits¬

sehr damit eilen müssen,

war weidlich

von den hartköpfigen Weibern gequält und geärgert, schließlich aber auch gut bezahlt worden. Die Goldstücke in dem alten Kästchen, in dem der Mutter Trauring, ihre Ohrgehänge und ein Silberkettcheu lagen, waren um zwei Kameraden vermehrt worden, und Meta schloß ihren Schatz weg und holte Hut und Jacke hervor, — heute hatte sie sich ihren Waldspazier¬ gang redlich verdient! Misi saß auf einem mit langen Glocken blühenden Fuchsientopf, wiegte sich auf einem schwankenden Zweig hin und her, glättete kokett mit dem Schnabel ihr Gefieder und gab durch hellen Gesang ihre Zustimmung: „Ja, geh' nur — weit — weit — weit! Schön ist's draußen — freu’ Dich, — freu Dich, — freu' Dich!"

Unter Mctas Tritten raschelte das dürre Laub, vou den Bäumen taumelte dann und ivann müde ein ivelkcs zer¬ knittertes Blatt herab und sank lautlos zu Boden. Die Luft atmete sich herrlich, ganz leicht, es war eine göttliche Klar¬ heit darin. Horch! Fernab Hundegebell und ein Schuß, — noch einer! Sie müssen Besuch haben auf dem Schloß und jagen, — dort, rechts hinüber, soll ein Fuchsbau sein, auch Rehe haben da ihren Wechsel, das hat der Förster Meta

erzählt. Der Förster, — das ist auch so einer, der sie gern haben möchte, einer, bis zu dem das Gerücht von ihrer heimlichen Verlobung mit Johannes Erdmann durchgesickert ist; er wagt mitunter ziemlich durchsichtige Anspielungen, aber Meta stellt sich taub und dumm, sie will nicht verstehen! Jeden Tag könnte sie den Förster haben, wenn sic nur wollte, bloß die Hand dürfte sie nach ihm ausstrecken. —

Sie lächelt vor sich hin, und bildhübsch sicht sie aus in ihreni knappen, schwarzen Jäckchen, dem dunkelgrünen Matrosenhut, unter dem ihr goldhcllcs Haar, das zarte Gesicht hcrvorsieht mit den lächelnden, lichtblauen Augen.

„Sapristi!" Halblaut sagt das ein Jägersmann vor sich hin, der drüben aus der Lichtung getreten ist und nun unerwartet das Mädchen vor sich sieht, vom Hintergrund des rot und goldig getönten Herbstwaldes sich abhebend, von der sinkenden Sonne mit Purpurlicht überströmt. Ein ganz seiner, sehlKein gewöhnlicher Jägersmann! brünetter junger Herr, — geschmeidig, schlank, elegant, vom schicken Lodenhütchcn bis herab zum patenten Jagdstiefel. Die kostbare englische Flinte trügt er lässig in der Hand — das hier ist ein unerwartetes Wild, — unerwartet, wenn Er kneift die Augen ein wenig auch nickt ungewohnt! Wer kann zusammen: „Teufel noch eins, iver ist das? das sein?" Jnzivischen hat auch Meta ihn gesehen, sic ivird ver¬ legen, schickt noch einen raschen Blick hinüber und will um¬ kehren. — Das Lodenhütchen drüben ist im Nu vom Kopf herunter. „Halt, halt, schönes Kind, so haben wir nicht

gewettet!" denkt der Jägersmann, raschen Schritten ist er hinüber.

„Sie verzeihen, — ich finde

bekannt

und

mit zehn, zivöls

mein Fräulein, Sie sind sicher hier gut mich gar nicht mehr zurecht, so unerhört

das klingt, da dies, sozusagen, mein eigener Grund und Boden ist. Wenn man aber wenig Ortssinn hat und lange Jahre außer Landes geivesen ist

.

.

.

."

„Ach!" wirft Meta verlegen und errötend ein. Schloß sind Sic also?"

„Vom

„Heino von Sebenslädt!" bestätigte er. „Ich. habe aus¬ wärts studiert, bin viel auf Reisen gewesen, war, glaub' ich, fünf Jahre nicht zu Hause, — können auch sechs gewesen sein! Darf ich fragen, mit wem ich das Vergnügen —"

Name!" Sic errötet von neuem und zittert bei dem Gedanken, er könnte wissen, daß sie nur

„Meta Wolfs

ist mein

ein kleines Schneidermädchen ist!

Das ivciß er aber nicht, — und wenn er es wüßte, würde es ihn wenig anfechten. Kleine Schneidermädchcn, wenn sic jung und hübsch sind, stehen durchaus nicht so tief in Heino von Sebenstädts Augen, daß er den Verkehr mit ihnen meidet. „Wir Menschen sind ja alle Brüder — Ein jeder ist mit uns verwandt, — Die Schwester mit dem Leinwandmicder — Der Bruder mit dem Ordensband," hat schon Schiller gesungen. Vivat hoch die Klassiker! tSchlich folgt.)

724

Konkurrenzen für schöne städtische Wohnhäuser. daß sowohl in Paris wie in Brüssel eine Ein¬ richtung besteht, die direkt bezweckt, das Stadtbild durch Begünstigung schöner Bauausführungen zu verbessern. Die Gemeinde» verwaltungen beider Städte haben eine permanente Konkurrenz eingeführt, dergestalt, daß alljährlich die sechs besten Hausfassaden prämiiert werden. Der Architekt erhält eine goldene, der Unter¬ nehmer eine bronzene Medaille, und dem Hauseigentümer werden die Straßcnstenern zur Hälfte erlassen. Keine Konkurrenz von Entwürfen, sondern eine solche von bereits ausgeführten Ge¬

s ist bekannt,

@

bäuden. Hierin

beruht der außerordentliche Wert dieser Art von Konkurrenzen, die mit dem jetzt so verbreiteten System der Aus¬ schreibung von Konkiirrenzeiitwürfen bricht und damit den Künstler unmittelbar vor seine Aufgabe stellt, ohne daß er sich um das Urteil kritisierender Fachgenossen, Gönner und Feinde zu kümmern hat. Unbeeinflußt von Kommissionen und Sachverständigen kann der Architekt an seine Arbeit gehen. Alles, was von ihm verlangt wird, ist zusammengefaßt in die Worte: Zeige, was Du kannst: und erst wenn er fertig ist mit seinem Werk, kommt die Mitwelt und richtet. Es ist gut, daß die Banhütte sich hierfür wiederholt ins Zeug gelegt hat. Mit einer solchen Neuerung wird dem in¬ dividualistischen Kunstschaffen die Bahn freigemacht; die Architektur der Gebäude erhält wieder etwas Persönliches, Charakteristisches. Aehnliches auch bei uns einzuführen, ist nur freudig zu be¬ grüßen, eben deshalb, weil es nicht nach der alten Schablone der Preis ausschreib» ugen verfährt, die den Künstler nicht nur im ungewissen lassen, ob er prämiiert werden wird, sondern die ihm auch keinerlei Chancen eröffnen, daß seine Entwürfe, wenn auch nicht prämiiert, doch nicht pro nihilo angefertigt wurden, sondern zur praktischen Ausführung kommen. Damit wird dem Künstler doch immer schon eine materielle Entschädigung für seine Arbeit gesichert, wen» auch der Lohn für sein „Können" ungewiß bleiben muß. Dennoch scheint es mir verfehlt, wollte man einfach an die belgisch-französischen Vorbilder sich direkt anlehnen. Was in Paris und Brüssel sich schickt, schickt sich darum nicht für alle. Die vlämische und mehr noch die französische Banweise mit ihren breit nebeneinander gelegten Wvhngemächern, mit ihrer „Gemächerfolge", drängt naturgemäß zum Aassadenbau. lind daß auch darin Be¬ deutendes, wahrhaft Künstlerisches geleistet werden kau», beweisen die prächtigen Baudenkmäler sowohl der Rokoko-, wie der Lonisseize-Epoche, nicht zu schweigen von den Schöpfungen den Neueren, Onestel, Bandremer, Corroyer n. a. Es ist ja ein Prinzip der Knust, daß sie national sein will, daß sie „der treueste Spiegel eines Volkes mit dem unverfälschten Reflex seiner Bildung, Sitte, Denk- und Gefühlsrichtung" fein will. Nur dadurch wird die Kunst für alle Menschen gleichmäßig genießbar; eine universale Kunst würde für niemanden mehr „Kunst" Wenn wir recht wohl der Kunst ein internationales sein. Bürgerrecht zusprechen dürfen, so müssen mir doch in erster Linie ihr ein nationales Heimatrecht zuerkennen. Die Herausbildn na eines „modernen" Stilgefühls ist keines¬ wegs von internationale» Momenten abhängig. Wir müssen uns nur abgewöhnen, unter „modern" das zu verstehen, was „inter¬ national üblich" ist. In diesem Sinne sprechen wir z. B. von Aber die Kleidung hat nichts gemein mit moderner Kleidung. der Wohnung; mit nichte» ist sic ein „erweitertes Kleid". Denn das Kleid tragen wir auf dem Leib und nehmen es überall mit hin, wohin wir selbst gehen; deshalb hat es einen universalen Charakter angenommen: mir wollen auch im fremden Lande nicht durch eine nationale Tracht ausfalle» und zum Gerede der Leute Anders aber ist es mit der Wohnung, dem Hanse. werden. Unbeweglich steht es im Heimatboden, fest und innig mit diesem verwachsen. Es soll sich dem Charakter dieses heimischen Bodens anpassen.

„Die Architektur des Prioathanses bleibe anschmiegsam, ge¬ Ta ist es, was die Baukunst sellig, gemütlich," sagt Heurici. jedes Landes zn einer „nationalen" stenipelt und sie nötigt, auch das moderne Stilgefühl in nationaler Abgeschlossenheit sich ent¬ wickeln zn lassen. Das beste Beispiel dafür liefern uns die Engländer, die bei allen ihren Neuschaffungen sich an ihre altenglische Knust ange¬ schlossen haben, aber nicht indem sie, wie wir in den siebziger Jahren den altdeutschen Stil zu einem norddeutschen machen wollte», nun auch die alten englischen Formen einfach kopierten, sondern indem sie den Lebeusbedingnugen unserer Zeit Rechnung trugen und da weiter zu bilden begannen, wo das Alte aufgehört hat, sich fortzuentwickeln. Ueber der Liebe und Anhänglichkeit an das Alte darf der Kunst nicht der schöpferische Impuls verloren gehen, darf nicht das Fortschreiten nach den Anforderungen der Richt die Pflege gegenwärtigen Knltnrzustände vergessen werden. der historischen Stile ist ein Fehler, aber ein Fehler ist es, unseren modernen Geist in ästhetischer Hinsicht in die Gefühlssphäre

Jene Pstcge gehört der akademischen Thätigkeit an; mit dem ersten Schritt ins praktische Leben beginnt für den Architekten eine andere Art des Schaffens, bei dem er sich ans die hohe Warte wahrer Kunst zurückziehen und selbschöpserisch zu Werke gehen muß — der Akademismus ist eine abgethane Sache für ihn. Und das haben allerdings die englischen Künstler neuester Zeit vortrefflich ver¬ standen. Nichts wäre aber fehlerhafter, als wenn wir uns nun etwa an englische Vorbilder halten wollten. Diese Gefahr liegt freilich nahe; denn trotz des nationalen Aufschwunges vor dreißig Jahren sind wir in Kunstdingen sozusagen ans einem toten Punkt an¬ gelangt und vermögen uns des Eindringens fremder Strömungen dieser Beziehung können wir die augen¬ kaum zu erwehren. blickliche anti-englische Bewegung im Volke nicht hoch genug an¬ schlagen; es zeigt sich hier wieder einmal, wie dem internationalen Zuge der Kultur ein erhöhtes nationales Selbstbewußtsein gegenübcrtritt; und wo dies, wie hier, zur rechten Zeit geschieht, kann es auch auf die nationale Kunstanschauung in hohem Grade Deshalb darf man hoffen, daß die „englische befruchtend wirken. Richtung" unschädlich an unserem Kunstschaffen vorüber gehen wird. Es ist vom Uebel, wenn unsere deutsche» Künstler nach be¬ rühmten englischen Mustern arbeiten, denn sic können damit nur ein neues Reis aus die alte englische Knust pfropfen, während der starke Baum unserer altehrwürdigen deutsche» Kunst vergeblich Knospen angesetzt hätte, um Blätter, Blüten und Früchte in un¬ endlicher Fülle hervorzubringen. Wo aber ist die Glut des Hellen Sonnenstrahls, der die un¬ erschöpfliche Kraft dieses gewaltigen Baumes zn neuem Frühliugsweben und Leben erweckt? den Grundzügen zum neuen sächsischen Bangesetz hat das sächsische Ministerium als eine der Aufgaben, die das Gesetz lösen solle, die Wiedererweckung und Pflege einer „volks¬ einer entschwundenen Zeit bannen zu wollen.

In

In

tümlichen Bauweise"

bezeichnet. Wenn das Gesetz nur diese eine gewaltige Knlturanfgabe erfüllte, so möchten ihm alle seine sonstigen Mängel gern nachgesehen werden. Eine „volkstümliche Bauweise" — ja, das ist es, was uns not thut; eine Bauweise, die aus den Bedürfnissen und Gewohn¬ heiten des Volkes herauswächst, die den berechtigten Forderungen des deutschen Volkscharakters Rechnung trägt, ohne doch ihn in Konflikt zn bringen mit den Anforderungen des täglichen, praktischen Lebens. Eine Bauweise, die der Lebensart, den Sitten und Ge¬ bräuchen des deutschen Volkes gerecht wird.

Und dazu mitzuwirken, könnten allerdings Kon¬ kurrenzen berufen sein, die nicht nur in den großen, sondern auch, in den kleinen Städten zu veranstalten wären. sollen nicht den Zweck haben. Paradezu schaffen, sie sollen das deutsche Bürgertum wicderspicgeln, sein Erwerben, seine Knustpflege, seinen Besitz. Die breite Masse des deutschen Volkes muß wieder ansässig werden, daraufhin müssen alle gesetzgeberischen und knltnrcrziehcrischeu Mittel abzielen. Die Teutschen müssen wieder lernen, sich selbst ihr Hans zu bauen und zu zimmern, nicht »ach akademischen Regeln und Grundsätze», sondern wie sie es brauchen und haben wollen, und ihre Mittel es gestatteten. Nur so kann sich ein „deutscher Baustil", eine

Diese Konkurrenzen

fassaden

„volkstümliche Banweise" entwickeln.

Das Publikum hat infolge

des raschen Wechsels der Modestile das Vertrauen verloren, sich in Geschmacksnrteilen seinem eigentlichen persönlichen Gefühl zu über¬ lassen, und die so hervorgerufene Unsicherheit und Verworrenheit des stilistischen Empfindens findet ihren Ausdruck in dem kon¬

ventionellen Schachtelbau unserer modernen Mietshäuser mit ihren schnurgeraden Fronten und endlosen Feusterzeilen, die allen »nd jeden Charakters, aller und jeder Persönlichkeit entbehren. Und das übertrügt sich dann natürlich ans das Innere der Häuser: Die öde Stillosigkeit der Fassaden mit ihrem angeklebten Ornamentenschmnck, der zn nichts, aber auch rein gar nichts im Hause in Beziehung steht, sucht man anfzuwiegen durch ein An¬ häufen aber möglichen Einrichtungs-Gegenstände im ..»cnestcu Stil". Man glaubt „stilvoll" zn sein und läßt es am einfachen, gesunden Menschenverstand fehlen. Dagegen muß angekämpft werden, und als ein sehr geeignetes Mittel dazu dürfen die schon erwähnten Konkurrenzen angesehen werden. Sie sollen der Erzielung schöner Häuser oder Häuser¬ gruppen dienen, wobei dem Charakter der deutschen Wohnwcise ans möglichst eigenem Grund und Boden nach allen Seiten Rechnung jeder Stadt, die solche Konkurrenzen einrichtet, zu tragen ist. werden alljährlich die sechs schönsten Häuser, die diesen Anforde¬ rungen am besten entsprechen, in der Weise prämiiert, daß der entwerfende Architekt eine» Geldpreis oder eine Plakette, der Unter¬ nehmer einen solchen abgestuft und der Hauseigentümer den Erlaß einer Jahresquote der auf das Hans zu zahlenden Gemeinde¬ steuern bewilligt erhalten. Werden ans diese Weise in kleineren Städten jährlich 1000 bis 1500, in größeren 4000 bis 5000 Mark zn solchen Prämiierungen verwendet, so ist 1000 gegen 1 zu wetten, daß schon nach wenigen Jahren eine Banweise Play greisen wird.

In

f 72f»

die den auch

ermähnten Erfordernissen entspricht, nnd die schließlich

für Umbauten älterer Anlagen vorbildlich werden kann.

Große Mietskasernen müßten allerdings grundsätzlich von der Teilnahme an de» Konkurrenzen ausgeschlossen sein; denn sic kann inan effektiv nicht als dem Ideal deutschen Wohnens entsprechend bezeichnen. Dagegen wären Lösungen zur Arbeiter-Wohnungsfrage wohl zu berücksichtigen (Einbau von ein bis zwei Arbeitcr-Wobuungeu). Anschließend daran könnte vielleicht auch an Stelle des Steuererlasses als Prämie für den Hauseigentümer eine niedrig verzinsliche erste Hypothek von den staatlichen Versicherungsanstalten vermittelt werden, die solange unkündbar wäre, wie die Arbeiterwohnungen dieser ihrer Bestimmung erhalten blieben, also namentlich auch im Preise angemessen gehalten würde. Ans diese Weise könnte gleichzeitig mit der Hebung des künstlerischen Aussehens einer Stadt eine soziale Frage von höchster Bedeutung einer befriedigenden Lösung entgegengeführt werden. Ueber die Einzelheiten solcher Konkurrenzen Bestimmungen aufzustellen, kann hier unterbleiben, einmal, weil die Details der Konkurrenzbedingungen sehr ivesentlich von örtlichen Verhältnissen abhängen, sodann auch, iveil doch die Schaffenskraft und Schaffens¬ lust der Architekten so ivenig wie möglich eingeengt und beeinflußt werden sollen. Darin besteht ja gerade der Wert dieser Kon¬ kurrenzen gegenüber de» Entwnrfansschreibnngen, daß der Künstler

Eimit.ufdj

de» 1. drutschr»

völlig frei nnd ungehindert, nur gebunden an die Bedürfnisse und Wünsche seines Auftraggebers, schaffen und seiner schöpferischen Phantasie, seinem Erfindungstalent in vollstem Maße die Zügel schießen lassen kann. Nur ans diese Weise wird ein individualistisches Kunstschaffen gewährleistet. Wenn gleichwohl hier noch einigen grundlegenden Ansichten Raum gegeben werden soll, so geschieht cs nicht, um dem Künstler Vorschriften zu machen, sondern um den Prämiiernngskommissionen Direktiven allgemeiner Art zu gebe», von denen sie sich bei Be¬ urteilung der zu prämiierenden Objekte leiten lassen möchten. Oltmanns*> bat völlig recht, wenn er fordert, daß die Jury in der Hauptsache ans unabhängigen Männern, die ästhetisch fühlen, die in der Schule des praktischen Lebens ihre Liebe und

I.

Freude an der Kunst bewahrten, gebildet fein soll: Knnstsenate

für die

deutschen

Städte!

Archibald Schotte.

Der Vormarsch aus Peking.

s

dem Vormarsch ans Peking übertrafen die Japaner alle anderen Truppen der Verbündeten, die Russen, Nordamerikauer, Briten und Franzosen, an Beweglichkeit. Trotz der zahlreich mit¬ geführten Mnnitioiisfuhren, Ambulanzwagen, Gepäcktrains herrschte bei den ostasiatischen Alliierten weder Unordnung noch Lärm. Außerdem waren die leichtfüßigen Japaner, seit sie' am 9. August mit den Chinesen bei Hoschiwn Fühlung gewonnen hatten, dem Gegner ununterbrochen aus den Fersen. Unpraktisch war bei ihnen nur die weiße Uniformierung, die meilenweit die marschierende Truppe erkennbar machte. Viel zweckmäßiger erwies sich nach dieser Richtung die Khakikleidnng der Briten. ei

Bauhütte 1900, Seite 139.

Eine große Spannkraft zeigten auch die indobritischen Truppen, bei der größten Hitze. Auf dem Marsch hielten sich am Morgen des 9. Anglist in einem Vorpostengesecht mit einer Ab¬ teilung chinesischer Reiterei zwei Schwadronen der k. bengalischen Lanzenrciter recht wacker, und bei der Einnahme der chinesischen Hauptstadt am 14. August zeichneten sich das 24^ Pendschabregiment, das 7. Rndschpntenregiment und das 1 . Sikhregiment besonders aus. Leider war es den Deutschen nicht vergönnt, an dieser erfolg¬ reichen Unternehmung zum Entsatz der belagerten Gesandtschaften teilzunehmen. Generalmajor v. Hopfner landete mit dem 1 . nnd 2. Seebataillon in Takn erst, als Peking bereits eingenommen ivar. Doch traf das vom Major v. Madai befehligte l. Secbataillon schon am 23., Generalmajor v. Höpfner am 29. und das vom Major v. Kronhelm befehligte 2 . Seebataillon nebst einer der beiden Marine-Feldbatterien zu sechs Geschützen am 31. August in der Hauptstadt Chinas ein, die zur Aufrechterhaltung der Ordnung in verschiedene Bezirke eingeteilt wurde, in denen immer je ein Trnppenkommandcnr der Verbündeten die Polizeigemalt ausübt. Die deutsche Besatzung in Peking belief sich nach dein Eintreffen des 2. Scebataillons ans beinahe 2500 Mann mit sechs Geschützen. selbst

Srrb.il.nll»»« in Tirnlsi».

Dir Urbertragnng

der RegenLschaft an den Kronprinzen von Schweden und Vorwogen. seiner Erkrankung hat sich König Oskar

2 »folge nnd Norwegen genötigt

II. von Schweden

gesehen, einstweilen allen Regiernngsnnd demgemäß dem Kronprinzen Gustav

gcschäften zu entsagen seiner Eigenschaft als Regent die Regentschaft zu übertragen. hat sich auch der Kronprinz, begleitet von seiner Gemahlin und dem Prinzen Gustav Adolf, seinem ältesten Lohn, kürzlich nach Christiania begeben, um das Storthing zu eröffnen, bei welcher Gelegenheit er gleichzeitig dem Prinzen, der in kurzem mündig wird, den Eid ans den König sowie auf die Verfassung nnd die

In

Gesetze

Norwegens abnahm.

den vielfachen engen, verwandtschaftlichen nnd srenndschastlichen Beziehungen, die das schwedisch-norwegische Königs¬ haus mit verschiedenen deutschen Regentenfamilien verknüpft, ist es erklärlich, daß die Erkrankung des Königs Oskar auch in Deutsch¬ land Teilnahme findet, nui so mehr, als der greise Monarch zu Nicht klein ist die Zahl den geachtetstcn Fürsten Europas gehört.

Bei

der Fälle, in denen König Oskar bei internationalen Streitfällen zum Schiedsrichter gewählt oder um Ernennung eines solchen angerufen wurde, und in wie umfassender Weise er ein Förderer von Kunst und Wissenschaft war, ist allgemein bekannt. Hat doch zum Beispiel die schwedische Polarforschnng, um nur eins anzu¬ führen, es wesentlich der thatkräftige» Unterstützung und Ermnnlernng des Königs zu danken, daß sie ans arktischem Gebiet eine großartige, an glänzenden Erfolgen reiche Thätigkeit entfalten konnte, so daß Schweden in der Polarforschung einen hervor¬

ragenden Rang einnimmt. In politischer Beziehung hat König Oskar manche Enttäuschung erfahren. Den Anlaß dazu bot, wie schon von jeher feit dem Be-

72 C stehen der schwedisch-norwegischen Union, das Verhältnis zwischen Schweden und Norwegen, da die Bestimmungen, die der Vereinigung der.beiden Länder zu Grunde liegen, zum Teil recht lückenhaft sind. Schon bald nach der Thronbesteigung des Königs, 1872, führte die Frage, ob dem König der norwegischen Gesetzgebung gegenüber ein absolutes oder nur aufschiebendes Veto zustehe, zu einem Konflikt mit dem Storthing, bei dem letzteres zu der „scharfen Waffe" des Rcichtsgerichts griff, durch dessen Urteil die damaligen

Kronprinz Gustav ist am 16. Juni 1858 im Schloß Drottningholm, in der Nähe Stockholms am Mälarsee, geboren und- lernte seine Gattin, Prinzessin Viktoria von Baden, im Jahre 1879 am Berliner Hof kennen, den der Kronprinz auf der Reise nach Straßburg, wo er den großen Manöver» beiwohnte, besuchte. Die Eltern der Kronprinzessin sind Großherzog Friedrich von Baden und Prinzessin Luise von Preußen, die Tochter Kaiser Wilhelms I. Im September 1881 fand in Karlsruhe die Vermählung des Kron-

UrbrrgLNg der deutsche» Mzrine-Sriillerir über den priho. uorwegischen Minister, die sich ans die Seite des Königs gestellt hatten, znm Verlust ihrer Aemter verurteilt wurden. Tic im gegen¬ wärtigen Jahrzehnt in Norwegen in den Vordergrund getretenen Streitfragen — eigenes Konsulatswesen und eigener Minister de? Aenßeren — haben, wie bekannt, noch nicht gelöst werden können, und es ist dies auch vorläufig kaum zu erwarten. Aber der be¬ sonnenen Haltung des Königs Oskar und des langjährigen Ichwedischen Ministerchefs Boström ist es zu verdanken, daß cs nicht zu ernsteren Konflikten zwischen den beiden Unionsländern

Deutsche Maeiue-Setillerie, den

Bei diese» heikle» Verhältnissen zwischen Schweden und Norwegen kann man gespannt darauf sein, wie sich der Kron¬ prinz als Regent zu den norwegischen Fragen stellen werde. Man hat öfter behauptet, er nehme den Norwegern gegenüber eine gekouiuien ist.

schärfere Haltung ein als sein Vater, ohne daß sich jedoch erkennen läßt, ob diese Behauptung begründet ist. Darüber kann man allerdings nicht im Zweifel sein, daß der Unionskönig in Norwegen stets eine schwierige

Stellung haben wird.

prinzenpaares statt. Leider wurde die Kronprinzessin schon in de» ersten Jahren ihrer Ehe von einem Bronchialkatarrh befalle», der Ursache war, daß sie öfter längere Zeit ein südliches Klima auf¬ suchen mußte. Bereits im Sommer 1883 begab sie sich zu längerem Aufenthalt nach Deutschland, und seitdem verließ sie in jedem Jahre Schweden, um bald hier, bald dort Heilung von ihrem hartnäckigen Leiden zu suchen. Da diese Reisen aber keinen Erfolg hatten, entschloß sic sich zu einem dauernden Aufenthalt im Ansland, der vier Jahre, nämlich vom Sommer 1889 bis zum



LlrutslNItterend.

Sommer 1893 währte. Sic reiste zuerst nach Tyrol und Italien, dann nach Aegypten, und auf der Rückreise hielt sie sich zuerst wieder in Italien und dann in Karlsruhe ans. Von dieser Reise stammt das Prachtwerk „Vom Nil. Tagebuchblüttcr während des Aufenthalts in Aegypten im Winter 1890/91", das die Kronprinzessin als Manuskript drucken ließ und ihren Eltern zueignete. Obgleich ihr Gesundheitszustand somit zeitweise viel zu wünschen übrig ließ, hat sie sich in ihrer neuen Heimat doch vielen Wohlfahrtseinrichtungen

gewidmet' und bei der Bevölkerung der Umgegend Tnllgarns, des kronprinzlichen Lustschlosses, erfreut sie sich wegen ihres Wohl¬ thätigkeitssinnes großer Verehrung. Außer dem schon erwähnten Prinzen Gustav Adolf hat das Kroupriuzenpaar noch zwei Sühne. Wilhelm und Erik, von denen ersterer 1884, letzterer 1889 geboren ist.

Kleine Mitteilungen. Der Name Schlick i» seiner Bedentnug für Vergangenheit und Gegenwart tritt vor die Augen durch das Bild des Grafen Hieronymus von Schlick, das dieser in' der Nische für Kurfürst Joachim Friedrich von Brandenburg in der Siegesallee zu Berlin erhalten hat. Es ist für die Gegenwart nicht ohne Bedeutung, das; Graf Hieronymus Schlick bis an seinen Tod (1G10) Hohcnfinow mit Finvwkanal besah und diesen Kanal mit eröffnen half, worauf der Spreekahn am Denkmal des Kurfürsten hinweist. Der Name Schlick ist auch mit den bei uns ans den Aussterbeetat gesetzten Thaler verknüpft und bleibt in noch lebendiger Verbindung mit dem amerikanischen Dollar, in de» Wenn Trinins: sich für Amerika das Wort Thaler verwandelt hat.

Vronpri»!

mib Nro»pri»zr>I>» Viktoria von Slljivrderi und rtortvr,re».

Märkische Slreifzüge S. 64 den Kanzler Schlick Graf zu Bassano und Herr zn Weisst, rchen nennt, hat er den Titel der Grafen Schlick ab¬ gekürzt, denn ihnen gehörte auch Joachimsthal im böhmischen Erzgebirge init seinen Silbcrbergwerken. 1517 ließ die Familie Schlick dort die ersten Silbcrmünzen präge», die, Joachimsthaler Silbermünzen genannt, sich mannigfache Abkürzungen gefallen lassen mußten. Bald wurde die hintere Hälfte weggelassen, daß Luther sagen konnte, wenn er in seiner

einer solchen Münze suchte, „Jochimkc, Jochimkc komm heraus", bald — und das wurde schließlich allgemein, ließ man die vordere Hälfte weg und begnügte sich mit der Bezeichnung Thaler. Die evangelische Christenheit hat zur Familie Schlick und Joachismthal noch eine besondere Beziehung. Aus Luthers Briefen an die Familie Schlick lautet ein Brief: Wittenberg, 15. Juli 1512. „dem hochgcboruen Herrn Herrn Sebastian Schlick, Graf zu Bassano, Herrn zu Ellenbogen seinem oberen in Christo (wünscht) Martin Luther mitten belgisch er Prediger (Heil). Das schreibe ich Euch, edler Herr, die Ihr vorn an gegen Deutschland zn in Böhmen eine Herrschaft habt und die Ihr eine überaus große und eifrige Liebe zur reinen evangelische» Wahrheit habt, daß der Greuel der römischen Pestilenz allenthalben aus Eurer Herrschaft Von Luther stammt auch die „Ordnung wie vertrieben werde" cs soll mit den Gottesdienst und dessen Dienern in den Pfarrkirchen der Stadt Ellenbogen gehalten werden, durch den wohlgebornen Grafen itnd Herrn Herrn Sebastian Schlick, Graf z» Bassano, Herrn zn Wei߬ fischen und Ellenbogen mitsamt dem Rate daselbst ausgericht." So oft die evangelischen Christen das Morgenlied: Aus meines Herzens Grunde anstimmen, freuen sie sich des Predigers Johann Matthefius in JoachimsTasche

nach

....

(ch 15651 der es versaht hat, und wenn zu Weihnachten das Lied: Lobt Gott Ihr Christen alle gleich, ertönt, können sich die Sänger des Kantors an der Lateinschule in Joachimsthal Nikolaus Hermann sch 1561) erinnern, dem sie es verdanken. Einen beschränkteren Kreis geht diejenige Beziehung an, welche der Name Schlick für die Lausitz hat. Zur Zeit dcö Schmalkatdischen Krieges war Landvogt der damals böhmischen Niederlausitz Graf Albrecht Schlick. Als Beamter des Königs Ferdinand sollte der Land¬ vogt von Osten her den Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen be¬ drängen, während Sebastian von der Wcitmühl von Eger und Herzog Moritz von Dresden aus es thun sollte. Verlor Kurfürst Johann Friedrich und mit ihm die Wettiner die Führung in Deutschland, so hat der Name Schlick seinen Platz bei denen, welche den Hohenzollern zur Führung in Deutschland die Bahn freigemacht haben. Auf den eigentümlichen Rückschlag, den die Schlacht bei Mühlberg für einen Streit zweier Lausitzer Dörfer bewiesen hat, weisen die Niederlaus. Mitteil. VI S. 235 hin. Die Leute des Dorfes Snlhausen hatten auf der Flur von Wormlagc Holz gefällt und waren deshalb gepfändet worden. Beide Teile riefen ihre Obrigkeit an, Salhansen den Herzog Moritz in Dresden, Wormlagc den böhmischen Landvogt Albrecht Schlick. Schlick hatte am Montag nach Kilian (12. Juli) 1546 die Tagsatzung

thal

Doch Sonntag »ach die Aintsbesehlstiaber der der Landvogt könne nicht

znr Entscheidung des Streites besuchen wollen.

visitatio Mariae

(4.

1546 schrieben an Herzog Moritz,

Juli)

Landvogtei in Lübbe»

da er durch König Ferdinand nach Regensburg berufen sei, unter Beifügung der Abschrift des Befehles: vom vnlgebernen unserm rate, in der cron Behem „bersten cammermeister auch erscheinen,

marKjralftums Niderlausitz landvogt und üben getreuen Albrechten Schlig'k graffen zu Passau her» zu Weiskirchen, Elnpogen ant) Cadau, Die Güter der Familie Schlick lagen meist im Erzgebirge, doch hatten sie and) in Ungarn Weißkirchen, das Kaiser Albrecht dem Grafen Caspar Schlick gcsd)enkt hatte. Tie Grafschaft Bassano an den Tarviser Grenzen in Italien erhielt bei denen in Deutschland, welche sid) mit b abquäle», die Schreibweise Passann oder daß cs schien, als wäre die Stadt Passau an der Donau

hartem

und wcidicm

Passau,

so

gemeint.

So viel van der Bedeutung des Namens Sd)lick für Vergangenheit und Gegenwart, wenn nnf die Bedeutung desselben für Böhmen beim Ansbruch des 30jährigen Krieges verzid)tet wird.

Hui 17. November vor 276 Jahren starb in Görlitz der ..Philosvphus teutonicus“ Jakob Böhme, seit 1594 Schuhniachernieister und Gatte einer Fleischerstochtcr, seit 1612 myftisd)er und thcvsophischer Schriftsteller. Seine erste Schrift „Aurora oder die Morgenröte im Aufgang" brachte ihn in Konflikt mit dem Pastor an der Görlitzer Hnuptkirchc,'Georg Rick)ter. Böhme schwieg darauf sieben Jahre lang

iuiis iisliiutf er seinen „sicl'enjähngcu Sabbat") und lies; seine übrigen Schriften erst vom Jahre 1619 a» erscheinen. Vielfach angefeindet, ging er nach Dresden, ino il»i der Kurfürst freundlich anfnahni, aber für einen Goldmacher gehalten zu haben scheint, deren cs ja danials viele gab. Fieberkrank kehrte Böhme »ach Görlitz zurück und starb hier am 17. November 1624 mit den Worten: „Nu» fahre ich ins Paradies!" :

Vereins-Nachrichten. Verein für Geschichte der Mark Vrandenburg Sitzung vom 10 Oktober 1900. .

Herr Archivrat Or. Baillen widmete den kürzlich verstorbenen Mit¬ glieder» des Vereins, Legativnsrat von Lindenan und Oberstleutnant Vr. M. Jahns, einige Worte ehrenden Angedenkens. Beide gehörten zu den ältesten Vcreinsmitgliedcrn, Herr von Lindcnau seit 1877, Jähns Lindenau war regelniäjzigcr Besucher der Vereiiissitzungen seit 1880. und beteiligte sich gern und eifrig an den Debatten, namentlich sobald diplomatische Geschichte des 19. Jahrhunderts erörtert wurde. Jähns entwickelte mehr eine produktiv wissenschaftliche Wirksamkeit; es war ihm eben noch vergönnt, seine Biographie Moltkes zum Abschluß zu bringe»; besondere Würdigung aber verdient die Geschichte der Kriegswissen¬ schaften in Deutschland, ein Denkmal der Gclehrsamleit und des Sammler¬ fleißes ihres Verfassers. Die anwesenden Vereinsniitglieder erhoben sich hierauf zu Ehren der Verstorbenen von ihren Platzen. Herr Archivrat vr. Bail len berichtete hierauf über die letzte Generalversammlung des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertuuisvereine in' Dresden, an der er als Vertreter des Vereins teil¬ genommen und zugleich den Königl. Sächsischen Altcrtnmsvcrcin zu 'einem 75. Stiftungsfest beglückwünscht hat. Er erwähnte kurz die in Dresden gehaltenen Vorträge und die Verhandlnugen in den Sektionen des Gesamtvereins über Grundkarten, Kirchenbücher, Herstellung historisch-topographischer Wörterbücher, Pflege und Inventarisation der nicht von Staatsverwaltungen geschützten Archivalien u. s. >v., und machte Mitteilung von der neue» Organisation des Gesamtvereins sowie von dem Verlaufe des Archivtags und des Denkmalpflegetags, die auch in Zukunft mit dem Gesaintverei» verbunden bleiben sollen. Die nächste Generalversammlung wird voraussichtlich 1901 j» Freiburg in Baden stattfinden. Hierauf sprach Herr Archivrat Vr. Keller über die Frage, ob und inwicferil die Behauptung Treitschkes zutreffend sei, daß die neuere deutsche Geschichte um die Zeit des westfälischen Friedens beginne? Der Vor¬ tragende führte ans, daß sich Trcitlchke mehrfach/ soivohl in de» Hist.-polit. Aufsätzen jBd. IV, 289 ff.) wie in seiner Deutschen Geschichte sehr bcstinimt in diesem Sinn ausgesprochen und sich dadurch 'in einen geivisseu Gegensatz zu der heut in' überwiegender Geltung befindliche» Anschauung gesetzt habe, welche den Beginn der neuere» Geschichte in das 16. Jahrhundert verlegt. Trcitschke geht von dem Emporkomme» des Brandcuburgisch-preußischen Staate- ans, das ja mit den, Zeitalter des Großen Kurfürsten beginnt; die großen „reformatorischen Denker" jenes Zeitalters sind and) ihm Lcibniz, DhomasiuS, Spener und Pufe»dorf, durch deren epochemachende Thätigkeit „das Werk der Rcsormalion vollendet wurde". Im Airschluß an diese Aeußerungen Treitschkes legte Keller die Gründe und Erwägungen dar, die geeignet seien, die vor¬ getragene Auffassung zu bestätigen, und bemerkte zunächst, daß die Vertreter der Kriegsivissenschaft, der Kunstgeschichte und der Litteraturund Sprachivissenichast für ihre Gebiete ebenfalls die Mitte des 17. Jahrh, als den Iressten Einschnitt in der deutschen Enlwickluug der letztet, Jahrhunderte bezeichnen. In das 17. Jahrhundert fällt ferner die Begründung des modernen Toleranzstaates, die in Deutschland zuerst in Brandenburg-Preußen zur Durchführung gelangte, und die in staatsund kirchenrechtlicher Beziehung tiefgreifende llmgestaltuugeu herbeiführte. Hiermit hängt zusammen das Emporkommen einer von der Kirche und kirchlicher Leitung unabhängigen weltlichen Litteratur und Bildung, welche die früheren Jahrhunderte jauch das 16. Jahrh.) noch nicht kannten. Sie beruht aus der Zurückdrängung der Scholastik und einer von dieser unabhängigen Philosophie und Theologie, die von Bruno, Böhme, Leibt,iz und anderen begründet ward. Besonders tief greift ferner die erste große Blntenperiode aller ernst '» Wissenschaften und die Begründung der »aturiviffeiijchaftlichei: Methok., die sich an die Namen Galilei, Leibniz. Bayle, Newton und andere knüpft. Diese und sonstige einschneidende Umgestaltungen schienen >,ach Kellers Darlegung die Auf¬ fassung Treitschkes zu bestätigen, die auch von andere»' bedcntenden Äelchrten, z. B. von Wilhelm Roscher, geseilt wird. An öcu Vortrag knüpfte sich eine eingehende Debatte, in welche namentlich die Herr.» Professoren Vr. Schmoller, Vr. Horniger, Vr. Hintze, Archivar vr. Meiuecke und vr. Vorberg eiugriffen.

In

der

Gymnasiallehrer-Verein. de» Berliner Gymnasiallehrer-Ver¬

Oktobersitzung

daß der Philologcnball in diese,» Wititer am Jannar stattfinden werde. Oberlehrer Gurlitt machte auf die Vor¬ teile aufmerksam, die der vor kurzem ins Leben getretene BcamtcnWohnungs-Verein zu Berlin seinen Mitgliedern bietet. Darauf berichtete

eins wurde mitgeteilt, 19.

Lortzing,

über die Verhandlungen der der preußischen Provinzialvcrcine der Lehrer a» höheren llnterrichtsanstalten. die am 7. Oktober zu Berlin unter Leitung des Vortragenden als Vorsitzenden des Vororts getagt hat. Tie Verhandlungen wurden eingeleitet mit einem ausführlichen Bericht des Vorsitzenden über das verflossene Geschäftsjahr, in dem besonders hervorgehoben wurde, daß die Verhältnisse des höheren Lehrerstandes in de» Beratungen des Abgeordnetenhauses einer eiugehcndeti und die Wünsche dieses Standes durchaus günstigen Besprechung unter¬ der Vorsitzende,

21 .

Professor

Dclegicrten-Konfcrcnz

Leranttvortlicher Redakteur:

vr. M. Folticineano, Berlin.

zogen ivorden seien. Auch die Unterricht-Verwaltung habe durch ihre im Abgcordnctenhansc abgegebenen Erklärungen sowie durch die sorg¬ fältige und umfassende Prüfung, die sie, teilweise »Itter Heranziehung von Vertretern der höheren Lehrerschaft, den wichtigsten hierbei i» Betracht kommenden Fragen habe angedeihen lassen, die ernstliche Absicht bekundet, die Stellung der Oberlehrer auch fernerhin zu heben und zu bessern. Außerdem brachte der Vorsitzende zur Kenntnis der Konferenz, daß auf Wunsch der Provinzialvereins-Vorstände mehrere Amtsgeuossen, die sich durch statistische Arbeiten auf dem Gebiet des höheren Schulwejens besonders hervorgethan haben, in den Sommerserien zu einer privaten Besprechung zusammen getreten sind, um sich über ein plan¬ mäßiges Zusammenarbeiten zu verständigen. Den Hauptpunkt der Be¬ sprechungen bildeten die Anträge der Provinzialvereine. Unsere alte Forderung der Gleichstellung mit den Richtern erster Instanz, deren Berechtigung durch zahlreiche Aelißeruiigen früherer Minister und in den Motiven zum Nonnaletat von 1872 sogar durch eine Erklärung des gesamten Staatministcrinnis anerkannt ivorden ist, wurde auch diesmal erneuert und zugleich näher dahin bestimmt, daß die wisscnschaftlichen Lehrer den Richter» im Mindest- ivic im Höchstgehalt gleichzustellen seien. Wiederholt wurde auch der vorjährige Beschluß, daß die Lehrer a» den nichtstaatlichen Anstalten denen an den staatlichen in jeder Beziehung durch Gesetz gleichgestellt werden müßten, ebenso die meisten der auf die Lage der Hilfslehrer Sv bezüglichen Thesen, zum Teil in etwas veränderter Gestalt. erhielt der Antrag auf eine Erhöhung der Remunerationen der voll beschäftigten Hilfslehrer die bestipuiitcre Fassung, daß diese Was die amt¬ Vergütung von 2100 bis 2700 Mark steige» soll. liche Stellung der höheren Lehrer anbetrifft, so wurde von neuem der Wunsch ausgesprochen, daß die Verleihung des Amtscharakters „Pro¬ fessor" ans die volle ältere Hälfte ausgedehnt und den Oberlehrern zugleich mit ihrer Ernennung zum Professor der Rang der Rate vierter Klasse als Amtscharakter verliehen ivcrden möge. Entsprechend einer bereits im Jahre 1897 an den Unterrichtsininister gerichteten Bitte, ivurde es ferner als ivünschcnswert bezeichnet, daß die Beamtencigenschaft der Kandidaten des höheren Schulamts anerkannt werde. der Titelfrage, die sehr eingehend erörtert wurde, gelangte die Kon¬ ferenz zu bestimmten Vorschlägen, die demnächst dem Unterrichtsniinistcr mitgeteilt ivcrden sollen. Von ncncm betont ivnrde die Notwendigkeit einer Hcrabsetzuug

In

der P flichtstu» deuzahl soivie der für die einzelnen Klassen zulässigen Schülerzahl. Bon de» übrigen Beschlüssen mag noch

folgende schon zu wiederholten Malen aufgestellte, mit der dem Ver¬ nehmen nach noch jetzt im Kiiltnsniinisterium herrschende» Auffassung

im Einklang stehende These erwähnt werden: „Es ist wünschenswert, daß von sämtlichen Behörden und Schule» eine einheitliche deutsche Rechtschreibung geübt wird." Schließlich wählte die Konferenz für das nächste Jahr zum Vororte den Verein Oft- und Westprcußen, znm Vorsitzenden Direktor Laudicu in Insterburg. An diesen vou der Versammlung des Gymnasiallehrer-Vereins mit großem Beifall ansgeuommene» Bericht knüpfte sich eine namentlich ans die Titelsrage eingehende Debatte.

Vnchertisch. Gedächtnis-Rede auf Friedrich Nietzsche gehalten an seinem Sarge bei der Trauerscier im Nietzsche-Archiv zu Weimar am 27. August 1900 von Ernst Horneffcr. Güttingen. Franz Wunder. Preis 50 Pfg. Wie es bei einem Arbeiter iui Nietzsche-Archiv und einem Heraus¬ geber der Werke des Dichterphilosophen nicht anders zu erwarten ist,

fließt diese Gedächtnis-Rede über von Bcivunderuiig für diese,, „Man», der das höchste Glück brachte, so daß es eine Menschheit nicht aus¬ schöpft", und sucht nahezulegen, baß die Well seit Jahrhunderten kein größerer Verlust betroffen hat, als die geistige Umnachiung und der Tod Nietzsches. Ausgehend von dem Leitmotiv: „Am Grabe dieses Mannes ist jede Klage verboten, — denn wer sind ivir, daß wir dieses Leben beklagen dürsten —" sucht der Redner nachzuweisen, daß Nietzsche iveit, weit über uns stand, daß er in seinem späteren Leben den irdischen Zustand so gründlich überivtiiide» hatte, daß er nichts mehr verehren konnte, und daß er als ein „königlicher pracht¬ voller Einsiedler des Geistes" hoch über allen geistige» Höhen thronte, dis ihn beim immer schnelleren Emporstreben der vernichtende Blitz trat. Nietzsche ist nicht gestorben, schließt der Redner, ein Rest von ihm verblieb noch, genug, »in uns zu lehren, ivas mir »ns hatten entgehen lasse». Noch können wir seinen Wert nicht völlig ermessen, wie an einem Meere stehen wir und höre» das Rauschen der Wogen und

ivarten,-daß Nietzsche kommt.-Ja, warten wir nur. Heimatkunde der Provinz Brandenburg. Fm die Hand der Schüler dargestellt von H. Ouilisch, Rektor in Frcienivalde a. £. Mit Bildern und mit einer Karte. Zweite vermehrte und ver¬ besserte

Auslage. Selbstverlag.

In Kommission

bei

Oll» Maier

in Leipzig (1900). Das kleine Werkchen, das mir unseren Lesern im Anfange des Jahres empsehlcn konnten, hat sich sehr schnell i» den beteiligten Kreisen, namentlich in den Schulen, eingebürgert, so daß nach kaum sechs Mo¬ naten eine zweite Auflage nötig wurde. Dies ist ein Beweis, daß die „Heimatkunde" thatsächlich einem Bedürfnis der Schule eiitgegenkommt, und dieser Erfolg spricht mehr als die verschiedenen Künftigen Beurteilungen für den Nutze» des Büchleins. Ter Berfa>ser hatte die zweite Auflage einer durchgehenden Bearbeitung unterzogen und die ihm von vielen Seiten ztigegaiigenen praktischen Winke hierbei benntzt. Anßerdeiii ist der zweiten Auflage eine kleine Karte zur Veranschaulichung der Höheuzngc und Flußthäler in der Mark Brandenbltrg beigegebc».

— Truck und Verlag:

Friedrich Schirmer, Berlin

SW., Neuenbnrger Straße

Ha.

Der Bär. Illustrierte Wochenschrift.

„Oer Bär" erscheint jährlich 52 mal und ist durci) alle Buchhandlungen, Aeitungsspeditionen und Postanstalten zu bezieken (Nr. 666 des Postkatalogs) und kostet vierteljährlich 2 M. 50 Pf., jainlich 10 M., Linzeiheft 20 Pf. — Infertionsprris für die q- gespaltene Nonpareillezeile oder deren Raun» 50 Pf. — Beilagegebühr: 6 135. pro (000 Stück inklusive Postgebühren. Inserate und Beilagen werden entgegengenommen von der Expedition des „Bär", §W.. Neuenburgerstraße sowie von allen llnnoncen-Lrpeditionen. —Fernsprecher: IV. Nr. 365t

26. Jahrgang.

W. 46.

Sonnabend, 17. November 1900.

Wohnungsnot.

B

ireimal umziehen ist

so schlimm wie einmal abbrennen," lautet ein altes, wahres Sprichwort, und es mag seine Giltigkeit auch noch heute für Leute haben, die nicht gegen Feuerschaden versichert sind. Wer aber den Vorzug genießt, eine

Feuerversicherungspolize in hinreichender Höhe zu besitzen, der wird vermutlich lieber abbrennen als umziehen' denn bei genügender Gewecktheit kann man bei einem durch Versicherung gedeckten

Dir Frstfrhung

und andere Ueberraschungen des lieben Hauswirts, als daß man schließlich auf der Straße übernachten muß. Der diesjährige Oktobernnizug hat so manchem unvorsichtigen Mieter derartige Ueberraschungen bereitet. Leute, die ihrer alten Behausung schnöde den Rücken gekehrt hatten und schon im Vor¬ gefühl der Freuden der neuen Wohnung schwelgten, wurden von dem unbarmherzigen

Hanslyrann kurzer Hand zurückgewiesen, da

im NnnMrrh«usr. Louise Geifrig. Berlin.)

des Goldfrhrnirr>rkagr»

(Photographische Aufnahme von Frau

Brandschaden noch etwas verdienen. Für solche Leute müßte das Sprichwort lauten: „Dreimal abbrennen ist besser als einmal

umziehen."

Freilich ist das alles Geschmacksache, und eS giebt Familien, die mit großer Pünktlichkeit alle sechs Monate den Möbelwagen bestellen und den Umzug geradezu sportmäßig betreiben. Aber dies sind Auswüchse, wie sie jeder Sport aufzuweisen hat. Der normale, seßhafte Berliner giebt lieber ein paar Mark Miete mehr, ehe er sich von seiner alte» Wohnung trennt und die Leiden und Beschwerlichkeiten eines Umzugs auf sich nimmt. Denn die Möbel werden bei einer solchen Expedition absolut nicht besser, die „Zieh¬ leute" sind eine ganz besondere Sorte von Menschen, denen man lieber ans dem Wege geht, die ganze Geschichte kostet „eine Stange Gold", und schließlich weiß man bei den heutigen Zeitverkfliltnissen gar nicht, ob man überhaupt wieder unter Dach und Fach kommt. Also ist es besser, man harrt aus und ertrügt die Steigerungen

plötzlich einen allzureichen Kindersegen entfalteten, oder weil sich nachträglich herausgestellt hatte, daß sie es mit dem Bezahlen der Miete nicht allzu genau nähmen. Die schwarze Liste unsicherer Alles Klagen und Mieter hatte ihre Schuldigkeit gethan. Lamentieren half nichts, der Hansgewaltige war unerbittlich, und die Pforten des Paradieses, will sagen der neuen Wohnung, blieben sie

Gelang es den Bedauernswerten nicht, in der Rühe schnell eine andere Heimat zu finden, so waren sie genötigt, ihr Domizil zunächst auf der Straße oder im besten Falle unter irgend einem Schuppen oder in einer Wageuremise aufzuschlagen, bis sie von einem weniger hartherzigen Hauswirt aufgenommen wurden. den Ankömmlingen

verschlossen.

Glücklich, wem ein Fuhrwerk für den ganzen Tag zur Ver¬ fügung stand, er konnte wenigstens gemächlich mit seiner „Fuhre" von Hans zu Haus ziehen und eine Wohnung suchen. Meist

war aber der Transportwagen

schon

für

eine

andere

Partei

730

und die „Ziehlente" setzten die guten Sachen ganz unverfroren auf das Pflaster der Straße, sie waren ja nur zum Transport bis zur neuen Wohnung verpflichtet, und ihr Auftrag¬ geber konnte nun sehen, wie er weiter kam. Herzbewegende Szenen haben sich in jenen Tagen in den Straßen Berlins abgespielt, und wenn der gute Petrus nicht ein menschliches Rühren verspürt und die Schleusen des Himmels geschlossen gehalten hätte, so wäre der trostlose Zustand der Ausgewiesenen noch trostloser geworden. vermietet,

Eine große Anzahl Berliner Familien haben bei dem letzten Umzug überhaupt keine Wohnung bekommen, entweder weil sie uns den angeführten Gründen trotz vorher gemieteter Wohnung nicht aufgenommen wurden oder wegen der beständig gesteigerten

Mietspreise keine ihren Verhältnissen entsprechende Behausung fanden. Diese Familien waren genötigt, wollten sie nicht im Freien logieren, ihre Zuflucht zu dem städtischen Asyl für Obdach¬ lose zu nehmen, und so haben sich denn in den ersten Tagen des Oktober über 360 Familien mit ungefähr 1570 Mitgliedern in den Räumen des Asyls in der Fröbelstraße zusammengefunden, welche dort einen mehr oder minder längeren unfreiwilligen Aufenthalt nehmen mußten. Wenn die Einrichtungen des städtischen Obdachs auch ganz vorzüglich sind, wenn auch für die Habscligkeiten und besonders für die Wäsche der Obdachlosen in geradezu selbstloser Weise gesorgt wird, wenn die dargebotene Kost auch ausreichend und schmackhaft ist, so kann sich doch eine an geordnete Häuslich¬ keit und an regelmäßige Lebensweise gewöhnte Familie unmöglich in den Unterkunftsräumen des Asyls, wo sie mit anderen Familien zusammen wohnen und schlafe» muß, wohl fühlen. Jeder, der in dieser kritischen Zeit gezwungen war, das städtische Obdach auf¬ zusuchen, mußte danach trachten, sobald wie möglich wieder in geregelte Verhältnisse zu gelangen, er mußte immer wieder auf die Wohnungssuche gehen. Aber nur einer geringen Zahl Obdachloser ist es beschieden gewesen, nach langem Umherirren endlich eine Heimstätte zu finden, die meisten kehrten am Abend müde und niedergeschlagen in das Asyl zurück, um am nächsten Morgen sich von neuem auf die Wanderung zu begeben. Trotz vieler Abgänge hatte sich die Gesamtzahl der im städtischen Obdach untergebrachten Familien seit Anfang Oktober doch nur sehr wenig vermindert, da viele Familien, die anfangs bei Bekannten Unterkunft gefunden hatten, trotz vielfacher Bemühungen keine Wohnung bekamen und schließlich das Asyl aussuchen mußten. Die Gründe hierfür waren stets dieselben: allznreicher.Kindersegen, unerschwingliche Mietspreise oder Furcht des Hauswirts vor allzupünktlicher Bezahlung. Erst gegen Ende Oktober ist die Gesamtzahl der Wohnungslosen im städtischen Obdach auf ungefähr 850 Köpfe herabgesiiukeu.

Die städtischen Behörden — man muß es zugestehen — haben es sich angelegen sein lassen, die Rot der Obdachlosen so viel wie möglich zu lindern, und besonders die Verwaltung des Asyls in der Fröbelstraße hat die dort untergebrachten Familien sehr human behandelt. Obwohl den Bestimmungen gemäß der Aufenthalt im Obdach nur fünf Tage dauern darf, hat die Verwaltung bei der herrschenden Wohnungsnot zahllose Ausnahmen gemacht, sie hat außerdem für einen regelmäßigen Wohnungsnachweis gesorgt und läßt denen, die eine Behausung gefunden haben, in dringenden Fällen die Miete für den ersten Monat oder einen Teil derselben auszahlen. Sehr armen Familien werden auch Haushaltungsgegenstäude und sogar ganze Wohnungseinrichtungen aus den Vorräten der städtischen Armenverwaltung geliefert und im Be¬ dürfnisfalle nach der neuen Wohnung gebracht. So anerkennens¬ wert alle diese Unterstützungen sind, kann man sie doch nur als Tropfen auf einen heißen Stein bezeichnen; denn die Wohnungs¬ not wird dadurch nicht aus der Welt geschafft, und bei dem nächsten Umzuge werden sich die Vorgänge des diesjährigen in erhöhter Zahl wiederholen. Ueber Mangel an kleinen Wohnungen hört man wohl bereits Jahren klagen; aber in letzter Zeit ist die Wohnungs¬ Und das ist kein Wunder. not geradezu chronisch geworden. Stelle ehemaliger Wohn¬ in Berlin an der Ueberall erhebe» sich Warenhäuser, die ganze, großartige Geschäftspaläste und häuser seit zwanzig

Straßenviertel einnehmen, und der Zuzug aus der Provinz nimmt Während die Zahl der Wohnungen sich stetig zu. verringert, wächst die Bevölkernngszahl von Monat zu Monat.

beständig

Wer in Berlin beschäftigt ist, sieht sich deshalb genötigt, wenn er in der Stadt keine preiswerte Wohnung erhalten kann, in de» Vororten zu wohnen, und die Folge davon ist, daß auch hier Wohnungsmangel eintritt und die Hauswirte dem SteigernngSkoller verfallen. So sind in den letzten zwei Jahren in Charlottenbnrg und Schöneberg die Mietspreise derartig gestiegen, daß es eigentlich keinen Unterschied mehr macht, ob man dort oder in Berlin wohnt, und die in diesen Städten überhandnehmende Wohnungsnot hat die betreffenden Behörden auch schon veranlaßt, der Frage der Erbauung von Wohnhäusern für städtische Beamte näherzutreten.

Etwas sonderbar mußte es unter allen diesen Umstünden er¬ wenn der Berliner Magistrat in einer seiner letzten Sitzungen die chronisch gewordene Wohnungsnot als eine „vorüber¬ gehende Erscheinung" anzusehen geruhte und die Wohnungsfrage einer Kommission überwies, welche zunächst feststellen sollte, ob eine Wohnungsnot überhaupt vorhanden ist, und ans welche Uuistände man die ungewöhnlich starke Belastung des städtischen Ob¬ scheinen,

dachs zurückzuführen hätte.

Ebenso sonderbar mutet auch der Ansspruch eines Kandidaten

für

die Stadtoerordneten-Ersatzwahl an:

„Ich

sage es

frei heraus,

meine Herren: eine Wohnungsnot existiert in Berlin nicht! Die Leute, die das städtische Asyl bevölkern, sind nicht solche, die keine Wohnung bekommen können, nein, es sind Leute, die keine

Miete bezahlen wollen!" — Da hört

denn doch verschiedenes

auf! — Weiß man an den genannten Stellen nicht, daß sich ver¬ schiedene Familien mit auskömmlichem Gehalt und guter Wohnungs¬ einrichtung, ja, daß sich sogar ein „wohnnngslvser Schutzmann" unter de» zeitweilige» Bewohnern des Obdachs befunden habe», daß die Leute mit feuchten und dunklen Keller» oder mit Bretter¬ buden in den „Laubenkolonien" vorlieb nehmen müsse»? — Und trotzdem keine Wohnungsnot!

Richtiger wäre es gewesen, wenn man von seiten der Stadt energisch zu Leibe gegangen wäre und nach dem Vorbilde von Charlottcnburg den Anfang mit der Einrichtung von städtischen Unterkunftshüusern gemacht hätte. Aber leider muß alles mit Sorgfalt und Bedacht nach Schema F erledigt werden. Die Behörden der viel kleineren Stadt Düsseldorf haben kürzlich den Betrag von 20 Millionen Mark zum Bau von mittleren und kleinen Wohnungen bewilligt und «vollen diese Summe im Wege einer Anleihe aufbringen. dem allseitig anerkannten Uebel

Kann Berlin, die Millionenstadt und Hauptstadt des

deutschen

Reiches, nicht ähnliche Vorkehrungen zur Beseitigung der Wohnungs¬ not treffen? — O freilich kann sie dies, und der Magistrat hat ja

die Gründung der „König Friedrich-Stiftung", an das 200jährige Bestehen des preußischen Königtums gewidmet sein soll, gezeigt, daß er einen Grundstock füj die Beschaffung billiger Wohnungen errichten will. Ob aber auch

die

durch

dem Andenken

das in Höhe von 1 Million Mark gestiftete Kapital für den ge¬ nannten Zweck ausreiche» wird, ob die durch öffentlichen Aufruf erbetenen Beiträge zur Vermehrung des Stiftnngskapitals so zahl¬ reich einlaufen werden, wie man erwartet, und ob es schließlich dem Kuratorium gelingen wird, so schnell, wie es nötig ist, ge¬ eignete Wohnräume in genügender Zahl zu beschaffen, das muß Außerdeni wird mit der Einrichtung der erst abwarten. Stiftung, mit der Wahl des Vorstandes und des Aufsichtsrats, mit der Feststellung bedürftiger Familien, die, wie § 8 des Statuts besagt/ mindestens seit fünf Jahren in Berlin ansässig sein müssen, und mit anderen Dingen eine geraume Zeit vergehe», ehe die Wohnungslosen der Segnungen besagter Stiftung teilhaftig werden.

mau

Und doch thut schleunige Hilfe not. Der Winter ist vor der Thür — zahlreiche Familien sind obdachlos — das städtische Asyl und die Wärmehallen reichen für solche Maffenansammlungen nicht

aus, und außerdem steht bei diesen Anhäufungen von Menschen-

material das Gespenst ansteckender Epidemien stets drohend im Hintergründe. Will man überhaupt helfen, so muß man es bald thun, und nicht erst, wenn eine Anzahl Obdachloser erfroren oder durch Masern- und Typhusepidemien dahingerafft sind. So dankbar man die Stiftung des Berliner Magistrats be¬ grüßen kann,

so

ist dieses

Hilfsmittel

bei der

augenblicklichen

7cU

Notlage

doch bei weitem nicht ausreichend. Der Magistrat mußte in städtischen Gebäuden oder in Mietshäuser» den be¬ dürftigen Familien kleine Wohnungen in genügender Menge gegen geringe Miete zur Verfügung stellen, und sobald die bitterste Rot gelindert ist, mit dem Bau von Familienhäusern im Sinne der Spar- und Bauvercine beginnen lassen. Vorläufig scheint man aber im „Roten Hause" au dergleichen Bergünstigungen für die minderbemittelten Mitbürger noch nicht zu deuten, wenigstens hat der Magistrat neuerdings bei der Erörterung der Wohnungs¬

sogleich

frage folgende Grundsätze aufgestellt : 1. Der Magistrat wird dafür sorgen, daß in den außerhalb des Weichbildes der Stadt Berlin belegenen Stadtteilen, namentlich im Norden, der Häuserbau derart gefördert wird, daß dort recht bald kleine Wohnungen vermietbar sind. 2. Der Magistrat wird sich mit den Bauunternehmern ins

Einvernehmen setzen bei der Reuaulegung von Straßen auf noch uubcbauteui Terrain und mit den Unternehmern wegen Errichtung von kleineren Wohnungen in Unterhandlung treten. 3. Der Magistrat wird bei weiteren Verkäufen städtischer Terrains die Verkanfskontraktc nur in dem Sinne abschließen, daß der Käufer verpflichtet sei, das Grundstück so zu bebauen, daß die genügende Anzahl von kleinen Wohnungen entstehe. Ob diese Grundsätze, vorausgesetzt, daß sie befolgt werden,

in nächster Zeit die dringend erwünschte Abhilfe schaffen können, darf billig bezweifelt werden. Eine Nachahmung des Beispiels der Stadt Düsseldorf wäre dazu mehr geeignet, und wenn der Magistrat von Berlin sich nicht so sehr belasten will, so wäre wenigstens eine Erweiterung des städtischen Obdachs oder die Er¬ bauung von Baracken und Unterkunftshäusern sehr zu empfehlen.

Gustav Albrecht.

Vom deutschen Goldschmirdetag in Berlin. den ersten Tagen des November hat in Berlin eine Versammlnug der Goldschmiede Deutschlands stattgefunden, mit welcher eine Feier zur Erinnerung an den 400jährigen Geburtstag des berühmten florentiuischeu Künstlers Benoenuto Ecllini verbunden war. Zum erstenmal hatten die Innungen der Gold- und Silberschmiede und der Juweliere sich zusammengethan, um über gemeinsame Angelegenheiten und einen engeren Zusammenschluß der einzelnen Verbände zu beraten, und infolge¬ dessen war die Beteiligung ans alle» Teilen Deutschlands und auch ans dem Auslande sehr groß. Der Zweck, den die Ver¬ anstalter des deutschen Goldschmiedetnges im Auge gehabt hatten, wurde erreicht, es ivurde beschlossen, einen Verband der deutschen Juweliere, Gold- und Silberschmiede zu gründen.

Eröffnet wurde der Goldschmiedetag durch eine Festsitzung ii» großen Saal des Künstlerhauses in der Bellevuestraße, zu welcher, der Bedeutung des Tages entsprechend, das Ministerium für Handel und Gewerbe den Geh. Regierungsrat Dönhoff, das Polizei¬ präsidium den Regiernngsassessor Bremer und der Magistrat von Berlin den Geh. Regierungsrat und Stadtrat Ernst Friede! als Vertreter entsandt hatten. Die Stadtverordneten-Versammlnng war durch Generaldirektor Goldschmidt, Baurat Kyllmann und Dr. Schwalbe und die Gewerbedepntation des Magistrats durch den Stadtverordneten Eisold vertreten. Ebenso waren von einzelnen Museen und verschiedenen Vereinen besondere Abgeordnete erschienen: für das Knnstgewerbe-Mnseinn Direktor Prof. Dr. Julius Lessing, für das Märkische Proviiiziäl-Museum der Stadtverordnete Klaar, für de» Verein für Knustgewerbe Direktor Dr. P. Jessen, für den Verein für die Geschichte Berlins Prof. Dr. Voß und Amtsgerichtsrat Beringuier und für die Brandenburgia Prof. Dr. Galland und Grubenbesitzer Franz Körner. Die Leitung der Versammlung hatten der Obermeister der Berliner Goldschmiede-Jnnnng Roßbach und der Hofjuwelier Teige übernommen. Alle trugen ans der Brust das neue Bereinsabzcichen, eine Medaille, die auf der eine» Seite das Bildnis Benvcnnto Ccllinis und auf der andern eine Eule mit der Umschrift: „Goldschmiede-Jnnnng Berlins" zeigte. Begeisterüngsvoll stimmten alle in das Kaiserhoch ein, welches der Obermeister der Berliner Innung ausbrachte, und als der Redner, nachdem er ein kurzes Bild der Ziele und Bestrebungen der deutschen Gold¬ schmiede gegeben hatte, als Zweck der festlichen Zusammenkunft die Gründung eines allgemeinen deutschen Goldschmiedeverbandcs ver¬ kündet hatte, da herrschte lauter Jubel unter den Zunftgenossen. I» der darauffolgenden Arbeitssitzung wurde dann die Gründung des Verbandes beschlossen. Rach

der Festsitzung begaben

die Teilnehmer nach dem eine Ausstellung von Werke der Goldschmiedeknnst

sich

Knnstgewerbe-Museum, wo im Lichthofe Abbildungen der veranstaltet war. ginalentwürfe des in Hamburg um

hervorragendsten Gleich am Eingänge sah man eine Zahl Ori¬ ' berühmten Goldschn Jakob Moers, der 1600 lebte. Ra^ n Zeichnungen, welche

große Prnnkgefäße und Tafelaufsätze, Pokale, Scbiffe, Vögel und Elephanten darstellen, ist in der Werkstatt des genannten Meisters gearbeitet worden. Auf einer anderen Tafel waren Zeichnungen von Werken Benvenuto Cellinis vereinigt, darunter das goldene Salzfaß für Franz I. von Frankreich, Tafelaufsätze, Po¬ kale und Schmuckgegenstände und eine Anzahl Münze» und Die übrigen Abbildungen waren geschichtlich ge¬ Medaillen. ordnet treffliche Uebersicht über die und gewährte» eine Schöpfungen der Goldschmiedekunst seit den ältesten Zeiten. Die griechische Kunst war durch Schmncksachen und Gefäße aus Gräberfunden von Kcrtsch in der Krim, die römische durch den berühmten Hildesheimer Silbcrfund und die Funde von Bvscoreale und Bernay, und die frühgermanische durch Einzelfunde aus der Zeit der Völkerwanderung vertrete». Bon mittelalterlichen Goldschmiedearbeiten waren Photographien und farbige Abbildungen romanischer und gotischer Kirchengeräte, wie Kelche, Mon¬ stranzen, Reliquiarien, Weihkessel, Gcnbenschmelz- und Emailarbeiten, sowie spätgotischer Tischgeräte und Trinkgefäße aus¬ gestellt. Manche Originalzeichnung deutscher Goldschmiedegesellen Zeigte, auf welcher Höhe die edle Kunst sich im 16. Jahrhundert noch befand. Einen großen Raum nahmen neben den Werken der deutschen Renaissance die Schöpfungen der französischen und und italienischen Renaissance ein, und in der letzten Abteilung waren Abbildungen aus der Rokoko-, Barock- und Zopfzeit untergebracht. Eine Vitrine, die in der Mitte des Lichthofes stand und von einem herrlichen Goldpokal gekrönt war, enthielt

die zahlreichen Originalurkunden der Berliner GoldschmiedeJnnnng. An die Besichtigung dieser Sonderausslelluug sckstoß sich ein Besuch der Sammlung von Gold- und Silbergeräten im oberen Stockwerk des Kunstgewerbe-Mnseunis. Hier erregten besonders die

kunstvollen Arbeiten der deutschen Meister Wenzel, Jamnitzer, und Hans Petzold die Aufmerksamkeit der Besucher, so die bekannte Tischfontüne in Gestalt eines Elefanten mit bewaffneten Kriegern von Jamnitzer, die auf einem Hirsche reitende Diana von Wallbaum und der Traubenpokal des Hans Petzold. Auch die anderen Taselgeräte des 16. und 17. Jahrhnnderts, meist Nürnberger und Augsburger Arbeit, ferner das Staatssilberzeug der Stadt Lüneburg, der größte in Deutschland erhaltene Schatz alter Silberarbcit, der sogenannte Pommersche

Matthias Wallbauni

Knnstschrank mit seiner reichen Ausstattung in Email und ein¬ gelegter Arbeit und die neueren Gold- und Silberarbeiten fanden gebührende Würdigung. Direktor Dr. Jessen inachte auch hier

wie in der Ausstellung der Abbildungen und Photographien den kundigen und liebenswürdigen Führer.

Zu Ehren des Goldschmiedetages hatte

Provinzial-Mnsenm

auch das

seine langgeschlossenen

Märkische

Pforten wieder

ge¬

öffnet und in der geschichtlichen Abteilung der Stadt Berlin eine kleine Sonderausstellung von Werken der Goldschmiede- und

732

Juwelierkunst veranstaltet, die der Hinterlassenschaft

des

sich

hauptsächlich aus de» Schätzen

Stadtrats Löwe

zusammensetzte.

In

einem der großen Glaskästen waren goldene und silberne Eßbestecke

aus dem 17. Jahrhundert ausgelegt, künstlerische Arbeiten mit 'reichen Rankenornamenten und ciselierten und Gravierungen auf de» glatten Flächen. Von den in demselben Kasten ansgestellten Filigranarbeiten fielen besonders ein Rosen¬ kranz ans Korallen mit silbernen Filigrananhängen auf, dessen Kreuz einst mit Edelsteinen und emaillierten Heiligenbildchen ver¬ ziert mar, ferner verschiedene Dosen und Kästchen und ein kleiner Goldfiligranbcntel in Gestalt eines Pompadourtäschchens, der vermutlich zur Aufbewahrung einer Uhr bestimmt war. Sehr reichhaltig war die Zahl wertvoller Dosen aus ver¬ schiedenen Jahrhunderten. Neben schwergoldenen Schnupftabak¬ dosen aus dem 17. und 18. Jahrhundert mit getriebener Arbeit, Schlacht- oder Jagdszenen darstellend, fanden sich Emaildoscn mit Blumenstöcken oder Watteausigürchen bemalt aus dem 18. Jahr¬ hundert, ferner Tnladoscn russischer und Silberdosen englischer Herkunft, Dosen aus Onyx, Achat und Syenit, teils mit goldenen Verzierungen, teils mit Malereien und Mosaikbildern, und goldene Dosen mit prächtiger Emaiieinlage. Außer dieser kostbaren Samm¬ lung besitzt das Museum noch eine ganze Zahl von Goldschmiedearbeitc» ans allen Zeiten, die zum großen Teil den Berliner Goldschmiedemeistern ihre Entstehung verdanken. Den Glanzpunkt des deutschen Goldschmiedetages bildete die getriebenen

Cellinifeier, die am Abend des 2. November im Festsaal des Künstlerhauses stattfand. Wieder waren die Vertreter der Re¬ gierung, der Stadt Berlin, der Museen und verschiedener kunst¬ gewerblicher und historischer Vereine als Ehrengäste anwesend, wieder waren die Jünger der edlen Goldschmiedeznnft in hellen Scharen herbeigeeilt, wieder brausten Jnbelrufe und Toaste durch den festlich geschmückten Saal, es war das gleiche Bild wie in der Festsitzung, nur bunter und mannigfaltiger und verschönt durch die Gegenwart schöner Frauen und züchtiger Goldschmiedstöchterlein. Alle Vorträge und Borfiihrungen waren dem Andenken und dein Kreise des taltentvollen Meisters Benvenuto Cellini gewidmet, den Direktor Or. P. Jessen in seiner Festrede als Schutzpatron der An der Hand Goldschmiede, als Künstler und Bildhauer feierte. Kreisen des die weitesten in den von Cellinis Selbstbiographie, deutschen. Volkes, durch Goethes Uebersetzung bekannt ist, schilderte der Redner das Leben und Wirken des florentinischen Künstlers, charakterisierte seine Werke und seine Kunstrichtung und schloß mit dem Wunsche, daß die deutsche Goldschmiedekunst sich auf der Höhe, die sie nach jahrelangem Verfall jetzt wieder erreicht hätte, Ein prunkvolles halten und sich kräftig weiter entwickeln möge.

Festmahl und ei» fröhlicher Tanzreigcn bildeten den weiteren Teil der Cellinifeier. De» zweiten Tag der Zusammenkunft füllten Arbeitssitznngen und Besichtigungen des königlichen Kronschatzes und der Silber—t. kammer im königlichen Schloß aus.

Zwei Millionen Martinsvögel. Berlin nach Stralau-Rummelsburg fährt, was man sowohl mit der Stadtbahn wie auch mit dem Nord- und dem Südring besorgen kann, ganz nach Be¬ lieben, dann kommen einem schon ans dem Bahnhof Frauen entgegen, die gewöhnlich zwei Gänse in der Schürze oder im Korb tragen. Die Aermsten, nämlich die Gänse, blicken mit stoischem

selbst beobachten, denn die drei- oder vier¬ der Gänsehündler kommen heranWagen eingerichteten stöckig gesahren, und die von der Fahrt und einigem Fasten mitgenommene» Tiere werden recht unsanft Herangetrieben und verladen. Die Rummelsburger Schuljugend in einigen ihrer hervorragendsten Repräsentanten besorgt, mit Peitschen bewaffnet, die Treiberdienste,

Gesichtsausdruck in die Welt und sperren ab und zu den Schnabel ans — ihr Sehnen wird bald erfüllt sein, sie werden gemästet, und das weitere findet sich. Steigt man dann über die große Hängebrücke, die die Ostbahn überbrückt, und hinunter zu ebener Erde auf die geheiligte Flur, wo einstmals der brave Rummel die heidnischen Wenden besiegte

was nicht gerade veredelnd auf die jungen Gemüter wirken kann. Sind die Tiere dann in einen besonderen kleinen Verschlag getrieben, vor dem der Wagen hält, so werden sie zu zweien an der Kehle gepackt und in die Luke geschleudert, daß ihnen Hören, Sehen und Schnattern vergeht. Es kommt auch vor, daß der Käufer sich besondere Exemplare aussucht, die dann mit dem bekannten Gänsehaken am Halse gefaßt und zunächt in eine benachbarte,

enn man von

und in die finstere Wuhlheide zurücktrieb, — ein Ereignis, das allerdings auch die Stralauer für sich in Anspruch nehmen, weswegen sie den Stralauer Fischzng feiern — so braucht man nicht nach dem Weg zu fragen. Erstens geht es immer der Rase nach, und zweitens begegne» uns fortwährend Männlein und Weiblein mit der fleißig.schnatternden Last. So kommst Du all¬ mählich an den Eiswerken, dem Restaurant Bellvedere und der königlichen Strafanstalt vorbei auf freieres Gelände, und Du findest, daß Du eigentlich mit dem Vorortverkehr hättest bis Kietz-Rummelsburg fahren können. Aber das macht nichts, denn es gab eine Zeit, in der überhaupt noch keine Eisenbahnen fuhren und die Menschheit noch viel größere Strecken zu Fuß zurücklegte. Rechts und links findest Du nun lange, niedrige Bretterzäune, und Du liest die Inschrift: „Rummelsburger Gänsemarkt." Ver¬ schleppte Federn bezeichnen den Weg, und lebhafte musikalische Unterhaltung, die die Gänse immer besonders geliebt haben, locken Dich an. Auch siehst Du allerlei schlankgewachsene Männer mit Stöcken und langen Haken in der Hand, welche Dir grobe Antwort geben, wenn Du sie nach etwas fragst. Es sind bessere Menschen, die von Europens übertünchter Höflichkeit noch nicht zu viel ver¬ dorben sind. Aber mach Dir nichts daraus' wenn sie sehen, daß Du auch Humor hast, so erzählen sie Dir gern, daß da manchen Tag an zwanzig Eisenbahnwagen ausgeladen werde», und daß in jedem so etwa 1200 bis 1300 Gänse stecken. Eine solche Ladung sindet gewöhnlich in einer „Buchte" Platz, bis das Schicksal in Gestalt der Händler das friedliche Zusammenleben stört, und ohne Rücksicht auf Familienbande sie auseinanderreißt.

Das kannst Du

gerade freistehende Buchte geworfen werden.

Empfindsame Gemüter und Mitglieder des Tierschntzvcreins sollten lieber fern bleiben; aber auch andere Menschen mögen sich die Frage vorlegen, was wohl in Zukunft aus den Schuljungen wird, die dies rohe Verfahren tagtäglich mit ansehen und mit¬ machen.

Die Behandlung ist schon deswegen unangenehm, weil doch die Gans bekanntlich — du hast ja das Gymnasium besucht und dort die höhere Weisheit genossen — früher einmal ein heiliger Vogel war und sogar das Kapitol gerettet hat, was man ihr jetzt Die Sache war so. Die tapferen Römer waren vor den Galliern unter ihrem damaligen Napoleon ans das Kapitol geflüchtet. Die Gallier aber belauschten einen römischen Kundschafter und gelangten so zur Kenntnis eines schmalen Auf¬ stieges auf das Kapitol. In der Nacht nun machten die Gallier sich auf und stiegen, einer hinter dem andern, auf diesem schmale» ansieht.

noch

Pfade hinaus. dem

Kapitol

Da erhoben die heiligen Gänse der Inno, die ans aller Proviant ausgegangen

noch lebten, da noch nicht

war, ein fürchterliches Geschrei und weckten den sanft schlummernden Nachtwächter Marcus Manlius. Dieser gab dem ersten Gallier, der gerade herauf kam, einen Stoß, so daß er auf den zweiten Gallier und dieser auf den dritten fiel u. s. w. und schließlich sämtliche Gallier in Form einer Lawine unten ankamen. Rom war gerettet. Manlins freilich verfiel später in Größenwahn; er bildete

sich

ein,

"'".abe das Kapitol

beschützt,

während es

doch

733 gewesen waren' er wurde deshalb wegen Ueberhcbung Jahre später denselben Fels hinuntergestürzt und erhielt Beinamen Kapitolinus. Die Gänse aber nahmen, wie Ovid

die Gänse ein paar den

in den Metamorphosen erzählt, seitdem die Gewohnheit an, in derselben Art zu marschieren, wie die Gallier, als sie den Berg erstiegen. Man nannte das sinnig den Galliermarsch, bis die Erinnerung verblaßte, und die undankbare Nachwelt dafür den Namen „Gänsemarsch" oder „Polonäse" erfand. Das war nun den alten Germanen, die damals zn beiden Ufern der Spree saßen — weswegen anch hier die Ufer so flach sind — ganz egal. Wenn sie ihre Ernte herein hatten, anch die spärliche Obsternte, und der erste Met aus der neuen Gerste und dein frischen Honig bereitet war, dann feierten sie im Spätherbst wohlgemut ihr Erntefest und schlachteten bei der Gelegenheit, dank¬ baren Gemütes, ihrem Himmelsgott Wotan die funge Gans. Dabei tranken sie dann immer noch eins. Das wurde anch nicht anders, als die Mönche ins Land kamen und mit ihnen der Weinbau. Der einzige Unterschied war der, daß die Mönche

„Kameruner", d. h. Russen, und allmählich schwillt e-s an, bis lrtn die Weihnachtszeit. Der Schluß des Marktes hängt hauptsächlich von der Witterung ab. Die armen Tiere haben es nicht leicht. Tief im Innern Rußlands zusammengekauft, werden sie verladen und müssen tagelange Fahrten aushalten. Im Wagen können sie nicht ge¬ füttert werden. Die Vornstehcnden würden sich überfressen und die andern verhungern. Die Fahrt wird deshalb unterbrochen, die Tiere heraus gelassen, gefüttert und getränkt und ihnen etwas Bewegung gegönnt, und dann geht es weiter. Von der russischen Grenze bis Rnmmelsbnrg, zwei Tage lang, müssen sie ohne Fütterung aushalten. Trotzdem gehen nur wenige ein, wenn nicht Frost dazu kommt. Gleich nach ihrer Ankunft wird ihnen Speise und Trank ser¬ viert. Die meisten gehen dann bald in großen Posten in die Hände von Händlern über, die in den Berliner Vororten die Mast für die Reichshauptstadt besorgen' auch der Oderbrnch wird zum Teil von hier mit jungen Gänsen versorgt und von dort

Vom Giinlcm^rkt i» Un»»»rlsb»rg. Louise «eifrig, Berlin.)

(Photographische Ausnahme von Frau

selbstverständlich von dem bösen Wotan nichts wissen wollten. Sie nun die Gans einem fürnehmen Heiligen zu Ehren und tranken dem Martinus zum Gedenken den „Heurigen", anch schlachteten

immer noch eins. Kriegsgott, Mars Himmel, und die der Martin Luther

Dieser Heilige, dessen Namen von dem alten herstammt, galt lauge Zeit als der erste im Dichter feierten ihn überschwenglich. Als dann kam, ließ das nach, aber die Martinsgans wird

noch heute gegessen.

Die beiden Martinstage sind der 10. und 11 . November, und um jene Zeit herum erreicht anch der Rummelsburger Gänsemarkt seine Höhe. An manchem Tage kommen 30 000 dieser geflügelten Sinnbilder der Klugheit an, um dann nach kürzerer oder längerer Mast, nach vierzehn Tagen bis vier Wochen, dem edelsten Zweck, der Ernährung des denkenden Menschen, zu dienen. Fast der dritte Teil sämtlicher Gänse, die in Deutschland konsumiert werden, geht über Rnmmelsbnrg. Das Geschäft be¬ ginnt schon gleich nach Ostern. Zuerst kommen inländische Gänse, hauptsächlich für den Restaurationsbctrieb, später überwiegen die

Aber ei» dann schon geschlachtet zu uns zurück. auch von kleinen Leuten, die ein Gärtchen oder einen Stall zur Verfügung haben, angekauft. Zwar kosten der Hafer und der Mais anch Geld, und die Mühe ist nicht gering, aber die junge Gans kostet nur 2 bis 2,50 Mark — und „deshalb giebt sich mancher viele Müh' — mit dem lieben Federvieh, — wenn auch nicht der Eier wegen, — welche diese Vögel legen, — so doch, weil man dann und wann — einen Braten essen kann; — ferner aber nimmt man anch — ihre Federn in Gebrauch, — in die Kissen und die Pfühle, — denn man liegt nicht gerne kühle." Zu diesen poetischen Schönheiten kommt, daß die Gans in der That ein vorteilhafter Braten ist, in mehr als einer Hinsicht; und es ist Verleumdung, wenn einer sagt, eine Gans wäre znm Frühstück zu wenig, esse man aber zwei, so verdürbe man sich das Mittagbrot. Deshalb ist es gut, daß der Jahresimport in die Millionen geht, und die Gans kann sich im Bewußtsein ihres wahren Wertes trösten über die mancherlei schnöden Verunglimpfungen, die K. M. ihr seit Menschengedenkcii angethan worden sind. kommen

sie

guter Teil

wird

734

Das Kloster Himmelstädt. 1900 waren 600 Jahre verflossen, seit Markgras Albrecht IU., ans dem Hause der Askanier, während seines Aufenthalts im Dorfe Kladow bei Landsberg a. W. die

m 22.

Mai

StiftungSurknnde für ein neues Kloster des Mönchsordens der Cisterzienser ausstellte.

Albrechts fromme Gesinnung hatte sich schon in vielen kirch¬ Stiftungen und Handlungen gezeigt; nach' Kräften war er bemüht, für das Heil seiner Seele zu sorgen. Er hatte sich sogar die Erlaubnis erwirkt, zeitweise Dominikanerkleider zn tragen. In lichen

Pommern, wo er schon einige Jahre vor 1300 das Kloster Himmelpfort stiftete, lag auch das Cisterzienserkloster Colbatz im Lande Pyritz, das in dem Kriege mit den Pommern in seinen Besitztümern Bon Ditmar, dem Abt schwere Beschädigungen erlitten hatte. dieses Klosters, ließ sich Albrecht leicht bewegen, ihm durch die oben angeführte Urkunde den Hof Crewetsdorp oder Krenzdorf bei

Kladow als Geschenk mit der Bestimmung zu überlassen, an dieser Stelle ein Tochterkloster zu erbauen. Es sollte nach dem aus¬ drücklichen Willen des Stifters locus ooeli, d. h. Himmelsstätte, genannt werden. Um den Mönchen reichliche Einkünfte zufließen zu lassen und ausreichenden Unterhalt zu gewähren, zeigte sich Albrecht sehr frei¬ gebig; denn er bestimmte gleichzeitig vor Zeugen, daß dem neuen Kloster vierzehn Dörfer und eine große Zahl von Seen in dem Waldgürtel nördlich von Landsberg gehören sollten. Das ganze Klostergebiet umfaßte mehr als zwei Onadratnieilen; seine Grenzen

wurden in der Urkunde genau angegeben und zogen sich noch weit in den heutigen Soldiner Kreis hinein. Nebst den Gütern stattete Albrecht seine Schenkung auch mit weitgehenden Rechten aus; die Mönche erhielten das Recht, in allen Teilen ihres Gebiets die Jagd und Fischerei auszuüben, Mühlen zu bauen, die etwa vor¬ Das handenen mineralischen Schätze des Erdinnern zu heben. Patronatsrecht über die Kirchen ihres Bezirks, wie auch die weltliche und geistliche Gerichtsbarkeit, standen ihnen ebenfalls zu. Dazu sollten sic frei von allen Abgabe» und Diensten sein; nur die. Honigerträge behielt sich der Markgraf vor, so lange er lebte. Ueber den

Orden der Cisterzienser

sei

kurz

folgendes

mit¬

geteilt.

Dieser Mönchsorden wurde von dem Benediktinerabt Robert ans der Champagne in Frankreich gegründet, um dem immer mehr verweltlichten Benediktinerorden eine ernstere Richtung zn geben. Mit mehreren Gleichgesinnte» zog Robert in die Wildnis der Gegend bei Dijon und errichtete das Kloster Citeaux im Jahre 1098, wonach sie den Name» „Cisterzienser" erhielten. Innerhalb der Klostermauern trugen sie die weiße und beim Landban die schwarze

Kutte; darum hießen sie auch die weißen oder schwarzen Brüder. Sie waren keine gelehrten Mönche wie die Benediktiner und Dominikaner; ihre Ordensregel verpflichtete sie vielmehr zu harter körperlicher Arbeit in Feld und Wald, in Haus und Hof. Die Landwirtschaft war ihre Hauptbeschäftigung; ihre Klöster waren Musteranstalten für den Landbau. Die Arbeit der Mönche für die Kultur des Bodens war äußerst segensreich; sie gründeten Dörfer und Kirchen, suchten Bewohner auf das Land zu ziehen und dem Christentum völlige» Eingang zu verschaffen. Großes haben sie auch in der Baukunst geleistet; ihre Bauten führten sie alle im gotischen Stil auf, wie es noch heute an den Klostergebäuden zu Chorin, Lehnin und Neuzelle ersichtlich ist. Von Frankreich aus verbreitete sich der Orden über die angrenzenden Länder. In Deutschland wurde sein Gütcrbesitz so umfangreich, daß man sprich¬ wörtlich behauptete, ein Mönch, der nach Rom reise, könne bis zn den Alpen hin auf eigenem Grund und Boden übernachten. Groß ist ihre Bedeutung für die Kultivierung des slavischen Ostens Deutschlands; deshalb wurden ihre Gründungen von den brandenbnrgischeii Markgrafen aus dem Hause der Askanier sehr begünstigt.

Kehren

Kultur, voü einzogen.

wir

zurück zu

den Mönchen,

die

als Pioniere der in Himmelstädt

dem Mntterkloster Colbatz gesandt, 1300

bewegte sich langsam seinem Ziele zu; trieben allerlei Haustiere, wie Rinder, Schafe, Ziegen und Schweine, vor sich her; Geräte und Werkzeuge aller Art wurden auf Wagen mitgeführt. Die Gegend war ganz für die Mönche geschaffen; denn sie befand sich fast noch in völliger Wildnis und bot ein ergiebiges Arbeitsfeld für die fleißigen Gottes¬ männer. Mit sichtlichem Wohlgefallen schweifte deren Blick von der nördlichen Anhöhe über den urwüchsigen Wald, der ihnen Wildpret in Fülle für die Klosterküche liefern würde, über die

Ei»

langer Zug

dienende Brüder

sonnige Wasserfläche des umfangreichen Sees, der ihnen in reich¬ lichem Maße ihre Lieblingsspeise, Fische aller Art, versprach und in seinem Schilfdickicht schmackhaftes wildes Geflügel für ihren Tisch

barg. Der Platz, wo sich heute die Wirtschaftsgebäude des Amtes Himmelstädt erheben, wurde als Wohnplatz ansersehen, durch Pfähle abgesteckt, der heiligen Mutter Gottes geweiht, mit Weih¬ wasser besprengt und unter Gesang und Gebet in Besitz genommen. Dann ging man mit Axt und Säge daran, die Waldriesen zu fällen, um daraus zunächst ein einfaches Holzklostcr aufzuführen, um¬ geben von Wohnhäusern, Wirtschaftsgebäuden und Stallungen. Mit Hacken und Spaten wurde der Wald ausgerodet und der Boden für den Ackerbau zubereitet; in der sumpfigen Niederung des Kladowfließes zog man Abflußgräben, um durch Entwässerung

In wenigen ertragreiche Wiesen für das Vieh zu gewinnen. Jahren bot die Gegend ein verändertes Bild: ringsum bebaute Felder; zwischen den wogenden Aehrennieeren die dunklen Ge¬ stalten der Mönche, die plötzlich durch die Klänge der weit in den friedlichen Wald erschallenden Klosterglocke veranlaßt werden, in ihrer emsigen Arbeit inne zu halten und die vorgeschriebene Gebetsübung an Ort und Stelle zu verrichten; auf den Wiesen wohlgenährte Rinderherden; im schwankenden Kahn ei» Mönch, der seine Netze auswirft; die friedliche Stille unterbrochen durch das anmutige Klappern eines Mühlenwerkes, das die Mönche am Betritt man den Kloster¬ Abflusse des Sees kunstreich errichteten. hof, so bietet sich auch hier dem Auge ein Anblick regen Lebens de» Handwerksstätten fertigen dienende und thätigen Schaffens. andere sind in der Bäckerei Kleidungsstücke; Brüder Geräte und und Brauerei beschäftigt, um für des Leibes Bedürfnisse zu sorgen;

In

unter den blühenden Obstbäumen des Klostergartens, zwischen duftenden Blumen, heilkräftigen Arzneikräutern und Gemüsebeeten Ans dem schmalen geht eine Anzahl der Gartenarbeit nach. Damm, der weit in den See hineinreicht, treiben andere Mönche Andere ziehen die Landstraße die gewinnbringende Seidenzucht. entlang jn die zugehörigen Klostcrdörfer, beladen tritt Kräutern und Arzneien, um dort Gottes Wort zu predigen, Kranke zu heilen, Bedürftigen zu helfen und des Klosters verbriefte Rechte geltend zu machen und auszuüben. Besonders lebhaft wird es in der Umgebung des Klosters, wenn an den Onartalstagen die Bewohner der zinspflichtigen Dörfer herbeieilen, um die Abgaben zu entrichteu, bestehend in Getreide, Eiern, Honig, Wachs, Wild und Haustieren aller Art, vielleicht auch in barem Gelde. Aus den überlieferten Urkunden geht hervor, daß es den Himmclstädter Mönchen nicht leicht gemacht wurde, sich in Besitz der von Albrecht gestifteten Dörfer zn setze», die dazu in einem

Zustand waren, daß sie kaum den Namen verdienten. Ein un¬ günstiges Geschick waltete über der jungen Gründung insofern, als schon am Ende des Jahres 1300 ihr freigebiger Stifter und wohl¬ wollender Beschützer starb. Dessen Nachfolger waren nicht ohne weiteres geneigt, auf- soviel Besitztümer großmütig zu verzichten. Markgraf Waldemar bestätigte als Vormund Johanns des Erlauchten den Colbatzcr Mönchen, von denen die Himmelstädter immer »och abhängig waren, nur die fünf Dörfer Kladow, Zanzin, Heiners¬ dorf, Merzdorf und Lappow, wofür sie ihm 300 M. brandenburgisch Silber zahlen mußten und noch zn Abgaben verpflichtet wurden; die übrigen Dörfer sind in dieser Bestätigungsurknnde von 1311 nicht erwähnt und werden wohl vorläufig den Mönchen vorenthalte» worden sein. Räubereien an Klostergütern waren i» damaliger

Zeit nicht selten.

785

Schlimme Zeiten brachen für das Kloster an, als die Polen und Litauer im Jahre 1826 auf Geheiß des Papstes in die Renmark einfielen. Diese wilden, zum Teil noch heidnischen Horden hausten auch in Hinimelstädt in furchtbarer Weise. Die Mönche fluchteten sich in die Wälder, um den unmenschlichen Grausam¬ keiten zu entgehen- ihre Heimstätte wurde geplündert und verbrannt. So war der Bestand des Klosters in Frage gestellt, und die Kultur¬ arbeit eines Viertelsahrhunderts schien vernichtet. Dazu kam, daß sich räuberische Ritter in den Besitz der Klostergüter setzten und die zurückgekehrten Mönche vertrieben, denen schließlich weiter nichts

übrig blieb, als in ihre Mutteranstalt nach Colbatz zurückzugehen. In ihrer höchsten Rot wandten sie sich mit der Bitte um Abhilfe und um Rückgabe der widerrechtlich angeeigneten Güter an den bayerischen Markgrafen Ludwig den Aelteren, der damals gerade in Landsberg weilte. Dieser zeigte sich in einem freundlichen Schreiben an den Abt gern bereit, ihnen z» ihrem Recht und ihre» Besitztümern zu verhelfen, wenn das Kloster wieder aufgebaut Auch gestattete er ihnen urkundlich, daß die Mönche sei» würde. für die Abfuhr des Holzes und der Kohlen aus ihre» Waldungen die markgrüflichen Wege zollfrei benutzen durften. Der Bruder

Ludwigs, Markgraf Otto, bestätigte

den Mönchen den Besitz des Klosters, das noch immer nicht errichtet worden war, im Jahre 1368 aufs neue und stellte sie unter den besonderen Schutz seiner Hauptleute und Vögte) das geschah jedoch nur unter der Bedingung, daß die Mönche an seinem Todestage für ihn die Messe lesen

sollten.

Mit dem Aufbau des Klosters hatten die Colbatzer Mönche nicht besondere Eile, da ihrem Kloster dann um so länger die Abgaben aus den verbliebenen Güter» zuflössen. Erst um das Jahr 1370 wurde das Kloster ans Stein erbaut, und zum zweiten¬ mal hielten die Mönche feierlich ihren Einzug in Himmelstädt. Das Hauptgebäude stand in der Richtung der großen Scheune auf dem jetzigen Gute. Die Versprechungen Ludwigs aber wurden nur in geringem Grade erfüllt; denn noch zehn Jahre später fanden sich Klostergüter im widerrechtlichen Besitz von mehreren Adligen. Eine Schenkung des Markgrafen Johann aus dem Hause der Luxemburger sei noch erwähnt. Auf ihre Bitten gab er den Mönchen ein Bruch am Teufelssee an der oberen Kladow, um dort Wiesen anlegen zu können. Danach heißt noch heute diese Gegend im Forstrevier Renhaus der „Priesterpfuhl".

Die Herrschaft der Luxemburger war durchaus nicht geeignet, dem Lande wie auch den Himmelstädter Mönchen friedliche Zeiten zu bescheeren. Es war ein Zustand allgemeiner Unsicherheit; der

Raub- und beute¬ lustige Ritter »ahmen die Klostergüter aufs neue in Besitz; die Klosterleute weigerten sich, ihre Abgaben zu entrichten. Diesmal wandten sich die Mönche, da sie beim Landesherr» auf keine Unter¬ stützung rechnen durften, an den Papst, daß er ihnen helfe. Dieser beauftragte 1389 den Propst der Marienkirche zu Stettin, die Räuber und Ungehorsamen am Himmelstädter Kloster zu ermahnen, die Güter herauszugeben und ihren Zehnten an das Kloster ab¬ zuliefern. Sollten sie sich weigern, so solle er sie durch Androhung und, wenn nötig, durch Verhängung kirchlicher Strafen dazu zwingen. Ob diese Drohungen geholfen haben, davon berichten uns die Urkunden nichts. Ein neuer Feind erstand de» Mönchen anmaßende Adel drückte die Schwächeren hart.

in dem Bischof von Lebus, der im Jahre 1406 den Zehnten ihrer fünf westlich gelegenen Dörfer forderte. Der Papst Gregor XU. luchte auf die Beschwerde der Mönche diesem Streit rin Ende zu machen, indem er dem Abt des Klosters Paradies die Untersuchung

übertrug. Wie die Entscheidung ausgefallen ist, ob zu Gunsten des Klosters oder nicht, ist nicht ersichtlich. lieber die Persönlichkeiten der Mönche sind uns nur dürftige Rachrichten überliefert worden. Obwohl sie fortgesetzt mit Wider¬ wärtigkeiten zu kämpfen hatten, so müssen sie doch zeitweise zu be¬ deutendem Ansehen gelangt sein; denn die Urkunden ans der Ge¬

schichte Landsbergs berichten uns, daß der jeweilige Abt von Himmelstädt nicht nur oft als Zeuge wichtiger Verträge und Handlungen aufgetreten, sondern auch als Schiedsrichter in fremden Streitigkeiten angerufen worden ist. So wurde der Abt Johannes von Himmelstädt nebst anderen Geistlichen 1376 berufen, einen Streit zwischen dem Rat der Stadt Landsberg und dem Abt des Klosters Semmeritz zu schlichten. Letzterer klagte die Stadt wegen Ungerechtigkeiten und Rechtsverletzungen an, begangen an Klostergütern. Den Verhandlungen wohnte auch der Prior Heiuco von

Himmelstädt als Zeuge bei. Die Entscheidung erfolgte zu Uugnnsten der Stadt, die zur Zahlung einer Entschädigungssumme verurteilt wurde. Im Jahre 1385 trat der Abt Heinrich von Himmelstädt als Zeuge auf, als das Kloster Paradies das Dorf Kernein an die Später werden noch die Aebte Stadt Landsberg verkaufte. Andreas uud Hermann von Himmelstädt als Zeugen ermähnt.

Während der Herrschaft des deutschen Ritterordens waren Infolge der dem Kloster auch keine goldenen Tage beschieden. zunehmenden Ohnmacht der Hochmeister, die zuletzt immer mit Geldmangel zu kämpfe» hatten, erlaubten sich ihre Feinde fort¬ Die Dörfer des Klosters waren gesetzte Einfälle in das Land. besonders den Uebergrisfeu des Bischofs von Lebus ausgesetzt, gegen den der Hochmeister auch nichts thun konnte, da der Kur¬ Darum fürst Friedrich I. sich das in ironischem Tone verbat. 1445 Kloster das Absicht um, der schon mit ging der Hochmeister die jedoch sträubten Dagegen verlegen. zu nach Preußen sich Marienwalde, nach Plaue, dem waren sie Geneigter Mönche. Kreis Arnswalde, wo schon ein Kloster war, überzusiedeln. Aber

in der Folgezeit wurde nichts daraus, die Mächte blieben in Himmelstädt. Ihre Privilegien und Besitztümer wurden ihnen 1496 von Kurfürst Friedrich II. aufs neue — es heißt für „ewige Zeiten" — bestätigt; aber schon im Jahre 1575 traf es dasselbe Schicksal, wie die andern Klöster in den der Reformation zugäng¬ lichen Ländern: es wurde aufgehoben uud in ein landesherrliches Besitztum verwandelt. Die Klosterräume dienten von jetzt ab nur noch wirtschaftlichen Zwecken; später wird eines Jagdschlosses er¬ wähnt, das also wohl hier errichtet morden ist, ähnlich wie in Aus der Geschichte Landsbcigs geht hervor, daß ein Massin. Hauptmann das Amt Himmelstädt verwaltete, der im Jahre 1594 den Landsberger Rat zu einem „Fischkriege" veranlaßte indem er¬ den Heinersdorfer See belagerte und die Bürger zum Kampfe herausforderte, wenn sie von den Fischen haben wollten. Doch der Bürgermeister Simon Schede lud den Hauptmnnn zu Gaste ein, bewirtete ihn fürstlich und beendete so den Fischkrieg auf friedliche Weise.

Im Jahre

1668 berührte der große Kurfürst mit seiner Ge¬ mahlin auf der Reise nach Preußen auch Himmelstädt, und die Landsberger Schützengilde begab sich hinaus, um ihm ihre daß die Roch zu erwähnen ist, Aufwartung zu machen.

Landsberger verpflichtet waren, bei Himmelstädt einen Wolfs¬ garten zu unterhalten und alljährlich an den Wolfsjagden teil zu nehmen.

Der Strom der menschliche» Geschäfte wechselt. Andere Zeiten erzeugen andere Gesichtspunkte und schaffen andere Einrichtungen; das Alte muß dem Reuen weichen. So kam es auch, daß das Kloster Himmelstädt nach kaum 300jährigem Bestehen für immer vom Erdboden verschwand. Auch die alte Klosterkirche, die noch bis zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts gottesdienstlichen Zwecken diente, ist der Zeit zum Opfer gefallen. Wenn nun auch nichts mehr vorhanden ist, was von dem vergangenen Dasein des Klosters erzählt, so wird doch der Name des jetzigen Dorfes stets an die fleißigen Mönche erinnern, die unter schwierigen Umständen ein Werk hoher Gesittung vollbrachten, das als ein wichtiger Ab¬ schnitt im Entwicklungsgänge der uenmärkischen Kulturgeschichte dasteht.

786

Pecrilktor) des J|är. Wie Amsel. Novelle von

Marie Bernhard. (Nachdruck verboten.)

(Schlich.,

ebrigens taxiert der Jäger die Kleine so ziemlich richtig. „Nicht aus der Gesellschaft — aber ein süßes

Käferchen!" lautet sein summarisches Urteil, und er von dem „süßen Käferchen" sehr genau und um¬ ständlich den Weg zum Schloß beschreiben, den er selbstver¬

läßt

sich

für Schritt kennt! — „Danke danke vielmals!"

ständlich Schritt

sagte er endlich

neuen, sehr ehrerbietigen Verbeugung.

„Ich glaube

mit einer bestimmt,

jetzt werde ich mich zurechtfinden! — Aber, mein Fräulein, ich darf unter keiner Bedingung gestatten, daß Sie den Rückweg

Die Dämmerung fällt um diese Jahreszeit es köxnte Ihnen jeniand begegnen, der — Ihnen lästig fiele" allein antreten.

sehr rasch ein,



„Auf Wiedersehen!" — steht Meta Wolfs mitten in ihrem — — wo hat sie doch die Streichhölzchen? Stübchen. Wo Und die Lampenglocke — — hat sie die eigentlich schon ab¬

Wie

verzaubert

--aber

gehoben? Ach ja, ablegen und den Hut

erst muß

.... Nein!

sie doch

die Jacke

Zuerst Licht machen und

—-So

in den Spiegel schauen, wie sie denn eigentlich ausgesehen hat! also! Mit so glänzenden Augen, tief¬ roten Lippen, — holdem Lächeln. Er hat sie hübsch gefunden, — sehr hübsch, hätt' er sie sonst heimgebracht? Langsam

nimmt

sie

Hut herunter und Hat zitrück.

den

Händen das Haar geträumt? —

„Misi!

streicht sie

Ach, Mist, sing' doch, —

denn

sich

mit beiden all das

nicht

sing'!"

„Ach, Gott beivahre! Ach nein! Bitte, bitte, ich bin so sehr daran gewöhnt, allein durch den Wald zu gehen —" „Sehr unrecht, — sehr!" betont Herr von Sebenstcdt ernsthaft. „Mir überdies unbegreiflich, daß eine junge Danie wie Sie nicht nur allein durch den Wald sondern auch allein

Mist sitzt zu einer Kugel zusamnicngeballt im Käfig, den Kops unter dem Flügel geborgen, und schläft. Meta klopft an das kleine Bauer. „Misi, — wach auf! Sing', kleine, liebe Misi, heute sing', so schön Du kannst! Du bekommst

durchs Leben geht!"

auch ein Stückchen Zucker!

Meta errötete abermals, und der Jägersmann sieht ihr ins Gesicht »nd freut sich; denn das hat er gerade gewollt: sic ist zu reizend, wenn sie rot wird! — Und sie kann thun, ivas sic will, und bitten und schwören, ihr sei nie das mindeste geschehen, und ihr werde nichts geschehen: Herr Heino läßt sich seine Kavalierspflichtcn nicht nehmen und geleitet sie ritterlich bis an das kleine Hänschen am Waldesrand.

Die Amsel zog den Kopf unter dem sträubte die Federn und blieb

„Hier wohnen Sie? Aber das ist ja allerliebst! Ein wirkliches Idyll! Leben Sie ganz allein in dem niedlichen Häuschen, mein Fräulein?" „Aber nein! Ach bewahre! Die alte Witwe vom ver¬ storbenen Kantor wohnt aus der anderen Seite mit ihren zwei Töchtern, ihnen gehört das Haus. Sie helfen mir ein bißchen bei der Wirtschaft, aber sonst — — viel Verkehr haben nur gerade nicht, — es sind ja gute Leute —" „Aber wahrscheinlich auf einer andern Bildungsstufe als Sie, mein Fräulein. Da hilft alle Güte nichts, — das paßt einmal nicht zusammen!"

Die „Bildungsstufe!" — Meta Wolffs

schwache

„Gute Nacht, mein Fräulein! Ich habe

Seite!!

mich glücklich

Hörst Du nicht, Misi?"

Flügel hervor,

stumm!-—

Wundervolle Herbsttage! Und warum soll Meta Wolfs es sich nach der schweren Arbeit der letzten acht bis zehn Tage nicht gönnen, regelmäßig ihren Waldspaziergang zu machen? Das ist sie ihrer Gesundheit schuldig, — — das viele Stillsitzen thut ihr auf die Dauer gar nicht gut, und dringende Arbeit hat sie jetzt zu Hause ohnehin nicht: nur ein Kinderkleid und ein Paar Winterjacken, die „modern" gemacht iverden sollen.

Die Kantorsivitwe mit ihren Töchtern wundert sich darüber, daß Meta jetzt ihr grünstreifiges Kleid schon am Wochentag trägt, — das war doch bis jetzt ihr bestes! Es steht ihr brillant, das grünstreifige, das muß wahr sein, zumal aber wie einmal die zu dem grünen Matrosenhut, Kantorsivitwe ihrem Erstaunen über diesen Kleiderluxns Worte leiht, wird sie sehr kurz abgefertigt: ob irgend jemand ihr — Meta! — etwas zu ihren Kleidern gebe, — ob sie — und wen das sich nicht jeden Pfennig dazu redlich erwerbe

....

eigentlich etwas anginge, ivas sie

für Toilette mache? —

Bekanntschaft gemacht zu haben. Hoffentlich Schicksal ein baldiges Wiedersehen. Ich bleibe jetzt einige Zeit bei meiner Familie!"

Die Witwe ist ganz beschämt, streichelt Mctas Hand und verspricht, es nie ivieder zu thun. Meta ist großmütig und verzeiht diesmal.

„Aber — aber werden Sie auch wirklich nach Hause finden?" fragte Meta zaghaft.

Die Amsel ist ziemlich übellaunig und still. Sie verläßt ihren Käfig nur auf besonderes Zureden, singt immer nnr wenige, abgebrochene Töne, kckmmt sehr selten aus Metas hin¬ gehaltene Hand geflogen und dreht sich schnippisch weg, wenn Meta sie, nach alter Gewohnheit, auf das Köpfchen küssen will Wieder blickte das Mädchen zuweilen scheu nach der ist es doch, als ob sie ivüßte . . . Amsel hinüber,

geschätzt,

gönnt

Ihre

uus das

„Ich hoffe es zu Gott!" erwidert er mit großem Ernst, faßt ihre kleine Hand, drückt sie sanft, sieht sie mit seinen dunklen Augen eigentümlich forschend an. Das ist doch ein anderes Gesicht — das sind doch andere Augen als bei Johannes Erdmann! Und der Name, Heino von Sebenstädt! Heino! Und die Manieren! Und die frenide, reizvolle Sprache!! —

„Auf

Wiedersehen!

....

Meta wirbt förmlich um Misis Gunst, spricht in den niit ihr, verwöhnt sie täglich mit Zucker

bittendsteu Tönen

Bitte, bitte,

sagen

Sie

es doch

auch"!

und

Kucheukrümchen-es will

alles nichts helfen!

787

Ein Brief von Johannes Erdniann! Ganz nach dem Muster der früheren Briefe: der Dienst, — die Kameraden, — die Vorgesetzten, — das Soldatenleben, aber hier zum Schluß: „Nun sind es bloß noch knapp sieben Monate, und ich komm' frei und bin wieder da. Dann aber wird nicht viel gefackelt, dann wird daraus los geheiratet, wir beide haben lang geuug gewartet, — nicht war, Mctachen? Sput' Dich man hübsch mit der Aussteuer, wir lassen uns gleich 'runter der

....

von

Kanzel aufbieten, sowie ich frei bin, und die Hochzeit richtet uns der Vater aus." —

Glühend heiß wurde es dem Mädchen, als es das las! Aussteuer und Aufgebot und Hochzeit mit Johannes Erdmann!

Herrgott,

konnte sich im Augenblick gar nicht recht darauf wie er aussah! Sie lief zu ihrer Kommode und holte aus dem obersten Schubfach etwas in Papier gewickeltes: sein Bild, das sie dort heimlich vcrivahrte; vor zwei, drei Monaten hatte er sich für sie „abnehmen" lassen, wie er schrieb, kerzengerade stehend, den Kops steif im Nacken, die Augen geradeaus gerichtet, kein vorteilhaftes Konterfei alles im allem! sie

besinnen,

Misi, die Amsel, wurde lebhaft in ihreni Käfig.

„Sieh, — sieh!" zwitscherte sie, und dann ganz eindringlich und bittend: „Hab' ihn lieb, lieb! Hab' ihn lieb, — lieb, — lieb!" —

sieh,

Und am Tage danach kam der Diener „Die gnädige Frau und die gnädigen Fräulein Wolfs ersuchen, im Verlauf des dem Schloß vorzusprechen, — die Damen

vom Schloß:

Fräuleins ließen Vormittags auf hätten Arbeit für

Fräulein Wolfs." Meta stotterte eine.beinahe unverständliche Zusage heraus,

war glühend rot geivorden und so verlegen, daß es dem Bedienten auffiel. Herrgott, es ivar doch nicht das erstemal, daß dies hübsche Mädchen aufs Schloß „befohlen" ivurde. Warum hatte sie sich denn heute so zu „haben"? sie

Misi sang keinen Ton mehr, sie schwirrte auch nicht ini Zimmer herum, sondern saß schweigsam auf dem Fensterbrett und ließ die guten, süßen Krümchen, die neben ihr lagen, Sie sah aufmerksam zu, wie Meta Toilette, unbeachtet. machte, die schönen Haare höhe steckte, — tiefer steckte, — wieder höher, so daß der weiße Nacken und das goldige Gclock, das sich da ringelte, recht zur Geltung kam, — jetzt ivurde ein breiter weißer Spitzenkragen umgelegt, darüber „Bin ich so hübsch kam das Silberkettchen der Mutter. genug, Misi? Gefall' ich Dir?"

Die Amsel drehte wie absichtlich den Kopf weg und sah angelegentlich zum Fenster hinaus. Wie Metas Herz klopfte, als sic die weichbedeckten Treppenstufen zum Zimmer der gnädigen Frau emporstieg! Es war eine kurze, eine bequeme Treppe, eigentlich wunderbar, daß sic einen so um den Atem bringen konnte!

....

Die Berhaudluug dauerte nicht lange. Die Dame hatte sichere Art, mit „Untergebenen" umzugehen,

eine sehr kurze,

zudem wußte sie immer ganz genau, ivas sie ivollte, und das erleichterte die Sache ungeniein. Meta hatte ihre Weisungen bekommen — vier bis fünf Tage würde sie im Schloß zu

thun haben, das und das war herzurichten, — sie sagte na¬ türlich zu allem „ja", und nach kaum fünf Minuten stand sie schon wieder an der Treppe.

wohl zurecht, liebes Kind, — oder soll ich nach Justus klingeln?" „O nein, — nein, — danke vielmals, gnädige Frau. Ich weiß ganz gut Bescheid!"

„Sie finden

„Das

sich

dachte ich

mir! Nun denn, Mittwoch also!"

Meta geht langsam die Stufen hinunter, — unten in sie weiß ganz der Vorhalle öffnet sich eine Thür,

....

genau, wer da herausgetreten ist, wer jetzt gleich dicht neben

ihr

....

wird „Guten Tag, Fräulein Meta! Sehr erfreut, Sie hier¬ zu sehen! Hab' ich es richtig durchgesetzt und sein angefangen! stehen

Aeußerst fein angefangen!"

„Was denn,

„Ja,

.... Sie

hätten, — Sie

—"

hätte! Natürlich ich! Wozu komme ich aus der wozu weiß ich mit Damentoilettcn gut Bescheid, Residenz,— Schwestern nicht'mal sagen soll: Kinder, diese wenn ich meinen geivaltigen Keulenärmel trägt man ja gar nicht mehr. Weg ich

damit! Das sind ja sonst noch ganz hübsche Kleider, die Ihr da habt— laßt Euch doch die Ungetüme einfach kleiner machen! Da hat Mama gefunden, ich hätte ganz recht, — und hat sich sofort auf Sie besonnen, und wie geschickt Sie rvären, — ja, ja, ja, Fräulein Meta, und nun kann ich Sie viel netter und bequemer hier sehen, als wenn ich quer durch den ganzen Wald laufen muß; und für die nächsten Tage setzt's ohnehin schlechtes Wetter, — Barometer ist verteufelt gefallen!" Das alles hatte Heino, der schöne, schwarze Heino, ganz leise gesagt, damit es ja kein anderer zu hören bekam als Meta. Und damit sie ihn doch nur auf alle Fälle gut ver¬ stand, hatte er sie fest um die Taille genommen. Sic strebte, sich frei zu machen, aber vielleicht that sie es nicht energisch genug, — der Arm blieb, wo er war!

....

da Ein leichter Schritt kam die Treppe herunter, war der Arm blitzgeschwind zurückgezogen, Heino stand ein paar Schritte Distance und pfiff unbefangen ein Liedchen. Eine von den jungen gnädigen Fräuleins bog um die Ecke und blieb erstaunt stehen — als sie ihren Herrn Bruder

gewahrte.

„Du, Heino? Hier? Um

diese

Zeit? Sonst bist Du ja

nie vormittags zu Hanse!"

„Mein kleines Peterchen," entgegncte Heino scherzhaft und herablassend, indem er der Schwester die blühende Wange klopfte, „ich werde jetzt immer vormittags zu Hause sein!"

-Und

er hielt Wort, — er ivar wirklich immer vormittags zu Hause; er war auch nachmittags Mutter und Schwestern wollten sich wundern, sehr viel da. Heino zuckte die Achseln und pfiff. „Regt Euch meiuetaber halben nicht auf, meine Lieben! Gewöhnt Euch daran, daß ich immer nur gerade das thue, was mir gerade paßt, und daß ich mir Gründe eine für allemal nicht abtrotzen lasse!" — — Das „Schneiderzimmer" war ein abgelegenes Gemach, geräumig, still und kühl, mit dem Blick auf einen entlegenen Teil des Gartens. Meta hatte da ganz ihr Reich für sich allein, und die Danicn kamen fast nie herein. Die Verkleinerung der Kculenärmel war keine Arbeit, die man besonders zu überwachen brauchte, auf Metas Geschicklichkeit konnte nian sich verlassen, und zudem kam Besuch aufs Schloß in dieser Zeit: eine Freundin der beiden jungen Damen mit einem bezaubernden Bruder, der Leutnant bei den Dragonern war und einer von den gnädigen Fräuleins bedeutend den Hof machte. Da hatte man gerade Sinn für die fade Schneiderei!! —

Einen

gab

es

im Schloß,

Er bekümmerte

der

schien

diesen

Sinn

sich wenig um die Gäste seiner Schwestern, — der Wahrheit die Ehre: das junge Fräulein, das zum Besuch gekommen ivar, konnte auf Schönheit nicht den mindesten Anspruch erheben, — eher auf das Gegenteils Sie war reizlos, ohne jede Anmut, tief

dennoch zu haben!

78»

brünett, mit dunklem Teint, — — und Herr Heino liebte die anmutigen Blondinen mit zartem Kolorit und träumerischen blauen

Augen.

Mit

leicht bebenden Händen schaffte Meta an ihrer — Arbeit, heftete, — trennte auf, paßte zusammen, — ließ den Stoff in de» Schoß sinken und lauschte. Was hatte sie so angestrengt zu lauschen? Ihre Amsel war nicht da, die saß daheim in ihrem Käfig und ivollte nicht singen. Der Wald rauschte auch nicht um sie her, es ivar richtig schlechtes Wetter eingetreten, und man konnte froh sein, in trockenen vier Wänden zu sitzen. Die Bäume draußen im Garten

gaben

Blatt

um

Blatt

her,

sic standen

trübselig im Regen

und schauerten zusammen, wenn ein unholder Wind kam und Dennoch hatte das blonde Mädchen ein Recht, unthätig da zu sitzen und zu horchen, — jetzt zusammen¬ zuzucken und zu thun, als sei sie wunder wie beschäftigt, wenn der rasche Schritt draußen näher und näher kam, wenn die Thür sich aufthat, und gleich darauf dicht an ihrem Ohr sie schüttelte.

ein Flüstern so

diese sie

war: „Nun, kleine, liebe Meta! Warum denn — Ach, es war eine bange, aufregende Zeit,

erschrocken?"

fünf Tage im Schloß! Es ivar alles

so

unklar in Meta,

festhalten und zu Ende Sie wußte nicht, was sie eigentlich dachte, — noch

konnte keinen einzigen Gedanken

bringen!

weniger, was er dachte! Johannes Erdmann, ivenn er jemals in all ihren: ziellosen Hin- und Hersinnen auftauchte, wurde sofort gleichsam weit zurückgeschoben, mein Gott, was ivollte denn der arme, ungelenke, einfache Mensch neben deni glänzenden, feinen, gewandten Heino? Unmöglich, Heino etwas von Johannes Erdniann zu sagen! Sie nahm sich's zuweilen daheim vor, in den schlaflosen Nächten, die sie jetzt hatte, ivenn der Regen gegen ihre Scheiben trommelte und die Bäume draußen im Herbstivind stöhnten, — vielleicht half es ihr, wenn sic von Hans sprach, vielleicht wurde dann alles anders und besser! Sowie sie aber nur Hcinos Schritt im Flur hörte, seine Nähe fühlte, da ivar der heimlich Ver¬ lobte wie ausgelöscht in ihr.

....

Nun war der letzte Tag gekommen, den sie im Schloß zubringen sollte, und sie bildete sich ein, sie sage „Gott sei Dank!" dazu und werde aufatmen, wenn sie ivieder daheim in ihrem stillen Stübchen sitzen könne. Es ivar endlich, nach abscheulichen Regentagen, wieder schönes Wetter geworden, blauer Himmel und Sonnenschein lachte über dem gold¬ braunen Wald, und ein weiches, mildes Lüftchen schien all die Unbill, die Sturm und Kälte der armen Natur zugefügt hatte, weglächeln und wegschmeichcln zu ivollen. Die jungen Damen ivaren eilig in die „Schneiderstube" hinübergelausen gekommen, hatten alles „sehr hübsch, — wirklich, sehr nett!" gesunden und zwei von den veränderte» Seidenblusen gleich angezogen; auch die gnädige Frau hatte sich auf zwei Minuten sehen lassen, Meta ihre Zufriedenheit ausgesprochen und ihr durch Justus, den Bedienten, zugleich mit ihrem Vesperbrod, in einem Couvert die Bezahlung für die fünf Tage hereingeschickt sehr reichlich bemessen! Es konnte wieder ein Goldstück in Mutters Kästchen hinein¬ wandern!

....

Meta hatte nur noch eine Kleinigkeit fertig 31 t machen, ehe sie ging, aber sie schaffte sehr langsam daran, ihre flinken Finger wollten nicht vom Fleck. Sie horchte auch wieder sehr viel hinaus. Heute war außer den Damen und Justus, dem Diener, »och niemand bei ihr gewesen, es war ja wohl ganz natürlich das schöne Wetter draußen Jetzt aber, — sic hat diesmal keinen Schritt gehört, —

....

nicht,-und fest

in den Armen,

doch ist jemand sie,

....

....

im Zimmer und hält

sie

die aufgesprungen ist, so hastig, daß

Schere und Knäuel und Fingerhut die

fort will und

hören möchte, entgeht! —

doch nicht von

und

der

doch

ihr vom Schoß rollen, der Stelle

nicht

ein

kann,

Wort,

sie,

die nicht

ein

Laut

Sie kommen hastig, überstürzt heute, die Worte! „Ich kann keine Minute bleiben, — muß gleich fort, — sie haben was gemerkt, — der Teufel weiß, ob Justus ge¬ plaudert hat — dieser infame Esel! Aber, Meta, kleine, süße ich muß Dich bald einmal Meta, — ich muß Sie sprechen und für mich haben, — ganz für mich, allein und ungestört! Du willst das auch, — nicht wahr, Du willst das auch? Hast mich ja doch lieb, — kannst ja nicht anders, — laß Dich nur küssen, kleines, weißes, reizendes Kätzchen, das Du bist! Hör' mal zu, kleine Meta! Du kennst doch das kleine, halbverfallene Jagdhäuschen hinten im Wald, dicht

....

neben dem Edenbach?

Natürlich kennst Du es, bist ja meine Waldnymphe! Da also, — da kommst Du morgen abend hin, wenn der Mond herauf ist, — hier hast Du den Schlüssel, nimm ihn nur, — nimm ihn nur, — und ich komme da auch hin; keine Menschenseelc

das, und

außer uns

wir dürfen nicht

beiden ahnt das und weiß jede Sekunde fürchten: jetzt konimt

jemand und stört uns! Nicht war, Meta, kleine Meta, Du thust Deinem Heino das zu Gefallen? Süße, kleine Meta?" Hatte sie es versprochen? Hatte er ihr das „Ja" von den bebenden Lippen weg geküßt? Hatte sie es nur gedacht, gewollt, oder nicht das einmal?

Sie hätte nichts, nichts von alledem zu sagen gewußt! Er war fort, sie war allein, und der Schlüssel ivar in ihrer Hand! — Meta Wolfs kannte die Oper „Don Juan" von Mozart nicht und wußte nicht, was es war, das Heino jetzt pfiff: „Blonden, Brünetten, wollen wir wetten, zählt mein Register inorgen noch mehr." — Ach, die Nacht, die nun folgte! Ach, der endlose, schreckliche Tag, der nach dieser Nacht kam! Die Kantorswitwe war unter irgend einem Vorivand dreimal in Metas Stübchen gekomnien, wo das Mädchen saß, die Arbeit aus den Knieen, ohne auch nur einen Stich daran zu jedesmal hatte die Frau gefragt: „Metachen, thun, sind Sie krank?" denn sie bekam entweder gar keine Antwort auf ihre Fragen oder eine verkehrte, — bis die gute, alte Frau schließlich kopfschüttelnd davon schlich und zu ihren Töchtern sagte: „So was ist mir noch nicht vorgekommen! Das Mädchen sitzt Euch doch da, wie vor den Kopf ge¬ schlagen." —

-und

-Je

weiter der Tag vorschritt, um so schlimmer Jetzt wünschte Meta, die Zeit hätte Flügel, — wurde es. jetzt ivieder sah sie mit Schrecken, daß der Zeiger der alten Schwarzwälder Uhr um eine ganze Stunde vorwärts ge¬ kommen war! Immer näher kam der Augenblick, da sie sich zu entschließen hatte, — und sie wußte es nur zu gut, was Daß ihr ganzes bis¬ dieser Augenblick für sie bedeutete. und böse, von Recht von gut heriges Leben, ihr Bewußtsein und Unrecht versinken würde, als wäre es nie gewesen, — selbst und was würde an dessen Stelle mußte eine andere, ganz andere iverden, von deni Moment au, da sie sich, den Schlüssel in der Hand, nach deni Jagd¬ häuschen auf den Weg machte, und diese andere . . . was würde die wohl thun? Wie würde die aus die Meta Wolfs früherer Tage zurückblicken?

treten?-Sie

Um ihre Amsel hatte sie sich den ganzen Tag über nicht sic hatte überhaupt nicht an sie gedacht, das Thürchen des Käfigs gar nicht geöffnet. Die Hände fest um einander gewunden, — jetzt von Frost geschüttelt, — jetzt bekümmert,

78t#

von Glut gepackt, — so saß das einem todcsbangen, beinahe irren strahl draußen am rissigen Stamm irrte, — tiefer kroch — immer tiefer zittertc — endlich erlosch . . .

Mädchen

und

mit

sah

Blick, wie der Sonnen¬ der alten Ulme herab¬ — dünn und matt ver-

Die Sonne ivar fort, — unglaublich

rasch

brach

die

trübe Herbstdänimerung herein.

Metas Thür war verschlossen, die Nachbarin hatte ein¬ mal daran gerüttelt, und als sich drinnen nichts rührte, zu ihren Töchtern gesagt: „Sie hat sich hingelegt; das ist ganz vernünftig! Morgen wacht sie hoffentlich gesund auf!" —

bei

Dir, Du

kannst mich nicht fragen,

kleine Amsel uni Rat, die

wird Dir

.

.

dann bitte unsere

sagen, was

Du

zu thun

hast!"

Das waren Johannes Erdmanns Worte gewesen, und Meta hörte sie jetzt deutlich wieder, — stotternd, stockend vor Bewegung, wie der einfache Mensch, den sein Glück berauscht Was hatte sie eben jetzt, vor hatte, sie damals sprach. wenigen Minuten noch, thun wollen, — Gott im Himmel!

Ihre Thränen tropften unaufhaltsam nieder auf Hand und Kleid, und dicht neben ihr flötete weich und beruhigend die kleine Amsel ihr süßestes Lied.

und Dinge im Stübchen anfingen, ineinander zu fließen, sich zu verwischen, und draußen eine bleiche ungewisse Helligkeit sich zu verbreiten begann, — da sagte Meta plötzlich mit lauter Stimme zu ich kann nicht anders!" „Helf' mir Gott, sich selber: Zugleich riß sie ihr Tuch von der Wand, wickelte sich hastig

alten Lehnsessel, in dem sie ein wenig eingenickt war, empor, und sagte zu „Hör' doch nur, wie wunderschön Metas ihrer Tochter: Amsel singt, — das hat sie lange nicht gethan!"

hinein und tastete nach dem Thürgriff.

was es gäbe.

Als

die Fornien

der Möbel

...

-

Da, mit einemmal, fing die Amsel in ihrem Käfig an zu singen.

Man konnte es eigentlich kein rechtes Singen nennen, war, ivie wenn das Tierchen schluchzte aus tiefster Brust, drei, vier drei, vier Töne, — eine kurze Pause, Töne, . . . und so leidvoll klang es, — so leidvoll! es

-wieder

„Misi!"

ries

Meta und stürzte zurück.

„Willst Du

mich

halten?" ivar, als verstünde die Amsel das Wort und Denn es begann in dem Käfig ein wünschte zu antworten. — ängstliches Flattern hin und zurück — hin und zurück — die Federchen alle gesträubt, das Schnäbelchen geöffnet; der Sand, mit dem der Boden des Käfigs bestreut war, wirbelte durch die Sprossen wie eine Wolke ins Zimmer, — das Vögelchen gebärdete sich wie unsinnig, es schrie und pfiff, es stieß mit dem Köpfchen gegen die Stäbe, als wolle es sich

Es

töten

.

.

.

„Misi,

kleine

Misi, — soll

ich nicht gehen,

— soll

ich

nicht?" fragte Meta schluchzend. Und die Amsel bat und flehte:

„Nie — nie — nie!"

Mit zitternder Hand schob Meta das Thürchen zurück: „Komm zu mir, Misi, komm!" Und die kleine Amsel flog heraus, setzte sich dem Mädchen auf die Schulter und drückte ihr weiches Gefieder gegen die Immer wieder heiße, thränenfeuchte Wange des Mädchens. bat das kleine, süße Vogelstimmchen: Nie, — nie, — nie!"

Auf deni Stuhl am Fenster war Meta nieder gesunken, das Tuch war auf die Erde herabgeglitten, durch die Scheiben blinzelte matt das Mondlicht herein.

„Die



kleine Amsel, das soll Dein Gewissen sein, Deine Liebe zu mir, — ivas sic Dir sagen und singen wird, das thu, und es wird das rechte sein. Immer, wenn Du nicht weißt, wo Recht und Unrecht liegt, und ich bin nicht

Die Nachbarin richtete

sich

aus ihrem

Gleich darauf klang drüben die Thür, und die älteste Tochter der Kantorswitwe schlich seife hinaus, um zu sehen,

Da sah sie Meta ohne Hut und Tuch, geisterhaft bleich im Mondschein, vor die Thür treten und eiligen Schrittes in Von Besorgnis getrieben, folgte sie ihr den Wald laufen. unbemerkt nach, — vielleicht war das junge Mädchen wirklich krank, wie die

Mutter befürchtet hatte.

Ein paar hundert Schritt vom Häuschen der Witwe lag abseits voni Wald ein tiefer Sumpf. Es war eine hä߬ liche, verrufene Stelle, — jedes Jahr hieß cs, der Sumpf Warf sollte ausgetrocknet werden, und stets unterblieb es. man etwas hinein, so gab es einen tiefen, glucksenden Ton,

lautlos aber schluckte dann der schwarze, in sich, was man ihm zur Beute gab.

tückische

Sumpf alles

Durch die heftigen Regengüsse der letzten Tage war der Morast noch tiefer geworden, überall schimmerte das schwarze, gleißende Wasser in großen Lachen zwischen den dürftigen Grasnarben. Der Boden schivankte unter jedem Tritt, gur¬ gelnde Laute wurden hörbar.

Der Mond war jetzt herauf gekommen, er stand wie ein blaßgoldenes Antlitz über dem dunklen Buschwerk. — Die Lauscherin gewahrte, daß Meta dicht neben dem Sumpf Halt machte, ein längliches Stück Metall, das im Mondschein blitzte, aus der Tasche zog und mit weitem Schwung in die Es gab einen klatschenden Ton, — im Tiefe schleuderte. nächsten Augenblick hatte der Sumpf seine Beute lautlos verschluckt.

Das junge Mädchen hob sein Gesicht zum Mond enipor, es bewegte die Lippen, that einen tiefen, tiefen erlösten Atemzug, — daun wandte es sich nnd ging ruhig heim.

Im und

Stübchen

flatterte die kleine Amsel Meta entgegen, auf das Köpfchen und fragte: „Bist

diese küßte sic leise

Du zufrieden?" „Schlaf süß!" süß, — süß!"

sang die Amsel zurück.

„Schlaf

süß,



740

Das Meer, der Vater der Menschheit. das Meer nicht wäre, dann wäre es schliinm bestellt um unser Fortkommen, denn vom Meere kommt die Feuchtigkeit in der Lust, die sich zu Wolken verdichtet und in Regengüssen auf das Land herniederströmt. Und wenn die Sonne nicht wäre, dann würde uns auch das Meer nichts nützen, denn die Sonne ist es,

JKenn

schlagen und das Deck klar fegen, sind im Haushalt der Natur der That wird die kleine, unvermeidliche Folgeerscheinungen, Ans offener See erreichen Größe der Wellen vielfach überschätzt. die Wellen beim stärksten Sturm höchst selten einmal die Höhe von 8 Metern, und ganz ausnahmsweise hat man Wellen von Vom schwankenden Schiff aus ge¬ 10 Metern Höhe gesehen. sehen, das vom Wellenberg in das Thal hinabfährt, mag man wohl leicht den Eindruck „haushohe" Wellen bekommen; denn ge¬ fährlich genug ist eine solche Welle immer noch, besonders wenn andere Fährnisse, Riffe, Untiefen oder Sandbänke in der Nähe sind. Ebenso, wie die Höhe der Wellen nicht so groß ist, wie man

In

oftmals annimmt, ebenso verhält es sich mit ihrer Steilheit. Die Breite der Welle beträgt bei den stärksten Wellen, die man be¬ obachtet hat, etwa zwanzigmal so viel wie die Höhe, so daß, wenn man sich die Welle ruhend denken könnte, etwa wie einen Berg ans ebenem Lande, man das Bild einer recht sanften Anschwellung erhalten würde. Es sei hier erwähnt, daß wir auch die Steigung unserer Gebirge sehr oft überschätzen, und viele Bilder, die wir in Reisebüchern vorfinden, zeigen die Verglinien stark überzeichnet. Aber die Gewalt der kolossalen Wassermasse, die sich mit Ge¬ schwindigkeiten bis zu 30 Metern in der Sekunde bewegt, und die den Ozean bis in Tiefen von 200 bis 300 Metern aufrührt, ist darum nicht gefährlicher, daß man sich vorrechnet, es habe eigentlich nicht viel zu bedeuten. Stellen sich dem Sturm und den Wellen, die er erzeugt hat, Hindernisse entgegen, trifft der Wogenprall auf felsige Küsten, die nicht Platz machen, dann freilich hören alle diese Verhältnisse aus. Die immer wieder nachdrängenden und nachschiebenden Wellen drängen die vorderen, die nicht ausweichen können, immer weiter in die Höhe, bis zu Höhen von 30 Metern und mehr, so daß die Bewohner der Leuchttürme um ihr Leben zu zittern anfangen. Von dem Schiffe, das an einer solchen Küste vom Sturm überDarum haben wir jetzt auch rascht wird, bleibt nicht viel übrig. schon überall in den Häfen zivilisierter Länder Institute, die sich gegenseitig telegraphisch die Wetterbeobachtungen mitteilen und, wenn Gefahr im Anzuge ist, ebenso tclegrapbisch nach allen Rich¬ Wer dann noch den tungen hin Stnrinivarunngen erlassen. schützenden Hafen verläßt, ehe der angekündigte Sturm eingetroffen

die von den weiten Ozeanen das besrnchtende Naß cmporsaugt; sie ist es auch, die die Luft über den Erdteilen stärker erhitzt, als die

über den großen Meeren, und dadurch die großen Luftströmungen, die Winde und Stürme hervorruft, mit denen die dampsgesättiglc Meeresluft zu uns über die Länder kommt. Von dem Regen aber hängt alles ab, die Nahrung der Menschen und der Tiere, die wiederum dem Menschen Nahrung geben; das wollen wir nie ver¬ So gessen, wenn wir über „schlechtes Wetter" zu klagen haben. schlecht wie anderswo ist es bei uns ja überhaupt nie. Ein alter Seemann erzählt: „AIs wir die Küste von Columbien Wir besuchten, kamen wir an die kleine Insel La Gorgonie. machten dort Schokolade, aber es regnete so stark, daß wir sic Der Regen wurde immer stärker und regnete in stehend tranken. Wir tranken aus Leibeskräften die unsere Kalabassen hinein. Schokolade mit Regenwasser, aber unsere Kalabassen blieben immer halb voll. Einige schwuren, es sei unmöglich, so viel zu trinken, wie es regnete." Solche Regengüsse kommen an den Meeresküsten vor, wo oft¬ mals Temperatnrschwankungen eintreten; starke Güsse, die sich bis zu sogenannten Wvlkenbrüchen steigern, haben wir auch in unseren Gebirgen, und dann giebt es schreckliche llcberschwenimungen. Aber in ihrer ganzen Großartigkeit offenbart sich die Gewalt der Mutter Natur doch auf dem offenen Meere, wo keine Unebenheiten im Terrain, keine Gebirge, keine Thäler, Wälder und Wüsten dem Windstnrm entgegenstehen, ihn schwächen, ihm Wasser entziehen, ihn ablenken und zersplittern. Ein grausames Schauspiel ist cs, ein wackeres Schiff mit den sich auftürmenden Welle» kämpfen zu sehen, wenn es auf- und uicderfährr und von der einen Seite auf die andere geworfen wird, wenn Raa auf Raa zerknickt, »nd die Masten mit allem, was daran hängt, über Bord gefegt werden; wenn die Schiffsmannschaft unermüdlich um ihr Leben kämpft — aber es ist dieselbe Natur? kraft, ohne deren Wirken jedes Leben auf der Erde ersterben anüßtc. Für die Natur im ganzen sind diese furchtbaren Stürme, denen zahlreiche Menschenleben zum Opfer fallen, kleine, unbe¬ deutende Ereianitte. Die mäcktiaen Wellen, die über das Schiss

Wasserhose

und wieder abgefahren ist, der hat dann allerdings die Folgen selber zuzuschreiben.

sich

Viel weniger gefährlich als ein kräftiger Sturm sind die Er¬ scheinungen, die ans der Abbildung sich als ganz besonders unheildrohend gebärden: die sogenannten Wasserhosen. Außer einem kräftigen Sturzbade richten sic in der Regel an dem Schiffe, das Aehnliche Erscheinungen sie gerade treffen, keinen Schaden an. haben wir auch ans dem Lande, von den kleinen, zierlichen Wirbel¬ winden, die an heißen Sommertage» bei uns ans größeren Plätzen

741

manchmal Staub und Strohhalme säulenförmig in die Höhe treiben, bis zu den großen Sand- oder Laiidhoscn der ameri¬ Wasserhosen sind auch auf kanischen und russischen Steppen. Binnengewässern, so über den Schweizer Seen, beobachtet worden. Starke Unterschiede in der Temperatur der übereinander lagernden Luftschichten, wie sie an heißen Tagen selbst in unseren Regionen vorkommen, in den Tropen natürlich noch viel häufiger, bewirken eine saugende Wirkung nach unten. Don allen Seiten strömt die etwas kältere Lust nach und wird in den Lnftschacht gezogen, der sich durch die schnell emporgerissene Schicht bildet, und kleine Un¬ gleichheiten in der Schwere der Luft bewirken eine drehende, Geschieht dies kreisende Bewegung, einen umgekehrten Strudel. über einer Wasserfläche, so wird naturgemäß auch Wasser mit emporgeftihrt, und wenn die Bewegung eiue recht starke geworden ist, so giebt es eine wirbelnde Wassersäule, eine sogenannte Wasserhose, manchmal auch mehrere, in nicht zu weiter Entfernung von einander. So ungefährlich im allgemeinen die Wasserhosen auf der hohen See ihr Ende finden, indem sie allmählich ihre Kraft ver¬ lieren und in sich selbst zusammenfallen, so vermögen doch auch Aber sie an der Küste .kleineren Schiffen gefährlich zu werden. das sind Ansnnhmefälle.

von Meerestieren aller Art, durch die Kieselpanzer anderer Tiere noch vermehrt werden, und die durch die Bcrschiebungcn auf der Erdoberfläche, durch Hebungen des Meeresbodens und Senkungen des festen Landes, Vorgänge, die Millionen von Jahren i» An¬ spruch nehmen, 3 « der Schöpfung von Ländern, von Kontinenten geführt haben, mit fruchtbarem Boden auf der Oberfläche. Auf dem starren Fels, wie er beim Erkalten der glühenden Erdrinde zuerst entstanden ist, hätte sich kein Leben entfalten können. Das Meer ist e§ gewesen, das in nimmer rastender Arbeit, durch die Jahrtausende und Jahrmillionen hindurch, cs ermöglicht hat, daß Pflanzen und Tiere und schließlich auch Menschen auf der Erde, die erst dadurch den Namen „Erde" ver¬ dient, sich entfalten konnten. Das Meer ist unser aller Bater.

*

Hermann Heiberg.

I.

m 19. November d. feiert einer unserer beliebtesten und talentreichsten Autoren — Hermann Heiberg — seinen sechzigsten Geburtstag. Eine Kritik oder Anpreisung seiner Werke bei dieser

WM«

Brandung.

Viel großartiger aber im Laufe der Zeiten, als

die Wirkungen gewaltigen Stürme und anderer Erscheinungen, die unsere Phantasie stark aufregen, ist die stille, fast unmerkbare Wirkung, die das Meer an den Küsten ausübt. Der leichte, spülende Wellen¬ schlag, dem wir, im Sande der Düne hingestreckt oder auf hoher Felsplatte gelagert, so gern lauschen, die nimmer ruhende Brandung vollbringt viel Größeres als der rasende Orkan, der bald ausgetobt hat. So stellt sich auch das Wirken der emsig im stillen schaffenden Hausfrau in seinem Gesamtergebnis ganz anders dar, als das der Frau, die mit einem Male einen großen Ansatz nimmt, um wer weiß was zu vollführen. Die leise Brandung nagt Tag und Nacht an dem Gestein, sie zerfrißt es und führt seine Bestandteile in Gestalt von Sand¬ körnern und größeren Steinen fort. Sie uuterhölt d:n Fels und dringt in die Ritzen, so daß der überhängende Teil seinen Halt verliert und nachbröckelt. Sie scheuert die einzelnen, abgerissenen Steine gegen einander und zermalt sie zu Sand. Sie schwemmt den Sandhaufen fort und lagert ihn an anderer Stelle ab. Sie wird in diesem Streben durch die Flüsse unterstützt, die von den Regengüssen und den Schneefällcn gespeist werden und fortgesetzt, langsam und kaum merklich die Bestandteile der Gebirge dem Meere zuschlämmen. So bilden sich auf dem Boden des Meeres die gewaltigen Sandbecken, die durch die kalkhaltigen Ablagerungen der Gerüste

der

Gelegenheit dem Publikum darzubieten, erscheint aus dem Grunde überflüssig, weil der Autor eben noch mitten im Leben steht, sich blühender Produktivität erfreut, und alljährlich die Lescwelt mit ein bis zwei neuen Novellen oder Romanen versorgt. Die Begabung Hcibergs schillert dabei in allen Farben, er ist kraftvoll und doch biegsam, kühn zuweilen, geschmackvoll immer. Seine Phantasie ist die des echten Dichters, üppig und rasch schaffend, stets aus dem Vollen, dann wieder sich vertiefend, um-in interessanten Einzel¬ momenten alles zu suchen und aufzugraben, was ein feiner Sinn dort nur eben überhaupt zu finden vermag. Heiberg zeichnet bald mit großen Strichen, bald entpuppt er sich als ein Kleinmaler ersten Ranges, weshalb man ihn ja auch namentlich anläßlich seines Romans „Apotheker Heinrich" mit den berühmten Holländern der altvlämischen Schule verglichen hat. Er wird überhaupt häufig zur Parallele herangezogen, unbeschadet seiner Eigenart; doch nicht immer treffen die gemachten Vergleiche zu. Am meisten Aehnlichkeit hat Heiberg entschieden mit Balzac, dem großen Franzosen und noch immer unübertroffenen König der edelsten Erzählerkunst, und man greift keineswegs zu hoch, wenn man Heiberg den deutschen Balzac nennt! Von den Verehrern des fruchtbaren Schriftstellers wird der Roman „Ein Weib" gern als sein Bestes bezeichnet, was jedoch sehr Geschmacksache ist. Eine vornehme Frau — Drei Schwestern — Ein Mann — Kar» 's Töchter — Die Spinne, erscheinen bc-

742

deutend lesenswerter, besonders die zuerst und zuletzt bezeichneten Arbeiten sind „volle Griffe ins Menschenleben," das, meisterhaft seinen „gepackt," sich als wahrhaft „interessant" darbietet. Novellen ist Heiberg vielfach ein wesentlich anderer als in seinen Romanen; zeigt er sich in der Skizze als geistreicher sprühender Plauderer, so giebt er mit besonderer Vorliebe in der Novelle düstere Bilder, tiefsinnig und schreckenSooll zugleich. Heiberg wurde in Schleswig geboren als der Sohn eines Notars, der mit Gräfin Asta Baudissin verheiratet war, die vor etlichen Jahren sehr interessante Denkwürdigkeiten herausgegeben hat. Nach einer wilden, Knabenzcit, die er selbst sehr hübsch sowohl in den Papieren der Herzogin von Seeland, wie auch in einem Artikel in der „Gesellschaft" (Januarheft 1887) be¬ schreibt, absolvierte er das Gymnasium und widmete sich dann dem Kaufmannsstande, leider freilich mit wenig Glück. Er war Buch¬ händler, Druckereibesitzer, Bankverwalter, alles nur kürzere Zeit. Sogar mit China trat er schon damals in Verbindung, aber ent¬ täuscht und betrogen „unter bitterer Anerkennng der Thatsache, daß Merkur schon bei den Alten der Gott der Kaufleute und der Diebe zugleich war," schüttelte er schließlich sämtliche praktische Verbind¬ lichkeiten ab und begann, nm seine mißmutigen Gedanken zu töten, sein erstes Buch . . . was glücklicher Weife gleich sehr glänzend durchschlug. Es waren die Plaudereien der Herzogin von Seeland. Nach diesem Erfolge ließ nun H iberg natürlich alles andere fort¬ an sein und wurde ausSch riftsteller. s ch l ieß l ich Er lebte damals schon in Berlin, war seit 1865 mit

In

Gräfin Bülow. D^Tslrin Anna Zo 8 Veccadilli di Bologna, au§ dem Hanse der Principi di Camporeale, Herrin des Marchesats Altavista, ans Sizilien" — so lauten Vatersname und Titel der sizilianische» Prinzessin, die im Jahre 1886 den Mann heiratete, der kürzlich durch den Willen des deutschen Kaisers Kanzler des Deutschen Reiches geworden ist. Gräfin Bülow verlor früh ihren Vater, de» Fürsten Camporeale. Ihre Mutter heiratete in zweiter Ehe den bekannten italienischen Staatsmann Minghetti, in dessen Hause Frau v. Bülow den Sinn für Kunst und die Vorliebe für Musik gewann; denn der Salon ihrer Mutter war stets ein Sammelplatz der Koryphäen der Politik, der Kunst und der Wissenschaft. Die einheimischen Größen des Tages verkehrten in Rom in dem Salon der „Donna Laura", wie die frühere Principeffa Camporeale und wicderverehelichte Madame Minghetti kurz genannt wurde; aber auch die fremden Berühmtheiten aus aller Herren Ländern suchten den Talon der durch ihren Geist und ihre Schönheit in der Ewige» Siadt geradezu populär geivordenen „Donna Laura" ans. Daß dieser Verkehr im Salon der Mutter, der Umgang mit den besten und edelsten Geistern aller Nationen ans die junge Prinzessin nicht ohne Einfluß blieb, ist selbstverständlich. Nur für die politischen Dinge, mit denen sich ihre Mutter bis heut gern beschäftigt, vermochte sich die Prin¬ nie zu interessieren, und das wird ihr von vielen Seiten als ein außer¬ ordentlicher Vorzug an¬ gerechnet. Aber das Ver¬ ständnis für die Knust

zessin

brachte

Jda Ines Vollmer y Rivas

mit

ihr

der

llnigang

vielen ausgezeich¬ neten Künstlern, das Sicheinleben in die Kunst, die

vermählt, einer Südameri¬ kanerin, mit der er in glücklichster Ehe sechs Kin¬

so

Vertiefung

künstlerischen Denkens und Empfindens, Deshalb rühmen dieLeute, die Gelegenheit haben, mit der jetzigen Frau Reichs¬ kanzler zu verkehren, ihr feines, künstlerisches Ver¬ ständnis, das aus einer geläuterten Seele hervor¬ quillt, und an dem nichts Er¬ nichts Gemachtes, Gräfin zwungenes ist. Bülow denkt und fühlt eben selbst als ivahre und



Berlin der auferzog. spielte er zur Zeit eine große Rolle, man schätzte ihn hier als geistvolle Per¬ sönlichkeit, wie auch als unvergleichilchen Gesell¬ schafter. Wenn man.Hei¬ berg einlud, brauchte man nicht weiter um das Amüse¬ ment der Gäste besorgt zu sein. Seine Lebhaftig¬ keit, seine Liebenswürdig¬ keit unterhielt alle, wobei

ihn namentlich in intimeren begeisterte Künstlerin. Und Kreisen eine fast schau¬ darum vermag sie dem spielerische Begabung zur Staatsmann Bülow seinen Verwertung des allerstärk¬ schweren Berns in allen Nachahmungstriebes sten Zeiten und an allen Orten 1884 sehr unterstützte. zu erleichtern; darum hat leitete Heiberg den allge¬ sie den Mann jung und meinen deutschen Schriftfrisch erhalten, weil er stellertag in Berlin, wozu nach schwerer Amtsthätig¬ war geschaffen wie er keit Ruhe und Glück in Er machte gar keiner. seinem Heim an der Seite brillant die Honneurs Vülow, dir Gemahlin des deutlchrn Reichskanzlers, der Gattin findet, die das Kräyn der gast¬ Standes, seines Leben nicht nur angenehm freien Stadt, vergaß aber und behaglich zu machen, sondern auch mit dem Lichtglanz der zu amüsieren. auch nicht, sich selbst dabei ganz wundervoll Kunst und Seelenharmonie zu übergolden versteht. Jedem, der damals anwesend war, wird es sicherlich unver¬ Nach zweijährigem Aufenthalt in St. Petersburg kamen die geßlich sein, wie vergnügt Heiberg bei der Festtafel zwischen Bülows nach Bukarest, wo Bernhard von Bülow Gesandter war. seinen zwei Partnerinnen saß, der goldblonden Frau' Sara Frau von Bülow trat in engen Verkehr mit der Dichterin Carmen Hutzler und der Gräfin Mathilde Luckncr, verehlichten Major Sylva, der Königin von Rumänien, die eine Fürstin im Reiche Pusch. Etwas gegen die allgemeine Stimme hatte er auch mit Geistes märe, auch wenn sie nicht die wirkliche Königskrone trüge. des wobei eröffnet, des Balles Polonaise die Erstgenannten zuvor der Sechs Jahre später wurde Bernhard von Bülow Botschafter am unbekannter „von sich Frau Hutzler gar stolz ein Veilchenkörbchcn dem Palazzo Caffarelli zu Rom, in dem italienischen Hofe. Hand" gegeben, über die Schulter hing. Die „unbekannte Hand" befindet, entstand jetzt wieder ein Salon, Botschaft deutsche die Gatte., Damen deckt Beide sich nachhcriger Kainz, ihr war Joseph Republik der Geister einen gewaltigen internationalen der der in — starb sogar Luckner die Gräfin schon längst der grüne Hügel Ruf bekam. Diesem Salon präsidierte jetzt Frau von Bülow, und Und Heiberg ward später von Krank¬ einen sehr tragischen Tod. ihre Mutter unterstützte sie darin. Aber nur vier Jahre dauerte heit heimgesucht, ihm drohte Erblindung. Eine glückliche Operation diese glückliche Zeit, dann wurde Herr von Bülow als Staats¬ rettete ihn jedoch vor dem Schlimmsten. 1892 zog er von Berlin Seine sekretair des Auswärtigen Amtes nach Berlin berufen. scheint. sein zu zufrieden er sehr wo Schleswig, fort nach Achtung die große Erfolge, — und viele — hier ihm brachte Amtsführung Gassen engen In Heibergs letzte Werke sind: „Todsünden aller, auch der gegnerischen Parteien, die Anerkennung seines Gras Jarl — Ein doppeltes Ich — Leiden einer Frau." Un¬ kaiserlichen Herrn, den Grafenrang, die Bewunderung des Aus¬ längst wurde er in Bremen zum Redakteur der Zeitschrift „Nieder¬ landes und schließlich den Posten des Reichskanzlers. Ein jeder, der Heiberg persönlich oder aus seinen sachsen" berufen. Auch in Berlin hat sich die Frau Gräfin Bülow — die, nebenbei Schriften kennt, wird dem angehenden Sechziger noch ein recht deutsche Literatur langes, glückliches Leben, gewissermaßen eine zweite Jugend bemerkt, ebenso fertig deutsch wie italienisch spricht, die — rasch ein¬ Deutsche fühlt als ganz und sich aus kennt Grund von künftig Publikum auch wünschen, damit er das dankbare deutsche Rom, und als in begrenzter Verkehrs ist hier gelebt. Der Kreis des noch niit recht vielen Erzeugnissen seiner interessanten und fleißigen seine Gattin in ihrem Kanzler und den lernten wenigeAnserwählte nur Loy. Arthur von Feder erfreue. bisherigen Heim, der kleinen Villa des Auswärtigen Amtes, kennen.

In

748

Kleine Mitteilungen. Münchhausen und Scharnhorst. Es giebt

eine alte,

nord¬

Familie, deren Namen durch die Erzählungen eines Undankbaren für alle Zeiten et» gcwiffcr lächerlicher Begriff anhaftet. Nicht nur in Deutschland, sondern weit über dessen Grenzen hinaus dient er überall deutsche

io sehr als Symbol von Uebertreibungen, Abenteuerlichkeiten, daß leider sogar ein Träger dieses Namens ihn als Titelblatt für eines der modernen Witzblätter a la Simplizissimue re. mit Erfolg zu benutzen glaubte. Da möchte ich denn gern zur Ehrenrettung dieses so vielfach mi߬ brauchten Namens etwas erzähle», als Beweis, daß Glieder dieser Faniilie, ohne es zu ahnen, viel zur Befreiung Deutschlands vom napolconischcn Joch beigetragen haben: denn durch ihre Vermittlung kam der spater so berühmte Scharnhorst, der Schöpfer des alte» preußischen Laudwehrsystenis, in die preußische Armee. Bekanntlich war Scharnhorst früher Artillericofffzier in der hannoversche» Armee, und als solcher in der damals noch nicht geschleiften Festung Hanteln stationiert, in dessen Nähe sich das alte Stammschloß der Fa¬ milie Münchhausen befand,mitdcr dieOffiziereder Garnison gern verkehrten. Scharnhorst war in jeder Weise der echte Schüler seines großen Lehrmeisters, des eben so edlen wie tapferen Grafen Wilhelm zur Lippe, und ihm geistig nahe verwandt. Er fand darum auch an dem danials herrschenden Ton unter den Kameraden wenig Geschmack, die ihre Hauptunterhaltung in Spiel und Trinkgelagen suchten, sondern widmete lieber seine freien Stunden fachwissenschaftlichen Studien. Außerdem waren seine Vermögcnsvcrhältnisse nicht glänzend, und da er als cchler Nieder-Sachse ein Grauen vor dem Schuldenmachcn hatte, zog er sich auch aus diesem Grund von den mehr oder minder kostspieligen Vergnügungen der reicheren oder leichtsinnigeren Kameraden zurück, die ihm darum den Spitznamen „Der Harpar" gegeben hatten. Er ließ sich das aber nicht anfechten, sondern ging ruhig seinen Weg, wie er es für gut und richtig fand. Dieser Weg führte ihn denn sehr oft nach dem oben ermähnten Schloß, wo er stets willkommen war: denn das kluge, geistreiche Ehepaar fand viel Gefallen an der Unter¬ haltung mit dem jungen Offizier, die so weit über das Niveau der Alltäglichkeit hinausging, und beide bedauerten es, daß so viel un¬ gewöhnliche Geistesgaben in dem Einerlei des Garnisonslebens ver¬ kümmern oder doch brach liegen sollten. Der einzige Bruder der Schloßfrau, der nachmalige Graf Reden, war aus hannoverschen Staatsdiensten zur Zeit Friedrichs des Großen in preußische Staatsdienste übergetreten und von ihm zum Minister ernannt worden. Geologe von Fach, hatte er mehrfach die Kohlenwerke in England besucht und den König auf den mutmaßlich großen Kohleureichtum in Lberschlesien aufmerksam gemacht. Aber Friedrich der Große war daninls schon kränklich, die Staatskassen durch die Kriege erschöpft, so gab er erst dann seine Einwilligung zu Bohroersuchen, als Reden mit seinem Vermögen dafür zu bürgen versprach. Ans Dankbarkeit für die glänzenden Resultate erhob der König ihn in den Grascnstand. Als er die erbetene, wohlverdiente Entlassung aus dem Staats¬ dienst erhielt, widmete er sich ganz der Verschönerung seines Tusculums, des herrlichen Vuchwald im Riesengebirge. Aber auch dort blieb der

in Berlin

so

hochangesehene

Mann in

steter

Verbindung mit seinen

vielen ihm geistig gleichen Freunde», vor allein mit Freiherrn v. Stein, und das gastliche Heim des geistreichen Ehepaars war ein großer An¬ ziehungspunkt für bedeutende Männer auf dem Gebiet des staatliche» und ivissenschaftlichcn Lebens. An diesen so einflußreichen Bruder wandte sich nun im Ein¬ verständnis mit ihrem Mann Scharnhorsts mütterliche Freundin mit der Bitte resp. Frage, ob er nicht Schritte für den Uebertritt des jungen Landsmanues in die preußische Armee thun könne, in deren größerem Rahmen doch mehr Aussicht für dessen Zukunft sei. Ein Jena gab es damals noch nicht, und die Erinnerung an die glänzende» Waffenthaten der preußischen Armee zu Zeiten Friedrichs des Großen war »och in ziemlich frischer Erinnerung und darum dieser Wunsch wohl berechtigt. Graf Reden that sofort die einleitenden Schritte und hatte bald die Freude, ihr schreiben zu können, daß alles im besten Gange sei: sie möge doch selber kommen und den jungen Offizier mitbringe», damit er seine Bekanntschaft mache. Nachdem Scharnhorst ein längerer Urlaub bewilligt ivorden war, reisten sie zusammen nach Buchwald, wo die Schwester bei damalige» Entfernungen ein zwar seltener, aber willkommener Gast war. Das also war der Weg, der unseren großen Scharnhorst in die preußische Armee führte, deren furchtbare Demütigung er mit erleben mußte, um bann dafür das Werkzeug zu sein, daß sic sich um so glanz¬ voller wieder erhob; und als er im Kampf für die Wicderbefreiung des deutschen Vaterlandes den Heldentod auf dem Schlachtfeld fand, da konnte er vor dem Scheide» sich sage», daß er nicht umsonst gelebt hatte: denn die Saat, die er in den traurigen Jahren des Druckes und der Schmach gefäet, hatte sich zu herrlicher Ernte entwickelt, und daß ihm der Dank seines königlichen Herren und des ganzen deutschen

Volkes ins Grab folgen würde. So hat denn dieser einst um seiner Sparsamkeit und Solidität so mitleidig belächelte Mann so Großes geleistet, daß der Name Scharnhorst in der vaterländische» Geschichte Preußens für alle Zeiten mit goldenen Buchstaben eingeschrieben steht. Wie allgemein er als junger Offizier unter dem so unverdienten Spitznamen bekannt war, davon zeugt wohl eine kleine Episode, die ich hier zum Schluß noch hinzufügen will. Seine Gönnerin und Freundin, eine ernste, stille und sehr an¬ spruchslose Frau, hatte zu der Reise nach Schlesien de» Zeitpunkt ihres Geburtstags geivählt, um den damit verbundenen Kundgebungen zu entgehen, deren Gegenstand die in dem zahlreichen Bcrivandteu kreis sehr beliebte und verehrte Frau an diesem Tage ganz besonders war: aber sie konnte ihrem Schicksal nicht entgehen.

Neben der damals weltberühmten Orangerie befand sich ein Zimmer, in dem öfters de? Abends der Thee getrunken wurde, namentlich wenn Besuch da war, ein Zustand, der freilich in dem sehr gastfreie» HauS zum fast in Permanenz ivar. Als nun nach der Rückkehr der Hausfrau erstenmal wieder der Thee da eingenommen wurde, sah man durch die Glasthür, die nach der Orangerie führte, an jedem der drei Oese» ein festlich geschmücktes Transparent leuchten, mit Versen, bic_in dem witzigen Kopf eines Reffen entstanden waren, eines Herrn von Stockhausen, dem Vater des letzlcn hannoverschen Gesandten in Wien, und von denen der Anfang des ersten Verses lautete: „Mit Harpax flohest Du von dannen, M. Elmar. Doch uns're Liebe folgte Dir." Arabien, die durch Reise Der alte Vullerballer! Aus einer Karstens Niebuhr in den Jahren 1761—1767 im Auftrage des Königs Friedrichs V. von Dänemark uuternahni, trat er eines Tages in das Zelt eines alten Scheikhs mit dem üblichen Gruße: „Salem aleikum!" „Friede sei mit Dir, »i-in Oheim! Du bist willkommen," lautete die Antwort, „nimm an meinem Mahle teil!" Dasselbe wurde von einer Sklavin aufgetragen. Es begann mit dem Rufe des Scheihs: „In Allahs Namen!" und endete mit den Worten: „Allah sei gelobt!" Dann rauchte Niebuhr, in weiche Kiffe» gelehnt, seinen Tschibuk. Da Der erhob sich plötzlich in einer Ecke des Zeltes ein gewaltiger Lärm. alte Schcikh stieß eine Menge Schimpswortc gegen seine Sklavin auS und verließ dann das Zelt: die Sklavin aber rief ihm im schönsten Niebuhr war wie vom Plattdeutsch nach: „Du olc Bullerballcr!" Donner gerührt. Hier, mitten in Arabien, tönten plötzlich heimatliche Laute an sein Ohr! Als er sich von seinem Erstaune» ein wenig er¬ holt hatte, fragte er die Sklavin: „Min beste Deern, wo büsst Du her?" Nun kaui die Reihe an das Mädchen, erschrocken zusammen¬ zufahren. Endlich sagte sie langsam: „11t Lüdingworth in Land Hadeln!" Lüdingworth! Das ivar ja auch Riebuhrs Hcimatsdorf. Er erkundigte Sklavin. Sie.hatte einen in sich nun näher nach dem Schicksale der Surinam ivohnenden Bruder aufsuchen wollen, war aber einem tunesischen Seeräuber in die Hände gefallen und von dem Schcikh als Sklavin gekauft worden. Niebuhr aber versichert, daß nie in seinem Leben ihn etivas so ties ergriffen habe, wie die wenigen Worte: „Du

ole

Bullcrballer!"

Das gelehrte Berlin vor 60 Ialzren. Im Jahre

1819 be¬ der Chemie und Medizin an der Universität Kiel, Christoph Heinrich Psaff, die preußische Residenz. Er machte hier die Bekanntschaft des um die Analyse der Mineralkörper hochverdienten Klaproth, bei dem es ihm nur auffallend war, daß er sich in die durch Humphrey Davy in die Chemie eingesührie Chlor-Theorie nicht recht finden konnte. Mitscherlich teilte ihm die ersten Keime der durch ihn so frischem glänzend entivickelten Entdeckungen der Isomorphie mit. Andenken blieb ihm ferner eine Mittagsmahlzeit, die er mit dem um die Mcdizinalpolizei verdienten Langermann, dem Philologen Friedrich August Wolf und Niebuhr einnahm. Letzteren traf er bei seinem ersten Besuch krank im Bett, mußte aber dennoch nicht ivcnig über seine außer¬ ordentliche Lebendigkeit staune». Bei einem andern Mittagsmahl be¬ wunderte er das attische Salz und die geistreiche Heiterkeit Schleiermachers und Riebuhrs. Allerdings erschien ihm Niebuhr sür einen Staatsmann zu lebendig: er hielt es für ein großes Glück, daß Niebuhr den Staatsaeschäften (preußischer Gesandter am Vatikan) den Beruf eines akademischen Lehrers in Bonn (seit 1828) vorzog. Damals begann in Berlin die Reaktion: der Turnvater Jahn wurde eingezogen. Die Verhaftung Maßcnbachs, die Psaff ebenfalls erivähnt, hatte doch andere Gründe. suchte der Professor

In

Am 10. November, am Vorabend des Martinstages, saug man früher in einigen Gegenden der Altmark nach „Firmerichs Völkerstimmcn" folgendes Lied: Don kämm de'n groote Joakob, Martens, Märtens, Vöägelkeu, moal »p. Frett all mit Met dien vergüld'ten Flöägelken, Kloppen, kloppen Riugclkeu, Fleeg so wiet bet an de Siet, Hier stoehn paar arme Kinnerken, Don kämm de groote Märti», Geewst sc wal u» lvat se goehn. Schlacht '» groot fett Schwien, Tät so hüt noch Mieter koam, Bet vör Noabers Töär, Noabers Döär is »ich wiet, Acppel un Bär'n sind all riep, De Nöät de mag ick gärn. Das russische „Heil Dir im Sirgerkrani." Am 15. Noveiuber 1813 erschien in der 32. Nummer der „Deutschen Blätter" folgendes Gedicht, zu singen »ach der Melodie ,. 6 ock save the king’“: Heil, Alexander, Dir, Europens schönste Zier, Heil, dreimal Heil! Von Frankreichs Sklaverei Machst Du die Völker frei, Daß jeder glücklich sei Und Ruh sein Teil.

Nie wird sie nun erstickt, Die freie Menschheit blickt Zu Gott mit Dank. Wer jüngsthin traurig schwieg. Preist jetzt des Rechtes Krieg, Der guten Sache Sieg

Nah war ihr Untergang. Weil sie in Feffeln zwang

Verherrlicht hat sic Gott, Da Bosheit wurde Spott Und Schmach zum Loh»: Gott schützt mit ehrnem Schild Sein edles Ebenbild, Das uns mit Wonn' erfüllt, Auf Rußlands Thron.

Napoleon. Wie lastend war es doch. Des Korsen eisern Joch: Der freie Deutsche kroch An seinen Thron.

Verraten und erschlafft

War edler Ahnherrn Kraft,

Ihr

Funke schwieg,

Als Alexanders Macht

In

menschlich schöner Pracht des Unglücks Nacht Zum Leben rief.

Sie ans

Mit

Lobgesang.

Rühmt ihn voll Tank Da uns er hat beglückt Durch Menschlichkeit! J>! Gottes Heiligtum Mit Alexanders Ruhm, Der Tugend Eigentum, In Ewigkeit.

entzückt.

744

Bin 12. November vor 125 Jahren starb in Berlin ein Schäler Johann Sebastian Bachs, nach Graun der Direktor der könig¬ Er komponierte die Opern lichen Kapelle, Johann Friedrich Agricola. „Achilles auf Skpros" und „Iphigenie auf Tauris", Kirchenstücke u. a., übersetzte Tosis „Anleitung zur Singekunst" und gab Adlungs „Musiea mechanica organistica“ heraus. Er war der beste Orgelspieler und „Singmeister" seiner Zeit in Berlin. Seine Gattin, Bcnedetta Emilie Motteni, trat von 1761—1772 an der Italienischen Oper zu Berlin auf und starb um das Jahr 1780. Nm 17. November vor 150 Jahren wurde der spätere Heraus¬ geber der „Berliner Monatsschrift", Johann Erich Biester, in Lübeck geboren. Er war der Reihe nach Lehrer am Pädagogium und Privat¬ dozent an der (1789 mit Rostock verbundenen) Universität Bützow, Sekretär beim Staatsminister von Zedlitz und königlicher Bibliothekar in Berlin. Als solcher starb er im Jahre 1816. Die oben ermähnte Zeitschrift gab er 1783—91 mit Gedike zusammen, dann allein heraus. Auch übersetzte er vier Dialoge des Plato und Barthelömys „Reise des jüngeren Anacharsis." Am 26. November Vor 50 Jahren

starb in Berlin Chamissos

Freund, der Kriminalist Julius Eduard Hitzig, bekannt als Verfasser des „Gelehrten Berlins" und (zusammen mit Willibald Alexis) des „Neuen Pitaval". Ein Augenleiden veranlaßte ihn 1832, seine Stellung als Direktor des Kammergerichts-Jnquisitoriats aufzugeben. Er war es, der zuerst mit darauf drang, die Kriminalpsychologie als besonderes Studium in die juristische Praxis einzuführen. In seinen „Annalen der deutschen und ausländischen Kriminalrechtspflege" gab er u. a. eine psychologische Darstellung der Untersuchungsprozesse gegen den Jenenser Studenten Karl Ludwig Sand und die bremische Giftmischerin Gottfried. Der von ihm gegründete litterarische Verein, die „Montagsgesellschaft", war ein Sammelpunkt der Schriststeller Berlins bis zu den Dilettanten in diesem Fache herunter. Bis 1944 führte er auch die Redaktion der von ihm gegründeten „Deutschen Prcßzcitung", die gegen Verlagsnnwesen und Nachdruck energisch auftrat und übermütige Autoren schonungslos geißelte.

Rm 26. November vor 275 Jahren starb in Wittenberg als Professor der Rechte Benedikt Carpzow, der nm 22 . Oktober 1565 in Brandenburg geboren war und fünf Söhne hinterließ, die ebenso wie der Bater, zu ihrer Zeit wenigstens, berühmte Männer wurden. Der älteste, Kourad, starb als Kanzler des Erzstifts Magdeburg am 12. Februar 1658, der zweite, Benedikt, war ein bedeutender Jurist und berüchtigter Hexen verfolg er, der dritte,. Christian, war ebenfalls Jurist, der vierte. August, starb als kobnrg-gothaischer Minister am 19. No¬ vember 1683, und der fünfte, Johann Benedikt, als Professor der Theologie ani 22 . Oktober 1657. Letzterer hatte ebenfalls fünf als Juristen, Theologen und Schriftsteller hervorragende Söhne. Der vierte von diesen, Samuel Benedikt, starb am 31. August 1707 in Dresden als Oberhofprediger. Sein Sohn,, Johann Gottlob, zeichnete sich als Orientalist ans und wurde Superintctldeut in Lübeck. Ter zweite Sohn, Johann Benedikt, starb als Abt zu Königslutter am 28. April 1808.

Vrrrms-Mchrichteu. Märkischer Sängerbund. in Unser nächstes 47. Volks-Gesangsfest findet im Juni k. Templin statt, und wir werde» unseren geehrten Vereine» später weitere

I.

Mitteilungen darüber mache». Zur Aufführung beim Sängerfcft gelange» die Ouartette von Nr. 1 bis 6 und ans dem Festhcft 1900 Nr. 7 und 9- diese sind also unter allen Umstände» einzuüben. Tie Einübnng der übrigen Ouartette überlassen wir unseren werten Vereinen, jedoch würde es uns sehr erfreuen, wenn recht viele Vereine auch diese Sachen üben.

Wir bitten, möglichst umgehend die Bestellung ans Noten, zumachen wir aber nur satzweise abgeben könne», und bemerken, daß der Preis wie bisher für die Partitur 1,50 M., für jede Stimme 0,50 M. die

es empsiehlt sich der Einfachheit und Billigkeit wegen, das für die Noten, wo es noch nicht geschehe», auch de» Bundesbeitrag und das Porto für das Packet, vorweg mit der Bestellung ans

beträgt;

(Selb

dem Coupon der Postanweisung, an unseren Bundeskassiercr, Herrn

Kaufmann Oscar

Tcmor, Berlin SW.,

Neuenburgerstr. 17a,

zusenden. Auch bringen

ein¬

wir wiederum die Stiftung zur Erhaltung des MückeGrabes freundlichst in Erinnerung und bitten eventuelle Zuwendungen ebenfalls an Herrn Temor zu richten. Gleichzeitig bringen wir zur Kenntnis unserer werten Vereine, daß Herr Professor Reinhold L. Herman die musikalische Leitung unseres Bundes definitiv übernommen hat; wir bitten dringend, Herrn Herman dadurch zu unterstütze», daß jeder Verein die vorgeschriebenen Lieder einübt. Auch der alte Vorstand ist einstimmig wiedergewählt, und der llnlerzeichucle, auch im Namen der übrigen Vorstandsmitglieder, sagt für das uns wiederum bewiesene Vertrauen herzlichen Tank. Freudig und mit Eifer wollen wir für unseren geliebten „Märkischen Sängerbund" arbeiten und alles thun, was in unseren Kräften steht, um denselben zu heben Und zu fördern. Wir wollen den letzten Wunsch unseres seligen Franz Mücke, laßt mein Werk nicht uutergehu, treulich zu erfüllen suchen und bitte» deshalb unsere werten Bundesvcreiue, uns sangcstüchtige Mäuner-Gcsangvereiue zuzuführen. Unser Bund besteht gegenwärtig ans 83 Männer-Gesang¬ vereinen, wozu noch etwa 18 Gesangvereine des Uckermärkischcn Sängerbundes hinzukommen; außerdem haben sich in Berlin zwei neue Vereine zur Aufnahme gemeldet. Verantwortlicher Redakteur:

vr. M. Folticineano, Berlin.

—-

Die Stadt Diesenthal ladet unsere» Bund ein, das 48. VolksGesangsfest dort zu feiern. Fmier teilen wir unseren werten Vereinen mit, daß der Bundes¬ vorstand einen größeren Mäniier-Gcsangocrcin in Berlin ins Leben gerufen hat, der wöchentlich übt, und der voraussichtlich von Herrn Professor Herman geleitet werden wird. Dieser Verein soll eine treue Stütze des Bnndesdirigentcn bei unseren Sängerfesteu und sonstigen Aufführungen sei». Wir bitten alle Sangesbrüder, die nach Berlin verziehen, sich diesem Verein anzuschließen und sich dieserhalb au den Unterzeichneten zu wenden.

Der Vorstand. Max Ncnman n, I. Bundcs-Vorsitzeuder, Berlin 80.16, Schmidstr. 2 , ftt.

Büchertisch. Müller - Bol,ns Memoirenwerk „Kaiser Friedrich der aus dem wir mehrfach Auszüge und Illustrationen ver¬ öffentlicht haben, liegt nunmehr fertig vor. I» drei Teilen: „Werde¬

Elütige",

gang", „Auf der Hcldcnbahn", „Unser Fritz" behandelt der Verfasser eine Fülle von Mcucrial, so daß es schwierig ist, der Arbeit in wenigen Worten gerecht zu werden. Der Umstand, daß dem Werk von Anfang au von hoher Seite und aus dem Kreise noch lebender Freunde des verewigten Kaisers ein lebhaftes Interesse entgegengebracht wurde, hat den Verfasser in den Stand gesetzt, aus Onellen zu schöpfen, die den bisherigen Kaiser Friedrich-Biographen gar nicht oder doch nur teilweise zugänglich waren. Interessante Aufschlüsse über die Jugend und geistige Entwicklung verdankt der Verfasser dem vor wenigen Wochen im Alter Erzieher des Prinzen Friedrich von 94 Jahren verstorbenen ehemaligen ' Wilhelm, Professor Frsdsric Godet. Wir haben in einem besonderen Artikel schon früher auf diese interessante Charakteristik aufmerksam gemacht. Zu den übrigen Kapiteln des „Werdegangs" haben die Akten des Hohenzollcriimuseums, die der Verfasser mit Genehmigung des OberHofmarschallamtes benutzen durfte, vorzugsweise den Stoff geliefert. Wir ersehen aus dieser Hinterlassenschaft Kaiser Friedrichs, mit welcher

Gewissenhaftigkeit er sich ans den Herrscherberuf vorbereitete, wie er sich seine» eigenen Beschäftign »gSplau entwarf, und wie er sich in Briefen au seine Mutter, de» General von Schreckenstein u. a. energisch dagegen verwahrte, daß ihm beim militärischen Avancement irgendwie eine Staffel geschenkt werde. Interessante, größtenteils im Faksimile beigegebeue, in dem Werk zum erstenmal veröffentlichte Briefe seiner ehemaligen

Jilgeudfrcnnde beleben den Inhalt. ' Ter zweite Teil „Ans der Feldheirubahn" bringt zur Beurteilung Kaiser Friedrichs als Feldherr schätzenswerte Beiträge. Ja, man kau» ohne Uebertreibung sage», daß hier z»m erstenmal eine eingehende Würdigung der Fcldherrnthätigkcit des zweite» deutschen Kaisers ver¬ sucht worden ist. Der Verfasser, der i» objektiver Weise stets auf die Onellen verweist, durfte sich hier nicht nur aus eine interessante Denk¬ schrift des »och lebenden Feldmarschalls vou Blnmenthnl, sondern auch auf die mündliche» und schriftlichen Mitteilungen des alten Jugend¬ freundes und Waffengefährtc» Kaiser Friedrichs, des Generals von Mischte stützen, der das Werk vom Anfang bis z»»> Schluß mit liebe¬ voller Anteilnahme verfolgt hat. Der Verfasser ist so in der Lage, manche falsche Legende zu zerstören, manche unrichtige Behauptung richtig zu stellen. Interessant wird gerade dieser Teil des Werkes durch eine scharfe Polemik gegen Gustav Freytag, dessen einseitige und schiefe, von gründlicher Unkenntnis des Wesens und. Charakters zeugende Be¬ urteilung in dem bekannten Pamphlet Freytags „Ter Kronprinz und die deutsche Kaiserkrone" der Verfasser auf-die wirklichen, in Wahrheit sehr unschönen Beweggründe zurückführt. Der dritte Teil des Werkes „Unser Fritz" schildert in sechs Kapiteln die bürgerliche» und menschlichen Tugenden des Frühlingskaisers, seine Thätigkeit beim Ausbau des Reiches,, die Hemmnisse, die ihm dabei von beteiligter Seite in den Weg gelegt wurden, seinen Widerwillen gegen die amtlichen Repräsentationen, die einzige Seite der öffentliche» Thätig¬ keit, die man dem hochstrebenden Mann gelassen, und die ihn so wenig befriedigte. Er findet allein mit seiner gleichgesinnten Gemahlin Trost und Anregung in der Bethätigung für Kunst, Wissenschaft und das Gemeinwohl des Volkes. Diesem Teil seines Wirkens ist der Verfasser in eingehender Weise gerecht geworden. An der Hand originaler schrift¬ licher Mitteilungen von Männer», wie Anton von Werner, Karl Blcibtrcn, und unter Benutzung von Briefen und Schriftstücken, die Sc. Exzellenz Nr. Schöne, Direktor der Königlichen Museen, Staatsministcr von Gvßler und zahlreiche andere hervorragende Persönlichkeiten freundlichst zur Verfügung stellten, läßt uns der Verfasser einen Einblick gewinnen in die künstlerischen, wissenschaftliche» und gemeinnützigen Bestrebungen des zweiten deutschen Kaisers und seiner Gemahlin. Dem reichhaltigen Text hat die Verlagshaudlung ein wahrhaft An der künstlerischen Ausschmückung vornehmes Gewand gegeben. habe» hervorragende Krastc, Anton von Werner, Karl Röchling, Richard Knötcl, Karl Koch, Ernst Hcuseler u. a. mitgewirkt. 34 Kunslbeilagc» in Schwarz und Farbendruck, sowie etwa 500 authentische Abbildungen schmücken das Werk. Letztere, in dem vorliegenden Werk größtenteils zum erstenmal veröffentlicht, entstammen der im Hohenzollermnuseum befindlichen Hinterlassenschaft Kaiser Friedrichs oder dem Privatbesitz der Kaiserin Friedrich, der Großherzogiu von Baden und anderer Persönlichkeiten. Einen charakteristischen Schmuck des Werkes bilde» die vou Sütterlin gezeichnete», Kopf- und Schlußvignette» zu den einzelnen Kapiteln, die sich in liebevoller Weise a» den Text anlehne». Das Prachtwerk wird eine Zierde des diesjährigen Weihnachts¬ tisches bilden. Möge für Autor und Verleger, die jahrelang ihre beste» Kräfte an die Vollendung des Werkes setzten, der wohlverdiente Loh» nicht ausbleiben.

Druck und Verlag:

Friedrich Schirmer, Berlin

SW., Neueutiurger Straße 14a.

Der Bar. Illustrierte Wochenschrift.

50 Pt., „Der Bar" erscheint jährlich 52 mal und ist durch alle Buchhandlungen, Zeitungsspeditionen und Mastanstalten zu beziehen dir. 866 des Postkatalogs) und kostet vierteljährlich 2 M. postgebübren jährlich 10 M.» Einzelhefr 20 Pf. — Infertionspreis für die 1 qefpaltene Nonpareillezeile oder deren Raun» 50 Pf. — Beilagegebühr: 6 IN. pro 1000 Stück inklupve — 36:, s. Nr. Fernsprecher: I\. Annoncen-Expeditionen. — Inserate und Beilagen werden entgegengenonnnen von der Expedition des „Bär", SW., Neuenburgerstraße Ha, sowie von allen

26 Jahrgang.

Sonnabend. 24. November 1900.

Ur. 47 .

Weltstadtlnnder. Ein Bild aus dem Berliner Lsofleben. ch

stand am Fenster meines Arbeitszimmers und sah auf den

Hofranm eines im nördlichen Viertel gelegenen Berliner Hauses mit seinen volkreichen Ouergebäuden und Seitenflügeln stinab. Es war in den schulfreien Stunden eines Nachmittags, und der Lärm einer sich da unten tniiimelnden Kinderschar hatte mich von meinem Schreibtisch aufgestört. Unwillig war ich auf¬ gesprungen, nm mich nach den Störenfrieden

umzusehen.

Doch

„Ich träume als Kind mich zurück." Bor meinem geistigen Auge taucht ein Dörflein auf; in seiner Mitte zeigt aus lieblichem Grün hervor der schlanke Turm des Von lachenden Kirchleins gleich einem Finger gen Himmel. Feldern hebt sich in nicht weiter Ferne vom Orte der dunkelgrüne Wald ab. Am Eingänge zum Dorfe liegt, lauschig in Weiden und Erlen versteckt, die Mühle; rauschend gehen die Wasser über

Drei Burgen der Mark Vrandrrrbuig. Burg Gijrnhardt vei Belzig. (Nach einer Aufnahme von H.

Zernsdorf

beim Anblick der kleinen Schar ans dem Hofranm schwand alsbald mein Zorn, und ein Gefühl inniger Teilnahme an dem Leben und Treibe» der Kinder zog mir ins Herz.

Draußen, in Wald und Feld, sollte der Frühling seinen Einzug halten. Heller Sonnenschein lachte vom Himmel hernieder; Bäume und Sträucher begannen ihre Knospen zu entfalten, Schneeglöckchen, Veilchen und Narzissen blühten bereits in den Gärten. Wie herrlich war mir die Welt erschienen neulich ans einem Ansflug ins Freie! — Doch wer von den Kleinen da unten hatte wohl den kommenden Frühling schon mit eigenen Augen gesehen? Sein Strahlenauge blickt nicht, sei» Lebensodem dringt nicht in die dunklen, dumpfen Hofräume der Großstadt, küßt nicht die bleichen Wangen der Kinder. Kinder ohne Frühling! Arme, beklagenswerte Schar!

in Belzig und Lehnin.)

das Wehr und über das Mühlrad dahin; den Teich beleben Scharen von Wasservögeln, und aus dem Schilf und Ufergebllsch erschallt der vielstimmige Gesang der Rohrsänger, Grasmücken und Sprosser. Mein Vaterhaus. Heiliger Ort meiner frühlings¬ wonnigen Kindheitstage! Wenn uns Kindern des Dorfes nach dem nicht freude¬ Welch armen Winter der Frühling wiederkehrte, welche Lust! eine Fülle den Geist anregender, die Phantasie belebender und das Gemüt bewegender Eindrücke bot uns der tägliche, innige Verkehr mit der freien, frischen Gottesnatur. Das Gepräge, welches hier die junge Menschenseele erhält, bleibt von segensreichem Einfluß fürs ganze Leben. Und wie heilsam wirke» die mannigfache» Vorgänge im stillen, harinloscu Dorflebe», die das Kind mit frisch

Ohne Mensche»,zuthun empfänglicher Seele in sich aufnimmt! bildet hier Mutter Natur iu ihrer „grünen Schule" die Kräfte und stattet ihre kleinen Zöglinge mit einem Gut aus, das durch keine Pädagogenkunst je ersetzt werden kann: Gesundheit an Körper, Geist und Gemüt, die Grundbedingungen für ein glückliches Erden¬ dasein.

In

der That.

„Wohl dem! Selig muß ich ihn preisen, Der in der stillen ländlichen Flur, Fern von des Lebens verworrenen Kreisen Kindlich liegt an der Brust der Natur." ist,

Wie traurig erscheint dagegen das LoS, das euch beschieden ihr armen Kinder der Riesenstadt, die ihr zwischen hohen

Mauern ohne Licht und Lust aufwachset wie Blumen im Schatte». Viele Kinder der ärmeren Bevölkerung kommen in den ersten Jahren ihres Daseins über den Hof, die nächsten Straßen und den nächsten Stadtteil nicht hinaus. Eine vor Jahren ins Werk gesetzte Statistik hat ergeben, daß in Berlin von 1000 zur Schule angemeldeten Kindern nur 777 einen Regenbogen, 698 ein Ackerfeld, 602 das Abendrot, 162 den Sonnen¬ untergang, 460 eine Wiese, 406 ein Aehrenfeld, 364 einen Wald, 264 eine Eiche, 263 das Pflügen gesehen und nur 167 den Lerchen¬ gesang gehört hatten. Das hehre Buch der

Natur bleibt gewöhnlich unsern Berliner Kindern auch im spätere» Alter wie mit sieben Siegeln verschlossen. Denn selbst der vollkommenste Schulunterricht vermag bei solcher Vorstellungsarmut trotz aller vortrefflichen künstlichen Anschauungs¬ mittel einen klaren Begriff von den Vorgängen in der freien Natur nicht zu geben. Wie vermag man auch einem Blindgeborenen die Vorstellung der Farbenpracht beizubringen! Unmöglich ist es den so aufwachsenden Kindern der Großstadt, sich in ein Gedicht, das die Natur preist, verständnisvoll zu vertiefen, ein Frühlingslied in der rechten Stimmung zu singen. Wo sind hier die Faktoren, die das junge Gemüt niit tiefer Gewalt zu packen und zu bewegen vermöchten? Selbst das erschütternde Raturschauspiel eines mit elementarer Macht heraufziehenden Gewitters wird hinter den hohen Häusermauern kaum gewahrt, seine zum Herzen dringende Gottesstimme verhallt wirkungslos im Straßenlärm und läßt einen tieferen Eindruck in der Seele nicht zurück. Wohl bietet das vielbewegtc, wogende Leben in der großen manches, was jungen Erdenbürger dem Menschengemeinde seinen Geist früher und in höherem Maß anregt und weckt, als die Einsamkeit des stillen Dorfes. Im Umgang mit der Menge lernt das Kind der Großstadt sich bald gefällig und gewandt unter Menschen bewegen, gewinnt hellen Verstand, geläufige Sprache, Umsicht und Selbständigkeit; im Strom der Welt bildet es sich Aber schon im zarten Alter gewissermaßen zum — Charakter. jeder zu raschen Entwicklung, jeder Frühreife haftet etwas Krank¬ haftes an. Dem Wachstum unserer Kinder fehlt die Harmonie; besonders das Gemütsleben erfährt eine Vernachlässigung, die oft verhängnisvoll wird für das spätere Leben. Welchem Geschick geht Matter Berolinas Kinderschar entgegen? Zu einer harmonischen Entfaltung der Anlagen und Kräfte fehlen die Bedingungen. Jährlich wächst die Ausdehnung des Riesen¬ leibes dieser Millionenstadt, und trotz aller modernen Verkehrs¬ mittel ist es den Bürgern an Sonn- und Festtagen nur noch unter Beschwerden, ja Gefahren möglich, die dumpfen Mauern zu ver¬ Was soll lassen und Erfrischung draußen im Freien zu suchen.

unter solchen Umständen aus dem zarten heranwachsenden Geschlecht werden? Wo der verjüngende Ouell schöner und erhabener Natureindrücke, die erfrischende Erinnerung an eine poesievolle Kindheit fehlt, da pflegt beim Menschen später Gemütsleere und geistige Verödung sich einzustellen. Treten an diese nervösen und blasierten Menschen des Lebens Ernst, Not und Kampf heran, dann fehlt ihnen meist die Kraft zum Widerstände. Das verödete Dasein wird als wertlos weggeworfen, wenn der mit Gott und Welt Unzufriedene nicht auf den Weg des Verbrechens, des Lasters oder der Schande gerät. Die Verrohung unserer Jugend, die Ver¬ irrungen oder Selbstmorde im frühen Lebensalter finden in ständigen Rubriken unserer Tageszeitungen eine seltsame, oft furchtbare Beleuchtung.

den Blick nicht von euch wenden. Kleinen, die ihr vor meinen Augen dort im dumpfen Hof euch tummelt, was wird einst aus euch? Den harten, steinigen Boden unter den Füßen wachset ihr auf, beengt von trostloser, de» freien Blick zum Himmel und in die Weite hindernder, lärnivollcr Umgebung! Stumpf und müde hocken die einen ans den steinernen Treppen, wirr und wild toben und jagen die andern in Ecken und Winkeln umher. Doch siehe, jetzt ändert sich das Bild! Unter Führung eines größeren Mädchens ordnet sich die zügellose. Schar zum Reigen. Fröhlicher Gesang ertönt, und taktgemäßen Schrittes bewegt sie sich Dem nach den hellen Klängen der Kinderstimme» im Kreise. staubigen und steinigen Hofpflaster zum Trotz singen die Kleinen.

Ich kann

Ihr

„Hier ist's grün, und dort ist's grün Wohl unter meinen Füßen; Ich hab' verloren meinen Schatz, Ich werd' ihn suchen müssen. Dreh' Dich um, dreh' Dich um, Ich kenne Dich ja nicht. Bist Du es, oder bist Du's nicht? Ach nein, ach nein, Dn bist es nicht! —" Die im Kreis stehende Leiterin des Spiels hat sich eine erwählt, die im Liede angedeuteten .Vorgänge mimisch

Genossin

dargestellt und nach entsprechender Musterung den vermeintlichen „Schatz" wieder in den Kreis zurückgeschoben. Der Gesang und das Spiel beginnt von neuem und heißt nun an betreffender Stelle also: „Ach ja, ach ja. Du bist es ja!"

Die jetzt Auserwählte bleibt im Kreise, und der ganze Vor¬ gang wiederholt sich. Welche Lust klingt aus den Stimmen der Kinder! Selbst die Kleinsten lallen und watscheln in hellem Jubel mit. Freudig leuchten auch die Augen derer, die bisher müde und matt dagesessen; eine herzwohlthuende Harmonie herrscht iiü Kreise. Der Strahl edler Freude, des schönen Götterfunkens, scheint plötzlich in den dunklen Hofraum und erleuchtet und verklärt ihn; die „Tochter aus Elysium" ist unter die kleinen Menschenkinder ge¬ treten, und ihrem holden Zauber folgen alle mit himmlischen Ergötzen; selbst die wilden Jungen, die sich bisher mit wüstem Balgen, Schreien und Toben vergnügt haben, werden davon er¬ griffen und schließlich mit in den gesellig-schönen Kreis gezogen

und gezügelt. Bald ordnet die Führerin ein

neues Spiel, das für das Berliner Leben charakteristisch ist. Sie hat sich eine der Gespielinnen erwählt, die hinter ihr, die Hände auf ihre Schultern gelegt, her marschiert und mit ihr iu Zickzackbewegungen durch die thorförmig erhobenen Arme der im Kreise schreitenden Mitglieder zieht, wobei

alle singen:

„Machet auf das Thor, machet auf das Thor, Es kommt ein grüner Wagen! Wer sitzet denn da drin, wer sitzet denn da drin? — Ein Mann mit rotem Kragen! Was will er, will er denn? Er will die Anna (oder anderer Name) holen. Was hat sie denn gemacht? Was hat sie denn gemnchi? Sie hat ei» Kleid gestohlen. Etsche, etsche aus! etsche, etsche aus! Sie hal ein Kleid gestohlen."

Die im Liede angedeuteten Vorgänge werden mimisch aus¬ geführt. Rn die altdeutschen Kampf- und Wettgesänge erinnert das folgende Reigcnspiel, wobei sich die Kinder in zwei Reihen gegen¬ überstellen, abwechselnd auf einander zuschreiten und sich wieder entfernen: „Wo seid ihr denn so lang geblieben? Wohl auch du! —"

„Wir

sind in eurem Garte» gewesen, Schöner als wie du!"

„Was habt ihr in unserem Garte» gethan? Wohl auch dn! —"

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„Wir

„Eine solche Dicnstmagd brauch' ich nicht, Die abends vor der Thüre liegt." „Eine solche Dienstmagd bin ich nicht, „Die abends vor der Thüre liegt."

haben eure Gänse gezählt,

Schöner als wie dn!"

„Und wieviel Schock habt ihr gezählt? Wohl auch u. s. w.

„Wir

Sie nahm sie auf ein halbes Jahr, Sie aber diente sieben Jahr.

haben sechzig Schock gezählt,

Schöner als in s. w. „Und davon kriegen wir eins ab!" „Und davon kriegt ihr keins ab!"

Und als die sieben Jahr' um war'», Da ward das Mädchen krank und arm.

Frau Wirtin reicht ihr ein Glas Wein: „Wer möge» Deine Eltern sein?" „Mein Vater ist Kaiser an dem Rhein, lind ich bin Kaisers Töchterlein."

„Dann nehm'n wir auch die ganzen fort!" „Dann stelln wir uns ein Hündchen vor!" ’n „Dem Hündchen geb wir Weißbrot." „Dann stelln wir uns ein'» Wächter vor." „Dem Wächter gcb'n wir Biergeld." „Dann nageln wir uns ein Brettchen vor!" „Das Brettchen reiß'n wir euch ab!" „Dann stell'n wir uns '»e Kutsche vor!" „Und in die

(!!)

Kutsche fahren

mit Vorliebe singen und spielen: ei,

ihr

„Gestickte Kleider mag ich nicht, Nach meiner Heimat sehn ich mich."

wir!"

Unter dein Gesang der letzten Zeile vereinigen sich die Strektvarteien znm Kreise und tanzen einen lustigen Reigen. Während man diesen Spielliedern den volkstümlichen Ursprung sogleich anmerkt, stammt das folgende, augenscheinlich ans den Kindergärten oder der Turnstunde) es trifft indessen den Volkston so glücklich, daß es den Kindern große Freude bereitet und sie es

„Ei,

„Kind, das hätt'st sollen eher sag'n, Gestickte Kleider könntest tragen!"

lieben Hühiierchen,

Was habt ihr denn gethan? Fort, fort seit einer Stunde schon Ist euer lieber Hahn. Hähnchen ist aufs Dach geflogen, Znm Bodenlvch hinein: Da schlug der Wind die Thüre zu, Es muß gefangen sein.

Und als das Kind gestorben war, Drei Lilien wuchsen auf ihrem Grab.

Darunter stand geschrieben fein: „Hier ruht des Kaisers Töchterlein." Von der tieferen Bedeutung des Liedes, das wohl die ehe¬ malige Dienstmagdstellnng des deutschen Volkes gegenüber den prahlerischen Franzosen und bigotten Italiener» jVergl. Vertrag zu Verdun 843) versinnbildlichst, haben natürlich die Kinder keine menschliche Schicksal der wanderlustigen und heimwehbangenden Kaisertochter bewegt ihre Herzen, und so wird das Spiel oft mit andachtsvoller Teilnahme ausgeführt. Ich hatte an jenem Tage dem Spiel der Hofkinder mit steigendem Vergnügen zugesehen: ans den Fenstern ringsum lehnten Mütter und ältere Schwestern der Kleinen, die ebenfalls ihre Freude

Ahnung: aber das rein

an den Vergnügen hatten.

Doch, doch nach einer Stunde schon

Ging wieder auf die Thür. Gluck, gluck,

ihr liebe» Hühnerchen,

Jetzt bin ich wieder hier. Wie freuten sich die Hühnerchen, Als sic ihn wieder sah'»! Wie hüpften sie und sprangen sie Um ihren lieben Hahn!"

Eine ganz besondere Freude haben die Kinder an der Dar¬ stellung romantischer, abenteuerlicher Vorgänge, wie sie in unseren Volksballaden zum Ausdruck kommen. Solcher Balladenstoffe sieht man mehrere in den Kinderspielen dargestellt. Vor einigen Jahren war es besonders das Lied: „Mariechen saß ans einem Stein," das ans allen Höfen von den Kleinen mimisch dargestellt wurde; Dies jetzt in neuerer Zeit tritt cs vor einem anderen zurück. ist die

Romanze von den drei Kaisertöchtern, die keinen geringeren

als E. M. Arndt zum Dichter hat, und worin die politische Symbolik unschwer zu erkenne» ist. Das Lied, in Wort und Ton ganz im Charakter des alten Volksgesangs gehalten, heißt:

„Es wohnt ein Kaiser an dem Rhein, Der hat drei schöne Töchterlein, Töchterlein — der hat drei schöne Töchterlein.

Die erste wollt' die reichste sein, Die zweite ging ins Kloster ein, Kloster ein, die zwecke zog ins Kloster ein. Die dritte ging ins ferne Land, Da war sie fremd und unbekannt. Bei einer Wirtin klopft sie an, Da ward die Thür ihr anfgethan.

„Wer steht da draußen vor der Thür?„ „Eine arme Dienstmagd steht dafür."

Doch bald hieß es:

„Kaum gedacht, kaum gedacht. Ward der Lust ein End' gemacht!"

Der Hauswirt war von seinem Spaziergang heimgekehrt, und trieb die Kinderschar auseinander. Die Mädchen kauerten nun wieder ans den Treppen, während die Knaben ans die Straße hinausliefen, um dort umherzutollen. Für mich, auf dessen Wunsch vormals der Wirt das Spielen der Kinder auf dem Hofe, das Musizieren und Ausrufen verboten hatte, trat jetzt die erwünschte Ruhe keineswegs ein, ein Leierkasten auf dem Nebenhofe löste den Gesang der Kinder ab und dudelte eine halbe Stunde lang seine Gassenhauer, und dann begannen die Fräulein Töchter des Wirts die Tasten des Klavicymbels zu mißhandeln.

Mir ging das Los meiner kleinen Hausgenossen zu Herzen. Am andern Tage hatte ich eine Unterredung mit dem Wirt, die dahin führte, daß der einsichtsvolle Mann freies Spiel seiner kleinen Hofleute proklaniierte, ja noch ein übriges that. Er ließ mehrere Fuhren weißen Sandes auf den Hof fahren. Dieser Sandhaufen ist zu einem wahren Eden für die Kinder geworden. Eine Lust ist's, die Kleinen wie die Ameisen auf diesem wirklichen Stückchen weicher

Mutter Erde krabbeln und kneten, bauen und

backen zu

nur zur bildenden Anregung der jugendlichen Phantasie, sondern auch zur Stärkung und Heilung der verkümmerten, ge¬ 'an den Folgen der Rachitis, krümmten Gliedmaßen derjenigen, die dieser echten Großstadt-Kinderkrankheit zu leiden haben. sehen, nicht

Viel hat Berlin in letzterer Zeit gethan,

seinen Kleinen

ge¬

eignete Spielplätze zu schaffen, doch noch lange nicht genug! Der Magistrat hat den Schulleitern anheimgestellt, die Höfe der Schulen

Namentlich müßten unter Mit¬ hier könnte noch mehr geschehen. Diese Plätze Bildungsstätten für ein wirkung verständnisvoller Lehrkräfte zu werden. anregendes Spiel der Kinder Gemüt gesittetes, Geist und Die segensreichen Folgen würden sich bei dem heranwachsenden zu Spielplätzen an einigen Nachmittagen freizugeben.

Geschlecht bald zeigen.

Hermann Jahnke.

Drei Burgen der Mark Brandenburg rei Schlösser auf einem Berge, heißt es im Elsaß, dem Lande der alten Ritterburgen. Solchem Reichtum gegen¬ über ist die Mark Brandenburg bettelarm. Und doch giebt es bei uns eine Gegend, wo, nicht viele Kilometer von einander entfernt, drei altersgraue Burgen liegen. Es ist das Amt Belzig, der südliche Teil des Kreises Zauch-Belzig, der wiederum der süd¬ westliche Zipfel der Mark ist. Das Ländchen gehört erst seit 1815 zur Provinz Brandenburg. Vorher war es ein Teil des Kur¬ fürstentums Sachsen. Es wird im Süden vom hohen Fläming ausgefüllt, der seinen Namen nach den Flamländern führt, die ihn zur Zeit Albrechts des Bären besiedelten. Auf seiner höchsten Er¬ hebung, dem Hagelberge, fand am 27. August 1813 das blutige

Treffen zwischen der kurmärkischen Landwehr und dem Korps des französischen Generals Girard statt, das mit. der völligen Ver¬ nichtung des letzteren endigte. Noch heute zeigt der Landmann die Stellen im Dorfe Hagelberg und auf den umliegenden Feldern, wo einst die Frauzosenleichen in halber Mannshöhe aufgehäuft lagen. Eine Borussia, aus Sandstein gemeißelt, erhebt sich nicht weit vom Dorf auf dem DeukmalSberg und giebt Zeugnis von dem siegreichen Ringen der Landwehrleute, die hier den eisernen Ring um Napoleon schmieden halfen. Die Landschaft ist wasserarm. Es fehlen ihr die Seen, die

Das einzige Schmuck des nördlichen Landrückens bilden. größere Gewässer ist die Plane, die bei Brandenburg in die Havel mündet. Da das Ländchen aber, abgesehen von der großen Wiesen¬ ebene im Nordosten von Belzig, hügelig und reich au Wäldern ist, so besitzt es doch so viele landschaftliche Reize, daß man es wohl Klein-Thüringen nennt. Es lohnt sich, an schönen Frühlings- oder den

Aus dem Wallgraben steigen mächtige an die alte Pracht. Mauern empor und umgeben den ganzen Schloßberg. Siebe» Mauertürine springen in den Graben vor, die zum Teil allerdings Die Mauer ist auf der Nordseite so breit, in Trümmern liegen. daß ein Gang von einem Turm zum andern führt, worin ein Auch sind darin zwei Wachtstuben, Mensch bequem gehen kann. worin man noch die Feuerstelle sieht. An den einen Flügel des Schlosses lehnt sich ei» zweistöckiges Gebäude. Wahrscheinlich ent¬ hielt es früher Wohnzimmer. Später diente eS als Salzmagazin: jetzt ist es unbenutzt.

Der Burg gegenüber liegt der Bricciusberg. Einst war er ein kahler Sandhügel. Jetzt ist er zum Park umgewandelt und das Schatzkästchen der Stadt Belzig. Schatiige Baiimgänge führen zur Vergebene. Darauf steht die St. Bricciuskirche. Sie wurde wahrscheinlich zu Ehren des flamlüudischen Heiligen St. Briccius erbaut, und von ihr erhielt auch der Hügel seinen Namen. Das Kirchlein liegt inmitten eines stillen Friedhofes, den Fliedersträucher und Roseubänme schmücken. Zwischen dem Friedhofe und der Burg steht eine uralte Linde, deren Zweige einen Teil der Vergebene beschatten. Auf der Bank darunter rastet es sich gut an schönen Sommerabeudeu, wenn die Nebel aus den Wiesen aufsteigen und an den Berg herandrängen und der Mond sein mildes Licht darüber ergießt. Dann wacht wohl vor der Seele des Träumenden

Soinmertagen die waldigen Höhen und Thäler zu durchstreifen. Man fährt dorthin auf der Berlin-Wetzlarer Bahn, die bei Belzig

die alte Ritterherrlichkcit wieder auf. Sporenklirreud schreiten die Geharnischten durch das Thor und besteigen die wiehernden Rosse. Kommandorufe erschallen, und die reisige Schar zieht den Berg hinab zum Kampfe gegen die Feinde des Kreuzes. Da ertönt ein greller Pfiff. Der Schnellzug der Wetzlarer Bahn naht. Verweht sind die Träume von alter Zeit — die Gegenwart umfängt uns wieder, und sie ist doch schöner als die alte Zeit mit ihrer ganzen

eine Haltestelle hat.

romantischen Pracht.

I. Das Schloß Eisenhardt bei Belzig. Im Süden der Stadt Belzig liegt auf einem Hügel das Schloß Eisenhardt mit seinen zwei vorspringenden, turinartigen Ein breiter Graben trennt es von dem gegenüber Flügeln. Eine steinerne liegenden Teile der Anhöhe, dem Bricciusberg. Brücke wölbt sich darüber und führt zum Eingänge des Schlosses. Wir treten durch das Thor in eine mächtige Halle, deren Sternen¬ Eine Treppe gewölbe von einem einzigen Pfeiler getragen wird. Amtsgericht Königliche führt zu den oberen Räumen, wo das sich im Gebäude noch das Auf der hinteren Wärters. Gefängnis und die Wohnung des einem mit Rasen auf erhebt sich Dort Schloßhof. Seite ist der bewachsenen Hügel ein uralter Wartturm, von dem man eine Er ist viel älter als schöne Aussicht weit ins Land hinein hat.

seinen Sitz hat.

Außerdem besiudet

Burg selbst. Auf seiner Nordseite findet man im Schloßgarten Das altes Mauerwerk, das von dichtem Ephen unirankt ist. sind die Trümmer der alten Burg, wozu der Wartturm gehörte. Sie war einst der Sitz eines Burg- und Gaugrafe», der die Burggrafschaft Belici beherrschte.*) Ein Graf Bedcrich schenkte im 13. Jahrhundert dem deulsche» Ritterorden im Dorfe Dahns¬ die

dorf eine Kommende, und die tapferen Ritter halfen ihm die Wenden bezwingen. Roch heute erinnert die Komturmühle zwischen Belzig und DahnSdorf an ihre segensreiche Thätigkeit. Nach dem Tode Bederichs fiel die Grafschaft als erledigtes Lehen an Die Burg erhielt nun den Namen: Das Kur¬ Sachsen zurück. fürstlich-Sächsische Greutzhaus von Beltitz. Sie diente ginn Schutze der Landesgreuze und war eine Gerichts- und Zollstätte für die Unterthanen. In einer Fehde mit dem Erzbischof von Magdeburg wurde sie zerstört und blieb fast sechzig Jahre wüst liegen. Kur¬ fürst Ernst erbaute dann im Jahre 1465 ein neues Schloß, das an Umfang das alte weit übertraf und den Raine» Eisenhardt erhielt. Es ist davon noch ein altes Bild vorhanden. Darauf hat es noch einen hohen, spitzen Turm' zahlreiche Erker und Türmchen Im dreißigjährigen Kriege verlor das zieren das Wohnhaus. Aber noch heute erinnert es Schloß all diesen Schmuck. *) Wanderung durch die Geschichte der Stadt Belzig, des Schlosses Eisenhardt und der Umgegend. Bon Felix Theodor Mühlmann.

II. DaS Schloß Wieseuburg. Zehn Kilometer von Belzig und nicht weit von der anhaltischeu Grenze liegt in der Nähe einer Haltestelle der Wetzlarer Bahn das Dorf Wieseuburg. Es ist stadtartig gebaut und wurde auch früher alten Zeiten hatte es sogar einen als Städtlein betrachtet. Erbbürgermeister. Seine größte Sehenswürdigkeit ist das schöne Schloß, das der gräflichen Familie von Fürsreustei» gehört. Es liegt auf einem Hügel und besteht ans vier Flügel», die den vier¬ Dieser ist an drei Seiten von alten, eckigen Schloßhof umschließen. hohen Kastanien umgeben. In der Mitte steht ein altertümlicher Brunnen. Nicht oft möchte man einen so schönen Schloßhof finden. Man gelangt dorthin durch ein Thorhaus, das ans dem 16. Jahr¬ hundert stammt, Eine Wendeltreppe führt darin zur Theestube, worin jetzt die gräfliche Büchersammlung ist. Zur rechten Hand vom Thorhaufe aus erhebt sich auch ein fünfzig Meter hoher

In

Er ist der älteste Teil des Schlosses. Wie der Wartturm Eisenhardt, ist er wahrscheinlich zur Zeit Albrechts Schlosses des des Bären als Trutzfeste gegen die Wenden angelegt worden. Der Schloßhof ist mit dem Wirtschaftshof durch eine steinerne Brücke Turm.

über den Burggraben wölbt. Ein altertümliches Thor schließt den Wirtschaftshof nach der Burg zu ab. Daran ist das Wappen der Familie von Brandt und von Pflugk angebracht. Es trägt die Inschrift: Auxilium meum in domino, qui fecit caelum et terrain. Auf der Spitze des Thores steht ein Ritter,

verbunden, die

der

sich

sich

auf seinen Schild stützt.

Davon hat

den Namen Männchenthor. An der Südseite des Schlosses ist

es

im Volksmund

in neuerer Zeit eine prächtige

Terrasse erbaut worden, vor der sich der schöne Schloßgarten mit seinen Teichen, Teppichbeeten, Rasenflächen und alten Buchen und Eichen ausdehnt. Er geht allmählich in einen Wildpark über. Zu den Sehenswürdigkeiten des Schlosses gehört die große Sammlung von Waffen altertümlicher und moderner Art und die

In

der letzteren ist in einer Nische die Heilige Nacht, Schloßkapclle. in Holzschnitzerei ausgeführt, zu sehen. Sie ist daS Werk eines Künstlers aus Oberammergan, der auf Veranlassung der Frau Gräfin von Fürstenstein im Dorf eine Holzschnitzschnle errichtet hatte. Manche haben von ihm die schöne Kunst erlernt.

749

Schloß knüpft sich manche alte Sage. To soll darin, wie ein Schriftstück im Archiv berichtet, ein kostbarer Schatz ver¬ graben sein. Auch soll unter dem Schlosse ein Gang beginnen, der nach dem Rabenstein führt.

Nu

bos?

Die Kirche in Wiesenburg, in Kreuzform aus Feldsteinen erbaut, ist eine der grössten Dorfkirchen im weiten Umkreise. Zwei von ihren vier Glocken haben eine merkwürdige Inschrift. Auf der einen steht der Vers: Va 8 , deus, hoc signa; plebs sancta sit, aura benigna! (Zeichne ans, o Gott, dieses Gerät,' die Ge¬ meinde sei heilig, das Wetter gnädig!) Auf der anderen liest man:*) „Ich war die dritte Glocke in Wiesen bürg: durch mich wurde zur Schule geläutet. Darum hieß ich die Schnlglocke. Ich war schwer von Gewicht, wog 4'/a Ctr., gab schlechten Gcklang und hatte

Proportion wie ein Altenburgischer Bauerhuth. Dahero der Kön. Pohl, und Chursächs. Generalmajor und Amtshauptmann, Adam Friedrich Brand von Lindau als Collator der Wieseneine

burgischen Kirchen und Parochien entschlos, mich durch den Glocken¬ gießer von Leipzig, Johann Georg Beuteln, in eine andere Forme

;n bringen, wie

ich jetzo zu

sehen

bin.

Des Collatork Gemahlin,

Dann ist es im Busch lebendig. Leuten reichlichen Verdienst. Frauen und Kinder sind dort zu Hunderten beschäftigt, die schwarzen Beeren zn pflücken. Bon Brandenburg, aus dem Anhaltischen, ja Magdeburg komnieii die Händler, um den Sammlern ihre Ausbeute abzukaufen. Um jene Zeit hat mau zehn bis zwölf Kilometer im Umkreis der Heide in Stadt und Dorf den singenden Ruf: Heidelbeeren, Heidelbeeren! und die Hausfrauen eilen zu den mit Hunden oder einem Pferde bespannten Wagen der Händler, um sich mit den wohlschmeckenden Früchten zu ver¬ sorgen. Der Busch ist reich an Wild; Rehe und Damhirsche giebt es in Menge, auch Schwarzwild ist zahlreich Vorhände». Zuweilen vermehrt sich dieses bei ungenügendem Abschuß so sehr, daß es zur selbst von

Landplage der umliegenden Ackerbesitzer wird. Eine Wanderung durch die Brandtsheide gewährt reichen Genuß. Der Duft der Kiefernwälder, die zum Teil mächtige Stämme aus¬ weisen, die frische Kühle der Eichen- und Buchenbestände, das ge¬ heimnisvolle Rauschen der Wipfel versetzt den Wanderer in die rechte Waldstiinmung. Stundenlang kan» er gehen, ohne einen Menschen zu treffen. Hier und da eine einsame Köhlcrhüttc, ein

Srhlntz wieseriburg (Südseite). (Ruch einer Aufnahme von H.

Zernsdorf

Brand von Linda» gcgab den übrige» Fiedersdorf borne von Oppen ans dem Hause Metall, das ich also sieben Ctr. wiege. Durchs Feuer und in diese Forme ging ich den . September 1748." Wiesenburg ist der Mittelpunkt der Brandtsheide, eines un¬ gefähr 120 Kilometer großen Gebietes, das seinen Namen nach den Brandts von Lindau führt, denen es früher ganz gehörte. Jetzt ist cs unter vier Besitzern geteilt. Der größte Teil ist mit Wald bedeckt. Der Boden ist wellig und hat einige malerische Schluchten. Leider sind außer kleinen Teichen keine Wasserflächen vorhanden. Auf den lichten Stellen der Heide liegen die Dörfer mit ihren Feld¬ marken. Der größte Teil des Bodens gehört zu den herrschaftlichen Gütern. Die meisten Bewohner haben keinen oder nur geringen Ackerbesitz. Sie sind genötigt, sich de» Lebensunterhalt durch Lohn¬ arbeit, Handwerk und Handel zu verschaffen. Für viele von ihnen ist der Wald, oder, wie sic ihn nennen, der Busch, die vorzüglichste Quelle des Erwerbs. Da? Fällen der Bäume, die Verarbeitung des Holzes, die Anfertigung von Reiserbesen, das Sammeln der Pilze, Erd- und Heidelbeere» ernährt sie. Besonders die Heidelbeerenernte, die in den Monat Juli fällt, gewährt vielen kleinen die Wvhlgeborene Frau Henriette Helene

*) Ernst Wilhelm Fähndrich,

die Herrschaft Wiesenbnrg.

in Lelz'g und Lehnin.)

rauchender Meiler, eine Wildkanzel, zwischen den Zweigen einer hohen Buche oder Eiche errichtet, das ist alles, was ihn an die Thätigkeit des Menschen im Walde erinnert.

Etwa fünf Kilometer von Wiesenbnrg, zwischen den Dörfern Spring, steht auf dem Franenberg ein dreißig Meter hoher Aussichtsturm. Von dort schweift der Blick über das Blätter¬ meer der Wipfel und die Dächer der Waldesdörfer weit in die Ferne. Zerbst, Dessau und andere Städte liegen vor uns. Selbst der Brockei: ist bei klarem Wetter mit bloße:» Auge zu sehen. Auf dem mit Messing bekleideten Geländer sind die Namen der Orte verzeichnet, die man erblickt. Ein Fernrohr erleichtert die Umschau. Setzstcig und

Der Reisende braucht bei einer Fahrt durch die Brandtshcide nicht zu fürchten, daß er den Durst, der. sich beim deutschen Wan¬ derer ja immer zur rechten Zeit einstellt, nicht löschen kann. Ucbcrall wird in den Gasthöfen der Walddörfer ein gutes Bier aus der Gräflich-Fürsteubergschen Brauerei zu Wiesenburg verschenkt. Manche dieser Wirlsstnbcn sind städtisch eingerichtet; andere sind wie gewöhnliche Bauernwirtshäuser beschaffen. Die Luft darin ist drückend, denn wie an anderen Orte», hält auch hier der Landbewohner frische Luft für ein notwendiges Uebel, das man bei der Arbeit im Freien wohl ertragen muß, aber nicht in die Stube

750 lassen

bars.

Bilder in grellen Farben

schmücken

Darunter mahnt die Darstellung einer Pumpe mit Schwengel und der Unterschrift: „Hier wird

die Wände.

angeschlossenem

nicht-"

den

Gast etwas kräftig daran, daß er noch andere Pflichten als trinken habe. Zarter wird ihm dieser Wink durch das Bild eines Rosen¬ straußes gegeben, aus dem spitze Dornen hervorragen. Der sinnige Vers darunter lautet: „Die der Dorn der sticht; wer gleich bezahlt, ver¬

Rose blüht,

gißt

es nicht." Trotz der Enge und der muffigen Luft schwingt sich an Sonntagen hier die junge Welt des Ortes im Tanze

bei einer Musik, von der die Baßtöne, die den Takt ans

Plauethal vorspringt. Es ist ein achteckiger Bau, der von zwölf Meter hohen, starken Mauern eingeschlossen ist. Wcinund Epheuranken schlingen sich anmutig darum. Durch ein ge¬ wölbtes Thor gelangt man in den Burghof, dessen Gebäude ein mächtiger Wartturm hoch überragt. Rechts vom Eingang steht ein freundliches Wohnhaus. Ein Bau aus alter Zeit mit Rundbogenfenstern liegt dem Thor gegenüber. Er wird jetzt zu Wirthschaftsränmen benutzt. Die Burgkapelle hat ein schönes Glasgemälde, das Maria mit dem Jesuskinde darstellt. Von der Plattform des Turmes hat man eine herrliche Aussicht. Das üppige Wiesenthal der Plane, die in

Schlösser im Amte Belzig ist

der Nähe entspringt, die bcbewaldeten Hügel, zwischen denen die roten Ziegeldächer der Dörfer hervorschimmern,

der Rabenstein. GrafBederich,

der schöne Park am Abhange

geben, das beste sind.

*

III. Der Rabenstein. Das dritte

wir in

dessen

der

alten

des Schlosses Eisenhardt ge¬

Burg Sie liegt ziemlich in der Mitte zwischen dachten, soll auch diese

erbaut

haben.

Schloßbergcs gewähren ein Bild, das auch den erfreut, der von der schönen Gottesnatur schon mehr gesehen hat. des

der Geschichte

Vurg Rabenjtein. (Rach einer Aufnahme von H.

Zernsdorf

Belzig und Wittenberg bei dem Dorfe Raben. Ein langweiliger, elf Kilometer langer Weg führt von Belzig dort hin; aber wenn man das Ziel erreicht hat, wird man für die Mühe der Wanderung belohnt. Eine prächtige, wohlerhaltene Ruine erhebt sich vor uns auf einer über sechzig Meter hohen Anhöhe, die schroff in das

in Belz'g und Lehnn».)

Bis in das 15. Jahrhundert Familie von Oppen den Rabensteiu. Es gehörte dazu die Gerichtsbarkeit über 15 Dörfer. Im Jahre 1806 kam er mit dem Amt Belzig an Preußen. Sein Besitzer ist jetzt der Herzog von Anhalt. Es ivird von einem herzoglichen Förster bewohnt, dem die Pflege Paul Ouade. der umliegenden Waldungen anvertraut ist. besaß die

Schicksale eines südpreußischen Offizianten während des polnischen Insurrektionskrieges 1794. (Aus alten Familienpapieren.) itf Befehl meines Königs (Friedrich Wilhelm II), welcher int Sommer des

Jahres 1794 durch Kabinctsordre

mich zu dem

Feld-Kriegskommissariat zu berufen die Gnade hatte, sollte ich Zeuge jener schrecklichen Revolution werden, welcher die Gemüter von ganz Europa in Spannung und Aufregung erhielt. Ich wurde von Berlin zunächst nach Posen, von dort mit einem Transport von Magazinutensilien nach Plock geschickt, dann aber sechs Meilen weiter nach Wyszogrod an der Weichsel beordert, wo ich bei dem dortigen Feld-, Fonrage- und Mehlniagazin zum Rendanten und Kommissarius ernannt wurde und das ganze Magazin nebst der Kasse in Empfang nahm. Meine Arbeiten in Wyszogrod waren mannigfaltig und schwierig. Ich hatte so schnell, wie es nur irgend geschehen konnte, die Magazine zu füllen und dabei mit der Habsucht der jüdischen Lieferanten, wie auch mit dem bösen Wille» der Einwohner, unter welchen der Geist der Insurrektion herrschte, täglich zu kämpfen. Die Nächte mußte ich dazu verwenden, um meine Bücher zu ordnen und zwischen Einnahme und Ausgabe Uebereinstimmung zu erhalten. Alle Speicher standen leer, dessen ungeachtet war es mir nicht möglich, Behältnisse zu Roggen, Hafer und Mehl von den Ein¬ sassen zu erhalten, wenn ich sie nicht, durch militärischen Bei¬ stand unterstützt, mit Gewalt wegnahm. Zum Rauhfutter jedoch wußte ich kein Obdach zu finden, so daß ich mich genötigt sah, das Heu und Stroh in Schober setzen zu lassen. Da ich befürchten mußte, daß die Uebelgesiunten, um uns Schaden zuzufügen, Feuer bei denselben anlegen möchten, so traf ich die Einrichtung, daß die aufgesetzten Schober jedes Mal, wenn auch nicht ganz, doch mit dem einen Ende entweder an das Haus eines Edelmannes oder an die Wohnung oder das Borwerk eines Geistlichen zu stehen kamen, damit diese meinen Vorräten gleichsam zum Schutze diene» mußten und sic nicht angezündet werden konnten, ohne daß zugleich das Eigentum des Adels und der Geistlichkeit ein Raub der Flammen würde. Daß meine Vorsicht nicht unbegründet war, be¬ wiesen mir die wiederholten Vorstellungen, welche mir deswegen von Geistlichen und Adeligen gemacht wurden, aber gerade diese bestärkten mich noch in meinen Maßregeln, und die Stellung der Schober mußte bleiben.

Die Garnison war leider zu schwach, um für alle Wachen Mannschaften abzugeben. Ich selbst war deshalb gewissermaßen gezwungen, alle Nächte Patrouillengänge bei meinen Magazinen zu machen. So blieb denn alles unversehrt. Als aber die Polen in Westpreußen eindrangen und auf ihrem Marsche das Magazin zu Kainion und das zu Pieciska in Brand gesteckt hatten, verhehlten die Einwohner ihre Gesinnungen nicht mehr und bedrohten mich mehr als einmal mit dem Tode, wenn ihre Landsleute nach Wyszogrod kämen. Der Feind nahte sich auch wirklich der Stadt bis auf einen Flintenschuß. Dicht am jenseitigen linken Ufer der Weichsel standen seine Schildwachen, welche nach der Stadt schossen und mit ihren Kugeln bis an das Kloster reichten, in welchem ich einquartiert lag. Von preußischer Seite machte man die ernstlichsten Anstalten zur Verteidigung, obgleich man nicht hoffen durfte, dem zahlreichen DombrowSkischen Korps, welches mit ausreichender Artillerie versehen war, auf längere Zeit zu widerstehen. Bald kam auch die Nachricht, daß der Feind eine halbe Meile von der Stadt über die Weichsel ge¬ setzt wäre und 800 Mann Kavallerie schon den Fluß durchschwommen hätten. Es ward plötzlich Alarm geschlagen, das Militär verließ sogleich sämtliche Wachen und besetzte die Redoute. Da ich mein Korn, Hafer, Heu und Stroh leider nicht mehr retten konnte, mußte ich es notgedrungen im Stiche lassen und ergriff vor allen Dingen den Geldbeutel und meine Papiere. Beides legte ich als ein mir anvertrantes Gut in der Kirche auf dem Altar nieder und verbarg es sorgfältig unter dem Rocke der Mutter Gottes. Nur bei diesem Versteck durfte ich mich der Hosfnuug hingeben, daß es den raub¬ gierigen Händen der Feinde entgehen würde. Hierauf eilte ich nach der Redoute, wo ich unser ganzes Militär zur Verteidigung bereit fand. Dem Feinde wäre es dainals bei seiner Uebermacht gewiß ein Leichtes gewesen, sich der Stadt zu bemächtigen, aber sei es, daß dies wider seinen Plan war, oder daß ihn der Donner eines preußischen Kanonenschusses abschreckte, genug, er zog sich zurück. Mit dem Einbruch der Nacht verließ die Besatzung die Redoute, blieb aber bis zum Morgen unter den Waffen und lagerte auf dem Markte Mein erster Gang war nach der Klosterkirche, um

Zu meiner Freude fanden unversehrt in ihrem geheiligten Schlupfwinkel vor. Der Schaffner des Klosters, welcher zugegen war, als ich mein Unterpfand wieder in Empfang nahm, versicherte mich, ich hätte es ein ganzes Jahr an dieser Stätte liegen lassen können, ohne daß die Polen auf den Gedanken gekommen wären, es dort zu suchen. , In ähnlichen Fällen, meinte er, könnte ich mein Geld der Mutter Gottes ruhig wieder anvertrauen. „Rein," erwiderte ich, „gefälligen Leuten muß man nicht immer beschwerlich fallen, künftig werde ich es mit nach der Redonte nehmen." Ich besuchte nun¬ mehr meine Schober, doch welch ein Anblick bot sich mir dar. Wie Steinhäuser hatte ich sie sorgsam aufsetzen lassen, aber in einer einzigen Nacht war alles von den Einwohnern niedergerissen worden, und der gleich darauf erfolgte starke Rege» hatte mir alles durch¬ näßt und verdorben. Nachdem ich soviel wie möglich dem Uebel wieder abgeholfen hatte, trieb mich die Neugier, die Stellung, welche der Feind inne gehabt, einer näheren Untersuchung zu unterziehen. Bei dieser Gelegenheit entdeckte ich, daß er in den Wäldern um und bei Kamion Mehl- und Salzfässer in der Erde vergraben, auch hier und da einige Löcher mit Roggen angefüllt und ver¬ scharrt hatte. Durch die Soldaten ließ ich überall nachgraben, und meine Bemühungen be¬ lohnten mich mit 49 Fässern Mehl, 182 Fässern Salz und einigen Mispeln Roggen, welche ich als willkommene Beute mit mir nahm. Im Monat Oktober be¬ fand ich mich gerade in meine Gelder und Papiere aufzusuchen.

sie

sich

Sochaezew, wohin ich mich einiger dringender Geschäfte wegen begeben hatte, als ich in der Nacht vom 19. znm 20. plötzlich durch einige Flinten¬ schüsse geweckt wurde, und hier¬ auf eine stärkere Kanonade hörte. Es war ein polnisches Korps, welches unterdemKomniando des Fürsten Joseph Pouiatowski von Blonie her¬ übergekommen war, um das in Sochaezew stehende preußi¬ sche Grenadierbataillon von Hollwede zu überfallen. So¬ gleich wollte ich mich in die hier befindliche auch sich zurück¬ Redonte schützende ziehen: jedoch war jeder Ver¬

willig folgte, wurde ich von diesen Unmenschen Außer unzählige» Stößen und auf das roheste mißhandelt. Schlägen, bekam ich einen sehr empfindliche» Lanzenstich in den Unterleib, und ein Säbelhieb, der mir unbedingt den Kopf gespaltet hätte, ward nur durch den kräftigen Arm eines menschlich gesinnten Dieser edle polnischen Obersten mit seinem Säbel aufgefangen. Man transportierte mich Beschützer verschaffte mir Pardon. weiter. Als wir aus das Feld gelangt waren, wurde ich aus¬ geplündert und gänzlich entkleidet. Rur meine Stiefeln durfte ich behalte», und diesem günstigen Umstande verdankte ich in der Folge meine Rettung und das Leben vieler meiner unglücklichen Mitgefangenen. Kurz vor meiner Gefangennahme hatte ich gerade in dem Augenblicke, als ich von mir draußen reden hörte, Sogleich ließ ich 37 Dukaten vor mir auf dem Tisch liegen. Ich diese in aller Schnelligkeit in meine Stiefel verschwinden. wollte meine Geldbörse ebendaselbst verbergen, aber mit meinen vor Aufregnnng zitternden Händen konnte ich sie nicht rasch genug ans der Tasche ziehen. So ward sie nun nebst allen meinen Selbst die Kleidern ein Raub des plünderungssüchtigen Feindes. Beinkleider und das Hemd zog man mir ab, aber die Stiefeln wurden mir belassen, weil sie zu klein und eng waren, als daß meine Feinde davon hätten Ge¬ brauch machen könne». Hätten die letzteren geahnt, daß 37 Dukaten darin versteckt wären, wahrlich, sie würden mir eher die Stiefeln samt den Beine» infolgedessen

doch

abgeschnitten haben.

Statt meiner guten wärmen¬

den Kleidung warf man mir einen alten Soldaten¬ rock um, der von Ungeziefer wimmelte, schenkte mir ei» Paar alte Beinkleider ans Sackleinewand, die

bis an die Knöchel mit Kot gefärbt waren, und eine alte gepolsterte polnische Mütze mit einem darauf sitzenden Futteral zum Federbusch. So herrlich geschmückt, wurde ich mit kummervollem

Herze» und leerem Mage» fortgeschleppt. Ich hatte noch eine» Unglücksgefährten, den Bürgermeister von Sochaezew. Mit diesem zusammen wurde ich nun gezwungen, so stark die Pferde laufen wollten, durch Sumpf und Morast zu traben, bis mir drittehalb Meilen zurückgelegt halten. Die einzige Ansmnnteruiig, welche ich während dieser Zeit erhielt, waren vier Kantschuhiebe, während mein armer Mitgefangener mit vielen Kaiitschuhieben, verschiedene» Streichen mit einem Zaunpsahl, nebst Ohrfeigen und Stößen

zum

Laufen

angetrieben

Wir

stießen endlich nach den gemachten drittehalb

wurde.

Meilen auf einen Trupp von such dazu vergebens, da ich ungefähr 350 Pole», welche gerade auf dem Markte, dem zwei kleine Kanonen und Rathanse gegenüber, imOnarMunitionskarren und etwa tier lag, und die Polen von zwanzig Transportwagen mit Stadt der unteren Seite der sich führten. Rach unserer An¬ her mit kleinen Gewehren kunft bei diesen ward ein so¬ Preuße» schossen, die herauf genanntes Kriegsgericht ab¬ aber mit uuanshörlichem Peletonseuer antworteten. gehalten und zwar vornehm¬ Die Kugeln kreuzten sich vor meiner Thür, lich über mich. Die polnischen Haubitzen- und Kanonenkugeln schlugen aller Orten Offiziere stellten sich in einen in die Dächer und Häuser ein, es war mir daher Kreis, in welchen ich ein¬ nicht möglich, mein Hans zu verlassen. Endlich treten mußte. Hier erfolgte ward ich gewahr, daß die Polen am offen¬ nun folgendes Verhör. Ein stehenden hinteren Thorwege mit Kavallerie herein Offizier fragte mich, „Wer drangen, mit Lanzen und Säbeln um sich her bist Du?" — „Ein preußischer stachen und hieben und die im Hause liegenden Kommissarins", lautete meine Feldmanrer und Arbeitslente verwundeten und fort¬ Antwort. „Was machst Du schleppte». Da man mich noch nicht bemerkt hatte, hier?" — „Man hat mich trat ich in meine Stube zurück und verbarg mich hierhergebracht", gefangen hinter dem Ose». Kurz darauf hörte ich die entgegnete ich ruhig. — „Wer Stimme eines Juden: „Wo ist der preußische hat Dich gefangen?" forschte Oberkommissarins?" Mein Wirt, auch ei» Jude, „Die der Offizier weiter. der mich wegen einiger bei ihm verzehrten polnischen Polen". — „Wo hat man Gulden gern länger bei sich behalten und beschützt Dich gefangen?" inquirierte hätte, gab zur Antwort: „Der Kommissarins ist jener, in immer größere Wut schon nach der Redonte geflüchtet." „Rein, nein!" Sochaezew", geratend. — erwiderte mein edler Angeber, „er ist nicht nach wicsriiburg: Das Wännchrnttzor. ivar meine ruhige und be¬ der Redonte, er ist in der Stube, man wird ihn

gar nicht, pünktlich am ersten hier anzutreten, wie cs scheint!" „Geiviß nicht. Ra, er befindet sich ja in der besten Gesellschaft, wie Sie sehen; was meinen Tie wohl, wieviel Exzellenzen wir hier herausfinden würden und neben diesen alle Ehargen der Armee?" „Das ist ja eben das wunderschöne in der Einrichtung des Prenßischen OffizierkorpS; das Wort „Kamerad" gleicht doch alle Chargen ans!"

vor der Barriere drüben gilt absolut kein Rang¬ unterschied, vor allem, weil keiner dem anderen mehr was zu sagen hat," lächelte Exzellenz etwas sardonisch. „Die Einrichtung im ganzen und im einzelnen, auch die der Räume, ist allerdings in hohem Grade praktisch; da hat doch der Königliche Baumeister wirklich den Bedürfnissen nach jeder Richtung hin entsprochen." „Wie ich höre, hat dies aber a priori nicht einmal die Be¬ hörde von oben herab so eingerichtet; der Vorschlag bis in die Details hinab ging vielmehr von einem damals noch jungen, aber enorm praktisch veranlagten Bea mle» der Pensionskasse selbst aus, wie ich hörte, von einem bis vor kurzem hier amtierenden Rechnungsrat Tützscher. Ebenso seiner Anregung verdanken wir die so praktische Anordnung in der Expedition, wie er denn selbst ein außerordentlich liebenswürdiger, allezeit den Pensionierten mit Rat und That beistchendcr Herr war; er wird stets im freund¬ lichen Andenken aller bleiben! So, nun aber Schluß, wir nähern »ns der gnadespendendcn Quelle, holen Sie die Quittung nur heraus, wir sind dran, lind nun Adieu, auf Wiedersehen!" Mit einem Händedruck trennten sich die Herren.

„Hier

sicher,

*

In

' ...

*

für Witwenpensionen ging es ähnlich zu, und drängte sich auch hier, nur mit dem Unterschiede,

der Abteilung

man schob daß der Verkehr oft nervös-gereizt wurde. Reben einer bleichen, vergrämt aussehenden jungen Witwe, noch in tiefster Trauer, steht ein junges Mädchen; man sieht cs ihr an, daß sie wohl zum erstenmale an dieser Stätte weilt; erstaunt und verschüchtert fragt sic sich erst bei den verschiedensten Gefährtinnen zurecht; in der Hand hält sie eine der bekannten Mediziuflaschen mit dem langen Rezeptstreifen; ihr Auge irrt, die Umstehenden scheu musternd, — bis zu dem Tisch, an dem die Pensionen ausgezahlt werden. Eile. der in gerade so heute Und sie ist Wie lange das dauert! Gewiß harrt ihre schwerkranke Mutter daheim schon mit Sehnsucht Schwere Zeiten hatten diese Ärmsten des heilenden Trankes.

Als der Vater, ein pensionierter Hanptmau», ge¬ war, ivnrde das bißchen Wissen, die Handarbeitsfertigkeit

durchgemacht. storben

758 sie beide kümmerlich zu ernähren, Ihre die der Pflege so sehr bedurfte, das ver¬ mochte das gute Mädchen nicht, obwohl sie schon manches Mal daran gedachte, irgendwo etwa als Verkäuferin in ein Geschäft einzu¬

hervorgWcht worden, um

Mutter allein

zn lassen,

treten, Ach, ivie schön und traulich, wie sorgenlos, wenn auch einfach, hatte man früher zusammen gehaust, als der Vater noch lebte! lind nun keine helfenden Freunde auf der Welt, dazu diese geringe Pension — auch hier das „Salz aufs Brot" in Wahrheit, denn dieses Brot war nicht selten trocken. Was sollte

maliger Regimentskamerad Ihres Vaters; leider erfuhr voriger Woche", mitleidsvoll schüttelt er ihr die Rechte. „Leider ja; vor einem Jahre!"

„lind Ihre Mutter?" „Krank, recht krank, darum bitte, bitte —" und

sie

ich erst

in

will ihm

enteilen,

„Halt, halt; so leicht werden Sie mich denn doch nicht wieder los; ja, ich habe sogar gewisse Rechte, es zu verlangen, daß ich Sie begleite. Oder wissen Sie gar nicht, daß ich Ihr Pate bin?

werden, wenn ihre Mutter dereinst die Augen schloß und auch diese Zubuße iu Fortfall kam? Das arme Kind ward von Zittern be¬ fallen, Thränen traten ihr ins Auge. „Rur das nicht, Barmherziger, nur das nicht!" murmelte sie, schnell das Taschentuch zum Auge führend, da sie sich beobachtet

— Nun ja doch! Und jetzt komme ich mit zu Ihrer kranken Mutter! Kommen Sie, Sie sind eilig, nehmen wir hier die Droschke! Nur fix, fix und keine falsche Scham! Die ist hier deplaziert." Unterwegs teilt der Oberst der Aufhorchenden mit, daß ihr verstorbener Vater sein bester Freund gewesen sei; der Wechsel der

Mitleid Fremder!

Garnisonen habe sic getrennt, die Korrespondenz sei schließlich ein¬ und erst durch Zufall habe er zu seinem Schmerz den Tod des Freundes erfahren. Seit jener Zeit sei sein eifrigstes Bestrebe» gewesen, den Aufenthalt der Witwe und ihrer Tochter zu ermitteln; er sei reich, unabhängig, kinderloser Witwer, und von vornherein sei es sein sehnlichster Wunsch gewesen, sich der Hinter¬

sah.

Nur keinem Menschen klagen, nur

kein

Die mühsam errungene Pension in ihrem Portemonnaie bergend, eilt das Mädchen schnell der Ausgangsthür zu, sie hat ja Eile, große Eile, Deshalb bemerkt sie auch nicht den auf sie gerichteten über¬ raschten und forschenden Blick eines ältere» Herrn, der soeben, sich gleichfalls der Treppe nähernd, die Kasse verläßt. Seine Hand legt sich plötzlich leise auf ihren Arm; sie erschrickt, mißt den sie Berührenden mit einem furchtsamen und zugleich erstaunten Blick und will weitereilen, Ei» Ruf fesselt ihren Fuß: „Eora!" Wie elektrisiert dreht sie sich zurück, „Kennen Sie mich denn? Woher wissen Sie?" — Unwill¬ kürlich ist sie stehen geblieben. Der alte Herr, sic mit Wohlgefallen betrachtend, lächelt aufs neue; sein freundliches, Vertrauen er¬ weckendes Auge giebt ihr Mut, „So sind Sie es also wirklich, kleine Cora? Cora von Wernding?" „Das ist mein Raine, aber —" «Nur ruhig, Kindchen, wird sich alles finden; damit Sie aber wissen, wer Sie ansprach: ich bin der Oberst von Blasser, ehe¬

Das Eisenbahnunglück bei Offenbach.

^



Ltlr»,'»tz»»»alülli» bei DNrnvirU,

Meister in, Braunschw. Korps, 1817 als Kapitän de», 22 . Jnf.-Reg. aggregiert, 1819 entlassen), Gustav von Bornstcdt (Rittmeister, früher im Kürassier-Reg. von Reitzenstcin Nr. 1. 1814 Rittmeister in, Lützowschen Korps, 1815 Major in, 6 . Ulauen-Reg., starb 1820), von Bornstcdt (früher in, Jnf.-Reg. Tscha,inner Nr. 27, 1813 Leutnant im 8 . Bataillon des Colberger Jnf.-Reg., 1816 Oberförster in Grunan, starb 1836),

Alexander von Both, „er (früher Referendar i„ Berlin, dann in Cassel, Rittmeister der 1. Schwadron unter Schill, 1813—1814 in Wallnivdcns Korps), Carl Brve (Bolontäroffizicr, 1813 dem Br. Hus.-Reg. aggregiert, 1831 Rittmeister, 1836 als Major verabschiedet, 1837 Stallmeister im Potsdamer Marstall), Haus von Brnnnoiv (früher im Reg.' v. Rudorff Lcibhus. Nr. 2, Premierlcutiiant bei Schill, 1812 aggregierter Stabsrittmeister im 2. Hus.-Reg., starb 1814 i„ Berlin als pensionierter Major des 1. Hus.-Reg. der Russisch-Deutschen Legion), Cnuppius (Bol.-Ofßzier linier Schill, 1838 aggregierter Rittni. i», 6 . Ulau-Reg.), von Dalivigk (nahn, das Fort Dömitz ein, bis 1813 öfterr. Offizier, dann in der Russisch-Deutschen Legion), von Dassel (früher in, Jnf.-Reg. Tschamiuer Nr. 27, 1812 Premierleutnaut im Rormal-Jnf.-Bast, 1820 Rittmeister im 8 . Kür.-Reg., 1833 Major, den, 6 . Kür.-Reg. aggregiert), von Tiezelsky (früher im Reg. König von Bayern Nr. 1, Pretuierleutnant bei Schill, fiel bei Dodcndors), Gustav Enig (früher reitender Feldjäger, 1820 Ritt¬ meister i», ivestprensiischen, dann in, 1. Nlanen-Rcg., zuletzt Oberförster), von Eschwege (früher im westfälischen Zivildienst, Bolontärosfizier, bis

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Lovrmbrr.

Stralsund), von Heiligenstedt I. (früher Auditeur im Jnf.-Reg. Wartensleben Nr. 59, dann Premterlentuanl bei Lützow), von Heiligenstedt II. (früher im Jnf.-Reg. Herzog von Braunschweig, starb an seinen Wunden in Stralsund), von Hellwig (früher in, Hus.-Reg. Nr. 7, 1809 dem 2 . Hus.-Reg. aggregiert, fiel 1814 bei Lao»), von Hertel (früher im Jnf.-Reg. von Zeuge, dann in, Leib-Jnf.-Reg., starb 1811 in Lissabon bei», Braunschw. Korps), Wilhelm von Hcrzberg (früher im Hus.Reg. von Blücher Nr. 8 , 1809 dem Poinincrschc» Hus.-Reg. aggregiert, 1825 als Leut,,, im 3. Bat. des 9. Landiv.-Reg. zur Disposition gestellt), von Hcuduck (Bolontärosfizier im Jägerkorps, dann Pvrtcpeefähnrich im Westpr. Hus.-Reg., 1817 Rittmeister bei der Brigade in Breslau, 1887 Oberst des 6 . Kür.-Reg.), Wilhelm von der Horst (früher bei», Württemb. Hus.-Reg. Nr. 4, 1809 im 2. Po», in. Hus.-Reg., 1817 Major im 3. Ill.-Reg., 1837 Oberst des 3. Hus.-Reg.), Leopold Iahn (früher im Hus.-Bat. Bila, erschossen) von Kalben (frübcr im Jnf.-Reg. Kleist, dann beim Train, Abschied 1820, 1837 Kapitän im 2. Bat. des 8 . Landw.-Reg.), Earl von Kcsscnbrink (erschossen, 18 Jahre alt), Adolf von Keller (früher in, Jnf.-Reg. Prinz von Oranien Nr. 22, erschossen), von Kessel (früher in, Hus.-Reg. v. Gettkandt Nr. 1, dann den, 1. Hus.Reg. aggregiert, 1837 Rittmeister und Rendant des Train-Depots tu Posen), von der Kcttcuburg (früher im Jnf.-Reg. von Borcke Nr. 30, Stabsriitmeister, fiel bei Dodendorf), von Klöde» (früher im Jnf.-Reg. Kleist Nr. 5, Premierleutuant, 1821 Kapitän der 4. Brigade der Land-

und JelbgcnSbiirmcric, 1830 pensioniert in Magdeburg), u. ärottenanci (frnsier im Hus.-Reg. Blücher, 1813 bei der Haiiseatische» Legion, 1820 als Lber-Greiizko»lrolleiir pensioniert), von Krntisch (Volontäroffizier, 1817 Leutnant im Garde-Ill.-Neg., 1837 Rittmeister int Garde-Kür.-Reg.), von Kuhnheim (früher Rittmeister von der Armee, 1810 dem 1. Westpr. Drag.-Reg. aggregiert, 1816 als Rittmeister und Kreis-Brigadier der Geiisdarmerie pensioniert), von Ledebnr (Befehlshaber der' Pikenierer in Dömitz, sonst nnbekaiint), Carl von Lilienthal I. (früher beim KöniginDrag.-Reg. Nr. 5, 1809 deinsetbeii Regiment wieder aggregiert, l825 als Premierlentnant beim 6 . Hus.-Reg. pensioniert, starb 1835), Fr. von Lilienthal II. (früher bei Kö»igiii-Trag.-Neg. Nr. 5, 1809 diesem wieder aggregiert, dann Rittmeister im 2 . Kür.-Reg., 1887 als Major pensioniert), Lütke (früher Unteroffizier int Hus.-Reg. v. Nndorff Nr. 2, Volontäroffizier, bei Todenvorf verwundet und gefangen, starb in Magdeburg), Adolf von Lützow (früher im Kür.-Reg. von Reitzenstei» Nr. 7, 1808 als Major entlassen, das übrige bekannt), Leo v. Lützow (jüngerer Bruder Adolfs, früher im Fuß-Garde-Reg. Nr. 16, 1809 in Herr. Diensten, 1810 nach Spanien, entkam ans der französische» Ge¬ fangenschaft, Oberleutnant im russischen Generalstabe, 1837 GeneralMajor der 9. Division und 1. interimistischer Kommandant von Glogau), von Marsch, genannt von Wedelt (später im Reg. Jrming-Drag. Nr. 3, 1809 im Braniischw. Korps, 1816 als Rittmeister pensioniert, starb 1828 in Berlin), Friedrich Franz Graf von Moltke (früher im Reg. Gensdarmes-Kür. Nr. 10, 1809 dem Pomm. H»s.-Reg. aggregiert, ertrank 1813 als Stabsrittmeister im Reg. Garde du Korps und Adjutant des Generals von Blücher), von Mosch (früher im Jnf-Reg. Kurf. v. Hessen Nr. 18, Adjutant Schills, 1817 als Rittmeister und Kreisoffizier der Geiisdarmerie in Bischofsburg pensioniert, erhielt 1822 den Charakter als Major), Mund (»ach dem Gefecht bei Dodendorf vom Unteroffizier znm Volontäroffizier befördert, 1809 Portepeefähnrich im 1 . Pomm. Hus.-Reg., 183 7 als Major pensioniert), von Paniiwitz (früher im Jnf.Reg. von Zeuge Nr. 24, Kompagniechef unter Schill, 1817 bis 1831 Kapitän im 20. Jnf.-Reg., starb 1833 als aggregierter Major und interimistischer Kommandeur des 3. Bat. des 20. Landw.-Reg.), Peterson am 4. Juni), Wilhelm i früher schwedischer Artillerie-Leutnant, erschossen Poppe (früher Unteroffizier im Reg.-Kön.-Drag. Nr. 5, Volontäroffizier unter Schill, sonst unbekannt), Graf Friedrich v. Püekler (früher im Trag. Reg. von Prittwitz Nr. 2, Premierleut, unter Schill, 1809 im 1. Westpr. Trag.-Reg., 1817 Rittmeister im Garde-Hns.-Reg., 1833 Oberst desselben), von Ouistorp I. (früher bei Gensdarmes-Kür. Nr. 10, 1812 dem ostpr. Kür.-Reg. als Premierlentnant aggregiert, starb 1831 als inaktiver Major, aggregiert dem 12. Hus.-Reg.), von Ouistorp II. (früher beim Jnf.-Reg. von Zeuge Nr. 24, dann beim Leib-J»f.-Neg., Kommandeur der Schillschen Infanterie, 1809 bei den Braiinschiveigern, ging in österreichische Dienste, darauf über England nach Spanien, stieg im Freikorps des Obersten von Wilmse» bis zum Oberstleutnant, 1813 wieder in prenfiifchen Diensten, 1836 als Oberstleutnant und Kommandeur des 2. Bat. des 15. Landiv.-Reg. pensioniert), von Neyher (Volontäroffizier beim Schillschen Jägerkvrps, 1817 Major beim Generalstab der 3. Brigade, 1837 Oberst und Cbef des Generalstabs des 3. Armeekorps in Beilin), von Rochow I. (früher im Garde-Fuß-Reg. Nr. 15, 1818 dem 2 . Hus.und Reg. aggregiert, 1820 als aggregierter Major des (2. Drag.-Reg. Adjutant des Prinzen Wilhelm — des Kaisers — pensioniert, 1829 Führer des 2. Aufgebots vom 1. Bat. des 20 . Landiv.-Reg. und Hofmarfchall des Prinzen Wilhelm, Mitglied des Staatsrats), Karl Wilhelm von Rochow II. (1809 zu den Braniischweigern, die er verlieh, als sie Rohr (der Schillschen sieh nach England einschifften, sonst unbekannt), von Kavallerie zur Dienstleistung beigegeben, sonst nnbekaunt), Friedrich vvii von Gettkaiidt, 1809 dem 1. Hus.Nndorff (früher im Hus.-Reg. Nr. 4. kur»iärki,chr» Reg. aggregiert, starb 1815 in Berlin als Rittmeister im VolontärLaudw.-Kav.-Reg.), Daniel Schmidt (früher reitender Feldjäger, offizier bei Schill, bei Stralsund verwundet und erschossen), Theodor von Sebisch (früher beim Jnf.-Reg. von Tschammer, Premierlentnant der bei Schill, 1810'zu de» Braunschweiger» nach Spanien, dann in deutschen Legion, 1837 Kapitän und Kompagniechef im hauiiüverschen Leib-Jvf 11. Liiiienbataillvn), von Sepdlitz (fiüher Fahnenjunker im weiteres »nbekaniit), Stralsund, ans verwundet Reg. Nr. 8 , entkam Bogislaw von Slaukar I. (früher beim Jnf.-Reg. von Mvlleiidorf Nr. 25, fiel bei Dodendorf), von Stankar II. (früher im Jnf.-Reg. von Wiiiiiing Nr. 23, daii» tut Leld-Juf-Neg., 1817 Premierlentnant im 14. Jnf.Reg., 1837 Major und Kommandeur des 3. Bat. des 11. Landw.-Reg.), von Stock (früher bei Husaren Nr. 3 von Pietz, fiel bei Dodendorf), von Stößel (früher im Drag.-Neg. von Prittwitz Nr. 2, fiel bei Doden¬ dorf), von Strantz (früher bei Kürassieren von Oliitzow Nr. 6 , 1809 tut westpr. Drag.-Neg., 1818 Major im 6 . Ul.-Reg., 1837 Oberst und Kominaiideur des 8 . Kür.-Reg.), von Siovoliusky (früher Eleve der Berliner Militärakademie, 1809 dem litauischen Trag.-Reg. aggregiert, starb 1827 als Rittmeister beim besoldeten Stamm des 1. Bataillons des von Wagen¬ 17. Landw.-Reg.), von Tempsky (bis 1793 beim Kür.-Reg. feld, Rittmeister bei Schill, 1809 zu de» Braniischweigern, blieb beim Kav.-Depot in England, starb 1831 als pensionierter Braunschweiger Oberstleutnant), Friedrich voii Tracheuberg (früher beim Jnf.-Reg. Nr.27 Tschauiiiier, erschossen), Trützschler von Fälkensteiu (früher im Füs -Bat. zurück, v. Sobbe, 1809 zu den Brannschweiger», ging nach Preußen 1838 Major im 2. Bataillon des 37. Jnf.-Reg.), Vogel (früher Oberfenerwerker, Dolontäroffizier bei Schill, weiteres unbekannt), von Voigt (früher im Jnf.-Reg. Tschammer, Leutnant bei Schills reitenden Jägern, fiel bei Dodendorf), Karl von Wedell (früher in Hus.-Reg. von Gellkandl, seit 1808 außer Dienst, erschossen). Albert von Wedell (früher beim Infanterie-Regiment Prinz Louis Ferdinand, »ach 1806 i» An¬ halt - Kötheiische» Diensten, erschossen), Heinrich von Wedell (früher beim Jnf.-Reg. Prinz Louis Ferdinand, Anführer der Schillschen Infanterie bei Dodendorf, in Stralsund verwundet, nach Cherbourg als Galereusklave, das Weitere bekannt), von Wedell (früher im Jnf.Reg. Prinz Heinrich v. Preuße» Nr. 35, 1810 in der englisch-den'schen Legion, 1814 braunschweigischer Kapitän, 1818 pensioniert, ziiletzt

preußischer Zollinspektor), Friedrich Wegeuer (früher reitender Feldjäger, Volontäroffizier der Schillschen Kavallerie, sonst unbekannt), Carl Otto von Werner (früher Portepeefähnrich im Jnf.-Reg. v. Ostwien Nr. 7, Volontärofsizier der Schillschen Kavallerie, 1809 im westpr. Ul.-Reg., 1822 Rittmeister beim besoldeten Stamm des 2. Bai. des 23. Landw.Reg.), Carl von Wiiiiiing I. (früher im Reg. Leib-Carab. Nr. 11, 1809 inaktiv mit halbem Gehalte, 1812 Kreisoffizier bei der Geiisdarmerie, 1817 Rittmeister im 2 . knrmürkischen Laiidiv.-Neg., 1837 aggregierter Major im 2. Drag.-Reg.), von Wiiiiiing II. (früher im Jnf.-Reg von Arnim Nr. 13, dann im 5. ivestpreußisehen Res.-Bat., 1817 Kapitän im 7. Jnf.-Reg., 1837 Major und Komiiiandeur des Füsilier-Bat. im 27. Jns.Volontärofsizier Neg.), Zaremba (früher in Auhalt-Köthenschen Dienste», Schills, bei Dodendorf gefangen, 1811 frei, 1824 als Jntendaninrrat

pensioniert) und von Zschüschen (früher im Jnf.-Reg. von Piittkamnier Nr. 36, 1817 Kapitän im 28. Jnf.-Reg., 1837 Oberstleniiiaiit in deiiiselben).

Vttchrrtisch. (Dekker), Max Havelaar. Deutsch von Karl Mischte. Halle, Otto Hendel (Bibliothek der Gesamtlitteratnr). Die Werke des Holländers Dekker, der unter den Namen Mnltatiili seine humoristischen, sarkastischen und ernsthaften Idee» niedergeschrieben hat, waren bis vor kurzem nur einer kleinen Gemeinde bekannt. Jetzt beginnen sie auch ihren Platz in der Welilitteratur einzunehmen. Unser Mitarbeiter, Karl Mischte, der unser» Lesern gewiß durch seine frischen, Bei¬ träge lieb geworden ist, hat sich das Verdienst erworben, Tellers „Havelaar", ein Roma», der vom tollste» burlesken Humor bis zur tiefsten Wehmut alle Register der Seele in Thätigkeit setzt, ins Deutsche zu übersetzen und in einer billigen Ausgabe (gebunden M. 1,25) jedermann zugänglich 311 machen. Besonders unsere» Kolonialfreunden sei dies Werk, das seinen hauptsächlichen Stoff von Snniatra, Java, den Molukken ». s. w. herholt, Wer Sinn für wirklichen Humor aufs angelegeiitlichste empfohlen. hat, wird an der Figur des braven Amsterdamer Philisters Batavns Droopstoppel, dieses Typus des Mynheertums, seine helle Freude haben.

Multatuli

Gebr. Bornträger. M. 10.—, oder 20 Lieferungen ä M. 1.—. Dies Werk bedarf keiner Empfehlung. Es ist eins der Werke, in der die Weltanschauung der Jahrhundertwende ihren abgeklärten Aus¬

Carus Sterne, Werden und Vergehen. Berlin, 2 Bände ü

lassen. druck findet, ohne sich von temporären Irrungen beeinflussen zu Es fixiert das Bleibende in dem Kampf der Wahrheit und der Fälschung, Gelehrsamkeit, und giebt die wertvolle Kost in verdaulicher Form: keine Illustrationen. sondern gemeinverständliche Darstellung mit prächtigen Wir sehe» es hier so recht bestätigt: was wirklich gehörig wissenschaftlich durchgearbeitet ist, das ist auch so einfach, daß es der einfachste Mensch verstehen kann, und das bedarf keines gespreizte» Gelahrtthnns.

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1

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Dr. M.

Folliciueano.

das wir in Nr. 37 des „Bär" bringen wir hier zwei Abbildungen, die

Von dem rintenfast „Perfekt",

eingehend beschrieben habeti,

„Perfekt" sich gut beivährenden Tintenfasses erklären. wie schon in der Beschreibung gesagt wurde, durch den Erfinder

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pf,

26. Jnstrgonsi.

|U\ 48.

Sonnabend, 1. Dezember 1900.

Die neuen Denkmäler in der Siegesallee. die noch fehlenden DenkmalsAm 14. November gruppen in der Siegesallee aufgestellt. sind wieder drei neue Standbilder im Beisein des Kaiser¬ paares, des Kronprinzen und zahlreicher Würdenträger in üblicher Weise enthüllt worden, die Gruppe des Askaniers Johann II., die Gruppe Ludwig II. von Bayern und die des hohenzollervschen

ii

rascher Folge werden

Kurfürsten Johann Cicero.

jetzt

Durch die Enthüllung

der

beiden

liegt ans dem Schildrandc, hinter dem der Schwertgrisf hervor¬ schaut. Das einfache, viereckige Postament, um das sich oben ein gotischer Zackenfries herumzieht, trägt die Inschrift: Markgraf Johann II.

1266-1281. Johann H. war der älteste Sohn Johanns I. und ein Bruder Ottos IV., mit dem er gleichzeitig die Regentschaft in den Marken

Markgraf Johann II. von Brandenburg.

Graf Günther von Liudow und Vuppin.

(Photvstrapyische Aufnahme von Frau

ersten Gruppen ist die Zahl der ans der Westseite der Siegcsallec stehenden Herrscherstandbilder vollzählig geworden, während ans

der Ostseite zur

Zeit

Gruppen fehlen. Das erste der neu enthüllten Standbilder ist die Gruppe des Markgrafen Johann II. aus dem Hause Askanien und der Neben¬ figuren, Graf Günther I. von Lindoiv und Rnppin und Konrad von Belitz. Diese Gruppe ist von dem Bildhauer Reinhold Felderhoff aus Charlvtteuburg geschaffen worden. Auf den Schild des Hauses Ballenstedt gestützt, steht der Fürst, eine kräftige Rittcrgestalt, in Nachdenken versunken da und scheint einen Schlachtplan zu entwerfen. Unter dem mit dem brandenburgischen Wappen geschmückten Wafsenhcmd schmiegt sich der Kettenpanzer eng an den Körper an; eine Eiscnkappe mit langem Nackcnschleier bedeckt den Kopf, der bis zum Kinn von der Brünne verhüllt ist. Der mächtige Topfhclm steht zu Füßen des Markgrafen. Die rechte Hand stützt der Fürst in die Hüfte, die linke noch sieben

Natornann Ronrad Velitz. Louise Gcifrig, Berlin,)

übernahm.

Nach

dem

Tode

der

Markgrafen

Otto III. war die Zahl ihrer Nachkommen

so

Johann l. und groß, daß eines

wie die- sagenhafte Ueberlieferung berichtet, neunzehn aSkanische Fürsten auf dem Markgrafenbcrge bei Rathenow versammelt waren und einander klagten, daß das Land Brandenburg nicht mehr imstande wäre, ihnen einen standesgemäßen Unterhalt zu gewähren. In weiser Voraussicht hatten deshalb die beiden Mark¬ grafen eine Teilung ihrer Länder vorgenommen, und die Glieder der beide» von ihnen gestifteten Linien regierten ihre Gebiete selbst¬ ständig. Von den Söhnen Johanns I. gelangten zunächst Jo¬ hann II., Otto IV. und. Konrad gemeinschaftlich zur Regierung. Johann II. war als ältester Bruder das Haupt der Familie und führte das mit der Mark verbniideiie Erzkämmereramt und die

Tages,

Kurmürdc, vereinigte sich aber mit seinen Brüdern zu gemeinsamen Unternehmungen zum Wohle des Landes. Eine der wichtigsten Begebenheiten der gemeiuschastlicheu

762

Regierung war die Erwerbung der Lehnsherrschaft über das den Pommernfürstcn gehörige Pommerellen, die schon Johann L und Otto III. erstrebt hatten, und in den vielfachen Kämpfen um dieses Gebiet zeichnete sich Johann II. in hervorragender Weise ans; ebenso bei der Abwehr des Poleneinfalls in die Mark im Jahre 1271. In den Kämpfen mit dem Erzbischofs von Magdeburg unterstützte Johann 11. seinen Bruder Otto ebenfalls, und wenn er es auch nicht verhindern konnte, das; Otto bei Frose in die Gewalt des Erzbischofs fiel, so suchte er doch in Gemeinschaft mit seinem Bruder Konrad durch Kriegszüge in das Gebiet von Magdeburg und die Eroberung von Hunoldsburg und Oebisfelde die Befreiung Ottos durchzusetzen. Erreichte Johann II. auf diese Weise auch nicht völlig seinen Zweck, so ist es doch wohl seinem energischen Auftreten zuzuschreiben, daß der Erzbischof schließlich geneigt war, Otto IV. gegen Lösegeld ans der Haft zu entlassen. Johann II., der bei seinen Zeitgenossen den Ruhm eines tapferen Kriegers und eines weisen und gerechten Fürste» genoß, starb im September 1281 und wurde im Kloster Chorin beigesetzt. Der einzige Sohn, den er hinterließ, hatte sich dem geistlichen Stand gewidmet; sein Erbe fiel infolgedessen an die Markgrafen Otto und Konrad, welche die Regierung bis zum Tode des letzteren im Jahre 1304 gemeinschaftlich fortführten.

In

Markgrafen Johann, Otto und Konrad Male unter den Zeugen ein Graf Günther von Ruppin, der sich oft im Gefolge der Fürsten befunden haben muß. Dieser Vertreter des märkischen Adels ist als Seitenfigur zum Denkmal Johanns II. gewählt worden. Ueppiges Haar um¬ rahmt das bartlose Gesicht des klugen, energisch aussehenden Grafen, dessen gewölbte Brust ein Schuppenhemd bedeckt. Den Sockel der Büste ziert ein Wappenschild mit dem Adler von Ruppin, unter dem gotischen Turnierhelm quillt eine faltige Wappendecke den Urkunden der

erscheint verschiedene

hervor.

Die Herren von Ruppin, nach ihrer Besitzung im Anhaltischen unweit Dessau auch Grafen von Lindow genannt, entstammten einer alten thüringer Familie von Arnstein und waren durch einen ihrer Ahnen, Walther IV. von Arnstein, der eine Enkelin Albrechts des Büren heiratete, mit dem aSkanischen Hause ver¬ schwägert. Sie gehörten infolgedessen als den fürstlichen Familien ebenbürtige Glieder zu dem hohen, inärkischen Adel und werden in den Urkunden stets als „nobiles domini“ bezeichnet. Wann sie in de» Besitz der Herrschaft Ruppin gelangt sind, läßt sich nicht nachweisen, vermutlich aber infolge Abtretung der Grafschaft Grieben schon zur Zeit Markgraf^Albrcchts II. Um die Mitte des 13. Jahr¬ hunderts stiftete Gebhakd von Arnstein, der Vater des er¬ wähnten Grafen Günther, das Kloster zu Neu-Rnppin, und im Jahre 1256 verlieh Graf Günther selbst dem betreffenden Orte Stadtrechte und bekundete sich dadurch als Herrn der Stadt. Wäh¬ rend er sich in dieser Bewidmungsurkunde noch als Günther von Arnstein, Graf in Mühlingen, bezeichnet, wird er in den folgenden Urkunden Graf von Lindow und Herr von Ruppin und später einfach Graf von Ruppin seomes de Ruppin) genannt. Inwie¬ weit Günther I. sich an den Kriegszügen der Markgrafen und an der Verwaltung des Landes beteiligt hat, ist aus den erhaltenen Nachrichten nicht ersichtlich. Wie eine alte, jetzt nicht mehr vor¬ handene Grabtafel im Kloster zu Ruppin meldete, ist Graf Günther im Jahre 1284 gestorben und in der Gruft des Klosters bestattet worden. Der andere Zeitgenosse, dessen Büste sich zur Seite des Mark¬ grafen erhebt, ist ein Bürger aus dem alten Berlin und ein Mit¬ glied einer der ältesten Patrizierfamilieu der neuen deutschen Stadt, Der Künstler hat ihn als alten der Ratsmann Konrad Belitz. Mann mit faltigem Gesicht und spärlichem Haupthaar dargestellt. Den Kopf bedeckt eine niedrige Mütze, über das gestickte Wams hängt die Amtskette mit dem Kleinod herunter, und um die Schultern schlingt sich die pelzverbrümte Schaube. Auf dem Sockel, den das alte Berliner Stadtwappcu sein Adler mit zwei Bären als Schildhaltcrn) von 1280 schniückt, ist Belitz als „Bürgermeister Was wir von Konrad Belitz wissen, ist von Berlin" bezeichnet. sehr wenig. In der Klosterkirche zu Berlin befindet sich sein wohlerhalteuer Grabstein ans dem Jahre 1308, auf dem er mit lockigem Haupt- und Barthaar und im langen, mönchsartigen Gcn'ande

dargestellt ist. Außer auf dem Grabstein erscheint sein Name in einein Gildebrief, den der Rat von Berlin am 10. April 1248 der

Schneidcrinnung giebt, und in dem der Aldermann Konrad Belitz neben anderen Ratsmannen bezeugt, daß die Berliner Schneider dasselbe Recht haben sollen, wie die in Brandenburg seit alters her genossen haben, und ferner in einer Urkunde von 1290, laut welcher der Ritter Nybede den Franziskanern in Berlin eine ZiegelDie Berliner Patrizierscheune in den Tempelhofer Bergen schenkt. familie Belitz war in Dahlwitz und Mahlsdorf bei Berlin begütert und scheint beständig einen Vertreter im Rate gehabt zu haben; seit

der

dem 15. Jahrhundert verschwindet Berliner Ratsgeschlechter.

Die zweite Gruppe führt

den

sic jedoch aus^ der

Mitte

Ludwig den Römer Friedrich von Lochen und eine Schöpfung des Grafen

Markgrafen

(1351—1365) und seine Zeitgenossen

Hasso von Wedel vor. Sie ist von Görtz-Tchlitz, eines intimen Freundes unseres Kaisers. Der Markgraf, welcher eine große Aehnlichkeit mit seinem Namens¬ vetter, dem unglücklichen Bayernkönig Ludwig II., zeigt, ist in kampfbereiter Stellung dargestellt, die rechte Hand auf den Knauf des breiten Schwertes gelegt. Das jugendliche Haupt ist unbedeckt und von langem Haar umwallt, den Körper umschließt ein eng¬ maschiges Kettenhemd, über welches ein Koller mit den Rauten des wittelsbachischen Wappens gezogen

ist, Arme und Beine sind

mit Stahlplatten bewehrt. Um die Hüften schlingt sich ein reicher Ziergürtel, von dem ein Dolch herunterhängt, und auf dem Rücken hängt die Tartsche mit dem Adler, der kleine Schild für den Nah¬ kampf, welchen der Markgraf nach beendetem Kampfe nach hinten geworfen hat. Die linke, mit dem Kettenhandschuh bekleidete Hand halt das Schwert und den rechten Handschuh, ans einem Baum¬ stumpf hinter der Figur liegt der mit Gehörn und Nackenlcder ver¬ Das achteckige Postament ist durch vier gotische sehene Topfhelm. Rnndsäulen gegliedert und oben ringsum mit einem Fries von Alpenrosen geschmückt. Die Inschrift auf der Vorderseite lautet kurz: Ludwig der Römer. Die kampfbereite Stellung, welche der Künstler für die Dar¬ stellung des Fürsten gewählt hat, entspricht dem kriegerischen Charakter der Negierungszeit Ludwigs des Römers. Der Mark¬ graf, welcher seinen Beinamen erhielt, weil er der erste nach der Krönung in Rom geborene Sohn Kaiser Ludwigs des Bayern war, hatte sich bereits in zahlreichen Fehden hervorgethan, als er von seinem Bruder Ludwig dem Aclteren die Herrschaft in den braudenerhielt. Beständige Kämpfe, namentlich gegen Waldemar und seinen Anhang, füllen die Regiernngszeit Ludwigs aus, und wenn er nicht in Bayern weilte, mußte er mit seinen Kriegsscharen, das Schwert in der Hand, die Marken durchziehe», um sein Land gegen die fremden Eindringlinge zu Kriegführen kostet Geld, und Ludwig war sehr häufig schützen. gezwungen, große Summen von den Ständen und Städten der Mark aufzunehmen, um seine Söldner bezahlen zu können. Für jedes Darlehen mußte der Markgraf natürlich Besitzungen oder Gerechtsame verpfänden, und diese Verpfändungen »ahmen all¬ mählich einen solchen llnifang an, daß die Stände sich veranlaßt sahen, eine Art Vormundschaft für den Landesherr» einzurichten, ein Kuratorium für die Rcumark und einen Hofmeister für die Mittelmark, ohne deren Einwilligung Ludwig keine Verpfändung oder dergleichen vornehmen durfte. Indem der Markgraf seine Zustimmung zu dieser Eirichtung gab, gestand er offen seine Macht¬ losigkeit ein, und eö war ein Glück für ihn, daß die Gegner nach und nach des beständigen Krieges müde wurden, und daß schließlich auch der falsche Waldemar Städte und Mannen ihres Huldigungs¬ eides entließ und au Ludwig und seinen Bruder Otto wies. Tie Wittelsbachcr hatten nun einigermaßen Ruhe vor Feindseligkeiten, aber ihre Macht stand nach wie vor auf sehr schwachen Füßen, und es kam Ludwig dem Römer deshalb sehr gelegen, daß Kaiser Karl IV. ihm seine Hilfe anbot, um die Stellung des Markgrafen von Brandenburg zu befestigen. Start IV. hatte natürlich ganz andere Absichten, als Ludwig, dem jeder politische Scharfblick fehlte, annahm, und indem er den Streit der Wittelsbacher um die Kurwürde und das Erbe Ludwigs des Aeltere» geschickt ausnutzte, gelang es ihm, die beiden Markgrafen zu einem Vertrag zu ge¬ winnen, daß für den Fall ihres kinderlosen Todes seinen Nachburgischen Landen den falschen

j

763

Kaiser Karl hoffte so, seine Hausmacht vermehren und in Zukunft über zwei Kurstimmen verfüge» zu können. Ludwig der Römer hatte natürlich von den Intriguen des Kaisers keine Ahnung und ließ sich auch weiterhin zu allerlei für ihn sehr ungünstigen Zusagen bewegen, und nur sein Tod hinderte es, daß die Mark schon damals ganz an die Luxemburger fiel. Ludwig der Römer starb, 35 Jahre alt, am 17. Mai 1365 und wurde neben seiner 1357 verschiedenen Gemahlin Kunigunde im Chor der Klosterkirche zu Berlin beigeseht. kommen die Erbfolge

in Brandenburg

gesichert wurde.

Als Seitenfigur zum Standbild Ludwigs II. ist der bayerische Ritter Friedrich von Lochen gewählt, der unter den Waffen¬ genossen des Markgrafen eine bedeutende Stellung einnahm und diesen als Landeshauptmann häufig vertrat. Sonderbar ist es, daß der Künstler diesen Ritter, der von den Zeitgenossen als energischer, stets kampfbereiter Kriegsmann geschildert wird, nicht in voller Rüstung, sondern im Hofkleide der damaligen Zeit mit ausgezacktem Mäntelchen, Kapuze und Ziergürtel und als nach¬ denklichen Grübler dargestellt hat. Friedrich von Lochen, der aus einem alten Geschlechte am Bodensee stammte, war einer der

angesehenste und wurde von Ludwig dem und zum Hauptmann und Bogt Hofmeister Römer zu seinein „ober der Oder" ernannt. Die Wedels, welche in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts aus Holstein eingewandert waren und sich an der Eroberung des „Landes über der Oder" beteiligt hatte», verfügten über eine große Streitmacht und bildeten infolgedessen einen starken Rückhalt für die Macht der bayerischen Markgrafen. Sowohl von diesen wie vom Kaiser und vom deutschen Orden wurde den Wedels der angesehene Titel „nodilis de Wedele“ zugestanden. Hasso von Wedel ist bereits im Jahre 1353 gestorben. Die dritte der nenaufgestellten Gruppen ist dem Andenken des Kurfürsten Johann Cicero (1486—99) und seiner Zeitgenossen Busso von Alvensleben und Eitelwolf vom Stein gewidmet und von dem Bildhauer Albert Manthe geschaffen worden. Der gesessen

waren,

der

Kurfürst ist, seinem Beinamen entsprechend, als Redner aufgefaßt: die rechte Hand ist erhoben, und diese Geste scheint die Rede, auf welche die halbgeöffneten Lippen hindeuten, zu verstärken. Die linke Hand ruht auf dem Griff des Schwertes, das seinen Stütz¬ punkt auf einem Bücherhaufen findet, der zu Füßen des Fürsten

Markgraf Ludwig der Römer.

Friedrich von Lochen.

Hasso von Wedel.

eifrigsten Parteigänger der mittelsbachischeu Markgrafen und hat sowohl an der Seite Ludwigs des Aeltcren wie Ludwigs des Römers gekämpft. In Abivesenheit des Fürsten führte er die Geschäfte des Landes und vertrat die Interessen seines Herrn in thatkräftiger Weise- oft hat er, mit dem Schwerte in der Hand, an der Spitze seiner Reisigen seinen Geboten Anerkennung verschafft. Willibald Alexis hat in dem Roman „Der falsche Waldemar" Lachens Ver¬ dienste um das Wittelsbacher Haus und um die Mark in trefflicher Weise gewürdigt. Friedrich von Lochen wurde bereits von Ludwig dem Aelteren zum Hauptmann der Altmark und später zum Landes¬ hauptmann der sämtlichen Gebiete der Mark gemacht. Ludwig der Römer belohnte seinen treuen Helfer mit reichem Besitz, so mit der Herrschaft Boitzenburg in der Uckermark, wo Lochen um 1365 auch gestorben ist.

Dem bayerischen Ritter gegenüber ist als Vertreter des jener Zeit Hasso von Wedel ausgestellt, der eine Zeitlang Landeshauptmann der Neumark war und Ludwig den Römer energisch im Kampfe gegen den falschen Waldemar unterstützte. Der Ritter erscheint in Sturmhaube und Kettenpanzer, über den ein Koller mit dem Zackenrad der Wedels gezogen ist; das männliche Gesicht mit den klugen Angen ist dem Beschauer voll zugewandt, die linke Hand umfaßt den breiten, glatten Gürtel, während die rechte auf dein Dolche ruht. Hasso von Wedel war unter den zahlreichen Geschlechtsgenosscn, die in der Neumark anmärkischen Adels

aufgeschichtet den

klugen,

Der von einem Vollbart umrahmte Kopf mit ist. ansprechenden GcsichtSzügen ist mit einem reich den mit einer gewölbten Plattenrüstung umhüllt ein langärmeliger, pelzverbrämter offener

verzierten Barett bedeckt; bekleideten Körper

den Brustharnisch legt sich die Kette des Schwanen¬ einfache viereckige Postament ist an den Ecken ab¬

Mantel, und über ordens.

Das

geschrägt und trägt auf der Vorderseite das Wappen der Kurmark und die Inschrift: Johann Cicero 1486—1499.

Johann Cicero, der als Sohn des Kurfürsten Albrecht Achilles am 2. August 1455 zu Ansbach geboren wurde, war der erste Hohenzoller, welcher seinen ständigen Aufenthalt in der Mark Brandenburg nahm. Seit seinem zwölften Jahre wurde der junge Fürst am Hofe seines Oheims in der Mark erzogen und lernte

früh das märkische Volk und märkische Sitten und Gewohnheiten kennen. Die Einblicke, welche er in seiner Jugend in die Verhält¬ nisse des Landes that, waren von großem Nutzen für ihn, da er bereits 1471 die Verwaltung der Mark für seinen Vater über¬ nehmen mußte und

seit 1479 die Regentschaft selbständig führte.

Johanns Stellung in der Kurmark war eine äußerst schwierige, weil sein Vater, der eine sehr strenge Kontrolle über seine Ver¬ waltung ausübte, ihm niemals hinreichende Mittel dazu gewährte, da er den Grundsatz hatte, das Land müsse diese allein aufbringen.

7G4

deshalb mit den Ständen ins Einvcrnehmen sitzen, wenn er etwas erreichen wollte; er mußte, um Kriege und unnötige Aeldausgaben zu vermeiden, mit den benach¬ barten Fürsten friedliche Beziehungen anknüpfen, und dies war von großem Vorteil für die Sicherung der eigenen Machtstellung, Als Johann Cicero 1486 die Regierung der Mark übernahm, war er den Ständen und dem Volke bereits bekannt und mit den Ver¬

Der Kurprinz mußte

sich

hältnissen des Landes vertraut und konnte sofort daran denken, Ordnung und Sicherheit im Lande zu schaffen und den Wohlstand seiner Unterthanen zu heben. Er hatte erkannt, daß er nur durch friedliche Thätigkeit zu seinem Ziele gelangen konnte! er vermied es daher, Feindseligkeiten heraufzubeschwören, sondern kam seinen Gegnern, soweit es sein kurfürstliches Ansehen erlaubte, lieber ent¬ So regelte er seine Erbfolge in Pommern und seine An¬ gegen.

auf die schlesischen Herzogtümer auf friedlichem Wege und sich mit seinen Nachbarn zu gemeinsamem Vorgehen gegen märkischen Adel, der wieder in alter Weise seiner störrischen, den Fehdelust freien Lauf ließ. Durch Unterstützung der wohlgesinnten Landesbischöfe und der einsichtigen Stände gelang es dem Kur¬ fürsten, Ruhe und Ordnung im Lande zu schaffen, so daß er daran denken konnte, auch für die Verbreitung der humanistischen Bildung in den Marken Sorge zu tragen. Mit großem Eifer erfaßte er den Vorschlag des Kaisers Maximilian, die Kurfürsten möchten in ihren Ländern Universitäten gründen, und übertrug seinem Leibarzt Simon Pistoris und dem Bischof Dietrich von Bülow die Aus¬ führung seines Lieblingsgedaukens. Johann erlebte die Vollendung der Universität Frankfurt an der Oder zwar nicht mehr, er starb während der Vorbereitungen am 9. Januar 1499, aber sein Sohn sprüche

verband

Joachim I, setzte das Werk des Vaters fort, und im April 1506 wurde die neue Universität eröffnet. Als Bcgleitfiguren des Kurfürsten hat man den schwäbischen Reichsritter Eitelmolf vom Stein und den Landeshauptmann Busso von Alvensleben gewählt. Ersterer, der als weltersahrcner Hosmann und Gelehrter mit eine,» Buch in der Hand dargestellt ist, war der vertraute Freund und Ratgeber des Fürsten und unterstützte ihn in seinen Bemühungen, Bildung und Sitte in den Kurlanden einzuführen. Er hatte in Bologna studiert und stand sein Leben lang in regem Verkehr mit den berühmtesten Ge¬ lehrten Deutschlands. Ulrich von Hutten, der ihm einen pietät¬ vollen Nekrolog geschrieben hat, begünstigte er besonders und zog ihn an den Hof des Kurfürsten Albrecht von Mainz, in dessen Dienste er nach dem Tode Johann Ciceros getreten war. Während er damit beschäftigt war, die Hochschule in Mainz in einen Sitz der humanistischen Wissenschaften umzuwandeln, ereilte ihn im Jahre 1515 der Tod, Der andere Zeitgenosse des Kurfürsten, der Landeshauptmann der Altmark und Obermarschall Busso von Alvensleben, entstammte einem angesehenen Geschlecht des Erzstiftes Magdeburg und zeichnete sich bereits unter Albrecht Achilles als Feldherr und Staatsmann ans. Er ist in voller Rüstung, mit Feldbinde und Helm dargestellt, das edelgeschittcne, männliche Antlitz schmückt ein stattlicher Vollbart, Als Vorbild für die Büste diente das Grabdenkmal eines seiner Enkel, welches sich in der Kirche zu Kalbe befindet, Alvensleben, der 1495 starb, hat seinen Herrn hauptsächlich bei den Unterhandlungen mit den Ständen und in seinen Bemühungen, das Ranbritterwesen auszurotten, unterstützt.

vr, Gustav Albrecht.

Die Ouihows und Spandau. ünfhundertjährige Gedenktage bedeutender oder merkwürdiger Ereignisse sind nicht so häufig, daß man sie nüt Still¬ schweigen übergehen könnte. „Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt", diese Mahnung des Dichters erhält einem solchen Tage gegenüber doppeltes Gewicht, Freilich überstrahlen auch am Himmel der Geschichte die Sonnen die kleineren Sterne, und so könnte es kommen, daß bei dem Glanz des Gutenberg-Jubilänms, das die Aufmerksamkeit der gebildeten Welt nach Mainz zog, ein Ereignis vergessen ward, das für die Mark Brandenburg, speziell für die altmärkische Stadt Spandau, von Bedeutung ist. Im waren es nämlich fünfhundert Jahre, daß Spandau Juni d. mit den Onitzows Bekanntschaft machte, ein Ereignis, das der Stadt zunächst eine schwere Niederlage und sodann einen glänzenden Sieg brachte. Es sei mir gestattet, die Aufmerksamkeit der Leser dieses Blattes mit einigen Sätzen darauf hinzulenken. Bekannt ist, daß der prachtliebende und deshalb stets geld¬ bedürftige Kaiser Sigismund, derselbe, dessen Standbild in der Siegesallee während der Anwesenheit des Kaisers Franz Josef in Berlin enthüllt wurde, die Mark Brandenburg au Jobst oder Jost von Mähren verpfändete, Jost, nur auf Gewinn bedacht und ohne tieferes Interesse für das verpfändete Land, sah in der Mark nur eine Geldquelle und überließ sie, wenn er die Stenern erhoben hatte, ihrem Schicksal. Dieses Schicksal verstanden die zahlreichen Raubritter zu einem höchst schmerzlichen zu gestalten. Die „Edlen Herren" von Puttlitz, Ruppin, Bredow, Rochoiv, Alvensleben, Schulenbnrg, Wedcll, Polens und Bieberstein, vor allen andern die Brüder Dietrich und Johann von Ouitzow, sahen in der offenen Geivalthat kein entehrendes Vergehen, sondern ein legitimes adliges Gewerbe. Der Unfug nahm so überhand, daß jeder, der etwas zu verlieren hatte, die Landstraßen nur unter starker Bedeckung betreten durfte. „Der Adel", sagt ein Zeitgenosse, „hat nicht allein

I.

auf offenen freien Straßen die Fremden beraubet und beschädigt, sondern auch des Landes Einwohner nicht verschonet, diesclbigen geschlagen, verwundet, getödtet, gefänglich weggeführet, gestürzt, geplöckt, beschützt und so übel mit ihnen gebühret, daß schier ein Bürger nicht hat sicher für's Thor spapieren gehen können! haben

in der Ernte an ihrer Arbeit verhindert, davon gejagt, das Getreide zu nichte gemacht, das Rindvieh und Schweine vor den Thoren geraubt und weggetrieben." Zwar hatten sich schon im Jahre 1390 zwanzig der be¬ deutendsten Städte der Mark zu einem Bund vereinigt, um „wider solch öffentliche Feinde des Vaterlandes zu streiten, zu fechten und ihnen Widerstand zu thun". Aber die Raubritter respektierten diesen Bund so wenig wie die Spatzen die Vogelscheuche. Es mußte wohl auch ihren Spott erregen, wenn sie hörtAi, daß die bedeutendsten Städte der Mark wie Brandenburg und Frankfurt a. O. verpflichtet wurden, acht Gewappnete und drei bis vier Schützen zu stellen, so daß der Bund im ganzen iiber eine Truppenmacht von etwa sechzig Gewappneten und vierzig Schützen verfügte. So schwächliche Maßnahmen schreckten die reichen und starken Ritter nicht nur nicht ab, sie forderten sie zu Angriffen geradezu heraus. So unternahm denn im Juni des Jahres 1400 Dietrich von Ouitzow in Gemeinschaft mit dem Grafen von Lindow einen Streifzug durch das Havelland. Sie drangen bis zur Ostgrenze des Havellaudes vor, wo sich ihnen am Zusammenfluß von Havel und Spree die stark befestigte Stadt Spandau entgegenstellte.. Die Zugehörigkeit der Stadt zum Städtebund schien für die Herren Grund genug zur Eröffnung der Feindseligkeiten, hatte Spandau Ohne doch sogar drei Gewappnete und zwei Schützen gestellt. auch nur formell Fehde anzusagen, griffen sie die Stadt an. Die überraschten Bürger konnten in der Not die fernen Bundesgenossen nicht so schnell herbeirufen und waren ganz auf sich selbst ange¬ Geschützt durch starke Mauern und Türme, über die wiesen. damals schon das massige Rund des Juliusturmes emporragte, verteidigten sie sich mannhaft, und sie hätten sich zweifellos auch mit Erfolg verteidigt, wenn die vielen Rohr- und Strohdächer, die damals noch die meisten Häuser trugen, dem Feinde nicht eine große Zahl schutzloser Angriffspunkte geboten hätten. Zum Ent¬ setzen der Belagerten schwirrten plötzlich brennende Pfeile durch die Luft, fuhren in die Dächer und setzten sie in Brand. Die Verteidiger mußten Schild und Spieß mit dem Löscheimer ver¬ tauschen und ans den Firsten der Häuser Wachtposten beziehen. die Städtischen

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Aber immer mehr feurige Schlangen zischten durch die Luft, immer häufiger züngelten die Flammen aus den Strohdächern empor, und mit unheimlichem Knistern und Prasseln wuchsen sie zur himmelaiistrebenden Lohe. Diesem heimtückischen Feinde gegenüber war Mut und Umsicht vergeblich. Das Feuer ergriff das Gebälk der Hauser; die einzelne» Brände vereinigten sich zum Feuermeer, und bald saugen die aus roter Glut jauchzend emporlodernden Flammen das wilde Siegeslied der Ouitzows. Auf diese Weise von außen und innen hart bedrängt, mußten die Spandaner mit den Feinden unterhandeln und durch harte Bedingungen Schonung und Frieden erkaufen. Nach dem Abzug des Feindes wandten sich die Bürger au Jost, den Landesherr», der damals in Dresden bei seinem Schwager Wilhelm von Meißen weilte, und klagten ihm in eindringlichen und beweglichen Worten ihre Not. Der Landesherr gab eine gnädige Antwort, indem er¬ ber Stadt als Entschädigung für den erlittenen Kriegsschaden die Orbede, die zu Walpnrgis und Martini an die landesherrliche Kammer zu entrichtende Steuer, auf ein Jahr erließ'. Diese Summe betrug nach Karls IV. Landbuch der Mark Brandenburg 22 Schock 40 Groschen. Aber eine größere Genugthuung war den Spandauern vor¬ behalten. Zwei Jahre später traten sie im Verein mit dem Herzog Johann von Mecklenburg, dem Jost die Hauptmannschaft in der Mark übertragen hatte, dem verhaßten Feinde auf freiem Feld entgegen. Dietrich von Ouitzow, der soeben einen neuen Ranbzug gegen den Bischof Johann von Lebus beendigt hatte, beabsichtigte, sich nach dem Dorfe Tremmen zurückzuziehen und sich dort mit seinem Bruder Johann zu vereinigen. Unterstützt von dessen Macht, wäre es ihm ein Leichtes gewesen, sich den drohenden Feind vom Halse zn halte» und die Veste Plaue an der Havel zu er¬ reichen, hinter deren Mauern er jedes Angriffs spotten konnte. Aber an: Thürberge schnitt ihm Herzog Johann mit den Spandauern den Rückzug ab, und Dietrich mußte den angebotenen Kamps auf¬ nehmen. Es war ein heißes Ringen, in dem der gefürchtete Raub¬ ritter schließlich unterlag. Geschlagen und gefangen genommen, wurde er im Triumph nach Spandau geführt. Das war ein

Jubel, als der Eilbote die Kunde von dem Siege brachte, als die Thore der Stadt sich öffneten, um den Besiegten und die Sieger einzulafsen, als der Zug sich durch die wiederaufgebauten Straßen der Stadt bis zum Stadtschloß bewegte, wo Dietrich im Juliusturm gastliche Aufnahme fand. Die Freude der Stadt war jetzt nicht geringer, als bei der Belagerung das Entsetzen, und untertief empfundenen Dankesbezeiigungen wurde mancher Becher zu Ehren der Sieger geleert. Dietrichs Haft dauerte indessen nicht lange. Der Kampf hatte Mitte November stattgefunden, und schon am 25. November, diesmal auffallend schnell, war Markgraf Jost in Spandau. Gegen ein Lösegeld von 1000 Schock böhmischer Groschen erhielt der Raubritter die Freiheit, ohne durch den Mi߬ erfolg, wie die Geschichte lehrt, eingeschüchtert oder gar gebessert zu sein. Das Lösegeld erhielt natürlich der Landesvater, nicht die Stadt. Das Wohl des Landes hätte es gefordert, daß sein grimmigster Feind für immer unschädlich gemacht worden wäre, Skrupellos das Interesse des Fürsten forderte die Freilassung. steckte Jost das Geld ein, und die Chronik der Stadt und Feste Spandau, der ich diese Daten entnehme, weiß nichts davon zu be¬ richten, daß die Tapferkeit der Bürger durch einen Teil der be¬ deutenden Lösesumme belohnt worden wäre.

Es ist gut und nützlich, dann und wann einen Blick in die Zeit zu thun. Sie zeigt uns Fürsten, die in voll¬ ständiger Verkennung ihrer Aufgabe nur landesherrliche Rechte, aber keine Pflichten kannten und die ihrer Obhut anvertraute Mark wie eine Ware behandelten; Ritter, die das schutzlose Land als ihr Jagdgebiet ansahen und für die unglücklichen Bewohner keiue Schonzeit kannten^ Bürger, die mit ungebeugtem Mut auch dem siegreichen Feind gegenüber ihren Man» standen und dem Schicksal im heißen Kampf den Erfolg abrangen. Trotz mancher Schildbürgereien und Gewaltthätigkeiten, die auch der Städtcgeschichte jener Zeit nicht fehlen, müssen wir diesem Bürgertum unsere volle Anerkennung zollen. Es fehlte ihm nur ein Fürst, der mit Kraft und Pflichtbewußtsein seine Führung übernahm. Unter der Leitung eines solchen mußte das märkische Volk bei seinem Bienenfleiß und Löwenmut ein großes Ziel erreichen. Geschichte jener

Hermann Heinrich.

Kloster Zinna.

f

Nach bisher unbekannten archivalifchen EJuellen von

piifeni

der südlichen Grenze des zur Provinz Brandenburg gehörigen Potsdamer Bezirkskreises Jüterbog-Luckenwalde zwischen den beiden Städten gleichen Namens liegt „Kloster Zinna", wie es noch beute trotz seiner politischen Stellung als kleine Prooinzialstadt im Munde des Volkes genannt wird. Der Grund hierfür ist nicht schwer festzustellen: das „Kloster" mit seiner mehr als 800 Jahre zählenden Geschichte und seiner für die Entwicklung Brandenburg-Preußens so gewaltigen kulturellen Bedeutung lebt bis zur Stunde in frischester Erinnerung, — um so mehr, als die ehrwürdige Klosterkirche nach ihrer endlich erfolgten Restaurierung neu erstanden ist —, während die „Stadt" Zinna, eine Gründung des großen Friedrich, in sozialer und politischer Beziehung keinen ivirtschaftlichcn Fortschritt zu verzeichnen hat. Die 1764 erfolgte Ansiedelung von Webern an dieser Stätte, die damals noch ein kleiner Marktflecken war, hat der Stadt keinen kommerziellen Auf¬ schwung zu geben vermocht; im Gegenteil ist dieser Gewerkszweig fast gänzlich lahm gelegt, es herrscht jetzt kaum Wohlstand. Aber dank ihrer Anspruchslosigkeit fühlt sich die kauni 2000 Einwohner zählende Stadt trotzdem zufrieden, die Erinnerung an ihre einstmalige große kulturelle Bedeutung hält sie frisch und lebendig, und mit >Ltolz spricht jeder Zinnaer von seiner Kirche und Abtei. Thatsächlich kann Zinna in dieser Beziehung ohne llcberhebung von sich sagen, daß von dieser Stelle aus Brandenburg und Preußen germanisiert und kolonisiert wurden; daß die Ein¬ wohner der Ortschaft für die Ballenstüdtcr Markgrafen in der Mark die ersten Pioniere waren. Im Jahre 1170 (nach anderen Ouelleu 1171) wurde, wie es in dem „Fragment einer Zinnaschen Chronik" heißt, das Klostergegründet von Erzbischof Wichmann von Magdeburg „desingnato

r

nobis fundo cum terminis distinctis quad oninem plagam mundi cum villa Czinnow et nona curia et molendino Litzensche“. Die Erbauer des Klosters waren Cisterzicnscrmöuche, deren erstes Kloster in Frankreich gegründet war. Von Westen her, über den Rhein kamen sie nach Deutschland, zwischen 1127 und 1147 wurden hier die ersten Abteien gegründet, die bald

M. Aincke.

wieder neue Stiftungen hervorbrachten; denn zwölf, unter Führung eines Abtes ausgcsaudte Mönche genügten für eine solche Tochterstiftung. Erzbischof Wichmann, der in gutem Einvernehmen mit dem Markgrafen Albrecht dem Bären stand, glaubte kein besseres Mittel zur Sicherung des Bekehrungswerkes in der Landschaft Jüterbog zu finden, ^als wenn er au seiner Grenze ein neues Kloster begründete. So entstand — gleichzeitig mit Doberan in Mecklenburg — 1170 Kloster Zinna. Ursprünglich und eigentlich hieß es „ad coenam Domini“, zum h. Abendmahle des Herrn, aber die Cisterziensermöuche folgten einem Zuge, in dem sie sich ebensosehr einer Zeitströmung anschlossen, wie verstärkend auf sic zurückwirkten, indem sie eifrige Pfleger der Marienverehrung waren. Maria war die Patronin ihres Ordens, alle Kirchen waren ihr bisher geweiht; und so wurde ihr auch die Klosterkirche zu Zinna geweiht. Achtzig Jahre vergingen, ehe der Ban der Klosterkirche, vollendet war; erst 1250 erstand sie, wie Dohme und Schnaasc angeben, während Otte ihre Richtung in das Jahr 1216, Mertens dagegen erst auf 1300 verlegt. Bei der strengen Asketik, in welcher die Cistcrzieiiser Icbten, waren auch ihre Kirche» äußerst einfach und schmucklos. Bon vornherein mußten sie auf jede malerische Wirkung verzichten; war ihnen doch die Anlage von Türmen stets verboten, liebte cS doch die Ordenssittc, die Kirchen in abgelegenen Thäler zu verstecken, wo sic bemerkbar machen sich nur auf kurze Entfernungen dem Wanderer konnten, und bot doch die bestimmt ausgeprägte Form des Grund¬ risses mit den langen Schiffen im Innern wenig wirkungsvolle Perspektiven. Der strenge Geist des Ordens war eben bemüht, „in einfach großen Zügen die Idee des Ganzen allein hinzustellen"; ihm genügte die bloße Konstruktion, das einzelne blieb nach wie vor auf das Wesentlichste beschränkt. Nichts destowcniger hielten sie sich an die Formen der Baukunst, und thatsächlich leitet uns der UebcrgangSstil der Cisterzienser in die Gotik hinein, ohne erst eine Umkehr von der dekorativen Ucbcrfülle zu der strengen Weise der Frühgotik zu machen. Die Kirche, eine schlichte, spitzbogigc Pfcilerbasilika ans Granitquadern, deren Steine sauber würfelförmig gearbeitet sind und in

gleichmäßigen Schichten liegen, gewährt infolgedessen den Eindruck des Massigen, Kompakten, schwer Hingelagerten. Die glatten Wandflächcn sind weder durch Strebepfeiler, Lisenen oder irgend welche andere Gliederung belebt, und nur die lanzenförmigcn Fenster unterbrechen die graue Mauermasse. Im Westen fährt ein kleines Portal ins südliche Nebenschiff. Dohme in seiner „Geschichte der Cisterzicnserkirchen" sagt aber sehr richtig: „Man darf diesen Ban nicht i» Rücksicht auf seine ästhetische Wirkung den anderen gleichzeitigen Ordcnskirchen gegenüberstellen, wenn man seine Bedeutung richtig würdigen will; cs hieße dies den so überaus wichtigen Einfluß des Materials übersehen. Eine Granitkirche kann nie mit einem Sandstein- oder Ziegelbau, sondern nur mit ihresgleichen verglichen werden, und dann ist Zinna nicht nur der beste aller Granit¬ bauten des nordöstlichen Deutschlands, sondern übertrifft sie weit auch in seiner des höchsten Preises würdigen technischen Aus-

führnng.

Der Grundriß zeigt den bisherigen Bauten der Cisterzienser in Deutschland gegenüber einige Veränderungen in den Ostteilen. Das flache, rundbogig geschlossene Altarhans ist (wie bei den Domen zu Münster und Limburg) hier nicht niehr streng quadratisch, sondern verkürzt. Während sich an der Ostseite des Querhauses in manchen Gegenden fast regelmäßig als passender Abschluß der Seitenschiffe des Langhauses, das hier nur die geringe Ausdehnung von 3ya □ des Mittelschiffes hat, zwei kleine Nebentribünen anschlössen, die zur Aufstellung von Altären dienten, diese hier wurden in verdoppelter Zahl und mit Vorlegung von viereckigen Räumen (paarweise und seitcuschiffartig die ganze Breite der Kreuzvorlage einnehmend) als vier abgesonderte Kapellen angebracht, die außen aus drei oder fünf Seiten des Achtecks geschlossen sind. Es ist die einzige Kirche, an deren Kapellen sich neben der Apsis auch Apsidiolen finden. Durch diese Anlage der in der Tonne überwölbten Kapellchen nimmt der Chorraum die ganze Breite des Ouerschiffes ein. Im Aufbau herrscht überall der Spitzbogen mit alleiniger Ausnahme der rundbogigen Eingänge zu diesen Kapellchen in der Ostwand. Das Langschiff ist mit Kreuzgewölben überspannt, die nach einem abgeflachten Rundbogen konstruiert sind, und deren gotisch gegliederte Quer- und Kreuzgurte auf schlichten Kragsteinen aufsetzen, von denen einige in den Seitenschiffen mit romanisch ornamentierten Stuckmänteln maskiert sind. Doch ist mit Gewißheit anzunehmen, daß die heutigen Gewölbe mit Ausnahme etwa desjenigen im süd¬ lichen Kreuzarme aus späterer Zeit stammen. Das schöne, romanische Mattwerk mit seinen Diamantquadern ist der einzige künstlerische Schmuck des Innern der Kirche; die durchweg quadratischen Arkadenpfeilern, die in ihrer Zwölfzahl die Apostel repräsentieren, ermangeln der Basen, und auch die Kapitäle sind höchst bescheiden behandelt. Aber erwägt man, daß das ver¬ wendete Material bei seiner jeder feineren Bearbeitung spottenden Härte die äußerste Einfachheit im Bau bedingen mußte, so muß man die vorzügliche Ausführung des Ganzen um so mehr an¬ staunen. Die sorgfältigste Bearbeitung der einzelnen Findlinge zu schackitartigen Quadern zeichnet den Bau vorteilhaft aus und entschädigt für den Mangel an weicherer Gliederung. Aber gerade diese konsequente Verwendung des spröden Materials, des einzigen, das neben den Brandziegeln in der Mark zur Verfügung stand, hat der Kirche das strenge, schmucklose, wuchtige Gepräge verliehen, mit welchem sie dem Beschauer entgegentritt. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die Wahl von Granit dar¬ auf zurückzuführen ist, daß man der Kirche gegen jedweden Ansturm größere Widerstandskraft verleihen wollte. Denn der uns erhaltene Bau ist nicht die ursprüngliche alte Klosterkirche; diese wurde 1173 bei einem Zerstörungszuge der Wenden derart beschädigt, daß ein Neubau nötig war, der nun ganz aus Granitquadern hergestellt und in der fraglichen Zeit ausgeführt wurde. Ich möchte mich der Pnttrichschen Ansicht anschließen, daß das monumentale Gebäude in der Zeit von 1290—1230 beendigt wurde. Die Klosterkirche ist also in künstlerischer wie knnsthistorischer Hinsicht gleich wertvoll. Auch das Innere der Kirche meist seltene Kunstwerke ans. Zunächst befindet sich auf der Kelchseite nächst dem ursprünglich mit einem Marienbild geschmückten Altar in der Mauer eine fensterartige Nische (piscina), und innerhalb dieser eine halbkugelige, kessel- oder flachtellerartigc Vertiefung mit einem kleinen Abzugs¬ kanal. Sie war bestimmt znni Reinigen der heiligen Gefäße oder zum Waschen der Hände für den Priester. Sodann find noch einzelne prächtig geschnitzte Wangenstücke des alten, aus dem 14-_ Jahrhundert stammenden Chorgestühls erhalten, ebenso zwei grisaillierte Glasmalereien, des h. Benedikt und des h. Bernhard, ein aus Messing mit eingravierten Figuren gefertigtes Ciborium, das nicht bloß zum Aufbewahren, sondern auch bei größerer Anzahl der Koinmnnikanten zum Austeilen des Wcihbrotes diente; ein schönes Sakramentshanschen, das wegen seines früh edelgotischen Stiles denkwürdig ist und vor allein der im Laufe der Jahre allerdings etwas^stark durch Betreten abgenutzte Engclgruß ,.ave Maria etc.“ im Fußboden vor den Altarstufen, der aus einzelnen quadratischen Ziegeln hergestellt ist, deren jeder eine Majuskel en reliek darstellt. Erwähnung verdient zuletzt auch noch die

größte der Glocken von 1291, weil ihre Inschrift sich oben auf der Haube befindet; die beiden anderen Glocken gehören dem Beginn des 14. Jahrhunderts an. Die jetzige Kanzel wurde 1694, die Orgel 1722 errichtet. Ein solches Kunstdenkmal, das mit der Knltnrcntwicklung des Landes, sowie auch mit seiner politische» Geschichte eng ver¬ wachsen ist, in banlicheni Zustande zu erhalten, war deshalb Pflicht der interessierten Behörden. Da die Gemeinde selbst blutarm ist, mußten andere Kräfte h lfend eingreifen. Die Kosten waren ans insgesamt 19 000 M. veranschlagt. Der Fiskus als Patron er¬ klärte sich zur Zahlung von 6000 M. bereit, der Rest sollte von Im Hinblick ans deren der Gemeinde aufgebracht werden. Armut wandten sich Gemeindekirchenrat und der „Verein zur würdigen Erhaltung der Klosterkirche" an die Provinzial-Kommission für die Denkmalpflege. Ans ihren Vorschlag bewilligte der Brandenburgische Provinzialausschnß 4200 M., die Kolonie selbst 1000 M., womit sie über die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit weit hinaus gegangen war. Die Sorge um die Beschaffung des Restes wurde der Gemeinde genomnien, indem der Kaiser aus seinem Dispositionsfond die fehlende Summe anweisen ließ. So konnte die Restauration begonnen werden. Zunächst wurde das Dach der Kirche neu gedeckt, die inangelhaftcu Stellen des äußeren Mauerwerks wurden durch solches in gleicher Technik ergänzt, auch die Thüröffnungen wieder an die Stellen zurück¬ versetzt, an welchen sie früher angelegt waren. Ferner wurden die alten, schönen Eingangsthüren wieder hergestellt, die Fenster¬ verglasungen gesichert, der Dachreiter mit Blitzableiter'versehen. Im Innern der Kirche wurde der schadhafte Wandputz wieder her¬ gestellt und angemessen bemalt. 11m einer Beschädigung der Wände des Hochschiffes durch das von den Fenstern abfließende- und den Wandpntz zerstörende Wasser vorzubeugen, wurden erforderliche Vorkehrungen getroffen. Die schadhaften Fußbodcnbeläge erhielten Ersatz durch einen dem Innern des Gotteshauses entsprechenden Fliesenbelag; die in späterer Zeit umgebauten, unpassenden Emporen und Loggien wurden beseitigt und das Gestühl würdig erneuert. Der aus dem vorigen Jahrhundert stammende Altaraufsatz wurde trotz seines unerheblichen Kunstwerts in stilgemäßen Zustand versetzt und die unpassende Orgelempore und das Orgelgehäuse in gleicher Weise erneuert. Die erwähnten wertvollen Seitenwangcn des alten Gestühls fanden für die Waudtcile im Chor Verwendung, und die in den Fenstern des Chores vorhandenen alten Glasmalereien wurden ergänzt. So hat die Restauration in wenigen Jahren das alte ehrwürdige Baudenkmal wesentlich in den Formen und der Gestalt der Nachwelt überliefert, in welchen es im 13. Jahr¬ hundert errichtet wurde. Bei den Restanrierungsarbeiten, die bereits vor 50 Jahren geplant waren, aber immer unterblieben, bis nun endlich die Er¬ neuerung vorgenommen und durchgeführt werden konnte, fanden sich in den Grüften unterhalb der Kirche noch Särge mit Skelett¬ resten, die anderweit beigesetzt wurden, soweit nicht ReliquieuVon den vcrehrer sich Sammlungen einzelner Teile zulegten. Mauerresten der die Kirche umgebenden Mönchszellen und dem Kreuzgaug, der den stillen Friedhof der Mönche umgab, sowie von der unter dem zweiten Abt errichteten Mauer, die das Ganze umschloß, die aber später zerstört wurde, haben sich keine nachweis¬ baren Reste vorgefunden. Dafür ragen aber in unvergangener Herrlichkeit die beiden alten Abteigebäude als Zeugen einstiger empor. Das ältere mit heute Macht noch hierarchischer seinem schöne», frei durchbrochenen gotische» Backsteingiebel stammt aus dem 14. Jahrhundert, das andere größere mit seinem hohen östlichen Staffelgiebel, in dessen Rundblenden die Reste von Wand¬ malereien erkennbar sind, ans dem Jahre 1495. In den Hallen dieses noch heute sogenannten „Fürstenhauses", das jetzt die Wohnund Geschäftsräume des Reutineisters beherbergt, hat gar mancher Große seiner Zeit geweilt. Außer den Erzbischöfen von Magdeburg und Brandenburg, den Aebten von Lehnin verweilten hier die Brandenbnrgischen Markgrafen Johann I. und Otto III., mehrfach Friedrich II., der Friedländer Wallenstein, König Gustav Adolf von Schweden mit seiner Gemahlin u. a. m. Nach dieser Beschreibung der Klosterkirche und der Abteien gebietet es sich auch ihrer Einwohner und deren Thätigkeit zu ge¬ denken; knüpft sich doch grade an die Thätigkeit der Cisterzienserniönche von Zinna und ihre Unternehmungen eine Bedeutung für die Mark Brandenburg und daniit des Staates, wie ihn weder vorher oder nachher ein Kolonisator zu verzeichnen hat. Es ist ein mächtiges Stück Kulturarbeit, das der Orden verrichtet hat. Kurz nach der Gründung von Zinna wurde 1171 Dergun in Pommern, 1175 ebendaselbst Colbaz und Altzelle in Brandenburg, 1183 Lehnin und 1186 Oliva in Preußen gegründet. Namentlich scheint es ihnen das fröhlich erblühende Kloster Lehnin angethan zu haben, in erneuten kolonisatorischen Wettbewerb mit diesem zu treten. Während diese in der Zauche zn kämpfen hatten, erwachte von neuem der Bckehruugseifer der Mönche „zu der Cziuna", und sic versuchten ihrem Kloster Barnim und Teltow zn sichern. _

unü folslt.)

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Schicksale eines flidpreuMchen Offiziaitten während des polnischen Insurrektionskrieges 1794. (Aus alten Familienpapieren.) ^^nzwischen mußte ich fünf, sage fünf Stunden auf der Straße zur Schau für die gaffende Menge zubringen. Endlich ward ich zur Wache gebracht, und in der Osfiziersstnbe der Sicherheit wegen, wie man sich auszudrücken beliebte, wie ein gemeiner Verbrecher

mit dem rechten Fuße an die Pritsche

angeschlossen. Auch jetzt be¬ diente ich mich des geheimen Schlüssels, der mir die Herzen meiner Gesellschaft erschloß, und ward schnell aus meiner schimpflichen Lage befreit. Gegen abend wurde ich endlich von der Wache abgeholt und vor die Kommission in den Palast des Fürsten Primas geführt; eine Eskorte von vier Mann mit geladenem Ge¬ wehr führte mich vor. Man stellte mit mir ein weitläufiges Ver¬ hör au, das mit peinlicher Genauigkeit zu Protokoll gebracht wurde. Nach Beendigung desselben wurde ich in den Zalnskischen Palast geführt, um daselbst den weiteren Verlauf der über mich verhängten Untersuchung abzuwarten. Ich fand dort verschiedene Zivilbeamte vor, welche aus Süd- und Westpreußen weggeschleppt worden waren, unter anderen die beiden Kriegsräte Schepius und Bros-

kovins aus Bromberg, wie auch den Warschauer Postdirektor. Sie alle schmachteten seit Beginn des Aufstandes in Gefangenschaft. „Ein neuer Bruder!" riefen sie mir zu und luden mich als Leidensgenossen kameradschaftlich ein, auf ihrem Strohlager Platz zu nehmen. Natürlich wimmelte es auch hier von Ungeziefer aller Art. Dabei herrschte allgemeiner Mangel, und niemand wurde hinausgelasfen. Ich fand indessen bald Mittel und Wege, trotz unserer strengen Bewachung, zwei mir bekannte Warschauer Kauf¬ leute meine Gefangenschaft wissen zu lassen, und bat um deren Unterstützung, vor allem um Wäsche. Meine Botin, eine Magd des Koches im Palast Zaluski, fand meine Bekannten bald aus und brachte mir gute Nachricht nebst einigen Hemden und anderer .

Leibwäsche, die ich so lauge entbehren mußte. Ein diesen Gegen¬ ständen freundlichst beigefügter Teller mit Kuchen wurde von mir und meinen Mitgefangenen als ein seltener Leckerbissen sofort Zu verzehrt. Ich sing nun an, neue Hoffnung zu schöpfen. meiner Freude wurde ich nicht getäuscht, denn schon am anderen Tage wurden mir Kaffee, Suppe, Wein und Brot gesandt, wozu sich noch die Ueberraschung gefellte, meine beiden Wohlthäter, als polnische Waschweiber verkleidet, mit einem Bündel Wäsche in unser Gefängnis eintreten zu sehen. Die Wache, welche, ich bereits vorher reichlich mit Branntwein traktiert hatte, war so ge¬ fällig, mich mit meinem Besuch allein sprechen zu lassen. Die beiden biederen Männer zeigten sich in der opferwilligsten Weise bereit, mir in meiner unverschuldeten Notlage zu helfen und mit ihrem Vermögen zu dienen. Sie boten mir Geld und Kredit an, ivas ich jedoch vorläufig dankend ablehnte, da ich hoffte, mit meinen in den Stiefeln bewahrten Dukaten auszukommen, behielt mir aber vor, das gütige Anerbieten in künftigen Notfällen an¬ zunehmen. Die Gelegenheit dazu sollte sich später finden. Dieser Besuch hatte die angenehme Wirkung, daß die bereits erwähnte Magd des Koches sich mir noch geneigter zeigte als zuvor. Sie ermöglichte es mir, jede Nacht auszugehen, indem sie mich am späten Abend durch ein Pförtchen, zu dem sie den Schlüssel besaß, durchschlüpfen ließ, jedoch unter der Bedingung, daß ich mich alle Morgen vor Tagesanbruch in meinem Gefängnisse wieder ein¬ fände. Von diesem Vorteile machte ich reichlichen Gebrauch, ich speiste und schlief bei meinen Freunden bis gegen morgen. Jedes¬ mal erhielt die Pförtnerin einen halben Gulden znr Belohnung. So lebte ich denn in meiner Gefangenschaft ziemlich erträglich bis zum 4. November, jenem blutigen Tage, welcher der pol¬ nischen Revolution und dem ganzen Staate ein Ende machte. Es war gegen morgen, als ich von meinen Freunden aus dem Nachtguartier nach meinem Haftlokale zurückkehrte. Noch war es ganz finster. Auf den Straßen bemerkte ich sehr unruhige und angstvolle Bewegungen. Ich teilte meinen Gefährten mit, was ich beobachtet hatte; wir alle blieben in der beklemmendsten Erwartung und harrten sehnsuchtsvoll dem Tag entgegen. Es beherrschte uns ein von Angst und Freude gemischtes Gefühl. Allmählich wurde das Getümmel auf der Straße lauter. Unsere Unruhe wuchs, denn man konnte deutlich das Geschrei von Männern, das Wehklagen der Weiber und Kinder unterscheiden. Dazwischen ertönte der grausige Donner der Kanonen, von den jammernden Stimmen der Fliehende» begleitet. Unter dieser namenlosen Aufregung war der Tag angebrochen. Wir traten an das Fenster, welches eine freie Aussicht auf die Vorstadt Praga hatte. — Gott, welch ein Anblick bot sich uns in der Ferne dar! — Die Russen waren Meister von Praga geworden. Sie hatten die polnischen Verschanznngen am rechten Ufer des Stromes gestürmt und sich ihrer innerhalb einer Stunde bemächtigt. Im Rausche des Sieges kühlten die rohen Soldaten ihre Kampfeswnt in dem Blute der unglücklichen Einwohner und hieben nieder, was ihnen begegnete. Es kamen Szenen vor, in denen die menschliche Bestialität gräßliche Orgien

feierte, da die an und für sich schon vertierten moskowitischen Scharen, durch langandauernde blutige Kämpfe noch mehr erregt, nicht einmal die in der Wiege schlummernde Unschuld schonten. Roch ganz versunken in den traurigen Anblick, wurde ich durch das hastige Eintreten des polnischen Hauptmanns, welcher in unserem Kerker mit dreißig Soldaten die Wache hatte, auf¬ geschreckt. Der unglückliche Mann brachte mir zitternd und bebend Flehentlich bat er mich, sie unter seine Frau und Kinder. meinen Schutz zu nehmen, indem ich sie als preußische Gefangene Gleichzeitig übergab er mir vertrauensvoll seine angeben möge. Habe, welche einigen Wert hatte, znr Aufbewahrung. Es gelang mir später, seine Familie und seine Habseligkeiten in Sicherheit zu bringen. Von diesem Augenblick an waren wir frei. Alle Thüren standen offen, da die Wache vor Angst davon gelaufen war. Ich begab mich hinunter auf die Straße und lenkte meine Schritte Beim ersten Anblick fand ich aller nach der Vorstadt Paga zu. Orten auf den Straßen verwundete und kranke preußische Sol¬ daten, welche in Rinnsteinen, auf Misthaufen und hinter Zäunen herum lagen. Durch das erduldete Elend stumpf geworden, hatten die Armen diese widerlichen Lagerstätten aufgesucht, um durch Bettelei das Mitleid der Vorübergehenden heraus zu fordern. Sie waren vor Erschöpfung und Leiden nicht mehr imstande, sich regel¬ recht zu bewegen, sondern krochen auf allen Vieren vorwärts. Ich ' ließ die Unglücklichen sofort durch polnische Tagelöhner nach meinem bisherigen Gefängnis bringen, die Thüren des Palastes auf¬ schlagen und die Elenden auf teuer erkauftes Stroh betten. Medi¬ kamente und Lebensmittel waren schwer zu finden. Mit Mühe und Not erhielt ich für meine armen Landsleute das Nötigste, So errichtete ich in¬ nebst einigen Wundärzten und Aufwärtern. mitten einer feindlichen Stadt eine Art von Lazarett, ohne von jemand dazu den Auftrag zu haben. Nachdem nun für die Kranken einigermaßen gesorgt war, hielt ich es für Gewissenssache, mich nach den unglücklichen, preußischen Gefangenen umzusehen, welche dazu verurteilt waren, in Praga Zu diesem Zweck war mir die Be¬ Schanzarbeiten zu verrichten. kanntschaft von fünf gefangenen russischen Offizieren, die ich wäh¬ rend meiner Internierung gemacht hatte, außerordentlich nützlich. In der Freiheit erneuerten wir die Freundschaft, machten bei einer Punschbowle Brüderschaft, tranken auf die Gesundheit der russischen Kaiserin Katharina II., der Großen, Friedrich Wilhelms, meines Königs, sowie des braven Suwarow. Wir fuhren sodann über die Weichsel, nachdem mir meine Freunde vorher ein russisches Kordon auf dem Hute befestigt hatten, damit mich dieses den

gefürchteten Kosaken als deren Landsmann kenntlich machen sollte. welches sich uns auf dem jenseitigen Ufer darbot, Der An¬ entlockte meinen Augen bittere Thränen des Schmerzes. blick war ebenso entsetzen- wie mitleiderregend. Siebzehn- bis acht¬ zehntausend Menschen beiderlei Geschlechts, jung und alt, Mütter mit ihren Säuglingen lagen, bunt durcheinander gewürfelt, in der Vorstadt umher. An einzelnen Stellen lagen die Leichen zu förm¬ Dazwischen tote Soldaten, nieder¬ lichen Hügeln aufgetürmt. geschossene Pferde, zerbrochene Wage» und Stangen, getötete Hunde, Katzen, Schweine und Rindvieh, denn auch die armen, friedlichen Haustiere waren nicht verschont worden. Die Körper der Er¬ schlagenen waren nackt, hin und wieder zuckte unter den Leichnamen Die ganze Vorstadt ein Arm oder ein vorgestreckter, nackter Fuß. Praga war in Feuer und Rauch gehüllt. Häuser, Stallungen, Unter den Flammen stürzten Gartenzänne und Bäume brannten. krachend die Gebäude zusammen, und die Schreckensszenen wurden noch fürchterlicher durch das jammervolle Geschrei der Verwundeten Ganze Haufen blutiger Kleidungsstücke waren oder Verfolgten.

Das Schauspiel,

den Siegern als willkommene Beute aufgestapelt worden. Einige Kosaken boten sie mir zum Kauf an. Ich zeigte mich bereitwillig, eine» Handel mit ihnen zu schließen, verlangte jedoch zuvor, sie sollten mir diejenige Stelle zeigen, wo ich die preußischen Gefangenen anträfe. „Dort, weiterhin, gegen die Weichsel liegen sie," gaben sie mir zur Antwort, „wir kannten sic nicht, und so starben sie während des Sturmes als brave Soldaten." Sofort begab ich mich mit meinen Begleitern und einem Schwarm Kosaken nach dem mir angegebenen Ort und fand daselbst ungefähr 250 preußische Gefangene, sämtlich niedergehauen. Unter ihnen lagen noch verschiedene, die noch nicht tot waren und mir durch ihre Jammertöne das Herz zerrissen. Ich ließ sogleich die Haufen aus¬ einander werfen und zog unter Beihilfe der Kosaken, welche diese menschenfreundliche Handlung scheinbar gern verrichteten, oder auch nur in Erwartung eines guten Trinkgeldes, 32 Mann, die »och Leben verrieten, unter den Toten hervor. Die Kosaken luden die Unglücklichen auf ihren Rücken und schleppten sie, so gut sic konnten, durch Ruinen und über die Feuerplätze an die Weichsel, wo ich ihnen für jeden Geretteten zwei polnische Gulden bezahlte.

von

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Ich ließ die Verwundeten auf Kähnen nach Warschau führen, brachte sie ebenfalls in das von mir errichtete provisorische Feld¬ lazarett und verpflegte

sie nach

Möglichkeit.

Die geraubten Kleidungsstücke, die mir von den Kosaken zum Kauf angeboten worden, schienen mir kein unvorteilhafter Handel zu sein. Zu diesem Zweck fuhr ich abernmls mit meinen fünf Die vorherigen Haufen bekannten Offizieren über die Weichsel. Kleider nebst anderen Sachen hatten sich während der Zeit meiner Abwesenheit bedeutend vermehrt. Verkaufen wollten die Russen gern, und anher mir durfte sich kein Kauflustiger sehen lassen. Ein schreckliches Schicksal hatten sechzehn Inden, die von Gewinn¬ sucht getrieben, gleichfalls hierher geeilt waren. Sie wurden so¬ gleich bei ihrer Ankunft von den Kosaken »ach deren entmenschter Kriegsart empfangen. Sie ergriffen sie bei den Haaren und stießen sie mit den Köpfen an die Wände, Mauern, Bäume oder Zäune, daß sogleich das Blut und Gehirn herausspritzte. Das Geld, das die Unglücklichen zum Kauf mitgebracht hatten, verteilten die Kosaken unter sich. Mehrmals blitzten ihre Angen voll Raub¬ gier auch ans meine Person, aber ein preußischer Offiziersrock vom Regiment Schwerin, den ich kurz vorher von den Schurken einge¬ handelt hatte, ein ganz neues, russisches Kordon ans meinem Hut, sowie ein russisches Portepee an meinem Säbel schützten mich vor ihrer Mord- und Habsucht. Meine Führer dienten mir bei meinem Handel zu Dolmetschern. So wie die Hausen gerade lagen, wurde je einer mit 5 bis 10 Rubeln bezahlt, und für 35 goldene und silberne Taschenuhren gab ich zusammen 35 Rubel. Ein Hut voll zerbrochenen Silbergerätes galt 2 Rubel. Mit meinen billig er¬ worbenen Schätzen kehrte ich sehr zufrieden nach Warschau zurück. Sobald die Kähne ansgepackt waren, wurde ich von einem Heer zudringlicher Inden umringt, die mich mit meinen Waren bis nach meiner Wohnung verfolgten und mir sogleich einen Teil der Sachen abkauften.

Eine dritte Fahrt nach Praga war zwar nicht

so

einträglich,

verschaffte mir aber dafür eine Herzensfreude, welche diejenige weit überstieg, die mir mein vorteilhaft abgeschlossener Handel ver¬ ursachte, und an die ich noch heute mit dem lebhaftesten Gefühl der Genugthuung und nicht ohne Dank gegen meinen Schöpfer zurückdenke, der mich zum Werkzeug der Rettung vieler Menschen¬ leben machte. AIs ich an dem jenseitigen Ufer ankam, hatte das Feuer schon so weit um sich gegriffen, daß ich mich ohne Lebens¬ gefahr nicht weit hinein wagen konnte. Das entsetzliche Morden dauerte leider noch fort. Ein fürchterliches Kindergeschrei, das von einem Hof aus erscholl, ließ mich schnell dorhin eilen. Eine große Menge Judenkinder, die während des Eindringens der Russen ihren flüchtenden Eltern teils abhanden gekomnien waren, teils sie durch das Schwert der Moskowiter verloren, hatten sich dorthin geflüchtet. Eine grausame Kosakenhorde, wahrscheinlich Baschkiren oder Kirgisen, hatte die armen Kinder in ihrem Versteck aufge¬ stöbert und beschäftigte sich damit, weil sich ihnen zum Plündern nichts darbot, aus Aergcr darüber oder zu in Zeitvertreib, das un¬ glückselige Gewürm tot zu schlagen. Entsetzt über diese Gräuel,

welche mich an die Unthaten von bei der Zerstörung Magdeburgs erinnerten, bat ich diese menschlichen Bestien, mit ihrem Morden innezuhalten und schlug ihnen vor, mir lieber die Kinder zu ver¬ kaufen. Dieser glückliche Einfall hatten einen von mir nicht er¬ warteten Erfolg. Mein Anerbieten erschien den Mordgesellen vorteilhafter als das für sic nutzlose Hinschlachten der wehrlosen Opfer, sie gingen ohne weiteres darauf ein. Ich bezahlte einen polnischen Gulden für jedes Kind und rettete auf diese Weise 35 unschuldige Geschöpfe vom Tode. Meine Begleiter rieten mir in wohlmeinender Absicht, mit den geretteten Kindern nicht lange an diesem Schreckcnsort zu verweilen, da der abgeschlossene Handel die Verkäufer sonst gereuen könnte. Wirklich funkelten auch schon die Augen dieser Teufel in Menschengestalt mit unheimlicher Blut¬ gier, indem sie ihre gekrümmten, blutigen Säbel schwangen. Ich eilte daher schleunigst mit meinen Judenkindern über die Weichsel nach Warschau, wo mir von einigen Juden, welche sich am Ufer

Tillys Wallonen und Kroaten

befanden, mein ausgelegtes Geld wieder zurückgezahlt wurde. Vier Gulden büßte ich indessen ein, weil mir vier meiner Kinder davon¬ gelaufen waren. Dies war der einzige Handel an diesem Tage, bei welchem ich in gewisser Hinsicht verlor. Obwohl ich in dieser schlimmen Zeit auf jeden Pfennig bedacht sein mußte, tröstete ich mich über diese kleine Einbuße leicht, wenn es auch Judenkinder waren, Abkömmlinge eines von mir wegen seiner schlechten Eigen¬ schaften sonst verachteten Volksstammes. Gegen abend fuhr' ich zum viertcnmale über die Weichsel und wandelte unter den Trümmern. Die brennenden Häuser erleuchteten uns den Weg. Ein Haufen betrunkener Kosaken, welche sich um ein großes Feuer gelagert hatten, lud uns ein, an ihrem Mahle teilzunehmen. Wir durften uns dieser vertraulichen Einladung leider nicht entziehen, da ^ wir im entgegengesetzten Falle, bei dem rohen Charakter der Kosaken, uns leicht Mißhandlungen hätten aussetzen können. So

tranken mir denn, gezwungen, mit ihnen bis zwei Uhr des Morgens und kehrten hierauf in unsere Wohnungen zurück. Kanin graute der nächste Morgen, so war meine Thür schon von einer Menge Juden besetzt, deren Schachersinn in mir längst den Mann ausgewittert hatte, mit dem sich ein „Geschäftchen" machen ließe. Ich mußte während meiner Verkäufe an die Juden, bei ihrer angeborenen Sucht, zu betrügen, stets scharf ans der Hut sein. So verkaufte ich ihnen denn meinen letzten Vorrat an Kleidern, Wäsche, Betten, Silberzeug und anderen.Gegenständen, welche ich von den Kosaken erworben hatte, und freute mich herzlich über die verhältnismäßig hohe Summe, die ich daraus löste, weil ich dadurch in den Stand gesetzt wurde, meine für die Er¬ richtung einer Lazarettanstalt getroffenen Vorbereitungen fortzusetzen. Letzteres war dringend notwendig, da die Zahl meiner hilfs¬ bedürftigen Landsleute sich täglich vermehrte. Einige preußische Offiziere, welche sich als ehemalige Gefangene der Polen im sächsischen Palast aufhielten, meldeten mir, daß sie krank und voll¬ kommen ausgeplündert wären. Für das wenige Papiergeld, was sie noch besäßen, könnten sie nicht die notwendigsten Lebens¬ bedürfnisse einkaufen. Sie baten mich daher, ihnen gegen Quittungen etwas vorzuschießen. Ich konnte ihnen ihr billiges Verlangen nicht abschlagen, aber solche Vorschüsse und mein-Lazarett erschöpften meine Börse in kürzester Zeit. In dieser Verlegenheit erinnerte ich mich des Anerbietens der beiden Kaufleute, die mich im Gefäng¬ nisse besucht hatten. Ich ging zu ihnen, stellte ihnen meine Lage vor und erhielt gegen Wechsel die Summe von 400 Thalern vorgestreckt. Mit diesem Gelde, das ich in einem Beutel trug, konnte ich indessen an dem sächsischen Palaste, wo die preußischen Offiziere saßen, nicht so ohne weiteres vorbeikommen. Als sie mich erblickten, baten sie mich hinein und schilderten mir in bewegten Worten ihre Notlage. Kurz, nach Ablauf von kaum zwei Stunden war die ganze Summe gegen Quittungen und Wechsel von mir wieder ausgegeben worden, und ich kehrte abermals mit leeren Taschen und mit lebhafter Be¬ sorgnis wegen der Zukunft in meine Wohnung zurück. Die Zahl meiner Gaste hatte sich während meiner Abwesenheit wieder um einige Personen vermehrt. Es waren mehrere Zivilbeamte aus Süd- und Wcstpreußen, die man ans ihren dortigen Wohnsitzen gefangen fortgeschleppt. Die meisten waren krank, alle ausgeplündert, ohne Hilfsmittel und fast verhungert. Seitdem die Russen Praga eingenommen hatten, war von seiten der Polen nicht mehr für ihre Bedürfnisse gesorgt ivorden. Die polnische Kommission war davongelaufen, der Magistrat unsichtbar geworden, und die polnischen Marschälle mit der Kriegskasse verschwunden. Ich vertcillte vor¬ läufig das wenige Geld, was mir noch übrig geblieben war, unter sie, suchte erschöpft mein Bett ans, wo ich über die Mittel nach¬ dachte, am folgenden Morgen den Hunger meiner armen Kranken zu stillen, deren Zahl inzwischen auf 200 angewachsen war. Am anderen Morgen hüllte ich mich in einen kostbaren, noch blutigen Pelz, den ich am Tage zuvor für zwei polnische Gulden von einem russischen Soldaten gekauft, nahm einige goldene und silberne Schärpen, Portepees, nebst zwei Uhren, welche Gegenstände ich von meinen Einkäufen bei den Kosaken für die Rot noch zurückbehalten batte, verpfändete sie in einem Kaffee-Hause für 50 Thaler und kaufte dafür, um für den Augenblick wenigstens Lebensmittel zu haben, Brot, Mehl und Butter, und zwar mit Hilfe der Russen auf gewaltsamem Wege. Mein Geld war nun wieder fort. Ich lief, fast tiefsinnig vor Sorgen, in der Stadt umher, bis ich endlich in eine Straße kam, wo ich den preußischen Adler an einem Hanse erblickte. Bald erkannte ich denn auch, daß es das preußische

„Seehandlungs-Socictätskomptoir"

sei.

Der Anblick dieses Hauses goß einen Strahl von Hoffnung in mein bekümmertes Herz. Ich ging in den Thorweg hinein, ohne mich anmelden zu lassen; zwei Mann von der polnischen Polizei, welche hier Wachtdienste thaten, wollten mich am ferneren

Eintritt verhindern, ich stieß sie jedoch so heftig zurück, daß einer von ihnen zu Boden fiel. Der hierdurch verursachte Lärm lockte den Bewohner des Hauses, den Direktor Brockmann, heraus, ivelchcr über meinen Anblick und die seltsame Art, wie ich mich bei ihm eingeführt hatte, etwas erstaunt war und mich über den Zweck meines Besuches fragte. Ich bat ihn, ihm ins Zimmer folgen zu dürfen. Hier angelangt, erzählte ich von meiner Lazarett¬ einrichtung und eröffnete ihni meine bedrängte Lage. Ter würdige Herr hörte mir aufmerksam und mit Teilnahme zu, besann sich eine Weile und überreichte mir zuletzt einen Beutel mit 500 Thalern gegen eine Jntcrimsquittung. Voller Freude verließ ich ihn; mein Geld war indessen ausgegeben, ehe ich in das Lazarett zurückkehrte. Es begegneten mir unterwegs der Hilfsbedürftigen so viele, daß ich nach Verlauf von zwei Stunden die Taschen zwar mit Quittungen angefüllt hatte, aber keine Lebensmittel für meine Kranken besaß. Ich kehrte zu Herrn Brockinann zurück und holte noch 200 Thaler von ihm, für welche ich eine Quittung für den folgenden Tag versprach. Wie aber erstaunte er, als ich am anderen Morgen, sobald es Tag war, wieder bei ihm vorsprach und ihn noch um 2300 Thaler bat.

(Echlub folgt.)

769

Pcüilletos) des J|är.

tJWW^Wwywwywwwwwsiwwwww'i’vv'S'm'j'wwwfWfww'wwwwiwwtB

V'Y Msl^el. Novelle von Neinbold Grtmann. (Nachdruck »rrboteii.)

In

I. n

einem

der ivinzigen Marmortische vor der K'schen

Konditorei saßen zwei Herren von mittlerem Lebensalter, die, nach ihrer eleganten Kleidung, ihren vornehmen Manieren und dem Inhalt ihrer in französischer Sprache geführten Unterhaltung zu urteilen, wohl der sogenannten Es war einer jener besten Gesellschaft angehören mußten. schönen milden Herbsttage, die ivie ein letzter Scheidegruß des sterbenden Sommers auch im deutschen Norden zuweilen noch die griesgrämige Sturm- und Regenzeit des Oktobers unter¬ brechen, und alles, was die Millionenstadt an beneidenswerten Müßiggängern in sich schloß, schien durch den goldenen Sonnenschein hierher auf die breiten Promenadenwege gelockt worden zu sein, die sich von der schmalen Terrasse vor deni altberühmten Kaffeehause so bequem überschauen lassen. Ein nicht geringer Bruchteil jener vornehmen Welt, die da ihre edlen Gespanne und ihre glänzenden Karossen zur Schau stellte, war den beiden offenbar persönlich bekannt, denn fast unaufhörlich wurden artige Grüße zwischen ihnen und den Borüberfahrenden gewechselt. So geschah es auch, als ein leichtes, zweirädriges Gefährt, von einem feurigen, schneeweißen Traber gezogen, in schnellster Gangart die Straße heraufkam. Es wurde nicht von einem Kutscher, sondern von dem Besitzer selbst gelenkt, an dessen Seite eine schlanke junge Dame saß, während ein halbwüchsiger Groom regungslos wie aus Holz geschnitzt mit über der Brust gekreuzten Armen aus dem schrägen Hintersitz hockte.

Ein paar flüchtige Sekunden hatten sich die beiden Herren auf der Terrasse an dem Anblick des reizendsten aller Frauen¬ gesichter erfreuen dürfen, die während der letzten halben Stunde hier an ihnen vorübergeglitten waren, dann war das leichte Fahrzeug ihren Blicken entschwunden.

„Bei allen Göttern — war das nun Wirklichkeit oder rief der eine von ihnen, ein hagerer, schwarzbärtiger Vierziger mit scharfen Zügen und kühn geschwungener Adlernase, „der Blonde war doch jener Graf Fiddichow, mit dem Sie mich vor einigen Tagen im TurfKlub bekannt machten — nicht wahr?" optische Täuschung?"

„Allerdings! Graf Erwin Fiddichoiv ans Fiddichow!" — „Und die Dame an seiner Seite? Sie war doch nicht etiva seine Frau?" Der andere sah den Fragenden verwundert an. „Natürlich seine Frau — was sonst? Weshalb glaubten Sie denn daran zweifeln zu müssen, mein bester Herr de Riveira?"

„Weil ich allem Anscheine nach durch eine merkwürdige Achnlichkeit genarrt wurde. — Sind die beiden denn schon lange verheiratet?"

„Seit ungefähr

zwei Jahren, ivenn ich nicht irre.

Mit

Bestimmtheit weiß hier vermutlich niemand ihren Hochzeitstag anzugeben, denn sic wurden jenseits des großen Wasser getraut, in Kalifornien oder Patagonien oder in einer ähnlichen unmög¬ lichen Gegend."

den dunklen Augen des Herrn de Riveira blitzte es eigentümlich auf. Im Klang seiner Stimme aber verriet sich kaum noch eine besondere Teilnahme, als er nach einigen

Zügen aus seiner Zigarette weiter fragte:

„Eine Heirat mit romantischen Nebenumständen also? Vielleicht sogar eine Mesalliance?" „In gewissem Sinne allerdings, obwohl die Gräfin eben¬ falls aus guter Familie stammt. Sie ist eine geborene Rüdiger — Ada von Rüdiger, und wenn sie sich in irgend ein vornehmes adliges Fräuleinstift hätte aufnehmen lassen wollen, ivürde es ihr gewiß nicht schwer gefallen sein, die Ahnenprobe zu bestehen."

nach

„Wie in aller Welt, kamen denn aber diese beiden Kalifornien oder Patagonien, ivie Sie sagen? — Erzählen

Sie doch! Roman."

Mir

scheint, dahinter steckt irgend ein interessanter

„Na, zu erzählen giebt es da nicht gerade viel. Der junge Mann war nach Amerika gegangen, iveil er wegen eines unangenehmen Konflikts mit seinem nächsten Vorgesetzten als Offizier hatte den Abschied nehmen müssen, und iveil er sich zu seinem starrköpfigen Oheim durchaus nicht zu stellen -vußtc. stolz, um die Unterstützung eines Verwandten anzunehmen, von den: er in Unfrieden geschieden ivar, soll er sich drüben

Zn

als Sprachlehrer und Journalist zwei oder drei Jahre lang mühselig genug durchgeschlagen haben, und als er damals der armen Gouvernante, mit der ihn irgend ein Zufall bekannt gemacht haben mag, seine Hand antrug, ivar er schwerlich eine besonders glänzende Partie." Um die schmalen Lippen des Schivarzbärtigen zuckte es wie schlecht verhaltener Spott. „Eine Gouvernante — sagten Sie? — Wissen Sie das ganz bestimmt?" „Ich meine, es so gehört zu haben. Jedenfalls glaubten alle, die den alten Fiddichow kannten, daß nach diesem letzten Geniestreich von einer Aussöhnung nimmermehr die Rede sein könnte. Aber das Schicksal selbst mischte sich in die Sache, indem es den Grafen durch einen kleinen Schlag¬ anfall an die Hinfälligkeit aller irdischen Dinge mahnte. Auf dem Leidenslager brach der Eigensinn des alten Herrn kläglich zusammen, und der trotzige Neffe, der sicherlich niemals den ersten Schritt der Annäherung gethan hätte, ivurdc eines Tages zu seiner nicht geringen Uebcrraschung mitsamt seiner jungen Frau in den dringendsten Worten telegraphisch heini¬ Seitdem herrscht in dem gräflichen Hause eitel gerufen. Eintracht und Liebe; der alte Herr ist von seinem ländlichen Herrensitz hierher übergesiedelt, weil sein Zustand eine dauernde Behandlung durch tüchtige Aerzte erforderlich macht. Sein Neffe vertritt ihn auf Fiddichow in der Verwaltung des großen Besitzes, der ihm ja über kurz oder lang als Erbteil zufallen muß, und nur zuweilen, wenn den vereinsamten Grafen die Sehnsucht nach der Gesellschaft des heitern jungen Volkes überkommt, weilen sie, ivie eben jetzt, ans Tage oder Wochen bei ihm als seine Gäste."

770

uralter Familie Herr de Riveira. sagte genug," ist das freilich Vorurteilslosigkeit Aber der Baron Heykiug, sein Gesellschafter, schien den ironischen Klang dieser Anerkennung gar nicht zu benierken.

„Nun, für einen

deutschen Grafen aus

„Es mag ihm anfänglich nicht leicht geivorden sein, denn die Fiddichoivs halten etwas auf die Reinheit ihres Wappen¬ schildes. Aber glücklicherweise hat das Fräulein von Rüdiger jene — sozusagen — dienende Stellung nicht hier in Europa, sondern jenseits des großen Wassers bekleidet. Das bedeutet immerhin einen Unterschied." Das sarkastische Lächeln zuckte noch immer um Riveiras Lippen. „Ohne Zweifel! Wenigstens so lange, ivie sie nicht etwa durch das Auftauchen irgend ivelcher alten Bekannten unliebsam an die Vergangenheit erinnert wird. Aber das ist bei der exklusiven gesellschaftlichen Stellung des Herrn Grafen wohl

kaum zu besorgen."

Dem Baron Heyking, der eben einen Vorübergehenden begrüßt hatte, war diese letzte Benierknng wohl entgangen. „Finden Sie nicht, Verehrtester," sagte er nach einem kleinen Schweigen, „daß die Sache nachgerade anfängt, langweilig zu werden? Wie denken Sic über eine Partie Ecarts im Klub?" Herr de Riveira warf einen Blick auf seine Taschenuhr. „Bedaurc unendlich — aber ich habe noch eine Verab¬ redung, die ich durchaus innehalten muß. In einer Stunde jedoch werde ich ganz zu Ihrer Verfügung sein." „Abgemacht! Sie sind mir Revanche schuldig, und ich bin neugierig, die Probe daraus zu niachen, ob sie in der That immer von einem so fabelhaften Glück verfolgt werden ivie in diesen acht Tagen unserer Bekanntschaft." „Seien Sie versichert, daß es durchaus nicht der Fall ist," lachte der andere. „Ich selbst bin einigermaßen erstaunt über die ttngewohntcn Gunstbczcngungcn der launenhaften Fortuna, und ich setze herzlich wenig Vertrauen in ihre Beständigkeit.

Auf nachher

also, mein

liebet' Baron!"

^ Die beiden Herren schüttelten sich die Hände, lüfteten in der von der Mode vorgeschriebenen Weise ihre Zylinderhüte und gingen mit den gemächlichen Schritten von Leuten, die nicht viel zu versäumen haben, nach verschiedenen Richtungen auseinander.

Riveira aber sagte, während er in eine der weniger belebten Seitenstraßen einbog, mit leisem Lachen vor sich hin: „Sie war es — daran ist gar kein Zweifel möglich. Wie klein doch diese Welt ist! Ob sie mich wohl erkannt — haben mag? Es hatte nicht den Anschein, daß es so sei oder diese kleine Gräfin muß ihr reizendes Gesichtchen vortrefflich in der Gewalt haben. Nun, gleichviel! Ich hoffe, daß sich die hübsche Entdeckung in der einen oder der anderen Weise wird nutzbar machen lassen." Herr

de

und den keiner der Wechselfälle des Spiels aus der Fassung zu bringen vermag. Den Grafen hatte er vorhin bei seinem Eintritte mit einem sehr verbindlichen gleich wenig

bedeuten,

Kopfes begrüßt, ohne dafür indessen besseren Dank zu ernten als einen sehr kühlen, beinahe hochniütigen Gegengruß. Nun trat ein neuer Ankömmling in das Gemach, behutsam jedes Geräusch vermeidend, daniit das Spiel nicht für einen Augenblick gestört werde. Er näherte sich dem Grafen, um Neigen

des

mit ihm zu tauschen. Dann zogen sich beide Salons zurück. „Eine Frage im Vertrauen, liebster Rittmeister," sagte Erwin flüsternd. „Ist dieser Herr Romero de Riveira häufig einen Händedruck in eine Ecke des

ini Gewinn?"

Gewinner, der mir je in meinem Leben vorgekommen ist. Es muß jedesmal ein kleines Vermögen sein, das er beim Morgengrauen von hier mit sich

„Er

ist der hartnäckigste

fortnimmt." „Und cs giebt außer dem Baron Heykiug niemanden, der ihn hier kennt?" „Daß ich nicht wüßte.

Heykiug selbst kennt ihn, wie er Empfehlungsbriefen, die Herr den mir erzählt hat, nur aus allerdings die glänzendsten und die de Riveira mitbrachte,

Auskünfte über seine Person ivie über seine Vermögens¬ verhältnisse enthalten haben sollen. Jedenfalls hat der Baron damit, daß er ihn einführte, die volle Bürgschaft für seine Respektabilität übernommen." „Ich danke Ihnen für die Auskunft," sagte der Gras, indem er dem Rittnieister noch einmal die Hand reichte und dann mit ausfallend ernstem Gesicht an seinen vorigen Platz zurückkehrte. Wohl eine Viertelstunde lang blieb er dort un¬ beweglich stehen, und cs hatte keineswegs den Anschein, als ob er den Manipulationen des Bankhalters eine besondere Aufmerksamkeit zuivandte. Dann aber — Herr Romero de Riveira hatte eben wieder die Papierhülle von einem Kartenpäckchen abgestreift und nüt seinen hageren, von Brillanten blitzenden Fingern die einzelnen Blätter verteilt — wechselte er seinen Platz, indem er mit einigen raschen, auf dem weichen Teppich fast unhörbaren Schritten neben den Stuhl des Brasilianers trat. In ganz unauffälliger Weise beugte er sich ein wenig über ihn hinab und flüsterte ihm zu:

„Ich

ersuche

Sie, nach diesem Spiel Ihre Bank ab¬ ich habe einige dringende Worte unter

zugeben, mein Herr,

vier Augen mit Ihnen zu sprechen."

Riveira zeigte sich weder überrascht, noch be¬ troffen, und seine Züge behielten vollkommen ihren Ausdruck Herr

de

gelassener Heiterkeit, während er eben so leise zurück gab:

„Es war ohnedies

meine Absicht, Herr Graf, eine kleine

Und es wird mir selbstverständlich ein besonderes Vergnügen bereiten, wenn ich Ihnen irgendwie zu Diensten sein kann." Pause zu machen.

II.

In

dem sogenannten „blauen

Zimmer" des Turf-Klubs,

einem von den übrigen Räumen etwas abgelegenen Salon, der ausschließlich zum Baccarat-Spiel benutzt wurde, stand Graf Erwin Fiddichow am Abend des folgenden Tages mit über der Brust verschränkten Armen hinter dem Stuhl seines Freundes, des Barons Schmettau, der seit mehr denn einer halben Stunde beharrlich von dem grausamsten Mißgeschick verfolgt wurde. Wie es mit geringen Unterbrechungen fast immer der Fall gcivesen war, so lange er im Turf-Klub spielte, hielt Herr de Riveira auch heute die Bank. Er mischte und gab die Karten mit der unerschütterlichen, lächelnden Ruhe eines Mannes, deni Verlust wie Geivinn

Während er bis dahin in geradezu erstaunlicher Weise vom Glück begünstigt ivorden war, verlor er jetzt mehrmals hinter einander, und es halte unter diesen Uniständeu für keinen der Mitspieler etwas Befremdliches, als er lächelnd erklärte, die Bank vorerst nicht weiter halten zu wollen. Ein anderer setzte sich au seinen Platz, und während das Spiel seinen Fortgang nahm, traten Graf Fiddichow und Riveira in ein dem blauen Zimmer benachbartes Kabinett, wo sie ganz allein mit einander waren.

Der Dunkelbärtige schien eine artige Frage auf den Lippen zu haben, Graf Erwin jedoch kam ihm in sehr ent¬ schiedenem und gebieterischem Tone zuvor.

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„Machen wir es kurz, mein Herr de Riveira oder ivie Sie sonst heißen mögen! Sie iverden die Räume des Klubs auf der Stelle und die Stadt innerhalb vierundzwanzig Stunden verlassen, sofern Ihnen daran gelegen ist, unlieb¬ samen Berührungen mit der Polizei und dem Staatsanwalt aus dem Wege zu gehen. Zuvor aber werden Sie mir hier auf diesem Papier —" und er riß dabei ein Blatt aus seinem Portefeuille — „ausdrücklich bestätigen, daß Sie ein Falsch¬ spielet und Betrüger sind."

Das überlegene Lächeln auf

dem Gesicht des

war zu einer verzerrten Grimasse geworden, und

Brasilianers seine dunklen

Augen glitzerten tückisch.

„Sie sind von Sinnen, Herr Graf — und ich hoffe, daß die Kavaliere des Klubs einen Gast gegen fo unerhörte Beschimpfungen zu schützen wissen werden."

Erwin hatte das Blatt ans den Tisch geworfen und wies mit befehlender Geste auf das danebenstehende Schreibzeug. „Ich gebe Ihnen zwei Minuten Bedenkzeit, nicht eine Sekunde niehr! Sie sehen den Druckknopf des Telegraphen dort an der Wand. Sobald ich meine Hand danach aus¬ strecke, ist

Ihr

Schicksal besiegelt."

Es ivar etwas in seiner Stimme, davor die mühsam erheuchelte Entrüstung des andern nicht Stand halten konnte, und fast glich es schon einem Schuldgeständnis, da Herr de Riveira unsicher entgegnetc: „Aber so lassen Sie uns doch wie vernünftige Menschen mit einander reden! Hier kann ja nur ein unbegreifliches Mißverständnis vorliegen — ein Irrtum, der sich leicht genug aufklären lassen muß. Und wenn Sic vor allem die Ge¬ fälligkeit haben wollen, mir zu sagen —" Aber Erwin Fiddichow war unerbittlich. „Was ich Ihnen zu sagen hatte, haben Sic bereits gehört, und ich rate Ihnen dringend, meine Geduld nicht ungebührlich auf die Probe zu stellen. Sie haben mit vor¬ bereiteten, gezeichneten Karten gespielt. Ich sah es zweimal mit voller Deutlichkeit, wie Sie die Spiele vertauschten, denn ich kenne von Amerika her den Kunstgriff, dessen sich Leute Ihres Schlages zu diesem Zweck bedienen. Wollen Sic es also darauf ankommen lassen, daß ich einen der Klubdiener zur Polizei schicke? Sie haben noch eine Minute Zeit, sich'S zu überlegen."

Der Brasilianer gab seine Sache verloren. „Ich bin cs nicht gewöhnt, Herr Graf, mich auf so un¬ geheuerliche Anklagen zu verteidigen. Aber ich sehe, daß meine Anwesenheit im Klub Ihnen lästig ist, und ich wünsche nicht, mich aufzudrängen. Gestatten Sie mir also, mich Ihnen zu empfehlen." Er wollte zur Thür, doch der Graf vertrat ihm den Weg. „Nicht von der Stelle, ehe Sie geschrieben haben, was ich Ihnen diktieren werde! Es geschieht wahrlich nicht aus Rücksicht auf Ihre Person, sondern nur im Interesse des von Ihnen ohne Zweifel schmählich getäuschten Barons Heyking, wenn ich unliebsames Aussehen möglichst zu vermeiden wünsche. Aber ich muß ein Beweisstück besitzen, das mir gestattet, meine Handlungsweise zu rechtfertigen, und das uns außerdem in den Stand setzt, Ihnen eine Wiederaufnahme Ihres ehren¬ werten Handivcrkes an anderer Stelle unmöglich zu machen. Keine Winkelzüge also! Sie kennen die beiden Eventualitäten, zwischen denen Sie zu wählen haben, und Sie sehen, daß ich nicht aufgelegt bin, lange mit Ihnen zu verhandeln."

„Treiben Sic mich nicht zum Aeußersten, Herr Graf! Auch wenn Sie wirklich recht gesehen hätten, und wenn Sie im stände wären, den Beweis für Ihre Behauptung zu führen, dürfte» Sie Ihre Macht nicht zu einem solchen An¬ sinnen mißbrauchen. Ich bin nicht so waffenlos, wie Sic

vielleicht glauben, und ich weiß nicht, wer von uns beiden schlechter dabei fahren würde, wenn wir aufhörten, Schonung gegen einander zu üben."

„Unverschämter!" brauste Erwin ans. meine Nachsicht zu danken, wagen Sie cs,

„Statt mir für mir

zu drohen?"

„Ich drohe nicht, Herr Graf — ich niache Sic nur darauf aufmerksam, daß cs nicht bloß in meinem Leben, sondern auch in dem Ihrigen, oder vielmehr in dem Leben einer Ihnen decken

sehr

nahestehenden Person gewisse Dinge giebt,

viel lieber mit

die man

sollte,

statt

sie

dem Mantel der Nächstenliebe zu¬ an die große Glocke zu hängen. Ich

bin ein Mann, der zu schweigen versteht; aber wenn man mich bis zuni Aeußersten —"

Der Graf wartete nicht, bis er ausgesprochen hatte; schweigend ging er an ihm vorbei und erhob die Hand, um das Klingelzeichen zu geben, das den Klnbdicner herbeigerufen hätte. Mit funkelndem Blick hatte Riveira jede seiner Be¬ wegungen verfolgt, jetzt, als er sah, daß sein Einschüchterungs¬ versuch völlig mißlungen war, änderte er plötzlich seine Taktik. „Halten Sie ein!" rief er. „Wenn ich Ihnen das ver¬ langte Schriftstück ausstelle, iverden Sic sich dann mit Ihrem Wort dafür verbürgen, daß ich so wenig von Ihnen wie von einem anderen Mitgliede des Klubs bei einer Behörde denunziert werde?" „So lange Sie keinen Versuch machen, Ihre Betrügereien

— ja." „Und Sie können mir keinen anderen Weg zeigen als das mich Ihnen den dieses schriftlichen Bekenntnisses, gleichsam mit gebundenen Händen auf Gnade oder Ungnade überliefert?" „Nein." Der Brasilianer biß die Zähne zusammen und trat an zu wiederholen

den Tisch.

„Wohl! — Diktieren Tie! — schreiben

—"

Ich

bin

bereit,

zu

Wenige Minuten später hatte Graf Fiddichow Romcro Riveiras Geständnis, daß er den Baron Heyking durch gefälschte Empfehlungsbriefe getäuscht und sich im Turf-Klub zu wiederholten Malen des Falschspiels schuldig gemacht habe, in seiner Brieftasche geborgen. „Sie können nun gehen!" sagte Erwin kalt und verächtlich. „Und ich empfehle Ihnen, Ihre Abreise zu beschleunigen, denn Sie wissen, was Ihrer ivartet, ivenn Sic sich nach Ab¬ lauf von vierundzwanzig Stunden noch hier.in B. antreffen de

lassen."

Riveira verließ ohne Wort und Gruß das Gemach. Er mußte einige der Klubsäle durchschreiten, um den Ausgang zu gewinnen, und er verneigte sich dabei lächelnd hierhin und dorthin, ivie wenn er sich in der denkbar besten Laune be¬ fände. In der That schien seine Stimmung von einem Zu¬ stande der Berzivciflung sehr iveit entfernt zu sein; denn er hatte Gemütsruhe genug, eine Zigarre anzuzünden, nachdem er sich unten in die Polster einer Droschke geworfen hatte. „Der Dummkopf!" murmelte er, „daß er inich zwingen könnte,, alles wieder herauszugeben, fiel ihm gar nicht ein. Oder vielleicht war er auch zu vornehm, es zu verlangen. Ihren Triumph aber, mein werter Herr Graf, sollen Sie mir wahrlich teuer genug bezahlen. — Ich bin keiner von denen, die an unzcitigen Großmutsanwandlnngen leiden." Er fuhr in sein Hotel und bestellte die Rechnung, da er am nächsten Morgen mit dem Kölner Expreßzug abzureisen gedächte. Oben in seinem Zimmer aber öffnete er einen der beiden gcivaltigen amerikanischen Koffer,

die sein Reisegepäck

ausmachten, und entnahm ihm eine elegante, lederne Kassette, die bis zum Rande mit den photographischen Bildnissen wcib-

772

gefüllt war. Eine geraume Zeit währte es, bis er gesnnden hatte, ivas er suchte. Dann aber vertiefte er sich niit augenfälligem Behagen in die Betrachtung einer Kabinett-Photographie, die mit einemmal eine besondere Be¬ deutung für ihn gewonnen zu haben schien. Ein häßliches Lächeln verzog seine schmalen Lippen. „Schade, daß ich die Wirkung nicht selbst beobachten kann. — Es muß eine hübsche Szene geben, und ich hoffe, Sie werde» dabei an mich denken, mein hochmütiger Herr licher Personen

Graf!"

III. Biel später erst, als es seine Absicht gewesen war, verließ Graf Erwin das Klnbgebände. Die durch den peinlichen Borsall notwendig gcivordcne Besprechung mit dem Vorstande, zu der schließlich auch der aufs äußerste bestürzte Baron Heyking zugezogen worden ivar, hatte ihn so lange zurück¬ gehalten,

und nun belehrte ihn ein Blick auf die Uhr, daß

Gattin ihn auf Grund des gegebenen Versprechens mehr als einer Stunde erwarten müsse.

seine seit

schon

Aber er hatte es trotzdem nicht sehr eilig, den kurzen Weg bis zum Opernhause znrückzulegen, und sein Schritt verlangsanitc sich sogar immer mehr, je näher er seinem Ziel kam. Das Erlebnis dieses Abends hatte ihn doch mächtiger erregt, als die beherrschte Ruhe seiner äußeren Haltung es vermuten lassen konnte, und die unverschämte Drohung des ertappten Verbrechers, so wirkungslos sie allem Anschein nach vorhin au ihm abgeglitten war, beschäftigte seine Ge¬ danken noch immer. Darüber, auf iven sich die durchsichtige Anspielung hatte beziehen sollen, konnte ja für ihn kein Zweifel obwalten, und wenn er auch gewiß >veltenweit davon entfernt ivar, auf die tückische Verdächtigung eines ver¬ brecherischen Schurken hin irgend ivelchcs Mißtrauen gegen das teuerste aller menschlichen Wesen in seiner Seele auf¬ kommen zu

lassen,

so

reichte

doch

die Thatsache,

daß

die

Schlange der Verleumdung überhaupt bis zu seinem Weibe hinaufzüngeln konnte, vollständig hin, ihn aufs tiefste zu verstimmen. Der letzte Auszug der Oper neigte sich bereits seinem Ende zu, als er die kleine Loge betrat, in der die Gräfin Ein sonniges Aufleuchten ging bei seinem Anblick über saß. das reizende Gesichtchcn der jungen Frau. „Wie gut, daß Du endlich da bist, Erwin," flüsterte sie zärtlich. „Du hast mich durch Deine Pünktlichkeit so sehrverwöhnt, daß ich während dieser letzten Stunde in größter

Sorge um Dich gewesen bin." „Eine Sorge, liebste Ada, die, wie Du siehst, ganz grundlos war. Zwar geschah es sehr gegen meinen Willen, daß ich solange aufgehalten wurde; in irgend welcher Gefahr aber habe ich mich nicht befunden." Sie verlangte keine weitere Aufklärung, da sie sah, daß er nicht geneigt war, sie aus freien Stücken zu gebe», und wandte, seinem Beispiel folgend, scheinbar ihre ganze Teilnahme wieder den Vorgängen auf der Bühne zu. Mitten in einer großen Arie der Primadonna aber, als die ganze übrige Zuhörerschaft mit verhaltenem Atem lauschte, wurde die Gräfin plötzlich durch die halblaute, hastig hervor¬ sie

Frage des Gatten überrascht: „Ist Dir in Deinem Leben jemals ein gewisser Riveira begegnet, Ada? Romero de Riveira — wenn ich nicht irre." Er vermochte ein rasches Ja oder Nein erivartet haben, aber die junge Flau antwortete nicht sogleich, und sie ließ auch die Hand nicht sinken, mit der sie eben daS Opernglas

gestoßene

vor die Angen hielt. Ueber ihre Wangen aber flutete eine rosige Blutivclle, um sogleich einem desto tieferen Erbleichen Platz zu machen, und ihr Busen hob sich ein paar Sekunden lang in merklich rascheren Atemzügen.

„Nein! Wenigstens kann ich mich seiner nicht erinnern. — Und was bringt Dich auf diese Vermntnng? Hat er etn>a behauptet, mich zu kennen?"

Der Graf zögerte, dann sagte er langsam: Und selbst wenn er es gethan hätte, wäre er ja nun durch Deine Erklärung Lügen gestraft. Uebrigens hätte ich mirs von vornherein selbst sagen sollen, daß Du unmöglich jemals eine Berührung mit ihm gehabt haben kannst. Vergieb, wenn ich Dich deshalb gestört habe." Er lehnte sich in den Sessel zurück, als wäre der Gegenstand damit für ihn abgethan. Geraume Zeit wurde nichts weiter zivischcn ihnen gesprochen; dann sagte die Gräfin, noch immer, ohne ihren Gatten anzusehen: „Wo hast Dn diesen Herrn de Riveira getroffen? Ist

„Nein!

Deine Absicht, ihn mir vorzustellen?" „Nein, bei Gott, das ist meine Absicht nicht! Es verdrießt mich, davon sprechen zu müssen, aber da ich Dir seinen Namen einmal genannt habe, muß ich Dich wohl auch dahin aufklären, daß cs sich um einen ganz gewöhnlichen Schwindler handelt, es

der sich beeilen wird, von hier fort zu kommen, nachdem seine Betrügereien entlarvt worden sind. Es ist nicht anzunehmen, daß ich ihm jemals wieder begegnen könnte, und darum lohnt cs auch wohl nicht, weiter von ihm zu sprechen." Ein tiefer Atemzug, fast schien es ein Aufatmen der

Erleichterung, hob den Bnsen der jungen Frau; aber sie blieb für den Rest des Abends doch auffallend still, und als die

Zofe eine halbe Stunde später ihrer heimgekehrten Herrin im Vorzimmer das Spitzentuch abnahm, kam ein sehr bleiches Gesichtchcn darunter zum Vorschein.

In

der Frühe des nächsten Tages wurde Erwin in einer Angelegenheit die seine persönliche Anwesenheit durchaus not¬ wendig machte, nach Schloß Fiddichow gerufen, und die

Pflichten des Gutsherrn hielten ihn dort länger fest, als er¬ Nach vier Tagen erst kehrte er zurück, es vorausgesehen hatte. unangemeldet, ivic er es liebte, um sich an der glücklichen Ueberraschung Adas zu weiden. Wenn an jenem Abend in der Oper ctivas wie ein leichter Schatten zwischen ihnen gewesen war, so hatte die Frisch und kurze Trennung genügt, ihn zu verscheuchen. der junge Mann in ivar Stimmung, heiter, in der rosigsten beschäftigt eben damit den Salon getreten, wo die Gräfin

und den neuerdings wieder an den Lehnstuhl Mit strahlendem den Thee zu bereiten. Antlitz hatte er sein schönes, freudig aufjauchzendes Weib in die Arme geschlossen, und lachend hatte er zngestimmt, als der alte Graf sie mit erheuchelter Brnmmigkeit für zivci un¬ verbesserliche große Kinder erklärt hatte, die nie in ihrcni Leben vernünftig werden würden. „Weshalb sollten wir danach streben, vernünftig zu sei», da doch unsere Thorheit uns so über alle Maßen glücklich macht!" rief er in übermütigster Laune, noch einen letzten, feurigen Kuß auf Adas frische Lippen drückend. „Sage mir doch aufs Gewissen, lieber Onkel: wie würde es wohl heute uni uns beide bestellt sein, wenn ich nicht einst so unvernünftig gewesen wäre, diese junge Dame hier der ganzen Welt zum Trotz, und ungeachtet ihres eigenen Widerstrebens, zur Gräfin

war, für

sich

gefesselten Oheim

Fiddichow zu machen?"

(Bortwmig foi 9 t.)

der eifrigen Erforschungen Grönlands finden wagehalsige Männer auf dieser Insel immer noch ein dankbares Gebiet

?rotz

8

?

Eine der interessantesten ForschnngS- und der Neuzeit hat die dänische Expedition unter

für ihre Thätigkeit. Entdeckungsreisen

Jork und Teufelsdaumen liegenden Gletscher eine Gesamtbreitc von 300 Kilometer einnehmen. Än der Ostküste bilden der Scoresbysund und, wie erwähnt, der von Amdrup erforschte Diese Küstenstrich umfangreiche Ablaufstellen des Inlandeises. grönländischen Gletscher sind wahre Eisströme, denn während der Bnargletscher in Norwegen seit den letzten Jahren täglich etwa ein Zehntel Meter zurücklegt, fließt der Jakobshaongletscher an der grönländischen West¬ küste mit einer Schnelligkeit von zwanzig Metern pro Tag, und Oberleutnant Ryder, der Leiter der dänischen Grön¬ landexpedition von 1891/02, stellte bei einem Gletscher in zwischen Kap

Amdrups Grönlandexpedition.

Ostgrönland schwindigkeit

gar eine von

Ge¬

täglich

Metern fest. Daher die ungeheuere Prvdnktionsfähigkeit der grönländischen Glet¬ scher, die Jahr für Jahr mächtige Eisberge ins Meer wälzen und solcher Art, da einige dieser Eisberge ans 31

ihrer Treibfahrt gegen Süden bis südlich von Neufund¬ land einen beträchtlichen Um¬ fang haben, eine große Gefahr noch

für

den Seeverkehr schaffen. Angesichts dieser gewaltigen

Lax Garde an der VlaffevillelriiNr.

Oberleutnant Auidrnp vollbracht, und namentlich bildet die Er¬ forschung des großen, bisher gänzlich unbekannten ostgrönländischen Küstenstrichs zwischen Anginagsalik »nd dem Scoresbysund, die Oberleutnant Amdrup mit seinen drei Begleitern im Laufe eines kurzen

Bereisung des Inneren Grön¬ lands ist es zu verwundern, daß auf dem eisfreien Küsten¬ land, dessen Breite von 20 bis über 150 Kilometer wechselt, noch Menschen und Tiere leben können und an manchen Stellen eineüppigeBegetatio» gedeiht

Der neuerforschte Teil Ost¬ grönlands gehört indes zu den unwirtlicheren Gebieten, aber trotzdem nahm Oberleutnant Amdrup das Land im Rainen des Königs von Dänemark in Besitz, so daß nunmehr außer der Westküste (bis zur Melvillebai) auch die Ostküste bis znnl Skoresbysund hinauf — eine Strecke, die ausschließlich

nordischen

aus¬ Sommers führte, und wobei als einziges Beför¬ derungsmittel ein

kleines, gebrechliches

Boot diente, eine hcrvorragendeLeistung. Amdrup und seine Begleiter befanden

in einem der schwierigsten Polar¬ gebiete, an einer Küste, die ans Hun¬ derte von Kilometern unbekannt ist und mitunter im Hand¬ umdrehen von dichtemTreibeiS blockiert wird, während der Strand selbst weite Strecken entlang durch seine Gletscher und steil ins Meer sich

latfni mampm

r

fallenden Felswän¬ de ein Landen un¬ möglich macht. Die Gletscher insbeson¬ dere nehmen wie an den übrigen Küsten

Grönlands,

so auch

in dem von Amdrnp erforschtenTeil einen breiten Raum ein. Sie bilden den Ab¬

lauf für heuere

die nngeEisdecke

Grönlands, das Inlandeis, das hier ein Stück Eiszeit vor Augen führt, wie sie einst in Nordeuropa herrschte. Der Gletscher, de» man ans unserem Bilde sieht, hat nur eine geringe Ausdehnung, wogegen beispielsweise der Humboldtgletscher an der nördlichen Westküste etwa 100 Kilometer breit ist. Ein großes Gletschergebiet stellt auch die Mellvillebai dar, wo die

Ein kleiner Gletscher. von Dänen erforscht worden ist — unter dänischer Oberhoheit steht. Es kann bei dieser Gelegenheit daran erinnert werden, daß Grön¬ land das bestbekannte Pvlarland der Erde darstellt. Dies ist in erster Linie der dänischen Forschnngsthätigkeit zu danken, die in der Polarforschung unter Leitung der Kommission für die geologische und geographische Erforschung Grönlands seit 1876 in nnanf-

7

U

hörlicher stiller Arbeit cm wissensHftlichen Ergebnissen, niedergelegt in „Meddelelser om Grönland", inehr geleistet hat als, Schweden ausgenommen, irgend eine andere Nation der Erde.

„Ja, Sie glaubt es ja nicht mehr," erwiderte WoltersDie Frau bat und weinte, und das Blatt wurde nicht ausgerissen. Aber das originelle Verfahren half, die Frau schämte Vorzüglich verstand sich ihrer Verzagtheit und war getröstet. Woltersdorff, den Kindern die Heilswahrheiten durch Beispiele aus

Der alte Wolkersdorff.

dem täglichen Leben zu erläutern und faßlich zu machen. Einst fragte er die Tochter eines Apothekers im Konfirmandenuuterricht: „Hat Deine Mutter eine Putzstube?" „Ja." „Hat sie auch Schweine?" „Ja." „Läßt sie die in die Putzstube?" „Bewahre, nein!" Daran knüpfte der Geistliche nun die Mahnung, die Sünde nicht in die Putzstube des Herzens zu lassen. Eine Eigentümlichkeit Woltersdorffs war seine Unerschrockenheit und sein Freimut auch hoch¬ gestellten Personen gegenüber. Eines Tages speiste er bei einem vornehmen aristokratischen Herrn, der ihn fragte, ob es wohl schicklich sei, bei einem großen Mahl zu beten. „Das weiß ich nicht," er¬ widerte der Geistliche, „aber ich erinnere mich, bei Bauern in Pommern ein Bild gesehen zu haben, auf dem Ochsen und Esel im Stall au einer Krippe stehend dargestellt waren, mit der Unter¬ schrift: „Wer ohn' Gebet zu Tische geht, — Und ohn' Gebet vom Tisch aufsteht, — Der ist den Rind und Eseln gleich — Und hat kein Teil am Himmelreich." Am 10. Februar 1806 endete ein sanfter Tod das segens¬ reiche Leben dieses als Prediger und Mensch gleich ausgezeichneten

der Prediger Karl George Woltersdorff, der, am 6 . September 1727 in Friedrichsseldc geboren, voin Jahre 1762 bis 1806 an der alten St. Georgentirche'in Berlin wirkte. Dank seiner echt volkstümlichen Predigtweise und originellen Charaktereigenschaften gehörte der „alte Wolters¬ dorff", ivie er ini Volksmnnde hieß, zu den beliebtesten Predigern, die Berlin je besessen hat. Auch als Seelsorger war er ausgezeichnet, und gerade in dem engen Verkehr mit den Menschen traten die Er ging den Eigenschaften seines Charakters in Erscheinung. einzelnen Seelen in seiner Gemeinde nach und wußte sie in un¬ übertrefflicher Weise aufzurichten und auf den rechten Weg zu führen. Ein drastisches Mittel benutzte er einst einem „erweckten" Schuhmacher seiner Gemeinde gegenüber, der über andere Christen kurzweg aburteilte, wenn er erfuhr, daß sie nicht dieselben „An¬ fechtungen" gehabt 'Weise hätten wie er, und daß sich ihr Christentum nicht in der gestalte wie bei ihm. Diesen Schuhmacher ließ Woltersdorff zu sich kommen und gab ihm den Auftrag, für sich und seinen Sohn je ein Paar Stiefel anzufertigen, jedoch unter der Bedingung, daß er beide Paar nach einem Leisten Pinache. „Aber das ist ja unmöglich," sagte der Meister, „wenn die Stiefel passen sollen." — „Sieht Er wohl," erwiderte Woltersdorff, „und doch will Er, daß Gott alle Christen nach Seinem Leisten be¬ kehren soll." — Woltersdorff konnte bei aller Frömmigkeit doch streng sein. Eines Tages kam ein Mensch zu ihm, klagte ihm seine Rot und behauptete, der heilige Geist habe ihn zu Wolters¬

/Aine originelle Berliner Persönlichkeit mar

M

bestürzt.

dorff.

Mannes.

P- Z-

Kunst und Wissenschaft. Das Friedrichs-Werdersche Gymnasium. $>in ehemaliger Schüler des Friedrichs-Werderschen Gymnasiums M schreibt uns: Das alte und das neue Berlin können »nd ivollen

sich

nicht vertragen.

Wo die Welt- und Reichs Hauptstadt

Cax Lhristi-lnsr» »»irr 67" 13' nördl. Vr. geschickt, iveil ihm der ans seiner Verlegenheit helfen würde. Der Geistliche sah den Bittsteller scharf an und sagte dann: „So, also das hat ihm der heilige Geist gesagt? Run, der muß ja auch wissen, daß ich das Geld habe. Wieviel braucht Er?" Der Fremde antwortete: „15 Thaler." Woltersdorff führte ihn darauf an seinen Geldkasten und sagte: „Sehe Er einmal her! Sind das 15 Thaler?" „Rein," sagte der Mann, „das sind nur 16 Groschen." „Aha," meinte der Geistliche, „das hat Ihm also nicht der heilige Geist gesagt. Ich werde Ihm sage», wer es gewesen ist: Der Teufel hat es Ihm eingegeben." Ein andermal kam einer jener wunderlichen Heiligen zu Woltersdorff, der viel vom Beten redete, aber vom Arbeiten nichts wissen wollte und vom Betteln bei frommen Christen lebte. Woltersdvrsf lud ihn zu Tisch ein, und da er zu besserer Verdauung täglich

dorff

nach dem Essen einige Stücke Holz zu sägen pflegte, forderte er den Beter zu gleicher Arbeit auf. Wohl oder übel mußte dieser sich fügen, er hütete sich aber, noch einmal wiederzukommen, er hatte genug. Ein originelles Mittel wandte der Geistliche einer Frau gegenüber an, uni sie von ihrer Unzufriedenheit zu kuriere».

Als

sie

ihm wieder einmal ihre Rot und Trübsal klagte, forderte

er sie auf, ihm das Gesangbuch zu reichen. Als dies geschehen war, schlug er das Lied: „Was Gott thut, das ist wohlgethan" auf und sagte: „Das Lied hier, das will ich jetzt ausreißen." „Aber Sie werden doch nicht, Hochehrwürden?" rief die Frau ganz

und das ehemalige Fischerdorf sich berühren, wischt die erste neuernngssüchtig dem Charakter des letzteren nach und nach hin¬ weg. Die wirtschaftliche Entwicklung Berlins zu einem mächtigen Faktor in dem gewerblichen Leben nicht nur Deutschlands, sondern der ganzen Welt kennt in ihrer Nüchternheit keine Rücksichtnahme ans die Sentimentalitäten einer historischen Anschauung, und so sieht der von diesem Gesichtspunkt aus das Wachstum der Stadt betrachtende Bürger mit Wehmut ein Stück des einstigen Berlins nach dem anderen vom Strome der neueuZeit überschwemmt und fortgespült. Augenblicklich ist nun ein Kampf entbrannt um das Sein oder Nichtsein des alten Friedrichs-Werderscheu Gymnasiums im Herzen der Stadt. Die von dem großen Kurfürsten 1681 ge¬ gründete Anstalt fand ursprünglich ihren Platz am Werderschen Markt neben der allen Münze. Als die Räume daselbst zu eng wurde», fand Ende der sechziger Jahre eine Verlegung nach der Dorotheenstadt in dem eigens dazu errichteten Prachtbau statt. Mit dieser örtlichen Veränderung konnte selbst jeder mit historischem Sinn Begabte einverstanden sein. »Dieser Stadtteil ist ja eben¬ falls eine Schöpfung des Kurfürsten Friedrich Wilhelm; er führt den Namen nach dessen zweiter Gemahlin Sophie Dorothee. Wenn aber bei der neuerdings angeregten Verlegung das Gymnasium gar nach Moabit und zwar nach deni Hansaviertel abgeschoben werden soll, so können das die alten Werderaner — und ihre Gemeinde ist nicht klein — doch nicht so ohne weiteres

Aus dem Herzen Berlins heraus und in daS geschehen lassen. Reumodische hinein soll die verehrte Pflanzstätte des Humanismus? Da müßte doch erst haarscharf nachgewiesen werden, daß die Zahl der die Anstalt besuchenden Schüler rapide gesunken ist. Gewiß, Berlin entwickelt sich in einer London ähnlichen Weise, das Zentrum wird immer mehr Geschästsstadt, die Familien werden an die Peripherie gedrängt. Die Zahl der Schüler, die früher in großen Massen gerade aus dem Zentrum dieser Anstalt zuströmten, hat sich vermindert. Aber heute so wie früher stellen die Friedrichstadt, die Linden,ja sogar derTiergarten ein stattlichesKontingcntvonZöglingcn, und von einem schwachen Besuch der Anstalt kann noch gar keine Rede sein. Die Bewohner von Moabit versteifen sich ja auch keineswegs auf das Friedrichs-Werdersche Gymnasium. Sie wollen bloß ein Gym¬ nasium. Sollte denn die „Stadt der Intelligenz" nicht reich genug sein, noch eine Bildungsanstalt zu gründen? Es ist indessen anzunehmen, daß der Magistrat mit Vorsicht vorgehen wird, denn die An¬ gelegenheit läßt sich durch einen Mehrheitsbeschluß nicht erledigen; sie ist vielmehr so kompliziert und es haben so viele Faktoren dabei mitzusprechen, daß die Gefahr besteht, der Magistrat könnte sich bei einem voreiligen Beschluß eine schwere Niederlage holen.

Kleine Mitteilungen. Vor 70 Jahren ivurde Nheinstei» am Rhein vollendet.

Nestauration der uralten Burg Der neue Burgherr war der Prinz

die

schwindet sie ans den Urkunden und Chroniken, um Jahrhunderte später durch einen preußischen Prinzen zu nie geahntem Glanz emporzusteigen.

Vereins-Nachrichten. Verein für dir Geschichte Berlins. Im Verein für die Geschichte Berlins sprach

am 10. No¬ vember im Bürgersaalc des Rathauses Herr Prof. Dr. Fr. Krüner über „Barbara von Brandenburg, Markgräfi» von Mantua, vor den zahlreich erschienenen Mitglieder», deren Dame» und Gästen. Barbara war eine Enkelin des ersten Hohenzollerii in der Mark, des Burggrafen Friedrich von Nürnberg, eine Tochter des Markgrafen Johann, dem seine Vorliebe für Goldmachcrei und seine Forschungen nach dem Stein der Weisen bei seinen Zeitgenossen den Beinamen Johannes Alchimista eintrugen, der erste in einer ziemlich langen Reihe braudenburgischer Alchimisten. In Franken geboren, nahm Johann bald seinen dauernde» Wohnsitz in der Mark, deren Statthalter er wurde, abwechselnd residierend in Rathenow, Tangermünde und Berlin, Schon im vierten nw auch Barbara ihre erste Kindheit verlebte. Lebensjahre wurde sie mit dem gleichfalls noch unerwachsenen Herzoassohn Joachim von Pommern-Stettin verlobt, dieses Verlöbnis aber sechs Jahre später auf ihre jüngere Schwester Elisabeth übertragen. Sie selbst ging in diesem Jahre 1433 als Braut des jungen neunzehn¬ jährigen Lndowico Gonzaga nach Mantua, ivo sic sieben Jahre später Ihre Brautzeit erfuhr zwar viele mit demselben vermählt wurde.

Das Land wird im Namen des Königs von Dänemark in Besitz genommen.

Friedrich von Preußen, ein Sohn des Prinzen Ludwig Friedrich Karl und der Prinzessin Friederike von Mecklenbnrg-Strelitz. Geboren am 30. Oktober 1794 nahm er an den Feldstlge» von 1813—16 teil und stieg bis zum General der Kavallerie. Sein gewöhnlicher Aufenthalt war Düsseldorf. Er vermählte sich mit der Prinzessin Luise von Anhalt Bernburg. Im Jahre 1825 kaufte Prinz Friedrich die gänzlich zerfallene Burg Rheinstein vom Freiherr» von Eyhr, dessen Familie sie als Mannlehn gehörte, ließ sie durch den Koblenzer Architekten Kühn mit sorgfältiger Berücksichtigung der noch vorhandenen Baulichkeiten wieder herstellen und durch den Maler Pose mit Malereien ausschmücken und füllte sie an mit nur echten mittelalterlichen Gegenständen, wie Brustharnischen, Pickelhauben, Hellebarden (von denen eine im Schutt der Burg gefunden wurde), FalkonetS, kunstvoll geschnitzten Bettstelle» und anderen Haus- und Küchengeräten. Auch die Erker, Wendeltreppen und Schießscharten, die Waffen- und Speisesäle sind völlig dem Charakter des Mittelalters entsprechend. Als Prinz Friedrich am 27. Juli 1863 starb, ließ er sich in der Burgkapellc beisetzen. Das Schloß kam in den Besitz seiner beiden Söhne, der Prinzen Alexander und Georg (von denen der letztere als Dramatiker bekannt ist). Die Burg Rheinstein hieß zuerst Boigtzberg sVaitzberg, Fouitshcrgf und tritt urkundlich 1279 auf. Hier soll Rudolf von Habsburg den Raubrittern des Rheinlandes mit der Strafe des Hängens gedroht, und trotz der Einsprache seines Marschalls, Waldeck von So »neck, eine Drohung auf einem Vorsprung des Rheinufers, wo jetzt die Clcmenskirche steht, ausgeführt haben. Der Erzbischof von Mainz, Peter von Aspelt, soll 1306 die Burg neu gebaut und zu Zuletzt Ehren des heiligen Vonifazins Fatzburg genannt haben. erscheint sie 1348 im Besitz eines Kuno von Falkenstcin, dann vcr-

freudige Abwechslung durch Besuche der Ihrigen ans der Heimat, brachte ihr aber viel Herzeleid durch ein Zerwürfnis des regierenden Markgrafen mit seinem Sohne Lndowico, der drei Jahre die Heimat Durch den Tod ihres Schwiegervaters 1444 wurde meiden mußte. Lndowico Markgraf von Mantua und Barbara mit 21 Jahren Nachdem regierende Fürstin, was sie 84 Jahre lang geblieben ist. endlich die endlosen Streitigkeiten der kleinen obcritalienischcn Dynasten 1454 durch den Frieden von Lodi auf längere Zeit beigelegt waren, machten Lndowico und Barbara Mantua zu einem Mittelpunkt für alle Viltorino da Feltre, der Künste und Wissenschaften in Obcritalien. erste Humorist Italiens, weilte bereits unter Lndowicos Vater dauernd in Mantua: Andrea Mantegna aus Padua schuf den noch heute zum großen Teil erhaltenen Bildercyklus in dem markgräflichen Schlosse, dem castello di coste (drei seiner Wandbilder waren in Reproduktionen im Saale ausgestellt). Ter Tvm-Bnnmcister Leon Battiste Alberti er¬ richtete die noch heute vorhandene Hofkirchc S. Andrea im Renaissancestil, der in der ganzen Welt gefeierte Architekt Filippo Brnnellesco führte die gewaltigen Daminbautcn durch die Lagunen des Mincio aus und machte die Stadt dadurch erst zugänglich und zugleich zu einem gesunde» Den Höhepunkt in Barbaras Leben bildete das 1459/60 Wohnsitz. in Mantua abgehaltene Konzil, wo sie als Wirtin fast alle Fürsten und Großen Europas weltlichen und geistigen Standes empfing und der Im 55. Jahre verlor sie ihren Gegenstand allseitiger Huldigung war. Gatten durch de» Tod und wurde drei Jahre später selbst abgerufen.

Bücherkisch. von Wilhelm Lübke. 12. Anst. Vollständig neu bearbeitet van Professor Dr. Max Scnirau, Privcitdozcnt der Kunstgeschichte an der Universität Breslau. Mit zahlreiche» Abbildungen und bunten Tafeln. Stuttgart, Paul Reffs Verlag, 1900.

Otrnndrif; der Kunstgeschichte 163.

bis 68 . Tausend).

Wie einen alten Freund aus längst cntschivundcner Jugendzeit bcgrüstt man den alten Lübke, der einst dein Neuling ei» treuer Führer ans dem Gebiet der Kunstgeschichte gewesen war. Ein alter Freund, aber kein gealterter oder gar veralteter, denn einen besseren Erben und berufeneren Pfleger seiner Hinterlassenschaften als Professor Seinrnn hätte Wilhelm Lubke sich nicht wünschen können. Mit anerkennenswerter Selbstverleugnung gab Semra» sein Bestes her, um das alte gediegene Werk auf den neuesten Stand der knnstgeschichtlichen Forschung zu heben. Nur durch diese Hingabe ist es möglich geworden, die alte Kunstgeschichte, die in der zweiten Hülste des neunzehnten Jahrhunderts Gemeingut der Gebildeten ivar, auch im zwanzigsten Jahrhundert an die Spitze der kuiisthistorischen Lehrbücher zu stelle». Mit der Verjüngung des geistigen Inhalts ging die äußere Umgestaltung des Werkes Hand in Hand. Durch die Verwendung der Autotypie ist eine wesentliche Bereicherung des Jllnftrativnsinhaltcs ohne Verteuerung des Werkes ermöglichst worden. Selbstverständlich tragen auch Holzschnitt und Farbendrnek zur Ver¬ anschaulichung der Knnstschätze wesentlich bei. Durch den Nachweis eines sehr umsangreichen OucllcnmatcrialS wird der „Grundriß" auch zu einem brauchbaren Handwerkzeug für Fachleute, da sie alles zusammengestellt finde», das für das Studium einzelner Epochen oder Kunstfragcn in Betracht kommt. Besondere Vorzüge des alten, bewährten Werkes in seiner neuen Form sind in erster Reihe die Ergänzung‘ durch die Darstellung der neuesten Zeit, und die Be¬ rücksichtigung der neuesten Forschungen auf knnstgcschichtlichem und archäologischem Gebiet, ferner klarer Truck und gutes Papier und die Wohlfcilheit, die es jede»! Gebildeten ermöglicht, sich das Werk an¬ zuschaffen.

(Äraf Porck v. Wartonburg (Oberst), Bismarcks äußere Er¬ scheinung in Wort und Bild. 90 Bismarck-Bildnisse nach Verzeichnis einer Sammlung Elegant kartonniert M. 6 .—; in geschmackvollem Originalband M. 7,—. E. S. Mittler & Sohn, Königliche Hosbnchhaudlung. den

Originnl-Attfnahmen

nebst

von Bismarck-Photographie».

Herausgeber ist Oberst Gras Aork von Wartcuburg, bisher Abteilungschef im Großen Getieralstabe, zur Zeit Gcncralstabso fizier beim Aruice-Oberkomniando in Ostasjen. Ans wie schwankenden Grundlagen das Urteil der Nachwelt über das Aeußere eines großen Mannes beruht, so lange cS sich nur aus die in einigen Zeichnungen nieder¬ gelegte individuelle und momentane Auffassung mehrerer Künstler gründen kann, das ist so recht ersichtlich auch aus der auffälligen Verschiedenheit in den einzelnen BismarckporträtS, von denen, selbst wenn sic un¬ mittelbar hinter einander gemalt sind, oft kaum zwei einander gleichen. So ist es mit großer Genugthuung zu begrüßen, daß nicht viel über ein Jahrzehnt vor des Fürsten Eintritt i» die Weltgeschichte die Photo¬ graphie an Stelle der Daguerrevtypic getreten war und nun seinen ferneren Lebcnsgang mit ihren Ausnahmen begleiten, sein Bild zu de» verschiedenen Zeiten festhalten konnte. Die Bilder beginnen mit der Wiedergabe einer Daguerreotypie aus dem Jahre 1858 und enden mit dein vermutlich letzten Bild einer Ausfahrt aus dem Schloßthor zu Friedrichsruh, das gerade au dem Tage aufgenommen ivurdc, au dem Professor Schweningcr die Unheilbarkeit des Leidens des Fürste» er¬ Die Bilder umfassen also die ganze Zeit, die Bismarcks un¬ kannte. vergeßliche Wirksamkeit in seiner größten und ruhmreichsten Entfaltung zeigt.

Wanderungen in Begleitung eines Natnrt'nndigcn.

Bon

Dr. K. G. Lutz. C. Hoffniannsche Verlagsbuchhandlung (21. Blcil), Stuttgart. Preis kvmpl. 7,20 M. (?luch in 12 Lieferungen a, 60 Pf.)

Ein guter Gedanke wird durch dieses schön ausgestattete, dabei überaus billige Werk in vorzüglichster Weise verwirklicht/ Das nunmehr vollendete Buch des Herrn Dr. Lutz ist der beste Führer und Berater für den Freund der Raturbctrachtnng bei Wanderungen durch das Freie. In zwölf 21bschnitte» führen diese Wanderungen: l. lim Hans und Hof. 2 . 21» Wege, ans Schutt und an steinige Orte. 3. Durch Garten und Feld. 4. ?luf Wiesen. 5. Durch Heide und Moor. 6 . Ins Hochgebirge. 7. Durch Busch und Hecken. 8 . In den Wald. 9. 2ltis Wasser. 10 . 2ln den Mecresstrnnd. 11. 2luf geologisch-mineralogische Wanderungen, und gebe» 2. 2lnleitu»g zum Sammeln der Naturkörper. — Eltern und Erziehern, aber auch der heranwachsenden Jugend selbst, endlich alle» Freunden der heiinatlichcn Natur kan» das Werk nicht warm genug empfohlen werden. Der Text ivird durch 233 treff¬ liche Holzschnitte erläutert, und die 25 farbigen Tafel», die dein Buch beigkgcbcu sind, gehöre» zu dem Schönsten, was der Chrvmodruck der Gegenwart hervorbringe» kann.

Das Friedens,vcrk der Preussischen Könige in zwei Jahr¬ hunderten. Festgabe für das deutsche Volk von Paul v. S chmidt. E. S. Mittler & Sohn, Königliche Hofbuchhandlung. Berlin. Preis 3.— M. Das Buch darf io recht als ein Volksbuch im besten Sinuc des Worts bezeichnet tverdcn, denn trefflich weiß cs dem deutschen Volk das „Werk der preußischen Könige im Frieden" vor 2>ugcn zu führen, ein Werk, das zwar nicht so glänzend wie Schlachtenruhm und SicgcSnachhaltiger und scgensvollcr ist,' ein Werk, un¬ scheinbar in seinen Ansängen, aber stetig sich entwickelnd und reiche Frucht bringend zum Wohl des Vaterlandes. Um die Thätigkeit der thaten, aber um

so

Verantwortlicher Redakteur:

Dr. M.

Folticineano,

Herrscher auf allen Gebieten ihrer Wirksamkeit zu würdigen, ist jeder Zweig der Regententhätigkcit iu einem besonderen 2lbsch»itl geschildert. So finden wir außer der Einleitung die 2lbschnitte: „Persönliche Regententhätigkcit — Kirche — Schule — Rechtspflege — Staatsver¬ waltung — Landwirtschaft, Landeskultur, Besiedelung — Städtcivejcn — Handwerk und Industrie — Verkehr, Handel, Kolonien — Fürsorge für die 2lrbeiter — Wissenschaft und Kunst — Heerwesen — Seemacht — im Dienst der deutschen Sache" vertreten. Das 261 GroßOktavseitcn umfassende, volkstümlich geschriebene und durch ein Namen¬ register besonders erschlossene Werk ist mit 97 Abbildungen, worunter 12 Vollbilder, geschmückt, so daß der Darstellung höchste Anschaulichkeit gesichert ist und deitl Leser das Friedeuswcrk der preußischen Könige auch tm Bild entgegentritt.

Pick,

Albert, Aus der Zeit der Not 1806—181». Schilde¬ rungen zur preußischen Geschichte ans dem brieflichen Nachlasse des Feldmarschalls Ncidhardt von Gueiscnan. 2luf Veranlassung seines Urenkels aus dem gräflichen 2lrchiv von Somnierschenburg herausgegeben. Mit 2 Bildnissen. M. 8.—, geb. M. 9.50. E. S. Mittler & Sohn, Königliche Hofbuch-

handlnng. Wer hätte sich nicht schon oft mit jener Zeit, mit jenem gewaltigen Jahrzehnt beschäftigt, das über die heimische Erde Ströme von Thränen und Blut verbreitete, das aber ans den Stürmen der Zeit auch ein neues Geschlecht empor wachsen ließ, voll tiefer Sehnsucht, des endlich errungenen Friedens sich zu erfreuen, aber auch jeden Augenblick bereit, für Preußens Ehre und Unabhängigkeit das Schwert wieder zu er¬ greifen. Jeder neue Beitrag zu jener Zeit darf von vornherein auf besonders lebhafte Beachtung rechnen. Namentlich darf dies gelten für das oben genannte Werk, das treffliche Schilderungen zur preußischen Geschichte darbietet, die um so wertvoller sind, als sie aus Quellen fließen, ans denen bis jetzt noch nicht geschöpft wurde — ans dem brieflichen Nachlaß des Feldmarschalls Neidhardt von Gneisenau, des Mannes, der in der schweren Zeit der Not den,

Vaterlande treu zur Seite stand und allgemeines Vertrauen genoß. Dieses ans Veranlassung des Urenkels Gneisenaus aus dem gräflichen Archiv von Soinmerschenbnrg von 2llbcrt Pick herausgegeheue Werk mahnt, ioic selten ein Buch, gerade jetzt — bei Beginn des neuen Jahrhunderts — zur Sammlung und Rückschau. Zahlreich sind die Briefe von bekannten und bedeutenden Persönlichkeiten, ivclche in sorg¬ samer Wiedergabe des Wortlautes hier zu einem lebensvollen Zcitbildc zusammengestellt sind) mir erwähnen u. a. Briefe von Ferdinand

Schill, Joachim Ncttclbeck, Ernst Moritz Arndt, Friedrich Schleiermacher, von dein Turnvater Jahn und Theodor Körner, während die Briese mehrerer geistig hochstchetidcr Frauen, mit denen v.

Gneisenau befreundet war, dem Buche eine besondere poetische Weihe gebe»; wir nennen hier die Jugendfreundin unseres Helden, Frau Caroline v. Reitzcnstci», die den Berliner Hofkrcisen angehörende Gräfin Pauline Reale, die von Hardenberg verehrte Frau Amalie v. Bcgnelin, die den Wciuiarer Dichtern nahe stehende 2tmalic Ter Inhalt v. Helwig und die patriotische Gräfin Luise v. Boß. des Werkes ist ein überaus reicher: er fuhrt uns eine Zeit vor Augen, deren Schicksale uns jetzt, da die Träume von einem einigen Teuschland in Erfüllung gegangen sind, mächtig bewegen.

Tie ständischen und sozialen Kämpfe in der römischen publik. Don Lev Bloch. Geh. M. 0.90, geschmackvoll M. 1.15.

(„2lns Natur und Geisteswelt."

Re¬ geb.

Sammlung ivisscn-

schaftlich-gcmeinvcrftändlicher Darstellungen aus allen Gebieten Verlag von B. G. Tcubner iu des Wissens. 22 . Bändchen.) Leipzig.

Es giebt schwerlich einen gleich interessanten und gleichbedentungsvolle» Vorgang in der Weltgeschichte wie die Entwicklung der römischen Die sozialen Erschcinnngeu, die inneren Kämpfe der Meltoiacht. Stände, unter denen sich die Entwicklung vollzieht, und die in erster Linie agrarische» Charakter tragen, haben aber für uns heute besonderes Interesse, und so ist eine von allem philologischen Detail absehende Der gemeinverständliche Darstellung dieser Kämpfe wahlberechtigt. Jahrhunderte währende, mit großer Erbitterung geführte Kampf zwischen den Patriziern und den Plebejern wird dann geschildert: seine Voraussetzungen, die rechtlichen und wirtschaftliche» Verhältnisse beider Stände, sein immer erfolgreicher für die Plebejer sich gestaltender und mit dem 2lusgleich beider Stände endender Verlauf. Mit der durch die inzwischen erlangte Großmachtstcllung Roms bedingten Entstehung neuer sozialer Unterschiede treten sich neue Stände entgegen: die Herr¬ schaft des 2lmtsadels und des Kapitals beginnt, auf der' anderen Seite bildet sich ein großstädtisches Proletariat. Diese Gegensätze kommen dann im sozialen Krieg des letzte» Jahrhunderts der Republik zum Ausbruch, vor allem in den durch die gracchischcn agrarischen RcformDen ?lb schlug der Darstellung bildet versnche verursachten Kämpfen. ein Ausblick auf die Lösung der Parteikämpfe durch die Monarchie.

Das Tierlcben dcr 15rdc von Wilhelm Hnackc und Wilhelm Kuhnert. Marti» Oldenbourg, Verlags-Buchhandlung,

Berlin SW. 40 Lieferungen ä 1.— M. Mit seinem reichen und prächtigen Vildcrschmuck darf die Herausgabe dieses Werkes, das sich durch die geographische 2lnordnu'g des Stoffs von allen ähnliche» bisherigen Publikationen wesentlich unterscheidet, als ein litterarisches Ereignis betrachtet werden, das die Ilufmcrksauikeit der weitesten Kreise ans sich ziehen wird. Das Werk erscheint in drei Bänden und ist mit 620 Tcxtillustrntioncn Einen künstlerischen Schmuck bilden die farbigen Tafeln von Wilhelm Kuhnert, die an Raturtreuc nichts zu wünschen übrig lassen, jo daß dcr Verlag nicht zuviel sagt, wenn er „Das Tierleben der Erde" ein Monumentalwcrk deutscher Gelehrsamkeit und deutscher Kunst nennt. versehen.

Berlin. — Truck und Verlag:

Friedrich Schirmer, Berlin

SW., Nenenbnrger Straße 14a.

Der Bar. Illustrierte Wochenschrift.

M.

60 Vf., „Der Bär" erscheint jährlich 52 mal und ist durch alle Buchhandlungen, Zeitungsspeditionen und Postanstalten zu beziehen (Nr. 866 des Postkatalogs) und kostet vierteljährlich 2 pro sOOO Stück inklusive Postgebühren. jährlich IO M., Linzelheft 20 Pf. — Inferkionspreis für die 4 gespaltene Nonpareillezeile oder deren Baum 5O Pf. — Beilagegebühr: 6 — Inserate und Beilagen werden entgegengenommen von der Expedition des „Bär", SW., Neuenburgerstraße sowie von allen Annoncen-Expeditionen. — Fernsprecher: IV. Nr. 365t

M.

^a,

26. Jahrgang.

Ur. 49

Sonnabend. 8. Dezember 1900.

Von der Königlich preußischen Porzellan -Manufaktur as Berliner Staatsinstitiit, das gegenwärtig eine der aller¬ ersten Stellen in der Keramik einnimmmt, ist aus einem Privatnntcrnehinen entstanden. Im Jahre 1750 be¬ gründete der Kaufmann Wegely in der Renen Fricdrichstraße, d. h. damals ziemlich an der Peri¬ pherie der Stadt, eine Porzellan¬ fabrik, die indessen bald nach dem Ansbruch des siebenjähriges Krieges

wieder einging.

In

PorzellanBedarf der Manufaktur für den chemischen Industrie liefert, uner¬ reicht da: das Fabrikat ist absolut welche

dieser schweren

kämpfte Land mit heim zu bringen, er wollte aus Sachsen, das er bei¬ nahe während der ganzen Dauer des Krieges besetzt gehalten hatte, auch das Kunstgewerbe erobern, das in jener Zeit in ganz Europa unerreicht dastand. Er begünstigte

llebertritt

prix“,

ersten

sächsischer

es auch eine seiner

Thaten, die Gotzkowskysche

Fabrik für

den

preußischen

Staat

zu erwerben.

Lichtdurchlässigkeit unterscheidet, so daß der Beschauer einen mehr marnivrähnlichen Eindruck erhält. Auch die neuere Kunstrichtung, die „Moderne", der „Jugendstil", hat

Zunächst wurde natürlich nach Art und vielfach auch

sächsischer

nach

ostasiatischen

Vorbildern

ge¬

arbeitet, aber der stramme Geist, den der große Friedrich der preußischen Nation eingeflößt hatte, die stolze Gewohnheit, selbst zu denken und selbst zu streben, emanzipierte bald Methoden und Stil von dem Alt¬ hergebrachten. Das neue Jahr¬ hundert, mit dem Aufblühen der Chemie und der Technik, brachte auch hier neue Wege und neue Mittel, und hervorragende Fachleute, vor allem der unvergeßliche Segcr, halfen gerade dem Berliner Institut zu mächtiger Blüte. Für die Fabrik selbst ist am Nordrande des Tiergartens in der Wegelystraße, dort, wo Berliner und Charlottenburger Gebiet sich berühren, eine neue gewaltige Fabrikanlage entstanden, während

eingetragen.

Ganz besonders wird das Gebiet der Porzellanmalerei ge¬ pflegt, auf welcheni das Berliner Institut wohl die Führung hat. Eine neuere Einführung ist die Neubisknitmasse, welche sich von dem älteren Biskuit durch ihre gelb¬ liche Färbung und ihre größere

Arbeiter nach Preußen mit allen Mitteln, und als der Krieg zu Ende

war, da war

preußische

Vase»,Tafelaufsätze,Blumenständer, Uhrgehäuse, Büsten, Figuren, Rippcssachen, Schirmknöpfe, Dosen, Leuchter, und wie die vielgestaltigen Produkte alle heißen, erwecken durch ihre Farbenpracht und durch die edlen Formen die Bewunderung aller. Die Pariser Welt - Ansstellnng hat auch diesem Institut eine hohe Anerkennung, den „Oranck

Mut, das Werk wieder

den

die

feuer- und säurefest und genügt den höchsten Anforderungen. Die Kunstoder kunstgewerblichen Gegenstände,

ansznnehmen. Friedrich der Große, der unvergeßliche Monarch, aber hatte sich vorgesetzt, noch mehr als Lorbeer» des Sieges und das er¬

daher"

Berlin.

das Verkaufs- und Ausstellnngsmagazin in der Leipziger Straße, dicht am Leipziger Platze, dem kunstsinnigen Publikum Tag für Tag die Meisterwerke der Fabrikation, Kunst und Industrie ver¬ eint, vor Augen führt. Um mit dem Praktischen zu beginnen, so stehen die Erzeugnisse,

Zeit hatte der wackere Gotzkowsky, dessen Namen »och in anderer Weise während dieses verzweifelten Krieges sich unvergänglichen Ruhm erwarb, den stolzen

zu

das Institut nicht unbeeinflußt ge¬ Eine Anzahl von kunst¬ gewerblichen Gegenständen, wie die hier abgebildete Base, die aus Mais¬ pflanzen zusamincngesetzt erscheint, hat einen besonderen Reiz durch die lassen.

Behandlung der Glasur erhalten; eine

weiche Glasnrmasse

wird am

oberen Rande des Gefäßes angebracht und liefert, indem sie beim Brennen schmilzt und sich über das Ganze verbreitet, in jener Formengebung und leichten Mischung der Töne eine ganze eigenartige selbstthätige Feuermalerei, die für manche Zwecke geradezu über¬ raschende Effekte zeitigt.

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Der Berliner Weihnachtsmarkt vor hundert Jahren. it

Freude und wohl auch mit Wemut gedenkt der ältere Berliner an jene Zeit zurück, wo der Weihnachtsmarkt noch im Zentrum der Stadt abgehalten werden konnte. Eine Fülle angenehmer, behaglicher Erinnerungen an Selbsterlebtes wird dann in uns wach, und unwillkürlich drängt sich der Ver¬ gleich mit dem Zustand der Gegenwart auf. Mit dem Wachsen der Residenz ist manche und weiten Kreisen vielleicht licbgewordene Eigentümlichkeit geschwunden; berechtigte Gründe bedingten den

Auch zwingende Veranlassung lag vor, den Weihnachts¬ markt aus dem Zentrum nach einzelnen Punkten der Peripherie zu verlegen. Freilich ist damit zugleich — das Urteil wird nicht zu hart klingen — ein Stückchen Poesie aus der guten, alten Wechsel.

Zeit dahin! Nachstehende Schilderung will das gemütliche, alte Berlin in in seinem harmlosen Treiben — genau vor

seiner Behaglichkeit,

hundert Jahren — vor Augen führen. Der Stoff ist den besten Zeitschriften, die in Berlin vor hundert Jahren erschienen, und deren war eine reichliche Anzahl, mit Auswahl entnommmen. Hier wird der Leser, der das fröhliche Leben und Treiben auf dem Schloßplatz und nächster Umgebung zur Weihnachtszeit kennen zu lernen Gelegenheit hatte, manchen Zügen, mailchcn Aeußerungen des Volkslebens begegnen, die ihn anmuten können, als gehörten sie nicht der Zeit vor hundert Jahren, sondern weit jüngerem Zeitraum an. Um das eigentümliche Kolorit unserer Quelle, aus der wir schöpften, nicht zu verwischen, ist der Ton, in dem jene Schilderung geschrieben, möglichst getreu beibehalte». Zu diesem Behufe soll unser Gewährsmann, der seinen Bericht für alle an Berlin interessierten Leser berechnet hatte, selbst das Wort nehmen. Der Christmarkt gehört unter die ersten Volksbelustigungen der Berliner. Er nimmt vierzehn Tage vor Weihnachten seinen Anfang und dauert bis Neujahr alle Abende — den ersten WeihDer Platz, wo er abgehalten wird, uachtstag ausgenommen. ist die Breitestraße, der Schloßplatz und die auf der anderen Seite an

die Breite Straße grenzenden Gegenden.

Die Läden sind

alle so dicht nebeneinander gebaut, daß kaum hier und da ein Fast die Hälfte aller Buden ist mit Durchgang gelassen ist. Es wäre un¬ Honigkuchen und Backwerk aller Art angefüllt. begreiflich, wo diese Menge Backwerk am Ende bliebe, wenn man nicht während dieser ganzen Zeit in allen Häusern Vorräte davon fände' einem guten Teil der Berliner scheint es notwendig ge¬ worden zu sein, sich wenigstens einmal im Jahre den Magen an Honigkuchen zu verderben! Von der anderen Hälfte der Buden ist der größere Teil mit Kiuderspielzeug aller Art angefüllt. Ganze Buden voll Puppen von Holz und bekleidet, von Wachs, von Zucker, von Honigkuchen, kurz von allen Massen, die sich zu Puppen verarbeiten lasten. Ferner giebt es da schön und bunt verzierte Ruten mit Flittergold. Für die lieben Kinder findet man in anderen Buden alles im Kleinen, was an Wirtschaftsgegenständen in einem Haushalt der Großen gebraucht wird. Selbst das Militärische des Staats ist hier sichtbar. Große Buden sind mit kleinen Husarensäbeln, hölzernen Flinten, mit Bajounetten, Patrontaschen, Spießen und Fahnen angefüllt, und nicht selten halten vor dieser ganzen Rüst¬ kammer ein paar Grenadiere, mit dem Gewehr auf der Schulter, in halber Lebensgröße — alles von Honigkuchen! — die Wache. An die größeren Buden schließen sich dann kleine Tischchen mit ge¬ ringen Waren, die irgend ein altes Mütterchen feilbietet, und die in papiernen Soldaten, kleinen Pyramiden von Buchsbaum u. s. w. bestehen. Ueberall schwärmen dabei eine Menge kleiner Buben umher, die ihre Fabrikate gleichfalls an den Mann zu bringen suchen und ihre Waldteufel für einige Pfennige anpreisen. Der Waldteufel selbst ist ein wenig musikalisches Instrument, dessen Erfindung diesen Buben eigen zu sein scheint. Es besteht aus einer an einer Seite offenen Büchse von Pappe, die mit einigen Pferdehaaren an einem kleinen Stückchen befestigt ist, und indem sie herumgeschwungen wird, ein gar dumpfes, ganz sonderbar klingendes Schnarren hervorbringt.

Alle diese schönen Sachen bekommt man indes nur des Abends Am Tage ist alles tot, und die meisten Buden sind ge¬ schlossen. Sobald aber die Dunkelheit hereinbricht, zündet man in den Buden eine erstaunliche Menge Lichter an, und auf den Verkaufsplätzen wird es mit einem Male lebhaft. Bald kann man sich nur mit Mühe durch die zusammenströmenden Menschen durch¬ drängen, und diejes lebhafte Treiben dauert bei schönen hellen Nächten oft bis gegen 3 Uhr morgens fort. Die Reicheren fahren zwischen den Buden hin, das Volk aber schwärmt bunt durcheinander. Da es leider — so viele Brannt¬ weinläden in der Nähe giebt, so artet die Lustigkeit nicht selten in Ausgelassenheit aus. Doch auch hier bleibt der an sich gute und friedliche Charakter der Berliner wohl bemerkbar; denn nur selten kommt es dazu, daß von Obrigkeits wegen eingeschritten werden muß. Die am Jahrmarkt oder in der Nähe wohnenden Konditoren und Restaurateure lassen gleichfalls nichts unversucht, von dieser Gelegenheit zu profitieren. Man drängt sich in den nicht großen Zimmern eng zusammen, trinkt Punsch, ißt Eis und allerhand Backwerk, kauft dann noch mancherlei ein, um es nach Hause mitzunehmen. Einige dieser Herrn Wirte lassen es sich dann angelegen sein, ihre Gäste angenehm zu unterhalten. So machte ein gewisser Herr S. in der Königstraße dieses Jahr in alle» Zeitungen bekannt, daß bei ihm wieder die „Elysäischen Felder" zu sehen wären. Das Elysium selbst war auf einem Tischgestell in einer Ecke des Zwischen einer Menge grüner größten Zimmers angebracht. Palmbäume und Büsche wandelten die Seligen, aus buntem Papiergeschnitten und zusammengesetzt, umher und — man denke sich diese Zusammenstellung! — am Eingang zum Elysium hielten ein Paar Grenadiere Schildwache! (Daran schien ja kaum einer von den Zuschauern Anstoß zu nehmen.) In der Mitte des Ganzen war eine Scheibe angebracht, die sich beständig herumdrehte und auf diese Weise einen Kreis weißgekleideter Geister einen ewigen Rund¬ tanz halten ließ. Ueber dem Ganzen schwebte eine Wolke, von angemalter Pappe hergestellt, mit welcher die ganze Versammlung der olympischen Götter zu sehen war. Ueber diesen Gottheiten zu sehe».

wölbte sich wieder ein Regenbogen, auf dessen Höhe die Götter¬ botin Iris schreitend dargestellt war. Zu dieser Sehenswürdigkeit, wenn anders es eine war, drängte sich alle Abend eine große Menge Neugieriger aus allen Ständen — und der erfindsame Wirt — fand dabei vortrefflich seine Rechnung. Viele von der niedrigen Volksklasse würden es geradezu als ein ilnglück beklagen, wenn sie nicht wenigstens einigeinale den Christmarkt besuchen könnten, aber auch den gebildeten Ständen gewährte er bei gutem Wetter eine treffliche Promenade. An¬ genehmer würde es noch sein, wenn der Markt vielleicht unter die Linden oder auf die schöne Promenade des Lustgartens verlegt

würde. — Roch an anderen Orten wird für die Unterhaltung der schaulustigen Menge gesorgt. Der mechanische Künstler Herr Enslen 'Linden, hat seinen Schauplatz im Lichteuauschen Hanse, Unter den aufgeschlagen, und bei jeder Vorstellung hat er so viel Zuschauer, wie der Raum nur fassen kann. Die Kunststücke, die ihm soviel

verschaffen, bestehen darin, daß er einige Automaten auf¬ treten läßt. Da bläst ein Spanier auf einer Art von PapagenvPfeise, und eine Dame spielt ein Glockenspiel dazu. Dann läßt sich ein mechanischer Seiltänzer bewundern, und den Schluß aller Vorführungen bildet gewöhnlich, wie man zu sagen pflegt, eine Geisterillusion. So wird z. B. der italienische Dichter Petrarca

Zulauf

am Grabe seiner tiefbetrauerten Laura dargestellt. Man sieht den Dichter, iw Trauer versunken, am Grabe seiner Geliebten knieen; wenn er fort ist, öffnet sich mit einemmal das Grab, Laura steigt dann empor, sieht mit Erstaunen ringsum und eilt durch die Luft davon. Oder es zeigt sich in der Entfernung ein Stern, der all¬ mählich näher kommt und sich zuletzt in ganz überraschender Weise in eine Friedrich dem Großen ähnelnde Gestalt verwandelt. Jedesmal wird diese Darstellung mit lautem Jubel vom Publikum begrüßt, und das Beifallklatschen dauert so lauge, bis das Ganze noch einmal wiederholt wird.

Aber Herr Enslen hat seinen Konkurrenten, einen Italiener, Herr Vaneschi, der im Justiniusschen Saale ähnliche Vorstellungen Auf seinen An¬ giebt. Auch er findet ein zahlreiches Publikum. schlagzetteln, worin er die einzelnen Darbietungen bekannt macht, wird niemals vergesse», daß unter den Gcistererscheinungen auch Friedrich der Große zu sehen sein wird) auch hier wird der große König jedes Mal, wenn seine unvergeßliche Gestalt hervor¬ gezaubert ist, mit dem lautesten

So belustigt man

sich

Beifall begrüßt.

in Berlin zur

schönen Weihnachtszeit.

Diese Schilderung, dessen ist sich der Verfasser wohl bewußt, giebt nur annähernd ein Bild von dem Lebe» und Treiben in der Re¬ Wer in Berlin an¬ sidenz zur schönen, fröhlichen Weihnachtszeit.

unmöglich dem allgemeinen Zuge nach dem Weihuachtsmarkt widerstehen) ob arm, ob reich, ob jung oder alt. alles schließt sich, man kann sagen, der Völkerwanderung dorthin an. Aber auch der Fremde, der in Berlin weilt, wird nicht ver¬ säumen, während der Zeit seines Aufenthalts in der Residenz den Denn abgesehen davon, daß hier Weihnachtsmarkt zu besuchen. die beste Gelegenheit zum Einkauf von Weihnachtsgeschenken sich bietet: hier wird er sich wohl fühle« inmitten des Jubels und Trubels, hier wird in seinem Herzen Platz greifen die rechte Vor¬ freude auf die Festzeit, hier muß er fröhlich sein mit de» Fröhlichen! Unser Gewährsmann schließt mit den Worten, die auch W. Wald. wir dem Leser zurufen: Fröhliche Weihnacht! gesiedelt ist, kann

Kloster Zinna. Nach bisher unbekannten archivalischen Quellen von

w. Zincke.

(Fortsetzung.)

m dieses Vorgehen aber recht zu verstehen, ist es nötig, einen Blick auf die Organisation der Cisterzienserorden zu werfen. Bezüglich ihrer Observanz weiß man, daß sie die Entbehrung bis zum äußersten trieben; sie verzichteten auf das Tragen von Unter¬ aus¬ kleidern, schliefen --UL

nahmslos nur auf Stroh

Als

die Cisterzienser diesen Grundsatz verließen, gingen sie, wie wir unten sehen werden, ihren Verfall rasä)

und legten auch des Nachts weißes Kleid, das durch einen schwarzwolle-

ihr

nen

Gürtel

zusammenge¬ nicht ab.

entgegen.

halten wurde,

Es unterliegt keinem Zweifel, daß der erste Ballenstädter, Albrecht der

Fleisch aßen sie nur in schwerer Krankheit; Fische,

Eier, Milch, Käse genossen nur ausnahmsweise als Almosen. Stillschwei¬ gend gingen sie ihrer Be¬ schäftigung nach, um so größer war aber ihre Mild¬ thätigkeit gegen die Armen und die Ausübung der Kein Gastfreundschaft. Wunder, daß die „gramen

Bär,

den nebe» sciiierHochherzigkeit, Tapferkeit und Thatkraft ein merkwürdig praktischer Blick anszeichnetc, die organisatorisck)e, kulturfördernde Wirksam¬

sie

keit

Ordens

klar

eifrigeren Förderer ihrer Pläne finden konnten als die Landesfürsten. Der Wohlstand klösterliche keine

nahm zu und ermöglichte es, den von Fürsten und reichen Grundherren ge¬

in wissenschaftlicher

Beziehung von größerer Bedeutung waren, widme¬ ten sie sich doch

dieses

erkannte und die Cister¬ zienser nach Kräften in ihren Bestrebungen unter¬ stützte, die ihrerseits wieder

münniche" gern gesehen waren und überall die Zu¬ flucht Glaubensbedürftiger, christlicher die Stützen Sittsamkeit Zucht und wurden. Ohne daß man von ihnen sagen kann, daß sie

halt der Klöster mit Ausschluß aller Einnahmen aus übertragenen Zöllen, Zehntrechtcn u. s. w. ausschließlich aus Ackerbau und Vieh¬ zucht bestritte» wurde, wurde für die Entwicklung des Ordens ungemein wichtig, auf ihm beruhte wesentlich die Bedeutung, die er fürBodenkultur und Ko¬ lonisation gewonnen hat.

machten Schenkungen durch

Kauf

mit Erfolg

erworbenes

Land

hinzuzufügen ; durch Tausch der Jugenderziehung und anstatt un¬ suchte man legten überall neben ihre Be¬ gelegener günstig Kirchen auch Schulen an. sitzungen bequemere zu er¬ Höchst wirksam war aber werben, denn Abrundung der Orden und das Bei¬ mit Malrrer. desBesitzes war ein Haupt¬ VlumrnMnder. spiel derThätigkeit, welches (Kgl. Porzellan Manufaktur, Berlin.) Klosters. jedes streben er bei der Ueberwachung So finden wir denn und Bearbeitung des Bodens gab. Sumpf und Waldland wurden gerodet, Obstgärten bereits „villa Schleutziger" i. e. Schlenzer „erworben", 1218 „Sernow" „getauft", ebenso 1222 Welmersdorff alias Wenemerisund Weinberge in größerem Maßstabe angelegt, aus den kultivierten Gegenden bis von Frankreich brachte man Schößlinge und Sämereien dorff (bei Berlin das heutige Wilmersdorf) zu einem Teil von mit, Rindvieh-, Schaf- und Pferdezucht wurde rationell getrieben, Gottfried von Spandom, zum anderen von Heinrich von Liepe. 1268 wird der Kauf von Bardenitz und Pechüle „cum omni das Gebiet ihrer Klöster bildeten Musterwirtschaften, ihre Pachthöfe jure“ von Richard von Zerbst, 1295 derjenige von Kemnitz und waren die Ackerbauschulen damaliger Zeit. solcher Wirksamkeit Becknerbrück von Hennig von Trebbin und 1285 der große erlebte der Orden eine unglaublich rasche Zunahme seines Besitz¬ Erwerb von Luckenwalde verzeichnet: a nobüibus Baronibus (!!) standes und seiner Ausbreitung; seine Mitglieder wurden klar¬ Oltzone et Wedhegone, dictis de Richow mit Frankenfelde, blickende, besonnene Ratgeber. Jedes Kloster mit seinen Ackerhöfen bildete ein i» sich geschlossenes, für seine Bedürfnisse selbst sorgendes, Gölzdorf, Frankenförde, Melsdorff, Felgen treu, Zühlikennach festen Anordnungen regiertes Gemeinwesen, das mit der dorf, Ruhlsdorf, Lubetz, Woltersdorf, Jäukendorf und Kolzenburg, ein Kauf, der schließe» läßt auf das ungebeure Außenwelt zwar unvermeidlich in manche Beziehungen trat, dabei aber doch ihr gegenüber eine gemessene Zurückhaltung zu bewahren Vermögen, welches das Kloster im Laufe eines Jahrhunderts in der armen, waldigen Gegend zu erwerben gewußt hatte. Meilenweit wußte. Hierzu trug die Stellung der Mönche zu den Laien¬ brüdern bei. Sobald die ersteren ihre kolonisatorische Aufgabe dehnte sich der wohl abgerundete Besitz des Klosters aus, der aber erfüllt hatten, traten sie in das Kloster zurück, wohin sie gehörten, »och niä)t abgeschlossen war, denn 1307 wurde der Sumpf Stra߬

In

und die Laienbrüder, die ihre Aufgaben in tüchtiger Handarbeit finden sollten, übernahmen die Verwaltung der Ackerhöfe (curte8 »d agriculturas exercendas), für die später der Name grangiae stehend wurde. Der hierbei herrschende Grundsatz, daß der Unter-

bruch mit Dalichow, Nelkendorf, Fenkendorf, Meine und Vertensmllhle von Heinrick) von Trebbin auf Blankensee er¬ worben, 1317 das Dorf Dundin von Heinrich von Kathruttz »»£ 1397 ein „Malleum". In der That konnte der unbekannte Chronist

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in seinem erhaltenem Fragment sagen: „omnia hec bona prescripta patres nostri comparaverunt et magnis laboribus et sumptibus, aliis bonis hinc Inde distractis, in unum comportaverunt ad 100 annos et ultra post fundacionem, Solam proprietatem a capitulo magdeburgensi et illam nongratis, uti in litteris demonstrare possumus, Habentes“. Doch daran ließen sich die strebsamen Mönche nicht genügen, Absicht, ein möglichst zusammenhängendes Besitztum zu haben, gelang ihnen zum größten Teil; wo sie nicht kauften, tauschten sie aus oder ließen sich auch — schenken. Schon 1301 hatte Markgraf Otto von Wolmirstedt aus „die Rieplitz" vereignet und 1303 er¬ teilte er dem Kloster zusammen mit Conrad, Johann und Waldemar „wegen der Mühle»" an der „Rieplitz" ein wichtiges Privilegium. Es verdient diese Gerechtsame eine etwas eingehendere Behandlung, weil sie einmal zu Streitigkeiten führte, die bis in spätere Jahr¬ hunderte hinübcrreichen, und weil andererseits dieses Vorgehen der Mönche zum Verfall des Klosters wie des Ordens überhaupt

Ihre

mit führte.

Nachdem sie sich im ersten Jahrhundert nach ihrer Ansiedelung ihre unmittelbarste Nachbarschaft sämtlich durch Besitz gesichert hatten, strebten sie weiter hinaus und glaubten zunächst in Trericnbrietzen ein geeignetes Objekt gefunden zu haben. Ueber diese Stadt Rechte zu gewinnen, war ihr heißes Verlangen. Anlaß dazu bot die Rieplitz: „aqua Nipliz“, die mitten durch die Stadt Treuenbritzen läuft und deren einzige Wasserzufuhr bildet. Run erwarben Abt und Konvent des Klosters „Czenna" das Eigentum dieses Flusses „a prima sui origine, ultra, intra et insra ciuitatem Brizna“ bis in den Havelbruch mit allen Zu- und Abfällen, sowie allen Mühlen, welche dadurch getrieben wurden. Die Markgrafen verkauften und vereigneten das Wasser „propter Deum“, wie es in der ain 3. Mai 1303 zu Havelberg ausgestellten Urkunde darüber heißt. Schon im nächsten Jahre mußte sich die Stadt Trenenbrietzen mit dem Abt über den Kanal vergleichen, da seine Reinigung für die Stadt von größtem Interesse war. Der Abt versprach es auch, aber es kam später darüber doch zu Reibereien. Wesentlicher aber war, daß mit dem Eigentumsrecht au der Rieplitz für das Kloster Zinna zugleich die Berechtigung verbunden war, daß niemand außer diesen Klosterbrüdern an der Rieplitz Mühlen an¬ legen und innerhalb einer Meile der Umgebung von Treuenbrietzen nicht einmal eine Windmühle Platz finden durfte. Dazu verboten die Markgrafen auch den Gebrauch aller nicht dem Kloster angchörigen Müllerivagen, um den Bürgern dadurch die Benützung fremder Mühlen zu crsd)weren, da das Kloster Mühlen in zu¬

Zahl errichtet habe. Treuenbritzen sah sich hierdurch vollkommen einer dem Kloster Zinna beigelegten Mahlzwaugspflicht unterworfen, deren Lästig¬ keiten nicht ausblieben. Endlid) aber wurde der Stadt ein Zu¬ geständnis dadurch gemacht, daß ihr vom Markgrafen Ludwig gestattet wurde, ohne Rücksicht auf Zinnas Recht, in der Nähe der Stadt sich eine Wassermühle zu bauen, welche der Stadt immer zu eigen gehören sollte. Das Zugeständnis Markgraf Ludwigs geschah in Ansehung der ihm von der Stadt Treuenbietzen erwiesenen Treue, während Zinna auf seines Gegners Seite gestanden hatte. Die Treuenbrietzener zögerten denn auch nicht mit dem Bau. Bereits ein Jahr später, am 6. November 1388 stand die Mühle, und ihr Besitz wurde der Stadt nochmals bestätigt. Zinna trat anfangs zwar mit Widerspruch auf, gab sich aber damit zufrieden, nachdem ihm durch Vertrag mit der Stadt Treuenbrietzen vom 14. August 1360 eine Jahrespacht von 4 Wispeln Roggen aus der Zindelmühlc zu¬ gesichert wurde. Dafür erklärte sich das Kloster einverstanden, daß die Bürger von Treuenbritzen in Zukunft freie Hand hätten in der Wahl zwischen städtischen oder Klostermühlen. Indessen brachen immer wieder Streitigkeiten ans; bald weigerte sich der Abt, von seinen Mühlgebäude» in Treuenbrietzen Kommnnalsteuern abtrage» zu lassen; bald verwehrte ihm die Bürgerschaft das Recht, die Klostermühlen zu verpachten; bald stritt mau über die Beschaffenheit der Metze in den Klostermühlen; bald über den Gebrauch der letzteren als Lohmühlen. Wir wollen die Angelegenheit hier gleich endgiltig erörtern und anführen, daß verschiedene kurfürstliche Entscheidungen ergingen, welche zwar einzelne Streitpunkte aus dem Wege räumten, aber nicht mancherlei Berührungen zu beseitigen vermochten, welche immer ivieder neue Mißverhältnisse hervortreten ließen. So fand 1410 ein Vergleich statt „vm eyne wolle" d. i. wegen der Loh¬ mühle; 1423 klagte der Rat von Treuenbrietzen wider Abt und Konvent des Klosters u. a. „up virtsiä) schogk guder bcmischer groschen", entstanden durch die Räumung des Fließes, ferner um Zahlung der Zinsen, welche das Kloster nicht zahle „by geschworen eyden", 1431 verträgt sich dann Abt Balthasar mit dem Brictzener Rat aufs neue „wegen der Lohmühle", und 1452 vergleicht Kur¬ fürst Friedrich beide Kontrahentc» derart, daß es bei der Metze so gehalten werde, daß 16 auf einen Scheffel kommen, auch an das Kloster seine Mühle vermieten, an wen cs will, ferner über das Fließ und Holz, die Jagd in Pechüle und Bardenitz; die Weiden in Klausdorf u. a. m. Namentlich letzgenannte Feldmark war vielumstritten. Ursprünglich vom Kurfürsten an das Kloster verkauft, erhob auch Treuenbrietzen Anspruch an gcivisse Hebungen davon wegen seiner Zugehörigkeit zu dem Bororte Frohnsdorf mit reichender

Birkheide. 1452 freilich wurde die Feldmark mit kurfürstlichem Konsens dem Kloster überlassen, aber noch später, 1623, 1702 und 1734. fanden Streitigkeiten darum statt zwischen Treuenbrietzen und dem Amt Zinna, an dessen Stelle später Jüterbok getreten war. Aus den Streitigkeiten crgiebt sich, daß die mächtige Abtei noch einer Ausdehnung ihrer Besitzniigen und Erweiterung ihrer Rechte über die Stadt Treuenbrietzen strebte. Die benachbarte, sich blühend entwickelcnde Stadt wäre für das Kloster eine wünschens¬ werte Erwerbung gewesen, aber vergeblich. Der hartnäckige Wider¬ stand der jungen Stadt erklärt es wohl auch, daß Zinna daselbst nur eine Niederlassung besaß, welche mehr ökonomische als kirchliche Zwecke verfolgte. Zu einem eigenen Filialstifte wußte es der Cisterzienserorden daselbst nicht zu bringen. Bei dieser Betrachtung ist schon der Zeitpunkt erreicht, welcher für den ganzen Orden der Cisterzienser symptomatisch geworden ist und dessen Verfall aller Arten herbeiführte; hier etwas früher, dort etwas später: wie beispielsweise in Zinna Fast allgemein begann der Orden in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts an äußerer Geltung zu verlieren. Wenn dies in der Mark Branden¬ burg erst später eintrat, so mag der Grund hierfür zu erblicken sein in der politischen Machtentwicklnng gerade dieses Landes, in dem Entgegenkommen, welches die Ballenstädler Markgrafen den Cisterziensermönchen zeigen. Ist es doch ziemlich offenkundig, daß bei dem Verkauf des Barnims an die Ballcustädtcr, wodurch die Landschaft um Berlin Besitz der Deutschen wurde, ein Abt von Zinna der Makler war. Wie dem aber auch gewesen sein mag: die durch die Betiiebsanikeit und gute Wirtschaft sich ansammelnden Reichtümer in den Klöstern mochten an sich die asketische Strenge des Lebens nicht ausschließen, aber auf die Dauer konnte cs nicht ausbleiben, daß der reiche Besitz zum Fallstrick wurde. Wie haben aber schon gesehen, welche Reichtümer das junge Kloster in Liegen¬ schaften besaß; wir haben sein Streben nach Gebietserweiterung und Machtgewinnung bei Treuenbrietzen gesehen; da konnte es nicht ausbleiben, daß von' dem großen Einkommen einzelnen Personen ge¬ sonderte Einkünfte zugewiesen wurden und daß die Allgemeinheit sich gleichfalls ein begnemcres Leben wünschte. Mißbräuche rissen ein, der Widerstand war zu schwach, auch Zinna verfiel, weil es von der Ordensregel abwich. Es ließ sich Zehnt- und Mühlenrechte erteilen, inkorporierte Pfarreien, die vom Kloster aus oder durch vom Abt bestellte Weltpriester versehen wurden, und der größte Teil der Einkünfte siel deni Kloster zu. So verzichtete am 16. März 1381 das Domkapital zu Branden¬ burg zu Gunsten des Klosters Zinna auf das Synodalrecht in Luckenwalde und den dazu gehörigen Dörfern seines Patronats, und elf Tage später, am 27. März inkorporierte Bischof Dietrich von Brandenburg noch einmal offiziell dem Kloster Zinna die erwähnten Kirchen. Es war nur natürlich, daß bei einer solchen Machtentwicklnng des strebsamen Ordens die Zahl seiner Gönner und Schützer wuchs. Er war ein Faktor geworden, mit dem selbst die Mächtigsten zu rechnen halten; und der Cisterzienserorden wußte seinen Einfluß zur Geltung zu bringen, ganz besonders, nachdem sogar aus ihm römische Päpste hervorgegangen waren. So erklärt es sich denn auch, wenn Papst Bonisacius unter dem 5. Januar 1390 von Rom aus dem Kloster Zinna die Konzession macht: „Güter anzunehmen und zu besitzen, welche ihm von den in dasselbe eintretenden Personen zugebracht werden, mit Ausnahme der Lehngüter." Damit gewann der Orden eine weltliche Macht, die im Gegensatz zu seinen Ordensregeln stand und, wie gesagt, seine» Verfall herbei¬ führen mußte. Freilich trat der Verfall beim Kloster Zinna erst später ein. Bei ihm steigt die Macht noch bis ins 15. Jahr¬ hundert. Nachdem 1397 Andreas von Rehfeld und die Gebrüder Vivianz und Heinrich von Heinrichstorff dem Kloster Zinna noch die Dorfstätte Scharpenbrügge (d. i. Scharfenbrückj mit dem Hamincr und der Heide verkauft hatten, inkorporierte ihm Bischof Heinrich von Brandenburg 1401 die oben erwähnten Kirchen zu Lucken¬ walde mit den Dörfern, worüber das Kloster das Patronat besaß, und dieses versprickst dem Bischof dafür, ihm fernerhin die ihm von diesen Kirchen zustehenden Abgaben zu entrichten. 1407 wurde dem Kloster dann noch „mit Konsens des Domkapitels" das Dorf Zcrnoiv bei Jüterbok (d. i. das heutige Sernow) zugeeignet, wie sich aus eineni Revers des Abtes Heinrich und des Konventes zu Zinna ergicbt, und damit hatte das Kloster den Gipfel seiner Herrschaft erreicht; ihm gehörten jetzt insgesamt 28 Ortschaften. Dazu kamen noch die Grundstücke und Häuser, die das Kloster in Magdeburg, Brandenburg und au anderen Orten besaß. So gehörte ihm in Berlin resp. in Kölln das Haus Stralauerstr. 50. Hier pflegten Abt und Brüder, wenn sic in Berlin weilten, ab¬ zusteigen und Wohnung zu nehmen. Der große Reichtum des Klosters mußte naturgemäß verlocken und Neid erregen. Thatsächlich sehen wir denn auch manchen seine Am schlimmsten scheinen dem Kloster Hand danach ausstrecken. Aus dem Jahre 1420 ist ein die OuitzowS zugesetzt zu haben. 64 Seiten starkes Instrument vorhanden, in dem das Kloster den Erzbischof von Magdeburg bevollmächtigt, seine Entschädignngsfordcrungen wegen der von Bewohnern der Mark seit der Ver¬ bindung des Erzbistums und des Markgrafen Friedrich von Brau-

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tnifcurg erlittenen Schäden wahrzunehmen. Dietrich von Ouitzow hatte 1413 dem Abt von Zinna selbst genommen: „11 gesatelte phert, 4 gute panzer und 4 Jsenhute, Jacken, armbrost und andere Harnisch: insgesamt 130 böhmische groschen; außerdem wart sein vogt gefangen vnd mit drey brüder» lag er czu golezow */4 ja re in betn tonne, biß das der Herzog zu Sachsen davorzog, vnd eyn bruder ward erslageu vnd eyner biß in den tod gemundet." Außer¬ dem aber hatte Dietrich von Ouitzow den „Jnwohiienden des Dorfes Heniieckeudorf raublich genomen pfcrde, betegewaut, Kleydere, husgerad, ochziu und Harnisch'" Bardeuitz für 494 Schock und 30 behemischer Groschen; Pechüle 305, Melstorff, 99, Felgentreu 30, Frankeufelde 57, Luckenwalde 20 und Grunow si. e. Grüna) 62 Schock Schaden. In der That ein Raubzug, der sich gelohnt hat. Die Ziniiaer werden deshalb Genugthuung empfunden haben, als sie im Jahr danach au den Ouitzows Vergeltung üben konnten. In diesem Jahre haben „die, so zu den Abteien Zinna und Lehnin gehören, iyit denen von Jüterbok, Belitz und Brietzen unter Johann von Torgau Schloß Beuten umlegt, auf dem Hauptmann Hause von Ouitzow gesessen." Es ist bekannt, daß Beuthen gleich den übrigen Ouitzowscheu Burgen und Schlössern fiel. So ganz tugendsam scheinen die Ziunaer Kloster¬ brüder indessen auch nicht gewesen zu sein, denn aus dem Jahre 1420 ist audererseiis eine Klageschrift und Schadcnsrechnung des Markgrafen Friedrich von Bran¬ denburg gegen Erzbischof Günther von Magdeburg vorhanden, wegen der seit 1412 durch dessen Ziunaer Unterfassen in der Mark staltgefundenen Laudesbeschädi¬ gungen. Aber auch Hans von Ouitzow führt infolge seiner Fehde mit Zinna, freilich „mit Unrecht", Beschwerde über dessen Abt, deshalb „dat mit hause dat vordraghe von gvdes willen", beim Abt Heinrich zu Lehnin. 1421 werden daun sämtliche erwähnten Streitigkeiten bei¬ gelegt und eine Entscheidung durch ein Schiedsgericht unter dem Grafen Heinrich von Schwarzburg getroffen. Das Verhältnis des Klosters Zinna zu der Mark Brandenburg und ihren Mark¬ grafen ward mit den Jahren ein immer diese wußten die Auch vertrauteres. reiche»Cisterzienser nach Gebühr zu schätzen. Namentlich war ihnen Markgraf Johann zugethan. Nachdem er schon 1426 dem Kloster Zinna das Dorf Clausdorf ver¬ kauft hatte, „als ein Brandeuburgisches Lehn zu besitzen", vereignete er ihm 1430 die Bede im Dorfe Herzfelde und fünf Jahre später verzichtete er zu Gunstc» des Klosters auf den „Sec Lubecz." Als 1449 zwischen dem Erzbischof Friedrich von Magdeburg und dem Kurfürsten Friedrich von Brandenburg und dessen Brüdern über ihre gegenseitigen Ansprüche auf des andern Teils Länder und Leute ein Vergleich stattfand, wurde zum Orte der Verhandlungen Zinna gewählt. Kur¬

linorum, lanarum quantitates, litteras authenticas, instru¬ menta publica, registra, protocolla, quittantiae, recognitiones, cedulas, notas, cartas,, fibrös, scripturas, ornamenta ecclesiastica, calices, monilia, ciphos, tasseas, anulos, panufos lineos et laneos, cochlearia, zonas, texutos, bursas, vasa aurea, argentea, cuprea, ferrea, stannea, lignea, lectos, calcitras, linteamina, domorum utensilia, equos, oues, boues, porcos, vaccas, armaturas, mantellas, vestes, soderaturas, debita legata pecuniarum, Annas, jura, juridictiones et nonnulla alia mobilia et immobilia bona ad presatum monasterium legitime spectantia temere et malitiose occultare et occulte

detinere.“

Aus dem Jahre 1472 ist daun noch die Entscheidung von Streitigkeiten des Abtes Matthias zu Zinna mit deneli von Schliessen zu Stülpe über Holzuugsgerechtsame durch Erzbischof Johann von Magdeburg zu melden.

Nach dem Entscheid

waren

die

im Irrtum, „wenn sie ver¬ meinten, Holz hauen, jagen und ziehen darin zu können"; in Zukunft sollen sie Schliessen

„eynen abt des Klosters ersuchen vnd was yn dan von ym erlaubet wirdet vnd czu gestatet, das vnd nicht withers wegen In engere Beziehungen si sich gebruchen." Braiidenburgischeii markgräflich dem mit Hofe trat daun wieder Abt Matthias' Nachfolger: Nikolaus. Als e? 1493 zur Erboereinigung zwischen Kurfürst Johann von Brandenburg und Herzog Bogislaw von Pommern kam, war „her Nicolaus gcczuge." Allerdings findet sich eine Er¬ klärung dafür, denn vier Jahre vorher hatte Kurfürst Johann den Klöstern Lehnin und Zinna, sowie dem Domstift Branden¬ burg für 1000 rhcin. Gulden Zölle und Gebäudestener der Stadt Brandenburg verpfändet. Der Kurfürst war nicht der einzige,

den

die

Cisterziensermönche

zu

ihrem Schuldner hatten. Am 1. Juli 1500 leiht die Stadt Belitz vom Abt „Niclas czur zcynnen, seine nnachkomen vnd gautzem Convente" 600 Rhein. Gulden für — ihre Landesherren, die Markgrafen Joachim und Albrecht, welche die Stadt mit dem Zinse an den Zoll von Belitz verweisen. Albrecht war bekanntlich Erzbischof von Mainz und Magdeburg, das seitdem bis aus die Zerstörung durch Tilly in den Händen brandenburgischer Prinzen blieb. Unruhige Zeiten sah Kloster Zinna in den Jahren 1538 bis 1540. In die Regieruugszcit Joachims II. fällt die ge¬ nugsam bekannte Fehde des Handels¬ manns Hans Kohlhase, in der Zinna arg in Mitleidenschaft gezogen'war. Im Juni 1538 wurden in Jänickendorf, unfern von Zinna, zwei in der Scheune eines Bauern übernachtende Schneidergesellen aufgegriffen; mau glaubte in ihnen Mit¬ glieder der Kohlhasescheii Bande zu er¬ blicken. Nach Anwendung der Folter wur¬ den sie am 7. Juni auf der Richtstätte des Klosters Zinna gerädert. Kohlhase ritt von Jüterbok, wo er gerade weilte,

fürst Friedrich II. scheint überhaupt für das .Kloster große Sympathien besessen zu haben, denn 1454 vereignete er ihm mit dreien seiner Knechte nachts zu gewisse Hebungen aus Werder, „ein Dorf der Richtstätte „bei der Zinnen", ließ Krirchin von Klimbstf;, Nc»bi»k»ik»,asie, czu Rnderstorff" st. e. Kalkberge Rüders¬ (Kgl. Porzellan-Manufaktur, Berlin.) die Pfähle mit den Rädern umhauen, dorf), Altenau, Hirschfclde und Heneckendie Körper der Gerichteten abnehmen dorff; 1455 den dritten Teil an der wüsten Feldmark Klosterdors (bei Strausberg) und die Lehnsherrlichkeit über und die Räder von dem hochgelegenen Orte den Bcrgabhang Hinabrollen. An einem der Pfähle des Galgens aber heftete die von Krummensee bei Herzfelde (zwischen Strausberg und Bernau); er einen Zettel mit der Aufschrift an: „rock« judicate, filii 1458 einige von denen von Jlow verkaufte Hebungen aus dem Dorfe hominum.“ Der spätere Rektor Hafftig muß sich damals wohl Werder. Durch Kurfürst Friedrichs II. 1449 erfolgten Vertrag mit auf der Klosterschule zu Zinna befunden haben, von wo er später dem Erzbistum Magdeburg sicherte sich der Hohenzoller die Kurlande „Diesen Zettel haben wir am nach Pirna kam, denn er erzählt: wesentlich nach außen. Einen treueren Förderer seiner Bestrebungen dem alten Ge¬ Praeceptorius, unseren mit wir Pfingstabend, als fand er in dem „würdigen Herrn Andres, apt czu der Czinnen." Eine interessante Stifturkunde findet sich aus dem Jahre 1447; brauche nach, haben wollen Maien holen, gefunden, herabgenommen; ick hab ihn selbst ins Kloster getragen und dem Äbte „über¬ unter dem 9. September beauftragt Papst Nikolaus V., der in antwortet". Er scheint die beiden Gerichteten mit Recht für un¬ demselben Jahre auf de» Stuhl St. Peters berufen war, den Abt schuldig gehalten zu haben, denn er fährt also fort: „Es war aber zu Lehnin und den Dechanten zu Magdeburg „dem Kloster Zinna damals der gar böse Gebrauch im Kloster, wenn einer daselbst gegen Verletzungen seines Eigentumes Schutz zu leisten", wegen wurde, so mußte in allen Dörfern, zum Kloster gehörig, gerechtfertigt der Spezifiezierung des „Eigentumes". Es heißt darin: 1 Groschen und jeder Kossäth 6 Pfennig geben, jeder Hufner iniquitatis prorsus filii, quod nonnulli . quod „ Summa trug. Das Geld bekam der Vogt, große eine prouentus, welches redditus, fructus, census, ignorant, decimae, und um solches Geldes willen hab ich manchen daselbst ridjtcn posses8ione8, domos, terras, vineas, casalia, molendina, sehen, dem zu kurz geschah; jetzt aber ist es abgeschafft". Am hortos, prata, campos, pascua, nemora, vini, blockst November desselben Jahres wurden dann nochmals „zur Zinna" monetati, 22. et non monetati frumenti, auri, argenti,

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seiner Knechte gerädert. Mit Kohlhases Hinrichtung 1540 biirfte dem Kloster jede weitere Sorge genommen worden sein, Als charakteristischer Beitrag zu dieser Zeit verdient aber eine „Polizeiordnung" des Abtes Matheus von Zinna für den „Fleck Sie enthält Luckenwalde" vom 10. Mai 1540 Erwähnung. eine lange Aufführung alles dessen, was geboten und verboten

zwei

ist: Jnnehaltung der Gottesdienste mit Predigt und Messe, insonderheit die vier gczcitte (Weihnacht, Fastnacht, Pfingsten und Kinn iß), gänzliches Verbot der Tänze zu Ostern, Pfingsten und Weihnacht; Verbot des Karten- und Würfelspiels, des Bierschcnkens später als 10 Uhr abends, desgleichen das Verbot, daß „nach 10 Uhr in seinem Hause keiner das Trummel schlagen darf." (Schluß folgt.)

Schicksale eines süvpreutzischen Offizianten während des polnischen InsurrektionsKrieges 1794. (Aus alten Familienpapieren.)

___

(Schluß.)

zahlte sie jedoch, in Anbetracht der dringenden Umstände, ohne weitere Schwierigkeiten. Herr Brockmann erhielt von mir eine Luittung über 3000 Thaler, welche er sofort an des komman¬ dierenden Generalleutnants Herrn von Favrat*) Exzellenz sandte. Mein Bericht war aber schon zuvor an denselben abgegangen, und mein Wechsel auf die 3000 Thaler wurde daher honoriert, wovon ich durch den Oberstleutnant von R. in Kenntnis gesetzt wurde. An Geld fehlte es nun freilich nicht mehr, aber der Mangel an Brot war in Warschau außerordentlich. Für meine Kranken konnte ich nicht anders Lebensmittel auftreiben, als mit Hilfe des Kantschu, welcher von meiner Kosakenbedeckung, die ich der Güte der mir befreundeten russischen Offiziere verdankte, stets kräftig und eifrig geschwungen wurde, wo es nur irgend notwendig schien. Die Juden, mit denen ich manchmal zu thun hatte, wurden dabei Die Kosaken hatten keine ganz besonders aufs Korn genommen. größere Freude, als wenn sic einen Juden durchprügeln durften. Von letzteren war deshalb alles zu erlangen, wenn ihnen mit dem Kantschu nur aus der Ferne gedroht wurde. Häufig mußte ich den ganzen Tag herumlaufen, um nur das Allernotwendigste zu¬ sammenzubringen. Einige hundert Stück von den Russen erbeutete Hemden, Beinkleider, Strümpfe und Schuhe, die ich ihnen in Praga abgekauft hatte, waren von mir unter die fast nackten Verwundeten in meinem Lazarett verteilt worden. Leider gab es unter letzteren verschiedene schlechte Subjekte, welche ihre Gesundheit größtenteils wiedererlangt hatten, und nun niederträchtig genug waren, den ganz Schwachen die Kleidungsstücke wieder auszuziehen und für sich zu behalten, während sie die ihrigen wieder verkauften. So fand ich denn am Morgen und Abend immer einige Unglückliche ganz nackt vor, ohne daß sich je die Thäter ermitteln ließen. Auch der Mangel an Lebensmitteln wurde immer größer, so daß ich mich genötigt sah, an alle in der dortigen Gegend, nahe bei Warschau, stehenden höheren, preußischen Offiziere zu schreiben, sie möchten mir um Gottes willen die Verwundeten und Kranken, die den Transport aushalten könnten, abholen lassen, damit sich ihre Anzahl vermindere, weil ich nicht länger imstande sei, so viele Lebens¬ mittel zu beschaffen. diesem Entschluß bestärkte mich ein Vorfall ganz neuer und besonderer Art, der sich in meinem Lazarett zutrug. Eines Nachts hörte ich in letzterem wüsten Lärm. Erschreckt eilte ich sogleich hinein und sah zu meinem Erstaunen, daß sich einige vierzig Soldaten verschiedener Regimenter, die bereits in der Besserung begriffen waren, auf das unbarmherzigste herum¬ prügelten. Ich schrie zwar aus vollem Hals dazwischen, allein alle Ermahnungen um Ruhe meinerseits blieben fruchtlos, bis endlich die russische Wache, nach der ich inzwischen geschickt hatte, die Streitenden auseinander brachte. Bei näherer Untersuchung über die Ursache dieser Schlägerei erfuhr ich zu meiner Verwunderung, daß ein Regiment sich größerer Tapferkeit gegen das andere ge¬ rühmt hätte, indem jedes behauptet, daß dem (einigen der Preis gebühre. Es war daher natürlich, daß meine Bitten um Abholung der Hergestellten noch dringender wurden. Von den vielen Unannehmlichkeiten, welche mein freiwillig übernommenes Amt mit sich brachte, hebe ich besonders eine hervor, die mir in dieser Zeit begegnete. Ich habe bereits früher erzählt, auf welche Art ich von dem Palast, wo sich mein Lazarett befand, Besitz genommen hatte. Eine geraume Zeit hindurch ward ich nicht darin gestört. Eines Morgens aber trat ein polnischer Edel¬ mann in mein Zimmer und befahl mir in trotzigem Ton und drohenden Gebärden, den Palast sofort zu räumen und spätestens bis mittag mein Bettelgesindel — so beliebte er, die Kranken zu nennen — herauszuschaffen, auch das Haus aus meine Kosten reinigen, und alles, was Schaden gelitten habe, herstellen zu lassen. Sein Verlangen, welches mich vielleicht weniger befremdet hätte, wenn er und seine Nation die Sieger geblieben wären, erschien mir im höchsten Grad empörend und unbarmherzig. Ich stellte ihm in den höflichsten Worten die Unmöglichkeit vor, das Haus zu räumen, und bat ihn eindringlich, mit meinen Kranken Mitleid zu haben. Aber meine Höflichkeit übte auf ihn

In

*) Franz Andreas von Favrat, geb. 1734 in Schlesien. War im siebenjährigen Kriege Hauptiiiann nnd avancierte zum preußischen General der Infanterie. Er wurde Gouverneur von Glatz und erhielt 7144 ein Kommando in Polen. Er starb im Jahre 1804. An körper¬ licher ttmft übertraf er noch August den Starken. 1

gerade die entgegengesetzte Wirkung aus. Er wurde immer heftiger und gröber. Sein Gesicht wurde vor Wut blau und rot, seine Augen funkelten, und an seinem dicken Speckhals traten die starken Adern gleich Beulen hervor. Ich stand trotzdem in der ruhigsten Haltung vor ihm, mit höflicher Miene und abgezogenem Hut. Die russische Wache, nach Plötzlich änderte sich jedoch die Szene. welcher ich heimlich geschickt hatte, trat herein. Ich zeigte derselben meinen offenen Brief von dem russischen Gouverneur, Herrn Generalleutnant von Buxhöwden vor, kraft dessen mir alle russischen Wachen in der Not zu Gebot stehen und meine Befehle befolgen sollten. Gleichzeitig nahm ich dabei eine gebieterische Haltung an, und änderte auch meinen Ton. Der Kontrast war auffallend und vermehrte sich noch durch die plötzlich ängstlich und unterthänig Der russische Unteroffizier hatte gewordene Miene des Polen. einen schönen Kantschu am Säbel hängen; ich befahl ihm, den vornehmen Herrn, welcher mit armen, verwundeten Soldaten kein Mitleid hatte, für seine Hartherzigkeit zu züchtigen. Die Wache, die ihn an seiner Kleidung sogleich als Polen erkannte, war über Der diesen Befehl sehr erfreut und befolgte ihn auf der Stelle. Edelmann schrie erbärmlich und lief, nachdem er seine Prügel er¬ halten hatte, davon, ohne fick auch nur nach seiner Mütze, die ihm während der Debatte abgefallen war, umzusehen. Er kam nicht wieder, und niemand verlangte seitdem Rechenschaft von mir, wie ich dazu gekommen, einen fremden Palast zum Lazarett einzurichten. Aller Pflege ungeachtet, die ich ihnen angedeihen ließ, kamen mehrere meiner Kranken dem Tode nahe. Das in Warschau herrschende Faulfieber hatte sich auch in mein Lazareth eingeschlichen, und alle dagegen angewendeten Mittel waren bei manchen Kranken vergeblich. Mehrere derselben verlangten nach einem Priester. Ich schickte zu katholischen und protestantischen Geistlichen und ließ sie bitten, den Sterbenden beizustehen. Die ersteren kamen sogleich, gaben denen, die himmlischen Trost begehrten, die Absolution und beteten mit ihnen. Rur der evangelische Geist¬ liche weigerte sich zu kommen. „Er habe keine Zeit, in den Lazaretten herumzukriechen," so ließ er mir wörtlich sagen, „auch habe ich ihm nichts zu befehlen." Die Lieblosigkeit eines Mannes, der sich einen Diener des Allbarmherzigen nannte und wöchentlich wenigstens einmal von einer Stelle herab, wo ihm niemand antworten durste, von den Pflichten der Menschlichkeit und der Wohlthätigkeit eines Christen sprach, verdroß mich noch weit mehr als die Hartherzigkeit des polnischen Edelmannes. Er hätte wohl eine ähnliche Bestrafung verdient, wie jener, und wer weiß, ob sie ihm nicht zu teil ge¬ worden wäre, wenn ich nicht hätte befürchten müssen, seinen Stand und Charakter bei meinen Kranken, die er in der ernst¬ haftesten Stunde ihres Lebens trösten sollte, herabzuwürdigen und verächtlich zu machen. Ich unterdrückte also diesmal die Stimme der Gerechtigkeit in mir und begnügte mich den undienstfertigen Mann zur Beobachtung seiner Pflicht anzuhalten. Einigermaßen wurde er durch die Art und Weise, wie meine Befehle vollzogen wurden, doch bestraft. Ich wandte mich an einen mir befreundeten Kosakenoffizier und bat um dessen Beistand. Dieser Offizier, welcher kein besonderer Verehrer der Geistlichen zu sein schien, ließ den bewußten Prediger durch einen Unteroffizier, zwei Soldaten und die Janitscharenniusik eines Jnfaiitcriebataillons aus dessen Wohnung abholen. Der fromme Diener des Herrn mußte der Wache folgen, welche ihn zwischen sich nahm und ans boshaftem Scherz die Mitte der Straße hielt, wo der Kot einen Fuß hoch stand. Als er zuletzt nicht mehr folgen wollte, führten sie ihn zur besonderen Erheiterung des Straßenpöbcls an beiden Ohren, während die Janitschareiimusik, lustige Märsche spielend, der Prozession voranzog. Johlende Gassenbuben gaben ihm noch ein Extragclcit bis zum Bestimmungsorte. Von diesein Tage an kam der Geistliche fleißig zu meinen Kranken. Eines Tages zeigte man mir an, daß eine Menge süd- und westpreußischer Unterthanen, Adelige, Geistliche und Bürgerliche, welche als Geiseln oder unter dem Vorwände, daß man sie für Spione halte, aus ihrer Heimath fortgeschleppt worden waren, in cinenl Pulverturme säßen und daselbst von den entflohenen Mitgliedern der polnischen Kommission und des Magistrats voll¬ ständig vergessen märe». Einige derselben seien schon vor Hunger

783

gestorben. Auf diese Nachricht hin machte ich mich sofort mit zwanzig Kosaken auf den Weg zu dem mir bezeichneten Turm. Dort angekommen, ließ ich die Thüren sprengen, trat ein und kündigte den Gefangenen die langersehnte Freiheit an. Ein un¬ artikulierter Schrei der Freude war alles, was sie antworten konnten. Hundertundzweiunddreißig Menschen zog ich, glücklicher¬ weise noch lebend, wenn auch in unbeschreiblich elendem Zustande, ans diesem lebendigen Massengrabe hervor. Sie wurden sofort mit Speise und Trank gelabt, so viel wie möglich mit frischen Kleidern versehen und für den Augenblick wo anders untergebracht. Ich schickte sie am nächsten Tag mit russischen Pässen und einem Zehrpfennig nach Hanse. Ein darunter befindlicher katholischer Geistlicher, dem ich in Anbetracht seiner traurigen Umstände einen beträchtlicheren Vorschuß gegeben hatte als manchem anderen, versprach mir, unter vielen Segenswünsche, so lange er lebe, alle Monat eine Messe für mich zu lesen. — Ob er sein Versprechen gehalten hat, weiß ich nicht, cs schien aber, als wenn mir die Segenswünsche, welche bei dieser Gelegenheit für mich vom Himmel erfleht wurden, doch zum Heile gereichen sollten, denn noch am nämlichen Tage brachte mir ein Trupp Kosaken 21 Stück Rinder, die sie in einem benachbarten Dorf erbeutet hatten, und boten sie mir zum Kauf an. Für die ganze Herde bezahlte ich den Preis von 21 Thalern, ließ sie in meinen Hof treiben und alle auf einmal schlachten. Für meine Pfleglinge war dies ein reiches Labsal; dieselben konnten Suppe und Fleisch nach ihrem Appetit genießen, und ihre Kräfte nahmen täglich zu, was mir große Freude bereitete. Bei der sich steigernden Besserung meiner Soldaten hielt ich es für sehr angebracht, eine gründliche Warnung vor allen Prügeleien zu erlassen, indem ich ihnen vorhielt, wie thöricht und nutzlos es sei, ihre Tapferkeit dadurch zu beweisen, daß sie sich gegenseitig ihre nunmehr bald gesunden Glieder zerschlugen, und schloß mit einem Appell an ihre Ehre, sie mögen später ihre Kräfte für den König und zum Wohle des Vaterlandes anwenden, wenn man derselben bedürfen würde. Für alle Mühe und Sorgen, welche mir diese verschiedenen Geschäfte verursachten, fühlte ich mich reichlich belohnt durch die Zufriedenheit meines eigenen "guten Herzens und die Dankbarkeit meiner Leute waren für alles, was ich an Pflegebefohlenen. Die ihnen gethan, so erkenntlich, daß sie in Ermangelung irgend einer anderen schicklichen Gelegenheit, mir ihre Dankbarkeit an den Tag zu legen, wenigstens einen öffentlichen Beweis derselben geben wollten. Sie ließen daher folgende Erkärung in die „Warschauer

Zeitung" einrücken.

„Der Menschenfreund bleibt immer gleich groß. Auch sogar dann, wenn er selbst im äußersten Elend ist, bleibt ihm Geistesgegenwart übrig, um anderen Unglücklichen zu helfen. Hiervon hat uns der königlich preußische Kommissarius, Herr Stnser, abermals ein Beispiel gegeben. Dieser edeldenkende Mann war selbst ausgeplündert in Gefangenschaft dem Augenblick, da er sich befreit sah, wußte er allen preußischen Gefangenen Hilfe zu leisten; besonders nahm er sich der Kranken und Blessierten mehr als väterlich an. Möchten doch alle Beamte ihre Dienstpflicht so treulich erfüllen! —Dies wird im Namen aller königlich preußischen Offiziere und Zivilbeamten, welche hier in Gefangenschaft gesessen, bekannt gemacht." Endlich kam der von mir lang ersehnte Tag, an welchem der Herr Generalmajor von Günther einen Transport Gefangener Bald darauf wurden von Offizieren noch mehrere abholen ließ. Transporte abgeholt und dadurch meine Arbeitslast sehr vermindert, denn mein Lazarett blieb auf einige wenige Kranke beschränkt. In dieser Zeit konnte ich auch daran denken, die Sr. Majestät dem König gehörigen, von den Insurgenten aus Südpreußeu und dem Netzedistrikt ivcggeschleppten, beweglichen Güter, so viel davon noch übrig war, zu retten, um so mehr, als ich bemerkte, daß der gemeine Mann unter den russischen Soldaten keinen Unterschied zwischen seinem und fremdem Eigentum machte, sondern von den Vorräten meines Königs nach Belieben zerschlug und verdarb, oder, was ihm paßte, stahl, und, wenn es ihm dazu verwendbar erschien, auch verkaufte. Ich wandte mich daher durch einige Offi¬ ziere an die Generale Suwarow und Buxhöwden, und erhielt von diesen ohne Bedenken einen offenen Brief, der mir die Berechtigung verlieh, nach Praga überzugehen, um alles meinem Landesherrn Gehörige wegzunehmen und in sichere Verwahrung zu bringen. Mit diesem Geschäft machte ich sogleich den Anfang, und hatte bereits elf Proviantwagen in meinem Hofe stehen und alles übrige vorbereitet, auch zwei Kanonen, 2368 Gewehre, mehrere Karabiner, Pistolen, Sättel, eine Fahne, Leder und Leinwand, welche in dem Palaste des Erzbischofs von Krakau aufbewahrt waren, in Beschlag genommen, als es auf einmal der Verleumdung, welche schon in der Stille ihr Gift gegen mich ausgespritzt hatte, gelang, mich in allen meinen Plänen und Anstalten zu stören. Als ich bei meinem Aufenthalt zu Wyszogrodt, wie bereits erzählt worden, 182 Tonnen Salz gefunden hatte, bat mich der

In

Bauinspektor Lehnhardt, ich möge ihm dieses Salz überlassen. Ich erklärte mich dazu bereit unter der Bedingung, daß ich mein für Da ich aber dieses die Arbeiter ausgelegtes Geld zurück erhielte. Geld nicht wieder bekam, und überhaupt einiges Bedenken bei der ganzen Sache hatte, so meldete ich dieselbe bei dem königlichen Feld-KriegSkommissariat. Dieser Lehnhardt war nun nach der Wir Erstürmung von Praga auch nach Warschau gekommen. trafen uns dort beide, und Herr Lehnhardt lud mich zu sich in seine Wohnung ein, welche er im preußischen Seehandlnngshause genommen hatte. Ehe wir noch in ein ordentliches Gespräch ge¬ kommen waren, ließ mich schleunigst der Buchhalter des Brockmannschen Hauses in eigentümlicher Weise daran erinnern, über die von seinem Herrn aufgenommenen Gelder eine detaillierte Rech¬ nung zu übersenden. Sein Verlangen erschien mir so unangemessen, daß ich demselben nicht entsprach, weil ich als königlicher Beamter in dem festen Glauben war, diesen Rechenschaftsbericht nur allein dem Feld-Kriegskommissariat, meiner vorgesetzten Behörde, schuldig zu sein. Ich schrieb daher dem Buchhalter: Rechnung en detail. 3000 Thaler eingenommen 3000 Thaler ausgegeben. Balance: Nichts von Nichts bleibt — Nichts. Ich blieb sehr ruhig bei der ganzen unerquicklichen Angelegen¬ heit, da mein Wechsel, wie schon erwähnt, von Sr. Exzellenz dem General von Favrat anerkannt worden war und ich außerdem über alle meine Handlungen dem Feld-Kriegstöminissariat aus¬ führliche Berichte abgestattet hatte. Allein zu meinem Unglück war keiner von meinen Briefen daselbst eingegangen, obwohl ich die¬ selben sämtlich an das königliche Feld-Proviantamt zu Wyszogrodt adressiert hatte. Diesen Umstand benutzten meine Feinde nnd brachten es durch ihre Intriguen dahin, daß ich Arrest erhielt. Hierdurch gerieten nun alle meine begonnenen Unternehmungen ins Stocken. Zum Glück waren die meisten Kranken schon an ihre Regimenter abgeliefert worden, aber die Reklamation der preußischen Gewehre und Kanonen blieb nun gänzlich unbesorgt. Ich berichtete alles dies an den General von Günther, welcher hierauf Pferde schickte, um mich samt den noch übrigen Kranken und den elf Proviantwagen abzuholen, allein die Pferde konnten nicht über die Weichsel kommen, weil sie nicht hart genug zugefroren war. So mußte ich denn in Geduld Bis zum 25. Dezember 1794 ausharren, ohne die Freude zu haben, das Weihnachtsfest mit den Weinigen verleben zu können. Während dieser Zeit hatte ich meine Wache so sehr gewonnen, daß ich alle Nächte frei ausgehen konnte, also meinem Arrest, wenn ich gewollt, leicht ein Ende hätte bereiten können; aber mein gutes Gewissen und das Bewußtsein redlicher Pflichterfüllung ließ den Gedanken an Flucht gar nicht aufkommen, Am 25. Dezember sondern hieß mich das Ende ruhig abwarten. wurde ich von Warschau als Arrestant abgeführt, .und zwei Hu¬ saren ritten neben meinem Wagen her. Ueberall, wo wir durch¬ kamen, und wo ich preußische Offiziere und Mannschaften antraf, erhielt ich die rührendsten Beweise von Dankbarkeit und Mitleid, welche meinem Herzen unendlich wohlthaten. Am 10. Januar 1795 kam ich mit meinen drei Lazarett¬ aufsehern Berner, Schapper und Weiß, die das Faulfieber in Wir hielten mit Warschau noch hatte leben lassen, in Posen an. drei Bauernschlitten vor dem Hause, wo das Feld-Kriegskommissariat Der Unteroffizier, welcher seinen Sitz aufgeschlagen hatte, still. meinen Transport begleitet hatte, meldete mich, und ich wurde sofort herausgerufen. Von der Wache begleitet, stieg ich, Schamröte auf den Wangen, die Treppe hinauf zu meinen Richtern. Durch den Anblick der letzteren, die mehr Mitleid als Strenge gegen mich durchblicken ließen, mehr aber noch durch das Gefühl meiner Un¬ schuld, gewann ich sogleich meine gewohnte Ruhe und Sicherheit. Meine Papiere waren schon vor mir eingetroffen. In einem Briefe, den ich auf meiner Reise an die Behörde abschickte, hatte ich be¬ sonders erbeten, vor geschehener Untersuchung mit Schonung, nachher aber mit der Strenge behandelt zu werden, die das Gesetz in solchen Wie vorauszusehen, war die Untersuchung Fällen vorschreibt. meines Prozesses kurz. Nachdem ich noch eine Nacht in Posen zugebracht hatte, wurde ich am andern Morgen zum Verhör geführt, nach Verlauf einer Stunde aber freigesprochen und meines Arrestes entlassen. Am Tage darauf hatte ich die Genugthuung, daß mir, bei der über¬ großen Zahl von Kranken, die das Regiment „Graf Kunheim" hatte, die Inspektion über das Lazarett anvertraut wurde. Eine größere Genugthuung war es mir jedoch, daß es meinen Ver¬ leumdern versagt blieb, über meinen Sturz zu triumphieren, und daß es mir vergönnt war, durch die gegen meinen allergnädigsten Landesherrn bewiesene Treue alle gegen meine Person gerichteten Mit der innigsten feindseligen Machinationen zu durchkreuzen. Dankbarkeit gegen meinen Schöpfer, der mich aus den Schrecken, die mich umgaben, unversehrt hervorgehen ließ, schließe ich die Auszeichnungen über diese denkwürdige Gefangenschaft, welche A. C. meinem Gedächtnis nie entschwinden wird.

784

^eoi'Üetoy des J$äp. Bit) Mshel.

Novelle von Reinhold Vrtmann. (Nachdruck verboten.)

(Fortsetzung.)

alte Herr wollte antworten, ohne Zweifel mit irgend einer Schmeichelei für Ada, die Gräfin aber, der die letzte Wendung des Gesprächs offenbar nicht sonderlich gefiel, kam ihm zuvor: „Möchtest Du nicht endlich den geheininisvollen Brief aus Paris aufmachen, lieber Onkel, den Dir Leopold vorhin

Er hatte

er

mit der Abendpost gebracht hat? Es sieht aus, als ob eine Photographie darin wäre, und ich habe Dich im Verdacht, daß Du heimlich mit irgend einer schönen jungen Französin korrespondierst."

Der Graf zeigte sich sofort bereit, ihren Wunsch zu erfüllendas Glas vor die etwas weitsichtig gewordenen Augen und löste den Umschlag des Briefes, aus dem ihm ein beschriebenes Blatt und ein Bild in Kabinett-Format entgegen fiel. „Wahrhaftig, ein Danicnporträt!" rief er überrascht, um dann, nachdem er es mit schärferem Blick betrachtet hatte, in ganz verändertem Ton hinzuzufügen: „Aber um Gottes willen, was — was bedeutet denn das?" Erivin und Ada waren gleichzeitig hinter in getreten. Ein Aufschrei des Schreckens kam von den Lippen der jungen Frau und mit einer unwillkürlichen Bewegung streckte sie die Hand aus, wie wenn sie dem alten Herrn das Bild entreißen wolle. Schon in der nächsten Sekunde aber ließ sie kraftlos den Arm wieder sinken. „Was ist das?" iviederholte Graf Fiddichow, und sein Atem ging merklich schiverer. Das Portrait dieser Amazone — ist es nicht das Deine, Ada?" Sie antwortete nicht, aber es wäre ihr auch kaum Zeit

Er

setzte

die Gcschniacklosigkeit hattest, Dich im Reitanzuge photo¬ graphieren zu lassen, wie, uni des Himmels ivillen, konnte dann diese gedruckte Unterschrift da auf das Bild kommen: „Miß Ada, der Stern des Zirkus Bertinelli?" Gieb mir Antwort — damit ich nicht eine Minute länger den entsetzlichen Verdacht zu hegen brauche, es handle sich hier uni mehr als um einen frivolen Scherz." Das junge Weib war bis in die Mitte des Zimniers zurückgetreten. Ihr Antlitz war marmorbleich, und ihr Busen ivogte. Wie in angstvollem Flehen waren ihre schönen Augen auf das erregte Gesicht ihres Gatten gerichtet. „Frage mich nicht!" bat sie. „Vernichte dieses abscheuliche Bild, mit dem ein Elender unser Glück zu zerstören gedachte." „Oho! Ist das alles, ivas Du mir als Erklärung zu sagen iveißt? Bei Gott, mir scheint, ivir sollen da eine seltsame Ueberraschung erleben. Aber hier ist ja auch ein Brief! Laß doch sehen, ob wir nicht aus ihm erfahren können, ivas Du allem Anscheine nach lieber verschweigen möchtest."

dem

gefallenen Blatte

zu Boden

war Ada auf ihn zugeflogen und hatte ihn mit beiden Armen umschlungen. „Lies nicht, Erwin — lies nicht!" beschwor sie ihn in zärtlichsten Tönen, deren ihre Stimme fähig war. weichsten, den „Ich habe niir nichts vorzuwerfen, und ich will Dir alles Nur lies nicht, was dieser Elende geschrieben hat, sagen. um Dich und mich unglücklich zu machen." Unsanft, beinahe brutal machte er sich von ihr frei. „Ah, Du kennst ja, wie es scheint, den Absender sehrgenau, und Du hast wohl auch eine sehr bestimmte Vermutung über den Inhalt seines Briefes! Nun bin ich freilich erst recht neugierig, ihn ebenfalls kennen zu lernen." Sie machte keinen iveiteren Versuch, ihn zu hindern, und sie stand regungslos wie eine Statue, ivähreud ihr Gatte niit lauter, vor Aufregung verschleierter Stinime las:

„Mein

verehrtester Herr

Graf! Aus Erkenntlichkeit

Eine Liebe ist der andern wert.

für die freundliche Rücksicht, die Sie die Güte hatten, mir vor einigen Tagen zu erweisen, trenne ich mich, wenn auch schweren Herzens, von einem teuren Besitztum, das mich bisher immer von neuem an die schönsten Sie werden die Stunden meines Lebens erinnerte. Größe des Opfers, das ich Ihnen daniit bringe, ganz ermessen, wenn sie die

beifolgenden

von dem reizenden Original des

Bildes einst auf die

Rückseite

desselben

Aber ich glaube, daß Kunstreiterin Ada Brunold schönen Porträt der das sein wird aufgehoben in Ihrem Familicnarchio besser als in den Händen desjenigen, dem cs dereinst geividmet wurde. In tiefster Ergebenheit geschriebenen

dazu geblieben, denn Erwin, dessen weitgeöffnete Augen starr auf das Bild gerichtet waren, während eine dunkle Röte bis in die Stirn hinauf sein Gesicht überflog, schnitt ihr das

Wort ab. „Natürlich ist es ihr Porträt — daran ist doch gar kein Zweifel möglich! Und jetzt frage auch ich, Ada, was das bedeutet. Wenn Du schon zu irgend einer Zeit Deines Lebens

nach

sich

gebückt, doch noch ehe er es entfalten konnte,

Worte

lesen.

Ihr

Romero

de

Riveira."

Der alte Graf hatte den Karton, den er so lange wie geistesabwesend angeblickt, bei der Vorlesung der betreffende» Briefstclle umgewendet, und mit einer heftigen Gebärde reichte er

ihn nun seinem Neffen. „Da — überzeuge Dich

selbst

— wer

die

— die Dame

Du den Namen der Fiddichoiv gegeben hast." Und Erwin sah in den schönen, zugleich festen und zier¬ lichen Schriftzügen, die er so gut kannte, die Worte: „Bewahre dies als Zeugnis für den höchsten Liebes¬ gewesen ist, der

beweis, den ich

Dir

zu geben vermochte.

Chicago, den 13. August 189

.

.

Ada."

Mit keuchender Brust und zornfunkelnden Augen stand in der nächsten Sekunde vor seinem Weibe. „Hast Du das geschrieben? Ja — oder nein! und be¬ denke Dich wohl, ehe Du mir antwortest!" er

„Ja,

ich habe es geschrieben." einem Aufschrei mehr des verzweifelten Schmerzes als der Wut warf er das Bild zu Boden.

Mit

785

„Ah, Du

kannst

Und dann ist natürlich auch das andere wahr — Du bist eine Kunstreiterin — ein Zirkusmädchen gewesen!" Der Ausdruck des Schreckens und der Augst war all¬ gemach aus Adas Antlitz gewichen, mehr und mehr legte sich eine starre Ruhe über ihre Züge. zu leugnen!

„Ja,

es

ist

wahr,

ich

war

sechs Wochen

lang Schul¬

reiterin im Zirkus Bcrtinclli zu Chicago."

„Und das konntest Du mir verschweigen, als ich Dir meine Hand antrug?-" Du konntest die Werbung eines ehr¬ lichen Mannes annehmen — mit einer solchen Vergangenheit?" belog Dich nicht, Erwin; denn ich sagte Dir, daß es in meinem Leben Geheimnisse gebe, die ich Dir nicht offen¬ baren könne, und denen Du nicht nachforschen dürfest. Du aber bestandest trotzdem darauf, daß ich Deine Frau würde. Jetzt hast Du kein Recht, mir einen Vorwurf zu machen."

„Ich

— Meinst Du das ivirklich. Aber Dein Gedächtnis läßt Dich ein wenig ini Stich. Wohl sprachst Du mir von einem Geheimnis, das ich nicht erfahren dürfe, doch Du beteuertest zugleich, daß Du nie zuvor einen anderen Mann geliebt, und daß Du nie einem Mann irgend welche Rechte an Dich eingeräumt hättest. Und nur auf dieses Gelöbnis hin konnte ich mich einer Be¬ dingung fügen, die sich wohl schwerlich ein anderer hätte ge¬ fallen lassen. Wie Du Dich wohl im stillen lustig geniacht haben magst über mich leichtgläubigen Narren!"

„So? —

„Erwin!"

ich habe kein Recht dazu?

schrie sie

auf,

„Du

glaubst also, daß ich damals

die Unwahrheit gesprochen?"

„Ich glaube, ivas ich sehe. Und eS wäre verlorene Mühe, wenn Du jetzt noch versuchen wolltest, mir eine Komödie vorzuspielen. Darum also setzte Dich der Name dieses Herrn de Nivcira so in Verwirrung, als Du ihn aus meinem Munde hörtest. Und daruni leugnetest Du so entschieden, ihn zu kennen. Es mußte Dir allerdings sehr unangenehm sein, ge¬ rade von mir an Deinen einstigen Liebhaber erinnert zu werden." „Er ivar mein Liebhaber nicht — er so wenig wie irgend ein anderer. Dies Bild und die Worte darauf waren nicht sie unterbrach sich für ihn bestimmt, sondern plötzlich, und erst nach Verlauf einiger Sekunden fuhr sie leiser fort: „Ich kann Dir nur unter vier Augen sagen, Erwin, für

für-"

wen es bestimmt

Im

ivar."

Moment schien ihr Gatte betroffen. .Etwas Hoffnung, daß sich doch alles zu Adas Gunsten auf¬ wie die klären, daß sich ihm eine Möglichkeit bieten könnte, ihr zn verzeihen, mochte sich in seinem Herzen regen. Da aber richtete sich der alte Graf mühsam aus seinem Sessel auf und sagte, nicht lauter als sonst, doch mit einem stahlharten Klang tiefster Verachtung in der Stinnne: ersten

„Natürlich! Eine so geschickte Schauspielerin, die es fertig brachte, Dich und mich jahrelang zu hintergehen — wie sollte sie in Verlegenheit geraten, ivenn es sich darum handelt, eine neue Ausflucht zu ersinnen! Aber ich will nicht, daß Du ihren koketten Künsten noch einmal unterliegst, will nicht, daß sie Dich abermals in ein neues Lügengewebe einspinnt! Es ist meines Namens wie des Deinigen, um die cs sich hier handelt, und sie soll wahrlich nicht zum Spielball in den Händen einer — einer Zirkusdame werden." Für eine geraume Weile blieb cs still, als er geendet. Dann war cs Ada, die das Schweigen brach, indem sie sich gegen ihren Gatten wandte: „Und Du hast Deinem Oheim auf diese Beschimpfung Deines Weibes nichts zu erwidern — Du, mein natürlicher Beschützer?" die Ehre

„Was sollte

also nicht einmal den Versuch machen,

ich

ihm antworten? Hast Du

denn nicht unmöglich gemacht,

selbst cs

mir

Dich zu verteidigen und Dich

Sprich cs doch in seiner Gegenwart aus, was Du mir unter vier Augen sagen wolltest! Zwinge ihn, sich bei Dir zu entschuldigen, in¬ dem Du ihm den überzeugenden Beweis lieferst, daß dies Bild mit seiner seltsamen Widmung für einen anderen als für einen Liebhaber bestimmt war. — Bei Gott, niemand wird zufriedener sein als ich, wenn es Dir gelingt." Ada hatte ihn starr angesehen, so lange er sprach. Eine tiefe, hoffnungslose Traurigkeit war in ihrem Blick. „Also nur auf einen überzeugenden Beiveis, nicht auf mein bloßes Wort hin würdest Du mir glauben?" Er wandte den Kopf von ihr hinweg, und nach einem gegen den Verdacht

der Unwahrheit zu schützen?

tiefen Atemzug erwiderte er hart: „Du darfst Dich nicht darüber beklagen, daß es so ist! Wie käme ich jetzt noch dazu, Dir blind zu vertrauen?" Die Lippen der jungen Frau preßten sich stolz zusammen.

Nur

ein kurzes Zaudern noch, und

sie

wandte

zum Gehen: zn

sich

„Dann haben wir einander allerdings nichts mehr sagen,"

erklärte sic,

und

es

lag ein Klang

hoheitsvollen

Stolzes in ihrer Stimme.

In sie

fester,

aufrechter Haltung schritt sie zur Thür.

die Schwelle

fast schon erreicht hatte,

machte

Erwin

Als eine

stürmische Bewegung auf sic zu. „Ada!" rief er in ausbrechendem Schmerz.

„Bedenke, Wie soll ich Dein Schweigen anders ein Geständnis Deiner Schuld? Wenn Du imstande bist, Dich zu rechtfertigen, so sprich! — Wie kamst Du in den Zirkus? — Hub wer war der Empfänger jenes

Du thust! deuten, denn als

was

Bildes?" Aber sie schüttelte mit Entschiedenheit den Kopf. „Jetzt werde ich es Dir nicht mehr sagen — jetzt nicht mehr! Ich kann nicht Tote erwecken und Verschollene herbei¬ rufen, damit sie mir zu Zeugen der Wahrheit dienen. Ohne solche Bestätigung aber würdest Du mir nicht glauben — Du selbst hast es mit dürren Worten ausgesprochen. — So ziehe ich es denn vor zu schweigen." Nur so lange sie sprach, war sie stehen geblieben. Jetzt erhob sie die Hand, um die Portieren auseinander zu schlagen, die ihr den Ausweg noch versperrten. Noch einmal, da er sie so unerschütterlich entschlossen sah, zu gehen, rief Erwin ihren Namen, und es ivar, als ob er ihr nacheilen wollte. Da aber sagte der alte Graf, sich zu seiner ganzen Größe aufreckend, scharf und bestimmt: „Ich habe mit Dir zn reden — und als das Haupt der Familie verbiete ich Dir, dies Zimmer jetzt zu verlassen." Schiver atniend, aber wortlos blieb Erwin Fiddichoiv stehen, bis sich die Thürvorhänge hinter der Gestalt seines schönen jungen Weibes wieder geschlossen hatten.

IV. Eine stundenlange, und namentlich gegen das Ende hin Unterhaltung ivar es, die nun zivischen Oheim und Neffen folgte. Der alte Gras niachte Erwin die heftigsten Vorwürfe über die Leichtfertigkeit, mit der er sich einer Person hatte verbinden können, über deren Vergangenheit er so ganz im Dunkeln gcivescn war; aber die verächtlichen Ausdrücke, deren er sich dabei in Bezug auf Ada bediente, weckten den Unwillen und den lebhaften Widerspruch des Denn wie schmerzlich enttäuscht und wie jungen Mannes. auch fühlte, so hatten die Erfahrungen er sich tief verletzt sehr stürmische

der letzten Viertelstunde doch nicht hinreichen können, die Liebe zn seinen: schönen Weibe aus seinem Herzen zu reißen, und je deutlicher er sich gerade auf die Vorhaltungen seines

786

Oheims hin die Umstände ins Gedächtnis zurückrief, unter denen er Ada in Amerika kennen gelernt hatte, desto un¬ begreiflicher und unsaßlicher wollte ihn das eben Erlebte dünken, desto mehr war er, ungeachtet aller scheinbaren Schuldbeweise, geneigt, an ein verhängnisvolles Mi߬ verständnis zu glauben, das sich trotz alledem noch würde aufklären müssen. Im Hause eines deutschen Kaufmannes, an dessen vier Kindern sie seit etwa einem halben Jahre Mutterstelle vertrat, hatte er zuerst gesehen. Mit Bewunderung und Entzücken hatte er Ada ihr liebevolles Walten beobachtet, hatte er wahr¬ genommen, mit wie abgöttischer Zärtlichkeit die Kleinen an ihr hingen, und er erinnerte sich gut genug der Ausdrücke unbegrenzter Hochachtung, mit denen jener ihm befreundete Kaufmann von ihr gesprochen. Und dies alles sollte möglich gewesen sein, nachdem sie eben erst die Manege verlassen, nachdem sie eben erst dem leichtfertigen Völkchen der Zirkus¬ künstler als ihresgleichen angehört hatte! Es war einfach undenkbar, mochte sie selbst es auch hundert Mal zugestanden haben.

Und das Bild mit der unseligen Widmung, die nach der Ansicht des alten Grafen nur eine einzige Deutung zu¬ lassen sollte, war es denn in der That ein so ganz unwider¬ leglicher Beweis dafür, daß sie ihn mit ihrer Versicherung belogen, und daß sie wenige Monate vor der ersten Be¬ gegnung mit ihm in vertrauten Beziehungen zu einem andern, und obendrein zu einem Menschen gestanden hatte, der sicherlich schon damals ein Verbrecher geivesen war?

Sie hatte

es bestritten, und er

war

schon jetzt überzeugt,

daß sie alles erklärt haben würde, wenn er sie nicht durch seinen beleidigenden Ziveifel an ihrer Wahrhaftigkeit daran gehindert hätte. Fast noch mehr als gegen sie wandte sich sein

Groll bereits

gegen den Oheim, durch dessen Einmischung

er zu so harten Worten verführt worden ivar,

und als der alte Graf nun mit aller Bestimmtheit die Notwendigkeit einer Scheidung betonte, fuhr er heftig auf und erklärte, er sei der freie Herr seiner Entschließungen, und er werde sich von niemandem Vorschriften machen lassen in einer Angelegenheit,

„Nun, was in aller Welt sollen diese Grimassen be¬ deuten? Haben Sie mir etwas zn sagen? Hat man Ihnen vielleicht eine Bestellung für mich aufgetragen?" „Eine Bestellung — nein, Herr Graf! Und daß die Frau Gräfin abgereist sind, ist dem Herrn Grasen ja ohne Ziveifel bekannt."

In diesem Moment streifte Erwins Blick über einen auf dem Tische des Toilettenzimmers liegenden Brief, den er bis dahin nicht bemerkt halte, und nun begriff er mit einem Mal alles. Das Blut drängte ihm heiß zuin Herzen. Aber er wußte sich zu bezwingen, und es klang ganz ruhig, da er erwiderte: „Natürlich iveiß ich's. Ist die Zofe mitgefahren?" „Zu Befehl, Herr Graf — doch nur bis zum Bahnhof, dann schickte die Frau Gräfin sie zurück." Es ist gut. Ich brauche Sie jetzt nicht weiter. Gute Nacht." Sowie er sicher war, daß der Mann ihn nicht beobachten konnte, stürzte er zu dem Tische hin und riß den Umschlag von dem Brief. Es waren Adas Züge, und die mit fester Hand geschriebenen Zeilen lauteten: „Ich

gehe,

Erwin, um nie mehr zurück zu

denn ich würde mich

selbst

Einem ein für allemal erteilten ausdrücklichen Befehl hatte der Kammerdiener wachend seiner Heimkehr geharrt. Das auffallend ernsthafte Gesicht und das eigentümlich feierliche Wesen des Mannes mußten Erwin notwendig auf die Vermutung bringen, daß er irgend etwas auf dem Herzen habe. Mit geheimer Angst wartete er daraus, es zu ver¬ nehmen; da aber der Diener beharrrlich stumm blieb, während er ihm beim Auskleiden behilflich ivar, vermochte er diesen Zustgnd der Spannung zuletzt nicht länger zu ertragen und fragte beinahe heftig: seines Gebieters entgegen,

kehren,

könnte ich

was heute geschehen ist, nur noch eine Stunde länger mit Dir leben. Besorge indessen nicht, daß ich mir ein Leid anthun oder sonst etwas Konipromitticrendes unternehmen iverde, denn ich weiß, welche Rücksicht ich Und dem Namen schuldig bin, den ich jetzt noch trage. versuche nicht, meinen Aufenthhalt ausfindig zu machen. Es wäre verlorene Mühe, und selbst, wenn es Dir ge¬ länge, wäre damit für keinen von uns etwas gewonnen. Ich leide für das, was ich gethan, vielleicht härter, als ich es verdiene, aber ich leide doch nicht schuldlos, und ich fühle, daß ich Deinem Drängen, Dir anzugehören, niemals hätte nachgeben dürfen. Laß denn den kurzen Traum unseres Glückes zn Ende sein und nimm noch cinnial meinen Dank für alles Liebe, das Du mir erwiesen. nach dem.

die sein Lebensglück betreffe.

Es war beinahe Mitternacht, als sie sich trennten. Ein tiefes Zerwürfnis hatte sich zwischen ihnen aufgethan, und mit glühendem Antlitz verließ Graf Erwin Fiddichow das Haus, um sich in dcu Klub zu begeben. Dorr erregte er das lebhafteste Erstaunen seiner Freunde, denn ein Benehmen, wie er es heute zur Schau tmg, hatte man nie zuvor an' Er trank ziemlich viel und spielte am ihm beobachtet. Baccarattische wie ein Unsinniger. Dabei war er bald von lärmender ausgelassener Lustigkeit, bald von einer zorn¬ mütigen Reizbarkeit, die nur auf einen ziveideutigen Blick oder auf ein hingeworfenes Wort zu warten schien, die sich zum Anlaß eines Streites nehmen ließen. Als er mit den letzten aufbrach, fiel bereits die fahle Dämmerung des jungen Tages in die Fenster der Klubsäle, und das erwachende Leben der Großstadt begann sich in den Straßen zu regen.

verachten müssen,

Ada." Graf Erwin Fiddichow hatte den Abschiedsbrief seines Weibes wohl zwanzig Mal gelesen, ehe er das Blatt sinken ließ und sich stöhnend in einen Sessel warf, das brennende Gesicht in den Händen vergrabend. V. Es war an einem der letzten Januartage, und der Winter zeigte sein allergrämlichstes Gesicht. Um das alte Herrenhaus von Fiddichow ivirbclten mit kleinen stechenden Eisnadeln untermischt seit dem frühen Morgen die Flocken, und die Aeste der entlaubten Parkbäume ächzten kläglich, wenn der scharfe Nordost sie wie mit rohen Fäusten unbarm¬ Es war während des ganzen herzig schüttelte und zauste. Tages kaum hell geworden und nun, um die vierte Nach¬ mittagsstunde, lagen bereits die Schatten der abendlichen Dämnierung über der iveiten Schneelandschaft, die gar trost¬ los einförmig und melancholisch aussah unter dem schwer hernicdcrhängenden grauen Wolkenhimmel. . Durch die lange Nüsternallee, die auf das Herrenhaus Es zuführte, kam ini Galopp ein Reiter herangesprengt. war Graf Erwin Fiddichow, hoch und stattlich wie immer, aber mit einer fremden, finsteren Falte zwischen den Brauen und mit einigen herben, gramvollen Linien an den Mund¬ winkeln. Mutterseelenallein war er vor etwa drei Monaten ans das Gut zurückgekehrt, und mutterseelenallein hauste er

787

Unter den Leuten hieß es, die Frau Gräfin sei auf dringenden ärztlichen Nat ihrer Gesundheit wegen für unbestimmte Zeit nach dem Süden gegangen, daneben aber gingen allerlei Gerüchte, die freilich nur verstohlen von einem zuni anderen huschten, die darum aber nicht minder eifrig erlauscht und weitergetragen wurden. Während des letzten Aufenthalts in B. sollte sich irgend etwas Fürchterliches zugetragen haben, und die schöne junge Gräfin sollte bei Nacht und Nebel davongegangen sein, ohne Wohl hütete daß jemand wußte, wohin sie sich begeben. man sich in Erwins Umgebung, durch die leiseste An¬ deutung oder auch nur durch Mienen oder Blicke eine Kenntnis solchen Geredes zu verraten. Der Thatsache aber, daß der wirkliche Sachverhalt kaum noch ein Geheimnis sei, konnte sich Erwin, wenn er nicht gerade blind und taub war, doch schon seit langem nicht mehr verschließen. Wenn er auf einer Jagdpartic oder aus anderem Anlaß mit Personen seiner gesellschaftlichen Sphäre zusammengetroffen war, hatte man sich stets mit augenfälliger Beflissenheit bemüht, über die unvermeidliche Frage nach dem Befinden seiner Gattin so schnell wie möglich hinwegzukommen, und die schonende Rücksicht, die man ihm daniit zu erweisen suchte, hatte ihm mehr verraten, als irgend eine indiskrete BemerkungDarum war er zuletzt allem geselligen Veranstaltungen gänzlich fern geblieben und hatte sich seit beinahe zwei Monaten zu dem freudlosen Leben eines Einsiedlers verdammt. Weite, erschöpfende Spazierritte und anstrengende Pürschgänge, die er allein oder in Begleitung des alten Försters unternahm, Auch der Verkehr mit bildeten seine einzige Zerstreuung. seinem Oheim beschränkte sich durchaus auf jene kurzen, rein seitdem auf dem alten Herrensitz.

geschäftlichen

Mitteilungen,

die

durch

die

Verwaltung des

Gutes bedingt waren, und in den spärlichen Briefen, die zwischen ihnen gewechselt wurden, kam Adas Name niemals

vor.-

einiger inzwischen eingegangener Briefe, und er mochte etwa eine halbe Stunde gearbeitet haben, als er durch den Eintritt seines Kammerdieners unterbrochen wurde.

„Der Herr Graf verzeihen, aber da ist ein Mensch, mit wir nichts anzufangen ivissen. Ich glaube fast, er ist

nicht recht bei Verstand." „Was für ein Mensch?" fragte

dürftig gekleideten Mannes hin. Er niochte die Dreißig wohl noch kaum erreicht haben, und sein fein geschnittenes Gesicht war ohne Zivcifcl von männlicher Schönheit gewesen, des

bevor es durch körperliche und seelische Leiden, vielleicht auch und Ausschweifungen verwüstet worden war. Aus tiefliegenden, dunkel umschatteten Augen sah er scheu zu dem Grafen hinüber, seine Anrede erwartend. Erwin bedeutete den Diener durch einen Wink, sich zu entfernen und wies auf einen Stuhl. „Nehmen Sie Platz," sagte er mit freundlichem Ernst, durch Leidenschaften

Sie mich erfahren, wer Sie sind." Der Mann leistete der Einladung nicht Folge. Er ließ den Kopf tief auf die Brust herabsinken, und seine abgezehrten Finger zerknüllten nervös die Krempe des schäbigen Hutes. Ein hastiges, unverständliches Gemurmel war seine einzige Antwort. „Gut, ich will Sie nicht zwingen, mir Ihren Namen zu nennen, wenn sie eine triftige Ursache haben, ihn zu ver¬ schweigen. Aber man sagt mir, daß Sie hierher kamen mit dem Wunsch, zu der Gräfin Fiddichow geführt zu werden, und da meine Gattin abwesend ist, können Sie Ihr Anliegen vielleicht ebenso gut mir vortragen. Sie werden mich bereit finden, Ihnen beizustehen, soweit ich es vermag."

„und

lassen

Die milde Freundlichkeit in seinen Worten übte ersichtlich eine tiefe Wirkung auf den Unbekannten.

Er

bedeckte plötzlich

die Augen mit der Hand und sagte mit einer von krampfhaften.

Graf Erwin hatte dem wartenden Reitknecht das Pferd überlassen und war in sein zu ebener Erde gelegenes Arbeits¬ zimmer getreten. Dort machte er sich an die Beantwortuug

dem

es verstrichen immerhin noch bevor der Erwartete erschien. Es hatte offenbar große Mühe gekostet, ihn zum Konimen zu bewegen. Auch an der Schwelle des Zimmers zögerte er noch einmal, und es bedurfte einer energische Mahnung von Seiten des Dieners, ehe er sich entschloß, sie zu überschreiten. Mitleidig streifte Erwins Blick über die hinfällige, augen¬ scheinlich von Krankheit und Entbehrungen gebrochene Gestalt

Der Diener ging, aber

beinahe zehn Minuten,

Erwin aufblickend, „ein

Landstreicher?"

„Er sieht beinahe so aus, aber einer von der lichen Sorte ist er wohl nicht. Er muß den Weg Station oder vielleicht von noch weiterher zu Fuß haben, obwohl sein Anzug wahrhaftig nicht für solche gänge eingerichtet ist. Er war fast erfroren, als

gewöhn¬

von der gemacht

Spazier¬ er hier ankam, und man wollte ihn in die Leuteküche schicken, damit er sich erwärme. Aber er fragte nur immer nach der Frau Gräfin und wollte sogleich bei ihr angemeldet werden. Als man ihn endlich davon überzeugt hatte, daß die Frau Gräfin augenblicklich nicht hier, sondern in Italien sei, fing er an zu weinen und gebärdete sich überhaupt so unsinnig, daß ich sicher bin, es ist da oben mit ihm nicht ganz richtig. Es ist kein vernünftiges Wort mehr aus ihm herauszubringen, und cs wäre ivohl das beste, sich ihn so rasch wie möglich wieder vom Halse zu schaffen. Aber wenn wir ihn jetzt hinaus¬ werfen, kommt er sicherlich draußen um."

Erivin, der den Bericht mit wachsendem Interesse an¬ gehört hatte, befahl: „Schaffen Sie den Menschen hierher. Ich selbst ivcrde mit ihm reden."

Schluchzen halb erstickten Stimme:

„Verzeihen Sie mir, Herr Graf, und lassen Sie mich fort, ohne sich weiter um mich zu kümmern. Ich hätte ja nienials hierher kommen dürfen — ich weiß es. Aber wenn mau so namenlos unglücklich ist, wie ich, und wenn nian das schimpflichste Ende vor Augen sieht — ach, Sie wissen wohl nicht, wessen ein Verzweifelter in solcher Lage fähig ist!"

„Ich vermag cs Ihnen vielleicht besser nachzufühlen, als Sie vermuten, und jedenfalls dürfen Sie mir ohne Besorgnis Ihr Vertrauen schenken. , Was war es, das sie von der Gräfin erbitten wollten?" Der Fremde schüttelte den Kopf. „Nicht um etwas von ihr zu erbitten, kam ich hierher, sondern nur, um sic noch einmal vor meinem Tode zu sehen. Aber ich hätte nur wohl vorher sagen können, daß das Schicksal nicht die Gnade haben würde, mir diesen Wunsch zu erfülle». Ich hatte es ja auch nicht besser verdient."

Mit

wachsendem Erstaunen

maß

Erwin

die zusammen¬

gesunkene Gestalt seines Besuchers.

„Sie begreifen, daß nur Ihre Reden einigermaßen un¬ verständlich sein müssen. Haben denn zwischen Ihnen und der Gräfin jemals Beziehungen bestanden, die innig genug ivaren, um Sie zu einem solchen Wunsche zu berechtigen?" Der andere fuhr erschrocken zusammen, ivie jemand, der sich plötzlich beivußt wird, mehr gesagt zu haben, als es seine Absicht war. Stammelnd brachte er einige abgerissene Worte hervor, die wohl dazu dienen sollten, Erwins Vermutung zu entkräften. Da aber erhob sich der Gras, nahm ihn beim Arm und führte ihn in den Lichtkreis der Lampe, so daß der Schein voll auf das verhärnite, farblose Gesicht des Unglück¬ lichen fiel.

788

„Warum können Sic

sich

nicht entschließen,

ganz auf¬

richtig gegen mich zu sein?" fragte er. „Sie sehen doch wohl, dag Sic von mir nichts zu fürchten haben, und daß es nur in Ihrem eigenen Interesse läge, mich über Ihre Person und über den eigentlichen Zweck Ihres Hierseins aufzuklären. Ist es Ihnen um Verschwiegenheit zu thun, so wird Ihnen hoffentlich das Wort eines Edelmanns als Bürgschaft für die meinige genügen."

Ein heftiges Zittern ging über den Körper des jungen Mannes, und die Spuren eines schiveren Seelenkampfes offenbarten sich in seinen Zügen. „Mein Gott," stieß er abgebrochen hervor, „hat Ihre Gemahlin Ihnen niemals von ihrer Familie — von ihrem Bruder gesprochen?" Unwillkürlich fuhr der Graf ein wenig zurück. Die Vor¬ stellung, daß er in diesem herabgekonimencn Menschen, der nur zu sehr einem richtigen Vagabunden glich, möglicherweise Adas nächsten Blutsverivandten vor sich habe, erfüllte ihn für einen Moment mit tiefster Bestürzung. In angstvoller Spannung forschten seine Augen in dem wachsbleichen Gesicht des Mannes, und nun glaubte er wirklich trotz aller Ver¬ wüstungen etwas wie eine Aehnlichkeit mit seineni schönen, einst so heißgeliebten Weibe darin zu finden. Aber er nahm um nicht zu verraten, zu ivclchem Schluß er in seinen Gedanken bereits gekomnien sei. „Allerdings," sagte er, „ich hörte, daß ein Bruder meiner Frau seit Jahren verschollen sei, oder vielmehr, daß es ge¬ gründete Ursache für die Vermutung gebe, er habe bei einem sich

zusammen,

großen Eisenbahnunglück sein Leben verloren." „Wollte Gott, daß cs so gewesen wäre! Aber es wurde mir nicht so gut. Ich blieb für ein schimpflicheres Ende anfgespart, als

für

solchen

„Sic wollen

Tod."

mich also glauben machen,

der Bruder meiner

daß

Sie

selbst

Gattin seien?"

nicht meine Absicht, es Ihnen zu verraten; aber Sie iverdcn nicht die Ungerechtigkeit begehen, es Ada entgelten zu lassen, daß sie die Schwester eines Verlorenen ist. Ich heiße Kurt von Rüdiger, Herr Graf." „Und — und haben Sie irgend welche Beweise für diese

„Es war

Behauptung?" Der Fremde griff in die Tasche seines dünnen Rockes und brachte daraus ein Päckchen stark abgegriffener Papiere zum Vorschein. „Wenn man das

Vaterland zu Fuß durch¬ wandert, muß man darauf vorbereitet sein, sich in jedem Augenblick legitimieren zu können, und ich ivar immer besorgt, meine Ausweise in gehöriger Ordnung zu halten." deutsche

Schon bedurfte es für Erwin des Beweises nicht mehr, und wenn er sich dennoch den Anschein gab, die Dokuniente aufmerksani zu prüfen, so geschah es wohl nur, weil er da¬ durch Gelegenheit gewinnen wollte, seineHaltnng wiederzufinden. „Es scheint, daß alles seine Richtigkeit hat," sagte er endlich. „Warum aber, wenn diese Papiere in der That Ihr rechtmäßiges Eigentum sind, haben Sie sich nicht früher bei

mir oder bei Ihrer Schwester gemeldet? Sie können sich wohl denken, daß ich einen nahen Verivandten meiner Frau niemals in Not und Elend hätte geraten lassen." „Ich könnte Ihnen darauf antworten, Herr Graf, cs sei das Schamgefühl des Schuldbewußten gewesen, das mich Aber ich will mich nicht durch eine daran gehindert habe. Lüge bei Ihnen zu empfehlen suchen. Ich habe mich nicht gemeldet, weil ich bis vor ivenigen Wochen nichts von der Verheiratung meiner Schwester und von ihrer Rückkehr nach Deutschland wußte. Aus dem Munde eines alten Bekannten

vor etwa einem Monate in den Straßen von Paris begegnete, erfuhr ich beides, und obivohl ich gerade damals auf dem Punkt war, mein verpfuschtes Dasein endlich von mir zu werfen, fesselte mich doch die Hoffnung, Ada erst, dem ich

zu sehen und vielleicht ihre Verzeihung zu er¬ langen für all das bittere Herzeleid, das ich ihr angethan, wieder an das Leben. Fast ohne Mittel machte ich mich von Paris auf die Reise, und mit Ausnahme weniger kurzer Strecken legte ich den ganzen Weg von der Grenze bis hier¬ her zu Fuß zurück." „Jener alte Bekannte," fragte Erwin, einer plötzlichen Eingebung folgend, „war es vielleicht ein Herr Romcro de

noch einmal

Riveira?" Ueberrascht blickte Kurt von Rüdiger zu ihm auf. der That, Herr Graf — er war es. Aber ich be¬ greife nicht, wie Sic erraten können, daß gerade „Es bedurfte dazu keines besonderen Scharfsinnes; aber da gerade die Person dieses Herrn aus Gründen, die Sic

„In

er-"

mich von einem ganz besonderen ich Sie, niir einige auf ihn bezügliche

für

später erfahren werden,

ist, bitte Fragen zu beantworten, che Sie in Ihrer Erzählung fort¬ Wie kamen Sie, oder vielmehr wie kam Ihre fahren. Schwester zu der Bekanntschaft mit jenem Menschen?" Der Gefragte zögerte mit der Antwort. Eriviu, der die Gründe dieses Zögerns argivöhntc, kam ihm zu Hilfe. „Sie lernte ihn kennen, als sie dem Zirkus Bertinelli in Chicago angehörte — nicht wahr?" Jetzt hegte Adas Bruder offenbar keine Bedenken mehr, ganz ohne Rückhalt zu sprechen. „Ja, es geschah damals, daß ich ihn ihr vorstellte, aber ich glaube nicht, daß sie öfter als zivei oder dreinial mit ihm

Interesse

Sic erkannte ja sogleich, daß er der böse Geist meines Lebens war, und sie hat ihm von allem An¬ beginn kein Hehl daraus gemacht, ivie tief sie ihn verabscheute." Heiß drängte dem Grafen alles Blut zum Herzen. Nie war cs ihm so schwer geworden, wie in diescni Augenblick, seine mächtige Erregung hinter der Maske äußerer Gelassenheit gesprochen hat.

zu verbergen. „So mußte

ich

eine

gelegentliche

Aeußerung

meiner

Gattin mißverstanden haben," warf er ein. „Mir ist es, als hätte sie von freundschaftlichen Beziehungen gesprochen, die damals zwischen ihr und Riveira bestanden." „In der That, Sic haben sie ohne Zweifel mißverstanden," rief Kurt lebhaft, „cs ist nicht möglich, daß sie von jenem Elenden anders als mit dem, Ausdruck des Zornes und der Verachtung gesprochen hat. Sie hatte ihn ja sogleich durch¬ schaut, und wenn ich damals ihren Warnungen gefolgt wäre, brauchte ich wahrscheinlich jetzt nicht so jämmerlich hier vor

Ihnen zu stehen." Erwin kämpfte mit

einem Entschluß,

gegen dessen Aus¬

führung sich noch etwas in seinem Innern auflehnte. Plötzlich aber warf er alle Bedenklichkeiten bei Seite, und nachdem er ungestüm eine der Schubladen seines Schreibtisches aufgerissen hatte, hielt er dem auf so seltsame Weise wiedergefundenen Schwager das verhängnisvolle Bildnis Adas im AmazonenKostüm entgegen. „Kennen Sie dies Porträt?" fragte er, und da der andere kopfnickcnd bejahte, wies er ihm auch die Rückseite. „Und wissen Sie, für wen diese Widmung bestimmt war?" Das wächserne Gesicht des jungen Mannes färbte sich

jäh bis über die Stirn hinaus mit purpurnem Rot. „Wie sollte ich es nicht wissen, Herr Graf? Dies Bild war ja das letzte Geschenk, das ich von meiner hochherzigen foIg t.) Schwester empfing."

789

Die Porzellanfrsu. Berliner Bild von Edels Rüst. klinkte die Thür eines kleinen einfenstrigen einer der Querstraßen der benachbarten

in junger Offizier Porzellanladens in s Moabiter

Kasernen auf. Es war dunkel in dem Laden, und nur die nicht allzuferne Gaslaterne warf von außen soviel Schimmer auf das reich assortierte Warenlager, daß der Eintretende nach kurzer Orientierung nicht gerade direkt in die zu ebener Erde hingestellten Töpfe und Tiegel hineinzutreten brauchte. Eine Weile blieb alles still. Dann raschelte es leise hinter dem Ladentisch vom Fenster her, als ob jemand ans sanftem Schlummer aufgerüttelt sei. „Nu, was is denn das für ne Wirtschaft, Mutter Weigel? Um acht Uhr alles dunkel, und Sie pennen noch dazu?" „Ach Sie, Herr Jraf! Ja, da seh'n Sie, wie flott das Je¬ schäft hier jetzt — — einen Tag und alle Tage — — für wen soll ich das Jammerelend noch beleuchten? Was ich an Jas spare, is ja meine einzigste Einnahme." Dabei trottete die kleine, rundliche Frau auf ihren Filzparisern zu dem alten, zweiarmigen Kronleuchter hi», und unter Seufzern und umständlichem Bemühen flammte endlich eine Leuchte auf. „Also, es will gar nicht besser werden?" „Nee, Herr Jraf — man hat mich mit meinen sieben Sachen all bei Lebzeiten bcjraben, da is nichts nich mehr zu wollen. Seit Weihnachten sind Sie mein einziger Kunde, Herr Jraf ’n Leuchter kaputt gemacht?" haben Sie wohl schon wieder immer noch dieselbe Sorte?" „Jawohl! Haben Sie ’n Jelegenwar mal so „Runde 24 stehen da ’ne Majolika¬ Dingerchens-so hübsche wirklich heitskanf. Doch tulpe für fünfzig Pfennig-kann man mehr verlangen? Aber das rennt jetzt bloß noch allens in die großen Warenhäusereiner is da is das allein Seligmachende zu erledigt." „Aber die Bude zumachen wollen Sie doch nicht, was?" „Wolln, woll» will ich schon, aber wo soll ich mit dem janzen

--nu

noch-das

haben-unser

Kram hin?"

" . . „Lassen Sie sich doch einfach für die Miete pfänden ’n schlechtes zu Das wär „Ach nee, nee, Herr Jraf, so nicht! nee, der läßt sich nicht mein Mann ’n Kopf wirft! pfänden, wenn er mir auch täglich daS Jeschäft an ’n ’ne das wäre würde, jemacht anständige Art alle Ja, wenn's auf ’ne solide Jlück, aber wer kauft mir die prima solide Ware auf Weise ab?" „Dann halten Sie Ausverkauf, das geht immer." „Ausverkauf — hier in dieser jottvcrlassencn, zwanzighänserigen ’n Ende das is allens nichts. Natürlich, — bei Jott, wenn mich das muß die Sache mal haben, sonst ’n Ladenelcnd mal so einen Tag janz befällt, hänge ich mich an

-nee,

Jeschäft-und

Einöde-nee,

nächsten gold’nen Nagel."

’n Wunder, Mutter „Ra, na — vielleicht geschieht noch Sie nur orntlich." „Ach, Herr Jraf, ich bete Tag und Nacht, daß ich bloß noch mal

Weigel-beten

in meinem Leben in ’nmeiner ruhigen, hübschen Sind' und Kammer bißchen ivo's grün is, draußen-mein sitzen die Mann konnt' ja den» Vorstadtlinie ’n bei sein' Kaffee und geht Arbeit gethan, sitzt man gemütlich ’n Götterleben könnt' das sein. Daß bißchen ans die Luft — was

kan»-so

fahre».-Wenn

-aber

mich der Teufel plagen mußte, das Jeschäft anzufangen ich dachte, es is so verlorene Zeit und verlorenes Jeld, so nichts weiter thun als das bißchen Kochen und Flicken. Wenn man so keine kleinen Nichtsnutze hat, die einem die Hölle heiß machen, und Jott, jetzt der Mann auch so wenig zu würde ich das Nichtsthun schon zu würdigen wissen, aber nun bin

Hause-ach

ich

mal so jestraft." „Ra, ivoll'n mal

Weigel

wie Ihnen --packen sehen, Sie mir mal erst

gleich-und

zu helfen ist, Mutter diesen Leuchter ein, den

schicken Sie mir die übrigen dreiund¬ brauche ich zwanzig morgen zu, ich habe Verwendung."

„Aber Herr Jraf

..."

hier-die

„Auch dies Pnppenzeng fünf Service, können ’n Sie mitschicken. Ich hab' gerad’ paar Präsente an kleine Damen zu vergeben — — kriegen sie alle Porzellan in die Wirtschaft." 'ne „Ree, Herr Jraf, is das Jüte von Ihnen. . . ." Graf Strehlen zahlte seine Rechnung und verließ mit freund¬ lichem Kopfnicken den Laden. Am andern Nachmittag kam Mutter Weigel überhaupt nicht znm Sitzen. Offiziere und Ordonnanzen stürmten den Laden nach goldstrvtzenden Prunktassen mit „Zur Erinnerung" und „In Liebe", Veilchen- oder rosennmkränzt. Die Kellerkrämer ringsherum wurden aufmerksam und traten neugierig auf der Straße znsaminen: Was war denn bei Weigel

mit einem Male los?!

Dann hielt ei lies Tages eine offene Equipage mit gallonicrter Dienerschaft und einer neunzinkigen Krone über dem Wagenschlag. Die junge Gräfin Lohen feierte znm Frühjahr ihre Hochzeit und deckte, ihrem Vetter Strehlen zu Liebe, ihren Porzellanbedarf „für die Leute" sehr reichlich bei Mutter Weigel. Da es gerade mit Gewalt Frühling werden wollte, und die Mittagssonne auf dem Pflaster hin- und herhnschte, schiarte auch Frau Weigel vor ibrem Hause auf und nieder, um sich zu ver¬ gewissern, daß ihr Laden noch auf derselben Stelle stehe. Ihre Wangen glühten, die mattschläfrigen Angen strahlten förmlich Blitze nach rechts und links und geradeaus, als sie der davonrollenden Kutsche ersterbend nachknixte.

Der Schuster von drüben, der allen Dingen ans den Grund kommen mußte, löste sich kopfschüttelnd von seiner Kellerthür ab und tappste langsam über den Damm, um seine Wißbegier in dieser aufregenden Angelegenheit zu stillen. „Ja, so was spricht sich rum," bedeutete ihn Mutter Weigel. „Die vornehmen Leute halten auf gute Ware und verstehn sie renne» nicht in die jroßcn Warenhäuser, zu un lassen sich von viel Jeschrei und Jaslicht nicht imponieren. sonst Ich habe ja überhaupt nur so ne nu kommen haben sie einfach jeordert, und ich schickte sie schon mit höchst eijene Hand nach mein erstklassiges Porzellan was spricht sich eben rnm, verstehn Se . .!"

taxieren.-Die

Kundschaft-aber

■—-na

-so

Der Schuster kraute sich hinter den Ohren: „Ra nu sehn Se bloß! Un ick un de annern dachten, dat Se . . ." sozusagen jcwaltig in de Tinte sitzen „Ja, was wißt Ihr Hierrum denn von een stilles, vornehmes hinterwärtijes Jeschäft, wo Ihr hier bloß auf Eure jejenseitijen .

poveren Jroschen anjewiesen seid!" Der Schuster nickte tiefsinnig, ging mit in den Laden und kaufte einen hübschen, vergoldeten Brotkorb, wie ihn seine Schusterin sich zum Geburtstag ersehnte. Warum sollte er nicht auch kaufen, wo die vornehmen Leute kauften? Er verstand schon Dinge auf ihren eigenen Wert zu taxieren, ohne Jeschrei und Jaslicht! Mutter Weigel drehte eine Nase hinter ihm her. Noch so eine Equipage, und die Nachbarschaft, die bis jetzt durchaus nicht zu ihr hingefunden hatte, würde sich um ihren

Kram schlagen. Die zweite, dritte und sechste Karosse hielt vor dem Weigelschen Magazin. Das Schaufenster wechselte jeden Tag mit seinem Inhalt, und das Lager lichtete sich zusehends. Die Nachbarschaft strömte nach jeder Equipage zahlreicher heran; und die kleinen Budiker rings umher fanden plötzlich, daß Mutter Weigels Seidel ganz besonders zum Trinken animierten. Da erschienen eines Tages zwei ältere, elegante Danien im

Geschäft und baten, ihnen den ganzen Vorrat zu überlasten; er sollte auf einem Bazar von hübschen jungen Händen zu Frau die junge Weigels Gunsten meistbietend verkauft Gräfin Lohen hätte sich freundlichst beim Komitee für sie verwandt. Weigels schwindelte es," wie sie alles bis ans den letzte» Spuck¬ napf auf das „wohlthätige Gefährte" luden, und ihnen schon am andern Mittag dieselben beiden Damen eine relativ märchenhafte Ertragssnmnie in die arbeitsharten Hände legten und Mutter Weigel ein „freundliches und friedliches Ausruhen, wie sie es sich für ihren Lebensabend geträumt," wünschten. „Der Jraf Strehlen is doch een janz verrückt jnter Kerl," meinte Papa Weigel tief gerührt. „Freilich, Oogen wirste ihm ja

werden--

jenug jeschmissen haben-Euch Weibsbilder leitn’ ick bet nu sind, wie’s will, wir sind den Plunder los — — Heidi, Olle, da trinken wir eenen druff!" Mutter Weigel gab sich weiter keinen Emotionen hin, aber als ihr Gebieter am frühen Morgen das HauS verlassen hatte, begann es in Keller und Hof lebendig zu werden. Eine Menge großer schwerer Kisten wurde abgeladen, die Jalousien im Laden fuhren, wie alltäglich, knatternd in die Höhe. Als Graf Strehlen am Nachmittag die Thür öffnete, blieb er starr stehen: Mutter Weigel packte munter und schmunzelnd die Fächer und Schränke längs den Wänden voll. „Ja, Mutter Weigel, ist denn der elende Kram immer noch nicht zu Ende?"

woll

doch!

noch

Mag

„Der alte, jawoll, Herr Jraf

.

.

.!"

„Und Sie haben sich das ganze Lager neu kommen lassen?" „Nu warum nicht? Wenn das Jeschäft so jeht?! Jlänzend, sage ich Ihnen, Herr Jraf, jlänzend!" „Was denken Sie aber wohl, was es mich gekostet hat, Sie so glänzend auszuverkaufen? Die Seele aus dem Leibe habe ich mir geredet. Ihnen den ersehnten „Lebensabend im Grünen" zu verschaffen."

’n

richtigen „Herr Jraf, Sie haben das Jeschäft man bloß erst in ’n klein Jang jebracht-nu sind Sie so gut und reden noch Lager dies sehen, bißchen länger mit ihre Seele, und Sie werden rollt sich sachte von selber ab, wie geschmiert. Jetzt zwing ich’s und Herr noch mal — Sie werden wenn man das doppelte für'» Lebens¬ bester Herr abend haben kann, is es doch allerweil besser, nicht wahr?"

sehen-na Jraf-Jott,

Jraf-

790

„Weiß Ihr Mann denn . . .?" 'ne „Nee — dies is ganz absolute Ueberraschung für ihn, und wenn Sie nu wirklich so jut wären, Herr Jraf. . ." „Ich bedaure — ich kann nichts inehr für Sie thun jetzt müssen Sie sehen, wie Sie allein fertig werden, adieu." „Adieu, Herr Jraf. un vielen Dank, und-Leuchterchen hab' ich janz wunderhübsche Dinger — wenn Ihrer mal wieder

--

kaputt is

. . .

.!"

Kunst und Wissenschaft. Heinrich Zöllner. nter den lebenden deutschen Tondichtern hat sich in den letzten Jahren der Leipziger Universitätsmusikdirektor Heinrich Zöllner mehr und mehr einen höchst geachteten Namen erworben. Vollends die ungemein sympatische Aufnahme, der sein Musikdrama „Die Versunkene Glocke" (nach Gerhart Hauptmanns gleichnamiger Märchcndichtungl unlängst an zahlreichen deutschen Bühnen, wie am Theater des Westens in Berlin, ferner in Hannover, Kassel, Bremen, Lübeck, Erfurt, Augsburg und Leipzig begegnete, hat die Aufmerksamkeit der weitesten musikalischen Kreise auf Heinrich

Zöllner gelenkt. Zöllner, ein Sohn

des als Psteger deutschen Männergesangs fruchtbarer Komponist auf dem Gebiete der Chormusik hoch¬ angesehene» Karl Friedrich Zöllner, dessen IM. Geburtstag die musikalische Welt erst vor wenigen Monaten begehen konnte, ist im Jahre 1854 zu Leipzig geboren. Kaum sechs Jahre alt, verlor der schon frühzeitig eine musikalische Begabung an den Tag legende Knabe seinen Vater. Trotz seiner Vorliebe für die Tonkunst ergriff der junge Zöllner nach Absolvierung seiner Gymnasialzeit aus Wunsch der Mutter das Studium der Jurisprudenz, dem er zwei Semester hindurch oblag, während die Musik nicht aufhörte, ihm in seinen Mußestunden eine Lieblingsbeschäftigung zu sein. Einer Anregung von Prof. Ilr. Karl Reinecke's verdankte es Zöllner, daß der Entschluß, die Musik als Lebcnsberuf zu wählen, schließlich in ihm reifte, worauf er im Jahre 1875 das Leipziger Konservatorium bezog, dem er bis 1877 als Schüler angehörte. Bereits ein Jahr später sehen wir den kaum Vierundzwanzigjährigen als Musik¬ direktor an der Dorpater Universität angestellt, wo er Gelegenheit fand, als praktischer Musiker sich rühmlichst zu bethätigen. In die

und

gesangvereius, die er durch eine Aufführung seiner großen Cantate

„Colnmbns" aufs glücklichste inaugurierte. Im Jahre 1890 berief der Rewyorker Männergesaugverein Liederkranz Zöllner als Dirigenten au seine Spitze. Acht volle Jahre blieb der Künstler in der neuen Welt. Während dieser Zeit

„Der Ueberfall" (1895), aufgeführt in Dresden, München, Königsberg, Weimar, Schwerin und Mannheim, ferner „Bei Sedan", ein Werk, das besonders in Leipzig großen Erfolg errang, und im Jahre 1897 die komische Oper „Das hölzerne Schwert", die ebenfalls an mehreren großen Bühnen, wie Leipzig, Kassel u. a., viel Beifall fand. Als Zöllner im Oktober 1898 nach Europa zurückkehrte, um entstanden seine bedeutendsten Operukompositionen, so

die ihm angetragene ehrenvolle Stellung eines Universitätsmusik¬ direktors in Leipzig und Dirigenten des akademischen Gesang¬ vereins der Pauliner zu übernehmen, hatte er die Kompotion seiner „Versunkenen Glocke", zu der ihm ein Gastspiel der Iran Sorma als Rautendelein am Rewyorker Irving Place Theatre die erste An¬ regung gab, bereits bis zum vierten Akt vollendet. Am 8 . Juli 1899 fand dann die Erstaufführung des Werkes im Berliner Theater des Westens statt, der bis heut die bereits genannten folgten. Außer seinen viclgegebencn Opernwerken hat der jetzige Leipziger Universitätsmusikdirektor auch zahreiche Lieder, Chorkompositionen, eine Orchesterepisode. „Sommerfahrt" betitelt, u. a. m. geschrieben. Es ist durchaus feine, formvollendete und stimmungsreiche Musik, die unser Künstler auf den verschiedenartigsten Gebleten der Tonknnst komponiert hat. Den Höhepunkt seines bisherigen musikalischen Schaffens bezeichnet unzweifelhaft die „Versunkene Glocke", die eine Fülle des Zarten, Sinnigen, Melodisch-reizvollen in den lyrisch angelegten Stellen enthält, auf den dramatischen Höhepunkten hin¬ gegen.bedeutende Ausdrucksgröße, wahre Empsindungstiefe wie einen erstaunlichen Farbenreichtum der Tonsprachc aufweist. Reben seinen kompositorischen Arbeiten ist auch die Dirigententhätigkeit Zöllners von größtem Erfolg begleitet.

Ernst Eckstein

ch.

Kreis der deutschen Erzähler ist am 18. November mit Ernst Eckstein ein Dichter geschieden, der vermöge seiner reichen Pbantasie, seiner umfassenden Bildung und seiner gewandten und glänzenden Darstellung einen der ersten Plätze unter den Schrift¬ stellern der Gegenwart einnahm uud sich daher eines großen

MnS

dem

Leserkreises erfreute. Mit seinen Kunstanschauungen stand Ernst Eckstein auf der breiten Basis, die Tieck, Gutzkow, Freytag, Scheffel, Heyse und Spielhagen geschaffen haben. Von der Strömung des sogenannten Alles, was seiner „jüngsten Deutschlands" hielt er sich fern. fleißigen Feder entquoll, entstand in erster Linie aus der Lust, zu fabulieren und der Freude an der Fülle der Erscheinungen, mit der sich ein feiner künstlerischer Sinn verband. Niemals schrieb er einen Roman eines Problems wegen. Wenn er eine bestimmte Grnndansicht vertrat, so ergab sich das ganz von selbst. Nichts lag ihm ferner als doktrinär zu sein. Sein Heimatrecht auf dem deutschen Parnaß erwarb sich Eckstein zunächst durch verschiedene anmutige humoristische Epen, „Schach der Königin", „Der Stumme von Sevilla", „Venus Urania", „Madelaine" und „Murillo", die iin Stil der Heyseschen Novellen in Versen geschrieben sind, aber durch eine köstliche Ironie einen besonderen Charakterzug erhalten. Besonders graziös ist

„Venns Urania".

Heinrich Zöllner.

Dorpater Zeit fällt

auch bereits die Entstehung von Zöllners ersten größeren Kompositionen, so z. B. des Chorwerkes „Die Hunnenschlacht" (1880j, der Oper „Frithjof" (1882), des Oratoriums „Luther" (1883), wie die Anfänge des später in Köln, München und Hamburg mit außerordentlichem Erfolg aufgeführten Musik¬ dramas „Faust". Im Jahre 1885 folgte der Künstler einem Ruf als Lehrer an das Konservatorium zu Köln; zugleich übernahm er in der rheinischen Hauvtstadt die Leitung des dortigen Männer-

Auf diese farbenprächtigen Epen ließ Eckstein zur allgemeinen Ueberraschnng eine ganze Anzahl übermütiger Schulhnmoreske» folgen, „Der Besuch im Karzer", „In Sekunda und Prima", „Die Mädchen des Pensionats", „Das Hohelied vom deutschen Professor" ». a., in denen sich die tollen Streiche, wie sie in Sekunda und Prima so oft ausgeführt werden, in der ganze» Ausgelassenheit der Jugend vor dem geistigen Auge des Lesers Einen waren Jubel rief der „Besuch im Karzer" abspielen. hervor, in dem in höchst drastischer Weise erzählt wird, wie der uichtsiintzige „Wälhalm Rompf" seinen eigenen Direktor, den treff¬ lichen Samuel Heiuzerliug, ins Karzer steckt. Dabei lag aber dem Verfasser nichts ferner als die tendenziöse Absicht, Einrichtungen der Schule lächerlich zu machen. Gleichwohl wurde er von pedan¬ tischen Pädagogen angegriffen, worauf er denn erklärte, er habe den „Besuch im Karzer" nur geschrieben, weil ihm der kleine humoristische Konflikt selbst Vergnügen gemacht habe, aber keineswegs aus diesem oder jenem abseits gelegenen „Motiv". Mittlerweile hatte Italien, besonders Rom mit seinen vielen historischen Erinnerungen, einen tiefen Eindruck auf den Dichter gemacht, und es drängte ihn nun, die Fülle von Bildern, die er aufgenommen, die Flut von Gedanken, die in ihm geweckt worden So eutstaiiden die großen war, künstlerisch auszugestalten. historischen Romane „Die Clandier", „Prusias", „Nero", „Der Mönch vom Aventin", denen dann später noch zwei weitere aus dem altgriechischeu Leben, „Aphrodite" und „Kyparissos" folgten. Mit diesen großartigen, weit ausgebauten Schöpfungen erreichte Eckstein den Kulminationspunkt seiner dichterischen Höhe. Besonders

791

in den „Claudiern" Charakterschilderung.

nls ein Meister geistreicher reiche Römer Ouintus Claudius, der Sklave Eurymachus sind Gestalten, die klar und lebenswahr vor unsere Seele treten. Nicht minder packend sind die prächtigen Knlturbilder, das Gesellschafts- und zeig!

er

Arthur Sullivsn f.

sich

Der Kaiser Domitian, der

As

ist noch nicht ein

HalbesJahr verflossen, daß Arthur Snllivan

5? hstr in Berlin als Gast weilte, vom Publikum stürmisch bejubelt und vom Kaiser durch eine persönliche Ansprache geehrt wurde. Er durfte nicht wenig stolz darauf sein, daß, nachdem sich einmal die Pforten des königl. Hoftheaters der Operette erschlossen hatten, er, der Ausländer, nach Johann Strauß der zweite war, der als Vertreter des leichteren Genres zu Worte kam. dem berühmten Leipziger Cönservatorium hatte Arthur einst seine musikalische Ausbildung erhalten, um schon als dreiundzwanzigjähriger an der Royal academy of Musik in London die Stellung eines Professors der Komposition zu bekleiden. Als Komponisten fiel ihm die ehrenvolle Aufgabe zu, den Beweis zu erbringe», daß die englische Ration an musikalisch-schöpferischen Talenten doch nicht ganz arm sei und auf diesem Gebiete, wenn auch vergleichsweise selten, ab und zu wenigstens eine Individualität

Auf Sulivan

von internationaler Bedeutung blühen sieht.

auf vaterländischem Boden

er¬

Freilich, das Talent Sullivans war ei» begrenztes; dauernde, nachhaltige Erfolge, die ihm Weltruf und Unsterblichkeit sichern, hat er nur als Operettenkomponist errungen; alle Versuche, darüber hinaus zu gehen und im Dienste der ernsten Muse Namen und Ansehen zu gewinnen, sind vergeblich geivesen. es beschicken, mit Strauß und des Publikums in fast allen aber dem Verfasser der Oper

Dem Schöpfer des Mikada war Millöker erfolgreich um die Gunst

zivilisierten Ländern zu streite», „Jvanhoe" und der Kantate „Die goldene Legende" wollten kaum mehr als ephemere Erfolge blühen. Man sah in ihm eben immer nur den liebenswürdigen, geistreichen, musikalisch-witzigen Komponisten des Mikado, als den man ihn zuerst schätzen und lieben gelernt hatte. Und zeigt man auf diesem Gebiete schöpferische Eigenart, Charakter und reiche Erfindungsgabe, warum sollte man nicht einen Platz unter den größten Meistern der Tonkunst nach Gebühr Brahms, ein beanspruchen? Haben doch ein R. Wagner und Bülow und Rubinstein sich nicht für zu hoch geboren gehalten, Joh. Strauß ihre Bewunderung und Verehrung persönlich wiederholt auszusprechen, also hat auch Snllivan gewiß das Bewußtsein mit ins Grab genommen, daß auch seinen Namen die Nachwelt nicht sobald vergessen, ihn vielmehr mit gebührender Achtung nennen wird, wo die Musik eine Heimstätte hat. Arthur

I.

Ernst Eckstein,

t am 18. Aoveniber.

Straßen leben in Rom, das Treiben in den Tempeln, die Szenen in der Arena des Amphitheaters. In dem Roman „Prnsias" entfaltet er das bunte Bild des großen Sklavenaufstandes, den Spartacus im Jahre 73 vor Christi Geburt hervorrief, und durch den das römische Staatsgefüge beinahe zertrümmert worden wäre. Mit großer dramatischer Lebendigkeit entwickelt der Dichter hier die Katastrophe und läßt dann, wie es in der Natur des Stosses Daß der Dichter auch alt¬ liegt, den Roman elegisch ausklingen. griechisches Leben vorzüglich zu schildern verstand, bewies er mit dem Roman „Kyparissos", der auf die Inseln des Acgäischen Meeres führt und zum Hintergrund seiner Handlung die politischen Verhältnisse hat, die sich auf Andros dadurch entwickelten, daß sich Kepheus, nachdem er die alte Freiheit vernichtet hatte, zum Tyrannen machte. Im letzten Jahrzehnt bewegte sich Eckstein in seinen Romanen und Novellen mit Vorliebe im Leben der Gegenwart, dabei be¬ handelte er auch soziale Schäden, aber er ging doch nie zum sozialen Tendenzroman über, sondern hielt sich immer im Rahmen des Knlturbildes. Das zeigte sich besonders in dem trefflichen Roman „Familie Hartwig", wo er den schweren Stand des Hand¬ werks gegenüber dem modernen Großbetrieb in erschütternder Weise schildert. Weniger sympathisch berührt der Roman „Dvmbrowski", indem er den Künstlerneigungen allzuviel Konzessionen macht. Erzählungen wie „Roderich Löhr", „Roland", „Rora" u.s w. schrieb der Dichter wohl nur, um den Wünschen verschiedener

llnterhaltungsjonrnale zu entsprechen. Das äußere Leben Ernst Ecksteins verlief, wie dies ja meist bei den deutschen Schriftstellern der Fall ist, ohne besonders hervorragende Momente. Er wurde am 6 . Februar 1845 zu Gießen als der Sohn des großherzl. hessischen Stiftungsanwalts vr. Franz Eckstein geboren, verlebte eine frohe Kinderzeit, absol¬ vierte das Gymnasium bereits mit 17 Jahren und studierte dann in Gießen, Bonn und Marburg Philosophie und Geschichte, er¬ warb sich neben dem Doktorhut auch die venia lexencki und widmete sich dann sogleich dem Schriststellerberuf. Zunächst ging er als Korrespondent für deutsche Blätter nach Paris, und als er dort 1870 ausgewiesen wurde, wandte er sich nach Italien und Spanien. Sodann trat er 1872 auf einige Zeit in d? Redaktion der „Neuen Freien Presse" in Wien ein, ging daraus nochmals nach Italien und ließ sich dann in Leipzig nieder, um von 1874 bis 1882 die „Deutsche Dichterhalle" und ferner von 1879 bis 1862 das humoristische Blatt „Der Schalk" zu redigieren. Im Jahre 1885 siedelte er dann nach Dresden über, wo er in wohligen Verhältnissen lebte und, so lange es seine Gesundheit erlaubte, einen angeregten gesellschaftlichen Verkehr pflegte.

Arthur Suttivan,

i am 22. November.

Snllivan, der 1842 geboren würde und am 22. November 1900 in London starb, hat nur ein Alter von 58 Jahren erreicht, aber die kurze Frist des Lebens genügte, ihn unsterblich zu machen.

Max Kadisch.

Kleine Mitteilungen. Der kleine König. Bald nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms III. von Preußen erschien auf dem Berliner Schloß zur Huldigung und Ablegung des Treueids auch eine Deputation von Halloren, die nach altem Brauch allerlei ländliche Erzeugniffe über-

reichten, wofür sie ein weißes Pferd und eine Fahne erhielten. Tic Königin Luise unterhielt sich so herablassend nnd leutselig mit ihnen, das; ein Hallore zutraulich fragte: „Wie geht es denn dem kleinen König?" „Dem kleinen König? Wen meint ihr damit?" „Nun, eben Jbren kleinen König," entgegncle der Hallore, etwas verlegen darüber, daß er nicht gleich verstanden wurde. „Ach, Sie meinen wohl den Kronprinz?" „Nein," ivar die Antivort, „den meine ich nicht. Denn er ist doch nun, wo sein Later König geworden ist, der kleine König, gerade so, wie er vorher, als sein Vater noch Kronprinz ivar, der kleine Kronprinz hieß."

Preußisch- russische Revue bei Kalisch.

Gleich nach seiner Kaiser Nikolaus I. mit dein seiner Armee, besonders der Garde, Sie erhielt die schönsten Pferde, die Musternrbeitcn der Militärwerkstätte», und Arsenale, sie prüfte die neuesten Erfindungen auf dem Gebiete der Kriegskunst, der Ausrüstung, der llniformicrnng, und nahm sie an, wen» sie sich als praktisch erwiesen, sie stand fortwährend unter der persönlichen Aufsicht des Kaisers und wurde so einer der bestgcrüsteten Heeresteile Europas. Darauf nahm Nikolaus I. im Jahre 1833 eine Neugestaltung auch der übrigen russischen Truppen vor, und als sie beendet'war, drängte es ihn, seine Armee wenigstens zum Teil dem König Friedrich Wilhelm III. von Preußen, Er lud ihn für den 12. Sep¬ seinem Schivicgcrvatcr, vorzuführen. tember 183ö nebst den königlichen Prinzen nach Kalisch ein und bat, Der sparsame König ei» Korps preußischer Truppen mitzubringen. wollte erst der Kosten wegen ablehnen, gab aber doch endlich nach. Schon am 10. September traf der Zar ein nnd besichtigte genau alle zum Empfang seiner hohen Verwandten getroffenen Anstalten. Die für den König ini Schlosse von Kalisch hergerichteten Zimmer waren genau so gehalten wie die königlichen Zimmer im Berliner Palais, und da Friedrich Wilhelm III. am Abend gern das Theater besuchte, so waren die Berliner Hofschauspicler eingeladen worden, während der Anwesen¬ heit des Königs dort zu spielen. Vorhang und Dekorationen des schnell errichtete» Theaters glichen möglichst genau denselben Gegenständen im Berliner Theater. Zwischen den für die russische und preußische Heercsabteilung bestimmten Lagern erhob sich ein Pavillon, in. dein die Büste des Königs auf einem von Trophäen gebildeten Altar stand; an den Wänden hingen die Bildnisse aller Mitglieder des russischen nnd preußischen Herrscherhauses und dazwischen in Medaillons die Namen aller Schlachten, in denen beide Armeen vereint gefochten hatten. Am Nachmittag des 1l. Septembers trafen, eingebolt von Nikolaus I., die preußischen Gäste ein und fuhren, von Jubel begleitet, ans das Schloß. Bald traten sie mit dem Zaren auf den Balkon heraus nnd horte» eine Niesenserenadc russischen und preußischen Militär¬ sämtlicher in Kalisch versammelten 'früh 8 Uhr marschierte ein aus In¬ kapellen an. Am 12 . September fanterie, Kavallerie und Artillerie zusammengesetztes preußisches Korps über die russische Grenze und nahm Stellung vor dem russischen Lager. Um 11 Uhr erschien der König Friedrich Wilhelm III. und führte seine Truppen unter Kanonendonner an den in laute Hurrahs ausbrechendc Vor deiti erivähuteu Pavillon stand Russen vorbei in ihr Lager. der russische Kaiser in preußischer Unisorm, neben ihm die Kaiserin in grünem Amazonenkleide mit weißer, rot eingefaßter Mütze, den Farben Die königlich preußischen Prinzen ihres Chevalier- Gnrdereginients. hielten vor den russischen Regimenlern, deren Chefs sic waren. Der König führte das 1. Garderegiment zu Fuß den: Kaiser vor, letzterer that dasselbe mit dem 6 . nnd der Großfürst Michael mit dem 7. KürassierDann erfolgte der Vorbeimarsch der russischen Truppen. regiment. Hierbei stellte sich der König, der Kronprinz und die Prinzen Wilhelm lder spätere Kaiser), Karl und Albrecht an die Spitze ihrer Regimenter. Am nächsten Tage fand feierlicher Gottesdienst in beide» Lagern statt. Am dritten paradierten 601^ Bataillone, 68 Eskadrons und 130 Ge¬ Nun schütze, zusammen 59 400 Mann, vor den beiden Monarchen. folgten Manöver, Besichtigungen, militärische Feste aller Art, bis das preußische Detachement an: 22 . September wieder abmarschierte, begeistert von der Aufnahme, die es von seiten der Rnsscn empsangcn batte. Ten Zweck aber dieser preußisch-russischen Revue bei Kalisch erläuterte Friedrich Wilhelm III. in einer Kabincttsordre: „sie sollte eine Erinnerung sein an die große Zeit der Jahre >813 bis 1815, wo preußische Truppen niit russischen in brüderlichem Vereine die Unabhängigkeit des Vater¬ landes crkäinpftcn, wo preußische Feldherren russische und russische Feld¬ herren preußische Truppen führte», und wo durch die glorreiche» Er¬ folge, denen Preußen noch heute den Frieden verdanke,' eine Waffen¬ brüderschaft geknüpft worden sei, die, auf gegenseitige Achtung gegründet, eine länger als gewöhnliche Tauer haben müsse." Noch im Jahre 1841 errichtete Nicolaus I. bei Kalisch einen gußeiserne» Obelisken zum An¬ denken an diese preußisch-russische Revue.

Thronbesteigung widniete sich der größten Eifer der Neuorganisation einer Truppe von 60 000 Mann. Meisterstücke der Wasfensabriken, die die Prachtexemplare der Magazine

russische

Ein Spanier über Preußen 1813.

Am 12. November 1813

Ton Jozo Pizarro, der Gesandte der spanischen Regentschaft in Berlin, an Don Antonio Caro Manuel, den spanischen Staatssekretär in Cadix, einen Brics, aus dem wir folgendes hervorheben: „In keiner Provinz dieses weitschichtigen Reiches hat sich die patriotische Stimmung schrieb

mit größerer Heftigkeit offenbart, nirgends äußerte sic sich auf eine unserm glorreichen Spanien übereinstimmendere Weise als in dem preußischen Gebiet. Das Gemüt fühlt sich erhoben, wenn es die Glut bemerkt, mit der das Volk seinen Nationalgeist ausspricht, der früher von der schimpf¬ liche» Herrschaft einer gewaltsamen Politik niedergedrückt nnd von dem unmittelbaren Joche der französischen Scharen eingeschüchtert wurde. Die Schwester des Königs hat zur Bestreitung der Kriegslasten ihren ganzen Schniuck an die Schatzkammer abgeliefert, und sogleich haben alle Frauen geopfert, was ihnen wert ist, und allen ihren Juwelen, ja selbst den geringfügigstcu Zierden, zu demselben rühmlichen Zwecke ent¬ sagt. Alle Frauen, ich wiederhole es, thaten so. Das ist keine Ueber¬ treibung. Nur die dürftige Klaffe, glaube ich, machte hierbei eine Nus» »ahme, da sie durchaus nichts von Gold besitzt (dafür opferte sie andere VerantworMcher Redakteur:

Dr. M.

Folticineano,

Gegenstände, die für sic ebenso, wenn nicht wertvoller waren als Juwelen deii Reichen). Alle Trauringe wurden auf dem Altar des Vaterlandes dargebracht, und dafür verteilte die Regierung, vielmehr mit Erlaubnis des Militär-Gouvernements, Rudolf Werkmeister, Berlin, Jägerstr. 25, von dem diese Anregung am 31. März 1813 ausging, eiserne Ringe mit der Aufschrift: Ich vertauschte Gold gegen Eisen (richtiger: Gold gab ich für Eisen). Diese Ringe sind nicht nur kostbar durch ihren sittlichen Wert, sondern sie erscheinen auch als eine Merkwürdigkeit, da sie aus Eisen gearbeitet sind, auf eine Art, auf die ;.imt sonst, dünkt mich, in keinem Lande ans Eisen arbeitet. Erlaubt eine Frau sich einen Schmuck, so ist er aus Eisen, und die Zierlichkeit der Arbeit ersetzt den Wert des Metalls. Käuflich sind dergleichen patriotische Ringe durchaus nicht in der Fabrik, denn sie sind ausschließlich bestimmt, dem Besitzer als Zeichen zu dienen, daß es an die Einnahme für patriotische Beitrage irgend ein (?) goldenes oder silbernes Gerät u. s. w. abgeliefert habe. Auch in anderer Hinsicht giebt die Stadt einen höchst erhebenden und mannhaften Anblick. Die Straßen sind durchaus mit Verwundeten aus allen Rangstufen gefüllt; man sieht nichts als Krücken, Arme in Binden, verbundene Köpfe. Als Gegenstück sicht man auf allen freien Plätzen ganze Bataillone neu Angeworbener, die exerzieren lernen; Haufe» zu Pferde üben sich im Gebrauche des Säbels und der Lanze oder werden im Reiten und mannigfachen Evolutionen geübt, während man Hunderte niit Uniformen beladener Wagen, Züge von Gefangenen und Trans¬ porte von Vorräten und militärischen Bedürfnissen sich nach allen Richtungen kreuzen sicht. Ein Land, dessen Boden von Natur arm und größtenteils mit Saud und Jöhrenholz bedeckt ist, stellt jetzt dem Feinde eine Macht von 200 000 wohlgcübtcr Soldaten entgegen. Nicht nur beobachtet man i» Vcrivaltnng der Finanzen die höchste Ordnung und Sparsamkeit, die beide in diesem Laude zu Hause sind, sondern der vor¬ treffliche Geist der öffentlichen Stimmung ist zu einem Aufgebote in Masse benutzt worden, dem sogenannten Landsturm, aus dem die Mann¬ schaft von 16—40 Jahren genommen wird, die, in Regimenter forniiert, als Landwehr jede Waffengattung der Linientruppen vollzählig erhalte» soll. Daher trifft man in den Städten keine jungen Männer, sic wären denn gebrechlich, und nur alte Bediente. Der Landsturm dient dazu, die Transporte von Vorräten oder Gefangenen zu begleiten, und ver¬ richtet in allen Städten den Polizcidienst; selbst in Berlin wird der Militärdienst nicht von den Linicutrnppen, sondern vom Landsturm ver¬ sehen, der so in steter Thätigkeit ist. Sachwalter, Kaufleute, Männer jeden Standes, ja hin und wieder sogar ein Staatsrat, haben die Waffen ergriffen, und alles, ivas nur Regierung und Unterthanen ver¬ mögen, ist für den jetzigen Krieg bestimmt. Der König ist der erste Soldat seincs Heeres. Tie würdevolle Güte, die aus seinem Wese» leuchtet, sein einfacher Anzug, sein anspruchsloses Benehmen, feine Ein¬ gezogenheit, seine Sparsamkeit und der lebhafte Anteil, den er an feinen Unterthanen nimmt, machen ihn zum würdigen Gegenstand der An¬ betung und Bewunderung der Preußen, die sich niemals größer als jetzt zeigten. Kurz, der Fremde findet in der Pflichtergcbcnheit, Sparsam¬ keit und der äußern Erscheinung dieses Hofes hinreichende Veranlassung zu Bewunderung und Lob, da der Patriot die glühendsten Wünsche seines Herzens in einem fast unbegreiflichen Grade vcrivirklicht sieht."

Bnchertisch. Von Osionld Das Jubiläum ciuer Weltgeschichte. 'ivird

Verlag (Martin Hocfer) in Berlin

n:is

Sechagens

socben das bevorstehende

Erscheinen der 25. Auflage von Chr. Fr. Schlossers Weltgeschichte, Jubilännisausgabe, angezeigt. Die Verbreitung von Schlossers

Weltgeschichte rundet sich jetzt auf 100 000 Exemplare. Schlossers Welt¬ geschichte kann somit das weitverbreitetste und populärste Geschichtswerk genannt werden. Es ist ein gewaltiges Werk, dessen Reichhaltigkeit jeder anstaune» muß, die die eine oder die andere Periode in ihrem Zusammenhang durchgeht. Frische, Klarheit der Darstellung, unge¬ schminkte Wahrheit, Reichtum und Vielseitigkeit des Materials und eine mustergiltigc Schreibart sind seine Vorzüge. Weit entfernt, sich von den Leidenschaften, welche Parteisucht eingiebt, fortreißen zu lassen, steht der Verfasser über de» Parteien und urteil! nur von dem Standpunkt der strengsten Gewissenhaftigkeit aus. Die Entwicklung der Verfassungen, der Kultur- und Litteraturzustände gehen Hand in Hand mit der Erzäblung der welthistorische» Begebcnbcitcn, und der Einfluß der einen auf die anderen ivird dem Leser aufs klarste zur Anschauung gebracht. Jede Zeit mit ihrem Thun und Treibe» geht verkörpert au den Augen des Lesers vorüber, bei Schlosser liest man die Weltgeschichte nicht, man durchlebt sie. Die gegenwärtig erscheinende Jubiläumsausgabe, die bis zutu Jahre 1900 fortgeführt ivird, zeichnet sich durch künstlerisch ausgeführtes, reiches Jllnstratiousmaterial aus, außerdem sind jedem Baud 1 —2 historische Karten beigefügt. Schlossers Weltgeschichte ist deshalb ein Schmuck für jedes deutsche Hans. Das Werk ist neu bearbeitet von Or. Oskar Jäger, Geb. Rcg.-Rat und ord. Prof, an der Universität Bonn, und I)r) Fraitz Wolfs und wird in 100 ivöchentlichcn Lieferungen

M. zur Ausgabe gelange». Die Art des Erscheinens sowie der außerordentlich billige Preis gestattet auch dcni weniger Bemittelten, sich in den Besitz des Werkes zn setzen, welches in keiner Privatbibliolhek, in keiner deutschen Familie

zu je 1

fehlen sollte.

Ein gleiches Interesse beansprucht das in demselben Verlage er¬ von Ilr. Oskar Jäger, Geschichte der neueste» Zeit, loovo» die 23. Auflage in Vorbereitung ist. Dieses vornehm ausge¬ stattete Werk, das gleichfalls auf das sorgfältigste mit neuen Illustrationen und Karten versehen worden ist, wird in 20 Lieferungen zu je 1 M. oder in 3 Original-Halbfranzbänden zu 26 M. vollständig sei». schienene Werk

Berlin. — Truck und Verlag:

Friedrich Schirmer, Berlin

SW., Nenenburger Srratze 14a.

Der Bär. Illustrierte Wochenschrift.

W. »0 Pf.» „Der Bär" erscheint jährlich 52 mal und ist durch alle Buchhundlungen, Zeimngsspeditionen und Postanstalten zu beziehen iNr. 866 des Postkatalogs» und kostet vierteliäkrlrch Postgebühren. Stück inklusive jährlich 10 M., Einzelheft 20 Pf. — Infertivnspreis für die 4 gespaltene Nonpareillezeile oder deren Baum 50 Pf. — Beilagegebühr: 0 M. pro 1000 a, sowie von allen Zlnnoncen-Lrpedikionen. — .^ern'precher^ IV. Nr. 3651. — Inserate und Beilagen werden entgegengenommen von der Lrpedikion des „Bär", SYV_, Neuenburgerstraße

26. Jahvtlang.

Ilr. 50.

Sonunlicnd, 15. Dezember 1000.

In

einiger Nacht.

as schönste Erbteil, welches das achtzehnte Jahrhundert dem neunzehnten vermacht hat, war die Hnmanität, die praktische Nächstenliebe, die sich des Schwachen erbarmt der zweiten Hälfte des and ihn dem Elend zn entreißen sucht. achtzehnten Jahrhunderts, wo in Frankreich die Moralphilosophen

eines Werkführers und ihre Geschicklichkeit erregt Erstaunen. Doch rührend und interessant zugleich ist der Unterricht der Kinder, die unter der liebevolle» Behandlung durch die Lehrer eifrig und auf¬ Einen tiefen Eindruck machte merksam der Unterweisung folgen.

die trägen Massen aufzurütteln suchten, hatte der Abbe de l'Eppse

und Mädchen wußten so genau Bescheid, wie Australien beschaffen ist, als wären sie dort gewesen; sie kannten die Bodengestaltung, und Flüsse die Städte genau, denn es von sie lasen ihren Karten ab.



sich

der Taubstummen erbarmt und bald darauf ahmte Valentin

Hauy,

unterstützt von der Philnutropischeu Gesellschaft in Paris,sein schönes Beispiel nach, in¬ er

dem

sich

auf mich der geographische Unterricht.

Die zehnjährigen Buben

Sie lasen

der

Blinden annahm. die suchte Hauy Finsternis der ewi¬ gen

Nacht

hellen,

aufzu¬

in der die Augenlichtes

ihres Beraubten besangen waren. Er gründete die erste Blinden¬ anstalt, in der me¬ thodischer Unterricht

Menschlichkeit erbar¬ Schick¬

sal. Auch Hauy war ein Wohlthäter der Menschheit gewor¬

Slindr Rinder

i>ri»>

Fröbclychr» Unlcrrichi.

(Rach einer photographischen Aufnahme von Frau

den und zwar jenes

Teiles der Menschheit, der am hilfsbedürftigsten ist. Die edle Saat, die Valentin Hauy ausgestreut hat, ist im neunzehnten Jahrhundert herrlich ausgegangen. Allerorten thaten sich Blinden¬ schulen auf, und der Unterricht wurde in ein System gebracht, das dem menschlichen Geiste alle Ehre macht.

wir

haben alle Ursache, des Franzosen zu gedenken, denn auf seinen Anstoß hin, den er auf seiner Durchreise durch Berlin nach Petersburg gab, gründete der König-1806 die Blindenanstalt in Steglitz, die in Zen ne ihre» ersten Direktor erhielt. Trotz der Not, in der sich Preußen befand, wurden doch die Mittel zu dem Auch

mit dem Finger verfolgt und die Ringe, die die Städte bezeichnen, gefühlt. Die Kinder sehen im Geiste die KarievonAnslralieu, sie wissen in ihrem Be¬ Heimatlande scheid, auch in den Alpen, auf dem Ozean und sogar in Australien. Die ab¬ wurde

in Handarbeiten er¬ teilt wurde. Das war eine geistige Heldenthat, ein Sieg über das mungslose

ab.

der Lauf der Flüsse

im Lesen, Schreiben, Rechnen, Musik und

der

es

Oder soll ich sagen, sie fühlten cs? Das wäre allerdings rich¬ tiger. Jedes Kind hatte eine Relief¬ karte aus starkem Papier, auf dem die Erhöhungen und die Vertiefungen Bodengestaltung ge¬ nau angegeben ist,

humanen Werk bereitgestellt. Seitdem hat sich die Anstalt stetig entwickelt und ist zu einer Musteranstalt geworden, die einen Besuch, auch abgesehen vom ethischen Wert, vollkommen lohnt. Da sieht man Erwachsene in den Werkstätten hantieren unter der Leitung

Louise Geisrig.)

strakteste Wissenschaft ist ihnen durch die Reliefkarten zugänglich gemacht und ihr Geist ahnt, was ihr Auge nicht sehen kann. Der natnrgeschichtliche Unterricht gestaltet sich wesentlich ein¬ facher. An naturgetreuen Modellen lernen die Kinder die Tierwelt kennen. Eines unserer Bilder zeigt den einen Jungen, wie er die

Hand in den Rachen des Löwen steckt; er studiert das Gebiß des Raubtieres, er kennt die Gestalt des Löwen genau, das Mädchen weiß, was eine Katze ist, trotzdem sie nie eine gesehen hat und der Tiger ist ihnen ebenso geläufig wie der Hund, dem sie zu Hause daS Fell gestreichelt habe». Sie wissen auch, was ein Haus, eine Burg ist, denn im Modelliersaal kneten sie aus Thon die gro߬ artigsten Banwerke mit Fenstern und Thüren. Allerdings ist der Modellicrsaal nicht darauf eingerichtet, daß Meisterwerke der Bild¬ hauerkunst in ihm enstehcn, aber ganz nette Köpfe, Tiergestalten

toerbni von den Kindern schlecht und recht nachgeahmt, damit sich das Tastgcfiihl der Hand verfeinere und wiedergebe, was es empfunden. DaS Tastgefühl ersetzt das Gesicht, und soweit es sich um greifbare Gegenstände handelt, funktioniert es untrüglich. Das schwierigste Problem für den Blindcniinterricht ist das des Lesens und Schreibens. Es wurden viele Systeme erdacht, aber keines genügte in so vollem Maße allen Ansprüchen/ wie das Punktsystem des blinden Blindenlehrers Braille, die Punktschrift, die von den Blinden fließend gelesen und geschrieben wird. Für den Verkehr mit Sehenden bedienen sie sich einer eckigen Schriftart, die den lateinischen Majuskeln ähnelt, oder der Schreibmaschine. Auch die Noten sind in Punktmauier ausgeführt und werden, wie auf unserm Bilde ersichtlich, gefühlt und auswendig gelernt. Da¬ durch, daß der Blinde das Musikstück erst in sich aufgenommen

haben muß,

ehe er es wiedergeben kann,

wird

sein

Spiel

beseelt,

es gewinnt einen rührenden Ausdruck. Die Königliche Blindenanstalt steht allen bildungsfähigen blinde» Kindern vom vollendeten fünften Lebensjahre an offen, ihnen Pflege, Unterricht und Berufsbildung gewährend, und nimmt auch Spät-Erblindete, die als Erwachsene mit dem Augenlicht zugleich ihre Erwerbsthätigkeit eingebüßt haben, als Externatszöglinge oder Schnlgänger aus, um sie mit der Blindenschrift vertrant zu machen und durch Ausbildung in einem Handwerk oder in der Musik, im Klavierstimmen und im Schreiben auf der Schreibmaschine von (1899: 150 Zöglinge, neuem zur Erwerbsfähigkeit zu führen.

davon 30 im Externat.) Ihnen allen kommt die umfangreiche Bibliothek von Hochdruck¬ schriften (ca. 4000 Bünde) zu statten, zu der allein über 2000 Bände gehören, die von Blindenfrennden, meistens Damen, handschriftlich ans dem Schwarzdrnck in die Punktschrift der Blinden übertragen und der Anstalt zur Unterhaltung und Belehrung für die Zöglinge geschenkt sind und auch an auswärtige ehemalige Zöglinge unent¬

geltlich verliehen werden. Ter allseitigen Förderung der Blindenbildnng dient besonders das mit der Anstalt verbundene, vor 10 Jahren gegründete Museum für Blindennntcrricht, das einzig in Deutschland dasteht. Unser Bild zeigt einen Ausschnitt ans dem Museum mit Lehrgegenständen für den geographischen und physikalischen Unterricht. Ferner sind hier zur Ausbildung von Blindenlehrerneinjährige Kurse eingerichtet, deren Teilnehmer von dem Unterrichtsniinister eine namhafte Bei¬ hilfe erhalten. Haben die Zöglinge die 7 Schulklassen durchlaufe», so treten sie nach der Konfirmation in die Abteilung für Berufsbildung ein, für die auch ein Fortbildungsunlcrricht in einzelnen Schulfächern vorgesehen ist. Knaben init hervorragender mnsikalischcr Begabung Die werden zu Organisten und Klavierstimmern ausgebildet. meisten Zöglinge, die Mädchen nicht ausgeschlossen, erlernen in 4 bis 5 Jahren ein Handwerk (die Bürsteiibinderei, Seilerei, Korb¬ macherei oder Flechterei) und iverdeii so niehr oder weniger in den

während der Lehrzeit wird für jeden ein Verdien stanteil bei der Kreissparkasse angelegt, um einen kleinen Fonds anzusammeln zur Beschaffung der ersten Ausrüstung bei ihrem Eintritt in das

Erwerbsleben. noch nicht erfüllt; durch größten Arbeitstüchtigkeit bei der denn der Blinde ist auch sein Gebrechen doch vielfach gehindert, sich die Arbeitsgelegenheit

Damit aber hat die Anstalt ihre Aufgabe

Vertrieb der gefertigten Waren in aus¬ Deshalb muß die Anstalt, wenn nicht alle von beiden Seiten aufgewendete Mühe vergeblich |eiit soll, auch mit den erwerbsfähigen ehemaligen Zöglingen dauernd in Verbindung bleiben und ihnen eine weise, väterliche Fürsorge zuwenden, die ihnen keine Gaben in den Schoß wirft, sondern nur solche Hilfe gewährt, die sie im Kampf ums Dasein nicht verzagen läßt und ihre Arbeitsfreudigkeit erhöht. selbst aufzusuchen und den

reichendem Maße zu bewirken.

Als der treueste Bundesgenosse bei der Lösung dieser schwierigen und umfangreichen Aufgabe erscheint der vor vierzehn Jahren ge¬ gründete „Verein zur Beförderung der wirtschaftlichen Selbständigkeit der Blinden", der seinen Sitz in Berlin, seinen Grundbesitz in Steglitz hat, und dessen Vorsitzender z. Z. Herr Präsident Lucanns Dieser Verein hat dank der reichen Teilnahme, die er von Anfang an gefunden, während der kurzen Zeit seines Bestehens schon zwei Heimstätten für erwerbsfähige Blinde in unmittelbarer Nähe der Anstalt errichtet, ein Mädchenheim und ein Männerheim nebst Seilerhaus und Spinnbahn. Das Mädchenheim ist zum dauernden Aufenthalt blinder Arbeiterinnen bestimmt, die sich dort in ihrer emsigen Thätigkeit und trauten Gemeinchsaft wahrhaft ist.

heimisch und glücklich fühlen.

Unter der Leitung des jetzigen Direktors, Herrn Matthies, ist das Königliche Blindeninstitut eine Mustcranstalt geblieben und erfüllt ihren edlen Beruf, die ewige Nacht zu lichten, in der die Unglücklichen befangen sind. Zwischen Lehrern und Schülern herrscht ei» liebevolles, rührendes Verhältnis, als gehörten alle einer einzigen großen Familie an.

Das Institut

besitzt eine sehr glückliche Lage ans dein Fichten¬

in Steglitz, inmitten eines prächtigen Gartens, der für die Zöglinge ihre ganze Welt darstellt. Hier ergehen sie sich im Sommer, hier lernen sie die Freuden der freien Natur kennen, hören den Gesang der Vögel, empfinden den Duft der Blumen und sind in ihrer engen Welt glücklich: denn sind diese Genüsse berg

auch bescheiden,

so bedeuten

sie doch

eine

erhebliche Verbesserung

Stand

im Vergleich zu den engen Verhältnissen, in denen sic aufgewachsen sind und in denen sie unfehlbar verkümmert mären. Daß aber die Anstalt kein Schlaraffenland ist, beweist das Berkausslokal des „Vereins zur Beförderung der wirtschaftlichen Selbständigkeit der Blinden". Da findet man ein reichhaltiges Lager von Korbmacherarbeiten, von den einfachsten bis zu den zierlichsten Gegenständen, Ein Besuch Bürsten aller Art, Handfeger, Teppichbürsteu re. dieses Berkaufslokals wäre für die Hausfrauen und auch für die

zu

Blinden lohnend.

gesetzt, sich später durch ihrer Hände Fleiß das tägliche Brot erwerben, wenn man ihnen lohnende Arbeit zuweist. Schon

Winterlustbarkeiten in Berlin vor hundert Jahren. Nach einer Neiseschilderung vom )ahre 1(800. Welt voll Märchen und Blumen", würde ein lebhafter Franzmann sagen, statt ich mir versichern kann, von einer vortrefflichen Promenade

oeben komme ich aus einer kleinen

zurück zu kehren und trotz des Schneegestöbers, das um die Fenster wirbelt, trotz der Kälte von fünfzehn Graden und des heulenden

Nordwinds — unter blühenden Bäumen und zwischen Blumen aller Arten gelustwandelt zu haben. „Zu Anfang des Februars?" Allerdings! Und der Berliner ist zu beneiden, daß er sich dieses Vergnügen täglich und so wohlfeil wie möglich verschaffen kann. Er braucht nur die noch in der Stadt gelegenen Treibhäuser des Bliimeugärtners Herrn Boucher zu besuchen, um den schönen Kontrast eines romantischen Sommers init dem strengen Winter seines kalten Hjmmclstriches desto lebhafter zu empfinden!

„Manche von Europas prachtvollsten Städten habe ich gesehen", Freilich ist sie aber nirgends fand ich eine Anstalt ivie diese. jedem, gewährt Anstalt, aber sie solchen noch kein Ideal einer wohl wert, daß Vergnügen und ist der sie besucht, ein besonderes ich sie beschreibe.

„Aus der lebhaften Königstraße wandelt man über einen ge¬ räumigen Platz, verliert sich dann ans den Gebäuden, welche die Hauptstadt bezeichnen, in kleinen, schlecht bebauten Gaffe», die, oft nur von Gürten eingefaßt, beinahe ein ländliches Aussehen haben. Selbst die Namen dieser Gäßchen sind charakteristisch, so z. B. die Lehmgasse, durch welche man endlich zu dem Garten des Herrn Boucher gelangt. Hier geht man geradeswegs in das Treib¬ Man sieht haus. Der erste Anblick ist wirklich überraschend!

eine lange Reihe von Zimmern vor sich, die nach dem Garten zu eine Glaswand, oben ein Glasdach haben und alle mit Oese»,

und zu beneiden, und so spielt man eine kleine Redonte schon zu Hause. — Endlich, endlich kommt der Wagen — der Begleiter ist

Tischen, Stühlen, Spiegeln n. s. w. versehen find. il»d Stühle hin breiten Granatbäume,

da und will von niemand erkannt sein. Darum macht er stumme Verbeugungen und spricht, wenn er durchaus reden muß, nur im Diskant. Man faßt seinen Arm, die Zuschauer weichen zurück, man steigt in de» Wagen und rollt in freudiger Erwartung der kommenden Herrlichkeiten dahin. Hundert Schritt vor dem Opern¬ hause hält der Wagen — ein Gefährt nach dem andern rückt langsam vor — man wird ungeduldig ob der langen Verzögerung — endlich fährt unser Wagen vor — ein kleines Herzklopfen — die Thür wird geöffnet — man geht stolz erhobenen Hauptes durch die Zuschauer und eilt auf den Saal zu. Durch die schmale Thür treten wir in die Loge, aus der die breite Treppe in das Parterre führt. Unter uns das Gewimmel und der betäubende Lärm

Tische

Aber über die

Zitronen und

Pomeranzen ihre mit Blüten und Früchten beladenen Zweige, und de» hohen Stämmen blüht und duftet eine Welt voll weißer und duftiger Hyazinthen, Rosen, Krokus und ausländischer Gewächse. An der Fensterwand hin zieht sich eine Reihe von Pfirsichen, die, mit rosenfarbenen Blüten bedeckt, sonderbar mit zwischen

der Farbe des durch die Glaswand sichtbaren Schnees kontrastieren. Zu allen Zeiten des Tages stehen diese Zimmer dem Pnbliko offen, und zu allen Zeiten sind sie auch besetzt. Damen und Herren

aller Stände versammeln sich hier und verleben einige Stunden Winter zu Trotz, in einem reizenden Sommer! — Die heiße, mit starken aromatischen Düften erfüllte Treibhaus¬ luft, obgleich für Erneuerung der Luft so weit wie möglich gesorgt wird, behagt indes nicht allen Nerven. Unwillkürlich fällt mir dabei der prächtige Wintergarten eiu, den einst der Fürst Potemkin in dem Tanrischen Palast zu St. Petersburg anlegte. Freilich war jene Anlage fürstlich; die ungeheure Größe und Höhe des des Tages, dem

Saals, die gewundenen Gänge

zwischen

Myr-

tenstaude», Palmen und seltenen Gewächsen, zwischen denen hier eine schalkhafte Nymphe, dort ein Amor von Marmor hervorlanschte, kurz, das Ganze kann als ein Ideal gegen

BonchersTreibhans angesehen

werden.

Aber dennoch ge¬ währte die ganze Anlage in Peters¬ burg das Vergnügen nicht, welches man doch hier genieße» kan»! Sie war das Eigentum einesDespote»,»nd furchtsam schlich der Besucher

zwischen den duften¬

Myrtengüugen dahin! — Hier aber — bei Boucher — den

ist jeder zu Hanse, und mit beneidens¬ Frohsinn wertem verplaudert und ver¬ lacht hier dieJügend die Stunden. Selbst

mehrerer hundert Masken! Ueber uns die herrliche Krone als flammende Sonne mit einigen Monden von altmodischen Kron¬ leuchtern umgeben. Die zwei oberen Reihe» Logen mit Zuschauern aller Art voll gedrängt, die unterste mit Masken beseht, dort, wo sonst das Theater ist, volle Beleuchtung durch ungeheure, pyramidalisch aufsteigende, mit einer großen Menge von Lichtern und

t

j

vergoldeten Figuren besetzte Leuchter, und am äußersten Ende der hohe, rote Balkon, von dem herab die Hautboisten einiger Regimenter mit militärischer Präzision ihre Weisen ertönen lassen. Nach einigem Zandern haben wir uns

in das Gewühl ge¬ worfen. Dort wan¬ delt ein vcnetianischer Nobile, dort ein kokettes Blumen¬ mädchen, hier ein antiker Philosoph. Letzteren redet mau lateinisch an. Keine

Latein Antwort! hat der Träger der Maske nie gelernt! Mau setzt ihm so lange zu, bis er vor¬ zieht, zu verschwin¬ Nun treffen den. wir einen phan¬ tastisch

gekleidete»

Afrikaner. Wir fra¬

gen ihn: „Sie sind wohl ein Wilder?" — „Wie Sie sehen!" Nus drur BluJ'eum für vliudenuukerrirkzr. Nach einer photogravtzische» Aufnahme von Frau L. G eifrig. die Einteilung in lautet die Antwort. mehrere kleine Zim¬ „Wie lange schon für sich abgeschlossen in welchen jeder Zirkel fast ist, befördert in „Seit einer denken Sie über die mer, Europa? Stunde!" '„Wie das Vergnügen ungemein. Ich würde untröstlich sein, wenn ich Europäer?" Die haben die Rolle der Wilden übernommen!" So nicht jetzt jeden Tag hier einige Stunden verbringen könnte! — geht es denn in lustigem Frage- und Antwortspiel hin und her. Mittlerweile hat die Musik die neueste Anglaise oder einen Ist der Abend da — nun, jetzt sind ja die KarnevalslnstbarWalzer begonnen; an einer Ecke des Theaters haben sich etwa kciten so recht im Gange — dann sucht man wohl, wen» man sechs Paare zum Tanz aufgestellt. Mit der Wut der Bacchanten Lust und Zeit hat, sich zu zerstreuen, die Maskerade auf. Es sucht man sich herumzuschwingen, das Gewühl der Umstehenden ist zwar ein sonderbares Gefühl, das einen beschleicht, wenn man — zu durchbrechen aber bald sieht man das Vergebliche des Ver¬ aus jenem Wintergarten zu der Maskerade der Redoute geht. suches, eine Runde machen, ein. zu Freilich hört man oft genug verächtlich von dieser Lnstbarleit An der entgegengesetzten Seite, im Parterre, wird mit einemmal sprechen, aber das Ende vom Liede ist: man entschließt sich, doch das Gedränge dichter: Der Hof ist angekommen! Die königliche hinzugehen! Genug, so gleichgiltig man auch erst gethan hat, der Domino wird bestellt, die Larve gekauft, der aufgestutzte Hut für Loge ist besetzt! Fragen der Art: „Haben Sie die Königin schon gesehen? Was trägt sie für eine Maske?" schwirren umher. „Ist 10 Groschen geborgt — ein Stück kommt nach dem andern an — der König nicht da?" „Dort steht er ja an der Säule. Er trägt es wird probiert — man ist ganz entzückt, daß man so unkenntlich einen schwarzen Domino." Aller Augen sind gegen die Loge ge¬ aussieht; man begreift selbst nicht, wie man solche Possen treiben richtet; es entsteht ein furchtbares Gedränge. Man hört nicht mehr kann — und erwartet mit Ilugednld die Stunde, wo man die auf die Musik, man nimmt keinen Anteil an dem, was ringsum anlegen Hat wird. man gar eine Charakterabenteuerliche Kleidung — vorgeht . . Hinter uns drängt der große Schwarm von Masken Freude noch dann ist die vollkommener. Man kleidung gewählt, nach An den Wänden zieht sich der Schwarm fort. Man vorn. vorher in dem Charakter, behält ganzen Tag sich alle spricht den sucht sich ihm anzuschließen; er zieht an der königlichen Loge vorüber. witzigen Einfälle, die man hat, und sinnt auf Antworten auf die Nachdem wir noch einmal das Königspaar anS nicht zu weiter Fragen, die man hören könnte. Man probiert auch wohl die Kleidung. Die Hausgenossen kommen zusammen, um zu bewundern Entfernung gesehen haben, sehnen wir uns — es ist unerträglich heiß—

796

Sie find in den Garderobezimmern der Oper Menge kleiner Gemächer zur rechten und einer bereit. Dort in sitzen und stehen an Tischen viele, viele Ausgangs des linken Seite Masken, die sich durch Punsch erfrischen, durch Limonade wieder in Feuer setzen, um sich durch Eis wieder abzukühlen. Oder nian stärkt sich auch durch ein Stückchen Kuchen. Jeder einzelne Akt dieses wichtigen Geschäfts kostet genau vier Groschen. Viele haben hier in diesen Räumen, um einmal frei zu atmen, die Larve ab»ach Erfrischungen.

genommen. Zwar erkennt man hier manchen guten Freund, den man nicht vermutete, oder den man hierher beschied. Aber wovon soll man doch hier sprechen? Man ißt und trinkt, man drängt und wird gedrängt. Stoss zur Konversation hat man hier höchstens mit den Aufwärtern. Gestärkt und erquickt gehen wir nun zurück in den Saal.

Die Szene hat

sich

wenig verändert.

Nur

scheint es zu spät zum

Die Bänke an Witze geworden zu fein; die meisten sind müde. den Seiten sind dicht mit Masken besetzt; sie sitzen unbeweglich und haben ans stichelnde Fragen kaum eine Antwort. Noch einmal wird die allgemeine Ruhe unterbrochen: Der Hof hat seine Loge verlassen. Die schönste Frau, unsere Königin, König oder einem Prinzen geführt, wandelt in ihrer geschmackvollen Charaktermaske einige Male den Saal auf und ab. Alles eilt, sie zu sehen) man sieht nur sie! Die Freund¬ liche ist unter keiner Verkleidung zu verkennen, selbst wen» sie eine Maske tragen sollte! Nachdem der Hof den Saal verlassen, statten wir den oberen Alle diese Räume sind gedrängt Logen noch einen Besuch ab. mittleren und niederen Stände, besonders voll von Personen der scheinen darum hergekommen zu sein, sie weiblichen Geschlechts; genießen, den man in einer Anblick zu einen stundenlang um Viertelstunde schon satt genug haben kann. Was das schlimmste ist, überall stehen Knaben und Mädchen im Alter von 10 bis entweder vom

'wüsten Treiben zu. 12 Jahren umher und sehen dem zum Teil Da alle Volksklassen an dem Vergnügen der Redoute teil nehmen können, so ist es natürlich, daß mancher sich dahin sehnt.

der nicht das Geld zusammenbringen kann, um sich einen Domino Finden sich nun mehrere solcher Leute zusammen, so

zu borgen.

ist ihnen

durch

folgende

schlaue

List bald geholfen:

Sechs bis

legen zusanimen, leihen sich für die Summe einen Domino, eine Maske, ein Paar Handschuh und einen Einer, der das beste Los gezogen hat, geht dreieckigen Hut. zuerst kostümiert in den Saal, während sich die übrigen für ein paar Groschen Trinkgeld an die Wache in einer verabredeten Loge einfinden. Die Zeit ist genau berechnet, während welcher jeder das Vergnügen genießen darf, die Maske zu tragen. Sobald die Zeit verflossen ist, kehrt der erste zu der Loge mit schwerem Herzen zurück, rangiert sich unter die Zuschauer, und sein glücklicher Nach¬ folger eilt in demselben Domino zur Versammlnng. Diesem folgt dann in abgemessenen Zwischenräumen der dritte und vierte u. s. w. Man erzählt sich, diese sinnreiche Methode, sich auf wohlfeilere zusammengeschossene

zehn

dieses Vergnügen zu verschaffen, sei in Berlin schon sehr Auf Maskeraden, wo jeder Zutritt hat, der lange im Gebrauch. eine Maske trägt, sind dergleichen Begebenheiten nicht zu ändern und zu hindern; auch schmälern sie in Berlin das Vergnügen der gebildeten Stände nicht. Nachdem der Hof und der Adel die Gesellschaft verlassen haben, werden von den Zurückbleibenden noch einige Stunden hingeschwärmt: man tanzt, man springt und walzt bis zur Raserei bunt durcheinander; aber — jetzt werden die Lichter ausgelöscht; man muß fort wohl oder übel. In dem erborgten Kostüm, bei

Art

schneidender Kälte, schleicht man nach Hause.

Wohl dem, der

sich

auf dem Heimweg infolge von Erkältung keine langdanernde Krankheit zuzieht. Wer aber gesund bleibt, erzählt am andern Morgen den begierig lauschenden Hausgenossen von all den Herrlich¬ keiten, die er genossen, macht andere darauf lüstern und — nimmt Maskengewühl mit andern sich vor, demnächst wieder einmal im zu schwärmen. So denken mit ihm auch die andern in Berlin zur Karnevalszeit!

W. Wald.

Kloster Zinna.

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Nach bisher unbekannten archivalifchen (Quellen von (Schluß.)

„Hirtenbrief" ist die letzte äbtliche Kundgebung ans Die Reformation klopfte mit starker Hand Kloster Zinna. auch an die Pforten des Klosters. Sieben Jahre später wurde Zinna säkularisiert. In die Martini 1547 ist Abt Balerianns (der Nach¬ Nach diesem ist folger des erwähnten Matthäus) abgezogen. Abt worden der alte Klitzmg" — und böse heißt es von ihm — „hatte seine lense im dosier voll abgeschickt, sed ex male quaesitis." Kurfürst Joachim II. hatte bereits am 1. Avril 1547 mit dem Domkapitel zu Magdeburg eine» Vertrag abgeschlossen: „bezüglich Zinnas bleibt alles wie vor alters auch hinfüro unter dem itzigen Verweser im neuen lande." — 377 Jahre hatte Kloster Zinna bestanden, an seiner Spitze hatten, wie der „Cataloges Abbatum Coenobii Zinnensis“ nachweist, 26 Siebte gewirkt: Ritzo, Rndolsns, Hertelo, Gnntherus, Wilhelmus, Johannes, Johannes, Conradns, Johannes, Albertus, Hildebrandns, Gerhardus,Johannes,Johannes, Dithmarus, Conradns, Heinricns, Albertus, Thcodoricns, Mau¬ ritius, Matthias, Nicolans, Benedictns, Heinriens, Matthäus und Valerianus. Mit dem Abzug dieses letzten Abtes und der Kloster¬ insassen nach Böhmen verschivand leider auch das wichtigste hand¬ schriftliche Material. Die Reste der Akten befinden sich verteilt in Geschieht noch den Staatsarchiven zu Berlin und Magdeburg. der kimstände Erwähnung, daß der erste Abt Ritzo, d. h. Theo-

doricus, am 6 . November 1179 von eindringenden Slawen er¬ schlagen wurde, und daß 1493 in Zinna der vom Abt Nicolaus herausgegebene „Marienpsaltcr" gedruckt wurde, der mit 165 Holz¬ schnitt-Darstellungen ans dem Leben der Maria und des Heilandes versehen ist, so dürfte die Geschichte des Klosters Zinna erschöpft sein. Als erster lutherischer Prediger nach Einsührnng der Rcsor1555 wurde die mation wird Magister Bergemann genannt. 'Abtei ein Sind, das 1598 an das kurfürstliche Haus gelangte. 1680 gelangte der ganze Ort an Brandenburg, 1690 wurde der Zinnaische Münzfuß aufgehoben, eine Verabredung zwischen Sachsen und Brandenburg, wonach die Mark fein Silber zu 10'/, Rcichsthalern ausgeprägt werden sollte. Neues Leben erwuchs an der alten, denkwürdigen Stätte, als König Friedrich II. von Preußen, der „alte Fritz", nach Beendigung der schlesischen Kriege an den inneren Ausbau und die Kolonisierung

M. Aincke.

seines Landes ging. Zlm 13. Oktober 1763 hatte er von Potsdam aus an den Kammerpräsidenten von Horst geschrieben und ange¬ fragt, wie er sich stelle zu dem „Plan wegen einer ans dem Amt Zinna und Vorwerft Kaltenhausen zu errichtenden Etablissements" stelle, und ob er die zur Besetzung des Vorwercks (ursprünglich war

Scharffenbrück in Aussicht genommen) erforderlichen Kolonisten bereits zusammen habe. Horsts Antwort und Entivurs ist hoch¬ interessant, gewährt sie doch einen Einblick in die Art, wie und warum Friedrich II. kolonisierte. Es heißt u. a.: „Da Sr. König!. Majestaet allergnädigste intention bey Besetzung der Vorwercken fürnehmlich auf die Berrmehruug der Unterthanen abzielet, bey den mehreste» aber nur wenige Familien angesetzet werden können, und durch Zerreißung vieler Vorwercken die Städte die Zufuhr verliehren, dahin gegen wenn an einem Ort außer denen Acker-Leuthen auch Handwercker etabliret werden, dadurch i. effectuiret wird, daß an einen und demselben Orte mehrere Familien ihr Brodt aufs verschiedene Weise finden. 2. daß anstatt bei anderen Vorwerckcrn und nur bey wenigen der Etat herauszubringen, auf diese Weise mehrere revenuen erfolgen, 3. die Handwerker sich mit ivenigen Kosten sich als Ackers Leute etabliren, 4. dergl. Etablissements bey zunehmender Nahrung erweitert werden können, so dergleichen Anbau, wo er practicable dem König!. Interesse zuträglicher, unter allen Amts Borwerckern ist hiezu das Amt Zinna am besten qualifieiret. Dasselbe liegt 1. schrat an der Grentze nahe bey Jüterbock und andern nahrlosen Süchs. Städten; 2. hat es einen gute» Boden daß jedem Cokmisten das nöthige Ban Materialien Garte» Land eingegeben werden kan; 3. sind die 'Amte, massiv mit nahe und kann' da die Ziegel Erde beym wenigen Kosten gebanet werden: 4. sind Kirche, Pfarr und andere nöthige Gebäude so anderwärts erst mit großen Kosten erbauet werden müssen, schon vorhanden; 5. verliehren andere König!. Städte nicht an ihrer Nahrung vielmehr wird das Geld was die Grcntz-Dörscr nach den Sachs. Städten tragen, im Lande erhalten; 6 . haben Sr. Königl. Majestaet die revenue von der Branercy hicrselbst; und 7. kann die Accise von Victualien eingeführt werden; 8 . werden 26 alte Dorfschaften verbessert,

797

Mt. eher prokitiren als verliehren nnd auf der andern dem Ort ein Schein einer Freyheit und Vorzug vor andern Städten verbleibet, wodurch die Ausländer angelockt werden.

ihnen Dienst-Fnhren nnd Abtrifften gegen eine mäßige erlassen werden. Wann die bisherige Zeit Pacht des Amts Zinna aufgehoben, nnd das Amt, wenn die Wirthschaft cessiret, administriret wird, daselbst ein meitlänsfiges Etablissement formiret so kann werden und zwar auf folgenden Fuß: wenn

freiivillig offerirte praestation

1.

4. sind zwar die Mühlen Revenüen gewöhnlicher maßen an¬ geschlagen, da aber in den ersten Jahren und bis der Ort in gehöriger Nahrung konit, da die Leute nicht alle ein¬ heimisch bleiben, das Wegmahle» der kleinen Wirthe nicht gäntzlich zu verhindern, so sind pro Familie nur 1 Scheffel Mühlen Gefälle angenommen und da bei dem Amte ein ErbMüller wohnet, der das jetzige Amts Gemahl ind. Maltz und Brandweinschrot hat, so ist deshalb bey dem Anschlage ein proportionaler Abgang formiret. Es kan das Mahl¬ wesen mit der Zeit important, darum aber innemahlen rege! mäßig angeschlagen iverde», weil es mit des Erbmüllers zwangspflüchtige Gemahl meliret ist, daher würde es dem Königl. Interesse zum größte» Vortheil gereichen, wenn 8 e. ilajestaet die Erb-Mühle acquirirten und nach völlig eingerichteten Etablissement anderweit erblich vergeben oder in Zeit pachten ließen; indeßen Entstehung ivürden zwey Wind-Mühlen zu erbauen, und cntivedcr den Erb-Müller in Zeit-Pacht zu überlaßen oder ein anderer Müller anzunehmen

Sind daselbst anzusetzen 14 Acker Wirthe als 10 große nnd 4 kleine; 40 Klein Bürger so protlessiones treiben, Vieh halten, 2 Morgen Garten Land, und zur Vieh-Zucht das nöthige Wiesewachs erhalten; 90 Buden Stellen mit einem Morgen Garten Land für Leineweber, Strumpf-Strücker-Gesellen nnd Tagelöhner und außerdem

sey". 5. die jetzige Brauerey

\

Seim nakurgrschichklichrn Unterricht. lPhowgr. Aufnahme von Frau L. Ecifrig.)

16 Bediente für das Amt, Kirche, Schule nnd Hirthen, über¬ haupt 166 Familien so exclu 8ive der Bedienten aus Sachsen zu nehmen, demnächst wären denen Einländern, wenn sie sich auf eigene Kosten anbauen wollen, solches gleichfalls nachzulassen. Es können aber nach der avantage des Orts, und den hiernach eingerichteten Plan in der Folge weit mehr etabliret werden und ist hierzu die größte Hoffnung, da die Sächs. Städte Jüterbock, Jessen, Zahne, Schliebcn, Dahme, Scida, Riennck, Bruck, Goltzen, Anneburg nnd Schlveinitz in schlechter Nahrung stehen, die Immobilien wegen der hohen Abgaben und ans Furcht neuer imposten fast ohne Werth und daher» die Einnahme zum emigriren geneigt seyn. Der anzulegende Ort hat seine Nahrung in sich selbst durch Acker Bau, Garten Bay nnd denen unent¬ behrlichsten Handwerkern, dem in der Folge noch die Amts Brau- und Brandwein Brennercy zugelegxl werden kan. Es ist zwar die Stadt Luckenwalde nur 1 ’/, Meile darvon be¬

ist eine der stärksten bey den Ämtern. Nun würde es zwar die Nahrung des Orts vernichreu, wenn solche denen Colonisten überlaßen würde, da aber 1. mehrenden Bau stärkere Konsumtion ist, 2 . der durch das Verbot des Schrotens und sonst ver¬ fallene Brandwein Debit erst wieder gehörig hergestellet werden uiilß, 3. die Colonisten den baarcn Verlag nicht haben und mit ihrer Einrichtung zu sehr beschäftigt seyn, so erford rt die Nothwendigkeit und Königl. Interesse, daß die Brauerey und Brandweinbretinerey bis das Etablisse¬ ment zu Stande administriret werde, wonächst beydes denen vermögendsten Colonteten in Specie Ackers Leuthen und der Stadt Luckeiuvalde nachdem die Krüge dem einen oder dem andern Ort nahe bey geleget werden könte, der¬ gestalt, daß selbe den bisherigen Erlag nach Abzug der Acctee davon praestiren, und zu Zinna der Amts-Brauerey als ein publiques Brau hanß beybehalten würde. 6 . Da die alten Unterthanen durch Auffhebung der Wirthschaft außer den Naturellen Dienst kommen nnd wenn die Pächte in natura erlaßen werden, auch die Fuhren cessireu, so

legen, derselben erwachset aber dennah dieses etabltesement kein Nachtheil, denn stehet dieser Ort in voller Nahrung fürnehmlich durch die Tuch-Fabrique, wann also in dem neuen Flecken keine Tuchmacher mehr angesetzet werden, verliehret dieselbe nicht an seine Hauptnahrung, von denen in der Nachbarschaft des Amts belegenen Dörfern aber hat Lnckenwaldck einen Vortheil wegen Nähe von Jüterbock.

2. Die sub. A. beigefügte Nachweisung besaget, daß nach einer ohugefchrlich mäßigen Anlag, nicht nur die Etatsniäßigeu Revenuen ferner erfolgen können, sondern es ist auch darinn ein Plu 8 von 1615. 16. 7 nachgewiesen, diese setzet zum voraus, daß 3. die Acctee daselbst eingeführt werde, es ist solches nicht nur dem Königl. höchsten Intere 88 e in Hoffnung der Ort iverde sich in der Folge vergrößern gemäß, sondern cs ist auch dein Nnterthan derer oueeeaoive Abführung nicht so schwer, als wen cs mit hohen stehenden Zinsen beschweret, diese die iinmobilien ckepretioniren, wenn aber an dergl. kleinen Ort der lucsus nicht herschet und die orckinaire eon 8 umtion das vornehmste und eigentliche Object der Acctee ist, dahin¬ gegen wenn die Acctee von Kleinigkeiten erfolgen soll, nöthig ist das der Ort geschlossen und Thorschreiber und mehrere vteitatoreo angesetzet werden, dieses aber durch die Acctee nicht wieder einkommt, so ist rathsam, eS ledigl. bey der Acctee von Getreyde, Geträncke, Schlachten, und einen fixen Rahrungsgeld der Handwerker so stener Ban Materialien eonsuniiren zu belassen, wobei auf einer Seite Sr. Königl.

Ulsiiirrübung eine« Minden. wachset

dem Amte

(Phologr. Hiifimijrae von Fron L. Geisrig.)

durch eine mäßige dafür zu entrichtende

praestation mehrere Revenue zu: gleiche Bewandtniß hat eS mit denen Abtrifften der Borwercker deßhalb haben sich schon verschiedene Dörffer erkläret und ist das oblatuin zur Berechnung gekommen, und dürften in der Folge sich noch mehrere darum bewerben, in dessen Entstehung werden die Abtrifften zu Versterckung des Biehstandes der Colonie bey¬ behalte», und die Pächte 8 r. Maj. berechnet, was 7. den Ban selbst anbetrifft, so muß ich pflichtmäßig antragen, alle Gebäude massiv anlegen zu laßen, denn der Bau von Holtz würde die Zinna'sche Heyde nicht tragen können, nnd in folge es an Bau nud reparatur Holtz mangeln, wodurch der Ort miniret würde, dahingegen ist nahe an den^Banstellen gute Ziegel Erde nnd sind bereits davon die Steine zum Gokowscheu hohen Ofen Bau gebrandt, mithin kann

mit mäßigen Kosten der Ban massiv geschehen, und erlanget durch den wenigen mehrern Aufwand ein Ansehen die im-

mobilien aber einen größeren Werth, Trotz aller Fürsorge des großen Königs entwickelte sich die Kolonie aber nicht. Die ersten Kolonistenhänscr wurden, nachdem noch langjährige Berhaiidlungen mit dem Oberaintmann Klinzmann und dem Kaufmann Heyl, der den Ban „in Engagement" genommen hatte, aber aus Geldmangel nicht durchführen konnte, Ursprünglich waren 55 doppelte Häuser ge¬ erst 1777 vollendet. plant, aber Heyl brachte nur 4 Häuser zu 12 Familien unter Dach, „von 3 anderen Häusern drohten bereits 1773 die Schorn¬ steine den Einfall", da bewilligte der König ans der Etablissements¬ kasse noch rund 3000 Thlr., damit 3 neue Häuser und 5 aus¬ gebaut werden könnten, „so daß wenigstens 17 Familien in diesen: Jahre atadlirsl werden können." „Durch diesen Bau würde als¬ dann auch noch der Vortheil erlanget, daß in Zinna gegen 3000 Thlr. roullirten und mancher dürftige Arbeitsmann daselbst seinen Unter¬ halt finden könnte." Außerdem verhasste die Kriegs- und Domänen¬ kammer noch in demselben Jahre die Fabrikantenhäuser 217-218 und 219-220 imstande zu sehen gegen Vergütung des angenommenen

Satzes ä 516 Thlr. Die Entwicklung der Kolonie ging trotz alle¬ dem nicht von statten, die Besitzer wechselten, da sic nicht das fanden, was sie erwartet hatten, und so konnten auch keine Erbverschreibnngen vorgenommen werden. Die nächste Folge aber war, daß dadurch die verauslagten Kosten nicht wieder ersetzt wurden. Die Kricgswirren, welche in diesem Jahrhundert Preußen trafen, lasteten auch schwer auf der entwicklnngsbedürftigen, kleinen

Weberkvlonie. Heute ist Zinna ein armer Ort, In dankbarer Erinnerung an den Begründer hat man zur Hnntertjahrfeier der Begründung dem Preußenkönig zwar ein Denkmal in Erz gesetzt; aber die Konzentration von Handel und Industrie, die Verdrängung der Handarbeit und Hausindustrie haben die letzte Hoffnung auf eine Erhaltung des kleinen Fleckens vollständig vernichtet. Zwar führt jetzt in unmittelbarer Nähe der Stadt die Militärbahn vorüber, aber die Bewohner Zinnas haben keinen Vorteil davon, sie sind von ihrer Benutzung ausgeschlossen, da sie sich nicht bereit finden konnten, die Herstellungskosten für einen Bahnhof und eine Zufahr¬ stelle zu demselben aufzubringen. Das neue Zinna liegt abseits vom Verkehr, seine reiche Geschichte und seine geschichtliche» Wahr¬ zeichen aber erhalten es in lebendiger Erinnerung.

Der große Kurfürst im Sagenkranze.

B

s sind mehr als zwei Jahrhunderte verflossen, seit der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm das Zeitliche gesegnet hat. Dem preußischen, ja dem deutschen Volk ist dieser Fürst

jedoch nicht tot, ihm lebt er in seinen Großthaten, in seinen Werken

fort, und so tritt er auch immer noch vor uns als der Fürst, dessen Klugheit und eiserner Wille nicht nur den Staat vor dem gänzlichen Untergang in den Wogen des dreißigjährigen Krieges schützte, sondern auch dem Staate den granitenen Unterbau gaben, auf dem seine Nachfolger das Königtum und das deutsche Kaiser¬ reich errichten konnten.

Wenn man nun heute bemüht ist, dem Volke eine zielbewußte und auf gesunder Grundlage ruhende Begeisterung zu erhalten, so genügt es nicht, daß des Volkes Blick nur auf die Großthaten des deutschen Volkes der Neuzeit sich richte, es ist auch nötig, daß es mit dem Geiste und dem Wesen der Vorzeit bekannt gemacht werde, und da sind die den Deutschen nachgerühmten Tugenden nirgends anschaulicher ausgeprägt, als in dem von dem deutschen Volks¬ geiste selbst geschaffenen Sagen. Drum mögen einige Volksuiären, mit denen Frau Sage den großen Kurfürsten geschmückt hat, schlicht und einfach, wie das ihre Art ist, an uns vorüber ziehen.

Bereits zu Anfang des Jahres 1675 hebt die Sage au und berichtet Geschehnisse, die wenigstens mittelbar niit dem großen Kurfürsten in Verbindung zu bringen sind. Am 8 . Januar des¬ selben Jahres, in der Nacht bis zum Morgen, hat sich in Berlin eine Reiterei von vielen Regiineutern in der Luft sehen lassen, sie kämpfte gegen einander, man hörte die Degen klirren und sah das Feuer der gelösten Schußwaffen aufblitzen, ohne jedoch einen Diese geisterhaften Scharen bedrängten sogar drei Reiter, die au: Thore die Wache gehabt und rührten diese an; auch die Offiziere eilten herbei, sahen alles und zweifelten au der Wahrheit nicht. Dieser Geisrerkampf, hieß es später, deutete die Schlacht von Fehrbellin an, die am 18, Juni desselben Jahres geschlagen wurde.

Knall zu hören.

An

diesem 18,

Juni,

nach

dem

wohlgelungenen Handstreich

auf Rathenow, sehen wir den Kurfürsten bestrebt, n:it seinem Häuflein todesmutiger Streiter den Schweden in den Rücken zu zu kommen, che diese das auf schmalen Dämmen zu passierende haoelländische Luch hinter sich haben möchten. Der Feind ist aber so eilig, daß er ungefährdet Fehrbellin erreicht, wo er sich in guter Ordnung aufstellt. Der Prinz von Hesscn-Hoinburg, der dem Feind mit einer kleinen Schar folgt, ihn aber nicht angreifen soll, hat letzteres doch gethan und bittet, hart bedrängt, um Hilfe, Da ruft der tapfere Dersflinger im Kriegsrat aus: „Wir müssen dem Prinzen sogleich sekundieren, sonst kriegen wir keinen Mann wieder!" Und nun giebt der Kurfürst den Befehl zum Vorrücken; er aber sinkt auf die Kniee und betet: „Allmächtiger Gott Israels, gehe mit Deinen Schrecken voran und demütige den stolzen Feind. Unser Sieg soll Deine Ehre sein. Gott mit uns!

Ritt zur Schlacht kommt Friedrich Wilhelm

durch Brandschutt; und Trümmern liegen in ein Dorf; die meisten Häuser die Einwohner sind entflohen oder liegen, von den Schweden er¬ schlagen, umher. Es herrscht eine Totenstille. Da dringt das

Auf

diesem

Weinen eines Kindes in sein Ohr. Neugierig, zu erfahren, wie an dieser Stätte des Grauens ein Kindlein verschont sein könnx, tritt der hohe Herr in das Haus, ans dem das Weinen ertönt. Er findet keinen Menschen, Kisten und Kasten sind ausgeraubt und liegen in wirrem Durcheinander. Da ertönt wieder leises Wimmern. Der Kurfürst späht umher und bemerkt in einer Wiege ein Kindlein,

das die Eltern bei der eiligen Flucht wohl vergesse» haben mochten. Er geht zur Wiege. Das Kindlein weint nicht mehr, es lacht ihn freundlich an, und Friedrich Wilhelm nahn: cs auf den Arm, setzte es dann vor sich in den Sattel und ritt wohlgcinnt in die Schlacht. Der Kampf mit dem überlegenen und gut postierten Feind wird Im Auf dem vielgenannten Hügel hält der Held. heiß. entscheidenden Moment schürzt er den Acrmcl ans, zieht das Schwert und ruft den Getreuen zu: „Getrost, tapfere Branden¬ burger, ich, Euer Fürst und nunmehriger Kapitän, will siegen oder zugleich mit Euch sterben!" Mit gezücktem Schwert sprengt er gegen den Feind, gehobenen Mutes eilen ihm die Seinen nach. Er selbst wird im wilden Schlachtgewühl von den Seinen getrennt und von Ein Feind führt eine» mächtigen Streich den Schweden umringt. nach seinem Haupt, während er eine Zahl der Angreifer niederstreckt; doch des Schweden Mordschwert zerspringt, denn die Eisenkappe, die der Fürst unter dem schwarzen Filzhut trägt, und die noch heut im Hohenzollern-Musenm in Berlin aufbewahrt wird, rettet ihm das Leben, Mit Schrecken gewahren die Brandenburger die Not ihres Landesherr»; neun Dragoner stürzen herzu und haue» eine blutige Gasse durch den wirren Feindesknänel und befreien ihren Heldenfürsteu, wofür dieser nach der Schlacht jedem mit einer Hand voll Goldes lohnt, Ilm zehn Uhr morgens ist die Schlackst entschieden und der Feind auf wilder Flucht, Doch wo ist das Knäblein, das der hohe Herr vor sich in: Sattel gehabt? Es ist verschwunden. Es war kein Kind von Fleisch und Blut, es war ein Engel, von Gott gesandt, den Helden im Streit zu schützen, weil er, ehe er in den ungleichen Kampf ritt, nicht gesäumt, Barm¬ herzigkeit zu üben. Seit dieser Schlacht sind mehr als zwei Jahrhunderte ver¬ gangen, und noch kämpfen zwei Gestalten um einen Helden jenes Rnhmestages: Frau Sage mit ihrer Schwester, der Geschichte, um des treuen Froben allbekannten Opfertod. Ist er Wahrheit? Ist Hat der Lcibjäger den Pferdetansch veranlaßt? er Dichtung? Wird Iran Sage das Feld behalten, oder wird der Geschichte ein¬ mal unbestritten die Palme gereicht werden? Seit Gansauge in seinem Werke „Die Schlacht bei Fehr¬ bellin" den Pferdetansch und Frvbens Opfcrtod in Abrede gestellt

hat, haben sich ebenso viele glaubwürdige Stimmen für die Wahr¬ heit desselben, wie dagegen erklärt. Und ist der fragliche Pferde-



-

799 tausch

oder von Froben nicht veranlaßt,

auch nicht geschehen

so

Heldentod für seinen Herrn, für Brandenburgs Freiheit in einer Männerschlacht, die es verdient, daß man, im Hinblick auf den Hcldenfürstcn, ans sie das alte Wort starb

er

doch

den

schönen

anwendet: „Veni, vidi,

vici!“

den Großen Kurfürsten in Richter auftreten läßt. In der einem schwierigen Rechtssall als Brunnen des Marktplatzes. am Röschen Abenddämmerung steht herzlich. Rudolf die Geliebte begrüßt und Heinrich geht vorüber bemerkt dies von ferne, und eine brennende Eifersucht setzt sein Ge¬ müt in wilden Aufruhr. Röschen kehrt beglückt zum Vaterhaus zurück. Auf der Schivclle schaut sie noch einmal zurück, dem Geliebten nach, da fällt ein Schuß, und des Waffenschmiedes einziges Kind sinkt, ins Herz getroffen, nieder. Der alte Waffen¬ schmied stürzt hinaus und findet sein Röschen, sein Herzblatt, tot in seinem Blute liege». Auf sein Jammergeschrei eilen die Nachbarn

Weiter

sehen

wir, wie

die Sage

herbei. Im Kreise, von Fackeln düster erhellt, umstehen sie entsetzt das Bild des Jammers. Als der erste Schreck vorüber, fragt „Des Kurfürsten Trabanten jeder Mund nach dem Mörder. soeben mit ihren Feuerrohren über Rudolf gingen Heinrich und den Marktplatz", berichtet ein Nachbar, „gewiß ist einer von ihnen der Thäter."

Sofort eilen sie, dem Gericht die Schreckensthat zu melden, und eine kurze Zeit später sitzen Heinrich und Rudolf im Ge¬ fängnis. Beide leugnen hartnäckig, keiner will geschossen haben, keiner will der Mörder sein. Selbst die Folter mit allen ihren Dualen und Schrecken preßt keinem ein Geständnis ab. Die Richter sind ratlos, sie haben alle ihre Mittel erschöpft und legen jetzt den schivierigen Rechtsfall dem Kurfürsten zur Entscheidung vor. Dieser aber will nicht urteilen, er stellt die Entscheidung Gott anheiln und bestimmt ein Gottesgericht. Draußen auf dem Gerichtes ist da. weiten Wiesenplane steht die Trabantenschar in Reih und Glied. Das Volk ist herbeigeströmt, Gottes Gericht zu schauen. Mitte» im iveiten Kreise steht eine Trommel, auf ihr ein Becher mit Würfeln und daneben auf schwarzer Bahre ein offener Sarg und der Henker. Hoch zu Roß reitet der Kurfürst in deu weiten Kreis. Bon den Schergen umgeben erscheinen Heinrich mib Rudolf auf dem Plan. Der Kurfürst winkt, und es wird totenstill in der Runde. Der Priester tritt neben die Trommel, alle Häupter ent¬ blößen sich und rufen mit dem Priester Gott an, sein gerechtes Gericht walten zu lassen. Der Kurfürst winkt ivieder. Rudolf tritt vor die Trommel, er ergreift den Becher und ivirft die Würfel ans. „Zwölf Angen!" ruft er jubelnd ans, und „er ist

Die Stunde

dieses

Der Kurfürst winkt unschuldig, er ist frei!" flüstert die Menge. zum dritten Male. Heinrich erscheint vor der Trommel. Leise „Wozu noch murmelnd geht die Rede durch des Volkes Reihen: würfeln? Mehr Augen kann er ja nicht werfen! Er ist schuldig!" Heinrich aber sinkt ans die Kniee, kreuzt die Hände vor der Brust, „Herr meines blickt hinauf znm Himmelsdom und betet laut: Gerechter Richter Lebens, Du kennst mich und die Wahrheit. über alles, was im Himmel und auf Erden ist, erbarme Dich meiner und lasse meine Unschuld nicht zu schänden werden!" Dann ergreift er mit gläubiger Zuversicht den Becher und wirft die Würfel ans. Sie sind gefallen, die Todeswürfel. Gott hat gerichtet! Ein Würfel ist zersprungen. Zwei Würfel zeigen zusammen zwölf Angen und das abgesprungene Stück zeigt ein Auge. Dreizehn Angen hat Heinrich geworfen. Von Mund zu Mund eilt das Wort durch die erstaunte und ergriffene Mit Menge: „Gott hat hier, gerichtet, wunderbar gerichtet!" ernstem Blick redet der Kurfürst Rudolf an: „Willst Dn Gottes Zeugnis auch Lügen strafen?" Wild verstört stürzt der Schuld¬ beladene auf die Kniee' und ruft: „Gnade, Gnade, ich bin der Mörder!" Dann beugt der Landesvater sich zu Heinrich nieder, der vom Dankgcbet sich erhebt und spricht gütig zu ihm: „Stehe auf, mein Sohn, Gott hat für Dich gezenget, Du bist unschuldig,

Dn

bist frei;

tritt wieder

ein in Reih und Glied."

Dann ließ er

walten; er überantivortetc ihn für sein ganzes Leben ins Gefängnis, damit er Zeit gewänne, durch aufrichtige Buße Gott zu versöhnen. Die gute Absicht des Landesherr» vereitelte jedoch der Böseivicht: er erdrosselte sich im Gefängnisse. Heinrich aber diente seinem Herrn wieder in Liebe und Treue und starb bei dem Dorfe Splitter, wo die Brandenburger über die Schweden einen glänzenden Sieg erfochten, den Heldentod. Der zersprungene Todesivüxfel wird noch heut zum Andenken zu Berlin aufbewahrt, als ein Wahrzeichen der ewigen Gerechtigkeit Gottes. Damit war das Werk der geschäftigen Sage aber noch nicht vollendet, sie umrankte auch das mächtige Standbild des großen Kurfürsten, das König Friedrich l. seinem Vater auf der Langen Brücke zu Berlin errichten ließ. auch über den

Mörder

seine Gnade

dem Henker nicht, sondern er schickte ihn

Dieses prächtige Reiterbild ist ein Meisterwerk de? ruhmreichen Bildhauers Andreas Schlüter. Im Jahre 1697 wurde es be¬ gonnen, und drei Jahre später nahm man den Guß in Angriff, den Johann Jacobi glücklich ausführte. Nach weiteren drei Jahren war das Fundament zur Bildsäule an der Seite der Langen Brücke über der Spree fertig, alles, mit nur unwesentlichen Ausnahmen, war aufgestellt, wie es heute steht, und so erfolgte die Enthüllung am 11 . Juli 1703, an dem Geburtstag des Königs.

So hält er, eine wahre Heldengestalt, droben in luftiger Höhe mächtigen Roß und schaut mit erhabener Ruhe auf die dem auf vier Gestalten herab, die, an den Ecken des Standbildes ange¬ schmiedet, auf den Stufen sitzen, ein treffliches Bild der feindlichen Gewalten, die er und seine Nachfolger niederkämpften. An dieser Bildsäule konnte Frau Sage nicht vorübergehen, sie mußte sie schmücken mit ihren Blüten, und sie hat es gethan

in mancherlei Weise. Oft sieht man das Kind von Fehrbellin in mondhellen Nächten vor ihm ans dem Rosse sitzen. Kommt die Nenjahrsnacht, so dreht sich

der Kurfürst

auf dem Postament um, oder er macht einen

Rnndgang durch die Straßen der Stadt. Wie oben am Stand¬ bild, so sind auch nute» im Wasser vier Sklaven an das Postament gefesselt; sie bewachen einen wahren Nibelungcnschatz, der in der Tiefe verborgen liegt und erst dann gehoben werden darf, wenn ein mächtiger Feind das Vaterland bedroht und dessen Not aufs höchste gestiegen ist.

Wohl haben die Franzosen, als sie im Anfang unseres Jahr¬ hunderts Berlin besetzt hielten, es versucht, diesen Schatz zu heben; sie haben ans dem weißen Marmor des Postaments Stücke ausgebrochen, aber den Schatz nicht gefunden, wohl nur deshalb nicht, nicht tief genug gegraben haben. Dann fehlt dem rechten Fuß das Hufeisen, ein Umstand, der zu einem neuen Märlein Ver¬ anlassung gab. Das Denkmal war vollendet, und Herr Schlüter sprach zu einem seiner Gehilfen: „Das Kunstwerk ist ohne Tadel, und mein Ruhm wird die Welt erfüllen. Zeige mir einen Fehler, wenn Dn cs kannst, und ich mag nicht länger leben!" Der Gehilfe besieht das Kunstwerk und spricht spöttisch: „Aber Meister, andern aufgehobenen rechten Vorderfnß fehlt ja das Hufeisen. Hat je

weil

sie

ei» Kurfürst von Brandenburg ein Pferd ohne Hufeisen geritten?" Der Meister sieht de» Fehler und ruft verzweifelnd ans: „Ich bin ein Stümper, alle Welt wird mich verspotten!" Mit diesem — Ruf stürzte er sich über die Brücke in die Spree und ertrank.

Soweit die Sage!

Das fragliche Hufeisen fehlt allerdings, der geniale Schlüter aber starb, wie bekannt, erst im Jahre 1714 zu Petersburg, wohin ihn Peter der Große berufen hatte. So lebte der große Kurfürst in der Geschichte, so lebt er i» der Sage, Herzen.

so

lebt er in des Volkes Mund und in des Volkes

„Wenn der Leib in Staub zerfallen, Lebt der große Name noch."

vr. Max Bann,gart.

800

Novelle von Reinhold Grtmann. (Nachdruck verboten.)

ie? — Diese Worte galten also Ihnen? Wie aber sind sie dann zu verstehen? Was für ein Liebesbeweis war es, auf den sie sich beziehen?" „Sie wissen das nicht, Herr Graf? Hat Ihnen meine Schwester nicht gesagt, wie sie dazu kam, Mitglied des Zirkus

Bertinelli zu iverden?" „Nein, ich — ich hatte bisher keinen Anlaß,

Stande war, mich zu unterstützen, ging ich eines Tages ohne auf und davon. Ich hatte mich in eine schöne Kunstreiterin, das Mitglied einer durch die Vereinigten Staaten reisenden Zirkus-Gesellschaft, leidenschaftlich verliebt, und da ich seit meinen Knabenjahren ein ebenso geivandter Turner wie tollkühner Reiter geivcsen ivar, hatte ich, wenn auch natürlich in sehr untergeordneter Stellung, ebenfalls Engagement bei jener Truppe gesunden. Die Bezahlung aber, die ich für meine Leistungen empfing, wäre selbst bei bescheideneren Ansprüchen, als es die meinigen waren, zu Abschied

sie

darum

zu befragen."

„So

um mich zu retten. Sie weinte und bat, sie ivarnte und be¬ fahl, aber meiner unglückseligen Leichtfertigkeit gegenüber war all ihr Bemühen umsonst. Da mir ihre Thränen wie ihre Mahnungen endlich lästig wurden, und da sie nicht mehr im

Sie es sich von nur erzählen. Meinetwegen — es meinetwegen ganz allein. Sie wollte in ihrer treuen Schwesterliebe alles daransetzen, mich von dem Rande des Abgrundes zurückzureißen, dem sie mich entgegeneile» sah, und sie fand dazu kein anderes Mittel mehr als dieses." „Das verstehe ich nicht. Und da wir einnial davon sprechen, werden Sie sich schon etivas deutlicher erklären lassen

geschah

müssen."

iveiß nicht, ivo ich mit meiner Erzählung beginnen denn ich ivürde Ihnen ohne Zweifel vieles von dem wiederholen müssen, das Ihnen bereits bekannt ist."

„Ich

soll,

„Lassen Sie sich durch diese Besorgnis nicht beirren. Alles, was Sie mir aus Jhreni und Adas Leben berichten können, wird mich lebhaft interessieren."

gering geivesen, um meine Bedürfnisse zn befriedigen. Doch es gab da noch eine andere Erwerbsquelle, die mgn bei einiger Geschicklichkeit reichlicher fließen machen konnte, als jene. Mein Unstern hatte, mich mit jenem Menschen zusammen¬ geführt, dessen Name vorhin von Ihnen genannt wurde, mit dein Brasilianer Nomero de Rivcira, einem Jndustrieritter und notorischen Falschspieler. Meine Unerfahrenheit und meinen Leichtsinn benutzend, hatte er sich eng an mich ange¬ schlossen, um mich nach und nach zu einem gefügigen, willen¬ losen Werkzegg für seine verbrecheristhen Pläne zu machen. Wenn die "Opfer, auf deren Ausplünderung im Spiel er es abgesehen hatte, anfingen, ihm zu mißtrauen, innßte ich als Gewinnender an seine Stelle treten, und ob auch der Löivenanteil der Beute stets in seine Taschen floß, fiel doch immer¬ hin genug für mich ab, um mir ein Leben nach meinem Gefallen zu gestatten.

„Nun wohl. Ich war einundzwanzig Jahre alt und Ada war eben achtzehn geworden, als wir durch den plötz¬ lichen Tod unseres Vaters ganz oeriuaift dastanden. Wir hatten eine sogenannte glänzende Erziehung erhalten und waren in dem Glauben aufgewachsen, die Kinder eines sehrreichen Mannes zu sein. Um so/schmerzlicher war die Ent¬ täuschung, die ivir nun erlebten. Denn der Vater hatte nicht nur kein Vermögen hinterlassen, sondern er war auch aufs tiefste verschuldet gewesen. Von der Fortsetzung meiner eben Ada aber hatte sich mit der Thatsache meines Ver¬ begonnenen Laufbahn — ich war Student der Kameralschwindens nicht beruhigt: es war ihr gelungen, meinen Ver¬ Wissenschaften im vierten Semester, als mich die Todes¬ bleib zu ermitteln- und eines Tages — der Zirkus Bertinelli nachricht traf — konnte unter solchen Umständen natürlich hatte sich eben für mehrere Monate in Chicago etabliert — nicht die Rede sein. Wir hatten keine näheren Verwandten, trat sie zu niciner nicht geringen Bestürzung in mein Zimmer. und es gab auch sonst niemanden, der geneigt gewesen, wäre, Durch alle Mittel, die schwesterliche Liebe sie ersinnen ließ, Wir mußten also daran denken, versuchte sie mich zur Aufgabe meines verderblichen Lebens¬ sich unserer anzunehmen. unseren Unterhalt selbst zu gewinnen, und so schlecht wir auch wandels und zur Umkehr auf dem verhängnisvollen Wege für den Kampf ums Dasein gerüstet waren, zögerten wir doch zu bestimmen. Aber von Leidenschaft und Genußsucht ver¬ in unserer jugendlichen Unerfahrenheit nicht, ihn aufzunehmen. blendet, setzte ich ihren Bitten und Beschivörungen entschiedensten Ich fing an, Privatunterricht zu erteilen, pnd meine Schwester- Widerstand entgegen; und damals, als sie sah, daß es keinen süchte eine Stelle als Gouvernante oder Gesellschafterin. Das anderen Weg niehr gab, mich zu retten, entschloß sie sich zu Unglück wollte, daß ihr ein verhältnismäßig gut dotierter jenem hochsinnigen Opfer, auf das sich diese Worte hier Posten in St. Louis angetragen wurde, und da wir überein¬ beziehen, und das größer und selbstloser sicherlich nie von gekommen waren, uns niemals zu trennen, schiffte ich mich einer Schivester für ihren unwürdigen Bruder gebracht ivorden niit ihr zugleich nach Amerika ein. Von da an wurde ich ist. Ihre angenehme und geachtete Stellung aufgebend, be¬ zum Verhängnis für meine arme Schwester. Ich geriet in warb sie sich um ein Engagement als Schulrciterin in dem schlechte Gesellschaft und war zu schwach, dem verderblichen Zirkus, dem ich angehörte. Da sie von meinem sport¬ Einfluß zu widerstehen. Nachdem ich von dem ivinzigen liebenden Vater zu einer wirklichen Künstlerin auf diesem mütterlichen Erbe,, das mir als einzigen Besitz aus dem Gebiet ausgebildet ivorden war, erregte sie mit dem Probegroßen Schiffbruch hatten retten können, meinen Anteil wie reiten die enthusiastische Beivuuderung des Direktors Bertinelli iveniger ihrigen innerhalb Wochen den vergeudet hatte, glitt und wurde sogleich unter den glänzendsten Bedingungen ver¬ ich unaufhaltsam Schritt um Schritt weiter auf der schiefen pflichtet. Bei der Reinheit ihres Empfindens und bei ihrem Ebene abwärts. Ada that alles, ivas in ihren Kräften stand, tiefen Abscheu gegen alles Leichtfertige und Frivole würde es

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nicht geringere Ueberwindung gekostet haben, sich in den Michigan-See zu stürzen, als die Laufbahn einer Kunstreiterin einzuschlagen. Aber sic wußte freilich vom ersten Augenblick an durch die stolze Unnahbarkeit ihres Wesens alles von sich fern zu halten, was sie hätte entwürdigen oder beleidigen können, und ich bin sicher, daß selbst der roheste Bursche es niemals gewagt hat, ihr anders als der vor¬ nehmsten Dame zu begegnen. Ich aber, der ich allein die ganze Bedeutung ihres Opfers zu ermessen vermochte, fühlte mich in tiefster Seele beschämt, und unter dem ersten Ein¬ sie sicherlich

druck

Beschämung gelobte ich ihr feierlich, mich zu Ich schwor, fortan nicht nur das Spiel zu meiden, auch jeden Verkehr mit Riveira aufzugeben — ein

dieser

bessern.

sondern

Versprechen, daß sie mir um den größeren

so leichter gemäht hatte, als ich Teil ihrer Gage zur Bestreitung meines Lebens¬

unterhaltes empfangen sollte. Hohnlächelnd nahm der Brasilianer meine Absage entgegen, und seine einzige Er¬ widerung bestand in dem Ausdruck des Wunsches, eine so ausgezeichnete Dame, wie es meine Schwester sein müsse, ebenfalls kennen zu lernen. Ich konnte nicht umhin, ihn ihr vorzustellen, und mit all der weltmännischen Geschmeidigkeit, die ihm zu Gebote stand, bemühte er sich, den unwiderstehlich Liebenswürdigen zu spielen. Aber er vermochte den natür¬ lichen Scharfblick meiner Schwester nicht zu täuschen, und obwohl ich ihr natürlich nichts von dem gesagt hatte, ivas ich von ihm wußte, gab sie ihm ihre Abneigung und Ver¬ achtung doch so unzweideutig zu erkennen, daß er gewiß von diesem Augenblick an ihr erbittertster Feind gewesen ist.

Ich will Sie nicht damit eriüüde», Herr Graf, Ihnen ausführlich zu erzählen, durch welche raffinierten Kunstgriffe dem Nichkswürdigen gelingen konnte, mich innerhalb weniger Wochen meinem feierlichen Gelöbnis untreu zu machen und mich fester als je in seine Netze zu verstricken. Genug, daß cs geschah! Adas sclbstverleugnendes Liebesopfer war umsonst gebracht worden, und wenn es mir auch noch für eine kurze Zeit gelang, sie zu täuschen, so mußte doch not¬ wendig eines Tages die Entdeckung erfolgen, die mich für immer ihrer tiefsten Verachtung preisgab. Ein letzter Rest meines Schamgefühls lehnte sich gegen die Vorstellung auf, ihr als ein Meineidiger und Verworfener gegenüber zu stehen. Da nun auch überdies meine Angebetete eines Tages spurlos verschwunden war, stellte ich mit dem Aufgebot aller Energie, deren ich ihni gegenüber noch fähig ivar, meinem Verführer Riveira die Bedingung, Chicago mit mir zu verlassen und einen möglichst weit entfernten Schauplatz für unsere iveitcre gemeinsame Thätigkeit aufzusuchen. Er mochte wohl seine triftigen Gründe haben, mir zu Willen zu sein, und zum ziveitenmal entfloh ich vor meiner Schwester, mich diesmal gegen eine etwaige Verfolgung dadurch sichernd, daß ich ihr in einem ausführlichen Briefe das rückhaltlose Geständnis meiner Schuld hinterließ." es

Die lange Erzählung mußte ihn sehr angegriffen haben, denn ein Husten, der seinen hageren Körper auf beängstigende Weise schüttelte, nötigte ihn, inne zu halten. Mit fiebernder Ungeduld erwartete Erivin das Ende des Anfalls.

„Weiter! weiter!" drängte er, noch zu Atem gekommen war,

„Sie

müssen

ehe der andere

mir alles

ivieder

sagen, was

damals geschah."

Graf. mich

„Soweit es Ada betrifft, bin ich bereits zu Ende, Herr Ich habe sie seitdem nicht ivieder gesehen, und als etwa ein Jahr nach meiner Flucht mein Weg ivieder

nach Chicago führte, konnte ich nichts mehr über ihren Ver¬

ermitteln. Alles, was ich in Erfahrung brachte, war, ihr Engagement im Zirkus Bertinclli und wahrschcinlich auch die Stadt unmittelbar nach meiner Abreise verlassen bleib

daß sie

Und jetzt erst hörte ich, daß durch irgend einen unauf¬ Zufall mein Name auf die Liste jener Personen geraten war, die vor zehn Monaten bei einer großen Eisen¬ bahnkatastrophe im Süden ihr Leben eingebüßt hatten. Wenn meine Schwester jenen Bericht gelesen hatte, mußte sie mich für tot halten, und Ihre vorige Aeußerung bewies mir, daß es wirklich so ist." Erivin durchmaß mit stürmischen Schritten das Gemach. hatte.

geklärten

Reue, Scham und ein unbändiger Zorn über seine eigene Verblendung arbeiteten wild in feinem Herzen. Welches ab¬

Unrecht hatte er seinem edlen Weibe an jenem unglückseligen Abend zugefügt! Wie tief hatte sic sich durch scheuliche

Mangel an Vertrauen verletzt fühlen müssen, den er ihr damals gezeigt! Die Erzählung seines Schwagers, der sich selbst so ivcnig geschont hatte, trug in allen Stücken so ganz das Gepräge der Wahrhaftigkeit, daß es Wahnwitz gcivescn iväre, hier an ein raffiniert ersonnenes Märchen oder gar an ein abgekartetes Spiel zu glauben. Und mehr, um sich den

den Stachel der Beschämung noch tiefer in das eigene Fleisch

zu treiben, als weil es etwa gegolten hätte, einen letzten

Graf: „Ich erhielt jenes Bild dort von

Zivcifel

zu beseitigen, sagte der

einem Menschen, der

als sein rechtmäßiges Eigentum bezeichnete — wie können Sie mir das erklären?" „Einzig damit, daß Romero de Riveira niir das Porträt gestohlen haben muß, ivozu es ihm ja bei unserer gemein¬ samen Reise an bequemer Gelegenheit wahrlich nicht.gefehlt hat. Ich vermißte es wohl eines Tages, aber ich forschte nicht iveiter nach seinem Verbleib — ja, ich war vielleicht sogar froh, niit ihm eines unbequemen Mahners ledig ge¬ worden zu sein. Sicherlich ivar es doch kein anderer, als Riveira, von dem Sie es erhielten?" „Ja, er war es, und da Sic mir nun behilflich sein müssen, eine schwere Schuld zu sühnen, die ich gegen Ihre Schwester auf dem Gewissen habe, sollen Sie auch erfahren, unter welchen Umständen es geschah. Aber Sie sehen aus, als ob Sie einer Stärkung bedürftig wären. Wollen Sie, daß ich Ihnen ein Glas Wein bringen lasse?" Mit einer sehr entschiedenen Handbewegung wehrte Kurt von Rüdiger ab. „Nein, nein, ich trinke seit Monaten keinen Tropfen mehr. Ich habe es abgeschworen, und dies Gelöbnis wenigstens ivill ich halten. Sie haben es ja wahrscheinlich schon bemerkt, daß ich nicht mehr ganz gesund bin, aber ich befinde mich gerade in diesem Augenblick besser als seit langer Zeit, und ich brenne vor Verlangen, zu erfahren, was ich für Ada thun kann. Lassen Sie uns darum keine Zeit verlieren; ich es

glaube seine

—" und

ein schmerzliches Lächeln huschte dabei um — „daß ich ohnedies über keinen allzu

blassen Lippen

großen Vorrat von diesem Artikel mehr verfüge."

Mit raschen Worten erzählte ihm Erwin, was zwischen ihm und seinem Weibe geschehen ivar, und in schmerzlichster Beivegung hörte ihm der andere zu. „Auch das also habe ich verschuldet!" rief er. „Wie grausam ungerecht doch das Schicksal sein kann, an einer Unschuldigen heimzusuchen, ivas ein anderer gefehlt. Und Sie haben nichts gethan, Herr Graf, um den Aufenthalt

Ihrer Gattin zu ermitteln?" „Ein thörichter, unsinniger Stolz ivar

cs, der mich daivußte, daß sie vor Not und Ent¬ Ich behrungen geschützt sei, denn bei meinem Bankier ivar seit langem ein beträchtliches Kapital, über das sie völlig freie Verfügung hatte, auf ihren Namen deponiert. Eine weiter¬ gehende Pflicht aber glaubte ich gegen meine Gattin nicht mehr zu haben. Wenn eine Wiederannäherung überhaupt

vvil zurückhielt.

möglich war, so

mußte

sie

es sein, die nach meiner Ueber-

züjgung den ersten Schritt zu thun hatte. Ach, ich habe seit Monaten mir verzehrender Sehnsucht aus diesen Schritt, auf irgend ein kleines Lebenszeichen geivartet. Aber ich wartete umsonst, und gestern erst erhielt ich von dem Bankier auf meine Anfrage die Nachricht, daß die Gräfin bisher nicht einen Pfennig von ihrem Gelde erhoben habe." „Und wo ivcrden Sie Ada jetzt suchen, Herr Gras?" „Ich weiß nicht, wo ich sie suchen soll, aber ich weiß, daß ich sie finden, muß und daß ich sie finden werde, hätte ich auch die ganze beivohnte Erde nach ihr zu durch forschen. Es giebt jetzt für mich ja keine andere Pflicht mehr, als die, meine Schuld zu sühnen und ihre Verzeihung-"

Er hielt betroffen

ein, denn er sah, daß sein Schwager plötzlich mit den Händen in die Luft griff, um dann leise ächzend in den Stuhl zurückzusinken. Die geschlossenen Angen

und das leichenfahle Antlitz verrieten, daß ihn. daß Bewußt¬ verlassen habe, und jetzt erst wurde Erivin mit voller Klarheit inne, einen wie schiver Kranken er da vor sich habe, und mit wie übermenschlicher Selbstbeherrschung der Unglück¬ liche bis zu diesem Augenblick seine tödliche Schwäche bekämpft sein

haben mochte.

VI. Wochen waren vergangen, und noch immer hatten Erivins den Aufenthalt seiner Gattin ausfindig zu machen, nicht das geringste Ergebnis gehabt. Immer wieder, ivenn er nach unsäglichen Mühen die rechte Spur entdeckt zu haben Versuche,

glaubte, mußte er

sich

zu

seiner schmerzlichen Enttäuschung

abernials auf einer falschen Fährte ge¬ wesen ivar, und immer herzbeklemmeuder, immer beängstigender mußte sich ihm die Befürchtung aufdrängen, daß es vielleicht überhaupt schon zu spät war, daß Unrecht wieder gut zu niachen, das er Ada angethan. überzeugen,

daß

er

von Ort zu Ort reiste, getrieben von einer leidenschaftlichen Sehnsucht, die in demselben Maße zu wachsen schien, wie sich die Aussichten aus ihre Befriedigung verringerten, lag im Herrcnhausc zu Fiddichow Kurt von Rüdiger auf dem Krankenbette, das er nach der Erklärung Während er

so

nicht mehr verlassen sollte. Erwin hatte für den Bruder seiner Gattin alles gethan, was menschliches Vermögen für ihn noch thun konnte. Er hatte sich nicht da¬ mit begnügt, den Arzt aus der nahen Kreisstadt rufen zu lassen, sondern er hatte auch eine der bedeutendsten medizinischen Autoritäten ans der Hauptstadt zu Rate gezogen, und für der Aerzte

lebend

und Wartung des Patienten waren sogleich auf seinen Befehl die weitgehendsten Vorkehrungen getroffen worden. Aber hier kamen alle menschenfreundlichen Beniühungen zu spät. Ein beständig zwischen den wildesten Ausschweifungen und den schrecklichsten Entbehrungen wechselndes Leben hatte die Pflege

die Gesundheit des Unglücklichen erschüttert, und die furcht¬ baren Strapazen der winterlichen Fußivandcrung hatten den letzten Rest seiner

Kräfte verzehrt.

Erivin war von

den Aerzten nicht darüber im

Zweifel

Frühling nicht mehr erleben werde, und er hatte bei seiner Abreise Befehl gegeben ihn sofort telegraphisch zurückzurufen, wenn der nahe Eintritt einer Katastrophe zu erwarten stehe. Früher noch, als er es gefürchtet, ivap er jetzt von dieser Nachricht ereilt worden, und er hatte nicht einen Augenblick gezögert, sich auf den gelassen worden, daß sein Schwager den

Heimweg nach Fiddichow zu machen.

Auf den ersten Blick erkannte er beim Betreten des Krankenzimmers, daß es in der That ein Sterbender war, den er da vor sich hatte. Fiebcrgläuzend starrten ihm die lief eingesunkenen Augen aus dem hohlen Antlitz entgegen

und brennend heiß lag die abgezehrte Hand des Patienten in der seinen.

„Wie danke ich Ihnen, daß Sie gekommen sind," flüsterte Kurt von Rüdiger mit heiserer Stimme, „und Ada? Haben Sic sie endlich gefunden?" Erivin konnte ihn nicht belügen, und mit einem traurigen Kopffchütteln mußte er verneinen.

„Aber ich muß sie noch einmal sehen," jamnierte der Kranke. „Ich kann nicht sterben, ohne von ihr gehört zu haben, daß sie mir vergeben. Ach, wenn ich noch Kraft genug besäße, sie zu suchen, ich hätte sie sicherlich gefunden!"

Erwin mußte ihm ausführlich berichten, doch noch ehe er mit seiner Erzählung zu Ende gekommen ivar, flog es plötzlich wie ein Schimmer der Hoffnung über Kurts Gesicht. „Mein Gott,

daß ich nicht früher aus diesen Gedanken konnte!" fiel er dem Grafen in die Rede. „Sie müssen sich sofort wieder auf die Reise machen, und diesmal, glaube ich, wird es nicht vergeblich sein. Fahren Sie nach Lindcnweiler im badischen Schivarzwalde! Die Frau des dortigen Försters ist eine Person, die von Adas frühester Kindheit bis zum Tode unseres Vaters im Dienste unseres Hauses gestanden, und wenn meine Schwester eine Zuflucht gesucht hat, wo sie von aller Welt abgeschieden und nicht leicht der Gefahr einer Entdeckung ausgesetzt ivar, so ivar es sicherlich bei dieser alten treuen Freundin ihrer Jugend."

kommen

So gewiß schien er seiner Sache zu sein, und so dringend bestand er auf der sofortigen Abreise seines Schwagers, daß Erwin trotz aller bisherigen Mißerfolge ein ivenig von seiner Zuversicht angesteckt wurde, und daß er in der That Fiddichow schon nach kurzem Aufenthalt ivieder verließ, diesmal aller¬ dings in der sicheren Voraussicht, daß er den anderen lebend nicht ivieder finden würde.

Vierundzwanzig Stunden später langte er in dem kleinen freundlichen Gebirgsdörfchen an, das friedlich und weltfern inmitten seiner verschneiten Tannenwälder lag.

Ein Knabe wies ihm den Weg zur Försterei am äußersten Ende des langgestreckten Weilers, und mit klopfendem Herzen erstieg Erwin die wenigen ausgetretenen Stufen, die zuni Hausthor emporführten. Eine große, dunkle, menschenleere Diele war es, die er betrat. Aber das Geräusch der ge¬ öffneten und wieder geschlossenen Thür mußte doch einen der Hausbewohner herbeigerufen haben; denn nach kurzem Warten vernahm er eine klangvolle weibliche Stimme, die nach seinem Begehr fragte. Nicht für alle Schätze der Welt wäre Erwin imstaudc gewesen, ihr sogleich zu antworten; denn ihm war, als säße eine fremde Faust an seiner Kehle, und sekundenlang hörte er nichts, als das ungestüme Rauschen des eigenen Blutes. Die Stimme, die er da vernommen, würde er ja unter tausenden erkannt haben, diese süße, weiche, seelenvolle

Stinime, die nur ein einziges Wesen auf Erden besaß. Und wenn die Furcht vor einer abermaligen Enttäuschung dennoch einen Zweifel in seiner Seele wachgehalten hätte, so würde der Anblick der schlanken Gestalt, die jetzt aus dem oberen Treppenabsatz erschien, ihn sogleich in beseligende Gewißheit

verioaudelt haben.

war Ada, die ihn da empfing — Ada, sein ge¬ liebtes, angebetetes, verlorenes Weib, und innerhalb der nächsten Minuten mußte sich die Entscheidung über das Glück

Ja,

es

oder Unglück seines ganzen künftigen Lebens vollziehen.

Erstaunt über das beharrliche Schweigen des Ankömmlings, dessen Gesicht und Gestalt sie im Halbdunkel nur undeutlich wahrzunehmeu vermochte, war die junge Frau vollends die Treppe heruntergekommen, und nun machte auch Erwin einen Schritt auf sie zu. Mit einem leichten Aufschrei fuhr sie

zurück, während zugleich eine fsnnuneube

Nöte über ihre zarten

Wangen flog.

Ah, das — das hättest Du nicht thun sollen!" war alles, was sie in ihrer ersten grenzenlosen Bestürzung hervorzubringen vermochte. Aber cs klang nicht hart und abivcisend, sondern unsicher und beklommen, ivic meint sich noch eine andere Empfindung, vielleicht eine Empfindung der Freude, in ihren Schrecken gemischt hätte.

„Erwin — Du?

„Ja, Ada, ich bin es", erwiderte er, und sie muhte alles, was ihm in diesem Augenblick durch die Seele ging, aus dem Zittern seiner Stimme erraten. „Ich komme, Deine Verzeihung zn erflehen für all das Unrecht, das ich Dir angethan, und

bitten-"

Dich zu

„Es

ist

wohl hier nicht der

rechte

Ort, von

solchen

Dingen zu sprechen", fiel sie ihm hastig in die Rede, und indem sic eine der auf die Diele ausmündenden Thüren öffnete, machte sie ihm ein Zeichen, einzutreten.

Erwin fühlte sich tief ergriffen beim Anblick der überaus einfachen, ja dürftigen Umgebung, in der sein Weib hier seit Monaten gelebt hatte, und niemals war ihm sein Verschulden größer, unverzeihlicher erschienen, als in diesem Moment. Denn jetzt erst, da das kalte Licht des Wintertagcs, soweit es durch die kleinen Fenster Einlaß fand, voll auf sie fiel, sah er, wie schwer auch sie in dieser Zeit gelitten haben mußte. Ihr schönes Antlitz war schmaler geworden, und ihre Augen hatten nicht mehr den heiteren Glanz der Gesundheit, der ihn Er wollte ihre Hand ergreifen, wollte so oft entzückt hatte. mit beweglichen, innigen Worten seine Bitte um Verzeihung wiederholen, aber sie wich so ivcit vor ihm zurück, daß der plumpe Tisch wie eine Schutzwehr zwischen ihnen blieb, und ohne Unfreundlichkeit zwar, doch mit einer ruhigen Festigkeit, die ihn ganz entmutigen mußte, kam sie seiner Anrede zuvor.

„Du

hättest nieine Bitte

und nicht nach mir forschen sollen, Erwin, denn Du würdest damit Dir selbst und mir die Pein dieser Stunde erspart haben. Aber ich will Dir keine Vorivürfe machen und will Dir vielmehr für Deine freundliche Absicht aufrichtig danken, und wenn Dir wirklich an nicincr Verzeihung gelegen ist, so bedurfte es nicht erst einer Bitte, um sie zu erlangen. Wenn ich Dir jemals ge¬ berücksichtigen

grollt habe,

ist das doch längst vorüber. von ganzem Herzen vergebe."

Sei versichert, daß

ich

Dir

cS

„Das ist ein großmütiges Wort, Ada, aber nicht bei den bloßen Worten bewenden lassen.

Du darfst Du mußt und Du nutßt indem Dtt mit

nicht nur vergeben, sondern auch vergessen, mir beweisen, daß Du den Willen dazu hast, mir zurückkehrst und alles zwischen uns sein läßt, wie

es

vor

jenem unglückseligen Tage gewesen."

Ein schwerer Atemzug hob Adas Brust, und alle Farbe wich aus ihrem Gesicht, aber ihre Züge blieben unbeiveglich,

ivährend

sie

antwortete:

„Warum quälst Du Dich und mich, indem Du das Un¬ mögliche verlangst? Was hülfe es, wenn ich vergessen könnte, da Du cs doch sicherlich nicht vermöchtest? Bei der ersten Gelegenheit würde das notdürftig eingeschläferte Mißtrauen doch wieder erwachen, und auch Dein redlichster Wille könnte den Schatten des Argwohns nicht bannen, der uns für alle Znknnft hindern muß, glücklich zu sein."

Er fühlte, daß es all seiner Uebcrrednngskunst nicht ge¬ lingen würde, ihren Sinn zu ändern, und so mußte er sich wohl entschließen, seine Zuflucht zu jenem letzten Mittel zu nehmen, das, wie er wohl wußte, seine eigene Sache bei ihr nicht eben verbessern konnte.

„Wohl, Ada, ich sehe, daß Dein Herz nicht mehr meinen Fürsprecher macht, aber was Du mir nicht gewähren kannst, einem Sterbenden, der es als den letzten Liebesbeweis von Dir erwartet, wirst Du cs nicht verweigern. Dein Bruder Kurt liegt todkrank in Fiddichow, und er würde als ein Ver¬ zweifelnder aus dem Leben scheiden, wenn es ohne Deine Ver¬ zeihung geschehen müßte. Um seinetwillen bitte ich Dich noch einmal, mich zu begleiten, und ich verspreche Dir ans meine Ehre, daß ich nichts unternehmen ivcrde, Dich zurückzuhalten, ivenn Du nachher darauf bcharrst, mein Haus wieder zu verlassen."

Natürlich mußte er ihr nun auf ihre erregten Fragen alles mitteilen, was er von ihrem unglücklichen Bruder zu niklden mußte, und als er mit seinem Bericht zu Ende war, sagte sie, ohne ihn anzusehen:

„Wenn Du mich im Wirtshaus des Dorfes erwarten willst, Erwin — in einer halben Stunde werde ich zur Abreise fertig sein."

Während der ganzen laugen Fahrt hatten sie nichts als das unumgänglich Notwendige mit einander gesprochen. Ada schien nur von dem Gedanken au Kurt und von der bangen Sorge beherrscht, daß sie zu spät kommen könnte, und Erwin war zu zartfühlend, sie in diesem Gemütszustände mit dem zu bedrängen, was ihm selbst ungleich mehr am Herzen lag, als das Schicksals seines Schwagers.

Es war spät abends, als sic auf Fiddichow anlangten. Sie sahen den wohlbekannten Wagen des Kreisphysikus vor dem Herrcnhause halten, und schon im Vorzimmer trafen sie mit dem alten Herrn, der von ihrer Ankunft benachrichtigt worden war, zusammen. Ada eilte in höchster Erregung auf ihn zu.

„Wie geht

es meinem

ich komme noch nicht zu

Brnder, Herr Doktor? Nicht wahr,

spät?"

„Nein, Frau Gräfin," erwiderte der Arzt mit tiefernster Miene, „aber Sie hätten freilich nicht eine Stunde später kommen dürfen."

Die junge Frau brach in Thränen aus, aber sie faßte und unter des Doktors Führung traten sie wenige Minuten später in das matterleuchtetc Krankenzimmer. Von Kissen unterstützt, saß Kurt von Rüdiger mühsam atmend aufrecht im Bette. Auch er mußte von Adas bevorstehendem Ein¬ treffen bereits unterrichtet worden sein, denn mit einem Aus¬ druck freudiger Spannung, der auf diesem verfallenen hppokratischen Gesicht etwas wahrhaft Erschütterndes hatte, blickte er den Eintretenden entgegen. sich schnell,

Ada eilte auf ihn zu und legte ihren weichen Arm um seinen Nacken.

„Mein lieber Kurt!" war das

einzige, was sie hervor¬

zubringen vermochte, denn von all den tröstlichen und er¬ mutigenden Worten, die sic ihm zu sagen beabsichtigt hatte, wollte nun keines über ihre Lippen. Aber für den Sterbenden war es auch an diesen dreien genug. Wie ein Schimmer der Verklärung breitete es sich über seine Züge, und während seine rechte Hand Adas schlanke Finger umfaßte, fuhr die linke tastend umher, als ob sie noch etwas suche. Erwin, der an der Seite der Gräfin stand, glaubte seinen Wunsch zu verstehen, und er hatte ihni in der That die rechte Deutung gegeben. Sobald er dem Kranken seine Rechte überlassen hatte, fügte Kurt mit der letzten Kraft die Hände der beiden Gatten zusammen, und seine Lippen bewegten sich ivic zu einer Bitte oder zu einem Segenswunsch, den freilich keiner

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bei Anwesenden mehr verstand, und dessen letzte Worte der Todesengel dem endlich Erlösten sauft vom Munde küßte. Der Doktor trat näher, uni dem Dahingeschiedenen die Augen zuzudrücken. Ada's thränenüberströmtes Gcsichtchen aber sank an die Brust des Gatten, der seinen zärtlich stützen¬ den Arm um die Wankende geschlungen hatte. Und wenn

auch

kein

Wort von Liebe und Versöhnung

zwischen ihnen

im innersten Herzen als eine unumstößliche Geivißheit, daß dieser feierliche Augenblick alles getilgt und ausgelöscht hatte, was feindselig trennend zwischen ihnen gestanden, und daß sie fortan nichts mehr würde scheiden können als der unerbittliche Tod. gewechselt

ivurdc,

so

fühlten

sie

es doch beide

Ende.

Hei- ßpbbof. Line Berliner Geschichte von anz unten in Moabit, beinahe schon auf Charlottenburger Territorium, liegt in einer Nebengasse der Straße „AltMoabit" ein nach ländlicher Art bebautes Grundstück. Die Thatsache ist nicht weiter auffallend, denn »eben großen Mietskasernen fristen hier viele stille, kleine Häuschen ans der dörflichen Zeit der Gegend

ihr bescheidenes Dasein. Ein kleiner Unterschied ist jedoch auch vor¬ handen, denn während diese kleinen Häuschen Soniinervillen der alten Berliner Bürgcrfamilien sind, ist das ersterwähnte Grundstück ei» Bauernhof ans einer Zeit, wo Berlin ans deni einen Ende an der Knrfürstenbrücke und am anderen hinter dem Alexanderplatz aufhörte. Dieser Bauernhof gehörte einer Familie Jlgner, Hülgner und Jllgener geschrieben; sie saß nicht seit Menschengedenken ans dem Grundstück, sondern der Großvater des fetzigen Besitzers hatte den Hof, mit dem dazugehörigen Land, im Jahre 1811 von einer Frau von Sahnw, deren Mann als Offizier in preußischen Bar Diensten in der Schlacht bei- Eylan gefallen war, gekauft. Geld war damals rar im preußischen Staat, und der alte Jlgner erstand das Grundstück für einen Spottpreis; dennoch gelang es ihm nicht, vorwärts zu kommen, und trotzdem er das Anwesen bar bezahlt hatte, hinterließ er es seinem Sohne schon mit einer kleinen, Schuld belastet.

War der Vater ein fleißiger Mann gewesen, der Sohn war eS nicht minder. Von früh bis spät an der Arbeit, that er sein Mög¬ lichstes, um das scinige zu erhalten und zu mehren. Aber, obwohl er bessere Zeiten als der Vater durchmachte, trotzdem er ein paar tausend Thaler erheiratete, es glückte ihm auch nicht, vorwärts zu kommen, und als er starb und seinem Kindern, einen Sohn und einer Tochter, den Hof hinterließ, war die Hypothekenlast ans das doppelte der Summe angewachsen, wie er sie von seinem Vater überkommen. Allerdings hatte dies insofern wenig auf sich, als der Wert des Grund und Bodens erheblich gestiegen war. Berlin hatte sich von der kleinen Residenz preußischer Könige zur Hauptstadt des norddeutschen Bundes erhoben, und aus den kaum 200 000 Einwohnern zu Ansang des Jahrhunderts war eine stolze halbe Million geworden. Der alte Jlgner sah weiter als die meisten Leute der da¬ maligen Zeit, welche glaubten, mit den politischen Erfolgen wäre alles erreicht, was zu erreichen sei. „Das ist nur der Anfang," pflegte er zu sagen, „das kommt noch viel besser," und zu seinen Kinder» gewendet, fuhr er dann gewöhnlich fort: „Ihr verkauft mir nicht eher, bis nicht der Karnickelberg zu Banstellen parzelliert ivird, denn Berlin wird noch so groß, daß es weit über Moabit hinausrcicht." Das Wort des Vaters war den Kindern heilig; trotz der sehr günstigen Kaufgebote, welche sie unermüdlich von allen möglichen und unmöglichen, Käufern erhielten, blieben sie fest und trennten sich von keinem Fußbreit Landes des väterlichen Bodens. TaS war für die Geschwister viel schwerer, als man hätte glauben sollen, dnen als der Vater stgrb, waren beide noch nicht alt genug, das Erbe selbst bewirtschaften zu können. Außerdem zeigte der junge Eigentümer, Eduard Jlgner, weder Lust noch Ver¬ ständnis, ein ländliches Anwesen in der Nähe einer großen Stadt

Karl j)auli.

und zu führen. Die Schwester, noch um einige Jahre jünger als der Bruder, wellte erst gar nichts von der Bewirt¬ schaftung des Ererbten wissen. Beide Erben, die Mutter war schon lange tot, hatten ein wenig den Hochmutsteufel im Kopfe, sie hielten sich für zu gut zur Arbeit, weil sie reiche Leute waren oder wenigstens nach ihrer Meinung, und auch aller Wahrscheinlichkeit nach, einst werde» mußten. Das Anwesen wurde also verpachtet, und die Geschwister zogen nach Berlin, wo beide ihrem Vergnügen zu leiten

lebten.

Hatten die beiden Jlgner auf dem Grundstück kein Glück gehabt, so hatte der Pächter erst gar kcinS, trotzdem Berlin nist jedem Tage größer wurde, trotzdem die Preise der Gartenknltur sehr hoch im Preise standen, in jener Zeit, wo die Konkurrenz der Rieselfelder noch nicht mitsprach, trotz alledem konnte der Pächter auf keinen grünen Zweig kommen. Allerdings war der Boden und durch die unmittelbare Nähe der Spree sumpfig und aber ein verständiger Wirtschafter hätte wohl durch Drainierung und Aufschüttungen Besserung schassen können; allein der Pächter war kein verständiger Wirtschafter, und da er nach einigen Jahren einsah, daß er nur rückwärts und nicht vorwärts schlecht

sauer,

Pachtverhältnis zu lösen, und als ihin dieses nicht gelang, ließ er alles gehen, wie es ging und kümmerte sich um nichts mehr, bis er endlich balikerott machte. Ehe die Erben einen zweiten Pächter fanden, mußte an Ge¬ bäuden und Liegenschaften erst gut gemacht werden, was der erste verbrochen. Das kostete natürlich ein paar tausend Mark, die auf¬ genommen und auf das Grundstück eingetragen werden mußten, käme, suchte er das

nichts, der Wert war mittlerweile so gestiegen, daß es eine zehnfache Belastung in doppelter Höhe ertragen hätte. aber das

schadete

Die beiden Geschwister lebten sorglos in

den

Tag hicnein,

sie

ließen sich aber auch nichts abgehen; dennoch muß man, um gerecht zu sein, cingestehen, daß sie es immer noch bescheiden betrieben. Aber bei aller Bescheidenheit hatten doch verschwendeten

eben

nichts,

Sie hielten sich für unermeßlich reich und glaubten, daß sich dieser Reichtum verdoppeln müsse, und sie be¬ trugen sich danach. Das Mädchen, Helene mit Namen, eine große, derbknochige Blondine, war längst in das heiratsfähige Alter aufgerückt; trotzdem die Schönheit sie nicht drückte, fehlte es ihr nicht an Bewerbern, die freilich das Geld mehr als die Eigentümerin anzog; aber verächtlich wies sie jeden ab, ein Graf, meinte sie sei der Geringste, dem sie ihre Hand reichen würde. Der Bruder gab ihr darin nur zu sehr recht. Für seine eigene Person freilich dachte er anders. Am liebsten, meinte er, gar nicht heiraten, wenn cs aber sein mußte, nur mit viel, viel Geld. Aber Mädchen mit viel, viel Geld sind leider sehr, sehr selten, und die wenigen vorhandenen sind so wählerisch, daß ihnen erst der Zehnte recht ist. So kam es, daß beide Geschwister unverheiratet blieben. Die Zeit ging immer weiter, der Wert des Grundstücks wuchs mit jedem Jahre, immer näher rückte die Stadt, das Krimminalgericht war gebaut worden, und um dasselbe herum war ei» ganz neuer Stadtteil entstanden, glänzende Angebote wurden den Geschwistern gemacht, aber sie verkauften nicht. Mochte ein Pächter nach dem andern bankrott werden, mochte das Grundstück so wenig bringen, daß kaum die beide den Größenwahn.

S05

Grundsteuer vo» dem Erträgnis gedeckt iverdcii konnte, sie blieben bei ihrem, ihnen vom Vater eingeprägte» Grundsatz: — „wen» der Kaninchenbcrg parzelliert wird." Brauchten sie Geld zum Leben oder sonst zu einem anderen Zwecke, so lieh ihnen jeder gern aus das Grundstück, daß mit jedem Jahr an Wert gewann. Da trat gegen Ende der siebziger Jahre ein Ereignis ein, welches doch bald zum Verkauf des Erbhofs geführt hätte. Helene hatte sich verlobt. Es war allerdings kein Mann vom Monde,

Prinz, sondern ein stellnngsloser Kaufmann, aber Helene schwainin in Seligkeit. Mit dem herannahenden Alter war sic nämlich immer weniger wählerisch geworden, die ältliche Jungfrau hätte einer Eroberung keine Hindernisse mehr entgegengesetzt, aber die Eroberer blieben ans, trotz des Geldes — es wollte sie keiner, auch kein

ihr Wesen war so unausstehlich, von so gemachter Naivetät und Kindlichkeit, die die Vierzigjährige nur älter statt jünger machten, daß jeder etwa vermittelst des Heiratsbureaus aufgefundene Freier schleunigst Reißaus nahm. Aber einer wagte es, und die Hochzeit wäre sicher vor sich gegangen, hätte man nicht in vorletzter Stunde die Entdeckung gemacht, daß der Bräutigam ein mehrfach bestrafter Betrüger war. Nun wurde die Verlobung eiligst aufgehoben und Helene ging von neuem nach einem Manne auf die Jagd, aber vergebens, sie mochte sich noch so jugendlich kleiden, noch so nied-' liche Hütchen mit Maiglöckchen und Vcrgißniei»nichtkränzen auf¬ setzen, die Schuhe noch so kokett niit schwarzen Kreuzbändern über den weißen Strümpfen binden, es biß keiner mehr an. Dies nagte ihrem stark weiblichen Herzen, daß sic in stille Melancholie verfiel und endlich das wurde, was die Schlesier „närsch", die Kölner „jeck" nennen. Sie kam in eine Anstalt und verstarb daselbst bald eines seligen Todes, indem sie sich einbildete, im Himmel von 200 271 Bräutigams erwartet zu werden. Mit dieser Anzahl hoffte sie selbst für die Ewigkeit ans¬ denn

so

an

gesorgt zu haben.

Der Erbhof hatte mir einen einzigen Herrn! Aber wie sah das Anwesen aus. Die Gebäude verwahrlost und verfalle», fast ohne Fenster, ans den Dächern fehlten an vielen Stellen die Ziegeln, eine Ruine der ganze Hof. Aehnlich war es mit den dazugehörigen Feldern bestellt, sie lagen voller Steine, tiefe Löcher und wüstes Unkraut überall. Die an der Spree ge¬ Wiesen waren völlig versumpft. Ein Jnstandsetzen der Wirtschaft würde Tausende gekostet haben, und deshalb ließ der Besitzer völlig verfallen, stieg doch trotz alledem der Wert des Grundstücks mit jedem Jahre. Mit der Zeit fiel es dem Erben jedoch immer schwerer, seinen legenen

behaupten, die Stenern und Hypothekenzinsen mußten werden, und da der Hos gar nichts, oder so gut wie gar bezahlt nichts einbrachte, mußte er zur Bezahlung dieser Summen stets neue Gelder aufnehmen, auch sein Leben, das er jetzt so billig wie möglich einrichtete, mußte aus diesen Darlehnen bestritten werden. Um eine Wohnung in der Stadt zu sparen, ließ er das Wohnhaus Besitz

zu

notdürftig herrichten und wohnte mntterseelen allein in der

ver¬

fallenen Umgebung. dem

Er war mittlerweile ein bejahrter Mann geworden, und aus lebensfrohen Jüngling, dem vergnügungssüchtigen Manne

Er mar ein griesgrämiger Sonderling entwickelt. schweigsam zur Furchtsamkeit, ängstlich bis bis zum Geiz, sparsam Seine stete Sorge war, von seinem Erbhof und menschenscheu. hatte

sich

vertriebe» zu werden, stets fürchtete er, einer der Hypothekenglänbiger werde sein Geld kündigen, er werde nicht imstande sein, anderes aufzutreiben und der Erbhof würde unter den Hammer kommen, eine ganz unnütze Sorge,' denn die auf dem Grundstück lastende Schuld betrug kaum 40 000 Mark, etwa ein achtel des Wertes, den der Grund und Boden wert sein mochte. Wäre nicht das stete Steigen des Grnndstückwertes dazu gekommen, hätte man

allerdings arithmetisch ausrechnen können, in welcher Zeit die stets vom Kapital gezahlten Zinsen dieses aufgezehrt haben würden; so aber stieg der Boden wert fortwährend, und dieser Umstand war es hauptsächlich, welcher den alten Sonderling veranlaßte, so zäh an seinem Besitztum festzuhalten. Wie die Schönebcrger Bauern hoffte er einst Unsummen ans dem Verkauf herauszuschlagen und hungerte und darbte, um sein Eigentum so wenig wie möglich zu belasten, damit er imstande sei, sich bis zu dem gekommenen Zeitpunkt halten zu können, „wenn der Kaninchenberg zu Baustellen parzelliert wird", hatte sein Vater gesagt; bis dahin wollte er sich halten, dann aber

hoffte er so viel herauszuschlagen, um ein herrliches Leben führen können. Was mochte sich wohl der alte, schlecht genährte, schäbig gekleidete Mann, dem die Kinder auf der Straße nachliefen, unter „herrlichem Leben" vorstellen? Er wußte es wohl selber nicht, aber er wartete und hungerte in der Hoffnung ans die guten Zeiten eigensinnig weiter. Aber mit der Zeit ward er doch müde

zu

und matt, er sehnte sich, aus diesem Leben herauszukommen, er war immerhin ein wohlhabender Mann, wenn er verkaufte. Er war noch nicht so alt, daß ihm das Leben nichts mehr bieten konnte — wenn nur — er hatte es sich einmal in den Kopf gesetzt, der Kaninchenbcrg' erst bebaut würde. Täglich ging er hin, um nach¬ zusehen und eines Tages sah er wirklich Arbeiter mit den Vor¬ arbeiten zum Niederlegen der dort stehenden Häuser beschäftigt.

Mit

zitternder Stimme erkundigte er sich nach der Ursache der Erscheinung. „Der Kaninchenberg wird zu Banstellen parzelliert!" antwortete ihm einer der Arbeiter, ihn zugleich, da er im Wege stand,, bei

Seite schiebend.

Zitternd vor Aufregung ging er

nach Hanse und schrieb an

den Agenten, der seine Geldangelegenheiten besorgte:

„er

sei

bereit,

sein Eigentum zu verkaufen."

Roch vier Wochen gingen ins Land, bis nach vielem Hinuiid Herhandeln der Abschluß mit einer der große» Bäubanken er¬ folgte, die für eine Summe von 380 000 Mark das Grundstück

kaufte.

Am Donnersstag sollte die Auflassung erfolgen, aber am Mitt¬ den Privatmann Eduard Jlgner, Eigentümer des Erbhofs, tot in seinem Bette. Als Todesursache hatte der Arzt ungenügende Ernährung angegeben. Der Herr des Erbhofes war also mit anderen Worten ver¬ hungert. Da Erben nicht vorhanden waren, fiel das Grundstück dem Fiskus zu. woch fand man

Nus einem Briefe des Dresdner Historien¬ malers Rolle aus dem Ende der vierziger Jahre. «Molle, ein in Dresden durch Arbeiten in Sälen des Könglichen Schlosses, des Hostheaters, des Museums am Zwinger u. a. sehr bekannter, der Münchner Schule angehörender Künstler, hatte es übernommen, auf dem Gute Wagenitz im Westhavellnnd, dem

Baron von Bredow gehörig, ein Porträt von anderes daselbst auf. Pastors, der konnte, als er seiner eigenen Unterbrechung

und

dessen

Gemahlin

zu dem Zweck einige Zeit Sentzke machte er die Bekanntschaft des dortige» sich der Pflege seines Gärtchens umsomehr widme» nur äußerst wenig amtliche Geschäfte hatte, die nach Aussage ihm nur eine angenehme Abwechslung und des ewigen Einerlei gewährten! zu

In

malen und hielt

sich

Ob mit Recht oder Unrecht war der vielseitig gebildete Pfarrer in den Ruf eines Demokraten gekommen und stand deshalb ziemlich isoliert da: jedoch konnte das Rolle nicht weiter berühren, und er nahm eine Einladung des Pfarrers zu Thee und Abend¬ brot an, „Bon Politik wird hier, schreibt Rolle, im ganzen fast nie gesprochen, und geschieht dies, wenn es einmal aufs Tapet kommt, nur beiläufig: so auch war es beim Pastor, Nur ein eiuzigesmal ward ich in ein lebhafteres Gespräch über dies Thema verwickelt, und zwar einem Krenzzeituugsritter gegenüber, der aber keinen der andern zu sich zu ziehen im stände war, versteht sich von selbst. Soviel ist mir aber aus diesen. Wenigen klar ge¬ worden, daß i» Preußen noch eine bei weitem verbreitetere Un¬ zufriedenheit sich findet als bei uns in Sachsen, und daß der König von keiner Partei mit Vertrauen beteilt ist, indem er beiden als zu schwach und charakterlos erscheint," Da Rolle am Ende des August vorläufig mit seiner Arbeit fertig war, die Baronin von Bredow aber wünschte, er solle die in wenigen Tagen zu erwartende Rückkehr ihres Gatten abwarten, so benutzte er die Gelegenheit z» einem Abstecher nach Berlin und Potsdam, über den er sich in seinem Brief wie folgt äußert,

„An beiden Orten, schreibt er am 2 . September, werde ich nicht viel Zeit übrig haben, da es ja des Schönen zu viel zu sehen giebt, zu dem hier noch zu meiner Freude die Kunstausstellung sich fügt. Um nun gleich von vorn herein mit der Zeit gute Wirtschaft zn treiben, ging ich heut in das Friedrich Wilhelmstädtische Theater, wo eine allerliebste Operette Mozarts und eine gleichfalls komische Oper, „Der Dorfbarbier", gegeben wurde, wo aber letztere wegen ihrer kolossalen Dummheit der Intrigue, die auch von der Musik nicht gehoben wurde, auf die vorhergehende gar nicht munden wollte. Rur einige Witze waren überaus überraschend, vor allem der des Rätsels: Was des Bauern Magd Anna, die ins Wasser naß! Was das Haus gefallen war, sodann betrifft, so ist cS ei» ganz neues, gefällig erbautes: auch das Innere des Zuschanepranms ist in zwei Rängen sehr ziveckmäßig eingerichtet, die Dekoration desselben, obgleich prächtig, doch un¬ schön, namentlich ist die Decke in tö plumpen, schwerfälligen Details gehalten, daß der Raum viel kleiner erscheint, als er ist, und ivenigstens auf mich den Eindruck solcher Schwere macht, als müßte sie jeden Augenblick auf die Zuschauer herabplumpsen; sie enthält drei große Oelbildcr, die aber ziemlich hart und verzeichnet er¬ scheinen; das Bild, was im Bogen des Proszeniums ist, ist nach einer sehr guten Komposition, die der crstgenanten abgeht, im übrigen aber auch wie sie ausgeführt.

sei?-Anna:

4. September. Gestern habe ich, wie das fehlende Datum zeigt, nichts geschrieben, und dies aus dem Grunde, weil ich zu voll der Eindrücke war, die mir das innere Studium Berlins, NB in Bezug seiner Knnstleistnngen, gab. Ich sah zum erstenmal das Innere des neuen Museums. Was man da sieht, kann einen unendlich erheben, es kann aber auch unendlich tief niederschmettern!*) Roch wogen die Gefühle in diesen verschiedenen Extremen in mir, noch bjn ich nicht imstande, klar und ruhig sie zu klassifizieren, wenngleich mir das Material sonnenklar vorliegt. Heut war ich bei Geheimrat von Olsers, um durch dessen Vermittlung Zutritt in mehrere andere Knnsttempel zu finden; er empfing mich sehr freundlich und gab mir auch die nötigen Notizen, mittelst deren es mir möglich war, die Kapelle des königlichen Schlosses zu sehen; sie bildet unter Cornelius Leitung ein würdiges Seitenstück zu dem neue» Museum, darum ist sie auch jetzt noch nicht spruchreif.**) Gestern war ich in dem so vielberühmten Opernhaus!***) Ich kann wohl bekennen, daß es das reichst dekorierte, keineswegs aber das schönste ist; es ist nach meinem Gefühle plump und schwer*) Diese Bemerkung bezieht sich vermutlich auf die Ausführung ver großen Freskogemälde nach Schinkels Kartons, die zum Teil sogar den Berliner Witz herausforderte. Das Schtnkelsche Museum wurde damals noch vom Publikum das neue genannt, obwohl an denl noch neueren schon gebaut wurde. **) Die nach einem durch Stüler'umgearbeiteteu Schiukelschen Entwürfe erbaute Schloßkapelle war zur Zeit der Rolleschen Besichtigung nur im Bau und von ihren späteren prunk¬ vollen Berzierimgen wenig oder gar nichts zu sehen. Die Leitung hatte Schadoiv. ***) Das von Friedrich dem Großen errichtete Opernhaus brannte am 18. August 1843 ab und wurde, von wenigen Abänderungen im Aeußeren abgesehen, ganz genau ivie das abgebrannte bis zum Dezember 1844 wieder hergestellt, im Innern dagegen so umgestaltet, daß es. was Glanz. Schönheit und Behaglichkeit betrifft, als das schönste der Welt an¬ gesehen wurde.

der organischen Entwicklung — es hat mich kalt, vollkommen kalt gelassen. Wie ich heute die Treppe des neuen Museums hinauf träume, stört mich — doch höchst angenehm — die Erscheinung des guten Barons von Bredow, welcher gestern abend hier angekommen ist und morgen früh nach dem freund¬ Abends einhalb zehn wird der Brief lichen Wagenitz geht." in gänzlich veränderter Handschrift fortgesetzt, — Rolle hatte mit dem Baron diniert und war zuletzt bei Kroll gewesen. Er schreibt „Jetzt um einhalb zehn Uhr nehme ich wieder dies darüber: Blatt zur Hand, und da mir meine vorhergehende Handschrift etwas auffiel, mir dabei der Gedanke kam, es könnte der Cham¬ pagnergeist, den ich mit Herrn von Bredow zu mir genommen, außer auf die Buchstaben auch ans den Inhalt obiges gewirkt haben, so las ich vor allem dies durch, muß aber bekennen, daß ich auch jetzt, wo diese Geister wieder fort sind, nichts anderes zu Darum setze ich mein Referat fort und er¬ sagen imstande bin. zähle, daß ich nicht zunächst, wie ich wollte, zu den Chinesen (bei Kroll) ging, sondern als ich vernahm, daß in dem Borsigscheii Garten eine Viktoria Regia blühe, dahin, und da es ziemlich weit ist, so erlaubte ich mir ei — ei — ne — Droschke, für welche ich einschließlich des Chansseegeldes zwölf, sage zwölf Silbergroschen zahlte, zu nehmen, muß aber bekennen, daß das, was ich dort Nach einer ausführlichen sah, diese Ausgabe wohl rechtfertigte. Schilderung der Pflanzen fährt er fort: „Beim Eintritt wird ein Billet für fünf Silbergroschen gelöst, wovon der Ertrag für in¬ valide Maschineiiarbeiter der kolossalen Anstalt bestinimt ist, und sollen ans diese Art schon beinahe 2000 Thaler gewonnen worden sein. Doch nicht der Garten allein ist schön, sondern auch das Wohnhaus — der großartigen und zugleich auch künstlerisch schönen Fabriklokale für Maschinenbau will ich gar nicht gedenken— Wenn man so etwas sieht, da erscheinen unsere (Dresdener) großen Fabrikherren als bloße goldgierige Raben, welche es für die größte Dummheit ansehen, einen erworbenen Thaler wieder heraus zn

fällig und ermangelt

lassen.

Von der Borsigscheii Anstalt ging ich gleich hinter Bellevue in Tiergarten [inib in das wiedererstandene Etablissement Krolls, ivo auch die Chinesen zn sehen sind. Da bezahlt man beim Eintritt durch das Thor 5 Sgr., will man das Innere sehen — Konzert und Theater waren im Freien, — zahlt man wieder 5 Sgr.; daß den

man auch dasselbe zahlte, um zu den Chinesen zu gelangen, ver¬ steht sich von selbst." — Nachdem Nolle seine Geschäfte in Wagenitz abgeivickelt hatte, setzte er am 7. September seinen Brief fort. „Am Sonntag kam ich erst nach 10 Uhr in Potsdam an, da man mich leider int Gasthof wegen der Abfahrtszeiten falsch berichtet hatte. In der Stadt selbst war es besonders die herrliche Stadtkirche,*) ein vollkommenes Viereck, an welchem sich hinten die Altarnische Halbrund anschließt und deren Ecken durch vier Türme, die die Glocken enthalten, gebildet iverden, zwischen denen sich die mächtige Kuppel erhebt, den Eingang bildet eine aus Stufen sich erhebende Säulenhalle, die ein Frontispiz tragt. Das Innere ist sehr prächtig durch Plastik und Freskomalerei geschmückt.**) In akustischer Beziehung ist das von Schinkel erbaute Werk als voll¬ kommen mißlungen zu erachten.

...

Das schönste Bauwerk ist wohl aber unstreitig die neue Friedenskirche in dem erweiterten Park von Sanssouci***), sie wurde vom jetzigen König gegründet, ist im byzantinische» Stil erbaut und bildet mit dem durch einen besonderen Kreuzgang verbundeiien Predigerhause ein abgeschlossen, klösterlich aussehendes Ganzes. Der hohe Turm steht neben der Kirche, vor welcher wieder ein ummauerter, kleiner Hof mit der in Bronze gegossene» ChristusDas Innere derselben wird säule Thorwaldscns sich befindet. durch zwei Reihen der herrlichsten grünen Marmorsäulen in drei Abteilungen geteilt, in deren mittelster Verlüiigeriiiig sich der höchst brillante, halbrunde Platz für den aus dem kostbarsten Material bestehende Altar befindet. Acht weiße Marmorsäulen, die sich z»»i Teil vor und neben letzterem befinden, vertreten die Stelle der Kandelaber. Die Decke der Nische wird durch heilige Personen, im strengsten byzantinischen Stil gehalten und als Mosaik ausgeführt, verziert, während die Wand aus Marmortäfeluiig besteht, an der liinter dem Altar herumlaufend, eine Reihe Sitze sich befindet. Das Ganze macht sowohl in seinein Ganzen ivie Einzelheiten einen sehr guten Effekt, und gewiß manchem katholischen Pfaffen wird der Mund danach wässern, wenn er sieht, daß das Ganze ohne die geringste Veränderung sofort von Klosterbrüdern in Besitz ge¬ nommen werden könnte.

Im Garten von Sanssouci war ich so glücklich, die Wässer springen zu sehen, welches einen sehr großartigen Eindruck hervor¬ zubringen allerdings vollkommen geeignet ist, außer den von *) Die et. RtkoladEtadtktrche, bereit Bau im Jahre 1887 nach Schinkels Plauen be¬ gönne» wurde, konnte nach dessen und Persius Tobe erst im Jahre 1840 oollenbct werbe», werben, bev neue Kuppelbau ward aber schon im Jahre 1848 linier» online»,

**) Tie innere Ausschmückung der Kirche geschah unter Leiiung oon Cornelius. ***) Der Grundstein war am 14. April 1845 gelegi worden; bet Schövser des Bauplans

Reise nach Italien miigedrachi Halle, oder schon im Jaiire 1845 starb. Ihre Vollendung wurde unter der vderleilung von Eimer besorgt, und ant 24. Skp tember 1848 fand die Cinwethnng der Kirche statt.

war PersiuS, der ihn von einer

Ariedrich dem Großen angelegte» Werken*) hat der jetzige König noch eine Menge prächtiger Brunnen angelegt, sowie auch die in

Form einer Moschee, deren Minaret der Schornstein ist, an der Havel erbaute Dampfmaschine, um mittelst derselben das Wasser zu treiben, von wo herab sich sodann das¬ ans den Nninenberg selbe an die verschiedenen Werke und in ungeheurer Fülle verteilt. Große Freude habe» mir die herrlichen Orangenbäume mit ihren breiten Kronen und unzähligen Früchten gemacht; sie sind um un¬ endlich gepflegter und darum schöner als die Dresdner.**) Der Nachmittag ^war vornehmlich dem Marmorpalais mit seiner neuen Kolonnade mit landschaftlichen und im Arabeskenstil ge¬ haltenen historischen Fresken,***) seinen Sälen, die auch einige sehr schöne, aus alter Zeit stammende Deckcnbilder enthalten, und seinen mitunter sehr schönen Marmorbildwerkeu aus neuer Zeit gewidmet. Durch den Garten gelangte ich ans die neue Glinickcr Brücke, von der man eine prächtige Ansicht der gleich einem Amphitheater auf¬ steigenden Berge mit ihren großartigen Billen genießt . . .

...

Der Gesamteindrnck, den Stadt und Gegend aus mich machte, war ein durchaus günstiger; sind auch die Berge von nur mäßiger

wahrlich, letzteres kommt in Rücksicht dessen, daß dessen Gründung in einer Zeit fällt, wo Preußen nur ein Mittelstaat war, dabei keineswegs zu kurz; zwischen beiden aber macht sich die Nationalität entschieden geltend, während in letzterem alles zentralisiert erscheint, ist in Potsdam alles nach echt deutscher Weise separiert." Am nächsten Morgen hatte Rolle Gelegenheit, das Glockenspiel der Garnisonkirche anhören zu können, muß aber bekennen, daß es ihm als nichts anderes erscheinen wollte als „Es bimmelt aller Viertelstunden ein ein großes Spielwerk. wenig und spielt vor der vollen Stunde einen Vers, die Melodie „Ueb' immer Treu' und Redlichkeit" scheint am meisten vorzukommen." Hier bricht der Brief ab, und es scheint, da er nicht unter¬ schrieben ist, als ob er seinen Adressaten, den damals sehr bekannten Dresdener Oberbibliothekar Gustav Klemm, gar nicht erreicht hätte. und

Kleine Mitteilungen. In

sich

Prcutzisch-Oldrndorf (Westfalen, Kreis Lübbecke) bildete in den vierziger Jahren ein Verein, dessen Zweck es war, streitige

m momm 35.1«

Zarenpaar ans einem Spazierritt.

so verleihen die vielen Seen, die durch Ausbuchtung der Havel gebildet iverden, der Gegend einen sehr großen Reiz. Zu¬ nächst sicht man, wen» man den Bahnhof verlassen hat. die Stadt in ihrer Pracht und AnSdehnnng vor sich liegen und gelangt in dieselbe über eine ans neun Bogen bestehende eiserne Brücke, die unmittelbar an der Seite des Schlosses mündet. Unwillkürlich ,vird man zu einer Parallele Potsdams mit Versailles gedrängt,

Höhe,

*) Von 174S bis 1780 hatte Friedrich der Graste 130 07S Thaler für die Wasserkünste Wasser, an»gegcden. aber er soll nur einmal, im Jahre 1734, eine halbe filmtet taun, einen strahl haben steigen seyen. Was Rolle sah. stammle ans der geil Friedrich Wilhelm» IV. 1845 ersolglen nach dessen iin Jahre Tode Pcrsiu» und nach non ,,nd war nach Anhaben de» König» eigenen Angaben durch Borsig anögefnhrl worden. **) Die ehemaligen Dresdner orangenbänme. für die sogar ein ziemlich orächtige» massives Winiergnarlier an der Herzogin Garten erbatst tmtrde. stamnstett an» dem Anfang de» 18. Jahrhnuderls. Milien in der Eladi. dem Rust und Eiaub anSgesttzl, kontnctt sie aber Iran aller Pflege nichl in gutem Zustand erhallen tverdett. Ter Rest der einst berützmictt Ultimi wurde in den Garlen de» Königlichen Lnstschlosse» Pillnitz gebracht. ***) Die von Kolbe lo mvonierlen Ribeiungenbilder wurden von TssowSktz al fresco geniali. wobei die einzeinen übereinander defindlichen Bilder durch aufsteigende Arabesken ml! einander verbunden wurden.

(Neueste

äitfmifjxit.)

Suchen zu schlichten, Prozesse zu verhüten und Frieden zu stiften.

Minute

sich

„Friedcnsbund".

Die Verbnndeiien wählten aus den

_

Er

sechs Diese sechs

zum Kirchspiel gehörenden Ortschaften je einen Vorsitzenden. vcrslmuneltcn sich monatlich einmal unter dem Vorsitz eines der beiden Pfarrer, die sich jedoch bei der Abstimmung ihrer Stimme enthielten. Tie Vcrcinsmitglieder waren verpflichtet, alle ihre gegenseitigen Streitig¬ keiten diesem Schiedsgericht vorzulegen und dursten, wenn ihnen das von diesem gesprochene Urteil nicht gefiel, immer dann noch den Die Zeugen wurden durch Handschlag ver¬ Rechtsweg einschlagen. pflichtet, Kosten brauchten nicht gezählt zu werden. Schnldforderiingeii, zu denen sich der Schuldner bekannte, ivaren von diesem Schiedsgericht ausgeschlossen, ebenso Klagen eines Nichlmitgliedes gegen ein Mitglied. Im ersten Jahr des Bestehens dieses „Friedensbnnds" endcten alle vor¬ gebrachten Streitigkeiten, darnntcr Injurienklagen, vcrivickeltc und zivciselhastc Besitzansprüche u. a., mit friedlicher Schlichtung. Eine ähn¬ liche Sitte finde! (fand?) sich in Ostpreußen auf den Dörfern um Mühl¬ In großen Gemeinden dauern die hausen und Preußisch-Holland. sogenannten „Gebetvcrhörc" oder Katechisationen von Michaelis bis gegen Weihnachten, und an dieselben schließt sich siets das „geheim

m Verhör" nit. Hier schlichtet der Pfarrer allein die ihm vorgelegten Nechtsftreitigkesten oder tritt wenigstens mahnend, belehrend, tröstend ein. Dann nimmt der F-stschiliaus seinen Anfang. Er besteht ans Hsthnersnppe mit Reis, Marencn (Fische ans den ostprenßischen Seen), Bicrkarpscn, Gänse- und Schweinebraten mit sanrem „Kumst" lSauerkraut). Karioffcl>,„Keilchen" (länglich geformten Klößen), Pflaume»-„Kreide" (Pflaumenmus) und graue Erbsen sind für derartige Festtage ausge¬ Gegen abend knüpft sich noch daran der Genuß des früher schlossen. wenigstens dem ostpreußischen Bauer fremden Kaffees.

Aus dein Leben eines Philosophen. Immanuel Kant, der berühmte „Weise von Königsberg," verlebte eine an Entbehrungen reiche Jugend, an die er später nur mit Schrecke» zurückdachte. Auch noch, als er als Privatdozent an der Königsberger Universität angestellt war, verfolgte ihn der Mangel, so daß er sich genötigt sah, seine Bibliothek zn veräußern, weil er sich fest vorgenommen hatte, und unverbrüchlich hielt, 20 Friedrichsdor, die er als letzten Notpfennig ansah, nicht aus¬ zugeben. Er gab genau darauf acht, ivelchen Einfluß die Witterung auf ihn, überhaupt auf die Menschen ausübe. Gern knüpfte er Unter¬ haltungen über das Wetter an, sonst bekanntlich ein sehr gewöhnliches und verachtetes Thema. Im Winter mußte sein Studierzimmer genau nach einem gewissen Therniometcrgrade (75" Fahrenheit) geheizt werden, und er konnte sehr ärgerlich werden, wenn dies nicht geschah, ivie er auch seine Köchin sehr hart anließ, wenn sie ihm durch ein Versehen eine seiner Lieblingsspcisen verdorben hatte. In. Bezug ans seine Vor¬ lesungen war er ein Muster von Pünktlichkeit: er hat bis zu seinem Tode nie nur eine Viertelstunde davon versäumt, geschweige denn eine Stunde ausfallen lassen. Auch in seinen übrigen Lebcnsgcwohuhcitcn war er sehr regelmäßig. Früh trat fünf Minuten vor fünf Uhr, c§ mochte Sommer oder Winter sein, Lampe, sein langjähriger Diener, in das Schlafgemach mit den kurzen Worten: „Es ist 3cit!" Sofort erhob Er stellte oft stolz bei Tische in Gegenwart -feiner Gäste die sich Kant. Frage: „Lainpe, hat Er mich ivälirend der Zeit von dreißig Jahren nur ein einziges Mal ziveinial wecken müssen?" „Nein, hochebler Herr Professor," war stets die Antwort. Mit dem fünften Glockenschlage saß Kant am Tische und trank eine Tasse Thee, die er aber ans Zerstreut¬ heit so oft nachfüllte, daß häufig drei daraus wurden. Dabei rauchte er seine einzige Pfeife, stets dabei einen alten Hut auf dem Kopfe. Um sieben Uhr begann er seine Vorlesungen und arbeitete dann. Genau zivölfdreiviertcl Uhr stand er auf und rief seiner Köchin zn: „Es ist dreiviertel!" Darauf brachte sic ihm einen „Schluck", ivie er cs nannte, ein Glas, in dem verschiedene Weinsorten gemischt waren. Dann er¬ wartete er seine Gäste, die ihm, dem Junggesellen, zur Unterhaltung bei Tische angenehm waren. Punkt ein Uhr öffnete Lampe mit einem be¬ stimmten Nucke die Thür und sagte: „Die Suppe steht auf dem Tisch!" Auf dem Wege nach dem Eßzimmer begann das Wettergespräch; Kant liebte es nicht, wenn jetzt nur Politik geredet uutibc; darüber teilte min erst nach der Suppe seine Meinungen aus. Mit den Worten: „Nun, meine Herren" setzte er sich an die Tafel. Es gab drei Schüsseln, Wein und Nachtisch. Jeder legte sich selbst vor, und Kant sah cs nicht gern, wenn jemand ivenig aß, ivie auch Pansen im Gespräche ihm mißfielen. Erwähnung saud alles mögliche, sogar Stadtgcschichtcn, nur nicht — die Philosophie. Gleich nach Tische ging er ans und zivar ganz allein, iveil er den Mund geschlossen halten und nur durch die Nase atmen wollte. Er ging zn seinem Freunde Green, fand diesen beim Mittags¬ schläfchen, setzte sich daneben und schlief ebenfalls ein. Als dritter kam der Bankodirektor Ruffmann und that ein gleiches. Nach einer Sltttide wurden sie geweckt lind unterhielten sich bis um Punkt sieben Uhr, dann trennten sie sich. Nur Sonnabends blieb man bei einem einfachen Abendessen zusnntiueu. Darauf las Kant zu Hattsc bis um zehn Uhr, besonders gern Neiscbeschreibungcn, legte sich ins Bett 1111 b schlief fast stets sofort ein. Im strengsten Winter war sein Schlafzimmer ungeheizt. Gegen die Kälte hüllte er sich in seine Somitierdeckc ans Banuiwolle, seine Herbstdecke aus Walle und legte darüber ein Eiderdanncnbett, das an den Schultern in einem dicken Wvllenftoff endete. Kant schnupfte sehr gern, nur ans Achtung vor seinen Zuhörern während der Vor¬ lesungen nicht, sah es aber auch sehr ungern, wenn da jemand schnupfte, was ihm Appetit machte. In seinem Stndicrzinimcr lag das Taschentuch stets weit von ihm entfernt, damit er sich, iveun er es brauchte, durch den Gang dahin ei» wenig Bewegung machte. Sein langjähriger Diener inußte stets eine» weißen Rock mit rotem Kragen tragen, und Kant geriet sehr in Zoru, als er ihn eines Tages in einem gelben Rock überraschte. Lanipc gestand, daß er ihn eben erst beim Trödler gekauft hätte, um ihn zu seiner Hochzeit anzuziehen. Zn seinem großen Er¬ staunen erfuhr Kant, daß der Diener bereits Jahre lang verheiratet, dann wieder Jahre lang Witwer gewesen wäre und jetzt eben die zweite Frau nchinen wollte. Heiraten durfte er, aber den gelbe» Rock mußte er sofort zum Trödler zurücktragen. Der glückliche Schuh. Am 9. Oktober 1813 brach der russische General von Tettenborn mit 800 Kosaken, 800 preußischen Jägern, 450 Lützoweril zu Pferde und 4 hanseatischen Geschützen von Boipcnburg auf, um die Franzosen aus Bremen zu vertreibe». Am frühen Morgen des 13, Oktober» jagte er zivci Kompagnien Schweizer aus dem Dorfe Hostädt und der Vorstadt vor den, Osterthor in die Stadt hinein, hieb sie nieder oder nahm sie gefangen: datin ließ er die Kanonen auffahren und Granaten in die Stadt werfen. In Bremen konimandiertc der französische Oberst Thuillicr, ein z» allem entschlossener, äußerst that¬ kräftiger Offizier, der nicht im geringsten an llebergabe dachte. Tettenborn wußte dies und faßte den Plan, ihn zn täuschen. Er traf, nachdem eine Untersuchung des Stadtgrabens dessen leichte Durchschreitbarkeit ergeben hatte, alle Vorbereitungen zum Sturme und zog dann aber Kanonen und Jägerlinie zurück, uni die Franzose» glauben zu machen, er zöge ans Furcht vor einem von Hamburg her anmarichicrcuden EutsatznngskorpS ab. Diese Rechnung hatte er jedoch gcniacht, ohne den Kampfesmnt der Lützowschen Jäger zu berücksichtige». Diese hielten cs für cine Schande, dem Feinde den Rücke» zu zeige« und schosse», zumal Verantwortlicher Redakteur:

vr. M.

F

olticineano,

die Franzosen

da

von den Wällen den

scheinbar Weichenden

allerlei

Spott- und Hohnworte zuriefen, ruhig, ja

»och heftiger weiter. Ueber diesen Ungehorsam geriet der leicht erregbare Tettenborn in den äußersten Zorn. Schäumend vor Wut sprengte er auf den Kommandeur der

Lützower, Leutnant Friedrich Förster (bekannt als Historiker und Dichter) los und schrie ihm zn: „Wer »och einen einzigen Schuß thut, den laß' Und Sie stehe» mir mit Ihrem Kopf dafür, daß das ich aufhängen! Schießen aufhört!" Förster eilte nun an den Wallgraben und zog seine Lützower einzeln aus dem Gefecht. Da fiel dicht vor ihm ans einem Weidengebüsch ein Schuß, dann trat ein Lützoivcr Jäger (vordem der bestc Wildschütz des Thüringer Waldes) mit noch rauchender Büchse hervor. „Erdniaun", rief ihm Förster zu, „seid Ihr des Teufels? Der General läßt euch am nächsten Baum aushängen!" „Meinetwegen", war die gelassene Antwort- „nun kann cr's thu», aber erst müßte ich dem Kerl da drüben eins auf den Pelz brennen. Stellt sich der Esel in einem Zivilrock und einem französischen Militärhnt auf den Platz vor der Kirche und gafft mit einem langen Fernrohr nach uns herüber! Na — da nahm ich mein Fernrohr" — er deutete auf seine Büchse — „und — er wird sein Lebtag nie mehr »ach uns gucken!" Förster sah, wie auf dem Kirchplatz die Franzosen zusammenliefe» und schloß daraus, daß der Gefallene eine wichtige Persönlichkeit gewesen sein inußte. Und er hatte recht. Kurze Zeit darauf wurde vor Tettenborn ein gut ge¬ kleideter, aber von Wasser triefender Bürger gebracht. „Ich bin." sagte dieser, „durch den Wallgraben geschwommen, um Euer Exzellenz zu melden, daß den Kommandantcu unserer Stadt, Obersten Thnillier, so¬ eben cine Kugel tödlich getroffen hat. Sein Nachfolger ist der Major Tavallant, ein Schiocizer, und keineswegs napoleonisch gesinnt: er wird die Stadt auf leidliche Bedingunge» In» übergeben." Wirklich erschien bald ein Offizier mit der weißen Fahne, und der Oberst von Pfuel wurde in die Stadt geschickt, um die Kapitulation einzuleiten. Davallant bat um 24 Stunden Bedenkzeit, da aber die Bremenser sich tuniultuierend auf den Straßen sammelten, unterzeichnete er auf Zureden des französischen Präfekten, Grafen Arberg, sofort. Am 16. Oktober zog Tettenborn, von unbeschreiblichem Jttbel empfange», ein. Dem glücklichen Schuß des Thüringer Waldschützcn hatte er diesen schnellen Abschluß zu verdanke»!

Vilchertisch. Eiserne Zeiten 180t»—1815. Geschichtliche Erzählung für Volk und Jugend von Hermann Jahnke. Mit Bilder» zumeist nach Darstellungen zeitgenössischer Meister. Berlin, A. Hofmann u. Koiup., 1900. Ein echt patriotisches Geschenk, das der Verfasser in dem vor¬ liegenden Buch der deutschen Jugend und dem deutschen Volk auf den Weihnachtstisch legt. In den engen Rahmen einer altmärkischcn Fa¬ miliengeschichte verflochten, ziehen

die wclterschütternden Ereignisse der

Erniedrignng und Erhebung Preußens an dem Auge vorüber, und die hervorragendsten Persönlichkeiten jener Zeit, vor allem die Lieblinge der deutschen Jugend, Jahn, Körner, Lützow, Eleonore Prohaska, treten handelnd in der Erzählung auf. Es war ein glücklicher Gedanke de» Verfassers, den Familicnsitz des Bismarckschen Geschlechts, Schöuhause» an der Elbe, als Mittelpunkt für seine Darstellung zu wählen und das Familienleben jener beiden Menschen zu schildern, die dem deutschen Volk den Rächer seiner Schmach, den eisernen Kanzler Otto von Bismarck, Sicherlich wird das Buch, den; durch Abbildungen schenken sollten. »ach zeitgenössischen Darstellungen ein trefflicher Schmuck verliehen ist, unter der deutschen Jugend viele Freunde finden.

Berlin 1901. (>»octhes Lebcnskunst von vr. Wilhelm Bode. Mittler und Sohn. König!. Hofbnchhandlung. Mit großer Sorgfalt hat der Verfasser aus den Briefen, Unter¬ redungen und Biographien Goethes das zusammengestellt, was zum Verständnis der Lebensgcivohiiheitcn und der Charaktereigenschaften ocs Dichters beitragen kann, und auf diese Weise ein Werk geschaffen, ivelchcs für jeden, der den Menschen Goethe kennen lerne» will, un¬ entbehrlich ist. Die tausend Kleinigkeiten, ivclchc in der Znsammenstellnng enthalten und nach bestimmten Gesichtspunkten gruppiert sind, ivcrden dem Leser zu Vergleichen mit sich selbst Veranlassung geben und ihn zur Nachahmung guter oder zur Vermeidung schlechter Gewohnhcite» anspornen. So kann das Buch neben feinem historisch¬ biographische» Zweck auch eine» ethischen Zweck erfüllen.

Für icinc dirSjähriae Weihnachts-Ausstellung

hat das

bekannte Tcppichhaus Emil Lcfevre, Berlin, Oranienstraße 158, ganz besondere Vorkehrungen getroffen, um in allen Abteilungen des großen Warenlagers die denkbar günstigste Gelegenheit zn vorteilhaften Einkäufen zn bieten. Die bedeutend vergrößerten Räume (das Gcschäftslokal dehnt sich jetzt parterre und erste Etage bis zur Priuzessiiincnstraßc aus, von der auch ein zweiter Eingang in die Verkaufsräume führt) ermögliche» eine schnelle und bequeme Besichttgung aller Warengattnngcn. Als Spezialität und besonders zu Weihnachtsgeschenken geeignet, führt die Firma allerlei Teppiche aus besonderen Gclegcnheitskäufen, welche (so lange der Vorral reicht) zn herabgesetzten Fabrik¬ Die Preise variieren von b dis 500 Mark preisen abgegeben werde». und darüber. Außer den Hanptartikeln, Teppichen und Gardinen, sind noch als besonders sehens- und preiswert abgepaßte Portieren, Stepp-, Reise- und Schlafdeckcn, Sofa- und Läufcrstoffe empfehlenswert. Ter von der Firma herausgegebene Prachtkatalog mit etwa 450 buntfarbigen Teppich-Illustrationen, Gardinen und Portiercn-Abbildnngen erleichtert Ter be¬ auch auswärts wohnenden Käufern die Auswahl ungemein. zeichnete Katalog enthält auch zahlreiche Anerkennungsschreiben aus allen Schichten der Bevölkerung, die beweisen, daß die Firma ihr Schließlich sei noch bemerkt, daß nicht Renommee mit Recht verdient. zusagende Waren bis zum 10. Januar 1901 unigetanscht ivcrden können.

Berlin. — Druck und Verlag:

Friedrich Schirmer, Berlin

SW., Reuenburger Straße 14a.

Der Bar. Illustrierte Wochenschrift.

«Der Bär" erscheint jährlich 52 mal und ist durch alle Buchhandlungen. Zeitungsspeditionen und Mastanstalten zu beziehen (Nr. 866 des Postkatalogs) und kostet vierteljährüch 2 M. 50 Pf., jährlich 10 M., Linzeiheft 20 Pf. — Irrfrrkionspvris für die 4 gespaltene Nonpareillezeile oder deren Raum 50 Pf. — Beilagegebubr: 6 M. pro 1000 Stuck inklusive Postgebühren. — Inserate und Beilagen werden entgegengenonnnen von der Lrpedition des „Bär". SW., Neuenburgerstraße Ha, sowie von allen Ännoncen-Lrpeditionen. — .^ern'precher: IV. Nr. 3651.

26. Jnstrgang.

Sonnabend, 22. Dezember

Ar. 31

I960.

Neumarkt bei Jüterbog. (Nachdruck verboten.)

B

ine der humorvollsten Schöpfungen märkischer Volkspoesie ist die hübsche Erzählung vom Schmied zu Jüterbog.

Von einem heiligen Mann, den er einst beherbergte, erhielt der Schmied, so berichtet die Sage, die Erfüllung dreier Wünsche zugesagt und erbat nun, daß sein Sorgenstuhl hinter dein Ofen, sein Apfelbaum im Garten und sein Kohleusack in der Schmiede die Kraft erhielten, jeden so lange festzuhalten, bis er selbst ihn befreie. Als der Tod nach einigen Jahren kam, um den Schmied zu holen,

ließ dieser ihn ans dem Sorgenstnhl zappeln,

Jeder Märker kennt die niedliche Sage vom Schmied zu Jüterbog, aber mir wenige wissen, daß die alte Schmiede, mit der jene Sage verknüpft wird, noch vorhanden ist, und daß an der Stelle, wo sie im Vorort Neumarkt bei Jüterbog steht, sich einst das Heiligtum des Wendeugottes Jutrebog erhoben hat. Der fromme alte Schmied ist schließlich doch gestorben, der Apfelbaum und der Kohlensack müssen wohl im Laufe der Zeiten ihre bannende Kraft verloren haben, aber die Erinnerung an den sagenhaften Vertreter der schon im deutschen Liede des Mittelalters ge-

lAHSC'H

Eilrlwolf von Stein.

Kurfürst Johann Cirero. vusso von

Slvrnslrben.

(Liehe Text „Bär" Nr. 48, Leite 763.)

bis er ihm zehn Jahre Frist gewährte, und bei dem nächsten Besuch des Todes bannte der Schmied ihn ans dem Apfelbaum fest und ließ ihn von seinen Gesellen mit eisernen Stangen durchprügeln, bis der Sensenmann ihm ewiges Leben zusagte. Der Tod klagte dem Teufel sein Leid, und Meister Urian beschloß, den Schniied zur Hölle zu bringen. Doch das war leichter gedacht als gethan. Der schlaue Schmied merkte die böse Absicht des Teufels, der um ein Nachtquartier bat, und ließ ihn durch das Schlüsselloch der Haus¬ thür in seinen.Kohlensack fahren, wo er ihn so lange festhielt und mit Schmiedehämmern bearbeitete, bis Herr Hinkefuß winselnd Besserung gelobte und mit eingekniffenem Schweif unter Gestank und Schivefeldampf wieder durch das Schlüsselloch hinausfuhr.

feierten schwarzen erhalten.

Zunft hat

sich

bis heute im Volk lebendig

Der Ort Nenmarkt, in dessen Mitte sich jene von der Sage um¬ rankte Stätte befindet, liegt östlich von der Stadt Jüterbog auf einer Halbinsel in sumpfigem Gelände und ist von der Stadt durch einen kleinen Bach getrennt. In Form eines Eirunds umziehen die kleinen Häuser und Lehmbauten den breiten Anger, der sich um die Kirche herum ausbreitet, und wenn auch einzelne Häuserreihen den Gesamtcindruck stören, so hat der Ort doch im allgemeinen seinen ursprünglichen Charakter als wendisches Runddorf der Mitte des Angers erheben sich ziemlich getreu bewahrt. ans einer flachen Anhöhe drei niedrige Hügelkuppen, die die alte

In

KIO

Knltnsstätte des Wendenvolkes, das Heiligtum des Sonnengottes Jutrebog, umschließen. Auf einer dieser Erhebungen steht jetzt die St. Jakobikirche, auf einer andern die erwähnte Schmiede, und die dritte Erhebung ist nur mit Bäumen bewachsen. Der Platz zwischen diese» Hügelkuppen ist frei, nur die Hintergebäude der Cchiuiedc ragen etwas in de» Plan hinein, und erst im Umkreise der Ab¬ flachung stehen die Häuser und Häuschen des Ortes, eng au ein¬ ander gerückt, in ovaler Anordnung. An der Stelle, wo heute die Schmiede steht, soll sich einst der erhoben haben, vermutlich ein mit bunten Schnitzereien verzierter Holztempel wie in Rhetra, in dem sich ein Abbild der segenspeudenden Gottheit der Morgenröte befand. Ans dem neben diesem Tempelberg liegenden Hügel, dein mit Bäumen bestaudeucn „Tanzberg", wie er vom Volk genannt wird, soll

Tempel des Jutrebog

der Steinaltar des Gottes seine Stätte gehabt haben, ans dem die Priester bei Sonnenaufgang ihre Opfer darbrachten. Feierliche Tänze zu Ehren der Gottheit haben hier stattgefunden, und von nah und fern strömte die wendische Bevölkerung der Nntheniederung und des Fläming herbei, um teilzunehmen an den Festen Jutrebogs. An solchen Tagen erfüllte ein festliches Gewoge den sonst so stillen Eichenhain ans der hügelige» Halbinsel, und ein reges Markttreiben Das Heiligtum des herrschte im Umkreise der Tempelstätte. Jutrebog war bekannt und berühmt bis über die Grenzen des Ruthe- und HaoelgauS hinaus, und noch in christlicher Zeit fanden dort wendische Volksfeste und Jahrmärkte statt, ein Beweis, in wie hohem Ansehen Jutrebog, der ja auch der Stadt Jüterbog seinen

Rainen verliehen hat, bei der Bevölkerung stand.

Ein Ueberrest altheidnischer Sitte hatte sich bis in die neuere Zeit in Neumarkt in dein „Branttanz" erhalte». Bei jeder Hochzeit zogen nämlich die Teilnehmer, Braut und Bräutigam voran, auf den Tanzberg, wo unter den schattigen Bäumen die Braut mit jedem männlichen, der Bräutigam mit jedem weiblichen

In

langem Zuge, wie sie ge¬ Gast einmal herumtanzen mußte. kommen, nmschritten die Hochzeitsgäste nochmals den Tanzberg und kehrten dann in das Brauthaus zurück. Vermutlich wurde bei den Wenden jedes neue Ehcbündnis durch Opfer und Tanz im Heiligtum des Jutrebog, der segenspeudenden Morgenröte, ein¬ geweiht, und diese Sitte erhielt sich trotz der Einführung des Christentums, wohl mit Einwilligung der Kirche, in etwas ver¬ An altheidnische Gebräuche scheint auch änderter Form fort. das „Stollenreiten" zu erinnern, das bis vor kurzem alljähr¬ lich nach Pfingsten in Neumarkt veranstaltet wurde, und an welches sich ein Tanz der Burschen und Mädchen ans dem Tanz¬

Die Preise bei diesem Wettrennen bildeten eine An¬ „Stollen", jene länglichen Kuchen, die in ganz Nord-

berge schloß.

zahl

Ur¬ deutschland zu größeren Kirchenfesten gebacken werden. sprünglich war das Stollenreiten ein Wettlauf um drei Stollen, die am Hochzeitstage von der Braut an die jüngeren Leute als Preise ausgeteilt wurden. Der Sieger erhielt den größten Stolle», die nächstfolgenden Wettlänfer die beiden kleineren Kuchen. Dieses „Stollenrennen" bei Hochzeiten kam nach und nach in Abnahme und wurde durch daS „Stollenreiten" zu Pfingsten ersetzt. Jetzt ist auch dieser Gebrauch, wie der oben erwähnte „Brauttanz", im Jedenfalls hat man es in dieser Volks¬ Aussterben begriffen. belustigung mit den Ueberresten alter Wettkämpfe zu thun, die zur Feier einer Vermählung oder zu Ehren der Gottheit am Die Stollen scheinen übrigens Tanzberge veranstaltet wurden. eine besondere Rolle in Renmarkt zu spielen, denn bis in den Anfang des 18. Jahrhunderts hinein war es Sitte, daß der Pastor der St. Jakobikirche am Gründonnerstag nach gehaltener Predigt auf dem Steinaltar des Tanzberges sechs große Stollen für sich ausgestellt fand. Wenn auch diese Sitte nach der An¬ gabe des Chronisten, dem wir diese Mitteilung verdanken, an die Schaubrote im Tempel erinnern sollte, so scheint dieser Brauch doch ans die Ilmwandlung einer heidnischen Opfergabe oder der¬ gleichen in eine christliche Abgabe hinziideuten, sonst wäre das Niederlegen der dargebotenen Stollen auf den heidnischen Stein¬ altar nicht recht verständlich. An jenem Tage erhielten auch die Knaben und Mädchen des Ortes von den Ratsherren kleinere Stollen geschenkt, und diese wie die obige Sitte dauerte bis zum Jahre 1726. Dann hörte sie auf, weil in der Kirchenkasse kein

Geld mehr war und kam später nicht wieder in Ausnahme. Sichere Angaben über diesen Stollcnknltus sind leider nicht vor¬ handen, die chronistischen und mündlichen Mitteilungen sind zu dürftig, um irgendwelche Schlüsse über Ursprung und Bedeutung dieser verschiedenen Sitten z» gestatten. Ebenso mangelhaft sind auch die Ueberlieferungen über das Heiligtum des Jutrebog, welches sich an der Stelle der

Nach der Angabe der jetzigen Schmiede erhoben haben soll. Chronisten hat der alte Wendentempel bis in die Zeiten der Reorination in Nenmarkt bestanden und zum Gottesdienst der Der Diakonus Ambrosius dort ansässigen Wenden gedient. Tempel in einer im Jahre 1607 Hannemann beschreibt den herausgegebenen Festschrift folgendermaßen:

„Von einer

solchen

heidnischen

Entstehung

der

Stadt hat

auch Anzeigung gegeben das uralte Templcin, welches ohngefähr nur vor vierzig und etlichen Jahren ist eingerissen worden, darinnen der heidnische Götzendienst der wendischen Morgengöttin soll sein geleistet morden. Dies Teinplein, welches ans dein Ncnniarkt bei dein steinernen Kreutz gestanden, ist in der Länge, Breite

und Höhe bis an das Dach recht vierecklicht von Mauersteinen aufgeführet gewesen, hat oben ein Kreitzgewölbe und darüber ei» viereckligt zugespitztes Dach gehabt. Die Thür oder Eingang von Abendwärts ist niedrig gewesen, also, daß inan im Eingehen sich Es hat auch kein Fenster gehabt, sondern etwas bücken müssen. einem starken eisernen Gitter verwahrt, Loch, mit nur ein rundes gegen Sonnenaufgang zur Nacht¬ genau Morgen, und zwar gegen einer Tonne ohngefähr, daß von Boden gleiche, so groß als der Also hab ich's von mehr Per¬ können. eingehen das Licht hat sonen, die noch am Leben find, beschreiben hören." zu mancherlei Bedenken Veranlassung. Tempel aus Backsteinen errichtet gewesen ist der Angabe, daß Die war, weist darauf hin, daß überdacht Kreuzgewölbe einem und mit Zeit handelt, als schon die christlicher Bauwerk aus ein es sich um holländischen Kolonisten Besitz von der Halbinsel Neumarkt ergriffen Die Wenden pflegten ihre Götzendienste unter freiem hatten. Himmel in heiligen Hainen oder, wie in Rhetra, in hölzerne» Baulichkeiten abzuhalten, ans heidnischer Zeit konnte also das so¬ genannte „Teinplein" nicht stammen. Daß nun aber ein glanbenseifriger Priester wie Erzbischof Wichmann von Magdeburg, der die Kolonisation des Jüterboger Landes leitete, den Aufbau eines steinernen Götzentempels gestattet haben sollte, ist kaum glaublich, und noch weniger glaublich ist es, daß dieser Tempel bis gegen Ende des- 16. Jahrhunderts als Zeichen heidnischer Abgötterei

Die Beschreibung giebt

inmitten einer christlichen Ortschaft bestanden hat, und daß, wie an anderer Stelle berichtet wird, ein Teil des Mittelalters hindurch in demselben wendischer Götzendienst abgehalten werden durfte. Wenn auch Neumarkt hauptsächlich von Wenden bewohnt war, so wäre ein solcher Kultus neben einer christlichen Kirche, die seit dem Ende des 12. Jahrhunderts im Orte bestand, geradezu eine Ver¬ höhnung des Christentums gewesen, und niemals hätte die bigotte Geistlichkeit derstrengglänbigcnStadtJüterbogeinesolcheProfanierung geduldet. Das sogenannte „Teinplein" muß also wohl eine andere Bestimmung gehabt haben, und einen Hinweis darauf bietet die Erwähnung des neben demselben errichteten Steinkrenzes, dessen llcberreste noch heutzutage vor der Schmiede dicht an der Land¬ straße erhalten sind. Ueber den Ursprung und die Bestimmung dieses Kreuzes sind uns gleichfalls keine zuverlässigen Nachrichten überliefert. Während nach der einen Ueberlieferung Erzbischof Wichmann das Steinkrenz als Zeichen des siegreichen Christentums dem Götzentempel gegenüber aufrichtete, soll es nach anderer Mit¬ teilung ein Zeichen der dem Orte Reumarkt verliehenen Markt¬ gerechtigkeit sein. Beide Angaben lassen sich sehr wohl verteidigen, glaublicher erscheint aber, was der Chronist Ettmüller über den Ursprung des Steinkreuzes berichtet. Er schreibt: „Man hat gar keine gewisse Nachricht, auf welche Art und Weise dieses Kreuz dahin gekommen, doch giebt mau insgemein vor, als wenn daselbst ein christl. Wendischer Fürst wäre erschlagen und ihm zu Ehren dieses Hiernach wäre das Kreuz ein Kreuz wäre gesetzet worden." Mord- oder Sühnekreuz, wie solche vielfach im südlichen Teil der Mark aus dem frühesten Mittelalter erhalten sind, und zum An¬ gedenken eines zum Christentum übergetretenen Wendenfürsten, der

au vermutlich von seinen heidnische» Unterthanen erschlagen wurde, Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, würde errichtet worden. neben dem Kreuz stehenden ver¬ auch die Bestimmung des meintlichen Götzentempels klar werden: Das allein Anschein nach in christlicher Zeit errichtete Gebäude wäre dann als Grabstätte oder Grabkapelle des erschlagenen Wendenfürsten anzusprechen, eine Bestimmung, ans die auch der niedrige Eingang und das einzelne vergitterte Fcnster hindeuten. Diese Annahme läßt sich zwar nicht

massige Turm, den die anderen Vcrteidiguugskirchen ausweisen, fehlt allerdings jetzt bei der Jakobikirche, er ist aber nachweislich vorhanden gewesen und im dreißigjährigen Kriege vernichtet worden An seine Stelle ist ein auf dem westlichen Teil des Langhauses aufsitzender Glockenturm aus Fachwerk getreten, der von einer welschen Haube gekrönt und nach Westen durch eine Stirnwand von Backsteinen geschützt ist. Die schmalen, schießschartenartigeu Fenster sind nur auf der Rordseite und zum Teil in der Apsis erhalten, die übrigen sind erweitert, mehrere Fenster sind auch neu ausgcbrochen. Der Chorraum scheint in späterer Zeit umgebaut zu sein, er zeigt eine andere Technik in der Bauart und ist höher als das Langhaus) mit letzterem, sowie mit der Apsis ist er durch flache Schwibbögen verbunden.

Das Innere

der Kirche ist

für

eine Vorstadt von Jüterbog

ziemlich prunkvoll ausgestattet: ein stattlicher Hochaltar mit den lebensgroßen Gestalten des Gesetzgebers Moses und des Erlösers mit der Krenzesfahne baut sich vor der Apsis auf, ein lebens¬ großer Kruzifixus schaut vom vorderen Schwibbogen herab, farbige Malereien zieren das hölzerne Tonnengewölbe des Langhauses,

und um die Orgel herum zieht

sich eine

doppelte Empore

für die

ourch urkundliche Beweise unterstützen, aber verschiedene Umstände,

besonders einige mit dem Steinkreuz verknüpfte Sagen lassen es glaublich erscheinen, daß der christliche Clerus die Gelegenheit benutzt hat, an der Stätte altheidnischen Götzendienstes ein Sühnezeichen für einen an christlichen Wenden begangenen Totschlag zu

errichten.

Ob die Jakobikirche in Nenmarkt zu jener Zeit, als das Kreuz ausgestellt wurde, schon vorhanden war, ist mit Sicherheit nicht anzugeben. Die Ueberlieferung berichtet zwar, daß Erzbischof Wichiiiaii» das Kreuz im Jahre 1170 errichtet und die St. Jakobi¬ kirche 1172 gegründet habe, aber im Jahre 1179 zerstörten die mit Heinrich dem Löwe» verbündeten Wenden die neue deutsche Kolonie in Jüterbog und haben vermutlich auch in Nenmarkt arg gehaust. Ihrer Wut würde also auch das Kreuz zum Opfer gefallen sein, und ob man es nochmals wieder aufgerichtet hätte, dürfte sehr zweifelhaft sein. Viel wahrscheinlicher ist es, daß das Kreuz und die Grabkapelle erst nach Vollendung der Jakobikirche, die, wie urkundlich feststeht, im Jahre 1218 von Wichmanns Nachfolger, Erzbischof Albert von Magdeburg, eingeweiht wurde, errichtet worden sein.

Die St. Jakobikirche trägt im großen und Ganzen das Die sehr starken Mauern des Gepräge der Zeit ihrer Erbauung. einschiffigen Langhauses sind aus viereckig behauenen Granitsteinen aufgeschichtet, an das Langhaus schließt sich ein etwas ab¬ gesetzter Chorraum, der nach Osten durch eine halbrunde Apsis geschlossen ist, und im Westen sind Spuren eines starken Granit¬ turmes erhalten. Die Festigkeit des Mauerwerks, die Anlage der Fenster, welche ziemlich hoch vom Erdboden angebracht und, wie einige derselben erkennen lassen, sehr schmal ausgebrochen waren, und die isolierte Lage der Kirche deuten darauf hin, daß die Jakobikirchc in den älteste» Zeiten außer zum Gottesdienste auch als Zufluchtsstätte für die Bewohner in Kriegszeitcu diente. Es ist eine Verteidignngskirche, wie man sie vielfach in jenen Gegenden, namentlich am Fläming und in der Zauche findet, auch die Technik des Granitbans ist dieselbe wie in diesen Bauten. Der

Innere VnNchl der Inkvblliirrlzr.

Es ist der Abglanz früherer Herrlichkeit, der sich Chorsänger. hier niedergeschlagen hat, denn im Mittelalter fanden am Namens¬ tage des Heiligen, am Kirchweihfeste und an den hohen Kirchen¬ festen große Messen und Jahrmärkte bei der Jakobikirchc statt, und zahlreiche Opfergaben flössen in den Stock der Kirche. Leider sind uns so ungenügende Nachrichten überliefert, daß es schwer ist, eine zusammenhängende Geschichte des interessanten Ortes zu schreiben

Or. Gustav Albrecht.

Eine Friedensthat vor 600 Jahren Albrecht von Brandenburg befand sich ain 22. Mai 1300 in dem Dorfe Kladow bei Landsbcrg an der Warthe und vollzog an diesem Tage eine der hochherzigsten Schenkungen, die ein großer Segen für die gesamte Kultur der Neumark geworden ist. Er entsprach den, Ansuchen des Abtes Ditmar von Kolbatz, im Lande Landsberg ein Cisterzienser-

arkgraf

und gründete am 22. Mai 1300 das in der vielgenannte Kloster Himmelstädt,*) jetzt Renmark Geschichte der ein kleiner, hübsch gelegener Ort unweit des Dorfes Kladow. lieber den Akt der Gründung von Himmelstädt berichtet die Chronik, daß der Markgraf im Beisein zahlreicher Ritter, von denen genannt werden Reyneke von Wulkow, Werner, Splinter, Zabell, Henning von Marwitz und Hcyse von Cloden, sowie vieler" Geistlicher deni Abt von Kolbatz den Hof von Crevetsdorp (Krenzdorf) zur Gründung eines Cisterzicnserklosters übergab. In der darüber gefertigten Urkunde heißt es, daß das Kloster den Rainen Zu dem Hose von Himmelsstätte (locus coeli) führen toll. Crevetsdorp schenkte der Fürst dem Kloster noch die Dörfer Kladow, Zanzien, Heinersdors, Merzdorf, Renendorf, Rahdorf, Hohenwalde, Tornow, Beyersdorf, Stennewitz, Vietz, Pyrehne, Gennin, Loppow, sowie die Seen: den großen und kleinen Carzk (Karziger See), die Hälfte des Rokyt (Rokinsee bei Adamsdvrf), den kleinen Stechow (Stegsee), den Lupenitz (heute unbekannt), den Auchsee (ein Teil des kleinen Lübbesees), den großen und kleinen Lübbesee, die Hälfte des Jeserik (Jeseritz), den Greden (Gräwensee), den Clodow (Kladower See), den Zanzyn (Zanziner See), den Parenz (Parenzig), den Colpin (Kloppin), den Prauden (unbekannt). Ans allen diesen Gütern und Besitzungen sollte das Kloster Kolbatz dieselben Rechte haben wie aus seinen eigene» Gütern: das Jagd-, Mühlen-, Fischerei- sowie das Muthungsrecht aus Gold, Silber, Eisen und Salz, das Kirchenpatronatsrecht, die weltliche und geistliche Gerichtsbarkeit, frei von allen Beden (Ab¬ gaben) und Diensten, nur die Honigerträgc behielt sich der Mark¬ graf vor, so lange er lebte. kloster zu

errichten

Markgraf Albrecht hat aber die Stiftung von Himmelstätte nicht mehr lange überlebt, denn bereits im Dezember des Jahres 1300 verstarb er. Das Klostergebiet des Hofes Kreuzdorf war sehr bedeutend. der Urkunde ist die Ausdehnung desselben genau festgelegt. Rach dieser Beschreibung begann die Grenze beim Flusse Cladow und lief dann bei „gedachtem Hofe" (Himmelstätte) aufwärts den Kladow entlang bis zu dem Punkte, wo der Fluß Stechow, der



vom Stegsee herabkommende Bach, in die Kladow mündet, dann den Stechow aufwärts bis zu dem Einfallen des Flüßchens, welches ans dem toten Sumpf herabkommt und in den Stegbach fällt (etwa zwischen Wollhaus und Schmiddelbrück). Ferner das Totesnmpfflüßchen aufwärts bis zur krummen Linde, dann znm Eisensumpf (die Waldpartie Stalingen). Bon dort ging die Grenze diesen Sumpf entlang bis zum Dorfe Tankow (etwa bis in die Gegend von Mückenbnrg), von hier de» Fluß des Sumpfes Auch ansteigend (den Zietensee entlang) bis znm Aucher See, der einen Teil des Lübbesees bildet, bis znm Sumpf bei Lozsten (jetzt Lotzen) und diesen hinab bis znm Kladowschen Felde.

In

der Urkunde war noch bemerkt, daß der neuen Himmelsstätte alles ohne Abgaben und öffentliche oder Privatdienstleistnngen unter dem Titel des freien Besitzes zugewiesen worden wäre. Selteu wohl hat sich eine solche Friedensthat in so segensreicher Weise

bemerkbar gemacht, wie in dem vorliegenden Falle. Die von dem frommen Markgrafen in rein kirchlichem Sinne gemachte Schenkung er¬ wies sich für die Zukunft als eine That von großer wirtschaftlicher Bedeutung für die kulturelle Entwicklung des ganzen Landgebietes.

„Alle die Dörfer in der Massiner und Golliner Heide, welche in der Schenkungsurkunde genannt sind, waren mitten im Urwald ge¬ Die segensreiche legen und von wenigen Menschen bewohnt. Thätigkeit der Cisterzienser zeitigte — wir folgen hier die Geschichte von Landsberg-Warthe von Rudolf Eckert — bald die herrlichsten Früchte. Durch ihre Ordensregeln zu der Thätigkeit eines Acker¬ *) Berql.

auch

„Der Bär" Nr. 46, Seite 734, „Kloster Himmelstädt".

bauers und Landmanns, oder wenn man so sagen darf, eines Farmers bestimmt, schufen sie die unbebaute, wilde Gegend bald zu fruchtbarem Acker um. Bäume wurden gefällt, Bruchland aus¬ gerodet, Entwässerungskanäle angelegt, und unter ihren emsig schaffenden Händen entstanden bald Musterwirtschaften, welche auf die Oekonomie der übrigen Landbewohner nicht ohne wesentlichen Einfluß waren. Um Wissenschaften und gelehrte Fragen kümmerten sie sich wenig, auch Schüler hatten sie nicht,' sie bauten sich in Himmelstätt ihr Feldkloster ans Holzstämmen wie ein modernes Farmerhaus, und hausten dort unter einem Hofmeister mit Laie» und Halbmönchen, die sich ihnen angeschlossen, armselig, streng nach den Ordensregeln und kümmerten sich nur um ihre Ackerwirtschaft,

Pflüge», Säen, Ernten, Wartung des Diehes, das Mahlen des Getreides in der Mühle und um ihre Gebete in den kanonischen Stunden, wenn das Klosterglöcklein läutete. Mit allen Rachbareu waren sie befreundet, und bei jedermann waren die stillen, fleißigcnMönche be¬ liebt, die nicht vagaboudierend im Land umherzogen und zudringlich predigten und bettelten wie die Franziskaner, oder ans das Bolk mit hochmütigem Gclehrtepftolz herabblickten wie die Benediktiner." Ei» gesnnder, wirtschaftlicher und auch kaufmännisch reger Sinn steckte in der Ordensverwaltung der Cisterzienser. Sie ge¬ wannen an Macht .und Ansehen durch ihren reell erworbenen Wohlstand, und den Mitgliedern des Ordens gab die Pflicht¬ erfüllung in ernster anstrengender Thätigkeit Zufriedenheit und Gemütsruhe. Das war ei» sehr segensreicher und nachhaltiger machte. sich auf diese Weise hier geltend Leider konnte Markgraf Albrecht, der, wie schon oben erwähnt, noch im Jahre der Gründung von Himmelstätt verstarb, an dieser ersprießlichen Entwicklung sich nicht mehr erfreuen. Seine Nachfolger bestätigten znm Teil seine Schenkung, indes entstand aber bald

Einfluß, der

wegen des Besitzes der bedeutenden Güter Streit. Im Jahre 1311 wollte Markgraf Waldemar nur von einem Klosterbesitztum von fünf Dörfern etwas wissen, und bestätigte dem Kloster den Besitz

von Kladow, Zauzin, Heinersdors, Merzdorf und Loppow mit alle» bebauten und unbebauten Aeckern, Wäldern, Jagden, Sümpfen, Wiesen, Weiden, Mühlen, Gewässern, Teichen, Bächen, Fischereien, Berg- und Salzwerken oder sonstigen Einkünften ans Erz- und

Salzgewinnung. Roch aufklärungsbedürftig ist der Umstand, daß Markgraf Waldemar im selben Jahre dem Kloster Kolbatz 12 Hufen in dem Dorfe Kladow gegen Zahlung von 300 Mark brandenburgischen Silbers überließ ohne Lehn- und Erbzins, obgleich doch die Bestätigungsurkunde der vorgenannten fünf Dörfer davon spricht, daß der Besitz von Kladow mit allen bebauten und unbebauten Aeckern, Wäldern rc. dem Kloster gewährleistet war. Der Umstand der Ueberlassung der zwölf Hufen Landes an das Kloster Kolbatz spricht dafür, daß die Klosterbrüder ihre agrarische Thätigkeit in Himmelstätte bald mit großem Erfolg anfgenoinmen haben müssen, und jedenfalls ist der Widerspruch in den vorher erwähnten Ur¬ kunden dahin zu erklären, daß 1311 bereits von den Cisterzienser» zivölf Hufen Urwald ausgerodet und bestellfähig waren, für deren eigene Benutzung sie gegen das Abkommen, frei von allen Abgaben zu sein, noch 300 Mark Silbers zahlen mußten. Ob die übrigen Dörfer von den vierzehn, die zuerst Markgraf Albrecht dem Kloster geschenkt hatte, demselben abhanden gekommen, oder ob es erst diese fünf zuerst besiedelte und dann bestätigt erhielt, mag dahin¬ An dem Klostergebiet verübte Räubereien sind gestellt bleiben. nicht selten gewesen. Merkwürdig paßt in diese Zeit hinein eine im Staatsarchiv zu Berlin befindliche Originalurkunde für Himmelstädt vom 28. Juni 1306, ausgestellt in Landsbcrg, die von Historikern als eine Urkundenfälschung der Himmclstädter Mönche angesehen wird, aber äußerst geschickt gefertigt ist. Wie Spieker in seiner Kirchenuud Reformationsgeschichtc der Mark Brandenburg versichert, ist das Siegel Markgraf Ludwigs des Aeltercn noch unversehrt an der Urkunde erhalten. Die Fälschung wird von Geschichtsforschern

darin gefunden, daß der fälschende Mönch in historische» Dinge» unwissend gewesen ist und daß dadurch die Fälschung mit Thatsachen nicht übereinstimmt.

818

Diese Urkundenfälschung der Mönche von Himmelstätte be¬ handelt Eckerts Geschichte von Landsberg ausführlich. Es heißt

darin:

„In der gefälschten Urkunde trägt Markgras Ludwig der Aeltere, der sich u. a. auch Herzog von Kärnthen nennt, einige Unterlassungen seiner Vorgänger für den Abt Theodorich von Kolbatz, den Verwalter von Himmelstädt (provisoreiir loci celi) nach, indem er den Spuren seiner Vorgänger im Verrichten guter Werke folge» will! Die Schenkung des Hofes Crewestorp (Krenz-

Taufbccke» in der Kirche zu Nrumarll.

dorf) mit allen Dörfern, wie dies in den Privilegien des Mark¬ grafen Albrecht niedergeschrieben ist, mit den Dorfbewohnern (villanis) und Znbehörungen, bestätigt, erneuert und billigt er (ratificamus, innovamus et approbainus), die Honigerträge ver¬ leiht er dem Abt kraft dieses Briefes (Markgraf Albrecht hatte nur bis zu seinem Lebensende vorbehalten). dieselben sich Den Sumpf im Dorf Neuendorf giebt er mit Zustimmung und Wissen derer von Holtebotel ganz und ungeteilt dem Kloster re. Den Streit zwischen Bewohnern von Loppow und dem Rat von Landsberg wegen einer Insel, die die Stadt als ihr Eigentum in Anspruch nimmt, will er in der Weise beilegen, „daß die von Loppow die Hälfte des Sumpfes mit der Hälfte der Wiese» zu ewigen Zeiten behalten sollen, die von Landsberg die andere Hälfte des Sumpfes und der Wiesen, jedoch ohne die Fischerei." — „Kauft von einem Vasallen des Markgrafen das Kloster Güter, so soll es sie ruhig behalten, verkauft cs aber welche, so soll der ganze Konvent zugezogen werden, anderfalls ist der Verkauf ungiltig. So ungestört wie der Markgraf seine Herrschaft besitzt, soll dacKloster auch seine Güter besitzen." Diese Urkunde hat allen denen, die sich mit derselben beschästgt haben, nicht geringe Schwierigkeiten gemacht. Daß das Jahr 1306 als Zeit der Ausstellung falsch ist, leuchtet ohne weiteres ein, da 1324 Ludwig der Aeltere erst zur Regierung gekommen ist. Den bestimmten Beweis für die Uuechtheit der Urkunde bietet der Wort¬ laut derselben. Der Hersteller der Urkunde hat nämlich ganze Stellen wörtlich aus verschiedenen anderen Urkunden für das Kloster Himmelstädt heransgeschrieben. Die Ursachen der Fälschungen waren verschiedene. Vor allem hatte der Abt Klostergüter ohne Zustimmung des Konvents ver¬ kauft (hieraus erklärt sich auch vielleicht das Verschwinden der Namen der übrige» neun Dörfer in den späteren Bestütigungsurkuudeu der Schenkung des Markgrafen Albrecht au das Kloster Kolbatz).

Mit

dem

Wortlaut

der Urkunde, daß diese Kaufgeschäfte

ungiltig seien, sollte entweder der Abt oder der Käufer getroffen werden. Man hoffte jedenfalls, durch diese Urkunde die dem Kloster abhanden gekommenen Güter wieder zu erhalten. So schwebte auch mehrere Jahre ein Besitzstreit um den Werder bei Loppow,

und zwar vor dem Hofgericht Dasselbe entschied zu Gunsten des Klosters nach der gefälschten Urkunde. Die Fälschung ist nach den neueren Forschungen zwischen den Jahren 1470 und 1482 geschehen. Wie nach der Gründung des Klosters Himmelstädt die Kultur¬ arbeit von den Cisterzienser Mönchen in Angriff genommen wurde, darüber berichtet das Landbuch Ludwig des Aeltere», heraus¬ gegeben von Gollmert im Jahre 1337: In dem Zeitraum von der erst 1482 zur Erledigung kam des

Markgrafen Johann.

kaum dreißig Jahren hatten die Cisterzienser allein in Kladow 22 Hufen für die landwirtschaftliche Kultur dem Walde abgerungen, deutsche Ansiedler und Ritter hatten sich ihnen zugesellt, und das kulturfähige Land betrug in diesem Dorf allein 44 Hufen. In Zauzin waren von den Cisterzienser» 14, von anderen Deutschen 44 Hufen urbar gemacht. In Heinersdorf, Beiersdorf und Merz¬ dorf waren 44, in Ratzdorf 46, in Vietz 30 Hufen der landwirt¬ Für diese kurze Spanne Zeit schaftlichen Benutzung erschlossen. ganz erstaunliche Ergebnisse, wenn mau erwägt, daß vordem auf dem kultivierten Boden der wildeste Urwald bestanden hatte. Es muß hierbei noch berücksichtigt werden, daß inzwischen das furchtbare Jahr 1326, in dem der Raubzug der Litauer und

Polen nach der Mark Brandenburg stattfand, vergangen war, das eine Zerstörung des Klosters Himmelstädt brachte. Die Leiden, die die Bewohner der Mark in diesem Jahre zu erdulden hatten, sind geradezu unbeschreiblich gewesen. Gegen 140 Dörfer, zwei Mönchs¬ und zwei Nonnenklöster wurden ein Raub der Flammen; über 6000 Männer wurden als Gefangene auf Nimmerwiedersehen mit fortgeführt. Wie verhänguisvoll diese Kriegsjahre für das Kloster Himmelstädt waren, geht aus folgender geschichtlicher Aufzeichnung von Eckert, Eugelien, Buchholtz, Angelus u. a. hervor: Das kleine Holzkloster, das bald nach 1300 errichtet worden war, war nach dem Eintreffen der litauisch-polnischen Horden als¬ bald in Flammen aufgegangen. Das Kloster wurde total aus¬ Der geplündert, die Mönche waren in die Wälder geflüchtet. der Zer¬ Begebenheit, die bei eine schildert hier Chronist Lautinger störung des Klosters sich ereignet haben soll, wahrscheinlich aber als Legende anzusehen ist, da das Kloster Himmelstädt doch ein Mönchskloster war und keine Nonne beherbergte. Möglich aller¬ dings, daß in dieser Zeit der Schrecken irgend eine weibliche Person bei den Mönchen Schutz gesucht hat, und nunmehr den Räubern in die Hände gefallen war. Lautinger schildert den Vorfall wie folgt: „Ein Bojar unter dem Haufen hatte eine schöne Jungfrau ans

Schlinge in Urumavlt. Im

Hintergrund links der T-Mjbcrg, im Vordergrund rechts das Süh,»kreuz.

dem Kloster geraubt, und ober wohl bald mit Bitten, bald mit Dräuworten an ihr gewesen, daß sie seinen Wille» thun sollte, hat er Dcrwegcn hat er sich unter¬ sie dennoch nicht können erweichen. mit Gewalt zu schwächen. Wille» standen, dieselbe wider ihren

nun der Gewalt zu widerstehen viel zu schwach und gering war, bat sie den Barbaren jetzt mit meinenden Augen, bald aber mit Liebkosen, er wolle ihrer Ehre verschonen.; so wolle sie ihm dagegen eine solche Verehrung thun, davon er sich unter allen sterblichen Menschen wohl den glücklichsten in der ganzen Welt

Da

sie

SU Jenem wurden von diesen Worten die Ohren so Wunder fragete, was köstliche Verehrung das ans weit, Sie antwortete ihm, es wäre eine bewährte sein möchte. immer Kunst; wenn sie ihm dieselbe lehrcte, so könnte er die Tage seines Lebens mit keine» Waffen: Schwert, Spieß oder Pseil an seinem Leibe verwundet oder versehret werden. Ob er nun wohl gänzlich entschlossen war, seinen Willen zu schaffen, jedoch damit er die Kunst erst lernen möchte, verzog er sein Vorhaben und sagte ihr zu, sie bei Ehren zu behalten, wo sie ihm die Kunst, ihrer Ver¬ „Es sind", sagte sie, „wenig ver¬ heißung nach, lehren würde. borgene zauberische Worte, die ich dafür spreche; und damit Du an solcher Kunst nicht mögest zweifeln, magst Du sie an mir selbst erstlich probieren." Indem kniete sie vor ihm nieder, segnete sich mit dem Kreuze und betete den Vers ans dem 3t. Psalm: In rnainis tuas domine commendo spiritnm menm! Diese Worte verstand jener nicht, sondern meinete, es wären die starken un¬ verständlichen Zauberwörter, darauf die ganze Kunst beruhte. Da sprach die Jungfrau ferner mit ausgestrecktem Halse, er solle nur getrost zuhauen, so wiirde er gewisse Probe und Bewährung der Kunst befinden. Was geschah? Er rückte ohne ferner Hintcrdenken den Säbel und schlug ihr mit dem ersten Streich das schätzen möchte.

daß

er

Haupt herab. Da sah er wohl, daß er durch diese List betrogen war und sie ihre Ehre lieber als das Leben gehabt hatte." In dieser Erzählung Lautingcrs ist allerdings auch nicht ge¬ sagt, daß das Mädchen eine Rönne gewesen ist, sondern nur, daß Es ist sie aus dem Kloster Himmelstädt geraubt worden war. also sehr leicht möglich, daß trotz aller bisherigen Ablengmingen seitens der eifrigsten Geschichtsforscher diese Begebenheit weniger Denn daß speziell von den als Legende zu betrachten ist. räuberischen Horden es ans Frauen und Jungsrauen abgesehen war, ist bei den damaligen Ansichten und Zeitläuften auch als sicher anzunehmen.

Als der Ranbeinfall der wilden

Ortschaften, die Entfernungen von einander in der Jetztzeit kennen, um begreifen zu lernen, daß die Leitung des Klosters Himmelstädt Abt einer organisatorischen Kraft erste» Ranges unterstand. Ditmar von Kolmar war es nicht, sondern einzig und allein der Hofmeister, über dessen Rainen nichts zu ermitteln ist. Kehren wir zu den geschichtlichen Aufzeichnungen der bereits genannten Forscher zurück, die über die Zeit von 1326 bis 1337 berichten. Es heißt über diese Zeit der anfänglichen Entwicklung des Klosters und

zwar beachtenswerter Weise über die Haltung der einheimischen Ritterschaft: „Von räuberischen Rittern wurden die Mönche, ebenso wie die Geistlichen in der Stadt Landsberg, ans ihren Dörfern vertrieben, das Land, das sic in mühevoller Arbeit für die Ackerwirtschaft klar gelegt hatten, wurde von jenen in Besitz genommen, beivirtschaitet oder nach Belieben verkauft oder verpfändet. In dieser Rot entschloß sich auch der Abt von Himmelstätte, sich fortan der Partei Ludwigs zuzuwcndeu, und der Abt von Kolbatz wandte sich noch besonders an den Markgrafen in einem uns nicht erhaltenen Schreiben und bat ihn um Abhilfe. Das Schreiben, das Ludwig, der sich damals gerade zu Landsberg befand, an den Abt zurück¬ sandte, lautete äußerst verbindlich. Ludwig versprach dem Kloster alle Besitzungen ivieder zuzuweisen, die es einst vom Markgrafen Albrecht erhalten hatte, sobald das Kloster wieder erbaut sein Sollten die in dem Schreiben des Abtes genannten würde. Vasallen (wir wissen nicht mehr, welche gemeint sind, da das betr. Schreiben nicht mehr existiert, doch nimmt man an, daß es die Geschlechter Winning, Marwitz, Holtebotel, sowie der Rat von Landsberg gewesen seien) die Gebiete, die sie sich (widerrechtlich) zugeeignet, verkaufen wollen, so sollen sie gehalten sein, dieselben dem Abt von Kolbatz bezw. dem von Himmelstätte zu verkaufen. Außerdem sollten die Bauern in Genuin, Pyrehne und Vietz (die ebenfalls

slavischen Horden

sich

er¬

eignete, hatten die Mönche von Himmelstädt außer den fünf Dörfern Kladow, Zanzin, Heinersdorf, Loppow und Merzdorf, die bereits besiedelt waren, auch die Kolonisation von Genuin, Hohenwalde, Pyrehne, Dietz, Tornow begonnen, eine Kulturarbeit von geradezu außergewöhnlicher Bedeutung. Man muß die Lage dieser

sich

Klostergrundstücke

zugeeignet

hatten)

sich

mit

den

eigenen Grenzen begnügen rc."

Im Jahre 1575 wurde das Himmelstädter Kloster, dem noch 1469 von Kurfürst Friedrich II. alle Briefe und Privilegien für ewige Zeiten bestätigt worden waren, ganz aufgehoben und zu einem landesherrlichen Amt gemacht. Teilweise stehen jetzt noch Bad ermann. die Mauern des früheren Klostergebäudes.

Eine uckermärkische Bauernhochzeit vor fünfzig Jahren. eine lange Zeit! Und das Rad steht nicht still; unaufhaltsam rollt es weiter, Geschlecht um Geschlecht mit Und mit den sich führend zu den Schatten der Vergangenheit. Menschen fällt Stück um Stück des Alten, gerate» Sitten und Ge¬ bräuche, die Jahrhunderte lang geherrscht, in Vergessenheit. Deshalb

NNünfzig Jahre,

HM

aber schwindet nicht das Interesse an den alten Sitten; im Gegen¬ teil, man gräbt so manch vergessenes Slücklein Vergangenheit ans und freut sich des fremden, oft recht anmntigen Bildes, das uns wie ein Spiegel in ihrem Wesen und Walten, ihrem Denken und Fühlen die Menschen schauen läßt, die lange, lange schon der kühle Rasen deckt. Hochzeit! Heute wie damals schlagen die Herzen Verändert hat sich hoch und selig bei dein Klang des Wortes. nur die Schale, das Kleid, der Kern ist der gleiche geblieben, lind darum vielleicht darf meine anspruchslose Schilderung einer nckermärkischen Hochzeit vor fünfzig Jahren ivohl auf ein freundliches Interesse bei den geschätzten Lesern und Leserinnen hoffen. Dazumal ging alles noch hübsch langsam — nicht mit Dampf und Elektrizität wie heute. So wußten wir oft jahrelang voraus, wen» unter uns ein Brautpaar war, und konnten auch ungefähr berechnen, wann die Hockzeit sein würde. Erst mußte der junge Bauernsohn noch Soldat werden. Inzwischen wird im Hanse der zukünftigen Braut in aller Stille zur Aussteuer gerüstet. Die jungen Leute sind einig, die beiderseitigen Eltern haben nichts da¬ wider, somit ist alles in Ordnung. Die Zeit vergeht. Froh und stolz, mit Jubel begrüßt, kehrt der junge Bauer heim; nun wird's bald Hochzeil geben. Die jungen Mädchen stecken die Köpfe zusammen. „Was sollen wir uns für neue Kleider anschaffen, und wie sollen sie gemacht werden?" ist jetzt die brennende Frage. Die Stoffe mußten allesamt gleich gewählt werde». Ausnahmen konnten nicht gemacht werde», was die eine hatte, mußte die andere auch haben.

Die Freundinnen der Braut erbaten sich im Vertrauen, ihr beim Wäschezeichuen oder dergleichen zn helfen. Natürlich mußte

dies Anerbieten auch angenommen werden. Konnte doch die glücklich! großen Reichtum, den sie an Wäsche und Betten mitbekam, zeigen, sowie auch manches andere, wovon eigentlich nicht geredet werden sollte. Run kam unter »ns Mädchen, falls Braut und Bräutigam keine erwachsenen Schivestcrn hatten, denen dies Aint von selbst zufällt, die zweite Frage: „Welche von uns wird Brautjungfer werden? Und wer Brautdiener?" Denn das mußte ein flinker, gewandter Bursche sein; er hatte gar viel zu thun. Davou noch später. Der Braut¬ diener und die Brautjungfer waren gewöhnlich ein versprochenes Paar. Das gab, wie bei der Hochzeit, von der ich erzähle, oft schwierige Umgehungen, denn beide sollen zugleich nahe Verwandte der Brautleute sein. Solche zu übergehen, ist eine heikle Sache. Schließlich ist dieser Punkt zur allseitigen Zufriedenheit geordnet. Nun mußte der Herr Pastor gefragt werden, ob ihm der er¬ wählte Tag zur Trauung passend sei. Natürlich wußte der Herr Pastor schon von der Sache und hatte sich seine Zeit so zurecht¬ gelegt, daß der Tag paßte, d. h. wenn nichts besonderes dazwischen kam. Den nächsten Abend kamen die Brautleute zn ihm in seine Studierstube, um das weitere zu besprechen; am nächsten Sonntag wurden sodann die Brautleute vor Gott und der christlichen Ge¬ meinde von der Kanzel herab öffentlich aufgeboten, und man konnte an alledein merken, daß des Herrn Pastors Fürbitte für die Ver¬ lobten, wie sie ihm von Herzen kam, auch den Zuhörern zu Herzen ging. Ueber Land wurden Kinder im Alter von zwölf bis sechzehn Jahren nicht zur Hochzeit mitgenommen, es hieß: „Ihr seid zu groß, um überall im Wege zu stehen." Im Dorf selbst war das Die Kinder wurden einfach nach Hause sck)on etwas anderes. geschickt, wenn es Abend wurde oder sie sonst unbequem waren. Eine hochwichtige Person war die Kochfrau. Sie wurde ins Bauernhans genötigt, um Rat gefragt. Und wenn sie auch schein¬ bar die Vorschläge der Hausfrau anhörte, so war sie doch die

Braut nun ihren Frenndinnc» einmal ihren ganzen

Ausschlaggebende. War alles abgemacht, lieft sie sich nicht mehr Zunächst beginn man das Nötigste aufzuschreiben. dreinreden. Der Bräutigam bekam den Auftrag, bald die Fische zu be¬ stellen, nämlich für Fische und Bier hatte nach alter Sitte der Bräutigam zu sorgen. Dem Fischer wurde der Tag der Lieferung recht eindringlich eingeschärft und ihm bedeutet, daft jeder Fisch noch zappeln müsse und keiner unter zwei Pfund wiegen dürfe. Danach kam das Einschlachten an die Reihe. Drei Kälber, drei und vier Wochen alt, standen schon im eigenen Stall. Auch hatte des Bräutigams Mutter ein schönes Kalb, zwei gut gefütterte Schweine, Gänse und Hühner anbiete» lassen. Der Brautvater will ein übriges thun und einen jungen Stier schlachten, damit Suppenfleisch da sei, und den Armen ans den üblichen Teller Reis ein Stück Rindfleisch gelegt werden könne. Roggen und Weizen ward scheffelweise vom Brautvater selbst zum Mahlen nach der Mühle gefahren. Was nun von den Kaufleuten einzukaufen war, das zu be¬ schaffen war Frauensache' auch die Braut ward dabei zu Rate gezogen.

Der Bauer knapste mit dem Geld nicht. „Du bist ja eine verständige Fra» und verstehst mit Geld umzugehen," sagte er und überreichte seiner Frau einstweilen einen Beutel mit 300 Thalern. „Jsr's alle, hast Du jeden Augenblick, wenn es nötig ist, frischen Kredit, nur das eine sage ich — und darin denkst Du ja auch wie ich —, daft nichts geborgt werden darf, sonst würde mir meine ganze Freude verdorben." Um Möbel und Hausrat einzukaufen, begab sich der Braut¬ vater mit den junge» Leuten zum Tischler nach der Stadt, zu sehen, „was er etwa fertig habe". Und er hatte seltsamer Weise immer gerade fertig, was das Brautpaar sich wünschte. — Daft sie dem braven Mann längst ihre Wünsche ausgesprochen, wollte der Bauer nicht wissen. Nun zu den Einladungen! Ein schwieriges Kapitel. Die beiderseitigen Eltern halten Rat. Martin, der Bräutigam, hält schon Papier, Feder und Tinte bereit, die Liste der Gäste auf¬ zusetzen.

Also obenan der Herr Pastor mit Frau, Sohn und Tochter. Dann die Bauern. Uebergangen werden darf keiner, das würde gegen alle Sitte sein; es ist auch Platz für alle, und die Rechnung ganz einfach. Entweder Mann und Frau allein oder nebst Kindern; leben noch die alten Eltern auf dem Hofe, so werden auch diese

eingeladen; wenngleich auch niemand auf ihr Kommen rechnet. Besonders schwierig ist die Auswahl der auswärtigen Ver¬ wandten, daft nur ja niemand beleidigt werde. Zuletzt die Zahl der Tanzpaare. Das war für uns junge Leute die wichtigste Sache! Für fehlende Tänzer mußte der Bräu¬ tigam sorgen, doch auch dafür sich verbürgen, daß diese sich allen Sitten fügten, damit keinerlei Mißhelligkeiten vorkämen. Dabei war man hungrig und durstig geworden, und bald war in dem hintern Bauernstübchen ein Tisch gedeckt, der mit Kaffee und frischen Waffeln, mit Bier, Brot, Butter, Schinken und dergleichen gut besetzt war. Die Einladungen schrieb der Herr Lehrer auf feine große Bogen und verschloß sic mit schönem roten Siegellack. In der Zeit vor der Hochzeit wird in der Wirtschaft nur das nötigste gemacht. Knechte und Mägde werden zu den HochzeitSvorbereitnngen herangezogen, und die Frauen haben das Regiment — „es dauert ja nur 14 Tage," meint der Bauer tröstlich zu seinen Leuten. Schon acht Tage vor der Hochzeit kommt die Kochfrau, das Schlachten zu beaufsichtigen. Der Schäfer schlachtet und haut das Fleisch zurecht; er weiß Diese bringt sich ihre schon, wie cs die Köchin gerne hat. Schüsselwäscherin zur Hilfe mit, und weil sie später die Braten machen ninß, so sollen ihr die jetzt schon übergeben werden, damit Der Dorftischler nimmt in sie alles richtig einlegt und besorgt. den Stuben Maß zu den Bänken, welche längs der Wände fest¬ gemacht werden sollen. Als Tische und andere Sitzbänke dienen Bretter, welche lose auf die Scheine! gelegt werden, damit man Platz zum Tanzen bekomme. An den Stubenwänden werden kleinere, schmale Brettchen angebracht, auf denen je vier bis sechs Leuchter stehen können. Alles, was zu entbehren ist, wird aus den Stuben geräumt und ans den Hansboden geschasst. Wilhelminchen, die Jungfer Braut, hat öfter Freundinnen bei sich; denn bald soll sie dieses, bald jenes Kleid zum letzten Mal an¬ passen, dabei giebt es noch allerlei Wichtiges zu besprechen, auch wird das bunte Bittertuch ausgeputzt, welches die Braut dem Herrn Lehrer bringe» muß, der damit ins Dorf geht, um die Gäste zur Hochzeit einzuladen. Die Braut hat ein großes, feines, weißwollenes Tuch gekauft, das wird bis zu einer Größe eines Taschentuches zusammengelegt. Die Freundinnen machen entweder eine rot- oder blauseidene Bandrüsche als Kante darum, in die Mitte kommt ein kleiner Myrtenkranz und zwischen Kranz und Borte hin und wieder kleine, seidene Rosetten. Die Einladungsbriefc an die auswärtigen Gäste zu

besorge»,

bekommt der Großknecht den

Auftrag.

Er

putzt und zäumt das schwarze Sattelpferd, n»d selbst schönstens geputzt reitet er an der Hausthür vor und empfängt die Briefe, welche in des Bauern Lcdertasche stecken, und die Anweisung, in welcher Reihenfolge er die Briefe abzugeben hat. Bor jeder Haus¬ thür hält der Knecht so lange, bis der Bauer oder ein Angehöriger heraus kommt, übergiebt die Einladung mit einem schönen Gruße von seinem Bauer und der Bäuerin, der Braut und dem Bräutigam, und sie möchten auch ja alle zur Hochzeit kommen. Für diese Leistung erhält der Groftknecht dann ein Glas Bier oder sonst einen frischen Trunk, und der geladene Bauer drückt ihm heim Kommt der Knecht aber in Abschied ein Geldstück in die Hand. ein Gehöft zur Mittagszeit, so folgt er der Aufforderung zum Mittagessen und gönnt auch seinem Schwarzen etwas Ruhe und Hafer. Am anderen Tage begiebt sich nun die Braut zu dem Herrn Lehrer, bestellt ihm die Grüfte der Eltern und Schwiegereltern, und bittet ihn nebst seiner Mutter, ihnen die Ehre anzu¬ thun uud zur Hochzeit zu kommen. Auch wolle sie gleich noch sagen, daß bei der Trauung bas Lied „In allen meinen Thaten" möchte gesungen und mit der Orgel begleitet werden. Roch möchte sie bitten, doch auch vom Chor singen zu lassen; denn so hätten es die Elter» gehabt, und auch sie, die Brautleute, möchten cs gern so haben, setzt sie gleichsam als Entschuldigung für ihre Danach holt sie das Tuch hervor und vielen Ansprüche hinzu. läßt es von der Mutter des Lehrers bewundern. Endlich kommt die Liste mit den Namen der einzuladenden Gäste, dann die üb¬ lichen Grüße, nur daß hier die Namen der Brautleute zuerst genannt werden, und die Bitte, daß der Herr Lehrer keine Absage annehmen möchte. Des anderen Tages gegen elf Uhr, nachdem der Herr Lehrer seinen Sonntagsanzng angezogen hatte, steckt er die Liste mit de» Namen in die Rocktasche, nimmt Hut und Stock nebst dem be¬ kannten Bitttuche, faßt dies mit dem Stockknauf zusammen, so daß das Tuch dreieckig herunterhängt und macht sich aus denn Weg. Ueberall wurde er mit Freude» empfange», überall bekam er die besten Grüße zurück und die Zusage, daß alle kommen würden und sich durch die Einladung sehr geehrt fühlten. Am Abend kam der Bräutigam und emgffng die Zusage, daß alle Gäste sich einfindcn würden, und die Grüße an seine Braut und Eltern. Am Sonntag erfolgte das dritte und letzte Aufgebot der Brautleute in der Kirche, und somit waren alle Vorbereitungen erfüllt, die alt¬

Sitte und bürgerliche Ordnung forderten. Die Hausfrauen, die zur Hochzeit geladen waren, fanden

hergebrachte kirchliche

sich

bald bei der einen, bald bei der anderen Nachbarin zusammen, um zu besprechen, was für Braten, Kuchen und dergleichen eine jede Familienmutter in das Hochzeitshans schicken wolle, und zu welchem Abend, damit alles zusammen zu rechter Zeit da sei, und die Kochfrau sich die Vorräte einteilen könne. Dieser Verabredung gemäß schickten die Frauen am nächsten Abend ihre Mägde mit einem schönen Gruß und den übliche» Sendungen an die Hochzeitsmntter. Da kam denn aus den mitgebrachten Körben hier ein Schweine¬ oder Kalbsbraten, dort fette Gänse und Hühner zu Tage, ganze Eimer mit Milch zum Kuchenbacken, große Stücke frischer Butter, Eier und was dergleichen mehr war. Auch boten die Mägde ihre Hilfe im Hochzeitshause an. Die Brautmutter nahm die gesandten Vorräte an, ließ den Bauernfrauen ihren schönen Gruß bestellen und sagen, alles sei sehr schön und reichlich; sie lasse sich für alles bedanken. Die Köchin suchte sich unter den Mädchen einige für heute zur Hilfe aus, andere für morgen, damit nicht eine die andere hindere. Endlich war der von »ns lange und bang ersehnte Polterabend herangekommen. Die Bauerntöchter, die mit eingeladen waren, hatten sich ans eine bestimmte Stunde verabredet. „Aber ja nicht zu spät kommen," hieß cs; „ist es erst dunkel, so kommen wir vor lauter Topfwerfen nicht durch die Thür." Die jungen Mädchen wurden schon von dem Brautdicner erivartet und in aller Stille in die Gaststube geführt, wo sie ihre Schätze ablegen konnten. Sie brachten große Rapskuchen und hübsch geformte Stücke Butter in Gestalt von Lämmern, Weintrauben oder Fischen. Alles wurde von der Brautmutter mit sichtlicher Freude entgegengenommen. dem eigentlichen Brautgeschenk begaben sich die jungen Mädchen nun in die große Stube, begrüßten die Anwesenden und wurden besonders von der Braut herzlich willkommen geheißen. An den großen Eßtisch, wo der Brautdiener stand, mußte jede, welche ein Geschenk hatte, herantreten, um dasselbe mit einem Reim, der oft Bezug auf das Geschenk hatte, der Braut zu übergeben. Der Brautdiener nahm das Geschenk der Braut wieder ab und zeigte es in der ganzen Stube herum; es wurde nach Gebühr bewundert und gelobt, und zuletzt in Reih und Glied neben den anderen Geschenken auf den Tisch gestellt. Geschenkt wurden lauter nützliche Sachen, z. B. ein gelbes Plätteisen mit Bolzen und einem künstlich durchbrochenen Ständer ans Schmiedeeisen nebst einem wollene» und leinenen Plätttuch, oder ein Wäschekorb mit dem eingeflochtenen Namen der Braut, Wäscheleinen und Klammern, verschiedene Sachen, die beim Schlachten, besonders znin Wurstmachen gebraucht werden, (Schluß folgt.) als Mulden, Wiegemesser, Mörser :c.

Mit

816

^ecrilktor) des %äv. Aiy ^opsicbtifep Mayy. Line amerikanische Geschichte von Rarl Mischte. (Nachdruck verboten).

zwölften Glase fing der alte Parry O'Donny an aufzutauen. Ja, sagte er, unser Bürgermeister . . . kenne ihn schon lange, schon seit er hierher kam. War damals eine wilde Zeit. Von Sweethills City standen bloß ein paar Hütten, und die stehen jetzt schon nicht mehr. Alles anders geworden. Wenn einer so zurückdenkt, wie das alles gewachsen ist . . ! da meist man erst, wie alt mau schon geworden ist. Hm . .. ja . . . Nachdenklich blickt er an der verräucherten Wand in die Höhe, dann mit kritischem Blick aus sein Gegenüber. o

etwa

beim

Ja, ganz recht! dreißig Jahre mag's

doch

wohl her

sein.

Bill Kenalbain lebte damals noch, der Rotkops, machte bald drauf die große Reise, als der Comanchcn-Krawall losging. War ein

forscher Bursche,

alle damals

.

ein bißchen

toll freilich, ivie ivir

.

Fremder, und Ihr reist bald wieder ab. Ihr werdet den Mund halten, so lange Ihr noch hier seid. Später kann's mir egal sein," lachte er, „wenn Ihr draußen plaudert oder gar drüben, jenseits der großen Pfütze, dann leugne ich alles ab, erkläre Euch für einen ganz gewöhnlichen

„Ihr

seid ein

Geschichtenerfinder..." Der, an den diese Ansprache gerichtet war, hat mir später auf diese Gefahr die Geschichte erzählt. Er erzählte sie sogar gern und oft. Es giebt Leute, die gern dieselbe Ge¬ Wenn er an schichte immer und immer wieder vortragen. diese schmeichelhafte Komplimentierung des biederen Gentleman aus Sweethills City, Jesferson County, Texas, kam, lachte er immer sehr wohlgefällig. Damals aber, am Orte der Handlung, begnügte er sich, dem guten Parry ein neues Glas Grog cinzuschänken und ihm zuzutrinken. Jener klopfte umständlich seine Pfeife aus, füllte sie neu, brannte sie an und blies große Rauchwolken um sich. Dann fuhr er fort: Wie gesagt, es war eine böse Zeit damals, besonders hier in Texas. Der Mann hätte sehr scharfe Augen haben müssen, der hier viel Zivilisation entdecken wollte. Kani alles hier zusammen, was wo anders etwas auf dem Kerbholz hatte. War in New Uork ein Kassierer durchgegangen, kein Mensch wußte wohin, hieß cs: gone to Texas. Hatte einer

in Carolina einem andern die Nippen zu genau untersucht und war nicht gleich gefedert worden, war er fort: gone to Texas Hatte einer auf Kuba sich beim Ouerschreibcn manch¬ mal im Namen geirrt, was ivar das Ende: gone ko Texas. Viel desperate Gesellen, denen allerlei zuzutrauen war. Was mich selber betrifft . . . na, es ivar eine harmlose Geschichte, kommt aber nicht drauf an. — Er lächelt verschmitzt, und sein Gastfreund that des¬ gleichen.

Und als dann erst das Goldfiebcr kam! fuhr er fort. dieser oder jener, wer die Mär aufgebracht hatte, da oben irgendwo in den Staaten, daß hier noch von den Jndiancrzeiten her unermeßliche Goldfelder steckten! Alles Unsinn natürlich, nichts dran, höchstens Katzengold, für das kein Apotheker einen Cent giebt. Kamen aber mit einem Weiß

Male mächtige Schwärme von Gentlemen mit Piken und Schaufeln her, hatte auch jeder große Säcke mitgebracht, weiter freilich nichts. Haben später ihre Schaufeln bei den Farmern hier herum gut brauchen können. Mancher brauchte aber lieber das Mcsserchcn oder den Schießprügel. Ist damals allerlei hier passiert. Mancher, der zu Pferde saß und plötzlich Mancher hiiiuntcrfiel, brauchte nicht wieder aufzustehen. wurde auch in die Höhe gehoben, wo gerade ein starker Baum stand, und brauchte sich keine Mühe zn geben, um wieder abzusteigen, wenn ihm die schöne Aussicht nicht mehr be¬ hagte . . . war inzwischen plötzlich verstorben, Blutstockung Da ivar z. B. der trübsinnige Jimmy, und Atemnot ein koniischer Kauz das, sah immer nach fremder Leute Uhren, wollte durchaus wissen, wie es an der Zeit mar, und Neu¬ angekommene Fremde liebte er sehr, kam aber in schlechten Verdacht. . . schade um ihn, war sonst ein wackerer Kamerad. Na, und noch andere . . . aber was macht's? Ihr habt sie ja doch nicht gekannt, Fremder. Jedenfalls herrschte damals

...

eine ziemliche Sterblichkeit bei uns, trotz des gesunden Klimas — wie? unser Klima ist doch gut? — und trotzdem alles kräftige, junge Burschen waren. Die Regierung hätte aus Kalkuliere Washington einen Statistiker herschicken . sollen. abcrf daß wohl keiner geivollt hat. Für die meisten, die so schnell drauf gingen, ivar auch kein Erbe da, die Familie da draußen wußte nichts von den verlorenen Söhnen, und hier gab's wenig Weiber damals, also wenig Möglichkeit, selbst eine Familie zu gründen. O, es ivar sehr traurig! Die Erinnerungen, die den alten Burschen jetzt über¬ kamen, niiißten ivohl sehr gefühlvolle sein — oder war es die Wirkung des Grogs, beut er mit ungeschwächten Kräften zugesprochen hatte? War das wirklich eine Thräne, die in seinem Auge glänzte, als er mit dem Handrücken darüber fuhr? Wie trübe blickte er in die düster beleuchtete Ecke, als ob er da allerlei geliebte Schatten auftauchen und ivieder ver¬ schwinden sähe! Dann sah er eine Weile wie traumverloren seinem Gastfreund aus der fernen Welt ins Gesicht, aber so fremd, als sähe er ihn überhaupt nicht, seufzte dann mehrere Male, trank einen kräftigen Schluck und zündete die aus¬ gegangene Pfeife wieder an. Endlich hatte er ivohl den vorausgegangenen Freunden ein genügend Maß Erinnerung

gezollt, und er widmete

sich

wieder den Lebenden.

Von wem redeten wir denn eigentlich? Ja so, ich wollte . . ganz recht. Also damals kam eines schönen Tages ein junger Bursche hier an, forsch und flott, ivie ivir alle, aber doch anders. Sah gleich wie etwas Vornehmes aus, konnten alle nicht aus ihm klug werden. Erfuhren erst später, durch Zufall, daß er eine gute,Erziehung genossen hatte. Sein Vater war ein Bankier in Boston gewesen, hatte sich verspekuliert, falliert, ivie das vorkommt, schließlich ver¬ Der Junge . man niunkelte von Selbstmord. schollen . natürlich nichts gelernt, plötzlich ein Bettler, selbstverständlich auch ein Mädel, mit im Spiele, mit der er verlobt ivar, die ihn aber jetzt nicht mehr ivollte, wie das so ist. Nun, mein Bursche, Tom Struggle ivar sein Name, mußte verschiedene

ja

.

.

bittere Pillen schlucken. Erst wurde er Kellner und hatte das seinen ehemaligen Schwiegervater und seine verflossene

Glück,

Braut demütig zu bedienen, dann Portier, Straßenkehrer, Stiefelputzer und dergleichen mehr, fand aber in diesen Be¬ rnsen allen keine rechte Befriedigung. Schließlich ging er nach Texas, wie so mancher andere auch, der einen kräftigen Sturz überstanden hatte. Wie gesagt, das erfuhren wir erst später. Als er hier recht gut ausgerüstet, zerbrachen wir uns alle die Köpfe, was er wohl nwllte. Als Digger kam er nicht, und nach den sonstigen Arbeitsgelegenheiten aus den Farmen oder in unserem Städtchen sah er sich auch nicht um. Dagegen reiste er viel im Lande umher und gab viel Geld aus. Wir dachten erst, er wollte sich hier ankaufen, dann hielt ihn auch einer für einen von den verrückten Kerlen, die nach Käfern oder Unkraut gehen, und der schwarze Sepp hatte ihn im Verdacht, ein Detektiv zu sein, den irgend eine reiche Familie losgeschickt hätte, um ihren Alfred oder Arthur zu suchen, der zurückkehren solle, iveil ihm alles verziehen sei; Billy Hood aber fragte ihn eines Abends, ob er vielleicht Jim Hansen suche, der hätte immer von einer Erbschaft gesprochen, die ihm noch einmal zufallen müsse, leider sei er vor einem Vierteljahr gehängt worden. Endlich, eines Abends, lud er alle ein, die kommen wollten, und bewirtete uns in der alten Schenke, die inzwischen auch abgerissen worden ist. Er ivolltc sich dauernd hier se߬ haft machen, sagte er, und gewissermaßen Einstand zahlen. Das gefiel uns, der Bursche hatte Lebensart. Als wir nun schon etwas getrunken hatten — es ist mir noch wie heute — stand er auf und hielt uns eine Rede. Ich werde das nie ankam,

vergessen.

Es sei den anwesenden Gentlemen bestens bekannt, sagte er, wie rasch der Tod mit seiner Knochcnhand in das blühende greife — darin konnten wir ihm alle recht — geben wie er den Vater vom Sohne, den Gatten von der Familie, den Jüngling von der Geliebten trenne. Es sei aber im Interesse eines geordneten Staatslcbcns, daß die Hinterbliebenen, wie er es leider selbst erlebt habe, nicht in Not und Sorgen dasäßen, sondern darin zeige sich ein guter Bürger dieses freien Landes so recht auf der Höhe, daß er Fürsorge treffe für plötzliche Fälle u. s. w. u. s. w. Er schloß damit, daß er als Agent der New World North and South Life Insurance Company hierher gekommen sei, um für solche Fälle Vorkehrungen zu treffen, und iver ctiva für seinen Todes¬ fall in diesem Sinne seiner Angehörigen gedenken wollte, der möge sich an ihn wenden; seine Gesellschaft sei kulant, sic zahle prompt und sicher, und sie schließe auch gewaltsamen Menschenleben

Tod und dergleichen nicht ans. Ihr könnt Euch das Erstaunen gar nicht vorstellen, in das uns diese Worte des Neuen versetzten. Wir, bei denen das Leben bisher nicht einen Vierteldollar inert gewesen war, sollten auf einmal unser Leben versichern! Und für wen? Kein einziger von uns hatte Angehörige, höchstens eine flüchtige Liebschaft hie und da. Und ob die paar Farmer hier herum zu so etwas Neumodischem Lust haben würden, erschien uns doch recht zwcisclswürdig. Daß der Bursche sich über uns lustig machen wollte, konnten wir ans seinem ganzen Gebaren nicht entnehmen. Es blieb also bloß die Möglichkeit, daß er entweder ganz andere Zwecke verfolgte und seine Lebensversicherung nur vorschützte, um desto weniger gestört zu sein, oder daß er ein ausgemachter Einfaltspinsel wäre, dessen Whiskey man ja immerhin trinken konnte, bis seine Barschaft dahin war. Ihm war es aber anscheinend ganz egal, was wir von Er logierte sich bei dem alten seinem Vorhaben dachten.

Vater Neumann ein, einem Deutschen, der da drüben seine Ansiedelung hatte — er ist natürlich lange tot — und sah aus ivie einer, dessen Zeit schon kommen wird. Befragte ihn einer beim gemütlichen Glase Grog, wie es denn stehe, so sagte er gleichmütig, seine Company wisse wohl, daß es nicht so schnell gehen werde, aber hier sei sie ohne Konkurrenz, und sie wolle es sich auch was kosten lassen, um sich hier ein¬ zuführen. In den jungen Territorien sei noch am ehesten was zu machen, während in den alten Staaten immer der Agent der einen Gesellschaft den der anderen versichern wolle. Nun, die Zeit ergab, daß Tom Strugglc recht behielt. Bald hatte er NennianuS sämtliche Sohne versichert, die sich nicht lange drauf Bräute aus Deutschland holten, und ein Farmer nach dem andern folgte nach. Als es ihm aber eines Abends gelungen war, dem wilden Fred Hutchinson eine Police anzuhängen, der dainals mit der Juanita, einer feurigen Mexikanerin, ein Verhältnis hatte, da war das Eis gebrochen. Diese That Freds überzeugt die kokette Creolin so von Freds ehrlichen Absichten, daß in Wirklichkeit aus beiden ein Paar wurde. Da dachte denn auch manch anderer von uns wilden Burschen daran, daß es doch nicht ewig so bleiben könne, und die Sehnsucht, im Falle des Todes irgend etwas zu hinterlassen, nahm zu. Man entschloß sich auch, mit seinem Leben, das allmählich kostbarer auszusehen anfing, etwas vorsichtiger umzugehen. Wie gesagt, allmählich kam ein Um¬ schwung in unsere Sitten, und es wagte schon eher ein Mädchen, hierher zu kommen und hier zu bleiben.

Eigentümlich war cs, daß er, der Nenzngczogcne, ohne Anfechtung unter dem allerlei Volk und Gesindel auskam. Aber es war so. Viel mochte wohl sein ruhiges Wesen dabei machen, und daß er sich um unsere Händel nicht kümmerte, viel auch die Thatsache, daß er fast nie viel Geld bei sich führte. Trotzdem seine Geschäfte eigentlich das Gegenteil ver¬ muten ließen, war er fast nie bei Kasse. Das heißt: was man Kasse nennt. Er zahlte meistens mit Checks auf die Bank seiner Gesellschaft, und diese Checks wurden von Eastman Brothers in Jeffersonia immer glatt eingelöst. Auch wußte man, daß er die Einzahlungen der Versicherten immer schleunigst dorthin abführte, und er machte absichtlich kein Hehl daraus, daß er die Versicherungssumme, wenn einer seiner Klienten einmal Lebewohl sagte, auch erst von dort würde beziehen müssen. Das wurde auch nicht anders, als er sich, kaum ein Jahr bei uns seßhaft, oben auf einem kleinen Hügel, einem der Sivcet Hills, ein festes Hänschen bauen ließ. Ihr könnt es heute noch sehen; er hat es nur noch vergrößert. Da kam freilich eines Tages ein gewaltiges eisernes Geldspinde angefahren, und zehn Mann wuchteten einen ganzen Tag mit ihm herum, um es an Ort und Stelle zu bringen; aber er meinte, das gehöre einmal znni Geschäft und habe nur Reklamewert. Außerdem war er ein forscher Bursche und schoß ausgezeichnet. Ich kalkuliere aber, es war noch etwas anderes, was ihn über diebische Angriffe erhob: das Gefühl, daß mit ihm und seiner Gesellschaft auch ein großer Teil unserer Mitbürger gewissermaßen verbunden und verivachsen sei, so eine Art Gemeinsinn, durch den die Bürger dieses freien und glücklichen Landes sich immer ausgezeichnet haben, und der dieses große und schöne Land erst zu dem gemacht hat, was es ist. Ihr seid zwar ein Fremder, aber Ihr werdet mir doch beistimmen — wie?

Der also Angeredete beeilte sich natürlich, sofort durch eifriges Kopfnicken seinen gewaltigen Respekt vor dem Gemeinsiun des freien und glücklichen Amerika zu beteuern. Darauf erzählte der brave Parry weiter: Nur einmal kam eS vor, daß er den in unserem auf¬ blühenden

Genieinwcscn

herrschenden

Geist auf

eine

harte

Probe stellte, und das wollte ich Euch gerade erzählen. Denkt Euch, eines schönen Tages fing er davon an, daß er einer wichtigen Reise halber sein Haus ein paar Tage allein lassen Seinen Boy hatte er vorher iveggeschickt, und ein müsse. neuer hatte sich noch nicht gefunden, und die eine der Neumannschen Frauen, die nianchmal bei ihm nach dem Rechten gesehen hatte, war gerade unabkömmlich, eines gewissen Familienereignisses wegen. Er meinte, daß seine Freunde ivohl auf sein Häuschen ein Auge haben würden, das nicht etwa ein Desperado aus der Umgegend ihn, seinen Garten zertrete. Wie er das so ruhig und vertraulich sagte, sahen sich einige unter uns Burschen vielsagend an: aber er schien nichts zu benterken. Ein paar Tage drauf ivar er wirklich abgereist, und wer an seinem Hause zufällig vorbeikani, der fand vorn an der Gartenthür einen Zettel, auf dem mit deutlichen Buchstaben zu lesen war: „Diejenigen Gentlemen, die Mr. Struggle besuchen wollen, mögen sich drei Tage gedulden. Mr. Struggle hat verreisen müssen, sein Geld und sonstige Wertsachen sind in den eisernen Tresors von Eastman Brothers, Jeffersonia, deponiert, kein Cent ist im Hause. Im Garten liegen Fußangeln."

Am Abend dieses Tages trafen wir uns, wie gewöhnlich, in der Schenke. Es waren Bill Kenalbain, Benjamin Miller, Billy Hood, und der vierte war ich.

Ihr

„Habt

Alle hatten

gesehen

.

.

„Ein verteufelter Kerl!"

„Mit

." fing einer an.

cs gesehen.

meinte

dem ist nicht zu spaßen!" äußerte sich Benjamin-

jagen lassen!"

„Willst Du sagen, daß ivir Memmen sind?" fuhr Ben auf. „Nein!" sagte Billy. „Ihr seid wackere Burschen, die vor keinem Streiche zurückschrecken — bloß vor diesem!" „Verdammt!" rief Ben. „Und Du?" zuckte die Achseln.

Mir

wurde die Sache ungemütlich. Ich muß leider ge¬ wie soll ich sagen? . . . ich damals noch Wenn das so weiter ging, sagen wir, jünger war als heute. gab cs Streit unter uns vieren, und wir waren doch immer gute Kameraden gewesen. „Was soll das?" sagte ich. „Wo nichts ist, da ist nichts, stehen,

...

daß

und da hat's keinen Zweck."

„Ja!"

Billy.

„Wenn der Besucher im Hanse wozu giebt sich da Struggle die Mühe, wirklich nichts findet, durch so einen Zetiel abzuwinken?" Donnerivetter! Das war ein Gedanke. Er konnte cs ja darauf ankommen lassen. „Aber," warf ich ein, „er hat ja fast nie Geld im Hause." „Umso niehr ein Bciveis," lautete die Antwort, „daß es lachte

jetzt anders ist."

„Wohin

ist er denn gereist?" fragte einer.

„Weiß nicht. Er ritt nach Norden zu." „Teufel! Da kommt er nicht nach Jeffersonia! Könnte aber doch den ganzen Mammon bei sich haben!" „Unsinn! Was hätte er davon, als Last und Beschwerde? Höchstens, wenn es gemerkt wird, Erhöhung der Gefahr."

er

denn in letzrer Zeit viel Einnahmen gehabt?"

soll man bei dem wissen! Jedenfalls nach Jeffer¬ sonia ist er lange nicht gekonimcn, und zum Schicken hatte er

keinen."

„Tod und Teufel!" flüsterte Benjamin. „Die Sache wird ernsthaft."

„Wer ivill ein Narr sein?" fragte Billy recht anzüglich. Wir sprachen noch dieses und jenes und tranken ein Glas Grog nach dem anderen. Und als dann die Mitternachts¬ herankam, da waren wir etwa so weit. Es mußte etwas geschehen. Jedenfalls wollten wir uns die Geschichte einmal ansehen. Also, wir machten uns auf. Kaum waren wir aber ein paar Schritte gegangen, da entlud sich ein kräftiges Gewitter stunde

über uns, wie cs in unseren Gegenden nicht selten ist. Wir konnten beim Zucken der Blitze das Haus Struggles in der Ferne liegen sehen, und unsere scharfen Augen erspähten sogar den vertrackten Zettel an der Thür. Aber Billy, der Tapfere, meinte plötzlich, man solle Gott nicht versuchen; bei einem solchen Geivitter sollte nian dergleichen nicht machen. Gleich¬

begann es zu regnen. Ich muß gestehen, daß ich so eine unheimliche Geivittcrnacht, so recht finster, nur von Blitzen unterbrochen, eigentlich für die gelegenste Zeit zn einer That hielt. Aber ich sagte nichts. Was die anderen dachten, weiß Jedensfalls kehrten wir schleunigst um, als die ich nicht. Tropfen stärker sielen, und zum Glück fanden wir das Wirts¬ haus noch offen. Es goß wie eine Sintflut herunter. zeitig

Da

Bill.

„Lächerlich!" sagte Billy Hood. „Wieso?" fragten wir alle. „Schade, daß Fred Hutchinson abgefallen ist," meinte Billy. „Aber seitdem er die Police bei Struggle genommen hat und sich niit der tngendsamen Juanita verehelichen will, ist er zu nichts Thatkräftigem mehr zn beivegen. Kommt ja kaum noch ins Wirtshaus!" „Ja, meinst Du denn, daß der . . .?" fragte Bill. „Nun natürlich! Der würde sich nicht ins Bockshorn

Billy

„Hat „Das

wir nun also wieder in der warmen, trocknen Ich glaube, ivir schämten uns doch vor einander, saßen

Stube. obivohl das Wetter draußen wirklich nicht zu verachten war. Viel gesprochen wurde nicht, und über diese Sache schon gar nicht. Schließlich hatte das Gewitter ausgetobt. Meint Ihr, wir wären nun ans Werk gegangen? O nein! Die Nacht war nun einmal verdorben, die rechte Stimmung — auch zn ctivas gehört Stimmung — kam nicht wieder. Wir gingen auseinander, um die Sache zu beschlafcn. Struggle blieb ja drei Tage ans, also war noch Zeit genug. Benjamin und Billy trennten sich zuerst von uns. Mit Bill Kenalbain ging ich noch ein Stück Weges zusammen. „Meinst Du, dag die beiden jetzt allein . . .?" fragte „Das wäre eine ich, von einem plötzlichen Einfall ergriffen. schöne Bescherung, ivir komnien um unseren Anteil." so

„Ach nein!" lächelte er gutmütig. „Die Sache mit den Fußangeln im Garten giebt doch zu denken. Da riskieren cs die beiden nicht allein. Ucberhaupt, so ein Gewitter wirkt auf Billy Hood immer ganz eigentümlich. Der thäte es jetzt um keine Million." Nach einer Weile begann Bill iviedcr: „Aber weitn wir beide uns jetzt ans Werk niachtcn, dann hätten wir den Vor¬

Wie nieinst Du?"

teil.

„Hm? Was

sagtest

Du da vorhin von Fußangeln?"

lachte. Wir gingen auseinander, jeder in seine Hab' aber die Nacht schlecht geschlafen, das kann ich

Bill Hütte,

Euch versichern.

Am nächsten Tage war große Wanderung nach Struggles Hause. Alles, was Beine hatte und nur irgend abkommen konnte, ging dort „zufällig" einnial vorbei und hielt sich in der Nähe auf. Leute, die ihr Weg jahrelang dort nicht vorbcigeführt hatte, kamen heute und blieben eine Weile stehen. Der Zettel mit der famosen Inschrift war vom Regen natürlich stark mitgeirommen worden, aber das war cs weniger, was die Leute herführte. Es wußte ja jeder, was darauf stand. Wer die Aufschrift nur von Hörensagen kannte, gab sich allerdings Mühe, sich aus den verwaschenen Buchstaben zu

819 so lautete. Die meisten indessen das Hans von allen Seiten, ob wirklich daniit nichts passiert wäre. Denn daß eine so brillante Gelegenheit ungenutzt vorübergehen sollte, ivar nach allem, was sonst bei uns hergebracht und Sitte war, gar nicht zu denken. Unser Billy sah eine ganze Weile, wie in Gedanken verloren, über den Zaun und schielte nach den Fußangeln, die im Garten liegen sollten. Ben Miller lag drei Stunden im Grase und studierte die Gesichter aller, die vorübergingen. Fred Hutchinson kani und sah besorgt hinüber, man konnte ihm nicht recht ansehen, ob er freundliche oder feindliche Gesinnungen hegte. Auch die Reumanns, obgleich sie stark in der Ernte

überzeugen, daß sie wirklich betrachteten

steckten,

kamen

einzeln angeritten und thaten so, als ob sie

suchten — fanden aber wenig Gegen¬ Kenalbain saß oben auf einem Stein und lachte alle freundlich an, so daß unser Missionsprcdiger, der natürlich auch dort war, Hoffnung faßte, dies räudige Schaf werde sich doch noch bessern und zur allumfassenden Liebe eingehen.

Hilfe zur Feldarbeit liebe.

Bill

„Smart! Wie?" erwiderte Bill auf seine salbungsvolle Ansprache. „Hat das ganze Rest zur Polizei eingesetzt, dieser

die umliegenden Sweet Hills ab, fanden aber die Luft rein. Mau konnte au die eigentliche Arbeit gehen. Wir trennten uns, indem wir noch verabredeten, daß wir bei irgend ver¬ dächtigen Anzeichen einander zur Hilfe eilen sollten.

Also ich strich nach Westen zu und lagerte mich ans der Höhe des nächsten Hügels ins Gebüsch, die Hand am Re¬ volver. Scharf spähte ich umher, ob sich nichts Störendes

Aber

zeigte.

ich bemerkte

nichts, dagegen erschollen bald ver¬

nehmliche Hilferufe vom Hause Strugglcs herüber. Schleunigst rannte ich, so schnell cs ivenigstcnS durch das Gestrüpp ging, meinen Hügel herunter und den anderen

hinauf, und ich kam gerade gleichzeitig mit Bill Kenalbain an, der auf der anderen Seite Wache gestanden hatte. Wir fanden Benjamin zitternd und zähneklappernd am Zaun stehend, und jenseits ini Innern des Gartens stöhnte und fluchte Billy, er säße in einem Fußeisen fest.

Ich sprang über den Zaun, und obwohl ich mir sagen daß mir jeden Augenblick dasselbe passieren konnte, eilte ich doch auf Billy zu. Ich ivar entschlossen, mir im schlimmsten Fall eine Kugel in den Kopf zu jagen. mußte,

Billy lag wimmernd in

Tom Struggle. Laufen alle herum und beivachen ihm seine Hahaha, keiner gönnt's dem anderen!" Da sah der wackere Missionsprediger, daß seine Zeit noch nicht gekommen war. Jedenfalls scheint mir, daß Bill nicht so unrecht hatte. Wer jetzt, am Tage, ctivas hätte machen wollen, hätte zu viel Zeugen gehabt und wäre, bei der Mißgunst der anderen, sicher nicht mit dem Leben davon gekommen, geschiveige denn mit der Beute. Der Zeugen waren zu viele.

einer Hecke und wagte nicht sich Vorsichtig faßte ich ihn unter den Armen und — zu meinem größten Erstaunen gelang es mir, ihn ein gut Stück fortzuziehen. Er hatte sich in eine Brombeerrankc ver¬ wickelt und war gestürzt, das war alles. Das Fußeisen hatte er sich rein eingebildet, und er hatte sich nicht mehr zu rühren gewagt, aus Furcht, mit den Händen auch noch in so ein niederträchtiges Ding zu geraten.

So verging der Tag, und als wir am Abend wieder in

konnte der Lärm unangenehme Zengen herbeigelockt haben. Zum Glück war nichts dergleichen zu sehen. Billy aber war nicht zu bewegen, den Gang noch einmal anzutreten. „Nun", sagte Benjamin Miller, „dann werde ich Dir zeigen, was Du für ein Hasenfuß bist. Aber wenn ich drin

Habe.

der Schenke beisammen ivaren, meinte Billy, er ivisse nun, wer die vier größten Esel in den Südstaatcn wären. „So eine schöne Gelegenheit, ivic vorige Nacht, kommt nicht wieder. Bei dem Regen und der Finsternis hätte sich kein Mensch hinausgeivagt. Vier forsche Kerls, ivie wir, hätten da

ungestört das ganze Haus wegtragen können. Jetzt ist das ganze Rest aufmerksam, und wer weiß, >ver da angeschlichen kommt, wenn man gerade in der schönsten Arbeit ist!"

„Hoho!" sagte Benjamin. „Das klingt ja süß. Erst warst Du derjenige, der durchaus wollte, und jetzt getraust Du Dich nicht mehr? Auch gut! geht die Sache nun in drei Teile." Da meinte wieder Billy, wenn cs versucht werden sollte, dann wollte er doch dabei sein, aber man müßte vorsichtig zu Werke gehen. Erst müßte die ganze Gegend um das Haus abgesucht werden, und dann müßten zwei zu beiden Seiten des Weges, im Gebüsch versteckt, fortgesetzt Wache halten, daß keine Störung eintrete. Einer müßte über den Zaun steigen und in das Haus eindringen, und der Vierte müsse in der Nähe sein, falls diesem in, Garten oder im Hause etwas zustieß", damit er sofort hilfreich bcispringen könnte. Also, um es kurz zu machen, es wurde Mitternacht, und alle übrigen Gäste hatten sich verzogen, da machten wir uns auf. Im Gegensatz zur vorhergehenden Nacht war diesmal heller Mondschein, und bald sahen wir Strngglcs Hans und Garten auf seiner Anhöhe vom hellen Silberlicht umflossen vor uns liegen. Wir hatten gelost, um die Aufgaben zu verteilen. Zu¬ nächst an dem Absuchen des Gelände ringsum sollten sich alle beteiligen, dann fiel mir und Bill Kenalbain die Wache rechts und links zu, während Billy und Benjamin im Hause selbst arbeiten sollten. Also, es ging los, und richtig! Da lungerte auch ein ruppiges Individuum in den Gebüschen herum. Es gab aber schleunigst Fersengeld, als nur uns näherten. Wir suchten

zu rühren.

Jetzt hieß es zunächst: schleunigst hinaus! denn möglicher¬ weise

bin und pfeife, so mußt Du nach, um niir am Geldschrank zu helfen." „Weißt Du sicher", fragte Billy, der wieder allen Mut verloren hatte, „daß das keiner von den neuen Geldschränken ist, an dem Selbstschüsse angebracht sind?" „Ach was! Ohne Risiko kein Gewinn!" rief Ben und schwang sich über den Zaun. Wir beiden anderen wollten uns auf unsere Posten zurück¬ begeben, waren aber kaum fünfzig Schritte entfernt, als wir schon wieder lautes Schreien hörten. Als wir wieder an der Gartenthür angelangt waren, sprang auch Ben schon wieder über den Zaun. Der Teufel sitze in dem Hause, er habe plötzlich helles Licht gesehen! gestehen, mir wurde ganz frostig zu Mute. Kenalbain, der sich vor keinem Teufel fürchtete, lachte den Aengstlichen aus und meinte, cs würde ivohl da ein Spiegel oder etivas Aehnliches stehen, worin er den Mond erblickt hätte. Er ivollte jetzt den Gang übernehmen, Billy sollte am Thore Wache halten, und ich nebst Ben Miller sollten patrouillieren.

Ich muß

Aber

Bill

Also ich schlich zu meinen! Posten zurück, freilich durch alle diese Zwischenfälle etwas aus dem Gleich¬ gewicht gebracht. Fremder, habt Ihr einmal, wenn Eure Nerven schon etivas angegriffen ivaren, in einer mondscheinhellen Nacht in einem Gebüsch gesessen? Seid Ihr im Mond¬ schein schon einmal allein eine Straße gewandert, die rechts Gesagt, gethan.

und links von Gebüsch eingefaßt ist? Hölle und Teufel! lieber in stockfinstrer Nacht, wenn man au Bäume rennt und in Gräben stolpert, als bei solchem Mondschein! Da sitzt hinter jedem Busch einer, jeder alte Knorren ist ein zusammengekauertcr Mensch, jeder vorstehende Zweig ein Schießding,

das aus Euch zielt! Hol mich dieser oder jener! Ich wußte das, ich wußte, daß meine Nerven aufgeregt waren, ich wußte, daß alles Trug und Täuschung ist! Und doch kam mir alles verändert vor. Ich beherrschte mich und ging tapfer auf die Phantome los, immer ivicder überzeugte ich mich, daß es nichts war als Sinnestäufchuiig — aber da, mit einem Male, zwanzig Schritt vor mir stand einer schußfertig mir gegenüber, mir ich sah ihn sogar einen Schritt vorivärts machen, flimmerte . . . ini nächsten Augenblick hob ich meine Pistole und schoß los . und wieder einen Augenblick später wußte Es war natürlich ich, welche Dumniheit ich begangen hatte. ein alter Baumstamm, den ich ganz genau kannte. Hundert¬ ,

.

mal ivar ich am Tage an ihm vorbeigegangen! Aber auch drüben krachte ein Schuß . . . und noch und noch einer . . . Fünf Minuten später waren wir ivicder alle vier am Gartenthor zusammen, verstört, wütend. Jeder behauptete' der andere hätte zuerst geschossen, und keiner ivußte, ivas los einer

.

.

.

iväre. Das eine aber ivar sicher: mit der schönen Unter¬ nehmung war es für heute vorbei. Hin und her flogen heftige Schimpfrcden, und ivenn Billy, der in seiner blinden Wut ans Bill Kenalbain anlegte, getroffen hätte, so hätten ihn die Komanchen später nicht zu massakrieren gebraucht.

Eben sollte ein größeres Blutbad unter uns stattfinden, da erschreckte uns ein höhnisches Gelächter. Von einem großen grauen Felsstein löste sich eine mensch¬ liche Gestalt los — Fred Hutchinson. In unserer nächsten Nähe hatte er die ganze Zeit über gesessen, und den hatten wir nicht gesehen!

fortkommt!" rief er uns zu. „Ihr habt ja das ganze Nest allarmiert. Noch geht's, noch hat Euch keiner gesehen. Wie? Ich fechte auch lieber mit Menschen, die ich sehe, als mit eingebildeten Gespenstern!" Fred hatte entschieden recht, und wir machten uns eiligst aus dem Staube. „Macht, daß

Ihr

Am nächsten Tage war natürlich der ganze Ort voll von Klatsch über die nächtlichen Vorgänge. Mcrkivürdigerweise hatte aber keiner Verdacht aus uns, und es hieß allgemein, Desperados von drüben seien gekommen; wer aber die Schreckschüsse abgegeben hatte, die sic verscheuchten, wußte kein Mensch. Man mutmaßte allerlei gehcimnißvolle Selbst¬ schüsse am Hause und im Garten, und so erklärte man sich das Fehlen von Leichen und Blutspurcn. Trotzdem waren wir am Abend, als wir nns wieder in der Schenke trafen, doch noch ziemlich kleinlaut. Scham vor uns selber und doch auch etwas heimliche Furcht hielten uns

umfangen.

Da that

llud gerade heut kommt dies Erkennen der Mutter mit

über¬

Thür auf, und herein spazierte,

gemüt¬

ivie immer, Tom Struggle, und hinter ihm ein baum¬ langer Kerl, den keiner kannte.

Tvm, „die Geschäfte gehen gut, ich habe mir einen Gehilfen zugelegt, hier meinen Freund Charles Wintcrsivorth. Ich lade Euch alle ein, mit mir auf sein Wohl und darauf, daß es ihm in diesem schönen und auf¬ strebenden Orte gut gefallen möge, ein paar Gläschen zu trinken. Setzt Euch hierher, Mr. Wintcrsivorth, wir kommen noch zeitig genug nach Hause. Mit meinem Häuschen wird

„Kinder,"

sagte

ja wohl nichts passiert sein!" Ein forscher Kerl, ivas? dieser Tom Struggle. Er ist denn bald darauf unser Bürgermeister geworden, und das ist er noch.

Jetzt geht es bei uns ebenso ordentlich zu wie wo Daß ich Kirchenältester bin und sonst noch ein paar

anders. Ehrenämter in der Gemeinde habe, wißt Ihr ja. Fred Hutchinson wurde Sheriff, er ist nun schon tot. Leben über¬ haupt nicht mehr viele, die jene unruhigen Zeiten gekannt haben.

.

.

.

Würde Euch kaum einer glauben, wenn weiter erzählen wolltet.

Ihr

die Geschichte

t.

Skizze aus dem Leben von

wältigender Furcht, die Arbeit sinkt plötzlich ans der Hand, und schwere Thränen rollen langsam über die gefürchteten Wangen, während die Lippen sich fest aufeinanderpressen, um nur keine» Schmerzenslaut hervordringen zu lasse». Ach ja, es war doch wohl hoffnungslos mit ihrem einzigen Sohn. Roch war ihr freilich dieser Gedanke ein leerer Begriff, noch hatte sie den Teuren ja täglich, stündlich um sich — der ihr Inhalt, Sorge und Sonnenschein ihres ganzen armseligen Lebens ivar. Aber wie lange noch — ließ es sich denn ausdenken, daß sie ihn hergeben sollte — für iinmcr?! Nun fährt sie zusammen und richtet unwillkürlich den Blick zur Decke des niederen Stübchens. Was ist denn das heut für ein Tumult da oben — die Plätterin, die in vierten Stock über

die

lich

p rr) ü ott sei Dank — er schläft!" Und noch leiser zieht die alle Frau den Faden durch die Leinwand, und wenn sie der Schere benötigt, hebt sie diese mit gespreizten Fingern empor und läßt sie dann in ihren Schoß gleite», weil das Zurücklegen auf den Tisch doch vielleicht Geräusch verursachen würde. Das Haupt des Kranken ist schwer zurückgesunken. Sein Atemholen verursacht jenen rasselnden Laut, die von kranker Lunge kommt. Wie unheimlich weit das verheerende Leiden bereits vor¬ geschritten, zeigt die blutlose Blässe des verfallenen Gesichts.

sich

B.

U?.

Zell.

ihnen wohnt, verrichtet doch ihre Arbeit in der Küche, und für den vorderen Rnnm hat sie bisher vergeblich einen Aftermieter gesucht. Nun klingt's gar, als ob Möbel bei Seite geschoben würden, dazwischen, und jetzt müssen sie Schweres niedersetzen — die alte Frau verfolgt das Wenn nur Stephan von dem Geräusch nicht er¬ Vormittagsstunden sind die einzigen am Tage, in denen er nach qualvoll durchhusteter Nacht ein wenig Schlummer findet. Aber der Kranke muß sehr erschöpft sein, denn er schläft mit keuchender Brust weiter. Nun wird oben laut und energisch ein Stuhl gerückt und gleich daraus tönt unvermutet, ivie ein Kanonen¬ schuß ans dem Hinterhalt, ein donnernder Klavierakkord in die

Männerschrstte etwas Großes, alles zitternd. wacht — diese

tapsen dröhnend

des Krankenstübchens hinein. Der Schlummernde fährt mit einem Wehelant empor und blickt verwirrt um sich. Dann aber steigt ein freudiger Schimmer über

Stille

das abgezehrte Duldergesicht. „Musik, Mutter — wirklich Musik. Wie kommt das Klavier in die Mansarde des armseligen Hinterhauses?" „Wie hast Du Dich erschreckt, armer Junge!" ruft statt der Antwort die Frau und eilt, dem ächzenden Kranken die Kissen „Und das Klavier — ja, sollte die Plüddecken zurecht zu rücken. einen so vornehmen Mieter gefunden haben? Will nachher gleich einmal nachfragen."

821

Oben reihten sich inzwischen die Tonwelle» zu perlenden Läusen aneinander, die »nt seltener Fertigkeit gespielt und endlos wieder¬ holt wurden — immer wieder dieselben Sätze, nur mit stets gesteigerter Schnelligkeit vorgetragen, bis sie schließlich einem tollen

„Das mag wohl

klassische

Musik sein,"

meinte endlich der ein hübsches Volkslied oder ein

Kranke leise. „Freilich wäre mir lustiger Marsch lieber, aber man muß auch dafür dankbar sein. doch

immer etwas Belebendes."

Die Mutter war ganz froh geworden. Das gab doch nun für Stephan, die ihn vielleicht über manche Leidensstunde hinwegtäuschte. Als sie aber eine Stunde darauf in die Küche ging, das einfache Mahl zu bereiten, hatte sie doch das Gefühl, als ob es ihr ganz schwindelig im Kopfe wäre. eine Zerstreuung

Um Schlag Zwölf hörte das Spiel aber auf und gleich dar¬ Frau Scholz, die eben die Küchenthür geöffnet hatte, einen eleganten Herrn mit sehr langen wüsten Haaren die Treppen hinabgehen. „Der neue Mieter", dachte sie. „Was doch diese Plüddecke für Glück hat." Dann brachte sie ihrem Sohn die Suppe, bettete ihn bequem, damit er ei» Stündchen ruhe und setzte sich wieder au ihre Näherei, mit der sie sich und den Kranken müh¬ selig nährte.

auf

holen", stöhnte er matt.

.

Wirbel glichen.

Musik hat

ablässig weiter zu klingen. Des Kranken Glieder zuckten kon¬ vulsivisch von all der Pein, und langsam schlug er die Augen ans. „Er kann doch nicht täglich diese entsetzlichen Uebungen wieder¬

sah

Aber ehe noch Stephan eingeschlummert war, fuhr er in jähem Spieler oben setzte wieder mit einem dröhnen¬ den Akkord ein, dem sich sofort die bekannten Passagen in rasendem Tempo anschlössen. Frau Scholz ward ganz blaß. Schreck empor — der

„Herr Gott — das geht doch gar nicht — Du kommst ja um Der Mann muß doch bedenken, daß er nicht allein

jeden Schlaf!

im Hans wohnt." Stephan war wieder in die Kissen zurückgesunken. „Es war nur der erste Schreck", sagte er sanft. „Vielleicht gewöhne ich mich auch, dabei zu schlafe» und ununterbrochen kann das Spiel doch auch nicht fortgehen — das hielte ja der Mann nicht aus, selbst wenn er Berufsmusiker ivärc." „Und wenn cr's doch aushält?" fragte sie, ganz verängstigt bei dieser Vorstellung. Er schloß matt die Auge».

„So muß es eben ertragen werden — wer könnte es ihm verwehren, in seiner Wohnung nach Gefallen zu musizieren?" Und der neue Mieter hiclt's aus. Mit erstaunlicher Ausdauer und seltener Muskelkraft spielte er immer wieder dieselben Passagen und Triller ein-, zehn-, hundertmal. In endloser Folge ertönte stets das gleiche Schwirre», Rieseln, Brodeln durcheinander ge¬ worfener Diskanttöne, begleitet von dumpf eintönigen Baßakkorden.

„Du

hast also

nicht

geschlafen? jammerte sie.

„Geschlafen?" rief er ungeduldig. „Als ob das möglich wäre — selbst Tote müssen von diesem Teufelslärm erweckt werden! Und wenn mau nun wenigstens fort könnte, hinaus an die Luft, und der Oual entrinnen — aber so — sich nicht auf den Füßen halten, geschweige denn drei Treppen hinabklettern können." — „Verzage nur nicht", bat sie unter Thränen. „Es wird schon bald besser werden — selbst hent kommst Du mir kräftiger vor" — und damit reichte sic ihm die Milch, die er nm diese Zeit zu trinken pflegte. Aber als er sie an die Lippen brachte, zuckte er so heftig zusammen, daß die labende Flüssigkeit sich in Strömen über das Lager ergoß — mit einem donnernden Akkord hatte der Spieler wieder eingesetzt. „Um Gottes willen!" schrie die Frau auf. „Was läßt sich thun, dieser Pein zu entfliehen?" „Nichts!" murmelte Stephan tonlos. „Anshalten heißt's, Mutter — aushalten — zu allem andern nun auch noch das!" „Ich gehe zn ihm — sofort. Der Mann muß ein Einsehen haben, wenn er hört, daß ein Kranker unter ihm wohnt" — und ohne ans des Sohnes Einreden zn hören, hastete sie alsbald die Treppe hinan. Frau Plüddecke stand in ihrer von Kohlen- und Plättdnnst erfüllten, glühheißcn Küche und handhabte das Bügeleisen, ,,'n Abend, Frau Nachbarn — sicht man Sie auch mal? Wie geht's Ihrem Sohn? Und was sagen Sie zn meinem Glück mit dem Mieter? So ein feiner Herr — und die schöne Musik! Das Bügeleisen flog heut nur so bei der Begleitung." „Mein Sohn stirbt daran!" ächzte Fra» Scholz. „Eben wollte

Ihrem Herrn." — „Nanu? Sie woll'» mir

ich zu

doch nicht meinen guten Mieter, der auf zwei Monate vorher bezahlt hat, in die Flucht jagen? Wenn Ihr Sohn das nicht vertragen kann, müssen Sie ihn eben ins Krankenhaus schaffen." Krankenhaus — da war's, das Schreckwort, das der armen Mutter jedesmal einen Stich ins Herz gab! Ihn, den sic ohnehin

gleich

nicht mehr lange haben würde, schon entbehren, während er noch lebte, ihm nicht die letzten Liebesdienste erweisen und nicht in der Todesstunde bei ihm sei» dürfen? Der Gedanke übermannte sie derart, daß sie sich einen Moment am Kiichentisch halten mußte, um nicht zusammen z» brechen.

Frau Scholz ist wie betäubt. Das ganze Stübchen dreht sich ihr im Kreise, und sie hat das Gefühl, als ob von allen Gegen¬ ständen um sie her die rasenden Tonläufe wiederklängcn. Vor ihren Augen flimmert's, und die Muster auf dem Leinen, die sic ausführen soll, verschwimmen ineinander — Licht, Luft und Farben »m sie her scheinen in den tollen Tonkankan da oben mit hinein¬

„Keine Furcht — ich werde Ihren Mieter nicht vertreiben", raffte sich dann auf, klopfte an die Thür des MietSzimmers und trat auf ein überlautes „Herein!" ein. Der Herr mit den langen Haaren stand im Hut und Paletot, augenscheinlich zum Ausgehen gerüstet, vor ihr und blickte sie er¬ staunt, fragend au. Und Frau Scholz sagte ihm mit zitternder Stimme, was sie hergetrieben und fragte schließlich angstvoll, ob der Herr gedenke, täglich in gleicher Weise zn musizieren.

Und wenn sie, die Gesunde, so litt, was mußte Höllcnkonzcrt empfinden!

„Aber liebe Frau", erwiederte er sehr von oben herab, „ich studiere Musik, und mein Studium verlangt diese Uebungen

gezogen zu werden.

erst der Kranke bei diesem

Der lag still, mit geschlossenen Augen und schweißbedeckter den Kissen. Er sprach nicht und klagte nicht — mochte die Mutter immer glauben, er schlummere, trotz der „Musik" — es würde sie das beruhigen. Wozu auch einer Onal Ausdruck geben, zu deren Linderung die Gute nichts zu thun vermochte! Er

hauchte sie,

täglich.

Will

demnächst

mein Musikdirektor-Examen machen, und

Stirn in

dazu

litt entsetzlich. All die perlenden Läufe, die da oben die Tasten entlang rasten, zitterten in seinen widerstandslosen Nerven folternd nach; ihm war, als würden sic an und in seinem siechen Körper Ton für Ton angeschlagen und rieselten nun an den Nerven¬ strängen entlang, von der Hirnschale beginnend bis zu den Fu߬ spitzen. Die dumpfen Begleitakkorde aber empfand er jedesmal wie einen furchtbaren Schlag — und das ging so stundenlang ohne einen Atemzug Panse fort. Endlich um fünf Uhr — genau um zwei hatte der Herkules oben zu „arbeiten" begonnen — hörte das Spiel auf. Die Gepeinigten wagten kaum zu glauben, daß die Erlösungsftunde nun wirklich gekommen, denn die ganze Luft nm sie her war noch mit Tonschwingnngen erfüllt und schien un¬

„ES dauert also nicht lange?" „Nein — so im April, Mai denke ich mich zur Prüfung zn melden." „Großer Gott — wir sind im Oktober! Er wendete sich ungeduldig ab. „Ja, was ist da zu machen — ich kann keine Rücksichten nehmen. Thut mir leid um den Kranken — denn daß man in dieser elenden Bude jeden Ton unten genau vernimmt, brauchen Sie mir nicht erst sagen. Bin ja darum nur in diese Hofmansarde gezogen, weil die Leute in den Vorderhäusern mich durch ewiges Klagen und Chikanieren vertrieben — und nun gestatten sich auch schon die Hinterhänsler den Luxus, Nerven zu haben." „Ich sagte bereits, daß mein armer Sohn todkrank ist", rief sie empört.

wird was verlangt, sage ich Ihnen." Frau Scholz griff nur das „demnächst" auf.

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„Run ja — kann leider nicht helfen. Wenn

es Sie beruhigt, morgen selber kommen und dem Kranken erklären, daß ich meine Uebungen nicht beschränken darf." Frau Scholz hatte das Gefühl, als ob der hartherzige Mann da vor ihr doch einen Ausweg finden würde, wenn er die Leidcnsgestalt ihres Stephan nur einmal gesehen hätte, und so sagte sie leise: „Bitte kommen Sie — aber bald!" grüßte und ging.

will

Krampfhaft schluchzte sie ans bei dieser Vorstellung. „Was hast Du, Mutter?"

ich

Schon am nächsten Vormittag erschien der Musikbeflissene.

Sie zu mir kommen", mit diesen, Brust abgerungenen Worten empfing der junge Scholz den eleganten Fremden. Dabei streckte er ihm die abgezehrte, zitternde Reckte entgegen, während zwei kreisrunde Purpnrflecke, das Zeichen hochgradiger Erregung, auf den eingefallenen Wangen hervortraten. „Viel Zweck wird es ja nicht haben", fuhr er fort. „Mutter sagte mir schon, daß da nichts zu machen — wäre es aber vielleicht möglich, daß Sie an anderen UebnngSstücke» — ich drücke mich da gewiß falsch aus, bi» aber nicht musikalisch — die nötige technische Fertigkeit verlangen könnten? Diese rasenden Läufe und

„Es

ist sehr freundlich, daß

Gewaltsam faßte sie entscheiden.

„Sie meinen die Czernyschen Passagen", erklärte der Musiker gönnerhaft. „Großartig, sage ich Ihnen — und geeignet wie nichts anderes, Arinmuskeln von Stahl und Fingergeschmeidigkeit ohne¬ gleichen zu erzeugen. Wie Sie ja gehört haben, bin ich durch eiserne Energie bereits soweit vorgeschritten, diese schwierigen Passagen acht Stunden täglich, allerdings mit halbstündigen Pausen zu spielen." „Und das — wird nun jeden Tag geschehen?" „Eigentlich sollte es,— aber wenn es Sie so stört — bin ein sehr gutmütiger Mensch, müssen Sie wissen — will ich mich be¬ schränken und nur einige Stunden täglich Czerny spielen. Da¬ zwischen lege ich dann die Inventionen von Bach — gar nicht auf¬ regend, wissen Sie! — Die melodiösen Uebungen in Moll von Cramer und endlich die Etüden von Berger. Sagen Sie mir, in welcher Zeit Sie tags zu schlummern pflegen — ich nehme dann Berger — sanft, tiefsinnig, angenehm sage ich Ihnen! Schumann nennt diese Etüden Platogespräche — ua, und ich denke, bei Platogesprächen kann ein moderner Mensch schon sanft schlafen." Und mit einem selbstgefälligen Lächeln über den großartigen Witz erhob er sich, nach der Uhr sehend. „Komme heut spät an die Arbeit — binde mich nämlich an die Minute, sonst erreicht man nichts." „Aber wie wollen Sic das noch monatelang anshalten?" „Pah — man gewöhnt sich daran! Die Kunst ist eine strenge Göttin und erfordert Hingabe des ganzen Menschen," entgegnete „Uebrigens hörten Sie ja, daß ich den Musik¬ er hoheitsvoll. direktor zu machen gedenke!" Letzteres klang, als kündete er, demnächst einen Kaiserthron zu erringen. In der Thür drehte er sich noch einmal um. „Werde gelegentlich nachfragen, wie Ihnen die Bachschen Inventionen und Bergers Platogespräche gefallen haben. Adieu, junger Mann — und gute Besserung!" „Armer Kerl!" murmelte er draußen. „Wird sich nicht mehr lange zu quälen haben." Und er reckte die sehnigen Arme, die von den Czernyübnngcn „Stahlmuskeln" bekommen hatten — seine Mitbewohner waren darüber fast verrückt geworden, aber was that das! — und ging unverzüglich an die „Arbeit." In elegischem Gefühlsanhauch spielte er sogar die Cramersche» Mollüblingen zuerst. Unten lag der Kranke mit gefalteten Hände und lauschte — das da war ja erträglich! Freilich standen ihm einige Stunden Czerny noch unabweislich

bevor.-

Schweigend zog auch die Mutter Faden um Faden durch die Sie hörte heut die Musik kaum, weil schwere Gedanken ihr ganzes Sein füllten, die alle um das Wort „Krankenhaus" kreisten. War es denn nicht selbstsüchtig grausam, selbstsüchtig von ihr, Stephan hier festzuhalten, wo er der Folter dieses „Musikgennsses" nicht entrinnen und vielleicht nicht einmal ruhig sterben konnte, weil cs dem unerbittlichen Knnstjünger oben gefiel, gerade in der Todesstunde ihres Sohnes „Czerny" zu spielen? Rein, das durfte sie nicht. Und doch, es war nicht anszndenken. Denn nie kehrte er ja zurück, sobald er dies Stübchen verließ. Stickerei.

Und nun hatte sic auch einen Aus¬ — Stephan selbst sollte



nur an die Musik, mein armer Junge, und daß Du sie aus die Dauer nicht wirst ertragen können. Was meinst Du wohl, wenn Du ins Krankenhaus gingest — bis Du wieder gesund —

„Ich

dachte

Er sah überrascht zu ihr hin. „Wie kommst Du darauf — nie habe

keuchend der kranken

Akkorde sind — entsetzlich."

sie sich.

weg aus den quälenden Zweifeln gefunden

ich

von sollte es auch bezahlt werden?" „O, das ließe sich machen," versicherte Herzens.

„Man

daran gedacht. Wo¬

eifrig, blutenden — Dein kann ich dann ja

sie

macht Ausnahmen in besonderen Fällen

Vater war ein verdienter Soldat — auch noch mehr arbeiten, wenn ich tagsüber ungehindert dabei bleiben könnte.

—"

„Und die Nächte dazu — nein, Mütterchen! So gern ich entfliehen möchte — von Dir fort, aus unserm lieben Stübchen will ich nicht, dann könnte ich schon gar nicht gesund werden. Auch Du würdest ja Deinen kranken Jungen, soviel Last er Dir auch immer verursacht, schwer entbehren — und so wollen wir schon lieber vereint aushalten." dieser Musikpci»

Nun weinte

sie

doch

wieder — in wehmütigem Glück, nickte

dem Kranken zärtlich zu und zog dann wieder Faden um Faden,

denn Zeit

— nein, die durfte

diese Gefühlsergüsse

nicht kosten!

Ilnd die Uebungen nahmen ihren Fortgang, Tag für Tag in tötender Eintönigkeit. Allmählich wurden auch die anderen Hansbewohner aufmerksam, denn da der Musiker die Stubenfenster weit offen zu halten pflegte, rieselten die Tonwelleu ungehindert hin¬ unter in den engen Hof, der wie ein Trichter von himmelhohen Mietskasernen umschlossen war, und weckten in den Mauern ein hallendes Echo. „Gott bewahre — geht das Gedndle schon wieder los?" rief dann wohl der kleine Flickschneider, der von früh bis spät mit untergeschlagenen Beinen auf seinem Tisch am Fenster saß und stichelte. Andere ließen sich weniger milde vernehmen, und die Dienstmädchen in den herrschaftlichen Vorderwohnnngen lehnten

weit aus ihren Küchenfenstern und spotteten über die „scheene Musik" da oben. Auch die Kinder, die im Hofe spielten, bemächtigten sich nun der willkommenen Unterhaltung und johlten, kreischten, brüllten in allen Tonarten dem Klavierspicl nach. Ein besonders findiges Bübchen holte sogar eiligst aus der Mutter Küche ein paar blecherne Tvpsdcckel und schlug sie bei jedem dröhnenden Akkord, der herunter¬ scholl, gellend zusammen — und diesen ganzen Höllenspektakel hallten die Wände des Hofes verzehnfacht wieder. sich

Bebend und ächzend lag Stephan auf seinem Schmerzenslager. „Wenn man reich wäre — reich!" stöhnte er dann ans. „Wir könnten dann in einer Vorderwohnnng Hausen und kämen heraus aus dieser Hölle!" „Ich werde zum Wirt gehen und ihn bitten, daß er den Kinder» das Lärmen verbietet", sagte die Mutter mit zitternder Stimme. Er winkte matt mit der Hand. „Welcher Tag ist heut?" „Donnerstag, mein Sohn." Leise, zögernd, giebt sie diese Antwort — weiß sie doch, wie sehr der Kranke die beiden letzten Wochentage fürchtet; denn dann werden unten im Thorgang, gerade unter der Scholzschc» Wohnung, den ganzen Vormittag die großen Teppiche aus den Vorderhäusern geklopft, und stundenlang tönt nervenzerrüttend das „klipp klapp, klipp klapp" empor, während dicke Wolken vergifteten Staubes die Luft verfiltern und sich durch die klaffenden Ritzen der schlecht schließenden Fenster in die Wohnungen der Hinterhänsler drängen. Und Stephan hebt auch jetzt, im Gedenken daran erschauernd, beide Hände verzweiflnngsvoll empor. „Auch das noch — Czerny-Uebungen, vom Tcppichklopfen be¬ gleitet— es ist nicht möglich, das zu ertragen!" Er sinkt zurück, und ein krampfhaftes Schluchzen erschüttert den siechen Körper. Mit bebenden Händen streicht die alte Frau zärtlich sein Haar. „Beruhige Dich, mein armer Sohn", murmelt sie, selber halst

sinnlos vor Gram und Schmerz. „Ich werde heut noch einmal mit ihm sprechen — vielleicht pausiert er wenigstens an diesen beiden Tagen." Als der Kranke ruhiger geworden, ging sie, kam aber bald in Der Kindertumult unten im tiefer Niedergeschlagenheit zurück. Der Hofe war zwar ans Einschreiten des Wirts verstummt. Musiker aber hatte entschieden abgelehnt, weitere Rücksichten zu nehmen und seine Uebungen irgendwie zu beschränken. Er versprach jedoch, ein übriges zu thun und sich einen Schalldämpfer anzuschaffen. „Ob das nun was nützen wird?" fragt sie ängstlich, Stephan den Wortlaut der Unterredung mitteilend. Der antwortete erst gar nicht, dann entgcgnete er keuchend: „Weiß ich's denn? Nur das eine weiß ich — ein Examen, mit dem soviel Menschenquälerei verbunden ist, müßte vom Staate gerade¬ wegs verboten — nicht gefordert werden! Ich verstehe ja nichts davon, aber kann das ein Berufener auf dem Kunstgebict der Musik sein, der solche — Pferdcübnnge», wie unser Peiniger oben, nötig hat, um etwas zu erreichen? Verboten müßt's werden, sag' ich noch einmal — oder alle von Musikraserei Befallenen müßten auf eine einsame Scholle verwiesen werden, wo sie ihre wehrlosen

Mitmenschen nicht elendiglich foltern können." Oben war es inzwischen still geworden — der gottbegnadete Musiker lief wohl umher, den Schalldämpfer zu beschaffen — und erschöpft schlummerte der Kranke endlich ein. Am nächsten Tage klangen die Uebungen allerdings anders —

besser nicht.

.

Der Klang war gedämpft, aber

doch jeder

Ton

deutlich hörbar und durchzitterte in dieser Dumpfheit die Luft nur um so durchdringender. Und da der künftige Rubinstein vermeinte, nun mit dem Schalldämpfer skrupellos die geliebten, muskclstählendcn Czerny-Passagen ohne Unterbrechung exekutieren zu können, klangen während des ganzen Vormittags die dumpfen Tonwirbel mit dem Klippklapp-Konzert unten zusammen und machten den Kranken fast wahnsinnig.

„Ich muß fort von hier, wenn

einmal gesund werden will", sagte er verzweifelt zum Armenarzt, der au diesem Tage vorsprach. „Machen Sie das meiner Mutter klar, Herr Doktor!"

Der

ich noch

nickte.

„Ein paar Tage werden Sie

Geduld haben müssen — es sind da allerlei Formalitäten zu erfüllen, und ich will doch versuchen, eine» recht guten Platz für Sie zu erwirken." Stephan dankte, der Arzt ging. „Ihr Sohn will fort — ins Krankenhaus, um der Musikpein zu entfliehen", sagte er draußen in der Küche zu Frau Scholz. „Aber es lohnt nicht mehr, denn bald wird er ausgelitten haben." Ein trostloses, stilles, gewaltsam niedergehaltenes Schluchzen war die Antwort. Er drückte mitfühlend ihre Hand, winkte noch einmal Schweigen und verließ sie. Und die arme Mutter rang mit ihrem verzweifelten Schmerz, von dem ihr Stephan doch keine Ahnung haben durfte. Er konnte jeden Augenblick nach ihr rufen und dann mußte sie ihm gegenüber treten, ruhig, heiter, hoffnungsfrcudig, und ihm sagen: „Es wird nun bald besser mit Dir, meint der Arzt." Aber der Kranke rief heut nicht sobald, und die schmerzzerwtthlte Frau fand Zeit, sich zu fassen. Daß die Thür zur Küche nur angelehnt, nicht fest geschlossen war, hatte weder sie noch der Arzt bemerkt — Stephan konnte jedes Wort draußen verstehen und wußte nun plötzlich, wie es um ihn stand! schon noch

Kleine Mitteilungen. Goethe und die Liitzower. Als eine Kompagnie Lühower April 1813 mit frühen Morgen von Meißen abrückte, begegnete ihnen

Ende

vor dem Posthause der soeben im Wagen abfahrende Goethe. Obwohl er tief in seinen Mantel gehüllt in einer Ecke des Wagens saß, hatte ihn doch einer der Freiwilligen, Ernst Förster, erkannt und bot ihm eine» guten Morgen, worauf Goethe freundlichst dankte. Förster teilte seinen Kameraden, die meistens Studenten ivaren, mit, wer der Insasse des Wagens sei. Da drängten sie sich heran, Förster hielt dem Dichter eine kurze Ansprache und bat um seinen Waffensegen. Alle Lützower Goethe ihre Säbel und Büchsen entgegen, Goethe legte die

streckte»

Hand darauf und rief mit lauter Stimme: „Zieht hin mit Gott!" Die Lühower brachen in ein donnerndes Hurrah aus, und Goethe fuhr weiter nach Dresden, wo er den Vater Körner und Arndt aufsuchte, und dann nach Karlsbad.

Auch er brauchte Zeit, das Unbegreifliche, Ungeheure zu fassen sterben ! Mit zwanzig Jahren sterben, ohne recht gelebt zu



haben —

und wie viel Schönes, Herrliches hatte er von diesem erträumt! Gerade, als er die Lehrzeit beendet und als geschickter Graveur anfing, Geld zu erwerben, war diese tückische Krankheit ausgebrochen — und er wollte doch so gern für die Mutter sorgen und ihr alles vergelten, was sie für ihn gethan. Nun heißt's sterben, sie ganz allein lassen — von der Welt scheiden und Sonne und Himmel nicht mehr sehen — auch nicht mehr das liebe, armselige Stübchen, das ihm plötzlich wie ein Paradies erscheint. — Leben

Und er ringt mit der jäh erwachten Lebenslust und kämpft die Todesfurcht, die ihn wie im Krampf schüttelt. Dann aber zuckt er plötzlich zusammen, und ein schwerer Läut ringt sich von seinen Lippen — nicht seelische Oual hat ihn erpreßt, sondern körperliche; denn oben ertönt eben wieder ein dumpfer Tonwirbel, den er fühlt, als würde er ans den eigenen Körper gehämmert, und sein Kopf sinkt zurück, der Blick wird wieder matt und starr, Lebenslust und Todesfurcht gehen unter tut Gefühl der Verzweiflung. Was bebt er den» vor dem Tode — der bringt ja doch Erlösung, Ruhe, Errettung aus der fürchterlichen Onal der letzten Wochen, aus der es kein Erbarmen giebt als — Sterben. gegen

Eine halbe Stunde später tritt die Mutter an sein Bett, und er lächelt ihr fast heiter entgegen. „Ich weiß nicht, wie es kommt — aber mir ist jetzt viel besser. Selbst das Klavierspiel empfinde ich weniger qualvoll — vielleicht bleiben wir doch noch zusammen, Mütterchen."

„Mein lieber Junge — ja ja,

Dir.

Auch der Arzt sagte das

Und komödie

sie

spielen

sich

vor.-—

es

geht endlich bergauf mit

vorhin."-

gegenseitig

des

Lebens

herbste Tragi¬

Acht Tage später stürzt Frau Scholz bleich, bebend bei dem Pianisten ein und hebt ohne Gruß beschwörend die Hände. „Mein Sohn stirbt — ich flehe Sie an, lassen Sie ihn ruhig

einschlafen" —

Aergerlich führt er vom Klavier auf. „Und was wird aus meinem Examen?" „Es handelt sich nur um eine Stunde — seien Sie barm¬ herzig." Er brummt noch allerlei Unverständliches, schließt dann das Instrument, nimmt seinen Hut und geht. Auf der Treppe trifft er den Flickschneider, der drohend die Faust gegen ihn schüttelt.

„Mit Stricken hätten wir ihn gebunden, wenn er den Stephan nicht ruhig sterben ließ," murmelt der ingrimmig hinter ihm her. Aber andern Morgen meldet Frau Plüddecke ihrem Mieter, der junge Scholz ausgelitten habe. Befriedigtes Ricken des * Kunstjüngers. „So kann ich also wieder an die Arbeit — armer, junger Kerl! Soll auch seinen Kranz von mir haben!" daß

Es ist Freitag, und bald Dann spielt er wieder weiter. mischt sich das endlose Klippklapp, Klippklapp in die wirbelnden Triller, Läufer und Akkorde. Fast hätte man meinen können, das Höllcnkonzert müsse selbst Tote erwecken — aber Stephan Scholz schläft fest — er hat Ruhe gefunden.

Drr Stifter

der preußischen Alanen war Srrkis, ei» albanesischcr Jnwclenhändlcr. Während des zweiten schlesische» Krieges hatte er für Sachse» in der Ukraine Türken, Tataren und Kosaken angeworben, von denen freilich auf dem Marsch nach Deutschland viele davonliefen. Was übrig geblieben war, bot er, von dem ihn begleitenden sächsische» Oberst¬ leutnant im Stich gelassen, Friedrich dem Großen a», dessen Ruhm auch zu ihm gedrungen war. Nach Einwilligung des Königs erschien Serkis, mit seinem Pulk von 72 Man», seinem Leutnant OSman und seinem Körnet Ali im Lager bei Königgrätz und wurde dem 5. (schwarzen) Husarcnrcgiment von Rüsch bcigegeben (Sommer 174b). Die „Bosniaken" hielten sich im zweiten schlesischen Krieg wacker und bezogen nach dem

Friede» das Städtchen Goldap (Ostpreußen) als Garnison. Jeder Reiter hatte sein eigenes Pferd und cquipierte sich selbst, erhielt dafür aber monatlich zwei Dukaten. Der Dienst war unbedeutend: nur selten bezogen sie die Wache. Während der Mannöver nnterstühten sie die Husaren im Vorpostendienst und führte» hier und da eine Schwarm-

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iitlncfc aus. Rc» rekrutiert wurde» die „Bosniaken" nicht, auch ihre Offiziere uicht vermehrt. Als ein ehemaliger polnischer Rittmeister im Jahre 1747 durch Vermittlung des Oberste» von Rusch bei,» König »in Anstellung bat, befahl letzterer „ganz höfliche Abweisung, weil er anitzo keine Augmentation mache." Serkis war rbeusv ivie seine Frau, die er »ach Goldap nachkommen liest, griechisch-katholisch; beide traten aber zur römisch-katholischen Religio» über. Er sprach türkisch und deutsch, italienisch lind polnisch in bnuteni Gemisch durcheinander, und zwar so schnell, dast ihn gewöhnlich iiiemand verstand. Er starb noch vor dem Ausbruch des siebenjährigen Krieges. Der Körnet Ali, ein Perser, trat vom Islam zum Katholizismus über und nannte sich fortan Offowski. Während des siebenjährigen Krieges avancierte er zum Leutnant. Nach dem Hubertusburger Frieden als „überkomplett" entlassen, geriet er mit Frau und Kind in groste Not. Dazu kam er in den Verdacht, einen Jude» ermordet und beraubt zu haben. Trotz seines Leugnens erhielt er Festungshaft. Osinan war ein eifriger Muhammedaner, der viele Stellen des Korans auswendig herzusagen lind die Feste des Islam nach deni Monde auszurechnen wußte. Dabei verrichtete er die Dienste eines „Imam" und trat zweimal als Priester auf. als zwei Bosniakcn in Goldap gestorben waren. Außerdem versorgte er seine Kameraden mit Pferden, Waffen, Kleidungsstücken, Tabak und Tabakspfeifen und lieh Geld zu hohen Zinsen ans. Letzteres unterließ er auf Anraten eines Offiziers der schwarzen Husaren, dein einzigen, mit dein er sich ivallachisch unterhalten konnte. Anfänglich trat er in türkischer Kleidnng auf, mit langem Bart und ein langes Messer i», Gürtel. Tann erschien er in roter Hüsarennnifvrm und glatt rasiert. Tie deutsche Sprache Mit deni preußischen lernte er, sowie auch Lesen und Schreiben. Reglement machte er sich gut vertrant. Zuletzt bat er um seinen Abschied, fuhr nach Königsberg, kaufte dort Bernstein und reiste nach Konstantinopel. Seitdem hat man nie ivieder ctivas von ihm gehört. Ter Kalmüek Lipsky, der bei den Bosniaken stand, brachte es bis znni Major bei seinen, Korps und war ein sehr geachteter, uneigennütziger und änstcrst gutmütiger Vorgesetzter. Freilich hatten seine Gesichtszügc- etwas ab¬ schreckendes, zumal, seitdem sein Mund infolge eines Säbelhiebes eine Im Jahre 1761 wurden die schiefe Stellung angenommen hatte. Vosuiake» durch russische Deserteure inuhammedanischcn Glaubens ans zehn „Fahrer" sEskadrons) gebracht, nach dem Frieden aber ans einen reduziert. Diese bildete seit 1771 den Staunn zu einem wiedernni auf zehn Fahrer anivachsende», aber erst 1788 definitiv von den schwarzen Husaren getrennten Bosniakenregiment. Dasselbe zeichnete sich durch große Rcitgeivandtheit aus, so daß Friedrich der Große bei einer Revue entzückt dein Oberst Haletius zurief: „Er und Seine Kerls haben doch dein. Reiten den Teufel ini Leibe!" Aus den Bosniaken entwickelten sich dann die preußischen Ulancn-Regimcntcr Nr. 1 und 2 , die im Jahre 1845 ihr hundertjähriges Jubiläum feierten. Die treue Gattin. — Jeron,e, König von Westfalen, war in zweiter Ehe mit der Tochter des Königs Friedrichs I. von Württemberg, Friederike Katharine Sophie, vermählt. Nach der Schlacht bei Waterloo seines Tbrones u'vllte sic ihr Vater dazu bewege», sich von den, beraubten Jeroine scheiden z» lassen; aber sic weigerte sich und schrieb ihn, einen .dcnkivnrdigen Brief, ans den, wir folgende Sätze hervor¬ heben : „Ich will das Haus meines Königs und Vaters verlassen und meinen Gemahl, bem mein Leben geweiht ist, unterstützen. Ich uinaruic ihn in seinem Unglück mit größerer Zärtlichkeit als in den Tagen seines Glücks. Der Prinz Jeroine ivar nicht der Geinahl meiner Wahl, und doch habe ich ihn ans Ihren Händen entgcgcngenbnnnen, als sei» Haus über groste Königreiche herrschte und sein' Haupt eine Krone trug; aber bald ergaben sich die Gefühle ,»eines Herzens de» Fesseln, die mir Ihre Politik angelegt halte. Ich kenne die Pflichten der Ehe und werde sie erfüllen, ich war Königin und bin noch Gattin und Mutter. Ter Gatte, den mir Sie und Gott gegeben, und »tein.Kind, bilden jetzt meine Existenz; mit diesem Gatten babe ich einen Thron geteilt, mit ihm werde ich jetzt Verbannung nnd Unglück teilen; nur die Geumlt kann mich von ihm reißen. Ich werfe mich z» Ihren Füßen, um Ihre Erlaubnis anzuflehen, das; mein Geinahl und ich bei Ihnen bleiben dürfe» oder dast nur, wen» dies veriveigert wird, wenigstens Ihre Gnade iviedererlange», bevor wir „ns ans fremden Bode» begeben." Jeroine be¬ absichtigte damals zuerst „ach Amerika auszuwandern. Er ging aber daun nach Württemberg und vereinigte sich hier mit seiner treuen Gattin und seinem Söhnlei». Da kam für sie eine schwere Zeit. Von Göppingen wurden alle drei auf das Schloß Ellwangcn gebracht und streng bewacht. Der Schlosthauptmann, General von Brösel, ließ das Schloß mit Schildwachen umstellen und keinen Brief hinaus oder hineinkommen, von deren Inhalt er nicht Kenntnis genommen hätte. Spazieren gehen durfte weder der König noch Katharine, ohne von Chasseurs k cheval begleitet zu sein, die den Befehl hatte», bei Ueberschrcitung der vor¬ geschriebenen Grenze» zu schießen. So berichtet die Königin selbst in ihrem zuerst vom Baron von Meneval herausgegebene» Tagebuch. An, 10. Oktober 1815 belegten der Graf von Zeppelin und der Baron von Wellnagel das Vermögen Jeromes mit Beschlag, während Schildwachen die Thüren besetzt hielten. Endlich erhielten sic die Erlaubnis, als Prinz von Montfort und Prinzessin von Württen>berg »ach Oesterreich abzureisen. Sic ivvhntc» zuerst in Hainburg, kauften dann durch Ver¬ mittlung des Barons von Linden die Besitzung Erlau, mußten diese auf höheren, Befehl wieder verlassen und »ahmen'Wohnnug iu Schönau bei Wien. Nach dem Tode des Vaters Katharinens, den sie aufrichtig bciveinie, schien es, als ob ihr Bruder, der nunmehrige König Wilhelm I., nichts gegen eine Niederlassung seiner Schwester und ihres Gatten auf ivürttcmbergischcni Gebiet, mit Ausnahme Stuttgarts, cinzuwcnde» hätte; gelegentlich eines Aufenthalts Katharinens i» Wildbad kam diese .Frage zur Erörterung, aber picht zum Anstrag, ivcil die Prinzessin ein ivenn auch keineswegs politisches Gespräch mit dem Begleiter Napoleons I. auf St. Helena, Las Cafes, geführt hatte, nachdem derselbe auf Befehl des Gouverneurs Sir Hudson Lowe die Insel hatte verlassen müssen und nach Europa zurückgekehrt war. Wegen ihres kranke» Sohiies ließcn sich die beiden Ehegatten in Triest iiieder, dessen gesunde Luft

„„„

Verantwortlicher Redakteur:

Dr. M.

Folticineano,

die Aerzte empfohlen hatten. Zuletzt wohnten sic in Rom. Florenz und Lausanne. An letzteren, Ort, am 28. November 1838, starb die treue Katharine, die ihren Gatten auch dann nicht hatte verlassen wollen, als sein Vermögen beträchtlich zusammengeschmolzen war.

Büchertisch. Napoleon I., Revolution und Kaiserreich.

vr. Julius

Herausgegeben von

Pflugk-Harttung, Berlin.

I.

M. Spacths Verlag. In glänzender Ausstattung bietet Prof. v. Pflug-Harttnug aus der Feder von Fachmännern eine Lebcnsgeschichte des „finstern Genius, der das 18. Jahrhundert abschließt und das 19. eröffnet." Ei» reichhaltiges Bildermatcrial ergänzt den Text i» glücklict,er Weise, so daß die Geschichte Napoleons „gewissermaßen nicht bloß in Worten, sonder» auch in Bildern" erzählt ivird. Das Werk zeigt Napoleon auf der Höhe seines Ruhms; ein zweiter Baud wird das Erwachen der Völker behandeln. Weltgeschichte von den frühesten Anfängen bis zu Beginn des '20. Jahrhunderts. Ei» Handbuch von Hermann Schiller, 2. Band, Mittelalter. W. Spei»an », Stuttgart und Leipzig 1900. Tie Vorzüge, die wir dein ersten Band dieses Geschichtswerkes nachrühmen konnten, besitzt auch der zweite Baud. Ilebersichtlichc Ein¬ teilung des Stoffes, flüssiger Stil und ruhige, sachliche Kritik der Ereignisse »lachen Schillers Weltgeschichte zu einem beachtenswerten Buch unter den neuesten Geschichtswcrke», die für ein gebildetes Publikum berechnet sind. Auch diesem Baud iff eine große Anzahl gut ausgeführter v.

Porträts rc. beigefügt, gerade genug, , 111 » das Buch interessant zu machen, ohne ihm den Charakter eines ernsten Werkes zu nehmen.

Briefe Napoleons I. an Joscphine und Briefe Josephines

an Hortcnse nebst Joseph ine s Leben sge schichte, bearbeitet von der Königin Horteuse, veröffentlicht von Oskar Mar¬ schall von Bieberstein. Mit Illustrationen und Faksimile. Preis brosch. M. 5—, geb. M. 6 .—. Leipzig, H. Schmidt &

C. Günther. So recht für die Weihnachtszeit passend, bietet der bekannte Na¬ poleon forscher Marsch all von Bieberstein den viele» Verehrern des „Großen Kaisers" wieder eine» neuen Band. Die Briefe ivaren ur¬ sprünglich im Besitze der Königin Hortense und sollte» schon 1825 ver¬ öffentlicht werden, jedoch durch politische Rücksichten erschienen sic Die Briete beginnen 1833 unter der Regierung Ludwig Philipps. zu Anfang des Italienischen Feldzuges 1796 und enden im Herbst 1813. — Ein gewaltiges Stück Weltgeschichte wird dem Leser geboten. Die Briefe Josephines an Hortense beginnen mitten im Toben der Revolution und schließen mit deui 31. März 1814. Zwei Briefe vom General Beauharnnis, dem ersten Gemahl Jviephines, sind

eingefügt; der eine ist an Hortense und der andere an Josephin», der Beauharnais' letztere enthält den Abschied von ihr und der Welt. Haupt fiel bekanntlich unter dem Beil der Guillotine.

Schmidt & Günthers Wcltbibliothek Heft Hl Napoleon auf St. Helena, mit 97 Illustrationen und. Heft IV Vesuv und Pompeji, mit 55 Illustrationen mit genauer Unterschrift. »Heft

32 Seite» 4". Preis 30 Pfennig. Leipzig, Schmidt & Günther. Die Verlagshandlung, bekannt durch ihre reich illustrierten Vcrlagswerkc, bietet den Interessenten illustrierte Werke ohne Text zum Preise von 80 Pfennige pro Heft an, so daß jedermann ohne ncnuenswerte Ausgabe sich eine reich illustrierte Bibliothek aus dem Gebiete, der Geschichte, Geographie und Kulturgeschichte mit Leichtigkeit erwerben kann. Das llnteruehmen soll in Serien von je 12 Heften zwanglos erscheinen.

ttcbcriviindon und versöhnt. Zwei Erzählungen

aus den vierziger

Jahren vou Hermann Heinrich. A. Steins Verlagsbuchhandlung. Potsdam 1900. In der ersten der beide» Erzählungen: „Tie beide» Kollegen", schildert der Verfasser einen jungen Arzt, der, in eine kleine Stadt ver¬ schneit, hier de» Rivalität»- und Konkurrenzkampf mit dem älteren Dvktorkollcgeu aufnehmen muß, diese» aber durch sei» edelmütiges, hilfsbereites Wesen „überwindet und versöhnt". Die Figur des alten Arztes ist eine interessante Charaklcrstudie. Das Milieu der Kleinstadt ist glücklich getroffen. „Schwester Johanna" (die ziveitc Erzählung) ist eine sympathische Diakonisseucrscheinung, eine der vielen, die sich ans den Sturmen des Lebens hinübergcrcttet habe» in die schwere, entsagungsvolle Thätigkeit der Krankenschwester. Wie sie, ein ursprünglich lebenslustiges, in der Fülle des Reichtums aufgewachsenes Mädchen zu diesem Beruf gelangt, wie sie, nun eine ehrwürdige Matrone, in der Ausübung ihres Berufs dcu todtkraukc» ehemaligen Geliebten wiederfindet, das erzählt uns der Verfasser in einer ergreifende» Hcrzcnsgeschichte. Das Büchlein ist eine ansprechende Lektüre für Jugend nnd Volk.

Dichtungen von Hermann Allmcrs. Jubiläumsausgabe. Vierte, Herausgegeben zu des Dichters acht¬ stark vermehrte Auflage. zigstem Geburtstage. Broschiert M. 3, in Origiualeiuband M. 4. Oldenburg, Schulzcschc -Großbuchhaudluug sA. Schwarz). Hermann Allmers, dem greisen Marschcndichtcr und „römischen Schlenderer", soll vor seinem 80. Geburtstage/an: 11. Februar 1901, noch die große Freude zu teil werden, seine Dichtungen in vierter erweitertcr Auslage als Jubiläumsausgabe erscheinen' zu sehe». Einer besonderen Empfehlung derselbe» bedarf cs wohl nicht; das Erscheinen Erwähnt mag hier sein,, einer vierten Auflage spricht deutlich genug. daß die Vermehrung der Dichtungen die letzte Abteilung: „Nachklänge, Gedcnkblättcr aus schöner Vergangenheit" umfaßt. Diese neuen poetischen Gaben trage», wen» auch nicht alle gleichivertig, sehr viel zur Charak¬ teristik des markigen Friesendichters bei.

Berlin. — Truck und Verlag:

Friedrich Schirmer, Berlin

8^V., Nenenbnrger Strasze »4a.

Der Bar. Illustrierte Wochenschrift.

21.

„Der Bär" erscheint jährlich 52 mal und ist durch alle Buchhandlungen, Zeitungsspeditionen und Postanstalten zu beziehen (Nr. 866 des 50 Pf., Postkatalogs) und kostet vierteljährlich jährlich 10 M., Linzelheft 20 Pf. — Infertionspreis für die 4 gespaltene Nonpareillezeile oder deren Raum 50 Pf. — Beilagegebühr: 6 M. pro 1000 Stück inklusive Postgebühren. — Inserate und Beilagen werden entgegengenommen von der Expedition des „Bär". 8XV.. Neuenburgerstraße 14a, sowie von allen Annoncen-Lrpeditionen. — Fern'precher. IV. llr. 3651.

26 Instrgnng.

Sonnabend, 29. Dezember 1900.

^lr. 52

An unsere Leser.

U^ir

„Bär"

gestattten uns die ergebene Mitteilung, daß der druckereibefitzers und Verlegers Herrn Otto Schwarz, Berlin

Januar l90l ab in den Verlag des Buch7, übergeht. Zugleich danken haben, als auch unseren Mitarbeitern für die werkthätige vom

SW., Neurnburgerstr.

wir sowohl unseren Lesern für das Vertrauen, das sie uns bewiesen Unterstützung, und bitten sie, ihr Wohlwollen auch auf Herrn Schwarz und die neue Redaktion zu übertragen.

Berlin,

Redaktion und Verlag des „Bär".

29. Dezember *900.

Der Untergang des Schulschiffs „Gnersenau".

I^in schiff

schweres Unglück hat die deutsche Marine betroffen, Am Sonntag, den 16. Dezember 1900, wurde das Schul„Gneisenau" vor dem Hafen von Malaga von einem

heftigen Sturm erfaßt und gegen die Ostmole der Hafeneinfahrt geschlendert. Die schlanke Fregatte war von Mogador zurück¬ gekehrt, wohin eS die deutsche Gesandtschaft ans Tanger gebracht

Schulschiff »»Gneisen««".

82V

hatte. In beschäftigt.

Malaga war es mit Schießübungen Am 16. Dezember früh 10 Uhr erhob sich, während

der Bucht von

der Kommandant eine Parade über die Seekadetten abnahm, ein heftiger Sturm. Der Kommandant gab darauf Befehl, so schnell wie möglich die Kessel zu heizen. Die wütende See riß aber die Anker fort, die „Gneisenau" verlor Anker und Ankertane und strandete gegen den Hafencingang.

Die Besatzung stürzte

sich

ins Meer und

an die Schifsstrümmer, wurde aber von den Wogen Teil. Viele Seekadetten und Offiziere, auch der Kommandant der „Gneisenau", Kapitän zur Sek Kretschniann, kamen ums Leben. Die Männer und Jünglinge starben den Heldentod wie einst die Besatzung des „Iltis" in den chinesischen Gewässern. Glücklicherweise stellte es sich nachträglich heraus, daß dik Verlustliste eine geringere war, als man anfangs gefürchtet hatte

klammerte

sich

bedeckt und verschwand zum größeren

Rüdersdorfer Ralüderge. gewaltigen Häusermassen von Berlin legen die Frage nahe, woher eigentlich diese Millionen Kubikmeter Bau¬ material stammen, aus denen die Stadt besteht. Sand¬ steinbrüche sind von ihr sehr weit entfernt, die nächsten Sandsteinbrüche liegen im Elbsandsteingebirge, „der sächsischen Schweiz", den Granit muß man sich noch viel weiter herkommen lassen; so erklärt sich's leicht, daß das hauptsächlich verwendete Baumaterial der Ziegel ist. Die hunderte von Ziegeleien, die den vorzüglichen Thon, der in den Havelgebieten überall vorhanden ist, verarbeiten, liefern dieses Material in jeder gewünschten Menge und bester Qualität; die „Rathenower" haben es zu Weltruf gebracht. Aber einer der wichtigsten Stoffe, ohne den alle Steine nichts helfen, ist beim Ban der Mörtel, und es bedeutet für Berlin eine Gunst ie

ihm für diesen die Rüdersdorfer Kalkberge gleichsam vor die Schwelle gelegt sind. Die Stadtverwaltung hat diese Wichtigkeit für ihr aufstrebendes Gemeinwesen auch erkannt und sich, als im Jahre 1835 der Staat die vielen Anrechte und Privilegien andrer Gemeinden durch einmalige Abfindungs¬ summen abzulösen suchte, seinen Anteil nicht entwinden lassen, des Schicksals,

daß

vertragsmäßig und andauernden Mitbesitz gesichert, dergestalt, daß der Fiskus zwar die gesamte bergwerkliche Aus¬ beutung in Händen hat, dafür aber stets den sechsten Teil des Reinertrages an die Stadt Berlin abführt. Dieses Anrecht hat natürlich bei dem schier riesenmäßigen Anwachsen gerade der Berliner Bauthätigkeit einen dauernd steigenden Wert bedeutet, der des sich außerdem durch die auch anderwärts wachsende Beliebtheit sondern

sich

Rüdersdorfer Kalksteins noch bedeutend erhöht.

Au eine Erschöpfung des Kalkberges ist bei all dem ge¬ steigerten Abbau einstweilen auf Jahrhunderte hinaus noch nicht zu denken. Seine ungefähre Ausdehnung beträgt beinahe 4 km in der Länge bei einer durchschnittlichen Breite von 150 m. Die Tiefe des anstehenden Felsens ist noch bei weitem nicht erreicht, trotzdem man teilweise bis an 100 in unter die ursprüngliche Ober¬ fläche gegangen ist. Nach den vorgefundenen Gletscherschliffen und Gletschertöpfeu, wie ganz besonders nach den reichlich vorhandenen Versteinerungen aus Flur und Pflanzenwelt läßt sich dieses ge¬ waltige Muschelkalklager leicht geologisch als aus der Triaszcit stammend nachweisen. Auch heut noch blüht hier eine ganz eigen¬ artige Kalkflora; namentlich eine merkwürdige Astern- und Auemonenart fällt sofort in die Augen. In weitausgedehuten Ablagerungen, die teilweise bis zu 1 m Dicke leicht von Ost nach West geneigte Schichten bilden, liegt der Kalk oft fast ganz rein von unbrauch¬ bare» Beimischungen zu Tage, so daß der bergwerksmäßige Abbau eigentlich leicht ist. Selbst in dem sogenannten „Tiefbau" handelt

immer nur um „Tagesbau". Es sind zwei leicht zu sondernde Gebiete in denen mau dem

es sich

Berg zu Leibe rückt, das nördlicher gelegene, der sogenannte „Hoch¬

bau", das südlichere der „Tiefbau";

es sind dies Bezeichnungen,

und die dabei erreichte wird der Stein in großen Hochbau wirkliche Tiefe erklären. Beim verladen, die Schiffe gleich in zumeist abgesprengt und Blöcken Seengebiet, umliegende das nämlich hat man liegen; hier bereit das wiederum direkten Anschluß au Spree und Oder hat, durch ein bis in den Steinbruch hineingeführtes Kanalsystem sich als die sich leicht

durch

die

Art

des Abbaus

und billiges Verkehrsmittel dienstbar gemacht. Im „Hochbau" wird meist ein härterer, blauer Kalkstein gebrochen, der vorzüglich für die in der Erde liegenden Grunduntermauerungen

bequemes

verwenden ist. Und so wird er gleich an Ort und Stelle in den gehörigen Blöcken znrechtgehanen und auf dem Wasserwege bis in die Nähe der Banstelle geführt. Man ist hier natürlich auch niemals mit dem Abbau unter die Höhe deß Wasser¬ spiegels hinabgegangen, da man sich ja sonst leicht die bequemk der Gebäude zu

Waffcrbeförderung in Frage gestellt hätte. Anders iin „Tiefbau". Hier wird ein weicherer, weißer oder hellgelber Stein gebrochen, der zum Teil gleich an Ort und Stelle wird in zahlreichen Ringöfen gebrannt oder in Cement verarbeitet hier besorgt Welt Die nötige Verbindung mit der konsumierenden heut iw ist Man Zweigbahn. eine an die Ostbahn angeschlossene Seeev der Wasserspiegel den unter m 60 schon bis zu Tiefbau gegangen. Das gebrochene Gestein wird auf gewaltigen Aufzügen

zwar in der Weise, daß kleine Eisenbahnzügk dorl von drei Loren bis auf die Bergwerkshöhle hinabgelassen, geschieht beladen und wieder emporgewunden werden. Der Abbau Fuße durch sogenannte „Stürzen". Ein Teil des Berges wird am daß so „unterschürft", quer und durch etwa mannshohe Gänge kreuz nur eben Last gewaltige die Pfeiler die stehenbleibenden emporgeschafft und

schließlich

noch tragen.

Dann werden

diese

Pfeiler mit Pulver und Dynamit-

patronen umlegt und eine gemeinsame elektrische Zündschnur nach den Tagen der so vorbereiteten Bergstürze draußen geführt. meistens zahlreiche Zuschauer aus Berlin ein, die sich

In

finden

sich

auf den umliegenden Höhen in streng abgesperrter Entfernung auf¬ Regel stellen dürfem Bis zum letzten Augenblicke wird in der

Minen gearbeitet; dann erschallt das Signal, und die Bergleute kommen eiligst aus den Mündungen der in den Berg führenden Stollen herangelaufen. Ein Druck auf den Knopf, der Mün¬ den elektrischen Strom der Znndleitung schließt, aus den dungen schießt eine Wolke von Dampf, Staub und Qualm heraus, langsam sinkt die Last des seiner Stütze beraubten Berges mit noch an den

gewaltigem Poltern und Krachen zusammen; noch lange lagert eine Dampf- und Staubwolke über der Trümmerstätte. Es ist in der That ein grandioses Schauspiel, so diese gewaltige Gesteinmassc zusammenstürzen zu sehen. Die Abräumung des Trümmerfeldes aber und die Ablösung der oft in beträchtlicher Höhe hängen¬ bleibenden Blöcke bildet eine oft nicht ungefährliche Aufgabe für die Bergleute.

Nur mit größter Vorsicht können

sie sich

von der

Vernichtung durch nachstürzende Gesteinmassen schützen.

An dem Wachsen der Zahl der im Bergwerk beschäftigten

man am besten das Wachsen des Gesamtbetriebes und die Anforderungen, die an diesen gestellt werden, ermessen: um 1880 waren etwa 400 Bergleute, heute sind beinahe 1000 beschäftigt, zwanzig also eine Steigerung um das einundeinhalbfache in diesen völlige eine auch Jahren zwei vor hat Steigerung Jahren. Diese Umgestaltung der Wasscrvcrbinduug nötig gemacht. Früher ging diese vom Kalksee aus durch den Kalkgraben und durch einen den den Berg durchschneidenden, etwa 200 m langen Tunnel, worden erbaut erst 1827 „Redentunnel," der zwischen 1801 und Menschen kann

Dieser Tunnel bildete nun bei dem gewaltig gesteigerten Wasservcrkehr einen Engpaß, da ihn zwei der großen Schiffe nicht nebeneinander passieren konnten. So gab man diese Verbindung 1897 auf und schuf eine neue, die, durch Kanäle den Krim- und Stolpsee durchschneidend, in den Kalksee führt und dabei noch den Vorteil gewährt, unmittelbar in der Nähe des vom Tiefbau auf¬

war.

vorbeizuführen und also auch für diesen eine vielleicht vorzuziehende Wasserverbindung zu schaffen. steigenden Aufzuges

m

827

Die Blüchersammlung im „historischen Museum der Völkerschlacht und der Zeit Napoleons I." zu Leipzig.

um sie der Allgemeinheit des deutschen Volkes bekannt

Ein dritter Brief (nur mit eigenh. Unterschrift) an den Major aus Berlin vom 22. November 1811 ist vorhanden. In diesem dankt er für das ihm erwiesene Vertrauen (Major von Oppen hatte Blücher in Kenntnis gesetzt, daß er beim König

Ich beginne zunächst mit der Blüchersammlung, um später die Körners, Napoleons und anderer hervorragender Männer folgen

um Entlassung nachgesucht habe) und bedauert, daß die Armee einen ihrer besten Officiere verliere. Zum Schluß fügt Blücher bei, daß auch er von den Militärgeschäften entbunden sei.

ie Bereicherungen, die das historische Museum im Laufe des letzten Jahrzehntes gemacht hat, veranlassen mich, eine kurze Uebersicht der Autographen, Reliquien und Gemälde

zu geben,

zu machen.

von Oppen,

Im Juli

zu lassen.

Die vorhandenen, meist eigenhändigen Schriftstücke Befehle, obgleich Blücher wenig selbst schrieb) raum der Jahre 1806—1818.

(auch

umfassen den Zeit¬

Am 20. August 1806 steht Blücher bei Münster und teilt dem Komniandanten des Dragonerregiments von Wobster, Major von Oppen (z. Z. in Lippstadt) mit: es sei die Ansicht des Königs, ein Vordringen der Franzosen durchaus nicht zu gestatten. Ferner solle er (Oppen) „die Preußische Grenze nicht eher verlassen, bis er durch Uebermacht zurückgedrängt werde und, den Feind im Auge habend, auf ihn (Blücher) über Strombcrg und Warendorf "repartieren."

Zwei weitere Befehle aus Münster (vom 24. und 28. August) In dem einen befiehlt er, die Franzosen als Feinde zu betrachten, wenn sie wagen sollten, vorivärts zu marschieren, und, er wisse, wenn sie es dennoch wagten, sie mit dem Gros der Armee zu züchtigen. Im anderen Befehl finden wir Angaben über die Stellung und Stärke des französischen Generals Bourmont und über die vorzunehmende Organisation der hessisch-darmstädtischen Truppen. Nach den unglücklichen Schlachten bei Jena und Auerstädt liegen vor.

begab sich Blücher, nachdem er vergeblich versucht hatte, Lübeck zu halten, nach Ratkau, wo er am 7. November 1806 kapitulieren mußte. Als Gefangener nahm er seinen Aufenthalt in Hamburg.

Bon hier aus sandte er am 10. Mai 1807 einen Brief an den „Jusouders hochzuehrenden Herrn Obrist-Wachtmeister von Oppen". Er erkundigt sich teilnehmend nach dessen „Blessuren" und spricht die Hoffnung aus, daß er, sobald „das jetzige Gerücht seiner Auswechslung würklich in Erfüllung übergehen sollte, er alles thun würde, ihn wieder in Thätigkeit zu sehen und er es für seine Pflicht halte, dahin zu würken, einen solchen ausgezeichnet braven Mann wieder in den Stand zu setzen, seinem König und Vaterlande nützen zu können". Es folgt die Nachschrift: „Gestern erhalte ich Briefe von Scharnhorst, daß ich würklich ausgewechselt sey, aber ich habe leider darüber noch nichts, und möchte vor unmuth vergehn."

AIs sich die Preußen jenseits der Oder zurückgezogen hatten, und Blücher ausgewechselt, von Napoleon mit Auszeichnungen ent¬ lassen, nach Königsberg gereist war, beschloß man, mit einem preußischen Korps eine Unternehmung an der pommerschen Küste mit Hilfe der Schweden zu versuchen, und der König ernannte den General Blücher zum Kommandeur dieser Truppen. Er sandte am 17. Mai 1807 ein eigenh. Schreiben nach Pillau, das die genausten Details seiner projektierten Einschiffung enthielt und mit folgenden Worten beginnt: „Euer Hochwohlgeb. avertiere wie ich morgen nach Mittag in Pillau ein treffen werde um mich 'auf der im Haffen liegenden Schwedischen Jacht ein zu Schiffen und gleich ab zu gehn, in mein gefolgc ist der Major v. Lossow, und noch 7 Adjutanten und officiere." Wie bekannt, scheiterte diese Expedition, da die Schweden einen Waffenstillstand mit den Franzosen geschlossen hatten, und währenddessen die für die Preußen ungünstige Schlacht von Friedland geschlagen worden war. Es folgen zwei Dispositionen, die erste „zur Versammlung der Truppen in Fall einer feindlichen Landung, Treptow, 28. Juny 1808" (auch eigenh.), die zweite „Zum Maneuvre auf den 12. Juny 1809" und eine Eingabe vom 13. Jilni 1809 aus Stargard au die König!. Kriegskasse um Dispositionsgelder im Betrage von 300 Rthlr. Letztes Schriftstück ist mit Bemerkungen des Königs versehen und von ihm unterzeichnet.

„.

.

.

1813 schreibt er eigenhändig an ebendenselben u. a.: Führ die Freundschaftliche gesinnung, so sie mich

ich danke

bin gottlob völlig hergestellt und sehe mit sehn sucht daß beginnen der neuen Fehde entgegen, unsere armeeh 90000 Mann stark ist in gnhten zu stände, gestern habe ich 20 Battallion landwehr und 8 Esqadron besehen, hentte kom wieder 16 Battalliou und 8 Esqadron, alles ist bewaffnet, und die leutte machen ihre Sache recht guht, Generall Gneisenan hat bewiesen, ich

sich

ein großen rühm

niit

der Formation gemacht die geschwiudig-

über trifft jede menschliche crspäter: . . . wegen ihrn Herrn Sohn sein sie ohne sorgen ich habe Nostitz aufgetragen von alles was er braucht zu sorgen, geld kan reichlich kriegen so vill wie keit wo

mit

sie zu stände gckom

wahrtung".

Einige Zeilen

nöthig ist." Das wertvollste Stück der Sammlung ist ein Generalstabs bericht (8 Fol. S.) aus Pilgramsdorf vom 20. August 1813, die Gefechte vom 18. bis 20. August betreffend. — Wenn der Kronprinz von Schweden am 16. Oktober seinen Verpflichtungen als Alliierter nachgekommen wäre und den wieder¬ holten Aufforderungen des beim schwedischen Heere befindlichen englischen Kommissars Stewart, den Marsch zu beschleunigen, nachgekommen wäre, würde die Schlacht bei Möckern für die Ver¬ bündeten entschiedener geschlagen worden sein und Leipzig früher in die Hände der Alliierten gefallen sein. Blücher sandte deshalb in der Aufwallung des Zorns am Nachmittage des Schlachttages folgendes Billet an den Fürsten von Schwarzenberg: „Wenn der Hund von zigeuner nicht sofort erscheint, so muß in

daß heilig kreuz granaden bomben donnerwetter klein schlagen." Aus dem Jahre 1815 haben wir einen Befehl Blüchers, als Kommandeur der Niederrheinarmee, an den General von Borstell bezüglich der Bestimmungen der invaliden Offiziere und ein längeres Schreiben vom Hauptquartier Compiegne (26. Okt. 1815) an den Gouverneur von Paris, Frciherrn von Müffling, in welchem er ihm den in ehmalig französischen Diensten stehenden Major von Ploosen empfiehlt, der iin Verdacht stand, militärische Absichten Preußens an den König von Frankreich mitgeteilt zu haben und um Urlaub gebeten hatte, um sich in Paris zu recht¬ fertigen. Am 23. Februar dankt Blücher Herrn Conrad Euderlein (in Berlin, Unter den Linden wohnend) für die Dienste, die ihm sein Sohn Fritz geleistet hat. Aus den Jahren 1816 und 1818 sind noch zwei wertvolle, eigenhändige Briefe vorhanden, von denen ich den einen, an seinen Sohn Franz gerichteten, wörtlich wieder¬ geben

will: deß Herrn Major von Blücher Hochwohlgebohrn zu Reppen.

„An

Liber frantz diesen angenblick kome ich hier an, und will lange bleiben bis Du komst da mit wir uns sprechen, ich gehe nach Breslau alles übrige mündlich, nach Pomern gehe ich nicht mehr zu viel in Schlesien in der gegeud von Reiße habe ich ein guht nachmals Kuntzendorff (1812 als Dotation Blücher. vom König) erhalten, köm in balde anhero so

Der andere, ein Jahr vor seinem Tode an seinen Freund, Freiherr» von Oppen, gesandte Brief, ist zu laug (vier große Seiten), um hier vollständig wiedergegeben zu werden. Ich führe deshalb zum Schluß der Autographensammlung einige Bruchstücke daraus an: „. . . mit Dank habe ich durch den Herrn Hauptmann von Salich Ihr» brieff erhalten, der Hund ist mich sehr den

828

angenehm

. . .

geht der alte Sägebahrt ab,

so gehe ich

zum Könige

König . . mit und schlage ihnen da zu vor ihm und ich bin mit halst, ein geitz ist nichts anzusaugen s ist schivieger künftige Sohn gra¬ ihre zu Fust nicht auf dem beßten tuliere ich . . Die Bibliothek enthält wertvolle Spezialwerke über Blüchers •

den niederländischen

Leben.

Die Bildergalerie

zeigt uns ein Oelgemälde des Fürsten, ein kleineres aus dem Jahre 1818, eine Kreidezeichnung in Lebensgröstc svou Wagner, feit.), mehrere kleine Porträts in Kupfer und viele Szenen aus seinem Leben. So z. B. Blücher an der Katzbach, bei Möckern, Blücher erstürmt das Gerberthor, Blücher wird zum Feldmarschall ernannt am 19. Oktober 1813 auf dem Markt¬ platz in Leipzig, Blüchers Rheinübergang bei Caub, Blücher bei Liguy, bei Waterloo, bei Geuappes (bie erbeuteten Kleinodien

Napoleons empfangend), Blücher in England, sein Grabmal in

Eine Büste in Lebensgröße, 1814 in Dessau angefertigt, wohl getroffen.

ist

Die Karikatnrensammlung enthält u. a.: Blücher, Na¬ poleon auf der Hand tragend, Wellington und Blücher spielen mit Napoleon Tennis, Blücher mit Gefährten vor dem Käfig Napoleons auf Elba. An Münzen sind vorhanden: eine große silberne Medaille „Fürst Blücher von Wahlstadt, Marschall Vorwärts", eine schöne Bronzemedaille 1742—1819, sowie mehrere kleine Blüchermünzen; an Reliquien ein von ihm lange Zeit benutzter, sehr kunstvoll gearbeiteter Krystallpokal mit Porträt und Namen 1818, ein goldener llhrschlüssel mit dem Aufruf „An mein Volk", ein Tabaks¬ beutel, eine Dose, die Haarlocke Blüchers aus der Freiherr von Ehrenbergschen Haarsammlnng und ein Pseifenkops mit den Porträts Blüchers, Schwazenbergs und Wellingtons. —

Friedrich Kircheisen.

Kriblowitz u. m.

Das Spreewaldheittglum D/^>ohl

wenige der zahlreichen Touristen, die dem von alters her „weltbernffenen" Spreewaldc einen Besuch abstatteten, werden versäumt haben, die Schritte nach dem sagenumwobenen, an vorgeschichtlichen Schätzen ungemein reichen Schlostberg von Burg zu lenken. Ist doch der Ruf dieses rätselhaften, alt¬ ehrwürdigen Denkmals der Vorzeit unzertrennlich mit dem Spree¬ walde verknüpft, und ob sich auch nur ein dreizackiger, mit spär¬ lichem Getreide und Gestrüpp bewachsener Hügelwall den Blicken darbietet, ob diese Anlage wie der Spreewald selbst nur noch die einstige Größe ahnen läßt, die Sage und die Archäologie haben dem Schlostberg ein Interesse und eine Bedeutung verliehen, die weit über die engen Grenzen unsrer Heimat, ja des deutschen

Vaterlandes hinausgehen. Namhafte Altertums- und Sagenforscher ließen es sich an¬ gelegen sein, begeistert zu sammeln, was die Erde in ihrem stillen Schoße barg, oder was von Mund zu Mund aus grauer Vorzeit überliefert wurde. Zwar haben alle Ergebnisse anhaltenden Forschcrfleißes noch nicht zu endgiltigen und unbestrittenen Be¬ weisen führen können, welchen Zwecken der Schlostberg diente und was sich einst aus ihm abgespielt hat. Aber gerade das Un¬ bekannte und Geheime, das sich mit dieser Höhe verknüpft, übt einen gewissen Reiz auf Forscher und Volk aus. Vielleicht schließt das Innere des Walles noch bedeutsame Zeugen längst vergangener Zeiten ein' vielleicht ist dieser oder jener Fund einmal geeignet, klares Licht in manche bisher nur dunkle Vermutung zu bringen oder manche Hypothese verwirklicht erscheinen zu lassen. Als diesem imposanten Rnndwall vor wenigen Jahren infolge des Baues einer Sprecwaldbahn die vollständige oder doch teil¬ weise Zerstörung drohte, als das Jahrhundert des Dainpfes und der eisernen Wege sich auch im abgeschiedenen Spreewalde geltend machen sollte, da durfte es nicht wundernehmen, daß allenthalben in den Kreisen der Gebildeten Einspruch erhoben wurde gegen das dem Schloßberg angedrohte Geschick. Wenn man ein Gut verliert, dann erst erkennt man seinen Wert. Und welcher Wert in wissen¬ schaftlichen Kreisen auf die Erhaltung dieser vorgeschichtlichen Kulturstätte gelegt wird, beweisen die Worte des Geheimrats Professors vr. Virchow, mit denen er auf dem deutschen Anthcopologentag zu Speier sich gegen die Zerstörung des größten Rnndwalls der Mark Brandenburg wandte. Freilich ist der Schlo߬ Eine Durchberg trotzdem nicht gänzlich verschont geblieben. schneidnng der Eisenbahnstrecke wenigstens an einem seitlichen liest sich nicht abwenden. Doch geschahen die Erdarbeitcn

Teil mit

großer Vorsicht und im Beisein von Altertnmskundigen, so daß durch die Durchstechung des Walles nicht nur die einzelnen Lagernngsschichten deutlich erkennbar, sondern auch Funde von zum Teil hohem Interesse an das Tageslicht gefördert wurden. Wenn somit die Aufmerksamkeit der Forscher neuerdings wiederholt auf dieses „Heiligtum" des Spreewaldes gelenkt wurde, dürfte wohl auch weiteren Kreisen Bild und Bedeutung dieses viel¬ genannten Rundwalls nicht unwillkommen sei». Der Schlostberg erhebt sich zwischen Wiesen und Flußarmen gegen fünfzig Fuß über dein Spiegel der Spree, etwa zwei Kilo¬ meter nördlich vom Dorfe Burg. Der größte Onerschuitt durch die Breite im Norden ergab »ach vorgenommenen Messungen etwa 250, ein Onerschuitt im Süden etwa 135, die ganze Länge etwa 470 Schritt. Die gegenwärtige Gestalt des Schlostbcrgs ist offenbar nicht die ursprüngliche gewesen. Der Wall mag im Laufe der Zeiten mannigfache Uinwandlnngen und Veränderungen erfahre» und einen nicht unbeträchtlichen Teil seiner Höhe infolge Abgrabnngen eingebüßt haben. So ist es nicht unmöglich, daß sich

außer den drei Vorsprüngen im Osten auch nach andren Richtungen Berger in Berichtet doch hervorspringende Ecken befanden. seinem Merkchen über den Sprcewald (1866): „Teils sind so viel Vorsprünge, Einbiegungen, und Voriverke sichtbar, daß es vielleicht wert wäre, daß Offiziere hier Studien machten." Doch ist cs möglich, daß diese Absätze auch, was freilich weniger wahrscheinlich ist, erst durch Ausschachtung der Lücken entstanden sind. Nach mündlichen Berichten soll der Schlostberg in alter Zeit noch mit einem Graben und einem besonderen Walle, ähnlich den befestigten Orten, umgebe» gewesen sein, eine Behauptung, die freilich nicht nachweisbar ist. Was dieses Altertum den Urvätern war, ist der heutigen Generation meist aus dem Gedächtnis entschwunden. Der Name „Schlostberg" gab der alten Tradition Nahrung, daß sich hier einst das Schloß des wendischen Königs erhoben habe, eine Annahme, die durch vereinzelte Reste altertümlicher Ziegelsteine wesentliche Bestärkung fand. Anderseits erblickt man in dem Schloßberg, da er wie eine heilige Höhe aus dem Wasser emporragt, einen zu Knltnszwccken geweihten Ort. Nach diesem Bnrgwalle wurde von namhaften Forschern die Nationalopferstätte der alten Semnonen verlegt, deren heiliger Hain der Spreewald gewesen sein soll. Zwar hat man viele Oertlichkeiten für den großen Semnonenwald in Anspruch genommen, so die Gegend um Schlieben und Jüterbogk. Hingegen hat I)r. Behla, einer der verdienstvollsten Forscher auf dem Gebiete der Niederlansitzer Altertumskunde, die Gehaltlosigkeit dieser Annahme dargethan und darauf verwiesen, daß nur der Schlostberg bei Burg dieses berühmte Heiligtum sein könne. Auch Professor l)r. Virchow unterstützt diese Annahme, indem er in der ethnologischen Zeitschrift bemerkt: „. . . auch deuten die Meldungen des Tacitns darauf hin, daß der mächtigste germanische Stamm der römischen Kaiserzeit, die Semnonen hier (im Spree¬ wald) den Mittelpunkt seiner Zusammenkünfte hatte." Ob der Schlostberg den Slawen als Knltstätte gedient habe dafür finden sich keine sicheren Beweismittel. Die Kunde, daß am Abhang des Walles ei» Bild der wendischen Göttin Prowe empor¬ geragt habe, ist mit Vorsicht aufzunehmen. Wenigstens aber ist eine dem Mittelalter entstammende Heiligenflasche ans Licht ge¬ fördert worden' man wird daher die Annahme nicht ganz von der Hand weisen können, daß der Wall den Ruf der alten Heiligkeit auch noch im Mittelalter besessen habe. Bei den anläßlich des Eisenbahnbanes vorgenommenen Ausschachtungen ist von wesent¬ lichem Interesse der Fund eines Scherbens mit einem Ornament, welches in erhabener Form ein vierspeichiges Rad darstellt. Dieses Thonornament repräsentiert sehr wahrscheinlich eine Hindeutnug auf die vierspeichigen Räder der vor Jahrzehnten in der Umgebung des Burger Schloßberges gefundenen Bronzewagen, welche zweifel¬ los als Knltnsgeräte der Germanen aufzufassen sind. Man must daher auch die so gezierten Gefäße als Zeremonialgefüße ansehen, die einem sakralen Gebrauche dienten. Sodann ist unter zahlreich aufgefundenen Knochen von hoher Wichtigkeit ein ungebranntes Schläfenbein von einem Menschen, entnommen der vorslawischen Schicht unter germanischem Topfgerät. Diese ungebrannten Menschenknochcnreste sind merkwürdig aus einer Zeit, wo in unserer Gegend die Leichenverbrennnng allgemein üblich war. Bekanntlich wurden bei den Germanen außer Ticropfern auch Menschenopfer dargebracht, und so bestätigt unter andern auch dieser Fund ans dem Burger Schlostberg die Mitteilung des Tacitns im Kap. 39 der Germania, daß die feierliche Zusammenkunft aller Suebenstämme mit einem Menschenopfer begonnen wurde. — Durch die Ausgrabung zahl¬ reicher Totennrnen in Sieinsatz mit Beigesäßeii ist die Bedeutung

I.

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der Anlage als Begräbnisstätte nicht unwahrscheinlich' jedoch würde es gewagt erscheinen, die vielen Gräber ans besonders bevorzugte Personen, Stammesherrscher oder Priester, zurückführen zu wollen. Am ehesten läßt sich annehmen, daß die Anlage bei Ueberschwemmungen oder drohender Kriegsgefahr als Zufluchtsort, vielleicht auch zu Verteidignngszwecken diente; denn von hier aus ließ sich das ganze Flußgebiet beherrschen. Da die Dörfer ehemals nur geringe Bevölkerung zählten, so konnte immerhin die ganze Bewohnerschaft, ja bei der Größe des Schloßbergs die der ganzen Spreewaldniederung daselbst Aufnahme finden. Daß der Schlo߬ berg den Charakter eines Festungswerks — wenigstens in wendischer Zeit — besessen habe, ist gleichfalls nicht unwahrscheinlich. Pferde¬ gebisse von auch anderweitig vorkommender Form geben Zeugnis, daß einst Reiter auf dieser Höhe hausten, und vorgefundene Feld¬ steine mögen als Geschosse gegen stürmende Angreifer bereit gelegen haben. Für eine vorgeschichtliche Wohnstätte ist die Anlage viel¬ fach erklärt worden. Wie eine Insel aus dem wasserreichen Spree¬ walde emporragend, mußte der Schloßberg wegen seiner Ab¬ geschlossenheit und der Unzugänglichkeit seiner Umgebung einen ebenso sichern wie festen Wohnsitz bieten. Besonders scheint für eine ständige Ansiedlung der innerhalb der Kulturschichten an¬ gelegte Begräbnisplatz zu sprechen.

Es ist wohl kaum zu bezweifeln, daß der Schloßberg in diesem des Spreewaldes von Menschen sehr frühzeitig betreten worden ist, gleichviel, ob die Niederlassung hier eine dauernde oder nur

Teil

vorübergehende gewesen ist. Sicherlich ist der Wall von den Slawen, als diese um das 6 . Jahrhundert in unsere Landschaft eindrangen, bereits aufgefunden worden; weisen doch die vielfach gemachten Funde auf zwei Zeitperioden, eine wendische (mit Burgwalltypus) und eine vorslawische hin. Besonders letztere scheint einen langen Zeitraum hindurchgegangen zu sein. Es würde zu weit führen, hier die unterschiedlichen Merkmale all der Fund¬ ergebnisse, besonders der Gefäßformen, genauer zu beleuchten. Namentlich die Durchstechung des Schloßberges hat eine große Menge keramischer Erzeugnisse geliefert, die zum größten Teil der vorslawischen Zeit angehören und bis über die Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends zurückreichen, während die slawischen Gefäßreste nur in geringer Anzahl gefunden wurden und aus¬ schließlich der obersten Schicht angehören. Außer dem wissenschaftlich interessanten Scherbenmaterial wnrde eine Anzahl Gefäße, darunter solche mit Leichenbrnnd, ans Licht gefördert. Von sonstigen Fund¬ stücken sind Hausgeräte und Schmucksachen aus Metall, Knochen, Thon und Stein zu erwähnen, sowie einige menschliche Skelettteilc und eine 'große Anzahl von Tierknochen, herrührend von Jagdund Haustieren. Obschon die wissenschaftliche Erforschung bezüglich der Ent¬ stehung des Schloßberges ergeben hat, daß die Wallanlage auf einer von der Natur geschaffenen Sauddüne durch Auftragung von Moorerde aus der Nachbarschaft entstanden ist und durch vielfache Uebereinanderhäufungen von Kultnrschichten nach und nach zu an¬ sehnlicher Höhe emporwuchs, weiß der Volksmund zu berichten, der wendische König habe mit einem kleinen Männchen (b. i. dem Bösen) einen Vertrag abgeschlossen, und der habe ihm in einer Nacht den Schloßberg fertig gestellt. Natürlich ist diese Sage nur lokalisierter, indogermanischer Mythus. Wirkliche historische Er¬ innerungen aus jener fernen Zeit fehlen unter den Wenden ent¬ weder gänzlich, oder sie sind, wo man ihnen begegnet, allmählich in das Volk gedrungene litterarische Nachrichten, die volkstümliches Gepräge angenommen haben. So ist auch die älteste historische Nachricht, die niit dem Schloßberg in Verbindung gebracht wird, nämlich die fälschlich so genannte „Ermordung" der dreißig wendischen Fürsten durch den Markgrafen Gero, den Wende» des Spreewaldes so gut wie unbekannt. einer älteren Kunde, den „Gesammelten Nachrichten von der Stadt und Herrschaft Cottbus" der Mitte des Dr. Gulde (1786), heißt cs, Burg betreffend: des Dorfes Burgk befindet sich ein Berg, welcher der Schloßberg genannt wird. Man muß ihn, dem Anschein nach, für das Ueberbleibsel einer alten Festung halten, und der mündlichen Tradition zufolge soll auf diesem Berg Markgraf Gero ein Lust- und Jagd¬ schloß gehabt haben, in dem er dreißig vornehme wendische Herren habe umbringen lassen." Diese Begebenheit ermähnt zuerst der Mönch Widukind von Corvey, ein Zeitgenosse Geros. Es steht in diesem Bericht aber nicht, daß Gero die Häuptlinge der Wenden zu sich eingeladen und meuchlings umgebracht habe, was von den meisten Chronisten, auch von Dr. Gulde, in dieser falschen Dar¬ stellung behauptet wird. Spricht doch Widukind überall mit der höchsten Achtung von dem Markgrafen und schildert ihn zwar als strengen, aber doch durchaus ritterlichen Charakter.

In

„In

In das Zeitalter Geros fällt auch die Sage, daß ein Wenden¬ fürst, mit Rainen Ciscibor, nach Zerstörung seiner Burg ans der Landeskrone bei Görlitz sich nach dein Spreewald geflüchtet habe. Von den Trümmern seiner Feste aus sei er bis an die Ufer der Spree gewandert, habe sich dort auf ein aus Weidenruten zu¬ sammengeflochtenes Floß gesetzt, sei den Fluß hinabgcschwommen und wohlbehalten in der Riederlausitz angelangt. Hier erbaute er er das Schloß zu Burg und herrschte über die Nicdcrlausitzer

Wenden als ein König, der Botmäßigkeit der Deutschen in dem unzugänglichen Spreewald sich entziehend und ihren Waffen trotzend/ Erst im Jahre 1298 soll der letzte Wcndenkönig seinen Tod in den Flammen gefunden haben, ans denen er edelmütig Anna, die Tochter seines einstigen Stammesgenossen, des Ritters v. Puttlitz rettete. Doch erhielt sich noch bis in die neueste Zeit, sowohl unter dem Volk wie auch bei wendischen Schriftstellern der Glaube, daß die Wenden, wiewohl unterdrückt und um ihre alte Freiheit und ihr nationales Recht gebracht, wenn auch zum Deutschen Reich zugezogen, doch bis auf den heutigen Tag ihre eigenen Könige ans ihrer alten Königsfamilie beibehalten haben. So erzählt ein fleißiger und ernster wendischer Schriftsteller, der Pfarrer Jentsch, der sich eingehend mit der Verfolgung dieser Mythenbildung be¬ schäftigt, daß die Niederlansitzer Wenden um Lübbenau herum im Spreewald bis zu dieser Stunde ihrem König ans der alten Herrscherfamilie treu anhangen und sich seinen Befehlen in ihren besonderen wendischen Angelegenheiten unterwerfen, wiewohl sie in allen äußerlichen staatlichen Dingen dem deutschen Landesfürsteu Gehorsam leisten, ihre Steuern treu und richtig zahle» und ihre König sei aber unter den Bauersleuten schwer Pflicht erfüllen. ausfindig zu machen, da er in seiner äußeren Erscheinung gleich¬ falls ein Bauer sei. So soll schon Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, wie Professor Jakob Toll in seinen Reisebriefen berichtet, diesem im Verborgenen waltenden König haben eifrig nachforschen lassen. Einst sei ihm auch ein kräftiger und schöner Wendenjüngling vorgeführt und als ihr König bezeichnet worden. Ein alter Bauer aber, der den Verrat merkte, habe den jungen Menschen zornig angeredet, ihn mit dem Stock geschlagen und fortgetrieben. Dadurch sollen die weiteren Nachforschungen des Kurfürsten ver¬ eitelt worden sein. Noch heute ist man der Meinung, daß sich Nachkommen der wendischen Königsfamilie in weiblicher Linie in dem jetzt germanisierten Dörfchen Kaminchen vorfinden und den Glauben an ihre fürstliche Abkunft behaupten. So streifen die bisher berührten Sagen vom Wendenkönig noch das Gebiet des Historischen, obschon nicht ein einziger dieser Herrscher im Gegensatz zu den zahlreichen wendischen Fürsten, von denen die Geschichte an der Oder und der Elbe zu berichten weiß, historisch nachweisbar ist. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist der „wendische König" überhaupt erst aufgetreten, als die wendische Herrschaft ein Ende hatte; die Lausitzer haben ihn wohl erst von den Deutschen als Sagengestalt gerade mit diesem Namen erhalten, wie ähnliche Bezeichnungen: Wendenschlachten, Wendengrübcr, Wendenkirchhöfe sich reichlich in Rorddeutschland vorfinden; und „wendisch" ist in der Vorstellung des Volkes vorwiegend „heidnisch". Wo die Erinnerung an die Wenden noch lebhaft vorherrschte, wurde eben alles wendisch. Ungemein groß ist die Zahl der auf den letzten wendischen König bezüglichen Schloßbergsagen, die ihren Ursprung nicht wenig der durch die dort gehobenen archäologischen Funde genährten Freilich ist die Gestalt des Phantasie des Volkes verdanken. Wendenherrschcrs in dem ihn umgebenden Sagenkranze keine ein¬ Nach den zahlreichen von heitliche, sondern vielfach wechselnde. Willibald von Schnlcnburg und Dr. Edmund Veckenstedt gesam¬ melten Sagen wird der Wendenkönig bald als Rüuberhauptmann hingestellt, der mit seiner beutegierigen Schar die weitere Umgebung gefährdet^ und »»ermessene Reichtümer zusammen brachte, bald heißt es, daß er mit dem Bösen im Bunde stand und ihm die Erbauung eines Schlosses im Innern des Hügels verdankte, bald, daß er in einer Burg über der Erde residierte, den Pferden die Hufeisen verkehrt aufschlug, damit man keine Kenntnis von der Richtung seines Ausritts habe, und daß er vermittelst einer ledernen Brücke zum Auf- und Niederrollen über Sumpf und Wasser gelangen konnte. Die Zerstörung des Wendenschlosses aber sei »ach einigen durch den Teufel, der es in den Erdboden ver¬ senkte, nach anderen durch feindlichen Ueberfall, wieder nach Noch heute bezeichnet man die anderen durch Feuer erfolgt. ninldenartige innere Vertiefung des Schloßbergs als die Stelle, wo das Schloß des wendischen Königs versunken sein soll.

Ihr

Daß der Schloßberg unermessene Schütze in seinem Innern berge, die nur noch des glücklichen Finders harren, ist daher ein weit verbreiteter Glaube. Häufig sah man auf dem Hügel „Geld spielen", d. h. bläuliche Flämmchen emporschlageu, der sicherste Fingerzeig für verborgene Schätze. Freilich auch an unheimlichen Erscheinungen fehlt es auf dem Schloßberge nicht. JDcr alte wendische König reitet ohne Köpf über den Berg. Bei Tage sieht man schwarze Männer, in der Dämmerung eine weißgekleidete Frau umgehen. Aus dem Innern schallt Gebrüll wie von Löwen hervor; große Schlangen strecken ihre Häupter empor, sobald man Und noch viele andere Er¬ tiefe Löcher in den Berg gräbt. scheinungen erschrecken und entsetzen den Wanderer, der, besonders zur Nachtzeit, das Zaubergebiet des Schloßberges betritt. _

Diese oder jene der zahlreichen Sagenblüten des Spreewaldes hat auch poetische Verwertung gefunden. Und das ist leicht er¬ klärlich; fordert doch mancher dieser Sagenstoffe geradezu zur Außer kleineren Roinanzcii, dichterischen Bearbeitung heraus.

nach den obigen Ausführungen nicht schwer Möchte dieser berühmteste altertümliche Burgwall für alle Zeiten der pietätlosen Zerstörung entrückt bleiben und noch späteren Geschlechtern Knude gebe» von den Ewald Müller. Generationen längst verschollener Zeiten.

denen Schloßbergsagen zu Grunde liegen, seien

waldheiligtums, dürfte

Johann von Wildenradts

ersichtlich sein. östlich der Elbe

vor allen Dingen Dichtung „Der letzte Wenden¬ könig" und des Verfassers Spreewaldsang „Morkusko", beides größere Werke, hier erwähnt. Die mannigfache Bedeutung des Schloßberges, dieses Spree¬ epische

Der Schah in der Karthause.

auch der

Der Prior machte einen Versuch, zu entfliehen, wurde aber ergriffen und nach Berlin geführt. Hier gelobte er, sich ruhig zu verhalten, wenn man ihm gestattete, in das Kloster zurückzukehren. Als er aber wieder zu entfliehen versuchte, nachdem er, wie man behauptete, eine» Wagen voll Klostergnt heimlich fortgeschafft hatte, wurde er nach Spandau gebracht. Nochmals gestattete man ihm die Rückkehr in das Kloster und überwies ihm wie den übrigen Mönchen Lebensunterhalt. Doch der unbeugsame Mann entlief

die Karthäuserkloster „zu Ehren des allmächtigen Gottes, der glor-

wieder und gelangte diesmal glücklich in das Ausland.

würdigen Jungfrau Maria, wie sie zur Begrüßung der Elisabeth über das Gebirge eilte, des Leibes und des Blutes Christi, der Apostel Petrus und Paulus und allen Heiligen." Es heißt das „Kloster zu Gottes Barmherzigkeit." Als 1396 Bischof Johann HI. von Lebns diese Stiftung bestätigte, verhieß er denen, die zum Ausbau der Gebäude und Einrichtung des Klosters beitragen würden, einer vierzigtägigen Ablaß.

Aber der schlaue Mönch hatte seinen Widersachern etwas in die Suppe getropft, wonach sie lange den Mund verziehen sollten. Er hatte nämlich geäußert, er habe im Kloster einen Schatz ver¬ graben, werde aber niemals den Ort nennen: Ein Schatz in der Äarthause! Die Stadt geriet in Aufregung, die Sache wurde so

B

s ist eine merkwürdige Erscheinung," sagt Spieker, der ver¬ dienstvolle Geschichtsschreiber der Stadt Frankfurt, „daß

im Mittelalter eine besondere Neigung Klöster für den strengen, einsiedelischen Orden der Karthäuser zu stiften. So die Städte Danzig, Rügenwalde, Stettin, Rostock, Lübeck, Erfurt, Prag, Langnitz u. a." die Handelsstädte

gezeigt haben,

Auf Anregung eines Pfarrers mit Namen Kunow gründete Magistrat zu Frankfurt am Ende der Gubener Neustadt

Die fromme Stiftung gedieh

sichtlich

an weltlichem Besitz:

nach und nach zinste eine Reihe von Dörfern in die Klosterkasse. Was sie auf geistlichem Feld geleistet hat, davon schweigt die Ge¬

Ein Verdienst aber haben sich die schweigsamen Mönche sie verstanden ein Bier zu brauen, das den Namen der Karthäuser der dankbaren Nachwelt hat fortleben lassen bis auf diesen Tag. Wer, wie der Verfasser dieses Aufsatzes, im Anfang der sechziger Jahre seinen Wanderstab auf den Weg nach Frank¬ furt setzte, dem rief man selbst im fernen Pommerlande biersröhlich zu: „Gehen Sie ja in das Karthaus!" schichte.

erworben,

Mehr als hundert Jahre hatten die Mönche ihr stilles Dasein was ihres Amtes war und sich au ihrem Gebräu erquickt, da brach die böse Reformation auch über Frankfurt herein. Als Joachim H. in der Nikolaikirche in Spandau das heilige Abend¬ mahl in beiderlei Gestalt genommen, durfte sich in der Mark zu In Brandenburg jedermann zur lutherischen Lehre bekennen. Frankfurt, wo Johann Lüdecke schon vorher Luthers Lehre gepredigt hatte, ging der Magistrat energisch zur Beseitigung des katholischen Kultus vor. Den Franziskanern in der Unterstadt wurde das gelebt, gethan,

und Predigen untersagt; der Bürgermeister PeterSdorf in eigener Person und nahm die Kleinodien und Ornate in „Verwahrung". Am 9. November 1539 war das letzte Hochamt in der Marienkirche gehalten; am 9. erfüllte eine dichtgedrängte Menge die Hallen der altehrwürdigen Kirche, der Rat an der Spitze der Bürgerschaft, die Lehrer mit der Schuljugend, zahlreiches Volk warteten der Dinge, die da kommen sollten. Da ertönte der erste lutherische Gesang, Lüdecke predigte, Sebastian Ulrich, bis dahin katholischer Pfarrer, stand ihm zur Seite. Dann trat Bürger¬ meister Petersdorf an den Altar, ihm folgte der Rat und die Bürgerschaft, um zum erstenmal neben dem Brot den Wein zu empfangen, der Gottesdienst dauerte vier Stunden; an den folgenden Sonntagen waren die Kirchen ebenso gefüllt; nirgend in der Stadt zeigte sich ein Widerstand. Messelesen

erschien

Doch, an einer Stelle, in der Karthanse, setzte der Prior Peter Golitz den katholischen Gottesdienst fort. Er hatte die Mönche von 13 zu 5 aussterben lassen. Man sagte ihm die übelsten Dinge nach, er habe die Klostergüter verwüstet, das Holz nieder¬ geschlagen, zu Gelde gemacht, was veräußerlich war, die Wertsachen aus dem Kloster heimlich entfernt. Nun erteilte der Kurfürst dem Vogte der Universität, Eustachius von Schlieben, den Befehl, das Kloster aufzuheben. Als der Prior sich widersetzte, wurde er ver¬ haftet, das Kloster besetzt, das Inventar aufgenommen und dabei festgestellt, daß vieles fehlte, also beiseite geschafft sein mußte. Die Klostergüter wurden der Universität überwiesen.

lange besprochen, bis sie auch zu den Ohren des Kurfürsten ge¬ langte. Joachim ll. brauchte viel Geld und hatte selten viel. Er war im Aberglauben befangen, wie die Klügsten seiner Zeit. Die Aussicht, des Schatzes habhaft zu werden, reizte ihn; er entsandte also einen Bergmeistcr und befahl ihm, nachzugraben. Der be¬ richtete nach einiger Zeit, er habe fleißig mit der Wünschelrute geforscht und vier Orte gefunden, an denen etwas stecken werde. Besonders aber habe er einen in das Auge gefaßt. Er werde am heiligen Christabend einen Kreis darüber ziehen; dieser Kreis müsse fünfzehn Tage unberührt bleiben. Am Abend aber müsse er um die Stelle herumreiten, dazu aber sei ihm ein Rappe nötig. Die Universität, auch der Magistrat warnten den Kurfürsten vor dem Betrüger; vergeblich, Joachim ließ sich täglich durch einen „laufenden

Postboten" über den Erfolg des Schatzgräbers unterrichten, gestattete auch nicht, daß die Universität durch Abgesandte an der Aus¬ Der Betrüger arbeitete nun mit seinen Ge¬ grabung teilnähme. selle» Tag und Nacht im Kloster, verlangte dann für seine Arbeiten ein Rüstschwert und erhielt es. Endlich fand er eine schwere, mit eisernen Reifen beschlagene Tonne. Nachdem diese mit Mühe an die Oberfläche befördert war, wurde sie nun im Triumph nach dem Rathaus gebracht. Man kann sich vorstellen, mit welcher Spannung man iher Oeffnung entgegensah. Der Schatz in der Karthause war gehoben! Aber welche Enttäuschung! Trotz eifrigen Suchens fand man kein Gold und kein Silber, sondern nur

Kohlen.

Der zur Rede gestellte Schatzgräber zuckte mit den Achseln und meinte, das sei immer so, Ungläubigen gegenüber verwandele sich das Silber in weiße, das Gold in rötliche Kohlen; man solle die Tonne nur sorgfältig verwahren, einem gläubigeren Geschlechte gegenüber könne eine Rückverwandlung stattfinden. Unterdes grub man eifrig weiter, da die Wünschelrute durch ihre Bewegungen dazu aufforderte. An dem; was nun weiter erzählt wird, hat sicher die Phantasie des Volkes einen noch lebhafteren Anteil. Man fand, so ging die Rede, einen großen, mit Eisen beschlagenen Kasten, der aber hatte keine Neigung, an das Licht zu kommen, sank vielmehr immer tiefer, und als man ihn zu untergraben versuchte, sank er mit Gekrach und Beben der Erde noch tiefer und flüchtete endlich unter die Kirche. AIs man weiter wühlte, drohte diese einzustürzen.

Da ließ mau von dem Graben ab, und so liegt der Schatz noch heute ungehoben. Mau sieht, die Geschichte ist ausgeschmückt, aber den Versicherungen des Priors geglaubt habe, ist wohl beglaubigt. Das gegraben und nach seinem Schatze war die Rache des Mönches.

die Thatsache,

daß

mau

Die übrigen Mönche erhielten auf Befehl des Kurfürsten bis Lebensende Wohnung im Kloster, Beköstigung und Geld für ihre Kleider. Im Jahre 1561 erhielten sie einen ihr Herz

au

ihr

831

Kardinal

ihm freudig

erfreuenden Besuch von dem päpstlichen Nuntius Gratian, der auf seiner Reise nach Posen Frankfurt berührte. Er fand nur noch

Sic warfen

drei hochbetagte Mönche, die seit 30 Jahren ihren Zufluchtsort nicht verlassen hatten. Sie wollten ihre Ordenskleider nicht ab¬ legen und fürchteten, in ihnen vom Volke verhöhnt zu werden.

Wer fühlte sich nicht ergriffen von dem Schicksale dieser Männer und von der Treue, mit der sie es ertrugen!

sich

dem

zu Füßen und küßten

die Hände.

Dr. Richard Schillmann.

Eine uckermärkische Bauernhochzeit vor fünfzig Jahren. -—.

(Echluß.)

alle Gäste anwesend waren, wurde ein stattlicher Tisch gedeckt, die Freundinnen wurden genötigt, sich herumzusetzen und alles zu probieren, um sagen zu können, ob es geraten sei. Viel Geduld hatten die aber nicht mehr. Man drängte sich, an die wichtigste Arbeit des Abends zu gehen, nämlich die Brautecke auszuschmücken. Eine ordentliche Banernstnbe von danials hatte zwei Fenster nach der Straße und zwei Fenster am Giebel nach dem Hofe und nahm ein Viertel des ganzen Hanfes ein. In dieser Stube, in der Ecke zivischen dem Straßenfenster und dem Hoffenster mußte der Brautdiener zwei große Laken befestigen, um diese wurde eine schöne Guirlande von Tannenzweigen festgenagelt, und in der Ecke selbst auf den weißen Betttüchern hin und her grüne Kränze an¬ gebracht. Dann wurde die Ecke mit allen blanken, bunten Bildern geputzt, welche die Mädchen mitgebracht hatten, dazwischen wurden seidene Bandschleifen und grüne Myrtensträußchen festgestcckt, kurzum, die Brautecke mußte etwas Wunderschönes sein, und sie war

jedermanns Urteil. Aber auch draußen vor der Hausthür wurde Polterabend ge¬ feiert. Von Bekannten, aber Ungenannten, wurden Glas, Porzellan, Töpfe, Schüsseln rc. mit großer Gewalt an die Thür geworfen. Nach alter Sitte durfte dieser Lärm nicht fehlen; denn — „je mehr Scherben, je mehr Erben." Nun holten die Brautjungfern noch einen Korb voll frischer Blumen herein, die unter den flinken Händen sich bald in etwa sechzig kleine, hübsche Sträuße verwandelte». Rosmarinstengel und Lorbeerzweige niit gelbroten Beeren wurden für die Männer zurechtgelegt. Den Brautjungfern lag es ob, dafür zu sorgen, daß jeder Hochzeitsgast sein Sträußchen bekam. Gern ließen sich die Mädchen noch zu einer Tasse Kaffee bereden, wobei die Braut in deren Kreise sitzen mußte. Ein Lied wurde gesungen, und die Braut sah ganz wehmütig dabei aus. Aber der Brantdiener ließ eine ernste Stimmung nicht auf¬ kommen; er kam und bat sich von der Braut sein Ordensband aus. Diese holte ein breites, starkes Scidenband, das wurde dem Brautdiener von der linken Schulter über Brust und Rücken hinweg durch Haken befestigt. Schnell holte jedes der Mädchen ein Band hervor, welches schon die bestimmte Länge hatte, und im Augen¬ blick steckten alle Brautbänder auf dein Rücken des Brautdieners. Der also Geputzte nahm rasch die ihm bestimmte Brautjungfer bei der Hand und wirbelte einigemale mit ihr im Tanze herum, um den Mädchen zu zeigen, wie schön die seidenen Bänder flattern würden. Dann wurde das Brustbaud aufgehakt, und die Braut¬ jungfer verwahrte den ganzen Staat auf niorgen. Dann — gute Nacht, gute Nacht, auf Wiedersehen niorgen! Der Tag brach an, so sonnig und wunderschön, wie nur ein Hochzeitstag sein kann. Der Großknecht fuhr in aller Frühe mit dem Korbwagen zur Stadt, um die Musikanten abzuholen, sic sollten um neun Uhr da sein. Zwei Brautjungfern kamen, um als Hilfe zur Hand zu sein, wenn die Braut geputzt wurde. Schon mitten in der Pntzarbeit erscholl Musik in das Stübchen; die Musikanten waren angekommen und spielten nach altem Brauche zuerst vor der Hausthür zwei Verse von „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren." Darauf trat der Brautdicucr heraus und nötigte sie, hereinzukommen. In der großen Stube war für sie ein erhöhter Platz hergerichtet, „damit die Musik gut zu hören sei." Nachdem alles besichtigt und gut befunden war, hieß man sie vorerst tüchtig essen und trinken; denn bald mußten sie ans der Straße Wache halten, um jeden Wagen, der Hochzeitsgäste brachte, mit Musik zu empfangen. Auch die Gäste aus dem Dorfe wurde» so empfangen. Die Männer wurden in die Stube, die Frauen und Mädchen in ein freundliches Giebelstübchen geführt, sich anzukleiden, dieKntscher, reichlich mitSpeise und Trankversehen, nach Hanse geschickt. es auch nach

Mittlerweile ist auch die Braut fertig, die Brautjungfern nehmen Abschied und holen die beiden Mütter herbei, die müssen prüfen, ob der Kranz gut sitze, daun werden sie mit der Braut allein gelassen. Dem Brautdiener geben die Brautjungfern einen Wink, daß er dem Bräutigam sage, er werde drinnen erwartet. Der Brautdiener ivar

jetzt

überall, um hier und dort zurecht¬

zuweisen und Bescheid zu sagen. Endlich erscheint das Brautpaar. Die Braut trug, wie cs damals üblich war, ein schwarzes Thibet-Kleid. Auch seidene Kleider wurden wohl angelegt, doch mußten diese farbig sein, entweder tief blau, fliederfarben oder dunkelorange. Ein grüner Myrtenkranz mit Knospen und Blüten war zweimal um den Kopf gelegt, ohne jeden Bandschmuck und ohne Schleier. Ein hübsches Sträußchen wurde ihr an der Taille festgesteckt.

Der Bräutigam hatte einen Anzug von feinstem Tuche, etwas in blau schimmernd, und sein Sträußchen trug er im Knopfloch. Beide grüßten die versammelten Gäste und nahmen deren herzlichste Glück- und Segenswünsche entgegen. Nun mußten die Braut¬ jungfern im Namen der Braut dem Herrn Pastor den Frühtrunk bringen. Die eine trug einen zinnernen, silberweißen Deckelkrug mit Wein und einen schönen Kuchen, die andere eine gebratene

Gans. Jede Schüssel war mit schneeweißem Linnen verdeckt. Dieser alte Brauch sollte darstellen, daß die künftige Hausfrau jederzeit gegen die Kirche und die Armen mildthätig sein wolle. Die Musikanten bliesen den Jungfern ihr bestes Stückchen, solange Doch sie dieselben sehen konnten, ebenso auch bei deren Rückkehr. jetzt war es die höchste Zeit, zur Kirche zu gehen. Der Braut¬ vater erwählte vier Männer zu Brautführern, und der Hochzeitszug ordnete sich. Die Bauerntöchter trugen fast alle blaue Kleider, die nicht zu hoch am Halse mit weißer Krause verziert waren. Als Schmuck wurden echte Bernsteinketten um den Hals, auch Ohrringe von Bernstein in Goldfassuug getragen. Das Haar zeigte keinerlei Putz. Die Bauerfrauen erschienen in schwarzen Kleidern und weißen Hauben mit bunten Bändern. Der Brautvater stellte sich in die Stubenthür, reichte der Braut und dem Bräutigam die Hände entgegen und sagte: „Nun geht in Gottes Namen!" Vorauf gingen die Musikanten, ihnen folgten etwa sechs bis acht kleine Mädchen, dann das Brautpaar, neben sich an jeder Seite zwei Brautführer. Unmittelbar hinter der Braut ging der Braut¬ diener in seinem bebänderten Rocke. Jetzt kamen die Brauteltcrn, die beiden Mütter neben einander, die Brautjungfer zwischen sich. So ging es unter den Klängen der Musik in frohem Ernste der alten, lieben Kirche zu. Die Musikanten blieben am Kirchhofthore stehen und ihre Instrumente schwiegen, sobald die Braut durch das Thor getreten war. Zwischen de» Gräberreiheu hindurch schritt still der Hochzeitszug. Nun ertönt mit mächtigem Klange die Betglockc in dreimal drei Schlägen in gemessenen Tönen. Die Braut ist an der Kirchthür angekommen, woselbst die jungen Leute vom Geistlichen mit einem Bibelspruch empfangen und dann zum Altar geführt werden. Beim Betreten der Kirche hebt feierlich die Orgel an. Der Herr Lehrer hat ein langes Vorspiel zu machen; denn erst wenn der Brautdiener das Zeichen giebt, daß alle Gäste in der Kirche versammelt sind, wird der Choral begonnen, und kräftig singt die Versammlung das alte Traulied: „In allen meinen Thaten, laß ich den Höchsten raten." Nun sind Orgel und Sänger still geworden, und der würdige Geistliche erhebt seine Stimme. Das Paar da vor ihn: ist ihm bekannt. Er hat beide konfirmiert, wohl auch getauft, jetzt fügt er die beiden jungen Leute zusammen. Mit festem Handschlage wird am Schluß der Rede das „Getreu bis an den Tod" von ihnen gelobt und durch die Hand des Geist¬ lichen besiegelt. Der Pastor segnet die Gemeinde; dann wird noch der Schlußvers des angefangenen Liedes gesungen: „Es gehe, wie es gehe, mein Vater in der Höhe, der weiß zu allen Sachen Rat." Auf der Straße wird die Versammlung mit Musik empfangen und begleitet, bis auch der letzte das Hochzeitshaus betreten hat. Jetzt entfernen sich die Gäste aus dem Dorfe, ein jeder in seine Wohnung, um sich in aller Eile in die neuen Kleider zu werfen, die eigens zu dieser Hochzeit gemacht worden sind, und Die Musikanten ohne Säumen geht es zur häuslichen Feier. stehen am Hofthor und blasen jede Familie heran. Jetzt noch Predigers und Küsters, und alle sind im HochzeitShaul'e versammelt. Drinnen aber hat der Brautdiener seine tüchtige Arbeit, jeden in die bestimmte Stube und an seine» bestimmten Platz zu bringe». Da kommt eine helfende Hand; die Brautjungfer nimmt sich seiner an; doch schnell ist sie wieder verschwunden, um die Braut in die für sie bestimmte Ehrenecke zu führen. Sind alle an den Tischen untergebracht, wird cs in den Stuben still. Der Herr Lehrer spricht das Tischgebet, zur Freude der Köchin, die schon für ihre Suppe fürchtete. Jede Faniilieumutter hatte ein weißes Tuch mit Messer und Löffel für die Ihrigen bei sich, und der Brantdiener wird herangewinkt, um beides dem Karl oder der Luise zu reichen. Das war so Sitte. Der Brautdiener war viel beschäftigt. Es lag ihm ob, alles zu sehen, aber er hatte an den jungen Mädchen freundliche Helferinnen. In die Küche läßt er der Köchin sagen, wie es den Gästen so schön schmecke, und wie alle Speisen, be¬ sonders aber die schönen Fische, immer wieder gelobt werde,» So wird zwei Stunden lang ein Gericht nach dem andern ans- und abgetragen, bis einstimmig erklärt wird, jetzt sei es genug, die Kochin möchte das letzte Gericht schicken. Darauf bringt eine

Scheuerfrau zwei zinnerne Teller, welche wie Silber glänzte». Auf dem obersten lag Brot und Salz, der war für die Köchin, auf dem zweite» lag ein kleiner, niedlicher Strohwisch, der war für die Abwäscherin. Diese Teller machten die Runde an den Tischen und die Musikanten bliesen dazu. Jeder, der gegessen hatte, legte seine Gabe ans dir Teller. Danach wurde es in den Eßstnben wieder still. Die Musikanten bliesen: „Nun danket alle Gott," die Gäste an den Tischen sowie die Leute in der Küche, alle sangen aus frohem Herzen mit. Der Herr Lehrer sprach das Dankgebet, und nach dem Schlußvers erhoben sich die Gäste und wünschten ein¬ ander gesegnete Mahlzeit. Während die Knechte des Bauern nun flink die Bänke und Tische ans dem Zimmer räumten, waren die Hausfrauen nebst Töchtern nach Hanse gegangen, um sich nochmals umzukleiden. Die Stube ivird unterdessen gefegt und gelüstet. Jetzt sitzen die Musikanten auf ihrem Platz,' da tritt der Brautdiener in die offene Thür und giebt ihnen ein Zeichen, und der Hochzeitsreigen wird gespielt. Das junge Paar tritt zuerst an, dann die Brauteltcrn, wobei aber die Bäter mit den Müttern getauscht haben, dann alle jugendlichen Paare,' es wird ein großer Kreis um das junge Ehe¬ paar geschlossen, das sich in einem Walzer schnell einigemal herumwirbelt. Dann treten sie in den Kreis zurück, und jetzt wird ein langsamer Marsch gespielt. Die Eltern treten aus dem Kreise, »m in ruhigem Schritte einigemal herumzugehen, und setzen sich dann in die geschmückte Branteckc. Dann tanzt die ganze Gesell¬ schaft, so

viel

sie

nur will.

Indessen werden in der Küche Speise» verschickt, nicht nur an Arme, sondern auch in die Bauernhäuser, in denen ein alter Vater oder eine alte Mutter zurückgeblieben ist. Das wird in keinem Hanse übelgenommen, es ist so der Brauch. In die Küche kommen die Armen, alte Leute und Kinder, und erhalten eine Hirse- oder Reisstulle. Eine Mulde voll tüchtiger Brotschnitte stand schon bereit, mehrere Schüsseln voll Milchreis und, wo es hoch hergeht, wie hier ans dieser Hochzeit, auch noch Fleisch. Endlich sind alle beschenkt, aber der Vorrat ist nicht verbraucht, ja nicht einmal knapp geworden. Das durfte auch nicht sein: denn sonst, sagte man, würde es auch die junge Bauernfrau in ihrem Haushalte knapp haben. Tie Alten und Armen danken und sagen „Gott belohn' es!" Die Köchin bestimmte, daß es um zehn Uhr Abeirdbror gäbe und um zwei oder drei Uhr morgens Kaffee. Da¬ zwischen aber kann jeder, der da will, Kaffee oder Eicrbier ans der Küche haben, so oft er will. Das muß der Brantdiener unter den Gästen bekannt machen, damit jeder weiß, wie er sich einzu¬ richten oder seine Zeit einzuteilen hat. Auch die Stube für etwaige Schwache, die sich ans ein halbes Stündchen zurückziehen möchten, ist bereit. Die tanzende Jugend möchte nicht zu oft gestört sein, und die Nacht wurde ihnen noch zu kurz. Endlich gegen morgen trennte man sich' aber jedem sich verabschiedenden Gast wurde es zur Pflicht gemacht, vormittags um elf Uhr pünktlich zum Frühstück wiederzukommen. Die fleißigen Musikanten standen um diese Zeit in Bereitschaft, und bald erscholl denn auch die Musik wieder durch das Dorf. Zum Frühstück giebt es Kaffee und Kuchen, auch Eierbier und Braten. Etwa um ein Uhr haben alle gegessen, und die Tanz¬ paare stellen sich zusammen und rüsten und besprechen sich zu dem wichtigen Akte des Kranzabtanzens. Der Brantdiener nimmt ein haltbares Taschentuch, dreht es einigemal zusammen, nimmt das eine Ende in seine Linke und giebt das andere der Braut in die rechte Hand. Die Braut dagegen nimmt ihr eigenes Taschentuch in die Hand und giebt es einem jungen Man», der neben ihr steht, in die rechte Hand, und so geht das Kettemachen weiter, bis auch das letzte Paar angeschlossen ist. Durch die Taschentücher ist die Kette recht gelenkig geworden; aber es darf auch niemand loslassen. Von den Musikanten sind drei vor der Hausthür auf¬ gestellt, drei etwa in der Mitte des Dorfes. Sie müssen darauf achten, daß sie immer vorn an der Spitze des Zuges bleiben, und fort geht der Zug durchs Dorf. Jedem Hanse, aus dem Gäste geladen sind, wird ein Besuch gemacht. Die Bauernstuben sind zum Empfang hergerichtet, Tisch, Stühle. Bänke oder sonstiges Gerät ist ausgeräumt oder beiseite gestellt; denn die jungen Männer haben immer »och so viel Platz in der Hand, »m ein hinderndes' Stück bis ans die Straße initzunehmen. Run wird einigemal in der Stube umgegangen, und unter Hurrah und Jauchzen geht es weiter nach einem andern Hanse, während die Spielleute ihre alten Weisen aufspielen. Endlich sind alle Gegenbesuche abgestattet, und der Zug könnte nach Hause geführt werden. Aber so leicht geht das nicht, es steht hier oder dort noch eine Linde; die muß umkreist werden. Endlich sind die Ermüdeten vor dem Hochzeitshanse wieder angekommen; sie mochten gen, stracks hinein, doch die Sitte erlaubt das nicht, cs entspinnt sich vor der Hausthür erst noch ein kleiner Krieg. Die Braut drängt hinein; denn ihr Schatz steht seitwärts an der Thür, ein seidenes Tuch bereit haltend, mit dem er, falls sie nur zu erreichen ist, ihr den Kopf bedeckt; dann erst ist sie sein. Lange müht sich der junge Ehemann ab, um die Rechte zu erhaschen.

Endlich bei der nächsten Schwenkung ist die Braut ans der Reihe verschwunden. Die Musikanten drängen durch die Thür, wo unter¬ dessen das Eßzimmer wieder eingerichtet ist, und spielen die Weise: „Sah ein Knab' ein Röslein stehn", und jeder stimmt mit traurigem Ernst ein. Run aber erst nach Hanse zum Umkleiden! Die Kleider sind tüchtig bestaubt, und mancher Rock ist aus den Falten ge¬ gangen; doch das schadet nichts, auch das ist ja so Sitte. Wenn nun die Banerntöchter auf die Straße treten, werden sie sehr überrascht; denn da halten einige Wagen, schön mit Sitzen belegt, und der Brantdiener hilft ihnen auf den Wagen mit dem schelmischen Bemerken, er sei schuld an ihrer Müdigkeit und an den zerrissenen Kleidern; nun wolle er alles wieder gut machen, aber sic müßten sich auch beeilen, um bald wieder hier zu sein. Indessen sind die jungen Eheleute in ein bereites Zimmerchen gegangen, woselbst die Mütter nebst zwei Nachbarinnen sie er¬ warten. Die Braut setzt sich, und die Frauen lösen ihr den Kranz. Der Bräutigam steht etwas abseits und sieht zu, bis er von der Brautmutter einen Wink erhält. Er selbst nimmt seiner jungen Frau den Kranz ab und übergiebt ihr denselben, um ihn auf¬ zuheben und später unter Glas und Rahmen bringen zu lassen; er wird dann in die beste Stube gehängt. Darauf entfernt der junge Mann sich wieder, die Braut kleidet sich mit Hilfe der Frauen schnell um, das Haar, welches sich von heute an einige Ver¬ änderungen gefallen lassen muß, wird geordnet, und nun bringt ihre Mutter eine kleine geschmackvolle Haube, die ihr aufgesetzt wird. Kein Schmollen, noch Sträuben hilft der jungen Frau. Im rechten Augenblick kommt der Bräutigam, er ist ganz Freude über seine hübsche Frau, faßt sie schnell bei der Hand und führt Der übliche sie unter Scherzen ins Eßzimmer zu den Gästen. Tusch empfängt das Paar. Alle drängen nun zu Tische. Die Tagesarbeit war schwer, aber all das gute Essen zu bewältigen, ist uvch schwerer. Bon den Gästen, die von außerhalb gekommen sind, wird nun schon die Heimreise besprochen. Sobald es nur Ihunlich ist, wird die Tafel aufgehoben und die Tische hinausgetragen. Hier und da sieht man ein junges Paar stehen, neckend oder ernstlich mit einander sprechend. Der Tanz, welcher jetzt beginnt, hat einen anderen Charakter, als der am vorigen Tage. Jeder verheiratete Mann hat die Pflicht, die junge Frau zum Tanze aufzufordern, und die jungen Paare finden sich je nach Neigung, wobei sich manches Tanzpaar tief in die Angen sieht und sich ein Wiedersehen verspricht oder erbittet. So kam es denn auch, daß manches ankommende Fuhrwerk noch ans ein Stündchen ausspanne» mußte, um Zeit zu lassen, einer neu oder enger geschlossenen Freundschaft gerecht zu werden. Wiederum dämmerte schon der Morgen, als die letzten Gäste die Heimfahrt antraten, und die alten Bauern versprachen, am Sonnabend Abend zum Kruge Bier zusammen zu kommen. Am Sonntag hält das junge Ehepaar seinen Kirchgang. Der junge Bauer führt seine Frau in seines Vaters Kirchstuhl. Damit ge¬ hört ihr dieser Platz rechtmäßig zu. Am Montag früh ließ der Brautvater anspannen und in die Stadt fahren, um den Tischler und die Möbel zu holen. Hat der Meister alles an Ort und Stelle richtig angebracht, nimmt er sein wohlverdientes Geld in Empfang. Auch für seine Gesellen und Lehrlinge erhält er ein reiches Geschenk. Der junge Bauer hatte in aller Stille einen neuen Stadtivagen bauen lassen, vor den wurden die beide» Braunen gespannt, und nun fährt er selbst zu den Eltern, um sich Rach kurzem Abschied führt er das junge seine Fra» zu holen. Weib in ihre neue Heimat. Am andern Morgen besucht die Mutter der Braut das junge Paar. Sie brauchte den großen Wagen und vier Pferde zu diesem Besuche; denn sie brachte die Mitgabe der Tochter. Es wurde aufgeladen: der eisenbeschlagene Koffer, voll von vorrätiger Leinewand und Tischzeug, ein polierter Koffer voll fertig genähter Wäsche, in große Betttücher gebundene Betten und Kästen voll Kleidung und viel Vorrat von fertiggestelltem Flachs, der in den langen Winterabenden Arbeit lieferte für die junge Bäuerin und deren Mägde. Alles mit Namen zu nennen, was die Mutter mitbrachte, ist nicht möglich, doch fand olles seine Stätte in dem jungen Haushalte. Aus dem beiseite gestellten Deckelkorbe holte die Mutter nun noch eine alte Familienbibel, die legte sie auf das Brett, auf welchem das Predigtbnch lag, und sagte: „Kinder, ehe Ihr heute abend einschlaft, lest noch den ersten Psalm mit einander und lest ihn auch öfter, er bewahrt vor viel häuslicher Not." Die Mutter blieb noch zu Mittag bei ihren Kindern. Das Gesinde kam herein und setzte sich der Ordnung gemäß ein jedes ans seinen Platz; die junge Bäuerin mit ihrer Magd brachten die Schüsseln mit dem Essen auf den Tisch, der Bauer sprach das übliche Tischgebet: „Komm, Herr Jesu, sei unser Gast und segne, was Du uns bescheret hast. Amen." Die Bäuerin nötigte freundlich, zuzulangen. So verlief die erste Mahlzeit im neuen Haushalte. Mit ihr hatten die Hochzeits¬ bräuche ihr Ende erreicht, und das tägliche Leben mit Lust und Leid, mit Arbeit und Schassen trat in sein Recht.

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Nachtstück aus dem alten

Berlin,

von Gscar Wagner. (Nachdruck verboten).

uf einem Holzhof am Eingang der Albrechtstraße, vom Schiffbauerdamm aus linker Hand, erhebt sich inmitten von allerlei Gerümpel, Holz und Kohleuschichten, ein fast zweihundertjähriges merkwürdiges Bauwerk, dessen Erd¬ geschoß von den jetzigen Inhabern des Holzplatzes zu einem Comptoirumgewandelt wurde, ivährend das obere Stockwerk sowie der Bodenraum un¬ verändert geblieben, und, wie man mir versicherte, seit mehr als hundert Jahren

welchem

Das reizte mich hinauf zu steigen. Im ist.

Winkel

schivarzen

zwischen

deren

Stöckel¬

Buch in italienischer Sprache, ein anderes i» deutschen Lettern : „Anleitung und Zauberformeln, schuhe,

märchenhafte

Pracht derjenigen der berühmten Versailler Feste ebenbürtig war. Wie sehr dabei der treulose Günstling und seine ihm ebenbürtige leichtfertige Gemahlin in ihre Taschen wirt¬

Lumpen fand ich nach längerem Herum¬ stöbern ein Paar gar zierliche, von Motten zerfressene

alljährlich

während der Sommer¬ monate auf Befehl des unter und Königs Leitung seines Mi¬ von nisters Kolbe Hoffest¬ Wartenberg stattfanden, lichkeiten

von keines Menschen Fuß betreten worden

staubbedeckten

kraut bedeckten Flächen, von Kiefcrivaldungen begrenzt, denen sich hie und da, ivennglcich nur spärlich, einiges Laubholz und ein paar Eichen gesellten. Der eine Teil trug den Namen „die Tuchmacherwicse", während der andere „die Bullemvicse" genannt wurde. Auf diesem Terrain erstand 1706, ein Jahr nach dem Tode der Gemahlin Friedrichs l., der geistvollen Sophie Charlotte, eine Art Versailler Lustpark, in

ein

schafteten, ist leicht ab¬

zusehen, wenn man die wie ein Beschivörer es ungeheuren Summen recht anzustellen, sich in Betracht zieht, welche Empfang der für die Arrangements zum wurden. abgeschiedenen Seelen verausgabt ivürdiglich bereiten, und Ganz am Ende des dabey sowohl ins¬ Parkes, hinter Taxus¬ gemein, als sonderlich hecken lagen die Ge¬ zu Hause, und auf wächshäuser. Von die¬ Ein altberliner Bauwerk (zu „Cchön-Elschen"). Kreuzwegen nach Ge¬ sen führte ein breiter legenheit und Ordnung der Zeit gebührlich verhalten soll." Kiesweg zu der zwischen Bäumen und Gesträuch versteckten Am Rande oben stand ein Name! Mit vieler Mühe buch¬ Behausung des alten Gärtners Josef Zeidler, der, unbe¬ stabierte ich heraus: Anton Zeidler. Ferner spielte mir der kümmert um das ihn umgebende lasterhafte Treiben gewisser Zufall eine kleine Rolle vergilbter Papiere in die Hände: Höflinge und Hofdamen, mit Frau und zivci erwachsenen Tagebuchblätter und Schicksale des Töchtern, sowie einer an Kindesstatt angenommenen Nichte, . (der Name völlig Diesem entziffernden ehrwürdigen, Ma¬ ein arbeitsreiches stilles Leben führte. Mutter Zeidler war schwer zu verwischt). nuskript im Zusammenhang mit den vorerwähnten Funden eine muntere, äußerst bewegliche, dabei wißbegierige Matrone, — verdanke ich nachfolgende Geschichte. die gern mehr unter Menschen gelebt hätte, obivohl sie diese Wenige Schritte von dem oben erwähnten Gebäude, mehr Wünsche von ihrem gestrengen Eheherrn wohlweislich zu ver¬ bergen wußte. Der hatte die Schlechtigkeit der Welt in: nach den Reitställen der Kaserne zu, stand ein ähnliches, ivelches vor etiva zwanzig Jahren von einem unserer treff¬ Uebermaß erfahren. Vom leiblichen Bruder, den um zehn lichsten Künstler, dem Bildhauer Professor Schaper als Atelier Jahre jüngeren Anton Zeidler, einem wüsten Spieler und

...

Dieses Haus fiel leider der Vernichtung an¬ heim, während jener alte Pavillon sich noch wacker behauptet. Etwa um die Mitte des 17. Jahrhunderts bestand die ganze Gegend des heutigen Schiffbaucrdamms und die Friedrich Wilhelmstadt aus großen, öden, sandigen, teilweise mit Heide¬ benutzt ivurde.

Säufer, wurde er um seine Ersparnisse gebracht, die ihni dieser unter falschen Vorspiegelungen abzulocken verstand, an¬ geblich, um seine Studien zu vollenden (er sollte Geist¬ licher werden) — in Wahrheit aber, um seinen Leidenschaften zu fröhnen. Schließlich bethörte er ein blutjunges Geschöpf,

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ließ es sitzen mit seinem Kinde und suchte das Weite. Seit¬ dem blieb er verschollen. Die Betrogene starb aus Gram.

Ihr

Kind, die kleine Else, nahm der alte Zeidler zu sich. Die älteste, sie lieber als seine eigenen Töchter. Frieda, ivenig hübsch, aber für die damaligen Zeitvcrhältnisse äußerst belesen, führte die Haushaltung, war streng in ihren Grundsätzen und ähnelte in allem dem Vater. Kam die Rede auf ihren Onkel Anton, so hatte sie für diesen Ver¬ lorenen nur ein verächtliches Achselzucken. Minna, die zweite, war schwachsinnig, dabei gutmütig und übertrieben arbeitsam. Die putzte, wusch, kochte, und ruinorte in Küche, Keller, auf dem Boden, im Stall und in den Treibhäusern von früh bis Abend, während „Schön Elschen" ein mehr träumerisches Wesen zur Schau trug, die Kinder Floras liebte und sich unter Leitung des Onkels ihrer Sorgfalt und Pflege ividmete. Zeidlers Liebe für die Blumen war zivar auch nicht gering, die schönste von allen jedoch ivar, wie er behauptete, sein Elschen, der Lotos vergleichbar: tagsüber still und in sich gekehrt, sobald jedoch der Abend kam, der Mond sichtbar

Er hatte

wurde, taute sie auf, zeigte sich regsam und gesprächig, unternahm in Neros, eines großen Bernhardiners Begleitung Spaziergänge durch den Park, zuweilen auch allein, und nicht selten suchte sie spät nach Mitternacht ihr Lager auf. Frieda räsonnierte des öfteren über diese nächtlichen Ausflüge, ohne indes viel damit auszurichten. Ihre Eltern lachten darüber. Das Mädel hätte nun einmal diese absonderliche Schrulle, im Königlichen Park könne sie nicht zu Schaden kommen, Wächter gäbe cs genug ringsum, die herrenloses Gesindel abhielten, über die Mauer zu steigen, der zuverlässigste Be¬ schützer wäre freilich Nero.

sonst raten?" Und er schlang seinen Arm um ihre Taille und führte sie behutsani aus dem Gesträuch zu den mondbcglänzten Pavillons. „Ich habe ein unerklärliches Angstgefühl in mir," hauchte Else, „das ich nicht bannen kann. Ist es nicht Sünde, eine heidnische Göttin oder so was darzustellen?" „Sünde?" lachte der Jäger, „allerliebste Puppe, Du bist

entzückend

naiv!

Bedenke

doch, der König

selbst

wird

zu¬

dann die Vornehmsten vom Hof Sr. Majestät. Niemand ahnt den Zusammenhang . . . Alles glaubt an dergleichen, Zauberei und die Wartcnbergs ausgenommen." Hierbei sah er sich scheu nach allen Seiten um, dann fuhr „Deshalb heißt es: reinen Mund halten; die Be¬ er fort: gegen

sein,

lohnung wird nicht ausbleiben. Seine gräfliche Gnaden haben mir Beförderung versprochen . . . und die Frau

Gräfin wird

es an einer kleinen Aussteuer

zu unserer Hoch¬

zeit nicht fehlen lassen!"

„Aber Walter," ivandte Else ein, „da hätten sie unter den Hoffräulein doch eine schönere herausfinden können, als ich bin!" „Nein, Du Närrchen, das ist es eben. Du hast eine

...

Figur ein Gesicht wie . . . !vie die Helena. Komm nur." Dabei zog er sie zur Hinterthür des Pavillons, klopfte drei¬ mal mit dem Holzhammer, worauf von innen geöffnet wurde. Der Leibjäger ließ seine schöne Geliebte voran gehen, folgte Die Thür fiel scheinbar, trat jedoch schnell wieder zurück. rasselnd ins Schloß.

Frieda war ihrer Cousine eine Strecke hart auf deni soiveit dies im Verborgenen geschehen konnte; bald genug gab sie ihre Verfolgung auf, nahm sich aber fest „Ich schleiche ihr doch einmal nach, dieser Mondschein¬ vor, am nächsten Morgen Schön-Elschcn unter vier Augen prinzessin," murmelte Frieda für sich, „sie verheimlicht etwas, einnial ordentlich ins Gebet zu nehmen. darauf möchte ich schwören. Dieses scheue, stille Wesen am Zur Zeit dieser Geschichte hatten Goldmacher, Zauberer, Tage — und des Nachts . . . wie glänzen da ihre Augen. Geisterbeschivörer ein ergiebiges Feld bei Hofe und fanden Diese zitternde, nervöse Hast . . vielleicht ist sie wirklich stets eine gar gläubige Gemeinde. Den Bemühungen der mondsüchtig — oder . . ." Hier stockte Frieda, ein schwerer Wartcnbergs war es gelungen, den berüchtigten Hexenmeister Seufzer entrang sich ihrer Brust; dann stieg sie mit einer Biancodeli aus Genua für einige Vorstellungen zu gewinnen. Art Resignation zu ihrer Kammer hinauf. Des Italieners Faktotum, ein schon ergrautes, stets An eineni wunderschönen Juniabend ging Schön-EIschen bereitwilliges Werkzeug in den Händen seines Herrn, für alle in gewohnter Weise aus dem Gehege des Onkel Zeidler auf Schlechtigkeiten und Betrügereien ein großes Talent ent¬ wickelnd, fand in dem Leibjäger Walter einen würdigen dem breiten Kieswege bis zur Umzäunung, schlüpfte behend Der letztere, eine servile, bestechliche Natur, Helfershelfer. wie ein Reh hindurch und gelangte so in den großen Park, von bestrickendem Aeußern, gewann die Neigung Schöndurch dessen dunkle Alleen und Laubengänge ein leiser Wind¬ Elschcns und führte die Ahnungslose dem Hexenmeister hauch strich. In dem großen Wasserbecken des Zierbrunnens und auf dem Schwanenteiche glitzerte die Mondscheibe silber¬ zu, wofür er seinen Judaslohn bereits in der Tasche hatte. Sein langes, Biancodeli war eine hagere Erscheinung. hell in tausend Reflexen, aus dem Schilf ertönte das viel¬ stimmige Abendlied der Frösche, verniischt mit dem Klageruf glatt anliegendes schwarzes Haar, die tiefliegenden, von über¬ hängenden Brauen beschatteten grauen Augen, die Römer¬ der Unken; Grillen zirpten im Grase, hin und wieder lockte ein Nachtvogel, auch Gekrächz von Raubzeug unterbrach die nase, seine dünnen Lippen, das vorstehende spitze Kinn machten Stille der Nacht. — Elschen eilte beflügelten Schrittes über auf Elschen einen mehr als unheimlichen Eindruck. den Rasen, oft scheu zurückblickend, als wäre ihr etwas Als er ihre Hand ergriff, zuckte sie zusammen. Eine Schemenhaftes, Unerklärliches auf den Fersen. fremde Empfindung bemächtigte sich ihrer, »dennoch folgte sie Die Bosketts hatte sie erreicht. Dahinter dichte Baum- ihm ivillenlos nach einem Verschlag, in dem ihr Kostüm lag. Der Italiener berührte mit den Fingerspitzen, gleichsam ivohlgruppen. Hier herrschte undurchdringliche Finsternis. ivollend, ihre Schläfe, richtete fascinierend seine Augen auf ihr Sie stand still und rang nach Atcni. — „Else, — Gesicht und sagte im rauhen, befehlenden Ton: „Mamsell . . . Elschen," flüsterte cs dicht vor ihr. sie wird dieses Kostüm da anlegen, ohne Prüderie muß ich „Walter, bist Dn cs?" — dann in ruhender Pose auf jenem Gestell aus¬ „Ich bin's. Nur schnell, Geliebte, sie sind schon ini bitten, halten . . . etwa fünf Minuten . . . das ist alles. Verliere Pavillon und erwarten Dich!" es geschieht ihr nichts!" die Mamsell kein Wort „Wer erwartet mich?" „Je nun der Graf und die Gräfin Wartenberg, dann der Hokuspokusmensch Biancodeli, oder wie er heißt." Der alte Gärtner Zeidler ivartetc auf Elschen. Er war begehe doch der Bank vor seinem Hause eingenickt. Plötzlich fuhr er nichts auf Unrechtes?" „Ich „Aber Kind," flüsterte halb zärtlich, halb ungeduldig auf und blickte entsetzt ins Leere. Ihm war es, als hörte er der Leibjäger (denn ein solcher ivar es), „ivürde ich es Dir einen matten Schrei aus dem Park. Nero, die Nase auf dem Fuße gefolgt,

.

...

...

835

...

Boden, knurrte grollend und riß an seiner Kette. Der Gärtner erhob sich, beschwichtigte den Hund, und ging dann leise in Elschens Gemach. „Nicht hier —?" sagte er angstvoll, „ihr Bett unberührt —?" Nun sah er ini Hause nach. Alles schlief fest und ruhig. Eilfertig zündete er die große Stalllatcrne an, bewaffnete sich mit einem starken Knüttel, löste Neros Kette von der Hütte und machte sich mit diesem auf de» Weg. Fast hätte

die Du ins Garn „Deine Tochter, Unglückseliger wininierte der Gärtner, über Elschen . . . getötet!" gebeugt, deren Kopf in seinen Armen ruhte. Der Graukopf stieß einen Schrei aus, der nichts Mensch¬ liches an sich hatte. Verzweifelnd raufte er sich das Haar, dann fiel er mit der Stirn gegen einen Pfeiler, daß sic

ihn das aufgeregte Tier umgerissen, so strebte es vorwärts. Ülfur mit vieler Mühe konnte er es zurückhalten. Er durch¬ forschte die Laubengänge, Grotten, Bosketts, leuchtete hinter den Statuen, lief am Schivaueuteich wohl zwanzigmal auf und ab, drang sogar mit dem Hunde ins Schilf. Der aber riß ihn zurück und zerrte ihn nach der Gegend der Pavillons. Dort war alles still und finster. Dem ungebärdigen Hunde sträubten sich die Haare, er zog die Lefzen hinauf und zeigte sein Gebiß. Zeidler sah Neros sich genötigt, ihn an einen starken Baum zu ketten. Zorn wuchs mit jeder Minute. Er wühlte den Boden auf, als wollte er den Baum entwurzeln. Zeidler bemerkte im Pavillon rechts ein Licht, das bald oben, bald unten durch die Ritzen der Laden schimmerte. Den Knüttel fester fassend, schlich er vorsichtig zur Neben¬ pforte an der Rückseite des Gebäudes. Da knarrte das Schloß der Thür — ein schwerer Riegel wurde von innen Schnell sprang er »in den Schatten des zurückgeschoben. Baumes zurück, löschte die Laterne und drückte Neros Kopf fest auf den Boden. Zivei Männer wurden sichtbar, die einen mit schwarzem Zeug umwickelten Körper keuchend herausschleppten. „Ist sie auch wirklich und wahrhaftig tot?" frug der kleinere von beiden, ein verlotterter Mensch mit stark ge¬

hinderte es.

rötetem, aufgedunsenem Gesicht, glanzlosen Augen, ergrautem Haar und Bart.

„Tot",

entgegnete der Hagere dumpf. „Schade um das schöne Geschöpf . . . ewig schade . . . Ihr . . . Ihr hättet sie schonen sollen, Meister!" „Was ivagt er da zu sagen, er Schurke? „Je nun —", gab das Faktotum etwas eingeschüchtert zurück, „. . . ich meine nur . . . Eure magische Kraft . . ." „Ei was, — ein Herzschlag. Das thörichte Frauen¬ zimmer war furchtbar erregt — ohne Grund, versichere ich ihm . . . ohne jeglichen Grund! Ich schwöre darauf, sie hatte cs mit dem Herzen zu thun. Fasse er an, wir schleppen sie in den Teich." Der Grauköpfige ermannte sich und folgte seinem Herrn. Das Moudlicht fiel auf sein verzerrtes Gesicht. Da hörte er seinen Namen. „Anton . . . Bruder", rief entsetzt der alte Zeidler, voni ivütenden Hunde, dessen Kette er hielt, aus dem Schatte» ge¬

zogen

.

.

.

Boden. Nero kroch heran, zerrte an der Umhüllung . . . ein ivachsbleiches Engelsgesicht kam zum Vorschein — dann der Schwanenhals, die herrliche Büste . . . entblößt — (bic beiden über der rechten Schulter geknöpften Enden der Tunika hatten gelöst).

der alte Zeidler und sank wie ver¬ nichtet an der Leiche nieder. Der Gehilfe des Italieners faßt mit beiden Händen

„Elschen!"

seinen

blutete.

Biancodeli wollte heimlich, davon schleichen.

Nero ver¬

Der lag quer über den Weg und zog bei der geringsten Bewegung des Hexenmeisters die Lefzen hoch.

„Du

hast

sie

getötet,

Elender,"

schluchzte

der

alte

Gärtner, „Dein leibliches Kind!" Der Bruder Zeidlers richtete sich auf. Aus seinen starren Augen grinste der Wahnsinn. „Getötet — ich? Nein . . . der da . . . dieser . . . dieser gräßliche Mädchenräuber," stammelte er, „der Ver¬ führer und Hexenmeister! Er hat auch mich verzaubert . meine Willenskraft gelähmt . . . cs ist . . . ivill doch sehen, Und heulend stürzte er sich auf ob er Stand hält!" Biancodeli, der den Angriff geschickt parierte. Nero sprang ivütcnd zwischen die Kämpfenden und zerrte Dieser schrie plötzlich auf, an dem Rocke des Graukopfs. druckte krampfhaft die Hände gegen die Brust, taumelte und fiel seinem Bruder in die Arme, der ihn rechtzeitig auffing. Biancodeli verschwand im Schatten der Nacht. „Der Teufel traf gut . . . hier . . ." röchelte Anton, „vcrgieb, Bruder." — .

Sein unsäglich

elendes,

vom

höchsten

Jammer

.

ent¬

stelltes Gesicht richtete sich auf Zeidler, dann streckte er flehend die Arme aus nach dem Leichnam seines Kindes. Von Todes¬ angst erfaßt, richtete er sich auf: „Fluch ihm . . . dem Ver¬ führer" — röchelte er — „er hat sie geschändet . . . und da

Er sei verflucht! sich zur Wehre setzte . . . erdrosselt. Verflucht dieses Gebäude der Lust . . . Tod und Verderben dieser Stätte . . . Leichen werden sich häufen auf Leichen . . . itichts Lebendes mehr im Umkreis . . alles öde . . verdorrt . . ." Noch ein heiserer Aufschrei, dann verschied er in den Armen seines Bruders. sie

Der alte, niedergebeugte Gärtner, nachdem er vergeblich bei dem Grafen Wartenbcrg um Bestattung der beiden Leichen im Parke gebeten, wandte sich endlich in seiner Not und Be¬ drängnis an den Kronprinzen, der ihm die Erlaubnis crivirkte. Der kräftigen Einmischung Friedrich Wilhelms, des nach¬ maligen Soldatenkönigs, war es zu danken, daß der Italiener Biancodeli aufgegriffen, trotz des Einspruchs Wartenbergs peinlich verhört, als Betrüger und Mörder entlarvt, gestäupt und hingerichtet wurde. Auch den jähen Sturz seines Protektors hat die Geschichte verzeichnet.

„was thust Du hier?"

Der leblose Körper des jungen Mädchens rollte auf den

sich

gelockt

schrie

Kopf und taumelte gegen die Mauer. frug er heiser, mit . . ivcr ist diese da . . .

„Wer

irren Blicken.

des alten Gauklers im Park blieb auf Jahre später wurden die herrlichen haften. Fünfzig diesem — Kirchhof erstand für die DorotheenBäume gefällt ein alten stadt. Die Pavillons ließ man stehen, da sie als . . . Leichen¬ hallen benutzt wurden. Und heute . . .? Hoch oben braust die Stadtbahn dahin. Fährst Du, lieber Leser, mit einem Zuge von der Friedrichstraße nach dem Lehrter Bahnhof, versäume «nicht, einen Blick aus dem Coup6fenster nach rechts zu werfen. Dir wird sofort der altertümliche, kleine Bau auf einem der Holzhöfe in die Augen fallen, eben jener Pavillon, in welchem Schön-Elschcn

Der Fluch

ihren geivaltsamen Tod gefunden.

836

Marie Barkany in Paris.

Johann Graf v. Alvensleben, der nrurrnannte deutsche Botschafter für St. Petersburg. des Fürsten Münster v. Derneburg aus dem Staatsdienst hat eine ganze Reihe von Neubesetzungen in der diplomatischen Vertretung des Deutschen Reichs im Auslande zur Folge gehabt. An die Stelle des nach Paris versetzten Fürsten v. Padolin erhält Graf v. Alvensleben, bisher deutscher Gesandter

d>as

d

Ausscheiden

in Brüssel,

den Botschafterposten

in St. Petersburg.

Friedrich Johann Graf v. Alvensleben, am 9. April 1836 zu Erxlcben im Kreise Reuhaldenslcben des preußischen Regierungs¬ bezirks Magdeburg geboren, ist der zweite Sohn des 1889 ver¬ storbenen Wirkt. Geh. Rats Grafen Ferdinand v. Alvensleben und dessen Gemahlin Luise v. d. Sctmlenbnrg. Beide Eltern entstammen Geschlechtern, deren Name seit Jahrhunderten mit den Geschicken des brnndenburgisch-prcnßischen Staats verknüpft ist; so sind die Alvensleben seit dem Jahre 1163 in dem Erzstift Magdeburg und in der Altmark, der Wiege Preußens, ansässig.

Graf Friedrich Johann studierte in Bonn und Berlin die Rechts- und Staatsivissenschasten und widmete sich 1861 der diplomatischen Laufbahn, die er als Attache in Brüssel begann.

»

Pariser Weltausstellung hat ohne Zweifel viel zur Verbesserung

ie

zwischen Frankreich und Deutschland bei¬ getragen. Franzosen und Teutsche lernten einander näher kennen, und wenn mau auch nicht mit Scheffel sagen kann: „Der alte Zwist hat hier fröhlich End' gefunden," so ist doch sicher, daß der große Jubelmarkt 1900 viel für die weitere Vernarbung der elsaßlothringer Wunde gethan hat. Dafür giebt es die verschiedensten Anzeichen, und zu diesen gehören feie „Representations allemandes“ der Marie Barkany. Theatervorstellungen in deutscher Sprache in Paris! Wer hätte geglaubt, daß seit 1870 so etwas in Frankreich möglich sei? Zwar ist die Kunst international wie die Wissenschaft; aber auf die beiden großen Nachbarländer, die auf dem europäischen Kontinent die Spitzen der Zivilisation repräsentieren, schien sich dieser Grundsatz bisher nur wenig zu beziehe». Jetzt endlich ist in dieser Hinsicht ein kräftiger Schritt vorwärts geschehen, und die wohlthätigen Folgen, die er, wie zu hoffen steht, haben wird, sind Marie Barkany zu verdanken. Sie unternahm zuerst das Wagnis, de» Franzose» deutsche Theaterstücke in deutscher Sprache vorzu¬ führen und hatte damit einen unerwarteten Erfolg. Zwei Wochen lang trat sie mit ihrer Truppe in dem Marignytheater der ChampsElysees auf, jener kleinen, koketten Bühne in der Nähe des Parkes des Elyseepalastes, die eigentlich profaneren Vorstellungen und einem leichtlebigerem Publikum zur Unterhaltung dient. Dort sah man nun die klassischen Stücke der deutschen Dichterfürsten und gleichzeitig eine ernste Zuhörerschaft einziehen, die gekommen war, sich an den Meisterwerken deutscher Schauspieldichtuug zu erfreuen, zu begeistern und zu belehren. Marie Barkany ist bekannt genug, als daß es hier einer eingehenden Biographie bedürfte. des Verhältnisses

(Ungarn), trat sie zuerst in Frank¬ bei Charles Maurice, genannt Chäry, in Haniburg weiter aus und wurde dann vom königlichen Schau¬ spielhaus zu Berlin engagiert. In Paris gab sie Schillers „Jung¬ frau von Orleans", „Maria Stuart", Goethes „Faust", Sudermanns „Heimat". Aus Höflichkeit gegen die Franzosen begann Die sie ihre Vorstellungen mit der „Jungfrau von Orleans.". Aufnahme, deren sich die Künstlerin und die Mitglieder ihrer Truppe erfreuten, war eine außerordentlich begeisterte. Dieser großartige Erfolg hat für die Leistungsfähigkeit der Künstlerin wie für die Beurteilung der deutschen Theaterstücke durch die Franzosen seine Abgesehen von Henry Fonguier („Figaro") und Bedeutung. anderen Kunstkritikern, die sich sämtlich in der schmeichelhastesten Weise über Marie Barkanys Vorstellungen äußern, ist die Meinung des französischen Kunstkritikers Gustave Larroumet, eines der hervor¬ ragendsten Theatcrkritikcr Frankreichs, besonders interessant. Er lobte die Truppe, die Marie Barkany Ehre mache, und sagte über letztere im „Temps": „Dieser deutsche Stern hat den Typus seiner Rasse. Obgleich bühnengcwaudt, macht die Künstlerin wenig Be¬ Geboren

furt

a.

wegungen.

Johann Graf v. Alvensleben. Nachdem er verschiedenen Gesandtschaften als Legationssekretär an¬ gehört hatte, ging er 1872 als Botschaftsrat nach St. Petersburg und ^wnrde 1876 als Generalkonsul des Deutschen Reiches nach dieser Stellung wußte er sich während des Bukarest versetzt. russisch-türkischen Kriegs von 1877 bis 1878 die besondere Ge¬ neigtheit Kaisers Alexanders II. zu erwerben. Im Jahre 1879 wurde Graf von Alvensleben preußischer Vertreter am gcoßherzoglichen Hofe zu Darmstadt. Roch in dcinselben Jahre ging er zur Vertretung des beurlaubten Botschafters Generals von Schweinitz nach St. Petersburg; 1882 erfolgte seine Versetzung nach dem Haag, zwei Jahre darauf wurde er zum deutschen Gesandten in

In

Seit 1888 das Deutsche Reich in Brüssel. Washington eruaiint.

vertritt Graf von Alvensleben

AIs im März 1890 Graf Herbert von Bismarck aus dem Amte des Staatssekretärs des Auswärtigen schied, wurde mit dem Grafen von Alvensleben wegen Uebernahme dieses Anites verhandelt, doch konnte letzterer sich nicht dazu entschließen, seinen Brüsseler Posten mit einem in Berlin zu vertauschen. Auf der vorjährigen Friedenskonferenz im Haag war Graf v. Alvensleben stellvertretender Bevollniächtigter

des deutschen Reichs. Ter neue Botschafter in St. Petersburg genießt an der Newa noch von seiner dortigen Wirksanikeit in den siebziger Jahren her vielfache Sympathien, die ihm seine gegen¬ wärtig übernommene Mission nicht unwesentlich erleichtern dürften. Der Graf ist seit 1897 mit Paaline Bertha, verwitweten Generalin v. Winterfeld, geborenen v. Röder, vermählt.

zu

Kaschan

M. auf, bildete

Ihre

sich

hauptsächlichsten

Effekte

sind

die

eines feinen

Mienenspiels, des Blicks und des Lächelns. Sie hat besonders eine ganz ungewöhnlich genaue und richtige Diktion, ist vollkommen natürlich, ohne einen Schein des Gesuchten, und in ihrer Gretchcurollc hat sie zum erstenmal die lebensvollste und nationalste Heldin Goethes mit echt deutschem Wesen dargestellt. Obgleich Gonnod sich in seiner Oper bemüht hat, die deutsche Auffassung treu nach¬ zuahmen, hatten wir doch keine Idee, was die echte Margarete auf der Bühne ist. Marie Barkany hat sie uns offenbart; sentimental und naiv, frisch und errötend, un peu mouton, aber wahr im Leiden und wieder aufgerichtet von einem gewöhnlichen Fehltritt durch die Erhabenheit der Buße — ein echtes Gleichen."

Wir können diese Zeilen nicht schließen, ohne noch ein Wort über die „Maria-Stnart"-Aufführung zu sagen, und ivollen auch hierbei einem französischen Urteil den Vortritt lassen, da es durch den Umstand besonders interessant wird, daß der Kritiker, der es fällt, der deutschen Sprache nicht mächtig ist. Bei Tonstückcn hat es nichts weiter auf sich, wenn der Text in fremder Sprache abgefaßt ist. Die Zauberkraft der Melodien ist nicht an die be¬ gleitenden Worte gebunden. Bei dramatischen Aufführungen aber liegt die Wirkung nicht zum mindesten in dem eleganten und packenden Ausdruck durch die Sprache. Fällt deren Kenntnis fort, so wird der Effekt des Stückes fast allein in die Hände der Schau¬ spieler gelegt. Die glücklichste "Ereignisse Gedankenfolge, die geschickteste An¬ durch den Dichter würde ohne das einanderreihung der Talent des Schauspielers nichts erreichen. Bei Berücksichtigung dieses Umstandes wird die Anerkennung größer, die Henry Fonguier der Maria-Stuart-Rolle Marie „Die Szenen der Begegnung Marias mit Barkanys zollt. Elisabeth im Park von Fotheringhay und die Abschiedsszene vor Marias Hinrichtung," sagt er, „sind diejenigen, wo ich das große Talent Fräulein Barkanys am besten beurteilen konnte. Dieses Talent, so natürlich und so menschlich, zeigt seine ganze Vollkraft im Ausdruck der Gefühle, mächtiger, wie einfacher, die in jene um

so

beiden Szenen hineingelegt sind, und ihre Wiedergabe ist so gro߬ artig, daß ich die Künstlerin schätzen lernen konnte, ohne die Worle

837

zu

verstehen,

die sie

sprach.

Und das ist das größte Lob, das

man ihr erteilen kann." Presse, die wir da an¬ Besonders gcivichtig waren eine begeisterte Kundgebung, die einige hundert französischer Studenten der Künstlerin gelegentlich ihrer Aufführung der „Jungfrau von Orleans" darbrachten, und

Das sind Stimmen der französischen

führen.

sinnigen Publikums sowie der maßgebenden Kritik sich erorbert hat. Die Kiinstlerin verfügt über eine mächtige, pastose und sympatische Sopranstimme von ungewöhnlichem Umfang, die allen Affekten willig gehorcht und namentlich in der Höhe von seltenem Zauber ist. Ihr Spiel ist durchgeistigt, leidenschaftlich und von hinreißendem Schwung. Was Maestro Meyerbccr von seiner Valentine verlangte, das; sie in Erscheinung, Gesang und Spiel das Publikum bezaubere und seiner Oper den Erfolg sichere, das giebt die Gräfin Vasguez in überreichem Maße. Eine gewisse elementare Kraft steckt in dieser mit einem ungarischen Magnaten oerheiratheten Künstlerin, die auch als Rechn die ganze Stufen¬ leiter menschlicher Empfindungen und Leidenschaften zu veran¬ schauliche» versteht, ohne nur im geringsten durch Uebermaß oder Ucberschwang die Harmonie des Schönen zu beeinträchtigen. Die Gräfin tritt jetzt zum erstenmal in Deutschland ans, nachdem sie in England und Rußland wiederholt als Opern- und Konzert¬ sängerin debütiert und lebhaften Beifall geerntet hat. Seit neun Jahren wirkt sie als erste dramatische Sängerin an der Budapestcr Rationalbühne, wo sie durch ihre glanzvollen Leistungen ein ge¬ feierter Liebling des Publikums geworden ist.

Italic

Vasguez ist von italienischer Abkunft, eine Tochter des

Ritters von Uccielli in Triest, wo sie am 24. März 1869 geboren wurde. Ihre Brüder dienen als Offiziere in der italienischen Armee. Es war der Tochter des Kavaliers ursprünglich keineswegs sich der Bühnenlaufbahn zu widme», wenn sie auch schon in frühster Jugend bei bedeutenden italienischen Gesangsmeistern Unterricht nahm. Ihr hauptsächlichster Lehrer war Alfonso Dami, der ihr auch nach ihrer Verheiratung mit dem ungarischen Grafen Louis Vasguez auf dessen Gütern im ungher Komitat Unterricht erteilte. Als sie einst in einem Budapestcr Salon vor einer größeren Gesellschaft sang, hörte sie Direktor Gustav Mahler, der damalige Leiter der Budapestcr Oper, und seiner Ueberredungsknnst gelang es, die Dame zu veranlassen, in den Verband der genannten Oper

bestimmt,

zu treten.

Warte Sarliany. die warmen Glückwünsche, die sie seitens französischer Universitäts¬ professoren erhielt. Der beste Beweis aber für Marie Barkanys großartigen Erfolg dürfte wohl der sein, daß sie ans ihre jetzigen Vorstellungen hin von dem Pariser Athsnse-Theater engagiert worden ist, wo sie in „Fedora" und andere» Stücken ihres Repertoires auftreten wird. Sie hat auf ihrer Pariser Gast¬ spielreise festen Fuß gefaßt in der französischen Metropole; sie hat deutschen sich und anderen Bahn gebrochen und dadurch der Litteratur, der deutschen Schauspielkunst und Deutschland selber einen Dienst erwiesen, der nicht hoch genug anzuschlagen ist.

Nachdem sie bei dem bekannten ungarischen Schauspieler und Mitglied des Budapestcr Nationaltheaters Ujhazi dramatischen Unterricht genommen hatte, trat sie 1891 als A'ida zum erstenmal in Budapest auf, und zwar mit so glänzendem Erfolg, daß sie unter den verlockendsten Bedingungen lebenslänglich engagiert wurde. Sie hat ein sehr reiches Repertoire und singt in verschiedenen Sprachen, namentlich deutsch, italienisch und ungarisch. Sie ist auch eine vorzügliche Wagner-Sängerin. Wie schon erwähnt, hat sie auch iu England, und zwar iin Londoner Coveut Garden sowie in St. Petersburg Gastrollen gegeben. Sie wurde von Ferdinand Strakosch, dem Bruder des' bekannten Impresario Maurice Strakosch, schon vor Jahren als eine Diva bezeichnet, die „die schönste Stimme der

Welt"

besitze.

Jedenfalls hat Gräfin

Ikalie Gräfin Vasqurz.

s

Sängerinnen, die nicht allein in den Musikdramen Richard Wagners, sondern auch in den Opern Meyerbcers, Rossinis Halsvys, Donizettis, Bcllinis, Verdis, Anders sowie der übrigen großen italienischen und französische» Meister ebenso durch Umfang und Schönheit der Stimme wie durch hervorragende Darstellungskraft und feinfühliges Eingehen auf die Absichten des Komponisten bedeutendes leisten, sind heut¬ zutage nur spärlich gesäct. Im Koloraturfach giebt es allenfalls einige namhafte Vertreterinnen des bol canto, die durch gute Schule, sorgfältiges und gewissenhaftes Studium und vor allem durch ursprüngliche Begabung die einstimmige Anerkennung, ja Bewunderung der Zeitgenossen hervorrufen; aber auf dramatischem Gebiet ist eine fühlbare Lücke verbanden. Die berühmten Primadonnen des 18. und der erste» Hälfte des 19. Jahrhunderts, eine Faustina Bordoni-Hasse, Cuzzoni, Pasta, Grisi, Malibran, Catalani, Unger-Sabatier, Albani und andere Sterne ersten Ranges am Himmel der Gesangsknnst sind von ihren Epigonen nicht erreicht, geschweige denn übertroffen. Daher komnrt es, daß Opern wie „Die Hugenotten" von Meycrbeer, „Die Jüdin" von Halevy und „A'ida" von Verdi, die noch immer eine gewaltige Zugkraft auf das Theaterpnbliknm ausüben, in Deutschland jetzt weniger gegeben werden als in den früheren Jahrzehnte», weil meister¬ hafte Vertreterinnen der Valentine, der Recha und der Aida nur noch in geringer Zahl vorhanden sind. Zu diesen berufenen und auserwähltcn Priesterinnen der edeln Polphymnia, die an die Divas der alten guten Zeit erinnern, gehört auch die Italic Gräfin Vasguez von der königlichen Nationaloper zu Budapest, die am 30. November zum erstenmal an der Oper des Theaters des Westens zu Berlin als Valentine in den „Hugenotten" und hierauf am 8. Dezember als Recha iu der „Jüdin" aufgetreten ist und im Sturm die Gunst des kunstie hochdramatischen

Italir

Gräfin Vasqurz.

Vasguez durch eifriges Studium und beharrliches Streben sich zu einer beachtenswerten Höhe des Künstlertums erhoben. Auch in Deutschland wird man nunmehr die weitere Lanfbahn dieses Sterns der Oper in maßgebenden Kreisen gewiß mit besonderem Interesse verfolgen.

838

Kunst und Wissenschaft. Professor

Karl Becker

ch.

greise Ehrenpräsident der Akademie der Künste, welcher erst am Dienstag, 18. d. M., sei» 80. Lebensjahr vollendete und aus diesem Anlaß Gegenstand ebenso zahlreicher wie ehrenvoller Ovationen war, ist am Donnerstag, 20. d. M., an Lungenlähmung

Professor Karl Becker litt vor kurzem au Influenza, aus der sich eine Lungenentzündung entwickelte, der der Greis erlag. Weder er noch seine Familie ahnten die Nähe des Todes, und so ist er im Kreise der Seinen sanft entschlafen. gestorben.

Von den Sammeten und Goldgrweben auf den Gemälden Turas Rranachs. ^Kenn es eine interessante Kunststudie war, die reiche Zahl der

echten und anzuzweifelnden Kranach-Gemälde zu vergleichen, die Sonderausstellung in den Räumen der großen Deutschen Kunstausstellung zu Dresden im vorigen Jahre bot, wenn sich eine Fülle fesselnder Knnstfragen dort entwickeln und beantworten ließ, so bildet doch diese Ausstellung zugleich auch ein selten klares Knlturbild. Der schlichte, deutsche Meister, dieser Meister des Blondhaars, dessen schimmernden Zauber er erfaßte wie kein anderer, er hinterließ uns mit seinen und seiner Schüler Gemälden ein Bild deutschen Lebens, deutschen Geschmacks ans der blühenden Renaissance-Zeit. Diese Fürstinnen und Bürgcrfrauen, die Priester und Bischöfe, — sie alle tragen die reichen Gewandstoffe, deren Muster so interessante Geschichtsstudien bilden. Fein unterscheidet sich die Bürgerfrau von der Fürstin in der Wahl der Stoffe, der Gewandverzierung. Hier gute, feine, kräftige Tuche, einfarbig, eine Kette, ein Leincnstreifen als Zierde, dort der prächtige glänzende Sammet, den der galante Eheherr von seinen Kreuz- und Kriegs¬ zügen aus Italien heimgebracht, wo große Fabriken in Palermo, Lucca, Genua und Florenz diesen kostbaren seltenen Stoff für das übrige Europa webten. Denn die Sammetweberei war durchaus nicht immer dem Zu den berühmten Abendland eine bekannte Technik gewesen. Geschenken, die Harun al Raschid Karl dein Großen sandte, ge¬ hörten Sammetgewebe aus Bagdad, die damals nur dort und in Nordafrika gefertigt wurden. Und erst im Mittelalter lernten die italienischen Weber von den Sarazenen und den kleinasiatischen Dölkerstämmen die Kunst der Sammetmeberei. Die mittelalterlichen Sammete, die wir heut noch in den alten Kirchen finden, sind meist Gewebe aus Lucca und Palermo; erst im 15. Jahrhundert lernten die Genuesen von ausgewanderte» lucchesischen Webern die Kunst und Frankreich und die Niederlande werden erst mit dem Ende Es des 17. Jahrhunderts Exportstclleu des begehrten Stosses.

die

war ein gewaltiger, wohlorgauisicrter und weitverzweigter Handel,

der zu Zeiten Lucas Kranachs dem nördlichen Knltnrgebiet die prächtigen Genueser Sammete zuführte. Bon leuchtendster Farbe, waren diese Sammete schwer und dicht, von herrlicher Stofswirkung und für ihren kolossalen Preis allerdings auch unverwüstlich. Die Blüte der Renaissance zeigte eine köstliche Form des Gewebe-Ornaments: das Granatapfelmnster, ein stilisiertes Bild¬ Ursprünglich ein indisches gewebe von größter Formenpracht. Gewandmuster — es findet sich dort auf einem Fürstenmantel aus dem 11. Jahrhundert — kam es auf den Stoffen nach Italien und Deutschland. Man verwandte es zuerst zu dekorativen Zwecken: i» Kirchen und Schlössern als Wandbehänge. So besitzt der Halberstädter Dom ein köstliches Muster gotischer Stilisierung in dem Taufkapelleubehang — auf blauem Sammetgrund ein schlankes Goldornament, und ein späteres vom Kardinal Albrecht von Mainz im 16. Jahrhundert gestiftetes Granatapfelmuster, roten Goldbrokat, das den Lettner des Hvchchors umkränzt. Die formenschwelgerischer werdende Zeit förderte neue, reichere Aus der fruchttragenden Granat¬ Ausbildungen des Musters. apfelblüte wurde der reiche Mittelpunkt einer Blumen-Kompostlion mit tausend Variationen, bis die Barockzeit aus dem mächtigen Blüteukcrn, den die Aeste und Blattornamente um¬ schließen, einen Strauß raffiniertester Blumen machte. Derbe, rote Brokate, noch heute unter dem Rainen Brokatelle zwischen den alten Stoffen erhalten, dienten als Wandbehänge der Kirchen für die Festwoche. Auch sie finden wir als Hintergrund auf den Ge¬ mälden unseres Meisters. Während die italienischen Maler des 14.—15. Jahrhunderts durchweg die graziösen, frische» Grauatapfelmuster der Frühzeit als Gewandstosfe schon zeigen, bringen erst die Bilder aus dem 16. Jahrhundert die schweren, wuchtigen Hochrenaissance-Orna¬ mente, die wir als Genueser Goldbrokate kennen, und die Lyon und Brügge in der Folgezeit nachahmen lernten. Unser deutscher Meister hingegen, dessen reichste Entwicklung in die ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts fällt, bringt uns

nun mit seinen Gemälden das eigenartige Bild, wie selbst an den Fürstenhöfcn, die doch in regem Verkehr mit dem Lande ultra Monte« blieben, die italienische Stvssmode nur langsam einzieht. Die Goldbrokate, die als Geivaudstosse im 14. und 15. Jahr¬ hundert in Oberitalien vorherrschten, freilich auch dort als kostbare Prunkstücke, diese glänzenden Goldbrokate mit der feinen, schweren Liniierung sind als Verzierung der Gewänder genommen.

Das feinsinnige Porträt der Sibylla von Kleve giebt »ns einen prächtigen Genueser Goldbrokat wieder, dessen Ornament genau abgepaßt und für diese „modische Taillen-Garuitnr" gewebt ist. Zu dem grünen Sammet des Geivandes stimmt der Goldlon des Brokats unendlich sein. Die ganzen Latztcile der Taille, die Reifen der Aermel bestehen aus dem köstliche» Gewebe.

Ter Reichtum aus Gold und Edelsteinen, den die Kreuzzüge hervorriefen, der Reichtum, der ans den Schatzkammern des un¬ erschöpflichen Orients in das Abendland hinüberfloß, erzeugte jene kostbare Schmuckstickerei, die unter der Bezeichnung vpus an^lieanum im Mittelalter gepflegt wurde. Die davon erhaltenen Reste sind sehr selten; da in Goldblech gefaßte Edelsteine und farbige Gläser, wie echte Perlen und Korallen das Stickmaterial bildeten, waren sie bei jeder Plünderung begehrteste Beute, wie bares Geld, und naturgemäß blieb uns wenig, namenlos wenig davon. Wo ruch¬ losen Händen das wertvolle Stück nicht erreichbar war, lockerten die schärfen Ränder des Goldblechs die Fäden, und im Laufe der Das Bild des Jahrhunderte entglitt eins nach dem andern. heiligen Mauritius und des heiligen Erasmus, von einem anderen Meister der fränkischen Schule, Matthias Griinewald, gemalt, aus der Münchener Pinakotek, zeigt uns an der Tiara des Bischofs die kostbare Edelsteinstickerei als Borten inuster, während die Felder derselben eine lebhaft szenierte Bilderstickcrei füllt. Hier trägt der heilige Mauritius das ganze kostbare Goldbrokalgewand, das zu den edelsten Schützen eines Bischofsitzes gerechnet wurde. Auch das Gewand und das Häubchen der heiligen Katharina aus der Dresdener Gemälde-Galerie zeigt uns noch die reizvolle Technik, Es sind kulturhistorische Ver¬ auf das Treueste wiedergegeben. mächtnisse, solche feinsinnige Kopien der Stoffe und Ziermuster. Zu eigenartigen Erörterungen veranlaßte des weiteren die Kranach-Ausstellung. Ein Arzt führte aus, daß die direkt schlechte Haltung der Kranachschen Frauen, die wir ihm übrigens durchaus

zugeben müssen, durch das Fehlen eines Korsets hervorgerufen sei. Und er weckte damit die tiefste Empörung aller reformfreudigen Damen. Hierzu möchte ich nun das Folgende bemerken: Jede Zeit, jede Stilrichtung hat ihr Schönheitsideal für sich, ein Schön¬ heitsideal, das sich immer nach dem Zeitgeschmack stilisiert. Das Talent lebt in dem Zeitgeschmack, nur das Genie überwindet ihn.

Wem verdankte die Rokkokozeit den Stöckelschuh? dem Roi Soleil, Ludwig XIV., der seiner Herrscherwürde damit zu Hilfe kommen wollte. Die Schnürtaillen des Rokkoko und der Neuzeit, — sie sind nach dem Schönheitsideal des Zeitgeschmacks abgestimmt und aus zwei Gründen ist — leider! — immer die Frau und der Frauenleib besonders Sklave dieses Modesinns gewesen, — Sklave

bis zur Verkrüppelung.

Der erste Grund ist, weil der Mann in ihr sein Schönheits¬ ideal sehen will — der zweite weil ihre schmiegsame Natur sich leichter dem Gegebenen anpaßt, das Gefallenwollen, die Individualität besiegt und ihr Körper leichter ohne momentan fühlbare Beschwerden einen Druck, eine Unbequemlichkeit erträgt. Dieselbe Frau die ihren Körper heut in eine moderne, vasenartige Form zwängt, hat in der Renaissancezeit ihre Brust flach geschnürt und ihren Leib ausgestopft. Und dieses war das Ideal jener Epoche, diese gebogene, geneigte Haltung. Aber wohl gemerkt! diese Frauen, die Lucas Kranach emalt, haben eine Schnürbrust getragen, konnten sich mir unter Der Oberkörper, der nirgends em Druck einer solchen entwickeln. Platz hat in seinem Gewand, ist verkümmert durch diese Einprcssung diesen ständigen Druck und die ganze Entwickelung und Lebenskraft hat sich auf den Unterkörper geworfen, der im Ver¬ hältnis zum Oberkörper viel kräftiger und entivickelter ist. Selbst die Rubensbilder zeigen uns noch diese Beeinflußuug, wenn auch der geniale Meister mehr die gewaltige Urschönheit der Mutter Natur verstand als Kranach, der sich von dem Modcideal beherrschen ließ. Aber auch die RubenSschcn Fraucngestnlteu haben uocki diese unverhältnismäßig stärkeren Hüften, wie sic übrigens auch heut im Vergleich zu engen, flachen Schultern bei den Damen vorherrschend sind, die durch Abschnüren mittelst des Korsets ihren Körper ungleich ernähren. Was werden unsere Urenkel vor unseren Bildern sagen? Vielleicht auch: was thatet Ihr mit Euren von Gott erschasfnen Gestalten?

Marie Luise

ffii Eduard Schuttes neuer Ausstellung voui SL bis 5. Januar 1901 sei unter den zahlreich

Becker.

16. Dezember 1900 erschienenen Kollek¬

tionen und Werken zunächst auf einige hervorragende Berliner aufmerksam gemacht, zu denen u. a. die beiden Landschafter

839

Wilhelm Feldmann und Max lltf), der talentvolle Carl Holzapfel, Max Hoenow, Wilhelm Kuhnert, der unübertreffliche Schildere! der Wüste und ihrer Bewohner, Carl Oenick, d. H. Freiherr von Stenglin und die begabte Julie Wolfthorn zu zahlen wären. ^Be¬ sonders sei aber auf die kleine Kollektion älterer Gemälde Professors Carl Becker, Ehrenpräsident der Kgl. Akademie der Künste, hin¬ gewiesen, die zu Ehren des am 18. Dezember 80jährigen Meisters

zusammengestellt wurde.

Kleine Mitteilungen. Entwurf eines Kaiser Wilhelm-Turms auf dem Schlotzbrrg zu Arnsberg. Der Schlossbcrg des freundlichen Städtchens

Arnsberg an der Ruhr in der Provinz Westfalen ist eine historische Stätte. Hier befand sich der Hauptfrerstuhl der westfälischen Fchmgerichte, hier wurde im Geheimen Recht gesprochen. Die Idee, auf diesem Berge eine» Turm zu errichte», ist eine glückliche, denn die Trümmer des altep Schlosses nehmen sich auf diesem geschichtlich bedeutende» Platze recht kläglich aus. Die ehemalige Grafschaft Arnsberg gehört erst seit 1816 zu Preußen. Ein notier Schulbrief. — Endlos sind in dem Preussen des vorigen Jahrhunderts die Klagen über unwissende Schulhalter, die meist Winkelschreibcr waren und sich zum Unterrichten der Kinder völlig unfähig zeigten. Im Jahre 1784 reichte der Schullehrer Beyer in der Klosterstraße zu Berlin beim Magistrat die Bitte ein, dem Kanonier Pries, der in derselben Straße wohnte, das Unterrichen der Kinder des Maurermeisters Leitner, des Gastwirts Bischoff, des Schlosscrmeisters Krause, des Kaufmanns Bober, des Schmieds Ritze u. a. ohne Konzession zu verbieten. Der Magistrat fragte bei dem Maurermeister Lettner an, was er über Pries denke. Leitner legte zuni Beiveis der Un¬ fähigkeit des Pries zwei von ihm den Kindern diktierte Briefe vor, von denen der eine lautete: „Mein lieber Herr Gesatlcr. Was ich doch für ein liederlicher Kerl bin, dass ich inich schämen muss, dir zu schreiben, dass alle nietn Geld verspielet habe, der Wirth will mir nicht mehr borgen, meine Uhr hat der Jude, und meinen Rock der trödler, hast du mich noch lieb, helf mir mit zehn Thaler, damit ich nur mit Ehren hier weg¬ komme. Ich bezahle dich auf Ostern als ein ehrlicher Kerl, oder du solst nicht sagen, daß ich dein Bruder bin. Ich bite dich nochmahls, verlass mich nicht, oder ich lass mich den blaue» Rock anziehen, verbleibe dein getreuer Bruder F. Bischof. Berlin, de» 12. Fcbr. 1784." Von Voden. Als INI März 1813 zu Breslau das freiwillige Jägerdctachcment des preussischen Leibgrenadicrregimcnts errichtet wurde, liess sich in dasselbe ei» Berliner Student einreihen. Nach seinem Nanien gefragt, erwiderte er: „Ich heiße Ernst von Boden." Seine Vorgesetzten ahnten, daß das- nicht sein richtiger Name sei, schwiegen jedoch. „VouBvdcn",

I.

eine hohc,vornchmeGestalt,zcichnete sich durch Entschlossenheit und Mut so vorteilhaft aus, dass mau einen Betrüger oder

Spion in ihm nicht vermuten durfte. SeiueKonipagnie wählte ihn zuerst zum Lbcrjager, sodann zum Fcldivebcl; während des Waffenstillstandes nvnnzierte er zum Leutnant. Die Schlacht bei Lützen oder Groß-Görschen brachte ihm das

Eiserne Kreuz zweiter, die bei Leipzig das erster Klaffe ein. Mit dem Jorkschen Korps nahm er an der Verfolgung der

Aeutzere Ansrrhk.

Aus London kam eine Kollektion von Marianne Ihre Werke, in einer neuen, eigenartigen,

Stokes.

der Freskomalerei der alten Italiener ähnelnden gessogrosso-Technik hergestellt, sind von aparter Wirkung; sie erregten bereits in London grösstes Aufsehen, und cs ist kein Zweifel vorhanden, dass sie auch hier den stärksten Eindruck machen werden. — Gleichzeitig stellt auch

ihr Mann Adrian Stokes seine Marinen aus. Paul Crodel vertritt mit seinen großempfundeneu,

breitbchandelten und stimmungsvollen Landschaften ans dem bayrischen Hochgebirge München aufs beste, ebenso wie P. W. Keller-Reutlingen, Friede. Prölss und der unerreichte Meister der Stilllebenmalcrei L. Adam Kunz, der in einer grösseren Anzahl von hervorragend schönen Werken Zeugnis eines glänzenden Könnens giebt. Alessandro Zessos und Andreas Rocgels sandten aus Venedig Werke und Max Roßmann, Frank¬ furt a. M., eine wichtige Kollektion. In wertvollster Weise ergänzen aber noch zwei Worpsweder diese Ausstellung: Haus am Ende, dieser durch eine Moorlandschaft und eine im größten Stil gehaltene Radierung, und Carl Vinnen, der sieben Gemälde zur Verfügung stellen konnte. Carl Vinnen entwickelt sich mehr und mehr zu einem Ihn beseelt ein der ersten deutschen Landschafter. unermüdlicher Eifer, der Technik immer neue Ge¬ heimnisse abzugewinnen; und auch diese seine jüngsten Werke, Kinder einer farbenfrohen Kunst, welche in der vollen Freude an der Pracht einer reichen Natur schwelgt, sind ein Beiveis dafür, welch sicheres Können er besitzt, aber zugleich auch, welch hohe Künstlerschaft, die ihm schon viele Freunde und Verehrer verschafft hat und stark genug ist, sie ihm auch in Zukunft zu erwerben.

Innere Vnlrrhk.

840 Franzosen teil. Bei Frey bürg a» der Unstrut machten diese Halt, und es entwickelte sich ei» Gefecht, das dem preußischen Lübgrenadierregiment viele Opfer kostete. Namentlich war es eine französische Batterie, die von dem hohen Schlosse Zscheiplitz herab, durch Tirailleure gedeckt, mit Kartätschen das Regiment erfolgreich beschoß. Da rief der Leutnant

„von Boden": „Freiwillige vor! Die Batterie muß genommen werden!" und ging mit Hurrah an der Spitze kühner Krieger vorwärts. Von der Kugel eines in einer Schacht verborgenen Tiraillenrs getroffen, stürzte er zusammen. Grenadiere trugen ihn auf ihren Gewehren aus der Schußlinie. Acht Monate fesselte ihn seine schwere Verwundung an das Krankenlager. Er erhielt als Premierleutnaut seinen Abschied, aber 1815 trat er wieder in das Heer ein, diesmal unter seinem ivirklichen Namen. Der tapfere „von Boden" war kein anderer als Ernst von Bodelschwingh-Belmede, der später von 1844—48 preußischer Minister war. Er stammte aus der damals zum Königreich Westphalen ge¬ hörenden Grafschaft Mark und hatte befürchte» müssen, baß Jcrome seine preußische Gesinnung an seinen viele» in Westphalen begüterten Verwandte» rächen würde,' deshalb ivar er unter falschem Namen ins

preußische Heer getreten.

Die Pommern

schildert Thonias Kanzow

schienenen Pommerschen Chronik so:

„Sie feint

in

seiner 1542

er¬

selten von frembden Hern

worden. Selten khomen srembde leinte zu ynen, darvon sitten geleret" und teilt uns eine eigentümliche pominersche Sitte mit: „Wan snnst ymands mit yrem guten! willen oder auff gntic zuvcrsicht zu ynen gekhomen, so habe» sie derselbe» nach yrer art sehr hoch geehret, und ymc mitgetheilt alles, was sie gehapt, und man sie nicht mehr gehapt und der gast lenzer geplieben ist, feint sie zum iiehisten nachparn gezogen, und haben mit dem ferner geslemmet und so vordhan abermal zum iiehisten, bis das der Gast hat ivollen." — Bon den Bewohnern der Insel Rügen sagt Kanzow, es sei ein sehr „zänkisch und mvrdisch Volk: im ganzen Land zu Pommern würden kein Jahr soviel vom Adel und andere erschlagen, als allein in dieser kleinen Insel." Tann fährt er fort: „Wo die Rhugianer gehen oder reisen, haben sie ein Schweinspieß und einen Reutling (Messer) an der Seite: wann sie zur Kirchen gehen, setzen sie die Spieße vor die Kirchenthüre, einesteils nehmen sie die in die Kirche» mit, und sollen sie bis¬ weilen, wenn sie aus der Kirchen gehen, oft ein Lärmen erbeben. Gehen sic zur Kirchen, so feint sie gewappnet, gehen sie zur Hochzeit, so feint sie gewappnet, bringen sie einen Todten zu Grabe, so feint sie gewappnet, und in Summa, man findet sie nirgends, sie haben ihre Wehre bei sich. Wann einer von ihnen sagt: dat walde Got un en kolt Isen, so mag man ihm wol ans die Fäuste sehen und nicht aufs Maul, denn er ist bald an einen. Es giebt auch dies Volk soviel Rechtgetis als das halbe Volk zu Pommern; denn alle Sonnabend hält der Landvogt sammt den Eltesten vom Adel des ganzen Landes zu Bergen Gericht, da hat er von früh Morgens bis schier an den Abend genug zu thun. Es ist kein Edelmann oder Bauer im Land so schlecht, daß er sein Wort nicht selbst redete und daß er nicht ihr geivöhnlich Landrecht wissen sollte; und aus solcher Vornehmheit will einer dem andern in nichts weichen." bezwungen sie

besser

Ein Urteil des Generals Bonaparte über die Lorsen.

Aul 28. Februar 1796 diktierte der spätere Napoleon I., bekanntlich ein Corse von Geburt, dem Divisionsgeneral Berthier, der später Fürst von Neuchatel hieß, folgenden Brief, dessen letzte Zeilen zu denken geben: „Italienische Armee. Französische Republik. Freiheit. Gleichheit. Aus dem Hauptquartier zu Verona den 3. Frimaire des 5. Jahres der einen und unteilbaren Republik. Bonaporte, General en Chef der italienischen Armee.

An den Bürger Myot, bevollmächtigten Minister der Republik beim und Kommissar des Gouvernemciits von

Großherzog von Toscana Corsika.

Ich empfange, Bürger Minister, den Brief, den Ihr mir vor Eurer Abreise nach Corsika geschrieben habt. Die Mission, die Ihr zu erfüllen habt, ist äußerst schwierig; erst wenn alle diese Geschäfte abgeschlossen sind, wird es möglich sein, Streitkräfte nach Corsika zu senden; Ihr werdet daselbst den General Gentili finden, der eine Division kommandiert; es ist ein ehrenwerter, bcsoilders in jenem Lande geachteter Mann. Corsika enthält ein schwer kennen zu lernendes Volk; es hat eine sehr lebhafte Einbildungskraft, es hat äußerst thätige

Leidenschaften.

Ich wünsche Euch Gesundheit und Glück." Um jene Zeit stand Corsika als Königreich unter englischer Ober¬ hoheit, aber die französische Partei gewann die Oberhand, und am Ende des Jahres 1796 räumten die Engländer die Insel.

Büch erlisch. Don dem „Lebensbild Rudolf Kögels", des bekannten Theologen und Seelsorgers, das sein Sohn, der3iegierungsrat Gottfried Kögel, herausgicbt, befindet sich, wie ivir erfahren, der ziveite Teil, die Zeit bis 1873 umfassend, in Vorbereitung und wird noch im Herbst 1901 erscheinen.

Die Herausgabe des erst kürzlich erschienenen ersten Bandes wurde damals nicht nur von den zahlreichen Freunden und Anhängern Kögels, sondern auch in weiteren Kreisen überaus willkommen geheißen. Es giebt allerdings auch kein Werk, das, wie dieses, uns die Bedeutung Kögels als Theologen, Kanzelredner und Menschen so klar vor Augen führt. Der erste Band umfaßt die Kindheits-, Lehr- und Wanderjahre Kögels und schließt mit seiner Ordination (1854). Eine ganz besondere Anziehung werden die folgenden Bände dadurch ausüben, daß durch eine Reihe von Briefen auch Kögels Verhältnis zu Kaiser Wilhelm I. näher beleuchtet und zugleich die edlen Züge des gottcsfürchtigen, unverge߬ lichen Monarchen in das hellste Licht gerückt werden. Verantwortlicher Redakteur:

vr. M. Folticineano, Berlin.

Goldenes. Buch der Weltlitteratur. Im Verlag von W. Spemann in Berlin und Stuttgart erschien soeben ein „Goldenes Buch der Weltlittcratur" (geb. 6 M.) in Form eines über 900 Seileu starken, mit Geschmack ausgestatteten Werkes. Zur Ausführung seines Planes: ans ethnographisch begrenzten Einzelbildern ein Panorama der Universalpoesie zu gestalten, hatte sich der Herausgeber mit einer Anzahl von Fachmännern ersten Ranges verbunden, so behandelt z. B. Prof. G. Wilkowski die deutsche, Prof. G. Körting die französische und italienische, Ed. Bertz die englische, E. Bransewetter die skandinavische, G. Diercks die spanische und portu¬ giesische, W. Henkel die russische, Prof. G. Heinrich die ungarische, L. Schneider die holländische Litteratur rc. Alle Darstellungen sind von einheitlichen Gesichtspunkten aus abgefaßt und verbinden mit Gründliclik it und Zuverlässigkeit den Vorzug einer angenehmen Lektüre. Einen höchst interessante» Beitrag liefert Ludwig Salomo» mit seinem Kapitel: Geschichte und Wesen der Publizistik; er behandelt darin eine Materie, die selbst dem Fachmann häufig nicht ganz vertraut ist. Nicht minder fesselt die Abhandlung von Robert Hessen über die Geschichte und Technik des Dramas; geistreich und temperamentvoll geschrieben, enthält sie eine Fülle treffender Bemerkungen. Einen Hauptreiz des Werkes bilden die von Viktor Ottmann bearbeiteten ca. 600 Biographien und Charakteristiken von Schriftstellern der Gegenwart, cs ist eine ungemein fleißige, dabei für alle Litteratnrfreuude außerordentlich brauchbare Arbeit; derselbe Verfasser widmet auch dem Buch und seinem Wesen ein Kapitel. Der reiche Jllustrationsschuinck setzt sich ans ca. 140 gut ge¬ wählten Porträts von Dichtern der Vergangenheit und ca. 225 von Alles in allem präsentiert sich lebenden Schriftstellern zusammen. Spemanns Weltlitteratur als ein überraschend vielseitiges und vorzüglich komponiertes, in seiner buchtechnischen Eigenart ohne Nebenbuhler da¬ stehendes, dabei auffallend billiges Werk.

Dcrqnüffiingsfahrten zur Lee.

Die Gemeinde derjenigen,

die den Veranstaltungen der Hamburg-Amerika Linie alljährlich mit Spannung entgegen sehen, ist eine recht große, und der Umstand, daß die Hamburg-Amerika Linie ihre besten, geschwindesten und luxuriösesten Dampfer in den Dienst der Vergnügungsreisen stellt, trägt ebenso ivic die sorgfältige Auswahl der hochinteressanten Reiseziele dazu bei, dieser modernen und bequemen Form des Besuches fremder Länder immer Die von der Hamburgneue Freunde und Anhänger zuzuführen. Amerika Linie veranstaltete Westindienfahrt hat solchen Anklang gefunden, daß die „Prinzessin Viktoria Luise" nahezu besetzt ist, und keine geringere Anziehungskraft übt die Fahrt aus, welche die „Auguste Viktoria" am 12. Februar von Genua ans nach den historisch und landschaftlich hoch interessanten Ländern des Mitlelmcers antreten wird. Auf dieser Reise werde» besucht die Türkei, Griechenland, Aegypten und all die Stätten, an denen einst jene überivältigenden Ereignisse sich abspielten, die einen so tief gehenden Eindruck auf das religiöse Denken der ganzen Welt

Die zur Ausführung nötige Miudestzahl von Teilnehmern an dieser Orientfahrt ist längst überschritten, und noch täglich gehen An¬ fragen von Reisenden ei», welche die Absicht haben, sich anzuschließen. Geleitet von dem Wunsch, den Vergnügungsreisenden immer mciterc Gebiete zu erschließen, hat die Hamburg-Amerika Linie sich veranlaßt gesehen, znm 27. März ab Genua eine zweite Fahrt anzusetzen, durch die den Reisenden Gelegenheit gegeben ivird, neben den interessantesten Punkten des Orients die bisher noch weniger bekannten, aber um so reizvolleren Punkte ans der Krim und im Kaukasus kennen zu lernen. Der Besuch der herrlichen Gebirge, der romantischen Buchten und malerischen Szenerien der sagenumwobenen Küsten des Schwarzen Meeres, die bekanntlich auch den Lieblingsanfeiithalt der kaiserlich russischen Familie bilden, ist so vielversprechend, daß dieses Nnternehmcu gewiß eine freudige Teilnehmcrschaft finden wird. Herrschasien, ivie der Prinz und die Prinzessin Reuß, der Erbprinz von Hohenlohe-Schill, ngsfürst, sowie Fürst Stolberg haben sich schon jetzt Plätze sichern lassen. ausübten.

Elektrischer Gasfernzünder. Viele, die zu ihrer Beleuchtung Gas verwenden, iverden schon immer die Unbequemlichkeit des Anzündens und Auslüschens empfunden haben, und sie würden sich die Bequemlichkeit des elektrischen Lichts verschaffen, wenn nicht die AnlageDie Technik ist daher kosten und die täglichen Unkosten zu hoch wären. schon seit langem' bestrebt, einen Apparat zu konstruiere», der es er¬ möglicht, die Beqnemlichleit des elektrischen Lichts mit d,r Helligkeit und Billigkeit des Gasglühlichts zu verbinden, ohne daß hierdurch erhebliche Unkosten entstehen. Nach vielerlei Versuchen, die >,nr znm Teil befriedigende Resultate ergaben, ist es jetzt endlich gelungen, einen Apparat zu' konstruieren, der das Problem der Gasfernzündnng in vorzüglicher Weise gelöst hat. Es ist dies der „Sonnenzünder", der von der Gesellschnst „Elektrischer Gasfernzüudcr", G. tu. b. H., Berlin 8., Stallschreiberstr. 21, fabriziert und in den Handel gebracht wird. Tie Bequemlichkeit bei Verwendung des Sounenzündcrs fällt besonders da ins Gewicht, wo das Anzünden und Auslöschen Mit besonderen Schrvierigkciten verbunden ist, z. B. bei allen hochhängenden Beleuchtungs¬ Für körpern in Sälen, Wohnungen, Fabriken, Gcschästslokalen rc. Treppenbeleuchtung wird diese neue Erfindung von ganz besonderen Interesse sein, weil die bis jetzt für nächtliche Beleuchtung verivandten elektrischen Glühlampen fortfallen, und die vorhandenen Gaslampen auch für die Nacht Verwendung finde» können. Auch kann man die Flammen sämtlicher Etagen von einer Stelle ans entzünden und löschen. Dje Ersparnis an GaS, Glühkörpern und Zylindern ist eine ganz be¬ deutende, und zwar aus deur Grunde, weck das aus dem Brenner heraustretende Gas sofort ohne Explosion (Puff oder Knall) entzündet wird, was bei der bisherigen Art des Zündens nicht zu vermeiden ist. Der Beweis der Brauchbarkeit der Sonnenzünder wird dadurch erbracht, daß derselbe bei Königliche» Behörden, Staatseisenbahnen, soivie tausen¬ den von Privaten des In- und Auslandes eingeführt ist. Erst kürzlich ist der Bahnhof Wannsee bei Berlin mit diesen vorzüglichen Apparate» ausgerüstet worden.

— Truck und Vertag:

Friedrich Schirmer, Berlin

SW., Nenenbnrger Straße 14a.