Christliche Kosmologie und kaiserzeitliche Philosophie: die Auslegung des Schöpfungsberichtes bei Origenes, Basilius und Gregor von Nyssa vor dem Hintergrund kaiserzeitlicher Timaeus-Interpretationen 9783161498312, 3161498313

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Christliche Kosmologie und kaiserzeitliche Philosophie: die Auslegung des Schöpfungsberichtes bei Origenes, Basilius und Gregor von Nyssa vor dem Hintergrund kaiserzeitlicher Timaeus-Interpretationen
 9783161498312, 3161498313

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus
I. Plutarch von Chaironea
1. Plutarch als Ausleger Platons
2. Die Erklärung von
35ab als Ausgangspunkt für die Darstellung der platonischen Kosmologie
3. Die Entstehung des Kosmos als die Ordnung eines irrationalen vorkosmischen Zustandes
4. Gottes Verhältnis zum Kosmos
5. Plutarchs Auslegung von
35ab als Grundlage seiner dualistischen Kosmologie
6. Der Kosmos ist
Bild Gottes, ein Gott im Werden‹
7. Zusammenfassung und Systematisierung
II. Atticus
1. Person und Werk des Atticus
2. Die Lehre des Atticus von der realen Erschaffung und Unvergänglichkeit des Kosmos in der Auseinandersetzung mit Aristoteles u
3. Die einheitliche Verwaltung und die Gliederung des Kosmos durch seelische Kräfte
4. Zusammenfassung und Systematisierung
III. Numenius
1. Zur Person und zum philosophischen Programm des Numenius
2. Der erste Gott als Ursache der relativen Stabilität und Dauer der sichtbaren Welt
3. Wie wirkt der erste Gott im Kosmos? Stellung und Funktion des Demiurgen
4. Der Charakter des Kosmos
5. Die Gliederung des Kosmos nach den Fragmenten zur Himmelsreise der Seele
6. Zusammenfassung und Systematisierung
IV. Alkinoos
1. Verfasser und literarischer Charakter des Didaskalikos
2. Der Gegenstand der Kosmologie und die Form der Darstellung
3. Das kosmologische Konzept: Der Kosmos ist nicht
4. Die Prinzipien und Ursachen des Kosmos
5. Gott als Ursache des Kosmos
6. Die kosmologische Funktion der Weltseele und das Wesen des Kosmos
7. Zusammenfassung und Systematisierung
V. Porphyrius
1. Porphyrius als Ausleger des platonischen
2. Die Welt ist ewig und hat ihre Existenz von Gott her
3. Das Wirken des Demiurgen und der Status der Materie
4. Zusammenfassung und Systematisierung
B. Christliche Kosmologie als Auslegung von Gen 1 f.
I. Origenes
1. Quellen und Zeugnisse zu Origenes’ Auslegung des Schöpfungsberichtes Gen 1 f.
2. Auslegung von Gen 2,2.4: Das Sechs-Tage-Schema des Schöpfungsberichtes
3. Die christologische Deutung von
(Gen 1,1)
4. Die Deutung von
Himmel und Erde‹ in Gen 1,1 f.
5. Die Aufnahme der Diskussion um den Anfang bzw. die Ewigkeit der Welt
6. Zusammenfassung und Systematisierung
II. Basilius von Caesarea
1. Die Homilien zum Hexaemeron des Basilius
2. Die Auslegung von Gen 1,1–10 nach den Homilien zum Hexaemeron
3. Zusammenfassung und Systematisierung
III. Gregor von Nyssa
1. Die
des Gregor von Nyssa¹
2. Christliche Kosmologie als Auslegung von Gen 1
3. Die Auseinandersetzung mit Basilius um die Auslegung von Gen 1,6 f.
4. Zusammenfassung und Systematisierung
C. Christliche Kosmologie und kaiserzeitliche Philosophie: Zusammenfassung und Ergebnis
Der philosophische Charakter des biblischen Schöpfungsberichtes
Der philosophische Skopos der christlichen und der platonischen Kosmologie
Die christliche und die platonische Kosmologie als exegetische Projekte
Die Abwehr dualistischer Auslegungen und die philosophische Argumentation gegen einen Prinzipiendualismus
Die Frage nach der Ewigkeit bzw. dem Anfang und dem Ende der Welt
Die Auseinandersetzung mit der neuplatonischen Kosmologie bei Basilius und Gregor
Die Rede vom Willen des Schöpfers: Vom philosophischen Grenzargument zur christlichen Kernaussage
Gregors Materietheorie: Ein Beispiel für die philosophische Formulierung der christlichen Schöpfungslehre
Christliche und platonische Modelle für das Wirken der Transzendenz in die Immanenz
Die christliche Interpretation philosophischer
Konzeptionen
Charakteristika einer christlichen Kosmologie im dritten und vierten Jahrhundert
Anhang: Gliederung der Apologia in Hexaemeron des Gregor von Nyssa unter dem Gesichtspunkt der ausgelegten Bibelverse
Literaturverzeichnis
1. Antike und mittelalterliche Autoren (Texte und Übersetzungen)
2. Sekundärliteratur
3. Wörterbücher, Lexika, Hilfsmittel (Auswahl)
Register
1. Biblische Bücher und Apokryphen
2. Antike und mittelalterliche Schriften
3. Moderne Autoren
4. Stichworte (Begriffe, Namen, Sachen)

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Studien und Texte zu Antike und Christentum Studies and Texts in Antiquity and Christianity Herausgeber/Editors C M (Berlin) · M W (Basel) C W (Princeton) Beirat/Advisory Board H C (Berlin) · G C (Salerno) S E (Berkeley) · J H (Münster) J R (Erfurt)

56

Charlotte Köckert

Christliche Kosmologie und kaiserzeitliche Philosophie Die Auslegung des Schöpfungsberichtes bei Origenes, Basilius und Gregor von Nyssa vor dem Hintergrund kaiserzeitlicher Timaeus-Interpretationen

Mohr Siebeck

C K, geboren 1974; Studium der Evangelischen Theologie in Göttingen, Oxford, Tübingen; 2002–2004 Wiss. Mitarbeiterin an der Universität Heidelberg, 2005–2007 an der Universität Hamburg; seit 2007 Wiss. Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Kirchengeschichte (Antike und Mittelalter) der Universität Heidelberg.

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort. e-ISBN PDF 978-3-16-151355-8 ISBN 978-3-16-149831-2 ISSN 1436-3003 (Studien und Texte zu Antike und Christentum) Die Deutsche Nationalibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2009 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von epline in Kirchheim/Teck gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Held in Rottenburg gebunden.

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2007 unter dem Titel »Christliche Kosmologie und antike Naturphilosophie« vom Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Hamburg als Dissertation angenommen. Für den Druck habe ich sie geringfügig überarbeitet und leicht gekürzt.¹ Die Frage nach dem Verhältnis von antiker christlicher Kosmologie und zeitgenössischer Philosophie schließt eine Vielzahl von Themen und Aspekten ein, die in einer einzelnen Untersuchung nicht erschöpfend behandelt werden können. So konzentriert sich die vorliegende Arbeit darauf, christliche kosmologische Entwürfe des dritten und vierten Jahrhunderts als Auslegung des biblischen Schöpfungsberichtes zu beschreiben und sie in den Kontext der antiken kosmologischen Debatte um die Auslegung von Platons Timaeus zu stellen. Die Frage nach dem Verhältnis von christlicher Kosmologie und Eschatologie beispielsweise, die besonders für Origenes kontrovers diskutiert wird, konnte dabei nur angerissen werden. Inzwischen bin ich ihr in dem Aufsatz »Gott, Welt, Zeit und Ewigkeit bei Origenes« ausführlicher nachgegangen.² Daß meine Arbeit nun gedruckt vorliegt, erfüllt mich mit großer Freude und Dankbarkeit gegenüber vielen. An erster Stelle nenne ich meine beiden Doktorväter. Prof. Dr. Dr. h. c. Christoph Markschies hat diese Arbeit angeregt und sie mit stetem Interesse und kritischen Fragen begleitet. Prof. Dr. Winrich Löhr hat mich in vielen erhellenden Gesprächen dazu gebracht, meine Fragen und Thesen zu schärfen, und mich freundlich gedrängt, die Arbeit abzuschließen. In seinen Händen lag auch das Erstgutachten. Das Zweitgutachten hat Prof. Dr. Johann Anselm Steiger übernommen, der mir außerdem während meiner Hamburger Zeit die Augen für die Verbindungen zwischen Patristik und Früher Neuzeit geöffnet hat. Kritische Anmerkungen zu Teilen der Arbeit sowie ein hilfreiches Gutachten verdanke ich Prof. Dr. Lorenzo Perrone. Meine Untersuchung der Genesisauslegung des Origenes hat besonders von dem ¹ Soeben ist die neue kritische Ausgabe der Apologia in Hexaemeron des Gregor von Nyssa erschienen, die ich nicht mehr nutzen konnte (Gregorii Nysseni In Hexaemeron, edidit H. D, Gregorii Nysseni Opera exegetica in Genesim 1, GNO 4/1, Leiden 2009). ² C K, Gott, Welt, Zeit und Ewigkeit bei Origenes, in: R. G. K / H. S (Hgg.), Zeit und Ewigkeit als Raum göttlichen Handelns. Religionsgeschichtliche, theologische und philosophische Perspektiven, BZAW 390, Berlin / New York 2009, 253–297.

VI

Vorwort

freundschaftlichen Austausch mit PD Dr. Karin Metzler profitiert. Sie machte mir ihre Edition der Fragmente der Genesiskommentierung des Origenes bereits im Entstehen zugänglich.³ Prof. Dr. Dr. h. c. Christoph Markschies, Prof. Dr. Martin Wallraff sowie Prof. Dr. Christian Wildberg waren so freundlich, die Arbeit in die Reihe »Studien und Texte zu Antike und Christentum« aufzunehmen. Zu großem Dank bin ich der Hamburgischen Wissenschaftlichen Gesellschaft verpflichtet, die meine Arbeit mit dem Kurt-Hartwig-Siemers-Wissenschaftspreis 2007/ 2008 ausgezeichnet hat, außerdem der Göttinger Akademie der Wissenschaften für die Würdigung mit dem Hanns-Lilje-Preis 2008 sowie der John Templeton Foundation in Verbindung mit dem Forschungszentrum Internationale und Interdisziplinäre Theologie der Universität Heidelberg, die mir den John Templeton Award for Theological Promise 2009 verliehen haben. Auf dem weiten Weg vom Manuskript zum Buch erhielt ich tatkräftige Hilfe, für die ich herzlich danke. Beim Lesen der Korrekturen halfen mir Herr Dschin-u Oh und Frau Anna Maria Schmidt, die mich außerdem zusammen mit Frau Claudia Köckert bei der Erstellung der Register unterstützte. Die Verwertungsgesellschaft Wort übernahm einen Teil der Druckkosten. Herrn Dr. Henning Ziebritzki und Herrn Matthias Spitzner vom Verlag Mohr Siebeck danke ich für die freundliche verlegerische Betreuung. In größter Dankbarkeit widme ich diese Arbeit meinen Eltern. Heidelberg, im Juni 2009

Charlotte Köckert

³ Origenes, Die griechischen und lateinischen Fragmente der Genesis-Kommentierung, hg. von K. M, GCS Origenes 6/2, Berlin / New York 2009 (im Druck); Origenes, Die Kommentierung des Buches Genesis, eingeleitet, übersetzt und erläutert von K. M, Origenes. Werke mit deutscher Übersetzung Band 1/1, Berlin / New York 2009 (im Druck).

Inhaltsverzeichnis

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

. . . . . . . . . 7

I. Plutarch von Chaironea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1. Plutarch als Ausleger Platons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 2. Die Erklärung von Ti. 35ab als Ausgangspunkt für die Darstellung der platonischen Kosmologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3. Die Entstehung des Kosmos als die Ordnung eines irrationalen vorkosmischen Zustandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Die Auslegung von Ti. 35ab: Die Entstehung der Weltseele als Harmonisierung einer irrationalen Urseele . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1. Die Identifikation der beiden grundlegenden Seelenbestandteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2. Die Verbindung der beiden Seelenbestandteile . . . . . . . . . . 3.1.3. Die Seelenbildung nach Ti. 35ab als Hinweis auf einen Zustand vorkosmischer Unordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Der Mythos in Plt. 268d–274e als Hinweis auf einen Zustand vorkosmischer Unordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Die Auslegung von Ti. 30a und 52d–53b im Sinne eines Zustandes vorkosmischer Unordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Ti. 53b5–7 als Ausgangspunkt für Plutarchs Konzeption von Entstehen und Erschaffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gottes Verhältnis zum Kosmos . 4.1. Gott ist Vater und Schöpfer 4.2. Gott ist Mathematiker . . . . 4.3. Die Funktion der Weltseele .

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11 11 12 14 16 17 22 28 30 30 32 38

5. Plutarchs Auslegung von Ti. 35ab als Grundlage seiner dualistischen Kosmologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 6. Der Kosmos ist ›Bild Gottes, ein Gott im Werden‹ . . . . . . . . . . . . . . . 47 7. Zusammenfassung und Systematisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

VIII

Inhaltsverzeichnis

II. Atticus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 1. Person und Werk des Atticus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 1.1. Die Timaeusauslegung des Atticus im Verhältnis zur Auslegung Plutarchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 1.2. Die Auseinandersetzung mit aristotelischen Lehren . . . . . . . . . . . 54 2. Die Lehre des Atticus von der realen Erschaffung und Unvergänglichkeit des Kosmos in der Auseinandersetzung mit Aristoteles und Platonikern 2.1. Die Argumentation für einen geschaffenen und unvergänglichen Kosmos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1. Die Lehre von der realen Erschaffung des Kosmos folgt aus der Vorsehungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2. Der klare und deutliche Wortlaut des Timaeus . . . . . . . . . . 2.1.3. Das richtige Verständnis des Grundsatzes, daß alles Gewordene vergeht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4. Das Vermögen und der Wille des göttlichen Schöpfers . . . . . 2.1.5. Die Analogie zum Vermögen und Willen menschlicher Handwerker und Künstler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.6. Die Unvergänglichkeit des Kosmos folgt aus dem Wesen und dem Willen des Schöpfergottes (Ti. 41b2) . . . . . . . . . . 2.2. Die Kritik durch Alexander von Aphrodisias sowie Porphyrius und Proclus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Die Bestimmung von Willen und Vermögen des Demiurgen durch Atticus innerhalb der Auseinandersetzung um die Interpretation von Ti. 41ab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57 57 57 59 60 62 65 66 68

73

3. Die einheitliche Verwaltung und die Gliederung des Kosmos durch seelische Kräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3.1. Die einheitliche Verwaltung des Kosmos in der Auseinandersetzung mit Aristoteles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3.2. Die Gliederung des Kosmos durch unterschiedliche seelische Kräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 4. Zusammenfassung und Systematisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

III. Numenius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 1. Zur Person und zum philosophischen Programm des Numenius . . . . . 84 2. Der erste Gott als Ursache der relativen Stabilität und Dauer der sichtbaren Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3. Wie wirkt der erste Gott im Kosmos? Stellung und Funktion des Demiurgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 3.1. Die Unterscheidung zwischen erstem und zweitem Gott . . . . . . . . 90 3.2. Das Wirken des Demiurgen an der Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

IX

Inhaltsverzeichnis

3.3. Die Schöpfungstätigkeit des Demiurgen als Mimesis . . . . . . . . . . 97 3.4. Das Wirken des Demiurgen im Kosmos . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 4. Der Charakter des Kosmos ex deo silvaque . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Das Numeniusreferat bei Calcidius, in Ti. 295–299 . . . . . . . . . . 4.2. Die Materie als unentstandenes, Gott gleichewiges Prinzip . . . . . 4.3. Der Charakter der Materie als unbegrenzte Zweiheit und Prinzip des Übels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4. Der Charakter des Kosmos ex deo silvaque . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1. Die ›Entstehung‹ des Kosmos ex deo silvaque (Ti. 47e–48a.56c) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2. Der Charakter des Kosmos als Mischung ex speciei bonitate silvaeque malitia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. 104 . 104 . 106 . 108 . 111 . 111 . 116

5. Die Gliederung des Kosmos nach den Fragmenten zur Himmelsreise der Seele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 5.1. Die Interpretation der ›Grotte von Ithaka‹ und des Er-Mythos . . . 117 5.2. Der Abstieg der Seelen aus der Fixsternsphäre . . . . . . . . . . . . . . 121 6. Zusammenfassung und Systematisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

IV. Alkinoos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 1. Verfasser und literarischer Charakter des Didaskalikos . . . . . . . . . . . 127 2. Der Gegenstand der Kosmologie und die Form der Darstellung . . . . . 129 3. Das kosmologische Konzept: Der Kosmos ist nicht ἐκ τοῦ αὐτομάτου . 131 Exkurs: Die Bestreitung eines Kosmos ἐκ/ ἀπὸ τοῦ αὐτομάτου als Bestandteil der Polemik gegen eine atomistische Kosmologie . . . . . . . . 133 4. Die Prinzipien und Ursachen des Kosmos . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Die Drei-Prinzipien-Lehre als Auslegung von Ti. 28a4–29b1 und 29d7–30a6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Die Reduktion der Prinzipien auf das Gegenüber von aktivem, intelligiblem Prinzip und passivem Materieprinzip . . . . . . . . . 4.3. Die Charakterisierung des Materieprinzips . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1. Die Materie als potentieller Körper . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2. Die Deutung der Eigenbewegung der Materie und der vorkosmischen Elementenspuren . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gott als Ursache des Kosmos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1. Der erste Gott als erster Intellekt und vollkommene, transzendente Ursache (R. 506–509 und Phlb. 65a) . . . . . . . . . 5.2. Der erste Gott ist Ursache aller Dinge (Ti. 28c) . . . . . . . . . . . 5.3. Gottes Ursachenverhältnis zum Kosmos ist nicht als ein reales Schöpfungsgeschehen zu denken (Ti. 28b7) . . . . . . . . . . . . . .

. . 139 . . 139 . . 140 . . 142 . . 142 . . 143 . . 148 . . 148 . . 152 . . 158

X

Inhaltsverzeichnis

5.4. Das Wesen der Weltseele und ihre Abhängigkeit vom ersten Gott (Ti. 34c–35a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 6. Die kosmologische Funktion der Weltseele und das Wesen des Kosmos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 6.1. Die Bedeutung der Weltseele für das Wesen des Kosmos (Ti. 34b.36c–e) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 6.2. Die Dämonen als Ausdruck der Beseeltheit und der Vernunftbegabung des Kosmos (Ti. 39e.40d) . . . . . . . . . . . . . . . 168 7. Zusammenfassung und Systematisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170

V. Porphyrius. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 1. Porphyrius als Ausleger des platonischen Timaeus . . . . . . . . . . . . . . 175 2. Die Welt ist ewig und hat ihre Existenz von Gott her . . . . . . . . . . . . 183 2.1. Auslegung von Ti. 27c.28b: Die Welt ist zusammengesetzt und hat ihre Existenz von Gott her . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 2.2. Auslegung von Ti. 30a2–6: Eine didaktische Verdeutlichung des Wirkens der schöpferischen Vorsehung . . . . . . . . . . . . . . . . 191 3. Das Wirken des Demiurgen und der Status der Materie . . . . . . . . . . 3.1. Die Ablehnung der Prinzipienlehre des Atticus und die Neubestimmung des Begriffs der ἀρχή . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Das Wirken des Demiurgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Die Entstehung der Materie und der Körperwelt . . . . . . . . . . . . 3.3.1. Der Demiurg wirkt wie ein ›Same‹ des Kosmos . . . . . . . . . 3.3.2. Der Abstieg der intelligiblen Substanz in die Körperlichkeit 3.3.3. Die Entstehung der Materie als Abbild der intelligiblen Vielheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

195 195 201 206 207 210 212

4. Zusammenfassung und Systematisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

B. Christliche Kosmologie als Auslegung von Gen 1 f. .

. . . . . . . 223

I. Origenes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 1. Quellen und Zeugnisse zu Origenes’ Auslegung des Schöpfungsberichtes Gen 1 f. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Übersicht über das erhaltene Material . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Das Hebräerreferat bei Calcidius, in Ti. 276–278 . . . . . . . 1.2.1. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2. Der origenianische Charakter des Abschnitts . . . . . 1.2.3. Auf welche Schrift des Origenes geht das Referat bei Calcidius zurück? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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224 224 229 229 232

. . . . . 236

XI

Inhaltsverzeichnis

2. Auslegung von Gen 2,2.4: Das Sechs-Tage-Schema des Schöpfungsberichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 3. Die christologische Deutung von ἐν ἀρχῇ (Gen 1,1) . . . . . . . . . . . . . 240 4. Die Deutung von ›Himmel und Erde‹ in Gen 1,1 f. . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Drei Auslegungsvarianten zu ›Himmel und Erde‹ in Gen 1,1 f. . . . 4.1.1. Der intelligible Kosmos (Philo) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2. Substantia spiritalis und substantia corporum . . . . . . . . . . a) Auslegung von Gen 1,1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auslegung von Gen 1,2a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3. Der himmlische Kosmos der Heiligen . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Der Status der verschiedenen Auslegungen von Gen 1,1 . . . . . . . 4.2.1. Die Zurückhaltung des Origenes gegenüber einer definitiven Auslegungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2. Die naturphilosophische und die kosmologisch-anagogische Auslegung von Gen 1,1 als legitime Formen des höheren Schriftsinns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3. Die Auseinandersetzung mit konkurrierenden Auslegungen von Gen 1,1 f. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1. Die Auseinandersetzung mit der Auslegung Philos: Das astronomische Sphärenmodell als Demonstrationsmittel . . . 4.3.2. Die Auseinandersetzung mit Verfechtern einer ungewordenen Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die philosophische Widerlegung der Annahme einer ungewordenen Materie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die polemische Strategie des Origenes . . . . . . . . . . . . c) Der vorausgesetzte Materiebegriff: Die Ausrichtung auf den göttlichen Willen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Aufnahme der Diskussion um den Anfang bzw. die Ewigkeit der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1. Princ. 3,5,1–3: Die Wahrscheinlichkeit einer Abfolge mehrerer Welten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Princ. 1,4,3–5: Die Präexistenz der Schöpfung im göttlichen Logos 5.3. Princ. 2,3,6: Die Unvergänglichkeit des Kosmos der Heiligen . . . .

247 247 248 249 249 253 256 267 268

271 273 273 278 280 285 289 293 293 298 303

6. Zusammenfassung und Systematisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305

II. Basilius von Caesarea

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312

1. Die Homilien zum Hexaemeron des Basilius . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Abfassungszeit und Hörerkreis der Homilien . . . . . . . . . . . . . 1.2. Der Charakter des Schöpfungsberichtes und das Ziel (σκοπός) der basilianischen Auslegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Die Quellen der Hexaemeronauslegung des Basilius . . . . . . . .

. . 312 . . 312 . . 313 . . 322

XII

Inhaltsverzeichnis

2. Die Auslegung von Gen 1,1–10 nach den Homilien zum Hexaemeron. 2.1. Die Auslegung von Gen 1,1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1. ›Im Anfang schuf Gott‹: Die Welt als kontingentes Werk des allmächtigen Schöpfergottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gen 1,1: Die Welt hat in Gott eine vernünftige Ursache b) Gen 1,1 (ἀρχή): Die Welt hat einen Anfang bezogen auf die Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Bedeutung von ἀρχή in Gen 1,1 . . . . . . . . . . . . . . d) Gen 1,1 (ἐποίησεν): Die Schöpfung ist ein willentlicher, kontingenter Akt Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2. Gen 1,1 ›Himmel und Erde‹: Die Grenzen und Fundamente des Kosmos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die vier Elemente innerhalb der äußersten Begrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wesen und Natur von Himmel und Erde . . . . . . . . . . 2.2. Die Abwehr dualistischer Deutungen in der Auslegung von Gen 1,2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1. Die Interpretation der Erde nach Gen 1,2. . . . . . . . . . . . . a) Die Deutung der Attribute der Erde Gen 1,2 im Zusammenhang von Gen 1,1.9 . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Ablehnung einer Deutung der Erde Gen 1,2 als Materie und die Polemik gegen die Annahme einer ungeschaffenen Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2. Die Interpretation von ›Abgrund‹ und ›Finsternis‹ in Gen 1,2. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Deutung von ›Abgrund‹ und ›Finsternis‹ im Zusammenhang von Gen 1,2 . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Ablehnung einer Deutung von ›Finsternis‹ und ›Abgrund‹ als Gott widerstreitende, böse Macht . . . . . . 2.3. Die Auslegung von Gen 1,3.14: Die Entstehung des Lichtes und der Gestirne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Die Interpretation der Schöpfungsbefehle in Gen 1 . . . . . . . . . . . 2.5. Die Auslegung von Gen 1,6 f.: Das Firmament und die Trennung der Wasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1. Das Firmament Gen 1,6 f. im Unterschied zum Himmel Gen 1,1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2. Die Natur des Firmaments und sein Nutzen im Gesamtzusammenhang des Kosmos . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.3. Die Ablehnung einer allegorischen Auslegung der Wasser Gen 1,6 f. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Identität der allegorisierenden Ausleger von hex. 3,9 b) Die Ablehnung der allegorischen Auslegung der Wasser Gen 1,6 f. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

324 325 325 327 328 331 335 341 341 343 348 348 348

350 356 356 358 361 365 374 375 377 384 385 390

XIII

Inhaltsverzeichnis

3. Zusammenfassung und Systematisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391

III. Gregor von Nyssa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 1. Die Apologia in Hexaemeron des Gregor von Nyssa . . . . . . . . . . . . . 1.1. Anlaß und Abfassungszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Das Auslegungsverständnis Gregors in der Apologia in Hexaemeron . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1. Die Haltung Gregors gegenüber der Hexaemeronauslegung des Basilius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2. Das Ziel (σκοπός) Gregors in der Apologia in Hexaemeron . 1.3. Die Gliederung der Apologia in Hexaemeron . . . . . . . . . . . . . . . 2. Christliche Kosmologie als Auslegung von Gen 1 . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Auslegung von Gen 1,1 f.: Die Schöpfung im Anfang (καταβολή) 2.1.1. Der allmächtige Schöpferwille und die Negation der Materie als zugrunde liegendes Substrat . . . . . . . . . . . . . a) Die Identität von Wille, Weisheit und Schöpferkraft bei Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gott als Urheber der Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Negation der Materie als Voraussetzung der Körperwelt: Ein Argument christlicher Apologetik . . . 2.1.2. Die augenblickliche und allumfassende Schöpfung . . . . . . a) Die Interpretation der Welt im Anfang (hex. 8 f.): Auslegung von Gen 1,1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Interpretation der Welt im Anfang (hex. 10): Erste Auslegung von Gen 1,2 . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Interpretation der Welt im Anfang (hex. 16 f.): Zweite Auslegung von Gen 1,2 . . . . . . . . . . . . . . . . d) Gen 1,1 f.: Die Schöpfung im Anfang (Zusammenfassung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Auslegung von Gen 1,3–14: Die geordnete Vollendung der Schöpfung in der Zeit (κατασκευή) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1. Die Grundlegung der folgerichtigen Ordnung im Anfang (hex. 9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Natur als Gottes immanente Kraft und Weisheit . . b) Die Abgrenzung gegenüber einer atomistischepikureischen Kosmologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2. Die Entstehung der Elemente und Kosmosglieder aus dem gemischten Ganzen des Anfangs. . . . . . . . . . . . a) Die Sonderung des Feuers und die Entstehung des Lichts (Gen 1,3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Bewegung des Feuers und die Entstehung des Firmaments (Gen 1,5 f.) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

400 400 402 402 406 410

. 411 . 411 . 411 . 411 . 414 . 418 . 424 . 424 . 426 . 428 . 436 . 438 . 438 . 438 . 443 . 446 . 446 . 448

XIV

Inhaltsverzeichnis

c) Die Sonderung der Luft, des Wassers und der Erde (Gen 1,9 f.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Scheidung innerhalb des Feuers und die Entstehung der Gestirne (Gen 1,14–16) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Das Movens des Ausgestaltungsprozesses . . . . . . . . . . 2.3. Die Grundlegung und Ausgestaltung des Kosmos: Die Analogie von der Ausbringung und Entfaltung von Samen . . . . . . . . . . . . 2.3.1. Das kosmologische Konzept Gregors: Eine Form von Diakrisis-Kosmogonie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2. Gregors Kosmologie in Analogie zum biologischen Konzept des Samens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3. Die Analogie der Entstehung aus Samen in antiken Kosmologien: Ein Vergleich mit dem Modell Gregors . . . . a) Das Modell des Samens bei den Stoikern . . . . . . . . . . b) Das Modell des Samens bei Platonikern . . . . . . . . . . . c) Das Modell des Samens im sogenannten Basilidesreferat des Hippolyt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Auseinandersetzung mit Basilius um die Auslegung von Gen 1,6 f. 3.1. Die Interpretation der oberen Wasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1. Die Auslegung von Gen 1,2b als Argument für die Deutung der oberen Wasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2. Der homonyme Sprachgebrauch der Bibel als Argument für die Deutung der oberen Wasser . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Gregors Theorie der Elemente als Argument gegen die Auslegung des Basilius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Gregors Benutzung naturphilosophischer Fachliteratur . . . 3.2.1. Das gleichbleibende Maß und die Identität der geschaffenen Elemente (Auslegung von Gen 1,31) . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2. Der Kreislauf des Wassers als Begründung für dessen gleichbleibendes Maß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Umwandlung des Wassers durch Feuer in Erde . . . b) Die Umwandlung der Erde in Wasser . . . . . . . . . . . . c) Gregors Weiterentwicklung der aristotelischen Elementenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Gregors wissenschaftliche Methode in der Erläuterung des Elementenkreislaufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3. Die Theorie der Umwandlung der Elemente in Gregors Argumentation: Behauptet Gregor die Unvergänglichkeit der Welt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

453 455 459 461 461 465 473 473 475 476 481 481 483 485 488 489 491 497 499 501 505 509

512

4. Zusammenfassung und Systematisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517

Inhaltsverzeichnis

C. Christliche Kosmologie und kaiserzeitliche Philosophie: Zusammenfassung und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XV

. . . 527

Der philosophische Charakter des biblischen Schöpfungsberichtes . . . . . 527 Der philosophische Skopos der christlichen und der platonischen Kosmologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 Die christliche und die platonische Kosmologie als exegetische Projekte. . 530 Die Abwehr dualistischer Auslegungen und die philosophische Argumentation gegen einen Prinzipiendualismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 Die Frage nach der Ewigkeit bzw. dem Anfang und dem Ende der Welt . 533 Die Auseinandersetzung mit der neuplatonischen Kosmologie bei Basilius und Gregor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 Die Rede vom Willen des Schöpfers: Vom philosophischen Grenzargument zur christlichen Kernaussage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 Gregors Materietheorie: Ein Beispiel für die philosophische Formulierung der christlichen Schöpfungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 Christliche und platonische Modelle für das Wirken der Transzendenz in die Immanenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 Die christliche Interpretation philosophischer φύσις-Konzeptionen . . . . . 541 Charakteristika einer christlichen Kosmologie im dritten und vierten Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 Anhang: Gliederung der Apologia in Hexaemeron des Gregor von Nyssa unter dem Gesichtspunkt der ausgelegten Bibelverse. . . . . . . . . . . . . . . 544

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 1. Antike und mittelalterliche Autoren (Texte und Übersetzungen) . . . . . 548 2. Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566 3. Wörterbücher, Lexika, Hilfsmittel (Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 586

Register 1. Biblische Bücher und Apokryphen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587 2. Antike und mittelalterliche Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 590 3. Moderne Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 617 4. Stichworte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621

Einleitung Verglichen mit anderen Themen der altkirchlichen Theologie steht die Kosmologie in der patristischen Forschung immer noch eher am Rande. Die vorhandenen Untersuchungen, die meist aus einer systematischen Perspektive entweder am Vergleich kosmologischer Systeme interessiert sind oder naturphilosophischen Einzelfragen nachgehen, beachten in der Regel kaum, daß die Genesisauslegungen den literarischen Ort für die Entfaltung kosmologischer Spekulationen darstellen.¹ Es ist daher richtungsweisend, daß Frank Robbins die Hexaemeronauslegungen als eine eigene Textgattung gewürdigt hat.² Als deren wesentliches Charakteristikum betrachtet er die Beeinflussung durch die griechische Philosophie, die er durch eine Gegenüberstellung von Väterbelegen und kosmologischen Themen und Aussagen der verschiedenen philosophischen Schulen nachweist. Dieser Ansatz reicht methodisch freilich nicht aus. Wenig befriedigen können trotz ihrer unglaublichen Fülle des Materials auch die Untersuchungen Karl Gronaus zu den Genesisauslegungen der Kappadozier, in denen der Autor versucht hat, die Benutzung des Timaeuskommentars des Poseidonius nachzuweisen.³ Die Studien, die ausdrücklich auf eine Analyse der »Umsetzung der überkommenen Gedanken durch die Kappadozier« verzichten,⁴ stellen genau genommen weniger einen Beitrag zur Erforschung der altkirchlichen Kosmologie dar, als vielmehr eine Arbeit zur Bildung einer phi¹ In der Einstellung der Forschung zu kosmologischen Fragestellungen wirkten lange ältere zusammenfassende Darstellungen nach. E. M 1860 betrachtet die altkirchliche Kosmologie als einen Gegenentwurf zu den gnostischen Systemen, die er als durch und durch kosmologisch beurteilt, und vergleicht die in Umrissen skizzierten kosmologischen Systeme vor dem Hintergrund einer als eklektisch beurteilten Philosophie der ersten nachchristlichen Jahrhunderte. Mit Origenes sieht er das »kirchlich-wissenschaftliche[] Gegenbild der gnostischen Weltanschauung« auf seinem Höhepunkt (a. a. O., 536). D. O. Z 1877–1879 verfolgt ein apologetisches Interesse und ordnet die altkirchliche Kosmologie in den Rahmen einer von der biblischen Grundlegung bis zur Neuzeit reichenden Geschichte des Schöpfungsdogmas ein, die er in der kritischen Erörterung der Darwinschen Hypothesen gipfeln läßt. P. D 1913 ff. wiederum versteht die altkirchliche Kosmologie lediglich als Brücke zwischen der griechischen und der abendländisch-mittelalterlichen Kosmologie, wie er auch die ihr zeitgenössische Naturphilosophie lediglich als mediokren Ausfluß der klassischen Epoche begreift. Seine Darstellung verschleiert die sachliche Verbindung zwischen der altkirchlichen Kosmologie und der antiken Naturphilosophie. ² F. E. R 1912, iii. ³ K. G 1914. ⁴ K. G 1914, vi.

2

Einleitung

losophiegeschichtlichen Hypothese, deren Grundthese – die Existenz eines poseidonischen Timaeuskommentars als doppelte Wurzel der kaiserzeitlichen Timaeusinterpretation und der christlichen Genesisexegese – abzulehnen ist.⁵ In dieser Tradition quellenkritischer Untersuchungen steht auch Jean Pépins Buch zur Hexaemeronauslegung des Ambrosius, in dem der Autor beabsichtigt, die Quellen der Doxographie in Ambrosius, hex. 1,1,1–4 zu ermitteln.⁶ Im Unterschied zu Gronau geht Pépin jedoch der Ausgestaltung der einzelnen philosophischen Themen in der jüdisch-christlichen Tradition nach. Eine neue Untersuchung der Genesisauslegungen als Entwicklungsstätten der altkirchlichen Kosmologie muß berücksichtigen, daß in den letzten Jahrzehnten das Interesse an der kaiserzeitlichen Philosophie außerordentlich zugenommen hat. Die philosophiegeschichtliche Grundlagenforschung auf diesem Gebiet erfaßt beispielsweise die Entwicklung des Platonismus und des Aristotelismus sowie den antiken Lehrbetrieb und die Methodik der philosophischen Kommentarliteratur.⁷ Dabei hat sich das Bild und die Beurteilung der kaiserzeitlichen Philosophie grundlegend gewandelt. Für die Untersuchung und Beurteilung der altkirchlichen Genesisauslegungen hat eine Rezeption dieses veränderten Forschungstandes erst begonnen.⁸ Angesichts der Bedeutung der Genesisauslegungen für die Entwicklung der altkirchlichen Kosmologie, auf die nicht zuletzt Jacobus van Winden in mehreren Studien hingewiesen hat,⁹ erstaunt es, daß umfassendere Untersuchungen dieser Texte unter Berücksichtigung des aktuellen philosophiegeschichtlichen Forschungsstandes bislang nur für Autoren des zweiten Jahrhunderts ⁵ Siehe für eine kritische Einschätzung der Bedeutung des Poseidonius L. E 1936; J. M. R 1969, 201–218; J. D 1977, 106–113. ⁶ J. P 1964. Die Arbeit verfolgt das Ziel, die Lehren des früharistotelischen Dialogs De philosophia zu rekonstruieren. ⁷ Als ein Meilenstein gilt J. M. D 1977, eine Studie zum Platonismus zwischen 80 v. Chr. und 220 n. Chr. Siehe außerdem exemplarisch für den Platonismus das noch unabgeschlossene, von H. D begründete Projekt »Der Platonismus in der Antike. Grundlagen, System, Entwicklung«, das von M. B fortgeführt wurde und von dem inzwischen 8 Bdd. erschienen sind (1987–2008). Für den Aristotelismus siehe das dreibändige Werk von P. M »Der Aristotelismus bei den Griechen von Andronikos bis Alexander von Aphrodisias« (1973.1984.2001) sowie die Reihe englischer Übersetzungen der griechischen Kommentatoren der Werke des Aristoteles unter der Federführung von R. S (Ancient Commentators on Aristotle) seit 1987, in deren Umfeld viele Einzelstudien entstehen. Für die Methode der antiken Philosophenkommentare siehe beispielhaft M. T 1987. ⁸ Im Zentrum des ausführlichen Artikels »Kosmos« von D. W 2006 im RAC steht »das geistesgeschichtliche Problem, wie sich der bibl. Schöpfungsglaube (im Judentum u. Christentum) im Kontext der antiken Philosophie entwickelt u. entfaltet.« W skizziert in chronologischer Abfolge der Texte und Autoren eine systematische Entwicklung und geht dabei gelegentlich auf die Geschichte der christlichen Genesis- und platonischen Timaeusexegese ein. ⁹ Siehe J. C. M.  W 1988 sowie dessen verschiedene Untersuchungen zur Interpretation von Gen 1,1 f.

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sowie Johannes Philoponus vorliegen.¹⁰ Die vorliegende Arbeit widmet sich daher den Genesisauslegungen von Origenes, Basilius und Gregor von Nyssa. Daß diese bislang nur wenig Interesse fanden, hat verschiedene Ursachen. Für Origenes sind sie in der schlechten Überlieferungssituation seines Genesiskommentares zu suchen, der bis auf wenige Fragmente verloren ist. Gemeinsam mit der ersten Genesishomilie lassen die erhaltenen Fragmente jedoch Origenes’ Umgang mit dem Schöpfungsbericht sowie einen Grundriß seiner Kosmologie erkennen. Die vorliegende Arbeit konnte an diesem Punkt von der Vorbereitung einer Ausgabe der Fragmente durch Karin Metzler profitieren und umgekehrt durch die ausführliche Analyse eines umstrittenen Textes aus dem Timaeuskommentar des Calcdius ein weiteres Zeugnis für die Ausgabe gewinnen. Das vergleichsweise geringe Forschungsinteresse an Basilius und Gregor von Nyssa als Kosmologen mag sich daraus erklären, daß entgegen der Würdigung des philosophisch-spekulativen Niveaus der kappadozischen Trinitätstheologie der philosophische Wert ihrer Genesisauslegungen allgemein eher verhalten beurteilt wird. Daß in den letzten Jahren neue kommentierte Übersetzungen der basilianischen Hexaemeronhomilien und des kosmologischen Traktats Gregors erschienen sind, bereitet – so ist zu hoffen – eine kritische Evaluation dieses Urteils vor.¹¹ Die vorliegende Untersuchung hat zum Ziel zu zeigen, wie Origenes, Basilius und Gregor von Nyssa in der Auslegung des biblischen Schöpfungsberichtes auf unterschiedliche Weise christliche Naturphilosophie treiben. Sie nimmt ernst, daß die Genesisauslegungen der primäre literarische Ort für die Entwicklung der altkirchlichen Kosmologie sind, der sowohl von der vorangehenden Tradition der Bibelauslegung als auch von der zeitgenössischen Naturphilosophie geprägt ist. Die Verbindung von Bibelexegese und naturphilosophischer ¹⁰ Für das zweite Jahrhundert siehe die Untersuchung von K. G 2000 zu Appelles und Hermogenes. R. H 2000 behandelt in seiner vergleichenden Untersuchung der Hexaemeronauslegung des Ambrosius und Basilius weniger die ersten, im engeren Sinne kosmologischen Homilien als hauptsächlich die Homilien zoologischen und botanischen Inhalts. ¹¹ Siehe die italienische Übersetzung der Apologia in Hexaemeron des Gregor von Nyssa durch C. M (1992), die deutsche Übersetzung durch F. X. R (1999) sowie die Edition und italienische Übersetzung der basilianischen Hexaemeronhomilien durch M. N (1990). Allerdings rückt selbst für den Basiliusforscher und Herausgeber der neuesten kritischen Edition der Hexaemeronhomilien des Basilius von 1997 der erbauliche Aspekt der basilianischen Naturschilderungen in den Vordergrund (E. A  M 1976). Ähnlich hält F. X. R 1999 Gregor von Nyssa als Bibeltheologen zwar für ein Genie (a. a. O., 57), aber nicht für einen naturphilosophischen Geist (a. a. O., 50): »Die bewußt aufgegriffenen Themen und Motive mögen nun zwar in sich schlüssig durchdacht sein und auch in einem Zusammenhang miteinander stehen, aber Gregor ist doch nicht Philosoph genug, um diesem Zusammenhang nachzugehen.« (a. a. O., 51). Ähnlich urteilt C. S 1996a, 278, der die Kappadozier als Vorläufer und Quelle des Johannes Philoponus in den Blick nimmt. Er beobachtet und kritisiert eine Indifferenz gegenüber den Unterschieden einzelner kosmologischer Theorien sowie eine mangelnde naturphilosophische Stringenz ihrer Darstellung.

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Diskussion muß daher genau betrachtet werden, da nur aus dieser Perspektive die Beziehung von altkirchlicher Kosmologie und antiker Naturphilosophie erhellt werden kann. Dabei darf nicht bei der Frage nach den philosophischen Quellen stehengeblieben werden. Diese Frage kann das verstehende Interpretieren der Texte nicht ersetzen, sondern schafft im besten Sinne die Voraussetzungen dafür. Vielmehr muß eine problemorientierte Untersuchung der Genesisauslegungen den Vorrang haben. Die vorliegende Arbeit liest die Interpretationen des Schöpfungsberichtes daher einerseits im Licht der vorangehenden jüdisch-christlichen Auslegungstradition und begreift sie andererseits als Teil einer zeitgenössischen kosmologischen Debatte, deren Fragestellungen und Themen die Exegese mitbestimmen. Dabei geht sie schließlich der argumentativen Verwendung des naturphilosophischen Materials im Einzelnen nach. In Clemens Scholtens Arbeit zur Genesisauslegung des Johannes Philoponus spiegelt sich ein ähnliches methodisches Anliegen wider.¹² Für Basilius und Origenes haben an diesem Punkt die knappen Studien von John Callahan¹³ und Gerald Bostock¹⁴ erste Wege gewiesen. Die kosmologische Debatte der Kaiserzeit und der beginnenden Spätantike wird maßgeblich durch die Diskussion um die Auslegung des platonischen Timaeus geprägt. Es ist daher sachlich naheliegend, bei der Untersuchung der altkirchlichen Kosmologie auch die Frage nach dem Verhältnis von christlicher Genesisexegese und Timaeusauslegung zu stellen, die bereits Karl Gronau unter einem ganz anderen Blickwinkel aufgeworfen hat. Die vorliegende Arbeit greift diese Frage auf. Sie sucht aber nicht nach literarischen Abhängigkeiten, sondern erhebt, inwiefern Fragestellungen, Themen oder einzelne Argumente aus der Diskussion um den Timaeus auf die Auslegung des biblischen Schöpfungsberichtes gewirkt haben. Aus diesem Grund stellt der erste Teil der Arbeit anhand ausgewählter Autoren platonische Kosmologien als Auslegung des Timaeus dar. Er setzt zeitlich mit Plutarch von Chaironea ein, weil sich dessen Interpretation als Ausgangspunkt von Diskussionen erweist, in die schließlich maßgeblich Porphyrius mit seinem Timaeuskommentar eintritt. Da von Plotin keine Kommentare zu Platon erhalten sind, ist an diesem Punkt ¹² C. S 1996a. ¹³ J. F. C 1958. Der Aufsatz würdigt die Genesisauslegungen als die zentralen

Texte zur Erhebung der kosmologischen Vorstellungen der Kappadozier, indem er das Thema Kosmologie als »problem of how to interpret Scriptures when they speak of the universe« beschreibt (a. a. O., 32). An einigen Themen (Zeitkonzeption; Elementenlehre, moralische Bedeutung der Schöpfung) zeigt C, »how Basil has sought to interpret Genesis by means of what he calls ›wisdom of the world‹« (a. a. O., 53). Er skizziert die Umrisse der basilianischen Kosmologie, die er dringend einer weiteren Untersuchung empfiehlt (a. a. O., 31). ¹⁴ G. B 1992. B legt eine Passage aus der ersten Genesishomilie des Origenes aus. Er markiert damit »the framework of his philosophy of creation« und fordert für dieses »complex amalgam of biblical and philosophical concepts« »detailed analysis and careful qualification« (a. a. O., 253).

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erst mit ihm die Auseinandersetzung der Neuplatoniker mit ihren Vorgängern greifbar.¹⁵ Daß die Platoniker der ersten Jahrhunderte auch Gesprächspartner der christlichen Theologen des dritten und vierten Jahrhunderts waren, legt sich nicht zuletzt von daher nahe, daß ein großer Teil der Fragmente von Atticus und Numenius, aber auch Fragmente verlorener Schriften des Porphyrius nur dank Eusebius von Caesarea überliefert sind. Auch die Auseinandersetzung mit neuplatonischen Autoren ist für die Christen belegt und wird sich in der Untersuchung der Genesisauslegungen besonders für Basilius und Gregor von Nyssa bestätigen.¹⁶ Der zweite Teil der vorliegenden Arbeit trägt der Bedeutung der Bibelauslegung für die altkirchliche Kosmologie sichtbar darin Rechnung, daß er nicht systematisch nach naturphilosophischen Fragestellungen gegliedert ist (wie z. B. Materielehre, Zeitkonzeption, Schöpfungsvorstellung, Elementenlehre etc.)¹⁷, sondern der Auslegung der einzelnen Verse des Schöpfungsberichtes folgt. Bei diesem Vorgehen wird an einigen Punkten deutlich werden, wie sich Basilius und Gregor von Nyssa zur Genesisauslegung des Origenes verhalten, und wie Gregors eher systematischer Traktat an die Hexaemeronhomilien des Basilius anknüpft. Fragen der Bibelhermeneutik der einzelnen Autoren werden in der Darstellung soweit behandelt, wie sie einerseits in den Auslegungen selbst angesprochen werden und wie sie andererseits für das Verständnis der Interpretationen des Schöpfungsberichtes notwendig sind. ¹⁵ Zu untersuchen, inwiefern die Auslegung des Timaeus eine Grundlage der Kosmologie Plotins darstellt, würde ein eigenes, umfangreiches Projekt bedeuten. Die Untersuchung von P. P. M 1964 zum Einfluß des platonischen Timaeus auf das Denken Plotins läßt noch viele Fragen offen. Man müßte gerade vor dem Hintergrund der neuen Forschungen zur Geschichte der Timaeusauslegung neu ansetzen. ¹⁶ Die philosophische Bildung von Origenes, Basilius von Caesarea und Gregor von Nyssa ist durch biographische Notizen belegt und in den Untersuchungen ihrer Werke immer wieder bestätigt worden. Obwohl die Verbreitung der Schriften Plotins schwer einzuschätzen ist (siehe A. M 1982, 1120), kann angesichts der langen Exzerpte in der Praeparatio Evangelica des Eusebius von Caesarea vorausgesetzt werden, daß sie christlichen Gelehrten des vierten Jahrhunderts zugänglich waren. In der Forschung wird die Bekanntschaft z. B. des Basilius mit Plotin oder Porphyrius aber auch verneint. So hat beispielsweise J. M. R Stellen bei Basilius, die in der Forschung auf den Einfluß Plotins oder des Porphyrius zurückgeführt werden, untersucht und mit dem Ergebnis geschlossen, daß an diesen Stellen sowohl bei Basilius als auch bei Plotin allgemein verbreitete platonische Schullehre referiert werde: »But to invoke Porphyry, or even Plotinus, for that matter, is to mistaken the spirit of the age. Put Epictetus, Origen and Numenius together (exempli gratia) and you have no need here of Plotinus or Porphyry.« (1981, 213). Meine Untersuchung wird aber plausibel machen können, daß sich Basilius und Gregor von Nyssa gerade mit Aspekten der neuplatonischen Kosmologie auseinandersetzen, die ihnen nicht durch frühere Autoren vorgelegt werden konnten. ¹⁷ Siehe z. B. die Gliederung der zehnbändigen Darstellung von P. D »Système du monde« von 1913–1959 oder die systematische Perspektive der verschiedenen Untersuchungen zu naturphilosophischen Einzelfragen.

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Der vorliegende Versuch, das Verhältnis von christlicher Kosmologie und antiker Naturphilosophie zu bestimmen, geschieht vor dem Hintergrund verschiedener, zum Teil extremer Forschungspositionen zum Verhältnis der altkirchlichen Theologie und zur antiken Philosophie. Sie reichen von der Behauptung einer philosophischen Überformung des Christentums bis zur Feststellung, das Christentum habe nur wenige, periphere und vor allem formale Ausdrucksmittel aus der zeitgenössischen Philosophie entnommen, ihre Substanz jedoch niemals rezipiert.¹⁸ Andere wiederum sehen in den christlichen Autoren unzureichende Philosophen, welche die philosophische Terminologie unsachgemäß und inkonsistent anwenden.¹⁹ Aus diesen Einschätzungen folgt umso dringender die Notwendigkeit, genau zu beobachten, wie die christlichen Autoren in der Auslegung des biblischen Schöpfungsberichtes und aus dem Wissensstand ihrer Zeit heraus eine christliche Kosmologie entwickeln. Das methodische Postulat, das die vorliegende Arbeit inhaltlich erhärten will, nämlich daß für die antiken christlichen Theologen die Genesisauslegungen den genuinen Ort für kosmologische Spekulationen darstellen, läßt außerdem vermuten, daß so gegensätzliche Beurteilungen altkirchlicher Theologen wie z. B. des Origenes entweder als spekulative Philosophen oder als Schriftexegeten und Apologeten in ihrer Ausschließlichkeit nicht haltbar sind.²⁰

¹⁸ Das ist die Position von H. D 1971. ¹⁹ So urteilt G. C. S 1972 über Gregor von Nyssa. ²⁰ So die Einschätzung einerseits von H. K 1932 und andererseits H. C 1985.

Für D. W 2006, 734 f. ist Origenes »in erster Linie bewusst Bibeltheologe gewesen«, andererseits »steht er … dem Begründer des Neuplatonismus, dem um 20 Jahre jüngeren Plotin, selbständig u. gleichrangig gegenüber«.

A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

I. Plutarch von Chaironea 1. Plutarch als Ausleger Platons Plutarch von Chaironea hat ein umfangreiches und vielfältiges Oeuvre hinterlassen.¹ Von den im engeren Sinne philosophischen Schriften ist leider ein großer Teil der Werke, die sich zu speziellen, unter Platonikern zum Teil kontrovers diskutierten Sachfragen äußern, verloren gegangen.² In den erhaltenen Schriften stellt sich Plutarch als Anhänger Platons und bissiger Polemiker vor allem gegenüber Epikureern und Stoikern dar,³ wobei ihn die Polemik nicht davon abhält, bestimmte stoische Vorstellungen, Methoden und Begriffe zu verwenden.⁴ Plutarch zitiert die Dialoge Platons häufig und teilweise umfänglich, strebt aber zugleich danach, die Lehre Platons auf griffige Formulierungen zu bringen, die sich zwar nicht im überlieferten Platon finden, seiner Ansicht nach aber mit dem Geist seiner Lehre in Einklang ste¹ Zu Plutarchs Leben (ca. 45–ca. 125 n. Chr.) siehe K. Z 1951, 639–696; knapper J. M. D 1977, 185 f. Für eine Übersicht und Chronologie der Schriften Plutarchs siehe Z, a. a. O., 696–719. Ich zitiere die Schriften Plutarchs unter Angabe der StephanusPaginierung nach der Ausgabe der Moralia in LCL. ² Für die Untersuchung der Kosmologie Plutarchs wären z. B. interessant Nr. 44 des Katalogs des Lamprias: Περὶ τῆς πέμπτης οὐσίας βιβλία ε΄; Nr. 66: Περὶ τοῦ γεγονέναι κατὰ Πλάτωνα τὸν κόσμον; Nr. 68: Πῶς ἡ ὕλη τῶν ἰδεῶν μετείληφεν, ὅτι τὰ πρῶτα σώματα ποιεῖ; Nr. 185: Περὶ ὕλης. Verloren sind außerdem etliche naturphilosophische Traktate, z. B. Nr. 99: Περὶ κομητῶν; Nr. 183: Φυσικὴ ἐπιτομή; Nr. 212: Περὶ σεισμῶν. J. M. D 1977, 189 vermutet, daß zahlreiche Schriften Plutarchs nicht weiter überliefert wurden, »because they were comparatively technical, inner-school treatises, and were thought to be rendered obsolete in later times by more ›advanced‹ Neoplatonic treatments of the same topics«. ³ Plutarch verfaßte mehrere polemische Schriften gegen Epikur bzw. die Epikureer sowie gegen die Stoa bzw. einzelne Stoiker. Siehe die Übersicht der erhaltenen und verlorenen Schriften zu diesem Thema bei K. Z 1951, 704 f. ⁴ Zum Verhältnis Plutarchs zur Stoa ist nach wie vor grundlegend D. B 1969. Die Auseinandersetzung mit der Schule Epikurs untersucht J. B 1986. Gegen Aristoteliker gerichtete polemische Schriften hat Plutarch nicht verfaßt, aber er wendet sich an verschiedenen Stellen scharf gegen einzelne aristotelische Positionen (siehe dazu J. M. D 1977, 186), zieht aber aristotelisches Gedankengut an anderen Stellen stillschweigend zur Entwicklung seines Gedankens heran (z. B. in der Definition der Tugend, wie J. M. D, a. a. O., 193–198, zeigt; in der Wissenschaftssystematik im Traktat De facie in orbe lunae, wie P. L. D 1988b zeigt). Plutarchs Verhältnis zu Aristoteles ist u. a. dadurch gekennzeichnet, daß er ihn aus philosophiegeschichtlicher Perspektive innerhalb der als Einheit verstandenen platonischen Akademie verortet (siehe dazu P. L. D 1986).

I. Plutarch von Chaironea

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hen.⁵ Wie die Untersuchung der Zitate und Anspielungen zeigt,⁶ ist von allen Dialogen Platons der Timaeus für Plutarch von besonderem Interesse. Das einzige erhaltene umfängliche Kommentarwerk, De animae procreatione in Timaeo, ist einer Passage des Timaeus gewidmet, und von den zehn Fragen einer Sammlung platonischer Untersuchungen behandeln allein fünf quaestiones Auslegungsprobleme des Timaeus. An diesen Texten läßt sich Plutarchs Vorgehen als Platonausleger gut beobachten. Je nach Kontext und argumentativen Erfordernissen legt er detailliert einzelne Passagen und Formulierungen Platons aus, paraphrasiert Platon frei, kombiniert verschiedene Ausdrücke und Textabschnitte Platons zu neuen Zusammenhängen oder reformuliert Platons Lehre mit Hilfe stoischer oder aristotelischer Terminologie. Auf diese Weise gibt Plutarch die Lehre Platons, wie sie sich ihm darstellt, wieder. Dabei behauptet er als methodischen Grundsatz, nichts eigenes bieten zu wollen, sondern darzulegen, was in Übereinstimmung mit Platon steht.⁷ In dieser Absicht setzt er sich auch mit älteren Deutungen Platons auseinander.⁸

2. Die Erklärung von Ti. 35ab als Ausgangspunkt für die Darstellung der platonischen Kosmologie Der Traktat De procreatione animae in Timaeo ist der Erklärung von Ti. 35ab gewidmet, jener Passage des Timaeus, welche die Bildung der Weltseele durch den Demiurgen schildert. Plutarch behandelt mit Ti. 35ab einen Text, der schwer verständlich ist und bereits bei den antiken Auslegern zu den unter⁵ Siehe Plutarchs einleitende Bemerkung in der Diskussion zum Thema Πῶς Πλάτων ἔλεγε τὸν θεὸν ἀεὶ γεωμετρεῖν; quaest. conv. 8,2,1 (718c): Ἐμοῦ δὲ ταῦτ’ εἰπόντος ὡς γέγραπται μὲν ἐν οὐδενὶ σαφῶς τῶν ἐκείνου βυβλίων, ἔχει δὲ πίστιν ἱκανὴν καὶ τοῦ Πλατωνικοῦ χαρακτῆρός ἐστιν, … Zu Plutarch als Kommentator siehe J. O 2004. ⁶ Eine Übersicht über Zitate und Anspielungen platonischer Texte in Plutarchs Schriften hat R. M. J 1916, 107–153 aufgestellt, die K. Z 1951, 749–751 ergänzt hat. Zur Zitierweise Plutarchs siehe Z, a. a. O., 928. ⁷ Siehe an. procr. 3 (1013b). Zu Plutarchs Platonismus siehe J. O 2005. ⁸ Plutarch beginnt seine Auslegung von Ti. 35ab mit einer Übersicht und Kritik der verschiedenen Auslegungen dieser Passage bei Crantor, Xenocrates, Eudorus und Poseidonius (an. procr. 2–4 [1012d–1013f]). Daß sich Plutarch intensiv mit den Positionen der platonischen Akademie nach Platon befaßte, zeigen z. B. die verlorenen Schriften Nr. 63.64.71.134 Lamprias-Katalog (K. Z 1951, 749). Ob er alle in an. procr. zitierten Kommentatoren des Timaeus selbst gelesen hat, ist umstritten (siehe Z, a. a. O., 746 f.). Angesichts des nachweislichen Interesses Plutarchs am Timaeus und an den Positionen der Akademie (Z, a. a. O., 747), sowie angesichts dessen, daß Plutarch gegenüber seinen Söhnen den Verzicht auf eine umfassende Darstellung aller älteren Deutungen von Ti. 35ab damit begründet, daß die Söhne, die von ihm selbst unterrichtet wurden, die Werke größtenteils selbst gelesen hätten (an. procr. 1 [1012d]), ist es aber sehr wahrscheinlich, daß Plutarch die älteren Kommentatoren aus erster Hand kannte.

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

schiedlichsten Konstruktionen des Textes führte.⁹ Die Auslegung dieses Abschnittes betrachtet Plutarch allerdings nicht als ein isoliertes Einzelproblem der Auslegung Platons. Vielmehr bietet ihm das richtige Verständnis dieses Textes den Schlüssel zu dem Problem, warum Platon einerseits im Phaedrus die Seele für ewig und ungeworden hält, andererseits aber im Timaeus ausführlich die Bildung der Weltseele vor dem Kosmoskörper beschreibt. Prominente Exegeten Platons vor ihm – wie Crantor, Xenocrates und ihre Anhänger – verstellen sich in seinen Augen durch ihre falsche Interpretation der Seelenbestandteile von Ti. 35ab den Weg zu einem Verständnis Platons und lassen sich von dem scheinbaren Widerspruch schließlich dazu verleiten, auch die Aussagen über die Entstehung des Kosmos in einem uneigentlichen Sinne zu interpretieren und zu leugnen, daß der Kosmos real entstanden sei.¹⁰ Indem sie auf diese unzulässige Weise die unterschiedlichen Aussagen über den Status der Weltseele harmonisieren, verschleiern sie, welche Position und Funktion die Weltseele innerhalb des Kosmos einnimmt.¹¹ Damit täuschen sie sich letztlich über die wahre Natur der Weltseele und des Kosmos. Plutarch stellt sich daher die Aufgabe, ausführlich dazulegen, was unter den in Ti. 35ab erwähnten Seelenbestandteilen zu verstehen ist. Auf diese Weise will er klären, was die Seele und was der Körper ist, wenn gesagt wird, daß die Seele früher und älter als der Körper sei … In Unkenntnis darüber zu sein, scheint nämlich die größte Schwierigkeit und Unglaubwürdigkeit der wahren Meinung [bezüglich der Weltseele und des Kosmos] zu verursachen.¹²

In der Schrift De animae procreatione legt Plutarch in Auslegung des Timaeus daher eine Zusammenfassung seiner Kosmologie sowie deren ontologischen Voraussetzungen vor.¹³ Plutarch urteilt über Crantor, Xenocrates und ihre Anhänger mit polemischer Schärfe. Ihre Behauptung, daß der Kosmos ewig ungeworden sei, ver⁹ Siehe dazu die Ausführungen im Timaeuskommentar des Proclus zu dieser Passage (in Ti. II 147,23–166,14 [Diehl]) sowie die Angaben in den modernen Kommentierungen des Timaeus von A. E. T 1928, 106–136 und F. M. C 1952, 59. ¹⁰ Plutarch weist in den Anfangskapiteln des Traktats (1013e) auf einen eigens zu diesem Thema verfaßten Traktat hin. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um die nicht überlieferte Schrift Περὶ τοῦ γεγονέναι κατὰ Πλάτωνα τὸν κόσμον (Nr. 66 Lamprias-Katalog). Siehe H. C 1976, 177 Anm. c. ¹¹ Siehe an. procr. 4 (1013ef): εἰ γὰρ ἀγένητος ὁ κόσμος ἐστίν, οἴχεται τῷ Πλάτωνι τὸ πρεσβυτέραν τοῦ σώματος τὴν ψυχὴν οὖσαν ἐξάρχειν μεταβολῆς καὶ κινήσεως πάσης, ἡγεμόνα καὶ πρωτουργόν, ὡς αὐτὸς εἴρηκεν, ἐγκαθεστῶσαν. ¹² An. procr. 4 (1013f): τίς δ’ οὖσα καὶ τίνος ὄντος ἡ ψυχὴ τοῦ σώματος προτέρα καὶ πρεσβυτέρα λέγεται γεγονέναι, προϊὼν ὁ λόγος ἐνδείξεται· τοῦτο γὰρ ἠγνοημένον ἔοικε τὴν πλείστην ἀπορίαν καὶ ἀπιστίαν παρέχειν τῆς ἀληθοῦς δόξης. [Einfügungen in der Übersetzung von mir]. ¹³ Anders P. T 1938, 9, der an. procr. zu den metaphysischen Schriften Plutarchs zählt und dadurch den Gegenstandsbereich und die Aussageabsicht des Traktats unzulässig verkürzt.

I. Plutarch von Chaironea

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leugnet in seinen Augen Gott als den Urheber des Kosmos und widerspricht damit dem platonischen Bekenntnis von Ti. 29a5 f. zum Kosmos als dem schönsten der gewordenen Dinge und zu Gott als der besten aller Ursachen, das er seiner eigenen Interpretation als hymnisches Motto voranstellt.¹⁴ Plutarch wirft Crantor, Xenocrates und deren Anhängern vor, durch die falsche Interpretation von Ti. 35ab die Grundlage für Platons Beweis in Lg. 10 zu zerstören, daß der Himmel und das Geschick der Menschen von fürsorgenden Göttern regiert werden. Crantor, Xenocrates und deren Anhänger leisten damit in Plutarchs Augen einer falschen Lehre über die Götter Vorschub und widersprechen Platon an einem zentralen Punkt seiner Lehre, der Ablehnung einer epikureischen Gotteslehre (1013e). Durch diesen polemischen Auftakt verleiht Plutarch seiner eigenen Interpretation von Ti. 35ab besonderes Gewicht. Er beansprucht nichts weniger, als die wahre Meinung Platons über das Verhältnis Gottes zur Weltseele und zum Kosmos darzulegen sowie das daraus resultierende Wesen des Kosmos aufzuzeigen.

3. Die Entstehung des Kosmos als die Ordnung eines irrationalen vorkosmischen Zustandes 3.1. Die Auslegung von Ti. 35ab: Die Entstehung der Weltseele als Harmonisierung einer irrationalen Urseele Die Grundlage für Plutarchs Deutung von Ti. 35ab ist seine Überzeugung, hier werde von der realen Entstehung der Weltseele aus zwei vorhandenen Bestandteilen gesprochen. Denn das Wesen der Weltseele und das Wesen des Kosmos lassen sich seiner Ansicht nach nicht erklären, ohne daß man mit Gewißheit behauptet, daß er [d. h. Platon] an dieser Stelle nicht Seele im grundlegenden Sinne, sondern die Seele des Kosmos zusammensetzt aus zugrunde liegenden Wesenheiten, aus dem überlegeneren und unteilbaren Sein einerseits und dem niederen Sein andererseits, welches er ›bei den Körpern Teilbares‹ nennt¹⁵.

Plutarch unterscheidet hier zwischen der Seele im grundlegenden Sinne und der Weltseele. Platons Ausführungen zur Seelenbildung in Ti. 35ab bezieht er nur auf die Weltseele. Dabei faßt er die zwei Genitivglieder, die in 1012b den Beginn seines Zitats aus Ti. 35ab markieren, als die Angabe von zwei Grundbestandteilen auf, aus denen der Demiurg die Seele mischt. Stillschweigend ¹⁴ Siehe an. procr. 5 (1014b). ¹⁵ An. procr. 23 (1024a): … ὅτι νῦν οὐχ ἁπλῶς ψυχὴν ἀλλὰ κόσμου ψυχὴν συνίστησιν ἐξ

ὑποκειμένων τῆς τε κρείττονος οὐσίας καὶ ἀμερίστου καὶ τῆς χείρονος, ἣν περὶ τὰ σώματα μεριστὴν κέκληκεν, … [Einfügung in der Übersetzung von mir]. Zu νῦν als Verweis auf die auszulegende Textpassage Ti. 35a1–b4 siehe H. C 1976, 227 Anm. d.

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

übergeht er dabei, daß Platon in Ti. 35ab von drei Bestandteilen der Seelenmischung spricht, die jeweils ein Mittleres zwischen zwei Größen darstellen.¹⁶ Gegenstand seines Traktats ist es in weiten Teilen, diese zwei Grundbestandteile der Seele zu identifizieren und deren Folgen für die Natur des Kosmos deutlich zu machen. 3.1.1. Die Identifikation der beiden grundlegenden Seelenbestandteile Die in Ti. 35a genannte περὶ τὰ σώματα γιγνομένη μεριστὴ οὐσία klassifiziert Plutarch als niedere Wesenheit. Er identifiziert sie als eine Bezeichnung des Timaeus¹⁷ für die ›Seele im grundlegenden Sinne‹, die vorkosmische Urseele, die bereits vor der Entstehung der Weltseele existierte.¹⁸ Anders als die vernunftbegabte Weltseele ist diese Seele ungeordnet und irrational.¹⁹ Ihre Bezeichnung als ›teilbares Sein bei den Körpern‹ führt Plutarch darauf zurück, daß sie stets mit der körperlich aufgefaßten Materie verbunden ist²⁰ und ihr Bewegungs- und Urteilsvermögen sich daher stets nach außen auf einen vielfältigen und zerstreuten Gegenstand richtet.²¹ Die vorkosmische Seele an sich besitzt also bereits die einer Seele eigentümlichen Fähigkeiten, allerdings in ¹⁶ Nämlich mittleres Sein, das aus der Mischung von unteilbarem und teilbarem Sein entsteht, sowie mittlere Selbigkeit und mittlere Verschiedenheit, die aus unteilbarer und teilbarer Selbigkeit bzw. unteilbarer und teilbarer Verschiedenheit entstehen. Zu dieser Bestimmung der drei Bestandteile nach Platon siehe F. M. C 1952, 60–66. Selbigkeit und Verschiedenheit sind Voraussetzungen der Mischung von teilbarem und unteilbarem Sein (an. procr. 25 [1025a–c]; dazu P. T 1938, 78–84; J. H 1937, 40–47). Sie spielen außerdem in den Abschnitten zur Erkenntnisfunktion der Weltseele eine Rolle (an. procr. 24 [1024d–f]). In diesem epistemologischen Kontext führt Plutarch Einheit (ἕν) und Zweiheit (δυάς) als übergeordnete Prinzipien ein. Unklar bleibt, wie sich in diese Zwei-Prinzipien-Lehre die kosmologischen Aussagen von an. procr. einfügen lassen (siehe dazu H. D / M. B 1996, 455–458). ¹⁷ Siehe an. procr. 6 (1014d). ¹⁸ In an. procr. 23 (1024a) identifiziert Plutarch die μεριστὴ οὐσία mit der Meinungen und Vorstellungen bildenden Seelenbewegung. Sie ist der vorkosmischen Seele eigentümlich, ja mit ihr identisch. Plutarch betont, daß sie nicht geworden ist, sondern wie der zweite, höhere Seelenbestandteil ewig existiert. ¹⁹ In an. procr. 5 (1014b) beschreibt Plutarch den vorkosmischen Zustand als geprägt durch die Disharmonie (ἀναρμοστία) einer Seele, die keinen Logos hat und die er kurz darauf als ταραχώδη καὶ ἀνόητον (1014c) bezeichnet. Nach Plutarch liegt also das eigentümliche Wesen der Urseele, d. h. des Seelischen an sich, in der bewegten Irrationalität (siehe dazu W. D 1983, 42–45). ²⁰ Siehe plat. quaest. 4 (1003a): ἡ μὲν γὰρ ἄνους ψυχὴ καὶ τὸ ἄμορφον σῶμα συνυπῆρχον ἀλλήλοις ἀεὶ καὶ οὐδέτερον αὐτῶν γένεσιν ἔσχεν οὐδ’ ἀρχήν· ²¹ In an. procr. 23 (1024b) begründet Plutarch die Teilbarkeit der sinnlich wahrnehmenden Seelenbewegung zunächst mit einer Anspielung auf Ti. 52d–53b (die ungeordnete, vorkosmische Materiebewegung) und fährt dann fort (1024c): διά τε δὴ ταῦτα μεριστὴ προσηγορεύθη καὶ ὅτι τῷ αἰσθητῷ τὸ αἰσθανόμενον καὶ τῷ φανταστῷ τὸ φανταζόμενον ἀνάγκη συνδιανέμεσθαι καὶ συμπαρήκειν· ἡ γὰρ αἰσθητικὴ κίνησις, ἰδία ψυχῆς οὖσα, κινεῖται πρὸς τὸ αἰσθητὸν ἐκτός·

I. Plutarch von Chaironea

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einer vorläufigen, ungeordneten und unvollkommenen Verfassung. Als Seele ist sie Prinzip von Bewegung.²² Ohne den stabilisierenden und ordnenden Einfluß eines Intellekts ist ihre Bewegung jedoch umherirrend, ungeordnet²³, irrational und unharmonisch²⁴. Sie ist das Prinzip ungeordneter und undefinierter Bewegung.²⁵ Sie besitzt zwar die Fähigkeit, ausgehend von der sinnlichen Wahrnehmung der ungeordneten Substanz der Köper Vorstellungen und Meinungen zu bilden.²⁶ Wie der Gegenstand, auf den sie sich richtet, ist diese Fähigkeit jedoch gestaltlos und ohne Begrenzung und führt daher nur zu unbeständigen, ungeordneten und traumähnlichen Vorstellungen und Meinungen.²⁷ Plutarch legt der vorkosmischen Seele mehrere Bezeichnungen bei, die aus verschiedenen Dialogen Platons stammen und ihr Wesen ausdrücken sollen.²⁸ So setzt er sie mit der Unbegrenztheit (ἀπειρία) des Philebus gleich, da sie Mangel an Zahl und Logos leidet und keine Begrenzung und Maß besitzt.²⁹ Ausgehend von diesem Titel bringt er sie an einigen Stellen auch mit der pythagoreischen unbegrenzten Vielheit in Verbindung.³⁰ Er identifiziert sie mit der Notwendigkeit (ἀνάγκη), der im Timaeus genannten Kraft, die dem Intellekt entgegensteht.³¹ Schließlich findet er sie in den Leges offen als eine ungeordnete und übelwirkende Seele angesprochen, die der wohltätigen Seele widerstreitet.³² Als derart ungeordnete, maßlose und dabei selbstbewegte ²² Diesen platonischen Grundsatz aus Phdr. 245c5–246a2 zitiert Plutarch in an. procr. 7 (1015e; Text in Anm. 40). ²³ An. procr. 9 (1016c): … ψυχὴν τὴν πρὸ τῆς κόσμου γενέσεως πλημμελῶς πάντα καὶ ἀτάκτως κινοῦσαν … ²⁴ In an. procr. 7 (1015e) spricht Plutarch über τὴν κινητικὴν τῆς ὕλης καὶ περὶ τὰ σώματα γιγνομένην μεριστὴν ἄτακτον καὶ ἄλογον οὐκ ἄψυχον δὲ κίνησιν. Sie ist gekennzeichnet durch τὴν πολλὴν ἀοριστίαν καὶ πλημμέλειαν. ²⁵ In an. procr. 6 (1014d) heißt es von dem teilbaren Sein aus Ti. 35ab: ἐν δὲ Τιμαίῳ τὴν τῇ ἀμερίστῳ συγκεραννυμένην φύσει καὶ περὶ τὰ σώματα γίγνεσθαι λεγομένην μεριστὴν … λέγεσθαι νομιστέον … τὴν ἄτακτον καὶ ἀόριστον αὐτοκίνητον δὲ καὶ κινητικὴν ἀρχὴν ἐκείνην, … ²⁶ An. procr. 9 (1017a) nennt die vorkosmische Seele τινα φανταστικῆς καὶ δοξαστικῆς ἀλόγου δὲ καὶ ἀτάκτου φορᾶς καὶ ὁρμῆς δύναμιν αὐτοκίνητον καὶ ἀεικίνητον. ²⁷ An. procr. 23 (1024b): οὔτε γὰρ τὸ αἰσθητὸν εἰλήχει τάξεως ἀλλ’ ἦν ἄμορφον καὶ ἀόριστον, ἥ τε περὶ τοῦτο τεταγμένη δύναμις οὔτε δόξας ἐνάρθρους οὔτε κινήσεις ἁπάσας εἶχε τεταγμένας ἀλλὰ τὰς πολλὰς ἐνυπνιώδεις καὶ παραφόρους … ²⁸ Zusammenstellungen von Bezeichnungen der vorkosmischen Seele finden sich in an. procr. 6 (1014d) und 7 (1015e). ²⁹ Siehe Plutarch, an. procr. 6 (1014d); vgl. damit Platon, Phlb. 16c9 f.; 24a–25a; 25e5–d1. ³⁰ Siehe Plutarch, an. procr. 28 (1027a). ³¹ Siehe Platon, Ti. 47e4–48a7; 56e3–7; 68e1–69a5. ³² Plutarch, an. procr. 6 (1014e): … ἐν δὲ τοῖς Νόμοις ἄντικρυς ψυχὴν ἄτακτον εἴρηκε καὶ κακοποιόν· αὕτη γὰρ ἦν ψυχὴ καθ’ ἑαυτήν, … In an. procr. 7 (1015e) heißt sie ψυχὴ[] ἐναντία[] καὶ ἀντίπαλος τῇ ἀγαθουργῷ, was näher am Wortlaut der Leges ist. Die Paraphrase in 6 (1014d) ist für Plutarchs Zwecke allerdings geeigneter, da er so umgeht, die wohltätige Seele zu identifizieren, der im Konzept von an. procr. kein Platz zugewiesen werden kann. Plutarch hat Lg. 896d5–898c8 vor Augen.

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Wesenheit betrachtet Plutarch die vorkosmische Seele schließlich als ›Ursache und Prinzip des Übels‹.³³ Ausdrücklich widerspricht Plutarch jenen Positionen, die einige der genannten Bezeichnungen der Materie beilegen und diese dadurch als Gott widerstreitendes Prinzip ausweisen wollen.³⁴ Den zweiten grundlegenden Bestandteil der Seelenmischung nach Ti. 35a, die ἀμέριστος / ἀμερὴς καὶ ἀεὶ κατὰ ταὐτὰ ἐχούση οὐσία, klassifiziert Plutarch als überlegeneres, höheres und besseres Sein.³⁵ Mit einem gewissen Anhalt am platonischen Text bezeichnet er sie als das Sein der νοητά.³⁶ Einigen Stellen zufolge ist sie Intellekt, der unbewegt und beständig ist bzw. bei den intelligiblen Entitäten verweilt.³⁷ Dieser zweite Seelenbestandteil ist das vorkosmische rationale Prinzip (τὸ νοερόν), das in gewisser Weise mit Gott identisch ist.³⁸ Im Gegenüber zur irrationalen Seele als Unbegrenztheit bezeichnet Plutarch diesen höheren Seelenteil auch als Einheit (ἕν).³⁹ 3.1.2. Die Verbindung der beiden Seelenbestandteile Plutarch faßt die zwei Grundbestandteile der Seelenmischung als komplementäre, gleichwohl aufeinander bezogene Größen auf. Die vorkosmische Seele ist das ungeordnete und irrationale Prinzip von Bewegung, der Intellekt ist die Ursache von Ordnung und Harmonie in der Bewegung.⁴⁰ Plutarch charakterisiert daher die vorkosmische Seele negativ als Abwesenheit von Ordnung, Maß und Harmonie. Zugleich betont er aber, daß sie nach Art einer Materie als Grundlage für das Wirken des zweiten, intelligiblen Seelenbestandteils fungiert und eine Natur besitzt, die zur Teilhabe an diesem ordnenden Prinzip fähig ist.⁴¹ Sie ist die ungewordene, zugrunde liegende Substanz (οὐσία), aus welcher der Demiurg die Weltseele fertigt.⁴² Siehe an. procr. 7 (1015d): … αἰτίαν κακῶν καὶ ἀρχὴν … Siehe an. procr. 6 f. (1014e–1015e). Siehe an. procr. 23 (1024a); 8 (1016bc). Plat. quaest. 3,1 (1001d): ἡ γὰρ ἀμέριστος οὐσία καὶ κατὰ ταὐτὸν ὡσαύτως ἔχουσα τῶν νοητῶν … ³⁷ An. procr. 24 (1024c): ὁ δὲ νοῦς αὐτὸς μὲν ἐφ’ ἑαυτοῦ μόνιμος ἦν καὶ ἀκίνητος, … In 26 (1026a) nennt Plutarch in einer Paraphrase die höhere Wesenheit der Seelenmischung [τὸ] περὶ τὰ νοητὰ μόνιμ[ον]. ³⁸ Zum Verhältnis des rationalen Prinzips im vorkosmischen Zustand und dann in der Seele zu Gott siehe plat. quaest. 2,1 (1001a). ³⁹ Siehe an. procr. 28 (1027a). ⁴⁰ An. procr. 7 (1015e): ψυχὴ γὰρ αἰτία κινήσεως καὶ ἀρχή, νοῦς δὲ τάξεως καὶ συμφωνίας περὶ κίνησιν. ⁴¹ An. procr. 21 (1022f): Plutarch betont, daß man die περὶ τὰ σώματα γιγνομένην μεριστὴν οὐσίαν zwar nicht als körperlich verstandene Materie auffassen darf, sie aber gleichwohl im Gegenüber zum intelligiblen, höheren Sein ὕλην ὡς καὶ ὑποκειμένην ἐκείνῃ καὶ μεταληπτικὴν ἐκείνης φύσιν nennen kann. ⁴² Siehe an. procr. 5 (1014cd), wo Plutarch nach den ungewordenen Substanzen (οὐσίαι) fragt, die der Entstehung von Weltkörper und Weltseele zugrunde liegen. ³³ ³⁴ ³⁵ ³⁶

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Die Verbindung beider Seelenbestandteile, aus der die Weltseele hervorgeht, faßt Plutarch folgerichtig als einen Prozeß der Intellektualisierung, Harmonisierung, Begrenzung und Ordnung der vorkosmischen Seele auf. Durch die Verbindung mit dem intelligiblen Sein erhält die ›Seele an sich‹ Anteil an Denken, Harmonie und Intellekt.⁴³ Denn durch die Einwirkung des höheren, rationalen Prinzips entsteht von außen kommend nun in ihr selbst Intellekt.⁴⁴ Dadurch werden die ihr eigentümlichen Fakultäten der Bewegung und des Urteilens geordnet und auf ein höheres Niveau gehoben. Erst als rationale Weltseele ist sie zur beständigen Erkenntnis des Intelligiblen sowie zu wahren Vorstellungen und Meinungen fähig. Unter der Einwirkung ihres Intellekts wandelt sich ihre ungeordnete und irrende Bewegung zu einer stetigen und gleichförmigen Bewegung. Die vorkosmische, irrationale Seele, die in vielfältiger Zerstreuung und Streit mit sich selbst lag,⁴⁵ wird dadurch zu Einfachheit und Gleichheit geführt.⁴⁶ Sie wird so zur Weltseele, die Maßförmigkeit und Einklang mit sich selbst ist⁴⁷ und darin dem Intelligiblen ähnelt, das stetig und stabil ist und sich gleichbleibend gemäß seiner selbst verhält. Plutarch beschreibt die Seelenbildung auch unter einem ethischen Aspekt. Die vorkosmische irrationale Seele ist als Unbegrenztheit und Maßlosigkeit der Tugend entgegengesetzt, die in aristotelischer Tradition in einem ausgeglichenen Maß besteht.⁴⁸ Durch den Einfluß des intelligiblen Seins entsteht in der Seele Maßförmigkeit und Harmonie, so daß sie zur »äußerst vernünftigen und gerechten Weltseele«⁴⁹ wird. Letztlich bleibt für Plutarch die Einheit und die Harmonie der Weltseele aber immer eine Einheit von Gegensätzen und Unterschieden. Mit dieser Deutung von Ti. 35ab im Sinne einer dualistischen Struktur der Weltseele legt Plu⁴³ In an. procr. 6 (1014e) heißt es von der ungeordneten und übelschaffenden Seele: αὕτη γὰρ ἦν ψυχὴ καθ’ ἑαυτήν, νοῦ δὲ καὶ λογισμοῦ καὶ ἁρμονίας ἔμφρονος μετέσχεν, ἵνα κόσμου ψυχὴ γένηται. ⁴⁴ In an. procr. 24 (1024cd) heißt es vom Intellekt: ὁ δὲ νοῦς αὐτὸς μὲν ἐφ’ ἑαυτοῦ μόνιμος ἦν καὶ ἀκίνητος, ἐγγενόμενος δὲ τῇ ψυχῇ καὶ κρατήσας εἰς ἑαυτὸν ἐπιστρέφει καὶ συμπεραίνει τὴν ἐγκύκλιον φορὰν περὶ τὸ μένον ἀεὶ μάλιστα ψαύουσαν τοῦ ὄντος. Siehe auch 27 (1026e) über die zwei Seelenbestandteile: τὸ γὰρ παθητικὸν ἀναδίδωσιν ἐξ ἑαυτῆς ἡ ψυχή, τοῦ δὲ νοῦ μετέσχεν ἀπὸ τῆς κρείττονος ἀρχῆς ἐγγενομένου. ⁴⁵ Nach an. procr. 33 (1029e) übernimmt (παραλαβών) der Demiurg ἀταξίαν καὶ πλημμέλειαν ἐν ταῖς κινήσεσι τῆς ἀναρμόστου καὶ ἀνοήτου ψυχῆς διαφερομένης πρὸς ἑαυτὴν … ⁴⁶ In an. procr. 21 (1022e) wird die ἀμέριστος οὐσία beschrieben: τὸ γὰρ ἁπλοῦν καὶ ἀπαθὲς καὶ καθαρὸν αὐτῆς καὶ μονοειδὲς ἀμερὲς εἴρηται καὶ ἀμέριστον, ᾧ καὶ τῶν συνθέτων καὶ μεριστῶν καὶ διαφερομένων ἁμωσγέπως θιγοῦσα παύει τὸ πλῆθος καὶ καθίστησιν εἰς μίαν διὰ ὁμοιότητος ἕξιν. ⁴⁷ An. procr. 33 (1030c) beschreibt den Zustand der Weltseele als τὴν αὐτῆς τῆς ψυχῆς ἐμμέλειαν καὶ ἁρμονίαν πρὸς αὑτήν. ⁴⁸ Die Tugend als ausgeglichenes Maß erläutert Plutarch im Bild der musikalischen Harmonie: virt. 6 (444f). ⁴⁹ An. procr. 33 (1029d): Die Weltseele, die den Himmel und die himmlischen Wesen lenkt, ist ἡ ψυχὴ φρονιμωτάτη καὶ δικαιοτάτη γεγονυῖα.

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tarch die Grundlage für eine dualistische Sichtweise auf das Wesen des Kosmos.⁵⁰ 3.1.3. Die Seelenbildung nach Ti. 35ab als Hinweis auf einen Zustand vorkosmischer Unordnung Plutarch liest Ti. 35ab als Beleg für seine Auffassung, daß die Weltseele aus einer irrationalen vorkosmischen Seele unter der ordnenden Einwirkung eines intelligiblen Prinzips geschaffen wurde. Damit postuliert er die Existenz zweier chronologisch aufeinanderfolgender, realer Zustände: eines ungeordneten, vorkosmischen Zustands einerseits und eines Zustands der Kosmosordnung andererseits. Durch die Unterscheidung von ungewordener, irrationaler Urseele und gewordener, vernünftiger Weltseele löst Plutarch den Widerspruch, der zwischen den divergierenden Aussagen Platons über den Status der Seele auftritt. Während eine breite Tradition die Rede von der Entstehung der Weltseele im übertragenen Sinne interpretiert und so an die Aussagen angleicht, die sie für ewig und ungeworden halten,⁵¹ bezieht Plutarch die widerstreitenden Aussagen auf unterschiedliche Größen. Denn … was gibt es für eine andere Verteidigung dieser Aussagen als jene, die er [d. h. Platon] selbst denjenigen gibt, die Willens sind, sie aufzunehmen? Als ungeworden erscheint nämlich die Seele, die vor der Entstehung des Kosmos alles auf unmelodische und ungeordnete Weise bewegte, als geworden und erzeugt aber erscheint demgegenüber die Seele, die Gott als Herrscherin über das All einsetzte, nachdem er sie aus dieser Seele und jenem verharrenden und besten Sein als vernünftige und geordnete erschaffen hatte und von sich das Intelligible als Form für das Wahrnehmende und das Geordnete als Bild für das Bewegende gewährt hatte.⁵²

Plutarch beruft sich für seine Deutung von Ti. 35ab auf Platon selbst. Er läßt anklingen, daß das richtige Verständnis dieses schwierigen Textes nicht auf der Hand liegt. Es bedarf der positiven Willenseinstellung, sich diesem Verständnis zu öffnen,⁵³ und der Bereitschaft, Ungewohntes und Paradoxes auf der Basis von Gewohntem und Wahrscheinlichem zu akzeptieren.⁵⁴ ⁵⁰ Siehe dazu Kapitel 5. ⁵¹ Siehe dazu Kapitel A IV 5.3. ⁵² An. procr. 9 (1016c): Τίς οὖν τούτων ἐπανόρθωσις ἑτέρα πλὴν ἧς αὐτὸς δίδωσι τοῖς

δέχεσθαι βουλομένοις; ἀγένητον μὲν γὰρ ἀποφαίνει ψυχὴν τὴν πρὸ τῆς κόσμου γενέσεως πλημμελῶς πάντα καὶ ἀτάκτως κινοῦσαν γενομένην δὲ καὶ γενητὴν πάλιν ἣν ὁ θεὸς ἔκ τε ταύτης καὶ τῆς μονίμου τε καὶ ἀρίστης οὐσίας ἐκείνης ἔμφρονα καὶ τεταγμένην ἀπεργασάμενος καὶ καθάπερ εἶδος καὶ τῷ αἰσθητικῷ τὸ νοερὸν καὶ τῷ κινητικῷ τὸ τεταγμένον ἀφ’ αὑτοῦ παρασχὼν ἡγεμόνα τοῦ παντὸς ἐγκατέστησεν. [Einfügung in der Übersetzung von mir]. ⁵³ Siehe das Zitat aus an. procr. 9 (1016c; Text in Anm. 52). Das Verständnis eröffnet sich τοῖς δέχεσθαι βουλομένοις. ⁵⁴ Diesem Umstand paßt Plutarch sein methodisches Vorgehen an, das er in an. procr. 5 (1014a) erläutert: Πρῶτον οὖν ἣν ἔχω περὶ τούτων διάνοιαν ἐκθήσομαι, πιστούμενος τῷ εἰκότι καὶ παραμυθούμενος, ὡς ἔνεστι, τὸ ἄηθες τοῦ λόγου καὶ παράδοξον· ἔπειτα ταῖς λέξεσιν ἐπάξω συνοικειῶν ἅμα τὴν ἐξήγησιν καὶ τὴν ἀπόδειξιν.

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Betrachtet man Plutarchs Erläuterungen der zwei Seelenbestandteile genauer, so zeigt sich, daß er die μεριστὴ οὐσία aus Ti. 35a ohne wirklichen Anhalt am platonischen Text als vorkosmische, irrationale Seele auffaßt. Auch die Texte, aus denen er Bezeichnungen für dieses vorkosmische irrationale Prinzip entlehnt, lassen in ihrem Kontext keinen Bezug zu einem ungeordneten vorkosmischen Seelenprinzip erkennen, wie Plutarch es versteht. Plutarch macht also verschiedene platonische Texte seiner eigenen Lehre von einer vorkosmischen, irrationalen Seele dienstbar. Damit entfernt er sich von der Richtschnur, die er zu Beginn des Traktats selbst polemisch gegen Crantor und Xenocrates aufstellt, nämlich nicht eigene Lehren zu vollstrecken, sondern etwas zu sagen, was mit Platon in Übereinstimmung ist.⁵⁵ Den Widerspruch der divergierenden Aussagen über den Status der Seele aufzulösen, ist aus dieser Perspektive nicht der Ausgangspunkt von Plutarchs Deutung, sondern ein Beweismittel, das er zugunsten seiner eigenen Deutung des platonischen Timaeus anführt, welche die dualistischen Tendenzen der platonischen Kosmologie verstärkt.⁵⁶ Diese Tendenz der Deutung Plutarchs zeigt sich vor allem in der Auswahl der Texte Platons, auf die Plutarch seine Kosmologie gründet. Die Klassifikation Plutarchs als des Vertreters einer wörtlichen Auslegung des Timaeus ist daher zu modifizieren.⁵⁷ Gleichwohl ist zu beachten, daß Plutarch selbst sich als treuer Exeget Platons versteht und seine Methode der Auslegung als den Weg betrachtet, der Lehre Platons, wie er sie versteht, Geltung zu verschaffen.

3.2. Der Mythos in Plt. 268d–274e als Hinweis auf einen Zustand vorkosmischer Unordnung Plutarch bezieht sich in seiner Beschreibung des vorkosmischen Zustandes wiederholt auf den Mythos des Politicus und verbindet diesen mit dem Weltentstehungsmythos des Timaeus. So fragt er in an. procr. 1015a, woher

⁵⁵ Siehe an. procr. 3 (1013b). Anders akzentuiert J. O 2004. ⁵⁶ Das spiegelt sich auch im Aufbau des Traktats wider. Den scheinbaren Widerspruch

aufzulösen und die verschiedenen Passagen in Übereinstimmung miteinander zu bringen, ist Bestandteil der Beweisführung, die Plutarch auf die Darlegung seiner Deutung folgen läßt. Plutarch folgt seiner Gliederung, die er in an. procr. 5 (1014a) angibt. Von 5 (1014a) bis 7 (1015f) legt er seine Deutung von Ti. 35ab dar. Dieser Abschnitt ist durch eine Inklusion gerahmt: ἔχει γὰρ οὕτως κατά γε τὴν ἐμὴν τὰ πράγματα δόξαν. (1014a); ἡ μὲν οὖν διάνοια τοιαύτη κατά γε τὴν ἐμὴν δόξαν τοῦ Πλάτωνος. (1015f). Danach folgt in 8 (1015f) als erster Beweis dieser Deutung (ἀπόδειξις δὲ πρώτη) die Auflösung des scheinbaren Widerspruchs. ⁵⁷ J. H 1937, 13.67 betrachtet den ›Buchstabenglauben‹ Plutarchs als eine Voraussetzung seiner Interpretation des Timaeus. Gegen diese Sichtweise hat sich bereits H. C 1976, 147 gewandt. Auch für Plutarchs Interpretation des Politicus trifft das analoge Urteil von H 1937, 25 nicht zu, wie sich zeigen wird.

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die – wie es im Politicus heißt – den Himmel umwendende und zurückrollende Notwendigkeit und ›angeborene Begierde‹ und ›das mit der alten Natur‹ vertraute, das an aller Unordnung Anteil hatte, bevor es zur jetzigen Kosmosordnung gelangte,

seinen Ursprung habe.⁵⁸ Plutarch ersetzt hier die in Plt. 272e6 erwähnte εἱμαρμένη durch ἀνάγκη, die er kurz zuvor als Bezeichnung des Timaeus für die irrationale Urseele einführte, und bezieht dadurch die Formulierungen des Politicus auf die vorkosmische Seele. Kurz darauf führt er in 1015d die Schilderung des Politicus vom Rückfall des Kosmos in den vorkosmischen Zustand an. Und indem die Zeit voranschreitet, sagt er [d. h. Platon], und Vergessen entsteht, hat in ihm [d. h. dem Kosmos] die Affektion der alten Disharmonie mehr Macht [Plt. 273c6– d1] und er ist in Gefahr, indem er aufgelöst wird in den Ort, der unbegrenzt an Ungleichheit ist [Plt. 273d6–e1], wieder zugrunde zu gehen.⁵⁹

Plutarch argumentiert, daß die Eigenschaften des vorkosmischen Zustandes nach dem Politicus – Teilhabe an Unordnung, Disharmonie und Ungleichheit – nicht aus der Materie erklärt werden können. Er schreibt sie deshalb in verschiedenen Passagen seines Traktates der irrationalen Urseele zu.⁶⁰ Wie in seiner Auslegung von Ti. 30a.52d–53b.69b⁶¹ so interpretiert Plutarch auch im Politicus die Beschreibung des vorkosmischen Zustandes als Beweis dafür, daß dieser vorkosmische Zustand durch eine irrationale Seele geprägt ist. Dabei fügt er Formulierungen des Timaeus und des Politicus zusammen, ja er weist die Terminologie des Timaeus (s. ἀνάγκη) als Wortlaut des Politicus aus. Der Wortlaut der beiden Dialoge bietet nun in der Tat mehrere Anknüpfungspunkte dafür, beide Mythen zusammenzulesen.⁶² Wie Plutarch beide ⁵⁸ An. procr. 6 (1015a): ἡ γὰρ ἀναστρέφουσα τὸν οὐρανόν, ὥσπερ ἐν Πολιτικῷ λέγεται, καὶ ἀνελίττουσα πρὸς τοὐναντίον ἀνάγκη καὶ »σύμφυτος ἐπιθυμία« καὶ »τὸ τῆς πάλαι ποτὲ φύσεως σύντροφον πολλῆς μετέχον ἀταξίας πρὶν εἰς τὸν νῦν κόσμον ἀφικέσθαι«, πόθεν ἐγγέγονε τοῖς πράγμασιν …; ⁵⁹ An. procr. 7 (1015d): … »προϊόντος δέ« φησι »τοῦ χρόνου καὶ λήθης ἐγγιγνομένης ἐν αὐτῷ μᾶλλον δυναστεύει τὸ τῆς παλαιᾶς ἀναρμοστίας πάθος« καὶ κινδυνεύει »διαλυθεὶς εἰς τὸν τῆς ἀνομοιότητος ἄπειρον ὄντα τόπον« δῦναι πάλιν. [Einfügungen in der Übersetzung von mir]. ⁶⁰ An. procr. 5 (1014b): ἀναρμοστία ψυχῆς; 33 (1029e): Unordnung und Verwirrtheit in den Bewegungen τῆς ἀναρμόστου καὶ ἀνοήτου ψυχῆς; 6 (1014d): die Urseele ist ἀπειρία; 21 (1022e): der Zustand der Urseele ist der Einfachheit und Gleichheit entgegengesetzt; 7 (1015e). ⁶¹ Siehe dazu das folgende Kapitel 3.3. ⁶² Beide führen die Ordnung des Kosmos auf den Vater und Demiurgen zurück (Plt. 273b1 f.; Ti. 28a6.c2), den vorkosmischen Zustand auf die Abwesenheit der göttlichen Ursache (Plt. 272e3–6; Ti. 53b3 f.). Beide charakterisieren den vorkosmischen Zustand als einen Zustand der Unordnung und Erschütterung (ἀταξία: Plt. 273b6; Ti. 30a5; σεισμός / σείεσθαι: Ti. 52e.53a; Plt. 273a3). Sowohl im Timaeus als auch im Politicus ist der vorkosmische Zustand »aus Notwendigkeit heraus« (ἐξ ἀνάγκης: Ti. 68e1; Plt. 269d2 f.). Vor dem Hintergrund der Deutung Plutarchs lassen sich noch mehr Berührungen zwischen Timaeus und Politicus feststellen, als bei P. F 1964, 216 f. oder H. J. K 1959, 220 f. gesammelt sind.

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mythischen Erzählungen miteinander verbindet, zeigt vor allem eine Passage in an. procr. 28 (1026ef), die den ersten Teil des Traktats beschließt. Plutarch bietet hier eine zusammenfassende Paraphrase des Politicus-Mythos. Dabei setzt er die zwei Perioden des Kosmos von Plt. 270b7 f. mit den zwei Umläufen der Erkenntnis in der Seele nach Ti. 36c gleich und ordnet den einen Umlauf dem irrationalen Seelenteil, den anderen Umlauf dem rationalen Seelenteil zu. Auf diese Weise gestaltet er aus dem Timaeus und dem Politicus seinen eigenen kosmologischen Mythos.⁶³ Plutarch geht von seinen Nachweisen aus, daß die geschaffene Weltseele aus zwei gegensätzlichen Teilen besteht: Von dieser doppelten Gemeinschaft ist auch die Natur am Himmel nicht losgelöst, sondern sich bald auf die eine, bald auf die andere Seite neigend, wird sie jetzt geradegerichtet durch den Umlauf des Selbigen, der ja die Übermacht hat und den Kosmos lenkt.⁶⁴

Mit der knappen Formulierung ἑτερορρεποῦσα νῦν μὲν ὀρθοῦται läßt Plutarch inhaltlich die Beschreibung der zwei Kosmosumläufe in Plt. 269c– d.270b anklingen und gibt zu verstehen, daß der Himmel zum gegenwärtigen Zeitpunkt (νῦν vgl. Plt. 270b) im gleichmäßigen Umlauf durch die göttliche Ursache geführt wird. Anstelle des göttlichen Steuermanns aus Plt. 272e (ὁ κυβερνήτης, vgl. an. procr. 1026e διακυβερνᾷ) nennt Plutarch jedoch den Umlauf des Selbigen (ἡ ταὐτοῦ περίοδος), was terminologisch zum Teil an Plt. 269c (αἱ περίοδοι) anknüpft, aber vor allem auf Ti. 36c (ἡ ταὐτοῦ [περι]φορά) zurückgeht. Dort heißt es außerdem von diesem Erkenntnisumlauf der Seele κράτος δ’ ἔδωκεν τῇ ταὐτοῦ καὶ ὁμοίου περιφορᾷ, worauf Plutarch anspielt, indem er das Stichwort κράτος übernimmt. Es ist also der rationale Teil der Weltseele, für Plutarch ein Teil des göttlichen Intellekts, der den gegenwärtigen Umlauf des Kosmos bestimmt. Plutarch faßt dann zusammen, wie sich der Umlauf des Kosmos in Abwesenheit des göttlichen Steuermanns umkehrt (vgl. Plt. 272e–273d): Es wird aber eine Periode der Zeit geben und ist schon oft gewesen, in welcher der vernünftige Seelenteil verdunkelt wird und einschläft, angefüllt mit Vergessen des ihm eigentümlichen, der Seelenteil aber, der mit dem Körper von Anfang an in vertrauter Verbindung und Wechselwirkung steht, den Wandel des Alls nach rechts aufhält und beschwert und wieder zurückrollt, ihn dabei aber nicht gänzlich zu zerstören vermag.⁶⁵ ⁶³ An. procr. 28 (1026ef). ⁶⁴ An. procr. 28 (1026e): Τῆς δὲ διπλῆς κοινωνίας ταύτης οὐδὲ ἡ περὶ τὸν οὐρανὸν ἀπήλ-

λακται φύσις, ἀλλὰ ἑτερορρεποῦσα νῦν μὲν ὀρθοῦται τῇ ταὐτοῦ περιόδῳ κράτος ἐχούσῃ καὶ διακυβερνᾷ τὸν κόσμον· ⁶⁵ An. procr. 28 (1026e): ἔσται δέ τις χρόνου μοῖρα καὶ γέγονεν ἤδη πολλάκις, ἐν ᾗ τὸ μὲν φρόνιμον ἀμβλύνεται καὶ καταδαρθάνει λήθης ἐμπιπλάμενον τοῦ οἰκείου τὸ δὲ σώματι σύνηθες ἐξ ἀρχῆς καὶ συμπαθὲς ἐφέλκεται καὶ βαρύνει καὶ ἀνελίσσει τὴν ἐν δεξιᾷ τοῦ παντὸς πορείαν ἀναρρῆξαι δ’ οὐ δύναται παντάπασιν, …

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Durch verschiedene Stichworte stellt Plutarch eine eindeutige Verbindung zum Politicus-Mythos her: ἀμβλύνεται / ἀμβλύτερον (Plt. 273b); λήθη (273c); ἀνελίσσει/ ἀνείλιξις (270d; 286b). Gleichzeitig trägt er seine Seelenlehre in die Erzählung des Politicus ein, indem er den rationalen Seelenteil, d. h. die ἀμέριστος οὐσία aus Ti. 35a, als Subjekt des Verdunkelns und des Vergessens aus Plt. 273bc auffaßt und in Übereinstimmung mit seiner bisherigen Auslegung des Mythos die εἱμαρμένη τε καὶ σύμφυτος ἐπιθυμία aus Plt. 272e mit dem irrationalen Seelenteil, d. h. der irrationalen Urseele, identifiziert. Während Plt. 273b die Körperlichkeit der Welt (τὸ σωματοειδὲς τῆς συγκράσεως) als Ursache für den Umschlag nennt, bezieht Plutarch diese Passage auf seine Auffassung, daß die Urseele stets mit der Substanz der Köper verbunden ist. Die Bezeichnung des geordneten und vernunftgemäßen Umlaufs des Alls als ›Wandel zur Rechten‹ (ἡ ἐν δεξιᾷ πορεία) geht wieder auf Ti. 36c zurück, wonach der Umlauf des Selbigen rechts herum (ἐπὶ δεξιά) gerichtet ist. Plutarch spricht also hier anhand des Politicus-Mythos, in den er seine Interpretation des Seelenlehre des Timaeus einträgt, von dem Zustand des Kosmos, der von der irrationalen Urseele dominiert wird. Dieser ist bereits in der Vergangenheit aufgetreten und ist auch für die Zukunft zu erwarten. Plutarch schließt seinen mythischen Abschnitt mit der Schilderung, wie Gott den entgegengesetzten Lauf des Kosmos wieder wendet. Zum besseren Verständnis ist es sinnvoll, diesem Satz eine Passage aus an. procr. 24 (1024cd) an die Seite zu stellen: Demgegenüber erholen sich die besseren Seelenteile wieder und blicken wieder auf zum Paradigma Gottes, wobei dieser sich mit herumwendet und mit lenkt.⁶⁶ Der Intellekt dagegen ist einerseits selbst beständig bei sich und unbewegt, andererseits, indem er in der Seele entsteht und herrscht, wendet er sie zu sich selbst und vollzieht mit ihr den kreisförmigen Umlauf um das ewig Beständige als einen, der am meisten das Seiende berührt.⁶⁷

Auffällig ist die Parallelität von göttlichem Paradigma und Intellekt. Sie läßt vermuten, daß Plutarch ähnlich anderen Platonikern das Paradigma, d. h. die Ideenwelt, mit dem göttlichen Intellekt identifiziert.⁶⁸ Beide Passagen enthalten Anklänge an den Politicus. Dort heißt es von dem kosmischen Steuermann, daß er den Lauf des Weltganzen wendet (στρέψας 273e2 vgl. Plutarch θεοῦ συνεπιστρέφοντος 1026f; ἐπιστρέφει 1024d) und mit ihm mitläuft und mitkreist (συμποδηγεῖ / συγκυκλεῖ 269c vgl. Plutarch θεοῦ συνεπιστρέφοντος καὶ συναπευθύνοντος 1026f; συμπεραίνει τὴν ἐγκύκλιον φοράν 1024d). 1024d läßt sich außerdem als Anspielung darauf verstehen, daß nach dem Politicus die ⁶⁶ An. procr. 28 (1026f): … ἀλλ’ ἀνήνεγκεν αὖθις τὰ βελτίω καὶ ἀνέβλεψε πρὸς τὸ παράδειγμα θεοῦ συνεπιστρέφοντος καὶ συναπευθύνοντος. ⁶⁷ An. procr. 24 (1024cd; Text in Anm. 44). ⁶⁸ Siehe dazu J. M. D 1977, 201.

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verschiedenen Perioden des Kosmos durch die Abwendung bzw. durch die Zuwendung des göttlichen Lenkers zum Kosmos entstehen. Für Plutarch ist es die Zuwendung des göttlichen Intellekts zur Seele, die zu einer Ausrichtung der Seele auf den göttlichen Intellekt führt und somit den Kosmos bestimmt. Ansonsten interpretiert Plutarch die Rückkehr des Kosmos zum geordneten Umlauf ganz im Sinne seiner Seelenlehre. Er versteht sie als eine mythische Beschreibung dafür, wie in der irrationalen Urseele der Intellekt entsteht. Diesen Vorgang drückt er in an. procr. 24 (1024d) in Anspielung auf Ti. 36a aus: Durch den Einfluß des göttlichen Intellekts entsteht in der Urseele der rationale Seelenteil, d. h. der Umlauf der Erkenntnis des Selbigen, der das Intelligible berührt (τὸ μένον ἀεί).⁶⁹ Indem dieser die Herrschaft in der Seele gewinnt (κρατήσας vgl. Ti. 36c7), wird die Seele insgesamt auf das Intelligible ausgerichtet und so zur rationalen Weltseele gestaltet. Eine gewisse Schwierigkeit stellt Plutarchs Aussage dar, daß der von der irrationalen Urseele dominierte Kosmoszustand schon oft gewesen und auch für die Zukunft zu erwarten sei (1026e). Denn alle anderen Verweise auf den Politicus innerhalb des Traktats zur Seelenbildung beziehen sich immer auf den Gegensatz zwischen einem einmaligen vorkosmischen Zustand und der geschaffenen Kosmosordnung. Außerdem läßt Plutarch nicht erkennen, daß er eine wiederkehrende zyklische Auflösung und Neubegründung der Kosmosordnung annimmt. Es kann nun zwar nicht gänzlich ausgeschlossen werden, daß Plutarch hier in an. procr. 28 (1026e) in den Vorstellungsbereich des Politicus-Mythos verfällt, ohne daß dem eine inhaltliche Bedeutung zukommt. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß Plutarch an dieser Stelle den PoliticusMythos nicht nur als eine Beschreibung des Übergangs von der irrationalen Unordnung zum vernunftbegabten Kosmos deutet, sondern aus ihm auch den bleibenden Widerstreit der Gegensätze ableitet, die aus diesem Ursprung des Kosmos herrühren.⁷⁰ Dafür spricht der Fortgang des Gedankens in 1027a. Diese Deutung des Politicus findet sich sonst vor allem bei den Platonikern, die eine zeitliche Interpretation des Schöpfungsgeschehens ablehnen.⁷¹ Aber auch Plutarch kann den Politicus-Mythos in genau diesem Sinne deuten, wie Is. 369bd zeigt.⁷² Es legt sich daher nahe, daß Plutarch in an. procr. 28 (1026e) den Gedankengang des unmittelbar vorangehenden Kapitels 27 (1026a–e) abschließt, in dem er die dualistische Struktur der Weltseele und deren Auswirkung auf den Kosmos behandelt. Mit Hilfe des Mythos führt er am Ende ⁶⁹ Τὸ μένον ἀεί ist für Plutarch ein Attribut der ἀμέριστος οὐσία, um die nach Ti. 37a der Umlauf des Selbigen kreist. ⁷⁰ Ähnlich interpretiert auch J. M. D 1977, 205. Der Politicus-Mythos in an. procr. diene dazu, »to emphasize the continued presence of the disorderly soul in the world«. ⁷¹ Siehe z. B. Celsus bei Origenes, Cels. 4,65. Weitere Belege bei H. D / M. B 1996, 462 Anm. 3. ⁷² Zu Plutarchs Dualismus siehe Kapitel 5.

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des ersten Hauptteils seines Traktats diese dualistische Struktur auf die Bedingungen ihrer realen Entstehung zurück, die er in seiner Auslegung von Ti. 35ab dargelegt hat.

3.3. Die Auslegung von Ti. 30a und 52d–53b im Sinne eines Zustandes vorkosmischer Unordnung Plutarchs Annahme eines vorkosmischen Zustandes hat auch Anknüpfungspunkte am Text des platonischen Timaeus. So ist in Ti. 30a2–6 und 52e1– 5.53a7–b4 von einem Zustand der irrenden und ungeordneten Bewegung der Materie vor der Erschaffung des Kosmos die Rede. Ausgehend von diesen Texten kommt Plutarch zu seiner Auffassung, daß vor der Entstehung des Kosmos Unordnung war, Unordnung aber nicht unkörperlich oder unbewegt oder unbeseelt, sondern eine, die Körperlichkeit, ungestaltet und unzusammenhängend, sowie Beweglichkeit, irrational und wankelmütig, hat. Dieses aber war die Disharmonie einer Seele, die keine Rationalität besitzt⁷³.

Die Einwirkung des göttlichen Demiurgen auf diesen vorkosmischen Zustand faßt Plutarch kurz darauf folgendermaßen zusammen: Gott nämlich richtete die Materie nicht auf aus der Erstarrung, sondern ließ sie stillstehen, als sie durcheinandergebracht wurde von der irrationalen Ursache. Auch legte er der Natur die Prinzipien der Veränderung nicht bei, sondern entnahm aus ihr, die in mannigfaltigen Affektionen und Veränderungen war, die große Unbegrenztheit und Fehlerhaftigkeit, wobei er Harmonie, Proportion und Zahl als Werkzeuge benutzte.⁷⁴

Daß das, was dem Demiurgen vor der Erschaffung der Welt vorlag, sichtbar war, liest Plutarch als einen Beleg dafür, daß bereits Körperlichkeit existierte.⁷⁵ Er versteht daher die Materie als ›Körper schlechthin‹ (σῶμα ἁπλῶς), der Masse und Ausdehnung besitzt, aber noch ungeformt ist. Abgesehen von ihrer Ausdehnung hat diese Materie keine wesentlichen Eigenschaften und keine ⁷³ An. procr. 5 (1014b): ἀκοσμία γὰρ ἦν τὰ πρὸ τῆς τοῦ κόσμου γενέσεως, ἀκοσμία δ’ οὐκ ἀσώματος οὐδ’ ἀκίνητος οὐδ’ ἄψυχος ἀλλ’ ἄμορφον μὲν καὶ ἀσύστατον τὸ σωματικὸν ἔμπληκτον δὲ καὶ ἄλογον τὸ κινητικὸν ἔχουσα· τοῦτο δ’ ἦν ἀναρμοστία ψυχῆς οὐκ ἐχούσης λόγον. ⁷⁴ An. procr. 7 (1015e): οὐδ’ ἀρχὰς τῇ φύσει μεταβολῆς καὶ παθῶν παρέσχεν, ἀλλ’ οὔσης ἐν πάθεσι παντοδαποῖς καὶ μεταβολαῖς ἀτάκτοις ἐξεῖλε τὴν πολλὴν ἀοριστίαν καὶ πλημμέλειαν ἁρμονίᾳ καὶ ἀναλογίᾳ καὶ ἀριθμῷ χρώμενος ὀργάνοις, … ⁷⁵ Für den engen Zusammenhang zwischen Sichtbarkeit und Körperlichkeit siehe Ti. 28b.31b und z. B. Alkinoos, Intr. 12 (167,27 f. Hermann / Whittaker); 13 (168,10 f.). Ähnlich, aber mit einem anderen Ziel argumentiert später Porphyrius bei Johannes Philoponus, Procl. 6,14 (165,7–16 Rabe) = Porphyrius, frg. 49 (33 Sodano); ähnlich Procl. 14,3 (546,25– 547,7). Siehe dazu Kapitel A V 2.2.

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eigentümliche Potenz.⁷⁶ Diese Charakterisierung der Materie steht in der Nähe zum stoischen Begriff der Materie. Indem Plutarch die Materie als σῶμα ἄμορφον bezeichnet, lehnt er sich auch an stoische Terminologie an.⁷⁷ Er greift außerdem eine ihm bekannte stoische Definition der Materie auf, wenn er die Materie in an. procr. 6 (1015a) als τὸ ἄποιον καὶ ἀργὸν ἐξ ἑαυτοῦ καὶ ἀρρεπές beschreibt.⁷⁸ Offensichtlich interpretiert Plutarch in De animae procreatione die platonische χώρα bzw. ὑποδοχή im Sinne des stoischen Begriffs.⁷⁹ Allerdings trifft Plutarch auch Aussagen, die mit dieser Bestimmung der Materie nicht vereinbar sind.⁸⁰ Das legt die Vermutung nahe, daß die betonte Verwendung des stoischen Konzepts im vorliegenden Traktat Plutarchs Gedankengang und Intention in dieser Schrift geschuldet ist, die irrationale Urseele und nicht die Materie als Prinzip der Unordnung und des Übels zu präsentieren. Diese Vermutung bestätigt sich, wenn man die Schlußfolgerung betrachtet, die Plutarch aus dieser Auffassung von der Materie für die Auslegung des Timaeus zieht. Eine Materie, die zwar körperlich, aber zugleich frei von aller Differenzierung und träge ist, kann die Bewegung im vorkosmischen Zustand nicht erklären. Wenn die Kräfte, welche die Materie nach Ti. 52e erfüllen, nicht ihr selbst zugeschrieben werden können, müssen sie einen anderen Ursprung haben. Indem Plutarch Ti. 30a.52d–53b vor dem Hintergrund der ⁷⁶ Nach Plutarch, an. procr. 9 (1017a) ist Gott nicht Schöpfer und Vater der Körperlichkeit an sich, des Volumens bzw. der Masse sowie der Materie; diese existieren ungeworden. In 6 (1014e) heißt es von der Materie: καὶ γὰρ τὸ πανδεχὲς καὶ ὑλικὸν ἐκεῖνο μέγεθος μὲν ἐκέκτητο καὶ διάστημα καὶ χώραν, … In 6 (1014f) legt Plutarch Platon folgende Aussage über die Materie in den Mund, die sich auf Ti. 50b–51a berufen kann: … τὸ τὴν ὕλην ἀεὶ μὲν ἄμορφον καὶ ἀσχημάτιστον … καὶ πάσης ποιότητος καὶ δυνάμεως οἰκείας ἔρημον … Es folgt das Gleichnis vom geruchslosen Öl, das die Salbenhersteller benutzen (Ti. 50e5–8). Ähnlich betont Plutarch in an. procr. 7 (1015c), daß schon Platon die Materie von aller Differenzierung befreite. Auch Alkinoos, Intr. 8 charakterisiert die Materie mit ähnlichen Attributen, bezeichnet sie jedoch ausdrücklich nicht als Körper. ⁷⁷ Plutarch, plat. quaest. 4 (1003a). Vgl. damit SVF II 311 (112,39–41 von Arnim); 320 (115,23); 326 (116,26 f.). ⁷⁸ Diese Definition führt er auch in seinen gegen die Stoiker gerichteten Schriften, Stoic. 43 (1054a) und comm. not. 34 (1076cd), an. Siehe dazu H. C 1976, 792 Anm. c. Es kann daher nicht sinnvoll bestritten werden, daß die stoische Definition der Materie auf Plutarchs Terminologie in an. procr. 6 (1014f) gewirkt hat (gegen J. H 1937, 22). ⁷⁹ Die Vermischung von platonischen und stoischen Bezeichnungen der Materie ist in 6 (1014f) gut sichtbar. ⁸⁰ Siehe z. B. an. procr. 3 (1013c) und plat. quaest. 3,1 (1001de), wo Plutarch die platonische Vorstellung referiert, daß die Materie erst durch die Teilhabe an der intelligiblen Form sichtbar und tastbar, also körperlich wird. Trotzdem nennt er in an. procr. 1013c die vorkosmische Materie eine körperliche Wesenheit (σωματικὴ οὐσία). Daß Plutarch die Materie in an. procr. als Körper und zugleich als frei von Differenzierung beschreibt, widerspricht plat. quaest. 3,2 (1002d). Hier nennt er die Freiheit von Differenzierung als Merkmal der νοητά, während es die Eigenschaft von Körpern ist, Differenzierung und Ungleichheit aufzuweisen. Indem Plutarch in an. procr. die völlige Unbestimmtheit der Materie behauptet, will er verhindern, daß die Materie an sich in irgendeiner Weise als Prinzip des Bösen aufgefaßt wird, das er in der irrationalen Urseele sieht.

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stoischen Vorstellung von der Materie liest, gelangt er zu der Schlußfolgerung, für den vorkosmischen Zustand eine andere Ursache der Differenzierung und Bewegung anzunehmen. Die Fähigkeit zu bewegen schreibt Plutarch auf der Grundlage von Phdr. 245c5–246a4 aber allein einer Seele zu. Er führt daher die vorkosmische Urseele ein. Auf diese Seele führt er die ungeordnete Bewegung im vorkosmischen Zustand zurück, indem er sie in an. procr. 9 (1016c) unter deutlichen Anspielungen auf Ti. 30a3–5 die Seele nennt, »die vor der Entstehung des Kosmos alles irrend und ungeordnet bewegte«⁸¹. Die einander unähnlichen und unausgeglichenen Kräfte, von denen Ti. 52e spricht, sind für Plutarch Ausdruck des Wesens dieser Seele, das ohne Maß ist und von Unähnlichkeit und Streit mit sich selbst geprägt ist. Plutarch unterscheidet für den vorkosmischen Zustand zwischen der Materie, d. h. der ungeformten Körperlichkeit, und der Seele, die Prinzip der ungeordneten Bewegung ist. Gleichwohl betont er, daß sie in ewiger und stetiger Verbindung miteinander stehen.⁸² Denn nur so kann er die ewige, ungeordnete Bewegung der Körperlichkeit im vorkosmischen Zustand erklären. Die Frage der Koexistenz von Materie und Seele im vorkosmischen Zustand behandelt Plutarch auch in plat. quaest. 4. Hier hält er fest, daß »Seele ohne Intellekt und ungestalteter Körper ewig miteinander koexistieren und keines von ihnen Entstehung oder Ursprung hat«⁸³. Plutarch stützt diese Behauptung, indem er sie aus einem zentralen platonischen Lehrsatz ableitet: Wie der Intellekt immer zugleich mit Seele existiert (Ti. 30b3–5), so existieren auch Seele und Körper immer gemeinsam. Dieser Schluß, der keinen Anhalt am Text des Timaeus hat und Platons Lehre von der Seele sogar widerspricht,⁸⁴ dient Plutarch allein dazu, seine Lehre der Verbindung von vorkosmischer Seele und Materie durch Platon selbst zu sanktionieren. Einen Blick auf Plutarchs Vorstellung vom vorkosmischen Zustand gestattet schließlich eine umstrittene Passage in an. procr. 23 (1024ab), die ebenfalls auf Ti. 52 f. und verwandte Texte anspielt.⁸⁵ Plutarch leitet an dieser Stelle die Existenz der irrationalen Seelenbewegung aus dem sinnlichen Wahrnehmungsvermögen der Seele ab. Dabei kommt er auf den vorkosmischen Zustand zu sprechen und verortet in ihm den Ursprung dieses Vermögens. ⁸¹ An. procr. 9 (1016c): … ψυχὴν τὴν πρὸ τῆς κόσμου γενέσεως πλημμελῶς πάντα καὶ ἀτάκτως κινοῦσαν … ⁸² Siehe plat. quaest. 4 (1003a); an. procr. 28 (1026e), wo Plutarch unter Anspielung auf Platon, Plt. 73b4 f. den irrationalen Seelenteil bezeichnet als τὸ … σώματι σύνηθες ἐξ ἀρχῆς καὶ συμπαθές; in an. procr. 23 (1024a) nennt Plutarch die irrationale Seele τὴν δοξαστικὴν … καὶ συμπαθῆ τῷ αἰσθητῷ κίνησιν. Diese stetige Verbindung ist auch überall dort vorausgesetzt, wo Plutarch die bewegte Materie im Blick hat (dazu W. D 1983, 237 Anm. 3). ⁸³ Plat. quaest. 4 (1003a; Text in Anm. 20). ⁸⁴ Siehe zu dieser Interpretation Plutarchs H. C 1976, 48 Anm. b. ⁸⁵ Interpretationen dieser Passage finden sich z. B. bei J. H 1937, 29–31; W. D 1983, 17–26, der gründlich die Stellung dieser Passage in ihrem Kontext analysiert.

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Die Natur nämlich, als sie das Vernünftige besaß, hatte auch das Meinungsbildende, allerdings ersteres unbewegt und unempfänglich für Eindrücke und bei dem ewig dauerhaften Sein weilend, letzteres aber geteilt und irrend, weil es in Verbindung mit der Materie steht, die fortgerissen wird und in Zerstreuung ist. Das sinnlich Wahrnehmbare nämlich besaß keine Ordnung, sondern war ungestaltet und unbegrenzt und die ihm zugeordnete [seelische] Kraft hatte weder artikulierte Meinung noch Bewegungen, die alle geordnet waren, sondern die meisten waren Träumen ähnlich und taumelnd und brachten das Körperliche in Unordnung, soweit als es nicht durch Zufall dem besseren anheim fiel. Denn sie war in der Mitte von beiden und hatte eine Natur, die für beides empfänglich und beidem verwandt ist, mit der sinnlichen Wahrnehmung nach der Materie strebend und mit dem Urteilsvermögen zu den Intelligibilia strebend.⁸⁶

Der Anfang dieser Passage wirft die Schwierigkeit auf, was Plutarch hier mit ἡ φύσις meint. Harold Cherniss und nach ihm Werner Deuse vermuten aus inhaltlichen Gründen, daß Plutarch damit ›the precosmic state‹⁸⁷ bzw. ›das vorkosmische Sein‹⁸⁸ bezeichne. Diese Vermutung läßt sich nun durch die Beobachtung stützen, daß Plutarch mit der Bezeichnung einer φύσις die Terminologie des Politicus aufgreift, in dem Platon von τὸ ἐν τῇ τότε φύσει γεννώμενον (271a4 f.) bzw. τὸ τῆς πάλαι ποτὲ φύσεως σύντροφον (273b4 f.) spricht und dabei auf einen Zustand des Kosmos weist, in dem der Einfluß des Intellekts geschwunden ist und das Weltganze in Unordnung verfällt. Die Bedeutung des Politicus für Plutarchs Auslegung des Timaeus wurde bereits herausgearbeitet. Für den vorliegenden Zusammenhang genügt es daher, darauf hinzuweisen, daß Plutarch Plt. 273b4 f. in an. procr. 6 (1015a) wörtlich zitiert, um den vorkosmischen Zustand zu beschreiben, und auch in 7 (1015e) den Zustand ungeordneter Bewegung vor der Entstehung des Kosmos als φύσις bezeichnet. Der vorkosmische Zustand besitzt nach an. procr. 23 (1024a) ein νοερόν sowie ein δοξαστικόν, das in Verbindung mit der Materie steht.⁸⁹ Die näheren Bestimmungen dieser beiden Größen zeigen, daß es sich bei ihnen um die zwei Seelenbestandteile handelt, die Plutarch aus Ti. 35ab erhoben hat. Das intelligible Ordnungsprinzip und die irrationale vorkosmische Seele sind hier als die ⁸⁶ An. procr. 23 (1024ab): τὸ γὰρ νοερὸν ἡ φύσις ἔχουσα καὶ τὸ δοξαστικὸν εἶχεν ἀλλ’ εἰκεῖνο μὲν ἀκίνητον ἀπαθὲς καὶ περὶ τὴν ἀεὶ μένουσαν ἱδρυμένον οὐσίαν τοῦτο δὲ μεριστὸν καὶ πλανητόν, ἅτε δὴ φερομένης καὶ σκεδαννυμένης ἐφαπτόμενον ὕλης. οὔτε γὰρ τὸ αἰσθητὸν εἰλήχει τάξεως ἀλλ’ ἦν ἄμορφον καὶ ἀόριστον, ἥ τε περὶ τοῦτο τεταγμένη δύναμις οὔτε δόξας ἐνάρθρους οὔτε κινήσεις ἁπάσας εἶχε τεταγμένας ἀλλὰ τὰς πολλὰς ἐνυπνιώδεις καὶ παραφόρους καὶ ταραττούσας τὸ σωματοειδές, ὅσα μὴ κατὰ τύχην τῷ βελτίονι περιέπιπτεν· [Einfügung in der Übersetzung von mir]. ⁸⁷ H. C 1976, 228 Anm. c. ⁸⁸ W. D 1983, 22. ⁸⁹ Daß die meinungsbildende Instanz, d. h. die Urteilsinstanz, welche die irrationale Urseele in die Seelenmischung einbringt, in enger Verbindung zur Materie steht, bringt Plutarch auch dadurch zum Ausdruck, daß er die Attribute der Materie (vgl. φερομένης; σκεδαννυμένης) auf die Attribute des δοξαστικόν (μεριστόν; πλανητόν) bezieht. Siehe dazu H. C 1976, 229 Anm. h.

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zwei Urteilsinstanzen der Seele angesprochen, die jeweils für sich bereits im vorkosmischen Zustand existieren. Die Materie, die Plutarch hier im wahrnehmungstheoretischen Kontext als αἰσθητόν bezeichnet, charakterisiert er erneut als ungestaltet, begrenzt und körperlich. Die Wirkung der ihr zugeordneten Kraft, d. h. der irrationalen Seele als der Instanz sinnlicher Wahrnehmung, besteht in Übereinstimmung mit Plutarchs bisheriger Auslegung von Ti. 30a.52d–53b darin, die Materie zu erschüttern und in Unruhe zu versetzen. Obwohl Plutarch nicht exakt das Vokabular des Timaeus benutzt, um die Auswirkung der irrationalen Seelenbewegung auf die Materie zu beschreiben, zeigt der letzte Halbsatz der Passage (ὅσα μὴ κατὰ τύχην τῷ βελτίονι περιέπιπτεν) deutlich, daß mit Ti. 69b6 immer noch der Timaeus im Hintergrund steht.⁹⁰ Plutarch verändert allerdings den Gedankengang des Timaeus in charakteristischer Weise. Platon spricht in Ti. 52d–53b.69a davon, daß in der Materie gewisse undeutliche Spuren der Elemente vorliegen, durch welche sie in Erschütterung gerät. Sie gehen darauf zurück, daß die Materie in einigen ihrer Bereiche zufällig einen unbeständigen Anteil an Maß und Proportion erhält. Plutarch dagegen legt dar, daß im vorkosmischen Zustand die Materie durch die ungeordneten bzw. undeutlichen Bewegungen und Vorstellungen der Urseele in Unruhe versetzt wird. Davon ausgenommen sind die Momente, in denen die Urseele durch Zufall das bessere Sein, d. h. das Intelligible berührt. Als Folge dieser Berührung von Urseele und Intelligiblem beschreibt Plutarch in an. procr. 24 (1024c), daß die Seele »hier die Abbilder von dort verbreitet«⁹¹. Unter Abbildern (εἰκόνες) versteht Plutarch die Proportionen und Zahlenverhältnisse, die den sichtbaren Körpern innewohnen.⁹² Eine zufällige und unbeständige Einkörperung dieser Abbilder in die Materie führt zu nichts anderem als den Spuren der Elemente, von denen Ti. 52d–53d.69b handelt. Plutarch gibt den Gedankengang des Timaeus also weitgehend sinngemäß wieder. Allerdings modifiziert er ihn in entscheidender Weise, indem er die Urseele als zufällige Vermittlerin der unbeständigen Maße und Proportionen im vorkosmischen Zustand einführt. Die Möglichkeit der irrationalen Seele, im vorkosmischen Zustand zufällig in Kontakt mit dem Intelligiblen zu treten, begründet Plutarch in 1024b abschließend damit, daß er der irrationalen Seele eine mittlere Stellung zwischen Körperlichem und Intelligiblem zuweist:

⁹⁰ In Ti. 69b5 f. heißt es vom ungeordneten Zustand vor der Erschaffung des Kosmos: τότε γὰρ οὔτε τούτων [sc. συμμετρίας καὶ ἀναλογίας C. K.], ὅσον μὴ τύχῃ … τι μετεῖχεν. Daß Plutarch auf diesen Text anspielt, hat erstmals J. H 1937, 31 f. gesehen und damit den Schlüssel zum Verständnis der Passage zur Verfügung gestellt. ⁹¹ An. procr. 24 (1024c): … διαδιδοῦσαν ἐνταῦθα τὰς ἐκεῖθεν εἰκόνας. ⁹² Siehe an. procr. 33 (1029de).

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Denn sie war in der Mitte von beidem und hatte eine Natur, die für beides empfänglich und beidem verwandt ist, mit der sinnlichen Wahrnehmung nach der Materie strebend und mit dem Urteilsvermögen zu den Intelligibilia strebend.⁹³

Diese Behauptung erstaunt zunächst, da doch eigentlich erst die rationale Weltseele eine mittlere Wesenheit zwischen Intellekt und Körper darstellt. Sie wird daher oft als eine Inkonsequenz Plutarchs angesehen, die aus seinem Versuch entspringe, das vorkosmische Chaos in Ti. 52d–53b wörtlich zu interpretieren. Dabei gerate er in Widerspruch zu seiner eigenen Konzeption einer ungeordneten, irrationalen Urseele.⁹⁴ Plutarchs Aussage über die mittlere Stellung der Urseele in 1024b läßt sich in seine sonstige Konzeption jedoch durchaus einfügen. Sie spiegelt genau jene Ambivalenz wider, die auch in anderen Aussagen über die Urseele sichtbar wird. So schreibt Plutarch bereits in 1022f der Urseele eine Natur zu, die der Teilhabe am Intelligiblen fähig ist.⁹⁵ Letztlich darf der zufällige Kontakt der Urseele zum Intelligiblen nicht überbewertet werden. Denn alles, was κατὰ τύχην geschieht, ist per definitionem durch Irrationalität und Unbeständigkeit gekennzeichnet. Aus der zufälligen und daher unbeständigen Verbindung von Urseele und intelligiblem Prinzip kann daher nichts Vernunftgemäßes und Beständiges hervorgehen. Es zeigt sich, daß Plutarchs Ausführungen zum vorkosmischen Zustand auf die Auslegung von Ti. 30a.52d–53b.69b zurückgehen. Wie der Argumentationsgang von an. procr. 23 f. (1024a–d) zeigt, ist diese Auslegung die Grundlage dafür, daß Plutarch neben der Materie und dem Intelligiblen die irrationale Urseele als die dritte Größe im vorkosmischen Zustand postuliert. Auch sie ist ewig und ungeworden und hat somit den Status eines Prinzips. Diese Prinzipientrias aus körperlich aufgefaßter Materie, irrationaler Urseele und intelligibler Wesenheit führt Plutarch auf Platon selbst zurück, indem er die Erwähnung der drei Genera Seiendes, Raum und Werden in Ti. 52d2–4 folgendermaßen auslegt: Raum nun nennt er die Materie, wie sie manchmal Wohnsitz und Tempel ist; Seiendes aber das Intelligible; Werden schließlich, da der Kosmos noch nicht entstanden war, ist nichts anderes als die Wesenheit in Veränderungen und Bewegungen.⁹⁶ ⁹³ An. procr. 23 (1024b): ἐν μέσῳ γὰρ ἦν ἀμφοῖν καὶ πρὸς ἀμφότερα συμπαθῆ καὶ συγγενῆ φύσιν εἶχε, τῷ μὲν αἰσθητικῷ τῆς ὕλης ἀντεχομένη τῷ δὲ κριτικῷ τῶν νοητῶν. Dieser Satz bezieht sich auf die irrationale Urseele in ihrer Funktion als sinnlich wahrnehmende Instanz (so auch H. C 1976, 230 Anm. d). Mit dieser Aussage verwandt ist die Bezeichnung der irrationalen Seelenbewegung in 24 (1024c): … τὴν ἐν μεταβολαῖς καὶ κινήσεσιν οὐσίαν, τοῦ τυποῦντος καὶ τοῦ τυπουμένου μεταξὺ τεταγμένην, διαδιδοῦσαν ἐνταῦθα τὰς ἐκεῖθεν εἰκόνας. ⁹⁴ So urteilt vor allem H. C 1976, 230 Anm. e sowie 232 Anm. c. ⁹⁵ Nach an. procr. 21 (1022f) kann man die irrationale Urseele im Gegenüber zum intelligiblen höheren Sein ὕλην ὡς καὶ ὑποκειμένην ἐκείνῃ καὶ μεταληπτικὴν ἐκείνης φύσιν nennen. ⁹⁶ An. procr. 24 (1024c): χώραν τε γὰρ καλεῖ τὴν ὕλην ὥσπερ ἕδραν ἔστιν ὅτε καὶ ὑποδοχήν, ὂν δὲ τὸ νοητόν, γένεσιν δὲ τοῦ κόσμου μήπω γεγονότος οὐδεμίαν ἄλλην ἢ τὴν ἐν μεταβολαῖς καὶ κινήσεσιν οὐσίαν, τοῦ τυποῦντος καὶ τοῦ τυπουμένου μεταξὺ τεταγμένην, …

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Diese drei Prinzipien liegen bereits im vorkosmischen Zustand vor. Da das intelligible Prinzip aber hier ausschließlich auf sich selbst bezogen ist und keine Wirkung auf die anderen Prinzipien ausübt,⁹⁷ ist dieser Zustand insgesamt chaotisch und ungeordnet.⁹⁸ 3.4. Ti. 53b5–7 als Ausgangspunkt für Plutarchs Konzeption von Entstehen und Erschaffen Das vorangehende Kapitel zeigte, daß Plutarch in De animae procreatione Materie, irrationale Seele und intelligible Wesenheit als die drei Prinzipien präsentiert, aus denen der Kosmos entsteht. Plutarch betrachtet dabei die Materie (σῶμα ἁπλῶς) und die Urseele (ψυχὴ ἁπλῶς) als die zugrunde liegenden, ungeordneten und gestaltlosen Substanzen (οὐσίαι),⁹⁹ auf die das intelligible Prinzip einwirkt. Er benutzt dabei den Begriff der οὐσία nicht nur bezogen auf die körperliche Materie, sondern verwendet ihn im Sinne eines weitergefaßten aristotelischen ὑποκείμενον. In ähnlicher Weise definiert er auch ὕλη in einem umfassenderen Sinne als ὑποκειμένη καὶ μεταληπτικὴ φύσις.¹⁰⁰ Indem Plutarch die drei Prinzipien in dieser Weise aufeinander bezieht, gibt er zu erkennen, welches Konzept von Entstehen er vertritt. Denn nicht aus dem Nichtseienden ist das Entstehen, sondern aus dem, was in keinem schönen und tüchtigen Zustand ist, wie im Falle der Entstehung eines Hauses und eines Gewandes und einer Statue.¹⁰¹

Plutarch nimmt hier unter deutlichen terminologischen Anleihen die Konzeption des Timaeus auf, die Platon in Ti. 53b5–7 als eine seiner Grundbehauptungen formuliert,¹⁰² und illustriert sie durch Beispiele aus der platonisch-aristotelischen Tradition, welche die Entstehung aus einem zugrunde liegenden, Plutarch deutet an dieser Stelle Ti. 53b2–4 als Aufzählung der drei vorkosmischen Prinzipien. Das entspricht keineswegs Platons Gedankengang, der das dritte Genus (Werden) als Resultat des Zusammenwirkens der beiden anderen Genera versteht, was er mit dem Bild der Trias Vater, Mutter, Nachkomme illustriert. In Is. 53 (372f) und 55 (373e) deutet Plutarch die Passage in einer Platon entsprechenderen Weise. Siehe dazu H. C 1976, 232 Anm. c. ⁹⁷ Siehe an. procr. 24 (1024cd) über die beiden Zustände des Intellekt. ⁹⁸ Angesichts des Gegensatzes, den Plutarch zwischen der Unordnung und Irrationalität des vorkosmischen Zustands einerseits und der Ordnung und Harmonie des Kosmos durch die Einwirkung des göttlichen Intellekts andererseits sieht, ist unverständlich, wie P. T 1938, 102 formulieren kann, »le chaos porte en lui tout l’essentiel du cosmos actuel, il lui manque simplement l’ordre«. ⁹⁹ Siehe den Gebrauch von οὐσία in an. procr. 5 (1014bc). ¹⁰⁰ Siehe an. procr. 21 (1022e). In diesem Sinne ist ὕλη in plat. quaest. 8,4 (1007c) gebraucht: ὕλη χρόνου. ¹⁰¹ An. procr. 5 (1014b): οὐ γὰρ ἐκ τοῦ μὴ ὄντος ἡ γένεσις ἀλλ’ ἐκ τοῦ μὴ καλῶς μηδὲ ἱκανῶς ἔχοντος, ὡς οἰκίας καὶ ἱματίου καὶ ἀνδριάντος. ¹⁰² Ti. 53b5–7: τὸ δὲ ᾗ δυνατὸν ὡς κάλλιστα ἄριστά τε ἐξ οὐχ οὕτως ἐχόντων τὸν θεὸν αὐτὰ συνιστάναι, παρὰ πάντα ἡμῖν ὡς ἀεὶ τοῦτο λεγόμενον ὑπαρχέτω·

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ungeformten Stoff veranschaulichen sollen.¹⁰³ Im Falle der Entstehung des Kosmos ist der zugrunde liegende ›Stoff‹ die vorkosmische Unordnung, die in der Verbindung von Materie und Urseele besteht. Plutarch erläutert in der vorliegenden Passage an. procr. 5 (1014b) seinen Begriff des Entstehens, um die Existenz einer Urseele als der zugrunde liegenden, ungewordenen Substanz der Weltseele plausibel zu machen. Zu diesem Zweck leitet er aus der Behauptung, daß der Kosmos nicht aus dem Nichtseienden entsteht, ab, daß die Substanz und Materie des Kosmos nicht geworden ist, sondern »ewig dem Demiurgen zur Verfügung steht und sich ihm darreicht zur Zusammenstellung und Ordnung und zur Verähnlichung an ihn, soweit es möglich ist.«¹⁰⁴ Plutarchs Argumentation ist für seine Leser schlüssig, da eine Entstehung aus dem Nichts allgemein für unvereinbar mit dem Begriff des Entstehens gehalten wird.¹⁰⁵ Dieser Grundsatz verbindet nach Sextus Empiricus alle dogmatischen Philosophen, die ansonsten in allen wesentlichen Fragen uneins sind.¹⁰⁶ Plutarch weist im Fortgang seines Traktats erneut darauf hin, daß Platon selbst lehre, als was man Entstehen zu verstehen habe, nämlich – wie Ti. 53a8–b5 oder 32a7–b7 zeigen – als die Ordnung und Harmonisierung eines ungeordneten und maßlosen Zustandes mit Hilfe von Formen, Zahlen und Proportionen.¹⁰⁷ Dieses Konzept liegt Plutarchs Interpretation der Weltseelenbildung nach Ti. 35ab zugrunde, nach der die Weltseele durch Harmonisierung, Begrenzung und Ordnung aus der irrationalen Urseele entsteht. Die irrationale Urseele fungiert dabei als ungeordnete Materie und Substanz der Weltseele. Das gleiche Konzept begegnet in den Ausführungen über die Entstehung der Zeit, die Plutarch als Aktivität der rationalen Weltseele versteht: Sie wird Zeit genannt, insofern sie »Bewegung und Ordnung selbst und Sym¹⁰³ Siehe zu diesen Beispielen Aristoteles, Metaph. 7,3 (1029a5); Ph. 1,7 (191a9). ¹⁰⁴ An. procr. 5 (1014b): [τὴν δ’ οὐσίαν καὶ ὕλην, ἐξ ἧς γέγονεν, οὐ γενομένην ἀλλὰ] ὑπο-

κειμένην ἀεὶ τῷ δημιουργῷ εἰς διάθεσιν καὶ τάξιν αὑτὴν καὶ πρὸς αὐτὸν ἐξομοίωσιν ὡς δυνατὸν ἦν ἐμπαρασχεῖν. Plutarch spielt hier auf Ti. 29e3–30a3 an. In ähnlichen Formulierungen referiert auch Origenes die platonische Lehre von der Materie im Rahmen seiner Auslegung von Gen 1,2 (dazu Kapitel B I 4.1.2.b). ¹⁰⁵ Siehe dazu Aristoteles, Ph. 1,4 (187a27–29.34 f.); 1,8 (191b13–14); Calcidius, in Ti. 293 (296,5 f. Waszink) referiert eine stoische Argumentation, die die Unvergänglichkeit der Materie begründet: … quia philosophorum omnium commune dogma est neque quid fieri ex nihilo nec in nihilum interire. Auf den gleichen Grundsatz beruft sich auch die Argumentation in in Ti. 292 (295,2 f.); 313 (312,4 f.). Den Grundsatz vertreten bereits die Vorsokratiker und später auch Epikur und seine Anhänger (siehe die Belege im Testimonienapparat zu Calcidius ad loc.). Plutarch selbst verweist darauf, daß die Rede von einer Entstehung aus dem Nichts παρανόμως geschieht. Er beruft sich auf den Grundsatz häufig im Rahmen einer polemischen reductio ad absurdum: z. B. an. procr. 6 (1015b) gegen die stoische Lehre von der Ursache des Übels. ¹⁰⁶ Sextus Empiricus, P. 3,148 (154,16–22 / 173 f. Mutschmann / Mau). ¹⁰⁷ Siehe an. procr. 9 (1016ef).

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metrie« ist.¹⁰⁸ Diese κίνησις ἐν τάξει entsteht aus der κίνησις ἁπλῶς, der unbegrenzten Bewegung des vorkosmischen Zustands, die gleichsam als ungeformte und gestaltlose Materie der Zeit fungiert.¹⁰⁹ In analoger Weise bestimmt Plutarch, was er unter Erschaffen versteht. So heißt es in plat. quaest. 4 über die schöpferische Tätigkeit der Weltseele: Denn nicht aus sich selbst erschuf die Seele die Natur des Körpers noch aus dem Nichtseienden, sondern aus ungeordnetem und ungeformten Körper stellte sie einen geordneten und gehorsamen Körper her.¹¹⁰

Da nach Plutarch die schöpferische Tätigkeit der Weltseele in Analogie zu der Schöpfungstätigkeit des Demiurgen steht, kann diese Aussage für Plutarchs Verständnis der Erschaffung des Kosmos herangezogen werden. Plutarch lehnt erneut eine Erschaffung aus dem Nichts ab und schließt außerdem eine Erschaffung aus der Substanz des Schöpfers aus, um sich für die dritte Möglichkeit zu entscheiden, die Erschaffung aus der körperlich aufgefaßten, ungeordneten und ungeformten Materie. Inwiefern Plutarch hier konkrete Vertreter dieser Schöpfungsbegriffe vor Augen hat, bleibt unklar. Wahrscheinlich listet er aus rhetorischen Gründen alle ihm theoretisch denkbaren Konzeptionen von Schöpfung auf.

4. Gottes Verhältnis zum Kosmos 4.1. Gott ist Vater und Schöpfer Daß der geordnete Kosmos von Gott geschaffen wurde, ist für Plutarch unstrittig. Er nennt Gott daher auch den Vater und Demiurgen der Symmetrie, Schönheit und Gleichheit des Kosmos.¹¹¹ Damit interpretiert er die Bezeichnungen Gottes aus dem Timaeus im Sinne seines Verständnisses von Schöpfung als Ordnung. Außerdem identifiziert er Gott, den er als Intellekt auffaßt und mit dem göttlichen Paradigma in eins setzt, mit dem Demiurgen.¹¹² In De ¹⁰⁸ Siehe plat. quaest. 8,4 (1007bc): Die Zeit ist kein Attribut oder Akzidens von Bewegung (anders als Aristoteles, Ph. 8,1 [251b28]), sondern μᾶλλον δὲ κίνησις οὖσα καὶ τάξις αὐτὴ καὶ συμμετρία χρόνος καλεῖται. ¹⁰⁹ Plat. quaest. 8,4 (1007c): Im vorkosmischen Zustand gab es keine Zeit, οὐδὲ γὰρ τάξις οὐδὲ μέτρον οὐδὲν οὐδὲ διορισμὸς ἀλλὰ κίνησις ἀόριστος ὥσπερ ἄμορφος ὕλη χρόνου καὶ ἀσχημάτιστος· Für weitere Ausführungen Plutarchs zur Zeit siehe P. T 1938, 96–98. ¹¹⁰ Plat. quaest. 4 (1003a): οὐ γὰρ ἐξ αὑτῆς ἡ ψυχὴ τὴν τοῦ σώματος ἐδημιούργει φύσιν οὐδ’ ἐκ τοῦ μὴ ὄντος, ἀλλ’ ἐκ σώματος ἀτάκτου καὶ ἀσχηματίστου σῶμα τεταγμένον ἀπειργάσατο καὶ πειθήνιον. ¹¹¹ Siehe an. procr. 9 (1017a): … συμμετρίας περὶ σῶμα καὶ κάλλους καὶ ὁμοιότητος ἦν ὁ θεὸς πατὴρ καὶ δημιουργός. ¹¹² Daß es dem Demiurgen vorgeordnet noch ein übergeordnetes transzendentes Prinzip geben könnte, im Sinne der Idee des Guten nach R. 508e3, thematisiert Plutarch nicht. Er

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animae procreatione geht Plutarch auf diese Prädikate nicht näher ein. Aber innerhalb seiner Sammlung zu Einzelfragen der Auslegung Platons, den Platonicae quaestiones, widmet er sich der Interpretation von Ti. 28c3 f. ausführlicher und fragt, warum Platon den höchsten Gott Vater und Schöpfer aller Dinge nenne.¹¹³ Plutarch führt verschiedene Deutungen vor, von denen er einzelne Aspekte in seine Interpretation des doppelten Titels übernimmt. Die Titel ›Vater‹ und ›Schöpfer‹ beziehen sich auf verschiedene Gegenstandsbereiche: der eine auf beseelte Wesen, der andere auf unbeseelte und irrationale Wesen.¹¹⁴ Dabei eignet dem Vaterschaftsverhältnis, daß die ἀρχή bzw. δύναμις, die vom Vater ausgeht, auch im Nachkommen vorhanden ist (ἔνεστιν) und dessen Natur zusammenhält (συνέχει), so daß die Natur des Nachkommens ein Teil (ἀπόσπασμα καὶ μόριον) des Vaters ist.¹¹⁵ Die Relation des Schöpfers zu seinem Werk dagegen zeichnet aus, daß das vollendete Werk getrennt vom Schöpfer existiert. Da der Kosmos nicht unbeseelten Werkstücken gleicht, sondern nach Ti. 30b als ein beseeltes und vernünftiges Wesen entsteht, schließt Plutarch, daß ihm ein Teil der Vitalität und Göttlichkeit Gottes innewohnt.¹¹⁶ Die Verbindung Gotscheint vielmehr zu den Platonikern zu gehören, welche die Idee des Guten mit dem Demiurgen des Timaeus identifizieren, wie z. B. aus de E 20 f. (393b–e) deutlich wird. Siehe dazu J. M. D 1986, 215; R. M. J 1916, 10 f. Die Ausführungen in gen. Socr. 22 (591b), die oberhalb des immanenten Intellekts (symbolisiert durch die Sonne) und der Natur / Weltseele (symbolisiert durch den Mond) einen transzendenten Intellekt annehmen (Leben / Monas / Intelligibilia) können auch nur bedingt als ein Hinweis darauf gelesen werden, daß Plutarch ähnlich Numenius zwischen oberstem Gott / Intellekt und Demiurg unterschieden hat (zu den Auslegungsproblemen dieser Passage siehe J. M. D 1977, 214 f.). Überhaupt entwickelt Plutarch in an. procr. und auch in seinen anderen Schriften keine systematische Prinzipienlehre. Eine gewisse Bedeutung hat für ihn die pythagoreisch-platonische Prinzipien-Zweiheit von ἕν und δυάς (höchste Formal- und Wirkursache bzw. höchstes Materieprinzip), von denen alles abstamme (κάτεισι) (siehe def. or. 35 [428ef]; an. procr. 24 [1024d–f]). Dagegen spricht er in an. procr. 24 (1024c) von drei Prinzipien (Intellekt, Materie, Urseele). Gott ist für ihn Intellekt, wohl Intellekt in einer Seele (Is. 66 [377e]), der auch die Ideen umfaßt (siehe an. procr. 24 [1024cd]; vgl. 28 [1026f]). Wahrscheinlich ist das ἕν für Plutarch eine Bezeichnung für Gott als das umfassende gute und formgebende Prinzip (so H. D / M. B 1996, 465). ¹¹³ Siehe plat. quaest. 2,1 (1000e–1001c). ¹¹⁴ Plat. quaest. 2,1 (1000ef): πότερον ὅτι τῶν μὲν θεῶν τῶν γεννητῶν καὶ τῶν ἀνθρώπων πατήρ ἐστιν, ὡς Ὅμηρος ἐπονομάζει, ποιητὴς δὲ τῶν ἀλόγων καὶ ἀψύχων; Diese Interpretation erwähnt auch Proclus in seinem Timaeuskommentar, in Ti. I 319,15–21 (Diehl). Er weist aber die Unterscheidung zwischen ποιητικόν und πατρικόν zurück und betont, πάντων γὰρ ὁ αὐτός ἐστι ποιητὴς καὶ πατήρ· (319,17 f.). ¹¹⁵ Plat. quaest. 2,1 (1001a): ἡ δ’ ἀπὸ τοῦ γεννήσαντος ἀρχὴ καὶ δύναμις ἐγκέκραται τῷ τεκνωθέντι καὶ συνέχει τὴν φύσιν, ἀπόσπασμα καὶ μόριον οὖσαν τοῦ τεκνώσαντος. Die Ausdrücke ἀπόσπασμα καὶ μόριον sind stoische Bezeichnungen für die Seele in ihrem Verhältnis zu Gott (siehe J. W 1978, 152 Anm. 32), aber auch stoische Bezeichnungen für den Samen im Verhältnis zur Seele / Gott (SVF I 128). Siehe außerdem J. Ws Hinweise zu ἀποσπάω im Sinne der Hervorbringung von Samen (ebd.). ¹¹⁶ Daß Plutarch hier von der ζῳότης Gottes spricht, gibt Anlaß zu der Vermutung, daß Plutarch den höchsten Gott nicht nur als Intellekt, sondern als Intellekt in einer Seele auffaßt. Siehe dazu M. B 1985, 199; C. S 1994, 160.

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tes zum Kosmos ist daher in Plutarchs Augen nicht nur die Verbindung zwischen einer Ursache und ihrer Wirkung, sondern entspricht dem Verhältnis eines Vaters zu seinem Nachkommen.¹¹⁷ Dieser göttliche Teil, der dem Kosmos innewohnt, ist nach Plutarch nicht im Weltkörper zu suchen, sondern in der Weltseele.¹¹⁸ Denn Gott ist Schöpfer des Körpers, insofern er ihn aus einer zugrunde liegenden Materie durch Begrenzungen und Formen gestaltet. Er ist hingegen Vater der Seele, insofern ihre harmonische Vernunftordnung nicht nur ein Werk Gottes, sondern auch ein Teil Gottes ist. Die Weltseele ist »nicht nur durch ihn, sondern auch von ihm und aus ihm«.¹¹⁹ Die harmonische Vernunftordnung entsteht durch Teilhabe an Intellekt, Denken und Harmonie zunächst in der Seele, bestimmt durch sie dann aber die Natur des Kosmos insgesamt. Sie ist die ἀρχή und δύναμις, die von Gott ausgehend dem Kosmos innewohnt und ihn zusammenhält (συνέχει). Es zeigt sich also, daß Plutarch die Vitalität, die Vernunftbegabung und die Harmonie des Kosmos für göttlich hält. Sie gehen innerkosmisch auf die Weltseele zurück, deren rationaler Seelenteil ein Teil Gottes ist. Mit dieser Auslegung von Ti. 28c3 f. postuliert Plutarch ein äußerst enges Verhältnis von Gott und Kosmos.¹²⁰ Trotz seiner Transzendenz, die der Platoniker Plutarch von Gott aussagt, ist Gott über den rationalen Teil der Weltseele eng mit der Welt verbunden.

4.2. Gott ist Mathematiker Plutarch beschreibt die Erschaffung des Kosmos an vielen Stellen als eine mathematisch-geometrische Konstruktion, die aus vorliegenden Gegensätzen ein harmonisches Ganzes entstehen läßt: Gott schafft den Kosmos, indem er die irrationale Urseele und die ungeordnete Substanz der Köper übernimmt und sie mit Hilfe von Zahlenverhältnissen und harmonischen Proportionen

¹¹⁷ Plat. quaest. 2,1 (1001b): μοῖρα πολλὴ ζῳότητος καὶ θειότητος. Nach Ti. 30b ist der Kosmos ein ζῷον ἔμψυχον ἔννουν τε. ¹¹⁸ Plutarch definiert den Kosmos als ein σύστημα σώματος καὶ ψυχῆς (plat. quaest. 2,2 [1001b]: δυεῖν ὄντων ἐξ ὧν ὁ κόσμος συνέστηκε, σώματος καὶ ψυχῆς). Ähnlich formuliert Alkinoos, Intr. 12 (168,8 f. Hermann / Whittaker): Ἐξ ὧν συνέστηκεν ὁ κόσμος δύο ὑπαρχόντων, σώματος καὶ ψυχῆς, … ¹¹⁹ Plat. quaest. 2,2 (1001c): ἡ δὲ ψυχή, νοῦ μετασχοῦσα καὶ λογισμοῦ καὶ ἁρμονίας, οὐκ ἔργον ἐστὶ τοῦ θεοῦ μόνον ἀλλὰ καὶ μέρος, οὐδὲ ὑπ’ αὐτοῦ ἀλλὰ καὶ ἀπ’ αὐτοῦ καὶ ἐξ αὐτοῦ γέγονεν. Auch in an. procr. 9 (1016c) sagt Plutarch, daß Gott die irrationale Urseele zur Weltseele ordnet, indem er ihr Denkenvermögen und Ordnung von sich (ἀφ’ αὑτοῦ) beilegt. Der rationale Seelenteil ist θεία … μερίς (27 [1026d]). ¹²⁰ Siehe H. D / M. B 2002a, 265 f.

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ordnet und zusammenfügt.¹²¹ Sowohl die Urseele als auch die Substanz der Körper erhalten dadurch Harmonie, Proportion und Begrenzung, die ihnen im vorkosmischen Zustand fehlten.¹²² Welche Zahlenverhältnisse und Proportionen im einzelnen die Struktur der Seele und in Analogie zu ihr die Struktur des Weltkörpers bestimmen, führt Plutarch im zweiten Teil des Traktats zur Seelenbildung aus. Seine Interpretation von Ti. 35b–36b zeigt hier umfassende Kenntnisse (neu-)pythagoreischer Zahlentheorie und Harmonielehre.¹²³ Dabei ist es ihm wichtig, den Zusammenhang zum Thema seines Traktats nicht aus den Augen zu verlieren. Ti. 35b–36b enthält keine von ihrem Kontext isolierbare Zahlenspekulation, sondern soll im Zusammenhang der physikalischen Grundlegung über die Seele gelesen werden.¹²⁴ Untersuchungen über die Eigenschaften der Zahlen und Harmonien, d. h. ihre Quantität und Ordnung, haben hier zwar ihren ¹²¹ An. procr. 5 (1014c): … ἀμφοτέρας δὲ τὰς ἀρχὰς παραλαβών, τὴν μὲν ἀμυδρὰν καὶ σκοτεινὴν τὴν δὲ ταραχώδη καὶ ἀνόητον ἀτελεῖς δὲ τοῦ προσήκοντος ἀμφοτέρας καὶ ἀορίστους, ἔταξε καὶ διεκόσμησε καὶ συνήρμοσε …; 7 (1015ef): … ἐξεῖλε τὴν πολλὴν ἀοριστίαν καὶ πλημμέλειαν ἁρμονίᾳ καὶ ἀναλογίᾳ καὶ ἀριθμῷ χρώμενος ὀργάνοις; 9 (1017b): … αὐτὸς ὁ θεὸς διαρμοσάμενος τοῖς προσήκουσιν ἀριθμοῖς καὶ λόγοις …; 24 (1024de): Selbiges und Verschiedenes werden in der Seele verbunden ἀριθμοῖς καὶ λόγοις; 33 (1029d): Gott ordnet die Seele τοῖς καθ’ ἁρμονίαν λόγοις; 33 (1029e): Gott ordnet die Seele ἁρμονίαις καὶ ἀριθμοῖς χρησάμενος. ¹²² An. procr. 5 (1014c); 6 (1014d): Die Seele wird im Philebus Unbegrenztheit (ἀπειρίαν) genannt ἀριθμοῦ καὶ λόγου στέρησιν οὖσαν ἐλλείψεώς τε καὶ ὑπερβολῆς καὶ διαφορᾶς καὶ ἀνομοιότητος ἐν αὑτῇ πέρας οὐδὲν οὐδὲ μέτρον ἔχουσαν· Ähnliches setzt Plutarch für die mit ihr verbundene Substanz der Köper voraus in plat. quaest. 2,2 (1001b). ¹²³ Plutarchs Ausführungen haben Parallelen in den mathematischen und musischen Werken des Nicomachus von Gerasa und anderen neupythagoreischen Schriften (siehe dazu die Verweise in den Anmerkungen von H. C 1976, ad loc.). Aus chronologischen Gründen kann Plutarch jedoch nicht aus ihnen geschöpft haben. J. M. D 1977, 116 vermutet, daß Plutarch durch Eudorus von Alexandrien beeinflußt ist. Die Expositio rerum mathematicarum ad legendum Platonem utilium des Theon von Smyrna, einer pythagoreisierenden Darstellung platonischer Mathematik aus der Mitte des zweiten Jahrhunderts, zeigt, daß sich pythagoreisierende Tendenzen schnell auch in philosophischen Handbüchern durchsetzten (D 1977, 397–399). Plutarch selbst berichtet, daß er vor seiner Hinwendung zur platonischen Akademie mit Begeisterung Mathematik betrieben habe (Pyth. 8 [397f]). Später bestätigte ihm sein platonischer Lehrer Ammonius die Bedeutung der Mathematik für die Philosophie (de E 1–21 [384d–394c]). ¹²⁴ An. procr. 31 (1028a): Οὐ γὰρ ἐπίδειξιν ὁ Πλάτων θεωρίας μαθηματικῆς ποιούμενος εἰς φυσικὴν ὑπόθεσιν μὴ δεομένην μεσότητας ἀριθμητικὰς καὶ ἁρμονικὰς παρεισήγαγεν ἀλλὰ ὡς μάλιστα δὴ τῇ συστάσει τῆς ψυχῆς τοῦ λόγου τούτου προσήκοντος. P. T 1938, 88 hat daher in seinem eingeschränkten Blickwinkel auf den Traktat unrecht, wenn er meint, »c’est un problème d’arithmétique et de musique antiques qui ne touche pas directement aux questions de métaphysique qui nous traitons ici«. Arithmetik und Harmonielehre sind für einen Platoniker wie Plutarch eng mit philosophischen Fragestellungen verwoben, vor allem in Auslegung eines Textes wie Ti. 35a–36b. Auch J. H 1937, 57 greift zu kurz, wenn er urteilt, daß in den mathematisch-harmonischen Ausführungen lediglich Plutarchs Freude an scharfsinnigen Gedankenspielen hervortrete und weniger die Absicht, einen ernstzunehmenden Beitrag zur Exegese des Timaeus zu leisten.

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

Platz. Entscheidend aber ist es zu bestimmen, welchen Nutzen und welches Vermögen die Zahlen und Harmonien haben, d. h. »was sie bewirken, wenn sie für die Zusammensetzung der Seele in Anspruch genommen werden«¹²⁵. Plutarchs Antwort auf diese Frage knüpft kritisch an akademische, aber auch pythagoreische Positionen an. Das Wesen der Seele ist nicht Zahl, wie Xenocrates oder die Pythagoreer behaupten, sondern durch die Teilhabe an Zahl und Harmonie entsteht die Ordnung und Einheit der Seele sowie des Kosmos insgesamt.¹²⁶ Die mathematische Struktur der Weltseele steht dabei für die Harmonie der Gesamtheit des sichtbaren Kosmos, der von der Weltseele umfaßt und durchdrungen wird.¹²⁷ Die Verwendung von Zahlen und harmonischen Proportionen ist nötig, weil es bei der Erschaffung der Weltseele und des Kosmos insgesamt darum geht, Unterschiede und Gegensätze zu einer Gemeinschaft und Einheit zu führen. Daher erschuf Gott die Weltseele, indem er die Unordnung ihrer Bewegung unterwarf und »manche Teile unterschied und auseinander stellte, andere aber zusammenführte und zusammenordnete, wobei er Proportionen und Zahlen gebrauchte«¹²⁸ und so »Gemeinschaft miteinander und freundschaftliche Zuneigung bewirkte durch Zahlen und Harmonien.«¹²⁹ Die Konstitution des Kosmos auf die Teilhabe an Zahlen und Proportionen zurückzuführen, geht auch auf Ti. 31b–32c zurück. Hier beschreibt Platon die Konstruktion des Weltkörpers aus den vier Elementen, die durch Proportion miteinander verbunden werden. Die herausragende Eigenschaft der Proportion liegt darin, daß sie »sich selbst und das Verbundene soweit als möglich zu einem macht (Ti. 31c)«. Daher ist sie das geeignete Band, die vier Elemente zu einem Körper zu verbinden, der sich in freundschaftlicher Zuneigung und in Übereinstimmung mit sich selbst befindet. Plutarch zieht diese Schilderung als Bild für die Ordnung und Zusammenfügung der Weltseele durch Proportio¹²⁵ An. procr. 29 (1027d): Es ist zu fragen περὶ δὲ τῆς χρείας καὶ τῆς δυνάμεως τί ποιοῦσι παραλαμβανόμενοι πρὸς τὴν σύστασιν τῆς ψυχῆς. Das gleiche Verständnis liegt auch Plutarchs Interpretation von R. 443d5–7 in plat. quaest. 9,1 f. (1007e–1009b) zugrunde, in der die arithmetisch-harmonische Analyse der Seelenstruktur dazu dient, das Verhältnis der einzelnen Seelenteile zueinander zu klären. ¹²⁶ Siehe an. procr. 33 (1030c): … τῶν μέντοι λόγων ἐκείνων οἷς ὁ δημιουργὸς ἐχρήσατο καὶ τῶν ἀριθμῶν ἔργον ἡγεῖσθαι τὴν αὐτῆς τῆς ψυχῆς ἐμμέλειαν καὶ ἁρμονίαν πρὸς αὑτήν, … ¹²⁷ Das gilt besonders, wenn sie wie bei Plutarch in Anknüpfung an Crantor in Form eines Lambdas, d. h. der pythagoreischen Tetraktys / der pythagoreischen Dekas, abgebildet wird (an. procr. 11 [1017d–e]). Zur Deutung der Dekas und ihrer graphischen Repräsentation in Form der Tetraktys als κόσμος/ οὐρανός/ πᾶν siehe z. B. [Jamblich], Theol. Ar. 10 (80,2 f. de Falco). ¹²⁸ An. procr. 33 (1029e): … τὰ μὲν διώρισε καὶ διέστησε τὰ δὲ συνήγαγε πρὸς ἄλληλα καὶ συνέταξεν ἁρμονίαις καὶ ἀριθμοῖς χρησάμενος, … ¹²⁹ An. procr. 28 (1027a): Gott begrenzt und ordnet die Seele und bewirkt κοινωνίαν πρὸς ἄλληλα καὶ φιλίαν ἐργασαμένου δι’ ἀριθμῶν καὶ ἁρμονίας. Vgl. Ti. 32c bezogen auf die Proportionen und die daraus folgende Harmonie und Unauflöslichkeit des Weltkörpers.

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nen und Zahlen heran,¹³⁰ da er die Proportionen des Körpers als ein Abbild der Proportion der Seele versteht.¹³¹ In De animae procreatione schildert Plutarch hauptsächlich die Gestaltung der Weltseele und deutet lediglich an, daß der Weltkörper in Analogie dazu gebildet wird. Außerhalb des Traktats dagegen kommt auch dieser Aspekt der Entstehung des Kosmos zur Sprache. So stimmt er in quaest. conv. 8,2,3 der Vorstellung zu, daß der Kosmos entstehe, indem die unbegrenzte und undefinierte Materie durch Grenzen (πέρατα), die geometrischen Proportionen folgen, begrenzt wird. Form und Gestalt werden in diesem Zusammenhang als Begrenzung aufgefaßt, so daß die unbegrenzte Materie auch als ungeformt und gestaltlos bezeichnet wird. Indem nun in der Materie Zahlen und Logoi entstehen, bilden sich in ihr Linien, Flächen und Tiefen. Diese begrenzen die Materie und gestalten sie zu den Elementarkörpern, die wiederum Grundlage der Elemente sind. Zwar versucht die Materie, sich der Begrenzung und Formung zu entziehen. Ihre Widerständigkeit wird jedoch durch den λόγος überwunden, der sie in Formen (ἰδέαι) und Unterscheidungen (διαφοραί) zwingt, aus denen alles, was entsteht, sein Werden und seine Zusammensetzung (γένεσις καὶ σύστασις) hat (vgl. Ti. 47e5–48a5).¹³² Zwischen den Aussagen in quaest. conv. 8,2 und an. procr. bestehen wichtige Berührungspunkte. So wird hier die Begrenzung der Materie in Analogie zum Ordnen der Seele geschildert. Wie in der Seele von außen kommend Intellekt entsteht (ἐγγενόμενος δὲ τῇ ψυχῇ an. procr. 24 [1024c]) unter Einfluß von Zahlen und Proportionen, so entstehen (ἐγγενομένων) in der Materie Zahlen und Logoi, die nicht ihr selbst entstammen können, und führen zu Begrenzungen und Formen. In an. procr. interpretiert Plutarch die intelligiblen Ideen als ideelle Zahlenverhältnisse und harmonische Proportionen, während hier eine Beziehung zwischen den Zahlenverhältnissen und Formen ausgesagt wird. Schließlich bezeichnet Plutarch auch in an. procr. Verschiedenheit und Unterscheidung (διαφορά) als eine Voraussetzung für Werden und Entstehen (26 [1025f]). Angesichts dieser engen terminologischen und inhaltlichen Berührungen sollte es nicht überbewertet werden, daß quaest. conv. 8,2,3 nicht zwischen der Substanz der Köper und der sie bewegenden Urseele unterscheidet und hier die Materie Attribute trägt, die Plutarch in an. procr. der Urseele beilegt: Sie ist unbegrenzt aufgrund ihrer Unordnung und Fehlerhaftigkeit und widersetzt sich der Ordnung und Begrenzung. Sie ¹³⁰ An. procr. 25 (1025a): Δεῖ δὲ τὴν περὶ τὸ σῶμα τοῦ κόσμου γενομένην σύντηξιν εἰκόνα λαβεῖν τῆς ἀναλογίας ἐν ᾗ διηρμόσατο ψυχήν. Zur philosophischen Methode der Analogie sowie zur mathematischen Bedeutung der Analogie siehe P. T 1938, 44–47. Plutarch gleicht die Charakterisierung der Elemente und die Beschreibung ihrer Verbindung nach Ti. 31b–32c an die Terminologie der Seelenbildung nach Ti. 35ab an (siehe dazu H. D / M. B 1996, 365–368). ¹³¹ Nach an. procr. 33 (1029de) sind die Zahlen und Proportionen der Körper Abbilder (εἰκόνες) der Proportionen in der Seele. ¹³² Die Vorstellung einer widerständigen Materie ist dem Timaeus entnommen, in dem Platon von der Notwendigkeit (ἀνάγκη) spricht, die durch den Intellekt (νοῦς) überredet und überwunden wird (Ti. 47e5–48a5). Der Redner Florus verwendet hier offensichtlich λόγος als Synonym zum νοῦς des Timaeus.

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

ist die Notwendigkeit des Timaeus und wird in der Weltseele vom Intellekt überredet und bezwungen (vgl. an. procr. 27 [1026ab]). Der Rede des Florus in quaest. conv. 8,2,3 liegt Ti. 47e–48a und 52d–53c zugrunde, woher auch die Beschreibung der Materie stammt. Plutarch interpretiert in an. procr. zwar Ti. 52d–53b als einen Beleg für die Unterscheidung zwischen Substanz der Körper und Urseele. Wo die Bildung der Weltseele dagegen nicht im Zentrum steht, kann auch er die Substanz der Körper als ἄπειρον bezeichnen.¹³³ Die Auslegung von Ti. 53c–55a, daß die Elementarkörper durch die Entstehung von Zahlen und Logoi in der Materie entstehen, entspricht schließlich Plutarchs Ausführungen in an. procr. über die Funktion, die Zahlen, Proportionen und Logoi bei der Bildung der Weltseele und des Kosmos insgesamt zukommt.¹³⁴

Gottes schöpferische Tätigkeit bezeichnet der Redner Florus in quaest. conv. 8,2,3 zusammenfassend als ›Geometrisieren‹. Denn die Geometrie hat keinen anderen Gegenstand als die Eigenschaften und Eigentümlichkeiten von Grenzen, Gott aber hat die Welt auf keine andere Weise geschaffen, als daß er die Materie begrenzte, die unbegrenzt war. Plutarch stimmt Florus zu, daß Gott in der Tat in diesem Sinne als Geometriker bezeichnet werden könne.¹³⁵ In seinem eigenen Beitrag zur Diskussion über die Frage, Πῶς Πλάτων ἔλεγε τὸν θεὸν ἀεὶ γεωμετρεῖν, geht er über diese Deutung noch hinaus und bezeichnet die Erschaffung des Kosmos insgesamt als die Lösung eines der bedeutendsten geometrischen Probleme, nämlich aus zwei gegebenen Größen eine dritte zu schaffen, die beiden vorangehenden gleicht.¹³⁶ In Plutarchs Augen stellte sich Gott dieses geometrische Problem, als er beabsichtigte, aus der Gesamtheit der zugrunde liegenden Materie nach dem Vorbild des intelligiblen Paradigmas den Kosmos zu schaffen. Gott löste dieses Problem, indem er die ungeordnete Natur durch Logos, Maß und Zahl ordnete, wobei er den Kosmos als eine Einheit aus allen zugrunde liegenden Elementen schuf, die dem Paradigma in ihrer qualitativen Beschaffenheit, der Materie dagegen in ihrer quantitativen Beschaffenheit gleicht.¹³⁷ Diese gedrängte Zusammenfassung von Ti. 29e enthält zahlreiche Berührungen zu den kosmologischen Grundaussagen von De animae procreatione. Zum einen ist der Zustand vor der Ordnung des Kosmos als φύσις bezeichnet. Zum anderen benutzt Gott als Ordnungsinstrumente genau jene Charakteristika, welche die Urseele und die mit ihr verbundene Substanz der Körper nach De animae procreatione entbehren, nämlich Logos, Maß und Zahl. Und schließlich beschreibt Plutarch unmittelbar darauf den Kosmos unter Anspielung auf Plt. 272e als »beständig im Werden und in Veränderung und in viel¹³³ Plat. quaest. 2,2 (1001b). ¹³⁴ Zu Plutarchs Auslegung von Ti. 53c–55a siehe auch an. procr. 22 (1023c); plat. quaest.

2,2 (1001b). ¹³⁵ Quaest. conv. 8,2,4 (719f). ¹³⁶ Quaest. conv. 8,2,4 (720a). ¹³⁷ Quaest. conv. 8,2,4 (720b): Gottes Absicht war es, … κοσμῆσαι λόγῳ καὶ μέτρῳ καὶ ἀριθμῷ τὴν φύσιν, ἕν τι ποιῶν ἐκ πάντων ὁμοῦ τῶν ὑποκειμένων, οἷον ἡ ἰδέα καὶ ὅσον ἡ ὕλη γενόμενον.

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fältigen Affektionen begriffen durch die dem Körper angeborene Notwendigkeit«¹³⁸. Ein Aspekt tritt gegenüber De animae procreatione allerdings stärker hervor. Die geometrische Konstruktion des Kosmos führt zu keiner vollkommen in sich selbst ruhenden Stabilität und Einheit, sondern die Stabilität ist durch die Gegensätze innerhalb des Kosmos ständig gefährdet. Darum bleibt der Kosmos auch nach seiner einmaligen Erschaffung aus dem vorkosmischen Chaos auf die stabilisierende Fürsorge Gottes angewiesen. Daher spricht Plutarch von Gott als dem, der »als ein drittes den Kosmos gleich der Materie und gleich der Idee erschuf und erschafft und bewahrt durch alle Zeit«¹³⁹. Nicht nur bei der einmaligen Schöpfung des Kosmos, sondern auch bei der ständigen Erhaltung des Kosmos agiert Gott nach Plutarch als Mathematiker, indem er die Substanz des Kosmos beständig durch die Erkenntnistätigkeit der Seele (λόγῳ)¹⁴⁰ in Ausrichtung auf das Paradigma begrenzt.¹⁴¹ Der Deutung der Entstehung des Kosmos als einer mathematisch-geometrischen Konstruktion entspricht die Darstellung Gottes als eines Mathematikers, der die Welt zur Lösung eines mathematisch-geometrischen Problems erschuf. Die Grenzen dieses Bildes überschreitet Plutarch jedoch, indem er dem Kosmos, der durch Proportion, Maß und Zahl aus dem vorkosmischen Zustand entsteht, keine beständige Einheit und Stabilität beilegt, welche die mathematischen und geometrischen Entitäten normalerweise auszeichnen. Die Weltseele und der Kosmos insgesamt sind nach Plutarch eben nicht ihrem Wesen nach Zahl oder Proportion, sondern haben lediglich Anteil an Zahl, Proportion und Harmonie. Diese Harmonie bleibt immer eine Harmonie aus Gegensätzen und Unterschieden, die durch Zahl und Proportion so weit als möglich zu einer Einheit geführt werden, die der Mathematiker und Harmoniker¹⁴² Gott ständig erhalten muß. Die Diskussion, die Plutarch in quaest. conv. 8,2 wiedergibt, wirft insgesamt ein interessantes Licht auf sein Verfahren, die platonische Physik eng mit pythagoreisch beeinflußter Zahlen- und Harmonielehre zu verbinden. Dabei ist sich Plutarch durchaus bewußt, daß der Satz, Gott betreibe stets Geometrie, nicht in den Schriften Platons enthalten ist. Er hält ihn jedoch durch mündliche Überlieferung für ausreichend gut bezeugt und sieht ihn in Übereinstim¹³⁸ Quaest. conv. 8,2,4 (720bc): ἀεὶ γὰρ ὢν διὰ τὴν σύμφυτον ἀνάγκην τοῦ σώματος ἐν γενέσει καὶ μετατροπῇ καὶ πάθεσι παντοδαποῖς ὑπὸ τοῦ πατρὸς καὶ δημιουργοῦ βοηθεῖται τῷ λόγῳ πρὸς τὸ παράδειγμα τὴν οὐσίαν ὁρίζοντος· ¹³⁹ Quaest. conv. 8,2,4 (720b): διὸ τοῦτο πρόβλημα δοὺς αὑτῷ, δυεῖν ὄντων τρίτον ἐποίησε καὶ ποιεῖ καὶ φυλάττει διὰ παντὸς τὸ ἴσον τῇ ὕλῃ καὶ ὅμοιον τῇ ἰδέᾳ τὸν κόσμον. ¹⁴⁰ Zur Bedeutung von λόγος an dieser Stelle als Erkenntnistätigkeit der Seele siehe Kapitel 4.3. ¹⁴¹ Quaest. conv. 8,2,4 (720bc). ¹⁴² In an. procr. 5 (1014c) vergleicht Plutarch Gott implizit mit einem Mann, der mit Harmonie und Rhythmus begabt ist.

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

mung mit dem Charakter der Lehre Platons.¹⁴³ Seine Auslegung des Timaeus einschließlich seiner Interpretation der intelligiblen Ideen als harmonische Logoi und Zahlenverhältnisse begreift er daher als eine sachgerechte Wiedergabe der Physik Platons. 4.3. Die Funktion der Weltseele Plutarchs Auslegung des Titels πατήρ als Gottesbezeichnung lief darauf hinaus zu zeigen, daß Gott über den rationalen Teil der Weltseele, der ein Teil Gottes ist, eng mit dem Kosmos verbunden ist. Daher ist nun genauer zu untersuchen, welche Funktionen Plutarch der Weltseele zuschreibt. Aufschluß darüber gibt zunächst plat. quaest. 4, wo Plutarch das Verhältnis der Weltseele zum Weltkörper beschreibt: Als aber die Seele Anteil an Intellekt und Harmonie genommen hatte, nachdem sie durch Einklang vernunfttätig geworden war, und die Bewegungen der Materie mit sich fortgezogen und umgewendet hatte (ἐπέστρεψεν), indem sie sie durch ihre eigenen Bewegungen beherrschte (κρατήσασα), so entstand auf diese Weise der Körper des Kosmos durch die Seele, indem sie ihn sowohl durchformte als auch mit sich verähnlichte … [So] erschuf sie aus einem ungeordneten und ungestalteten Körper einen geordneten und gehorsamen (πειθήνιον) Körper.¹⁴⁴

Dieser Text ist in doppelter Hinsicht bemerkenswert. Zum einen ist hier die Weltseele Subjekt von Handlungen, die Plutarch sonst von Gott aussagt: Gott ist Urheber der Ordnung, Schönheit und Symmetrie des Weltkörpers, den er aus der ungestalteten Substanz der Körper, dem σῶμα ἁπλῶς, schafft.¹⁴⁵ Zum anderen schildert Plutarch an dieser Stelle das Wirken der Weltseele in Formulierungen, die sonst das Wirken des göttlichen Intellekts an der Weltseele ausdrücken: So wendet der Intellekt die Seele zu sich um (εἰς ἑαυτὸν ἐπιστρέφει), wenn er in ihr entsteht und sie beherrscht (κρατήσας), und schafft sie so harmonisch und gehorsam (σύμφωνον καὶ πειθήνιον).¹⁴⁶ Die rationale Weltseele wirkt offensichtlich auf die Körpersubstanz analog zu der Weise, in welcher der göttliche Intellekt auf die irrationale Urseele einwirkt.¹⁴⁷ Plutarch bezeichnet daher die Weltseele auch als Werkzeug Gottes: ¹⁴³ Quaest. conv. 8,2,1 (718c): ’Εμοῦ δὲ ταῦτ’ εἰπόντος ὡς γέγραπται μὲν ἐν οὐδενὶ σαφῶς τῶν ἐκείνου βυβλίων, ἔχει δὲ πίστιν ἱκανὴν καὶ τοῦ Πλατωνικοῦ χαρακτῆρός ἐστιν, … ¹⁴⁴ Plat. quaest. 4 (1003a): ἐπεὶ δὲ ἡ ψυχὴ νοῦν μετέλαβε καὶ ἁρμονίας καὶ γενομένη διὰ συμφωνίας ἔμφρων μεταβολῆς αἰτία γέγονε τῇ ὕλῃ καὶ κρατήσασα ταῖς αὑτῆς κινήσεσι τὰς ἐκείνης ἐπεσπάσατο καὶ ἐπέστρεψεν, οὕτω τὸ σῶμα τοῦ κόσμου γένεσιν ἔσχεν ὑπὸ τῆς ψυχῆς, καὶ κατασχηματιζόμενον καὶ συνομοιούμενον· … ἐκ σώματος ἀτάκτου καὶ ἀσχηματίστου σῶμα τεταγμένον ἀπειργάσατο καὶ πειθήνιον. [Einfügung in der Übersetzung von mir]. ¹⁴⁵ Siehe an. procr. 9 (1017a); plat. quaest. 2,2 (1001b). ¹⁴⁶ Siehe an. procr. 24 (1024cd); 33 (1029e). ¹⁴⁷ Was Plutarch in an. procr. von der Weltseele aussagt, gilt auch für die menschliche Einzelseele, wie fac. 30 (945a) zeigt: … ἥ τε ψυχὴ τυπουμένη μὲν ὑπὸ τοῦ νοῦ τυποῦσα δὲ τὸ σῶμα καὶ περιπτύσσουσα πανταχόθεν ἐκμάττεται τὸ εἶδος …

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Die geordnete und vernünftige Seele bietet sich Gott dar, sich ihrer zu bedienen und sie zu lenken. Dabei erweist sie sich als sein bereitwilligstes und gehorsamstes Werkzeug.¹⁴⁸ Andererseits ist es auch zutreffend zu sagen, daß Gott den Weltkörper ordnet und schafft, da der rationale Teil der Weltseele ja ein Fragment und Teil Gottes ist. Um das Wirken der Weltseele an der Materie zu erläutern, vergleicht Plutarch in derselben quaestio die Weltseele mit einem Samen, der die ungeformte Materie von innen heraus zum Körper formt: Wie der Körper einer Olive oder Feige durch einen Samen entsteht, durch welchen von innen Bewegung und Veränderung initiiert werden, so erhielt die ungestaltete und unbegrenzte Materie »eine bestimmte Gestalt und Anordnung, indem sie durch die Seele, die in ihr existierte, geformt wurde«¹⁴⁹. Trotz des biologischen Charakters dieses Bildes, der den Aussagen von De animae procreatione fremd ist, läßt es sich in die kosmologische Konzeption dieses Traktats gut einfügen. Da Plutarch Urseele und Substanz der Körper stets miteinander verbindet, faßt er die Seele in ihrer Funktion, nachdem sie im Prozeß der Entstehung des Kosmos als erste geordnet wurde, gleichsam als Keimzelle der folgenden Ordnung auf. Vor dem Hintergrund, daß Gott Vater des Kosmos genannt werden kann, beschreibt Plutarch die Erschaffung des Kosmos zuweilen bildhaft als Begattung der Materie durch Gott. Dieses Bild findet sich häufig in Plutarchs philosophischer Interpretation des ägyptischen Isis-Mythos, aber auch im Zusammenhang der Erläuterung zu Ti. 28c3 f. in plat. quaest. 2.¹⁵⁰ Plutarch formuliert hier, daß Gott einen Teil von sich (ἀφ’ ἑαυτοῦ) in die Materie einsät und ihr beimischt (κατέσπειρεν καὶ κατέμιξεν). Im Kontext von plat. quaest. 2 ist damit der rationale Teil der Weltseele gemeint. Diese Funktion der Weltseele wird auch in ihrer Bezeichnung als ἀπόσπασμα sichtbar, womit in der stoischen Terminologie der Same bezeichnet wird, der in sich alle λόγοι zur Entwicklung des neuen Lebewesens enthält.¹⁵¹ Daß Plutarch sich des metaphorischen Charakters dieses Bildes bewußt ist, zeigt eine Passage aus quaest. conv. 8,1,3, in der Plutarch außerdem das aristotelische Zeugungsmodell abwandelt, um es seinem Modell der Kosmosentstehung anzupassen. Nicht durch realen ¹⁴⁸ Sept. sap. conv. 21 (1063de). ¹⁴⁹ Plat. quaest. 4 (1003b): … οὕτως ἡ ἄμορφος ὕλη καὶ ἀόριστος ὑπὸ τῆς ψυχῆς ἐνούσης

σχηματισθεῖσα μορφὴν ἔσχε τοιαύτην καὶ διάθεσιν. ¹⁵⁰ Plat. quaest. 2,1 (1000e–1001b). ¹⁵¹ Plat. quaest. 2,1 (1001a). Siehe dazu z. B. SVF I 128 (36,1–9 von Arnim). Im Hintergrund der Ausführungen Plutarchs steht das aristotelische Zeugungskonzept, nach welchem das Männliche (bei Plutarch Gott) im Zeugungsakt mit seinem Samen (bei Plutarch der rationale Seelenteil bzw. die Weltseele) das Prinzip der Bewegung und die Form beisteuert, während das Weibliche das Prinzip der Materie bereitstellt (Aristoteles, GA 1,2 [716a4–7]; 1,20 [729a9–13]; 1,21 [729b16–18]; 2,3 [737a20–22]; in Metaph. 5,2 [1013b23–25] führt Aristoteles den Samen als ein Beispiel des ποιοῦν an). Nach GA 1,22 (730b19–22) bedient sich die Natur des Samens gleich eines Werkzeugs, welches das Prinzip der Bewegung enthält.

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Samen, wie bei einer biologischen Begattung, sondern durch eine andere Kraft zeugt Gott in der Materie ein generatives Prinzip, das seinerseits auf die Materie einwirkt und sie verändert.¹⁵² Diese ›andere Kraft‹ Gottes ist für Plutarch Intellekt, Denken und Harmonie¹⁵³ bzw. die ἀμέριστος οὐσία der Seelenmischung. Durch sie schafft Gott in der Materie, d. h. in dem vorkosmischen Chaos aus Materie und Urseele, die rationale Weltseele. Diese enthält die göttliche Kraft, wirkt weiter auf die Materie ein und verändert sie zum Kosmos. Die Weltseele fungiert also hier in quaest. conv. 8,1,3 wie in plat. quaest. 4 als Keimzelle der entstehenden Kosmosordnung und als Prinzip der Belebung des Kosmos. Indem Plutarch auf den metaphorischen Charakter des biologischen Modells hinweist, will er sicherstellen, daß die rationale Weltseele als Samen im Sinne einer intelligiblen Kraft erkannt und nicht materiell aufgefaßt wird. Die Weltseele ist einerseits Werkzeug Gottes bei der Weltentstehung, indem sie nach ihrer Erschaffung durch den Demiurgen und im Besitz der göttlichen Kraft den Weltkörper schafft. Andererseits übt Gott durch sie auch seine erhaltende Fürsorge für den Kosmos aus, von der Plutarch in quaest. conv. 8,2,4 spricht.¹⁵⁴ Hier heißt es, daß Gott dem Kosmos, der ständig im Werden begriffen und Veränderungen unterworfen ist, zur Hilfe kommt, indem er durch den λόγος die Substanz in Ausrichtung auf das Paradigma begrenzt. Zu fragen ist, was Plutarch an dieser Stelle mit λόγος bezeichnet. Von den rationalen Proportionen spricht er sonst meist im Plural. Anzunehmen ist daher, daß hier die Erkenntnistätigkeit der Seele gemeint ist, welche nach an. procr. 24 (1024f) als Weltseele aus den zwei Fakultäten νοῦς und αἴσθησις als λογικὴ ψυχή entsteht. Sie ist nach an. procr. 28 (1026f) auf das παράδειγμα θεοῦ ausgerichtet.¹⁵⁵ Quaest. conv. 8,2,4 zeigt damit, daß sich Gott der Vernunfttätigkeit der Weltseele bedient, um den Kosmos dauerhaft vor einer Rückkehr in die Unbegrenztheit zu bewahren. Von dieser Funktion der Weltseele handelt Plutarch innerhalb des Traktats zur Seelenbildung vor allem im letzen Kapitel. Hier heißt es, daß die Weltseele durch die harmonische Vernunftordnung, die der göttliche Mathematiker durch Zahlen und rationale Verhältnisse in ihr geschaffen hat, sowohl den ¹⁵² Plutarch, quaest. conv. 8,1,3 (718a): … αὐτοῦ Πλάτωνος ἀκούων πατέρα καὶ ποιητὴν τοῦ τε κόσμου καὶ τῶν ἄλλων γεννητῶν τὸν ἀγέννητον καὶ ἀίδιον θεὸν ὀνομάζοντος, οὐ διὰ σπέρματος δήπου γενομένων, ἄλλῃ δὲ δυνάμει τοῦ θεοῦ τῇ ὕλῃ γόνιμον ἀρχήν, ὑφ’ ἧς ἔπαθεν καὶ μετέβαλεν, ἐντεκόντος· ¹⁵³ Siehe Plutarch, plat. quaest. 2,1 f. (1000e–1001c). ¹⁵⁴ Siehe Kapitel 4.2. ¹⁵⁵ Die Bezeichnung λόγος ist nicht vor dem Hintergrund des stoischen Begriffs des Logos zu lesen, sondern analog an. procr. 24 (1024f) im Sinne von Platon, Sph. 263e als Ausdruck für den Denkprozeß in der Seele zu verstehen, der bei der Erkenntnis des Intelligiblen als νόησις, bei der Erkenntnis der Sinneswelt als δόξα auftritt. Siehe dazu J. H 1937, 47 f. In quaest. conv. 8,2,4 ist von der Erkenntnistätigkeit der Weltseele die Rede, die auf das intelligible Paradigma ausgerichtet ist.

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himmlischen als auch den irdischen Bereich regiert: Sie führt den Himmel und die Himmelskörper in gleichmäßigen und harmonischen Bewegungen und ordnet die irdischen Dinge durch geregelte Abläufe wie zum Beispiel den zyklischen Wechsel der Jahreszeiten. Der Kosmos ist damit zwar in allen seinen sichtbaren Bereichen Veränderungen und Entstehungsprozessen unterworfen, aber diese besitzen ein Maß und sind ›auf schönste und beste Weise‹ geordnet.¹⁵⁶ Auch die sichtbaren Teile des Kosmos lassen die Proportionen und rationalen Verhältnisse erkennen, welche die Weltseele strukturieren. Plutarch referiert in diesem Zusammenhang verschiedene Deutungen, welche die Bewegungen und Größenverhältnisse der Gestirnskörper mit den Harmonien und Zahlenverhältnissen von Ti. 36 ff. verbinden.¹⁵⁷ Er weist auf die Schönheit und Nützlichkeit hin, die selbst den stumpfsinnigsten Körpern innewohnen, wenn sie durch Zahlen und Proportionen zusammengefügt und verbunden werden.¹⁵⁸ Er hebt aber hervor, daß die sichtbaren und körperlichen Teile des Kosmos lediglich die Abbilder (εἰκόνες) jener Proportionen enthalten, welche die Seele besitzt. Ihr dagegen ist die primäre und vornehmste Kraft der Zahlen und Proportionen auf unsichtbare Weise eingemischt. In diesem Zusammenhang bezeichnet Plutarch die Weltseele als den beherrschenden und göttlichsten Teil des Kosmos. Dieser ist insgesamt ein einheitliches und göttliches Wesen, insofern alle seine Teile in Übereinstimmung mit diesem göttlichen Teil des Kosmos stehen.¹⁵⁹ ¹⁵⁶ An. procr. 33 (1030c): … τῶν μέντοι λόγων ἐκείνων οἷς ὁ δημιουργὸς ἐχρήσατο καὶ τῶν ἀριθμῶν ἔργον ἡγεῖσθαι τὴν αὐτῆς τῆς ψυχῆς ἐμμέλειαν καὶ ἁρμονίαν πρὸς αὑτήν, ὑφ’ ἧς καὶ τὸν οὐρανὸν ἐγγενομένη μυρίων ἀγαθῶν ἐμπέπληκε καὶ τὰ περὶ γῆν ὥραις καὶ μεταβολαῖς μέτρον ἐχούσαις ἄριστα καὶ κάλλιστα πρός τε γένεσιν καὶ σωτηρίαν τῶν γιγνομένων διακεκόσμηκεν. Siehe quaest. conv. 8,2,4 (720c) zu den ungeordneten Veränderungen innerhalb des Kosmos als Erbe des vorkosmischen Zustandes. ¹⁵⁷ Siehe an. procr. 31 f. (1028a–1029a) und Plutarchs ablehnendes Urteil in 1030bc. Für die Zuschreibung der einzelnen Deutungen siehe die Anmerkungen von H. C 1976, ad loc. ¹⁵⁸ An. procr. 33 (1029ef): Die Proportionen und Zahlen, durch die Gott die Seele ordnet und zusammenfügt, sind die gleichen Verhältnisse, οἷς καὶ τὰ κωφότατα σώματα, λίθοι καὶ ξύλα καὶ φλοιοὶ φυτῶν καὶ θηρίων ὀστᾶ καὶ πυτίαι, συγκεραννύμενα καὶ συναρμοττόμενα θαυμαστὰς μὲν ἀγαλμάτων ὄψεις θαυμαστὰς δὲ παρέχει φαρμάκων καὶ ὀργάνων δυνάμεις. Plutarch erklärt damit Proportionen und Schönheit selbst niederer Körper zum Abbild der Vernunftstruktur der Weltseele. ¹⁵⁹ In an. procr. 33 (1029de) fragt Plutarch nach dem Vermögen der Zahlen und Proportionen: Σκοπεῖτε δὲ μὴ τὸν μὲν οὐρανὸν ἄγει καὶ τὰ οὐράνια ταῖς περὶ αὑτὴν ἐμμελείαις καὶ κινήσεσιν ἡ ψυχὴ φρονιμωτάτη καὶ δικαιοτάτη γεγονυῖα, γέγονε δὲ τοιαύτη τοῖς καθ’ ἁρμονίαν λόγοις, ὧν εἰκόνες μὲν ὑπάρχουσιν εἰς τὰ σώματα ἐν τοῖς ὁρατοῖς καὶ ὁρωμένοις μέρεσι τοῦ κόσμου καὶ σώμασιν ἡ δὲ πρώτη καὶ κυριωτάτη δύναμις ἀοράτως ἐγκέκραται τῇ ψυχῇ καὶ παρέχει σύμφωνον αὐτὴν καὶ πειθήνιον, ἀεὶ τῷ κρατίστῳ καὶ θειοτάτῳ μέρει τῶν ἄλλων ἁπάντων ὁμονοούντων. Der letzte Satzteil (ἀεὶ τῷ … ὁμονοούντων) ist nicht, wie H. C 1976 übersetzt, auf die anderen Seelenteile zu beziehen, sondern auf die anderen, sichtbaren Teile des Kosmos.

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Mit diesen Aussagen verbindet Plutarch im Schlußkapitel seines Traktats über die Seelenbildung platonische, pythagoreische und stoische Momente zu einer eigenwilligen Deutung. Die Zahlen und rationalen Verhältnisse, von denen Ti. 36 ff. spricht, treten an die Stelle der intelligiblen Ideen. Nach Art der stoischen Logoi wohnen sie allen Teilen des Kosmos inne. Sie sind die Elemente der göttlichen Kraft, die den Kosmos zusammenhält. Gleichwohl unterscheidet Plutarch den sichtbaren, d. h. körperlichen Bereich und den unsichtbaren, d. h. intelligiblen Bereich des Kosmos auf platonische Weise voneinander. Die sichtbaren Teile des Kosmos enthalten nur Abbilder der harmonischen Logoi vermittelt durch die Weltseele. In plat. quaest. 3,2 führt Plutarch die Unvergänglichkeit des Kosmos insgesamt in einer eigenwilligen Erklärung auf die Weltseele zurück. Ausgangspunkt ist hierbei nicht der locus classicus Ti. 41ab, sondern die Position der Weltseele nach Ti. 36de. Plutarch geht von dem Grundsatz aus, daß das, was umfaßt wird, geringer ist als das, was umfaßt. Aus diesem Grund ist der individuelle Mensch vergänglich, weil in seinem Fall das Sterbliche und Auflösliche (d. h. der Körper) die lebenspendende Kraft im Inneren des Menschen umfaßt. Dagegen wird der Kosmos nicht vergehen, weil sich in seinem Fall das Körperliche in der Mitte befindet und von dem vornehmeren und sich stets gleich verhaltenden Prinzip, d. h. von der auf das Intelligible gerichteten Weltseele, umgeben ist und so auf immer bewahrt wird.¹⁶⁰ Plutarch faßt in De animae procreatione die schöpferische und die erhaltende Funktion der Weltseele zusammen, indem er sie ›die alles durchdringende Kraft‹ (ἡ διήκουσα διὰ πάντων δύναμις)¹⁶¹ nennt. Dieser Ausdruck ist zur Zeit Plutarchs vor allem in der Stoa beheimatet und bezeichnet dort Gott, der als intelligentes und ewiges πνεῦμα alles durchdringt, formt und gestaltet und so den Kosmos erschafft und als Einheit erhält.¹⁶² Plutarch und seine Anhänger¹⁶³ übernehmen diese Formulierung für die Weltseele. Als Abkömmling, ja Teil Gottes besitzt sie dessen schöpferische und erhaltende δύναμις. Darin ist sie schließlich die ζωὴ τοῦ παντός, die den Kosmos zu einem vernünftigen Lebewesen macht (Ti. 36e3–4).

¹⁶⁰ Plat. quaest. 3,2 (1002bc) im Rahmen einer Auslegung des platonischen Liniengleichnisses, in der Plutarch den Gegensatz von intelligibler und sinnlich wahrnehmbarer Natur behandelt. ¹⁶¹ An. procr. 27 (1026c). ¹⁶² Siehe z. B. SVF II 416.441.1027. ¹⁶³ Siehe Atticus, frg. 8 (Z. 18 f. Des Places).

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5. Plutarchs Auslegung von Ti. 35ab als Grundlage seiner dualistischen Kosmologie Das vorangehende Kapitel hat gezeigt, daß die Weltseele für Plutarch die innerkosmische Kraft ist, die durch ihre harmonische Struktur Ordnung und Harmonie im Kosmos stiftet. Durch seine Interpretation von Ti. 35ab zeichnet Plutarch die Weltseele jedoch zugleich als eine Größe, die ihrem Ursprung nach selbst eine Mischung aus widerstreitenden Gegensätzen ist, entsteht sie doch durch die Einwirkung des göttlichen Intellekts auf die irrationale Urseele. Plutarchs Verbindung der beiden Mythen aus Timaeus und Politicus innerhalb seines Traktats zur Seelenbildung zeigte außerdem, daß Plutarch aus diesem doppelten Ursprung der Weltseele ihre bleibende dualistische Struktur ableitet. Die Urseele ist in Gestalt des affektiven Seelenteils auch in der geordneten Weltseele enthalten. Daher ist die Weltseele nicht als Ganzes Werk Gottes, sondern enthält in sich einen Teil des Übels, der aus dem vorkosmischen Zustand stammt.¹⁶⁴ Diese Struktur der Weltseele ist Thema von an. procr. 27 (1026a–e). Plutarch listet hier aus der philosophischen, poetischen und religiösen Tradition stammende Beispiele dafür auf, daß die Welt vom Wirken gegensätzlicher Kräfte bestimmt ist, und versteht die dabei geprägten Gegensatzpaare als Bezeichnungen für die Weltseele.¹⁶⁵ Ebenso bezeugt ihm das menschliche Seelen- und Gefühlsleben, daß in der Weltseele und damit auch in der Welt »nichts lauter, nichts unvermischt«¹⁶⁶ ist. In diesem Zusammenhang wendet sich Plutarch vor allem gegen den stoischen Monismus. Auf hintergründige Weise spielt er dabei auf stoische Terminologie und Methodik an. So kritisiert er beispielsweise Euripides dafür, daß er »zu Unrecht anstatt der verbindenden Konjunktion die trennende gebrauchte, [wenn er schreibt] ›Zeus, entweder Notwendigkeit der Natur oder Intellekt der Sterblichen‹«¹⁶⁷. Plutarch ›korrigiert‹ Euripides, weil seiner Ansicht nach in der Weltseele verbunden sowohl ¹⁶⁴ An. procr. 28 (1027a). ¹⁶⁵ Siehe an. procr. 27 (1026b–d). Plutarch führt Empedokles (φιλίαν ὁμοῦ καὶ νεῖκος),

Heraklit (παλίντροπον ἁρμονίην κόσμου ὅκωσπερ λύρης καὶ τόξου), Parmenides (φῶς καὶ σκότος), Anaxagoras (νοῦν καὶ ἀπειρίαν), Zoroaster (θεὸν καὶ δαίμονα) und schließlich eine veränderte Stelle aus Euripides an, sowie den ägyptischen Mythos, die Erkenntnisfakultäten der Seele und verschiedene menschliche πάθη, welche die Mischung aus göttlichem und sterblichem bzw. rationalem und irrationalem Seelenteil bezeugen. Hier tritt besonders deutlich zutage, daß für Plutarch die Weltseele und die menschliche Seele strukturgleich sind (siehe dazu auch den Gedankengang von an. procr. 26 [1025b–1026a]). Daß hier möglicherweise ein doxographisches Muster vorliegt, das auch bei Numenius, frg. 52 (Des Places) anklingt, arbeitet J. M 1992, 278–300 heraus. ¹⁶⁶ An. procr. 27 (1026c): τῆς δὲ ψυχῆς οὐδὲν μὲν εἰλικρινὲς οὐδ’ ἄκρατον οὐδὲ χωρὶς ἀπολείπεται τῶν ἄλλων· ¹⁶⁷ An. procr. 27 (1026bc): Εὐριπίδης δ’ οὐκ ὀρθῶς ἀντὶ τοῦ συμπλεκτικοῦ τῷ διαζευκτικῷ κέχρηται Ζεὺς εἴτ’ ἀνάγκη φύσεος εἴτε νοῦς βροτῶν· καὶ γὰρ ἀνάγκη καὶ νοῦς ἐστιν ἡ διήκουσα διὰ πάντων δύναμις. [Einfügung in der Übersetzung von mir].

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Notwendigkeit als auch Intellekt im Kosmos wirken. Er wendet dabei das vor allem von Stoikern verwendete Verfahren der ἐπανόρθωσις an, der Veränderung poetischer Texte mit dem Ziel, moralisch Anstößiges oder mit der eigenen Lehre Unvereinbares zu tilgen.¹⁶⁸ Durch die Paraphrase von Ti. 47e–48a im Kontexte des Zitats aus Euripides suggeriert Plutarch, daß der Poet von den widerstreitenden Prinzipen des Kosmos aus dem Timaeus spricht, die bei ihm selbst zu den Bestandteilen der Weltseele geworden sind. Plutarch begründet seine Kritik an Euripides mit dem Ausspruch, daß die alles durchdringende Kraft sowohl Notwendigkeit als auch Intellekt sei (1026c). Damit wendet er die in der Stoa geläufige Bezeichnung für Gott, das Pneuma bzw. den Logos auf die Weltseele an und prägt sie dabei dualistisch um: Die eine kosmische Kraft ist in sich zwei gegensätzliche Kräfte. Ein Text in Is. 369b–d ist dem Thema und der Argumentation von an. procr. 27 nahe verwandt.¹⁶⁹ Plutarch beruft sich auch hier auf einen alten Konsens von Philosophie, Dichtkunst und Religion, um sein kosmologisches Konzept gegen Epikureer, Stoiker und gegen Homer zu verteidigen. Das All ist nicht ohne Intellekt, Verstand und Lenkung dem Zufall überlassen wie die Epikureer meinen; es wird auch nicht nur durch eine einzige, vernünftige Kraft (Logos) beherrscht und regiert wie die Stoiker glauben; die Erfahrung, daß in der sichtbaren Welt Böses und Gutes vermischt sind, kann schließlich auch nicht dadurch erklärt werden, daß ein Gott sowohl Böses als auch Gutes austeilt wie Homers Darstellung Gottes als eines Verwalters von zwei Fässern behauptet (Il. 24,527 ff.). Da das Böse nicht ohne Ursache sein kann (gegen die Stoiker), Gott aber nicht für das Böse verantwortlich gemacht werden darf (gegen Homer), kann die Erfahrung von Gutem und Bösem nur so erklärt werden, daß sie zwei entgegengesetzten Prinzipien und einander widerstreitenden Kräften entspringt¹⁷⁰. Diese zwei Kräfte verursachen die beiden gegensätz¹⁶⁸ Zum τὸ τῆς ἐπανορθώσεως γένος bei Plutarch siehe D. B 1969, 89. ¹⁶⁹ Zum Aufbau von Is. 45 (369b–d) siehe H. D / M. B 1996, 458–465. Die Ein-

zelheiten der kosmologischen Ausführungen Plutarchs in De Iside et Osiride brauchen nicht weiter dargestellt zu werden. Sie sind stark durch die Vorgaben des ägyptischen Isis-Mythos geprägt, den Plutarch hier philosophisch interpretiert. So bereits R. M. J 1916, 94–104, der die Interpretation des Timaeus in an. procr. und Is. vergleicht. Er urteilt: »That there are discrepancies between the de Iside et Osiride and Plutarch’s usual statement of the doctrine of creation of the world can hardly be denied. But I think that they may be largely explained as due to the mythical form employed here« (a. a. O., 98), darunter besonders die Vorgabe dreier Götter (Osiris, Isis, Typhon), sowie die Charakterisierung der Isis. Daraus erklären sich auch die Unterschiede zu an. procr., die bereits oft beobachtet wurden. Siehe z. B. W. D 1983, 12–47 (besonders 27–42), der die Unterschiede betont und unterschiedlichen Entwicklungsstadien der Lehre Plutarchs zuweist. Dazu kritisch die Rezension von M. B 1985, 123 f., der die Vorgaben des Isis-Mythos betont. Auch K. A 1993, 16–29 arbeitet die Unterschiede heraus, sieht aber in Plutarchs ›integriertem Dualismus‹ das verbindende Element beider Texte (a. a. O., 20). ¹⁷⁰ Is. 45 (369c): … ἀπὸ δυοῖν ἐναντίων ἀρχῶν καὶ δυοῖν ἀντιπάλων δυνάμεων …

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lichen Umläufe des Kosmos, die im Politicus-Mythos geschildert werden. Aus diesen gegensätzlichen Kräften erklärt sich schließlich, daß sowohl im menschlichen Leben als auch im Kosmos Gegensätze gemischt sind.¹⁷¹ Plutarch schließt in De Iside et Osiride von der Erfahrung des menschlichen Lebens auf die Struktur des Kosmos insgesamt. Aus dieser Perspektive fragt er nach einer Erklärung des Bösen, die Gott nicht beschädigt, das Böse aber als menschliche und kosmische Realität ernst nimmt. Diese Perspektive findet sich auch in De animae procreatione. Sie tritt dort als ein Argument zugunsten einer dualistischen Auslegung des Timaeus auf.¹⁷² Der besondere Akzent der Interpretation in De animae procreatione besteht darin, daß Plutarch Platons Timaeus im Sinne einer dualistischen Kosmologie interpretiert. Dabei arbeitet Plutarch heraus, daß das Übel nicht der Materie an sich entspringt (1014e–1015e). Materie und Körperlichkeit gehören zwar der Sphäre an, die im Gegensatz zu den Intelligibilia nur unbeständig existiert und erkannt werden kann. Diese Sphäre ist auch der Bereich, indem sich das Übel ausgehend von dem affektiven Teil der Weltseele realisiert. Das Übel ist aber nicht im Wesen der Materie und der Körperlichkeit verankert, sondern geht auf die irrationale Urseele im vorkosmischen Zustand zurück. Materie und Körperlichkeit an sich stehen für Plutarch somit zwar in einem ontologischen und epistemologischen, jedoch nicht in einem ethischen Gegensatz zur intelligiblen Natur. Plutarch arbeitet in De animae procreatione nicht nur den Gegensatz von Notwendigkeit und Intellekt in der Weltseele und im Kosmos heraus. Ausgehend von Ti. 35ab spielt deren Mischung eine wichtige Rolle. Denn irrationale Urseele (Notwendigkeit) und Intellekt stehen nur im vorkosmischen Zustand unverbunden gegeneinander. In der Weltseele werden sie zu einer Gemeinschaft und Einheit verbunden. Zwar ist dies eine ›schwierige Mischung‹¹⁷³, ¹⁷¹ Is. 45 (369c): … πολλὰ καὶ μεμειγμένα κακοῖς καὶ ἀγαθοῖς, μᾶλλον δὲ μηδέν, ὡς ἁπλῶς εἰπεῖν, ἄκρατον ἐνταῦθα τῆς φύσεως φερούσης … Ähnlich an. procr. 27 (1026c), wo Plutarch allerdings diese Zustandsbeschreibung nicht wie in Is. 369c auf den irdischen Bereich einschränkt. ¹⁷² So der Vorwurf gegen die Stoiker in an. procr. 6 (1015b–c): αἱ γὰρ Στωικαὶ καταλαμβάνουσιν ἡμᾶς ἀπορίαι, τὸ κακὸν ἐκ τοῦ μὴ ὄντος ἀναιτίως καὶ ἀγενήτως ἐπεισάγοντας, ἐπεὶ τῶν γ’ ὄντων οὔτε τἀγαθὸν οὔτε τὸ ἄποιον εἰκός ἐστιν οὐσίαν κακοῦ καὶ γένεσιν παρασχεῖν. … Ἐπικούρῳ μὲν γὰρ οὐδ’ ἀκαρὲς ἐγκλῖναι τὴν ἄτομον συγχωροῦσιν, ὡς ἀναίτιον ἐπεισάγοντι κίνησιν ἐκ τοῦ μὴ ὄντος· αὐτοὶ δὲ κακίαν καὶ κακοδαιμονίαν τοσαύτην ἑτέρας τε περὶ σῶμα μυρίας ἀτοπίας καὶ δυσχερείας, αἰτίαν ἐν ταῖς ἀρχαῖς οὐκ ἐχούσας, κατ’ ἐπακολούθησιν γεγονέναι λέγουσιν. Plutarch instrumentalisiert hier die Frage nach der Ursache des Übels, um die Annahme einer irrationalen Urseele zu untermauern. Dabei stellt er die Stoiker polemisch mit den Epikureern auf eine Stufe. ¹⁷³ Siehe an. procr. 24 (1024d): διὸ καὶ δυσανάκρατος ἡ κοινωνία γέγονεν αὐτῶν, … Plutarch bezieht die Schwierigkeit, Selbiges und Verschiedenes in der Seele zu mischen (Ti. 35ab), auch auf die Mischung von teilbarem und unteilbarem Sein, d. h. auf die Mischung von irrationaler Urseele und rationaler Wesenheit.

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und Gemeinschaft und freundliche Zuneigung (φιλία) entsteht nur ›soweit es möglich ist‹¹⁷⁴. Dennoch behauptet Plutarch in De animae procreatione nicht zwei gegensätzliche kosmische Kräfte wie in De Iside¹⁷⁵. Infolge seiner Auslegung der Weltseelenbildung nach dem Timaeus behauptet er eine Kraft, die in sich gegensätzlich ist.¹⁷⁶ Plutarch versucht sogar, der Existenz von Gegensätzen etwas Positives abzugewinnen. Nur durch Unterscheidung und Differenz ist überhaupt Bewegung und Entstehung möglich.¹⁷⁷ Er argumentiert für die Mischung von Gegensätzen in der Weltseele außerdem damit, daß die Existenz von Unterscheidung und Differenz bereits im Begriff der Harmonie enthalten ist. Dafür bedient er sich einer gängigen Definition, nach welcher Harmonie das ist, »was aus Klängen und Intervallen besteht, und ein Klang dabei ein und dasselbe, Intervall dagegen Differenz und Unterscheidung von Klängen ist, indem diese gemischt werden aber Gesang und Melodie entsteht.«¹⁷⁸ Die Vorstellung von kosmischer Harmonie, von Gemeinschaft (κοινωνία) und freundschaftlicher Zuneigung (φιλία) im Kosmos ist für die Kosmologie Plutarchs zentral. Trotz der Gegensätze in der Weltseele, die sich nach De animae procreatione auch auf den himmlischen Bereich auswirken, ist der Kosmos letztlich in allen seinen Bereichen aufs Schönste und Beste geordnet.¹⁷⁹ Seine harmonische Struktur ist ein Werk der Götter.¹⁸⁰ Die Weltseele trägt zwar in ihrem affektiven Seelenteil bleibend die Ursache des Bösen,¹⁸¹ sie ist aber in ihrem rationalen, göttlichen und beherrschenden Seelenteil die Ursache für die Harmonie des Kosmos.¹⁸² Plutarchs Seelenlehre und Kosmologie An. procr. 28 (1027a). Siehe Is. 45 (369c; Text in Anm. 170). An. procr. 27 (1026c): καὶ γὰρ ἀνάγκη καὶ νοῦς ἐστιν ἡ διήκουσα διὰ πάντων δύναμις. An. procr. 26 (1025f). Die Mischung von Gleichem und Verschiedenem ist bei Plutarch ein Teilaspekt der Mischung von irrationaler Seele und Intellekt und kann auch für die Gesamtmischung stehen (siehe z. B. die Auslegung von δύσμεικτον [vgl. Ti. 35a7 f.] in an. procr. 24 [1024d]). Innerhalb der Seelenmischung betrachtet Plutarch gegen Xenocrates gewandt ταὐτόν und θάτερον vor allem als epistemologische Prinzipien (siehe 24 [1024d–f] über die Urteilsbildung), kann sie aber auch aus physikalischer Perspektive betrachten (siehe 24 [1024e] über die Himmelsbewegungen). Das θάτερον stammt wie die irrationale Urseele (26 [1025d] als dyadischer Seelenteil bezeichnet) von der δυάς ab (24 [1024d]). Es fungiert im Bereich der Ideen als Prinzip der Unterscheidung und Andersheit; im Bereich der Seele und des Kosmos steht es auf Seiten des irrationalen Seelenteils als Prinzip der Unordnung. ¹⁷⁸ An. procr. 27 (1026a): … ἁρμονία δὲ τὸ ἐκ φθόγγων καὶ διαστημάτων καὶ φθόγγος μὲν ἓν καὶ ταὐτὸν διάστημα δὲ φθόγγων ἑτερότης καὶ διαφορά, μιχθέντων δὲ τούτων ᾠδὴ γίγνεται καὶ μέλος· Ausführliche Verweise auf antike Harmonielehren bei H. C 1976, 251 f. Im Rahmen seiner eigenen Harmonielehre im zweiten Hauptteil des Traktats vertritt Plutarch eine andere Definition (siehe an. procr. 17 [1020e]; dazu C, a. a. O., 303). Das zeigt, daß Plutarch in 27 (1026a) die Definition passend zum Gang seiner Argumentation wählt, sowohl die Gegensätze als auch die Harmonie der Seele zu veranschaulichen. ¹⁷⁹ An. procr. 33 (1030b). ¹⁸⁰ Siehe an. procr. 33 (1030ab). ¹⁸¹ Das ist ein Ergebnis des ersten Hauptteils des Traktats in an. procr. 28 (1027a). ¹⁸² Das ist das Ergebnis des zweiten Hauptteils des Traktats in an. procr. 33 (1029e–1030b). ¹⁷⁴ ¹⁷⁵ ¹⁷⁶ ¹⁷⁷

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wurde daher von späteren antiken Autoren deutlich vom Monismus eines Plotin oder Porphyrius einerseits, aber andererseits auch vom Dualismus eines Numenius unterschieden.¹⁸³

6. Der Kosmos ist ›Bild Gottes, ein Gott im Werden‹ In Auslegung von Ti. 37cd bezeichnet Plutarch den Kosmos und die mit ihm geschaffene Zeit als εἰκόνες τοῦ θεοῦ. Dabei ist »der Kosmos Bild des Wesens, die Zeit Bild der Ewigkeit in Bewegung, gleichwie der Kosmos ein Gott im Werden [ist]«¹⁸⁴. Vor dem Hintergrund des kosmologischen Gesamtkonzepts Plutarchs ist damit sowohl die Wohlordnung des sichtbaren Kosmos, als auch seine unbeständige und Veränderungen unterworfene Existenz ausgedrückt. Die Ordnung des Kosmos erklärt Plutarch durch den platonischen Gedanken der Teilhabe (μετέχειν), der bereits in der terminologischen Verwendung des Ausdrucks εἰκών mitschwingt. Wie die Weltseele aus der Urseele durch Anteilhabe an Intellekt, Denken und vernünftiger Harmonie entsteht, so wird die Materie durch die Teilhabe an Schönheit, Form und ebenmäßigen Gestalten zu »mannigfaltigen Körpern und Organen der Erde, des Meeres, des Himmels, der Sterne sowie der Pflanzen und Lebewesen geordnet«¹⁸⁵. Diese Formulierung listet zwar nicht vollständig, aber Vollständigkeit suggerierend die Teile des sichtbaren Kosmos als eine Anzahl von Lebensbereichen mit dazugehörigen Bewohnern auf und beurteilt alles als wohlgeordnet. Die unbeständige, von Veränderungen geprägte Existenz des Kosmos führt Plutarch in quaest. conv. 8,2 unter Anknüpfung an Plt. 273b auf die im Kosmos wirkende, Gott widerstreitende Notwendigkeit zurück. Durch sie befindet sich der Kosmos ständig (ἀεί) »im Werden und Veränderung und allen Arten von Affektionen«¹⁸⁶. Von der Wirkung gegensätzlicher Kräfte nimmt Plutarch auch die Natur des Himmels nicht aus. So äußert sich im Umlauf der Fixsterne und in der Ordnung der Planeten der Gegensatz von Gleichheit (ταὐτόν) und ¹⁸³ So Jamblich bei Stobaeus, Anth. 1,49,37 (374,21–375,5 Wachsmuth) = Atticus, frg. 10 (Des Places). ¹⁸⁴ Plat. quaest. 8,4 (1007cd): εἰκόνες δ’ εἰσὶν ἄμφω τοῦ θεοῦ, τῆς μὲν οὐσίας ὁ κόσμος τῆς δ’ ἀιδιότητος χρόνος ἐν κινήσει καθάπερ ἐν γενέσει θεὸς ὁ κόσμος. Diese Formulierung knüpft an Ti. 29b.37d.92c an. Der Vergleich mit den Stellen des Timaeus zeigt erneut, daß Plutarch Gott und κόσμος νοητός in eins setzt. ¹⁸⁵ An. procr. 6 (1014e): καὶ γὰρ τὸ πανδεχὲς καὶ ὑλικὸν ἐκεῖνο μέγεθος μὲν ἐκέκτητο καὶ διάστημα καὶ χώραν, κάλλους δὲ καὶ μορφῆς καὶ σχημάτων μετριότητος ἐνδεῶς εἶχεν· ἔλαχε δὲ τούτων, ἵνα γῆς καὶ θαλάττης καὶ οὐρανοῦ καὶ ἀστέρων φυτῶν τε καὶ ζῴων παντοδαπὰ σώματα καὶ ὄργανα γίγνηται κοσμηθέν. ¹⁸⁶ Quaest. conv. 8,2,4 (720bc): Plutarch verankert hier mit dem Wortlaut des Politicus die Notwendigkeit in der Natur der Körper; in an. procr. führt er sie genauer auf den irrationalen Seelenteil zurück, der mit der Substanz der Körper verbunden ist.

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Verschiedenheit (θάτερον). Allerdings dominiert im himmlischen Bereich die Gleichheit, während in den irdischen Bereichen die Verschiedenheit vorherrscht.¹⁸⁷ Vor dem Hintergrund der Seelenlehre Plutarchs bildet sich somit in den gleichmäßigen und geordneten Himmelsbewegungen vor allem die Harmonie des rationalen Seelenteils ab, während die irdischen Bereiche stärker vom irrationalen Seelenteil geprägt sind. Notwendigkeit und Intellekt wirken also im himmlischen bzw. irdischen Bereich des Kosmos unterschiedlich stark. Im Unterschied zu den Ausführungen in De Iside et Osiride, wo Plutarch die traditionelle Drei- bzw. Zweiteilung des Kosmos lehrt, hebt er im Zusammenhang seiner Interpretation der Weltseelenbildung in De animae procreatione hervor, daß auch der himmlische Bereich durch Gegensätze geprägt ist und auch die Veränderungsprozesse im irdischen Bereich Ordnung und Maß aufweisen.¹⁸⁸ Nach Is. 45 (369bd) gliedert sich der Kosmos in einen himmlischen, einen sublunaren und einen irdischen Bereich. Dabei werden irdischer und sublunarer Bereich als Wirkort des irrationalen Seelenteils zusammengefaßt.¹⁸⁹ In ähnlicher Weise gliedert Plutarch in fac. 30 (944f.945a–d) den Kosmos in drei Bereiche: den Bereich der Erde, den Bereich des Mondes und den Bereich der Sonne. Nach gen. Socr. 22 (591b) markiert der Mond die Grenze des Bereichs, in dem die Natur bzw. die Seele wirkt, die Sonne den Bereich des Intellekts. Die Drei- bzw. Zweigliederung des Kosmos spielt vor allem in den Texten eine Rolle, in denen Plutarch seine Lehre von den Dämonen entwickelt. Sie werden dem sublunaren bzw. irdischen Bereich zugeordnet, wobei der sublunare Raum hervorgehoben wird als notwendiger Übergangsbereich zwischen der Sphäre der Götter und der Sphäre des Menschen, bzw. der Mond als ›erdartiger Stern‹ bzw. ›himmlische Erde‹ eine Mittelposition zwischen Himmel und Erde einnimmt (def. or. 12 f. [416c–417c]). Plutarch behandelt die Dämonen weniger innerhalb der Kosmologie, als vielmehr im Zusammenhang der Anthropologie und hier im Zusammenhang der Frage, inwiefern und auf welche Weise die Existenz des Menschen durch göttliche Vorsehung und Intervention bestimmt wird. Dieser Zusammenhang könnte erklären, warum Plutarch in den kosmologischen Ausführungen von an. procr. nicht über die Dämonen spricht, obwohl seine Dämonologie, welche die Existenz guter und böser Dämonen lehrt,¹⁹⁰ geeignet wäre, die dualistische Struktur der Weltseele und damit des Kosmos zu illustrieren. ¹⁸⁷ In an. procr. 24 (1024e) spricht Plutarch über Urteil und Bewegung als die zwei primären Fakultäten der Seele: ἡ μὲν οὖν κίνησις εὐθὺς ἐπιδείκνυται περὶ τὸν οὐρανὸν ἐν μὲν τῇ ταὐτότητι τὴν ἑτερότητα τῇ περιφορᾷ τῶν ἀπλανῶν ἐν δὲ τῇ ἑτερότητι τὴν ταὐτότητα τῇ τάξει τῶν πλανήτων· ἐπικρατεῖ γὰρ ἐν ἐκείνοις τὸ ταὐτὸν ἐν δὲ τοῖς περὶ γῆν τοὐναντίον. Hier klingt eine Zweiteilung des Kosmos in irdischen / sublunaren Bereich und himmlischen Bereich (Planeten- und Fixsternsphären) an. ¹⁸⁸ Nach an. procr. 33 (1030c) haben die Veränderungs- und Entstehungsprozesse auf der Erde Anteil an der harmonischen Ordnung der Weltseele, indem diese die irdischen Bereiche »durch den Zyklus der Jahreszeiten und durch Veränderungen, die ein Maß besitzen, auf das Beste und Schönste zur Entstehung und Bewahrung der werdenden Dinge ordnet.« (Text in Anm. 156). ¹⁸⁹ Is. 45 (369bd). ¹⁹⁰ Von bösen Dämonen handelt Plutarch z. B. in fac. 30 (944cd); Is. 25 f. (360d–361c). Siehe dazu J. M. D 1977, 218; R. M. J 1916, 37–39.

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Im Zusammenhang seiner Auslegung des Timaeus ist Plutarch sichtlich bemüht, die Einheit des Kosmos trotz der in ihm wirkenden Gegensätze herauszuarbeiten. Der Kosmos ist zwar aufgrund der dualistischen Struktur der Weltseele in sich gegliedert, gleichwohl wirkt in allen Bereichen die geordnete Weltseele als die eine, alles durchdringende Kraft. Durch sie, die ein Teil Gottes ist und dadurch Anteil an der Kraft Gottes hat, ist der Kosmos ein Bild Gottes, ein Gott im Werden.

7. Zusammenfassung und Systematisierung Das Wesen des Kosmos wird nach Plutarch maßgeblich durch das Wesen der Weltseele bestimmt. Platons Schilderung der Bildung der Weltseele in Ti. 35ab ist daher ein kosmologischer Grundtext, aus dem in der Betrachtung der Weltseele Einsichten über das Wesen des Kosmos gewonnen werden. Dementsprechend ist Plutarchs Schrift De animae procreatione in Timaeo als ein kosmologischer Traktat zu interpretieren. Für seine Untersuchung setzt Plutarch voraus, daß der Kosmos und folglich die Weltseele real entstanden sind. Nur unter dieser Voraussetzung kann an der Lehre von der göttlichen Vorsehung festgehalten werden. Plutarch polemisiert scharf gegen die Verfechter eines ungewordenen ewigen Kosmos und unterstellt ihnen, gleich den Epikureern Gott als die Ursache des Kosmos zu leugnen und die Schönheit des Kosmos zu bestreiten. Obwohl der Kosmos einen Anfang hat, wird er jedoch nicht vergehen. In einer eigenwilligen Auslegung von Ti. 41ab in Verbindung mit Ti. 36de führt Plutarch die Unvergänglichkeit des Kosmos nach seiner Entstehung auf die ewige und beständige Vernunfttätigkeit der Weltseele zurück, die den Kosmoskörper umfaßt und auf diese Weise ewig bewahrt. Aus Ti. 35ab folgert Plutarch, daß die Weltseele entsteht, indem Gott eine irrationale Urseele ordnet und harmonisiert. Er nimmt einen vorkosmischen Zustand irrationaler Unordnung an, in dem die Urseele mit der Materie, die er als unbestimmte Masse und Ausdehnung denkt, verbunden ist. Dafür beruft er sich auf die Beschreibung einer chaotischen Bewegung der Materie in Ti. 30a, die er auf die Urseele zurückführt, sowie auf die Schilderung der Spuren der Elemente in Ti. 52d–53b, die er als zufällige und unbeständige Produkte der ungeordneten Erkenntnistätigkeit der Urseele erklärt. Die Existenz eines ungeordneten vorkosmischen Zustands schließt Plutarch außerdem aus dem Mythos des platonischen Politicus. Ausgehend von terminologischen Verbindungen beider Dialoge verschränkt er diese mythische Darstellung mit der Erzählung des Timaeus. Dabei legt er dar, daß die Bedingung der realen Entstehung der Weltseele, nämlich ihr zweifacher Ursprung, ihre bleibende dualistische Struktur konstituiert, die den Kosmos insgesamt dauerhaft prägt.

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Plutarch beschreibt in De animae procreatione in Timaeo drei Prinzipien des sichtbaren Kosmos: Gott, der als Intellekt bzw. die Gesamtheit der intelligiblen Welt gedacht ist; die unvernünftige Urseele mit einer ungeordneten Erkenntnistätigkeit; die ungeformte Körpersubstanz. Urseele und Körpersubstanz sind ewig miteinander verbunden und fungieren beide jeweils nach Art einer Materie (ὕλη) als zugrunde liegende Substanz (οὐσία) für die Weltseele bzw. den Kosmoskörper. Für diese Trias beruft sich Plutarch auf Ti. 52d2–4. Für die göttliche Ursache unterscheidet Plutarch eine Phase ausschließlicher Selbstbezogenheit und eine Phase der Hinwendung des göttlichen Intellekts zu Seele und Materie. Der Kosmos entsteht, indem sich der göttliche Intellekt dem Chaos zuwendet und auf diese Weise der Urseele und der Materie rationale Strukturen verleiht. Dadurch schafft er Weltseele und Kosmoskörper als die beiden Bestandteile des sichtbaren Kosmos. Die Entstehung der rationalen Weltseele und des Kosmoskörpers beschreibt Plutarch jeweils als Entstehung aus dem Ungeordneten und Nichtschönen und grenzt sie von der Entstehung aus Gott bzw. der Entstehung aus dem Nichts ab. Die Ordnung des vorkosmischen Chaos geschieht, indem Gott die Seele zu sich wendet (εἰς ἑαυτὸν ἐπιστρέφει) und ihr dadurch Harmonie und Intellekt eingibt. Die Seele blickt dann auf Gott und wirkt ihrerseits an der Materie. Sie handelt dabei als Instrument Gottes an der Materie analog zu dem Handeln Gottes an ihr selbst. Diesen Vorgang beschreibt Plutarch einerseits in biologischen Metaphern. Gott gibt in Gestalt des rationalen Seelenteils ein Fragment und Teil von sich in die Urseele und ist somit Vater der Weltseele (plat. quaest. 2). Durch sie ist er Schöpfer des Kosmoskörpers. Oder: Gott sät die rationale Seele gleich einem Samen in die Materie. Die Seele ist dann Keimzelle der Harmonie und Ordnung und formt die Materie von innen heraus zum Kosmos (plat. quaest. 4; quaest. conv. 8,1). Plutarch faßt die Vernunfttätigkeit Gottes dabei als Kraft auf, durch die Gott zeugt. Über den rationalen Seelenteil der Weltseele ist der göttliche Demiurg substantiell mit der Welt verbunden. Andererseits beschreibt Plutarch ausgehend von Ti. 31b–32c.35b–36b die Entstehung des Kosmos als mathematisch-geometrische Konstruktion. Gott übernimmt die Urseele und die ungeordnete Substanz der Köper. Er harmonisiert und strukturiert das vorgegebene Chaos mit Hilfe von Zahlenverhältnissen und harmonischen Proportionen, die in eigenwilliger Weise sowohl Funktionen der platonischen Ideen als auch der stoischen Logoi übernehmen. Die Proportionen des Kosmoskörpers sind dabei als ein Abbild der Proportionen in der Seele verstanden. Als Einheit, die in ihrer qualitativen Beschaffenheit dem intelligiblen Paradigma, in ihrer quantitativen Beschaffenheit dagegen der Materie gleicht, ist der Kosmos schließlich insgesamt Gottes Lösung des

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geometrischen Problems, wie aus zwei gegebenen Größen eine dritte zu schaffen sei, die beiden vorangehenden gleicht. Die geometrische Konstruktion des Kosmos bzw. das ordnende Wirken der Weltseele an der Materie führen allerdings zu keiner vollkommenen in sich selbst ruhenden Stabilität, sondern die Einheit ist ständig durch den Gegensatz innerhalb der Seele gefährdet. Denn die Urseele bleibt als affektiver Seelenteil in der geordneten Weltseele enthalten, so daß im Kosmos immer ein Teil des Übels existiert, daß aus dem vorkosmischen Chaos stammt. Die Weltseele als die Kraft, die den Kosmos gänzlich durchdringt, hat nach Plutarch daher einen duplizitären Charakter: Sie ist sowohl Notwendigkeit als auch Intellekt. Auch nach ihrer Erschaffung aus dem vorkosmischen Chaos bleibt die Welt daher auf die stabilisierende Fürsorge Gottes angewiesen, die dieser durch den rationalen Teil der Weltseele wirkt. Die bleibenden Gegensätze werden zum Beispiel darin sichtbar, daß der Kosmos in allen seinen Teilen Veränderungen und Entstehungsprozessen unterworfen ist. Auch der Himmel ist davon nicht ausgenommen. Diese Prozesse besitzen aber Regelmäßigkeit und Maß, die auf die beherrschende Kraft des rationalen Teils der Weltseele zurückgehen. Durch die Vernunfttätigkeit der Weltseele verhindert Gott, daß der Kosmos in die Irrationalität und Unbegrenztheit zurückfällt. Durch sie ist der Kosmos trotz der bleibenden Gegensätze ein einheitliches und göttliches Wesen, das die Vernunfttätigkeit der Weltseele und letztlich Gottes widerspiegelt. Plutarch kann daher den sichtbaren Kosmos als einen Gott im Werden bezeichnen. In De animae procreatione findet Plutarch eine Antwort auf die Frage nach der Herkunft des Übels, die das Übel als kosmische Realität auffaßt und zugleich Gottes Würde bewahrt. Er arbeitet heraus, daß das Übel nicht der Materie an sich entspringt. Materie und Körperlichkeit gehören zwar der Sphäre an, die im Gegensatz zu den Intelligibilia nur unbeständig existiert und erkannt werden kann. Diese Sphäre ist auch der Bereich, in dem sich das Übel ausgehend von dem affektiven Teil der Weltseele realisiert. Das Übel ist aber nicht im Wesen der Materie und der Körperlichkeit verankert, sondern geht auf die irrationale Urseele im vorkosmischen Zustand zurück. Materie und Körperlichkeit an sich stehen für Plutarch somit zwar in einem ontologischen und epistemologischen, jedoch nicht in einem ethisch-moralischen Gegensatz zur intelligiblen Natur. Plutarch knüpft an die dualistischen Tendenzen des platonischen Timaeus an und entwickelt sie im Sinne einer dualistischen Kosmologie. Indem er aber den Dualismus von Rationalität und Irrationalität in die Weltseele selbst verlegt, ordnet er ihn zugleich der Dominanz der Vernunfttätigkeit unter. Plutarchs Kosmologie nimmt daher eine mittlere Stellung ein. Sie wird von späteren antiken Autoren auch deutlich vom Monismus eines Plotin oder

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Porphyrius einerseits und vom Dualismus eines Numenius andererseits unterschieden.¹⁹¹ Plutarchs Interpretation des platonischen Timaeus hat auf nachfolgende Ausleger stark gewirkt. Die platonischen Texte, auf die er seine Kosmologie gründet, werden in der Diskussion nach ihm immer wieder auftauchen. Allerdings knüpfen nur wenige Ausleger zustimmend an ihn an. Vor allem von Atticus ist bekannt, daß er seine Deutung des Timaeus argumentativ weiterentwickelt hat. Die meisten Platoniker wie beispielsweise Porphyrius setzen sich hingegen mit Plutarchs Position auseinander, um sie zu widerlegen. Alkinoos’ Interpretation des Timaeus kann aber als ein Versuch gelesen werden, an Gedanken Plutarchs anzuknüpfen, sie dabei aber ihrer dualistischen Prägung zu berauben und sie im Sinne einer gedanklichen Analyse zu interpretieren, die die ontologische Abhängigkeit der Weltseele und des Kosmos darstellt, ohne ihre reale Entstehung zu behaupten.

¹⁹¹ Siehe die Klassifikation Jamblichs bei Stobaeus (siehe Anm. 183).

II. Atticus 1. Person und Werk des Atticus 1.1. Die Timaeusauslegung des Atticus im Verhältnis zur Auslegung Plutarchs Von den Schriften des Platonikers Atticus aus der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts, über dessen Leben so gut wie nichts bekannt ist, sind nur wenige Fragmente erhalten.¹ Aus den Notizen im Timaeuskommentar des Proclus läßt sich aber erschließen, daß Atticus den platonischen Timaeus kommentiert hat und sich darin als philologisch orientierter und am Wortlaut interessierter Ausleger erweist.² An einem zentralen Punkt der Auslegung folgt Atticus Plutarch.³ So lehrt auch er ausgehend von Ti. 30a.53a.69b, daß der Kosmos aus einem Zustand vorkosmischer Unordnung entstanden ist, der auf die Bewegung einer übelwirkenden Seele in der Materie zurückgeht und durch die Anteilhabe an Form bzw. die Wirkung des Intellekts zur Ordnung geführt wurde.⁴ Ähnlich Plutarch interpretiert Atticus Ti. 35a ›physikalisch‹, d. h. bezogen auf die Natur der Seele, allerdings in dem Sinne, daß aus der irrationalen Seele durch Hinzutreten der göttlichen Seele die Weltseele als ψυχὴ λογική entsteht.⁵ An einigen ¹ Zu dieser Datierung der Wirkungszeit des Atticus (floruit ca. 175) siehe É. D P in CUFr Atticus, 7. Ich zitiere die Fragmente des Atticus nach folgender Ausgabe : Atticus, Fragments, texte établi et traduit par É. D P, CUFr, Paris 1977. M. B 1983 macht auf einige Texte aus Proclus aufmerksam, die Atticus zuzuschreiben sind und bei D P fehlen (39 Anm. 5; 40 Anm. 11; 43 Anm. 30; 46 Anm. 46; 50). Zu den Werken des Atticus, die aus den erhaltenen Fragmenten erschlossen werden können, siehe die Übersicht bei D P, a. a. O., 8 f. ² Nach Proclus, in Ti. III 247,12–15 (Diehl) = Atticus, frg. 14 folgt Atticus »für gewöhnlich dem Wortlaut«. Zur philologischen Methode des Atticus siehe M. B 1983, 38 f. ³ Zum Verhältnis des Atticus zu Plutarch außerhalb der Timaeusexegese, z. B. in der Ethik, siehe J. M. D 1988, 114–117, der urteilt: »in fact on most questions they were far apart« (114). ⁴ Nach Proclus, in Ti. I 381,26–382,12 (Diehl) = Atticus, frg. 23 halten die um Plutarch und Atticus »wohlgenährt« an den Worten ἄτακτον und ἄμετρον fest, um zu beweisen, daß der Kosmos zu einem Zeitpunkt entstanden sei und vorher die ungeordnete Materie und die sie bewegende, übelwirkende Seele existierten. ⁵ Proclus, in Ti. II 153,25–154,1 (Diehl) = Atticus, frg. 35. Anders als Plutarch bestimmt Atticus aber das unteilbare Sein von Ti. 35a nicht als Intellekt, sondern als göttliche Seele. Das ist auch in frg. 10 (Des Places) impliziert, wonach die irrenden und ungeordneten Bewegungen in der (vorkosmischen) Seele durch das Hinzutreten von geordneten Bewegungen zur Harmonie geführt werden.

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Punkten unterscheidet sich seine Postion von der Plutarchs.⁶ Für die Kosmologie relevant ist die Annahme, daß ein Teil der irrationalen Urseele auch nach der Bildung der Weltseele außerhalb von ihr im Kosmos als vegetatives Prinzip und Ursache des Übels existiert.⁷ Plutarch und Atticus gelten in der Antike als die Hauptverfechter einer realen Entstehung des Kosmos unter den Platonikern. Obwohl sie in doxographischen Berichten häufig gemeinsam als Vertreter einer Lehrmeinung genannt werden,⁸ führen ihre Kritiker die philosophische Auseinandersetzung vor allem mit Atticus. Das ist nicht verwunderlich, folgt doch Atticus mit seinen Kommentierungen von Platon und vielleicht auch Aristoteles eher als Plutarch der wissenschaftlichen Methodik des kaiserzeitlichen Unterrichts. Seine Kommentare gehören zum Beispiel zum festen Bestandteil des philosophischen Curriculums bei Plotin.⁹

1.2. Die Auseinandersetzung mit aristotelischen Lehren Einen wichtigen Platz nimmt für Atticus die Auseinandersetzung mit aristotelischen Lehren ein. Aus den erhaltenen Fragmenten wird deutlich, daß Atticus sich mit der Kategorienschrift,¹⁰ den Traktaten über die Seele¹¹ und über den Himmel¹² sowie den ethischen Schriften¹³ des Aristoteles befaßte und sie im ⁶ Eine zusammenfassende Darstellung der Philosophie des Atticus bietet M. B 1983, 38–57. Er legt die Punkte dar, an denen sich Atticus von Plutarch unterscheidet: in der Verortung der Ideen außerhalb des göttlichen Intellekts; in der Lehre, daß der göttliche Intellekt »Intellekt in einer Seele« ist; in der Lehre, daß ein Teil der irrationalen Seele auch nach der Bildung der Weltseele außerhalb von ihr im Kosmos existiert; in der Lehre von einer vorkosmischen, ungeordneten Zeit. Siehe auch . 1985, 200–204. ⁷ Siehe dazu Kapitel 3.2. Zum Verhältnis der Seelenlehre des Atticus zu der Plutarchs siehe auch W. D 1983, 51–61. ⁸ Siehe bei Johannes Philoponus, Procl. 6,27 = Atticus, frg. 38a (Z. 1): Τοὺς ἀμφὶ Πλούταρχον … καὶ Ἀττικὸν …; 7,15 = frg. 38b (Z. 1): Ἀττικὸς … καὶ Πλούταρχος; Jamblich bei Stobaeus, Anth. 1,49,37 = Atticus, frg. 10 (Z. 3 f.): … οἱ περὶ Ἀττικὸν καὶ Πλούταρχον; Proclus, in. Ti. I 276,30–277,7 (Diehl) = Atticus, frg. 19 (Z. 1 f.): … Πλούταρχος μὲν καὶ Ἀττικὸς καὶ ἄλλοι πολλοὶ τῶν Πλατωνικῶν … ⁹ Siehe die Nachricht über Plotins Vorlesungen bei Porphyrius, VP 14,10–14 (I 19 Henry / Schwyzer): Ἐν δὲ ταῖς συνουσίαις ἀνεγινώσκετο μὲν αὐτῷ τὰ ὑπομνήματα, εἴτε Σεβήρου εἴη, εἴτε Κρονίου ἢ Νουμηνίου ἢ Γαίου ἢ Ἀττικοῦ, κἀν τοῖς Περιπατητικοῖς τά τε Ἀσπασίου καὶ Ἀλεξάνδρου Ἀδράστου τε καὶ τῶν ἐμπεσόντων. ¹⁰ Wahrscheinlich kommentierte Atticus die Kategorienschrift des Aristoteles (frgg. 40– 44), was nicht verwunderlich ist angesichts der Bedeutung dieser Schrift im philosophischen Unterricht der Kaiserzeit. ¹¹ Siehe die Auseinandersetzung über die Unsterblichkeit der Seele in Atticus, frg. 7. ¹² Siehe die Auseinandersetzung über den fünften Körper (frg. 5) bzw. die Natur der Himmelskörper (frg. 6). ¹³ Siehe Atticus, frg. 2.

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Lichte doxographischer Traditionen interpretierte.¹⁴ Die Auseinandersetzung mit Aristoteles schlägt sich vor allem in dem Werk »Gegen diejenigen, die Platons Lehren durch die Lehren des Aristoteles erklären«¹⁵ nieder. Vermutlich war diese Schrift eine umfassende Darlegung der Lehre Platons unter besonderer Berücksichtigung der Unterschiede zu Aristoteles. In ihr präsentiert Atticus Platon als den Philosophen, der als erster die verschiedenen Gebiete der Philosophie zu einer Einheit verband und damit die Philosophie der Vorgänger (Naturphilosophen, Staatsphilosophen, stoische Dialektiker) zu einer göttlichen Synthese führte.¹⁶ Das Zentrum der platonischen Lehre und die Einheit aller platonischen Schulen besteht nach Atticus einerseits in der Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, von der die gesamte Philosophie (Ethik, Physik, Erkenntnislehre) abhängt,¹⁷ andererseits in der Lehre von der intelligiblen Natur, auf die alle Weisheit und Wissenschaft bezogen sind und durch die Platon den Weg zur Glückseligkeit gebahnt hat.¹⁸ Atticus präsentiert Aristoteles polemisch als einen Neuerer, der aus Profilierungssucht Platon in beinahe allen Punkten widerspricht, seine eigene Lehre zum Teil aus gestohlenen Versatzstücken der platonischen Lehre ohne Verstand zusammenstellt¹⁹ und dabei gegen anerkannte Lehrsätze und die Regeln der Naturbetrachtung verstößt.²⁰ ¹⁴ P. M 1984, 571.580–582 hält es für unwahrscheinlich, daß Atticus aus den aristotelischen Schriften direkt geschöpft habe. Sollten frgg. 40–44 tatsächlich einer Kommentierung der Kategorienschrift des Aristoteles entstammen, so kann m. E. nicht ausgeschlossen werden, daß Atticus auch andere Aristotelesschriften aus erster Hand kannte, zumal seine Ausführungen zum fünften Körper, zur Gestirnslehre und zur Kritik am platonischen Timaeus eine Vertrautheit mit der aristotelischen Beweisführung erkennen lassen. Daß er in den erhaltenen Fragmenten nicht um eine ernsthafte Widerlegung aristotelischer Lehren bemüht ist, liegt an dem polemischen Charakter der Schrift »Gegen diejenigen, die Platon durch Aristoteles erklären«, die sich nicht nur an Aristoteliker, sondern auch an Platoniker richtet. ¹⁵ Der Titel Πρὸς τοὺς διὰ τῶν Ἀριστοτέλους τὰ Πλάτωνος ὑπισχνουμένους ist durch Eusebius, p. e. 11,1,2 = die Einleitung zu Atticus, frg. 1 bezeugt sowie durch Alexander von Aphrodisias, Quaest. 2,21 (70,33–34 Bruns). Siehe dazu É. D P, CUFr Atticus, 39 Anm. 1. ¹⁶ Atticus, frg. 1. ¹⁷ Atticus, frg. 7. ¹⁸ Atticus, frg. 9: Die Lehre von der intelligiblen Natur ist der Hauptpunkt und die Stärke der Schule Platons, der äußerste Gipfel der philosophischen Lehren Platons. Nichts Platonisches bleibt übrig, wenn man diese Lehre von den ersten und ursprünglichen Naturen bestreitet. ¹⁹ Atticus, frg. 5: Aristoteles’ Lehre vom fünften Körper imitiert Platons Lehre von der intelligiblen Natur. Aristoteles entwirft seine Lehre vom fünften Körper analog der Arbeitsweise späterer Bildhauer, neue Skulpturen zu schaffen, indem sie Teile älterer Skulpturen kopieren und neu zusammenstellen. ²⁰ Atticus, frg. 5: Mit seiner Lehre vom fünften Körper vergißt Aristoteles, daß der Naturbetrachter keine Gesetze aufstellt, sondern die von der Natur selbst gegebenen Gesetze erforschen soll. Außerdem widerspricht diese Lehre des Aristoteles der allgemeinen Definition des Körpers. Frg. 6: Die Lehre des Aristoteles von den Himmelskörpern widerspricht den beobachtbaren Phänomenen, d. h. sie verstößt gegen die Regel der Naturbetrachtung, die Phä-

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Atticus wirft Aristoteles vor, durch seine Herabwürdigung der Tugend den Weg zur Glückseligkeit zu verstellen,²¹ ja durch die Begrenzung der göttlichen Vorsehung auf den Himmel gleich Epikur die Gottlosigkeit zu fördern²² und insgesamt die Großartigkeit der Kosmosordnung in Frage zu stellen²³. Atticus wendet sich in der genannten Schrift allgemein dagegen, Platon mit Hilfe aristotelischer Lehren zu erklären und stellt dafür die unvereinbaren Widersprüche des Aristoteles gegenüber Platon heraus.²⁴ Seine Ausführungen sind stark polemisch geprägt. Sie stellen die aristotelische Physik und Ethik oft nur oberflächlich dar und geben vor allem Auskunft darüber, was aus seiner Sicht Grundsätze der platonischen Ethik, Psychologie und Physik sind.²⁵ An einigen Punkten verteidigt Atticus aber auch sehr konkret seine eigene, spezifische Interpretation Platons gegen innerschulische Kritiker, denen er unterstellt, von Aristoteles beeinflußt zu sein.²⁶ Das wird besonders in der Verteidigung der Lehre von der realen Entstehung und Unvergänglichkeit des Kosmos deutlich, in der Atticus versucht, Einwände gegen seine Interpretation des Timaeus (vor allem Ti. 31ab und 41b) philologisch und systematisch-philosophisch zu entkräften. Das aus diesem Zusammenhang erhaltene Fragment sowie die Bemerkungen, die Proclus innerhalb seines Kommentars zum Timaeus den Ansichten des Atticus anfügt, erlauben es, die Auseinandersetzung des Atticus mit der divergierenden platonischen Lehre und der aristotelinomene zu erklären. Andererseits betont Atticus gegen einen Vorwurf des Aristoteles, daß Platon seine Lehre von den Bewegungen der Gestirne nicht durch Sinneswahrnehmung gewonnen habe, sondern sie eine Folgerung der Vernunft (ἀπὸ τοῦ λόγου/ ἐκ τοῦ λόγου) sei, die dann durch die Sinneswahrnehmung – sofern diese die Wahrheit widerspiegele – bestätigt, aber nicht bewiesen werde. ²¹ Atticus, frg. 2. ²² Atticus, frg. 3. ²³ Atticus, frg. 8. ²⁴ Atticus betont immer wieder, daß die aristotelischen Lehren nichts zum Verständnis Platons beitragen können, ja von der Lehre Platons abbringen: z. B. frg. 2 (Z. 50–52.108– 111.144 f.); frg. 3 (Z. 29–31) (über Epikur, in dessen Nachbarschaft Aristoteles gestellt wird); frg. 4 (Z. 48–50.57–60.111–113); frg. 5 (Z. 35–38); frg. 6 (Z. 3 f.); frg. 7 (Z. 25–28); frg. 8 (Z. 8 f.). ²⁵ Siehe z. B. die Ausführungen zur Tugendlehre, zur Elementen- und Bewegungslehre, die Definition des Körpers. Atticus macht trotz der Polemik auf einige Probleme in der aristotelischen Lehre vom fünften Körper bzw. der Bewegung der Gestirne zu Recht aufmerksam. ²⁶ Diese Schrift des Atticus ist lange so interpretiert worden, daß er sich damit als Vertreter eines ›orthodoxen‹ Platonismus gegen den ›eklektischen‹ Platonismus der Gaius-Schule gewendet habe. Gegen diese Systematisierung der platonischen Schullandschaft des zweiten Jahrhunderts wendet sich mit Recht J. M. D 1977, 250; . 1988, 107–119. Der Vorwurf der Abhängigkeit von Aristoteles ist zu großen Teilen ein polemisches Mittel in der innerschulischen Auseinandersetzung, so daß daraus nicht die Existenz ›orthodoxer‹ oder ›heterodoxer‹ Parteien abgeleitet werden kann. An einigen Punkten wie z. B. in der Lehre von der realen Entstehung des Kosmos steht Atticus gegen die Mehrheitsposition der Platoniker. Proclus bezeichnet deshalb Plutarch und Atticus als ἑτερόδοξοι (in Ti. I 287,24 [Diehl]). Zur Beurteilung der ›Orthodoxie‹ des Atticus siehe J. M. D 1988, 114–119.

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schen Kosmologie in groben Zügen zu verfolgen. Seine Ausführungen erweisen sich dabei gleichermaßen als systematisierende Fortführung und als eigenständige Akzentuierung der Timaeusinterpretation Plutarchs.

2. Die Lehre des Atticus von der realen Erschaffung und Unvergänglichkeit des Kosmos in der Auseinandersetzung mit Aristoteles und Platonikern 2.1. Die Argumentation für einen geschaffenen und unvergänglichen Kosmos In einem bei Eusebius überlieferten Fragment aus der Schrift des Atticus gegen die ›Aristoteliker‹ argumentiert Atticus ausführlich für einen geschaffenen und dennoch unvergänglichen Kosmos.²⁷ Er wendet sich gegen jene platonischen »Herdgenossen«²⁸, die Platons Rede vom Werden des Kosmos im Timaeus im übertragenen Sinne interpretieren und sich dabei auf den naturphilosophischen Grundsatz berufen, daß nur das ungewordene auch unvergänglich sei. Dabei führt Atticus sowohl philologische Argumente, die auf dem Wortlaut des Timaeus beruhen, als auch philosophische Argumente ins Feld. Einige von ihnen berühren sich in ihrer Struktur mit christlichen Begründungen für die reale Entstehung der Welt. 2.1.1. Die Lehre von der realen Erschaffung des Kosmos folgt aus der Vorsehungslehre Das überlieferte Fragment beginnt mit einer philosophischen Antwort auf die Frage, warum Platon im Timaeus die Welt als geworden darstellt. Atticus zufolge betrachtet Platon die Entstehung des Kosmos vor dem Hintergrund der Lehre von der göttlichen Vorsehung: Weil er [Platon] es für notwendig hielt, die große und überaus nützliche Lehre von der Vorsehung überall zu suchen, und weil er der Meinung war, daß das ungewordene weder eines Schöpfers noch eines Beschützers bedürfe, um in einen schönen Zustand zu gelangen, nahm er dem Kosmos das Ungewordensein, um ihn nicht der Vorsehung zu berauben.²⁹ ²⁷ Eusebius, p. e. 15,6,1–17 = Atticus, frg. 4. Eine deutsche Übersetzung des Fragments mit Anmerkungen findet sich bei M. B 1976, 51–63. ²⁸ Frg. 4 (Z. 14 f.): … τοὺς ἀπὸ τῆς αὐτῆς ἑστίας … ²⁹ Frg. 4 (Z. 8–13): Πρῶτον δὴ περὶ γενέσεως κόσμου σκοπῶν καὶ τὸ τῆς προνοίας τὸ μέγα τοῦτο καὶ πολυωφελὲς δόγμα πάντα ζητεῖν ἀναγκαῖον ἡγούμενος καὶ λογισάμενος ὅτι τῷ μὴ γενομένῳ οὔτε τινὸς ποιητοῦ οὔτε τινὸς κηδεμόνος πρὸς τὸ γενέσθαι καλῶς χρεία, ἵνα μὴ ἀποστερήσῃ τὸν κόσμον τῆς προνοίας ἀφεῖλε τὸ ἀγένητον αὐτοῦ. [Einfügung in der Übersetzung von mir].

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Atticus zeichnet Platon damit als einen Mann, dem es in der Kosmologie in erster Linie darum geht, die göttliche Vorsehung zu verteidigen.³⁰ Bereits unmittelbar vor dem Abschnitt über Werden und Unvergänglichkeit des Kosmos hat Atticus vermutlich Platons und Aristoteles’ Lehren über die Vorsehung gegenübergestellt und an ausgewählten Passagen gezeigt, daß Platon »alles an Gott und von Gott her bindet«³¹. Für Aristoteles weist er polemisch nach, daß dessen Beschränkung der göttlichen Verwaltung auf den himmlischen, supralunaren Bereich ihn in die Nachbarschaft Epikurs stellt. Aristoteles, »dieser Erfinder der Natur und sorgfältiger Kenner der göttlichen Angelegenheiten«³² entpuppt sich in den Augen des Atticus an diesem Punkt als Bestreiter der göttlichen Vorsehung und »vornehmer Atheist«.³³ Den Vorwurf der epikureischen Gottlosigkeit weitet Atticus im vorliegenden Fragment auf diejenigen aus, die die göttliche Vorsehung im Kosmos leugnen, indem sie den Kosmos für ungeworden halten. Das real Ungewordene ist für Atticus in diesem Zusammenhang ein Synonym für eine autarke, von keiner übergeordneten Ursache abhängigen Existenz. Er schließt damit die Interpretation des Timaeus-Mythos im Sinne einer metaphysischen Abhängigkeit des ungewordenen Kosmos von Gott als der höheren Ursache aus, wie sie die Mehrheit der Platoniker seit der Alten Akademie lehrt. Die Schilderung der real zu verstehenden Schöpfungs- und Ordnungstätigkeit des göttlichen Demiurgen im Timaeus bildet nach Atticus die systematische Grundlage für Platons Aussagen über die göttliche Vorsehung im Phaedrus und den Leges.³⁴ Nur von seiten des Schöpfers zu seinem real geschaffenen Werk kann es wirkliche Vorsehung und Fürsorge geben.³⁵ Dieses Argument, das wahrscheinlich aus der Auseinandersetzung der Platoniker mit der epikureischen Kosmologie stammt,³⁶ gebraucht Atticus im vor³⁰ Platon gilt traditionell als der große Lehrer der göttlichen Vorsehung. Siehe die Belege bei M. B 1976, 52 Anm. 124. ³¹ Frg. 3 (Z. 16): … ὁ μὲν Πλάτων εἰς θεὸν καὶ ἐκ θεοῦ πάντ’ ἀνάπτει· ³² Frg. 3 (Z. 82 f.): … οὗτος τῆς φύσεως εὑρετὴς καὶ τῶν θείων πραγμάτων ἐπιγνώμων ἀκριβὴς … ³³ In frg. 3 (Z. 93) heißt es nach einem polemischen Referat der Ansichten Epikurs: Τὸ γὰρ αὐτὸ τοῦτο καὶ Ἀριστοτέλης ποιεῖ· Indem Aristoteles die Götter zwar innerhalb des Kosmos ansiedelt, sie aber von den irdischen Angelegenheiten weit entfernt aufstellt, … ἀνάγκην ἔσχεν ἢ παντάπασιν ἄθεος ὁμολογεῖν ἢ τὴν τοῦ δοκεῖν ἀπολείπειν θεοὺς δόξαν ἀνασῴζειν, ἐνταῦθά που τοὺς θεοὺς ἀποικίσας· … ἔοικεν εὐσχημόνως ἀπιστεῖν τοῖς θεοῖς. (Z. 98–102). ³⁴ Siehe die Zusammenstellung einschlägiger Texte Platons zur göttlichen Vorsehung in frg. 3 (Z. 16–24). ³⁵ Ein ähnlicher Gedanke findet sich auch bei Seneca, ep. 58,28 f. Nach Philo von Alexandrien, Opif. 61,171 zielt Moses Schilderung der realen Schöpfung darauf zu zeigen, daß die Welt geworden ist und Gott für die Welt Fürsorge übt. Daß derjenige, der etwas hervorbringt, für das Hervorgebrachte sorgt, ist nach Philo ein Naturgesetz (siehe zu diesen Texten M. B 1976, 52 f.). ³⁶ M. B 1976, 52 Anm. 126 verweist auf Nemesius, nat. hom. 43 (127,8 Morani), wo

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liegenden Kontext gegen jene Platoniker, die die reale Entstehung des Kosmos leugnen. Daß die Verbindung von Schöpfung und Vorsehung eine starke argumentative Kraft besaß, zeigt der Umstand, daß auch Vertreter eines übertragenen Verständnisses des Timaeus versuchen, es ihrerseits für ihre Deutung fruchtbar zu machen.³⁷ 2.1.2. Der klare und deutliche Wortlaut des Timaeus Nach diesem einleitenden polemisch-philosophischen Keulenschlag gegen die Verfechter eines ungewordenen Kosmos führt Atticus Ti. 30a3–6 und 41b2–5 als Textbelege an, in denen Platon »ein Grieche zu Griechen« »mit klarer und genauer Rede« von der realen Erschaffung und andauernden Bewahrung des Kosmos durch Gott spricht.³⁸ Besonders Ti. 41b2–5, die Rede des Demiurgen an die geschaffenen Götter, belege, daß Platon die Entstehung des Kosmos »nicht in rätselhaften Andeutungen, noch in Ermangelung an Klarheit (ἐπὶ τοῦ σαφοῦς χρείᾳ)« annahm.³⁹ Aufgrund dieser Passagen des Timaeus stellt sich die platonische Lehre dem Atticus folgendermaßen dar: Nach dem aber, was wir hören, hält Platon es für würdig, daß der Kosmos entstanden ist als das schönste Werk durch den schönsten der Demiurgen, und er legt dem Schöpfer des Alls eine Kraft bei, durch die er den Kosmos, obwohl er vorher nicht war, schuf und nach der Schöpfung durch seinen Willen für immer unversehrt bewahren wird. Und dadurch liegt ihm [Platon] zufolge der Kosmos vor als einer, der geworden und unvergänglich ist.⁴⁰

In dieser Paraphrase einschlägiger Texte des Timaeus setzt Atticus interpretierende Akzente, mit denen er seine weitere Argumentation vorbereitet. So hebt er die Kraft des Demiurgen hervor, auf welche die Schöpfung und die ErhalNemesius folgende Frage der Epikureer zitiert: ὧν γὰρ οὐδείς ἐστι δημιουργός, τούτων τίς ἂν εἴη προνοητής; B urteilt, daß »die Gedankenverbindung von Schöpfer und Fürsorger im Platonismus in Auseinandersetzung mit der epikureischen Schule entstanden« sei. ³⁷ So führt z. B. Calvenus Taurus, der an anderer Stelle die Pronoia vehement gegen Epikur verteidigt (siehe M. B 1976, 118 Anm. 148), dieses Argument an, um zu erklären, warum Platon die ungewordene Welt im Entstehen vorführt (bei Johannes Philoponus, Procl. 6,21 [187,1–15 Rabe]). ³⁸ Siehe frg. 4 (Z. 16–19) über die Platoniker, die annehmen, daß der Kosmos ungeworden sei: δίκαιοι γάρ εἰσιν ἡμῖν συγγνώμην νέμειν, εἰ περὶ τῶν δοκούντων Πλάτωνι πιστεύομεν οἷς αὐτὸς Ἕλλην ὢν πρὸς Ἕλληνας ἡμᾶς σαφεῖ καὶ τρανῷ τῷ στόματι διείλεκται. ³⁹ Frg. 4 (Z. 23–26): Ἔτι δὲ καὶ μᾶλλον, ὅτι μὴ δι’ αἰνιγμάτων μηδ’ ἐπὶ τοῦ σαφοῦς χρείᾳ τὴν γένεσιν παρεδέξατο, δηλοῖ δι’ ὧν ὁ πατὴρ αὐτῷ τῶν πάντων διείλεκται περὶ τούτου μετὰ τὴν τῶν ὅλων δημιουργίαν. ⁴⁰ Frg. 4 (Z. 35–42): Κατὰ δὲ τὴν ἡμετέραν ἀκοὴν ἀξιοῦντος Πλατῶνος [sic!] τὸν κόσμον γεγονέναι κάλλιστον ἔργον ὑπὸ τοῦ καλλίστου τῶν δημιουργῶν καὶ περιθέντος τῷ τοῦ παντὸς ποιητῇ δύναμιν, δι’ ἧς καὶ οὐκ ὄντα πρότερον ἐποίησε τὸν κόσμον καὶ ποιήσας εἰσαεὶ βουλόμενός γε σῷον διαφυλάξει, καὶ ταύτῃ δὴ γενητοῦ καὶ ἀφθάρτου κατ’ αὐτὸν ὑποκειμένου τοῦ κόσμου … [Einfügung in der Übersetzung von mir].

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tung des Kosmos zurückgehen, und betont in Ablehnung einer allegorischen Deutung des Timaeus, daß der Kosmos vor der Erschaffung nicht war. Mit dem Hinweis auf die Klarheit der Darlegung Platons richtet sich Atticus gegen die in der Akademie verbreitete übertragene Deutung des Timaeus, nach der Platon aus pädagogischen Gründen und um größerer Klarheit willen (σαφηνείας χάριν) das Wesen des ungewordenen Kosmos im Modus der Entstehung beschreibe.⁴¹ Atticus entgegnet, daß die Klarheit der Darstellung kein methodisches Instrument ist, sondern die Klarheit des Sachverhalts widerspiegelt. Er stellt deutlich heraus, daß das Interpretationsproblem seiner Gegner, die Unvergänglichkeit des Gewordenen auszusagen, nicht auf Schwierigkeiten auf der Ebene des platonischen Textes zurückgeht, sondern auf den irreführenden Einfluß des Aristoteles, der ihnen die Möglichkeit verstellt, den hermeneutischen Schlüssel zu erkennen, den Platon selbst in Ti. 41b2–5 mit dem Hinweis auf den göttlichen Willen an die Hand gibt.⁴² 2.1.3. Das richtige Verständnis des Grundsatzes, daß alles Gewordene vergeht Die Ablehnung einer realen Entstehung des Kosmos unter den Platonikern führt Atticus genauer auf die Kritik des Aristoteles am platonischen Timaeus zurück, wie sie beispielsweise prominent in Cael. 1,10–12 formuliert ist. Hier versucht Aristoteles nachzuweisen, daß Platons Präsentation eines gewordenen und unvergänglichen Kosmos im Timaeus gegen den naturphilosophischen Grundsatz verstoße, daß alles Gewordene auch vergehe, weil Gewordensein und Vergänglichkeit sowie Ungewordensein und Unvergänglichkeit jeweils koinzidierende Eigenschaften von Dingen seien.⁴³ Als Belege für die Inkonsistenz Platons führen Aristoteles und dessen spätere Kommentatoren Ti. 31ab und Ti. 41b an,⁴⁴ jene Passagen also, die in den Augen des Atticus zu den kla⁴¹ Zu dieser Deutung, die auf Speusipp und Xenocrates zurückgeht, siehe M. B 1976, 18–22. ⁴² Atticus beruft sich außerdem auf folgende Texte: Ti. 27d–28a: Der Kosmos gehört zur Klasse des Gewordenen (frg. 19); Ti. 28b: Aus der Sichtbarkeit und Tastbarkeit des Kosmos folgt, daß er zu der Klasse von Gegenständen gehört, die einer höheren Ursache bedürfen, d. h. geschaffen sind (frg. 37); nach Ti. 29a5 f. ist der Kosmos das schönste der gewordenen Dinge (frg. 4); nach Ti. 30a3–6 entstand die Ordnung aus einem Zustand der Unordnung (frgg. 4; 32); Ti. 34a9–b3 stellt Gott als den ewig seienden Gott dem Kosmos als dem einst seienden Gott gegenüber (frg. 29); Ti. 34b10–c2: Die Rede vom älteren und jüngeren Teil des Kosmos ist zeitlich zu verstehen (frg. 30); Ti. 41b2 f.: Das Gewordensein der Götter wird auf das Gewordensein des Kosmos übertragen und aus der Unvergänglichkeit der Götter analog die Unvergänglichkeit des Kosmos aufgrund des göttlichen Willens abgeleitet (frg. 4); Ti. 53a69b beschreibt einen vorkosmischen Zustand, der ungeordnet und ohne Maß ist (frg. 23). ⁴³ Aristoteles, Cael. 1,12 (282a22–283a29). ⁴⁴ Aristoteles, Cael. 1,10 (280a28–32) unter Anspielung auf Ti. 31ab; Simplicius, in Cael. 346,16–27 (Heiberg); 335,24–28; 358,27–359,1 (teilweise im Rückgriff auf Alexander von Aphrodisias, der Ti. 41b anführt).

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ren und deutlichen Grundtexten der platonischen Kosmologie gehören. Atticus sieht in einem falschen Verständnis dieses auch bei Platon⁴⁵ belegten Grundsatzes der Koinzidenz von Werden und Vergehen die Ursache für die Irritationen seiner platonischen Gegner. Aus diesem Grund stellt er sich die Aufgabe aufzuzeigen, daß dieser Grundsatz durchaus mit Platons Aussagen in Ti. 31ab und Ti. 41b vereinbar ist. Atticus streitet nicht grundsätzlich ab, daß Gewordensein und Vergänglichkeit bzw. Ungewordensein und Unvergänglichkeit miteinander koinzidierende Eigenschaften von Dingen seien, sondern widerspricht Aristoteles darin, diese Koinzidenz für notwendig und ausschließlich zu halten. Seiner Ansicht nach ist zuzulassen, daß, wenn etwas entstanden ist, dieses nicht in jedem Fall mit Notwendigkeit zugrunde geht, und umgekehrt, daß, wenn etwas nicht vergehen wird, dieses nicht notwendigerweise ungeworden ist. Denn weder darf man zugeben, daß die einzige Ursache für das Unvergängliche die ist, die sich aus der Tatsache, daß es ungeworden ist, herleitet, noch darf dem Gewordenen die Veränderung zum Untergang ohne Hilfe überlassen werden.⁴⁶

Atticus nennt Gottes Wille und Kraft als die eine weitere Ursache von Unvergänglichkeit. Aufgrund dieser Ursache kommt dem gewordenen Kosmos Unvergänglichkeit zu. Während Aristoteles argumentiert, daß nur als möglich angesehen werden kann, was in allen oder den meisten Fällen zu beobachten ist (nämlich die Vergänglichkeit des Gewordenen),⁴⁷ besteht Atticus darauf, daß durchaus das als möglich angesehen werden kann, was nur in einem einzigen, besonderen Fall ausgesagt werden kann, nämlich die Unvergänglichkeit des gewordenen Kosmos. Um den allgemeinen Grundsatz von der Koinzidenz von Werden und Vergehen mit der Lehre von der Unvergänglichkeit des gewordenen Kosmos zu vereinbaren, unterscheidet Atticus zwei Hinsichten. Auf der Ebene der Natur der Dinge selbst unter Absehung von Gottes Willen und Kraft gilt der Zusammenhang notwendig, ist »weder das Gewordene unvergänglich, noch das Unvergängliche als entstanden zu denken«.⁴⁸ Auf der Ebene von Gottes Willen ⁴⁵ Platon kennt den Zusammenhang von Werden und Vergehen (Ti. 41a8 f.; R. 656a2) sowie Ungewordensein und Unvergänglichkeit (Phdr. 245d3 f.). ⁴⁶ Frg. 4 (Z. 44–48): … ὅτι οὐ πάντως, εἴ τι γέγονε, τοῦτ’ ἀνάγκη φθαρῆναι, πάλιν δ’ οὐδ’ εἴ τι μὴ φθαρήσεται, τοῦτ’ ἀναγκαῖον ἀγένητον εἶναι· οὔτε γὰρ μίαν αἰτίαν τῷ ἀφθάρτῳ τὴν ἐκ τοῦ ἀγενήτου συγχωρητέον οὔτε τῷ γενομένῳ τὴν εἰς ὄλεθρον μεταβολὴν ἀβοήθητον καταλειπτέον. ⁴⁷ Aristoteles, Cael. 1,10 (279b17–21): Es können nur die Eigenschaften vernünftig (εὐλόγως) zugeschrieben werden, die ἐπὶ πολλῶν ἢ πάντων ὁρῶμεν ὑπάρχοντα. Im Falle der Behauptung, daß der Kosmos geworden und unvergänglich sei, wird ein Einzelfall konstruiert, der nirgends zu beobachten ist. Die Betrachtung der Gesamtheit aller gewordenen Dinge führt vielmehr zu der gegenteiligen Behauptung: ἅπαντα γὰρ τὰ γινόμενα καὶ φθειρόμενα φαίνεται. ⁴⁸ Atticus, frg. 4 (Z. 61–64): … κατὰ μὲν τὴν αὐτῶν φύσιν τῶν πραγμάτων ἦν, ἄνευ θεοῦ βουλήσεως καὶ δυνάμεως, ἐπινοῆσαι οὔτε τὸ γενόμενον ἄφθαρτον οὔτε τὸ μὴ φθαρησόμενον γενητόν·

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und Kraft dagegen kommt auch dem gewordenen Kosmos Unvergänglichkeit zu. Daher ist der real geschaffene Kosmos seiner eigenen Natur nach vergänglich, aufgrund des göttlichen Schöpferwillens jedoch unvergänglich.⁴⁹ Atticus schränkt also die Gültigkeit des naturphilosophischen Grundsatzes ein. Er gilt nicht für den Schöpfer, dessen Wille und Kraft damit über dem Naturzusammenhang stehen. 2.1.4. Das Vermögen und der Wille des göttlichen Schöpfers Anstatt naturphilosophische oder logische Beweise anzuführen, die auf die Argumente des Aristoteles in Cael. 1,10–12 eingehen und eine Begrenzung des naturphilosophischen Grundsatzes plausibel machen könnten, verweist Atticus im Fortgang seiner Argumentation allein auf die Göttlichkeit von Willen und Vermögen des Demiurgen. In diesem Zusammenhang bezeichnet er die Position des Aristoteles als lächerlich. Denn dieser mißachte die beste, aus Gott stammende Ursache und ordne den göttlichen Willen als eine schlechtere Ursache unter das Ungewordensein als eine natürliche Eigenschaft. Damit zeichne er den göttlichen Willen als schwach und mangelhaft, das zu bewahren, was er erhalten will.⁵⁰ Hinter dieser Anklage steht der Vorwurf, in Gott zwischen Vermögen und Willen zu trennen und nicht zu beachten, daß Gottes Wille über alle Dinge und damit auch über den Naturzusammenhang herrscht. Damit spricht Aristoteles in den Augen des Atticus dem Willen Gottes die Göttlichkeit ab. Atticus bezieht den Willen und die Kraft des Demiurgen eng aufeinander und hebt sie so stark hervor, daß sie geradezu als eine eigenständige Größe erscheinen, derer sich Gott bei der Erschaffung des Kosmos als Werkzeug bedient. So redet Atticus von der δύναμις, durch die (δι’ ἧς) der Schöpfer des Alls den Kosmos schafft und erhält (Z. 38–40), die er gebraucht (ᾗ χρώμενος), um etwas Gutes zu schaffen (Z. 55 f.). Er bezeichnet Willen und Kraft Gottes als »die beste Ursache aus Gott (ἐκ θεοῦ)«, die als »Beherrscherin aller Dinge« anzunehmen sei (Z. 64 f.). Atticus betont jedoch auch, daß es sich um die Kraft bzw. das Vermögen und den Willen des »Allkönigs und besten aller Werkmei⁴⁹ Siehe den Bericht des Proclus, in R. II 377,15–378,6 (Kroll) = Atticus, frg. 25, nach dem Atticus und seine Anhänger sagen, daß der Kosmos … φθαρτὸς μέν ἐστι διὰ τὴν ἑαυτοῦ φύσιν, ἄφθαρτος δὲ διαμένει διὰ τὴν τοῦ θεοῦ βούλησιν. (Z. 6 f.). Ähnlich Proclus, in Ti. III 212,6–11 (Diehl) = Atticus, frg. 32 über die Auslegung von Ti. 41b bei Severus, Atticus und Plutarch. Nach ihr gilt von den geschaffenen Göttern: … παρ’ ἑαυτῶν μὲν λυτά ἐστι, κατὰ δὲ τὴν βούλησιν ἄλυτα τοῦ πατρός, … (Z. 1 f.). ⁵⁰ Siehe frg. 4 (Z. 64–71): ὅταν δὲ τὴν ἀρίστην τις αἰτίαν ἐπιστήσῃ τὴν ἐκ θεοῦ, δεῖ ταύτην ἡγεμόνα τῶν πάντων λαβόντα μηδὲν αὐτὴν τῶν ἄλλων αἰτίαν ἀποφαίνειν χείρονα· γελοῖον γὰρ διότι μὲν γέγονέ τι, διὰ τοῦτο φθαρῆναι, εἰ δ’ ὁ θεὸς βούλεται, μὴ φθαρῆναι, καὶ διότι μέν τι ἀγένητόν ἐστιν, ἔχειν ἰσχὺν τοῦ μὴ φθαρῆναι, τὴν δὲ παρὰ τοῦ θεοῦ βούλησιν ἐνδεῖν πρὸς τὸ ἄφθαρτον τηρῆσαί τι τῶν γενομένων.

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ster« handelt, den er als die göttliche Ursache darstellt, von der eine gedankliche Vorstellung nur in kleinem Maße möglich ist (Z. 77–80). Letztlich ist nach Atticus der Schöpfergott »die größte und göttlichste Kraft« (Z. 109 f.). Innerhalb der Handwerker-Analogie qualifiziert Atticus die göttliche Kraft daher schlicht als Fähigkeit bzw. Vermögen des Demiurgen, »etwas von den nichtseienden Dingen ins Sein zu führen« (Z. 76 f.).⁵¹ Hier überwiegen verbale Formulierungen, so daß der Charakter der Eigenständigkeit zurücktritt. Atticus nutzt offensichtlich den schillernden Ausdruck δύναμις in seiner vielfältigen Bedeutung als Kraft, Macht oder Vermögen, um die Aspekte des Allkönigs und des Besten aller Werkmeister herauszuarbeiten, die sein Schaffen betreffen. Seine Ausführungen in einem anderen Kontext legen nahe, daß er diesen Aspekt der in der Welt immanent wirksamen Kraft Gottes mit der Weltseele identifiziert.⁵² Mit dem Hinweis auf Gottes Kraft und Vermögen begegnet Atticus en passant einem weiteren aristotelischen Einwand gegen die Vorstellung einer realen Weltentstehung. Dieser lautet in der Formulierung des Atticus, daß das, was früher noch nie entstanden ist, wohl auch niemals entstehen wird.⁵³ Hinter diesem Einwand steht die aristotelische Vorstellung, daß die Ursachen zu gerichteten Veränderungen nicht nur zeitlich begrenzt vorliegen, sondern bereits vor ihren Wirkungen als Potenz der Veränderung vorhanden sind, so daß eine Veränderung die Aktualisierung einer immer schon vorliegenden Möglichkeit ist. Vor diesem Hintergrund fragt Aristoteles in Cael. 1,10 nach der Ursache der Weltentstehung, d. h. nach der Ursache der Veränderung der zugrunde liegenden Materie zum Kosmos. Entweder gibt es immer schon eine Ursache dieser Veränderung (z. B. den Demiurgen), so daß der Kosmos auch zu einem anderen, früheren Zeitpunkt hätte entstehen können. Oder es liegt keine Ursache der Weltentstehung vor, so daß die Welt zu keinem früheren oder späteren Zeitpunkt entstehen kann.⁵⁴ Die Vorstellung einer einmaligen, kontingent auftretenden Schöpfungsinitiative des Demiurgen, die Atticus’ Behauptung einer einmaligen realen Erschaffung des Kosmos impliziert, ⁵¹ Siehe die Parallele von ἱκανὸς εἶναι und δυνατὸς εἶναι bzw. den Gegensatz ἀδύνατος εἶναι (Z. 81.83.90). ⁵² Daß Atticus der Dynamis des Demiurgen keine eigenständige Existenz beilege, betont M. B 1976, 56. Frg. 4 legt allerdings die Vermutung nahe, daß Atticus die Kraft des Demiurgen mit der Weltseele identifiziert. Insofern deutet sich hier eine Differenzierung innerhalb der göttlichen Ursache an. Siehe dazu Kapitel 3.1. Die Identifikation der Weltseele mit der Kraft des Demiurgen erklärt auch, warum Atticus anders als Plutarch annimmt, daß die vorkosmische Materieseele als irrationale Kraft weiter im Kosmos wirkt. Siehe dazu Kapitel 3.2. ⁵³ In frg. 4 (Z. 55–57) heißt es von Aristoteles: … οὐ μὴν οὐδὲ δύναμιν ἀπολείποντος αὐτοῦ περὶ τὸν θεὸν ᾗ χρώμενος ἀγαθὸν ἄν τι ποιήσαι; ὃ γὰρ οὔπω πρότερον γέγονε, τοῦτο, φησίν, οὐδ’ ἂν γένοιτο. ⁵⁴ Aristoteles, Cael. 1,10 (279b21–24) und 1,12 (283a11 f.).

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widerspricht diesem aristotelischen Konzept der Verursachung. Nach einigen Fragmenten der nicht erhaltenen Vorlesung des Aristoteles »Über die Philosophie« ist sie außerdem weder mit der Vollkommenheit des Kosmos,⁵⁵ noch mit dem Wesen des göttlichen Schöpfers vereinbar. Da Gott unveränderlich ist,⁵⁶ kann es keine Weltschöpfung novo consilio inito geben.⁵⁷ Alle diese Schwierigkeiten zeigen nach Aristoteles, daß die Vorstellung einer einmaligen, realen Erschaffung einer dann unvergänglichen und vollkommenen Welt durch Gott nur zu Aporien führt und daher abzulehnen ist. Atticus dagegen führt die Aporien des Aristoteles darauf zurück, daß dieser »bei Gott keine Kraft beläßt, unter deren Benutzung er wohl etwas Gutes schaffen könnte«⁵⁸, jene Kraft, »durch die er den Kosmos, obwohl er vorher nicht war, schuf«⁵⁹. In anderen Zusammenhängen versucht Atticus gleichwohl, differenzierter auf die aristotelischen Einwände zu antworten. So läßt sich aus einer längeren Auseinandersetzung des Porphyrius⁶⁰ mit Atticus erschließen, daß Atticus die Frage, warum der Demiurg die Welt zu keinem anderen früheren oder späteren Zeitpunkt geschaffen habe,⁶¹ mit dem Hinweis auf den Zustand der Materie beantwortet. Da die Materie sich durch die Einwirkung der irrationalen Urseele in ständiger Umwandlung und Bewegung befindet, habe sie nicht immer gleichermaßen die Eignung (ἡ ἐπιτηδειότης) besessen, zu einem möglichst guten Kosmos geordnet zu werden. Der Schöpfergott habe daher die Veränderungen der Materie beobachtet (ἐπιτηρεῖν) und mit dem Ordnen erst begonnen, als der Zustand der Materie dafür geeignet war. Porphyrius schließt in Übereinstimmung mit Atticus aus, daß der ewige Wille des Demiurgen, Gutes zu schaffen, durch diesen selbst gehindert wird. »Denn Gott ist immer gut, das Gute aber schafft beständig alles gut.« Die Erschaffung des Kosmos zu einem bestimmten Zeitpunkt kann daher nur aus der Widerständigkeit der ⁵⁵ Aristoteles, frg. 19c Ross = Philo, Aet. 13,39–43 (85,5–86,10 Cohn). ⁵⁶ Siehe Aristoteles, frg. 16 Ross = Simplicius, in Cael. 288,28–289,15 (Heiberg); frg. 19c

Ross = Philo, Aet. 13,39–43 (85,5–86,10 Cohn); Metaph. 12,6 f. Siehe zur Unveränderlichkeit Gottes nach Aristoteles B. E 1970, 102–109. ⁵⁷ Aristoteles, frg. 20 Ross = Cicero, ac. 2,38 (119 Plasberg). ⁵⁸ Frg. 4 (Z. 55 f.). ⁵⁹ Atticus zufolge legt Platon dem Demiurgen eine δύναμις bei, … δι’ ἧς καὶ οὐκ ὄντα πρότερον ἐποίησε τὸν κόσμον καὶ ποιήσας εἰσαεὶ βουλόμενός γε σῷον διαφυλάξει, καὶ ταύτῃ δὴ γενητοῦ καὶ ἀφθάρτου κατ’ αὐτὸν ὑποκειμένου τοῦ κόσμου … (frg. 4 [Z. 38–42]). ⁶⁰ Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 394,12–19 (Diehl) = Porphyrius, in Ti. frg. 51 (37,8–14 Sodano): εἰ γὰρ ὁ θεὸς βούλεται εἰς τάξιν ἄγειν πάντα, πῶς βούλεται; ἆρα ἀεὶ ἢ ποτέ; εἰ μὲν γὰρ ποτέ, ἢ παρ’ αὐτὸν τοῦτο ἢ παρὰ τὴν ὕλην. ἀλλ’ εἰ παρ’ αὐτόν, ἄτοπον· ἀεὶ γὰρ ἀγαθός· τὸ δὲ ἀγαθὸν πᾶν ἀεὶ εὖ ποιητικόν· εἰ δὲ παρὰ τὴν ὕλην ἀντικόπτουσαν, πῶς νῦν κεκόσμηται; ὅτι, φασίν [sc. Atticus C. K.], ἐπιτηδεία γέγονεν εἰς τὸ δέξασθαι τὸν δημιουργικὸν λόγον· τοῦτο γὰρ καὶ ἐπιτηρεῖν τὸν θεόν, τὴν ἐπιτηδειότητα αὐτῆς. Siehe dazu M. B 1983, 45. ⁶¹ Diese Anfrage geht auf Aristoteles zurück und wird besonders von Epikureern aufgegriffen und variiert, um das Konzept eines Schöpfergottes ad absurdum zu führen. Siehe M. B 1976, 12 f.24–32.

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Materie erklärt werden. Daß damit der Wille und das Vermögen des Schöpfergottes, deren Überlegenheit über den Naturzusammenhang Atticus in dem bei Eusebius erhaltenen Fragment herausarbeitet, der Vorgabe durch die Materie unterliegt, thematisiert Atticus in den erhaltenen Textausschnitten nicht. Auf die Frage des Aristoteles, was Gott vor der Erschaffung der Welt getan habe, wenn sein Sein im Erschaffen besteht, antwortete Atticus wohl, daß er durch beständiges Schauen das Paradigma erschaffen und erhalten habe und so immer Schöpfer sei.⁶² 2.1.5. Die Analogie zum Vermögen und Willen menschlicher Handwerker und Künstler Atticus versucht, die zwei kosmologischen Grundaussagen, die für einen durch die Timaeuskritik des Aristoteles bzw. die Timaeusinterpretation der Alten Akademie beeinflußten Platoniker anstößig sind, durch den Hinweis auf das Vermögen des Schöpfergottes und die Stärke seines Willens abzusichern. Er knüpft dafür an die Darstellung des Schöpfergottes als göttlichen Handwerker im Timaeus an und arbeitet in einem Vergleich mit menschlichen Handwerkern heraus, daß man Gottes Vermögen und Willen nicht weniger zutrauen darf als den menschlichen Vertretern der hervorbringenden Künste.⁶³ Wenn diese das Vermögen besitzen, »etwas Nichtseiendes ins Sein zu führen«, darf diese Fähigkeit auch dem Allkönig und besten aller Werkmeister nicht abgesprochen werden. In drei Beispielen – Baumeister, Bildhauer und Schiffbauer – präzisiert Atticus, daß unter der Erschaffung von etwas, das vorher nicht war, die Erschaffung von etwas Geformtem aus ungestalteter Materie zu verstehen ist. Die Schöpfungstätigkeit des Demiurgen umfaßt also getreu dem Timaeus nicht die Materie, über die Atticus im vorliegenden Textausschnitt schweigt. An der Analogie zu den menschlichen Handwerkern zeigt Atticus auch, daß dem göttlichen Schöpfer nicht nur die Fähigkeit zugesprochen werden darf, das Schöne zu schaffen, sondern ihm auch das Vermögen beigelegt werden muß, das so Geschaffene zu erhalten. Wie die menschlichen Handwerker ihre Werkstücke vor dem allmählichen Zerfall bewahren, indem sie beschä⁶² Porphyrius über Atticus bei Proclus, in Ti. I 271,31–272,6 (Diehl) = Porphyrius, in Ti. frg. 32 (21 Sodano). Siehe dazu M. B 1983, 41–43. ⁶³ Siehe frg. 4 (Z. 71–80): Καὶ ὁ μὲν οἰκοδόμος ἱκανὸς οὐκ οὖσαν οἰκίαν κατασκευάσασθαι, ἱκανὸς δέ τις καὶ ἀνδριάντα, μὴ ὄντα πρότερον, ὄντα ποιῆσαι, καὶ ναῦν ἄλλος ἐξ ὕλης ἀργοῦ τεκτηνάμενος παρέσχε τοῖς δεομένοις, καὶ τῶν ἄλλων τεχνιτῶν ἕκαστος ὅσοι γε τὰς ποιητικὰς μετίασι τέχνας, δύναμιν ταύτην ἔχουσιν, ὥς τι τῶν οὐκ ὄντων ἄγειν εἰς οὐσίαν, ὁ δὲ παμβασιλεὺς καὶ ἀριστοτέχνης οὐδ’ ὅσον ἀνθρωπίνου τεχνίτου δυνάμεως μεθέξει, ἄμοιρος δ’ ἡμῖν πάσης ἔσται γενέσεως; οὔκ, ἐάν γε καὶ κατὰ βραχὺ θείας αἰτίας ἐπιλογισμὸν οἷοί τ’ ὦμεν λαβεῖν.

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digte Teile ersetzen, so erhalte auch Gott den Kosmos, indem er ihn in Teilen beständig neu schafft.⁶⁴ Der Vergleich mit den menschlichen Handwerkern in Abschnitt 12–14 zeigt deutlich, daß sich Atticus primär nicht an Aristoteles, sondern an Platoniker richtet, die den Kosmos für ungeworden halten und sich dafür auf den Grundsatz der Korrespondenz von ungeworden und ewig berufen. Denn ein Vergleich mit menschlichen Handwerkern würde die Aristoteliker in ihrem Urteil über die platonische Kosmologie nur bestärken, die sich in ihren Augen an der Vollkommenheit des Kosmos vergeht, indem sie ihn mit den χειρόκμητα menschlicher Handwerker auf eine Stufe stellt.⁶⁵ Atticus greift das Bild der handwerklichen Tätigkeit des göttlichen Demiurgen aus dem Timaeus auf, um die mit der Erschaffung verbundene göttliche Vorsehung herauszustellen. Das wird auch darin deutlich, daß er die Identität von Allkönig und göttlichem Werkmeister betont und die fortwährende Erhaltung der Welt als ständige Neuschöpfung aus der einmaligen, anfänglichen Weltschöpfung ableitet. 2.1.6. Die Unvergänglichkeit des Kosmos folgt aus dem Wesen und dem Willen des Schöpfergottes ( Ti. 41b2) Aus dem Timaeus gewinnt Atticus schließlich ein weiteres Argument für die Unvergänglichkeit des geschaffenen Kosmos: die Güte des Schöpfergottes, von der Ti. 29e1 f. spricht. Atticus verweist auf Ti. 41b2, wonach es ein Zeichen von Übel ist, das gute Werk aufzulösen. Er wertet diese Passage als einen Beleg für die Notwendigkeit, daß der Schöpfer das schöne Werk erhalten wird. Diese Aussage ist aufschlußreich, denn sie zeigt, daß für Atticus der göttliche Schöpferwille zwar nicht der Notwendigkeit des allgemeinen Naturzusammenhangs unterworfen ist, wohl aber durch das Wesen der göttlichen Natur bestimmt wird: Dem guten Schöpfer ist es unmöglich, das Böse zu wollen.⁶⁶ Atticus beschließt seine Argumentation mit einem Abschnitt über den göttlichen Willen. In Anlehnung an Ti. 41b4–6 betrachtet er den Willen des Schöpfergottes als das stärkste Band zur Erhaltung der gewordenen Dinge. ⁶⁴ Siehe frg. 4 (Z. 81–90): Ἀλλὰ ποιῆσαι μὲν ἱκανὸς καὶ βουληθῆναι τὰ καλά (›ἀγαθὸς γάρ, ἀγαθῷ δ’ οὐδεὶς φθόνος περὶ οὐδενός‹), τηρῆσαι δὲ καὶ διαφυλάξαι τὰ γενόμενα οὐ δυνατός; καὶ μὴν καὶ οἱ λοιποὶ τεχνῖται πρὸς ἄμφω ἱκανοί· ὁ γοῦν οἰκοδόμος καὶ ὁ ναυπηγὸς οὐ μόνον καινὰς κατασκευάζονται ναῦς καὶ οἰκίας, ἀλλὰ καὶ ταῖς ὑπὸ χρόνου διαφθερομέναις ἱκανοὶ βοηθεῖν, ἕτερα τῶν πεπονημένων ἀντικαθιστάντες αὐταῖς· ὥστε καὶ τῷ θεῷ πάντως τό γε τοσοῦτον συγχωρητέον. Ὃ γάρ τις ὅλον ποιῆσαι δυνατός, τοῦτο πῶς ἂν ἐκ μέρους ἀδύνατος εἴη ποιεῖν; Zur Wirkungsgeschichte der Vergleiche des Atticus siehe M. B 1976, 61 f. ⁶⁵ Aristoteles, frg. 19c Ross = Philo von Alexandrien, Aet. 13,39–43 (85,5–86,10 Cohn). ⁶⁶ So urteilt auch D. W 2006, 686: Die Aussagen des Atticus »sind nicht im Sinne einer an nichts gebundenen, voraussetzungslosen Souveränität des Demiurgen zu verstehen, denn dieser ist an das Gute, das er selbst ist, gehalten … u. verwirklicht daher nur das, was die Vernunft als möglich erweist.«

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Erneut zieht er eine Analogie zu menschlichen Akteuren und klassifiziert menschliche Werke und göttliche Schöpfung gleichermaßen als Hervorbringungen, deren Entstehungsursachen in dem Willen sowie der Intention ihrer Schöpfer liegen.⁶⁷ Diese Art der Entstehung verbürgt ihre Dauer, weil sie die Fürsorge für das geschaffene Werk impliziert. Als göttliche Schöpfung hat der Kosmos Anteil an der Intention (γνώμη) Gottes. Diese Aussage dürfte wohl auf Ti. 29e zurückgehen, wonach der aus der Güte des Demiurgen entspringende Wille, »daß alles soweit als möglich ihm ähnlich werde«, die αἰτία (Ti. 29d7) und γενέσεως καὶ κόσμου ἀρχὴ κυριωτάτη (Ti. 29e4–30a1) ist. Deswegen ist der Kosmos gut und hat darin mit den Worten des Atticus Anteil am Willen (und Wesen) des Schöpfers. Den göttlichen Willen auf diese Weise als Ursache des Kosmos darzustellen, bedeutet nach Atticus, Gott selbst als finale und effiziente Ursache des Kosmos anzunehmen. Daher erklärt er in knapper, präpositionaler Form, daß die Dinge, die Anteil an Gottes Willen haben, seinetwegen (δι’ αὐτόν) und durch ihn (ὑπ’ αὐτοῦ) entstanden sind.⁶⁸ Die Identifikation von finaler und effizienter Ursache entspricht der früheren Gleichsetzung von παμβασιλεύς und ἀριστοτέχνης. Sie wird von späteren Platonikern kritisiert,⁶⁹ ist aber für Atticus’ argumentative Ableitung der Schöpfungslehre aus der Lehre von der göttlichen Vorsehung und der Erhaltung des Kosmos aus seiner realen Erschaffung grundlegend. Zwischen den menschlichen Werken und dem Kosmos als göttlicher Schöpfung besteht jedoch ein gravierender Unterschied. Obwohl menschliche Werke lange und unvorstellbare Zeit andauern können, kommt ihnen keine Unvergänglichkeit zu, da ihre Schöpfer nicht ewig existieren. Der göttliche Schöpfer dagegen ist ewig und, so betont Atticus, bei seinem Werk anwesend. Das ist die Voraussetzung dafür, daß Atticus die Erhaltung des Kosmos als beständige Neuschöpfung seiner Teile beschreiben kann. Hier steht erneut die Lehre von der göttlichen Vorsehung im Hintergrund, die Atticus inhaltlich als Willen Gottes zur Erschaffung und Erhaltung des Kosmos bestimmt. Der göttliche Wille ist nach Atticus Garant für die Unvergänglichkeit des Kosmos, weil weder eine innerkosmische Größe noch eine außerkosmische Kraft existiert, die ihn bezwingen könnte. Atticus betont, daß der vorkosmi⁶⁷ Siehe frg. 4 (Z. 93–101): Μείζων δ’ ἄλλος εἰς σωτηρίαν τῶν γενομένων δεσμὸς οὐκ ἔστι τῆς τοῦ θεοῦ βουλήσεως· ἢ ἀνθρωπίνης μὲν σπουδῆς καὶ βουλήσεως μεταλαβόντα πολλά, καὶ ἔθνη καὶ πόλεις καὶ ἔργα, μένει ›χρόνον ἀμήχανον ὅσον‹ γενόμενα μηκέτ’ ὄντος τοῦ θελήσαντος, τὰ δὲ τῆς τοῦ θεοῦ μετασχόντα γνώμης καὶ δι’ αὐτὸν καὶ ὑπ’ αὐτοῦ γενόμενα, ταῦτα δ’ ἄρα παρόντος τοῦ ποιήσαντος οἰχήσεται καὶ οὐ παραμενεῖ; ⁶⁸ Für die beliebte Form der präpositionalen Umschreibung siehe Proclus, in Ti. I 357,12– 23 (Diehl) und H. D / M. B 1996, 377–383. ⁶⁹ Proclus, in Ti. I 305,6–16 (Diehl) = Atticus, frg. 12 kritisiert Atticus für die Gleichsetzung des Demiurgen des Timaeus mit dem Guten nach R. 509b9.

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sche Widerstreit zwischen göttlichem Willen und ungeordneter Seele der Materie mit der Erschaffung des Kosmos entschieden ist, denn die Notwendigkeit »hat ja selbst ihre Niederlage eingestanden, indem sie zuließ, geordnet zu werden«.⁷⁰

2.2. Die Kritik durch Alexander von Aphrodisias sowie Porphyrius und Proclus In seinem Kommentar zu Ti. 41a8–b2 kommentiert Proclus die Auslegung von Severus, Atticus und Plutarch mit der Bemerkung, daß diesen »auch die vom Peripatos häufig und mit vielen Mitteln widersprochen haben«.⁷¹ Schriftliche Niederschläge dieses Widerspruchs sind glücklicherweise bei Alexander von Aphrodisias erhalten.⁷² Er hat sich in seinem Kommentar zu Aristoteles’ De caelo sowie in seinem philosophischen Unterricht, aus dem Sammlungen von Quaestiones hervorgegangen sind, mit der Position des Atticus befaßt.⁷³ Dabei richtet er sich vor allem gegen die Behauptung des Atticus, daß das Gewordene nicht notwendig vergehe, sowie gegen die Ansicht, daß Gott über der Natur der Dinge stehe. Anknüpfend an die Ausführungen des Aristoteles in Cael. 1,12 legt Alexander dar, in welchen Bedeutungen das Mögliche und das Unmögliche ausgesagt werden. Dabei stellt er besonders die Beziehung des Möglichen und Unmöglichen zum Notwendigen heraus. Während Aristoteles das Notwendige in Cael. ⁷⁰ Frg. 4 (Z. 101–109): τίνος αἰτίας βιασαμένης τὴν τοῦ θεοῦ γνώμην; πότερον τῆς ἐξ αὐτῶν τῶν γενομένων ἀνάγκης; ἀλλ’ αὐτή γε τῷ προσέσθαι τὸ κοσμηθῆναι τὴν ἐκ τοῦ θεοῦ προσωμολόγησεν ἧτταν· ἀλλ’ ἔξωθέν τινος αἰτίας ἀνταγωνιζομένης τῷ θεῷ; ἀλλ’ οὔτ’ ἔστιν οὔτ’ ἐν οἷς ἔφθη κρατήσας καὶ κοσμήσας ὁ θεὸς ἔτι ἄξιον ἐν τούτοις αὐτὸν ἐλαττοῦν τινος, εἴ γε μὴ παντάπασι λανθάνομεν ἡμᾶς αὐτοὺς περὶ τῆς μεγίστης καὶ θειοτάτης δυνάμεως διαλεγόμενοι. ⁷¹ Proclus, in Ti. III 212,9 f. (Diehl). ⁷² Möglicherweise setzt sich Alexander auch mit der Polemik des Atticus gegen Aristoteles im Zusammenhang der Vorsehungslehre auseinander. In Quaest. 2,21 wendet er sich zweimal gegen eine bzw. mehrere namentlich nicht genannte Personen, »die sich zur Meinung Platons bekennen und vehement der Ansicht sind, daß Aristoteles nichts über die Vorsehung sagt« (70,7–9; 70,33–71,2 Bruns). Siehe dazu P. M 1969, 88–91. ⁷³ Siehe Alexander von Aphrodisias bei Simplicius, in Cael. 358,27–360,3 (Heiberg); Quaest. 1,18: Ὅτι μὴ οἷόν τε τὸν κόσμον ἄφθαρτον εἶναι διὰ τὴν βούλησιν τοῦ θεοῦ, εἰ εἴη φθαρτὸς τῇ αὑτοῦ φύσει (30,23–32,19 Bruns). Zum Charakter der Quaestiones schreibt R. W. S 1992, 1: »Like the other minor works attributed to Alexander, these texts have their apparent origin in the discussion and debate of Aristotle’s works and thought by Alexander himself and his associates or pupils. They thus throw light … on the functioning of a philosophical ›school‹ in the early years of the third century AD«. Siehe auch . 1990, 83–111. Auch wenn die Zusammenstellung der Sammlungen schlecht zu datieren ist (. 1992, 2 f.), wird nicht grundsätzlich in Frage gestellt, daß die quaestiones von Alexander bzw. aus seinem Umfeld stammen. Daß Quaest. 1,18 die Argumentation des Alexander wiedergibt, bezeugt die Parallele bei Simplicius.

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1,10–12 nicht explizit verhandelt,⁷⁴ scheint Alexanders Aufmerksamkeit durch die Auseinandersetzung mit der Position des Atticus auf diesen Punkt gelenkt worden zu sein.⁷⁵ Alexander spricht von dem Möglichen im eigentlichen Sinne⁷⁶ als dem Vermögen von Dingen, etwas kontigent (ἐνδεχομένως) zu werden oder auch nicht zu werden⁷⁷. Möglichkeit in diesem Sinne bedeutet immer, eine natürliche Ausstattung und Eignung zu Gegensätzen zu besitzen.⁷⁸ Das Mögliche im uneigentlichen Sinne ist das Vermögen von Dingen, etwas notwendig (ἀναγκαίως) zu werden.⁷⁹ Nach Alexander bedeutet dieser Wortgebrauch, das ›Mögliche‹ anstelle des ›Notwendigen‹ zu verwenden.⁸⁰ Entsprechend dieser zweifachen Bedeutung von δυνατόν unterscheidet Alexander auch zwei Verwendungen von ἀδύνατον. Das ›durch Hinderung Unmögliche‹ wird ausgesagt, wenn bei Dingen, die eine natürliche, kontigente Eignung zu etwas besitzen, diese Eignung gehindert wird, zur Verwirklichung zu gelangen. So ist es einem Kiesel unmöglich, gesehen zu werden, wenn er in einem Abgrund liegt. Im Unterschied definiert Alexander das ›aus Notwendigkeit Unmögliche‹ als das, was einem Ding prinzipiell (τὴν ἀρχήν)⁸¹ nicht möglich ist, weil dessen zugrunde liegende Natur unfähig ist, es aufzunehmen, da sein Gegenteil ihm notwendig zukommt. Dieses ist absolut unmöglich.⁸² So ist es der Diagonalen im Rechteck unmöglich, mit der Seite kommensurabel zu sein. In gleicher Weise ist es dem Göttlichen aufgrund seiner Natur (τῇ αὑτοῦ φύσει) unmöglich zu vergehen, weil es notwendig (ἐξ ἀνάγκης) unvergänglich ist.⁸³ Alexander unterscheidet also zwei Klassen von Möglichem und zwei Klassen von Unmöglichem.⁸⁴ Das ›im eigentlichen Sinne Mögliche‹, das Kontingente, kann in das ›durch Hinderung Unmögliche‹ umschlagen.⁸⁵ Dagegen kann das ›im uneigentlichen Sinne Mögliche‹, das Notwendige, niemals gehindert wer⁷⁴ L. J 1983, 217–255 arbeitet heraus, daß gleichwohl ein bestimmtes Konzept von Notwendigkeit implizit im Hintergrund der Argumentation von Cael. 1,12 steht. ⁷⁵ Grundlegend zu den Ausführungen des Alexander von Aphrodisias ist R. W. S 1982 u. 1983b. ⁷⁶ Siehe Alexander von Aphrodisias, Quaest. 1,18 (30,25 Bruns): κυρίως. ⁷⁷ Bei Simplicius, in Cael. 359,2 (Heiberg). ⁷⁸ Quaest. 1,18 (31,8 f. Bruns): … ἐκ τῆς οἰκείας φύσεως παρασκευήν τε καὶ ἐπιτηδειότητα ἔχει; (31,21 Bruns): … φυσικὴν ἐπιτηδειότητα … ⁷⁹ Bei Simplicius, in Cael. 359,2 f. (Heiberg). ⁸⁰ Quaest. 1,18 (31,3 f. Bruns); bei Simplicius, in Cael. 359,4 f. (Heiberg). ⁸¹ Quaest. 1,18 (31,14 f. Bruns). ⁸² Bei Simplicius, in Cael. 359,8–11 (Heiberg): … τὰ δὲ ἁπλῶς ἀδύνατα, ὧν ἡ φύσις ἡ ὑποκειμένη ἀνεπίδεκτός ἐστι, καὶ ὧν τὰ ἀντικείμενα ἐξ ἀνάγκης αὐτοῖς ὑπάρχει, ταῦτα πᾶσίν ἐστιν ἀδύνατα, ὡς τὸ τὴν διάμετρον σύμμετρον τῇ πλευρᾷ ποιῆσαι ἢ τὰ δὶς δύο πέντε. Ähnliche Beispiele für notwendig Unmögliches auch in Prov. 16,1–6 (Übersetzung Ruland). ⁸³ Quaest. 1,18 (31,17 f. Bruns). ⁸⁴ Quaest. 1,18 (31,18–20 Bruns). ⁸⁵ Quaest. 1,18 (31,4–6 Bruns).

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den, zur Verwirklichung zu gelangen. Sein Gegenteil ist immer ›notwendig unmöglich‹, denn sonst würden einer Sache gegensätzliche Eigenschaften notwendig und wesentlich zukommen, was nach Aristoteles unmöglich ist.⁸⁶ Dem Notwendigen korrespondiert also immer ein ›von Natur aus bzw. mit Notwendigkeit Unmögliches‹. An dieser Stelle wird deutlich, daß Alexander die Position des Atticus im Visier hat, indem er ›Natur‹ und ›Notwendigkeit‹ verknüpft: Das einer Sache von Natur aus Zukommende ist ihr mit Notwendigkeit zuzuschreiben und kann nicht an der Verwirklichung gehindert werden. Vor dem Hintergrund dieser Begriffsbestimmungen entgegnet Alexander der Behauptung, daß das Gewordene nicht mit Notwendigkeit vergeht. Er geht von der Formulierung des Atticus aus, daß das Gewordene seiner eigenen Natur nach vergehe. Vergänglichkeit ist dann eine Eigenschaft, die der Natur des Gewordenen mit Notwendigkeit (ἐξ ἀνάγκης) folgt.⁸⁷ Damit ist die Natur des Gewordenen prinzipiell unfähig, Unvergänglichkeit und Ewigkeit aufzunehmen.⁸⁸ Daraus folgt, daß es auch dem Kosmos, wenn er denn geworden ist,⁸⁹ seiner Natur nach unmöglich ist, nicht zu vergehen. Folglich wird er mit Notwendigkeit vergehen. Alexander hat damit die Frage beantwortet, von welcher Art die δύναμις τοῦ φθαρῆναι des Kosmos ist: Sie ist von Natur aus eine notwendige Eigenschaft, und keine kontingente Anlage, deren Verwirklichung gehindert werden kann.⁹⁰ Dem könnte auch Atticus zustimmen, solange sich die Argumentation ausschließlich auf der Ebene der Natur der Dinge bewegt. Atticus unterscheidet jedoch von der Ebene des Naturzusammenhanges die Ebene des göttlichen Wollens, während Alexander nicht zwischen diesen zwei Betrachtungsebenen differenziert. Vielmehr betont Alexander, daß das von Natur aus bzw. absolut Unmögliche durch niemanden, auch nicht durch die Götter, geschehen kann, wie auch niemand die Diagonale eines Rechtecks der Seite kommensurabel oder zwei mal zwei fünf machen kann.⁹¹ »Unmöglich folglich und allen unmöglich und absolut unmöglich ist es, daß das Vergängliche nicht vergeht.«⁹² An diesem Punkt bedient sich Alexander eines theologischen Arguments, um zu zeigen, daß das von Natur aus Unmögliche auch den Göttern unmöglich ⁸⁶ ⁸⁷ ⁸⁸ ⁸⁹

Quaest. 1,18 (32,12–14 Bruns). Vgl. Aristoteles, Cael. 1,12 (283a4–29). Siehe Alexander von Aphrodisias, Quaest. 1,18 (32,8 f. Bruns). Quaest.1,18 (31,28–32,3 Bruns). Hier zeigt sich, daß Alexander die logische Schlußfolgerung aus der Ansicht der Platoniker zieht, selbst aber nicht annimmt, daß der Kosmos geworden ist. ⁹⁰ Vgl. bei Simplicius, in Cael. 359,11–20 (Heiberg). ⁹¹ Bei Simplicius, in Cael. 359,6 f.8–11 (Heiberg; Text teilweise in Anm. 81). ⁹² Bei Simplicius, in Cael. 359,19 f. (Heiberg): ἀδύνατον ἄρα, καὶ πᾶσιν ἀδύνατον καὶ ἁπλῶς ἀδύνατον, τὸ φθαρτὸν μὴ φθαρῆναι. Daß auch die göttliche Natur diesem Zusammenhang unterliegt, betont Alexander an verschiedenen Stellen: in der Argumentation gegen Atticus in Mu. 139 f. (119–121 Übersetzung Genequand); in der Argumentation gegen die stoische Vorsehungslehre in Prov. 16,1–12 (Übersetzung Ruland).

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ist. Anhand einer berühmten Passage aus dem platonischen Theaetetus weist er nach, daß nach Platon auch Gott das Notwendige nicht verhindern kann: Daß aber die Dinge, die ihrer Natur nach unmöglich sind, auch für die Götter von dieser Art sind, bezeugt Platon, indem er sagt: ›Aber weder ist es möglich (δυνατόν), daß das Böse ausgelöscht wird, … denn es ist notwendig (ἀνάγκη), daß immer etwas dem Guten entgegengesetztes existiert, noch kann es bei den Göttern angesiedelt sein, sondern bei der sterblichen Natur und an diesem Ort hier streift es aus Notwendigkeit (ἐξ ἀνάγκης) umher‹.⁹³

Tht. 176a liefert Alexander also den platonischen Beleg dafür, daß ›Notwendiges‹ und ›absolut Unmögliches‹ auch auf der Ebene der Götter einander korrespondieren. Denn vor dem Hintergrund von Tht. 176a führt die Behauptung des Atticus, daß Gott das von Natur aus Notwendige verhindern kann – in diesem Fall die Existenz des Bösen im irdischen Bereich des Kosmos –, zu der theologisch inakzeptablen Schlußfolgerung, daß Gott das Böse will. Sie steht im Widerspruch zur Aussage des Timaeus, daß Gott gut ist und nach Möglichkeit alles seiner Güte angleichen will. Tht. 176a kann daher angesichts Ti. 29e nur so verstanden werden, daß es Gott unmöglich ist, die notwendige Existenz des Bösen zu verhindern, »denn wenn … es ihm möglich war, was hätte er mehr gewollt als dieses?«⁹⁴ Damit belegt Tht. 176a in Alexanders Augen, daß auch Gottes Wille nicht in der Lage ist, die in der Natur der Dinge liegende Notwendigkeit zu überwinden. Die Annahme, daß Gottes Wille in die Natur des gewordenen Kosmos eingreift, stellt nach Alexander die Güte des göttlichen Wesens aus einem weiteren Grund in Frage. Denn dann ist nicht zu erklären, warum Gott nicht auch jedes der anderen gewordenen und vergänglichen Dinge unvergänglich gemacht hat, »gibt es doch bei jedem als Grund den Umstand, daß das Göttliche ohne Mißgunst ist«⁹⁵. Der Entschluß, den Kosmos unvergänglich zu erhalten, wäre dann ein Ausdruck göttlicher Willkür. Proclus kennt die peripatetischen Einwände gegen Atticus.⁹⁶ Seine eigene ⁹³ Quaest. 1,18 (32,14–19 Bruns): ὅτι δὲ τὰ ἀδύνατα τῇ αὑτῶν φύσει καὶ τοῖς θεοῖς ἐστι τοιαῦτα, καὶ Πλάτων αὐτὸς μαρτυρεῖ, δι᾽ ὧν λέγει· »ἀλλ᾽ οὔτ᾽ ἀπολέσθαι τὰ κακὰ δυνατόν, ᾦ Θεόδωρε· ὑπεναντίον γάρ τι τῷ ἀγαθῷ ἀεὶ εἶναι ἀνάγκη, οὔτ᾽ ἐν θεοῖς αὐτὰ ἱδρῦσθαι, τὴν δὲ θνητὴν φύσιν καὶ τόνδε τόν τόπον περιπολεῖ ἐξ ἀνάγκης«. Siehe auch bei Simplicius, in Cael. 359,21–26 (Heiberg); ἐξ ἀνάγκης 359,25 f. gehört entgegen Heibergs Zeichensetzung noch zum Zitat Platons; so auch R. W. S 1983b, 108 Anm. 32. ⁹⁴ Bei Simplicius, in Cael. 359,26 f. (Heiberg). ⁹⁵ Bei Simplicius, in Cael. 359,2 f. (Heiberg). ⁹⁶ Das geht aus der Bemerkung im Timaeuskommentar hervor (in Ti. III 212,9 f. [Diehl]). Proclus’ Erläuterung des Naturgemäßen in in Ti. III 212,14–21 berührt sich mit den Ausführungen des Alexander: Was den Dingen κατὰ φύσιν zukommt, besitzen diese παρ’ ἑαυτῶν. Das Sein der Dinge ist in jeder Beziehung unfähig, das Gegenteil des Naturgemäßen aufzunehmen (vgl. 212,16 f.). Das Naturgemäße ist den Dingen dem Wesen nach (κατ’ οὐσίαν) mit Notwendigkeit (ἀνάγκην) zu eigen, was Proclus an platonischen Beispielen (die Selbstbewegung der Seele; das Leichtsein des Feuers) demonstriert.

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Kritik⁹⁷ an Atticus, die wahrscheinlich auf Porphyrius zurückgeht,⁹⁸ ist jedoch anders ausgerichtet. Als Platoniker weist er nicht anhand der Position des Atticus die Inkonsistenz Platons in Ti. 41a nach, sondern profiliert seine eigene Deutung von Ti. 41a, die in seinen Augen widerspruchsfrei die aristotelischen Vorwürfe zurückweist.⁹⁹ Proclus wirft Atticus und seinen Anhängern vor, mit der Unterscheidung von κατὰ φύσιν und κατὰ τὴν δημιουργικὴν βούλησιν eine Scheinalternative zu konstruieren. Zwischen der Natur der Dinge und dem Willen des Schöpfers kann kein Unterschied bestehen, weil der Demiurg den Dingen ihre Natur verleiht und erhält und somit Urheber (αἴτιος) jeder natürlichen Eigenschaft ist.¹⁰⁰ Die Position des Atticus ist daher lächerlich und ein in sich widersprüchlicher Versuch, sowohl am Grundsatz von R. 546a festzuhalten, daß alles Gewordene vergeht, als auch Ti. 41ab wörtlich so zu verstehen, daß die kosmischen Götter und analog der Kosmos geworden sind und nicht vergehen.¹⁰¹ Indem Atticus und seine Anhänger zwischen einem Zustand κατὰ φύσιν und einem Zustand κατὰ τὴν δημιουργικὴν βούλησιν unterscheiden, vergehen sie sich in zweifacher Weise an der Göttlichkeit des Demiurgen. Zum einen behaupten sie eine Veränderung des Schöpferwillens, die zu einem Widerspruch des Schöpfers mit sich selbst führt. Zum anderen trennen sie die schöpferische Macht des Demiurgen von seinem Willen ab und achten sie gering, wenn nach ihnen die Natur des Geschaffenen erst künftig unauflöslich wird, nachdem sie zunächst auflösbar entstanden war.¹⁰² Unter der Voraussetzung, daß Natur und Schöpferwille identisch sind und Vermögen und Willen des Demiurgen einander entsprechen, kommt Proclus zu der Ansicht, daß den kosmischen Göttern nach Ti. 41b κατὰ φύσιν Unauflöslichkeit zukommt.¹⁰³ Platons Rede von der Auflösbarkeit der Götter ist daher nicht wörtlich zu nehmen, sondern als ein Hinweis darauf zu verstehen, daß sie ein zusammengesetztes Wesen haben und Ursachen und Plan ihrer Zusammensetzung in einer höheren Ursache liegen.¹⁰⁴ Proclus’ Deutung von Ti. 41ab korrespondiert somit seiner Entscheidung in der Frage, ob der Kosmos nach Platon geworden oder ungeworden ist.¹⁰⁵ ⁹⁷ Proclus, in Ti. III 212,6–213,16 (Diehl). Die Abgrenzung nach hinten ist schwierig, weil die Kritik des Proclus an Atticus in eine Darstellung seiner eigenen Position übergeht. ⁹⁸ Zu Porphyrius als Kritiker des Atticus siehe Kapitel A V. ⁹⁹ Proclus, in R. II 377,15–378,6 (Kroll) = Atticus, frg. 25 umreißt, wie Proclus sich eine angemessene, richtige und vernünftige Entgegnung auf die Vorwürfe des Aristoteles vorstellt. ¹⁰⁰ Proclus, in Ti. III 212,11–14 (Diehl). ¹⁰¹ Proclus, in Ti. III 212,23–29 (Diehl). ¹⁰² Proclus, in Ti. III 212,31–213,6 (Diehl). ¹⁰³ Proclus, in Ti. III 213,10–12 (Diehl): παρ’ ἑαυτῶν γὰρ ἄλυτα τὰ ἔργα τοῦ πατρὸς διὰ τὴν ἐκείνου δύναμιν γεγονότα καὶ κατὰ βούλησιν τὴν δημιουργικὴν ἄλυτά ἐστιν. ¹⁰⁴ Proclus, in Ti. III 213,12–16 (Diehl). Vgl. 211,6 f.22–24; 212,4. ¹⁰⁵ Proclus, in R. II 377,15–378,6 (Kroll) = Atticus, frg. 25.

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2.3. Die Bestimmung von Willen und Vermögen des Demiurgen durch Atticus innerhalb der Auseinandersetzung um die Interpretation von Ti. 41ab Atticus argumentiert in der naturphilosophischen Debatte um das Wesen des Kosmos hauptsächlich theologisch. Er selbst hält fest, daß ihn der Eifer »zur Rede über die Wahrheit« davongetragen habe. Damit gesteht er ein, daß ihn die Diskussion über den Kosmos als einen Gegenstand aus dem Bereich des Werdens, über den immer nur wahrscheinliche Rede (εἰκὼς λόγος) möglich ist, zu einer Betrachtung des göttlichen Prinzips geführt habe, über das allein wahre Aussagen möglich sind.¹⁰⁶ Seine Verteidigung eines real entstandenen und dann unvergänglichen Kosmos führen ihn dazu, ausgehend von Ti. 41ab eine Theorie des göttlichen Schöpfungshandelns zu entwickeln, in welcher Intention (γνώμη) und Wille (βούλησις) die zentrale Rolle spielen. Eine ausführliche Analogie zur menschlichen Schöpfertätigkeit gipfelt in der rhetorischen Forderung, daß Gott die Anteilhabe am Vermögen menschlicher Handwerker nicht abgesprochen werden darf (Z. 78). Im Unterschied zum Willen menschlicher Handwerker ist der Wille des Demiurgen nach Atticus aber unauflöslich mit seinem Vermögen verknüpft, ja er erscheint in manchen Passagen geradezu als identisch mit der Kraft, die den Kosmos schafft und erhält. Atticus hebt in seiner Auslegung von Ti. 41ab hervor, daß Gott durch keine innerweltliche oder außerweltliche Größe begrenzt werde. Folgerichtig bezeichnet er Wille und Vermögen des Demiurgen als »Beherrscherin aller Dinge« einschließlich deren Natur (φύσις). Seine Äußerungen über den Zeitpunkt der Weltentstehung zeigen jedoch, daß sich die Herrschaft des Schöpfergottes nicht auf den vorkosmischen Zustand erstrecken kann und somit durch vorweltliche Ursachen begrenzt wird. Denn die vorkosmische Materie liegt nur insofern im Herrschaftsbereich des Demiurgen, als sie sich seinem Ordnungshandeln unterwirft. Der Zeitpunkt dieses Ordnungsgeschehens wird dabei durch den Zustand der Materie bestimmt, so daß Wille und Vermögen des Demiurgen im vorkosmischen Zustand durch die Materie begrenzt werden. Die Kritik durch Alexander von Aphrodisias und Proclus bzw. Porphyrius läßt weitere Punkte hervortreten, an denen sichtbar wird, daß Atticus Willen und Vermögen des Demiurgen aus einem argumentativen Notstand heraus thematisiert, ohne alle Implikationen systematisch zu durchdringen. So wird aus der Perspektive der Argumentation des Proclus deutlich, daß der Rekurs auf Macht und Wille des Schöpfers inkonsequent ist, solange er gedanklich einen natürlichen Zustand des Kosmos »unter Absehung von Macht und Willen des Schöpfers« definiert. Proclus führt deshalb die φύσις auf den Demiur¹⁰⁶ Siehe Ti. 29b3–c3.

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gen zurück und verankert damit die Herrschaft des Demiurgen über die Natur ontologisch. Der Demiurg steht über der Natur der Dinge, weil er allen Dingen ihre Natur gibt, ihnen Wesen und Konstitution verleiht.¹⁰⁷ Daher kann es keinen Gegensatz zwischen Natur und Schöpferwillen geben, weil die Natur dem Schöpferwillen entspricht. Auffälligerweise bestimmt Atticus nur in frg. 4 die Natur als unterschieden von bzw. in Gegensatz zum göttlichen Willen, während er in frg. 8 die Identität von Natur und Vorsehung betont.¹⁰⁸ Das bestärkt den Eindruck, daß er hier in frg. 4 ad hoc formuliert, um seine zentrale kosmologische Behauptung zu untermauern. Alexanders Kritik spitzt die platonische Lehre vom göttlichen Willen nach Ti. 41ab auf die Frage nach der Allmacht des Demiurgen zu.¹⁰⁹ Atticus bestimmt in frg. 4 die Allmacht des Demiurgen implizit als Übereinstimmung seines Vermögens mit dem Willen, der seinem Wesen entspringt und durch keine inner- oder außerweltliche Größe gehindert werden kann. Darauf bezogen arbeitet Alexander anhand von Tht. 176 heraus, daß die Existenz des Bösen in der Welt die Allmacht Gottes i. S. der Übereinstimmung von Willen und Vermögen in Frage stellt.¹¹⁰ Außerdem mahnt er, den göttlichen Willen in Übereinstimmung mit den Gesetzen der Logik und der Natur zu bestimmen, um nicht der Vorstellung eines willkürlichen Gottes zu verfallen.¹¹¹ Alexanders Kritik zeigt, welches Feld sich eröffnet, sobald man Wille und Macht des Schöpfergottes thematisiert. Atticus hat – den erhaltenen Fragmenten zufolge – dieses Feld nicht betreten. Seine Ausführungen zu Absicht, Willen und Vermögen des Demiurgen dienen allein dazu, seine Behauptung eines real entstandenen und dennoch unvergänglichen Kosmos zu stützen.

3. Die einheitliche Verwaltung und die Gliederung des Kosmos durch seelische Kräfte 3.1. Die einheitliche Verwaltung des Kosmos in der Auseinandersetzung mit Aristoteles Die Auseinandersetzung mit aristotelischer Lehre bzw. mit in seinen Augen aristotelisch beeinflußten Platonikern bestimmt auch die Ausführungen des ¹⁰⁷ Proclus, in Ti. III 212,12 f. (Diehl); vgl. 212,21–23. ¹⁰⁸ Frg. 8 (Z. 7 f.). ¹⁰⁹ Alexander von Aphrodisias bei Simplicius, in Cael. 359,20 f. (Heiberg): τούτου δὲ

οὕτως ἔχοντος, φησί, πότερον πάντα τῷ θεῷ δυνατὰ λέγουσιν οἱ ταῦτα λέγοντες ἢ λέγουσί τινα κἀκείνῳ ἀδύνατα; ¹¹⁰ Alexander von Aphrodisias, Quaest. 1,18 (32,14–19 Bruns); bei Simplicius, in Cael. 359,20–30 (Heiberg). ¹¹¹ Alexander von Aphrodisias bei Simplicius, in Cael. 359,30–360,3 (Heiberg).

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Atticus zur kosmologischen Funktion der Weltseele. Nachdem er im Zusammenhang von frg. 4 verteidigt hatte, daß die Welt entstanden ist und erhalten wird nach der Absicht, dem Willen und der Vorsehung des Demiurgen, legt er im Zusammenhang des Abschnitts zur Seelenlehre dar, daß Ordnung und Verwaltung des Kosmos auf das Wirken der (Welt)seele zurückgehen.¹¹² Sie ist gleichsam der weltimmanent wirksame Aspekt der Kraft und des Willens des Demiurgen. Atticus beschreibt die kosmologische Funktion der Seele anhand klassischer Texte aus den platonischen Dialogen. Als Seele ist sie »Quelle und Ursprung von Bewegung« (Phdr. 245c10) und »Prinzip des Werdens« (Lg. 896a7). Durch ihre besondere Position innerhalb des Kosmos (vgl. Ti. 34b und 36e) ordnet (Cra. 400a9) und verwaltet (Phdr. 246c2) sie alle Bereiche des Alls und bindet und hält sie zusammen (Phd. 99c6). Darin erweist sie sich als Vorsteherin aller Dinge (vgl. Ti. 34c5 f.; Lg. 896c2 f.). Die Weltseele ist sowohl Ursache von Veränderungen innerhalb des Kosmos als auch Prinzip der Einheit des Kosmos.¹¹³ In seiner Auseinandersetzung mit Aristoteles in frg. 8 befaßt sich Atticus vor allem mit dem zweiten Aspekt und hebt hervor, daß sowohl die Gesamtheit des Kosmos als auch die Einzeldinge der einheitsstiftenden Verwaltung der Weltseele unterstehen. Er beruft sich dafür auf einen Konsens zwischen Platon und »den übrigen« Philosophen. Das Bestreben, einen Konsens herzustellen, der über die Grenzen der platonischen Schule hinausgeht, zeigt sich deutlich darin, daß Atticus die platonische Lehre von der Weltseele in einer Weise darstellt, welche die formalen Anknüpfungspunkte zu stoischen Anschauungen hervorhebt. So reformuliert er die Aussagen des Timaeus zur Lage der Weltseele im Kosmos (Ti. 34b.36e) mit Hilfe des vor allem in der Stoa gebräuchlichen Ausdrucks διήκειν.¹¹⁴ In stoischer Manier identifiziert er φύσις und ψυχή.¹¹⁵ Das ist auffällig, denn für gewöhnlich unterscheiden Platoniker zwischen Natur und Seele bzw. betrachten φύσις als den unteren Teil der Weltseele, der dem vegetativen ἄλογον der menschlichen Einzelseelen entspricht.¹¹⁶ Auch Atticus ¹¹² Aus dem Abschnitt zur Seelenlehre stammen frgg. 7.8. In frg. 7 faßt Atticus zur Verteidigung der Lehre von der Unsterblichkeit der Seele allgemein die platonische Seelenlehre und deren Bedeutung für Erkenntnistheorie, Physik und Ethik zusammen. Frg. 8 ist der Weltseele gewidmet, auch wenn Atticus auch hier von ψυχή ohne die Präzisierung τοῦ κόσμου spricht. ¹¹³ Atticus verwendet diese Textpassagen neben frg. 8 auch in frg. 7 (Z. 3 f.7). ¹¹⁴ Daß auch Plutarch diesen Begriff als Interpretation von Ti. 34b.36e verwendet (an. procr. 27 [1026c]), zeigt, daß der Ausdruck durchaus im Rahmen der nichtmateriellen, platonischen Seelenlehre verwendet werden konnte. Atticus nutzt in frg. 8 die doppelte Interpretationsmöglichkeit des Ausdrucks für seine argumentative Strategie, einen allgemein-philosophischen Konsens zwischen Platonikern und Stoikern zu konstruieren, aus dem allein Aristoteles ausschert. ¹¹⁵ Siehe SVF II 172.549.945. ¹¹⁶ Siehe M. B 1972, 137–139 ausgehend von Timaeus Locrus, nat. et anim. 44 mit Belegen, sowie die Angaben zu Plotin bei H. D / M. B 2002a, 178 Anm. 37.

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unterscheidet in frg. 7 (Z. 15 f.) zwischen φύσις und ψυχή, wenn er sagt, daß die Seele entsprechend ihrer eigenen Verfassung alle Dinge der Natur schön verwaltet. In frg. 8 (Z. 7 f.) dagegen identifiziert er die Weltseele mit der φύσις als dem universalen kosmischen Prinzip. Dabei führt er unter der Hand einen stoischen Naturbegriff ein, den er gegen den aristotelischen Begriff der Natur als einer partikularen kosmischen Größe ausspielt. Wiederum in Übereinstimmung mit den Stoikern betont Atticus die rationale, der Vorsehung entsprechende Verwaltung des Kosmos durch die φύσις-ψυχή. Atticus konstruiert also in polemisch-rhetorischer Absicht einen allgemeinen philosophischen Konsens und wirft Aristoteles vor, als einziger diesen Konsens zu verlassen. Genau genommen beschränkt sich dieser Konsens jedoch auf den formal zugespitzten, kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen Platonikern und Stoikern: der Lehre, daß der Kosmos von einer einheitlichen, vernünftigen Kraft verwaltet wird. Daß eine einheitsstiftende Kraft innerhalb des Kosmos existieren muß, leitet Atticus wiederum ähnlich den Stoikern aus der vernünftigen und schönen Kosmosordnung her, die er mit dem Zustand einer gut verwalteten Polis vergleicht.¹¹⁷ Denn wenn es keine einheitliche und beseelte Kraft gäbe, ›die das All durchdringt‹ und ›alles verbindet und zusammen hält‹, könnte wohl das All weder vernünftig noch schön verwaltet sein. Folglich dürfte es wohl ein Zeichen derselben Blindheit sein zu erwarten, daß eine Stadt jemals auf Dauer schön bestehen könne ohne Einheit, als auch zu meinen, daß dieses All in solchem Maße außerordentlich schön erhalten werde, wie es uns erscheint, ohne daß er [d. h. der Demiurg] es durch die Teilhabe an einem einzigen, gleichartigen Prinzip verbindet und zusammenfügt.¹¹⁸

Die aristotelische Position referiert Atticus in frg. 8 (Z. 9–17) in einer zugespitzten Form, wie sie sich auch in anderen doxographischen Berichten der aristotelischen Lehren findet.¹¹⁹ Aristoteles verneint, daß die Natur eine beseelte Kraft sei, und leugnet die einheitliche Verwaltung des Kosmos, indem ¹¹⁷ Stoische Belege für die Vorstellung einer kosmischen Polis siehe SVF II 1141; die polemischen Referate bei Plutarch, comm. not. 14 (1065f); 34 (1076f) (= SVF II 645) sowie besonders SVF II 1130: von der Aufgliederung der Kosmos-Polis (327,29–35 von Arnim) in die vielfältigen Gestalten der Pflanzen, Lebewesen und der Elemente (327,35–37) gilt: ἀλλὰ τὴν νῦν διακόσμησιν … ἓν οὐδὲν ἧττον πεφυκὸς ἐν ἅπασι τούτοις καὶ μιᾷ ψυχῇ καὶ δυνάμει διεπόμενον, ἁμῃγέπῃ πόλει προσεικάζουσι διὰ τὸ πλῆθος τῶν ἐν αὐτῇ γιγνομένων τε καὶ ἀπογιγνομένων, ἔτι δὲ τὴν τάξιν καὶ τὴν εὐκοσμίαν τῆς διοικήσεως. ¹¹⁸ Atticus, frg. 8 (Z. 17–25): Εἰ γὰρ μὴ μία τις εἴη δύναμις ἔμψυχος ›διήκουσα διὰ τοῦ παντὸς‹ καὶ πάντα ›συνδοῦσα καὶ συνέχουσα‹, οὔτ’ ἂν εὐλόγως τὸ πᾶν οὔτε καλῶς διοικούμενον εἶναι δύναιτο· τῆς δ’ αὐτῆς ἦν ἄρ’ ἀβλεψίας καὶ πόλιν ἐλπίσαι ποτὲ καλῶς χωρὶς ἑνώσεως διαγενέσθαι καὶ τὸ πᾶν τόδ’ ἡγήσασθαι πάγκαλον τῷ λόγῳ διαφυλάξειν, οἷόνπερ φαίνεται, μὴ συνδήσαντα καὶ συναρμόσαντα ἑνός τινος ὁμοίου κοινωνίᾳ. [Einfügung in der Übersetzung von mir]. ¹¹⁹ So P. M 1984, 570 f.578. Für Belege siehe auch a. a. O., 571 Anm. 33.

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er für jeden Kosmosbereich eine andere regierende Ursache annimmt.¹²⁰ Durch diese Differenzierungen demonstriere Aristoteles zwar seine Spitzfindigkeit, verkenne jedoch das, was notwendig aus der Betrachtung des Kosmos erkannt werden kann: die vernünftige, einheitsstiftende Verwaltung des Kosmos, welche seine Schönheit und Vollkommenheit konstituiert.¹²¹ Atticus hebt polemisch hervor, daß Aristoteles das Vermögen der Kraft, welche alles bis ins Einzelne verwaltet (τὸ διοικοῦν ἕκαστα), richtig als Prinzip von Bewegung erkannt habe, es aber der Natur und nicht der Seele zugeschrieben habe, »als ob aus den Namen und nicht aus den Vermögen die Dinge begriffen werden«¹²². Er wirft damit Aristoteles erneut vor, in dem krampfhaften Bemühen, sich von Platon zu unterscheiden, elementare Regeln der Naturbetrachtung und der wissenschaftlichen Untersuchung zu mißachten. Diese Polemik zeigt, welch hohes Gut die Einheit des Kosmos und die Annahme einer allumfassend wirksamen göttlichen Vorsehung für den Platoniker Atticus darstellt. Die Ausführungen des Atticus in frg. 8 stellen durch den Vergleich des Kosmos mit einer Stadt aufschlußreiche Verbindungen zum Abschnitt über die Erhaltung des Kosmos in frg. 4 her. Während in frg. 4 der Bestand von Städten auf den Willen der Stadtgründer zurückgeführt wird, geht nach frg. 8 der dauerhafte, schöne Zustand einer Stadt auf ein Prinzip der Einheit zurück, worunter einer verbreiteten stoischen Vorstellung folgend wohl das Gesetz der Polis verstanden werden kann. Die Erhaltung des Kosmos bindet frg. 4 an Absicht, Wille und Macht des Demiurgen. Frg. 8 führt sie zunächst auf die Seele als die einheitliche Kraft zurück, die alles »verbindet und zusammenhält«, nennt dann aber als Ursache eine grammatisch männliche Größe, d. h. den Demiurgen, der das All »verbindet und zusammenfügt durch Teilhabe an einem einzigen, gleichartigen (Prinzip)«. Es stellt sich die Frage, was unter diesem einzigen, gleichartigen Prinzip zu verstehen ist.¹²³ In frg. 4 knüpft Atticus an Ti. 41b an und bezeichnet den Willen des Demiurgen als das »stärkste Band zur Erhaltung des Kosmos«. In frg. 8 begegnet dagegen die Seele als die einheitliche Kraft, mit deren Hilfe der Demiurg die Einheit des Kosmos dauerhaft bewahrt. ¹²⁰ Atticus, frg. 8 (Z. 12–16): τῶν μὲν γὰρ οὐρανίων ›ἀεὶ κατὰ ταὐτὰ καὶ ὡσαύτως‹ ἐχόντων αἰτίαν τὴν εἱμαρμένην ὑποτίθησι, τῶν δ’ ὑπὸ σελήνην τὴν φύσιν, τῶν δ’ ἀνθρωπίνων φρόνησιν καὶ πρόνοιαν καὶ ψυχήν, … Der Begriff πρόνοια kann hier nicht ›göttliche Vorsehung‹ bedeuten, da diese sich nach frg. 3 bei Aristoteles gerade nicht auf die menschlichen Angelegenheiten erstreckt (so auch H. D / M. B 2002a, 178 Anm. 40). ¹²¹ Atticus, frg. 8 (Z. 16 f.). ¹²² Atticus, frg. 8 (Z. 32–34): … ὥσπερ ἐκ τῶν ὀνομάτων ἀλλ’ οὐκ ἐκ τῶν δυνάμεων τῶν πραγμάτων λαμβανομένων. ¹²³ Im Timaeus begegnen die Verben συνδεῖν und συναρμόζειν mehrmals mit dem Demiurgen als Subjekt und beschreiben, wie er den Kosmoskörper (Ti. 32c), das All insgesamt (Ti. 56c) bzw. die kosmischen Götter (Ti. 41b) zusammenfügt und dauerhaft verknüpft. Dabei fungieren rationale Verhältnisse, Proportion oder der Wille des Demiurgen als das verknüpfende Band. Zu συναρμόζειν siehe z. B. Ti. 41b.56c.74c8; zu συνδεῖν Ti. 32c.41b.

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Aus der Perspektive von frg. 8 kann daher jene δύναμις, derer sich nach frg. 4 der Demiurg bedient, um den Kosmos zu erschaffen und zu erhalten, in Beziehung zur Weltseele gesetzt werden. Demnach realisiert sich der Wille und die Absicht des Demiurgen, den Kosmos dauerhaft zu erhalten, durch das einheitsstiftende Wirken der rationalen Weltseele. Sie ist der immanent wirksame Aspekt des göttlichen Willens. An diesem Punkt zeigt sich außerdem, daß Atticus den Begriff der φύσις in frg. 4 und frg. 8 unterschiedlich verwendet. Während er in frg. 4 aus argumentativen Gründen zwischen Natur und Schöpferwille unterscheidet, sieht er in frg. 8 die göttliche Vorsehung in Übereinstimmung mit der Natur und identifiziert Weltseele und Natur im Sinne des kosmischen Einheitsprinzips, dessen sich der Demiurg bedient, um die Einheit und den Bestand des Kosmos zu sichern.

3.2. Die Gliederung des Kosmos durch unterschiedliche seelische Kräfte Atticus bezeichnet in frg. 8 die Weltseele, die den Kosmos zu einer Einheit verbindet und zusammenhält, als rationale und vernünftige Seele.¹²⁴ Sie entsteht als harmonische Zusammensetzung, indem die strukturierenden Bewegungen der göttlichen Seele die irrenden und irrationalen Bewegungen der vorkosmischen Urseele ordnen.¹²⁵ Anders als Plutarch nimmt Atticus jedoch an, daß im Kosmos ein Teil der vorkosmischen Urseele außerhalb der Weltseele als Materieseele weiterexistiert.¹²⁶ Sie ist die Voraussetzung dafür, daß Weltseele und menschliche Einzelseelen überhaupt in Körper eingehen können.¹²⁷ Atticus scheint diese irrationale, irrende und enhylische Seele nur im uneigentlichen Sinne als Seele zu bezeichnen und eher den Ausdruck ἄλογος ζωή zu verwenden, womit sie implizit gleichwohl als seelische Größe angesehen wird. Diesen Sprachgebrauch, dem frg. 15 folgt,¹²⁸ referiert auch Hermias ¹²⁴ Atticus, frg. 8 (Z. 7): ψυχὴν οὐκ ἄλογον; in Z. 29 f. spricht er vom ἔργον … ψυχῆς λογικῆς καὶ φρονίμου. ¹²⁵ Siehe Atticus, frg. 10 (Z. 2–7); frg. 35; die Lehre von einer ungeordneten, irrationalen Urseele bezeugt auch frg. 28 (Z. 9 f.). ¹²⁶ Dieses Detail der Seelenlehre des Atticus hat gegenüber älteren Deutungen W. D 1983, 53–55 herausgearbeitet und damit Zustimmung gefunden (siehe M. B 1985, 126– 128). ¹²⁷ Nach der Darstellung Jamblichs (Atticus, frg. 11) lehren Atticus u. a., daß jede Einkörperung einer rationalen Seele die ἄλογον καὶ πλημμελῆ καὶ ἔνυλον ψυχήν voraussetzt (Z. 4 f.). Dabei bezeichnet Atticus Weltseele und menschliche Einzelseelen, die substantiell identisch sind, gleichermaßen als λογικὴ ψυχή (M. B 1983, 52 f.). Nach frg. 15 lehren Atticus u. a. bezogen auf die menschliche Einzelseele, daß der unsterblichen λογικὴ ψυχή bei ihrer Hinwendung zum Bereich des Werdens (κατὰ τὴν εἰς γένεσιν ῥοπὴν Z. 3) die ἄλογος ζωή und das pneumatische Vehikel der Seele beigegeben werden, die beide vergehen, wenn sich die rationale Seele vom Körper wieder löst. ¹²⁸ Atticus, frg. 15 (Z. 2).

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in seinen Scholien zum platonischen Phaedrus als Lehre der Alten,¹²⁹ womit durchaus Atticus und seine Schüler gemeint sein können. Innerhalb des Kosmos hat die Materieseele zwei Funktionen. Zum einen fungiert sie als irrationales Lebensprinzip, das beispielsweise den Embryo im Mutterleib formt und für die Hervorbringung niederer Lebewesen aus der Materie verantwortlich ist.¹³⁰ Auf diese Weise erklärt sie innerhalb des geordneten Kosmos die Aktivitäten der Materie. Die ἄλογος ψυχή bzw. ζωή erfüllt damit die Funktion, die andere Platoniker der φύσις als der niedersten Ursache zuschreiben. Atticus vermeidet den Ausdruck in dieser Bedeutung, da er ihn nach frg. 8 für die Weltseele als das universale Kosmosprinzip verwendet. Zum anderen scheint Atticus die Übel innerhalb des Kosmos auf das Wirken dieser Materieseele zurückzuführen. In diese Richtung deuten Passagen aus Proclus’ Schrift De malorum subsistentia, in denen Proclus die Ansicht einiger Platoniker referiert, die ausgehend von Lg. 896e–897d die Existenz des Bösen auf eine niedere, übelwirkende Seele zurückführen. Mit großer Wahrscheinlichkeit spielt er damit auf die Lehre des Atticus und seiner Schüler an.¹³¹ Den Angaben des Proclus zufolge unterscheiden diese Platoniker anhand der Passage aus den Leges innerhalb des Kosmos zwischen einer Seele, die Gutes schafft und den gesamten Kosmos regiert, und der κακεργέτις ψυχή, die neben dieser den sterblichen Bereich lenkt. Demnach beherrscht die rationale Weltseele den gesamten Kosmos, während die irrationale Materieseele lediglich im ¹²⁹ Hermias, in Phdr. 102,20–27 (Couvreur): Καὶ γὰρ ἄλλως κυρίως ψυχὴν εἰώθασιν οἱ παλαιοὶ καλεῖν τὴν λογικήν· τό τε γὰρ ὑπὲρ αὐτὴν νοῦν καλοῦσι, τό τε καταδεέστερον αὐτῆς οὐχ ἁπλῶς ψυχὴν, ἀλλ’ ἄλογον ψυχὴν καὶ θνητὸν εἶδος ψυχῆς καὶ δεύτερον ἴχνος ζωῆς καὶ ἄλογον ζωὴν, … ¹³⁰ Wahrscheinlich spielt Galen in Foet. Form. 6,32, (106,1 f. Nickel) auf diese Position des Atticus an und lehnt sie ab. So M. B 1983, 55; ähnlich W. D 1983, 59 Anm. 46; zurückhaltender äußert sich D. N, CMG V 3/3, 160, der aber an gleicher Stelle Galens Kenntnisse und Auseinandersetzung mit der Timaeusdeutung des Atticus nachweist. Als Grund für seine Ablehnung gibt Galen an, daß der Seele der Materie eine derartige Kunstfertigkeit nicht zugeschrieben werden kann. Bereits an früherer Stelle lehnt Galen es ab, daß sich die von Ewigkeit her beseelte Materie selbst ordnen könne (Foet. Form. 6,25 [100,24–28 Nickel]). Zum Einfluß des Atticus auf Galen siehe M. B 1976, 63–65; W. D 1983, 49– 51. ¹³¹ Proclus, mal. subst. 40 (Z. 5–7; 228 Boese) in der Übersetzung von W. von Moerbeka: … hii autem et animarum kakergetim (id est male operationis) principium ponentes nature mali, hinc mala generari aiunt. Diese Platonanhänger berufen sich nach Proclus auf Lg. 896e–897d (40 [Z. 10 f.14–17; 228–230 Boese]): … hii autem et Platonem faciunt suorum dogmatum patrem … hii autem Atheniensem xenum duo genera anime, hoc quidem benefaciens, hoc autem contrarium huic relinquentem, et omne quidem ab altera solum, mortalem autem locum ab ambabus gubernari dicentem. M. E 1978, 89 Anm. 2; 145 Anm. 2 führt die von Proclus referierte Position auf Plutarch und Atticus zurück. Dagegen ist jedoch zu bemerken, daß sich diese Position nicht auf Plutarch beziehen kann, da dieser innerhalb des Kosmos keine von der Weltseele unterschiedene, übelwirkende Seele annimmt. Zu Recht betrachtet daher M. B 1983, 50 beide Stellen aus Proclus als Testimonien für die Lehre des Atticus.

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irdischen Bereich wirkt. Anders als Plutarch deutet Atticus damit Lg. 896e– 897d nicht nur als Hinweis auf die Existenz einer vorkosmischen Urseele, sondern auch als Beleg für die gleichzeitige Existenz einer rationalen und einer irrationalen Seele innerhalb des Kosmos, die nicht in der Harmonie der einen Weltseele geeint sind. Ein Text aus dem Timaeuskommentar des Calcidius, welcher die Lehre der veteres zitiert, unter denen Atticus und Plutarch vermutet werden,¹³² unterscheidet ebenfalls die Wirkungsbereiche unterschiedlicher seelischer Kräfte: Unberührt von Materiellem und Körperlichem verharrt die transzendente eminentior anima, die Vernunft und Intellekt ist; untrennbar mit dem Körperlichen verbunden existiert die anima stirpea, die animalische und pflanzliche Seele, die auf die irrationale, vorkosmischen Urseele zurückgeht; zwischen beiden und aus ihnen gemischt steht als dritte Seelenart die vernunftbegabte anima media, welche die Weltseele und die Seele der Menschen umfaßt.¹³³ Versucht man, diese leider nur spärlichen und größtenteils durch die Hände späterer Autoren vermittelten Aussagen zusammenzufassen, so lehren Atticus und seine Schüler, daß die rationale Weltseele alle Teile des Kosmos dominiert. Dabei steht sie in Verbindung mit der göttlichen Seele, die zum Teil in sie eingegangen ist, gleichwohl aber von ihr unterschieden bleibt und den Kosmos transzendiert. Das entspricht der Aussage Plutarchs, daß die rationale Weltseele einen Teil Gottes enthält. Andererseits berührt sie die irrationale Materieseele, die ebenfalls zum Teil in sie eingegangen ist, zum Teil aber von ihr unterschieden im sublunaren Bereich des Kosmos wirkt. Die naturphilosophische Einordnung der Materieseele als irrationales Lebensprinzip (ἄλογος ζωή) und die ontologische Qualifikation als Ursache des Übels (principium naturae mali) stehen dabei nebeneinander. Hier unterscheidet sich Atticus von Plutarch. Indem er eine weiterhin wirksame irrationale Seele annimmt, distanziert er die Weltseele vom Übel und von den niederen vegetativen Funktionen im Kosmos. Eine Ursache dürfte darin liegen, daß er die Weltseele als immanent wirksame göttliche Kraft auffaßt, die nach allgemein anerkannter Ansicht mit dem Übel und mit den niederen irrationalen Kosmosabläufen nicht direkt verbunden sein kann. Die rationale Weltseele (λογικὴ ψυχή) ist schließlich das Einheitsprinzip des Kosmos, indem sie einerseits alle Bereiche durchdringt und lenkt und andererseits das Wirken der irrationalen Materieseele auf den irdischen Bereich einschränkt, so daß diese die Einheit und den Bestand des Kosmos insgesamt nicht gefährden kann. ¹³² M. B führt diese Passage auf Atticus und seine Schüler zurück (H. D / M. B 1996, 277); anders J. H. W (Timaeus a Calcidio translatus, xlviii; ad loc.), der sie Numenius zuschreiben möchte; gegen die Zuschreibung Ws richten sich die Argumente von M. B 1974, 7 Anm. 27; W. D 1983, 73–76. ¹³³ Calcidius, in Ti. 29 (79,14–27 Waszink) sowie 31 (80,11–81,18 Waszink). Siehe dazu den Kommentar bei H. D / M. B 1996, 275–277.

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Indem Atticus eine Hierarchie unterschiedlicher seelischer Kräfte annimmt, ergibt sich nun eine Gliederung des Kosmos, die der in frg. 8 referierten peripatetischen Aufteilung formal ähnelt, sich aber an einem Punkt charakteristisch von ihr unterscheidet. Auch Atticus unterscheidet zwischen einem himmlischen und einem irdischen Bereich, aber beide Bereiche sind durch das Wirken der alles durchdringenden, rationalen Weltseele verbunden. Diese ist durch ihr intelligibles Wesen außerhalb des Kosmos verankert, so daß es keinen Bereich des Kosmos gibt, der nicht an Gott gebunden ist. Die göttliche Vorsehung für den Kosmos ist somit nicht auf den himmlischen Bereich beschränkt, sondern wirkt allumfassend. Es zeigt sich, daß es Atticus im Streit mit Aristoteles bzw. mit Platonikern, die er für aristotelisch beeinflußt hält, auch hier wie in der Auseinandersetzung um die reale Entstehung der Welt um die Lehre von der göttlichen Vorsehung und Fürsorge für den Kosmos geht.

4. Zusammenfassung und Systematisierung Atticus folgt an zentralen Punkten seiner Kosmologie Plutarch und ist mit ihm der Ansicht, daß der Kosmos aus einem Zustand vorkosmischer Unordnung real entstand und aufgrund des Willens des Schöpfers ewig besteht. Dafür beruft er sich auf Passagen des platonischen Timaeus, die zum Teil bereits Plutarch in die Diskussion eingebracht hatte. Daß der Kosmos real entstanden ist, betrachtet er wie Plutarch als genuine Position Platons. Sie folgt aus einem Kernstück der platonischen Kosmologie, der Lehre von der göttlichen Vorsehung. Die Annahme eines ungewordenen Kosmos brandmarkt er hingegen als aristotelische Irrlehre, die dem epikureischen Atheismus nahekommt. In seiner Kommentierung des Timaeus begründet Atticus umfassend, daß der ungewordene Kosmos nicht vergehen wird. Im Zentrum seiner Argumentation, die Eusebius von Cäsarea überliefert, steht dabei die Lehre von der Kraft und dem Willen des Demiurgen, ja Atticus entwickelt in seiner Auslegung von Ti. 41b geradezu eine Theologie des göttlichen Willens, die von seinen aristotelischen und platonischen Kritikern später scharf angegriffen wird. In dieser Debatte klingen Argumente und Einwände an, die auch in der christlichen Auseinandersetzung um die reale Erschaffung der Welt begegnen. Seinem Anliegen entsprechend bestimmt Atticus Wille und Vermögen des Demiurgen als Wille und Vermögen, das Nichtseiende ins Sein zu führen sowie das Gewordene ewig zu erhalten. Wille und Kraft des Demiurgen sind Ursache neben und über dem Naturzusammenhang. Der naturphilosophische Grundsatz, daß alles Gewordene vergeht, gilt daher bei Gottes Handeln nicht. Im Vergleich zu anderen Erzeugnissen und deren Ursache besteht nach Atti-

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

cus gerade darin die Göttlichkeit des Demiurgen und die Besonderheit seines Werkes. Wille und Kraft des Demiurgen verschmelzen in der Darstellung des Atticus zu einer Größe, so daß man Atticus dahingehend zuspitzen kann, daß der Wille des Demiurgen zugleich seine Kraft zu schaffen ist. An einigen Stellen bezeichnet Atticus sie als Ursache aus Gott und läßt sie fast als eigenständige Größe erscheinen. Wille und Kraft des Demiurgen fungieren bei Atticus als instrumentale, finale und effiziente Ursache der Kosmosentstehung. Mit ihnen bezeichnet Atticus die göttliche Ursache, insofern sie auf den Kosmos gerichtet wirkt. Hier deutet sich eine Unterscheidung zwischen dem transzendenten Wesen Gottes und seiner immanenten Wirksamkeit an, die auch bei anderen kaiserzeitlichen Philosophen begegnet. In der Auseinandersetzung um das Wirken der göttlichen Vorsehung mit Aristoteles bzw. mit Platonikern, die er für aristotelisch beeinflußt hält, identifiziert Atticus schließlich die Kraft des Demiurgen, d. h. die göttliche Ursache des Kosmos, mit der Weltseele. Obwohl der Kosmos ähnlich wie bei Plutarch durch unterschiedliche seelische Kräfte gegliedert wird, ist die rationale Weltseele die einheitliche Kraft, die das All durchdringt und durch die der Demiurg alles verbindet und zusammenhält. Im Wirken der Weltseele realisieren sich Wille und Kraft des Demiurgen, die auf die Erhaltung des Kosmos ausgerichtet sind. Atticus sieht Wille und Kraft des Demiurgen hier in Analogie zum Willen menschlicher Stadtgründer, die im Gesetz der Polis das Prinzip dauerhafter Einheit gestiftet haben. Um die Unvergänglichkeit des gewordenen Kosmos zu begründen, betont Atticus, daß der Wille Gottes durch keine innerkosmische oder außerkosmische Größe begrenzt wird. Das unterscheidet ihn von den menschlichen Handwerkern, die ihr Werk nicht ewig erhalten können. Aus dem Vermögen zu schaffen folgt bei Gott das Vermögen zu erhalten; aus der Ewigkeit des fürsorgenden Schöpfers folgt, daß auch das geschaffene Werk ewig besteht. Aus den Ausführungen des Atticus ergibt sich aber, daß der Wille des Demiurgen durch vorkosmische Ursachen begrenzt wird. Denn in einer Erwiderung auf traditionelle aristotelische Einsprüche gegen eine reale Entstehung des Kosmos führt Atticus den Zeitpunkt der Entstehung der Welt auf die Eignung der Materie zurück, nach der sich der Demiurg gerichtet habe. Außerdem charakterisiert er den vorkosmischen Zustand als einen Widerstreit, der erst mit der Erschaffung des Kosmos ein für alle mal überwunden ist. Hier zeigt sich, daß Atticus seine Lehre vom Willen des Demiurgen in erster Linie ausgehend von der Frage nach dem Erhalt des Kosmos entfaltet (Ti. 41b) und nicht im Zusammenhang der Entstehung der Welt formuliert. In diesem Kontext würde das Postulat eines von keiner Größe begrenzten Willens des Demiurgen sofort die Frage nach dem Status der Materie aufwerfen.

II. Atticus

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Aus Atticus’ Auslegung von Ti. 41ab entwickelt sich eine Diskussion um Wille und Vermögen des Demiurgen. So bestreiten Alexander von Aphrodisias und Proclus, der wahrscheinlich die Auseinandersetzung des Porphyrius mit Atticus aufgreift, daß Wille und Kraft Gottes über dem Naturzusammenhang stehen bzw. den Regeln natürlicher oder logischer Notwendigkeit enthoben sind. Nach Proclus kann zwischen Gottes Wille und dem Naturgesetz kein Unterschied bestehen, da letzteres durch Gott gesetzt ist. Alexander zeigt, daß Gottes Wille durch sein eigenes Wesen begrenzt wird oder man andernfalls der göttlichen Ursache Willkür unterstellen muß. Die Aussagen des Atticus über den göttlichen Willen haben den Charakter eines Grenzarguments, das er ausgehend von Ti. 41b entwickelt, um den allgemein anerkannten philosophischen Grundsatz auszuhebeln, daß dem Entstehen notwendig Vergehen korrespondiert. Das zeigt sich auch daran, daß Atticus nur hier die göttliche Vorsehung bzw. den göttlichen Willen dem Naturzusammenhang gegenüberstellt. Die Rede von der Kraft und dem Willen des Demiurgen ist für Atticus, anders als für die christlichen Kosmologen, nicht der Ausgangspunkt, um die Entstehung der Welt darzulegen. Die Rede von dem Willen und der Kraft des Demiurgen als einer einzigartigen Ursache, die das Nichtseiende ins Sein führt, sowie der überbietende Vergleich der demiurgischen Tätigkeit mit menschlichen Handwerkern erinnern zwar an christliche Formulierungen. Sie haben bei Atticus aber einen deutlich anderen systematischen Ort und Stellenwert als in den christlichen Argumentationen.

III. Numenius 1. Zur Person und zum philosophischen Programm des Numenius Die spärlichen Kenntnisse über das Leben des Numenius und die fragmentarische Überlieferung seiner Werke¹ stehen in keinem Verhältnis zu der Bedeutung, die seiner Lehre im kaiserzeitlichen und spätantiken Platonismus beigemessen wurde, und zu der Verbreitung, die seine Werke bei paganen und christlichen Autoren dieser Zeit fanden.² Vermutlich stammt Numenius aus dem syrischen Apamea und wirkte in der ersten Hälfte bis Mitte des zweiten Jahrhunderts unter anderem in Rom.³ Numenius gehört einer Strömung des Platonismus an, welche im Interesse der Erneuerung eines dogmatischen Platonismus nach der Epoche der skeptischen Akademie die wahre Philosophie über Platon und Sokrates auf Pythagoras zurückführt und Platon dabei als den autoritativen Repräsentanten der pythagoreischen Lehre betrachtet.⁴ Bereits in der Antike nannte man ihn daher sowohl einen Platoniker als auch einen Pythagoreer.⁵ ¹ Ich zitiere die Fragmente des Numenius nach der Ausgabe: Numénius, Fragments, texte établi et traduit par É. D P, CUFr, Paris 1973. Zu den aus den Fragmenten erschließbaren Werken des Numenius siehe a. a. O., 8–10. ² Zur Bedeutung des Numenius im Spiegel antiker Autoren siehe M. F 1987, 1034– 1037. Zu den christlichen Lesern des Numenius gehören z. B. Clemens von Alexandrien (str. 1,150,4 [93,10 f. Stählin]); Origenes (Cels. 1,15 [67,23 Koetschau]; 4,51 [324,18–27]; 5,38.57 [42,26 f.; 60,13]) und Eusebius von Caesarea, in dessen Praeparatio Evangelica die umfangreichsten Fragmente überliefert sind. ³ Eine Übersicht der Argumente für die verschiedenen Datierungsvorschläge bietet M. F 1987, 1038 f., der dazu neigt, das floruit des Numenius vor Atticus und Harpocration in der ersten Hälfte bzw. in der Mitte des zweiten Jahrhunderts anzusetzen. Für eine Einordnung in die erste Hälfte des Jahrhunderts votieren R. B 1940, 665 und J. H. W (Timaeus a Calcidio translatus, lxxxvi). Gegen eine Datierung ins erste Jahrhundert siehe M. F, a. a. O., 1039. Zum Aufenthalt in Rom siehe F, a. a. O., 1038. ⁴ Zur Frage nach der philosophischen Zugehörigkeit des Numenius siehe die ausführliche Diskussion bei M. F 1987, 1040–1050, der nachweist, daß das philosophische Programm des Numenius die Unklarheit in dieser Frage verursacht. ⁵ Porphyrius, VP 14,12, Jamblich bei Stobaeus, Anth. 1,374,21–25 (Wachsmuth) und Proclus, in R. II 96,11 (Kroll) bezeichnen ihn als Platoniker. Clemens von Alexandrien, str. 1,150,4 (93,10 f. Stählin), Origenes, Cels. 4,51 (324,18 Koetschau), Eusebius von Caesarea, p. e. 11,9,8 (25,22 Mras) sowie Calcidius, in Ti. 295 (297,7 f. Waszink) betrachten ihn als Pythagoreer.

III. Numenius

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Im ersten Buch des Traktats De bono formuliert Numenius sein Programm folgendermaßen: Für diese Frage wird es nötig sein, daß man, nachdem man gesprochen und sich mit den Zeugnissen Platons gesiegelt hat, weiter zurückgeht und sich mit den Worten des Pythagoras umgürtet und ferner die angesehenen Völker zu Rate zieht, indem man ihre Mysterien, Lehren und heiligen Überlieferungen hinzunimmt, insofern sie anerkanntermaßen in Übereinstimmung mit Platon ausgeführt werden.⁶

Platon erscheint hier zunächst neben Pythagoras als die maßgebliche philosophische Autorität, ist dann aber allein der Maßstab für die Beurteilung der Lehren und Traditionen. Michael Frede bezeichnet Numenius daher zu Recht nicht als Neupythagoreer, sondern als »pythagoreisierenden Platoniker«⁷. Für eine Darstellung der Kosmologie des Numenius ist zu untersuchen, wie Numenius den platonischen Timaeus interpretiert. Aufgrund der Überlieferungslage läßt sich allerdings kaum entscheiden, ob und in welchem Umfang Numenius den Timaeus systematisch kommentiert hat.⁸ Zwar finden sich in den erhaltenen Texten viele Anspielungen und Zitate aus dem Timaeus, und wichtige Fragmente und Testimonien sind in den Timaeuskommentaren des Calcidius und des Proclus überliefert. Abgesehen von einigen kurzen Angaben zur Seelenlehre und einem längeren Abschnitt über die Materie wird der platonische Timaeus in den erhaltenen Fragmenten aber überwiegend im Kontext der Ontologie und der Gotteslehre verwendet. Passagen naturphilosophischen Inhalts im engeren Sinne finden sich kaum. Es zeigt sich aber, daß im Hintergrund der Ontologie, der Prinzipienlehre und der Gotteslehre kosmologische Fragen stehen, die Numenius unter Benutzung des Timaeus und anderer platonischer Texte zu beantworten sucht. ⁶ Siehe frg. 1a (Z. 3–8): Εἰς δὲ τοῦτο δεήσει εἰπόντα καὶ σημηνάμενον ταῖς μαρτυρίαις ταῖς Πλάτωνος ἀναχωρήσασθαι καὶ συνδήσασθαι τοῖς λόγοις τοῦ Πυθαγόρου, ἐπικαλέσασθαι δὲ τὰ ἔθνη τὰ εὐδοκιμοῦντα, προσφερόμενον αὐτῶν τὰς τελετὰς καὶ τὰ δόγματα τάς τε ἱδρύσεις συντελουμένας Πλάτωνι ὁμολογουμένως, … Zur Übersetzung von σημηνάμενον und συνδήσασθαι siehe J. M. D 1988, 124. Das philosophische Programm des Numenius spiegelt sich auch in seiner Charakterisierung bei Calcidius, in Ti. 295 (297,7–9 Waszink) = Numenius, frg. 52 (Z. 2–4) wider, in der es heißt: Numenius ex Pythagorae magisterio Stoicorum hoc de initiis dogma refellens Pythagorae dogmate, cui concinere dicit dogma platonicum, … ⁷ M. F 1987, 1047. J. M. D betrachtet die gesamte neupythagoreische Bewegung als Teilströmung des kaiserzeitlichen Platonismus (1977, 341–383; 1988, 122–125). Er hebt besonders für Numenius hervor, daß seine Lehrentwicklungen zu betrachten sind als »developments explicable from within Platonism, not importations from without« (1988, 125). In verschiedenen problem- und ideengeschichtlichen Untersuchungen der neueren Forschung ist Numenius auch inhaltlich in die Geschichte des Platonismus eingeordnet worden: z. B. durch W. D 1983; K. A 1993; H. Z 1994. ⁸ J. H. W (Timaeus a Calcidio translatus, xlv Anm. 1) und M. B (1974, 31 f.) verneinen, daß Numenius einen systematischen Kommentar schrieb. In der Tat fehlen in den erhaltenen Fragmenten eindeutige Hinweise auf einen förmlichen Timaeuskommentar. Gegen E. Z 1923, 837, der einen Timaeuskommentar des Numenius annimmt.

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

Eine Untersuchung der Kosmologie des Numenius muß den Einfluß pythagoreischer Vorstellungen und Methodik auf seine Platoninterpretation bei der Auswertung der erhaltenen Fragmente im Auge behalten. Sie muß außerdem danach fragen, von welchen Positionen sich Numenius polemisch-kritisch abgrenzt. Dabei ist der fragmentarische Charakter der Überlieferung zu berücksichtigen, der es methodisch verbietet, ein kohärentes Lehrsystem rekonstruieren zu wollen, ganz unabhängig von der Frage, ob Numenius selbst Systematik beabsichtigt hat.⁹

2. Der erste Gott als Ursache der relativen Stabilität und Dauer der sichtbaren Welt In seinem Traktat De bono, aus dem mehrere Fragmente in der Praeparatio Evangelica des Eusebius überliefert sind, fragt Numenius danach, was das wahrhaft Seiende ist. Dies ist in seinen Augen die Frage, die Platon im Timaeus stellt und beantwortet.¹⁰ Wie die Verwendung von Ti. 27d6–28a4 in frg. 7 (Z. 8–12) zeigt, betrachtet Numenius den Timaeus in diesem Zusammenhang als einen Text, der über den Weg der Kosmologie die Metaphysik zum zentralen Thema hat. Seine Untersuchung führt er aus der Perspektive der platonischen Unterscheidung zwischen der stetig wandelbaren und sinnlicher Wahrnehmung zugänglichen Körperwelt einerseits und dem Guten als dem aller sinnlichen Wahrnehmung entzogenen, intelligiblen Seienden andererseits.¹¹ Obwohl das wahrhaft Seiende der sinnlichen Wahrnehmung unzugänglich ist, hält es Numenius für möglich, ausgehend von der Betrachtung der Natur der wahrnehmbaren Wirklichkeit gedanklich zu der Größe zu gelangen, die der vorausgesetzten begrifflichen Vorstellung vom Seienden ent⁹ Immer wieder wird in der Forschung auf die Äußerungen des Longinus und des Amelius verwiesen, um Numenius fehlende Systematik zu bescheinigen (Longinus bei Porphyrius, VP 20,74–76 [I 29 Henry / Schwyzer]: Numenius bleibe hinsichtlich gedanklicher Schärfe und Klarheit hinter Plotin zurück; Amelius bei Porphyrius, VP 17,35–39 [I 23 H. / S.]: Die Absicht des Numenius ist schwer zu erfassen, da er sich anscheinend über dieselben Fragen zu verschiedenen Anlässen verschieden äußert). Dabei erfüllen die Aussagen des Longinus und des Amelius klar die Funktion, Plotin von seinen Vorgängern abzuheben (siehe die in VP 17,4–6 [I 22 H. / S.] genannte Schrift des Amelius über die Lehrunterschiede zwischen Plotin und Numenius), und schließen nicht aus, daß Numenius in seiner Philosophie systematische Interessen verfolgte. ¹⁰ Siehe M. F 1987, 1050. ¹¹ Siehe frg. 2 (Z. 3–7): Τὰ μὲν οὖν σώματα λαβεῖν ἡμῖν ἔξεστι σημαινομένοις ἔκ τε ὁμοίων ἀπό τε τῶν ἐν τοῖς παρακειμένοις γνωρισμάτων ἐνόντων· τἀγαθὸν δὲ οὐδενὸς ἐκ παρακειμένου οὐδ’ αὖ ἀπὸ ὁμοίου αἰσθητοῦ ἐστι λαβεῖν μηχανή τις οὐδεμία, … Es schließt sich eine Beschreibung des Weges an, zur Erkenntnis des Guten zu gelangen (Z. 7–23). Im Hintergrund der genannten Unterscheidung steht Ti. 27d6–28a4, von Numenius in frgg. 7 (Z. 8– 12), 8 (Z. 4 f.9) zitiert.

III. Numenius

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spricht. Die Untersuchung der sinnlich wahrnehmbaren Welt drängt geradezu selbst die Frage nach dem wahrhaft Seienden auf. Dieses Vorgehen entspricht auffälligerweise nicht der »göttlichen Methode« zur Erkenntnis des Guten, die Numenius nach frg. 2 zu Beginn des Traktats angibt. Es gleicht vielmehr formal der Untersuchungsmethode, die Aristoteles in seiner Metaphysik anwendet, um seinerseits die Frage nach dem Seienden (οὐσία) zu beantworten.¹² Als Thema des Timaeus nach Numenius, das sich in seiner Untersuchung über das Seiende widerspiegelt, erweist sich daher die Frage, woher die sichtbare Welt ihre relative Stabilität und Dauer erhält. Die sinnlich wahrnehmbare Welt ist ihrem Wesen nach körperlich. Körper wiederum versteht Numenius als Zusammensetzung der Elemente.¹³ Wie die Elemente ständig auseinander entstehen und sich ineinander umwandeln, so sind auch die Körper unbeständig und daher nicht seiend.¹⁴ Auch die den Elementen zugrunde liegende Materie ist unfähig zu verharren und von unbeständiger, fließender Natur. Gegenüber den Stoikern hebt Numenius hervor, daß die Materie in allen Dimensionen ihrer Ausdehnung unbegrenzt und endlos ist.¹⁵ Mit einer Reihe traditioneller Attribute belegt er, daß die Materie nicht als das Seiende betrachtet werden kann: Da sie endlos und unbegrenzt ist, ist sie irrational, nicht erkennbar sowie ungeordnet und folglich ohne festen Bestand. Sie ist daher weder an sich noch in Gestalt der Körper seiend.¹⁶ Die genannten Attribute kennzeichnen die Materie implizit als ἀόριστος δυάς, mit der Numenius sie nach frg. 52 (Z. 6 f.) auch ausdrücklich identifiziert. ¹² Siehe M. F 1987, 1051, der auf die terminologische Anknüpfung von Numenius, frg. 6 (Z. 5 f.) an Aristoteles, Metaph. 7,1 (1028b2–4) hinweist. ¹³ Siehe die Unterscheidung in frg. 3 zwischen einer Betrachtung der Elemente συλλήβδην ἢ καθ’ ἕν γέ τι αὐτῶν (Z. 3 f.) sowie die Aussage, sie seien μήτε στοιχεῖα ὑπάρχοντα μήτε συλλαβάς (Z. 7). ¹⁴ Siehe frg. 3 (Z. 5–8): Καὶ πῶς, ἅ γέ ἐστι καὶ γενητὰ καὶ παλινάγρετα, εἴ γ’ ἔστιν ὁρᾶν αὐτὰ ἐξ ἀλλήλων γιγνόμενα καὶ ἐπαλλασσόμενα καὶ μήτε στοιχεῖα ὑπάρχοντα μήτε συλλαβάς; – Σῶμα μὲν ταυτὶ οὕτως οὐκ ἂν εἴη τὸ ὄν. Die Vorstellung von der Umwandlung der Elementarkörper ineinander geht u. a. auf die Elementenlehre des Timaeus zurück (siehe Ti. 56c–57c). Siehe vergleichbare Beschreibungen der Körper bei Alkinoos, Intr. 11 (166,29– 31 Hermann / Whittaker); 25 (177,24–26). ¹⁵ Siehe frg. 3 (Z. 10–12): Ἀλλὰ καὶ αὐτὴν [sc. τὴν ὕλην C. K.] παντὸς μᾶλλον ἀδύνατον, ἀρρωστίᾳ τοῦ μένειν· ποταμὸς γὰρ ἡ ὕλη ῥοώδης καὶ ὀξύρροπος, βάθος καὶ πλάτος καὶ μῆκος ἀόριστος καὶ ἀνήνυτος. In frg. 52 (Z. 24–32) betont Numenius gegenüber den Stoikern, daß die Materie unbegrenzt und unendlich sei. Siehe auch frg. 52 (Z. 34): fluidam; frg. 11 (Z. 16): ῥεούσης; frg. 18 (Z. 6.9); frg. 33 (Z. 8 f.): das Meer als Bild für die Materie. ¹⁶ Siehe frg. 4a (Z. 2–7.11): Ὥστε καλῶς ὁ λόγος εἴρηκε φάς, εἰ ἔστιν ἄπειρος ἡ ὕλη, ἀόριστον εἶναι αὐτήν· εἰ δὲ ἀόριστος, ἄλογος· εἰ δὲ ἄλογος, ἄγνωστος. Ἄγνωστον δέ γε οὖσαν αὐτὴν ἀναγκαῖον εἶναι ἄτακτον, ὡς τεταγμένα γνωσθῆναι πάνυ δήπουθεν ἂν εἴη ῥᾴδια· τὸ δὲ ἄτακτον οὐχ ἕστηκεν, ὅ τι δὲ μὴ ἕστηκεν, οὐκ ἂν εἴη ὄν. … Οὔκουν φημὶ τὴν ὕλην οὔτε αὐτὴν οὔτε τὰ σώματα εἶναι ὄν. Numenius stellt hier zwischen traditionellen Attributen der Materie logische Zusammenhänge her, die darin gipfeln, daß die Unbeständigkeit der Materie es verbietet, sie als Seiendes zu betrachten.

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

Da die Untersuchung der materiellen Grundlagen der Körper zu keinem Ergebnis führt, setzt Numenius noch einmal neu bei der Betrachtung der Körper ein (frg. 4a). Da die Materie ihre Eigenschaften auf die Körper überträgt,¹⁷ befinden sich diese ihrer Natur nach (φύσει) in kontinuierlicher Bewegung und verharren niemals in einem gleichbleibenden Zustand. Numenius behauptet daher, daß sie einer Größe bedürfen, die ihren bewegten Zustand bändigt und ihnen gewisse Dauer verleiht.¹⁸ Diese Größe darf selbst kein Körper sein, da sie sonst ihrerseits eines Bewahrers bedürfte, welcher die Auflösung, Zerstreuung und Vergänglichkeit dieses Körpers verhindert.¹⁹ Das, was den Körpern Bestand verleiht, muß folglich unkörperlich sein, da nur das Unkörperliche seinem eigenen Wesen nach fest und beständig und daher fähig ist, Dauer zu verleihen.²⁰ Numenius zeichnet die gesuchte Größe zunächst als Seele. Sie hat die Funktion, das Körperliche, das seiner Natur nach wandelbar ist und der Zerstreuung unterliegt, zusammenzuführen, gleichsam zusammenzupressen und so machtvoll zusammenzuhalten. Außerdem belebt sie die ihrer eigenen Natur nach toten Körper.²¹ Numenius knüpft hier an eine breite platonisch-aristotelische Tradition an, nach der die Seele den inneren Zusammenhalt der Körper konstituiert.²² Gegenüber den Stoikern weist er in mehreren Schritten nach, daß diese causa contentativa unkörperlich sein muß. So lehnt er die Vorstellung von der ¹⁷ Nach frg. 8 (Z. 6.9) ist der Körper ständig im Fluß und daher gleichsam unbegrenzt (ἀόριστον). Vgl. Alkinoos, Intr. 11 (166,30 Hermann / Whittaker), wonach die Körper ihrem Wesen nach ῥευστά sind. ¹⁸ Frg. 4a (Z. 17–22): ἐπειδὴ τὰ σώματά ἐστι φύσει τεθνηκότα καὶ νεκρὰ καὶ πεφορημένα καὶ οὐδ’ ἐν ταὐτῷ μένοντα, ἆρ’ οὐχὶ τοῦ καθέξοντος αὐτοῖς ἔδει; – Παντὸς μᾶλλον. – Εἰ μὴ τύχοι δὲ τούτου, ἆρα μείνειεν ἄν; – Παντὸς ἧττον. ¹⁹ Siehe frg. 4a (Z. 23–28). ²⁰ Frg. 4a (Z. 28–32): αὕτη γὰρ δὴ φύσεων πασῶν μόνη ἕστηκε καὶ ἔστιν ἀραρυῖα καὶ οὐδὲν σωματική. Οὔτε γοῦν γίγνεται οὔτε αὔξεται οὔτε κίνησιν κινεῖται ἄλλην οὐδεμίαν, καὶ διὰ ταῦτα καλῶς δίκαιον ἐφάνη πρεσβεῦσαι τὸ ἀσώματον. ²¹ Frg. 4a (Z. 17). Das bei Nemesius überlieferte frg. 4b zeigt in seinem Eingangssatz einen frg. 4a entsprechenden Gedankengang und belegt zusätzlich, daß Numenius in diesem Stadium der Argumentation von der Seele spricht. Frg. 4b (Z. 5–9): Τὰ σώματα τῇ οἰκείᾳ φύσει τρεπτὰ ὄντα καὶ σκεδαστὰ καὶ διόλου εἰς ἄπειρον τμητά, μηδενὸς ἐν αὐτοῖς ἀμεταβλήτου ὑπολειπομένου, δεῖται τοῦ συνέχοντος καὶ συνάγοντος καὶ ὥσπερ συσφίγγοντος καὶ συγκρατοῦντος αὐτά, ὅπερ ψυχὴν λέγομεν. Zur Charakterisierung der Körper als σκεδαστά vgl. Ti. 37a5; als τρεπτά vgl. Atticus, frg. 5 (Z. 69–71 Des Places). Zu Numenius, frg. 4b (Z. 7 f.) liegen unterschiedliche Überlieferungen vor, die sich in der Terminologie unterscheiden, mit welcher die Tätigkeit der Seele beschrieben ist. Ich folge der Lesart der Edition (συνέχοντος καὶ συνάγοντος), da sie den kurz vorher genannten Körpereigenschaften am besten entspricht und in gewisser terminologischer Nähe zu κατέχων (siehe frg. 4a [Z. 18.23]) steht. Außerdem greift Numenius den Ausdruck συνέχειν in der sich anschließenden Auseinandersetzung mit den Stoikern mehrfach auf (Z. 11 f.). Anders H. D / M. B 2002a, 14, die der Lesart συντιθέντος καὶ συνάγοντος folgen. ²² Zur Verbreitung der Begriffe, mit denen Numenius die Funktion der Seele gegenüber dem Körper beschreibt, und der damit verbundenen Vorstellung von der Seele siehe die Belege bei H. D / M. B 2002a, 181 Anm. 50.51.

III. Numenius

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Seele als einem feinteiligen Körper ab, da sie sonst ihrerseits eines συνέχον bedürfte.²³ Auf spitzfindige Weise legt er dar, daß sich die τονικὴ κίνησις, welche die Stoiker zur Erklärung der Ausdehnung und der Einheit der Körper annehmen,²⁴ bei genauer Betrachtung als eine unkörperliche Kraft erweist.²⁵ Auf der Suche nach dem Seienden ist Numenius über die Betrachtung der Natur der Körper bei der Seele und damit bei der Klasse der unkörperlichen Wesenheit angelangt. In den folgenden, verlorenen Argumentationsschritten muß Numenius dargelegt haben, daß die Seele trotz ihrer Unkörperlichkeit nicht das Ziel der Untersuchung darstellt, sondern selbst auf eine übergeordnete Ursache ihrer Beständigkeit verweist. Nach frgg. 5–8 identifiziert Numenius diese Größe in Auslegung von Ti. 27d6–28a4 mit dem intelligiblen Sein der Ideen²⁶, indem er das Unkörperliche als οὐσία und ὄν und schließlich als νοητόν bezeichnet.²⁷ Hier ist erneut ein gegen die Stoiker gerichteter Akzent spürbar.²⁸ Für die Behauptung, daß das Seiende unkörperlich und intelligibel ist, beruft sich Numenius ausdrücklich auf die Autorität des Pythagoras und Platons.²⁹ Das intelligible Sein zeichnet sich demnach durch folgende Eigenschaften aus: Es ist absolut und in jeder Hinsicht ewig und unwandelbar (ἄτρεπτον). Es tritt in keiner Weise jemals aus sich heraus, sondern verharrt gleichbleibend und steht unveränderlich fest. Seine Eigenschaften stehen damit in einem Verhältnis negativer Entsprechung zu den Charakteristika der Körperwelt.³⁰ Numenius führt schließlich die intelligible οὐσία auf die Idee des Guten als Ursprung und Inbegriff des Seins zurück, die er nach frg. 16 mit dem ersten Gott identifiziert.³¹ Von ihm her ergießen sich nach frg. 15 die Ordnung und die ewige Dauer des Kosmos sowie die Erhaltung auf alle Dinge ²³ Frg. 4b (Z. 9–13). ²⁴ Zur stoischen Lehre von der τονικὴ κίνησις siehe die Zeugnisse in SVF II

442.448.450.452. ²⁵ Frg. 4b (Z. 13–25). In drei weiteren Argumenten, die ihre Überzeugungskraft allerdings nur unter platonischen Voraussetzungen entfalten, kommt er in frg. 4b (Z. 26–43) ebenfalls zum Schluß, daß die Seele als Ursache der Beständigkeit der Körper notwendig unkörperlich sein muß. ²⁶ Die Beschreibung des Seienden in frg. 5 (Z. 19–28) lehnt sich an die Beschreibung der Idee, des intelligiblen Kosmos bzw. der intelligiblen οὐσία in Passagen wie z. B. Ti. 29b5; 37b2; Phd. 78c6; Smp. 211a an. ²⁷ Siehe frg. 6 (Z. 6–12); 7 (Z. 2). ²⁸ Mit der Betonung der Bezeichnungen ἀσώματον und νοητόν innerhalb der traditionellen platonischen Terminologie setzt Numenius anti-stoische Akzente (siehe P. H 1968, I 156 Anm. 3). ²⁹ Frg. 7 (Z. 4–8), woran sich als Beleg das Zitat aus Ti. 27d6–28a4 anschließt. ³⁰ Siehe frg. 8 (Z. 2–5): Εἰ μὲν δὴ τὸ ὂν πάντως πάντῃ ἀΐδιόν τέ ἐστι καὶ ἄτρεπτον καὶ οὐδαμῶς οὐδαμῇ ἐξιστάμενον ἐξ ἑαυτοῦ, μένει δὲ κατὰ τὰ αὐτὰ καὶ ὡσαύτως ἕστηκε, τοῦτο δήπου ἂν εἴη τὸ τῇ ›νοήσει μετὰ λόγου περιληπτόν‹. Vgl. die Beschreibung der Körper in frg. 5 (Z. 19–28); frg. 8 (Z. 2–9). ³¹ Dieser Argumentationsschritt fehlt in den erhaltenen Fragmenten. Er läßt sich jedoch z. B. aus frg. 16 erschließen, wonach der erste Gott τὸ ἀγαθόν und ἡ οὐσίας ἀρχή ist (Z. 5).

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

der sichtbaren und der intelligiblen Welt.³² Nach Numenius ist somit der erste Gott die Ursache für die relative Stabilität und Dauer des sichtbaren Kosmos.

3. Wie wirkt der erste Gott im Kosmos? Stellung und Funktion des Demiurgen 3.1. Die Unterscheidung zwischen erstem und zweitem Gott Die Charakteristika des ersten Gottes als des wahrhaft Seienden, wie sie Numenius nach frgg. 5–8 entwickelt, werfen die Frage auf, wie das höchste Prinzip überhaupt in den sichtbaren Kosmos hinein wirken kann, ohne seine Stabilität und Unveränderlichkeit aufzugeben und aus seiner Identität mit sich selbst herauszutreten. Es ist diese Frage nach der Verbindung des ersten Gottes zur sichtbaren Welt, die Numenius dazu veranlaßt, zwischen einem ersten und zweiten Gott zu unterscheiden. Anders als beispielsweise Plutarch, Atticus, Alkinoos und der von Porphyrius erwähnte Platoniker Origenes unterscheidet Numenius zwischen dem ersten Gott, der das Gute bzw. die Idee des Guten nach R. 508e3 ist, sowie dem Demiurgen des Timaeus, den er als den zweiten Gott bezeichnet.³³ Wohl aufgrund seiner Hochschätzung neupythagoreischer Lehren vertritt er eine andere Position als die Mehrheit der sogenannten Mittelplatoniker. Dafür beruft er sich auf Platon selbst, der terminologisch klar unterschieden habe zwischen dem Demiurgen, der gut ist (Ti. 29e1), und der Idee des Guten, die gut an sich und durch Anteilgabe Ursache der Güte des Demiurgen ist.³⁴ Auch in Ti. 28c habe Platon auf zwei verschiedene Größen verwiesen, indem er zwischen πατήρ und ποιητής unterschied.³⁵ ³² Siehe frg. 15 (Z. 8–10): … τὴν προσοῦσαν τῷ πρώτῳ στάσιν φημὶ εἶναι κίνησιν σύμφυτον, ἀφ᾽ ἧς ἥ τε τάξις τοῦ κόσμου καὶ ἡ μονὴ ἡ ἀΐδιος καὶ ἡ σωτηρία ἀναχεῖται εἰς τὰ ὅλα. ³³ Für Plutarch siehe dessen Etymologie des Gottes Apollon in de E 20 f. (393b–e). Proclus, in. Ti. I 305,6–16 (Diehl) = Atticus, frg. 12 (Des Places) kritisiert Atticus und seinen Schüler Harpocration scharf dafür, daß sie den Demiurgen und die Idee des Guten gleichsetzen. Alkinoos identifiziert in Intr. 10.12–15 den ersten Gott mit dem Guten an sich und dem Demiurgen. Siehe dazu Kapitel A IV 4.1 u. 5. Nach Porphyrius, VP 3,19 schrieb der Platoniker Origenes einen Traktat Ὅτι μόνος ποιητὴς ὁ βασιλεύς, der sich wahrscheinlich gegen Numenius oder gegen Numenius und Plotin richtet (siehe dazu K.-O. W 1962, 90). Die Position des Alexander von Lycopolis (ca. 300 n. Chr.), nach der das höchste Prinzip schaffender Intellekt ist, steht in großer Nähe zu der des Origenes (P.   H / J. M 1974, 10–13). ³⁴ Siehe frg. 20. Daß Numenius den Demiurgen mit Ti. 29e1 ausdrücklich gut nennt, läßt Zweifel an der Behauptung von H. J. K 1964, 72 aufkommen, daß die Annahme eines zweiten Gottes auf gnostische Einflüsse zurückzuführen sei. Eher stehen umgekehrt gnostische Autoren im Strom des Platonismus des zweiten Jahrhunderts (siehe W. A. L 1995). ³⁵ Siehe frg. 17 in Verbindung mit frg. 21 und der darauf bezogenen Kritik des Proclus an dieser Differenzierung (Proclus, in Ti. I 304,5–22 [Diehl]). Diese Unterscheidung ist bereits

III. Numenius

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Die beiden Götter unterscheiden sich nach Numenius in ihrer Existenzund Wirkungsweise.³⁶ Der erste Gott ist beständig bei sich selbst, er ist in vollkommener Einheit mit sich, unteilbar und einfach (ἁπλοῦς).³⁷ Er verharrt in Ruhe bezogen auf das Intelligible. Gleichwohl ist seine stabile Ruhe (στάσις) als eine ihm innewohnende, mit seinem Wesen verwachsene Bewegung aufzufassen, von der die Ordnung und die Dauer des Kosmos abhängen.³⁸ Er ist identisch mit dem intelligiblen Ideenkosmos und zugleich als oberster Intellekt dessen Ursache.³⁹ Numenius zeichnet den ersten Gott damit als höchstes intelligibles Prinzip, als transzendenten Intellekt und als pythagoreisch-platonische Monas.⁴⁰ Der erste Gott ist als das aus sich selbst Gute (τὸ αὐτοαγαθόν)⁴¹ und das aus sich selbst Seiende (τὸ αὐτοόν)⁴² der sichtbaren Welt transzendent.⁴³ Als erster Intellekt, als das vollkommen Seiende und das wesenhafte Lebewesen ist er jedoch nicht jenseits von Sein und Intellekt.⁴⁴ Der Demiurg des Timaeus ist Numenius’ zweiter Gott, der aus sich selbst heraus schafft (αὐτοποιεῖ)⁴⁵. Er ist in Bewegung, bezogen sowohl auf das transbei Plutarch, plat. quaest. 2,1 (1000e–1001c) angelegt und begegnet auch bei anderen Autoren des 2. Jahrhunderts (siehe W. A. L 1995, 185 f.). ³⁶ Siehe frg. 15 (Z. 2–10) : Εἰσὶ δ’ οὗτοι βίοι ὁ μὲν πρώτου, ὁ δὲ δευτέρου θεοῦ. Δηλονότι ὁ μὲν πρῶτος θεὸς ἔσται ἑστώς, ὁ δὲ δεύτερος ἔμπαλίν ἐστι κινούμενος· ὁ μὲν οὖν πρῶτος περὶ τὰ νοητά, ὁ δὲ δεύτερος περὶ τὰ νοητὰ καὶ αἰσθητά. Μὴ θαυμάσῃς δ’ εἰ τοῦτ’ ἔφην· πολὺ γὰρ ἔτι θαυμαστότερον ἀκούσῃ. Ἀντὶ γὰρ τῆς προσούσης τῷ δευτέρῳ κινήσεως τὴν προσοῦσαν τῷ πρώτῳ στάσιν φημὶ εἶναι κίνησιν σύμφυτον, ἀφ’ ἧς ἥ τε τάξις τοῦ κόσμου καὶ ἡ μονὴ ἡ ἀΐδιος καὶ ἡ σωτηρία ἀναχεῖται εἰς τὰ ὅλα. ³⁷ Siehe frg. 11 (Z. 11–13). ³⁸ Siehe frg. 15 (Z. 2–19). ³⁹ Siehe frg. 22 (Z. 1), wo Numenius in seiner Auslegung von Ti. 39e8 den ersten Gott dem ὅ ἐστι ζῷον zuordnet. Nach frg. 16 (Z. 2–4) ist das Gute (= der erste Gott) als νοῦς Ursache des Intelligiblen, des substantiellen Seins (οὐσία) und der Idee, bzw. Demiurg der οὐσία (Z. 9). Zu den verschiedenen Bestimmungen des Verhältnisses von erstem Gott / Intellekt und Ideenkosmos siehe z. B. H. J. K 1964, 83–92; M. F 1987, 1059–1063; J. H 1994, 36–45.49–55. ⁴⁰ Der erste Gott ist selbst Intellekt, wie frg. 17 (Z. 7 f.) zeigt: … ἕτερος πρὸ τούτου [sc. τοῦ δευτέρου νοῦ C. K.] νοῦς πρεσβύτερος καὶ θειότερος. Nach frg. 19 (Z. 13) ist der erste Gott ἕν; nach frg. 52 (Z. 5) ist Gott singularitas. Für seine Charakterisierung des ersten Gottes kann sich Numenius insgesamt auf die Autorität des Pythagoras berufen, wie sie die doxographische Tradition darstellt. Siehe Plutarch, Epit. 1,7,18 (Dox. Gr. 302a6–8 Diels): Πυθαγόρας τῶν ἀρχῶν τὴν μονάδα θεὸν καὶ τἀγαθόν, ἥτις ἐστὶν ἡ τοῦ ἑνὸς φύσις, αὐτὸς ὁ νοῦς. ⁴¹ Siehe frgg. 16 (Z. 9.14); 20 (Z. 12). ⁴² Siehe frg. 17 (Z. 4). ⁴³ Darauf verweist auch Numenius’ Beschreibung der »göttlichen Methode« zur Erkenntnis des Guten in frg. 2. ⁴⁴ Zur Deutung des Numenius von R. 509b6–10 im Sinne der zweiten Hypothesis des platonischen Parmenides, die sich darin von Plotins Interpretation im Sinne der ersten Hypothesis unterscheidet, siehe T. B 2002, 10–15. Daß Numenius das Eine und Gute selbst, das nach R. 509b jenseits des Seins ist, nicht als überseiend und übergeistig betrachtet, liegt eben daran, daß er es mit der Idee des Seienden / dem vollkommen Seienden Sph. 248e und dem wesenhaften Lebewesen Ti. 39e gleichsetzt. Dazu siehe J. H 1994, 37 f. ⁴⁵ Siehe frg. 16 (Z. 11).

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zendente Intelligible als auch auf die sichtbare Körperwelt⁴⁶ und daher teilbare Einheit⁴⁷. Diese doppelte Ausrichtung des zweiten Gottes bringt Numenius auch in der begrifflichen Unterscheidung von zweitem und drittem Gott zum Ausdruck.⁴⁸ Mit der grundlegenden Unterscheidung von erstem und zweitem Gott versucht Numenius sicherzustellen, daß der erste Gott von allen Werken untätig verharrt und dennoch als Vater des Demiurgen⁴⁹ mittelbar Ursache der Ordnung, Erhaltung und Dauer des sichtbaren Kosmos ist.⁵⁰ Michael Frede⁵¹ hat in seiner Untersuchung zur Philosophie des Numenius die Ansicht vertreten, daß der zweite und dritte Gott bei Numenius jeweils selbständig subsistierende göttliche Instanzen seien. Numenius unterscheide nach frg. 11 (Z. 11–20), frg. 16 (Z. 10–12) und frg. 22 unterhalb des ersten Gottes einen zweiten Gott, den eigentlichen göttlichen Intellekt, und einen dritten Gott, den eigentlichen Demiurgen. Es sei daher den doxographischen Zeugnissen zu folgen, die Numenius eine Drei-Götter-Lehre bescheinigen. Diese Deutung werde auch durch Numenius’ philosophiegeschichtliche Abhandlung gestützt, in der er – gestützt auf [Platon], Ep. 2 (312e.314c) – Platon und Sokrates eine Drei-Götter-Lehre zuschreibt und diese damit als die wahre, auf Pythagoras zurückgehende philosophische Lehre darstellt. Betrachtet man die genannten Texte genauer, so ergeben sich für Fredes Deutung Schwierigkeiten. (1) Der einzige, im Wortlaut überlieferte Text, in dem Numenius von einem dritten Gott spricht, ist keinesfalls eindeutig (frg. 11 [Z. 13–16]). Frede liest ihn als einen Beleg dafür, daß nach Numenius der zweite Gott im Kontakt mit der Materie in zwei selbständige göttliche Entitäten gespalten wird, die in gewisser Hinsicht eine Einheit bilden (a. a. O., 1057). Vor dem Hintergrund der Aussagen über das Verhältnis zwischen erstem Gott und Demiurgen und im Kontext des Fragments 11 ist es jedoch angemessener, die Passage als eine Aussage darüber zu verstehen, daß die Einheit des zweiten Gottes im Unterschied zur absoluten Einfachheit des ersten Gottes teilbar ist, und innerhalb des zweiten Gottes zwei Relationen zu unterscheiden sind.⁵² Auch frg. 16 (Z. 10–12) spricht eher gegen eine Annahme zweier selbständiger Entitäten. Betrachtender und schaffender Zustand des zweiten Gottes, die Frede dem zweiten bzw. dritten Gott zuordnet, sind nicht so eindeutig voneinander zu scheiden, wie es Numenius’ Formulierung suggeriert. Denn die genannten demiurgischen Tätigkeiten (Erschaffen der ⁴⁶ ⁴⁷ ⁴⁸ ⁴⁹ ⁵⁰ ⁵¹

Siehe frg. 15 (Z. 5). Siehe frg. 11 (Z. 13–20). Siehe frg. 11 (Z. 13 f.). Siehe frg. 12 (Z. 3 f.). Siehe frg. 15 (Z. 1–10). Die Diskussion, ob Numenius eine Zwei- oder Drei-Götter-Lehre vertreten habe, ist noch nicht abgeschlossen und wird wohl aufgrund der Überlieferungslage an manchen Punkten offen bleiben müssen. M. F 1987, 1054–1070 faßt die Diskussion zusammen und legt in Auseinandersetzung mit der älteren Forschung (R. B; E. R. D; P. M; H. J. K) eine Interpretation i. S. einer Drei-Götter-Lehre vor. Kritisch gegenüber F und mit etlichen neuen Argumenten interpretiert H. Z 1994, 69–89 Numenius im Sinne einer Zwei-Götter-Lehre, in welcher der zweite und der dritte Gott (siehe frgg. 11 [Z. 13 f.]); 16 [Z. 10]) zwei unterscheidbare, aber aufeinander bezogene Aspekte des Demiurgen sind. ⁵² Siehe dazu H. Z 1994, 69–73.81–83; die Auseinandersetzung mit Fs plotinisierender Numeniusdeutung vor allem 81 Anm. 83.

III. Numenius

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eigenen ἰδέα und Erschaffen des Kosmos) setzen die Ausrichtung auf den ersten Gott voraus und dürfen daher vom betrachtenden Zustand nicht abgetrennt werden.⁵³ (2) Die doxographischen Zeugnisse geben keine eindeutige Auskunft darüber, welche Gestalt die Drei-Götter-Lehre des Numenius hat, denn nach ihnen bezeichnet Numenius einerseits den Kosmos (frg. 21), andererseits den diskursiven, schaffenden Intellekt (frg. 22) als dritten Gott. Proclus’ Formulierung des Referats frg. 22, von dem Frede seine Annahme dreier göttlicher Hypostasen maßgeblich herleitet, ist mit Mißtrauen zu begegnen.⁵⁴ Es stimmt in der Charakterisierung des ersten Gottes, der in frg. 22 nicht als Intellekt gezeichnet ist, nicht mit den wörtlichen Numeniusfragmenten überein, wonach der erste Gott Intellekt ist (frgg. 16 [Z. 3]; 17 [Z. 3 f.7]). Das Referat ähnelt auffallend der Numeniusinterpretation, die Plotin in Enn. II 9 (33) 6 bietet. Hier interpretiert Plotin den νοῦς διανοούμενος als platonischen Demiurgen und gleicht ihn seiner dritten Hypostase an.⁵⁵ Versucht man, in frg. 21 und 22 Kommentar und Deutung des Proclus vom Referat numenianischer Gedanken zu trennen, so zeigt sich, daß beide Testimonien am zwanglosesten zu interpretieren sind, wenn man annimmt, daß nach Numenius der zweite Gott »nur eine einzige Instanz von selbständiger Subsistenz ist, die unter dem Aspekt ihres Weltbezugs als dritter Gott thematisiert wird«⁵⁶. Der zweite Gott ist als dritter Gott unmittelbare Ursache der Kosmosordnung. Numenius, der auch sonst dazu neigt, Verursachtes und Ursache als Einheit zusammenzudenken,⁵⁷ bezeichnet daher in frg. 21 den Kosmos i. S. von Kosmosordnung als dritten Gott.⁵⁸ (3) Auch das philosophiegeschichtliche Argument kann die Beweislast zugunsten der Deutung Fredes nicht tragen. Daß Numenius ausgehend von der als platonisch betrachteten Ep. 2 (312c) Sokrates eine Drei-Götter-Lehre zuschreibt, sagt noch nichts über die Gestalt dieser Lehre aus. Möglicherweise wurde bereits vor Numenius in neupythagoreischen Kreisen diese Passage als Hinweis auf die Trias erstes Eine / zweites Eine / Kosmos gelesen und Sokrates bzw. Platon zugeschrieben.⁵⁹ Numenius folgte dann einer ihm ⁵³ Siehe dazu M. B 1974, 260 und meine Analyse von frg. 16 in Kapitel 3.3. ⁵⁴ So geht z. B. der Begriff der πρόσχρησις vermutlich auf Proclus zurück (J. P. K

1992, 222). ⁵⁵ Für eine Numeniusinterpretation aus der Perspektive Plotins siehe J. H 1994, 36–45; ähnlich J. M. D 1977, 372. ⁵⁶ H. Z 1994, 83. ⁵⁷ Siehe dazu M. B 1974, 257.259.261. ⁵⁸ Siehe M. B 1974, 261; H. Z 1994, 84. ⁵⁹ Vermutlich geht der pseudo-platonische Zweite Brief auf pythagoreische Kreise zurück (J. M. R 1965, 78–81; H. D. S / L. G. W, CUFr Proclus II, xx–xxxv). S / W haben Indizien dafür vorgelegt, daß in dem durch Porphyrius vermittelten Moderatusreferat bei Simplicius, in Ph. I 230,34–231,12 (Diels) eine Benutzung von [Platon], Ep. 2 (312c) durch Moderatus greifbar ist (a. a. O., xxx–xxxv). Numenius wäre dann nicht Urheber dieser Interpretation, wie M. F 1987, 1055 f. annimmt. Ein anderer Versuch, die Gestalt der Drei-Götter-Lehre zu bestimmen und historisch zu verorten, kann an P. M, R. B und J. W anknüpfen. So ist M 1962, 138–140 der Ansicht, daß Numenius bereits eine etablierte platonische Tradition vorgegeben gewesen sei, die Ep. 2 (312c) im Sinne einer Lehre von drei göttlichen Instanzen deutet. Diese Lehre habe sich Numenius in korrigierter Form angeeignet. Auch B 1940, 671 meint, daß Numenius eine geltende Drei-Götter-Lehre kritisiert. Nun ist eine Lehre von drei göttlichen Instanzen für die fragliche Zeit schwer als etablierte platonische Lehre nachzuweisen. Spuren führen aber in neupythagoreische Kreise. So sieht W 1969b, 96 f. im Unterschied zu S / W das genannte Moderatusreferat bei Simplicius als Hinweis auf die neupythagoreische Entfaltung einer Drei-Götter-Lehre in Auslegung des platonischen Parmeni-

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geläufigen neupythagoreisch-platonischen Auslegung, die sich in frg. 24 (Z. 51–53) und frg. 21 niederschlägt und die auch Origenes bekannt war (siehe Cels. 5,7). Der Demiurg steht in dieser Auslegung als die eine, mittlere Instanz zwischen dem erstem Gott und dem Kosmos. Insgesamt ist nicht deutlich, wo in Numenius’ Denken neben dem zweiten Gott noch systematisch Raum für einen weiteren Gott sein soll,⁶⁰ da der zweite Gott seine Mittlerfunktion zwischen erstem Gott und Kosmos nur ausüben kann, wenn er als eine göttliche Instanz in sich duplizitär strukturiert ist.⁶¹

3.2. Das Wirken des Demiurgen an der Materie Der zweite Gott steht im Unterschied zum ersten Gott in einem unmittelbaren Kontakt zur materiellen, sichtbaren Körperwelt. Das geht anschaulich aus Numenius’ berühmter Steuermann-Analogie hervor, die an den PoliticusMythos (272e–273e) anknüpft, in dem Platon den Demiurgen als Steuermann des Kosmos darstellt. Ein Steuermann etwa, der inmitten hoher See dahin braust, über dem Steuerruder thronend, lenkt das Schiff, indem er auf den Rudern sitzt. Seine Augen aber und sein Intellekt sind gerade auf den Äther hin zu den überirdischen Dingen gerichtet, und sein Weg führt oben am Himmel entlang, obwohl er unten auf dem Meer segelt. So thront auch der Demiurg selbst über der Materie wie über einem Schiff auf dem Meer und bindet die Materie durch Harmonie zusammen, damit sie nicht ausbreche⁶² oder weggetrieben werde. Die Harmonie aber richtet er aus, indem er sie durch die Ideen lenkt und statt

des. Die von ihm Moderatus zugeschriebene Gestalt der Drei-Götter-Lehre kann Numenius dann aber nur mit Modifikationen aufgenommen haben, da sein erster Gott und Intellekt nicht jenseits von Sein und Intellekt ist. Da das Moderatusreferat neuplatonisch überarbeitet ist, kann über die genaue Gestalt der neupythagoreischen Drei-Götter-Lehre nur nach einer sorgfältigen Analyse der Passage im Kontext anderer neupythagoreischer Texte Sicherheit gewonnen werden. Festgehalten werden kann jedoch, daß mit neupythagoreischen Entwürfen einer Drei-Götter-Lehre zu rechnen ist, die Numenius entweder aufgenommen hat (wenn sie die Gestalt einer Trias erstes Eine / zweites Eine / Kosmos hatte) bzw. vor dem Hintergrund seiner Gotteslehre kritisiert (wenn sie die Gestalt einer Trias erstes Eine ἐπέκεινα νοῦ καὶ οὐσίας / zweites Eine bzw. Intellekt / drittes Eine bzw. Seele hatte). ⁶⁰ Das sieht auch M. F 1987, 1055. ⁶¹ Die Mehrheit der Ausleger geht daher zu Recht davon aus, daß zweiter und dritter Gott bei Numenius nicht zwei selbständig subsistierende göttliche Instanzen sind, sondern daß es ein- und derselbe Gott ist, der als zweiter Gott auf den ersten Gott, als dritter Gott auf die Materie bzw. den Kosmos gerichtet ist bzw. mit seinem Effekt, der Kosmosordnung, identifiziert wird: E. R. D 1960, 14; P. M 1962, 139; H. J. K 1964, 70 f.; M. B 1974, 260; W. D 1983, 64 f.; H. Z 1994, 81–89. J. P. K 1992, 224 macht darauf aufmerksam, daß die Schwierigkeit der Gotteslehre des Numenius darin besteht, daß eine hierarchisch-subordinatianische und eine modalistische Beschreibung ineinander verwoben sind. Festzuhalten ist mit Bestimmtheit, daß die Unterscheidung des Numenius zwischen erstem und zweitem Gott von anderer Art ist als die Unterscheidung zwischen zweitem und drittem Gott. ⁶² Zu dieser Bedeutung von διακροῦσαι siehe LSJ, διακρούω IV, 399.

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des Himmels schaut er auf Gott in der Höhe, der seine Augen heraufführt, und er empfängt das Urteilsvermögen von der Schau und das Strebevermögen von dem Trachten.⁶³

Während der erste Gott als Gott in der Höhe weit von der Materie entfernt angesiedelt ist, steht der Demiurg in unmittelbarem Kontakt zur Materie. Seine Funktion besteht darin, die Materie zu bändigen, die hier wie in frgg. 3–8 als reißend, fließend und unbegrenzt zu denken ist.⁶⁴ Der Demiurg bändigt die Materie, indem er sie »in Harmonie zusammenbindet«, d. h. begrenzt und nach harmonischen Proportionen strukturiert. Dabei geht das Maß der Harmonie auf die Ideen zurück, die hier – ähnlich wie bei Plutarch⁶⁵ – als harmonische, rationale Proportionen und Zahlenverhältnisse zu verstehen sind. Die Mittelstellung des Demiurgen zeigt sich vor allem darin, daß er auf die Materie wirkt und zugleich auf den Gott in der Höhe, d. h. den ersten Gott, gerichtet ist. Dabei empfängt er die Ideen als die Ordnungselemente, mit denen er die Materie harmonisiert. Insgesamt verbindet Numenius in dem Gleichnis die Figur des Steuermanns aus dem Politicus mit einer freien Interpretation des Timaeus, wonach der Demiurg die Welt erschafft, indem er auf das ewige, intelligible Paradigma des Kosmos blickt (Ti. 29a). In diese Interpretation fließen die spezifischen Momente der numenianischen Gottes- und Materielehre ein. Der Demiurg des Numenius agiert nach frg. 13 in einer Weise, die an die Tätigkeit der Weltseele z. B. bei Plutarch erinnert.⁶⁶ Das Verhältnis des Demiurgen zur Materie kommt auch in frg. 11 zur Sprache. Das übergeordnete Thema dieses Fragments formuliert Numenius in seinem einleitenden Aufruf (Z. 4 f.), zwischen dem ersten und zweiten Gott »in Reihenfolge und gewisser Wohlordnung« zu unterscheiden. Der erste Gott ist einfach, insofern er in sich selbst und in Einheit gänzlich mit sich selbst verbunden ist. Der Gott aber, welcher der zweite und dritte ist, ist einer. Indem er aber mit der Materie zusammenkommt, die Zweiheit ist, und sie einigt, wird er zerteilt von ihr, die einen ⁶³ Frg. 18 (Z. 2–13): Κυβερνήτης μέν που ἐν μέσῳ πελάγει φορούμενος ὑπὲρ πηδαλίων ὑψίζυγος τοῖς οἴαξι διϊθύνει τὴν ναῦν ἐφεζόμενος, ὄμματα δ’ αὐτοῦ καὶ νοῦς εὐθὺ τοῦ αἰθέρος συντέταται πρὸς τὰ μετάρσια καὶ ἡ ὁδὸς αὐτῷ ἄνω δι’ οὐρανοῦ ἄπεισι, πλέοντι κάτω κατὰ τὴν θάλατταν· οὕτω καὶ ὁ δημιουργὸς τὴν ὕλην, τοῦ μήτε διακροῦσαι μήτε ἀποπλαγχθῆναι αὐτήν, ἁρμονίᾳ συνδησάμενος αὐτὸς μὲν ὑπὲρ ταύτης ἵδρυται, οἷον ὑπὲρ νεὼς ἐπὶ θαλάττης [τῆς ὕλης]· τὴν ἁρμονίαν δ’ ἰθύνει, ταῖς ἰδέαις οἰακίζων, βλέπει τε ἀντὶ τοῦ οὐρανοῦ εἰς τὸν ἄνω θεὸν προσαγόμενον αὐτοῦ τὰ ὄμματα λαμβάνει τε τὸ μὲν κριτικὸν ἀπὸ τῆς θεωρίας, τὸ δ’ ὁρμητικὸν ἀπὸ τῆς ἐφέσεως. Z. 9 f. τῆς ὕλης seclusi (Des Places). ⁶⁴ Das zeigen die Verben διακροῦσαι/ ἀποπλαγχθῆναι an, die den Zustand der Materie ausdrücken, insofern sie nicht durch den Demiurgen gebändigt ist. ⁶⁵ Siehe Kapitel A I 4.2. ⁶⁶ Er bindet zusammen (Z. 8: συνδησάμενος; zu dieser Tätigkeit der Seele siehe die Ausführungen in Kapitel 2) und wirkt Harmonie ähnlich wie die rationale Weltseele Plutarchs. Auch die Aussage Z. 12 f., daß der Demiurg Urteils- und Strebevermögen annimmt, legt ihm in seiner Mittelstellung zwischen erstem Gott und Materie zwei zentrale Fakultäten der Seele bei.

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begehrenden Charakter hat und fließend ist. Dadurch nun, daß er nicht auf das Intelligible gerichtet ist (er wäre nämlich dann auf sich selbst bezogen), weil er die Materie anschaut, wird er in der Sorge um diese um sich selbst unbekümmert. Und er berührt das sinnlich wahrnehmbare und kümmert sich darum und führt es außerdem noch hinauf zu seinem eigenen Charakter, weil er nach der Materie strebt.⁶⁷

Diese Passage spricht ebenfalls von zwei Ausrichtungen des zweiten Gottes. Er ist einerseits bei dem Intelligiblen und damit bei sich selbst; er ist andererseits auf die Materie gerichtet und dadurch mit ihr verbunden. In der Ausrichtung auf die Materie tritt der zweite Gott aus sich heraus und berührt das sinnlich Wahrnehmbare. Die Konsequenzen für die Materie ähneln denen, die nach frg. 18 aus dem Wirken des Demiurgen auf die Materie folgen. Die Materie, die ihrem Wesen nach Zweiheit ist, wird zur Einheit geführt. Sie verliert damit ihren eigentümlichen dyadischen und fließenden Charakter und nimmt statt dessen den Charakter des zweiten Gottes an. Infolge dessen steht die Materie in Kontakt mit dem Intelligiblen, ohne daß der erste Gott als Ursprung der intelligiblen οὐσία seine Einheit und Stabilität zu verlassen braucht, da der zweite Gott aus seiner Selbstbezogenheit heraustritt. Stärker als in frg. 18 hebt Numenius dabei hervor, daß der Demiurg und die Materie eine Art Verbindung eingehen, die zum Beispiel dadurch sichtbar ist, daß beide ihre Eigenschaften tauschen. Diese auch in anderen Zusammenhängen beschriebene doppelte Ausrichtung des zweiten Gottes beschreibt Numenius in frg. 11 als Spaltung in einen zweiten und dritten Gott, wobei der zweite Gott durch den Bezug auf sich selbst, der dritte Gott durch die Ausrichtung auf die Materie gekennzeichnet ist. Der kosmologische Sachzusammenhang, der sich am Timaeus orientiert, spricht dafür, die Ausrichtung auf das intelligible Prinzip und die Hinwendung zur Materie nicht zwei zu unterscheidenden, selbständigen Entitäten zuzuordnen. Denn die Harmonisierung der Materie, wie Numenius sie in frg. 18 beschreibt, erfordert es, daß sich der Demiurg einerseits der Materie zuwendet und andererseits die Maßstäbe seiner Ordnungstätigkeit vom ersten Gott empfängt, auf den er ausgerichtet ist.⁶⁸ Nur so kann die Mittlerfunktion des zweiten Gottes plausibel erklärt werden, die das Kernstück der numenianischen Gotteslehre darstellt.

⁶⁷ Frg. 11 (Z. 13–20): ὁ θεὸς μέντοι ὁ δεύτερος καὶ τρίτος ἐστὶν εἷς· συμφερόμενος δὲ τῇ ὕλῃ δυάδι οὔσῃ ἑνοῖ μὲν αὐτήν, σχίζεται δὲ ὑπ’ αὐτῆς, ἐπιθυμητικὸν ἦθος ἐχούσης καὶ ῥεούσης. Τῷ οὖν μὴ εἶναι πρὸς τῷ νοητῷ (ἦν γὰρ ἂν πρὸς ἑαυτῷ) διὰ τὸ τὴν ὕλην βλέπειν, ταύτης ἐπιμελούμενος ἀπερίοπτος ἑαυτοῦ γίγνεται. Καὶ ἅπτεται τοῦ αἰσθητοῦ καὶ περιέπει ἀνάγει τε ἔτι εἰς τὸ ἴδιον ἦθος ἐπορεξάμενος τῆς ὕλης. ⁶⁸ Siehe frg. 18 (10 f.): τὴν ἁρμονίαν δ’ ἰθύνει, ταῖς ἰδέαις οἰακίζων, βλέπει τε ἀντὶ τοῦ οὐρανοῦ εἰς τὸν ἄνω θεὸν …

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3.3. Die Schöpfungstätigkeit des Demiurgen als Mimesis Die Schöpfungstätigkeit des Demiurgen verhandelt Numenius auch in frg. 16. Hier tritt sein Anliegen, den ersten Gott von jeglicher Berührung mit der sichtbaren Welt fernzuhalten, besonders deutlich hervor. »Denn wenn der Demiurg Gott des Werdens (γένεσις) ist, so genügt es, daß das Gute Prinzip des Seins (οὐσία)«⁶⁹, bzw. Demiurg des Seins (Z. 9) ist. Numenius ordnet den ersten und zweiten Gott jeweils einem Wirklichkeitsbereich zu. Der zweite Gott ist Prinzip des Werdens, so daß die ›Schöpfungstätigkeit‹ des ersten Gottes auf den Bereich des Seins beschränkt bleiben kann. Mit dieser Unterscheidung zweier Wirklichkeitsbereiche greift Numenius ein Grundaxiom platonischer Philosophie auf. Es wird in der Einleitung zur Rede des Sprechers Timaeus ausgeführt und begegnet auch in anderen Dialogen an zentraler Stelle.⁷⁰ Die beiden Demiurgen und ihre Wirkungsbereiche stehen zueinander in einem Verhältnis der Mimesis.⁷¹ Numenius greift damit die Kategorie auf, die im Timaeus die Tätigkeit des Demiurgen und das Verhältnis der sichtbaren Welt zum intelligiblen Ideenkosmos beschreibt. Indem Numenius diese Kategorie auf das Verhältnis des Demiurgen zum ersten Gott überträgt, gelingt es ihm, den ersten Gott als transzendentes Prinzip der Kosmosordnung zu behaupten, ohne dessen (Selbst-)bezogenheit auf das Intelligible zu verletzen. Warum das Konzept der Mimesis dieses leisten kann, zeigt sich, wenn man bedenkt, wie Numenius die mimetische Tätigkeit des zweiten Gottes beschreibt. Denn der zweite Gott, weil er zweifach ist, schafft von selbst sowohl seine eigene Idee als auch den Kosmos, insofern er Demiurg ist, dann gänzlich betrachtend.⁷²

Dieser Satz ist in der Forschung bislang vor allem gemeinsam mit frg. 11 (Z. 13 f.) interpretiert worden, um die Anzahl göttlicher Instanzen bei Nume⁶⁹ Frg. 16 (Z. 4 f.): Καὶ γὰρ εἰ ὁ μὲν δημιουργὸς θεός ἐστι γενέσεως, ἀρκεῖ τὸ ἀγαθὸν οὐσίας εἶναι ἀρχή. Numenius fährt unmittelbar fort (Z. 6–8): Ἀνάλογον δὲ τούτῳ μὲν ὁ δημιουργὸς θεός, ὢν αὐτοῦ μιμητής, τῇ δὲ οὐσίᾳ ἡ γένεσις, εἰκὼν αὐτῆς ἐστι καὶ μίμημα. (ἣ Z. 7 Einfügung M, gefolgt von D P). ⁷⁰ Γένεσις und οὐσία werden einander gegenübergestellt z. B. Platon, R. 525b5.534a; Sph. 245d5, 246c1; Phlb. 54a5. ⁷¹ Siehe frg. 16 (Z. 6–8). ⁷² Frg. 16 (Z. 10–12): Ὁ γὰρ δεύτερος διττὸς ὢν αὐτοποιεῖ τήν τε ἰδέαν ἑαυτοῦ καὶ τὸν κόσμον, δημιουργὸς ὤν, ἔπειτα θεωρητικὸς ὅλως. Die Kontroverse entzündet sich vor allem am Verständnis des ἔπειτα, das oft im Sinne eines chronologischen Nacheinanders zweier distinkter Zustände des zweiten Gottes interpretiert wird oder sogar als Hinweis darauf gedeutet wird, daß Numenius einen zyklischen Kreislauf von Werden und Vergehen des Kosmos lehrt. Dagegen wendet sich zu Recht H. Z 1994, 78 f. Numenius unterscheidet auch hier aus Argumentations- und Darstellungsgründen begrifflich zwischen zwei Ausrichtungsmöglichkeiten des zweiten Gottes, die sachlich nicht voneinander abgekoppelt werden dürfen.

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nius zu bestimmen. Er ist jedoch nur angemessen im Kontext des Fragments zu verstehen. Numenius erläutert hier (Z. 10: γάρ), inwiefern das Konzept der Mimesis den ersten Gott von der unmittelbaren Urheberschaft für den Kosmos entlastet. Dabei ist die duplizitäre Struktur des zweiten Gottes die Voraussetzung dafür, daß er in Nachahmung des ersten Gottes schaffen kann. Nach Z. 11 ist der zweite Gott in zweifacher Weise schöpferisch tätig: Er konstituiert sich selbst, indem er seine eigene Idee, d. h. sein Wesen schafft,⁷³ und er schafft die Ordnung des sichtbaren Kosmos. Während das Wesen des zweiten Gottes direktes Abbild des Wesens des ersten Gottes ist, bildet die sichtbare Welt lediglich das Wesen des Demiurgen ab und ist damit genau genommen ein Abbild (εἰκών) zweiter Ordnung.⁷⁴ Demgegenüber vereinfachend schildert frg. 18, wie der Demiurg die Materie in direkter Schau der Ideen harmonisiert. Frg. 18 und frg. 16 lassen sich verbinden, wenn man annimmt, daß Numenius’ Demiurg ähnlich der Weltseele Plutarchs den Kosmos schafft, indem er die Materie begrenzt und harmonisiert nach den Proportionen und Zahlenverhältnissen, die sein eigenes rationales Wesen in Abbildung des ersten Gottes konstituieren.⁷⁵ Numenius bezeichnet den Demiurgen, der die Welt des Werdens erschafft, als Nachahmer des ersten Gottes, der die intelligible Welt des Seins im Vollzug seiner Denktätigkeit hervorbringt. Damit bestimmt Numenius auch die Schöpfungstätigkeit des Demiurgen als Vernunfttätigkeit, genauer als abgeleitete, diskursive Vernunfttätigkeit.⁷⁶ Numenius schließt seine Erläuterung der Mimesis mit einer zusammenfassenden Schlußfolgerung. Indem wir nun zusammenfassen, seien diese vier Beschreibungen von vier Sachverhalten genannt: der erste Gott ist das aus sich selbst Gute (αὐτοάγαθον); dessen Nachahmer der Demiurg ist gut (ἀγαθός); das Sein des ersten ist eines, das des zweiten ein anderes; dessen Nachahmung ist der schöne Kosmos (ὁ καλὸς κόσμος), schön geschmückt durch die Teilhabe am Schönen (μετουσίᾳ τοῦ καλοῦ).⁷⁷

Der Kosmos ist ein Abbild der Güte des Demiurgen. Das entspricht dem Timaeus, wonach der Demiurg, der gut ist, alles nach Möglichkeit seinem Wesen angleichen will (Ti. 29e.30a). Weil aber nach Numenius die Güte des ⁷³ Nach frg. 16 (Z. 2) sind οὐσία und ἰδέα Synonyme. ⁷⁴ Siehe frg. 16 (Z. 14–17). Zu dieser Deutung von frg. 16 (Z. 11 f.) siehe auch M. B

1974, 260 f. ⁷⁵ Die Position des Numenius ähnelt darin der Plutarchs, dessen Weltseele die Materie nach ihrer eigenen Harmonie ordnet (siehe Kapitel A I 4.3). ⁷⁶ Siehe dazu frg. 22 (Z. 1–5) und frg. 12 (Z. 15 f.). ⁷⁷ Frg. 16 (Z. 12–17): Συλλελογισμένων δ’ ἡμῶν ὀνόματα τεσσάρων πραγμάτων τέσσαρα ἔστω ταῦτα· ὁ μὲν πρῶτος θεὸς αὐτοάγαθον· ὁ δὲ τούτου μιμητὴς δημιουργὸς ἀγαθός· ἡ δ’ οὐσία μία μὲν ἡ τοῦ πρώτου, ἑτέρα δ’ ἡ τοῦ δευτέρου· ἧς μίμημα ὁ καλὸς κόσμος, κεκαλλωπισμένος μετουσίᾳ τοῦ καλοῦ.

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Demiurgen nicht in ihm selbst, sondern in der Teilhabe am ersten Gott ihre Ursache hat,⁷⁸ geht auch die Schönheit des Kosmos, die der sinnfällige Ausdruck seiner Güte ist, mittelbar auf den ersten Gott zurück. Numenius’ Konzept der Weltschöpfung als Mimesis fußt also sachlich auf dem Gedanken der Teilhabe des zweiten Gottes am ersten Gott. Diesen Gedanken entfaltet Numenius vor allem in frgg. 14 und 19. Spätere Platoniker betrachten die Lehre von Teilhabeverhältnissen innerhalb des Bereichs des Intelligiblen, die den theoretischen Hintergrund dieses Gedankens bildet, auch als ein Spezifikum seiner Lehre.⁷⁹ Numenius’ Modell der mimetischen Weltschöpfung, das seinen Angelpunkt in der duplizitären Struktur des Demiurgen hat, ist somit durch zwei Momente charakterisiert: Die Ursache der ποίησις des Geschaffenen liegt im zweiten Gott, der von sich aus schafft (αὐτοποιεῖ Z. 11), während die Ursache der Güte des Geschaffenen im ersten Gott liegt, der aus sich selbst heraus gut ist (vgl. αὐτοάγαθον Z. 9 f.). Frg. 16 schließt damit, den Kosmos als schön durch die Teilhabe am Schönen zu qualifizieren. Der argumentative Aufbau des Fragments zeigt, daß damit auch der numenianische Gedankengang an sein Ziel gekommen ist. Das Modell der mimetischen Weltschöpfung dient also nicht nur dazu, den ersten Gott von aller Schöpfungstätigkeit zu entlasten, sondern auch dazu, den Charakter der Kosmosordnung aus dem höchsten Prinzip abzuleiten. Folglich ergibt sich in frg. 16 eine dreigliedrige Kette von Abbildungsverhältnissen: erster Gott-Demiurg-Kosmos. Dieser Kette entspricht die Dreierreihe, die Proclus nach frg. 21 Numenius zuschreibt.⁸⁰ Demnach habe Numenius drei Götter behauptet: Vater (in Übereinstimmung mit frg. 17 der erste Gott bzw. Intellekt), Schöpfer und Schöpfung. Diese verhalten sich zueinander wie Großvater, Sohn und Enkel. Daß Numenius in seiner Kosmologie den ersten Gott, d. h. die Idee des Guten, an die Spitze einer Ableitungskette stellt, die bis zur Ordnung des sichtbaren Kosmos reicht, wird von späteren Platonikern scharf kritisiert, die darin die Würde und Transzendenz des obersten Prinzips gefährdet sehen.⁸¹ Die Trias Großvater-Sohn-Enkel drückt aber genau das aus, was ⁷⁸ Siehe frg. 19 (Z. 8–13); frg. 20 (Z. 2–12). ⁷⁹ Siehe frgg. 46bc, wonach Numenius nicht nur eine Partizipation der αἰσθητά, sondern

auch der νοητά an den Ideen behauptet, so daß auch im Bereich des Intelligiblen Abbildungsverhältnisse bestehen. Das ist in der Tat die Voraussetzung dafür, das Wesen des Demiurgen als Abbild des ersten Gottes zu betrachten und die sichtbare Welt als εἰκών zweiter Ordnung zu verstehen. ⁸⁰ Bereits P. M 1962, 140 verbindet frg. 16 mit frg. 21 und stellt zu frg. 16 (Z. 14–17) fest: »Dies ist offenbar die Dreierreihe, die Proclus vorschwebt, wenn er dem Numenius die Drei-Götter-Lehre zuschreibt«. ⁸¹ Siehe die Kritik des Proclus, in Ti. I 304,5–7 (Diehl): Ὁ δὴ ταῦτα λέγων πρῶτον μὲν οὐκ ὀρθῶς τἀγαθὸν συναριθμεῖ τοῖσδε τοῖς αἰτίοις· οὐ γὰρ πέφυκεν ἐκεῖνο συζεύγνυσθαί τισιν οὐδὲ δευτέραν ἔχειν ἄλλου τάξιν. Der letzte Halbsatz bezieht sich auf die Anwendung des Titels ›Vater‹ auf den ersten Gott, der im Timaeus dem Titel ποιητής nachgestellt ist. Eine Verbindung des Einen mit den Dingen, die nach ihm folgen, lehnt auch Plotin ab (Enn. V 5

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Numenius in den wörtlich überlieferten Fragmenten entfaltet: Der erste Gott ist vermittelt durch den Demiurgen Ursprung der Ordnung und Güte des sichtbaren Kosmos, der dadurch dritter Gott ist.⁸²

3.4. Das Wirken des Demiurgen im Kosmos Um den ersten Gott von aller Tätigkeit zu entlasten, schreibt Numenius dem zweiten Gott die Fürsorge und die Vorsehung für den Kosmos zu. Im Unterschied zum ersten Gott, der als König von allen Werken untätig verharrt,⁸³ heißt es in frg. 12 vom zweiten Gott, daß er herrscht, indem er »durch den Himmel zieht«. In dieser Formulierung klingt Phdr. 246b.246e an, wonach die Götter des Mythos als Erscheinungsformen der Weltseele den Himmel durchziehen. Unter ihnen ist Zeus besonders hervorgehoben, der als großer Herrscher im Himmel und Anführer der Götterschar alles ordnet und versorgt (Phdr. 246e). Indem Numenius diese Passage auf seinen zweiten Gott anwendet, faßt er die Himmelsgottheiten des Mythos zu einem einheitlichen göttlichen Prinzip unterhalb des ersten Gottes zusammen.⁸⁴ Indem Numenius den βασιλεύς in Ruhe vom ἡγεμών in Bewegung unterscheidet, der in den Himmel eingeht und so den Kosmos regiert, knüpft er auch an den pseudo-platonischen sechsten Brief an, der τὸν τῶν πάντων θεὸν ἡγεμόνα τῶν τε ὄντων καὶ τῶν μελλόντων und τοῦ τε ἡγεμόνος καὶ αἰτίου πατέρα κύριον unterscheidet (323d).⁸⁵ Die erhaltenen Fragmente beschreiben vor allem, wie der Demiurg für die Belebung und Vernunftbegabung der Menschen sorgt (frg. 12 [Z. 14–22]). Seine Bewegung durch den Himmel ist dabei als schöpferische, dianoetische Vernunfttätigkeit zu verstehen,⁸⁶ durch welche er die individuellen Vernunftseelen zu allen dazu bestimmten Empfängern herabsendet. Schaut der Demiurg auf die einzelnen Menschen und wendet er sich ihnen zu, so werden die Körper beseelt und leben, indem sie sich mit den Fernstrahlungen des Got[32] 4,12–16 [II 344 Henry / Schwyzer]). Zur abweichenden Position des Porphyrius in dieser Frage siehe P. H 1968, I 124–132, der eine Parallele zu Numenius zieht (132). ⁸² Zur Bezeichnung des Kosmos als dritten Gott siehe E. A. L 1937, 39; M. B 1974, 261; H. Z 1994, 84. ⁸³ Zur Bezeichnung des höchsten Prinzips als König siehe Platon, Lg. 904b; Cra. 396a; Phlb. 28c.30d; [Platon], Ep. 2 (312e). Nach Plt. 305d soll das Königliche nicht selbst handeln, sondern über diejenigen, die handeln, herrschen. ⁸⁴ Zu Numenius’ Deutung dieser Passage auf den zweiten Gott siehe H. D 1970, 394. ⁸⁵ Zur Bezeichnung des ersten Gottes als Vater des Demiurgen siehe frg. 12 (Z. 3 f.). ⁸⁶ Nach frg. 22 (Z. 4 f.) ist der dritte Gott, d. h. der Demiurg in seiner Ausrichtung auf den Kosmos, νοῦς διανοούμενος (dazu E. R. D 1960, 13 f.), in frg. 12 aufgenommen durch ἐν διεξόδῳ. Der Ausdruck ἐν διεξόδῳ wird nach H.  L 1972 normalerweise benutzt, »to denote the ›discursive‹ character of the διάνοια or λόγος« (35 Anm. 2 mit Belegen).

III. Numenius

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tes vereinigen.⁸⁷ Wendet er sich ab zur Betrachtung seiner selbst, so verlöschen die Körper, und die Vernunftseele steigt wieder auf zu einem körperlosen, glückseligen Leben.⁸⁸ Numenius betrachtet hier die einzelnen Vernunftseelen als Ausstrahlungen oder Auswürfe des Demiurgen und behauptet damit eine substantielle Identität zwischen den Einzelseelen und dem zweiten Intellekt. Den Wechsel von Hinwendung (vgl. ἐπεστραμμένου) und Abwendung (vgl. μεταστρέφοντος εἰς τὴν ἑαυτοῦ περιωπήν) des Demiurgen formuliert Numenius in Anspielung an den bekannten Politicus-Mythos⁸⁹, den er hier nicht kosmologisch, sondern anthropologisch interpretiert.⁹⁰ Die Zuweisung der Vernunftseelen und die Dauer ihres Aufenthalts in den Körpern hängen nach frg. 12 von der Zuwendung des Demiurgen ab. Damit erscheint der Abstieg der Seelen als Ausdruck göttlicher Fürsorge für die Belebung der Körper. Mittelbar durch den Demiurgen stehen die Seelen auch zu dem ersten Intellekt in einem Verhältnis substantieller Identität, da dieser das Prinzip des Seins und damit erstes Prinzip der Seelen ist.⁹¹ Dieser Vorstellung entsprechen die Aussagen des Numenius, wie sie in frg. 13 erhalten sind. In diesem Abschnitt erläutert Numenius das Verhältnis des ersten Gottes zum Demiurgen im Zusammenhang der Seelenlehre anhand einer Analogie: Wie wiederum ein Verhältnis besteht von einem Landwirt zu dem, der pflanzt, so steht in genau dem gleichen Verhältnis der erste Gott zum Demiurgen. Der zuerst genannte nämlich, insofern er ist, sät den Samen jeder Seele in alle Wesen, die an ihm Anteil erhalten. Der Gesetzgeber aber pflanzt, verteilt und verpflanzt in einen jeden von uns das, was von jenem her vorher ausgebracht wurde.⁹²

Der zweite Satz des Fragments ist sprachlich nicht eindeutig, so daß der griechische Text zu unterschiedlichen Konstruktionen geführt hat. Meine Übersetzung folgt allein aus pragmatischen Gründen der Konstruktion des Herausge⁸⁷ Mit der besser bezeugten Lesart ist in Z. 19 κηδεύοντα zu lesen, das folglich intransitiv konstruiert ist (É. D P, CUFr Numenius, ad loc.). Anders E. A. L 1937, der κηδεύοντος mit direktem Objekt τὰ σώματα und instrumentalem Dativ ἀκροβολισμοῖς liest, von z. B. H. J. K 1964, 71 gefolgt. ⁸⁸ Nach dem Tod steigen die Seelen durch den Himmel auf bis zur Fixsternsphäre, in der sie wieder reiner, körperloser Intellekt sind (frg. 35 [Z. 43]). Mit νοῦς ist hier nicht der zweite Gott / Intellekt gemeint, wie M. B 1974, 261 f. zu Unrecht annimmt, um Numenius die Lehre eines kosmischen Zyklus von Werden und Vergehen zuschreiben zu können. ⁸⁹ Vgl. Plt. 272e5: … εἰς τὴν αὑτοῦ περιωπὴν ἀπέστη, … ⁹⁰ Frg. 12 kann daher nicht herangezogen werden, um frg. 16 (Z. 10–12) im Sinne einer Abfolge zweier kosmischer Zustände zu interpretieren. ⁹¹ Vgl. damit übereinstimmend frg. 42 (Z. 1–3). ⁹² Frg. 13 (Z. 2–7): Ὥσπερ δὲ πάλιν λόγος ἐστὶ γεωργῷ πρὸς τὸν φυτεύοντα, ἀνὰ τὸν αὐτὸν λόγον μάλιστά ἐστιν ὁ πρῶτος θεὸς πρὸς τὸν δημιουργόν. Ὁ μέν γε ὢν σπέρμα πάσης ψυχῆς σπείρει εἰς τὰ μεταλαγχάνοντα αὐτοῦ χρήματα σύμπαντα· ὁ νομοθέτης δὲ φυτεύει καὶ διανέμει καὶ μεταφυτεύει εἰς ἡμᾶς ἑκάστους τὰ ἐκεῖθεν προκαταβεβλημένα.

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

bers der Fragmente.⁹³ Für die Frage nach dem Wirken des Demiurgen im Verhältnis zum Wirken des ersten Gottes läßt das Fragment in allen vorgeschlagenen Konstruktionsvarianten folgende grundlegende Schlußfolgerungen zu. Die Rede vom Aussäen und Pflanzen der Seelen geht auf den Timaeus zurück, wonach der Demiurg die Seelensubstanz zunächst in die Gestirne einsät (Ti. 41c.e und 42d) und es dann den geschaffenen Göttern überläßt, die Einzelseelen aufzuziehen und in die menschlichen Körper einzupflanzen (Ti. 42a und 73c; vgl. Phdr. 248d). Auffälligerweise legt Numenius frg. 13 dem ersten Gott als Landwirt⁹⁴ die Tätigkeit des platonischen Demiurgen bei, während der zweite Gott die Funktion der geschaffenen Götter ausübt. Offensichtlich liest Numenius den Timaeus auch an dieser Stelle im Sinne seiner Unterscheidung von erstem und zweitem Gott.⁹⁵ Er kann dabei an eine Tendenz des kaiserzeitlichen Platonismus anknüpfen, die platonischen Untergötter in der Kosmogonie zurückzudrängen und durch ein einheitliches Prinzip zu ersetzen.⁹⁶ Die Tätigkeit des Säens durch den ersten Gott muß nun vor dem Hintergrund der Gotteslehre des Numenius verstanden werden als ein Bild für ein Verhältnis des ersten Gottes zu den beseelten Geschöpfen, welches die Selbstbezogenheit des ersten Gottes nicht aufhebt. Angesichts des schwierigen Wortlautes des Fragments ist es hilfreich, sich zunächst die Struktur der Aussage deutlich zu machen. Vor dem Hintergrund der Unterscheidung zwischen erstem und zweiten Gott präsentiert Numenius einen zweistufigen Prozeß mit zwei Akteuren: Der erste Gott sät, der zweite Gott vereinzelt auf der Ebene der Individuen. Von dieser Vereinzelung handelt beispielsweise frg. 12. Vor dem ⁹³ Probleme bieten: (1) die Konstruktion von ὁ … ὢν: absolut stehend analog dem Sprachgebrauch von Ex 3,14 LXX (A. J. F; J. W; É. D P); mit Ergänzung durch σπέρμα πάσης ψυχῆς (E. H. G; M. J. E; H.  L); Konjektur in ὁ μὲν γε α' ὢν (E. R. D) / ὁ μὲν γεωργῶν (J. M. D) / ὁ μὲν γε οὖν (J. C. M.  W), (2) die Konstruktion von σπείρει: absolut ohne Objekt; mit Objekt σπέρμα πάσης ψυχῆς; mit Objekt χρήματα σύμπαντα (M. J. E). Eine Übersicht über die verschiedenen Konjekturen bietet J. W 1978, 144–154, der sie für sprachlich und sachlich nicht notwendig hält, weil Numenius mit ὁ … ὢν dem hellenistisch-jüdischen Sprachgebrauch von Ex 3,14 folge. Seine Deutung baut H. S. R. T 1979 an einigen Punkten aus. Die Interpretation von W ist von E aus sprachlichen und inhaltlichen Erwägungen in Frage gestellt worden. E bietet eine gute Übersicht über die Diskussion (1989; 1990, 65–67). Siehe außerdem D L 1972, 57 Anm. 4. Meine Übersetzung folgt allein aus pragmatischen Gründen der Konstruktion von É. D P, CUFr Numenius. ⁹⁴ J. W 1978, 150 f. weist nach, daß die Bezeichnung γεωργός ein in der Kaiserzeit verbreiteter Titel für Gott ist und landwirtschaftliche Analogien seit hellenistischer Zeit geläufige Bilder für die Darstellung göttlichen Handelns sind. ⁹⁵ Ein ähnlicher Umgang mit dem Timaeus ist in frg. 17 (Z. 2–8), einer Auslegung von Ti. 28c, zu beobachten. ⁹⁶ So M. B 1974, 263; . 1972, 137–139. Eine ähnliche Tendenz konnte bereits in der Auslegung von Phdr. 246b.246e in frg. 12 beobachtet werden (siehe den Anfang des vorliegenden Kapitels 3.4).

III. Numenius

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Hintergrund von Ti. 42a und angesichts der genannten zweistufigen Struktur ergibt sich, daß das, was der erste Gott sät, die allgemeine Seelensubstanz sein muß. Der Wortlaut des Gleichnisses enthält weitere interpretierende Elemente, aus denen die Deutung des Numenius entwickelt werden kann. So weist der Ausdruck τὰ μεταλαγχάνοντα αὐτοῦ zunächst darauf hin, daß Numenius das Bild der Aussaat im Sinne des Konzepts der Teilhabe interpretiert, das er auch in frg. 16 heranzieht, um das mittelbare Verhältnis des ersten Gottes zum Kosmos zu beschreiben. Würde Numenius den ersten Gott in frg. 13 als Samen jeder Seele bezeichnen, so wiese das in eine ähnliche Richtung. Die Bezeichnung des höchsten Prinzips als Same, der alles samenhaft in sich enthält, ist der neupythagoreischen Metaphysik und Kosmologie geläufig.⁹⁷ Es ist daher wahrscheinlich, daß Numenius diese Konzeption kennt. Im Kontext des frg. 13 drückt die Bezeichnung des ersten Gottes als Same vor dem Hintergrund des antiken Verständnisses von Samen aus, daß das, was der erste Gott ›sät‹, und damit das, was am ersten Gott Anteil bekommt, mit ihm in gewisser Weise substantiell identisch ist.⁹⁸ Das Wesen und das Wirken des ersten Gottes überbietet damit das analogiehafte Wirken des Sämanns. Eine vergleichbare Aussage findet sich in den Äußerungen des Numenius, wonach der erste Gott Ursache und Prinzip allen substantiellen Seins (οὐσία) ist und zugleich mit ihm von Natur aus verwachsen, ja identisch mit ihm ist.⁹⁹ Auch im Verständnis derjenigen, die im Fragment den ersten Gott nicht als Same bezeichnet sehen, folgt die Tätigkeit des Säens aus dem Wesen des ersten Gottes, der als τὸ αὐτοόν Ursache der intelligiblen οὐσία ist.¹⁰⁰ Mit Hilfe der Analogie vom Sämann und Pflanzer legt Numenius dar, das der erste Gott aus sich selbst die Gesamtheit der Seelensubstanz schafft, die in sich die Substanz aller individuellen Einzelseelen enthält. Der erste Gott ist damit Ursprung der Einzelseelen, insofern alles, was mit Intellekt und Seele begabt ist, durch das Wirken des Demiurgen an ihm Anteil hat. In diesem Sinne sind alle Seelen vom ersten Gott her ›ausgebracht‹¹⁰¹. Numenius schreibt in seinem Gleichnis dem ersten Gott als Sämann formal eine Tätigkeit des platonischen Demiurgen zu, weil er sie im Sinne einer ontologischen Abhängigkeit der Einzelseelen vom ersten Gott interpretieren kann, die mit seinem Begriff des ersten Gottes vereinbar ist. Anders verhält es sich ⁹⁷ Siehe die Belege bei G. B 2005, 133 sowie E. T 2006, 293 f. ⁹⁸ Siehe dazu M. J. E 1989, 480 f. ⁹⁹ Siehe frg. 16 (Z. 2 f.5.9). ¹⁰⁰ Siehe H. S. R. T 1979. ¹⁰¹ Der Ausdruck προκαταβεβλημένα (von προκαταβάλλειν) ist vom Fachterminus für

das Ausbringen von Samen (καταβάλλειν) abzuleiten und gehört der Bildebene des Gleichnisses an. Er kann daher nicht als Hinweis auf eine gnostische Beeinflussung des Numenius gedeutet werden. Gegen H. J. K 1964, 69 Anm. 171, der ihn – terminologisch unzutreffend – mit προβολή assoziiert.

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mit der Tätigkeit des platonischen Demiurgen, die im Titel des Gesetzgebers (νομοθέτης) zusammengefaßt ist und die direkte und unmittelbare Zuwendung des Demiurgen zu den Einzelseelen impliziert. Der Titel νομοθέτης begegnet so nicht im Timaeus, sondern ist in der Auslegung von Ti. 41e2 f. und 42d2 f. entstanden.¹⁰² Danach verkündet der Demiurg den Seelen bei ihrer ›Aussaat‹ die vom Schicksal verhängten Gesetze. Über diesen Kontext des Timaeus hinaus verknüpft sich mit dem Titel dann auch die Vorstellung von der göttlichen Vorsehung und Fürsorge für die menschlichen Seelen sowie den Kosmos insgesamt.¹⁰³ Nach frg. 13 besteht vor dem Hintergrund von Ti. 42a die Fürsorge des Demiurgen für die Einzelseelen darin, sie den einzelnen Körpern zuzuweisen, zu ernähren und nach dem Tod des Menschen zurückzunehmen bzw. neuen Körpern einzupflanzen. Numenius’ philosophische Interpretation dieser am Timaeus orientierten Aussagen des Gleichnisses findet sich in frg. 12 [Z. 14–22]. Demnach wirkt der Demiurg seine Fürsorge und Vorsehung im Kosmos als Intellekt.¹⁰⁴

4. Der Charakter des Kosmos ex deo silvaque 4.1. Das Numeniusreferat bei Calcidius, in Ti. 295–299 Ein Referat über die numenianische Auffassung von der Materie, die eine Auslegung einschlägiger Passagen des Timaeus darstellt, ist im Timaeuskommentar des Calcidius erhalten.¹⁰⁵ Calcidius bietet einen umfangreichen Abschnitt zur pythagoreischen Prinzipienlehre. In diesem Zusammenhang beruft er sich ¹⁰² Siehe M. B 1974, 262 Anm. 89, der auf Alkinoos, Intr. 16; Apuleius, Plat. 1,12; Calcidius, in Ti. 188 (212,24 Waszink); Plotin, Enn. V 9 (5) 5,28 (II 417 Henry / Schwyzer) verweist, denen noch Maximus von Tyrus, diss. 41,4 (Z. 118; 333 Trapp) hinzugefügt werden kann. Vielleicht hat auch Cra. 389a auf diese Auslegung gewirkt. ¹⁰³ Für die Seelen siehe Maximus von Tyrus, diss. 41,4 (Z. 104–149; 333 f. Trapp) im Zusammenhang der Frage nach der Ursache des Übels; Apuleius, Plat. 1,12; für die Seelen und den Kosmos insgesamt Calcidius, in Ti. 188 (212,21–213,6 Waszink); [Aristoteles], Mu. 6 (400b7 f.). Die Passage aus Calcidius ist besonders aufschlußreich, da in der mehrstufigen Gotteslehre des Calcidius der Gesetzgeber – wie bei Numenius – der zweite Gott ist. Allerdings unterscheidet sich Calcidius darin, daß sein erster Gott – anders als bei Numenius – jenseits von Sein und Intellekt ist und Calcidius aus Ti. 41–42 eine Drei-Götter-Lehre entwickelt von erstem Gott / zweitem Gott (Intellekt; Vorsehung; Gesetzgeber) / drittem Gott (zweiter Intellekt; Weltseele; Schicksal; Gesetz). Die Passage aus Calcidius kann daher nur mit Einschränkung für Numenius in Anspruch genommen werden (gegen J. M. D 1973, 179). ¹⁰⁴ Zur Auslegung von frg. 12 (Z. 14–22) siehe den Beginn dieses Kapitels. ¹⁰⁵ Der Timaeuskommentar des Calcidius wird in die erste Hälfte (J. M. D) bzw. an das Ende (J. H. W) des vierten Jahrhunderts datiert. Siehe dazu D 1977, 401– 408; W, Timaeus a Calcidio translatus, xv; J. M. R 1981, 151–155, der die Diskussion um die Datierung des Kommentars zusammenfaßt und die Argumente Ds ausbaut; S. G 1986, 421–425.

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auf Numenius als Gewährsmann und referiert dessen Darstellung der pythagoreisch-platonischen Lehre. Calcidius gibt Numenius zu einem großen Teil in indirekter Rede wieder (in Ti. 295 f.). Dabei wird an mehreren Stellen deutlich, daß Numenius die von ihm referierte Lehre des Pythagoras selbst vertritt.¹⁰⁶ Der Abschnitt zur pythagoreischen Lehre wandelt sich so unter der Hand zu einer Darstellung der Lehre des Numenius ex Pythagorae magisterio, in der Numenius’ eigene Schlußfolgerungen wiedergegeben werden (z. B. ab Z. 113). Obwohl Calcidius an einigen Stellen die Argumentation strafft, scheint er dem Gedankengang und der sprachlichen Gestaltung seiner Vorlage – Numenius selbst bzw. ein Numeniusreferat des Porphyrius – eng zu folgen.¹⁰⁷ Nicht zuletzt aufgrund der wiederholten namentlichen Erwähnung des Numenius kann dieser Abschnitt aus Calcidius mit großer Wahrscheinlichkeit für die Darstellung der numenianischen Lehre in Anspruch genommen werden.¹⁰⁸ Sein ursprünglicher literarischer Ort läßt sich allerdings nicht mehr eindeutig ermitteln.¹⁰⁹ Gegenstand des Fragments ist die Lehre von den Prinzipien des sichtbaren Kosmos. Numenius weist gegenüber den Stoikern und einer Form von pythagoreischem Monismus nach, daß die Materie als zweites, unentstandenes und Gott gleichewiges Prinzip sowie Ursache des Übels anzunehmen ist. Diese Position verdankt sich einer spezifischen Auslegung des Timaeus vor dem Hintergrund anderer Texte Platons. Ihre polemische Abgrenzung als wahre pythagoreisch-platonische Lehre gegenüber den Stoikern und divergierenden Pythagoreern entspricht einerseits dem philosophischen Programm des Numenius. Sie entspringt andererseits unmittelbar aus der verhandelten Thematik und ist keinesfalls nur eine rhetorische Methode der Darstellung.¹¹⁰ ¹⁰⁶ So frg. 52 (Z. 60.64), wonach Numenius Heraklit und Platon wegen ihrer Übereinstimmung mit der referierten Lehre zitiert. Laudat trägt nach J. M 1992, 297 Anm. 183 auch die Bedeutung ›zitiert‹; Z. 114 und darauf bezogen Z. 121 nennen nicht mehr Pythagoras, sondern Numenius als Urheber einer Schlußfolgerung aus der referierten Lehre, der Calcidius in Z. 114 Lob zollt. ¹⁰⁷ J. H. W vermutet, daß dem Abschnitt nicht Numenius selbst, sondern ein Text aus Porphyrius – eventuell dessen Timaeuskommentar – zugrunde liegt (Timaeus a Calcidius translatus, lxxx–lxxxi; liv–lv; . 1977, 191 f.). Ihm folgen z. B. W. D 1983, 62; J. M 1992, 295. Demgegenüber nimmt J. C. M.  W 1965, 253 f. an, daß in Ti. 295–299 direkt aus Numenius geschöpft ist. Zum numenianischen Charakter der Sprache in diesen Abschnitten siehe  W 1965, 104. ¹⁰⁸ Numenius wird namentlich genannt in Z. 2.33.60.64.114. In Z. 121 nimmt Calcidius auf ihn Bezug. Dadurch unterscheidet sich in Ti. 295–299 von anderen Passagen im Kommentar des Calcidius, für die Numenius immer wieder als Quelle oder Einfluß vermutet wird. ¹⁰⁹ Frg. 52 wird mit verschiedenen Gründen den Fragmenten aus De bono zugeordnet. Siehe J. H. W, Timaeus a Calcidio translatus, lvii; R. B 1940, 669; H. J. K 1964, 69; aufgenommen von É. D P, CUFr Numénius, 52. Gleichwohl stellt D P das Fragment nicht in den Zusammenhang der von Eusebius überlieferten Fragmente aus De bono. ¹¹⁰ Den rhetorischen Aspekt rückt J. M 1992, 296 einseitig in den Vordergrund seiner Analyse.

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4.2. Die Materie als unentstandenes, Gott gleichewiges Prinzip Numenius lehrt die Existenz zweier Prinzipien, Gott und Materie, die er als Einheit und Zweiheit bezeichnet.¹¹¹ Er betont damit gegenüber den Stoikern, daß Gott und Materie voneinander distinkt unterschieden sind.¹¹² Um nachzuweisen, daß die Materie ein ungewordenes, Gott gleichewiges Prinzip ist, unterscheidet Numenius zwei Zustände. Die Materie ist als unbegrenzte Zweiheit, d. h. bevor sie gestaltet wurde und Form und Ordnung empfing, ohne Ursprung und Entstehung. Als begrenzte Zweiheit, d. h. insofern sie durch den Schöpfergott gestaltet wurde, ist sie entstanden und von Gott abhängig. Da der Umstand der Entstehung der Materie, d. h. ihrer Ordnung, somit später ist, muß die Materie an sich als Gott gleichewig betrachtet werden.¹¹³ Numenius verbindet hier platonisch-pythagoreische Terminologie mit einer Auslegung von Ti. 30a3–5 bzw. 53b1–5, die ähnlich auch bei Plutarch zu finden ist.¹¹⁴ Diese Ähnlichkeit hat zu der Vermutung geführt, daß Numenius wie Plutarch und Atticus eine reale Entstehung des Kosmos annimmt.¹¹⁵ Dagegen spricht jedoch, daß kein antikes Zeugnis Numenius diese Lehre explizit zuschreibt, obwohl die Vertreter einer realen Entstehung des Kosmos von ihren Gegnern namentlich genannt und angegriffen werden.¹¹⁶ Die Argumen¹¹¹ Zu dieser platonisch-pythagoreischen Lehre siehe die Ausführungen von H. D / M. B 1996, 451–454 mit Belegen. Numenius bezeichnet Gott und Materie als Einheit bzw. Zweiheit, die neupythagoreische Literatur dagegen identifiziert Einheit bzw. Zweiheit mit Gott und Materie. Dieser unterschiedliche Blickwinkel ist aufschlußreich, denn er zeigt, was der strukturgebende Lehrrahmen und was die Interpretamente der jeweiligen Position sind. ¹¹² Die Stoa behauptet ein einheitliches Prinzip des Kosmos, an dem sie jedoch einen passiven (Materie) und einen aktiven Aspekt (Gott) unterscheidet (SVF I 85). Siehe dazu R. B. T 1978, 137–160. Damit sind Gott und Materie in ihrer essentia identisch (Calcidius, in Ti. 289 [293,4–8 Waszink]). Nach Calcidius, in Ti. 294 (= SVF I 87) ist für die Stoiker Gott identisch mit der Materie bzw. die aktive Qualität der Materie. ¹¹³ Frg. 52 (Z. 6–14): quam duitatem indeterminatam quidem minime genitam, limitatam vero generatam esse dicere, hoc est, antequam exornaretur quidem formamque et ordinem nancisceretur, sine ortu et generatione, exornatam vero atque illustratam a digestore deo esse generatam, atque ita, quia generationis sit fortuna posterior, inornatum illud minime generatum aequaevum deo, a quo est ordinatum, intellegi debeat. ¹¹⁴ Zu Plutarch siehe Kapitel A I 3.3. ¹¹⁵ Diese Ansicht vertritt an verschiedenen Stellen M. B (1974, 262 f.; 1976, 68 f.; zuletzt mit besonderer Deutlichkeit in H. D / M. B 1996, 465). Demnach sei es eindeutig, daß nach Numenius die Welt real entstanden sei. Dagegen votieren u. a. E. A. L 1937, 40–42; J. C. M.  W 1959, 107; W. D 1983, 63; K. A 1993, 34. ¹¹⁶ So nennt Proclus an mehreren Stellen seiner Polemik Plutarch, Atticus, Harpocration, Severus, aber nie Numenius (in R. II 377,15–378,6 [Kroll]; in Ti. I 289,6–9; 325,30–326,5; 381,26–382,12; III 212,6–11 [Diehl]). Auch Johannes Philoponus erwähnt nur die um Plutarch und Atticus, wobei angesichts der Bedeutung des Numenius unwahrscheinlich ist, daß er ihn unter den anonym bleibenden Vertretern mitdenkt (Procl. 6,27 [211,10 f. Rabe]; vgl. 13,15 [519,22 f.]).

III. Numenius

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tation des Numenius in Kap. 295 ähnelt seinem Vorgehen in Kap. 299, in dem er das gedankliche Experiment der ἀφαίρεσις durchführt, um die Natur der Materie an sich aufzuzeigen. Analog dazu unterscheidet er in Kap. 295 gedanklich zwei Zustände der Materie, um anhand des Timaeus nachzuweisen, daß die Materie ihrer eigenen Natur nach unbegrenzt, ungeordnet und unabhängig vom gestaltenden Prinzip ist, auch wenn sie de facto immer als von Gott geordnet und gestaltet existiert, da der Kosmos keinen realen Anfang hat.¹¹⁷ Daß es notwendig ist, die Materie für unentstanden und gleichewig mit Gott zu halten, weist Numenius außerdem nach, indem er die alternative Position einiger Pythagoreer philosophisch-logisch ad absurdum führt.¹¹⁸ Deren Versuch, die Entstehung der Zweiheit aus der Einheit zu denken als Selbstentäußerung bzw. Heraustreten der Einheit aus sich selbst,¹¹⁹ führt nach Numenius dazu, daß die Einheit ihre eigene Natur verläßt und zur Zweiheit wird. Sie hört damit auf zu existieren, was ihrem Charakter als Ursprung und Prinzip widerspricht. In der polemischen Zuspitzung des Numenius behauptet der pythagoreische Monismus, daß die Materie aus Gott entsteht, indem sich Gott zur Materie wandelt. Damit erweist er sich in den Augen des Numenius als absurd. Numenius untermauert also im ersten Abschnitt des Fragments den Dualismus von Gott / Einheit und Materie / Zweiheit einerseits mit Hilfe des Timaeus, anhand dessen er auch den Charakter der Materie an sich als unbegrenzt, ungeordnet und ungestaltet bestimmt. Andererseits entkräftet er die alternative Position des pythagoreischen Monismus durch eine philosophischlogische reductio ad absurdum. ¹¹⁷ Auch E. A. L 1937, 40–42 betont, daß die Unterscheidung zweier Zustände der Materie der Absicht des Numenius geschuldet ist, das Wesen der Materie an sich zu demonstrieren. Auch das Steuermann-Gleichnis lege eher eine »eeuwige, voortdurende schepping der wereld, dan bij de schepping ἀπὸ χρόνου« nahe (a. a. O., 41). Ähnlich demonstriert später Porphyrius ausgehend von Ti. 30a in der gedanklichen Unterscheidung zweier Zustände die Natur der Körper an sich. Siehe Porphyrius bei Johannes Philoponus, Procl. 14,3 (546,15–25 Rabe) = Porphyrius, frg. 48 (32,8–15 Sodano); vgl. 547,18 f. = frg. 50 (34,5 f.). Siehe dazu Kapitel A V 2.2. ¹¹⁸ Frg. 52 (Z. 15–24): Sed non nullos Pythagoreos vim sententiae non recte assecutos putasse dici etiam illam indeterminatam et immensam duitatem ab unica singularitate institutam recedente a natura sua singularitate et in duitatis habitum migrante – non recte, ut quae erat singularitas esse desineret, quae non erat duitas subsisteret, atque ex deo silva et ex singularitate immensa et indeterminata duitas converteretur; quae opinio ne mediocriter quidem institutis hominibus competit. ¹¹⁹ Die Entstehung der Zweiheit aus der Einheit ist unter den Pythagoreern unterschiedlich gedacht worden: (1) durch Selbstaddition bzw. Selbstverdoppelung des Einen (siehe dazu H. D / M. B 1996, 471–473; H. J. K 1964, 320); (2) durch Selbstentäußerung, Heraustreten bzw. Spaltung des Einen (dazu K, a. a. O., 320). Numenius scheint Pythagoreer vor Augen zu haben, die Position (2) vertreten. Er stellt ihre Position sehr zugespitzt dar und übergeht stillschweigend, daß sie behaupten, daß in dem beschriebenen Prozeß die Einheit der Monas nicht aufgegeben werde.

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4.3. Der Charakter der Materie als unbegrenzte Zweiheit und Prinzip des Übels Numenius bestimmt die Materie ihrer eigenen Natur nach als unbegrenzte und unbestimmte Zweiheit und stellt sich damit in die pythagoreisch-platonische Tradition.¹²⁰ Die Materie ist fließend, ungeformt und daher ohne Eigenschaften.¹²¹ Gegenüber den Stoikern, die aus der Eigenschaftslosigkeit der Materie ihre ethische Indifferenz folgern,¹²² betont Numenius, daß die Materie vollkommen böse sei. Bosheit ist nach Numenius keine Eigenschaft der Materie im Sinne einer ihr unter gewissen Umständen zukommenden Bestimmung, sondern macht das Wesen der Materie aus. Wie Gott seinem Wesen nach aus sich selbst heraus gut und Ursache alles Guten ist, so ist die Materie an sich und aus sich selbst heraus böse und Ursache aller Übel.¹²³ Für die Lehre eines Prinzipiendualismus führt Numenius prominente Belege an.¹²⁴ Er beruft sich auf die Lehre der veterum theologorum, welche Vorsehung und Notwendigkeit als die einander entgegengesetzten Prinzipien des Kosmos behaupten (Z. 42 f.). Er legt Pythagoras Tht. 176b in den Mund, wonach die Existenz des Guten notwendig die Existenz des Übels fordert.¹²⁵ Er zitiert Heraklits Kritik an Homer als Beleg dafür, daß die Materie Quelle der Übel sei, weshalb eine Ausrottung aller Übel die Zerstörung des sinnlich wahrnehmbaren Kosmos bedeute.¹²⁶ Ähnlich Plutarch rekurriert er schließlich auf Platons Rede von den zwei Weltseelen in Lg. 896e.897d, um zu belegen, daß auch Platon ein zweites, dem Guten entgegengesetztes Prinzip annimmt.¹²⁷

¹²⁰ Zu den Attributen der (unbegrenzten) Zweiheit als Materie in der neupythagoreischen Literatur siehe z. B. [Jamblich], Theol. Ar. 8: ohne Form und Begrenzung (8,5–13; vgl. 8,20– 9,2 de Falco); 11: ohne Form, Gestalt und Begrenzung, aber fähig, begrenzt und bestimmt zu werden (12,9–12; vgl. 12,13.17); 12: wegen ihres fließenden Charakters ›Rhea‹ genannt (14,7 f.). ¹²¹ Frg. 52 (Z. 34.44 f.); vgl. frg. 3 (Z. 10–12); frg. 4a (Z. 2–7.11); die Bestimmung der Materie im Zusammenhang des Steuermann-Gleichnisses in frg. 18 (Z. 2–13). ¹²² Siehe die Stoiker bei Plutarch, comm. not. 34 (1076cd) = SVF II 1168. Vgl. damit Plutarch, an. procr. 6 (1015bc). ¹²³ Frg. 52 (Z. 33–39): Igitur Pythagoras quoque, inquit Numenius, fluidam et sine qualitate silvam esse censet nec tamen, ut Stoici, naturae mediae interque bonorum malorumque viciniam, quod genus illi appellant indifferens, sed plane noxiam. Deum quippe esse – ut etiam Platoni videtur – initium et causam bonorum, silvam malorum, … Vgl. Z. 58 f.: Quod si mundus ex silva, certe factus est de existente olim natura maligna, … ¹²⁴ Plutarch führt z. T. die gleichen Texte an, um die Existenz zweier entgegengesetzter kosmischer Prinzipien herzuleiten (Is. 45–48). Siehe dazu J. M 1992, 296–300 mit weiteren Belegen und Überlegungen zu einer doxographischen Tradition. ¹²⁵ Siehe das Argument frg. 52 (Z. 56 f.), das wahrscheinlich von Calcidius / Porphyrius gerafft wurde. Siehe dazu mit weiteren Belegen J. C. M.  W 1959, 112 f. ¹²⁶ Frg. 52 (Z. 58–64). Vgl. Heraklit, frgg. 203.213 KRS. ¹²⁷ Frg. 52 (Z. 64–70).

III. Numenius

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Anders als Plutarch¹²⁸ identifiziert Numenius im Zusammenhang seiner Prinzipienlehre die übelwirkende Seele aber mit der Materie.¹²⁹ Ausgangspunkt dieser Gleichsetzung ist Ti. 30a.52d, wonach die Materie bewegt ist. Da Numenius – anders als Plutarch – die Ursache dieser Bewegung im Charakter der Materie selbst sieht, ist die Materie für ihn nach Phdr. 245e5–7 von der Art einer Seele. Wegen des ungeordneten und ungestümen Charakters ihrer Bewegungen sieht Numenius sie schließlich in Lg. 896e als übelwirkende Seele angesprochen.¹³⁰ Die anima beneficentissima erörtert Numenius nicht näher, da er in seiner Auseinandersetzung mit den Stoikern vor allem an der anima maligna als dem Prinzip des Übels interessiert ist. Der kurze Einschub über die Herkunft der beiden menschlichen Seelen(teile) in Z. 70–75 sowie die zusammenfassende Aussage in Z. 76–78 legen aber nahe, daß er die wohltätige Seele im Rahmen seiner Zwei-Prinzipien-Lehre mit Gott bzw. dem göttlichen Intellekt identifiziert.¹³¹ Der Bereich des Seelischen im Menschen und der Kosmos sind somit nach Numenius durch den gleichen prinzipiellen Gegensatz geprägt. Numenius unternimmt es in frg. 52, seine Lehre von der Materie als der Ursache des Übels gegenüber der stoischen Prinzipienlehre zu profilieren und als überlegen darzustellen. Dafür greift er eine stoische Erklärung¹³² für die Existenz der Übel in der Welt auf und weist ihre Begrenztheit nach. Demnach betrachten die Stoiker eine nicht näher bestimmte perversitas als Keim der Übel, ohne weiter nach deren Ursache zu fragen. Numenius kritisiert ähnlich Plutarch, daß die Stoiker die Übel letztlich für unverursacht halten und sie damit implizit als akzidentielle Nebenerscheinung auffassen.¹³³ Demgegenüber ¹²⁸ Plutarch identifiziert die übelwirkende Seele aus den Leges mit der irrationalen, vorkosmischen Urseele. Siehe dazu an. procr. 6 (1014d); 7 (1015e) und Kapitel A I 3.1.1. ¹²⁹ So eindeutig frg. 52 (Z. 64–67): Platonemque idem Numenius laudat, quod duas mundi animas autumet, unam beneficentissimam, malignam alteram, scilicet silvam, … Verschiedentlich wird vorgeschlagen, in Angleichung an Plutarch in scilicet silvae zu ändern. Siehe dagegen die Argumente, die J. C. M.  W 1959, 113 gegen diese Konjektur vorträgt. ¹³⁰ Siehe dazu die Beschreibung der Materie als die Ursache pervertierter Gestirnsbewegungen in Z. 83–92, in denen Numenius deutlich auf Ti. 30a.52d anspielt (Z. 87–89). ¹³¹ Siehe frg. 52 (Z. 70–75), wo Numenius einerseits die übelwirkende Seele / Materie, andererseits Gott / Intellekt als Ursprünge der beiden Seelen(teile) erwähnt. In Zusammenfassung und Auslegung der Rede von den zwei Weltseelen nennt Numenius dann in Z. 76–78 als Prinzipien Gott und Materie: Igitur iuxta Platonem mundo bona sua dei tanquam patris liberalitate collata sunt, mala vero matris silvae vitio cohaeserunt. Siehe dazu die Ausführungen von J. C. M.  W 1959, 113–115. Die Erwähnung von Seelenteilen in Z. 71.73 geht sicherlich auf Calcidius zurück, da Numenius nicht von zwei Seelenteilen, sondern von zwei Seelen im Menschen spricht (frg. 44 [Z. 1–4]). Siehe dazu  W, a. a. O., 114. ¹³² Die verschiedenen stoischen Erklärungen für die Existenz der Übel im Kosmos, der durch göttliche Vorsehung verwaltet wird, sind systematisiert bei A. A. L / D. N. S 2000, 396 f. ¹³³ Frg. 52 (Z. 44–53): Silvam … Stoici … consentiunt … nec bonam nec malam. Dehinc, tanquam in progressu viae malis aliquot obviis, perrogati: »Unde igitur mala?« perversitatem seminarium malorum fore causati sunt. Nec expediunt adhuc, unde ipsa perversitas, cum iuxta illos duo sint initia rerum, deus et silva, deus summum et praecellens bonum, silva, ut censent,

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bestehe die Leistung des Pythagoras-Platon darin zu zeigen, daß die Übel nicht zufällig, sondern mit Notwendigkeit existieren, weil sie auf die Materie als Prinzip der Übel zurückgehen.¹³⁴ Numenius sucht nachzuweisen, daß auch die stoische Lehre von der perversitas bei konsequenter Durchführung die Materie als Ursache der Übel bestätigt.¹³⁵ Dafür interpretiert er aus ihrem ursprünglichen Kontext gelöste stoische Vorstellungen vor dem Hintergrund seiner eigenen dualistischen Prinzipienlehre, um die Materie als Ursache der Übel zu erweisen und damit eine ihn befriedigende Antwort auf die Frage Unde igitur mala? (vgl. Z. 48 f.) zu geben. So verbindet er zum Beispiel die Lehre von der perversitas bzw. διαστροφή, welche die Übel als Folge pervertierter menschlicher Urteile über das zu erstrebende Gut anthropologisch erklärt,¹³⁶ mit der stoischen Lehre von der Determination aller Ereignisse durch den Lauf der Gestirne. Der Verkehrtheit des menschlichen Urteils entspricht auf kosmischer Ebene eine Verwirrung und Unordnung der Gestirnsbewegung. Diese haben ihren Grund in der Materialität und Körperlichkeit der Sterne. Die Materie als Amme (vgl. Ti. 52d) der Körper ist daher Urheberin verkehrter, verworrener Gestirnsbewegungen, die das Übel determinieren. Während die »heilsamen Ratschlüsse der Vorsehung«, d. h. Gottes, die Ursache wohlgeordneter und vorhersehbarer Bewegungen der Sterne sind, die zu zuträglichen und günstigen Ereignissen führen, überträgt die Materie ihren eigenen, ungeordneten und ungestümen Charakter (vgl. Ti. 30a.57d) auf die Gestirnsbewegungen. Diese scheinen zwar zufällig und beliebig zu sein, gehen aber auf die Materie als Ursache zurück, »in welcher große Unbeständigkeit, nicht voraussehender Ungestüm, Zufall und nach Belieben gehetzte Erwartung ist«¹³⁷. In Auslegung von Ti. 69b identifiziert nec bonum nec malum. Zu Übeln als akzidentiellen Begleiterscheinungen siehe z. B. Chrysipp (SVF II 1170). ¹³⁴ Frg. 52 (Z. 53–59): Sed Pythagoras assistere veritati miris licet et contra opinionem hominum operantibus asseverationibus non veretur; qui ait existente providentia mala quoque necessario substitisse, propterea quod silva sit et eadem sit malitia praedita. Quod si mundus ex silva, certe factus est de existente olim natura maligna, … ¹³⁵ Frg. 52 (Z. 76–92): Igitur iuxta Platonem mundo bona sua dei tanquam patris liberalitate collata sunt, mala vero matris silvae vitio cohaeserunt. Qua ratione intellegi datur Stoicos frustra causari nescio quam perversitatem, cum quae proveniunt ex motu stellarum provenire dicant. Stellae porro corpora sunt ignesque caelites; omnium quippe corporum silva nutrix, ut etiam quae sidereus motus minus utiliter et improspere turbat originem trahere videantur ex silva, in qua est multa intemperies et improvidus impetus et casus atque ut libet exagitata praesumptio. Itaque si deus eam correxit, ut in Timaeo loquitur Plato, redegitque in ordinem ex incondita et turbulenta iactatione, certe confusa haec intemperies eius casu quodam et improspera sorte habebatur nec ex providentiae consultis salubribus. ¹³⁶ Zu dieser Lehre siehe die Belege in SVF III 228–236 sowie die Ausführungen von J.  B 1970, 58–65 zur Darlegung dieser Lehre bei Calcidius, in Ti. 165–168. ¹³⁷ Frg. 52 (Z. 85–87): … in qua est multa intemperies et improvidus impetus et casus atque ut libet exagitata praesumptio; vgl. Z. 87–92 (Text in Anm. 135 [Schluß]).

III. Numenius

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Numenius schließlich die Materie mit der fortuna / τύχη als der irrenden und unbeständigen Ursache.¹³⁸

4.4. Der Charakter des Kosmos ex deo silvaque Numenius untermauert seine Charakterisierung der Materie als »bösartige, von Zeiten her existierende Natur«, indem er beschreibt, wie der Kosmos aus dem Zusammentreffen von Gott und Materie entsteht. Diese Beschreibung entpuppt sich als eine Auslegung von Ti. 47e–48a unter Verwendung anderer Texte wie Lg. 896d und Plt. 272e.273b. 4.4.1. Die ›Entstehung‹ des Kosmos ex deo silvaque (Ti. 47e–48a.56c) Numenius legt den zwei Prinzipien des Kosmos im Laufe seiner Ausführungen unterschiedliche Bezeichnungen bei. So nennt er das Prinzip des Guten species, providentia und deus, das Prinzip des Übels silva, necessitas und fortuna. Aus ihnen ist der Kosmos konstituiert und gemischt.¹³⁹ Nach den Ausführungen in Kap. 295 wäre zu erwarten, daß Numenius auch vom Kosmos ex singularitate et duitate spricht. Außerhalb des ersten Abschnitts des Fragments begegnen diese Bezeichnungen jedoch nicht mehr. Die Bezeichnungen der Prinzipien stammen dann nahezu ausschließlich aus dem Timaeus. In Übereinstimmung mit der platonischen Tradition identifiziert Numenius die Materie als die ἀνάγκη des Timaeus bzw. als Zufall.¹⁴⁰ Aufschlußreich ist die Identifikation von species (εἶδος, ἰδέα)¹⁴¹, providentia und deus. Sie zeigt, daß Numenius hier den Bereich des Intelligiblen als Einheit auffaßt und Gott als das Prinzip des Guten¹⁴², das Paradigma und den Demiurgen des Timaeus¹⁴³ sowie die Vorsehung als Werk Gottes bzw. Gott selbst¹⁴⁴ in einem Prinzip zusammenfaßt. ¹³⁸ Frg. 52 (Z. 98–100). ¹³⁹ Siehe frg. 52 (Z. 40); (Z. 41 f.): … mundum ex speciei bonitate silvaeque malitia tempe-

ratum; (Z. 42 f.): ex providentia et necessitate progenitum; (Z. 74 f.): … ex deo et silva factus est iste mundus …; (Z. 98–100): … dei silvaeque, item providentiae fortunaeque coetu cunctae rei molem esse constructam …; (Z. 127 f.): ex qua [sc. necessitate C. K.] et deo mundi machinam constitisse … ¹⁴⁰ Zu ἀνάγκη siehe Ti. 47e.68e–69a. Zur Identifikation der ἀνάγκη mit der Materie im Platonismus siehe die Belege bei H. D / M. B 1996, 537 Anm. 2. Zum Wesen der Materie als zufällig siehe die bei Origenes, princ. 2,1,4 (110,10–13 Koetschau) erwähnten Platoniker sowie H. D / M. B 1996, 535. ¹⁴¹ Siehe dazu den Lateinisch-Griechischen Wortindex von J. C. M. W in Timaeus a Calcidio translatus, 394. ¹⁴² Frg. 52 (Z. 39). ¹⁴³ Frg. 52 (Z. 87–89) zitiert Ti. 30a. ¹⁴⁴ Nach frg. 50 (Z. 95 f.) ist die Vorsehung dei opus et officium, während nach Z. 98–100 Gott selbst Vorsehung ist.

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

Nach Numenius wurde der Kosmos verfertigt »im Zusammentreffen von Gott und Materie, d. h. Vorsehung und Zufall«.¹⁴⁵ Diese Paraphrase von Ti. 47e–48a führt Numenius im Zusammenhang weiter aus. Dabei betont er zum einen die Widerständigkeit der Materie gegenüber dem Ordnungshandeln Gottes. Die Materie widersetzt sich den göttlichen Ratschlüssen und strebt mit den Kräften ihrer Schlechtigkeit danach, sie zu bekämpfen.¹⁴⁶ Numenius knüpft hier, wie aus Z. 128 f. ersichtlich ist, an Ti. 48a.56c an, wonach Gott durch Überredung auf die Notwendigkeit bzw. Materie einwirkt. Während der Timaeus von einem Widerstand der Materie nicht explizit redet, ergänzt Numenius diesen Aspekt aus Lg. 896d. In diesem Zusammenhang wendet er sich gegen Interpreten, die in Anknüpfung an Ti. 68e–69a und unter dem Einfluß aristotelischer Lehre die Materie lediglich als passive Möglichkeitsbedingung des Werdens ohne eigenes Wesen betrachten. Ihnen gegenüber betont er, daß die Materieseele, d. h. die Materie als übelwirkende Seele nach Lg. 869d,¹⁴⁷ eine eigene Existenz und ein eigenes Wesen hat.¹⁴⁸ In seiner Auslegung von Ti. 47e–48a hebt Numenius außerdem hervor, daß der aus Gott und Materie entstandene Kosmos in keinem vollkommen geordneten Zustand ist. Dafür knüpft er neben Ti. 48a an verschiedene Passagen des Timaeus an, nach denen der Demiurg die Materie zur Ordnung führt und durch Proportionen strukturiert, »soweit es möglich war«.¹⁴⁹ Während im ¹⁴⁵ Der Text des wichtigen Abschnitts frg. 52 (Z. 92–104) lautet nach einem Zitat von Ti. 30a, in dem die ungeordneten Bewegungen der Materie erwähnt werden: Ergo iuxta Pythagoram silvae anima neque sine ulla est substantia, ut plerique arbitrantur, et adversatur providentiae consulta eius impugnare gestiens malitiae suae viribus; sed providentia quidem est dei opus et officium, caeca vero fortuitaque temeritas ex prosapia silvae, ut sit evidens iuxta Pythagoram dei silvaeque, item providentiae fortunaeque coetu cunctae rei molem esse constructam, sed postquam silvae ornatus accesserit, ipsam quidem matrem esse factam corporeorum et nativorum deorum, fortunam vero eius prosperam esse magna ex parte, non tamen usquequaque, quoniam naturale vitium limari omnino nequiret. ¹⁴⁶ Frg. 52 (Z. 93–95). ¹⁴⁷ Für Numenius sind silva, silva animata und animae silva so gut wie identisch. Siehe dazu J. C. M.  W 1959, 118 und R. M. J 1916, 87, der den Unterschied zwischen Numenius und Plutarch an dieser Stelle herausarbeitet. ¹⁴⁸ Frg. 52 (Z. 92–95). Zu den verschiedenen Bedeutungen von substantia bei Calcidius siehe J. C. M.  W 1959, 221. Zur aristotelischen Lehre, daß die Materie keine aktuelle Substanz ist, sondern nur nach Möglichkeit (δυνάμει) etwas ist, siehe Aristoteles, de An. 2,1 (412a9); Metaph. 8,1 (1042a26–29); 9,8 (1050a15 f.); 12,5 (1071a10 f.). Die Vorstellung, daß die Materie potentieller Körper ist, wird aufgenommen: Alkinoos, Intr. 8 (163,7–10 Hermann / Whittaker); Platoniker bei Hippolyt, haer. 1,19,3 (19,13 f. Wendland); Calcidius, in Ti. 319 (314,18 f. Waszink). Siehe dazu J. M. D 1995, 92. K. A 1993, 32 schlägt vor, diese Passage als Kritik des Numenius an Plutarch zu verstehen, weil dieser die irrationale Weltseele von der substantia i. S. der Materie abtrennt. ¹⁴⁹ Siehe Ti. 29e1–3: ἀγαθὸς ἦν, … πάντα ὅτι μάλιστα ἐβουλήθη γενέσθαι παραπλήσια ἑαυτῷ. Ti. 30a2 f.: βουληθεὶς γὰρ ὁ θεὸς ἀγαθὰ μὲν πάντα, φλαῦρον δὲ μηδὲν εἶναι κατὰ δύναμιν, … Ti. 48a2 f.: νοῦ δὲ ἀνάγκης ἄρχοντος τῷ πείθειν αὐτὴν τῶν γιγνομένων τὰ πλεῖστα ἐπὶ τὸ βέλτιστον ἄγειν, …. Ti. 53b5 f.: τὸ δὲ ᾗ δυνατὸν ὡς κάλλιστα ἄριστά τε ἐξ οὐχ

III. Numenius

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Timaeus diese Begrenzung der Ordnung nur implizit begründet wird,¹⁵⁰ führt Numenius sie auf den Charakter der Materieseele nach Lg. 896d bzw. auf die Körperlichkeit des Kosmos nach Plt. 272e.273b zurück. Er legt dar, daß die geordnete Materie zu einem großen Teil, aber nicht in jeder Hinsicht in einem guten Zustand ist, weil die angeborene, natürliche Bosheit der Materie (naturale vitium) nicht gänzlich geglättet werden kann.¹⁵¹ Vor diesem Hintergrund legt Numenius die in Z. 87–89 zitierte Aussage von Ti. 30a, daß Gott die Materie aus ihrer ungeordneten und wirren Erschütterung zur Ordnung führt, in spezifischer Weise aus.¹⁵² Gott ordnet die Materie in dem Sinne, daß er durch seine erhabene Macht die Fehlerhaftigkeiten der Materie (vitia) korrigiert, aber nicht vernichtet. Numenius unterscheidet hier zwischen der Natur der Materie (naturale vitium [Sg.] Z. 104) und den Fehlerhaftigkeiten (vitia [Pl.] Z. 106), in denen diese Natur in Erscheinung tritt. Gott bewahrt die Natur der Materie, verhindert aber, daß sie sich ausdehnt und verbreitet. Damit führt Gott genau genommen die irrende Materie nicht zur Ordnung (so mit Ti. 30a in Z. 87–89), sondern verbindet Ordnung mit ungeordneter Verwirrung, Maß mit Maßlosigkeit, Pracht mit Häßlichkeit (Z. 111 f.). Diesen Vorgang beschreibt Numenius zu Beginn des Fragments (Z. 6–14) mit pythagoreischer Terminologie, indem er formuliert, daß die unbegrenzte Zweiheit durch Gott ausgestaltet wird, Form und Ordnung erhält und so zur begrenzten Zweiheit wird.¹⁵³ In dieser durch Gott begrenzten Zweiheit ist nach Z. 109–113 die Natur der Materie bewahrt, ihr Zustand (habitus, statum) jedoch gänzlich verändert. Diese Interpretation des Timaeus folgt konsequent aus der Position des Numenius, die Bosheit mit Lg. 896d nicht als akzidentielle Bestimmung, sondern als das Wesen der Materie zu bestimmen. Ein Wirken οὕτως ἐχόντων τὸν θεὸν αὐτὰ συνιστάναι, … Ti. 69b4 f.: Gott setzt die Dinge in Entsprechung zu sich selbst und zueinander, … ὅσας τε καὶ ὅπῃ δυνατὸν ἦν ἀνάλογα καὶ σύμμετρα εἶναι. ¹⁵⁰ So wird z. B. im Kontext von Ti. 29e und Ti. 69b die Natur des Werdenden als Grund angedeutet. ¹⁵¹ Frg. 52 (Z. 102–104). In der Begründung Z. 103 f. klingt neben der bekannten Passage Lg. 896d auch Plt. 272e5 f.273b4–6 an, wonach der Zustand des Kosmos bestimmt ist durch die σύμφυτος ἐπιθυμία bzw. … τὸ σωματοειδὲς … τὸ τῆς πάλαι ποτὲ φύσεως σύντροφον, ὅτι πολλῆς ἦν μετέχον ἀταξίας πρὶν εἰς τὸν νῦν κόσμον ἀφικέσθαι. ¹⁵² Frg. 52 (Z. 105–113): Deus itaque silvam magnifica virtute comebat vitiaque eius omnifariam corrigebat non interficiens, ne natura silvestris funditus interiret, nec vero permittens porrigi dilatarique passim; sed ut manente natura, quae ex incommodo habitu ad prosperitatem devocari commutarique possit, ordinem inordinatae confusioni, modum immoderationi et cultum foeditati coniungens totum statum eius illustrando atque exornando convertit. ¹⁵³ Siehe dazu [Jamblich], Theol. Ar. 11 (12,9–12 de Falco), der allerdings nicht von der gestalteten Materie als begrenzter Zweiheit spricht: ἔλλειψις δὲ καὶ πλεονασμὸς λέγεται καὶ ὕλη, ἣν καὶ ἀόριστον δυάδα ὁμωνύμως ταύτῃ καλοῦσι διὰ τὸ μορφῆς καὶ εἴδους καὶ ὁρισμοῦ τινος ἐστερῆσθαι ὅσον ἐφ’ ἑαυτῇ, οἷόν τε δὲ διορισθῆναί τε καὶ ὁρισθῆναι ὑπὸ τοῦ λόγου καὶ τέχνης.

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

Gottes, das dieses Wesen der Materie gänzlich überwindet, vernichtet in seinen Augen die Materie und damit den Kosmos, dessen Bestandteil sie ist.¹⁵⁴ Angesichts des Charakters der Materie, den frg. 52 entfaltet, wird deutlich, daß Ordnung und Maß des Kosmos ausschließlich auf Gott als das gestaltende Prinzip zurückgehen. Die Materie trägt von sich aus nichts dazu bei, geordnet und begrenzt zu werden. Dieser Umstand klingt in der Formulierung an, daß Gott die Fehlerhaftigkeiten der Materie magnifica virtute korrigiert (Z. 105). Diese Formulierung verweist auf den Anfang des Fragments, an dem Numenius ausführt, daß Gott seinem Vermögen nach jeder Macht und darin auch der Natur der Materie überlegen ist.¹⁵⁵ Numenius verteidigt an dieser Stelle den Charakter der Materie als unbestimmte und unbegrenzte Zweiheit gegenüber den Stoikern, die einwenden, daß das, was von Natur aus ohne Maß ist, niemals zu Maß und Ordnung geführt werden kann. Die Stoiker lehnen die Bestimmung der Materie als maßlos ab, weil dann nach dem formulierten philosophisch-logischen Grundsatz nicht gedacht werden kann, daß das gestaltende Prinzip die Materie ordnet.¹⁵⁶ Weil für die Stoiker Natur und Gott identisch sind, gilt dieser Grundsatz auch für das Handeln Gottes an der Materie. Demgegenüber bestreitet Numenius, daß der genannte Grundsatz auch für das Handeln Gottes gilt mit der Behauptung, daß Gott die Natur transzendiere und diese von ihm abhänge: »Das, was die Natur nicht vollbringen kann, vermag Gott mit Leichtigkeit, weil er mächtiger und vortrefflicher als alle Macht ist und die Natur selbst ihre Kräfte von ihm empfängt.«¹⁵⁷ Aus diesem Grund vermag Gott auf die Materie in einer Weise einzuwirken, die mit ihrer Natur an sich nicht zu vereinbaren ist, indem er sie ordnet und begrenzt, ohne an Voraussetzungen anzuknüpfen, die in ihrer Natur liegen. Jacobus van Winden leitet die Aussage, daß Gott der Natur überlegen ist, aus jüdischer Lehre ab.¹⁵⁸ Die Frage eines jüdischen Einflusses auf Numenius ist jedoch umstrit-

¹⁵⁴ So Numenius mit Heraklit in frg. 52 (Z. 60–64). In dem Bestreben darzulegen, daß Gott das Wesen der Materie nicht zerstört, gleichwohl aber eindämmt, kommt es in den Aussagen des Numenius über die Materie zu Unstimmigkeiten. So ist die Materie nach Z. 24–26 unbegrenzt und maßlos natura propria. Wenn die Materie aber Z. 100–104.105–113 zufolge auch nach ihrer Ordnung, also als begrenzte Zweiheit (Z. 8–12), ihre ursprüngliche Natur behält und nur ihr Zustand verändert wird, so liegt ihr boshaftes Wesen nicht in der Unbegrenztheit, sondern in der Zweiheit. ¹⁵⁵ Frg. 52 (Z. 24–32): denique Stoicos definitam et limitatam silvam esse natura propria, Pythagoram vero infinitam et sine limite dicere, cumque illi quod natura sit immensum non posse ad modum atque ordinem redigi censeant, Pythagoram solius hanc dei fore virtutem ac potentiam asserere, ut quod natura efficere nequeat, deus facile possit, ut qui sit omni virtute potentior atque praestantior, et a quo natura ipsa vires mutuetur. ¹⁵⁶ Der formulierte Grundsatz ist ungewöhnlich; so J. C. M.  W 1959, 108 f., der auf SVF II 534 (Cleomedes) als einzigen vergleichbaren Text verweist. ¹⁵⁷ Frg. 52 (Z. 30–32). ¹⁵⁸ J. C. M.  W 1959, 109.

III. Numenius

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ten.¹⁵⁹ Sehr viel naheliegender ist es, die Aussage des Numenius vor dem Hintergrund platonischer Spekulationen über das Verhältnis von Gott und Natur zu verstehen, wie sie ähnlich auch bei Atticus zu beobachten sind.¹⁶⁰ Angesichts dieser Analyse bereiten zwei Passagen des Fragments Schwierigkeiten. Zum einen bestimmt Z. 109 die Natur der Materie als quae ex incommodo habitu ad prosperitatem devocari commutarique possit. Jacobus van Winden übersetzt diesen Satz: »capable of changing from a troublesome to a favourable state«¹⁶¹. Seine Übersetzung der Infinitive als Mediopassiva erweckt den Eindruck, die Materie besitze von Natur aus das Vermögen (i. S. von δύναμις), ihren Zustand zu verändern. Diese Aussage widerspricht jedoch Numenius’ Charakterisierung der Materie. Die Infinitive sind daher passivisch zu verstehen, wobei a deo bzw. magnifica virtute eius als Ablativ der Autorschaft analog Z. 105 gedanklich zu ergänzen ist. Mit Numenius’ Beschreibung der Materie nur schwer zu vereinbaren ist auch die Aussage Z. 127 f., wo es in Anknüpfung an Ti. 48a.56c heißt, daß die Materie Gott gehorcht. Denn nach Z. 94 f. besteht das Wesen der Materie gerade darin, sich Gott zu widersetzen und die Ratschlüsse der Vorsehung mit den Kräften ihrer Schlechtigkeit zu bekämpfen. Will man Z. 127 f. nicht einfach als korrigierende Interpolation des Calcidius werten,¹⁶² bleiben zwei Möglichkeiten, diese Anspielung an den Timaeus vor dem Hintergrund der Materielehre des Numenius zu verstehen. Erstens: Numenius zitiert die Formulierung des Timaeus, ohne sie seiner Deutung anzupassen. Zweitens: Numenius betont im Zusammenhang der Aussagen, die das Wesen der Materie betreffen, ihre Widerständigkeit (Z. 94 f.); im Zusammenhang der Beschreibung des Kosmos ex deo silvaque zitiert er Ti. 48a56c, um die Unterwerfung der Materie unter die Ordnungskraft Gottes auszudrücken. Necessitate obsecundante meint dann keine aktive Zustimmung, kein aktives Strebevermögen der Materie zum Guten, sondern die widerstrebende Kapitulation der Materie vor der Überlegenheit des digestor deus.¹⁶³

¹⁵⁹ M. J. E 1990 widerspricht mit guten Argumenten der verbreiteten Ansicht, daß Numenius umfangreichere Kenntnisse jüdischer Lehren und Terminologie besessen habe, als im Allgemeinen für pagane Denker des 2. Jahrhunderts angenommen werden kann. Dennoch wird auch nach E diese Meinung gerne beibehalten, ohne seinen Argumenten zu begegnen (siehe z. B. M. F. B 2005). ¹⁶⁰ Siehe Kapitel A II 2. ¹⁶¹ J. C. M.  W 1959, 119. ¹⁶² Calcidius betont in seiner eigenen Materielehre das Vermögen der Materie, überzeugt zu werden bzw. nach Ordnung, Form und Gestalt zu streben (siehe J. C. M.  W 1959, 120). Calcidius hat sicherlich Numenius, frg. 52 (Z. 109) mediopassivisch gelesen und darin einen Anknüpfungspunkt für seine Interpretation gefunden. ¹⁶³ Gegen K. A 1993, 34.

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

4.4.2. Der Charakter des Kosmos als Mischung ex speciei bonitate silvaeque malitia Der sinnlich wahrnehmbare Kosmos aus Gott und Materie vereint nach Numenius in sich die Charakteristika beider Prinzipien. Aus der Güte Gottes und aus der Schlechtigkeit der Materie gemischt, ist er seinem Wesen nach weder gut noch schlecht, sondern indifferent.¹⁶⁴ Diese Beschreibung trifft nach Numenius auf alle Bereiche des Kosmos zu. So verneint er, daß irgendwo ein Zustand der gewordenen Dinge frei von Fehlerhaftigkeit (vitiis) gefunden wird, nicht in den Künsten der Menschen, nicht in der Natur, weder in den Körpern der Tiere, noch aber in den Bäumen, Pflanzen oder Früchten, nicht in der Folge der Luft, der Ausdehnung des Wassers, sogar selbst im Himmel nicht. Denn überall mischt sich der Vorsehung gleichsam eine gewisse Kontamination einer niederen Natur bei.¹⁶⁵

Im Unterschied zu Autoren, welche die ungeordneten Auswirkungen der Materie auf die niederen Kosmosbereiche beschränken,¹⁶⁶ schließt Numenius ähnlich Plutarch selbst den himmlischen Bereich der Gestirnsgötter in die beschriebene Befleckung durch die Materie ein. Undeutlich bleibt, worin die Auswirkungen dieser Kontamination im Kosmos sichtbar werden. Wahrscheinlich meint Numenius damit die überall mehr oder weniger aktualisierte Anlage zur perversitas, die allen Körpern innewohnt. Im Falle der Gestirnsgötter führt sie zu irrenden, ungeordneten Gestirnsbewegungen und ungünstigen Schicksalen;¹⁶⁷ im Falle des Menschen korrumpiert die niedere, körperähnliche Seele die Vernunft und führt zu falschen Urteilen;¹⁶⁸ im Falle der Körper der Lebewesen führt sie zu Krankheiten.¹⁶⁹ Alle ¹⁶⁴ Frg. 52 (Z. 39–42): … at vero quod ex specie silvaque sit, indifferens, non ergo silvam, sed mundum ex speciei bonitate silvaeque malitia temperatum; … ¹⁶⁵ Frg. 52 (Z. 113–121): Denique negat inveniri Numenius – et recte negat – immunem a vitiis usquequaque generatorum fortunam, non in artibus hominum, non in natura, non in corporibus animalium, nec vero in arboribus aut stirpibus, non in frugibus, non in aeris serie nec in aquae tractu, nec in ipso quidem caelo, ubique miscente se providentiae deterioris naturae quasi quodam piaculo. ¹⁶⁶ Diese Position schlägt sich z. B. in Plutarch nieder (Is. 45 [369c]; vgl. 59 [375ab]). In seiner Auslegung von Ti. 35ab vertritt Plutarch aber eine ähnliche Position wie Numenius, nämlich daß der gesamte Kosmos einschließlich des Himmels von zwei widerstreitenden Kräften geprägt ist, die bei Plutarch allerdings in der Weltseele zu einer Gemeinschaft geführt sind (an. procr. 27 f. [1026a–e]). Siehe Kapitel A I 5. ¹⁶⁷ Frg. 52 (Z. 81–87). ¹⁶⁸ Zur Zusammensetzung der menschlichen Seele siehe frg. 52 (Z. 70–74) und frg. 43 (Z. 7–10), wonach der Seele das Übel von außen aus der Materie zuwächst, weshalb Numenius die διαστροφή des menschlichen Urteils als Ursache ethischer Übel auch aus der Materie erklärt haben könnte. ¹⁶⁹ Zur Erklärung von Krankheiten bei den Stoikern als Ereignisse κατὰ παρακολούθησιν siehe z. B. Chrysipp (SVF II 1170). Numenius könnte sie aufgegriffen und in seinem Sinne interpretiert haben.

III. Numenius

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diese Erscheinungen gehen nach Numenius nicht auf die Vorsehung, sondern auf die Wirkung des naturale vitium der Materie im Kosmos zurück. Aus der Perspektive von frg. 52 ist die Kosmosordnung, die frg. 16 als Abbild des göttlichen Wesens und frg. 22 als dritten Gott bezeichnet, dadurch geprägt, daß Gott in ständigem Kampf die ihm widerstreitende Bosheit der Materie niederhält.

5. Die Gliederung des Kosmos nach den Fragmenten zur Himmelsreise der Seele Die Behauptung des Numenius, daß das naturale vitium der Materie auch den himmlischen Bereich kontaminiert, schlägt sich in seinen Ausführungen zur Himmelsreise der Seele nieder, die er nach den erhaltenen Fragmenten vor allem in Auslegung des Er-Mythos (R. 614b–e) sowie der Erzählung Homers über die ›Grotte von Ithaka‹ (Od. 13,109–112) entwickelt hat.¹⁷⁰ Allerdings nimmt er dabei den Bereich der Fixsternsphäre aus. Die Auffassung, daß die Fixsternsphäre einen göttlichen Bereich innerhalb des sichtbaren Kosmos darstellt, wie Numenius sie innerhalb seiner Auslegung von R. 614b–e entfaltet, begrenzt offensichtlich die Grundaussage seiner dualistischen Kosmologie, zu der er in seiner Timaeusauslegung findet. Hier zeigt sich beispielhaft, daß Numenius seine Kosmologie in der Auslegung für ihn authoritativer Texte entwickelt. 5.1. Die Interpretation der ›Grotte von Ithaka‹ und des Er-Mythos Numenius knüpft an eine breite Tradition an, nach der in Homers Mythen Aussagen über die Struktur des Universums zu suchen sind,¹⁷¹ und versteht nach frg. 31 die ›Grotte von Ithaka‹ in Assoziation des platonischen Höhlengleichnisses¹⁷² allegorisch als εἰκόνα καὶ σύμβολον des Kosmos (Z. 1).¹⁷³ ¹⁷⁰ Porphyrius überliefert in seiner Auslegung der ›Grotte von Ithaka‹ die Interpretation des Numenius (Antr. 10.21–23.28.34). Proclus, in R. II 128,26–130,14; 131,8–14 (Kroll) referiert Numenius’ Auslegung des Er-Mythos, in der Numenius ebenfalls auf Homer, Od. 13 verweist (Numenius, frg. 35 [Z. 16–26]). Mit diesen Texten hat Macrobius, somn. 1,12,1–4 enge Berührungen, weshalb dieser Text ebenfalls auf Numenius zurückgeführt wird. Siehe dazu zusammenfassend die Bemerkungen von É. D P, CUFr Numénius, 80 f.; 116 Anm. 3. Zum literarischen Verhältnis der Texte aus Porphyrius, Proclus, Macrobius siehe H.  L 1972, 15–25, der E. A. L 1937, 45–48.147–152 korrigiert und weiterentwickelt. ¹⁷¹ Siehe dazu F. B 1956, 2 f.; A. P B 1988; D. C 2002, 122–144. ¹⁷² Siehe dazu F. B 1956, 452; H. D / M. B 2002b, 179 f. ¹⁷³ Numenius bedient sich dabei einer pythagoreischen Auslegungsmethode, die später – wahrscheinlich auch durch seine Vermittlung – in die neuplatonische Exegese übernommen

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

Im Zentrum der Auslegung stehen die zwei Eingänge der Grotte. Sie stehen nach Numenius für die zwei äußersten Extreme der Ekliptik, den Winterwendekreis, der durch das Zeichen des Steinbock verläuft, bzw. den Sommerwendekreis, der das Zeichen des Krebses schneidet.¹⁷⁴ Numenius verbindet Od. 13,109–112 mit Od. 24,12, wonach Hermes die Seelen durch die ›Tore der Sonne‹ und die Milchstraße führt, und folgert, daß der Krebs den Ort auf der Milchstraße markiert, an dem die Seelen die Milchstraße verlassen und in den Bereich des Werdens zur ihrer Einkörperung herabsteigen, während der Steinbock den Ort bezeichnet, an dem die Götter und die körperlosen Seelen in den Bereich der Götter aufsteigen.¹⁷⁵ Diese Deutung der ›Grotte von Ithaka‹ wurzelt in Numenius’ Auslegung des platonischen Er-Mythos, der in R. 614b–e zwei Schlunde am Himmel erwähnt, durch welche die Seelen der Verstorbenen auf- und absteigen. Getreu seinem Auslegungsprinzip der ἀναχώρησις verbindet Numenius Platon mit Homer und zieht außerdem Parmenides sowie römische und ägyptische Riten als Zeugen seiner Interpretation heran.¹⁷⁶ In seinem Bestreben, die astronomischen Deutungen von Od. 13,109–112 und Od. 24,12 miteinander zu verknüpfen, ignoriert Numenius allerdings stillschweigend, daß Zodiacus und Milchstraße sich nicht im Krebs, sondern zwischen Steinbock und Schütze schneiden.¹⁷⁷ Nach frg. 34 bezeichnet Pythagoras bzw. Numenius den Bereich des Werdens, der unmittelbar unterhalb der Milchstraße beginnt, auch als Unterwelt (inferiora, Ditis imperium), da die Seelen, die dorthin gefallen seien, bereits die höheren Bereiche (superiora) verlassen hätten.¹⁷⁸ Hier tritt deutlich hervor, daß nach Numenius die Planetensphären nicht zu den superiora gehören. Die Bezeichnung des Bereichs unterhalb der Fixsternsphäre als Unterwelt stammt aus der Auslegung des platonischen Er-Mythos. In diesem Mythos beschreibt Platon einen göttlichen Ort zwischen Himmel und Erde, an dem Richter über die Seelen der Verstorbenen urteilen. Von diesem Ort führen jeweils zwei Schlunde in den Himmel bzw. in die Unterwelt. Durch jeweils einen Schlund steigen die Seelen in den Himmel auf bzw. »zu dem Ort unter der Erde und zu den dortigen Flüssen« herab, durch den jeweils anderen Schlund kehren sie zurück.¹⁷⁹ Numenius identifiziert nach frg. 35 ›Himmel‹ mit der Fixsternsphäre und verortet die zwei Schlunde am Himmel analog den zwei Eingängen der Grotte im Steinbock bzw. im Krebs. Durch den Krebs, das καθόδου χάσμα τῆς εἰς γένεσιν, steigen die Seelen aus der Fixsternsphäre herab in den Bereich des Werdens; durch den Steinbock, das χάσμα ἀνόδου, steigen die körperlosen Seelen in die Fixsternsphäre hinauf. Die Flüsse der Unterwelt identifiziert Numenius mit den Planetensphären, so daß Platons ›Ort unter wurde. Zu εἴκων und σύμβολον als termini technici der pythagoreischen und später neuplatonischen Exegese siehe J. M. D 1975, 247–262. ¹⁷⁴ Frg. 31 (Z. 2–6). ¹⁷⁵ Frg. 31 (Z. 16–26); frg. 32 (Z. 1–12). ¹⁷⁶ Frg. 31 (Z. 16–18.27–43). H.  L 1972, 19 hat herausgearbeitet, daß Porphyrius in seinem Numeniusreferat in De antro nympharum (frg. 31 [Z. 16–18]) die Relation PlatonHomer im Interesse des Gedankengangs seiner eigenen Kommentierung Homers umgekehrt hat, während bei Proclus (frg. 35 [Z. 16–26]) die ursprüngliche Verbindung Platons mit Homer erhalten ist (mit Hinweis auf J. W 1977, 46). Zur Homerauslegung des Parmenides siehe F. B 1956, 95. Die Konstruktion einer Zeugenkette entspricht dem philosophischen Programm des Numenius und seinem Prinzip der ἀναχώρησις (siehe Kapitel 1). ¹⁷⁷ Siehe dazu H. D / M. B 2002b, 178 Anm. 91. ¹⁷⁸ Siehe frg. 34 (Z. 13.17–20). Solange sich die Seelen in der Milchstraße aufhalten, zählen sie noch zu den Göttern (Z. 24–27). Aus frg. 35 (Z. 26–28) wird deutlich, daß Numenius im Zusammenhang seiner Auslegung Pythagoras zustimmend zitiert. ¹⁷⁹ Siehe den Anfang des Mythos in R. 614b–e.

III. Numenius

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der Erde‹ den gesamten Bereich unterhalb der Fixsternsphäre umfaßt.¹⁸⁰ Homers Rede vom ›Volk der Träume‹ (Od. 24,12) bezieht Pythagoras bzw. Numenius auf die Lichtpunkte der Milchstraße, die auch Platon als Licht erwähnt (R. 616b7), und sieht darin jene Seelen bezeichnet, die sich nach ihrer Trennung von den Körpern in der Fixsternsphäre aufhalten.¹⁸¹

An Numenius’ Interpretation des Er-Mythos und der ›Grotte von Ithaka‹¹⁸² sind zwei Aspekte besonders hervorzuheben. Numenius gliedert den Kosmos in zwei Bereiche: den himmlischen Bereich, der die Fixsternsphäre umfaßt bzw. mit ihr beginnt, und den Bereich des Werdens, der alles unterhalb der Fixsternsphäre (Planetensphären, sublunarer Raum, irdischer Bereich) einschließt. Die Grenze zwischen Planeten- und Fixsternsphäre wird dadurch markiert, daß Numenius die Seelen erst mit ihrem Eintritt in die Fixsternsphäre als körperlos und den Göttern gleich unsterblich betrachtet.¹⁸³ Die Ansicht des Numenius, daß auch der Himmel der Befleckung durch das vitium naturale der Materie unterliegt, führt also dazu, daß er in seiner Auslegung des ErMythos die Planetensphären dem Bereich des Werdens zuordnet und nur die Fixsternsphäre als eigentlichen Himmel betrachtet. Stellt man die Aussagen des Numenius über die Fixsternsphäre nebeneinander, so erweisen sie sich allerdings als unscharf. Denn die Fixsternsphäre erscheint einerseits als Aufenthaltsort der körperlosen, göttergleichen Seelen, andererseits als Grenze und Übergangsbereich zwischen dem Bereich des Werdens und einem jenseitigen Aufenthaltsort.¹⁸⁴ Diese Unausgeglichenheit wur¹⁸⁰ Frg. 35 (Z. 6–10). ¹⁸¹ Frg. 35 (Z. 25 f.33 f.41–44.45 f.). ¹⁸² In frg. 35 (Z. 31–44) wird die Verbindung der Erzählung Homers mit dem platoni-

schen Mythos besonders deutlich. Die Einzelheiten im Er-Mythos und in Homers Erzählung beziehen sich auf dieselben Gegebenheiten; sie unterscheiden sich »nur dem Namen nach« (Z. 40 f.). Numenius ignoriert daher stillschweigend, daß Platon im Er-Mythos insgesamt vier χάσματα – zwei am Himmel und zwei in der Erde – erwähnt. Das Zeugnis des Homer dient ihm also dazu, den Er-Mythos seiner Interpretation anzupassen. ¹⁸³ Vgl. damit die Zusammenfassung der numenianischen Position bei Macrobius, somn. 1,11,11 (47,15–17 Willis): secundum hos ergo, quorum sectae amicior est ratio, animae beatae ab omni cuiuscumque contagione corporis liberae caelum possident, … Das ist der Zustand der körperlosen Intellekt-Seelen, den Numenius in frg. 12 (Z. 21) beschreibt: … τὸν δὲ νοῦν ζῆν βίου ἐπαυρόμενον εὐδαίμονος. Vgl. frg. 35 (Z. 49–51). Daß Macrobius in somn. 1,11,10–11 Numenius zusammenfaßt, geht aus den Übereinstimmungen mit den Referaten bei Porphyrius und Proclus hervor, sowie aus den Anklängen an numenianische Terminologie (vgl. z. B. Z. 19: ab illa specula altissima mit frg. 2 [Z. 7]: die Seele bei ihrer intuitiven Schau des Guten ist ἐπὶ σκοπῇ). Siehe dazu auch H.  L 1972, 14.22. ¹⁸⁴ Nach frg. 34 (Z. 20) gehört die Milchstraße zu den superiora, von denen die Seelen in den Bereich des Werdens (in inferiora) herabsteigen. Sie ist nach Z. 24–27 der Aufenthaltsort der göttergleichen Seelen. Nach frg. 35 (Z. 21–23) führen die Seelen ab ihrem Aufstieg durch den Steinbock in die Fixsternsphäre kein menschliches Leben mehr, sondern ein göttliches und unsterbliches Leben. Nach Z. 41–44 ist die Milchstraße der Aufenthaltsort der körperlosen Seelen. In Z. 45 paraphrasiert Proclus die Position des Numenius, der die Milchstraße angefüllt habe mit den Seelen, die vom unteren Ort in den Himmel aufgestiegen seien. Dage-

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

zelt in den unterschiedlichen mythischen Bildern der Texte, die Numenius seinen Ausführungen zugrunde legt: der ›Grotte von Ithaka‹ einerseits und der mythologischen Himmelsgeographie, die der Er-Mythos beschreibt. Dabei dominiert deutlich die an der Auslegung des platonischen Er-Mythos gewonnene Vorstellung, daß die Fixsternsphäre, genauer die Milchstraße, der Aufenthaltsort der glückseligen, körperlosen Seelen ist.¹⁸⁵ Das Bestreben des Numenius, innerhalb des Kosmos einen höheren Bereich (Himmel) und niederen Bereich (Unterwelt) zu unterscheiden, schränkt dabei die Aussage von frg. 52 ein, daß allen Bereichen des sichtbaren Kosmos das vitium naturale der Materie anhaftet und sie damit der gesamte Kosmos inferior ist. Denn die sichtbare Fixsternsphäre wird nach frgg. 31–35 zu den superiora gezählt. Offensichtlich nimmt Numenius aufgrund seiner Auslegung des platonischen Er-Mythos die Fixsternsphäre von der Befleckung durch die Materie aus. Numenius’ Auslegung des Er-Mythos und seine Lehre von der kosmischen Auswirkung der Materie beeinflussen sich also wechselseitig. Die Bewertung der Planetensphären und die unscharfe Beschreibung der Fixsternsphäre macht somit auch auf die inhaltliche Spannung aufmerksam, die dadurch entsteht, daß Numenius einerseits in der Auslegung des Timaeus alles Materielle, Körperliche und daher Sichtbare durch die Materie kontaminiert sieht, andererseits jedoch in der Auslegung des Er-Mythos R. 614b–e die Fixsternsphäre, die Teil des sichtbaren Kosmos ist, als göttlichen Bereich betrachtet. Während Macrobius Numenius’ Gliederung des Kosmos lobt und als Meinung der Philosophen hervorhebt, die in hohem Maße der ratio folgen,¹⁸⁶ wirft der Platonexeget Proclus Numenius vor, nicht in Übereinstimmung mit Platon zu stehen.¹⁸⁷ Er kritisiert zunächst, daß Numenius gegen den Wortlaut verstoße. Denn indem Numenius die Unterwelt in den Himmel verlagere, spreche er von Erde im uneigentlichen Sinne und führe eine fiktive Größe ein, die Platon nicht kennt. Vor allem aber verwahrt sich Proclus dagegen, mit den gen ist im Bild der ›Grotte von Ithaka‹ die Fixsternsphäre die Begrenzung der sichtbaren Welt, durch die hindurch die körperlosen Seelen zum Aufenthaltsort der Götter gelangen (frg. 31 [Z. 81–83]). ¹⁸⁵ In frg. 35 (Z. 49–51) heißt es von dem einen Teil der Seelen, die vor den Richtern standen: … ἔπειτα εἰς τὸν ὑπερουράνιον τόπον ἀνελθεῖν, ὅπου γε διάγουσιν αἱ ψυχαὶ εὐδαιμόνως. H. D / M. B 2002b, 174 Anm. 72 lesen οὐράνιον anstatt ὑπερουράνιον, um an die Passagen anzugleichen, nach denen die Seelen in der Fixsternsphäre verweilen. Diese Angleichung ist jedoch unnötig, da es sich hier um eine polemische Paraphrase des Proclus handelt. Dieser unterstellt Numenius polemisch als Position, daß sich die glückseligen Seelen zu ihrer Beurteilung vor den Richtern erst an einen unterirdischen Ort begeben müssen (εἰς τὸν ὑποχθόνιον τόπον Z. 47), bevor sie zum überhimmlischen Ort aufsteigen, an dem sie ein glückseliges Leben führen (εἰς τὸν ὑπερουράνιον τόπον Z. 49 f.). Durch den gesteigerten Gegensatz zwischen ὑποχθόνιον und ὑπερουράνιον will Proclus die Absurdität dieser Vorstellung deutlich machen. ¹⁸⁶ Siehe Macrobius, somn. 1,11,11 (47,15 f. Willis). ¹⁸⁷ Siehe Proclus, in R. II 130,15–131,8 (Kroll).

III. Numenius

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Planetensphären den Himmel als niederen Ort zu behaupten. Er führt gegen Numenius prominente Belege aus Platons Werken an: Der Himmel einschließlich der Planetensphären ist nach Ti. 41d8 Ausgangspunkt aller Seelen. Er ist Aufenthaltsort der glückseligen Seelen (Ti. 41b4), der Ort, an dem die für leicht befundenen Seelen ein Leben führen, das ihnen entspricht (Phdr. 249a8). Proclus, der sich sonst selbst nicht scheut, Platon allegorisch auszulegen, führt also den Wortlaut und weitere Zeugnisse Platons an, um gegenüber der dualistischen Kosmologie des Numenius die Göttlichkeit des gesamten Himmels einschließlich der Planetensphären zu verteidigen.

5.2. Der Abstieg der Seelen aus der Fixsternsphäre Der Abstieg aus der Fixsternsphäre ist auch Gegenstand einer Passage bei Macrobius, Commentarii in somnium Scipionis, die auf Numenius zurückgeführt werden kann.¹⁸⁸ In engem syntaktischen Anschluß an eine Homerinterpretation des Numenius (somn. 1,12,1–4) heißt es bei Macrobius: Von dort also, d. h. von der Grenze aus, an der sich Tierkreis und Milchstraße berühren, steigt die Seele herab und aus der Kugelgestalt, die allein göttlich ist, wird sie, indem sie herabsinkt, zum Kegel gedehnt, wie aus einem Punkt eine Linie entsteht und in die Ausdehnung aus dem Unteilbaren hervortritt. Und eben dort tritt sie aus ihrem Punkt, das ist die Monas, in die Dyas, welche die erste Ausdehnung ist. Und diese ist die Substanz, welche Platon im Timaeus die unteilbare und zugleich teilbare genannt hat, als er über die Erschaffung der Weltseele sprach. Denn die Seelen, die der Welt ebenso wie die der Menschen, werden sich bald als unteilbar herausstellen, wenn man nämlich die Einfachheit ihrer göttlichen Natur betrachtet, bald als teilbar, wenn nämlich jene sich durch die Glieder des Kosmos, diese sich durch die Glieder der Menschen erstrecken. Wenn also die Seele zum Körper hingezogen wird, dann macht sie bei eben dieser ersten Ausdehnung ihre erste Erfahrung mit dem materiellen Aufruhr, das ist die Materie, die auf sie einströmt.¹⁸⁹ ¹⁸⁸ Nachdem R. B, A. J. F, J. H. W, W. T, P. H u. a. die Rückführung des gesamten Abschnitts Macrobius, somn. 1,12 an Numenius durch E. A. L abgelehnt und nur einzelne wie E. R. D, M. M und C.  V zugestimmt haben, mehren sich heute wieder die Stimmen, die aufgrund der Untersuchung von H.  L 1972 neben somn. 12,1–4 = Numenius, frg. 34 (Des Places) auch somn. 12,5–7 auf Numenius zurückführen. So z. B. M. B 1974, 12–16; W. D 1983, 72 f. Gegen  L wendet sich K. A 1993, 137–139. In seiner Zuschreibung von somn. 12,13–15 an Numenius fand  L dagegen keine Nachfolger, da dafür das Vergleichsmaterial aus Numenius nicht ausreicht. Für genaue Literaturangaben und die Forschungsdebatte um Macrobius, somn. 1,12 siehe É. D P, CUFr Numénius, 80 f. u. 116 Anm. 3;  L, a. a. O., 7–14. ¹⁸⁹ Macrobius, somn. 1,12,5–7 (48,27–49,9 Willis): illinc ergo id est a confinio quo se zodiacus lacteusque contingunt, anima descendens a tereti, quae sola forma divina est, in conum defluendo producitur, sicut a puncto nascitur linea et in longum ex individuo procedit; ibique a puncto suo, quod est monas, venit in dyadem, quae est prima protractio. et haec est

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

Hermann de Ley hat diesen Abschnitt ausführlich analysiert und nachgewiesen, daß Numenius hier in Aufnahme pythagoreischer Methodik ontologische Sachverhalte arithmetisch-geometrisch beschreibt.¹⁹⁰ Numenius legt dar, wie der Intellekt, sobald er in Kontakt mit der Materie tritt, zur Seele wird, die in sich Eigenschaften des Intellekts (Einfachheit) und der Materie (Teilbarkeit) vereint. Diesen Vorgang sieht Numenius in Ti. 35a bezeichnet.¹⁹¹ Für die Frage nach Gliederung und Charakter des sichtbaren Kosmos ist aus dieser Passage bei Macrobius einiges zu gewinnen. Der Moment, in dem der Intellekt zur Seele wird, ist durch den Übergang von der Milchstraße, d. h. der Fixsternsphäre, in den darunterliegenden Bereich der Planetensphären markiert. Die Milchstraße selbst erweist sich dabei als Bereich des Intellekts / Monas bzw. der göttlichen Natur. Die Grenze zwischen Planetensphären und der Fixsternsphäre markiert die Grenze zwischen dem intelligiblen und dem materiell-körperlichen Bereich des Kosmos. Denn vom Bereich unterhalb der Fixsternsphäre wird gesagt, daß er dem Einfluß der Materie unterliegt, die hier essentia quam individuam eandemque dividuam Plato in Timaeo cum de mundanae animae fabrica loqueretur expressit. animae enim, sicut mundi, ita et hominis unius, modo divisionis reperientur ignarae, si divinae naturae simplicitas cogitetur, modo capaces, cum illa per mundi, haec per hominis membra diffunditur. anima ergo cum trahitur ad corpus, in hac prima sui productione silvestrem tumultum id est ὕλην influentem sibi incipit experiri. Inwiefern auch die nach 49,9 (Willis) folgenden Abschnitte auf Numenius zurückzuführen sind, muß aufgrund der fragmentarischen Überlieferung der Werke des Numenius offen bleiben. Es handelt sich zunächst um eine Platonauslegung, die durchaus Parallelen in den erhaltenen Fragmenten des Numenius hat (z. B. frg. 30). Siehe H. D / M. B 2002b, 184 f.; ablehnend K. A 1993, 139 f. Allerdings widerspricht die Charakterisierung der Materie in somn. 12,11 (49,29–32) den Aussagen über die Materie bei Numenius. ¹⁹⁰ Das Verdienst der Studie von H.  L besteht darin zu zeigen, daß nach antikem pythagoreisch-platonischem Verständnis arithmetische und geometrische Beschreibung sich nicht widersprechen (1972, 37 mit Belegen). Daß Numenius die Seele als Zahl bezeichnet, um ihre Mittlerfunktion auszudrücken (frg. 39), widerspricht nicht ihrer Bezeichnung als prima protractio, die sie in pythagoreischer Terminologie als numerische Zweiheit (dyas im Unterschied zur Materie-Dyas) und erste Zahl kennzeichnet ( L, a. a. O., 37–39 mit Belegen). Dem widerspricht auch nicht die Beschreibung als Kegelgestalt, welche die Seele ebenfalls als Mittlerin ausweist ( L, a. a. O., 44–50 mit Belegen). Die Transformation von Monas / Kugelgestalt in Dyas / Kegelgestalt beschreibt daher die Veränderung des Intellekts zur Seele unter dem Einfluß der Materie ( L, a. a. O., 35; ähnlich auch W. D 1983, 72 f.), wobei der Intellekt seine simplex et absolutissima puritas verliert ( L, a. a. O., 27 mit Hinweis auf die Zusammenfassung der numenianischen Position in Macrobius, somn. 1,11,11). Zu Belegen für die Bezeichnung des Intellekts als Monas siehe D L, a. a. O., 41 Anm. 2; vgl. damit Numenius, frg. 52 (Z. 5): Gott / Intellekt ist singularitas; frg. 19 (Z. 13): der erste Gott / Intellekt als das Gute ist ἕν. Zu Belegen für die Kugel bzw. den Kreis als göttlichste und dem Intellekt angemessenste Gestalt siehe  L, a. a. O., 44 Anm. 1.3. ¹⁹¹ Für Numenius’ Verständnis der Interpretation von Ti. 35a ist das Zeugnis des Proclus ernst zu nehmen, nach welchem Numenius Ti. 35a nicht physikalisch, sondern mathematisch interpretiert hat (in Ti. II 153,17–25 [Diehl]). Es ist daher methodisch falsch, bei Numenius danach zu fragen, aus welchen Bestandteilen die Weltseele gemischt sei (diese Frage stellen z. B. H.  L 1972, 29–36; M. B 1974, 244 f.; dagegen bemerkt bereits W. D 1983, 73 zu Recht, daß nach Numenius die Seele nicht gemischt wird).

III. Numenius

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wie in frg. 52 als aufrührerisch beschrieben ist. In Gestalt der (Welt-)Seele wirkt jedoch auch hier die göttliche Natur.¹⁹² Der materiell-körperliche Bereich des Kosmos unterhalb der Fixsternsphäre unterliegt also wie in frg. 52 sowohl dem Einfluß der göttlichen Natur als auch der Materie. In der Beschreibung der Fixsternsphäre besteht auch in dem Textabschnitt bei Macrobius die Spannung, die bereits in Numenius’ Auslegung der homerischen ›Grotte von Ithaka‹ und des platonischen Er-Mythos beobachtet wurde. Die Grenze zwischen intelligiblem und materiell-körperlichem Bereich ist bei Numenius nicht identisch mit der Grenze zwischen sichtbar und unsichtbar, da Numenius die Fixsternsphäre, obwohl Teil des sichtbaren Himmels, dem intelligiblen Bereich zurechnet. Diese Spannung beruht offensichtlich darauf, daß Texte wie der Er-Mythos, aber auch der Phaedrus-Mythos, der in frg. 2 anklingt, Numenius dazu veranlassen, den intelligiblen Aufenthaltsort der körperlosen Seelen im höchsten Bereich des Himmels anzusiedeln,¹⁹³ obwohl er zugleich im Rahmen seiner am Timaeus orientierten Materielehre behauptet, daß alles Körperliche und folglich Sichtbare¹⁹⁴ vom vitium naturale der Materie beeinflußt ist. Hier wird einerseits deutlich, daß bei Numenius die kosmologischen Auslegungen verschiedener Texte zueinander in Spannung treten. Andererseits zeigt sich eine Spannung zwischen einer astronomischen Kosmosbetrachtung und der in der Auslegung autoritativer Texte gewonnenen Kosmosgliederung. Eine ähnliche Spannung kann interessanterweise auch bei christlichen Kosmologen beobachtet werden.¹⁹⁵

¹⁹² Numenius bezeichnet die Seele als Dyas oder Kegelgestalt und weist sie damit als Mittlerin zwischen dem intelligibel-göttlichen und materiell-körperlichen Bereich des Kosmos aus. Siehe H.  L 1972, 41 Anm. 2; 45–47. Für Numenius sind Welt- und Einzelseelen in ihrem intelligiblen Wesen ihren vorgeordneten Ursachen wesensgleich. Sie stehen damit in einem Verhältnis der Einheit und Identität zum göttlichen Intellekt (Numenius, frgg. 41.42). Siehe dazu W. D 1983, 70 gegen die Interpretation von M. B 1974, 244 f. ¹⁹³ Von dort aus erblicken sie dann entweder in einsamer Schau über den Himmel hinaus das Gute als das alles transzendierende höchste Prinzip (frg. 2 [Z. 7–16] in Anknüpfung an den Phaedrus-Mythos), oder sie blicken herab, womit ihr Abstieg in die Körper eingeleitet wird. Siehe die Zusammenfassung der numenianischen Position durch Macrobius, somn. 1,11,10 f. ¹⁹⁴ Daß Sichtbarkeit auf Farbe, Gestalt und damit letztlich Körperlichkeit zurückgeht, ist ein antikes Grundaxiom. Siehe dazu z. B. Platon, Men. 75b10.c6; Ti. 28b7 f.; Aristoteles, de An. 2,7 (418a29); Sens. 1 (437a7–9); 3 (439b11 f.440a16 f.); Nemesius, nat. hom. 7 (59,19–60,5 Morani). Der Schluß von Sichtbarkeit, d. h. Farbe und Gestalt, auf Körper darf als schulmäßig angesehen werden (F. X. R 1999, 173 Anm. 178 mit Belegen). ¹⁹⁵ Vgl. die Spannungen zwischen dem von Origenes an Gen 1 f. gewonnenen Kosmosaufbau und dem zeitgenössischen astronomischen Sphärenmodell (dazu Kapitel B I 4.3.1).

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

6. Zusammenfassung und Systematisierung Der platonische Timaeus antwortet nach Numenius auf die Frage, woher die sichtbare Welt ihre relative Stabilität und Dauer erhält. Vor dem Hintergrund der platonischen Ontologie thematisiert er damit die Verbindung der sichtbaren Welt zum wahrhaft Seienden. Ursache der Ordnung und der ewigen Dauer des Kosmos ist nach Numenius der erste Gott, der als erster Intellekt Ursprung und Inbegriff des Seins sowie Vater des sichtbaren Kosmos ist. Numenius interpretiert den platonischen Timaeus, besonders Ti. 28c.29e1, aber auch Ti. 42a, im Sinne einer Unterscheidung zwischen einem ersten und einem zweiten Gott. Diese Unterscheidung dient ihm dazu, die Wirkung des ersten Gottes in den sichtbaren Kosmos hinein zu beschreiben, ohne ihn in ein direktes Verhältnis zur materiellen Körperwelt zu setzen, die seine ruhende (Selbst-)Bezogenheit auf das Intelligible aufheben und damit seine Funktion als Garant der Kosmosordnung gefährden würde. Der zweite Gott ist einerseits auf den ersten Gott bezogen. Andererseits steht er als Demiurg in unmittelbarem Kontakt zur materiellen, sichtbaren Körperwelt. Diese zwei Aspekte der Existenz des zweiten Intellekts drückt Numenius in der begrifflichen Unterscheidung zwischen einem zweiten und dritten Gott aus. Im Vollzug seiner Vernunfttätigkeit wirkt der demiurgische zweite Intellekt auf die Materie, begrenzt und harmonisiert sie. Er verbindet sich mit ihr und führt so ihre Vielheit zu einer Einheit. Damit schafft er die Ordnung des Kosmos. Dieser Ordnung liegen harmonische Maße zugrunde, die Abbilder der rationes darstellen, die das Wesen des zweiten Gottes in Abbildung des ersten Gottes konstituieren. Die Ordnung des Kosmos bildet somit unmittelbar das Wesen des Demiurgen ab. Daher ist aus ihr auch lediglich der Demiurg als zweiter, schöpferischer Intellekt zu erkennen, während der erste Gott und Intellekt nur als dessen übergeordnete Ursache erschlossen werden kann. Numenius beschreibt das Verhältnis des ersten Gottes zum sichtbaren Kosmos mit Hilfe des Konzepts der mittelbaren Teilhabe bzw. Abbildung. Durch die Vermittlung des Demiurgen hat der Kosmos Anteil am Sein und der Güte des ersten Gottes und bildet sie als εἰκών zweiter Ordnung im Bereich des Werdens ab. Numenius gelingt es dadurch, einerseits den ersten Gott von jeglichem direkten Kontakt zur sichtbaren Körperwelt zu entlasten und ihn andererseits als transzendente Ursache des Bestands und der Schönheit der sichtbaren Welt zu behaupten. Damit leitet Numenius den Charakter der Kosmosordnung mittelbar aus dem höchsten Prinzip ab. In diesem Zusammenhang bezeichnet Numenius den geordneten Kosmos auch als dritten Gott. In seiner Betrachtung kann der zweite Gott erkannt und der erste Gott als höchster Ursprung erschlossen werden.

III. Numenius

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Der demiurgische zweite Gott bleibt dem sichtbaren Kosmos nicht transzendent, sondern geht in ihn ein, durchzieht ihn und beherrscht ihn in der Funktion eines kosmischen Gesetzgebers. Darin nimmt er Funktionen der platonischen Weltseele wahr. Er sorgt für die Beseelung und Vernunftbegabung des Kosmos insgesamt sowie der Menschen. In diesem Zusammenhang betrachtet Numenius die individuellen Vernunftseelen als unmittelbare Ausstrahlungen des Demiurgen, der Intellekt ist. Ihr transzendenter Ursprung ist jedoch der erste Gott. In einer anthropologischen Interpretation des PoliticusMythos beschreibt Numenius den zyklischen Wechsel von Abstieg und Aufstieg der Vernunftseelen, die zu einem Wechsel von Aufleben und Verlöschen der individuellen Körper führen. Dieser Wechsel unterliegt der göttlichen Vorsehung und Fürsorge, die Numenius wie die Schöpfungstätigkeit als diskursive Vernunfttätigkeit des Demiurgen beschreibt. In seinem Traktat De bono unterscheidet Numenius zwei verschiedene göttliche Instanzen. In seinen Ausführungen über die Materie, deren ursprünglicher literarischer Kontext unklar ist, faßt er dagegen das Prinzip des Guten, das Paradigma und den Demiurgen sowie die Vorsehung als das Werk Gottes als eine Größe unter der Bezeichnung ›Gott‹ zusammen. In der Auseinandersetzung mit einem pythagoreischen Monismus interpretiert er dabei den platonischen Timaeus im Sinne eines Dualismus von Gott als formgebender Ursache und Materie. Im Unterschied zu Plutarch und Atticus behauptet er aber keine reale Entstehung der sichtbaren Welt aus einem Zustand vorkosmischer Unordnung, sondern deutet Passagen wie Ti. 30a und Ti. 53b als gedankliche Analysen des Zusammenwirkens der beiden Prinzipien, die deren Eigenschaften offenlegen und den Charakter des sichtbaren Kosmos erklären. Gegenüber dem Monismus einiger Pythagoreer verteidigt er die Gleichewigkeit von Gott und Materie. Er legt dar, daß eine Einheit unmöglich aus sich selbst Zweiheit erzeugen kann, ohne ihre Einheit zu verlassen. Daher ist es für ihn absurd, daß Gott, den er als Einheit identifiziert, Urheber der Materie, d. h. der Zweiheit, ist. Er formuliert damit das Problem, auf das die späteren platonischen monistischen Kosmologien eine Antwort suchen. Gegenüber den Stoikern betont Numenius, daß die Materie das Prinzip des Übels ist. Er bezieht auf sie die platonischen Texte, die Plutarch im Sinne einer vorkosmischen Urseele interpretierte. Dabei stellt er besonders die Unbegrenztheit als Eigenschaft der Materie heraus. Gegenüber dem Einwand der Stoiker, daß nur das Begrenzte umfaßt werden kann und daher die Materie als das Unbegrenzte unmöglich von Gott gestaltet werden kann, verweist Numenius auf das Vermögen und die Macht Gottes. Gott ist seinem Vermögen nach jeder Macht und auch der Natur der Materie überlegen. Der Grundsatz der Stoiker gilt daher nicht für Gott, der die Natur transzendiert und selbst ihr Urheber ist. Gott vermag daher in den Augen des Numenius auf die Materie einzuwirken,

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

ohne an Voraussetzungen gebunden zu sein, die in ihrem Wesen liegen. Das Zusammenwirken der beiden Ursachen des Kosmos geht in diesem Kontext allein auf die großartige Kraft (magnifica virtus) Gottes zurück. Der Rekurs des Numenius auf die Macht der göttlichen Ursache braucht nicht auf den Einfluß jüdischer Lehre zurückgeführt werden, wie Jacobus van Winden behauptet. Dieser Rekurs verdankt sich einer platonischen Spekulation über das Verhältnis von göttlicher Ursache und Natur, wie sie in einem etwas anderen Zusammenhang auch bei Atticus begegnet.¹⁹⁶ Er stellt in der Argumentation des Numenius ein Grenzargument dar, das allein dazu dient, den stoischen Einwand gegen die numenianische Materielehre zu entkräften. Numenius entfaltet es weder systematisch noch integriert er es in seine Prinzipienlehre und Kosmologie. Denn wenn die göttliche Ursache an der Materie voraussetzungslos zu wirken vermag, fragt man sich, warum sie überhaupt der Existenz der Materie als Voraussetzung bedarf. Der Rekurs auf die Macht Gottes könnte auch den pythagoreischen Monismus argumentativ stützen. Außerdem muß Numenius sich fragen lassen, warum Gott als Ursprung des Guten in seiner Kraft und Macht nur den Zustand (habitus), nicht aber die Natur der Materie verändert und auf diese Weise die Ursache für die mannigfaltigen Übel in der Welt gänzlich beseitigt. Im Zusammenhang des Traktats De bono betont Numenius das Abbildverhältnis des sichtbaren Kosmos zum wahren, intelligiblen Sein, in dem sein Charakter als »dritter Gott« gründet. Im Zusammenhang der Ausführungen über die Materie und der Frage nach dem Ursprung des Übels, die er in der Auslegung einschlägiger Timaeuspassagen beantwortet, beurteilt er den Kosmos dagegen als indifferent, weil er aus der Güte Gottes und der Schlechtigkeit der Materie gemischt ist. Durch die Materie haftet allen Bereichen des sichtbaren Kosmos einschließlich des Himmels eine Fehlerhaftigkeit an, die von Gott zwar niedergehalten, aber nicht ausgemerzt wird. Dieses Ergebnis seiner dualistischen Auslegung des Timaeus verhindert aber nicht, daß Numenius in seinen Interpretationen des Er-Mythos R. 614b–e und der homerischen ›Grotte von Ithaka‹ die Fixsternsphäre als göttlichen Bereich innerhalb des sichtbaren Kosmos präsentiert. Hier zeigt sich beispielhaft, daß Numenius seine Kosmologie in der Auslegung für ihn authoritativer Texte entwickelt, die zum Teil unvereinbare Elemente enthalten. In der Auslegung des ErMythos und der homerischen ›Grotte von Ithaka‹ präsentiert Numenius eine Gliederung des Kosmos, die an astronomische Beschreibungen anknüpft, aber nicht mit ihnen zur Deckung gebracht werden kann. Hier zeigt sich eine Spannung zwischen einem astronomischen Kosmosaufbau und der an authoritativen Texten gewonnenen Kosmosgliederung, die strukturell ähnlich auch bei einem christlichen Kosmologen wie Origenes beobachtet werden kann. ¹⁹⁶ Siehe Atticus, frg. 4 (Des Places).

IV. Alkinoos 1. Verfasser und literarischer Charakter des Didaskalikos Der Didaskalikos des Alkinoos ist das einzige vollständig erhaltene Exemplar eines philosophischen Handbuchs aus dem platonischen Unterricht der Kaiserzeit.¹ Lange Zeit wurde angenommen, daß der Gaius-Schüler Albinos diese Epitome der Lehre Platons verfaßt habe. Diese Zuschreibung hat inzwischen John Whittaker aus paläographischen, stilistischen und inhaltlichen Gründen zurückgewiesen.² Als Autor des Didaskalikos muß daher Alkinoos angesehen werden, den alle Handschriften als Verfasser nennen, über dessen Leben und Werk aber ansonsten nichts bekannt ist.³ Der Didaskalikos wird in die zweite Hälfte des zweiten Jahrhunderts nach Christus datiert.⁴ Allerdings ist auch eine spätere Abfassungszeit, Mitte bis Ende des dritten Jahrhunderts, nicht ausgeschlossen, da sich die philosophi¹ Ich zitiere den Text des Didaskalikos nach der Edition: Alcinoos, Enseignement des doctrines de Platon, introduction, texte établi et commenté par J. W et traduit par P. L, CUFr, Paris 1990. Dabei führe ich die Hermann-Paginierung an, wie sie bei W / L angegeben ist. Äußerst hilfreich sind außerdem die kommentierten Übersetzungen von G. I 1976 sowie J. M. D 1995. Inzwischen ist eine deutsche Übersetzung erschienen, die ich nicht mehr berücksichtigen konnte: Alkinoos, Didaskalikos. Lehrbuch der Grundsätze Platons, Einleitung, Text, Übersetzung und Anmerkungen von O. F. S / T. Z, Sammlung wissenschaftlicher Kommentare, Berlin / New York 2007. ² Vgl. J.W 1974; . 1987, 84 f.; . , CUFr Alcinoos, vii–xiii. W weist nach, daß die Übereinstimmungen des Didaskalikos mit den erhaltenen Werken des Albinos nicht überzeugen bzw. darauf zurückgehen, daß beide Autoren im platonischen Schulmilieu ihrer Zeit wurzeln (1987, 85–97). ³ Zu Versuchen, den Alkinoos des Didaskalikos mit anderen Philosophen dieses Namens zu identifizieren, siehe J.W 1987, 99 Anm. 63; 116; P. L. D 1974, 27 f. Anm. 68. ⁴ Der Text des Didaskalikos enthält, abgesehen von der wörtlichen Aufnahme einer Passage aus Arius Didymus in Intr. 12 (166,39–167,16), keine chronologischen Anhaltspunkte. Allerdings findet sich Vokabular, das ansonsten nicht vor dem 2. Jh. n. Chr. belegt ist (siehe die Liste von J. W, CUFr Alcinoos, xxx). Das Fehlen spezifisch neuplatonischer Lehre (siehe J. M. D 1995, xii), die auffallende sachliche Nähe zu Apuleius, De Platone et eius dogmate (D 1977, 340 und J. W 1987, 103 nehmen für den Didaskalikos und die Schrift des Apuleius ähnliche Quellen und eine zeitgleiche Entstehung an), sowie Berührungen zum anonymen Kommentar zum Theaetetus, zu Plutarch, Galen sowie Justin und Clemens von Alexandrien (J. W, CUFr Alcinoos, xii) legen nahe, daß der Didaskalikos aus der zweiten Hälfte des 2. Jh. stammt.

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

sche Lehre auf dem Niveau von Handbüchern wahrscheinlich langsamer entwickelte⁵ und Schriften wie der Timaeuskommentar des Calcidius⁶ zeigen, daß auch noch zur Zeit des Neuplatonismus Schriften mit eher mittelplatonischem Charakter entstehen konnten. Die Absicht des Alkinoos, »eine lehrhafte Darstellung der wichtigsten Dogmen Platons« vorzulegen bzw. eine »Einführung in die Lehrbildung Platons« zu bieten,⁷ spiegelt das Platonverständnis und die Methode des hellenistischen und kaiserzeitlichen Platonismus wider, aus den Dialogen Platons Lehren zu extrahieren und diese in die Ordnung eines philosophischen Systems zu bringen. Dafür werden Aussagen aus verschiedenen Dialogen miteinander kombiniert, wobei auch stoisches und aristotelisches Gedankengut einfließt, das damit als Lehre Platons präsentiert wird.⁸ In der Darstellung der Lehre Platons folgt der Didaskalikos der Dreiteilung der Philosophie in Dialektik, Physik und Ethik,⁹ die seit hellenistischer Zeit Standard im philosophischen Unterricht verschiedener philosophischer Strömungen war.¹⁰ Der Didaskalikos hat an einigen Stellen doxographischen Charakter und läßt aktuelle Schuldebatten anklingen, wobei er seine eigene Position nicht immer eindeutig benennt. Neben längeren, zum Teil stark am Wortlaut einzelner platonischer Dialoge orientierten Paraphrasen finden sich Kommentierungen einzelner platonischer Aussagen oder Begriffe und ausführliche systematische Erörterungen philosophischer Einzelfragen. Im Schlußkapitel des Didaskalikos räumt Alkinoos selbst ein, daß einiges geordnet, einiges aber zerstreut und ungeordnet vorgebracht sei.¹¹ Angesichts dieses sehr vielgestaltigen Charakters des Didaskalikos ist oft gefragt worden, ob der Didaskalikos überhaupt einen in sich schlüssigen und philosophisch kohärenten Gedankengang enthalte, oder ob nicht die doxographischen und eklektizistischen Elemente überwie-

⁵ So J. W, CUFr Alcinoos, xii. ⁶ Zur Datierung des Kommentars siehe Kapitel A III 4.1 Anm. 105. ⁷ Intr. 1 (152,1 f.): Τῶν κυριωτάτων Πλάτωνος δογμάτων τοιαύτη τις ἂν διδασκαλία

γένοιτο. Intr. 36 (189,28–30): Τοσαῦτα ἀπαρκεῖ πρὸς εἰσαγωγὴν εἰς τὴν Πλάτωνος δογματοποιΐαν εἰρῆσθαι, ὧν ἴσως τὰ μὲν τεταγμένως εἴρηται, τὰ δὲ σποράδην τε καὶ ἀτάκτως. ⁸ Zu diesem Vorgang, der typisch für die kaiserzeitliche Philosophie ist, siehe J. W 1987, 110–121. Dieses Vorgehen als derivativ und eklektizistisch abzuwerten, verkennt die synthetisierende und systematisierende Leistung des Didaskalikos bzw. der Literatur, für die er beispielhaft steht. Zur Beurteilung des Eklektizismus der Kaiserzeit siehe P. L. D 1988c, 15–33. ⁹ Diese Aufteilung der Philosophie findet sich vor allem bei Stoikern. Sie hat aber ihren Ursprung bereits in der Alten Akademie und wird von späteren Autoren Platon selbst zugeschrieben (siehe M. F 1960, 147). ¹⁰ Siehe die Belege für Platoniker, Stoiker und Peripatetiker bei R. E. W 1937, 8– 13.42–47; P. M 1984, 449 f. ¹¹ Intr. 36 (189,29 f.). In dieser Selbsteinschätzung schwingt sicher auch schriftstellerische Demutsrhetorik mit.

IV. Alkinoos

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gen.¹² Je nach dem, welchen Maßstab von Kohärenz und Systematik man anlegt,¹³ zeigt sich jedoch, daß der Didaskalikos trotz der Benutzung verschiedener Traditionen und Quellen versucht, ein geschlossenes Bild der Lehre Platons zu präsentieren.¹⁴ Leider fehlen literarische Verweise auf den Didaskalikos, aus denen etwas über die Verbreitung und die Bedeutung des Lehrbuches in seiner Zeit gefolgert werden kann. In seinem Charakter als Handbuch liegt der Wert für die vorliegende Untersuchung. Der Didaskalikos spiegelt eine Variante platonischer Philosophie wider, die zu seiner Zeit gewiß verbreitet war und im philosophischen Unterricht sicherlich auch über das zweite Jahrhundert hinaus vermittelt wurde.

2. Der Gegenstand der Kosmologie und die Form der Darstellung Die Kosmologie ist nach dem Didaskalikos ein Teilbereich der Physik. Deren Ziel ist es, »zu erfahren, was die Natur des Alls ist, was für ein Lebewesen der Mensch ist, welchen Platz er im Kosmos einnimmt, ob Gott über die Gesamtheit der Dinge Vorsehung ausübt, ob diesem andere Götter untergeordnet sind, und was der Zustand der Menschen bezogen auf die Götter ist.«¹⁵ Auf die Physik ist die Theologie bezogen, insofern ihre Beschäftigung mit den ersten Ursachen und grundlegenden Prinzipien dazu dient, die prinzipientheoretischen Voraussetzungen der Physik und besonders der Kosmologie zu for-

¹² Die Frage der philosophischen Konsistenz des Didaskalikos ist vor allem für das Verhältnis der prinzipientheoretischen Kapitel Intr. 8–10, in denen der Didaskalikos die Letztursächlichkeit des ersten Gottes als Intellekt behauptet, zu den kosmologischen Kapiteln gestellt worden, in denen der Didaskalikos eine wörtliche Interpretation des Timaeus zu vertreten scheint (z. B. R. E. W 1937, 120.128.133 f.135). Demgegenüber hat J. H. L 1956, 296–319 versucht, für die Theologie des Didaskalikos systematische Konsistenz zu erweisen. Sein Ansatz wurde zustimmend aufgenommen z. B. von H. D 1960, 222–225; H. Z 1994, 45. ¹³ P. M 1963, 62–76 beispielsweise betrachtet den Didaskalikos aus der Perspektive Plotins und kommt daher zu einem eher geringschätzenden Urteil. ¹⁴ So bilden die wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Aussagen in Intr. 4 samt ihrer ontologischen Implikate das Fundament aller folgenden Kapitel. Außerdem bezieht die Dreiteilung des Didaskalikos die einzelnen philosophischen Themenkomplexe aufeinander. Zur Beurteilung des Didaskalikos siehe auch J. W 1987, 109. ¹⁵ Intr. 7 (161,2–7): [τέλος C. K.] … τοῦ δὲ φυσικοῦ τὸ μαθεῖν τίς ποτέ ἐστιν ἡ τοῦ παντὸς φύσις καὶ οἷόν τι ζῷον ὁ ἄνθρωπος καὶ τίνα χώραν ἐν κόσμῳ ἔχων, καὶ εἰ θεὸς προνοεῖ τῶν ὅλων καὶ εἰ ἄλλοι θεοὶ τεταγμένοι ὑπὸ τοῦτῳ, καὶ τίς ἡ τῶν ἀνθρώπων πρὸς τοὺς θεοὺς σχέσις. Eine Unterteilung der Physik in Kosmologie und Anthropologie deutet sich auch in Intr. 8 (162,25–28) an. Hier schildert Alkinoos den Übergang von der Theologie zur Physik als absteigende Erkenntnis: … ἄνωθεν ἀπὸ τῶν πρώτων ἀρχόμενοι καὶ ἀπ’ αὐτῶν κατιόντες καὶ ἐπισκοποῦντες τὴν τοῦ κόσμου γένεσιν, τελευτῶντες δὲ εἰς ἀνθρώπων γένεσιν καὶ φύσιν.

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

mulieren.¹⁶ Die Anthropologie, das heißt die Lehre von der Entstehung und dem Zustand des Menschen, welcher die Stellung des Menschen innerhalb des Kosmos bzw. das Verhältnis zu den Göttern umfaßt, wird im Didaskalikos als Fluchtpunkt der Physik formuliert, die schließlich über das Scharnierstück Intr. 26, die Erörterung über das Schicksal und den menschlichen Willen, in die Ethik mündet. Die zusammenfassenden Inhaltsbeschreibungen der Physik deuten bereits an, daß Platons Timaeus eine zentrale Rolle in der physikalischen Abhandlung des Didaskalikos spielt, denn Intr. 8 (162,26–28) lehnt sich an die programmatische Einleitung des Dialogs in Ti. 27a5 f. an. Der Inhalt der kosmologischen Kapitel zeigt deutlich, daß ihnen im wesentlichen die entsprechenden Passagen des Timaeus zugrunde liegen.¹⁷ Aus der Tatsache, daß es sich bei Intr. 12–15 in weiten Teilen um Paraphrasen des Timaeus handelt, die unter dem Gesichtspunkt der Originalität von eher geringem Interesse sein mögen,¹⁸ darf aber nicht die Konsequenz gezogen werden, diese Kapitel als geistlose Wiedergabe eines autoritativen Textes aufzufassen. Denn jede Paraphrase ist zugleich auch Interpretation, und so präsentiert Alkinoos in den Paraphrasen des Timaeus seine Deutung dieses in Fragen der Kosmologie autoritativen Textes.¹⁹ Die Kosmologie des Didaskalikos als Auslegung des Timaeus ernst zu nehmen, bedeutet daher, die Grundannahmen zu erheben, die diese Auslegung leiten. Dem Gedankengang des Didaskalikos entsprechend kommen diese vor allem in der Prinzipienlehre zur Sprache. Sie treten außerdem in Kommentaren zum Verständnis einzelner Formulierungen des Timaeus hervor, in denen ¹⁶ Zur Deutung der Reihenfolge der theoretischen Disziplinen der Philosophie – Mathematik, Theologie als Prinzipienlehre und Physik – im Didaskalikos siehe auch H. Z 1994, 48. ¹⁷ Kapitel 12 handelt von der Erschaffung des Kosmos nach dem Modell des intelligiblen Kosmos (vgl. Ti. 28) aus der ungeordneten Materie (vgl. Ti. 30.32) bzw. den vier Elementen (vgl. Ti. 31–34). Kapitel 13 schildert die Erschaffung des Weltkörpers aus den vier Elementen und deren Bildung aus der Materie mittels geometrischer Formen, die zu den Elementarkörpern führt (vgl. Ti. 52–56). Nach dem Weltkörper ist Kapitel 14 der Weltseele gewidmet (vgl. Ti. 34–37) sowie der Erschaffung der Sterne und der Zeit (vgl. Ti. 37–40). Kapitel 15 schließlich handelt von der Aufforderung an die Dämonen, die übrigen, sterblichen Lebewesen zu erschaffen (vgl. Ti. 41) und schließt mit Bemerkungen zur Lage der Erde innerhalb des Kosmos (vgl. Ti. 40b–c) und zum Äther (vgl. Ti. 58d). Möglicherweise benutzt Alkinoos eine Epitome des Timaeus, die auf Arius Didymus zurückgeht. Siehe dazu R. E. W 1937, 77; J. M. D 1995, 144. ¹⁸ So das allgemeine Urteil von J. M. D 1995, 114 über Intr. 12–22: »The ›physical‹ section of the Didaskalikos, it must be said, at least from chapter 12 to chapter 22 … is of much less interest than what went before it, mainly because it is very largely a paraphrase of the Timaeus, which by A.’s time, and indeed long before it, had become the accepted Platonic authority on the cosmos and its contents.« ¹⁹ Bereits R. E. W 1937, 77 bemerkt: »It is natural enough that a Timaeus-Epitome should be thus used. What is more surprising is the arbitrary order in which the topics are discussed.«

IV. Alkinoos

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Alkinoos innerhalb und außerhalb der kosmologischen Kapitel überlieferte Probleme der Timaeusauslegung anspricht, und werden schließlich in den Paraphrasen selbst sichtbar.

3. Das kosmologische Konzept: Der Kosmos ist nicht ἐκ τοῦ αὐτομάτου Eine Passage aus Kapitel 9 enthüllt im Rahmen der Prinzipienlehre bereits einige Grundannahmen des Didaskalikos zur Entstehung bzw. Natur des Kosmos. Wenn außerdem der Kosmos nicht aus sich selbst heraus so ist, wie er ist, so ist er nicht allein aus etwas geworden, sondern auch durch etwas und nicht allein dieses, sondern auch in Richtung auf etwas. Das aber, in Richtung auf das er geworden ist, was sollte das anderes sein als Idee?²⁰

Dieser Abschnitt ist ein Beispiel für die sogenannte ›Metaphysik der Präpositionen‹²¹, die versucht, »die im Platonischen Timaeus angelegte Prinzipienlehre in eine knappe wissenschaftliche Fachsprache zu kleiden«²². Somit stellt er gleichsam die komprimierte platonische Metaphysik des Didaskalikos dar. Er ist Bestandteil eines viergliedrigen Beweises für die Existenz der Ideen, denen in ihrer Funktion als paradigmatische Ursache das neunte Kapitel gewidmet ist. Alkinoos leitet hier die Existenz der Ideen aus der Struktur des Kosmos ab. Die kurze Passage erlaubt daher einen Rückgriff auf die hier vorausgesetzten kosmologischen Annahmen des Didaskalikos. Erstens: Alkinoos leitet die Existenz der Ideen aus der vorausgesetzten relationalen Bezogenheit des Kosmos auf die Idee des Kosmos ab.²³ Als kosmologische Annahme formuliert: Er führt die Beschaffenheit des Kosmos auf seine Relation zur Idee des Kosmos zurück.²⁴ Zweitens: Für die Gültigkeit dieses Zusammenhanges wirbt er mit der bei seinen Lesern als unumstritten vorausgesetzten Behauptung, daß der Kosmos nicht ἐκ τοῦ αὐτομάτου sei. Als kosmologische Annahme formuliert: Er sieht den Kosmos als Resultat eines Entstehungsprozesses, den er in Ableh²⁰ Intr. 9 (163,38–41): Ἔτι γε μὴν εἰ ὁ κόσμος μὴ ἐκ τοῦ αὐτομάτου τοιοῦτός ἐστιν, οὐ μόνον ἔκ τινός ἐστι γεγονὼς ἀλλὰ καὶ ὑπό τινος, καὶ οὐ μόνον τοῦτο ἀλλὰ καὶ πρός τι· τὸ δὲ πρὸς ὃ γέγονε τί ἂν ἄλλο εἴη ἢ ἰδέα; Nach Proclus bezeichnet τὸ πρὸς ὅ die paradigmatische Ursache, τὸ ὑφ’ οὗ die demiurgische Ursache und τὸ ἐξ οὗ die Materie (in Ti. I 375,12–23 [Diehl]). ²¹ W. T 1930, 33. ²² H. D / M. B 1996, 381. ²³ Vgl. den Anfang des Kapitels 9, der von der Idee innerhalb einer fünfteiligen Definition folgendermaßen spricht: Ἔστι δὲ ἡ ἰδέα … ὡς δὲ πρὸς τὸν αἰσθητὸν κόσμον [sc. ἐξεταζομένη C. K.] παράδειγμα (163,14–17). ²⁴ So in umgekehrter Argumentationsrichtung Platon in der Einleitung des Timaeus, in der er aus dem vollkommenen Zustand des Kosmos auf die Art des zugrunde liegenden Paradigmas schließt.

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nung eines Prozesses ἐκ τοῦ αὐτομάτου auffaßt. Drittens: Er betrachtet in seiner Argumentation den von seinem Ende her betrachteten Prozeß der Entstehung des Kosmos (vgl. ἐστι γεγονώς) als Synonym zum Zustand des Kosmos (τοιοῦτός ἐστιν). Daß Alkinoos den Entstehungsprozeß des Kosmos betrachtet, um eine Aussage über den Zustand des Kosmos zu treffen, trat bereits zutage, als Alkinoos in Intr. 7 (161,3 f.) die Aufgaben und die Gegenstandsbereiche der einzelnen philosophischen Disziplinen bestimmte. Hier nannte er als Aufgabe der Physik zum einen, die Natur des Alls zu beschreiben, zum anderen, die Entstehung des Kosmos zu beobachten.²⁵ Mit dieser doppelten Bestimmung deutet Alkinoos an, daß er zu den Interpreten des platonischen Timaeus gehört, die keinen realen Schöpfungsvorgang annehmen, sondern die Schilderung eines Weltentstehungsprozesses als eine Darstellungsform sehen, die Platon aus methodischen Gründen wählte, um den Zustand des ewigen und ungewordenen Kosmos zu beschreiben. Alkinoos bringt dieses Verständnis des Timaeus zwar nicht auf einen Begriff wie andere Interpreten.²⁶ Sein Umgang mit dem Timaeus, vor allem in Intr. 14 (169,18–31), entspricht aber diesem Verständnis. Es ist die Voraussetzung dafür, daß Alkinoos in Intr. 14 (169,32–41) dann nach einem sachlichen Grund für Platons Rede von der Entstehung des Kosmos und der Weltseele sucht. Die Beschaffenheit des Kosmos darauf zurückzuführen, daß er auf den intelligiblen Kosmos bezogen ist, entspricht der traditionellen platonischen Erkenntnislehre und ihrer ontologischen Zuspitzung, die Alkinoos zu Beginn des Kapitels 12 als Eröffnung des kosmologischen Abschnitts des Handbuches zusammenfaßt. Hier wird die Idee als Ursache (αἰτία) und Prinzip (ἀρχή) dessen bezeichnet, daß jeder Einzelgegenstand von solcher Beschaffenheit ist, wie sie es ist. Sich dem Wesen eines sinnlich wahrnehmbaren Gegenstandes zu nähern, ist vor dem Hintergrund der in Kapitel 4 entwickelten platonischen Epistemologie nur dadurch möglich, daß von dem ihm zugrunde liegenden Paradigma eine Erkenntnis und eine begriffliche Definition gewonnen werden. Das gilt folglich auch für die Untersuchung der Beschaffenheit des Kosmos, der gänzlich sichtbar und faßbar ist (Intr. 12 [167,28]), einen Körper hat (Intr. 13 [168,9]), ein komplexes sinnlich wahrnehmbares Gefüge darstellt und damit κόσμος αἰσθητός ist (Intr. 4 [156,12]). Auf diesen zunächst epistemologisch aufgefaßten (Intr. 12 [166,39–167,7]), dann aber im Kontext der sich anschließenden Timaeusparaphrase (Intr. 12 [167,7 ff.]) ontologisch verstande²⁵ Siehe Intr. 7 (161,3 f.) bzw. 8 (162,25–28). ²⁶ Xenocrates, Crantor und Eudorus erklären, daß Platon die Entstehung des Kosmos aus

Gründen der Unterweisung bzw. um größerer Klarheit willen schildere (bei Plutarch, an. procr. 3 [1013a–b]). Ähnlich auch Calvenus Taurus (bei Johannes Philoponus, Procl. 6,21 [187,1–189,9 Rabe]). Vgl. Timaeus Locrus, nat. et anim. 7 (206,11 Marg). Siehe dazu M. B 1976, 94 f.211 sowie H. D / M. B 1998, 426–435.

IV. Alkinoos

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nen Prinzipiencharakter der Idee zielt auch die genannte Passage aus dem neunten Kapitel, die bei ihrer Aufzählung der drei Prinzipien in der Nennung des πρός τι-Prinzips, der Idee, gipfelt. Wer die Beschaffenheit des sichtbaren Kosmos ergründen will, muß sich dessen Paradigma, dem intelligiblen Kosmos zuwenden. Die Voraussetzungen der Kosmologie liegen somit in der Prinzipienlehre. Die Beschaffenheit des Kosmos ergibt sich nach Intr. 9 (163,38–164,1) schließlich daraus, daß der Kosmos gedanklich als Resultat eines Entstehungsprozesses verstanden wird, der in einer bestimmten Weise, nämlich in Ablehnung eines Zustandes ἐκ τοῦ αὐτομάτου, aufgefaßt ist. Hieraus ergeben sich weitere Schlußfolgerungen zu der Frage, welche Vorstellungen von der Entstehung und der Natur des Kosmos der Didaskalikos vertritt. Exkurs: Die Bestreitung eines Kosmos ἐκ/ ἀπὸ τοῦ αὐτομάτου als Bestandteil der Polemik gegen eine atomistische Kosmologie Die Bestreitung, daß der Kosmos ἐκ/ ἀπὸ τοῦ αὐτομάτου entsteht, ist Bestandteil der traditionellen Polemik gegen eine atomistische Kosmologie.²⁷ Nun hat William Guthrie zu Recht darauf aufmerksam gemacht, daß die Charakterisierung der atomistischen Kosmologie als Kosmosentstehung ἀπὸ τύχης bzw. ἀπὸ ταὐτομάτου nicht die Formulierung der Atomisten, sondern die ihrer Kommentatoren und Kritiker ist.²⁸ Sie legt somit offen, was die Kritiker der atomistischen Kosmologie unter einer Kosmosentstehung ἀπὸ τοῦ αὐτομάτου verstehen. Ihnen bereitet Probleme, daß die Atomisten keinen Ursprung des Atomwirbels und der Bewegung angeben, welche die Ablösung der Atome aus dem Unbegrenzten bewirkt und damit den Prozeß der Kosmosentstehung in Gang setzt. Daher schließen sie, daß die Atomisten einen Entstehungsprozeß ohne auslösende und richtungsgebende Ursache lehren, was sie mit der Formulierung ἀπὸ ταὐτομάτου καὶ τύχης auf den Begriff bringen.²⁹ Für diese Sicht der Dinge können sie ²⁷ Soweit sich diese aus den wenigen überlieferten Äußerungen der Atomisten des 5. Jahrhunderts erschließen läßt, lehren diese, daß die einzelnen Welten jeweils durch einen Atomwirbel entstehen, der sich »nach Maßgabe einer Ablösung vom Unbegrenzten« bildet (KRS 563). Dieser Wirbel wird auch ἀνάγκη genannt (KRS 566), wobei die Bewegungseigenschaften der Atome das Wesen der ἀνάγκη ausmachen (KRS 567). Deshalb entstehe der Kosmos auch κατ’ ἀνάγκην (KRS 566). Die Betonung der ἀνάγκη soll dabei gerade die Regelmäßigkeit der Abläufe betonen, so daß aufgrund der Eigenschaften der Atome nichts aufs Geratewohl (μάτην), sondern alles auf begründete Weise und infolge von Notwendigkeit (ἐκ λόγου καὶ ὑπ’ ἀνάγκης) geschieht (KRS 569). Allerdings hat der Prozeß der Entstehung von Welten doch keine so feste Regelmäßigkeit, daß nicht sehr unterschiedliche Welten entstehen können (KRS 565). ²⁸ W. K. C. G 1965, 415. Ob mit dieser Klassifikation der Kritiker die Kosmologie der Atomisten zutreffend charakterisiert ist, wird in der Forschung immer wieder hinterfragt. Siehe z. B. U. H 1990, 225–244. ²⁹ Simplicius, in Ph. I 327,23–26 (Diels) = KRS 571 sagt über Demokrit: ἀλλὰ καὶ Δημόκριτος ἐν οἷς φησι »δεῖνον ἀπὸ τοῦ παντὸς ἀποκριθῆναι παντοίων εἰδεῶν« (πῶς δὲ καὶ ὑπὸ τίνος αἰτίας μὴ λέγει) ἔοικεν ἀπὸ ταὐτομάτου καὶ τύχης γεννᾶν αὐτόν. Aristoteles, Ph. 2,1 (196a24–28) = KRS 568 faßt die Kosmologie der Atomisten zusammen: εἰσὶ δέ τινες οἳ καὶ

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

sich auch auf die Annahme einer wie zufällig wirkenden Entstehung ganz unterschiedlicher Welten berufen, die ausschließt, daß es eine regelmäßige Struktur gibt, auf die hin gerichtet der Entstehungsprozeß abläuft. Die Formulierung οὐκ ἐκ τοῦ αὐτομάτου muß dabei vor dem Hintergrund der aristotelischen Einteilung der Arten des Werdens nach Metaph. 7,7 (1032a12 f.) verstanden werden. Zum einen liegen hier die gedanklichen Voraussetzungen der anti-atomistischen Polemik; zum anderen wird hier deutlich, was als alternatives Konzept vertreten wird: Von den werdenden Dingen entstehen die einen durch die Natur (φύσει), die anderen durch Kunst (τέχνῃ), die dritten spontan (ἀπὸ τοῦ αὐτομάτου). Das spontan Entstehende kann sowohl im Bereich der Naturgegenstände, als auch im Bereich der Kunstgegenstände auftreten. Es unterscheidet sich von den anderen Arten des Werdens dadurch, daß ihm keine eigene Form- bzw. Zweckursache zugrunde liegt, die als erste Wirkursache am Anfang des Werdeprozesses steht. Bei den Naturgegenständen liegt diese in der φύσις bzw. im σπέρμα; bei den Kunstgegenständen in der πρώτη οὐσία, dem τὸ τί ἦν εἶναι, die das erste Prinzip der Überlegung des Kunstschaffenden, der ἀπὸ τῆς ἀρχῆς καὶ τοῦ εἴδους νόησις, ist. Das durch Kunst Entstehende hat jene Überlegung des Kunstschaffenden zur Bewegungsursache,³⁰ die als hervorbringende Überlegung (διάνοια)³¹ aber durch die Form- bzw. Zweckursache initiiert ist.³² Diese sieht Aristoteles daher als das eigentlich Werktätige (ποιοῦν) an (Metaph. 7,7 [1032b22 f.]). Da das spontan Entstehende keine erste Wirkursache hat, liegt bei ihm das Werktätige in der letzten Wirkursache. Diese ist aber, im Gegensatz zu der ersten Wirkursache in der Seele des Künstlers, bereits ein erster stofflicher Teil des Werdenden. Als Ursprung des Entstehens ἀπὸ τοῦ αὐτομάτου nennt Aristoteles daher die Materie.³³ In der Physik äußert sich Aristoteles ebenfalls über das Entstehende ἀπὸ τοῦ αὐτομάτου. Auch wenn er hier weniger das substantielle Werden nach dem Modell des Handwerks, sondern vor allem nichtsubstantielle Veränderungen im Blick hat, tragen seine grundsätzlichen Überlegungen an dieser Stelle zum Verständnis der Aussagen aus der Metaphysik bei und sind auch schon von den antiken Aristoteleskommentatoren zu τοὐρανοῦ τοῦδε καὶ τῶν κόσμων πάντων αἰτιῶνται τὸ αὐτόματον· ἀπὸ ταὐτομάτου γὰρ γενέσθαι τὴν δίνην καὶ τὴν κίνησιν τὴν διακρίνασαν καὶ καταστήσασαν εἰς ταύτην τὴν τάξιν τὸ πᾶν. ³⁰ Vgl. damit auch Alexander von Aphrodisias, Fat. 4 (168,18 Bruns), der mit seiner Beschreibung der Dinge κατὰ τὸν λόγον als jene, die ihre hervorbringende Ursache und ihren Anfang der Bewegung im τοῦ ποιοῦντος περὶ αὐτῶν λογισμός haben, diese Überlegung wiedergibt. ³¹ Metaph. 7,7 (1032a28). ³² EN 6,2 (1139a35–b5). ³³ Vielleicht hob auch Alexander von Aphrodisias in seiner Auslegung der entsprechenden Stellen der aristotelischen Metaphysik diesen Aspekt hervor. In welchem Maße jedoch genau die Erläuterung der Entstehung ἀπὸ ταὐτομάτου als Entstehung μηδενὸς κινοῦντος (in Metaph. 498,5 f. [Hayduck]) auf Alexander selbst zurückgeht, hängt davon ab, welche Beziehung man zwischen dem unter Alexanders Namen überlieferten Kommentar zu den Büchern E–N und dem verlorenen Kommentar des Alexander zu diesen Büchern sieht. Der gleiche Vorbehalt gilt für die ausdrückliche Bezeichnung der ὕλη als ἀρχὴ καὶ αἰτία von Entstehungsprozessen ἀπὸ ταὐτομάτου (in Metaph. 498,8 f. [Hayduck]): ἡ ὕλη ἡ ἄρχουσα τῆς γενέσεως, τουτέστιν ἡ ὡς ἀρχὴ καὶ αἰτία ὑποκειμένη ἐν τῷ ποιεῖν. P. M 2001, 425 f. Anm. 5 geht davon aus, daß die umstrittenen Kapitel von Michael von Ephesus stammen, der den Kommentar des Alexander als Vorlage benutzte und »wohl auf längerer Strecke Alexander gefolgt ist«. Andere halten die pseud-alexandrischen Kapitel für älter als das fünfte Jahrhundert (siehe C. W 1987, 4 Anm. 8).

IV. Alkinoos

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diesen in Beziehung gesetzt worden. Auf der Suche nach Erklärungen für Werden, Vergehen und natürlichen Wandel fordert Aristoteles, Ph. 2,3 (194b19 f.), für jeden Gegenstand nach dem ›Weshalb eines jeden‹ (τὸ διὰ τί περὶ ἕκαστον) zu fragen und so dessen erste Ursache und Erklärung (πρώτη αἰτία) zu finden. In diesem Zusammenhang erweist sich das τὸ αὐτόματον zwar als Ursache der Gruppe ὅθεν ἡ ἀρχὴ τῆς κινήσεως.³⁴ Es ist aber wie der Zufall im eigentlichen Sinne (ἁπλῶς) Ursache von nichts, und daher nur akzidentiell Ursache (κατὰ συμβεβηκός) (2,5 [197a12–14]). Als solche ist es jedoch nicht eindeutig bestimmbar (ἀόριστον) (197a8), ja widervernünftig (παράλογον), da es aus dem zu erklärenden Ereignis bzw. Zustand nicht eindeutig erschlossen werden kann (197a18–20). Alexander von Aphrodisias bezeichnet in seinem Kommentar zu Metaph. 12,2 (1070a9) jene Dinge, die von ungefähr entstehen, als »solche, deren Urheber nicht bestimmt ist«.³⁵ Außerdem charakterisiert er das τὸ αὐτόματον in seiner Schrift De fato in deutlicher Anlehnung an diese Ausführungen des Aristoteles. Im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit der stoischen Schicksalslehre referiert er die aristotelische Einteilung des Werdens und unterscheidet innerhalb der Gruppe der Dinge, die um etwas willen entstehen (ἕνεκά του γινόμενα), die naturgemäßen und vernunftgemäßen Dinge (τὰ κατὰ φύσιν/ τὰ κατὰ λόγον) von denen, die durch Zufall oder automatisch entstehen (τὰ ἀπὸ τύχης τε καὶ ταὐτομάτου).³⁶ Er betont, daß nur die ersten beiden Klassen im eigentlichen Sinne als Dinge aufgefaßt werden können, die um einer Ursache willen entstehen.³⁷ Dem entspricht die Bestimmung des ἀπὸ ταὐτομάτου als akzidentielle Ursache (κατὰ συμβεβηκὸς αἴτιον) bzw. die Auffassung, daß Dinge ἀπὸ ταὐτομάτου an sich ohne Ursache geworden sind (καθ’ αὑτὸ γεγονὸς ἀναιτίως).³⁸ Bei der Frage nach den Ursachen von Dingen ἀπὸ ταὐτομάτου die zwei Hinsichten ›an sich‹ und ›als Akzidenz‹ zu unterscheiden, scheint zur Zeit des Alexander im allgemeinen Sprachgebrauch zunehmend in den Hintergrund zu treten. Darauf verweist die Gedankenführung am Ende von Fato 8, eine Passage, in der Alexander die Verwendung von ἀπὸ ταὐτομάτου/ αὐτομάτως für Vorgänge belegt, die als ohne Ursache entstanden angesehen werden.³⁹ Ein weiterer Beleg für dieses Verständnis von ἀπὸ ταὐτομάτου findet sich bei Plutarch. Im Zusammenhang seiner Überlegungen zum Ursprung des Bösen in an. procr. 1015b greift er die Stoiker an, weil nach ihnen die Natur des Bösen ἐκ τοῦ μὴ ὄντος ἀναιτίως καὶ ἀγενήτως komme und damit ἀπὸ ταὐτομάτου κατὰ συμβεβηκός sei. Das so Entstandene habe dann aber keine Erklärung (αἰτία) auf der Ebene der Prinzipien. Wie die vorangehenden Belege zeigen, wird vom αὐτόματον nur im akzidentiellen bzw. uneigentlichen Sinne als Ursache gesprochen. Aristoteles, Metaph. 12,2 (1070a9) bezeichnet daher τύχη und αὐτόματον als στερήσεις von Natur und Kunst. In seinem Kommentar zu dieser Stelle erklärt Alexander von Aphrodisias dies daraus, daß »[d]ie Negationen aber … nicht Hervorbringungen infolge einer Absicht, sondern, wie man sagen muß, nur infolge eines Fehlers und einer Abweichung von den ihnen zu Grunde liegenden Zwecken [sind].«⁴⁰ Das, was auf diese Weise entsteht, betrachtet Alexander unter Berufung auf Aristoteles dann ebenfalls als »Negationen und nicht als Entstehungen«.⁴¹ Ph. 2,7 (198a2 f.); vgl. mit der Einteilung der Ursachen in 2,3 (194b16–195b30). Alexander von Aphrodisias, in Metaph. frg.10a (80,25 f. Freudenthal). Fat. 4 (167,16–168,24 Bruns). Fat. 4 (168,20 Bruns). Fat. 8 (172,19–22 Bruns). Fat. 8 (174,5–7 Bruns). Siehe dazu R. W. S 1975, 48 sowie . 1983, 132. Alexander von Aphrodisias, in Metaph. frg. 10a (81,4–7 Freudenthal). Alexander von Aphrodisias, in Metaph. frg. 10b (82,9 f. Freudenthal). Wörtlich ist nach Freudenthal zu übersetzen »nur ›Negationen‹, nicht ›Existenzen‹« (82 Anm. 1). ³⁴ ³⁵ ³⁶ ³⁷ ³⁸ ³⁹ ⁴⁰ ⁴¹

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

Das, was ἀπὸ bzw. ἐκ τοῦ αὐτομάτου entsteht, ist nicht das Ergebnis einer planvollen Handlung, an deren Anfang vernünftige Überlegung steht. Da es auf keine erste Wirkursache zurückgeführt werden kann und keine eindeutige Zweck- bzw. Finalursache seines Entstehens angegeben werden kann, ist es in gewisser Weise ohne Ursache entstanden. Es kann daher nicht im positiven Sinne als entstanden, sondern nur als Depravation angesehen werden. Damit ist es dann aber nicht möglich, eine eindeutige und vernünftige Erklärung seines Wesens zu geben. Daß der Kosmos zur Klasse der γινόμενα ἐκ τοῦ αὐτομάτου gehören könnte, lehnt der Didaskalikos ab. Für die Existenz des Kosmos läßt sich nicht nur eine Stoffursache (ἔκ τινος) angeben, wie sie auch bei den γινόμενα ἐκ τοῦ αὐτομάτου vorliegt, sondern auch eine Wirk- (ὑπό τινος) und Formursache (πρός τι), so daß der Kosmos in der aristotelischen Klassifizierung zu den γινόμενα τὰ κατὰ λόγον zählt. Seine Entstehung weist damit jene richtungsgebende Ursache auf, welche die atomistische Kosmologie in den Augen ihrer Kritiker vermissen läßt. Vor dem Hintergrund der Prinzipienlehre des Didaskalikos behauptet auch die Bestimmung des πρὸς ὅ, daß der Kosmos eine Hervorbringung der göttlichen Vernunft ist. Denn die Ursache πρὸς ὅ identifiziert der Didaskalikos mit der Idee.⁴² Mit ἰδέα im Singular verweist der Didaskalikos an dieser Stelle aber nicht nur auf die ἰδέα τοῦ κόσμου im Sinne des intelligiblen Paradigmas des sichtbaren Kosmos. Die fünfteilige Definition der Idee zu Beginn des neunten Kapitels bestimmt ἰδέα außerdem prominent als νόησις θεοῦ. In gleicher Weise ist ἰδέα auch im zehnten Kapitel eine Bezeichnung für die ἐνέργεια des ersten Gottes, der sich selbst und seine eigenen Gedanken ewig denkt.⁴³ Intr. 9 (163,42 f.) ist also in folgender Weise zu verstehen: »Jenes aber, in Richtung auf das der Kosmos geworden ist, was sollte das anderes sein als die Erkenntnistätigkeit des ersten Gottes.« Die kosmologische Pointe des Didaskalikos liegt an dieser Stelle darin, den Kosmos als das Resultat der Vernunfttätigkeit des ersten Gottes zu präsentieren. Warum es Alkinoos so wichtig ist, den ersten Gott als Urheber des Kosmos herauszustellen und die Entstehung des Kosmos ἐκ τοῦ αὐτομάτου abzulehnen, wird verständlich, wenn man bedenkt, daß hinter den kosmologischen Überlegungen unausgesprochen bereits eine feste Vorstellung vom Wesen des Kosmos steht sowie die Annahme, daß der Charakter der Ursache das Wesen des Verursachten bestimmt und umgekehrt das Wesen eines Phänomens auf den Charakter seiner Ursache verweist.⁴⁴ Der enge Zusammenhang zwischen ⁴² Intr. 9 (163,42 f.). ⁴³ Intr. 10 (164,30 f.) Zu der Bezeichnung der platonischen Ideen als Gedanken des ersten

Gottes siehe Kapitel 4.2. ⁴⁴ So argumentiert bereits Platon, wenn er in Ti. 28c fragt, nach welchem Paradigma der Kosmos erschaffen sei, und er einen Zusammenhang herstellt zwischen der Welt als dem

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Charakter der Ursache und Wesen des Verursachten wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, für welche Erscheinungen diejenigen, die eine Kosmosentstehung ἐκ τοῦ αὐτομάτου ablehnen, eine Entstehung ἐκ τοῦ αὐτομάτου annehmen. Aristoteles nimmt nur für die niedersten Tierarten eine spontane Entstehung aus der Materie an.⁴⁵ Alexander von Aphrodisias zählt zu den Dingen, die zufällig oder von ungefähr entstehen, unter anderem die Lebewesen aus der Fäulnis.⁴⁶ Er kritisiert außerdem vehement die Stoiker, die Gott zum Schöpfer von Spulwürmern und Stechmücken machen.⁴⁷ Spontan und allein aus der Materie entsteht somit das, was in gar keiner Weise eine irgendwie auf eine finale Ursache ausgerichtete Existenz hat. Einer unbestimmten, ungeordneten und irrationalen Ursache können nur ungeordnete und irrationale Resultate entsprechen, die in keiner Weise vorhersehbar sind. Einen κόσμος ἐκ τοῦ αὐτομάτου anzunehmen, bedeutet angesichts des geschilderten Verständnis der Formel ἐκ/ ἀπὸ τοῦ αὐτομάτου folglich einen Widerspruch in sich.⁴⁸ Indem der Didaskalikos die Vorstellung eines Kosmos ἐκ τοῦ αὐτομάτου ablehnt und die göttliche Vernunfttätigkeit als die erste Wirkursache des Kosmos hervorhebt, wendet er sich im Kontext der philosophischen Auseinandersetzungen des zweiten Jahrhunderts gegen eine epikureische Kosmologie, die in manchen Aspekten kritische Erbin der atomistischen Kosmologie des fünften Jahrhunderts ist.⁴⁹ Schönsten unter dem Gewordenen, dem Vater des Alls als dem Besten unter den Ursachen und dem intelligiblen Kosmos als dem unvergänglichen Paradigma der gewordenen Welt. Aus dem gleichen Grund kritisiert Aristoteles die Naturphilosophen, nach denen der Himmel samt den regelmäßigen Gestirnserscheinungen ἀπὸ ταὐτομάτου entstanden sein soll, die Erscheinungen der sublunaren Welt mit ihren Unregelmäßigkeiten jedoch φύσις bzw. νοῦς zur Ursache haben sollen. Wahrscheinlicher sei, so Aristoteles, das genaue Gegenteil (Ph. 2,4 [196a28–196b5]). Simplicius stellt in seiner Auslegung dieser Stelle dem αὐτόματον als Ursache φύσις und νοῦς gegenüber (in Ph. I 329–333 [Diels]). Diese charakterisiert er jeweils als αἴτιον … ὡρισμένον καὶ οὔτε ἄτακτον οὔτε ἄλογον (331,25 f.), dem das Wesen des Himmels und der Gestirne entspricht, ἐν οἷς οὐδὲν ἀόριστον οὐδὲ ἄτακτόν ἐστι (331,31). Unangemessen und töricht sei es daher, daß die göttlichsten Erscheinungen im Kosmos von unbestimmten Ursachen wie dem αὐτόματον regiert seien (332,4 f.). ⁴⁵ HA 1,1 (487b5). ⁴⁶ Alexander von Aphrodisias, in Metaph. frg. 10b (82,11–13 Freudenthal). ⁴⁷ Mixt. 11 (226,28–30 Bruns) = 136 (Todd). Siehe auch P. M 2001, 489 f. Aus ähnlichen Gründen schreckt auch Galen, Foet. Form. 6,32 (104,25–106,1 Nickel) davor zurück, die Existenz niederer Lebewesen (Skorpione, Spinnen, Fliegen, Würmer etc.) auf die Kunstfertigkeit und Macht der Weltseele zurückzuführen, weil er der Meinung ist, daß eine derartige Position einem Sakrileg nahe komme. ⁴⁸ Die Kritiker dieser Position werfen deren Vertretern daher auch Unsachgemäßheit und innere Widersprüchlichkeit vor: Simplicius führt die Absurdität der atomistischen Position durch ein ἄτοπον-Argument vor Augen (in Ph. I 332,4 f. [Diels]); Plutarch wirft den Epikureern mangelnde wissenschaftliche Einsicht vor (def. or. 19 [420b]). ⁴⁹ Simplicius schreibt das Konzept der Entstehung ἐκ ταὐτομάτου den frühen Naturphilosophen zu und unter den späteren Philosophen den Epikureern (in Ph. I 371,27–372,15

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

Unter Benutzung des Begriffs ἐκ ταὐτομάτου greift beispielsweise auch Plutarch die epikureische Kosmologie namentlich an.⁵⁰ Die Gegner der epikureischen Kosmologie sehen in ihrer Polemik einen Zusammenhang zwischen der epikureischen Ablehnung einer göttlichen Vorsehung und der Annahme einer Kosmosentstehung ἐκ ταὐτομάτου. Eine Definition von Vorsehung, die sich in Pseudo-Plutarchs De fato findet, macht diesen Zusammenhang verständlich. Sie faßt πρόνοια auf als ἡ ἀνωτάτω καὶ πρώτη τοῦ πρώτου θεοῦ νόησις εἴτε καὶ βούλησις οὖσα ἐνεργέτις ἁπάντων, nach deren Maßgabe alle göttlichen Dinge, d. h. die Erde und die Gestirne sowie die sie umfassende kosmische Struktur, geordnet sind. In dieser Bestimmung ist Vorsehung die Vorsehung des Vaters und Demiurgen aller Dinge. In Anlehnung an Ti. 29e30a, wo Platon von der Güte und dem Willen Gottes als der γενέσεως καὶ κόσμου ἀρχὴ κυριωτάτη spricht, bezeichnet der Autor sie auch als πρόνοια κυριώτατα καὶ μάλιστα ἡ πρώτη λεγομένη (Fato 9 [573a]). Die göttliche Vorsehung ist in dieser Interpretation der zusammenfassende Begriff für den göttlichen Willen, der mit der göttlichen Vernunfttätigkeit identisch ist, und steht damit für die göttliche Ursache der kosmischen Ordnung überhaupt. Die göttliche Vorsehung zu leugnen, bedeutet somit, diese Ursache zu bestreiten und damit wie die Atomisten einen Kosmos ἐκ τοῦ αὐτομάτου zu behaupten. Daß sich der Didaskalikos in seiner Ablehnung eines Kosmos ἐκ τοῦ αὐτομάτου implizit von einer Kosmologie epikureischer Prägung abgrenzt, legen weitere Hinweise im Text des Didaskalikos nahe. So bezeichnet Alkinoos es als eine Teilaufgabe der Physik zu untersuchen, ob Gott eine Vorsehung über alles ausübt⁵¹. Innerhalb der Paraphrase von Ti. 28 f., mit der er den kosmologischen Abschnitt des Handbuches eröffnet, betont er, daß der Demiurg zur Schaffung des Kosmos schritt κατὰ θαυμασιωτάτην πρόνοιαν καὶ δίαιταν.⁵² Schließlich behandelt Alkinoos im Rahmen der Prinzipienlehre die kosmische Funktion des ersten Gottes und hebt in einer Auslegung von Ti. 29e hervor, daß dieser κατὰ τὴν αὑτοῦ βούλησιν wirke.⁵³ Göttliche Vorsehung, göttlicher Wille und göttliche Vernunfttätigkeit sind zentrale Begriffe innerhalb der Kos[Diels]). Ähnlich wendet sich bereits Alexander von Aphrodisias ausführlich (Prov. 2,9–4,28 [Übersetzung Ruland]) gegen die älteren (Leukipp / Demokrit) und gegen die jüngeren Vertreter dieser Lehre (Epikur und seine Philosophenschule) (Prov. 4,23–26; vgl. Mixt. 213,21–23 [Bruns]). ⁵⁰ Plutarch kritisiert, daß die Epikureer die göttliche Vorsehung ablehnen und ein unendliches Universum annehmen, in dem unzählige Welten aus Ansammlungen der Atome entstehen. Diese Position, mit der die Epikureer seiner Meinung nach in der Naturbetrachtung Geschwätzigkeit und Dunkelheit verbreiten, sei unannehmbar, da keine der epikureischen Welten λόγῳ θείῳ gelenkt werde, sondern alle ἐκ τοῦ αὐτομάτου entstanden und zusammengestellt worden seien (def. or. 19 [420b]). ⁵¹ Intr. 7 (161,5). ⁵² Intr. 12 (167,13 f.). ⁵³ Intr. 10 (164,42–165,1).

IV. Alkinoos

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mologie des Alkinoos, die damit den Kosmos in besonderer Weise als Hervorbringung κατὰ νόησιν qualifiziert und auf diese Weise den Grundstein legt, um ihn ausgehend von Ti. 30b als ein vernünftiges Lebewesen zu bestimmen.⁵⁴

4. Die Prinzipien und Ursachen des Kosmos Die Frage nach den Ursachen und Prinzipien des Kosmos zielt darauf, das Wesen des Kosmos näher zu bestimmen.⁵⁵ Alkinoos antwortet auf diese Frage in zweifacher Weise. Einerseits bezeichnet er den ersten Gott als »Ursache (αἴτιος) aller Dinge«⁵⁶ und sieht in ihm die »höhere Ursache der Existenz des Kosmos«⁵⁷. Andererseits redet er von drei Prinzipien (ἀρχαί), der Materie, der Idee und dem ersten Gott, denen jeweils ein Kapitel innerhalb des theologischen Abschnitts des Handbuches gewidmet ist.⁵⁸ Es stellt sich die Frage, wie dieser Befund zu verstehen ist.

4.1. Die Drei-Prinzipien-Lehre als Auslegung von Ti. 28a4–29b1 und 29d7–30a6 Die bereits angeführte Passage aus Intr. 9 nennt die drei Prinzipien des Kosmos in präpositionalen Wendungen: Der Kosmos ist ἔκ τινος, ὑπό τινος und πρός τι geworden.⁵⁹ Alle drei präpositionalen Bestimmungen begegnen in Kapitel 12 wieder in einer Zusammenfassung der einschlägigen Passagen des Timaeus, mit der Alkinoos den kosmologischen Teil des Didaskalikos eröffnet.⁶⁰ Dieser Zusammenfassung zufolge hält er es für notwendig, daß der Kosmos durch Gott (ὑπὸ τοῦ θεοῦ) geschaffen wurde, indem dieser zu einer Idee des Kosmos (πρός τινα ἰδέαν κόσμου) aufschaut. Die Idee des Kosmos ist das Paradigma, auf das gerichtet (πρὸς ἥν) der Kosmos durch den Demiurgen (ὑπὸ τοῦ δημιουργοῦ) gefertigt wird. Außerdem heißt es, daß der Demiurg ⁵⁴ Siehe Intr. 14 (169,42). ⁵⁵ Vgl. Intr. 7 (161,1–4): καὶ ὅτι τοῦ μὲν θεολογικοῦ τέλος ἡ περὶ τὰ πρῶτα αἴτια καὶ

ἀνωτάτω τε καὶ ἀρχικὰ γνῶσις, τοῦ δὲ φυσικοῦ τὸ μαθεῖν τίς ποτέ ἐστιν ἡ τοῦ παντὸς φύσις … Daß die Angabe einer Ursache und die Erklärung des Wesens einer Sache eng zusammengehören, wird daher zu Beginn des kosmologischen Abschnitts in Intr. 12 ausdrücklich ins Gedächtnis gerufen. ⁵⁶ Intr. 10 (164,40). ⁵⁷ Intr. 14 (169,35). ⁵⁸ Intr. 8–10. Auch die bereits vorgeführte Passage aus Intr. 9 (163,38–164,1) folgert aus der Ablehnung eines κόσμος ἐκ τοῦ αὐτομάτου, daß im Falle des Kosmos drei Prinzipien zusammenwirken. ⁵⁹ Intr. 9 (163,38–164,1). ⁶⁰ Intr. 12 (167,8–20).

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

den Kosmos aus aller Materie (ἐκ τῆς πάσης ὕλης) geschaffen hat. Betrachtet man diese Paraphrase, so wird deutlich, daß Alkinoos die drei Prinzipien des Kosmos dem Timaeus entnimmt. Der Abschnitt aus Intr. 9 stellt damit eine prägnante Zusammenfassung der Kosmologie des Timaeus dar, der in den Augen des Alkinoos der Entstehung des Kosmos drei Prinzipien zugrunde legt. Alkinoos redet außerdem von drei Prinzipien, wenn er allgemein die Struktur von Werdeprozessen bedenkt. So folgert er die Existenz eines paradigmatischen Prinzips aus dem Begriff des Werdens: Im allgemeinen muß alles, was entsteht, dem Begriff nach (κατ’ ἐπίνοιαν) auf etwas hin (πρός τι) entstehen.⁶¹ Er leitet also aus seinem Begriff des Werdens die notwendige Existenz eines paradigmatischen Prinzips ab und behauptet gleichzeitig die allgemeine Gültigkeit des dabei vorausgesetzten Begriffs des Werdens. Dabei geht er ähnlich vor wie Aristoteles, der aus der Struktur des Werdeprozesses drei zugrunde liegende Ursachen ableitet.⁶² Anders als Aristoteles überträgt Alkinoos aber diesen Begriff des Werdens auch auf den Kosmos, da er ihn in der Schilderung des Timaeus enthalten sieht. Alkinoos geht damit von einer Prinzipien-Dreiheit aus, die sich auch bei anderen kaiserzeitlichen Platonikern finden läßt.⁶³

4.2. Die Reduktion der Prinzipien auf das Gegenüber von aktivem, intelligiblem Prinzip und passivem Materieprinzip Außerhalb dieser stark am Wortlaut des Timaeus orientierten Analyse geht Alkinoos jedoch von einer Prinzipien-Zweiheit aus, wenn er in Intr. 9 und 10 die Ideen als Gedanken Gottes auffaßt.⁶⁴ Damit führt er das zweite und dritte ⁶¹ Intr. 9 (163,17–19): Καθόλου γὰρ πᾶν τὸ γινόμενον κατ’ ἐπίνοιαν πρός τι ὀφείλει γίνεσθαι. Der Ausdruck κατ’ ἐπίνοιαν ist hier nicht zu τὸ γινόμενον zu ziehen, sondern als terminus technicus der stoischen Dialektik aufzufassen. Im Unterschied zum Ausdruck κατὰ περίπτωσιν bezeichnet er das analytische Verfahren, aus einem vorhandenen Begriff eine darin bereits enthaltene Aussage oder Erkenntnis abzuleiten (SVF II 88). ⁶² Aristoteles, Metaph. 7,7 (1032a13 f.). ⁶³ Z. B. Timaeus Locrus, nat. et anim. 7 (206,11 Marg [siehe dazu M. B 1972, 47 f.]); Plutarch, quaest. conv. 8,2,4 (720bc); Atticus, frg. 26 (Des Place); Apuleius, Plat. 1,5 (63 Beaujeu); Calcidius, in Ti. 304.307.330 (305.307–309.324 f. Waszink); Calvenus Taurus bei Johannes Philoponus, Procl. 6,8 (147,19–21 Rabe). Siehe H. D 1960, 218 f., H. D / M. B 1996, 387–399, die darauf hinweisen, daß die Drei-Prinzipien-Lehre zeitweise als die Prinzipienlehre Platons galt (a. a. O., 388). ⁶⁴ Intr. 9 (163,14 f.); 10 (163,29–31). Über den Ursprung dieser Konzeption ist viel diskutiert worden. Da die Vorstellung von der Alten Akademie an bezeugt ist (J. M. D 1995, 94 f.; H. J. K 1964, 110–113 führt sie auf Xenocrates zurück; siehe auch R. E. W 1937, 70–76), scheint sich als Konsens zu etablieren, daß sie in deren Interpretation Platons ihren Ursprung hat. Sie begegnet später bei Antiochus und in gewisser Weise auch bei Philo (siehe D 1995, 94 f.). Zur Zeit des Alkinoos war die Vorstellung hinreichend verbreitet und bot die Möglichkeit, die platonische Ideenlehre mit einer Zwei-Prinzipien-Lehre zu ver-

IV. Alkinoos

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Prinzip des Didaskalikos zusammen und postuliert eine Prinzipien-Zweiheit, die aus dem Materieprinzip einerseits und dem intelligiblen, rationalen Prinzip andererseits besteht.⁶⁵ Alkinoos läßt in seiner Darstellung eine Hierarchie der Prinzipien erkennen.⁶⁶ Die Materie ist das geringste, der erste Gott das höchste Prinzip. Auffallend ist nun, daß Alkinoos in der Bezeichnung der Materie als Prinzip eine gewisse Zurückhaltung erkennen läßt. Er zählt sie zwar in summarischen Äußerungen unter die ἀρχαί⁶⁷ und widmet ihr innerhalb der Prinzipienlehre ein eigenes Kapitel. Er formuliert aber in etwas distanzierter Weise, daß die Materie »den Charakter eines Prinzips habe«⁶⁸. Alkinoos bezeichnet die Materie außerdem an keiner Stelle innerhalb der theologischen und kosmologischen Kapitel als Ursache (αἴτιος),⁶⁹ sondern verwendet dieses Prädikat ausschließlich für das intelligible Prinzip.⁷⁰ Hier wird die Tendenz spürbar, die Materie als Prinzip zurückzudrängen, die auch bei einigen wenigen anderen zeitgenössischen Platonikern zu finden ist, aber dennoch für diese Zeit eher eine Ausnahme darstellt.⁷¹

binden. Diesen Prozeß der ›reduction of explanatory principles‹ untersucht G. RS 1999, 145–156.197 ausführlich für Philo und sieht ihn auch für Alkinoos bestätigt. Für eine Zusammenstellung relevanter Forschungsliteratur siehe P. M 1984, 461 Anm. 94; für ausgewählte kommentierte Quellen siehe die Texte unter Nr. 127 u. 131 bei H. D / M. B 1998. ⁶⁵ Eine ähnliche Prinzipien-Zweiheit ist schon früh Platon selbst zugeschrieben worden: Aristoteles, Metaph. 1,6 (988a7–14) über Platons Prinzipienlehre; Theophrast, frg. 230 (Fortenbaugh). Vgl. damit Diogenes Laertius 3,69.76 über Platon. Sie wurde ausdrücklich von Vertretern der Alten Akademie vertreten (siehe die Darstellung in H. D / M. B 1996, unter Nr. 119). ⁶⁶ Zur Tendenz, eine Hierarchie der Prinzipien zu entwickeln, siehe H. D 1960, 219 f. ⁶⁷ So nach Intr. 7 (161,1); 8 (162,24); 9 (163,40 f.); 10 (164,7). ⁶⁸ Intr. 9 (163,11): Ἀρχικὸν δὲ λόγον ἐπεχούσης τῆς ὕλης … Alkinoos verwendet die Formulierung λόγον τινὸς ἐπέχειν auch in Intr. 8 (162,34) innerhalb einer uneigentlichen und bildlichen Redeweise von der Materie. ⁶⁹ Lediglich im summarischen Überblick über den Gegenstand der einzelnen philosophischen Disziplinen in Intr. 7 (161,1) wird die Materie unter die αἴτια gezählt. ⁷⁰ Auch dieses Vorgehen ist für andere Autoren belegt. Theophrast redet in seiner Zusammenfassung der Platon zugeschriebenen Position zwar von zwei ἀρχαί, aber nur von einem τὸ ὡς αἴτιον καὶ κινοῦν, das dem τὸ ὑποκείμενον ὡς ὕλη gegenübersteht (frg. 230 [Fortenbaugh]). Timaeus Locrus nennt die Materie zwar ἀρχή (206,5 Marg), aber nicht αἰτία oder αἴτιον. Siehe dazu M. B 1972, 43. Die Zurückhaltung, die Materie als Ursache zu bezeichnen, hat für die Stoiker J.-J. D 1989, 139–152 eingehend untersucht. ⁷¹ So z. B. Calvenus Taurus bei Johannes Philoponus, Procl. 6,8 (147,19–21 Rabe); Hermodorus bei Simplicius, in Ph. I 247,30–248,20; 256,31–257,4 (Diels). Siehe dazu H. D / M. B 1996, 523–538. Sie kommen zu dem Schluß, daß diese Position zur Zeit des Mittelplatonismus eher eine Ausnahme darstellt. Möglicherweise spiegelt sich in Intr. 9 (163,11) eine Diskussion zu dieser Frage wider.

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4.3. Die Charakterisierung des Materieprinzips 4.3.1. Die Materie als potentieller Körper Der Prinzipiencharakter der Materie besteht für Alkinoos in deren völliger Passivität.⁷² Sie steht damit zwar gedanklich am Anfang (ἀρχή) aller Dinge, spielt aber keine aktive Rolle bei deren Hervorbringung. Sie ist dazu bestimmt, alle Werdeprozesse aufzunehmen bzw. allem Werden zugrunde zu liegen. Ihre Eigentümlichkeit besteht in ihrer Rezeptivität, die Alkinoos durch eine Reihe von Prädikaten illustriert, die dem Timaeus entstammen: Sie ist Abdruckmasse, Alles-Aufnehmende, Amme, Mutter und Raum. Aus dieser Funktion der Materie erschließt sich ihr Wesen, das durch die Abwesenheit jeglicher Eigenschaften und Merkmale gekennzeichnet ist. Diesen Charakter der Materie, einerseits unbestimmt zu sein und andererseits darauf ausgerichtet zu sein, Bestimmungen aufzunehmen, faßt Alkinoos zusammen, indem er die Materie einen ›potentiellen Körper‹ nennt (163,8).⁷³ Das Verständnis von Potentialität, das er dieser Vorstellung von Materie zugrunde legt, erhellt er durch ein Beispiel: Die Materie ist potentieller Körper, wie das Erz eine potentielle Statue ist.⁷⁴ Ein ähnliches Beispiel benutzt Calcidius in seinem Timaeuskommentar,⁷⁵ um zu illustrieren, was als die aristotelische potentia passiva bezeichnet wird.⁷⁶ So hat die Materie noch nicht die ratio futurae generationis, sondern ist von Natur aus so beschaffen, daß sie von außen die rationes formarum et qualitatum aufnimmt. Die Bezeichnung der Materie als potentieller Körper in diesem Sinne von Potentialität in Intr. 8 (163,8 f.) hebt also deren passives und rezep⁷² Siehe die Ausführungen in Intr. 8 (162,29–39): Ταύτην τοίνυν ἐκμαγεῖόν τε καὶ πανδεχὲς καὶ τιθήνην καὶ μητέρα καὶ χώραν ὀνομάζει καὶ ὑποκείμενον ἁπτόν τε μετὰ ἀναισθησίας καὶ νόθῳ λογισμῷ ληπτόν· ἰδιότητα δ’ ἔχειν τοιαύτην, ὥστε πᾶσαν γένεσιν ὑποδέχεσθαι τιθήνης λόγον ἐπέχουσαν τῷ φέρειν αὐτὰς καὶ ἀναδέχεσθαι μὲν αὐτὴν πάντα τὰ εἴδη, αὐτὴν δὲ καθ’ αὑτὴν ἄμορφόν τε ὑπάρχειν καὶ ἄποιον καὶ ἀνείδεον, ἀναματτομένην δὲ τὰ τοιαῦτα καὶ ἐκτυπουμένην καθάπερ ἐκμαγεῖον καὶ σχηματιζομένην ὑπὸ τούτων, μηδὲν ἴδιον σχῆμα ἔχουσαν μηδὲ ποιότητα. ⁷³ Alkinoos folgt hier einer platonischen Tradition, die sich auch in Apuleius, Plat. 1,5; Calcidius, in Ti. 319.320 und in dem Referat des Hippolyt, haer. 1,19,3 niederschlägt. Sie knüpft an Aristoteles’ Auffassung von der Materie als eines potentiellen Körpers in GC 2,1 (329a32–33) an. Für weitere Belege siehe den Testimonienapparat zu Calcidius, in Ti. 319 (314,18 f. Waszink). ⁷⁴ Intr. 8 (163,8 f.) ⁷⁵ Calcidius unterscheidet im Anschluß an Aristoteles zwei Formen von Potentialität (in Ti. 310 [310,17–311,4 Waszink]): Possibilitas autem gemina ratione intellegitur: una, ut cum dicimus in semine omnem totius corporis perfecti rationem intus latere semenque possibilitate animal esse, altera, quod rationem quidem in se futurae generationis nondum habet, sed quia tale est natura, ut extrinsecus accipere possit rationes formarum et qualitatum, possibilitate dicimus fore quod nondum est, ut aeris ceraeve massa informis, antequam ex arte recipiat formas. ⁷⁶ Zur Unterscheidung zwischen potentia activa und potentia passiva vgl. Aristoteles, Metaph. 5,12 (1019a15–23) und 9,1 (1046a9–13) sowie C. B 1890, 223 f.

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tives Wesen hervor, das keine eigene, aktive Anlage enthält, und faßt darin die vorangegangenen Aussagen des Kapitels über die Materie treffend zusammen. Auf die Bestimmung der Materie in Intr. 8 werfen die Ausführungen zum Begriff der Potentialiät in Intr. 26 ein zusätzliches Licht.⁷⁷ Alkinoos unterscheidet an dieser Stelle zwei Formen von Potentialität: das Mögliche (τὸ δυνατόν) und das im Status der Potentialiät Befindliche (τὸ δυνάμει). Im Unterschied zum Möglichen, das völlig unbestimmt ist, bezeichnet das im Status der Potentialiät Befindliche eine gewisse Anlage zu einem noch nicht aktualisierten Zustand. Indem Alkinoos die Materie als potentiellen Körper bezeichnet (δυνάμει σῶμα), beschreibt er sie aus der Perspektive ihres aktualisierten Zustandes und drückt dadurch aus, daß sie bereits in eine bestimmte Richtung ›programmiert‹ ist und gleichsam mit Notwendigkeit als Körper aktualisiert wird.⁷⁸ Calcidius versucht in seiner Timaeusauslegung, die völlige Unbestimmtheit der Materie zu retten, indem er die Materie als potentiellen Körper und potentiellen Nicht-Körper bezeichnet,⁷⁹ was eher Alkinoos’ Beschreibung des indeterminierten Möglichen entspricht. Alkinoos macht von diesem Weg keinen Gebrauch, die Materie als offen für einander widerstreitende Bestimmungen darzustellen. 4.3.2. Die Deutung der Eigenbewegung der Materie und der vorkosmischen Elementenspuren Bei der Zusammenstellung zentraler Aussagen des Timaeus über die Materie in Intr. 8 fällt auf, daß Alkinoos alle Aussagen ausspart, die auf die ungeordnete Eigenbewegung der Materie oder ihre Widerständigkeit gegenüber der Formung durch die Ideen anspielen, die nach dem Timaeus durch das ordnende Prinzip erst überwunden werden müssen.⁸⁰ Lediglich innerhalb der stärker am Wortlaut des Timaeus orientierten Paraphrasen in Intr. 12 und 13 kommen diese Eigenschaften der Materie zur Sprache.⁸¹ So kombiniert Alkinoos in Intr. 12 Ti. 30a–34 mit Ti. 52d–53b. Die Erschaffung des Kosmos ἐκ τῆς πάσης οὖν ὕλης (167,15) setzt er gleich mit der Erschaffung ἐξ ἑκάστου γὰρ ὅλου τῶν τεττάρων στοιχείων (167,24 f.) Sowohl für die Materie als auch für die Elemente beschreibt Alkinoos ein Stadium der Unordnung.⁸² Bevor der ⁷⁷ Intr. 26 (172,20–26.31–33). ⁷⁸ Siehe J. M. D 1995, 164. ⁷⁹ Calcidius, in Ti. 319 (314,17–19 Waszink): Quibus ita decursis sequitur ut, an corpus

silva sit, consideremus. Neque corpus neque incorporeum quiddam posse dici simpliciter puto, sed tam corpus quam incorporeum possibilitate; … ⁸⁰ Vgl. Ti. 30a.52e–53a. Auch K. A 1993, 46 stellt fest, daß in Intr. 8 das Problem der Materiebewegung ausgespart wird. ⁸¹ In Intr. 12 (167,15–19.21–24); 13 (169,4–15). ⁸² Intr. 12 (167,15–24).

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

Demiurg die Materie ordnet, bewegt sie sich unharmonisch und ungeordnet. Bevor der Demiurg die »Ordnung der Elemente«⁸³ etabliert, so daß sie klar voneinander unterschieden in einem bestimmten Verhältnis zueinander stehen, liegen sie lediglich als Spuren vor, die sich und die Materie irrational und ungeordnet bewegen. Durch diese Zusammenstellung verschiedener Passagen des Timaeus führt Alkinoos in Intr. 12 (167,15–24) die ungeregelte Bewegung der Materie von Ti. 30a auf die Elementenspuren von Ti. 52de.53ab zurück. Alkinoos interpretiert die Elementenspuren und die von ihnen verursachte Bewegung allerdings auf eine Weise, daß sie nicht als eine dem göttlichen Demiurgen widerstrebende Kraft angesehen werden können.⁸⁴ Er sagt über die vier Elemente aus, daß sie bis zum Zeitpunkt ihrer geordneten Bildung durch den Demiurgen nur Spuren ihrer späteren Form besessen hätten sowie die Anlage, die Qualität der Elemente aufzunehmen.⁸⁵ Alkinoos erläutert hier Platons Rede von den ἴχνη der Elemente und interpretiert sie als Anlage zur Aufnahme zukünftiger Qualitäten. Dieser Gedanke erinnert an die Beschreibung der Materie in Intr. 8, in der Alkinoos hervorhob, daß die eigentümliche Beschaffenheit der Materie darin besteht, alles Werden und alle Gestalten aufzunehmen.⁸⁶ Der Zusammenhang zwischen Materie und Elementenspuren, auf den Alkinoos in Intr. 12 durch die Formulierung τὸ δεκτικὸν τῆς τῶν ⁸³ In Intr. 13 (168,14 f.) hebt Alkinoos ausdrücklich hervor, daß die vier ›Elemente‹ vor der Gestaltung durch den Demiurgen noch nicht die Ordnung von Elementen besitzen. ⁸⁴ Die gleiche Tendenz tritt auf andere Weise auch in der Deutung von Ti. 52 f. in Intr. 13 (169,8–15) hervor. Auf den ersten Blick handelt es sich hier wieder um eine zusammenfassende Paraphrase einschlägiger Passagen des Timaeus. Vergleicht man jedoch den Text des Didaskalikos mit dem platonischen Timaeus, so zeigt sich, daß Alkinoos Ti. 52e–53a mit Ti. 57e–58c verschränkt und so zusammenliest. Das hat Folgen für das Verständnis der Passagen. Die ungeordnete, vorkosmische Bewegung der Materie durch die Elementenspuren nach Ti. 52e5–53a4 (vgl. Intr. 13 [169,8 f.14]) und die andauernde Bewegung der Elemente nach Ti. 58c, die durch die Rotation des Kosmos verursacht wird (vgl. Intr. 13 [169,9–14]), fließen ineinander. Dadurch identifiziert Alkinoos den σεισμός, der nach Ti. 52 vor der Erschaffung der Elementarkörper in der Materie Ungleiches von Gleichem trennt, mit der ewigen Ortsbewegung der Elemente nach Ti. 58c, welche die ersten Körper aufeinanderprallen läßt, so daß sie sich in die zugrunde liegenden Elementardreiecke aufspalten und aus ihnen neu gebildet werden. Diese Bewegung ist Voraussetzung dafür, daß die Elemente unaufhörlich ineinander übergehen und so Entstehen und Vergehen der sichtbaren Dinge bewirken (Ti. 56d–57d). Indem Alkinoos die vorkosmische Erschütterung der Materie durch die Elementenspuren mit der innerkosmischen andauernden Bewegung der Elemente identifiziert, interpretiert er die Erschütterung der Materie so, daß damit nicht mehr ein chaotischer vorkosmischer Zustand gemeint ist, sondern ein bleibender innerkosmischer Bewegungszustand, der in der regelmäßigen und gleichbleibenden Rotation des Kosmos seine Ursache hat. K. A 1993, 47 bemerkt bereits knapp, daß durch die Erwähnung der ἀνωμαλότης aus Ti. 58c in Intr. 13 die Eigenbewegung der Materie ›neutralisiert‹ werde. ⁸⁵ Intr. 12 (167,21 f.): … ἴχνη μὲν τέως ἔχοντα καὶ τὸ δεκτικὸν τῆς τῶν στοιχείων δυνάμεως, … ⁸⁶ Vgl. die Charakterisierung der Materie in Intr. 8 (162,29–39).

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στοιχείων δυνάμεως anspielt, kommt im Timaeuskommentar des Calcidius ausführlicher zur Sprache.⁸⁷ Calcidius erklärt hier im Rahmen einer Erörterung der ἴχνη aus Ti. 53b1–4, daß die Spur nicht die Sache selbst, sondern die Potenz der Sache bezeichne.⁸⁸ Daher sei die Materie vor der Gestaltung der Welt ein vestigium corporis. Diese Aussage stimmt mit den Ausführungen in Abschnitt 319 überein, in dem Calcidius die Materie bereits als potentiellen Körper bezeichnet hat (corpus possibilitate 314,19 Waszink). In Paragraph 354 versteht Calcidius nun die ungeordneten und verworrenen Spuren bzw. Potenzen der vier Elementarkörper als Ausdruck dieser Potentialität der Materie, die darin besteht, daß die Materie die natürliche Befähigung zur Aufnahme der Vielfalt und Schönheit hat.⁸⁹ Auch Alkinoos bezeichnet in Intr. 8 (163,8) die alles-aufnehmende Materie als potentiellen Körper. Wenn er nun in Intr. 12 (167,21 f.) die ungeordneten Elementenspuren als Anlage auffaßt, die Qualität der Elemente aufzunehmen, versteht er wie Calcidius die Elementenspuren samt ihrer Bewegung als Ausdruck der Eignung der Materie, unter Hinzutreten der Form bzw. der Qualitäten Körper auszubilden. Alkinoos interpretiert somit wie Calcidius die Schilderung einer ungeordneten Bewegung der Materie im Timaeus als Ausdruck dieser Eignung der Materie, die er unter dem Begriff der Potentialität zusammenfaßt. Auch in Intr. 13 kann die ungeordnete Bewegung der Elementenspuren bzw. der Materie bei genauer Betrachtung nicht als eine vom göttlichen Demiurgen unabhängige Kraft verstanden werden. Alkinoos beabsichtigt in diesem Kapitel zu zeigen, wie Gott die vier Elemente, die in der Materie spurenhaft angelegt sind, durch geometrische Formen zu den vier Elementen ausformt und daraus den Weltenkörper schafft.⁹⁰ Nach einer ausführlichen Schilderung dieses Vorganges (168,16–169,4) setzt Alkinoos noch einmal ein und formuliert in 169,4–7:

⁸⁷ Daß Alkinoos auf die auch von Calcidius referierte Interpretation der Elementenspuren anspielt, nehmen auch J. M. D 1995, 117 und J. W, CUFr Alcinoos, 28 Anm. 228 an. ⁸⁸ Calcidius, in Ti. 354. ⁸⁹ Calcidius, in Ti. 354 (345,1–5.10–12 Waszink): Quippe vestigium ignis nondum ignis est nec vero ceterorum corporum vestigia ipsa corpora sunt; vestigium quippe potentiam rei, non rem significat multoque etiam minus corpus significatur vestigii nomine; ergo silva etiam vestigium corporis fuit ante mundi exornationem. … Erat igitur subiecta silva cum naturali opportunitate suscipiendae pulchritudinis ac venustatis, erant etiam quattuor corporum potentiae seu vestigia confusa adhuc minimeque ordinata. In in Ti. 353 hatte Calcidius bereits dargelegt, daß die Materie nicht nur eine einzige, sondern eine vielgestaltige Potenz besitze, die sich z. B. in der Aussonderung der vier Materien darstelle. ⁹⁰ Intr. 13 (168,13–16): ταῦτα γὰρ τὰ τέτταρα συλλαβὼν ὁ δημιουργὸς τοῦ κόσμου οὐ μὰ Δία στοιχείων τάξιν ἐπέχοντα διεσχημάτισε πυραμίδι καὶ κύβῳ καὶ ὀκταέδρῳ καὶ εἰκοσαέδρῳ καὶ ἐπὶ πᾶσι δωδεκαέδρῳ·

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

Durch diese nun [von Gott] geprägt, bewegte sich die Materie durch die Spuren zuerst ungeordnet, dann aber führte Gott sie zur Ordnung, indem alles durch Proportion zueinander zusammengefügt wurde.⁹¹

Dieser Satz weist einige Schwierigkeiten auf. Erstens ist unklar, worauf sich τούτοις am Anfang des Satzes bezieht. Trotz der großen Entfernung im Text dürfte es sich aber auf die ταῦτα τέτταρα in 168,13 beziehen und damit auf die vier in der Materie als Spuren angelegten Elemente vor ihrer Ausformung durch den Demiurgen. Diese sind dann in 169,6 als ἴχνη erwähnt. Zweitens erstaunt es, daß Gott als Urheber dieser Materieprägung durch die Elementenspuren genannt ist, die zu einer ungeordneten Bewegung führt. Harold Cherniss⁹² hat deshalb vorgeschlagen, ὑπὸ τοῦ θεοῦ in 169,4 f. als eine Eindringung aus 169,6 zu tilgen, die durch eine falsche Assoziation von Ti. 53b2 entstanden sei. Er kann sich dafür darauf berufen, daß dem Timaeus nach die Elementenspuren nicht durch den Demiurgen entstehen und auch Alkinoos selbst sie in Intr. 12 (167,12–18) und (168,10–12) nicht auf den Schöpfergott zurückführt. Ihm sind die meisten Ausleger gefolgt.⁹³ Sie sehen in Intr. 13 (169,4–7) einen Zustand, in dem die Materie durch die Elementenspuren geprägt wird, unterschieden von dem Ordnungsakt des Demiurgen, der mit Hilfe der Elementarkörper die vier Elemente aus der Materie formt.⁹⁴ Ist es aber wirklich ausgeschlossen, daß Alkinoos hier in Intr. 13 (169,4–7) eine Interpretation des Timaeus vertritt, die den überlieferten Text einschließlich des ὑπὸ τοῦ θεοῦ in 169,4 f. verständlich macht? Dafür muß gefragt werden, wie Platons Rede von den Elementenspuren im kaiserzeitlichen Platonismus allgemein und im Didaskalikos im besonderen interpretiert werden kann. Werner Deuse⁹⁵ hat in seiner Untersuchung über die Interpretation der Elementenspuren im Mittelplatonismus gezeigt, daß sowohl Vertreter einer zeitlichen, als auch Vertreter einer unzeitlichen Interpretation des Timaeus in ihrer Auslegung des Timaeus zwischen Bildung und Ordnung der Elementenspuren unterscheiden. Dabei verstehen einige Platoniker⁹⁶ die Ausbildung der Elementenspuren an der Materie als ›Vorschöpfung ohne Schöpfer‹⁹⁷. Sie füh⁹¹ Intr. 13 (169,4–7): Τούτοις οὖν [ὑπὸ τοῦ θεοῦ] ἡ ὕλη τυπωθεῖσα ἐκινεῖτο μὲν τὸ πρῶτον τοῖς ἴχνεσιν ἀτάκτως, εἶτα ὑπὸ τοῦ θεοῦ πρὸς τάξιν ἤχθη, ἁρμοσθέντων πάντων ἀναλογίᾳ πρὸς ἄλληλα· Z. 4 f. ὑπὸ–θεοῦ seclusi H. C 1949. [Einfügung in der Übersetzung von mir]. ⁹² H. C 1949, 78. ⁹³ Vgl. z. B. J. W, CUFr Alcinoos, 31; J. M. D 1995, 23. Eine Ausnahme bildet J. C. M.  W 1959, 236: »… in Albinus these ἴχνη are also the result of God’s activity.« ⁹⁴ So beispielhaft W. D 1983, 214. ⁹⁵ Vgl. W. D 1983, 236–244. ⁹⁶ Z. B. Plutarch, die anonymen Platoniker bei Diogenes Laertius oder Timaeus Locrus. Siehe die Analysen von W. D 1983, 236–239 (Plutarch), 239 f. (Diogenes Laertius), 240 (Timaeus Locrus), 241 f. (Atticus). ⁹⁷ W. D 1983, 239.

IV. Alkinoos

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ren sie darauf zurück, daß bereits vor der eigentlichen Erschaffung des Kosmos durch den Demiurgen Materie und Ideen (bzw. deren Abbilder) zusammentreten und vielfältige und ungeordnete Veränderungen an der Materie hervorbringen, die Elementenspuren. Bei diesem Vorgang sind die Ideen, die eine gewisse schöpferische Selbständigkeit gegenüber dem Demiurgen besitzen, Urheber der Elementenspuren an der Materie, die sich dabei nicht rein passiv, sondern mitwirkend verhält. Eine Anspielung auf die Ideen liegt auch im Didaskalikos vor, wenn Alkinoos in 169,5 die Veränderung der Materie als Prägevorgang schildert, denn Alkinoos benutzt den Begriff des Prägens in Intr. 8, um zu beschreiben, wie die intelligiblen Formen der Materie Gestalt verleihen. Versucht man allerdings, die von Werner Deuse herausgearbeitete mittelplatonische Interpretation der Elementenspuren in den prinzipientheoretischen Rahmen einzuarbeiten, den Alkinoos in Intr. 8–10 absteckt, so zeigt sich Folgendes: Die Erwähnung Gottes als Agent in 169,4 f. ist nicht deplaziert, sondern folgt schlüssig aus der Prinzipienlehre des Alkinoos. Da nämlich Alkinoos die Ideen als νοήματα bzw. νοήσεις τοῦ θεοῦ und als Resultat seiner ἐνέργεια auffaßt, kann ihnen keine wie auch immer geartete schöpferische Selbständigkeit zukommen. Und eine Materie, deren Wesen in völliger Passivität besteht, kann keine wie auch immer geartete aktive Rolle spielen. Wenn in der Kosmologie zwischen Bildung und Ordnung der Elementenspuren unterschieden werden soll, kann unter den prinzipientheoretischen Voraussetzungen des Didaskalikos der Urheber beider Vorgänge nur der göttliche Demiurg sein. Bei der Interpretation der Elementenspuren geht es um die Frage, woher die Materie ihre Eignung zur Ausprägung von Körpern bezieht. Der platonische Timaeus macht keine Angaben dazu und erweckt dadurch den Eindruck, daß die Materie in ihrem vorkosmischen Zustand diese Eignung von sich aus besitzt. Diese ›Informationslücke‹ füllen einige mittelplatonische Autoren, indem sie diese Eignung der Materie auf ein Zusammenwirken von Ideen und Materie zurückführen, das vom göttlichen Demiurgen unabhängig ist. Alkinoos dagegen behauptet in Intr. 13 den göttlichen Demiurgen als den Urheber der Elementenspuren und führt damit in seiner Auslegung von Ti. 53b1–4 die Eignung der Materie auf ihn zurück. In Intr. 8 und 12 begegnet demgegenüber der Versuch, die Eignung der Materie mit Hilfe der Kategorie der Potentialität auszudrücken. Die Materie erhält dadurch den Charakter einer notwendigen Vorbedingung der Kosmosentstehung bzw. der Existenz des Kosmos, die an sich keine eigenen wesentlichen Bestimmungen besitzt, die sich im Wesen des Kosmos niederschlagen könnten. Die Frage, woher die Materie ihre Eignung zur Ausbildung des Kosmos bezieht, tritt bei dieser Erklärung in den Hintergrund. Die Wege, ausgehend von Platons Ausführungen über die Elementenspuren die Eignung der Materie zur Ausbildung des Kosmos zu beschreiben, unter-

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

scheiden sich in Intr. 8 und 12 von Intr. 13. Beide Deutungen der Elementenspuren stimmen aber darin überein, daß sie der Materie eine wesensmäßige, eigene Aktivität, die sich im Wesen des Kosmos bleibend niederschlagen könnte, absprechen. Allerdings fehlt im Didaskalikos der Versuch, die Konsequenzen der Aussage von Intr. 13, daß der göttliche Demiurg die Elementenspuren und damit die Eignung der Materie schafft, für die Prinzipienlehre auszuführen. Wenn Alkinoos in Intr. 13 Gott zum Urheber der Elementenspuren erklärt, grenzt er sich zwar von kosmologischen Konzepten ab, die der Materie eine wie auch immer geartete aktive Rolle zugestehen oder den Ideen eine schöpferische Eigenständigkeit zusprechen. Er geht jedoch nicht soweit, auch im Rahmen der Prinzipienlehre in Intr. 8–10 das Verhältnis des aktiven Prinzips zur Materie als dem passiven Prinzip zu bedenken und danach zu fragen, woher die Potentialität der Materie, d. h. ihre Eignung, stammt. Das Nebeneinander von Intr. 8 und 12 einerseits und Intr. 13 andererseits zeigt deutlich, daß die Frage, woher die Materie ihre Eignung bezieht, zwar innerhalb der Kosmologie aufbricht, jedoch in der Prinzipienlehre beantwortet werden muß.⁹⁸

5. Gott als Ursache des Kosmos 5.1. Der erste Gott als erster Intellekt und vollkommene, transzendente Ursache ( R. 506–509 und Phlb. 65a) Die erste ausdrückliche Erwähnung Gottes als Ursache (αἴτιος) in einem kosmologischen Kontext findet sich in Intr. 10 (164,20.22) im Zusammenhang mit einer Passage, die zu den am meisten diskutierten Texten der Forschung zu Alkinoos gehört. Aufbauend auf die Untersuchungen Johannes Loenens hat zuletzt Henning Ziebritzki⁹⁹ überzeugend dargelegt, daß dieser Text von der Absicht her verstanden werden muß, über die Analyse verschiedener Grade des Erkennens und einer entsprechenden Hierarchie von Erkenntnisgegen⁹⁸ Ähnliche Probleme, die Deutung der Materie als potentiellen Körper mit der Auslegung der Timaeuserzählung zu verbinden, hat auch Calcidius. Die Paragraphen 352–354 (342–345 Waszink) seines Kommentars lassen deutlich die Schwierigkeiten erkennen, die Bestimmung der Materie als Potentialität in eine kommentierte Paraphrase des Timaeus einzubinden. Calcidius behilft sich damit, daß er genau genommen drei Stadien der Materie unterscheidet: (1) die Materie an sich als potentiellen Körper; (2) die Materie mit undeutlichen Qualitäten, die (vor?) der Erschaffung der Welt Bewegung verursachen; (3) die von Gott geordnete Materie als Kosmos. Besonders bei der Abgrenzung des zweiten und dritten Stadiums der Materie bleibt unklar, ob der Schöpfergott das Zusammentreten von Qualitäten und Materie an sich verursacht (352 [342,21 f. Waszink]) und wie weit sich seine providentia erstreckt (353 Ende). Siehe dazu J. C. M.  W 1959, 239. ⁹⁹ J. E. L 1956, 305–307; H. Z 1994, 52–56. Die Hierarchie ist lediglich »an order of values and not an ontological hierarchy« (J. E. L 1956, 307).

IV. Alkinoos

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ständen zu einem Begriff des höchsten Prinzips zu gelangen, das an sich für nahezu unaussagbar gehalten wird.¹⁰⁰ Alkinoos gewinnt dabei διὰ τὴν ἐν τῷ τιμίῳ ὑπεροχήν¹⁰¹ eine Aussage über das höchste Prinzip und bestimmt den ersten Gott als die erste Ursache der Erkenntnistätigkeit des himmlischen Intellekts.¹⁰² Dabei hebt er hervor, daß der erste Gott als erster Intellekt¹⁰³ die Erkenntnisbewegung des himmlischen Intellekts wirkt, indem er selbst unbewegt bleibt. Das Konzept eines unbewegten Wirkens illustriert Alkinoos anhand zweier traditioneller Analogien:¹⁰⁴ Zum einen spielt er auf das platonische Sonnengleichnis an,¹⁰⁵ zum anderen zieht er das aristotelische Konzept des unbewegten Bewegers heran.¹⁰⁶ In Aufnahme von R. 508a4–b10 unterscheidet er dabei zwischen der Erkenntnistätigkeit des himmlischen Intellekts bzw. der menschlichen Seele und der Erkenntnistätigkeit des ersten Gottes, der erster Intellekt ist.¹⁰⁷ Dessen Erkennen ist selbstbezüglich und eine aktive Erkenntnistätigkeit (ἰδέα), welche die intelligiblen Strukturen erst hervorbringt.¹⁰⁸ Das Erkennen des himmlischen Intellekts dagegen ist Erkennen im Sinne von Schau (θεωρία), d. h. eine rezeptive Erkenntnistätigkeit, bei welcher ¹⁰⁰ Intr. 10 (164,8). Vgl. ἄρρητος als Attribut des ersten Gottes in 164,31 u. 165,5. Die Bezeichnung ἄρρητος ist ein Leitmotiv in Intr. 10 (siehe H. Z 1994, 50 Anm. 40). ¹⁰¹ Intr. 10 (165,34). ¹⁰² Intr. 10 (164,18–27): Ἐπεὶ δὲ ψυχῆς νοῦς ἀμείνων, νοῦ δὲ τοῦ ἐν δυνάμει ὁ κατ’ ἐνέργειαν πάντα νοῶν καὶ ἅμα καὶ ἀεί, τούτου δὲ καλλίων ὁ αἴτιος τούτου καὶ ὅπερ ἂν ἔτι ἀνωτέρω τούτων ὑφέστηκεν, οὗτος ἂν εἴη ὁ πρῶτος θεός, αἴτιος ὑπάρχων τοῦ ἀεὶ ἐνεργεῖν τῷ νῷ τοῦ σύμπαντος οὐρανοῦ. Ἐνεργεῖ δὲ ἀκίνητος αὐτὸς ὢν εἰς τοῦτον ὡς καὶ ὁ ἥλιος εἰς τὴν ὅρασιν, ὅταν αὐτῷ προσβλέπῃ, καὶ ὡς τὸ ὀρεκτὸν κινεῖ τὴν ὄρεξιν ἀκίνητον ὑπάρχον· οὕτω γε δὴ καὶ οὗτος ὁ νοῦς κινήσει τὸν νοῦν τοῦ σύμπαντος οὐρανοῦ. ¹⁰³ In Intr. 10 (164,26 f.) bezeichnet Alkinoos den ersten Gott als Intellekt bzw. als ersten Intellekt, um ihn vom Intellekt des Himmels zu unterscheiden. ¹⁰⁴ Intr. 10 (164,23–27). ¹⁰⁵ In seiner Interpretation dieses Gleichnisses überträgt Alkinoos die Analogie für das Verhältnis zwischen der Idee des Guten und der Erkenntnistätigkeit der menschlichen Seele auf das Verhältnis zwischen dem ersten Gott und der kosmischen Vernunft-(Seele). Alkinoos sieht wegen Ti. 41d4–7 eine Verwandtschaft zwischen der Weltseele und der menschlichen Seele (Intr. 25 [178,19]). Er verwendet auch in Intr. 14 (169,16–31) traditionelle Aussagen über die menschliche Seele wie Aristoteles, de An. 1,2 (404b8–18) in Aussagen über die Erkenntnistätigkeit der Weltseele. Siehe außerdem die ausführlichere Zusammenfassung des Gleichnisses in Intr. 10 (165,21–25), in der Alkinoos vom Verhältnis des ersten Gottes zur Seele allgemein spricht. Daß Alkinoos das Gleichnis in Intr. 10 für das Verhältnis zwischen dem ersten Gott und dem Himmelsintellekt verwendet, zeigt, daß er nicht scharf zwischen Weltseele und Weltintellekt trennt. ¹⁰⁶ Vgl. Aristoteles, Metaph. 12,7–9. ¹⁰⁷ Siehe die Interpretation des Sonnengleichnisses in Intr. 10 (165,21–27). ¹⁰⁸ Da die Erkenntnistätigkeit des ersten Intellekts auf den schönsten aller Erkenntnisgegenstände gerichtet sein muß, denkt er kontinuierlich sich selbst und seine Gedanken. Diese Tätigkeit nennt Alkinoos ἰδέα. Sie bringt die ersten, einfachen intelligiblen Erkenntnisgegenstände hervor, die als intelligible Vernunftstrukturen die Voraussetzungen und Prinzipien (ἀρχαί) jeder Erkenntnis sind. Siehe die erkenntnistheoretischen Ausführungen in Intr. 4 (besonders 154,30).

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

der himmlische Intellekt auf den ersten Intellekt blickt, wie Alkinoos in der ansonsten stark verknappten Anspielung auf das Sonnengleichnis ausdrücklich sagt. Dabei werden die intelligiblen Strukturen in ihm nachgebildet.¹⁰⁹ Indem Alkinoos das Denken des ersten Intellekts als einen Akt auffaßt, der den intelligiblen Ideenkosmos hervorbringt, interpretiert er das aristotelische Konzept des sich selbst denkenden, unbewegten Bewegers in platonischer Weise. Auch die Erkenntnisbewegung des himmlischen Intellekts, der die Position des aristotelischen ersten Himmels einnimmt, beschreibt er in platonischer Weise als die Aufnahme und Nachbildung der intelligiblen Ideen. Die Ausführungen des Alkinoos in Intr. 10 sind durch ein zweifaches Bemühen gekennzeichnet: Einerseits hält er fest, daß der erste Gott jenseits der Möglichkeit begrifflicher Bestimmungen liegt; andererseits stellt er jedoch heraus, daß er als Ursache und Prinzip in Beziehung zu dem von ihm Verursachten steht und so mittelbar ausgesagt werden kann. Dieses Bemühen schlägt sich in der Bestimmung des ersten Gottes als Intellekt nieder. Es führt außerdem zu einer Begriffsreihung, mit der Alkinoos in Anlehnung an den Phlb. 65a versucht, positive Aussagen über den ersten Gott zu treffen, obwohl die Regeln der Begriffsbildung auf den ersten Gott nicht angewendet werden können und es somit keinen Weg gibt, sich auf ihn begrifflich zu beziehen.¹¹⁰ Und weiter ist der erste Gott ewig, unsagbar, an-sich-vollkommen (d. h. keiner Sache bedürftig), ewig-vollkommen (d. h. ewig vollkommen), ganz-vollkommen (d. h. vollkommen in jeder Hinsicht); Gottheit, Wesenheit, Wahrheit, Symmetrie, Gut. Ich sage dies nicht, als ob ich diese Prädikate trennte, sondern als ob bei allen eine einzige Größe gedacht sei. Und gut nämlich ist er, da er alles nach Möglichkeit gut wirkt, wobei er Ursache des Guten ist; schön aber, weil er selbst seiner eigenen Natur nach vollkommen und gleichmäßig ist; Wahrheit aber, weil er Prinzip aller Wahrheit ist, wie die Sonne [Prinzip] allen Lichtes.¹¹¹

¹⁰⁹ Siehe Intr. 14 (169,39–41). Ähnlich formuliert J. M 1972, 64: »The difference between the ἐνέργεια of the transcelestial god and that of the celestial god is that that of the former is a self-caused activity, while that of the latter is a derived activity.« ¹¹⁰ Siehe Intr. 10 (165,5–7). Dieses Nebeneinander von negativer und affirmativer Theologie ist nach J. H 1992, 199 charakteristisch für den vorneuplatonischen Raum. Entscheidend sei, »daß in den vorneuplatonischen Systemen (Mittelplatonismus, Neupythagoreismus, jüdisch-christliche Logostheologie: Philon, Clemens, Origenes) neben die negative Theologie stets eine affirmative tritt, die dem Seinsgrund positive Bestimmungen zuspricht, die nicht zurückgenommen werden oder methodisch als nur vorläufig gekennzeichnet werden.« ¹¹¹ Intr. 10 (164,31–40): Καὶ μὴν ὁ πρῶτος θεὸς ἀΐδιός ἐστιν, ἄρρητος, αὐτοτελὴς τουτέστιν ἀπροσδεής, ἀειτελὴς τουτέστιν ἀεὶ τέλειος, παντελὴς τουτέστι πάντῃ τέλειος· θειότης, οὐσιότης, ἀλήθεια, συμμετρία, ἀγαθόν. Λέγω δὲ οὐχ ὡς χωρίζων ταῦτα, ἀλλ’ ὡς κατὰ πάντα ἑνὸς νοουμένου. Καὶ ἀγαθὸν μέν ἐστι, διότι πάντα εἰς δύναμιν εὐεργετεῖ, παντὸς ἀγαθοῦ αἴτιος ὤν· καλὸν δέ, ὅτι αὐτὸς τῇ αὑτοῦ φύσει τέλεόν ἐστι καὶ σύμμετρον· ἀλήθεια δέ, διότι πάσης ἀληθείας ἀρχὴ ὑπάρχει, ὡς ὁ ἥλιος παντὸς φωτός. [Einfügung in der Übersetzung von mir].

IV. Alkinoos

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Alkinoos überträgt auf den ersten Gott mit der Trias Wahrheit, Symmetrie und Gut Bestimmungen, die im Philebus dem höchsten Gut beigelegt werden.¹¹² Er identifiziert den ersten Gott außerdem an mehreren Stellen des Kapitels mit der Idee des Guten aus der Respublica.¹¹³ In die Erläuterung der Prädikate fließen terminologisch schließlich Bestimmungen des göttlichen Demiurgen des Timaeus ein.¹¹⁴ Die Aussageabsicht dieser Begriffsreihe besteht darin, den ersten Gott in mehrerer Hinsicht als Ursache und Prinzip zu erweisen.¹¹⁵ Dabei steht die Bestimmung des ersten Gottes als Ursache keinesfalls im Widerspruch zu seinem vollkommenen, transzendenten Wesen. Daß der erste Gott in unterschiedlicher Hinsicht αἴτιον bzw. ἀρχή abgeleiteter Instanzen sein kann, beruht vielmehr gerade auf der Voraussetzung, daß er ewig in jeder denkbaren Hinsicht an sich vollkommen ist, wie Alkinoos unmittelbar vor der Prädikatreihe festhält.¹¹⁶ Diesen Zusammenhang zwischen der ewigen unableitbaren Vollkommenheit Gottes einerseits und dem ihm wesentlich zukommenden Charakter als Ursache andererseits faßt Alkinoos in den beiden abstrakten Nominalbildungen θειότης und οὐσιότης zusammen, die er den übrigen Prädikaten voranstellt. Durch diese Art der Nominalbildung pflegt Alkinoos den Inbegriff eines Wesens an sich und den Status eines Prinzips auszudrücken.¹¹⁷ Die Bezeichnung θειότης meint daher die Göttlichkeit an sich, d. h. den Inbegriff der Prinzipienhaftigkeit oder das Prinzip schlechthin. Die Bezeichnung οὐσιότης steht für das vollkommene Sein und Wesen an sich, das darin auch Prinzip von Sein und Wesen ist.¹¹⁸ Der erste Gott ist für Alkinoos als erster Intellekt transzendent, das höchste Prinzip schlechthin und damit zugleich Inbegriff und Prinzip von Wesen bzw. Sein. ¹¹² Nach Phlb. 65a ist das höchste Gut nicht in einem sprachlichen Ausdruck allein faßbar. Daher wird die Trias ἀλήθεια, συμμετρία, καλόν eingeführt, die jedoch gleichsam als Einheit betrachtet werden soll. ¹¹³ Intr. 10 (164,24 f.; 165,20–26.27–36). ¹¹⁴ Hinter der Formulierung Καὶ ἀγαθὸν μέν ἐστι, διότι πάντα εἰς δύναμιν εὐεργετεῖ· steht Ti. 29e30a. ¹¹⁵ Bei den Attributen, die Alkinoos dem ersten Gott beilegt, kann nicht unterschieden werden zwischen solchen, die Gottes Wesen bezeichnen, und solchen, die sein Verhältnis zum Kosmos bezeichnen, wie H. A. W 1952, 125 f.129 f. meint. Siehe dagegen die Argumentation von P. L. D 1988a, 119 f. ¹¹⁶ Intr. 10 (164,32 f.). ¹¹⁷ Das zeigt das Beispiel ἀγαθόν- ἀγαθότης in 165,8 f. ¹¹⁸ Bei dieser Bestimmung des ersten Gottes steht R. 506–9 im Hintergrund, wonach die Idee des Guten sowohl Prinzip der Erkenntnis als auch Prinzip des Seins bzw. Wesens der intelligiblen Ideen ist. Der erste Gott ist dem sichtbaren Kosmos transzendent; er ist nach Alkinoos allerdings nicht ἐπέκεινα νοῦ καὶ οὐσίας. Alkinoos lehrt keine absolute Seins- und Erkenntnistranszendenz des ersten Gottes. Siehe dazu J. H 1992, 199. J. W 1969b, 104 spricht für den sogenannten Mittelplatonismus von einer »[period of] confusion concerning the status of the ultimate principle with reference to οὐσία and νοῦς«.

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

5.2. Der erste Gott ist Ursache aller Dinge (Ti. 28c) Im Anschluß an die am Philebus und an der Respublica orientierten Prädikate legt Alkinoos dem ersten Gott als viertes Prädikat den Titel πατήρ bei, der aus dem Timaeus stammt: Vater aber ist er dadurch, daß er Ursache aller Dinge ist und den himmlischen Intellekt und die Weltseele auf sich selbst und auf seine Gedanken hin ordnet. Denn seinem Willen gemäß hat er alle Dinge mit sich erfüllt, indem er die Weltseele erweckt und zu sich wendet, wobei er Ursache ihres Intellekts ist, welcher durch den Vater zur Ordnung gebracht, die gesamte Natur in diesem Kosmos ordnet.¹¹⁹

Das Prädikat Vater ist im Timaeus eine Bezeichnung für den Demiurgen, der als ›Schöpfer und Vater dieses Alls‹ der Urheber des Kosmos ist (Ti. 28c). Für Alkinoos ist der erste Gott ›Vater‹, insofern er ›Ursache aller Dinge‹ und Ursache des Intellekts der Weltseele ist. Mit dieser doppelten Bestimmung des ersten Gottes als Ursache rahmt Alkinoos den Abschnitt, so daß αἴτιος als Synonym zu πατήρ verstanden werden muß.¹²⁰ Bewußt vermeidet Alkinoos die zweite Bezeichnung aus Ti. 28c, ποιητής, weil sie die Vorstellung eines realen, handwerklichen Schöpfungsprozesses hervorruft, die weder seiner Auffassung vom ersten Gott, noch seiner Deutung der Timaeuserzählung in einem unzeitlichen Sinne entspricht.¹²¹ Die Bestimmung des ersten Gottes als Vater, insofern er Ursache aller Dinge ist, erläutert Alkinoos: Der erste Gott ist Ursache aller Dinge, insofern er »alles gemäß seines Willens mit sich erfüllt«. In der Erwähnung des göttlichen Willens klingen hier zwei Passagen des Timaeus an: Ti. 29e nennt als Motiv des göttlichen Handwerkers für die Weltschöpfung dessen Willen, daß alles soweit als möglich ihm ähnlich sei. Nach Ti. 41b hält der Demiurg durch seinen Willen das All für immer zusammen. Die Aussage, daß der erste Gott alles mit sich erfüllt, hat dagegen keine Parallele im Timaeus. Sie erinnert in gewisser Weise an die stoische Lehre vom göttlichen λόγος bzw. πνεῦμα, das den Kosmos durchdringt und damit im Sinne von Ti. 41b4 den Zusammenhalt des Kosmos garantiert.¹²² Das Verb ἐμπιμπλάναι ist jedoch kein stoischer Fachterminus. Alkinoos’ Auffassung vom ersten Gott als einem unkörperlichen und transzendenten Prinzip¹²³ ist außerdem mit der genannten stoischen ¹¹⁹ Intr. 10 (164,40–165,4): πατὴρ δέ ἐστι τῷ αἴτιος εἶναι πάντων καὶ κοσμεῖν τὸν οὐράνιον νοῦν καὶ τὴν ψυχὴν τοῦ κόσμου πρὸς ἑαυτὸν καὶ πρὸς τὰς ἑαυτοῦ νοήσεις· κατὰ γὰρ τὴν αὑτοῦ βούλησιν ἐμπέπληκε πάντα ἑαυτοῦ, τὴν ψυχὴν τοῦ κόσμου ἐπεγείρας καὶ εἰς αὑτὸν ἐπιστρέψας, τοῦ νοῦ αὐτῆς αἴτιος ὑπάρχων· ὃς κοσμηθεὶς ὑπὸ τοῦ πατρὸς διακοσμεῖ σύμπασαν φύσιν ἐν τῷδε τῷ κόσμῳ. ¹²⁰ Für die Verbindung von αἴτιος und πάντων πατήρ vgl. Intr. 9 (163,13). ¹²¹ Siehe Kapitel 5.3. ¹²² G. R-S 1999, 201 erscheint der Gedanke daher eher einem stoischen Autor angemessen. ¹²³ Siehe Intr. 10 (165,13–166,14).

IV. Alkinoos

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Vorstellung unvereinbar. Es ist daher zu fragen, wie die Aussage, daß der erste Gott alles mit sich erfüllt, aus der Perspektive eines Platonikers verstanden werden kann. Die Aussage κατὰ γὰρ τὴν αὑτοῦ βούλησιν ἐμπέπληκε πάντα ἑαυτοῦ läßt sich im Kontext von Intr. 10 bestimmen, wenn man berücksichtigt, daß Alkinoos den ersten Gott als Intellekt auffaßt, der sich selbst und seine Gedanken zum Inhalt seiner Denktätigkeit hat.¹²⁴ Daß der erste Gott alles mit sich erfüllt, bedeutet daher, daß die Vernunfttätigkeit des ersten Gottes alles erfüllt in dem Sinne, daß alles Anteil an den intelligiblen Strukturen erhält, welche der erste Gott im Vollzug seiner Denktätigkeit hervorbringt. Alkinoos bezeichnet also den ersten Gott als Ursache aller Dinge, insofern seine Denktätigkeit den Kosmos konstituiert und dessen vernünftiges Wesen bestimmt. Die Aussage κατὰ γὰρ τὴν αὑτοῦ βούλησιν ἐμπέπληκε πάντα ἑαυτοῦ erweist sich damit als eine Interpretation des Timaeus, die das Anliegen des Timaeus aufnimmt, den Kosmos als Hervorbringung der Vernunft und als Bild des intelligiblen Paradigmas darzustellen, ohne dabei das Modell eines handwerklichen Schöpfungsprozesses aufzugreifen, in dessen Zusammenhang sich das Problem einer zeitlichen Entstehung oder einer Auflösung des Kosmos stellt.¹²⁵ Bezeichnenderweise stellt die Aussage, daß der erste Gott alles mit sich erfüllt (ἐμπέπληκε), terminologisch eine Verbindung zur Schilderung des vorkosmischen Materiezustands in Ti. 52e her, wonach die Materie von ungleichen, nicht ausbalancierten Kräften erfüllt (ἐμπίμπλασθαι) ist. Diese Passage dient Auslegern des Timaeus wie Plutarch und Numenius als Ausgangspunkt dafür, einander widerstreitende Kräfte im Kosmos anzunehmen. Indem Alkinoos betont, daß der erste Gott als Vater und Ursache alles mit sich erfüllt, hebt er hervor, daß sich das Wesen des Kosmos allein aus dem Wesen des ersten Gottes herleitet. Damit schließt er ein dualistisches Verständnis des Kosmos aus. Die Bestimmung des ersten Gottes als Vater insofern er Ursache des Intellekts der Weltseele ist, erläutert Alkinoos anhand von Aussagen, die Handlungen des ersten Gottes an der Weltseele bzw. am himmlischen Intellekt beschreiben: Indem der erste Gott als erster Intellekt die ewige Tätigkeit des himmlischen Intellekts verursacht, ist er die Ursache der Vernunfttätigkeit der Weltseele. Dabei richtet er den himmlischen Intellekt auf sich aus und wendet ¹²⁴ Siehe Intr. 10 (164,29 f.). G. I 1976, 129 Anm. 36 versteht Intr. 10 (165,1) wie folgt: »L’affermazione secondo cui Dio vien detto riempire ogni cosa di se stesso non è sicuramente da interpretare in modo panteistico: il suo senso è, invece, che Dio riempie di sé tutte le cose nella misura in cui né è causa suprema.« R. E. W 1937, 130 betont: »The meaning of this is, not that the supreme God is himself immanent in the Universe, but that the latter participates in him, inasmuch as the Cosmic Intelligence has him as the object of thought and of desire.« ¹²⁵ Auf ihre Weise knüpft auch die stoische λόγος / πνεῦμα-Lehre an dieses hinter dem Titel πατήρ stehende Anliegen des Timaeus an.

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so die Weltseele zu sich hin. Alkinoos greift hier nachweislich Plutarchs Interpretation des Politicus-Mythos im Rahmen der Seelenbildung auf, allerdings nicht mit dem Ziel, einen vorkosmischen Zustand zu begründen, sondern in der Absicht, den ersten Gott als Ursache der kosmischen Vernunfttätigkeit zu erweisen.¹²⁶ Es stellt sich die Frage, wie sich die beiden Ursachenverhältnisse des ersten Gottes zur Gesamtheit aller Dinge bzw. zur Vernunfttätigkeit der Weltseele zueinander verhalten. Die syntaktische Struktur des Abschnitts Intr. 10 (164,40–165,4) legt nahe, daß das Ursachenverhältnis des ersten Gottes zur Weltseele als Erläuterung dessen zu verstehen ist, wie der erste Gott seinen Einfluß auf die Gesamtheit der Dinge ausübt.¹²⁷ Der erste Gott bzw. Intellekt konstituiert die Vernunftstruktur des Kosmos und erfüllt damit alles mit sich, indem er die Vernunfttätigkeit der Weltseele wirkt. Dieser Zusammenhang ist auch Gegenstand des Relativsatzes, der die Passage Intr. 10 (164,40–165,4) abschließt. Hier heißt es von dem Intellekt der Weltseele, daß er »durch den Vater zur Ordnung gebracht die gesamte Natur im hiesigen Kosmos ordnet«. Hier zeigt sich, daß das Wirken des ersten Gottes auf den himmlischen Intellekt nicht allein in einer Ausrichtung der Weltseele auf den ersten Gott resultiert, sondern eine auf den gesamten Kosmos bezogene Aktivität des Intellekts der Weltseele freisetzt. Die Ordnungstätigkeit des himmlischen Intellekts wird für gewöhnlich im Zusammenhang von Intr. 8 und 14 (169,39–41) gedeutet und vor dem Hintergrund der »bekannte[n] mittelplatonische[n] Vorstellung von der Weltbildung« verstanden.¹²⁸ Nach dieser Vorstellung formt der himmlische Intellekt, nachdem er selbst vom ersten Gott geordnet wurde, die chaotische Materie zum Kosmos, indem er ihr die Formen und Gestalten (τὰ εἴδη καὶ τὰς μορφάς) ¹²⁶ Gegenüber dem Beginn des Kapitels, an dem das Verhältnis zwischen (Welt-)Seele und (himmlischem) Intellekt unerörtert blieb, bezeichnet Alkinoos an der vorliegenden Stelle den himmlischen Intellekt explizit als Intellekt der Weltseele (165,3). Zur Bestimmung des Verhältnisses von himmlischem Intellekt und Weltseele siehe die ausführliche Erörterung im Zusammenhang der Analyse von Intr. 14 (169,35–41) in Kapitel 5.4. ¹²⁷ Für den Text Intr. 10 (164,40–165,4) siehe Anm. 119. Alkinoos erläutert das Prädikat ›Vater‹ durch zwei Infinitive, in denen er die beiden Ursachenverhältnisse nebeneinander ordnet. Im anschließenden Begründungssatz behandelt er im Hauptsatz das Verhältnis des ersten Gottes zum Kosmos insgesamt; das Verhältnis zum Intellekt der Weltseele erörtert er in den Partizipialausdrücken. Da Alkinoos gegen die Vorstellung einer realen Entstehung des Kosmos argumentiert (so ausdrücklich in Intr. 14 [169,32–41]; dazu die Analyse dieser Passage in Kapitel 5.4) und an vielen Stellen die Schilderung von aufeinanderfolgenden Handlungsabläufen des Timaeus in Zustandsschilderungen umformt, können die Partizipien nicht temporal verstanden werden. Die Übersetzung von P. L, CUFr Alcinoos läßt die Frage offen, indem sie die Partizipien in gleichgeordnete Hauptsätze auflöst. J. M. D 1995 gibt die partizipiale Struktur wieder in einer Weise, die eine temporale Interpretation eher ausschließt. ¹²⁸ Siehe z. B. H. Z 1994, 62.

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einprägt.¹²⁹ Dabei fungiere er als Schöpfungsmittler, der die Transzendenz des ersten Gottes bewahrt. Das vor allem aus Plutarch bekannte ›Weltbildungsschema‹ wandelt Alkinoos allerdings in charakteristischer Weise ab. Erstens stellt er in Intr. 14 ausdrücklich klar, daß die Ausdrücke des Ordnens (κοσμεῖν) nicht im Sinne einer realen Hervorbringung der Weltseele und folglich auch des Kosmos zu verstehen sind. Zweitens hat die Tätigkeit des himmlischen Intellekts nach Alkinoos keinen Anfang, sondern ist eine ewig andauernde Tätigkeit.¹³⁰ Drittens fügt sich die Formulierung in Intr. 10 (165,3 f.) nicht in das postulierte Schema ein. Im Sinne des Schemas würde man nämlich erwarten, daß der Intellekt der Weltseele, d. h. die Weltseele durch ihre Vernunfttätigkeit, die Materie zum Kosmos ordnet. Die Rede vom Ordnen der gesamten Natur in dem hiesigen Kosmos setzt aber den Bestand des Kosmos voraus. Der Wortlaut von Intr. 10 (165,3 f.) weist darauf hin, daß Texte wie Cra. 400a, Phd. 97c, Phdr. 246ef oder Phlb. 28e im Hintergrund dieser Passage stehen. An den genannten Stellen wird die Ordnungstätigkeit als Charakteristikum des Intellekts bzw. der Seele gesehen, aus welcher ihre Herrschaftsfunktion über den Körper abgeleitet wird. Intr. 10 (165,3 f.) ist daher als zusammenfassende Paraphrase von Ti. 34b–36e zu verstehen, wonach die Weltseele nach ihrer Bildung als Herrscherin über den Kosmos eingesetzt wird.¹³¹ Intr. 165,1 f. handelt folglich davon, wie die vernünftige Weltseele den Kosmos vernünftig regiert.¹³² Alkinoos beschreibt keine Weltbildung, sondern illustriert die Abhängigkeit der ewigen Vernunftordnung des Kosmos von der Vernunfttätigkeit des ersten Gottes. Daß Alkinoos dabei den ersten Gott als Ursache besonders hervorhebt, verdeutlicht ein Vergleich mit Äußerungen des Atticus über die Weltseele.¹³³ Demnach bindet und hält die Seele alles zusammen. Sie durchdringt alles und ist daher als die eine Kraft anzusehen, die das All regiert. Als Charakteristikum der platonischen Kosmologie hebt Atticus hervor, daß die vernünftige Seele die einheitliche Ursache des gesamten Universums ist, der eine Ursprung von Bewegung und die eine beseelte Kraft, deren Wirken erklärt, warum das Universum insgesamt vernünftig und schön organisiert ist. Alkinoos bezieht in Intr. 10 Aussagen, die bei Atticus Aussagen über die Weltseele entsprechen, gerade nicht auf die Weltseele bzw. ihren Intellekt, sondern auf den ersten Gott: Dieser erfüllt alles mit sich selbst und ist darin die eine Ursache aller ¹²⁹ Siehe Intr. 8 (162,35.40 f.); 14 (169,40 f.). ¹³⁰ Siehe Intr. 10 (164,19 f.). ¹³¹ Vgl. dazu Atticus, frg. 8 (Des Places), der die genannten Platontexte in einem kosmo-

logischen Kontext verwendet, um die Lage und Position der Weltseele innerhalb des Kosmos nach Ti. 34b–36d.e zu interpretieren, dank derer sie den Kosmos regiert. ¹³² Damit sachlich vergleichbar sind die Ausführungen bei Plutarch, an. procr. 33 (1030c). ¹³³ Atticus, frg. 8 (66 f. Des Places).

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Dinge. In Intr. 14 (170,6–8) beschreibt Alkinoos zwar die Lage der Weltseele innerhalb des Kosmos unter Verwendung ähnlicher Formulierungen aus dem Timaeus wie Atticus. An keiner Stelle innerhalb der kosmologischen Kapitel nennt er sie jedoch αἰτία oder ἀρχή.¹³⁴ Vielmehr schildert er das Verhältnis des ersten Gottes zur Weltseele so, daß die Seele nicht mehr ohne weiteres als selbstbewegtes Prinzip verstanden werden kann. Nach Intr. 10 (164,22–27) bewegt der erste Gott ihren Intellekt und ist damit Ursache von dessen ewiger ἐνέργεια.¹³⁵ Auch Intr. 14 legt mit dem Bild von der schlafenden Weltseele, die vom ersten Gott zu ihrer Tätigkeit erweckt wird, gerade nicht den Akzent darauf, die Weltseele als selbstbewegtes Prinzip darzustellen, sondern hebt hervor, daß sie in ihrem Wesen und in ihrer kosmologischen Funktion vom ersten Gott abhängt.¹³⁶ Das Anliegen des Alkinoos innerhalb der Prinzipienlehre ist es, hervorzuheben, daß die Denktätigkeit des ersten Gottes die vernünftige Struktur des Kosmos insgesamt konstituiert. Dadurch erweist sich der erste Gott als ›Ursache aller Dinge‹. Es zeigt sich, daß Alkinoos in Auslegung von R. 506–9; Phlb. 35a und Ti. 28c.29c den ersten Gott als Ursache sowohl des intelligiblen Kosmos, als auch der vernünftigen Ordnung des sichtbaren Kosmos präsentiert. Meine Deutung von Intr. 10 (164,40–165,4) unterscheidet sich damit von der Position, wie sie beispielhaft Pierluigi Donini vertreten hat.¹³⁷ Donini faßt die Bezeichnung des ersten Gottes als Vater und Urheber als reine Metaphern auf, die Alkinoos aus dem Timaeus übernehme, ohne den ersten Gott wirklich in ein ursächliches Verhältnis zum Kosmos zu stellen.¹³⁸ Die Rolle des Demiurgen im eigentlichen Sinne werde der Weltseele übertragen.¹³⁹ Diese schlichte Identifikation übersieht, daß der Demiurg nach Intr. 13 (168,9) Schöpfer des Weltkörpers und der Weltseele ist und Alkinoos in Intr. 14 (169,32–41) und in Intr. 10 (164,40–165,4) das Ursachenverhältnis Gottes zum Kosmos mit dem Ursachenverhältnis Gottes zur Weltseele parallel setzt. Meines Erachtens setzt Donini die Akzente falsch. Indem er von der Transzendenz des höchsten göttlichen Prinzips ausgehend jegliche Beziehung des ersten Gottes zum Kosmos leugnet,¹⁴⁰ verfehlt er die Absicht des Didaskalikos. ¹³⁴ Die klassische Bestimmung der Weltseele als Ursprung von Bewegung und Entstehen (Phdr. 245c) greift Alkinoos Intr. 25 (178,15–21) im Rahmen einer Zusammenstellung mehrerer Argumente für die Unsterblichkeit der Seele auf. Diese Aussagen sind aber nicht auf die kosmologischen Kapitel Intr. 8–15 übertragbar. ¹³⁵ Siehe dazu die Analyse in Kapitel 5.1. ¹³⁶ Siehe dazu die Analyse in Kapitel 5.4. ¹³⁷ P. L. D 1988a, 118–131. ¹³⁸ Darin folgt er J. M 1972, 63. ¹³⁹ P. L. D beruft sich für diese Identifikation auf die Parallele von Intr. 12 (167,8– 10) und Intr. 14 (169,39–41). Zur Kritik an der Parallelisierung dieser zwei Passagen siehe G. R-S 1999, 198 Anm. 90. ¹⁴⁰ Siehe P. L. D 1988a, 131.

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Alkinoos möchte die Transzendenz des höchsten Gottes aussagen und ihn zugleich als die Ursache des Kosmos erweisen, die dessen Wesen bestimmt. Die Vernunfttätigkeit des ersten Gottes konstituiert nach Alkinoos ein reales Ursacheverhältnis des ersten Gottes zur Weltseele und zum Kosmos. Mit Gretchen Reydams-Shils ist zu betonen: »The metaphors are not innocent«¹⁴¹. Nach Pierluigi Donini steht der erste Gott in keinem direkten Verhältnis zum Kosmos, sondern wirkt durch die Intervention des himmlischen Intellekts, den Donini als zweiten Gott auffaßt. Die Bezeichnung αἴτιος sei wie der Titel πατήρ nur im metaphorischen und uneigentlichen Sinne auf den ersten Gott zu beziehen.¹⁴² Alkinoos identifiziere daher den platonischen Demiurgen mit dem zweiten Gott.¹⁴³ Das Problem dieser Deutung besteht darin, daß für Donini augenscheinlich nur eine effiziente, demiurgische Ursache als eigentliche Ursache gilt, die in einem direkten Verhältnis zum Verursachten steht. Das entspricht jedoch nicht der platonisch-aristotelischen Klassifikation der Ursachen, der sich Alkinoos anschließt, und nach der die bewegungsleitende Überlegung die eigentliche Ursache einer Handlung ist, von der her die Erklärung eines Zustandes oder eines Zusammenhanges gewonnen werden kann. Doninis Deutung ist jedoch repräsentativ für die Schwierigkeit, die schon seit der Antike besteht, die platonisch-aristotelische Finalursache als Ursache zu begreifen.¹⁴⁴ Die Aussagen des Alkinoos, die den ersten Gott ausdrücklich als Urheber (αἴτιος) des Intellekts der Weltseele und des Kosmos benennen, versuchen, am platonisch-aristotelischen Begriff der Ursache festzuhalten, indem sie dieses konkurrierende Verständnis einer Ursache aufgreifen. Sie zeichnen den ersten Gott einerseits als Finalursache im platonisch-aristotelischen Sinne und bemühen sich andererseits deutlich zu machen, daß der erste Gott darin eine Ursache in dem Sinne ist, daß sein Wirken einen Effekt hervorbringt.¹⁴⁵ Die Aussagen des Didaskalikos nehmen dabei immer wieder Zuflucht zu bildlicher Redeweise und spiegeln damit die Schwierigkeit wider, von der Aktivität einer transzendenten, unkörperlich gedachten Größe zu sprechen. Indem Alkinoos die Gestalt des platonischen Demiurgen als Metapher für das ursächliche Verhältnis des ¹⁴¹ G. R-S 1999, 200. ¹⁴² »Donc, après ce passage [Intr. 10 (164,40–165,4) C. K.], la causalité du premier dieu ne

s’éxercerait directement que sur le second dieu, qui à son tour, serait celui qui entre vraimant en rapport avec le cosmos« (P. L. D 1988a, 123); »il n’y a plus aucune trace de la function demiurgique et du rapport causale du dieu avec le cosmos; ce qu’ils semblent exprimer c’est plutôt la notion d’un dieu lointain, transcendant et parfait, dont le rapport avec le cosmos est mince et indirect, toujours effectué par l’intervention du second dieu« (a. a. O., 127). ¹⁴³ P. L. D 1988a, 122–125. D interpretiert Alkinoos stark von der Gotteslehre des Numenius her, die er als das mittelplatonische Modell betrachtet. ¹⁴⁴ Sehr aussagekräftig ist P. L. Ds Gleichsetzung von ›fonction demiurgique‹ und ›rapport causale du dieu avec le cosmos‹ (1988a, 127). Siehe zu diesem Problem der antiken Ursachenlehre M. F 1980, 218. Durch den Einfluß des stoischen Ursachebegriffs, nach dem nur die direkte Interaktion zwischen Körpern als Verursachung begriffen werden kann, trat der Aspekt der Angabe einer Erklärung (αἰτία) in der Ursachenlehre zurück. Zunehmend galt allein die Bewegungsursache bzw. die effiziente Ursache als Ursache im eigentlichen Sinne. Dieser Prozeß schlägt sich in der berühmten Definition der Ursache durch Sextus Empiricus nieder, nach der eine Ursache das ist, δι’ ὃ ἐνεργοῦν γίνεται τὸ ἀποτέλεσμα (P. 3,14). Für die Verbreitung dieser Ansicht siehe die Belege bei F, a. a. O., 219. ¹⁴⁵ Am Kosmos allgemein: Intr. 10 (165,1 f.); an der Weltseele: 10 (164,23–27.40–42; 165,1–3); 14 (169,35–41).

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ersten Gottes zum Kosmos verwendet, stellt er letztlich nichts anderes heraus, als daß der erste Gott als Finalursache das eigentliche ποιοῦν des Kosmos und Ursache in der vollen Bedeutung des Begriffes ist, von dessen Wirken her das Wesen des Kosmos zu verstehen ist. In Alkinoos’ Verständnis des Terminus αἴτιον ist der Aspekt der Ursache mit dem Aspekt der Erklärung sehr eng verknüpft.¹⁴⁶ Im Rahmen der Kosmologie, die zum Ziel hat, das Wesen des Kosmos zu erklären, hat letzterer besondere Bedeutung. Die Bezeichnung αἴτιον für den ersten Gott darf daher nicht im Sinne Doninis als aussageneutrale Metapher ›entschärft‹ werden. Denn es ist für Alkinoos allein der Rekurs auf den ersten Gott, der das Wesen und die Verfassung des Kosmos erklärt.

5.3. Gottes Ursachenverhältnis zum Kosmos ist nicht als ein reales Schöpfungsgeschehen zu denken (Ti. 28b7) In Intr. 14 behandelt Alkinoos das Verhältnis des ersten Gottes zum Kosmos und zur Weltseele im Zusammenhang der Frage, wie Platons Rede, daß der Kosmos entstanden sei bzw. der Demiurg die Weltseele schaffe, zu verstehen ist.¹⁴⁷ Der Widerspruch zwischen Aussagen, die Ewigkeit und Ungewordensein der Seele feststellen, und solchen Passagen des Timaeus, welche die Entstehung und Erschaffung des Kosmos und der Seele behaupten, ist ein Kernproblem der antiken Auslegung des Timaeus. Besonders an Ti. 27c–28c entzündete sich die Frage, ob der platonische Schöpfungsbericht wörtlich zu verstehen sei.¹⁴⁸ Vor dem Hintergrund dieser Auslegungsdebatte, die bereits unter Platons unmittelbaren Schülern begann, ist dieser Abschnitt des Didaskalikos zu verstehen: Wenn er [Platon] aber sagt, daß der Kosmos geworden sei, so ist er nicht so zu hören, als ob einst eine Zeit war, in welcher der Kosmos nicht war, sondern daß er beständig im Werden ist und eine grundlegendere Ursache seiner Existenz sichtbar macht.¹⁴⁹

Alkinoos gibt hier zu erkennen, daß er die Erzählung des Timaeus nicht als Schilderung eines realen Schöpfungsgeschehens versteht. Er führt zwei Deutungen an, die γενητός, das als Attribut des Kosmos wahrscheinlich aus Passagen wie Ti. 28b7–c2 entwickelt wurde,¹⁵⁰ im übertragenen Sinne interpretie¹⁴⁶ Zu diesen zwei Aspekten des Terminus αἴτιον siehe M. F 1980, 221–224. ¹⁴⁷ Intr. 14 (169,32–41). ¹⁴⁸ Diese Streitfrage untersucht umfassend die zweibändige Arbeit von M. B 1976 u.

1978. Eine Zusammenstellung wichtiger Quellentexte zu dieser Frage und eine zusammenfassende Darstellung finden sich auch in H. D / M. B 1998, 84–180.373–523.523– 535. ¹⁴⁹ Intr. 14 (169,32–35): Ὅταν δὲ εἴπῃ γενητὸν εἶναι τὸν κόσμον, οὐχ οὕτως ἀκουστέον αὐτοῦ ὡς ὄντος ποτὲ χρόνου ἐν ᾧ οὐκ ἦν κόσμος· ἀλλὰ διότι ἀεὶ ἐν γενέσει ἐστὶ καὶ ἐμφαίνει τῆς αὑτοῦ ὑποστάσεως ἀρχικώτερόν τι αἴτιον. [Einfügung in der Übersetzung von mir]. ¹⁵⁰ Platon sagt nicht direkt, daß der Kosmos γενητός sei, sondern daß er geworden (γέγονεν) sei (Ti. 28b7). Zum Sprachgebrauch bei den Timaeusauslegern siehe M. B 1976, 2 f.

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ren. Alkinoos steht dabei in einer Tradition scholastischer Systematisierungen von Bedeutungen.¹⁵¹. Mit der ersten Deutung ordnet Alkinoos den Kosmos innerhalb der platonischen Ontologie dem Bereich des Werdens zu. Für die Angehörigen dieses Bereiches ist es charakteristisch, daß sie – anders als die Intelligibilia, die dem Bereich des Seins angehören – nicht dauerhaft, beständig, ewig mit sich selbst identisch und unveränderlich sind, sondern als sinnlich wahrnehmbare Körper ständig im Fluß sowie Werden, Vergehen und Veränderung unterworfen sind.¹⁵² Sie können nicht selbständig existieren, sondern stehen in einem Verhältnis der ontologischen Abhängigkeit zum Bereich der Intelligiblia, in dem ihre αἴτια liegen. Daß der Kosmos in diesem Abhängigkeitsverhältnis steht, hebt dann Alkinoos’ zweite Bedeutung eigens hervor.¹⁵³ Sie weist vor dem Hintergrund von Intr. 10 (164,40–165,4) das Attribut ›geworden‹ als Komplementärbegriff zum Prädikat ›Vater‹ aus, das Alkinoos im Sinne von ›Ursache aller Dinge‹ (αἴτιος πάντων) dem ersten Gott beigelegt hatte. Alkinoos hält den Kosmos somit insofern für geworden, als er abhängig ist vom ersten Gott als der vorgeordneten, höheren Ursache. Mit dieser Interpretation der Rede vom Werden des Kosmos tritt Alkinoos nicht zuletzt der Vorstellung eines κόσμος ἐκ τοῦ αὐτομάτου entgegen.

5.4. Das Wesen der Weltseele und ihre Abhängigkeit vom ersten Gott (Ti. 34c–35a) Auf die gleiche Weise behandelt Alkinoos das Problem, wie die Rede von der Entstehung der Weltseele im Timaeus zu verstehen ist: Auch die Weltseele, die ja ewig ist, hat Gott nicht geschaffen, sondern geordnet (und in diesem Sinne dürfte Platon wohl sagen, daß Gott sie auch schaffe), indem er ihren Intellekt und sie aufweckt und zu sich hinwendet wie aus einem tiefen Schlaf oder einer

¹⁵¹ Siehe z. B. Calvenus Taurus bei Johannes Philoponus, Procl. 6,8 (146,2 f. Rabe), dessen dritte und vierte Deutung sachlich den beiden Deutungen des Alkinoos entsprechen. Die erste Deutung des Alkinoos, daß der Kosmos als geworden bezeichnet werden kann, insofern er ewig im Werden ist, kann sich auf eine Lesart von Ti. 27d5–28a4 berufen, die zwischen ὂν ἀεί und γιγνόμενον ἀεί unterscheidet. Die antiken Ausleger verstanden dabei unter τὸ γιγνόμενον ἀεί den sichtbaren Kosmos, der von dem intelligiblen Ideenkosmos als dem τὸ ὂν ἀεί zu unterscheiden ist. Siehe dazu M. B 1976, 86 f. Zum Text von Ti. 27d–28a siehe J. W 1969a, 181–185; . 1973, 387–391; zu ›ideologischen‹ Konjekturen am Text des Timaeus in der Antike siehe auch J. M. D 1989, 56–63. ¹⁵² In Intr. 11 (166,29–32) stellt Alkinoos die Wesensmerkmale von Körpern denen der intelligiblen Ideen – hier angewendet auf die Klasse der ποιότητες – gegenüber. In Intr. 25 (177,25 f.) charakterisiert er ›Körper‹ im Rahmen eines Beweises für die Unsterblichkeit der Seele, der auf Phd. 83b und Ti. 51a aufbaut. ¹⁵³ Daß beide Bedeutungen eng zusammenhängen, betont auch Porphyrius. Siehe dazu M. B 1976, 110.

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Ohnmacht, so daß sie, indem sie zu seinen Gedanken aufblickt, die Gestalten und die Formen aufnimmt, wobei sie nach dessen Gedanken strebt.¹⁵⁴

Alkinoos beginnt hier keinen neuen Abschnitt, sondern schließt die Ausführungen über die Weltseele eng an die vorangehenden Ausführungen über den Kosmos an, ist doch das Bestehen und das Wesen des Kosmos von dem der Weltseele nicht zu trennen. Auch bezogen auf die Weltseele lehnt Alkinoos die Vorstellung eines realen, anfänglichen Schöpfungsgeschehens ab, da sie der platonischen Lehre von der Ewigkeit der Seele widerspräche, wie sie prominent zum Beispiel in Phd. 105c–107a vorgetragen wird. Er sucht daher nach interpretierenden Formulierungen, die den Skopos der Timaeuserzählung, wie er ihn sieht, bewahren, ohne den Gedanken einer realen Bildung der Weltseele zu enthalten. Diese Funktion sieht er in der Vorstellung erfüllt, daß Gott die Weltseele ordnet. Er beschreibt sie ähnlich Intr. 10 in terminologischer Anknüpfung an die Deutung des Politicus-Mythos durch Plutarch als Aufwekken und Hinwenden der Weltseele und ihres Intellekts zu Gott.¹⁵⁵ Er illustriert den Gedanken des Ordnens der Weltseele aber dann durch einen Vergleich, durch den er sich inhaltlich deutlich von der Auslegung Plutarchs distanziert: Das Aufwecken und Hinwenden der Weltseele und ihres Intellekts geschieht wie aus einem tiefen Schlaf oder einer Ohnmacht. Sowohl die Herkunft als auch die Deutung dieses Bildes sind in der Forschung umstritten.¹⁵⁶ Jaap Mansfeld hat jedoch überzeugend auf die aristotelische Verwendung des Bildes vom Schlaf aufmerksam gemacht.¹⁵⁷ Auf seinem Ansatz aufbauend interpretiert Werner Deuse¹⁵⁸ das Bild vor dem Hintergrund der aristotelischen δύναμις-ἐνέργεια-Lehre.¹⁵⁹ In deren Rahmen ist der Schlaf ein Beispiel für einen Zustand der Potentialität, die als nicht ausgeübte, ruhende Tätigkeit verstanden wird.¹⁶⁰ Wie aber ist das Bild, daß Gott die Welt¹⁵⁴ Intr. 14 (169,35–41): καὶ τὴν ψυχὴν δὲ ἀεὶ οὖσαν τοῦ κόσμου οὐχὶ ποιεῖ ὁ θεός [sic!] ἀλλὰ κατακοσμεῖ, καὶ ταύτῃ λέγοιτ’ ἂν καὶ ποιεῖν, ἐγείρων καὶ ἐπιστρέφων πρὸς αὑτὸν τόν τε νοῦν αὐτῆς καὶ αὐτὴν ὥσπερ ἐκ κάρου τινὸς βαθέος ἢ ὕπνου, ὅπως ἀποβλέπουσα πρὸς τὰ νοητὰ αὐτοῦ δέχηται τὰ εἴδη καὶ τὰς μορφάς, ἐφιεμένη τῶν ἐκείνου νοημάτων. ¹⁵⁵ Siehe Plutarch, an. procr. 28 (1026f); vgl. 24 (1024cd). ¹⁵⁶ W. T 1955, 71 bringt das Bild in Verbindung mit der Gnosis. J. M. D 1977, 287 verortet es »somewhere in the underworld of Middle Platonism«. ¹⁵⁷ J. M 1972, 65. ¹⁵⁸ W. D 1983, 83–87. ¹⁵⁹ Aristoteles unterscheidet zwei Formen von Potentialität: Potenz als Anlage und Disposition einer zukünftigen, noch zu erwerbenden Tätigkeit und Potenz als ruhende, nicht ausgeübte Tätigkeit (de An. 2,6 [417b29–418a6]). W. D 1983, 84 f. weist nach, daß diese Unterscheidung und das Bild des Schlafes auch von Platonikern übernommen wurden. Intr. 26 (179,23–31) zeigt, daß Alkinoos beide Formen von Potentialität kennt. Siehe die Analyse dieses Abschnitts bei D, a. a. O., 85 Anm. 12. ¹⁶⁰ W. D 1983, 84 verweist auf Aristoteles, GA 2,1 (735a9–11); EN 8,6 (1157b5–11). Dieses Verständnis von Potentialität dürfte auch der Unterscheidung von νοῦς ἐν δυνάμει und νοῦς κατ’ ἐνέργειαν in Intr. 10 (164,19 f.) zugrunde liegen, in deren Kontext Alkinoos das Verhältnis des ersten Gottes zum himmlischen Intellekt behandelt.

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seele mit ihrem Intellekt vom Status der Potentialität in den Status der Aktualität überführt, zu deuten und welche Funktion hat es für Alkinoos’ Interpretation des Timaeus im vorliegenden Abschnitt Intr. 14 (169,32–41)? Liest man das Bild vor dem Hintergrund der Aussagen über die Weltseele in Intr. 10 – was durch die Parallelität der Formulierung von 169,37 f. und 164,1 f. naheliegt – und behält man außerdem das Auslegungsproblem im Blick, das Alkinoos in Intr. 14 (169,32–41) zu lösen versucht, dann zeigt sich, daß es Alkinoos in Intr. 14 wie in Intr. 10 um die Bestimmung der Weltseele durch den ersten Intellekt geht. Alkinoos benutzt in Intr. 14 (169,39) den Vergleich vom Aufwecken aus tiefem Schlaf oder Ohnmacht, um gerade die Abhängigkeit der Weltseele vom ersten Gott auszudrücken. Er unterscheidet zwischen einer ›schlafenden‹ Weltseele, deren νόησις ruht, und einer ›wachen‹ Weltseele, die erkennend nach Gott strebt, um mit dem gedanklichen Moment des Übergangs von einem Zustand in den anderen einen Punkt zu gewinnen, an dem er das Wirken des ersten Gottes anschaulich machen kann. Gleichzeitig vermeiden die Kategorien von Potentialität und Aktualität den Gedanken einer realen Erschaffung der Weltseele, worauf es Alkinoos bei seiner Interpretation des göttlichen ποιεῖν ankommt. In diesem Zusammenhang ergibt sich eine weitere Beobachtung. Wenn Alkinoos in Intr. 10 (164,1–3) und Intr. 14 (169,37 f.) den himmlischen Intellekt von der Weltseele unterscheidet, so geschieht das nur, um das Wirken des ersten Gottes an der Weltseele als Konstruktion ihrer Vernunfttätigkeit beschreiben zu können. Intr. 10 (165,1–4) spricht zuerst nur von der Weltseele und hebt dann ihren Intellekt hervor, um das Wirken des ersten Gottes an ihr sowie ihre kosmologische Funktion zu erklären. Intr. 14 (169,37–41) unterscheidet zuerst zwischen Weltseele und ihrem Intellekt, um Gottes Wirken an der Weltseele zu beschreiben, führt dann aber die Folgen dieses Wirkens nur für die Weltseele aus.¹⁶¹ In vergleichbarer Weise mutet Alkinoos seinen Lesern in Intr. 10 (164,19 f.) auch das Paradoxon eines νοῦς ἐν δυνάμει zu, den er lediglich gedanklich vom νοῦς κατ’ ἐνέργειαν unterscheidet, um den ersten Gott als Ursache aller Vernunfttätigkeit zu erweisen. Eine Weltseele ohne νόησις ist für Alkinoos ein ebenso großes Paradoxon wie ein potentieller Intellekt. Die Unterscheidung zwischen der Weltseele und ihrem Intellekt zielt daher in Alkinoos Argumentation nicht darauf, ein vom Intellekt unterscheidbares Wesen der Weltseele zu behaupten, sondern betont vielmehr, daß das Wesen der Weltseele ausschließlich durch die Tätigkeit ihres Intellekts bestimmt ¹⁶¹ J. H. L 1956, 306 prägte die Formulierung, daß der himmlische Intellekt bei Alkinoos nichts anderes als eine Funktion der Weltseele sei. Meines Erachtens ist damit das Verhältnis noch unterbestimmt, denn Alkinoos stellt die Weltseele so dar, daß ihr Wesen mit dieser Funktion identisch ist. Das zeigen gerade die Passagen, die scheinbar zwischen Weltseele und ihrem Intellekt unterscheiden.

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ist.¹⁶² Darin unterscheidet sie sich von den menschlichen Einzelseelen.¹⁶³ Indem Alkinoos die Weltseele auf diese Weise bestimmt, distanziert er sich erneut von der Kosmologie Plutarchs, der eine unvernünftige Weltseele lehrt. Daß das Wesen der Weltseele in ihrer Vernunfttätigkeit besteht und als solches im ersten Gott seine Ursache hat, erhellt schließlich der Fortgang der Passage. Alkinoos nennt die Folge, die sich aus dem Aufwecken und dem Ausrichten durch den ersten Gott für die Weltseele ergibt (Intr. 14 [169,39–41]): Indem sie zu den Gedanken des ersten Gottes aufschaut, nimmt sie die Formen und Gestalten auf. Alkinoos beschreibt hier erneut, wie der erste Gott die Erkenntnistätigkeit der Weltseele initiiert, indem er ihre Rationalität konstituiert. Denn mit den Gestalten und Formen (τὰ εἴδη καὶ αἱ μορφαί) nimmt die Seele jene intelligiblen Strukturen auf, die Voraussetzung ihrer Erkenntnistätigkeit sind.¹⁶⁴ Diese in der platonischen Erkenntnistheorie wurzelnde Vorstellung interpretiert Alkinoos als Streben der Weltseele nach den Gedanken des ersten Gottes, d. h. den intelligiblen Ideen. Damit schlägt er einen Bogen zu Intr. 10 (164,23–27). Dort hatte er die aristotelische Vorstellung, daß Gott als Intellekt unbewegt wirkt und als erstrebtes Gut das Streben, d. h. den himmlischen Intellekt, bewegt, bereits platonisch interpretiert und benutzt, um den ersten Gott als Ursache der Vernunfttätigkeit des himmlischen Intellekts zu erweisen. In Intr. 14 (169,41) wendet Alkinoos nun die gleiche Vorstellung auf die Weltseele an und drückt dadurch in einem weiteren Bild aus, daß der erste Gott die Ursache der Vernunfttätigkeit der Weltseele ist. Der Durchgang durch die Aussagen über die Weltseele in Intr. 14 (169,35– 41) zeigt, daß Alkinoos um eine angemessene Deutung der Timaeuserzählung vom Erschaffen der Weltseele ringt, indem er eine Vielzahl von Bildern präsentiert, die Gottes ursächliches Wirken auf die Weltseele ausdrücken sollen, ¹⁶² Meine Deutung unterscheidet sich an dieser Stelle von der Interpretation, die W. D vorgelegt hat. Seiner Meinung nach benutzt Alkinoos das Bild vom Erwecken der Weltseele und ihres Intellekts »um die Seele als eigenes … Prinzip unabhängig vom ersten Nous zu konstituieren, u.zw. als Prinzip, daß nicht in die Irrationalität absinkt.« Alkinoos gelinge es dadurch, deutlich zu machen, daß die Seele ein eigenes, von ihrem Nous unterscheidbares Wesen besitze, ohne die Denkkategorien von dualistischen Traditionen zu benutzen (D 1983, 86). Allerdings urteilt D, was die Frage der Abhängigkeit der Weltseele vom ersten Gott angeht, an anderer Stelle ähnlich wie ich. So solle man annehmen, daß sich in Intr. 14 (169,35–41) »der Übergang vom ungeordneten zum geordneten Sein nicht auf reale Veränderungen in der Zeit bezieh[t], sondern, wie die Schilderung des Schöpfungsgeschehens überhaupt, die Abhängigkeit der Weltseele und ihres Nous von einer vorgeordneten Ursache anschaulich beschreiben soll[]« (a. a. O., 83). Die Übereinstimmung an dieser Stelle resultiert daraus, daß D hier auch nach der Funktion der Aussagen über die Weltseele in diesem Abschnitt fragt. ¹⁶³ Diese Differenz verwischt W. D 1983, 86, indem er Aussagen über die menschliche Einzelseele bzw. die Seelen der Götter in Intr. 25 (178,32–37) auf die Weltseele überträgt. ¹⁶⁴ Siehe W. D 1983, 89 f. und meine Ausführungen zu Intr. 14 (169,18–31) am Ende dieses Abschnitts.

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ohne ein reales Schöpfungsgeschehen anzunehmen. Dabei muß er aber die Unzulänglichkeit seiner Bilder in Kauf nehmen. Die Bilder vom Ordnen, Aufwecken und Ausrichten, Aufblicken und Aufnehmen reden von Geschehen und können als zeitlich aufeinanderfolgende Handlungen mißverstanden werden. Im Bild des Aufweckens aus tiefem Schlaf ist eine Unterscheidung zwischen einem potentiellen und einem aktuellen Zustand der Weltseele impliziert, der ebenfalls zeitlich mißdeutet werden kann. Außerdem setzten alle diese Bilder, wenn man sie als Schilderung von Vorgängen in der Zeit mißversteht, die Annahme einer Weltseele mit ruhender νόησις bzw. eines potentiellen Intellekts voraus, was für Alkinoos unannehmbare Paradoxa sind. Vor dem Hintergrund seines Bemühens, die Erzählung des Timaeus so zu deuten, daß die Vorstellung eines realen Schöpfungsgeschehens vermieden wird, konvergieren jedoch alle Bilder in einer Aussage. Sie beschreiben das Wesen der Weltseele als Erkenntnistätigkeit und sehen es in Abhängigkeit vom ersten Gott als ihrer Ursache. Die Aussagen über das Wesen der Weltseele in Intr. 14 (169,35–41) haben eine sachliche Entsprechung im vorangehenden Abschnitt 169,18–31.¹⁶⁵ Alkinoos beginnt hier die Abhandlung über die Weltseele¹⁶⁶ mit einer Paraphrase und Interpretation von Ti. 34c–35a. Dabei deutet er die Schilderung der Zusammensetzung und Mischung der Weltseele als Reflexion Platons¹⁶⁷ über die Voraussetzung ihrer Erkenntnistätigkeit. Bereits Crantor und seine Schüler in der Alten Akademie deuteten Ti. 34c–35a in ähnlicher Weise, um die Vorstellung einer realen Entstehung der Weltseele zu vermeiden.¹⁶⁸ Alkinoos leitet die Struktur der Weltseele aus den Grundaxiomen der platonischen Erkenntnislehre ab. Für die Seele ist charakteristisch, daß sie die Prinzipien aller seienden Dinge (αἱ ἁπάντων τῶν ὄντων ἀρχαί) in sich trägt. Diese Prinzipien erhält sie, indem sie sich zum ersten Gott hinwendet und von ihm die Gestalten und Formen empfängt (169,39 f.). Für Alkinoos und seine Vorgänger liegt damit der Skopos von Ti. 34c–35a nicht in der Schilderung eines zeitlichen Schöpfungsgeschehens, sondern einerseits in der Analyse der Struktur der Weltseele, ¹⁶⁵ Das Urteil von K. A 1993, 52, die zwischen den beiden Abschnitten von Intr. 14 keine gedankliche Verbindung feststellen kann, trifft nicht zu. ¹⁶⁶ In der korrupten Einleitung von Intr. 14 erklärt Alkinoos die Abfolge seiner Darstellung wohl damit, daß Platon auf die Erörterung der Körper – was sich wohl auf die Ausführung zur Bildung des Weltkörpers aus den Elementarkörpern bezieht – die Untersuchung über die Seele folgen läßt. So interpretiert auch M. B die Einleitung zu Intr. 14 (H. D / M. B 2002b, 118). ¹⁶⁷ Daß Platon Subjekt der Singularprädikate des Abschnitts sein muß, legt sich von daher nahe, daß er eindeutig Subjekt der Sätze in 169,18.32 (πεποίηται/ εἴπῃ) ist und im Abschnitt 169,18–31 kein anderes Subjekt eingeführt wird. Anders M. B, der zwar in 169,18.32 Platon als Subjekt sieht, aber die anderen Singularprädikate auf Gott, den Demiurgen bezieht (H. D / M. B 2002b, 3.119.) ¹⁶⁸ Siehe Plutarch, an. procr. 2 (1012f–1013a).

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welche ihr Urteilen, d. h. die ihr wesenseigene Tätigkeit, erst ermöglicht, sowie andererseits in der Behauptung, daß diese Vernunftstruktur der Seele eine höhere Ursache hat.

6. Die kosmologische Funktion der Weltseele und das Wesen des Kosmos 6.1. Die Bedeutung der Weltseele für das Wesen des Kosmos ( Ti. 34b.36c–e) Nach dem Blick auf die ersten beiden Abschnitte von Intr. 14 im vergangenen Kapitel ist es nun möglich, den Gedankengang der Aussagen über die Weltseele in Intr. 14 insgesamt zu skizzieren. Auch wenn Alkinoos weitgehend dem Timaeus folgt, setzt er doch eigene Akzente. Im ersten Abschnitt analysiert er in einer Interpretation von Ti. 34c–35a die Struktur der Weltseele und legt Urteilen (169,18) und Erkennen (169,30) als die ihr wesenhaften Tätigkeiten dar. Im zweiten Abschnitt stellt er die Abhängigkeit dieses rationalen Wesens der Weltseele vom ersten Gott heraus. Dabei äußert er sich grundsätzlich zur Frage, wie Platons Rede von der Entstehung des Kosmos und der Bildung der Weltseele im Timaeus zu verstehen ist. Er läßt durchblicken, daß er um die Schuldebatte über die Deutung von Ti. 28b7 weiß und überträgt die unzeitliche Interpretation des γενητὸς εἶναι auf die Deutung der Aussagen über die Weltseele. Wie die Rede von der Entstehung des Kosmos ihren Skopos darin hat, den ersten Gott als Ursache des Kosmos zu erweisen (169,34 f.), so liegt auch der Rede von der Erschaffung der Weltseele die Absicht zugrunde, den ersten Gott als Ursache ihres Wesens, d. h. ihrer Vernunfttätigkeit, zu bestimmen (165,3). Damit nennt Alkinoos die Voraussetzungen für die sich anschließende Deutung von Ti. 34b–36e in 170,4–20. Hier arbeitet er heraus, wie die Position und die Bewegung der Weltseele im Kosmos, die vor dem Hintergrund der vorangehenden Abschnitte als Erkenntnistätigkeit aufzufassen ist, den Charakter des Kosmos bestimmt. Dabei bedient sich Alkinoos erneut der Methode, seinen Gedankengang zu formen, indem er seine Paraphrasen des Timaeus in bestimmter Reihenfolge anordnet und dabei einzelne Passagen umstellt. So fügt er im Anschluß an die Aussagen über die Vernunfttätigkeit der Weltseele eine Feststellung über den Kosmos ein: Es ist nun offensichtlich, daß der Kosmos lebendig und vernünftig ist. Da Gott ihn nämlich als besten schaffen wollte, schuf er ihn folglich beseelt und vernünftig.¹⁶⁹ ¹⁶⁹ Intr. 14 (169,41–170,1): Δῆλον οὖν ὅτι ζῷον ἂν εἴη ὁ κόσμος καὶ νοερόν· ἄριστον γὰρ αὐτὸν βουλόμενος ποιῆσαι ὁ θεὸς ἀκολούθως καὶ ἔμψυχον αὐτὸν ἐποίησε καὶ νοερόν·

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Mit dieser Wiedergabe von Ti. 30bc faßt Alkinoos das Wesen des Kosmos zusammen. Doch warum kehrt er noch einmal zu dieser Stelle des Timaeus zurück, die er doch innerhalb seiner fortlaufenden Paraphrase des Timaeus bereits in Intr. 12 hätte anführen müssen?¹⁷⁰ Alkinoos fügt die allgemeine Charakterisierung des Kosmos als eines vernunftbegabten Lebewesens bewußt erst in seine Abhandlung über die Weltseele ein und zwar im unmittelbaren Anschluß an die Abschnitte, in denen er nachgewiesen hat, daß das Wesen der Weltseele in ihrer Vernunfttätigkeit besteht. Dadurch bringt er zum Ausdruck, daß der rationale Charakter des Kosmos in Verbindung mit dem Wesen der Weltseele gesehen werden muß. Genau das ist auch das Thema der sich anschließenden Paraphrase von Ti. 34b.36c–e in Intr. 14 (170,4–9). Hier faßt Alkinoos die Aussagen des Timaeus zusammen, die beschreiben, wie der Demiurg die Weltseele mit dem Weltkörper verbindet.¹⁷¹ Seiner Auslegung des Timaeus entsprechend formt Alkinoos die Aussagen, die im Timaeus Handlungen des Demiurgen schildern, um in eine Beschreibung der Lage der Weltseele im Kosmos: Sie erstreckt sich von der Mitte bis zur Grenze des Weltkörpers und umhüllt ihn nach Art eines Kreises.¹⁷² Auf diese Weise bindet und hält sie den Kosmos zusammen. Die Begriffe συνδεῖν und συνέχειν entstammen nicht dem Timaeus. Sie begegnen aber in etwas anderem Kontext in Platons Phaedo.¹⁷³ Zur Zeit des Alkinoos ist vor allem συνέχειν zu einem terminus technicus der stoischen Physik geworden. Er drückt aus, wie die Seele bzw. das Pneuma den Zusammenhalt und die Einheit von Körpern sowie des Universums insgesamt konstituieren, was im Einzelnen durch die Theorie der stofflichen Durchdringung und Kohäsion (μίξις und τόνος) erklärt wird.¹⁷⁴ Alkinoos als Platoniker ver¹⁷⁰ In Intr. 12 paraphrasiert Alkinoos Ti. 29e–34. Die Bestimmung des Kosmos als vernunftbegabt (vgl. Ti. 30bc) fehlt an dieser Stelle. Nur in der Charakterisierung der Kreisbewegung als [ἡ κίνησις] νοῦ καὶ φρονήσεως οἰκεία ὑπάρχουσα (vgl. 168,6 f. mit Ti. 34a2) klingt sie an. ¹⁷¹ Intr. 14 (170,4–9): Τῆς δὲ ψυχῆς ταθείσης ἐκ τοῦ μέσου ἐπὶ τὰ πέρατα, συνέβη αὐτὴν τὸ σῶμα τοῦ κόσμου κύκλῳ διὰ παντὸς περιέχειν καὶ περικαλύψαι, ὥστε ὅλῳ τῷ κόσμῳ αὐτὴν παρεκτεῖναι καὶ τοῦτον τὸν τρόπον αὐτὸν συνδεῖν τε καὶ συνέχειν, κρατεῖν μέντοι τὰ ἐκτὸς αὐτῆς τῶν ἐντός. ¹⁷² Vgl. mit Ti. 34b3 f.: … [ὁ ἀεὶ ὢν θεὸς] ψυχὴν δὲ εἰς τὸ μέσον αὐτοῦ [sc. τοῦ σώματος C. K.] θεὶς διὰ παντός τε ἔτεινεν καὶ ἔτι ἔξωθεν τὸ σῶμα αὐτῇ περιεκάλυψεν … Ti. 36e2 f. beschreibt dann den Zustand nach dem Wirken des Demiurgen: ἡ δ’ ἐκ μέσου πρὸς τὸν ἔσχατον οὐρανὸν πάντῃ διαπλακεῖσα κύκλῳ τε αὐτὸν ἔξωθεν περικαλύψασα … ¹⁷³ In einer zusammenfassenden Kritik an archaischen Kosmologien und an Positionen der Naturphilosophen heißt es in Phd. 99c5 f.: … καὶ ὡς ἀληθῶς τὸ ἀγαθὸν καὶ δέον συνδεῖν καὶ συνέχειν οὐδὲν οἴονται. ¹⁷⁴ Siehe die Unterscheidung zwischen συνέχον und συνεχόμενον SVF II 439.440. Alexander von Aphrodisias fragt in seiner Kritik an der stoischen μίξις-Lehre in Mixt. 223,34–36 (Bruns): τίς γὰρ καὶ ὁ τόνος τοῦ πνεύματος, ὑφ’ οὗ συνδούμενα τήν τε συνέχειαν ἔχει τὴν πρὸς τὰ οἰκεῖα μέρη καὶ συνῆπται τοῖς παρακειμένοις …; Daß die Seele den Körper zusammenhält (συνέχει) und nicht umgekehrt, findet sich bereits bei Aristoteles, de An. 1,5

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steht die mit diesen Verben ausgedrückte Funktion der Weltseele aber ganz von ihrer immateriellen Vernunfttätigkeit her, wenn er im Fortgang des Satzes präzisiert, daß dabei die äußeren Bereiche der Weltseele ihre inneren Bereiche beherrschen (vgl. Ti. 36c).¹⁷⁵ Er spielt damit auf die unterschiedlichen Fakultäten der Seele an, denen unterschiedliche Erkenntnisgegenstände und Erkenntnisbewegungen entsprechen, die sich im Kosmos in unterschiedlichen himmlischen Sphärenbewegungen darstellen.¹⁷⁶ Sie korrespondieren der gleichmäßigen und geordneten Bewegung der äußeren Sphäre der Fixsterne und der vielfältigen und wechselnden ›irrenden‹ Bewegungen der einzelnen Planetensphären (Intr. 14 [170,9–17]). Dabei entspricht die Bewegung der äußeren Sphäre der Fixsterne der Erkenntnis des Intelligiblen (vgl. Ti. 36d), die innere Bewegung der Planetensphären der Erkenntnis des sinnlich Wahrnehmbaren (vgl. Ti. 36c). Durch die Dominanz der Bewegung der Fixsternsphäre hat der Kosmos insgesamt an der Kreisbewegung Anteil, die Alkinoos als die Bewegung bezeichnet, die dem Intellekt und dem Denken angemessen ist.¹⁷⁷ Es zeigte sich, daß für den Timaeusausleger Alkinoos die Weltseele Einheit und Zusammenhalt im Kosmos stiftet, indem ihre Erkenntnistätigkeit den Aufbau des Himmels strukturiert. Dabei verleiht ihre Erkenntnisbewegung – und zwar vor allem die der Erkenntnis des Intelligiblen – dem Kosmos insgesamt seine Kreisbewegung, die ihn als belebt und vernunftbegabt ausweist. Die Sphäre der Fixsterne, an der dieses Vermögen der Weltseele besonders sichtbar wird, nennt Alkinoos in Intr. 14 (170,20) auch betont κόσμος. Dadurch hebt er hervor, daß die Welt ihren geordneten Charakter als Kosmos von dorther bezieht.¹⁷⁸ In ähnlicher Absicht sieht Alkinoos die Sphäre der Fixsterne, die (410b11–13.411b6–8). Siehe J. M. D 1995, 127 und J. W, CUFr Alcinoos, 115 Anm. 271 für die Traditionsgeschichte des Terminus συνέχειν für das Verhältnis der Seele zum Körper. Auch bei Atticus findet sich die Kombination beider Verben gemeinsam mit διήκειν, um die Funktion der Seele im Kosmos auszudrücken (frg. 8 [Z. 18 f. Des Places]). ¹⁷⁵ Vgl. damit eine ähnliche Paraphrase des Timaeus bei Timaeus Locrus, nat. et anim. 24–26 (213,20–214,1 Marg). ¹⁷⁶ Vgl. Intr. 14 (169,18–31) mit Ti. 34b–37c. ¹⁷⁷ Daß der Kosmos vernunftbegabt ist, tritt in seiner Gestalt zutage. Der Kosmos ist kugelförmig und hat damit die schönste, umfassendste und beweglichste Form (Intr. 12 [167,36; 167,46–168,2] sowie 13 [168,23]; mit Intr. 13 vgl. Plutarch, plat. quaest. 5,1 [1003d]). Er vollzieht von den Bewegungen nur die Kreisbewegung, d. h. die vorzüglichste Bewegung, die dem Intellekt und dem Denken angemessen ist (Intr. 12 [168,5–7]). ¹⁷⁸ Die Fixsternsphäre als Kosmos zu bezeichnen, ist bei Platonikern verbreitet: z. B. Epin. 987b6–7; dann auch Proclus, in Ti. III 118,22–24 (Diehl). Angeführt z. B. von Origenes, princ. 2,3,6 (122,22–25 Koetschau). Sie spielen z. T. auf Platons Gebrauch in Ti. 40a6 an, verwenden κόσμος für die Fixsternsphäre aber nicht wie Platon i. S. von ›Schmuck‹, sondern um die Sphäre der Fixsterne als das beherrschende Element in der Welt zu kennzeichnen (siehe dazu J. M. D 1995, 128). Die Bezeichnung der Fixsternsphäre als Kosmos i. S. von Schmuck verwendet Alkinoos in Intr. 14 (170,21 f.), aber er formuliert dort ausdrücklich κόσμος οὐρανοῦ τε καὶ νυκτός.

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sich jenseits der sieben Planetensphären befindet, als ›Sitz‹ des himmlischen Intellekts an.¹⁷⁹ Damit bringt er ebenfalls zum Ausdruck, daß die ewige und dauerhafte Vernunfttätigkeit der Weltseele ausgehend von der Fixsternsphäre das Wesen des Kosmos bestimmt.¹⁸⁰ Die hier geschilderte Beziehung der Vernunfttätigkeit der Weltseele zu den regelmäßigen Himmels- und Gestirnsbewegungen und damit zur Kosmosordnung insgesamt liegt auch einer umstrittenen Passage in Intr. 7 (161,26–33) zugrunde. In Anknüpfung an R. 527–530 bestimmt Alkinoos an dieser Stelle die Funktion der Astronomie als einer propädeutischen Disziplin, die von der Betrachtung sichtbarer Objekte zum Bewußtsein der intelligiblen Wesenheit führt.¹⁸¹ Dabei spricht er von einer aufsteigenden Bewunderung, die von der Betrachtung der Umläufe der Sterne und des Himmels ausgeht, dann zur Bewunderung des Demiurgen der Nacht und des Tages, der Monate und der Jahre schreitet und schließlich in die Suche nach dem Demiurgen aller Dinge mündet.¹⁸² Unter dem erstgenannten Demiurgen ist hier die Weltseele zu verstehen. Da Alkinoos die ewig gleichbleibenden und geordneten Kosmos- und Himmelsbewegungen als sichtbare Manifestation der ewigen Vernunfttätigkeit der Weltseele auffaßt, kann diese für die Gesamtheit der Himmelsbewegungen stehen, in denen sich auf vorzügliche Weise das vernünftige Wesen des Kosmos niederschlägt.¹⁸³ Die Betrachtung des Himmels führt daher nach Alkinoos ¹⁷⁹ Intr. 14 (171,12 f.): ὀγδόη δὲ πᾶσιν ἡ ἄνωθεν δύναμις περιβέβληται. Auf den Himmelsintellekt deutet diese Bemerkung auch J. M. D 1995, 131, der die Herleitung dieser Vorstellung aus der Gnosis oder Hermetik (so J. W, CUFr Alcinoos, 118 Anm. 297) bezweifelt. ¹⁸⁰ Vgl. die Charakterisierung des himmlischen Intellekts als ὁ κατ’ ἐνέργειαν πάντα νοῶν καὶ ἅμα καὶ ἀεί in Intr. 10 (164,19 f.). ¹⁸¹ Intr. 7 (161,37–41). ¹⁸² Intr. 7 (161,26–31): χρήσιμον δὲ ὥσπερ τι τέταρτον μάθημα καὶ ἡ ἀστρονομία, καθ’ ἣν ἐν τῷ οὐρανῷ θεασόμεθα ἄστρων τε φορὰς καὶ οὐρανοῦ καὶ τὸν δημιουργὸν νυκτὸς καὶ ἡμέρας μηνῶν τε καὶ ἐνιαυτῶν· ἐξ ὧν κατά τινα οἰκείαν ὁδὸν καὶ τὸν ἁπάντων δημιουργὸν ζητήσομεν, … ¹⁸³ Es ist umstritten, was in Intr. 7 (161,26–31) unter dem Demiurgen der Nacht und des Tages, der Monate und der Jahre gemeint ist. Es zeigt sich jedoch, daß die Einteilung der Zeit in Tag und Nacht, Monate und Jahre nicht auf die Bewegung eines einzelnen Himmelskörpers zurückgeht, sondern sich der Umläufe mehrerer Planeten sowie des Umlaufs des Fixsternhimmels insgesamt verdankt: Das Maß des Monats wird durch den Umlauf des Mondes bestimmt (Intr. 14 [170,31 f.]; vgl. Timaeus Locrus, nat. et anim. 26 [214,1 f. Marg]). Bei der Entstehung von Tag und Nacht sowie des Jahres wirken die Eigenbewegung der Sonne und die Gesamtbewegung des Himmels zusammen (Timaeus Locrus, nat. et anim. 26 [214,2 f. Marg]; 29 [214,17–20 Marg]). Timaeus Locrus, nat. et anim. 30 (215,1 Marg) bezeichnet daher den ›Umlauf des Gleichen‹ (d. h. des Fixsternhimmels) und den ›Umlauf des Ungleichen‹ (d. h. der sieben Planeten) als Zeitteile. Auch Philo, Aet. 15,52 (89,3–5 Cohn / Reiter) hält fest, daß Tage, Nächte, Monate und Jahresfolgen die Zeit anzeigen und nicht ohne Bewegung der Sonne sowie des Umlaufs des gesamten Himmels existieren. Die Zeit sei außerdem als das zu verstehen, was die Bewegung des Kosmos messe (Aet. 15,52 [89,5–7 Cohn / Reiter]; Alkinoos benutzt ebenfalls diese stoische [vgl. SVF II 510] Definition der Zeit in Intr. 14

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zur Erkenntnis der Vernunftstruktur des Kosmos und auf diese Weise zur Suche nach deren höchster Ursache, dem ersten Gott. Alkinoos hebt damit den Zusammenhang hervor, der gegenüber epikureischen Kosmologien verteidigt wird.¹⁸⁴

6.2. Die Dämonen als Ausdruck der Beseeltheit und der Vernunftbegabung des Kosmos ( Ti. 39e.40d) Die Aussagen des Alkinoos über die Dämonen in Intr. 15 müssen ebenfalls vor dem Hintergrund seines Interesses gelesen werden, die Vernunftbegabung des Kosmos herauszuarbeiten. Sie knüpfen an Ti. 40d an, wo Platon nach den Gestirnsgöttern kurz über die traditionellen Götter der Mythologie spricht.¹⁸⁵ Alkinoos läßt allerdings die Ausführungen Platons zur mythologischen Genealogie der Götter aus und verknüpft Ti. 40d mit Ti. 39e. Im Gefolge einer bis auf die Alte Akademie zurückgehenden Tradition sieht er in Ti. 39e Klassen dämonischer Wesen erwähnt, die den einzelnen Elementen zugeordnet werden,¹⁸⁶ und ordnet die Dämonen Äther, Feuer, Luft und Wasser zu. An dieser Zuordnung fallen zwei Momente auf. Erstens ordnet Alkinoos den Äther, den er als eine Art feurige Substanz auffaßt, in die Reihe der Elemente ein und folgt [170,24]). Die Zeiteinteilung hängt also nicht an der Bewegung eines einzelnen Himmelskörpers, sondern an der Gesamtheit der geordneten Himmelsbewegungen sowie der gleichbleibenden Bewegung des Kosmos insgesamt. Alkinoos kann mit dem Demiurgen der Nacht etc. daher keinen einzelnen Himmelskörper, sondern nur die Gesamtheit der Himmels- und Gestirnsbewegungen meinen. Der Ausdruck δημιουργὸς νυκτὸς καὶ ἡμέρας μηνῶν τε καὶ ἐνιαυτῶν korrespondiert mit den in Intr. 14 erwähnten Umläufen der Gestirne und des Himmels. Angesichts des Zusammenhanges, den Intr. 14 zwischen den Himmelsbewegungen und der Tätigkeit der Weltseele aufzeigt, kann als singularische Bezugsgröße für den Titel des Demiurgen nur die Weltseele angenommen werden. So auch J. M. D 1995, 88; P. L. D 1988a, 129. Anders A. J. F 1949, 504; J. W, CUFr Alcinoos, 94 Anm. 124, der ihn mit der Sonne identifiziert, oder M. B (zitiert bei D, a. a. O., 88), der vorschlägt, δημιουργούς i. S. mehrerer Himmelskörper zu konjizieren. ¹⁸⁴ Siehe die kosmologischen Argumente, die gegen eine atomistische bzw. epikureische Kosmologie vorgebracht werden: Aristoteles, Ph. 2,4 (196a28–196b4); Simplicius, in Ph. I 331,25–332,5 (Diels) ; Cicero, nat. deor. 2,90.95 f.97.115; Sextus Empiricus, M. 9,111–114. ¹⁸⁵ Vgl. Ti. 40d6: Περὶ δὲ τῶν ἄλλων δαιμόνων … mit Intr. 15 (171,15). Nach der kosmologischen Einordnung der Dämonen in 171,15–25 schließt Alkinoos den Abschnitt über die Dämonen mit der Erwähnung traditioneller mantischer Praktiken aus Smp. 202e–203a und geht damit nur erstaunlich kurz auf diesen klassischen platonischen Text zur Dämonologie ein. ¹⁸⁶ Zu dieser Interpretation von Ti. 39e im Platonismus seit der Alten Akademie siehe zusammenfassend L. T 1975, 159–163, der besonders auf die Wirkungsgeschichte der pseudo-platonischen Epinomis hinweist, sowie J. M. D 1995, 131 f. In Intr. 16 (171,38– 40) versteht Alkinoos Ti. 40a allerdings als Hinweis auf die Gattungen sterblicher Lebewesen, d. h. Vögel, Fische und Landtiere, was der Deutung entspricht, die Proclus als die wörtliche Interpretation des platonischen Textes bezeichnet (in Ti. III 107 [Diehl]). Die Aussagen des Didaskalikos sind also nicht immer ausgeglichen.

IV. Alkinoos

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damit einer verbreiteten Theorie des Äthers, die versucht, platonische und aristotelische Aussagen zu den grundlegenden Elementen bzw. Körpern zu harmonisieren.¹⁸⁷ Zweitens faßt er in seiner Zuordnung der Dämonen zu den Elementen implizit die Gestirnsgötter als Dämonen der Ätherzone auf. Es ist offensichtlich, daß die Zählung der Gestirnsgötter unter die Dämonen und die Einordnung des Äthers unter die Elemente einander entsprechen. Während Platon die Götter der traditionellen Mythologie mit den Gestirnsgöttern identifiziert, ›entmythologisiert‹ Alkinoos durch seine Zusammenstellung von Ti. 39e und 40d die traditionellen Götter, indem er sie als Naturdämonen in den Aufbau des Kosmos einordnet. Indem die Dämonen die Elemente bevölkern, stellen sie sicher, daß der Kosmos in allen seinen Bereichen Anteil an Seele bzw. an einer dem sterblichen Lebewesen überlegenen Natur hat.¹⁸⁸ Im Unterschied zu anderen platonischen Dämonologien ordnet Alkinoos mit dieser Aussage die Dämonen nicht einem bestimmten Bereich des Kosmos zu,¹⁸⁹ sondern interpretiert sie als Ausdruck dafür, daß der Kosmos in allen seinen Teilen beseelt ist.¹⁹⁰ Da für Alkinoos die Weltseele ihrem Wesen nach vernünftig ist, ist damit auch mitgesetzt, daß der Kosmos in allen seinen Teilen Anteil am rationalen Wesen hat.¹⁹¹ Folgerichtig spricht Alkinoos nicht von der Existenz irrationaler oder korrumpierter Dämonen.¹⁹² Hier schlägt sich erneut sein Bemühen nieder, jegliche ¹⁸⁷ Siehe dazu die Ausführungen von J. H. W 1950, 151–154. In Intr. 15 (171,34– 37) zählt Alkinoos Äther ebenfalls zu den Elementen und faßt ihn als Substanz der Himmelskörper auf. J. M. D 1995, 20 vermutet für die Reihenfolge der fünf Elemente den Niederschlag einer Auseinandersetzung mit der pseudo-platonischen Epinomis. Alkinoos’ Zählung der Elemente ist jedoch nicht ausgeglichen. So erwähnt er Äther in Intr. 13, dem Kapitel über die Elemente als Bestandteile des Kosmoskörpers, überhaupt nicht. Auch wird in Intr. 13 (168,23 f.) der Dodekaeder als fünfter Körper getreu Platon nicht mit dem Äther, sondern mit dem Kosmosganzen in Verbindung gebracht. ¹⁸⁸ Intr. 15 (171,18 f.): … ὡς μηδὲν κόσμου μέρος ψυχῆς ἄμοιρον εἶναι μηδὲ ζῴου κρείττονος θνητῆς φύσεως· Ähnlich begründet Calcidius die Annahme der Existenz von Dämonen, quo interna mundi congesta sint animalibus ratione utentibus nec sit ulla eius regio deserta (in Ti. 120 [165,3 f. Waszink]). Die himmlischen Orte sind von den Gestirnen, die irdischen Orte sind von den Menschen bewohnt, consequens est etiam ceteros locos regionesque interiectas plenas esse rationabilibus animalibus existimari, ne quis mundi locus desertus relinquatur (130 [172,14–16 Waszink]). Die Aussage des Calcidius könnte erklären, warum Alkinoos die Erde unter den von Dämonen zu bevölkernden Elementen nicht nennt. Sie ist den Menschen vorbehalten. ¹⁸⁹ Anders als Alkinoos ordnet z. B. Calcidius die Dämonen dem mittleren Bereich der Luft zu, zu dem der Äther- und der Wasserbereich gehören. Siehe dazu J.  B 1977, 20 f. Die Aufteilung des Kosmos in eine Zone des Äthers, der Luft und der Erde samt Feuchte am Ende von Intr. 15 könnte diese traditionelle Zuordnung der Dämonen widerspiegeln. Die Aussagen des Alkinoos sind auch an dieser Stelle nicht ausgeglichen. ¹⁹⁰ Eine Verbindung zwischen Dämonen und Weltseele zieht auch Epin. 984c. Hier werden die Dämonen als Geschöpfe der Weltseele aufgefaßt. ¹⁹¹ Siehe die Ausführungen des Calcidius, in Ti. 120.130 (Texte in Anm. 188). ¹⁹² Von der Existenz böser Dämonen spricht Calcidius, in Ti. 133.135 (174,14– 175,3;176,5–14 Waszink). Siehe dazu J.  B 1977, 32–34.39–46.

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

Form eines kosmischen Dualismus, wie er sich beispielsweise bei Plutarch findet, zu vermeiden. Alkinoos’ Auslegung von Ti. 40d ist somit davon geprägt, überkommene Aussagen über die Dämonen in seine Beschreibung des Kosmos einzupassen, die davon bestimmt ist, die Weltseele als den dominierenden Bestandteil des Kosmos darzustellen und den Kosmos als vernunftbegabtes Lebewesen zu präsentieren.

7. Zusammenfassung und Systematisierung Die Kosmologie des Didaskalikos fußt auf der platonischen Ontologie, die Alkinoos in den Kapiteln zur Dialektik darstellt. Nach ihr ist der sichtbare Kosmos aus seiner Relation zu seiner rationalen Ursache zu verstehen. In Übereinstimmung damit präsentiert Alkinoos die Kosmologie in enger Anlehnung an den platonischen Timaeus. Er lehnt die atomistisch-epikureische Vorstellung eines κόσμος ἐκ τοῦ αὐτομάτου ab und klassifiziert den Kosmos der Sache nach als ein Erzeugnis κατὰ νόησιν. Alkinoos liest den Timaeus als eine Analyse der Vernunftstruktur des Kosmos, die auf das Wirken des ersten Gottes zurückgeht, der Intellekt ist. Diese Beziehung betont Alkinoos, indem er innerhalb der Prinzipienlehre die klassische platonische Drei-Prinzipien-Lehre, die auf den Timaeus zurückgeht, reduziert und allein den ersten Gott als Ursache (αἴτιος) des Kosmos darstellt. Die Materie ist demgegenüber das Prinzip reiner Passivität, das völlig auf das Wirken des rationalen Prinzips ausgerichtet ist. Anders als bei Plutarch oder Numenius ist in dieser Interpretation die Materie nicht offen für einander widerstreitende Bestimmungen. Bezeichnend für den Didaskalikos ist, daß der Begriff Materie (ὕλη) als offen für widerstreitende Bestimmungen nicht im kosmologischen, sondern im Kontext der Anthropologie und der Ethik begegnet (Intr. 27 [180,9–16]). In den Paraphrasen des Timaeus in den kosmologischen Kapiteln seines Handbuches ignoriert Alkinoos folglich die Unterteilung des Timaeus in τὰ διὰ νοῦ δεδημιουργημένα und τὰ δι’ ἀνάγκης γινόμενα (Ti. 47e). Anders als Platoniker wie Plutarch oder Numenius übergeht Alkinoos damit die im Timaeus vorhandenen dualistischen Ansätze. Seine Timaeusauslegung kann als der bewußte Versuch gelesen werden, gegenüber einer platonischen dualistischen Auslegungstradition die dualistischen Akzente des Timaeus zurückzudrängen. Vor dem Hintergrund seines Verständnisses von Materie als Prinzip reiner Passivität interpretiert Alkinoos auch die Elementenspuren (Ti. 52de.53ab) als Ausdruck der Potentialität der Materie, d. h. als Eignung der Materie, zum Kosmos gestaltet zu werden. Innerhalb einer Timaeusparaphrase in Intr. 12 bezeichnet er interessanterweise den Demiurgen als Urheber der Elementenspuren. Damit grenzt er sich von kosmologischen Konzepten ab, die der Mate-

IV. Alkinoos

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rie eine wie auch immer geartete aktive Rolle zugestehen oder den Ideen eine schöpferische Eigenständigkeit zusprechen. Er geht jedoch nicht soweit, auch im Rahmen der Prinzipienlehre in Intr. 8–10 das Verhältnis des aktiven Prinzips zur Materie als dem passiven Prinzip zu bedenken und danach zu fragen, woher die Potentialität der Materie stammt. Konsequenterweise müßte Alkinoos dann die Materie als Prinzip ganz aufgeben. Hier zeigt sich, daß bei Alkinoos die Frage, woher die Materie ihre Eignung bezieht, zwar innerhalb der Kosmologie aufbricht, jedoch in der Prinzipienlehre nicht beantwortet wird. Hier werden die neuplatonischen und christlichen Kosmologen mit ihrer Kritik an einem Prinzipiendualismus anknüpfen. Grundlegend für Alkinoos’ Umgang mit dem Timaeus ist die Überzeugung, daß die Schilderung der Weltschöpfung nicht wörtlich zu verstehen ist. Sie ist vielmehr als eine Darstellung des Ursachenverhältnisses des ersten Gottes zum Kosmos und der Weltseele aufzufassen, von dem her sich der Vernunftcharakter der Weltseele und des Kosmos erklären. Das zeigt sich daran, daß Alkinoos an mehreren Stellen die Erzählung des Timaeus in Zustandsbeschreibungen umformt und die Schilderungen der Tätigkeit des Demiurgen im Sinne einer Tätigkeit des ersten Gottes interpretiert, die dessen Charakter als Ursache konstituiert. Der platonische Demiurg ist dabei nicht nur eine Metapher für das ursächliche Verhältnis des ersten Gottes zum Kosmos, sondern wirkt sich auch in inhaltlichen Bestimmungen auf die Beschreibung des ersten Gottes aus: Der erste Gott wirkt wohl nach dem Maß des Möglichen, sein Wille konstituiert das Verhältnis zum Kosmos, dessen Vater und Ursache er ist. Den Willen des Demiurgen interpretiert Alkinoos dabei als die Denktätigkeit des göttlichen Intellekts. Im Lichte dieser ausdrücklich interpretierenden Passagen in Intr. 10 und 14 sind alle weiteren Timaeusparaphrasen zu lesen, in denen Alkinoos in wörtlicher Übernahme aus dem Timaeus von Gottes Tätigkeit als Demiurg oder Schöpfer spricht, ohne damit eine reale Schöpfung durch einen göttlichen Demiurgen zu behaupten. Berücksichtigt man, daß Alkinoos sich in den kosmologischen Kapiteln und in der auf sie bezogenen Prinzipienlehre als Ausleger des Timaeus präsentiert, so wird deutlich, daß die Beschreibung des ersten Gottes als sich selbst denkenden Intellekts, der unbewegt die Denktätigkeit des himmlischen Intellekts und damit den Vernunftcharakter des Kosmos konstituiert, für Alkinoos kein aristotelischer Fremdkörper innerhalb einer ansonsten platonischen Darstellung ist. Sie erweist sich vielmehr als Konsequenz seiner Timaeusdeutung. Aus der Perspektive dieser Deutung, die eine reale Schöpfung der Welt ablehnt und die Ewigkeit des Kosmos behauptet, ist es nicht möglich, die göttliche Kausalität im Modell der handwerklichen Hervorbringung zu denken. Sie muß als immerwährend und zeitlos gedacht und gleichzeitig als Wirken einer vernünftigen Ursache (vgl. Ti. 47e) aufgefaßt werden. Vor diesem Hintergrund

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

liegt es nahe, den vernunftgeleiteten göttlichen Demiurgen zu einem ewig sich selbst denkenden, göttlichen Intellekt zu abstrahieren. Es ist zutreffend, daß die Aussagen des Alkinoos inhaltlich und z. T. auch in ihrer sprachlichen Form auf die aristotelische Lehre vom unbewegten Beweger und auf die aristotelische Noetik hinweisen. Sie werden im Didaskalikos aber als Ergebnis der Reflexion über den Timaeus im Horizont anderer platonischer Texte präsentiert und erhalten von daher ihre besondere Prägung.¹⁹³ Der Kosmos ist nach Alkinoos aus zwei Bestandteilen zusammengesetzt: Körper und Seele.¹⁹⁴ In dieser Aussage klingt die stoische Definition des Kosmos als σύστημα an, die bereits Plutarch aufgegriffen und platonisch umgeformt hatte. Die Weltseele ist der beherrschende der beiden Kosmosbestandteile und sogar Inbegriff des Kosmoscharakters des Universums. Wie für Alkinoos Mensch und Einzelseele identisch sind,¹⁹⁵ so sind in gewisser Weise auch Kosmos und Weltseele identisch. Daher ist Gottes Verhältnis zum Kosmos mit seinem Verhältnis zur Weltseele als dem beherrschenden Teil des Kosmos identisch. Oder anders gewendet: Im Verhältnis zur Weltseele realisiert sich das Verhältnis des ersten Gottes zum Kosmos. Darauf zielt auch Intr. 10 (164,40–165,4) ab, wo beide Ursachenverhältnisse ineinander verschränkt sind. Die spezifische Kraft der Weltseele besteht in ihrer Vernunfttätigkeit, die den Zusammenhalt des Kosmos und seinen Aufbau bewirkt und sich in den Bewegungen der Planeten und der Fixsternsphäre sowie der Kreisbewegung des Kosmos insgesamt manifestiert. Dadurch wirkt sie Veränderung, Werden und Vergehen innerhalb des Kosmos. Hier wird deutlich, daß der erste Gott Vorsehung und Fürsorge für den Kosmos durch die Weltseele übt, die wiederum den Kosmos mit Hilfe der Himmelsbewegungen lenkt. Der Weltseele kommt als beherrschendem Bestandteil des Kosmos eine besondere Bedeutung für den Kosmos zu: Sie ist innerkosmische Ursache des vernünftigen Wesens des Kosmos. Alkinoos unterläßt es jedoch bewußt, sie innerhalb der kosmologischen Kapitel als ἀρχή bzw. αἴτιος zu bezeichnen. Er betont vielmehr gerade in den Passagen, welche die kosmologische Funktion der Weltseele ausführen, ihre Abhängigkeit vom ersten Gott sowie das Ursachenverhältnis des ersten Gottes zum Kosmos. Aus dieser Konzentration darauf, die Existenz und das Wesen an das Wirken des transzendenten ersten Intellekts zu binden, erklärt sich auch, daß Alkinoos an keiner Stelle von der Weltseele bzw. ihrem Intellekt als einem zweiten Gott spricht, obwohl sie durchaus den Charakter einer zweiten, immanenten göttlichen Instanz besitzt.¹⁹⁶ ¹⁹³ ¹⁹⁴ ¹⁹⁵ ¹⁹⁶

49–64.

Siehe P. M 1984, 460–469. Intr. 13 (167,8–11). Siehe H. D / M. B 2002b, 119 zu Intr. 14 (169,18–31). Zur Frage verschiedener göttlicher Hypostasen bei Alkinoos siehe H. Z 1994,

IV. Alkinoos

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Alkinoos interpretiert den Timaeus-Mythos mit Hilfe der Kategorie von Potentialität und Aktualität und nutzt sie als gedankliches Instrumentarium, um den ersten Gott als Ursache und Prinzip des Kosmos zu erweisen. Sowohl für den Weltkörper als auch die Weltseele benennt Alkinoos einen Status der Potentialität: Er redet von der Materie als potentiellem Körper und postuliert eine ruhende Weltseele mit potentiellem Intellekt. Damit präsentiert Alkinoos genau genommen drei Prinzipien des Kosmos: den ersten Gott bzw. Intellekt, die Materie als potentiellen Körper sowie die ruhende Weltseele als potentiellen Intellekt. Diese Liste ähnelt Plutarchs Aufzählung der Prinzipien des Kosmos.¹⁹⁷ Sie ist aber bei Alkinoos nicht dualistisch geprägt und auch nicht Ausgangspunkt für die Beschreibung eines realen Schöpfungsvorgangs. Ohne in Spekulationen über literarische Abhängigkeiten eintauchen zu wollen, kann man sagen, daß Alkinoos Plutarchs dualistische Ausführungen umformt in eine gedankliche Analyse der Abhängigkeit der Weltseele von Gott. Den nur gedanklich, nicht real vorgestellten Vorgang der Aktualisierung, d. h. den Übergang von Potentialität in Aktualität, interpretiert Alkinoos platonisch als Formgebung durch intelligible Strukturen. So wird die Materie zum Körper aktualisiert, indem sie die intelligiblen Gestalten und Formen aufnimmt; die ›ruhende‹ Weltseele wird ›erweckt‹ und nimmt ebenfalls die Gestalten und Formen auf. Alkinoos beschreibt an diesem Punkt Materie und ruhende Weltseele ähnlich, da er sie beide unter die Kategorie der Potentialität faßt.¹⁹⁸ Unter dem Blickwinkel der Kategorie von Potentialität und Aktualität ist der erste Gott Ursache des Kosmos, indem er das Prinzip der Aktualität der vernünftigen Ordnungsstruktur der beiden Kosmosbestandteile ist. Die Ausführungen des Alkinoos weisen weitere Ähnlichkeiten, aber auch charakteristische Unterschiede zu den Interpretationen seiner Vorgänger auf. In der Seelenlehre und in der Deutung von Ti. 30a.52d–53b wendet sich Alkinoos gegen dualistische Auslegungen des Timaeus, wie sie zum Beispiel Plutarch, aber auch Numenius vertrat.¹⁹⁹ Sein kosmologischer Ansatz schließt widerstreitende Kräfte innerhalb des Kosmos aus. Auch in seiner Lehre von den Dämonen vermeidet Alkinoos einen kosmischen Dualismus. Die Frage nach dem Ursprung des Übels ist für Alkinoos anders als beispielsweise für Numenius daher keine kosmologische, sondern eine anthropologische Frage, die im Zusammenhang der Ethik behandelt wird.²⁰⁰

¹⁹⁷ Siehe Plutarch, an. procr. 24 (1024c). ¹⁹⁸ Das ist die Lösung der Aporie von K. A 1993, 51, die feststellt: »Es findet sich kein

klärendes Wort über diese Parallelität oder darüber, was das Aufnehmen der Idee bei der Seele im Unterschied zur Materie bedeutet.« ¹⁹⁹ Das hat ähnlich bereits K. A 1993, 53 notiert. ²⁰⁰ Das Urteil von K. A 1993, 47 ist zutreffend, daß das Problem des Bösen in der Kosmologie des Didaskalikos sichtlich eliminiert wird.

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

Alkinoos’ Deutung des Titels πατήρ aus Ti. 28c steht ebenfalls im Strom der Timaeusauslegung seiner Vorgänger. Ähnlich Plutarch deutet er ihn als Bezeichnung für Gott als Ursache von Vernunfttätigkeit. Auch er deutet eine substantielle Identität von Ursache und Verursachtem an, wenn es heißt, daß die vernünftige Kosmosordnung Ausdruck dessen ist, daß der erste Gott alles mit sich erfüllt. Ähnlich Numenius bezieht er den Vater-Titel auf den ersten Gott bzw. Intellekt als Ursache; anders als Numenius wendet er aber den Titel ποιητής nicht auf den untergeordneten Intellekt des Himmels an. Alkinoos greift aus Ti. 28c allein denjenigen Titel des Demiurgen für den ersten Gott auf, der im Sinne einer ursächlichen Abhängigkeit des Kosmos vom ersten Gott interpretiert werden kann, ohne die Vorstellung eines realen Schöpfungsgeschehens zu implizieren. Die Kosmologie hat nach Alkinoos die Aufgabe, die rationale Struktur des Kosmos aufzuzeigen und deren Abhängigkeit von der Denktätigkeit des göttlichen Intellekts darzustellen. Die Kontemplation der Struktur des Kosmos führt geradezu zu der Suche nach seiner transzendenten rationalen Ursache. In der Betrachtung des Kosmos erhält der Mensch somit Aufschluß über das Walten einer göttlichen Vorsehung sowie über seinen eigenen Platz in der Welt. Das geht anschaulich aus der Gliederung des Didaskalikos hervor, in dem die Kosmologie in die Ethik mündet. Alkinoos grenzt sich in seiner Kosmologie sichtlich von einer epikureischen Weltbetrachtung ab, die eine rationale Ursache des Kosmos leugnet. Außerdem richten sich seine Ausführungen gegen eine stoische Weltdeutung, nach der die alles durchwaltende vernünftige Ursache des Kosmos innerhalb des sichtbaren Kosmos ihren Ort hat. Er unterscheidet sich mit seiner Darstellung der Lehre Platons schließlich auch von einer Strömung im Platonismus, welche die höchste intelligible Ursache nicht nur als vollkommen transzendent auffaßt, sondern außerdem versucht, einen Zusammenhang mit der Welt der sichtbaren Dinge zu verneinen. Anders als beispielsweise Numenius hält es Alkinoos für möglich, über die Betrachtung der gleichmäßigen, sichtbaren Gestirnsbewegungen zur Erkenntnis ihrer innerkosmischen Ursache (der Weltseele) und darüber hinaus zu einem Bewußtsein der höchsten, transzendenten Ursache der Kosmosordnung zu gelangen.²⁰¹

²⁰¹ Vgl. damit Numenius’ Auslegung von Ti. 28c in frg. 17 (Des Places).

V. Porphyrius 1. Porphyrius als Ausleger des platonischen Timaeus Porphyrius ist der erste Neuplatoniker, von dem exegetische Werke überliefert sind.¹ Sein Kommentar zum platonischen Timaeus ist leider nur in Fragmenten erhalten.² Sie sind von Angelo Raffaele Sodano in einer Ausgabe zusammengetragen, die um einige Texte ergänzt werden kann.³ Die Frage nach Zeugnissen und Fragmenten der porphyrianischen Timaeusauslegung führt unmittelbar in die Wirkungsgeschichte des Werkes ein und zeigt zugleich einige methodologische Probleme auf, vor der die Porphyriusforschung aufgrund der Überlieferungssituation steht.⁴ Auszüge aus dem Kommentar des Porphyrius zitiert Proclus in seiner eigenen Auslegung des Timaeus.⁵ Die meisten namentlichen Erwähnungen begeg¹ So K. P 1910, 82, aufgenommen von R. B 1953, 279. Zu Person und Werk des Porphyrius (geboren 232/233, gestorben nach 301 und vor 305) siehe grundlegend J. B 1913; B, a. a.O.; ein zusammenfassender Forschungsüberblick bei A. S 1987; etliche Testimonien sind zusammengestellt von A. S, BSGRT Porphyrius: Fragmenta, 1–33. Porphyrius hat Kommentare zu Homer, Platon, Aristoteles und Plotin verfaßt. Siehe die Werkübersichten bei J. B, a. a. O., 66*–73*; B, a. a. O., 278–301. ² Die Suda nennt für Porphyrius keinen Timaeuskommentar. Daß Porphyrius einen Kommentar zum Timaeus geschrieben hat, bezeugen aber andere Autoren. Siehe dazu A. R. S 1963a, 93–95. ³ Porphyrii in Platonis Timaeum commentariorum fragmenta, collegit et disposuit A. R. S, Neapel 1964; vorbereitet durch mehrere Arbeiten, in denen S sich ausführlich zur Methode seiner Ausgabe äußert (siehe Literaturverzeichnis). Die Ausgabe Ss wurde überwiegend positiv, an einigen Punkten aber auch kritisch aufgenommen (eine Übersicht über die Rezensionen bei G. G 1994, 106 f.). So fragt beispielsweise P. C 1964 nach den Gründen für die Unterscheidung in fragmenta und fragmenta incerta. P. H 1964 hält die Zuweisung einer arabischen Überlieferung an den Timaeuskommentar nicht für zwingend. Zur Problematik der arabischen Zeugnisse zu Porphyrius siehe Anm. 18.43. Zu weiteren Zeugnissen und Fragmenten siehe Anm. 5.7. ⁴ Nach M. B 1976, 163 gehört der Verlust des Timaeuskommentars des Porphyrius zu den bedauernswertesten Verlusten antiker Werke überhaupt. »Das Werk war seinerzeit gewiß das umfänglichste und gründlichste seiner Art, und es ist sehr zu fragen, ob die späteren Kommentare zum Timaios ihm an Sachlichkeit und Sachgerechtigkeit auch nur annähernd gleichgekommen sind.« ⁵ Frgg. 1–33.40–46.51–57.61–64.69–71.73–81 (Sodano). Hinzugefügt werden können Proclus, in Ti. I 29,31–30,4 (Diehl): eine Gegenüberstellung der hermeneutischen Perspektive auf das Proömium des Timaeus von Porphyrius und Jamblich; in Ti. I 277,8–14: eine Lehre

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

nen im Kontext von Doxographien verschiedener Platondeutungen, an die Proclus seine Erklärung anschließt und dabei in Auseinandersetzung mit seinen Vorgängern tritt. Daß er dabei oft an die Diskussion des Porphyrius mit älteren Platonauslegern anknüpft, läßt vermuten, daß er an diesen Punkten die Problemstellung der Auslegung und Teile der Doxographie von Porphyrius aufgegriffen hat. Porphyrius verfolgte in seinem Timaeuskommentar unter anderem das Ziel, Plotins Auslegung in frühere Erläuterungen einzubetten.⁶ Schwierig zu entscheiden ist, wieviel von den Argumentationen des Proclus ansonsten auf Porphyrius zurückgeht. Namentlich ausgewiesene Passagen aus der Timaeusauslegung des Porphyrius zitiert außerdem Johannes Philoponus in seiner Schrift De aeternitate mundi contra Proclum.⁷ Er rechnet die Schrift des Porphyrius an mehreren Stellen zu den ὑπομνήματα.⁸ Aufschlußreich für die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Porphyrius und Proclus ist die wiederholte Bemerkung, Proclus habe von Porphyrius abgeschrieben.⁹ Diese Äußerungen des Johannes Philoponus, der sehr sorgfältig mit seinen Quellen umzugehen pflegt, ist durchaus als ein Urteil über die Beziehung zwischen den beiden Platonikern anzusehen. Auf den Timaeuskommentar des Porphyrius verweist an einer Stelle auch Macrobius.¹⁰ Nach allgemeiner Überzeugung hat Macrobius aber Porphyrius sehr viel intensiver herangezogen, weshalb Sodano auch mehrere Abschnitte aus Macrobius, In Somnio Scipionis dem porphyrianischen Kommentar zuweist, in denen Porphyrius nicht namentlich genannt ist. Die schriftstellerische Eigenständigkeit des Macrobius belastet ein derartiges Verfahren aber mit Zweifeln.¹¹ Außerdem sind die näheren Gründe für die Zuschreibung einzelder Schule Plotins, unter die auch Porphyrius namentlich gezählt wird; in Ti. I 382,12–383,1: οἱ δὲ περὶ Πορφύριον καὶ ᾽Ιάμβλιχον (es folgt eine Auseinandersetzung mit Plutarch und Atticus; angeführt in A. R. Ss Ausgabe als Parallelzeugnis zu frg. 47); in Ti. I 383,1–22. Siehe zu den letzten beiden Texten M. B 1976, 146.154. ⁶ So R. B 1953, 282 zu den ›δόξαι-Nestern‹, die im Kommentar des Proclus oft im Zusammenhang der Deutungen des Porphyrius zu finden sind. ⁷ Frgg. 34–39.47–50.58–60 (Sodano). Siehe dazu A. R. S 1962, 97–125. M. B verwendet außerdem folgende Texte des Johannes Philoponus für die Darstellung der Timaeusauslegung des Porphyrius, die Sodano teilweise im Apparat seiner Ausgabe anführt: Procl. 1,4 (14,20–28 Rabe); 6,10 (154,19–155,4): Fortsetzung von frg. 36 (Sodano); 6,17 (172,5–20) = Porphyrius, frg. 172F (Smith); 6,27 (224,18–255,10): Proclus, der aus Porphyrius abgeschrieben habe; 6,21 (189,9–13): Johannes Philoponus verweist auf das Porphyriusreferat in 164,24–165,2 und ordnet es einer der klassischen Auslegungspositionen zu; 14,3 (547,24). Siehe zu diesen Texten M. B 1976, 164.142.143.159.153.153 Anm. 265. ⁸ Johannes Philoponus, Procl. 6,2 (126,13 f. Rabe); 6,10 (154,5 f.); 13,15 (521,26 f.) 14,3 (546,6). ⁹ Zum Beispiel in Procl. 6,2 (126,10–13 Rabe); 6,27 (224,18–21). ¹⁰ Macrobius, somn. 2,3,16 (107,1 f. Willis): hanc Platonicorum persuasionem Porphyrius libris inseruit quibus Timaei obscuritatibus non nihil lucis infudit, … ¹¹ Aus Macrobius stammen frgg. 65–68.72 (Sodano); sowie unter den fragmenta incerta die frgg. 82 f. Grundlegend äußert sich A. R. S 1963a, 101–133 zum Verhältnis des

V. Porphyrius

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ner Stücke aus Macrobius zu den Fragmenten unklar, wie auch die davon unterschiedene Einordnung von weiteren Textausschnitten als fragmenta incerta undurchsichtig bleibt. Sodano hält selbst fest, daß die Unterscheidung zwischen den beiden Kategorien von Fragmenten keine inhaltlichen, sondern methodologische Gründe habe.¹² Es scheint, daß Sodano Passagen aus Macrobius, die inhaltlich vergleichbar bei Proclus begegnen, für porphyrianisch erachtet und damit ein an Willy Theilers bekannten ›Arbeitssatz‹ angelehntes ›Schnittmengen-Kriterium‹ verwendet.¹³ Zu den Texten, die Sodano zu den fragmenta incerta rechnet, gehören auch lange Abschnitte aus dem Timaeuskommentar des Calcidius.¹⁴ Daß der Kommentar des Porphyrius zu den wichtigen Quellen des Calcidius gehört, gilt seit der Edition und den Arbeiten von Jan Henrik Waszink und seines Umfeldes als wahrscheinlich.¹⁵ Das porphyriaMacrobius zu Porphyrius; außerdem . 1963b, 48–62. Zur Abhängigkeit des Macrobius von Porphyrius siehe außerdem K. M 1933, 232–284 (Übersicht 281 f.); R. B 1953, 281; W. H. S 1952, 24–39 mit einer tabellarischen Übersicht (34 f.). S baut auf der Analyse von M auf, der für einige Abschnitte des Macrobius den Timaeuskommentar des Porphyrius als Quelle vermutet, ohne Macrobius freilich als direkten Übersetzer seiner Vorlagen zu sehen. M weist nach, daß Macrobius keinesfalls ausschließlich den Kommentar heranzieht, sondern auch andere Schriften des Porphyrius und Schriften anderer Autoren benutzt. Er schreibt Macrobius ein schriftstellerisches Talent zu, den Stoff geschickt zu gruppieren und eigene Gedankengänge zu schaffen: »Überall, wo wir Macrobius an der Hand seiner Vorlage kontrollieren können, ist zu konstatieren, daß er nicht sklavisch übersetzt, sondern den ihm vorliegenden Text mit großem Wortgepräge seiner eigenen Denk- und Ausdrucksweise anzupassen sich bestrebt.« (M, a. a. O., 281; vgl. 282–284). Eine ausgewogene Darstellung der Quellenforschung zu Macrobius bei S. G 1986, 502–522. G, a. a. O., 520f. nimmt neben somn. 2,3,15 eine direkte Abhängigkeit vom Timaeuskommentar des Porphyrius an in 2,10,6–16; 1,5,5–7; 1,6,25–28 und 2,1,5–7 und kommt zu dem vorsichtigen Ergebnis: »Porphyry … although he cannot be identified as a source in as many passages as some modern scholars have maintained, is clearly the unspoken authority on certain occasions« (520). ¹² Siehe die Kritik von P. C 1964, 838 f. und die Replik von A. R. S 1966, 198. ¹³ W. T 1933/34, 4: »Erscheint bei einem nachplotinischen Neuplatoniker ein Lehrstück, das nach Inhalt, Form und Zusammenhang sich mit einem solchen bei Augustin vergleichen läßt, aber nicht oder nicht im selben Maß mit einem bei Plotin, so darf es als porphyrisch gelten.« Ein derartiges Kriterium wendet A. R. S beispielsweise an, um durch Vergleiche mit Augustinus, Proclus und anderen Autoren Ausführungen des Macrobius als porphyrianisch zu erweisen (1963b, 48–62) oder um aus Proclus und Macrobius die porphyrianische Auslegung des Er-Mythos zu erschließen: »la reciproca indipendenza di Macrobio e di Proclo rispetto alla fonte comune … consente di accertare esattamente il pensiero di Porfirio« (1966, 204); . 1963a, 109–112. ¹⁴ Frgg. 84–91 (Sodano). ¹⁵ Als einigermaßen gesichert sieht J. H. W das Verhältnis zum Kommentar des Porphyrius an (Timaeus a Calcidio translatus, xii–xiii.xc–xcv); J. C. M.  W 1959, 247, der gleichzeitig methodische Probleme andeutet. J.  B 1970, 127–137 kommt zu dem Schluß, daß Porphyrius die wichtigste direkte Quelle des Calcidius in den Abschnitten des Kommentars de fato sei. Er hält A. R. Ss Entscheidung, Texte aus Calcidius als Fragmente des porphyrianischen Kommentars aufzufassen, für gerechtfertigt. Er geht aber

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

nische Material eindeutig abzugrenzen, ist allerdings schwierig. Sodanos Entscheidung, ganze Textblöcke aus dem Kommentar des Calcidius als Fragmente aus dem Timaeuskommentar des Porphyrius zu betrachten, schätzt die Fähigkeit des Calcidius als Autor gering, vorliegendes Material zu eigenen Gedankengängen umzuarbeiten. Ausgehend von der Einschätzung, daß Porphyrius ungleich stärker als Plotin auf spätere Autoren gewirkt habe, hat schließlich Theiler seinen Arbeitssatz aufgestellt mit dem Ziel, in Werken nach-porphyrianischer Autoren porphyrianisches Gut zu identifizieren. Auf der Grundlage dieses Arbeitssatzes führt er unter anderem auch Texte kosmologischen Inhalts, die nicht namentlich als dem Porphyrius gehörig ausgewiesen sind, aus Augustinus, Sallust, Proclus und anderen Autoren auf Porphyrius zurück, ohne sie freilich konkreten Schriften des Porphyrius zuzuordnen.¹⁶ Angesichts des fragmentarischen Charakters der erhaltenen Texte aus dem Timaeuskommentar des Porphyrius und angesichts der Probleme, die mit der Erschließung weiteren Materials aus späteren Autoren verbunden sind, legt sich folgendes Vorgehen nahe: Grundlage für die Darstellung der kosmologischen Grundannahmen des Porphyrius bilden die Fragmente bei Proclus und Johannes Philoponus, die in der Regel eindeutig abgrenzbar und namentlich ausgewiesen sind. Weitere Werke des Porphyrius werden herangezogen, insofern sie seine Timaeusauslegung nach den Fragmenten erhellen oder vervollständigen. Hierunter fallen beispielsweise die Fragmente der Schrift De materia, die eine Spezialfrage der Timaeusauslegung behandelt.¹⁷ Texte aus Proclus, die sich mit den sicher zuzuordnenden Fragmenten des Timaeuskommentars oder anderen Schriften des Porphyrius berühren, werden hinzugezogen. Andere, zum Beispiel von Theiler erschlossene Texte, werden berücksichtigt, wenn sie sich mit eindeutig porphyrianischen Texten berühren und sich in das Gerüst, das aus den Fragmenten gebildet wird, ohne Konflikte einfügen lassen. Die methodologischen Probleme, die mit den Texten aus Macrobius und Calcidius verbunden sind, haben für die Darstellung der kosmologischen Grundlagen des Porphyrius materiell keine großen Auswirkungen, da diese Texte davon aus, »that in his tractatus de fato Calcidius has adapted a treatise of Porphyry on fate, which in all probability belonged to his ὑπομνήματα on Plato’s Timaeus.« ( B, a. a. O., 136). Auch für die Lehre über Dämonen hält  B Porphyrius für die wichtigste Quelle des Calcidius (1977, 52–65). S. G 1952, 431 f. betrachtet den Kommentar des Porphyrius als Vorlage für mindestens zwei Passagen des Calcidius, in denen ohne Namensnennung porphyrianische Lehren referiert werden (in Ti. 198 [219,4–9 Waszink]; 301 [302,17–19]; beide nicht bei Sodano enthalten). Gegenüber W ist er aber zurückhaltend, Porphyrius auch als Vermittler des doxographischen Materials des Calcidius anzunehmen. ¹⁶ W. T 1933/34, 14–17. Zur Aufnahme dieses Ansatzes siehe die Diskussion bei R. B 1953, 302; außerdem den Forschungsüberblick von A. S 1987, 768–770. Verschiedene Rezeptionen des Theilerschen Ansatzes aus der Perspektive der Augustinusforschung diskutiert auch knapp R. J. O’C 1991. ¹⁷ Porphyrius, frgg. 236F (Smith) = Simplicius, in Ph. I 230,34–231,24 (Diels); 237F (Smith) = Scholia in Bas. Hexaem. 200,23 f. (Pasquali).

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hauptsächlich der Psychologie gewidmet sind. Die arabische Überlieferung zu Porphyrius ist immer noch schwierig zu beurteilen. Aus diesem Grund kann den durch arabische Autoren überlieferten Zeugnissen kosmologischen Inhalts gegenwärtig kein eigenständiges Gewicht beigemessen werden.¹⁸ Der Umfang des Kommentars des Porphyrius läßt sich ausgehend von den Fragmenten bei Proclus, die bis Ti. 41e reichen, nicht sicher bestimmen. Auch der Kommentar des Proclus bietet kein Indiz, da er selbst unvollständig erhalten ist, wie ein Fragment aus dem fünften Buch zu Ti. 50c4 zeigt, das bei Johannes Philoponus überliefert ist.¹⁹ Da Porphyrius und Proclus nicht nur den eigentlichen naturphilosophischen Traktat, sondern auch das Proömium sorgfältig kommentieren, haben sie beide wahrscheinlich den gesamten Dialog erläutert.²⁰ In der Timaeusauslegung des Porphyrius finden sich allegorische Auslegungen neben detaillierten philosophischen Erläuterungen. So interpretiert Porphyrius den Atlantis-Mythos des Proömiums als Allegorie auf die Seele;²¹ bei der Auslegung des im eigentlichen Sinne naturphilosophischen Traktats des Timaeus erläutert er ausführlich verschiedene philosophische Fragen des Timaeus. Beide Auslegungsmethoden gründen auf einer sorgfältigen philologischen Untersuchung des Textes.²² Wahrscheinlich gliedert Porphyrius dabei den Text in Lemmata und folgt damit wie Proclus der üblichen Kommentarpraxis.²³ Die Auszüge bei Proclus zeigen, daß Porphyrius den Text des Timaeus sprachlich-rhetorisch nach den Kriterien der ἑλληνικὴ συνήθεια beurteilt.²⁴ Dabei diskutiert Porphyrius auch abweichende Lesarten, wie eine Anekdote von einem Streit über Textvarianten zwischen Porphyrius und Amelius nahelegt.²⁵ Gegenüber einer Änderung des Textes durch Longinus hält ¹⁸ Zum arabischen Porphyrius fehlt eine umfassende Untersuchung. Siehe vorläufig R. W 1956; . 1966. Doxographische Zeugnisse arabischer Autoren sind bei A. S, BSGRT Porphyrius: Fragmenta, zusammengetragen. Ein zentrales Interpretationsproblem besteht darin, daß Porphyrius in diesen doxographischen Äußerungen vor allem als Schüler des Aristoteles präsentiert wird und seine Lehren aus dieser Perspektive beleuchtet werden (461T [532 Smith] erwähnt Aristoteles als philosophischen Ahnherrn des Porphyrius noch vor Platon; 458F [529 Smith] hebt Porphyrius als Schüler des Aristoteles von Proclus als einem Gefolgsmann Platons ab). ¹⁹ Johannes Philoponus, Procl. 11,11 (364,5–365,3 Rabe). ²⁰ Daß nicht alle Ausleger auch das Proömium eines Dialogs kommentierten, erwähnt Proclus an verschiedenen Stellen seiner Kommentare. Siehe dazu K. P 1910, 129. ²¹ Siehe frgg. 10.12–18.21–22 (Sodano). ²² Zur grammatisch-philologischen Auslegung des Porphyrius siehe A. R. S 1964. S urteilt, daß sich Porphyrius in den Fragmenten des Timaeuskommentars präsentiert »come un attento e scrupoloso critico de testo del Timeo« (1964, 42). ²³ Nach A. S 1987, 751 stellt die Timaeusauslegung des Porphyrius einen »line-byline-commentary« dar. ²⁴ Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 14,28–15,22 (Diehl) = Porphyrius, frg. 1 (1,6–2,11 Sodano) zu Ti. 17a1–3. ²⁵ Porphyrius bei Proclus, in Ti. II 300,23–301,2 (Diehl) = Porphyrius, frg. 74 (64,3–14 Sodano) zu Ti. 37a3–8.

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Porphyrius an der Richtigkeit der überlieferten platonischen λέξις fest.²⁶ Er behandelt syntaktische Fragen wie die gedankliche Gliederung eines Satzes sowie den Bezug einzelner Worte und hat dabei immer die philosophische Interpretation im Blick.²⁷ Die enge Verbindung von philologischer Analyse und philosophischer Interpretation und der Primat der philosophischen Erklärung wird bei Porphyrius anschaulich darin sichtbar, wie er die philosophische Kernfrage, ob Platon im Timaeus die Welt als geworden oder ungeworden dargestellt hat, ausgehend von Ti. 27c2 f. philologisch und philosophisch diskutiert.²⁸ Weil bei Porphyrius die philologischen Untersuchungen immer der philosophischen Erklärung des Textes untergeordnet sind, sieht Proclus ihn auch immer als einen Philosophen und fühlt sich nicht herausgefordert, auf Porphyrius das Urteil über Longinus zu übertragen, in dem aufgrund seiner Timaeusexegese eher ein Philologe als ein Philosoph gesehen wurde.²⁹ Das Nebeneinander von einer allegorischen Auslegung des Proömiums und den detaillierten philologisch-philosophischen Erörterungen zu Fragen, die der naturphilosophische Traktat aufwirft, führt bereits bei den antiken Kritikern des Porphyrius zu der Einschätzung, daß Porphyrius keine einheitliche Auslegungsperspektive auf den gesamten platonischen Dialog habe und vor allem an Einzelheiten interessiert sei. Proclus setzt Porphyrius an diesem Punkt besonders von Jamblich und Syrianus ab, die sowohl das Proömium als auch den naturphilosophischen Traktat einem einheitlichen Skopos unterwerfen, indem sie beide Teile des Dialogs ἐποπτικώτερον auslegen, d. h. auf die ›höchsten Mysterien‹ im Sinne der alles zugrunde liegenden ontologischen Prinzipien beziehen.³⁰ Während Jamblich, Syrianus und Proclus eine interprétation synthétique des gesamten Timaeus vorlegen, bietet Porphyrius eine interprétation analytique, in der er den Atlantis-Mythos des Proömiums als einen eigenstän²⁶ Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 94,4–9 (Diehl) = Porphyrius, frg. 11 (7,11–16 Sodano ) zu Ti. 21d4 f. ²⁷ Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 437,25–438,11 (Diehl) = Porphyrius, frg. 54 (40,19– 41,10 Sodano) zu Ti. 31a1–3, wo das Problem entsteht, wieviele Alternativen Platon auf die Frage nach der Einheit oder Vielheit von Welten aufstellt; bei Proclus, in Ti. I 271,28–272,6 (Diehl) = frg. 32 (21,10–17 Sodano) zu Ti. 28a6–b3, wo der Bezug von ἀεὶ und die Frage des Verhältnisses zwischen Demiurg und Paradigma zu diskutieren ist. ²⁸ Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 218,28–30 (Diehl) = Porphyrius, frg. 30 (20,8 f. Sodano). ²⁹ Proclus führt Porphyrius oft als ὁ φιλόσοφος ein: in Ti. I 14,28 f. (Diehl); 18,31; 77,22; 116,27; 146,8; 147,6; 152,12; 202,2; 207,23; 271,30; 322,1; 352,13; 391,4 f.; 439,29 f.; II 109,3. Proclus, in Ti. I 14,7.28 f. stellt Porphyrius Longinus gegenüber: Λογγῖνος μὲν ὁ κριτικός, ἐφιστὰς τῇ ῥήσει ταύτῃ φιλολόγως, … ὁ δέ γε φιλόσοφος Πορφύριος … Über Longinus urteilt Proclus, in Ti. I 86,24 f. aufgrund dessen Exegese von Ti. 21a: οὗτος μὲν οὖν φιλόλογος, ὥσπερ Πλωτῖνος εἰπεῖν περὶ αὐτοῦ λέγεται, καὶ οὐ φιλόσοφος. ³⁰ Siehe die Gegenüberstellung von Porphyrius und Jamblich bei Proclus, in Ti. I 19,24– 29 (Diehl); 77,25–78,27; 204,24–29 = Porphyrius, frg. 27 (17,8–12 Sodano): Πορφύριος δὲ καὶ ᾽Ιάμβλιχος τῇ πάσῃ τοῦ διαλόγου προθέσει σύμφωνον ἀπέφηναν, ὃ μὲν μερικώτερον, ὃ δὲ ἐποπτικώτερον· Zum Unterschied zwischen einer Auslegung μερικώτερον und einer Auslegung ἐποπτικώτερον siehe J. P 1974b.

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digen μυθὸς ἠθικός bzw. ψυχικός auffaßt und πολιτικώτερον interpretiert und damit einem anderen Auslegungsziel unterwirft als den eigentlichen naturphilosophischen Traktat.³¹ Einige moderne Autoren bauen auf der Einschätzung des Proclus auf und spitzen sie zu einem abwertenden Urteil über die Exegese des Porphyrius zu. So knüpft Karl Praechter an die Einschätzung des Proclus an, Porphyrius habe den Timaeus μερικώτερον ausgelegt, und bemängelt, daß die Auslegung des Porphyrius unzusammenhängend sei und hauptsächlich unterschiedliche Interpretationen aufliste, ohne eine eigene Organisation zu zeigen.³² Diesem Vorwurf widerspricht ausgehend von der Homerexegese des Porphyrius Jean Pépin, der darlegt, daß der exegetische Pluralismus kein Zeichen von Ungenügendheit oder Unfähigkeit seitens des Porphyrius sei, sondern das Ergebnis einer bewußten methodischen Entscheidung darstelle, die eine Einheitlichkeit der Exegese nicht ausschließe.³³ Bezogen auf die Timaeuserklärung des Porphyrius, die ja nur in Fragmenten erhalten ist, legt es sich freilich schon aus methodischen Gründen nahe, auf ein abschließendes Urteil über die Organisation und Einheitlichkeit der Auslegung zu verzichten. In der Beurteilung der Auslegung des Proömiums und dessen Zusammenhangs mit dem naturphilosophischen Traktat schließt sich auch Angelo Raffaele Sodano der Einschätzung des Proclus an. Seiner Ansicht nach präsentiert Porphyrius im ersten Buch seines Kommentars »un’ esegesi testuale e un’ ermeneutica allegorica, la quale, partendo da basi filologiche, ambisce a diventare filosofia etica, ma che, molto probabilmente, non può dirsi filosofia nel senso vero e proprio del termine.«³⁴ Die Auslegung der Einleitung des Timaeus in einem ethisch moralischen Sinne und die Interpretation des AtlantisMythos als Allegorie auf die Seele erfüllt aber in der Timaeusauslegung des Porphyrius eine ganz bestimmte Funktion, die von den antiken und modernen Kritikern des Porphyrius nicht ausreichend beachtet wird. Im Proömium des Timaeus behandelt Platon in den Augen des Porphyrius den Zustand und das Geschick der Seelen sowie die Notwendigkeit einer bestimmten ethisch-moralischen Disposition dessen, der sich mit der Natur und den Ursachen des Kosmos beschäftigen will. Diesen vorbereitenden, protreptischen Charakter des Proömiums arbeitet Porphyrius in der allegorischen Auslegung von Ti. 17a– 27b heraus.³⁵ Mit dem gleichen Ziel ordnet er auch in der Reihenfolge der Lektüre der platonischen Dialoge Platons Respublica vor den Timaeus. ³¹ Siehe J. P 1966, 249. ³² K. P 1910, 127–141. ³³ J. P 1966, 241–250. Für eine positive Würdigung der am Detail interessierten Kom-

mentierung des Porphyrius siehe M. B 1976, 137–163; zusammenfassendes Urteil 161–163. ³⁴ A. R. S 1964, 58. ³⁵ Siehe Proclus, in Ti. I 19,24–29 (Diehl): καὶ σχεδὸν ἅπαντα τὰ πρὸ τῆς φυσιολογίας ὃ μὲν ἐξηγεῖται πολιτικώτερον, ὁ Πορφύριος, εἰς τὰς ἀρετὰς ἀναφέρων καὶ τὰ λεγόμενα

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Diejenigen, die im Begriff sind, sich wahrhaftig der Untersuchung des Alls anzunehmen, müssen zuvor in Bezug auf ihren Seelenzustand (ἦθος) gebildet werden, damit er dem Erkenntnisgegenstand ähnlich ist und dadurch auf angemessene Weise mit ihm zusammengefügt wird zur Erkenntnis der Wahrheit. Das zeigt auch die folgende Ordnung der Dialoge auf: Diejenigen, die die Ausführungen zum Timaeus hören, müssen zuvor in den Genuß der Respublica gekommen sein und werden, nachdem sie durch jene geordnet wurden, auf diese Weise dazu gelangen, die Lehren über den Kosmos zu hören, indem sie sich als der Wohlordnung (εὐκοσμία) des Alls im höchsten Maße ähnlich zeigen.³⁶

Wer die Lehren über den Kosmos hören und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen will, muß seine Seele so bilden, daß sie der Wohlordnung des Alls im höchsten Maße ähnlich wird. Als zentrales Thema des Timaeus betrachtet Porphyrius hier die Wohlordnung (εὐκοσμία) des Alls. In sachlichem Zusammenhang damit nennt Proclus als das zentrale Thema des Timaeus für Porphyrius die zweigeteilte Frage nach der Natur des Kosmos und ob der Kosmos geworden oder ungeworden ist.³⁷ Beide Fragen hängen für Porphyrius zusammen, wie die Aufnahme seiner Argumentation bei Proclus zeigt. In Anknüpfung an die Auslegung von Ti. 27c4–6 durch Porphyrius sieht Proclus in der Frage, ob das All geschaffen oder ungeschaffen ist, die zentrale Frage des Timaeus, weil auf ihrer Grundlage alle weiteren Themen der φυσιολογία wie das Wesen und die Kräfte des Alls folgerichtig entwickelt werden.³⁸ Porphyrius καθήκοντα, … Vgl. I 18,31–19,9 = Porphyrius, frg. 2 (2,15–3,2 Sodano) zu Ti. 17a4 f.: Ὁ μὲν φιλόσοφος Πορφύριος καθῆκον ὑπογράφεσθαί φησιν ἐν τούτοις τό τε … καὶ αὖ ἕτερον τὸ …· ἀμφότερα γοῦν ἡ ῥῆσις αὕτη περιείληφε τό τε ἦθος τοῦ Τιμαίου καὶ τὴν ἀνάγκην τοῦ ἀπόντος ἐνδεικνυμένη, τὸ μὲν ὡς ἥμερον καὶ φιλαλῆθες, τὴν δὲ ὡς ἐμπόδιον τῆς φιλολόγου ζωῆς. Der Begriff φιλόλογος ist hier nicht substantivisch als Gegensatz zu φιλόσοφος (LSJ, 1937: φιλόλογος III) zu verstehen, sondern adjektivisch in der Bedeutung ›fond of philosophical argument‹, ›fond of learning‹ (LSJ, 1937: φιλόλογος II 1.2). ³⁶ Porphyrius behandelt anläßlich Ti. 25e die Frage, warum die Erzählung über den Staat den Ausführungen über die Weltentstehung vorangeht, und kommt nach Auskunft des Proclus, in Ti. I 202,5–13 (Diehl) zu einer eigenen Lösung: τοὺς τῆς ὅλης θεωρίας γνησίως ἀντιλήψεσθαι μέλλοντας δεῖ πεπαιδεῦσθαι πρότερον τὸ ἦθος, ἵνα ὅμοιον ὂν τῷ κατανοουμένῳ συναρμόζηται πρεπόντως εἰς τὴν γνῶσιν τῆς ἀληθείας. τοῦτο δὴ καὶ ἡ τάξις αὕτη τῶν διαλόγων ἐπιδείκνυσιν· οἱ γὰρ ἀκροώμενοι τῶν ἐν τῷ Τιμαίῳ λόγων ὀφείλουσι τῆς Πολιτείας ἀπολελαυκέναι πρότερον καὶ δι’ ἐκείνης κοσμηθέντες οὕτως ἥκειν τῶν περὶ τοῦ κόσμου δογμάτων ἀκροασόμενοι, ὁμοιοτάτους σφᾶς αὐτοῦς τῇ τοῦ παντὸς εὐκοσμίᾳ διὰ τῆς παιδείας ἀποφήναντες. 202,5–8 (Diehl) = Porphyrius, frg. 26 (16,20–17,3 Sodano); 202,8–13 (Diehl) betrachtet S m. E. ohne Grund als Zufügung des Proclus. Vgl. in Ti. I 29,31–30,4 (Diehl), eine Gegenüberstellung der Perspektiven auf das Proömium von Porphyrius und Jamblich: Οἱ μὲν τὴν ἐπάνοδον τῆς Πολιτείας ἠθικώτερον λέγοντες ἐνδείκνυσθαί φασιν ἡμῖν, ὅτι δεῖ τὰ ἤθη κεκοσμημένους ἅπτεσθαι τῆς θεωρίας τῶν ὅλων· οἱ δὲ ἀξιοῦσιν ὡς εἰκόνα τῆς τοῦ παντὸς διακοσμήσεως προκεῖσθαι τῆς συμπάσης φυσιολογίας· Siehe dazu den Kommentar von J. M. D 1973b, 267 f. ³⁷ Proclus, in Ti. I 275,22–25 (Diehl) = Porphyrius, frg. 33 (21,23–25 Sodano): [Πορφύριος δὲ καὶ ᾽Ιάμβλιχος] … ὡς δέον ὂν περὶ τοῦ παντὸς εἰπεῖν πρῶτον, ποτέρως ἔχει φύσεως, εἴτε ἀγένητον, εἴτε αὖ γενητὸν τυγχάνει ὄν, … ³⁸ Proclus, in Ti. I 219,23–31 (Diehl) in unmittelbarer Anknüpfung an die Auslegung von Ti. 27c4–6 durch Porphyrius und Jamblich: καὶ γὰρ μεγίστην ἐν τῇ ὅλῃ φυσιολογίᾳ παρέχεται

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geht der Frage nach der Natur und dem Wesen des Kosmos in der Auseinandersetzung mit älteren Platonauslegern nach und richtet sich dabei in den erhaltenen Fragmenten besonders gegen Plutarch und Atticus.³⁹ Auch wenn möglicherweise bereits Calvenus Taurus gegen deren Erklärung des Timaeus polemisiert, so scheint nach den überlieferten Fragmenten Porphyrius der erste zu sein, der systematisch gegen sie argumentiert.⁴⁰ Wahrscheinlich greift er dabei unter anderem auf die Diskussionen zurück, die Plotin nach Porphyrius’ eigenem Zeugnis mit seinen Schülern über die Schriften des Atticus geführt hat.⁴¹

2. Die Welt ist ewig und hat ihre Existenz von Gott her Mit der Frage, ob Platon im Timaeus den Kosmos als geworden oder ungeworden betrachtet, beteiligt sich Porphyrius an einer Diskussion, die bis in die Alte Akademie zurückreicht. Er sucht nach einer Interpretation der Timaeuserzählung, die mit der Anschauung vom Kosmos als ungeworden und ewig zu vereinbaren ist.⁴² Wie die Zeugnisse bei Proclus, Johannes Philoponus und einer arabischen Überlieferung⁴³ zeigen, bezieht er sich einerseits auf die Interσυντέλειαν ὀρθῶς ὑποτεθὲν ἢ μή, τὸ γενητὸν ἢ ἀγένητον εἶναι τὸν κόσμον· καὶ γὰρ τὴν οὐσίαν αὐτοῦ καὶ τὰς δυνάμεις ἀπὸ ταύτης τῆς ὑποθέσεως δυνησόμεθα κατιδεῖν, ὁποῖαί τινές εἰσιν, … ἔσονται ἄρα οἱ λόγοι περὶ τοῦ παντὸς διδασκαλίας ἕνεκα προϊόντες ἀπ’ ἀρχῆς ὁρμώμενοι ταύτης, εἴτε γέγονεν ὁ κόσμος εἴτε ἀγένητός ἐστι, καὶ ἀπὸ ταύτης τὰ ἄλλα κατὰ τὸ ἀκολουθοῦν ὑφαίνοντες. ³⁹ Von Auseinandersetzungen mit Atticus handeln folgende Texte: Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 391,4–396,26 (Diehl) = Porphyrius, frg. 51 (34,7–39,14 Sodano) zu Ti. 30a2–6; bei Proclus, in Ti. I 382,12–383,1 (Diehl) zu Ti. 30a2–6 (bei Sodano im Apparat zu frg. 47); bei Proclus, in Ti. I 431,20–23 (Diehl) = frg. 53 (40,12–15 Sodano) zu Ti. 30d2–31a1; bei Proclus, in Ti. III 234,18–30 (Diehl) = frg. 80 (68,18–69,8 Sodano) zu Ti. 41d1 f. Diese Debatte spielt bei M. Z 2002, der vor allem auf die inhaltlichen Anleihen des Porphyrius bei seinen Vorgängern achtet, nur eine untergeordnete Rolle. ⁴⁰ Eine Anspielung auf die Auslegung des Timaeus durch Plutarch und Atticus liegt möglicherweise vor, wenn Calvenus Taurus hervorhebt (bei Johannes Philoponus, Procl. 6,21 [188,23–189,2 Rabe]): ἀγένητος οὖν ὁ κόσμος κατ’ αὐτόν. καὶ μηδεὶς πράγματα ἐχέτω ἔκ τε ἀτλαντικοῦ καὶ πολιτικοῦ πειρώμενος δεικνύναι, ὅτι γενητός· So urteilt auch M. B 1976, 121. Zur Verbindung von Timaeus und Politicus in der Timaeusexegese Plutarchs siehe Kapitel A I 3.2. ⁴¹ Siehe Porphyrius, VP 14,12 (I 19 Henry / Schwyzer). ⁴² Daß der Kosmos ungeworden ist, setzt Porphyrius voraus. Er gehört zu der Gruppe von Platonauslegern, die er selbst einführt als οἱ δὴ λέγοντες ἀγένητον μὲν κατὰ χρόνον εἶναι τὸν κόσμον ἑτέρως δὲ λέγειν γενητὸν εἶναι … (Porphyrius bei Johannes Philoponus, Procl. 6,10 [154,6–8 Rabe] = Porphyrius, frg. 35 [23,3 f. Sodano]). Vgl. Porphyrius bei Abu-᾽l-Fath῾ Muh.ammad aš-Sah.arastânî 209,1–20 (Übersetzung Haarbrücker) = Porphyrius, frg. 93 (119,5–18 Sodano). ⁴³ Zu den fragmenta incerta zählt A. R. S unter frg. 93 eine arabische Überlieferung, die angibt, einen Ausschnitt aus Porphyrius’ Epistula ad Anebo zu bieten. S 1960 führt

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pretationen früherer Platoniker, andererseits wendet er sich gegen die aristotelische Deutung und Kritik des Timaeus, wie sie ausgehend von Aristoteles durch Alexander von Aphrodisias erneuert wurde. Dabei argumentiert er eng am platonischen Text, um die Passagen des Timaeus zu erklären, auf die sich die Verfechter einer realen Entstehung des Kosmos beziehen konnten. Matthias Baltes hat die verschiedenen Argumente des Porphyrius nach den einzelnen Zeugnissen bereits ausführlich dargestellt.⁴⁴ Auf dieser Grundlage kann nun unternommen werden, die Argumente der einzelnen Fragmente aufeinander zu beziehen und die systematischen Voraussetzungen der porphyrianischen Auslegung des Timaeus zu erheben.

2.1. Auslegung von Ti. 27c.28b: Die Welt ist zusammengesetzt und hat ihre Existenz von Gott her Porphyrius geht davon aus, daß die umstrittene Passage Ti. 27c4 f. die grundlegende Frage des Timaeus formuliert. Frühere Platonexegeten hatten die Passage (περὶ τοῦ παντὸς λόγους ποιεῖσθαι) η γέγονεν η καὶ ἀγενές ἐστιν durch das Umstellen oder den Austauch einzelner Worte und die Veränderung des vokalischen Anlautes so konstruiert, daß sie ihre Auslegung vorwegnahm und als programmatische Überschrift gleichsam eine Leseanweisung für die folgende Darstellung Platons bot.⁴⁵ So griffen die Verfechter einer realen Entstehung der Welt wie Plutarch und Atticus in den Text ein und lasen ᾗ γέγονεν καὶ ᾗ ἀγενές ἐστιν.⁴⁶ Darin schlägt sich nieder, daß ihrer Meinung nach Platon im Timaeus vom All sprechen wolle einerseits, insofern es geworden sei, und andererseits, insofern es ungeworden sei. Für ungeworden halte Platon das All, wenn er sich auf die ewige und ungewordene Materie beziehe; für geworden halte er das All, wenn er die Entstehung der Form an der Materie betrachte, das heißt die Entstehung des Kosmos, der aus dem Zusammenwirken von Materie, Gott und Form real entstanden sei. Andere Platoniker lasen ᾗ γέγονεν ἢ καὶ ἀγενές ἐστιν, weil sie der Auffassung waren, daß der Kosmos diesen Text aus inhaltlichen Gründen auf den Timaeuskommentar zurück. Dagegen äußert sich M. B 1976, 144 Anm. 232. Skeptisch ist auch P. H 1964. Der von S in seine Fragmentensammlung aufgenommene Textausschnitt aus dem Werk des Abu-᾽l-Fath῾ Muh.ammad aš-Sah.arastânî ist im Inhalt und in der Darstellung recht uneinheitlich, was weitere Zweifel an der Zuweisung unterstützt. Zu der Problematik der arabischen Überlieferung zu Porphyrius siehe auch Anm. 18. ⁴⁴ M. B 1976, 136–163. ⁴⁵ Über verschiedene Konstruktionen von Ti. 27c4 f. berichten Proclus, in Ti. I 218,28– 219,31 (Diehl); Johannes Philoponus, Procl. 6,21 f. (186,6–193,24 Rabe). ⁴⁶ Proclus, in Ti. I 219,13–20 (Diehl) führt diese Position anonym ein. Die Begründung weist aber auf die Timaeusauslegung durch Plutarch und Atticus, wie M. B 1976, 122 f. zeigt.

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geworden sei, insofern er ein Prinzip seiner Entstehung besitze.⁴⁷ Der Kosmos sei nach Platon geworden ἀπ’ αἰτίας, obwohl er der Zeit nach ungeworden sei. Mit der gleichen Intention konstruiert Calvenus Taurus ᾗ γέγονεν εἰ καὶ ἀγενές ἐστιν und sieht in diesem Sinne Ti. 27c4 f. als ein beweiskräftiges Zeugnis (τεκμήριον) dafür, daß die Welt für Platon der Zeit nach ungeworden sei.⁴⁸ Porphyrius dagegen faßt die Passage als Doppelfrage auf, die er anhand der nachfolgenden Argumentation Platons erörtern und beantworten will.⁴⁹ Offensichtlich ist ihm gerade in der Auseinandersetzung mit Auslegern wie Plutarch und Atticus daran gelegen, seine Interpretation nicht auf die philologische Konstruktion einer einzelnen Phrase aufzubauen. Daher weist Porphyrius die philologische Argumentation zum Beispiel des Calvenus Taurus zurück, obwohl er der Sache nach an dessen Interpretation anknüpft. Indem Porphyrius eine Textänderung ablehnt, nimmt er außerdem der Kritik des Alexander von Aphrodisias den Wind aus den Segeln, der die Platondeutung des Taurus unter anderem wegen ihrer philologischen Willkür scharf angegriffen hatte.⁵⁰ Porphyrius sieht Platons Frage Ti. 27c4 f. in 28b6 f. präzisiert und erörtert sie daher in einer Verbindung beider Passagen. In Ti. 28b6 f. erwägt Platon, ob der Kosmos ewig war und keinen Anfang seiner Entstehung (γενέσεως ἀρχήν) besitzt, oder ob er geworden ist, indem er ausgehend von einem Anfang (ἀπ’ ἀρχῆς) entstanden ist.⁵¹ Über das methodische Vorgehen des Porphyrius bei der Interpretation informieren die Zeugnisse und Fragmente bei Johannes Philoponus.⁵² Porphyrius geht von der Feststellung Platons Ti. 28b7 aus, daß der ⁴⁷ Proclus, in Ti. I 218,28–219,18 (Diehl). Proclus ordnet dieser Gruppe Albinus zu. ⁴⁸ Calvenus Taurus bei Johannes Philoponus, Procl. 6,21 (186,17–189,9 Rabe). Die Frage,

ob Taurus hier eine textkritische Entscheidung zu Platons Text fällt (so K. V 1997), oder ob er seine Lesart inhaltlich als Synonym zur platonischen Lesart versteht (M. B 1976, 112–115) ist für das Verständnis der Interpretation des Taurus sekundär. M. S in seiner Übersetzung (139 Anm. 253) von Philoponus, Procl. 6–8 unterstützt B’ Deutung mit weiteren Argumenten. ⁴⁹ Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 219,20–22 (Diehl) = Porphyrius, frg. 30 (20,6–9 Sodano), dem Proclus folgt, wenn er Ti. 27c4 f. paraphrasiert: εἴτε γέγονεν ὁ κόσμος εἴτε ἀγένητός ἐστι (219,29 f. Diehl). ⁵⁰ Alexander von Aphrodisias bei Johannes Philoponus, Procl. 6,27 (214,10–15 Rabe). ⁵¹ Platon, Ti. 28b2–7: ὁ δὴ πᾶς οὐρανὸς – … – σκεπτέον δ’ οὖν περὶ αὐτοῦ πρῶτον, ὅπερ ὑπόκειται περὶ παντὸς ἐν ἀρχῇ δεῖν σκοπεῖν, πότερον ἦν ἀεί, γενέσεως ἀρχὴν ἔχων οὐδεμίαν, ἢ γέγονεν, ἀπ’ ἀρχῆς τινος ἀρξάμενος. ⁵² Johannes Philoponus gibt in Procl. 6,10 (154,6–19 Rabe) = Porphyrius, frg. 35 (23,3–13 Sodano) die methodische Einleitung des Porphyrius wieder. Im Anschluß daran (154,19–21 Rabe) berichtet Philoponus, daß Porphyrius nach diesen Bemerkungen verschiedene Bedeutungen von γενητόν aufgelistet habe, die er weiter oben (Procl. 6,8 [148,9–149,16] = Porphyrius, frgg. 37.36 [23,14–24,9; 24,9–25,9 Sodano]) aufgeführt habe. Danach habe Porphyrius seine Interpretation von γενητόν geboten und begründet, die Philoponus wieder wörtlich zitiert (Procl. 6,10 [154,23–155,4] = Porphyrius, frg. 38 [25,10–16 Sodano]). Vor dieses Ergebnis des Porphyrius ist der Sache nach das Referat des Proclus, Procl. 6,25 (200,10–23)

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

Kosmos geworden ist und stellt sich die Aufgabe zu ermitteln, in welchem Sinne Platon hier von ›geworden‹ spricht. Weil der Ausdruck γενητόν auf vielerlei Weise verstanden werden kann, sammelt Porphyrius verschiedene Bedeutungen und prüft, welche Bedeutungen von γενητόν mit der Argumentation Platons in Übereinstimmung gebracht werden kann. Somit dient Platons eigener Beweisgang (ἀπόδειξις) dem Porphyrius als methodischer Ausgangspunkt, um zu bestimmen, in welchem Sinne nach Platon der Kosmos geworden ist. Für die Liste der Bedeutungen von γενητόν baut Porphyrius auf einer Zusammenstellung des Calvenus Taurus auf, die dieser in seinen ὑπομνήματα zum Timaeus bot, und ergänzt sie.⁵³ Interessant sind vor allem die Erweiterungen des Porphyrius gegenüber Taurus. Nach dem Zeugnis des Johannes Philoponus lehnt Calvenus Taurus die zeitliche Bedeutung von γενητόν summarisch ab und führt nur Bedeutungen auf, die γενητόν in einem nichtzeitlichen Sinne auffassen.⁵⁴ Porphyrius dagegen verhandelt auch zwei Bedeutungen, die einen realen Anfang der Welt implizieren. So könne die Aussage, daß der Kosmos geworden ist, auch verstanden werden in dem Sinne, daß der Kosmos durch einen allmählichen Entstehungsprozeß in die Existenz trat, das heißt, wie ein Haus in Etappen entstand oder sich wie eine Pflanze und ein Lebewesen stufenweise entwickelte.⁵⁵ Oder γενητόν trage die allen geläufige, vordergründige Alltagsbedeutung und bezeichnet das, was in der Zeit zu sein beginnt und vorher nicht war.⁵⁶ Für die erste Bedeutung ist keine Prüfung an der Argumentation von Ti. 28b überliefert. Porphyrius lehnt die Vorstellung eines allmählichen Entstehungsprozesses mit einem Hinweis auf das Wirken Gottes ab, der alles zugleich mit seinem Gedanken ins Sein geführt hat. Er polemisiert = Porphyrius, frg. 34 (22,5–23,2 Sodano) zu ordnen, nach dem Porphyrius die zeitliche Bedeutung von γενητόν an der Argumentation Platons geprüft hat. ⁵³ Siehe Johannes Philoponus, Procl. 6,8 (148,7–9 Rabe): καὶ ὁ Πορφύριος δὲ πρὸς τοῖς ὑπὸ τοῦ Ταύρου κατηριθμημένοις καὶ ἕτερα προστίθησιν τοῦ γενητοῦ σημαινόμενα· Vergleicht man diesen Satz mit der Weise, wie Johannes Philoponus Proclus’ Liste von Bedeutungen einleitet (147,25–148,7), so muß er wohl so verstanden werden, daß Porphyrius die Bedeutungen des Taurus genannt hat, die Johannes Philoponus kurz zuvor wiedergibt (145,10–147,25), und weitere hinzugefügt hat. Für die Benutzung des Calvenus Taurus durch Porphyrius siehe H. D 1973, 313. Taurus führt folgende Bedeutungen an, nach denen etwas γενητόν in einem unzeitlichen Sinne genannt werden kann: 1) das, was nicht geworden ist, aber zur selben Gattung wie die gewordenen Dinge gehört; 2) das, was nur in Gedanken zusammengesetzt ist bzw. in Gedanken aufgelöst wird, auch wenn es nicht wirklich zusammengesetzt wurde; 3) der Kosmos, insofern er immer im Werden, d. h. in Umwandlung begriffen ist; 4) der Kosmos, insofern sein Sein von einer anderen Ursache herstammt. Zu dieser Liste siehe M. B 1976, 106–110. ⁵⁴ Siehe dazu M. B 1976, 110. ⁵⁵ Porphyrius bei Johannes Philoponus, Procl. 6,8 (148,25–149,11 Rabe) = frg. 36 (23,14– 24,6 Sodano). ⁵⁶ Porphyrius bei Johannes Philoponus, Procl. 6,8 (149,12–16 Rabe) = frg. 36 (24,6–9 Sodano).

V. Porphyrius

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hier nicht gegen den implizierten zeitlichen Anfang, sondern wendet sich aus theologischen Gründen gegen ein wörtliches Verständnis des am Handwerksmodell orientierten Timaeus-Mythos sowie gegen ein kosmo-biologisches Entwicklungsmodell.⁵⁷ Für die zweite Bedeutung liegt Porphyrius’ Prüfung an der Argumentation von Ti. 28b bei Johannes Philoponus vor.⁵⁸ Porphyrius kommt hier zu dem Schluß, daß es keine logische Notwendigkeit gibt, aus der Beschreibung des Kosmos als sichtbar, tastbar und körperlich die Schlußfolgerung zu ziehen, daß er der Zeit nach geworden ist. Er lehnt daher die Deutung ab, daß der Kosmos nach Platon in einem zeitlichen Sinne geworden ist. Es zeigt sich, daß Porphyrius den Bedeutungen, die ein reales Entstehen des Kosmos implizieren, im Vergleich zu Taurus mehr Aufmerksamkeit widmet. Dabei tritt er den Vertretern einer Weltentstehung κατὰ χρόνον mit exegetisch-analytischen und theologischen Argumenten entgegen, um plausibel zu machen, daß ausgehend von Platon der Kosmos auf eine andere Weise für geworden zu halten ist. Für die Interpretation von γενητόν in einem unzeitlichen Sinne knüpft Porphyrius an Taurus an und wendet γενητόν auf das an, was aus Materie und Form zusammengesetzt ist. Taurus hatte dieses Beispiel nur beiläufig angedeutet, während Porphyrius es ausführlich entfaltet.⁵⁹ Porphyrius gewinnt diese Deutung von γενητόν in Übereinstimmung mit seinen methodischen Vorüberlegungen ausgehend von der Argumentation Ti. 28b, nach der der Kosmos zu den γενητά gehört, insofern er sichtbar, tastbar und körperlich ist.⁶⁰ Porphyrius erläutert diese Beschreibung anhand der physikalischen Definition des Körpers und stellt den so charakterisierten Körper den schlechthin einfachen und ungewordenen Dingen (τὰ πάντῃ ἁπλᾶ) gegenüber. Aus dem ⁵⁷ Ich sehe keinen Grund, die Begründung Porphyrius abzusprechen und Johannes Philoponus zuzuschreiben, wie K. V 1988, 288 meint oder M. S in seiner englischen Übersetzung von Procl. 6–8 suggeriert (135 Anm. 124). Daß Porphyrius in seinem Kommentar die Auflistung der verschiedenen Bedeutungen mit ihrer Diskussion verbindet, zeigen die Ausschnitte bei Johannes Philoponus, Procl. 6,8 (200,12–23 Rabe) und 6,10 (154,23–155,4). Zum Wirken des Demiurgen nach Porphyrius siehe Kapitel 3.2. ⁵⁸ Porphyrius bei Johannes Philoponus, Procl. 6,25 (200,10–23 Rabe) = Porphyrius, frg. 34 (22,5–23,2 Sodano). ⁵⁹ Calvenus Taurus erwähnt bereits als Beispiel für ein γενητόν i. S. von ἐπινοίᾳ σύνθετον den Kosmos, insofern in seinem Fall die σύνθεσις gedanklich in das zugrunde liegende Substrat aufgelöst werden kann, wenn alle Qualitäten gedanklich abstrahiert werden (bei Johannes Philoponus, Procl. 6,8 [146,17–20 Rabe]). ⁶⁰ Siehe Porphyrius bei Johannes Philoponus, Procl. 6,10 (154,23–155,4 Rabe) = Porphyrius, frg. 38 (25,10–16 Sodano): φημὶ τοίνυν, ὅτι κατὰ τὸ κυρίως ὑφ’ ἡμῶν δειχθὲν γενητὸν προσαγορευόμενον, τουτέστιν τὸ σύνθετον ἐξ ὕλης καὶ εἴδους, πρὸς οὗπερ τὴν ἀπόδειξιν καὶ τὰ προληφθέντα ἀξιώματα οἰκείως αὐτὸν δείξομεν προειληφότα, πρότερον ὡς τῷ τοιούτῳ ἐφαρμόζει σημαινομένῳ ἡ ἀπόδειξις ἐκδιδάξαντες· εἰ γάρ τι ὁρατὸν καὶ ἁπτόν ἐστιν καὶ σῶμα ἔχον, τοῦτο τριχῇ διαστατὸν μετὰ ἀντιτυπίας καὶ ὠγκωμένον οὐκ ἔστιν ἁπλοῦν ἀλλὰ σύνθετον ἐξ ὕλης καὶ εἴδους. Vgl. mit Procl. 6,8 (148,16–23 Rabe) und der Paraphrase des Johannes Philoponus, Procl. 6,10 (153,17–154,3).

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

Gegensatz des Körpers zu den ungewordenen ἁπλᾶ leitet er schließlich ab, daß der Kosmos nach Platon geworden ist, insofern er Körper ist, das heißt, insofern er die ἐπίνοιαν συνθέσεως besitzt, weil er aus Materie und Form zusammengesetzt ist. Analog zu dieser Erklärung für das Gewordensein des Kosmos interpretiert Porphyrius wahrscheinlich auch Platons Rede in Ti. 41ab, daß die gewordenen Götter und der Kosmos ihrer Natur nach vergänglich sind.⁶¹ Nach den Zeugnissen bei Johannes Philoponus und Proclus ist die Bestimmung von γενητόν im Sinne der gedanklichen Zusammensetzung des Kosmos aus Materie und Form die Hauptbedeutung für Porphyrius.⁶² Mit ihr will Porphyrius nicht nur eine Bedeutung von γενητόν bieten, die sich zu Platons Argumentation Ti. 28b fügt, sondern auch der aristotelischen Kritik begegnen, die sich gegen die Interpretation von γενητόν als ἐπινοίᾳ σύνθετον und den Vergleich mit der Konstruktion geometrischer Figuren ausspricht.⁶³ Aristoteles und seine Nachfolger kritisierten, daß im Falle des Kosmos anders als bei den geometrischen Konstruktionen die (gedanklichen) Bestandteile nicht gleichzeitig mit dem Ganzen bestehen können. Porphyrius begegnet dieser Kritik, indem er bestreitet, daß der Kosmos ein ἐπινοίᾳ σύνθετον ist, das den geometrischen Konstruktionen vergleichbar ist. Dieses Argument des Porphyrius ist in der Darstellung des Johannes Philoponus verdunkelt. Weil Matthias Baltes den Ausführungen des Johannes Philoponus an diesem Punkt unkritisch folgt, kann er die argumentative Leistung des Porphyrius an dieser Stelle nicht ausreichend würdigen. Mit dem Ziel, die von Calvenus Taurus, Proclus und Porphyrius vorgetragenen Bedeutungen zu systematisieren und seine eigene Widerlegung des Porphyrius aufzubauen, identifiziert Johannes Philoponus sachlich zwei der Deutungen, die Porphyrius aufgelistet hat: Das, was gedanklich aus Materie und Form zusammengesetzt ist, ist nach Johannes Philoponus sachlich identisch mit dem, was wie die geometrischen Konstruktionen einen Begriff (λόγος) des Entstehens enthält. Aus der Argumentation des Porphyrius, wie sie ansonsten aus Johannes Philoponus erschlossen werden kann, und aus einem Fragment bei Proclus geht hingegen deutlich hervor, daß Porphyrius beide Deutungen unterscheidet und mit dem Beispiel der geometrischen Konstruktionen die alte, auf Xenocrates und ⁶¹ Siehe Proclus, in Ti. I 213,12–16 (Diehl); vgl. 211,6 f.22–24 und 212,4; in R. II 377,15– 378,4 (Kroll) = Atticus, frg. 25 (Des Places). Die Argumentation zu Ti. 41ab, die Proclus teilweise in der Auseinandersetzung mit Atticus entwickelt, geht vermutlich auf Porphyrius zurück. ⁶² Siehe Porphyrius bei Johannes Philoponus, Procl. 6,10 (154,23–26 Rabe) = Porphyrius, frg. 38 (25,10 f. Sodano); Johannes Philoponus über Porphyrius in Procl. 6,10 (154,3 f. Rabe); 6,17 (172,5–7); vgl. Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 395,5–10 (Diehl) = Porphyrius, frg. 51 (37,29–38,4 Sodano). ⁶³ Siehe Aristoteles, Cael. 1,10 (279b32–280a10), aufgenommen von Theophrast bei Johannes Philoponus, Procl. 6,21 (188,9–13 Rabe) und ausführlich Alexander von Aphrodisias bei Johannes Philoponus, Procl. 6,27 (217–221,22).

V. Porphyrius

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Speusipp zurückgehende Interpretation von γενητόν fallen läßt.⁶⁴ Indem Porphyrius den Kosmos als geworden auffaßt, insofern er als Körper aus Materie und Form zusammengesetzt ist, kann er sich schließlich auf Aristoteles’ eigene Bestimmung des Körpers berufen, die ebenfalls unter der Phrase (ἐπινοίᾳ) σύνθετον ἐξ ὕλης καὶ εἴδους zusammengefaßt werden kann, wobei Materie und Form analytische Konzepte sind, die niemals voneinander getrennt vorliegen oder dem Körper vorgängig existieren.⁶⁵ Porphyrius entwickelt also die alte Deutung von γενητόν als ἐπινοίᾳ σύνθετον vor dem Hintergrund der durch Alexander von Aphrodisias erneuerten aristotelischen Kritik weiter. Platons Frage in Ti. 28b6 f. wird in den Augen des Porphyrius außerdem durch Ti. 29d7–30a2 erhellt.⁶⁶ Aufgrund des platonischen Textes Ti. 28b6 f. verknüpft Porphyrius die Frage nach der Bedeutung von γενητόν bezogen auf den Kosmos mit der Frage nach der ἀρχή des Kosmos. Letztere findet er in Ti. 29d7–30a2 beantwortet, wo die Güte des Demiurgen, der neidlos alles sich ⁶⁴ Porphyrius bei Johannes Philoponus, Procl. 6,8 (148,9–25 Rabe). Bei diesem Zeugnis ist es schwierig zu bestimmen, wie weit die Position des Porphyrius reicht und wo Kommentare des Johannes Philoponus zu vermuten sind. Offenkundig ist, daß in 148,9–25 (Rabe) eine inhaltliche Zusammenfassung des Johannes Philoponus und kein wörtliches Zitat aus Porphyrius vorliegt. Wörtliche Zitate leitet Johannes Philoponus eindeutig ein (z. B. 154,5 f.23; vgl. 145,12 f.; 186,21 [Tauruszitat]; 162,7 f.; 164,17 f. [Platon]). Die Platonzitate zeigen, daß Johannes Philoponus sorgfältig zitiert. Bei den Zusammenfassungen ist er trotz Kürzungen zwar um inhaltliche Treue zu seiner Vorlage bemüht, gleichwohl setzt er interpretierende Akzente, um das gesammelte Material zu systematisieren. Dies zeigt anschaulich ein Vergleich der Zusammenfassung der Position des Porphyrius in Procl. 6,10 (153,17–154,5) mit dem folgenden wörtlichen Zitat (154,6–19; 154,23–155,4). K. V 1988 hat dafür argumentiert, den Abschnitt 148,13–25 Johannes Philoponus zuzuweisen. Seinen hauptsächlich inhaltlichen Argumenten für die Unterschiede der beiden Bedeutungen, die Philoponus hier identifiziert, können zwei weitere Beobachtungen hinzugefügt werden. 1) Johannes Philoponus sagt ausdrücklich, daß in dem Abschnitt, den er Procl. 6,8 (148,9–149,16) referiert, Porphyrius den Bedeutungen des Taurus weitere, d. h. zusätzliche Bedeutungen hinzugefügt habe (148,7–9). Die Bedeutung (ἐπινοίᾳ) σύνθετον ἐξ ὕλης καὶ εἴδους entspricht jedoch der zweiten Bedeutung des Taurus, wie Johannes Philoponus selbst zu erkennen gibt, wenn er die Position des Porphyrius in 6,10 (153,17–154,5) teilweise in den Formulierungen des Taurus zusammenfaßt. 2) Nach Proclus, in Ti. 395,1–10 (Diehl) greift Porphyrius die aristotelische Kritik auf und stellt ausdrücklich fest (395,5 f.), ὅτι οὐχ οὕτω [395,3 f.: οἷον ἐπὶ γεωμετρίας – δύνασθαι γὰρ εἶναι ταύτας καθ’ ἑαυτάς] καθ’ ὑπόθεσιν λέγεται τὸ ἄκοσμον προϋποκεῖσθαι δεῖν, … Ich meine daher, daß die Identifikation der zwei Bedeutungen von γενητόν bei Johannes Philoponus, Procl. 6,8 (148,23–25 Rabe) nicht Porphyrius zugeschrieben werden kann. A. R. S läßt in seiner Ausgabe das Fragment 37 wohl aus ähnlichem Grund nur von 148,9–23 reichen (24 f.). Gegen M. B 1976, 137–140, der 148,9–25 gänzlich Porphyrius zuschreibt, ist daher festzuhalten, daß nur 148,9–13 die Position des Porphyrius wiedergibt, der hier eine der klassischen, auf Xenocrates und Speusipp zurückgehenden Bedeutungen von γενητόν referiert und ablehnt. Zur Deutung bei Xenocrates und Speusipp siehe B, a. a. O., 18–22. ⁶⁵ Siehe Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 395,5–10 (Diehl) = Porphyrius, frg. 51 (37,29– 38,4 Sodano). ⁶⁶ Siehe Porphyrius bei Johannes Philoponus, Procl. 6,17 (172,5–20 Rabe) = frg. 172F (Smith).

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

nach Möglichkeit ähnlich machen will, als Ursache (αἴτιον) und Ursprung der Welt im wahrsten Sinne des Wortes (ἀρχὴ κυριωτάτη) ausgewiesen wird.⁶⁷ Porphyrius überträgt diese Bestimmung von ἀρχή auf Ti. 28b6 f. und sieht dadurch bestätigt, daß in Ti. 28b6 f. nicht die Möglichkeit eines zeitlichen Anfangs erwogen wird, sondern gefragt wird, ob der Kosmos seine Existenz von Gott her hat. Ti. 28b6 f. ist seiner Ansicht nach so zu verstehen, daß Platon überlegt, ob die Welt in sich vollkommen (αὐτοτελής) und aus sich selbst heraus (ἐκ ταὐτομάτου) ohne Schöpfer existiert oder ob sie von jemand anderem her geworden ist, d. h. durch einen anderen das Prinzip des Seins besitzt. Wie Johannes Philoponus richtig bemerkt, leitet Porphyrius auf diese Weise die vierte Bedeutung des Calvenus Taurus her, daß der Kosmos als geworden zu betrachten ist, insofern er von einer vorgeordneten Ursache abhängig ist.⁶⁸ Allerdings entfaltet Porphyrius nicht nur eine der bereits von Calvenus Taurus aufgestellten Bedeutungen von γενητόν durch die Kombination verschiedener Passagen des Timaeus. Er arbeitet vor allem anhand Ti. 29d7–30a2 heraus, was es bedeutet, daß Gott Ursache des Kosmos ist.⁶⁹ Gott ist nach Porphyrius im wahren Sinne Ursache des Kosmos, insofern der Kosmos aufgrund der Güte Gottes und das heißt aufgrund seines Wesens (ἀπὸ τῆς οὐσίας) geworden ist. Weil Gottes Güte aber ohne zeitlichen Anfang ewig ist, muß auch der Kosmos ungeworden ewig sein.⁷⁰ Im Wesen der göttlichen Ursache des Kosmos liegt die theologische Voraussetzung dafür, daß die Entstehung des Kosmos ἀπ’ αἰτίας mit einer Entstehung κατὰ χρόνον unvereinbar ist.

⁶⁷ Platon, Ti. 29d7–30a2: Λέγωμεν δὴ δι’ ἥντινα αἰτίαν γένεσιν καὶ τὸ πᾶν τόδε ὁ συνιστὰς συνέστησεν. ἀγαθὸς ἦν, ἀγαθῷ δὲ οὐδεὶς περὶ οὐδενὸς οὐδέποτε ἐγγίγνεται φθόνος· τούτου δ’ ἐκτὸς ὢν πάντα ὅτι μάλιστα ἐβουλήθη γενέσθαι παραπλήσια ἑαυτῷ. ταύτην δὴ γενέσεως καὶ κόσμου μάλιστ’ ἄν τις ἀρχὴν κυριωτάτην παρ’ ἀνδρῶν φρονίμων ἀποδεχόμενος ὀρθότατα ἀποδέχοιτ’ ἄν. ⁶⁸ So die Einleitung des Johannes Philoponus, Procl. 6,17 (171,21–172,8 Rabe). Vgl. die Paraphrase bei Abu-᾽l-Fath῾ Muh.ammad aš-Sah.arastânî 209,1–20 (Übersetzung Haarbrücker) = Porphyrius, frg. 93 (119,5–18 Sodano). ⁶⁹ Darauf läuft m. E. der erste Teil des von Johannes Philoponus zitierten Fragments hinaus, auch wenn Philoponus die Schlußfolgerung des hier angelegten Arguments nicht mehr zitiert. Porphyrius bei Johannes Philoponus, Procl. 6,17 (172,11–15 Rabe) = frg. 172F (Z. 5– 10; 198 Smith): ἀλλ’ εἰ αὕτη κυριωτάτη κόσμου ἀρχὴ καὶ οὕτως ἤρξατο γίνεσθαι ὡς οὐκ ἐκ ταὐτομάτου οὐδὲ αὐτοτελὴς ἑαυτῷ ἀλλ’ ἀπὸ θεοῦ παρελθὼν καὶ ἀπὸ τῆς οὐσίας γενόμενος, οὐσία δὲ θεοῦ ἡ ἀγαθότης, θεὸς αὐτοῦ κυρίως εἴη ἀρχή. ⁷⁰ Siehe Proclus bei Johannes Philoponus, Procl. 6,27 (224,18–225,8 Rabe): … ὁ Πρόκλος ἐν τῷ πολλάκις μνημονευθέντι ὑπὲρ τοῦ Τιμαίου πρὸς Ἀριστοτέλην λόγῳ ἐκ τῶν Πορφυρίου πάλιν μεταγραψάμενος τίθησιν ἐκ περιόδων δεικνύειν πειρώμενος, ὡς ἄναρχον εἶναι τὴν τοῦ κόσμου γένεσιν ὁ Πλάτων ᾤετο … διότι αἰτίαν εἶναί φησιν τῆς τοῦ κόσμου ὑπάρξεως τὴν τοῦ θεοῦ ἀγαθότητα, … ἐξ ὧν ὁ Πρόκλος συνάγει, … ὅτι, εἰ ἀεὶ ἄφθονος ὁ θεός, ἐπεὶ καὶ ἀεὶ ἀγαθός, ἀεὶ καὶ ὁ κόσμος ἔσται ἤ, εἰ μὴ ἀεί ἐστιν ὁ κόσμος, δυνάμει εἶναι καὶ τὸν τούτου δημιουργὸν καὶ διὰ τοῦτο ἀτελῆ καὶ χρόνου δεόμενον, … Proclus bezieht sich hier u. a. auf Ti. 29d–30e und folgt, wie Philoponus ihm vorwirft, dem Porphyrius.

V. Porphyrius

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2.2. Auslegung von Ti. 30a2–6: Eine didaktische Verdeutlichung des Wirkens der schöpferischen Vorsehung Die Interpreten des Timaeus, die eine reale Entstehung des Kosmos aus einer vorgängigen ungeordneten Materie lehrten, beriefen sich für ihre Position vor allem auf Ti. 30a2–6. Hier heißt es, daß Gott alles sichtbare und ungeordnet Bewegte aufnahm und zur Ordnung führte.⁷¹ Plutarch und Atticus identifizierten das, was der Demiurg aufnahm, mit der regellos bewegten Materie und schlossen, daß dem Kosmos eine Phase der Unordnung vorausgeht, die von einer irrationalen Seele dominiert ist und erst durch das ordnende Eingreifen des Demiurgen ein Ende findet.⁷² Porphyrius wendet sich gegen diese Interpretation, indem er darlegt, daß Platon in Ti. 30a2–6 nicht von einem vorkosmischen chaotischen Materiezustand spricht, und indem er erklärt, warum Platon überhaupt einen Gestaltungsprozeß des göttlichen Demiurgen schildert. Porphyrius unterscheidet gedanklich zwischen der Entstehung (ὑπόστασις) der Elementarkörper und der Bildung (ποίησις) des Kosmos.⁷³ Während die Entstehung der ersten Körper auf dem Zusammentreten der drei Prinzipien Materie, Gott und Form beruht, schafft Gott den Kosmos, indem er die bereits existierenden Elementarkörper ordnet. Ti. 30a2–6 beschreibt den zweiten Schritt, bei dem der Demiurg nicht die Materie, sondern die ersten Körper aufnimmt. Für diese Deutung beruft sich Porphyrius als Textzeugnis (τεκμήριον) auf die Aussage Ti. 30a3, daß das, was der Demiurg übernommen hat, sichtbar war.⁷⁴ Sichtbar kann aber nur das sein, was Ausdehnung besitzt und folglich einen Körper hat, wohingegen die Materie nach allgemeinem Verständnis an und für sich unsichtbar und nur mit Mühe durch einen bastardartigen Schluß zu erkennen ist. Ausdrücklich wendet sich Porphyrius auch gegen eine Deutung, die in Ti. 30a2–6 die Materie beschrieben sieht, die von ⁷¹ Platon, Ti. 30a2–6: βουληθεὶς γὰρ ὁ θεὸς ἀγαθὰ μὲν πάντα, φλαῦρον δὲ μηδὲν εἶναι κατὰ δύναμιν, οὕτω δὴ πᾶν ὅσον ἦν ὁρατὸν παραλαβὼν οὐχ ἡσυχίαν ἄγον ἀλλὰ κινούμενον πλημμελῶς καὶ ἀτάκτως, εἰς τάξιν αὐτὸ ἤγαγεν ἐκ τῆς ἀταξίας, ἡγησάμενος ἐκεῖνο τούτου πάντως ἄμεινον. ⁷² Siehe das Referat zu Plutarch und Atticus bei Proclus, in Ti. I 381,26–382,12 (Diehl), auf das unmittelbar die Kritik durch Porphyrius und Jamblich folgt (382,12–383,22). ⁷³ Für diese Unterscheidung siehe Porphyrius bei Johannes Philoponus, Procl. 6,14 (164,18–23 Rabe) = Porphyrius, frg. 47 (30,9–31,2 Sodano): οὐκ ἔστιν ταὐτὸν κόσμου ποίησις καὶ σώματος ὑπόστασις οὐδὲ αἱ αὐταὶ ἀρχαὶ σώματός τε καὶ κόσμου, ἀλλ’ ἵνα μὲν κόσμος γένηται, δεῖ σώματα εἶναι καὶ θεὸν εἶναι, ἵνα δὲ σώματα, δεῖ ὕλην εἶναι καὶ θεὸν καὶ τὸ ἐπιγινόμενον [= εἶδος 14,3 (546,11–15 Rabe); σχήματα 6,14 (165,2–5)]. Vgl. 6,14 (165,7 f.) = frg. 49 (33,1 f. Sodano); Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 394,26 f. (Diehl) = frg. 51 (37,21 Sodano). ⁷⁴ Porphyrius bei Johannes Philoponus, Procl. 6,14 (165,7–16 Rabe) = Porphyrius, frg. 49 (33,1–8 Sodano); ähnlich Procl. 14,3 (546,25–547,7 Rabe). Zu einem ganz anderen Zweck stellt Plutarch eine Verbindung von Körperlichkeit und Sichtbarkeit in Ti. 30a her (an. procr. 5 [1014bc]). Siehe dazu Kapitel A I 3.3.

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den Spuren der Elemente (vgl. Ti. 53b1–4) in Unruhe versetzt wird.⁷⁵ Porphyrius selbst erklärt die ungeordnete Bewegung Ti. 30a2–6 als die Bewegung der geschaffenen Elementarkörper, die hier in ihrem Wesen an sich beschrieben sind. Als natürliche Körper werden sie von der Naturkraft regellos bewegt und erhalten erst von Gott her ihre geordnete Bewegung sowie ihre jeweils eigentümliche Stellung und Position im Kosmos.⁷⁶ Es zeigt sich, daß Porphyrius dem Timaeus verschiedene Phasen der Weltbildung entnimmt, was Proclus veranlaßt, von einer doppelten Schöpfertätigkeit des Demiurgen bei Porphyrius zu sprechen:⁷⁷ In einer ersten Phase, die von Ti. 53c an beschrieben wird,⁷⁸ entstehen die Elementarkörper; in einer zweiten Phase, die Ti. 30a zu entnehmen ist, ordnet der Demiurg die Elemente zum Kosmos.⁷⁹ Beide Phasen laufen nach Porphyrius ständig zugleich ab. Regellosigkeit und Ordnung der Elemente dürfen daher nicht chronologisch voneinander getrennt werden. Sie können aber wie bei der aristotelischen Analyse der Körper in Materie und Form in der theoretischen Betrachtung (καθ’ ὑπόθεσιν) voneinander geschieden werden. Platon schildert daher einen ewigen und unzeitlichen Vorgang und unterscheidet nur in der Darstellung aus pädagogischen Gründen verschiedene Phasen, um die Ordnung des Kosmos besser zu veranschaulichen.⁸⁰ Für das Verständnis von Ti. 30a bedeutet diese hermeneutische Perspektive, daß nicht angenommen werden darf, daß die Elemente jemals ohne göttlichen ⁷⁵ Porphyrius bei Johannes Philoponus, Procl. 14,3 (546,5–10; 547,7–19 Rabe) = Porphyrius, frgg. 48.50 (32,8–15; 33,9–34,6 Sodano). Zu der älteren Deutung einer Verbindung von Materie und Elementenspuren, die Porphyrius hier ablehnt, siehe M. B 1976, 156 f.; W. D 1983, 236–243. ⁷⁶ Porphyrius bei Johannes Philoponus, Procl. 14,3 (546,15–25 Rabe) = Porphyrius, frg. 48 (32,8–15 Sodano); vgl. 547,18 f. = frg. 50 (34,5 f. Sodano). ⁷⁷ Siehe Proclus, in Ti. I 383,2 f. (Diehl): … διττῆς τῆς δημιουργικῆς οὔσης ποιήσεως, τῆς μὲν σωματουργικῆς, τῆς δὲ κοσμητικῆς, … Diese Bemerkung steht im Zusammenhang der Widerlegung des Plutarch und Atticus durch die Gruppe um Porphyrius und Jamblich und gehört wahrscheinlich noch zu diesem Referat, das 382,12 beginnt (siehe M. B 1976, 156). ⁷⁸ Siehe M. B 1976, 155. ⁷⁹ Wahrscheinlich hat Porphyrius für diese Unterscheidung Ti. 69b8–c3 vor Augen (M. B 1976, 152). ⁸⁰ Siehe Porphyrius bei Johannes Philoponus, Procl. 6,14 (164,24–165,2 Rabe) = Porphyrius, frg. 47 (32,1–3 Sodano): ταῦτα δὲ ἀεὶ ἅμα γίνεται πάντα καὶ οὐ χρόνῳ διηρτημένα, ἀλλ’ ἥ γε διδασκαλία ἀναγκαίως διαιρεῖ, ἵνα διδάσκῃ ἀκριβῶς τὸ γιγνόμενον; vgl. Procl. 14,3 (547,24); Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 395,6–10 (Diehl) = frg. 51 (38,1–4 Sodano): … ὡς αὐτὸς [sc. Ἀριστοτέλης C. K.] τὸ ἀνείδεον ὁρᾷ πρὸ τῶν εἰδῶν, εἰ καὶ μηδέποτέ ἐστιν ἐκείνων χωρίς, οὕτω τὸ εἰδοπεποιημένον μέν, ἔτι δὲ ἀδιάρθρωτον εἴληπται πρὸ τῆς τάξεως, εἰ καὶ μηδέποτε πρὸ τάξεως ἦν, ἀλλ’ ὁμοῦ τῇ τάξει συνυφεστός. Siehe auch die Gruppe um Porphyrius / Jamblich bei Proclus, in Ti. I 382,30–32 (Diehl). Porphyrius greift damit die traditionelle methodologische Erklärung früherer Timaeusausleger auf, um zu begründen, warum Platon den ungewordenen und ewigen Kosmos im Entstehen vorführt. Siehe dazu M. B 1976, 82.

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Ordner existierten. Platon stellt sie aber in einer hypothetischen Aussage auf diese Weise dar, um deutlich zu machen, daß ihre Ordnung allein von Gott herrührt. Deshalb betrachte er [d. h. Platon] zunächst die Gesamtheit des körperhaften Zustands und zeige, wie regellos und ungeordnet er [an und für sich] ist, damit man die von der Seele herrührende Ordnung und die Ordnung zum Kosmos durch den Demiurgen isoliert ins Auge faßt und auf diese Weise dann abgrenzen kann, über welche Natur das Körperhafte von sich aus verfügt und welche Ordnung es von der Tätigkeit des Demiurgen her erlangt hat.⁸¹

Ti. 30a2–6 betrachtet den Kosmos also unter Absehung der göttlichen Verwaltung, d. h. den noch ungeordneten körperlichen Zustand, der sich verhält »wie ein Schiff ohne Steuermann oder ein Wagen ohne Wagenlenker«.⁸² Diese didaktische Darstellung Platons zielt darauf, auf den Steuermann und Wagenlenker zu verweisen, also zu verdeutlichen, daß und wie die göttliche Vorsehung im Kosmos wirkt. Mit diesem Gedanken knüpft Porphyrius erneut an Calvenus Taurus an. Taurus erörterte bereits, daß Platon mit seiner Darstellung die Mehrheit der Leute im Auge habe, die unter einer Ursache nur das der Zeit Vorgängige verstehen. Gegenüber diesen Leuten stehe der Glaube an die Vorsehung auf dem Spiel, wenn der Kosmos als ungeworden präsentiert wird. Um die Lehre von der göttlichen Vorsehung zu vermitteln, stelle Platon daher den Kosmos im Entstehen dar und deutet in der Darstellung zugleich für die Kundigen an, daß er der Zeit nach ungeworden ist.⁸³ ⁸¹ Siehe die Gruppe um Porphyrius und Jamblich bei Proclus, in Ti. I 382,24–30 (Diehl): ὁ Πλάτων … πρότερον αὐτὴν ἐφ’ ἑαυτῆς θεωρεῖ τὴν ὅλην σωματοειδῆ σύστασιν, ὅπως ἐστὶ πλημμελὴς καὶ ἄτακτος, ἵνα δὴ καὶ τὴν ἀπὸ ψυχῆς τάξιν καὶ τὴν δημιουργικὴν διακόσμησιν καθ’ ἑαυτὴν ἰδὼν ἔχῃς ἀφορίζεσθαι, ποίαν μὲν τὸ σωματοειδὲς καθ’ αὑτὸ φύσιν, ποίαν δὲ ἔλαχεν ἀπὸ τῆς δημιουργίας διακόσμησιν … [Einfügungen in der Übersetzung von mir]. Übersetzung nach M. B 1976, 146 f. (überarbeitet). Vgl. Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 394,25–31 = Porphyrius, frg. 51 (37,20–25 Sodano). Die Formulierung οἱ περὶ Πορφύριον καὶ ᾽Ιάμβλιχον (382,12 f. Diehl) suggeriert einen gemeinsamen Schülerkreis der beiden Platoniker, der aber so nicht existierte. J. M. D 1973, 311 versteht den Ausdruck daher »simply as representing Iamblichus reporting and agreeing with Porphyry, the οἱ being merely sophistical embellishment«. Proclus stellt aber damit Porphyrius und Jamblich als Einheit Plutarch und Atticus gegenüber (vgl. 381,26 f.: Οἱ μὲν οὖν περὶ Πλούταρχον τὸν Χαιρωνέα καὶ Ἀττικὸν …). Aus diesem Grund erscheint es mir als wenig ergiebig und spekulativ, in dem Abschnitt 382,12–383,1 (Diehl) die Positionen von Porphyrius und Jamblich scheiden zu wollen (gegen B, a. a. O., 146–150). Weil kein weiteres Zeugnis dieser Argumentation ausschließlich für Porphyrius überliefert ist und die Fragmente aus Johannes Philoponus sich nur teilweise mit diesem Ausschnitt aus Proclus decken, zieht D, a. a. O., 311 den Schluß e silentio, daß der Abschnitt hauptsächlich Jamblichs Lehre enthalte. Ich meine dagegen, daß hier der Einfluß der porphyrianischen Auseinandersetzung auf Jamblich zu greifen ist und die Passage für beide Platoniker zu werten ist. ⁸² Diesen Vergleich verwendet Porphyrius nach Johannes Philoponus, Procl. 14,3 (546,24 f. Rabe) = Porphyrius, frg. 48 (32,14 f. Sodano): ὡς πλοῖον τοῦ κυβερνοῦντος καὶ ἅρμα τοῦ ἡνιοχοῦντος ἐστερημένον. ⁸³ Calvenus Taurus bei Johannes Philoponus, Procl. 6,12 (187,6–15 Rabe).

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Porphyrius arbeitet in seiner Auslegung von Ti. 30a die verdeckten Hinweise Platons für das richtige Verständnis der didaktischen Darstellung des Timaeus heraus. Dabei hat er vor allem Atticus im Blick, der seinerseits mit der Lehre von der Vorsehung den zeitlichen Anfang des Kosmos begründet hatte.⁸⁴ Auf hintergründige Weise wirft Porphyrius Atticus und seinen Anhängern vor, zur unbedarften Masse der Timaeusleser zu gehören, eine oberflächliche Interpretation des Timaeus zu bieten und eine zu schlichte Vorstellung von der göttlichen Ursache zu haben. Porphyrius’ Erklärung von Ti. 30a2–6 läuft somit letztlich ebenso wie die Erörterung von Ti. 27c.28b auf die Betrachtung der göttlichen Ursache des Kosmos hinaus. Dazu fügt sich, daß seine Auslegung von Ti. 30a2–6 durch eine theologische Argumentation flankiert ist. Hier liegen die systematischen Voraussetzungen für die Ablehnung eines irrationalen vorkosmischen Zustandes. Porphyrius lehnt die Interpretationen von Plutarch und Atticus ab, weil diese in seinen Augen gegen den Kosmos und vor allem gegen Gott freveln.⁸⁵ Der Frevel gegen den Kosmos als Gott besteht in seinen Augen darin, daß die vernünftige Ordnung dem irrationalen Chaos nachgeordnet wird. Er unterstellt dabei, daß die zeitliche Nachordnung ontologisch interpretiert wird, obwohl Plutarch und Atticus dies ausdrücklich ausschließen.⁸⁶ Porphyrius greift außerdem die aristotelisch-epikureische Argumentation gegen die Lehre von der Weltschöpfung auf. Die Annahme eines Zustandes vorkosmischer Unordnung leugnet entweder den guten und neidlosen Willen oder das schöpferische Vermögen des Demiurgen, das Ungeordnete zur Ordnung zu führen. Somit folgt aus dem Wesen und der Ewigkeit der göttlichen Ursache notwendig die Ewigkeit und Anfangslosigkeit der Kosmosordnung.⁸⁷ ⁸⁴ Siehe dazu Kapitel A II 2.1.1 (Atticus); A I 2 (Plutarch). ⁸⁵ Siehe die Gruppe um Porphyrius und Jamblich bei Proclus, in Ti. I 382,14–20 (Diehl):

οἱ δὲ περὶ Πορφύριον καὶ ᾽Ιάμβλιχον ταύτην μὲν ἐπιρραπίζουσι τὴν δόξαν ὡς τὸ ἄτακτον πρὸ τοῦ τεταγμένου καὶ τὸ ἀτελὲς πρὸ τοῦ τελείου καὶ πρὸ τοῦ νοεροῦ τὸ ἀνόητον ἐν τοῖς ὅλοις ἀποτιθεμένην καὶ οὐ μόνον περὶ τὸν κόσμον, ἀλλὰ καὶ περὶ αὐτὸν ἀσεβοῦσαν τὸν δημιουργὸν καὶ ἤτοι αὖ τὴν ἀγαθοειδῆ βούλησιν αὐτοῦ τὸ παράπαν ἀναιροῦσαν, ἢ τὴν γόνιμον δύναμιν· ἀμφοτέρων γὰρ συντρεχουσῶν ἀνάγκη καὶ τὸν κόσμον δημιουργεῖσθαι παρ’ αὐτοῦ διαιωνίως. M. B 1976, 146 Anm. 239, der in dem Referat des Proclus Porphyrius’ und Jamblichs Gedanken streng voneinander scheiden möchte, schreibt die Betonung der ἀσέβεια allein Jamblich zu. Der Gedanke führt aber die Argumentation von in Ti. I 392,6–12; 394,15 f.23– 25 (Fragment des Porphyrius) weiter, so daß ich keinen Grund sehe, ihn Porphyrius abzusprechen. ⁸⁶ Siehe M. B 1976, 147. ⁸⁷ Neben den Texten Anm. 85 siehe Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 393,9–13; 394,11–16 (Diehl) = Porphyrius, frg. 51 (36,10–14; 37,8–12 Sodano) sowie Proclus bei Johannes Philoponus, Procl. 6,27 (224,18–225,8 Rabe; Text in Anm. 70) mit dem Vorwurf, aus Porphyrius abgeschrieben zu haben: die Anfangslosigkeit des Kosmos folgt aus der Ewigkeit des Paradigmas, der Ewigkeit der Güte und des Willens des Demiurgen; ein zeitlicher Anfang der Welt bedeutet, daß der Demiurg nur potentiell Schöpfer ist, das heißt unvollkommen und der Zeit bedürftig ist. Aufbauend auf Porphyrius führt Proclus, in Ti. I 366,20–368,11 (Diehl) die not-

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3. Das Wirken des Demiurgen und der Status der Materie Die Auffassung vom Wesen und Wirken der göttlichen Ursache des Kosmos bildet den Ausgangspunkt dafür, daß Porphyrius Plutarch und Atticus in der Prinzipienlehre und in der Kosmologie grundsätzlich widerspricht. Im Rahmen seines Timaeuskommentars weist er daher nach, daß die Lehren des Atticus mit Platons Auffassung vom Wirken des Demiurgen nicht übereinstimmen.

3.1. Die Ablehnung der Prinzipienlehre des Atticus und die Neubestimmung des Begriffs der ἀρχή Porphyrius wendet sich gegen die Ansicht des Atticus und seiner Gefolgsleute, daß dem Kosmos in der Materie, dem Demiurgen und den Ideen eine Mehrzahl von Prinzipien zugrunde liegen. Nur knapp referiert Proclus, wie Porphyrius der Lehre des Atticus widerspricht, daß die Ideen selbständig außerhalb des göttlichen Intellekts existieren.⁸⁸ Ausführlich gibt er hingegen wieder, wie Porphyrius gegen die Annahme argumentiert Materie und Gott seien zwei voneinander unabhängige und ungewordene Prinzipien.⁸⁹ Porphyrius geht zunächst davon aus, das charakteristische Merkmal eines Prinzips bestehe darin, daß ihm nichts vorausgeht. Vor diesem Hintergrund legt er dar, daß die Annahme zweier ungewordener Prinzipien logisch unmöglich ist. Denn in diesem Falle stellen die beiden Prinzipien zwei species einer Gattung dar, deren gattungsmäßige Wesensmerkmal das Ungewordensein ist. Bei zwei Vertretern einer Gattung muß nun etwas angenommen werden, das ihnen vorausgeht und Ursache ihrer Unterscheidung ist. Von einem Ungewordenen kann aber keine differentia specifica angegeben werden, weil diese mit dem Charakter des Ungewordenen unvereinbar ist bzw. ihn aufhebt. Nimmt man aber an, daß es keine Ursache der Differenz zwischen den zwei species gibt, so behauptet man, daß die Prinzipien dem Zufall unterliegen und ihr Zusammenwirken irrational und ohne Ursache ist.⁹⁰ Porphyrius geht hier von den dialektischen Grundbestimmungen aus, die er beispielsweise in der Isagoge wendige Ewigkeit des Kosmos dann ausführlich aus, nachdem er eine Auseinandersetzung des Porphyrius mit Atticus um Ti. 29e2–4 referiert hat (366,9–20). ⁸⁸ Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 394,2–8 (Diehl) = Porphyrius, frg. 51 (36,31–37,5 Sodano). Zu dieser Lehre des Atticus siehe A. J. F 1967a, 262 Anm. 1; M. B 1983. ⁸⁹ Siehe Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 391,6–393,31 (Diehl) = Porphyrius, frg. 51 (34,8– 36,29 Sodano). Eine deutsche Übersetzung des gesamten Fragments (391,4–396,26 [Diehl]) bei M. B 1976, 221–229. ⁹⁰ Siehe Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 391,12–392,2 (Diehl) = Porphyrius, frg. 51 (34,14–35,8 Sodano).

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ausführt.⁹¹ Seine Argumentation beruht auf der Ansicht, daß das in der Definition und in der dialektischen Unterscheidung frühere auch ontologisch früher ist. Daher widerspricht eine Mehrzahl von Vertretern der Gattung ›Ungewordenes‹ dem grundlegenden Charakter eines Prinzips. In einem zweiten Gang zeigt Porphyrius, daß die Charakteristika von Gott und Materie es verbieten, beide in gleichem Maße als Prinzipien anzunehmen. Es ist unsinnig zu meinen, daß die Materie als das Böse und Gott als das Gute gleichewig sind, da das Göttliche und das Ungöttliche nicht von gleicher Ehre sein können. In Abgrenzung zu Plotins Bestimmung des Bösen als Gegensatz des Guten kommt Porphyrius zu dem Schluß, daß sich Materie und Gott in der dialektischen Unterscheidung überhaupt nicht als logische Gegensätze gegenüber stehen und daher auch nicht als gleichewige Prinzipien behauptet werden können.⁹² Als drittes Argument führt Porphyrius vor, daß die Annahme zweier ungewordener Prinzipien die Entstehung des Kosmos logisch unmöglich macht. Denn die Prinzipien müssen die Eignung⁹³ besitzen, miteinander in Kontakt zu treten, die Materie die Eignung, geordnet zu werden, Gott die Eignung zu ordnen. Es muß daher etwas geben, das beiden vorgängig ist und beide miteinander verbindet und einander entsprechend macht. Das widerspräche aber wiederum dem Charakter ungewordener Prinzipien. Oder man behauptet, daß das Zusammentreffen von Gott und Materie ohne Ursache, d. h. automatisch geschieht. In diesem Falle unterwirft man die Prinzipien dem Zufall⁹⁴ und stellt im Widerspruch zu Platon, Leg. 891c den irrationalen Zufall der ver⁹¹ Siehe zum Beispiel Porphyrius’ dritte Bestimmung von γένος innerhalb einer Liste mehrerer Bedeutungen dieses Wortes in Intr. 2,10–13 (Busse): ἄλλως δὲ πάλιν γένος λέγεται, ᾧ ὑποστάσσεται τὸ εἶδος, … καὶ γὰρ ἀρχή τίς ἐστι τὸ τοιοῦτο γένος τῶν ὑφ’ ἑαυτὸ καὶ δοκεῖ καὶ τὸ πλῆθος περιέχειν πᾶν τὸ ὑφ’ ἑαυτό. ⁹² Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 392,3–5 (Diehl) = Porphyrius, frg. 51 (35,8–10 Sodano): ἔτι δὲ τὸ τὸ κακὸν διαιώνιον ποιεῖν ὥσπερ καὶ τὸ ἀγαθόν, ἄτοπον· οὐ γὰρ ὁμότιμον τῷ θείῳ τὸ ἄθεον οὐδὲ ἐπίσης ἀγένητον οὔτε ὅλως ἀντιδιῃρημένον· Unter ἀντιδιῃρημένα werden in der Dialektik gleichwertige Begriffe verstanden, die sich wie species derselben Gattung verhalten (siehe A. S 1884, 15 mit Hinweis auf Aristoteles, Top. 6,4 [142b6–11] und 6,6 [143a]). Plotin fragt in Enn. I 8 (51), ob das Böse der Gegensatz des Guten ist und kommt zu dem Schluß, daß es in Gestalt der Materie der Gegensatz zu aller Form und zum Guten ist. Zu dieser Frage, in der Porphyrius und auf ihn aufbauend später Proclus Plotin widersprechen, siehe den Kommentar in der Übersetzung von J. O / S. S, 10–19 von Proclus, mal. subs. Proclus argumentiert wie Porphyrius mit der aristotelischen Definition von Gegensätzen als species einer Gattung und lehnt es ab, daß es eine Gattung gibt, die dem Guten vorläufig ist, da das Gute das allererste Prinzip ist. Proclus, mal. subs. 31–35 (211–219 Boese) lehnt sich an die Argumentation des Porphyrius gegen die Existenz der Materie als zweites ungewordenes Prinzip einschließlich der Auslegung von Ti. 30a2–6 an. ⁹³ Zum Begriff der Eignung (ἡ ἐπιτηδειότης) siehe die Anmerkung von A. J. F 1967a, 259 Anm. 5 mit Hinweis auf E. R. D 1963, 344 f. ⁹⁴ Vgl. Plotin, Enn. II 4 (12) 2,9 f. (I 185 Henry / Schwyzer), aufgenommen auch von Simplicius, in Ph. I 260,27–261,2 (Diels).

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nünftigen Kunstfertigkeit voran. Auf diese Weise verletzt man allerdings sowohl die Würde des Kosmos als auch die Ehre der göttlichen Ursache.⁹⁵ In der Frage, wie die gegensätzlichen Prinzipien Gott und Materie zusammenwirken und den Kosmos bilden können, klingt ein philosophisches Problem an, auf das diejenigen Platoniker, die mehrere ungewordene Prinzipien lehrten, ausgehend vom platonischen Timaeus Antworten finden. Sie lehren wie Numenius, daß die Materie, vom Demiurgen / göttlichen Intellekt dominiert, willig gehorcht und danach strebt, gestaltet und geformt zu werden.⁹⁶ Oder sie behaupten wie Atticus, daß die unbestimmte Materie bereits eine gewisse Tauglichkeit besitzt, die sie für die Einwirkung des Intellekts und die Aufnahme der Formen geeignet macht.⁹⁷ In diesem Sinne können die vorkosmischen Elementenspuren, von denen Platon in Ti. 53b spricht, interpretiert werden entweder als Ausdruck einer vorbereitenden oder ersten Schöpfungsphase oder wie bei Alkinoos als Ausdruck der Potentialität der Materie, die bereits in Richtung der zukünftigen Gestalten programmiert ist.⁹⁸ Von der Annahme einer Ausrichtung der Materie auf das ordnende Prinzip ist es dann nur noch ein Schritt, der Materie das Ungewordensein gänzlich abzusprechen.⁹⁹ Die Argumente, die Porphyrius in diesem ersten Teil seiner Widerlegung eines Prinzipiendualismus von Materie und Gott vorbringt, finden sich auch bei anderen Autoren. Den ersten beiden Argumenten vergleichbar, legt Porphyrius’ etwas jüngerer Zeitgenosse Dionysius von Alexandrien dar, daß vorgeordnete Ursachen der Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Materie und Gott angenommen werden müssen, wenn beides gleichewige und ungewordene Prinzipien sind. Das Ungewordensein ist in seinen Augen nichts, was mehreren Größen mit unterschiedlichen sonstigen Qualitäten zukommt, sondern es macht allein Gottes Wesen aus. Dionysius argumentiert dabei wie Porphy⁹⁵ Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 392,7–19 (Diehl) = frg. 51 (35,12–22 Sodano); vgl. 382,12–20 (Diehl). ⁹⁶ Siehe z. B. Numenius bei Calcidius, in Ti. 299 (301,4–20 Waszink) = Numenius, frg. 52 (Z. 105–130 Des Places), der von Gottes Überzeugungskraft und vom Gehorsam der Materie spricht, obwohl diese von Natur aus böse ist und sich den Plänen der Vorsehung widersetzt (siehe dazu J. C. M.  W 1959, 120 sowie Kapitel A III 4.4.1); vgl. Calcidius, in Ti. 269 f. (274,3–275,9 Waszink). Daß sich die Materie zur Form und Gestalt überreden läßt, ist nach einem Referat bei Calcidius ein Hinweis darauf, daß sie beseelt ist (in Ti. 300 [302,2– 11]). In Abschnitt 286 f. (289,10–292,6) weist Calcidius im Anschluß an Aristoteles die Bezeichnung der Materie als Depravation der Form zurück, um aussagen zu können, daß die Materie sich ihrer eigenen Natur entsprechend nach Form und Gestalt sehnt (siehe dazu  W, a. a. O., 83–86.89 f.). ⁹⁷ So Atticus nach der Darstellung des Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 394,17–19 (Diehl). ⁹⁸ Siehe dazu W. D 1983, 236–244. ⁹⁹ Siehe die Argumentation Philos bei Eusebius Caes., p. e. 7,21 (403,20–404,18 Mras) = Philo, Prov. 2,50–51 (278–280 Hadas-Lebel); des Origenes, comm. in Gen. frg. bei Eusebius Caes., p. e. 7,20,4 f. (402,20–403,2); des Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 392,9–13 (Diehl) = Porphyrius, frg. 51 (35,13–16 Sodano).

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rius mit den Mitteln zeitgenössischer Dialektik ausgehend von der aristotelischen Definition der Gattung und des Gegensatzes.¹⁰⁰ Die Begründung des Porphyrius, daß es töricht sei, Gott und der Materie die gleiche Ehre beizulegen, erinnert an die christliche Polemik gegen die Annahme einer ungeschaffenen Materie. Theophilus von Antiochien und später beispielsweise Basilius bedienen sich ihrer, um deutlich zu machen, daß die Materie von Gott geschaffen ist.¹⁰¹ Das Argument, daß zwei ungewordene gegensätzliche Prinzipien nicht aufeinander wirken können, ist ein klassisches Argument gegen einen Prinzipiendualismus und älter als Porphyrius. Das zeigt die Kritik des Irenaeus an den Valentinianern in haer. 2,1,2, aber auch die Polemik des Theophilus von Antiochien gegenüber einer ungewordenen Materie. Das Argument wird vor allem von christlichen Autoren vorgebracht. So wundert sich Dionysius, wie sich zwei ungewordene Prinzipien zusammenfügen und vereinigen können und fragt, ob Gott sich der Materie anpaßt oder ob er die vorliegende Materie erst wie ein Handwerker tauglich macht. Als einzige Gott angemessene Vorstellung akzeptiert er, daß Gott die Materie nach seiner eigenen Weisheit, wie er wollte, schuf und dabei zugleich die Formen und Gestalten aufprägte.¹⁰² Auch Basilius sieht die Aporie, wie zwei ungewordene Prinzipien zueinanderfinden können.¹⁰³ Daß das Argument auch unter Platonikern bekannt war, zeigt unabhängig von Porphyrius der Platoniker Alexander von Lycopolis, der in ähnlicher Weise gegen die Manichäer argumentiert. Er fragt, ob man nicht ein drittes Prinzip neben Gott und Materie annehmen müsse, da sich die beiden Prinzipien ohne ein Mittleres nicht zu mischen vermögen.¹⁰⁴

Zwischen Porphyrius und den genannten Autoren gibt es keine aussagekräftigen sprachlichen Berührungen. Je nach Kontext und anvisiertem Gegner setzen alle Autoren in ihren Argumentationen eigene Akzente. Auffällig ist allerdings, daß mehrere Argumente ihren Ursprung in der christlichen Polemik gegen einen Prinzipiendualismus haben, die zeitlich deutlich hinter Porphyrius zurückreicht. So könnte erwogen werden, daß Porphyrius die christliche Tradition kannte. Das ist keineswegs ausgeschlossen, wenn man bedenkt, daß Porphyrius sich mit christlichen Lehren beschäftigte, um sie als töricht und unphilosophisch abzulehnen. Aus der erhaltenen Argumentation des Timaeuskommentars läßt sich eine solche Kenntnis oder Abhängigkeit des Porphyrius aber nicht beweisen. Hier sind die Berührungen von solcher Art, daß sie sich ¹⁰⁰ Eusebius von Caesarea überliefert in p. e. 7,19,1–8 (401,6–402,5 Mras) einen Ausschnitt aus Dionysius von Alexandrien, Adversus Sabellium, in dem dieser in mehreren Schritten gegen die Annahme einer ungewordenen Materie argumentiert. Eine den ersten Argumenten des Porphyrius vergleichbare Argumentation findet sich hier in 7,19,2–5 (401,8–20). Vgl. bereits Justin, dial. 5,5 f. (Z. 36–43; 81 Marcovich). ¹⁰¹ Siehe Theophilus von Antiochien, Autol. 2,4 (Z. 1–13 Marcovich); Tatian, or. 5,7 (Z. 23–26; 14 Marcovich); Basilius, hex. 2,2 (12,13–17 Amand de Mendieta / Rudberg). Verwandt ist die Polemik gegen Ewigkeit und Ungewordensein des Kosmos z. B. bei Basilius, hex. 1,3 (6,18–7,2). ¹⁰² Siehe Dionysius von Alexandrien bei Eusebius Caes., p. e. 7,19,1–8 (401,6–402,5 Mras). Dionysius unterscheidet ὁ μὲν θεὸς ἀπαθής, ἄτρεπτος, ἀκίνητος, ἐργαστικός, ἡ δὲ τὰ ἐναντία παθητή, τρεπτή, ἄστατος, μεταποιουμένη (401,19 f.), und fragt, καὶ πῶς ἥρμοσαν καὶ συνέδραμον; (401,20 f.). Vgl. Irenaeus, haer. 2,1,2 (Z. 10–59; IV 26–29 Rousseau / Doutreleau). ¹⁰³ Basilius, hex. 2,3 (25,12–17 Amand de Mendieta / Rudberg). ¹⁰⁴ Siehe Alexander von Lycopolis, Man. 8 (13,3–9 Brinkmann).

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gut auch aus der ähnlichen prinzipientheoretischen Voraussetzung ableiten lassen. Porphyrius und die genannten Autoren gehen von der Annahme eines einzigen höchsten Prinzips aus, das Ursache aller Dinge ist, und lehnen aus dieser Perspektive den Dualismus von Gott und Materie ab. Dabei bedienen sie sich eines ähnlichen rhetorischen und philosophisch-dialektischen Instrumentariums, das philosophisch Gebildeten ihrer Zeit zur Verfügung stand. Im ersten Teil seiner Argumentation ist Porphyrius von der Bestimmung eines Prinzips ausgegangen, wie er sie bei Atticus voraussetzt. Mit dem folgenden Argument weist er dieses Verständnis als unzureichend zurück und legt offen, was er selbst unter einem Prinzip verstehen will: Ferner darf man den obersten Ursprung nicht allein in der Weise charakterisieren, daß er keinen weiteren Ursprung habe – denn das zeigt noch nicht seine wirkliche Würde an – sondern dadurch, daß alles aus ihm stammt. Ist dem aber so, dann dürfte es wohl nicht mehr als einen Ursprung geben. Denn so [d. h. bei mehreren Ursprüngen] wäre Gott nicht von allem die Ursache, sondern nur von gewissen Dingen. Wenn er hingegen Ursprung auch der Materie ist, dann gibt es nur einen Ursprung und nicht viele.¹⁰⁵

Es macht nach Porphyrius das Wesen und die Würde des höchsten Prinzips aus, daß alles aus ihm (ἐξ αὐτῆς) stammt bzw. daß es Ursache aller Dinge (πάντων αἴτιον) ist. Porphyrius legt hier anschaulich das neuplatonische Verständnis von ›Prinzip‹ dar und folgt darin Plotin, der die Drei-Prinzipien-Lehre der älteren kaiserzeitlichen Platoniker bereits überwunden hatte.¹⁰⁶ Anhand verschiedener Platontexte weist Porphyrius nach, daß es die genuine Lehre Platons ist, alle Dinge auf eine einzige Ursache zurückzuführen. Nach Auskunft des Proclus¹⁰⁷ führt Porphyrius R. 508b an, wo Platon die Sonne als Ursache des Sichtbaren, das Gute als Ursache des Intelligiblen ansetzt und zugleich alles auf das Gute zurückführt, indem er die Sonne als ›Sprößling des Guten‹ bezeichnet. Außerdem zitiert er Ep. 2 (312e), wo der ›König aller Dinge‹ als oberstes Prinzip ausgewiesen werde, auf das alles hingewendet ist und um das herum alles existiert. Porphyrius greift hier zwei Texte auf, die Plotin prominent verwendet, um das Eine, das jenseits von Sein und ¹⁰⁵ Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 392,19–25 (Diehl) = Porphyrius, frg. 51 (35,22–27 Sodano): ἔτι τὴν ἀνωτάτω ἀρχὴν οὐ ταύτῃ μόνον χαρακτηρίζειν δεῖ τῷ μὴ ἔχειν ἄλλην ἀρχήν – τοῦτο γὰρ οὔπω δείκνυσι τὴν ἀξίαν αὐτῆς – ἀλλὰ τῷ πάντα ἐξ αὐτῆς. εἰ δὲ τοῦτο, οὐκ ἂν εἶεν ἀρχαὶ πλείους μιᾶς· ἔσται γὰρ οὕτως οὐ πάντων αἴτιος ὁ θεός, ἀλλὰ τινῶν. εἰ δὲ καὶ τῆς ὕλης ἄρχοι, μία ἡ ἀρχὴ καὶ οὐ πολλαί. [Einfügungen in der Übersetzung von mir]. Übersetzung nach M. B 1976, 224 (überarbeitet). ¹⁰⁶ Siehe H. D 1976c, 382. ¹⁰⁷ Der Abschnitt der Platonbelege des Porphyrius findet sich bei Proclus, in Ti. I 393,14– 31 (Diehl) = Porphyrius, frg. 51 (36,14–29 Sodano). Hier wird am stärksten deutlich, daß Proclus die Argumentation des Porphyrius zusammengefaßt wiedergibt, wie er in der Einleitung des Referats selbst sagt (391,4–6 Diehl): Φέρε δὴ οὖν καὶ ὅσα ὁ φιλόσοφος Πορφύριος ἐν τούτοις ἱεροπρεπῆ νοήματα παραδέδωκε, συντόμως περιλάβωμεν. Leider ist daher nur sehr wenig von den Erläuterungen der einzelnen Platontexte erhalten, die Porphyrius umfangreicher geboten haben muß.

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Intellekt ist (R. 509b), als höchstes Prinzip Platons und Ursprung einer Hierarchie von Hypostasen zu erweisen.¹⁰⁸ Porphyrius bezeichnet in der Auseinandersetzung mit Atticus das Gute als Gott und identifiziert es in der Zusammenstellung von R. 508b und Ep. 2 (312e) als König und Ursprung aller Dinge (ἁπάντων ἀρχή). Als drittes greift Porphyrius Phlb. 23c auf.¹⁰⁹ Platon sage klar, daß alles aus Grenze und Unbegrenztheit besteht, daß aber vor diesen Prinzipien Gott als einzige Ursache existiere. Daher gebe es sowohl ein Prinzip als auch mehrere Prinzipien, die ihre Aufgabe aber unter Gott als der höchsten Ursache erfüllten. Mit diesem Text, der in seinem ersten Teil von Platonikern herangezogen werden konnte, die den Timaeus dualistisch interpretierten,¹¹⁰ integriert Porphyrius die dualistischen Tendenzen Platons in einen übergeordneten Monismus. Er folgt dabei dem Vorbild einiger Neupythagoreer, die die zwei Prinzipien, Eines und unbegrenzte Zweiheit, einem übergeordneten Einen unterordneten und dafür von Numenius getadelt wurden.¹¹¹ Wie ein Fragment bei Simplicius zeigt, hat sich Porphyrius in seiner Schrift De materia mit jenen Pythagoreern wie Moderatus ausführlicher befaßt.¹¹² Daß nach Platon als einziger Ursprung (ἀρχή) das Eine selbst angenommen werden muß, das noch jenseits des Einen Seienden liegt, weist Porphyrius schließlich auch mit Soph. 238a nach. Porphyrius beantwortet in der Zusammenstellung der verschiedenen platonischen Belegtexte die Frage nach der Ursache des Alls, indem er eine Hierarchie von Prinzipien andeutet, an deren Spitze das Eine steht. Unter ihm siedelt er die Ursache der sichtbaren Welt, die Materie sowie die sie begrenzende Ursache an, die alle unterhalb des höchsten Ursprungs ihre Aufgabe erfüllen. Diese Hierarchie genauer auszuführen, steht für Porphyrius in der Auseinandersetzung mit Atticus hier nicht im Vordergrund; ihm ist es wichtig nachzu-

¹⁰⁸ Zu Plotins Interpretation von [Platon], Ep. 2 (312e) siehe Enn. V 1 (10) 8,1–4 (II 280 Henry / Schwyzer) sowie H. D 1970, 396–405. ¹⁰⁹ Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 393,23–27 (Diehl) = Porphyrius, frg. 51 (36,22–26 Sodano). Proclus übernimmt dann von Porphyrius diese Auslegung von Phlb. 23c, um das Verhältnis von Gott und Materie zu beschreiben und die Ungewordenheit und Selbständigkeit der Materie als zweites Prinzip zu bestreiten (in Ti. I 384,24–385,17 [Diehl]; mal. subs. 34 [217,9–14 Boese]). ¹¹⁰ Für Plutarch, an. procr. 6 (1014d) ist die Unbegrenztheit des Philebus die vorkosmische irrationale Weltseele. Wahrscheinlich hat auch Numenius Phlb. 23c vor Augen, wenn er die Begrenzung schaffende Einheit und die unbegrenzte Zweiheit als Bezeichnungen für Gott und Materie auffaßt und damit die platonische Lehre als übereinstimmend mit Pythagoras ausweist (bei Calcidius, in Ti. 295 [297,7–11 Waszink] = Numenius, frg. 52 [Z. 2–8 Des Places]). ¹¹¹ Numenius bei Calcidius, in Ti. 295 (297,16–298,3 Waszink) = Numenius, frg. 52 (Z. 15–24 Des Places). Siehe zu Numenius Kapitel A III 4.2. ¹¹² Porphyrius bei Simplicius, in Ph. I 230,34–231,12 (Diels) = Porphyrius, frg. 236F (Smith).

V. Porphyrius

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weisen, daß Platon nur eine höchste Ursache aller Dinge lehrt, auf die auch die Materie zurückgeführt werden muß. 3.2. Das Wirken des Demiurgen In seiner Auslegung von Ti. 30a legt Porphyrius gegenüber Atticus ausführlich dar, wie die schöpferische Tätigkeit Gottes zu verstehen ist. Um die verschiedenen Aspekte des göttlichen Wirkens zu illustrieren, vergleicht Porphyrius die Erschaffung des Kosmos durch den göttlichen Demiurgen mit dem Heraustreten des Lichtes aus der Sonne.¹¹³ Mit diesem Vergleich knüpft er an Plotin an, der das Bild des Austretens von Licht aus einer Lichtquelle verwendet, um die Entstehung aus dem Einen zu illustrieren. Die Entstehung der Instanzen, die dem Einen nachfolgen und von ihm abhängig sind, beschreibt Plotin als Zeugung oder Emanation.¹¹⁴ Die Entstehung aus dem Einen vermindert dieses jedoch nicht, was Plotin durch das Bild vom Hervortreten des Lichts aus der Sonne illustriert.¹¹⁵ Die Entstehung aus dem Einen ist ewig und notwendig, weil ¹¹³ Das Bild vom Lichtaustritt aus der Sonne verwendet Porphyrius, um die Identität von Sein und Wirken des Demiurgen auszudrücken, der ἀθρόως καὶ διαιωνίως schafft (nach Proclus, in Ti. II 102,6–14 [Diehl]). Obwohl Porphyrius an dieser Stelle nicht namentlich genannt ist, führen W. T 1933/34, 15 f. und R. B 1953, 303 die Stelle auf ihn zurück, vermutlich zu Recht, denn in in Ti. I 395,21 wird Porphyrius für das Schaffen des Demiurgen ἀθρόως allein aufgrund seiner Präsenz namentlich genannt. Die Bilder vom Leuchten der Sonne und der Wärme des Feuers verwendet Proclus aufbauend auf Porphyrius auch in in Ti. I 367,21–24 (Diehl), um das Wirken Gottes κατ’ οὐσίαν zu illustrieren. T verweist außerdem auf die Verwendung eines ähnlichen Bildes bei Porphyrius, Gaur. 49,19–21 (Kalbfleisch), wo es das Wirken der Seele κατὰ παρουσίαν ausdrückt, d. h. die augenblickliche und vollständige Beseelung des Embryo, sobald die Seele in den Körper eingetreten ist. M. B 1976, 163–169 führt Passagen mit ähnlichen Bildern in einem kosmologischen Zusammenhang aus Sallust, dis 13 (18,11–16 Rochefort), 9 (13,17–23) sowie vergleichbare Textabschnitte bei Augustinus, civ. 10,31 (Z. 13–18; 309 Dombart / Kalb), Aeneas von Gaza, dial. 45,21–23 (Colonna), Zacharias von Mytilene, opif. 522–526 (112 Colonna) und Johannes Philoponus, Procl. 1,4 (14,20–28 Rabe) auf Porphyrius zurück. Der Beleg aus der Schrift des Johannes Philoponus gegen Proclus wiegt m. E. besonders schwer, da Johannes Philoponus Proclus immer wieder unterstellt, alles von Porphyrius abgeschrieben zu haben (z. B. Procl. 6 [126,10 f. Rabe]), und daher unter den ›sie‹, die Johannes Philoponus in 1,4 (14,20–28) nennt, Proclus und Porphyrius zu denken sind. ¹¹⁴ Siehe z. B. Plotin, Enn. III 8 (30) 10,3–7 (I 408 Henry / Schwyzer). Ausgangspunkt ist Plotins Verständnis des Einen. Es ist jenseits allen Seins und Denkens und ruht vollkommen bedürfnislos, auf nichts bezogen, unbewegt in sich. Zugleich ist es die Quelle allen Lebens und Seins, das oberste Prinzip für alles, das nach ihm folgt. Enn. VI 9 (9) 9,1 f. (III 322 H. / S.): Ἐν δὲ ταύτῃ τῇ χορείᾳ καθορᾷ πηγὴν μὲν ζωῆς, πηγὴν δὲ νοῦ, ἀρχὴν ὄντος, ἀγαθοῦ αἰτίαν, ῥίζαν ψυχῆς· Vgl. VI 8 (39) 14,31 f. (III 294 H. / S.): Πηγὴ οὖν τοῦ εἶναι καὶ τοῦ διὰ τί εἶναι ὁμοῦ ἄμφω διδοῦσα· III 8 (30) 10,5–7 (I 408 H. / S.): Νοήσον γὰρ πηγὴν ἀρχὴν ἄλλην οὐκ ἔχουσαν, δοῦσαν δὲ ποταμοῖς πάσιν αὑτήν, οὐκ ἀναλωθεῖσαν τοῖς ποταμοῖς, ἀλλὰ μένουσαν αὐτὴν ἡσύχως, … ¹¹⁵ Keine Verminderung der Quelle / des Einen: Plotin, Enn. III 8 (30) 10,5–14 (I 408 f. Henry / Schwyzer); VI 9 (9) 9,1–7 (III 322 H. / S.). Entstehung aus dem Einen verglichen mit

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seine Ursache, das Eine, ewig und vollkommen ist. Plotin illustriert diese Aspekte durch den Vergleich mit Feuer bzw. Schnee, die notwendig Wärme bzw. Kälte ausstrahlen, solange sie existieren.¹¹⁶ Das, was aus der ewigen Ursache entsteht, ist ebenfalls ewig, wie Plotin wiederum an dem Bild des Lichtes, das aus der Sonne austritt, verdeutlicht.¹¹⁷ Die ewige Notwendigkeit (ἀνάγκη) hervorzubringen und zu wirken, gilt für alle Instanzen, die dem Einen nachfolgen. Sie ist durch das Eine gesetzt, das selbst keiner Notwendigkeit unterliegt.¹¹⁸ So ist der Intellekt als erste Wirkkraft bzw. Demiurg,¹¹⁹ notwendig Ursache der Seele und mittelbar durch sie Ursache des Kosmos. Aus dem Intellekt strömt ewig die Wirkkraft in Gestalt der intelligiblen Formkräfte in die Seele, solange Intellekt und Seele existieren. Dafür verwendet Plotin erneut das Bild der Sonne, der Licht entströmt.¹²⁰ Aus dem Wesen des Einen ergibt sich, daß der Wirkkraft, die von ihm ausgeht, kein Impuls oder Willensentschluß vorangeht. Das Eine ist den nachfolgenden Instanzen Ursache allein aus seinem Wesen heraus, ohne Bewegung, Denken oder Willen. Es vollzieht keinen λογισμός.¹²¹ Auch dafür wählt Plotin das Bild der Sonne, aus der das Licht austritt, sowie des Feuers und des Schnees, die notwendig Wärme bzw. Kälte abgeben.¹²² In der Form uneigentlicher Redeweise kann Plotin allerdings behaupten, daß das Wesen des Einen Wille ist. Damit schließt er für die Entstehung aus dem Einen den Zufall aus. Wille und Wollen haben dabei einen streng selbstbezogenen Charakter und stehen für das Wesen des Einen, Ursache seiner Selbst und der nach ihm folgenden Instanzen zu dem Hervorgehen des Lichts aus der Sonne: z. B. V 1 (10) 6,28–30 (II 276 H. / S.): Περίλαμψιν ἐξ αὐτοῦ μὲν, ἐξ αὐτοῦ δὲ μένοντος, οἷον ἡλίου τὸ περὶ αὐτὸν λαμπρὸν ὥσπερ περιθέον, ἐξ αὐτοῦ ἀεὶ γεννώμενον μένοντος. Das Hervorgehen aus dem schlechthin Einfachen: V 3 (49) 15,5 f. (II 325 H. / S.): ἀλλ’ ὅμως δὲ ἔστιν εἰπεῖν οἷον ἐκ φωτὸς τὴν ἐξ αὐτοῦ περίλαμψιν …; vgl. 12,33–44 (II 320 H. / S.). ¹¹⁶ Siehe Enn. V 1 (10) 6,27–39 (II 274–276 Henry / Schwyzer). Interessanterweise benutzt bereits Alexander von Aphrodisias das Bild eines Körpers, der notwendig aufgrund seines Wesens und seiner Existenz Wärme abgibt, um das vorhersehende Wirken der göttlichen Ursache allein aufgrund ihrer wesenhaften Natur zu illustrieren und damit ›Vorsehung‹, ›Wollen‹ und ›Wahl‹ der göttlichen Ursache spezifisch anti-stoisch zu bestimmen (Prov. 70,4–8 [Übersetzung Ruland]; vgl. 66,9–19; 68,1–6). ¹¹⁷ Enn. VI 9 (9) 9,3–7 (III 322 Henry / Schwyzer): (über die Dinge, deren Quelle das Eine ist) οὐκ ἐκχεομένων ἀπ’ αὐτοῦ, εἶτ’ ἐκείνον ἐλαττούντων· οὐ γὰρ ὄγκος· ἢ φθαρτὰ ἂν ἦν τὰ γεννώμενα. Νῦν δ᾽ ἐστὶν ἀίδια, ὅτι ἡ ἀρχὴ αὐτῶν ὡσαύτως μένει οὐ μεμερισμένη εἰς αὐτά, ἀλλ’ ὅλη μένουσα. Διὸ κἀκεῖνα μένει· οἷον εἰ μένοντος ἡλίου καὶ τὸ φῶς μένει. ¹¹⁸ Siehe Enn. VI 8 (39) 9,10–13 (III 284 Henry / Schwyzer); 10,34 f. (III 287 H./S.). ¹¹⁹ Siehe z. B. Enn. V 3 (49) 12,27 (II 319 Henry / Schwyzer). ¹²⁰ Siehe Enn. II 3 (52) 18,13–22 (I 183 Henry / Schwyzer): Ποιητὴς οὖν ἔσχατος οὗτος [sc. die untere Seele C. K.]· ἐπὶ δ’ αὐτῷ τῆς ψυχῆς τὸ πρώτως πληρούμενον παρὰ νοῦ· ἐπὶ πᾶσι δὲ νοῦς δημιουργός, ὃς καὶ τῇ ψυχῇ τῇ μετ’ αὐτὸν δίδωσιν ὧν ἴχνη ἐν τῇ τρίτῃ. Εἰκότως οὖν λέγεται οὗτος ὁ κόσμος εἰκὼν ἀεὶ εἰκονιζόμενος, ἑστηκότων μὲν τοῦ πρώτου καὶ δευτέρου, τοῦ δὲ τρίτου ἑστηκότος μὲν καὶ αὐτοῦ, ἀλλ’ ἐν τῇ ὕλη καὶ κατὰ συμβεβηκὸς κινουμένου. Ἕως γὰρ ἂν ᾖ νοῦς καὶ ψυχή, ῥεύσονται οἱ λόγοι εἰς τοῦτο τὸ εἶδος ψυχῆς, ὥσπερ, ἕως ἂν ᾖ ἥλιος, πάντα τὰ ἀπ’ αὐτοῦ φῶτα. ¹²¹ Siehe Enn. VI 9 (9) 6,39–50 (III 317 f. Henry / Schwyzer); V 1 (10) 6,25–27 (II 274 H. / S.): Δεῖ οὖν ἀκινήτου ὄντος, εἴ τι δεύτερον μετ᾽ αὐτό, οὐ προσνεύσαντος οὐδὲ βουληθέντος οὐδὲ ὅλως κινηθέντος ὑποστῆναι αὐτό. VI 8 (39) 14,29–32 (III 294 H. / S.): Ταῦτα δὲ ἐκ μιᾶς πηγῆς οὕτως ἦλθεν οὐ λελογισμένης, ἀλλὰ παρεχούσης ὅλον ἀθρόον τὸ διὰ τί καὶ τὸ εἶναι. Πηγὴ οὖν τοῦ εἶναι καἰ τοῦ διὰ τί εἶναι ὁμοῦ ἄμφω διδοῦσα· Vgl. V 3 (49) 12,28–38 (II 320 H. / S.). ¹²² Siehe Enn. V 1 (10) 6,25–35 (II 274–276 Henry / Schwyzer).

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sein.¹²³ Auf der Ebene des Intellekts als des Demiurgen des Kosmos heißt dies, daß es keine vorgängige Vorsehung oder Ratschluß gibt, die sich darauf beziehen, wie der nach Möglichkeit beste Kosmos werden soll. Der Intellekt wirkt instantan ohne Überlegung, da sonst eine (zeitliche) Diastase eintritt zwischen Sein und Wirkung des Intellekts, die nach Plotin nicht zu trennen sind. Die Passage Ti. 29e, in der Platon vom Willen des Demiurgen spricht, interpretiert Plotin daher als Ausdruck der Abhängigkeit des Kosmos vom Intellekt als seiner Ursache. Der Kosmos entstand nicht real aufgrund einer Überlegung, sondern tritt notwendig und ewig neu in die Existenz, weil es mit Notwendigkeit eine zweite Wesenheit nach den intelligiblen Instanzen geben sollte.¹²⁴ Der Kosmos ist keine willentliche, sondern eine notwendige und gleichsam naturgemäße Wirkung der vom Einen ausgehenden ersten Wirkkraft, des Intellekts.¹²⁵ Obwohl Plotin dem demiurgischen Intellekt Wollen und Überlegung abspricht, betont er, daß die Weltordnung, obwohl sie ohne Überlegung hervortritt, so beschaffen ist, daß auch Überlegung sie nicht besser finden könnte.¹²⁶ Die Ausstrahlung aus Geist und Seele, welche die Welt hervorbringt, bezeichnet Plotin sogar als ἐνέργεια τεχνική.¹²⁷ Plotin behauptet, daß alle Einzeldinge im All und das All insgesamt »in einem solchen Zustand sind, wie sie denn gewesen wären, wenn der Vorsatz des Schöpfers es gewollt hätte und dieser aus seinem Vorsatz und seiner Voraussicht auf Grund von Überlegung in Vorsehung sie verfertigt hätte«.¹²⁸ An Plotins Bemühen, die Rede vom Willen des Schöpfers aufzunehmen, zeigt sich, welches Gewicht die Aussagen des Timaeus über den Willen des Demiurgen besitzen.

Plotin verwendet das Bild vom Hervortreten des Lichtes aus der Sonne nicht explizit, um die Entstehung des Kosmos zu illustrieren, sondern beschreibt mit ¹²³ Siehe dazu Enn. VI 8 (39) 13, besonders 13,1–11 und das Ergebnis 13,55–59 (III 292 f. Henry / Schwyzer): Εἰ γὰρ ἡ βούλησις παρ’ αὐτοῦ καὶ οἷον ἔργον αὐτοῦ, αὕτη δὲ ταὐτὸν τῇ ὑποστάσει αὐτοῦ, αὐτὸς ἂν οὕτως ὑποστήσας ἂν εἴη αὐτόν· ὥστε οὐχ ὅπερ ἔτυχέν ἐστιν, ἀλλ᾽ ὅπερ ἐβουλήθη αὐτός. Das ist der Abschluß des Kapitels 13, in dem Plotin in Form einer unlogischen Darstellung (13,4 f.) und in uneigentlicher Redeweise (13,47–50) vom Willen des Einen spricht. Vgl. die Bestimmung des ›Willens‹ der göttlichen Ursache durch Alexander von Aphrodisias (siehe Anm. 116). ¹²⁴ Enn. III 2 (47) 2,8 f. (I 269 Henry / Schwyzer): Γέγονε δὲ οὐ λογισμῷ τοῦ δεῖν γενέσθαι, ἀλλὰ φύσεως δευτέρας ἀνάγκη· οὐ γὰρ ἦν τοιοῦτον ἐκεῖνο οἷον ἔσχατον εἶναι τῶν ὄντων. 3,3–5 (I 271 H. / S.): … ἐξ ἀνάγκης ὄντος αὐτοῦ [sc. τοῦ κόσμου C. K.] καὶ οὐκ ἐκ λογισμοῦ γενομένου, ἀλλὰ φύσεως ἀμείνονος γεννώσης κατὰ φύσιν ὅμοιον ἑαυτῇ· Vgl. VI 7 (38) 8,9– 14 (III 221 H. / S.). ¹²⁵ Siehe die Einleitung des Traktats über die Vorsehung, Enn. III 2 (47) 1,15–26 (I 267 f. Henry / Schwyzer): Εἰ μὲν οὖν ἀπό τινος χρόνου πρότερον οὐκ ὄντα τὸν κόσμον ἐλέγομεν γεγονέναι, τὴν αὐτὴν ἂν τῷ λόγῳ ἐτιθέμεθα, οἵαν καὶ ἐπὶ τοῖς κατὰ μέρος ἐλέγομεν εἶναι, προόρασίν τινα καὶ λογισμὸν θεοῦ, ὡς ἂν γένοιτο τόδε τὸ πᾶν, καὶ ὡς ἂν ἄριστα κατὰ τὸ δυνατὸν εἴη. Ἐπεὶ δὲ τὸ ἀεὶ καὶ τὸ οὔποτε μὴ τῷ κόσμῳ τῷδέ φαμεν παρεῖναι, τὴν πρόνοιαν ὀρθῶς ἂν καὶ ἀκολούθως λέγοιμεν τῷ παντὶ εἶναι τὸ κατὰ νοῦν αὐτὸν εἶναι, καὶ νοῦν πρὸ αὐτοῦ εἶναι οὐχ ὡς χρόνῳ πρότερον ὄντα, ἀλλ’ ὅτι παρὰ νοῦ ἐστι καὶ φύσει πρότερος ἐκεῖνος καὶ αἴτιος τούτου ἀρχέτυπον οἷον καὶ παράδειγμα εἰκόνος τούτου ὄντος καὶ δι’ ἐκεῖνον ὄντος καὶ ὑποστάντος ἀεί, … ¹²⁶ Enn. III 2 (47) 3,5–9 (I 271 Henry / Schwyzer). ¹²⁷ Enn. III 2 (47) 16,23 f. (I 292 Henry / Schwyzer). ¹²⁸ Siehe Plotin, Enn. VI 8 (39) 17,1–4 (III 297 f. Henry / Schwyzer): ἕκαστά φαμεν τὰ ἐν τῷ παντὶ καὶ τόδε τὸ πᾶν οὕτως ἔχειν, ὡς ἂν ἔσχεν, ὡς ἡ τοῦ ποιοῦντος προαίρεσις ἠθέλησε, καὶ οὕτως ἔχειν, ὡς ἂν προϊέμενος καὶ προϊδὼν ἐν λογισμοῖς κατὰ πρόνοιαν οὗτος εἰργάσατο.

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

ihm das stufenweise Hervortreten der intelligiblen Wesenheiten aus dem Einen. Porphyrius geht hier über Plotin hinaus und wendet in der Auseinandersetzung mit den Verfechtern einer realen Weltentstehung den Vergleich explizit auf die Entstehung des Kosmos an. Er illustriert die notwendige Koexistenz von Demiurg und Kosmos auch anhand der wesenhaften Verbindung von Feuer und Wärme sowie Schnee und Kälte und vergleicht in Fortführung Plotins das Verhältnis des Kosmos zu seiner Ursache mit dem Verhältnis des Schattens zu dem Körper, an dem er entsteht.¹²⁹ Die systematischen Voraussetzungen für den Einspruch des Porphyrius gegen Atticus liegen in seiner Auffassung vom Wesen der göttlichen Ursache. Die göttliche Ursache hat ihr Sein darin, Ursprung der von ihr geschaffenen Dinge zu sein. Sie besitzt die Schaffenskraft daher wesenshaft und ewig. Daraus folgt, daß sie immer zusammen mit den aus ihr stammenden Dingen existiert.¹³⁰ Das Wirken der göttlichen Ursache bringt Porphyrius auf die Formel, daß sie durch ihr bloßes Sein wirkt. Darin ist sie den wahren Kräften vergleichbar, die wie die Nährkraft oder die Seele allein durch ihre Anwesenheit wirken.¹³¹ In späteren neuplatonischen Systematiken wird die damit korrespondierende Form von Entstehung den natürlichen Entstehungsprozessen oder der Entstehung durch Kunstfertigkeit gegenübergestellt, deren Ursachen immer zeitlich vorgängig sind.¹³² Der aristotelischen Kritik am platonischen ¹²⁹ Siehe Johannes Philoponus, Procl. 1,4 (14,20–28 Rabe); Sallust, dis 9 (13,17–23 Rochefort); 13 (18,11–16); beide Passagen werden von M. B 1976, 163–169 auf Porphyrius zurückgeführt. Das Bild von Körper und Schatten findet sich außerdem in einer arabisch überlieferten Zusammenfassung der Enneaden Plotins, der sogenannten ›Theologie des Aristoteles‹ (113 Übersetzung Dieterici), wie bereits H. A. W 1970, 54 Anm. 7 feststellt. Aufgrund der Erwähnung des Porphyrius in der Einleitung des Textes (1 Übersetzung Dieterici) und wegen inhaltlicher Berührungen wird angenommen, daß der ›Theologie des Aristoteles‹ eine Paraphrase plotinischer Lehren durch Porphyrius zugrunde liegt (siehe M. W 1966, 296 f.; P. T 1971, 193–202; S. P 1971, 303–317). Daß das Bild vom Körper und Schatten hier begegnet, kann daher als weiteres Indiz gewertet werden, daß es auf Porphyrius zurückgeht. ¹³⁰ Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 392,25–393,1 (Diehl) = Porphyrius, frg. 51 (35,27–36,3 Sodano): … εἰ ἐν τούτῳ ἔχοι τὸ εἶναι ἀρχή, ἐν τῷ τινῶν εἶναι καὶ κοσμεῖν τὸ ἄτακτον, ἅμα ἔσται τοῖς ἐξ αὐτῆς, καὶ οὐδὲν μᾶλλον ἀνῃρημένης τῆς ἀρχῆς ἐκποδὼν τὰ μετ’ αὐτήν, ἢ τούτων μὴ ὄντων ἀναιρεῖται ἡ ἀρχή. τοῦτο δέ, ἐπειδὴ πολλάκις φασὶ τὴν ἀρχὴν ἐν τούτῳ ἔχειν τὸ εἶναι, ἐν τῷ δημιουργεῖν. εἰ δὲ τοῦτο ἀληθές, οὐχ οἷόν τε κόσμου μὴ ὄντος εἶναι τὴν ἀρχήν. Vgl. 393,9–13 (Diehl) = 36,10–14 (Sodano): ἔτι τὸ πᾶν πρός τι πεφυκὸς ἀεὶ κατ’ οὐσίαν ἔχει ἐκείνην τὴν δύναμιν, τὸ δὲ ἄλλοτε ἄλλως μεταβαλλόμενον ἐπίκτητον. εἰ μὲν οὖν ὁ θεὸς ἀεὶ δημιουργεῖ, σύμφυτον ἂν ἔχοι τὴν δημιουργικὴν δύναμιν· εἰ δὲ μή, ἐπίκτητον. πῶς οὖν ἐξ ἀτελοῦς γίνεται τέλειος καὶ ἐκ μὴ τεχνίτου τεχνίτης; ¹³¹ Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 395,12 (Diehl) = Porphyrius, frg. 51 (38,6 Sodano): … αὐτῷ τῷ εἶναι τὸν θεῖον νοῦν ἐπιτελούμενον …; vgl. 393,3–8 (Diehl) = 36,5–10 (Sodano); 395,22–396,3 (Diehl) = 38,15–24 (Sodano). Zum Wirken der Seele durch παρουσία bei gleichzeitiger ἀπάθεια siehe H. D 1959, 73. ¹³² Siehe Sallust, dis 13 (18,11–16 Rochefort): Πᾶν τὸ γινόμενον ἢ τέχνῃ ἢ φύσει ἢ κατὰ δύναμιν γίνεται· τὰ μὲν οὖν κατὰ τέχνην ἢ φύσιν ποιοῦντα πρότερα εἶναι τῶν ποιουμένων

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Timaeus entgegnet Porphyrius, daß das Wirken durch bloßes Sein eine vorausgehende Überlegung und Wahl (προαίρεσις) ausschließt.¹³³ Porphyrius kann daher die Rede vom Willen des Demiurgen (Ti. 29e2; 30a2) nicht deliberativ verstehen, sondern muß sie wie Plotin als Ausdruck der im Wesen des demiurgischen Intellekts liegenden ewigen Wirkkraft und folglich als Inbegriff der ontologischen Abhängigkeit der Kosmosordnung von der göttlichen Ursache interpretieren. Gegenüber der klassischen epikureischen Kritik unterstreicht er, daß das Wirken Gottes mühelos ist.¹³⁴ Das schließt ein, daß sich ihr Effekt in einem zeitlosen Augenblick einstellt: Gott schafft die Welt ἀχρόνως bzw. ἀθρόως.¹³⁵ Müheloses und instantanes Wirken ist nach Porphyrius das Charakteristikum einer unkörperlichen und rationalen Ursache. Es kommt dem Demiurgen des Alls zu, da dieser Intellekt und Logos ist. Als schöpferischer Intellekt verleiht der Demiurg durch das bloße Denken des Alls dem Sichtbaren seine Existenz.¹³⁶ Dabei bedarf er keiner zugrunde liegenden Materie. Der göttliche Erzeuger bringt das All wie ein Vater aus sich selbst (ἀφ’ ἑαυτοῦ) hervor. Porphyrius spricht im Rahmen der Auslegung von Ti. 30a zwar von einem Demiurgen; er vermeidet aber den Titel ποιητής, weil dieser eine handwerkliche Tätigkeit suggeriert, die der Materie bedarf.¹³⁷ Um den Unterschied zu ἀνάγκη, τὰ δὲ κατὰ δύναμιν μεθ’ ἑαυτῶν συνίστησι τὰ γινόμενα, ἐπειδὴ καὶ τὴν δύναμιν ἀχώριστον ἔχει, ὥσπερ δὴ ἥλιος μὲν φῶς πῦρ δὲ θερμότητα χιὼν δὲ ψυχρότητα. (18,27– 19,4): Εἰ δὲ μὴ τέχνῃ μηδὲ φύσει τὸν Κόσμον ποιοῦσι Θεοί, δυνάμει λείπεται μόνον· πᾶν δὲ τὸ δυνάμει γινόμενον τῷ τὴν δύναμιν ἔχοντι συνυφίσταται, καὶ οὐδὲ ἀπολέσθαι ποτὲ τὰ οὕτως γινόμενα δύνανται, εἰ μή τις τοῦ ποιοῦντος ἀφέλοι τὴν δύναμιν. Vgl. Johannes Philoponus, Procl. 1,4 (14,18–20 Rabe): οὐδεμίαν γοῦν ὁρῶμεν οὔτε φυσικὴν οὔτε τεχνικὴν γένεσιν, ἐν ᾗ μὴ τὸ αἴτιον τοῦ αἰτιατοῦ προϋπάρχον· ¹³³ Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 393,6–8; (Diehl) = Porphyrius, frg. 51 (36,8–10 Sodano): οὐ γὰρ προελομένων ἡμῶν αἰσθάνεται ἢ σφύζει τὸ σῶμα, ἀλλ’ ἡ παρουσία μόνον τῆς ψυχῆς ἀποτελεῖ τὰς ἐνεργείας ταύτας. ¹³⁴ Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 395,26–29 (Diehl) = Porphyrius, frg. 51 (38,18–20 Sodano): καὶ τὰ μὲν πάθη περὶ τὸ σῶμα, αἴτιον δὲ τούτων τὸ φάντασμα, οὐκ ὤσεσι καὶ μοχλείαις χρησάμενον, ἀλλὰ τῷ παρεῖναι μόνον ἐνεργῆσαν. ¹³⁵ Die Begriffe tauchen in einem überbietenden Vergleich mit menschlichen Handwerkern auf bei Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 395,18.21 (Diehl) = Porphyrius, frg. 51 (38,11 f.14 Sodano). Siehe auch Proclus, in Ti. II 102,6–9 (Diehl), von W. T 1933/34, 16 und R. B 1953, 303 auf Porphyrius zurückgeführt. ¹³⁶ Siehe Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 395,12 (Diehl) = Porphyrius, frg. 51 (38,6 Sodano) (Text in Anm. 131). Vgl. Proclus, in Ti. II 102,7–11 (Diehl), der an Porphyrius anknüpft (W. T 1933/34, 15; R. B 1953, 303): Ὁ μὲν θεὸς ἀθρόως πάντα καὶ διαιωνίως παράγει· κατ’ αὑτὸ γὰρ τὸ εἶναι καὶ κατὰ τὴν αἰώνιον τῶν ὅλων νόησιν. [[καὶ]] τὰ ἀφ’ ἑαυτοῦ πάντα ἀπογεννᾷ, τά τε ὑπερκόσμια καὶ τὰ ἐν τῷ κόσμῳ σύμπαντα, νόας, ψύχας, φύσεις, σώματα, τὴν ὕλην αὐτήν. ¹³⁷ Porphyrius spricht von einem Demiurgen z. B. bei Proclus, in Ti. I 394,24 (Diehl) = Porphyrius, frg. 51 (27,19 Sodano) sowie 396,5 (Diehl) = 38,26 (Sodano). Zum Unterschied zwischen πατήρ und ποιητής siehe in Ti. I 300,1–6 (Diehl) = Porphyrius, frg. 40 (26,15–18 Sodano): Πορφύριος δέ φησιν, ὅτι πατὴρ μέν ἐστιν ὁ ἀφ’ ἑαυτοῦ γεννῶν τὸ ὅλον, ποιητὴς δὲ

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einem Handwerker deutlich zu machen, sagt er ausdrücklich, daß Gott die Materie erzeugt (γεννῶν).¹³⁸ Die Tätigkeit des Demiurgen besteht darin, im Denken Existenz zu verleihen (ὑπόστασιν παρέχεσθαι) und ins Sein zu führen (παράγειν εἰς τὸ εἶναι). Porphyrius prägt daher für die göttliche Ursache die Bezeichnung ὑποστατικόν bzw. ὑποστάτης des Alls.¹³⁹ Der Widerspruch des Porphyrius gegen die Weltentstehungslehre des Atticus speist sich somit aus der Auffassung, daß bei einer vollkommenen und ewigen Ursache das Verursachte notwendig und ebenfalls ewig existiert. Das Verursachte kann daher nicht Folge eines einmaligen Entschlusses sein, da dieser immer eine zeitliche Priorität der Ursache impliziert. Wie Plotin verneint Porphyrius eine zeitliche Priorität der göttlichen Ursache gegenüber dem Kosmos, betont aber ständig ihre ontologische Priorität gegenüber dem Kosmos. Die göttliche Ursache des Kosmos ist Intellekt und schafft die Welt ohne vorgängige Materie aus sich selbst durch ihr bloßes Sein, das heißt durch ihr Denken. Das Bild vom Hervortreten des Lichts aus der Sonne illustriert die Eckpunkte dieses Modells: Das Verursachte geht notwendig, ohne vorhergehenden Willensentschluß aus der Ursache hervor. Das Verursachte vermindert die Ursache nicht. Das Verursachte koexistiert ewig mit der Ursache.

3.3. Die Entstehung der Materie und der Körperwelt Porphyrius setzt voraus, daß die Ursachen der körperlichen Welt unkörperlich sind.¹⁴⁰ Um plausibel zu machen, daß unkörperliche Ursachen körperliche Effekte hervorbringen können, nennt er in der Auseinandersetzung mit Atticus mehrere Beispiele. Er verweist auf die Tätigkeit menschlicher Handwerker, ὁ παρ’ ἄλλου τὴν ὕλην λαμβάνων· ὅθεν καὶ πατὴρ μὲν Ἀρίστων λέγεται Πλάτωνος ὡς ὅλου αἴτιος, ποιητὴς δὲ ὁ οἰκοδόμος τῆς οἰκίας ὡς οὐκ αὐτὸς τὴν ὕλην γεννῶν. ¹³⁸ Siehe Porphyrius bei Johannes Philoponus, Procl. 6,14 (165,2–5 Rabe) = Porphyrius, frg. 47 (32,3–5 Sodano): σώματος μὲν γὰρ ἀρχαὶ θεὸς μὲν γεννῶν, ὕλη δὲ καὶ τὰ σχήματα, ἃ προϊὼν ἡμᾶς διδάξει, ὡς ἐξ ὧν συνέστηκεν τὰ σώματα γεννηθέντων ἀπὸ θεοῦ, κόσμου δὲ τὰ ἤδη ὑποστάντα σώματα ὑπὸ θεοῦ καὶ θεὸς ὁ ταῦτα τάσσων· ¹³⁹ Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 396,5 f. (Diehl) = Porphyrius, frg. 51 (38,26 f. Sodano): … τὸν δημιουργὸν αὐτῷ τῷ νοεῖν τὸ πᾶν ὑπόστασιν παρέχεσθαι τῷ αἰσθητῷ, … 396,22–26 (Diehl) = 39,11–14 (Sodano): … ὁ δημιουργικὸς λόγος τὰ πάντα παράγειν δύναται μηδὲν εἰς τὸ εἶναι τῆς ὕλης δεηθείς, … ὁ δὲ τῶν πάντων ὑποστάτης ἐν ἑαυτῷ διαιωνίως ἕστηκε καὶ ἀφ’ ἑαυτοῦ μένοντος τὰ πάντα παρήγαγε. Vgl. Proclus, in Ti. II 102,7–11 (Text in Anm. 136). Porphyrius bei Johannes Philoponus, Procl. 6,14 (164,19 Rabe); vgl. 165,5 f. = frg. 47 (30,9; 32,6 Sodano) spricht daher auch nicht von der ποίησις der Körper, sondern von ihrer ὑπόστασις. Daß die Götter durch Denken schaffen, setzt Proclus in einer Auseinandersetzung mit Porphyrius zu einem anderen Thema voraus in in Ti. I 352,8–10 (Diehl): [sc. οἱ θεοὶ C. K.] αὐτῷ γὰρ τῷ νοεῖν πάντα γεννῶσιν, ἃ δὲ γεννῶσιν, ἐκ τῶν ἀμερῶν καὶ αἰωνίων καὶ ἀύλων εἰδῶν γεννῶσιν· ¹⁴⁰ Siehe Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 159,9–12 (Diehl) = Porphyrius, frg. 19 (12,13–16 Sodano).

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bei der die Bearbeitung mit Hilfe von Werkzeugen lediglich die Untauglichkeit des zugrunde liegenden Stoffes beseitigt, an dem sich dann die rationale Form in einem instantanen Moment einstellt. Porphyrius ist offensichtlich davon überzeugt, daß die rationale Form im Intellekt eines Kunstschaffenden eine rationale Kraft darstellt, die anderen intelligiblen Kräften vergleichbar instantan wirkt, wenn sie nicht durch die Widerständigkeit der Materie gehindert würde. Er folgert daher, daß der schöpferische Logos, der der Materie nicht bedarf, ohne Beeinträchtigung wirken kann. Als Beispiel für das instantane Wirken intelligibler Kräfte führt er dämonische Kräfte sowie das Vorstellungsvermögen der Seele an, das Veränderungen an Körpern hervorrufen kann.¹⁴¹ Zu diesen Beispielen besteht freilich der Unterschied, daß diese Ursachen auf bereits vorhandene Körper wirken, während die göttliche Ursache die körperliche Natur erst hervorbringt. Auch wenn Porphyrius gegenüber Atticus das Gegenteil behauptet, bleibt es erklärungsbedürftig, daß der Demiurg durch sein bloßes Denken des Alls dem Sichtbaren seine Existenz verleiht, indem er das Materielle auf immaterielle Weise , ohne Berührung das Berührbare hervorbringt und ohne Teilung das Ausgedehnte aufspannt … [und daß] etwas Unkörperliches und Unausgedehntes Existenzursache dieses Alls hier ist.¹⁴²

Die Frage, ob und wie Gott die Materie schafft, gehört nach Proclus zu den am meisten diskutierten Fragen überhaupt.¹⁴³ Die erhaltenen Zeugnisse vermitteln verschiedene Versuche des Porphyrius, diese Frage zu beantworten. 3.3.1. Der Demiurg wirkt wie ein ›Same‹ des Kosmos Wenn man wie Porphyrius annimmt, daß Gott die sichtbare Welt ohne vorgängige Materie in die Existenz bringt, so stellt sich das Problem, wie eine unkörperliche und unausgedehnte Ursache eine körperliche Vielheit hervorbringen kann. Porphyrius greift daher das Beispiel der Entstehung aus Samen auf, um zu veranschaulichen, daß aus einer masselosen Einheit eine ausdifferenzierte körperliche Vielheit hervorgehen kann.¹⁴⁴ Der nahezu masselose ¹⁴¹ Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 395,13–396,3 (Diehl) = frg. 51 (38,7–24 Sodano). ¹⁴² Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 396,5–9 (Diehl) = frg. 51 (38,26–30 Sodano): … τί

θαυμαστὸν τὸν δημιουργὸν αὐτῷ τῷ νοεῖν τὸ πᾶν ὑπόστασιν παρέχεσθαι τῷ αἰσθητῷ, ἀύλως μὲν τὸ ἔνυλον, ἀναφῶς δὲ ἀπογεννῶντα τὸ ἁπτόν, ἀμερῶς δὲ ἐκτείνοντα τὸ διαστατόν; καὶ οὐ δεῖ τοῦτο θαυμάζειν, εἴ τι ἀσώματον ὂν καὶ ἀδιάστατον ὑποστατικὸν εἴη τοῦδε τοῦ παντός· [Einfügung in der Übersetzung von mir]. Übersetzung nach M. B 1976, 228 f. (überarbeitet). ¹⁴³ Siehe Proclus, in Ti. I 384,14 f. (Diehl). ¹⁴⁴ Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 396,10–26 (Diehl) = frg. 51 (38,30–39,14 Sodano): εἴπερ γὰρ τὸ σπέρμα τοῦ ἀνθρώπου, τοσοῦτον ὄγκον ἔχον καὶ πάντας ἐν ἑαυτῷ τοὺς λόγους, ὑφίστησι τοσαύτας διαφορὰς τῶν μὲν στερεῶν, … τῶν δὲ μαλακῶν, … – ταῦτα γὰρ πάντα τά τε ὁμοιομερῆ καὶ τὰ ἐξ αὐτῶν πως ὑφίστησιν ἐξ ὀλίγου ὄγκου, μᾶλλον δὲ ἐκ τοῦ ἀόγκου· οἱ γὰρ λόγοι ταῦτα γεννῶσιν, οὗτοι δὲ ἄογκοι πανταχοῦ ὄντες· … – πολλῷ δὴ οὖν μᾶλλον ὁ

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Same eines Menschen enthält in sich auf kleinstem Raum alle rationalen Entwicklungsursachen des werdenden Lebewesens, aus denen die verschiedensten Körperteile entstehen.¹⁴⁵ Weil diese Entwicklungsursachen (λόγοι) in jeder Hinsicht masselos sind, sagt Porphyrius, daß die ausdifferenzierten Körperteile aus dem Masselosen entstehen. Das Bild des Samens auf die göttliche Ursache zu beziehen, hat neupythagoreische Wurzeln und ist Porphyrius aus Plotin bekannt, der es vor allem benutzt, um zu illustrieren, wie aus Einheit Vielheit entsteht.¹⁴⁶ In einer berühmten Passage zieht Plotin das Bild des Samens heran, um zu beschreiben, wie aus der Einheit des Intellekts die Vielheit des sichtbaren Alls entsteht.¹⁴⁷ Nach Enn. III 2 (47) 2 fließt aus dem Intellekt die rationale Formkraft (λόγος). Diese Formkraft ist einem Samen vergleichbar, in dem zunächst alles einheitlich zusammenliegt, dann aber auseinandertritt und eine differenzierte und teilweise widerstreitende Vielheit erzeugt. Auf vergleichbare Weise entsteht aus dem einen Intellekt und aus der von ihm ausfließenden Formkraft das sichtbare All. Diesem Vorgang liegt die Materie zugrunde, denn Plotin faßt seine Ausführung unter der Überschrift zusammen, daß der Intellekt »still und ohne Erschütterung das All gewirkt hat, indem er ein Stück von sich selbst in die Materie gab«¹⁴⁸. Obwohl die Materie nach Plotin kein ungewordenes, selbständiges Prinzip ist, setzt er sie hier für die Entstehung der körperlichen Welt δημιουργικὸς λόγος τὰ πάντα παράγειν δύναται μηδὲν εἰς τὸ εἶναι τῆς ὕλης δεηθείς, ὥσπερ ὁ τοῦ σπέρματος· ἐκεῖνος μὲν γὰρ οὐκ ἔξω ὕλης, ὁ δὲ τῶν πάντων ὑποστάτης ἐν ἑαυτῷ διαιωνίως ἕστηκε καὶ ἀφ’ ἑαυτοῦ μένοντος τὰ πάντα παρήγαγε. ¹⁴⁵ Für diese Charakterisierung des Samens siehe auch Plotin, Enn. II 6 (17) 1,10–12 (I 209 Henry / Schwyzer); III 2 (47) 2,18–20 (I 269 H. / S.). ¹⁴⁶ So beispielsweise in Enn. IV 8 (6) 6,7–11 (II 242 Henry / Schwyzer) über das Hervorgehen der Vielheit aus dem Einen, dem Intellekt und der Seele; IV 9 (8) 3,16–18; 5,9–12 (II 256.257 f. H. / S.) über die Einheit und die Vielheit in der Seele; V 9 (5) 6,1–15 (II 418–420 H. / S.) über Einheit und Vielheit auf der Ebene des Intellekts. Siehe die neupythagoreischen Belege für die Bezeichnung des höchsten Prinzips (Monas) als Samen bei G. B 2005, 133; E. T 2006, 293 f. ¹⁴⁷ Plotin, Enn. III 2 (47) 2,15–24 (I 269 f. Henry / Schwyzer): Νοῦς τοίνυν δούς τι ἑαυτοῦ εἰς ὕλην ἀτρεμὴς καὶ ἥσυχος τὰ πάντα εἰργάζετο· οὗτος δὲ ὁ λόγος ἐκ νοῦ ῥυείς· Τὸ γὰρ ἀπορρέον ἐκ νοῦ λόγος, καὶ ἀεὶ ἀπορρεῖ, ἕως ἂν ᾖ παρὼν ἐν τοῖς οὖσι νοῦς. Ὥσπερ δὲ ἐν λόγῳ τῷ ἐν σπέρματι ὁμοῦ πάντων καὶ ἐν τῷ αὐτῷ ὄντων καὶ οὐδενὸς οὐδενὶ μαχομένου οὐδὲ διαφερομένου οὐδὲ ἐμποδίου ὄντος, γίνεταί τι ἤδη ἐν ὄγκῳ καὶ ἄλλο μέρος ἀλλαχοῦ … οὕτω δὴ καὶ ἐξ ἑνὸς νοῦ καὶ τοῦ ἀπ’ αὐτοῦ λόγου ἀνέστη τόδε τὸ πᾶν καὶ διέστη … Auf diesen Text Plotins macht bereits W. T 1933/34, 14 aufmerksam. Vgl. damit III 7 (45) 11,20–25 (I 387 H. / S.), wo deutlich wird, daß die aus dem Intellekt hervorgehende Formkraft die Weltseele ist. Plotin beschreibt das Hervorgehen des Logos, d. h. der Seele, aus dem Intellekt als ewige Emanation (siehe ῥυείς; τὸ γὰρ ἀπορρέον; ἀεὶ ἀπορρεῖ), bei der der Ursprung nicht vermindert wird. Zu diesem zentralen Anliegen der plotinischen Vorstellung siehe H. D 1965, 83–85. ¹⁴⁸ Plotin, Enn. III 2 (47) 2,15 f. (I 269 Henry / Schwyzer; Übersetzung nach Harder; Text in Anm. 147).

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voraus. Plotin bleibt dabei wie frühere Platoniker im Bild der Entstehung aus Samen, bei der der Same immer in eine vorhandene Materie hinein ausgebracht wird. So schafft beispielsweise nach Plutarch der göttliche Demiurg die Welt, indem er die Weltseele, die ein Teil von ihm ist, als Keimzelle der Ordnung in die Materie einbringt.¹⁴⁹ Der Vergleich mit der Entstehung aus Samen illustriert also bei Plotin nicht die Entstehung der Materialität und Körperlichkeit der Welt, sondern die Entfaltung der Einheit zu einer Vielheit und die Übertragung der Formkraft in die Materie. An diesem Punkt unterscheidet sich Porphyrius’ Rezeption des Modells des Samens von Plotin, insofern bei ihm der Demiurg das Bild des Samens überbietet. Der einem Samen inhärente Logos bedarf der Materie und kann nicht getrennt von ihr existieren. Der göttliche Demiurg dagegen ist mehr als ein σπερματικὸς λόγος; er ist ein δημιουργικὸς λόγος, der der Materie nicht bedarf, sondern das All aus sich selbst erzeugt. Er ist in der Funktion eines ausdehnungslosen und zugleich aus sich selbst Ausdehnung generierenden Samens, aus dem sich durch Ausdifferenzierung schließlich die körperliche Welt entfaltet. Wie der göttliche Demiurg ohne vorgängige Materie die körperliche Welt ins Sein stellt, d. h. wie das Ausdehnungslose aus sich selbst heraus Ausdehnung schafft, vermag Porphyrius durch den Vergleich mit der Entstehung aus Samen allerdings nicht plausibel zu machen. Porphyrius stellt den göttlichen Demiurgen in diesem Abschnitt seines Timaeuskommentars einerseits in der Funktion der zeugenden Seele dar, denn diese zeichnet es aus, die rationalen Ordnungsfaktoren aller Dinge zu enthalten.¹⁵⁰ Gleichzeitig präsentiert er den Demiurgen als göttlichen Intellekt, der alles im Denken hervorbringt.¹⁵¹ Offensichtlich faßt Porphyrius hier die verschiedenen intelligiblen Hypostasen in ihrer Funktion als Ursache des Kosmos als Einheit zusammen. Das ist auch an der häufigen Verwendung des Titels θεός in diesem Ausschnitt des Timaeuskommentars abzulesen.¹⁵² Indem Por¹⁴⁹ Siehe Plutarch, plat. quaest. 2,1 (1001ab) und dazu Kapitel A I 4.3. ¹⁵⁰ Siehe den Vergleich der Seele mit einem Samen in etwas anderem Zusammenhang in

sent. 37 (44,16–45,1 Lamberz) sowie L. B 2005, I 116. Für die λόγοι und εἴδη in der Seele siehe die Belege bei H. D / M. B 1996, 481 Anm. 1. ¹⁵¹ Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 395,12 (Diehl) = frg. 51 (38,6 Sodano) (Text in Anm. 131). ¹⁵² Für θεός siehe z. B. Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 391,13; 392,23; 393,11; 394,12 (Diehl) = frg. 51 (34,14; 35,26; 36,12; 37,9 Sodano). Die Identität des Demiurgen bei Porphyrius hat ausführlich W. D 1997, 238–260 untersucht und gezeigt, wie Porphyrius sowohl die Weltseele als auch den göttlichen Intellekt als Demiurgen bezeichnen kann. Siehe zum Demiurgen bei Porphyrius auch J. M. D 1969. In Aufnahme und Interpretation von Plotin, Enn. III 9 (13) 1 bezeichnet er an einigen Stellen die Weltseele unterhalb des Intellekts / Paradigmas als Demiurgen; er faßt aber grundsätzlich das Verhältnis von Intellekt und transzendenter Seele sehr eng auf und versteht »den Schöpfungsakt des Demiurgen als einen kontinuierlichen Entfaltungsprozeß des Geistes, dessen letzte Stufe, die transzendente Seele, Urheberin des Kosmos … ist« (D, a. a. O., 251).

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phyrius die Einheit der göttlichen Ursachen als ὑποστατικόν bzw. ὑποστάτης des Alls präsentiert, ordnet er die Erschaffung des Alls als Zeugung bzw. ZurExistenz-Bringung in die Reihe der Wirkungen des göttlichen Intellekts ein, die dadurch gekennzeichnet sind, daß der göttliche Intellekt einerseits stets ins Sein stellt (ὑφιστάναι), andererseits ewig unverändert in sich verharrt (μένειν). Der sichtbare Kosmos erscheint dabei selbst als die unterste Hypostase der göttlichen Kraft.¹⁵³ 3.3.2. Der Abstieg der intelligiblen Substanz in die Körperlichkeit Die Entfaltung der Einheit der göttlichen Ursache in die Vielheit der Körperwelt beschreibt Porphyrius als Abstieg der intelligiblen Substanz in die Ausdehnung: Der Philosoph Porphyrius sagt nun … daß bei ihrem ewigen Austritt die Formen in die Vielheit und die Unterscheidung herabsinken und in Ausdehnung und mannigfaltige Teilung eingehen. Deshalb laufe die intelligible Substanz bei ihrem Austritt in den Kosmos in einen Zustand geteilter, schwerer und stofflicher Vielheit aus, obgleich sie sich oben in einem geeinten, ungeteilten und einheitlichen Zustand befindet. Dem intelligiblen Ganzen nun lieferte keine andere Größe die Materie, denn es selbst bringt sie hervor; in solcher Menge hat es sie hervorgebracht, wie es sie erfassen kann. Dem Menschen-an-sich aber lieferte dieses Ganze die Materie.¹⁵⁴

Porphyrius erläutert in diesem Textausschnitt das Argument für die Existenz eines einzigen Kosmos in Ti. 31a3 f. Platon leitet an dieser Stelle aus der Einzahl des intelligiblen Paradigmas die Einzahl des Kosmos ab. Einige Platonausleger wendeten dagegen ein, daß wie im Falle des Menschen oder des Pferdes auch vom intelligiblen Paradigma des Kosmos eine Vielzahl von Abbildern existieren könnte.¹⁵⁵ Porphyrius verteidigt Platons Argument, indem er den Unterschied zwischen der Entstehung des Kosmos und der Entstehung einer Vielzahl von Menschen als Abbilder jeweils ihres intelligiblen Paradigmas aufzeigt. Im Falle des Menschen bildet sich das intelligible Paradigma in eine vorliegende Materie ab. Im Falle des Kosmos dagegen bringt das intelligible Vorbild die Materie genau in der Menge hervor, die es als rationale Form ergreifen kann. Der Kos¹⁵³ Zum Kosmos (Weltseele und Weltkörper) als Hypostase siehe Porphyrius, sent. 30 (20,7–11 Lamberz) und L. B 2005, II 608. ¹⁵⁴ Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 439,29–440,3 (Diehl) = frg. 55 (41,14–22 Sodano): ὁ μὲν οὖν φιλόσοφος Πορφύριος … ἀεὶ τὰ εἴδη προϊόντα φησὶν εἰς πλῆθος ὑποφέρεσθαι καὶ διαίρεσιν καὶ χωρεῖν εἰς ὄγκον καὶ μερισμὸν παντοῖον· διὸ τὴν νοητὴν οὐσίαν προϊοῦσαν εἰς τὸν κόσμον ἀπολῆξαι κατὰ τὸ διῃρημένον καὶ παχὺ καὶ ἔνυλον πλῆθος, ἡνωμένον ἄνω καὶ ἀμερὲς ὂν καὶ μοναδικόν. τῷ μὲν οὖν νοητῷ παντὶ οὐκ ἄλλο ἐχορήγει τὴν ὕλην – αὐτὸ γὰρ αὐτὴν ὑφίστη· τοσαύτην οὖν ὑπέστησεν, ὅσην ἠδύνατο καταλαβεῖν – τῷ δὲ αὐτοανθρώπῳ τὴν ὕλην ἐχορήγει τοῦτο τὸ πᾶν· ¹⁵⁵ Siehe Proclus, in Ti. I 439,22–25 (Diehl).

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mos ist daher das einzige Abbild des einen intelligiblen Kosmos an der gesamten Materie. Porphyrius verbindet in seiner Erläuterung Ti. 31a1 f. mit Ti. 32c– 33a und folgert aus der Kongruenz von intelligibler Form und der Menge der Materie, daß die Materie vom intelligiblen Ganzen geschaffen ist. Porphyrius beschreibt den Abbildungsprozeß, bei dem der Kosmos entsteht, als Abstieg der intelligiblen Substanz in die Körperwelt. Der Kosmos entsteht, indem die intelligible Substanz, d. h. der intelligible Kosmos in der Einheit des göttlichen Intellekts, aus ihrer Einheit heraustritt und einen Prozeß der Vervielfältigung und Unterscheidung durchläuft. In der Folge dieses Prozesses gehen die intelligiblen Formen in die Ausdehnung ein, liegen als rationale Formen an der Materie vor und bilden so den Körper des Kosmos.¹⁵⁶ Das Besondere an der Schilderung des Porphyrius ist nun, daß bei diesem Abstieg der intelligiblen Substanz auch die Materie, in die hinein abgebildet wird, entsteht.¹⁵⁷ Der Verlust der Einheit der intelligiblen Substanz geht darauf zurück, daß mit zunehmender Entfernung der intelligiblen Wesenheiten von ihrem Ursprung die Kraft abnimmt, die sie bei ihrer Hinwendung zu ihrem Ursprung eint.¹⁵⁸ Die Entstehung der geteilten, schweren Vielheit an der Materie ist somit als Folge dessen beschrieben, daß sich die intelligible Substanz von ihrem einenden Ursprung entfernt. Den Abstieg der intelligiblen Substanz beschreibt Porphyrius konkret als Abstieg der intelligiblen Formen. Setzt man voraus, daß nach Porphyrius der Intellekt die Formen hervorbringt, indem er sie denkt,¹⁵⁹ und daß durch den Austritt der Formen aus dem Intellekt und deren Abstieg auch die Materie entsteht, wird etwas verständlicher, warum Porphyrius sagen kann, daß der Demiurg auf immaterielle, unausgedehnte und unkörperliche Weise das Materielle, Ausgedehnte und Körperliche erzeugen kann: Offensichtlich schafft der ¹⁵⁶ Der Prozeß der Vervielfältigung und Teilung spiegelt sich auch in sent. 5 (2,10–13 Lamberz) wider: Der Intellekt ist eine ἀμέριστος οὐσία. Die Qualitäten, d. h. die ἔνυλα εἴδη, sind περὶ τὰ σώματα μεριστά. Die Seele ist eine mittlere Wesenheit zwischen diesen beiden. An der untersten Stufe der Vervielfältigungen sind die Ideen εἴδη τὰ ἐπὶ ὕλης und können nur κατὰ στέρησιν σώματος unkörperlich genannt werden (sent. 41 [53,6–11 Lamberz]). Körper definiert Porphyrius grundsätzlich als σύνθετον ἐξ ὕλης καὶ εἴδους: sent. 21 (13,5 f. Lamberz); Porphyrius bei Johannes Philoponus, Procl. 6,14 (164,21–23 Rabe); 14,3 (546,10 f.); bei Proclus, in Ti. I 395,5–10 (Diehl). ¹⁵⁷ Ähnlich bereits W. D 1997, 240: »Der Schöpfungsprozeß nimmt seinen Ausgang von den Ideen. Das Intelligible entfaltet sich in den Kosmos hinein und vereinzelt sich dort, ja es erzeugt sich selbst die Materie.« ¹⁵⁸ Siehe dazu Porphyrius, sent. 11 (5,1–4 Lamberz). Als Endpunkt des Austritts der intelligiblen Substanz nennt Porphyrius hier allerdings die Einzelseelen (siehe L. B 2005, II 403–405). Nach sent. 30 f. (20,7–22,13) lautet die Reihenfolge des Austritts (πρόοδος) Eines bzw. Gott / Intellekt / Seele / Welt(körper), kommt also beim Kosmos zum Stehen. Siehe dazu den Kommentar von B, a. a. O., II 622–627. ¹⁵⁹ Siehe Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 394,2–4 (Diehl) = frg. 51 (36,31–37,1 Sodano).

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Demiurg durch sein Denken nicht nur die Formen, sondern auch die Materie, so daß am Ende des Austritts (πρόοδος) der intelligiblen Substanz die rationalen Formen an der Materie in die Ausdehnung eintreten und die Körpernatur bilden können. Wie der Demiurg im Denken die Materie erzeugt, bleibt allerdings weiter unklar. 3.3.3. Die Entstehung der Materie als Abbild der intelligiblen Vielheit Simplicius überliefert in seinem Kommentar zur Physik des Aristoteles einen Auszug aus Porphyrius’ verlorener Schrift De materia, in dem Porphyrius die Lehre des Neupythagoreers Moderatus interpretiert und dabei darlegt, wie die intelligible Ursache Urheberin der Materie der Körper ist.¹⁶⁰ Dieser Text, der bislang meist als Dokument der Lehre des Moderatus diskutiert wurde, weist an einigen Punkten sprachliche Verbindungen zu den Fragmenten 51 und 55 (Sodano) des porphyrianischen Timaeuskommentars auf und ergänzt diese beiden Texte inhaltlich. Nach Porphyrius vertrat Moderatus als platonische Lehre verschiedene Stufen der Wirklichkeit.¹⁶¹ An der Spitze steht über dem Sein und aller Substanz ¹⁶⁰ Simplicius, in Ph. I 230,34–231,24 (Diels) = Porphyrius, frg. 236F (Smith). Vor allem der erste Teil (Z. 3–12; 255 Smith) wird grundsätzlich als Dokument der Lehre des Moderatus gewertet, obwohl er vor allem in den Kommentaren zu den einzelnen Stufen in deutlich neuplatonischer, nachplotinischer Sprache gehalten ist (E. R. D 1928, 136; A. J. F 1954, 22 f.; P. H 1968, I 166; J. M. D 1977, 347; etwas anders urteilt J. H 1993, 346). J. M. D 1977, 347–349 bespricht nur den ersten Teil als Moderatuszeugnis und hält den zweiten Teil für Porphyrius’ »subjoined interpretation«. W. T 1933/34, 180 Anm. 43 faßt das Referat bei Simplicius als neuplatonische Ausdeutung des Moderatus durch Porphyrius auf. H. D / M. B 1996, 477–485 besprechen den gesamten Text bei Simplicius als durch Porphyrius wiedergegebenes Zeugnis des Moderatus. H zieht den ersten Teil des Textes als ein neuplatonisch formuliertes Moderatuszeugnis heran, interpretiert es aber zugleich als Dokument für Porphyrius im Kontext anderer Texte des Porphyrius (a. a. O., I 165–167). H bespricht den ersten Teil als Zeugnis des Moderatus und betrachtet den zweiten Teil als einen »ergänzenden Bericht des Porphyrius« (a. a. O., 344). W. D 1997, 242 Anm. 12 hält den ersten Teil des Referats bei Simplicius für eine porphyrisch interpretierte Lehre des Moderatus, den zweiten Teil für eine Interpretation des Moderatus durch Porphyrius. L. H. D. S / L. G. W, CUFr Proclus II, xxxii– xxxiii halten es schließlich für unmöglich, genau zu klären, wieviel Porphyrius in die Position des Moderatus hineingelesen hat. Sicher ist, daß Porphyrius in der Platondeutung des Moderatus Anknüpfungspunkte für seine eigene Interpretation fand und Moderatus deshalb in seiner Schrift über die Materie zitierte. Porphyrius würdigt auch anderen Orts grundsätzlich die neupythagoreische Prinzipienlehre, hält aber Plotins Deutung der platonischen und pythagoreischen Prinzipien für genauer (VP 20,71–76 [I 28 f. Henry / Schwyzer]). Das Interesse des Porphyrius am Pythagoreismus ist auch von anderer Seite her belegbar (siehe dazu J. H. W 1977). L. B 2005, II 515 hat m. E. nicht Recht, wenn er meint, daß Porphyrius Moderatus zitiere »sans être d’accord avec Modératus«. ¹⁶¹ Simplicius, in Ph. I 230,36–231,5 (Diels) = Porphyrius, frg. 236F (Z. 3–12; 255 Smith). Simplicius zitiert hier die Platoninterpretation des Moderatus. Der Fortgang des Textes (Z. 12–14) legt nahe, daß Simplicius für das Referat des Moderatus von Porphyrius abhängig ist (so auch J. H 1993, 343).

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das erste Eine. Nach ihm folgt das zweite Eine. Dieses ist das wahrhaft Seiende und Intelligible und wird von Porphyrius mit den Ideen gleichgesetzt. Das dritte Eine des Moderatus faßt Porphyrius als das Seelische auf, das an den übergeordneten Stufen Anteil hat. Das Seelische vollendet die Natur der sichtbaren Dingen, die durch die Ideen geordnet wird. An unterster Stufe steht die Materie der sichtbaren Dinge. Sie wird als der Schatten des Nichtseienden bezeichnet, das als primäre Vielheit beschrieben ist. Dieser Hierarchie liegt eine Interpretation der Hypothesen des platonischen Parmenides zugrunde, die sich mit Porphyrius eigener Deutung berührt.¹⁶² Auf die referierte Stufenlehre bezogen legt Porphyrius dar, wie der Logos aus sich eine intelligible Vielheit schafft, die das Vorbild der Materie der Körperwelt darstellt. Dabei knüpft er an Moderatus an, nach dem die Materie der sichtbaren Körper in einem Abbildverhältnis zu einer primären Vielheit steht. Weil der einheitliche Logos (ὁ ἑνιαῖος λόγος), wie Platon irgendwo sagt, das Entstehen der seienden Dinge aus sich (τὴν γένεσιν ἀφ’ ἑαυτοῦ) ins Werk setzen wollte (βουληθείς), faßte er durch Privation seiner selbst die Vielheit in sich, indem er ihr all seine eigenen Logoi und Formen nahm. Dies nannte er formlose, unteilbare und gestaltlose Quantität, die allerdings Form, Gestalt, Teilung, Qualität und alles dergleichen aufnehme. Auf diese Quantität, sagt er [d. h. Moderatus / Porphyrius], scheinen sich die meisten Bezeichnungen Platons zu beziehen, wenn er sie allaufnehmend, gestaltlos und unsichtbar nennt und sagt, sie habe auf eine schwer verständliche Weise am Intelligiblen teil (Ti. 51a7 f.) und sei durch einen unechten Schluß nur mit Mühe erfaßbar (Ti. 52b2) und alles dergleichen. Diese Quantität, sagt er, und diese Form (εἶδος), die gedacht wird durch Privation des einheitlichen Logos, der alle Logoi der seienden Dinge in sich birgt, ist das Vorbild für die Materie der Körper, die die Pythagoreer und Platon, wie er sagte, auch ihrerseits wiederum Quantum genannt haben, nicht ein Quantum als Form, sondern Quantum im Sinne der Beraubung, der Auflösung, der Ausdehnung und der Zerstreuung, und zwar wegen der Entfremdung vom Seienden, weshalb die Materie auch schlecht zu sein scheint, weil sie das Gute flieht. Sie wird von ihm erfaßt (καταλαμβάνεται ὑπ’ αὐτοῦ), und es wird ihr nicht gestattet, ihre Grenzen zu überschreiten, wobei die Ausdehnung den Logos der Idee der Größe aufnimmt und durch diesen begrenzt wird, die Zerstreuung aber durch die Gliederung mit Hilfe arithmetischer Proportionen geformt wird.¹⁶³ ¹⁶² Die Abhängigkeit dieser Hierarchie von Platons Parmenides hat E. R. D 1928, 136 f. grundlegend gezeigt. H. D / M. B 1996, 479 f. zeigen, daß die für Moderatus referierte Hierarchie sich mit Porphyrius’ eigener Auslegung der Hypothesen des Parmenides berührt, die Proclus überliefert. Unterschiede zwischen Porphyrius und Moderatus stellt dagegen J. H 1993, 346 heraus. ¹⁶³ Porphyrius bei Simplicius, in Ph. I 231,7–24 (Diels) = Porphyrius, frg. 236F (Z. 14–38; 255–257 Smith): [ὁ Πορφύριος ἐν τῷ δευτέρῳ Περὶ ὕλης τὰ τοῦ Μοδεράτου παρατιθέμενος γέγραφεν ὅτι] βουληθεὶς ὁ ἑνιαῖος λόγος, ὥς πού φησιν ὁ Πλάτων, τὴν γένεσιν ἀφ’ ἑαυτοῦ τῶν ὄντων συστήσασθαι, κατὰ στέρησιν αὑτοῦ ἐχώρησε τὴν ποσότητα, πάντων αὐτὴν στερήσας τῶν αὑτοῦ λόγων καὶ εἰδῶν. τοῦτο δὲ ποσότητα ἐκάλεσεν ἄμορφον καὶ ἀδιαίρετον καὶ ἀσχημάτιστον, ἐπιδεχομένην μέντοι μορφὴν σχῆμα διαίρεσιν ποιότητα πᾶν τὸ τοιοῦτον. ἐπὶ ταύτης ἔοικε, φησί, τῆς ποσότητος ὁ Πλάτων τὰ πλείω ὀνόματα κατηγορῆσαι ›πανδεχῆ‹ καὶ ἀνείδεον λέγων καὶ ›ἀόρατον‹ καὶ ›ἀπορώτατα τοῦ νοητοῦ μετειληφέναι‹ αὐτὴν καὶ ›λογισμῷ

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

Der ἑνιαῖος λόγος, der aus sich selbst die seienden Dinge entstehen lassen will, erinnert an den platonischen Demiurgen, der nach Ti. 29e2.30a1 will, daß alles nach Möglichkeit ihm ähnlich und gut sei. Er erinnert aber auch an den δημιουργικὸς λόγος aus frg. 51 (Sodano) des porphyrianischen Timaeuskommentars, der alles aus sich selbst ins Sein führt, ohne der Materie zu bedürfen.¹⁶⁴ Ähnlich frg. 51 (Sodano) besitzt der Logos im Fragment bei Simplicius Eigenschaften des schöpferischen, göttlichen Intellekts, d. h. des zweiten Einen des Moderatus.¹⁶⁵ Als Intellekt zeigt er sich darin, daß seine Tätigkeit im Denken besteht und er der Inbegriff der Ideen ist.¹⁶⁶ Auch das Attribut ἑνιαῖος, das eine doppelte Bedeutung hat, weist auf Charakteristika des Intellekts hin. Zum einen weist es den Logos als seinem Wesen nach einheitlich und ungeteilt aus, was nach Porphyrius eine Eigenschaft des Intelligiblen oberhalb der Seele ist. Zum anderen beschreibt es die einende Funktion des Intellekts, der die Ideenvielfalt in sich umfaßt und eint.¹⁶⁷ Weil der Logos aus sich selbst die seienden Dinge entstehen lassen will, erzeugt er aus sich selbst, d. h. aus seiner Einheit, eine Vielheit, indem er durch Abstraktion aller rationalen Formen und Ideen in sich eine formlose und ungestaltete Leere denkt. Dem Wollen des Logos korrespondiert das Denken, wobei beides als Aspekte der einen ewigen Wirkung des Logos verstanden werden müssen. Bezeichnenderweise richtet sich der Wille des schöpferischen Logos nicht wie bei Platon, Ti.29ab auf das Gutsein des Kosmos, sondern auf νόθῳ μόλις ληπτήν‹ καὶ πᾶν τὸ τούτοις ἐμφερές. αὕτη δὲ ἡ ποσότης, φησί, καὶ τοῦτο τὸ εἶδος τὸ κατὰ στέρησιν τοῦ ἑνιαίου λόγου νοούμενον τοῦ πάντας τοὺς λόγους τῶν ὄντων ἐν ἑαυτῷ περιειληφότος παραδείγματά ἐστι τῆς τῶν σωμάτων ὕλης, ἣν καὶ αὐτὴν ποσὸν καὶ τοὺς Πυθαγορείους καὶ τὸν Πλάτωνα καλεῖν ἔλεγεν, οὐ τὸ ὡς εἶδος ποσόν, ἀλλὰ τὸ κατὰ στέρησιν καὶ παράλυσιν καὶ ἔκτασιν καὶ διασπασμὸν καὶ διὰ τὴν ἀπὸ τοῦ ὄντος παράλλαξιν, δι’ ἃ καὶ κακὸν δοκεῖ ἡ ὕλη ὡς τὸ ἀγαθὸν ἀποφεύγουσα. καὶ καταλαμβάνεται ὑπ’ αὐτοῦ καὶ ἐξελθεῖν τῶν ὅρων οὐ συγχωρεῖται, τῆς μὲν ἐκτάσεως τὸν τοῦ εἰδητικοῦ μεγέθους λόγον ἐπιδεχομένης καὶ τούτῳ ὁριζομένης, τοῦ δὲ διασπασμοῦ τῇ ἀριθμητικῇ διακρίσει εἰδοποιουμένου. [Einfügung in der Übersetzung von mir]. Übersetzung nach H. D / M. B 1996, 177–179 (überarbeitet). E. Z 1923, 130 Anm. 5 korrigiert Z. 9 (Diels) = Z. 16 (Smith) ἐχώρησε in ἐχώρισε, wofür aber nicht viel spricht (siehe H. D / M. B 1996, 481). ¹⁶⁴ Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 396,22–26 (Diehl) = frg. 51 (39,11–14 Sodano). ¹⁶⁵ H. D / M. B 1996, 480 f. identifizieren ihn mit dem dritten Einen, d. h. dem Seelischen, wegen der Bezeichnung λόγος sowie der Eigenschaft, die rationalen Formen und Ideen aller Dinge in sich zu umfassen. Für eine Identifikation mit dem zweiten Einen, d. h. dem Intellekt als Inbegriff der Ideen, sprechen sich aber z. B. aus E. R. D 1928, 137; P. H 1968, I 166; J. M. D 1977, 348; J. H 1993, 345 Anm. 18. ¹⁶⁶ Siehe Porphyrius bei Simplicius, in Ph. I 231,9 f.16–18 (Diels) = Porphyrius, frg. 236F (Z. 16–18.27 f.; 256 Smith) und dazu J. H 1993, 345 Anm. 18. ¹⁶⁷ Das Adjektiv ἑνιαῖος hat nach LSJ (567) zum einen die Bedeutung von ›beschäftigt mit Einheit‹ / ›einigend‹. Es hat außerdem die Bedeutung ›einzeln‹ / ›einheitlich‹ als Synonym zu ungeteilt, wie z. B. bei Proclus, in Prm. 564,3 f. (Stallbaum): οὐσία ἑνιαία καὶ ἀμέριστος; als ἀμέριστος οὐσία bezeichnet Porphyrius in sent. 5 (2,10–13 Lamberz) den Intellekt, während die Seele eine mittlere Wesenheit zwischen dem Intellekt und den ἔνυλα εἴδη, den περὶ τὰ σώματα μεριστά darstellt.

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den Akt des Erschaffens. Analog dazu sieht Porphyrius nicht die Güte, sondern das Wollen des Logos als die Ursache für den anschließend geschilderten Vorgang. Dieser Vorgang erinnert an die Methode der ἀφαίρεσις, mit der die Platoniker in Anknüpfung an Ti. 52b zu der Materie als leere aufnehmende Grundlage der Qualitäten und Formen gelangen. Die platonischen Charakteristika für das aufnehmende Prinzip des Timaeus bezieht Porphyrius folglich auf diese Vielheit. Die intelligible Vielheit, die durch die Selbstprivation des Logos entsteht, ist nach Porphyrius aber nicht die Materie der Körperwelt, sondern ein εἶδος, d. h. sie ist das Prinzip der Vielheit auf der Ebene der Ideen und Formen. Sie ist das in der Ideenwelt befindliche Nichtseiende¹⁶⁸ und damit einerseits die Voraussetzung für Vielheit auf der Ebene der Ideen, andererseits aber auch die Idee der Vielheit und Privation in der Körperwelt. In diesem Sinne bezeichnet Porphyrius sie als Vorbild der Materie der Körper. Die Vorstellung eines Prinzips der Vielheit auf der Ebene der Ideen, das als intelligible Materie Urbild der Materie der Körperwelt darstellt, ist aus Plotin geläufig.¹⁶⁹ Porphyrius stellt darüber hinausgehend dar, wie das Prinzip der Vielheit aus der Einheit entsteht, indem er zeigt, wie der Intellekt dieses Prinzip der Materie selbst hervorbringt. Damit liefert er den Schlüssel für die Vorstellung, wie der Intellekt mittelbar auch die Vielheit in der sichtbaren Körperwelt, d. h. die Materie erzeugen kann. Die Materie der Körper beschreibt Porphyrius als Vielheit im Sinne der Ausdehnung, Zerteilung und Zerstreuung. Sie ist weit vom intelligiblen Seienden und dessen Ursprung entfernt und daher ein Abbild bzw. ein Schatten der εἶδος-Vielheit, von der sie abstammt. Die niedere Vielheit erscheint als Übel, insofern sie die intelligiblen Wesenheiten, die sie erzeugen, zu sich herabzieht und dadurch ihre Ausrichtung auf ihren Ursprung verhindert.¹⁷⁰ Der Gedanke, daß diese niedere Vielheit vom Guten ergriffen (καταλαμβάνεται), begrenzt und geformt wird, erinnert nun an Porphyrius’ Schilderung des Abstiegs der intelligiblen Substanz in die Ausdehnung und Teilung in frg. 55 (Sodano). Hier ergreift (vgl. καταλαβεῖν) das intelligible Ganze die gesamte Materie und schafft so den Kosmos als einziges Abbild des intelligiblen Kosmos. Porphyrius faßt in seiner Schrift über die Materie die intelligiblen und formgebenden Instanzen unter der Bezeichnung des Guten (τὸ ἀγαθόν) auf eine ähnliche ¹⁶⁸ Siehe W. T 1968, 35 Anm. 12. ¹⁶⁹ Siehe Enn. II 4 (12) 3–5. Plotin argumentiert für die Existenz einer intelligiblen Mate-

rie mit der Vielfalt in der Ideenwelt, dem ein gemeinsames Substrat vorausgehen muß (4). Die intelligible Materie ist unbestimmt und ungestaltet (3,1–5). Plotin gelangt zu einer Vorstellung von ihr, indem er die Vielfalt der Formen, Begriffe und Gedanken im Intellekt fortnimmt und so zur ungestalteten und unbestimmten Materie der intelligiblen Vielfalt gelangt (4,18–20). Die irdische Materie ist ein Schattenbild (εἴδωλον) der intelligiblen Materie. ¹⁷⁰ Siehe Porphyrius, sent. 30 (20,17–21,5 Lamberz).

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

Weise zusammen, wie er sie in frg. 55 (Sodano) unter der Bezeichnung der intelligiblen Substanz (νοητὴ οὐσία) oder des intelligiblen Ganzen (νοητὸν πᾶν) als Einheit gesehen hat. In seiner Schrift über die Materie greift Porphyrius eine akademisch-neupythagoreische Interpretation Platons auf, um die Entstehung der Vielheit und der materiellen körperlichen Ausdehnung aus der unkörperlichen und ausdehnungslosen Einheit zu beschreiben und zu erklären, wie das Intelligible Ursache der Materie der Körper sein kann. Wie sich die unbegrenzte Vielheit auf der Ebene der Ideen zum obersten Einen verhält, das auch dem Demiurgen vorausliegt, geht aus dem knappen Text nicht hervor. Nach Porphyrius’ Interpretation von Phlb. 23c muß aber letztlich das oberste Eine selbst als Ursprung von Begrenzung und Unbegrenztheit gedacht werden.¹⁷¹ Wahrscheinlich denkt Porphyrius hier im Anschluß an neupythagoreische bzw. akademische Deutungen das erste Eine als Ursprung von Einheit und Vielheit auf den nachfolgenden Stufen, wobei sich auf der Ebene des Intellekts als dem Ersten Seienden Einheit und Vielheit zum ersten Mal gegenüber stehen.¹⁷² Aus dem Ausschnitt bei Simplicius geht auch nicht weiter hervor, wie genau aus der εἶδος-Vielheit die Materie der Körper entsteht. Die Verbindung des Fragments aus De materia mit frg. 55 (Sodano) des Timaeuskommentars verlockt aber zu der Annahme, daß die intelligible Vielheit auf der Ebene des Intellekts die Vervielfältigung und Unterscheidung der Ideen initiiert und sich mit ihnen immer weiter von der Einheit des göttlichen Intellekts entfernt. Auf jeder niederen Ebene des Intelligiblen realisiert sich das εἶδος der Vielheit auf eine andere Weise, bis es sich schließlich mit maximalem Abstand von seinem Ursprung in die schattenhafte Ausdehnung und Zertrennung verflüchtigt und so die Materie der Körper darstellt.¹⁷³ Porphyrius versteht die Materie als den ¹⁷¹ Siehe Porphyrius’ Deutung von Phlb. 23c verbunden mit Sph. 238a bei Proclus, in Ti. I 393,23–31 (Diehl) = frg. 51 (36,22–29 Sodano). ¹⁷² Zu neupythagoreischen Bestimmungen des Verhältnisses Einheit-Vielheit unterhalb des ersten Einen, deren Wurzeln in der Platondeutung der Alten Akademie liegen, sowie zu Bezügen zur Deutung des Parmenides durch Plotin (Enn. V 1 [10] 8) siehe J. H 1993, 339–373. ¹⁷³ Ein Vorbild für eine stufenweise Realisierung des Materieprinzips bietet bereits Speusipp (siehe J. H 1993, 360 f.). Aussagekräftig ist Proclus Auseinandersetzung um den Status der Materie mit Atticus und Plutarch (in Ti. I 383,22–387,5 [Diehl]). Er greift hier wie Porphyrius Phlb. 23c auf: Gott ist Ursache der Begrenzung und Unbegrenztheit. Die Materie ist die letzte / unterste Unbegrenztheit und ein Abbild der Unbegrenztheit auf der Ebene der Prinzipien. Die Materie ist primär vom Einen und der oberen Unbegrenztheit abhängig, sie wird dann aber von zweiten und dritten Ursachen bis hinunter zur Naturkraft erzeugt. Proclus beruft sich dann für seine Darstellung u. a. auf die Lehre der Chaldäischen Orakel (in Ti. I 388,19 f.). Der Kontext der Auseinandersetzung mit Atticus, die Auslegung von Phlb. 23c und der Verweis auf die chaldäischen Orakel, bei deren Kommentierung sich Porphyrius ausführlich zur Entstehung der Materie geäußert haben soll (Aeneas von Gaza, dial. 45,4–9 [Colonna] = Porphyrius, frg. 368F [439 f. Smith]), machen es wahrscheinlich,

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Schatten der εἶδος-Vielheit. Als der Schatten des Nichtseienden, das auf der Ebene des Intelligiblen existiert, ist die Materie für ihn daher das wahrhaft Nichtseiende. Erst durch die qualitativen Formen wie die Idee der Größe oder durch die Proportionen erhält die Materie Masse und körperliche Ausdehnung und bildet durch das Einwirken der Formen die sichtbaren Körper.¹⁷⁴ Insofern der Materie der Körperwelt ein in gewisser Weise intelligibles εἶδος vorausgeht, wird weiter verständlich, wie der Demiurg nach Porphyrius auf immaterielle, unausgedehnte und unkörperliche Weise das Materielle, Ausgedehnte und Körperliche erzeugen kann. Der intellekthafte Demiurg bringt die qualitativen Formen hervor, indem er sie denkt, und dabei entsteht auch das Prinzip der Vielheit, das die Form der Materie der Körperwelt darstellt. Hier liegt wahrscheinlich der Anknüpfungspunkt für die Vorstellung, die Proclus dann in einer Auseinandersetzung mit Porphyrius als zustimmungsfähig voraussetzt. Proclus ruft in der Auslegung von Ti. 29cd in Erinnerung, daß die Götter alles durch das Denken selbst erzeugen, und setzt dies gleich mit der Aussage, daß sie alles aus den ungeteilten, ewigen und unstofflichen Formen erzeugen.¹⁷⁵ Die Materie ist für Porphyrius dabei nicht überflüssig, sondern sie entsteht auf der untersten Stufe der Wirklichkeit als Schattenbild eines unstofflichen εἶδος.

4. Zusammenfassung und Systematisierung Das große Thema des Timaeus ist für Porphyrius die Frage nach der Natur und den Ursachen des Kosmos. Eine Beschäftigung mit diesem Thema setzt in seinen Augen eine bestimmte seelische Disposition voraus, weshalb er das Proömium des Dialogs als eine Allegorie auf die Herkunft und das Schicksal der Seelen deutet und den Lesern des Timaeus die Lektüre der Respublica Platons als Vorbereitung empfielt. Diejenigen, die Kosmologie treiben wollen, müssen ihre Seele der Wohlordnung des Kosmos angleichen und gelangen auf diese Weise zu einer Erkenntnis der Wahrheit. Die Ordnung der eigenen Seele durch die Lektüre der Respublica und die Angleichung an die Wohlordnung daß Proclus für seine Darstellung auf Porphyrius aufbaut, auch wenn der Abschnitt nicht eins zu eins für Porphyrius in Anspruch genommen werden kann. Siehe die Einsprüche von W. D 1997, 244 Anm. 13 gegen eine zu schnelle Aufnahme für Porphyrius z. B. durch A. J. F 1967a, 251 f. Anm. 4. ¹⁷⁴ Zur Charakterisierung der Materie siehe sent. 20 (10,12–11,16 Lamberz), wo Porphyrius auf Plotin, Enn. II 4 (12) 8.10–11; III 6 (26) 7 aufbaut. Daß Porphyrius seine Materielehre in der Kommentierung plotinischer Aussagen dargelegt hat, geht auch aus einem Zeugnis des Aeneas von Gaza hervor (Porphyrius, frg. 368F [439 f. Smith]). Demnach hat Porphyrius über die Abhängigkeit der Materie von einem höheren Prinzip im Kommentar zu den Logien der Chaldäer und im Kommentar zu Plotin, Enn. I 8 (51) gehandelt. Zu sent. 20 siehe den Kommentar von H. D / M. B 1996, 501–506; L. B 2005, II 514–546. ¹⁷⁵ Proclus, in Ti. I 352,8–10 (Diehl; Text in Anm. 139).

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des Kosmos in der Beschäftigung mit dem Timaeus sind für Porphyrius offensichtlich durch die Lektüre Platons angeleitete Schritte hin zur Vervollkommnung des Menschen, die letzlich zur Angleichung an Gott führen soll. In seiner Auseinandersetzung mit älteren Auslegern argumentiert Porphyrius besonders gegen kosmologische Positionen, die Plutarch und Atticus vertraten, weil er in ihrer Deutung des Timaeus die Ursachen und folglich auch die Natur des Kosmos falsch dargestellt sieht. Die Diskussion der erhaltenen Fragmente kreist dabei vor allem um die Lehre von der Anfangslosigkeit und Ewigkeit des Kosmos sowie um die angemessene Auffassung vom Wirken der göttlichen Ursache. Porphyrius lehnt es ab, daß der Kosmos aus einem Zustand vorkosmischer irrationaler Unordnung real entstanden sein soll, wie Plutarch und Atticus lehrten. Denn diese Lehre verstößt gegen die Ehre Gottes und des Kosmos, weil sie der Ordnung die Unordnung und der Vernunft die Unvernunft voranstellt und sie damit als ontologisch höherstehend behauptet. Die systematische Voraussetzung für Porphyrius’ Ablehnung eines Anfangs der Welt liegt in seiner Auffassung von der göttlichen Ursache. Denn die Annahme einer ewigen Ursache setzt in den Augen des Porphyrius die ewige Existenz des Verursachten voraus. Porphyrius greift hier das alte, auf Aristoteles zurückgehende Argument auf, daß ein Anfang der Welt eine Veränderung in der göttlichen Ursache impliziert, weil dann entweder das Vermögen oder der Wille Gottes zu schaffen vor der Entstehung der Welt als mangelhaft gedacht werden muß. Plutarchs und Atticus’ Annahme, daß das vorkosmische Chaos auf die ungeordneten Bewegungen einer irrationalen Seele an der Materie zurückgeht, verstößt außerdem gegen die platonische Lehre vom göttlichen Ursprung der Seele und damit gegen ein weiteres Kernstück der platonischen Philosophie. Vor diesem systematischen Hintergrund argumentiert Porphyrius exegetisch gegen Plutarch und Atticus und weist am Text des Timaeus nach, daß die Welt nach Platon anfangslos ewig zu denken ist. Für die Frage, in welchem Sinne Platon die Welt geworden nennt, baut er auf Begriffsbestimmungen des Calvenus Taurus auf. In seiner Diskussion hat er aber stärker als sein Vorgänger Plutarch und Atticus im Blick. Das zeigt sich daran, daß er in der Diskussion verschiedener Bedeutungen von γενητόν auch mehrere zeitliche Bedeutungen diskutiert und zeigt, daß sie mit der platonischen Argumentation in Ti. 28b nicht in widerspruchsfreie Übereinstimmung gebracht werden können. Ausführlich wendet er sich außerdem gegen die Analyse von Ti. 30a, mit der Plutarch und Atticus aus Platon die Existenz eines vorkosmischen Chaos ableiteten. In seiner Auseinandersetzung mit Plutarch und Atticus vermeidet Porphyrius Schlagworte der Timaeusexegese und bemüht sich, seine Gegner anhand des platonischen Textes gründlich zu widerlegen.¹⁷⁶ Das zeigt sich ¹⁷⁶ Das stellt als Charakteristikum der porphyrianischen Timaeusexegese zu Recht bereits M. B 1976, 161 f. heraus.

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auch daran, daß er darauf verzichtet, die umstrittene Stelle Ti. 27c4 f. wie seine Vorgänger textlich zu verändern. Porphyrius legt dar, daß Platon die Welt in Ti. 28b als geworden bezeichnet, insofern sie gedanklich aus Materie und Form zusammengesetzt ist. Materie und Form sind dabei analytische Konzepte, die niemals getrennt voneinander existieren. Auf analoge Weise stellt Platon in Ti. 30a die geschaffenen Elementarkörper dar, bevor sie zum Kosmos geordnet wurden. Platon schildert im Timaeus einen ewigen unzeitlichen Vorgang, um deutlich zu machen, daß der Kosmos nicht von selbst (ἐκ τοῦ αὐτομάτου) entstanden ist und aus sich selbst Vollkommenheit besitzt. Seine Darstellung einer Entstehung der Welt in mehreren Etappen dient dabei allein didaktischen Zwecken: sie soll anschaulich die Abhängigkeit des Kosmos von einer göttlichen Ursache sowie das Wirken und die Leistung der göttlichen Vorsehung im Kosmos sichtbar machen. Damit holt Porphyrius eines der zentralen Anliegen seiner Gegner ein, die argumentierten, daß nur eine real entstandene Welt der göttlichen Vorsehung unterworfen sein kann. Porphyrius zeigt in seinem Timaeuskommentar die Hinweise auf, mit denen Platon zu der Wahrheit hinter der oberflächlichen Darstellung der Welt als geworden hinführen will. Dabei unterstellt er Plutarch und Atticus implizit eine oberflächliche Lektüre des Timaeus, die nicht über allgemeine Alltagsvorstellungen hinausgeht. In seiner Argumentation gegen Plutarch und Atticus erneuert Porphyrius eine Timaeusauslegung der Alten Akademie, indem er den Kosmos als geworden im Sinne einer gedanklichen Zusammensetzung betrachtet. Zugleich reagiert er aber auf Einwände, die Aristoteles und später besonders Alexander von Aphrodisias gegen diese Erklärung vorbrachten. Denn er beruft sich für die gedankliche Zusammensetzung des Kosmos nicht auf das Beispiel geometrischer Konstruktionen, das seit Aristoteles scharf kritisiert wurde, sondern er beschreibt den Kosmos als Zusammensetzung von Materie und Form. Damit verwendet er jene analytischen Konzepte, die auch Aristoteles heranzieht, um die theoretische Entstehung eines Körpers zu beschreiben. Die Zurückhaltung des Porphyrius gegenüber Eingriffen in den Wortlaut des platonischen Textes kann ebenfalls als Reaktion auf einen aristotelischen Vorwurf gegen die platonische Deutung des Timaeus gewertet werden. Porphyrius wendet sich vehement gegen die Drei-Prinzipien-Lehre des Atticus, in der er die Wurzel dessen falscher Timaeusauslegung sieht. Vor allem argumentiert er gegen die Annahme einer ungewordenen, von Gott unabhängigen Materie. Der Prinzipiendualismus des Atticus verstößt gegen die Regeln der Dialektik und ist daher logisch unmöglich; er legt Gott und der Materie auf törichte Weise die gleiche Ehre bei; er macht die Entstehung des Kosmos logisch unmöglich bzw. läuft darauf hinaus, daß die Prinzipien und der Kosmos dem Zufall unterworfen wird. Ähnliche Argumente begegnen bei

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christlichen Autoren (z. B. Irenäus von Lyon, Theophilus von Antiochien, Origenes, Dionysius von Alexandrien und Basilius) aber auch bei einem Platoniker wie Alexander von Lycopolis. Obwohl die Argumente ihren Ursprung in der christlichen Polemik gegen einen Prinzipiendualismus zu haben scheinen, ist eine Abhängigkeit des Porphyrius von christlichen Autoren nicht nachweisbar. Die Ähnlichkeiten in der Argumentation müssen daher wohl darauf zurückgeführt werden, daß die verschiedenen Autoren eine ähnliche Fragestellung vor ähnlichen prinzipientheoretischen Voraussetzungen mit einem ähnlichen intellektuellen Instrumentarium bearbeiten. Gegenüber Atticus bestimmt Porphyrius den Begriff des Prinzips auf eine spezifisch neuplatonische Weise neu. Das höchste Prinzip ist nicht dadurch gekennzeichnet, daß es seinerseits keinen übergeordneten Ursprung hat, sondern dadurch, daß alles aus ihm stammt. Daher muß Gott auch als Ursprung der Materie angenommen werden. Daß allein dieser Begriff des Prinzips mit Platon übereinstimmt, demonstriert Porphyrius durch ein kleines Florileg von Zitaten, die auf verschiedene Weise jeweils einen einzigen Ursprung aller Dinge aussagen (R. 508b; Ep. 2 [312e]; Phlb.23c; Soph. 238a). Durch Phlb. 23c gelingt es Porphyrius, den Dualismus der Platoniker wie Plutarch, Atticus aber auch Numenius, die sich selbst in gewisser Weise auf diesen Platontext berufen konnten, nach neupythagoreischem Modell in eine Ein-Prinzipien-Lehre zu integrieren. Gegenüber Atticus legt Porphyrius ausführlich dar, wie die schöpferische Tätigkeit Gottes zu verstehen ist. Dabei bezieht er sich natürlich nicht auf einen einmaligen Schöpfungsakt, sondern beschreibt einen ewigen unzeitlichen Vorgang, der das Wesen des Kosmos und sein Verhältnis zur göttlichen Ursache konstituiert. Dies bringt Porphyrius auf den Punkt, wenn er im Anschluß an Plotin sagt, daß der göttliche Demiurg instantan in einem zeitlosen Moment wirkt. Die göttliche Ursache wirkt den Kosmos ewig durch ihr bloßes Sein, d. h. durch ihr Denken. Porphyrius setzt damit die Konstitution des Kosmos von natürlichen oder künstlerischen Entstehungen ab. Obwohl Porphyrius den Willen des Demiurgen im Anschluß an Ti. 29a in verschiedenen Zusammenhängen betont, meint er damit keinen Willensentschluß, da dieser einem ewigen Wirken widerspräche. Der Wille des Demiurgen wird bei Porphyrius zu einer Bezeichnung für das im Wesen des Demiurgen liegende Ursachesein gegenüber dem Kosmos. Wollen und Denken drücken beide die noetische Wirkkraft des schöpferischen Intellekts aus. Porphyrius betont, daß der Demiurg wie ein Vater wirkt, indem er den Kosmos im Denken aus sich selbst erzeugt, ohne einer von außen zukommenden Materie zu bedürfen. Konsequent vermeidet er den platonischen Titel des ποιητής oder das Verb ποιεῖν, weil diese eine Tätigkeit suggerieren, die eine Materie voraussetzt. Gott schafft nicht, sondern verleiht Existenz, stellt ins Sein bzw. wirkt. Die verschiedenen Aspekte des göttlichen Wirkens faßt Porphyrius

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in Vergleichen zusammen. Sie begegnen teilweise bei Plotin, der damit die Entstehung des Intellekts und der Seele aus dem Einen illustriert. Porphyrius wendet sie in der Auseinandersetzung mit Atticus auf das ewige Ursachenverhältnis Gottes zum Komsos an. Dieses gleicht dem Verhältnis einer Lichtquelle zum ausgestrahlten Licht oder der Entstehung des Schattens an einem Körper. Diese Bilder illustrieren die Eckpunkte des kosmologischen Modells des Neuplatonikers, das von christlichen Autoren heftig kritisiert wird. Die Überzeugung, daß der göttliche Demiurg die Welt durch sein bloßes Sein erzeugt, ohne der Materie als zweites Prinzip zu bedürfen, stellt Porphyrius ähnlich den christlichen Kosmologen vor das Problem, wie eine intelligible, ungeteilte und unkörperliche Größe Ursache der körperlichen, vielfältigen und räumlich ausgedehnten Welt sein kann. Seine Erklärung ist nur fragmentarisch überliefert; sie kann aber aus seiner Auseinandersetzung mit Atticus ausgehend von Ti. 30a, seinem Kommentar zu Ti. 31a3 f. sowie einem Fragment aus seiner Schrift über die Materie konstruiert werden. Porphyrius greift das Bild der Entstehung aus Samen auf, das ihm aus Plotin bekannt ist. Mit ihm illustriert er einerseits, wie die Vielfalt der Körperwelt aus der Einheit des Logos entstehen kann, weil sie durch die Vielheit der Logoi in der Einheit des Logos angelegt ist. Andererseits veranschaulicht er an ihm, wie die ausgedehnte Vielheit der Körperwelt aus masselosen Logoi erzeugt werden kann. In einem kühnen Schluß fordert er auf, zu akzeptieren, daß im Unterschied zum Logos im Samen der Demiurg als schöpferischer Logos das sichtbare All ohne von außen hinzutretende Materie erzeugen kann. Moderne Kommentare betonen zu dieser Stelle immer wieder die Nähe des Porphyrius zur christlichen Lehre der creatio ex nihilo. Tatsächlich berufen sich bereits antike christliche Autoren auf Porphyrius, um die Lehre zu verteidigen, daß Gott die Materie erschafft.¹⁷⁷ Porphyrius kann in seiner Auslegung von Ti. 30a auch so verstanden werden, daß der Demiurg die körperliche Welt aus sich schafft und damit die Materie als Prinzip von Körperlichkeit und Vielheit überhaupt überflüssig ist. Die Auslegung des Porphyrius wird daher gelegentlich als eine Quelle und Vorbild für das sogenannten ›idealistischen Konzept‹ von Materie bei Gregor von Nyssa gesehen.¹⁷⁸ Die porphyrianischen Zeugnisse ¹⁷⁷ W. T 1933/34, 14 und R. B 1953, 303 unterstreichen die Nähe zur christlichen Schöpfungslehre. B weist auf die Aussage des Proclus, in Ti. II 102,7–11 (Diehl; Text in Anm. 136) hin, die er auf Porphyrius zurückführt. Aeneas von Gaza beruft sich in seiner fiktiven Auseinandersetzung mit einem Platoniker um den Status der Materie u. a. auf Porphyrius (dial. 45,4–9 [Colonna]) = Porphyrius, frg. 368F (439 f. Smith): Οὐ γὰρ ἀγέννητος οὐδὲ ἄναρχος ἡ ὕλη· τοῦτό σε καὶ Χαλδαῖοι διδάσκουσι καὶ ὁ Πορφύριος. ἐπιγράφει δὲ καθόλου τὸ βιβλίον, ὃ εἰς μέσον προάγει, ›Τῶν Χαλδαίων τὰ λόγια‹, ἐν οἷς γεγονέναι τὴν ὕλην ἰσχυρίζεται, καὶ τὸ Πλωτίνου διανοίγων βιβλίον ›ὅθεν τὰ κακά‹ φησί που λέγων, ἀγέννητον δὴ εἶναι τὴν ὕλην καὶ τὸ {μὴ} ἐν ἀρχαῖς τιθέναι ὡς ἄθεον δόγμα παραιτητέον. ¹⁷⁸ R. S 1988, 55 sieht Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 396,5–24 (Diehl) = Porphyrius, frg. 51 (38,30–39,14 Sodano) als Quelle und Vorbild für Gregors Konzept. Siehe dazu Kapitel B III 2.1.1.c.

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A. Platonische Kosmologie als Auslegung des Timaeus

belegen aber, daß Porphyrius durchaus an einer geschaffenen Materie als Prinzip der Körperlichkeit und Vielheit festhält. So beschreibt er in einem Kommentar zu Ti. 31a3 f. die Entstehung der sichtbaren Welt als Abstieg der Gesamtheit aller intelligiblen Formen in die Ausdehnung und Körperlichkeit, bei dem sich die intelligible Substanz genau soviel Materie erzeugt, wie sie ergreifen kann. Der Kosmos entsteht als ein Abbild des intelligiblen Kosmos an einer in genauer Entsprechung zum Paradigma geschaffenen Materie. In seiner Schrift über die Materie knüpft Porphyrius an die Lehre des Neupythagoreers Moderatus an und erklärt, wie der Logos Ursache der Materie der Körperwelt ist. Dabei beschreibt er die Materie als unterste Vielheit und schattenhaftes Abbild der intelligiblen εἶδος-Vielheit, die der göttliche Intellekt in sich selbst erzeugt. Der Unterschied zwischen dem Logos des Samens und dem Demiurgen besteht also darin, daß zu dem Samen die Materie als Prinzip der Differenzierung und Ausdehnung von außen hinzutritt, während der schöpferische Logos dieses Prinzip in sich selbst erzeugt. Das kosmologische Konzept des Porphyrius kann folgendermaßen zusammengefaßt werden: Der Demiurg bringt die sichtbare Welt durch sein Sein hervor, das Denken ist. Dabei erzeugt er einerseits die Formen und Logoi, d. h. die Qualitäten; andererseits erzeugt er aus seiner Einheit durch ein Denken, das Privation ist, eine Form der Quantität, die das Prinzip der Vervielfältigung und Ausdehnung ist und auf der untersten Ebene die Materie als Grundlage der qualitativen Formen darstellt. Proclus kann daher in der Auseinandersetzung mit Porphyrius als zustimmungsfähig voraussetzen, daß die Götter alles durch Denken hervorbringen, d. h. alles aus den ungeteilten, ewigen und unstofflichen Formen erzeugen.¹⁷⁹ Denn die Materie ist nach Porphyrius die Form (εἶδος) der Vielheit, die sich von dem einenden Intellekt entfernt hat, der ihr Ursprung ist. Porphyrius hält gleichwohl an der Existenz einer Materie fest, die der Bildung der Körper zugrunde liegt, obwohl er sie nur als ein verflüchtigtes, schattenhaftes Abbild des Nichtseins der intelligiblen Vielheit denkt. Seine Konzeption des Körpers als die Zusammensetzung aus Form und Materie setzt eine Materie voraus. Außerdem muß es nach Porphyrius auf allen Ebenen unterhalb des ersten Einen neben dem Prinzip der Einheit auch ein Prinzip der Vielheit geben. Letztlich erfordert sein am Timaeus orientiertes Verständnis, nach dem der Kosmos das sichtbare Abbild eines intelligiblen Paradigmas ist, die Annahme einer Materie, in die hinein abgebildet wird. Die platonische Ontologie, die hier zum Ausdruck kommt, setzt die Materie als Prinzip der Körperlichkeit voraus, auch wenn es in eine Ein-Prinzipien-Lehre integriert werden kann. ¹⁷⁹ Proclus, in Ti. I 352,8–10 (Diehl; Text in Anm. 139).

B. Christliche Kosmologie als Auslegung von Gen 1 f.

I. Origenes 1. Quellen und Zeugnisse zu Origenes’ Auslegung des Schöpfungsberichtes Gen 1 f. 1.1. Übersicht über das erhaltene Material Origenes hat den Schöpfungsbericht Gen 1 f. fortlaufend in Homilien sowie im Rahmen seines umfangreichen Genesiskommentars ausgelegt. Sowohl die Homilien als auch die Kommentare des Origenes entstanden vor dem Hintergrund des schulischen bzw. gemeindlichen Unterrichts, der sich am Vorbild antiker, vor allem platonischer Philosophenschulen orientierte.¹ Die Homilien sind wahrscheinlich in der Kirche gehaltene, improvisierte Lehrvorträge, die mitgeschrieben und veröffentlicht wurden.² Die Kommentare schrieb Origenes zum Teil im Auftrag seines Förderers Ambrosius, nach Auskunft des Pamphilus »in Ruhe und Zurückgezogenheit«.³ In ihnen finden sich zwar keine Bezüge auf anwesende Hörer, dennoch schwingt in ihnen der Unterricht mit, den Origenes im Kreis fortgeschrittener Schüler gehalten hat.⁴ Dieser Unterricht zielte nach aufeinander aufbauenden Unterweisungen in Dialektik, Physik,

¹ Siehe C. S 2002, 262. Auf die Gemeinsamkeiten der Auslegungsmethoden und Auslegungsthemen in den Homilien und Kommentaren weist É. J 1995, 51–53 hin. S betont, daß zwischen schulisch-belehrenden und gottesdienstlichen Veranstaltungen bzw. innerschulischen Lehrvorträgen und allgemeiner Verkündigung kein scharfer Gegensatz gesehen werden darf (2002, 275; 1996c, 262; 1996b, 28). Wichtigste Quelle für die Kenntnis des Lehrbetriebs des Origenes ist die »Dankrede an Origenes« des Gregor Thaumaturgus über den Unterricht in Caesarea (zur Diskussion um die Zuschreibung der Rede an Gregor siehe R. K in FC 24, 45–63; außerdem M. R 2005). S 2002 bietet Literatur zur Dankrede (263 Anm. 6) und stellt knapp den Unterrichtsaufbau vor (263–271). P. N 1977, 186–188.434 dagegen meint, daß das Unterrichtsprogramm, das Gregor Thaumaturgus beschreibt, nur für diesen einen Schüler aufgestellt wurde und Origenes weder in Alexandria noch in Caesarea öffentlich unterrichtet habe. Siehe dagegen R.   B 1995; S 1996b; C. M 2007, 72–74. 93–107. ² Siehe C. S 1996c, 255 f.; É. J 1995, 51 mit Hinweis auf Pamphilus in der lateinischen Übersetzung des Rufin, apol. Orig. 9 (Z. 6–8; 44 Amacker / Junod). ³ Siehe É. J 1995, 51.53 f. mit Hinweis auf Pamphilus, apol. Orig. 20 (Z. 4; 58 Amacker / Junod). ⁴ Siehe dazu É. J 1995, 53 f.; R.   B 1995, 46 f.

I. Origenes

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Ethik und Theologie auf die Exegese der biblischen Schriften.⁵ Ein Indiz für den schulischen Hintergrund des Genesiskommentars bietet eine Notiz in Cels. 6,49, die zeigt, daß Origenes den Text u. a. in der Form von quaestiones et responsiones ausgelegt hat.⁶ In diesem Schema, das häufig in Unterrichtsliteratur begegnet, spiegelt sich möglicherweise das Unterrichtsgespräch wider.⁷ Die Homilien zur Genesis, von denen sich die erste mit dem Schöpfungsbericht befaßt, sind in der lateinischen Übersetzung Rufins erhalten.⁸ Der große Genesiskommentar, den Origenes Anfang der 230er Jahre in Alexandria und Caesarea verfaßte und in dem er in 12 oder 13 Büchern Gen 1–5,1 auslegte, ist leider bis auf wenige Fragmente verloren.⁹ Origenes verweist aber in De Principiis und Contra Celsum mehrmals auf die Auslegung des Schöpfungsberichtes im Genesiskommentar und gibt so einen Eindruck von einigen Fragen, die er im Kommentar behandelt hat. Hervorzuheben sind princ. 2,3,6 (123,5–18; Auslegung von Gen 1,1), Cels. 4,37 (307,20–308,7; Auslegung der Erschaffung bzw. Formung des Menschen), 6,49 (120,18–27; Themen der Auslegung von Gen 1,1–8), 6,51 (122,13–17; Auslegung von Gen 1,1 im Unterschied zu 5,1), 6,60 (130,26–131,8; Aufzählung der Schöpfungswerke, die im Kommentar behandelt wurden). Die Passagen aus De Principiis sind von besonderer Bedeutung, da Origenes diese Schrift in Alexandria ungefähr zur gleichen Zeit wie die ersten Bücher des Genesiskommentars begonnen hat.¹⁰ Einige Fragmente der Genesiskommentierung des Origenes sind durch andere Autoren und in Katenen überliefert. Ronald E. Heine und Karin Metz⁵ Siehe C. S 2002, 264–267. Scholten vermutet, daß die exegetischen Werke ihren Ort in dieser letzten Phase des Unterrichts haben. Origenes verweist auf seinen Genesiskommentar als in τόμοι gegliederte ἐξηγητικά (Cels. 4,37 [308,7 Koetschau]). Für weitere Belege und zur Einordnung dieses Titels siehe S 1996c, 267–269. ⁶ Cels. 6,49 (120,18–27 Koetschau). ⁷ Zum Schema der quaestiones et responsiones als Merkmal von Unterrichtsgespräch und Unterrichtsliteratur siehe C. S 1996c, 257 mit Anm. 9 (Quellenbelege und Literatur). ⁸ Hom. in Gen. 1 (24–75 Doutreleau). Origenes hat die Genesishomilien in den 240er Jahren in Caesarea gehalten. Zur Datierung siehe H.  L / L. D, SC 7bis, 13. M. S 2004 erwägt, daß die in der Übersetzung Rufins vorliegende Predigtsammlung eine Zusammenstellung verschiedener Predigtzyklen sei und die erste Homilie aus mehreren Predigten zu Gen 1 zusammengefügt wurde. Zur ersten Homilie siehe auch den Überblick von E. P 1999. Rufin wird als ein im Allgemeinen inhaltlich zuverlässiger Übersetzer beurteilt. Siehe zusammenfassend G. D 2005, 818 sowie den Vergleich des griechischen Textes und der Übersetzung Rufins zu hom. in Jos. 20,1–2 von A. J, SC 71, 68– 82. ⁹ Nach Hieronymus, ep. 33,4 (40,11–15 Labourt) umfaßte der Genesiskommentar 13 Bücher. Eusebius von Caesarea, h. e. 6,24,2 (572,1 Schwartz) berichtet dagegen von 12 Büchern. Zum Umfang und zur Datierung des Kommentars siehe R. E. H 2005, 122. Origenes berichtet in Cels. 6,49 (120,20–22 Koetschau), in seinem Kommentar Gen 1,1–5,1 behandelt zu haben. Die Katenenfragmente, die über Gen 5,1 hinausgehen, stammen vermutlich aus den Scholien zum Buch Genesis (siehe dazu K. M 2005b, 146). ¹⁰ Zur Abfassung des Genesiskommentars parallel zur Arbeit an De Principiis und am Johanneskommentar siehe R. E. H 2005, 122 f.; . 2003, 63 f.

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B. Christliche Kosmologie als Auslegung von Gen 1 f.

ler haben in jüngster Zeit das erhaltene Material gesichtet und zusammengestellt.¹¹ Heine versucht, anhand von Texten, die mit dem Genesiskommentar des Origenes in Verbindung gebracht werden können, Themen und – wenn möglich – Umfang und Gedankengang der einzelnen Bücher des Kommentars zu rekonstruieren. Metzler, die eine Edition der Fragmente des Genesiskommentars vorbereitet, unterscheidet stärker zwischen Testimonien und Fragmenten. Innerhalb der Fragmente unterscheidet sie solche, die zuverlässig Origenes zugeordnet werden können, von Dubia und Spuria. Bei den Testimonien trennt sie zwischen denen, »die eindeutig oder mit großer Sicherheit den Inhalt des Genesiskommentars bezeugen«, und solchen, »die allgemein ein Zeugnis für die Genesiskommentierung des Origenes abgeben«.¹² Für die Lokalisierung der Fragmente, bei denen das Buch des Kommentars nicht mitüberliefert ist, wertet sie die sogenannte Oktateuchkatene des Prokop von Gaza aus.¹³ Unter den von Karin Metzler¹⁴ zusammengestellten Fragmenten des Genesiskommentars beziehen sich mehrere Texte auf die Auslegung des ersten Schöpfungsberichtes: Eusebius von Caesarea bietet in Marcell. 1,4 (22,8–18 Klostermann / Hansen) ein Zitat, das anhand der lateinischen Übersetzung des Rufin in der Apologie des Pamphilus und Eusebius dem ersten Buch des Genesiskommentars zugeordnet werden kann (apol. Orig. 47 f.; 106–108 Amacker / Junod). Eusebius überliefert außerdem einen Kommentar zu Gen 1,2a, den Karin Metzler in Analogie zur Oktateuchkatene des Prokop von Gaza dem Kommentarprolog zuweist (p. e. 7,20; 402,6–403,18 Mras)¹⁵, sowie ¹¹ Siehe R. E. H 2005, 122–142 sowie K. M 2005b, 143–148. Beide Arbeiten bauen auf der Übersicht der Fragmente und der Literatur auf, die in CPG 1410 vorliegt (CPG I, 141–144; CPG Suppl., 23 f.) und ergänzen sie. ¹² K. M 2005b, 143. ¹³ K. M 2005b, 147. Die dabei vorausgesetzte Annahme, daß Prokop nicht nur Argumente, sondern auch die Anlage des Kommentars von Origenes übernommen habe (a. a. O., 147), wird angesichts des spärlichen Materials aus dem Kommentar des Origenes wohl hypothetisch bleiben müssen. ¹⁴ Ich danke K M, daß sie mir freigiebig immer wieder Einblick in ihre entstehende Edition der Fragmente der Genesiskommentierung des Origenes gewährt hat. ¹⁵ Die Zuweisung der Kommentierung des Origenes zu Gen 1,2a bei Eusebius Caes., p. e. 7,19 f. an den Genesiskommentar ergibt sich nicht aus der Einleitung des Eusebius. Denn hier heißt es Ταῦτα μὲν οὖν καὶ ἀπὸ τῶν Διονυσίου. καὶ τῶν Ὠριγένους δὲ ἄκουε· (402,6 Mras). Eusebius gibt den Genesiskommentar als Quelle explizit an in h. e. 3,1,1–3 (188,11 f. Schwartz): ταῦτα Ὠριγένει κατὰ λέξιν ἐν τρίτῳ τόμῳ τῶν εἰς τὴν Γένεσιν ἐξηγητικῶν εἴρηται. In p. e. 6,11 (344,4–360,13 Mras) dagegen fehlt der Verweis auf den Genesiskommentar. Er läßt sich aber aus philoc. 23,1–11.14–21 (130,1–166,22;174,1–204,28 Junod) nachtragen. Die fehlende Quellenangabe in p. e. 7,19 schließt also nicht aus, daß Eusebius das folgende Zitat dem Genesiskommentar entnommen hat. Daß zu Marcell. 1,4 (22,8–18 Klostermann / Hansen) der Quellennachweis fehlt und erst durch die Apologie des Pamphilus zu rekonstruieren ist, könnte daran liegen, daß Eusebius Origenes hier nicht direkt, sondern vermittelt durch Marcell von Ancyra zitiert.

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eine Auslegung zu Gen 1,14 (p. e. 6,11; 344,4–360,13 Mras), die eine Nebenüberlieferung zu philoc. 23 darstellt. In seiner Kirchengeschichte bietet Eusebius eine Passage des Kommentars zu Gen 1,14–18 (h. e. 3,1,1–3; 188,1–11 Schwartz). Johannes Philoponus schreibt in De opificio mundi Origenes eine Auslegung von Gen 1,9 zu (opif. 4,4; 166,6–18 Reichardt), deren Herkunft aus dem Genesiskommentar des Origenes Ronald E. Heine für wahrscheinlich hält.¹⁶ In der Philocalia von Werken des Origenes sind zwei umfangreiche Fragmente des Kommentars zu Gen 1,14 und Gen 1,16–18 erhalten (philoc. 23,1–11.14–21; 130,1–166,22; 174,1–204,28 Junod; philoc. 14; 406,1–412,40 Harl). Mehrere Fragmente sind in Katenen unter dem Namen des Origenes überliefert:¹⁷ Coll. Coisl. frg. 48 zu Gen 1,11; Cat. in Gen. frg. 100 zu Gen 1,14 (Nebenüberlieferung zu philoc. 23); Cat. in Gen. frg. 119 zu Gen 1,22; Coll. Coisl. frg. 73 und Cat. in Gen. frg. 173 zu Gen 1,28–30; Cat. in Gen. frg. 191 und frg. 193 zu Gen 2,4. Dem von Ronald E. Heine und Karin Metzler zusammengestellten Material kann ein Abschnitt aus dem Timaeuskommentar des Calcidius hinzugefügt werden.¹⁸ Hier findet sich in den Abschnitten 276–278 im Zusammenhang einer »doxographischen diairesis über die Materie«¹⁹ ein Referat der Position der ›Hebräer‹, die nichts anderes als eine Auslegung von Gen 1,1 f. ist. Seit Fabricius wird dieser Abschnitt mehr oder weniger pauschal auf den Genesiskommentar des Origenes zurückgeführt.²⁰ In jüngerer Zeit hat Pier Franco Beatrice die Zuordnung zum Genesiskommentar in Frage gestellt.²¹ Gleichwohl geht auch er davon aus, daß hier eine Auslegung des Origenes zu greifen ist. Der Abschnitt aus dem Timaeuskommentar des Calcidius wird weder von Ronald E. Heine noch von Karin Metzler erwähnt und ist bislang auch kaum für eine Untersuchung der Genesisauslegung des Origenes fruchtbar gemacht worden. Angesichts der wenigen Fragmente und Zeugnisse zur Genesisauslegung des Origenes lohnt es sich aber, diesen Text genauer zu betrachten. Dabei wird sich zeigen, daß dieser Abschnitt zwar nicht zwingend auf den Genesis-

¹⁶ R. E. H 2005, 44 Anm. 23. ¹⁷ R. D 1970, 26–32 nimmt an, daß alle Katenenfragmente aus den Scholien /

Semeioseis stammen. R. E. H 2005, 130 Anm. 26 argumentiert dagegen aufbauend auf Untersuchungen von É. J, P. N und B. N, daß die Fragmente zu Gen 1–4 mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem Kommentar gewonnen sind. ¹⁸ Zur Datierung des Kommentars siehe Kapitel A III 4.1 Anm. 105. ¹⁹ P. F. B 1999, 77. ²⁰ Siehe B. W. S 1902, 45 Anm. 3 mit Hinweis auf die Ausgabe von Fabricius; J. H. W, Timaeus a Calcidio translatus, cvi und 280 Anm. 1. Ihnen folgen z. B. J. C. M.  W 1959, 53–66; P. N 1973, 89 Anm. 80; M. A 1988, 76.79. D. T. R 1993, 289 hält die Zuschreibung von in Ti. 276–278 an den Genesiskommentar für »virtually certain«. ²¹ P. F. B 1999.

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kommentar zurückgeführt werden kann, diese Zuordnung aber eine hohe Wahrscheinlichkeit beanspruchen kann. Für die vorliegende Arbeit ist die für eine Edition wichtige Unterscheidung zwischen Texten, die eindeutig dem Genesiskommentar zugeordnet werden können, und solchen, die eine Auslegung des Origenes zu einzelnen Versen oder Stichworten des Bibeltextes bieten, von untergeordneter Bedeutung. Denn sie zielt ja darauf zu untersuchen, wie Origenes in der Auslegung von Gen 1 f. eine christliche Kosmologie entwirft. Sie ist daher nicht auf den Genesiskommentar beschränkt, sondern zieht auch die Homilie sowie Erläuterungen zu einzelnen Versen des Schöpfungsberichtes heran, die Origenes in anderen Schriften gibt.²² Die Genesisauslegung des Origenes ist nachweislich vom geistigen Milieu Alexandriens geprägt. Neben dem Einfluß durch Philo und Clemens von Alexandrien läßt sich auch die Auseinandersetzung mit gnostischen Auslegungen greifen. Ronald E. Heine vermutet, daß sich von daher der Umfang des Genesiskommentars sowie bestimmte Auslegungsthemen erklären lassen.²³ Auch einzelne Auslegungsmotive, wie beispielsweise die anthropologische Deutung von Himmel bzw. Firmament in Gen 1,1.6, tragen möglicherweise Spuren der Auseinandersetzung mit gnostischen Interpretationen.²⁴ Vor diesem Hintergrund ist es besonders zu bedauern, daß vom Genesiskommentar des Origenes so wenig erhalten ist. Die Auseinandersetzung mit gnostischen Interpretationen des Schöpfungsberichtes kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht als ein eigenes Thema behandelt werden. Daß sie Origenes beschäftigt hat, wie Ronald E. Heine und Holger Strutwolf²⁵ nahelegen, läßt vermuten, daß die naturphilosophische Auslegung des Origenes sowie die Aufnahme von Argumenten aus naturphilosophischen Debatten auch eine Pointe besitzen, die sich gegen gnostische Kosmologien richtet. Diese Pointe herauszuarbeiten, wäre Gegenstand einer eigenen Untersuchung.

²² Z. B. zu Gen 1 insgesamt: princ. 3,5,1 (271,12–18 Koetschau); zu Gen 1,1: pascha 1,8 (168,10–32 Guéraud / Nautin); zu Gen 1,6: hom. in Num. 26,5 (251,27–252,6 Baehrens [Auslegung von terra in Num 32,28 f.]); hom. in Ps. 36 2,4 (Z. 19–34; 106–108 Prinzivalli [Auslegung von terra in Ps 36(37),9]); hom. in Ps. 36 5,4 (Z. 34–54; 236–238 Prinzivalli [Auslegung von terra in Ps 36(37),34]). ²³ R. E. H 2003, 65–67 zeigt, daß die Begrenzung des Kommentars auf Gen 1–4 Parallelen in gnostischen Auslegungen bzw. relectures (Johannes-Apocryphon; Excerpta Theodotii) hat. Die Agenda von Fragen, die Origenes nach Cels. 6,49 in seiner Auslegung behandelte, findet sich ähnlich im Testimonium Veritatis und liegt auch der relecture der Genesis des Johannes-Apocryphon sowie der Genesisinterpretation des Ptolemaeus zugrunde (a. a. O., 68–72). ²⁴ Siehe A. P 1995, 37–52. ²⁵ H. S 1993 zeigt in seiner Untersuchung über De Principiis, daß Origenes seine Schöpfungslehre, Christologie und Eschatologie in Auseinandersetzung mit der valentinianischen Gnosis entwickelt hat (für eine Zusammenfassung der Ergebnisse siehe a. a. O., 356–366).

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1.2. Das Hebräerreferat bei Calcidius, in Ti. 276–278 1.2.1. Analyse²⁶ Die Abschnitte 276–278 bilden innerhalb des Materietraktats des Calcidius eine zusammenhängende Einheit.²⁷ Das Referat über die ›Hebräer‹, welche die Materie für geschaffen halten, beginnt mit einer Wiedergabe der Lesarten von Gen 1,1 f. nach der Septuaginta, nach Aquila und Symmachus. Für eine vierte Lesart zitiert Calcidius Origenes, der sich durch Hebräer von der ursprünglichen Lesart habe überzeugen lassen.²⁸ Calcidius teilt mit, daß die verschiedenen Lesarten auf die eine Aussage hinauslaufen, daß die Materie als geschaffen anzunehmen sei.²⁹ Er referiert dann die Auslegung der einzelnen Stichworte von Gen 1,1–2a. Dabei bietet er in Abschnitt 276 die Interpretation von initium und in 277 f. die Auslegung von caelum et terram sowie die Deutung der Attribute der Erde nach den verschiedenen Lesarten. Das Referat setzt in 278 (283,11 Waszink) neu ein mit einem argumentativen Beweis für die Geschaffenheit der Materie,³⁰ dem ein zusammenfassender Hinweis auf weitere Beweise folgt.³¹ Calcidius leitet sein Referat an zwei Stellen in einer Weise ein, die anzeigt, daß ein Zitat bzw. eine Zusammenfassung der Vorlage folgt. Er beginnt in 276 (280,13 f.), die Auslegung der einzelnen Worte wiederzugeben, mit der Formulierung sermonesque ipsos sic interpretantur und setzt 278 (283,11 f.) neu ein mit den Worten factam vero et ita factam, ut sit quae non fuerit, sic probant. Die Auslegung von initium steht zunächst in oratio obliqua (280,14–16) und fällt dann (ab 281,5) in oratio recta, die Calcidius nicht mehr – wie in ²⁶ Welche Quellen Calcidius in seinem Kommentar verarbeitet, ist nach wie vor umstritten. Für einen knappen Forschungsüberblick siehe S. G 1986, 421–434; P. F. B 1999, 75–77. Unklar ist, wie eigenständig Calcidius das doxographische Material für seinen Kommentar zusammengestellt hat bzw. in welchem Maße er es aus dem Timaeuskommentar des Porphyrius übernommen hat. Bei der Analyse der Abschnitte 276–278 unterscheide ich der Einfachheit halber Calcidius und seine (origenianische) Vorlage, ohne darüber zu spekulieren, ob Calcidius Origenes direkt oder bereits vermittelt vorliegen hatte. ²⁷ Nach der allgemeinen Einleitung in Ti. 275 (279,8 f. Waszink: Qua ratione factum ut, cum nullus eam veterum dubitet esse, utrum tamen facta an contra infecta sit disceptetur …; 279,15 f.: Quorum breviter perstringentur opiniones.) folgt in 276–278 das Referat der Hebräer, welche die Materie für geschaffen halten (in Ti. 276 [280,1]: Hebraei silvam generatam esse censent.), woran sich ab 278 die Positionen derer anschließen, welche die Materie für ungeschaffen halten (vgl. in Ti. 279 [283,17 f.]: Restat nunc, ut eorum quoque qui generatam esse corpoream silvam negant sententias exequamur; …). ²⁸ In Ti. 276 (280,9–12 Waszink). ²⁹ In Ti. 276 (280,12–14 Waszink): Omnia tamen haec in unum aiunt concurrere, ut et generata sit ea quae subiecta est universo corpori silva sermonesque ipsos sic interpretantur: … ³⁰ In Ti. 278 (283,11 f. Waszink): … factam vero et ita factam, ut sit quae non fuerit, sic probant, … ³¹ In Ti. 278 (283,15 f. Waszink): Multasque alias probationes afferunt, quas singillatim persequi longum est.

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Abschnitt 276 – durch kommentierende Bemerkungen begleitet. Der abrupte Übergang von oratio obliqua in oratio recta ist typisch für doxographische Literatur, »wobei zu vermuten ist, daß die ›oratio recta‹ ein mehr oder weniger wörtliches Zitat aus der Vorlage präsentiert.«³² Sprachlich unterscheiden sich die Abschnitte 277 f. von 276. Während Calcidius in 276³³ seine Position als Referent deutlich macht, indem er die Charakterisierung des Mose als göttlich inspiriert distanziert als Meinung der Hebräer kennzeichnet (ut ferunt), nennt Abschnitt 278 den Autor des Bibeltextes schlicht Prophet.³⁴ Und während Calcidius in Abschnitt 276 distanziert vom »Buch mit dem Namen Über die Entstehung der Welt« spricht, wird in den Abschnitten 277 f. auf den Bibeltext als scriptura verwiesen.³⁵ Dafür, daß Calcidius in den Abschnitten 277 f. dem Material seiner Vorlage weitgehend folgt, spricht außerdem, daß nicht mehr zusammenfassende oder einleitende Bemerkungen des Calcidius die Gliederung des Referats bestimmen, sondern die Gliederung in der referierten Argumentation bereits enthalten ist. Damit wandelt sich der Charakter der Darlegung. Sie referiert nicht mehr die Auslegung des Bibelverses, sondern legt selbst aus.³⁶ Die Abschnitte 277–278 des Kommentars enthalten aber auch Hinweise darauf, daß die Intention der Vorlage und die Aussageabsicht, mit der Calcidius die Auslegung referiert, nicht identisch sind. Das geht aus der Erklärung zu initium hervor.³⁷ Ihr Skopos besteht darin, die Bedeutung von initium im Sinne eines zeitlichen Anfangs abzuwehren und initium durch die Verknüpfung mit Spr 8,22–25 als göttliche Weisheit und Prinzip des Alls zu interpretieren, das als erstes vor allem anderen geschaffen wurde. Nur implizit folgt aus dieser Aussage, daß auch die Materie zu den geschaffenen Dingen gehört und nicht als Prinzip zugrunde liegt. Die Auslegung hat einen Schwerpunkt darin, das Verhältnis zwischen Gott und der göttlichen Weisheit als Ursprung des Alls zu erörtern und schließt mit einer Aussage über die Großartigkeit der göttlichen Natur ab. Jacobus C. van Winden vermutet, daß Calcidius hier seine Vorlage nur unvollkommen wiedergegeben hat und möchte das Argument ³² W. A. L 1996, 3. ³³ In Ti. 276 (280,1–5 Waszink): Hebraei silvam generatam esse censent. Quorum sapien-

tissimus Moyses non humana facundia sed divina, ut ferunt, inspiratione vegetatus in eo libro qui ›De genitura mundi‹ censetur ab exordio sic est profatus iuxta interpretationem septuaginta prudentium: ›Initio deus fecit caelum et terram, terra autem erat invisibilis et incompta‹, … ³⁴ In Ti. 277 (282,12 Waszink). ³⁵ In Ti. 277 (281,16; 282,5 Waszink); 278 (283,9). ³⁶ So schließt der Abschnitt zu initium mit den Worten Et de initio quidem sic habendum (281,15 Waszink). Abschnitt 277 beginnt mit der Bemerkung Quod autem caelum quamve terram Scriptura loquatur, intellegendum. (281,16 f.) und schließt mit dem Ergebnis Aliud ergo verum caelum et aliud quiddam esse soliditatem Scriptura testatur eodemque modo aliud terram et item aliud siccam. (282,4–6). Abschnitt 278 setzt neu ein mit der Frage Quod ergo illud caelum prius quam cetera deus condidit quamve terram? (282,7 f.). ³⁷ In Ti. 277 (280,14–281,15 Waszink).

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nach Tertullian, adv. Hermog. 18,1 f. (34,8–35,13 Waszink) ergänzen, der aus Spr 8,22 den Schluß zieht, daß alles außerhalb Gottes und somit auch die Materie geschaffen ist.³⁸ Da diese Pointe im Sinne des Calcidius wäre, ist jedoch nicht anzunehmen, daß er sie übergangen hat. Calcidius referiert die Auslegung zu initium, weil sie Teil seiner Vorlage ist, und bietet in seiner einleitenden Bemerkung in Abschnitt 276 (280,12–14) die Perspektive, unter der er diese Auslegung liest. Die referierte Auslegung von caelum et terram weist über das Referat des Calcidius hinaus. Abschnitt 277 (282,2–6) lehnt das wörtliche Verständnis von Himmel und Erde aus Gen 1,1 ab und favorisiert eine übertragene Deutung: Gen 1,1 rede von einem anderen Himmel und einer anderen Erde, »die älter sind, die eher mit der Vernunft als mit den Sinnen zu erfassen sind.«³⁹ Die in Abschnitt 278 ausführlich referierte Deutung von Himmel und Erde aus Gen 1,1 als intelligibler Natur sowie Substanz der Körper greift diese Bestimmung aber nicht auf, ja widerspricht ihr sogar. Denn die Materie wird nach dem in 278 mehrfach anklingenden platonischen Verständnis zwar nicht mit den Sinnen, aber auch nicht mit der Vernunft, sondern mit einem bastardartigen Denken erfaßt.⁴⁰ Die von Calcidius in Abschnitt 278 ausführlich wiedergegebene Deutung behandelt auch nicht das Verhältnis von Himmel und Erde (Gen 1,1) und Firmament und Trockenem (Gen 1,6.8–10), das in Abschnitt 277 angesprochen wird. Es ist daher zu vermuten, daß Abschnitt 277 eine Deutung von caelum et terram vorbereitet, die im Referat des Calcidius fehlt. Calcidius könnte diese Deutung ausgelassen haben, weil sie von seinem Thema – der Geschaffenheit der Materie – wegführt. Dafür spricht, daß der Übergang von der Erläuterung von caelum et terram zum anschließenden ›Beweis‹, daß die Materie geschaffen wurde, abrupt und holprig ist. Es fehlt ein Abschlußsatz, der analog 278 (281,15) die Identifikation von ›Himmel‹ und ›Erde‹ zusammenfaßt. Daß Calcidius den ›Beweis‹ für die Geschaffenheit der Materie neu einleitet (283,11), läßt vermuten, daß dieser sich in der Vorlage nicht unmittelbar an die von Calcidius zuletzt referierte Identifikation von Himmel und Erde anschloß, sondern Calcidius hier seine Vorlage bearbeitet hat. Schwierig zu entscheiden ist, ob der opinor-Satz 287 (283,8–11) dem Calcidius oder der Vorlage zuzuschreiben ist. Die Bemerkung in der 1. Person schließt den Abschnitt zur Identität von Himmel und Erde nach Gen 1,1 f. ab: »Wenn aber von Gott eine körperliche, einstmals ungestaltete Materie geschaf³⁸ J. C. M.  W 1959, 57 f. ³⁹ Calcidius, in Ti. 277 (282,2–4 Waszink): … ut sit evidens neque hoc caelum cognitum

nobis neque hanc in qua sumus terram ab exordio facta, sed alia esse antiquiora, intellectu potius quam sensibus haurienda. ⁴⁰ Siehe Platon, Ti. 52b2, aufgenommen z. B. von Numenius, frg. 52 (Z. 121–127 Des Places) sowie von Alkinoos, Intr. 8 (162,31 f. Hermann / Whittaker).

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fen wurde, welche die Schrift Erde nennt, so ist meines Erachtens nicht zu bezweifeln (non est, opinor, desperandum), daß es auch eine intelligible Materie von unkörperlicher Art gibt, die mit dem Namen des Himmels bezeichnet wird.«⁴¹ Für eine Identifikation des Sprechers mit Calcidius spricht, daß dieser sich auch an anderen Stellen des Kommentars in der ersten Person zu Wort meldet: zum Beispiel im Thalesreferat in 280 (284,15), am Ende des Empedoklesreferats in 282 (285,17), oder auch in 240 (252,20). Allerdings zeigt das Thalesreferat auch, daß Calcidius in dieser Form eine Position seiner Vorlage wiedergeben kann: Die Überlegung, die zu Thales geäußert wird, stammt aus Aristoteles, Metaph. 1,3 (983b18–33), den Calcidius als Vorlage für das Thalesreferat benutzt hat.⁴² Es ist also durchaus möglich, daß Calcidius in Abschnitt 287 (283,8–11) die Position seiner Vorlage, nämlich Origenes, in der ersten Person vorträgt. Für eine Zuweisung an die (origenianische) Vorlage spricht, daß dieser Satz ein notwendiger Bestandteil des Gedankengangs der Auslegung ist. Da der Text von Gen 1,1 f. in den Attributen der Erde lediglich die Identifikation von Erde und Materie belegt, muß die Identität von Himmel und intelligibler Natur auf Grundlage der weiter oben (282,11–15) formulierten These nachgetragen werden. Auch die Sprache des Abschnitts spricht dafür, ihn der Vorlage zuzuweisen. Denn betrachtet man die distanzierte Weise, wie Calcidius in Abschnitt 276 Mose als Autor der Genesis einführt, ist es unwahrscheinlich, daß er selbst den Ausdruck scriptura ohne weitere Erläuterung benutzt hat. Das Hebräerreferat bei Calcidius, in Ti. 276–278 weist somit verschiedene Merkmale eines doxographischen Textes auf: Calcidius stellt die referierte Position in einen neuen Kontext, er folgt weitgehend dem Aufbau der Vorlage, aber läßt Textteile aus und schafft neue Übergänge. Dadurch ordnet er das Material der Vorlage seiner Aussageintention unter. 1.2.2. Der origenianische Charakter des Abschnitts Viele Beobachtungen sprechen dafür, daß nicht nur die namentlich mit Origenes verbundene Lesart des Bibeltextes in Abschnitt 276 (280,9), sondern die von Calcidius in in Ti. 276–278 benutzte Vorlage insgesamt auf Origenes zurückgeht. Calcidius gibt in Abschnitt 276 Übersetzungen von Lesarten des Bibeltextes, die sich in der Hexapla bzw. Tetrapla des Origenes finden.⁴³ Zwar ⁴¹ Calcidius, in Ti. 278 (283,8–11 Waszink): Quod si facta est a deo silva corporea quondam informis, quam Scriptura terram vocat, non est, opinor, desperandum incorporei quoque generis fore intellegibilem silvam, quae caeli nomine sit nuncupata; … ⁴² Siehe dazu J. C. M.  W 1959, 72. ⁴³ Zu den offenen Fragen, die bezogen auf das textkritische Werk des Origenes bestehen, siehe A. S 1998. Eine knappe Darstellung der Fragmente und Zeugnisse zur Hexapla bzw. Tetrapla bietet P. N 1977, 303–333.

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fehlt die Version des Theodotion, aber das liegt wahrscheinlich daran, daß sie mit der Fassung nach Aquila nahezu identisch ist, so daß Calcidius oder bereits Origenes die Liste straffen konnte.⁴⁴ Für das dritte und vierte Jahrhundert ist neben dem Hexapla-Exemplar in der Bibliothek von Caesarea kein weiteres Exemplar der origenianischen Hexapla sicher belegt.⁴⁵ Selbst für Hieronymus ist unklar, in welchem Umfang er Exzerpte des textkritischen Werkes des Origenes besaß und in welchem Maße die Auflistung von Textvarianten in seinen Werken eher auf die direkte Benutzung von Kommentaren des Origenes zurückgehen.⁴⁶ Eine hexaplarische Liste in Verbindung mit einer namentlich auf Origenes zurückgeführten jüdischen Sonderlesart⁴⁷ wie in Abschnitt 276 des Timaeuskommentars weist daher auf Origenes bzw. seine Schüler. Von den durch Origenes direkt beeinflußten Autoren hat lediglich Didymus der Blinde einen Genesiskommentar verfaßt. Seine Kommentierung von Gen 1,1 f. enthält jedoch keine Untersuchung von Übersetzungsvarianten und geht nicht in Form von Einzelwortauslegungen vor, so daß sie als Vorlage für das Hebräerreferat bei Calcidius nicht in Frage kommt. Die vorhandenen inhaltlichen Berührungen seines Kommentars zu der von Calcidius referierten Auslegung belegen aber indirekt den origenianischen Charakter der Abschnitte bei Calcidius.⁴⁸ ⁴⁴ Eine Gegenüberstellung des Hexaplatextes nach der Edition von Field und der Übersetzung des Calcidius findet sich bei J. C. M.  W 1959, 53 f. ⁴⁵ Zur Verbreitung der Hexapla siehe P. N 1977, 354–358 (unter Rückgriff auf G. M 1941) sowie R. D 1954, 122–126. D 1954, 117 faßt die Verbreitung der origenianischen Hexapla zusammen: »Mais l’instrument de travail …, la Bible en colonnes, ne se prêtait guère à une large diffusion; elle resta à Caesarée.« ⁴⁶ Zu Hieronymus’ Verweisen auf die Hexapla und seine Benutzung der exegetischen Werke des Origenes siehe P. N 1977, 326–332. N betont die Abhängigkeit des Hieronymus von den exegetischen Werken des Origenes und verneint, daß Hieronymus die Hexapla in Caesarea wirklich selbst benutzt hat. Etwas vorsichtiger formuliert J. M. D 1998, 421: »As for Jerome’s relationship to the Hexapla, and the way in which he accessed his information, the situation is unclear.« ⁴⁷ Den Ursprung dieser jüdischen Variante versucht J. C. M.  W 1981 zu klären. Der Kommentar zu dieser Lesart, den Calcidius in 276 (280,9–11 Waszink) referiert, hat Parallelen in Äußerungen, mit denen Origenes in verschiedenen Kommentarwerken die Suche nach Varianten des Bibeltextes rechtfertigt (siehe dazu P. N 1977, 347–353). ⁴⁸ Origenes ist die wichtigste Quelle des Genesiskommentars des Didymus von Alexandrien (siehe P. N, SC 233, 22–24). Auch in den Fragmenten der Genesisauslegung des Eusebius von Emesa finden sich hexaplarische Lesarten; allerdings lehnt Eusebius übertragene Auslegungen kategorisch ab (siehe R. B.  H R 1997, 131–142). Eusebius von Emesa studierte u. a. bei Eusebius von Caesarea und kannte durch ihn die philologische Arbeit des Origenes. Er hatte aber auch einen eigenen Zugang zur syrischen Bibel und zu jüdischen exegetischen Traditionen ( H R 1997, 140 f.). Hexaplarische Lesarten finden sich außerdem in den Hexaemeronauslegungen des Basilius von Caesarea (z. B. Aquila zu Gen 1,1 in hex. 1,6 [12,3 f. Amand de Mendieta / Rudberg]; Hinweis auf eine Textüberlieferung, die nicht mit dem Hebräischen übereinstimmt in hex. 4,5 [64,14–19]) und des Gregor von Nyssa (Aquila zu Gen 1,1 in hex. 8 [14,32 f. Forbes]; Symmachus, Theodotion und Aquila zu Gen 1,2 in hex. 17 [28,1–4]). Beide setzen sich mit der Auslegung des Origenes ausein-

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Die von Calcidius in den Abschnitten 277–278 referierte Auslegung von Gen 1,1 f. hat zahlreiche Parallelen und Berührungen in den erhaltenen und bezeugten Werken des Origenes. Die Kommentierung zu initium/ ἀρχή findet sich ähnlich zum Beispiel in hom. in Gen. 1,1 sowie der parallel zum Genesiskommentar begonnenen Auslegung von Joh 1,1 im Johanneskommentar. Hier führt Origenes ähnliche Bibelstellen als Erläuterung verschiedener Bedeutungen an, unter denen – wie in Calcidius, in Ti. 277 – Spr 8,22 eine herausragende Stellung einnimmt.⁴⁹ Die Angaben in Cels. 6,49 belegen, daß Origenes die Bedeutung von ἀρχή in Gen 1,1 auch im Genesiskommentar erörtert hat. Das Verhältnis zwischen Gott und der geschaffenen Weisheit erörtert Origenes in De Principiis an verschiedenen Stellen.⁵⁰ Diese Diskussion war einem bei Eusebius überlieferten Fragment zufolge wahrscheinlich auch Gegenstand des Genesiskommentars.⁵¹ ander und kannten wohl seinen Genesiskommentar, legen Gen 1,1 f. aber anders aus. Auch Johannes Philoponus verwendet hexaplarische Lesarten von Gen 1,2 (opif. 2,5 [68,9–12 Reichardt]) bzw. weist auf verschiedene Lesarten einzelner Bibelverse hin und nennt in diesem Zusammenhang die Ansicht des Origenes, die nahelegt, daß Johannes Philoponus die Lesart nicht direkt aus der Hexapla entnommen hat (opif. 4,4 [166,6 f.]). Möglich ist, daß er den Genesiskommentar des Origenes direkt benutzt hat, auch wenn sich dies nicht beweisen läßt (siehe C. S 1996a, 92–98). Bemerkenswert ist, daß Calcidius, Gregor von Nyssa und Johannes Philoponus unterschiedliche hexaplarische Lesarten von Gen 1,2 anführen. Geht man davon aus, daß alle drei trotz ihrer verschiedenen Interpretationen für die Lesarten direkt oder indirekt Origenes als Quelle haben, muß man mit Veränderungen in der origenianischen Vorlage im Laufe der Überlieferung rechnen oder andere Einflüsse hinzunehmen. Siehe M. A 1976, 180: »Calcidius, Grégoire, Jean Philopon représentent sans doute chacun une adaptation différente d’un même passage d’Origène«. Zu der Frage des Einflusses der origenianischen Hexapla auf das antiochenische Milieu des 4. und 5. Jahrhunderts und besonders Theodoret siehe J.-N. G 1995, 225, der in Theodoret »un témoignage indirect et en partie de seconde main« sieht. ⁴⁹ Siehe Origenes, hom. in Gen. 1,1 (Z. 1–12.41–44; 24–26 Doutreleau); Jo. 1,16,90– 1,19,118 (20,1–24,22 Preuschen). Ein Origenes zugeschriebenes Katenenfragment legt ἀρχή in Joh 1,1 durch Gen 1,1 und Spr 8,22 aus: frg. in Jo. 1 (483,1–485,21 Preuschen). ⁵⁰ Siehe z. B. princ. 1,2,2 (29,3–30,2 Koetschau); 1,4,4 (67,8–15). Die Formulierung neque enim fuerit tempus ullum, quo deus fuerit sine sapientia (Calcidius, in Ti. 276 [281,12 Waszink]) findet sich bezogen auf den Logos Gottes sehr ähnlich bei Origenes, Jo. 2,19,130 (76,11 f. Preuschen): ἀλλὰ λόγος μὲν »ἐν ἀρχῇ« οὐκ ἐγένετο· οὐκ ἦν γάρ, ὅτε ἡ ἀρχὴ ἄλογος ἦν, … Bezogen auf den Sohn Gottes meint Origenes in princ. 4,4,1, daß man nicht sagen könne, ut fuerit aliquando quando non fuerit (349,6 Koetschau). Im selben sachlichen Zusammenhang nennt er nach Auskunft des Athanasius den Sohn in Anlehnung an Spr 8,22 zwar ein Geschöpf, lehnt es aber ab, daß er zu den zeitlich begrenzten Geschöpfen gehöre. Denn daß er Bild des Vaters sei, bedeute seine Ewigkeit: ὅτι καὶ ὁμοιότης τυγχάνων τοῦ πατρὸς οὐκ ἔστιν ὅτε οὐκ ἦν (Athanasius, decr. 27,2 [AW II 23,24 f. Opitz]; von P. K dem Kontext von princ. 4,4,1 zugeordnet [349,15–350,3]). Zu diesen Texten und ihrer Einordnung siehe H. G. T 1999, 112 f. ⁵¹ Eusebius Caes., Marcell. 1,4 (22,8–18 Klostermann / Hansen) bietet ein Zitat aus dem Kommentar, in dem dargelegt wird, daß die Ewigkeit des Vaters die Ewigkeit des Sohnes fordert. Möglicherweise spricht Origenes im Rahmen dieses Gedankengangs auch von der Ewigkeit der Weisheit, die er ja als eine der ἐπίνοιαι des Sohnes sieht (siehe z. B. princ. 1,2,2

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Die Erläuterungen zu Gen 1,1 caelum et terram haben Parallelen oder Berührungen bei Origenes in De Principiis, in der ersten Genesishomilie sowie im Johanneskommentar.⁵² Die Angaben in Cels. 6,49 und vor allem princ. 2,3,6 bestätigen vergleichbare Erörterungen auch für den Genesiskommentar. Interessanterweise ist die Deutung, auf die das Referat bei Calcidius, in Ti. 277 f. hinausläuft – nämlich Himmel und Erde als incorporea natura bzw. silva corporea aufzufassen –, in anderen Schriften nicht die einzige Deutung, die Origenes für von Gen 1,1 zustimmend referiert. Das ist ein weiteres Indiz dafür, daß Calcidius seine origenianische Vorlage gekürzt hat, und daß die Wahl des Ausschnitts durch den Ort des Hebräerreferats innerhalb des Traktats über die Materie im Timaeuskommentar bestimmt ist. Am Ende des Referats klingt die Vorstellung an, daß Gott eine Materie geschaffen habe, die zum Bau der Welt genau ausreiche.⁵³ Diese Vorstellung entfaltet Origenes ausführlich in einem bei Eusebius überlieferten Fragment des Genesiskommentars.⁵⁴ Die methodische Gesamtanlage der Auslegung, die Calcidius referiert, entspricht den wissenschaftlichen Kommentartechniken, die Origenes in seinen Bibelkommentaren anwendet: Origenes gliedert den Bibeltext in Lemmata, präsentiert verschiedene griechische Lesarten, stellt Überlegungen zum zugrunde liegenden hebräischen Text an und erläutert den Bibelvers Wort für Wort.⁵⁵ Die Auslegung von Gen 1,1 f. bei Calcidius folgt im Aufbau dem Schema von quaestiones und responsiones.⁵⁶ Origenes selbst bezeugt, daß dieses Schema auch seinem Genesiskommentar zugrunde lag.⁵⁷ Bei Calcidius begegnet in Abschnitt 277 innerhalb der Auslegung von Himmel und Erde nach Gen 1,1 die Unterscheidung zwischen denen, »die zufrieden sind mit einer [28,13–30,8 Koetschau]; 1,4,4 [66,15–67,15]). K. M 2005b, 147 ordnet das Fragment der Auslegung von Gen 1,1 oder in Analogie zur sogenannten Oktateuchkatene des Prokop dem Prolog zum ersten Buch zu. ⁵² Princ. 2,3,6 (123,11–18 Koetschau) mit Hinweis auf den Genesiskommentar; 2,9,1 (165,13–16); vgl. 3,6,8 (289,27–290,13); 4,4,6 (357,6–10); vgl. hom. in Gen. 1,2 (28–30 Doutreleau); Jo. 2,4,36 (58,2–9 Preuschen). ⁵³ Calcidius, in Ti. 278 (283,14 f. Waszink): ipse igitur silvestres impensas mundi fabricae sufficientes utilesque constituit. ⁵⁴ Origenes bei Eusebius Caes., p. e. 7,20 (402,6–403,18 Mras). ⁵⁵ Zu Origenes’ Methode der Bibelauslegung, die an der philologischen Kommentartechnik der antiken Dichter- und Philosophenkommentare orientiert ist, siehe grundlegend B. N 1987; knapp C. M 2000b. Daß in Rufins lateinischen Übersetzungen der Bibelkommentare nur wenige Verweise auf hexaplarische Lesarten begegnen, liegt daran, daß Rufin Origenes’ textkritische Bemerkungen oft weggelassen hat. In den griechisch erhaltenen Kommentarteilen finden sich dagegen häufig Hinweise auf hexaplarische Lesarten. Siehe C. B 1985, 231–238. Bei der Auslegung von Gen 2,4 zieht Origenes ebenfalls die von Aquila gebotene Lesart heran (Cat. in Gen. frg. 191 [133 Petit]). ⁵⁶ Siehe Anm. 36. ⁵⁷ Origenes, Cels. 6,49 (120,18–27 Koetschau). Zu diesem Schema siehe R. E. H 2003, 64.68 sowie vor allem L. P 1995, 151–164.

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ungeordneten Vorstellung«, und denen, »die tiefer für sich forschen«⁵⁸. Diese zwei Auslegertypen begegnen auch in den Überlegungen, die Origenes in einem Prolog dem Genesiskommentar voranstellt.⁵⁹ Auch die Methode von Abschnitt 278, die unterschiedlichen Lesarten des Bibeltextes (hier die verschiedenen Prädikate der Erde nach Gen 1,2) inhaltlich auszuwerten als Hinweis auf die verborgene Bedeutung des Bibelverses, weist auf Origenes.⁶⁰ Betrachtet man die inhaltlichen und methodischen Berührungen zwischen der Auslegung des Hebräerreferats des Calcidius und der Auslegung von Gen 1,1 f., welche die erhaltenen Werke des Origenes und darunter vor allem die Testimonien und Fragmente seines Genesiskommentars bezeugen, so ist es sehr wahrscheinlich, daß das Referat des Calcidius insgesamt in Inhalt und Gedankengang auf Origenes zurückgeht, auch wenn der Wortlaut nicht in jedem Fall für Origenes verbürgt werden kann. Zugleich wird deutlich, daß das Referat bei Calcidius die Auslegung des Origenes unter einer bestimmten Perspektive, nämlich der Frage nach dem Status der Materie, zusammenfaßt. Dabei verkürzt es Origenes’ Auslegung von Gen 1,1 f., indem es sie auf die Interpretation der Erde als ungeordnete und unbestimmte, von Gott geschaffene Substanz der Körper zuspitzt und die Interpretation von Gen 1,1 f. insgesamt auf die Frage nach dem Status der Materie festlegt. Calcidius überliefert in seinem Timaeuskommentar in den Abschnitten 276–278 bearbeitete Ausschnitte der Kommentierung des Origenes, die aber in ihrer Präsentation die Auslegungsintention des Origenes nicht mehr uneingeschränkt wiedergeben. 1.2.3. Auf welche Schrift des Origenes geht das Referat bei Calcidius zurück? In jüngerer Zeit hat Pier Franco Beatrice die Zuweisung des CalcidiusAbschnittes an den Genesiskommentar des Origenes in Frage gestellt.⁶¹ Seine Untersuchung beabsichtigt, ausgehend von in Ti. 276–278 und den acht weiteren Hebräerreferaten bei Calcidius eine Quelle des Timaeuskommentars insgesamt zu erhellen. Er sieht den gemeinsamen Skopos der Genesisauslegung innerhalb des Materietraktats des Calcidius sowie der übrigen Hebräerstellen darin, heidnische philosophische Lehren und biblische Lehre zueinander ins Verhältnis zu setzen. Während in den anderen acht Hebräerpassagen Texte aus dem Alten Testament der Lehre der griechischen Philosophen an die Seite ⁵⁸ In Ti. 277 (281,17–19 Waszink). ⁵⁹ Bei Pamphilus, apol. Orig. 5.7 (40–42 Amacker / Junod). ⁶⁰ A. K 1993, 9 hat zutreffend beobachtet, daß Origenes in seinen Kommentaren

»normally uses the various versions and variants not to work ›backwards‹ towards the text, but to work ›forwards‹ towards the sense« (siehe auch a. a. O., 28 Anm. 79). Origenes nutzt sogar Varianten, die auf Schreiberfehler zurückgehen, wenn daraus der tiefer liegende Sinn des Textes deutlich wird (siehe R. P. C. H 1959, 175). Zu Origenes’ Beurteilung von Übersetzungsvarianten siehe auch B. N 1987, 117–121. ⁶¹ P. F. B 1999, 75–90.

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gestellt werden, »um die substanzielle Harmonie zwischen Bibel und Philosophie zu zeigen«, werde im Hebräerreferat in Ti. 276–278 »die Philosophie der Hebräer der Lehre aller anderen heidnischen Philosophen entgegengestellt«⁶². Dieses apologetische Verfahren berühre sich eng mit dem, was Hieronymus zum Charakter der origenianischen Stromateis mitteilt.⁶³ Deshalb führt Beatrice alle Hebräerpassagen des Timaeuskommentars auf dieses verlorene Werk des Origenes zurück.⁶⁴ Pier Franco Beatrices literarische Zuweisung ist problematisch.⁶⁵ Erstens beantwortet sie die Quellenfrage ausgehend vom Gedankengang des Referats in seiner jetzigen Gestalt sowie der Stellung des Referats in seinem jetzigen Kontext, ohne genauer zu untersuchen, wie das Hebräerreferat in in Ti. 276– 278 gearbeitet ist. Damit bleibt unbeachtet, daß Calcidius die Auslegung des Origenes bearbeitet und dem Kontext des Materietraktats angepaßt hat. Die referierte Genesisauslegung selbst enthält keinen sicheren Hinweis darauf, daß ihr Skopos darin besteht, die Grundlage für eine explizite Verhältnisbestimmung von philosophischer und biblischer Lehre zu legen. Im Banne der traditionellen Quellenforschung geht Pier Franco Beatrice zweitens davon aus, daß alle Hebräerreferate des Calcidius auf eine einzige Quelle zurückgehen. Eine vergleichbare Großtheorie formuliert Jan den Boeft, der alle Hebräerpassagen auf den Genesiskommentar des Origenes zurückführt, was sich ebenfalls nicht zwingend beweisen läßt.⁶⁶ David T. Runias Analyse zeigt dagegen, daß die einzelnen Hebräerreferate unterschiedlichen Charakter haben.⁶⁷ Es ist daher methodisch ratsam, die Frage nach der Herkunft von in Ti. 276–278 unabhängig von den anderen Hebräerreferaten zu stellen. Die genannten Anknüpfungspunkte und inhaltlichen Berührungen mit Zeugnissen und Fragmenten des Genesiskommentars lassen dann vermuten, daß die referierte Auslegung auf den Genesiskommentar des Origenes zurückgeht. Da Calcidius seine Quelle nicht nennt, läßt sich diese Vermutung freilich nicht zwingend beweisen, solange nicht weiteres, sicher zuweisbares Textmaterial gefunden wird. ⁶² P. F. B 1999, 82. ⁶³ P. F. B 1999, 85 mit Hinweis auf Hieronymus, adv. Pelag. prol. 1 (3 Moreschi-

ni); adv. Rufin. 1,18 (17 f. Lardet). ⁶⁴ P. F. B 1999, 84–86. ⁶⁵ P. F. B hält die Stromateis des Origenes außerdem für eine der Quellen, denen Calcidius die Philosophenreferate verdankt. Er versucht, diese Annahme durch weitergehende Vermutungen zur Timaeuskommentierung des Origenes zu untermauern (1999, 86–88). Sie müssen ebenso wie seine Überlegungen zum Inhalt der verlorenen Stromateis angesichts der Überlieferungslage hypothetisch bleiben. ⁶⁶ J.  B 1970, 135 f. ⁶⁷ D. T. R 1993, 281–290 zeigt, daß in Ti. 219 stark philonisch geprägt ist, aber durch alexandrinische Christen vermittelt wurde, während in Ti. 256 inhaltlich von Philo und auch Origenes weiter entfernt ist. Vermutlich stammen die ›Hebräerzitate‹ nicht aus einer einzigen Quelle.

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2. Auslegung von Gen 2,2.4: Das Sechs-Tage-Schema des Schöpfungsberichtes Im Rahmen seiner Auslegung von Gen 2,2.4⁶⁸ referiert Origenes die Position einiger Ausleger, die sich dagegen verwahren, den Bericht von der sukzessiven Erschaffung der Welt innerhalb von sechs Tagen wörtlich zu verstehen: Einige aber halten es für absurd anzunehmen, daß Gott nach Art eines Hausbauers, der mehrere Tage zur Vollendung des Gebäudes braucht, den Kosmos in mehreren Tagen vollendet haben soll, und sie meinen deshalb, daß alle Dinge auf einmal entstanden sind, und von diesem Ausgangspunkt her etablieren sie folgende Lehre: Sie meinen, daß der Ordnung wegen die Aufzählung der Tage und der Dinge, die an ihnen entstehen, berichtet wird. Wahrscheinlich haben sie zu diesem Zweck den Ausspruch gebraucht, von dem man annehmen kann, daß er diese Position unterstützt: »Er sprach und es wurde hervorgebracht; er befahl und es wurde geschaffen«.⁶⁹

Origenes verweist hier anonym auf Philo.⁷⁰ Dieser stellt in seiner Auslegung des Schöpfungsberichtes fest, daß der Kosmos nach dem Bericht des Mose in sechs Tagen geschaffen wurde, nicht weil der Schöpfer ein Maß an Zeit brauchte, sondern weil die Dinge, die entstanden, einer Ordnung bedurften. Gott hat alles auf einmal geschaffen; der Bericht des Mose stellt aber die Schöpfungswerke getrennt und nacheinander dar, um ihre hierarchische Ordnung aufzuzeigen.⁷¹

⁶⁸ Einige Handschriften der Katene beziehen diese Auslegung auf Gen 2,2 (siehe F. P ad loc.). Anspielungen des Origenes auf diese Auslegung (comm. in Mt. 14,9 [297,24–289,3 Klostermann]; Cels. 6,50 [121,30–122,5 Koetschau]) verknüpfen sie jedoch mit Gen 2,4. Die Auslegung bezieht sich inhaltlich auf beide Verse. ⁶⁹ Origenes, Cat. in Gen. frg. 193 (134 Petit): Ἤδη δέ τινες ἄτοπον εἶναι νομίζοντες τὸ ὑπολαμβάνειν τὸν θεόν, δίκην οἰκοδόμου μὴ διαρκέσαντος χωρὶς ἡμερῶν πλειόνων πληρῶσαι τὴν οἰκοδομήν, ἐν πλείοσιν ἡμέραις τετελεκέναι τὸν κόσμον, φασὶν ὑφ’ ἓν πάντα γεγονέναι καὶ ἐντεῦθεν τοῦτο κατασκευάζουσιν, ἕνεκεν δὲ τάξεως οἴονται τὸν κατάλογον τῶν ἡμερῶν εἰρῆσθαι καὶ τῶν ἐν αὐταῖς γινομένων. Πιθανῶς δ’ ἂν πρὸς τοῦτο κατασκευάζειν νομιζομένῳ χρήσαιντο ῥητῷ τῷ »Αὐτὸς εἶπε καὶ ἐγενήθησαν, αὐτὸς ἐνετείλατο καὶ ἐκτίσθησαν«. Zur Bedeutung von κατασκευάζειν im Zusammenhang einer Argumentation oder in der Logik siehe LSJ κατασκευάζω (7) und (8). ⁷⁰ Die Referenz im Plural kann auch auf eine einzelne Quelle verweisen (D. T. R 1993, 161 Anm. 23). Zum Verhältnis des Origenes zu Philo siehe a. a. O., 157–183 (161 zum Fragment zu Gen 2,2.4); A.   H 2000 (61 zum Fragment zu Gen 2,2.4). ⁷¹ Philo, Opif. 3,13 (4,1–4 Cohn): Ἓξ δὲ ἡμέραις δημιουργηθῆναί φησι τὸν κόσμον, οὐκ ἐπειδὴ προσεδεῖτο χρόνων μήκους ὁ ποιῶν – ἅμα γὰρ πάντα δρᾶν εἰκὸς θεόν, οὐ προστάττοντα μόνον ἀλλὰ καὶ διανοούμενον –, ἀλλ’ ἐπειδὴ τοῖς γινομένοις ἔδει τάξεως. Siehe dazu D. T. R 2001, 125 f.; . 1986, 416–420. Vgl. Philo, Opif. 7,28 (8,17 f.): καὶ γὰρ εἰ πάνθ’ ἅμα ὁ ποιῶν ἐποίει, τάξιν οὐδὲν ἧττον εἶχε τὰ καλῶς γινόμενα· καλὸν γὰρ οὐδὲν ἐν ἀταξίᾳ. Einen etwas anderen Akzent setzt Philo in Opif. 22,67 (22,9–11): Τότε μὲν οὖν ἅμα πάντα συνίστατο. συνισταμένων δ’ ὁμοῦ πάντων, ἡ τάξις ἀναγκαίως λόγῳ ὑπεγράφετο διὰ τὴν ἐσομένην αὖθις ἐξ ἀλλήλων γένεσιν.

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Annewies van den Hoek entnimmt dem Katenenfragment, daß Origenes Philo zwar zitiert, seine Ansicht aber nicht teilt.⁷² Der kurze Katenenabschnitt bietet aber keine Anhaltspunkte dafür, daß Origenes auf diese Interpretation Philos verweist, um sie abzulehnen.⁷³ Daß er Philo nicht namentlich erwähnt, ist kein Indiz, denn er verweist sehr unterschiedlich auf Philo und nennt nur in Ausnahmefällen seinen Namen.⁷⁴ Origenes präsentiert Philos Auslegung, indem er sie ausbaut und erläutert. Den negativen Vergleich des Schöpfers mit einem Hausbauer verwendet nicht Philo, sondern Origenes zum Beispiel in seinem Kommentar zu Gen 1,2.⁷⁵ Indem Origenes diesen Vergleich in das Referat Philos einbaut, eignet er sich einerseits dessen Position an und setzt andererseits einen eigenen Akzent, insofern er die Schöpfertätigkeit Gottes noch deutlicher als Philo von der Tätigkeit menschlicher Handwerker abgrenzt. Das Zitat aus Ps 32(33),9 bzw. 148,5 findet sich nicht bei Philo. Origenes führt es ein,⁷⁶ um ein weiteres, biblisches Argument für die übertragene Deutung des Sechs-Tage-Schemas des Schöpfungsberichtes zu geben.⁷⁷ Der biblische Schöpfungsbericht bietet nach Origenes keine Chronologie der Schöpfungsereignisse, sondern stellt die Ordnung der Schöpfungswerke dar und enthüllt damit das Wesen des Kosmos. Im Gefolge Philos gehen Origenes und nach ihm Didymus von Alexandrien und andere Exegeten dabei mit dem biblischen Schöpfungsbericht formal auf eine ähnliche Weise um, wie manche Platoniker mit dem Timaeus. Die Interpreten, die den Kosmos nach Plato für unentstanden und ewig halten, lehnen ein wörtliches Verständnis des ⁷² A.   H 2000, 61. ⁷³ So bereits D. T. R 2001, 130. Weitere Texte des Origenes, in denen diese Deutung

anklingt, bietet M. A 1988, 99. Didymus von Alexandrien, der die Genesisauslegung des Origenes kennt und nachweislich benutzt, folgt dieser Interpretation (comm. in Gen. 33,23–35,16 [90–94 Nautin]). ⁷⁴ Siehe die Übersicht von D. T. R 1993, 160–163. In den erhaltenen Fragmenten und Zeugnissen zum Genesiskommentar nennt Origenes Philo zweimal namentlich: in einem Fragment des Prologs (Fragmentum codicis Marciani 47 [TU 13/2, 13 Koetschau]) sowie wahrscheinlich innerhalb der Auslegung von Gen 1,1 f. (bei Calcidius, in Ti. 276–278 Waszink; vorausgesetzt, die Namensnennung geht auf Origenes selbst und nicht Calcidius bzw. ein Mittelglied zwischen Origenes und Calcidius zurück). Philos namentlich eingeführte Interpretation von Gen 1,2 f. lehnt Origenes ab (siehe dazu die Kapitel 4.1.1 und 4.3.1). Anonym und ohne ihn als Vorgänger hervorzuheben, nennt Origenes zustimmend eine Auslegung Philos zu Gen 6,2 in Jo. 6,42,217 (151,15–18 Preuschen). Siehe dazu R, a. a. O., 162. ⁷⁵ Origenes bei Eusebius Caes., p. e. 7,20,1 (402,7–10 Mras). ⁷⁶ Den Psalmvers zitiert Origenes auch im Zusammenhang eines Verweises auf seine Auslegung von Gen 1 in Cels. 6,60 (130,19–21 Koetschau). ⁷⁷ Origenes’ Schüler Didymus von Alexandrien ist ebenfalls ein Repräsentant der Tradition alexandrinischer Exegese von Gen 2,2.4, die auf Philo zurückgeht und in die auch Origenes einzuordnen ist. Didymus übernimmt in seinem Kommentar den Gedanken der Simultanschöpfung gemeinsam mit Philos Erwägungen zur Zahl 6 (comm. in Gen. 34 [Z. 25–27; 92–94 Nautin]; 35 [Z. 6; 94]). Didymus hat einerseits aus Origenes geschöpft und andererseits wohl auch direkt auf Philo zurückgegriffen (siehe D. T. R 1993, 201).

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platonischen Schöpfungsmythos ab. Der Bericht des Timaeus beschreibt für sie u. a. in Form einer didaktischen Erzählung auf anschauliche Weise Struktur und Wesen des ewigen Kosmos. Diese Platoniker zwingt die Lehre von der Ewigkeit und Unvergänglichkeit des Kosmos dazu, die literarische Form des Timaeusmythos mit Hilfe einer übertragenen Deutung zu begründen. Origenes zwingt die Lehre von der Unvergleichlichkeit des göttlichen Schöpferwirkens dazu, der literarischen Form des Schöpfungsberichtes eine tiefere, übertragene Bedeutung beizulegen. Anders als für die Platoniker steht für ihn aber auch auf der Ebene dieser Deutung die Realität des Schöpfungsgeschehens außer Frage.⁷⁸

3. Die christologische Deutung von ἐν ἀρχῇ (Gen 1,1) In Cels. 6,49 berichtet Origenes, daß er in seinem Kommentar zu Gen 1,1 die Bedeutung von ἀρχή in Gen 1,1 genauer untersucht habe. Ein Ausschnitt aus dieser Untersuchung ist bei Calcidius erhalten. Er weist Berührungen zu den Ausführungen zu ἀρχή in der ersten Genesishomilie und im ungefähr zeitgleich mit dem Genesiskommentar begonnenen Johanneskommentar auf.⁷⁹ Origenes lehnt ein zeitliches Verständnis von initium / ἀρχή ab mit der Begründung, daß es vor der Entstehung der Welt keine Zeit bzw. keine Wechsel von Tag und Nacht gegeben habe, durch welche die Zeitabschnitte gemessen werden könnten.⁸⁰ Das hindert ihn freilich nicht, in anderen Zusammen⁷⁸ Das trifft bereits für Philo zu, wie D. T. R 1986, 420 treffend zusammenfaßt: »The creational sequence is not temporal but structural (indicating order) or perhaps even analytic (analysing or reconstructing the indissociable). It must not, however, be regarded as hypothetical. The creational sequence does not mean that, if the cosmos was created, it would have been put together in no other way than the way portrayed.« ⁷⁹ Origenes bei Calcidius, in Ti. 276 (280,14–281,15 Waszink): initium minime temporarium dici – neque enim tempus ullum fuisse ante mundi exornationem dieique et nocturnas vices quibus temporis spatia dimensa sunt –, tum initii multas esse significationes, ut ›initium sapientiae timorem domini‹ fore Salomon ait, item: ›Initium sapientiae cultus dei‹ nihiloque minus: ›Initium viae optimae iustus actus‹; atque etiam in praeconio sapientiae caelestis auctor ›Initium vitae panis et aqua et tunica‹, inquit, ›et domus idonea velandis pudendis‹, quippe in his non una initii sed diversa et multiplex habetur significatio. Est tamen unum rerum omnium initium, de quo Salomon in Proverbiis ›Creavit me‹, inquit, ›deus progressionis suae semitam, cui nitens efficeret opera divina constituitque ante ortum mundi terraeque et profundi fundationem, ante tractus fontium aggestionesque montanas‹, aperte indicans praeeunte divina sapientia caelum terramque facta eandemque divinam sapientiam fore universitatis primordium. Ex quo apparet sapientiam factam quidem a deo, sed non aliquo in tempore – neque enim fuerit tempus ullum, quo deus fuerit sine sapientia – quodque deum percipi cogitationibus hominum ante quam sapientiam eius sit necesse ob eminentiam naturae, quia prius cuius res est, tunc demum ipsa res noscitur. Et de initio quidem sic habendum. Vgl. Origenes, hom. in Gen. 1,1 (Z. 1–12.41–44; 24–26 Doutreleau); Jo. 1,16,90–1,19,118 (20,1–24,22 Preuschen). ⁸⁰ Origenes bei Calcidius, in Ti. 276 (280,14–16 Waszink). Vgl. Origenes, hom. in Gen. 1,1 (Z. 9–12.41–44; 24–26 Doutreleau).

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hängen ἀρχή in Gen 1,1 als Hinweis auf den zeitlichen Anfang der sichtbaren Welt zu deuten.⁸¹ Eine ähnliche Auffassung von Zeit als gemessen durch die Abfolge von Tagen findet sich in der ersten Genesishomilie.⁸² Mit der Ablehnung von ἀρχή im Sinne eines zeitlichen Anfangs steht Origenes in der Tradition Philos. Anders als Philo übernimmt er für seine Begründung aber nicht die gängige stoische Definition der Zeit.⁸³ Er leitet die Erläuterung der Zeit als strukturiert durch den Wechsel von Tag und Nacht direkt aus dem Schöpfungsbericht ab, der ja durch die Angabe der Schöpfungstage, bestehend aus Tag und Nacht, gegliedert wird. Diese Definition der Zeit ist anschlußfähig für aristotelische Aussagen zur Zeit.⁸⁴ Origenes bemerkt, daß es viele Bedeutungen von initium gebe, und leitet damit seine Begriffsuntersuchung in aristotelischer Manier ein.⁸⁵ Im Unterschied zu Aristoteles orientiert sich Origenes’ Liste von Bedeutungen weniger am allgemeinen Sprachgebrauch, sondern am Sprachgebrauch der Bibel.⁸⁶ Im ⁸¹ Siehe z. B. Origenes, pascha 1,8 (168,10–32 Guéraud / Nautin); princ. 3,5,1 (271,12–18 Koetschau). ⁸² In hom. in Gen. 1,1 (Z. 41–44; 26 Doutreleau) betont Origenes, daß Gen 1,5 nicht vom ›ersten Tag‹, sondern vom ›Tag eins‹ spreche. Quia tempus nondum erat, antequam esset mundus. Tempus autem esse incipit ex consequentibus diebus. Secunda namque dies et tertia et quarta et reliquiae omnes tempus incipiunt designare. ⁸³ Philo lehnt in Opif. 7,26 (8,5–12 Cohn) die Annahme eines zeitlichen Anfangs ab mit der Begründung, daß die Zeit gemeinsam mit dem Kosmos geschaffen wurde, da sie die Ausdehnung (διάστημα) der Kosmosbewegung darstelle. Philo zieht dabei eine gängige stoische Definition von Zeit heran. Siehe Zeno (SVF I 93) und Chrysipp (SVF II 509) sowie weitere Belege bei D. T. R 2001, 158 f. Philo interpretiert ἐν ἀρχῇ dann numerisch im Sinne von ›zuerst‹, wodurch die besondere Würde und Bedeutung des zuerst geschaffenen Himmels und die Ordnung der Schöpfung angezeigt werde (Opif. 7,27 f. [8,12–9,4 Cohn]). Origenes bestimmt ἐν ἀρχῇ inhaltlich anders als Philo, die Struktur des Arguments insgesamt weist aber auf Philo zurück. Siehe dazu R, a. a. O., 161; A.   H 2000, 65. ⁸⁴ Origenes betont den Wechsel (von Tag und Nacht) sowie den Umstand, daß Zeit gemessen wird. Nach Aristoteles ist Zeit nicht ohne Veränderung oder Bewegung möglich (Ph. 4,11 [218b22]; 4,14 [222b30 f.]; 6,4 [235a10–13]. Genaugenommen ist Zeit Zahl oder Maß von Bewegung (Ph. 4,12 [220b32–221a9; 221b7 f.]; 8,1 [251b10–13]) und ist aufgrund von Veränderung bzw. Bewegung meßbar (Ph. 4,11 [219b2–5]; 4,12 [220b14–18; 221b7–25]). ⁸⁵ Origenes bei Calcidius, in Ti. 276 (280,16; 281,4 f. Waszink). Vgl. Aristoteles, Metaph. 5,1 (1012b34–1013a23) zur Bedeutung von ἀρχή oder 7,1 (1028a10): τὸ ὂν λέγεται πολλαχῶς. ⁸⁶ Origenes führt Spr 1,7; 9,10; 16,7 für die Verwendung von initium im Sinne der ersten Bewegung (πρώτη κίνησις) an sowie Sir 29,21(28) als Beispiel für initium in der Bedeutung von ›Grundlage‹ (Origenes bei Calcidius, in Ti. 276 [280,16–281,5 Waszink]). Origenes systematisiert die Bedeutungen in dem Abschnitt bei Calcidius nicht so explizit wie z. B. in Jo. 1,16,90–1,18,108. Er verweist auch nicht auf die aristotelische Systematik wie später Basilius von Caesarea, der in seiner Auslegung von Gen 1,1 ähnliche Bedeutungsgruppen und Textbelege wie Origenes anführt (hex. 1,5 [10,3–18 Amand de Mendieta / Rudberg]; dazu J. C. M.  W 1959, 56). Origenes orientiert sich in seiner Auslegung von Gen 1,1 bzw. Joh 1,1 aber implizit an einer aristotelischen Systematik und erweitert sie aufgrund des biblischen Befundes, wie die Ausführungen des Johanneskommentars zeigen. Für die Übernahme der Methodik aristotelischer Begriffsbestimmungen siehe auch die Erläuterung zu τέλος im Prolog des Psalmenkommentars (PG 12, 1053a; vgl. Aristoteles, Metaph. 2,2 [994b9 f.]) sowie

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Johanneskommentar bietet Origenes eine ähnliche, aber sehr viel umfangreichere Liste von Bedeutungen.⁸⁷ Anknüpfend an die auf Theophilus von Antiochien zurückgehende christliche Tradition, die möglicherweise im hellenistischen Judentum ihre Wurzeln hat,⁸⁸ findet Origenes eine Parallelstelle zu ἀρχή Gen 1,1 in Spr 8,22–25 in der Bedeutung ›Ursprung aller Dinge‹⁸⁹ und kommt zu dem Schluß, daß ἀρχή in Gen 1,1 auf die göttliche Weisheit zu beziehen ist, die der Erschaffung von Himmel und Erde vorangeht und Ursprung des Alls ist.⁹⁰ Die Aussage von Spr 8,22, daß Gott die Weisheit erschuf, ist dann nach Origenes nicht im Sinne einer Erschaffung in der Zeit zu verstehen, da Gott niemals ohne Weisheit war. Origenes sieht den Sinn der Rede von der Erschaffung der Weisheit darin, Gott als Ursprung der Weisheit hervorzuheben und die Großartigkeit der göttlichen Natur zu betonen.⁹¹ Diesen Akzent greift er bei der Auslegung der eigens von ihm eingebrachten jüdischen Lesart von Gen 1,2a auf.⁹² Die Pointe der origenianischen Auslegung liegt in der Identifikation der ἀρχή von Gen 1,1 mit der Weisheit aus Spr 8,22–25, die bereits im Neuen Testament auf den Christus Logos gedeutet wurde.⁹³ Obwohl Calcidius die Identifikation von ἀρχή / σοφία mit Christus nicht referiert,⁹⁴ ist sie durch die die Übersicht von D. T. R 1989, 7. Die Definitionen sind u. a. vermittelt durch stoische Lexika wie z. B. das des Herophilus (E. K 1938; R. C 1932). Zur Frage der Vermittlung siehe auch R, a. a. O., 16–19. Die Auslegung eines biblischen Textes bzw. die Erörterung eines Problems mit einer Analyse des biblischen Sprachgebrauchs zu beginnen, ist ein charakteristisches Verfahren des Origenes. Siehe z. B. die Ausführungen zur Bedeutung von κόσμος in princ. 2,3,6 (121,1–123,18 Koetschau); zur Bedeutung von ὕλη in princ. 4,4,6 (356,21–357,10). ⁸⁷ Jo. 1,16,90–1,19,118 (20,1–24,22 Preuschen). Siehe dazu E. F 1976. ⁸⁸ Siehe Philo, Leg. 1,14,43 (71,19–24 Cohn) und dazu D. T. R 2001, 161. ⁸⁹ Origenes bei Calcidius, in Ti. 276 (281,5–11 Waszink). Vgl. Theophilus von Antiochien, Autol. 2,10 (Z. 11–13; 53 Marcovich), der Spr 8,22–25 mit Gen 1,1 in Verbindung bringt und auf Christus Logos bezieht. Siehe zu Theophilus als vermutlich frühsten christlichen Beleg für diese Deutung P. N 1973, 72 f. ⁹⁰ Origenes bei Calcidius, in Ti. 276 (281,9–11 Waszink). ⁹¹ Origenes bei Calcidius, in Ti. 276 (281,11–15 Waszink). In princ. 1,2,2 (30,5–8 Koetschau) deutet Origenes in einem anderen Kontext die Rede von der Erschaffung der Weisheit anders (siehe Anm. 388). ⁹² Siehe Origenes bei Calcidius, in Ti. 278 (283,6–8 Waszink). ⁹³ Kol 1,15 f.; Offb 3,14. Zur Traditionsgeschichte, in der Kol 1,15 f. steht, siehe P. P 1987, 52–58; R. L 1979, 137 (mit Literatur). ⁹⁴ Offensichtlich hat Calcidius die christologischen Aspekte der Argumentation des Origenes weggelassen, weil sie für den Gedankengang seines Materietraktats unerheblich waren. Das legt auch das Fragment des Genesiskommentars nahe, das Eusebius von Caesarea in Marcell. 1,4 (22,8–18 Klostermann / Hansen) bzw. Pamphilus in der lateinischen Übersetzung des Rufin mit einem Hinweis auf den Genesiskommentar in apol. Orig. 47 f. (106–108 Amacker / Junod) überliefern. Es stammt aus dem Zusammenhang der Auslegung von ἀρχή Gen 1,1 (siehe R. E. H 2005, 127) und zeigt, daß die Frage der ewigen, zeitlosen Zeugung des Sohnes im Kommentar einen gewissen Raum einnahm.

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erste Genesishomilie und die Ausführungen des Johanneskommentars bezeugt. Origenes kommentierte Gen 1,1 und Joh 1,1–3 nicht nur in großer zeitlicher Nähe, sondern sieht in Gen 1,1 und Joh 1,1 auch inhaltliche Berührungen, wie aus einem Katenenfragment zu Joh 1,1 hervorgeht.⁹⁵ In der Genesishomilie identifiziert Origenes ἀρχή aus Gen 1,1 als omnium principium mit »unserem Herrn und dem Heiland aller, Jesus Christus, dem Erstgeborenen aller Kreatur«⁹⁶. Das universale Prinzip aus Gen 1,1 ist nach Joh 1,1–3 das göttliche Wort, in welchem und durch welches Gott Himmel und Erde, d. h. alle geschaffenen Dinge, erschaffen hat. Am Anfang der ersten Genesishomilie klingen hier verschiedene Bezeichnungen Christi an, die Origenes im Johanneskommentar ausführlicher erörtert. Auffällig ist, daß in der Erläuterung von ἀρχή in der Genesishomilie der Schwerpunkt zunächst auf Bezeichnungen liegt, die das Verhältnis Christi zu den Menschen bzw. Gläubigen ausdrücken: dominus noster, salvator omnium und vor allem verbum. Im Johanneskommentar bestimmt Origenes die Bezeichnung als verbum genauer: Während Christus als Weisheit gedacht wird, insofern er das geordnete System der göttlichen Gedanken ist, wird er als Wort gedacht, insofern er den Vernunftwesen Anteil an diesen göttlichen Gedanken und Plänen gewährt.⁹⁷ Durch die Verbindung von Gen 1,1 mit Kol 1,15 (primogenitus omnis creaturae) und Joh 1,3 wird das Wort als omnium principium in der Genesishomilie dann als Schöpfungsursache präzisiert. Origenes versteht dabei einerseits ›Himmel und Erde‹ als die zusammenfassende Umschreibung aller geschaffenen Dinge, andererseits ἐν ἀρχή als einen Verweis auf das göttliche Wort, in dem (Gen 1,1) bzw. durch das (Joh 1,3) alles geschaffen wurde. Origenes verwendet in der Genesishomilie λόγος in der Bedeutung von ›Ursprung der Schöpfung‹ als Synonym zu σοφία, mit der er ἀρχή in Gen 1,1 sonst durchgehend gleichsetzt. Das ist durch die Gattung der Homilie begründet, wo Origenes stärker als in seinen Kommentaren die Persepktive des Menschen berücksichtigt, der Anteil an der Weisheit und eine Einsicht in ihre ⁹⁵ Origenes, frg. in Jo. 1 (484,9–14 Preuschen): καὶ Μωϋσῆς μὲν τὴν κοσμοποιίαν ἐξηγούμενος »Ἐν ἀρχῇ«, εἶπεν, »ἐποίησεν ὁ θεὸς τὸν οὐρανὸν καὶ τὴν γῆν«. ὁ δὲ ᾽Ιωάννης οὐκ Ἐν ἀρχῇ γέγονεν εἶπεν, ἢ πεποίηται ὁ λόγος ἀλλ’ »Ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ λόγος«. ἦν γὰρ ἐν ἀρχῇ ποιῶν τὸν οὐρανὸν καὶ τὴν γῆν. εἰ γὰρ »Πάντα δι’ αὐτοῦ ἐγένετο«, τῶν πάντων δὲ ὁ οὐρανὸς καὶ ἡ γῆ ὑπῆρχεν, ἐν τῇ τούτων οὐσιώσει αὐτὸς ἦν κτίστης αὐτῶν. ⁹⁶ Hom. in Gen. 1,1 (Z. 1–12; 24 Doutreleau): ›In principio fecit Deus caelum et terram‹. Quod est omnium principium nisi Dominus noster et ›Salvator omnium‹, Iesus Christus, ›primogenitus omnis creaturae‹? In hoc ergo principio, hoc est in Verbo suo, Deus caelum et terram fecit, sicut et Evangelista Iohannes in initio Evangelii sui ait dicens; … [Joh 1,1–3 C. K.] … Non ergo hic temporale aliquod principium dicit, sed ›in principio‹, id est in Salvatore, factum esse dicit caelum et terram et omnia quae facta sunt. ⁹⁷ Siehe Jo. 1,19,111 (23,22–24 Preuschen). Die ausführliche Untersuchung zu λόγος, die Origenes in Jo. 1,21,125 anmahnt, führt er in 1,36,266–1,39,288 durch. Eine ähnliche Bestimmung des Wortes findet sich in princ. 1,2,3 (30,11–15 Koetschau). Nach Jo. 1,7,38 (49,3–5 Preuschen) ist der Sohn λόγος des Vaters, insofern er die κρύφια τοῦ πάτρος verkündet.

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Werke nur hat, insofern sie sich als Logos mitteilt. Origenes stellt in der Genesishomilie die christologische Interpretation von ἀρχή als Schöpfungsursache in den Kontext anderer ἐπίνοιαι Christi und hebt damit hervor, daß Christus sowohl die Ursache ist, derer sich Gott bei der Erschaffung der Welt bedient, als auch der göttliche Mittler (verbum) und der Erlöser aller. Origenes verknüpft dadurch gleich zu Beginn der ersten Genesishomilie Schöpfung und Erlösung. Im Johanneskommentar erörtert Origenes ausführlicher, welche Art von Ursache Christus als ἀρχή darstellt. Eine ähnliche Erörterung kann auch für die Auslegung von Gen 1,1 vermutet werden. Origenes erwägt vor dem Hintergrund von Gen 1,26 f. und Kol 1,15, daß Christus als Weisheit und Erstgeborener der Schöpfung paradigmatische Ursache (τὸ καθ’ ὅ / τὸ εἶδος) ist.⁹⁸ Angesichts Ps 145(146),5 betrachtet er Christus als Wirkursache (τὸ ὑφ’ οὗ / τὸ ποιοῦν), d. h. als Demiurg, an den die Schöpfungsbefehle in Gen 1 gerichtet sind.⁹⁹ Vermutlich in Abwehr einer gnostischen Unterscheidung von Gott und Demiurg formuliert Origenes jedoch mit Zurückhaltung, daß Christus gewissermaßen (πως) Demiurg sei, dem der Vater befiehlt, daß das Licht und das Firmament werde (Gen 1,3.6). Genaugenommen ist Christus der Schöpfungsmittler, durch den (δι’ οὗ vgl. Joh 1,3) alles geschaffen ist, während Gott Vater der eigentliche Demiurg ist, von dem (ὑφ’ οὗ) alles geschaffen ist.¹⁰⁰ Origenes erörtert im Johanneskommentar die Vorstellung von Christus als der göttlichen Weisheit, von der Spr 8,22–25 spricht, in einer Weise, die versucht, den Aspekt der paradigmatischen und der instrumentalen Ursache gleichermaßen im Begriff der Weisheit zu verankern.¹⁰¹ So ist Christus als ἀρχή Demiurg, insofern er Weisheit ist (Spr 8,22). Weisheit aber ist er, insofern er ⁹⁸ Jo. 1,19,104 f. (22,19–26 Preuschen). ⁹⁹ Jo. 1,19,110 (23,17–19 Preuschen). ¹⁰⁰ In Jo. 2,10,72 (64,27–31 Preuschen) legt Origenes Joh 1,3 vor dem Hintergrund von

Hebr 1,2 aus: [Paulus] … διδάσκων ἡμᾶς, ὅτι ὁ θεὸς τοὺς αἰῶνας πεποίηκε διὰ τοῦ υἱοῦ, ἐν τῷ τοὺς αἰῶνας γίνεσθαι τοῦ μονογενοῦς ἔχοντος τὸ »δι’ οὗ«. οὕτω τοίνυν καὶ ἐνθάδε εἰ πάντα διὰ τοῦ λόγου ἐγένετο, οὐχ ὑπὸ τοῦ λόγου ἐγένετο, ἀλλ’ ὑπὸ κρείττονος καὶ μείζονος παρὰ τὸν λόγον. τίς δ’ ἂν ἄλλος οὗτος τυγχάνῃ ἢ ὁ πατήρ; Vgl. Cels. 6,60 (130,19–25 Koetschau), wo Origenes unter Hinweis auf den Genesiskommentar (131,3 f.) die Schöpfungsworte von Gen 1 auslegt: δυνάμει δ’ εἴπομεν καὶ εἰς τὸ κελεύων· γενέσθω τόδε καὶ ἕτερον τόδε ἢ τόδε, ὅτε παρετιθέμεθα τὸ »αὐτὸς εἶπε καὶ ἐγενήθησαν, αὐτὸς ἐνετείλατο καὶ ἐκτίσθησαν,« λέγοντες τὸν μὲν προσεχῶς δημιουργὸν εἶναι τὸν υἱὸν τοῦ θεοῦ λόγον καὶ ὡσπερεὶ αὐτουργὸν τοῦ κόσμου, τὸν δὲ πατέρα τοῦ λόγου τῷ προστεταχέναι τῷ υἱῷ ἑαυτοῦ λόγῳ ποιῆσαι τὸν κόσμον εἶναι πρώτως δημιουργόν. Der Sohn ist insofern Schöpfer, als er Organ der Schöpfertätigkeit des Vaters ist (siehe F. H. K 1969, 280 f. mit Belegen). Die Rede vom προσεχῶς δημιουργός, der αὐτουργὸς τοῦ κόσμου ist, erinnert an den Sprachgebrauch z. B. des Numenius (siehe Kapitel A III 3.1). Jedoch unterscheidet sich Origenes von der platonischen, aber auch gnostischen Unterscheidung zwischen transzendentem Gott und untergeordnetem Demiurgen, indem er vor dem Hintergrund von Gen 1 betont, daß der Vater πρώτως δημιουργός ist, indem er dem Sohn befiehlt, als Logos den Kosmos zu erschaffen. ¹⁰¹ Jo. 1,19,109–115 (23,12–24,10 Preuschen).

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das System (σύστασις)¹⁰² der theoretischen, geistigen Schau des Ganzen und der Intelligibilia ist,¹⁰³ d. h. insofern er κόσμος νοητός ist. In Auslegung von Joh 1,1 entwickelt Origenes eine Vorstellung, die deutlich den Einfluß von Philo, Opif. 4,17–5,20 erkennen läßt. Joh 1,1 sei so zu verstehen, daß alle Dinge nach der Weisheit entstehen und nach den Vorbildern des Systems der Gedanken, die im Logos sind. Wie ein Haus oder ein Schiff nach Plänen gebaut wird und wie man die Pläne und die Überlegungen (τύπους καὶ λόγους) in dem Baumeister als ἀρχή des Hauses oder des Schiffes bezeichnet, so ist alles nach den von Gott in der Weisheit vorentworfenen λόγοι geworden.¹⁰⁴ Christus als Weisheit ist somit die paradigmatische Ursache der Schöpfung.¹⁰⁵ Unmittelbar darauf bemerkt Origenes in Auslegung von Ps 103(104),24, daß dieser Vers so zu lesen sei, daß Gott eine »gewissermaßen beseelte« Weisheit geschaffen habe. Ihr habe Gott aufgetragen, ausgehend von den intelligiblen τύποι, die in ihr sind, den seienden Dingen und der Materie die Gestaltung, die Formen und – wie Origenes vorsichtig erwägt – auch die je individuelle Existenz zu geben.¹⁰⁶ Christus als beseelte Weisheit¹⁰⁷ ist hier die ¹⁰² Der Begriff σύστασις ist hier als Synonym zu σύστημα (24,2 Preuschen) zu verstehen und nicht, wie P. H vorschlägt (zitiert nach C. B, SC 120bis, 116 Anm. 2), als Parallele zu ὑπόστασις. Thema ist nicht der ontologische Status, sondern der Charakter einer geordneten Struktur. Siehe die Übersetzung von P. C, die B, a. a. O., zitiert. ¹⁰³ Jo. 1,19,111 (23,22 f. Preuschen): κατὰ μὲν τὴν σύστασιν τῆς περὶ τῶν ὅλων θεωρίας καὶ νοημάτων τῆς σοφίας νοουμένης, … ¹⁰⁴ Jo. 1,19,113–114 (23,32–24,7 Preuschen): ἐπίστησον δέ, εἰ οἷόν τέ ἐστι καὶ κατὰ τὸ σημαινόμενον τοῦτο ἐκδέχεσθαι ἡμᾶς τὸ »Ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ λόγος«, ἵνα κατὰ τὴν σοφίαν καὶ τοὺς τύπους τοῦ συστήματος τῶν ἐν αὐτῷ νοημάτων τὰ πάντα γίνηται. οἶμαι γάρ, ὥσπερ κατὰ τοὺς ἀρχιτεκτονικοὺς τύπους οἰκοδομεῖται ἢ τεκταίνεται οἰκία καὶ ναῦς, ἀρχὴν τῆς οἰκίας καὶ τῆς νεὼς ἐχόντων τοὺς ἐν τῷ τεχνίτῃ τύπους καὶ λόγους, οὕτω τὰ σύμπαντα γεγονέναι κατὰ τοὺς ἐν τῇ σοφίᾳ προτρανωθέντας ὑπὸ θεοῦ τῶν ἐσομένων λόγους· ¹⁰⁵ Eine ähnliche Vorstellung liegt in Jo. 19,22,147 vor, wo Origenes die in sich vielfältige göttliche Weisheit als Kosmos auffaßt, insofern in ihr die rationalen Prinzipien aller Dinge enthalten sind. Nach diesen Prinzipien sind alle Dinge geworden, die Gott Ps 103(104),24 zufolge in Weisheit erschaffen hat, und von diesen Prinzipien her erhält die sichtbare Welt ihre geordnete Struktur (Jo. 19,22,147 [324,4–12 Preuschen]): Ζητήσεις δὲ εἰ κατά τι τῶν σημαινομένων δύναται ὁ πρωτότοκος πάσης κτίσεως εἶναι κόσμος, καὶ μάλιστα καθ’ ὃ »σοφία« ἐστὶν ἡ πολυποίκιλος· τῷ γὰρ εἶναι παντὸς οὑτινοσοῦν τοὺς λόγους, καθ’ οὓς γεγενηται πάντα τὰ ὑπὸ τοῦ θεοῦ ἐν σοφίᾳ πεποιημένα (ὥς φησιν ὁ προφήτης· »Πάντα ἐν σοφίᾳ ἐποίησας«), ἐν αὐτῷ, εἴη ἂν καὶ αὐτὸς »κόσμος«, τοσούτῳ ποικιλώτερος τοῦ αἰσθητοῦ κόσμου καὶ διαφέρων, ὅσῳ διαφέρει γυμνὸς πάσης ὕλης τοῦ ὅλου κόσμου λόγος τοῦ ἐνύλου κόσμου, οὐκ ἀπὸ τῆς ὕλης ἀλλὰ ἀπὸ τῆς μετοχῆς τοῦ λόγου καὶ τῆς σοφίας τῶν κοσμούντων τὴν ὕλην κεκοσμημένου. Ich lese mit C. B, SC 290, 186 κεκοσμημένου anstelle κεκοσμημένων (342,12 Preuschen). ¹⁰⁶ Jo. 1,19,115 (24,7–10 Preuschen): »Πάντα γὰρ ἐν σοφίᾳ ἐποίησε«. καὶ λεκτέον ὅτι κτίσας, ἵν’ οὕτως εἴπω, ἔμψυχον σοφίαν ὁ θεός, αὐτῇ ἐπέτρεψεν ἀπὸ τῶν ἐν αὐτῇ τύπων τοῖς οὖσι καὶ τῇ ὕλῃ τὴν πλάσιν καὶ τὰ εἴδη, ἐγὼ δὲ ἐφίστημι εἰ καὶ τὰς οὐσίας. Dieser Textabschnitt ist in M stark beschädigt und z. T. aus dem Abklatsch auf der gegenüberliegenden Codex-Seite rekonstruiert (siehe P ad loc.). P präsentiert den Text dennoch als gesichert. ¹⁰⁷ Siehe die Bestimmung der Weisheit in Jo. 1,34,244 (43,20–26 Preuschen): εἰ δέ τις οἷός

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demiurgische Ursache, welche die intelligiblen Formen an die Materie vermittelt und so für die Gestaltung und möglicherweise auch für die individuelle Existenz der Einzeldinge verantwortlich ist. Um die Vorstellung einer demiurgisch wirkenden Weisheit zu illustrieren, spielt Origenes hier auf das Konzept einer Weltseele an, wie sie von Timaeusauslegern vertreten wird. Nach ihnen ist die Weltseele vor allem dadurch charakterisiert, daß sie die λόγοι aller Dinge enthält, durch welche die Materie gestaltet wird.¹⁰⁸ Die Vorstellung einer Weltseele zieht Origenes als Vergleich auch heran, wenn er erklärt, daß das Weltganze einem ungeheuer großen Lebewesen vergleichbar sei, insofern es wie von einer Seele durch Gottes Kraft und Planung (virtute dei ac ratione) zusammengehalten werde.¹⁰⁹ Die virtus ac ratio dei ist aber identisch mit Christus, der δύναμις, λόγος und σοφία Gottes ist.¹¹⁰ Diese auf die Schöpfung gerichteten Aspekte der Weisheit kann Origenes entsprechend seiner Unterscheidung von Weisheit und Logos auch unter die Aspekte des Logos subsumieren.¹¹¹ Es zeigt sich, daß Origenes das philosophische Konzept einer Weltseele als Verstehensmodell heranzieht, um Chriτέ ἐστιν ἀσώματον ὑπόστασιν ποικίλων θεωρημάτων περιεχόντων τοὺς τῶν ὅλων λόγους ζῶσαν καὶ οἱονεὶ ἔμψυχον ἐπινοεῖν, εἴσεται τὴν ὑπὲρ πᾶσαν κτίσιν σοφίαν τοῦ θεοῦ καλῶς περὶ αὑτῆς λέγουσαν· Ὁ θεὸς ἔκτισέ με ἀρχὴν ὁδῶν αὐτοῦ »εἰς ἔργα αὐτοῦ.« δι’ ἣν κτίσιν δεδύνηται καὶ πᾶσα κτίσις ὑφεστάναι, οὐκ ἀνένδοχος οὖσα θείας σοφίας, καθ’ ἣν γεγένηται· Πάντα γὰρ κατὰ τὸν προφήτην Δαβὶδ ἐν σοφίᾳ ἐποίησεν ὁ θεός. ¹⁰⁸ Siehe Kapitel A V 3.3.1 Anm. 150. ¹⁰⁹ Siehe princ. 2,1,3 (108,11–16 Koetschau). ¹¹⁰ Siehe die ausführlichen Erörterungen zu diesem Thema in princ. 1,2,1–13; Jo. 1,33,241–1,34,246; 1,36,266–1,38,279; 2,10,70–72. ¹¹¹ Die demiurgische Tätigkeit Christi als Weisheit faßt Origenes nach einem Katenenfragment zu Joh 1,1 in Auslegung von Spr 8,22 unter der Bezeichnung des Logos zusammen (frg. in Jo. 1 [485,4–16 Preuschen]): λέγεται δὲ καὶ σοφία ὁ τοῦ θεοῦ υἱός, ἀρχὴ ὁδῶν τοῦ θεοῦ κτισθεῖσα κατὰ τὴν τῶν Παροιμιῶν γραφήν, ὅτι ἡ τοῦ θεοῦ σοφία, πρὸς τὸν οὗ ἐστι σοφία ὑπάρχουσα, οὐδεμίαν σχέσιν πρὸς ἕτερόν τινα εἶχεν, ἀλλ’ εὐδοκία θεοῦ γενόμενος τὰ κτίσματα ὑπάρξαι ἠβουλήθη. ἠθέλησεν οὖν ἀναλαβεῖν αὕτη ἡ σοφία σχέσιν δημιουργικὴν πρὸς τὰ ἐσόμενα καὶ τοῦτό ἐστι τὸ δηλούμενον διὰ τοῦ ἐκτίσθαι αὐτὴν ἀρχὴν ὁδῶν τοῦ θεοῦ, καθ’ ἃς ὁδοὺς διαπορεύεται οὐσιῶν διακοσμῶν προνοούμενος, εὐεργετῶν, χαριζόμενος [Subjekt ist Sohn Gottes (Z. 4) C. K.] ἐν ταύτῃ τῇ σοφίᾳ κτισθείσῃ. ἀρχὴν εἶναι τὸν λόγον φασὶν οὐχ ἕτερον ὄντα αὐτῆς κατ’ οὐσίαν ἀλλ’ ἐπινοίᾳ καὶ σχέσει, ἵν’ ᾖ αὐτὴ ὕπαρξις ἣν νῦν καλοῦσιν κατ’ οὐσίαν αἱ γραφαί, ᾗ μὲν ᾠκείωται τῷ θεῷ σοφία, ᾗ δὲ νένευκεν, ἵν’ οὕτως εἴπω, πρὸς τὰ δημιουργήματα ὁ δημιουργικὸς λόγος. Im Johanneskommentar faßt Origenes die Untersuchung zu ἀρχή mit der Feststellung zusammen, daß Christus die ἀρχὴ τῶν ὄντων sei, aber nicht nach jedem seiner Namen. Die Untersuchung aller ἐπίνοιαι zeigt dann, daß Christus nur als Weisheit Ursprung ist, nicht jedoch z. B. als Wort. Aus diesem Grund ist Weisheit die älteste und ehrwürdigste aller ἐπίνοιαι (Jo. 1,19,116–118 [24,11–22]). Das Verhältnis von Weisheit und Wort erörtert Origenes ausgehend von Joh 1,1–3 auch in Jo. 1,39,289–292 (51,5–27): Durch das Wort ist alles geschaffen, insofern es in der Weisheit ist. Ähnlich die Erklärung von Joh 1,3 in Jo. 2,12,90, wo Origenes zum Schluß kommt (68,7–9): ὥστε χωρὶς τῶν ἐπινοουμένων τῷ Χριστῷ πάντα διὰ τοῦ λόγου γεγένηται τοῦ θεοῦ, ποιήσαντος ἐν σοφίᾳ αὐτὰ τοῦ πατρός·»Πάντα, γάρ φησιν, ἐν σοφίᾳ ἐποίησας«, οὐ »διὰ τῆς σοφίας ἐποίησας«. Siehe dazu die Bestimmung von Weisheit und Wort in Jo. 1,19,111 (23,22–24).

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stus als schöpferische Weisheit und Verwalter des Kosmos anschaulich zu machen und ihn damit als instrumentale und paradigmatische Ursache des Kosmos zu präsentieren. Der Begriff ἀρχή in Gen 1,1 gibt Origenes einen Anlaß, zu Beginn seiner Auslegung des Schöpfungsberichtes über die göttliche Weisheit als das zugrunde liegende Prinzip und den Ausgangspunkt der Schöpfung zu sprechen. Diese Interpretation von ἀρχή (Gen 1,1) richtet sich gegen konkurrierende Genesisauslegungen, die wie zum Beispiel Hermogenes ἀρχή im Sinne des ungewordenen Materieprinzips verstehen. Wie ein bei Eusebius erhaltenes Fragment zeigt, wendet sich Origenes in seiner Auslegung von Gen 1,2a gegen Exegeten wie Hermogenes.¹¹² Es kann daher vermutet werden, daß sich Origenes auch bei der Auslegung von ἀρχή Gen 1,1 mit der Deutung des Hermogenes beschäftigt hat und seine christologische Interpretation in Anknüpfung an Theophilus von Antiochien als Widerlegung der hermogenianischen Deutung vorgetragen hat.

4. Die Deutung von ›Himmel und Erde‹ in Gen 1,1 f. 4.1. Drei Auslegungsvarianten zu ›Himmel und Erde‹ in Gen 1,1 f. In seiner Auslegung der ersten Verse des Schöpfungsberichts hat Origenes ausführlich dargelegt, was unter ›Himmel‹ und ›Erde‹ zu verstehen ist.¹¹³ Aus den erhaltenen Fragmenten und Zeugnissen läßt sich seine Deutung dieser zwei Worte gut nachzeichnen.¹¹⁴ Den Ausgangspunkt der Auslegung bildet die Beobachtung, daß der Schöpfungsbericht Himmel und Erde sowohl in Gen 1,1 als auch in Gen 1,8–10 erwähnt. Diese Beobachtung sieht Origenes als Hinweis, daß hinter dem Wortlaut ein tieferer Sinn verborgen liegt. Wer sich nicht mit einer ungeordneten Vorstellung zufrieden gibt, sondern tiefer forscht,¹¹⁵ dem zeigt die Schrift damit deutlich an, »daß das eine der wahre Himmel ist und etwas anderes das Firmament ist, und daß in gleicher Weise das eine die Erde ist ¹¹² Origenes bei Eusebius Caes., p. e. 7,20 (siehe dazu Kapitel 4.3.2). ¹¹³ Siehe seinen Verweis auf den Inhalt des Genesiskommentars in Cels. 6,49 (120,23 f.

Koetschau). Einen Überblick über die Auslegung von Gen 1,1 f. vor Origenes bietet P. N 1973, eine Übersicht über patristische Auslegungen von Himmel und Erde in Gen 1,1 außerdem M. A 1988, 75 f. ¹¹⁴ Origenes bei Calcidius, in Ti. 276–278 (280,1–283,16 Waszink); Origenes bei Eusebius Caes., p. e. 7,20 (402,7–403,17 Mras); Origenes, princ. 2,3,6 (123,6–18 Koetschau); hom. in Gen. 1,2 (Z. 1–4; 28–30 Doutreleau). ¹¹⁵ Damit deutet Origenes zwei Typen von Exegeten an, die er auch im Prolog seines Genesiskommentars gegenüberstellt. Siehe Pamphilus, apol. Orig. 7 (Z. 3–14.18–23; 40 f. Amacker / Junod) und dazu Kapitel 4.2.1.

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und ebenfalls etwas anderes das Trockene ist«¹¹⁶. Aus der Erzählfolge Gen 1,1 f.6.8–10 tritt für Origenes deutlich hervor, »daß weder dieser Himmel, der von uns erkannt wird, noch diese Erde, auf der wir sind, im Anfang geschaffen wurde, sondern andere, die älter sind, die eher mit der Vernunft als mit den Sinnen zu erfassen sind.«¹¹⁷ Im nächsten Schritt der Auslegung fragt Origenes, welchen früheren Himmel und welche Erde im Anfang geschaffen wurden. Er präsentiert als Antwort verschiedene Deutungen. Nach dem Referat bei Calcidius bietet er die Position Philos und eine Position der »anderen«. In princ. 2,3,6 verweist er für seinen Genesiskommentar außerdem auf eine dritte Position.¹¹⁸ 4.1.1. Der intelligible Kosmos (Philo) Nach dem Referat bei Calcidius, in Ti. 278 betrachtet Philo Himmel und Erde von Gen 1,1 als körperlose, intelligible Wesenheiten, als Ideen und Paradigmata des Trockenen bzw. des Firmaments. In gleicher Weise deutet er die zweifache Erwähnung der Menschenschöpfung als Hinweis darauf, daß vor dem körperlichen Menschen in Gen 2,7 Gott den intelligiblen Archetypus des menschlichen Geschlechts in Gen 1,26 f. geschaffen habe.¹¹⁹ Der Abschnitt faßt in wenigen Worten die Auslegung zusammen, die Philo vor allem in seinem Kommentar des Sechstagewerks (De opificio mundi) entwickelt hat.¹²⁰ Darin sieht er in Gen 1,1–5 die Erschaffung des intelligiblen Kosmos als Paradigma und Archetypus der sinnlich wahrnehmbaren Welt beschrieben.¹²¹ Aus der Erzählfolge von Gen 1,1–5 gewinnt Philo einen Abriß des Inhalts dieses κόσμος νοητός, der die Ideen von Himmel, Erde, Luft, Leere, Wasser, Pneuma und Licht umfaßt.¹²² In der Auslegung von Gen 2,7 unterscheidet Philo den Menschen, der nach dem Bilde Gottes geschaffen wurde ¹¹⁶ Calcidius, in Ti. 278 (282,4–6 Waszink; Text in Anm. 36). Für diese Unterscheidung vgl. Origenes, princ. 2,3,6 (123,6–18 Koetschau); 2,9,1 (165,14–16); hom. in Ps. 36 5,4 (Z. 34–54; 236–238 Prinzivalli). Origenes steht hier in einer auf Philo zurückgehenden Tradition (Opif. 7,29 [9,4 f. Cohn]), die sich auch bei Theophilus von Antiochien und Clemens von Alexandrien auf je unterschiedliche Weise niederschlägt (siehe dazu P. N 1973, 87). ¹¹⁷ Calcidius, in Ti. 277 (282,2–4 Waszink): … ut sit evidens neque hoc caelum cognitum nobis neque hanc in qua sumus terram ab exordio facta, sed alia esse antiquiora, intellectu potius quam sensibus haurienda. ¹¹⁸ Origenes, princ. 2,3,6 (123,6–18 Koetschau). ¹¹⁹ Origenes bei Calcidius, in Ti. 278 (282,8–11 Waszink). ¹²⁰ Eine Gegenüberstellung der Terminologie Philos und der übersetzten Termini bei Calcidius bietet J. C. M.  W 1959, 62. ¹²¹ Philo, Opif. 4,16 (4,21–5,6 Cohn) in enger Anknüpfung an Platons Timaeus. Vermutlich ist Philo der erste Autor, der den Begriff κόσμος νοητός verwendet (J. C. M.  W 1959, 30; D. T. R 2001, 136). ¹²² Philo, Opif. 7,29 (9,4–9 Cohn). Siehe dazu den Kommentar von D. T. R 2001, 163–173.

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(Gen 1,26 f.), von dem ersten Menschen, der aus Erde geschaffen wurde (Gen 2,7). Dieser ist sinnlich wahrnehmbar, hat Anteil an Qualitäten, besteht aus Seele und Körper, ist entweder Mann oder Frau und seiner Natur nach sterblich. Jener Mensch nach dem Bilde Gottes dagegen ist gewissermaßen Idee, Genus, Prägesiegel, seinem Wesen nach intelligibel, unkörperlich, weder Mann noch Frau und seiner Natur nach unsterblich.¹²³ Eine genaue Analyse dieses Abschnitts zeigt, daß Philo hier den intelligiblen Menschen nicht nur als Paradigma,¹²⁴ sondern vor allem »as the ›ideal‹ person, i. e. the idealization of human nature in terms of the intellect«¹²⁵ versteht. Origenes faßt offensichtlich Philos Unterscheidung innerhalb seiner Auslegung von Gen 2,7 (Opif. 46,134) in Parallelität zu seiner Deutung von Gen 1,1–5 (Opif. 4,16; 10,36) auf als die Unterscheidung von intelligiblem Paradigma und körperlichem Abbild.¹²⁶ Damit spitzt er die Position Philos als Vertreter einer platonisierenden Auslegung von Gen 1,1 zu, während er in anderen Zusammenhängen stillschweigend an Philos weitergefaßte Deutung von Gen 2,7 anknüpft.¹²⁷ 4.1.2. Substantia spiritalis und substantia corporum a) Auslegung von Gen 1,1. Die zweite Auslegungsvariante zu ›Himmel und Erde‹ nach Gen 1,1 führt Origenes als Gegenposition zu Philo ein.¹²⁸ Er bezeichnet sie als Position der »anderen«. In dieser Form stellt Origenes häufig Überlegungen an, ohne sich eindeutig festzulegen. Diese zweite Variante bezieht ›Himmel‹ und ›Erde‹ nicht auf die intelligiblen Paradigmata, sondern auf die Gesamtheit aller Dinge, die aus zwei Klassen besteht: der Klasse der intelligiblen Dinge und der Klasse der sinnlich wahrnehmbaren Dinge.¹²⁹ ¹²³ Philo, Opif. 46,134 (46,12–19 Cohn). ¹²⁴ Der Status des Paradigmas ist mit der Bezeichnung σφράγις ausgesagt. Die Bezeich-

nung Idee gebraucht Philo mit Vorbehalt: ἰδέα τις (Opif. 46,134 [46,18 Cohn]). ¹²⁵ D. T. R 2001, 323. Siehe auch den Kommentar a. a. O., 321–329. ¹²⁶ In der Auslegungsgeschichte zu Philos Schrift De opificio mundi begegnen immer wieder diese zwei verschiedenen Deutungen von Opif. 46,134 (siehe dazu D. T. R 2001, 321– 323.328 f.). ¹²⁷ Siehe D. T. R 2001, 328 mit Belegen; A.   H 2000, 66. ¹²⁸ Origenes bei Calcidius, in Ti. 277 (282,11 Waszink). ¹²⁹ Origenes bei Calcidius, in Ti. 278 (282,11–15 Waszink): Alii non ita, sed scientem prophetam duas esse species rerum omnium, alteram intellegibilem, alteram sensibilem, eas virtutes quae utramque naturam circumplexae contineant caelum et terram cognominasse, caelum quidem incorpoream naturam, terram vero, quae substantia est corporum, quam Graeci hylen vocant. Übersetzung: Andere sehen die Sache nicht so, sondern meinen, daß der Prophet wußte, daß es zwei Klassen aller Dinge gibt – die eine intelligibel, die andere sinnlich wahrnehmbar –, und daß er deshalb die spezifischen Eigenschaften, welche das Wesen der beiden Naturen zusammenfassend ausmachen, Himmel und Erde nannte; Himmel als die unkörperliche Natur, Erde aber als die, welche die Substanz der Körper ist, welche die Griechen ὕλην nennen. – Daß virtus die spezifische Eigenschaft bzw. Fähigkeit meinen kann, zeigen Texte wie Quintilian, inst. 1,3,1 (19,5 f. Rademacher / Buchheit): … eius [sc. memoriae C. K.] duplex

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›Himmel‹ steht hier für die spezifische Eigenschaft (virtus), welche das Wesen der species intelligibilis ausmacht: ihre Unkörperlichkeit; ›Erde‹ für die spezifische Eigenschaft, welche das Wesen der species sensibilis ausmacht: ihre Körperlichkeit. Die ›Erde‹ identifiziert Origenes daher als substantia corporum, quem Graeci hylen vocant (282,15 Waszink). Analog dazu bezeichnet er den ›Himmel‹ vorsichtig als incorporei quoque generis silvam intelligibilem (283,10 f. Waszink).¹³⁰ Origenes spricht gelegentlich von der Erschaffung zweier Naturen, ohne sie jedoch immer mit der Auslegung von Gen 1,1 zu verknüpfen. So erklärt er in der ersten Genesishomilie zu Gen 1,1: »Weil die Gesamtheit aller Dinge, die Gott im Begriff war zu erschaffen, aus Geist und Körper besteht, so heißt es aus diesem Grund, daß im Anfang und vor allen Dingen der Himmel geschaffen wurde, d. h. alle geistige Substanz (omnis spiritalis substantia)«¹³¹. In princ. 3,6,7 spricht er davon, daß Gott allgemein zwei Naturen geschaffen habe, »die sichtbare, das heißt die körperliche Natur, und die unsichtbare Natur, die unkörperlich ist.«¹³² Eine vergleichbare Unterscheidung findet sich in princ. 2,9,1. Origenes spricht hier über den Anfang der Schöpfung und ausgehend von Weish 11,20(21) über die Erschaffung der Vernunftwesen (rationabiles naturae) und der Materie (materia corporalis).¹³³ virtus, facile percipere et fideliter continere … Calcidius benutzt virtus in der Bedeutung ›spezifische Eigenschaft‹ z. B. bei der Erläuterung der Elemente in in Ti. 22 (72,26–28): … sumemus duas quidem terrae virtutes, id est obtunsitatem et corpulentiam, unam vero ignis, id est motum, et exorietur aquae substantia, quae est corpus obtunsum corpulentum mobile. Zur Bedeutung von continueo ›der wesentliche Inbegriff von etwas sein‹ / ›das Wesen einer Sache ausmachen‹ siehe die Stellenangaben bei Georges, contineo 2bββ sowie das Oxford Latin Dictionary, contineo 12. Die Übersetzung von J. C. M.  W 1959, 61 verdeckt den Sinn des Abschnitts: »Others take it that the prophet, knowing that all things have a double feature, viz., an intelligible and a sensible one«. ¹³⁰ Zur Frage, ob der opinor-Satz auf Origenes zurückgeht, siehe Kapitel 1.2.1. ¹³¹ Hom. in Gen. 1,2 (Z. 10–13; 28 Doutreleau): Cum enim omnia quae facturus erat Deus ex spiritu constarent et corpore, ista de causa in principio et ante omnia caelum dicitur factum, id est omnis spiritalis substantia … Im Fortgang der Auslegung interpretiert Origenes dann das Verhältnis von caelum und firmamentum in einer Weise, die der dritten Auslegungsvariante (siehe Kapitel 4.1.3) entspricht. ¹³² Siehe princ. 3,6,7 (289,11–13 Koetschau): Omnis igitur haec ratio [d. h. die Ausführungen zur endzeitlichen Verwandlung der Körper C. K.] hoc continet, quod duas generales naturas condiderit deus: naturam visibilem, id est corpoream, et naturam invisibilem, quae est incorporea. ¹³³ Princ. 2,9,1 (165,4–16 Koetschau). Diesen Abschnitt zieht auch J. C. M.  W 1959, 64 f. heran. Origenes verweist im Kontext auch auf die Auslegung von Gen 1,1. Er setzt aber Himmel und Erde nicht mit den rationabiles naturae und der materia corporalis gleich, die er in Weish 11,20(21) findet, sondern bezieht sie allein auf die rationabiles naturae (vgl. 165,10 f.: Haec ergo sunt, quae in initio, id est ante omnia, a deo creata esse aestimandum est. mit 165,17 f.: Verum quoniam rationabiles istae naturae, quas in initio factas supra diximus, factae sunt cum ante non essent … Siehe dazu R. E. H 2005, 127). So bezeugt princ. 2,9,1 zwar die Unterscheidung der zwei Naturen, verknüpft mit Gen 1,1 aber die dritte, kosmologisch-anagogische Auslegungsvariante (siehe dazu Kapitel 4.1.3).

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In diesem Sinne ist der Abschnitt aus Calcidius zu interpretieren. Origenes unterscheidet nicht Materie- und Formprinzip,¹³⁴ sondern deutet die Erwähnung von Himmel und Erde nach Gen 1,1 als Hinweis darauf, daß die Gesamtheit aller Dinge die intelligible Natur und die sinnlich wahrnehmbaren Körper umfaßt. Dem Referat bei Calcidius zufolge unterscheidet Origenes in diesem Zusammenhang eine intelligible Materie, welche die Natur der spirituellen Schöpfung ist, und die sinnlich wahrnehmbare Materie, welche Grundlage aller individuellen Sinnesgegenstände ist. Origenes scheint der erste Ausleger zu sein, der Gen 1,1 in dieser Weise interpretiert.¹³⁵ Augustinus listet diese Interpretation in seiner Zusammenstellung verschiedener Auslegungen bereits als etablierte Variante auf.¹³⁶ Außerhalb des Referats bei Calcidius findet sich kein weiterer Beleg dafür, daß Origenes von einer intelligiblen Materie spricht. Dieser Befund könnte herangezogen werden, um Origenes diese Vorstellung abzusprechen. Auch wenn es wegen des Verlustes des Genesiskommentars nicht mit Sicherheit behauptet werden kann, so ist es meines Erachtens durchaus vorstellbar, daß Origenes diese Vorstellung im Rahmen seiner wissenschaftlichen Kommentierung des Schöpfungsberichtes in Form einer vorsichtigen Überlegung geboten hat. Die Vorstellung einer intelligiblen Materie begegnet in der Philosophie sonst dort, wo im Anschluß an Aristoteles auch bei intelligiblen Größen das Allgemeine vom Einzelnen, Individuellen unterschieden werden soll. Aristoteles nimmt an, daß auch mathematische Körper aus (intelligibler) Materie, d. h. mathematischer Ausdehnung, und Form zusammengesetzt sind.¹³⁷ Er redet außerdem von ὕλη νοητή bezogen auf Begriffe.¹³⁸ Demnach setzt sich ein Artbegriff zusammen aus dem Begriff der Gattung (d. h. der intelligiblen Materie) und Begriff des artbildenden Merkmals (d. h. der Form). Die Gattung ist dabei unbestimmte Möglichkeit der Arten, die durch die Bestimmung der jeweiligen differentia specifica entstehen. Der Vorstellung einer intelligiblen Materie im Origenesreferat des Calcidius kommt der Begriff der intelligiblen Materie nahe, den Plotin in Enn. II 4 (12) ¹³⁴ J. C. M.  W 1959, 62 mit Anm. 126 äußert diese Vermutung, relativiert sie dann aber, ohne seine Zurückhaltung gegenüber dieser Deutung in seine Übersetzung (siehe Anm. 129) einfließen zu lassen. In einem späteren Aufsatz korrigiert er seine Übersetzung: »… the prophet, knowing that there are two kinds of realities, an intelligible and a sensible …« (. 1967, 100). ¹³⁵ Siehe J. C. M.  W 1967, 101. ¹³⁶ Augustinus, conf. 12,20,29 (Z. 10–12; 230 Verheijen): … aliud qui dicit: ›In principio fecit deus caelum et terram‹, id est in verbo suo sibi coaeterno fecit informem materiam creaturae spiritalis et corporalis; … ¹³⁷ Z. B. Aristoteles, Metaph. 7,10 (1036a1–12). Siehe C. B 1890, 291–293; H. H 1971, 595–615 mit Forschungsdiskussion. ¹³⁸ Metaph. 5,6 (1016a26–28); 8,6 (1045a33–35); 10,8 (1058a23). Siehe C. B 1890, 293 f.; H. H 1971, 639–649 mit Forschungsdiskussion.

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vorstellt.¹³⁹ Ähnlich dem Referat bei Calcidius erweckt auch Plotin den Eindruck, eine keineswegs selbstverständliche Vorstellung zu entfalten.¹⁴⁰ Plotin unterscheidet in der intelligiblen Welt zwischen Materie und Form, um die Vielheit der Ideenwelt zu erklären.¹⁴¹ Insofern die intelligible Wirklichkeit sich von ihrem Ursprung, dem Einen, wegbewegt, ist sie unbestimmt und ungeformt. Sie wird bestimmt, sobald sie sich wieder zum Einen hinbewegt.¹⁴² Die intelligible Materie ist der Natur, nicht aber der Zeit nach früher als die Vielförmigkeit der Ideenwelt. Um das Verhältnis von Materie und Form in der intelligiblen Welt zu beschreiben, greift Plotin die pythagoreische Vorstellung auf, daß die Vielfalt der Idealformen bzw. Idealzahlen aus der Wirkung des Einen auf die unbestimmte Zweiheit (d. h. die intelligible Materie) entsteht.¹⁴³ Anders als die unstete materielle Grundlage der Sinneswelt gehört die intelligible Materie zum Seienden. Sie hat bestimmtes, geisthaftes Leben und wird in unwandelbarer Ruhe von den idealen Formen erfüllt.¹⁴⁴ Das Verhältnis von intelligibler Materie und Materie der Sinneswelt beschreibt Plotin als das Verhältnis von Urbild und Abbild.¹⁴⁵ Im Unterschied zu Plotin äußert sich Origenes in dem bei Calcidius erhaltenen Abschnitt weder zum ontologischen Verhältnis von intelligibler Materie und Materie der Sinneswelt, noch dazu, worin das Formprinzip in der intelligiblen bzw. der körperlichen Welt besteht. Er führt die intelligible Materie vorsichtig als incorporei quoque generis silvam intelligibilem (283,10 f. Waszink) ein und entwickelt sie in Analogie zur Materie der Körperwelt. Dabei betont er, daß beide den gleichen Ursprung haben: Beide sind von Gott geschaffen.¹⁴⁶ Augustinus¹⁴⁷ äußert sich in seiner Auslegung von Gen 1,1 in De Genesi ad litteram ausführlicher dazu, wie das geistige Leben Gestalt und Vollkommen¹³⁹ Siehe Plotin, Enn. II 4 (12) 1,14–5,39 (I 184–188 Henry / Schwyzer). Zu Plotins Vorstellung der intelligiblen Materie siehe J.-M. N 1993, 47–134. ¹⁴⁰ Siehe den Gedankengang von Enn. II 4 (12) 2,1–5,39 (I 184–188 Henry / Schwyzer) und J. C. M.  W 1967, 101. ¹⁴¹ Plotin, Enn. II 4 (12) 4,1–8 (I 186 Henry / Schwyzer). ¹⁴² Plotin, Enn. II 4 (12) 5,32–35 (I 188 Henry / Schwyzer). ¹⁴³ Plotin, Enn. V 4 (7) 2,4–9 (II 335 Henry / Schwyzer); vgl. V 1 (10) 5,13–19 (II 272 H. / S.). ¹⁴⁴ Plotin, Enn. II 4 (12) 5,13–17 (I 187 Henry / Schwyzer). ¹⁴⁵ Plotin, Enn. II 4 (12) 5,19 f. (I 187 Henry / Schwyzer). ¹⁴⁶ Die Ausführungen zur intelligiblen Materie in dem Referat des Calcidius sind zu unterscheiden von den Erwägungen zu einer geistigen Körperlichkeit der Vernunftwesen in princ. 3,6,4 (285,29–286,9 Koetschau). In der Auslegung von Gen 1,1 f. kommt es Origenes darauf an, am biblischen Text deutlich zu machen, daß die von Gott geschaffene Wirklichkeit zwei Klassen von Geschöpfen umfaßt. In princ. 3,6,4 fragt er ausgehend von paulinischen Texten zur Auferstehung des Leibes, ob die sinnlich wahrnehmbare Körpersubstanz in eine geistige Körpersubstanz übergehen kann. ¹⁴⁷ Zur Auslegung von Gen 1,1 bei Augustinus siehe knapp J. C. M.  W 1985, 141–144.

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heit gewinnt.¹⁴⁸ Er knüpft hier an die Auslegung an, die er in conf. 12,17,25 und 12,20,29 referiert und in conf. 12,17 seiner eigenen Deutung gegenüberstellt.¹⁴⁹ Sollte diese Interpretation auf die Genesisauslegung des Origenes zurückgehen,¹⁵⁰ so wiese Origenes’ Konzept einer intelligiblen Materie auch an dieser Stelle formale Parallelen zu Plotin auf.¹⁵¹ Jacobus C. van Winden vermutet, daß die Vorstellung einer intelligiblen Materie auf Ammonius Saccas zurückgeht und von ihm an Origenes und Plotin weitergegeben wurde.¹⁵² Diese Vermutung bleibt jedoch hypothetisch.¹⁵³ Nicht auszuschließen ist, daß zwei Denker wie Origenes und Plotin die Annahme einer intelligiblen und einer sinnlich wahrnehmbaren Welt vor dem Hintergrund der aristotelischen Unterscheidung von Materie und Form auf diese Weise unabhängig voneinander weiterentwickelt haben. Im Unterschied zu Plotin versteht Origenes die intelligible Materie aber nicht als Grundlage der Ideenwelt, sondern als Natur der spirituellen Schöpfung und interpretiert sie damit – ähnlich Augustinus – anthropologisch als spiritalis substantia des geistigen Menschen.¹⁵⁴ b) Auslegung von Gen 1,2a. Die Deutung von Gen 1,1 als Hinweis auf die Erschaffung von substantia spiritalis und substantia corporum sieht Origenes durch die Prädikate der Erde in Gen 1,2a bestätigt, die nach den Lesarten der verschiedenen Übersetzungen als Attribute der Materie gedeutet werden können.¹⁵⁵ Wie Exegeten vor ihm nutzt Origenes dafür die Anklänge an verschiedene naturphilosophische Charakterisierungen der Materie.¹⁵⁶ Die Bezeich¹⁴⁸ Gn. litt. 1,1 (4,14–18 Zycha). Vgl. mit conf. 13,5,6 (Z. 4–9; 244 Verheijen). ¹⁴⁹ So J. C. M.  W 1985, 143 f. gegen J. P. Zur Einschätzung, welche der refe-

rierten Deutungen Augustinus in conf. 12 selbst vertritt, siehe die Auseinandersetzung zwischen  W und P in  W 1991. ¹⁵⁰ So bereits J. C. M.  W 1985, 144 Anm. 47 zu seiner Interpretation von Augustinus, conf. 12. ¹⁵¹ J. C. M.  W 1985, 144 Anm. 47 weist darauf hin, daß Origenes z. B. in Jo. 1,16,92 (20,15–18 Preuschen) darlegt, daß Gotteserkenntnis den geistigen Menschen formt. ¹⁵² J. C. M.  W 1967, 101. ¹⁵³ Kritisch betrachtet auch G. D 2005, 836 den Versuch, aus Übereinstimmungen zwischen Origenes und Plotin die Lehre des Ammonius zu rekonstruieren. ¹⁵⁴ Siehe Origenes, hom. in Gen. 1,2 (Z. 15–18; 28 Doutreleau). ¹⁵⁵ Origenes bei Calcidius, in Ti. 278 (282,16–283,8 Waszink). Vgl. Origenes, princ. 4,4,6 (357,6–19 Koetschau). Durch die Prädikate der Erde nach Gen 1,2, welche die Identität von ›Erde‹ und Materie bekräftigen, sieht Origenes implizit auch die Identität von ›Himmel‹ und natura intelligibilis / substantia spiritalis durch den Text erwiesen. ¹⁵⁶ Z. B. Justin, 1 apol. 59,1–5 (115,1–11 Marcovich); Hermogenes bei Tertullian, adv. Hermog. 25,1 f. (42,9–11; 42,17–43,1 Waszink); 27 f. (45,1–46,10). Zur Interpretation dieses Verses bei Hermogenes siehe K. G 2000, 217–226. Gegen dessen Deutung von ›Erde‹ in Gen 1,1 f. im Sinne der »Materie der Philosophen« wenden sich Theophilus von Antiochien, Autol. 2,13 (Z. 12–43; 59 f. Marcovich) und Tertullian, adv. Hermog. 29 (46,11–48,7). Theophilus nimmt gleichwohl Gen 1,2 zum Anlaß, über die Geschaffenheit der Materie zu sprechen, die hier τρόπῳ τινί ausgesagt sei (Autol. 2,10 [Z. 25–32; 54]; dazu P. N 1973, 73 f.). Siehe auch die Übersicht bei M. A 1988, 78 f.

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nung der Materie als ungeformte bzw. vorgängige Substanz der Welt verweist auf die Unterscheidung von Materie und Form und greift die Bestimmung der Materie als Grundlage (ὑποκείμενον) der Körper (vgl. 282,15 Waszink) auf.¹⁵⁷ In der Erläuterung, daß die unsichtbare Erde als qualitätslose Materie aufzufassen ist, rekurriert Origenes auf Bestimmungen der Materie im Timaeus sowie auf den Zusammenhang von Farbe, Form, Körperlichkeit und Sichtbarkeit, wie er in antiken Farb- und Sehtheorien formuliert wird.¹⁵⁸ Die Materie als receptrix / ὑποδοχή zu bezeichnen, geht auf Passagen wie Ti. 49a zurück.¹⁵⁹ Daß die Materie von Natur aus frei von Qualitäten sei, ist Lehre von Platonikern, Aristotelikern und Stoikern.¹⁶⁰ Insofern die Materie frei von allen Qualitäten ist, bestimmt Origenes sie außerdem als Nichts. Mit dieser Ableitung folgt er möglicherweise neupythagoreisch-platonischen Kreisen oder spielt auf die Negation der Materie als Substratum an, die er in princ. 4,4,7 wohlwollend referiert.¹⁶¹ Die Bestimmung der Materie als inaktiv (otiosus / ἀργός) findet sich bei Stoikern und Platonikern¹⁶² und drückt im Gegensatz zu Gott bzw. dem Demiurgen als aktiver Ursache die Passivität der Materie aus. Indem Origenes vor diesem Hintergrund das an Ti. 30a.52e.69b orientierte Prädikat indigestus erläutert als Bezeichnung der Möglichkeit, Ordnung aufzunehmen, vermeidet er, die Materie als chaotische und eigengesetzliche Ursache zu zeichnen. Origenes assoziiert in seiner Erläuterung zu Gen 1,2a verschiedene Bestimmungen der Materie, ohne sich dabei auf eine bestimmte philosophische Kon¹⁵⁷ Vgl. mit der Formulierung bei Calcidius, in Ti. 278 (282,17 f. Waszink): … silva corporea, vetus mundi substantia, prius quam efficta dei opificis sollertia sumeret formas, … ¹⁵⁸ Nach platonischer Vorstellung ist die Materie aus erkenntnistheoretischer Perspektive unsichtbar in dem Sinne, daß sie nur durch die Methode der ἀφαίρεσις, d. h. durch die gedankliche Wegnahme aller Formen und Qualitäten durch eine Art Bastard-Verstand erfaßt werden kann (Ti. 52b2). Aus physikalischer Perspektive läßt Unsichtbarkeit auf Unkörperlichkeit, Gestaltlosigkeit und Farblosigkeit schließen. Siehe F. X. R 1999, 173 Anm. 178 mit Belegen dafür, daß die Verbindung von Sichtbarkeit mit Körperlichkeit, Gestalt und Farbe allgemeines, schulmäßiges Wissen darstellt. In dieser Interpretation der Eigenschaft ἀόρατος zählt die Erde von Gen 1,1 gerade nicht zur Klasse der unkörperlichen, d. h. intelligiblen Wesenheiten (gegen H. C 1959, 45). ¹⁵⁹ Zur Identifikation der platonischen ὑποδοχή als ὕλη siehe die Belege bei S. R. C. L 1971, 193 Anm. 2. ¹⁶⁰ Siehe die Belege bei S. R. C. L 1971, 193 Anm. 1–4. ¹⁶¹ Diese Argumentation findet sich ähnlich in platonisch-neupythagoreischen Kreisen und bei Plotin (siehe S. R. C. L 1971, 195 f.). Zu princ. 4,4,7 (357,29–358,5 Koetschau) siehe Kapitel 4.3.2.c und M. J. E 2002, 63. Eine ganz andere Behandlung des Nichts findet sich im Johanneskommentar, wo Origenes das Nichts als Ursache des Übels gerade nicht mit der Materie in Verbindung bringt (Jo. 2,13,91–96 [68,10–69,17 Preuschen]). ¹⁶² Plutarch zitiert die stoische Definition der Materie als τὸ ἄποιον καὶ ἀργὸν ἐξ ἑαυτοῦ καὶ ἀρρεπές (vgl. Stoic. 43 [1054a] und comm. not. 34 [1076cd] mit SVF II 449) und charakterisiert im Rahmen seiner Auslegung von Ti. 35ab die Materie selbst mit dieser Formel (an. procr. 6 [1015a]).

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zeption festzulegen.¹⁶³ Er verschließt sich lediglich atomistischen Theorien. Er vermeidet außerdem, die in den verschiedenen Lesarten von Gen 1,2a vorgegebenen Prädikate so auszulegen, daß sie – wie beispielsweise bei Numenius – die Materie als eigengesetzliches, ungeordnetes Prinzip charakterisieren, was für informis und indigestus vor dem Hintergrund des Timaeus durchaus möglich wäre. Die Eigenschaften der Erde, die Origenes als Attribute der Materie deutet, konvergieren in einer Vorstellung von Materie, die alles Gott verdankt und nichts aus sich selbst hat: Form, Qualitäten, Ordnung und – wie Origenes einfügt – Existenz. Ähnlich beschreibt Origenes die Materie in dem bei Eusebius überlieferten Fragment des Genesiskommentars.¹⁶⁴ Zu dieser Vorstellung fügt sich auch die Deutung der jüdischen Sonderlesart,¹⁶⁵ die er den traditionellen Übersetzungen von Septuaginta, Aquila und Symmachus hinzufügt und als a vera proprietate derivata interpretatio besonders hervorhebt.¹⁶⁶ Demnach bezeichne die Bibel die Erde als stupida quadam admiratione. Damit sieht Origenes die Materie beschrieben, die gewissermaßen wie eine Seele »von der Majestät ihres Urhebers und Schöpfers gefangen staunt«¹⁶⁷. Der absoluten Unvollkommenheit, ja Nichtigkeit der Materie stellt er die Majestät ihres Urhebers und Schöpfers gegenüber. Die Materie hat den ontologischen Status eines Geschöpfs, das alles von Gott her empfängt, und nicht den Status eines unabhängigen Prinzips. Mit seiner Auslegung von Gen 1,1–2a knüpft Origenes an die Tradition an, welche die Erde von Gen 1,1 f. als ungeformte Materie auffaßt. Konsequenter als seine Vorgänger fragt er aber, was angesichts dieser Auslegung auf der philosophischen Deutungsebene des Textes unter ›Himmel‹ in Gen 1,1 zu verstehen ist, und interpretiert Himmel und Erde von Gen 1,1 als unkörperliche, intelligible und als körperliche, sinnlich wahrnehmbare Substanz.¹⁶⁸ Auf diese Weise liest er Gen 1,1 f. als Hinweis dafür, daß die von Gott geschaffene Wirklichkeit die intelligible und die sinnlich wahrnehmbare Natur umfaßt. Seine ¹⁶³ Vgl. damit die verschiedenen Definitionen der Materie, die Origenes in or. 27,8 vermutlich ausgehend von einem stoischen Handbuch oder Lexikon (siehe Anm. 86) auflistet. ¹⁶⁴ Origenes bei Eusebius Caes., p. e. 7,20 (402,6–403,18 Mras). ¹⁶⁵ J. C. M.  W 1981 weist Parallelen dieser Deutung mit gnostischen Beschreibungen der Materie nach, die auf einer allegorischen Deutung von ›Erde‹ Gen 1,1 f. und einer Personifikation der Materie beruhen, und vermutet als Ursprung jüdische bzw. jüdisch-christliche Kreise mit Kontakt zu gnostischen Zirkeln. ¹⁶⁶ Origenes bei Calcidius, in Ti. 276 (280,10 f. Waszink). ¹⁶⁷ Origenes bei Calcidius, in Ti. 278 (283,6–8 Waszink): ›Stupidae vero ex admiratione‹ significatio animae vim quandam similitudinemque declarat, siquidem opificis et auctoris sui maiestate capta stuperet. ¹⁶⁸ Theophilus von Antiochien beispielsweise interpretiert die Erde von Gen 1,1 f. naturphilosophisch als τρόπῳ τινὶ ὕλην γενητήν (siehe Anm. 156); den Himmel von Gen 1,1 deutet er aber auf einer anderen Auslegungsebene als anderen, unsichtbaren Himmel oberhalb des Firmaments und der oberen Wasser (Autol. 2,13 [Z. 32–37; 60 Marcovich]).

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Deutung bleibt somit bei der Erklärung von Himmel und Erde auf einer Auslegungsebene. Seine dritte, anagogische Auslegung legt erneut beide Größen auf einer Deutungsebene aus. 4.1.3. Der himmlische Kosmos der Heiligen Die dritte Auslegungsvariante ist bei Calcidius nicht überliefert. Origenes skizziert sie aber in verschiedenen Homilien sowie in princ. 2,3,6 und 3,6,8.¹⁶⁹ In princ. 2,3,6 verweist er für diese Auslegung explizit auf seinen Genesiskommentar.¹⁷⁰ Auch Cels. 6,50 spielt auf diese Interpretation an und schreibt sie dem Genesiskommentar zu.¹⁷¹ Sie ist daher für Origenes als Auslegung von Gen 1,1 gesichert. Vermutlich hat Origenes auch diese Interpretation in seinem Genesiskommentar anonym eingeführt.¹⁷² Diese dritte Auslegung von Gen 1,1 wird in dem bei Calcidius überlieferten Einleitungsabschnitt zur quaestio, die Himmel und Erde nach Gen 1 behandelt, vorbereitet. Demnach bezeichnet Gen 1,1 intelligible Größen, die dem sichtbaren Himmel und der sichtbaren Erde vorangehen.¹⁷³ Dieses Vorangehen ist nicht zeitlich zu verstehen, wie die Auslegung zu initium sowie das Katenenfragment zu Gen 2,2.4 zeigen.¹⁷⁴ Himmel und Erde nach Gen 1,1 gehen den sichtbaren Größen im Ansehen und in der Würde voran. Origenes identifiziert diese Größen anhand verschiedener biblischer Aussagen. So ist der Himmel Gen 1,1 der unkörperliche Thronsitz Gottes, von dem ¹⁶⁹ Z. B. hom. in Num. 26,5 (251,27–252,6 Baehrens [Auslegung von terra in Num 32,28 f.]); hom. in Ps. 36 2,4 (Z. 19–34; 106–108 Prinzivalli [Auslegung von terra in Ps 36 (37),9]); hom. in Ps. 36 5,4 (Z. 34–54; 236–238 [Auslegung von terra in Ps 36(37),34]); princ. 2,3,6 (123,1–18 Koetschau); 3,6,8 (289,27–33) sowie unter Vorbehalt 2,9,1 (165,10–16 [dazu Anm. 133]). Die Homilien sind in der lateinischen Übersetzung des Rufin überliefert, der in dem Nachwort seiner Übersetzung des Römerbriefkommentars berichtet, daß er die Psalmenhomilien übersetzt habe, wie er sie vorfand, während er bei den Numerihomilien in einer fortlaufenden Texterklärung das vereinigt habe, was er an Material über das Buch bei Origenes in homiletischer Form oder in den Exzerpta schriftlich vorgefunden habe (epil. in expl. Orig. Rom. 276 f. [Simonetti]). Daß Rufin auch sonst verschiedene Methoden der Übersetzung verwendet und bewußt reflektiert, stellt F. S. J 1995, 42–44 an Äußerungen Rufins heraus. ¹⁷⁰ Princ. 2,3,6 (123,13–15 Koetschau). ¹⁷¹ Cels. 6,50 f. (121,30–122,17 Koetschau). Siehe R. E. H 2005, 127. ¹⁷² In princ. 2,3,6 führt Origenes diese Deutung anonym ein. Siehe die Verwendung der 3. P. Pl. in princ. 2,3,6: volunt (122,22.25; 123,2.12 Koetschau); vocant (122,26); dicunt (123,3) sowie die unpersönliche Form creditur (123,7). ¹⁷³ Vgl. Calcidius, in Ti. 277 (282,2–4 Waszink): … ut sit evidens neque hoc caelum cognitum nobis neque hanc in qua sumus terram ab exordio facta, sed alia esse antiquiora, intellectu potius quam sensibus haurienda. Die Bezeichnung als antiquiora ist nicht zeitlich zu verstehen. ¹⁷⁴ Siehe die Ausführungen zu initium bei Calcidius, in Ti. 276 (280,14–281,15 Waszink) sowie das Katenenfragment aus dem Kommentar zu Gen 2,2.4 (Cat. in Gen. frg. 193 [134 Petit]). Siehe dazu Kapitel 2.

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Jes 66,1 spricht. Im Unterschied dazu ist der Himmel nach Gen 1,6 durch seine Bezeichnung firmamentum bzw. στερέωμα eindeutig als körperlich charakterisiert.¹⁷⁵ In der Auslegung der Bezeichnung firmamentum / στερέωμα als Hinweis auf die Körperlichkeit des Himmels von Gen 1,6–8 folgt Origenes Philo, der eine Verbindung zwischen der biblischen Bezeichnung des Himmels als στερέωμα zu physikalischen Definitionen des Körpers zieht. Nach diesen ist ein Körper charakterisiert durch seine Festigkeit (vgl. στερεόν), durch die er tastbar (ἁπτός) ist und Widerständigkeit (ἀντιτυπία) besitzt.¹⁷⁶ Der Himmel von Gen 1,1 ist jener Himmel, an den nach Lk 10,20 die Namen der Heiligen geschrieben werden. Ähnlich verknüpft Origenes die Erwähnung der Erde in Gen 1,1 mit der biblischen Verheißung des Landes, das den Gläubigen und Heiligen einst zum himmlischen Erbe gegeben wird. So ist die Erde in Gen 1,1 für ihn »das gute Land« von Ex 3,8, »das Land der Lebendigen« aus Jer 11,19 und den Psalmen, »das Land, wo Milch und Honig fließt« von Ex 13,5, die Erde, die nach Mt 5,5 den Sanftmütigen verheißen ist.¹⁷⁷ Dieses Land befindet sich nach Ps 36(37),3–6 in der Höhe. Origenes deutet daher in hom. in Ps. 36 5,4, aber auch in princ. 2,3,6 die zweifache Erwähnung von Himmel und Erde in Gen 1 als einen Hinweis auf verschiedene Bereiche, die er übereinander ordnet. Die Erde, auf der wir leben, ist »unten«; jene Erde der Heiligen ist »in der Höhe«. Über der Erde nach Gen 1,10 wölbt sich der sichtbare Himmel, das Firmament. Jene höhere Erde bezeichnet Origenes in ¹⁷⁵ Siehe die Auslegung von Gen 1,6 f. in hom. in Gen. 1,2 (Z. 4–9; 28 Doutreleau): Cum iam antea Deus fecisset caelum, nunc firmamentum facit. Fecit enim caelum prius, de quo dicit: Caelum mihi sedes. Post illud autem firmamentum facit, id est corporeum caelum. Omne enim corpus firmum est sine dubio et solidum; et hoc est quod ›dividit inter aquam quae est super caelum et aquam quae est sub caelo‹. ¹⁷⁶ Siehe Philo, Opif. 10,36 (11,8–12 Cohn). Dazu D. T. R 2001, 176. Vgl. Platon, Ti. 31b und stoische Definitionen bei Diogenes Laertius 7,135 (= 45E Long / Sedley): σῶμα δ’ ἐστίν, ὥς φησιν Ἀπολλόδωρος ἐν τῇ Φυσικῇ, τὸ τριχῇ διαστατόν, εἰς μῆκος, εἰς πλάτος, εἰς βάθος· τοῦτο δὲ καὶ στερεὸν σῶμα καλεῖται. [Galen], qual. incorp. 10 (= 45F Long / Sedley): … τοῦ σώματος τοῦτον ὅρον εἶναί φασιν τὸ τριχῇ διαστατὸν μετὰ ἀντιτυπίας, … (hier ist das Merkmal des physikalischen Körpers, die ἀντιτυπία, genannt). Siehe auch M. A 1988, 102; C. S 1996a, 297–299 (besonders zum Unterschied zwischen mathematischen und physikalischen Definitionen des Körpers). K. G 1914, 74 Anm. 1 verweist außerdem auf Sextus Empiricus, P. 2,30 (63,12–14 / 71 Mutschmann/Mau); 3,39.152 (128,10–16 / 143 f.; 156,20–23 / 175); Calcidius, in Ti. 8.32.38, ohne allerdings zwischen Definitionen mathematischer und physikalischer Körper zu unterscheiden. An diese philonischorigenianische Auslegung von firmamentum / στερέωμα knüpfen auf verschiedene Weise auch Basilius von Caesarea (hex. 3,4 [43,26–44,16 Amand de Mendieta / Rudberg], fortgeführt in 3,7 [49,11–20]) und Gregor von Nyssa (hex. 18 [28,25–34 Forbes]) an. ¹⁷⁷ Diese Identifikationen von Himmel und Erde in Gen 1,1 finden sich relativ übereinstimmend in allen Zeugnissen dieser Genesisauslegung: princ. 2,3,6 (123,6–11 Koetschau); hom. in Num. 26,5 (251,11–13; 251,22–253,1 Baehrens); hom. in Ps. 36 2,4 (Z. 22–24; 108 Prinzivalli); hom. in Ps. 36 5,4 (Z. 51–54; 238 Prinzivalli).

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Anlehnung an Plato, Phdr. 247bc als »Rücken des Firmaments«.¹⁷⁸ Sie hat über sich jenen höheren Himmel, den Gen 1,1 nennt. Den Zusammenhang von Erde und sichtbarem Himmel nach Gen 1,6.8–10 bezeichnet Origenes auch als unseren, d. h. irdischen Kosmos. Himmel und Erde oberhalb des Firmaments nennt er den Kosmos der Heiligen.¹⁷⁹ Beide κόσμοι sind nach Origenes geschaffen und daher ihrer Natur nach vergänglich. Allerdings ist der irdische Kosmos sichtbar und wird tatsächlich vergehen. Der Kosmos der Heiligen dagegen ist »nicht zu sehen« (2 Kor 4,18–5,1) und wird durch Gottes Willen nicht der Vergänglichkeit unterworfen, wie Origenes in Anspielung auf Röm 8,20 f. und Plato, Ti. 41ab bemerkt.¹⁸⁰ In dieser Auslegung hallen platonische Motive wider, die aber in einem durch biblische Texte konstituierten Zusammenhang stehen. So erinnert die Unterscheidung von irdischem, sichtbarem und himmlischem, nicht zu sehendem Kosmos formal an die platonische Unterscheidung von sinnlich wahrnehmbarem Kosmos (κόσμος αἰσθητός) und intelligiblem Ideenkosmos (κόσμος νοητός). Diese Assoziation wird dadurch verstärkt, daß Origenes die Erde nach Gen 1,1 mit der Anspielung auf Phdr. 247bc als »Rücken des Firmaments« bezeichnet und damit als den Ort benennt, von wo aus die Seele den »Ort des gestaltlosen und unsichtbaren Wesens«, den Ideenkosmos, schaut.¹⁸¹ Origenes beschreibt den Kosmos der Heiligen aber weiterhin in einer Weise, die es erschwert, ihn mit dem platonischen Ideenkosmos gleichzusetzen.¹⁸² Zum einen fungiert der Kosmos der Heiligen nach Origenes nicht als Modell für die Erschaffung der sichtbaren Welt. Zum anderen präzisiert Origenes, in welchem Sinne seine aus 2 Kor 4,18–5,1 abgeleitete Aussage, der Kosmos der Heiligen sei nicht zu sehen, zu verstehen ist.¹⁸³ Er legt dar, daß das, was nicht zu sehen ist, nicht als unsichtbar verstanden werden darf, da dies der biblische Ausdruck für die Bezeichnung der unkörperlichen, intelligiblen Wesenheiten in der griechischen Philosophie sei.¹⁸⁴ Nach Origenes ist der Kosmos der Heiligen seinem Wesen nach körperlich und zu sehen; er kann von denen, die von der irdischen Erde aus schauen, lediglich jetzt noch nicht Hom. in Ps. 36 5,4 (Z. 50; 238 Prinzivalli). Siehe princ. 2,3,6 (124,7 f. Koetschau). Siehe princ. 2,3,6 (124,1–25 Koetschau). Platon, Phdr. 247a–c. Auch in Contra Celsum rekurriert Origenes auf die Aussagen des platonischen Phaedrus über den κόσμος νοητός, um den überhimmlischen Ort zu beschreiben (Cels. 6,59 [130,5 Koetschau]: Ort des Aufstiegs nach Verlassen des irdischen Kosmos in Anlehnung an Phdr. 247c; Cels. 7,44 [196,2 f.]: Aufstieg des Christen im Gebet in Anlehnung an Phdr. 247a–c). ¹⁸² Siehe princ. 2,3,6 (124,1–25 Koetschau) im unmittelbaren Umfeld des Verweises auf den Genesiskommentar. ¹⁸³ Princ. 2,3,6 (124,8–25 Koetschau). ¹⁸⁴ Zum Gegensatz körperlich / unkörperlich, für den die Bibel sichtbar / unsichtbar gebrauche, siehe außerdem princ. 1 praef. 8 f. (14,14–15,27 Koetschau); 4,3,15 (347,5–22 Koetschau). ¹⁷⁸ ¹⁷⁹ ¹⁸⁰ ¹⁸¹

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gesehen werden.¹⁸⁵ Mit dieser Darlegung verwahrt sich Origenes energisch dagegen, seine dritte Auslegungsvariante zu Himmel und Erde auf platonische Weise falsch zu verstehen. De Principiis 2,3,6 enthält außerdem eine Erläuterung des Begriffs κόσμος, die ebenfalls einem platonisierenden Mißverständnis vorbeugt.¹⁸⁶ Origenes sieht sich im Rahmen seiner Auslegungen der biblischen Bücher immer wieder aufgefordert, die Bedeutung des Wortes κόσμος zu bestimmen, da es je nach Textzusammenhang Unterschiedliches meine.¹⁸⁷ So legt er zum Beispiel in seinem Kommentar zum Matthäusevangelium ausgehend von Mt 18,7 die Bedeutungen von κόσμος in Joh 1,10 dar. Er verwirft die Ansicht, daß κόσμος hier allgemein und umfassend das System aus Himmel und Erde meine und faßt das Wort als Bezeichnung allein für den irdischen Bereich (ὁ περίγειος τόπος) auf, den er vom Kosmos der Gestirne unterscheidet. Präzisierend fährt er fort, daß genaugenommen nur der bewohnte Bereich der Erde gemeint sei und hier ausschließlich die Menschen und möglicherweise die Mächte, die diesem irdischen Ort eigentümlich sind.¹⁸⁸ Origenes unterscheidet also von den Bedeutungen, die einen eingegrenzten und näher bestimmten Bereich oder eine Gruppe bezeichnen, ein weitergefaßtes und umfassendes Verständnis von κόσμος. In diesem Sinne bestimmt er den κόσμος als System (σύστημα) aus Himmel und Erde.¹⁸⁹ Deutlich erkennbar lehnt er sich damit an stoische Definitionen an, die den Kosmos als σύστημα aus Himmel und Erde bzw. Himmel, Erde, Luft und Meer sowie den darin enthaltenen Naturen auffassen.¹⁹⁰ In princ. 2,9,3 nennt Origenes Kosmos »alles, was über dem Himmel ist, in den Himmeln, auf der Erde, in der sogenannten Unterwelt und überhaupt alle sonstigen Orte ¹⁸⁵ Diese Aussage legt nahe anzunehmen, daß nach Origenes auf dieser Interpretationslinie auch die geschaffenen Vernunftwesen, die den Kosmos der Heiligen bewohnen bzw. ihn bilden (so P. N 1973, 90 Anm. 89), einen Körper besitzen. ¹⁸⁶ Siehe princ. 2,3,6. Origenes sagt in 123,13–15 (Koetschau): Verum de huiuscemodi opinionibus plenius in illo loco tractavimus, cum requireremus, quid esset quod »In principio fecit deus caelum et terram«. Die hier angesprochenen opiniones (Pl.) umfassen sicherlich nicht nur die 122,22–123,18 verhandelte Position zu Gen 1,1, sondern auch die vorangegangene Erörterung zur Bedeutung von Kosmos, die auch sachlich mit der Auslegung von Gen 1,1 eng verbunden ist. ¹⁸⁷ Siehe die Einleitung zur Erörterung von κόσμος in comm. in Mt. 13,20 (234,30–235,2 Klostermann) sowie in princ. 2,3,6 (121,1–4 Koetschau). Eine knappe Übersicht über verschiedene Bestimmungen von κόσμος bei Origenes bietet D. W 2006, 740 f. ¹⁸⁸ So comm. in Mt. 13,20 (235,3–31 Klostermann). ¹⁸⁹ Die gleiche Unterscheidung findet sich auch in Jo. 1,15,87 (19,20–23 Preuschen): ὅπερ εὐαγγέλιον λεγόμενον λαλεῖσθαι ἐν ὅλῳ τῷ κόσμῳ ἡμεῖς ἐκλαμβάνομεν ἀπαγγέλλεσθαι ἐν ὅλῳ τῷ κόσμῳ, οὐ μόνον τῷ περιγείῳ τόπῳ ἀλλὰ καὶ παντὶ τῷ συστήματι τῷ ἐξ οὐρανοῦ καὶ γῆς ἢ ἐξ οὐρανῶν καὶ γῆς. ¹⁹⁰ Siehe die stoischen Definitionen: der Kosmos als σύστημα ἐξ οὐρανοῦ καὶ γῆς καὶ τῶν ἐν τούτοις φύσεων (SVF II 527.529 [168,12 f.; 169,39 f. von Arnim]); als σύστημα ἐξ οὐρανοῦ καὶ γῆς καὶ τῶν μεταξὺ φύσεων (SVF II 638 [192,35 f.]); als σύστημα ἐξ οὐρανοῦ καὶ ἀέρος καὶ γῆς καὶ θαλάττης καὶ τῶν ἐν αὐτοῖς φύσεων (SVF II 528 [169,22 f.]); als τὸ ἐκ θεῶν καὶ ἀνθρώπων σύστημα καὶ ἐκ τῶν ἕνεκα τούτων γεγονότων (SVF II 527 [168,13 f.]; vgl. 528 [169,23–25]). Zu Origenes’ Benutzung stoischer Lexika siehe Anm. 86. Die stoische Definition wird auch von Platonikern aufgegriffen und ihrer Kosmologie entsprechend abgewandelt (z. B. Plutarch, plat. quaest. 2 [1001b]; Alkinoos, Intr. 13 [168,8 f. Hermann / Whittaker]).

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sowie die Wesen, die als dort lebend erwähnt werden.«¹⁹¹ Er bestimmt hier den Kosmos ebenfalls umfassend als Gesamtheit aller Orte und deren Bewohner und nennt sie in absteigender Ordnung. Auffällig ist dabei, daß er hier deutlich mehr und auch andere Orte innerhalb des Kosmos unterscheidet, als in der stoischen Definition erwähnt werden, die er in der Passage des Matthäuskommentars aufgreift. Diese charakteristische Veränderung der stoischen Definition geht einerseits auf den Einfluß von Phil 2,10 zurück, wo Origenes drei Ordnungen kosmischer Bewohner erwähnt sieht, die »Himmlischen, Irdischen und Unterirdischen«. In diesen drei Bezeichnungen sieht Origenes das ganze All umschrieben.¹⁹² Innerhalb des Kosmos verschiedene Bereiche zu unterscheiden, legt sich für Origenes aber auch von anderen Schriftstellen her nahe. So versteht er die Texte, die von der Sendung des Johannes oder des Propheten Jesaja in diese irdische Welt sprechen (Joh 1,6; Jes 6,8), als Hinweis auf die Existenz weiterer, davon unterschiedener Orte.¹⁹³ Eine wichtige Rolle spielt schließlich die Auslegung von Joh 17,14.16, wo Jesus von sich sagt: »Ich bin nicht von dieser Welt«.¹⁹⁴

Origenes unterscheidet eine Bedeutung von Kosmos im allgemeinen und umfassenden Sinne von verschiedenen Bedeutungen im engeren Sinne, die jeweils bestimmte Bereiche des Kosmos bezeichnen. Dabei fragt er ausführlich, welcher Kosmos in Texten wie Joh 8,23 oder 17,14.16 bezeichnet werde.¹⁹⁵ Das Herrenwort »Ich bin nicht von dieser Welt« sieht er als Hinweis darauf, daß es neben dem sichtbaren Kosmos noch einen anderen Kosmos gibt. Diesen Kosmos betrachtet er als den Ort, der herrlicher als der irdische Kosmos ist. Aus Joh 8,23 entnimmt er auch, daß dieser irdische und sichtbare Kosmos unten (κάτω), jener Kosmos des Erlösers oben (ἄνω) ist.¹⁹⁶ Von dort kommt der Erlöser und dorthin gehen einst die Heiligen. Den in Joh 8,23 genannten Kosmos identifiziert er schließlich mit dem Kosmos der Heiligen, von dem Gen 1,1 spricht. Dabei gesteht er ein, daß dieser Kosmos schwierig zu bestimmen ist. Er lehnt es aber ausdrücklich ab, damit »die Ideen, wie sie die Hellenen nennen«, zu vertreten, da es ganz und gar nicht seiner Absicht entspreche, »einen körperlosen Kosmos anzunehmen, der nur in der Vorstellung des Geistes, im schwankenden Reich der Ideen existiert«¹⁹⁷. Vorsichtig legt er dar, daß der Kosmos der Heiligen der sichtbaren Welt zwar an Würde und Beschaffenheit überlegen ist, aber dennoch innerhalb der Grenzen der einen, alles umfas¹⁹¹ Princ. 2,9,3 (166,12–15 Koetschau): Mundum nunc dicimus omne quod est vel super caelos vel in caelis vel super terram vel in his, qui inferi appellantur, vel quaecumque usquam prorsus loca sunt, et hi, qui in ipsis degere nominantur: totum ergo hoc mundus vocatur. ¹⁹² Princ. 1,6,2 (80,5–8 Koetschau): … omnes scilicet hi, qui ›in nomine Iesu genu flectentes‹ per hoc ipsum subiectionis suae insignia declararunt, qui sunt ›caelestium et terrestrium et infernorum‹; in quibus tribus significationibus omnis universitas indicatur, … ¹⁹³ In Jo. 2,29,175 (85,28–86,1 Preuschen). ¹⁹⁴ Siehe princ. 2,3,6 (121,21–122,13 Koetschau). ¹⁹⁵ Princ. 2,3,6 (121,21–122,13 Koetschau). ¹⁹⁶ Der Gegensatz κάτω-ἄνω durchzieht die gesamte Auslegung von Joh 8,23 im Johanneskommentar (Jo. 19,20,127–19,22,150 [320–324 Preuschen]). ¹⁹⁷ Princ. 2,3,6 (122,1–4 Koetschau).

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senden Welt liegt.¹⁹⁸ Diese Überzeugung schlägt sich auch in der Zusammenfassung nieder, die Origenes den Ausführungen zu Gen 1,1 voranstellt. Darin formuliert Origenes die Annahme, daß die Gesamtheit dessen, was ist und subsistiert, das Himmlische und das Überhimmlische, das Irdische und das Unterirdische, ein vollkommener Kosmos im allgemeinen Sinne genannt wird. Von diesem Kosmos ist anzunehmen, daß in ihm und von ihm die übrigen Kosmoi, die in ihm sind, umfaßt werden.¹⁹⁹

Origenes insistiert hier darauf, daß sowohl der irdische, als auch der überhimmlische Kosmos Teilbereiche des einen, umfassenden Kosmos sind. Damit betont er ausdrücklich, daß der überhimmlische Bereich kein Kosmos im Sinne des platonischen Kosmos der Ideen ist, der völlig getrennt vom sinnlich wahrnehmbaren Kosmos existiert. Alle Bereiche dieses umfassenden Kosmos bezeichnet er gleichermaßen als »jene, die sind und subsistieren«. Diese Bestimmung richtet sich deutlich gegen eine platonische Ontologie, nach der Sein und selbständige Existenz nur den intelligiblen Ideen, d. h. dem überhimmlischen Bereich zukommt. Es zeigt sich, daß der Kosmos im umfassenden Sinne für Origenes ein gestuftes System von Orten bzw. Räumen samt deren Bewohner darstellt, das den ›überhimmlischen Ort‹ aus Phdr. 247a–c in sich enthält.²⁰⁰ Vor dem Hintergrund biblischer Texte modifiziert Origenes damit einerseits eine bestimmte Form stoischer Kosmosdefinition und richtet sich andererseits gegen einen platonischen Dualismus von sinnlich wahrnehmbarer und intelligibler Welt. Diese Abwehr einer platonisierenden Interpretation des Kosmos in der Höhe ist Merkmal der Auslegung innerhalb des Genesiskommentars. Im Johanneskommentar spricht Origenes dagegen in der Auslegung von Joh 8,23 ausführlich von einem κόσμος ἀόρατος καὶ νοητός.²⁰¹ Er identifiziert ihn mit Christus, dem Erstgeborenen aller Kreatur, in dem die rationalen Ursachen (λόγοι) aller Dinge sind; nach diesen λόγοι ist alles in Weisheit von Gott geschaffen. Christus ist daher Weisheit und τοῦ ὅλου κόσμου λόγος.²⁰² Diese Auslegung berührt sich mit Origenes’ christologischer Interpretation von ἀρχή Gen 1,1. Christus als intelligibler Kosmos ist nicht mit dem Kosmos der Hei¹⁹⁸ Princ. 2,3,6 (122,8–13 Koetschau). Dieser Abschnitt ist ein gutes Beispiel dafür, wie zurückhaltend Origenes seine Überlegungen vorträgt, die er durch weitere Schriftzitate abzusichern sucht (122,13–18), um schließlich eine vorsichtige These zu formulieren (122,18–21). ¹⁹⁹ Princ. 2,3,6 (122,18–21 Koetschau): … omnis quidem universitas eorum, quae sunt atque subsistunt, caelestium et supercaelestium, terrenorum infernorumque, unus et perfectus mundus generaliter dici, intra quem vel a quo ceteri, hi qui illi insunt, putandi sunt contineri. ²⁰⁰ H. C 1959, 216 nennt die Kosmologie des Origenes zutreffend eine »étude des lieux ou ›topologie‹«. ²⁰¹ Siehe Jo. 19,22,146 (323,31–324,3 Preuschen). ²⁰² Jo. 19,22,147 (324,4–12 Preuschen). Siehe dazu die Interpretation von H. C 1959, 46–51.

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ligen von Gen 1,1 identisch, sondern enthält auch dessen rationale Ursachen.²⁰³ Origenes denkt das Verhältnis von himmlischer und irdischer Welt aber nicht nur in der Relation von oben und unten, sondern auch in der Relation von innen und außen. Das legt sich von princ. 2,3,6 her nahe. Hier legt Origenes dar, daß die himmlische Welt »schwer zu beschreiben und zu bezeichnen ist«²⁰⁴. Er fragt, ob jene Welt von dieser hier getrennt und weit geschieden ist in Ort, Beschaffenheit und Würde, oder ob sie nur an Würde und Beschaffenheit hervorragt, aber innerhalb der Umgrenzung dieser Welt liegt.²⁰⁵

Die zweite Überlegung erscheint ihm glaubwürdiger, aber er gibt zu verstehen, daß diese Frage nicht mit letzter Sicherheit entschieden werden kann und überhaupt für den menschlichen Geist und das menschliche Denken ungewohnt ist. Origenes erwägt hier, daß die noch nicht zu sehende Wirklichkeit der himmlischen Welt innerhalb der Grenzen der gegenwärtigen Welt zu suchen ist, welche sie transzendiert, ohne sich loco von ihr zu unterscheiden.²⁰⁶ Sieht man in der anthropologischen Deutung von Gen 1,1, die Origenes in der Genesishomilie vorträgt,²⁰⁷ eine Analogie zur anagogisch-kosmologischen Deutung von Gen 1,1, so legt sich nahe, daß Origenes das Verhältnis zwischen der himmlischen Welt und der irdischen Welt nicht nur mit Hilfe der Relation ›oben-unten‹, sondern auch in der Relation ›innen-außen‹ beschreibt. Die himmlische Welt steht damit in Entsprechung zum inneren Menschen (spiritalis / interior / caelestis homo). Origenes stellt in princ. 2,3,6 also eine vorsichtige Erwägung darüber an, wie die von Gott geschaffene Transzendenz der himmlischen Welt gedacht werden kann, ohne die Kategorie des Ortes, und sei es in der Notannahme eines intelligiblen Ortes, heranzuziehen. Im Zusammenhang der Verweise auf den Genesiskommentar und in den Homilien, welche die dritte Auslegungsvariante zu Gen 1,1 aufgreifen,²⁰⁸ betont Origenes, daß zwischen Himmel und Erde nach Gen 1,1 und der sichtbaren Erde und dem sichtbaren Himmel nach Gen 1,6–10 eine sekundäre ²⁰³ Siehe dazu princ. 1,2,2 (30,2–5 Koetschau). ²⁰⁴ Princ. 2,3,6 (121,23 Koetschau): … describere ac designare difficile est … ²⁰⁵ Siehe Princ. 2,3,6 (122,8–13 Koetschau): Sed utrum mundus iste, quem sentiri vult,

separatus ab hoc sit aliquis longeque divisus vel loco vel qualitate vel gloria, an gloria quidem et qualitate praecellat, intra huius tamen mundi circumscriptionem cohibeatur, quod et mihi magis verisimile videtur, incertum tamen est et, ut ego arbitror, humanis adhuc cogitationibus et mentibus inusitatum. ²⁰⁶ Princ. 2,3,6 (122,9–11 Koetschau; Text in Anm. 205). ²⁰⁷ Hom. in Gen. 1,2 (28–30 Doutreleau). ²⁰⁸ In den Homilien zu Ps 36–38(37–39) ist die Unterscheidung von materiellem Kosmos und geistigem Kosmos überhaupt das zentrale Thema der allegorischen Auslegung (siehe H. C / L. B, SC 411, 22 f.).

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Namensgleichheit besteht. »Wie das Buch der Genesis gründlich belehrt«²⁰⁹, werden Himmel und Erde von Gen 1,6–10, die mit ihren eigentlichen Bezeichnungen ursprünglich Firmament und Trockenes heißen, erst später abgeleitet von jenem höheren Himmel und jener höheren Erde die Beinamen ›Himmel‹ und ›Erde‹ beigelegt. Primär tragen Himmel und Erde von Gen 1,1 diese Namen.²¹⁰ In hom. in Ps. 36 2,4, einer der Predigten, in denen Origenes die Auslegung von Gen 1,1 auf den Unterschied zwischen materieller Welt und spiritueller Welt zuspitzt, überlegt er, zu welchem Zweck die Bibel dem Trokkenen und dem Firmament Beinamen beilegt: Im gegenwärtigen Leben zwar gebrauchen wir ›Himmel‹ und ›Erde‹ für jene,²¹¹ die sichtbar sind, in denen wir vom wahren Himmel und von der wahren Erde nichts anderes außer den Namen finden. Aber ich denke, daß sie hier deshalb so genannt werden, damit, weil ja diese hier so genannt werden, jene dort, die wahr und großartig sind, Gegenstand des Strebens und der Erinnerung derjenigen werden, welche die Beinamen geben.²¹²

Sichtbarer Himmel und sichtbare Erde haben demnach mit dem Himmel und der Erde nach Gen 1,1 nichts weiter gemein als die Namen. Damit stellt Origenes noch einmal klar, daß die Worte ›Himmel‹ und ›Erde‹ in Gen 1 homonym gebraucht werden.²¹³ Wegen ihrer Beinamen können die sichtbaren Grö²⁰⁹ Siehe Origenes, hom. in Ps. 36 2,4 (Z. 28 f.; 108 Prinzivalli). ²¹⁰ Siehe Origenes, princ. 2,3,6 (123,11–13 Koetschau): Ex illius namque terrae nomine

etiam hanc nostram, cui ›arida‹ prius nomen fuerat, cognominatam volunt, sicut et ›firmamentum‹ hoc ›caelum‹ illius caeli vocabulo nuncupatum est. Außerdem hom. in Num. 26,5 (251,28–252,1 Baehrens): et primo quidem terra haec, in qua habitamus, non ex initio terra vocitata est, sed ›arida‹ et post hoc, quae prius dicta fuerat ›arida‹, ›terra‹ nomen accepit; sicut et caelum istud visibile non ab initio caelum dictum est, sed prius ›firmamentum‹, post etiam ›caeli‹ vocabulo nuncupatum est. Schließlich hom. in Ps. 36 2,4 (Z. 24–29; 108 Prinzivalli): Haec nostra quam habitamus proprio vocabulo arida appellatur, sicut et caelum istud quod intuemur, proprie firmamentum dicitur. Ex appellatione vero alterius caeli etiam istud firmamentum caeli nomen accepit, sicut edocet Scriptura Geneseos. Außerdem hom. in Ps. 36 5,4 (Z. 45–51; 238 Prinzivalli): Unde ego arbitror quia sicut caeli istius, id est firmamenti, inferius solum arida haec in qua nos habitamus, terra eius dicitur, ita et illius superioris qui principaliter caelum dicitur, inferius solum in quo habitatores illi caelestes conversantur … merito, ut dixi, terra illius caeli esse dicitur, … ²¹¹ Ich übersetze etwas anders als H. C / L. B (SC 411, 109), die lesen: »Dans la vie présente, nous avons certes à notre disposition le ciel et la terre, visibles ceux-là, dans lesquels, hormis leurs noms, nous ne trouvons rien d’autre du vrai ciel et de la vraie terre.« Origenes versteht den Akt der Umbenennung als pädagogischen und methodischen Hinweis der Schrift. ²¹² Hom. in Ps. 36 2,4 (Z. 29–34; 108 Prinzivalli): In praesenti quidem vita utimur caelo et terra visibilibus istis, in quibus veri caeli et verae terrae praeter nomina nihil aliud invenimus: sed idcirco hic ita arbitror appellata, ut, cum haec ita nominantur, illa quae vera et magna sunt, ad desiderium et memoriam cognominantium veniant. ²¹³ Origenes weist oft, auch in seiner Auslegung im Genesiskommentar, auf den homonymen Sprachgebrauch der Bibel hin. Siehe comm. in Gen. frg. in philoc. 14,2 (408–410 Harl); comm. in Rom. frg. in philoc. 9,1 (Z. 5–8; 350 Harl): ὁμώνυμοι γὰρ καὶ ἐπὶ ἄλλων εἰσὶ κατὰ τὴν γραφὴν φωναί, αἵτινες συγχέουσι τοὺς νομίζοντας ὅτι ὡς ὄνομα ἕν ἐστιν οὕτω καὶ τὸ

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ßen aber auf Himmel und Erde in der Höhe verweisen. Die Benennung des Firmaments und des Trockenen in Himmel und Erde in Gen 1,8.10 dient somit nach Origenes dem pädagogischen Zweck, im Menschen die Erinnerung an jenen höheren Kosmos und das Streben nach ihm zu wecken. In dieser Interpretation klingt zum einen in der Brechung durch biblische Terminologie die platonische Vorstellung der Erinnerung der Seele an ihren intelligiblen Ursprung an. Zum anderen wird deutlich, daß der Kosmos, der von sichtbarer Erde und sichtbarem Himmel umschrieben wird, einen abgeleiteten, sekundären Charakter besitzt. Diesen abgeleiteten Charakter drückt Origenes im Zusammenhang anderer Bibeltexte dadurch aus, daß er die Erschaffung des sichtbaren Kosmos als καταβολή bezeichnet. In princ. 3,5,4 stellt Origenes fest, »daß die heiligen Schriften die Erschaffung der Welt mit einem neuen und eigenen Wort bezeichnet haben, wenn sie von der καταβολή der Welt sprechen«²¹⁴. Mit καταβολή bezeichne die Bibel »die Versetzung der Vernunftwesen von oben nach unten«.²¹⁵ Dafür habe Gott nachträglich die sichtbare Welt erschaffen, deren Notwendigkeit er aber bereits mit der Erschaffung der Vernunftwesen vorhergesehen habe.²¹⁶ Origenes hebt damit hervor, daß der Kosmos der Heiligen und die sichtbare Welt von derselben göttlichen Vorsehung geleitet werden. Im Johanneskommentar betont Origenes anlässlich Joh 17,24 den qualitativen Unterschied, der zwischen der Welt ›oben‹ und der Welt ›unten‹ besteht, deren Schöpfung καταβολή (Niederlegung / Herabwurf) ist: Das Wort καταβολή wurde von den Autoren der Bibel bewußt geprägt, um den Charakter der Welt ›unten‹ und der Menschen, die zu ihr gehören, auszudrücken.²¹⁷ Die σημαινόμενον ἕν, ὅπου ἂν τοῦτο ὀνομασθῇ. In der Formulierung von hom. in Ps. 36 2,4 klingt die aristotelische Definition von Homonymie an (Cat. 1 [1a1 f.]), die Origenes z. B. in hom. in Jer. 20,1 (177,17–21 Klostermann) zitiert, um die biblische Rede von Unwillen, Zorn, Reue Gottes zu erklären: ὁμώνυμα δέ ἐστιν, ὧν ὄνομα μόνον κοινόν, ὁ δὲ κατὰ τοὔνομα τῆς οὐσίας λόγος ἕτερος. μόνον οὖν ὄνομα κοινὸν θυμοῦ θεοῦ καὶ θυμοῦ οὑτινοσοῦν, καὶ μόνον ὄνομα κοινὸν ὀργῆς οὑτινοσοῦν καὶ ὀργῆς θεοῦ. οὕτως καὶ ἐπὶ μεταμελείας νοητέον. ²¹⁴ Siehe princ. 3,5,4 (273,18–275,27 Koetschau, besonders 273,17–274,1): Illud sane otiose praetereundum esse non arbitror, quod scripturae sanctae conditionem mundi novo quodam et proprio nomine nuncuparunt, dicentes καταβολήν mundi … Rufin muß seinen lateinischsprachigen Lesern das griechische Wort ausführlich erklären (274,1–4). Ähnlich auch der lateinische Übersetzer des Matthäuskommentars (comm. ser. in Mt. 71 [167,18–20 Klostermann]). ²¹⁵ Princ. 3,5,4 (275,14–16 Koetschau). ²¹⁶ Princ. 3,5,5 (276,1–2 Koetschau): Hanc ergo dispositionem dei, quam postea ordinavit, iam tum ab origine mundi rationibus causisque prospectis … ²¹⁷ Jo. 19,22,149 (324,18–25 Preuschen): οὐ γὰρ ὡς ἔτυχεν ἀκουστέον τοῦ »Πρὸ καταβολῆς κόσμου«, ἐπίτηδες διὰ τοιαύτην ἐπίνοιαν πλασάντων ὄνομα τῶν ἁγίων τὸ τῆς καταβολῆς· καίτοι γε ἐδύναντο λέγειν »πρὸ κτίσεως κόσμου« καὶ μὴ χρήσασθαι τῷ τῆς »καταβολῆς« ὀνόματι. ὅλος οὖν ὁ κόσμος καὶ τὰ ἐν αὐτῷ ἐν καταβολῇ ἐστιν· ἔξω δὲ καταβολῆς κόσμου παντὸς γίνονται οἱ τοῦ ᾽Ιησοῦ γνήσιοι μαθηταί, οὓς ἐξελέξατο ἐκ τοῦ κόσμου, ἵνα μηκέτι ὦσιν ἐκ τοῦ κόσμου αἴροντες τὸν σταυρὸν ἑαυτῶν καὶ ἀκολουθοῦντες αὐτῷ.

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Bezeichnung der Weltschöpfung als καταβολή dient also dazu, das Wesen der irdischen, sichtbaren Welt offenzulegen. Im Kommentar zu Mt 25,34 legt Origenes dar, daß nicht alles, was geschaffen wurde, niedergelegt wurde. Angeregt durch die Bibelstellen, die von einer καταβολή sprechen, soll man zu den Geschöpfen aufsteigen, die geschaffen, aber nicht niedergelegt wurden.²¹⁸ Die Bezeichnung der Weltschöpfung als καταβολή hat also eine pädagogisch-anagogische Funktion. Origenes unterscheidet zwischen den Geschöpfen, die principaliter existieren, d. h. den Vernunftwesen bzw. dem himmlischen Kosmos, und den Geschöpfen, die als Folge (consequenter) hinzutreten, d. h. den Geschöpfen der sichtbaren, irdischen Welt. Dabei greift er die stoische Unterscheidung von Ereignissen oder Dingen auf, die προηγουμένως geschehen oder entstehen, und denen, die κατ’ ἐπακολούθησιν geschehen.²¹⁹ Im Psalmenkommentar zu Ps 1,3 benutzt er diese Unterscheidung, um zu erklären, daß die Pflanzen und Tiere κατ’ ἐπακολούθησιν um des Menschen willen geschaffen wurden.²²⁰ In princ. 1,2,2 und 3,5,5 wendet er diese Unterscheidung auf das Verhältnis zwischen der primären Schöpfung der Vernunftwesen und der sekundären Schöpfung der sichtbaren Welt an. Er ordnet dabei die sichtbare Welt der primären Schöpfung als Folge unter. Aber er betont, daß der Zusammenhang zwischen beiden Schöpfungen von der göttlichen Vorsehung gestiftet ist.²²¹ ²¹⁸ Origenes, comm. ser. in Mt. 71 (167,20–168,5 Klostermann). ²¹⁹ Die Unterscheidung von Ereignissen, die προηγουμένως, und solchen, die κατ’ ἐπακο-

λούθησιν geschehen, wird in der stoischen Ursachenlehre entfaltet, um Ereignisse, die keine sichtbare vernünftige Ursache haben, in den Zusammenhang der Vorsehung einzuordnen. Siehe zu dieser ursprünglichen Bedeutung von προηγουμένως R. W. S 1983a, 132 f. In anderen Texten steht die Unterscheidung im Zusammenhang der Lehre von der göttlichen Vorsehung für den Menschen. Siehe die Belege SVF II (S. 332–335 von Arnim) zum Thema »Animalia (et plantas) propter hominum utilitatem facta esse«. H.  A führt Origenes, Cels. 4,74 (343 Koetschau) und sel. in Ps. 1,3 als Stoikerfragmente an (SVF II 1156 f.). Auch in Texten außerhalb des Zusammenhangs der Vorsehungslehre begegnet das Begriffspaar, um grundlegende Hauptsache und eine sich daraus ergebende, untergeordnete Folge zu unterscheiden: Sextus Empiricus, P. 2,240 (114,12–21 / 126 f. Mutschmann / Mau): eine Krankheit und ihre Symptome; M. 1,194 (49 f. Mutschmann / Mau): Hauptargument und daraus abgeleitetes Argument. ²²⁰ Sel. in Ps. 1,3 (PG 12, 1089c; von R. D 1970, 7 Origenes zugeschrieben; von M.-J. R 1960, 329 nicht Evagrius zugeschrieben). Eine ähnliche Unterscheidung findet sich in Cels. 4,74 (343,14–344,16 Koetschau), wonach die göttliche Vorsehung die vernunftbegabten Wesen, d. h. die Menschen, προηγουμένως schuf, die ἄλογα aber um der Menschen willen geschaffen wurden (besonders 344,8–10). Diese Vorstellung überträgt Origenes in princ. 1,2,2 (30,2–5 Koetschau); 3,5,5 (276,1–11) auf das Verhältnis von primärer und sekundärer Schöpfung. ²²¹ Siehe princ. 1,2,2 (30,2–5 Koetschau), wo es von der göttlichen Weisheit heißt: In hac ipsa ergo sapientiae subsistentia quia omnis virtus ac deformatio futurae inerat creaturae, vel eorum quae principaliter exsistunt vel eorum quae accidunt consequenter, virtute praescientiae praeformata atque disposita … Origenes unterscheidet zwischen dem, was in erster Linie existiert, und dem, was als Folge hinzutritt. Beides sieht Origenes jedoch als futurae creaturae in

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Die sichtbare, irdische Welt ist infolge und um der Vernunftwesen willen geschaffen. Sie ist ein Produkt der Vorsehung Gottes für seine ›davor‹ geschaffenen Geschöpfe. Daß die irdische Welt nicht das ›erste‹ Werk Gottes ist, betont Origenes auch in einer Auslegung von ἀρχή Gen 1,1 im Rahmen seiner Schrift über das Pascha.²²² Den Unterschied zwischen der primären und der sekundären Schöpfung drückt Origenes hier in Form einer zeitlichen Reihenfolge aus. Wie die Auslegung bei Calcidius sowie das Katenenfragment zu Gen 2,2.4 zeigen, versteht Origenes diese Reihenfolge aber nicht chronologisch als Reihenfolge in der Zeit, sondern als einen Ausdruck dessen, daß der himmlische Kosmos (Gen 1,1) der sichtbaren Welt in Ansehen und in der Würde vorangeht.²²³ Die Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer Schöpfung bedeutet daher noch nicht zwingend, daß die primären Geschöpfe präexistieren.²²⁴ Die Unterscheidung von caelum und firmamentum kann Origenes auch anthropologisch deuten.²²⁵ So versteht er in der ersten Genesishomilie den Himmel von Gen 1,1 als Intellekt, d. h. als den geistigen, inneren Menschen, der Gott schaut. Von ihm unterscheidet er das Firmament als den körperlichen, äußeren Menschen, der mit den Sinnesorganen wahrnimmt.²²⁶ Daß nach Gen 1,8 das körperliche Firmament Himmel genannt wird, deutet er als der göttlichen Weisheit vorgebildet und angelegt. Nach princ. 3,5,5 (276,1–11 Koetschau) hat Gott die Anordnung der körperlichen Welt erst nachträglich (postea) getroffen, aber bereits ab origine mundi, d. h. seit der Erschaffung der Vernunftwesen, vorhergesehen, daß sie ex praecedentibus liberi arbitrii causis (276,7) nötig sein werde. ²²² Siehe Origenes, pascha 1,8 (168,10–32 Guéraud / Nautin). Origenes erklärt, daß die Schrift, da sie zwischen ›Anfang‹ und ›Erster‹ unterscheide, οὐ λέγε[ι· »Πρώτην ἐ]ποίησεν«· τῆς γὰ[ρ κοσμοποιΐ]ας ἀρχὴν ἐσχηκ[υίας τὸν δημιο]υργό[ν], οὐ μέντ[οι γε πρώτης ὑπ]ὸ τοῦ δημ[ιουργοῦ ποιηθείσ]ης – πολλ[ὰ γὰρ πρότερον ὁ δη]μιου[ργὸς ἐποίησεν…….] (168,14–20). ²²³ Siehe Kapitel 2. ²²⁴ Siehe princ. 2,2,2 (112,15–22 Koetschau): Si vero inpossibile est hoc ullo modo adfirmari, id est quod vivere praeter corpus possit ulla alia natura praeter patrem et filium et spiritum sanctum, necessitas consequentiae ac rationis coartat intellegi principaliter quidem creatas esse rationabiles naturas, materialem vero substantiam opinione quidem et intellectu solo separari ab eis et pro ipsis vel post ipsas effectam videri, sed numquam sine ipsa eas vel vixisse vel vivere: solius namque trinitatis incorporea vita existere recte putabitur. Siehe dazu M. J. E 1992. ²²⁵ Eine ethisch geprägte anthropologische Deutung von arida und terra findet sich in der zitierten Numerihomilie. Nach dem Gleichnis vom viererlei Acker sei der fruchtbringende Same terra und nicht arida. Ebenso seien alle, solange sie unfruchtbar sind, d. h. keine Früchte der Gerechtigkeit, der Keuschheit und der Frömmigkeit bringen, arida. Wenn man jedoch beginne, sich zu bebauen und den Geist aufzurichten, der nach der Frucht der Tugend strebt, werde man aus arida zur terra. Diesen Fortschritt in der ethischen Entwicklung des Menschen sieht Origenes in der Benennung der arida in terra in Gen 1,10 angedeutet (hom. in Num. 26,5 [252,14–21 Baehrens]). ²²⁶ Hom. in Gen. 1,2 (Z. 15–20; 28 Doutreleau): Et ideo illud quidem primum caelum, quod spiritale diximus, mens nostra est, quae et ipsa spiritus est, id est spiritalis homo noster qui videt ac perspicit Deum. Istud autem corporale caelum, quod firmamentum dicitur, exterior homo noster est qui corporaliter intuetur.

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Hinweis darauf, daß auch der Mensch im Körper seinem Wesen nach himmlisch sein kann, wenn er seinen Geist auf das richtet, was über dem Himmel ist, und so Anteil am Himmlischen hat. Die Benennung des firmamentum in caelum deutet er hier als Aufruf, den geistigen, inneren Menschen in sich zu entwickeln.²²⁷ Diese Deutung in der ersten Genesishomilie stellt das anthropologische Pendant der kosmologischen Deutung von Gen 1,1 dar, die Origenes nach princ. 2,3,6 in seinem Genesiskommentar entfaltet hat. Vermutlich hat Origenes auch diese anthropologische Auslegung in seinem Kommentar geboten.²²⁸ Mit der engen Verbindung von kosmologischer und anthropologischer Interpretation von Gen 1 steht er in der philosophischen Tradition, welche die Struktur des Universums in Analogie zur Natur des Menschen betrachtet und das Verhältnis von Mensch und Welt als Relation von Mikrokosmos und Makrokosmos beschreibt.²²⁹ Darin zeigt sich, daß die kosmologische Reflexion ausgehend vom Text des Schöpfungsberichtes für Origenes letztlich auf eine anthropologische Reflexion zielt. Wegen der Parallelität von kosmologischer und anthropologischer Deutung kann Origenes die himmlische Welt einerseits als Gesamtheit aller Vernunftwesen, d. h. in biblischer Sprache als Aufenthaltsort der Heiligen und Engel beschreiben, andererseits aber als jene spirituelle Wirklichkeit, an welcher der innere Mensch Anteil hat.

4.2. Der Status der verschiedenen Auslegungen von Gen 1,1 Origenes gibt drei Auslegungsvarianten zu Himmel und Erde in Gen 1,1, die dem Kriterium genügen, nach einem höheren, hinter dem Wortlaut liegenden Verständnis des Textes zu fragen. Dabei deutet er zwar an, daß der Position Philos von anderen Auslegern widersprochen wird. In den erhaltenen Texten

²²⁷ Siehe hom. in Gen. 1,2 (Z. 21–27.35–50; 28–30 Doutreleau). Mit einer ähnlichen Intention legt Origenes im Epheserkommentar Eph 1,3 im Zusammenhang von Mt 6,20 aus (comm. in Eph. frg. 2 [Z. 35–48; J. A. F. G 1901/02, 236]): ›In den himmlischen Gefilden‹ zu sein bedeutet, Anteil an der intelligiblen und unveränderlichen Wirklichkeit zu haben. ›Schätze im Himmel zu sammeln‹ und sein Herz nicht an Irdisches zu hängen, kennzeichnet den Menschen, der nicht mehr ἐν τοῖς ὑλικοῖς καὶ σωματικοῖς, ἀλλ᾽ ἐν οὐρανῷ, τῇ νοητῇ φύσει ἀεὶ αὐτῇ ὁμιλῶν. ²²⁸ É. J 1995, 52 weist aufbauend auf die Untersuchung der Hoheliedauslegung des Origenes durch K. J. T 1986 darauf hin, daß alle Auslegungen der Homilien eine Entsprechung im Kommentar haben, während Origenes umgekehrt nicht alle Auslegungsvarianten des Kommentars in seinen Predigten vortrug. ²²⁹ So auch M. S / M. I. D, Opere di Origene 1, 41 Anm. 7. Die Stoiker z. B. sahen im Himmel das ἡγεμονικόν, das den Kosmos lenkt, und betrachteten es in Analogie zum νοῦς des Menschen (siehe G. B 1992, 266 Anm. 1). Siehe außerdem M. G 1980, 640–642 mit weiteren Belegen für die Vorstellung Makrokosmos / Mikrokosmos.

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fällt er jedoch kein ausdrückliches Urteil darüber, ob eine Auslegung den anderen vorzuziehen sei. 4.2.1. Die Zurückhaltung des Origenes gegenüber einer definitiven Auslegungsentscheidung Das Verfahren, bei der Kommentierung von Texten Varianten zu präsentieren, ohne ein definitives Urteil zu fällen, hat ein Vorbild in nachhellenistischen philologischen Kommentaren zu Homer, die sich häufig darauf beschränken, die abweichenden Lesarten der hellenistischen alexandrinischen Hauptautoritäten aufzulisten.²³⁰ Dieser konservative Charakter der kaiserzeitlichen Philologie²³¹ schlägt sich auch in jener Definition von ›Kommentar‹ nieder, in der Hieronymus es zum methodischen Verfahren und Gattungsmerkmal eines Kommentars erhebt, verschiedene Auslegungsvarianten ohne abschließendes Urteil zu präsentieren.²³² Er beruft sich dafür auf pagane und christliche Vorbilder, zu denen mit Sicherheit auch Origenes zu zählen ist.²³³ Eine vergleichbare Praxis begegnet interessanterweise auch in der zeitgenössischen philosophischen Quaestiones-Literatur. So präsentiert Alexander von Aphrodisias nicht selten für ein philosophisches Problem mehrere Lösungen, ohne anzugeben, welche er bevorzugt.²³⁴ Origenes selbst verweist für seine Zurückhaltung nicht auf die zeitgenössische Kommentarpraxis, sondern begründet sie aus dem Charakter der biblischen Schriften. Das geht aus einem Fragment des Prologs zum Genesiskommentar hervor.²³⁵ Origenes spricht hier zum einen von der Schwierigkeit, zur ²³⁰ Siehe B. N 1987, 129, der darauf hinweist, daß dieses Verfahren auch in den kaiserzeitlichen Grammatikunterricht übernommen wurde. Es kann gut an kaiserzeitlichen Scholien zu Homer beobachtet werden, die allenfalls implizit andeuten, welche Lesart für die richtige gehalten wird. ²³¹ B. N 1987, 125 f. ²³² Hieronymus, adv. Rufin. 1,16 (Z. 15–23; 14 f. Lardet). Hieronymus beruft sich für diese Arbeitsweise auf die leges commentariorum, in quibus multae diversorum ponuntur opiniones vel tacitis vel expressis auctorum nominibus (in Ier. prol. 3 [1,26–2,1 Reiter]), die commentariorum mos et explanantium regula, ut opiniones in expositione varias persequantur et quid vel sibi vel aliis videatur edisserant (ep. adv. Ruf. 11 [Z. 9–11; 83 Lardet]). Siehe C. S 1992, 151 f. Hieronymus präsentiert die verschiedenen Positionen oft anonym (P. L 1993, 81 f.). ²³³ Siehe die Fortsetzung des Zitats aus dem Brief gegen Rufin (ep. adv. Ruf. 11 [Z. 12–14; 83 Lardet]): Et hoc non solum sanctarum interpretes Scripturarum, sed saecularium quoque litterarum explanatores faciunt, tam latinae linguae quam graecae. Zur Benutzung der Hexapla und der origenianischen Exegesen durch Hieronymus siehe Kapitel 1.2.2 Anm. 46. Zu Hieronymus als Schüler des Grammatikers Donat siehe L. H 1981, 37–46, der zugleich auf die Unterschiede in der Exegese eingeht, die nach P. J 1985, 69–80 wahrscheinlich auf die Beeinflussung durch die Exegese des Origenes zurückgehen. ²³⁴ Siehe dazu P. M 1967, 169. ²³⁵ Erhalten bei Pamphilus, apol. Orig. 5.7 (40–42 Amacker / Junod).

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geistigen Erkenntnis der Dinge vorzudringen, die in den biblischen Büchern enthalten sind, und zum anderen von der Schwierigkeit, die gewonnene Erkenntnis darzulegen und mitzuteilen.²³⁶ Daß Origenes derartige grundlegende Fragen der Bibelauslegung im Prolog seines Genesiskommentars erörtert hat, erstaunt nicht. Denn einerseits gehört der Schöpfungsbericht zu den Texten, in denen die biblischen Autoren in besonderem Maße »in Andeutungen philosophieren«, so daß Origenes die Notwendigkeit einer übertragenen Textauslegung im hermeneutischen Traktat von De Principiis u. a. anhand der ersten beiden Bücher der Genesis demonstrieren kann.²³⁷ Andererseits gehört die Schöpfung in ihren vielen Aspekten zu den Mysterien, welche die unaussprechliche göttliche Wirklichkeit betreffen und daher schwierig zu behandeln sind.²³⁸ Origenes sieht sich durch Bibelstellen wie Joh 5,39 deutlich dazu aufgefordert, die in den biblischen Büchern enthaltenen Dinge zu erforschen. Er präsentiert die Bibelauslegung als ein schwieriges Geschäft, das nicht in Angriff genommen werden kann, wenn man säumig oder nachlässig disponiert ist, das aber auch den bereitwilligen Ausleger zu der Einsicht führen muß, daß seine Erkenntnisfähigkeit nicht der Größe der zu behandelnden Gegenstände entspricht.²³⁹ Origenes hält es grundsätzlich für möglich, daß sich einem bei der Erforschung des Bibeltextes »etwas Tiefes aufdrängt«. Er geht auch selbstverständlich davon aus, daß die gewonnene Erkenntnis mitgeteilt werden muß. Er erörtert aber ausführlich, in welchem Modus über die gewonnene Erkenntnis gesprochen werden kann.²⁴⁰ Dabei unterscheidet er drei Typen von Exegeten. Den ersten Typus kennzeichnet, daß ihm die oben geforderte Einsicht in die Unzulänglichkeit der eigenen Erkenntnisfähigkeit fehlt. Er trägt daher ²³⁶ Über die Schwierigkeit, gewonnene Erkenntnisse darzulegen und schriftlich mitzuteilen, äußert sich Origenes auch in anderen Kommentarprologen, z. B. im Prolog zum fünften Buch des Johanneskommentars, überliefert in philoc. 5,1 (Z. 1–12; 284–286 Harl) sowie bei Eusebius Caes., h. e. 6,25,7–10 (576,20–578,10 Schwartz); comm. in Ps. prol. bei Epiphanius, haer. 64,7,1–4 (416,16–417,4 Holl), aber auch in Cels. praef. 1–4 (51–55 Koetschau). Zu der im Hintergrund stehenden hermeneutischen Theorie äußert É. J 1980, 81–93 Überlegungen. ²³⁷ Princ. 4,2,8 (320,1–8 Koetschau); 4,3,1 (323,5–324,1), beide Passagen in der philoc. überliefert. ²³⁸ Siehe Cels. 6,69 (139,14–25 Koetschau). ²³⁹ Origenes bei Pamphilus, apol. Orig. 5 (Z. 1–5; 40 Amacker / Junod): Nisi omnimodis pigri essemus et desides ne ad inquirendum quidem accedere, Domino et Salvatore nostro ad hoc nos provocante, profecto revocassemus pedem considerantes quod longe simus ab ea magnitudine spiritalis intellegentiae qua de tam magnis rebus investigari debeat intellectus. Zu der Aufforderung, die Schrift zu erforschen, vgl. die Verwendung von Joh 5,39 in princ. 4,3,5 (330,14–331,8 Koetschau). ²⁴⁰ Origenes bei Pamphilus, apol. Orig. 7 (Z. 1–3; 40 Amacker / Junod): Si cui vero in disceptatione profundum aliquid occurrerit, de hoc dicendum quidem est, sed non cum omni adfirmatione.

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seine Erkenntnis ungerechtfertigt als sichere Behauptung vor.²⁴¹ Der zweite Typus ist der des eschatologisch vollkommenen Menschen (vir perfectus).²⁴² Er steht auf einer Stufe mit den Aposteln und den Propheten. Er ist vom göttlichen Logos selbst unterrichtet und hat daher die Fähigkeit, sowohl sicher zu erkennen als auch das Erkannte mit sicherer Behauptung auszusprechen und darzulegen. Origenes selbst ordnet sich einem dritten, mittleren Typus von Exegeten zu: Wir aber, allein darauf bezogen, was als Mittelweg zur Verfügung steht, haben gleichwohl den Glauben an den Herrn Jesus empfangen und rühmen uns, seine Jünger zu sein, wagen aber dennoch nicht zu behaupten, daß wir von Angesicht zu Angesicht von jenem selbst überlieferte Erkenntnis der Dinge empfangen haben, die in den göttlichen Büchern bekannt gemacht werden, jene Dinge freilich, von denen ich sicher bin, daß die Welt nicht in der Lage ist, ihre Erkenntnis zu fassen, wegen der Tugend und der Majestät des Gedankens.²⁴³

Der dritte Typus eines Exegeten empfängt die Erkenntnis nicht wie die Propheten (Dtn 5,4–5) oder der Mensch in der eschatologischen Schau (1 Kor 13,12) von Angesicht zu Angesicht. Origenes wagt es daher nicht, »ein öffentliches Urteil darüber zu fällen, was wir sagen, wie es die Apostel konnten«²⁴⁴. Dieser Satz ist ein Schlüsselsatz für das Verständnis der Genesisauslegung des Origenes, ja für das Verständnis seiner Schriftauslegung überhaupt: Origenes hält sich programmatisch zurück, in seiner Auslegung ein abschließendes, sicheres Urteil darüber zu fällen, was als sichere Erkenntnis den biblischen Schriften entnommen werden kann. Er erklärt, daß bei vielen Bibelauslegern ein Zusammenhang besteht zwischen ihrem Unvermögen, der Unordnung, Zusammenhangslosigkeit, Torheit und Märchenhaftigkeit ihrer Gedanken einerseits und dem Eifer und der Sicherheit, mit der sie ihre Behauptungen aufstellen, andererseits. Damit richtet er sich innerhalb des Prologs gegen ein oberflächliches Verständnis des Genesistextes auf litteraler Ebene sowie gegen falsche allegorische Deutungen.²⁴⁵ Seine eigene Zurück²⁴¹ Origenes bei Pamphilus, apol. Orig. 7 (Z. 3 f.; 40 Amacker / Junod). ²⁴² Origenes bei Pamphilus, apol. Orig. 7 (Z. 4–10; 40 Amacker / Junod). Z. 5–7 stellen ihn

auf eine Stufe mit den Aposteln, Z. 8–10 mit den Propheten und darunter Mose als Autor der Genesis. ²⁴³ Origenes bei Pamphilus, apol. Orig. 7 (Z. 11–16; 42 Amacker / Junod): Nos vero, pro eo solo quod mediocriter licet, credidimus tamen Domino Iesu et eius gloriamur esse discipuli, nec tamen audemus dicere quod facie ad faciem ab ipso traditam susceperimus intellegentiam eorum quae in divinis libris referuntur; quae quidem certus sum quod ne ipse quidem mundus pro virtute ac maiestate sensuum capere potest. ²⁴⁴ Origenes bei Pamphilus, apol. Orig. 7 (Z. 16–18; 42 Amacker / Junod): Propter quod pronuntiare quidem de his quae dicimus sicut apostoli potuerunt non audemus; … Der intransitive Gebrauch von pronuntiare de entstammt dem juristischen Sprachgebrauch (siehe R. A / É. J, SC 465, 211). ²⁴⁵ Mit ähnlichen Formulierungen charakterisiert Origenes die Vertreter eines wörtlichen Verständnisses von Himmel und Erde von Gen 1,1 in dem Referat bei Calcidius, in Ti. 277

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haltung stellt Origenes mit einer Anspielung auf Platon, Ap. 21d in die Tradition des Sokrates.²⁴⁶ Für Origenes entspricht bei der Bibelauslegung der Modus der Darstellung dem Status der Erkenntnis. Weil er sich bei der Bibelauslegung ständig dessen bewußt ist, wie weit er »von der Größe der geistigen Erkenntnisfähigkeit entfernt [ist], mit welcher der Intellekt über so große Dinge Forschungen anstellen könnte«,²⁴⁷ hält er es für angemessener, sich eines definitiven Urteils und einer definitiven Darstellung dessen, was er in den biblischen Büchern verborgen sieht, zu enthalten. Origenes greift hier die zeitgenössische Kommentarpraxis nicht einfach auf, sondern integriert sie in eine umfassende Hermeneutik der Schriftauslegung. Dabei fordert er seinen Leser oder Hörer immer auch zu eigener Auslegungsarbeit auf.²⁴⁸ Diese vorsichtige, zetetische Haltung prägt die Arbeiten des Origenes über die Schriftauslegung hinaus. 4.2.2. Die naturphilosophische und die kosmologisch-anagogische Auslegung von Gen 1,1 als legitime Formen des höheren Schriftsinns Trotz aller Zurückhaltung gibt Origenes implizit zu verstehen, welche Auslegung von Gen 1,1 er vorzieht. Die Facetten der dritten Auslegungsvariante, die sich gegen eine platonisierende Lesart dieser Deutung wenden, richten sich implizit gegen Philos Interpretation von Gen 1,1. Daß die philosophische und die kosmologisch-anagogische Auslegung anonym eingeführt werden, bedeutet nicht, daß sich Origenes von ihnen distanziert. Origenes zeigt vielmehr, anders als im Referat der philonischen Position, wie beide Auslegungen durch den biblischen Text selbst gestützt werden. So bestätigen die Attribute der Erde in Gen 1,2 die Gleichsetzung der Erde nach Gen 1,1 mit der Materie, weil sie gängigen philosophischen Materiebestimmungen entsprechen. Die Interpretation von Himmel und Erde als intelligibler Kosmos in der Höhe untermauert der biblische Text auf eine sehr viel grundlegendere Weise. Die Auslegung in der zweiten Homilie zu Ps 36(37)²⁴⁹ zeigt, daß Origenes die Umbenennung von Firmament und Trockenem nach Gen 1,7.10 so deutet, daß darin der Bibeltext selbst die analogia angibt, die der allegorischen Auslegung von Gen 1,1 zugrunde liegt. Der Benennungsakt legt die Relation zwischen intelligiblem Himmel und intelligibler Erde einerseits und sichtbarem Himmel und sichtbarer Erde andererseits (281,17 Waszink). Gegen falsche Allegoresen wendet sich Origenes z. B. in der Auseinandersetzung mit gnostischen Auslegungen (z. B. Jo. 13,9,51 [233,18–25 Preuschen]; 13,16,98 [240,9–15]). Siehe dazu H. J. V 1999, 48 f. ²⁴⁶ Origenes bei Pamphilus, apol. Orig. 7 (Z. 18–23; 41 Amacker / Junod). ²⁴⁷ Origenes bei Pamphilus, apol. Orig. 5 (Z. 4 f.; 40 Amacker / Junod). ²⁴⁸ Siehe dazu H. J. V 1980, 191–198. ²⁴⁹ Hom. in Ps. 36 2,4 (Z. 29–34; 108 Prinzivalli).

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offen.²⁵⁰ Weil die sichtbaren Größen abgeleitet nach den intelligiblen Größen benannt sind, kann Origenes den auf der Ebene des wörtlichen Textverständnisses ›normalen‹, aber eigentlich sekundären Gebrauch von ›Himmel‹ und ›Erde‹ in Gen 1,1 zum Ausgangspunkt einer Deutung nehmen, die auf die primären Bezugsgrößen dieser Namen zielt: den wahren Himmel und die wahre Erde in der Höhe. Indem Origenes die Umbenennung von Firmament und Trockenem als methodischen Hinweis auf die richtige analogia auffaßt, macht er seine allegorische Auslegung von Gen 1,1 für den Leser objektiv nachvollziehbar.²⁵¹ Origenes allegorisiert in der naturphilosophischen und in der kosmologischen Auslegung Gen 1,1 auf unterschiedliche Weise. Die naturphilosophische Auslegung entspricht formal der stoischen, substitutiven Allegorese, die kosmologische Auslegung dagegen der neuplatonischen, anagogischen Allegorese. Hier legt Origenes nicht nur die wahre Identität von Himmel und Erde nach Gen 1,1 offen, sondern auch das Verhältnis zwischen dem Kosmos in der Höhe einerseits und dem sichtbaren Himmel und der sichtbaren Erde andererseits, von denen Gen 1,1 auf literaler Ebene spricht.²⁵² Die Auslegung des Origenes hebt sich gegenüber den Interpretationen seiner christlichen Vorgänger vor allem dadurch ab, daß er substitutive und anagogische Auslegung konsequenter unterscheidet und in zwei getrennten Interpretationsvorgängen durchführt: Die beiden interpretanda Himmel und Erde werden entweder konsequent naturphilosophisch als intelligible Natur bzw. Substanz der Körper (substitutive Allegorese) oder konsequent kosmologisch-anagogisch als Umschreibung des intelligiblen Kosmos der Heiligen (anagogische Allegorese) ausgelegt. Die beiden Auslegungen lassen sich innerhalb der hermeneutischen Theorie des Origenes verschiedenen Sinnebenen zuordnen. Das zeigt, daß sie ²⁵⁰ Auf diese analogia könnte sich auch Philo berufen, weshalb Origenes dessen platonisierende Auslegung besonders bekämpft. Siehe dazu die Kapitel 4.1.1 und 4.3.1. ²⁵¹ Ob eine allegorische Auslegung richtig ist, entscheidet sich daran, ob die gewählte analogia richtig ist. Siehe dazu J. M. D 1975. ²⁵² Die Unterscheidung von stoischer ›substitutiver Allegorese‹ und neuplatonischer ›dihairetischer Allegorese‹ geht auf W. B 1990 zurück. Er hat herausgearbeitet, daß diese beiden Formen der Allegorese sich nicht nur inhaltlich, sondern vor allem auch methodisch unterscheiden. In der substitutiven Allegorese wird die Größe des Textes durch einen abstrakten Begriff physikalischen oder ethischen Inhalts ersetzt. Merkmal der dihairetischen Allegorese hingegen ist es, daß hier Zeichen und Bezeichnetes nicht einfach ausgetauscht (substituiert) werden, sondern der analogische Zusammenhang, der zwischen ihnen besteht, offengelegt wird (siehe zusammenfassend a. a. O., 5–10; 11–21 [substitutive A.]; 24–30 [dihairetische A. am Beispiel der Phaedrusauslegung des Hermeias]). Das geschieht in der dritten, anagogischen Auslegung des Origenes. Der Abschnitt aus der zweiten Psalmenhomilie steht terminologisch in der Nähe zur platonischen Erkenntnislehre, die im Hintergrund der dihairetischen Allegorese steht. Origenes’ Abwehr einer platonisierenden Interpretation von Gen 1,1 zeigt jedoch, daß er nicht alle ontologischen Voraussetzungen der neuplatonischen Allegorese teilt. Seine dihairetische Allegorese kann daher nicht identisch mit der neuplatonischen Allegorese sein, wie in einer Untersuchung aufbauend auf B zu zeigen wäre.

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nicht direkt miteinander konkurrieren, sondern auf unterschiedlichen Ebenen die im Bibeltext verschlüsselte Aussage offenlegen. Die naturphilosophische Auslegung bewegt sich auf der Ebene der Seele des Textes, die kosmologische Auslegung hingegen auf der Ebene des Intellekts, weil sie etwas vom göttlichen Mysterium der Schöpfung und dem darin enthaltenen Heilsplan enthüllt.²⁵³ Origenes betrachtet somit die naturphilosophische Deutung in der von ihm gebotenen Form als eine mögliche, vom biblischen Text gestützte Interpretation, die eine Form des höheren Textsinns darstellt. Der dritten, anagogischen Auslegung mißt er jedoch eine größere Bedeutung bei. Daher zielen auch die Bemerkungen, welche die Interpretation von caelum et terra innerhalb des Referats bei Calcidius einleiten, auf diese Auslegung, die in der Vorlage des Calcidius wohl an dritter und letzter Stelle genannt wurde. Auf sie greift Origenes besonders in den Homilien häufig zurück.

4.3. Die Auseinandersetzung mit konkurrierenden Auslegungen von Gen 1,1 f. 4.3.1. Die Auseinandersetzung mit der Auslegung Philos: Das astronomische Sphärenmodell als Demonstrationsmittel Die anagogische Auslegung des Origenes von Gen 1,1 weist einerseits Ähnlichkeiten mit der Interpretation auf, die Philo und aufbauend auf ihn Clemens von Alexandrien bieten. Alle drei Autoren legen Gen 1,1 in der Verbindung mit Gen 1,6–10 aus, nehmen die doppelte Erwähnung von Himmel und Erde zum Ausgangspunkt und deuten die Bezeichnung firmamentum / στερέωμα als Hinweis darauf, daß erst Gen 1,6 vom körperlichen, sinnlich wahrnehmbaren Himmel spricht.²⁵⁴ Mit großer Wahrscheinlichkeit ist Origenes hier von Philo beeinflußt, dessen Genesisauslegungen er kannte und benutzte.²⁵⁵ Andererseits lehnt ²⁵³ Die Unterscheidung von Leib, Seele und Intellekt der Schrift entwickelt Origenes vor allem in princ. 4,2,4–6. Der seelische Sinn bezeichnet dabei eine übertragene Bedeutung, die nicht auf die verborgenen himmlischen oder göttlichen Dinge bezogen ist. Der Intellekt oder der geistliche Sinn zeigt, welcher Art die himmlischen Güter sind. Siehe dazu K. J. T 1985, 17–30. Daß Origenes im Prolog des Genesiskommentars die verschiedenen Sinnebenen des Bibeltextes behandelt hat, läßt sich aus einem Fragment erschließen, das in der Handschrift Venetus Marcianus 47 als Marginalie zum Johanneskommentar des Origenes überliefert ist (P. K 1905, 13; K. M 2005b, 144). Für die Zuordnung des Fragments zum Prolog spricht, daß Origenes hier auch über die Gliederung des Buches Genesis spricht, was zu den klassischen Themen eines Kommentarprologs gehört (siehe dazu I. H 1987). ²⁵⁴ Philo, Opif. 10,36 (11,8–12 Cohn); Clemens Alex., str. 5,94,1 (388,5 f. Stählin); vgl. Origenes, hom. in Gen. 1,2 (28–30 Doutreleau). Auch Theophilus von Antiochien unterscheidet zwischen dem Himmel Gen 1,1 und dem Firmament Gen 1,6 (Autol. 2,13 [Z. 31–37; 60 Marcovich]): Der Himmel von Gen 1,1 ist ein anderer Himmel, unsichtbar und oberhalb des Firmaments und der oberen Wasser. ²⁵⁵ Origenes sieht sich selbst in einer exegetischen Tradition, in der er Philo zu seinen direkten Vorgängern zählt. Das zeigen anonyme Verweise auf Philo als τῶν πρὸ ἡμῶν τις/

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Origenes Philos Deutung von Gen 1,1 als Hinweis auf die Erschaffung der intelligiblen Urbilder von Himmel und Erde ab und wendet sich gegen eine derartig platonisierende Deutung von Gen 1,1.²⁵⁶ Wegen der beschriebenen Gemeinsamkeiten mit Philos Interpretation ist Origenes gezwungen, seine eigene Deutung besonders klar und deutlich von der philonischen Auslegung abzuheben. Origenes betont gegenüber der Auslegung Philos, daß der Kosmos der Heiligen, den er in Gen 1,1 umschrieben sieht, innerhalb des einen umfassenden, von Gott geschaffenen Kosmos zu denken ist. Diese Beschreibung des Kosmos als umfassende Einheit verschiedener Bereiche, die jeweils κόσμοι genannt werden können, stellt ihn vor das Problem, sowohl Einheit als auch innere Gliederung plausibel zu machen. Origenes bezieht sich daher in princ. 2,3,6 auf das astronomische Sphärenmodell in der Gestalt, wie es seit Claudius Ptolemaeus vertreten wurde. Er verweist darauf, daß im astronomischen Sprachgebrauch Planeten- und Fixsternsphären jeweils als κόσμοι bezeichnet werden²⁵⁷ und macht darauf aufmerksam, daß oberhalb der Fixsternsphäre eine weitere Sphäre angenommen wird. Ptolemaeus hatte sie eingeführt, um die Präzession des Frühjahrs- und Herbstpunktes zu erklären. Während die neunte äußere Himmelssphäre für ihn wohl eher den Status einer wissenschaftlichen Hypothese hatte, mit der die Bewegung der Fixsternsphäre beschrieben werden konnte,²⁵⁸ wurde sie schon bald – wie hier bei Origenes – als reale Himmelssphäre aufgefaßt.²⁵⁹ Origenes erwähnt die Ausführungen des Ptolemaeus zur Präzession und deren Folgen für die Astrologie ausführlicher in seinem Kommentar zu Gen 1,14, um die Unzuverläßlichkeit astrologischer Berechnungen zu demonstrieren.²⁶⁰ Hier läßt er eine Kenntnis ptolemäischer Gedanken erkennen, die für seine Zeit ungewöhnlich ist.²⁶¹ τῶν πρὸ ἐμοῦ τις und ähnliche Formulierungen. Origenes würdigt Philos Bibelauslegung als ἄξιον φρονίμου καὶ συνετῆς παρὰ τοῖς φιλαλήθεσιν ἐξετάσεως (Cels. 6,21 [91,27 f. Koetschau]). Siehe dazu D. T. R 1992; . 1993, 160–163. Philos Werke waren Teil der Bibliothek von Caesarea. Daß Origenes Philos Genesisauslegung benutzt hat, legt neben den oben beschriebenen Gemeinsamkeiten z. B. ein Katenenfragment des Genesiskommentars zu Gen 2,2.4 nahe (Cat. in Gen. frg. 193 [134 Petit]; dazu Kapitel 2), das Anklänge an Philo, Opif. 3,13 (4,1–4 Cohn) enthält. Bereits P. W 1891, 109–114 hat auf die Berührungen zwischen der Genesisauslegung des Origenes und Philos Quaestiones in Genesim aufmerksam gemacht. D. T. R 1993, 172 vermutet, daß der Genesiskommentar des Origenes deshalb so umfangreich war, weil er darin ausführlich die Auslegungen seiner Vorgänger und darunter Philos behandelt hat. ²⁵⁶ Princ. 2,3,6 (122,1–4; 124,8–25 Koetschau). Siehe dazu Kapitel 4.1.3. ²⁵⁷ Princ. 2,3,6 (122,22–25 Koetschau). ²⁵⁸ Siehe W. / H. G 1950, 2073 mit dem Hinweis auf Claudius Ptolemaeus, Alm. 9,2; Hyp. 2,2–5. ²⁵⁹ Siehe dazu P. D 1914, 190–204. ²⁶⁰ Origenes, comm. in Gen. frg. in philoc. 23,18 (190–194 Junod) = Eusebius Caes., p. e. 6,11,78 (359,11–19 Mras). Vgl. mit Ptolemaeus, Tetr. 1,2,22. ²⁶¹ J. L. E. D 1906, 203 f. bemerkt, daß die Präzession in den meisten astronomischen

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Origenes setzt in princ. 2,3,6 den Kosmosaufbau, den er an Gen 1 gewonnen hat, auf eine erste Weise zu den astronomischen Himmelssphären in Beziehung.²⁶² Die Fixsternsphäre begegne als die Erde von Gen 1,1, die über ihr liegende Himmelssphäre werde als Himmel erwähnt. Diese äußerste Sphäre beziehe mit ihrer unermeßlichen Ausdehnung den Raum sämtlicher Sphären in ihr Rund ein. In princ. 2,3,7, einem Abschnitt über den eschatologischen Endzustand der Welt, führt Origenes diese Korrelation weiter. Der Text liegt in zwei leicht voneinander abweichenden Fassungen in den Übersetzungen durch Rufin und Hieronymus vor.²⁶³ Liest man diese Texte vor dem Hintergrund seiner Genesisauslegung, so wird deutlich, daß beide Fassungen mit den Problemen kämpfen, die aus der Verbindung des an Gen 1 gewonnenen Kosmosaufbaus mit dem astronomischen Sphärenmodell erwachsen. Nach Rufin spricht Origenes von einem Bereich, der das Wesen aller sichtbaren Dinge umfaßt und den Bereich der Planetensphären einschließt. Dieser Bereich ist vergänglich. Zum unvergänglichen Bereich des Kosmos zählt er die über der sogenannten Fixsternsphäre angesiedelte ›gute Erde‹ sowie deren Himmel, den er mit der ptolemäischen neunten Sphäre gleichsetzt. Origenes verbindet in dieser Fassung die ›gute Erde‹ nicht mit der Fixsternsphäre. Die Werken der Kaiserzeit und Spätantike nicht thematisiert wurde, mit Ausnahme von Theon von Alexandrien und Proclus. Siehe auch R. M. G 1994, 293 f. ²⁶² Princ. 2,3,6 (123,1–18 Koetschau): Esse tamen super illam σφαῖραν, quam ἀπλανῆ dicunt, volunt aliam, quam, sicut apud nos caelum continet omnia, quae sub caelo sunt, ita illam dicunt inmensa quadam sui magnitudine et ineffabili conplexu spatia universarum spherarum ambitu magnificentiore constringere; ita ut omnia intra ipsam ita sint, sicut est haec nostra terra sub caelo: quae etiam in scripturis sanctis ›terra bona‹ et ›terra viventium‹ creditur nominari, habens suum caelum illud, quod superius diximus, in quo caelo sanctorum nomina scribi vel scripta esse a salvatore dicuntur; quo caelo cohibetur illa ›terra‹ atque concluditur, quam salvator in evangelio ›mansuetis‹ et mitibus repromittit. Ex illius namque terrae nomine etiam hanc nostram, cui ›arida‹ prius nomen fuerat, cognominatam volunt, sicut et ›firmamentum‹ hoc ›caelum‹ illius caeli vocabulo nuncupatum est. Verum de huiuscemodi opinionibus plenius in illo loco tractavimus, cum requireremus, quid esset quod »In principio fecit deus caelum et terram«. Aliud enim ›caelum‹ atque alia ›terra‹ indicatur esse quam illud ›firmamentum‹, quod post biduum factum dicitur, vel ›arida‹, quae postmodum ›terra‹ nominatur. Zum Bezug von quae (123,6) siehe den Kommentar von H. G / H. K 321 Anm. 26. ²⁶³ Princ. 2,3,7 in der Fassung Rufins (125,12–126,2 Koetschau): aut certe quod eorum ›quae videntur‹ habitu praetereunte et omni corruptibilitate decussa atque purgata omnique hoc mundi statu, in quo πλανητῶν dicuntur sphaerae, supergresso atque superato, supra illam, quae ἀπλανής dicitur, sphaeram piorum ac beatorum statio collocatur, quasi in ›terra bona‹ et ›terra vivorum‹, quam ›mansueti‹ et mites ›hereditate percipient‹; cuius est caelum illud, quod ambitu magnificentiore ipsam illam circumdat et continet terram, quod vere caelum et principaliter appellatur, … In der Fassung des Hieronymus, ep. 124,5 (102,26–103,6 Hilberg): aut certe sphaera illa, quam supra appellavimus ἀπλανῆ, et quidquid illius circulo continetur, dissolvetur in nihilum, illa vero, qua ἀντιζώνη ipsa tenetur et cingitur, vocabitur terra bona nec non et altera sphaera, quae hanc ipsam terram circumambit vertigine et dicitur caelum, in sanctorum habitaculum servabitur.

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Fixsternsphäre selbst ist außerdem keinem der beiden Kosmosbereiche zugeordnet. Sie bildet lediglich die Grenze zwischen vergänglichem und unvergänglichem Bereich. In der Fassung des Hieronymus dagegen ordnet Origenes die Fixsternsphäre und alles, was von ihr umschlossen wird, dem vergänglichen Bereich zu. Zum unvergänglichen Bereich gehört nach Hieronymus die Sphäre, die ›gute Erde‹ genannt wird und die den sogenannten ›äußeren Gürtel‹ (ἀντιζώνη) umschließt. Als ebenfalls unvergänglich wird eine weitere Sphäre erwähnt, welche die ›gute Erde‹ kreisend umgibt und deren Himmel genannt wird. Diese Sphäre ist wieder der ptolemäischen neunten Sphäre gleichgesetzt. Origenes verbindet auch in dieser Fassung die ›gute Erde‹ nicht mit der Fixsternsphäre, sondern führt wie bei Rufin zwischen Fixsternsphäre und neunter Himmelssphäre eine weitere Sphäre ein, die er mit der ›guten Erde‹ gleichsetzt. Es zeigt sich, daß Origenes in princ. 2,3,6 und 2,3,7 widersprüchliche Angaben über die Zuordnung der Fixsternsphäre macht. In princ. 2,3,6 identifiziert er sie mit der ›guten Erde‹, die noch nicht zu sehen und unvergänglich ist. In princ. 2,3,7 ist sie Teil des sichtbaren vergänglichen Kosmos bzw. markiert die Grenze zwischen beiden Kosmoi. Die Ursache für diese Widersprüche liegt in dem Versuch des Origenes, den an Gen 1 gewonnenen Kosmosaufbau mit den astronomischen Himmelssphären zu verbinden. Anhand von Gen 1 unterscheidet er zwischen dem sichtbaren Kosmos und der ›guten Erde‹, die noch nicht zu sehen ist. Diese Unterscheidung kann jedoch nicht zur Deckung gebracht werden mit der Unterscheidung zwischen Planetensphären und Fixsternsphäre, da der Fixsternhimmel selbst Teil des sichtbaren Firmaments von Gen 1,8 ist. Origenes’ Vier-Gliederung des Kosmos in Trockenes, Firmament, ›gute Erde‹ und deren Himmel kann daher der astronomischen Aufteilung des Kosmos in sublunare Zone, Planetenzone, Fixsternzone und Zone der ptolemäischen neunten Sphäre gar nicht entsprechen. Daher nötigt der an Gen 1 gewonnene Kosmosaufbau Origenes dazu, zwischen Fixsternsphäre und neunter Himmelssphäre eine zusätzliche Sphäre einzuführen. Damit weicht er in princ. 2,3,7 von dem astronomischen Sphärenmodell ab, daß er in princ. 2,3,6 selbst eingeführt hat. Daß mit dieser Abweichung möglicherweise der Versuch einer begrifflichen Differenzierung einhergeht, zeigt meines Erachtens die Fassung des Textes von princ. 2,3,7 nach Hieronymus. Nach dieser Fassung benutzt Origenes den Begriff ἀντιζώνη, der mit ›äußerster Gürtel‹²⁶⁴ oder ›Gegenzone‹ wiedergegeben werden kann. Er gibt sich den Anschein eines astronomischen Fachterminus, ist aber nach meinen bisherigen Nachforschungen nicht in der zeitgenössischen astronomischen oder astrologischen Literatur anzutreffen. Er scheint ausschließlich an dieser Stelle im Referat des Hieronymus als griechisches Fremdwort zu begegnen. Ich möchte daher die Hypothese aufstellen, daß Ori²⁶⁴ So die Übersetzung von H. G / H. K 327.

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genes diesen Ausdruck geprägt hat.²⁶⁵ Er beabsichtigt damit, das Problem zu lösen, das durch die Korrelation des Weltaufbaus nach Gen 1,1 mit dem astronomischen Sphärenmodell entsteht: die Unterscheidung einer sichtbaren Innenseite und einer noch nicht zu sehenden Außenseite der Fixsternsphäre. Aufgrund der Überlieferungssituation von princ. 2,3,7 ist es schwierig zu bestimmen, worauf Origenes den Begriff ἀντιζώνη bezogen hat. In der Fassung des Hieronymus bezeichnet das Wort den sichtbaren Fixsternhimmel als äußere Begrenzung des sichtbaren Kosmos.²⁶⁶ Möglich und in meinen Augen wahrscheinlicher ist aber, daß Hieronymus die Ausführungen des Origenes ungenau wiedergibt, und daß Origenes die uns abgewandte Rückseite der Fixsternsphäre als eigene Sphäre aufgefaßt hat, die er mit der ›guten Erde‹ gleichgesetzt hat. Der Begriff ἀντιζώνη bezeichnet dann diese uns abgewandte Himmelszone und setzt sie den sieben bzw. fünf Zonen des für uns sichtbaren Himmels entgegen.²⁶⁷ Origenes führt den Begriff ein, um das astronomische Sphärenmodell dem Kosmosaufbau nach Gen 1 anzupassen. Indem Origenes Himmel und Erde aus Gen 1,1 mit astronomischen Himmelssphären verbindet, weist er ihnen demonstrativ einen räumlichen Ort zu. Damit grenzt er sich deutlich von Philos Deutung ab, nach der Gott am ersten Schöpfungstag den intelligiblen Kosmos der Ideen schafft, der nicht an einem räumlich gedachten Ort lokalisiert werden darf.²⁶⁸ Durch die Verbindung mit dem astronomischen Sphärenmodell verleiht Origenes dem Ort jenseits des sichtbaren Himmels (vgl. Phdr. 247a–c), für den Philo und Clemens von Alexandrien im Gefolge Platons allenfalls einen intelligiblen Ort annehmen (vgl. ²⁶⁵ Rufin hat diesen Ausdruck unterdrückt, »sans doute à cause de son caractère trop technique pour le lecteur latin« (H. C / M. S, SC 253, 155). ²⁶⁶ Origenes würde dann ἀντιζώνη als Synonym zu ἀπλανής verwenden. Der Ausdruck würde dabei an die Verwendung von ζώνη als astronomische Bezeichnung für die Planetenund Gestirnsbahnen anknüpfen. In dieser Verwendung findet sich ζώνη z. B. bei Diogenes von Oenoanda, frg. 13 Smith (= frg. 8 Chilton), Col. I, Z. 11–13; außerdem bei Vettius Valens, Anth. 1,11 (26,16–19 Kroll), der an dieser Stelle referiert ἡ δὲ τάξις τῶν ἀστέρων πρὸς τὰς ἡμέρας und ἡ δὲ τῶν ζωνῶν διάθεσις. Auch Herm. Trism. 1,25 (15,15–16,4 Nock) bezeichnet die Planetenbahnen jeweils als ζώνη. In die Bestimmung als ἀντι-ζώνη würde außerdem einfließen, daß die Bewegung des Fixsternhimmels den Bewegungen der Planetensphären entgegengesetzt ist. Siehe dazu z. B. Origenes, Cels. 8,52 (267,18–20 Koetschau). In princ. 1,7,3 (88,14 f. Koetschau) weist Origenes darauf hin, daß sich die Planeten nach einer Ordnung, die Fixsterne nach einer anderen Ordnung bewegen. Die Bedeutung von ἀντιζώνη als Fixsternsphäre nehmen H. C / M. S aufbauend auf J. F in ihrer Ausgabe von De Principiis an (SC 253, 155–157). Ich sehe allerdings nicht, warum Origenes ein neues Wort geprägt haben sollte, ohne damit auch etwas Neues zu bezeichnen. Die Auffassung von H. C 1959, 230, ἀντιζώνη beziehe sich in der Fassung des Hieronymus auf die neunte Himmelssphäre, hat keinen Anhalt am Text. ²⁶⁷ Zur Aufteilung des Sternenhimmels in fünf Zonen, die den fünf Erdzonen entsprechen, bzw. sieben Zonen, die den sieben Planeten zugeordnet werden, siehe W. H 2001, 13–28. ²⁶⁸ Philo, Opif. 4,17 (5,7 f. Cohn): Τὸν δ’ ἐκ τῶν ἰδεῶν συνεστῶτα κόσμον ἐν τόπῳ τινὶ λέγειν ἢ ὑπονοεῖν οὐ θεμιτόν·

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R. 508e1), eine kosmische Realität.²⁶⁹ Gleichzeitig vermag Origenes durch die Verbindung mit dem astronomischen Sphärenmodell zu veranschaulichen, daß sowohl der sichtbare Kosmos als auch der Kosmos der Heiligen Teilbereiche des einen, umfassenden Kosmos sind. Indem jeder Bereich von einer umfassenderen Sphäre umschlossen wird, bezieht letztlich der Himmel nach Gen 1,1 alles in sein Rund ein. Für Origenes ist es letztlich irrelevant, ob die Anzahl der von ihm behaupteten Sphären exakt mit der des ptolemäischen Systems übereinstimmt. Er will nicht wie Ptolemaeus die Bewegung der Gestirne berechnen und veranschaulichen, sondern die Einheit des Kosmos demonstrieren. Das astronomische Sphärenmodell besitzt für ihn daher keinen grundlegend normativen Charakter. Den Aufbau der Arche Noah und die Himmelsleiter, die Jakob im Traum erscheint, bringt er zwar in Verbindung mit der astronomischen Rede von Gestirnssphären. Er ist aber bereit, ausgehend von verschiedenen Bibelstellen nicht nur sieben, sondern sogar hundert oder noch mehr himmlische Ränge zu unterscheiden.²⁷⁰ Im Zusammenhang der Auslegung von Gen 1,1 f. dient das astronomische Sphärenmodell Origenes vor allem dazu, seine eigene Deutung des biblischen Schöpfungsberichtes gegen die platonisierende Auslegung Philos abzugrenzen. 4.3.2. Die Auseinandersetzung mit Verfechtern einer ungewordenen Materie Wie aus dem bei Eusebius überlieferten Fragment des Genesiskommentars hervorgeht,²⁷¹ hat sich Origenes im Rahmen seiner naturphilosophischen Auslegung von Gen 1,1 f. mit Auslegern auseinandergesetzt, die ausgehend von Gen 1,2 behaupteten, daß die Materie ungeworden sei.²⁷² ²⁶⁹ So bereits H. G / H. K 321 Anm. 27. ²⁷⁰ Siehe Cels. 6,21 (91,15–28 Koetschau) zur Interpretation der Jakobsleiter, die Deutung

der Arche Noahs durch Origenes in hom. in Gen. 2,5 (Z. 82–91; 104 Doutreleau) sowie das gewiß polemische Referat des Hieronymus zu princ. 1,5,3 (?) (c. Ioh. 19 [Z. 14–21; 31 Feiertag]) mit dem Hinweis auf Gen 28,12 f. ²⁷¹ Eusebius Caes., p. e. 7,20,1–9. Eusebius leitet den Abschnitt ein, ohne den genauen Fundort anzugeben (p. e. 7,19,8 [402,6 Mras]: καὶ τῶν Ὠριγένους δὲ ἄκουε …). Anhand des Abschlusses des Fragments (p. e. 7,20,9 [403,16 f.]) kann es aber der Auslegung von Gen 1,2 zugeordnet werden. Die Ausgaben PG 12, 48 f., LR / Lh VIII, 5 f. und M, GCS Eusebius 8/1, 402 f. weisen es dem Genesiskommentar zu. K. M 2005b, 147 ordnet es Buch I des Kommentars oder (in Parallele zu Prokop von Gaza) dem Prolog zu. Der Verweis auf das Textlemma am Ende des Fragments deutet aber wohl eher auf eine Herkunft aus dem Kommentarteil. ²⁷² Origenes schließt sein Argument mit den Worten: ταῦτα μὲν οὖν ἐπὶ τοῦ παρόντος ἀρκέσει πρὸς τοὺς διὰ τὸ λέγεσθαι »ἡ δὲ γῆ ἦν ἀόρατος καὶ ἀκατασκεύαστος« οἰομένους ἀγένητον εἶναι τὴν σωματικὴν φύσιν (bei Eusebius Caes., p. e. 7,20,9 [403,16 f. Mras]). Mit σωματικὴ φύσις, oder in der Übersetzung Rufins natura corporea (princ. 2,1,4 [109,11 Koetschau]), ist die Materie gemeint, die materia corporalis, die als subiecta corporibus (princ. 4,4,6 [357,16 f.]; 2,1,4, [109,22]) definiert wird.

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Im hellenistischen Judentum wurde Gen 1,1 f. als Hinweis darauf gelesen, daß Gott den Kosmos aus ungestalteter Materie geschaffen hat.²⁷³ In gnostischen Kreisen war diese Interpretation ebenfalls verbreitet.²⁷⁴ Auch Justin verstand Gen 1,1 f. wohl in dieser Weise (1 apol. 10,2; 59,2–5).²⁷⁵ Vor allem Hermogenes sah in Gen 1,1 f. bezeugt, daß Gott die Welt aus einer ungewordenen, ihm gleichewigen Materie geschaffen hat. Er interpretierte Gen 1,1 ἐν ἀρχῇ als Erwähnung der Materie, die neben Gott ungewordenes Prinzip allen Werdens ist (bei Tertullian, adv. Hermog. 19,1 [36,10–13 Waszink]; vgl. 20,2 [38,7–10]). Gen 1,2 verstand er als Beschreibung der ungeformten, unsichtbaren Materie, die Gott noch nicht mit Qualitäten ausgestattet hat (23,1 [41,7 f.]), und leitete aus dem Imperfekt ἦν deren zeitlose, ewige Existenz ab (27,1 [45,1–3]).²⁷⁶ Der Genesisauslegung des Hermogenes wurde durch Theophilus von Antiochien und später durch Tertullian heftig widersprochen.²⁷⁷ Tertullian, adv. Hermog. 19,1 (36,6–13) belegt, daß Hermogenes nicht der einzige Verfechter dieser Auslegung war. Clemens von Alexandrien klagt, daß zu seiner Zeit gebildete Christen Gen 1,2 als Hinweis auf eine ungeformte und ungeschaffene Materie interpretierten (str. 5,90,1 [385,14–16 Stählin]). Auch Origenes wundert sich in seiner Genesisauslegung, wie »so viele und so berühmte Männer« Gen 1,1 f. in diesem Sinne falsch verstehen können (princ. 4,4,6 [357,6–10 Koetschau]). Origenes richtet sich mit seinen Ausführungen zur Materie explizit gegen Häretiker (princ. 4,4,5 [356,17–20]). Gedankengang und Wortlaut des Fragments bei Eusebius zeigen, daß darunter Ausleger wie Hermogenes, aber auch gnostische Exegeten fallen.²⁷⁸

Ausleger wie Hermogenes beschreiben die Entstehung des Kosmos in Anknüpfung an den platonischen Timaeus im Modell der handwerklichen ποίησις, wonach der göttliche Demiurg in Analogie zu menschlichen Handwerkern die Welt aus vorhandener Materie schafft.²⁷⁹ Origenes versucht im Rahmen seiner Auslegung von Gen 1,2, dieses Modell philosophisch-rhetorisch ad absurdum zu führen und dadurch zu widerlegen. Dabei wendet er eine polemische Strategie an, die in philosophischen Auseinandersetzungen seiner Zeit gebräuchlich war. ²⁷³ Eine Zusammenstellung des Materials zur Deutung von Gen 1,2 im Sinne eines ungeschaffenen Materieprinzips bieten M. A 1988, 77; K. G 2000, 226–233. ²⁷⁴ Siehe die Belege bei M. A 1975, 67. ²⁷⁵ P. N 1973, 62–64. H. A. W 1966, 173 f. versucht demgegenüber plausibel zu machen, daß Justin zwar eine gegenüber dem geordneten Kosmos präexistente, aber keine ungeschaffene Materie annahm. ²⁷⁶ Siehe dazu K. G 2000, 214–226; P. N 1973, 67–69; G. M 1978, 142– 149. ²⁷⁷ Siehe dazu P. N 1973, 69–79 (Theophilus von Antiochien); 82 f. (Tertullian). ²⁷⁸ In seinem Kommentar zu Gen 1,2 bei Eusebius Caes., p. e. 7,20,4 (402,24 Mras) gebraucht Origenes das Verb ὁμιλέω, um das Zusammenwirken von ungeschaffener Materie und Gott zu beschreiben. Im klassischen Sprachgebrauch bezeichnet der Ausdruck auch sexuelle Beziehungen. G. S hält es daher für möglich, daß Origenes mit dieser Formulierung auf bestimmte gnostische kosmogonische Mythen anspielt (SC 215, 274 Anm. 3). ²⁷⁹ Ein Niederschlag dieser Argumentation zugunsten einer ungeschaffenen Materie findet sich auch bei Cicero, nat. deor. 3 frg. 2 (1229 Pease) = Laktanz, inst. 2,8,10 f. (132,12–22 Brandt). Laktanz verwendet in seiner Widerlegung dieser ineptissima comparatio z. T. ähnliche Argumente wie Theophilus von Antiochien und Origenes.

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a) Die philosophische Widerlegung der Annahme einer ungewordenen Materie. Voraussetzung der Argumentation des Origenes ist in Anlehnung an die von Theophilus von Antiochien ausgehende apologetische Tradition²⁸⁰ die Lehre von der unvergleichlichen Macht und Weisheit Gottes.²⁸¹ Origenes betont den kategorialen Unterschied zwischen den menschlichen und dem göttlichen Werkmeister. Gottes Kraft und Macht ist dadurch gekennzeichnet, daß sein Willensentschluß, etwas ins Sein zu rufen, eine uneingeschränkte Wirkmächtigkeit hat. Vor dem Hintergrund zeitgenössischer Handlungstheorien bedeutet das, daß bei Gott der Zusammenhang von Willen, Entschluß und Verwirklichung des Entschlusses in der Handlung von keinen anderen, außerhalb Gottes liegenden Faktoren abhängig ist. Origenes wirft daher den Verfechtern einer ungeschaffenen Materie einen kategorialen Fehlschluß vor: Von menschlichen Handwerkern kann nicht auf den göttlichen Baumeister geschlossen werden. Denn menschlichen Handwerkern wird ihr Werkstoff durch die göttliche Vorsehung von anderen menschlichen Handwerkern bzw. vom göttlichen Handwerker unterbreitet. Der göttliche Baumeister dagegen ist mit der göttlichen Vorsehung identisch und legt sich die Materie selbst vor.²⁸² Den Gedanken von Gottes unvergleichlicher Macht und Weisheit verknüpft Origenes mit der anerkannten stoisch-platonischen Lehre, daß Gott die Qualitäten an der Materie erschafft:²⁸³ Wie Gott – nach Meinung aller, die eine Pronoia einführen – die Qualitäten, die von sich aus nicht existieren, ins Sein ruft, wie er es zur Ordnung des Alls will, durch seine unaussprechliche Macht und Weisheit, so ist sein Wille ausreichend zu schaffen, daß der Stoff²⁸⁴, dessen er bedarf, ins Dasein tritt.²⁸⁵ ²⁸⁰ Theophilus von Antiochien, Autol. 2,4 (Z. 17–20.24–26; 42 Marcovich): Τί δὲ μέγα, εἰ ὁ θεὸς ἐξ ὑποκειμένης ὕλης ἐποίει τὸν κόσμον; Καὶ γὰρ τεχνίτης ἄνθρωπος, ἐπὰν ὕλην λάβῃ ἀπό τινος, ἐξ αὐτῆς ὅσα βούλεται ποιεῖ. Θεοῦ δὲ ἡ δύναμις ἐν τούτῳ φανεροῦται, ἵνα ἐξ οὐκ ὄντων ποιῇ ὅσα βούλεται, … Ὥσπερ οὖν ἐν τούτοις πᾶσιν δυνατώτερός ἐστιν ὁ θεὸς τοῦ ἀνθρώπου, οὕτως καὶ τὸ ἐξ οὐκ ὄντων ποιεῖν καὶ πεποιηκέναι τὰ ὄντα καὶ ὅσα βούλεται, καθὼς βούλεται. ²⁸¹ Origenes bei Eusebius Caes., p. e. 7,20,1 (402,7–12 Mras): Εἰ δέ τινι προσκόπτει διὰ τοὺς ἀνθρωπίνους τεχνίτας μὴ δύνασθαι παραδέξασθαι τὸν θεὸν χωρὶς ὕλης ἀγενήτου ὑποκειμένης κατασκευάζειν τὰ ὄντα, ἐπεὶ μηδὲ ἀνδριαντοποιὸς χωρὶς χαλκοῦ τὸ ἴδιον ἔργον ποιῆσαι δύναται μηδὲ τέκτων χωρὶς ξύλων μηδὲ οἰκοδόμος χωρὶς λίθων, ζητητέον πρὸς αὐτὸν περὶ δυνάμεως θεοῦ, εἰ θελήσας ὑποστῆσαι ὅ τι βούλεται ὁ θεός, τῆς θελήσεως αὐτοῦ οὐκ ἀπορουμένης οὐδὲ ἀτονούσης, οὐ δύναται ὑποστῆσαι ὅ βούλεται. ²⁸² Origenes bei Eusebius Caes., p. e. 7,20,9 (403,13–15 Mras): πρὸς μέντοι γε τοὺς παραβάλλοντας ὅτι οὐδεὶς δημιουργὸς χωρὶς ὕλης ποιεῖ, λεκτέον ὅτι ἀνομοίως παραβάλλουσι. πρόνοια γὰρ παντὶ τεχνίτῃ ὑποβάλλει τὴν ὕλην ἀπὸ προτέρας τέχνης, ἢ ἀνθρωπίνης ἢ θείας, ἐρχομένην. Dieses Argument ist dem ›Beweis‹ für die Geschaffenheit der Materie verwandt, mit dem das auf Origenes zurückgehende Hebräerreferat bei Calcidius schließt (in Ti. 278 [283,11–15 Waszink]). ²⁸³ Origenes beruft sich auch in princ. 4,4,7 (358,6 f. Koetschau) auf diesen Konsens. ²⁸⁴ Origenes folgt im Fragment einer Kombination aus stoischem und aristotelischem Sprachgebrauch, indem er die Materie gleichbedeutend als οὐσία, ὕλη, ὑποκειμένη οὐσία bezeichnet. Innerhalb des Fragments benutzt Origenes ὕλη und οὐσία, die von anderen Auto-

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Origenes beansprucht damit, daß die Annahme einer von Gott geschaffenen Materie die konsequente Durchführung des kosmologischen Konzepts ist, das ausgehend von Ti. 29 eine im Kosmos wirksame Pronoia annimmt. Die göttliche Vorsehung ist nichts anderes als der schöpferische göttliche Wille.²⁸⁶ Um der Größe des göttlichen Willens gerecht zu werden, darf er nicht auf die Ausbildung der Qualitäten an einer vorhandenen Materie beschränkt werden, sondern muß auch als Urheber der Materie angenommen werden. Als Ziel des göttlichen Willens nennt Origenes in Übereinstimmung mit denen, die sich auf Ti. 29 berufen, die Wohlordnung des Alls (διακόσμησις τοῦ παντός). Die Fürsorge Gottes, die auf dieses Ziel ausgerichtet ist, drückt sich für Origenes darin aus, daß Gott gerade soviel Materie schafft, wie er zur Bildung des Alls braucht.²⁸⁷ In den nächsten Abschnitten zeigt Origenes polemisch auf, daß die Annahme einer ungeschaffenen Materie zu Konsequenzen führt, die mehreren anerkannten Grundsätzen der philosophischen Prinzipienlehre und einer teleologischen Weltbetrachtung widersprechen. Nimmt man eine ungewordene Materie an, so muß man es nach Origenes für einen glücklichen Zufall halten, daß Gott diese Materie angetroffen hat.²⁸⁸ Origenes spielt mit dem Verb εὐτυχηκέναι auf die aristotelische Klassifikation ren unterschieden werden (z. B. Poseidonius frg. 92 [99 Edelstein / Kidd]; anonyme Platoniker bei Diogenes Laertius 7,150; Calcidius, in Ti. 294), als synonyme Bezeichnungen der Materie. Die Wortwahl sowie die Rede vom Maß der Materie suggeriert, daß Origenes in dieser Argumentation dem verbreiteten aristotelischen Konzept von Materie als Substanz der Eigenschaften folgt (siehe P. M. O’C 1985, 262). ²⁸⁵ Origenes bei Eusebius Caes., p. e. 7,20,2 (402,12–16 Mras): ᾧ γὰρ λόγῳ τὰς ποιότητας (κατὰ πάντας τοὺς πρόνοιαν εἰσάγοντας) τῷ ἰδίῳ λόγῳ οὐκ οὔσας ὡς βούλεται εἰς διακόσμησιν τοῦ παντὸς ὑφίστησι τῇ ἀφάτῳ αὐτοῦ δυνάμει καὶ σοφίᾳ, τούτῳ τῷ λόγῳ καὶ τὴν οὐσίαν ὅσης χρῄζει ἱκανή ἐστιν αὐτοῦ ἡ βούλησις ποιῆσαι γενέσθαι. Der Bezug von τῷ ἰδίῳ λόγῳ ist umstritten. Ältere Herausgeber und Übersetzer konstruieren wie K. M κατὰ πάντας τοὺς πρόνοιαν εἰσάγοντας τῷ ἰδίῳ λόγῳ und setzen dementsprechend die Klammer nach λόγῳ. M. H konstruiert dagegen nach einer Untersuchung des Sprachgebrauchs des Origenes überzeugend τὰς ποιότητας … τῷ ἰδίῳ λόγῳ οὐκ οὔσας. É. D P stimmt ihr zu und setzt dementsprechend in seiner Überarbeitung der Edition von M die Klammer nach εἰσάγοντας (SC 215, 272). Dieser Textaufteilung folge ich. Siehe zu dieser Frage den Kommentar von G. S, SC 215, 272 Anm. 3. ²⁸⁶ Für die Gleichsetzung von Vorsehung und Wille kann sich Origenes auf den kaiserzeitlichen Platonismus berufen, der πρόνοια definiert: ἔστιν οὖν πρόνοια ἡ μὲν ἀνωτάτω καὶ πρώτη τοῦ πρώτου θεοῦ νόησις εἴτε καὶ βούλησις οὖσα ἐυεργέτις ἁπάντων … ([Plutarch], fat. 9 [572f]). ²⁸⁷ Den Gedanken vom ausreichenden Maß der Materie äußert Origenes häufig: princ. 2,1,4 (110,7–10 Koetschau); 2,9,1 (165,8–10); Origenes bei Calcidius, in Ti. 278 (283,14 f. Waszink). ²⁸⁸ Origenes bei Eusebius Caes., p. e. 7,20,3 (402,16–20 Mras): ἀπορήσομεν γὰρ πρὸς τοὺς οὐ βουλομένους ταῦθ’ οὕτως ἔχειν, εἰ μὴ ἀκολουθεῖ αὐτοῖς εὐτυχηκέναι τὸν θεόν, ἀγένητον εὑρόντα τὴν οὐσίαν, ἣν εἰ μὴ τὸ ἀγένητον αὐτῷ ὑποβεβληκὸς ἦν, οὐδὲν ἔργον δυνατὸς ἦν ποιῆσαι, ἀλλ’ ἔμενεν οὐ δημιουργός, οὐ πατήρ, οὐκ εὐεργέτης, οὐκ ἀγαθός, οὐκ ἄλλο τι τῶν εὐλόγως λεγομένων περὶ θεοῦ.

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von Ereignissen bzw. Hervorbringungen an.²⁸⁹ Nach ihr ist das, was durch Zufall (τύχῃ) geschieht, das Gegenteil eines Ereignisses κατὰ πρόνοιαν. Das, was durch Zufall eintritt oder hervorgebracht wird, geschieht ohne eine auf ein Ziel gerichtete Absicht und damit in gewisser Weise grundlos (ἀναιτίως).²⁹⁰ Für Ereignisse, die durch Zufall eintreten, ist außerdem charakteristisch, daß sie nicht unbedingt und zwangsläufig eintreten, sondern auch nicht eintreten können. Auf diesen Aspekt hebt Origenes ab. Wenn man eine von Gottes Willen unabhängige und daher zufällige Materie annimmt, so muß man die Möglichkeit in Kauf nehmen, daß Gott keine Materie vorgefunden hat. Dann aber hätte Gott nicht schöpferisch tätig werden können. Zentrale Bestimmungen des philosophischen Gottesbegriffs, die auch im platonischen Timaeus genannt werden (Schöpfer, Vater, Wohltäter, gut), träfen dann auf Gott nicht zu.²⁹¹ Origenes behauptet hier, daß die Annahme einer ungeschaffenen Materie Gott dem Zufall und der Unbeständigkeit unterwirft, so daß sein Wesen und seine Handlungen nicht mehr durch seinen eigenen Willen bestimmt werden. Diese Vorstellung widerspricht jedoch dem philosophischen Gottesbegriff, den er auch bei seinen Gegnern voraussetzt. In der zweiten reductio ad absurdum geht Origenes von der Annahme aus, daß die Menge der vorhandenen Materie genau auf die Errichtung des Kosmos ausgerichtet ist.²⁹² Diese Vorstellung hat einen Anhalt am platonischen Timaeus, wonach der göttliche Demiurg die Materie bei der Erschaffung des Kosmos vollständig verbraucht.²⁹³ Ein Abschnitt aus Philos Traktat De Providentia zeigt, daß aus dieser teleologischen Ausrichtung der Materie ein Argument für die Existenz einer göttliche Vorsehung im Kosmos abgeleitet wurde.²⁹⁴ Führt man das Maß der Materie nicht auf den göttlichen Demiurgen selbst zurück, so müßte man – so Origenes – eine ältere, übergeordnete Vor²⁸⁹ Siehe Aristoteles, Metaph. 7,7; Ph. 2,4–6; Alexander von Aphrodisias, in Metaph. frg. 10 (Freudenthal); fat. 4.78. ²⁹⁰ Siehe dazu den Exkurs in Kapitel A IV 3. ²⁹¹ Zu diesen Gottesprädikaten siehe z. B. Platon, Ti. 28.29; vgl. die Aufnahme und Interpretation z. B. bei Alkinoos, Intr. 10 (164,31–165,3 Hermann / Whittaker). ²⁹² Origenes bei Eusebius Caes., p. e. 7,20,4 (402,20–25 Mras): πόθεν δὲ καὶ τὸ μετρεῖν τῆς ὑποκειμένης οὐσίας τὸ τοσόνδε, ὡς διαρκέσαι τῇ τηλικούτου κόσμου ὑποστάσει; οἱονεὶ γὰρ πρόνοιά τις πρεσβυτέρα θεοῦ ἀναγκαίως τὴν ὕλην ἔσται ὑποβεβληκυῖα τῷ θεῷ, προνοουμένη τοῦ τὴν τέχνην τὴν ἐνυπάρχουσαν αὐτῷ μὴ κενοπαθῆσαι οὐκ οὔσης οὐσίας, ᾗ ὁμιλῆσαι δυνάμενος κατεκόσμησε τὸ τηλικοῦτον κόσμου κάλλος. ²⁹³ Ti. 30a; 32c–33c; Alkinoos, Intr. 12 (167,15 Hermann / Whittaker), der vom Schaffen des Demiurgen ἐκ πάσης τῆς ὕλης spricht. ²⁹⁴ Philo bei Eusebius Caes., p. e. 7,21 (403,20–404,18 Mras) = Philo, Prov. 2,50 f. (278– 280 Hadas-Lebel). Dieser Traktat enthält in zwei Teilen zahlreiche Argumente zur Verteidigung der πρόνοια und erscheint dabei fast wie ein Kompendium zu diesem Thema. M. H-L charakterisiert: »C’est là un trait commun à l’ensemble de la pensée hellénistique« (Oeuvres de Philon 35, 116). Die Zuschreibung an Philo ist umstritten (siehe a. a. O., 22–46).

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sehung annehmen, welche Gott die Materie unterbreitet hat. Diese vorgeordnete Vorsehung wäre dann auch Garantin dafür, daß Gott sich als Schöpfer betätigen kann und seine Kunstfertigkeit nicht leer wirkt. Gott wird hier nicht dem Zufall, sondern einem vorgeordneten Prinzip unterstellt. Das widerspricht wiederum einem Grundaxiom der philosophischen Prinzipienlehre, wonach das höchste Prinzip dadurch charakterisiert ist, daß ihm nichts Älteres vorgeordnet ist.²⁹⁵ Das Argument weitet Origenes dann von dem Maß der Materie auf ihre Aufnahmefähigkeit für die Qualitäten aus.²⁹⁶ Auch die Eignung der Materie, die Qualitäten aufzunehmen, muß entweder auf eine vorgeordnete Vorsehung oder den Zufall zurückgeführt werden, wenn sie nicht auf Gottes Schöpfertätigkeit zurückgehen soll. Origenes greift für dieses Argument die platonische Auffassung von Materie als einem rezeptiven Prinzip auf, an dem das aktive Prinzip wirkt, um die Qualitäten und Formen auszubilden.²⁹⁷ Diese Rezeptivität bestimmt er als teleologische Ausrichtung auf den göttlichen Willen. Als letzten Schritt spielt Origenes gedanklich den Fall durch, daß die Materie weder der göttlichen Vorsehung, noch einer Gott vorgeordneten Vorsehung untersteht: Indem wir freilich in hypothetischer Weise annehmen, daß die Materie ungeschaffen ist, wollen wir Folgendes zu denen sagen, die diese Annahme vertreten: Wenn die Materie so beschaffen gewesen wäre [wie sie ist], ohne daß eine Vorsehung sie Gott unterbreitet hat, wenn eine [derartige] Vorsehung [überhaupt] existiert hat, was hätte Gott mehr geschaffen als das, was aus sich selbst heraus entsteht (τὸ αὐτόματον)? Und wenn er selbst die Materie hätte ausrüsten wollen, unter der Voraussetzung, daß sie existierte, was hätte seine Weisheit und Gottheit dann mehr geschaffen als das, was aus [der Materie als] einem ungewordenen Prinzip heraus ins Dasein tritt (τὸ ἐξ ἀγενήτου ὑποστᾶν)?²⁹⁸ ²⁹⁵ Auf diese geläufige Bedeutung verweist Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 392,19–21 (Diehl). ²⁹⁶ Origenes bei Eusebius Caes., p. e. 7,20,5 (402,25–403,2 Mras): πόθεν δὲ καὶ δεκτικὴ γεγένηται πάσης ἧς βούλεται ὁ θεὸς ποιότητος, μὴ αὐτοῦ τοῦ θεοῦ ἑαυτῷ τοσαύτην καὶ τοιαύτην ποιήσαντος ὁποίαν ἔχειν ἐβούλετο; ²⁹⁷ Zum Prädikat δεκτική siehe Platon, Ti. 49a5 f. über die χώρα: πάσης εἶναι γενέσεως ὑποδοχὴν αὐτὴν οἷοιν τιθήνην; Ti. 51a7: πανδεχές; außerdem die Paraphrase dieser Stellen bei Alkinoos, Intr. 8 (162,29–163,10 Hermann / Whittaker), die eine Vielzahl von Varianten des Wortes δέχεσθαι enthält. ²⁹⁸ Origenes bei Eusebius Caes., p. e. 7,20,6 f. (403,2–7 Mras): καθ’ ὑπόθεσιν γοῦν ἀποδεξάμενοι τὸ ἀγένητον εἶναι τὴν ὕλην ταῦτα ἐροῦμεν πρὸς τοὺς τοῦτο βουλομένους· ὅτι εἰ προνοίας οὐχ ὑποβαλλούσης τὴν οὐσίαν τῷ θεῷ τοιαύτη γεγένηται, εἰ πρόνοια ἦν ὑφεστῶσα, τί ἂν πλέον πεποιήκει τοῦ αὐτομάτου; καὶ εἰ αὐτός, [μὴ] οὔσης ὕλης, ἐβούλετο κατασκευάσαι αὐτήν, τί ἂν πλέον ἡ σοφία καὶ ἡ θειότης αὐτοῦ πεποιήκει τοῦ ἐξ ἀγενήτου ὑποστάντος; [Einfügungen in der Übersetzung von mir]. Die Handschriften bieten einheitlich μὴ οὔσης ὕλης, was aber dem Gedankengang widerspricht. Daher schlägt K. M zu Recht vor, das μή zu tilgen. Wahrscheinlich liegt der Fehler eines Schreibers vor, der den vielen hypothetischen Annahmen des Origenes nicht mehr folgen konnte. Siehe auch G. S / É. D P, SC 215, 275 Anm. 6.

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In diesem Argument sind τὸ αὐτόματον und τὸ ἐξ ἀγενήτου ὑποστᾶν Synonyme. In Anknüpfung an Aristoteles bezeichnet Origenes mit τὸ αὐτόματον das, was ohne Wirk- und Finalursache spontan aus der Materie entsteht.²⁹⁹ Die präpositionale Wendung ἔκ τινος ist eine allgemeine Formel, um das Materieprinzip anzugeben.³⁰⁰ Ungewordensein ist außerdem das charakteristische Merkmal eines ontologischen Prinzips. Origenes, der allein Gott als Prinzip auffaßt, betont daher immer wieder, daß allein dessen Wesen ungeworden sei.³⁰¹ Wenn Maß und Möglichkeit der Materie weder auf Gott noch auf eine vorgeordnete Vorsehung zurückgehen, so müssen sie nach Origenes in der Materie selbst begründet liegen. Damit kommt Origenes zu dem Schluß, daß unter Annahme einer ungeschaffenen Materie Gott nichts anderes erschafft als das, was auch ohne ihn als Wirk- und Finalursache allein aus der Materie entsteht. Notwendiges und hinreichendes Prinzip der Kosmosentstehung ist dann die Materie. Damit steht einerseits der Kosmos auf einer Ebene mit niederen Lebewesen, die ohne rationale Ursache entstehen.³⁰² Andererseits wird dadurch die Annahme eines göttlichen Demiurgen gedanklich überflüssig.³⁰³ Diese reductio ad absurdum zeigt nach Origenes, daß die Annahme einer ungeschaffenen Materie unvereinbar ist mit der Vorstellung, daß die Welt durch einen göttlichen Demiurgen κατὰ νόησιν geschaffen wur²⁹⁹ Aristoteles, Metaph. 7,9 (1034ab). ³⁰⁰ Siehe z. B. Aristoteles, Ph. 4,2 (209b11). Origenes bedient sich hier wie viele zeitgenös-

sische Platoniker der ›Metaphysik der Präpositionen‹. Zu diesem Ausdruck, der auf W. T 1930, 33 zurückgeht, siehe H. D / M. B 1996, 381. ³⁰¹ Genaugenommen ist für Origenes nur Gott Vater ungewordenes Prinzip. Alles außer dem Vater und Gott des Alls ist geworden. Nur Gott Vater ist ἀγένητος bzw. ἀγέννητος. Siehe P. N 1960, 36 mit Belegen. Die beiden Begriffe sind zur Zeit des Origenes noch Synonyme (siehe N, a. a. O., 62 mit Hinweisen auf Literatur). Der Sohn ist nicht ungeworden, sondern gezeugt. Ihm kommt die Gottheit durch die Teilhabe am Wesen des Vaters zu. Sein Gewordensein bezeichnet seine metaphysische Abhängigkeit und Unterordnung und ist nicht zeitlich, sondern logisch-kausal zu verstehen (H. S 1993, 218 f. mit Verweis auf J. R-C 1970, 107–110). An Stellen, an denen Origenes auch den Sohn ungeworden nennt, spricht er zugleich von dessen ewiger Zeugung (z. B. Cels. 6,17 [88,21–24 Koetschau]; hom. in Jer. 9,4 [70,14–28 Klostermann]). Das deutet darauf hin, daß Origenes den Sohn dann als ungeworden bezeichnet, wenn seine Anteilhabe am Wesen des Vaters und der Unterschied zur geschaffenen Schöpfung im Mittelpunkt steht. Der Heilige Geist ist durch den Sohn geworden (Jo. 2,10,73–75 [64,32–65,21 Preuschen]; dazu S, a. a. O., 223 f.). ³⁰² Dazu gehören bestimmte Unkräuter, die sich nicht sichtbar aussäen oder vegetativ vermehren, Insekten aus der Fäulnis, Spulwürmer. Siehe dazu Aristoteles, HA 1,1 (487b5); Metaph. 7,9; Alexander von Aphrodisias bei Asclepius, in Metaph. 408,5–7 (Hayduck); in Metaph. frg. 10 (Freudenthal) ausgehend von Aristoteles, Metaph. 12,3. ³⁰³ Origenes bei Eusebius Caes., p. e. 7,20,7 (403,7–9 Mras): εἰ γὰρ εὑρίσκεται ταὐτὸν γενόμενον ἂν ὑπὸ τῆς προνοίας, ὅπερ καὶ χωρὶς προνοίας ὑπέστη, διὰ τί οὐχὶ καὶ ἐπὶ τοῦ κόσμου ἀθετήσομεν τὸν δημιουργὸν καὶ τὸν τεχνίτην; Origenes praktiziert also bereits ›Occam’s razor‹, wonach eine logisch überflüssige Annahme aufzugeben ist. Vgl. damit Theophilus von Antiochien, Autol. 2,4 (Z. 11–13; 42 Marcovich).

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de.³⁰⁴ Origenes stellt damit zwei Weltentstehungsmodelle als die beiden einzigen logisch möglichen Konzepte gegenüber: die Vorstellung einer selbstschaffenden Materie sowie die Annahme eines Schöpfergottes, der auch die Materie erschafft. b) Die polemische Strategie des Origenes. Nach Origenes läuft die Annahme einer ungewordenen Materie auf eine Form epikureischer Kosmologie hinaus, welche die Annahme eines göttlichen Demiurgen überflüssig macht. Mit dem Geschaffensein der Materie leugnen die Gegner auch ihre teleologische Ausrichtung auf den Kosmos und machen den Kosmos zu einer Hervorbringung des Zufalls. Origenes beschuldigt die Verfechter einer ungewordenen Materie damit, latente Epikureer zu sein. In princ. 2,1,4, spricht er diesen Vorwurf offen aus: Von dieser Materie also … verstehe ich nicht, wie so viele bedeutende Männer glauben konnten, daß sie ungeschaffen sei, das heißt nicht von Gott selbst, dem Schöpfer aller Dinge gemacht, sondern sagten, daß sie in ihrem Wesen und ihrem Vermögen gewissermaßen zufällig sei. Und ich wundere mich, wie diese jene anklagen können, die sowohl einen Schöpfergott als auch dessen Vorsehung im All verneinen und sie beschuldigen, gottloser Gesinnung zu sein, weil sie glauben, das so große Werk des Kosmos bestünde ohne Baumeister und ohne Fürsorger, weil sie ja selbst in denselben Geruch der Gottlosigkeit geraten, indem sie sagen, daß die Materie ungeworden sei und dem ungewordenen Gott gleichewig sei.³⁰⁵

Dieser Vorwurf unterliegt als polemische Taktik der gesamten Argumentation im Fragment des Genesiskommentars bei Eusebius und in princ. 2,1,4, wie sich an einzelnen Formulierungen zeigen läßt.³⁰⁶ Origenes behauptet, daß die Annahme einer ungeschaffenen Materie in letzter Konsequenz dazu führt, Gottes Tätigkeit und seine auf die Fürsorge für den Kosmos und die Menschen bezogene Prädikate zu verneinen.³⁰⁷ Das entspricht dem Bestreben Epikurs und seiner Beschreibung der Götter, wie sie ³⁰⁴ Siehe Origenes bei Eusebius Caes., p. e. 7,20,8 (403,9–13 Mras). Eine vergleichbare, aber spiegelbildliche reductio ad absurdum führt Origenes in princ. 2,1,4 (111,1–12 Koetschau) vor. ³⁰⁵ Origenes, princ. 2,1,4 (110,7–17 Koetschau): Hanc ergo materiam, quae tanta ac talis est, ut et sufficere ad omnia mundi corpora, quae esse deus voluit, queat et conditori ad quascumque formas velit ac species famularetur in omnibus et serviret, recipiens in se qualitates, quas ipse voluisset imponere, nescio quomodo tanti et tales viri ingenitam, id est non ab ipso deo factam conditore omnium putaverunt, sed fortuitam quandam eius naturam virtutemque dixerunt. Et miror quomodo isti culpent eos, qui vel opificem deum vel providentiam huius universitatis negant, et impie eos sentire arguant, quod tantum mundi opus arbitrentur sine opifice vel provisore constare, cum ipsi quoque similem culpam impietatis incurrant, ingenitam dicentes esse materiam deoque ingenito coaeternam. ³⁰⁶ Auch Laktanz wendet in seiner Widerlegung Ciceros diese Strategie an (inst. 2,8,8–59 [132,3–140,5 Brandt]). ³⁰⁷ Origenes bei Eusebius Caes., p. e. 7,20,3 (402,16–20 Mras).

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beispielsweise in seinem ersten Lehrsatz zusammengefaßt ist.³⁰⁸ Das hier zum Ausdruck kommende Gottesbild wird von Stoikern und Platonikern heftig kritisiert. Sie berufen sich auf die ihrer Meinung nach allen Menschen von Natur aus inhärente Gottesvorstellung (ἔννοια) und bestimmen Gottes Natur als tätig, menschenfreundlich, Schutz gewährend und wohltätig.³⁰⁹ In der epikureischen Abweisung dieser Prädikate sehen sie den Beweis dafür, daß die Epikureer Gott weder als Gott benennen noch glauben und sich so der Gottlosigkeit schuldig machen.³¹⁰ Origenes unterstellt diese Gottlosigkeit den Verfechtern einer ungeschaffenen Materie. Aus der Annahme einer ungeschaffenen und somit zufälligen Materie folgert Origenes in princ. 2,1,4, daß Gott müßig (otiosus) gewesen wäre, wenn ihm diese zufällige Materie nicht zur Verfügung gestanden hätte.³¹¹ Der Begriff otiosus bzw. sein griechisches Äquivalent ἀργός dient als Signalwort für zwei polemische Assoziationen. Einerseits bezeichnet er in epikureischen Kontexten den Zustand glückseliger Ruhe der Götter, den auch die menschliche Seele erstreben soll.³¹² Die anti-epikureische Polemik, die Tugend als Tätigkeit und ³⁰⁸ Epikur bei Diogenes Laertius 10,139; die Beschreibung der Götter durch Epikur, ep. ad Men. bei Diogenes Laertius 10,123. Vgl. die Darstellung der Götter durch den Epikureer Velleius bei Cicero, nat. deor. 1,51 f., der die epikureischen Götter und den Gott Platons gegenüberstellt, sowie die Karikatur des platonischen Gottes durch Velleius bei Cicero, nat. deor. 1,54. ³⁰⁹ Plutarch z. B. streitet gegen Epikurs ersten Lehrsatz in Non posse 20 (1101b); 22 (1102e); 23 (1103cd). Den anti-epikureischen Konsens formuliert Plutarch z. B. in Stoic. 38 (1051d–f); comm. not. 32 (1075e). ³¹⁰ Siehe Plutarch, Col. 22 (1119e). Bei Cicero, nat. deor. 1,85 stellt der akademische Redner Cotta die Frage, ob Epikur Atheist gewesen sei, und referiert zwei Ansichten: Die einen halten Epikur für abergläubisch fromm; die anderen halten ihn für einen Atheisten, der zu feige war, sich dazu zu bekennen. Indem Epikur den Göttern opus et gratiam abspricht, vernichte er faktisch jedes religiöse Gefühl (nat. deor. 1,121; vgl. Plutarch, Non posse 20 [1101bc]). Durch seine Gotteslehre hebt Epikur die Existenz der Götter faktisch auf und läßt sie lediglich in Worten bestehen (Poseidonius bei Cicero, nat. deor. 1,123 f.). Den Epikureern wird daher vorgeworfen, sich durch scheinbaren Götterglauben dem üblichen Verfahren gegen Atheisten zu entziehen (Cicero, nat. deor. 1,63). Auch Sextus Empiricus kennt die Einschätzung, nach der Epikur in populären Äußerungen die Existenz von Göttern erlaubt, in seiner Naturphilosophie aber von ihnen absieht (M. 9,58 [228 Mutschmann]). Gewöhnlich wird gegen Epikur wegen seiner Leugnung der göttlichen Vorsehung der Vorwurf der Gottlosigkeit erhoben (Plutarch, Non posse 20 [1101bc]; Col. 22 [1119e]; populär in Lukian, Alex. 25 [100,23–102,20 Victor]). Daß die Epikureer zwar das Wirken der Götter in Schöpfung und Vorsehung, nicht aber die Existenz der Götter selbst leugnen, wird selten differenziert wahrgenommen (siehe C. M 2000a, 194 f.). Auch Sextus Empiricus stellt in seiner skeptischen Argumentation über die Existenz der Götter einen Zusammenhang her zwischen der Vorsehung und Tätigkeit Gottes, seiner Erfaßbarkeit durch den Menschen und der Aussage über seine Existenz (P. 3,2 [119,16–20 / 133 f. Mutschmann / Mau]). ³¹¹ Origenes, princ. 2,1,4 (110,17–21 Koetschau). ³¹² Seneca setzt sich in seinem Traktat De otio mit dem epikureischen Konzept der Muße auseinander und reinterpretiert es stoisch. Er verweist auf die epikureische Herkunft des Themas z. B. ot. 1,4 (in Gegenüberstellung zum stoischen Tätigkeitsbegriff) und ep. 68,10.

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Glückseligkeit als Erweisen von Wohltaten auffaßt,³¹³ greift diesen Begriff auf und prägt ihn um. Sie karikiert mit ihm die epikureischen Götter als erstarrt in trägem Nichtstun und Müßigkeit und faßt das epikureische otium als körperliche Trägheit, seelische Erschlaffung und Energielosigkeit auf.³¹⁴ Indem Origenes Gott hypothetisch als otiosus bzw. ἀργός bezeichnet, behauptet er, daß die Annahme einer ungewordenen Materie ein epikureisches Gottesbild impliziert. Andererseits wird otiosus bzw. ἀργός in platonisch-stoischen Kontexten als Attribut der Materie verwendet.³¹⁵ Origenes legt seinen Gegnern also als Gottesbezeichnung einen Begriff in den Mund, den sie selbst als ein Attribut der Materie benutzen. Er wirft ihnen damit vor, nach dem Maßstab ihrer eigenen Prinzipienlehre Gott- und Materieprinzip zu vertauschen, wenn sie eine ungewordene Materie annehmen und damit einen untätigen epikureischen Gott in Kauf nehmen. Origenes leitet aus der Annahme einer ungewordenen Materie die Entstehung des Kosmos als αὐτόματον allein aus der Materie ab.³¹⁶ Er benutzt damit eine Formulierung, die in der Polemik gegen atomistische Kosmologien und gegen die epikureische Weltentstehungslehre ihren festen Platz hat.³¹⁷ Dadurch unterstellt er den Verfechtern einer ungeschaffenen Materie formal eine epikureische Kosmologie, die Gottes Vorsehung als leitendes Prinzip der Kosmosentstehung überflüssig macht.³¹⁸

³¹³ Sextus Empiricus referiert die zwei gegensätzlichen Definitionen von μακάριος (P. 3,5 [120,10–13 / 134 Mutschmann / Mau]). Bei Cicero, nat. deor. 2,19 kritisiert der Akademiker Cotta den Tugendbegriff der Epikureer. Nach Seneca besteht voluptas im Wohltaten erweisen (ben. 4,13). Senecas Begriff des otium als eines erstrebenswerten Zustandes schließt immer Handeln ein (ot. 5,5 f.; ep. 56,6). In Ablehnung des epikureischen Verständnisses von otium betont er, daß das otium der menschlichen Seele immer auf die Fürsorge der Götter angewiesen ist (ep. 73,2.9). ³¹⁴ Siehe die polemische Darstellung des epikureischen otium bei Seneca, ben. 4,13 und die Karikatur der epikureischen Götter durch den Akademiker Cotta bei Cicero, nat. deor. 1,67.105. ³¹⁵ Otiosus ist im Origenesreferat des Calcidius, in Ti. 278 (282 f. Waszink) die lateinische Wiedergabe der Symmachus-Übersetzung ἀργός in Gen 1,2 (siehe Origenes, Hexapla zu Gen 1,2 [8 Field]), das als Materieattribut ausgelegt wird. Auch Plutarch benutzt ἀργός als Attribut der Materie (Stoic. 43 [1054a]; an. procr. 6 [1015a]). ³¹⁶ Origenes bei Eusebius Caes., p. e. 7,20,6 (403,5 Mras). ³¹⁷ Siehe die Paraphrase der atomistischen Kosmologie bei Aristoteles, Ph. 2,4 (196a24); ähnlich Simplicius über Demokrit, in Ph. I 327,23 (Diels). Simplicius betrachtet das Konzept einer Entstehung ἐκ τοῦ αὐτομάτου als Gegensatz zu einer teleologischen Naturbetrachtung. Er weist es den frühen Naturphilosophen zu, die behaupten, ὑλικὴν ἀνάγκην αἰτίαν εἶναι τῶν γινομένων, sowie unter den späteren Philosophen den Epikureern (in Ph. I 371,27–372,14 [Diels]; die Passage ist ein Kommentar zu Aristoteles, Ph. 2,8 [198b16–34] unter Aufnahme von Material aus dem Kommentar des Alexander von Aphrodisias). ³¹⁸ Siehe die polemisch-rhetorische Frage des Origenes bei Eusebius Caes., p. e. 7,20,7 (403,5–9 Mras).

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Am Ende des erhaltenen Kommentarfragments zu Gen 1,2 faßt Origenes seine Argumentation gegen die Verfechter einer ungewordenen Materie zusammen: Wie es nämlich töricht ist vom Kosmos, der so künstlerisch ausgestaltet ist, zu sagen, daß er ohne weisen Handwerker so geworden ist, so ist es gleichermaßen unlogisch [zu sagen], daß die Materie, so bemessen und so beschaffen und auf solche Weise für die künstlerische Vernunft Gottes vorhanden, auf ungewordene Weise existiert.³¹⁹

Origenes spielt hier auf das kosmologische Standardargument an, das die Vertreter einer teleologischen Kosmologie gegen Epikur anführen. Dieses Argument folgert aus der vollkommenen Beschaffenheit des Kosmos die Wirkung einer vernünftigen, göttlichen Ursache³²⁰ und spricht denen, die die göttliche Verwaltung der Welt bestreiten, jegliches Sensorium für die Schönheit des Kosmos ab.³²¹ Origenes ruft also zunächst den anti-epikureischen Konsens in Erinnerung, den er und seine Gegner teilen. Er folgert dann aus diesem Konsens die Abhängigkeit der Materie von derselben göttlichen Ursache, die auch den Kosmos schafft und lenkt. Damit unterstellt er den Verfechtern eines ungewordenen Materieprinzips einen Verstoß gegen ihre eigene Lehre und wirft ihnen die Torheit und Stumpfheit der Epikureer vor. Die polemische Taktik des Origenes verdankt ihre Wirkung dem Umstand, daß in den naturphilosophischen Debatten des Hellenismus und der Kaiserzeit ein breiter fach- und populärphilosophischer Konsens darüber bestand, daß die epikureische Kosmologie mit ihrer Leugnung der göttlichen Vorsehung letztlich in Indifferenz gegenüber den Göttern und Gottlosigkeit mündet. Die negative Typisierung der Schule Epikurs ist dabei so allgegenwärtig, daß sie auch in philosophischen Auseinandersetzungen unter erklärten Epikurgegnern als polemisch-rhetorisches Mittel eingesetzt werden kann. Dabei besteht das ³¹⁹ Origenes bei Eusebius Caes., p. e. 7,20,8 (403,9–13 Mras): ὥσπερ γὰρ ἄτοπον ἐπὶ τοῦ κόσμου εἰπεῖν οὕτως τεχνικῶς κατεσκευασμένου τὸ χωρὶς τεχνίτου σοφοῦ αὐτὸν τοιοῦτον γενονέναι, οὕτως καὶ τὸ τὴν ὕλην, τοσαύτην καὶ τοιαύτην καὶ τοιούτως εἰκτικὴν τῷ τεχνίτῃ λόγῳ θεοῦ, ὑφεστηκέναι ἀγενήτως ἐπ’ ἴσης ἐστὶν ἄλογον. [Einfügung in der Übersetzung von mir]. ³²⁰ Aristoteles, Ph. 2,4 (196a28–196b4) und Simplicius, in Ph. I 332,4–15 (Diels) schließen aus der Regelmäßigkeit der Himmelserscheinungen auf deren göttliche Ursache. Sextus Empiricus listet kosmologische Beweise für die Existenz der Götter auf, die vor allem stoischen Ursprungs sind (M. 9,111–114 [239 f. Mutschmann]: gegen die atomistische δίνη als Ursprung der Kosmosentstehung; 9,60.75.122 [229.231.241 Mutschmann]: Beweise ἀπὸ τῆς τοῦ περιέχοντος διακοσμήσεως bzw. ἐκ τῆς κοσμικῆς διατάξεως). Der stoische Redner Balbus bei Cicero schildert die Schönheit und die vollkommene, geordnete Verwaltung des Kosmos, der die künstlerische Vollkommenheit menschlicher Anordnungen und Artefakte übersteigt und daher nicht fortuitane entstanden sein kann (nat. deor. 2,4.15.85 f.87–90.91 f.98–114), und beruft sich dafür auf Aristoteles (2,95 f.). Die Gegner Epikurs verspotten allgemein die Ansicht, daß der Kosmos durch zufällige Zusammenstöße von Atomen entstanden sei (Cicero, fin. 1,20; nat. deor. 2,93.115). ³²¹ So der Stoiker Balbus bei Cicero, nat. deor. 2,90.97.

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Ziel, die gegnerische Lehre durch Vergleich oder Gleichsetzung mit epikureischen Gedanken zu diskreditieren. Als Beispiele für diese Strategie lassen sich zum einen Plutarchs Polemik gegen die Stoiker anführen, zum anderen die Auseinandersetzung des Atticus mit aristotelisch beeinflußten Platonikern. Plutarch vergleicht die stoische Bewegungslehre mit der epikureischen Lehre von gleichmäßigen Atombewegungen, welche die Stoiker kritisieren.³²² Das stoische Ideal einer Lebensführung ohne öffentliche Ämter und die stoische Haltung gegenüber Tempeln und Altären bezeichnet er als epikureisch.³²³ In seiner Kritik an der stoischen Lehre vom Ursprung des Bösen benutzt er die stoische Kritik an der epikureischen Lehre von der Abweichung der Atombahnen, um den Stoikern vorzuwerfen, gleich den Epikureern ursachelose Bewegungen zu behaupten.³²⁴ Jacques Boulogne hat zu Recht darauf hingewiesen, daß aus dem Umstand, daß Plutarch epikureische Lehren anführt, nicht auf eine epikureische Phase in der Philosophie Plutarchs geschlossen werden darf.³²⁵ Plutarch verweist auf epikureische Lehren, um die Lehren der Stoiker zu disqualifizieren. Ein weiteres Beispiel für die Wirksamkeit anti-epikureischer Polemik in der Auseinandersetzung zwischen philosophischen Schulen stellt die polemische Auseinandersetzung des Atticus mit der aristotelischen Kosmologie dar, die die Wirkung der göttlichen Vorsehung auf den himmlischen Bereich einschränkt. Atticus wirft Aristoteles vor, mit der Wirksamkeit der göttlichen Vorsehung für den einzelnen Menschen gleich Epikur göttliche Vorsehung überhaupt zu leugnen.³²⁶ Wahrscheinlich richtet er sich damit gegen Platoniker, die diese aristotelische Position übernommen haben.³²⁷

Die Beispiele zeigen, daß Origenes in seiner Auseinandersetzung mit Verfechtern einer ungewordenen Materie ein polemisches Mittel einsetzt, das in den schulphilosophischen Auseinandersetzungen der Kaiserzeit gebräuchlich war. Ähnlich Plutarch gegenüber den Stoikern und ähnlich Atticus gegenüber divergierenden Platonikern wendet Origenes den Vorwurf, den auch seine Gegner gegen eine epikureische Kosmologie erheben, gegen diese selbst.³²⁸ c) Der vorausgesetzte Materiebegriff: Die Ausrichtung auf den göttlichen Willen. Der Argumentation für die Geschaffenheit der Materie liegt ein bestimmter Begriff von Materie zugrunde, den Origenes systematischer in princ. 4,1,4 und 4,4,6 entfaltet. Demnach bezeichnet Materie im grundlegenden Sinne das, was jedem Körper als eine in alles wandelbare, veränderbare und teilbare Substanz zugrunde liegt, bzw. das, woraus durch Zufügung der Qualitäten die Körper entstehen.³²⁹ Unter der Einschränkung, daß die Materie nicht ungeschaffen Plutarch, comm. not. 43 (1082e). Plutarch, Stoic. 2 (1033c); 6 (1034c). Plutarch, Stoic. 34 (1050c). J. B 1986, 318. Atticus, frg. 3 (Z. 43–53.63–74 Des Places). Siehe dazu die Untersuchung von S.-P. B 2001, 187–189. Anti-epikureische Polemik nutzt Origenes auch in der Auseinandersetzung mit dem Platoniker Celsus. Siehe dazu S.-P. B 2001. ³²⁹ Princ. 4,4,6 (357,16 f. Koetschau); princ. 2,1,4 (109,22 f.). Zur Bedeutung dieser Konzeption von Materie für Origenes siehe D. G. B 1980, 323–337. ³²² ³²³ ³²⁴ ³²⁵ ³²⁶ ³²⁷ ³²⁸

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gedacht werden dürfe, stimmt Origenes damit einer allgemein verbreiteten philosophischen Konzeption der Materie zu.³³⁰ Die Wandelbarkeit hebt Origenes besonders hervor.³³¹ Um die Umwandlung aller Elemente ineinander sicherzustellen, lehnt er die Vorstellung vom Äther im aristotelischen Sinne ab,³³² erwägt aber Äther im Sinne besonders reiner Stofflichkeit, die in den Kreislauf der Elemente eingebunden ist.³³³ Eine ähnliche Uminterpretation des aristotelischen fünften Körpers findet sich im kaiserzeitlichen Platonismus, der die platonische und die aristotelische Lehre von den Elementen miteinander zu verbinden sucht.³³⁴ Origenes ordnet den Äther jedoch aus anderen Gründen in den Kreislauf der Elemente ein. Für ihn ist die Wandelbarkeit der Materie wichtig, um die Verwandlung und Verfassung des Auferstehungsleibes zu erklären.³³⁵ Das eigentümliche Wesen der Materie besteht nach Origenes in der Anlage und in der Möglichkeit, die Qualitäten aufzunehmen. Ihrer Natur nach ist sie daher zwar ohne eigene Eigenschaften; sie ist jedoch ausgerichtet auf die künstlerische Vollkommenheit des Kosmos und auf die Kraft der göttlichen Macht.³³⁶ Eine ähnliche Vorstellung von Materie läßt sich bei platonischen Autoren beobachten, die die Materie als potentiellen Körper definieren, deren Potentialität auf die Aktualisierung des Kosmoskörpers ausgerichtet und gleichsam ›programmiert‹ ist.³³⁷ Im Unterschied beispielsweise zu Alkinoos rückt Origenes aber in der Auseinandersetzung um die Geschaffenheit der Materie die Ausrichtung auf den göttlichen Willen und die göttliche Macht in das Zentrum seiner Beschreibungen der Materie: Die Materie ist ausgerichtet auf die Körper, deren Existenz Gott will; sie liegt den Formen und Gestalten zugrunde, die Gott will; sie nimmt die Qualitäten auf, die Gott will;³³⁸ sie ist ausgerichtet auf die virtutis potentiam Gottes.³³⁹ Anders als Alki³³⁰ Princ. 4,4,6 (357,18–20 Koetschau). Siehe z. B. SVF II 125; Plutarch, comm. not. 34 (1076cd); 48 (1085bc); Sextus Empiricus, M. 10,312; Cicero, ac. post. 1,28. Vgl. damit die stoische Materiedefinition, die Origenes in or. 27,8 (368,1–10 Koetschau) zitiert, sowie seine Beschreibung der Materie nach den Stoikern in Jo. 13,21,127 (245,5–7 Preuschen). ³³¹ Princ. 4,4,6 (357,21–28 Koetschau); 2,1,4 (109,11–22). Zur Wandlung der Elemente ineinander vgl. auch 2,10,1 (173,20.22); 2,2,2 (112,22–113,2) mit Platon, Ti. 49bc sowie der stoischen Position bei Cicero, nat. deor. 2,26. Auch für Plotin, Enn. II 4 (12) 6,2–9 (I 188 Henry / Schwyzer) ist die beobachtbare Umwandlung der Elemente ein Argument für die Existenz der Materie. ³³² Princ. 3,6,6 (288,21–24 Koetschau). ³³³ Princ. 1,6,4 (85,20–22 Koetschau); 2,3,7 (125,9–12). In princ. 2,1,1 (106,17 f.) ordnet Origenes die Elemente einschließlich des Äthers Kosmosregionen zu. ³³⁴ Siehe Kapitel A IV 6.2. ³³⁵ Z. B. princ. 3,6,4 (285,29–286,9 Koetschau). ³³⁶ Siehe princ. 2,1,4 (110,23 Koetschau). ³³⁷ Siehe z. B. Alkinoos’ Lehre von der Materie in Kapitel A IV 4.3. ³³⁸ Princ. 2,1,4 (110,7–10 Koetschau); Origenes bei Eusebius Caes., p. e. 7,20,5 (402,25– 403,2 Mras). ³³⁹ Princ. 2,1,4 (110,23 Koetschau).

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noos³⁴⁰ stellt Origenes damit ausdrücklich die Frage, woher die Materie ihre Eignung und Aufnahmefähigkeit bezieht und führt sie auf Gottes Wille, Macht und Weisheit zurück. Damit unterscheidet er sich von der akademisch-platonischen Position, wie sie sich beispielsweise bei Cicero niederschlägt. Nach ihr ist die Annahme, daß die Materie eine vim et naturam suam habe, wahrscheinlicher als die Vorstellung einer geschaffenen Materie.³⁴¹ Nach Origenes ist gerade dann zu fragen, woher dieses Vermögen der Materie stammt. Nach Origenes hat die Materie ein Maß, das durch Gottes Wille und Macht bestimmt ist.³⁴² Er teilt somit nicht die Position von dualistisch geprägten Platonikern wie Numenius, nach denen die eigengesetzliche, chaotisch bewegte Materie unbegrenzt und ohne Maß ist.³⁴³ Überhaupt entfaltet seine Argumentation ihre Überzeugungskraft nur dann, wenn man die teleologische Ausrichtung der Materie hervorhebt und die Materie nicht als eigengesetzliches, Gott widerstreitendes Prinzip auffaßt. Die Ausführungen in princ. 4,4,6 f. zeigen, daß Gen 1,2 auf der Ebene der naturphilosophischen Interpretation für Origenes den Ausgangspunkt bildet, verschiedene philosophische Konzeptionen der Materie zu evaluieren.³⁴⁴ In Aufnahme anti-atomistischer Polemik schließt er dabei atomistische Konzepte und Prinzipienlehren der ionischen Naturphilosophen aus, nach denen jeweils ein einziges unteilbares Atom bzw. Element als Grundbaustein den Körpern zugrunde liegt.³⁴⁵ Außer dem verbreiteten platonisch-aristotelisch-stoischen Konzept von Materie, dem Origenes mit der Einschränkung zustimmt, daß die Materie geschaffen ist, referiert er noch eine weitere Vorstellung, in der die Materie als zugrunde liegendes Substrat negiert wird.³⁴⁶ Da die Materie niemals ohne Eigenschaften gefunden wird, ihr eigentümliches Wesen als zugrunde liegende Substanz nur in geistiger Erkenntnis erkannt und sie nur dadurch als Materie von den Qualitäten unterschieden wird, haben einige, die tiefer in diese Fragen eindringen wollten, die Behauptung gewagt, die körperliche Natur sei überhaupt nichts anderes als die Qualitäten. Denn wenn Härte ³⁴⁰ Alkinoos geht dieser Frage im Rahmen der Prinzipienlehre aus dem Weg (siehe Kapitel A IV 4.3). ³⁴¹ Cicero, nat. deor. 3 frg. 2 (1229 Pease = Laktanz, inst. 2,8,8–10 [132,12–22 Brandt]). ³⁴² Origenes bei Eusebius Caes., p. e. 7,20,4 (402,20–25 Mras); 7,20,8 (403,11 f.). Siehe dazu auch princ. 4,4,8 (360,10–12 Koetschau); 2,9,1 (165,4–10). In diesem Zusammenhang verteidigt Origenes die Konsequenz, daß damit Gottes Macht für begrenzt zu halten ist, gegen jene, die ihr »unter dem Vorwand frommer Scheu die Umgrenzung nehmen« (princ. 2,9,1 frg. 24 [164,1–9 Koetschau] = Justinian, ep. ad Menam [ACO III 190,7–14 Schwartz]). ³⁴³ Siehe dazu Numenius, frg. 52 (Z. 24–32 Des Places) und dazu Kapitel A III 4.2–3. ³⁴⁴ Siehe princ. 4,4,6 (357,6–28 Koetschau). ³⁴⁵ Princ. 4,4,6 (357,11–16 Koetschau). ³⁴⁶ Dazu M. J. E 2002, 62 f.

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und Weichheit, Wärme und Kälte, Feuchtigkeit und Trockenheit Qualitäten sind und man nach Abzug dieser und aller anderen Qualitäten nichts zugrunde Liegendes sieht, scheint es ja, als wären die Qualitäten alles.³⁴⁷

Origenes entwickelt aus dieser Vorstellung der Materie einen weiteren Beweis für die Geschaffenheit der Materie: Da nun alle, die die Materie ungeschaffen nennen, zugeben, die Qualitäten seien von Gott geschaffen, so ergibt sich daraus auch nach ihren eigenen Voraussetzungen, daß auch die Materie nicht ungeschaffen ist, wenn doch die Qualitäten, die alle ganz ohne Widerspruch als von Gott erschaffen anerkennen, alles sind.³⁴⁸

Origenes führt diese Konzeption von Materie, die nicht vereinbar ist mit der zu Beginn von princ. 4,4,6 (357,16 f. Koetschau) gegebenen Bestimmung, anonym ein. Es scheint, daß Origenes hier eine eigene Überlegung vorsichtig äußert, denn es ist schwierig, frühere Vertreter dieser Position ausfindig zu machen.³⁴⁹ Er hält sie für eine gewagte, aber dennoch überlegenswerte Behauptung und stellt sie ohne ausdrückliche Bewertung vor.³⁵⁰ Origenes diskutiert also im Zusammenhang seiner naturphilosophischen Auslegung von Gen 1,2 verschiedene Konzeptionen von Materie, von denen er nur die Positionen der Atomisten und der ionischen Naturphilosophen eindeutig ablehnt. Aus der platonisch-aristotelisch-stoischen Konzeption von Materie und aus der Negation der Materie als Grundlage der Körper entwikkelt er jeweils Argumente, um gegen die Verfechter einer ungewordenen Materie zu streiten. Dabei ist für ihn die Frage nach dem Charakter und dem Status ³⁴⁷ Princ. 4,4,7 (357,31–358,4 Koetschau): Quidam ergo altius de his volentes inquirere, ausi sunt dicere nihil aliud esse naturam corpoream quam qualitates. Si enim duritia et mollities, calidum et frigidum, humidum et aridum qualitas est, his autem vel ceteris huiusmodi amputatis nihil aliud intellegitur subiacere, videbuntur qualitates esse omnia. ³⁴⁸ Princ. 4,4,7 (358,5–8 Koetschau): ut quoniam omnes, qui materiam infectam dicunt, qualitates a deo factas esse confitentur, inveniatur per hoc etiam secundum ipsos nec materia esse infecta, si quidem qualitates sint omnia, quae utique sine contradictione ab omnibus a deo facta esse pronuntiantur. ³⁴⁹ Der Verweis auf Straton von Lampsakos (H. G / H. K 805 Anm. 46) ist unzutreffend. Straton bezeichnet zwar die Qualitäten als ἀρχαί bzw. αἰτίαι aller Dinge, scheint aber dennoch ein materielles, teilbares Substrat anzunehmen, das die Qualitäten als immanente causae gignendi et minuendi enthält. Außerdem lehnt Straton eine teleologische Naturbetrachtung ab (F. W 1950, 51–54). ³⁵⁰ Eine vorsichtige Würdigung dieser Vorstellung deutet Origenes an, indem er sie als Position derjenigen bezeichnet, die altius de his volentes inquirere (357,32 Koetschau). Auf ähnliche Weise würdigt er eine Auslegung der Attribute von Gen 1,2 bei Calcidius, in Ti. 277 (281,17–19 Waszink). Nach dem Referat dieser Position formuliert er die stoisch-platonische Position, der er zuvor mit Einschränkung zugestimmt hatte, etwas distanzierter: Hi vero, qui subiacenti cuidam materiae additas extrinsecus qualitates volunt ostendere, … (princ. 4,4,7 [358,8–10]). P. M. O’C 1985, 260.262 meint, daß Origenes in princ. 4,4,7 das ›idealistische‹ Konzept von Materie zurückweist und selbst eine Vorstellung von Materie als Substanz vertritt. Dem kann ich nicht zustimmen. Origenes gewinnt hier ausgehend von verschiedenen Materiekonzeptionen mehrere Argumente für die Geschaffenheit der Materie.

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der Materie letztlich weniger eine naturphilosophische oder kosmologische als vielmehr eine theologische Frage. Das wird besonders in princ. 2,1,4 deutlich, wo er das kosmologische Argument, mit dem Stoiker und Platoniker die göttliche Verwaltung des Kosmos verteidigen, gegen die Verfechter einer ungewordenen Materie wendet.³⁵¹ Hier hält Origenes es für töricht anzunehmen, daß eine zufällig vorhandene Materie ausreichen könnte zum Bau eines so bedeutenden Werkes wie des Kosmos und für die Macht Gottes. Origenes argumentiert zunächst in Analogie zu dem überkommenen Argument mit der Größe und Vollkommenheit des Kosmos. Er rückt aber dann Kraft und Vermögen Gottes in den Vordergrund. Daher ist für ihn die Annahme einer ungeschaffenen Materie nicht in erster Linie ein Merkmal der Menschen, die keinen Sinn für die Schönheit des Kosmos haben,³⁵² sondern vor allem typisch für Menschen, die von der Kraft und dem Denken Gottes nichts wissen. Mit der Geschaffenheit der Materie steht für Origenes nicht nur die teleologische Ausrichtung des Kosmos auf dem Spiel, sondern vor allem das Vermögen und die Göttlichkeit Gottes.

5. Die Aufnahme der Diskussion um den Anfang bzw. die Ewigkeit der Welt An einigen Stellen in De Principiis verknüpft Origenes in unterschiedlichen Kontexten die Auslegung von Gen 1 mit der Frage nach dem Anfang bzw. der Ewigkeit der Welt, die gerade unter Auslegern des platonischen Timaeus kontrovers diskutiert wurde.³⁵³ Diese Passagen lassen beispielhaft erkennen, wie Origenes philosophische Argumente aufgreift und zu seinem Zwecke gebraucht.

5.1. Princ. 3,5,1–3: Die Wahrscheinlichkeit einer Abfolge mehrerer Welten In princ. 3,5,1–3 behandelt Origenes innerhalb des großen Kapitels vom graduellen Aufstieg der rationalen Geschöpfe zu Gott den kirchlichen Lehrsatz ³⁵¹ Princ. 2,1,4 (110,21–111,1 Koetschau): … quam [sc. materiam C. K.] ei non sua provisione, sed fortuito sentiunt adfuisse; et videtur eis quod hoc, quod fortuito inventum est, sufficere ei potuerit ad tanti operis molem et ad suae virtutis potentiam, quod totius sapientiae suae suscipiens rationem distingueretur ac formaretur ad mundum. Quod mihi perabsurdum videtur et eorum esse hominum, qui virtutem atque intellegentiam ingenitae naturae penitus ignorent. ³⁵² So die Argumentation des Stoikers Balbus bei Cicero, nat. deor. 2,90.97. ³⁵³ Diese Debatte ist Gegenstand der zweibändigen Untersuchung von M. B 1976 u. 1978.

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vom Anfang und der Vollendung der irdischen Welt.³⁵⁴ Innerhalb der geschichtlichen Überlieferung des Alten Testamentes ist für Origenes der Schöpfungsbericht in Gen 1 f. der biblische Ausgangspunkt für die Lehre, daß die Welt geschaffen ist und von einem bestimmten Zeitpunkt an begonnen hat. Origenes geht dafür von einem wörtlichen Verständnis der biblischen Erzählung aus. Obwohl die Darstellung von Gen 1 f. manches enthalte, was höher sei, als der Bericht der geschichtlichen Ereignisse auf den ersten Blick zu erkennen gibt, zeige sie dennoch auf der Ebene des Wortlauts an, daß alles Sichtbare von einem bestimmten Zeitpunkt an geschaffen wurde.³⁵⁵ Daß die geschaffene Welt vergehen wird, stützt Origenes mit Bibelstellen wie Gen 49,1 f., Ps 101(102),27 f., Mt 24,35, Röm 8,20 f. oder 1 Kor 7,31.³⁵⁶ Interessant ist die Auslegung von Röm 8,20: »Die Schöpfung wurde unterworfen der Eitelkeit um deswillen, der sie unterworfen hat auf Hoffnung; denn auch die Schöpfung wird befreit werden von dem Dienst der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes«³⁵⁷. Neben der Verkündigung des Endes der Welt erkennt Origenes in diesem Pauluswort einen Hinweis auf den Anfang der irdischen, körperlichen Welt. Er sieht in der Hoffnung auf Befreiung die finale Ursache angegeben, um derentwillen die Schöpfung der Eitelkeit, d. h. der materiellen Körperlichkeit,³⁵⁸ unterworfen ist. Daraus leitet er ab, daß die Schöpfung ex causa existiert.³⁵⁹ Aus der Existenz der gegenwärtigen irdischen Welt ex causa ergibt sich nach Origenes dann notwendig, daß sie einen Anfang hat, denn »was aus einer (ontologisch vorgängigen) Ursache heraus ist, muß notwendig einen Anfang haben.«³⁶⁰ Origenes verknüpft in seiner Auslegung den Wortlaut des biblischen Textes mit einem philosophischen Satz, um dessen Geltung in der philosophischen Diskussion der Timaeusauslegung gestritten wurde. Die Mehrheit der Timaeusausleger seit der Alten Aka³⁵⁴ Princ. 3,5,1 (271,4–8 Koetschau). ³⁵⁵ Princ. 3,5,1 (271,12–18 Koetschau): De conditione ergo mundi quae alia nos scriptura

magis poterit edocere quam ea, quae a Moyse de origine eius descripta est? Quae licet maiora quaedam intra se contineat, quam historiae narratio videtur ostendere, et spiritalem in quam maximis contineat intellectum atque in rebus mysticis et profundis ›velamine‹ quodam litterae utatur: tamen nihilominus hoc indicat sermo narrantis, quod ex certo tempore creata sint omnia quae videntur. Origenes führt außerdem Mt 19,4 sowie Röm 8,20 als neutestamentliche Belege für den Anfang der Welt an. ³⁵⁶ Princ. 3,5,1 (271,18–272,12 Koetschau). ³⁵⁷ Princ. 3,5,1 (272,4–9 Koetschau): Verum in eo ipso, quod dixit quia ›vanitati creatura subiecta est‹, etiam initium eius ostendit. Si enim ›vanitati creatura subiecta est‹ propter ›spem‹ aliquam, ex causa utique subiecta est, et quod ex causa est, necesse est ut coeperit; non enim poterat sine ullo initio ›vanitati creatura esse subiecta‹ et sperare ›liberari a servitute corruptionis‹, quae servire corruptioni non coeperat. ³⁵⁸ Siehe die Auslegung von Röm 8,20 f. in princ. 1,7,5 (92,9–19 Koetschau) in Verbindung mit Pred 1,2.14. ³⁵⁹ Princ. 3,5,1 (272,6 Koetschau): Origenes erläutert propter spem als ex causa. ³⁶⁰ Princ. 3,5,1 (272,7 Koetschau): … et quod ex causa est, necesse est ut coeperit; … [Einfügung in der Übersetzung von mir].

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demie vertrat dabei die Ansicht, daß die Abhängigkeit der Welt von einer vorgängigen Ursache, nämlich dem Willen des Demiurgen, durchaus mit der ewigen, anfangslosen Existenz der Welt zu vereinbaren sei. Vor dem Hintergrund von Gen 1 leitet Origenes dagegen aus der Beschaffenheit bzw. Existenz der materiellen Schöpfung ex causa ihren Anfang ab. Daß Paulus von der Hoffnung der Schöpfung spricht, von der Eitelkeit und Vergänglichkeit befreit zu werden, ist für Origenes ein weiterer Beleg dafür, daß die so beschaffene Schöpfung einen Anfang hat. Denn nur das, was einen Anfang hat, ist auch endlich.³⁶¹ Origenes nimmt hier den Zusammenhang von Anfang und Endlichkeit in Anspruch, der auch in der Diskussion um die Interpretation des Timaeus eine Rolle spielt. Während Aristoteles und seine Nachfolger aus dem Anfang des Kosmos nach dem Timaeus seine Endlichkeit ableiten, setzen Ausleger wie Atticus diesen Zusammenhang unter Berufung auf den Timaeus für den Kosmos außer Kraft.³⁶² Origenes’ Auslegung von Röm 8,20 f. zeigt, daß Origenes die am Timaeus entbrannte philosophische Diskussion um Anfang bzw. Ewigkeit der Welt kennt und dort verwendete Denkfiguren in seiner Auslegung der biblischen Texte benutzt, um den Anfang und die Vergänglichkeit der irdischen Welt herzuleiten. Den Schriftbeweisen fügt Origenes in princ. 3,5,2 ein philosophisches Argument an, mit dem er diejenigen für den Lehrsatz vom Anfang und Ende der Welt zu gewinnen sucht, die die Autorität der Bibel und des Glaubens nicht anerkennen.³⁶³ Diese Verbindung von Schriftbeweisen und philosophisch-logischem Argument dient dem Ziel von De Principiis, die christliche Lehre für gebildete Leser intellektuell anspruchsvoll darzustellen.³⁶⁴ Vielleicht zielt Origenes außerdem auf pagane Kritiker der christlichen Schöpfungslehre. Origenes setzt zwei Annahmen ausdrücklich voraus: Gott umfaßt alles.³⁶⁵ Das völlig Anfangslose und daher Unbegrenzte kann von Natur aus niemals umfaßt werden.³⁶⁶ Origenes folgert, daß das, was von Gott umfaßt wird, als etwas gedacht werden muß, das Anfang und Ende hat. Somit muß auch die Welt Anfang und ³⁶¹ Siehe princ. 3,5,1 (272,7–9 Koetschau). ³⁶² Siehe Kapitel A II 2.1. ³⁶³ Princ. 3,5,2 (272,13–19 Koetschau): Si quis ergo est qui adversetur in hac parte vel auc-

toritati scripturae nostrae vel fidei, inquiremus ab eo, utrum dicat deum conpraehendere posse omnia, an non posse? Et dicere quidem ›non posse‹ manifeste impium est. Si vero, quod necesse est, dixerit quia omnia conpraehendit, superest ut eo ipso quo conpraehendi possunt, et initium habere intellegantur et finem. Nam quod penitus sine ullo initio est, conpraehendi omnino non potest. ³⁶⁴ Origenes betont in princ. 3,5,1 (271,10 f. Koetschau), daß sogar die Häretiker durch die Autorität der Bibel dazu gezwungen werden, den kirchlichen Lehrsatz zu teilen. ³⁶⁵ Siehe auch princ. 4,5,8 (359,20–360,1 Koetschau), wo es von Gott heißt: Virtute enim sua omnia conpraehendit, et ipse nullius creaturae sensu conpraehensus est. ³⁶⁶ Der Satz, daß Unbegrenztes von Natur aus nicht umfaßt werden kann, gilt nach Origenes auch für Gott, wie auch princ. 2,9,1 (165,3 f. Koetschau) und 4,4,8 (359,14 f.; vgl. princ. frg. 38 [359,16–19] bei Justinian, ep. ad Menam [ACO III 209,7–10 Schwartz]) zeigen.

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Ende haben. In diesem Argument setzt Origenes implizit voraus, daß der beschriebene Naturzusammenhang auch für Gott gilt. Ein philosophischer Kritiker der christlichen Schöpfungslehre könnte diese Voraussetzung mit dem Hinweis auf Gottes Macht und Kraft in Frage stellen. Auf diese Weise entkräften zum Beispiel Numenius und Atticus in anderen Sachzusammenhängen Argumente, die auf einen allgemeinen Naturzusammenhang rekurrieren.³⁶⁷ In princ. 3,5,3 wendet sich Origenes dann gegen die polemische Frage, was Gott getan habe, bevor er die Welt von einem bestimmten Zeitpunkt an schuf. Dieser traditionelle Einwand gegen die Vorstellung einer realen Weltschöpfung hat bei Origenes folgende Gestalt: Wenn Gott gütiger und allmächtiger Schöpfer dieser Welt ist und wenn die Welt von einem bestimmten Zeitpunkt an begonnen hat, so muß angenommen werden, daß Gott vor der Erschaffung der Welt müßig und bewegungslos war, bzw. seine Güte und Allmacht ohne Wirkung waren. So von Gottes Natur zu denken, ist gottlos und unsinnig. Daher ist es gottlos und unsinnig zu behaupten, daß die Welt einen Anfang hat.³⁶⁸ Dieser Einwand wurde auf ähnliche Weise bereits von Aristoteles und später vor allem von den Epikureern aus unterschiedlichen Beweggründen gegen die Annahme einer realen Weltschöpfung vorgebracht.³⁶⁹ Aristoteles verneint, daß die Welt einen Anfang hat; Epikur verneint, daß es einen göttlichen Schöpfer gibt. Beide richten sich gegen die Annahme einer realen Weltentstehung, wie sie der Timaeus auf der Ebene eines wörtlichen Verständnisses bzw. die Stoiker vertreten. Origenes’ Fassung des Einwandes weist nicht die kruden Anthropomorphismen auf, mit welchen die aristotelische und die epikureische Polemik die Vorstellung einer Weltschöpfung bzw. die Existenz eines vorse³⁶⁷ Siehe die Argumentation des Atticus, daß der Kosmos, der geworden ist und somit von Natur aus vergänglich ist, durch die Kraft und den Willen des Demiurgen nicht vergehen wird (frg. 4 Des Places). Numenius argumentiert ähnlich gegenüber den Stoikern, daß der allgemeine Grundsatz – was von Natur aus ohne Maß ist, kann niemals zu Maß und Ordnung geführt werden – nicht für das Handeln Gottes gelte, weil dieser die Natur transzendiert (frg. 52 [Z. 15–32 Des Places]). ³⁶⁸ Princ. 3,5,3 (272,22–28 Koetschau): Sed solent nobis obicere dicentes: Si coepit mundus ex tempore, quid ante faciebat deus quam mundus inciperet? Otiosam enim et immobilem dicere naturam dei impium est simul et absurdum, vel putare quod bonitas aliquando bene non fecerit et omnipotentia aliquando non egerit potentatum. Haec nobis obicere solent dicentibus mundum hunc ex certo tempore coepisse et secundum scripturae fidem annos quoque aetatis ipsius numerantibus. ³⁶⁹ Aristoteles hat dieses polemische Argument vermutlich in seinem Dialog De Philosophia entwickelt. Siehe dazu B. E 1970, 23–31, der die Texte Cicero, nat. deor. 1,21 f.; Aetius 1,7 f.; Lukrez, rer. nat. 5,110–234 auf Aristoteles zurückführt und damit Zustimmung gefunden hat (siehe M. B 1976, 12 mit Hinweis auf A. G 1972, 337). Epikur hat die aristotelische Polemik in seinem Traktat De natura verwendet, von dem mittelbar die späteren epikureischen Texte und Zeugnisse abhängen (siehe den Kommentar zu Cicero, nat. deor. 1,20 f. durch W. G / K. B 1990, 579).

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henden Schöpfergottes ad absurdum führen, sondern ist von der Gottesvorstellung geprägt, die Origenes selbst im theologischen Traktat von De Principiis entwickelt.³⁷⁰ Offensichtlich spielt Origenes auf die Tatsache an, daß pagane Philosophen den traditionellen Einwand auch gegen die auf Gen 1 aufbauende jüdisch-christliche Lehre von der Weltschöpfung richten konnten. Die Formulierung des Einwandes geht aber wohl auf Origenes selbst zurück. Origenes begegnet dem Einwand, indem er aus verschiedenen Bibeltexten die Lehre von einer Abfolge verschiedener Welten herleitet. Da es, wie die Bibel bezeugt (Jes 66,22; Pred 1,9 f.), bereits vor der gegenwärtigen Welt Welten gab und auch nach ihr Welten geben wird, ist sichergestellt, daß Gottes Wirken nicht an die Dauer der gegenwärtigen Welt gebunden ist.³⁷¹ Setzt man die Argumente zueinander in Beziehung, die Origenes in princ. 3,5,2 und 3,5,3 entwickelt, so ergibt sich eine bemerkenswerte Inkonsistenz. Vor dem Hintergrund von princ. 3,5,3 ist unter den omnia, die nach princ. 3,5,2 Gott umfaßt, die Gesamtheit aller vergangenen Welten, der gegenwärtigen Welt und aller zukünftigen Welten zu verstehen. Dann aber ist im Sinne des Argumentes von princ. 3,5,2 die Anzahl der aufeinanderfolgenden Welten endlich zu denken.³⁷² Die Annahme einer endlichen Zahl aufeinanderfolgender Welten kann aber den polemischen Einwand von princ. 3,5,3, was Gott vor der Erschaffung der Welt(en) getan habe, nicht entkräften. Diese fehlende Kompatibilität der beiden Argumente weist darauf hin, daß es Origenes letztlich nicht darum geht, den kirchlichen Lehrsatz vom Anfang bzw. Ende der Welt gegen philosophische Einwände zu verteidigen. Er nimmt den kirchlichen Lehrsatz vielmehr zum Ausgangspunkt, um seine Lehre von der endlichen Abfolge verschiedener Welten vorzutragen. Die Argumentation des Origenes in princ. 3,5,1–3 zielt darauf, zu zeigen, daß die Lehre von der Abfolge verschiedener Welten eine Ableitung des kirchlichen Lehrsatzes vom Anfang und Ende der Welt darstellt und somit mit der kirchlichen Verkündigung (regula pietatis)³⁷³ übereinstimmt. In Auseinandersetzung mit dem polemischen Einwand in princ. 3,5,3 beabsichtigt er außer³⁷⁰ Vgl. Origenes, princ. 1,2,10; 1,4,4. ³⁷¹ Princ. 3,5,3 (273,1–5 Koetschau): Nos vero consequenter respondebimus observantes

regulam pietatis et dicentes quoniam non tunc primum, cum visibilem istum mundum fecit deus, coepit operari, sed sicut post corruptionem huius erit alius mundus, ita et antequam hic esset, fuisse alios credimus. Quod utrumque divinae scripturae auctoritate firmabitur. ³⁷² Die Annahme eines endlosen, physikalisch determinierten kosmischen Zyklus, wie ihn die Stoiker vertreten, lehnt Origenes ab, weil sie den freien Willen, jede Möglichkeit spirituellen Wachstums und somit die eschatologische Rückkehr und Vollendung unmöglich macht: Cels. 5,21 (22,20–23,8 Koetschau); princ. 2,3,4 (119,4–13 Koetschau). Siehe dazu G. B 1992, 257. ³⁷³ Die Formulierung regula pietatis geht wahrscheinlich auf den Übersetzer Rufin zurück, der diesen Begriff an verschiedenen Stellen frei, aber dem Gedankengang und der Intention des Origenes gemäß einfügt (siehe H. G / H. K 627 Anm. 9; 85 Anm. 4 mit Belegstellen).

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dem nachzuweisen, daß diese Lehre philosophisch konsistenter ist als alle häretisch-gnostischen Kosmologien, die zwar der Lehre vom Anfang und dem Ende der Welt überraschend einmütig zustimmen, aber sonst in Konkurrenz zur kirchlichen Lehre treten.³⁷⁴ Für beide Ziele bedient sich Origenes einiger Argumente aus der philosophischen Debatte, die um die Frage von Anfang bzw. Ewigkeit der Welt ausgehend vom platonischen Timaeus geführt wurde.

5.2. Princ. 1,4,3–5: Die Präexistenz der Schöpfung im göttlichen Logos Auf eine andere Weise greift Origenes den aristotelischen-epikureischen Einwand gegen eine reale Weltschöpfung in princ. 1,2,10 und 1,4,3–5³⁷⁵ auf. Er zeigt auch hier, daß die Annahme eines zeitlichen Anfangs der Schöpfung wesentlichen Bestimmungen Gottes widerspricht und somit in eine Aporie führt, zu der eine angemessene, dem Glauben gemäße Lösung gefunden werden muß. Die Gotteslehre, die Origenes dabei formuliert, enthält wesentliche Aspekte seiner Trinitätslehre,³⁷⁶ so daß nicht wahrscheinlich ist, daß der Einwand in dieser Form von pagan-philosophischen Kritikern der christlichen Schöpfungslehre formuliert wurde. Ein Fragment des Genesiskommentars läßt vermuten, daß Origenes diese Argumentation auch in seinem Genesiskommentar entwickelt hat.³⁷⁷ ³⁷⁴ Siehe princ. 3,5,1 (271,10 f. Koetschau); 3,5,3 (272,28 f.). ³⁷⁵ Princ. 1,4,3–5 ist nur in einem Strang der Überlieferung (α) erhalten und hat den Cha-

rakter eines Anhangs, der aber, wie eine Notiz bei Justinian, ep. ad Menam zeigt, wahrscheinlich auf Origenes zurückgeht. Siehe den Apparat der Edition von P. K ad loc. sowie den Kommentar von H. C / M. S, SC 253, 79 f. ³⁷⁶ Princ. 1,4,4 (65,12 Koetschau): virtutes dei vgl. mit princ. 1,2,9 (39,18; 40,5–11; 41,7); 1,1,3 (18,22 f.), wo Sohn und Geist als virtutes des Vaters bezeichnet werden. Princ. 1,4,4 (66,3): … has virtutes, quibus principaliter sicut dignum est intellegitur deus … Vgl. mit Texten, in denen Origenes von der Gotteserkenntnis durch den Sohn und den Heiligen Geist handelt (bei F. H. K 1969, 288 Anm. 108). ³⁷⁷ Siehe Origenes bei Eusebius Caes., Marcell. 1,4 (22,11–18 Klostermann / Hansen), ein Zitat aus dem Kommentar vermutlich zu Gen 1,1 oder aus dem Prolog zum ersten Buch: οὐ γὰρ ὁ θεὸς πατὴρ εἶναι ἤρξατο κωλυόμενος, ὡς οἱ γινόμενοι πατέρες ἄνθρωποι, ὑπὸ τοῦ μὴ δύνασθαί πω πατέρες εἶναι. εἰ γὰρ ἀεὶ τέλειος ὁ θεός, καὶ πάρεστιν αὐτῷ δύναμις τοῦ πατέρα αὐτὸν εἶναι, καὶ καλὸν αὐτὸν εἶναι πατέρα τοιούτου υἱοῦ, ἀναβάλλεται καὶ τοῦ καλοῦ ἑαυτὸν στερίσκει καὶ, ὡς ἔστιν εἰπεῖν, ἐξ οὗ δύναται πατὴρ εἶναι, οὐ ; τὸ αὐτὸ μέντοιγε καὶ περὶ τοῦ ἁγίου πνεύματος λεκτέον. Den Text bietet auch Pamphilus, apol. Orig. 47 f. in der Übersetzung Rufins (106–108 Amacker / Junod). Die Echtheit der Aussage über den Heiligen Geist ist umstritten, da nach Jo. 2,10 (64,13–31 Preuschen) der Heilige Geist vom Vater durch den Sohn geschaffen wird. Allerdings stellt Origenes in princ. 1,3,3 die Frage, ob der Heilige Geist innatus / infactus oder natus / factus ist, ganz in Parallele zur Darstellung der Lehre vom Sohn in princ. 1,2,2. Siehe H. S 1993, 224. Vor diesem Hintergrund ist das Thema des letzten Satzes des Fragments nicht die Frage, von wem der Heilige Geist ausgeht, sondern ob er, wie der Sohn ewig vom Vater gezeugt ist, ewig geschaffen ist. Der Satz ist dann durchaus als origenianisch denkbar.

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Origenes argumentiert ausgehend von den Bestimmungen Gottes, die seinen Weltbezug ausdrücken. Die beata et ἀρχική trinitas ist bonus deus et benignus omnium pater sowie die εὐεργετικὴ δύναμις et δημιουργική, id est bene faciendi virtus et creandi ac providendi. Diese Kräfte sind virtutes dei, durch die Gott erkannt wird.³⁷⁸ Sie sind in Gott bzw. selbst Gott. Die Annahme eines zeitlichen Anfangs der Schöpfung widerspricht nun dem Charakter dieser göttlichen Kräfte, die niemals müßig, nie ohne eine ihnen angemessene Tätigkeit und nie ohne Bewegung sind. Genausowenig ist anzunehmen, daß sie von außen gehindert werden oder aus Unlust oder Nachlässigkeit untätig sind. Hier schimmert die epikureische Frage durch, ob der Schöpfergott bzw. die Pronoia aus Scheu vor Mühsal vor der Schöpfung untätig gewesen sei.³⁷⁹ Unfromm ist es nach Origenes schließlich anzunehmen, daß Gottes Wesen sich mit der Schöpfung zum Besseren verändert habe, er von der Untätigkeit zum Wirken vorangeschritten sei bzw. erst mit der Erschaffung der Welt allmächtig geworden sei. Hier klingt das aristotelische Argument an, daß die Vorstellung vom Anfang der Welt gegen das Axiom der Unwandelbarkeit Gottes verstoße, weil Gott sich weder zum Schlechteren noch zum Besseren hin verändern kann.³⁸⁰ Angesichts dieser Voraussetzungen ist es nach Origenes unmöglich, einen Augenblick zu denken, an dem Gott nicht Schöpfer, Wohltäter oder Vorsehung Übender war. Daraus folgt aber, daß es immer geschaffene Wesen gab, denen Gottes wohltätige Kraft gemäß der Vorsehung Wohltaten erweisen konnte. Diese Folgerung, die aus den Bestimmungen Gottes abgeleitet ist, führt zu der Aporie, wie man sich vorstellen kann, daß die Geschöpfe immer dagewesen sind, solange es Gott gibt, und daß sie sozusagen ohne Anfang existieren, obwohl man ohne Zweifel glauben muß, daß sie geschaffen und von Gott gemacht sind.³⁸¹

³⁷⁸ Die für die Gotteslehre des Origenes wichtige Lehre von den göttlichen δυνάμεις steht in der Tradition Philos. Zu Philos Lehre von der δύναμις ποιητικὴ καὶ βασιλική siehe Opif. 5,21 (6,12–18 Cohn); Abr. 24,121 (28,4–8 Cohn); Mut. 4,28 f. (161,26–162,2 Wendland) sowie H. A. W 1947, 233–239.261–282. Für die Aufnahme des Konzepts der göttlichen δυνάμεις und dessen ›Christologisierung‹ durch christliche Autoren siehe beispielhaft Clemens von Alexandrien (dazu D. T. R 2004, 256–276). ³⁷⁹ Siehe die Rede des Epikureers bei Cicero, nat. deor. 1,22. ³⁸⁰ Siehe Aristoteles, Phil. frg. 16 Ross = Simplicius, in Cael. 288,28–289,15 (Heiberg); frg. 19c Ross = Philo, Aet. 13,39–43 (85,5–86,10 Cohn). Vor diesem Hintergrund bestreitet Aristoteles, daß die Welt novo consilio inito geschaffen wurde (frg. 20 Ross = Cicero, ac. 2,38 [119 Plasberg]). Siehe dazu M. B 1976, 11. Dieses Argument nimmt für seine Argumentation auch Porphyrius auf (bei Proclus, in Ti. I 393,9–13 [Diehl]). ³⁸¹ Princ. 1,4,4 (66,15–67,3 Koetschau): Sed rursum in hoc humana intellegentia hebetatur atque constringitur, quomodo possit intellegi semper ex quo deus est fuisse etiam creaturas et sine initio, ut ita dixerim, substitisse eas, quae utique sine dubio creatae esse atque a deo factae credendae sunt.

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Origenes’ Lösung der Aporie wurzelt in seiner Gotteslehre, die es ihm ermöglicht, in Parallelität zur ewigen Zeugung des Sohnes durch den Vater³⁸² eine Art ewige Existenz der Geschöpfe im Sohn zu denken.³⁸³ Den eingeborenen, ewig gezeugten Sohn identifiziert Origenes mit der Weisheit, in der nach Ps 103(104),24 alles gemacht ist und die nach Spr 8,31 f. immer schon beim Vater war. In ihr sieht Origenes die Schöpfung immer schon enthalten, so daß Gott als Schöpfer immer schon eine Schöpfung korrespondiert. Die Geschöpfe liegen aber in der Weisheit lediglich vorgebildet und vorgeformt vor (propter praefigurationem et praeformationem) und werden erst zu einem bestimmten Zeitpunkt als eigenständige Substanzen (substantialiter) erschaffen, so daß die Lehre vom zeitlichen Anfang der Schöpfung gültig bleibt.³⁸⁴ Diese wichtige Unterscheidung zwischen der Existenz der Geschöpfe propter praefigurationem et praeformationem vor der Schöpfung in der Weisheit und ihrer Existenz substantialiter nach der Schöpfung übergeht später Methodius in seiner Polemik gegen Origenes und beschuldigt ihn, das All für gleichewig mit dem einzig weisen und bedürfnislosen Gott zu halten.³⁸⁵ Grundlage für die Argumentation des Origenes ist seine Vorstellung von der Schöpfungsmittlerschaft Christi als Weisheit, die er besonders klar im Johanneskommentar 1,19,109–118 (23,12–24,22 Preuschen) darlegt. In seiner Entgegnung auf den polemischen Einwand gegen die Lehre vom Anfang der Welt stellt Origenes nun in den Vordergrund, daß in der Weisheit, d. h. Christus als der Ursache der Schöpfung, die Geschöpfe immer schon potentiell vorhanden sind und daher in ihr gewissermaßen³⁸⁶ ohne Anfang, gleichewig mit Gott existieren. Dabei hebt er besonders hervor, daß die Modelle und Skizzen, die die Weisheit enthält, die allgemeinen und individuellen Ursachen der Geschöpfe darstellen. So heißt es in princ. 1,2,2, daß durch die göttliche Vor³⁸² Siehe princ. 1,2,2 (29,4–30,2 Koetschau). ³⁸³ Princ. 1,2,2 (30,2–8 Koetschau). ³⁸⁴ Princ. 1,4,4 (67,8–10.12–15 Koetschau): deum quidem patrem semper fuisse, semper

habentem unigenitum filium, qui simul et sapientia secundum ea, quae supra exposuimus [vgl. 1,2,2 (29,4–30,2) C. K.], appellatur … In hac igitur sapientia, quae semper erat cum patre, descripta semper inerat ac formata conditio, et numquam erat quando eorum, quae futura erant, praefiguratio apud sapientiam non erat. Princ. 1,4,5 (67,20–68,3): Et si utique ›in sapientia omnia‹ facta sunt [vgl. Ps 103(104),24 in 67,19 f.], cum sapientia semper fuerit [vgl. Spr 8,30 f.], secundum praefigurationem et praeformationem semper erant ›in sapientia‹ ea, quae protinus etiam substantialiter facta sunt. ³⁸⁵ Methodius bei Photius, cod. 235 (302a30 f. = V 109 Henry): Ὅτι ὁ Ὠριγένης … ἔλεγε συναΐδιον εἶναι τῷ μόνῳ σοφῷ καὶ ἀπροσδεεῖ θεῷ τὸ πᾶν. Es folgt eine Paraphrase der Argumentation, die Origenes in princ. 1,2,2.10 und 1,4,3 entfaltet, in der Methodius die Unterscheidung zwischen der ewigen Existenz der Schöpfung in der Weisheit und der begrenzten Existenz der Geschöpfe außerhalb der Weisheit ignoriert (302a30–302b4). ³⁸⁶ Diesen Vorbehalt setzt Origenes bewußt, wenn er vom Verstand die Vorstellung fordert, … semper ex quo deus est fuisse etiam creaturas et sine initio, ut ita dixerim, substitisse eas, … (princ. 1,4,4 [67,1 f. Koetschau]). Denn die geschaffenen Wesen haben einen Anfang im Sinne eines vorgängigen Prinzips.

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sehung die primären Geschöpfe, d. h. die intelligiblen Vernunftwesen, und die sekundären Geschöpfe der sichtbaren Welt immer schon in der göttlichen Weisheit vorhanden sind, weil diese die gesamte Potenz³⁸⁷ und Formung der zukünftigen Schöpfung bzw. die allgemeinen (initia / ἀρχαί; species / εἴδη) und individuellen (rationes / λόγοι) Ursachen der Geschöpfe enthält.³⁸⁸ Es ist erstaunlich, daß Origenes, der die platonische Ideenlehre im Zusammenhang seiner Genesisauslegung ablehnt, hier detailliert auf sie zurückgreift. Er läßt sogar eine Kenntnis der innerplatonischen Weiterentwicklung der Ideenlehre erkennen, wenn er in princ. 1,2,2 sagt, daß die Weisheit sowohl die initia / ἀρχαί und species / εἴδη als auch die rationes (sc. λόγοι) enthalte. Hier klingt die Unterscheidung von ἰδέαι und λόγοι an, wie sie sich beispielsweise bei Plotin findet, der zwischen den Ideen von Gattungen und Arten und den Ursachen individueller Einzelwesen unterscheidet.³⁸⁹ Die Diskussion um die Existenz von Ideen der Individuen schlägt sich auch in princ. 1,4,5 nieder, wo Origenes mit einer Auslegung von Pred 1,9 f. das Ergebnis seiner Argumentation zusammenfaßt: Alle Gattungen und Arten waren immer; ein anderer mag vielleicht sagen, auch das einzelne Individuum (τὸ καθ’ ἓν ἀριθμῷ). Jedenfalls ergibt sich auf beide Weise, daß Gott nicht irgendwann einmal mit der Weltschöpfung begonnen hat, nachdem er zuvor untätig war.³⁹⁰ ³⁸⁷ Virtus ist die Wiedergabe des griechischen Wortes δύναμις, das hier eher Potenz / Möglichkeit der Schöpfung als Kraft meint. ³⁸⁸ Princ. 1,2,2 (30,2–8 Koetschau): In hac ipsa ergo sapientiae subsistentia quia omnis virtus ac deformatio futurae inerat creaturae, vel eorum quae principaliter exsistunt vel eorum quae accidunt consequenter, virtute praescientiae praeformata atque disposita: pro his ipsis, quae in ipsa sapientia velut descriptae ac praefiguratae fuerant, creaturis se ipsam per Salomonem dicit creatam esse sapientia ›initium viarum dei‹, continens scilicet in semet ipsa universae creaturae vel initia vel rationes vel species. Origenes knüpft auch hier an Philos Interpretation der platonischen Ideenlehre an, nach welcher der göttliche Logos die göttlichen Kräfte und die intelligiblen Ideen enthält. Siehe z. B. Philo, Opif. 5,20 (6,7–10 Cohn). Bei kaiserzeitlichen Platonikern findet sich eine ähnliche Vorstellung, daß die Ideen nicht außerhalb Gottes, sondern in seinem Denken als seine Gedanken existieren. Siehe z. B. Alkinoos, Intr. 9 (163,14 f.30–34 Hermann / Whittaker); 10 (164,27–31) und dazu Kapitel A IV 4.2. Zur Frage nach der Bedeutung Philos für die Herausbildung dieser Lehre im Platonismus siehe zusammenfassend D. T. R 2001, 151 f. ³⁸⁹ Unter Platonikern ist strittig, ob nach Platon auch Ideen von Individuen existieren (siehe die scholastische Zusammenstellung zur Frage, wovon Ideen existieren, bei Alkinoos, Intr. 9 [163,24–30 Hermann / Whittaker]). Bei Plotin, Enn. V 7 (18) findet sich die Unterscheidung von ἰδέαι für die Ideen der Gattungen und Arten bzw. Allgemeinbegriffe auf der Ebene des Nous und λόγοι, den intelligiblen Ursachen individueller Einzelwesen auf der Ebene der Weltseele. Plotin sucht damit das Problem zu lösen, was das Prinzip der Individuation ist. Er lehnt die aristotelische Lösung ab, nach der die Materie dieses Prinzip sei, weil die Materie als Privationsprinzip lediglich das Zurückbleiben hinter der Form erkläre, das Individuationsprinzip aber in der Form selbst liegen müsse. ³⁹⁰ Princ. 1,4,5 (68,10–12 Koetschau = Justinian, ep. ad Menam [ACO III 210,25–27 Schwartz]; vgl. mit der inhaltlich entsprechenden Übersetzung Rufins [68,12–15 Koetschau]):

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Die Zurückhaltung des Origenes gegenüber der platonischen Ideenlehre wird freilich darin deutlich, daß er den Begriff der Idee vermeidet. Wie im Johanneskommentar die Aufnahme von Elementen der Ideenlehre einem konkreten Auslegungsziel dient, nämlich die Schöpfungsmittlerschaft Christi als Weisheit und Logos aufzuzeigen, so nimmt er im Zusammenhang seiner Auslegung von Gen 1,1 f. biblisch interpretierte Elemente der platonischen Ideenlehre in Anspruch, um im Interesse der Gotteslehre einen Ausweg aus der Aporie zu finden, in die ihn der polemische Einwand gegen die Lehre vom Anfang der Welt führt. Dabei steht Origenes mit seiner Lösung in einer gewissen Tradition. Aus der platonischen Ideenlehre entwickelt bereits Atticus ein Argument gegen die polemische Frage, wie Gott vor der Entstehung der Welt Schöpfer gewesen sein kann. Nach Atticus war der Demiurg immer Schöpfer, insofern er durch beständiges Schauen das intelligible Paradigma erschafft und erhält.³⁹¹ Im Zusammenhang der Interpretation von princ. 1,4,3–5 hat Franz Heinrich Kettler die Ansicht vertreten, daß Origenes hier als seine eigentliche Lösung der Aporie die Lehre von der ewigen Präexistenz der Vernunftwesen vortrage.³⁹² Kettler beruft sich auf den letzten Satz des Abschnitts, der auch durch Justinian überliefert ist. Hier habe Origenes neben der Ansicht, daß in der Weisheit immer schon die Gattungen und Arten der zukünftigen Schöpfung enthalten waren, als Alternative die Präexistenz der individuellen Vernunftwesen vertreten. Kettler versteht τὸ καθ’ ἓν ἀριθμῷ als Ausdruck für die individuell existierenden Vernunftwesen, die Gott nach princ. 2,9,1 (165,4–8)

… πάντα τὰ γένη καὶ τὰ εἴδη ἀεὶ ἦν, ἄλλος δέ τις ἐρεῖ καὶ τὸ καθ’ ἓν ἀριθμῷ· πλὴν ἑκατέρως δηλοῦται ὅτι οὐκ ἤρξατο ὁ θεὸς δημιουργεῖν ἀργήσας ποτέ. Daß die göttliche Weisheit als beseelte Weisheit (ἔμψυχος σοφία) nicht nur die Gestalt und die Formen (τὴν πλάσιν καὶ τὰ εἴδη) an der Materie wirkt, sondern auch das jeweils individuelle Sein (τὰς οὐσίας), erwägt Origenes in Jo. 1,19,115 (24,7–10 Preuschen). Spätere Theologen antworten auf die Frage, was Gott getan habe, bevor er die sichtbare Welt geschaffen hat, nicht mit der Präexistenz der Schöpfung in der göttlichen Weisheit, sondern mit der Aussage, daß Gott immer Ursache und Quelle sei, da er ewig das Wort / die Weisheit und den Heiligen Geist hervorbringt bzw. vor der sichtbaren Schöpfung τὰ πρῶτα (die oberen Mächte) geschaffen habe (z. B. Aeneas von Gaza, dial. 44,1–45,2 [Colonna]). Siehe dazu M. W 1969, 85–98, der die patristische Tradition dieser Überlegung darstellt und eine Verbindung des Aeneas zu Origenes sieht, ohne freilich direkte Abhängigkeit zu behaupten [besonders 96 f.]). ³⁹¹ Atticus bei Proclus, in Ti. I 392,28; 271,31–272,6 (Diehl). Siehe dazu M. B 1983, 41–43. Philo, Prov. 1,7 referiert in einem etwas undurchsichtigen Gedankengang, der die Geschaffenheit der Welt aufzeigen soll, einen ähnlichen Gedanken: Gott ordnete die von ihm geschaffene Materie in dem Augenblick, als er sie erblickte. Er begann aber nicht früher, auf etwas zu blicken, als er handelte, weil Wollen und Handeln bei Gott immer gleichzeitig sind. Es gab auch niemals eine Zeit, da er nicht auf etwas blickte und handelte, weil mit ihm immer schon von Urbeginn an die Ideen existieren (132 f. Hadas-Lebel). Zur Zuschreibung des Werkes an Philo siehe M. H-L, Oeuvres de Philon 35, 22–46. ³⁹² F. H. K 1969, 272–297.

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»nach Zahl« (numero) geschaffen hat.³⁹³ Er kann sich dafür auf einen Kommentar des Antipater von Bostra berufen. Dieser Kritiker des Origenes kommentiert den Inhalt von princ. 1,5–8 und referiert als Ansicht des Origenes, »daß Gott auch die Vernunftwesen nicht angefangen hat zu erschaffen«. Diese Aussage stellt er vor die Themen, die Origenes in princ. 1,5–8 behandelt.³⁹⁴ Möglich ist freilich, daß Antipater Origenes ähnlich polemisch mißversteht wie Methodius von Olympus. Wenn er Origenes aber richtig wiedergibt, so hat dieser in princ. 1,4,3–5 der Aporie, wie Gott vor dem Beginn der Schöpfung Schöpfer gewesen sein konnte, zwei verschiedene Lösungen entgegengestellt. Von ihnen hat Rufin nur eine überliefert. Zum einen präsentiert Origenes die an Traditionen anknüpfende Lehre von der Präexistenz der Schöpfung in der göttlichen Weisheit. Zum anderen sagt er die ewige Existenz individueller Vernunftwesen aus. Die zweite Lösungsvariante ist in gewisser Weise eine radikale Weiterentwicklung der ersten Lehre, die berücksichtigt, daß in der intelligiblen Welt zwischen potentiellem und aktuellem Sein eigentlich nicht unterschieden werden kann. Wahrscheinlich hat sich Origenes in seiner Darstellung einer expliziten Stellungnahme, welche der zwei Varianten vorzuziehen sei, enthalten. Der Vorwurf des Antipater, Origenes habe mit aller Autorität diesbezüglich Lehrsätze aufgestellt, hat auf jeden Fall wenig Anhalt an dem Verfahren, mit dem Origenes in De Principiis oder in seinen Bibelauslegungen schwierige Fragen erörtert, und ist sicherlich ein Teil seiner Polemik gegen Origenes.³⁹⁵

5.3. Princ. 2,3,6: Die Unvergänglichkeit des Kosmos der Heiligen Im Anschluß an die Zusammenfassung seiner Auslegung von Gen 1,1 f. spielt Origenes in princ. 2,3,6 auf die Argumentation an, mit der Atticus ausgehend ³⁹³ Neben princ. 1,4,5 (68,10–12 Koetschau) bezieht sich F. H. K 1969, 290–297 außerdem auf princ. 1,4,1 (66,10–14). Die dort beschriebene Wirkweise der εὐεργετικὴ δύναμις setze die Existenz substantieller, mit Willen begabter Wesen voraus. Die Argumentation wurde zustimmend aufgenommen von H. S 1993, 235–237. ³⁹⁴ Antipater von Bostra, Adversus Origenem bei Johannes Damasc., parall., zitiert nach H. G / H. K 266 (Anhang I 1 zu Kapitel 8): Ἐν τῷ οὖν ἐκκλησιαστικῷ κηρύγματι περιεχομένης τῆς ἀκριβοῦς ταύτης καταλήψεως, πῶς ἐρεῖτε κατειληφέναι, ἀλλὰ μετὰ πάσης ἀκριβείας εἰδέναι ὅτιπερ οὐκ ἤρξατο ὁ θεὸς δημιουργεῖν καὶ τοὺς νόας, πῶς τε τάξεως καὶ γνώσεως μετέσχον, καὶ πῶς μετέπεσαν, καὶ εἰς πόσας διαφορὰς διῃρέθησαν, μετὰ πάσης αὐθεντίας δογματίζοντες; ³⁹⁵ Zur Frage, ob Origenes die Präexistenz der Seelen lehrt, siehe als Alternative zu F. H. K die Position von M. J. E 2002, 87–122 (mit Literaturhinweisen); 160 f.; vgl. . 2008. Die präexistenten Seelen wären aber ebensowenig wie die präexistente Schöpfung in der Weisheit gleichewig mit Gott, da sie eine ontologisch vorgängige Ursache und somit einen, wenn auch nicht-zeitlichen, Anfang besitzen. In diesem Sinne sind wohl Stellen wie princ. 2,9,2 (165,18–19.22 Koetschau); 4,4,8 (360,10–361,2) zu verstehen, die daher nicht als Interpolationen Rufins ausgeschieden werden müssen (anders H. S 1993, 237 Anm. 177).

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von Ti. 41ab die Vorstellung von der realen Erschaffung der Welt durch den Demiurgen und die Lehre von der Ewigkeit der Welt zu verbinden sucht. Wenn freilich manche sagen, unser Kosmos sei zwar vergänglich, weil er geschaffen sei, aber er vergehe nicht, weil stärker und mächtiger als die Vergänglichkeit der Wille Gottes ist, der ihn gemacht hat und hält, daß nicht die Vergänglichkeit über ihn herrsche, so ist das richtiger auf jenen Kosmos anzuwenden, den wir oben die Fixsternsphäre genannt haben. Dieser ist durch Gottes Willen nicht der Vergänglichkeit unterworfen, da er keine Ursachen für Vergänglichkeit besitzt. Denn dies ist ja der Kosmos der Heiligen, die bis zur völligen Lauterkeit gereinigt sind, nicht auch der Gottlosen, wie der unsrige hier.³⁹⁶

Atticus und seine Anhänger leiten aus Ti. 41ab ab, daß der geschaffene Kosmos seiner Natur nach vergänglich sei, dem Willen des Demiurgen entsprechend jedoch nicht vergehen werde.³⁹⁷ Origenes formuliert diese Position in der Sprache von Röm 8,20 f. und entwickelt sie weiter, um darzulegen, daß der Kosmos der Heiligen geschaffen und unvergänglich ist. Dabei beruft er sich auf 2 Kor 4,18–5,1, um zwei Arten von Geschaffenem zu unterscheiden: das Geschaffene und Sichtbare, sowie das Geschaffene und noch nicht zu Sehende.³⁹⁸ Der sichtbare Kosmos und der Kosmos der Heiligen sind beide geschaffen. Sie unterscheiden sich jedoch in ihrem Wesen: Der Kosmos der Heiligen ist bis zur Lauterkeit gereinigt; der sichtbare Kosmos trägt die Verderbnis in sich, die darin sichtbar wird, daß er auch von Gottlosen bewohnt ist.³⁹⁹ Darin liegen die Ursachen für die Vergänglichkeit der sichtbaren Welt, von denen der Kosmos der Heiligen frei ist. Diese Rede von den causae corruptionis schlägt eine Verbindung zu Ausführungen über die Ursachen von Vergänglichkeit und Unvergänglichkeit an, wie sie ausgehend von Ti. 41ab diskutiert werden. Nach Origenes ist allerdings nicht das Geschaffensein an sich, sondern die Verderbtheit Ursache für die Vergänglichkeit der Welt. Anders als zum Beispiel Atticus⁴⁰⁰ stellt Origenes damit keinen Gegensatz von Naturzusammenhang und göttlichem Willen auf, sondern postuliert einen neuen Naturzusammenhang, in dem Verderbtheit und Zeitlichkeit sowie Lauterkeit und Ewigkeit einander entsprechen. Dieser ³⁹⁶ Princ. 2,3,6 (124,1–8 Koetschau): Sane hoc quod dicunt quidam de hoc mundo, quoniam corruptibilis quidem est ex eo quod factus est, nec tamen corrumpitur, quia corruptione fortior ac validior est voluntas dei, qui fecit eum et continet illum, ne ei ›corruptio dominetur‹, rectius ista sentiri possunt de eo mundo, quem ἀπλανῆ spheram supra diximus, quia ex voluntate dei nequaquam ›corruptioni subiaceat‹, pro eo quod nec causas corruptionis accepit. Sanctorum quippe est et ad liquidum purificatorum mundus ille, non etiam impiorum, sicut iste noster. ³⁹⁷ Siehe Kapitel A II 2.1. ³⁹⁸ Princ. 2,3,6 (124,8–19 Koetschau). ³⁹⁹ Siehe auch den in princ. 3,5,1 (271,5–8 Koetschau) als allgemein kirchlich anerkannt präsentierten Lehrsatz: … quod mundus hic factus sit et ex certo tempore coeperit et secundum pervulgatam omnibus consummationem saeculi pro sui corruptione solvendus sit, … ⁴⁰⁰ Siehe die Kapitel A II 2.1–2.

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Naturzusammenhang steht im Einklang mit dem göttlichen Willen und braucht durch ihn nicht aufgehoben zu werden, weil bei Origenes Vergänglichkeit und Unvergänglichkeit verschiedene Bezugsgrößen haben. Origenes gibt auch in princ. 2,3,6 zu erkennen, daß ihm die Diskussion, die im Rahmen der Timaeusauslegung über den Zusammenhang von Geschaffenheit und Vergänglichkeit geführt wird, geläufig ist. Er greift Elemente dieser Diskussion auf und baut sie in ganz anderem Kontext in seine eigene Argumentation ein, die hier darauf zielt, den Unterschied zwischen der sichtbaren Welt und dem Kosmos der Heiligen herauszuarbeiten.

6. Zusammenfassung und Systematisierung Aus den erhaltenen Quellen und Zeugnissen zu Origenes’ Auslegung von Gen 1 f. läßt sich trotz des Verlustes des Genesiskommentars ein Eindruck gewinnen, wie Origenes den biblischen Schöpfungsbericht interpretiert und aus ihm eine biblisch begründete Kosmologie entwickelt. Eine Kommentierung von Gen 1,1 f., die Calcidius in seinem Timaeuskommentar mitteilt und die auf Origenes zurückgeführt werden kann, bietet eine willkommene Ergänzung zu den bisher in der Forschung beachteten Zeugnissen. Sie erlaubt es, Origenes’ Auslegung von Gen 1,1 f., in der er wichtige Eckpunkte seiner Kosmologie formuliert, umfassender nachzuzeichnen. Die Interpretationen des Schöpfungsberichtes in den erhaltenen Fragmenten des Kommentars sowie in der ersten Genesishomilie fügen sich zu den kosmologischen Ausführungen, wie sie in De Principiis oder im Rahmen anderer exegetischer Schriften des Origenes vorliegen. An einigen Punkten setzen sie aber eigene Akzente, die auf die Auseinandersetzung mit konkurrierenden Deutungen des Schöpfungsberichtes zurückzuführen sind. Origenes geht davon aus, daß Gen 1 von der Erschaffung der intelligiblen und der sinnlich wahrnehmbaren Wirklichkeit handelt. Diese Überzeugung bildet sich zum einen in der naturphilosophischen Interpretation von ›Himmel und Erde‹ in Gen 1,1 f. ab, die Origenes als die von Gott geschaffenen ›materiellen‹ Grundlagen der intelligiblen und der sinnlich wahrnehmbaren Welt deutet. Sie schlägt sich zum anderen in einer kosmologisch-anagogischen Interpretation nieder, wonach Himmel und Erde von Gen 1,1 die himmlische Welt, Firmament und Trockenes von Gen 1,6–10 die irdische Welt umschreiben. Das Wesen der himmlischen und der irdischen Welt bestimmt Origenes in den Genesisauslegungen und in De Principiis in Gegensätzen. Die himmlische Welt ist Gottes primäre Schöpfung, die irdische Welt ist sekundär und um der ersten Schöpfung willen entstanden. Die irdische Welt ist körperlich und sichtbar, sie hat Anfang und Ende. Die Ursache für ihre Vergänglichkeit liegt in der

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Verderbnis, der sie unterworfen ist. Damit meint Origenes weniger ihre Körperlichkeit, als vielmehr die von Gott abgewandte Ausrichtung eines Teils ihrer Bewohner. Die himmlische Welt ist geistig bzw. von geistiger Körperlichkeit. Origenes betont, daß sie nicht unsichtbar, sondern noch nicht zu sehen ist, was prinzipiell ihre Körperlichkeit impliziert. Sie hat einen Anfang, wobei Origenes offen läßt, ob damit ein absoluter Anfang oder ein Anfang im Sinne der Abhängigkeit von einer Ursache gemeint ist. Anders als die irdische Welt ist die himmlische Welt nicht der Verderbnis unterworfen. Daher besitzt sie keine Ursache der Vergänglichkeit und wird somit dem göttlichen Willen gemäß nicht vergehen. Es fällt auf, daß Origenes in der Abwehr einer platonisierenden Deutung von Gen 1,1 die prinzipielle Sichtbarkeit und damit Körperlichkeit der himmlischen Welt hervorhebt, während er im Zusammenhang der Spekulationen über den Ur- und Endzustand auch die Möglichkeit körperloser Wesen erwägt. Daraus erschließt sich, daß die Auseinandersetzung mit konkurrierenden Genesisauslegungen die Bereitschaft des Origenes zu philosophisch-theologischen Spekulationen begrenzt. Das Verhältnis von himmlischer und irdischer Welt beschreibt Origenes in Anlehnung an verschiedene Bibelstellen in der Relation von oben und unten. Diese Verhältnisbestimmung bündelt er auch in dem Ausdruck καταβολή, den er als biblischen Begriff für die Erschaffung der sinnlich wahrnehmbaren Welt betrachtet. Außerdem denkt er das Verhältnis von himmlischer und irdischer Welt auch mit Hilfe des Gegensatzes von innen und außen. Die Benennung von Firmament und Trockenem in Himmel und Erde (Gen 1,6–10) sieht Origenes als Hinweis darauf, daß die irdische Welt gegenüber der himmlischen Welt einen abgeleiteten, sekundären Charakter besitzt, gleichzeitig aber dank dieser Relation auf die himmlische Welt verweisen kann. Der göttliche Benennungsakt erinnert an die primären Bezugsgrößen von ›Himmel‹ und ›Erde‹ und ruft damit zur Ausrichtung auf die himmlische Welt auf. Ähnlich hat auch die biblische Bezeichnung καταβολή für die Erschaffung der sichtbaren Welt zum einen die Funktion, über das Wesen der irdischen Welt aufzuklären, zum anderen soll sie den Bibelleser bewegen, sich auf die himmlische Welt auszurichten. Vor diesem Hintergrund interpretiert Origenes Gen 1,1 f.6–10 in der ersten Genesishomilie anthropologisch als einen Hinweis auf das doppelte Wesen des irdischen Menschen, der zugleich innerer, geistiger und himmlischer Mensch sowie äußerer und körperlicher Mensch ist. Die Umbenennung des Firmaments in ›Himmel‹ deutet Origenes in diesem Zusammenhang als Aufforderung, den inneren Menschen zu entwickeln und sich auf die himmlischen Güter auszurichten.⁴⁰¹ Der Mensch, der zur Unterscheidung der himmlischen und irdischen Dinge fähig ist, gelangt zur Schau und zur Anteilhabe an den ⁴⁰¹ Hom. in Gen. 1,2 (Z. 21–28; 28 Doutreleau).

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himmlischen Gütern. Ihn zeichnet aus, daß er in der irdischen, sichtbaren Welt existiert, seinen Sinn aber auf das richtet, was in der Höhe ist, und nach den himmlischen Gütern fragt, die dort sind, wo Christus zur Rechten des Vaters thront. So ausgerichtet wird der Mensch von Gott gewürdigt, in die Erkenntnis einzustimmen, daß »alles sehr gut war« (Gen 1,31), und erhält Anteil am ewigen Leben.⁴⁰² Origenes formuliert hier in der Sprache von Gen 1 und anderer biblischer Texte die Haltung eines philosophischen Strebens nach der Erkenntnis Gottes und dem seligen Leben. Origenes überführt damit die kosmologischen Überlegungen im Rahmen der Genesisauslegung in eine anthropologische Reflexion. Die Erkenntnis des Ursprungs, des Wesens und des Ziels der himmlischen und der irdischen Welt gipfeln dabei in der Erkenntnis, worin das wahre Wesen des Menschen besteht und wie er sich in dem von Gott geschaffenen Kosmos aus himmlischer und irdisch-sichtbarer Welt verhalten soll. Die richtige Ausrichtung und das richtige Verhalten des Menschen sind das vorherrschende Thema, das Origenes im weiteren Verlauf der Predigt über den Schöpfungsbericht entfaltet. Für Origenes ist die sichtbare Welt in ihren verschiedenen Bereichen Erziehungsstätte,⁴⁰³ d. h. der Raum für Veränderung und spirituelles Wachstum des Menschen hin zu Gott. Analog dazu ist der biblische Schöpfungsbericht ein pädagogisch-anagogischer Text, der über den Ursprung, das Wesen und das Ziel der Welt und des Menschen belehrt. Die Lektüre des Schöpfungsberichtes leitet bei richtiger Auslegung dazu an, in der irdischen Welt nach der himmlischen Welt zu streben und den Zustand der καταβολή zu überwinden. Mit dem Aufruf, den inneren Menschen zu entwickeln, fordert Origenes in seiner Auslegung von Gen 1 vor dem Hintergrund von Bibelstellen wie 2 Kor 4,16–18 zu einem spirituellen Leben auf. Diese Aufforderung hat Parallelen bei den kaiserzeitlichen platonischen Philosophen. So unterscheidet auch Plotin zwischen innerem und äußerem Menschen. Porphyrius entwickelt aus Platon, Phlb. 48c eine ähnliche Unterscheidung und ordnet den äußeren Menschen dem πρακτικὸς βίος, den inneren Menschen dem βίος θεωρητικός zu.⁴⁰⁴ Origenes, Plotin und Porphyrius fordern jeweils zu einer bestimmten Lebenshaltung und Lebensform auf. Der entscheidende Unterschied ist dabei aber, daß Plotin und Porphyrius sich dafür auf Platon berufen, während Origenes sich auf Mose und Paulus bezieht.

⁴⁰² Siehe hom. in Gen. 1,2 (Z. 35–50; 30 Doutreleau). ⁴⁰³ Siehe princ. 2,11,6 (189,9–191,4 Koetschau). ⁴⁰⁴ Siehe Plotin, Enn. I 1 (53) 10,7–15 (I 58 Henry / Schwyzer); V 1 (10) 10,6–10 (II 284

H. / S.); Porphyrius, Περὶ τοῦ Γνῶθι σαυτόν 4 bei Stobaeus, Anth. 3,21,28 (582,17–27 Hense) = Porphyrius, frg. 275F (Smith). Siehe dazu J. P 1964, 395 f.

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Die konzeptionelle Verknüpfung von göttlicher Vorsehung und Erziehung, die Hal Koch für Origenes herausgearbeitet hat⁴⁰⁵ und die sich auch in den Auslegungen des Schöpfungsberichtes beobachten läßt, hat Silke-Petra Bergjan in Frage gestellt. Sie arbeitet heraus, daß die göttliche Vorsehung bei Origenes vor allem richterliche Funktion habe.⁴⁰⁶ Sie interpretiert dabei die Aussagen über die Vorsehung vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung des Origenes mit Celsus. Die von mir vorgeführten Texte zur Auslegung von Gen 1 betrachten die Erschaffung der sichtbaren Welt als ein Werk der göttlichen Vorsehung. Gleichzeitig ist der pädagogische, auffordernde Ton, sich aus der irdischen Welt, d. h. dem Zustand der καταβολή, emporzuheben und nach der intelligiblen, himmlischen Welt auszurichten, unüberhörbar. Der richterlich-distributive Aspekt, den Origenes vor allem in der Auseinandersetzung mit Celsus entfaltet,⁴⁰⁷ und der erzieherische Aspekt der göttlichen Pronoia, wie er in den Genesisauslegungen begegnet, dürfen meines Erachtens nicht gegeneinander ausgespielt werden. Der Gesamtzusammenhang des geschaffenen Alls ist nach Origenes teleologisch ausgerichtet auf die Vervollkommnung und Ausrichtung des Menschen auf Gott. Darin liegt das pädagogische Moment der göttlichen Vorsehung, das Origenes vor allem in seinen Predigten herausarbeitet. Nur wenn man das richterlich-distributive Moment der göttlichen Vorsehung aus diesem teleologischen Zusammenhang herauslöst, erscheint die sichtbare Welt ausschließlich als ein Strafort. Diese Charakterisierung begegnet in den erhaltenen Zeugnissen zur Auslegung von Gen 1 jedoch nicht. Hier ist die sichtbare Welt als der Raum beschrieben, in dem der Mensch sich durch philosophisches Streben und tugendhaftes Leben geistig vervollkommnet und auf diese Weise zur Gemeinschaft mit Gott gelangt.⁴⁰⁸

Ausgehend von ἀρχή in Gen 1,1 bzw. Joh 1,1 fragt Origenes nach dem Prinzip, auf das die Entstehung der Welt zurückgeführt werden kann. Er entfaltet, daß Christus als göttliche Weisheit, Wort und Kraft das paradigmatische, effiziente und erhaltende Prinzip des Kosmos im umfassenden Sinne ist. In diesem Zusammenhang spielt Origenes auf die philosophische Konzeption der Weltseele an, um zu illustrieren, wie Christus als beseelte Weisheit und Kraft Gottes die Ursache sein kann, die die Einheit und die Harmonie des Kosmos wirkt. In Abwehr gnostischer Unterscheidungen zwischen dem transzendenten Gott und dem schaffenden Demiurgen betont Origenes, daß Gott Vater in erster Linie und in der Hauptbedeutung des Wortes Schöpfer sei. In der Predigt zum Schöpfungsbericht stellt Origenes die Bestimmung Christi als schöpferische Weisheit in den Kontext anderer ἐπίνοιαι Christi und hebt auf diese Weise hervor, daß Christus Schöpfungsmittler, Vermittler der Gotteserkenntnis und damit Vermittler des Heils ist. Christus ist damit Prinzip der Schöpfung und der Vollendung. Origenes knüpft in seiner Auslegung des biblischen Schöpfungsberichtes kritisch an die Interpretationen seiner Vorgänger an. Seine Deutung von Gen 1,1 f. zeichnet exemplarisch aus, daß er systematisch schärfer und konsequen⁴⁰⁵ ⁴⁰⁶ ⁴⁰⁷ ⁴⁰⁸

H. K 1932. S.-P. B 2002, 171–221 (Zusammenfassung 218–221). S.-P. B 2002, 218. Siehe M. J. E 2002, 160 f.

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ter als seine Vorgänger die verschiedenen Auslegungsebenen unterscheidet und so zwischen einer naturphilosophischen und einer kosmologisch-anagogischen Auslegung trennt. Deutlich ist Origenes von der Hexaemeronauslegung Philos beeinflußt. Von Philos Auslegung, die in Teilen von Clemens von Alexandrien aufgegriffen wurde, grenzt er sich aber auch besonders ab. Das wird exemplarisch an der Auslegung von Gen 1,1 f. deutlich. Der Kosmos der Heiligen, von dem nach Origenes Gen 1,1 handelt, ist nicht identisch mit dem Ideenkosmos, dessen Erschaffung Philo in Gen 1,1–5 ausgedrückt sieht. Das zeigt sich vor allem darin, daß der himmlische Kosmos von Gen 1,1 nach Origenes nicht das Paradigma darstellt, nach dem der sichtbare Kosmos gestaltet ist, auch wenn der sichtbare Himmel und die sichtbare Erde zeichenhaft die Namen der himmlischen Größen tragen. Gleichwohl knüpft Origenes sprachlich an Philo, Opif. 4,17–5,20 an und greift die Vorstellung eines intelligiblen Kosmos als Paradigma der geschaffenen Welt auf, wenn er ἀρχή aus Gen 1,1 mit Christus als der göttlichen Weisheit identifiziert, die in sich die Gestalten und rationalen Formen aller Geschöpfe enthält. Gegenüber Philos Deutung betont Origenes die Einheit des von Gott geschaffenen Kosmos, der die irdische und die himmlische Welt als selbständig subsistierende, aber aufeinander bezogene Teilkosmoi enthält. Die Einheit der von Gott geschaffenen Welt im umfassenden Sinne wird auch darin deutlich, daß die irdische Welt zwar ›später‹ als die himmlische Welt entstanden ist, aber von derselben göttlichen Vorsehung verwaltet wird. Sowohl die Einheit als auch die hierarchische Gliederung des von Gott geschaffenen Kosmos im umfassenden Sinne demonstriert Origenes mit Hilfe des astronomischen Sphärenmodells, das er im Interesse seiner Auslegung von Gen 1,1 in charakteristischer Weise modifiziert. Im Rahmen seiner naturphilosophischen Auslegung von Gen 1,1.2a weist Origenes die Ansicht von Interpreten wie Hermogenes zurück, diese Verse seien als ein Hinweis auf eine ungeschaffene Materie zu verstehen. Er knüpft dabei an die Kritik an, die bereits Theophilus von Antiochien gegenüber Hermogenes übte, entwickelt sie aber zu einer systematischen, philosophisch-polemischen Widerlegung der Annahme einer ungeschaffenen und ewigen Materie weiter. Origenes zeigt auf, daß nur die Annahme einer von Gott geschaffenen Materie dem kosmologischen Konzept entspricht, das ausgehend von Ti. 29e.30a eine im Kosmos wirkende göttliche Vorsehung annimmt. Er legt dar, daß die Annahme einer ungeschaffenen Materie den Grundsätzen der philosophischen Gotteslehre und einer teleologischen Weltbetrachtung widerspricht, die er auch bei seinen Gegnern voraussetzt, und beschuldigt die Verfechter einer ungeschaffenen Materie, latente Epikureer zu sein. Dieser Vorwurf, den Origenes in princ. 2,1,4 offen ausspricht, unterliegt in terminologischen Andeutungen der gesamten Argumentation, die auch in einem Fragment aus dem Genesiskommentar bei Eusebius greifbar ist. Mit dem Ziel, die

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Lehre von der Geschaffenheit der Materie philosophisch plausibel zu machen, wendet Origenes damit ein polemisches Mittel an, das in schulphilosophischen Debatten der Kaiserzeit verbreitet war und sowohl in der Auseinandersetzung unter konkurrierenden Philosophenschulen begegnet (Plutarch gegen die Stoiker), als auch in der Auseinandersetzung innerhalb einer Schule gebräuchlich war (Plutarch und Atticus gegen andere Platoniker). Ausgangspunkt für Origenes’ Ausführungen über die Materie ist die Überzeugung von der Größe und Macht der göttlichen Vorsehung, die mit dem schöpferischen Willen Gottes identisch ist. Abgesehen vom Axiom der Geschaffenheit der Materie legt er einen in der Kaiserzeit verbreiteten Materiebegriff zugrunde, der platonische, aristotelische und stoische Elemente verbindet. Gegenüber dualistisch geprägten philosophischen Materiebeschreibungen betont er aber, daß die Materie in ihrer Existenz, ihrem Maß und ihrer Eignung auf den göttlichen Willen ausgerichtet ist. Er spricht ihr damit jede Eigengesetzlichkeit, beispielsweise im Sinne eines chaotischen Anfangszustands, ab. Origenes erwägt in diesem Zusammenhang außerdem, daß die körperliche Natur überhaupt erst durch die Erschaffung der Qualitäten konstituiert wird, Materie an sich als den Eigenschaften vorgängiges Substrat also gar nicht existiert. Origenes führt damit vorsichtig eine Vorstellung von Materie an, der Plotin energisch widerspricht und die von Gregor von Nyssa weiter entfaltet wird. Origenes knüpft an verschiedenen Stellen an die philosophische Debatte an, die im Rahmen der Auslegung des Timaeus um den Anfang und die Ewigkeit der Welt geführt wurde. Um die Unvergänglichkeit der von Gott geschaffenen himmlischen Welt zu begründen, greift er eine Argumentation auf, mit der beispielsweise Atticus ausgehend von Ti. 41ab im Streit um die Auslegung des Timaeus die Geschaffenheit und Unvergänglichkeit der Welt verteidigte. An Atticus erinnert auch die Antwort des Origenes auf einen aristotelischen Einwand gegen eine reale Entstehung der Welt. So nimmt Origenes im Zusammenhang der Gotteslehre die ewige Präexistenz der Schöpfung im göttlichen Logos an, um trotz eines Anfangs der Welt die Ewigkeit des Schöpfers nicht zu beschädigen. Das aristotelische Argument, das die Annahme eines ewigen Schöpfers die Ewigkeit der Welt verlangt, greift er schließlich im Zusammenhang der Lehre von der Vervollkommnung der Seelen auf, um aus der kirchlichen Lehre von der Erschaffung der Welt die spekulative Annahme einer Abfolge verschiedener Welten abzuleiten. Alle diese Texte zeigen, daß Origenes Kenntnisse von der Debatte um Anfang und Ewigkeit der Welt besitzt, die unter den Auslegern des Timaeus geführt wurde. An seinen Ausführungen ist zu erkennen, daß einige der Argumente auch gegen die christliche Schöpfungslehre angeführt wurden. Origenes steigt jedoch an keiner erhaltenen Stelle in die philosophische Debatte ein, sondern benutzt sie, um in unterschiedlichen Zusammenhängen eigene Lehren zu entfalten.

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Ausgehend vom biblischen Schöpfungsbericht erörtert Origenes naturphilosophische und kosmologische Themen, wie die Abhängigkeit der Welt von einer vorangehenden Ursache, den Anfang und die Ewigkeit der Welt, die Einheit und innere Gliederung des Kosmos, den Status der Materie sowie die Stellung des Menschen im Kosmos. Zu etlichen Themen präsentiert er vorsichtige Spekulationen, die teilweise von seinen Nachfolgern aufgenommen und fortgeführt werden. Für die Negation der Materie als zugrunde liegendes Substrat der Körper, für die vorsichtige Reflexion zum ›Ort‹ der intelligiblen Welt innerhalb der Grenzen des einen geschaffenen Kosmos sowie für die Vorstellung einer intelligiblen Materie als Inbegriff der Natur der geistigen Schöpfung ist Origenes ein früher Vertreter, ohne sich letztlich auf diese spekulativen Annahmen festzulegen. Insgesamt wird deutlich, daß Origenes seine Kosmologie vor allem in der Auseinandersetzung mit anderen Genesisauslegern entfaltet, obwohl manche Argumente sich implizit auch gegen pagane Kritiker der christlichen Schöpfungslehre wenden, wie die Kritik an der Vorstellung einer ungeschaffenen Materie exemplarisch zeigt.

II. Basilius von Caesarea 1. Die Homilien zum Hexaemeron des Basilius 1.1. Abfassungszeit und Hörerkreis der Homilien Die Predigten zum Hexaemeron wurden bereits von den Zeitgenossen des Basilius als dessen Hauptwerk betrachtet und zählen zu den Werken des Basilius mit großer Wirkungsgeschichte.¹ Vermutlich im Frühjahr 378 legte Basilius Gen 1,1–25 wohl an fünf aufeinanderfolgenden Tagen in neun Predigten aus, die er anschließend für die Veröffentlichung überarbeitete.² In der neunten Homilie blickt er auf Gen 1,26 voraus und kündigt an, auch die Erschaffung des Menschen behandeln zu wollen.³ Ob diese Fortsetzung in den zwei Predigten De creatione hominis vorliegt, die sowohl unter dem Namen des Basilius als auch unter dem Namen des Gregor von Nyssa überliefert werden, ist umstritten.⁴ ¹ Siehe das Lob des Basilius durch Gregor von Nyssa (hex. 1 f.). Zur Bedeutung der Hexaemeronhomilien siehe E. A  M / S. Y. R, GCS Basilius, xvii; S. G, SC 26, 70 f.; M. N 1990; R. H 2000, 24–27; F. R. R 1912, 53–63. ² Zu dieser Datierung der Hexaemeronhomilien siehe J. B 1968, 42–48; . 1961. Diese Untersuchungen wurden zustimmend aufgenommen u. a. von A. S / M.  E, SC 160, 21; E. A  M 1985, 355–357, allerdings mit Zweifeln an der genauen Bestimmung der Woche durch B; E. A  M / S. Y. R, GCS Basilius, xvi; P. J. F 1981, 18; J. P 2002, 116. M. N 1990, xvi–xvii datiert auf 377. Kritisch gegenüber der Zuweisung an fünf aufeinanderfolgende Tage ist W.-D. H, BGL 37, 25 Anm. 67. Eine Frühdatierung in die Zeit des Basilius als Presbyter vor 370, wie sie von den älteren Herausgebern und Übersetzern erwogen wurde, wird heute nicht mehr vertreten. ³ Basilius, hex. 9,6 (160,14 f.). Ich zitiere den Text nach der Edition von E. A  M / S. Y. R, Basilius von Caesarea: Homilien zum Hexaemeron, GCS NF 2, Berlin 1997. ⁴ Für einen knappen Überblick über die Diskussion (bis ca. 1972) siehe M. A. O 1975, 70 f.; ausführlicher E. A  M 1973. Die wichtigsten Untersuchungen sind: E. S 1932; A. S / M.  E, SC 160, 13–126, die Basilius als Autor annehmen; S. G 1946, der meint, daß die beiden Predigten auf Notizen eines Hörers der Predigten zurückgehen, die Basilius gehalten hat, aber nicht mehr für die Veröffentlichung bearbeiten konnte; D. A 1949; E. A  M 1973, der die Autorschaft des Basilius ablehnt, sowie E.  I 1936, der die Homilien Gregor von Nyssa zuschreibt. H. H, GNO Supplementum, vii–ix läßt die Frage offen.

II. Basilius von Caesarea

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Basilius hielt die Predigten über den Schöpfungsbericht vor seiner Gemeinde in Caesarea.⁵ Ihr gehörten einerseits finanziell unabhängige Gemeindeglieder an, die die Voraussetzungen besaßen, eine gute Bildung zu erwerben, andererseits aber auch einfache Handwerker und Händler.⁶ Basilius war sich der Inhomogenität seiner Hörer bewußt und richtete seine Predigten in Inhalt, Form und Umfang darauf aus.⁷ Verschiedene Fragen, die gebildete Hörer an den Bibeltext richteten, blieben dabei allerdings unbeantwortet und wurden nach dem Tod des Basilius (379) Gregor von Nyssa vorgelegt.⁸ Gregor von Nyssa versuchte, die Auslegung seines Bruders gegen die Kritiker in Schutz zu nehmen, und betonte, daß dieser nicht nur zu Gebildeten, sondern auch zu vielen einfachen Leuten, wissenschaftlich ungeübten Frauen und Kindern gesprochen habe.⁹

1.2. Der Charakter des Schöpfungsberichtes und das Ziel (σκοπός) der basilianischen Auslegung Der Schöpfungsbericht handelt nach Basilius περὶ τῆς τοῦ κόσμου συστάσεως.¹⁰ Mit dieser titelartigen Inhaltsangabe klassifiziert Basilius zu Beginn der ersten Homilie den biblischen Schöpfungsbericht als kosmologische Schrift, die einen ähnlichen Gegenstand wie beispielsweise der platonische Timaeus behandelt. Die Autorität des biblischen Schöpfungsberichtes geht nach Basilius darauf zurück, daß sein Verfasser Mose in ihm das niedergelegt hat, was er von Gott in direkter Belehrung empfangen hat. Basilius beginnt daher seinen Predigtzyklus in der ersten Homilie mit einer Charakterisierung des Mose. In einer knappen Skizze, die in der Tradition Philos und Clemens ⁵ An zwei Stellen schimmert der liturgische Rahmen in den Predigten durch. In hex. 4,1 (58,15) wird deutlich, daß der Predigt eine Lesung des auszulegenden Textes voranging. In hex. 7,6 (125,15 f.) kündigt Basilius das Gebet nach der Predigt an. ⁶ Basilius, hex. 3,1 (39,1–14); 3,10 (56,1–7). Aus hex. 3,5 (46,8 f.) geht hervor, daß Basilius nur einen kleinen Teil seiner Hörer für fortgeschritten und geübt genug betrachtet, den Bibeltext auf einer höheren Sinnebene zu lesen (dazu R. L 1990, 361). Zur Hörerschaft des Basilius, wie sie aus den Homilien erschlossen werden kann, siehe J. B 1968, 48–54; E. A  M 1978, 351–357; R. L 1990, 361–363. ⁷ Basilius weist in hex. 3,3 (42,23 f.) ausdrücklich darauf hin, die Themen sowie die Diskussion philosophischer Positionen dem zeitlichen Rahmen der Predigt und dem Verständnisvermögen seiner Zuhörer anpassen zu wollen. In hex. 8,3 (132,1–3) nimmt er davon Abstand, die ihm bekannten zoologischen Fachtermini zur Klassifikation der Tiere zu benutzen, und hält für den Zweck der Predigt den alltäglichen Sprachgebrauch sowie die biblische Terminologie für ausreichend. ⁸ Siehe Kapitel B III 1.1. ⁹ Siehe Gregor Nyss., hex. 4 (8,9–20 Forbes). P. J. F 1979, 6 f. zufolge bestand die Gemeinde in Caesarea hauptsächlich aus Katechumenen. ¹⁰ Hex. 1,1 (1,7) vgl. 6,1 (87,13 f.).

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von Alexandriens steht,¹¹ präsentiert er Mose als einen ethisch vollkommenen Menschen, der im Einklang mit den angeborenen Tugenden lebte und von seinem vierzigsten Lebensjahr an das kontemplative Leben eines Philosophen führte. Frei von allen Verpflichtungen verbrachte er seine Tage in Muße τῇ θεωρίᾳ τῶν ὄντων und wurde schließlich gewürdigt, wie die Engel Gott unmittelbar zu schauen.¹² Mit der θεωρία τῶν ὄντων meint Basilius in den Predigten über den Schöpfungsbericht die wissenschaftliche Untersuchung der sichtbaren Welt, durch die der Christ zum Bewußtsein und zur Erkenntnis des Schöpfergottes gelangt.¹³ Die θεωρία τῶν ὄντων und die θεωρία τοῦ ὄντος, d. h. die Gottesschau, für die das Erlebnis des Mose auf dem Gottesberg steht,¹⁴ hängen eng miteinander zusammen. Der Schöpfungsbericht enthält Worte der Wahrheit, die nicht auf menschliche Erfindungskunst und Redegabe zurückgehen, sondern Lehren des Geistes sind. Sie zielen anders als die Reden der Rhetoriker nicht auf den Applaus der Zuhörer, sondern im Sinne der wahren, christlichen Philosophie auf die Errettung derjenigen, die durch sie belehrt werden.¹⁵ Vom Philosophen Mose verfaßt ist der Schöpfungsbericht ein Text, der den Charakter einer Schrift für den philosophischen Einführungsunterricht hat. Er legt die Schöpfungswunder Gottes auf eine gefällige Weise dar, die leicht faßbar ist und für alle diejenigen geeignet und wertvoll ist, die philosophisch gesinnt sind und nach der Wahrheit streben.¹⁶ Wie ein Einführungswerk ist er allerdings nicht vollständig und erschöpfend. So ist die Erschaffung der intelligiblen Welt ausgespart, da sie einen ungeeigneten Gegenstand für die Anfänger und die in geistiger Erkenntnis noch Unmün¹¹ Siehe Philo, Mos. 1,5,20–1,7,33 (124,7–127,24 Cohn); 1,2,8 f. (202,5–18); Clemens Alex., str. 1,153,1–5 (95,8–96,6 Stählin); 1,158 f. (99,16–100,28). Nach Philo ist Mose König, Philosoph, Gesetzgeber, Priester und Prophet. Clemens hebt Mose als Philosophen und Vorgänger Platons besonders hervor; Basilius betont die Tugenden, die Philo für Mose als Gesetzgeber nennt (Gerechtigkeitsliebe; Haß auf alles Schlechte). Natürliche Gerechtigkeitsliebe gehört zu den Tugenden des Philosophen (siehe z. B. Alkinoos, Intr. 1 [152,19–29 Hermann / Whittaker], unter Rückgriff auf u. a. Platon, R. 485b–487a; dazu J. M. D 1995, 53). ¹² Basilius, hex. 1,1 (2,10–3,10). Vgl. 6,1 (87,15–88,2). ¹³ Siehe M. N 1990, 307, der auf ältere Untersuchungen zurückgreift. In den Hexaemeronhomilien begegnet θεωρία in dieser Bedeutung auch in 1,7 (12,17); 5,3 (74,4 f.); 5,7 (80,21); 5,9 (84,24); 6,1 (87,8 f.14); 7,6 (123,15). Davon abgegrenzt ist eine unnütze fachwissenschaftliche Betrachtung 8,7 (141,3 f.). Schließlich findet sich θεωρία auch in der Bedeutung ›geistige Schau‹ 1,6 (11,13). ¹⁴ M. N 1990, 307 verweist auf Basilius, leg. lib. gent. 3 (Z. 11–17; 44 Boulenger). ¹⁵ Basilius, hex. 1,1 (3,10–13): Ἀκούσωμεν τοίνυν ἀληθείας ῥημάτων οὐκ »ἐν πειθοῖς σοφίας« ἀνθρωπίνης, ἀλλ’ »ἐν διδακτοῖς πνεύματος« λαληθεῖσιν· ὧν τὸ τέλος οὐχ ὁ τῶν ἀκουόντων ἔπαινος ἀλλ’ ἡ σωτηρία τῶν διδασκομένων. ¹⁶ In hex. 3,1 (38,9–11) erklärt Basilius, daß seine Aussage, der Schöpfungsbericht enthalte Wunder (θαύματα), zu beziehen sei … ἐπὶ τὴν χάριν τῶν γεγραμμένων φυσικῶς ἔχουσαν τὸ εὐπαράδεκτον, καὶ πάσῃ καρδίᾳ προσηνές τε καὶ φίλον τῶν τὸ ἀληθὲς τοῦ πιθανοῦ προτιμώντων.

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digen darstellt.¹⁷ Die ersten Worte des Schöpfungsberichtes enthalten nur sehr knapp nach Art eines Elementarunterrichts die von Gott inspirierte Lehre von der Vollendung der Welt.¹⁸ Dem Kundigen oder dem Angeleiteten erschließen sich aber in den knappen Andeutungen die ausgelassenen Dinge. An vielen Stellen sind die Hörer und Leser des Schöpfungsberichtes aufgefordert, das Fehlende zu ergänzen. So nennt beispielsweise Gen 1,1 Himmel und Erde als zusammenfassende Bezeichnung für alle Geschöpfe, und aus der Äußerung über die Erde in Gen 1,2 sollen die weiteren Elemente erschlossen werden.¹⁹ Diese knappe Form des Schöpfungsberichtes ist in pädagogischer Absicht gewählt und leitet dazu an, den Verstand zu üben.²⁰ Mit dieser Sicht auf Gen 1 f. begegnet Basilius Kritikern, die die Unvollständigkeit des Schöpfungsberichtes bemängeln.²¹ Neben den offensichtlichen Schöpfungswundern, die zur Erkenntnis führen, daß die Welt von Gott geschaffen ist, enthält der Schöpfungsbericht nach Basilius »in Spuren und Abdrücken eingewebt« und »geheimnisvoll beigemischt« das δόγμα τῆς θεολογίας, die Lehre von der göttlichen Trinität.²² Die verschiedenen Schöpfungsbefehle führen Schritt für Schritt zur Erkenntnis der zweiten Person der Trinität als des Schöpfungsmittlers. Auch die Schöpfertätigkeit des Geistes sieht Basilius in Gen 1,2 angesprochen. Die Auslegung des Schöpfungsberichtes führt nach Basilius folglich nicht nur zu der Erkenntnis, daß die Welt das Werk eines Gottes, d. h. das Werk einer vernünftigen Ursache ist, sondern auch zu der Einsicht, daß der dreieinige Gott die Welt geschaffen hat. Wohl in diesem Sinne begreift Basilius den biblischen Text als Mysterium und als Vorhof des göttlichen Mysteriums an sich.²³ Dem Charakter des Schöpfungsberichtes entsprechend verfolgt Basilius in seinen Homilien zwei Ziele.²⁴ Zum einen will er den als göttlich inspiriert gel¹⁷ Hex. 1,5 (8,17–19): Ἦν γάρ τι, ὡς ἔοικε, καὶ πρὸ τοῦ κόσμου τούτου, ὃ τῇ μὲν διανοίᾳ ἡμῶν ἐστι θεωρητόν, ἀνιστόρητον δὲ κατελείφθη διὰ τὸ τοῖς εἰσαγομένοις ἔτι καὶ νηπίοις κατὰ τὴν γνῶσιν ἀνεπιτήδειον. ¹⁸ In hex. 1,3 (6,11–13) heißt es von Gen 1,1 (ἐν ἀρχῇ ἐποίησεν ὁ θεός): Προαναφώνησις τῶν περὶ συντελείας δογμάτων καὶ περὶ τῆς τοῦ κόσμου μεταποιήσεως, τὰ νῦν ἐν βραχέσι κατὰ τὴν στοιχείωσιν τῆς θεοπνεύστου διδασκαλίας παραδιδόμενα. ¹⁹ Hex. 1,7 (13,12–20); 2,3 (25,19–26,4). ²⁰ Hex. 2,3 (25,22–26,3): παρέλιπε δὲ ἡ ἱστορία τὸν ἡμέτερον νοῦν γυμνάζουσα πρὸς ἐντρέχειαν, ἐξ ὀλίγων ἀφορμῶν παρεχομένη ἐπιλογίζεσθαι τὰ λειπόμενα. Ἐπεὶ οὖν οὐκ εἴρηται περὶ τοῦ ὕδατος ὅτι ἐποίησεν ὁ θεός, εἴρηται δὲ ὅτι »ἀόρατος ἦν ἡ γῆ«· σκόπει σὺ κατὰ σεαυτὸν τίνι παραπετάσματι καλυπτομένη οὐκ ἐξεφαίνετο. In Z. 3–7 werden auch Feuer und Luft erschlossen. ²¹ Siehe z. B. die Kritik Julians in Gal. 49d; 138a (171.183 f. Neumann). ²² Siehe hex. 3,2 (40,13–19); 3,4 (45,15–23); 6,2 (90,8–13); 9,6 (158,11–159,9). ²³ Siehe hex. 2,1 (21,1–8). ²⁴ Siehe hex. 2,1 (21,11–14), wo Basilius kurz vorher über das Mysterium des Bibeltextes und dessen Verhältnis zum göttlichen Mysterium gesprochen hat: Εἰ γὰρ καὶ τῆς ἀξίας ἀπολειπόμεθα, ἀλλ’ ἐὰν τοῦ βουλήματος τῆς γραφῆς μὴ ἐκπέσωμεν τῇ βοηθείᾳ τοῦ πνεύμα-

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tenden Text sorgfältig auslegen. Indem er die knappen Andeutungen des Textes erklärt und auf die bewußt offengelassenen Lücken des Berichtes aufmerksam macht und sie füllt, will er der Gemeinde eine »Unterweisung über die Worte Gottes« vorlegen und zeigen, daß keine Silbe des Schöpfungsberichtes umsonst niedergeschrieben ist.²⁵ Als Richtschnur, die dem Charakter des biblischen Textes angemessen ist, nimmt sich Basilius vor, mit Hilfe des Geistes nicht vom Willen der Schrift abzuweichen.²⁶ Diese Formulierung wird häufig als Ausdruck dessen verstanden, daß Basilius dogmatisch auf den Wortsinn beharre, worin sich seine Ablehnung jeder Form von Allegorese ausdrücke, wie sie vor allem in seiner Auslegung von Gen 1,6 f. und in der Polemik gegen die Allegorese zu Beginn der neunten Homilie sichtbar werde.²⁷ Wie sich zeigen wird, erfaßt diese Betrachtung das Auslegungsverständnis des Basilius aber nur unvollkommen. Innerhalb der Predigtform hat die Auslegung des Basilius durchaus den Charakter eines fortlaufenden exegetischen Kommentars zu Gen 1,1–25. In der Einleitung der ersten Homilie werden einige der Themen angesprochen, die typisch für die Vorworte philosophischer und biblischer Kommentare sind. Basilius nennt das Thema des Textes: περὶ τῆς τοῦ κόσμου συστάσεως, sowie die grundlegende These: Die Welt ist keine automatische Hervorbringung, sondern hat ihre Ursache von Gott her. Er macht Angaben zum Verfasser des Textes, indem er Mose als göttlich inspirierten Autor vorstellt, und äußert sich zu den Eigenschaften, die der Ausleger des Textes bzw. die Hörer der Predigten haben sollen. Schließlich nennt er als den Skopos des Textes ἡ σωτηρία τῶν διδασκομένων.²⁸ In der Auslegung einzelner Verse hebt er die Abfolge und Ordnung (τάξις) der Worte hervor.²⁹ Er zieht gelegentlich Übersetzungsτος, καὶ αὐτοὶ οὐκ ἀπόβλητοι παντελῶς κριθησόμεθα, καὶ τῇ συνεργίᾳ τῆς χάριτος οἰκοδομὴν [sic!] τινα τῇ ἐκκλησίᾳ τοῦ θεοῦ παρεξόμεθα. ²⁵ Siehe hex. 6,11 (109,1–3). Nach hex. 3,1 (38,13 f.) ist die Predigt eine περὶ τὰ λόγια τοῦ θεοῦ διατριβή. ²⁶ Siehe hex. 2,1 (21,11 f.); 2,5 (29,18 f.). ²⁷ So spricht z. B. E. A  M 1978, 340 f. von der Interpretation »litteraliste qu’il en propose en reáction violente contre l’allégorisme d’Origène« und urteilt: »Basile interprète d’une manière littéraliste ou ›fondamentaliste‹«. Ähnlich . 1985, 352 f. J. G 1963, 292 vermutet, daß Basilius zu dieser scharfen anti-allegorischen Haltung gegen Ende seines Lebens gefunden habe. Gegen diese Einschätzung wendet sich zu Recht R. L 1990. ²⁸ Hex. 1,1 (1,7–10): Thema und These; (1,11–2,3): Eigenschaften des Auslegers bzw. der Hörer; (2,4–3,10): Autor Mose; (3,11–13): Skopos des Textes. Zu den Prologen der antiken Kommentare siehe I. H 1987; B. N 1987, 57–84. In den Praefationes der Auslegungen des Origenes finden sich ebenfalls Themen der Kommentarprologe. Siehe dazu R. E. H 1995, 10 f.; C. M 2000b, 481–485. Origenes verwendet die Form des Kommentarprologs nicht als schematischen Block, wie am Prolog zum Römerbriefkommentar deutlich wird (dazu M, a. a. O., 482–485). Ebenso paßt auch Basilius die Form und die Themen eines Prologs seinem Text und der Auslegungssituation der Predigt an. ²⁹ Siehe z. B. den Hinweis auf die Wortfolge (τάξις) in Gen 1,1 in hex. 1,2 (5,3).

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varianten heran, diskutiert eine textkritische Frage zur Septuaginta und behandelt an einer Stelle ein syntaktisches Problem des Bibeltextes.³⁰ Dem Charakter des Schöpfungsberichtes entsprechend beabsichtigt Basilius zum anderen, mit seiner Auslegung des Schöpfungsberichtes die Hörer zu einer Betrachtung der Schöpfungswunder anzuleiten und sie zur Erkenntnis und zum Lob des Schöpfergottes, sowie zur Erkenntnis der eigenen Natur und Bestimmung zu führen. Im Anschluß an Röm 1,20 formuliert er immer wieder, daß im Sichtbaren das Unsichtbare, aus der Schönheit der sinnlich wahrnehmbaren Dinge der über aller Schönheit Stehende erkannt werde, aus der Größe der sinnlich wahrnehmbaren und umschriebenen Körper auf den unbegrenzten, über aller Größe seienden und jeden Gedanken übersteigenden Gott geschlossen werden könne.³¹ Überall in der Schöpfung seien Hinweise und Erinnerungen (ὑπομνήματα) an den Schöpfer³² sowie Sinnbilder für die Natur des Menschen enthalten.³³ Die Welt ist das Werk eines großen Künstlers, dessen Weisheit und Wirken am Werk selbst abgelesen werden können. Diesen Gedanken entwickelt Basilius ausführlich in seiner Auslegung von Gen 1,1 ἐποίησεν ὁ θεός. Das Wort ἐποίησεν sieht er von Mose bewußt gewählt, um das Schaffen Gottes als hervorbringende (ποιητική) Tätigkeit von den anderen Künsten abzugrenzen und auf diese Weise die Welt als Hinweis auf die Weisheit des Schöpfergottes zu verstehen.³⁴ Die Welt ist die große und vielfältige Werkstatt Gottes, in der in Rückbesinnung auf ihre Erschaffung im Anfang die gleiche Vorsehung und Fürsorge sichtbar wird, die auch heute noch in ihr waltet.³⁵ Basilius stellt die Betrachtung der Schöpfung in Anknüpfung an traditionelle Polemik als wahres philosophisch-christliches Vergnügen den Theatern und Arenen Caesareas gegenüber und präsentiert damit die Welt als das Theater, in dem der Betrachter zur Sittlichkeit und Reinheit der Seele geführt wird.³⁶ ³⁰ Bei der Auslegung von Gen 1,1 (ἀρχή) führt Basilius die Version des Aquila an (hex. 1,7 [12,3–5]). In hex. 4,5 (64,14–19) scheidet er ein Überlieferungsplus der LXX zu Gen 1,9 textkritisch aus. In hex. 5,2 (70,20–71,6) behandelt er die schwierige Syntax von Gen 1,11 und schlägt eine Korrektur vor. Die exegetischen Bemerkungen des Basilius könnten durch den Genesiskommentar des Origenes angeregt sein, auch wenn Basilius zu einer anderen Lösung als Origenes kommt. ³¹ Basilius, hex. 1,11 (20,4–7); 3,10 (56,8–13); 6,1 (88,3–9). Vgl. die Forderung, in den kleinsten Dingen die große Weisheit des Schöpfers zu erkennen (5,9 [85,10–12]; 6,11 [110,10–16]). ³² Basilius, hex. 3,10 (56,14–16); 5,2 (72,6–8); 8,8 (145,16 f.); die Geschöpfe (hier: Meerestiere) stellen eine ἀπόδειξις der Macht des Schöpfers dar. ³³ Basilius, hex. 5,2 (72,8–13); 5,6 (79,7 f.); 6,1 (88,17–89,3). ³⁴ Siehe Basilius, hex. 1,7 (12,16–20; Text in Anm. 122). ³⁵ Basilius, hex. 4,1 (58,4–6): Ἀλλ’ οὐχὶ τὸ μέγα τοῦτο καὶ ποικίλον τῆς θείας δημιουργίας ἐργαστήριον περιστάντες, καὶ πρὸς τοὺς ἄνω χρόνους ἐπανελθόντες τῇ διανοίᾳ ἕκαστος, ὀψόμεθα τὴν διακόσμησιν τοῦ παντός; ³⁶ Basilius, hex. 4,1 (57,2–58,6). Die Gegenüberstellung wird auch sprachlich deutlich: Εἰσί τινες πόλεις παντοδαποῖς θεάμασι θαυματοποιῶν … ἑστιῶσαι τὰς ὄψεις. (57,1 f.); … ὁ κύριος,

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Basilius’ Auslegung des Schöpfungsberichtes setzt voraus, daß die Welt in erster Linie als Lehr- und Erziehungsstätte für die menschlichen Seelen geschaffen wurde.³⁷ Folgerichtig ist die Auslegung des Schöpfungsberichtes und die Naturbetrachtung ein Unterricht für die Seelen. Basilius bezeichnet seine Predigten daher an mehreren Stellen als Erquickung für die Seele, als ein Festmahl der Worte, bei dem die Seele die Kost erhält, die ihr zu spirituellem Wachstum und ethischer Vervollkommnung verhilft.³⁸ Basilius knüpft hier wahrscheinlich einerseits an den kirchenjahreszeitlichen Ort der Predigten an, die er wohl während der Fastenzeit 378 hielt.³⁹ Er spielt aber andererseits deutlich auf den platonischen Ausdruck τῶν λόγων ἑστίασις an, mit dem das philosophische Gespräch bezeichnet wird, das eine vernünftige Lebensführung fördert.⁴⁰ Basilius sieht sich in der Funktion eines Seelsorgers, der die Seelen seiner Gemeinde pflegt, indem er ihnen in seinen Predigten ähnlich den philosophischen Lehrgesprächen eine auf die Tugend gerichtete Fürsorge angedeihen läßt.⁴¹ ὁ μέγας θαυματοποιὸς καὶ τεχνίτης, … (58,1). Die Theaterschauspiele verursachen πολλὴν ἀκολασίαν ταῖς ψυχαῖς (57,4 f.), sie sind κοινὸν καὶ δημόσιον διδασκαλεῖον ἀσελγείας (57,10) für die Zuschauer. Die Abkehr von den Theatern und Gaukelspielen dient dagegen der Reinheit der Seele. Siehe auch hex. 6,1 (87,6 f.), wo Basilius den Ausleger des Schöpfungsberichtes τὸν τῶν μεγάλων καὶ ὑπερφυῶν θεαμάτων ἐξεταστήν nennt. In hex. 6,1 (88,8 f.) wird der Predigthörer angesprochen als ἐμπαράσκευος … ἀκροατὴς καὶ πρέπων τῷ πληρώματι τοῦ σεμνοῦ τούτου καὶ μακαρίου θεάτρου. ³⁷ Siehe Basilius, hex. 1,5 (9,11–14): Ὅτε δὲ [d. h. nach der Erschaffung der intelligiblen Welt, von der Basilius 8,17–9,10 spricht; C. K.] ἔδει λοιπὸν καὶ τὸν κόσμον τοῦτον ἐπεισαχθῆναι τοῖς οὖσι, προηγουμένως μὲν διδασκαλεῖον καὶ παιδευτήριον τῶν ἀνθρωπίνων ψυχῶν, ἔπειτα μέντοι καὶ ἁπαξαπλῶς πάντων τῶν ἐν γενέσει καὶ φθορᾷ ἐπιτήδειον ἐνδιαίτημα. Die sichtbare Welt ist nicht zufällig oder umsonst geschaffen, … ἀλλὰ πρός τι τέλος ὠφέλιμον καὶ μεγάλην χρείαν τοῖς οὖσι συνεισφερόμενον ἐπινενοῆσθαι τὸν κόσμον, εἴπερ τῷ ὄντι ψυχῶν λογικῶν διδασκαλεῖον καὶ θεογνωσίας ἐστὶ παιδευτήριον, διὰ τῶν ὁρωμένων καὶ αἰσθητῶν χειραγωγίαν τῷ νῷ παρεχόμενος πρὸς τὴν θεωρίαν τῶν ἀοράτων, καθά φησιν ὁ ἀπόστολος [Röm 1,20] … (hex. 1,6 ([11,9–13]). ³⁸ Basilius, hex. 3,1 (38,6 f.): … τὴν … ἑωθινὴν τροφὴν τῶν ψυχῶν, …; 6,11 (110,19): … ταῖς πνευματικαῖς τροφαῖς, … Die Hörer sollen zur Abendpredigt kommen καθαρᾷ μεριμνῶν τῇ ψυχῇ πρὸς τὴν ἑσπερινὴν τῶν λόγων ἑστίασιν (3,10 [56,6 f.]). Vgl. 8,8 (145,14): … μέτρον τῆς ἑωθινῆς ἑστιάσεως …; 9,1 (146,2): … ἡ ἑωθινὴ τῶν λόγων τράπεζα … Das Bedenken der Predigt nach dem Gottesdienst und die Aneignung des Gesagten beschreibt Basilius als geistige Verdauung (3,10 [56,1–7]). ³⁹ Siehe J. B 1968, 47; E. A  M / S. Y. R, GCS Basilius, xvi. ⁴⁰ Siehe Platon, Ti. 27b; Phdr. 227b; R. 571d. ⁴¹ Das Ziel des Schöpfungsberichtes und der Predigt des Basilius ist die σωτηρία τῶν διδασκομένων (hex. 1,1 [3,10–13]). Die Seelsorge beschreibt Basilius in Analogie zur Naturpflege in der Land- und Forstwirtschaft als ἡ … κατ’ ἀρετὴν τῆς ψυχῆς ἐπιμέλεια (hex. 5,7 [81,17]). Bei Gregor Thaumaturgus, pan. Or. 7,93–101 (Z. 1–59; 134 Crouzel) ist die Baumpflege und Baumveredlung durch den Gärtner ein Bild für die Tätigkeit des Origenes an seinem Schüler. Nach Porphyrius hat die Philosophie die σωτηρία ψυχῆς zum Ziel. Der Philosoph versteht sich als Seelenarzt, insofern er den Aufstieg der Seele in die intelligible Welt und damit die Vervollkommnung des sittlichen Lebens fördert (siehe R. B 1953, 291.301).

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Der Unterricht der Seelen, den Basilius in seinen Predigten anleitet, setzt seitens der Predigthörer bestimmte Eigenschaften und Haltungen voraus. Basilius beginnt daher seinen Predigtzyklus, indem er in der ersten Homilie die notwendige Disposition seiner Hörerschaft skizziert. Die Seele, die in der Auslegung des Schöpfungsberichtes zu den erhabenen Dingen geführt werden will, soll frei von allen Affektionen des Fleisches sein. Ihre Erkenntnisfähigkeit soll nicht von Sorgen um irdische Dinge verdunkelt sein. Sie soll arbeitsfreudig und zur philosophischen Untersuchung prädisponiert sein und überall nach einer würdigen Vorstellung (ἔννοια) von Gott suchen.⁴² Bestimmte Forderungen an den Leser werden in philosophischen Handbüchern wie dem Didaskalikos erhoben, in dem am Anfang die notwendige Disposition des Philosophen umrissen wird.⁴³ Vergleichbare Forderungen begegnen aber auch in den Einleitungen zu den Kommentaren philosophischer und biblischer Schriften.⁴⁴ In der ersten Hexaemeronhomilie des Basilius sind die Forderungen an den Ausleger und die Predigthörer gleichermaßen gerichtet und erfüllen eine doppelte Funktion: Sie sollen einerseits die Hörer auf die Auslegung des biblischen Textes ausrichten und sie andererseits für die philosophische Betrachtung der Naturordnung und die Erkenntnis des Schöpfergottes vorbereiten. Basilius ist sich dessen bewußt, daß nicht alle Hörer in gleichem Maße die Möglichkeit haben, die genannten Haltungen einzuüben. Gerade die einfachen Leute, die jeden Tag ihren Lebensunterhalt erarbeiten müssen, sind in den alltäglichen Sorgen gefangen. Basilius fordert sie daher auf, die Zeit des Gottesdienstes und die Predigt zu nutzen. Für diese Menschen konzentrieren sich in Gottesdienst und Predigt die Funktionen, die bei den φιλοπόνοις ἀκροαταῖς zusätzlich von den eigenen biblischen und philosophischen Studien erfüllt werden.⁴⁵ Die Erkenntnis Gottes in der Schöpfung ist nach Basilius schließlich die Erkenntnis, daß Gott Urheber des Natur- und Sittengesetzes ist. Die Betrachtung des Kosmos, das Studium der Pflanzen- und Tierwelt und besonders die Beobachtung des instinktiven, quasi-vernünftigen Verhaltens vieler Tiere bieten Basilius daher zahlreiche Anlässe, zur Ausbildung der sittlichen Vernunft und zum Gehorsam gegenüber den Weisungen Gottes zu ermahnen.⁴⁶ Indem ⁴² Basilius, hex. 1,1 (1,11–2,3): Ποία ἀκοὴ τοῦ μεγέθους τῶν λεγομένων ἀξία; πῶς παρεσκευασμένην ψυχὴν πρὸς τὴν τῶν τηλικούτων ἀκρόασιν προσῆκεν ἀπαντᾶν; Καθαρεύουσαν τῶν παθῶν τῆς σαρκός, ἀνεπισκότητον μερίμναις βιωτικαῖς, φιλόπονον, ἐξεταστικήν, πάντοθεν περισκοποῦσαν εἴ ποθεν λάβοι ἀξίαν ἔννοιαν τοῦ θεοῦ. Vgl. 5,6 (80,3–8). ⁴³ Siehe Alkinoos, Intr. 1 (152,8–29 Hermann / Whittaker), aufbauend auf Platon, R. 485b–487a.535a–c. Vgl. Sallust, dis 1 (4,3–12 Rochefort). Dazu A. D. N 1926, xl: »The demand for natural gifts and training in the learner is common to all introductory treatises.« ⁴⁴ Siehe Anm. 28. ⁴⁵ Siehe Basilius, hex. 3,1 (39,1–14); 10 (56,1–7). ⁴⁶ Siehe z. B. die Ausdeutung des Weinstocks und des Weinbergs als Bild für die menschliche Seele in hex. 5,6 (79,7–80,16); das Verhalten verschiedener Wassertiere und die Analogie auf den Menschen: 7,3 (116,16–117,18); 7,4 (120,3 f.5–8); 7,5 (122,5–16); Analogien für das

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der biblische Bericht den Ursprung des göttlichen Naturgesetzes offenlegt und zur Betrachtung der Natur anleitet, führt er zur Erkenntnis und Einübung der angeborenen Tugenden des Menschen. Basilius geht davon aus, daß es dem Menschen eigentlich auch ohne Belehrung allein durch das Gesetz der Natur möglich ist, das Nützliche zu wählen, da er die Tugenden von Natur aus ohne Belehrung besitzt.⁴⁷ Umso verwerflicher ist es, wenn er unvernünftiger als die vernunftlose Kreatur lebt.⁴⁸ Basilius schärft seinen Hörern daher ein, daß sie als Christen sowohl mit Vernunft begabt, als auch in den Gesetzen unterrichtet sind und außerdem durch die Verheißungen ermutigt und im Geist erleuchtet sind, gemäß den Tugenden und den göttlichen Weisungen zu leben.⁴⁹ In der Betrachtung der Natur und des unvernünftigen Verhaltens der Tiere will Basilius den Predigthörern ihre Verantwortung für das Heil ihrer Seelen bewußt machen und sie auf die eschatologischen Heilsgüter ausrichten.⁵⁰ Zusammenfassend läßt sich sagen, daß das Ziel des Basilius in den Predigten zum Hexaemeron zunächst darin besteht, seine Hörer in der Auslegung des biblischen Textes und in der daran orientierten Betrachtung der Natur über die Entstehung und Zusammensetzung⁵¹ der sichtbaren Welt zu belehren und sie auf diese Weise zu einem vernünftigen Staunen über die geschaffene Welt anzuleiten. In diesem Sinne betreibt er in seiner Auslegung φυσιολογία, als deren Aufgabe formuliert werden kann, zu einem kundigen, vernunftbestimmten Staunen zu führen, das die inneren Zusammenhänge und Ursachen der geschaffenen Dinge und der Welt im Ganzen kennt.⁵² Der SchöpfungsbeVerhalten der Eheleute: 6 (122,17–25); Analogien für Gastfreundschaft, Schutzbündnisse; Fürsorge für Kinder und alte Eltern; Gottvertrauen; Verhalten der Eheleute; Ehrung des Witwenstandes: 8,5 f. (136,13–23; 137,1–13; 138,1–5.6–10; 138,11–139,6). Das Verhalten der vernunftlosen Kreatur soll dazu anregen, die eigene Vernunft auszubilden und zur eigentlich angeborenen Erkenntnis dessen zu gelangen, was zu erstreben und was zu fliehen ist. Siehe hex. 7,5 (121,4–14); besonders Z. 13 f.: Φυσικὸς λόγος οἰκείωσιν ἡμῖν τοῦ καλοῦ καὶ ἀλλοτρίωσιν ἀπὸ τῶν βλαβερῶν ὑποδεικνὺς ἐγκατέσπαρται; (121,5 f.): … οἶδε τὸ αἱρετὸν αὐτῷ καὶ τὸ φευκτὸν ὁ ἰχθύς, … Damit nennt Basilius in gebräuchlichen Formulierungen ein Ziel philosophischen Strebens. ⁴⁷ Siehe Basilius, hex. 9,3 (152,5–7): Οὐ τοίνυν ἡμῖν πρὸς ἀπολογίαν αὔταρκες τὸ μὴ γράμμασι διδαχθῆναι τὰ συμφέροντα, τῷ ἀδιδάκτῳ τῆς φύσεως νόμῳ τὴν τοῦ λυσιτελοῦντος αἵρεσιν δεξαμένοις. Hex. 9,4 (152,13–15): Εἰσὶ δὲ καὶ παρ’ ἡμῖν αἱ ἀρεταὶ κατὰ φύσιν, πρὸς ἃς ἡ οἰκείωσις τῆς ψυχῆς οὐκ ἐκ διδασκαλίας ἀνθρώπων, ἀλλ’ ἐξ αὐτῆς τῆς φύσεως ἐνυπάρχει. ⁴⁸ Zur Frage des Verhältnisses von menschlicher Vernunft und tierischem Instinktverhalten in der antiken Diskussion siehe R. H 2000, 39–45; zur Position des Basilius a. a. O., 41–45. ⁴⁹ Basilius, hex. 7,5 (121,6–8). ⁵⁰ Zur anthropologisch-eschatologischen Ausrichtung der Naturbetrachtung in den zoologischen Homilien siehe R. H 2000, 45–49. ⁵¹ Siehe Basilius, hex. 1,1 (1,7): … περὶ τῆς τοῦ κόσμου συστάσεως … nach 6,1 (87,13 f.) liegt Basilius eine … εἰς τὴν τοῦ κόσμου σύστασιν ἐξέτασις καὶ θεωρία τοῦ παντός als Aufgabe vor. Vgl. mit Platon, Ti. 32c. ⁵² Nach Gregor Thaumaturgus, pan. Or. 8,109–112 (Z. 1–18; 140–142 Crouzel) ist es die Aufgabe der Naturwissenschaft, ein kundiges, vernunftbestimmtes Staunen zu bewirken, das

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richt liefert nach Basilius die Ausgangspunkte und Prinzipien (ἀρχαί), nach denen die Christen die Verfassung des Kosmos untersuchen und zu einer Betrachtung des Alls gelangen sollen. Sehr deutlich sagt er, daß diese Prinzipien nicht aus der paganen Weisheit entnommen werden sollen.⁵³ Von dieser Grundlage aus führt Basilius dann in der Auslegung des biblischen Textes seine Hörer zur Erkenntnis des dreieinigen Gottes als Schöpfer der Welt. Diese Erkenntnis schließt ein, daß Gott als Urheber des Natur- und Sittengesetzes erkannt wird. Die Predigten zielen daher auf die ethische Bildung und Vervollkommnung, d. h. der Erbauung der Seelen der Predigthörer, und dienen damit der Erbauung der Gemeinde. Letztlich zielt die Mahnung zur ethischen Vervollkommnung darauf, die Predigthörer auf die transzendenten Heilsgüter auszurichten.⁵⁴ Dieser Aspekt der οἰκοδομή der menschlichen Seelen und der Gemeinde steht in den Homilien im Vordergrund.⁵⁵ Er bestimmt die Auswahl die inneren Zusammenhänge und Ursachen der geschaffenen Dinge und der Welt im Ganzen kennt, wenn er sagt: Τοῦθ’ ὃ δὴ μάθημα ὑψηλὸν καὶ ἔνθεον ὂν ἡ ἐρασμιωτάτη πᾶσιν ἐκδιδάσκει φυσιολογία. (8,112 [Z. 16–18; 142]). Gregor ordnet diese Disziplin dem Unterricht der niederen Seelenteile zu. Bei Basilius hat die Naturbetrachtung in der Auslegung des biblischen Textes einen höheren, theologischen Stellenwert. ⁵³ Siehe Basilius, hex. 6,1 (87,13–88,2): Ὅτι, ἐπειδὴ πρόκειται ἡμῖν εἰς τὴν τοῦ κόσμου σύστασιν ἐξέτασις καὶ θεωρία τοῦ παντός, οὐκ ἐκ τῆς τοῦ κόσμου σοφίας τὰς ἀρχὰς ἔχουσα, ἀλλ’ ἐξ ὧν τὸν ἑαυτοῦ θεράποντα ὁ θεὸς ἐξεπαίδευσεν, »ἐν εἴδει« λαλήσας πρὸς αὐτόν, »καὶ οὐ δι’ αἰνιγμάτων«, ἀνάγκη που πάντως τοὺς τῶν μεγάλων φιλοθεάμονας μὴ ἀγύμναστον ἔχειν τὸν νοῦν πρὸς τὴν τῶν προκειμένων ἡμῖν κατανόησιν. ⁵⁴ Basilius kann daher formulieren, daß er in der Betrachtung der sichtbaren Welt die Predigthörer wie ein Fremdenführer zu den Wundern der großen Stadt führen will, die das angestammte Vaterland ist und aus der der Mensch vertrieben wurde (hex. 6,1 [88,10–17]). Unter der μεγάλη πόλις versteht Basilius hier nicht die sichtbare Welt, die gerne mit einer Stadt verglichen wurde (z. B. Platon, R. 529; Cicero, nat. deor. 2,62,154 [112,29–31 Plasberg / Ax]; [Aristoteles], Mu. 6 [400b27 f.]). Die Annahme von S. G, Basilius meine hier die intelligible Welt im Bewußtsein Gottes (SC 26, 328), hat keinen Anhalt im Text. M. N 1990, 363 sieht hier das himmlische Jerusalem genannt. M. E. meint Basilius an dieser Stelle die Welt des Urzustands (siehe 88,14–16: … ἐνταῦθα κατόψει τὴν πρώτην τοῦ ἀνθρώπου γένεσιν καὶ τὸν εὐθὺς ἡμᾶς ἐπικαταλαβόντα θάνατον·). Vgl. 4,1 (58,5 f.), wo Basilius fordert, im Geiste zum Anfang der Zeiten zurückzukehren und die Ausgestaltung der Welt zu betrachten. In 6,1 ist der qualitative Unterschied zwischen der Welt vor und nach dem Sündenfall angedeutet. Der Übergang von der sichtbaren Welt zur Welt des Anfangs ist in 6,1 allerdings nicht deutlich genannt. Beide Städte fließen in 88,11–13 ineinander. Basilius vertritt den Gedanken, daß sich der Mensch in Rückbesinnung auf die Welt im Anfang (88,12 f.: ἡ ἀρχαία πατρὶς ἡμῶν) zugleich auf die zukünftige Welt ausrichtet. Daher fügt er nahtlos an, daß aus der Größe und Schönheit der gegenwärtigen Schöpfung auf das Zukünftige geschlossen werden kann, von der Größe und Schönheit der vergänglichen Sonne auf die unvergängliche Sonne der Gerechtigkeit (89,1–15). ⁵⁵ Basilius hofft, dem göttlichen Urteil über seine Auslegung des Bibeltextes standhalten zu können, … ἐὰν τοῦ βουλήματος τῆς γραφῆς μὴ ἐκπέσωμεν τῇ βοηθείᾳ τοῦ πνεύματος, … καὶ τῇ συνεργίᾳ τῆς χάριτος οἰκοδομὴν [sic!] τινα τῇ ἐκκλησίᾳ τοῦ θεοῦ παρεξόμεθα (hex. 2,1 [21,11–14]). In 7,6 (122,22 f.) formuliert Basilius im Kontext einer ethischen Ermahnung: Εἷς μοι σκοπός, πανταχόθεν οἰκοδομεῖσθαι τὴν ἐκκλησίαν. Der Bezug auf die Gemeinde wird auch darin deutlich, daß Basilius aus der Betrachtung der Schöpfung Forderungen für die

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der einzelnen Fragestellungen sowie den Umfang der Erläuterungen des Basilius.⁵⁶

1.3. Die Quellen der Hexaemeronauslegung des Basilius Basilius steht in seinen Predigten über den Schöpfungsbericht einerseits in der Tradition der Genesiskommentierung, andererseits hat er philosophisches und fachwissenschaftliches Material verarbeitet.⁵⁷ Die Frage nach den paganen Quellen hat lange Zeit die Forschung zur Hexaemeronauslegung des Basilius dominiert und deren inhaltliche Analyse in den Hintergrund gedrängt.⁵⁸ Als hilfreich hat sich inzwischen erwiesen, zwischen den Quellen, auf die das philosophische und naturkundliche Material mittelbar zurückgeführt werden kann, und den unmittelbaren literarischen Vorlagen des Basilius zu unterscheiden.⁵⁹ Die unmittelbaren Vorlagen können nicht eindeutig ausgemacht werden. Man wüßte sicherlich mehr, wenn an diesem Punkt genaueres über den Ausbildungsbetrieb und das Curriculum in den Ausbildungsstätten in Caesarea, Konstantinopel und an der Athener Akademie des 4. Jahrhunderts bekannt wäre, an denen Basilius studiert hat. Als mindestens mittelbare Quellen des Basilius werden angenommen:⁶⁰ Platon, Aristoteles,⁶¹ Theophrast, Plutarch, Aelian, Oppian, neuplatonische Autoren (Plotin, Porphyrius),⁶² außerGemeinde ableitet. So soll sie z. B. wie das Meer Schönheit und Stille bewahren, d. h. Streit und Spaltungen vermeiden (hex. 4,7 [68,8–17]). ⁵⁶ Siehe Basilius, hex. 1,8 (14,17 f.): Über die Natur und die Substanz von Himmel bzw. Erde nachzudenken, unterläßt Basilius, πρὸς τὸ μηδὲ προὔργου τι εἶναι εἰς τὴν τῆς ἐκκλησίας οἰκοδομὴν τὸ περὶ ταῦτα κατασχολεῖσθαι. In 9,1 (147,17 f.) begegnet Basilius Kritikern, die den Schöpfungsbericht verglichen mit naturphilosophischen Fachtraktaten für unvollständig halten und daher wohl abfällig beurteilen, mit dem Hinweis … πάντα εἰς οἰκοδομὴν καὶ καταρτισμὸν τῶν ψυχῶν ἡμῶν γραφῆναι οἰκονομήσαντα. ⁵⁷ Diesen doppelten Strang der Quellen der Hexaemeronhomilien hat bereits S. G hervorgehoben (SC 26, 49). ⁵⁸ Siehe die Übersicht bei M. A. O 1975, 43 Anm. 1; ausführlicher E. A  M 1978, 357–361. Als programmatisch für diese Richtung der Forschung kann die Selbstbeschränkung von K. G 1914, vi verstanden werden, die »Umsetzung der überkommenen Gedanken durch die Kappadokier« auszusparen. ⁵⁹ Siehe E. A  M 1985, 360–367, der S. G (SC 26, 56–69) als Vorläufer dieser Unterscheidung betrachtet. ⁶⁰ Siehe S. G, SC 26, 56–69; E. A  M 1978, 361 mit Verweis auf Y. C 1934, 145–162; M. N 1990, xxiii–xxvi. ⁶¹ Vor allem HA; Mete., Cael.; GC; PA; Metaph. (S. G, SC 26, 61 f.). ⁶² Daß Basilius Schriften Plotins kannte, vertreten z. B. A. J 1938; P. H 1938, 159– 166. J. M. R 1981, 190 vertritt demgegenüber die These »that the kind of Platonism to be found in the schools which Basil attended at that period was largely of the Middle Platonic type, and that the importance of the philosophical work of Plotinus and Porphyry was minimal«. Dagegen z. B. N. J. T 1996, der für die Hexaemeronhomilien die Kenntnis Plotins nachweisen möchte. Daß Basilius Porphyrius kannte, benutzte und gegen ihn z. B. in hex.

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dem stoische und medizinische Texte sowie der Physiologus⁶³ oder ähnliche Schriften. Die Frage, ob Basilius diese Autoren direkt oder vermittelt studiert hat, wird unterschiedlich beantwortet.⁶⁴ An mehreren Stellen finden sich beispielsweise Abweichungen von Aristoteles.⁶⁵ Das zeigt, daß Basilius – wie auch Gregor von Nyssa⁶⁶ – Aristoteles aus der Perspektive der späteren Interpreten des Aristoteles liest. Daß er Aristoteles auch direkt gelesen hat, ist dadurch freilich nicht ausgeschlossen. Daß keine der aristotelisch oder theophrastisch anmutenden Passagen eine wörtliche Vorlage bei Aristoteles oder Theophrast hat,⁶⁷ zeigt, daß Basilius das naturkundliche Material nicht einfach mechanisch in seine Predigten hineinkopiert hat. Zahlreiches Vergleichsmaterial zu den naturkundlichen Ausführungen des Basilius findet sich in Werken von Autoren wie Strabon, Cleomedes, Cicero, Seneca, ohne daß man eine gemeinsame Quelle ausmachen könnte. Nimmt man allerdings ernst, daß Basilius nach Auskunft seines Freundes Gregor von Nazianz u. a. in der Athener Akademie eine Ausbildung auf hohem Niveau erhalten hat,⁶⁸ wird man sein Wissen nicht ausschließlich auf Handbücher und Epitomai reduzieren und nicht ausschließen können, daß er auch Originalwerke gelesen hat.⁶⁹ Nur wenig mehr läßt sich zu den Genesiskommentierungen sagen, die Basilius für seine Auslegung benutzte. Vielleicht kannte Basilius Philos Kommen1,7 polemisiert, nimmt M. B 1976, 168 an (unter Aufnahme der grundlegenden Thesen von W. T 1941, 171–174; P. C 1967, 406). ⁶³ Siehe M. N 1990, xxvi. ⁶⁴ K. G 1914 nimmt den von ihm aus mehreren Autoren (u. a. Basilius und Gregor von Nyssa) (re-)konstruierten Timaeuskommentar des Poseidonius als Quelle des naturkundlichen Materials des Basilius an (Zusammenfassung a. a. O., 293–304). Zur Ablehnung dieser These Gs siehe S. G, SC 26, 66 f.; K. R 1953, 605–607; E. A  M 1985, 359 f. Wohl auch in Reaktion auf die These Gs nimmt Y. C 1934, 145–162 an, daß Basilius Platon, Aristoteles, Theophrast, stoische Autoren (darunter Poseidonius) und Plotin direkt gelesen habe. J. L 1920 legt dar, daß Basilius für die zoologischen Homilien Epitomai der aristotelischen Zoologie benutzt hat nach Art der Epitome des Aristophanes von Byzanz. S. G, SC 26, 64–69 geht davon aus, daß Basilius nur in begrenztem Umfang naturkundliche Studien betrieben hat und Handbücher, Epitomai und Mirabilia-Literatur benutzt hat, ohne auszuschließen, daß Basilius in dem einen oder anderen Fall Originalwerke gelesen hat. E. A  M, a. a. O., 365 f. nimmt an, daß Basilius vor allem ein »manuel philosophique« benutzte, »à la fois méthodique et doxographique, assez détaillé et éclectique … mais néanmoins de tendance nettement stoïcienne«. Darüberhinaus habe er für einzelne Homilien botanische und zoologische Epitomai und ein anti-astrologisches Werk benutzt. J. C 1958, 53 sieht spätere Autoren und Handbücher als direkte Quellen des Basilius und Vermittler der »chief sources« Platon, Aristoteles, Stoiker, Philo, Plotin und Origenes. ⁶⁵ S. G, SC 26, 64 f.; E. A  M / S. Y. R, GCS Basilius, xi. ⁶⁶ Siehe dazu den Exkurs in Kapitel B III 3.2. ⁶⁷ So E. A  M / S. Y. R, GCS Basilius, xi. ⁶⁸ Siehe Gregor Naz., or. 43,23 (172–176 Bernardi). ⁶⁹ Siehe das zusammenfassende Urteil von S. G, SC 26, 69.

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tar De opificio mundi und andere Schriften Philos.⁷⁰ Stanislas Giet hat wahrscheinlich gemacht, daß Basilius außerdem die Auslegung des Theophilus von Antiochien bekannt war.⁷¹ Schließlich ist die Genesiskommentierung des Origenes zu nennen. Obwohl Basilius die Allegorese in seinen Hexaemeronhomilien ablehnt, wird deutlich, daß er die philologische Auslegungsmethode des Origenes kannte.⁷² Einige exegetische Bemerkungen in den Predigten legen nahe, daß Basilius der Genesiskommentar des Origenes vorlag.⁷³ Für eine Kenntnis des Genesiskommentars spricht auch, daß die Philocalia mit Exzerpten aus Werken des Origenes, die Basilius gemeinsam mit seinem Freund Gregor von Nazianz angefertigt hat, einen längeren Auszug aus dem Genesiskommentar des Origenes zu Gen 1,14 enthält.⁷⁴ Einige Argumente, die hier gegen die Astrologie vorgebracht werden, finden sich in der sechsten Homilie des Basilius.⁷⁵ Basilius selbst nennt als Quelle außerdem einen Syrer, dessen Etymologie und Auslegung zu Gen 1,2b er in hex. 2,6 heranzieht. Die Identität dieses syrischen Auslegers ist allerdings umstritten.⁷⁶

2. Die Auslegung von Gen 1,1–10 nach den Homilien zum Hexaemeron Basilius legt in seinen Predigten Gen 1,1–25 fortlaufend aus. Die erste Homilie ist Gen 1,1 gewidmet. Sie hat den Charakter einer Grundlegung, insofern Basilius hier vor allem die Frage nach der Ursache und dem Anfang des Kosmos behandelt und kurz über die Elemente des Kosmos spricht. In mehreren Bemerkungen äußert er sich hier besonders deutlich zum Verhältnis zwischen biblischem Schöpfungsbericht und griechischer Weisheit. Die zweite Homilie ⁷⁰ So S. G, SC 26, 49–51. Für eine Übersicht der Passagen, in denen G eine Benutzung Philos vermutet, siehe D. T. R 1993, 238. R 1992b verneint aber, daß Basilius in seiner Auslegung von Gen 1,26 (hex. 9,6) direkt gegen Philo argumentiert, und veranschlagt das Interesse des Basilius an Philos Genesisauslegung eher als gering (1993, 241; gegen J. D 1967b, 337). ⁷¹ S. G, SC 26, 52–56. Daß Theophilus von Antiochien der Syrer ist, dessen Etymologie und Auslegung von Gen 1,2b Basilius zitiert, ist allerdings zweifelhaft (siehe Anm. 76). ⁷² So bereits S. G, SC 26, 51. ⁷³ Siehe Anm. 30. ⁷⁴ Dieses Argument führen bereits an: J. G 1963, 287; E. A  M 1985, 365. Unter Berufung auf Gregor von Nazianz, epp. 6.115 wird die Philocalia für gewöhnlich Basilius und Gregor von Nazianz zugeschrieben (siehe z. B. P. J. F 1981, 6; J. P 2002, 104); dagegen argumentiert M. H, SC 302, 24. Einige Aspekte der Quellenlage zu dieser Frage diskutiert É. J 1988. ⁷⁵ Hex. 6,5 (96,7–9; 96,17–98,4): Argumente gegen die Astrologie, die auf die Unmöglichkeit zielen, die genaue Konstellation der Sterne bei der Geburt zu bestimmen. Vgl. Origenes, philoc. 23,1.17 (130–136.188–190 Junod). ⁷⁶ Folgende Vorschläge werden gemacht: Ephraim der Syrer; Eusebius von Samosata; Theophilus von Antiochien; Diodor von Tarsus; Aphrahat (siehe S. G, SC 26, 54; 169 Anm. 3; ., SC 26bis, 545). M. N 1988, 449 argumentiert für Eusebius von Emesa.

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erläutert Gen 1,2–5, wobei die Auslegung von Gen 1,2, in der Basilius gegen dualistische Interpretationen argumentiert und die Annahme einer ungeschaffenen Materie ablehnt, den größten Raum einnimmt. In der dritten Homilie behandelt Basilius die Entstehung und den Nutzen des Firmaments (Gen 1,6– 8) und setzt sich mit einer allegorischen Auslegung dieser Verse auseinander. In der vierten Predigt legt er Gen 1,9–10 aus und spricht über die Sammlung des Wassers und die Eigenschaften der Erde. Die fünfte Predigt behandelt die Erschaffung der Pflanzen (Gen 1,11–13). In der sechsten Predigt erörtert Basilius die Entstehung der Gestirne (Gen 1,14–19) und polemisiert gegen die Astrologie. In der siebten Homilie legt er Gen 1,20–23 aus, behandelt aber nur die Erschaffung der Reptilien und Fische. Die Schöpfung der Vögel trägt er in der achten Homilie nach. Die neunte Homilie beschließt den Predigtzyklus mit Ausführungen zu den Landtieren (Gen 1,24 f.) und kündigt eine ausführliche Erörterung der Erschaffung des Menschen (Gen 1,26) an. Im Folgenden werde ich einzelne kosmologische Themen, die Basilius in seiner Auslegung behandelt, herausgreifen. Die Predigtform bringt es mit sich, daß er diese Themen kaum systematisch entfaltet. Dennoch lassen sich die Grundzüge seiner Kosmologie erkennen. Sie lassen sich vor allem aus den ersten vier, im engeren Sinne kosmologischen Predigten erheben, schlagen sich aber auch in den Predigten nieder, die der Botanik und Zoologie gewidmet sind.⁷⁷

2.1. Die Auslegung von Gen 1,1 2.1.1. ›Im Anfang schuf Gott‹: Die Welt als kontingentes Werk des allmächtigen Schöpfergottes Im ersten Vers des Schöpfungsberichtes sieht Basilius das Thema von Gen 1 f. angegeben. In der Einleitung zur ersten Homilie, die den Charakter eines Prologs für die gesamte Predigtreihe besitzt, stellt er dieses Thema vor, das zugleich Leitmotiv seiner Auslegung ist: »Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde« – Es ist ein passender Anfang für den, der im Begriff ist, über die Zusammenstellung der Welt zu berichten, einen Beginn (ἀρχή) der Ordnung der sichtbaren Dinge an den Anfang der Rede zu stellen. Eine Erschaffung von Himmel und Erde nämlich will er bekannt machen, die nicht automatisch stattfindet, wie einige phantasiert haben, sondern die ihre Ursache (αἰτία) von Gott her nimmt.⁷⁸ ⁷⁷ Zu den zoologischen Homilien siehe die Untersuchung von R. H 2000, der für seinen Vergleich mit dem Hexaemeron des Ambrosius auch die Auslegung des Basilius eingehend untersucht (39–62: Benutzung zoologischer Fachliteratur durch Basilius; 62–97: Einzelbeispiele aus der siebten Homilie; sowie die Kommentierung einzelner Abschnitte der basilianischen Homilien im Zusammenhang der Vergleiche mit der Auslegung des Ambrosius). ⁷⁸ Basilius, hex. 1,1 (1,6–10): »Ἐν ἀρχῇ ἐποίησεν ὁ θεὸς τὸν οὐρανὸν καὶ τὴν γῆν.« Πρέπουσα ἀρχὴ τῷ περὶ τῆς τοῦ κόσμου συστάσεως μέλλοντι διηγεῖσθαι, ἀρχὴν τῆς τῶν ὁρωμένων διακοσμήσεως προθεῖναι τοῦ λόγου. Οὐρανοῦ γὰρ καὶ γῆς ποίησις παραδίδοσθαι μέλλει,

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Der erste Vers des Schöpfungsberichtes bezieht zu zwei Fragen Stellung, die im Zentrum der antiken kosmologischen Diskussionen stehen: Was ist die Ursache (αἰτία) des Kosmos? Hat der Kosmos einen Anfang (ἀρχή), bzw. ist der Kosmos geworden? Beide Fragen werden prominent in Platons Ti. 28–30. verhandelt. Diese Passage bildet auch den Ausgangspunkt für die Diskussion der beiden Fragen unter den Auslegern Platons. Basilius beginnt seine Genesisauslegung also mit Themen, die seine Hörer in einer Rede über die Schöpfung der Welt erwartet haben dürften.⁷⁹ Dabei stellt er programmatisch zwei Formen der Weltentstehung gegenüber. Die eine Form beschreibt er als einen Vorgang, der automatisch stattfindet. Von ihr unterscheidet er eine Schöpfung, die ihre Ursache bzw. ihren Ausgangspunkt von Gott her nimmt. Sie ist für Basilius in der Rede vom Anfang der Schöpfungsordnung ausgesagt. Wegen der Mehrdeutigkeit des Begriffs ἀρχή fällt an der zitierten Stelle der ersten Homilie noch nicht sofort ins Auge, daß Basilius unter ἀρχή in Gen 1,1 einen zeitlichen Anfang versteht, wie er ausführlich in hex. 1,5 f. darlegt. Aber es deutet sich bereits dadurch an, daß er die Wortstellung zum Ausgangspunkt seiner Bemerkungen nimmt und den Beginn der Kosmosordnung zum Anfang des Schöpfungsberichtes in Beziehung setzt. Basilius sieht einen Zusammenhang zwischen der Behauptung, daß der Kosmos einen zeitlichen Anfang hat, und der Annahme, daß die Ursache des Kosmos auf Gott zurückgeht. Diesen Zusammenhang findet er im ersten Vers des Schöpfungsberichtes ausgedrückt. Die Frage, gegen wen sich Basilius dabei in hex. 1,1 (1,9 f.) richtet, ist nicht einfach zu beantworten.⁸⁰ Sie muß anhand der Auslegung von Gen 1,1 in hex. 1,1–7 geklärt werden, in der Basilius die Frage nach der Ursache und dem Anfang des Kosmos entfaltet und dabei in Auseinandersetzung zunächst mit οὐκ αὐτομάτως συνενεχθεῖσα, ὥς τινες ἐφαντάσθησαν, παρὰ δὲ τοῦ θεοῦ τὴν αἰτίαν λαβοῦσα. Zur Übersetzung siehe J. C. M.  W 1983, 117 f., der die Übersetzung von S. G, SC 26, 87 berechtigt kritisiert (a. a. O., 121 f.). Anderenorts (1997b, 46) erwägt  W eine etwas andere Übersetzung: »Es ist ein passender Anfang …, vorauszusetzen, daß die sichtbare Welt einen Anfang gehabt hat«. Der Sache nach trifft diese Übertragung den Gedanken des Basilius zu ἀρχή in Gen 1,1, aber sie unterschlägt, daß es Basilius in hex. 1,1 auch um die Wortfolge und die Stellung von Gen 1,1 im Schöpfungsbericht geht. ⁷⁹ Weitergehende ›Parallelen‹ zwischen der Auslegung des Basilius und dem platonischen Timaeus anhand der Übereinstimmung einzelner Begriffe zusammenzustellen (so z. B. K. G 1914, 36 f.) ist methodisch unbefriedigend und führt zu keinem aussagekräftigen Ergebnis. ⁸⁰ Der Vorwurf, anzunehmen, daß der Kosmos αὐτομάτως entstanden sei, richtet sich traditionell gegen Atomisten und Epikureer (siehe den Exkurs in Kapitel A IV 3). Er kann in christlicher Polemik auch gegen die Verfechter einer ungeschaffenen Materie, die neben Gott als Prinzip der Kosmosentstehung angesehen wird, erhoben werden (so z. B. bei Origenes; dazu Kapitel B I 4.3.2). Siehe zur Interpretation von hex. 1,1 (1,6–10) J. C. M.  W 1983, 117–122, der zu Recht auf die Mehrdeutigkeit des erhobenen Vorwurfs aufmerksam macht und hex. 1,1 in Verbindung mit hex. 1,7 interpretiert. Dieser Interpretationsansatz ist aufzunehmen.

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den vorsokratischen Naturphilosophen, dann mit Platonikern und Aristotelikern und schließlich mit Neuplatonikern tritt.⁸¹ a) Gen 1,1: Die Welt hat in Gott eine vernünftige Ursache. Die Positionen der vorsokratischen Naturphilosophen präsentiert Basilius unter dem Gegensatz von »hohler Torheit der Außenstehenden« und »unserer Wahrheit«.⁸² Die Torheit der Naturphilosophen besteht darin, daß sie Gott nicht kannten und daher nicht in der Lage waren, der Entstehung des Alls eine vernünftige Ursache voranzustellen. Ihre nichtige Lehre ist eine Folge dieser ursprünglichen Unkenntnis. Ihre falsche Lehre begegnet Basilius in zwei Spielarten. Eine erste Gruppe nimmt die stofflichen Elemente als Ursache (αἰτία) des Kosmos an. In der Tradition der auf Aristoteles zurückgehenden Doxographie verweist Basilius damit auf Thales, Anaximander und Empedokles.⁸³ Als zweite Gruppe nennt Basilius die Atomisten.⁸⁴ Vor allem gegen sie richtet er den traditionellen Vorwurf, schwache und nichtige Prinzipien für Himmel und Erde anzunehmen, sowie die atheistische Annahme zu vertreten, daß das All ohne Lenkung und Ordnung gleichsam dem Zufall überlassen sei.⁸⁵ Dem atheistischen Fehlverständnis der Vorsokratiker begegnet nach Basilius der erste Vers des Schöpfungsberichtes, indem er Gott als Schöpfer nennt. Basilius verweist auf die Wortfolge (τάξις) von Gen 1,1, die Mose bewußt gewählt habe, um die Hörer des Schöpfungsberichtes vor dem Atheismus der Naturphilosophen zu bewahren: Gen 1,1 führt von der Erkenntnis, daß die Welt einen Anfang hat,

⁸¹ Gegen K. G 1914, 35 ist zu betonen, daß das Thema von hex. 1,2–7 nicht nur die Frage nach Anfang oder Ewigkeit, sondern auch die Frage nach der Ursache der Welt ist. Denn zumindest die Atomisten, gegen die sich Basilius in hex. 1,2 (4,7–13) wendet, lehren nicht die Ewigkeit des Kosmos. ⁸² Hex. 1,2 (3,16 f.) stellt den gesamten Abschnitt (3,16–4,17) unter den Gegensatz von τῶν ἔξω τὴν ματαιότητα – τὴν ἡμετέραν ἀλήθειαν. Die angeführten Positionen zeigen, daß Basilius unter den »Weisen der Griechen, die viel über die Natur gehandelt haben« (vgl. 3,17) die Naturphilosophen meint. ⁸³ Hex. 1,2 (4,6 f.). Siehe Aristoteles, Metaph. 1,3 (983b6–27) = KRS 85 über die ersten Philosophen: τῶν δὴ πρώτων φιλοσοφησάντων οἱ πλεῖστοι τὰς ἐν ὕλης εἴδει μόνας ᾠήθησαν ἀρχὰς εἶναι πάντων· (983b6). Thales betrachtete Wasser als Prinzip; Anaximander sah die Luft als Prinzip (KRS 139.140.141); Empedokles nahm die vier Elemente als Prinzipien an (KRS 346). Möglicherweise denkt Basilius auch an Heraklit, obwohl das Feuer, das dieser in seiner Kosmologie hervorhebt, keine mit dem Wasser des Thales, der Luft des Anaximander etc. vergleichbare Rolle spielt (dazu G. S. K / J. E. R / M. S 1994, 217). ⁸⁴ Basilius, hex. 1,2 (4,7–12). Basilius geht nicht auf Einzelheiten der Lehre der Atomisten ein, verwendet aber in seiner groben Skizze typische Formulierungen. Vgl. die Darstellung der Lehre der Atomisten (Demokrit; Leukipp) durch Simplicius (KRS 557.558): über die Atome als Prinzipien und kleine, ungeteilte erste Körper; durch Diogenes Laertius (KRS 563): über die Entstehung von Welten; und besonders Simplicius (KRS 583.584): über die Bildung von Körpern durch das Zusammentreffen der Atome. ⁸⁵ Hex. 1,2 (4,13–17).

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über die Einsicht, daß sie geschaffen wurde, zu dem Bewußtsein, daß Gott der Schöpfer ist, der der Welt ihren Anfang gegeben hat.⁸⁶ Basilius liest Gen 1,1 als Einspruch gegen weitere Irrtümer der Philosophen. Indem Mose von einem Anfang (ἀρχή) spricht, richtet er sich gegen die Annahme, daß die Welt ewig sei. Indem Mose ›er schuf‹ (ἐποίησεν) formuliert, wendet er sich gegen ein falsches Verständnis der göttlichen Ursache des Kosmos. Diese beiden Einwände bestimmen die Struktur des ersten Teils der ersten Homilie.⁸⁷ b) Gen 1,1 (ἀρχή): Die Welt hat einen Anfang bezogen auf die Zeit. Basilius führt die Auseinandersetzung mit denjenigen, die einen Anfang des Kosmos leugnen, indem er polemisch einigen Argumenten entgegnet, die zugunsten der Ewigkeit der Welt angeführt werden. Ein Argument schließt aus der Kreisbewegung des Himmels, die keinen Anfangs- und Endpunkt erkennen läßt, auf die Ewigkeit der Himmelskörper und damit der Welt insgesamt.⁸⁸ Es findet sich in dieser Form nicht bei Aristoteles, ergibt sich aber aus seiner Kosmologie und Bewegungslehre⁸⁹ und könnte auch ausgehend von platonischen Aussagen⁹⁰ entwickelt worden sein. Basilius begegnet diesem Argument, indem er den Kreis als geometrische Figur betrachtet und deren Konstruktion ausgehend von ihrem Mittelpunkt beschreibt.⁹¹ Die scheinbare Anfangslosigkeit des vollendeten Kreises erweist sich in der Rückbesinnung auf die geometrische Konstruktion als Irrtum. Basilius bedient sich hier des Verfahrens, das er auch bei der Betrachtung des Kosmos insgesamt anwendet. Dort fordert er, die Natur der geschaffenen Welt zu untersuchen, indem man gedanklich zum Ausgangspunkt ihrer Entstehung zurückkehrt.⁹² Indem Basilius aus der Ana⁸⁶ Siehe hex. 1,2 (5,1–18), vor allem 5,1–3: Ὅπερ ἵνα μὴ πάθωμεν ἡμεῖς, ὁ τὴν κοσμοποιΐαν συγγράφων εὐθὺς ἐν τοῖς πρώτοις ῥήμασι τῷ ὀνόματι τοῦ θεοῦ τὴν διάνοιαν ἡμῶν κατεφώτισεν, εἰπών· »Ἐν ἀρχῇ ἐποίησεν ὁ θεός.« 5,11–15: Εἰ οὖν καὶ ἀρχὴν ἔχει ὁ κόσμος καὶ πεποίηται, ζήτει τίς ὁ τὴν ἀρχὴν αὐτῷ δοὺς καὶ τίς ὁ ποιητής. Μᾶλλον δέ, ἵνα μὴ ἀνθρωπίνοις λογισμοῖς ἐκζητῶν παρατραπῇς που τῆς ἀληθείας, προέφθασε τῇ διδασκαλίᾳ, οἱονεί σφραγῖδα καὶ φυλακτήριον ταῖς ψυχαῖς ἡμῶν ἐμβαλὼν τὸ πολυτίμητον ὄνομα τοῦ θεοῦ, εἰπών· »Ἐν ἀρχῇ ἐποίησεν ὁ θεός.« ⁸⁷ Hex. 1,1 (5,3–10). 1,2 (5,3 f.): ἀρχή, weiter ausgeführt in 1,3–6 (5,19–7,5); Basilius nennt hier die Platoniker und Aristoteliker nicht namentlich. Die Argumente, die er in 1,3 zu entkräften versucht, gehen aber z. T. auf Aristoteles zurück oder haben Ausgangspunkte im platonischen Timaeus. 1,2 (5,4–10): ἐποίησεν, weiter ausgeführt in 1,7 (12,6–13,11). ⁸⁸ Siehe hex. 1,3 (5,19–6,1). ⁸⁹ Siehe dazu E. F 1869, 307 Anm. 1; S. G, SC 26, 98; außerdem K. G 1914, 37 Anm. 3; H. F 2004, 352 f. ⁹⁰ Siehe K. G 1914, 37 Anm. 3, der auf Ti. 34 weist; aufgenommen von R. H 2000, 156. ⁹¹ Zu der dabei verwendeten Definition des Kreises siehe die Belege bei K. G 1914, 39 Anm. 2, teilweise aufgenommen von E. A  M / S. Y. R, GCS Basilius, ad. loc.; S. G, SC 26, 98. ⁹² Hex. 1,6 (11,2–5); vgl. hex. 4,1 (58,4–6).

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lyse der Konstruktion eines Kreises auf dessen reale Entstehung schließt, kehrt er ein Argument um, das von Platonikern für die Ewigkeit des Kosmos angeführt wurde und das er selbst an einer späteren Stelle ablehnt. Dort wendet er sich summarisch gegen die Argumente für die Ewigkeit der Welt, die mit Hilfe geometrischer und mathematischer Methoden aus der Untersuchung der Körper und durch die Astronomie gewonnen werden.⁹³ Zumindest die Anspielung auf die mathematischen und geometrischen Methoden läßt eine Kenntnis der Timaeusauslegung der Platoniker erkennen, die Argumente aus Aristoteles und Theophrast aufgreifen, um Platons Mythos im Sinne der Ewigkeit der Welt zu interpretieren.⁹⁴ Basilius widerlegt die einzelnen Argumente nicht sachlich, sondern lehnt sie kategorisch ab als nichtige, gottlose Bemühungen, die zu einer gottlosen Annahme über die Welt führen. Geometrische und mathematische Methoden und die Untersuchungen über die Körper und die vielbesprochene Astronomie, die vielbeschäftigte Vergeblichkeit, zu welchem Ziel (τέλος) führen sie? Wenn doch die, welche sich damit befaßt haben, auf den Gedanken kamen, daß diese sichtbare Welt gleichewig mit Gott, dem Schöpfer des Alls sei, und sie dabei der Welt, die umschrieben ist und einen stofflichen Körper hat, die gleiche Ehre erwiesen wie der unfaßbaren und unsichtbaren Natur, und nicht in der Lage waren zu erwägen, daß bei dem, dessen Teile Vergehen und Veränderungen unterliegen, mit Notwendigkeit einstmals auch das Ganze den gleichen Affektionen ausgesetzt sein wird wie seine Teile. »Aber« soweit »trieben sie die Nichtigkeiten in ihren Gedanken und wurde ihr unverständiges Herz verfinstert und wurden sie zu Narren, obwohl sie sich als Weise ausgaben«, daß die einen verkündeten, der Himmel existiere von Ewigkeit her zusammen mit Gott, die anderen aber, er sei selbst Gott, ohne Anfang und Ende und Ursache der Verwaltung der Einzeldinge.⁹⁵ ⁹³ Hex. 1,3 (6,15–7,10). Zur Zuordnung dieser Argumente siehe mit Vorbehalt K. G 1914, 37 Anm. 2. Was hinter der Anspielung auf mathematische und geometrische Methoden steht, hat G m. E. nicht richtig erkannt. Siehe dazu die folgende Anmerkung. ⁹⁴ Zur Erklärung, daß Platon die Welt nur analytisch als geworden darstellt, berufen sich diese Platoniker auf die Analyse geometrischer Figuren, deren Zusammensetzung durch Zerlegung vor Augen geführt wird, ohne damit zu behaupten, daß sie einmal real entstanden seien. Siehe z. B. die Argumentation des Calvenus Taurus, zitiert bei Johannes Philoponus, Procl. 6,21 (187,15–188,6 Rabe). Taurus verweist auf die Definitionen geometrischer Figuren bei Euklid, die das, was niemals zusammengesetzt wurde, der Deutlichkeit wegen so darstellen, als sei es geworden. Für dieses Argument beruft er sich auf Aristoteles und Theophrast. Siehe außerdem das Referat dieser Methode im Kommentar des Alexander von Aphrodisias zu Cael. 1,10 (279b32–280a10) bei Johannes Philoponus, Procl. 6,27 (217,17–221,22). Unter mathematische und geometrische Methoden fällt wohl auch das Argument, das ausgehend von Ti. 33b die Kugelform als vollkommenste geometrische Form versteht, die keinen Anfang und Ende hat, und daraus den Schluß zieht, daß der Kosmos ohne Anfang und Ende ist (angeführt z. B. bei Zacharias von Mytilene, opif. 895–902 [124 Colonna]). ⁹⁵ Hex. 1,3 (6,15–7,10): Γεωμετρίαι καὶ ἀριθμητικαὶ μέθοδοι καὶ αἱ περὶ τῶν στερεῶν πραγματεῖαι καὶ ἡ πολυθρύλητος ἀστρονομία, ἡ πολυάσχολος ματαιότης, πρὸς ποῖον καταστρέφουσι τέλος; Εἴπερ οἱ περὶ ταῦτα ἐσπουδακότες συναΐδιον εἶναι τῷ κτίστῃ τῶν ὅλων θεῷ

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Die Lehre von der Ewigkeit der Welt stellt die sichtbare, begrenzte und materiell-körperliche Welt auf eine Stufe mit Gott, ja verehrt sie als Gott und ebnet dadurch den kategorialen Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf ein. Basilius wendet sich hier in der Tradition christlicher Polemik dagegen, den Kosmos als Gott aufzufassen und zu verehren.⁹⁶ Er richtet sich damit gegen eine Kosmostheologie, wie sie in Ansätzen bei Platon und Aristoteles, bei Platonikern und besonders bei den Stoikern begegnet.⁹⁷ In diesem Zusammenhang zieht Basilius ein philosophisches Argument heran, das von Stoikern und Epikureern gegen die Lehre von der Ewigkeit der Welt ins Feld geführt wurde: Weil die Teile der Welt Vernichtung und Veränderung unterliegen, muß notwendig auch das Ganze Veränderungen unterworfen sein und schließlich zugrunde gehen.⁹⁸ Dabei läßt Basilius außer acht, daß Platoniker die Voraussetzung dieses Satzes, die Homogenität des Ganzen und seiner Teile, nicht teilen. Die autoritative Instanz, um die Frage nach dem Anfang bzw. der Ewigkeit der Welt zu beantworten, ist für Basilius schließlich die Bibel. Hier findet er eindeutig gesagt, daß die Gestalt dieser Welt vergeht (vgl. 1 Kor 7,31) bzw. Himmel und Erde vergehen werden (Mt 24,35). Daß die sichtbare Welt ein Ende haben muß, ergibt sich für ihn auch folgerichtig aus καὶ τὸν ὁρώμενον τοῦτον κόσμον διενοήθησαν, πρὸς τὴν αὐτὴν δόξαν ἀνάγοντες τὸν περιγεγραμμένον καὶ σῶμα ἔχοντα ὑλικόν, τῇ ἀπεριλήπτῳ καὶ ἀοράτῳ φύσει, μηδὲ τοσοῦτον δυνηθέντες ἐννοηθῆναι ὅτι οὗ τὰ μέρη φθοραῖς καὶ ἀλλοιώσεσιν ὑπόκειται, τούτου καὶ τὸν ὅλον ἀνάγκη ποτὲ τὰ αὐτὰ παθήματα τοῖς οἰκείοις μέρεσιν ὑποστῆναι. »Ἀλλὰ« τοσοῦτον »ἐματαιώθησαν τοῖς διαλογισμοῖς αὐτῶν, καὶ ἐσκοτίσθη ἡ ἀσύνετος αὐτῶν καρδία, καὶ φάσκοντες εἶναι σοφοὶ ἐμωράνθησαν« [vgl. Röm 1,21 f.], ὥστε οἱ μὲν συνυπάρχειν ἐξ ἀϊδίου τῷ θεῷ τὸν οὐρανὸν ἀπεφήναντο· οἱ δὲ αὐτὸν εἶναι θεὸν ἄναρχον καὶ ἀτελεύτητον καὶ τῆς τῶν κατὰ μέρος οἰκονομίας αἴτιον. Zur Identifikation der beiden Positionen, die am Ende des Abschnitts wiedergegeben werden, als platonisch-aristotelisch siehe die Überlegungen von K. G 1914, 37 Anm. 2. Anders urteilt S. G, SC 26, 101, der die erste Ansicht für aristotelisch hält, die zweite den Stoikern zuschreibt (mit Hinweis auf Y. C 1934, 20–22). ⁹⁶ Zu dieser christlichen Tradition, die jüdische Wurzeln hat (AT; Philo), siehe J. P 1964, 281–284. Die christliche Position ist gut zusammengefaßt in dem Untertitel des Dialogs Ammonius sive de mundi opificio contra philosophos disputatio des Zacharias von Mytilene, der u. a. Basilius benutzt hat, opif. 1–5 (94 Colonna): ἢ ὅτι οὐ συναΐδιος τῷ θεῷ ὁ κόσμος, ἀλλὰ δημιούργημα αὐτοῦ τυγχάνει, ὃ ἀπ’ ἀρχῆς χρονικῆς ἀρξάμενον καὶ φθείρεται, ὅταν παραστῇ τῷ δημιουργήσαντι τοῦτο μεταποιῆσαι· καὶ οὐδὲν ἐκ τούτου ὁ τῆς ἀγαθότητος τοῦ θεοῦ βλάπτεται λόγος. ἐξ ὧν συνάγεται μὴ θεὸν εἶναι τὸν κόσμον, ἀλλὰ θεοῦ δημιούργημα. ⁹⁷ Zur platonischen Annahme, daß der Kosmos ein Gott sei, siehe Platon, Ti. 34ab; [Platon], Epin. 977a; Plutarch, plat. quaest. 8,4 (1007cd), in Anknüpfung an Ti. 29b.37d.92c; Numenius, frg. 21 (Z. 1–3 Des Places); für Plotin z. B. Enn. V 1 (10) 2,40 (II 265 Henry / Schwyzer); II 2 (14) 2,12–14 (I 161 H. / S.). Epin. 977a fordert ausdrücklich die Verehrung des Kosmos. Zu Aristoteles und den Stoikern siehe J. P 1964, 286–291. ⁹⁸ Siehe zu diesem Argument bei den Stoikern Diogenes Laertius, 7,1,141 (= SVF II 589); Philo, Aet. 24; Prov. 1,9–17 (= SVF II 577; 591); SVF II 574–578 (Chrysipp); außerdem Epikur, ep. 1 bei Diogenes Laertius 10,74; Lukrez, rer. nat. 5,235–246 sowie J. P 1964, 298– 303.

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der christlichen Lehre vom Endgericht.⁹⁹ Die Rede vom Anfang der Kosmosordnung in Gen 1,1 korrespondiert dieser biblischen Lehre vom Ende der Welt. Basilius kann sich dabei auf den platonisch-aristotelischen Grundsatz berufen, daß alles, was einen Anfang hat, notwendig vergehen wird.¹⁰⁰ Die Argumentation des Basilius gegen die Lehre von der Ewigkeit der Welt ist vielschichtig und wirft ein Licht auf seinen Umgang mit philosophischen Argumenten. Autoritativ und maßgeblich für die Beantwortung der Frage nach dem Anfang bzw. der Ewigkeit der Welt ist für ihn der biblische Schöpfungsbericht, den er im Zusammenhang weiterer biblischer Texte zum Thema sowie der christlichen Lehre vom Weltgericht interpretiert. Die gegnerischen Argumente werden kaum sachlich widerlegt, sondern pauschal abgelehnt. Gleichzeitig werden aber auch philosophische Argumente aufgegriffen, um die christliche Position zu stützen. Der Wert der philosophischen Argumente und Methoden hängt dabei für Basilius von dem τέλος ab, auf das sie ausgerichtet sind, d. h. von der Position, die sie begründen.¹⁰¹ Stimmt diese mit der christlichen Lehre überein, kann Basilius die philosophischen Argumente für seinen Zweck benutzen. Widersprechen sie der christlichen Position, so lehnt Basilius auch die Argumente und Methoden ab. An dieser Haltung wird deutlich, daß es Basilius nicht darum geht, in eine philosophisch-argumentative Diskussion mit den Verfechtern der Lehre von der Ewigkeit der Welt zu treten. c) Die Bedeutung von ἀρχή in Gen 1,1. Nachdem Basilius im ersten Teil der Homilie stillschweigend vorausgesetzt hat, daß ἀρχή in Gen 1,1 im zeitlichen Sinne zu verstehen ist, erläutert er die Bedeutung dieses zentralen Begriffes in hex. 1,5 ausführlicher. Er unterscheidet ἐν ἀρχῇ zunächst in den zwei Bedeutungen κατὰ πρεσβυγένειαν und κατὰ χρόνον.¹⁰² Die Bedeutung κατὰ πρεσβυ⁹⁹ Siehe hex. 1,4 (8,6–16). ¹⁰⁰ Siehe Aristoteles, Cael. 1,12 (188b4). Dieser Zusammenhang ist auch bei Platon,

Ti. 41ab vorausgesetzt. Vor dem Hintergrund seiner Auffassung, daß die Zeit gemeinsam mit der sichtbaren Welt geschaffen wurde und mit ihr koexistiert (Basilius, hex. 1,5 [9,14–10,2]), formuliert Basilius, hex. 1,3 (6,13 f.): Τὰ ἀπὸ χρόνου ἀρξάμενα πᾶσα ἀνάγκη καὶ ἐν χρόνῳ συντελεσθῆναι. ¹⁰¹ Siehe die Argumentation in hex. 1,3 (6,15–7,10). ¹⁰² Basilius, hex. 1,5 (10,4–8): »Ἐν ἀρχῇ ἐποίησεν«· τουτέστιν ἐν ἀρχῇ ταύτῃ τῇ κατὰ χρόνον. Οὐ γὰρ δὴ κατὰ πρεσβυγένειαν πάντων τῶν γενομένων προέχειν αὐτὸν μαρτυρῶν λέγει »ἐν ἀρχῇ« γεγονέναι, ἀλλὰ μετὰ τὰ ἀόρατα καὶ νοούμενα, τῶν ὁρατῶν τούτων καὶ αἰσθήσει ληπτῶν τὴν ἀρχὴν τῆς ὑπάρξεως διηγεῖται. Außerdem 1,5 (8,17 f.; 8,19–9,3; 9,6–9: Ἦν γάρ τι, ὡς ἔοικε, καὶ πρὸ τοῦ κόσμου τούτου, ὃ τῇ μὲν διανοίᾳ ἡμῶν ἐστι θεωρητόν, … Ἦν τις πρεσβυτέρα τῆς τοῦ κόσμου γενέσεως κατάστασις ταῖς ὑπερκοσμίοις δυνάμεσι πρέπουσα, ἡ ὑπέρχρονος, ἡ αἰωνία, ἡ ἀΐδιος. Δημιουργήματα δὲ ἐν αὐτῇ ὁ τῶν ὅλων κτίστης καὶ δημιουργὸς ἀπετέλεσε, … Ταῦτα τοῦ ἀοράτου κόσμου συμπληροῖ τὴν οὐσίαν, ὡς διδάσκει ἡμᾶς ὁ Παῦλος λέγων [Kol 1,16] … Die Formulierungen des Basilius erwecken den Eindruck, als liege die unsichtbare Schöpfung der sichtbaren Schöpfung zeitlich voraus (10,7: μετὰ τὰ ἀόρατα καὶ νοούμενα). Das ist aber nicht denkbar, weil die Zeit erst mit dem sichtbaren Kos-

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γένειαν entspricht in etwa der numerischen Bedeutung von ἐν ἀρχῇ, die bereits Philo in seiner Genesisauslegung erwähnt und dadurch die Würde und Vorrangstellung des zuerst Erschaffenen hervorgehoben sieht.¹⁰³ Diese Bedeutung trifft nach Basilius auf die Erschaffung der sichtbaren Welt nicht zu, da ihr die unsichtbare, nur im Denken erfaßbare Schöpfung vorangeht, in der Gott die überkosmischen Kräfte und rationalen Naturen erschaffen hat. Die sichtbare Welt ist ἐν ἀρχῇ κατὰ χρόνον entstanden, im Anfang hinsichtlich der Zeit. Diese Interpretation von ἐν ἀρχῇ ergibt sich für Basilius aus der Reflexion über das Verhältnis von sichtbarer Welt und Zeit.¹⁰⁴ Zeit existiert von Natur aus mit dem Kosmos zusammen, der Aufenthaltsort aller Geschöpfe ist, die Werden und Vergehen unterworfen sind. Der Fluß der Zeit, in dem nichts von Bestand und Dauer ist, ist den wandelbaren und unbeständigen Dingen verwandt. Auf diese natürliche Verbindung von sichtbarem Kosmos und Zeit weist in den Augen des Basilius Gen 1,1 hin, wenn es dort heißt, »im Anfang (der Zeit bzw. mit der Zeit) schuf Gott«. Die Ausführungen des Basilius zur Zeit stehen in platonischer Tradition, nach der die Zeit gemeinsam mit dem sichtbaren Kosmos als Abbild der Ewigkeit des intelligiblen Paradigmas geschaffen ist.¹⁰⁵ Basilius bringt die Zeit allerdings nicht ausdrücklich mit der Bewegung des Kosmos oder den geordneten Himmelsbewegungen in Verbindung, die nach Platon die Wächter (Ti. 38a6) bzw. Instrumente (Ti. 42d5) der Zeit sind. Er sagt zwar, daß die Sonne die Zeiteinheiten mißt,¹⁰⁶ er betrachtet sie aber nicht als Urheberin des Tagesmaßes. Dafür beruft sich Basilius auf die Reihenfolge der Schöpfungswerke im Schöpfungsbericht. Das Maß des Tages hat Mose in seinem Bericht bewußt vor der Erschaffung der Gestirne entstehen lassen, um Gott als dessen Urheber zu erkennen zu geben.¹⁰⁷ Für Basilius ist die Zeit koexistent mit der Bewegung mos ins Dasein tritt. Basilius formuliert daher, daß die unsichtbare Schöpfung πρεσβυτέρα als die sichtbare Welt sei (8,19), d. h. in Würde vorangeht. ¹⁰³ Siehe Philo, Opif. 7,27 (8,12–14 Cohn), der zwischen ἀρχὴ κατὰ χρόνον und ἀρχὴ κατ’ ἀριθμόν unterscheidet. Ambrosius übersetzt die Unterscheidung des Basilius, wenn er sagt, principium aut ad tempus refertur aut ad numerum aut ad fundamentum, … (hex. 1,4,12 [10,2 f. Schenkl]). ¹⁰⁴ Siehe hex. 1,5 (9,14–10,2). ¹⁰⁵ Siehe Platon, Ti. 37c–38b; Timaeus Locrus, nat. et anim. 30 (215,1–6 Marg); Plutarch, plat. quaest. 8,4 (1006f–1007e); Alkinoos, Intr. 14 (170,24–26 Hermann / Whittaker); Calcidius, in Ti. 101 (152,9–13 Waszink); Plotin, Enn. III 7 (45) 1,18–20 (I 368 f. Henry / Schwyzer). Siehe auch die Aufnahme bei Philo, Opif. 7,26 (8,7–12 Cohn), der die zeitliche Bedeutung für ἀρχή (Gen 1,1) allerdings ablehnt (zu Philos Konzeption von Zeit und seine Aufnahme von Ti. 37c–38b siehe D. T. R 1986, 215–219). Für die Flüchtigkeit und Unbeständigkeit der Zeit und des sichtbaren Kosmos siehe die Belege bei K. G 1914, 43 Anm. 4; 44 Anm. 1. ¹⁰⁶ Siehe hex. 6,3 (94,4 f.); vgl. 6,8 (103,17 f.): Ein Tag ist das Maß der Zeit, die die Sonne in der Hemisphäre über der Erde verweilt. Nach hex. 6,8 (103,19–104,3) bestimmen Sonne und Mond ausgehend von Gen 1,16 auch das Maß des Jahres. ¹⁰⁷ Siehe hex. 6,8 (103,11 f.).

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von Entstehen und Vergehen, der die Geschöpfe im sichtbaren Kosmos und schließlich der Kosmos selbst unterliegen. Ohne daß Basilius es ausdrücklich ausspricht, ist darin impliziert, daß die Zeit mit der Auflösung des sichtbaren Kosmos an ihr Ende kommt.¹⁰⁸ Zeit ist daher bei Basilius wie der Kosmos im Unterschied zur aristotelischen Konzeption keineswegs ἄναρχος καὶ ἀτελεύτητος.¹⁰⁹ Im Anschluß an die Bestimmung von ἀρχή als ἀρχὴ κατὰ χρόνον bietet Basilius vier weitere Bedeutungen von ἀρχή. Wie bereits oft beobachtet, greift Basilius dabei aristotelische Bestimmungen von αἰτία bzw. ἀρχή auf und belegt sie durch biblische Beispiele.¹¹⁰ Möglicherweise begegnete Basilius eine ähnliche Liste von Bedeutungen und Beispielen im Genesiskommentar des Origenes.¹¹¹ Basilius präsentiert ἀρχή in den folgenden Bedeutungen:¹¹² als erste Bewegung (biblisches Beispiel: Spr 16,7); als Ausgangspunkt, von dem her etwas entsteht und der in dem Entstandenen anwesend bleibt, wie das Fundament eines Hauses (biblisches Beispiel: Spr 1,7); als die Geschicklichkeit, die den Anfang von Handwerkserzeugnissen darstellt (biblisches Beispiel: Ex 31,3); schließlich als nützliches Ziel (τέλος) einer Handlung oder Tätigkeit (biblisch inspiriertes Beispiel: göttliche Huld als Ziel des Almosengebens und die verheißenen Güter als Ziel tugendhafter Taten). Auffällig ist, daß Basilius die Bedeutung von ἀρχή als Prinzip, die Origenes in seiner Interpretation ins Zentrum rückt, nicht erwähnt. Basilius wendet alle vier Bedeutungen auf die Entstehung von Himmel und Erde nach Gen 1,1 an und bezieht sie auf die Grundbedeutung von ἀρχή im Sinne eines Anfangs mit der Zeit. Im Unterschied zu Origenes stellen die weiteren Bedeutungen bei Basilius keine Alternativen dar, sondern vertiefen das Verständnis eines zeitlichen Anfangs der Welt, den Basilius in Gen 1,1 ausgesagt sieht.¹¹³ Wenn man gedanklich an den Zeitpunkt tritt, von dem ausge¹⁰⁸ Platon nennt dieses nur als logische, aber niemals eintretende Möglichkeit (Ti. 38b6 f.). Christliche Reflexionen über das Ende der Zeit berufen sich gelegentlich auf diese Passage, z. B. Eusebius Caes., p. e. 11,32,3 (69,6 f. Mras). ¹⁰⁹ Für die Definition der Zeit durch Aristoteles siehe z. B. Ph. 8,1 (251b17–28). ¹¹⁰ Siehe z. B. Y. C 1934, 37 f.; K. G 1914, 45 f.; J. C. M.  W 1997b, 19–21. Die Stellen bei Aristoteles, die Pate für die Aufzählung des Basilius gestanden haben könnten, sind folgende: Metaph. 1,3 (983a26–32); 5,1 (1012b34–1013a23); Ph. 2,3 (194b23). ¹¹¹ Zu Origenes siehe Kapitel B I 3. ¹¹² Basilius, hex. 1,5 (10,9–18). ¹¹³ Das hebt J. C. M.  W wiederholt zu Recht hervor (1963, 63–65; 1997b, 16). Damit sind die Bedenken von Y. C 1934, 38 (aufgenommen von S. G, SC 26, 110) gegenstandslos, der bemerkte, daß die Präposition ἐν Gen 1,1 nicht auf die causa formalis bzw. finalis paßt und lediglich auf die causa efficiens und materialis deutet. Basilius betreibt in hex. 1,5 ausgehend von Gen 1,1 keine ›Metaphysik der Präpositionen‹, sondern er erläutert die Implikationen, die seiner Meinung nach in der Annahme eines zeitlichen Anfangs der Welt enthalten sind.

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hend die Welt zu bestehen anfing, so erkennt man nach Basilius, daß erstens von Gott her die Ursache der ersten Bewegung der Zeit kommt, daß zweitens Gott Himmel und Erde als Fundamente geschaffen hat, daß drittens Gottes künstlerische Vernunft der Ordnung der sichtbaren Dinge vorsteht, und daß die sichtbare Welt viertens dem nützlichen Ziel dient, das ihr der Schöpfer gesetzt hat.¹¹⁴ In dieser Anwendung der vier Bedeutungen von ἀρχή auf die Erschaffung des Kosmos lassen sich einige der Ursachen des Werdens wiedererkennen, wie sie beispielsweise Porphyrius in seinem Kommentar zur Physik des Aristoteles systematisiert.¹¹⁵ Basilius nennt das von Gott gesetzte Ziel der Welt als Finalursache der Kosmosentstehung. Gottes künstlerische Vernunft, die Basilius wohl in Anspielung auf Joh 1,1 auch als ἀρχή bezeichnet,¹¹⁶ könnte im Sinne einer causa formalis aufgefaßt werden.¹¹⁷ Himmel und Erde könnten als Sammelbegriff für die vier Elemente verstanden werden und in diesem Sinne den Platz des Materieprinzips einnehmen. Basilius präsentiert sie aber bezeichnenderweise nicht als Prinzipien, sondern als erste, grundlegende Geschöpfe Gottes.¹¹⁸ Ein Hinweis auf die effiziente Ursache der Kosmosentstehung könnte sich hinter der Aussage verbergen, daß Gott die Ursache der ersten Bewegung der Zeit ist, d. h. des kontinuierlichen Flusses von Werden und Vergehen. Wichtiger als die einzelnen Bedeutungen von ἀρχή, die Basilius in hex. 1,5 präsentiert und in hex. 1,6 auf die Erschaffung des Kosmos anwendet, ist für Basilius aber ihr gemeinsamer Fluchtpunkt. Er besteht darin, die Aussage von hex. 1,1 (1,10) zu erläutern und offenzulegen, in welchem Sinne die Ursache der Erschaffung der Kosmosordnung von Gott her kommt. Basilius nutzt die ari¹¹⁴ Basilius, hex. 1,6 (11,2–14): Καὶ γὰρ ἀφ’ οὗ χρόνου ἤρξατο ἡ τοῦ κόσμου τούτου σύστασις, δυνατόν σοι μαθεῖν, ἐάν γε, ἐκ τοῦ παρόντος εἰς τὸ κατόπιν ἀναποδίζων, φιλονεικήσης εὑρεῖν τὴν πρώτην ἡμέραν τῆς τοῦ κόσμου γενέσεως. Εὑρήσεις γὰρ οὕτω πόθεν τῷ χρόνῳ ἡ πρώτη κίνησις, ἔπειτα ὅτι καὶ οἱονεὶ θεμέλιοί τινες καὶ κρηπῖδες προκατεβλήθησαν οὐρανὸς καὶ γῆ· εἶτα ὅτι ἔστι τις τεχνικὸς λόγος ὁ καθηγησάμενος τῆς τῶν ὁρωμένων διακοσμήσεως, ὡς ἐνδείκνυταί σοι ἡ φωνὴ τῆς ἀρχῆς· καὶ τὸ μὴ εἰκῇ μηδὲ μάτην, ἀλλὰ πρός τι τέλος ὠφέλιμον καὶ μεγάλην χρείαν τοῖς οὖσι συνεισφερόμενον ἐπινενοῆσθαι τὸν κόσμον, … Basilius formuliert vier rhetorische Fragen, die die Antwort implizieren, daß Gott in den vier genannten Hinsichten Ursache ist. ¹¹⁵ Siehe Porphyrius bei Simplicius, in Ph. I 10,23–11,17 (Diels) = Porphyrius, frg. 120F (Smith). ¹¹⁶ Siehe Basilius, hex. 1,6 (11,7–9): εἶτα ὅτι ἔστι τις τεχνικὸς λόγος ὁ καθηγησάμενος τῆς τῶν ὁρωμένων διακοσμήσεως, ὡς ἐνδείκνυταί σοι ἡ φωνὴ τῆς ἀρχῆς· Dazu J. C. M.  W 1997b, 22. ¹¹⁷ Das erwägt auch J. C. M.  W 1967, 87; . 1963, 68. ¹¹⁸ Basilius interpretiert in hex. 1,6 (11,6 f.) Gen 1,1 durch die Aussage … οἱονεὶ θεμέλιοί τινες καὶ κρηπῖδες προκατεβλήθησαν οὐρανὸς καὶ γῆ· Offensichtlich versteht er dabei die Formulierung ἐν ἀρχῇ im Sinne von ἐν πρώτοις oder ἀρχήν. Daß diese Bedeutung in der Genesisauslegung erwogen wurde, zeigt J. C. M.  W 1997b, 22 f. anhand eines Fragments zu Gen 1,1 des Acacius von Caesarea (Coll. Coisl. frg. 10 [9 f. Petit]). Zur Interpretation von Himmel und Erde als Hinweis auf die Gesamtheit der Elemente siehe hex. 1,7 (13,12–20).

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stotelische Ursachenlehre nur als Aufhänger, um Gott in verschiedener Hinsicht als die einzige Ursache des Kosmos zu erweisen. Die Aussage, daß der Kosmos einen Anfang mit der Zeit hat und seine Ursache von Gott her nimmt, spitzt Basilius im letzten Schritt seiner Erörterung von ἀρχή zu. Hier gelangt er an das Ziel seiner Auslegung von ἀρχή.¹¹⁹ Johannes Philoponus bezieht sich in seinem Kommentar Gen 1,1 auf die nun folgende Interpretation des Basilius und versteht sie als dessen Erläuterung des Verständnisses von ἀρχή als ἀρχὴ κατὰ χρόνον.¹²⁰ Ausgehend von der Grundbedeutung von ἀρχή als ›Anfang der Zeit‹ erwägt Basilius, daß ἀρχή bezogen auf den Kosmos das Knappe und Zeitlose der Weltschöpfung ausdrückt. Basilius betrachtet hier den Anfang der Zeit als Anfangspunkt und legt dar, daß er kein Zeitabschnitt, sondern wie ein Punkt unteilbar und unausgedehnt ist.¹²¹ Vor dem Hintergrund dieser Bedeutung von ἀρχή sagt Gen 1,1 aus, daß die Welt zugleich mit dem Willensstreben Gottes in einem zeitlosen Moment ins Dasein getreten ist. Dieses Verständnis eines zeitlosen, instantanen Schöpfungsaktes sieht Basilius noch deutlicher in der Übersetzung von Gen 1,1 nach Aquila ausgedrückt, der Ἐν κεφαλαίῳ ἐποίησεν ὁ θεός liest. Der Argumentationsgang in hex. 1,2–6 zeigt, daß die Aussage, die Welt sei zugleich mit dem Willensstreben Gottes in einem zeitlosen Moment ins Dasein getreten, für ihn die schärfste und prägnanteste Formel für den Schöpfungsakt nach Gen 1,1 darstellt, der dadurch gekennzeichnet ist, daß der sichtbare Kosmos einen Anfang besitzt und die Ursachen seiner Entstehung ausschließlich von Gott her nimmt. d) Gen 1,1 (ἐποίησεν): Die Schöpfung ist ein willentlicher, kontingenter Akt Gottes. Daß die Erschaffung der Welt ein Akt des göttlichen Willens ist, hebt Basi¹¹⁹ Hex. 1,6 (11,15–18; 11,23–12,4): Ἢ τάχα διὰ τὸ ἀκαριαῖον καὶ ἄχρονον τῆς δημιουργίας εἴρηται τό· »Ἐν ἀρχῇ ἐποίησεν«, ἐπειδὴ ἀμερές τι καὶ ἀδιάστατον ἡ ἀρχή. Ὡς γὰρ ἡ ἀρχὴ τῆς ὁδοῦ οὔπω ὁδὸς καὶ ἡ ἀρχὴ τῆς οἰκίας οὐκ οἰκία, οὕτω καὶ ἡ τοῦ χρόνου ἀρχὴ οὔπω χρόνος ἀλλ’ οὐδὲ μέρος αὐτοῦ τὸ ἐλάχιστον. … Ἵνα τοίνυν διδαχθῶμεν ὁμοῦ τῇ βουλήσει τοῦ θεοῦ ἀχρόνως συνυφεστάναι τὸν κόσμον, εἴρηται τό· »Ἐν ἀρχῇ ἐποίησεν«. Ὅπερ ἕτεροι τῶν ἑρμηνέων, σαφέστερον τὸν νοῦν ἐκδιδόντες, εἰρήκασιν· »Ἐν κεφαλαίῳ ἐποίησεν ὁ θεός« τουτέστιν ἀθρόως καὶ ἐν ὀλίγῳ. ¹²⁰ Johannes Philoponus, opif. 1,3 (7,8–8,17 Reichardt). Ich verstehe wie Johannes Philoponus den Abschnitt hex. 1,6 (11,15–12,4) des Basilius, der die Erörterung von ἀρχή abschließt (siehe hex. 1,6 [12,4 f.]: Τὰ μὲν οὖν περὶ ἀρχῆς, ὡς ὀλίγα ἀπὸ πολλῶν εἰπεῖν, ἐπὶ τοσοῦτον.), nicht als zusätzliche Bedeutung von ἀρχή, sondern als Fortführung der Interpretation von ἀρχή als ἀρχὴ κατὰ χρόνον und als Ziel der Ausführungen des Basilius. Anders urteilt J. C. M.  W, der einen Gegensatz zwischen den beiden Bestimmungen sieht (1963, 70 f.; 1997b, 33). Aufgenommen von M. N 1990, 314, der die Bedeutung als zeitloser Anfang als alternative Auslegung von ἀρχή betrachtet, die Basilius durch die Tradition vorgegeben sei. ¹²¹ Wie bereits K. G 1914, 44 festgestellt hat, ist diese Aussage aus der mathematischen Definition des Punktes gewonnen. Vgl. die Aufnahme dieser Erklärung bei Gregor von Nyssa, hex. 8 (16,5–14 Forbes).

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lius auch in seiner Interpretation von ἐποίησεν in Gen 1,1 hervor, mit der er sich gegen ein falsches Verständnis der göttlichen Ursache des Kosmos wendet. Basilius ist überzeugt, daß Mose bewußt die Verben ἐνήργησεν oder ὑπέστησεν vermieden und mit Absicht das Verb ἐποίησεν gewählt hat, um die Erschaffung der Welt als einen Akt darzustellen, der dem Modell der handwerklichen ποίησις entspricht.¹²² In den Augen des Basilius verwahrt sich Mose damit gegen den Irrtum einiger Philosophen, die lehren, daß der Kosmos gleichewig mit Gott existiere.¹²³ Diese Philosophen stimmen nicht zu, daß der Kosmos durch Gott tatsächlich geschaffen wurde, sondern meinen, daß er gleichsam ein Schatten der Macht Gottes sei und automatisch existiere. Sie bekennen zwar, daß Gott Ursache (αἴτιον) des Kosmos sei, halten ihn aber für eine Ursache ohne Vorsatz und Willen, wie zum Beispiel der Körper Ursache des Schattens ist oder das, was leuchtet, Ursache des Lichtscheins ist.¹²⁴ In diesem ohne Zweifel polemischen Referat gibt Basilius die Position neuplatonischer Philosophen wieder, die wie Plotin oder Porphyrius bewußt den Ausdruck ποιεῖν vermeiden und für die Tätigkeit des demiurgischen göttlichen Intellekts die Verben ἐργάζεσθαι bzw. ὑφιστάναι verwenden.¹²⁵ Es ist die grundlegende Überzeugung dieser Platoniker und ihrer Nachfolger, daß bei einer vollkommenen und ewigen Ursache das Verursachte notwendig und ebenfalls ewig existiert. Es kann nicht Folge eines Willensentschlusses sein, da dieser immer eine zeitliche Priorität der Ursache impliziert. Die Platoniker verneinen eine zeitliche Priorität der Ursache gegenüber dem Kosmos, betonen aber ständig die ontologische Priorität des Intellekts gegenüber dem Kosmos. ¹²² Nach einer Übersicht über die drei Klassen von τέχναι (hex. 1,7 [12,6–15]: ποιητικαί, πρακτικαί, θεωρητικαί; zu dieser Klassifikation siehe Platon, R. 258b–e; Aristoteles, Metaph. 5,1 [1025b18–28]; EN 6,2 [1139a26–28]; Top. 6,6 [145a15]; 8,1 [157a10 f.]; Quintilian, inst. 2,18,1–2 [I 119,10–20 Rademacher / Buchheit]; J. P 1964, 344–347) fährt Basilius fort (hex. 1,7 [12,16–20]): Ἵνα οὖν δειχθῇ ὅτι ὁ κόσμος τεχνικόν ἐστι κατασκεύασμα, προκείμενον πᾶσιν εἰς θεωρίαν, ὥστε δι’ αὐτοῦ τὴν τοῦ ποιήσαντος αὐτὸν σοφίαν ἐπιγινώσκεσθαι, οὐκ ἄλλῃ τινὶ ἐχρήσατο φωνῇ ὁ σοφὸς Μωϋσῆς περὶ αὐτοῦ, ἀλλ’ εἶπεν· »Ἐν ἀρχῇ ἐποίησεν«, οὐχὶ ἐνήργησεν οὐδὲ ὑπέστησεν, ἀλλ’ »ἐποίησεν«. ¹²³ Basilius richtet sich ausdrücklich nicht gegen alle Vertreter dieser Lehre, sondern gegen »viele« unter ihnen (siehe hex. 1,7 [12,20–13,1]). ¹²⁴ Hex. 1,7 (12,20–13,6): Καί, καθότι πολλοὶ τῶν φαντασθέντων συνυπάρχειν ἐξ ἀϊδίου τῷ θεῷ τὸν κόσμον, οὐχὶ γεγενῆσθαι παρ’ αὐτοῦ συνεχώρησαν, ἀλλ’ οἱονεὶ ἀποσκίασμα τῆς δυνάμεως αὐτοῦ ὄντα αὐτομάτως παρυποστῆναι, καὶ αἴτιον μὲν αὐτοῦ ὁμολογοῦσι τὸν θεόν, αἴτιον δὲ ἀπροαιρέτως, ὡς τῆς σκιᾶς τὸ σῶμα καὶ τῆς λαμπηδόνος τὸ ἀπαυγάζον· τὴν οὖν τοιαύτην ἀπάτην ἐπανορθούμενος ὁ προφήτης, τῇ ἀκριβείᾳ ταύτῃ τῶν ῥημάτων ἐχρήσατο· »Ἐν ἀρχῇ ἐποίησεν ὁ θεός.« ¹²⁵ Siehe z. B. Plotin, Enn. III 2 (47) 1,43–45; 2,1 f. (I 268 f. Henry / Schwyzer); zu Porphyrius siehe Kapitel A V 3.2. Die neuplatonische Herkunft der Bildvergleiche haben bereits J. P 1964, 279 Anm. 2 und H. A. W 1970, 53 f. erkannt. Allerdings sind die Belege aus Plotin, die P anführt, nicht sehr aussagekräftig. Die Bedeutung des Porphyrius läßt P offen. M. N 1990, 314 weist in Anknüpfung an die Untersuchung von E. F ebenfalls nur auf Plotin.

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Das Bild vom Hervortreten des Lichtes aus der Sonne, das bei Plotin und seinem Schüler Porphyrius begegnet,¹²⁶ illustriert die Eckpunkte dieses Emanationsmodells: Das Verursachte vermindert die Ursache nicht. Es koexistiert ewig mit der Ursache. Es geht notwendig, ohne vorhergehenden Willensentschluß aus der Ursache hervor. Das Modell einer ewigen Entstehung, das durch das Bild des Heraustretens von Licht aus einer Lichtquelle anschaulich illustriert wird, war unter Platonikern der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts verbreitet. Ein Beleg dafür ist der Traktat De dis et mundo, in dem Sallust die Grundlinien der platonischen Lehre über die Götter, die Seelen und den Kosmos in Form einer Einführung darstellt.¹²⁷ Sallust betrachtet die Entstehung des Kosmos als eine Entstehung κατὰ δύναμιν, die er von den Entstehungen κατὰ τέχνην und κατὰ φύσιν unterscheidet. Während das, was τέχνῃ oder φύσει schafft, notwendig früher als das Entstandene ist, bringt das, was κατὰ δύναμιν hervorbringt, sein Werk zusammen mit sich selbst ins Sein, wie die Sonne das Licht, das Feuer die Wärme, der Schnee die Kälte.¹²⁸ Sallust hebt hervor, daß die Götter Fürsorge für den Kosmos üben ohne Reflexion und Willenstätigkeit. Sie gleichen darin Körpern, die eine Kraft besitzen und diese durch ihre bloße Existenz betätigen, wie die Sonne allein dadurch, daß sie ist, erleuchtet und wärmt.¹²⁹ Im Kapitel über die Ungeschaffenheit und Unvergänglichkeit der Welt verneint Sallust, daß der Kosmos real entstanden und vergänglich ist. Weil der Kosmos aufgrund der Güte Gottes existiert, Gott aber ewig gut ist, existiert auch der Kosmos ewig zusammen mit Gott, wie das Licht zusammen mit der Sonne oder dem Feuer existiert oder der Schatten zusammen mit dem Kör¹²⁶ Siehe Kapitel A V 3.2. ¹²⁷ Der Titel des Werks geht auf den Herausgeber der editio princeps zurück, die 1638 in

Rom publiziert wurde (A. D. N 1926, cxxi). F. C 1892, 52 datiert den Traktat auf ca. 363. N, a. a. O., cii zufolge weisen stilistische Argumente auf 300–430 als Abfassungszeitraum. Er hält Cs Datierung für »probably right«. Zu den Einleitungsfragen siehe nun D. M 2007, der ein Zeitfenster »von der Mitte des fünften bis zum Ende des sechsten Jahrzehnts des 4. Jh.« nennt (a. a. O., 81). Der Charakter eines Einführungswerks tritt besonders in der Einleitung hervor, wo Sallust über die natürlichen Anlagen und die Ausbildung derjenigen spricht, die sich der Philosophie und besonders der Lehre von den Göttern widmen wollen (vgl. Alkinoos, Intr. 1 [152,1–29 Hermann / Whittaker]; N, a. a. O., xl Anm. 2 verweist außerdem auf Galen, Med. Phil. 4 [7,25–8,23 Müller]). Für Verweise darauf, daß Sallust eine knappe Darstellung der einzelnen Themen bietet, siehe dis 5 (9,8–10 Rochefort); 13 (18,5–7); 16 (21,18). In manchen Fragen trägt Sallust auch weiterführende Argumente vor, wie in der Frage der Anfangslosigkeit und Ewigkeit der Welt (siehe 17 [23,16–18]). ¹²⁸ Siehe Sallust, dis 13 (18,11–16; 18,27–19,4 Rochefort; Texte in Kapitel A V 3.2 Anm. 132). ¹²⁹ Sallust, dis 9 (13,17–23 Rochefort): Τὴν δὲ τοιαύτην περὶ τὸν Κόσμον ἐπιμέλειαν οὐδὲν βουλευομένους οὐδὲ πονοῦντας τοὺς Θεοὺς ἡγητέον ποιεῖσθαι· ἀλλ’ ὥσπερ τῶν σωμάτων τὰ δύναμιν ἔχοντα αὐτῷ τῷ εἶναι ποιεῖ ἃ ποιεῖ – οἷον ἥλιος φωτίζει καὶ θάλπει αὐτῷ μόνῳ τῷ εἶναι –, οὕτω πολὺ μᾶλλον ἡ τῶν Θεῶν Πρόνοια αὐτῇ τε ἀπόνως καὶ τοῖς προνοουμένοις ἐπ’ ἀγαθῷ γίνεται·

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per.¹³⁰ Sallust nennt hier die beiden Bilder, die Basilius in seinem Referat der platonischen Position zitiert. Wahrscheinlich geht die Position bei Sallust einschließlich der Bildreihe, die sie illustriert, auf Porphyrius zurück.¹³¹ Die Polemik des Basilius zeigt, daß er sich mit der Weltentstehungslehre nach-plotinischer Neuplatoniker auseinandersetzt. Basilius setzt in seinem kurzen Referat der neuplatonischen Position einen deutlichen polemischen Akzent, wenn er in hex. 1,7 (13,2) behauptet, daß seinen Gegnern zufolge der Kosmos αὐτομάτως entstehe. Diese Charakterisierung unterstellt, daß der Kosmos gar keine vernünftige Ursache hat, sondern von selbst entstanden ist.¹³² Damit verzeichnet Basilius polemisch die neuplatonische Position, sieht Plotin es doch durch viele Untersuchungen als erwiesen an, daß es widersinnig ist, anzunehmen, daß das Wesen und der Bestand der Welt auf Ungefähr (τῷ αὐτομάτῳ) oder Zufall (τύχῃ) zurückzuführen seien.¹³³ Außerdem unterschlägt Basilius, daß die Neuplatoniker ausdrücklich den ontologischen Unterschied zwischen Ursache und Verursachtem betonen,¹³⁴ wenn er in hex. 1,3 auch sie in den Vorwurf einschließt, daß die Lehre von der Ewigkeit des Kosmos den ontologischen Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf einebne und beiden die gleiche Ehre zukommen lasse. Ähnliche Akzente wie Basilius setzen möglicherweise in Abhängigkeit von ihm spätere Christen in ihrer Auseinandersetzung mit der neuplatonischen Kosmologie. So spricht beispielsweise Zacharias von Mytilene, der in seinem Dialog Ammonius sive de mundi opificio contra philosophos disputatio Basilius nachweislich benutzt und zuspitzt,¹³⁵ vom Kosmos als einer Begleiterschei¹³⁰ Sallust, dis 7 (11,8–10 Rochefort): … καὶ ὅτι ἀνάγκη, διὰ τὴν τοῦ θεοῦ ἀγαθότητα ὄντος τοῦ Κόσμου, ἀεί τε τὸν Θεὸν ἀγαθὸν εἶναι καὶ * τὸν Κόσμον ὑπάρχειν. Ὥσπερ ἡλίῳ μὲν καὶ πυρὶ συνυφίσταται φῶς, σώματι δὲ σκιά. W. T 1933/34, 16 möchte an der von mir mit * markierten Stelle nach Proclus, in Ti. I 394,23 (Diehl) – von ihm auf Porphyrius zurückgeführt – ein ἀεί ergänzen. ¹³¹ Siehe Kapitel A V 3.2. ¹³² Siehe dazu den Exkurs zur Entstehung ἐκ τοῦ αὐτομάτου in Kapitel A IV 3. ¹³³ Plotin, Enn. III 2 (47) 1,1–5 (I 267 Henry / Schwyzer). So auch die späteren Platoniker, wie Proclus, in Ti. I 262,2–29; 299,13–19 (Diehl) zeigt. ¹³⁴ Siehe z. B. Plotin, Enn. III 2 (47) 1,15–26 (I 267 f. Henry / Schwyzer). In seiner Erklärung, was unter Vorsehung für das All zu verstehen sei, hebt Plotin hervor, daß der Intellekt vor dem Kosmos sei, allerdings nicht im zeitlichen Sinne (χρόνῳ), sondern in dem Sinne, daß er seinem Wesen nach (φύσει), d. h. in der plotinischen Ontologie auf einer höheren Stufe stehend, früher als der Kosmos ist, sowie in dem Sinne, daß der Kosmos von ihm her ist (παρὰ νοῦ ἐστι) und im Intellekt die Ursache seiner Existenz hat. Der philosophische Diskussionspartner im Dialog des Zacharias von Mytilene hebt gegenüber dem christlichen Vorwurf hervor, daß der Kosmos zwar gleichewig mit Gott, nicht aber von gleicher Würde sei: … καθάπερ αἴτιον τὸ σῶμα τῆς ἑκάστου σκιᾶς γίνεται, ὁμόχρονος δὲ τῷ σώματι ἡ σκιὰ καὶ οὐχ ὁμότιμος, οὕτω δὴ καὶ ὅδε ὁ κόσμος παρακολούθημά ἐστι τοῦ θεοῦ, αἰτίου ὄντος αὐτῷ τοῦ εἶναι, καὶ συναΐδιός ἐστι τῷ θεῷ, οὐκέτι δὲ καὶ ὁμότιμος (opif. 523–526 [112 Colonna]). ¹³⁵ Für die z. T. wörtlichen Berührungen zwischen dem Traktat des Zacharias und der Hexaemeronauslegung des Basilius sowie die namentlichen Erwähnungen des Basilius bei

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nung (παρακολούθημα) der Existenz Gottes, die von selbst (ἐκ ταὐτομάτου) ins Dasein getreten sei.¹³⁶ Basilius und Zacharias zielen beide darauf, die gegnerische Position so darzustellen, daß in ihr Gott nur indirekt oder gar nicht als Ursache des Kosmos erscheint. Vor dem Hintergrund der skizzierten neuplatonischen Position und aus der Polemik des Basilius gegen sie läßt sich aus einer erweiterten Perspektive besser verstehen, worauf Basilius in seiner Auslegung der biblischen Aussage Ἐν ἀρχῇ ἐποίησεν ὁ θεός abzielt. Die platonische Alternative, in Auslegung von Ti. 28b.41b die ἀρχή des Kosmos entweder im Sinne eines zeitlichen Anfangs (ἀρχὴ κατὰ χρόνον) oder im Sinne eines Prinzips der Existenz (ἀρχὴ/ αἰτία τῆς ὑποστάσεως) zu verstehen, besteht für Basilius nicht. Daß der Kosmos von Gott her (παρὰ τοῦ θεοῦ) das Prinzip seiner Existenz hat, ist für Basilius untrennbar mit der Annahme eines zeitlichen Anfangs der Welt verbunden. Das sagt bereits die einleitende These des Basilius in hex. 1,1 (1,6–10) aus, die nun verständlich wird. Zum einen ist nach Basilius nur vor dem Hintergrund eines realen Anfangs des Kosmos Gottes Willensentschluß als Ursache des Kosmos denkbar, der die Bejahung des Kosmos impliziert und ein dynamisches Verhältnis zwischen Gott als Schöpfer und der sichtbaren Welt als Geschöpf initiiert.¹³⁷ Nur unter dieser Voraussetzung kann die Vorsehung Gottes des Schöpfers als bleibende Fürsorge für alle Einzeldinge des Kosmos einschließlich der individuellen Menschen verstanden und Gott als gerechter Richter der Menschen gedacht werden.¹³⁸ Zu einer Welt, die mit natürlicher Zacharias siehe die Indices der Edition von M. M. C. C 1973, 50 weist außerdem auf eine Aussage des Zacharias hin, in der dieser das Hexaemeron des Basilius innerhalb einer Liste seiner Lektüre nennt (Zacharias von Mytilene, vit. Sev. 53,18 [Kugener]). ¹³⁶ Siehe bei Zacharias von Mytilene, opif. 528–534 (112 Colonna) die Antwort des Christen auf die Äußerung des Platonikers in Z. 521–526: πρῶτον μὲν δὴ ἀπροαίρετον αἰτίαν καὶ ἀβούλητον τῇ συστάσει τῶν ὄντων τὸν θεὸν μυθοπλαστοῦσι, παρακολούθημα τούτου τὸν κόσμον εἶναι ὑποτοπάζοντες, ὡς δὴ καὶ τοῦ σώματος ἡ σκιὰ τυγχάνει οὖσα παρακολούθημα. οὐ γὰρ δήπου βουλομένοις ἡμῖν ἡ σκιὰ παρέπεται. οὐκοῦν, μὴ θέλοντος τοῦ θεοῦ, ὁ κόσμος αὐτῷ παρηκολούθησε, καὶ ἁπλῶς ἐκ ταὐτομάτου παρυπέστη, καὶ τηνάλλως τὸν θεὸν αἴτιον εἶναί φασιν. ἔτι δὲ κἀκεῖνο οὐ διασκοποῦνται. Den Ausdruck παρακολούθημα hat bereits M. B 1976, 166 f. als polemische Zuspitzung im Verdacht. Ein Vergleich mit einem Zeugnis bei Johannes Philoponus bestätigt diesen Verdacht. Johannes Philoponus verweist in Procl. 1,4 (14,20–28 Rabe) auf die Bilder, die die Neuplatoniker anführen, um ihre Position zu illustrieren. Dabei begegnen die Ausdrücke αὐτομάτως oder παρακολούθημα nicht, sondern lediglich die Formulierung παρυποστῆναι. ¹³⁷ Ähnlich verknüpft auch später Aeneas von Gaza das Schöpfersein mit Willen: Οὐκ ἄρα δημιουργὸς ὁ Δημιουργός, εἰ μὴ βουλόμενος ὃ πεποίηκεν δημιουργεῖ· ἀλλ’ αὐτόματον τόδε τὸ πᾶν, εἰ μὴ γέγονεν (dial. 46,2 f. [Colonna]). ¹³⁸ Siehe hex. 1,4 (7,11–8,16), wo Basilius den Zusammenhang zwischen der Lehre vom Endgericht und der Annahme eines Anfangs der Welt darlegt. Sehr deutlich formuliert diesen Gedanken dann in Fortführung der Argumentation des Basilius Aeneas von Gaza, der das Bild der notwendigen Koexistenz von Körper und Schatten auslegt: Τίς δ’ ἂν τὴν ἑαυτοῦ σκιὰν κοσμεῖν ἢ καθαίρειν βούλοιτο; Οὐκοῦν καὶ τὴν Πρόνοιαν ὁ τῶν ἀνοήτων λόγος συνανεῖλεν· οὐ γὰρ ἂν γένοιτο σκιᾶς ἐπιμέλεια. (dial. 46,8–11 [Colonna]). Siehe im Kontrast

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Notwendigkeit und ewig entsteht, kann Gott nicht in Beziehung treten. Zum anderen sieht Basilius in der notwendigen und ewigen Koexistenz der Welt mit Gott Gottes Schöpfermacht unzulässig auf die Erschaffung eines einzigen Kosmos begrenzt. Basilius führt daher in seiner Auslegung von ἐποίησεν aus, daß Gott wie jeder menschliche Handwerker das Vermögen besitzt, unzählige Werke zu erschaffen. Gottes schöpferische Kraft entspricht nicht nur einem einzigen Kosmos wie im Falle der platonischen Kosmologie. Gleichwohl behauptet Basilius weder eine gleichzeitige Vielzahl von Welten noch eine Abfolge verschiedener Welten. Indem er betont, daß Gott in seiner unbegrenzten Schöpfermacht durch eine einzige Regung seines Willens die großartige sichtbare Welt ins Sein führte, hebt er die Kontingenz der Welt hervor.¹³⁹ Gott, der mehrere Welten zu schaffen vermag, hat sich entschlossen, diese eine Welt zu erschaffen. Basilius schließt seine Polemik gegen die neuplatonische Auffassung von der ewigen Koexistenz der Welt mit Gott mit einer Anspielung auf den platonischen Timaeus: Nicht auf eben diese Weise [d. h. wie die Neuplatoniker lehren] gewährte Gott die Ursache des Seins, sondern er schuf, als guter das Nützliche, als weiser das Schönste, als mächtiger das Größte. Nur zeigt er [d. h. Mose] dir freilich keinen Handwerker, der in die Substanz des Alls eingeht und alle einzelnen Teile miteinander zusammenfügt und das Ganze gleichförmig mit sich selbst und zusammenklingend und harmonisch vollendet.¹⁴⁰ dazu Plotin, Enn. III 2 (47) 1,15–19 (I 267 f. Henry / Schwyzer), der eine Vorsehung bezogen auf die Einzeldinge ablehnt vor dem Hintergrund, daß der Kosmos ewig vom Intellekt her ins Sein tritt. ¹³⁹ Basilius, hex. 1,2 (5,4–10): εἶτα ἐπήγαγε τὸ »ἐποίησεν«, ἵνα δειχθῇ ὅτι ἐλάχιστον μέρος τῆς τοῦ δημιουργοῦ δυνάμεώς ἐστι τὸ ποιηθέν. Ὡς γὰρ ὁ κεραμεύς, ἀπὸ τῆς αὐτῆς τέχνης μυρία διαπλάσας σκεύη, οὔτε τὴν τέχνην οὔτε τὴν δύναμιν ἐξανάλωσεν· οὕτω καὶ ὁ τοῦ παντὸς τούτου δημιουργός, οὐχ ἑνὶ κόσμῳ σύμμετρον τὴν ποιητικὴν ἔχων δύναμιν, ἀλλ’ εἰς τὸ ἀπειροπλάσιον ὑπερβαίνουσαν, τῇ ῥοπῇ τοῦ θελήματος μόνῃ εἰς τὸ εἶναι παρήγαγε τὰ μεγέθη τῶν ὁρωμένων. ¹⁴⁰ Basilius, hex. 1,7 (13,6–11): Οὐχὶ αὐτὸ τοῦτο τὴν αἰτίαν τοῦ εἶναι παρέσχεν, ἀλλ’ ἐποίησεν ὡς ἀγαθὸς τὸ χρήσιμον, ὡς σοφὸς τὸ κάλλιστον, ὡς δυνατὸς τὸ μέγιστον. Μόνον γὰρ οὐχὶ τεχνίτην σοι ἔδειξεν ἐμβεβηκότα τῇ οὐσίᾳ τῶν ὅλων καὶ τὰ καθ’ ἕκαστον μέρη πρὸς ἄλληλα συναρμόζοντα καὶ τὸ πᾶν ὁμόλογον ἑαυτῷ καὶ σύμφωνον καὶ ἐναρμονίως ἔχον ἀποτελοῦντα. [Einfügungen in der Übersetzung von mir]. Z. 6 αὐτὸ τοῦτο hat eine adverbiale Bedeutung, wie auch M. N 1990, 315 betont. Der zweite Satz wird bisweilen falsch übersetzt, wenn die Einleitung μόνον γὰρ οὐχί ungenau gelesen wird. So übersetzt A. S, BKV Basilius 2, 18: »Und so offenbart er sich dir als Künstler, der nicht nur in das Wesen aller Dinge eindrang, sondern auch …«. Ähnlich Y. C 1934, 40: »Moïse te montre presque l’Artisan s’emparant de la substance de l’univers, harmonisant ses diverses parties les unes avec les autres…«; N, a. a. O., 25: »Infatti ti si è quasi mostrato come artefice che penetra la sostanza degli esseri, nell’atto di armonizzare le singole parti fra loro, e nel dare all’ universo …«. Korrekter dagegen S. G, SC 26, 117: »C’est tout just en effet si Moïse ne t’a pas montré l’artisan divin engagé dans la substance de l’universe, dont il ajuste ensemble les différentes parties …«.

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Unübersehbar spielt Basilius hier auf Ti. 29a.e–30b an. An dieser Stelle nennt Platon als Ursache der Entstehung des Kosmos, daß der Demiurg gut und ohne Neid ist und daher will, daß alles nach Möglichkeit ihm ähnlich und gut sei, so daß er als beste Ursache das schönste und beste Werk erzeugt. Mit diesen Anspielungen fordert Basilius von den Platonikern, die Darlegung des Timaeus ernst zu nehmen, die den Willen des Demiurgen als Ursache der Kosmosentstehung nennt und dem göttlichen Handwerker damit Vorsatz und Vorsehung beilegt.¹⁴¹ Indem Basilius auf diese Weise Ti. 29e–30b aus der Perspektive von Gen 1,1 deutet, behauptet er gegenüber den Platonikern, daß Gen 1,1 ἐποίησεν die Grundaussage des Timaeus enthalte, die Platon im Timaeus breit ausführt, indem er den Schöpfergott als Handwerker vorführt. Basilius erhebt damit in der Polemik gegenüber den Neuplatonikern den Anspruch, daß seine Auslegung von Gen 1,1, nach der die Welt in einem zeitlosen, aber einmaligen Moment durch den Willensentschluß Gottes entstanden ist und einstmals vergehen wird (vgl. hex. 1,6), die angemessene Interpretation von Ti. 29e–30a darstellt. Zugleich distanziert sich Basilius von der Vorstellung, daß der Demiurg die Welt in Angleichung an sich selbst geordnet hat und auf diese Weise in die Substanz der Welt eingeht. Basilius hat hier wahrscheinlich Deutungen des Timaeus vor Augen, die in der platonischen Demiurgengestalt die Weltseele bzw. deren untersten Teil sehen, der in die Materie eingeht.¹⁴² Seine Kritik richtet sich aber auch gegen stoische Kosmologen, nach denen der Demiurg in Gestalt des göttlichen Pneuma eine dem Kosmos immanente Kraft ist. Daß Gott die Welt erschafft, impliziert nach Basilius keine Angleichung der Welt an Gott, die den Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf aufzuheben droht.¹⁴³ 2.1.2. Gen 1,1 ›Himmel und Erde‹: Die Grenzen und Fundamente des Kosmos a) Die vier Elemente innerhalb der äußersten Begrenzungen. Der Interpretation von Gen 1,1 ἐν ἀρχῇ ἐποίησεν ὁ θεός als Ausdruck dessen, daß die Welt auf einmal im Augenblick des göttlichen Willensentschlusses entstand, entspricht die Deutung von τὸν οὐρανὸν καὶ τὴν γῆν. Basilius interpretiert ›Himmel‹ und ›Erde‹ jeweils als äußerste und am weitesten voneinander entfernt liegende Grenzen des Kosmos, mit denen zusammen alle dazwischenliegenden Dinge ¹⁴¹ Siehe Ti. 30b8 f.: … διὰ τὴν τοῦ θεοῦ γενέσθαι πρόνοιαν. ¹⁴² Siehe Plutarch, plat. quaest. 2,1 (1001ab) und dazu Kapitel A I 4.3. Nach einigen Zeug-

nissen versteht Porphyrius unter dem Demiurgen Platons die Weltseele (bei Proclus, in Ti. I 306,32–307,4; 322,1–7; 531,20–23 [Diehl] = Porphyrius, frgg. 41–43 [Sodano]). Zur Identifikation des platonischen Demiurgen mit der Weltseele siehe außerdem F. M. C 1952, 34–39.206–210. ¹⁴³ Basilius kritisiert und überbietet den Timaeus, so daß man in keiner Weise behaupten kann, »le Père de l’Église reproduit le philosophe païen« (gegen Y. C 1934, 40).

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geschaffen wurden. Vielleicht liegt dieser Interpretation auch die etymologische Ableitung des Wortes οὐρανός von ὅρος zugrunde, die sinngemäß auch auf das Gegenstück Erde übertragen wird.¹⁴⁴ Darin, daß der Himmel zuerst erwähnt wird, sieht Basilius in der Tradition der philonischen Genesisauslegung die Vorrangstellung des Himmels vor der Erde ausgedrückt, die den zweiten Platz einnimmt. Vor dem Hintergrund der bisherigen Auslegung von Gen 1,1 in hex. 1,1–7 liegt es nahe, daß Basilius diese Reihenfolge nicht chronologisch auffaßt, sondern sie als Abfolge in Würde und Rang versteht.¹⁴⁵ Innerhalb der äußersten Grenzen des Kosmos sieht Basilius zunächst vor allem die vier Elemente enthalten. Sie werden zwar von Mose nicht eigens erwähnt, können aber ausgehend von den genannten äußersten Grenzen erschlossen werden. Sicherlich ist auch gemeinsam mit den Grenzen entstanden, wenn etwas in der Mitte zwischen diesen liegt. Das hat zur Folge, daß du, obwohl nichts gesagt wird über die Elemente Feuer und Wasser und Erde, durch dein eigenes Verstandesvermögen erkennst, daß erstens alles in allem vermischt ist, und du in Erde auch Wasser und Luft und Feuer finden wirst. … so hat der, welcher die am weitesten voneinander abstehenden Enden genannt hat, auch den Raum, der das zwischen diesen Liegende erfüllt, miteingeschlossen bezeichnet. Daher suche nicht die Erklärung aller Einzeldinge, sondern erkenne das Verschwiegene durch das Offenbare.¹⁴⁶

Vor dem Hintergrund der Lehre, daß alle Elemente ineinander sind, sieht Basilius in der Erwähnung der Erde die anderen Elemente impliziert.¹⁴⁷ Basili¹⁴⁴ Für die Ableitung οὐρανός von ὅρος siehe die Belege bei D. T. R 2001, 176 f. und bei H. S 1970, 347 die Anmerkung zu [Aristoteles], Mu. 6 (400a7). ¹⁴⁵ Basilius, hex. 1,7 (13,12–14): »Ἐν ἀρχῇ ἐποίησεν ὁ θεὸς τὸν οὐρανὸν καὶ τὴν γῆν.« Ἐκ δύο τῶν ἄκρων τοῦ παντὸς τὴν ὕπαρξιν παρῃνίξατο, τῷ μὲν οὐρανῷ τὰ πρεσβεῖα τῆς γενέσεως ἀποδούς, τὴν δὲ γῆν δευτερεύειν φάμενος τῇ ὑπάρξει. Vgl. Philo, Opif. 7,27 (8,12–17 Cohn). Allerdings sieht Philo in Himmel und Erde Gen 1,1 nicht die sichtbaren Größen, sondern deren intelligible Vorbilder. ¹⁴⁶ Basilius, hex. 1,7 (13,15–18; 14,8–11): Πάντως δὲ καὶ εἴ τι τούτων μέσον, συναπεγενήθη τοῖς πέρασιν. Ὥστε κἂν μηδὲν εἴπῃ περὶ τῶν στοιχείων, πυρὸς καὶ ὕδατος καὶ ἀέρος, ἀλλὰ σὺ τῇ παρ’ ἑαυτοῦ συνέσει νόει, πρῶτον μὲν ὅτι πάντα ἐν πᾶσι μέμικται, καὶ ἐν γῇ εὑρήσεις καὶ ὕδωρ καὶ ἀέρα καὶ πῦρ, … ὁ τῶν πλεῖστον διεστώτων κατὰ τὴν φύσιν ἐπιμνησθείς, καὶ τὰ τὴν μέσην τούτοις ἐκπληροῦντα χώραν συνεκδοχικῶς παρεσήμανεν. Ὥστε μὴ ζήτει τὴν τῶν καθ’ ἕκαστον ἐπεξήγησιν, ἀλλὰ τὰ σιωπηθέντα νόει διὰ τῶν δηλωθέντων. ¹⁴⁷ Ähnlich wie Basilius Seneca, nat. 3,10,4 (Z. 247–254; 121 Hine). Herausgeber und Kommentatoren der Hexaemeronhomilien weisen an dieser Stelle gerne auf die stoische Lehre von der κρᾶσις δι’ ὅλου (z. B. E. A  M / S. Y. R, GCS Basilius, ad loc.; M. N 1990, 315; K. G 1914, 76). Von der unter diesem Begriff zusammengefaßten stoischen Großtheorie, welche den Stoikern die theoretische Voraussetzung für die Annahme eines alldurchdringenden Pneumas bietet (anschaulich dargestellt bei A. A. L / D. N. S 2000, 345–350), finden sich aber bei Basilius keine weitergehenden Spuren. Ich sehe in hex. 1,7 (13,17) und in der verwandten Aussage 3,4 (45,8 f.) vor dem Hintergrund von 4,5 (64,20–66,2) allenfalls eine Nähe zu Anaxagoras (KRS 481; 482), vor allem aber zu Platon, Ti. 31b–32c und Auslegungen dieser Passage. Siehe z. B. die Auslegung des Numenius, frg. 51 (Des Places): Νουμήνιος μὲν οὖν πάντα μεμῖχθαι οἰόμενος οὐδὲν οἴεται εἶναι ἁπλοῦν. sowie die Auslegung Plotins in Enn. II 1 (40) 6,17–21 (I 152 Henry / Schwyzer). Daß im Hinter-

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us führt anschauliche Beispiele dafür an, daß sich in Erde auch Feuer, Wasser und Luft befinden.¹⁴⁸ Die Mischung der Elemente faßt Basilius als eine grundlegende Eigenschaft der Elemente auf.¹⁴⁹ In seiner Auslegung von Gen 1,10 skizziert Basilius seine Elementenlehre ausführlicher.¹⁵⁰ In enger Anlehnung an Aristoteles, GC 2,4 weist er den Elementen Eigenschaftspaare zu, die die Voraussetzungen für die Verbindung und gegenseitige Vermischung der Elemente darstellen. Über die gleichen Eigenschaften sind die benachbarten Glieder des Elementenkreises miteinander verbunden. Gegensätzliche Elemente (Wasser-Feuer; Erde-Luft) werden durch die dazwischenliegenden Elemente miteinander versöhnt. Basilius knüpft in seiner Auslegung geschickte Verbindungen zwischen der aristotelischen Elementenlehre und Gen 1,1.10, um aus dem biblischen Schöpfungsbericht eine naturphilosophische Elementenlehre zu entwickeln und auf diese Weise eine ›Lücke‹ des biblischen Textes zu schließen. b) Wesen und Natur von Himmel und Erde. Zu der Untersuchung der Schöpfungswerke gehört nach Basilius auch, das Wesen (οὐσία) und die Natur (φύσις) der einzelnen geschaffenen Dinge zu untersuchen.¹⁵¹ Im Rahmen seiner Predigt stellt er diese Frage allerdings zurück, da sie mit ausführlichen und komplexen Erörterungen verbunden ist und seiner Ansicht nach nicht zur Erbauung der Gemeinde dient. Er will sich daher auf knappe, an der Bibel orientierte Bemerkungen beschränken.¹⁵² Den Himmel Gen 1,1 unterscheidet Basilius vom Firmament Gen 1,6.¹⁵³ Er sieht in ihm die obere äußerste Grenze des Alls angegeben, die nach biblischen Informationen aus feinem, sehr dünnem Stoff besteht und die Gestalt eines Gewölbes besitzt. Basilius bezeichnet ihn gelegentlich auch als Äther, ohne damit den aristotelischen fünften Körper zu meinen.¹⁵⁴ Die Beschränkung auf grund die Lehre von der gegenseitigen Umwandlung der Elemente steht, legt auch die Ausführung des Gregor von Nyssa, hex. 53 (68,23–31 Forbes) nahe. Siehe dazu Kapitel B III 3.2.2.b mit Anm. 433. ¹⁴⁸ Basilius, hex. 1,7 (13,18–14,4). Funken aus Steinen (die der Erde zugerechnet werden); Feuerfunken aus Eisen, das aus der Erde gewonnen wird; Wasser aus Erde, wie die Erfolge der Brunnengräber zeigen; Verdunstung der Luft aus der Erde. Zur Herkunft dieser Beispiele siehe die Anmerkungen von E. A  M / S. Y. R, GCS Basilius, ad loc.; für die Erwähnung der Brunnengräber außerdem Aristoteles, Mete. 1,13 (350a); für die Erzeugung von Feuer aus Steinen F. X. R 1999, 154 Anm. 132. ¹⁴⁹ Vgl. mit hex. 3,4 (45,8 f.). ¹⁵⁰ Basilius, hex. 4,5 (64,20–66,2). ¹⁵¹ Basilius spricht in hex. 1,8–11 von der Untersuchung der οὐσία (14,12 f.19; 15,4.8) bzw. der φύσις (14,20; 18,13) von Himmel und Erde. ¹⁵² Siehe Basilius, hex. 1,8 (14,12–18). ¹⁵³ Siehe hex. 3,3 (41,7–43,7). ¹⁵⁴ In hex. 1,8 (14,19–15,2) zieht Basilius Jes 51,6 und 40,22 heran, um sich zur Substanz und zur gewölbten Gestalt des Himmels zu äußern. Zum Himmel als Äther siehe hex. 2,7

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die biblischen Angaben zur Natur des Himmels ergibt sich für Basilius daraus, daß keine der naturphilosophischen Hypothesen mit den biblischen Aussagen in Verbindung gebracht werden können. Er widerlegt sie daher, indem er zeigt, daß sich die Ansichten der paganen Naturphilosophen widersprechen.¹⁵⁵ Zu diesem Zweck skizziert er die Ansicht der Platoniker, die den Himmel aus allen vier Elementen zusammengesetzt sein lassen, und stellt ihr die Kritik des Aristoteles gegenüber, die zur Annahme eines fünften Körpers führt, der nicht zu den vier einfachen Elementarkörpern gehört. Diese aristotelische Hypothese sieht Basilius wiederum der Kritik durch die Stoiker ausgesetzt, die sie durch ihre eigene Position ersetzen.¹⁵⁶ Basilius präsentiert die philosophischen Parteien anonym und gibt den doxographischen Abriß, ohne seinerseits in die Diskussion um die Natur des Himmels einzusteigen und die biblische Position mit der naturphilosophischen Kritik ins Gespräch zu bringen. Durch den Aufweis des Widerspruches diskreditiert Basilius in skeptizistischer Manier die naturphilosophischen Positionen und enthebt sich auf diese Weise der Notwendigkeit, in eine tiefere Auseinandersetzung mit ihnen einzutreten. Anders als in der Skepsis dient diese Argumentation aber nicht dazu, die methodische Abwesenheit eines eigenen Standpunktes zu legitimieren, sondern sie zielt darauf, die biblischen Aussagen über die Natur des Himmels als einzige Möglichkeit einer gesicherten Annahme zu etablieren. Die Zurückhaltung gegenüber einer komplexen fachphilosophischen Diskussion bestimmt mit einem eigenen Akzent auch die Ausführungen zum Wesen der Erde: Auf die gleiche Weise wollen wir uns auch bezüglich der Erde raten, nicht lang und breit ihr Wesen (οὐσία) zu erforschen, welcher Art es wohl ist, noch Gedanken zu verschwenden, indem wir das zugrunde liegende Substrat selbst suchen, noch irgendeine Natur zu suchen, die von Qualitäten entblößt und an sich betrachtet unbestimmt ist. Wir wollen uns aber raten, wohl zu wissen, daß alle Eigenschaften, die an ihr betrachtet werden, eingestellt sind in den rationalen Begriff ihres Seins (εἰς τὸν τοῦ εἶναι λόγον), insofern sie ihr Wesen ausmachen (συμπληρωτικὰ τῆς οὐσίας). Bei Nichts wirst du nämlich zu guter Letzt ankommen, indem du versuchst, in Gedanken eine jede einzelne (32,8). Die aristotelische Annahme des Äthers als speziellen Stoff der Himmelskörper lehnt Basilius in hex. 1,11 (18,12–19,24) ab. ¹⁵⁵ Basilius, hex. 1,11 (18,12–19,24). ¹⁵⁶ Basilius präsentiert die Positionen anonym. Vielleicht verwendet er eine nacharistotelische, Aristoteles-kritische Doxographie, ohne daß sich Näheres über sie sagen ließe. Zum Referat der Platoniker (hex. 1,11 [18,14–16]; vgl. Platon, Ti. 31b) und zur aristotelischen Position (18,17–19,2) siehe die Belege bei Aristoteles und Theophrast bei E. A  M / S. Y. R, GCS Basilius, ad loc. sowie K. G 1914, 55 f. Hinter der dritten Gruppe, die die aristotelische Position kritisiert (19,17–20.21–23), verbergen sich Stoiker. Siehe dazu die Belege bei G, a. a. O., 55 sowie den Scholiasten zu hex. 1,11 (19,21–23) (201,20–24 Pasquali; dazu G. P 1910, 206–208), der eine Kritik des aristotelischen fünften Körpers neben den Stoikern außerdem auch Porphyrius zuschreibt (P, a. a. O., 216).

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der Eigenschaften wegzunehmen, die ihr inhärieren. Wenn du nämlich das Schwarze entfernst, das Kalte, das Schwere, das Dichte, die Eigenschaften, die der Erde auf den Geschmackssinn bezogen inhärieren, oder wenn irgendwelche anderen Eigenschaften an ihr beobachtet werden, so wird das zugrunde Liegende Nichts sein.¹⁵⁷

Dieser Abschnitt ist einer der zentralen Texte in der Diskussion um das sogenannte kappadozische Materiekonzept, das die Existenz eines zugrunde liegenden Substrats negiert.¹⁵⁸ Der Kontext innerhalb der ersten Predigt, in der Basilius seine Zurückhaltung gegenüber der Frage περὶ τῆς οὐσίας / τῆς φύσεως ἑκάστου τῶν ὄντων, ἢ τῶν κατὰ θεωρίαν ὑποπιπτόντων ἡμῖν, ἢ τῶν προκειμένων ἡμῶν τῇ αἰσθήσει bekundet, warnt allerdings davor, hex. 1,8 (15,3–12) als systematische Grundaussage des Basilius zur Materie zu verstehen. Derartige Ausführungen wären eher in der zweiten Homilie zu erwarten, in der Basilius in Auslegung von Gen 1,2a über die Materie spricht. Im Rahmen der Auslegung von ›Himmel‹ und ›Erde‹ Gen 1,1 geht es Basilius vor allem darum, die spekulative Frage nach dem Wesen bzw. der Natur der Erde zu begrenzen. Zugleich weist er den Weg, wie man zu einer angemessenen Aussage über das Wesen der Erde gelangen kann. Dabei bedient er sich des Instrumentariums der zeitgenössischen Dialektik. Fast alle bisherigen Interpretationen gehen aufgrund von Z. 4–6 davon aus, daß Basilius οὐσία im gesamten Abschnitt durchgehend als eigenschaftsloses und unbestimmtes Substrat betrachtet und dessen Existenz in Frage stellt. Basilius weist diese Identifikation von οὐσία jedoch zurück, insofern es darum geht, das spezifische Wesen der Erde Gen 1,1 zu bestimmen. Basilius begründet diese Zurückweisung, indem er in Erinnerung ruft, auf welche Weise nach allgemeiner platonischer Überzeugung eine Vorstellung von οὐσία im Sinne eines unbestimmten Substrats gewonnen wird. Er skizziert die Methode der ἀφαίρεσις, bei der in Gedanken sukzessive alle Bestimmungen weggenommen werden. Das Ergebnis dieser Substraktion ist ein Nichts, das nicht im positiven Sinne erkannt, sondern nur durch ein uneigentliches, ›bastardartiges‹ Denken ¹⁵⁷ Basilius, hex. 1,8 (15,3–12): Τὰ αὐτὰ δὲ ταῦτα καὶ περὶ γῆς συμβουλεύωμεν ἑαυτοῖς, μὴ πολυπραγμονεῖν αὐτῆς τὴν οὐσίαν ἥτις ποτέ ἐστι, μηδὲ κατατρίβεσθαι τοῖς λογισμοῖς αὐτὸ τὸ ὑποκείμενον ἐκζητοῦντας, μηδὲ ζητεῖν τινα φύσιν ἔρημον ποιοτήτων, ἄποιον ὑπάρχουσαν τῷ ἑαυτῆς λόγῳ, ἀλλ’ εὖ εἰδέναι ὅτι πάντα τὰ περὶ αὐτὴν θεωρούμενα εἰς τὸν τοῦ εἶναι κατατέτακται λόγον, συμπληρωτικὰ τῆς οὐσίας ὑπάρχοντα. Εἰς οὐδὲν γὰρ καταλήξεις, ἑκάστην τῶν ἐνυπαρχουσῶν αὐτῇ ποιοτήτων ὑπεξαιρεῖσθαι τῷ λόγῳ πειρώμενος. Ἐὰν γὰρ ἀποστήσῃς τὸ μέλαν, τὸ ψυχρόν, τὸ βαρύ, τὸ πυκνόν, τὰς κατὰ γεῦσιν ἐνυπαρχούσας αὐτῇ ποιότητας ἢ εἴ τινες ἄλλαι περὶ αὐτὴν θεωροῦνται, οὐδὲν ἔσται τὸ ὑποκείμενον. Zu diesem oft diskutierten Text werden z. T. sehr unterschiedliche Übersetzungen vorgelegt. Siehe A. S, BKV Basilius 2, 19 f.; S. G, SC 26, 121–123; M. N 1990, 27–29; D. G. R 1998, 405 f.; J. Z 2006. ¹⁵⁸ Siehe A. H. A 1962, 427–429; R. S 1983, 290–294; D. G. R 1998, 405 f. Eine andere Perspektive nimmt J. Z 2006 ein, dessen Interpretation ich im Folgenden aufgreife und weiterführe.

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wahrgenommen werden kann.¹⁵⁹ Um positiv das Wesen eines konkreten Seienden zu bestimmen, ist diese Methode ungeeignet. Die Sätze Z. 8 f.12 sind meines Erachtens nicht als Aussagen über den ontologischen Status eines materiellen Substrats zu verstehen, sondern als Aussage, daß in der Betrachtung dieses Nichts kein Aufschluß über das Wesen einer Sache gewonnen werden kann.¹⁶⁰ Anstelle dessen verknüpft Basilius οὐσία und ὁ τοῦ εἶναι λόγος.¹⁶¹ Dieser Ausdruck ist in den Aristoteleskommentaren der Fachausdruck für ›Definition‹, die die differentiae specificae eines Seienden nennt, d. h. die συμπληρωτικὰ τῆς οὐσίας, und so dessen Wesen (οὐσία) zu erkennen gibt.¹⁶² Dieser rationale Begriff eines Geschöpfes bildet nach Basilius auf unvollkommene Weise den λόγος ab, auf den hin dieses geschaffen wurde.¹⁶³ Daß Basilius diesen Zusam¹⁵⁹ Siehe Platon, Ti. 52b2, aufgenommen z. B. von Numenius, frg. 52 (Z. 121–127 Des Places); von Alkinoos, Intr. 8 (162,31 f. Hermann / Whittaker); von Calcidius, in Ti. 274 (279,6 f. Waszink); vgl. 303 (305,11–15); Plotin, Enn. II 4 (12), 8–10 (I 190–193 Henry / Schwyzer). Zur Wahrnehmung der unbestimmten Materie als Nichts i. S. völliger Unbestimmtheit siehe Plotin, Enn. II 4 (12) 10,17–31 (I 192 f. H. / S.) und die Analyse von K. C 1996, 48– 57. ¹⁶⁰ An einen ähnlichen Punkt gelangt auch Gregor von Nyssa in seiner Argumentation hom. opif. 23 (PG 44, 212d–213b). Er ruft die Methode der Abstraktion der Qualitäten von der Materie in Erinnerung und stellt fest … πᾶσαν γὰρ εὑρήσομεν ἐκ ποιοτήτων τινῶν συνεστῶσαν τὴν ὕλην, ὧν εἰ γυμνωθείη καθ’ ἑαυτήν, οὐδαμοῦ τῷ λόγῳ καταληφθήσεται (212d). Erst in einem zweiten Schritt – und darin geht er über Basilius hinaus – zieht er aus diesem gedanklichen Vorgang eine ontologische Schlußfolgerung (213a): ἀκόλουθον ἂν εἴη, ὧν τὴν ἀπουσίαν τῆς τοῦ σώματος λύσεως αἰτίαν εὕρομεν, τούτων τὴν συνδρομὴν ἀποτίκτειν τὴν ὑλικὴν φύσιν ὑπολαμβάνειν. ¹⁶¹ J. Z 2006 hat meines Wissens als erster darauf aufmerksam gemacht, daß Basilius in hex. 1,8 in zweifacher Bedeutung von οὐσία spricht, die erste Bedeutung als wenig hilfreich zurückweist und die zweite Bedeutung seinen Hörern empfiehlt. ¹⁶² Gegen z. B. R. H 1972, 481, der ὁ τοῦ εἶναι λόγος bei Basilius übersetzt als ›Begriff des Seins‹, der verstanden werden soll als ›Substanz‹, das erste zugrunde liegende Sein der Einzeldinge entsprechend der stoischen Auffassung; kritisiert bereits von G. D. R 1998, 404. Unscharf ist aber auch R selbst, der dem Begriff in hex. 1,8 eine kosmologische Spezialbedeutung beilegt, »ordered structure of created things« (1998, 406). J. Z 2006 weist für die technische Bedeutung der Formulierung ὁ τοῦ εἶναι λόγος bei den Aristoteles-Kommentatoren auf Porphyrius, in Cat. 95,22–33 (Busse); für weitere Belege siehe . 2000, 71–75. Συμπληροῦν τὴν οὐσίαν und συμπληρωτικὸς τῆς οὐσίας sind ebenfalls termini technici der Logik, die peripatetische und platonische Kommentatoren des Aristoteles gleichermaßen nutzen. Porphyrius definiert sie als ἅτινα ἀπογινόμενα φθείρει τὰ ὑποκείμενα und so als gleichbedeutend mit οὐσιῶδη und bezieht sie normalerweise auf die differentiae (siehe z. B. Porphyrius, in Cat. 95,22–24). So A. C. L 1955/56, 69. Der Kontext dieser Formulierungen der Kommentatoren ist nicht die Metaphysik, sondern die Logik / Dialektik. Siehe . 1990, 85–95: »Independently of metaphysical commitment, they spoke of existence or substance produced in this way at each level of abstraction: generic, specific, individual« (a. a. O., 86). ¹⁶³ In Basilius, hex. 2,2 (25,1–3) heißt es, daß Gott die Elemente gestaltete, wie er wollte, und ins Sein führte, wie es der λόγος eines jeden der seienden Dinge forderte (… εἰς οὐσίαν ἤγαγεν, ὡς ὁ ἑκάστου λόγος τῶν γινομένων ἀπῄτει [25,2 f.]).

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menhang in hex. 1,8 vor Augen hat, liegt nahe, weil er den Ausdruck ὁ τοῦ εἶναι λόγος in der Verbindung mit den συμπληρωτικὰ τῆς οὐσίας verwendet und in dieser Form auf die Erde bezieht. Basilius spricht davon, daß die betrachtbaren Eigenschaften der Erde eingestellt sind (κατατέτακται) in den rationalen Begriff des Seins. Unter dem implizierten Autor dieses Passivs ist wahrscheinlich der menschliche Verstand zu verstehen, der die Eigenschaften der Erde einerseits gedanklich trennen und so für sich wahrnehmen kann, sie aber andererseits auch gedanklich zusammenfügen kann, um so den rationalen Begriff des Seins der Erde zu bilden. Das Wesen und die Natur der Erde erschließt sich nach Basilius nicht in der Betrachtung ihres Substrats, sondern in der Betrachtung der spezifischen Eigenschaften, die das Wesen der Erde ausmachen und daher in den rationalen Begriff eingehen, den sich der Verstand von der Erde macht. Oder kurz gesagt: Das Wesen (οὐσία) der Erde, auf die sich eine Definition bezieht, ist die Gesamtheit der an ihr zu beobachtenden wesentlichen Eigenschaften. Man kann keine der spezifischen Eigenschaften von der Erde wegnehmen, die Basilius in Z. 10–12 anführt, ohne zugleich auch Teile ihres Wesens wegzunehmen, so daß letztlich nichts von der οὐσία der Erde erfaßt wird.¹⁶⁴ Basilius bedient sich hier des neuplatonischen Verfahrens, auf Individuen als Bündel ihrer spezifischen Eigenschaften zu verweisen.¹⁶⁵ Die Eigenschaften, die er in Z. 10–12 auflistet, zeigen dabei fast nebenbei an, daß er unter Erde Gen 1,1 das Element Erde versteht. Basilius setzt den angedeuteten Weg, das Wesen der Erde Gen 1,1 zu bestimmen, in der weiteren Auslegung des Schöpfungsberichtes fort, indem er ermittelt, welche Eigenschaften nach Auskunft des biblischen Schöpfungsberichtes das Wesen der Erde ausmachen. Spezifische Eigenschaften der Erde sieht er bezeichnenderweise nicht in Gen 1,2, sondern in Gen 1,10 ausgesagt. Er versteht unter Erde auch hier eines der vier Elemente. Denn Gen 1,10 spricht vom Sichtbarwerden des Trockenen, das dann Erde genannt wird, weil das Trockene die eigentümliche Eigenschaft (ἰδίωμα) und gleichsam das Charakteristikum der Natur des zugrunde Liegenden ist (χαρακτηριστικὸν τῆς φύσεως τοῦ ὑποκειμένου), die Erde aber eine bloße Bezeichnung der Sache ist. Wie nämlich das Vernünftige das Eigentümliche des Menschen ist, das Wort Mensch dagegen Bezeichnung des Lebewesens ist, dem das Eigentümliche zukommt, so ist auch das Trockene das Eigentümliche (ἴδιον) und Besondere der Erde. Wem nun das Trockene eigentümlich

¹⁶⁴ Ich ziehe zur Interpretation von Basilius, hex. 1,8 (15,7–12) die Aussage des Porphyrius heran, daß spezifische Eigenschaften wie Teile der οὐσία sind. So sind die Kälte bzw. die Wärme spezifische Eigenschaften und jeweils gleichsam ein Teil der οὐσία des Schnees bzw. des Feuers. Siehe Porphyrius bei Simplicius, in Cat. 48,1–33 (Kalbfleisch) = Porphyrius, frg. 55F (44–46 Smith). ¹⁶⁵ Siehe A. C. L 1990, 94; . 1955/56, 155–159; aufgenommen von R. S 1983, 292; . 1988, 44–52.

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zukommt, das wird Erde genannt, wie das, dem es eigentümlich ist zu wiehern, Pferd genannt wird.¹⁶⁶

Das Trockene ist die eigentümliche, d. h. wesentliche Eigenschaft des zugrunde Liegenden, das Erde genannt wird.¹⁶⁷ Basilius spielt darauf an, daß nach der aristotelischen Elementenlehre das Trockene in besonderer Weise eine Eigenschaft der Erde darstellt.¹⁶⁸ In diesem Zusammenhang meint Basilius mit ὑποκείμενον kein unbestimmtes und eigenschaftsloses erstes Substrat, sondern das, was in den Kategorienkommentaren auch als zweites ὑποκείμενον besprochen wird, ein konkretes individuelles oder auch Gattungssubjekt von Eigenschaften.¹⁶⁹ Basilius führt zur Illustration die Beispiele Mensch und Pferd an, deren Naturen jeweils durch spezifische Eigenschaften charakterisiert sind. Obwohl Basilius es in der Einleitung zu hex. 1,8 und zu Beginn des Abschnittes zum Wesen der Erde ausdrücklich ablehnt, tiefer in die Diskussion um Natur und Wesen von Himmel bzw. Erde einzudringen, äußert er sich in hex. 1,8 (15,3–12) erstaunlich grundsätzlich darüber, auf welche Weise das Wesen des Elements Erde bestimmt werden kann. Dabei knüpft er eine Verbindung zwischen der Auslegung der Erde in Gen 1,1 und der Auslegung des Trockenen bzw. der Erde in Gen 1,10. Basilius richtet das Interesse an dem Wesen der Erde Gen 1,1, über das in der Auslegungsgeschichte von Gen 1,1 f. viel spekuliert wurde, darauf aus, die Erde Gen 1,1 als eines der vier Elemente zu bestimmen. Auf diese Weise bereitet er seine Auslegung von Gen 1,2 vor, in der er die Deutung der Erde Gen 1,1 f. als unsichtbares und unbereitetes Materiesubstrat ablehnt.

2.2. Die Abwehr dualistischer Deutungen in der Auslegung von Gen 1,2 2.2.1. Die Interpretation der Erde nach Gen 1,2 a) Die Deutung der Attribute der Erde Gen 1,2 im Zusammenhang von Gen 1,1.9. Basilius’ Interpretation von Gen 1,2a zeichnet sich dadurch aus, daß er

¹⁶⁶ Basilius, hex. 4,5 (64,24–65,5): Ὅτι ἡ μὲν ξηρὰ τὸ ἰδίωμά ἐστι, τὸ οἱονεὶ χαρακτηριστικὸν τῆς φύσεως τοῦ ὑποκειμένου· ἡ δὲ γῆ προσηγορία τίς ἐστι ψιλὴ τοῦ πράγματος. Ὡς γὰρ τὸ λογικὸν ἴδιόν ἐστι τοῦ ἀνθρώπου, ἡ δὲ ἄνθρωπος φωνὴ σημαντική ἐστι τοῦ ζῷου ᾧ ὑπάρχει τὸ ἴδιον· οὕτω καὶ τὸ ξηρὸν ἴδιόν ἐστι τῆς γῆς καὶ ἐξαίρετον. Ὧι τοίνυν ἰδίως ὑπάρχει τὸ ξηρόν, τοῦτο ἐπικέκληται γῆ· ὥσπερ ᾧ ἰδίως πρόσεστι τὸ χρεμετιστικόν, τοῦτο ἐπικέκληται ἵππος. ¹⁶⁷ Nach Porphyrius, Intr. 4 (12,17–22 Busse) ist τὸ ἴδιον ein wesentliches Merkmal einer Sache im Unterschied zu dem, was κατὰ συμβεβηκόν ist. ¹⁶⁸ In hex. 4,5 (65,6–10) nennt Basilius dann auch die ἰδιώματα der anderen Elemente. Vgl. Aristoteles, GC 2,3 (331a3–6). ¹⁶⁹ Siehe z. B. Porphyrius bei Simplicius, in Cat. 48,6–11 (Kalbfleisch) = Porphyrius, frg. 55F (Z. 15–21; 45 Smith): διττόν … ἐστίν τὸ ὑποκείμενον, οὐ μόνον κατὰ τοὺς ἀπὸ τῆς

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die Attribute von ›Erde‹ Gen 1,2a im Kontext von Gen 1,1.9.11.24 auslegt. Vor dem Hintergrund von Gen 1,1 stellt sich die Frage, wie die Erde unvollkommen und unfertig sein kann, nachdem sie gemeinsam mit dem Himmel geschaffen wurde.¹⁷⁰ In seiner Antwort, die in der Tradition der Auslegung des Theophilus von Antiochien steht, erklärt Basilius die Unvollkommenheit der Erde als Fehlen jeglicher Vegetation, die erst mit dem göttlichen Befehl Gen 1,16 die Erde schmückt und so vollendet.¹⁷¹ Ohne daß der Schöpfungsbericht eigens davon spricht, ist auch der Himmel von Gen 1,1 als unvollendet anzunehmen, da die Gestirne, die seinen Schmuck ausmachen, noch nicht entstanden sind.¹⁷² Die Bezeichnung der Erde als unsichtbar birgt vor allem für die naturphilosophisch gebildeten Hörer des Basilius Schwierigkeiten, wie man aus hex. 4,2 erfährt. Vor dem Hintergrund der antiken Farb- und Sehtheorie ist für sie unverständlich, wie die Erde als ein Körper unsichtbar sein kann, da doch jeder Körper von Natur aus seine Farbe hat und jede Farbe für das Auge sichtbar ist.¹⁷³ Basilius eröffnet einen Ausweg, indem er wie bereits Origenes unterscheidet zwischen den intelligiblen Dingen, die von Natur aus dem fleischlichen Auge unsichtbar sind, und den Dingen, die lediglich in Bezug auf den Betrachter unsichtbar sind, d. h. die zwar ihrer Natur nach sichtbar sind, aber durch einen davorgelagerten Körper verborgen werden.¹⁷⁴ Die Erde Gen 1,2 gehört zu den unsichtbaren Dingen der zweiten Kategorie, insofern sie von dem Wasser, das sich noch nicht in seine Sammelstätten zurückgezogen hat (vgl. Gen 1,9), bedeckt ist.¹⁷⁵ Unsichtbar kann die Erde außerdem genannt werden, insofern sie in der Finsternis liegt, da das Licht noch nicht entstanden Στοᾶς, ἀλλὰ καὶ κατὰ τοὺς πρεσβυτέρους· ἥ τε γὰρ ἄποιος ὕλη, ἣν δυνάμει καλεῖ ὁ Ἀριστοτέλης, πρῶτόν ἐστιν τοῦ ὑποκειμένου σημαινόμενον, καὶ δεύτερον, ὃ κοινῶς ποιὸν ἢ ἰδίως ὑφίσταται· ὑποκείμενον γὰρ καὶ ὁ χαλκός ἐστιν καὶ ὁ Σωκράτης τοῖς ἐπιγιγνομένοις ἢ κατηγορουμένοις κατ’ αὐτῶν. ¹⁷⁰ Basilius, hex. 2,1 (22,1–4). ¹⁷¹ Basilius, hex. 2,1 (22,4–9). Vgl. Theophilus von Antiochien, Autol. 2,13 (Z. 38–43; 60 Marcovich); ähnlich auch jüdische Auslegungen (siehe M. A 1988, 78). ¹⁷² Basilius, hex. 2,1 (22,10–14). ¹⁷³ Siehe Basilius, hex. 4,2 (58,20–23): Πόσα μοι πράγματα παρεῖχες ἐν τοῖς κατόπιν λόγοις, ἀπαιτῶν τὴν αἰτίαν πῶς ἀόρατος ἡ γῆ, παντὶ σώματι φυσικῶς χρώματος συμπαρόντος, παντὸς δὲ χρώματος αἰσθητοῦ τῇ ὁράσει καθεστηκότος; ¹⁷⁴ Basilius, hex. 2,1 (22,19–23,1): Ἀόρατον οὖν τί ἐστι; Τὸ μὲν ὃ μὴ πέφυκεν ὀφθαλμοῖς σαρκὸς καθορᾶσθαι, ὡς ὁ νοῦς ὁ ἡμέτερος· τὸ δὲ ὃ τῇ φύσει ὁρατὸν ὑπάρχον, διὰ τὴν ἐπιπρόσθησιν τοῦ ἐπικειμένου αὐτῷ σώματος ἀποκρύπτεται, ὡς ὁ ἐν τῷ βυθῷ σίδηρος. Vgl. 4,2 (58,23–59,1): Καὶ τάχα σοι οὐκ ἐδόκει αὐτάρκως ἔχειν τὰ εἰρημένα, ὅτι πρὸς ἡμᾶς τὸ ἀόρατον, οὐ πρὸς τὴν φύσιν εἴρητο διὰ τὴν τοῦ ὕδατος ἐπιπρόσθησιν, … Vgl. mit einer ähnlichen Unterscheidung Origenes, princ. 2,3,6 (124,19–25 Koetschau). ¹⁷⁵ Für weitere Belege dieser Deutung bei z. B. Didymus von Alexandrien, Acacius von Caesarea und späteren Autoren wie Theodoret von Cyrus, Prokop von Gaza siehe C. S 1996a, 186 Anm. 148 f.

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ist, und somit die Luft, die die Erde umgibt, unerleuchtet ist,¹⁷⁶ bzw. insofern der Mensch, der sie betrachtet, noch nicht entstanden ist.¹⁷⁷ Basilius entwickelt vor allem die erste Erklärung weiter. Daß die Erde gänzlich mit Wasser bedeckt ist, ist zugleich die Ursache ihres unvollendeten Zustandes. Denn solange die Erde schlammig und mit dem Wasser vermischt ist, sind einerseits ihre spezifischen Eigenschaften wie zum Beispiel das Trokkene an ihr noch nicht ausgeprägt und kann sie andererseits ihre zeugende und hervorbringende Kraft noch nicht besitzen bzw. betätigen. Basilius sagt daher in der Auslegung von Gen 1,9 über die Erde von Gen 1,2, daß sie sich in einem Zustand befinde, in dem sie ihre eigentümliche Gestalt (μορφή) und Kraft (δύναμις) noch nicht gewonnen hat. Gestalt und Kraft erhält die Erde nach Basilius erst in Gen 1,9.11.24 durch das göttliche Befehlswort, das das Wasser von ihr trennt und ihr die Pflanzen und Tiere hervorbringende Kraft einlegt.¹⁷⁸ b) Die Ablehnung einer Deutung der Erde Gen 1,2 als Materie und die Polemik gegen die Annahme einer ungeschaffenen Materie. Basilius interpretiert die Attribute der Erde Gen 1,2a als Beschreibungen des Zustandes der Erde nach ihrer Erschaffung im Anfang (Gen 1,1) und vor ihrer Ausrüstung und Vollendung durch die Trennung vom Wasser und der Entstehung der Pflanzen und Landtiere (Gen 1,11.24). Ausdrücklich lehnt er es ab, die Erde als Materie zu interpretieren, die von Natur aus unsichtbar und unbereitet in dem Sinne ist, daß sie ihrem eigenen Wesen nach keine Eigenschaften besitzt.¹⁷⁹ Diejenigen, die wegen der Nähe zu philosophischen Beschreibungen der Materie die Erde Gen 1,1 f. als ungewordenes Materieprinzip auffassen,¹⁸⁰ betrachtet Basilius als ¹⁷⁶ Basilius, hex. 2,1 (23,2–5). Diese Begründung setzt eine bestimmte Auffassung von der Beteiligung der Luft am Sehvorgang voraus. In der hellenistisch-jüdischen Genesisauslegung wird die Unsichtbarkeit der Erde auf sehr ähnliche Weise erklärt. Siehe dazu M. A 1988, 78. ¹⁷⁷ Basilius, hex. 2,1 (22,15 f.). ¹⁷⁸ Basilius, hex. 4,5 (64,4–6) zu Gen 1,9: Οὐκ εἶπε· Καὶ ὀφθήτω ἡ γῆ, ἵνα μὴ πάλιν αὐτὴν ἀκατάσκευον ἐπιδείξῃ, πηλώδη οὖσαν, καὶ ἀναμεμιγμένην τῷ ὕδατι, οὔπω τὴν οἰκείαν ἀπολαβοῦσαν μορφὴν οὐδὲ δύναμιν. Vgl. 2,3 (26,10–14.16–19): Ἐκ δὲ τούτου οὐ μόνον »ἀόρατος ἦν ἡ γῆ« ἀλλὰ »καὶ ἀκατασκεύαστος«. Ἡ γὰρ τοῦ ὑγροῦ πλεονεξία ἔτι καὶ νῦν ἐμπόδιός ἐστι πρὸς καρπογονίαν τῇ γῇ. Ἡ οὖν αὐτὴ αἰτία καὶ τοῦ μὴ ὁρᾶσθαι καὶ τοῦ ἀκατασκεύαστον εἶναι, εἴπερ κατασκευὴ γῆς ὁ οἰκεῖος αὐτῇ καὶ κατὰ φύσιν κόσμος· … Ὧν οὐδὲν εἶχεν οὐδέπω· ὠδίνουσα μὲν τὴν πάντων γένεσιν διὰ τὴν ἐναποτεθεῖσαν αὐτῇ παρὰ τοῦ δημιουργοῦ δύναμιν, ἀναμένουσα δὲ τοὺς καθήκοντας χρόνους, ἵνα τῷ θείῳ κελεύσματι προαγάγῃ ἑαυτῆς εἰς φανερὸν τὰ κυήματα. ¹⁷⁹ Basilius, hex. 2,2 (23,6–12). ¹⁸⁰ Basilius, hex. 2,2 (23,9–12): Αὕτη γάρ, φησί, καὶ ἀόρατος τῇ φύσει καὶ ἀκατασκεύαστος, ἄποιος οὖσα τῷ ἑαυτῆς λόγῳ, καὶ παντὸς εἴδους καὶ σχήματος κεχωρισμένη, ἣν παραλαβὼν ὁ τεχνίτης τῇ ἑαυτοῦ σοφίᾳ ἐμόρφωσε καὶ εἰς τάξιν ἤγαγε καὶ οὕτω δι’ αὐτῆς οὐσίωσε τὰ ὁρώμενα. Basilius spielt deutlich auf platonische Materiebeschreibungen an. Vgl. mit Platon, Ti. 30a; 51ab sowie den Belegen, die S. R. C. L 1971, 193 Anm. 1–4 zusammengetra-

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Fälscher der Wahrheit und der Bibel.¹⁸¹ In mehreren Schritten wendet er sich gegen die Annahme, daß die Materie ungeworden und ewig sei und entwickelt dabei klassische Argumente der christlichen Polemik.¹⁸² In hex. 2,2 (23,13–24) legt er dar, daß die Behauptung einer ungewordenen Materie zu gottlosen Annahmen führt. In hex. 2,2 f. (24,1–25,12) erörtert er den Unterschied zwischen menschlichen Handwerkern und dem göttlichen Schöpfer. In hex. 2,3 (25,12–17) stellt er heraus, daß die Annahme zweier unabhängiger Prinzipien die Entstehung des Kosmos unmöglich macht. Basilius greift in seiner Argumentation gegen die Annahme einer ungewordenen Materie Bestimmungen auf, die zeitgenössische Platoniker der Materie beilegen.¹⁸³ Der Vorwurf, ein ungewordenes Materieprinzip anzunehmen, trifft diese Platoniker aber kaum, da sie selbst mit teils sehr ähnlichen Argumenten gegen die Annahme einer ungewordenen Materie vorgehen.¹⁸⁴ Basilius hat wohl Gruppen wie die Anhänger Markions und die Manichäer im Auge, gegen deren dualistische Bibelinterpretation er sich auch in hex. 2,4 wendet.¹⁸⁵ Seine Argumentation spielt jedoch in keiner Weise auf Einzelheiten gnostischer, markionitischer oder manichäischer Materiekonzeptionen an. Sie betrachtet die Häretiker als Verfechter einer Materie nach Ti. 30a und argumentiert daher in den Bahnen der christlichen Polemik gegen das Konzept einer ungeschaffenen Materie strikt philosophisch. Damit richtet sie sich implizit gegen philosophische Dualisten wie die älteren Platoniker, die eine Zwei-PrinzipienLehre vertraten, oder aber auch Christen wie Hermogenes.¹⁸⁶ Basilius erklärt, daß die Annahme eines ungewordenen Materieprinzips der Materie die gleiche Ehre wie Gott beilegt. Auf gottlose Weise stellt sie dadurch die Materie, die in jeder Hinsicht an der untersten Grenze der ontologischen gen hat. Calcidius, in Ti. 280 (284,13 f. Waszink) erklärt, daß Pythagoras, Platon, Aristoteles und die Stoiker sich in ihren Meinungen über die Materie stark unterscheiden, sie aber gleichwohl einmütig als ungeformt und ohne Eigenschaften auffassen. Zu der Tradition, die Erde von Gen 1,2a als Materie zu interpretieren, siehe die Ausführungen zu Origenes’ naturphilosophischer Interpretation von Gen 1,1 f. in Kapitel B I 4.1.2.b. ¹⁸¹ In hex. 2,2 (23,6–8) heißen sie … οἱ παραχαράκται τῆς ἀληθείας, οἱ οὐχὶ τῇ γραφῇ τὸν ἑαυτῶν νοῦν ἀκολουθεῖν ἐκδιδάσκοντες, ἀλλὰ πρὸς τὸ οἰκεῖον βούλημα τὴν διάνοιαν τῶν γραφῶν διαστρέφοντες, … ¹⁸² Eine knappe Übersicht der Argumente griechischer und lateinischer Autoren bis Ambrosius bietet J. P 1964, 52–57. ¹⁸³ Siehe Anm. 187. ¹⁸⁴ Siehe das Beispiel des Porphyrius, dargestellt in Kapitel A V 3.1. ¹⁸⁵ Sie könnten unter den παραχαράκται τῆς ἀληθείας (23,6) gemeint sein. Siehe S. G, SC 26, 143. In hex. 2,4 wendet sich Basilius gegen den Dualismus der Manichäer, Valentinianer und Markioniten. ¹⁸⁶ Im Vergleich zu Basilius geht z. B. der ägyptische Neuplatoniker Alexander von Lycopolis in seiner Widerlegung der manichäischen Lehre, in der er auch das Materiekonzept der Manichäer kritisiert, sehr viel stärker auf die Einzelheiten der manichäischen Prinzipienlehre ein. Siehe Alexander von Lycopolis, Man. 6–9 (9,17–16,8 Brinkmann). An zwei Stellen finden sich bei ihm Argumente, die denen des Basilius nahekommen (siehe Anm. 191 und 203).

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Skala angesiedelt ist, dem weisen, vermögenden und gänzlich schönen Demiurgen und Schöpfer aller Dinge gleich. Basilius greift platonische Bezeichnungen der Materie auf, die die Niedrigkeit der Materie und ihren Gegensatz zum höchsten Prinzip besonders deutlich werden lassen: Sie ist unbestimmt und ohne Gestalt, weil sie aller Formen beraubt ist; sie ist die äußerste Formlosigkeit und ungeformte Häßlichkeit.¹⁸⁷ Diese Argumentation gegen die Annahme einer ungewordenen Materie, die der Struktur nach bereits bei Theophilus von Antiochien begegnet,¹⁸⁸ ist der Polemik gegen die Anfangslosigkeit und Ewigkeit des Kosmos verwandt, die Basilius in hex. 1,3 vorträgt.¹⁸⁹ Unter der Voraussetzung, daß die Materie ein zweites ungewordenes Prinzip ist, folgen aus dem Zusammenwirken von Materie und Schöpfergott weitere gottlose Annahmen. Wenn die Materie in der Lage ist, das gesamte schöpferische Denken Gottes aufzunehmen, setzen die Verfechter einer ungewordenen Materie sie in gewisser Weise in Parallele zu der unergründlichen Macht Gottes, insofern sie dann ausreicht, dem schöpferischen Bewußtsein Gottes insgesamt von sich aus ein Maß zu setzen. Wenn die Materie geringer ist als die Wirkmacht Gottes, so entsteht eine noch gottlosere Annahme, insofern Gott dann aufgrund des Mangels an Materie unfähig ist, seine eigenen Werke zu verrichten.¹⁹⁰ In dem ersten Fall wird die Materie der unbegrenzten Macht Gottes ebenbürtig gedacht, im zweiten Fall wird Gott in seiner Schöpfertätigkeit von der Materie abhängig gemacht. Ähnliche polemische Schluß¹⁸⁷ Basilius, hex. 2,2 (23,13–17): Εἰ μὲν οὖν ἀγένητος αὕτη [sc. ἡ ὕλη C. K.], πρῶτον μὲν ὁμότιμος τῷ θεῷ, τῶν αὐτῶν πρεσβείων ἀξιουμένη. Οὗ τί ἂν γένοιτο ἀσεβέστερον, τὴν ἄποιον, τὴν ἀνείδεον, τὴν ἐσχάτην ἀμορφίαν, τὸ ἀδιατύπωτον αἶσχος (τοῖς γὰρ αὐτῶν ἐκείνων προσρήμασι κέχρημαι) τῆς αὐτῆς προεδρίας ἀξιοῦσθαι τῷ σοφῷ καὶ δυνατῷ καὶ παγκάλῳ δημιουργῷ καὶ κτίστῃ τῶν ὅλων; Die Bezeichnungen der Materie sind geschickt angeordnet, so daß sie zu den Attributen des Demiurgen / Schöpfers im Gegensatz stehen. In hex. 2,3 (25,16 f.) legt Basilius das gleiche Materiekonzept zugrunde und legt der Materie ἀμορφίαν und τοῦ εἴδους στέρησιν bei. Die Charakterisierungen der Materie sind Allgemeingut bzw. haben Parallelen bei den Neuplatonikern, die die Materie aber in ontologischer Abhängigkeit vom höchsten Prinzip sehen. Für die Häßlichkeit der Materie aufgrund der völligen Abwesenheit der Form siehe z. B. Plotin, Enn. I 8 (51) 5,23 f. (I 127 Henry / Schwyzer): αἶσχος δὲ ὕλην οὐ κρατηθεῖσαν εἴδει, ähnlich 9,11–14 (I 133 H. / S.); diskutiert in III 6 (26) 11,24–29; Häßlichkeit an Anderem (Körpern oder Seele; vgl. I 6 [1] 2,13–19 [I 106 f. H. / S.]; V 7 [18] 2,15 f. [II 372 H. / S.]) geht auf die Materie zurück. Sie ist das ἀόριστον αἰσχρόν III 5 (50) 1,22 f. (I 320 H. / S.). Dem entspricht die Bezeichnung der Materie als ἀμορφία in Enn. I 8 (51) 8,22; 9,15–18 (I 132.133 H. / S.); vgl. II 4 (12) 10,23.27 (I 192 f. H. / S.). Zur Materie als Privation siehe Enn. II 4 (12) 16,3 f. (I 200 H. / S.) und dazu K. C 1996, 92–97. Für ähnliche Aussagen zur Materie bei Porphyrius siehe Simplicius, in Ph. I 230,34–231,24 (Diels) = Porphyrius, frg. 236F (255–257 Smith) und dazu W. T 1933/34, 14–20. ¹⁸⁸ Siehe Theophilus von Antiochien, Autol. 2,4 (Z. 1–13; 42 Marcovich); vgl. Tatian, or. 5,7 (Z. 23–26; 14 Marcovich). ¹⁸⁹ Basilius, hex. 1,3 (6,18–7,2). ¹⁹⁰ Basilius, hex. 2,2 (23,18–24).

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folgerungen leitete bereits Origenes aus der Annahme einer ungewordenen Materie ab.¹⁹¹ Nach der apologetischen Tradition, die bereits bei Theophilus von Antiochien begegnet und in der auch Origenes steht,¹⁹² führt Basilius die Annahme einer ungewordenen Materie auf den Fehler zurück, Gottes Schöpfertätigkeit in Analogie zu menschlicher Handwerkstätigkeit zu sehen. Die menschlichen Handwerke sind alle auf eine vorausgehende Materie angewiesen, wie das Schmiedehandwerk auf das Eisen, das Schreinerhandwerk auf das Holz. Bei ihnen wird außerdem nach Aristoteles unterschieden zwischen dem zugrunde liegenden, von außen kommenden Stoff, der von der Kunstfertigkeit des Handwerkers ausgehenden, gestaltenden Form sowie dem Werk, das aus Form und Materie zusammengesetzt ist.¹⁹³ Nach diesem Modell konzipieren die Verfechter einer ungewordenen Materie auch das Schöpfungshandeln Gottes: So meinen sie auch bezogen auf die göttliche Schöpfertätigkeit, daß die Gestalt des Kosmos von der Weisheit des Schöpfers des Alls her beigebracht sei, die Materie aber von außen her dem Schöpfer unterbreitet worden sei, und der Kosmos zusammengesetzt entstanden sei, wobei er das zugrunde liegende Substrat und das Sein anderswoher habe, die Gestalt und die Form aber von Gott her empfangen habe.¹⁹⁴

Basilius unterstellt seinen Gegnern zu leugnen, daß Gott die beherrschende Ursache der Entstehung des Kosmos darstellt. Indem sie die Materie von außen hinzukommen lassen, machen sie Gott zu einer untergeordneten Ursache, die nur einen kleinen Teil zu Entstehung der Dinge beisteuert.¹⁹⁵ Diese Schlußfolgerung des Basilius erklärt sich zum einen aus der christlichen Pole¹⁹¹ Siehe Origenes, princ. 2,1,4 (110,7–111,12 Koetschau), vgl. ders., comm. in Gen. frg. bei Eusebius Caes., p. e. 7,20,6 f. (403,2–7 Mras). Gewisse Berührungen zu diesem Argument finden sich bei Alexander von Lycopolis, Man. 6 (9,17–10,4 Brinkmann). Aus der Annahme zweier unabhängiger Prinzipien Gott und Materie folgt, daß die Materie in gewisser Weise auch aktiv gedacht werden muß, da sie sich selbst hervorgebracht hat, und Gott in analoger Weise auch passiv gedacht werden muß, insofern er dem Mangel bzw. Widerstand der Materie ausgesetzt ist und dadurch beschränkt ist. Diese Schlußfolgerung ist nach Alexander äußerst illegitim, weil Gott bezogen auf seine Werke als völlig unabhängig von der Materie zu denken ist. Siehe dazu den Kommentar von A. V 1985, 208; eine andere, allerdings weniger überzeugende Interpretation des knappen Abschnittes bieten P.   H / J. M 1974, 18. ¹⁹² Siehe Theophilus von Antiochien, Autol. 2,4 (Z. 17–26; 42 Marcovich); Origenes, comm. in Gen. frg. bei Eusebius Caes., p. e. 7,20 (402,7–12; 403,13–15 Mras). ¹⁹³ Siehe Aristoteles, Metaph. 6,7 (1032ab). Daß ein ποιητής seinen Stoff von jemandem anderen her (παρ’ ἄλλου) erhält, betont auch Porphyrius in seiner Auslegung von Ti. 28c bei Proclus, in Ti. I 300,1–6 (Diehl) = Porphyrius, frg. 40 (26 Sodano). Siehe dazu W. T 1933/34, 15. ¹⁹⁴ Basilius, hex. 2,2 (24,7–12): Οὕτως οἴονται καὶ ἐπὶ τῆς θείας δημιουργίας, τὸ μὲν σχῆμα τοῦ κόσμου παρὰ τῆς σοφίας ἐπῆχθαι τοῦ ποιητοῦ τῶν ὅλων, τὴν δὲ ὕλην ἔξωθεν ὑποβεβλῆσθαι τῷ κτίσαντι, καὶ γεγενῆσθαι τὸν κόσμον σύνθετον, τὸ μὲν ὑποκείμενον καὶ τὴν οὐσίαν ἑτέρωθεν ἔχοντα, τὸ δὲ σχῆμα καὶ τὴν μορφὴν παρὰ θεοῦ προσλαβόντα. ¹⁹⁵ Basilius, hex. 2,2 (24,12–15).

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mik, nach der die Annahme einer ungewordenen Materie letztlich Gott als Ursache überflüssig macht.¹⁹⁶ Sie wird andererseits aus der Einschätzung verständlich, die zeitgenössische Platoniker über das Modell der Entstehung κατὰ τέχνην vertreten. Ihnen zufolge schafft Kunstfertigkeit nur die Form, nicht aber das Sein der Dinge. Sie lehnen daher das handwerkliche Modell zur Erklärung des Kosmos mit der polemischen Begründung ab, daß nach ihm Gott nur die Beschaffenheit des Kosmos (τὸ δὲ τοιόνδε εἶναι), aber nicht seine Existenz (τὸ εἶναι) schaffen würde.¹⁹⁷ Basilius dagegen hält am Modell der Entstehung κατὰ τέχνην fest, interpretiert es aber auf charakteristische Weise: Gott aber hat, bevor etwas von den jetzt sichtbaren Dingen entstand, als es ihm in den Sinn kam und er danach strebte, das Nichtseiende ins Werden zu führen, im gleichen Moment erwogen, wie wohl der Kosmos beschaffen sein sollte, und zusammen mit der Form auch die ihr entsprechende Materie geschaffen. … »Gott schuf Himmel und Erde.« Nicht jedes zur Hälfte, sondern den ganzen Himmel und die ganze Erde, die [materielle] Substanz selbst zusammen mit der Form. Denn er ist kein Erfinder der Form, sondern der Schöpfer der Natur der seienden Dinge selbst.¹⁹⁸

Basilius hebt das deliberative Moment der Schöpfertätigkeit Gottes vor der Entstehung der sichtbaren Dinge hervor und legt damit Gott die Form schöpferischer Vorsehung bei, die Platoniker wie beispielsweise Plotin ablehnen.¹⁹⁹ Obwohl Basilius davon ausgeht, daß Gott im Moment des Willensentschlusses zugleich schafft und vollendet, fächert er hier einzelne Momente der göttlichen Planung auf, um zu zeigen, daß sich die göttliche Vorsehung nicht nur auf die Form, sondern zugleich auch auf die Materie der zu schaffenden Dinge bezieht. Anders als bei den menschlichen Handwerkern geht bei Gott die Kunstfertigkeit der Materie voraus und schließt ihre Herstellung ein.²⁰⁰ Auf diese Weise ist Gott Urheber der Natur der geschaffenen Dinge insgesamt, die Form und Materie umfaßt. Ähnlich legte bereits Origenes dar, daß sich Gottes Macht auch auf die Erschaffung der Materie richtet und dadurch vom Vermö¹⁹⁶ Siehe z. B. Theophilus von Antiochien, Autol. 2,4 (Z. 11–13; 42 Marcovich); Origenes, comm. in Gen. frg. bei Eusebius Caes., p. e. 7,20,7 (403,7–9 Mras) und dazu Kapitel B I 4.3.2. ¹⁹⁷ Siehe z. B. Sallust, dis 13 (18,17–19 Rochefort): Εἰ μὲν οὖν τέχνῃ τὸν Κόσμον ποιοῦσι Θεοί, οὐ τὸ εἶναι τὸ δὲ τοιόνδε εἶναι ποιοῦσι· πᾶσα γὰρ τέχνη τὸ εἶδος ποιεῖ· Πόθεν οὖν τὸ εἶναι τῷ Κόσμῳ; ¹⁹⁸ Basilius, hex. 2,2 f. (24,23–26; 25,9–12): Θεὸς δέ, πρίν τι τῶν νῦν ὁρωμένων γενέσθαι, εἰς νοῦν βαλόμενος καὶ ὁρμήσας εἰς γένεσιν ἀγαγεῖν τὰ μὴ ὄντα, ὁμοῦ τε ἐνόησεν ὁποῖόν τινα χρὴ τὸν κόσμον εἶναι, καὶ τῷ εἴδει αὐτοῦ τὴν ἁρμόζουσαν ὕλην συναπεγέννησεν. … »Ἐποίησεν ὁ θεὸς οὐρανὸν καὶ γῆν«· οὐκ ἐξ ἡμισείας ἑκάτερον ἀλλ’ ὅλον οὐρανὸν καὶ ὅλην γῆν, αὐτὴν τὴν οὐσίαν τῷ εἴδει συνειλημμένην. Οὐχὶ γὰρ σχημάτων εὑρετὴς ἀλλ’ αὐτῆς τῆς φύσεως τῶν ὄντων δημιουργός. [Einfügung in der Übersetzung von mir]. ¹⁹⁹ Siehe z. B. Plotin, Enn. III 2 (47) 1,15–26 (I 267 f. Henry / Schwyzer). ²⁰⁰ Basilius stellt in hex. 2,2 (24,15–25,8) fest, daß die Verfechter einer ungewordenen Materie nicht in der Lage sind, den Gipfel der Wahrheit (τὸ ὕψος τῆς ἀληθείας), nämlich die Unterscheidung von menschlicher und göttlicher Schöpfertätigkeit, zu erkennen (24,16.23): … ἐνταῦθα μὲν αἱ τέχναι τῶν ὕλων ὕστεραι … Θεὸς δὲ …

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gen der menschlichen Handwerker abhebt.²⁰¹ Basilius knüpft daran an, hat aber in der Unterscheidung von Form und Materie deutlich die neuplatonische Kritik des Modells der handwerklichen Hervorbringung vor Augen. Daß Gott notwendig Urheber der Form und Materie sein muß, versucht Basilius abschließend zu demonstrieren, indem er aufzeigt, daß die Annahme zweier unabhängiger Prinzipien die Entstehung des Kosmos aus Form und Materie unmöglich macht. Denn wenn sich Gottes Wirkkraft und die empfängliche Natur der Materie gleichermaßen ungeworden gegenüberstehen, ist unerklärlich, wie gestaltende Form und aufnehmende Materie zueinander finden können. Denn beide Prinzipien bedürfen einander, können sich aber nicht aufeinander beziehen, insofern sich Gottes Kenntnis der Gestalt ohne Materie und die Materie, die jeglicher Form und Gestalt beraubt ist, unvermittelt gegenüberstehen.²⁰² Mit einem ähnlichen Argument wendet sich bereits Dionysius von Alexandrien gegen die Annahme einer ungewordenen Materie, wenn er fragt, wie ungewordene Materie und Gott, die gänzlich gegensätzlich sind, sich zueinanderfügen und vereinigen können.²⁰³ Basilius beläßt es dabei, diese aporetische Frage zu stellen und damit die Polemik gegen die Annahme einer ungewordenen Materie abzuschließen. In der Frage, wie die gegensätzlichen Prinzipien Gott und Materie zusammenwirken und den Kosmos bilden können, klingt aber ein philosophisches Problem an, auf das diejenigen Platoniker, die eine Zwei-Prinzipien-Lehre vertraten, ausgehend vom platonischen Timaeus Antworten fanden. Sie lehrten, daß die Materie vom göttlichen Demiurgen bzw. Intellekt dominiert wird und danach strebt, gestaltet und geformt zu werden. Die unbestimmte Materie besitzt bereits eine gewisse Tauglichkeit, die sie für die Einwirkung des Intellekts und die Aufnahme der Formen geeignet macht.²⁰⁴ Christliche und neuplatonische ²⁰¹ Siehe Origenes, comm. in Gen. frg. bei Eusebius Caes., p. e. 7,20,1 (402,7–16 Mras). ²⁰² Basilius, hex. 2,3 (25,12–17): Ἐπεὶ ἀποκρινάσθωσαν ἡμῖν πῶς ἀλλήλοις συνέτυχον ἥ τε

δραστικὴ τοῦ θεοῦ δύναμις καὶ ἡ παθητικὴ φύσις τῆς ὕλης· ἡ μὲν τὸ ὑποκείμενον παρεχομένη χωρὶς μορφῆς, ὁ δὲ τῶν σχημάτων τὴν ἐπιστήμην ἔχων ἄνευ τῆς ὕλης, ἵν’ ἑκατέρῳ τὸ ἐνδέον παρὰ θατέρου γένηται· τῷ μὲν δημιουργῷ τὸ ἔχειν ὅπου τὴν τέχνην ἐνεπιδείξηται, τῇ δὲ ὕλῃ τὸ ἀποθέσθαι τὴν ἀμορφίαν καὶ τοῦ εἴδους τὴν στέρησιν. Die Bezeichnung δραστικὴ δύναμις/ παθητικὴ φύσις greift Charakterisierungen für Gott bzw. das Materieprinzip auf, die im kaiserzeitlichen Platonismus geläufig waren. Siehe Philo, Opif. 2,8 f. (2,16–3,8 Cohn); Calcidius, in Ti. 269 (274,10–14 Waszink); 307 (308,9–12). ²⁰³ Eusebius von Caesarea überliefert in p. e. 7,19,1–8 (401,6–402,5 Mras) einen Ausschnitt aus Dionysius Alex., Adversus Sabellium, in dem dieser in mehreren Schritten gegen die Annahme einer ungewordenen Materie argumentiert. Dabei unterscheidet er ὁ μὲν θεὸς ἀπαθής, ἄτρεπτος, ἀκίνητος, ἐργαστικός, ἡ δὲ τὰ ἐναντία παθητή, τρεπτή, ἄστατος, μεταποιουμένη. (401,19 f.) und fragt, καὶ πῶς ἥρμοσαν καὶ συνέδραμον; (401,20 f.). Eine entfernte Berührung zu diesem Argument findet sich bei Alexander von Lycopolis, Man. 8 (13,3–9 Brinkmann), der es aber anders als Basilius oder Dionysius ausführt. Für einen ähnlichen Gedankengang siehe bereits die Kritik des Irenaeus an den Valentinianern in haer. 2,1,2 f. (Z. 10–59; 26–29 Rousseau / Doutreleau). ²⁰⁴ Siehe zusammenfassend Kapitel A V 3.1.

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Kritiker freilich geben sich damit nicht zufrieden und sehen in der wie auch immer gedachten Tauglichkeit der Materie einen weiteren Beweis dafür, daß die Materie nicht ungeworden ist.²⁰⁵ Zu der philosophischen Argumentation des Basilius gegen die Annahme einer ungewordenen Materie finden sich einige bemerkenswerte Parallelen bei Porphyrius im Abschnitt seines Timaeuskommentars zu Ti. 30a, die von den Herausgebern und Kommentatoren der basilianischen Hexaemeronpredigten bislang nicht beachtet wurden.²⁰⁶ Porphyrius kritisiert hier die Lehre des Atticus, der neben Gott und den Ideen eine ungewordene Materie als Prinzip annimmt. Zwischen den Argumentationen des Basilius und des Porphyrius bestehen aber keine sprachlichen Berührungen. Die Argumentation des Basilius steht außerdem in allen ihren Teilen auf dem Boden der christlichen Polemik, deren Ursprünge bis zu den frühen christlichen Apologeten und teilweise sogar bis Philo von Alexandrien zurückreichen. Eine Abhängigkeit des Basilius von Porphyrius scheint mir daher äußerst unwahrscheinlich, auch wenn Basilius seine Ausführungen mit einer deutlichen Anspielung auf Ti. 30a, dem locus classicus für einen platonischen Dualismus, beginnt. Zu erwägen ist freilich, ob Porphyrius die christliche Tradition der Polemik gegen die Annahme einer ungewordenen Materie kannte. Aus der erhaltenen Argumentation im Timaeuskommentar des Proclus allein läßt sich dies aber nicht beweisen.²⁰⁷ 2.2.2. Die Interpretation von ›Abgrund‹ und ›Finsternis‹ in Gen 1,2 a) Die Deutung von ›Abgrund‹ und ›Finsternis‹ im Zusammenhang von Gen 1,2. Basilius versteht »und Finsternis lag über dem Abgrund« (Gen 1,2b) im Zusammenhang des gesamten Verses Gen 1,2 als Begründung für die Unsichtbarkeit und Gestaltlosigkeit der Erde nach Gen 1,2a. Gen 1,2b beschreibt das Phänomen, daß die Wassermassen, die über der Erde lagern, von unbeleuchteter Luft umgeben sind. Aus diesem Grund kann die Erde durch das an sich durchsichtige, aber nun verdunkelte Wasser nicht gesehen werden.²⁰⁸ ²⁰⁵ Siehe die Argumentation Philos bei Eusebius Caes., p. e. 7,21 (403,20–404,18 Mras) = Philo, Prov. 2,50–51 (278–280 Hadas-Lebel); des Origenes, comm. in Gen. frg. bei Eusebius Caes., p. e. 7,20,4 f. (402,20–403,2 Mras); vgl. auch Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 392,9–13 (Diehl) = Porphyrius, frg. 51 (35,13–16 Sodano). ²⁰⁶ Zu diesem Text siehe Kapitel A V 3.1. ²⁰⁷ Siehe Kapitel A V 3.1. ²⁰⁸ Das natürliche Verständnis (26,22: ὡς πέφυκεν) von σκότος ἐπάνω τῆς ἀβύσσου besteht nach Basilius darin, die Finsternis aufzufassen als … ἀέρα τινα ἀφώτιστον, ἢ τόπον ἐξ ἀντιφράξεως σώματος σκιαζόμενον, ἢ ὅλως καθ’ ὁποιανοῦν αἰτίαν τόπον φωτὸς ἐστερημένον, … (hex. 2,4 [26,23 f.]). Der Sinn von Gen 1,2b ist nach Basilius einfach und leicht zu erfassen. Er stellt ihn dar, indem er von Gen 1,2a ausgeht und sein Verständnis von Gen 1,2b gegenüber möglichen Einwänden entwickelt (hex. 2,4 [27,11–21]): »ἀόρατος ἦν ἡ γῆ«, φησίν. Τίς ἡ αἰτία; Ἐπειδὴ ἄβυσσον εἶχεν ἐπιπολάζουσαν ἑαυτῇ. Ἀβύσσου δὲ ἔννοια τίς;

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Basilius’ Verständnis von ›Abgrund‹ orientiert sich am biblischen Sprachgebrauch, wonach an verschiedenen Stellen ἄβυσσος für große Wassermengen steht.²⁰⁹ Bereits Theophilus von Antiochien faßte ἄβυσσος Gen 1,2 in diesem Sinne auf.²¹⁰ Den Aspekt der ›Bodenlosigkeit‹ bzw. ›Unbegrenztheit‹, der nach allgemeinem Sprachgebrauch einer mit dem Ausdruck ἄ-βυσσος bezeichneten Sache zukommt, und den einige Bibelausleger zum Anlaß nahmen, unter ›Abgrund‹ (Gen 1,2) die ›Idee der Leere‹ (Philo) oder eine unbegrenzte materielle Substanz (Clemens von Alexandrien) zu verstehen,²¹¹ greift Basilius auf. Er deutet diesen Aspekt jedoch nicht als substantielle Eigenschaft, sondern als Ausdruck der großen Menge von Wasser, die für einen (menschlichen) Betrachter nicht zu ergründen ist.²¹² ›Finsternis‹ (Gen 1,2) erklärt Basilius naturphilosophisch als einen Zustand der Luft. Sie ist keine selbständig existierende Substanz, sondern die Abwesenheit bzw. der Mangel (στέρησις) von Licht.²¹³ Sie entsteht, indem der Raum der Luft durch den Himmel beschattet wird. Basilius faßt dabei den Himmel Gen 1,1 als zusammenhängenden Körper auf, der alles, was innerhalb seines Umkreises liegt, von dem darüberliegenden Licht trennt.²¹⁴ Dieses vor- und außerkosmische Licht ist das Licht der himmlischen, intelligiblen Welt, das Licht der Engel und der Glückseligen, das von der Finsternis des Unglaubens und der Verdammnis geschieden ist.²¹⁵ Die Beschattung des innerkosmischen Raumes durch den Himmel vergleicht Basilius in Anknüpfung an Jes 40,22 mit dem Schatten, der in der Mittagssonne innerhalb eines aufgespannten Zeltes

Ὕδωρ πολὺ δυσέφικτον ἔχον ἑαυτοῦ τὸ πέρας ἐπὶ τὸ κάτω. Ἀλλ’ ἔγνωμεν πολλὰ τῶν σωμάτων καὶ δι’ ὕδατος λεπτοτέρου καὶ διαυγοῦς πολλάκις διαφαινόμενα. Πῶς οὖν οὐδὲν μέρος τῆς γῆς διὰ τῶν ὑδάτων ἐδείκνυτο; Ὅτι ἀλαμπὴς ἔτι καὶ ἐσκοτισμένος ἦν ὁ ὑπὲρ αὐτοῦ κεχυμένος ἀήρ. Ἀκτὶς μὲν γὰρ ἡλίου, ὑδάτων διϊκνουμένη, δείκνυσι πολλάκις τὰς ἐν τῷ βάθει ψηφῖδας· ἐν νυκτὶ δέ τις βαθείᾳ οὐδενὶ ἂν τρόπῳ τὰ ὑπὸ τὸ ὕδωρ κατίδοι. Ὥστε τοῦ ἀόρατον εἶναι τὴν γῆν κατασκευαστικόν ἐστι τὸ ἐπαγόμενον ὅτι καὶ ἄβυσσος ἦν ἡ ἐπέχουσα, καὶ αὕτη ἐσκοτισμένη. ²⁰⁹ M. A 1988, 81 verweist z. B. auf Gen 7,11; Dtn 8,7; 33,13. Basilius setzt den Abgrund Gen 1,2 auch in hex. 3,5 (46,5 f.) mit den Wassermassen auf der Erde gleich. ²¹⁰ Theophilus von Antiochien, Autol. 2,13 (Z. 12 f.; 59 Marcovich). Für weitere Belege z. B. in der Katenenüberlieferung, bei Didymus von Alexandrien und späteren Autoren wie Gregor von Nyssa, Johannes Chrysostomus, Theodoret von Cyrus, Prokop von Gaza siehe C. S 1996a, 187 Anm. 152. ²¹¹ Zur Konnotation der Unbegrenztheit / ›Bodenlosigkeit‹ im Begriff ἄ-βυσσος siehe M. A 1988, 81. Die Autorin weist auch auf die Auslegungen von Philo (Opif. 7,29– 9,32 [9,4–10,8 Cohn) und Clemens Alex. (ecl. 2,1 [137,15–21 Stählin]) hin (a. a. O., 82). ²¹² Siehe hex. 2,4 (27,13 f.). ²¹³ Siehe hex. 2,5 (29,22 f.): … τὸ σκότος μὴ κατ’ οὐσίαν ὑφεστηκέναι, ἀλλὰ πάθος εἶναι περὶ τὸν ἀέρα στερήσει φωτὸς ἐπιγινόμενον. Auf dieser Linie später auch Augustinus, Gn. adv. Man. 1,4,7 (73 f. Weber); c. ep. Man. 30,33 (230,20–24 Zycha). ²¹⁴ Siehe hex. 2,5 (30,11–16). ²¹⁵ Siehe hex. 2,4 (29,25–10); vgl. 6,2 (91,6–9).

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entsteht.²¹⁶ Auf diese Weise will er veranschaulichen, daß die Finsternis nicht selbständig und primär (προηγουμένως) existiert, sondern eine sekundäre Folgeerscheinung (vgl. ἐπακολουθῆσαν) der Erschaffung des Himmels darstellt.²¹⁷ Indem Basilius die innerkosmische Finsternis Gen 1,2 als Abwesenheit des überkosmischen, intelligiblen Lichtes erklärt, verwischt er allerdings in seinem Bemühen, ›Finsternis‹ (Gen 1,2) als ein natürliches Phänomen zu erklären, die Unterscheidung zwischen der intelligiblen vorkosmischen bzw. überkosmischen Natur und der Natur des körperlichen und sichtbaren Kosmos. Gregor von Nyssa vermeidet diese Unschärfe des Basilius, indem er in seiner Auslegung von Gen 1,2b Finsternis als Verdunkelung des innerkosmischen Lichtes erklärt.²¹⁸ b) Die Ablehnung einer Deutung von ›Finsternis‹ und ›Abgrund‹ als Gott widerstreitende, böse Macht. Mit seiner naturphilosophischen Erklärung von Gen 1,2 wendet sich Basilius gegen eine allegorisch-dualistische Interpretation des Verses, welche die Finsternis als ungewordene, Gott widerstreitende böse Macht auffaßt und unter dem Abgrund die Fülle widerstreitender Kräfte versteht. Der Abgrund (Gen 1,2), d. h. die Menge der Wasser, gehört nach Basilius zu den guten Geschöpfen Gottes. Ausgehend von Ps 148,7 hebt er hervor, daß auch der Abgrund Teil des Chores der Schöpfung ist, der den Lobgesang des Schöpfers singt und aus dem folglich die Güte des Schöpfers erkannt werden kann.²¹⁹ Die Erschaffung des Abgrunds, d. h. der Wasser, gehört offensichtlich für Basilius zu den Punkten der Schöpfung, die Mose stillschweigend übergeht, um den Verstand seiner Leser zu üben. Die innerkosmische Finsternis Gen 1,2 ist mittelbar ein Werk Gottes, insofern sie eine Begleiterscheinung der Erschaffung des Himmels ist. Sie erhält von Gott die Bezeichnung ›Nacht‹ und dient der Einteilung der Zeit.²²⁰ Mit dieser Auslegung von Gen 1,2 ant²¹⁶ Siehe hex. 2,5 (30,17–19). Die Mittagssonne, die keinen Schatten außerhalb des Zeltes hervorruft, weil sie senkrecht von oben einfällt, hebt Basilius im Bild hervor, um auszuschließen, daß für den Kosmos ein Schatten außerhalb der Umgrenzung des Himmels angenommen wird. Bereits Theophilus von Antiochien beruft sich auf Jes 40,22 (Autol. 2,13 [Z. 23–25; 60 Marcovich]), um die Beschattung des Wassers durch den Himmel zu erklären (Autol. 2,13 [Z. 13 f.; 59]). Weitere Belege für die naturphilosophische Erklärung der Finsternis aufgrund der Beschattung durch den Himmel bei C. S 1996a, 187 Anm. 154. Alternativ kann die Finsternis auch auf die Undurchdringlichkeit der Wolken zurückgeführt werden (Belege aus Severian von Gabala und Ephraem bei S, a. a. O., 187 Anm. 155). ²¹⁷ Siehe Basilius, hex. 2,5 (30,19–21): Τοιοῦτον οὖν κἀκεῖνο τὸ σκότος ὑπόθου, οὐ προηγουμένως ὑφεστηκὸς ἀλλ’ ἐπακολουθῆσαν ἑτέροις. ²¹⁸ Siehe Kapitel B III 2.1.2.b. ²¹⁹ Siehe Basilius, hex. 3,9 (55,1–6): »Αἰνεῖτε« γὰρ »αὐτόν«, φησί, »καὶ τὰ ἐκ τῆς γῆς, δράκοντες καὶ πᾶσαι ἄβυσσοι«. Ὥστε καὶ ἡ ἄβυσσος, ἣν εἰς τὴν χείρονα μοῖραν οἱ ἀλληγοροῦντες ἀπέρριψαν, οὐδὲ αὐτὴ ἀπόβλητος ἐκρίθη τῷ ψαλμῳδῷ, εἰς τὴν κοινὴν τῆς κτίσεως χοροστασίαν παραληφθεῖσα, ἀλλὰ καὶ αὐτὴ κατὰ τοὺς ἐνυπάρχοντας αὐτῇ λόγους ἁρμονίως συμπληροῖ τὴν ὑμνῳδίαν τῷ ποιητῇ. ²²⁰ Siehe hex. 2,8 (34,5–35,17).

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wortet Basilius implizit auch auf die Anfragen von Kritikern wie Julian, die in Gen 1 den Bericht über die Erschaffung des Abgrunds, der Finsternis und der Wasser vermissen.²²¹ Die dualistische Auslegung von Gen 1,2 sieht Basilius als Ursprung der markionitischen, valentinianischen und vor allem der manichäischen Häresie.²²² Sein knappes Referat dieser Interpretation skizziert eine manichäische Interpretation dieses Verses. Diese dualistische Interpretation trägt den Gegensatz zwischen Licht und Finsternis nach Gen 1,2 ein, der als Gegensatz zwischen Gott und dem Bösen aufgefaßt wird. Wahrscheinlich aus dem Imperfekt ἦν Gen 1,2 wird abgeleitet, daß die Finsternis keine Ursache außer sich selbst hat, d. h. wie Gott αὐτογένητος ist, und daher eine von Gott unabhängige, ihm widerstreitende substantielle Macht darstellt.²²³ Das Prinzip der Finsternis identifizieren die Manichäer häufig mit der Materie.²²⁴ Die Deutung von ἄβυσσος als Menge der widerstreitenden Kräfte wird durch eine Notiz bei Alexander von Lycopolis erhellt, nach der die Manichäer jedem der beiden gegensätzlichen Prinzipien Gott und Materie untergeordnete Kräfte zuordnen.²²⁵ Die referierte Interpretation von ἄβυσσος spielt demnach vermutlich auf die Kräfte an, die auf der Seite des Prinzips der Finsternis stehen. Die Berührungen mit Origenes’ Interpretation von Gen 1,2 in dessen Genesishomilien, auf die einige Kommentatoren hinweisen, sind demgegenüber nur sehr vage. Origenes erläutert in seiner Auslegung von Gen 1,2 im Rahmen der ersten Genesishomilie nur ›Abgrund‹ und faßt ihn als Aufenthaltsort des Teufels und seiner Engel auf.²²⁶ Damit steht er in der Tradition jüdischer Apokryphen wie 1 Henoch, wonach der Abgrund Strafort der gefallenen Engel ist,²²⁷ aber auch neutestamentlicher Stellen wie Lk 8,31; Offb 9,1; 20,3, auf die sich zum Teil Origenes explizit beruft.²²⁸ An keiner Stelle behauptet Origenes aber ²²¹ Siehe Julian, Gal. 49d (171 Neumann). Daß die Geschichtsschreibung des Mose unvollständig ist, bemängelt Julian auch an anderen Stellen, z. B. 138a. Siehe F. G C 2004, 254–256. ²²² Basilius, hex. 2,4 (27,4–9). ²²³ Siehe das Referat des Basilius zu σκότος in hex. 2,4 f. (26,24–27,3.23 f.; vgl. 28,18; 29,22); zu ἄβυσσος 2,4 (27,22 f.). Für Licht und Finsternis in der Zwei-Prinzipien-Lehre der Manichäer siehe Acta Archelai 7,1 (9,18–23 Beeson). Zur Ungeschaffenheit und Ewigkeit der Finsternis nach den Manichäern siehe z. B. Augustinus, Gn. adv. Man. 1,4,7 (73 f. Weber). ²²⁴ Siehe dazu M. S, BAug 50, 119 f. ²²⁵ Siehe z. B. die Zusammenfassung der manichäischen Lehre durch Alexander von Lycopolis, Man. 2 (4,24–5,15 Brinkmann) und 6 (9,17). Hier begegnet der Dualismus von Licht / Gott und Finsternis / Materie / das Böse, denen jeweils untergeordnete Kräfte zugeordnet sind. Alexander beklagt, daß die Manichäer nicht philosophisch argumentieren, sondern ihre Lehren als vermeintliche Schlüsse aus ihren (alten und neuen) göttlich inspirierten Schriften ziehen (5 [8,17–9,4]). ²²⁶ Siehe Origenes, hom. in Gen. 1,1 (Z. 21–26; 26 Doutreleau). ²²⁷ Für Belege siehe M. A 1988, 81. ²²⁸ Siehe Origenes, hom. in Gen. 1,1 (Z. 23–26; 26 Doutreleau: Zitat Lk 8,31).

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ein zweites, Gott gleichursprüngliches böses Prinzip. Ich denke daher nicht, daß Basilius in hex. 2,4 f. primär die origenianische Auslegung vor Augen hat, wie einige Herausgeber und Kommentatoren der Homilien annehmen.²²⁹ Lediglich der Vorwurf gegen die Allegorese kann auch gegen Origenes gerichtet werden, und die gefallenen Engel, von denen Origenes spricht, korrespondieren in gewisser Weise den Kräften der Finsternis bei den Manichäern. Basilius lehnt die dualistische Interpretation von Gen 1,2 zum einen ab, weil sie in seinen Augen die natürliche Bedeutung der Worte mißachtet und den einfachen und ungekünstelten Sinn des biblischen Satzes verfehlt. Er wirft den Verfechtern dieser Auslegung vor, nicht dem Willen der Schrift zu folgen, sondern die biblischen Worte nach eigenen Vorstellungen zu verdrehen.²³⁰ Basilius klagt damit die Dualisten an, die Kriterien ihrer Auslegung nicht der Bibel selbst zu entnehmen, sondern von außen an sie heranzutragen. Außerdem argumentiert er grundsätzlich gegen die Annahme zweier widerstreitender Prinzipien und sucht vor diesem Hintergrund eine Antwort auf die Frage nach der Herkunft des Bösen.²³¹ Nimmt man zwei ebenbürtige widerstreitende Kräfte an, so stehen das Gute und das Böse in einem ewigen Kampf, in dem beide abwechselnd siegen und besiegt werden. Überwiegt das Gute, so stellt sich die Frage, warum das Böse nicht gänzlich vernichtet ist. Umgekehrt kann aus der Behauptung zweier ungewordener widerstreitender Kräfte die gottlose Annahme folgen, daß das Böse die Übermacht hat und über das Gute siegt. Alle drei Konstellationen, die sich aus dem Dualismus zweier gegensätzlicher Prinzipien ergeben, können nach Basilius die Natur des Bösen in der Welt nicht erklären. Aus theologischen und logischen Gründen scheidet außerdem die Möglichkeit aus, Gott als Ursache des Bösen anzunehmen. Wenn man die Existenz des Bösen in der Welt ernst nimmt, das Böse aber weder als eine selbständige ungewordene Kraft neben Gott noch als von Gott her kommend denkt, bleibt nur die Möglichkeit, das Böse als einen Abfall vom Guten und somit den Menschen selbst als Urheber des Bösen zu betrachten.²³² ²²⁹ Siehe z. B. E. A  M / S. Y. R, GCS Basilius, ad loc. oder auch M. N 1990, 324. ²³⁰ In hex. 2,4 (26,20–22) wirft Basilius angesichts Gen 1,2 den allegorisch-dualistischen Auslegern vor: Πάλιν ἄλλαι μύθων ἀφορμαὶ καὶ πλασμάτων δυσσεβεστέρων ἀρχαὶ πρὸς τὰς ἰδίας ὑπονοίας παρατρεπόντων τὰ ῥήματα. Vgl. den ähnlichen Vorwurf gegen die allegorischen Ausleger von ›Erde‹ Gen 1,2 in hex. 1,2 (23,7). In hex. 2,5 (29,16–19) fordert Basilius für die Auslegung von Finsternis Gen 1,2: Πᾶσαν οὖν τροπικὴν καὶ δι’ ὑπονοίας ἐξήγησιν ἔν γε τῷ παρόντι κατασιγάσαντες, τοῦ σκότους τὴν ἔννοιαν ἁπλῶς καὶ ἀπεριεργάστως, ἑπόμενοι τῷ βουλήματι τῆς γραφῆς, ἐκδεξώμεθα. ²³¹ Basilius, hex. 2,4 (27,24–20). ²³² In hex. 2,5 (28,21–29,16) schließt Basilius eine Ermahnung an die Predigthörer an, in der er die verschiedenen Widerfahrnisse des Lebens detailliert klassifiziert und nachweist, daß die eigentlichen Übel ihre Ursachen in einem der Tugend entgegengesetzten Seelenzustand, d. h. im freiwilligen Abfall des Menschen vom Guten haben. Zum philosophischen Hinter-

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Basilius legt in seiner Auslegung von Gen 1,2 zum einen dar, daß die Annahme zweier gegensätzlicher Prinzipien dem Wortlaut und dem natürlichen Sinn des biblischen Schöpfungsberichtes widerspricht. Zum anderen bestreitet er, daß die dualistische Position in der Lage ist, die drängende Frage nach der Herkunft des Übels in der Welt auf eine theologisch und ethisch angemessene Weise zu beantworten.

2.3. Die Auslegung von Gen 1,3.14: Die Entstehung des Lichtes und der Gestirne Ausgehend von Gen 1,3 f. und 1,14 behandelt Basilius in seinen Predigten die Entstehung des Lichtes (hex. 2,7) und die Erschaffung der Gestirne (hex. 6,2 f.). Dabei erörtert er, warum der biblische Schöpfungsbericht die Entstehung des Lichtes vor den Gestirnen behandelt.²³³ Damit begegnet er u. a. jenen Kritikern, die wie der Platoniker Celsus aus der Erzählfolge Gen 1,3 f.14 die Unvernünftigkeit des Schöpfungsberichtes ableiten und damit den Geltungsanspruch der christlichen Lehre in Frage stellen.²³⁴ Basilius verteidigt die Erzählfolge Gen 1,3.14 mit dem pädagogischen Charakter des Schöpfungsberichtes. Obwohl Gott den Kosmos im Augenblick seines Willensentschlusses auf einmal schuf, berichtet Mose die einzelnen Schöpfungswerke in einer Reihenfolge, die zentrale theologische und kosmologische Aussagen verdeutlichen soll. So schildert er die Erschaffung von Sonne, Mond und Sternen (Gen 1,14) nach der Entstehung des Lichtes (Gen 1,3) und der Vegetation der Erde (Gen 1,11 f.), um Gott als alleinigen Schöpfer des Lichtes und der Pflanzen darzustellen und zu verhindern, daß die Sonne als deren Urheberin angesehen wird.²³⁵ Basilius erkennt zwar an, daß mit den Bewegungen der Gestirne meteorologische Vorgänge einhergehen, die Einfluß auf die Prozesse auf der Erde haben. Er richtet sich aber dagegen, die Gestirne als erste Ursachen zu betrachten, indem er sie lediglich als Zeichen der Veränderungen bezeichnet,²³⁶ und lehnt es ausdrücklich ab, die Sonne als göttliche Größe, Vater des Lichtes und Schöpfer der Pflanzen anzusehen.²³⁷ Auch der Rhythgrund der Ausführungen hex. 2,4 f. über die Klassifikation und die Ursache der Übel siehe die Hinweise von M. N 1990, 324–326. ²³³ In hex. 6,2 (90,15 f.) gibt Basilius die Frage wieder: Εἰ προειλήφει τοῦ φωτὸς ἡ γένεσις, πῶς νῦν ὁ ἥλιος πάλιν »εἰς φαῦσιν« λέγεται γεγονέναι; Die Frage wird auch Gregor von Nyssa zur Beantwortung vorgelegt (Gregor Nyss., hex. 5 [10,1–4 Forbes]). ²³⁴ Siehe Celsus bei Origenes, Cels. 6,60 (130,10–13 Koetschau). ²³⁵ Siehe Basilius, hex. 6,2 (90,5–7): Ἥλιος δὲ οὔπω ἦν καὶ σελήνη, ἵνα μήτε φωτὸς ἀρχηγὸν καὶ πατέρα τὸν ἥλιον ὀνομάσωσι, μήτε τῶν ἐκ τῆς γῆς φυομένων δημιουργὸν οἱ τὸν θεὸν ἀγνοήσαντες ἡγήσωνται. ²³⁶ Siehe Basilius, hex. 6,4.8 (94,6–95,21; 101,12–103,9). ²³⁷ In hex. 6,2 (90,5–7) lehnt Basilius es ab, die Sonne als ἀρχηγός, πατήρ, δημιουργός zu betrachten.

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mus von Tag und Nacht, d. h. das Maß der Zeit, sieht Basilius durch die Reihenfolge der Schöpfungsakte in Gen 1 exklusiv auf Gott zurückgeführt. Denn das Tag- und Nachtmaß der ersten Schöpfungstage kann sich nicht der Bewegung der Sonne verdanken, sondern geht allein auf Gottes Befehl zurück, der das Licht hervortreten und sich zurückziehen läßt.²³⁸ Basilius widerspricht damit implizit Platon, Ti. 38c.39b, nach dem Tag und Nacht als Maße der Zeit durch die Erschaffung der Gestirne entstanden. Mit seiner Erklärung der Chronologie von Gen 1 steht Basilius in einer Tradition, die im Schöpfungsbericht selbst gründet, im hellenistisch-jüdischen Kontext von Philo fortgeführt wurde und dann vielleicht mit der Auslegung des Theophilus von Antiochien Eingang in die christliche Erklärung des Genesisberichtes fand. Philo legt in Opif. 14,45–47 dar, daß Gott den Himmel nach der Erde ausschmückt, nicht um den Himmel der Erde nachzuordnen und auf diese Weise der niederen Natur die herausragende Stellung zuzuschreiben, sondern um seine göttliche Allmacht zu demonstrieren.²³⁹ Dadurch soll verhindert werden, daß die Menschen, die mehr auf das Wahrscheinliche und die Phänomene und weniger auf die Wahrheit und Gott schauen, die ersten Ursachen für Entstehung und Wachstum auf der Erde bei den geschaffenen Gestirnen suchen.²⁴⁰ Theophilus von Antiochien formuliert noch schärfer, daß Gott bei der Erschaffung der Gestirne am vierten Tag in seinem Vorherwissen vor allem das leere Geschwätz der Philosophen vor Augen hatte, die sagen würden, daß die Gewächse der Erde ihre Existenz den Gestirnen verdanken.²⁴¹ In Ergänzung zu der pädagogischen Erklärung legt Basilius eine naturphilosophische Interpretation der Erzählfolge Gen 1,3.14 vor. Durch den göttlichen Befehl entsteht zunächst die Natur des Lichtes (ἡ τοῦ φωτὸς φύσις). Sie verbreitet sich über die Luft, durchdringt horizontal und vertikal alle Bereiche und Glieder des Kosmos und erleuchtet so die ganze Welt. Geschickt nutzt Basilius die naturphilosophischen Charakterisierungen der Luft als eines ²³⁸ Hier liegt die Antwort des Basilius auf die Frage, die später Gregor von Nyssa vorgelegt wird, wie vor der Erschaffung der Gestirne Tage gemessen werden können, wenn doch der Umlauf der Sonne für das Maß des Tages notwendig ist (Gregor Nyss., hex. 3 [6,20–26 Forbes]). ²³⁹ Philo, Opif. 14,45 (14,8 Cohn): … ἀλλ’ εἰς ἔνδειξιν ἐναργεστάτην κράτους ἀρχῆς. Philo ist bereit, den besonderen ontologischen Status der Himmelsregion anzuerkennen und in den Gestirnen Kräfte zu sehen, die die sublunare Welt lenken, Gott allerdings untergeordnet sind und keine Autonomie besitzen. Siehe zu dem Abschnitt Opif. 14,45–47 (14,5–15,8) insgesamt die Anmerkungen von D. T. R 2001, 189 f., der für Philo außerdem auf den verwandten Text Spec. 1,13 f. hinweist. ²⁴⁰ Philo, Opif. 14,45 (14,8–17 Cohn). ²⁴¹ Siehe Theophilus von Antiochien, Autol. 2,25 (Z. 1–6; 62 Marcovich). Ähnliche Argumente finden sich dann bei den späteren Auslegern. Siehe die Belege bei M. N 1990, 353, denen noch Ambrosius, hex. 3,6,27 (76,18–77,8 Schenkl) und ähnlich 4,1,1.3 (110,6– 111,19; 112,13–25); 4,2,5 (113,16–114,10) hinzugefügt werden kann.

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durchsichtigen, überall ausgebreiteten Mediums des Lichtes, um diesen Vorgang plausibel zu machen.²⁴² Das Licht Gen 1,3 bezeichnet er als »erstgeborenes Licht (πρωτόγονον φῶς)«²⁴³, seine Entstehung als »erste Erschaffung« (πρώτη δημιουργία)²⁴⁴, die von der Entstehung der Gestirne Gen 1,14 unterschieden ist. Die Nacht, die mit der Trennung dieses erstgeschaffenen Lichtes von der Finsternis entsteht (Gen 1,4), ist daher noch nicht im Sinne naturphilosophischer Theorien zu denken als Schatten auf der Seite der Erde, die der Sonne abgewandt ist, sondern als Rückzug des Lichtes, der von Gott veranlaßt ist.²⁴⁵ Nach der Natur des Lichtes Gen 1,3, die Basilius als rein und unstofflich beschreibt, entstehen in Gen 1,14 die Gestirnskörper als Träger dieses erstgeschaffenen Lichtes. Basilius legt dabei den Ausdruck φωστῆρες wörtlich als ›Lichtträger‹ aus.²⁴⁶ Er beruft sich außerdem auf die Formulierung der Septuaginta Gen 1,14, nach der die Lichter zum Leuchten geschaffen seien. Diese ungewöhnliche Wortwahl und die schwerfällige Syntax des Verses soll nicht als stilistischer Mangel gedeutet, sondern als bewußt gewählter klarer Ausdruck verstanden werden.²⁴⁷ Basilius sieht hier einen Hinweis darauf, daß der biblische Bericht selbst zwischen dem erstgeschaffenen der Natur des Lichtes, d. h. dem Glanz (φωτισμός), und dem sekundären Leuchten (φαῦσις) der Gestirne unterscheidet.²⁴⁸ Auch die von Gen 1,3 abweichende Angabe eines Zweckes der Gestirne scheint Basilius zu dieser Differenzierung zu bewegen. Denn an anderer Stelle stellt er sehr nachdrücklich fest, daß ein Unterschied in der Zweckbestimmung auf einen Unterschied in der Natur hinweise.²⁴⁹ Die Unterscheidung zwischen erstgeschaffenem Licht und den Gestirnen als sekundären Lichtern veranschaulicht Basilius an Beispielen. Zum einen vergleicht er sie mit der Differenz zwischen dem Feuer, das das Leuchtvermögen Siehe Basilius, hex. 2,7 (32,1–12). Basilius, hex. 2,8 (34,9). Basilius, hex. 6,3 (93,20 f.). Basilius, hex. 2,7 (34,5–10). Auf die naturphilosophische Beschreibung der Nacht als beschattete Erdhalbkugel verweist Basilius auch in hex. 6,3 (93,15–18). Vgl. die von M. N 1990, 364 und E. A  M / S. Y. R, GCS Basilius, ad loc. angegebenen Texte Cicero, nat. deor. 2,19,49 (68,7–10 Plasberg / Ax); Plinius, nat. 2,10,7; Plutarch, fac. 19 (931f). ²⁴⁶ Siehe Basilius, hex. 6,2 (91,1–3): Τότε μὲν γὰρ αὐτὴ τοῦ φωτὸς ἡ φύσις παρήχθη, νῦν δὲ τὸ ἡλιακὸν τοῦτο σῶμα ὄχημα εἶναι τῷ πρωτογόνῳ ἐκείνῳ φωτὶ παρεσκεύασται. ²⁴⁷ Siehe hex. 6,2 (90,17–21): Πρῶτον μὲν οὖν τῆς λέξεως τὸ ἰδιότροπον μηδένα σοι κινείτω γέλωτα, εἴπερ μὴ ἑπόμεθα ταῖς παρ’ ὑμῖν ἐκλογαῖς τῶν ῥημάτων, μηδὲ τὸ τῆς θέσεως αὐτῶν εὔρυθμον ἐπιτηδεύομεν. Οὐ γὰρ τορευταὶ λέξεων παρ’ ἡμῖν· οὐδὲ τὸ εὔηχον τῶν φωνῶν, ἄλλα τὸ εὔσημον τῶν ὀνομάτων πανταχοῦ προτιμότερον. Zum Ausdruck εἰς φαῦσιν siehe M. N 1990, 365. ²⁴⁸ Siehe Basilius, hex. 6,2 (90,22–91,3). ²⁴⁹ So Basilius in hex. 3,3 (43,4–7) im Zusammenhang der Erklärung des Firmaments Gen 1,6 f., das er von dem Himmel Gen 1,1 unterscheidet. ²⁴² ²⁴³ ²⁴⁴ ²⁴⁵

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besitzt, und einer Lampe, die denen leuchtet, die Licht brauchen. Wie eine Lampe das Feuer trägt, so seien die Gestirne als Träger des Lichtes geschaffen, um auf der Erde zu leuchten.²⁵⁰ Zum anderen zieht Basilius die metaphorische Verwendung von Licht und Lichtern im Neuen Testament heran. So spreche Paulus von gewissen Lichtern in der Welt (Phil 2,15), die von dem wahren Licht der Welt (Joh 8,12) unterschieden werden müssen. Diese Lichter, d. h. die bekennenden Glaubenden, haben mit jenem Licht, d. h. Christus, Gemeinschaft. Sie erleuchten in der Welt die Seelen der Menschen und entreißen sie der Finsternis des Unglaubens.²⁵¹ Die naturphilosophische Erörterung des Lichtes und der metaphorisch-theologische Gebrauch des Gegensatzes von Licht und Finsternis stehen in der Erörterung des Basilius so dicht nebeneinander, daß ähnlich hex. 2,4 (29,25–10) erneut eine Vermischung beider Ebenen droht.²⁵² Das bedeutet aber gewiß nicht, daß Basilius die Sonne und die übrigen Gestirne als Mittler des intelligiblen Lichtes betrachtet.²⁵³ Basilius versucht außerdem, die Unterscheidung zwischen der erstgeschaffenen Natur des Lichtes und den Gestirnen als den sekundären Trägern des Lichtes philosophisch-analytisch und naturphilosophisch-phänomenologisch plausibel zu machen. Er weist zum einen auf die Unterscheidung von aufnehmender Substanz und zukommender Eigenschaft: Wie die Weißheit als Eigenschaft eines weißen Körpers analytisch von dem zugrunde liegenden Körper getrennt wird, so könne auch das Licht von den zugrunde liegenden Gestirnskörpern abgetrennt werden. Denn was dem Menschen nur gedanklich (τῇ ἐπινοίᾳ) möglich sei, könne Gott auch in der Realität (τῇ ἐνεργείᾳ) vollbringen.²⁵⁴ Basilius zieht zum anderen die Mondphasen als Bestätigung dafür heran, daß bei den Gestirnen die Gestirnskörper von der Leuchtkraft zu unterscheiden sind. Denn die Beobachtung des zu- oder abnehmenden Mondes zeigt, daß der Mondkörper selbst unverändert bleibt, obwohl er das Licht zyklisch ablegt und annimmt. Analog dazu sei auch der Sonnenkörper als Träger des von Gott zugemessenen Lichtes zu denken mit dem Unterschied, daß er das einmal empfangene Licht stetig behält.²⁵⁵ Beide Versuche, die Unterscheidung von Licht- und Lichtkörper plausibel zu machen, geben zu erkennen, daß es Basilius nicht auf eine sorgfältig ausgewogene Theorie des Lichtes oder der ²⁵⁰ Siehe hex. 6,2 (91,3–6). ²⁵¹ Siehe hex. 6,2 (91,6–9). Vgl. die Übertragung von Phil 2,15 auf die Gemeinde der Pre-

digthörer des Basilius in 2,8 (37,10 f.). ²⁵² Eine ähnliche Unschärfe begegnet auch in hex. 6,3 (92,6–9), wo Basilius das natürliche Vermögen des Feuers (Leuchten; Brennen) metaphorisch aufgreift und auf die eschatologischen Folgen des Endgerichts bezieht. ²⁵³ Gegen M. N 1990, 365: »mediante gli astri il mondo riceve la stessa luce che formava la gioia spirituale degli spiriti creati«. ²⁵⁴ Siehe hex. 6,3 (91,14–92,9). ²⁵⁵ Siehe hex. 6,3 (92,10–93,6).

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Gestirne ankommt, sondern daß er die durch den biblischen Schöpfungsbericht vorgegebene Unterscheidung von Licht und Gestirnen naturphilosophisch einholen will. Dabei steht die naturphilosophische Erklärung der Erzählfolge Gen 1,3.14 in gewisser Konkurrenz zur pädagogischen Begründung. Denn jene setzt im Einklang mit der theologisch-kosmologischen Grundlegung der ersten Homilie voraus, daß der augenblickliche Schöpfungsakt Gottes nur in der literarischen Darstellung in Einzelakte zerlegt ist. Die naturphilosophische Erklärung behauptet dagegen real aufeinanderfolgende Schöpfungsakte. Gregor von Nyssa greift dieses Problem in seiner Hexaemeronauslegung auf und löst es auf eigenständige Weise.

2.4. Die Interpretation der Schöpfungsbefehle in Gen 1 Unter der Maßgabe, den biblischen Schöpfungsbericht auf eine Gott angemessene Weise zu interpretieren, legt Basilius die Befehlsworte aus, die in Gen 1 die einzelnen Schöpfungsakte einleiten und auf diese Weise den biblischen Bericht strukturieren.²⁵⁶ Dabei arbeitet er erstens das Verständnis der Gottesreden heraus, legt zweitens den Zusammenhang von Befehlswort und Naturgesetz offen und lehnt drittens die Naturkonzepte ab, die der Sonne schöpferische Kräfte zuschreiben. Es versteht sich für Basilius von selbst, daß die Befehlsworte des Genesisberichtes nicht anthropomorph als reale physikalisch-phonetische Sprachvorgänge verstanden werden dürfen, bei denen unter Benutzung der Sprechorgane ein zuvor gefaßter Gedanke akustisch offenbart wird. Denn es sei töricht anzunehmen, daß Gott auf einen derartigen Umweg angewiesen sei, um sich mitzuteilen. In der Form der Gottesreden stelle die Bibel vielmehr das göttliche Wollen und die Regungen des göttlichen Schöpferwillens dar.²⁵⁷ Die Ausführungsberichte in Gen 1, die in der Regel unmittelbar auf die Befehlsworte folgen, versteht Basilius als Bekräftigung seiner theologischen Ausführungen in der ersten Homilie, daß Gottes Willensregung sich unmittelbar verwirklicht.

²⁵⁶ Siehe Gen 1,3.6.9.11.14.20.24.26. ²⁵⁷ Siehe Basilius, hex. 2,7 (33,1–5): Ὅταν δὲ φωνὴν ἐπὶ θεοῦ καὶ ῥῆμα καὶ πρόσταγμα

λέγωμεν, οὐ διὰ φωνητικῶν ὀργάνων ἐκπεμπόμενον ψόφον οὐδὲ ἀέρα διὰ γλώσσης τυπούμενον τὸν θεῖον λόγον νοοῦμεν, ἀλλὰ τὴν ἐν τῷ θελήματι ῥοπὴν διὰ τὸ τοῖς διδασκομένοις εὐσύνοπτον ἡγούμεθα ἐν εἴδει προστάγματος σχηματίζεσθαι. Für eine vergleichbare Aussage, die sehr detailliert den Weg vom Gedanken über die begriffliche Konzeption und über die Vermittlung der Sprechorgane zur gesprochenen Sprache nachzeichnet, siehe die Antwort auf die Frage πῶς ὁ θεὸς διαλέγεται; in 3,2 (39,22–40,8) mit den rhetorischen Schlußfragen (40,5–8): Καὶ πῶς οὐ μυθῶδες τῆς τοιαύτης περιόδου λέγειν τὸν θεὸν χρῄζειν πρὸς τὴν τῶν νοηθέντων δήλωσιν; Ἢ εὐσεβέστερον λέγειν ὅτι τὸ θεῖον βούλημα καὶ ἡ πρώτη ὁρμὴ τοῦ νοεροῦ κινήματος, τοῦτο λόγος ἐστὶ τοῦ θεοῦ;

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So kann er sagen, daß der Schöpfungsbefehl, d. h. die Willensregung Gottes, ein Werk ist.²⁵⁸ Für die Darstellung der göttlichen Willensregung in der Gestalt eines Befehlswortes (ἐν εἴδει προστάγματος) nennt Basilius zwei Gründe. Zum einen wähle Mose diese Form der Darstellung in pädagogischer Absicht, um seine Ausführungen über die Erschaffung der Welt für diejenigen, die unterwiesen werden, leichter faßbar zu machen.²⁵⁹ Indem er Gott redend und befehlend darstellt, weise er zum anderen auf die zweite Person der göttlichen Trinität hin und offenbart auf diese Weise etwas von dem Mysterium der göttlichen Dreifaltigkeit.²⁶⁰ Die göttlichen Befehlsworte bzw. die göttlichen Willensregungen sind nach Basilius Urheber der Naturordnung, insofern die einmal ergangenen Befehle die natürlichen Eigenschaften der Dinge und die Regeln der Naturprozesse für alle folgenden Zeiten gesetzt haben.²⁶¹ Daß das Wesen der Dinge mit den göttlichen Anordnungen identisch ist, oder zumindest im Einklang mit ihnen steht, erkennen auch Kritiker des Schöpfungsberichtes wie Kaiser Julian an.²⁶² Basilius arbeitet diesen Zusammenhang heraus, indem er ausgehend von Gen 1,9 überlegt, warum der Schöpfungsbericht die natürliche Abwärtsbewegung des Wassers auf den Befehl Gottes zurückführt. Unter der Voraussetzung, daß der göttliche Befehl nicht überflüssig sein kann in dem Sinne, daß er etwas anordnet, was auch von selbst geschehen könnte, interpretiert Basilius auch hier die Erzählfolge des Schöpfungsberichtes didaktisch: Gen 1,9 gibt zu erkennen, daß das Wasser die Kraft für seine natürliche Abwärtsbewegung durch Gott erhalten hat.²⁶³ Der göttliche Befehl ist der Anstoß (ἐνδόσιμον) für den Lauf des Wassers, von dem ausgehend das Wasser bis zum heutigen Tag angetrieben wird.²⁶⁴ An diesem Beispiel zeigt sich, daß Gott Urheber der natürli²⁵⁸ Siehe z. B. Basilius, hex. 2,7 (32,21–23) über Gen 1,3; hex. 4,5 (64,11–13) über Gen 1,9; hex. 7,1 (111,9–11) über Gen 1,20. ²⁵⁹ Siehe hex. 2,7 (33,3–5). ²⁶⁰ Siehe hex. 3,2 (40,18 f.) mit dem Ergebnis: Διὰ τοῦτο ὁδῷ τινι καὶ τάξει ἡμᾶς εἰς τὴν περὶ τοῦ μονογενοῦς ἔννοιαν προσβιβάζει. Außerdem 6,2 (90,8–13); 9,6 (158,11–159,9). An der letztgenannten Stelle setzt sich Basilius mit einer jüdischen Auslegung von Gen 1,26 auseinander (dazu D. T. R 1992b) und polemisiert gegen die arianische Christologie. Bereits Origenes entnimmt den Befehlsworten des Schöpfungsberichtes, daß hier Christus als Schöpfungsmittler angesprochen wird (Cels. 2,9 [135,29–136,14 Koetschau]; vgl. 4,55 [328,19–21]). ²⁶¹ Siehe z. B. über die Natur des Wassers hex. 4,2 (59,27–60,1): Νόησον γὰρ ὅτι θεοῦ φωνὴ φύσεώς ἐστι ποιητική, καὶ τὸ γενόμενον τότε τῇ κτίσει πρόσταγμα τὴν πρὸς τὸ ἐφεξῆς ἀκολουθίαν τοῖς κτιζομένοις παρέσχετο. Über das Pflanzenwachstum hex. 5,5 (76,5–8): Οὐκ εὐθὺς ἐκέλευσε σπέρμα καὶ καρπὸν ἀναδοθῆναι, ἀλλὰ βλαστῆσαι καὶ χλοάσαι τὴν γῆν, καὶ τότε εἰς σπέρμα τελειωθῆναι, ἵνα τὸ πρῶτον ἐκεῖνο πρόσταγμα διδασκάλιον τῇ φύσει γένηται πρὸς τὴν ἑξῆς ἀκολουθίαν. ²⁶² Siehe Julian, Gal. 143bc (185 f. Neumann). ²⁶³ Siehe hex. 4,2 (59,22–60,1). ²⁶⁴ Siehe hex. 4,2 (60,15 f.): Ἐκεῖθεν τοῦ τρέχειν τῷ ὕδατι τὸ ἐνδόσιμον.

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chen Eigenschaften des Wassers ist. Basilius bezeichnet dabei die göttlichen Befehlsworte bzw. Willensregungen nicht nur als Urheber der Naturordnung, sondern identifiziert sie geradezu mit der Naturkraft, die den Dingen einliegt und ihnen ihr Wesen verleiht: Das Befehlswort setzt das Wasser einerseits in Bewegung und wird andererseits selbst zu der bleibenden natürlichen Bewegungskraft, die dem Wasser innewohnt. Die Identität von Schöpfungsbefehl und Naturordnung legt Basilius ausführlich in seiner Auslegung von Gen 1,11 in der fünften Homilie dar. Dabei liest er Gen 1,11 als Befehl zu keimen, Grün wachsen zu lassen und Samen hervorzubringen, der nach seiner Art treibt. Daß dieser Befehl genau den Entwicklungsetappen einer Pflanze entspricht, zeigt ihm an, daß der Schöpfungsbefehl gleichsam zu einem Naturgesetz wurde, das der Erde einliegt und seitdem die Vegetationszyklen lenkt.²⁶⁵ Das Bestreben, in der Wortfolge Gen 1,11 den Verlauf des natürlichen Pflanzenwachstums wiederzufinden, veranlaßt Basilius in diesem Zusammenhang zu einer Textkorrektur. Sie wird auch durch die schwierige Syntax des Verses in der Septuaginta gefordert, die bereits den Kommentator und Textkritiker Origenes vor Probleme stellte.²⁶⁶ Basilius stellt die Wortfolge des Verses um, fügt ein καί ein und liest »Βλαστησάτω ἡ γῆ βοτάνην χόρτου, καὶ σπέρμα σπεῖρον κατὰ γένος«. Diese Textfassung ordnet βοτάνην χόρτου und σπέρμα gleich und bezieht σπεῖρον eindeutig auf σπέρμα, so daß der Versteil über die natürliche Wachstumsordnung einer Pflanze spricht.²⁶⁷ Mit dieser Textkorrektur verfolgt Basilius das Ziel, einerseits die richtige Abfolge des biblischen Wortlautes herzustellen und andererseits den notwendigen Ablauf der Prozesse zu bewahren (διασωθῆναι), die von der Natur gesteuert werden.²⁶⁸ Seine Textkritik ist also geleitet von der grundlegenden Annahme, daß der biblische Text die natürliche Ordnung nachzeichnet, die Gott durch sein Befehlswort, d. h. in der Regung seines schöpferischen Willens, festgesetzt hat. ²⁶⁵ Siehe hex. 5,1 (69,7–10): Ἡ γὰρ τότε φωνὴ καὶ τὸ πρῶτον ἐκεῖνο πρόσταγμα οἷον νόμος τις ἐγένετο φύσεως, καὶ ἐναπέμεινε τῇ γῇ, τὴν τοῦ γεννᾶν αὐτῇ καὶ καρποφορεῖν δύναμιν εἰς τὸ ἑξῆς παρεχόμενος. ²⁶⁶ Gen 1,11 LXX lautet: Καὶ εἶπεν ὁ θεός· Βλαστησάτω ἡ γῆ βοτάνην χόρτου, σπεῖρον σπέρμα κατὰ γένος καὶ καθ’ ὁμοιότητα … Die Schwierigkeit liegt darin, daß sich σπεῖρον (neutr.) nicht auf βοτάνη (fem.) und χόρτος (mask.) beziehen kann. Vermutlich bezieht die LXX σπεῖρον σπέρμα dem Sinn nach auf die gesamte vorangehende Wortgruppe (so M. A 1988, 125). Für die Lösung des Übersetzers Aquila siehe A, ebd. Origenes löst das Problem des σολοικισμός in Gen 1,11 durch eine Umstellung der Worte und erläutert: Βλαστησάτω ἡ γῆ βοτάνην χόρτου, κατὰ γένος σπεῖρον σπέρμα, ἀναφερομένου ἐπὶ τὸ γένος τοῦ σπείρον. (Coll. Coisl. frg. 48 [Z. 10–12; 46 Petit]). ²⁶⁷ Siehe hex. 5,2 (70,20–71,6). Vgl. 5,3 (73,7–14). ²⁶⁸ Siehe hex. 5,2 (71,2–6): Οὕτω γὰρ καὶ τὸ τῆς λέξεως ἀκόλουθον ἀποκαταστῆναι δυνήσεται, ἀκαταλλήλως νῦν τῆς συντάξεως ἔχειν δοκούσης, καὶ τὸ ἀναγκαῖον τῶν ὑπὸ τῆς φύσεως οἰκονομουμένων διασωθήσεται· πρῶτον μὲν γὰρ βλάστησις, εἶτα χλόη, εἶτα χόρτου αὔξησις, εἶτα ὁ ἀπαρτισμὸς τῶν αὐξομένων διὰ τοῦ σπέρματος.

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Basilius verteidigt die Kongruenz von biblischem Schöpfungsbefehl und Naturordnung auch, wenn er der Kritik begegnet, daß nicht alle Pflanzen sichtbaren Samen hervorbringen. Er entkräftet diesen Einwand gegen den biblischen Bericht mit der Erklärung, daß hier Same im weiteren Sinne als der Teil einer Pflanze gemeint ist, der die Fortpflanzungskraft enthält.²⁶⁹ Basilius sieht die Wachstumsordnung, die jetzt beobachtet werden kann, als Zeugnis und Beweis für die ursprüngliche Ordnung, die der göttliche Befehl bei der Erschaffung der Welt gestiftet hat. Dabei setzt er voraus, daß die von Gott eingelegte Naturordnung unabänderlich ist und der Schöpfungsbefehl das immer gleichbleibende Naturgesetz darstellt, dem nichts zuwiderlaufen kann.²⁷⁰ Basilius’ Auffassung der Natur kennt keine Veränderung und Entwicklung der Arten. Die Vielfalt der Arten existiert von Anfang an. Sie ist in den knappen Befehlsworten samenhaft enthalten.²⁷¹ Einzelne umkehrbare Fehlentwicklungen, hier bei den Pflanzen behandelt, gehen auf Krankheiten, ungünstige Witterungen und Unkenntnis der Landwirte zurück und sind ein Kennzeichen der Natur nach dem Sündenfall.²⁷² Die Identität von göttlichem Befehlswort und Naturkraft und die Unabänderlichkeit des Naturlaufs faßt Basilius sehr prägnant in der Auslegung von Gen 1,11 am Ende der fünften Homilie zusammen: »Die Erde lasse keimen.« Dieser knappe Befehl war plötzlich eine gewaltige Naturkraft und eine künstlerische Vernunft, die schneller als unser Gedanke die unzähligen Eigenarten von Pflanzen vollendete. Auch heute noch ist dieser Befehl in der Erde vorhanden und treibt sie an, dem Jahreszyklus entsprechend ihre Kraft auszuüben und Kräuter, Samen und Bäume hervorzubringen. Wie nämlich die Kreisel aus dem ersten Impuls heraus, der ihnen gegeben wird, die folgenden Umdrehungen vollbringen, wenn sie in ihrem Mittelpunkt feststehend sich um sich selbst drehen, so hat auch der Lauf der Natur aus dem ursprünglichen Befehl seinen Anfang genommen und läuft durch die gesamte folgende Zeit, bis er an die allgemeine Vollendung des Alls gelangt.²⁷³ ²⁶⁹ Siehe hex. 5,2 (71,7–16). Die Beispiele, die Basilius für Pflanzen anführt, die direkt aus der Wurzel oder anderen Pflanzenteilen treiben lassen, zeigen exemplarisch seine botanischen Kenntnisse. ²⁷⁰ Siehe hex. 5,3 (73,8 f.): Ἔτι καὶ νῦν ἡ τάξις τῶν φυομένων μαρτυρεῖ τῇ πρώτῃ διακοσμήσει. Vgl. 7,1 (112,2): Τὰ γὰρ ἔτι καὶ νῦν ὁρώμενα ἀπόδειξίς ἐστι τῶν παρελθόντων, sowie die Gegenüberstellung von νῦν – τότε in hex. 5,1 (69,7–10). Nach hex. 5,5 (76,16 f.) wird in der Pflanzenwelt nichts gefunden, was dem Befehl Gen 1,11 widerspricht. Diese Aussage kann für alle Naturvorgänge verallgemeinert werden. ²⁷¹ Siehe hex. 7,1 (113,5–10) über die Vielfalt der Fischarten: Ἡ μὲν φωνὴ τοῦ προστάγματος μικρά, μᾶλλον δὲ οὐδὲ φωνή, ἀλλὰ ῥοπὴ μόνον καὶ ὁρμὴ τοῦ θελήματος· τὸ δὲ τῆς ἐν τῷ προστάγματι διανοίας πολύχουν τοσοῦτόν ἐστιν, ὅσαι καὶ αἱ τῶν ἰχθύων διαφοραὶ καὶ κοινότητες, οἷς πᾶσι δι’ ἀκριβείας ἐπεξελθεῖν ἴσον ἐστὶ καὶ κύματα πελάγους ἀπαριθμεῖσθαι ἢ τὰς κοτύλας πειρᾶσθαι τῆς θαλάσσης ἀπομετρεῖν. ²⁷² Siehe hex. 5,5 (76,9–16; 77,12–16). ²⁷³ Hex. 5,10 (86,1–10): »Βλαστησάτω ἡ γῆ.« Τὸ μικρὸν τοῦτο πρόσταγμα εὐθὺς φύσις μεγάλη καὶ λόγος ἔντεχνος ἦν, θᾶττον τοῦ ἡμετέρου νοήματος τὰς μυρίας τῶν φυομένων ἰδιότητας ἐκτελῶν. Ἐκεῖνο ἔτι καὶ νῦν ἐνυπάρχον τῇ γῇ τὸ πρόσταγμα ἐπείγει αὐτὴν καθ’

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Ein ähnliches Bild verwendet Basilius in der Auslegung von Gen 1,24 in der neunten Homilie: »Die Erde bringe hervor die lebendige Seele von Haustieren, Wildtieren und Kriechtieren«. Bedenke, wie das Wort Gottes durch die Schöpfung eilt und damals begann und bis jetzt wirkt und bis ans Ende laufen wird, bis zur Vollendung der Welt. Wie nämlich eine Kugel, wenn sie von jemandem angestoßen wurde und dann eine Schräge erreicht, durch ihre eigentümliche Ausstattung und die Eignung des Geländes abwärts rollt und nicht eher zum Stehen kommt, als bis sie von einer flachen Ebene aufgenommen wird, so durchläuft auch die Natur der Dinge, von einem einzigen Befehl bewegt, in gleichmäßiger Weise die Schöpfung in Werden und Vergehen, indem sie die Abfolge der Geschlechter durch Gleichheit bewahrt, bis sie ans Ende selbst gelangt.²⁷⁴

Den Lauf der Natur, d. h. die Wachstums- und Fortpflanzungsprozesse, die Gott bei der Erschaffung der Welt initiiert, vergleicht Basilius an diesen zwei Stellen mit der Bewegung eines Kreisels bzw. einer Kugel. Diese Bilder illustrieren das Wirken der Natur, die in aristotelischer Tradition im Unterschied zu einem Handwerker oder Künstler ohne Überlegung, mit Notwendigkeit wirkt. Basilius interpretiert diese Bilder in charakteristischer Weise. Da er die Naturkraft mit dem göttlichen Befehlswort bzw. der göttlichen Willensregung identifiziert, faßt er sie als künstlerische Vernunft auf. Am Beispiel des Kreisels und der Kugel verdeutlicht er die Selbigkeit des Naturwirkens, das sich in immer wiederkehrenden Perioden vollzieht: im Wachstum der Pflanzen ebenso wie in der Geschlechterfolge der Lebewesen.²⁷⁵ In beiden Fällen werden die Arten im Entstehen, Vergehen und Neuentstehen artgleicher Individuen bewahrt. Basilius zieht hier implizit den Grundsatz der aristotelischen Naturlehre heran, daß ein Mensch immer einen Menschen zeugt, wenn er darauf hinweist, daß bei Lebewesen Eltern und Nachkommen stets von gleicher Art sind.²⁷⁶ Aus ἑκάστην ἔτους περίοδον ἐξάγειν τὴν δύναμιν ἑαυτῆς ὅσην ἔχει πρός τε βοτανῶν καὶ σπερμάτων καὶ δένδρων γένεσιν. Ὡς γὰρ οἱ στρόβιλοι ἐκ τῆς πρώτης αὐτοῖς ἐνδοθείσης πληγῆς τὰς ἐφεξῆς ποιοῦνται περιστροφάς, ὅταν πήξαντες τὸ κέντρον ἐν ἑαυτοῖς περιφέρωνται, οὕτω καὶ ἡ τῆς φύσεως ἀκολουθία, ἐκ τοῦ πρώτου προστάγματος τὴν ἀρχὴν δεξαμένη, πρὸς πάντα τὸν ἐφεξῆς διεξέρχεται χρόνον, μέχρις ἂν πρὸς τὴν κοινὴν συντέλειαν τοῦ παντὸς καταντήσῃ. ²⁷⁴ Hex. 9,2 (147,23–148,6): »Ἐξαγαγέτω ἡ γῆ ψυχὴν ζῶσαν κτηνῶν καὶ θηρίων καὶ ἑρπετῶν.« Νόησον ῥῆμα θεοῦ διὰ τῆς κτίσεως τρέχον καὶ τότε ἀρξάμενον καὶ μέχρι νῦν ἐνεργοῦν καὶ εἰς τέλος διεξιόν, ἕως ἂν ὁ κόσμος συμπληρωθῇ. Ὡς γὰρ ἡ σφαῖρα, ἐπειδὰν ὐπό [sic!] τινος ἀπωσθῇ, εἶτα πρανοῦς τινος λάβηται, ὑπό τε τῆς οἰκείας κατασκευῆς καὶ τῆς ἐπιτηδειότητος τοῦ χωρίου φέρεται πρὸς τὸ κάταντες, οὐ πρότερον ἱσταμένη, πρὶν ἄν τι τῶν ἰσοπέδων αὐτὴν ὑποδέξηται· οὕτως ἡ φύσις τῶν ὄντων, ἑνὶ προστάγματι κινηθεῖσα, τὴν ἐν τῇ γενέσει καὶ φθορᾷ κτίσιν ὁμαλῶς διεξέρχεται, τὰς τῶν γενῶν ἀκολουθίας δι’ ὁμοιότητος ἀποσῴζουσα, ἕως ἂν πρὸς αὐτὸ καταντήσῃ τὸ τέλος. ²⁷⁵ Vgl. hex. 5,2 (71,19–21): Καὶ οὕτω τὸ ἐν τῇ πρώτῃ γενέσει προβληθὲν παρὰ τῆς γῆς μέχρι νῦν διασῴζεται, τῇ ἀκολουθίᾳ τῆς διαδοχῆς φυλασσομένου τοῦ γένους. ²⁷⁶ Siehe hex. 9,2 (148,7–9): Ἵππον μὲν γὰρ ἵππου ποιεῖται διάδοχον καὶ λέοντα λέοντος καὶ ἀετὸν ἀετοῦ· καὶ ἕκαστον τῶν ζῴων, ταῖς ἐφεξῆς διαδοχαῖς συντηρούμενον, μέχρι τῆς συντελείας τοῦ παντὸς παραπέμπει. Vgl. Aristoteles, Metaph. 12,3 (1070a6 f.). Aristoteles wendet sich mit diesem Satz gegen die platonische Lehre, daß die Gleichheit der Individuen einer Art auf die Teilhabe an der intelligiblen Idee der Art zurückgeht.

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diesem Grundsatz folgert er dann, daß der Lauf der Zeit die Eigentümlichkeit der Arten nicht vergehen läßt, sondern die Natur ewig jung mit der Zeit läuft.²⁷⁷ Hier wird prägnant deutlich, daß für Basilius der Kosmos und die Arten in ihm keinem Entwicklungsprozeß unterliegen. Anders als für Aristoteles konstituieren die gleichbleibenden Zyklen der Natur für Basilius aber nicht die Ewigkeit der Arten und des Kosmos.²⁷⁸ Analog zur Endlichkeit des Kosmos hat auch das Wirken der Natur einen Anfang und ein Ende. Das Bild des ersten Impulses, der den Kreisel bzw. die Kugel in Gang setzt, deutet Basilius ganz wörtlich als Anfang des Naturwirkens, das in Gott seinen Urheber hat. Auch das Bild des Kugellaufs interpretiert Basilius auf seine Weise. Er rückt die Beobachtung, daß jede Kugel nach einer gewissen Zeit zum Stehen kommt, in den Mittelpunkt seines Vergleichs und illustriert damit, daß der Lauf der Natur wie der Kosmos insgesamt ein Ende hat. Es zeigt sich, daß Basilius das aristotelische Naturkonzept aufgreift und in spezifischer Weise interpretiert. Dabei tritt als zentraler Unterschied zu Aristoteles hervor, daß die Natur keine autonome, selbsttätige Kraft ist, sondern Gott als Urheber hat. Die Natur in ontologischer Abhängigkeit von einer übergeordneten, transzendenten Ursache zu sehen, deutet sich bereits bei den Schülern des Aristoteles an und wird besonders von Alexander von Aphrodisias entfaltet.²⁷⁹ Im Unterschied zu ihnen behauptet Basilius aber, daß die Natur wie der Kosmos nicht nur ontologisch abhängig von einer höheren Ursache ist, sondern einen Anfang und ein Ende hat, die von Gott gesetzt sind. ²⁷⁷ Siehe hex. 9,2 (148,9–11): Οὐδεὶς χρόνος ἐξίτηλα ποιεῖ τῶν ζῴων τὰ ἰδιώματα, ἀλλ’ ὥσπερ ἄρτι καθισταμένη ἡ φύσις ἀεὶ νεαρὰ τῷ χρόνῳ συμπαρατρέχει. ²⁷⁸ Zum Zusammenhang zwischen der Ewigkeit der Arten und der Ewigkeit des Kosmos in der aristotelischen Verteidigung der Ewigkeit der Welt siehe C. G 1984, 110 mit dem Hinweis auf den Aristoteliker Critolaus, frg. 12 (Wehrli). Daß Entstehen und Vergehen kontinuierlich stattfinden und die Dinge im Bereich des Werdens auf diese Weise Anteil an der Ewigkeit haben und dem Sein (d. h. dem unbewegten Beweger) nahekommen, erklärt Aristoteles in GC 2,10 (336b25–34). Das kontinuierliche Werden und Vergehen bedeutet die Ewigkeit der Arten und trägt auf diese Weise zur Vollkommenheit des Kosmos bei (siehe den Kommentar ad loc. von H. H. J, 263 f.). ²⁷⁹ In Aristoteles selbst finden sich gegensätzliche Aussagen, wie C. G 1984, 109 zusammenfaßt: »D’une part, en effet, il développe une physique dans laquelle la nature, force quasi rationelle, suffit à expliquer la totalité des phénomènes du monde sublunaire, et d’autre part il expose en Physique VIII et Metaphysique Λ [siehe außerdem GC 2,10 f. C. K.] une théologie selon laquelle les phénomènes naturels sont ramenés, au moins de façon programmatique, à l’action du prémier moteur céleste qui est aussi Dieu. D’une manière générale, il y a ici conflit entre deux axiomes fondamentaux d’Aristote: celui qui postule que tout ce qui est mû par quelque chose et la définition de la nature … comme source du mouvement pour l’être en qui elle réside.« Bereits Theophrast kritisiert die Naturlehre des Aristoteles und fragt nach der Verbindung zwischen dem intelligiblen Bereich und dem Bereich der Natur in Metaph. 4a9– 17 (2 f. Laks / Most). Dazu siehe G, a. a. O., 110. Zu Alexander von Aphrodisias siehe die Ausführungen im Zusammenhang des Naturverständnisses des Gregor von Nyssa in Kapitel B III 2.2.1.a.

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Anders als selbst die späteren Aristoteliker wie Alexander faßt Basilius die Natur als Instrument auf, durch das Gott die Naturphänomene schafft und lenkt. Indem er also die Naturkraft als göttliches Schöpferwort bzw. göttliche Willensregungen versteht, die den geschaffenen Dinge einliegen, ist es ihm möglich, die zeitgenössische Naturlehre in seine Kosmologie zu integrieren und die Gesetze und Entstehungs- und Veränderungsprozesse der sichtbaren Welt mit ihrer Hilfe zu beschreiben. In den Predigten über die Entstehung der Pflanzen und Tiere hebt Basilius mehrmals hervor, daß erst die göttlichen Befehlsworte die Erde oder das Wasser fruchtbar gemacht haben. Von sich aus ist die Erde kalt und unfruchtbar; erst durch den Befehl Gottes erhält sie die Zeugungskraft und beginnt sie, die Pflanzen zu treiben. Nach hex. 5,1 wird das Befehlswort Gen 1,11, das an die Erde ergeht, nachdem sie vom Wasser befreit ist und geruht hat, in der Erde zur Pflanzen hervorbringenden Kraft. Analog dazu sieht Basilius in hex. 7,1 den Schöpfungsbefehl als göttliche Kraft, die das Wasser befruchtet und einem Samen gleich auf knappem Raum die Vielfalt der Fischarten enthält. Auch in hex. 8,1 hebt er hervor, daß die Erde die Kraft, Pflanzen und lebendige Seelen hervorzubringen, durch Gottes Befehl erhält. Diese Textstellen zeigen, daß Basilius in seiner Auslegung von Gen 1,11.24 unbedingt jeden Anschein zurückweisen will, daß die Erde aus eigener Kraft Pflanzen und Tiere erzeugt. Daher bindet er ihre Zeugungskraft ausdrücklich an Gott. Die Naturkraft, mit der Basilius den Schöpfungsbefehl auch hier identifiziert, ist das Instrument, durch das Gott die Pflanzen und Tiere schafft.²⁸⁰ Indem Basilius es durch seine Auslegung der Schöpfungsbefehle unmöglich macht, Erde und Wasser eine eigenständige Zeugungskraft zuzuschreiben, wendet er sich gegen die Theorie von der spontanen Entstehung von Pflanzen und Tieren, die in der aristotelischen Tradition vertreten wird, um die Entstehung niederer Tier- und Pflanzenarten zu erklären. Diese Erklärung schreibt allein der Materie die Hervorbringung der niederen Arten zu und verneint, daß es für diese Arten eine formale, finale und effiziente Ursache in Gestalt von Samen gibt.²⁸¹ Basilius verneint nicht, daß bestimmte Tierarten sich ungeschlechtlich vermehren. Er führt sie als Beispiel an, daß die ursprüngliche Entstehung der Tiere aus der Erde auch heute noch beobachtet werden kann.²⁸² ²⁸⁰ Siehe hex. 5,1 (69,5–10); 5,2 (72,1–3); 7,1 (111,9–112,2); sehr deutlich in 8,1 (126,8– 12; 126,13–127,4): Οὐκ ἐπειδὴ εἶπεν »Ἐξαγαγέτω«, τὸ ἐναποκείμενον αὐτῇ προήνεγκεν, ἀλλ’ ὁ δοὺς τὸ πρόσταγμα καὶ τὴν τοῦ ἐξαγαγεῖν αὐτῇ δύναμιν ἐχαρίσατο. Οὔτε γὰρ ὅτε ἤκουσεν ἡ γῆ »Βλαστησάτω ἡ γῆ βοτάνην χόρτου καὶ ξύλον κάρπιμον«, κεκρυμμένον ἔχουσα τὸν χόρτον ἐξήνεγκεν· … ἀλλ’ ὁ θεῖος λόγος φύσις ἐστὶ τῶν γινομένων. »Βλαστησάτω ἡ γῆ«· οὐχ ὅπερ ἔχει προβαλλέτω, ἀλλ’ ὃ μὴ ἔχει κτησάσθω, θεοῦ δωρουμένου τῆς ἐνεργείας τὴν δύναμιν. Οὕτω καὶ νῦν »Ἐξαγαγέτω ἡ γῆ ψυχήν«, οὐ τὴν ἐναποκειμένην ἀλλὰ τὴν δεδομένην αὐτῇ παρὰ τοῦ θεοῦ διὰ τῆς ἐπιταγῆς. ²⁸¹ Siehe dazu den Exkurs zur Entstehung ἐκ τοῦ αὐτομάτου in Kapitel A IV 3. ²⁸² Siehe hex. 9,2 (148,13–22).

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Aber auch diese Tierarten haben im göttlichen Schöpfungswort ihre formale, finale und effiziente Ursache. Indem Basilius selbst die Naturkraft, die in den niedersten Tieren wirkt, an Gott bindet, setzt er sich freilich wie die Stoiker oder der platonische Mediziner Galen dem aristotelischen Vorwurf aus, Gott zum Urheber von Mücken und Würmern zu machen.²⁸³ In der Tat sind für Basilius alle Tiere und Pflanzen Geschöpfe Gottes, die in ihrer Schönheit dessen Macht und Güte widerspiegeln. Zu Beginn der fünften Predigt sagt Basilius allerdings sehr deutlich, daß die Erde von sich aus (καθ’ ἑαυτήν) das grüne Kraut hervorbringe, ohne einer anderen mitwirkenden Ursache zu bedürfen. Diese Aussage steht nicht im Widerspruch zu der skizzierten Auffassung des Basilius von der Natur, sondern richtet sich gegen die Annahme, die Sonne als Urheberin der Pflanzen und Lebewesen anzusehen, die aus der Erde entstehen. Einige meinen aber, daß die Sonne Ursache dessen ist, was aus der Erde wächst, indem sie durch den Zug der Wärme die Wachstumskraft [der Erde] aus der Tiefe an die Oberfläche hinaufholt. Aus diesem Grund ist der Schmuck der Erde älter als die Sonne, damit diejenigen, die in Unkenntnis umherirren, auch aufhören die Sonne zu verehren, als ob diese den Grund des Lebens gewähre. Wenn sie sich also überzeugen lassen, daß die Erdoberfläche bereits vor der Entstehung der Sonne ausgeschmückt war, werden sie auch die maßlose Bewunderung für sie aufgeben, indem sie darüber nachdenken, daß sie der Entstehung nach jünger ist als Gras und Kraut.²⁸⁴

Bereits bei der Kommentierung der Erschaffung des Lichtes und der Gestirne (Gen 1,3.14) zeigte sich, daß Basilius die Reihenfolge der Schöpfungsakte didaktisch interpretiert mit dem Ziel, Gott als einzige Ursache der Geschöpfe innerhalb des Kosmos darzustellen. Bei der Aussage, daß die Erde von sich aus das grüne Kraut treibt, ist daher mitzudenken, daß die Erde nach Basilius »nicht das hervorbringt, was sie von sich aus hat, sondern das, was sie nicht hat, weil Gott ihr die Wirkkraft dazu verleiht«.²⁸⁵ Es stellt sich die Frage, ob Basilius bei seiner Polemik gegen die Verehrer der Sonne eine konkrete Gruppe vor Augen hat, oder ob er einfach einen Topos der traditionellen Polemik aufgreift. Theophilus von Antiochien sprach ²⁸³ Diesen Vorwurf erhebt Alexander von Aphrodisias gegen die Stoiker in Mixt. 11 (226,28–30 Bruns = 136 Todd). Siehe auch P. M 1984, 489 f. Galen lehnt gelegentlich die aristotelische Theorie der spontanen Entstehung ab, weil er selbst die Tiere aus Wasser und Fäulnis wohlgestaltet findet (UP 17 [II 446,9–12.19–23 Helmreich]). ²⁸⁴ Hex. 5,1 (70,3–12): »Βλαστησάτω ἡ γῆ βοτάνην χόρτου.« Καθ’ ἑαυτὴν ἡ γῆ προφερέτω τὴν βλάστησιν, οὐδεμιᾶς συνεργείας ἑτέρωθεν δεομένη. Ἐπειδή τινες οἴονται τὸν ἥλιον αἴτιον εἶναι τῶν ἀπὸ τῆς γῆς φυομένων, τῇ ὁλκῇ τοῦ θερμοῦ πρὸς τὴν ἐπιφάνειαν τὴν ἐκ τοῦ βάθους δύναμιν ἐπισπώμενον, διὰ τοῦτο πρεσβυτέρα τοῦ ἡλίου ἡ περὶ γῆν διακόσμησις, ἵνα καὶ τοῦ προσκυνεῖν τὸν ἥλιον, ὡς αὐτὸν τὴν αἰτίαν τῆς ζωῆς παρεχόμενον, οἱ πεπλανημένοι παύσωνται. Ἐὰν ἄρα πεισθῶσιν ὅτι πρὸ τῆς ἐκείνου γενέσεως τὰ περὶ τὴν γῆν πάντα διακεκόσμητο, καὶ τοῦ ἀμέτρου περὶ αὐτὸν θαύματος καθυφῶσιν, ἐνθυμηθέντες ὅτι χόρτου καὶ βοτάνης νεώτερός ἐστι κατὰ τὴν γένεσιν. [Einfügung in der Übersetzung von mir]. ²⁸⁵ Siehe hex. 8,1 (127,1–3).

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bereits konkret von Philosophen, die der Schöpfungsbericht an diesem Punkt im Visier habe. Damit könnte Aristoteles gemeint sein, der die Gestirne und besonders die Sonne als Ursache für das Werden und Vergehen auf der Erde ansieht.²⁸⁶ Aber bereits Empedokles scheint der Sonne eine besondere Rolle in der Kosmogonie, in der Zoogonie und vielleicht auch Botanik zugewiesen zu haben.²⁸⁷ Auch für die Stoa ist eine solare Theologie nachweisbar.²⁸⁸ Prominent wird die Wärme der Sonne in der Kosmogonie des Diodor von Sizilien als die Ursache für die Verfestigung der Erde, die Entstehung von Feuchtgebieten und die Ausbildung von Lebewesen genannt. Durch die Sonneneinstrahlung werden in der Erde wie in einem Mutterschoß Lebewesen gebildet. Die lebenbildende und schöpferische Kraft der Sonne wirkt auf die fruchtbare Erde und das zeugungskräftige Wasser ein und wird so zum Schöpfer (δημιουργός) verschiedener Gattungen. Je nachdem, wieviel Wärme die Erde an entsprechender Stelle aufnimmt und welches Element in der Zusammensetzung überwiegt, entwickeln sich die Vögel, Wasser- oder Landlebewesen.²⁸⁹ Indem Basilius philosophische ›Hoheitstitel‹ wie ἀρχηγός, πατήρ, δημιουργός für die Sonne ablehnt und sich ausdrücklich gegen die Verehrung der Sonne wendet, scheint er allerdings weniger einzelne, die Kosmogonie und Zoogonie betreffende Lehrmeinungen vor Augen zu haben, als vielmehr eine umfassende philosophisch-religiöse Würdigung der Sonne abzulehnen. Eine derartig umfassende Würdigung genoß die Sonne zur Zeit Kaiser Julians. Dieser schrieb anläßlich des Sol invictus-Festes in Rom 362 einen φυσικὸς ὕμνος²⁹⁰ auf den König Helios. Darin bezeichnet er die Sonne als »allgemeinen Vater aller Menschen«. Denn zu Recht sage man, »daß ein Mensch und die Sonne gemeinsam einen Menschen zeugen«.²⁹¹ Die Sonne ist hier ausgehend ²⁸⁶ So M. N 1990, 353. Siehe Aristoteles, GC 2,10 (336a31–336b19). ²⁸⁷ Nach Aristoteles, Mete. 2,1 (353b11–13 = KRS 371b); 2,3 (357a24–26 = KRS 371a)

entstanden nach Empedokles die Meere dadurch, daß die Sonne die Erde erhitzte und salzigen Schweiß hervortreten ließ. Nach Aetius 5,18,1 (KRS 382) nahm Empedokles an, daß das Menschengeschlecht aus der Erde geboren wurde, wobei der Lauf der Sonne damals die Entstehungsdauer bemessen habe, der heute 10 bzw. 7 Monate entsprechen, weshalb 10- und 7Monatskinder lebensfähig seien. ²⁸⁸ Siehe K. R 1953, 695–697, auch wenn dessen Rückführung auf Poseidonius fraglich ist. ²⁸⁹ Siehe Diodor von Sizilien, bibl. hist. 1,7,3–6 (12,16–13,16 Vogel); 2,52,1.6–9 (252,21– 23; 253,21–254,18). ²⁹⁰ So klassifiziert W. C. W, LCL Julian I, 348 die vierte Rede Julians nach der Einteilung des Menander Rhetor. ²⁹¹ Siehe Julian, or. 4 (131c; I 354 Wright): … ἡγοῦμαι, εἴπερ χρὴ πείθεσθαι τοῖς σοφοῖς, ἁπάντων ἀνθρώπων εἶναι τοῦτον [sc. der Gott Helios] κοινὸν πατέρα. λέγεται γὰρ ὀρθῶς ἄνθρωπος ἄνθρωπον γεννᾶν καὶ ἥλιος, ψυχὰς οὐκ ἀφ’ ἑαυτοῦ μόνον, ἀλλὰ καὶ παρὰ τῶν ἄλλων θεῶν σπείρων εἰς γῆν, … Julian weist hier König Helios auf der zweiten ontologischen Ebene (d. h. der Ebene des göttlichen Intellekts) die Rolle des Demiurgen von Ti. 42d zu. Zur Philosophie des Julian, die Helios auf drei ontologischen Ebenen (die Idee des Guten; der göttliche Intellekt; die sichtbare Sonne) verehrt, und für eine knappe Kommentierung des

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von einem Aristoteleszitat,²⁹² aber in der Rolle des platonischen Demiurgen eine Ursache im Prozeß der natürlichen Fortpflanzung der Art. Auch die sichtbare Sonne betrachtet Julian als Ursache. Sie ist Ursache für die Bewahrung der sichtbaren Dinge; sie schafft Tag und Nacht; sie besitzt die schöpferische (τὸ δημιουργικόν), zeugende (τὸ γόνιμον) und das All zusammenhaltende (τὸ συνεκτικόν) Kraft; sie lenkt die Prozesse von Werden und Vergehen und gewährt der sublunaren Welt auf diese Weise Ewigkeit.²⁹³ Basilius schreibt alle diese Funktionen und Kräfte Gott zu und lehnt sie daher für die Sonne ab. Ähnliche Charakterisierungen der Sonne begegnen auch in anderen Texten, sehr deutlich zum Beispiel in magischen Papyri.²⁹⁴ Sie sind Ausdruck einer »allgemeinen ›Solarisierung‹ der religiösen Kultur« in der Kaiserzeit, die durch solare Elemente im Kaiserkult und durch den zeitgenössischen Platonismus gefördert wird und sich auch in Julians Sonnenverehrung ausdrückt, aber keinesfalls auf sie beschränkt ist.²⁹⁵ Die Polemik des Basilius gegen diejenigen, die die Sonne verehren und sie für die Ursache des Wachstums aus der Erde halten, steht in der Tradition jüdisch-christlicher Religions- und Philosophiekritik und richtet sich gegen eine Sonnenverehrung in seiner eigenen Zeit, die sich aus verschiedenen Wurzeln speist und die philosophischen Lehren und kosmogonischen Theorien, in denen die Sonne eine zentrale Rolle spielt, fortführt und zuspitzt.²⁹⁶

2.5. Die Auslegung von Gen 1,6 f.: Das Firmament und die Trennung der Wasser In Basilius’ Auslegung von Gen 1,6–8 in der dritten Homilie verbinden sich die polemische Abgrenzung gegenüber naturphilosophischen Positionen zur Hymnus und seine Verortung im zeitgenössischen Platonismus, siehe R. S 1995, 144– 159. ²⁹² Siehe Aristoteles, Ph. 2,2 (194b13) und dazu K. R 1953, 697. ²⁹³ Siehe Julian, or. 4 (133c.134d.135c.137c–138a; I 360–366. 372 f. Wright). ²⁹⁴ M. W 2001, 37 verweist auf PGM 7 (529–537), wo Helios angerufen wird als größter Gott, der das All zusammenhält und die Lebewesen zeugt und die Welt insgesamt beherrscht. ²⁹⁵ So M. W 2001, 37. Zu diesem Phänomen siehe H. D 1974, 283–292 mit Literatur sowie die Weiterentwicklung dieser Skizze bei W, a. a. O., 27–39. Daß die Sonne z. B. im Denken des Porphyrius ausgehend von zentralen platonischen Texten eine wichtige Rolle spielte, läßt sich u. a. aufgrund der verlorenen Schrift περὶ θείων ὀνομάτων vermuten, in der Porphyrius darlegte, daß alle Götternamen sich auf Helios beziehen (siehe R. B 1953, 295 f.). ²⁹⁶ Daß Basilius sich ausschließlich gegen Julian wendet, kann ich nicht sehen. M. D. G Gí hat eine Arbeit verfaßt unter dem Titel »Las homilias In hexaemeron de Basilio de Cesarea: ¿una respuesta a la política religiosa del emperador Juliano?« (Travaux de doctorat / Université Catholique de Louvain, Faculté de Théologie et de Droit Canonique; N. S. 19: Section théologie, Palma de Mallorca 2000), die mir leider nicht zur Verfügung stand.

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Natur des Himmels und die Auseinandersetzung mit divergierenden Auslegungen dieser Verse. Dabei tritt Basilius in ein Gespräch mit Auslegungen, die unter anderem von Origenes angeregt sind, und wird zugleich selbst Diskussionspartner des Gregor von Nyssa, der in seiner Apologia in Hexaemeron ausführlich gegen Basilius’ Auslegung von Gen 1,6–8 argumentiert.

2.5.1. Das Firmament Gen 1,6 f. im Unterschied zum Himmel Gen 1,1 Basilius unterscheidet das Firmament Gen 1,6 f. vom Himmel Gen 1,1. Anders als der Himmel von Gen 1,1, dem die Bezeichnung ›Himmel‹ in erster Linie (κυρίως) zukommt, trägt das Firmament diesen Namen nur aufgrund der Ähnlichkeit (καθ’ ὁμοίωσιν) zu diesem ersten Himmel. Die Anknüpfung an Origenes’ Auslegung der Umbenennung des Firmaments tritt deutlich hervor. Im Unterschied zu Origenes deutet Basilius den Himmel Gen 1,1 aber nicht als intelligible Größe. Außerdem behauptet er zwar eine Ähnlichkeit zwischen Himmel und Firmament, er führt diese Beziehung aber nicht näher aus.²⁹⁷ Daß die Bezeichnung ›Himmel‹ verschiedene Bezugsgrößen habe, erklärt Basilius mit dem biblischen Sprachgebrauch, in vielfältiger Bedeutung von ›Himmel‹ zu sprechen. Den Himmel von Gen 1,1 bringt er durch eine klassische Etymologie mit ὅρος in Verbindung und deutet ihn auf diese Weise als die obere Grenze des sichtbaren Kosmos.²⁹⁸ Im Falle von Gen 1,6 sieht er dagegen mit ›Himmel‹ einen sichtbaren Bereich des Kosmos bezeichnet, wie er mit einer anderen geläufigen etymologischen Ableitung des Wortes οὐρανός von ὁρᾶσθαι betont.²⁹⁹ Anhand mehrerer biblischer Belegstellen präzisiert er, daß unter dem Firmament der sichtbare Luftraum zu verstehen sei, in dem die meteorologischen Phänomene ablaufen.³⁰⁰ Basilius ist sich dessen bewußt, daß das Verhältnis von Himmel Gen 1,1 und Firmament-Himmel Gen 1,6 f. von einigen Auslegern anders bestimmt ²⁹⁷ Hex. 3,8 (51,18–20). Vgl. mit Origenes’ Auslegung von Gen 1,8 in princ. 2,3,6 (123,11– 13 Koetschau); hom. in Num. 26,5 (251,28–252,1 Baehrens); hom. in Ps. 36 2,4 (Z. 24–34; 108 Prinzivalli); hom. in Ps. 36 5,4 (Z. 45–51; 238). Siehe dazu Kapitel B I 4.1.3. Die Beziehung zwischen Himmel (Gen 1,1) und Firmament (Gen 1,6) beschäftigt auch die sogenannten antiochenischen Ausleger des Schöpfungsberichtes (siehe Prokop von Gaza, comm. in Gen. [PG 87/1, 64c–72d]; Cosmas Indicopleustes, top. 2,20 [I 323–325 Wolska-Conus]). ²⁹⁸ Siehe dazu Anm. 144. ²⁹⁹ Hex. 3,8 (51,21–52,2); ähnlich 8,7 (139,20–140,1); vgl. Platon, Cra. 396bc; R. 509d; implizit in Ti. 32a; Philo, Opif. 10,36 (11,13 Cohn): Anklänge an die zwei klassischen Etymologien von οὐρανός in Bezug zu ὅρος bzw. zu ὁρατός. Die etymologische Ableitung zielt hier nicht so sehr darauf, den Ursprung eines Wortes zu erklären, als vielmehr seine Bedeutung durch die Verbindung mit ähnlich klingenden Worten zu konstruieren (ähnlich urteilt auch D. T. R 2001, 176 f.). ³⁰⁰ Hex. 3,8 (51,20–52,11) mit Zitaten von Ps 8,9; Gen 1,20; Ps 106(107),26; Dtn 33,13–15; 28,23.

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wird. Deutlich lehnt er deren Interpretation ab, die beide Größen miteinander identifiziert und Gen 1,6 f. als eine ausführliche Erklärung der Schöpfung und Entstehung des Himmels auffaßt, die in Gen 1,1 lediglich zusammenfassend genannt wird.³⁰¹ Daß der biblische Schöpfungsbericht dem zweiten Himmel einen anderen Namen und einen eigenen Nutzen beilegt, zeigt ihm, daß das Firmament etwas eigenes und anderes als der erste Himmel sein muß.³⁰² Die Benennung ›Firmament‹ offenbart dabei etwas vom Wesen des zweiten Himmels, das auf dessen spezifischen Nutzen für den Gesamtzusammenhang des Alls ausgerichtet ist.³⁰³ Mit seiner Auslegung von Gen 1,1.6 behauptet Basilius die Existenz zweier Himmel. Er ist sogar bereit, aufgrund von 2 Kor 12,2.4 oder Ps 148,4 drei oder mehr Himmel anzunehmen.³⁰⁴ Mit dieser Annahme sieht Basilius sich selbst im Gegensatz zu paganen Fachphilosophen stehen, die über die Natur des Himmels nachgedacht haben und nur einen einzigen Himmel annehmen. Deutlich spielt er dabei auf die Schrift des Aristoteles über den Himmel an, die er an diesem Punkt als Fortführung der platonischen Kosmologie betrachtet.³⁰⁵ Grundsätzlich weist Basilius auch hier die Autorität sämtlicher paganer naturphilosophischer Positionen zurück mit dem skeptizistischen Argument, daß sie sich untereinander widersprechen. Gegen die platonisch-aristotelische Annahme eines einzigen Himmels spricht außerdem vor allem, daß sie die göttliche Schöpfermacht geringschätzt. Denn die Behauptung eines einzigen Himmels hat in den Augen des Basilius die am Timaeus orientierte Annahme ³⁰¹ Hex. 3,8 (43,1–4): Εἴρηται μὲν οὖν τισι τῶν πρὸ ἡμῶν, μὴ δευτέρου οὐρανοῦ γένεσιν εἶναι ταύτην, ἀλλ’ ἐπεξήγησιν τοῦ προτέρου, διὰ τὸ ἐκεῖ μὲν ἐν κεφαλαίῳ παραδεδόσθαι οὐρανοῦ καὶ γῆς ποίησιν, ἐνταῦθα δὲ ἐπεξεργαστικώτερον τὸν τρόπον καθ’ ὃν ἕκαστον γέγονε τὴν γραφὴν ἡμῖν παραδιδόναι. Für eine Zusammenstellung von Vertretern der Auslegung, die Himmel Gen 1,1 und Firmament Gen 1,6 f. identifizieren, siehe M. A 1988, 103 f. Basilius folgt der anderen Auslegungstradition, deren Vertreter Himmel und Firmament aber jeweils sehr verschieden bestimmen (siehe die Übersicht bei A, a. a. O., 104 f.). ³⁰² Dieses Argument nimmt Prokop von Gaza auf, comm. in Gen. (PG 87/1, 64c). ³⁰³ Hex. 3,3 (43,4–7): ῾Ημεῖς δέ φαμεν ὅτι, ἐπειδὴ καὶ ὄνομα ἕτερον καὶ χρεία ἰδιάζουσα τοῦ δευτέρου οὐρανοῦ παραδέδοται, ἕτερός ἐστι παρὰ τὸν ἐν ἀρχῇ πεποιημένον οὗτος, στερεωτέρας φύσεως καὶ χρείαν ἐξαίρετον τῷ παντὶ παρεχόμενος. Bereits in 3,2 (39,18–21) hebt Basilius hervor, daß der Schöpfungsbericht in Gen 1,6 nicht nur den einfachen Befehl wie z. B. in Gen 1,3 bietet, sondern im anschließenden ἵνα-Satz zusätzlich die Zweckursache angibt, auf die gerichtet das Firmament geschaffen wurde. Eine enge Verbindung zwischen Namen und Wesen besteht für Basilius auch in Gen 1,5. Die Aussage ἐν ἱστορίας εἴδει, daß Gott Licht und Finsternis in Tag und Nacht benennt, bedeutet, daß Gott das Wesen der Zeit schafft (2,8 [35,1 f.18–20]). ³⁰⁴ Hex. 3,3 (42,8–10). Die schwierige Frage nach der Identität dieses dritten Himmels bzw. weiterer Himmel läßt Basilius allerdings offen. ³⁰⁵ In hex. 3,3 (41,10–42,26) wendet sich Basilius vor allem gegen »diejenigen, die die philosophischen Lehren über den Himmel entwickeln« (οἱ τὰ περὶ οὐρανοῦ φιλοσοφήσαντες 41,10) und einen einzigen Himmel bzw. Kosmos behaupten, wie Platon, Ti. 28b; 31ab; 32c– 33a; 53c–55d; 92c; Aristoteles, Cael. 1,8 (276a18); 1,9 (277b27).

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zur Voraussetzung, daß dem Schöpfer eine Materie vorlag, die für einen einzigen Himmel bemessen war.³⁰⁶ Eine derartige, unabhängig vom Schöpferwillen existierende Materie begrenze aber die Schöpfermacht Gottes, von der man annehmen muß, daß sie unzählige Himmel erschaffen kann. Basilius greift hier deutlich erkennbar Argumente aus der christlichen Polemik auf, die gegen die Existenz einer ungeschaffenen Materie sowie gegen die Lehre von der Ewigkeit der Welt gerichtet sind. Das zeigt, daß es ihm durchaus bewußt ist, daß Platon und Aristoteles unter dem einen Himmel den einen, ewigen Kosmos verstehen.³⁰⁷ Während Basilius bei der Untersuchung biblischer Texte immer davon ausgeht, daß ›Himmel‹ vielfältige Bedeutungen haben kann, unterläßt er es, für die platonisch-aristotelische Position genauer zu ermitteln, worauf sich die Bezeichnung ›Himmel‹ hier eigentlich bezieht. Basilius ist nicht daran interessiert, die platonisch-aristotelische Position genau darzustellen und in eine sachliche Auseinandersetzung um die Bedeutung und Anzahl der Himmel zu treten, sondern er stellt die christliche Rede von mehreren Himmeln pauschal der philosophischen Lehre gegenüber. Das zeigt sich auch daran, daß er im Interesse des Gegensatzes zwischen den Lehren der außenstehenden Philosophen (τὰ τῶν ἔξωθεν) und der biblisch-christlichen Lehre (ὁ ἐκκλησιαστικὸς λόγος) darauf verzichtet, wie andere christliche Autoren in der naturphilosophischen Unterscheidung verschiedener Luftbereiche oder in der Lehre von den verschiedenen Planetensphären naturphilosophische Korrelate zu der biblischen Rede von mehreren Himmeln zu sehen.³⁰⁸ 2.5.2. Die Natur des Firmaments und sein Nutzen im Gesamtzusammenhang des Kosmos Basilius bestimmt die Natur des Himmels Gen 1,6, indem er von dessen Bezeichnung als στερέωμα ausgeht.³⁰⁹ Den semantischen Gehalt dieser Bezeichnung ermittelt er durch eine Untersuchung des biblischen Sprachgebrauchs, die zu dem Ergebnis kommt, daß στερέωμα etwas bezeichnet, das an Stärke überlegen ist. Erst in einem zweiten Schritt knüpft er in philonisch-origenianischer Tradition an philosophische Definitionen des festen Körpers an und gewinnt daraus die Widerständigkeit (ἀντιτυπία) als Eigenschaft eines

³⁰⁶ Siehe Platon, Ti. 32c–33a. ³⁰⁷ Siehe Platon, Ti. 28b; 92c. ³⁰⁸ Zu Origenes siehe Kapitel B I 4.3.1; vgl. außerdem Gregor Nyss., hex. 75 f. (90,4–92,16

Forbes). Basilius erwähnt die Lehre von den Planetensphären und der Sphärenmusik lediglich als ein Paradoxon der paganen Philosophen, angesichts dessen die christliche Lehre einer Vielzahl von Himmeln den Vorwurf der Lächerlichkeit nicht zu fürchten brauche (hex. 3,3 [42,11–21 Amand de Mendieta / Rudberg]). ³⁰⁹ Siehe hex. 3,4 (43,26–44,16) fortgeführt in 3,7 (49,11–20).

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στερέωμα.³¹⁰ Diesen Aspekt findet er dann auch in biblischen Verwendungen des Wortes enthalten, aus denen er Belege herausgreift, die meteorologische Phänomene beschreiben. Basilius bezieht dabei die Eigenschaften der Stärke und Widerständigkeit nicht auf Festkörper, sondern auf Phänomene verdichteter Luft.³¹¹ Dieses Verständnis von στερέωμα wendet er auf Gen 1,6 an, wobei er die Zweckbestimmung des Firmaments mit in den Blick nimmt: Das Firmament besitzt eine feste und dichte Natur, die geeignet ist, das viskose und flüchtige Wasser festzuhalten. Es hat den Charakter einer Membran, die das leichte Wasser nach oben durchläßt und das schwere, erdartige Wasser nach unten absinken läßt.³¹² Basilius lehnt es ab, das Firmament als festen, widerständigen Körper zu betrachten, da diese Eigenschaften eher der Erde zukämen. Der Himmel Gen 1,6 ist ein relatives στερέωμα im Vergleich zur feinen, luftartigen und nicht mit den Sinnen faßbaren Natur der darüberliegenden Dinge, womit Basilius wahrscheinlich eher die ätherartige Natur der Gestirne, als die intelligible Natur meint.³¹³ Es zeigt sich, daß Basilius zu seiner Erklärung des Firmaments Gen 1,6 durch eine komplexe Verbindung von biblischem und philosophischem Sprachgebrauch gelangt, wobei der biblische Befund dominiert.³¹⁴ Basilius geht von der biblischen Verwendung von στερέωμα aus. Auffällig ist dabei, daß er die Passagen, die von der Verfestigung des Himmels und der Erde sprechen, ausspart. Wahrscheinlich ignoriert er sie, weil sie von Autoren wie beispielsweise Acacius von Caesarea für eine Beschreibung der Natur des Himmels herangezogen werden, die Basilius nicht teilt.³¹⁵ Der biblischen Terminologie stellt Basilius die philosophische Erklärung des στερεὸν σῶμα zur Seite. Durch wei³¹⁰ Siehe dazu Kapitel B I 4.1.3 mit Anm. 176. Auf die Definition des festen Körpers im Unterschied zur Definition eines mathematischen Körpers verweist Basilius, hex. 3,4 (44,3–8). Philo und Origenes erwähnen die Eigenschaft der Widerständigkeit nicht und arbeiten auch nicht den Unterschied zwischen der Definition von festen bzw. mathematischen Körpern heraus. Basilius zieht im Detail hier offensichtlich eigenständig die philosophischen Definitionen heran. ³¹¹ Hex. 3,4 (44,9–14). ³¹² Hex. 3,4 (44,14–16); 3,7 (49,17–19). ³¹³ Siehe hex. 3,7 (49,12–17). Die Bedeutung ist nicht eindeutig. Die Beschreibung als ἀραιὰν φύσιν legt eher den Bezug auf den Bereich der Gestirne nahe, der nach Basilius wohl oberhalb des Firmaments angesiedelt ist. Gregor von Nyssa nimmt das Argument des Basilius auf, bezieht es aber eindeutig auf die intelligible, überhimmlische Natur (hex. 18 [28,24–34 Forbes]). ³¹⁴ Die Argumentation in hex. 3,4 (43,26–44,16) ist klar aufgebaut: Fragestellung in 43,26 f.; biblischer Befund (σύνηθες τῇ γραφῇ) in 43,27–44,3; philosophische Erklärung (οἱ μὲν γὰρ ἔξωθεν … λέγουσι) in 44,3–8; biblischer Befund (τῇ δὲ γραφῇ σύνηθες) in 44,9–14; Schlußfolgerung (Καὶ νῦν τοίνυν ἡγούμεθα …) in 44,14–16. ³¹⁵ Acacius von Caesarea nennt z. B. Ps 135(136),6; Jes 42,5 (Coll. Coisl. frg. 39 [Z. 6–10; 36 f. Petit]). Vielleicht hat Basilius u. a. Acacius vor Augen, wenn er sich gegen diejenigen wendet, die mit Sicherheit behaupten, daß die Erde auf Wasser gegründet sei (hex. 1,8 f. [16,1–5; 16,6–17,10]).

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tere biblische Passagen, die er vor dem Hintergrund der ersten beiden Untersuchungsschritte sowie der Zweckangabe des Firmaments ermittelt, gelangt er schließlich zu einer Bestimmung des Firmaments als einer dichten, membranartigen Natur, die das Wasser einerseits festhält und gleichzeitig für Teile des Wassers durchlässig ist. Durch die angeführten biblischen Textbelege entsteht der Eindruck, daß Basilius das Firmament als verdichtete Luft auffaßt, ohne daß er diese Identifikation tatsächlich vollzieht.³¹⁶ Ausdrücklich lehnt er es ab, das Firmament aus Wasser bestehen zu lassen und es als gefrorenes Wasser bzw. kristallierten Stein zu denken.³¹⁷ Er wendet sich damit gegen eine offensichtlich populäre Auslegung, die den Himmel Gen 1,6 im Anschluß an Bibeltexte wie Ex 24,10 oder Offb 4,6 als Kristall bestimmt und mit einer bestimmten naturphilosophischen Erklärung der Natur des Himmels verknüpft. Diese Interpretation hat jüdische Wurzeln und begegnet vor allem bei Vertretern der sogenannten antiochenischen Auslegungstradition.³¹⁸ Basilius läßt offen, ob das Firmament aus einem einzigen Element besteht oder ob es als ein Gemisch aller Elemente angesehen werden muß.³¹⁹ Er scheint geneigt zu sein, letzteres anzunehmen.³²⁰ ³¹⁶ M. A 1988, 105 f. und S. G, SC 26, 209 Anm. 3 schreiben Basilius diese Identifikation zu. Zu Recht zurückhaltender äußert sich C. S 1996a, 274. ³¹⁷ Siehe hex. 3,4 (44,17–45,5). ³¹⁸ Daß Basilius hier vor allem Ausleger von Gen 1,6 im Auge hat, legt sich von daher nahe, daß er die verschiedenen naturphilosophischen Theorien über den Himmel (platonisch; aristotelisch; nach-aristotelisch) in seiner Auslegung von Gen 1,1 verhandelt. Die Bestimmung des Firmaments als Kristall bzw. kristalliertes Wasser ist für jüdische Ausleger belegt (siehe die Belege bei M. A 1988, 109). Basilius erklärt diese Bestimmung des Firmaments als Produkt der verbreiteten Annahme (κατὰ τὴν κοινὴν ἐκδοχὴν [44,17]), daß das Firmament aus Wasser entstanden sei. Interpreten wie Severian von Gabala und dessen Nachfolger (Belege bei C. S 1996a, 280–288) bezeugen eine christliche Tradition dieser Auslegung. Prokop von Gaza, der Basilius zitiert (comm. in Gen. [PG 87/1, 68d]), fügt als Begründung dieser Auffassung eine Etymologie des hebräischen šmjm an. Nach der antiken Auffassung, die Basilius referiert (hex. 3,4 [44,19–45,2]), entstehen Kristall- und Spiegelstein sowie andere Edelsteine aus der starken Verdichtung von Wasser (vgl. z. B. Diodor von Sizilien, bibl. hist. 2,52,2 [252,25–253,1 Vogel]; Seneca, nat. 3,25,12 [Z. 649–658; 145 Hine]). Als Ursache der Verdichtung gilt entweder große Kälte oder große Hitze. Für die Theorie, daß der Himmel aus einem kristallartigen Körper besteht, kann auch auf Empedokles verwiesen werden. Siehe M. N 1990, 337; E. A  M / S. Y. R, GCS Basilius, ad loc. sowie S, a. a. O., 313 mit Belegen, die in KRS nicht vermerkt sind. Nach anderen Zeugnissen läßt Empedokles den Himmel, d. h. den Bereich der Gestirne, aus dem Äther hervorgehen (KRS 369) und den unteren Bereich der schweren Luft, in dem die meteorologischen Phänomene ablaufen, aus Wasser aufsteigen (KRS 369). Den Mond am Grenzbereich betrachtet er dann als verfestigte schwere Luft »wie Hagel« (KRS 370). Möglicherweise verwendet auch Empedokles an verschiedenen Stellen ›Himmel‹ in unterschiedlichen Bedeutungen. Für weitere Belege, daß der Himmel aus Spiegelstein besteht, siehe N, a. a. O., 337. ³¹⁹ Basilius, hex. 3,4 (45,6–14). ³²⁰ Hex. 3,4 (45,7–11). Im Hintergrund steht wahrscheinlich Ti. 31b–32c. Siehe dazu die Auslegung des Numenius, frg. 51 (Des Places; Text in Anm. 147); vgl. Aristoteles, GC 2,8 (334b31–335a23): Alle Elementarkörper sind in gewisser Weise in jedem zusammengesetzten

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Letztlich sieht sich Basilius aber zu Zurückhaltung genötigt, da unter den Naturphilosophen an diesem Punkt Uneinigkeit herrscht und vor allem die Bibel zu dieser Frage keine entscheidende Antwort bereithält.³²¹ Aus seinen Ausführungen ergibt sich allerdings, daß das Firmament hauptsächlich aus Luft und Wasser bestehen muß, ohne daß diese wie später bei Johannes Philoponus in irgendeiner Weise verfestigt gedacht werden.³²² Die Annahme von realen Wassermassen oberhalb des Firmaments provozierte offensichtlich unter den Hörern des Basilius die Frage, wie sich das fließende und abwärtsstrebende Wasser oberhalb einer kugelförmigen und abschüssigen Oberfläche halten kann.³²³ Möglicherweise führten bereits Verfechter einer allegorischen Auslegung vor Basilius diese Aporie an, um die Notwendigkeit einer übertragenen Auslegung der oberen Wasser zu begründen. Denkbar ist aber auch, daß es von Auslegern vorgetragen wurde, die die kugelförmige Gestalt des Kosmos und des Firmaments ablehnten.³²⁴ Basilius begegnet dieser Kritik mit einem Argument, das keine Verbindung zu seiner naturphilosophischen Beschreibung des Firmaments erkennen läßt.³²⁵ Denn ihm dürfte sich dieses Problem gar nicht stellen, da für ihn das Wasser oberhalb des Firmaments in leichter, d. h. verdunsteter Form vorliegt.³²⁶ Basilius entgegnet den Kritikern, daß das, was von innen rund erscheint, nicht zwingend auch eine runde, geglättet Oberfläche haben müsse. Es könne nach außen durchaus gerade und eben abschließen, wie steinerne Gewölbedecken zeigen. Diese Erklärung ist vereinbar mit der biblischen Begründung für die Gestalt des Firmaments, die Basilius mit Jes 40,22 gibt,³²⁷ und begegnet später vor allem bei Vertretern der sogenannten antiochenischen Auslegung des Schöpfungsberichtes.³²⁸ Sie steht im Widerspruch zu Basilius’ impliziter Annahme der sphärenförmigen Gestalt des Kosmos, die an verschiedenen Stellen der Predigten hervortritt,³²⁹ und kann daher als ein argumentum ad hominem Körper vorhanden. Vgl. die Ausführungen des Basilius zur Elementenlehre in hex. 4,5 (65,6– 66,8). ³²¹ Basilius, hex. 3,4 (45,12–14). ³²² Zur Auslegung des Johannes Philoponus siehe C. S 1996a, 308–314. ³²³ Siehe Basilius, hex. 3,4 (43,12–16). ³²⁴ Gregor von Nyssa greift die Aporie auf, um seine übertragene Deutung des oberen Wassers zu unterstützen (hex. 27 [40,32–42,11 Forbes]). ³²⁵ Siehe Basilius, hex. 3,4 (43,17–25). ³²⁶ So bereits C. S 1996a, 273. ³²⁷ Basilius, hex. 1,8 (14,23–15,2). ³²⁸ Siehe die Auslegung, die Prokop von Gaza referiert, comm. in Gen. (PG 87/1, 68c–d). ³²⁹ Basilius behauptet an keiner Stelle explizit, daß der Kosmos sphärenförmig ist. In hex. 3,3 führt er die ineinanderliegenden Planetensphären distanziert als ein Paradoxon der paganen Philosophen an (42,11–21). Basilius setzt aber implizit die Kugelgestalt des Kosmos, des Himmels und der Erde voraus, wenn er bestimmte Annahmen übernimmt, ohne freilich deren systematische Voraussetzungen eigens zu bedenken: hex. 1,3 (5,19–6,10): kreisförmige, aber nicht ewige Bewegung des Himmels; hex. 1,9 (16,18–17,10): Wasser umfließt die Erde,

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angesehen werden, dessen systematische Implikationen Basilius nicht weiter bedenkt. Gleichzeitig gibt diese Passage der dritten Homilie aber zu erkennen, daß auch die Kugelgestalt des Kosmos und des Firmaments für Basilius zu den naturphilosophischen Annahmen gehört, die er stillschweigend benutzt, solange sie mit dem biblischen Text vereinbar sind, die für ihn aber nicht den Status einer sicheren Wahrheit besitzen. Die dichte und zugleich durchlässige Natur des Firmaments ist nach Basilius ausgerichtet auf den Zweck, den es innerhalb des Kosmos zu erfüllen hat, nämlich das schwere, untere Wasser vom leichten, oberen Wasser zu trennen.³³⁰ Diese Aussage entspricht zunächst der Ansicht des Theophilus von Antiochien, nach der das untere Wasser die Flüsse, Seen und Quellen, das obere Wasser dagegen die verschiedenen Formen von Niederschlägen bildet.³³¹ Basilius geht aber über diese einfache, dem altorientalischen Weltbild des Schöpfungsberichtes im wesentlichen entsprechende Erklärung hinaus, indem er dem oberen Wasser auch noch eine andere Funktion als die Bildung von Niederschlägen zuweist. Die Trennung der Wasser ist ihm zufolge nicht allein ein Schöpfungsakt, der die Existenz verschiedenartiger Wasserphänomene begründet, sondern ein Ausweis der schöpferischen Vorsehung Gottes, die auf den Bestand des Kosmos gerichtet ist. Das obere Wasser dient dabei dem Zweck, trotz der verzehrenden Wärme des Feuers im Kosmos für die gesamte Zeit seines Bestandes eine gleichbleibende Temperatur (εὐκρασία) zu erhalten.³³² hält sich dabei trotz seiner flüssigen, abwärtsfließenden Natur ›oben‹; 1,10 (17,11–16): Basilius akzeptiert implizit, daß die Erde in der Mitte des Kosmos liegt und zu allen Seiten den gleichen Abstand zu den äußeren Enden des Kosmos hat; 2,8 (34,6–8): Wechsel von Tag und Nacht, wenn die Sonne an der Halbkugel über der Erde auf- bzw. untergeht; die Nacht wird erklärt als Schatten der Erde; 9,2 (147,11–13): Ablehnung von Spekulationen über die Größe des Erdschattens, der entsteht, wenn sich die Sonne unterhalb der Erde bewegt. Prokop von Gaza leitet aus der basilianischen Beschreibung des Firmaments als Gewölbe ab, daß der Firmament-Himmel keine Kugelgestalt hat und sich nicht bewegt (comm. in Gen. [PG 87/1, 69a]). ³³⁰ Siehe Basilius, hex. 3,7 (49,17–20). ³³¹ Siehe Theophilus von Antiochien, Autol. 3,13 (Z. 35–37; 60 Marcovich). Vgl. Basilius, hex. 3,8 (52,12–53,4). ³³² Basilius, hex. 3,5 (46,17–19): … οὕτως ἐξ ἀρχῆς τοῦ μεγάλου τεχνίτου προβλεψαμένου τὸ μέλλον, καὶ διὰ τὴν ἐφεξῆς χρείαν τὰ πρῶτα διαθεμένου. (47,2–8): Τοσαύτην τοῦ ὑγροῦ τὴν φύσιν ὁ οἰκονομῶν τὸ πᾶν προαπέθετο, ὥστε μέχρι τῶν τεταγμένων ὅρων τῆς τοῦ κόσμου συστάσεως κατὰ μικρὸν τῇ δυνάμει τοῦ πυρὸς ἐξαναλισκόμενον ἀντισχεῖν. Ὁ τοίνυν »πάντα σταθμῷ καὶ μέτρῳ διαταξάμενος« … ᾔδει πόσον τῷ κόσμῳ χρόνον ἀφώρισεν εἰς διαμονὴν καὶ πόσην χρὴ τῷ πυρὶ δαπάνην προαποθέσθαι. Οὗτος ὁ λόγος τῆς τοῦ ὕδατος περιουσίας κατὰ τὴν κτίσιν. 3,7 (49,17–20): Καὶ νόει μοι τόπον τινὰ διακριτικὸν τοῦ ὑγροῦ· τὸ μὲν λεπτὸν καὶ διηθούμενον ἐπὶ τὸ ἄνω διιέντα, τὸ δὲ παχύτατον καὶ γεῶδες ἐναφιέντα τοῖς κάτω, ἵν’ ἐξ ἀρχῆς μέχρι τέλους ἡ αὐτὴ εὐκρασία συντηρηθῇ, κατὰ μέρος τῆς ὑφαιρέσεως τῶν ὑγρῶν γινομένης. Für die Weisheit Gottes in dieser Anordnung siehe 3,6 (2–4); vgl. 3,7 (51,3). Der Begriff εὐκρασία begegnet 3,7 (49,19; 51,9).

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Basilius geht zunächst von der Wassermasse des Anfangs aus, die nach seiner Auslegung in Gen 1,2 impliziert ist, sowie von dem noch heute zu beobachtenden Wasserreichtum der bewohnten Erde und kommt zu dem Schluß, daß Gott eine Menge an Wasser geschaffen hat, die im Verhältnis zu den übrigen Elementen außerordentlich groß ist.³³³ Diese Wassermenge entspricht genau der Kraft des Feuers, zu dem das Wasser im Gegensatz steht und dem es als Nahrung dient. Auf diese Weise stehen Wasser und Feuer in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander, so daß beider Existenz gesichert ist und der Bestand des Kosmos trotz der allmählichen Verdunstung und Aufzehrung des Wassers durch das Feuer für genau den Zeitraum garantiert ist, den Gott bei der Erschaffung beschlossen hat. Diese Argumentation beruht auf der verbreiteten Vorstellung, daß ein Ungleichgewicht der Elemente bzw. die Vernichtung eines Elements zur Auflösung des Kosmos führt, der auf den harmonischen Verhältnissen der Elemente beruht.³³⁴ Die Funktion des ›oberen Wassers‹ besteht vor diesem Hintergrund darin, eine natürliche Grenze für den feurigen Äther zu bilden, die dessen verzehrende Kraft abschwächt, so daß der Raum unterhalb des Firmaments wohltemperiert bleibt.³³⁵ Die Erklärung des Basilius fußt auf der Annahme, daß das Feuer der Gestirne ebenso wie das Feuer und die Wärme, die im irdischen Bereich beobachtet und genutzt werden, das Wasser verbrennt und verzehrt.³³⁶ Dafür beruft er sich auf Beobachtung und Erfahrung.³³⁷ Er wendet sich damit gegen die Position des Aristoteles, der diese Nahrungstheorie vor allem in seiner Meteorologie nachdrücklich abgewiesen hat.³³⁸ Basilius vertritt die Position ³³³ Siehe die Anspielung auf Gen 1,2 in hex. 3,5 (46,5–7) und die Beschreibung der Gewässer der bewohnten Erde in 3,6 (47,20–49,4). Die Aussagen über das Verhältnis des Wassers zu den übrigen Elementen finden sich in 3,5 (46,2–5.15–19; 47,7 f.); 3,7 (49,21–23). ³³⁴ Über das Feuer sagt Basilius in hex. 3,5 (46,20–22), daß die Existenz des Feuers notwendig für das All sei, nicht allein für die Verwaltung der irdischen Dinge (πρὸς τὴν τῶν περιγείων οἰκονομίαν), sondern auch für die wesentliche Vervollständigung des Alls (πρὸς τὴν συμπλήρωσιν τοῦ παντός). Diese Aussage gilt für alle Elemente. Vgl. z. B. Seneca, nat. 2,4,1 f. (Z. 68; 56 Hine): Luft; 2,5,1 (Z. 82; 57): Erde; 3,12,2 f. (Z. 301–309; 124): Wasser und implizit alle Elemente. Zum Gleichgewicht und der Harmonie der Elemente als Voraussetzung für den Bestand des Kosmos siehe die Darstellung verschiedener philosophischer Argumentationen in Kapitel B III 3.2.3. ³³⁵ Siehe Basilius, hex. 3,7 (49,17–20; 50,3–9). Dieser Aspekt wird auch von einigen der sogenannten antiochenischen Ausleger des Verses hervorgehoben, aber mit dem Kristallcharakter des Firmaments verknüpft (C. S 1990, 284). ³³⁶ Siehe die Beschreibung des Gegensatzes zwischen Wasser und Feuer (hex. 3,5 [46,23– 26; 47,3 f.]; 3,6 [49,3 f.]), der Kraft des Feuers als verzehrend und der Natur des Wassers als Nahrung des Feuers (3,5 [47,7.17 f.]; 3,7 [49,22–50,2.21.23 f.]). Aristoteles, Mete. 2,2 (355a5) berichtet als verbreitete, ältere Anschauung … τὸ δ’ ὑγρὸν τῷ πυρὶ τροφὴν εἶναι μόνον … ³³⁷ Basilius beschreibt in hex. 3,7 (50,9–14), wie die Sonne feuchte Erde austrocknet. Diese Beobachtung greift dann auch Gregor von Nyssa auf, erklärt sie aber anders (hex. 33 [48,12– 25 Forbes]). ³³⁸ Siehe Aristoteles, Mete. 2,2 (354b33 f.; 355a25 f.). Daß Basilius Aristoteles und die Verfechter seiner Meteorologie und Elementenlehre im Blick hat (siehe οἱ τὰ πάντα δεινοί 50,13),

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der Vorgänger des Aristoteles, da er mit deren meteorologischer Theorie und der in ihr implizierten Elementenlehre die Unterscheidung zwischen oberen und unteren Wassern nicht nur naturphilosophisch plausibel machen kann, sondern sie zugleich als Ausdruck der vorausschauenden Fürsorge des Schöpfergottes für den Bestand des Kosmos interpretieren kann. In seiner Auseinandersetzung mit der basilianischen Auslegung wird dann Gregor von Nyssa wiederum Argumente des Aristoteles aufgreifen, um Basilius’ Behauptung der Ernährung des Feuers durch das Wasser zu widerlegen. Die Rede des Basilius von der allmählichen Aufzehrung des Wassers durch das Feuer hat zu dem Urteil geführt, daß er der erste christliche Autor sei, der das Ende der Welt als eine kosmische ἐκπύρωσις auffaßt und es damit als ein Ereignis mit natürlichen Ursachen denkt.³³⁹ In der Tat beschließt Basilius an einer Stelle seine Erläuterung der Funktion der oberen Wasser mit einem Ausblick auf das Ende der Welt. Obwohl Gott in seiner unaussprechlichen Weisheit es eingerichtet hat, daß das Wasser nicht ohne weiteres durch das Feuer vernichtet wird, werde es nach biblischer Lehre eine Zeit geben, in der alles im Feuer verbrannt werden wird. Basilius liest Jes 44,27 mit einem wirkungsvollen Textzusatz als einen eschatologischen Text, in dem es von Gott heißt, »Der zum Abgrund sagt ›Du wirst verödet werden, und alle deine Flüsse werde ich austrocknen‹«.³⁴⁰ Basilius ruft seine Hörer auf, sich angesichts dieses endzeitlichen Handelns Gottes zur Lehre der Wahrheit, das heißt zur christlichen Wahrheit, zu bekehren und die törichte Weisheit der außenstehenden Philosophen aufzugeben. Mit diesem Abschnitt führt Basilius in einem Kontext, der von der vorausschauenden Fürsorge Gottes für den Bestand des Kosmos handelt, seinen Hörern das Ende der Welt und das göttliche Gericht vor Augen. Wie an einigen anderen Stellen der Homilien schlägt er eine Verbindung von der Schöpfung und der Erhaltung der Welt zu ihrem Ende und liest den Schöpfungsbericht nicht nur als kosmologischen, sondern auch als protreptischen Text.³⁴¹ Das Zitat Jes 44,27 macht dabei unmißverständlich deutlich, daß Gott, der beweist auch die Polemik gegen die aristotelische Auffassung von der Natur der Sonne (hex. 3,7 [50,17–51,2]) sowie die sachliche Anspielung auf Aristoteles’ Erklärung des Gleichmaßes der Flüsse (51,10–13); vgl. mit Aristoteles, Mete. 2,2 (355b20–24; 355a32–34). Auch gegen die Entstehung des Süßwassers durch die Verdunstung von Meerwasser polemisiert Basilius, hex. 3,7 (51,13–16); vgl. mit Aristoteles, Mete. 2,2 (355a3–356b33). Basilius will Aristoteles und dessen Nachfolger des Widerspruchs überführen. Basilius ignoriert daher, daß Aristoteles das Phänomen der Verdunstung in den Kreislauf des Wassers einbindet. ³³⁹ So vor allem E. C 1955, 99: »Basile est donc le premier écrivain chrétien, qui parle de l’ekpyrosis comme d’un phénomène naturel, c’est-à-dire dépendant des causes secondes.« ³⁴⁰ Siehe Basilius, hex. 3,6 (49,5–9). Basilius fügt in das Zitat aus Jes 44,27 ein πάντας vor τοὺς ποταμούς σου ein. ³⁴¹ Auch in hex. 2,8 (36,7–37,3) fügt Basilius eine Betrachtung der letzten Dinge an.

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Schöpfer der Welt, auch Urheber ihres Endes ist. Basilius verhandelt das Ende der Welt hier ausdrücklich biblisch-theologisch und nicht auf der Ebene der Elemente und ihrer Wechselwirkungen. Die Wechselwirkung der Elemente Wasser und Feuer beschreibt er nur im Zusammenhang des Problems der Bestandssicherung des Kosmos. Ich meine, daß Basilius bewußt davon absieht, beide Themen miteinander zu verbinden und das Ende der Welt auf der Ebene der Interaktion der Elemente zu verhandeln. Seine Auslegung der oberen Wasser Gen 1,6 bietet freilich eine Grundlage, die christliche Lehre vom gottgewirkten Ende der Welt naturphilosophisch zu formulieren. Basilius’ Beschreibung der kosmischen Wirkung des Feuers auf das Wasser sind weit von stoischen Erläuterungen des Weltenbrands entfernt, wonach alle Elemente schrittweise in Feuer umgewandelt werden, so daß der Kosmos schließlich ganz in Feuer aufgeht, aus dem dann ein neuer Kosmos entsteht. Dennoch scheint Basilius eine Gefahr darin zu sehen, daß bestimmte Formulierungen im Sinne der stoischen Vorstellung verstanden werden. Er richtet sich daher am Ende seiner Ausführungen zur Natur und Funktion des Firmaments ausdrücklich gegen die stoische Lehre der Ekpyrosis, die er in doppelter Hinsicht im Irrtum sieht: Wegen der Leugnung der Ewigkeit des Kosmos steht sie im Widerstreit mit den übrigen Philosophen, wegen der Annahme endloser Kosmoszyklen widerspricht sie der christlichen Lehre.³⁴² Man kann durchaus fragen, ob Basilius eine kosmische Ekpyrosis mit transzendenter Ursache und unter Absehung der Vorstellung eines ewigen kosmischen Zyklus lehrt. Eine derartige Klassifikation trägt allerdings wenig aus. Sie blendet vielmehr aus, daß die Beschreibung der kosmischen Wirkung des Feuers bei Basilius dem exegetischen Zweck dient, das obere Wasser Gen 1,6 naturphilosophisch plausibel zu machen und als Einrichtung der göttlichen Vorsehung zu interpretieren, und daß Basilius eine naturphilosophische Erläuterung des Weltendes unterläßt. Entscheidende Charakteristika der basilianischen Genesisexegese und Kosmologie gehen unter diesen Umständen verloren. 2.5.3. Die Ablehnung einer allegorischen Auslegung der Wasser Gen 1,6 f. Im Anschluß an die ausführliche naturphilosophische Begründung für die Trennung der Wasser Gen 1,6, die auf einem wörtlichen Verständnis des Bibelverses beruht, richtet sich Basilius mit Nachdruck gegen eine allegorische Interpretation von Gen 1,6–9: Wir müssen aber auch gegen einige aus der Kirche etwas über die geschiedenen Wasser sagen, die unter dem Vorwand einer anagogischen Auslegung und erhabenerer Einsich³⁴² Siehe hex. 3,8 (53,14–20).

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ten zur Allegorese Zuflucht genommen haben und behaupten, mit den Wassern würden bildlich geistige und unkörperliche Kräfte bezeichnet, die besseren seien oben beim Firmament geblieben, die bösen hätten sich an irdischen und stofflichen Orten niedergelassen. Daher, sagen sie, loben Gott auch die Wasser oberhalb der Himmel [vgl. Ps 148,4 f.], d. h. die guten Kräfte, die wegen der Reinheit des Führungszentrums [ihrer Seele] würdig seien, dem Schöpfer das gebührende Lob darzubringen. Die Wasser unterhalb der Himmel aber seien die spirituellen Kräfte der Bosheit, die aus ihrer natürlichen Höhe in die Tiefe des Bösen herabgefallen sind. Diese Kräfte, unruhig und aufrührerisch und von den Wirrungen der Affekte hin und her getrieben, würden wegen der leichten Wandelbarkeit und Unbeständigkeit ihrer Vorsätze Meer genannt.³⁴³

Basilius nennt als Urheber dieser allegorischen Auslegung eine anonyme Gruppe im Plural, die er näher als οἱ ἀπὸ τῆς ἐκκλησίας bestimmt. Damit hebt er sie einerseits von den paganen Philosophen ab, gegen deren Positionen er sich in den vorangehenden Abschnitten gerichtet hat. Andererseits unterscheidet er sie aber auch von den Häretikern, deren allegorische Auslegung von Gen 1,2 er in der zweiten Predigt scharf angegriffen hat. a) Die Identität der allegorisierenden Ausleger von hex. 3,9. Bereits der Herausgeber der Basiliushomilien im 18. Jahrhundert schreibt die in hex. 3,9 zurückgewiesene Auslegung Origenes zu, und bis in die Gegenwart wird diese Ansicht immer wieder vorgetragen, gelegentlich aber auch abgelehnt.³⁴⁴ Kronzeugen der Zuschreibung an Origenes sind für gewöhnlich die polemischen Zeugnisse erklärter Gegner des Origenes wie Epiphanius, Justinian, aber auch Hieronymus.³⁴⁵ Die Auslegung dieser Verse durch Origenes ist nur teilweise ³⁴³ Basilius, hex. 3,9 (53,21–54,8): Ἡμῖν δὲ καὶ πρὸς τοὺς ἀπὸ τῆς ἐκκλησίας ἐστί τις λόγος περὶ τῶν διακριθέντων ὑδάτων, οἵ, προφάσει ἀναγωγῆς καὶ νοημάτων ὑψηλοτέρων, εἰς ἀλληγορίας κατέφυγον, δυνάμεις λέγοντες πνευματικὰς καὶ ἀσωμάτους τροπικῶς ἐκ τῶν ὑδάτων σημαίνεσθαι· καὶ ἄνω μὲν ἐπὶ τοῦ στερεώματος μεμενηκέναι τὰς κρείττονας, κάτω δὲ τοῖς περιγείοις καὶ ὑλικοῖς τόποις προσαπομεῖναι τὰς πονηράς. Διὰ τοῦτο δή, φασί, καὶ τὰ ἐπάνω τῶν οὐρανῶν ὕδατα αἰνεῖν τὸν θεόν, τουτέστι τὰς ἀγαθὰς δυνάμεις ἀξίας οὔσας διὰ καθαρότητα τοῦ ἡγεμονικοῦ τὸν πρέποντα αἶνον ἀποδιδόναι τῷ κτίσαντι· τὰ δὲ ὑποκάτω τῶν οὐρανῶν ὕδατα τὰ πνευματικὰ εἶναι τῆς πονηρίας, ἀπὸ τοῦ κατὰ φύσιν ὕψους εἰς τὸ τῆς κακίας βάθος καταπεσόντα, ἅπερ, ὡς ταραχώδη ὄντα καὶ στασιαστικὰ καὶ τοῖς θορύβοις τῶν παθῶν κυμαινόμενα, θάλασσαν ὠνομάσθαι διὰ τὸ εὐμετάβλητον καὶ ἄστατον τῶν κατὰ προαίρεσιν κινημάτων. [Einfügungen in der Übersetzung von mir]. Im letzten Satz klingt mit dem Stichwort ›Meer‹ Gen 1,10 an. ³⁴⁴ Siehe A. S, BKV Basilius 2, 57 Anm. 1. J. P 1964, 398 listet ausgewählte Vertreter dieser Ansicht seit dem Herausgeber der Basilius-Edition des 18. Jahrhunderts, G, auf und unternimmt es dann, aus den Schriften des Origenes und den Origenesfeindlichen Zeugnissen die Annahme zu erhärten (398–403); aufgenommen von E. A  M/ S. Y. R, GCS Basilius, ad loc. Gegen die Rückführung auf Origenes hat sich R. L 1990, 355–358 ausgesprochen. ³⁴⁵ Epiphanius, ep. ad. Iohann. Hier. bei Hieronymus, ep. 51,5.7 (405,13–17 Hilberg); vgl. ders., haer. 64 (Origenes) 4,11 (413,2–4 Dummer); Hieronymus, c. Ioh. 7 (Z. 23–26; 14 Feiertag); Justinian, a. Or. (ACO III 203,14–16 Schwartz). Justinian führt als Beleg für die Lehre des Origenes das Referat des Basilius an (203,16–36). Zu der Origenes-kritischen Doxographie siehe J. P 1964, 397–400.

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erhalten, denn die Interpretation von Gen 1,6 f. gehört leider zu den Büchern des Genesiskommentars, die verloren sind. Die erste Genesispredigt bezeugt aber, daß Origenes die oberen Wasser als geistige, unkörperliche Natur deutet und in den unteren Wassern von Gen 1,7 das Wasser des Abgrunds von Gen 1,2 bezeichnet sieht. Dieses Wasser bringt er durch eine Verknüpfung mit verschiedenen Bibeltexten (Offb 12,7–9; 20,3; Joh 12,31; Mt 25,41) mit dem Teufel und dessen Engeln, d. h. den Dämonen, in Verbindung. In einer anthropologischen Deutung bezieht er es außerdem auf die Sünden und Laster des Körpers sowie die Affekte der Dämonen.³⁴⁶ Origenes rückt in der Predigt die anthropologische Deutung des Schöpfungsberichtes ins Zentrum. Dennoch lassen sich deutliche Verbindungen zum Referat des Basilius ziehen: die Verknüpfung der oberen Wasser mit der spirituellen, unkörperlichen Natur sowie die Verbindung der unteren Wasser mit Dämonen, Körperlichkeit und deren Affekten. Die Begründung der Allegorese mit »erhabeneren Einsichten« erinnert außerdem in polemischer Brechung an Origenes’ Zuordnung der allegorischen Auslegung zu den Menschen, die tiefer forschen wollen.³⁴⁷ Ein weiteres Indiz dafür, daß Basilius in hex. 3,9 eine Auslegung referiert, die auf Origenes zurückgeht, bietet die Interpretation von Ps 148,4 f., die Basilius zufolge mit dem Genesisvers verbunden wurde. In verschiedenen Texten, auf die Jean Pépin aufmerksam gemacht hat, interpretiert Origenes Ps 148,4 f. auf eine Weise, die der Auslegung des Referates bei Basilius sehr nahe kommt.³⁴⁸ So sieht er in Contra Celsum in dem Psalmvers Geschöpfe Gottes bezeichnet, die über den Himmel und die gesamte sinnlich wahrnehmbare Natur hinaufgestiegen sind.³⁴⁹ In einer Predigt zum Lukasevangelium sieht er in dem Vers Engel erwähnt, die neben den Menschen Adressaten der Propheten und Apostel sind.³⁵⁰ In einem Scholion zu den Psalmen, das wohl von ³⁴⁶ Siehe Origenes, hom. in Gen. 1,1 (Z. 22–26; 26 Doutreleau): Quae est abyssus? Illa nimirum in qua erit ›diabolus et angeli eius‹. Denique hoc manifestissime et in Evangelio designatur, cum dicitur de Salvatore: ›Et rogabant eum daemonia quae eiciebat ne iuberet ea ire in abyssum‹. 1,2 (Z. 40–43; 30): [das Wasser unten] … id est aqua abyssi in qua tenebrae esse dicuntur, in qua ›princeps huius mundi‹ et adversarius ›draco et angeli eius‹ habitant, sicut superius indicatum est. (Z. 60–62; 30–32): … aquas istas quae sunt sub caelo … id est peccata et vitia corporis nostri, … (Z. 89 f.; 32): … separatis ex se aquis abyssi, qui sunt daemonum sensus, … ³⁴⁷ Siehe Origenes, comm. in Gen. frg. bei Calcidius, in Ti. 277 (281,17–19 Waszink); comm. in Gen. frg. bei Pamphilus, apol. Orig. 5.7 (40–42 Amacker / Junod). ³⁴⁸ Siehe J. P 1964, 400–403, teilweise aufgenommen von M. A 1988, 110 f. ³⁴⁹ Origenes, Cels. 5,44 (47,27–48,4 Koetschau): Πέρσαι τοίνυν πάντα τὸν τοῦ οὐρανοῦ κύκλον Δία καλείτωσαν, ἡμεῖς δὲ οὔτε Δία οὔτε τὸν θεόν φαμεν εἶναι τὸν οὐρανόν, οἵ γε ἐπιστάμεθα καί τινα τῶν ἡττόνων τοῦ θεοῦ ὑπεραναβεβηκέναι τοὺς οὐρανοὺς καὶ πᾶσαν αἰσθητὴν φύσιν. καὶ οὕτω γε συνίεμεν τοῦ· »αἰνεῖτε τὸν θεὸν οἱ οὐρανοὶ τῶν οὐρανῶν, καὶ τὸ ὕδωρ τὸ ὑπεράνω τῶν οὐρανῶν· αἰνεσάτωσαν τὸ ὄνομα κυρίου.« ³⁵⁰ Origenes, hom. in Lc. 23,7 (145,23–146,9 Rauer): Docet igitur Salvator noster et Spiritus sanctus, qui locutus est in prophetis, non solum homines, sed etiam angelos et virtutes invisibiles. Quid loquar de Salvatore? Prophetae quoque ipsi et apostoli omne, quod resonant, non

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Evagrius Ponticus stammt, aber eine origenianische Exegese aufgreift, werden die Wasser oberhalb des Himmels als die rationalen Naturen gedeutet, die von den Wassern im Himmel geschieden sind.³⁵¹ Dieses Scholion spielt dabei auch auf die Scheidung der Wasser Gen 1,6 f. an.³⁵² Die Auslegung von Gen 1,10, daß die niederen, dämonischen Kräfte hin und her getrieben werden und daher Meer genannt werden, findet sich in den erhaltenen Genesisauslegungen des Origenes nicht. Allerdings ist ›Meer‹ nach Gen 1,10 der Name für die Ansammlung der unteren Wasser, d. h. vor dem Hintergrund der origenianischen Auslegung von Gen 1,6 f. der Name für die Gesamtheit der Sünden und Laster des Körpers und der Affekte der Dämonen. Aufschlußreich ist außerdem eine Passage aus der 27. Predigt zum Buch Numeri.³⁵³ In dieser Predigt zu Num 33,1–49 deutet Origenes den Durchzug des Volkes Israel durch das Meer als eine Etappe der Vervollkommnung und des spirituellen Aufstiegs der Seele sowohl in diesem Leben als auch nach ihrer Trennung vom Körper.³⁵⁴ Das Meer, das für den Durchzug der Israeliten geteilt wird, steht für die Bedrängung und Beunruhigung der Seele auf ihrem Weg der Vervollkommnung. Das Meer verknüpft Origenes in deutlichem solum hominibus, sed et angelis praedicant. Quod ut scias verum, ›attende‹, inquit, ›caelum, et loquar‹ [Dtn 32,1], et: ›in conspectu angelorum psallam tibi‹ [Ps 137(138),1], et: ›laudate Dominum, caeli caelorum, et aquae, quae super caelos sunt, laudent nomen Domini‹ [Ps 148,4 f.], et: ›laudent eum angeli‹ [Ps 148,2], et: ›in omni loco potestatis eius benedic, anima mea, Domino‹ [Ps 102(103),22]. Invenies pluribus in locis, et maxime in Psalmis, et ad angelos sermonem fieri, … ³⁵¹ Origenes / Evagrius Ponticus (von M.-J. R 1960, 348 dem Evagrius zugeschrieben; siehe auch K. F 2002, 224 f.), sel. in Ps. 148,4 (PG 12, 1680a): Αἰνεῖτε αὐτόν, οἱ οὐρανοὶ τῶν οὐρανῶν, καὶ τὸ ὕδωρ τὸ ὑπεράνω τῶν οὐρανῶν αἰνεσάτωσαν τὸ ὄνομα Κυρίου, κ.τ.ἑ. Οὐρανός ἐστι νοητὸς φύσις λογικὴ τὸν τῆς δικαιοσύνης ἥλιον ἐν αὐτῇ περιφέρουσα. Τοῦ αὐτοῦ. Ὕδωρ τὸ ἐπάνω τῶν οὐρανῶν λογικὰς φύσεις σημαίνει, κεχωρισμένας ἀπὸ τῶν ἐν τοῖς οὐρανοῖς ὄντων ὑδάτων. ³⁵² J. P 1964, 402 weist auf eine Auslegung zu Ps 148,4, nach der drei Arten von Wasser unterschieden werden, die verschiedene angelische Ordnungen symbolisieren. Obwohl das Psalmenscholion von Evagrius Ponticus und nicht von Origenes selbst stammt, zeigt die Nähe zu den authentischen Origeneszeugnissen aus Contra Celsum und der Lukashomilie, daß Evagrius hier die Auslegung des Origenes aufnimmt, wobei die weitere Ausdifferenzierung der Engel-Hierarchie wahrscheinlich nicht origenianisch ist, sondern auf Evagrius zurückgeht. ³⁵³ Origenes, hom. in Num. 27,10 (269,27–270,7 Baehrens): [Auslegung von Num 33,8] Diximus tempus profectuum tempus esse periculorum. Quam molesta tentatio transire per medium mare, videre fluctus in cumulum crescere, audire undarum insanientium voces et strepitus; sed tamen si sequaris Moysen, id est legem Dei, aquae tibi fient murus dextra ac laeva et iter invenies per siccum in medio mari. Sed et illud iter coeleste, quod agere diximus animam, potest fieri, ut habeat aliquid aquarum, potest fieri ut et ibi inveniantur undae; est enim pars aliqua aquarum super coelum et pars aliqua sub coelo et nos interim harum, quae sub coelo sunt, aquarum undas fluctusque perferimus; Deus viderit, si illae quietae sunt semper et placidae nec aliquibus ventis flantibus excitantur. ³⁵⁴ Für diese Unterscheidung siehe Origenes, hom. in Num. 27,2 (258,5–259,19 Baehrens) und 27,5 (262,19–263,18).

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Rückgriff auf Gen 1,7 unter anderem mit dem Wasser unterhalb des Firmaments. Es steht für die Bedrängnis und Beunruhigung, der die Seele im Moment, d. h. in der Verbindung mit dem Leib, ausgesetzt ist. Diese Beunruhigung durch die Affekte des Leibes muß mit Gottes Hilfe befriedet werden, damit die Seele in ihrer Vervollkommnung voranschreiten kann. Origenes interpretiert hier das Meer als Bild für die Beunruhigung, die u. a. von der Körpernatur herrührt. Unkontrollierte Affekte bzw. Körperlichkeit durch bewegtes Wasser zu symbolisieren, ist außerdem ein verbreitetes philosophisches Bild, bei dem ähnliche Formulierungen wie zur Charakterisierung der Materie verwendet werden.³⁵⁵ Der Vergleich im Referat des Basilius ist daher nicht ungewöhnlich und vor dem Hintergrund der Genesisauslegung und der angeführten Numerihomilie für Origenes durchaus vorstellbar, auch wenn er wörtlich in der ersten Genesishomilie nicht begegnet. Daß die allegorische Auslegung, die Basilius in hex. 3,9 referiert, in ihren Grundzügen auf Origenes zurückgehen kann, legt sich auch von hex. 9,1 her nahe. Basilius wendet sich hier erneut gegen allegorisierende Ausleger des Genesisberichtes. Weil sie nicht die gewöhnliche Bedeutung der geschriebenen Worte nehmen, nennen sie Wasser nicht Wasser, sondern irgendeine andere Natur. Auch den Fisch verstehen sie nach ihrem Gutdünken und die Entstehung von Kriechtieren und wilden Tieren legen sie aus, indem sie sie nach ihren eigenen Gedanken verdrehen, wie die Traumdeuter die Erscheinungen, die im Schlaf auftreten, im Hinblick auf ihre eigene Zielvorstellung auslegen.³⁵⁶

Diese Zeilen können als eine knappe und polemische Zusammenfassung der origenianischen Auslegung von Gen 1,6 f.20–25 in der Genesishomilie gelesen werden, die freilich unterschlägt, daß Origenes durchaus auch eine Deutung auf der Ebene des Wortsinns akzeptiert.³⁵⁷ Die spirituelle Auslegung, die die ³⁵⁵ Das Meer findet sich als Symbol für die Materie schon bei Platon, Plt. 272d–273e. Siehe außerdem die Charakterisierung des Philosophen Karneades durch Numenius, frg. 27 (Z. 10–13 Des Places); vgl. die Charakterisierung der Materie in frg. 3 (Z. 10–12). Auch Porphyrius deutet fließendes Wasser auf die wechselnde Form der Materie (Antr. 5 [59,13–18 Nauck]; 10 [62,24–63,5]) und assoziiert Feuchtigkeit mit Körperlichkeit: die Seele, die sich zum Körper hinwendet, ist feucht; die Seele, die sich von Körperlichkeit abwendet, ist trocken (sent. 29 [17,11–20,6 Lamberz]; dazu R. B 1953, 309). Proclus, in R. I 78,7–10 (Kroll) charakterisiert auf ähnliche Weise wie Numenius, frg. 3 die niederen Dämonen, die in Kontakt mit der Materie stehen. Auf diesen Text hat R. L 1990, 356 aufmerksam gemacht. Ich denke allerdings nicht, daß damit widerlegt ist, daß der Vergleich am Ende des Referats des Basilius von Origenes stammen kann. ³⁵⁶ Basilius, hex. 9,1 (146,12–147,1): Ἃς οἱ μὴ καταδεχόμενοι τὰς κοινὰς τῶν γεγραμμένων ἐννοίας τὸ ὕδωρ οὐχ ὕδωρ λέγουσιν, ἀλλά τινα ἄλλην φύσιν, καὶ τὸν ἰχθὺν πρὸς τὸ ἑαυτοῖς δοκοῦν ἑρμηνεύουσι, καὶ ἑρπετῶν γένεσιν καὶ θηρίων ἐπὶ τὰς οἰκείας ὑπονοίας παρατρέψαντες ἐξηγοῦνται, ὥσπερ οἱ ὀνειροκρίται τῶν φανέντων ἐν ταῖς καθ’ ὕπνον φαντασίαις πρὸς τὸν οἰκεῖον σκοπὸν τὰς ἐξηγήσεις ποιούμενοι. ³⁵⁷ Origenes unterscheidet bei der Erklärung der Erschaffung der Tiere und Pflanzen in der ersten Genesishomilie zwei Ebenen: die Auslegung secundum litteram (hom. in Gen. 1,3

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einzelnen Schöpfungswerke auf den inneren bzw. äußeren Menschen bezieht, überwiegt in der Genesishomilie des Origenes allerdings deutlich. Der erste Satz des kurzen Referats bei Basilius faßt die Auslegung der Wasser Gen 1,6 f. zusammen, unter denen Origenes einerseits die spirituelle und andererseits die körperliche Natur des Menschen versteht, mit der die Affekte verbunden sind. Der zweite Satz der basilianischen Paraphrase bezieht sich auf die Auslegung von Gen 1,20 f.24 f. Origenes ordnet hier die Tiere ihrer Herkunft entsprechend dem inneren bzw. äußeren Menschen zu. Die Tiere, die aus dem Wasser entstehen, symbolisieren die Bewegungen und Gedanken des Geistes,³⁵⁸ die Tiere aus der Erde stehen für die Bewegungen des äußeren, fleischlichen und erdhaften Menschen.³⁵⁹ Im Vergleich mit erhaltenen Auslegungen des Origenes sprechen etliche Beobachtungen dafür, an der Ansicht festzuhalten, daß die in hex. 3,9 referierte allegorische Auslegung von Gen 1,6 f. letztlich auf Origenes zurückgeht.³⁶⁰ Basilius bietet eine Zusammenfassung der Interpretation, die den Schwerpunkt auf die kosmologische Ebene der Auslegung legt, während in der erhaltenen Genesispredigt die anthropologische Auslegung im Mittelpunkt steht. Origenes präsentiert hier den Menschen als eine mittlere Instanz, die im Spannungsfeld zwischen den oberen spirituellen Kräften, den Engeln, und den unteren Kräften, den Dämonen, steht. Vor dem Hintergrund der dargestellten origenianischen Belege können nun auch die Origenes-kritischen Zeugnisse aus Epiphanius, Hieronymus und Justinian als Argumente angeführt werden. Sie geben allerdings ähnlich wie Basilius die verschiedenen Ebenen der origenianischen Auslegung nicht mehr wieder, die den Bibeltext zunächst wörtlich nimmt und ihn dann ontologisch, kosmologisch und anthropologisch interpretiert.³⁶¹ Diese Engführung der Auslegung sowie der Umstand, daß Basilius eine Gruppe im Plural als Urheber der Auslegung nennt, spricht dafür, daß Basilius neben Origenes vor allem auch spätere Origenisten im Blick hat.

[Z. 8; 34 Doutreleau]; 1,8 [Z. 4; 44]; 1,11 [Z. 6; 52]) und die Auslegung secundum spiritalem intellectum (1,11 [9 f.; 52]), d. h. die Interpretation, die sich auf den Menschen bezieht (siehe 1,3 [Z. 10; 34]; 1,8 [Z. 7 f.; 44]). ³⁵⁸ Siehe hom. in Gen. 1,8 (Z. 12f; 44; Z. 18–20.21–26.40–44; 46 Doutreleau); 1,11 (Z. 15– 18; 52). ³⁵⁹ Siehe hom. in Gen. 1,11 (Z. 20 f.; 52 Doutreleau). ³⁶⁰ Gegen R. L 1990, 355–358. ³⁶¹ In hex. 3,9 wendet sich Basilius gegen eine Auslegung, die möglicherweise auf die anthropologische Deutung des Origenes zurückgeht, die auf der Unterscheidung von ›Himmel‹ (Gen 1,1) als geistiger Natur des Menschen und ›Firmament‹ (Gen 1,6) als körperlicher Natur des Menschen beruht (54,16–19): Κἂν λέγῃ τις οὐρανοὺς μὲν εἶναι τὰς θεωρητικὰς δυνάμεις, στερέωμα δὲ τὰς πρακτικὰς καὶ ποιητικὰς τῶν καθηκόντων, ὡς κεκομψευμένον μὲν τὸν λόγον ἀποδεχόμεθα, ἀληθῆ δὲ εἶναι οὐ πάνυ τι δώσομεν. Siehe dazu J. P 1964, 392–397.

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b) Die Ablehnung der allegorischen Auslegung der Wasser Gen 1,6 f. Basilius lehnt die allegorische Auslegung der Wasser Gen 1,6 f. strikt ab und deutet den Psalmvers Ps 148,4, der in der origenianisch-origenistischen Interpretation die allegorische Auslegung des oberen Wassers Gen 1,7 stützt, ganz im Sinne der Ausrichtung seiner eigenen Hexaemeronexegese. Der Lobpreis des Wassers oberhalb des Firmaments weist nicht auf dessen intelligible Natur hin, sondern drückt aus, daß in dem Wasser die Weisheit des Schöpfers sichtbar ist. Diese Eigenschaft teilt das obere Wasser mit allen Geschöpfen, von denen auch viele andere in der Bibel zum Lobpreis des Schöpfers aufgerufen werden.³⁶² Die Auslegung der Wasser als angelische bzw. dämonische Kräfte weist Basilius als Traumgebilde und altweiberlichen Mythos zurück. Programmatisch bekennt er, unter dem Wasser Wasser verstehen zu wollen und die Scheidung der Wasser durch das Firmament wörtlich zu nehmen und in beschriebener Weise als Ausdruck der göttlichen Vorsehung zu sehen.³⁶³ Diese Haltung des Basilius sollte nicht als Ausdruck eines dogmatischen Litteralismus verstanden werden. Denn die Regeln der allegorischen Auslegung sind ihm durchaus bekannt und in den Psalmenhomilien wendet er sie auch selbst an.³⁶⁴ Auch in den Predigten über den Schöpfungsbericht versteht er vieldeutige Worte wie ›Himmel‹ oder ›Licht‹ durchaus in einem übertragenen Sinne. Das hermeneutische Kriterium ist für ihn jeweils der Wille des biblischen Textes, der unter Umständen eine übertragene Deutung fordern kann. In Gen 1,6 f. findet Basilius allerdings keinen Anhaltspunkt, durch eine übertragene Auslegung den Willen des Textes zur Geltung bringen zu müssen. Die einzelnen Wörter sieht er hier in ihrem gewöhnlichen Sinne gebraucht. Basilius wirft daher den allegorisierenden Auslegern vor, dem biblischen Text den eigenen Willen aufzuzwingen und gewissermaßen in einer Eisegese eigene ³⁶² Siehe hex. 3,9 (54,19–55,6). In Dan 3,64–70 LXX werden Tau, Reif, Kälte, Hitze, in Ps 148,7 die Drachen und alle Abgründe aufgefordert, den Herrn zu loben. Basilius wendet sich hier gegen die Berufung auf Dan 3,58–60 LXX für eine Interpretation der oberen Wasser als intelligible Kräfte, wie sie sich z. B. bei Clemens Alex., ecl. 1,1–3 (137,2–10 Stählin) findet. ³⁶³ Hex. 3,9 (54,9–11): Τοὺς δὴ τοιούτους λόγους ὡς ὀνειράτων συγκρίσεις καὶ γραώδεις μύθους ἀποπεμψάμενοι, τὸ ὕδωρ ὕδωρ νοήσωμεν, καὶ τὴν διάκρισιν τὴν ὑπὸ τοῦ στερεώματος γενομένην κατὰ τὴν ἀποδοθεῖσαν αἰτίαν δεξώμεθα. Vgl. 9,1 (147,1–3): Ἐγὼ δὲ χόρτον ἀκούσας χόρτον νοῶ, καὶ φυτὸν καὶ ἰχθὺν καὶ θηρίον καὶ κτῆνος, πάντα ὥσπερ εἴρηται οὕτως ἐκδέχομαι. »Καὶ γὰρ οὐκ ἐπαισχύνομαι τὸ εὐαγγέλιον.« ³⁶⁴ In hex. 9,1 (146,11 f.) erklärt Basilius gegenüber Kritikern seiner Genesisauslegung, daß ihm die allegorische Methode durch die Werke anderer Exegeten geläufig sei. Die Sammlung von Exzerpten aus Schriften des Origenes in der Philocalia, die Basilius und Gregor von Nazianz herausgaben, enthält grundlegende Texte zur allegorischen Exegese des Origenes. Siehe zum Verhältnis des Basilius zur allegorischen Auslegungsmethode die Beobachtungen von J. G 1963, 292, der aufgrund der Hexaemeronhomilien allerdings annimmt, daß Basilius sich erst am Ende seines Lebens gegen die Allegorese gewendet habe. Gegen diese Annahme verschiedener Phasen in der basilianischen Exegese wendet sich zu Recht R. L 1990, 351–370.

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Vorstellungen willkürlich in den Text hineinzulesen. Er unterstellt diesen Auslegern, sich der Einfachheit des biblischen Textes zu schämen und ihm daher in der allegorischen Auslegung auf illegitime Weise einen scheinbar höheren Gehalt und größeres Ansehen anzudichten.³⁶⁵ Basilius präsentiert die Auseinandersetzung mit der origenianisch-origenistischen Exegese von Gen 1,6 f. nach seiner eigenen Auslegung, in der er den kosmischen Nutzen realer Wassermassen oberhalb des Firmaments nachgewiesen hat. Diese Erläuterung verschaffte seiner Interpretation, die auf dem Wortsinn von Gen 1,6 f. aufbaut, eine naturphilosophische Plausibilität, die zugleich ein gewichtiges Argument gegen eine allegorische Betrachtung der Verse darstellt.

3. Zusammenfassung und Systematisierung Der biblische Schöpfungsbericht ist nach Basilius eine kosmologische Schrift über die Entstehung und den Aufbau des Kosmos (περὶ τῆς τοῦ κόσμου συστάσεως), die auf leicht faßbare Weise zum vernünftigen Staunen über die Schöpfungswunder anleitet. In diesem Sinne betreiben Mose und sein Ausleger Basilius φυσιολογία, die auf die Erkenntnis des Schöpfergottes und der Natur und Bestimmung des Menschen ausgerichtet ist. Der Schöpfungsbericht hat dabei den Charakter einer Schrift für den christlich-philosophischen Einführungsunterricht, insofern er nicht nur zur Erkenntnis führt, daß die Welt eine vernünftige, göttliche Ursache hat, sondern in Andeutungen offenlegt, daß der dreieinige Gott die Welt geschaffen hat. Indem der Schöpfungsbericht auf diese Weise zur Vervollkommnung der Seelen und zu einem Leben gemäß den Geboten Gottes anleitet, zielt er auf die Rettung der Leser und Hörer des Schöpfungsberichtes im göttlichen Endgericht. Der Genesisbericht stellt nach Basilius die Schöpfungsereignisse in Form einer Erzählung dar (ἐν ἱστορίας εἴδει). Die teilweise anthropomorphe Darstel³⁶⁵ Siehe hex. 9,1 (146,12–147,22). Die allegorisierenden Ausleger des Schöpfungsberichtes legen den biblischen Text aus … πρὸς τὸ ἑαυτοῖς δοκοῦν … (146,14); … ἐπὶ τὰς οἰκείας ὑπονοίας …(146,15); … πρὸς τὸν οἰκεῖον σκοπόν … (146,16–147,1). Basilius beschreibt sie als diejenigen, die … παραγωγαῖς τισι καὶ τροπολογίαις σεμνότητά τινα ἐκ τῆς οἰκείας αὐτῶν διανοίας ἐπεχείρησαν τοῖς γεγραμμένοις ἐπιφημίσαι. Ἀλλὰ τοῦτό ἐστιν ἑαυτὸν σοφώτερον ποιοῦντος τῶν λογίων τοῦ πνεῦματος [sic!], καὶ ἐν προσποιήσει ἐξηγήσεως τὰ ἑαυτοῦ παρεισάγοντος. (147,18–22). Vgl. ähnliche Vorwürfe gegen übertragene Auslegungen von γῆ, σκότος und ἄβυσσος Gen 1,2 in hex. 2,2 (23,6–8): … οἱ παραχαράκται τῆς ἀληθείας, οἱ οὐχὶ τῇ γραφῇ τὸν ἑαυτῶν νοῦν ἀκολουθεῖν ἐκδιδάσκοντες, ἀλλὰ πρὸς τὸ οἰκεῖον βούλημα τὴν διάνοιαν τῶν γραφῶν διαστρέφοντες, …; 2,4 (26,21 f.): [sie verdrehen] … πρὸς τὰς ἰδίας ὑπονοίας … τὰ ῥήματα. Dem steht die Auslegung des Basilius gegenüber 2,5 (29,16–19): Πᾶσαν οὖν τροπικὴν καὶ δι’ ὑπονοίας ἐξήγησιν ἔν γε τῷ παρόντι κατασιγάσαντες, τοῦ σκότους τὴν ἔννοιαν ἁπλῶς καὶ ἀπεριεργάστως, ἑπόμενοι τῷ βουλήματι τῆς γραφῆς, ἐκδεξώμεθα.

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lung des göttlichen Handelns dient dazu, die kosmogonischen Vorgänge und kosmologischen Aussagen leichter verständlich zu machen. Sie bedarf allerdings der Gott angemessenen Auslegung, die an verschiedenen Stellen die eigentliche Aussageabsicht unter der Oberfläche der Erzählung sichtbar macht. Basilius beabsichtigt daher, in seiner Auslegung die als göttlich inspiriert geltenden Worte des Schöpfungsberichtes zu erklären und dabei dem Willen der Schrift zu folgen. Dieser hermeneutische Grundsatz ist kein Ausdruck eines dogmatischen Litteralismus, denn Basilius rechnet durchaus damit, daß der biblische Text in übertragener Weise redet. Diese Textstellen müssen »dem Willen der Schrift entsprechend«, d. h. aus der Schrift selbst durch Untersuchung des biblischen Sprachgebrauchs und durch das Heranziehen verwandter Textpassagen interpretiert werden und dürfen nicht willkürlich dem Willen des Exegeten unterworfen werden. Basilius wendet sich daher scharf gegen manichäisch-gnostische und origenianisch-origenistische Allegoresen, die in seinen Augen die Intention der Schrift mit ihren eigenen Einfällen verwechseln. Der Schöpfungsbericht ist der Text, dem Christen die Ausgangspunkte und Prinzipien für ihre Betrachtung der Welt entnehmen sollen. Ausdrücklich lehnt Basilius es ab, daß diese Prinzipien aus anderen, paganen fachwissenschaftlichen Texten entnommen werden. Der biblische Schöpfungsbericht antwortet auf die beiden kosmologischen Fragen, die auch die Ausleger des platonischen Timaeus beschäftigte: Was ist die Ursache der Welt? Hat die Welt einen Anfang? Basilius läßt an mehreren Stellen deutlich erkennen, daß er die Diskussion um die Auslegung des platonischen Timaeus kennt. In seiner Auslegung von Gen 1,1 »Im Anfang schuf Gott« legt er dar, daß Gott Schöpfer der Welt ist und die Welt real entstanden ist, d. h. einen Anfang mit der Zeit hat. Beide Aspekte faßt Basilius in der Aussage zusammen, daß die Welt auf einmal, in einem unausgedehnten Moment zugleich mit dem Willensstreben Gottes ins Dasein getreten ist. Daß die Welt einen von Gott gesetzten Anfang hat, ist Basilius zufolge die einzige Gott angemessene Vorstellung, die Welt auf Gott zu beziehen. Denn die Lehre von einer anfangslosen, ewigen Welt legt der Welt die gleiche Ehre wie Gott bei. Nur die Lehre von einem realen Anfang der Welt stellt sicher, daß die Welt als das kontingente, willentlich geschaffene Werk Gottes verstanden werden kann, der als souveräner und uneingeschränkter Schöpfer gedacht wird. Und nur unter der Voraussetzung, daß Gott die Welt willentlich geschaffen hat, kann die Welt als kunstvolles Werk Gottes aufgefaßt werden, an dem die Weisheit und Macht des Schöpfers erkannt werden kann. Daß die Welt einen realen Anfang hat, folgt außerdem aus der biblischen Lehre vom Ende der Welt und dem göttlichen Endgericht. Denn alles, was ein Ende hat, muß auch einen Anfang haben. Nur unter der Bedingung, daß die Welt real entstanden ist, kann Gottes Vorsehung als blei-

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bende Fürsorge für die Welt und den Einzelnen aufgefaßt werden und Gott als gerechter Richter aller Menschen gedacht werden. Die Lehre vom Anfang der Welt wird also nicht aus dem Schöpfungsbericht entnommen, sondern der Schöpfungsbericht muß erst im Sinne dieser Lehre interpretiert werden, die aus der christlichen Gotteslehre und Eschatologie folgt. Basilius wendet sich vor allem gegen die neuplatonische Kosmologie, die lehrt, daß die Welt eine ewige und notwendige Folge der Existenz ihrer Ursache ist. Basilius formuliert, daß die Welt dann kein Werk, sondern allein ein Schatten der göttlichen Macht sei, der automatisch existiert und nicht auf Gott verweisen kann. Basilius stellt die neuplatonische Lehre damit polemisch auf eine Stufe mit atomistisch-atheistischen Kosmologien. Er sieht ihre Gottlosigkeit vor allem darin, daß sie Gott der Notwendigkeit unterwirft und seine Macht unzulässig auf die Erschaffung einer einzigen Welt beschränkt. Durch terminologische Anklänge an den platonischen Timaeus fordert Basilius die Platoniker implizit dazu auf, die Darlegung des Timaeus ernst zu nehmen, die den Willen des Demiurgen als Ursache des Kosmos ansieht und damit dem göttlichen Schöpfer Vorsatz und Vorsehung beilegt. In der Formulierung des Schöpfungsberichtes ἐποίησεν sieht Basilius das Anliegen des Timaeus vorgebildet. Die Argumentation des Basilius läßt erkennen, daß er die neuplatonische Kosmologie, wie sie bei nach-plotinischen Autoren greifbar ist, zum Gesprächspartner hat. Eine Schrift über die Entstehung und den Aufbau des Kosmos sollte nach Basilius die Frage nach dem Wesen und der Natur der Dinge erforschen. In der Auslegung von Gen 1,1 ›Himmel und Erde‹ stellt Basilius diese Frage allerdings zurück, da sie seines Erachtens nur einen geringen Beitrag zur Erbauung der Gemeinde zu leisten vermag. Vor dem Hintergrund dieser Zurückhaltung gegenüber einer komplexen fachwissenschaftlichen Erörterung sind auch die Ausführungen des Basilius zum Wesen (οὐσία) der Erde in hex. 1,8 zu verstehen, jener Passage, die oft herangezogen wird, um für Basilius ein sogenanntes ›idealistisches‹ Materiekonzept zu belegen. Dieser Text erweist sich keineswegs als Grundsatzaussage zur Materie. Vielmehr geht es Basilius darum, die Frage nach dem Wesen der Erde in die richtige Richtung zu lenken. Er geht implizit bereits davon aus, daß unter ›Erde‹ Gen 1,2 das Element Erde zu verstehen ist. Die Frage nach dem Wesen der Erde kann aber nicht beantwortet werden, indem man nach gedanklicher Abstraktion aller Eigenschaften ein zugrunde liegendes Substrat betrachtet, das erkenntnistheoretisch ein Nichts ist. Das Wesen der Erde läßt sich vielmehr ausschließlich anhand der Eigenschaften bestimmen, die das Wesen der Erde ausmachen und die in die begriffliche Definition von ›Erde‹ eingehen. Basilius bedient sich hier der Argumente und der Terminologie zeitgenössischer Dialektik, wie sie exemplarisch in der Kategorienkommentierung des Porphyrius greifbar sind. Auskunft über die spezi-

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fischen Eigenschaften der Erde bietet Basilius zufolge der biblische Schöpfungsbericht in Gen 1,9. Er äußert sich daher zum Wesen der Erde in seiner Auslegung Gen 1,9, wo er die Trockenheit als eine der elementaren Eigenschaften der Erde nach Aristoteles ausgesagt findet. Indem Basilius auf diese Weise Gen 1,2 mit Gen 1,9 verbindet, bereitet er seine Auslegung von Gen 1,2 vor, in der er die Deutung von ›Erde‹ als ungeschaffenes Materieprinzip ablehnt. Basilius greift in hex. 1,8 die platonische Methode der ἀφαίρεσις auf und bestimmt das, was nach Wegnahme aller Qualitäten übrigbleibt, erkenntnistheoretisch als Nichts. Über den ontologischen Status dieses Substrats äußert er sich, anders als sein Bruder Gregor von Nyssa, aber nicht. Die Homilien zum Hexaemeron haben den Charakter eines fortlaufenden Kommentars zu Gen 1,1–25. Basilius antwortet dabei auf Einwände, die die innere Logik der biblischen Darstellung in Frage stellen, und setzt sich an einigen Stellen mit differierenden Auslegungen auseinander. Ausführlich wendet er sich gegen dualistische Interpretationen des Schöpfungsberichtes, die Gen 1,2 zum Anhalt nehmen, ein ungeschaffenes Materieprinzip anzunehmen oder die Existenz eines Gott widerstreitenden bösen Prinzips zu lehren. Seine Interpretation von Gen 1,2 knüpft dabei in mehreren Punkten an die Genesisauslegung des Theophilus von Antiochien an. Basilius lehnt es ab, die Eigenschaften der Erde nach Gen 1,2a als Hinweis auf die gestalt- und eigenschaftslose Materie zu lesen, und legt sie im weiteren Kontext des Schöpfungsberichtes aus. Gen 1,2a handelt von der Unvollkommenheit der Erde, die vom Wasser bedeckt ist und daher ihre eigentümliche, trockene Gestalt sowie den ihr zukommenden Schmuck durch die Pflanzen noch nicht besitzt. Ähnlich muß auch über den Himmel gedacht werden, der wie die Erde nach Gen 1,1 geschaffen wurde, aber erst mit den Gestirnen Gen 1,14 geschmückt und vollendet war. Auf diese Weise löst Basilius den Widerspruch, der zwischen den Aussagen über die Erde in Gen 1,1 und 1,2 gesehen werden konnte. Ausführlich argumentiert Basilius gegen die Annahme einer ewigen, ungewordenen Materie und entfaltet dabei in mehreren Schritten Argumente gegen einen Prinzipiendualismus. Die Behauptung einer ungewordenen, ewigen Materie führt zu gottlosen Annahmen, sie mißachtet den Unterschied zwischen menschlichen Handwerkern und dem göttlichen Schöpfer, sie macht die Entstehung des Kosmos logisch unmöglich. Diese Argumente stehen in der Tradition christlicher Polemik, haben aber zugleich auch Parallelen in neuplatonischen Argumentationen gegen einen Prinzipiendualismus. Auch für Gen 1,2b lehnt Basilius eine dualistische Interpretation ab. Die Aussage »Finsternis lag über dem Abgrund« versteht er im Kontext des gesamten Verses als Begründung für die Unsichtbarkeit der Erde. Das Wasser, das über der Erde lagerte – im biblischen Sprachgebrauch der Abgrund –, war

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von unbeleuchteter Luft umgeben, so daß die Erde durch das an sich durchsichtige Wasser nicht gesehen werden konnte. Die Finsternis deutet Basilius als Zustand der Luft, die beschattet wird, weil das Himmelsgewölbe das außerkosmische Licht abschirmt. Mit dieser naturphilosophischen Erklärung wendet er sich gegen eine metaphysische Interpretation der Finsternis, wie sie zum Beispiel die Manichäer vertreten. Indem Basilius die Finsternis als Verdunkelung des außerkosmischen Lichtes auffaßt, verwischt er allerdings den Unterschied zwischen sichtbarer Körperwelt und intelligibler Schöpfung. Hier wird Gregor von Nyssa eine systematisch kohärentere Erklärung bieten. Verständnisschwierigkeiten bereitete den Hörern des Basilius, aber auch paganen Kritikern des Schöpfungsberichtes die Chronologie der Schöpfungswerke. Nach ihr entstand das Licht, bevor die Gestirne geschaffen wurden, und es wurden Tage gemessen, bevor Sonne und Mond existierten. Diese Erzählfolge in Gen 1 erklärt Basilius als didaktisch beabsichtigt, insofern sie Gott als alleinigen Urheber des Lichtes und des Zeitmaßes herausstellt und auf diese Weise verhindert, daß die Sonne und die Gestirne als deren Ursachen angesehen werden. Mit dieser Erklärung steht Basilius in einer jüdisch-christlichen Tradition von Religions- bzw. Philosophiekritik. In gewisser Konkurrenz zur didaktischen Begründung der Erzählfolge Gen 1,3.14 versucht Basilius dann allerdings, den Unterschied zwischen erstgeschaffenem Licht und den Gestirnen auch naturphilosophisch einzuholen. Durch philosophische und astronomische Argumente gestützt behauptet er, daß nach Gen 1,3 die Natur des Lichtes entstanden sei, während nach Gen 1,14 die Träger dieses unkörperlichen Lichtes geschaffen wurden. Die naturphilosophischen Argumente sind dabei offensichtlich nicht in eine übergeordnete naturphilosophische Theorie eingebettet, sondern stehen jeweils für sich und und sollen die Auslegung von Gen 1,3.14 plausibel machen. Hier wird Gregor von Nyssa eine systematisch überzeugendere Lösung präsentieren, die in einer übergreifenden Theorie über die Entstehung der Elemente und der individuellen Kosmosglieder wurzelt. In der Auslegung der göttlichen Befehlsworte verbindet sich bei Basilius das Interesse, Gott als alleinigen Urheber aller Phänomene und Prozesse zu erweisen, mit dem Bestreben, den im anthropomorphen Sinne mißverständlichen Schöpfungsbericht auf eine Gott angemessene Weise zu interpretieren. Dabei versteht es sich von selbst, daß Basilius die Befehlsworte des Genesisberichtes nicht als reale physikalisch-phonetische Sprachvorgänge versteht. Sie stellen in seinen Augen vielmehr in anschaulicher Weise den göttlichen Schöpferwillen dar, der zugleich das verwirklichte Werk ist, wie die unmittelbar folgenden Tatberichte zeigen. Die bei der Schöpfung ergangenen göttlichen Befehle setzen die natürlichen Eigenschaften der Dinge sowie die Regeln der Naturprozesse für alle folgenden Zeiten fest. In diesem Sinne sind die göttlichen Wil-

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lensregungen Urheber der Naturordnung oder können sogar mit der Naturkraft identifiziert werden, die den Dingen einliegt und ihnen ihr Wesen verleiht. Ausführlich legt Basilius die Identität von Schöpfungsbefehl und Naturordnung in der Auslegung von Gen 1,11 dar. Die Übereinstimmung von Befehlswort und Naturprozeß zeigt, daß der Schöpfungsbefehl zum Naturgesetz wurde, das der Erde innewohnt und bis heute die Vegetationszyklen lenkt. Basilius setzt voraus, daß die von Gott eingelegte Naturordnung unabänderlich und ewig gleich ist. Seine Auffassung von der Natur kennt daher keine Veränderung und Entwicklung. Basilius greift das aristotelische Naturkonzept auf. Er interpretiert es aber im Sinne einer Abhängigkeit der Naturkraft vom Schöpfergott und im Sinne eines Anfangs und eines Endes der Naturkraft, die dem Anfang und dem Ende des geschaffenen Kosmos entsprechen. Die Naturkraft ist für Basilius das Instrument, durch das Gott die Naturphänomene lenkt. Durch diesen Naturbegriff gelingt es Basilius, die zeitgenössische, von Aristoteles ausgehende Naturlehre (Meteorologie; Botanik; Zoologie) in seine Kosmologie zu integrieren und die Entstehungs- und Veränderungsprozesse innerhalb der sichtbaren Welt mit ihrer Hilfe zu beschreiben. Basilius’ Interpretation der Schöpfungsbefehle verhindert es, Erde oder Wasser eigenständige Zeugungskräfte zuzuschreiben. Das göttliche Befehlswort bzw. der göttliche Willensentschluß ist gleichsam der Same, der Wasser und Erde befruchtet. Basilius wendet sich damit gegen die Theorie der spontanen Zeugung aus der Erde bzw. dem Wasser. Dabei bestreitet er nicht, daß sich bestimmte Pflanzen und Tiere ungeschlechtlich vermehren, aber er betrachtet auch diese Arten als naturgemäß, indem er ihnen im göttlichen Schöpfungswort (d. h. der Naturkraft) eine formale, finale und effiziente Ursache beilegt. Basilius’ Interpretation der Befehlsworte und seine Deutung der Chronologie der Schöpfungsereignisse, die die Entstehung der Pflanzen vor der Erschaffung der Gestirne beschreibt, richtet sich außerdem dagegen, der Sonne Schöpferkraft und autonome Herrschaft über den sublunaren Bereich zuzusprechen. Basilius wendet sich damit gegen kosmologische Entwürfe, die der Sonne eine besondere Rolle bei der Entstehung der Pflanzen und Lebewesen zuschreiben. Zugleich wendet er sich ausdrücklich gegen eine philosophisch-religiöse Verehrung der Sonne, die in der Kaiserzeit zunimmt und zu seiner Zeit exemplarisch in der Sonnenverehrung Kaiser Julians zu greifen ist. Basilius’ Interpretation von Gen 1,6–8, die nach seinem Tod durch Gregor von Nyssa scharf kritisiert werden wird, zeichnet sich einerseits durch eine polemische Abgrenzung gegenüber naturphilosophischen Bestimmungen der Natur des Himmels aus. Andererseits ist sie durch die Auseinandersetzung mit divergierenden Auslegern dieser Verse geprägt. Vor allem lehnt er die allegorische Interpretation der oberen Wasser ab, wie sie ausgehend von Origenes

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bei späteren Origenisten begegnet. Gleichzeitig greift er aber exegetische Argumente des Origenes auf. So bestimmt er Himmel Gen 1,1 und Firmament Gen 1,6 f. als verschiedene Größen und beruft sich dafür auf den homonymen Sprachgebrauch der Bibel. Inhaltlich interpretiert er die beiden Größen jedoch anders als Origenes: Der Himmel von Gen 1,1 stellt die oberste Grenze des sichtbaren Kosmos dar, das Firmament Gen 1,6 f. bezeichnet den sichtbaren Luftraum, der das untere, schwere Wasser vom oberen, leichten Wasser der Niederschläge trennt. Das Firmament garantiert die gleichbleibende Temperatur im Kosmos, indem es die Wirkung des Feuers abschwächt, und ist damit Ausdruck der vorausschauenden Fürsorge Gottes. Diese Auslegung untermauert Basilius, indem er die Umwandlung der Elemente beschreibt und eine naturphilosophische Erklärung für die Existenz der großen Wassermassen bietet. Diese Skizze der kosmischen Umwandlung der Elemente, bei der das Wasser allmählich durch das Feuer aufgezehrt wird, dient dazu, Gottes Vorsehung für den Bestand des sichtbaren Kosmos zu demonstrieren und die Auslegung von Gen 1,6 f. naturphilosophisch plausibel zu machen. Basilius gibt damit keine naturphilosophische Erklärung für das Ende der Welt. Diese Frage behandelt er ausschließlich biblisch-theologisch. Es ist daher nicht sachgemäß, Basilius als Verfechter der stoischen Lehre von der Ekpyrosis anzusehen. Sie wird von ihm vielmehr ausdrücklich abgelehnt. Gleichwohl bietet Basilius’ Auslegung von Gen 1,6 f. einem antiken Leser einen Ausgangspunkt dafür, über ihn hinausgehend die christliche Lehre von der gottgewirkten Vollendung der Welt naturphilosophisch zu formulieren und auf der Ebene natürlicher Ursachen zu beschreiben. Dabei muß aber im Sinne des Basilius unbedingt mitgedacht werden, daß die natürlichen Ursachen keine autonomen Kräfte sind, sondern der Schöpfung von Gott eingelegt wurden. Basilius verwendet in seinen Homilien naturkundliches und naturphilosophisches Material seiner Zeit auf verschiedenen Ebenen. Grundsätzlich ist die biblische Schöpfungserzählung für ihn die zentrale Quelle für die Untersuchung der Entstehung und des Aufbaus des Kosmos. Sie wird dieser Funktion aber nur gerecht, weil Basilius sie im Lichte naturphilosophischer Lehren liest. So entwickelt er vor dem Hintergrund der aristotelischen Elementenlehre und der zeitgenössischen naturphilosophischen Charakterisierungen der Elemente aus Gen 1 eine nahezu vollständige Elementenlehre, obwohl der biblische Schöpfungsbericht darüber wenig aussagt. Verschiedene Einzelauslegungen stützt er durch naturphilosophische Theorien und naturkundliche Beobachtungen. Seine Auslegung des Schöpfungsberichtes ist aber zu gleicher Zeit von einer ambivalenten Haltung gegenüber naturphilosophischen Positionen und Diskussionen geprägt. Er begrüßt naturphilosophische Fragen und Erklärungen, solange sie das Staunen über die Weisheit des Schöpfers fördern. Denn das Staunen über die Schöpfung wird in seinen Augen nicht dadurch vermin-

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dert, daß man erforscht, nach welchen Regeln etwas Staunenswertes entstanden ist. Basilius sieht hier im christlichen Schöpfungsglauben einen wichtigen Ort für naturkundliche Untersuchungen. Beeinträchtigen jedoch die naturphilosophischen Spekulationen dieses Staunen über Gottes Weisheit, weil zum Beispiel die Frage die Fähigkeit des menschlichen Erkenntnisvermögens übersteigt oder die verschiedenen philosophischen Positionen in die Aporie führen (wie im Falle des Fundaments der Erde), oder weil sich die einzelnen Schulmeinungen unversöhnlich widersprechen (wie im Falle der Natur des Himmels), so soll der einfache Glaube, der sich auf die Bibel stützt, den Vorrang gegenüber den philosophischen Beweisführungen haben (so programmatisch der Abschluß zur quaestio über die Unbeweglichkeit der Erde in hex. 1,10 [18,7– 11]). Naturphilosophische Positionen und Beweisführungen stehen also für Basilius ganz im Dienst des übergeordneten Ziels seiner Predigten, die Hörer ausgehend vom biblischen Schöpfungsbericht zum Staunen über die Schöpfung und zur Erkenntnis des Schöpfers zu führen. Vor diesem Hintergrund kann Basilius in den Homilien zum Hexaemeron selbstverständlich meteorologisches, geographisches und biologisches Wissen heranziehen. Zugleich aber ist seine Auslegung des Schöpfungsberichtes durch eine grundsätzliche Skepsis gegenüber naturphilosophischen Fachdiskussionen geprägt. Er hält sie in der Regel für geschwätzige Spekulationen, die dem oben beschriebenen Ziel seiner Predigten nicht dienen. Ihnen gegenüber zeichnet sich der biblische Schöpfungsbericht dadurch aus, nur zentrale und grundlegende kosmologische Fragen zu behandeln, die der Erkenntnis des Schöpfergottes dienen. Obwohl die Naturphilosophen etliche naturkundliche Sachverhalte in den Augen des Basilius angemessen beschreiben, kann er ihnen vorwerfen, in den nichtigen Fragen scharf zu sehen, der Erkenntnis der Wahrheit aber blind gegenüber zu stehen (hex. 1,4 [7,11 f.]). Hier deutet sich an, daß die Einstellung des Basilius gegenüber der fachwissenschaftlichen Naturphilosophie, die er vor allem durch Platon-Aristoteles und deren Nachfolger repräsentiert sieht, davon bestimmt ist, daß sie aus der Perspektive eines Christen auf einer falschen Prinzipienlehre beruht. Die schärfste Gegenüberstellung von paganer Naturphilosophie und christlicher Kosmologie findet sich daher in der ersten Homilie, in der Basilius in der Auslegung von Gen 1,1 über die Prinzipien des Kosmos spricht. Hier stellt er die Lehre verschiedener philosophischer Schulen als »nichtige Lehre der außenstehenden Philosophen (τὰ τῶν ἔξω ματαιότητα)« der christlichen Wahrheit gegenüber (τὴν ἡμετέραν ἀλήθειαν) (hex. 1,2 [3,16 f.]). Einzelne philosophische Positionen qualifiziert Basilius daher sehr konsequent als Folgeirrtümer einer falschen Prinzipienlehre. In einzelnen Fällen ist Basilius bereit, kosmologische und naturphilosophische Fragen aufzugreifen und anhand der Bibel zu beantworten. Weitergehende Fragen lehnt er allerdings überwiegend ab. Das liegt zum Teil sicherlich daran, daß er fürchtet,

II. Basilius von Caesarea

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große Teile seines Publikums zu überfordern. Der Hauptgrund liegt jedoch in Basilius selbst: Er ist in seinen Homilien zum Schöpfungsbericht nicht daran interessiert, naturphilosophische Einzelfragen fachwissenschaftlich zu erörtern, sondern er möchte die Hörer zu Gott führen.

III. Gregor von Nyssa 1. Die Apologia in Hexaemeron des Gregor von Nyssa¹ 1.1. Anlaß und Abfassungszeit Die Hexaemeronhomilien des Basilius bildeten für Gregor von Nyssa den Anlaß, um 380 eine Schrift über die Erschaffung des Menschen sowie eine Auslegung des Sechstagewerks zu verfassen.² Die zuerst entstandene Schrift De hominis opificio sollte eine Lücke in der basilianischen Auslegung schließen und »die Betrachtung des Menschen hinzufügen«, die Basilius in seinen neun Predigten über den Schöpfungsbericht nicht behandelt hatte.³ Die Apologia in Hexaemeron schrieb Gregor im Auftrag seines Bruders Petrus. Dieser hatte ihn gebeten, vor dem Hintergrund der Auslegung des Basilius scheinbare Widersprüche im Schöpfungsbericht aufzuklären und aufzuzeigen, daß die Bibel mit sich selbst übereinstimmt.⁴ Die Bitte des Petrus hatten Fragen veranlaßt, die sich für einige gebildete Zuhörer aus der Hexaemeronauslegung des Basilius ergeben hatten. Petrus legte Gregor diese Fragen wohl auch in der Absicht vor, für seine eigene Predigtpraxis Erkenntnisse zu gewinnen.⁵ Gregor nennt die Fragen im dritten und fünften Abschnitt seiner Hexaemeronauslegung. Die erste Frage wirft das Problem auf, wie vor der Erschaffung ¹ Ich zitiere die Apologia in Hexaemeron nach der Ausgabe von G. H. F, Burntisland 1855, und verwende dessen Kapiteleinteilung. Die heute teilweise unübliche Akzentsetzung habe ich stillschweigend korrigiert. H. D bereitet eine neue Edition des Textes für GNO vor. Siehe dazu D 2002. ² Wann Gregor die Apologia in Hexaemeron verfaßt hat, läßt sich nur näherungsweise bestimmen. Siehe die Zusammenstellung und Diskussion der verschiedenen Datierungsvorschläge bei F. X. R 1999, 10–15. ³ Hex. 77 (92,33–94,2). ⁴ Hex. 1 (4,9–15): Τῶν γὰρ κατὰ θείαν ἐπίπνοιαν ἐν τῇ κοσμογενείᾳ φιλοσοφηθέντων τῷ μεγάλῳ Μωϋσῇ τὰ δοκοῦντα κατὰ τὴν πρόχειρον τῶν γεγραμμένων σημασίαν ὑπεναντίως ἔχειν, ἐπέταξας ἡμῖν διά τινος ἀκολούθου διανοίας εἰς εἱρμὸν ἀγαγεῖν, καὶ συμφωνοῦσαν πρὸς ἑαυτὴν ἀποδεῖξαι τὴν ἁγίαν γραφήν. Καὶ ταῦτα, μετὰ τὴν θεόπνευστον ἐκείνην τοῦ πατρὸς ἡμῶν εἰς τὸ προκείμενον θεωρίαν, … In hex. 77 (92,17 f.) spricht Gregor Petrus an und blickt auf das, was er in den vorangegangenen Kapiteln περὶ τῶν προβληθέντων ἡμῖν παρὰ τῆς συνέσεώς σου geantwortet hat. ⁵ Aus hex. 5 (10,32) geht hervor, daß Petrus beabsichtigt, die eigenen Erkenntnisse εἰς τὸ ἐμφανὲς τοῖς πολλοῖς ἀγαγεῖν.

III. Gregor von Nyssa

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der Gestirne Tage gemessen werden können, da der Umlauf der Sonne für das Maß eines Tages notwendig ist (6,20–26). Die zweite Frage bestreitet die Existenz mehrerer Himmel, wie sie aus Gen 1,1.8 und aus der Erwähnung eines dritten Himmels bei Paulus abgelesen werden konnte (6,26–8,6). Drittens wird nach dem ontologischen Status der Finsternis gefragt, von der Gen 1,2 spricht (8,35–10,1). Der vierte Einwand fragt nach dem Verhältnis zwischen dem Licht, das nach Gen 1,3 erschaffen wird, und den Gestirnen, die erst später (Gen 1,14) erschaffen werden (10,1–4). Die fünfte Frage fordert eine Erklärung dafür, wie die Erde nach Gen 1,2 unbereitet (ἀκατασκεύαστος) sein kann, obwohl sie nach Gen 1,1 gemeinsam mit dem Himmel erschaffen wurde (10,4–8). Denn wenn die Worte κατασκευάζειν und ποιῆσαι gleichermaßen als Ausdruck für das Schöpfungshandeln Gottes verstanden werden, ergibt sich ein Widerspruch zwischen den beiden Versen. Die sechste Frage wendet ein, wie sich Wasser angesichts seiner natürlichen Eigenschaften oberhalb des Himmelsgewölbes halten kann und kritisiert damit Basilius’ Interpretation von Gen 1,7 (10,8–16). Die siebte Frage führt diesen Einwand fort, indem sie die Begründung des Basilius bezweifelt, der die oberen Wasser als Nachschub für das stetig durch das Feuer verbrauchte untere Wasser für nötig hält (10,16– 29). Die ersten sechs Fragen wurden bereits von Basilius selbst und früheren Auslegern und Kritikern des biblischen Schöpfungsberichtes gestellt.⁶ Die letzte Frage richtet sich direkt gegen die naturphilosophische Theorie der Elemente, die Basilius mit seiner Auslegung von Gen 1,7 verbindet. Gregor wendet sich in der Apologie wiederholt direkt an Petrus.⁷ Er rechnet aber auch mit einem größeren Leserkreis,⁸ dem er wie Petrus unterstellt, sich mit naturphilosophischen Fragen beschäftigen zu wollen.⁹ Gregor richtet sich also an Leser, die wie er selbst den biblischen Schöpfungsbericht als Dokument christlicher Naturlehre lesen wollen. ⁶ Siehe Basilius, hex. 3,3 (41,7–9 [Amand de Mendieta / Rudberg]: Anzahl der Himmel); 2,5 (29,20–22: Status der Finsternis); 6,2 (90,15 f.: Verhältnis Gen 1,3 u. 1,14); 2,1 (22,1–4: Verhältnis der Bestimmung der Erde Gen 1,1 u. 1,2); 3,4 (43,13–16: Wasser oberhalb des Firmaments). Zum Einwand, daß Finsternis, Abgrund und Wasser nach dem Schöpfungsbericht nicht geworden sind, siehe Julian, Gal. 49d (171 Neumann). Daß der Schöpfungsbericht Tage vor der Entstehung der Gestirne nennt, kritisiert auch Celsus bei Origenes, Cels. 6,60 (130,10–13 Koetschau); vgl. [Justin], qu. et resp. 62 (427c; 88 Otto). Daß die Erde nach Gen 1,2 unbereitet ist, obwohl sie nach Gen 1,1 mit dem Himmel geschaffen wurde, sahen z. B. die Manichäer als Beweis für die Widersprüchlichkeit des Schöpfungsberichtes (nach Augustinus, Gn. adv. Man. 1,3,5 [Z. 1–4; 69 f. Weber]). Siehe J. G C 2004, 64–71 zur Kritik des Celsus am Schöpfungsbericht Gen 1 f.; 252–256 zu Julians Kritik. Zu Celsus außerdem D. W 2006, 727 f. ⁷ Gregor, hex. 1 (4,6 f.); 2 (6,7); 5 (8,30–35; 10,29–36); 6 (12,4 f.); 77 (92,17.29–31); 78 (94,7 f.). ⁸ Eine Mehrzahl von Lesern ist angesprochen in hex. 6 (12,11 f.); 28 (42,16 f.); 77 (92,31); 78 (94,7–9). ⁹ Auf das naturphilosophische Interesse des Petrus hebt Gregor in hex. 5 (8,30–35; 10,29– 31) ab.

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1.2. Das Auslegungsverständnis Gregors in der Apologia in Hexaemeron 1.2.1. Die Haltung Gregors gegenüber der Hexaemeronauslegung des Basilius Gregor sieht seine eigene Arbeit zum Hexaemeron ausdrücklich in Abhängigkeit von Basilius. Das geht eindrücklich aus einem Bild hervor, das Gregor in Abschnitt 2 entfaltet, um jeglichen Anschein einer Konkurrenz zu Basilius zu vermeiden. Gregor sieht hier seine eigene Arbeit zum Hexaemeron als kleinen Zweig, der auf den großen Baum der basilianischen Auslegung aufgepfropft ist und von der Weisheit und den Gedanken des Basilius zehrt.¹⁰ Gregor bringt der Auslegung des Basilius große Wertschätzung entgegen, die sicherlich etwas von der Anerkennung widerspiegelt, die Basilius’ Homilien bei Zeitgenossen und späteren Lesern genossen. Gregor nennt Basilius respektvoll Lehrer¹¹ und Vater¹². Die Homilien über das Sechstagewerk betrachtet er als göttlich inspiriert und stellt sie damit neben Moses Erzählung, die er ebenfalls auf göttliche Anhauchung zurückführt.¹³ Im Urteil Gregors folgt die Auslegung des Basilius direkt auf das »durch Gott inspirierte Testament«¹⁴ und wird nicht weniger bewundert als der mosaische Schöpfungsbericht.¹⁵ Das Verhältnis der basilianischen Auslegung zu Moses Bericht vergleicht Gregor anschaulich mit dem Verhältnis der Ähre zum Korn.¹⁶ Die Ähre ist einerseits aus dem Korn, ohne das Korn zu sein. Andererseits ist sie dem Vermögen nach (τῇ δυνάμει) das Korn, allerdings verändert in Größe, Schönheit, Buntheit und Gestalt. In dem gleichen Verhältnis stehen die basilianischen Homilien zum Schöpfungsbericht des Mose. Was in wenigen und zusammenfassenden Worten von Mose gesagt wurde, das hat Basilius durch die erhabene Philosophie (διὰ τῆς ὑψηλῆς φιλοσοφίας) erweitert. Gregor zeigt durch diesen Vergleich, der in der Struktur wohl auf Origenes zurückgeht,¹⁷ daß Moses Bericht der ursprüngliche Stoff ist, den Basilius in seiner Auslegung entfaltet. Die Auslegung des Basilius ist daher vom Schöpfungsbericht zu unterscheiden. Der Unterschied besteht aber lediglich in der sprachlichen Gestaltung und in der Vielfalt des Inhalts. Ihrem Vermögen nach ist sie mit dem Bericht des Mose identisch. Jacobus C. van Winden hat richtig darauf hingewiesen, daß der Ausdruck τῇ δυνάμει hier nicht im aristotelischen Sinne von Potentialität als Gegensatz zu τῇ ἐνεργείᾳ gebraucht ist, sondern die Kraft bezeichnet, die sowohl dem Korn als auch der daraus ¹⁰ ¹¹ ¹² ¹³ ¹⁴ ¹⁵ ¹⁶ ¹⁷

rens).

Hex. 2 (6,5–19). Hex. 1 (4,25); 2 (6,8); 77 (92,27.32). Hex. 1 (4,15); 2 (6,8). Hex. 1 (4,9–11). Hex. 6 (12,9 f.). Hex. 1 (4,9–11). Hex. 1 (4,17–25). M. A 1971, 90 verweist auf Origenes, hom. in Ex. 1,1 (145,5–146,10 Baeh-

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sich entwickelnden Ähre wesentlich zu eigen ist.¹⁸ Im Falle des Korns und der Ähre ist damit die Natur- und Wachstumskraft gemeint, die das Wesen des Individuums als Vertreter seiner Art formt und sowohl im Korn als auch in der Ähre wirkt. Worin besteht aber die wesentliche Kraft, die sowohl dem mosaischen Schöpfungsbericht als auch der Auslegung des Basilius eigentümlich ist? Gregor beschränkt sich nicht darauf, die in dieser Kraft begründete wesentliche Identität und Gleichrangigkeit von Schöpfungsbericht und basilianischer Auslegung zu behaupten, sondern er bestimmt sie im Fortgang des Textes auch inhaltlich: Was nämlich jener in wenigen und zusammenfassenden Worten gesagt hat, das hat unser Lehrer durch die erhabene Philosophie erweitert und dabei keine Ähre, sondern einen Baum geschaffen … In der Folge wurde dieser Baum allseits ausladend an Gedanken und entfaltete sich anstelle von Zweigen in Lehren und streckte sich durch die Zielrichtung der Frömmigkeit¹⁹ in die Höhe, so daß die erhabenen und hoch oben wandelnden Seelen, die das Evangelium Vögel des Himmels nennt, in der Größe solcher Zweige nisten können. Denn wie eine Art Nest der Seele ist das Einverständnis mit dem Gesuchten, das die unstete Geschäftigkeit des Intellekts, die wie eine Art umherirrender Flug ist, bei sich zur Ruhe kommen läßt.²⁰

Die Homilien des Basilius sind reich an Gedanken und Lehren, die »in die Höhe« führen. In ihnen findet die nach Erkenntnis suchende Seele Ruhe, indem sie zum Einverständnis (συγκατάθεσις) mit dem Gesuchten, d. h. zur Erkenntnis dessen, was sie suchte, gelangt. Dabei befreit sie sich von allen Affekten.²¹ Indem die basilianische Schriftauslegung die Seelen zur Erkenntnis und zur Freiheit von Affekten führt, dient sie dem Ziel der Frömmigkeit (σκοπὸς τῆς εὐσεβείας). Was Gregor hier in hex. 1 in einer Verbindung des platonischen Motivs des Seelenaufstiegs (Phdr. 246c) mit biblischer Terminologie ausführt, formuliert er schlichter in Abschnitt 4. Hier nennt er als Ziel (σκοπός) der basilianischen Auslegung, auf anschauliche Weise die Seelen von der ¹⁸ J. C. M.  W 1990, 148–150. ¹⁹ Statt τῷ σκοπῷ möchte R. B 1923, 172 f. τῷ ὀπῷ (durch den Saft) lesen. Diese Kon-

jektur, der auch F. X. R nicht folgt, ist unnötig und unterschlägt, daß die Zielrichtung sowohl der Auslegung als auch des Erkenntnisstrebens durch die Frömmigkeit motiviert ist. ²⁰ Hex. 1 (4,23–6,4): ἃ γὰρ ἐκεῖνος εἶπεν ἐν ὀλίγοις τε καἰ εὐπεριγράπτοις τοῖς ῥήμασι, ταῦτα διὰ τῆς ὑψηλῆς φιλοσοφίας ὁ διδάσκαλος ἡμῶν αὐξήσας, οὐχὶ ἄσταχυν ἀλλὰ δένδρον ἐποίησε (κατὰ τὸν ὁμοιωθέντα τῇ βασιλείᾳ τοῦ σινάπεως κόκκον, τὸν ἐν τῇ καρδίᾳ τοῦ γεωργοῦντος ἀποδενδρούμενον) ὥστε γενέσθαι πανταχόθεν αὐτὸν ἀμφιλαφῆ τοῖς νοήμασι, καὶ διηπλωμένον ἀντὶ κλάδων τοῖς δόγμασι, καὶ τῷ σκοπῷ τῆς εὐσεβείας εἰς ὕψος ἀνατεινόμενον, ὡς καὶ τὰς ὑψηλάς τε καὶ μετεωροπόρους ψυχάς, ἃς πετεινὰ τοῦ οὐρανοῦ τὸ εὐαγγέλιον ὀνομάζει, δύνασθαι τῷ μεγέθει τῶν τοιούτων κλάδων ἐννοσσεύειν· καλιὰ γάρ τις οἶόν ἐστι ψυχῆς, ἡ περὶ τὸ ζητούμενον συγκατάθεσις, τὴν ἄστατον τοῦ νοῦ πολυπραγμοσύνην, καθάπερ τινὰ πολυπλανῆ πτῆσιν, ἐφ’ ἑαυτῆς ἀναπαύουσα. ²¹ Gregor verbindet die Seele als Vogel mit biblischen Bildern. Der Vergleich der Seele mit einem Vogel, der unstetig hin und her fliegt, begegnet aber auch in der Stoa, die damit die Seele beschreibt, die von Affekten und nicht von der Vernunft geleitet wird (siehe M. H 1985, 48).

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Schönheit der Geschöpfe zur Erkenntnis des Schöpfers zu führen.²² Die Erkenntnis, zu der die Auslegung des Basilius führt und in der die Seele Ruhe findet, ist Gotteserkenntnis. Basilius verfolgt dieses Ziel mit Hilfe der erhabenen Philosophie (διὰ τῆς ὑψηλῆς φιλοσοφίας), d. h. durch eine Auslegung, die geistig in dem Sinne ist, daß sie die Kraft besitzt, die Seelen zur Gotteserkenntnis zu führen.²³ Damit vollzieht Basilius genau das, was in Gregors Augen auch Mose mit seinem Schöpfungsbericht vollbringt, indem er in der Naturbetrachtung τὰ ὑψηλὰ τῶν δογμάτων lehrt.²⁴ Gregor sieht also die wesentliche Identität und Gleichrangigkeit des mosaischen Schöpfungsberichtes und der basilianischen Auslegung in der anagogischen Kraft, durch welche die Leser bzw. Hörer zur Gotteserkenntnis geführt werden. Als ob Gregor sich selbst gegen den Vorwurf verteidigen müßte, daß seine eigene Auslegung von Basilius abweicht, betont er energisch, daß er nichts lehren wolle, was im Gegensatz zu dem von Basilius Gesagten steht.²⁵ Gleichwohl folgt er an einigen Punkten der basilianischen Auslegung dezidiert nicht. Innerhalb der Einleitung der Apologie bereitet Gregor den Leser sogar darauf vor, daß er in der zentralen Frage, was unter den ›oberen Wassern‹ Gen 1,6 zu verstehen sei, und in der damit zusammenhängenden Theorie zur Entstehung und Umwandlung der Elemente von Basilius abweichen wird.²⁶ Dennoch betont Gregor, daß auch in diesen Punkten die Auslegung des Basilius in Kraft bleiben soll.²⁷ In der Begründung, die Gregor für diese scheinbar widersprüchliche Haltung gegenüber der basilianischen Auslegung gibt, legt er zugleich etwas von seinen eigenen Auslegungsgrundsätzen offen. Maßstab seiner Auslegung soll die Folgerichtigkeit (ἀκολουθία) sein, die unter Umständen zu einer anderen Auslegung als bei Basilius führen kann.²⁸ Einen Konflikt mit der Auslegung des Basilius sieht Gregor jedoch nicht. Denn er betrachtet seine Auslegung als eine Art Übung für den eigenen Intellekt, in der Überlegungen wie in einer Übung vermutungsweise (ὡς ἐν γυμνασίᾳ τινὶ στοχαστικῶς) angestellt werden, die ohne Schaden auch allgemeinen Überzeugungen widersprechen können. Er ²² Hex. 4 (8,17–20). ²³ Nach A.-M. M 1961, 220 f. bezeichnet der Ausdruck ἡ ὑψηλὴ φιλοσοφία bei

den Kappadoziern einerseits die christliche Philosophie im Unterschied zur paganen Philosophie (ἡ ἔξω φιλοσοφία), andererseits aber auch diejenigen Richtungen der paganen Philosophie, die wie Platon ein höchstes geistiges Prinzip annehmen. Das Adjektiv ὑψηλός meint häufig das, was sich durch seinen höheren geistigen Gehalt von anderem unterscheidet (a. a. O., 241). ²⁴ Hex. 64 (78,26). ²⁵ Hex. 6 (12,6–8); 28 (42,15–25); 77 (92,30–33; 94,2–6). ²⁶ Hex. 6 (12,6–8). ²⁷ Hex. 6 (12,9 f.). ²⁸ Hex. 6 (12,8 f.).

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beabsichtigt nicht, feste Lehrsätze zu formulieren, die Ausgangspunkt für Verleumdungen sein könnten, und möchte auch keine Auslegungsnorm für nachfolgende Exegeten aufstellen.²⁹ Gregor sichert sich dagegen ab, aufgrund seiner Auslegung auf bestimmte Lehren festgelegt zu werden, die möglicherweise allgemeinen Überzeugungen der christlichen Lehre oder Auslegungstradition widersprechen. Indem er sich so präventiv gegen mögliche Verurteilungen schützt, hat er wohl das Schicksal des Origenes vor Augen, dessen vorsichtige Auslegungen und Spekulationen seit den Attacken des Methodius von Olympus um 300 angegriffen und dann im Zusammenhang der origenistischen Streitigkeiten zum Teil als häretisch verurteilt wurden.³⁰ Sein Auslegungsverständnis setzt Gregor auch bei Basilius voraus. Dabei erhebt er es gleichzeitig zum Programm einer theologischen Methodik. Basilius habe seinen Hörern die eigene Überzeugung nicht als Gesetz aufstellen, sondern ihnen durch seine Lehre einen gewissen Zugang zur Wahrheit eröffnen wollen. Daher ist Gregor als Leser und Schüler des Basilius frei, sich an den Erkenntnissen (μαθήματα), die Basilius hinterlassen hat, selbst zu üben (ἐγγυμνάζειν) und sie als Ausgangspunkt für seine Betrachtung der Folgerichtigkeit in der Schöpfung zu nehmen.³¹ Die Gestaltung der Auslegung und die konkreten Interpretationen einzelner Bibelverse treten also für Gregor zurück hinter dem übergeordneten Anspruch, in der Auslegung eine Übung für den eigenen Verstand zu finden und darin eventuell auch anderen einen Weg zur Wahrheit, d. h. zur Gotteserkenntnis, zu eröffnen. Diese Methode der theologischen Darstellung begegnet auch in anderen Schriften Gregors.³² Die eigenen Überlegungen nicht als feste Lehre, sondern als Übung für den Verstand zu betrachten, die auch anderen zum Anknüpfungspunkt für die eigene Suche nach der Wahrheit werden soll, erinnert stark an Origenes’ zetetisch-gymnastische Methode der Schriftauslegung.³³ Die grundlegende Unter²⁹ Hex. 6 (12,10–17): τὰ δὲ ἡμέτερα ὡς ἐν γυμνασίᾳ τινὶ στοχαστικῶς ἐπιχειρούμενα τοῖς ἐντυγχάνουσι προκείσθω, μηδεμιᾶς μηδενὶ διὰ τούτων βλάβης προσγινομένης, εἴ τι παρὰ τὴν κοινὴν ὑπόληψιν ἐν τοῖς λεγομένοις εὑρίσκοιτο· οὐ γὰρ δόγμα τὸν λόγον ποιούμεθα, ὥστε ἀφορμὴν δοῦναι τοῖς διαβάλλουσιν· ἀλλ’ ὁμολογοῦμεν ἐγγυμνάζειν μόνον ἑαυτῶν τὴν διάνοιαν τοῖς προκειμένοις νοήμασιν, οὐ διδασκαλίαν ἐξηγητικὴν τοῖς ἐφεξῆς ἀποτίθεσθαι. ³⁰ Dem Thema »Origenes in den Auseinandersetzungen des 4. Jahrhunderts« ist der Tagungsband des Siebten Internationalen Origeneskolloquiums 1997 gewidmet (W. A. B / U. K 1999). Siehe außerdem die Studien von E. P 2005. ³¹ Hex. 28 (42,19–25): καὶ γὰρ καὶ τῷ διδασκάλῳ σκοπὸς ἦν, οὐ πάντως τὰς ἰδίας ὑπολήψεις τοῖς ἀκροωμένοις νομοθετεῖν, ἀλλὰ ἔφοδόν τινα διὰ τῆς διδασκαλίας αὐτοῦ πρὸς τὴν ἀλήθειαν ἐν τοῖς μαθητευομένοις γενέσθαι. Καὶ ἡμεῖς τοίνυν ἐγγυμνασθέντες τοῖς παρ’ ἐκείνου καταλειφθεῖσι μαθήμασι, πρὸς τὸ ἀκόλουθον βλέπομεν· εἴη δ’ ἂν καὶ οὗτος, εἴπερ ἐπιτύχοι τοῦ εἰκότος ὁ λόγος, εἰς τὴν τοῦ διδασκάλου σοφίαν ἀναφερόμενος. ³² Vgl. anim. et res. (PG 46, 57c); hom. opif. 16 (PG 44, 185a). ³³ L. P 1999 geht dem Gegensatz γυμναστικῶς-δογματικῶς ausgehend von Origenes bei Autoren des vierten Jahrhunderts nach. Die Ausführungen Gregors in hex. 6 (12,10–

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scheidung zwischen gymnastischen und dogmatischen Aussagen wird dann im vierten Jahrhundert von den Verteidigern des Origenes hervorgehoben, um den umstrittenen Alexandriner gegen den Vorwurf der Heterodoxie zu verteidigen. Dabei wird die gymnastische Methode, die wesentliche Grundsätze der Bibelhermeneutik des Origenes sowie seiner Anschauung von spiritueller Erkenntnis widerspiegelt, negativ ausgedeutet und als Mittel der dialektischen Kunst in polemischen Auseinandersetzungen verstanden.³⁴ Im Unterschied dazu bewahrt Gregor die ursprüngliche positive Haltung des Origenes, indem er die gymnastische Methode zu einem exegetischen und theologischen Programm erhebt. 1.2.2. Das Ziel (σκοπός) Gregors in der Apologia in Hexaemeron Obwohl die von Petrus vorgelegten Fragen den Anlaß für die Apologia in Hexaemeron bilden, sieht Gregor seine Aufgabe nicht darin, die dort formulierten Einwände im einzelnen zu widerlegen. Er nimmt sich vielmehr vor, »den Sinn des (im Schöpfungsbericht)³⁵ Gesagten nach den besten Kräften für die eigene Absicht (σκοπός) zu untersuchen« und mit Hilfe Gottes eine zusammenhängende und folgerichtige Betrachtung der gewordenen Dinge in der Schöpfung zu erdenken, wobei der Wortlaut des biblischen Berichts in der eigenen Bedeutung bleiben soll.³⁶ Er entkräftet dabei die kritischen Einwände auf einer übergeordneten Ebene, indem er sie darauf zurückführt, daß die innere Folgerichtigkeit (ἀκολουθία) des Schöpfungsberichtes nicht erkannt wurde.³⁷ Indem er diese Folgerichtigkeit aufzeigt, verteidigt er den Bibeltext 17); 28 (42,18–25) behandelt er dabei nicht. Zur zetetisch-gymnastischen Methode der Schriftauslegung bei Origenes siehe Kapitel B I 4.2.1. ³⁴ L. P 1999, 124–132; E. P 1994; . 1995. ³⁵ Die Wortgruppe τὴν τῶν ῥητῶν … διάνοιαν (12,24) könnte auch auf die von Petrus vorgelegten Fragen oder die Auslegung des Basilius bezogen werden. Die Bemerkung, daß der Wortlaut in der eigenen Bedeutung bleiben soll (Z. 25 f.), zeigt aber, daß die Ausführungen des Bibeltextes gemeint sind. ³⁶ Hex. 6 (12,17–27): Τὸ μὲν οὖν συμπλέκεσθαι πρὸς τὰς ἐνστάσεις τὰς ἀπὸ τῆς ἁγίας γραφῆς ἡμῖν προτεινομένας καὶ ἐκ τῶν παραπόδας παρὰ τοῦ διδασκάλου ἡμῶν ἑρμηνευθέντων, ὅσα δοκεῖ μὴ συμβαίνειν ταῖς κοιναῖς ὑπολήψεσι, μηδεὶς ἀπαιτείτω τὸν ἐμὸν λόγον· οὐ γὰρ τοῦτό μοι πρόκειται, τὸ συνηγορίαν τινὰ τοῖς ἐκ τοῦ προχείρου φαινομένοις ἐναντιώμασιν ἐπινοῆσαι· ἀλλά μοι συγχωρηθήτω κατ’ ἐξουσίαν πρὸς τὸν ἴδιον σκοπὸν τὴν τῶν ῥητῶν ἐξετάσαι διάνοιαν· εἴπως ἡμῖν γένοιτο δυνατόν, συμμαχίᾳ Θεοῦ, μενούσης τῆς λέξεως ἐπὶ τῆς ἰδίας ἐμφάσεως, συνηρτημένην τινὰ καὶ ἀκόλουθον ἐν τῇ κτίσει τῶν γεγονότων ἐπινοῆσαι τὴν θεωρίαν. Mit der Weigerung, sich in die vorgebrachten Einwände zu verstricken (συμπλέκεσθαι Z. 17) stellt sich Gregor in die Nachfolge des Basilius, von dem er hex. 4 (8,21–23) sagt, daß er sich wegen der Rücksicht auf die einfachen Leute nicht in die Einwände verstrikken (διαπλεκόμενος Z. 23) wollte. ³⁷ In hex. 77 faßt Gregor zusammen, daß er bei der Behandlung der vorgelegten Einwände weder die Lesart der Schrift in eine allegorische Auslegung abgewandelt habe, noch irgendeinen der Einwände übergangen habe. Er habe vielmehr nach Kräften die Verknüpfung der

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gegen den Vorwurf der Widersprüchlichkeit und widerlegt die Einwände. Den Nachweis der Folgerichtigkeit des Bibeltextes erbringt Gregor, indem er zeigt, daß der Gedankengang des Schöpfungsberichtes die geordnete Entstehung der Phänomene abbildet, die in der Natur beobachtet werden können: Die ἀκολουθία des Schöpfungsberichtes ist mit der ἀκολουθία der Natur identisch. Daher kann Gregor als Methode formulieren, die Naturbetrachtung mit dem Buchstaben des Bibeltextes zusammenzuführen,³⁸ bzw. der Verknüpfung der Natur durch die Betrachtung der zentralen Begriffe des Schöpfungsberichtes zu folgen.³⁹ Der biblische Schöpfungsbericht ist für Gregor also ein naturphilosophischer Text in dem Sinne, daß er über den geordneten Lauf der Natur bei der Erschaffung der Welt Auskunft gibt. Alle Texte, die als zentrale Absicht den Erweis der ἀκολουθία nennen, geben als weiteres Ziel an, den Wortlaut des Bibeltextes in der eigenen Bedeutung zu bewahren.⁴⁰ Der Grund liegt auf der Hand. Wenn die Darstellung der Folgerichtigkeit die Kritiker des biblischen Berichtes überzeugen soll, muß sie aus dem Wortlaut des Bibeltextes gewonnen werden. Daß Gregor den Wortlaut des Schöpfungsberichtes hervorhebt, ist kein Dogma der Schriftauslegung, das er einfach von Basilius übernommen hat, sondern hängt unmittelbar mit seiner Zielsetzung und Methodik in der Apologia in Hexaemeron zusammen. Das zeigt sich gerade in den Passagen, in denen er im Interesse der Folgerich-

Natur aus den Begriffen des Bibeltextes abgeleitet und so gezeigt, daß keine Widersprüche bestehen (92,17–25). Nachdem Gregor die Absicht von De hominis opificio dargelegt hat (92,33–94,2), nennt er als Ziel seiner Hexaemeron-Apologie (94,2–6): ἐνταῦθα δὲ διὰ τοὺς ἐπιζητοῦντας ἐν τοῖς γραφικοῖς νοήμασι τὸ ἀκόλουθον, ταῦτα γράψαι προθυμηθῆναι, ὡς ὁμοῦ τε τὴν λέξιν ἐπὶ τῶν γεγραμμένων φυλάττεσθαι, καὶ τὴν φυσικὴν θεωρίαν συναγορεύειν τῷ γράμματι. Aus beiden Texten geht hervor, daß die Einwände durch den Nachweis der ἀκολουθία widerlegt werden. Die Bedeutung des Motivs der Folgerichtigkeit (ἀκολουθία) für Gregors Argumentationsführung (Logik und Dialektik), Schriftverständnis (Exegese) sowie seine Kosmologie, Anthropologie und sein Geschichtsverständnis hat J. D 1953 herausgearbeitet. Darauf baut die knappe Darstellung von J. A. G-T 2007a auf. ³⁸ Hex. 77 (94,4–6). ³⁹ In hex. 77 (92,17–25) faßt Gregor sein Vorgehen zusammen: Ταῦτά σοι, ὦ ἄνθρωπε τοῦ Θεοῦ, περὶ τῶν προβληθέντων ἡμῖν παρὰ τῆς συνέσεώς σου ἀπεκρινάμεθα, μήτε τι τῆς γραφικῆς λέξεως εἰς τροπικὴν ἀλληγορίαν μεταποιήσαντες, μήτε παριδόντες τι τῶν ἀντιτεθέντων ἡμῖν ἀνεξέταστον· ἀλλ’ ὡς ἦν δυνατόν, μενούσης τῆς λέξεως ἐπὶ τῆς ἰδίας ἐμφάσεως, τῷ τῆς φύσεως εἱρμῷ διὰ τῆς θεωρίας τῶν ὀνομάτων ἠκολουθήσαμεν, δι’ ὧν τὸ μηδὲν ὑπεναντίως ἔχειν τῶν δοκούντων κατὰ τὴν ἐπιπολαιοτέραν ἀνάγνωσιν ἀσυμφωνεῖν ἀλλήλοις, καθὼς ἦν δυνατόν, ἀπεδείξαμεν· ⁴⁰ Die Abschnitte verknüpfen diese zwei Anliegen auch syntaktisch miteinander. Hex. 6 (12,24–27): εἴπως ἡμῖν γένοιτο δυνατόν, συμμαχίᾳ Θεοῦ, μενούσης τῆς λέξεως ἐπὶ τῆς ἰδίας ἐμφάσεως, συνηρτημένην τινὰ καὶ ἀκόλουθον ἐν τῇ κτίσει τῶν γεγονότων ἐπινοῆσαι τὴν θεωρίαν. Hex. 77 (92,20–22): ἀλλ’ ὡς ἦν δυνατόν, μενούσης τῆς λέξεως ἐπὶ τῆς ἰδίας ἐμφάσεως, τῷ τῆς φύσεως εἱρμῷ διὰ τῆς θεωρίας τῶν ὀνομάτων ἠκολουθήσαμεν, … (94,4– 6): … ὡς ὁμοῦ τε τὴν λέξιν ἐπὶ τῶν γεγραμμένων φυλάττεσθαι, καὶ τὴν φυσικὴν θεωρίαν συναγορεύειν τῷ γράμματι.

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tigkeit des Bibeltextes den Wortsinn ablehnt.⁴¹ Hier wird deutlich, daß Gregors Forderung, den Wortlaut des Bibeltextes zu bewahren, nicht identisch ist mit einem demonstrativen Beharren auf dem Literalsinn des Textes. Gregors Aufmerksamkeit für den Bibeltext schließt die Überzeugung ein, daß sich die Bibel selbst Formen übertragener Redeweisen wie beispielsweise der κατάχρησις bedient, die erkannt und richtig interpretiert werden müssen, wenn man den Wortlaut des biblischen Textes bewahren will.⁴² Grundlage für Gregors Ansatz ist die Überzeugung, daß der biblische Schöpfungsbericht ein Text ist, in dem Mose in Form einer Erzählung (ἱστορικῶς ἐν διηγήματος εἴδει) Naturphilosophie treibt.⁴³ Gregor nimmt wiederum Moses Erzählung zum Ausgangspunkt, die Verknüpfung und Reihenfolge der Naturphänomene folgerichtig und ausgehend von zugrunde liegenden Prinzipien darzustellen. Dieses Vorhaben stellt jedoch keinen Selbstzweck dar. Wie der Schöpfungsbericht des Mose soll auch Gregors Darstellung der ἀκολουθία der Schöpfung eine Einführung in die Gotteserkenntnis sein. Sie soll diejenigen, die der sinnlichen Wahrnehmung unterworfen sind, mit Hilfe der sichtbaren Phänomene zu dem führen, was über der sinnlichen Wahrnehmung liegt.⁴⁴ Gregor vergleicht denjenigen, der wie sein Bruder Petrus die notwendige Ordnung der Schöpfung erkennen will, mit Mose, der auf den Berg Sinai steigt. Diesen Aufstieg deutet Gregor wie in De vita Moysis als inneren Erkenntnisaufstieg: Petrus läßt die Masse der Leute zurück, die für die sinnliche Wahrnehmung stehen, wird im Denken über sie gehoben und tritt ein »in die Wolke der Schau unaussprechlicher Dinge«.⁴⁵ Die Erkenntnis der Schöpfungsordnung führt für Gregor zur Erkenntnis der intelligiblen Natur, zur ⁴¹ Gregor weist auf den homonymen Sprachgebrauch der Schrift hin, um das obere Wasser von dem unteren, natürlichen Wasser zu unterscheiden (hex. 44) und um die Rede des Paulus von einem dritten Himmel mit dem Schöpfungsbericht zu verbinden (hex. 75). M. A 1971 zeigt bereits an mehreren Punkten, daß Gregors Methode der Bibelexegese in der Apologia und in De hominis opificio vielfältiger ist, als das plakative Bekenntnis zum Wortsinn in den beiden Schriften vermuten läßt. ⁴² Siehe dazu Kapitel 3.1.2. ⁴³ Mose beschreibe in Gen 1,3 ἱστορικῶς ἐν διηγήματος εἴδει die Entstehung des Feuers als distinktes Element (hex. 14 [22,34]). Mose lehre ἱστορικῶς die erhabensten Lehrsätze (64 [78,26]). Ab Gen 1,6 erzähle Mose (διηγήσασθαι 25 [38,12]) von der schweren Natur, d. h. von Wasser und Erde. Als Mose zuerst die Erschaffung des Lichts (Gen 1,3) und später die Erschaffung der einzelnen Gestirne (Gen 1,14) berichtet, habe er daran gedacht, daß sich zuerst das Feuer zusammenfassend absonderte und erst nach drei Tagen die qualitativen Unterschiede innerhalb der feurigen Gattung hervortraten (66 [80,35]). In hex. 25 erklärt Gregor, warum Mose zwischen Gen 1,3 (Absonderung des Feuers) und Gen 1,6 (Scheidung von Erde und Wasser) keine naturphilosophische Betrachtung über die Luft angestellt hat, und bezeichnet Moses Tätigkeit bei der Abfassung des Schöpfungsberichtes als φυσιολογῆσαι (38,10). ⁴⁴ Siehe hex. 8 (14,34–16,1). ⁴⁵ Hex. 5 (8,30–35).

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Gotteserkenntnis.⁴⁶ Wer sich mit der Ordnung der Schöpfung beschäftigt, streckt sich nach den erhabenen Dingen aus (τοῖς ὑψηλοῖς) und strebt danach, in philosophischer Schau (θεωρία) »selbst zu erkennen, was im Schatten des Gesichtskreises des Mose liegt«.⁴⁷ Er gleicht darin Paulus, der – so Gregors Auslegung von Phil 3,13 – sich über alles vor ihm liegende ausstreckte, die Grenze der gesamten sichtbaren Natur überschritt und zur Schau der intelligiblen Wesenheit gelangte.⁴⁸ Gregors Ausführungen zum σκοπός der Auslegung zeigen, daß aus seiner Perspektive Mose, Basilius und er selbst das gleiche Ziel verfolgen: Sie wollen in der Betrachtung der Schöpfung zur Gotteserkenntnis gelangen. Mose, Basilius und Gregor realisieren dieses Ziel aber auf unterschiedliche Weise: Mose in Form einer Erzählung, Basilius durch anschauliche Schilderungen der Schöpfungswunder und Gregor, indem er die innere Logik des Schöpfungsgeschehens folgerichtig und ausgehend von zugrunde liegenden Prinzipien darstellt.⁴⁹ Wie Basilius greift Gregor dabei auf pagane Naturphilosophie zurück, die er als legitimes Mittel darstellt, um die Auslegung des biblischen Textes gegenüber Gebildeten »in die Höhe zu führen«⁵⁰. Gregor hat dabei gerade jene Hörer des Basilius vor Augen, die mit philosophischen Lehren vertraut waren,⁵¹ deren Erkenntnisaufstieg aber gerade deshalb durch die Rücksicht des Basilius auf die Masse der Ungebildeten behindert wurde. Trotz der vielen ⁴⁶ F. X. R 1999, 119 f. verweist auf entsprechende Passagen in De vita Moysis: Die Schau des Unaussprechlichen bedeutet die Schau des Intelligiblen (v. Mos. 2 [83,23–84,4 Musurillo]), die Schau der transzendenten Natur (2 [82,4–9]), welche Erkenntnis Gottes ist (2 [84,8–20]). Daß Gregor die Suche nach der Schöpfungsordnung in hex. 5 mit dem Aufstieg des Mose vergleicht, bedeutet allerdings nicht, daß »nach Gregor eine gewisse Anschauung Gottes für die Erkenntnis der Ordnung der Erschaffung vorausgesetzt« ist (R, a. a. O., 119 Anm. 52), sondern daß die Betrachtung der Schöpfungsordnung zur Gotteserkenntnis führt. ⁴⁷ Hex. 5 (10,29–32). Gregor spielt hier auf Moses Begegnung mit Gott auf dem Berg Sinai an, bei der dieser Gott nur hören, aber nicht sehen konnte. ⁴⁸ Hex. 75 (90,8–12). ⁴⁹ Ich kann M. A 1971, 98 nicht zustimmen, die einen qualitativen Unterschied zwischen der Zielsetzung des Basilius und Gregors sieht: Basilius wolle einen Weg zur Wahrheit eröffnen und die Seelen zur Gotteserkenntnis führen, Gregor wolle dagegen»dégager le système thèologique inclus dans le texte«. ⁵⁰ In hex. 4 beschreibt Gregor die Methode des Basilius in den Homilien. Dieser wählte einerseits einfache Erklärungen, andererseits wollte er … τοῖς τῶν μειζόνων ἀκροαταῖς συναναβαίνειν πως αὐτοῦ τὴν ἐξήγησιν, τὰ ποικίλα μαθήματα τῆς ἔξω φιλοσοφίας παραδεικνύουσαν· (8,25–27). Der Ausdruck ἡ ἔξω φιλοσοφία trägt hier keinen abwertenden Unterton, sondern faßt die paganen Erkenntnisbemühungen verschiedenster Art zusammen (F. X. R 1999, 118 Anm. 49). Zu dieser Bedeutung des Begriffs siehe A.-M. M 1961, 217– 221. Gregor zitiert z. B. explizit fachwissenschaftliche Theorien zur Entstehung von Kometen: … φυσιολογοῦσιν οἱ ταῦτα σοφοί· (hex. 37 [52,23 f.]); Ansichten zur Wolkenbildung: … οἱ ἱστορήσαντες λέγουσιν (hex. 36 [52,13]). ⁵¹ Siehe hex. 4 (8,10–13) zu den Hörern des Basilius: Ἐν γὰρ τοσούτοις τοῖς ἀκούουσι, πολλοὶ μὲν ἦσαν καὶ οἱ τῶν ὑψηλοτέρων ἐπαΐοντες λόγων· πολλαπλάσιοι δὲ οἱ τῆς λεπτοτέρας ἐξετάσεως τῶν νοημάτων οὐκ ἐφικνούμενοι, ἄνδρες ἰδιῶται καὶ βάναυσοι ταῖς ἐπιδιφρίοις

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Bezüge zu den Homilien des Basilius ist Gregors Apologia in Hexaemeron eine eigenständige Abhandlung, in der er seine Konzeption von Schöpfung unter dem Leitgedanken der ἀκολουθία in der Auslegung des biblischen Textes entwickelt.

1.3. Die Gliederung der Apologia in Hexaemeron Der Text der Apologia, den Gregor den Handschriften zufolge nicht weiter untergliedert hat, ist nicht einfach zu strukturieren.⁵² Sehr grob läßt er sich aufteilen in eine Einleitung (1–6), die Anlaß und Skopos der Schrift nennt, einen Hauptteil (7–76), der die Erörterung enthält, und einen Schlußabschnitt (77 f.), der noch einmal die Absicht der Schrift nennt und die Darstellung den Lesern empfiehlt. Franz Xaver Risch zufolge läßt sich in der Erörterung wenigstens nach fünf Gesichtspunkten eine Struktur des Textes entdecken, die infolge der Verwicklung der Beweggründe Gregors mehrschichtig sei: »nach der Folge der Schriftverse des Schöpfungsberichtes, nach der griechischen Kosmogonie, damit zusammenhängend nach metaphysischen und naturphilosophischen Themen, nach der Beantwortung der vorgelegten Fragen und schließlich nach dem grundlegenden Motiv der ἐπέκτασις.«⁵³ Risch selbst bietet eine Gliederung,⁵⁴ die der griechischen Kosmogonie folgt, d. h. einer »Erklärung für die Materie und für die Entstehung der Elemente«,⁵⁵ die er für den dominantesten der genannten Gesichtspunkte hält. Er kommt zu dem Schluß, daß sich Gregor im großen und ganzen bei der Folge seiner Auslegung an die Folge der Bibelverse halte und damit seiner Vorstellung von exegetischer Akoluthia Genüge tue.⁵⁶ Angesichts der Zielsetzung, die Gregor für die Apologia formuliert, kommt der Reihenfolge der Bibelverse allerdings nicht nur eine exegetischmethodische, sondern auch eine inhaltliche Bedeutung zu. Überhaupt sind die Zielsetzung und die Methode, die Gregor in der Apologia verfolgt, der Schlüssel zur Struktur des Textes. Er zeigt, daß die von Risch genannten Gesichtspunkte nicht miteinander konkurrieren, sondern einander zugeordnet sind: Gregor führt einerseits die Naturbetrachtung mit dem Buchstaben des Bibeltextes zusammen und entwickelt andererseits die Folgerichtigkeit des Naturἐργασίαις προσασχολούμενοι, …Ich lese mit R. B 1923, 174 und F. X. R 1999, 117 Anm. 41 in Z. 12 πολλαπλάσιοι anstelle des πολλαπλασίους von F. Siehe zu den Hörern des Basilius außerdem hex. 4 (8,25–27). ⁵² F. X. R 1999, 15 f. stellt die Gliederungen in Migne, des deutschen Übersetzers von 1853 und von G. H. F vor. Die Übersetzung von C. M folgt der Gliederung in Migne. ⁵³ F. X. R 1999, 20. ⁵⁴ F. X. R 1999, 16–20. ⁵⁵ F. X. R 1999, 21. ⁵⁶ F. X. R 1999, 21.

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laufs aus der Betrachtung der zentralen Begriffe des Schöpfungsberichtes.⁵⁷ Bibeltext und Naturlehre erklären und legitimieren sich also gegenseitig mit dem Ziel, die Widerspruchslosigkeit der biblischen Naturbetrachtung zu erweisen. Es ist daher sachlich notwendig, Rischs umfangreicher Gliederung, die den Gedankengang auf der Ebene der Naturlehre nachzeichnet, einen Entwurf zur Seite zu stellen, der die Auslegung der einzelnen Begriffe und Bibelverse verfolgt.⁵⁸

2. Christliche Kosmologie als Auslegung von Gen 1 2.1. Auslegung von Gen 1,1 f.: Die Schöpfung im Anfang (καταβολή) 2.1.1. Der allmächtige Schöpferwille und die Negation der Materie als zugrunde liegendes Substrat Gregor beginnt die Erörterung in hex. 7 mit der Auslegung von Gen 1,1. Wie in Kommentaren üblich, bietet er zunächst den auszulegenden Textvers. Dabei erweitert er Gen 1,1, indem er die Aussage ›Gott schuf‹ auf alle Dinge bezieht, die im Schöpfungsbericht verhandelt werden, ›Himmel und Erde‹ also bereits als einen Ausdruck für die Gesamtheit der sichtbaren Schöpfung nimmt, den er in hex. 8 ausführlicher behandelt.⁵⁹ Vor die Untersuchung der einzelnen Worte des Verses stellt Gregor eine grundsätzliche Feststellung über Gottes Schaffen. Damit hebt er die Auslegung von ›Gott schuf‹ von der folgenden Interpretation des Verses ab und stellt sie axiomatisch der gesamten Erörterung voran. Vor ihrem Hintergrund soll die vernünftige Überlegung (λόγος) die Folgerichtigkeit des Schöpfungsberichtes suchen. a) Die Identität von Wille, Weisheit und Schöpferkraft bei Gott. Die göttliche Natur zeichnet aus, daß bei ihr Wille (βούλησις) und Kraft (δύναμις) zusammenfallen und der Willensentschluß (θέλημα) das Maß der Kraft Gottes ist. Die göttliche Kraft wird somit durch keine außerhalb ihrer selbst liegende Größe begrenzt. Der Wille Gottes ist Weisheit (σοφία), die vorausweiß, wie jedes Einzelne werden wird. Da Kraft und Wissen bei Gott »miteinander zusammengewachsen sind«, war mit dem Wissen, was werden soll, auch zugleich die bewirkende Kraft (ἐξεργαστικὴ τῶν ὄντων ἰσχύς) vorhanden, das Gedachte zur Verwirklichung zu führen. Daher zeigt sich das Werk Gottes nicht nach seinem Wissen über es, sondern ist ohne Abstand mit dem wissen⁵⁷ Siehe die Ausführungen zu hex. 77 (92,21 f.; 94,4–6) in Kapitel 1.2.2. ⁵⁸ Siehe den Anhang. ⁵⁹ Hex. 7 (12,28–30): Ἐν ἀρχῇ ἐποίησε, φησίν, ὁ Θεὸς τὸν οὐρανὸν καὶ τὴν γῆν, καὶ τὰ

ἐφεξῆς ὅσα περιέχει τῆς κοσμογενείας ὁ λόγος. Τὰ μὲν δὴ γεγενημένα κατὰ τὴν Ἑξαήμερον ταῦτα.

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den Willen verbunden. Denn bei Gott ist der wissende Wille Kraft, der zugleich sowohl vorausweiß, wie die seienden Dinge werden, als auch die Anfangsgründe (τὰς ἀφορμάς) für die Existenz des Gedachten bereitstellt. Somit ist bei Gott alles bezüglich der Schöpfung zugleich zu denken: der Wille, die Weisheit, die Kraft und das substantielle Sein (οὐσία)⁶⁰ der Dinge.⁶¹ Gregor zieht hier antike Handlungstheorie heran, um das Besondere des göttlichen Schöpfungshandelns aufzuzeigen: Die einzelnen Aspekte und Momente, die beim menschlichen Handeln dem Akt und dem Werk vorausgehen und durch viele äußere Faktoren bedingt sind, fallen bei Gott zusammen und sind bei ihm von keiner außerhalb seiner selbst liegenden Größe abhängig.⁶² ⁶⁰ J. R 1973, 100 möchte mit einer Handschrift οὐσίωσιν statt οὐσία lesen. F führt diese Variante nicht auf. F. X. R 1999, 128 Anm. 90 hält sie für eine jüngere, erleichternde Lesart. Der sachliche Unterschied besteht in einer Akzentverschiebung: οὐσίωσις betont den Akt Gottes, οὐσία legt den Akzent auf das bewirkte Sein. Letzteres paßt besser zu hex. 7 (12,38–14,1), daß das Werk zugleich mit dem göttlichen Willensentschluß realisiert ist. Der gelegentlich geäußerte Vorbehalt (siehe die ausführliche Diskussion bei R, a. a. O., 128–130 Anm. 90), daß damit die οὐσία der Schöpfungswerke zu einem Prädikat Gottes gemacht werde, verfehlt den Gedanken Gregors, der auch in den anderen Größen keine Prädikate Gottes anführen, sondern ausdrücken will, daß das Handeln Gottes gerade nicht in Einzelaspekte und Einzelmomente zerfällt. 14,4 f. faßt das Vorangehende einfach zusammen. Οὐσία hat an dieser Stelle sowohl eine existentielle als auch eine essentielle Bedeutung, die ich in der Übersetzung ›substantielles Sein‹ festzuhalten versuche. Siehe dazu J. Z 2007a, 433–435. ⁶¹ Hex. 7 (12,30–14,5): Χρὴ δέ, οἶμαι, πρὸ τῆς ἐξετάσεως τῶν γεγραμμένων, ἐκεῖνο διομολογηθῆναι τῷ λόγῳ, ὅτι ἐπὶ τῆς θείας φύσεως σύνδρομός ἐστι τῇ βουλήσει ἡ δύναμις, καὶ μέτρον τῆς δυνάμεως τοῦ Θεοῦ τὸ θέλημα γίνεται· τὸ δὲ θέλημα σοφία ἐστί· σοφίας δὲ ἴδιον, τὸ μηδὲν ἀγνοεῖν ὅπως ἂν τὰ καθ’ ἕκαστον γένοιτο· τῇ δὲ γνώσει συμπέφυκε καὶ ἡ δύναμις· ὥστε ὁμοῦ τε ἔγνω τὸ δέον γενέσθαι, καὶ συνέδραμεν ἡ ἐξεργαστικὴ τῶν ὄντων ἰσχύς, τὸ νοηθὲν εἰς ἐνέργειαν ἄγουσα, καὶ οὐδὲν μετὰ τὴν γνῶσιν ἐφυστερίζουσα, ἀλλὰ συνημμένως καὶ ἀδιαστάτως συναναδείκνυται τῇ βουλῇ τὸ ἔργον· δύναμις γάρ ἐστιν ἡ βουλή, κατὰ ταὐτὸν καὶ ὅπως ἂν τὰ ὄντα γένοιτο προβουλεύουσα, καὶ τὰς ἀφορμὰς πρὸς τὴν τῶν νοηθέντων ὕπαρξιν ἐκπορίζουσα. ὡς ὁμοῦ τὰ πάντα τοῦ Θεοῦ περὶ τὴν κτίσιν νοεῖσθαι, τὸ θέλημα, τὴν σοφίαν, τὴν δύναμιν, τὴν οὐσίαν τῶν ὄντων. ⁶² Die antike Handlungstheorie ist maßgeblich von Aristotelikern und Stoikern entwickelt worden. Sie sucht zu klären, von welchen Ursachen menschliches Handeln abhängt. Siehe z. B. die Untersuchung des Aristoteles über das freiwillige Handeln in EN 3,1–7. An der Auseinandersetzung des Alexander von Aphrodisias mit den Stoikern läßt sich die Konzeption besonders gut ablesen. Alexander entwickelt sie anschaulich in de An. 172,25–173,2 (Bruns): »Der Mensch allein von allen anderen Lebewesen ist in der Lage, nachdem eine Vorstellung in ihn gefallen ist (μετὰ τὴν προσπεσοῦσαν αὐτῷ φαντασίαν), daß etwas zu tun sei, darüber eine Untersuchung anzustellen und zu überlegen (ζητεῖν περὶ αὐτοῦ καὶ βουλεύεσθαι), ob dem Erscheinenden zuzustimmen ist oder nicht (εἴτε χρὴ συγκατατίθεσθαι τῷ φανέντι, εἴτε καὶ μή). Und wenn er überlegt (βουλευσάμενος) und geurteilt hat (κρίνας), drängt er dazu (ὁρμᾷ), auf diese Weise auch zu handeln oder alternativ nicht zu handeln, und schreitet voran (zu tun), was er vorher aus der Überlegung heraus (ἐκ τῆς βουλῆς) geurteilt hat. Daher hat er auch als einziger von allen Lebewesen das Handeln in seiner eigenen Verfügungsgewalt (ἐφ’ αὑτῷ τὸ πράττειν ἔχει), weil er die Macht (τὴν ἐξουσίαν) hat, eben dieses auch nicht zu tun. In seiner eigenen Verfügungsgewalt nämlich liegt auch die Wahl (ἡ αἵρεσις) der Handlungen,

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In De anima et resurrectione wird deutlich, daß der Verweis auf die Wirkmächtigkeit des göttlichen Willens der eigentlich nicht beantwortbaren Frage begegnet, wie und woher jedes Einzelne entstanden ist.⁶³ Gregor leitet an dieser Stelle aus Hebr 11,3 ab, daß die Welt durch das Wort und den Willen Gottes erschaffen wurde, und erläutert diese Aussage ähnlich hex. 7 handlungstheoretisch. Das Streben des göttlichen Willensentschlusses läßt die Sache entstehen, sobald Gott will. Der Plan Gottes wird sofort substantielles Sein. Denn die allmächtige Macht Gottes schafft den Willen nicht unhypostatisiert, was auch immer sie weise und künstlerisch will. Die Existenz des Willens ist substantielles Sein (οὐσία).⁶⁴ Oder anders gewendet: Die Schöpfung ist der substanzgewordene Wille Gottes. Gregor macht auch hier mit dem Instrumentarium der aristotelisch-stoischen Handlungstheorie deutlich, daß Wollen und Verwirklichen bei Gott identisch sind. Er buchstabiert damit die christliche Grundüberzeugung, daß Gott allmächtiger Schöpfer ist, handlungstheoretisch durch.

wenn denn Überlegen (βουλεύεσθαι) und Urteilen (κρίνειν) von ihm selbst abhängen (ἐφ’ ἑαυτῷ). Denn (dieses) in seiner Verfügungsgewalt zu haben, ist das gleiche, wie Anfang (ἀρχήν) und effiziente Ursache (αἴτιον ποιητικόν) dessen zu sein, von dem wir sagen, daß es von ihm abhängt.« Vgl. damit auch Alexander von Aphrodisias, Fat. 11 f. (178,8–181,7 Bruns); Quaest. 3,13 (107,4–108,16 Bruns). Zur stoischen Handlungstheorie, mit der sich Alexander kritisch auseinandersetzt und deren Terminologie er teilweise übernimmt und umprägt (siehe R. B. T 1974, 211 f. zu πρόληψις), siehe die knappe Darstellung von M. H 1985, 46–53. An der Auseinandersetzung, die Alexander mit der stoischen Handlungstheorie führt, wird deutlich, daß die einzelnen Elemente eine Ursachenkette menschlichen Handelns bilden, das von inneren und äußeren Ursachen abhängt. Siehe dazu auch Alexander von Aphrodisias, de An. 173,25–32 (Bruns). Alexander betont hier gegenüber den Stoikern, daß die jeweiligen Übergänge nicht alle von gleicher Art sind und daß aus der Erscheinung (φαντασία) die Überlegung (βουλή), das Urteil (κρίσις) und damit das Streben (ὁρμή) und das Handeln nicht zwangsläufig folgen. Gregor und vor ihm bereits Origenes (comm. in Gen. frg. bei Eusebius Caes., p. e. 7,20,1 [402,7–12 Mras]) betonen nun, daß die einzelnen Momente der Handlung bei Gott ineinander fallen, also keine Kette bilden und von keiner äußeren Ursache abhängen. ⁶³ In anim. et res. (PG 46, 121a–125a) beschreibt Gregor die Allmacht Gottes bei der Schöpfung, um aus der Allmacht Gottes die Auferstehung plausibel zu machen. ⁶⁴ Gregor beruft sich auf das Beispiel des Apostels (Hebr 11,3), daß die Frage der Schöpfung nur im Glauben (πίστει) beantwortet werden könne (anim. et res. [PG 46, 121b.124b]), und will nur im Vorübergehen andeuten (124b), … ὅτι ἡ ὁρμὴ τῆς θείας προαιρέσεως, ὅταν ἐθέλει, πρᾶγμα γίνεται, καὶ οὐσιοῦται τὸ βούλευμα εὐθὺς ἡ φύσις γινόμενον, τῆς παντοδυνάμου ἐξουσίας, ὅπερ ἂν σοφῶς τε καὶ τεχνικῶς ἐθέλῃ, μὴ ἀνυπόστατον ποιούσης τὸ θέλημα. Ἡ δὲ τοῦ θελήματος ὕπαρξις οὐσία ἐστί. J. G. K streicht in seiner Edition mit wenigen Handschriften den Artikel vor φύσις (118; siehe 313 ad loc.). Die Aussage, daß der Plan Gottes substantielles Sein wird, indem / wobei er sofort Natur wird, ist schwer verständlich. Einige Handschriften streichen daher ἡ φύσις. Der Text muß jedoch nicht geändert werden (siehe Anm. 158).

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B. Christliche Kosmologie als Auslegung von Gen 1 f.

b) Gott als Urheber der Materie. Vor diesem Hintergrund greift Gregor in hex. 7 einen Einwand auf, der an die christliche Schöpfungslehre gestellt wurde, auf den aber auch die Neuplatoniker⁶⁵ eine Antwort finden mußten: Da sich dieses aber so verhält, dürfte sich wohl niemand mehr in die Enge treiben lassen, wenn er über die Materie nachforscht, indem er das wie und woher sucht, wie man Leute sagen hört: »Wenn Gott unstofflich ist, woher ist dann die Materie? Wie ist das, was ein Maß hat, aus dem, was ohne Maß ist, und aus dem Unsichtbaren das Sichtbare und aus dem Größelosen und Unbegrenzten das, was gänzlich durch eine bestimmte Masse und Größe bestimmt ist? Und alles andere, was an der Materie gesehen wird, wie und woher hat es der eingeführt, der nichts dergleichen in seiner eigenen Natur hat?«⁶⁶

Da die göttliche Natur und die Materie völlig verschiedenartig sind, kann nicht erklärt werden, wie die Materie von Gott geschaffen sein kann. Unausgesprochen folgt aus dieser Aporie, daß man entweder Gott und die Schöpfung in den gleichen Eigentümlichkeiten denken muß, oder daß man die Materie als ein zweites, von Gott unabhängiges Prinzip annehmen muß. In De hominis opificio und in De anima et resurrectione führt Gregor diese Argumentation auf Manichäer zurück und einige »von der griechischen Philosophie, die zu gleichen Annahmen getrieben wurden«.⁶⁷ Das philosophische Problem, auf das der vorgetragene Einwand zielt, stellt Gregor in De anima et resurrectione ausführlicher dar. Es liegt darin, wider⁶⁵ Die Frage, wie aus dem Einen Vielfalt entstehen kann, stellt sich auch Plotin, Enn. V 1 (10) 6,4–9 (II 272–274 Henry / Schwyzer); V 2 (11) 1,3–5 (II 290 H. / S.). Porphyrius fragt konkret, wie das Immaterielle die körperliche Welt hervorbringen kann (Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 396,5–24 [Diehl]). Siehe dazu Kapitel A V 3.3.1. ⁶⁶ Hex. 7 (14,5–12): τούτου δὲ οὕτως ἔχοντος, οὐκέτ’ ἄν τις στενοχωροῖτο περὶ τῆς ὕλης διερευνώμενος, τὸ πῶς καὶ τὸ πόθεν ἐπιζητῶν· οἷα δὴ λεγόντων ἐστὶν ἀκούειν, »εἰ ἄϋλός ἐστιν ὁ Θεός, πόθεν ἡ ὕλη; πῶς τὸ ποσὸν ἐκ τοῦ ἀπόσου, καὶ ἐκ τοῦ ἀοράτου τὸ ὁρατόν, καὶ ἐκ τοῦ ἀμεγέθους τε καὶ ἀορίστου τὸ πάντως ὄγκῳ τινὶ καὶ πηλικότητι ὁριζόμενον; καὶ τὰ ἄλλα πάντα ὅσα περὶ τὴν ὕλην ὁρᾶται, πῶς ἢ πόθεν παρήγαγεν ὁ μηδὲν ἐν τῇ ἑαυτοῦ φύσει τοιοῦτον ἔχων;« Vgl. anim. et res. (PG 46, 124c): … μὴ δυναμένου κατιδεῖν, πῶς ἐκ τοῦ ἀοράτου τὸ ὁρώμενον, ἐκ τοῦ ἀναφοῦς τὸ στερρὸν καὶ ἀντίτυπον, ἐκ τοῦ ἀορίστου τὸ ὡρισμένον, ἐκ τοῦ ἀπόσου τε καὶ ἀμεγέθου τὸ πάντως μέτροις τισὶ τοῖς κατὰ τὸ ποσὸν θεωρουμένοις περιειργόμενον; hom. opif. 23 (PG 44, 209d–212a): Εἰ ἁπλοῦς ὁ Θεὸς τῇ φύσει, καὶ ἄϋλος, ἄποιός τε καὶ ἀμεγέθης, καὶ ἀσύνθετος, καὶ τῆς κατὰ τὸ σχῆμα περιγραφῆς ἀλλοτρίως ἔχων πᾶσα δὲ ὕλη ἐν διαστηματικῇ παρατάσει καταλαμβάνεται, καὶ τὰς διὰ τῶν αἰσθητηρίων καταλήψεις οὐ διαπέφευγεν, ἐν χρώματι, καὶ σχήματι, καὶ ὄγκῳ, καὶ πηλικότητι, καὶ ἀντιτυπίᾳ, καὶ τοῖς λοιποῖς τοῖς περὶ αὐτὴν θεωρουμένοις γινωσκομένη, ὧν οὐδὲν ἐν τῇ θείᾳ φύσει δυνατόν ἐστι κατανοῆσαι· τίς μηχανὴ ἐκ τοῦ ἀΰλου τὴν ὕλην ἀποτεχθῆναι; ἐκ τοῦ ἀδιαστάτου τὴν διαστηματικὴν φύσιν; Alle drei Texte zeigen, daß Gregor die Materie körperlich denkt. ⁶⁷ Hom. opif. 23 (PG 44, 212b): ὁ Μανιχαῖος; anim. et res. (PG 46, 124a): ὅπερ δὴ καὶ Μανιχαῖοι φαντασθέντες, καί τινες τῆς Ἑλληνικῆς φιλοσοφίας ταῖς ἴσαις ὑπονοίας συνενεχθέντες, δόγμα τὴν φαντασίαν ταύτην πεποίηνται. Gregor nimmt hier wohl innerhalb der griechischen Philosophie die Neuplatoniker, die kein unabhängiges Materieprinzip annehmen, sowie die Materialisten (Atomisten, Epikureer), die kein geistiges Prinzip neben der Materie kennen, aus. Die Stoiker fallen ebenso unter die Monisten, obwohl sie einen aktiven (Gott) und einen passiven Aspekt an der Materie unterscheiden. Gregor zielt wohl auf die sogenannten Mittelplatoniker und im weiteren Sinne auch auf Christen wie Hermogenes.

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spruchslos miteinander zu verbinden, daß es erstens nur einen Grund der seienden Dinge gibt, der als allerhöchste Natur aufgefaßt wird, und daß zweitens die Dinge, die durch jenen erschaffen werden, nicht gleichartig mit diesem Grund sind. Aus diesen Voraussetzungen folgt, daß zwei Vorstellungen als unmöglich abzulehnen sind: die Annahme, daß die Schöpfung aus der Natur Gottes ist, so daß Gott in den Eigentümlichkeiten der Schöpfung zu denken ist, und die Annahme, daß die Dinge aus einer anderen Natur stammen, die gleichewig mit Gott wäre und die künstlerische Weisheit der einen schöpferischen Ursache begrenzen würde.⁶⁸ Gregor wendet sich damit einerseits dagegen, Gott wie die Manichäer materiell zu denken, und andererseits gegen einen Dualismus von Gott und Materieprinzip. Als Lösung der vorgetragenen Aporie verweist Gregor in hex. 7 auf die Allmacht des Schöpfergottes: Da bei Gott Vermögen und weiser Wille identisch sind, ist er weder unwissend, wie die Materie zur Gestaltung des Seienden gefunden wird, noch ist er ohne Spannkraft, das Gedachte zur Verwirklichung zu führen. Ähnlich hatte bereits Origenes ebenfalls unter Rückgriff auf handlungstheoretische Terminologie die Geschaffenheit der Materie verteidigt.⁶⁹ Die Aporie ist damit jedoch noch nicht überwunden. In De anima et resurrectione bemerkt Gregor selbst, daß die Schöpfung der νοερά mit dem Grundsatz vom allmächtigen Schöpferwillen ohne Schwierigkeit verbunden werden kann, da sie der göttlichen Natur nicht unähnlich ist. Die κτίσις σωματική aber wirft dem Verstand die genannten Probleme weiterhin auf. Gregor fährt daher in hex. 7 fort, indem er die materielle Körperlichkeit, die Gott schafft, auf spezifische Weise bestimmt. Weil er alles vermag, legt er alles, wodurch die materielle Körperlichkeit konstituiert wird, zugleich durch den weisen und vermögenden Willen zugrunde für die Vollendung des Seienden: das Leichte, das Schwere, das Feste, das Lockere, das Weiche, das Harte, das Feuchte, das Trockene, das Kalte, das Warme, die Farbe, die Gestalt, die Umschreibung, die Ausdehnung, was alles für sich genommen bloße Konzepte und Gedanken sind. Denn nichts davon ist für sich materielle Körperlichkeit, sondern wenn sie zueinander zusammenkommen, entsteht materielle Körperlichkeit.⁷⁰ ⁶⁸ Anim. et res. (PG 46, 121cd–124a): Ἐπεὶ οὖν ἓν μὲν τῶν ὄντων τὸ αἴτιον, οὐχ ὁμογενῆ δὲ τῇ ὑπερκειμένῃ φύσει τὰ δι’ ἐκείνης παραχθέντα εἰς γένεσιν· ἴση δὲ καθ’ ἑκάτερον ἐν τοῖς ὑπονοουμένοις ἡ ἀτοπία, τό τε ἐκ τῆς φύσεως τοῦ Θεοῦ τὴν κτίσιν οἴεσθαι, καὶ τὸ ἐξ ἑτέρας τινὸς οὐσίας ὑποστῆναι τὰ πάντα· ἢ γὰρ καὶ τὸ Θεῖον ἐν τοῖς τῆς κτίσεως ἰδιώμασιν εἶναι ὑπονοηθήσεται, εἴπερ ὁμογενῶς πρὸς τὸν Θεὸν ἔχοι τὰ γεγονότα· ἤ τις ὑλικὴ φύσις ἔξω τῆς θείας οὐσίας ἀντεξαχθήσεται τῷ Θεῷ κατὰ τὸ ἀγέννητον τῇ ἀϊδιότητι τοῦ ὄντος παρισουμένη. Vgl. 121c: Ἦ γὰρ ἂν διασχισθείη πρὸς διαφόρους ἀρχὰς ἡ ὑπόληψις, εἴ τι τῆς ποιητικῆς αἰτίας ἔξω νομισθείη, παρ’ οὗ ἡ τεχνικὴ σοφία, τὰς πρὸς τὴν κτίσιν παρασκευὰς ἐρανίζεται. ⁶⁹ Siehe Origenes, comm. in Gen. frg. bei Eusebius Caes., p. e. 7,20,1 (402,7–12 Mras) und dazu Kapitel A I 4.3.2.a. ⁷⁰ Hex. 7 (14,22–29): πάντα δὲ δυνάμενος, ὁμοῦ τὰ πάντα δι’ ὧν ἡ ὕλη συνίσταται τῷ σοφῷ τε καὶ δυνατῷ θελήματι κατεβάλετο πρὸς τὴν ἀπεργασίαν τῶν ὄντων, τὸ κοῦφον, τὸ βαρύ, τὸ ναστόν, τὸ ἀραιόν, τὸ μαλακόν, τὸ ἀντίτυπον, τὸ ὑγρόν, τὸ ξηρόν, τὸ ψυχρόν, τὸ

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Gott ist Ursprung der Materie, indem er auf einmal alle Eigenschaften, aus welchen die Materie besteht, zugrunde legt. Die genannten Eigenschaften sind Qualitäten von Körpern. Sie sind zum Teil in Gegensatzpaaren geordnet, die den Eigenschaften der Elemente nahe kommen. Unter der Voraussetzung, daß die Eigenschaften für sich genommen als bloße begriffliche Konzepte und Gedanken aufgefaßt werden, ist es nicht schwierig, Gott als ihren Urheber zu denken. Das führt Gregor in De anima et resurrectione und De hominis opificio ausführlicher aus. Die Qualitäten, die vom Denken jeweils für sich, unvermischt wahrgenommen bzw. konzipiert werden, sind von intelligibler, unkörperlicher Beschaffenheit. Daher ist es nicht unvernünftig anzunehmen, daß diese intelligiblen Anfangsgründe (αἱ ἀφορμαί) zur Entstehung der Körper aus der unkörperlichen, intellekthaften Natur heraus ins Dasein treten, indem die intelligible Natur die Eigenschaften, welche die intelligiblen Kräfte (δυνάμεις) zur Entstehung der Körper sind, ins Dasein bringt.⁷¹ Weil alle Eigenschaften, die zusammen den Körper ausmachen, vereinzelt durch den Intellekt wahrgenommen und konzipiert werden, das Göttliche aber intellekthaft ist, ist es nicht schwierig für die göttliche intelligible Natur, Gedanken zu erzeugen, deren Zusammenlaufen und Einigung dann die körperliche Natur hervorbringt.⁷² In De anima et resurrectione und in De hominis opificio leitet Gregor wie bereits Origenes⁷³ durch eine Analyse der Körpernatur her, daß Materie nicht unabhängig von den Eigenschaften existiert. Das geschieht durch gedankliche Abstraktion der Qualitäten, die jede für sich betrachtet intelligibel sind, so daß der Begriff des Körpers in Nichts aufgelöst wird. Wenn die Trennung und Vereinzelung der Eigenschaften die Auflösung des Körpers bedeutet, so muß umgekehrt ihr Zusammentreten die Körpernatur hervorbringen.⁷⁴ Gregor θερμόν, τὸ χρῶμα, τὸ σχῆμα, τὴν περιγραφήν, τὸ διάστημα. ἃ πάντα μὲν καθ’ ἑαυτὰ ἔννοιαί εἰσι ψιλαὶ καὶ νοήματα· οὐ γάρ τι τούτων ἐφ’ ἑαυτοῦ ὕλη ἐστίν, ἀλλὰ συνδραμόντα πρὸς ἄλληλα, ὕλη γίνεται. ⁷¹ Hom. opif. 24 (PG 44, 212c–213b), vor allem 213b: Ἀλλὰ μὴν εἰ νοητὴ τῶν ἰδιωμάτων τούτων ἡ κατανόησις, νοητὸν δὲ τῇ φύσει τὸ Θεῖον· οὐδὲν ἀπεικός, ἐκ τῆς ἀσωμάτου φύσεως τὰς νοερὰς ταύτας ἀφορμὰς πρὸς τὴν τῶν σωμάτων γένεσιν ὑποστῆναι, τῆς μὲν νοητῆς φύσεως τὰς νοητὰς ὑφιστώσης δυνάμεις, τῆς δὲ τούτων πρὸς ἄλληλα συνδρομῆς τὴν ὑλώδη φύσιν παραγούσης εἰς γένεσιν. ⁷² Anim. et res. (PG 46, 124cd), vor allem 124d: Ἐπεὶ οὖν αἱ συμπληρωματικαὶ τοῦ σώματος ποιότητες νῷ καταλαμβάνονται καὶ οὐκ αἰσθήσει, νοερὸν δὲ τὸ Θεῖον, τίς πόνος τῷ νοητῷ τὰ νοήματα κατεργάσασθαι; Ὧν ἡ πρὸς ἄλληλα συνδρομὴ τὴν τοῦ σώματος ἡμῖν ἀπεγέννησε φύσιν. Mit einigen Handschriften lese ich in 124d τίς πόνος τῷ νοητῷ anstelle des Textes in Migne τίς πόνος τῶν νοητῶν. ⁷³ Siehe Origenes, princ. 4,4,7 (357,31–358,4 Koetschau) und dazu Kapitel A I 4.3.2.c. ⁷⁴ Hom. opif. 24 (PG 44, 212d–213a): Οὐδὲ γὰρ ἔξω τῶν κατὰ τὸ ἀκόλουθον εὑρισκομένων ἡ περὶ τῆς ὕλης ὑπόληψις φαίνεται, ἡ ἐκ τοῦ νοητοῦ τε καὶ ἀΰλου ταύτην ὑποστῆναι πρεσβεύουσα· πᾶσαν γὰρ εὑρήσομεν ἐκ ποιοτήτων τινῶν συνεστῶσαν τὴν ὕλην, ὧν εἰ γυμνωθείη καθ’ ἑαυτήν, οὐδαμοῦ τῷ λόγῳ καταληφθήσεται. Ἀλλὰ μὴν ἕκαστον ποιότητος εἶδος

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zieht hier aus der erkenntnistheoretischen Analyse eine ontologische Schlußfolgerung: Aus der gedanklichen Auflösung des Materiebegriffs (ὁ τοῦ σώματος λόγος) leitet er die reale Entstehung der körperlichen Natur ab. Gregor definiert Materie nicht als eigenschaftslose, die Qualitäten aufnehmende Grundlage (ὑποκείμενον) für Körperlichkeit, sondern als Komplex aller Qualitäten. Die Materie ist nicht mehr conditio sine qua non für Körperlichkeit, sondern die Körperlichkeit selbst in ihrer Gesamtheit. Diese Bestimmung von Materie setzt Gregor in hex. 7 voraus.⁷⁵ Indem er die Materie durch das Zusammentreten der unkörperlichen, intelligiblen Eigenschaften entstehen läßt, die Gott denkt, will er plausibel machen, daß die unkörperliche, intelligible Natur Urheberin der Körperwelt ist. Damit betrachtet er die vorgelegte Aporie als aufgelöst. Zugleich verabschiedet er aber den platonisch-aristotelischen Begriff der Materie als Voraussetzung von Körperlichkeit.⁷⁶ Voraussetλόγῳ τοῦ ὑποκειμένου χωρίζεται. Ὁ δὲ λόγος νοητή τίς ἐστι, καὶ οὐχὶ σωματικὴ θεωρία. Οἷον, προκειμένου ζώου τινὸς ἢ ξύλου τῇ θεωρίᾳ, ἤ τινος ἄλλου τῶν ὑλικὴν ἐχόντων τὴν σύστασιν, πολλὰ περὶ τὸ ὑποκείμενον τῇ κατ’ ἐπίνοιαν διαιρέσει κατενοήσαμεν, ὧν ἑκάστου πρὸς τὸ συνθεωρούμενον ἀμίκτως ὁ λόγος ἔχει. … Ἑκάστου γὰρ τούτων ἴδιος, καθ’ ὅ ἐστιν, ὁ ἑρμηνευτικὸς ὅρος ἐπινοεῖται, οὐδὲν ἐπικοινωνῶν ἄλλῃ τινὶ τῶν περὶ τὸ ὑποκείμενον θεωρουμένων ποιότητι. Εἰ τοίνυν νοητὸν μὲν τὸ χρῶμα, νοητὴ δὲ καὶ ἡ ἀντιτυπία, καὶ ἡ ποσότης, καὶ τὰ λοιπὰ τῶν τοιούτων ἰδιωμάτων, ἕκαστον δὲ τούτων εἰ ὑφαιρεθείη τοῦ ὑποκειμένου, πᾶς ὁ τοῦ σώματος συνδιαλύεται λόγος· ἀκόλουθον ἂν εἴη, ὧν τὴν ἀπουσίαν τῆς τοῦ σώματος λύσεως αἰτίαν εὕρομεν, τούτων τὴν συνδρομὴν ἀποτίκτειν τὴν ὑλικὴν φύσιν ὑπολαμβάνειν. Vgl. hom. in Cant. 6 (173,13–17 Langerbeck): πάσης γὰρ ὕλης τῷ ποσῷ τε καὶ τῷ ποιῷ διειλημμένης ἐν ὄγκῳ καὶ εἴδει καὶ ἐπιφανείᾳ καὶ σχήματι, πέρας γίνεται τῆς περὶ αὐτὴν κατανοήσεως τὰ περὶ αὐτὴν θεωρούμενα, ὡς μηδὲν ἔχειν τὸν τὴν ὕλην διερευνώμενον ἔξω τι τούτων ἐν φαντασίᾳ λαβεῖν· Virg. 11 (292,3–5 Cavarnos): ἰδίᾳ τε γὰρ αὐτῶν ἑκάστην χωρίζει τῷ λόγῳ, καὶ πάλιν τὴν κοινὴν αὐτῶν συνδρομήν τε καὶ σύμπνοιαν περὶ τὴν τοῦ ὑποκειμένου σύστασιν θεωρεῖ. In hom. opif. spricht Gregor zwar zunächst von einem ὑποκείμενον, das seiner Qualitäten entblößt wird, entlarvt es aber kurz darauf als ein Nichts. ⁷⁵ Hex. 7 (14,28 f.). ⁷⁶ Weil Gregor die Substanz der Materie in ihre Eigenschaften auflöst, wird oft von der ›Idealität‹ oder ›Spiritualität‹ der Materie bei Gregor gesprochen (siehe z. B. H. U. . B 1939, 20.23). Dagegen stellt F. X. R 1999, 31 zu Recht fest, daß die Materie »als Verbindung der Eigenschaften deren Totalität ist, und daß Gregor die Idealität … nur vom Einzelnen, den Eigenschaften oder Qualitäten behauptet. Die Materie als Komplex von idealen Qualitäten ist realer Körper. Daß sie darüber hinaus eine ideale Existenz in Gottes Bewußtsein hätte, sagt Gregor nirgends«. R. S 1988, 53 f. bezeichnet Gregors Konzept als »idealistic bundle theory« und verweist auf die Rede von ἔννοιαι und νοήματα, aus denen die einzelnen Körper bestehen. C. D 1996, 26 spricht etwas undeutlich sowohl von der »natura spirituale della materia« im Sinne einer »concezione della costituzione spirituale della hyle« als auch im Sinne einer »ridefinizione della natura della materia in termini totalmente spirituali«. Von einer Idealität der Materie ließe sich allenfalls vor dem Hintergrund einer Definition von Materie bei Alexander von Aphrodisias sprechen, nach der Materie das ist, woraus etwas besteht und in das es aufgelöst wird (Quaest. 2,13 [85,9–14 Bruns]). In diesem Sinne wären die Eigenschaften ›Materie‹ der Körper. Gregor bezeichnet aber an keiner Stelle der Apologia die Eigenschaften als Materie. Materie als Körperlichkeit in ihrer Gesamtheit ist das, was durch das Zusammentreten der Eigenschaften entsteht (siehe Gregor, hex. 7 [14,22– 29] in Anm. 70; hom. opif. 24 [PG 44, 212c–213b] in Anm. 71). Materie im Sinne der Voraus-

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zung der körperlichen Welt ist nun allein Gottes allmächtiger Schöpferwille. In diesem Sinne kann Gregor sagen, daß der Wille Gottes »gleichsam die Materie (οἷόν τις ὕλη), die grundlegende Ausstattung und das Vermögen des Kosmos selbst und aller Dinge in ihm und über ihm« ist.⁷⁷ c) Die Negation der Materie als Voraussetzung der Körperwelt: Ein Argument christlicher Apologetik. Es ist schwierig zu bestimmen, wo die Wurzeln dieses Materiekonzeptes liegen. Einige Facetten begegnen bei Plotin innerhalb einer innerplatonischen Diskussion darüber, wie die Materie nach Platon aufzufassen sei. In Enn. II 4 (12) 11 f.⁷⁸ verteidigt Plotin die Auffassung, daß die Materie ein größe- und ausdehnungsloses, qualitätsloses Aufnahmevermögen sei. In diesem Kontext referiert er einen Einwand von Platonikern, die vermutlich ausgehend von Ti. 52a die Materie für aufnehmenden Raum halten.⁷⁹ Sie fragen, was die Materie zur Bildung der (Elementar)körper beitrage, wenn sie weder Gestalt und Wiebeschaffenheit (die auf die Form zurückgehen), noch Ausdehnung und Größe beisteure. Aus der Annahme, daß die Materie größe- und ausdehnungslos sei, Größe und Ausdehnung also nicht auf die Materie zurückgehen und folglich auf die Formen zurückgeführt werden müssen, ziehen sie den Schluß, daß es nicht notwendig ist, bei den Elementarkörpern eine zugrunde liegende Materie zu behaupten. Jeder Elementarkörper könne gänzlich das sein, was er ist, indem er durch Mischung aus mehreren Formen zustande kommt.⁸⁰ Es ist deutlich, daß die referierten Platoniker diese Position nicht selbst vertreten, da sie die Materie für Raum halten, dessen Ausdehnung die Voraussetzung dafür ist, Formen aufnehmen zu können.⁸¹ Der vorgeführte Schluß soll vielmehr zeigen, daß die Annahme einer ausdehnungs- und größesetzung der Körperlichkeit ist der Wille Gottes (siehe v. Gr. Thaum. [24,10–12 Heil] in Anm. 77). ⁷⁷ Gregor, v. Gr. Thaum. (24,10–12 Heil): … πόσην εἰκός ἐστι περιουσίαν δυνάμεως ἐν τῷ δεσπότῃ τοῦ παντὸς κατανοῆσαι, οὗ τὸ θέλημα ὕλη καὶ κατασκευὴ καὶ δύναμις αὐτοῦ τε τοῦ κόσμου καὶ τῶν ἐν αὐτῷ πάντων καὶ ὑπὲρ τοῦτον ὄντων ἐγένετο; … Der Gedanke, daß Wille und Macht Gottes die Substanz der Dinge darstellen, begegnet bereits bei Irenaeus in einem apologetischen Kontext (haer. 2,10,2 [Z. 33 f.; IV 88 Rousseau / Doutreleau]; 2,30,9 [Z. 220 f.; IV 318]). ⁷⁸ Diesen Text hat A. H. A 1962 in die Diskussion eingebracht. ⁷⁹ É. B hält die Gegner Plotins für »interprètes du Timée« und besonders der platonischen χώρα (CUFr Plotin II, 51). R. S 1988, 31 dagegen sieht in Enn. II 4 (12) 11 einen von Plotin selbst fingierten Einwand. Aber auch dann stehen sich zwei Interpretationen Platons gegenüber: Materie als aufnehmender Raum und Materie als ausdehnungsloses Aufnahmevermögen. Zur philosophiegeschichtlichen Einordnung dieses Interpretationsgegensatzes siehe S, a. a. O., 3–43. ⁸⁰ Plotin, Enn. II 4 (12) 11,10–12 (I 193 Henry / Schwyzer)): … οὐδὲ τὰ σώματα τὰ πρῶτα ἀνάγκη ὕλην ἔχειν, ἀλλὰ ὅλα ἕκαστα εἶναι ἅ ἐστι ποικιλώτερα ὄντα μίξει τῇ ἐκ πλειόνων εἰδῶν τὴν σύστασιν ἔχοντα· ⁸¹ Siehe Enn. II 4 (12) 11,1–8 (I 193 Henry / Schwyzer).

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losen Materie Materie überflüssig macht, weil sie alles der Wirkung der Formen zuschreibt. Trotz der Souveränität, mit der Plotin die einzelnen Argumentationsschritte aufgreift und diskutiert, hat er Mühe zu zeigen, daß seine Materie »auf das Entscheidendste zur Bildung der Körper beiträgt«⁸² und zieht seinerseits Schlußfolgerungen aus dem polemisch vorgetragenen Konzept. Wenn die Formen nicht an der Materie in Erscheinung treten, so wären sie »bloße Begriffe (wie sie in der Seele sind), und es würde keine Körper geben«.⁸³ Die Materie ist notwendig für die qualifizierte Beschaffenheit und die Größe und damit auch für die Körper. Gäbe es kein zugrunde Liegendes, so müßte man auch die Wiebeschaffenheit und die Größe leugnen und alles derartige wäre dann, wenn man es allein für sich betrachtet, ebenfalls ein Nichts.⁸⁴ Plotin wirft seinerseits den Gegnern vor, durch die Negation der Materie die Körper in Nichts aufzulösen. Ohne zugrunde liegende Materie bleibt für ihn die Zusammensetzung der εἴδη nur λόγος und kann keine Körper bilden. In Enn. II 4 (12) 11 f. finden sich mehrere Motive, die ähnlich auch in Gregors Ausführungen zur Materie begegnen: die Negation der Materie, indem die Körper auf eine Mischung der Formen zurückgeführt werden, die Unterscheidung zwischen den Formen jeweils für sich und dem Körper, den sie ausbilden. Diese Einzelmotive sind bei Plotin jedoch nicht systematisch entwickelt. Sie antworten auf keine philosophische Frage, sondern sind jeweils conclusiones ad absurdum. Enn. II 4 (12) 11 f. zeigt, daß die Auffassung von Materie bzw. Körper als Summe von Eigenschaften als eine extreme philosophische Position aufgestellt wurde, um in der platonischen Diskussion um die Materie die Auffassungen innerplatonischer Gegner ad absurdum zu führen. Daß die Bildung der Elementarkörper nach Ti. 52–56 einen Anknüpfungspunkt bildete, das Verhältnis von Materie und Körperlichkeit zu erörtern, zeigt auch eine Kritik, die Alexander von Aphrodisias an der platonischen Auslegung dieses Textes übt. In Quaestio 2,13 kritisiert er die Platoniker, weil sie sagen, daß die Gestalten und Formen der Körper und nicht die Körper selbst aus den Elementardreiecken zusammengesetzt sind.⁸⁵ Alexander bestimmt Materie als das, woraus etwas ursprünglich entsteht und worin es schließlich ⁸² Enn. II 4 (12) 12,1 (I 195 Henry / Schwyzer): Συμβάλλεται οὖν τὰ μέγιστα τοῖς σώμασι· ⁸³ Enn. II 4 (12) 12,3–6 (I 195 Henry / Schwyzer): εἰ γὰρ περὶ μέγεθος, οὐ περὶ ὕλην,

ὁμοίως ἂν ἀμεγέθη καὶ ἀνυπόστατα ἦν ἢ λόγοι μόνοι ἂν ἦσαν – οὗτοι δὲ περὶ ψυχήν – καὶ οὐκ ἂν ἦν σώματα. ⁸⁴ Enn. II 4 (12) 12,20–26 (I 195 f. Henry / Schwyzer): Ἔστι τοίνυν ἀναγκαῖον ἡ ὕλη καὶ τῇ ποιότητι καὶ τῷ μεγέθει· ὥστε καὶ τοῖς σώμασι· καὶ οὐ κενὸν ὄνομα, ἀλλ’ ἔστι τι ὑποκείμενον κἂν ἀόρατον κἂν ἀμέγεθες ὑπάρχῃ. Ἢ οὕτως οὐδὲ τὰς ποιότητας φήσομεν οὐδὲ τὸ μέγεθος τῷ αὐτῷ λόγῳ· ἕκαστον γὰρ τῶν τοιούτων λέγοιτο ἂν οὐδὲν εἶναι ἐφ’ ἑαυτοῦ μόνον λαμβανόμενον. ⁸⁵ Siehe Alexander von Aphrodisias, Quaest. 2,13 (58 Bruns).

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wieder aufgelöst wird.⁸⁶ Folglich sind die Elementardreiecke als Materie der Elementarkörper anzusehen. Die Zusammensetzung der Dreiecke bildet dann aber nicht die Form der Körper, sondern die Körper selbst, da man sonst zwei Materien behauptet, die nicht aufeinander bezogen werden können.⁸⁷ Alexander führt als Unterstützung für diese Interpretation an, daß nach Platon die Erde nicht in die anderen Elementarkörper umgewandelt werden kann. Das zeigt ihm, daß die Dreiecke keine Formen sind, die eine zugrunde liegende, eigenschaftslose Materie gestalten, (denn diese wäre in alles wandelbar), sondern selbst Materie der Körper sind.⁸⁸ Text und Aussage des Schlußabschnitts der Quaestio sind leider unsicher.⁸⁹ Offenbar erklärt Alexander, daß eine zugrunde liegende Materie überflüssig ist, da die Körper auch ihre spezifische Schwere durch die Elementardreiecke erhalten. Das führt allerdings zu dem Problem, wie die Dreiecke, die ja auch die mathematischen Körper konstituieren, den Elementarkörpern überhaupt Schwere verleihen können. Es sieht so aus, als ob Alexander vor dem Problem steht, wie die immateriellen Dreiecke physikalische Körper konstituieren können.⁹⁰ Arthur Armstrong geht davon aus, daß Enn. II 4 (12) 11 f. den Ausgangspunkt darstellt, aus dem Basilius und Gregor ihr Konzept der Materie entwikkelten.⁹¹ Diese Erklärung ist jedoch zu einfach, da die Negation der Materie als zugrunde liegendes Substrat bereits vor Plotin bei Origenes begegnet.⁹² Origenes scheint der Erste zu sein, der dieses Konzept heranzieht und apologetisch nutzt, um die Geschaffenheit der Materie plausibel zu machen. Daß auch Basilius dieses Konzept vertreten hat, läßt sich meines Erachtens aus dem klassisch gewordenen Text hex. 1,8 (120,12–122,2 Mendieta / Rudberg) nicht zweifelsfrei erweisen.⁹³ Ich vermute daher, daß die Negation der Materie als zugrunde lie⁸⁶ Siehe Quaest. 2,13 (58,9–14 Bruns): καὶ ἐπὶ τῆς τῶν ἁπλῶν δὴ σωμάτων γενέσεώς τε καὶ φθωρᾶς ὑποκεῖσθαί τι δεῖ καὶ τοῦτο εἶναι ὕλην αὐτῶν. ἐξ οὗ γὰρ πρώτου ἐνυπάρχοντός τινα γίνεται καὶ εἰς ὃ ἔσχατον διαλύεται, τοῦτο ὕλη αὐτῶν ἐκείνων. καὶ τὰ ἁπλᾶ δὴ σώματα ἐξ οὗ πρώτου ὑποκειμένου γίνεται, καὶ εἰς ὃ ἔσχατον διαλύεται, τοῦτο ὕλη αὐτῶν. ⁸⁷ Siehe Quaest. 2,13 (58,14–20 Bruns). ⁸⁸ Siehe Quaest. 2,13 (58,20–30 Bruns). ⁸⁹ Siehe Quaest. 2,13 (58,30–34 Bruns): εἴ τι παρὰ τῆς ὕλης ἔχουσιν· εἰ γὰρ καὶ τὴν βαρύτητα παρὰ τῶν τριγώνων· τὸ γὰρ ἐκ πλειόνων τῶν αὐτῶν συγκείμενον βαρύτερον λέγειν οὐκέτ’ ἄν, εἰ γίγνοιτο ἐκ τῆς ἐκείνων συνθέσεως τὸ μαθηματικὸν σῶμα· εἰ δὲ μή, [ἐκεῖνο τὸ φυσικὸν] παρὰ τῶν τριγώνων αὐτοῖς τὸ φυσικοῖς εἶναι σώμασιν. B bietet den Text, ohne dem Vorschlag von S – Z. 34: ἐκεῖνο τὸ φυσικὸν del. – zu folgen. ⁹⁰ Alexander scheint als Konsequenz die Dreiecke ganz der Körperwelt zuzuordnen und Ti. 52–56 auf diese Weise atomistisch zu interpretieren (so die Interpretation von R. W. S 1992, 112 Anm. 367). ⁹¹ A. H. A 1962, 428. ⁹² Siehe Origenes, princ. 4,4,7 (357,31–358,4 Koetschau) und Kapitel B I 4.3.2.c. Darauf weist bereits M. A 1976, 168 f. gegen A. H. A 1962 hin; ähnlich C. A 2007, 218, die allerdings den Einfluß des Basilius in dieser Frage überschätzt. ⁹³ Siehe Basilius, hex. 1,8 (15,3–12 Amand de Mendieta / Rudberg) und dazu Kapitel B II 2.1.2.b. Anders urteilt C. A 2007, 217 f.

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gendes Substrat Gregor von Origenes her bekannt war. Unabhängig davon kannte er wohl – vielleicht auch durch die Vermittlung Plotins – die Auslegungsdebatte um Ti. 52–56 und die Diskussion um das Verhältnis von Materie und Körpernatur. Gregors Argumentation, wie er sie ausführlich in hom. opif. 23 f. entfaltet und in hex. 7 zusammengefaßt darstellt, beruht auf verschiedenen philosophischen Voraussetzungen, die meines Wissens vor Gregor nicht auf vergleichbare Weise miteinander verbunden wurden: der gedanklichen Reduktion der Körper durch Abstraktion ihrer Eigenschaften, der Beschreibung von Körpern als Komplexen ihrer Eigenschaften, der Lehre von der Unkörperlichkeit der Qualitäten sowie der Interpretation der intelligiblen Qualitäten als Gedanken Gottes. Porphyrius bedenkt freilich bereits die Frage, wie das Immaterielle die körperliche Natur schaffen kann, und äußert dabei die Vorstellung, daß der Demiurg die körperliche Welt schafft, indem er sie denkt. Allerdings geht er in dem erhaltenen Textzeugnis aus seinem Timaeuskommentar nicht näher darauf ein, wie genau die Materie durch Denken konstituiert werden kann. Gregor verfolgt das Problem an dieser Stelle weiter als Porphyrius.⁹⁴ Gregors Methode, zu einer Negation der Materie zu gelangen, indem er schrittweise die Eigenschaften eines Körpers abstrahiert, greift den Weg auf, auf dem Platoniker ausgehend von Ti. 52b zur Materie als dem eigenschaftslosen ὑποκείμενον der Körper gelangen.⁹⁵ Weil Gregor Körper nicht wie die Platoniker als Verbindung von Form und Materie auffaßt, führt die Abstraktion der Eigenschaften bei ihm nicht zu einer zugrunde liegenden Materie, sondern zur Auflösung der Körper in Nichts. Die Vorstellung, daß Körper Verbindungen von unkörperlichen Eigenschaften sind, referiert bereits Epikur und lehnt sie ab.⁹⁶ Im Hintergrund steht vermutlich eine Vorstellung, wie sie beispielsweise Alkinoos in Intr. 4 präsentiert, daß die sichtbare Welt ein ἄθροισμα ist und die einzelnen Körper ἀθροίσματα ihrer Eigenschaften sind. Der Platoniker knüpft an Platons Tht. 157b10–c2 an und behandelt die Frage, wie physikalische Objekte wahrgenommen werden.⁹⁷ Spätere Platoniker verknüpfen Tht. 157bc und 209a–c und betrachten Individuen als Komplexe ihrer Eigenschaften, ohne allerdings das Konzept einer zugrunde liegenden Materie ganz aufzugeben.⁹⁸ Wahr⁹⁴ Siehe Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 396,5–24 (Diehl). Ich kann daher R. S 1988, 55 nicht folgen, der Porphyrius als unmittelbare Quelle für Gregors Konzept der Materie sieht. ⁹⁵ Siehe die Stellenbelege in Kapitel B II 2.1.2.b Anm. 159. ⁹⁶ Epikur bei Diogenes Laertius 10,10,68 f. ⁹⁷ Siehe Alkinoos, Intr. 4 (155,42–156,5 Hermann / Whittaker) und dazu J. M. D 1995, 70 f. ⁹⁸ Siehe dazu R. S 1988, 44–52; über ›bundle-theories‹ bei Porphyrius, Proclus und Johannes Philoponus a. a. O., 50 f.

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scheinlich hat bereits Epikur wahrnehmungstheoretische Überlegungen der Platoniker zu individuellen Körpern als ontologische Aussagen über den Status von Körpern verstanden. Gregor betrachtet anders als die späten Platoniker nicht individuelle Körper, sondern zieht aus einer gedanklichen Analyse der Körpernatur an sich, nämlich der erkenntnistheoretischen Reduktion der Körper auf ihre Eigenschaften, eine Schlußfolgerung über ihre reale Entstehung.⁹⁹ Sowohl Platoniker als auch Aristoteliker streiten über den Status der Qualitäten gegen die Stoiker.¹⁰⁰ Eine der frühsten zusammenhängenden Diskussionen über die Qualitäten aus platonischer Perspektive bietet der Didaskalikos des Alkinoos. In Kapitel 11 leitet er in aristotelischen Schlüssen die Unkörperlichkeit der Qualitäten her, die als »Formen in der Materie« aktive Prinzipien (τὰ ποιοῦντα) sind. Die Qualitäten sind geschaffen. Aus der Unkörperlichkeit der Qualitäten schließt Alkinoos, daß auch ihr Ursprung unkörperlich sein muß.¹⁰¹ Auch nach Plotin sind die Qualitäten λόγοι ἄυλοι καὶ ἀσώματοι, μορφοί und vor allem ἀσώματοι δυνάμεις.¹⁰² Der Status der Qualitäten wird auch in den Kommentaren zur Kategorienschrift des Aristoteles behandelt.¹⁰³ Gregors Erklärung, daß Gott die Materie schafft, indem er ihre Qualitäten denkt, setzt eine Interpretation der platonischen Ideenlehre voraus, wonach der göttliche Intellekt die Ideen hervorbringt, indem er sie denkt.¹⁰⁴ Platoniker wie Alkinoos fassen die Qualitäten von Körpern als εἴδη, d. h. als der Materie inhärente Kopien der Ideen auf. Ähnlich nimmt auch Plotin Ideen der Qualitäten an.¹⁰⁵ Gregor dagegen unterscheidet nicht zwischen Qualitäten, welche die Materie bilden, und Ideen der Qualitäten, die im göttlichen Intellekt bleiben. Indem Gott die intelligiblen Qualitäten denkt, treten sie zugleich ›außer⁹⁹ Siehe Gregor, hom. opif. 24 (PG 44, 212d–213a) in Anm. 74. Plotin sieht die Körper als Komplex aus Qualitäten und Materie. (Enn. II 7 [37] 3,1–5 [I 219 Henry / Schwyzer]; VI 3 [44] 8,19–23[III 100 f. H. / S.]). ¹⁰⁰ Siehe z. B. Plutarch, comm. not. 49 f. (1085e–1086b); [Galen] / Albinus, De qualitatibus incorporeis; Alkinoos, Intr. 11; Alexander von Aphrodisias, de An. 122,16–125,4 (Bruns): Ὅτι αἱ ποιότητες οὐ σώματα. Siehe dazu J. M. D 1995, 111–114; P. M 1984, 470–472. ¹⁰¹ Alkinoos, Intr. 11 (166,15–35 Hermann / Whittaker). ¹⁰² Siehe z. B. Plotin, Enn. IV 7 (2) 8¹ (II 198–200 Henry / Schwyzer); II 6 (17) 1–3 (I 209– 214 H. / S.); VI 1 (42) 10 (III 18–21 H. / S.). Kräfte sind die Qualitäten auch in der aristotelischen Tradition. Siehe z. B. Aristoteles, Mete. 4,1 (378b29.34; 379b11) und dazu H. H. J 201 ad loc.; Alexander von Aphrodisias, in Mete. 4 (179,6–10 Hayduck). Es ist daher nicht nötig, Gregors Charakterisierung der Qualitäten als δυνάμεις auf stoischen Einfluß zurückzuführen (gegen z. B. P. Z 1970, 45; R. S 1988, 55; C. D 1996, 29). Ausgangspunkt ist u. a. eine falsche Interpretation von hex. 16 (26,19), wo Gregor von einer gewissen σπερματικὴ δύναμις spricht, womit er aber nicht die einzelnen Qualitäten meint, sondern den Anfangszustand der Welt insgesamt (siehe dazu Kapitel 2.1.2.c). ¹⁰³ So verweist z. B. Simplicius in seinem Kommentar auf die Diskussionen seiner Vorgänger (in Cat. 208–219 Kalbfleisch). Siehe auch Plotin, Enn. II 6 (17) 1–3 (I 209–214 Henry / Schwyzer); VI 1 (42) 10 (III 18–21 H. / S.). ¹⁰⁴ Siehe die Erläuterungen zu Alkinoos, Intr. 9 (163,14 f.30 f. Hermann / Whittaker). ¹⁰⁵ Siehe Plotin, Enn. II 6 (17) 1–3 (I 209–214 Henry / Schwyzer).

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halb‹ von ihm zur Körpernatur zusammen. Die Qualitäten, die Gott denkt, bilden keinen idealen Kosmos.¹⁰⁶ Die Untersuchung, auf welche philosophischen Wurzeln Gregors Materiekonzept zurückgeht, zeigt, daß einzelne Elemente als polemische Extremposition in der Auseinandersetzung um die richtige Interpretation von Ti. 52–56 entwickelt wurden. Außerdem stehen platonische Ausführungen zur Wahrnehmung und Erkenntnis von Körpern, wie sie ausgehend von Platons Theaetetus angestellt wurden, im Hintergrund. Aber erst in der christlichen Apologetik werden diese Elemente systematisch aufeinander bezogen und als Antwort auf ein philosophisches Problem formuliert. Gregors Argumentation beruht dabei außerdem auf der Charakterisierung der Qualitäten als unkörperliche Kräfte sowie auf der Auffassung, daß der göttliche Intellekt die νοητά erschafft, indem er sie denkt. Gregors Argumentation beruht also auf philosophischen Voraussetzungen, die jeweils für sich genommen platonischen Ursprungs sind. Seine Konzeption von Materie insgesamt ist aber unplatonisch, weil er Materie nicht mehr als notwendige Voraussetzung von Körperlichkeit,¹⁰⁷ sondern als Körperlichkeit in Gesamtheit auffaßt bzw. unter Körper nicht mehr die Verbindung von Materie- und Formprinzip versteht. Noch stärker als Origenes zeigt Gregor, daß die Auflösung der Körper in ihre Eigenschaften und die Negation der Materie als Voraussetzung von Körperlichkeit nicht nur gegen manichäische und philosophische Kritiker gerichtet ist, sondern auch dazu dient, den Glauben an den allmächtigen Schöpferwillen Gottes gegen einen Einwand des eigenen fragenden Verstandes zu verteidigen. Obwohl nur im Glauben gewußt werden kann, daß das Sichtbare aus dem Unsichtbaren geworden ist und die Welt durch ein Wort Gottes erschaffen wurde (Hebr 11,3), fordert Gregor der Umstand, daß große Schwierigkeiten dieser Einsicht im Weg stehen, dazu heraus, »die Überlegung zur Materie nicht außerhalb dessen stehen zu lassen, was folgerichtig gefunden werden kann«.¹⁰⁸ Diese Folgerichtigkeit (ἀκολουθία) weist er in De hominis opificio schrittweise nach. In De anima et resurrectione trägt er sie vor, weil der ¹⁰⁶ Gegen K. G 1914, 113; H. C 1934, 31; P. Z 1970, 45–49. Z schreibt den intelligiblen Eigenschaften eine »gewisse ideale Existenz als Gedanken und Willensverdichtungen Gottes« zu (46.49) und sieht sie »als in Gottes Schöpferwillen als ihrem einzigen ›Substrat‹ subsistierende, geistige Prinzipien der Körperwerdung« (45). Davon spricht Gregor gerade nicht. Auch H. A. W 1970, 57 f. verfehlt Gregors Pointe, wenn er annimmt, »what Gregory does … is to admit, for the sake of argument, that in God there is what Plotinus calls intelligible matter …, constituted of intelligible properties«. ¹⁰⁷ Daß Materie die notwendige Voraussetzung von Materialität und Körperlichkeit ist, stellt z. B. Calcidius dem Traktat über die Materie innerhalb seines Timaeuskommentars voran, in Ti. 271 (275,15 f. Waszink). J. C. M.  W 1959, 40 verweist dazu u. a. auf Platon, Ti. 68e–69a; Simplicius, in Ph. I 384,29–32 (Diels). ¹⁰⁸ Hom. opif. 24 (PG 44, 212d): Οὐδὲ γὰρ ἔξω τῶν κατὰ τὸ ἀκόλουθον εὑρισκομένων ἡ περὶ τῆς ὕλης ὑπόληψις φαίνεται, ἡ ἐκ τοῦ νοητοῦ τε καὶ ἀΰλου ταύτην ὑποστῆναι πρεσβεύ-

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Glaube an den allmächtigen Schöpferwillen die Grundlage für den Glauben an die Auferstehung bildet. Und in der Apologia stellt er sie als axiomatische Einleitung der Auslegung des Schöpfungsberichtes voran. Gregors Argumentation – die handlungstheoretische Erörterung des Schöpferhandelns, die Analyse der Körpernatur und die Negation der Materie – zeigt, daß die Lehre von der Erschaffung der körperlichen Welt durch den unkörperlichen Gott immer wieder neu plausibel gemacht werden mußte. Auffällig ist, daß Gregor dabei in der Apologia den Gedanken einer creatio ex nihilo nicht explizit äußert. Er begegnet terminologisch vorsichtig nur in De hominis opificio, um die Lehre von der Auferstehung, d. h. der Neuschaffung des Leibes, plausibel zu machen.¹⁰⁹ 2.1.2. Die augenblickliche und allumfassende Schöpfung a) Die Interpretation der Welt im Anfang (hex. 8 f.): Auslegung von Gen 1,1. Den Gedanken, daß Gott sofort verwirklicht, was er will, erläutert Gregor, indem er Gen 1,1 weiter auslegt und ›Himmel und Erde‹ und ›im Anfang‹ interpretiert. Himmel und Erde begrenzen das, was durch Sinneswahrnehmung erkannt werden kann. Mit Himmel und Erde nennt der Schöpfungsbericht somit die äußersten Enden der sichtbaren Schöpfung (τὰ ἔσχατα bzw. τὰ ἄκρα)¹¹⁰ und schließt darin alles mit ein, was innerhalb dieser Begrenzung liegt. Himmel und Erde bezeichnen somit wie in stoischen Kosmosdefinitionen die gesamte (sichtbare) Welt.¹¹¹ Sie stehen anders als bei Origenes nicht für die gesamte

ουσα· R. S 1983, 291 übersetzt mißverständlich »There is an opinion about matter which seems not irrelevant to what we are investigating. It is that matter arises from the intelligible and immaterial«. Diese Übersetzung suggeriert, daß Gregor eine bereits deutlich umrissene Theorie über die Materie aufgreift, für deren Urheber S Porphyrius hält. J. L, SC 6bis, 194 trifft meines Erachtens den Gedanken Gregors an dieser Stelle besser: »Nous n’avons pas à classer parmi les opinions indémontrables notre opinion sur la matière, qui fait dépendre l’existence de celle-ci de l’Être purement spirituel et sans matière«. ¹⁰⁹ Hom. opif. 23 (PG 44, 212c). Im Kontext von De hominis opificio ist Gregor daran interessiert, die absolute Macht Gottes zu erweisen, angesichts derer die Vorstellung einer Umwandlung des Menschen in der Auferstehung nicht mehr erstaunt. Mir ist noch nicht hinreichend klar, ob die Formulierungen ἔκ τε τοῦ μὴ ὄντος ὑποστῆναι τὸ πᾶν bzw. τὸ μὴ ὂν ὑποστήσασθαι (212bc; 213c) die gleiche Bedeutung haben wie z. B. Hippolyt, haer. 10,33,8 (290,8 Wendland): ἐξ οὐδενός. Die Ausdrücke Gregors scheinen mir bewußt vorsichtig gewählt zu sein. Sie begegnen ähnlich bei Philo, der damit keine creatio ex nihilo meint (siehe D. W 2006, 653 f.). Ähnlich auch Basilius, hex. 1,2 (5,10 Amand de Mendieta / Rudberg): … εἰς τὸ εἶναι παρήγαγε τὰ μεγέθη τῶν ὁρωμένων; 2,2 (24,24): … εἰς γένεσιν ἀγαγεῖν τὰ μὴ ὄντα, … (25,2): … εἰς οὐσίαν ἤγαγεν, … (anders W, a. a. O., 746, der bei Basilius »die nun schon traditionelle Lehre der Schöpfung aus dem Nichts« angeführt sieht). ¹¹⁰ Gregor, hex. 8 (16,1–5); hex. 9 (16,17–20). ¹¹¹ Mit hex. 8 (16,1–5) und 9 (16,17–20) vgl. auch 16 (26,7–13). So auch bereits Basilius, hex. 1,7 (13,12–14,11 Amand de Mendieta / Rudberg). Siehe die stoischen Definitionen: der

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Schöpfung, da die unsichtbare, geistige Schöpfung für Gregor außerhalb dessen liegt, was der Schöpfungsbericht behandelt.¹¹² ›Im Anfang‹ (ἐν ἀρχῇ) nach der Septuaginta legt Gregor gemeinsam mit der Lesart Aquilas ἐν κεφαλαίῳ aus.¹¹³ Beide Ausdrücke zeigen ihm an, daß alle Dinge auf einmal (ἀθρόως) und zusammenfassend (συλλήβδην) entstanden sind. Dieser Gedanke entspricht aus der Perspektive der Schöpfung dem Bekenntnis aus hex. 7, daß sich das Schöpfungswerk abstandslos zu Gottes Willensentschluß zeigt. Wie Basilius versteht Gregor ›Anfang‹ als das Augenblickliche, Unausgedehnte und Zeitlose.¹¹⁴ Er vergleicht ihn mit einem Punkt, der unausgedehnt Anfang einer Linie ist, und einem Atom, das selbst ohne Ausdehnung und Masse Anfang von voluminöser Masse ist. Analog dazu ist Gottes Schöpfungsakt im Anfang augenblicklich und daher zeitlos; er bildet aber den Ausgangspunkt für die zeitliche Ausdehnung der Schöpfung. Gottes Schöpfungshandeln faßt Gregor in hex. 9 zusammen: Die Grundlegung also des Seienden insgesamt durch das unaussprechliche Vermögen Gottes wird von Mose ›Anfang‹ oder auch ›Zusammenfassung‹ genannt, von der gesagt wird, daß in ihr alles zusammen besteht. Dabei spricht er von den äußersten Enden des Seienden, verweist aber durch die Enden stillschweigend auf das in der Mitte … Dieses nun unterstellt der Anfang des Schöpfungsberichtes zu denken, nämlich daß Gott in einem Augenblick zusammenfassend die Ausgangspunkte (ἀφορμάς), die Ursachen (αἰτίας) und die Kräfte (δυνάμεις)¹¹⁵ alles Seienden grundgelegt hat, und in dem ersten Streben seines Willens substantielle das Sein (οὐσία) eines jeden Einzelnen der Dinge zusammenkam¹¹⁶: Himmel, Äther, Sterne, Feuer, Luft, Meer, Erde, Lebewesen, Pflanzen, Kosmos als σύστημα ἐξ οὐρανοῦ καὶ γῆς καὶ τῶν ἐν τούτοις φύσεων (SVF II 527 [168,11–13 von Arnim]; 528 [169,39 f.]); als σύστημα ἐξ οὐρανοῦ καὶ γῆς καὶ τῶν μεταξὺ φύσεων (SVF II 638 [192,35 f.]). ¹¹² Gregor, hex. 14 (22,36–24,3): τίς γὰρ οὐκ οἶδεν, ὅτι διχῆ τῆς κτίσεως νοουμένης, εἴς τε τὸ νοητὸν καὶ αἰσθητόν, ἡ πᾶσα σπουδὴ τῷ νομοθέτῃ [d. h. Mose C. K.] νῦν ἐστιν, οὐ τὰ νοητὰ ἐξηγήσασθαι, ἀλλὰ ὑποδεῖξαι διὰ τῶν φαινομένων ἡμῖν τὴν ἐν τοῖς αἰσθητοῖς διακόσμησιν. Vgl. hom. opif. 8 (PG 44, 145a). In hex. 18–23 charakterisiert Gregor in seiner Auslegung der ›oberen Wasser‹ die geistige Schöpfung näher. Nach Origenes handelt der Schöpfungsbericht sowohl von der intelligiblen als auch von der sichtbaren Welt. Siehe dazu seine Interpretation von Gen 1,1 f., dargestellt in Kapitel B I 4.1.2–3. ¹¹³ Hex. 8 (16,5–14): … καὶ ἀντὶ τοῦ εἰπεῖν ὅτι ἀθρόως πάντα τὰ ὄντα ὁ Θεὸς ἐποίησεν, εἶπεν, Ἐν κεφαλαίῳ, ἤτοι, ἐν ἀρχῇ πεποιηκέναι τὸν Θεὸν τὸν οὐρανὸν καὶ τὴν γῆν. μία δὲ τῶν δύο φωνῶν ἡ σημασία, τῆς τε ἀρχῆς καὶ τοῦ κεφαλαίου· δηλοῦται γὰρ ἐπίσης δι’ ἑκατέρων τὸ ἀθρόον· ἐν μὲν γὰρ τῷ κεφαλαίῳ, τὸ συλλήβδην τὰ πάντα γεγενῆσθαι παρίστησι. διὰ δὲ τῆς ἀρχῆς δηλοῦται τὸ ἀκαρές τε καὶ ἀδιάστατον. ἡ γὰρ ἀρχὴ παντὸς διαστηματικοῦ νοήματος ἀλλοτρίως ἔχει· ὡς τὸ σημεῖον ἀρχὴ τῆς γραμμῆς, καὶ τοῦ ὄγκου τὸ ἄτομον, οὕτω καὶ τὸ ἀκαρὲς τοῦ χρονικοῦ διαστήματος. ¹¹⁴ Vgl. Basilius, hex. 1,6 (11,15 f. Amand de Mendieta / Rudberg). ¹¹⁵ F. X. R 1999, 64 übersetzt mißverständlich »die Mittel, die Ursachen und die Vermögen«. Dagegen schlägt J. C. M.  W 1999, 432 »Ausgangspunkte, Ursachen und Keimkräfte« vor. Eine Verbindung zu den stoischen σπερματικοὶ λόγοι sollte aber terminologisch nicht gezogen werden (siehe dazu Anm. 102). ¹¹⁶ Das Zusammenlaufen der Qualitäten sagt Gregor in hex. 7 aus der Perspektive der

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die alle durch das göttliche Auge wahrgenommen wurden, das – wie die Prophezeiung sagt – ›alles vor seiner Entstehung sieht‹, wobei sie sich im Status des Vermögens zeigten.¹¹⁷

Gregor greift hier einerseits seine grundlegende Aussage aus hex. 7 (12,30– 14,5) auf, daß das substantielle Sein der Geschöpfe gleichzeitig mit dem göttlichen Willensentschluß entsteht. Andererseits äußert er den neuen Gedanken, daß in der Grundlegung der Ausgangspunkte, Ursachen und Kräfte die Geschöpfe im Status der Potentialität vorliegen. Offen bleibt an dieser Stelle noch, worin diese Potentialität besteht und wie sich diese Annahme zur Aussage verhält, daß in der Grundlegung der Qualitäten die materielle Körperlichkeit konstituert wird. Mit der Aussage, daß alles auf einmal und abstandslos zum göttlichen Willen ins Dasein tritt (hex. 7 f.), knüpft Gregor an die Lehre vom augenblicklichen und simultanen Schöpfungshandeln Gottes an, die ausgehend von Philo durch Origenes oder auch Didymus dem Blinden vertreten wird.¹¹⁸ Indem Gregor zwischen dem augenblicklichen Schöpfungsakt im Anfang, durch den alles im Status der Potentialität existiert (hex. 9), und der daran anschließenden geordneten Entfaltung und Verwirklichung der Schöpfung unterscheidet, liest er aber zugleich – im Unterschied zu Philo und Origenes – die biblische Schöpfungserzählung als eine Chronologie der geordneten, sukzessiven Entstehung der Elemente und Einzeldinge. b) Die Interpretation der Welt im Anfang (hex. 10): Erste Auslegung von Gen 1,2. Die Schöpfung im Anfang interpretiert Gregor auch in hex. 10, indem er Gen 1,2 auf eine erste Weise auslegt. Daß die Erde in einigen griechischen Übersetzungen von Gen 1,2 als unsichtbar (ἀόρατος) und ungeschieden (ἀδιάκριτος) bezeichnet wird, nimmt Gregor als exegetischen Ausgangspunkt, um zu erklären, was unter der Finsternis Gen 1,2b zu verstehen ist.¹¹⁹ Er führt die Qualitäten aus, aus denen die Materie entsteht (14,29) und in hex. 9 aus der Perspektive des substantiellen Seins, das aus dem Zusammenlaufen der Qualitäten entstanden ist (16,23 f.). ¹¹⁷ Gregor, hex. 9 (16,15–19.20–28): Ἡ οὖν ἀθρόα τῶν ὄντων παρὰ τῆς ἀφράστου δυνάμεως τοῦ Θεοῦ καταβολή, ἀρχὴ παρὰ τοῦ Μωϋσέως, εἴτουν κεφάλαιον κατωνομάσθη, ἐν ᾗ τὸ πᾶν συστῆναι λέγεται· τὰ μὲν ἄκρα τῶν ὄντων εἰπών. τὰ δὲ μέσα κατὰ τὸ σιωπώμενον τοῖς ἄκροις συνενδειξάμενος· … οὐκοῦν τοῦτο νοεῖν ἡ ἀρχὴ τῆς κοσμογονίας ὑποτίθεται, ὅτι πάντων τῶν ὄντων τὰς ἀφορμὰς καὶ τὰς αἰτίας καὶ τὰς δυνάμεις συλλήβδην ὁ Θεὸς ἐν ἀκαρεῖ κατεβάλετο, καὶ ἐν τῇ πρώτῃ τοῦ θελήματος ὁρμῇ ἡ ἑκάστου τῶν ὄντων οὐσία συνέδραμεν, οὐρανός, αἰθήρ, ἀστέρες, πῦρ, ἀήρ, θάλασσα, γῆ, ζῶα, φυτά· ἃ τῷ μὲν θείῳ ὀφθαλμῷ πάντα καθεωρᾶτο, τῷ τῆς δυνάμεως λόγῳ δεικνύμενα, τῷ (καθώς φησιν ἡ προφητεία) εἰδότι πάντα πρὸ τῆς γενέσως αὐτῶν. ¹¹⁸ Siehe dazu Kapitel B I 2. ¹¹⁹ Eine ausführliche Erläuterung der Attribute der Erde nach den Lesarten der LXX, Symmachus, Theodotion und Aquila bietet Gregor in hex. 16 f. (26,21–28,23). In hex. 10 greift er ἀόρατος (LXX; siehe 18,20 f.) und ἀδιάκριτος (Symmachus; siehe 18,23 ἀδιακρίτως) außerhalb des Lemmas auf und paraphrasiert ἀόρατος als ἀφανής (siehe 18,20 ἀόρατά τε καὶ ἀφανῆ).

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Finsternis auf die Verfassung des Alls im Anfang zurück, die er in den Attributen der Erde beschrieben sieht. Durch die Ausführungen von hex. 8 f. ist deutlich, daß dieser Anfang, der in der sprachlichen Darstellung als Zustand erscheint, unausgedehnt und zeitlos gedacht werden muß. Deshalb nun war, als das Ganze entstand, bevor ein jedes der Dinge, die das Ganze ausmachen, sich für sich zeigte, Dunkel im All ausgegossen. Denn noch schien der in den Teilen der Materie untermischte Schein des Feuers nicht auf … So war alles unsichtbar und unerschienen, bevor das leuchtende Sein in die Sichtbarkeit hervortrat. Weil aber gerade auf einmal in einer einzigen Neigung des göttlichen Willens das All ungeschieden ins Dasein getreten war, und die Elemente alle ineinander vermischt waren, war das überall ausgesäte Feuer verdunkelt, weil es durch die reichlich vorhandene Materie verdeckt war.¹²⁰

Die Schöpfung im Anfang ist in dieser Beschreibung dadurch gekennzeichnet, daß das Ganze bereits entstanden ist, jedes Einzelne für sich aber noch nicht in Erscheinung getreten ist. Das All ist eine ungeschiedene Mischung, in der alle Elemente ineinander vermengt sind und sich gegenseitig verdecken. Das Feuer ist dadurch gehindert, seine spezifische Wirkkraft, das Leuchten, zu entfalten. Gregor bietet hier eine naturphilosophische Erklärung für die Finsternis: Sie ist die Abwesenheit des Lichts, weil das Feuer, das in der Materiemischung bereits vorhanden ist, von den anderen Teilen der Materie verdunkelt wird.¹²¹ Mit dieser Erklärung setzt er sich, wie bereits Basilius, bewußt von einer metaphysischen Interpretation ab, welche die Finsternis als Herrscher der bösen Mächte oder als präexistentes böses Prinzip deutet.¹²² Gregor knüpft mit dieser Erklärung einerseits an die Aussage von hex. 7 (14,22–29) an, daß in der Grundlegung der Qualitäten die materielle Körperlichkeit in ihrer Gesamtheit konstituiert wird. Andererseits beschreibt er auf neue Weise diese Gesamtheit als Mischung der Elemente, in denen die Einzeldinge nur potentiell existieren, weil sie noch nicht aus der Mischung des ¹²⁰ Hex. 10 (18,13–16.20–25): Τούτου χάριν, ὅτε τὸ ὅλον ἐγένετο, πρὶν ἕκαστον τῶν συμπληρούντων τὸ ὅλον ἐφ’ ἑαυτοῦ δειχθῆναι, ζόφος τῷ παντὶ ἐπεκέχυτο. οὔπω γὰρ ἐξεφάνη τοῦ πυρὸς ἡ αὐγὴ ὑποκεκρυμμένη τοῖς μορίοις τῆς ὕλης … οὕτως ἀόρατά τε καὶ ἀφανῆ τὰ πάντα ἦν, πρὶν τὴν φωτιστικὴν οὐσίαν εἰς τὸ ἐκφανὲς προελθεῖν· ἄρτι γὰρ ἀθρόως ἐν τῇ μιᾷ ῥοπῇ τοῦ θείου θελήματος ἀδιακρίτως τοῦ παντὸς ὑποστάντος, καὶ τῶν στοιχείων πάντων ἐν ἀλλήλοις πεφυρμένων, τὸ πανταχοῦ κατεσπαρμένον πῦρ ἐπεσκοτεῖτο, τῷ πλεονάζοντι τῆς ὕλης ἐπιπροσθούμενον· ¹²¹ Als Schatten deutet Gregor in hex. 13 (22,23–27) auch die Finsternis Gen 1,4. ¹²² Diese Deutung wehrt Gregor in hex. 21 ab (32,15–27), wo er auf seine Deutung in hex. 10 anspielt (32,25–27). Gegen die Deutung der Finsternis als böses Gegenprinzip zu Gott siehe Basilius, der gegen Anhänger Markions, Valentinianer und Manichäer schimpft (hex. 2,4 [26,24–27,9 Amand de Mendieta / Rudberg]); gegen die Deutung des Abgrunds als Fülle der Gegenmächte und die Finsternis als ursprüngliche böse Macht (27,22–24). Zu weiteren Gegnern der metaphysischen Deutung siehe C. S 1996a, 186 f.; M. A 1988, 82 f. Für Origenes ist der Abgrund der Aufenthaltsort des Teufels und seiner Engel (hom. in Gen. 1,1 [Z. 22–26; 26 Doutreleau]).

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Anfangs geschieden und für sich in Erscheinung getreten sind. Offen bleibt an dieser Stelle, wie sich dieser Gedanke einer potentiellen Existenz der Einzeldinge in der Materiemischung des Anfangs zu der Aussage von hex. 9 verhält, daß in der Grundlegung des substantiellen Seins aller Dinge (οὐσία) alles im Status der Potentialität vorliegt. c) Die Interpretation der Welt im Anfang (hex. 16 f.): Zweite Auslegung von Gen 1,2. Nach der Auslegung von Gen 1,3–5, die unmittelbar im Anschluß an die Beschreibung der Mischung der Elemente in hex. 10–15 die Entstehung des Feuers schildert, unterbricht Gregor seine fortlaufende Auslegung von Gen 1,3–10. Er begründet diese Unterbrechung damit, daß auch das, was er bisher in der Auslegung übergangen habe, zum schlüssigen Gedankengang seiner Betrachtung beitragen solle. Er faßt seine Interpretation von Gen 1,1, wie sie hex. 8 f. bieten, zusammen (26,5–15) und trägt dann eine ausführliche Auslegung der Attribute nach, die in den verschiedenen Lesarten von Gen 1,2a die Erde charakterisieren. Gregor sieht in ihnen die Annahme gestützt, daß die ersten Worte des Schöpfungsberichtes die augenblickliche, materielle Grundlegung des ganzen Kosmos (ἡ ὑλικὴ τοῦ παντὸς κόσμου καταβολή Z. 14) anzeigen. So mache Gen 1,2a (LXX) ›die Erde war unsichtbar und unbereitet‹ deutlich, daß alle Dinge dem Vermögen nach (τῇ δυνάμει) im ersten Willensstreben Gottes hinsichtlich der Schöpfung waren, wobei gleichsam ein gewisses samenhaftes Vermögen (οἱονεὶ σπερματικῆς τινος δυνάμεως) zur Entstehung des Alls vorher grundgelegt wurde, in Verwirklichung (ἐνεργείᾳ) die einzelnen Dinge aber noch nicht waren.¹²³

Die Aussage, daß im ersten Willensstreben Gottes alles dem Vermögen nach war, wiederholt hex. 9 (16,21–28). Neu ist, daß Gregor die Schöpfung im Anfang mit der Grundlegung eines samenhaften Vermögens zur Entstehung des Alls vergleicht. Diese Formulierung wird häufig als Anlehnung an stoische Terminologie verstanden und in dem Sinne interpretiert, daß Gregor die Qualitäten nach Art der stoischen σπερματικοὶ λόγοι als samenhafte Potenzen auffaßt.¹²⁴ Dagegen spricht aber, daß Gregor von σπερματικὴ δύναμις im Singular spricht und die Aussage Z. 19 sprachlich eindeutig als Vergleich kennzeichnet. Die σπερματικὴ δύναμις bezieht sich nicht auf die einzelnen Qualitäten, sondern auf die Schöpfung im Anfang insgesamt. Das legen die Stellen der Apologia nahe, in denen Gregor davon spricht, daß Gott etwas grundgelegt hat: Nach hex. 7 (14,22–24) und hex. 9 (16,21–28) legt Gott die Gesamtheit der Qualitäten grund, die Materie bzw. das potentielle Sein aller Dinge ist; hex. 9 ¹²³ Gregor, hex. 16 (26,17–21): ὡς ἐκ τούτου δῆλον εἶναι ὅτι τῇ μὲν δυνάμει τὰ πάντα ἦν ἐν πρώτῃ τοῦ Θεοῦ περὶ τὴν κτίσιν ὁρμῇ, οἱονεὶ σπερματικῆς τινος δυνάμεως πρὸς τὴν τοῦ παντὸς γένεσιν καταβληθείσης, ἐνεργείᾳ δὲ τὰ καθ’ ἕκαστον οὔπω ἦν. ¹²⁴ So z. B. P. Z 1970, 44 f.; R. S 1988, 55; ähnlich auch D. W 2006, 750.

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(16,15 f.) spricht von der augenblicklichen und zusammenfassenden Grundlegung der seienden Dinge (ἡ ἀθρόα τῶν ὄντων καταβολή); in hex. 16 ist parallel zur Grundlegung des Kosmos (ἡ τοῦ κόσμου καταβολή 26,29) von der materiellen Grundlegung des gesamten Kosmos (ἡ ὑλικὴ τοῦ παντὸς κόσμου καταβολή 26,14) die Rede. Diese Grundlegung vergleicht Gregor mit einem samenhaften Vermögen, weil sie wie ein Same die ἀφορμαί, αἰτίαι und δυνάμεις zur Ausgestaltung und Vollendung aller Teile des Kosmos enthält. Z. 19 f. ist daher am besten zu übersetzen »indem ein gewisses aktives Vermögen zur Entstehung des Alls grundgelegt wurde, das mit einem Samen vergleichbar ist«. Der Vergleich mit einem Samen ist bereits ab hex. 7 durch καταβάλλειν bzw. καταβολή vorbereitet, die termini technici für das Ausbringen von Samen sind.¹²⁵ Innerhalb des Abschnitts Z. 18–20 soll der Vergleich die potentielle Existenz aller Dinge im Anfang illustrieren. Die Vorstellung des Samens bietet sich dafür an, weil das Verhältnis von Same und dem, was aus ihm entsteht, oft als Relation von Sein τῇ δυνάμει zum Sein ἐνεργείᾳ beschrieben wird.¹²⁶ Gleichzeitig macht der Vergleich deutlich, daß es sich bei der Schöpfung im Anfang um die Grundlegung eines aktiven Vermögens handelt. Monique Alexandre hält die philosophische Vorstellung von der σπερματικὴ δύναμις, die nur hier in der Apologia begegnet, für nicht zentral und warnt davor, sie zu stark in den Vordergrund zu rücken.¹²⁷ Ich meine aber zeigen zu können, daß das biologische Konzept des Samens wesentlich dazu beiträgt, Gregors Kosmologie zu verstehen. Die Aussage τῇ δυνάμει τὰ πάντα ἦν (Z. 18) stützt Gregor, indem er die Attribute der Erde Gen 1,2a auslegt. So bedeutet die Bezeichnung der Erde als unsichtbar und ungestaltet (LXX: ἀόρατος καὶ ἀκατασκεύαστος) das gleiche wie zu sagen, daß sie war und nicht war, womit Gregor eine Umschreibung für potentielles Sein aufgreift. Gregor bezieht aber anders als beispielsweise Plotin¹²⁸ diese Aussage nicht auf die Materie, sondern auf die ›Schöpfung im Anfang‹. Die Erde ist nur τῇ δυνάμει, weil ihre Eigenschaften noch nicht an ihr zusammengekommen sind. Das leitet Gregor in seiner Erläuterung zu ἀόρατος her, indem er unter Rückgriff auf antike Farb- und Sehtheorie die Unsichtbarkeit der Erde damit erklärt, daß sie ohne Farbe und daher ohne Gestalt und Körperlichkeit war.¹²⁹ Gregor zieht daher den Schluß: Folglich war in dem Moment der Grundlegung des Kosmos die Erde unter den seienden Dingen, wie auch alles andere. Aber sie wartete, durch die Bereitung der Eigenschaften Siehe LSJ 884 f., καταβάλλω II 6; καταβολή a). Siehe z. B. Aristoteles, GA 1,19 (726b15–19). M. A 1976, 171. Siehe z. B. Plotin, Enn. II 5 (25) 4 (I 206 f. Henry / Schwyzer), der hier eine aristotelische Tradition aufgreift. ¹²⁹ Zum Zusammenhang zwischen Sichtbarkeit, Farbe, Gestalt und Körperlichkeit in der antiken Farb- und Sehtheorie siehe F. X. R 1999, 172 f. Anm. 175–178. ¹²⁵ ¹²⁶ ¹²⁷ ¹²⁸

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das zu werden, was sie ist. Dadurch, daß er sagt, daß sie unsichtbar (ἀόρατος) sei, zeigt der Bericht an, daß nicht irgendeine Eigenschaft an ihr beobachtet wird, und dadurch, daß er sie unbereitet (ἀκατασκεύαστος) nennt, gibt er zu denken, daß sie noch nicht durch die körperlichen Eigentümlichkeiten verdichtet worden war.¹³⁰

Hier wird deutlich, daß Gregor unter Erde nicht Materie allgemein versteht, wie Ausleger vor ihm, sondern die Erde als eines der vier Grundelemente.¹³¹ Sie existiert noch nicht ἐνεργείᾳ, weil die spezifischen Eigenschaften, die ihr Wesen ausmachen (die συμπληρωτικά), noch nicht zusammengekommen sind. Die Erde ist daher noch kein körperliches, distinktes Element. Zu den Eigentümlichkeiten, welche das körperliche Wesen der Erde ausmachen – Gregor spricht von verdichten – und sie so sichtbar machen, zählen Farbe, Gestalt, Volumen, Schwere und Größe.¹³² Den Gedanken der Potentialität des Seins im Anfang liest Gregor noch deutlicher aus den Attributen der Erde in den Übersetzungen des Symmachus, Theodotion und Aquila.¹³³ Das Attribut ἀργός deutet er anders als Origenes nicht als Attribut der Materie, sondern Beleg dafür, daß die Erde noch nicht ἐνεργείᾳ existiert, sie ihr Sein nur τῇ δυνάμει hat. Gregor faßt ἀργός wegen der Ableitung von ἀ-εργος als Gegensatz zu ἐνέργεια auf.¹³⁴ Das potentielle Sein des Elements Erde führt Gregor in Auslegung von ἀδιάκριτος darauf zurück, daß im Moment der Grundlegung alle Eigenschaften miteinander vermischt sind. Als Folge dieser Vermischung sind die spezifischen Eigenschaften der Elemente noch nicht aus der Mischung ausgesondert ¹³⁰ Hex. 16 (26,29–35): οὐκοῦν ἐν τῷ ἀθρόῳ τῆς τοῦ κόσμου καταβολῆς, ἦν μὲν ἐν τοῖς οὖσιν ἡ γῆ, ὡς καὶ τὰ ἄλλα πάντα· ἀνέμενε δὲ τὸ διὰ τῆς τῶν ποιοτήτων κατασκευῆς ὅπερ ἐστὶ γενέσθαι· διὰ γὰρ τοῦ ἀόρατον αὐτὴν εἰπεῖν εἶναι, τὸ μηδὲ ἄλλην τινὰ ποιότητα θεωρεῖσθαι περὶ αὐτὴν ὁ λόγος ἐνδείκνυται. καὶ διὰ τοῦ ἀκατασκεύαστον ὀνομάσαι, νοεῖν δίδωσι τὸ μήπω αὐτὴν πεπυκνῶσθαι ταῖς σωματικαῖς ἰδιότησιν. ¹³¹ So interpretiert auch F. X. R 1999, 175 Anm. 183 hex. 16. Gegen M. A 1976, die Gregors Auslegung in die Tradition stellt, die ›Erde‹ Gen 1,2a als zugrunde liegende Materie identifiziert (a. a. O., 172–174.175–180). Die Deutung der Erde Gen 1,2a als von Gott geschaffener Materie vertritt z. B. Origenes auf einer Ebene seiner Auslegung (siehe dazu Kapitel B I 4.1.2). M. A 1988, 78–80 bietet einen knappen Überblick über die Auslegungsgeschichte von Gen 1,2a. ¹³² Siehe hex. 17 (28,10 f.). ¹³³ Siehe hex. 17 (28,1–4): Φανερώτερον δὲ διὰ τῆς Συμμάχου καὶ Θεοδοτίωνος καὶ Ἀκύλα γραφῆς, ἡ τοιαύτη διάνοια σαφηνίζεται. τοῦ μὲν εἰπόντος, ἡ δὲ γῆ ἦν ἀργὸν καὶ ἀδιάκριτον. τοῦ δὲ ἑτέρου, κένωμα καὶ οὐθέν. τοῦ δὲ ἄλλου, θὲν καὶ οὐθέν. (28,12 f.): τὴν δὲ αὐτὴν διάνοιαν ἐνδείκνυται ἡμῖν καὶ τό, κένωμα καὶ οὐθέν. Wie Origenes zieht auch Gregor für seine Interpretation der Erde Gen 1,2a die tetraplarischen Übersetzungsvarianten heran. Er weist die Lesarten aber anders zu als Origenes (siehe Origenes, comm. in Gen. frg. bei Calcidius, in Ti. 276–278 [280,1–283,16 Waszink]; vgl. F. F, 7 f. ad loc.), schreibt Theodotion die Übersetzung des Aquila zu und bietet unter dem Namen des Aquila eine Lesart, die Origenes nicht erwähnt. Siehe dazu M. A 1976, 169 f.180. Johannes Philoponus (opif. 2,5) bietet die gleichen Lesarten wie Gregor, weist sie aber korrekt zu und interpretiert sie anders. Siehe C. S 1996a, 233. ¹³⁴ Siehe M. A 1976, 173. ἀργός ist Gegenbegriff zu ἐνεργός (LSJ 28).

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(ἀ-διάκριτος). Die verschiedenen Eigenschaften (Farbe, Gestalt, Masse, Schwere, Größe etc.) können daher noch nicht auf die Weise an dem zugrunde Liegenden wahrgenommen werden, die einem jeden Element entspricht. Nach hex. 10 ist darin impliziert, daß die einzelnen Elemente und unter ihnen die Erde noch nicht als Körper verwirklicht sind. Das Attribut ἀδιάκριτος bezieht Gregor hier einerseits auf die Erde als Element, das aus der anfänglichen Mischung noch nicht ausgeschieden ist. Andererseits beschreibt Gregor die Schöpfung im Anfang insgesamt als ungeschieden. Damit reinterpretiert er seine Beschreibung des Anfangs, die er in hex. 10 gegeben hat: Die Mischung der Elemente im Anfang ist keine Mischung distinkter Körper, sondern die Mischung ihrer Eigenschaften. Gregor beschreibt damit die Schöpfung im Anfang als ungeschiedene Mischung aller Qualitäten.¹³⁵ Um diese Mischung beschreiben zu können, führt Gregor in hex. 17 (28,12) unter der Hand ein ὑποκείμενον ein, an dem die Eigenschaften im Zuge des Scheidungsprozesses in Erscheinung treten und die distinkten Elemente bilden.¹³⁶ Derselbe Akzent zeigt sich auch in der Deutung der Aquilaübersetzung von Gen 1,2a ›die Erde war Leere und Nichts‹, die er Theodotion zuweist. Sie interpretiert er ebenfalls im Sinne der Potentialität des Seins im Anfang. Dabei knüpft er deutlich an platonische Charakterisierungen der Materie an und hat nicht mehr die Erde als Element im Anfang, sondern den Anfangszustand insgesamt vor Augen:¹³⁷ ¹³⁵ M. A 1976, 173 führt als Vergleichstext Platons Beschreibung der chaotischen Materie in Ti. 30a an und versteht Gregors Auslegung als Beschreibung der Fluktuation der Materie. Nun kann dieser komplizierte Abschnitt des platonischen Timaeus durchaus in dem Sinne interpretiert werden, daß Platon den chaotischen Zustand auf die ungeordnete Mischung der Qualitäten in der ὑποδοχή / χώρα zurückführt. Siehe für diese Interpretation F. M. C 1952, 178–185.199. Als möglich, aber nicht zwingend beurteilt R. S 1988, 45 diese Auslegung. Aber die Erschütterung und die Bewegung, die für den vorkosmischen Zustand nach Ti. 30.52d–53a zentral sind, fehlen bei Gregor, hex. 17. ¹³⁶ Siehe zu dieser Passage J. R 1973, 108 (Hervorhebung im Original): »la terre, puisque c’est d’elle qu’il est question ici et qu’on peut déjà en parler comme d’un sujet particulier, existe comme un substrat, ὑποκείμενον, sur lequel se rassembleront individuellement les qualités qui constituent l’élément κατὰ τὸν ἴδιον λόγον.« Auch in hex. 16 (26,23) ist implizit ein zugrunde liegendes Substrat vorausgesetzt, wenn es heißt, daß die Eigenschaften noch nicht an ihr (d. h. der potentiellen Erde) zusammengetreten sind (J. C. M.  W in seinem Diskussionsbeitrag bei M. A 1976, 191). ¹³⁷ Χωρητικὴ bzw. δεκτικὴ δύναμις erinnert an die platonische ὑποδοχή (Ti. 48–53). Alkinoos, Intr. 8 (162,29–163,10 Hermann / Whittaker) greift diese Terminologie auf und betont, daß die Materie an sich völlig unbestimmt ist. Er betrachtet sie zusammenfassend als potentiellen Körper. Plotin, Enn. II 4 (12) 11 (I 193–195 Henry / Schwyzer) verteidigt die Konzeption der Materie als qualitäts- und ausdehnungsloses Aufnahmevermögen (δεκτική) der Qualitäten. In diesem Zusammenhang begegnet die Bezeichnung der Materie als ›leer‹. Die Materie hat das Vermögen, Volumen aufzunehmen, ist aber selbst ohne Volumen; insofern ist ihr Volumen leer (κενόν): Ὅθεν τινὲς ταὐτὸν τῷ κενῷ τὴν ὕλην εἰρήκασι· (II 4 [12] 11,29 f. [I 194 H. / S.]). F. X. R 1999, 175 Anm. 183 bezieht auch die Auslegung von κένωμα καὶ οὐθέν auf die Erde als Element. Ich sehe aber nicht, wie Z. 15–18 dann zu verstehen ist, es sei

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Denselben Gedanken zeigt nun auch das ›Leere und Nichts‹ an. Denn es deutet durch den Ausdruck ›Leere‹ das Vermögen an, das die Eigenschaften aufnimmt. Dadurch lernt man folglich, daß der Schöpfer des Alls ein die Eigenschaften aufnehmendes Vermögen als erstes grundgelegt hat. Dieses war gewissermaßen leer und hatte nichts, bevor es durch die Eigenschaften erfüllt wurde.¹³⁸

Die Grundlegung des Alls im Anfang beschreibt Gregor hier als qualitätsloses, die Eigenschaften aufnehmendes Vermögen. Damit präsentiert er genau das Materiekonzept, daß er in hex. 7 verworfen hat. Nach hex. 7 ist die Materie im Anfang die Summe aller Qualitäten und Körperlichkeit in ihrer Gesamtheit, nach hex. 10, reinterpretiert in hex. 16 f., die ungeschiedene Mischung aller Qualitäten. Nun in hex. 17 ist sie das qualitätslose Aufnahmevermögen, das den Eigenschaften vorausgeht. Der Widerspruch zwischen diesen Bestimmungen der Schöpfung im Anfang ist bereits oft festgestellt worden.¹³⁹ Hans Urs von Balthasar versucht ihn aufzulösen, indem er das διάστημα, das Gregor als eine der Qualitäten in hex. 7 aufführt, mit der δεκτικὴ δύναμις in hex. 17 identifiziert. Er kann sich dafür auf Aussagen Gregors berufen, nach denen Gott »die Äonen und den Raum in denselben gleichsam als ein Behältnis zur Aufnahme der entstehenden Dinge im Voraus grundlegt und in diesem alles erschafft«.¹⁴⁰ Gegen diesen Versuch von Balthasars ist mit Recht eingewendet worden, daß Gregor in hex. 7 das διάστημα ganz offensichtlich zu den Eigenschaften zählt, die gemeinsam auf einmal im Anfang grundgelegt werden und so die Materie bzw. die Welt im Anfang bilden.¹⁴¹ Außerdem begegnet der Gedanke eines ὑποκείμενον, das den Eigenschaften zumindest logisch vorausgeht, auch in der Auslegung von ἀόρατος (hex. 16) und ἀδιάκριτος (hex. 17). Und auch in den späteren Abschnitten der Apologia, in denen Gregor die Umwandlung der Elemente behandelt, spricht er immer wieder von einem ὑποκείμενον, das die Quantität der Materie und das Maß der einzelnen Elemente bewahrt.¹⁴² denn in der Bedeutung von gleichsam ›leerer Erde‹, was nur eine andere Bezeichnung für die implizit vorausgesetzte Materie als das zugrunde liegende Substrat der Eigenschaften ist, welche die Erde ausmachen (vgl. die zitierte Passage Plotins). ¹³⁸ Hex. 17 (28,12–16): τὴν δὲ αὐτὴν διάνοιαν ἐνδείκνυται ἡμῖν καὶ τό, κένωμα καὶ οὐθέν. τὴν γὰρ χωρητικὴν τῶν ποιοτήτων δύναμιν τῇ τοῦ κενώματος φωνῇ παρεδήλωσεν. ὥστε διὰ τοῦτου μαθεῖν, ὅτι δεκτικὴν δύναμιν τῶν ποιοτήτων ὁ τοῦ παντὸς κτίστης προκατεβάλετο· Anstelle προεβάλετο (Forbes Z. 16) und προκατεβάλλετο (Migne) ziehe ich in Z. 16 mit einigen Handschriften und F. X. R die Lesart προκατεβάλετο vor (dazu R 1999, 175 Anm. 187). ¹³⁹ Umfassend dargestellt von M. A 1976. ¹⁴⁰ H. U. . B 1939, 4 mit Hinweis auf Eun. 1,370 (I 136,8–12 Jaeger); vgl. Eun. 3,7,6 (II 217,3 f.). ¹⁴¹ Z. B. J. R 1973, 109; P. Z 1970, 51 f.; R. S 1988, 52. ¹⁴² Die Passagen sind aufgelistet bei J. R 1973, 109; M. A 1976, 182.185. Das ὑποκείμενον ist hier allerdings stofflich gedacht: τὸ ὑλικὸν τοῦ ὑποκειμένου; ὁ κατὰ τὴν ὕλην ὄγκος.

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Der Widerspruch zwischen hex. 7 und hex. 16 f. läßt sich nicht auflösen. Daß Gregor in hex. 7 und hex. 16 f. zwei verschiedene Beschreibungen der Schöpfung im Anfang bietet, liegt allerdings nicht an einem intellektuellen Unvermögen oder an der unausgeglichenen Berücksichtigung unterschiedlicher philosophischer Traditionen,¹⁴³ sondern daran, daß er Gen 1,1 f. in unterschiedlichen Kontexten auslegt. Indem er in hex. 7 f. und 16 f. jeweils ausgehend von Gen 1,1 f. die Schöpfung im Anfang beschreibt, antwortet er auf zwei unterschiedliche Fragen.¹⁴⁴ Das legt sich bereits von dem Textabstand her nahe, der zwischen hex. 7 f. und 16 f. liegt.¹⁴⁵ Hex. 7 f. antwortet angesichts des Glaubens an den allmächtigen Schöpferwillen auf die Frage, wie das Immaterielle das Materielle schaffen kann, und betont, daß alles augenblicklich und gleichzeitig entstanden ist. Hex. 16 f. beschreibt dagegen die Schöpfung im Anfang als Grundlegung des Alls, in der alles potentiell existiert und die Ausgangspunkt für die Verwirklichung aller Einzeldinge ist. Gregor unterscheidet dabei die augenblickliche und simultane Schöpfung im Anfang und die darauf aufbauende folgerichtige Ausgestaltung, um das Axiom vom allmächtigen Schöpferwillen mit dem Bemühen, den biblischen Bericht von der sukzessiven Entstehung der Welt wörtlich zu lesen, zu verbinden. Gregor unterscheidet damit zwei Formen von γένεσις: einerseits die Entstehung der Welt als (materielle) Grundlegung des Alls durch Gottes Willen aus dem Nichts, andererseits die sukzessive Entstehung aller Einzeldinge, die bereits potentiell in dieser Grundlegung existieren. Gregor vermeidet es größtenteils, diese zweite Form von Entstehung γένεσις zu nennen und bevorzugt Begriffe wie ἀπεργασία (14,22–24), τελείωσις (16,28–30), κατασκευή (36,19), ἀνάδειξις (80,7) oder διασκευή (88,6). Er betont, daß alles im Anfang entstanden ist (γεγενῆσθαι 36,18; vgl. 86,33–35). Die Entstehung im Anfang ¹⁴³ P. Z 1970, 52 ist daher der Ansicht, daß an den wenigen Stellen, an denen Gregor davon spricht, daß Gott ein Aufnahmevermögen für die Qualitäten bzw. Geschöpfe vorher erschaffen habe, diese »traditionelle Ausdrucksweise« gegenüber der inneren Systematik seiner Schöpfungslehre nicht ins Gewicht falle. J. C. M.  W kommt zu dem Schluß, daß Gregor in seiner Auslegung von Gen 1,1 f. ohne Skrupel zwei verschiedene philosophische Materiekonzepte verwendet, die nicht miteinander in Übereinstimmung gebracht werden können (bei M. A 1976, 192). Ähnlich meint J. D, daß Gregor wie so oft zwei verschiedene philosophische Thesen einfach nebeneinander setze, ohne sie in genaue Übereinstimmung zu bringen (bei A, a. a. O., 187 f.). ¹⁴⁴ Das bemerkt bereits J. D, führt es aber auf die Dominanz einmal stoischen und einmal aristotelischen Einflusses zurück (bei M. A 1976, 187 f.). Daß Gregor zwei verschiedene Fragen beantwortet, übersieht R. S 1988, 54, wenn er die Aussagen hex. 16 f. mit hex. 7 zu verbinden sucht. Auf die verschiedenen Kontexte von Gregors Aussagen über die Materie macht auch C. A 2007 aufmerksam. ¹⁴⁵ Bereits M. A 1976, 174 weist hin auf »la distance établie par Grégoire entre la première et la seconde par l’espèce de dislocation du bloc exégétique«. Sie sieht allerdings darin »le façon discontinue dont il [d. h. die Auslegung von Gen 1,1 f. C. K.] est donné« (a. a. O., 160).

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ist die eigentliche γένεσις. Das zeigt sich auch darin, daß er sie als erste bzw. ursprüngliche (πρώτη) Entstehung bezeichnet.¹⁴⁶ Die Vollendung und Ausgestaltung des Alls ist für Gregor nur γένεσις im uneigentlichen Sinne. Sie entspricht formal dem, was in der aristotelischen Tradition Entstehung im eigentlichen Sinne genannt wird: substantielle Entstehung, die Verwirklichung dessen ist, was nicht existiert in dem Sinne, daß es nur τῇ δυνάμει existiert.¹⁴⁷ Aber auch Entstehen ist dabei nach Aristoteles immer Entstehen aus etwas zu etwas. Entstehung ist daher ein Sonderfall von Veränderung, nämlich substantielle Veränderung.¹⁴⁸ Entstehung im absoluten Sinne, d. h. aus dem Nichts, kann es daher nicht geben.¹⁴⁹ Grundlage für alle Veränderungs- und Entstehungsprozesse ist immer ein zugrunde liegendes Substrat, an dem die Dinge entstehen, Veränderungen erleiden und zugrunde gehen.¹⁵⁰ Gregor greift dieses Konzept auf, um die Bildung der Elemente und Einzeldinge im Kosmos von der eigentlichen Entstehung des Alls im Anfang abzuheben. Im Unterschied zum aristotelischen Verständnis von Entstehung als der Verwirklichung zugrunde liegender Potentialität ist für Gregor diese Potentialität nicht voraussetzungslos, sondern von Gott geschaffen. Für Gregor muß daher anders als für Aristoteles eine Theorie der Entstehung vor der Entstehung der Elemente einsetzen.¹⁵¹ Daß Gregor in hex. 16 f. ein ὑποκείμενον einführt, das den Eigenschaften vorausgeht, liegt außerdem daran, daß er den potentiellen ›Zustand‹ der Dinge im Anfang als Mischung aller Eigenschaften beschreibt, die die Grundlage für die Entstehung der Elemente bildet. Die Beschreibung von Mischungszuständen und Umwandlungsprozessen ist aber in der platonisch-aristotelischen Naturphilosophie eng mit der Annahme eines ὑποκείμενον verbunden. So führt Plotin sie geradezu als Beweis dafür an, daß Materie im Sinne eines ὑπο-

¹⁴⁶ Vgl. hex. 24 (36,8 f.): … περὶ τῆς πρώτης τῶν ὄντων συστάσεως …; hex. 64 (80,3): … ἐν τῇ πρώτῃ τῆς αἰσθητῆς κτίσεως … Vgl. hex. 31 (46,23) bezogen auf die Elemente: … τὰ ἴδια μέτρα τῆς πρώτης γενέσεως …, hier allerdings die ursprüngliche Entstehung der Elemente im Unterschied zur Entstehung der Elemente durch Umwandlung ineinander. An zwei Stellen nennt Gregor aber auch die sukzessive Verwirklichung der Einzeldinge γένεσις (18,27; 26,20). ¹⁴⁷ Aristoteles, GC 1,3 (317b); vgl. Ph. 1,8 (191b). ¹⁴⁸ GC 1,4 (319b–320a); vgl. Ph. 1,6–9; Metaph. 7,1 (1042ab). ¹⁴⁹ GC 1,3 (317a). ¹⁵⁰ Zur Debatte um diese traditionelle Interpretation in der Aristotelesforschung siehe zusammenfassend C. J. F. W 1982, 211–219 und exemplarisch Alexander von Aphrodisias, Quaest. 2,13 (58,3–9 Bruns). Daß diese Auffassung auch platonisches Allgemeingut ist, zeigen Aetius, Plac. 1,9 (Dox. Graec. 307 Diels) sowie Plotin, Enn. II 4 (12) 6 (I 188 f. Henry / Schwyzer). ¹⁵¹ Vgl. F. S 1960, 321 über die Ausführungen des Aristoteles zur Entstehung in De caelo und De generatione et corruptione, der u. a. auf Cael. 3,1 (298b); 3,3.6; GC 1,1.3.6; 2,2 verweist und meint: »One initial conviction underlies both works: the theory of genesis must begin with the genesis of the elements«.

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κείμενον existiert.¹⁵² Auch Alexander von Aphrodisias setzt voraus, daß die Umwandlung der Elemente ineinander einer zugrunde liegenden Materie bedarf.¹⁵³ Origenes argumentiert für die Existenz eines zugrunde liegenden Substrats ebenfalls damit, daß überall Umwandlungs- und Mischungsvorgänge beobachtet werden können.¹⁵⁴ Und auch der Platoniker Calcidius führt die Umwandlung der Elemente als ein Zeugnis für die Existenz einer zugrunde liegenden Materie an.¹⁵⁵ Daß Gregor in hex. 16 f. ein ὑποκείμενον der Mischung der Eigenschaften annimmt, erstaunt daher nicht. Damit legt er die philosophische Grundlage, um in seiner Auslegung von Gen 1,3–10 (hex. 10– 15.18–26) die Absonderung der Elemente beschreiben und in hex. 27–63 die Umwandlung der Elemente ineinander behandeln zu können.¹⁵⁶ Daß Gregor eine Konzeption von Materie verwendet, wenn er die Entstehung der körperlichen Welt im Anfang erläutert, und eine andere, wenn er die sukzessive Vollendung aller Einzeldinge schildert, liegt letztlich an dem Grundaxiom, das er in hex. 7 seiner Auslegung des Schöpfungsberichtes voranstellt. Die Schöpfung im Anfang unterscheidet sich kategorial von den Entstehungs- und Umwandlungsprozessen, die auf ihr aufbauen: Sie setzt nur Gottes Schöpferwillen voraus und ist insofern Entstehung aus dem Nichts, als sie nicht bereits potentiell Vorhandenes verwirklicht. Das Materiekonzept, das Gregor entwickelt, um die Erschaffung der körperlichen Welt durch den unkörperlichen Gott denken zu können, ist daher nicht geeignet, die Entstehungs- und Veränderungsprozesse innerhalb der geschaffenen Welt zu beschreiben. Hier wird einmal mehr deutlich, daß Gottes Wirken nicht den Bedingungen und Regeln unterworfen ist, denen die Prozesse in der geschaffenen Welt unterliegen. Gregor versucht allerdings, beide Konzeptionen von Materie aneinander anzunähern, indem er die von Gott geschaffene Potentialität als ungeschiedene Mischung aller Qualitäten beschreibt. Auch das biologische Konzept des ¹⁵² Plotin, Enn. II 4 (12) 6,1–9 (I 188 Henry / Schwyzer): Περὶ δὲ τῆς τῶν σωμάτων ὑποδοχῆς ὧδε λεγέσθω. Ὅτι μὲν οὖν δεῖ τι τοῖς σώμασιν ὑποκείμενον εἶναι ἄλλο ὂν παρ’ αὐτά, ἥ τε εἰς ἄλληλα μεταβολὴ τῶν στοιχείων δηλοῖ. Οὐ γὰρ παντελὴς τοῦ μεταβάλλοντος ἡ φθορά· ἢ ἔσται τις οὐσία εἰς τὸ μὴ ὂν ἀπολομένη· οὐδ’ αὖ τὸ γενόμενον ἐκ τοῦ παντελῶς μὴ ὄντος εἰς τὸ ὂν ἐλήλυθεν, ἀλλ’ ἔστιν εἴδους μεταβολὴ ἐξ εἴδους ἑτέρου· Μένει δὲ τὸ δεξάμενον τὸ εἶδος τοῦ γενομένου καὶ ἀποβαλὸν θάτερον. ¹⁵³ Alexander von Aphrodisias, Quaest. 2,13 (58,20–30 Bruns). ¹⁵⁴ Origenes, princ. 4,4,6 (357,16–28 Koetschau). ¹⁵⁵ Siehe Calcidius, in Ti. 317 (313,5–7 Waszink): Quod vero sit universi corporis fomes et prima subiectio, facile probatur ex elementorum in se conversione mutua et ex qualitatum inconstanti mutatione. Vgl. den Abschluß des Gedankens in in Ti. 318 (314,13–16). Die Verbindung klingt auch an in 274 (279,5 f.); 299 (301,16 f.); 323 (318,7 f.). ¹⁵⁶ M. A 1976, 182 meint, daß Gregor mit seiner Auslegung von Gen 1,1 f. in hex. 16 f. seinen Einspruch gegen die Elementenlehre des Basilius vorbereitet. Damit weist sie in die richtige Richtung, auch wenn ihre Annahme, daß Gregor sich damit vor allem gegen Basilius’ Rezeption der stoischen Ekpyrosis-Lehre wende (vgl. E. C 1957), nicht zutrifft.

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Samens, auf das er einerseits terminologisch durch die Begriffe καταβάλλειν und καταβολή anspielt und das er andererseits heranzieht, indem er die Schöpfung im Anfang mit einem samenhaften Vermögen vergleicht, dient dazu, die zeitlose Entstehung des Kosmos im Anfang und dessen sukzessive Vollendung in der Zeit zusammenzuführen und nicht in getrennte Schöpfungsakte auseinanderfallen zu lassen. d) Gen 1,1 f.: Die Schöpfung im Anfang (Zusammenfassung). Gregor beschreibt die Schöpfung im Anfang, von der Gen 1,1 f. handelt, in den Kapiteln 7–17 seiner Hexaemeronauslegung mehrmals. Allen Aussagen gemeinsam ist, daß nach ihnen die Schöpfung augenblicklich, zusammenfassend und gemeinsam mit dem göttlichen Willensentschluß ins Dasein getreten ist und mit ihr die sichtbare Welt einem Same vergleichbar im Status der Potentialität vorliegt. Diese Grundlegung der Welt im Anfang ist unkörperlich, unausgedehnt und zeitlos; sie stellt aber den Ausgangspunkt für die dynamische Entwicklung der körperlichen Welt in Raum und Zeit dar. Gregor bezeichnet die Grundlegung im Anfang als οὐσία τῶν ὄντων, die gleichsam der substanzgewordene Schöpferwille Gottes ist.¹⁵⁷ Sie ist die Gesamtheit der Anfangsgründe, Ursachen und Kräfte der sichtbaren Welt. Anstelle von οὐσία kann Gregor die Schöpfung im Anfang auch als φύσις bezeichnen.¹⁵⁸ Johannes Zachhuber gibt einen wichtigen Hinweis für das Verständnis dieser Passagen, wenn er die Schöpfung im Anfang bei Gregor als die unterste Ebene des intelligiblen Seins betrachtet.¹⁵⁹ Diese Stellung der Grundlegung im Anfang weist Berührungen zum neuplatonischen Konzept der φύσις auf. Diese ist eine unkörperliche, aber von den Körpern untrennbare Substanz, die in sich die rationalen Prinzipien und Kräfte der Körperwelt enthält. Durch diese erzeugt und lenkt sie die sichtbare Welt. Sie ist ein Mittleres zwischen der Seele und den Körpern und stellt die unterste der intelligiblen Ursachen dar, die das Körperliche und sinnlich Wahrnehmbare erschaffen. Sie ist gleichsam die Grenze zwischen intelligiblem und körperlichem Sein.¹⁶⁰ ¹⁵⁷ Siehe anim. et res. (PG 46, 124b; Text in Anm. 64). ¹⁵⁸ Zur Verwendung von οὐσία und φύσις bei Gregor siehe J. Z 2000, 73 f.;

. 2007a, 433–435; . 2007b. Das Gregor in dem skizzierten kosmologischen Zusammenhang beide Begriffe fast als Synonyme gebraucht, geht besonders deutlich aus anim. et res. (PG 46, 124b) hervor (siehe Anm. 64). Die synonyme Verwendung von οὐσία und φύσις bei Gregor erklärt die bisher schwer verständliche Aussage an dieser Stelle, wo es heißt, daß der Plan Gottes substantielles Sein annimmt, wobei er sofort Natur wird. Der Artikel vor φύσις braucht nicht, wie K vorschlägt, getilgt zu werden. Der Artikel soll deutlich machen, daß φύσις hier die Bedeutung von substantiellem Wesen hat. ¹⁵⁹ J. Z 2000, 148–154. ¹⁶⁰ So Plotin, Enn. IV 4 (28) 13,3–5 (II 188 Henry / Schwyzer): Die φύσις ist ein ἔσχατον. Von ihr heißt es: ἴνδαλμα γὰρ φρονήσεως ἡ φύσις καὶ ψυχῆς ἔσχατον ὂν ἔσχατον καὶ τὸν ἐν αὐτῇ ἐλλαμπόμενον λόγον ἔχει, … Über die Stellung der Natur zwischen (oberer) Seele und

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Bedeutsam ist, daß die οὐσία τῶν ὄντων bei Gregor wie die neuplatonische φύσις ontologisch den Körpern vorangeht, insofern sie deren intelligible Ursachen enthält, tatsächlich aber nicht getrennt von den Körpern existiert. Dieser enge Zusammenhang von intelligibler οὐσία bzw. φύσις und materieller Körperlichkeit (ὕλη) schlägt sich deutlich in Gregors Äußerungen über die Schöpfung im Anfang nieder. So spricht er in hex. 7 parallel über die Erschaffung der οὐσία τῶν ὄντων und die Entstehung der ὕλη. Sagt Gregor in hex. 7 (12,30– 14,5), daß Gott die οὐσία aller Dinge schafft, indem er deren Anfangsgründe und Ursachen denkt, so formuliert er in 7 (14,22–29), daß Gott die Qualitäten zugrunde legt, durch deren Zusammentreten die materielle Körperlichkeit entsteht. In hex. 9 (16,15–19.20–28) heißt es wiederum, daß in der Grundlegung der Qualitäten die οὐσία aller Dinge zusammenkommt. Sprachlich und gedanklich unterscheidet Gregor die Grundlegung der Qualitäten, d. h. die Erschaffung bzw. das Zusammentreten der οὐσία, von dem Zusammentreten der Qualitäten und der Entstehung der materiellen Körperlichkeit. Daß diese zwei Aspekte im zeitlosen Moment des Anfangs zwar ontologisch, nicht aber zeitlich unterschieden sind, drückt sich anschaulich darin aus, daß Gregor die Schöpfung im Anfang sowohl als Grundlegung der intelligiblen οὐσία als auch als materiell-körperliche Grundlegung (ὑλικὴ καταβολή) des Kosmos bezeichnen kann. Gregor betrachtet die Schöpfung im Anfang in seiner Auslegung von Gen 1,1 f. zum einen aus der Perspektive der von Gott geschaffenen intelligiblen οὐσία bzw. φύσις, welche die Ursachen und Kräfte der sichtbaren Welt enthält und den dynamischen Ausgangspunkt ihrer Entfaltung darstellt, zum anderen aus der Perspektive der materiellen Körperlichkeit, die durch diese intelligiblen Ursachen konstituiert wird. Die Perspektive der materiellen Grundlegung, die er als undifferenzierte Materiemischung im Sinne einer Mischung aller Qualitäten beschreibt, dient ihm dann als Ausgangspunkt, um die weitere Ausge-

Körperwelt siehe 13,19–22 (II 190 H. / S.): τὸ δὲ ἐξ αὐτῆς ἐμφαντασθὲν εἰς ὕλην φύσις, ἐν ᾗ ἵσταται τὰ ὄντα … καὶ ἔστιν ἔσχατα ταῦτα τοῦ νοητοῦ· ἤδη γὰρ τὸ ἐντεῦθεν τὰ μιμήματα. Die Natur als letztes Intelligibles steht zwar still, sie bewegt sich aber gleichzeitig bereits in der Materie (Enn. II 3 [52] 18,8–16 [I 183 H. / S.]). Proclus faßt später in der Einleitung seines Timaeuskommentars in Ti. I 10,13–22 (Diels) den neuplatonischen Begriff der φύσις zusammen: ὁ δὲ γε Πλάτων … ἐν μέσῳ δὲ ἀμφοῖν τὴν οὐσίαν αὐτῆς θέμενος, ψυχῆς λέγω καὶ τῶν σωματικῶν δυνάμεων … ὑπερέχουσαν δὲ τῶν μετ᾽ αὐτὴν τῷ λόγους ἔχειν τῶν πάντων καὶ γεννᾶν πάντα καὶ ζωοποεῖν, τὴν ἀκριβεστάτην περὶ αὐτῆς θεωρίαν ἡμῖν παραδέδωκε … ἡ μὲν γὰρ φύσις τῶν σωμάτων ἐστί, δύνουσα κατ᾽ αὐτῶν καὶ οὖσα ἀχώριστος ἀπ᾽ αὐτῶν, … Vgl. 11,9–20: ἡ τοίνυν φύσις ἐσχάτη μέν ἐστι τῶν τὸ σωματοειδὲς τοῦτο καὶ αἰσθητὸν δημιουργούντων αἰτίων καὶ τὸ πέρας τοῦ τῶν ἀσωμάτων οὐσιῶν πλάτους, πλήρης δὲ λόγων καὶ δυνάμεων, δι᾽ ὧν κατευθύνει τὰ ἐγκόσμια, καὶ θεὸς μέν, … ποδηγετοῦσα δὲ τὸν ὅλον κόσμον ταῖς ἑαυτῆς δυνάμεσι … 12,26 f.: Ἐπειδὴ τοίνυν εἴρηται, τις ἡ κατὰ Πλάτωνα φύσις, ὅτι οὐσία ἀσώματος, ἀχώριστος σωμάτων, λόγους ἔχουσα αὐτῶν, …

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staltung der Welt als einen Prozeß fortschreitender Entmischung zu beschreiben.

2.2. Auslegung von Gen 1,3–14: Die geordnete Vollendung der Schöpfung in der Zeit (κατασκευή) Gregor unterscheidet die ursprüngliche Entstehung des Alls in der (stofflichen) Grundlegung von der sukzessiven Ausgestaltung. Er trennt sie aber nicht als isolierbare Einzelakte voneinander ab. Es ist daher nicht sachgemäß, von einer doppelten Schöpfung bei Gregor zu sprechen.¹⁶¹ Davor warnt bereits Gregor selbst, indem er in hex. 8 die Schöpfung im Anfang mit einem Punkt und die sukzessive Ausgestaltung mit einer Linie vergleicht und so deutlich macht, daß mit der augenblicklichen und zeitlosen Grundlegung sogleich die Ausgestaltung des Alls beginnt.¹⁶² Die Grundlegung des Alls ist ausgerichtet auf die Vollendung, wie die zahlreichen finalen Formulierungen zeigen: πρὸς τὴν ἀπεργασίαν τῶν ὄντων (14,24); πρὸς τὴν τελείωσιν (16,28); πρὸς τὴν τοῦ παντὸς γένεσιν (26,20); πρὸς τὴν ἑκάστου τῶν στοιχείων ἀνάδειξιν (80,1 f.). Die Beschreibung der Schöpfung im Anfang und die Schilderung ihrer sukzessiven Vollendung gehen daher in Gregors Darstellung nahtlos ineinander über.¹⁶³ 2.2.1. Die Grundlegung der folgerichtigen Ordnung im Anfang (hex. 9) a) Die Natur als Gottes immanente Kraft und Weisheit. Daß die sukzessive Vollendung des Kosmos durch die Ausgestaltung der Einzeldinge unauflöslich mit der Grundlegung des Alls verbunden ist, zeigt sich besonders darin, daß das Prinzip der Vollendung im Anfang mit grundgelegt ist: Der Kraft und der Weisheit aber, die mit [den Ausgangspunkten, den Ursachen und den Kräften aller seienden Dinge] zugrunde gelegt wurden, folgte zur Vollendung jedes einzelnen Teils des Kosmos eine gewisse notwendige Verknüpfung in einer bestimmten Ordnung, so daß etwas Bestimmtes der Dinge, die im All betrachtet werden, den ande¹⁶¹ Eine doppelte Schöpfung nehmen z. B. an J. B 1971, 120; F. D 1896, 224 f.227; R. L 1951, 82; L. F. M-S 2007, 161 f.: »la prima creazione sarebbe il piano divino esistente nell’eterna elezione divina; la seconda creazione è l’esecuzione di questo piano.« (a. a. O., 162). Dieser Auffassung haben bereits mit Recht widersprochen: P. Z 1970, 51 f.; F. X. R 1999, 147 Anm. 120. ¹⁶² Daß sofort mit der (stofflichen) Grundlegung die Aussonderung der Elemente aus der Mischung beginnt, geht aus hex. 10 (18,25–29); 14 (24,3–6); 65 (80,11–15) und besonders 74 (88,26 f.) hervor. ¹⁶³ Siehe hex. 9: 16,20–28 (καταβολή) – 16,28–18,7 (Ordnung πρὸς τὴν τελείωσιν); hex. 10: 18,22–25 (Zustand der καταβολή bzw. τοῦ παντὸς ὑπόστασις) – 18,25–29 (Sonderung des Feuers).

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ren vorauseilte und sich zuerst zeigte und so nach jenem das, was notwendigerweise dem Vorausgegangenen nachfolgt, und nach diesem ein drittes, wie es die künstlerische Natur erzwang, und ein viertes und ein fünftes und die übrigen der Reihenfolge nacheinander.¹⁶⁴

Die stoffliche Grundlegung im Anfang enthält die Kraft und Weisheit, die auf die Vollendung der einzelnen Kosmosteile gerichtet ist. Die Kraft und Weisheit Gottes, die nach hex. 7 die transzendente Voraussetzung für die Entstehung der körperlichen Welt ist, ist demnach zugleich der Schöpfung immanent: Der schöpferische Plan Gottes wird realisiert, indem die Schöpfung im Anfang als substanzgewordener Wille Gottes ins Sein tritt. Dieser Plan bleibt dabei der Schöpfung als Kraft inhärent. In diesem Sinne identifiziert Gregor die Kraft und Weisheit Gottes in Z. 33 mit der künstlerischen Naturkraft. Die Naturkraft ist somit das dynamische Element der intelligiblen οὐσία bzw. φύσις, die im Anfang grundgelegt wurde.¹⁶⁵ Bedenkt man, daß Gregor unter Natur sowohl die zusammenfassende Schöpfung im Anfang als auch das immanente Prinzip des Kosmos versteht, so zeigt sich, daß sich sein Verständnis von φύσις an beiden Punkten mit einer neuplatonischen Konzeption von φύσις berührt. Für Platoniker ist φύσις die unterste intelligible Ursache, die durch die ihr einliegenden rationalen Prinzipien der Körperwelt den Kosmos erzeugt, belebt und lenkt. In der Abhängigkeit von den übergeordneten vernünftigen Prinzipien, denen sie die ihr einliegenden Ursachen und Kräfte verdankt, hat sie Anteil an der Kunstfertigkeit des demiurgischen Intellekts und ist in gewisser Weise göttlich.¹⁶⁶ Gregors Konzept der φύσις unterscheidet sich freilich von den Platonikern darin, daß er φύσις in ihren beiden Aspekten als Geschöpf auffaßt. Anders als die Platoniker versteht er die innere Dynamik des Kosmos außerdem als eine geordnete und folgerichtige Entwicklung, die ausgehend von einem Anfang auf ein festgesetztes Ziel zuläuft. Die Naturkraft ist nach hex. 9 das Prinzip einer notwendigen, geordneten Verknüpfung (εἱρμός), in der sich der Kosmos Schritt für Schritt entfaltet und nacheinander die Elemente und Einzeldinge im Kosmos hervortreten. Die geordnete Reihenfolge ist unumstößlich: Sie ist notwendig, von der Naturkraft erzwungen, die folgerichtig von einem zum nächsten voranschreitet (βαδίζουσα 38,2), so daß die einzelnen Dinge im Kosmos in einer gewissen natürlichen Ordnung sichtbar werden. Diese Ordnung folgt der Weisheit, die den Dingen eingelegt ist (78,33–80,2.6 f.). Folgerichtigkeit (ἀκολουθία) und Notwendigkeit ¹⁶⁴ Hex. 9 (16,28–18,2): τῇ δὲ συγκαταβληθείσῃ δυνάμει τε καὶ σοφίᾳ πρὸς τὴν τελείωσιν ἑκάστου τῶν μορίων τοῦ κόσμου, εἱρμός τις ἀναγκαῖος κατά τινα τάξιν ἐπηκολούθησεν, ὥστε προλαβεῖν μὲν καὶ προεκφανῆναι τῶν ἄλλων τόδε τι τῶν ἐν τῷ παντὶ θεωρουμένων, καὶ οὕτω μετ’ ἐκεῖνο, τὸ ἀναγκαίως τῷ προλαβόντι ἑπόμενον, καὶ ἐπὶ τούτῳ τρίτον, ὡς ἡ τεχνικὴ συνηνάγκαζε φύσις· τέταρτόν τε καὶ πέμπτον καὶ τὰ λοιπὰ τῆς κατὰ τὸ ἐφεξῆς ἀκολουθίας, … [Einfügung in der Übersetzung von mir]. ¹⁶⁵ So bereits J. Z 2000, 152. ¹⁶⁶ Proclus, in Ti. I 8,5–9; 11,9–14; 12,10–25 (Diels).

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(ἀνάγκη) setzt Gregor gleich¹⁶⁷ und bindet beide an Gottes Plan und Weisheit. Er verwendet in diesem Zusammenhang die Begriffe ἀκολουθία, εἱρμός und τάξις fast als Synonyme und bezieht sie wechselseitig aufeinander. Während Gregor an anderer Stelle sagt, daß die künstlerische Weisheit darauf zielt, in folgerichtiger Ordnung alle Dinge mit der göttlichen Natur zu vereinen,¹⁶⁸ betont er in der Apologia die Ordnung und Folgerichtigkeit selbst. Daß Gregor die Natur als künstlerisch, weise und planvoll voranschreitend charakterisiert, erstaunt nicht. Denn wenn sie die Weisheit und Schöpferkraft Gottes ist, die der Schöpfung einliegt, kann sie nicht als vernunftlose Kraft aufgefaßt werden, sondern muß wie Gott selbst als künstlerisch und weise gedacht werden. Jean Danièlou hat auf die inhaltlichen und terminologischen Ähnlichkeiten hingewiesen, die in Gregors Ausführungen zu stoischen Beschreibungen der Naturkraft und der Heimarmene bestehen.¹⁶⁹ Die Berührungen treten noch deutlicher hervor, wenn man sich das alternative Naturkonzept eines Aristotelikers wie Alexander von Aphrodisias vor Augen führt. Alexander von Aphrodisias hält die Naturkraft zwar für die Urheberin einer geordneten und zielgerichteten, notwendig aufeinander aufbauenden Folge von Bewegungen. Er stellt sie aber als irrationale Ursache der Kunstfertigkeit (τέχνη) gegenüber: Die Natur wirkt, ohne zu denken oder sich zu beraten. Die Naturkraft ist für ihn in gewisser Weise ein blindes, mechanisches Prinzip, das seine teleologische Ausrichtung von der ewigen Bewegung der Himmelskörper bzw. durch diese vermittelt vom ersten Beweger empfängt. Alexander vergleicht die Bewegungen der Natur daher mit denen eines Marionettentheaters¹⁷⁰, die nacheinander ablaufen, sobald die erste ausgelöst wird.¹⁷¹ Anders ¹⁶⁷ Zur Gleichsetzung von ἀκολουθία und ἀνάγκη siehe J. D 1953, 244. ¹⁶⁸ J. D 1953, 228 weist auf anim. et res. (PG 46, 105a) hin. ¹⁶⁹ Siehe J. D 1953, 245–247, der ausführlich mit Zenons Ausführungen zur

Natur vergleicht (nach Cicero, nat. deor. 2,21,57 f. [71,7–18 Plasberg / Ax] = SVF I 171). ¹⁷⁰ Der Vergleich mit einem Marionettentheater geht auf Aristoteles, GA 2,1 (734b9–16) zurück. Dort bezieht er sich auf die Entstehung eines Lebewesens aus Samen. Alexander führt den Vergleich an bei Simplicius, in Ph. I 311,7 f.; 314,5 (Diels). ¹⁷¹ Nach Aristoteles handelt die Natur ohne Überlegung (Ph. 2,8 [199a17 f.]). Daran knüpft Alexander von Aphrodisias an. Nach ihm ist die Natur zwar Ursache geordneter Bewegung. Das, was von Natur aus ist, ist nicht durch Zufall oder selbsttätig entstanden. Die Natur ist aber im Unterschied zur Kunstfertigkeit eine irrationale Kraft. Zu Alexanders Bestimmung der Naturkraft siehe in Metaph. 103,35–104,15 f. (Hayduck); Prov. 78,17–80,12 (Übersetzung Ruland). In seinem Physikkommentar, aus dem Simplicius Fragmente erhalten hat, skizziert Alexander das gleiche Konzept (bei Simplicius, in Ph. I 310,25–311,36 [Diels]). Alexanders Ausführungen zur Natur richten sich gegen die Stoiker (so auch W. E. D 1989, 140 Anm. 302), wie mehrere Texte zeigen: z. B. Mixt. 225,18–27 (139–141 Todd); die deutlich anti-stoische Ausrichtung der Darstellung in Prov. 78,17–84,8, in der Alexander den Unterschied zwischen der Naturkraft und einem Künstler betont. Wahrscheinlich hat er außerdem auch das Naturkonzept seines Zeitgenossen Galen im Blick (C. G 1984, 113). Alexander erklärt im Physikkommentar genauer den quasi-rationalen Charakter der Natur, wie er sich in ihrem teleologischen Wirken äußert (in der diskutierenden Paraphrase

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als die Stoiker identifiziert er die Natur aber nicht mit der ἀνάγκη, weil Dinge, die von Natur aus entstehen, auch gehindert werden oder sich in alternative Richtungen entwickeln können.¹⁷² Gregor teilt diese Konzeption von φύσις, wie Alexander sie vertritt, nicht. Weil die Natur Gottes allmächtige Schöpferkraft und Weisheit in den Dingen ist, muß sie als weise und künstlerische Kraft gedacht werden, die eine notwendige und unumstößliche Ordnung wirkt. Gregor könnte daher der Kritik Galens am Naturbegriff des Alexander zustimmen. Galen weist die aristotelische Charakterisierung der Naturkraft vehement zurück, weil aus ihr folge, daß der Entwicklungsprozeß nahezu unabhängig von der Kraft verläuft, die ihn ausgelöst hat, und diese Kraft keine Einsicht in das hat, was sie schließlich bewirkt. Damit ist der Gedanke einer göttlichen Vorsehung für die einzelnen Entwicklungsschritte obsolet. Galen stellt in diesem Zusammenhang Alexanders Naturverständnis sogar neben die epikureische Naturbetrachtung.¹⁷³ Gregor steht wie Galen an diesem Punkt dem stoischen Naturbegriff näher.¹⁷⁴ Es ergeben sich jedoch auch zum stoischen Naturverständnis Unterschiede, wie ein Vergleich mit der Naturdefinition Zenons zeigt.¹⁷⁵ Im Unterschied zu den Stoikern faßt Gregor die Naturkraft nicht materiell auf. Anders als Zenon schreibt er außerdem Vorsehung, Willensbewegungen und Absichten nicht der Natur, sondern Gott zu.¹⁷⁶ Gottes Weisheit und Kraft ist der des Simplicius, in Ph. I 312–314 erhalten; siehe dazu P. M 1984, 137–142; G, a. a. O., 118–120). Dabei sieht er das Problem, wie die Natur als eine irrationale Ursache Werke κατὰ λόγον hervorbringen kann, und präzisiert daher: Die Naturkraft ist die irrationale Mitursache. Hauptursachen für Werden und Vergehen sind die vernünftigen Himmelsbewegungen bzw. letztlich der göttliche Intellekt (vgl. Alexander von Aphrodisias, in Metaph. 104,3–16 [Hayduck]). Indem Alexander die Natur als Mitursache auffaßt, deren teleologische Ausrichtung letztlich auf den ersten Beweger zurückzuführen ist, schafft er eine Verbindung zwischen dem Ewigen und dem sich ständig verändernden sublunaren Bereich, deren Fehlen bereits Theophrast bei Aristoteles kritisiert hat (Theophrast, Metaph. 4a9–17 [2 f. Laks / Most]; dazu G, a. a. O., 110). Damit bewegt sich das aristotelische Naturkonzept auf das platonische zu. Die Natur ist nach Alexander eine Kraft »von den Göttern« (Prov. 76,1 f.11–14), ein Abkömmling der Götter (Prov. 80,15 f.), eine göttliche Kraft, die von der Bewegung der göttlichen Himmelskörper und damit letztlich vom ersten Beweger ausgeht (Prov. 34,1–52,6). Alexander kann sie auch als Seele bezeichnen (Prov. 76,16). ¹⁷² Alexander stellt die Natur der Notwendigkeit z. B. in Fat. 6 (169,29 Bruns) gegenüber. Siehe dazu R. W. S 1983a, 130. ¹⁷³ Galen, Foet. Form. 6,4 f. (92,14–94,2 Nickel); 6,12 (96,15 f.). ¹⁷⁴ Zu Galens Naturbegriff, der die Natur für weise, künstlerisch und göttlich hält und zwischen φύσις als immanentem Prinzip und φύσις als Synonym für eine transzendente göttliche Schöpfergröße nicht immer trennscharf unterscheidet, siehe die Untersuchung von F. K 2001. ¹⁷⁵ Siehe Zenons Ausführungen zur Natur (bei Cicero, nat. deor. 2,21,57 f. [71,7–18 Plasberg / Ax] = SVF I 171). Zu dieser Definition als Zusammenfassung der stoischen Kosmologie und ihrem Verhältnis zu Aristoteles siehe D. E. H 1977, 200–215. ¹⁷⁶ Siehe dazu Kapitel 2.1.1.a. Die Befehlsworte des Schöpfungsberichts zeigen die Ordnung der Natur bzw., daß Gottes Weisheit alles vorausbedacht hat. Die Naturordnung ist ein Zeichen für Gottes ἐνέργεια und πρόνοια (hex. 13 [22,17–23]).

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Schöpfung als weise und künstlerische Natur zwar immanent, sie ist aber als Gottes Weisheit-an-sich und Kraft-an-sich zugleich der Schöpfung transzendent.¹⁷⁷ Insofern die Natur in ihren geordneten Werken über sich hinaus auf eine transzendente Ursache weist, verläßt Gregor den stoischen Rahmen. Die Natur ist nach Gregor zwar die Kraft Gottes, die der Welt immanent ist; sie ist aber nicht, wie für die Stoiker, identisch mit Gott.¹⁷⁸ Gregor interpretiert daher auch den Gedanken des εἱρμός anders als die Stoiker. Die einzelnen Elemente und Kosmosteile treten zwar in unverrückbarer Reihenfolge hervor; das vorangehende Glied stellt aber nicht die notwendige Ursache des nachfolgenden Gliedes dar. Das zeigt sich besonders darin, daß nach Gregor die Elemente nicht wie für die Stoa auseinander entstehen, so daß ein Element Ursache des nachfolgenden ist, sondern daß die Ausgangspunkte, Ursachen und Kräfte jedes Elementes von Gott im Anfang geschaffen werden. Gregor meint daher mit εἱρμός bzw. ἀκολουθία anders als die Stoa keine Abfolge von Ursachen, sondern eine Abfolge der Phänomene, die von der Naturkraft zwar koordiniert werden, aber in Gottes transzendentem Schöpferwillen ihre Ursache haben.¹⁷⁹ Indem Gregor den transzendenten Ursprung der Naturkraft betont, steht er erneut dem neuplatonischen Naturkonzept nahe. Bereits Plotin betonte gegenüber den Stoikern, daß die Natur keine selbstgenügsame Kraft ist, sondern von übergeordneten, transzendenten Ursachen (Weltseele; Intellekt) abhängt.¹⁸⁰ Aus einem ähnlichen Grund verwirft er die aristotelische mechanistische Auffassung vom Wirken der Naturkraft, betont ihren dynamischen, logosähnlichen Charakter und schreibt ihr als unterster demiurgischer Kraft eine gewisse Fähigkeit zur θεωρία zu.¹⁸¹ Als unterste Kraft wirkt sie freilich nur abbildhaft und schwach. Plotin spricht daher der φύσις an einigen Stellen Weisheit und Denken ab und betont, daß sie ohne Denken und Schau nur wirkt, weil eine

¹⁷⁷ Zu ἡ αὐτοσοφία und ἡ αὐτοδύναμις siehe hex. 9 (18,10 f.). ¹⁷⁸ Siehe SVF II 1027 = Long / Sedley 46A: οἱ Στωικοὶ νοερὸν θεὸν ἀποφαίνονται, πῦρ

τεχνικὸν ὁδῷ βαδίζον ἐπὶ γενέσει κόσμου, … ¹⁷⁹ Siehe das stoische Verständnis des εἱρμός als εἱρμὸς αἰτιῶν: SVF II 917 (265,36 f. von Arnim): οἱ Στωϊκοὶ εἱρμὸν αἰτιῶν, τουτέστι τάξιν καὶ ἐπισύνδεσιν ἀπαράβατον (sc. τὴν εἱμαρμένην). II 918 (265,39–266,3): εἰ δὲ ἡ εἱμαρμένη εἱρμός τις οὖσα αἰτιῶν ἀπαράβατος· οὕτω γὰρ αὐτὴν οἱ Στωϊκοὶ ὁρίζονται· (τουτέστι τάξιν καὶ ἐπισύνδεσιν ἀπαράλλακτον) οὐ κατὰ τὸ συμφέρον, ἀλλὰ κατὰ τὴν οἰκείαν κίνησιν καὶ ἀνάγκην ἐπάγει τὰ τέλη. II 920 (266,8–11): ἀλλὰ μὴν ὁμολογεῖται πάντα τὰ καθ’ εἱμαρμένην γιγνόμενα κατὰ τάξιν καὶ ἀκολουθίαν γίγνεσθαί τινα καί τι ἐφεξῆς ἔχειν ἐν αὑτοῖς. – εἱρμὸν γοῦν αἰτίων αὐτήν φασιν εἶναι; II 921 (266,12–14): Fatum autem id appello, quod Graeci εἱμαρμένην, id est ordinem seriemque causarum, cum causa causae nexa rem ex se gignat. ¹⁸⁰ Plotin, Enn. IV 7 (2) 8³,9–11 (II 204 Henry / Schwyzer); II 3 (52) 18,8–13 (I 183 H. / S.). Vgl. Proclus, in Ti. I 10,13–12,30 (Diels). Zu Plotins Naturbegriff siehe zusammenfassend J. L 1992, 189–226. ¹⁸¹ Plotin, Enn. III 8 (30) 1,22–24; 2,22.28–34 (I 396 f. Henry / Schwyzer).

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höhere Ursache ihr den Anstoß dazu gegeben hat.¹⁸² Weil Gregor das Verhältnis zwischen sichtbarer Welt und intelligibler Wirklichkeit nicht als ein Verhältnis zwischen Urbild und Abbild auffaßt, versteht er anders als Plotin und die späteren Platonikern die Naturkraft nicht als ewigen abbildhaften, untersten Ausfluß höherer Ursachen, sondern als weise und künstlerische Kraft Gottes, die im Moment der Schöpfung grundgelegt wurde und nun alle Bereiche der Welt unmittelbar lenkt. Die Charakteristika, die Gregors Naturkonzept gegenüber den stoischen, aristotelischen oder neuplatonischen Konzeptionen von φύσις aufweist, hängen mit der grundlegenden Definition der Naturkraft zusammen, die er in der Apologia bietet: Die Naturkraft ist die in der Schöpfung im Anfang grundgelegte Weisheit und Kraft des transzendenten Schöpfergottes, welche die sukzessive Ausgestaltung der Welt lenkt und auf Gott verweist. In dieser Verbindung von platonischen und stoischen Elementen ähnelt Gregors Konzeption strukturell dem Naturbegriff Philos.¹⁸³ b) Die Abgrenzung gegenüber einer atomistisch-epikureischen Kosmologie. Indem Gregor das Wirken der weisen und künstlerischen Naturkraft hervorhebt, richtet er sich gegen eine atomistisch-epikureische Kosmologie. Seiner Ansicht nach traten die sichtbaren Dinge in notwendiger und folgerichtiger Ordnung in Erscheinung, nicht durch irgendeinen selbsttätigen Zufall in einem ungeordneten und zufälligen Lauf, sondern wie die notwendige Ordnung der Natur das Folgerichtige bei den gewordenen Dingen fordert, so entstand ein jedes, sagt er [d. h. Mose], indem er in Form einer Erzählung über die Naturlehren philosophierte und gewisse Befehlsstimmen Gottes für jedes der werdenden Dinge vorher bekanntmachte. Schön und Gott angemessen tut er dieses, denn alles, was einer bestimmten Verknüpfung und Weisheit folgend entsteht, ist gerade eine Stimme Gottes. Denn wir erkennen nicht, wie wohl das Wesen Gottes ist. Nachdem wir aber die Weisheit-an-sich und die Kraft-an-sich mit der Vernunft ergriffen haben, glauben wir, Gott im Denken erfaßt zu haben.¹⁸⁴ ¹⁸² Plotin, Enn. III 8 (30) 4,15–31 (I 399 Henry / Schwyzer); IV 4 (28) 13,7–12 (II 88 H. / S.); II 3 (52) 17 (I 182 f. H. / S.). ¹⁸³ Philos Naturbegriff weist ähnliche Berührungen und Unterschiede zum stoischen Naturkonzept wie Gregors auf. Philo unterscheidet auf ähnliche Weise den transzendenten Gott und dessen immanente Kraft bzw. immanente Kräfte, die er u. a. mit der Natur identifiziert. Er kann allerdings in Spitzenaussagen die Natur auch als autonomes Prinzip mit Gott gleichsetzen. Philos Verständnis oszilliert zwischen einem kosmologischen und einem theologischen Naturbegriff (dazu V. N 1977, 150 f. Anm. 84). ¹⁸⁴ Hex. 9 (18,2–12): … οὐκ αὐτομάτῳ τινὶ συντυχίᾳ, κατά τινα ἄτακτον καὶ τυχαίαν φοράν, οὕτως ἀναφαινόμενα· ἀλλ’ ὡς ἡ ἀναγκαία τῆς φύσεως τάξις ἐπιζητεῖ τὸ ἐν τοῖς γινομένοις ἀκόλουθον, οὕτως ἕκαστα γεγενῆσθαί φησιν, ἐν διηγήσεως εἴδει περὶ τῶν φυσικῶν δογμάτων φιλοσοφήσας, καὶ φωνάς τινας τοῦ Θεοῦ προστακτικὰς ἑκάστου τῶν γινομένων προγράφων· καλῶς καὶ θεοπρεπῶς καὶ τοῦτο ποιῶν· πᾶν γὰρ τὸ καθ’ εἱρμόν τινα καὶ σοφίαν γινόμενον, Θεοῦ τις ἄντικρύς ἐστι φωνή· διότι Θεοῦ μὲν οὐσίαν ἥτις ἐστίν, οὐ γινώσκομεν· τὴν δὲ αὐτοσοφίαν καὶ τὴν αὐτοδύναμιν ἐν νῷ λαβόντες, τὸ Θεὸν ἀνειληφέναι τῇ διανοίᾳ

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Den exegetischen Anhaltspunkt, eine von Gott der Schöpfung eingelegte Naturordnung anzunehmen, entnimmt Gregor den Befehlsworten, die den Schöpfungsbericht strukturieren.¹⁸⁵ Alles, was καθ’ εἱρμόν τινα καὶ σοφίαν geschieht, sieht er daher an Gott gebunden. Gregor nutzt dabei, daß das griechische Wort λόγος mehrere Bedeutungen hat. So legt er das Befehlswort Gen 1,3 folgendermaßen aus: Was aber dem Wesen der Weisheit gemäß durch die Kraft des Schöpfers entstand, wurde von Mose als Befehlswort Gottes erwähnt: »Gott sprach, es werde Licht, und es ward Licht.« Denn bei Gott ist, nach unserer Meinung jedenfalls, das Werk vernünftiges Wort, weil alles, was wird, durch ein vernünftiges Wort wird, und nichts Unvernünftiges / Wortloses und irgendwie Zufälliges und Selbsttätiges in dem gedacht wird, was von Gott her ins Dasein gebracht ist. Man muß vielmehr glauben, daß jedem einzelnen der seienden Dinge gewissermaßen ein weises und kunstfertiges Wort innewohnt, auch wenn es gewaltiger ist als unser Gesichtssinn.¹⁸⁶

Der göttliche Schöpfungsbefehl ist ein vernünftiges Wort und wirkt ein vernünftiges Werk, das auf seine vernünftige Ursache zurückweist. Die göttliche Anordnung ist nach einer zentralen Regel der antiken Textinterpretation Gott angemessen (θεοπρεπῶς) aufzufassen,¹⁸⁷ d. h. nicht anthropomorph als tatsächlich gesprochenes Wort zu denken, sondern mit der künstlerischen Naturkraft zu identifizieren, die den Dingen einliegt und jedes Seiende zur Verwirklichung führt.¹⁸⁸ Umgekehrt ist alles, was geordnet, d. h. λόγῳ, entsteht, wie πιστεύομεν. Zur Übersetzung der Zeilen 9–12 siehe J. C. M.  W 1999, 433. [Einfügungen in der Übersetzung von mir]. ¹⁸⁵ Die folgerichtige Ordnung, in der die einzelnen Kosmosglieder in Erscheinung treten, sieht Gregor in der Schöpfungserzählung außerdem darin angezeigt, daß mit der Ausgestaltung des Kosmos auch die Zahl entsteht. In diesem Sinne legt er die Erwähnung des einen und zweiten Schöpfungstages in Gen 1,5.8 aus: Zahl definiert Gregor als die Zusammensetzung von Einheiten; Tag eins bildet das Maß der Einheit; mit dem Ablauf zweier Tage entsteht Zahl. Auf diese Weise verbindet der Schöpfungsbericht die Entstehung der Zahl mit den Gliedern der Schöpfung und kennzeichnet durch die Zahlwörter die folgerichtige Ordnung. Siehe hex. 24 (36,24–35) und vor allem Z. 32–34: καὶ οὕτως ὁ λόγος τὴν τοῦ ἀριθμοῦ γένεσιν τοῖς μορίοις συνάγει τῆς κτίσεως, τὴν ἀκολουθίαν τῆς τάξεως τοῖς ὀνόμασι τοῦ ἀριθμοῦ σημειούμενος. Anders als Philo faßt Gregor den Tag eins als den Beginn einer Reihe von Tagen auf und hebt ihn nicht von den folgenden Schöpfungstagen ab. Zu der von Gregor verwendeten Definition der Zahl siehe F. X. R 1999, 299. ¹⁸⁶ Hex. 10 (18,29–37): ὃ δὲ κατὰ τὸν τῆς σοφίας λόγον, τῇ δυνάμει τοῦ Πεποιηκότος ἐγένετο, ὡς λόγος Θεοῦ προστακτικὸς παρὰ τοῦ Μωϋσέως ἐμνημονεύθη, τό, Εἶπεν ὁ Θεός, Γενηθήτω φῶς, καὶ ἐγένετο φῶς. ἐπὶ γὰρ τοῦ Θεοῦ, κατά γε τὴν ἡμετέραν ὑπόληψιν, τὸ ἔργον λόγος ἐστί, διότι πᾶν τὸ γινόμενον, λόγῳ γίνεται, καὶ ἄλογόν τι καὶ συντυχικὸν καὶ αὐτόματον ἐν τοῖς θεόθεν ὑφεστῶσι νοεῖται οὐδέν· ἀλλὰ χρὴ ἑκάστῳ τῶν ὄντων καὶ λόγον τινὰ σοφόν τε καὶ τεχνικὸν ἐγκεῖσθαι πιστεύειν, κἂν κρείττων ᾖ τῆς ἡμετέρας ὄψεως. Ich lese mit einigen Handschriften und F. X. R anstatt κρεῖττον (18,38 Forbes) κρείττων. ¹⁸⁷ Zur hermeneutischen Regel, daß die Aussagen den handelnden Personen angemessen sein müssen, siehe B. N 1987, 265–268. ¹⁸⁸ Siehe auch hex. 11 (20,1–8): Τὸ οὖν, Εἶπεν ὁ Θεός, ἐπειδὴ λόγου παραστατική ἐστιν ἡ τοιαύτη φωνή, θεοπρεπῶς, ὡς οἶμαι, νοήσομεν, εἰς τὸν ἐγκείμενον τῇ κτίσει λόγον τὸ ῥητὸν

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eine Stimme Gottes.¹⁸⁹ Aus der Kraft und Weisheit, die in der folgerichtigen Ordnung sichtbar wird, kann daher auf die Weisheit-an-sich und die Kraftan-sich geschlossen werden, die die transzendente Voraussetzung sowohl der stofflichen Grundlegung des Alls als auch der sukzessiven Ausgestaltung ist. So kann Gott, der seinem Wesen nach nicht erkennbar ist, als Schöpfer erkannt werden.¹⁹⁰ In diesem Gedanken, der in biblischen Texten wie Weish 7 f.,13,5 oder Röm 1,20 enthalten ist und außerdem enge Berührungen mit (neu)platonischen Aussagen zur Weltbetrachtung hat,¹⁹¹ liegt die gleichermaßen theologische wie kosmologische Voraussetzung dafür, daß Gregor den Schöpfungsbericht als Einführung in die Gotteserkenntnis lesen kann.¹⁹² Gregor legt in der Apologia σοφία, δύναμις und λόγος streng naturphilosophisch aus als Bezeichnungen für die immanente künstlerische Naturkraft bzw. die sichtbare Naturordnung. Seine Auslegung bietet daher keinen Ansatzpunkt für eine christologische Interpretation. Das zeigt sich anschaulich zum Beispiel darin, daß er Ps 103(104),24 – eine Bibelstelle, die Origenes auf Christus als die präexistente Weisheit deutet, die in sich die Schöpfung als Plan Gottes enthält – auf die weise Naturordnung bezieht, die in der Schöpfungsordnung sichtbar ist.¹⁹³ Anknüpfend an eine breite philosophische Tradition stellt Gregor die notwendige und folgerichtige Ausgestaltung des Alls, die sich in gewisser Ordnung und Harmonie vollzieht,¹⁹⁴ der atomistisch-epikureischen Naturbetrachtung gegenüber, die er mit gängigen Schlagworten der anti-epikureischen Polemik plakativ zusammenfaßt: Die Dinge entstehen nicht durch einen selbsttätigen Zufall (αὐτομάτῳ τινὶ συντυχίᾳ) und ohne rationale Ursache ἀναφέροντες. οὕτω γὰρ καὶ ὁ μέγας Δαυὶδ τὰς τοιαύτας φωνὰς ἡμῖν ἐξηγήσατο εἰπών, πάντα ἐν σοφίᾳ ἐποίησας· τὰ γὰρ προστακτικὰ τῆς τῶν ὄντων κτίσεως ῥήματα, ἃ παρὰ τοῦ Μωϋσέως ἐκ τῆς θείας φωνῆς ἀναγέγραπται, ταῦτα ὁ Δαυὶδ τὴν ἐνθεωρουμένην τοῖς γεγονόσι σοφίαν ὠνόμασεν. Gregor legt Ps 18(19),2.4 aus, wo deutlich werde, … ὅτι ἡ ἐν τῇ κτίσει θεωρουμένη σοφία λόγος ἐστί, κἂν μὴ ἔναρθρος ᾖ (20,16 f.); Ps 104(105),27 zeige, τὸ γὰρ λόγῳ τινὶ τὴν ἀπεργαστικὴν ἑκάστου τῶν γινομένων δύναμιν εἰς ἐνέργειαν ἄγεσθαι, … (20,22 f.). In hex. 64 (78,27–31) faßt Gregor die Ausführungen zu den Schöpfungsbefehlen zusammen, … ἐν οἷς τοῦτο κατενοήσαμεν, τὸ μὴ πρόσταγμα εἶναι διὰ ῥημάτων γινόμενον τὴν θείαν φωνήν, ἀλλὰ τὴν τεχνικήν τε καὶ σοφὴν δύναμιν ἑκάστου τῶν γινομένων, καθ’ ἣν ἐνεργεῖται τὰ ἐν τοῖς οὖσι θαύματα, τοῦτο λόγον Θεοῦ καὶ εἶναι καὶ λέγεσθαι· ¹⁸⁹ Siehe hex. 9 (18,9; Text in Anm. 184); vgl. 26 (40,9–12): ἀληθῶς γὰρ πᾶν τὸ ἐν σοφίᾳ γινόμενον, Θεοῦ λόγος ἐστίν, οὐκ ὀργάνοις τισὶ φωνητικοῖς διαρθρούμενος, ἀλλὰ δι’ αὐτῶν ἐκφωνούμενος τῶν ἐν τοῖς φαινομένοις θαυμάτων· ¹⁹⁰ Vgl. beat. 6 (141,2–10 Callahan). ¹⁹¹ Siehe dazu ausführlich S. R. C. L 2004, 117–136. ¹⁹² Siehe auch hex. 25 (38,1–7). Der Scheidung von Wasser und Erde geht ein göttlicher Befehl voran, um den Gedanken zu verhindern, daß etwas von den Dingen ohne Gott bestehen kann, und damit das Staunen über alles Gewordene auf den Schöpfer bezogen wird. ¹⁹³ Siehe hex. 10 (20,3–8). Für die Auslegung des Origenes siehe Jo. 1,19,115 (24,7–10 Preuschen) im Kontext von 1,19,113–114 (23,32–24,7) und dazu Kapitel B I 3. ¹⁹⁴ Siehe zusätzlich zu den bereits genannten Texten auch hex. 13 (22,19).

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(ἄλογον) in einem ungeordneten und daher zufälligen Lauf der Atome (κατά τινα ἄτακτον καὶ τυχαίαν φοράν).¹⁹⁵ Die notwendige und folgerichtige Naturordnung, die der Schöpfungsbericht offenlegt, weist nach Gregor vielmehr darauf hin, daß alle Dinge von Gott her (θεόθεν) entstehen.¹⁹⁶ Daß eine von Gott grundgelegte Naturordnung existiert, leitet Gregor dabei nicht aus den Phänomenen ab, sondern setzt er für die Erklärung der Phänomene voraus. Eine göttliche Ordnung in der Schöpfung ist daher sogar dort anzunehmen, wo das weise und künstlerische Wort (λόγος) in den Dingen und damit deren kunstvolles Wesen für den Menschen nicht erkennbar sind.¹⁹⁷ Gregor betont, daß nichts von den seienden Dingen automatisch oder von einem anderen Prinzip her besteht.¹⁹⁸ Auch die Naturkraft ist kein selbsttätiges Prinzip neben Gott, sondern Gottes weise Kraft in den Dingen. Gregors Begriff der Natur steht damit nicht nur im Gegensatz zu einer atomistisch-epikureischen Naturbetrachtung, sondern auch im Gegensatz zu einer Konzeption, die in der Naturkraft ein eigenständiges, selbstbewegtes Prinzip sieht,¹⁹⁹ oder einem Verständnis, das Gott und Naturkraft identifiziert. 2.2.2. Die Entstehung der Elemente und Kosmosglieder aus dem gemischten Ganzen des Anfangs a) Die Sonderung des Feuers und die Entstehung des Lichts (Gen 1,3). Mit der stofflichen Grundlegung des Alls beginnt sogleich die Sonderung der Elemente ¹⁹⁵ Hex. 9 (18,2 f.); 10 (18,33–35); vgl. 15 (24,24–27). In Eun. 2 erklärt Gregor den αὐτοματισμός als ἀδέσποτον ἢ αὐτοκίνητον (224 [I 291,6 f. Jaeger]) bzw. αὐτοφυῆ (225 [I 291,21]). Zur anti-epikureischen Polemik, wie sie ausgehend von der Kritik des Aristoteles an den Atomisten vorgetragen wird, siehe den Exkurs in Kapitel A IV 3. F. X. R 1999, 149 Anm. 123 weist auf De deitate filii et spiritus sancti (560,22–32 Rhein) hin, wo Gregor die Vorstellung einer von selbst geschehenden Welt explizit Epikur zuweist. Gregors Vorbehalt gegen die epikureische Naturlehre führt dazu, daß er die Lesart von Gen 1,2, die er hex. 17 (28,4) Aquila zuweist, nicht auslegt, weil er in ihr Anklänge an die atomistische, d. h. für ihn epikureische Physik findet (28,18–24). Siehe dazu M. A 1976, 170, die auf Plutarch, Col. 4 (1109a) (Demokrit [nicht in KRS]) hinweist. ¹⁹⁶ Siehe hex. 10 (18,33–35); 25 (38,1–7): Die Schöpfungsbefehle zeigen, daß μηδὲν ἀθεεί τι τῶν ὄντων συστῆναι (Z. 5). ¹⁹⁷ Hex. 10 (18,35–37). Diesem Grundsatz folgt Gregor auch in hex. 12, wenn er es ablehnt, die Ursache der Leuchtkraft des Feuers zu ergründen. ¹⁹⁸ Hex. 15 (24,24–27): Daß Gott dem Licht und der Finsternis die Namen Tag und Nacht beilegt, zeigt, daß die Dinge, die κατὰ τὸ ἀκόλουθον entstehen, nicht automatisch (αὐτομάτως) entstehen oder von einem anderen Prinzip her ihren Ausgangspunkt nehmen (ἀφ’ ἑτέρου τινὸς ἐσχηκέναι τὴν ἀρχὴν …). Gregor lehnt damit jede andere Ursache neben Gott ab. Die Naturkraft als immanente Weisheit und Kraft Gottes ist keine Ursache neben Gott. ¹⁹⁹ So z. B. Platon, Sph. 265c3–9; Aristoteles, Ph. 2,3 (194b26); Simplicius, in Ph. I 314,6 (Diels) formuliert unter Aufnahme von Alexander von Aphrodisias: ἀλλ’ εἰ ἐκ ταὐτομάτου τοιαῦτα τὰ φυσικά ἐστιν, ὅπερ ἄτοπον, ἢ ἑαυτὰ ὑπέστησε τοιαῦτα ἢ ἐξ ἄλλου τινὸς ὑπέστη. Er nennt hier drei mögliche Ursachen der φυσικά: den Automatismos, die Naturkraft

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aus der ungeschiedenen Mischung. Gregor liest die Erschaffung des Lichts (Gen 1,3) als Bericht dessen, daß zunächst die leichte Natur von der schweren Natur getrennt wird und daher als erstes Element das Feuer in Erscheinung tritt: So war alles unsichtbar und unerschienen, bevor das leuchtende Sein in die Sichtbarkeit hervortrat. Weil aber gerade auf einmal in einer einzigen Neigung des göttlichen Willens das All ungeschieden ins Dasein getreten war und die Elemente alle ineinander vermischt waren, war das überall ausgesäte Feuer verdunkelt, weil es durch die reichlich vorhandene Materie verdeckt war. Da aber seine Kraft gewissermaßen heftig und leicht beweglich ist, sprang es als erstes vor aller schweren Natur hervor, zugleich als der Natur der seienden Dinge von Gott das Signal zur Entstehung des Kosmos gegeben wurde, und sofort wurde alles durch das Licht rundherum erleuchtet.²⁰⁰

Gregor geht hier von der Vorstellung einer anfänglichen Materiemischung aus und beschreibt die Aussonderung des Feuers auf zwei Ebenen. Auf der Ebene der Elemente bzw. ihrer Eigenschaften bewirkt der Unterschied in der Schwere und Beweglichkeit die Trennung der Elemente aus der Mischung. Gregor bestimmt das Feuer im Einklang mit einer allgemeinen naturphilosophischen Tradition als von Natur aus leicht (80,4 f.; 82,3.8) und daher heftig und leicht beweglich (18,25 f.), aufwärtsstrebend und in stetiger Bewegung (22,31 f.).²⁰¹ Er folgert, daß wegen der natürlichen Leichtigkeit und Schnelligkeit des Feuers seine verstreuten Teile vor den schwereren und trägeren Elementen hervorspringen (18,28; 20,29; 21,28 f.). Sie sondern sich von allem Andersartigen in der Mischung ab (38,7 f.; vgl. 24,3 f.), eilen zueinander zusammen (22,24 f.) und bilden eine Ansammlung aller Feuerteile (22,25; 80,15). Indem das Feuer sich auf diese Weise aus der allgemeinen Mischung des Anfangs ausgesondert hat, kann es seine leuchtende Kraft²⁰² entfalten und alles erhellen (Gen 1,3). Die Aussonderung des Feuers beruht also auf seinen spezifischen Eigenschaften, die es innerhalb der Ordnung der Elemente nach Schwere und Bewegung an die erste Stelle setzten, und auf dem Prinzip, daß Verwandtes zueinander findet und sich von Andersartigem trennt. und eine andere Ursache, d. h. die vernünftigen Himmelsbewegungen bzw. den göttlichen Intellekt. ²⁰⁰ Hex. 10 (18,22–29): ἄρτι γὰρ ἀθρόως ἐν τῇ μιᾷ ῥοπῇ τοῦ θείου θελήματος ἀδιακρίτως τοῦ παντὸς ὑποστάντος, καὶ τῶν στοιχείων πάντων ἐν ἀλλήλοις πεφυρμένων, τὸ πανταχοῦ κατεσπαρμένον πῦρ ἐπεσκοτεῖτο, τῷ πλεονάζοντι τῆς ὕλης ἐπιπροσθούμενον· ἐπεὶ δὲ ὀξεῖά τίς ἐστιν ἡ δύναμις αὐτοῦ καὶ εὐκίνητος, ὁμοῦ τῷ δοθῆναι τῇ φύσει τῶν ὄντων πρὸς τὴν τοῦ κόσμου γένεσιν παρὰ τοῦ Θεοῦ τὸ ἐνδόσιμον, πάσης τῆς βαρυτέρας φύσεως προεξέθορε, καὶ εὐθὺς τῷ φωτὶ τὰ πάντα περιηυγάζετο· ²⁰¹ K. G 1914, 117 Anm. 1 verweist auf Seneca, nat. 2,24,1; Plutarch, fac. 13; Calcidius, in Ti. 21.305 sowie Plotin, Enn. II 2 (14) 1,20–32 (I 159 f. Henry / Schwyzer); II 1 (40) 3,13 (I 149 H. / S.). ²⁰² Gregor spricht von der πυρώδης καὶ φωτιστικὴ bzw. ἀπαυγαστικὴ δύναμις des Feuers in hex. 12 (20,28.30); 15 (24,29); 65 (80,13).

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Auf der zweiten Ebene der Darstellung löst Gott den Prozeß der ἀπόκρισις aus. Er gibt der Naturkraft das Signal bzw. den Impuls (ἐνδόσιμον) zur Ausgestaltung des Kosmos.²⁰³ Gregor beschreibt den Aussonderungsprozeß des Feuers also einerseits so, daß das Feuer sich selbsttätig aufgrund seiner natürlichen, artspezifischen Eigenschaften sondert; andererseits formuliert er diesen Vorgang auch passivisch²⁰⁴ und sieht gerade darin die Naturkraft am Werk, die ihrerseits nicht selbsttätig wirkt, sondern von Gott dazu veranlaßt wird. b) Die Bewegung des Feuers und die Entstehung des Firmaments (Gen 1,5 f.). Gregor nimmt die Eigenschaften des Feuers, wie sie aus den Phänomenen beobachtet werden können, zum Ausgangspunkt (ἀρχή), Gen 1,5 f. in einer folgerichtigen Betrachtung auszulegen und die Entstehung der Kreisbewegung und des Firmaments zu beschreiben.²⁰⁵ Das aufwärtsstrebende und stetig bewegte Feuer wird im Moment der Grundlegung des Alls aus den andersartigen Elementen wie ein Blitz herausgeschossen. Es durcheilt gedankenschnell das wahrnehmbare Sein, bis es durch die Grenze der sichtbaren Schöpfung gehindert wird, seine gradlinige Bewegung fortzusetzen. Dort geht es in eine Kreisbewegung über, die das All insgesamt in Bewegung setzt.²⁰⁶ Diese Grenze (μεθόριον) zwischen der sichtbaren und der intelligiblen Schöpfung, die durch die erzwungene Kreisbewegung des Feuers sichtbar wird, ist nach Gregor das Firmament.²⁰⁷ Im ausgestalteten Kosmos markiert der Umlauf der Fixsternsphäre »am äußersten Ende des sichtbaren Kosmos« diese Grenze.²⁰⁸ ²⁰³ Vgl. hex. 10 (18,26–28): … ὁμοῦ τῷ δοθῆναι τῇ φύσει τῶν ὄντων πρὸς τὴν τοῦ κόσμου γένεσιν παρὰ τοῦ Θεοῦ τὸ ἐνδόσιμον, … mit 65 (80,11–13): ὁμοῦ δὲ τῷ δοθῆναι παρὰ τοῦ Θεοῦ τῇ κτίσει πρὸς τὴν διακόσμησιν αὐτῆς τὸ ἐνδόσιμον, … ²⁰⁴ So auffällig in hex. 14 (24,3 f.). ²⁰⁵ Hex. 14 (22,31–35): Ἀλλὰ μὴν τὸ ὀξεῖάν τε καὶ ἀνωφερῆ καὶ ἀεικίνητον τοῦ πυρὸς εἶναι τὴν φύσιν, παντὶ δῆλον ἐκ τῶν φαινομένων ἐστίν· ἃ δὲ διὰ τῆς ἀρχῆς ταύτης ἐκ τοῦ ἀκολούθου νοεῖν ὑποτίθεται, ἱστορικῶς παρὰ τοῦ Μωϋσέως ἐν διηγήματος εἴδει συγκαταγέγραπται, τὸ καὶ ἐγένετο ἑσπέρα, καὶ ἐγένετο πρωΐ. ²⁰⁶ Hex. 14 (24,3–16). ²⁰⁷ Das Firmament führt Gregor namentlich in hex. 18 ein, wo er Gen 1,6 f. auslegt (28,24–27). ²⁰⁸ In hex. 66 heißt es, daß die Feuersubstanz der Fixsterne am äußersten Ende der sichtbaren Schöpfung entstand (ἐν τῷ ἀκροτάτῳ γενέσθαι τῆς αἰσθητῆς κτίσεως), auf das die intelligible und unkörperliche Natur folgt (hex. 66 [82,3–5]; vgl. mit 69 [84,7 f.]). Gregor identifiziert hier die Sphäre der Fixsterne nicht mit der äußersten Grenze zur intelligiblen Schöpfung, d. h. dem Firmament (gg. F. X. R 1999, 231 Anm. 381 und W. V 1955, 24), sondern gibt an, daß die Substanz der Fixsterne ihren natürlichen Ort an der äußersten Grenze des sichtbaren Kosmos hat und so verglichen mit den anderen Gestirnen den obersten Platz einnimmt. Das legt sich besonders von der parallelen Aussage Gregors über den natürlichen Ort des allgemeinen Feuers her nahe (hex. 14 [24,9 f.]: … ἐν τοῖς ἄκροις τῆς κτίσεως ὅροις τὸ πῦρ γενόμενον, …). In hex. 75 (90,15–92,2) und 76 (92,11–16) scheint Gregor die Fixsternsphäre mit dem Firmament zu identifizieren. Das würde aber der Charakterisierung des Firmaments in hex. 18 widersprechen. In der Auslegung von 2 Kor 12,2 in hex. 75 f. zeigt sich aber, daß nach Gregor die Grenzen der verschiedenen Himmelsbereiche jeweils für das stehen können,

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Gregor setzt hier voraus, daß die Schöpfung Gottes die sichtbare und die intelligible Schöpfung umfaßt, wobei der Schöpfungsbericht Gen 1,1 f. nur die sichtbare Schöpfung behandelt. Der sichtbaren Schöpfung ist es eigentümlich, begrenzt zu sein. Außerhalb ihrer Grenze und damit außerhalb des Raumes liegt die intelligible Schöpfung. Die Grenze der sichtbaren Schöpfung begrenzt auch die gradlinige Bewegung des sich aussondernden Feuers und zwingt ihm als Ausweichbewegung die Kreisbewegung auf. Gregors Beschreibung, wie die Bewegung des Feuers in eine Kreisbewegung übergeht, greift Elemente der Auseinandersetzung auf, die um die aristotelische Lehre von der Bewegung einfacher Körper geführt wurde.²⁰⁹ Gregor erklärt die Kreisbewegung als erzwungene Bewegung²¹⁰ und nicht wie Aristoteles als ursprünglichste und vornehmste Bewegung, die dem Äther als der Substanz der Himmelskörper zukommt. Zugleich hebt Gregor aber hervor, daß auch diese an sich naturwidrige Bewegung einem Zweck dient. Erstens setzt die Rotation des Feuers entlang der äußersten Begrenzung der sichtbaren Schöpfung das All insgesamt in Bewegung.²¹¹ Zweitens entstehen durch den kreisförmigen Umlauf des Feuers Tag und Nacht: Tag, wenn das Feuer den oberen Halbkreis durchzieht, Nacht, wenn es den unteren Halbkreis durchzieht und von den dichteren Teilen der Schöpfung verdeckt wird.²¹² Die Entstehung von Tag und Nacht und darin enthalten die Entstehung der Kreisbewegung des Feuers bindet Gregor ausgehend von Gen 1,5 ausdrücklich an Gott. Gregor behauptet somit, daß auch die Kreisbewegung, die der Natur des Feuers eigentlich nicht entspricht, folgerichtig und somit letztlich naturgemäß ist.²¹³ Hier zeigt sich, daß Gregor die naturphilosophischen Charakterisierungen des Feuers im Lichte des biblischen Schöpfungsberichtes neu bewertet. Gregor bestimmt das Firmament näher, das durch die Kreisbewegung des Feuers umschrieben wird, wenn er sich nach der zweiten Auslegung von Gen 1,1 f. in hex. 18 wieder der Betrachtung der sukzessiven Ausgestaltung des Kosmos zuwendet: was sie umfassen, und umgekehrt ein definierter Raum immer seine Grenze mit einschließt. Gregor kann daher sowohl die Grenze als auch den von ihr definierten Bereich des Himmelsraumes als ›Himmel‹ oder ›Firmament‹ bezeichnen. Bedenkt man, daß das Firmament von Gen 1,8 als Grenze des sichtbaren Kosmos kein ausgedehnter Raum ist, sondern durch den Umlauf des Feuers lediglich sichtbar gemacht wird, so ergibt sich, daß im ausgestalteten Kosmos auf analoge Weise auch der kreisförmige Umlauf des Fixsternhimmels am äußersten Ende des wahrnehmbaren Kosmos das Firmament als unstoffliche und an sich nicht wahrnehmbare Grenze sichtbar macht, ohne mit ihm identisch zu sein. ²⁰⁹ Diese Diskussion skizziert F. X. R 1999, 167 Anm. 165. ²¹⁰ So auch beispielsweise Plotin, Enn. II 2 (14) 1,20–32 (I 159 f. Henry / Schwyzer); II 1 (40) 3 (I 148 f. H. / S.). ²¹¹ Dies ist wahrscheinlich die Lehre des Achilles, Intr. Arat. 7 (38,3–9 Maass), auf die F. X. R 1999, 169 Anm. 165 hinweist. ²¹² Hex. 14 (24,16–21); 15 (24,22–26,2). ²¹³ Siehe hex. 15 (24,22–28).

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Aber schreiten wir wieder voran in den fortlaufenden Zusammenhängen der Betrachtung, wie folgerichtig das Firmament entstand, als das Feuer einmal die äußerste Grenze der sinnlich wahrnehmbaren Natur umlief, [das Firmament,] welches, wie er [d. h. Mose] sagt, Grenze zwischen den darüberliegenden und den darunterliegenden Wassern ist. Ich meine freilich, daß im Firmament kein fester und widerständiger Körper gesehen wird, sei es einer der vier Elementarkörper, sei es ein anderer neben diesen, wie die außenstehende Philosophie phantasiert, sondern daß die äußerste Grenze des sinnlich wahrnehmbaren Seins, welches die Natur des Feuers in stetiger Bewegung umkreist, daß diese von der Schrift Firmament genannt wird, im Vergleich zu der ewigen, unkörperlichen und unberührbaren Eigentümlichkeit.²¹⁴

Gregor definiert das Firmament hier in der Auslegung von Gen 1,6 f. als »äußerste Begrenzung des sinnlich wahrnehmbaren Seins« bzw. als Grenze zwischen den oberen und unteren Wassern. Darunter versteht er einerseits die Fülle des intelligiblen Seins, andererseits das Element Wasser, das in diesem Zusammenhang für die gesamte sichtbare Schöpfung steht.²¹⁵ Das Firmament als Grenze ist Ausdruck dessen, daß das sinnlich wahrnehmbare Sein und das intelligible Sein von völlig verschiedener Natur sind und keine Mischung zulassen.²¹⁶ Dabei hat es durchaus eine Bedeutung, daß Gregor bis auf eine Ausnahme nur von der Begrenzung der sinnlich wahrnehmbaren Schöpfung spricht.²¹⁷ Als Begrenzung der wahrnehmbaren Schöpfung ist das ²¹⁴ Hex. 18 (28,24–34): Ἀλλ’ ἐπὶ τὰ συνεχῆ τῆς θεωρίας πάλιν προΐωμεν, πῶς εἰσάπαξ τοῦ πυρὸς τὸν ἀκρότατον τῆς αἰσθητῆς φύσεως ὅρον περιοδεύσαντος, ἀκολούθως τὸ στερέωμα γίνετα, ὅπερ μεθόριόν φησιν εἶναι τῶν τε ὑπερκειμένων καὶ τῶν ὑποκειμένων ὑδάτων. ἐγὼ γὰρ οἶμαι σῶμα μέν τι στερρὸν καὶ ἀντίτυπον, εἴτέ τι τῶν τεσσάρων, εἴτέ τι καὶ παρὰ ταῦτα ἕτερον, καθὼς ἡ ἔξωθεν ἐφαντάσθη φιλοσοφία, μηδὲν περὶ τὸ στερέωμα θεωρεῖσθαι, ἀλλὰ τὸ ἄκρον τῆς αἰσθητῆς οὐσίας, ὅπερ ἡ τοῦ πυρὸς φύσις κατὰ τὴν ἀεικίνητον δύναμιν περιπολεῖ, τοῦτο στερέωμα παρὰ τῆς γραφῆς ῥηθῆναι, συγκρίσει τῆς ἀϊδίου τε καὶ ἀσωμάτου καὶ ἀναφοῦς ἰδιότητος. [Einfügungen in der Übersetzung von mir]. ²¹⁵ Zur Interpretation der ›oberen Wasser‹ siehe Kapitel 3.1. ²¹⁶ Dieses Charakteristikum des μεθόριον zeigt sich an einer Stelle, an der Gregor den Ausdruck in einem anderen Zusammenhang verwendet. In hex. 36 (52,16–19) unterscheidet Gregor den Bereich der dichten Luft, in der die meteorologischen Erscheinungen ablaufen, Vögel fliegen etc. (44 [60,30–62,9]), und den darüber liegenden Bereich, der nach hex. 37 (52,25) auch ätherischer Ort genannt wird. Beide werden von einem μεθόριον (36 [52,17]) getrennt. Diese Grenze ist Ausdruck dessen, daß beide Bereiche von völlig verschiedener Natur sind und keine Mischung zulassen. Das zeigt sich an der Entstehung der Kometen. Sie entstehen, wenn Substanz aus dem tieferen Bereich in den ätherischen Raum geschleudert wird und an dem Ort, der ihr nicht zukommt, vergeht (37 [52,22–29]). – Für das Firmament als μεθόριον in der Apologia gilt somit nicht, was Gregor von dem Element Luft als μεθόριον zwischen Feuer und Erde in hom. opif. 1 (PG 44, 129a) sagt, daß es zugleich trennt und vereinigt, was sich von Natur aus gegensätzlich verhält (dazu J. D 1961, 163). Mittelglied zwischen der sinnlich wahrnehmbaren Welt und der intelligiblen Welt ist für Gregor in der Apologia in Hexaemeron nicht das Firmament, sondern der Mensch, der in Tugend über sich hinauswächst und darin wie Paulus den dritten Himmel durchschreitet. Er wird gewissermaßen zum μεθόριος zwischen der wandelbaren und der unwandelbaren Natur. Siehe dazu F. X. R 1999, 233 f. Anm. 383, der auf Gregor, Pss. titt. 1,7 (43,17; 45,7–12 McDonough) hinweist, und D, a. a. O., 166–174. ²¹⁷ In hex. 75 (90,34–92,2) heißt es: Καὶ αὐτὸ δὲ τὸ ἀκρότατον τοῦ αἰσθητοῦ κόσμου, ὃ

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Firmament Grenze (μεθόριον) zwischen den beiden Schöpfungen. Die intelligible Schöpfung zeichnet demgegenüber aus, räumlich unbegrenzt zu sein. Über die Natur des Firmaments äußert sich Gregor vor dem Hintergrund seiner Lehre von den eigentümlichen Orten der Elemente und Körper, auf der sein Konzept der Entstehung durch Aussonderung beruht. Das Firmament wird Firmament genannt, nicht weil es von fester und widerständiger Beschaffenheit ist, sondern um es von der unkörperlichen und nicht tastbaren Beschaffenheit der intelligiblen Natur zu unterscheiden. Gregor nimmt hier die Verbindung von στερέωμα und στερρός auf, die bereits Philo und Origenes gezogen haben, um das Firmament von der intelligiblen Schöpfung zu unterscheiden. Gregor knüpft wie sie an die Verwendung von στερρὸν καὶ ἀντίτυπον in physikalischen Definitionen von Körpern an, um nachzuweisen, daß das Firmament nicht körperlich sein kann.²¹⁸ Dabei erweitert er wie Basilius die Definition von Körperlichkeit, indem er die Schwere als eine notwendig mit Körperlichkeit verbundene Eigenschaft einführt.²¹⁹ Vor dem Hintergrund der Lehre von den natürlichen Orten begründet er dann, daß das Firmament, das oberhalb der gesamten wahrnehmbaren Schöpfung liegt, kein fester, dichter Körper sein kann, da dieser notwendig immer nach unten strebt.²²⁰ Aufgrund der Position des Firmaments oberhalb der gesamten wahrnehmbaren Schöpfung schließt Gregor somit aus, daß das Firmament durch irgendeinen der vier Elementarkörper konstituiert wird. Er lehnt außerdem den aristotelischen Äther als spezielle, himmlische Substanz ab.²²¹ Er begründet seine Ablehnung nicht näher, signalisiert seine Distanz aber bereits durch

μεθόριόν ἐστι τῆς νοητῆς κτίσεως, στερέωμά τε καὶ οὐρανὸν ὀνομάζει. Ich meine, daß μεθόριον τῆς νοητῆς κτίσεως als ›Grenze zur intelligiblen Schöpfung‹ übersetzt werden muß. ²¹⁸ Zu στερρὸν καὶ ἀντίτυπον in den Definitionen von Körperlichkeit siehe die Belege im Zusammenhang der Auslegung des Origenes in Kapitel B I 4.1.3 Anm. 176. Für Basilius siehe Kapitel B II 2.5.2. ²¹⁹ In hex. 3,7 (49,12 f. Amand de Mendieta / Rudberg) bezeichnet Basilius den Körper als eine ἀντίτυπον καὶ στερέμνιον φύσιν τὴν ἔχουσαν βάρος καὶ ἀντέρεισιν, … ²²⁰ Gregor, hex. 18 (28,34–30,4): τίς γὰρ οὐκ οἶδεν, ὅτι πᾶν τὸ στερρὸν διά τινος πάντως ἀντιτυπίας πεπύκνωται; τὸ δὲ πυκνὸν καὶ ἀντίτυπον, οὐ καθαρεύει τῆς κατὰ τὸ βάρος ποιότητος· τὸ δὲ βαρὺ κατὰ τὴν φύσιν, ἀνωφερὲς εἶναι οὐ δύναται· ἀλλὰ μὴν πάσης ὑπέρκειται τῆς αἰσθητῆς κτίσεως τὸ στερέωμα. οὐκ ἄρα παχύ τι καὶ σωματῶδες περὶ αὐτὸ νοεῖν ἡ ἀκολουθία τοῦ λόγου δίδωσιν, … ²²¹ Dafür, daß Gregor hier mit τι παρὰ ταῦτα ἕτερον den aristotelischen ersten Körper meint, der von späteren Philosophen dann Äther genannt wurde, weist F. X. R 1999, 178 Anm. 194 auf [Aristoteles], Mu. 2 (392a8 f.), wo es vom Äther heißt στοιχεῖον … ἕτερον τῶν τεττάρων, ἀκήρατόν τε καὶ θεῖον; vgl. Aristoteles, Cael. 1,2 (269b15–17). Äther ist für Gregor entweder das sehr feinteilige Feuer im Bereich der Gestirne (siehe hex. 48 [66,16–19]) bzw. die feinteilige Luft oberhalb der dichteren Luft der meteorologischen Zone (hex. 37 [52,25]), also in beiden Fällen kein zusätzliches, speziell himmlisches Element. Zur Eingliederung des Äthers in ein Vier-Elemente-System bei den Platonikern, die Mu. 2 (392a5–7) ablehnt, siehe das Beispiel des Alkinoos in Kapitel A IV 6.2.

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den Hinweis auf die außenstehende Philosophie als Ursprung dieser Lehre.²²² In Gregors Lehre von der Umwandlung der Elemente ließe sich der aristotelische Äther auch nicht einordnen. Außerdem stünde auch die Annahme eines speziellen, von Gott geschaffenen Himmelsstoffes für das Firmament im Widerspruch zu der Aussage, daß das Firmament oberhalb der sinnlich wahrnehmbaren Schöpfung angesiedelt ist. Gregor greift also die traditionelle christliche Interpretation der Bezeichnung στερέωμα als Hinweis auf die Körperlichkeit des Firmaments auf. Er zieht aber vor dem Hintergrund seiner Auffassung vom Firmament als Grenze der sichtbaren Schöpfung und unterstützt durch die Lehre von den natürlichen Orten der Elemente und Körper eigenständige Schlußfolgerungen über die Natur des Firmaments. Hier deutet sich sogleich ein Problem an: Das Firmament gehört nicht zum intelligiblen Sein. Da es nach Gregor nur zwei Arten von Naturen gibt, gehört es somit seiner Gattung nach zur wahrnehmbaren, stofflichen Natur. Gregor spricht in diesem Zusammenhang davon, daß die Natur des Firmaments von so großer Feinheit ist, daß sie sich der Wahrnehmung entzieht.²²³ Andererseits betont Gregor aber, daß das Firmament aus keinem der Elemente besteht, die den sinnlich wahrnehmbaren Kosmos konstituieren. Auch einen speziellen himmlischen Stoff lehnt er ab. So scheint das Firmament weder zur sichtbaren noch zur intelligiblen Schöpfung zu gehören. Letztlich bleibt offen, worin die Natur des Firmaments besteht, weil Gregor sie nur in negativer Relation sowohl zur sinnlich wahrnehmbaren als auch zur intelligiblen Natur bestimmt. Gerade darin drückt sich sein Charakter als Grenze zwischen den beiden Naturen aus, die deutlich macht, daß beide Bereiche geschieden sind und keine Mischung zulassen.²²⁴ Gregors Bestimmung des Firmaments unterscheidet sich von den Auslegungen seiner Vorgänger, von denen er sich zum Teil explizit abgrenzt. So richtet sich die Aussage, daß das Firmament aus keinem der vier Elemente besteht, gegen Interpretationen, nach denen der Himmel nach Gen 1,6–8 aus einer Art kristallisiertem Wasser besteht. Diese Ansicht vertraten jüdische Ex-

²²² Mit dem Ausdruck ἡ ἔξω φιλοσοφία bezeichnet Gregor die pagane Philosophie, wobei der Ausdruck verschiedene Nuancen haben kann (siehe A.-M. M 1961, 212 f.). Hier in hex. 18 (28,29 f.: … καθὼς ἡ ἔξωθεν ἐφαντάσθη φιλοσοφία, …) benutzt Gregor ihn abwertend (so auch F. X. R 1999, 118 Anm. 49). ²²³ Hex. 18 (30,5–7): … ἀλλὰ (καθὼς εἴρηται) τῇ πρὸς τὸ νοητόν τε καὶ ἀσώματον παραθέσει, πᾶν ὅσον τοῦ αἰσθητοῦ γένους ἐστί, στερρὸν λέγεται, κἂν τῇ φυσικῇ λεπτότητι διαφεύγῃ τὴν κατανόησιν. Vgl. 30,7 f.10 f.: οὐκοῦν ἀκολούθως ὅσον τῇ περιόδῳ τοῦ πυρὸς διελήφθη· … στερέωμα μὲν διὰ τὴν ὑλικὴν φύσιν τῇ συγκρίσει τῶν ὑπερκειμένων προσηγορεύθη. ²²⁴ Gegen C. S 1996a, 278, der über das Firmament sagt, daß es »[a]ls äußerster und leichtester Teil des Hylischen … durch Mischung mit dem ewigen, unkörperlichen und unberührbaren Bereich gekennzeichnet« ist.

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egeten, aber auch Hippolyt von Rom.²²⁵ Bereits Basilius zweifelt diese Deutung an. Er selbst legt sich nicht fest, ob das Firmament aus einem einfachen Element oder aus einem Gemisch der Elemente besteht, und steht somit ebenfalls im Visier Gregors.²²⁶ Ein weiteres Merkmal der Auslegung Gregors besteht darin, daß sie den Himmel von Gen 1,6–8 mit dem Himmel von Gen 1,1 identifiziert, in dem Gregor die obere Grenze für die menschliche Wahrnehmung sieht.²²⁷ Diese Gleichsetzung unterscheidet seine Deutung von einem großen Teil der Ausleger vor und nach ihm, darunter auch von Basilius.²²⁸ Daß Gregor den Himmel aus Gen 1,1 und das Firmament aus Gen 1,6–8 nicht unterscheidet, ergibt sich folgerichtig aus dem Grundgedanken seiner Hexaemeronauslegung. Demnach beschreibt Gen 1,2 die anfängliche Grundlegung der Schöpfung und Gen 1,3 ff. deren sukzessive Entfaltung. Daher gilt auch für den Himmel, »daß er am Anfang entstanden ist mit der Erde und allen Dingen, die ausgerichtet auf die Ausgestaltung des Kosmos zugrunde gelegt wurden [Gen 1,1], … nun aber vollendet wurde und benannt wurde, indem das Firmament in Erscheinung trat, das durch den Umlauf des Feuers definiert wurde [Gen 1,3.6–8]«.²²⁹ c) Die Sonderung der Luft, des Wassers und der Erde (Gen 1,9 f.). Nachdem Gregor beschrieben hat, wie das Feuer aus der allgemeinen Mischung des Anfangs ausgesondert und aufgestiegen ist, rückt er als zweites Element die Luft in den Blick. Sie ist dem Feuer in der Leichtigkeit verwandt, unterscheidet sich aber von ihm durch ihre Kühle, die sie wiederum mit dem Wasser verbindet.²³⁰ Aus diesem Grund wäre nach Gregor zu erwarten, daß der Schöpfungs-

²²⁵ Siehe die Belege bei M. A 1988, 103 f. Zu den christlichen Vertretern dieser Deutung zählt Hippolyt, frg. 2 (51 Bonwetsch / Achelis). Basilius, hex. 3,4 (44,17–45,5 Amand de Mendieta / Rudberg), Johannes Chrysostomus, hom. in Gen. 4 (PG 53, 42a) sowie Prokop von Gaza, comm. in Gen. (PG 87/1, 68cd) erwähnen diese Auslegung. ²²⁶ Basilius, hex. 3,4 (45,6–14 Amand de Mendieta / Rudberg). ²²⁷ Siehe Gregor, hex. 8 f. und dazu Kapitel 2.1.2.a. ²²⁸ Unter erstem Himmel (Gen 1,1) und zweitem Himmel, dem Firmament (Gen 1,6–8), kann dabei sehr Unterschiedliches verstanden werden. Siehe die Belege bei M. A 1988, 104–106. Unverständlicherweise ordnet A auch Gregor in die Gruppe der Exegeten ein, die den Himmel nach Gen 1,1 und den Firmament-Himmel nach Gen 1,6–8 unterscheiden (a. a. O., 106). ²²⁹ Hex. 24 (36,17–21): … ὁ ἐν ἀρχῇ μὲν γεγενῆσθαι μετὰ τῆς γῆς καὶ πάντων τῶν πρὸς τὴν κατασκευὴν τοῦ κόσμου καταβληθέντων λεγόμενος, νυνὶ δὲ τελειωθείς τε καὶ ὀνομασθεὶς ἐν τῇ ἀναδείξει τοῦ στερεώματος τοῦ διὰ τῆς περιδρομῆς τοῦ πυρὸς ὁρισθέντος, … ²³⁰ Zu den Eigenschaften der Elemente siehe hex. 55 (70,19–72,6) und zu den Eigenschaften der Luft im Verhältnis zum Wasser und zum Feuer besonders 70,29–72,3. Gregor charakterisiert die Luft in traditioneller Weise (Weichheit; Nachgiebigkeit; Abwesenheit von eigener Farbe, Gestalt und Oberfläche; Voraussetzung nahezu aller Lebensvorgänge und Sinneswahrnehmungen). Vgl. mit den Aussagen über die Luft bei Seneca, nat. 2,2–11 (Z. 39–227; 55–64 Hine).

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bericht zwischen der Aussonderung des Feuers (Gen 1,3–8) und der Trennung von Erde und Wasser (Gen 1,9 f.) die Luft als mittleres Element behandelt.²³¹ Gen 1 bietet aber keine Aussage, die sich auf die Entstehung der Luft hin interpretieren ließe. Gregor schließt diese ›Lücke‹ des biblischen Schöpfungsberichtes daher durch den Hinweis auf die Erfahrung, die der Mensch mit dem Phänomen Luft macht. Weil die alltägliche Erfahrung des Menschen Quelle naturphilosophischer Erkenntnis über die Luft ist, braucht Mose die Entstehung der Luft nicht explizit zu behandeln.²³² Hier zeigt sich exemplarisch, daß für Gregor die Betrachtung der Phänomene und die Auslegung des biblischen Schöpfungsberichtes gleichermaßen direkte Quellen naturphilosophischer Erkenntnis sind, so daß die eine Quelle die andere ergänzen kann. Die Scheidung von Wasser und Erde berichtet Gen 1,9 f. Indem Mose ein göttliches Befehlswort vorangehen läßt, stellt er auch dieses Geschehen als Werk der göttlichen Kraft und Weisheit dar: Als nämlich [1] die feuchte Natur mit dem erdigen Grundstoff vermischt war, wem anders kam es zu, [2] die Erde durch ihre eigenen Eigenschaften zu verdichten, so daß [3] alle ihre Teile mit den gleichartigen Teilen zusammengedrückt wurden und dadurch [4] in dem Verdichteten und Zusammengedrückten aus der Erde die einliegende Feuchtigkeit verdrängt wurde? [5] Das Wasser aber wurde von der Vermischung mit der Erde geschieden und um sich versammelt, wobei es von den Vertiefungen der Erde festgehalten wurde.²³³

Gregor beschreibt die Trennung von Wasser und Erde in mehreren Etappen. Dabei springt er erneut zwischen der Betrachtung auf der Ebene der Qualitäten und der Betrachtung auf der Ebene der Elementarkörper. Er geht zunächst von der anfänglichen Mischung beider Elemente aus (1). Terminologisch spielt er dann auf die Verwirklichung der Erde als distinktes Element an, von der hex. 16 handelt (2). Die Erde wird aus der Mischung geschieden, indem sie durch ihre eigenen Eigenschaften verdichtet wird. In hex. 16, wo Gregor die potentielle Existenz des Elements Erde in der Mischung des Anfangs behandelt, erläutert er diesen Vorgang auf der Ebene der Qualitäten: Die Eigenschaften, die das Wesen der Erde ausmachen, treten zusammen und verwirklichen auf diese Weise die Erde als distinkten Körper.²³⁴ Gregor führt die Entstehung ²³¹ Siehe Gregor, hex. 25 (38,7–13). ²³² Siehe hex. 25 (40,1–6). Gregor nennt hier das natürliche Verhältnis des Menschen zum

Element Luft einen διδάσκαλος (Z. 3). ²³³ Hex. 26 (40,12–18): ἔτι γὰρ συμπεφυρμένης πρὸς τὴν ὑγρὰν φύσιν τῆς γεώδους ποιότητος, τίνος ἦν ἑτέρου, τὴν μὲν γῆν ταῖς ἰδίαις καταπυκνῶσαι ποιότησιν, ὥστε πάντων αὐτῆς τῶν μορίων πρὸς τὰ ὁμοφυῆ συμπιεσθέντων, ἐν τῷ ναστῷ τε καὶ πεπιλημένῳ ἀποθλίψαι ἀπ’ αὐτῆς τὴν ἐγκειμένην ὑγρότητα· τὸ δὲ ὕδωρ διακρίνεται τῆς πρὸς τὴν γῆν ἐπιμιξίας, καὶ περὶ ἑαυτὸ συναγείρεται ταῖς κοιλότησι τῆς γῆς ἐγκρατούμενον; [Einfügung in der Übersetzung von mir]. ²³⁴ Siehe hex. 16 (26,23) über den Status der Erde in der Mischung des Anfangs: οὐ γάρ πω συνδεδραμήκεισαν περὶ αὐτὴν αἱ ποιότητες· (26,34): … μήπω αὐτὴν πεπυκνῶσθαι ταῖς σωματικαῖς ἰδιότησιν.

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der Erde daher auf die τῶν ποιοτήτων κατασκευή zurück.²³⁵ Die Ausdrücke πεπυκνῶσθαι (26,34 f.) bzw. καταπυκνῶσαι (40,14) wecken Assoziationen an die stoische Lehre von der Entstehung der Elemente. Nach ihr entsteht die Erde als das dichteste Element (τὸν πυκνότατον τῶν στοιχείων) in Folge der sukzessiven Abkühlung und Kondensation des feurigen Pneumas.²³⁶ Gregor verwendet die Begriffe aber in anderer Bedeutung. In hex. 16 beschreibt er mit ihnen, wie die in der Mischung des Anfangs potentiell enthaltene Erde durch das Zusammentreten ihrer spezifischen Qualitäten zu einem distinkten, festen Körper wird. In hex. 26 behandelt er nun die Verdichtung der Erde auf der Ebene der erdigen Teile, die in der Mischung der Elemente verstreut sind. Durch die Dichte und Schwere, die auf besondere Weise dem Element Erde eigentümlich sind, werden die erdigen Teile in der Mischung zueinander bewegt und zusammengepreßt (3). Bei diesem Vorgang werden die feuchten Anteile der Mischung, die zwischen den erdigen Teilen liegen, verdrängt (4). Sie werden dadurch von der Erde gesondert und ebenfalls zueinander zusammengeführt (5). Es zeigt sich, daß auch die Erde und das Wasser sich aus der Mischung nach dem Grundsatz sondern, daß Gleiches zu Gleichartigem strebt. d) Die Scheidung innerhalb des Feuers und die Entstehung der Gestirne (Gen 1,14–16). Während sich die Scheidung innerhalb der Mischung der Elemente fortsetzt und nacheinander Wasser und Erde hervortreten, finden innerhalb des Feuers weitere Sonderungsprozesse statt. Gregor interpretiert die Erwähnung von Licht im Singular in Gen 1,3 als Hinweis darauf, daß zunächst das »aus allem um sich gesammelte Feuer« entstand, das mit dem allgemeinen Gattungsbegriff ›Licht‹ bezeichnet wird. Für einen Zeitraum von drei Tagen umkreist dieses allgemeine Licht das All.²³⁷ Erst danach treten die verschiedenen, mit unterschiedlicher Leuchtkraft ausgerüsteten Gestirne hervor, die Gen 1,14 ›Lichter‹ im Plural nennt. Gregor leitet aus der Betrachtung der Gestirne einerseits und aus biblischen Aussagen andererseits ab, daß die feurige und leuchtende Substanz sich nicht gänzlich gleichartig zu sich selbst verhält, sondern in sich heterogen ist.²³⁸ Die Scheidung innerhalb des Lichts folgt den gleichen Prinzipien wie die Sonderung der Elemente aus der allgemeinen Mischung des Anfangs: Indem ²³⁵ Hex. 16 (26,30 f.). ²³⁶ Siehe SVF II 619; I 102. ²³⁷ Die Rede vom Licht τῷ μὲν γενικῷ λόγῳ hat keine Berührung zu Philos Auslegung

von ›Licht‹ Gen 1,3 als dem intelligiblen Paradigma des sinnlich wahrnehmbaren Lichtes (Opif. 7,29 [9,4–9 Cohn]), wie bereits F. X. R 1999, 223 Anm. 353 zu Recht feststellt. Das Licht von Gen 1,3 ist für Gregor wahrnehmbar. Darauf baut seine Auslegung von Gen 1,5 f. auf. ²³⁸ Siehe hex. 65 (80,17–32). Vgl. 72 (86,17–21).

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zu Anfang die gesamte leuchtende Kraft um sich gesammelt wurde, entstand das eine Licht. Da aber der in der Natur aller Dinge wahrnehmbare Unterschied im Leichten und Leichtbeweglichen auf das Mehr oder Weniger bezogen von bestimmter Größe war, genügte ein Zeitraum von drei Tagen, die Scheidung (διάκρισις) eines jeden von diesen Dingen deutlich und unvermischt voneinander zu vollbringen. Folglich entstand das äußerst Feine und Leichte der feurigen Substanz und rein Unstoffliche im äußersten Bereich der sinnlich wahrnehmbaren Schöpfung, auf den die intelligible und unkörperliche Natur folgt. Alles Trägere und Starrere aber entstand um sich innerhalb des Umlaufs des Feinen und Leichten. Dieses Trägere wiederum wurde entsprechend der ihm einliegenden Eigentümlichkeit siebenfach geteilt, indem alle einander entsprechenden und gleichartigen Teile des Lichts gemäß der Verwandtschaft zusammenwuchsen und von den andersartigen Teilen geschieden wurden (διακριθέντων).²³⁹

Innerhalb des Lichts sondert sich das relativ Leichte und Bewegliche vom relativ Schweren und Trägen ab. Gleichartiges findet zueinander und trennt sich von Andersartigem. So entstehen durch ein Zusammenlaufen (συνδρομή) jeweils gleichartiger Feuerteile die Gestirne.²⁴⁰ Durch die jeweilige natürliche Eigentümlichkeit, die Gregor in diesem Zusammenhang auch als einliegende natürliche Kraft bezeichnet, gelangt alles an seinen natürlichen Ort.²⁴¹ Auf diese Weise entsteht zuerst die äußerst feine, unstoffliche Feuersubstanz. An der äußersten Grenze des wahrnehmbaren Raumes sondert sich aus ihr die unendliche Fülle der Fixsterne.²⁴² Unterhalb dieses Bereichs entstehen die Planeten, die sich ihren unterschiedlichen Dichten und Geschwindigkeiten entsprechend in sieben Sphären bewegen.²⁴³ Je dichter und stofflicher das Feuer ist, um so tiefer hat das entsprechende Gestirn seinen natürlichen Platz, so daß der Mond als dichtestes und stofflichstes Feuer den erdnahen Raum umkreist. Gregor wählt hier geschickt jene Erklärung der Natur des Mondes aus, die sich

²³⁹ Hex. 66 (80,33–82,11): [Εἰ δὲ ταῦτα τοῦτον ἔχει τὸν τρόπον, οὐκ ἂν οἶμαι διαμαρτεῖν τῆς ἀκολουθίας τὴν ἡμετέραν ὑπόληψιν, εἰ τοῦτο ὑπολάβοιμεν νενοηκέναι τὸν Μωϋσέα, ὅτι καταρχὰς μὲν πᾶσα ἡ φωτιστικὴ δύναμις πρὸς ἑαυτὴν ἀθροισθεῖσα, ἓν ἐγένετο φῶς·] ἐπεὶ δὲ πολλή τις ἦν ἐν τῷ λεπτῷ τε καὶ εὐκινήτῳ παρὰ τὸ μᾶλλον καὶ ἧττον ἡ διαφορὰ ἐν τῇ τῶν ὅλων φύσει θεωρουμένη, ἤρκεσε τὸ τρίημερον τοῦ χρόνου διάστημα τὴν ἑκάστου τούτων διάκρισιν τρανῶς τε καὶ ἀσυγχύτως ἀπ’ ἀλλήλων ποιήσασθαι, ὥστε τὸ μὲν ἄκρως λεπτόν τε καὶ κοῦφον τῆς πυρώδους οὐσίας καὶ καθαρῶς ἄϋλον ἐν τῷ ἀκροτάτῳ γενέσθαι τῆς αἰσθητῆς κτίσεως, ὅπερ ἡ νοητή τε καὶ ἀσώματος διαδέχεται φύσις· τὸ δὲ ἀργότερόν τε καὶ ναρκωδέστερον ἅπαν ἐντὸς τῆς περιοχῆς τοῦ λεπτοῦ τε καὶ κούφου περὶ ἑαυτὸ συστῆναι· τοῦτο δὲ πάλιν κατὰ τὴν διαφορὰν τῆς ἐγκειμένης αὐτῷ ἰδιότητος ἑπταχῆ μερισθῆναι, πάντων τῶν καταλλήλων τε καὶ ὁμοφύλων τοῦ φωτὸς μορίων ἀλλήλοις κατὰ τὸ συγγενὲς συμφυέντων, καὶ ἀπὸ τῶν ἑτερογενῶς ἐχόντων διακριθέντων. ²⁴⁰ Siehe hex. 67 (82,12–17). ²⁴¹ Siehe hex. 69 (84,1–7). ²⁴² Siehe hex. 69 (84,7 f.). Vgl. 66 (80,2–9); 69 (84,7–17); 72 (86,21–26.27–32). ²⁴³ Siehe hex. 72 (86,27–32).

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am besten in sein kosmologisches Konzept der Entstehung durch Diakrisis einfügt.²⁴⁴ Die Scheidung innerhalb des allgemeinen Lichts zu den Gestirnen illustriert Gregor am Beispiel der Sonderung ineinandergegossener Flüssigkeiten mit unterschiedlicher spezifischer Dichte (Quecksilber, Wasser und Öl) und überträgt die Gesetzmäßigkeiten, die im Bereich der unmittelbaren Erfahrung beobachtet werden können, auf den kosmogonischen Prozeß.²⁴⁵ Die Beschreibung des Vergleichsexperiments ist einerseits auf die kosmologische Anwendung ausgerichtet, andererseits prägt sie Gregors Schilderung der kosmogonischen Vorgänge. So übernimmt er die Rede von Teilen (μόρια) der Elemente und der individuellen Substanzen aus der Beschreibung der beobachtbaren Stoffmischung und überträgt sie auf die kosmogonischen Vorgänge. Die Rede von μόρια folgt somit aus dem Konzept der Mischung und geht nicht auf einen wie auch immer gedachten atomistischen Einfluß zurück.²⁴⁶ Am Beispiel der Flüssigkeitsmischung verdeutlicht Gregor anschaulich, daß die Sonderung (διάκρισις) die einzelnen Substanzen nicht schafft, sondern die Stoffe, die im Anfang entstanden und miteinander vermischt vorliegen, »jeweils für sich sauber von einander geschieden« sichtbar werden.²⁴⁷ Während Gregor zu Beginn seiner Auslegung die Mischung des Anfangs als Mischung der vier Elemente beschreibt, hat er nun die Mischung verschiedenartiger Feuersubstanzen im Blick.²⁴⁸ Hier zeigt sich erneut deutlich, daß nach ²⁴⁴ Hex. 70 (84,30–32). Zu den verschiedenen antiken Erklärungen des Mondes siehe zusammenfassend W. G 1933, 77–84. Indem Gregor den Mond als dichtes und schweres Feuer auffaßt, greift er aus den verschiedenen naturphilosophischen Bestimmungen des Mondes diejenige auf, die sich in das kosmologische Konzept der Ausgestaltung durch Diakrisis eingliedern läßt. In anderen Kontexten kann er dagegen durchaus auch eine andere Theorie zur Natur des Mondes vertreten. So behauptet er in anim. et res. (PG 46, 32c), daß der Mond seiner eigenen Natur nach (κατὰ τὴν ἰδίαν φύσιν) ohne Licht sei, und erklärt die Leuchtkraft des Mondes ausschließlich anhand der Spiegeltheorie. Auf diesen Unterschied macht bereits F. X. R 1999, 226 Anm. 363 aufmerksam. Zur Argumentation in anim. et res. 32b–33b siehe H. M. M 1991, 225–229. Aus dem Vergleich der Aussagen über den Mond in diesen beiden Schriften zeigt sich, daß Gregor je nach Kontext eine passende naturphilosophische Erklärung gibt: Vor dem Hintergrund seiner Konzeption der Diakrisis in der Apologia kommt es ihm darauf an, den Mond seiner Substanz nach als eine Unterart des Feuers darzustellen. Daher spricht er ihm ein eigenes Licht zu. In anim. et res. nimmt er das Licht des Mondes als ein Beispiel für ein Phänomen, das durch den Augenschein nicht erklärt werden kann, und stellt die Spiegeltheorie ins Zentrum seiner Ausführungen, um zu zeigen, daß der Mond zwar leuchtet, aber in Wirklichkeit kein eigenes Licht besitzt. Diese unterschiedlichen, am jeweiligen argumentativen Kontext orientierten Ausführungen zur Natur des Mondes zeigen, daß Gregor über weitgehende naturphilosophische Kenntnisse verfügt, daß aber die einzelnen Theorien für ihn keine dogmatischen Lehren darstellen. ²⁴⁵ Hex. 74 (88,13–26). ²⁴⁶ Mißverständlich äußert sich an diesem Punkt F. X. R 1999, 27. ²⁴⁷ Siehe hex. 74 (88,32–90,3). ²⁴⁸ Gregor drückt die Mischung der Elemente in hex. 13 durch die Formulierung aus, daß die leuchtende Substanz (φωτιστικὴ οὐσία) in alles eingesät ist (22,23–25). Analog dazu for-

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Gregor der Kosmos und die Einzeldinge in ihm in einem Prozeß immer feinerer Entmischung ausgestaltet werden. Die Ratio (λόγος), die den Aussonderungsprozessen innerhalb des Feuers zugrunde liegt, kann der Verstand nicht fassen. Gregor rekurriert auch hier auf den Grundsatz, den er in hex. 10 zu Beginn des Abschnittes über das Feuer aufgestellt hat.²⁴⁹ Dennoch ist überall vorauszusetzen, daß ein vernünftiges Prinzip zum Beispiel für das Maß der drei Tage und die zugemessenen Unterschiede in Dichte und Beweglichkeit der Feuerteile existiert.²⁵⁰ Indem man die Folgerichtigkeit und Ordnung der Phänomene am Himmel betrachtet und sie durch vernünftige Vermutungen und Überlegungen zu verstehen versucht, kann man sich diesem Prinzip annähern.²⁵¹ Die unabänderliche Ordnung des Himmels begründet für Gregor also nicht die Göttlichkeit des Himmels, sondern weist auf die letztlich transzendente göttliche Ursache dieser Ordnung. Wie die göttliche Weisheit wirkt, kann der Mensch nicht erkennen; daß sie wirkt, setzt Gregor auch hier für seine Untersuchung voraus. Indem Gregor mit Hilfe des Axioms von der Sonderung des Gleichen zu Gleichem folgerichtig entwickelt, wie zunächst das Feuer bzw. Licht (Gen 1,3) und dann die Gestirne (Gen 1,14–16) aus der Mischung des Anfangs entstehen, antwortet er auf eine der kritischen Fragen, die an den biblischen Schöpfungsbericht gestellt wurden, und klärt das Verhältnis zwischen dem Licht von Gen 1,3 und den Gestirnen von Gen 1,14.²⁵² Wie für die Elemente Feuer und Erde unterscheidet er auch für die Gestirne die ursprüngliche Entstehung (γένεσις) im Augenblick des Anfangs von der Ausgestaltung und Vollendung (σύστασις) in der Zeit. Die Gestirne werden am vierten Tag nicht geschaffen, sondern durch die Sonderung aus dem allgemeinen Licht vollendet. Ihre Entstehung als distinkte Erscheinungen am vierten Schöpfungstag hat dabei ihre Ausgangspunkte (ἀφορμαί) in der ursprünglichen Grundlegung des Lichts im Anfang (ἐν τῇ πρώτῃ καταβολῇ τοῦ φωτὸς).²⁵³ Gregor bietet damit eine einheitliche naturphilosophische Erklärung der Abfolge der Schöpfungswerke muliert er in hex. 67 (82,12–14), daß die Teile der Sonnennatur in die Feuersubstanz (φωτιστικὴ οὐσία) eingesät sind. ²⁴⁹ Siehe hex. 11 (20,1–8). Gregor betont mehrmals, daß der menschliche Verstand arm und begrenzt sei und mit der göttlichen Weisheit nicht Schritt halten könne und daher bei der Frage nach der vernünftigen Erklärung für die Entstehung der Gestirne leicht ins Schwindeln gerate (hex. 68 [82,22–26]; 70 [84,18–86,3]; 71 [86,4 f.]). ²⁵⁰ Siehe hex. 69 (82,30 f.). ²⁵¹ Hex. 71 (86,4–10): Ἀλλὰ τὸν μὲν λόγον τῆς ἐν ἑκάστῳ τῶν ὄντων φαινομένης σοφίας ἰδεῖν ἡ πτωχεία τῆς φύσεως ἡμῶν ἀδυνατεῖ· τὸ μέντοι κατὰ τὴν ἐκτεθεῖσαν παρὰ τοῦ νομοθέτου τάξιν, ἐπὶ τῆς τῶν ὄντων κτίσεως ἀκολουθίαν τινὰ τοῖς γεγονόσιν ἐνθεωρῆσαι, τοῦτο οἶμαι δυνατὸν εἶναι τοῖς μετρίως πρὸς τὸ ἀκόλουθον ἐπισταμένοις βλέπειν, διά τινων στοχασμῶν ὁπωσοῦν κατανοῆσαι. ²⁵² Siehe hex. 5 (10,1–4). ²⁵³ Siehe hex. 73 (86,33–88,4).

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Gen 1,3.14. Sie ist konsistenter als die Erklärung des Basilius, weil sie die naturphilosophische Theorie heranzieht, die seiner gesamten Kosmogonie zugrunde liegt, und auf diese Weise die Bereiche der intelligiblen und der sinnlich wahrnehmbaren, körperlichen Schöpfung nicht vermengt. e) Das Movens des Ausgestaltungsprozesses. An der Darstellung des Prozesses der κατασκευή fällt auf, daß Gregor die Aussonderung der Elemente und die Ausgestaltung des Kosmos einerseits auf der Ebene der Elemente bzw. ihrer Eigenschaften und andererseits auf der Ebene einer teleologischen Naturbetrachtung beschreibt. Zu fragen bleibt, was aus dieser Betrachtungsweise für Gregors kosmologisches Konzept folgt. Besonders deutlich werden die verschiedenen Ebenen in den Abschnitten, in denen Gregor beschreibt, wie sich das allgemeine Licht zu den einzelnen Gestirnen sondert. Die Gestirne treten hervor »entsprechend der einem jeden Teil [der feurigen Substanz] einliegenden natürlichen Eigentümlichkeit«²⁵⁴ bzw. werden von der natürlichen Eigentümlichkeit an ihren natürlichen Ort geschieden.²⁵⁵ Unter der natürlichen Eigentümlichkeit sind hier die für eine jede Feuerart spezifische Leichtigkeit und Schnelligkeit zu verstehen.²⁵⁶ Ihnen entspricht eine bestimmte Stellung am Himmel bzw. ein bestimmter Ort im Raum. Sie ist die natürliche Kraft (φυσικὴ δύναμις), welche das jeweilige Feuer an seinen spezifischen Ort zusammenführt.²⁵⁷ Die natürlichen Eigentümlichkeiten der verschiedenen Unterarten des Feuers sind hier Kriterium der Ordnung und Prinzip der Bewegung.²⁵⁸ Dabei konstituieren sie die unverletzliche Ordnung, die aus der göttlichen Weisheit beschlossen ist. Daß die Ordnung der Gestirne ἐκ τῆς θείας σοφίας / κατὰ τὴν τοῦ Πεποιηκότος σοφίαν bzw. κατὰ τὴν ἐντεθεῖσαν ἑκάστῳ φυσικὴν ἰδιότητα / τῇ τῆς ἰδίας φύσεως δυνάμει ist, sind für Gregor daher parallele Aussagen auf zwei Ebenen.²⁵⁹ Gregor deutet die Verbindung beider Ebenen an, wenn er davon spricht, daß die spezifische Eigentümlichkeit jedem Element und jeder Unterart der Elemente (von Gott) eingelegt ist (ἐγκειμένη/ ἐντεθεῖσα). Auch die Aussonderung des allgemeinen Lichts und die Trennung von Wasser und Erde behandelt Gregor auf zwei Ebenen. Das Feuer sondert sich ²⁵⁴ Hex. 72 (86,22 f.): … κατὰ τὴν ἐγκειμένην ἑκάστῳ μέρει φυσικὴν ἰδιότητα … ²⁵⁵ Hex. 69 (84,2 f.): … ἀποκριθῆναι ὑπὸ τῆς φυσικῆς ἰδιότητος … ²⁵⁶ Siehe hex. 69 (84,2 f.) in Verbindung mit 82,33 f.: … τῷ πόσῳ τῆς κατὰ τὴν κίνησιν τοῦ

πυρὸς ἐνεργείας, …; hex. 72 (86,22 f.) in Verbindung mit 86,29 f. über die Reihenfolge der Planeten … πρὸς λόγον τῆς κατὰ τὸ τάχος φύσεως, … ²⁵⁷ Siehe hex. 69 (84,3 f.). ²⁵⁸ Siehe die Formulierungen, mit denen Gregor den Prozeß der Diakrisis beschreibt: hex. 72 (84,2 f.): … ἀποκριθῆναι ὑπὸ τῆς φυσικῆς ἰδιότητος, …; (84,3 f.): … ὅπου ἡ ἐγκειμένη φυσικὴ δύναμις ἑκάστην ἤγαγε, … (84,15) .… ἡ φυσικῶς ἐγκειμένη αὐτῷ ἰδιότης ἀπήγαγε …; (84,16 f.): … τῇ τῆς ἰδίας φύσεως δυνάμει κατὰ τὴν τοῦ Πεποιηκότος σοφίαν περικρατούμενον. ²⁵⁹ Hex. 69 (84,5–7.16 f.).

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ab aufgrund seiner spezifischen Eigenschaften (Leichtigkeit und Beweglichkeit).²⁶⁰ Die Aussonderung des Feuers geht aber zugleich auf göttliches Wirken zurück.²⁶¹ Die Erde wird aus der Mischung mit dem Wasser getrennt, indem sie zunächst durch das Zusammentreten ihrer natürlichen Eigenschaften als distinkter Körper realisiert wird und sich dann aufgrund ihrer natürlichen Eigenschaften vom Wasser absondert. Gleichzeitig impliziert Gregor in hex. 26 durch die rhetorische Frage und die passivischen Konstruktionen, daß die göttliche Weisheit und Kraft die Ursache dieser Prozesse ist.²⁶² Der Prozeß der Aussonderung und Ausgestaltung hat also einerseits physikalische Ursachen, nämlich die Dichte und Schwere und damit verbunden die relative Schnelligkeit der einzelnen Elementeteilchen. Andererseits gehen diese physikalischen Eigenschaften der Elemente und die Gesetzmäßigkeiten, nach denen sie aufeinander wirken – das schon bei den Vorsokratikern begegnende Prinzip der Anziehung von Gleichem und der Abstoßung von Verschiedenartigem sowie das Gesetz von den natürlichen Orten – auf Gott zurück. Gregor spricht daher von Gott als dem Gesetzgeber, der die Ordnung aufstellt, nach welcher der Kosmos ausgestaltet und vollendet wird.²⁶³ Daß der Ausgestaltung des Kosmos und der Entstehung der Einzeldinge physikalische, den Dingen immanente Ursachen und Gesetze zugrunde liegen, bedeutet für Gregor daher, daß die Phänomene nicht κατὰ τὸ αὐτόματον entstehen.²⁶⁴ Damit integriert Gregor die natürlichen, immanenten Ursachen der Aussonderung, die für die Atomisten die letzten Ursachen der Kosmosentstehung sind, in eine teleologische Betrachtung der Kosmosentstehung. So kann man formulieren, daß Gregor eine physikalisch-mechanistische Weltbetrachtung teleologisch einholt. Über die Natur als immanente göttliche Kraft setzt Gregor schließlich Gott als transzendente Ursache des Kosmos.²⁶⁵ Das liegt in zwei fundamentalen Zügen seiner Kosmologie begründet. Erstens setzt er die Transzendenz Gottes voraus und lehnt ein pantheistisches Weltverständnis ab. Zweitens untersucht er nicht nur das Wirken einer vorhandenen göttlichen Naturkraft in bzw. an einer vorhandenen Materie, sondern bedenkt auch deren Ursprung und betrachtet beide als Geschöpfe des transzendenten Schöpfergottes.

²⁶⁰ Hex. 10 (18,26 f.); 12 (20,28 f.). ²⁶¹ Hex. 13 (22,20 f.). ²⁶² Siehe hex. 26 (40,12–20) und besonders die Schlußaussage in 40,19 f.: ἐπεὶ οὖν θείας ὡς

ἀληθῶς δυνάμεώς τε καὶ σοφίας τὸ τοιοῦτον ἐστίν. ²⁶³ Hex. 71 (86,6). ²⁶⁴ Hex. 72 (84,13–15). ²⁶⁵ Gott legt gemeinsam mit der ungeschiedenen Mischung des Anfangs auch die immanente Entwicklungskraft grund (siehe in hex. 9 [16,28 f.]: τῇ δὲ συγκαταβληθείσῃ δυνάμει τε καὶ σοφίᾳ πρὸς τὴν τελείωσιν ἑκάστου τῶν μορίων τοῦ κόσμου, …). Er gibt ihr das Signal bzw. den Impuls zur Ausgestaltung der Welt (πρὸς τὴν τοῦ κόσμου γένεσιν bzw. τὴν διακόσμησιν τὸ ἐνδόσιμον) (hex. 10 [18,26–28]; 65 [80,11–13]).

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2.3. Die Grundlegung und Ausgestaltung des Kosmos: Die Analogie von der Ausbringung und Entfaltung von Samen 2.3.1. Das kosmologische Konzept Gregors: Eine Form von DiakrisisKosmogonie? Die Folgerichtigkeit der gewordenen Dinge (τῶν γεγονότων ἀκολουθία),²⁶⁶ die nach Gregor in der Ausgestaltung und Vollendung des Kosmos sichtbar wird, läßt sich nun zusammenfassen.²⁶⁷ Am Anfang sind alle Elemente, d. h. deren Eigenschaften, ungeschieden (ἀδιακρίτως) ineinander vermengt (ἐν ἀλλήλοις πεφυρμένων) und das All wird in einer gewissen zusammenvermischten und ungeschiedenen Beschaffenheit (ἐν συγκεχυμένῃ τινὶ καὶ ἀδιακρίτῳ ποιότητι) ohne Farbe, Gestalt, Masse, Schwere, Größe usw. geschaut.²⁶⁸ Aus dieser Mischung wird als erstes die leichte Natur von der schweren Natur abgesondert (ἀποκριθεῖσα) und es entsteht das allgemeine, der Gattung nach eine Licht, das durch seinen kreisförmigen Umlauf das Firmament umschreibt und durch seine Rotation das All insgesamt in Bewegung setzt. Danach werden die schweren Grundstoffe voneinander getrennt (διαστέλλεσθαι) und Erde und Wasser geschieden (διακριθεῖσαι). Im Anschluß daran wird die untere Natur, d. h. der Bereich der Erde weiter ausgestaltet (διακοσμηθεῖσα). Parallel dazu wird innerhalb des feinen, leichten, aufwärtsstrebenden und in sich heterogenen Feuers Gleiches zueinander gesondert (διακρίνεσθαι), und es entstehen die Sterne. Gregor beschreibt die Vollendung des Kosmos als immer weiter voranschreitende Entmischung der stofflichen Grundlegung des Anfangs, bei der nacheinander die Elemente zunächst als Gattung und dann in ihren Unterarten entstehen. Am ausführlichsten behandelt er dabei die Sonderung des Feuers, für die er in Gen 1,3–6.14–19 die meisten Anknüpfungspunkte findet. Auf Sonderungsprozesse innerhalb des Wassers und der Erde geht er nicht ein. Es ist aber anzunehmen, daß er die verschiedenen Arten von Flüssigkeiten und erdähnlichen Stoffen, die er zum Beispiel in seiner Schilderung des Wasserkreislaufes nennt, auf eine analoge Weise entstehen läßt.²⁶⁹ Wie der Bereich der Erde weiter ausgestaltet wird, behandelt er nicht. Der Erzählfolge des Schöpfungsberichtes entsprechend denkt er hier wohl an die Entstehung der ²⁶⁶ Hex. 72 (86,11). ²⁶⁷ Diese Zusammenfassung folgt im wesentlichen der Zusammenfassung, die Gregor

selbst in hex. 72 (86,11–32) gibt. ²⁶⁸ Siehe hex. 10 (18,22–24); 17 (28,9–12). ²⁶⁹ Daß es verschiedene erdartige Stoffe gibt, klingt in hex. 49 f. (66,35–68,9) an, wo Gregor von der Anlagerung der erdartigen Teile aus der Luft an Erdschollen, Sand und Steine spricht. Verschiedene Flüssigkeiten begegnen in der Erläuterung der Trennung von salzigem Meer- und Süßwasser (hex. 42) und dem Vergleich bzw. Experiment mit einer Mischung aus Wasser, Öl und Quecksilber in hex. 74 (88,13–26).

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Pflanzen am dritten Tag, die er wie die Entstehung der Tiere aus seiner Untersuchung ausnimmt.²⁷⁰ Diesen Prozeß der voranschreitenden Sonderung aus einer anfänglichen Mischung ordnet Walter Spoerri, gefolgt von Franz Xaver Risch, den sogenannten Diakrisis-Kosmogonien zu.²⁷¹ An Beispielen zeigt er, daß dieser Typ der Kosmogonie in späten hellenistischen und kaiserzeitlichen Texten häufig begegnet.²⁷² Beispielhaft steht für sie die Kosmogonie des Diodor von Sizilien.²⁷³ Die Diakrisis-Kosmogonien Diodors und anderer Texte, die Spoerri anführt, wie beispielsweise die Kosmogonie in Ovids Metamorphosen oder in einer späten Sammlung von Hesiodscholien, stehen in der Tradition nicht-atomistischer Vorsokratiker wie Anaxagoras und Empedokles.²⁷⁴ Auch wenn im Einzelnen beachtliche Unterschiede festzustellen sind,²⁷⁵ ist allen Autoren gemeinsam, daß sie von einem Anfangszustand ausgehen, den sie als undifferenziertes Gemisch beschreiben, und daß sie einen Prozeß der Aussonderung und Entmischung schildern, in dem die Elemente, Grundstoffe oder Einzelteile des Kosmos entstehen.²⁷⁶ Der Prozeß der Aussonderung beruht auf der Anziehung von Gleichem, sowie dem Streben des Leichten zur Peripherie bzw. nach ²⁷⁰ Siehe die Begründung hex. 77 (92,25–28), daß diese Punkte unberücksichtigt bleiben können, weil Basilius sie bereits ausführlich untersucht habe. ²⁷¹ W. S 1959, 76 f.; F. X. R 1999, 34 f. ²⁷² Daß sie sich auf die Deutung Platons in dieser Zeit zurückführen läßt, wie W. S 1959, 109 meint, ist damit noch nicht erwiesen. S kommt zu dieser These, weil er in Kapitel F auch kosmologische Vorstellungen wie die Plutarchs dazu zählt, die von der Ordnung eines vorkosmischen Chaos handeln. Plutarchs Kosmologie hat aber einen anderen Charakter. Zwar stellt auch die hier im Hintergrund stehende Beschreibung der vorkosmischen Konfusion der Elementenspuren bei Platon (Ti. 52d–53b), in der durch die Erschütterung Gleiches zu Gleichem gesondert wird, eine Rezeption vorsokratischer Traditionen dar (dazu F. M. C 1952, 197–210, besonders 199–203; er sieht die Berührungen weniger mit den Atomisten als mit Anaxagoras). Doch Plutarch wie Platon beschreiben den Ordnungsprozeß im Ganzen nicht als fortschreitende Entmischung, sondern als Harmonisierung durch Zahlen und Proportionen (siehe Kapitel A I 4.2–3). Dieser Aspekt fehlt in den Kosmogonien Diodors, Ovids etc. Und gerade die Kosmologie Gregors belegt nicht – wie S, a. a. O., 76 f. meint – die platonische Herkunft dieses Konzepts. ²⁷³ Diodor von Sizilien, bibl. hist. 1,7 (12,1–13,24 Vogel). Zur Kosmologie bei Diodor von Sizilien siehe die knappen Anmerkungen von T. N zur BGrL-Übersetzung von G. W / O. V, 283 sowie A. B 1972, 44–47, die beide allerdings zu großen Teilen die Einordnung von W. S wiedergeben. ²⁷⁴ W. S 1959 weist überzeugend nach, daß entgegen den früher üblichen Einordnungen anhand oberflächlicher terminologischer Berührungen die Diakrisis-Kosmogonie des Diodor nicht an atomistische kosmologische Vorstellungen anknüpft (8–30). Die Tradition der nicht-atomistischen Vorsokratiker würdigt S hingegen nicht ausreichend (30–33). ²⁷⁵ Siehe dazu W. S 1959, 31–33 (Vorsokratiker); 35–44 (Ovid); 79 f. (Aratscholien); 80 f. (Hesiodallegorien). ²⁷⁶ Unter ›Diakrisis-Kosmogonie‹ faßt W. S 1959, 69 daher »alle Weltentstehungslehren, die … an den Anfang ein chaotisches Elementengemisch setzen, aus dem die vier Grundstoffe durch διάκρισις hervorgehen«.

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oben und dem Streben des Schweren zum Zentrum bzw. nach unten. Die vorsokratischen Autoren bzw. ihre Kommentatoren und Überlieferer prägen dabei die Begriffe ἀπόκρισις, ἔκκρισις und διάκρισις als technische Bezeichnungen für diesen Vorgang.²⁷⁷ Die Einförmigkeit des Anfangszustandes wird auf die anfängliche Mischung zurückgeführt. So sieht zum Beispiel Anaxagoras die vollständige Mischung aller Dinge als Grund dafür, daß nichts in seiner Eigentümlichkeit wahrgenommen werden kann.²⁷⁸ Ovid schildert ein ungeordnetes Chaos, in dem alle Dinge und unter ihnen die vier Elemente bereits als Keime enthalten, aber noch nicht in ihren spezifischen Merkmalen und Formen in Erscheinung getreten sind, weil sie wegen der gegensätzlichen Eigenschaften im Streit liegen.²⁷⁹ Nach einer Kosmogonie innerhalb einer späten Sammlung von Allegorien zu Hesiod durch Johannes Diaconus folgt aus dem Zustand der Mischung, daß alles δυνάμει, aber nicht ἐνεργείᾳ vorhanden war. Da die Eigenschaften der Elemente sich gegenseitig behindern und aufheben, kann nichts Eigentümliches und Individuelles existieren.²⁸⁰ Aufschlußreich sind die Interpretamente, die bereits Aristoteles in seinen Zitaten und Kommentierungen der Vorsokratiker bietet. So bezeichnet er das Urgemisch des Anaxagoras als ein Beispiel dafür, wie sich aus potentiellem Sein aktuell Seiendes entwikkelt, und lobt Anaxagoras dafür, daß er auf gutem Wege war, den qualitätslosen Urstoff zu entdecken.²⁸¹ Das läßt vermuten, daß die Bezeichnung der Urmischung als Sein ἐν δυνάμει durch eine Interpretation der vorsokratischen Tradition der Diakrisis mit Hilfe aristotelischer Kategorien beeinflußt ist, die bereits in den Referaten des Aristoteles zu den Vorsokratikern enthalten ist. Je nach kosmologisch-theologischem Rahmen liegt der Schwerpunkt in der Beschreibung des Diakrisis-Prozesses entweder allein auf den physikalischen Ursachen der Entmischung (Diodor), oder es wird zusätzlich ein übergeordnetes bewegendes Prinzip genannt, wie bei Anaxagoras, Ovid, in der Allegorie zu Hesiod ein Gott oder göttlicher Intellekt und in den Aratscholien eine Weltschöpfergestalt.²⁸² Die terminologischen und inhaltlichen Gemeinsamkeiten, die Gregors Schilderung der κατασκευή mit den skizzierten Kosmogonien verbindet, zeiBelege bei W. S 1959, 12 f. Anaxagoras bei Simplicius, in Ph. I 155,2; 34,21 (Diels = KRS 467; 468). Ovid, met. 1,5–9.15–20 (1 f. Anderson). Siehe dazu W. S 1959, 45–52. H. F 1876, 332 f. Siehe W. S 1959, 80 f. Aristoteles, Metaph. 12,2 (1069b18 f.); Metaph. 1,8 (989a30–989b16). Anaxagoras bei Simplicius, in Ph. I 164,24 (Diels = KRS 476). Siehe dazu den Kommentar von G. S. K / J. E. R / M. S 1994, 398–400. Platon wirft Anaxagoras vor, die Rolle des Intellekts für die Entstehung und die Erklärung der sichtbaren Welt nicht konsequent ausgearbeitet zu haben (Phd. 98b7, aufgenommen von Aristoteles, Metaph. 1,4 [985a18]; siehe KRS 495). Siehe außerdem Ovid, met. 1,21 (2 Anderson); Hesiod-Allegorie bei H. F 1876, 332 f.; comm. in Arat. 90 f. (Maass): Ein Demiurg wird erwähnt in 90,8; 91,14 (dazu W. S 1959, 34–38.79–81). ²⁷⁷ ²⁷⁸ ²⁷⁹ ²⁸⁰ ²⁸¹ ²⁸²

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gen, daß es berechtigt ist, Gregors Konzept der κατασκευή den Diakrisis-Kosmogonien zuzuordnen. Gleichzeitig treten aber auch die Unterschiede deutlich hervor. So richtet sich die Reihenfolge der ausgesonderten Elemente und Kosmosglieder bei Gregor nach der Erzählfolge des Schöpfungsberichtes. Die Gestirne werden daher – anders als zum Beispiel bei Diodor – nach der Trennung von Wasser und Erde und nach der Ausgestaltung der unteren Natur gebildet. Der Hauptunterschied aus der Perspektive der Diakrisis-Kosmogonien besteht jedoch darin, daß Gregor die Mischung des Anfangs nicht als gegeben annimmt,²⁸³ sondern sie auf einen Schöpfungsakt Gottes zurückführt. Das hat Konsequenzen für die Darstellung des anfänglichen Mischungszustandes. Um Gott als Urheber denken zu können, beschreibt Gregor den ›Urzustand‹ als Mischung aller Qualitäten (hex. 17).²⁸⁴ Diese Perspektive tritt in den weiteren Abschnitten zur κατασκευή zurück und begegnet erst wieder, wenn die Substruktur der Elemente für die Erklärung der Umwandlung der Elemente wieder in den Blick rückt. Das systematische Anliegen der Diakrisis-Kosmogonien findet sich auch bei Gregor wieder. Es besteht seit Anaxagoras darin, absolutes Entstehen und Vergehen plausibel auszuschließen und deutlich zu machen, daß alle Dinge bereits in der ursprünglichen Mischung enthalten sind und die Menge aller Dinge bzw. Arten von Dingen konstant bleibt.²⁸⁵ Gregor betont mehrmals, daß im Prozeß der κατασκευή nichts neu entsteht, sondern die in der anfänglichen Grundlegung entstandenen Dinge (z. B. Licht; Erde; Firmament; Gestirne) lediglich vollendet bzw. sichtbar werden.²⁸⁶ Anders als beispielsweise Anaxagoras will Gregor absolutes Werden und Entstehen aber nicht grundsätzlich, sondern nur für die Phase der κατασκευή ausschließen, um die sukzessive Ausge²⁸³ So Ovid, met. 1,5–9 (1 Anderson). ²⁸⁴ Wie die Rede des Anaxagoras von den σπέρματα und μοῖρα in der Mischung des

Anfangs zu verstehen ist und wie diese sich zu den Qualitäten bzw. Elementen (?) verhalten, die nach Anaxagoras ebenfalls in der Mischung sind (bei Simplicius, in Ph. I 34,21 [Diels = KRS 468]), ist umstritten (siehe den Kommentar von G. S. K / J. E. R / M. S 1994, 391–396.400–409). Gregors Beschreibung der stofflichen Grundlegung des Anfangs als Mischung von Qualitäten kann jedenfalls nicht Anaxagoras zum Vorbild haben, sondern ergibt sich aus den theologisch-philosophischen Voraussetzungen, die Gregor in hex. 7 aufstellt. ²⁸⁵ Siehe den Kommentar von G. S. K / J. E. R / M. S 1994, 392–396.413. In einer bei Simplicius überlieferten Äußerung (in Ph. I 163,20–24 [Diels = KRS 469]) betrachtet Anaxagoras das Werden und Vergehen von konkreten Einzeldingen durch die Zusammensetzung bzw. das Auseinandertreten von Bausteinen, die in der Mischung des Anfangs enthalten sind: τὸ δὲ γίνεσθαι καὶ ἀπόλλυσθαι οὐκ ὀρθῶς νομίζουσιν οἱ Ἕλληνες· οὐδὲν γὰρ χρῆμα γίνεται οὐδὲ ἀπόλλυται, ἀλλ’ ἀπὸ ἐόντων χρημάτων συμμίσγεταί τε καὶ διακρίνεται. καὶ οὕτως ἂν ὀρθῶς καλοῖεν τό τε γίνεσθαι συμμίσγεσθαι καὶ τὸ ἀπόλλυσθαι διακρίνεσθαι. Siehe dazu F. L 1962, 46 f.: »Anaxagoras … begegnet der radikalen Kritik am Begriff des Werdens mit der Auskunft: es wird nichts, sondern es war alles schon drin.« ²⁸⁶ Siehe Gregor, hex. 10 (18,13 f.); 16 (26,29–31); 24 (36,16–21); 65 (80,9–11); 73 (86,33– 35); 74 (88,32–90,3).

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staltung des Kosmos von der Entstehung im eigentlichen Sinne abzugrenzen, die im Augenblick des Anfangs stattfindet. Dadurch kann Gregor die Annahme eines einmaligen, augenblicklichen Schöpfungsaktes des allmächtigen, transzendenten Schöpfergottes, die er aus der theologischen und philosophischen Tradition übernimmt, mit der Schilderung eines sukzessiven Schöpfungsverlaufs verbinden, wie ihn der biblische Schöpfungsbericht bietet. Daß sich die Vorstellung einer Aktualisierung und Vollendung aller Kosmosglieder durch fortschreitende Entmischung relativ zwanglos mit dem biblischen Schöpfungsbericht verbinden läßt, liegt nicht zuletzt daran, daß der Schöpfungsbericht selbst eine Form von Diakrisis-Kosmogonie präsentiert. Deutlich zeigt sich allerdings, daß das Modell der Diakrisis-Kosmogonie nur einen Teil des kosmologischen Konzepts Gregors deckt, nämlich die κατασκευὴ τοῦ κόσμου. Als zusammenfassende Beschreibung der Kosmologie Gregors insgesamt ist sie ungeeignet, weil sie die καταβολὴ τοῦ κόσμου nicht erfaßt. Es ist also nach einem anderen Modell zu suchen, das sowohl die Grundlegung der Welt im Augenblick des Anfangs als auch ihre sukzessive Ausgestaltung in der Zeit als eine zusammenhängende Einheit veranschaulichen kann. 2.3.2. Gregors Kosmologie in Analogie zum biologischen Konzept des Samens Gregor spielt selbst auf das Konzept des Samens an, wenn er den göttlichen Schöpfungsakt als καταβολή bezeichnet und die Welt im Anfang mit einer σπερματικὴ δύναμις vergleicht.²⁸⁷ Er benutzt damit den Begriff der καταβολή auf eine ganz andere Weise als Origenes, der in ihm die genuin biblische Bezeichnung für die Erschaffung der sichtbaren Welt sieht.²⁸⁸ Gregor weist anders als Origenes an keiner Stelle seiner Hexaemeronauslegung auf den neutestamentlichen Gebrauch des Wortes καταβολή hin. Er verbindet mit dem Begriff auch keinen ontologischen Gegensatz von ›oben‹ und ›unten‹. Er knüpft daher in seiner Genesisauslegung nicht an die kosmologische Verwendung des Begriffs bei Origenes an.²⁸⁹ Gregors Verwendung des Begriffs καταβολή verweist vielmehr auf einen anderen Hintergrund, nämlich den der antiken Samenlehre. Daß dieses biologische Konzept Gregor vertraut ist, zeigt auch seine Verwendung in einem anderen Kontext in De hominis opificio.²⁹⁰

²⁸⁷ Siehe hex. 16 (26,17–21) und dazu Kapitel 2.1.2.c. ²⁸⁸ Siehe zu Origenes’ Verständnis der Erschaffung als καταβολή Kapitel B I 4.1.3 mit den

Belegen in Anm. 214–218. ²⁸⁹ Etwas undeutlich äußert sich F. X. R 1999, 142 Anm. 108 zum Verhältnis zwischen dem Gebrauch des Begriffs bei Origenes und bei Gregor. ²⁹⁰ Siehe Gregor, hom. opif. 29 (PG 44, 236ab).

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Die antike Vorstellung vom Samen läßt sich anschaulich anhand einiger Texte aus Werken von Alexander von Aphrodisias, Galen und Porphyrius skizzieren. Eigenart von Samen aber ist es, stets in gewisser Folge und Ordnung voranzuschreiten und das eine nach dem anderen hervorzubringen. Und obwohl Zähne nach der Schwangerschaft wachsen und erst mit fortgeschrittener Zeit Bart und Genitalien, ist doch nicht anzunehmen, daß diese nicht aus dem Samen stammen. … Sondern wie beim Keimen der Früchte alles zusammen vermengt ist, auch wenn bestimmte Logoi sich zu einem anderen Zeitpunkt ausdifferenzieren, wie zum Beispiel im Weizenkorn die Logoi des Halms und des Blattes und der Wurzel eins sind, bevor sie sich absondern und ausdifferenzieren … auf die gleiche Weise, sagen sie, sind alle Teile im Samen zusammen vermengt; sie sondern sich freilich und werden jeweils einzeln ausgebildet.²⁹¹

Diese Passage steht im Zusammenhang der Diskussion über die Frage, zu welchem Zeitpunkt der menschliche Embryo beseelt wird. Porphyrius referiert hier in seiner Schrift Ad Gaurum über die Beseelung der Embryonen eine Position, welche die menschliche Entwicklung analog zur Entfaltung einer Pflanze aus ihrem Samen betrachtet. Dabei kennzeichnet den Samen, daß in ihm alle Logoi zukünftiger Glieder der Pflanze bzw. des Lebewesens ineinander vermengt vorliegen. Daß der Same eine Mischung aller Logoi ist, die durch die selbstbewegte, immanente Naturkraft ausgeführt und verwirklicht werden, sobald der Same ausgebracht ist, ist eine allgemeine naturphilosophische Grundüberzeugung.²⁹² In einer gewissen Reihenfolge und Ordnung differen²⁹¹ Porphyrius, Gaur. 60,1–4.8–11.18–20 (Kalbfleisch): ἴδιον δὲ τῶν σπερμάτων τὸ (ἀεὶ ὁδῷ τινι) καὶ τάξει προβαίνειν καὶ τὸ τόδε μετὰ τόδε προάγειν, καὶ οὐκ ἐπεὶ (μετὰ τὴν κύησιν) ὀδόντας φύει καὶ προελθόντος τοῦ χρόνου γένεια καὶ ἥβην, οὐκ ἐκ σπέρματος (τὰ τοιαῦτα γεννᾶται·) … ἀλλὰ καθά)περ (ἐν τῇ τῶν καρ)πῶν β(λαστήσει) πάντα ὁμοῦ συγκέχυται, καὶ εἴ (τινες λόγ)οι (ἄλλῳ καιρῷ διακρίνο)νται, ὡς ἐν τῷ πυρῷ οἱ λόγοι τῆς καλάμης καὶ τοῦ φύλ(λου καὶ τῆς ῥίζης ἥνωνται πρὶν) ταῦτα διακριθῆναι, … οὑτωσὶ δὲ ἐν τῷ σπέρματι πάντα (μὲν ὁμοῦ συγκεχύσθαι φασὶν τὰ μόρια, ἐκ)κρίνεσθαί γε μὴν ἐκ τῆς συγχύσεως καὶ κατ’ ἰδίαν ἀνα(πλάττεσθαι) … [Auslassungen im Text von mir]. Ich danke F X R, der mich in einem Brief vom 15.1.2005 auf diesen Text aufmerksam gemacht hat. Die Pariser Handschrift, nach der K. K die Schrift des Porphyrius ediert, ist an vielen Stellen in schlechtem Zustand. Auch der vorliegende Abschnitt enthält mehrere lacunae, die K teilweise durch vorsichtige Konjekturen und durch Vergleiche mit anderen Texten füllt. Das prominente Beispiel der Zähne, die erst längere Zeit nach der Geburt wachsen, aber bereits im Samen angelegt sind, verwendet auch Hippolyt, haer. 7,22,1 (197,22–24 Wendland; dazu W. A. L 1996, 286), um die Entstehung aus Samen im Zusammenhang der Entwicklung eines Kindes zu illustrieren; ähnlich Cicero, nat. deor. 2,33,86 (83,9–15 Plasberg / Ax). Verwandt ist auch die Beschreibung des Samens, die Seneca (in einem kosmologischen Kontext) referiert (nat. 3,29,3 [Z. 897–900; 159 Hine]): ut in semine omnis futuri hominis ratio comprensa est, et legem barbae canorumque nondum natus infans habet (totius enim corporis et sequentis actus in parvo occultoque lineamenta sunt, …). ²⁹² Siehe das Referat des Simplicius über die stoische Lehre der Selbstbewegung am Beispiel des Samens (SVF II 499 [161,24–30 von Arnim]): Καὶ γὰρ ὅταν οἱ Στωϊκοὶ διαφορὰς γενῶν λέγωσι … τὸ δὲ δι’ ἑαυτοῦ ἐνεργεῖν τὴν κίνησιν, ὡς αἱ φύσεις καὶ ἰατρικαὶ δυνάμεις τὴν ποίησιν ἀπεργάζονται (καταβληθὲν γὰρ τὸ σπέρμα ἀναπληροῖ τοὺς οἰκείους λόγους καὶ

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zieren sich die einzelnen Glieder nacheinander und zu jeweils unterschiedlichen Zeiten aus (ἐκκρίνεσθαι/ διακρίνεσθαι). Manche Körperteile werden erst lange nach der Schwangerschaft und Geburt gebildet, dennoch entstehen auch sie ausgehend von dem ursprünglichen Samen. Galen legt dar, daß im Anfangszustand der Entwicklung des Embryos die Samenflüssigkeit ἀθρόον sei.²⁹³ Charakteristisch für die Entwicklung aus Samen ist, daß die Naturkraft, die den Embryo formt, der Materie inhärent ist.²⁹⁴ So kann Galen sagen, daß der Demiurg mit jedem Teil der Materie koexistiert bzw. der Künstler im Samen von Anfang an vorhanden ist.²⁹⁵ Die erste Phase der γένεσις des Embryos beginnt daher sofort, sobald der Same in die Gebärmutter eingebracht ist (εὐθὺς ἅμα τῷ καταβληθῆναι).²⁹⁶ Die weitere Entwicklung schreitet dann in gewissen definierten Zeiten (χρόνοις τισὶν ὡρισμένοις) voran.²⁹⁷ In seinen Schriften De semine und De foetuum formatione stellt sich Galen daher die Aufgabe, die Reihenfolge der Bewegungen (ἀκολουθία τῶν κινήσεων) zu untersuchen, nach der die Natur den Embryo ausgehend von dem anfänglichen vermengten und ungeschiedenen Zustand (ἀθρόον) formt,²⁹⁸ bzw. zu betrachten, wie der Embryo Schritt für Schritt (ἐφεξῆς) durch die im Samen enthaltene Kraft in seiner Gesamtheit gestaltet wird.²⁹⁹ Er spricht über ἐπισπᾶται τὴν παρακειμένην ὕλην καὶ διαμορφοῖ τοὺς ἐν αὐτῷ λόγους) … Daß der Same λόγοι enthält, ist eine allgemein naturphilosophische Überzeugung, wie Galen zeigt, der die Ähnlichkeit eines Kindes mit seinen Eltern auf die σπερματικοὺς λόγους im Samen zurückführt (Sem. 2,5,76 [196,19–21 de Lacy]); mit dem Begriff ist hier nicht der stoische Fachterminus σπερματικὸς λόγος für das aktive, weltschaffende Pneuma gemeint, sondern die Keimkräfte des Samens (siehe P.  L, CMG V 3/1, 247). ²⁹³ Galen, Sem. 1,13,16 (112,10–12 de Lacy): κατὰ δὲ τὴν πρώτην ἐκ τοῦ σπέρματος γένεσιν ἀθρόον μὲν ἔτι τὸ ὑγρόν, ἐξ οὗ τῶν ἀγγείων ἡ διάπλασις, … ²⁹⁴ Nat. Fac. 2,3 (160,10–161,17 Helmreich). ²⁹⁵ Sem. 2,5,5 (180,13–16 de Lacy): συνυπάρχει γὰρ ἐν ἅπαντι μορίῳ τῆς ὕλης ὁ δημιουργός· οὐκ ἀποκέκριται δὲ χωρίς, ἰδίᾳ μὲν τὸ κινοῦν, ἰδίᾳ δὲ τὸ κινούμενον, ἀλλ’ ἑαυτὸ κινεῖ καὶ ῥυθμίζει τὸ σπέρμα, καὶ δὴ καὶ αὐξάνει, καθάπερ ἔμπροσθεν ἐλέγετο, τὴν τροφὴν ἕλκον ἐκ τῆς κυούσης. In 2,3,13 (170,5–7) argumentiert Galen gegen die Samenlehre des Empedokles, der annimmt, daß der Same Stückchen aller Körperteile enthält: εἰ δ’ ἀλλοιουμένου καὶ μεταβαλλομένου τούτων τῶν μορίων ἕκαστον γίγνεσθαι φήσομεν, ἐν τῷ σπέρματι τὸν ταῦτα ἐργασόμενον ὑποθέσθαι χρὴ τεχνίτην, ὃν ἐξ ἀρχῆς ἔχοντες ἀτόπως ὑποτιθέμεθα διεσπασμένα μόρια. ²⁹⁶ Siehe Sem. 2,4,32 (178,4–6 de Lacy): ἔδειξε γὰρ ὁ πρότερος λόγος, ὡς τοιοῦτον εἶναι χρὴ τὸ γόνιμον, εἴ γ’ εὐθὺς ἅμα τῷ καταβληθῆναι τὸ μὲν ὑμενοῦσθαι τῆς οὐσίας αὐτοῦ, τὸ δ᾽ … προσήκει. Vgl. 1,6,1 (84,15 f.): Ὅσον μὲν οὖν αὐτοῦ τῶν ὑστερῶν ἔψαυσε, τοῦτο ὑμὴν εὐθέως ἐγένετο, καθότι μικρὸν ἔμπροσθεν ἐδείχθη. ²⁹⁷ Siehe Nat. Fac. 1,6 (108,23–109,3 Helmreich) über den Prozeß der γένεσις: καταβληθέντος δὴ τοῦ σπέρματος εἰς τὴν μήτραν ἢ εἰς τὴν γῆν, οὐδὲν γὰρ διαφέρει, χρόνοις τισὶν ὡρισμένοις πάμπολλα συνίσταται μόρια τῆς γεννωμένης οὐσίας ὑγρότητι καὶ ξηρότητι καὶ ψυχρότητι καὶ θερμότητι καὶ τοῖς ἄλλοις ἅπασιν, ὅσα τούτοις ἕπεται, διαφέροντα. ²⁹⁸ Sem. 1,7,1 (86,9 f. de Lacy). ²⁹⁹ Foet. Form. 3,1 (62,25–27 Nickel): Σκοπώμεθα δ’ ἐπ’ αὐτοῖς, ὅπως εἰκός ἐστι τὸ κυούμενον ὑπὸ τῆς κατὰ τὸ σπέρμα δυνάμεως ἅπαν ἐφεξῆς διαπλασθῆναι, τὴν ἀρχὴν τῆς εὑρέσεως αὖθις ἀπὸ τῶν κατὰ τὰς ἀνατομὰς ὁρωμένων ποιησάμενοι.

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die zeitliche Reihenfolge (περὶ τῆς κατὰ χρόνον τάξεως), in der jedes einzelne Körperteil gebildet wird,³⁰⁰ und legt dar, wie die Entwicklung des Lebewesens gleichsam gewisse Stufen erkennen läßt.³⁰¹ Daß sich an das Ausbringen des Samens sofort eine geordnete Folge von Bewegungen anschließt, beschreibt auch Philo.³⁰² Gregors Erläuterung der Weltentstehung in der Apologia in Hexaemeron nimmt wesentliche Bestimmungen des biologischen Entwicklungskonzeptes auf. Gottes Erschaffung der Welt beschreibt Gregor implizit im Bild von der Ausbringung des Weltsamens, aus dem sich die Welt sukzessiv entwickelt. Die Erschaffung der (stofflichen) Grundlegung des Anfangs entspricht der Ausbringung von Samen (καταβολή). Die Welt im Anfang steht in Analogie zum Samen, der zusammenfassend (ἀθρόον) und undifferenziert die Logoi aller zukünftigen Teile und Glieder enthält. Sogleich (εὐθύς) mit der Grundlegung beginnt der Ausgestaltungsprozeß. Dieser ist mit einem natürlichen Entwicklungsprozeß vergleichbar, wie ihn Galen und Porphyrius am Beispiel des menschlichen Embryos beschreiben. In einer festgesetzten Ordnung differenzieren sich innerhalb bestimmter Zeiten nacheinander die einzelnen Glieder, d. h. die Elemente und Teile des Kosmos heraus. Das Movens des Ausgestaltungsprozesses ist die Naturkraft, die von Anfang an dem ›Weltsamen‹ innewohnt. Gregors Beschreibung der Ausgestaltung des Kosmos berührt sich an weiteren Punkten mit den Ausführungen zur embryonalen Entwicklung. Denn Galen beschreibt die Ursachen der Ausformung des Embryos auf zwei Ebenen. Einerseits ist die dem Samen inhärente Naturkraft die Triebkraft des Entwicklungsprozesses. Sie ist der δημιουργός bzw. der τεχνίτης, der den Embryo formt.³⁰³ Andererseits spricht Galen davon, daß die Natur des Samens die Pflanze bzw. das Tier mit Hilfe von Kräften hervorbringt.³⁰⁴ Diese Kräfte untersucht er genauer in den Schriften De semine und De naturalibus faculta-

³⁰⁰ Foet. Form. 3,9 (66,21 f. Nickel). ³⁰¹ Sem. 2,5,67 (194,7–11 de Lacy): ὥσθ’ οἷον βαθμούς τινας ἡ φύσις ἔοικεν ἔχειν, πρῶτον

μὲν …, δεύτερον δὲ …, καὶ τρίτον …, εἶτα τετάρτῳ …, καὶ πέμπτῳ … ³⁰² Philo, Opif. 22,67 (22,13–19 Cohn): … τὸ σπέρμα τῶν ζῴων γενέσεως ἀρχὴν εἶναι συμβέβηκε· τοῦθ’ ὡς ἔστι φαυλότατον ἐοικὸς ἀφρῷ, θεωρεῖται· ἀλλ’ ὅταν εἰς τὴν μήτραν καταβληθὲν στηρίσῃ, κίνησιν εὐθὺς λαβὸν εἰς φύσιν τρέπεται· … ἡ δ’ οἷα τεχνίτης ἢ κυριώτερον εἰπεῖν ἀνεπίληπτος τέχνη ζῳοπλαστεῖ τὴν μὲν ὑγρὰν οὐσίαν εἰς τὰ τοῦ σώματος μέλη καὶ μέρη διανέμουσα, τὴν δὲ πνευματικὴν εἰς τὰς τῆς ψυχῆς δυνάμεις … Daß Philo die Geringfügigkeit des Samens betont, aus dem sich das großartige Lebewesen entwickelt, ist seinem Argumentationsziel in Opif. 22,67 geschuldet. ³⁰³ Siehe Galen, Sem. 2,3,13 (170,6 f. de Lacy); 2,5,5 (180,13–16). Die Natur ist die wirksame Kraft: 1,4,36 (78,12). Die Natur hält ein bestimmtes Vorgehen für richtig bzw. nicht richtig (ἐδικαίωσεν): 1,10,4.5 (98,15.19). ³⁰⁴ Sem. 1,9,15 (96,3 f. de Lacy): … οὐκ ἄλλαις μὲν δυνάμεσιν ἡ φύσις τοῦ σπέρματος ἐργάζεται τὸ φυτόν, ἄλλαις δὲ τὸ ζῷον, …

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tibus.³⁰⁵ In De semine führt er das Wachstum und die Entwicklung des Embryos auf natürliche Kräfte des Samens zurück: die Anziehungskraft und die Abstoßungskraft.³⁰⁶ In De naturalibus facultatibus nennt er zusätzlich die Feuchtigkeit, Trockenheit, Kälte und Wärme, die πρώτας τε καὶ στοιχειώδεις ἀλλοιωτικὰς δυνάμεις der vier Elemente, durch welche die Organe ausgebildet und die Stoffwechselprozesse gesteuert werden.³⁰⁷ Die naturphilosophische und die im engeren Sinne physiologische Ebene der Betrachtung sucht er zu verbinden, wenn er in Nat. Fac. 1,6 formuliert, daß die vier Grundqualitäten (heiß, kalt, naß und trocken) als Instrumente der Kraft anzunehmen sind, die den Körper formt.³⁰⁸ Gregor beschreibt in seiner Darstellung der κατασκευή Anziehungs- und Abstoßungsvorgänge, die zur Aussonderung der einzelnen Elemente und Kosmosteile führen. Gelegentlich bezeichnet er die Qualitäten der Elemente als Kräfte, ohne jedoch die physikalischen Vorgänge der Aussonderung bzw. die chemisch-physiologischen Vorgänge der Umwandlung der Elemente im Einzelnen zu erläutern. Im Unterschied zu Galens Untersuchung zur embryonalen Entwicklung nennt Gregor in seiner Abhandlung über die Entstehung der Welt neben der immanenten Naturkraft Gott als transzendente Ursache: Gott legt gemeinsam mit der ungeschiedenen Mischung des Anfangs auch die immanente Entwicklungskraft grund³⁰⁹ und gibt ihr das Signal bzw. den Impuls (ἐνδόσιμον) zur Ausgestaltung der Welt.³¹⁰ Während Gregor sonst das Wirken der immanenten Naturkraft eine ἐνέργεια Gottes nennt, hebt er hier Gott als Beweger von der Naturkraft ab. Dieses Bild Gottes als eines Impulsgebers für die Naturkraft, die den Kosmos ausgestaltet, läßt sich erhellen durch eine aristotelische Ausführung zur Wirkung der Naturkraft in Samen, wie sie sich bei Alexander von Aphrodisias findet. Der Prozeß der Entwicklung eines Samens, der als erstes Prinzip in die Materie ausgebracht ist, ³⁰⁵ Die Absicht seines Traktats De naturalibus facultatibus skizziert Galen folgendermaßen (1,2 [105,10–13 Helmreich]): … τὸν ἐφεξῆς λόγον ἅπαντα ποιησόμεθα ζητοῦντες ὑπὲρ ὧν ἐξ ἀρχῆς προὐθέμεθα, πόσαι τε καὶ τίνες εἰσίν αἱ τῆς φύσεως δυνάμεις καὶ τί ποιεῖν ἔργον ἑκάστη πέφυκεν. ³⁰⁶ Nach Sem. 1,6 (84,17–19 de Lacy) hat der Same δυνάμεις συμφύτους, ἑλκτικὴν μὲν τῶν οἰκείων … τῶν ἀλλοτρίων δὲ καὶ περιττῶν ἀποκριτικήν. ³⁰⁷ Nat. Fac. 1,6 (109,13–15 Helmreich). Die Natur erschafft (ἀπεργάζεται) verschiedene Gewebe und Körpersubstanzen, wobei sie sich einer Kraft (δύναμις) bedient. Diese heißt allgemein der Gattung nach γεννητική τε καὶ ἀλλοιωτικὴ δύναμις. Der Unterart nach wird sie θερμαντική τε καὶ ψυκτική etc. genannt (109,21–110,3). An anderen Stellen scheint sich Galen von der traditionellen Rede von den vier Grundqualitäten als Kräften (Hippokrates) abgrenzen zu wollen, indem er von den δραστικαὶ ποιότητες der vier Elemente spricht (siehe P.  L, CMG V 3/1, 243). ³⁰⁸ Siehe Anm. 307. ³⁰⁹ Siehe Gregor, hex. 9 (16,28 f.; Text in Anm. 265). ³¹⁰ Vgl. hex. 10 (18,26–28) und 65 (80,11–13) in Anm. 265.

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erstreckt sich bis zu einem bestimmten Endpunkt und einer bestimmten natürlichen Form, dessen Ausgangspunkt das war, was als erstes in die Materie ausgebracht wurde, wie bei den Marionetten: indem der Künstler den Anfang / das Prinzip der Bewegung der ersten Marionette eingibt (τὴν ἀρχὴν τῆς κινήσεως ἐνδόντος τοῦ τεχνίτου τῷ πρώτῳ), wird das die bewegende Ursache für die, die nach ihr kommt, und so weiter, solange bis die Bewegung durch alle Marionetten gelaufen ist, sofern keine Behinderung eintritt. Dies geschieht nicht aufgrund einer Überlegung oder eines Willensentschlusses in den Marionetten selbst, obwohl die frühere die spätere bewegt. Auf die gleiche Weise aber bewegt auch die zusammen mit dem Samen ausgebrachte Natur und Kraft (ἡ συγκαταβληθεῖσα τῷ σπέρματι φύσις τε καὶ δύναμις), sobald sie in der geeignete Materie ist … Die Kraft, die aus der ersten Bewegung entsteht, bewirkt wiederum eine andere Bewegung und [dies] vermag sie solange, bis sie etwas hervorbringt, das dem gleicht, von dem her sie [als Same] ausgebracht wurde, und das dasselbe ist, entweder in der Art oder in der Gattung.³¹¹

Obwohl Alexander einen anderen Naturbegriff als Gregor vertritt,³¹² trägt seine Charakterisierung der Naturkraft dazu bei, Gregors Rede von Gott als dem transzendenten Impulsgeber der Natur zu verstehen. Nach der aristotelischen Beschreibung des Samens und seiner Wirkung wird ein programmierter Bewegungsablauf in Gang gesetzt, sobald der Same in eine geeignete Materie ausgebracht ist: Das Ausbringen des Samens ist der Ausgangspunkt (ἀρχή) für die erste Bewegung aus dem Samen und damit auch für alle weiteren Bewegungen; im Bild des Marionettentheaters steht dafür der Künstler. Nach Gregor beginnt der Prozeß der κατασκευή des Kosmos, sobald Gott in seinem Willensentschluß die Welt im Anfang geschaffen hat, d. h. sobald er in der (stofflichen) Grundlegung des Alls den ›Weltsamen‹ ausgebracht hat. Die Formulierung, daß Gott der Natur den Impuls zur Ausgestaltung des Kosmos gegeben hat, bedeutet somit nichts anderes, als daß Gottes Willensentschluß nicht nur die materielle Grundlage des Kosmos geschaffen hat, sondern auch die transzendente Ursache der Ausgestaltung und Entfaltung des Kosmos ist:

³¹¹ Alexander von Aphrodisias bei Simplicius, in Ph. I 311,1–16 (Diels): [ἀλλ’ ἀρχῆς καταβληθείσης τῆς πρώτης ἐν ὕλῃ τῇ δεκτικῇ καὶ τῆς ἀρχῆς καὶ τῶν ὑπ’ αὐτῆς τε καὶ ἐξ αὐτῆς ἐσομένων, τοῦτο τὸ πρῶτον αὐτὸ καταβληθὲν αὐτὸ μὲν ἐποίησε τοῦτο, οὗ ἐστιν αὐτὸ ποιητικὸν ὄντος ὡρισμένου, τὸ δὲ ἐκ τούτου γενόμενον ἄλλο· ἕκαστον γὰρ αὐτῶν τοῦ μεθ’ ἑαυτὸ ποιητικόν τε καὶ κινητικόν ἐστι, εἰ μηδὲν ἐμποδίζοι·] καὶ τοῦτο μέχρι τέλους τινὸς καὶ εἴδους τοῦ φυσικοῦ, οὗ ἦν ἀρχὴ τὸ πρῶτον ἐν τῇ ὕλῃ καταβληθέν, ὥσπερ ἐν τοῖς νευροσπαστουμένοις τὴν ἀρχὴν τῆς κινήσεως ἐνδόντος τοῦ τεχνίτου τῷ πρώτῳ τοῦτο τοῦ μετ’ αὐτὸ κἀκεῖνο τοῦ ἐφεξῆς κινητικὸν γίνεται, ἕως ἂν διὰ πάντων ἡ κίνησις διέλθῃ, ἄν μή τι ἐμποδίσῃ, οὐ κατὰ λόγον τινὰ καὶ προαίρεσιν τὴν ἐν ἑαυτοῖς τοῦ πρὸ αὐτοῦ τὸ μετ’ αὐτὸ κινοῦντος. οὕτως δὲ καὶ ἡ συγκαταβληθεῖσα τῷ σπέρματι φύσις τε καὶ δύναμις ἐν τῇ οἰκείᾳ ὕλῃ γενομένη κινητικὴ ταύτης οὖσα κινεῖ … ἡ δὲ ἐγγενομένη δύναμις ἐκ τῆς πρώτης κινήσεως ἄλλην πάλιν κίνησιν ἐμποιεῖ καὶ δύναται, ἕως οὗ ὅμοιον ποιήσῃ τῷ ἀφ’ οὗ κατεβλήθη, καὶ ταὐτὸν ἢ εἴδει ἢ γένει. [Einfügungen in der Übersetzung von mir]. Vgl. eine ähnliche Skizze bei Alexander von Aphrodisias, Prov. 82,7–17 (Übersetzung Ruland). ³¹² Siehe Kapitel 2.2.1.a.

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Der Willensentschluß Gottes³¹³ ist der Ausgangspunkt für die erste Bewegung aus dem ausgebrachten ›Weltsamen‹. Es zeigt sich, daß Gregor zentrale Elemente der antiken Samenlehre aufgreift, um die Erschaffung und Entfaltung der Welt zu beschreiben. Der entscheidende Unterschied zur antiken Samen- und Zeugungslehre besteht in Gregors Kosmogonie freilich darin, daß der ›Weltsame‹ nicht in eine bereits vorhandene Materie ausgebracht wird, die in Analogie zum Mutterleib bzw. der Erde steht.³¹⁴ Die stoffliche Grundlegung des Anfangs ist ›Weltsame‹ in dem Sinne, daß sie die gesamte ungeschiedene und undifferenzierte Körpernatur zusammen mit dem von Gott eingelegten Entwicklungsprinzip ist. Daß der Entwicklungsprozeß des Samens beginnt, ist in der aristotelischen Samenlehre davon abhängig, daß der Same in geeignete Materie eingebracht wird. Selbst dann kann die planmäßige Entwicklung durch ungünstige äußere Umstände behindert werden.³¹⁵ Die Entstehung der Welt dagegen hat nach Gregor allein den transzendenten Gott zur Ursache, der die stoffliche Grundlage und das immanente Entwicklungsprinzip schafft. Die Ausgestaltung und Vollendung der Welt, die Gottes Willensentschluß im Anfang im Status der Potentialität nach Art eines Samens geschaffen hat, kann daher durch nichts gehindert werden. Die Rede von Gott als dem transzendenten Impulsgeber hebt Gott einerseits von der immanenten Naturkraft ab und verhindert eine Identifikation von Gott und Naturkraft. Sie trägt andererseits ein mechanisches Moment in die Betrachtung des kosmologischen Prozesses ein. Die Vorstellung einer kosmischen Mechanik, die nach dem ersten Impuls selbsttätig geordnet abläuft, wird bei Gregor dadurch ergänzt, daß er die von Gott unterschiedene Naturkraft als immanente weise Kraft Gottes denkt. Hier kann er an Philo, Clemens von Alexandrien und Origenes anknüpfen, die bereits das Wirken des transzendenten Gottes durch eine oder mehrere immanente Kräfte lehren.³¹⁶ Indem Gregor einerseits die Natur als immanente weise Kraft Gottes auffaßt und andererseits Gott als transzendenten Impulsgeber eines Entwick³¹³ Hex. 10 (18,22); 9 (16,23 f.); 16 (26,18 f.); vgl. anim. et res. (PG 46, 124b): ὁρμὴ bzw. ῥοπὴ τοῦ θείου θελήματος / τῆς θείας προαιρέσεως. ³¹⁴ Vgl. mit Galen, Nat. Fac. 1,6 (108,23–109,3 Helmreich; Text in Anm. 297). Nach der aristotelischen Zeugungslehre steuert das Männliche im Zeugungsakt mit seinem Samen das Prinzip der Bewegung und die Form bei, während das Weibliche das Prinzip der Materie bereitstellt (Aristoteles, GA 1,2 [716a4–7]; 1,20 [729a9–13]; 1,21 [729b16–18]; 2,3 [737a20– 22]; in Metaph. 5,2 [1013b23–25] führt Aristoteles den Samen als ein Beispiel des ποιοῦν an). Plutarch greift dieses Bild auf, um zu illustrieren, wie die rationale Weltseele in die chaotische Materie eingebracht wird und diese ordnet (siehe Plutarch, Plat. quaest. 2,1 [1000e–1001b] und dazu Kapitel A I 4.3). ³¹⁵ Siehe dazu die Ausführungen des Alexander von Aphrodisias bei Simplicius, in Ph. I 311,1–16 (Diels) in Anm. 311. ³¹⁶ Zu Philo und jüdischen Vorgängern einer δύναμις-Lehre siehe P. M 1984, 41– 44. Zu Clemens von Alexandrien siehe D. T. R 2004.

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lungsprozesses denkt, verbindet er zwei verschiedene Modelle, mit deren Hilfe die Wirkung der Transzendenz in die Immanenz beschrieben werden kann. In dieser Verbindung begrenzen und ergänzen sich die beiden Modelle: Einerseits wird ein pantheistisches Verständnis, das Gott mit der Naturkraft identifiziert, verhindert. Andererseits kann die Wirkung des transzendenten Gottes in der Welt durch das Konzept der Naturkraft dynamisch aufgefaßt werden. Bereits der Autor der pseud-aristotelischen Schrift De mundo verbindet die aristotelische Vorstellung des unbewegten Bewegers mit dem Gedanken einer den Kosmos durchdringenden göttlichen Kraft, die wohl von der οὐσία des transzendenten Gottes ausgehend gedacht ist. Er beschreibt anschaulich die Mechanik einer kosmischen Kette rationaler Bewegungen, die von einer transzendenten Ursache angestoßen wird und dann von den Gestirnen abwärts abgestuft in den Kosmos wirkt. Eine ähnliche Vorstellung findet sich auch bei Alexander von Aphrodisias und Galen.³¹⁷ Gregor unterscheidet ebenfalls zwischen dem transzendenten Wesen Gottes und seiner immanenten Kraft, die in den Werken sichtbar ist. Im Unterschied zu De mundo, Alexander von Aphrodisias oder auch zu Galen bedenkt er allerdings nicht die ewige Verwaltung, sondern die Entstehung der sichtbaren Welt und beschreibt daher einen realen Entwicklungsprozeß. Außerdem pflanzt sich nach seinem Verständnis die göttliche Kraft nicht ausgehend von den Gestirnen in den Kosmos hinein fort, und ³¹⁷ Der Autor von De mundo behandelt nicht die Entstehung der Welt, sondern die Verwaltung und Erhaltung der Welt in allen ihren Bereichen. Dabei geht er von dem Satz aus, daß alle Dinge aus Gott und durch Gott bestehen (Mu. 6 [397b14 f.]). Um die Transzendenz der göttlichen Ursache zu bewahren, unterscheidet er zwischen der οὐσία Gottes, die von der Welt geschieden bleibt und höchstens im Denken erkannt werden kann, und der δύναμις Gottes, die den Kosmos durchdringt, durch die Gott den Kosmos und alle Dinge bis in die niedersten Regionen regiert und die in den Werken sichtbar ist (397b19–24). Gott vollbringt alles durch eine einzige mühelose Bewegung, die den Himmel bewegt und sich von dort in alle Kosmosregionen fortpflanzt und individualisiert (398b35–399a14). Diesen Vorgang vergleicht der Autor mit einer Maschine, an der durch einen auslösenden Mechanismus eine Vielzahl verschiedener Bewegungen initiiert wird, und mit einem Marionettentheater, bei dem durch ein einziges Zugseil eine Kette von Bewegungen ausgelöst wird (398b12–22). Das Wirken des transzendenten Gottes wird als τὸ ἄνωθεν ἐνδόσιμον bezeichnet, durch das die Vielfalt der Welt gelenkt wird wie ein gemischter Chor durch den Einsatz des Chorleiters oder ein Heer durch ein Signal (399a14.35–399b10 f.). Es wird außerdem als das rein geistige Wirken eines Gesetzgebers beschrieben (400b8). Siehe zu Mu. 6 den Kommentar und die philosophiegeschichtliche Einordnung durch H. S 1970, ad loc.; P. M 1984, 37– 48. Alexander von Aphrodisias knüpft nachweislich an De mundo an (dazu C. Genequand 2001, 1–20). In seiner eigenen Schrift De mundo spricht Alexander von einer göttlichen, geistigen Kraft, die den Himmelskörpern immanent ist, von ihnen ausgeht, das gesamte Universum durchdringt, zusammenbindet und erhält und sich mit zunehmender Entfernung von den Gestirnen abschwächt (Mu. 127–144 [113–123 Übersetzung Genequand]). Das Konzept liegt auch seiner Lehre von der Vorsehung zugrunde (siehe Alexander von Aphrodisias, Prov. 34,1–52,6; 70,9–77,12; 94,18–96,5 [Übersetzung Ruland]). Zu Galens verwandter Beschreibung der abgestuften Wirkung des transzendenten Intellekts in den Kosmos siehe F. K 2001, 202–204.228–234.

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die Wirkung der göttlichen Kraft und Weisheit schwächt sich in den unteren Kosmosregionen nicht ab. Sie ist auch dort als immanente Kraft des transzendenten Gottes tätig und wirkt bis in die letzten Individuen hinein. 2.3.3. Die Analogie der Entstehung aus Samen in antiken Kosmologien: Ein Vergleich mit dem Modell Gregors Gregor ist nicht der erste, der das biologische Konzept des Samens in kosmologische Zusammenhänge einführt. a) Das Modell des Samens bei den Stoikern. Prominent entwickeln die Stoiker im Rückgriff auf die Biologie des Aristoteles ihre Lehre von der Weltentstehung in Analogie zur Entstehung aus Samen.³¹⁸ Nach doxographischen Überlieferungen sahen sie dabei im Zustand der ἐκπύρωσις, wenn der gesamte Kosmos sich in feuriges Pneuma verwandelt hat, den Samen für die Neuentstehung des Kosmos.³¹⁹ Zenon sieht Gott, den er auch als Pneuma (d. h. künstlerisches Feuer) auffaßt,³²⁰ in Analogie zum generativen Prinzip in der Samenflüssigkeit.³²¹ Im Hintergrund steht die stoische Definition von Samen, nach der Same Pneuma in Feuchtigkeit ist. Das generative Prinzip bringt selbstbewegt nach einem rationalen Plan (d. h. den inhärenten σπερματικοὶ λόγοι) etwas hervor, das in seiner Art dem gleicht, von dem der Same ausgegangen ist.³²² In Analogie dazu enthält Gott als Samenprinzip der Welt (σπερματικὸς λόγος) die Logoi aller Dinge.³²³ Er wirkt auf das Feuchte, d. h. die Materie, ein und bringt als erstes die vier Elemente hervor, auf die weitere Entwicklungsschritte folgen. Deutlich tritt auch in der Kosmogonie des Cleanthes die Analogie zur Entstehung aus Samen hervor.³²⁴ In ihr begegnen zentrale Charakteristika einer ³¹⁸ D. E. H 1977, 57–90 untersucht die stoische Kosmologie und ihre Voraussetzungen in den biologischen Theorien der Vorgänger (Vorsokratiker, Platon, Aristoteles). Er arbeitet heraus, wie die Stoiker versuchen, »to portray the origin of the cosmos as the birth of a living animal, and to make this birth conform to Aristotle’s biological theories in as many details as possible« (a. a. O., 78). Die stoische Kosmogonie und Kosmologie vor dem Hintergrund ihrer systematischen, metaphysischen Voraussetzungen (die Verbindung von Prinzipienmonismus und Immanenz) untersuchen R. B. T 1978 und M. L 1978. Eine gegenüber T und L an etlichen Punkten andere Interpretation der Zeugnisse stoischer Lehre vertritt J. W 2006. ³¹⁹ Siehe SVF I 98 (27,17–23 von Arnim). Vgl. mit SVF II 596. ³²⁰ SVF II 1027 (306,19–21 von Arnim). ³²¹ Diogenes Laertius 7,135 f. (SVF I 102 [28,22–28 von Arnim] = Long / Sedley 46B). ³²² SVF I 128; II 499.742. Siehe dazu D. E. H 1977, 68, der die Ursprünge dieser Definition (u. a. Aristoteles, GA 2,2 [736a1 f.]) herausarbeitet. ³²³ Siehe Aetius 1,7,33 (= SVF II 1027 = Long / Sedley 46A). ³²⁴ SVF I 497 (111,22–28 von Arnim): ὥσπερ γὰρ ἑνός τινος τὰ μέρη πάντα φύεται ἐκ σπερμάτων ἐν τοῖς καθήκουσι χρόνοις, οὕτω καὶ τοῦ ὅλου τὰ μέρη, ὧν καὶ τὰ ζῷα καὶ τὰ

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Entstehung aus Samen, wie sie auch in den biologischen Fachtraktaten zur Entwicklung eines Embryos beschrieben werden: Die Glieder des einzelnen Lebewesens bzw. des Kosmos entstehen aus Samen in angemessenen Zeiten; in dem Samen sind die Logoi aller Glieder vermischt; die Glieder des Lebewesens bzw. die Teile des Kosmos entstehen, indem die Logoi geschieden werden. Das tertium comparationis zwischen der Entstehung aus Samen und der Entstehung des Kosmos sieht Cleanthes darin, daß aus Einem alles entsteht. In der Tat ist die Entstehung aus Samen ein anschauliches Beispiel dafür, wie aus Einem eine Vielfalt entsteht. Cleanthes nennt den Samen, der entsteht, wenn die Logoi aller Glieder zusammentreten, ›Eines‹ und meint damit für den Kosmos den Zustand der ἐκπύρωσις, in dem nach stoischer Lehre der ganze Kosmos eins ist, nämlich Seele, Intellekt bzw. Gott.³²⁵ Betrachtet man die stoischen Kosmogonien und ihre Rezeption der Samenlehre, so treten die Unterschiede zu Gregors Kosmogonie, wie er sie in seiner Auslegung des Schöpfungsberichtes entwickelt, deutlich hervor. Zwar denkt Gregor wie die Stoiker die Entstehung der Welt als einen zielgerichteten Prozeß, der eine göttliche Ursache hat. Im Unterschied zu den Stoikern ist diese Ursache jedoch transzendent. Gregor identifiziert weder den Kosmos im Sinne der stofflichen Grundlegung, d. h. des zugrunde liegenden ›Weltsamens‹, noch das dem Kosmos immanente, ordnende Prinzip mit Gott. Die immanente Naturkraft ist zwar eine Kraft Gottes; sie ist aber nicht mit ihm identisch. Für die Stoiker dagegen ist der Zustand der ἐκπύρωσις, d. h. der Same des neu entstehenden Kosmos, ebenso wie das Samenprinzip im engeren Sinne, der σπερματικὸς λόγος, identisch mit Gott. Anders als die Stoiker vergleicht Gregor zwar die stoffliche Grundlegung des Anfangs mit einem samenhaften Vermögen, er bezeichnet sie aber an keiner Stelle als λόγος σπερματικός. Gregor faßt den Kosmos, der sich aus dieser Grundlegung entwickelt, auch nicht als ein Lebewesen auf. Für die Stoiker dagegen gehört das biologische Modell nicht nur der Bild- oder Vergleichsebene an, sondern ist auch inhaltlich angemessen, da der Kosmos für sie ein atmendes Lebewesen mit Seele und Körper ist.³²⁶ Bei genauer Betrachtung stehen sich Gregor und die Stoiker nur an den Punkten nahe, die auf die Rezeption des biologischen Samenkonzepts zurückgehen. Dabei verwenden sie das biologische Modell der Entstehung aus Samen auf unterschiedliche Weise. Gregors Kosmogonie kann dabei nicht als stoisch beeinflußt gelten. Die stoische Kosmogonie hat aber sicher durch ihre Verbreiφυτὰ ὄντα τυγχάνει, ἐν τοῖς καθήκουσι χρόνοις φύεται. καὶ ὥσπερ τινὲς λόγοι τῶν μερῶν εἰς σπέρμα συνιόντες μίγνυνται καὶ αὖθις διακρίνονται γινομένων τῶν μερῶν, οὕτως ἐξ ἑνός τε πάντα γίνεσθαι καὶ ἐκ πάντων [εἰς] ἓν συγκρίνεσθαι, ὁδῷ καὶ συμφώνως διεξιούσης τῆς περιόδου. [Z. 27 εἰς del. Diels]. Siehe D. E. H 1977, 79 f. und dessen vorsichtige Konstruktion der Kosmogonie des Cleanthes (240–248). ³²⁵ Siehe SVF II 604.605.1052.1065. ³²⁶ Siehe D. E. H 1977, 62–66 und 136–184.

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tung die Aufnahme des Konzepts der Entwicklung aus Samen in philosophisch-kosmologische Zusammenhänge begünstigt. b) Das Modell des Samens bei Platonikern. Auch Platoniker greifen das biologische Konzept des Samens in kosmologischen Zusammenhängen auf. Im Unterschied zu den Stoikern ist ihnen gemeinsam, daß sie den ›Samen‹ als eine intelligible Größe auffassen, die einen transzendenten Ursprung hat. So beschreibt Plutarch gelegentlich die Entstehung der Welt metaphorisch als Begattung der Materie durch Gott:³²⁷ Gott sät einen Teil von sich als Same (ἀπόσπασμα) in die Materie ein. Dieser Teil ist identisch mit der rationalen Weltseele. Sie wird mit einem Samen verglichen, der die ungestaltete Materie von innen heraus formt und auf diese Weise den Kosmos hervorbringt.³²⁸ Plutarchs Modell kann als platonisch-dualistische Adaption des biologischen Konzepts bezeichnet werden. Plotin greift das Bild der Entstehung aus Samen vor allem auf, um die Entstehung der Vielheit aus der Einheit zu beschreiben, und steht damit in neupythagoreischer Tradition.³²⁹ Dabei beschreibt er auch die Entfaltung der sichtbaren Welt mit Hilfe dieses Konzepts, um die Vielheit und Zerstreuung der Körperwelt auf einen einheitlichen Ursprung zurückzuführen.³³⁰ Der göttliche Intellekt (νοῦς) legt den λόγος als einen Teil von sich in die Materie ein. Diese rationale Formkraft vergleicht Plotin mit einem Samen, aus dem als einem einheitlichen Prinzip eine differenzierte Vielheit entsteht. Obwohl Plotin die Materie nicht als ein ungewordenes, unabhängiges Prinzip betrachtet, setzt er in diesem Kontext voraus, daß sie der Aktivität des Logos zugrunde liegt. Wie Plutarch bleibt er in dem biologischen Modell, nach dem ein Same immer in eine zugrunde liegende Materie ausgesät wird. An diesem Punkt unterscheidet sich Porphyrius charakteristisch von seinen Vorgängern.³³¹ Er nutzt das Konzept des Samens als Vergleich, um das Wirken des göttlichen Demiurgen plausibel zu machen. Dabei geht das Wirken des Demiurgen über das Modell des Samens hinaus. Der λόγος eines Samens bedarf der Materie und kann nicht getrennt von ihr wirken. Im Unterschied dazu bedarf der Demiurg keiner zugrunde liegenden Materie, sondern bringt die Vielheit der sichtbaren Welt aus sich selbst hervor. Porphyrius vergleicht den göttlichen Demiurgen mit einem Samen, der selbst einfach und ohne Aus³²⁷ Siehe Plutarchs Interpretation von Ti. 28c3 f. in plat. quaest. 2,1 (1000e–1001b); vgl. quaest. conv. 8,1,3 (718a). Siehe dazu ausführlicher Kapitel A I 4.3. ³²⁸ Plutarch, plat. quaest. 4 (1003b). ³²⁹ Plotin, Enn. IV 8 (6) 6,7–11 (II 242 Henry / Schwyzer); IV 9 (8) 3,16–18; 5,9–12 (II 256.257 f. H. / S.); V 9 (5) 6,1–15 (II 418–420 H. / S.). Siehe dazu Kapitel A V 3.3.1. ³³⁰ Enn. III 2 (47) 2,15–24 (I 269 f. Henry / Schwyzer); III 7 (45) 11,20–25 (I 387 H. / S.). ³³¹ Siehe Porphyrius bei Proclus, in Ti. I 396,10–26 (Diehl) = Porphyrius, in Ti. frg. 51 (38,30–39,14 Sodano). Siehe dazu ausführlicher Kapitel A V 3.3.1.

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dehnung ist und dennoch aus sich selbst Ausdehnung und Vielheit erzeugt. Im Unterschied zu Plotin verwendet er damit das Modell des Samens nicht nur, um zu beschreiben, wie aus Einheit Vielheit entsteht, sondern auch, um zu demonstrieren, wie eine unkörperliche, intelligible Ursache körperliche Vielheit hervorbringen kann. Das Modell des Porphyrius kann als eine neuplatonisch-monistische Adaption des biologischen Konzepts bezeichnet werden. Die Passage aus dem Timaeuskommentar des Porphyrius, in dem dieser das biologische Modell des Samens verwendet, wird häufig als Quelle für Gregors kosmologisches Konzept betrachtet.³³² Dabei werden die tiefgreifenden Unterschiede jedoch schnell übersehen. Gewiß teilt Gregor mit Porphyrius die Überzeugung von einem transzendenten Ursprung des intelligiblen ›Weltsamens‹. Er vergleicht allerdings nicht den Schöpfergott bzw. Demiurgen selbst, sondern die geschaffene, anfängliche Grundlegung der Welt mit einem Samen. Deren Entstehung und Entfaltung denkt er anders als Porphyrius nicht als einen ewigen Vorgang, sondern als grundlegenden Akt der Erschaffung der Welt, die sich Schritt für Schritt auf ein von Gott festgelegtes Ziel hin entwickelt. Gregor beschreibt zwar die Erschaffung der Welt mit Hilfe des Konzepts der καταβολή-κατασκευή als creatio ex deo. Verglichen mit Porphyrius legt seine Adaption des biologischen Konzepts des Samens aber nahe, daß er bewußt die Vorstellung zurückweist, daß die Welt ewig aus Gott hervorgeht. Im Unterschied zum neuplatonisch-monistischen Modell des Porphyrius kann Gregors Verwendung des biologischen Konzepts als ein christlich-monistisches Modell betrachtet werden. c) Das Modell des Samens im sogenannten Basilidesreferat des Hippolyt. Eine Aufnahme des biologischen Modells der Entstehung aus Samen, die mehrere interessante Berührungen zu Gregors kosmologischem Konzept und seiner christlich-monistischen Adaption des Modells des Samens aufweist, begegnet im sogenannten Basilidesreferat in Hippolyts Refutatio omnium haeresium. Dieses Referat steht bei Hippolyt im Zusammenhang mehrerer Gnostikerreferate, anhand deren Hippolyt nachzuweisen sucht, daß diese Häresien philosophischen Lehren folgen und nicht auf dem Boden des christlichen Evangeliums stehen.³³³ Das Referat ist sichtbar von Hippolyt bearbeitet worden. Es ³³² Siehe R. S 1988, 55. ³³³ Zu diesem schwierigen Text siehe W. A. L 1996, 284–323, der die älteren For-

schungspositionen vor dem Hintergrund seiner eigenen Untersuchung kritisch würdigt. Für Basilides versucht Hippolyt nachzuweisen, daß dessen Lehren von Aristoteles abhängig sind (dazu L, a. a. O., 293). Eine systematisch-philosophische Interpretation des Textes bietet G. B 2005, der ihn allerdings für Basilides in Anspruch nimmt. Zur Schöpfungskonzeption siehe besonders 118–144. Das Basilidesreferat des Hippolyt kann jedoch nicht zur Rekonstruktion der Lehre des Basilides oder seines unmittelbaren Schülerkreises herangezogen werden (so L, a. a. O., 323).

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versammelt bereits auf der Stufe der Vorlage des Hippolyt heterogenes Material und weist möglicherweise Spuren unterschiedlicher gnostischer Bearbeitungen auf.³³⁴ Winrich Löhr betrachtet daher die Vorlage des Hippolyt als einen Text aus dem Lehrbetrieb gnostischer Zirkel nach Basilides, in denen sich spekulative Gedankenexperimente ausgehend von heterogenen Materialien versammeln, die zum Teil unverbunden nebeneinander stehen.³³⁵ Die Materialien stammen aus einer recht komplexen, eigenwilligen Interpretation biblischer Texte vor dem Hintergrund philosophischer Bildung sowie der Auseinandersetzung mit anderen gnostischen Schulen. Trotz aller Unsicherheiten kann vorsichtig festgehalten werden, daß es sich bei dem sogenannten Basilidesreferat um einen spekulativen Text aus einem alexandrinischen Schulbetrieb aus der zweiten Hälfte bzw. dem Ende des zweiten Jahrhunderts handelt, in dem sich Bibelauslegung, philosophische Spekulation sowie die Auseinandersetzung zwischen verschiedenen gnostischen Richtungen niederschlagen. In haer. 7,20–22 gibt Hippolyt die Schöpfungskonzeption der porträtierten Gruppe wieder. Kapitel 20 und 21 beschreiben das absolute Nichts vor der Schöpfung und präsentieren auf gedrängtem Raum eine extreme Form negativer Theologie, nach der Gott schlechthin transzendent und Nichts ist.³³⁶ Damit deutet sich als philosophisches Problem an, wie der nichtseiende Gott aus Nichts, und das heißt in diesem Kontext aus sich selbst, einen Kosmos schaffen kann. Ausgangspunkt ist die Aussage, daß der nichtseiende Gott einen Kosmos schaffen wollte. Das wird sofort in zweifacher Hinsicht präzisiert. Erstens bezogen auf Gott: Die Aussage ›er wollte‹ ist uneigentlich zu verstehen und dient nur dazu, einen begrifflichen Ausdruck zu haben. Zweitens bezogen auf den Kosmos: Mit Kosmos ist nicht der Kosmos gemeint, der später in Ausdehnung und Differenzierung entstand und auseinander trat, sondern ein Weltsame. In diesem Samen sind alle Dinge aufgespeichert, die dem zukünftigen Kosmos angemessen sein werden. Aus diesem Samen entfaltet sich dann durch die Urheberschaft Gottes der Kosmos.³³⁷ Dieses Konzept der Weltschöpfung als καταβολή wird als Gegenkonzept zur Vorstellung der προβολή und zur Vorstellung eines demiurgischen Handwerkers präsentiert, der die Welt aus einem zugrunde liegenden Material schafft.³³⁸ Die Weltschöpfung ³³⁴ Siehe W. A. L 1996, 298–306. ³³⁵ W. A. L 1996, 305 f. ³³⁶ Zur negativen Theologie des Referats siehe W. A. L 1996, 307 mit Forschungsdis-

kussion. ³³⁷ Hippolyt, haer. 7,22,1 (197,17–22 Wendland). ³³⁸ Hippolyt, haer. 7,22,2 (197,24–198,7 Wendland). Siehe auch 7,22,8 (198,29): [ἡ] πρώτη[] καταβολή[]; 7,21,5 (197,8.14) καταβάλλειν. Dieses Konzept als Reaktion auf und Auseinandersetzung mit der valentinianischen προβολή behandelt auch knapp A. O 1958, 699–709. O meint, daß diese Vorstellung von καταβολή terminologisch durch alexandrinische Tradition beeinflußt sei, in der καταβολή wie z. B. bei Origenes als biblischer Begriff für die Weltschöpfung verwendet wurde (a. a. O., 700–702). Dem folgt auch W. A.

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im Sinne der Grundlegung des Weltsamens ist eine Schöpfung durch das Wort (so mit Rekurs auf den Schöpfungsbericht), das dann mit dem Weltsamen identifiziert wird.³³⁹ Die Emission des Weltsamens ist somit kein materieller, sondern ein intellektueller Vorgang, und der Weltsame ist eine immaterielle, intelligible Größe.³⁴⁰ Das sogenannte Basilidesreferat entwickelt also eine Konzeption von Schöpfung, in welcher der transzendente Gott zunächst den Kosmos als nichtseienden, d. h. im Status der Potentialität, in die Existenz stellt. Der Text greift dabei auf das biologische Konzept der Entstehung aus Samen zurück, wie es beispielhaft aus biologischen und philosophischen Äußerungen zur Entwicklung des Embryos erhoben werden kann.³⁴¹ Der transzendente Gott schafft einen immateriellen Weltsamen, der in sich alle zukünftigen Dinge potentiell enthält. Wie ein Senfkorn³⁴² alle Teile und Samen der zukünftigen Pflanze und aller weiteren, von ihr abstammenden Pflanzen zugleich auf engstem Raum in sich hat, so machte auch der nichtseiende Gott eine nichtseiende Welt aus dem Nichtseienden, indem er einen einzigen Samen zugrunde legte und in die Existenz brachte (καταβαλόμενος καὶ ὑποστήσας), der in sich die gesamte Samenmischung (πανσπερμία) der Welt enthält.³⁴³

Im Hintergrund steht die Vorstellung, daß der Same die σπερματικοὶ λόγοι aller Glieder enthält. Die von Gott gewollten Dinge treten dann sukzessive ins Dasein, indem sie aus dem Samen ihre Anfangsgründe (αἱ ἀρχαί)³⁴⁴ nehmen. Löhr 1996, 307 f., der im Basilidesreferat eine eigenwillige Interpretation kirchlicher Schöpfungslehre sieht, in der der biblische Ausdruck καταβολή eine Rolle spiele. Ähnlich G. B 2005, 124 f. Ich sehe aber keine alexandrinische Tradition, auf die sich das Basilidesreferat beziehen könnte, wie ich an diesem Punkt auch keine Linie von Origenes zu Gregor sehen kann, und führe die Terminologie daher auf die Rezeption der antiken Samenlehre zurück. ³³⁹ Hippolyt, haer. 7,22,3 f. (198,7–15 Wendland). ³⁴⁰ So zu Recht G. B 2005, 120.125. ³⁴¹ Siehe dazu Kapitel 2.3.2. ³⁴² Hier nimmt der Text die biblische Metapher des Senfkorns für das Gottesreich auf (Mt 13,31; Mk 4,30–32; Lk 13,18 f.). ³⁴³ Hippolyt, haer. 7,21,4 (197,7–9 Wendland): οὕτως οὐκ ὢν θεὸς ἐποίησε κόσμον οὐκ ὄντα ἐξ οὐκ ὄντων, καταβαλόμενος καὶ ὑποστήσας σπέρμα τι ἓν ἔχον πᾶσαν ἐν ἑαυτῷ τὴν τοῦ κόσμου πανσπερμίαν. Zu den philosophischen Hintergründen des Ausdrucks πανσπερμία siehe W. A. L 1996, 309 Anm. 89. Der Vergleich mit dem Senfkorn ist wohl der Vorlage des Hippolyt zuzuordnen; die weiteren Vergleiche mit dem Ei eines bunten Vogels (7,21,5) bzw. mit der Entwicklung der erst spät auftretenden Zähne eines Kindes (7,22,1) stammen dagegen wohl von Hippolyt (L, a. a. O., 286 mit Anm. 6). Der Hinweis auf die späte Entwicklung der Zähne, die dennoch im Samen angelegt sind, begegnet in der antiken Embryologie und in Texten, die die göttliche Fürsorge und Vorsehung für Entwicklungsprozesse hervorheben (siehe die Belege in Anm. 291). ³⁴⁴ Hippolyt, haer. 7,22,5 (198,15 Wendland).

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Es begegnen dann weitere Charakteristika der Entstehung aus Samen: die sofort mit der ›Aussaat‹ einsetzende Entwicklung in notwendiger Ordnung zu festgesetzten Zeiten sowie die Beschreibung der Entfaltung als Prozeß einer Diakrisis. Der Weltsame vergrößert sich mit Notwendigkeit zu eigenen Zeiten (ἀναγκαίως καιροῖς ἰδίοις) und ›wächst‹ zum Kosmos heran. Die Entfaltung des Weltsamens beginnt zugleich mit seiner Grundlegung: Das Leichte nun pulsierte als erstes hervor, sogleich als die ursprüngliche Grundlegung des Samens geschah durch den Nichtseienden, und stieg auf und eilte von unten nach oben.³⁴⁵

Der Kosmos entfaltet sich in einer bestimmten Ordnung. Alles entwickelt sich κατὰ φύσιν nach dem Plan des nichtseienden Gottes, das heißt nach einem dem Weltsamen und dem Kosmos inhärenten Prinzip. Eines Demiurgen oder eines wie auch immer gearteten Aufsehers, der außerhalb des Kosmos steht, bedarf es daher nicht.³⁴⁶ Hippolyt referiert in einer betonten Reihenfolge die Dinge, die aus dem Weltsamen emporsteigen.³⁴⁷ Nacheinander treten verschiedene Sohnschaften und andere Größen einer mythischen Kosmologie hervor. Die Sohnschaften gelangen entsprechend ihrer Leichtigkeit bzw. Schwere an den ihnen zugemessenen Ort. Das Referat verbindet in den weiteren Abschnitten eine mythische Kosmologie, in deren Hintergrund das Modell der Entstehung aus Samen steht, mit einer Darstellung der Heilsgeschichte. Auffällig ist dabei, daß das Modell der Diakrisis in den folgenden Abschnitten des Referats aufgegriffen und heilsgeschichtlich interpretiert wird.³⁴⁸ Die Urheber der Lehre des sogenannten Basilidesreferats greifen auf das Konzept der Entstehung aus Samen zurück, um vor dem Hintergrund einer extremen negativen Theologie die Erschaffung der Welt durch Gott zu veranschaulichen, die auf eine Formel gebracht die Erschaffung der nichtseienden Welt durch den nichtseienden Gott aus dem Nichts, d. h. Gott selbst, ist. Das Konzept des Samens, bei dem aus etwas äußerst Kleinem, Unscheinbaren, beinahe Nichtseiendem etwas sehr viel Größeres, Vielgestaltiges und Vielfältiges entsteht, bot sich dafür als Modell an, weil es für das antike philosophische Denken die deutlichste und stärkste Annäherung an den Gedanken einer ³⁴⁵ Hippolyt, haer. 7,22,8 (198,28–31 Wendland): τὸ μὲν οὖν λεπτομερὲς εὐθέως πρῶτον ἅμα τῷ γενέσθαι τοῦ σπέρματος τὴν πρώτην καταβολὴν ὑπὸ τοῦ ὄντος διέσφυξε καὶ ἀνῆλθε καὶ ἀνέδραμε κάτωθεν ἄνω, … ³⁴⁶ Hippolyt, haer. 7,24,3–5. ³⁴⁷ Haer. 7,22,7 (198,23–25 Wendland): ἴδωμεν οὖν, τί λέγουσι πρῶτον ἢ τί δεύτερον ἢ τί τρίτον τὸ ἀπὸ τοῦ σπέρματος τοῦ κοσμικοῦ γεγενημένον. ³⁴⁸ Der gesamte heilsgeschichtliche Prozeß hält sich an einen bestimmten Zeitplan, in dem ein jegliches zu seiner Zeit zur Vollendung gelangt. Die Heilsgeschichte ist ein Prozeß fortschreitender Diakrisis, so daß ein Kommentar in haer. 7,27,8–12 sogar bemerken kann, daß das ganze System der Basilidianer sich um die Frage der Scheidung des Zusammengemischten drehe (dazu W. A. L 1996, 291 f.).

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›Schöpfung aus dem Nichts‹ ist.³⁴⁹ Gleichzeitig ist das Modell des Samens geeignet, die Vorstellung einer Schöpfung ›aus Gott‹ zu entwickeln, die weder dem handwerklichen Modell noch dem Modell der Emanation, d. h. der προβολή, folgt, die von den Autoren abgelehnt werden. Das sogenannte Basilidesreferat berührt sich an zentralen Punkten mit den Ausführungen Gregors in seiner Hexaemeronauslegung: Es nimmt das biologische Modell der Entstehung aus Samen auf, um einerseits eine Entstehung der körperlichen Welt aus dem transzendenten Gott, andererseits eine sukzessive Entwicklung der Welt zu skizzieren. Gleichzeitig treten aber auch die Unterschiede zwischen beiden Darstellungen deutlich hervor. Während das Basilidesreferat den potentiellen, unausgedehnten Kosmos direkt als Weltsame bezeichnet, vergleicht Gregor den undifferenzierten und vermischten Zustand der Grundlegung mit einem samenhaften Vermögen. Während das Basilidesreferat die Entfaltung des Weltsamens in Form eines kosmologischen und heilsgeschichtlichen Mythos erzählt, entwickelt Gregor eine naturphilosophische Elementenlehre. Während im Basilidesreferat auch die Entstehung göttlicher und noetischer Instanzen geschildert wird, hat Gregors Untersuchung ausschließlich den sichtbaren Kosmos zum Gegenstand. Während das Basilidesreferat auf den biblischen Schöpfungsbericht lediglich rekurriert,³⁵⁰ entfaltet Gregor sein Konzept der καταβολή in einer minutiösen, schrittweisen Auslegung des biblischen Textes. Das sogenannte Basilidesreferat bei Hippolyt und Gregors Hexaemeronauslegung sind Beispiele für die Aufnahme der antiken Samenlehre in einen christlich-gnostischen kosmologischen Mythos und in eine christliche, streng am biblischen Schöpfungsbericht orientierte naturphilosophische Kosmologie. Sie versuchen unabhängig voneinander, im Gegenüber zu konkurrierenden Modellen eine bestimmte kosmologische Ausgangsfrage durch die Aufnahme der antiken Samenlehre zu beantworten. Während sich im sogenannten Basilidesreferat vor dem Hintergrund einer extremen negativen Theologie das Problem stellt, wie der nichtseiende Gott den Kosmos schafft, fragt Gregor, wie der unkörperliche, unausgedehnte Gott einen sinnlich faßbaren Kosmos schaffen kann. Gregor findet eine Antwort, indem er unter Schöpfung die simultane, augenblickliche Erschaffung aller an sich intelligiblen Qualitäten versteht und die Gesamtheit aller Qualitäten mit einer samenhaften Kraft vergleicht. Das biologische Konzept des Samens hat dann die Funktion, die sukzessive Entstehung des Kosmos nach dem wörtlich zu verstehenden Schöpfungsbericht mit dem Gedanken der augenblicklichen, simultanen Schöpfung zu verbinden, indem vor dem Hintergrund des biologi³⁴⁹ W. A. L 1996, 309 Anm. 89. ³⁵⁰ Siehe z. B. haer. 7,22,3 f. (198,7–15 Wendland): Gen 1,3 mit Ps 32 (33),9; 148,5; Joh 1,9;

sowie haer. 7,23,1 (200,18): Gen 1,7.

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schen Modells die καταβολή und die κατασκευὴ τοῦ κόσμου unterschieden und zugleich aufeinander bezogen werden. Gregor präsentiert dabei eine Konzeption von Schöpfung, die einerseits das anthropomorph gefärbte und daher Gott unangemessene Handwerksmodell des platonischen Timaeus vermeidet und andererseits eine philosophische Alternative zum neuplatonischen Emanationsmodell darstellt.

3. Die Auseinandersetzung mit Basilius um die Auslegung von Gen 1,6 f. Die Auslegung von Gen 1,6 f. nimmt einen großen Teil der Apologia in Hexaemeron ein. Gregor interpretiert hier die Scheidung zwischen den Wassern oberhalb und unterhalb des Firmaments in einer Weise, die mit seiner Auffassung vom Firmament als Grenze zwischen der sichtbaren Welt und der intelligiblen Schöpfung übereinstimmt und mit den Naturgesetzen vereinbar ist, die er in seinen Ausführungen über die Ausgestaltung des Kosmos bisher herangezogen hat. Da Gregor das Firmament Gen 1,6 anders bestimmt als sein Bruder Basilius, unterscheidet sich auch seine Auslegung der Trennung der Wasser grundsätzlich von der Interpretation des Basilius. Weil Basilius seine Deutung durch eine naturphilosophische Theorie der Elemente begründet, setzt sich Gregor ausführlich mit ihr auseinander und entwickelt eine eigene Theorie der Elemente, die auf seinen kosmologischen Grundsätzen aufbaut und mit seiner Deutung von Gen 1,6 f. vereinbar ist.

3.1. Die Interpretation der oberen Wasser Bei Gregors Interpretation des Firmaments als Grenze zwischen der sinnlich wahrnehmbaren und der intelligiblen Natur zeigte sich bereits, daß Gregor unter den oberen Wassern (Gen 1,7) nicht das Element Wasser versteht, das eine schwere, nach unten strebende Natur hat.³⁵¹ Denn diese Eigenschaften wären mit seiner Position oberhalb des Firmaments nicht vereinbar. Die ›oberen Wasser‹ sind nach Gregor die biblische Bezeichnung für »die Fülle der vernünftigen Kräfte«,³⁵² d. h. für die intelligible Schöpfung,³⁵³ unter der wohl die Engel und ihrer Natur nach auch die Seelen zu verstehen sind.³⁵⁴ Mit dieser ³⁵¹ Zur Bezeichnung des Elements Wasser als schwere, nach unten fließende Natur siehe hex. 19 (30,29–31; 32,4 f.); 21 (34,6–10). ³⁵² Hex. 19 (30,33): … τὸ τῶν νοητῶν δυνάμεων πλήρωμα … ³⁵³ Hex. 20 (32,11): … νοητή τις κτίσις … Vgl. hex. 22 (34,18), wo Gregor von der νοητὴ οὐσία spricht. ³⁵⁴ Zu Recht lehnt F. X. R 1999, 183 Anm. 205 die Annahme ab, Gregor nehme hier eine Welt der Ideen an (so z. B. F. E. R 1912, 54 f.). Daß Gregor damit die Engel meint,

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Deutung knüpft Gregor an Origenes’ Interpretation von Gen 1,7 an.³⁵⁵ Ausführlich äußert sich Gregor zum Wesen der intelligiblen Schöpfung und greift dabei platonische Bestimmungen der überhimmlischen, intelligiblen Natur auf.³⁵⁶ In der intelligiblen Schöpfung gibt es keine Form, die es immer nur an einer Materie geben kann, keine Größe, keine Stellung bezüglich des Ortes, kein auf Ausdehnungseinheiten beruhendes Maß, keine Farbe, keine Gestalt, keinen Umfang – kurz gesagt: nichts von dem, was an der körperlichen Schöpfung unterhalb des Firmaments beobachtet wird.³⁵⁷ Anders als das Element Wasser wird das obere Wasser nicht gesehen, denn es ist mit keiner durch sinnliche Wahrnehmung erkennbaren Eigenschaft vermischt. Es fließt nicht und wird durch nichts umschlossen, denn die intelligible Schöpfung ist frei von allen Eigenschaften, die mit Ort oder räumlicher Ausdehnung verbunden und Voraussetzung für Bewegung sind.³⁵⁸ Gregor bestimmt die intelligible Schöpfung also negativ in Abgrenzung von der sinnlich wahrnehmbaren Schöpfung: Jenseits des Firmaments ist nichts, was so beschaffen wäre, wie man es bei den Phänomenen der sinnlich wahrnehmbaren Welt erkennt.³⁵⁹ Das ›obere Wasser‹, d. h. die intelligible Schöpfung, kann daher nur im Denken erfaßt werden.³⁶⁰

vermuten H. U. . B 1939, 9; J. D 1970, 75–78; R, a. a. O., 183 Anm. 205; P. Z 1970, 70. In De anima et resurrectione bestimmt Gregor das Wesen der Seele mit denselben Begriffen, mit denen er in der Apologia die intelligible Natur jenseits des Firmaments definiert (dazu Z, a. a. O., 70). ³⁵⁵ Siehe dazu die Interpretation von Gen 1,7, die Basilius, hex. 3,9 (53,21–54,8 Amand de Mendieta / Rudberg) referiert und die mittelbar auf Origenes zurückgeführt werden kann. Siehe dazu Kapitel B II 2.5.3.a. ³⁵⁶ Siehe z. B. Philo, Opif. 8,31 mit Phdr. 247c im Hintergrund, wo der ὑπερουράνιος τόπος als die Substanz präsentiert wird, die ohne Gestalt, ohne Farbe und nur dem Denken zugänglich ist. ³⁵⁷ Hex. 20 (32,11–14): … νοητή τις … κτίσις, ἐν ᾗ οὐκ εἶδος, οὐ μέγεθος, οὐχ ἡ ἐπὶ τόπου θέσις, οὐ τὸ ἐκ διαστημάτων μέτρον, οὐ χρῶμα, οὐ σχῆμα, οὐ πηλικότης, οὐκ ἄλλό τι τῶν ὑπὸ τὸν οὐρανὸν θεωρουμένων οὐδέν. Mit οὐρανός meint Gregor hier das Firmament von Gen 1,6–8, wie 32,9 f. (τὸ στερέωμα ὃ ἐπεκλήθη οὐρανός) zeigt. Vgl. mit der Liste der Merkmale der materiellen, körperlichen Schöpfung in hex. 7 (14,22–27; Text in Anm. 70). ³⁵⁸ Hex. 22 (34,11–14.19–24). Die Aussage, daß dem Element Wasser eigentümlich ist, zu fließen und gänzlich umschlossen zu sein (Z. 11–13), hat wohl Gen 1,9 im Hintergrund. Gregor legt diesen Vers dahingehend aus, daß das Wasser durch die Vertiefungen der Erde festgehalten und am Abfließen gehindert wird, indem es von gewissen Behältern umgeben ist (hex. 26 [40,17 f.25–31]). Die Viskosität ist eine zentrale Eigenschaft des Wassers in naturphilosophischen Charakterisierungen (siehe z. B. Seneca, nat. 2,7,1 f. [Z. 136–146; 60 Hine]). ³⁵⁹ Siehe hex. 23 (34,25–27). ³⁶⁰ Siehe die Unterscheidung zwischen τὰ ὕδατα, τά τε ὁρώμενα καὶ τὰ νοούμενα (hex. 24 [36,16]).

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3.1.1. Die Auslegung von Gen 1,2b als Argument für die Deutung der oberen Wasser Gregor stützt seine Deutung der oberen Wasser Gen 1,7 durch die Auslegung von Gen 1,2b:³⁶¹ Die oberen Wasser von Gen 1,7 sind identisch mit dem Wasser, von dem es heißt, daß der Geist Gottes über ihm schwebt (Gen 1,2b). Gregor versteht Geist Gottes als Bezeichnung der dritten Person der Trinität.³⁶² Aus der Verbindung des Wassers Gen 1,2b mit dem Geist Gottes leitet Gregor ab, daß mit diesem Wasser nicht das Element Wasser gemeint sein kann. Zur Unterstützung dieser Interpretation konstruiert er einen Gegensatz zwischen dem ›Geist Gottes über dem Wasser‹ und der ›Finsternis über dem Abgrund‹ (Gen 1,2b). Weil die Natur Gottes und des Geistes eine einzige ist, Gottes Natur aber von der Bibel als wahres Licht bestimmt wird, ist auch der Geist Gottes als Licht aufzufassen.³⁶³ Das Wasser, über dem der Geist Gottes schwebt, ist somit völlig im Licht der göttlichen Natur und von der Finsternis geschieden. Gregor folgert daraus, daß es nicht mit dem Element Wasser identisch sein kann. Gregor versteht Licht und Finsternis hier im Unterschied zu seiner Auslegung von Gen 1,2 f. in hex. 10.13 im übertragenen Sinne. Licht ist hier kein Phänomen, das mit der Erscheinung des Feuers zusammenhängt, sondern das Licht der Gotteserkenntnis. Das Wasser, über dem der Geist Gottes schwebt, ist die intelligible Natur, die der Gotteserkenntnis fähig ist.³⁶⁴ Die Finsternis identifiziert Gregor vor diesem Hintergrund nicht ausdrücklich. Er stellt sie aber in die Nähe zum Übel, wenn er schreibt, daß der Geist Gottes so weit von der Finsternis entfernt sei, wie er auch von jedem Übel geschieden ist.³⁶⁵ Gregor deutet Finsternis und Licht Gen 1,2 f. innerhalb der Apologia einmal naturphilosophisch (hex. 10.13) und einmal theologisch (hex. 19–23) in Abhängigkeit von dem Auslegungsgedanken, den er jeweils verfolgt. Mit dieser theologischen Auslegung von Gen 1,2bc gerät Gregor in die Nähe jener allegorischen Deutungen von Gen 1,2 f., die hier im Schöpfungsbe³⁶¹ Siehe hex. 19 (30,13–32). ³⁶² Einen knappen Überblick über die Vertreter der naturphilosophischen bzw. theologi-

schen Deutung von πνεῦμα τοῦ θεοῦ Gen 1,2 gibt C. S 1996a, 188 f. Ausführlicher K. S 1925. ³⁶³ Hex. 19 (30,22–25). Gregor läßt hier Formulierungen aus der christologischen bzw. trinitätstheologischen Auseinandersetzung anklingen, ohne den Geist Gottes ausdrücklich als Heiligen Geist zu bezeichnen oder seine Relation zum Vater bzw. Sohn zu thematisieren. ³⁶⁴ F. X. R 1999, 181 Anm. 201 verweist auf Steph. I (90,5–14 Lendle) und darauf, daß ›im Licht des Geistes Gottes sein‹ bei Gregor gleichbedeutend sei mit ›Gott sehen‹. Er vermutet, daß Gregors Deutung des Wassers, über dem der Geist Gottes schwebt, in der Tradition einer gnostischen Auslegung steht (a. a. O., 184 Anm. 207). Naheliegender ist es jedoch, an Origenes zu denken, mit dessen Auslegung sich Gregor auseinandersetzt. ³⁶⁵ Siehe hex. 19 (30,18–20): στοχαζόμεθα τοίνυν ὅτι τὸ Πνεῦμα τοῦ Θεοῦ τοσοῦτον ἀπέχει τοῦ σκότος εἶναι, ὅσον καὶ παντὸς κακοῦ ἀλλοτρίως ἔχει.

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richt gegensätzliche Kräfte bezeichnet sehen.³⁶⁶ Dieser Gefahr ist er sich durchaus bewußt. Er wendet sich daher explizit gegen eine Interpretation, die in der Finsternis über dem Abgrund den diabolischen Herrscher böser Kräfte sieht.³⁶⁷ Gregors Ausgangspunkt ist, daß alles, wovon der Schöpfungsbericht handelt, von Gott gemacht ist und daher unter dem Urteil steht, sehr schön zu sein, d. h. die von Gott gewollte und vorhergesehene Natur zu haben. Damit ist ausgeschlossen, im Schöpfungsbericht widergöttliche Kräfte erwähnt zu finden.³⁶⁸ Gregor interpretiert daher in hex. 21 die ›Finsternis über dem Abgrund‹ in Verbindung mit dem Geist Gottes, d. h. dem Licht, über dem Wasser als Gegensatz zwischen sichtbarer und intelligibler Schöpfung. Indem er ähnlich Basilius den Abgrund (ἄβυσσος) in Parallelität zu Bibelstellen wie Ps 76(77),17 als Menge der Wasser auffaßt,³⁶⁹ findet er in Gen 1,2 den Unterschied zwischen oberen und unteren Wassern aus Gen 1,7 wieder. Beide Verse des Schöpfungsberichts handeln somit einerseits vom Element Wasser (Gen 1,2: Abgrund; Gen 1,7: Wasser unterhalb der Feste) und andererseits von der intelligiblen Schöpfung (Gen 1,2: Wasser, über dem der Geist Gottes schwebt; Gen 1,7: Wasser oberhalb der Feste). Gregors Auslegung von Gen 1,7 mit Gen 1,2 berührt sich an einschlägigen Punkten mit der Deutung des Origenes, hebt sich aber auch signifikant von ihr ab. Gregor verbindet wie Origenes die Deutung der Wasser Gen 1,7 mit Gen 1,2.³⁷⁰ Wie Origenes versteht er unter dem πνεῦμα über dem Wasser den Geist Gottes.³⁷¹ Er verknüpft zwar wie Origenes die unteren Wasser mit dem Abgrund Gen 1,2, ersetzt aber Origenes’ ethische Interpretation der unteren Wasser bzw. des Abgrunds durch eine naturphilosophische Interpretation: Die unteren Wasser und der Abgrund stehen bei Gregor für die Menge des Elements Wasser und damit pars pro toto für die sinnlich wahrnehmbare ³⁶⁶ Siehe dazu Kapitel 2.1.2.b mit Anm. 122. ³⁶⁷ Hex. 21 (32,15–19): Καί με μηδεὶς ὑπονοείτω διὰ τῆς τροπολογίας σύγχυσιν ἐπάγειν τῇ

θεωρίᾳ τῆς λέξεως, ὡς ταῖς ὑπονοίαις τῶν πρὸ ἡμῶν τὰ τοιαῦτα τεθεωρηκότων συμφέρεσθαι, καὶ λέγειν· τὰς μὲν ἀποστατικὰς δυνάμεις ἄβυσσον λέγεσθαι· τὸν δὲ κοσμοκράτορα τοῦ σκότους, τὸ ἐπάνω τῆς ἀβύσσου νοεῖσθαι σκότος. ³⁶⁸ Hex. 21 (32,19–27): μήποτε οὕτω παρανομήσαιμι, ὡς ποίημα Θεοῦ τὴν κακίαν νοῆσαι. σαφῶς εἰπόντος ἐπὶ κεφαλαίου τοῦ θείου λόγου, ὅτι … [Gen 1,31] … εἰ δὲ πάντα καλὰ ὅσα ἐποίησεν ὁ Θεός, ἡ δὲ ἄβυσσος καὶ τὰ περὶ αὐτὴν οὐκ ἔξω τῶν παρὰ τοῦ Θεοῦ γεγονότων ἐστίν· ἄρα καλὰ καὶ ταῦτα τῷ ἰδίῳ λόγῳ, κἂν ἄβυσσος ᾖ, κἂν μήπω περὶ αὐτὴν λάμπῃ τὸ τοῖς οὖσιν ἐγκείμενον φῶς· ³⁶⁹ Hex. 21 (32,27–30). ³⁷⁰ Hom. in Gen. 1,2 (Z. 35–43; 30 Doutreleau). Origenes verknüpft hier die unteren Wasser mit den tenebrae, d. h. den Wassern des Abgrunds, die Aufenthaltsort der dämonischen Kräfte sind (vgl. hom. in Gen. 1,1 [Z. 21–26; 30]). Auf Berührungen zu Origenes’ Interpretation der oberen Wasser macht aus anderer Perspektive bereits M. A 1971, 94.102– 105 aufmerksam. ³⁷¹ Für Origenes siehe princ. 1,3,3 (52,3–7 Koetschau), wo er auf seine Deutung von Gen 1,2c im Genesiskommentar hinweist.

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Welt. Damit ersetzt Gregor die Auslegung von Gen 1,7 des Origenes, die auf einen Gegensatz zwischen gottnahen und gottfernen Kräften bzw. dem vernunftgeleiteten und affektgeleiteten Menschen hinausläuft, durch die ontologische Unterscheidung von intelligibler und sinnlich wahrnehmbarer Schöpfung. Gregor verläßt seine konsequent naturphilosophische Interpretation des Schöpfungsberichtes, wenn er das Wasser (Gen 1,2) bzw. die oberen Wasser (Gen 1,7) nicht als Phänomene der sichtbaren Welt auffaßt. Damit wird er seinem eigenen Interpretationsansatz untreu, daß der biblische Schöpfungsbericht ausschließlich von der wahrnehmbaren Schöpfung handelt. Gerade in dieser Ausnahme von der Regel wird aber ein Charakteristikum deutlich, das die sinnlich wahrnehmbare Schöpfung nach Gregor besitzt: Sie ist von der intelligiblen Schöpfung unterschieden und wird durch sie begrenzt. Diese Begrenzung klingt innerhalb des Schöpfungsberichtes in Gen 1,2.7 an. Eine kosmologische Betrachtung, die dieses Charakteristikum außer acht ließe, würde nach Gregor auch den Charakter der sichtbaren Welt nur unvollkommen erfassen. 3.1.2. Der homonyme Sprachgebrauch der Bibel als Argument für die Deutung der oberen Wasser Gregor unternimmt große Anstrengungen, von seiner Auslegung der oberen Wasser den Vorwurf, unberechtigt und willkürlich Allegorese zu treiben, fernzuhalten. Ähnlich wie Origenes³⁷² beruft er sich ausdrücklich auf den Sprachgebrauch der Bibel, die Verschiedenes gleichlautend (homonym) benennt, so daß unter der gleichlautenden Bezeichnung etwas dem Wesen nach anderes zu denken ist. Diese Gewohnheit der Bibel faßt Gregor unter die rhetorische Kategorie der κατάχρησις.³⁷³ Indem Gregor den katachretischen Sprachgebrauch des biblischen Schöpfungsberichtes hervorhebt, zeigt er ein Bewußtsein dafür, daß hier formal gesehen kein naturphilosophischer Traktat, sondern ein

³⁷² Siehe dazu Kapitel B I 4.1.3 Anm. 213. ³⁷³ Hex. 19 (30,32–32,5): εἰ δὲ ὕδωρ κἀκεῖνο παρὰ τῆς γραφῆς ὀνομάζεται, ὃ διὰ τῆς

ὑψηλοτέρας θεωρίας τὸ τῶν νοητῶν δυνάμεων πλήρωμα σημαίνεσθαι στοχαζόμεθα, ξενιζέσθω διὰ τῆς ὁμωνυμίας μηδείς. καὶ γὰρ καὶ ὁ Θεὸς πῦρ καταναλίσκον ἐστίν, ἀλλὰ καθαρεύει τῆς ὑλικῆς τοῦ πυρὸς σημασίας ὁ λόγος. ὥσπερ οὖν τὸν Θεὸν πῦρ μαθὼν εἶναι, ἄλλό τι αὐτὸν παρὰ τὸ πῦρ τοῦτο ἐνόησας· οὕτω καὶ ὕδωρ θείῳ Πνεύματι ὑποφερόμενον διδαχθείς, μὴ τὴν κατωφερῆ φύσιν νοήσῃς τὴν εἰς γῆν καταρρέουσαν· Auf κατάχρησις beruft sich Gregor auch bei seiner Interpretation von Himmel / Firmament Gen 1,6–8: hex. 44 (60,24–26): οἶδα γὰρ τὴν κατάχρησιν τῶν θείων ῥημάτων ἐπὶ τῆς γραφικῆς συνηθείας. Der Apostel Paulus nennt κατὰ τὴν συνήθειαν τῆς γραφῆς die verschiedenen, übereinander liegenden Bereiche zwischen Erde und Firmament ›Himmel‹. Ähnlich muß der Genesisausleger unterscheiden, was der biblische Bericht καταχρήσει τινι ῥημάτων jeweils mit ›Himmel‹ meint (hex. 75 [90,15–92,2]).

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literarischer Text vorliegt, in dem Mose in Form einer Erzählung Naturphilosophie treibt.³⁷⁴ Den homonymen Sprachgebrauch der Bibel aufzudecken bedeutet für Gregor daher nicht, den Wortlaut zu verlassen, sondern ihn erst zur Geltung zu bringen. Gregor behauptet daher, in seiner Auslegung von Gen 1,6–8 nicht außerhalb des Wortlautes und außerhalb dessen zu handeln, was wahrscheinlich und üblich ist, wenn ich an die Trennung der Wasser denke, so daß ich die Natur eines jeden für verschieden halte.³⁷⁵

Er interpretiert den χωρισμὸς τῶν ὑδάτων nicht als quantitative, räumliche Trennung verschiedener Wassermassen, sondern als qualitative Unterschei-

³⁷⁴ Das Stilmittel der κατάχρησις wird in der rhetorischen Fachliteratur verschieden definiert. Verbreitet ist die Unterscheidung der κατάχρησις von der Metapher (lat. translatio), wobei κατάχρησις dafür steht, daß eine Benennung von einer ähnlichen Sache auf etwas übertragen wird, das keinen eigenen Namen hat, während die Metapher / translatio besonders in poetischen Texten begegnet und etwas, das einen eigenen Namen hat, um eines angenehmen Effekts willen durch einen anderen Ausdruck bezeichnet (siehe Quintilian, inst. 8,6,34 f. [121,18–122,15 Rademacher / Buchheit]; ferner Augustinus, doctr. chr. 3,29,40 f. [100–102 Martin]). In dieser Bedeutung leistet die κατάχρησις lexikalischen Ersatz für fehlende Bezeichnungen. In diesem Sinne kann sie streng genommen nicht als Tropus bezeichnet werden (U. N 1998, 911). Das Stilmittel der κατάχρησις kann aber mit Bewußtsein und Wirkungsabsicht als rhetorisches Mittel gebraucht werden und in diesem Falle der Metapher / translatio nahestehen (siehe rhet. her. 4,33 f. [157,21–158,1 Marx]). Sie unterscheidet sich aber dennoch von der Metapher, weil sie die übertragene Verwendung eines Wortes bzw. ähnlicher Worte auf verschiedene Sachverhalte darstellt und die ursprüngliche Bedeutung und die durch κατάχρησις gewonnene Bedeutung häufig nebeneinander bestehen bleiben (N, a. a. O., 912). Gregor verwendet κατάχρησις als Fachbegriff für die Bezeichnung verschiedener Sachverhalte durch einen gleichlautenden Ausdruck. Bei jedem Sachverhalt ist zu überprüfen, ob der Ausdruck in der eigentlichen oder in einer uneigentlichen Bedeutung verwendet ist. Das gilt besonders für Bezeichnungen Gottes. Bezogen auf Gott oder den intelligiblen Bereich haben die durch κατάχρησις gewonnenen biblischen Ausdrücke einerseits den Charakter von Metaphern, andererseits aber als Metaphern die Funktion, fehlende sprachliche Ausdrücke zu ersetzen (Gott als verzehrendes Feuer; die intelligible Natur als ›obere Wasser‹). So wird im katachretischen Sprachgebrauch der Bibel deutlich, daß sie nicht der philosophischen oder naturphilosophischen Fachliteratur angehört. Hier tritt der Aspekt des sprachlichen Mangels in Gregors Verwendung von κατάχρησις in den Vordergrund. So bezeichnen z. B. der Schöpfungsbericht bzw. der Bericht des Paulus über seinen spirituellen Aufstieg die verschiedenen meteorologischen Bereiche katachretisch als ›Himmel‹, weil sie eben keine meteorologische Fachliteratur darstellen (vgl. hex. 75 [90,15–92,2]). Analog dazu bezeichnet der Schöpfungsbericht die intelligible Natur als ›obere Wasser‹, weil er eben formal gesehen kein philosophischer Fachtraktat ist. Grundsätzlich geht Gregor also davon aus, daß in biblischen Texten die gleichen sprachlichen Formen und rhetorischen Stilmittel begegnen, wie in anderen literarischen Texten (darin ähnelt er Augustinus, doctr. chr. 3,29,40 [100 f. Martin]). Eine Interpretation des biblischen Schöpfungsberichtes, die den Wortlaut des Textes ernst nimmt, muß dies berücksichtigen. ³⁷⁵ Hex. 21 (32,32–35): χωρισμὸν δὲ ὑδάτων, τὸν διὰ τοῦ στερεώματος γεγονότα παρὰ τῆς γραφῆς διδασκόμενος, οὐκ ἔξω μοι δοκῶ τοῦ εἰκότος ποιεῖν, καὶ τῆς κατ’ ὄνομα σημασίας, ἐπὶ τοῦ ὕδατος χωρισμὸν ἐννοῶν, ὥστε διάφορον ἑκατέρου τὴν φύσιν οἴεσθαι …

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dung zweier Naturen.³⁷⁶ Verschiedene Naturen zu unterscheiden fordert seiner Meinung nach gerade der Wortlaut von Gen 1,7: Die Schrift befestigt uns den Gedanken, die sagt: »Und Gott schied (διεχώρισεν) zwischen dem Wasser, das über dem Firmament war (ἦν), und dem Wasser, das unter dem Firmament war«. Dadurch zeigt sie nämlich, daß auch am Anfang dieses Wasser nicht mit jenem Wasser vermischt war, sondern die Natur in der Gemeinsamkeit der Namen unvermischt war, indem sie nicht sagt, daß [das Wasser] oberhalb und unterhalb des Firmaments entstand, sondern daß es oberhalb des Firmaments war und unterhalb des Firmaments war.³⁷⁷

Gregor beruft sich für seine Auslegung auf die Verbform ἦν in Gen 1,7 und greift damit ein geläufiges Argument auf. In platonischen Kreisen konnte ein Imperfekt im Sinne der Ewigkeit und Zeitlosigkeit gedeutet werden.³⁷⁸ Auch in christlichen und manichäischen Bibelauslegungen konnte ein ἦν auf diese Weise verstanden werden.³⁷⁹ Gregor behauptet nun freilich nicht, daß das sinnlich wahrnehmbare Wasser und die intelligible Schöpfung ungeworden und ewig sind, sondern nutzt dieses Argument vor dem Hintergrund seines kosmologischen Konzepts. Das Imperfekt ἦν drückt aus, daß die beiden Wasser von Anfang an getrennt existierten und nicht durch Sonderung aus der allgemeinen Gattung des Elements Wasser entstanden sind. Die Verbform unterstützt somit die Annahme, daß der Ausdruck ›Wasser‹ in Gen 1,7 f. homonym gebraucht ist. Gregor zieht hier den biblischen Text als Beweis dafür heran, daß er geordnet und auf angemessene und richtige Weise genau die übertragene Bedeutung ermittelt, die der biblische Text selbst intendiert. Auf diese Weise bringt er den Wortlaut der Bibel nicht durch willkürliche Allegorese in Verwirrung, sondern in einer geordneten und methodisch abgesicherten übertragenen Deutung zur Geltung.³⁸⁰ ³⁷⁶ Gregor verknüpft geschickt den wohl aus (δια)χωρίζειν (Gen 1,6 f.) abgeleiteten Ausdruck χωρισμός mit dem Wort διάφορος, das weniger eine physikalische Scheidung als vielmehr eine wesensmäßige Unterscheidung meint (LSJ zu διάφορος). ³⁷⁷ Hex. 23 (34,28–36,1): … βεβαιούσης ἡμῖν τῆς γραφῆς τὴν ὑπόνοιαν, ἥ φησιν· διεχώρισεν ὁ Θεὸς ἀνὰ μέσον τοῦ ὕδατος ὃ ἦν ὑποκάτω τοῦ στερεώματος, καὶ τοῦ ὕδατος ὃ ἦν ἐπάνω τοῦ στερεώματος· δείκνυται γὰρ διὰ τούτων, ὅτι οὐδὲ τὴν ἀρχὴν κατεκέκρατο τοῦτο πρὸς ἐκεῖνο τὸ ὕδωρ, ἀλλ’ ἐν τῇ τῶν ὀνομάτων κοινωνίᾳ, ἄμικτος ἦν ἡ φύσις, ἐν τῷ εἰπεῖν, οὐχ ὅτι ἐγένετο ὑποκάτω ἢ ὑπεράνω τοῦ στερεώματος, ἀλλ’ ὃ ἦν ὑποκάτω τοῦ στερεώματος, καὶ ὃ ἦν ἐπάνω τοῦ στερεώματος. [Einfügungen in der Übersetzung von mir]. ³⁷⁸ Siehe Plotin, Enn. III 7 (45) 6,50–57 (I 377 f. Henry / Schwyzer) und dazu M. B 1976, 133. ³⁷⁹ Hermogenes und manichäische Ausleger berufen sich z. B. auf das ἦν (Gen 1,2a), um die Ewigkeit der Materie zu belegen, die sie in der ungestalteten Erde in Gen 1,2a genannt sahen. Siehe K. G 2000, 220–226; G. M 1978, 144. In der christologischen Auseinandersetzung um die Ewigkeit des Sohnes wurde das ἦν des Johannesprologs Joh 1,1 als Hinweis auf die Ewigkeit und Ungezeugtheit des Sohnes verstanden. Siehe F. X. R 1992, 125 mit der Anmerkung zu [Basilius], adv. Eun. 5,24 (PG 29, 677c). ³⁸⁰ In hex. 21 (32,15–19; Text in Anm. 367) verwahrt sich Gregor gegen eine falsche allegorische Deutung von Gen 1,2.

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Die Entscheidung, wann in der Bibel homonymer Sprachgebrauch vorliegt, ist nach Gregor nicht beliebig, sondern wird im biblischen Text selbst angezeigt. Sie ergibt sich außerdem aus einem Vergleich mit anderen Bibelstellen. Homonymer Sprachgebrauch liegt schließlich dann vor, wenn die vordergründige Wortbedeutung vor dem theologischen oder philosophischen Deutungshorizont keinen Sinn ergibt. So ist die biblische Aussage, Gott sei ein verzehrendes Feuer, im übertragenen Sinne zu verstehen, da von Gott jegliche Materialität ferngehalten werden muß.³⁸¹ Auf vergleichbare Weise widerspricht es dem kosmologischen Konzept Gregors, ein schweres, nach unten strebendes Element wie Wasser oberhalb des leichten, aufwärtsstrebenden Feuers und jenseits des unstofflichen Firmaments anzunehmen.³⁸² Die ›oberen Wasser‹ müssen daher in Gen 1,7 eine andere Bedeutung haben. Umgekehrt läßt sich die Position der ›unteren Wasser‹ mit den beobachtbaren Eigenschaften des Elements Wasser gut vereinbaren, so daß in diesem Fall keine Homonymie angenommen werden muß.³⁸³ Hier wird deutlich, daß die naturphilosophische Interpretation des Schöpfungsberichtes ein wichtiges Kriterium für die Entscheidung ist, wann homonymer Sprachgebrauch vorliegt. Nicht zuletzt darin unterscheidet sich Gregors übertragene Deutung einzelner Elemente des Schöpfungsberichtes deutlich von der konsequent übertragenen Auslegung des Origenes.³⁸⁴ Indem Gregor eine übertragene Deutung der ›unteren Wasser‹ so vehement ablehnt, grenzt er sich wohl besonders von der Auslegung des Origenes ab, mit der er sich in der Deutung der ›oberen Wasser‹ durchaus berührt.

3.2. Gregors Theorie der Elemente als Argument gegen die Auslegung des Basilius Gregors Deutung der ›oberen Wasser‹ unterscheidet sich von der Auslegung des Basilius, der betonte, unter Wasser nur Wasser verstehen zu wollen, und daher reale Wassermassen oberhalb des Firmaments annahm.³⁸⁵ Gregor folgert aus dieser Position polemisch, daß man dann an der Außenseite des Fir³⁸¹ Siehe hex. 19 (32,1 f.). ³⁸² Siehe die in hex. 18 (30,1 f.) axiomatisch verwendete Aussage τὸ δὲ βαρὺ κατὰ τὴν

φύσιν, ἀνωφερὲς εἶναι οὐ δύναται. ³⁸³ In hex. 21 (34,6–10) betont Gregor, τὸ δὲ ἕτερον ὕδωρ τοῦτο εἶναι, οὗ τὴν φύσιν καὶ ὀφθαλμῷ καὶ ἁφῇ καὶ γεύσει γνωρίζομεν· ὃ γὰρ καὶ κάτω φέρεται, καὶ διειδὲς καθορᾶται, καὶ τῇ γεύσει γινώσκεται, διὰ τῆς ἐγκειμένης ποιότητος, τοῦτο πρὸς ἄλλην τινὰ μεταφέρειν ἔννοιαν, ἡ τοῦ γνωριζομένου φύσις οὐκ ἀναγκάζει. ³⁸⁴ Siehe z. B. die Auslegung der oberen und unteren Wasser durch Origenes in hom. in Gen. 1,2 (Z. 35–50; 30 Doutreleau). ³⁸⁵ Basilius, hex. 3,7–9 (49,10–55,9 Amand de Mendieta / Rudberg). Siehe dazu Kapitel B II 2.5.3.

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maments analog zur Topographie auf der Erde Vertiefungen annehmen müsse, in denen das von Natur aus fließende Wasser gehalten werde. Diese Vorstellung führt er weiter ad absurdum, indem er ironisch eine Art Deckel fordert, der verhindern soll, daß das Wasser herausläuft, wenn im Verlauf der Rotation des Kosmos die himmlischen Täler nach unten zeigen.³⁸⁶ Sehr viel mehr Aufwand bedarf es allerdings, die Erklärung des Basilius zu entkräften, daß die überhimmlischen Wassermassen nötig seien, um die verzehrende Wirkung des Feuers abzuschwächen.³⁸⁷ Diese Erklärung stellt einen ernst zu nehmenden Einwand gegen Gregors naturphilosophische und damit auch exegetische Folgerichtigkeit dar, die oberen Wasser im übertragenen Sinne zu deuten. Fast ein Drittel der Apologia wendet Gregor daher auf, diese Ansicht zu widerlegen. Er unternimmt es, eine Theorie des Wasserkreislaufs und der Umwandlung der Elemente zu entfalten, die einer anderen ἀκολουθία als der des Basilius folgt und mit seinen eigenen exegetischen, naturphilosophischen und theologischen Voraussetzungen übereinstimmt.

Exkurs: Gregors Benutzung naturphilosophischer Fachliteratur In den Abschnitten zum Wasserkreislauf und zur gegenseitigen Umwandlung der Elemente läßt Gregor umfangreiches naturphilosophisches Wissen erkennen. In hex. 32.36.37 bezieht er sich ausdrücklich auf das Wissen von Fachleuten bzw. Fachliteratur.³⁸⁸ Daß Gregor physikalische Fachliteratur verwendet hat, zu deren Gegenstand

³⁸⁶ Hex. 27 (40,33–42,11). Die Annahme einer erdähnlichen Topographie des Firmaments ist für Basilius nicht belegt. Er erwägt, daß das Firmament innen gewölbt, von außen aber flach und eben sei (Basilius, hex. 3,4, aufgenommen z. B. durch Prokop von Gaza, comm. in Gen. [PG 87/1, 68c–69a]). Auch bei anderen Auslegern, die unter den oberen Wassern reales Wasser verstehen, begegnet dieser Gedanke nicht (eine Übersicht über die Deutungen des Firmaments bis Johannes Philoponus bietet C. S 1996a, 272–297). Allenfalls eine Passage aus Prokop von Gaza könnte so gedeutet werden. In seinem Kommentar, der Auslegungen früherer Interpreten zusammenstellt, heißt es vom Firmament, daß es »einen nicht kleinen Teil Wasser auf seine Rückseite nahm und passend für das, was hochgehoben wurde, eine Sammlung an einem Ort bewirkte« (PG 87/1, 64d–65a; Übersetzung S, a. a. O., 290). Möglicherweise wurde von antiochenischen Auslegern des Schöpfungsberichtes auf diese Weise das Problem gelöst, wie sich das Wasser oberhalb des Firmaments halten kann. Gregors polemische Argumentation geht davon aus, daß der Kosmos und folglich auch das Firmament kugelförmig ist und sich um die Erdachse dreht. Diese Annahme teilen viele antiochenische Ausleger nicht. Sie verstehen den Himmel / das Firmament als Halbkugel, so daß Gregors polemische Annahme eines Deckels ins Leere läuft. ³⁸⁷ Basilius, hex. 3,5–7. Siehe dazu Kapitel B II 2.5.2. ³⁸⁸ In hex. 32 (46,29–31) verweist Gregor auf die Ansichten »derjenigen, die über die Himmelserscheinungen philosophieren« und gibt astronomische Erläuterungen zum Größenverhältnis von Sonne und Erde: καὶ τοῦτο σαφῶς ἐκ τῶν τὰ μετέωρα πεφιλοσοφηκότων εἰς ἀπόδειξιν ἄγεται, τὸ πολλαπλασίονα τῆς γῆς εἶναι τὸν ἥλιον· In hex. 36 (52,13) beruft er sich auf Forscher (οἱ ἱστορήσαντες), die die oberen Bereiche der Luft untersuchen. In hex. 37 (52,24) zitiert er weise Männer (οἱ ταῦτα σοφοί), die sich mit Kometen und Sternschnuppen

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auch die Elementenlehre und die Meteorologie gehört, kann aus seiner Aufforderung gelesen werden, die Schätze der paganen Bildung zur Darstellung der Lehre Christi zu nutzen, wobei er Ethik, Physik, Geometrie, Astronomie und Logik ausdrücklich nennt.³⁸⁹ Die Frage, welche naturphilosophischen Autoren und Texte Gregor herangezogen hat, ist besonders von der klassischen Quellenforschung seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts verfolgt worden. Man meinte, den Timaeuskommentar des schwer greifbaren Stoikers Poseidonius identifizieren zu können, ohne daß sich diese Hypothese nachhaltig erhärten ließ.³⁹⁰ Angesichts der vielfältigen naturphilosophischen Fragestellungen, die zur Sprache kommen, ist es unwahrscheinlich, daß Gregor nur aus einer einzigen Quelle geschöpft haben soll. Konkrete literarische Vorlagen lassen sich jedoch nicht benennen. Bei der Frage nach den Quellen ist meines Erachtens grundsätzlich zu unterscheiden zwischen ideengeschichtlichen Berührungen und den konkreten Quellen, die Gregor vorlagen. Ideengeschichtlich können unter Umständen Aussagen getroffen werden. Daraus aber eine direkte Abhängigkeit von konkreten Quellen abzuleiten, ist nicht zuletzt wegen der Überlieferungssituation antiker Texte nur schwer möglich. Allerdings können vorsichtige Vermutungen darüber angestellt werden, welche Texte und Diskussionen Gregor aufgrund seines Bildungsstandes bekannt waren.³⁹¹ In der Elementenlehre, der Theorie der Regenbildung und der Meteorologie zeigen sich viele Berührungen mit Aristoteles, die aber zugleich Unterschiede im Detail aufweisen.³⁹² befassen, und läßt durchblicken, daß es hier unterschiedliche Ansichten gibt (siehe die Erwähnung von τινες Z. 22). ³⁸⁹ Siehe Gregor, v. Mos. 2 (68,11–13 Musurillo) und dazu C. G 1984, 76–79. ³⁹⁰ Zur Auseinandersetzung mit der Position der deutschen Poseidoniusforschung (vor allem K. G; K. R) siehe den Überblick bei F. X. R 1999, 52–55. E. C 1957 sieht Panaetius als die eine Quelle Gregors. ³⁹¹ Methodisch ähnlich geht J. Z 2000, 8–12 in seiner Untersuchung vor. ³⁹² Zu Ähnlichkeiten und Unterschieden zur Theorie der Regenbildung bei Aristoteles siehe F. X. R 1999, 205 Anm. 270; zu Unterschieden in der Verwendung von meteorologischen Fachbegriffen . , a. a. O., 203 Anm. 261; 205 Anm. 269. Dem können weitere Beobachtungen hinzugefügt werden: Gregor verwendet im Zusammenhang der Regenbildung nicht das aristotelische Fachwort ἀτμίς für Wasserdampf, sondern spricht von ἰκμάς, wie z. B. die hippokrateische Schrift über die Umwelt (siehe dazu H. S 1970, 149 f. Anm. zu Mete. 1,9 [346b29]). Gregor erklärt wie übrigens auch Basilius die Bildung von Regen nicht auf aristotelische Weise mit der Abkühlung der Dämpfe, sondern folgt der verbreiteten Theorie Theophrasts, der die Verdichtung der Dämpfe als weiteren Grund einführte. Siehe dazu S, a. a. O., 299 f. zu [Aristoteles], Mu. 4. Gregor vertritt außerdem eine Quellentheorie, die erst bei nacharistotelischen Autoren begegnet (siehe dazu Kapitel 3.2.2.d). Dabei verwendet er das aristotelische Beispiel der Brunnengräber, redet aber in diesem Kontext von Wasseradern (hex. 58 [74,24 f.]: τοῦ ὕδατος φλέβες) – ein Begriff, der nicht bei Aristoteles, sondern erst bei späteren Rezipienten (pseud-aristotelische Problemata; Seneca; Geoponica) des Aristoteles begegnet (dazu S, a. a. O., 159 zu Aristoteles, Mete. 1,13 [349b35]). Gregor beschreibt wie Aristoteles die Elemente und deren Umwandlung anhand ihrer Eigenschaften, weist die Qualitäten aber nicht wie Aristoteles, sondern wie nacharistotelische Autoren zu (siehe dazu Kapitel 3.2.2.c). Eine interessante Anknüpfung an Aristoteles, GC 2,2 (329b9– 330a29: die ἐναντιώσεις σώματος κατὰ ἁφήν) findet sich in hex. 29. Gregor führt in einer Aufzählung von Gegensatzpaaren von Eigenschaften den Gegensatz στερρότης – μανότης an, den Aristoteles nicht erwähnt. Den kaiserzeitlichen Aristoteliker Alexander von Aphrodisias beschäftigt ähnlich die Frage, warum Aristoteles in seiner Aufzählung der Gegensatzpaare das Lockergefügte (μανόν) und das Dichtgefügte (πυκνόν) nicht nennt, und er gibt verschiedene Gründe dafür an (siehe P. M 2001, 253 f., der Zitate aus Alexander bei Johannes Philoponus und Averroes auswertet).

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Daraus ergibt sich, daß Gregor die Naturlehre des Aristoteles aus der Perspektive einer späteren Aristotelesinterpretation verwendet, wie es für einen philosophisch gebildeten Autor des vierten Jahrhunderts erwartet werden kann.³⁹³ Für einzelne physikalische Theorien und Motive wird ideengeschichtlich weiterhin auf Poseidonius verwiesen.³⁹⁴ Etliches naturkundliches Material, das die Ausführungen Gregors erhellt und sich teilweise mit ihnen berührt, findet sich in Senecas Naturales quaestiones. Neben Aristoteles selbst sowie Kommentierungen seiner Schriften kann man Gregors Quellen vielleicht auch unter Vertretern einer Art von Literatur suchen, die aus einem systematischen Interesse heraus naturphilosophischen Problemen der verschiedenen Kosmosregionen nachgeht und dabei durchaus auch einen enzyklopädischen Charakter hat. In Senecas Werk ist ein lateinischer Repräsentant dieser Literatur erhalten.

3.2.1. Das gleichbleibende Maß und die Identität der geschaffenen Elemente (Auslegung von Gen 1,31) In hex. 28 stellt Gregor die These des Basilius vor, gegen die er sich vor dem Hintergrund seiner eigenen Auslegung von Gen 1,6 f. wenden will: Er [Basilius] aber sagt, daß das Feuer einerseits verzehrend ist, andererseits eines Stoffes bedarf, der die Flamme beständig ernährt, damit es nicht aufgrund des Mangels an Brennstoff schwächer wird, weil es an sich selbst zugrunde geht.³⁹⁵

Basilius hatte vor dem Hintergrund seiner Deutung des Firmaments und der oberen Wasser Gen 1,6 f. vorgetragen, daß der Schöpfer die Menge des Wassers im Kosmos genau vorherbestimmt habe, damit das Wasser als integraler Kosmosbestandteil trotz der allmählichen Verdunstung durch das Feuer bis zum Ende der Welt reiche. Die Menge des Wassers entspreche daher genau der verzehrenden Kraft des Feuers. In diesem Zusammenhang bezeichnet Basilius das Wasser mit einer verbreiteten Ansicht als »Nahrung des Feuers«.³⁹⁶ Gregor wendet sich gegen diese Nahrungstheorie der Elemente, die Basilius in seiner Argumentation voraussetzt. Als deren Konsequenz streicht er heraus, daß das Feuer vor diesem Hintergrund eines anderen Stoffes bedarf, weil es ³⁹³ Zu diesem Schluß kommt bereits F. X. R 1999, 52. ³⁹⁴ Für Gregors Charakterisierung der Luft weist E.  I 1936, 10–21 auf Poseido-

nius. F. X. R 1999, 208 Anm. 285 möchte Gregors Theorie der Sternschnuppen / Kometen auf Poseidonius zurückführen. Bei genauer Betrachtung ergeben sich jedoch Unterschiede, denn Poseidonius beantwortet die Frage, warum die Erscheinungen verlöschen, auf andere Weise als Gregor damit, daß die ›Nahrung‹ der feurigen Erscheinung aufgebraucht sei. Diese Auffassung lehnt Gregor gerade ab. Ähnlich lassen sich für Gregors Ausführungen zum Mond zwar stoische Parallelen anführen, nicht aber eindeutig poseidonische Ursprünge nachweisen, wie R es versucht (a. a. O., 225 Anm. 363). ³⁹⁵ Gregor, hex. 28 (42,12–15): Ἀλλά φησι, δαπανητικὸν μὲν εἶναι τὸ πῦρ, χρείαν δὲ ἔχειν ὕλης τινὸς τῆς ὑποτρεφούσης εἰσαεὶ τὴν φλόγα, ὡς ἂν μὴ καταμαρανθείη τῇ ἀπορίᾳ τοῦ ὑπεκκαίοντος, αὐτὸ περὶ ἑαυτὸ δαπανώμενον· [Einfügung in der Übersetzung von mir]. ³⁹⁶ Basilius, hex. 3,5 (46,20–47,8 Amand de Mendieta / Rudberg); Z. 7 f.: … πόσην χρὴ τῷ πυρὶ δαπάνην προαποθέσθαι. Z. 17 f.: ἀναγκαία δὲ τοῦ ὑγροῦ ἡ δαψίλεια, διὰ τὸ ἄπαυστον εἶναι καὶ ἀπαραίτητον τοῦ πυρὸς τὴν δαπάνην.

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sonst an seiner eigenen verzehrenden Kraft zugrunde geht. Das Feuer hat seinen Bestand somit nicht aus sich selbst, sondern in Abhängigkeit von einem anderen Stoff. Dieser Auffassung stellt er seine eigene Ansicht entgegen, die in seinem kosmologischen Konzept der καταβολή-κατασκευή wurzelt: Der Bestand des Feuers wird nicht durch den Untergang des Wassers garantiert. Die Elemente bleiben wie alle Geschöpfe aus sich selbst heraus in dem Maß und in der Identität erhalten, die der Schöpfer im Anfang festgelegt hat. Hier liegt der theologische und kosmologische Ausgangspunkt seiner Argumentation, den er in einer Auslegung von Gen 1,31 ausführlich darlegt: Mir aber scheint es richtig zu sein, wenn wir die Argumentation mehr der Folgerichtigkeit entsprechend auseinandersetzen. Da alles, was Gott geschaffen hat, sehr schön ist, muß man, sage ich, die Vollkommenheit des Schönen an jedem der seienden Dinge betrachten. Denn der Zusatz ›sehr‹ zeigt durch die hervorhebende Bedeutung klar an, daß nichts zur Vollendung fehlt. Wie ja bei der Entstehung der Lebewesen tausende Unterschiede der Arten bei diesen Lebewesen zu sehen sind, wir aber sagen, daß durch das allgemeine Wort der Zustimmung zu den Dingen [vgl. Gen 1,31] es einem jeden zukommt, auf gleiche Weise schön zu sein, – nicht freilich bezieht sich die Zustimmung auf die oberflächliche Erscheinung, oder hätten sonst der Tausendfüßler und der Erdfrosch und die Lebewesen, die aus der Fäulnis entstehen, das ›sehr schön‹?³⁹⁷ Nicht freilich auf die Schönheit des Entstandenen blickt das göttliche Auge und bestimmt das Schöne in einer bestimmten Wohlfärbung und Wohlgestalt, sondern darin, daß ein jedes, insofern es ist, in sich die Natur vollkommen hat. Denn das Pferd kann nicht darin sein, daß es nicht Rind ist, sondern in jedem von diesen bewahrt sich die Natur selbst, indem es die eigenen Mittel für das eigene Fortbestehen besitzt und das Vermögen zu sein nicht im Untergang der anderen Natur besitzt – so verhalten sich die Elemente zwar verschieden zueinander, aber trotzdem ist jedes für sich sehr schön, denn es ist für sich auf seine eigene Weise in Schönheit vollendet. Schön ist die Erde, denn sie bedarf nicht der Luft, um Erde zu sein, sondern sie bleibt in ihren eigentümlichen Eigenschaften, indem sie sich selbst durch die ihr auf natürliche Weise von Gott her eingelegte Kraft bewahrt. Schön ist auch die Luft, denn sie ist nicht darin, daß die Erde nicht ist, sondern darin, daß sie selbst ist, indem sie mit den natürlich in ihr vorhandenen Kräften für die Dauer auskommt. So ist auch das Wasser sehr schön und das Feuer ist sehr schön, indem jedes durch die eigenen Eigenschaften vollendet wird und durch die Kraft des göttlichen Willens für immer in dem eigenen Maß der ersten Entstehung bleibt. Die Erde, heißt es, steht in Ewigkeit. Sie nimmt nicht ab, sie nimmt nicht zu. Die Luft wird in den eigenen Grenzen bewahrt. Das Feuer wird nicht vermindert. Warum gehört allein von allem das Wasser zu den Dingen, die verzehrt werden?³⁹⁸ ³⁹⁷ Im Unterschied zu F (siehe die lateinische Übersetzung ad loc.) und F. X. R 1999, 79 übersetze ich Z. 4–6 als rhetorische Frage. Gregor geht davon aus, daß auch die niederen Tiere von Gott geschaffen sind und daher unter das Urteil von Gen 1,31 fallen. ³⁹⁸ Hex. 31 (44,28–46,27): Ἀλλά μοι δοκεῖ καλῶς ἔχειν οὕτως ἂν μᾶλλον ἡμῖν κατὰ τὸ ἀκόλουθον διαληφθῆναι τὸν λόγον· ἐπειδὴ πάντα ὅσα ἐποίησεν ὁ Θεός, καλὰ λίαν ἐστίν, ἑκάστῳ φημὶ δεῖν τῶν ὄντων ἐνθεωρεῖσθαι τὴν τοῦ καλοῦ τελειότητα· ἡ γὰρ τοῦ λίαν προσθήκη διὰ τῆς ἐπιτατικῆς σημασίας σαφῶς ἐνδείκνυται τὸ ἀνελλιπὲς εἰς τελείωσιν· ὡς γὰρ ἐν τῇ γενέσει τῶν ζώων μυρίας μέν ἐστι διαφορὰς ἰδεῖν τῶν ἐν τούτοις γενῶν, τῷ δὲ καθολικῷ λόγῳ τῆς τῶν ὄντων ἀποδοχῆς ἁρμόζειν ἐφ’ ἑκάστου φαμέν, κατὰ τὸ ἶσον τὸ καλὸν εἶναι λίαν· οὐ

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Gregor bezieht das göttliche Urteil Gen 1,31, daß alles sehr schön war, auf die Vollkommenheit der Geschöpfe, unter die er auch die Elemente zählt. Dabei vergleicht er die jeweiligen Eigentümlichkeiten der Elemente mit den Unterschieden zwischen Arten von Lebewesen. Jede Art ist vollkommen und schön, insofern sie in sich die von Gott gegebene Natur vollkommen besitzt. Das schließt ein, von sich aus für den Fortbestand der Art sorgen zu können, d. h. durch Fortpflanzung die eigene Art zu erhalten. Aus diesem Grund schließt Gregor Tiere wie den Maulesel von dem Urteil Gen 1,31 aus.³⁹⁹ Im Vergleich zu der Beurteilung, die niedere Tiere wie Tausendfüßler oder Tiere aus der Fäulnis in der antiken Naturphilosophie erfahren, ist es bemerkenswert, daß Gregor auch diese Lebewesen für Geschöpfe Gottes hält und ihnen das Schönsein nach Gen 1,31 zuspricht.⁴⁰⁰ Gregor würdigt dabei weder die Gestalt der Tiere wie Galen⁴⁰¹ noch ihren Nutzen im Gesamtgefüge des Kosmos wie die Stoiker.⁴⁰² Er hebt nicht wie Basilius den vernünftigen Zweck μὴν πρὸς τὸ φαινόμενον τὴν ἀποδοχὴν εἶναι· ἢ γὰρ ἂν καὶ ἡ σκολόπενδρα, καὶ ὁ χερσαῖος βάτραχος, καὶ τὰ ἐκ τῆς σήψεως τῶν βορβόρων ζωογονούμενα, ἔχοι τὸ λίαν καλά· ἀλλ’ οὐ πρὸς τὴν ὥραν τῶν γεγονότων ὁ θεῖος ὀφθαλμὸς βλέπων, ἐν εὐχροίᾳ τινὶ καὶ εὐμορφίᾳ τὸ καλὸν ὁρίζεται, ἀλλ’ ἐν τῷ ἕκαστον καθ’ ὅ ἐστι τελείαν ἐν ἑαυτῷ τὴν φύσιν ἔχειν· οὐ γὰρ ἐν τῷ βοῦν μὴ εἶναι, τὸν ἵππον ἐστὶν εἶναι· ἀλλ’ ἐν ἑκάστῳ τούτων συντηρεῖ ἑαυτὴν ἡ φύσις, ἰδίας ἀφορμὰς πρὸς τὴν ἰδίαν διαμονὴν κεκτημένη, οὐκ ἐν φθορᾷ τῆς φύσεως ἄλλης τὴν τοῦ εἶναι δύναμιν ἔχουσα· οὕτω κἂν ἑτέρως ἔχοι τὰ στοιχεῖα πρὸς ἄλληλα, ἀλλ’ οὖν ἐφ’ ἑαυτοῦ ἕκαστον καλόν ἐστι λίαν· ἐφ’ ἑαυτοῦ γὰρ κατὰ τὸν ἴδιον λόγον ἐν τῷ καλῷ συμπεπλήρωται· καλόν ἐστιν ἡ γῆ, οὐ γὰρ τῆς ἀπωλείας τοῦ ἀέρος χρῄζει πρὸς τὸ εἶναι γῆ, ἀλλὰ μένει ἐν ταῖς ἰδίαις ποιότησι, διὰ τῆς φυσικῶς αὐτῇ θεόθεν ἐγκειμένης δυνάμεως ἑαυτὴν συντηροῦσα· καλὸν ὁ ἀήρ, οὐκ ἐν τῷ μὴ εἶναι τὴν γῆν, ἀλλ’ ἐν ᾧ αὐτός ἐστι, ταῖς κατὰ φύσιν ἐνυπαρχούσαις αὐτῷ δυνάμεσι πρὸς τὴν διαμονὴν ἐξαρκῶν· οὕτω καὶ τὸ ὕδωρ λίαν καλόν, καὶ τὸ πῦρ καλόν ἐστι λίαν, ταῖς ἰδίαις ἑκάτερον συμπεπληρωμένον ποιότησι, καὶ τῇ δυνάμει τοῦ θείου θελήματος κατὰ τὰ ἴδια μέτρα τῆς πρώτης γενέσεως, εἰς τὸ διηνεκὲς παραμένον. ἡ γῆ, φησιν, εἰς τὸν αἰῶνα ἕστηκεν, οὐκ ἐλαττουμένη, οὐ πλεονάζουσα· ὁ ἀὴρ ἐν τοῖς ἰδίοις ὅροις φυλάσσεται· τὸ πῦρ οὐ μειοῦται· πῶς μόνον ἐκ πάντων τὸ ὕδωρ τῶν δαπανωμένων ἐστί; [Einfügungen in der Übersetzung von mir]. In 46,12 lese ich mit einigen Handschriften und F. X. R (1999, 79; 200 Anm. 255) folgend ἄλλης statt der von F vorgeschlagenen Lesart ἀλλ’ εἰς. ³⁹⁹ F. X. R 1999, 200 Anm. 255 weist darauf hin, daß Gregor in Pss. titt. 2,13 (134,9– 28 McDonough) den Maulesel bzw. das Maultier ausdrücklich vom ›sehr schön‹ (Gen 1,31) ausnimmt, weil diese dem Befehl zur Fortpflanzung nicht folgen können. ⁴⁰⁰ Hex. 31 (46,4–6). Diese Tiere sind in aristotelischer Betrachtungsweise nicht schön zu nennen, da sie keine finale Ursache ihrer Entstehung besitzen und auf spontane, automatische und daher irrationale Weise entstehen. Alexander von Aphrodisias prangert daher polemisch die Blasphemie der Stoiker an, die seiner Ansicht nach Gott auch die Erschaffung dieser Tiere zuschreiben (siehe für die aristotelische Kritik an spontanen Entstehungsprozessen den Exkurs in Kapitel A IV 3). Vielleicht in direkter Auseinandersetzung mit Alexander betrachtet dagegen Galen gelegentlich auch die niederen Tiere als Werke einer kunstfertigen Ursache (UP 17 [II 446,9–12.19–23 Helmreich]). ⁴⁰¹ So Galen in UP 17 (II 446,9–12.19–23 Helmreich); zurückhaltender ist er dagegen in Foet. Form. 6,32 (104,25–106,1 Nickel). ⁴⁰² Die Stoiker versuchen, diese Lebewesen in ihr Weltbild κατὰ λόγον einzubinden, indem sie sie wie andere augenscheinlich naturwidrige oder bedrohliche Phänomene einem

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der Geschöpfe hervor,⁴⁰³ sondern sieht ihre Schönheit in der Vollkommenheit und Autarkie aller Geschöpfe, die auf Gottes Schöpfungsakt zurückgehen. Dadurch kann er auch den Tieren, die wegen ihrer Gestalt oder ihrer Schädlichkeit aus einer teleologischen Betrachtung herauszufallen drohen, Schönheit und die Vollkommenheit der Natur zusprechen. Die Überzeugung, daß alle Geschöpfe Gottes vollkommen schön sind, überträgt Gregor auf die Elemente. Sie besitzen die Vollkommenheit darin, daß sie das Maß besitzen, das Gott in der anfänglichen Grundlegung (καταβολή) bestimmt hat. Dieses Maß, daß keine Zu- oder Abnahme duldet, ist Ausdruck ihrer von Gott gegebenen Identität, die Gregor nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ auffaßt.⁴⁰⁴ Letztlich sieht Gregor die Vollkommenheit der Geschöpfe sowie das Maß und die Identität der Elemente in der Kraft des göttlichen Willens begründet.⁴⁰⁵ Gregor stützt die These vom gleichbleibenden Maß der Elemente durch astronomisches Fachwissen und alltägliche Erfahrung. Dabei knüpft er teilweise an Basilius’ Argumente an und führt sie in seinem eigenen Auslegungsinteresse weiter.⁴⁰⁶ Der systematische Ausgangspunkt seiner These bleibt höheren Zweck unterordnen, der letztlich auf die Harmonie des Kosmos zielt, so daß auch diese Erscheinungen und Lebewesen ein Ausdruck der göttlichen Pronoia sind. Allerdings sind auch die Stoiker gezwungen, bei besonders widerlichen oder schädlichen Tieren, die nicht unter einem utilitaristischen oder ästhetischen Gesichtspunkt gewürdigt werden können, die teleologische Betrachtungsweise aufzugeben. Diese Tiere sind keine Produkte der Vorsehung, sondern entstehen als Nebenfolge physiologischer Vorgänge. Gleichwohl wird versucht, ihrer Existenz einen Nutzen für den Menschen abzugewinnen. Siehe Philo, Prov. 2,104 (338–340 Hadas-Lebel), wo die physiologische Betrachtungsweise begegnet und dann mit einer teleologischen Betrachtung verbunden wird (dazu W. C 1907, 289 f.). Zum Urteil, daß Unwetter, Erdbeben, Feuersbrünste etc. nur zum Besten des Kosmos und zum Erhalt der Harmonie dienen, siehe z. B. [Aristoteles], Mu. 5 (397a19–397b2); Philo, Prov. 2,99 f. (326–332 Hadas-Lebel; zur umstrittenen Autorschaft des Traktats siehe Kapitel B I 4.3.2.a Anm. 294). Chrysipp hebt den Nutzen von Tieren wie Mäusen und Wanzen hervor (nach Plutarch, Stoic. 21 [1044d]; 32 [1049a]). Zum Nutzen wilder oder giftiger Tiere bzw. giftiger Pflanzen siehe Cicero, nat. deor. 2,64,161 (115,6–20 Plasberg / Ax); Philo, Prov. 2,91– 94.103 f. (318–322.336–340 Hadas-Lebel). Zur stoischen Rechtfertigung der niederen Tiere siehe C, a. a. O., 189 f., der noch weitere Belege gesammelt hat. Daß in den Übeln ein Nutzen für den Menschen verborgen liegen muß, versuchen die Stoiker immer wieder gegen Kritiker der Vorsehung zu zeigen (siehe die Belege in SVF II, S. 335–341 von Arnim). ⁴⁰³ Basilius, hex. 3,10 (55,7–20 Amand de Mendieta / Rudberg). ⁴⁰⁴ Gregor betont immer wieder, daß die Elemente in ihren eigenen Maßen bzw. Grenzen erhalten werden und weder Ab- noch Zunahme dulden: hex. 31 (46,24–27); 32 (48,4). Um das ›sehr schön‹ (Gen 1,31) auszulegen, verwendet Gregor hier einen Identitätsbegriff, wie er in der peripatetischen Logik ausgehend von der Kategorienschrift des Aristoteles begegnet. Siehe dazu F. X. R 1999, 201 Anm. 260. ⁴⁰⁵ Hex. 31 (46,22–24). ⁴⁰⁶ So weist Gregor zum einen auf das Größenverhältnis zwischen Erde und feuriger Sonne und knüpft damit direkt an Basilius an (hex. 32 [46,27–48,2]). Angesichts der ungeheuren Größe der Sonne erscheint es ihm allerdings fraglich, wie lange das Wasser oberhalb des Himmels, d. h. in der basilianischen Interpretation an der Grenze zwischen Luft und

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jedoch die Lehre von der Entstehung aller Elemente aus der stofflichen Grundlegung des Anfangs, d. h. die Lehre von der Erschaffung aller Elemente durch Gott. Das zeigt der Schlußsatz, mit dem Gregor seine Auslegung von Gen 1,31 in hex. 31 f. beendet. Wie das Feuer ursprünglich nicht durch den Untergang der Feuchtigkeit entstand, sondern auch dieses von derselben Kraft her ins Dasein trat, so wird auch die Fortdauer entsprechend der ursprünglichen Bildung der Elemente für immer bewahrt werden, wobei die feuchte Natur in keiner Weise beeinträchtigt wird in Konsequenz dessen, daß das Feuer fortbesteht.⁴⁰⁷

Gregor fordert hier einerseits logische Stringenz in der Betrachtung der Elemente. Wenn für die ursprüngliche Entstehung der Elemente nicht angenommen wird, daß die Elemente auseinander entstehen, so darf auch der kontinuierliche Erhalt der Elemente nicht so verstanden werden, daß ein Element auf Kosten eines anderen Elements bestehen bleibt. Andererseits macht er deutlich, daß die Kraft, welche die Elemente geschaffen hat, sie auch erhalten wird. In der ursprünglichen Entstehung der Elemente ist auch der Grund für ihre Fortdauer gelegt. Für seine Position führt Gregor Jes 40,12 als Schriftbeleg an. Diese Passage, auf die sich Basilius für seine Theorie eines vorausschauend festgelegten Überschusses des Wassers berufen hatte, der im Verlauf der Existenz des Kosmos durch das Feuer allmählich vermindert wird,⁴⁰⁸ deutet Gregor nun ganz im Sinne seiner Konzeption eines gleichbleibenden Maßes der Elemente: Ich habe von der prophetischen Rede die Großartigkeit der Macht Gottes gehört, als sie die Wunder der Schöpfung aufzählt an der Stelle, wo sie sagt: »Wer hat mit der Hand das Wasser gemessen und den Himmel mit der Spanne und die gesamte Erde mit der Fülle der Hand? Wer hat die Berge auf die Waage gestellt und die Täler auf die Waagschalen?« Dadurch, meine ich, lehrt der Prophet deutlich, daß jedes Element durch eigene Maße umschrieben wird, weil die umfassende Macht Gottes (ἡ τοῦ Θεοῦ περιεκτικὴ δύναμις), welche er Hand, Fülle und Spanne der Hand nennt, jedes der Dinge für sich allein in dem zukommenden Maß verschnürt. … [Daher] ist es völlig notwendig, daß jedes in seinem eigenen Maß und Gewicht bleibt und in dem, was von Gott abgemessen

Äther, überhaupt ausreichen kann. Basilius bestimmt das Verhältnis von Wasser und Hitze des feurigen Äthers in hex. 3,7 (49,21–23 Amand de Mendieta / Rudberg): Σὺ δὲ τῷ μὲν πλήθει τοῦ ὕδατος ἀπιστεῖς, πρὸς δὲ τοῦ θερμοῦ τὸ πλῆθος οὐκ ἀποβλέπεις· ὅ, κἂν ὀλίγον ᾖ τῷ μεγέθει, πολλῆς ἐστι διὰ τὴν δύναμιν ἀναλωτικὸν ὑγρασίας. Zum anderen zeigt in Gregors Augen der gleichmäßige Wasserstand der irdischen Gewässer, daß das Wasser nicht verbraucht wird (hex. 32 [48,2–4 Forbes]). ⁴⁰⁷ Hex. 32 (48,6–11): ἀλλ᾽ ὥσπερ παρὰ τὴν πρώτην οὐκ ἐν τῇ φθορᾷ τῆς ὑγρότητος τὸ πῦρ ἔσχε τὴν γένεσιν, ἀλλὰ παρὰ τῆς αὐτῆς ὑπέστη δυνάμεως καὶ τοῦτο· οὕτω κατὰ τὴν πρώτην τοῦ στοιχείου σύστασιν· καὶ εἰς τὸ διηνεκὲς ἡ διαμονὴ φυλαχθήσεται, οὐδὲν τῆς ὑγρᾶς φύσεως πρὸς τὸ διαμεῖναι τὸ πῦρ διοχλουμένης. ⁴⁰⁸ Basilius spielt auf Jes 40,12 und Weish 11,21 in hex. 3,5 an (47,4 f. Amand de Mendieta / Rudberg).

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(μεμετρημένα) ist und von ihm umfangen wird (ὑπ’ αὐτοῦ περιεχόμενα), keine Zunahme oder Verringerung eintreten kann.⁴⁰⁹

In dieser Auslegung von Jes 40,12 tritt erneut deutlich hervor, daß Gregors Lehre vom gleichbleibenden Maß der Elemente einen theologischen Ausgangspunkt hat: Gott hat allen Elementen ihr zukommendes Maß bestimmt. Das Kriterium dieses Maßes liegt im Schöpferwillen Gottes.⁴¹⁰ Eine Veränderung dieses Maßes würde Gottes Festsetzung und damit seine Schöpfermacht in Frage stellen. Die Schöpfermacht Gottes bezeichnet Gregor hier auch als die Kraft, die alle Geschöpfe umfaßt. Er formuliert deutlich, daß die Elemente von Gott abgemessen sind (Partizip Perfekt) und umfaßt werden (Partizip Präsens). Mit diesen zwei Aktionsebenen unterscheidet er zwischen der grundlegenden Schöpfung und der anschließenden Erhaltung. Die umfassende Kraft Gottes garantiert bleibend das Maß der Elemente, das im Anfang festgesetzt wurde.⁴¹¹ Zu fragen bleibt, was im Falle der Elemente unter den eigentümlichen Ausgangspunkten ihrer Dauer sowie unter der Kraft, die den Elementen auf natürliche Weise von Gott her zum Fortbestand und Erhalt der eigenen Art eingelegt ist, zu verstehen ist.⁴¹² Nach der Bedeutung, die αἱ ἀφορμαί sonst in der Apologia hat, sind damit die Qualitäten gemeint, welche die Elemente konstituieren und ausmachen. Unter der von Gott her eingelegten Kraft ist dann die Fähigkeit der Elemente zur gegenseitigen Umwandlung zu verstehen, für die die Qualitäten die Ausgangspunkte bilden, beziehungsweise die immanente Naturkraft, die diesen Prozeß lenkt. In einem späteren Abschnitt spricht Gre-

⁴⁰⁹ Hex. 45 (62,17–25.28–31): Ἤκουσα τῆς προφητείας τὸ μεγαλεῖον τῆς τοῦ Θεοῦ δυνάμεως διὰ τῶν ἐν τῇ κτίσει θαυμάτων διεξιούσης, ἐν οἷς φησί· τίς ἐμέτρησε τῇ χειρὶ τὸ ὕδωρ, καὶ τὸν οὐρανὸν σπιθαμῇ, καὶ πᾶσαν τὴν γῆν δρακί; τίς ἔστησε τὰ ὄρη σταθμῷ, καὶ τὰς νάπας ζυγῷ; δι’ ὧν οἶμαι σαφῶς ἰδίοις μέτροις τῶν στοιχείων ἕκαστον περιγεγράφθαι τὸν προφήτην διδάσκειν, τῆς περιεκτικῆς τοῦ Θεοῦ δυνάμεως, ἣν χεῖρα καὶ δράκα καὶ σπιθαμὴν ὀνομάζει, ἰδικῶς ἕκαστον τῶν ὄντων ἐν τῷ καθήκοντι μέτρῳ περισφιγγούσης· … ἀνάγκη πᾶσα μένειν ἕκαστον ἐπὶ τοῦ ἰδίου μέτρου καὶ σταθμοῦ, μήτε αὐξήσεως μήτε κολοβώσεως ἐν τοῖς ὑπὸ τοῦ Θεοῦ μεμετρημένοις καὶ ὑπ’ αὐτοῦ περιεχομένοις δυναμένης γενέσθαι. [Einfügung in der Übersetzung von mir]. ⁴¹⁰ Auf Gottes Schöpferwillen führt Gregor das Maß der Elemente in hex. 31 (46,22–24) zurück. ⁴¹¹ Der Ausdruck ›umfassen‹ (περιέχειν) spielt in der platonischen Kosmologie eine wichtige Rolle. Er bezieht sich dort auf die Weltseele, die alles umfaßt und durchdringt und auf diese Weise zusammenhält und durchwaltet (siehe z. B. Alkinoos, Intr. 14 [170,4–9 Hermann / Whittaker]). Bei Gregor fehlen zentrale parallele Begriffe, die in platonischen Texten begegnen und den spezifischen Sinngehalt von περιέχειν mitprägen (z. B. συνέχειν, διοικεῖν). Das Partizip Präsens zeigt aber, daß auch Gregor an ein kontinuierliches, d. h. erhaltendes Wirken Gottes denkt. ⁴¹² Siehe hex. 31 (46,11): … ἰδίας ἀφορμὰς πρὸς τὴν ἰδίαν διαμονὴν …; (46,17 f.): … μένει ἐν ταῖς ἰδίαις ποιότησι, διὰ τῆς φυσικῶς αὐτῇ θεόθεν ἐγκειμένης δυνάμεως …; (46,19 f.): … ταῖς κατὰ φύσιν ἐνυπαρχούσαις αὐτῷ δυνάμεσι πρὸς τὴν διαμονὴν …

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gor von der τρεπτὴ bzw. μεταβλητικὴ ἀλλοιωτικὴ δύναμις.⁴¹³ Die Umwandlung der Elemente faßt er dabei aber nicht als Zunahme bzw. Entstehen des einen und Abnahme bzw. Vergehen des anderen Elements auf, wie es der Gedanke der Nahrung suggeriert. Im Kreislauf der Elemente bleibt vielmehr das ursprüngliche Maß der Elemente erhalten. Auf diesem Grundsatz beruht die Elementenlehre, die Gregor in der Auseinandersetzung mit Basilius entwickelt. In Gregors Erörterung der Elemente zeigen sich die zwei Betrachtungsebenen, die bereits in den Abschnitten zur καταβολή und κατασκευή herausgearbeitet wurden: Aus theologischer Perspektive stellen Gottes Wille und Schöpferkraft die Ursache für den Bestand der Elemente dar. Aus der Perspektive der natürlichen Ursachen sind die elementaren Qualitäten und die Wirkungen ihrer Gegensätze Ursache für die Umwandlung und den Bestand der Elemente. 3.2.2. Der Kreislauf des Wassers als Begründung für dessen gleichbleibendes Maß Das Axiom des gleichbleibenden Maßes der Elemente verteidigt Gregor in der Apologia gegen Einwände des Basilius, der aus Naturbeobachtungen abgeleitet hatte, daß das Wasser tatsächlich durch die feurige Wirkung der Sonne aufgezehrt wird. Gregor unternimmt es, die angeführten Beobachtungen so zu erklären, daß sie mit seiner Grundbehauptung vom gleichbleibenden Maß der Elemente vereinbar sind. Das heißt, er entwickelt für jede vorgetragene Beobachtung eine Folgerichtigkeit (ἀκολουθία), die vom Axiom des gleichbleibenden Maßes ausgeht. Dabei erläutert er, wie das ursprüngliche Maß der Elemente in ihrer Umwandlung erhalten bleibt. In einem ersten Schritt greift Gregor die Beobachtung auf, daß feuchte Erde durch Sonnenwärme ausgetrocknet wird. Damit hatte Basilius demonstriert, daß die Wärme der Sonne die Feuchtigkeit gänzlich aufbrauche.⁴¹⁴ Gregor legt dar, daß das Wasser durch die Sonneneinwirkung nicht verbraucht wird, sondern zu feuchter Luft verdunstet und als Niederschlag kondensiert. Verdunstung und Niederschlag folgen in der Darstellung Gregors dem Gesetz des natürlichen Ortes des Schweren und Leichten sowie dem Grundsatz des Strebens von Gleichem zu Gleichem.⁴¹⁵ Die meteorologischen Erklärungen fügen ⁴¹³ Siehe hex. 53 (68,24 f.32 f.). Vgl. Plotin, Enn. II 3 (52) 17,3 f. (I 182 f. Henry / Schwyzer): τὸ ποιοῦν φυσικῶς οὐ νόησις οὐδὲ ὅρασις, ἄλλα δύναμις … προτρεπτικὴ τῆς ὕλης … Anders als Plotin nimmt Gregor keine zugrunde liegende Materie an und bestimmt außerdem die Naturkraft als vernünftig und weise. ⁴¹⁴ Hex. 33 (48,12–16). Vgl. Basilius, hex. 3,7 (50,9–13 Amand de Mendieta / Rudberg). ⁴¹⁵ Hex. 34 (48,34–50,4): ὥστε τὰς λεπτάς τε καὶ ἀτμοειδεῖς ἰκμάδας, τέως μὲν ἐπιπολάζειν τῷ ἀέρι διὰ κουφότητα, καὶ ἐποχεῖσθαι τοῖς πνεύμασιν· εἰ δὲ πλεῖον ἡ τοῦ ὑγροῦ συγγένεια πρὸς ἑαυτὴν συρρυεῖσα βαρεῖα γένοιτο, τότε ἐκπίπτουσαν τοῦ ἀέρος ἐπὶ τὴν γῆν σταγόνα

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sich dadurch gut in Gregors kosmologisches Konzept der κατασκευή ein, in dem diese beiden Sätze eine zentrale Rolle spielen. Die Summe aus der Schilderung der Wolken- und Regenbildung zieht Gregor, indem er die meteorologische Erklärung auf sein Grundaxiom vom gleichbleibenden Maß der Elemente zurückführt: So wird nämlich der Staub, auch wenn er weiträumig in der Luft verstreut ist, wieder der Erde zurückgegeben. Und auch das Feuchte geht nicht zugrunde, und wird … durch die Regentropfen der eigenen Natur wieder zurückgegeben, so daß überall die Teile, die im All in elementarer Form wahrgenommen werden, in demselben Maß bewahrt werden, das die Weisheit des Demiurgen ursprünglich für ein jedes der seienden Dinge festgesetzt hat zur Wohlordnung des Alls (πρὸς τὴν εὐαρμοστίαν τοῦ παντὸς διετάξατο).⁴¹⁶

Gregor deutet hier eine kosmologische Voraussetzung seines Axioms an: Das Maß der Elemente ist vom Schöpfer auf die Wohlordnung des Kosmos hin ausgerichtet. Mit dem gleichbleibenden Maß der Elemente steht daher auch die Wohlordnung des Kosmos auf dem Spiel. Insgesamt bedient sich Gregor in der Schilderung der Verdunstung und der Regenbildung eines Arguments, mit dem bereits Aristoteles aus ganz anderen Beweggründen in seiner Meteorologie die ältere Annahme bekämpfte, daß sich die Sonne von Feuchtem ernähre.⁴¹⁷ In einem zweiten Schritt antwortet Gregor auf einen Einwand, der sich nicht bei Basilius findet. Dieser Einwand geht von der Beobachtung aus, daß sich die Wolken bei großer Hitze zunächst verkleinern und dann ganz auflösen, so daß man annehmen muß, daß die Hitze die Feuchtigkeit in der Luft aufzehrt.⁴¹⁸ Gregor skizziert als Gegenentwurf einen Kreislauf des Wassers, der die Verdunstung des Wassers, die Verbrennung des Wassers zu Erde und die Umwandlung der Erde in Wasser umfaßt. Die erste Voraussetzung dieses Kreislaufs ist Gregors Grundsatz vom gleichbleibenden Maß der Elemente. Damit verbunden ist die Ansicht, daß der Bereich der Umwandlung der Elemente auf den erdnahen Bereich der Luft begrenzt ist und kein Austausch mit dem darüberliegenden Bereich beγίνεσθαι. Hex. 35 (50,17–24): [ἡ ἰκμὰς] … πρὸς τὸ ὁμόφυλον ἐξατμίζεται· … ὁ ἀὴρ … ἅπαν τὸ ἐν αὐτῷ γενόμενον πρὸς τὸ συγγενὲς διαφίησιν· … καὶ ἡ ἰκμὰς οὐκ ἀπόλλυται, ἀλλ᾽ εὑρίσκει τι πάντως ἑαυτῇ συγγενές τε καὶ σύμφυλον κατὰ τὸν ἀέρα πλανώμενον, ᾧ προσπλασθεῖσα καὶ διὰ τῆς τῶν ὁμοίων προσχωρήσεως αὐξηθεῖσα, … ⁴¹⁶ Hex. 35 (50,20–22.25–30): Οὕτω γὰρ ἥ τε κόνις, κἂν ἐπιπολὺ τοῦ ἀέρος διαχεθῇ, πάλιν τῇ γῇ ἀποδίδοται· καὶ ἡ ἰκμὰς οὐκ ἀπόλλυται, … καὶ … διὰ σταγόνων τῇ ἰδίᾳ φύσει ἀποκαθίσταται, ὥστε πανταχοῦ τὰ τοῦ κόσμου μέρη, τὰ στοιχειδῶς ἐν τῷ παντὶ θεωρούμενα, ἐπὶ τοῦ αὐτοῦ μέτρου φυλάσσεσθαι, ὃ παρὰ τὴν πρώτην ἐφ’ ἑκάστου τῶν ὄντων ἡ σοφία τοῦ Δημιουργοῦ πρὸς τὴν εὐαρμοστίαν τοῦ παντὸς διετάξατο. ⁴¹⁷ Siehe Aristoteles, Mete. 2,2 (354b33 f.): διὸ καὶ γελοῖοι πάντες ὅσοι τῶν πρότερον ὑπέλαβον τὸν ἥλιον τρέφεσθαι τῷ ὑγρῷ; 355a25 f.: φανερῶς γὰρ ἀεὶ τὸ ἀναχθὲν ὁρῶμεν καταβαῖνον πάλιν ὕδωρ. ⁴¹⁸ Hex. 36 (50,31–52,4).

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steht.⁴¹⁹ Dem Kreislauf der Elemente kann daher weder Wasser nach oben entzogen werden, wie die Vorstellung einer Ernährung der Gestirne durch Ausdünstungen aus dem erdnahen Bereich lehrt, noch kann dem Kreislauf Wasser von oben zugeführt werden, wie Basilius in seiner Auslegung der oberen Wasser behauptet hatte.⁴²⁰ Gregor führt für seine Auffassung einerseits biblische Texte an und illustriert sie andererseits naturphilosophisch anhand der Erscheinung von Sternschnuppen und Kometen.⁴²¹ Deren Entstehung demonstriert vor dem Hintergrund antiker Kometentheorien, daß zwischen dem meteorologischen Bereich der Luft und dem darüberliegenden feinen und ätherartigen Bereich kein stofflicher Austausch möglich ist. Die zweite und wichtigste Voraussetzung für Gregors Beschreibung des Wasserkreislaufs liegt in der Elementenlehre, die Gregor in seiner Auseinandersetzung mit Basilius entwickelt. Ihr Ziel ist es zu erklären, »daß das Maß der feuchten Natur unvermindert bewahrt bleibt und daß das, was verzehrt wird, stets vollkommen vom übrigen Bestand der Elemente wieder zugeführt wird.«⁴²² a) Die Umwandlung des Wassers durch Feuer in Erde. Gregor geht von der Wirkung des Feuers aus, wie sie in alltäglicher Erfahrung, zum Beispiel in der Verbrennung des flüssigen Öls zu rußigem Rauch beobachtet werden kann.⁴²³ Das Feuchte ändert durch die Einwirkung des Feuers die Eigenschaft in seinen ⁴¹⁹ Hex. 36 (52,5–21). ⁴²⁰ Die Gegner Gregors könnten sich auf Gen 7,11.19 f. berufen, wonach die Schleusen des

Himmels zu Beginn und zum Ende der Sintflut geöffnet bzw. geschlossen werden, was so interpretiert werden kann, daß oberhalb des Firmaments Wassermassen lagern (hex. 43 [60,18–22]). Gregor beruft sich gegen dieses Argument auf den homonymen Sprachgebrauch der Bibel und sieht in Gen 7 mit Himmel nicht das Firmament von Gen 1,6 f., sondern den erdnahen Luftraum gemeint (hex. 44 [60,23–62,9]). Er selbst bietet für seine Theorie des feststehenden und gleichbleibenden Maßes Jes 40,12 auf und entwendet damit Basilius einen zentralen Text, auf den dieser sich für seine Theorie berufen hatte. ⁴²¹ Hex. 37 (52,22–29). Sie entstehen, indem ein Teil der dichteren Luft aus dem erdnahen Bereich, in dem die meteorologischen Ereignisse stattfinden oder Vögel fliegen, durch Winde in den darüberliegenden ätherischen Raum getragen wird und sich dort entzündet und vergeht, wenn der Schwung der Winde wieder abflaut. Daraus zeigt sich nach Gregor, daß die dichtere Luft in dem ätherischen Raum keinen Bestand hat. Zu den verschiedenen antiken Kometentheorien siehe die Zusammenfassung von F. X. R 1999, 208 Anm. 284 f.; W. G 1929, 2439–2446; W. C 1935, 345–348 zur Kometentheorie des Poseidonius. Den besten direkten Einblick in die Debatte geben folgende doxographische Texte, die die verschiedenen Positionen ordnen und aus einer bestimmten Perspektive kritisieren: Scholion in Aratum 1091 = Poseidonius, frg. 131a (Edelstein / Kidd); Anonymus, Parisinus graecus 2422, fol. 143,1–3 = Poseidonius, frg. 131b; Seneca, nat. 7,19,1–21,2 = Poseidonius, frg. 132. Siehe die Kommentare zu diesen Texten von I. G. K 1988a, 490–496. ⁴²² Hex. 38 (54,2–4): ἐπειδὴ δὲ προσήκει μὴ καμεῖν πανταχόθεν ἀνιχνεύοντας τὴν ἀλήθειαν, οὐδὲν ἧττον τούτων γινομένων, φημὶ τὸ μέτρον τῆς ὑγρᾶς φύσεως ἀμείωτον διασώζεσθαι, καὶ ἀεὶ τὸ δαπανώμενον ἀντεισάγεσθαι πάντως τῷ λείποντι. ⁴²³ Hex. 39 (54,6–29).

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Teilchen und wandelt sich vom Feuchten ins Trockene. Dabei wird es jedoch nicht gänzlich vernichtet, weil die stoffliche Masse erhalten bleibt.⁴²⁴ Analog dazu werden die Wasserdämpfe durch die Sonnenhitze ausgedörrt. Dabei verlieren sie zwar ihre feuchte Eigenschaft; sie werden aber, was ihre stoffliche Masse betrifft, nicht in Nichts aufgelöst.⁴²⁵ Um diesen Vorgang zu erklären, betrachtet Gregor die Umwandlung des Wassers durch Feuer in Erde auf der Ebene der Eigenschaften.⁴²⁶ Dafür stellt er die Eigenschaften des Wasserdampfes und des Feuers gegenüber. Die Eigenschaften des Wasserdampfes sind das Feuchte, das Kalte, das Schwere, die Größe. Feuchtigkeit und Kühle verhalten sich zum trockenen und warmen Feuer gegensätzlich und verschwinden daher. Die Größe verhält sich dagegen zur Natur des Feuers, das ebenfalls in einer bestimmten Quantität wahrgenommen wird, verwandt und bleibt erhalten. Mit der Größe bzw. Quantität ist die Schwere verbunden, die daher mittelbar ebenfalls erhalten bleibt.⁴²⁷ Somit geht aus dem Zusammentreffen von Wasserdampf und Feuer die Größe und die Schwere hervor. Diese sind aber auch Eigenschaften der Erde. Gregor läßt außerdem die Trockenheit aus dem Feuer weiterhin als elementare Eigenschaft anwesend sein und hat auf diese Weise neben Größe und Schwere auch die Trockenheit als spezifische Eigenschaft der Erde vorliegen. Damit ist nach Gregors Ansicht auf der Ebene der elementaren Eigenschaften gezeigt, daß Wasserdampf durch die Einwirkung des Feuers in Trockenes, Erdiges umgewandelt wird. Gregor greift hier den aristotelischen Gedanken auf, daß die Umwandlung der Elemente über ihre Eigenschaften abläuft.⁴²⁸ Die Entstehung der Erde aus Wasser und Feuer ist in der Klassifikation, die Aristoteles in GC 2,4 darlegt, der Gruppe von elementaren Umwandlungen zuzurechnen, bei der aus zwei Elementen ein drittes entsteht.⁴²⁹ Demnach entsteht aus Luft und Erde Feuer bzw.Wasser und aus Feuer und Wasser Luft oder eben Erde. Aus Feuer und Wasser entsteht Erde, wenn aus den gegensätzlichen Eigenschaftspaaren jeweils die Wärme des Feuers und die Feuchtigkeit des Wassers vernichtet

⁴²⁴ Siehe die Schlußfolgerung hex. 40 (54,30–56,5) mit dem Ergebnis (56,3–5): ἅρα καὶ πᾶν ὑγρὸν ἐν τῷ πυρὶ γενόμενον, μεταβάλλει τὴν ἐν τοῖς μορίοις ποιότητα, πρὸς τὸ ξηρὸν ἐκ τοῦ ὑγροῦ μεθιστάμενον, οὐκ εἰς τὸ παντελὲς ἀφανίζεται. ⁴²⁵ Hex. 41 (56,6–32). ⁴²⁶ Hex. 41 (56,11–32). ⁴²⁷ F. X. R 1999, 210 Anm. 293 bemerkt richtig, daß Gregor sich davor scheut, dem Feuer, das ja das leichteste, nach oben strebende Element ist, Schwere direkt beizulegen. ⁴²⁸ Zur Umwandlung der Elemente nach Aristoteles siehe GA 2,4 (331a7–332a2). ⁴²⁹ GA 2,4 (331b4–26). Ein Beispiel, das die Umwandlung zweier Elemente in ein drittes für die Sinneswahrnehmung erfahrbar bezeugt, ist nach Aristoteles die Flamme: Die Flamme ist das beste Beispiel für Feuer. Sie ist brennender Rauch, wobei Rauch (καπνός) aus Erde und Luft besteht (331b24–26).

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werden, so daß Kühle und Trockenheit übrigbleiben, die Eigenschaften der Erde sind.⁴³⁰ Gregor bestimmt die Eigenschaften, über welche die Umwandlung erfolgt, anders als Aristoteles, weil er davon ausgeht, daß die gegensätzlichen Eigenschaften von Wasser und Feuer sich gegenseitig aufheben. Daher führt er den Umfang und die Schwere als Eigenschaften ein, damit über sie die Umwandlung erfolgen kann. Genau genommen sind die resultierenden Eigenschaften Größe bzw. Quantität und relative Schwere unspezifische Eigenschaften aller Elemente, in denen sich ihre Stofflichkeit ausdrückt. Gregor spricht daher in hex. 39 durchaus konsequent von der stofflichen Masse (ὁ κατὰ τὴν ὕλην ὄγκος), die übrig bleibe, wenn Wasser und Feuer aufeinandertreffen. Etwas überraschend führt Gregor aber dann das Trockene als Eigenschaft wieder ein.⁴³¹ Vielleicht sieht er sie potentiell in der Schwere enthalten, denn die Schwere ist nach Z. 21 f. auf natürliche Weise sowohl den feuchten als auch den trockenen Dingen zueigen, d. h. die Schwere ist potentiell trocken oder feucht. Die Dominanz des Feuers läßt aber im vorliegenden Fall nur die Trokkenheit zu.⁴³² Gregor scheint somit implizit doch von einer Dominanz des Feuers über das Wasser auszugehen. Nur so kann er zu der Ansicht kommen, daß die Trockenheit des Feuers nicht nur die Feuchtigkeit des Wassers vernichtet, sondern auch als elementare Eigenschaft erhalten bleibt. Erst auf dieser Grundlage kann er das Ergebnis des Aufeinandertreffens von Wasser und Feuer anhand der Eigenschaften Größe / Umfang, Schwere und Trockenheit eindeutig als Erde identifizieren. Gregor baut in seiner Demonstration der Umwandlung von Wasser durch Feuer zu Erde sichtbar auf der aristotelischen Elementenlehre auf und paßt sie auf durchaus subtile und eigenwillige Weise seiner Argumentation an. b) Die Umwandlung der Erde in Wasser. Grundlage für Gregors Theorie der Elemente ist die Ansicht, daß keines der Elemente im erdnahen Bereich des Kosmos unwandelbar und unveränderlich geschaffen ist. Vielmehr ist alles ineinander und wird durcheinander bewahrt, indem die wandelbare Kraft in einem gewissen kreisförmigen Umlauf alles Erdige ineinander umwandelt und wieder voneinander wegführt. Da die Veränderung selbst unaufhörlich in den Elementen wirkt, müssen notwendigerweise alle ineinander umgewandelt werden, indem sie auseinander hervorgehen und auf die gleiche Weise wieder ineinander eintreten. Denn kein Element würde für sich erhalten werden, wenn nicht die Vermischung (ἐπιμιξία) mit dem Andersartigen die Natur bewahrte.⁴³³ ⁴³⁰ Aristoteles, GA 2,4 (331b17 f.). ⁴³¹ Hex. 41 (56,30). ⁴³² Gregor verwendet die Kategorie Potentialität-Aktualität zwar hier in hex. 41 noch

nicht, aber hex. 56 zeigt, daß sie ein wichtiges Motiv seiner Elementenlehre ist. ⁴³³ Hex. 53 (68,23–31): ἀλλὰ πάντα ἐν ἀλλήλοις ἐστὶ καὶ δι’ ἀλλήλων διακρατεῖται, τῆς τρεπτῆς δυνάμεως διά τινος ἐγκυκλίου περιφορᾶς πάντα εἰς ἄλληλα τὰ γεώδη μεταβαλλού-

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Auf sehr ähnliche Weise faßt Gregor das Wesen der Elemente im Anschluß an seine Auslegung von Jes 40,12 zusammen: Wenn nun die prophetische Rede bezeugt, daß an den seienden Dingen weder Zusatz noch Verminderung eintritt, verbleibt jedes durchaus für immer in den eigenen Maßen, indem die wandelbare Natur, die in den Dingen geschaut wird, alles ineinander umwandelt und ein jedes in das andere verändert und umgekehrt von jenem durch Umwandlung und Veränderung wieder zu dem Ursprünglichen zurückführt.⁴³⁴

In der summarischen Beschreibung des Prozesses in hex. 53 bezeichnet Gregor die unaufhörliche Umwandlung der Elemente ineinander bzw. die Entstehung der Elemente auseinander als Vermischung (ἐπιμιξία) der Elemente, bei der alles ineinander ist und durcheinander festgehalten wird, so daß die Natur jedes Elements bewahrt wird. Gregor betrachtet dabei die Umwandlung der Elemente auf der Ebene ihrer Eigenschaften. Er geht davon aus, daß jedes Element mehrere Eigenschaften besitzt, die sein Wesen ausmachen, und untersucht die Eigenschaften von jeweils zwei Elementen, die in der Ordnung der Elemente (Erde, Wasser, Luft, Feuer) aufeinanderfolgen. Für diese Elemente gilt, daß sie einerseits entgegengesetzte Eigenschaften aufweisen, andererseits gemeinsame Eigenschaften besitzen. Die gemeinsamen Eigenschaften verhalten sich zu den entgegengesetzten Eigenschaften gleichermaßen zugehörig und passend und verbinden dadurch die entgegengesetzten Eigenschaften in den beiden Elementen miteinander.⁴³⁵ Gregor listet die Verhältnisse der Eigenschaften für die verschiedenen konsekutiven Elemente auf.⁴³⁶ Bei Erde und Wasser verhalten sich Trockenheit und Feuchtigkeit unvermischbar (ἀμίκτως) zueinander. Sowohl mit dem Wasser als auch der Erde ist aber die Kühle verbunden, die auf gewisse Weise die beiden gegensätzlichen, im Kampf liegenden Eigenschaften eint (ἑνοῦσα). Wasser und Luft werden durch den Gegensatz von Schwere und Leichtigkeit voneinander getrennt. Beide besitzen aber als natürliche Eigenschaft die Kühle, die zwischen den Gegensätzen vermittelt (μεσιτεύει). Die Luft ist dem Feuer entgegengesetzt und von ihm unterschieden durch den Kampf zwischen dem Warmen und Kühlen. Beide Elemente haben aber Gemeinschaft durch die σης, καὶ ἀπ’ ἀλλήλων εἰς ἑαυτὰ πάλιν ἐπαναγούσης· αὐτῆς δὲ τῆς ἀλλοιώσεως ἀπαύστως ἐν τοῖς στοιχείοις ἐνεργουμένης, ἀνάγκη πάντα εἰς ἄλληλα μεταβαίνειν, ἐξιστάμενά τε ἀπ’ ἀλλήλων, καὶ πάλιν κατὰ τὸ ἶσον ἀλλήλοις ἐπεμβαίνοντα· οὐ γὰρ ἄν τι τούτων φυλαχθείη ἐφ’ ἑαυτοῦ, εἰ μὴ ἡ πρὸς τὸ ἑτερογενὲς ἐπιμιξία διακρατοίη τὴν φύσιν. ⁴³⁴ Hex. 46 (62,32–64,4): Εἰ οὖν μήτε προσθήκην μήτε ἐλάττωσιν περὶ τὰ ὄντα συμβαίνειν ἡ προφητεία μαρτύρεται, πάντως ἐπὶ τῶν ἰδίων ἕκαστον μέτρων εἰσαεὶ διαμένει, τῆς τρεπτῆς φύσεως τῆς ἐν τοῖς οὖσι θεωρουμένης, πάντα εἰς ἄλληλα μεταβαλλούσης, καὶ ἕκαστον εἰς τὸ ἕτερον ἀλλοιούσης, καὶ πάλιν ἀπ’ ἐκείνου διὰ μεταβολῆς τε καὶ ἀλλοιώσεως εἰς τὸ ἐξ ἀρχῆς αὖθις ἐπαναγούσης. ⁴³⁵ Siehe hex. 55 (70,20–26). ⁴³⁶ Siehe hex. 55 (70,26–72,6).

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Eigenschaft des Leichten, und diese Gemeinschaft (κοινωνία) wird gleichsam zu einer Art Mittlerin und Wechslerin (καταλλάκτης) ihrer natürlichen Gegensätzlichkeit. Das Feuer schließlich ist von der Erde durch den Gegensatz vom Leichten zum Schweren getrennt. Beiden ist jedoch die Trockenheit gemeinsam (κοινή), und durch sie werden die Gegensätze gleichsam miteinander verbunden (ἔνσπονδα). Für die einzelnen Elemente ergeben sich daraus folgende Eigenschaften: Die Erde ist trocken, kühl, schwer; das Wasser ist feucht, kühl, schwer; die Luft ist trocken / feucht?,⁴³⁷ kühl, leicht; das Feuer ist trocken, warm, leicht. Die Gegensätze bezeichnet Gregor als unmischbar (ἀμίκτως); sie trennen und unterscheiden die Elemente voneinander. Die gemeinsamen Eigenschaften dagegen einen und verbinden die Elemente und schaffen Gemeinschaft zwischen ihnen. Daraus läßt sich schließen, daß für Gregor die Elemente in einer Mischung miteinander (ἐπιμιξία)⁴³⁸ vorliegen, insofern sie durch gleiche Eigenschaften miteinander verbunden sind. Der Gedanke, daß die Elemente über die gemeinsamen Eigenschaften vermischt und verbunden sind, begegnet ähnlich bereits bei Basilius. Während Basilius hervorhebt, daß über die Verwandtschaft der konsekutiven Elemente auch die vollkommen entgegengesetzten Elemente miteinander versöhnt werden, beschränkt sich Gregor innerhalb seines Argumentationsganges auf die Verbindung benachbarter Elemente.⁴³⁹ Die Verbindung von Erde und Wasser betrachtet Gregor genauer.⁴⁴⁰ Die Kühle begegnet zwar bei der Erde, dem Wasser und der Luft, aber sie gehört vor allem zur Feuchtigkeit. Denn indem sie als Gegensatz der Wärme auch die mit ihr verbundene Trockenheit abmildert, bewahrt sie auf gewisse Weise die Natur des Wassers. Zwischen den Eigenschaften, die das Wesen des Wassers bestimmen, liegt eine besonders enge Verbindung vor. Aus dieser Verbindung schließt Gregor, daß das Wasser (kühl-feucht) potentiell auch in der kühlen Erde ist, »denn die natürliche Verknüpfung des Feuchten zum Kühlen erlaubt nicht, daß das eine vom anderen gänzlich getrennt wird.«⁴⁴¹ Gregor greift das ⁴³⁷ Zu der Frage, ob Gregor die Luft für trocken oder feucht hält, siehe Kapitel 3.2.2.c. ⁴³⁸ Vgl. hex. 53 (68,31). ⁴³⁹ Basilius legt seine Elementenlehre dar ausgehend von der Bezeichnung der Erde als

Trockenes (Gen 1,10) in hex. 4,5 (64,24–66,8 Amand de Mendieta / Rudberg). Siehe dazu Kapitel B II 2.2.1.a. ⁴⁴⁰ Gregor, hex. 56 (72,7–32 Forbes). ⁴⁴¹ Hex. 56 (72,17–25): εἰ οὖν ἐπίσης τῷ ὑγρῷ συμπληρωτικὸν τῆς τοῦ ὕδατος φύσεως καὶ τὸ ψυχρὸν ἀπεδείχθη, ἀκόλουθον ἂν εἴη λογίζεσθαι, ὅτι τῆς ψυχρᾶς ποιότητος καὶ τῇ γῇ φυσικῶς ἐγκειμένης, δυνάμει καὶ τὸ ὕδωρ ἐν τῇ γῇ ἐστι, καὶ ἡ γῆ ἐν τῷ ὕδατι· ἡ γὰρ φυσικὴ τοῦ ὑγροῦ πρὸς τὸ ψυχρὸν συζυγία, οὐκ ἐᾷ διαζευχθῆναι καθόλου τοῦ ἑτέρου τὸ ἕτερον· ἀλλὰ κἄν ποτε καταμόνας ἐφ’ ἑαυτοῦ τύχῃ τούτων ἑκάτερον, οὐκ ἀκριβῶς μόνον ἐστίν, ἀλλὰ τῇ δυνάμει τὸ συναμφότερον ἐν τῷ ἑνὶ καθορᾶται· Auch Basilius spricht von einer Verknüpfung der Eigenschaften (hex. 4,5 [65,16–18 Amand de Mendieta / Rudberg]: Οὕτω γὰρ διὰ τῆς συζύγου ποιότητος ἡ δύναμις προσέρχεται τοῦ ἀναμιχθῆναι ἑκάστῳ πρὸς ἕκαστον.

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geläufige und auch von ihm selbst in der Apologia benutzte Bild des Samens auf, um die Verbindung von Erde und Wasser zu beschreiben. Die für die Erde natürliche Eigenschaft der Kühle fungiert gleichsam als eine Art Samen für die feuchte Natur. Das heißt, daß die Feuchtigkeit des Wassers potentiell in der Kühle der Erde enthalten ist. Bei großer Abkühlung erzeugt die in den Elementen wirksame verändernde Kraft aus der Kühle der Erde Feuchtigkeit und wandelt damit die Erde in Wasser um.⁴⁴² Damit hat Gregor gezeigt, daß »die Erde in die Natur des Wassers umgeändert werden kann.«⁴⁴³ Somit wird deutlich, was Gregor meint, wenn er in hex. 53 sagte, daß ein Element dadurch bewahrt wird, daß die Mischung mit dem Andersartigen seine Natur bewahrt. Durch die gemeinsamen, verbindenden Eigenschaften sind die konsekutiven Elemente ineinander. Daher kann Gregor sagen, daß das Wasser in der Erde und die Erde im Wasser ist. Wegen der natürlichen Verknüpfung der Eigenschaften eines Elements sind mit einer Eigenschaft potentiell auch die anderen vorhanden. Daher kann eine der spezifischen Eigenschaften eines Elements, selbst wenn sie in einem anderen, zweiten Element mit gegensätzlichen Eigenschaften verbunden ist, alle wesentlichen Eigenschaften des ersten Elements und damit seine Natur bewahren. Aus diesem Grund ist ein Element potentiell in den Elementen enthalten, mit denen es gemeinsame Eigenschaften teilt. Da die Elemente in einem geschlossenen Kreislauf ineinander übergehen, kann Gregor sagen, daß alles ineinander ist. Auf welche Weise die wandelbare und verändernde Kraft in den Elementen (ἡ ἀλλοίωσις) bei der Umwandlung von Erde in Wasser das Trockene in das Feuchte verändert oder bei der Umwandlung von Wasser in Dampf das Schwere nach oben zieht und in Leichtes verwandelt, weiß Gregor nicht zu sagen. Der Übergang von der Potentialität in die Aktualität kann nicht weiter erfaßt werden. Hier ist derselbe Erkenntnisvorbehalt spürbar, den Gregor zeigt, wenn er die sukzessive Aussonderung der Elemente aus der stofflichen ⁴⁴² Gregor, hex. 56 (72,28–32 Forbes): … ἡ ψυχρὰ δύναμις φυσικῶς ἐγκειμένη τῇ γῇ, οἷόν τι σπέρμα τῆς τοῦ ὑγροῦ φύσεως γίνεται, ἀεὶ δι’ ἑαυτῆς τὴν συνημμένην ἑαυτῇ ποιότητα φύουσα· τῆς ἀλλοιωτικῆς ἐνεργείας τὴν γῆν, διὰ τῆς ἄγαν ψύξεως, εἰς ὕδατος γένεσιν μεταβαλλούσης. Kühle Kraft (ἡ ψυχρὰ δύναμις) ist eine andere Bezeichnung für die kühle Eigenschaft. Zur Bezeichnung der Qualitäten als Kräfte siehe Anm. 102. Gregor verwendet den Begriff des Samens hier, um die Potentialität des Wassers in der Kühle der Erde auszudrükken, nicht im stoischen Sinne des Pneumas als Kosmos-Same, wie K. G 1914 glaubhaft machen will (125 Anm. 2 mit Hinweis auf C. B 1890, 356). Für die Umwandlung von Erde in Wasser siehe auch hex. 58 (74,26–29): Οὕτως οὖν ἀπογεννᾶται τὸ ὕδωρ, τοῦ μὲν ψυχροῦ τὴν γῆν καθυγραίνοντος, τῆς δὲ ὑγρότητος ἐκ τοῦ ψυχροῦ συνισταμένης, καὶ ὅλην τὴν τοῦ ὕδατος φύσιν ἐν ἑαυτῇ τελειούσης· ⁴⁴³ Die Ausgangsfrage lautete in hex. 53 (70,7 f.): … εἰ δυνατόν ἐστι τὴν γῆν εἰς ὕδατος μεταστῆναι φύσιν. Die Umwandlung der anderen Elemente behandelt Gregor nicht. Lediglich die Veränderung von Wasser in Luft deutet er an: Das Wasser wird in die Luft ausgegossen, indem das Schwere in Leichtes umgewandelt wird (hex. 57 [74,1–4]).

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Grundlegung des Anfangs schildert. Der Mensch kann zwar wahrnehmen, daß diese Vorgänge ablaufen; er kann die Werke der Natur aber dem Verstand nicht erklären.⁴⁴⁴ Daß Gregor trotzdem versucht, die ἀκολουθία der Natur aufzuspüren und soweit als möglich in theoretischer Betrachtung ausgehend von gewissen Prinzipien darzulegen, zeigt sich jedoch gerade in seiner Theorie der Elemente. c) Gregors Weiterentwicklung der aristotelischen Elementenlehre. Daß Gregors Theorie sich eng mit der aristotelischen Elementenlehre berührt, wie sie vor allem in De generatione et corruptione entwickelt wird, ist deutlich sichtbar und bereits oft angemerkt worden.⁴⁴⁵ Allerdings bleibt häufig unbeachtet, auf welche Weise und in welcher Form Gregor die aristotelische Tradition rezipiert und in den Gedankengang der Apologia einarbeitet.⁴⁴⁶ Der Kreislauf der Elemente verläuft nach Gregor vor dem Hintergrund der Fragestellung in der Apologia in der Reihenfolge Wasser / Luft / Feuer / Erde / Wasser. Damit beschreibt Gregor den Kreislauf der Elemente verglichen mit Aristoteles, der vom Feuer ausgeht, in umgekehrter Reihenfolge. Indem er die Umwandlung von Erde in Wasser genauer betrachtet, geht er über die Erklärung der Umwandlung der Elemente durch Aristoteles hinaus, die zwar eine reziproke Umwandlung aller Elemente behauptet, sie aber nur in absteigender Folge ausgehend vom Feuer erläutert. Indem Gregor den Kreislauf der Elemente ausgehend von Aristoteles ganz zu seinem Zwecke skizziert, unterscheidet er sich allerdings nicht von anderen auf Aristoteles aufbauenden Autoren. Der systematische Kontext und die Fragestellung spielen für die Beschreibung des Kreislaufs der Elemente immer eine wichtige Rolle.⁴⁴⁷ ⁴⁴⁴ Hex. 57 (74,4 f.): … ταῦτα ὅτι μὲν γίνεται, τῇ αἰσθήσει καταλαμβάνομεν, λόγῳ δὲ παραστῆσαι τὰ ἔργα τῆς φύσεως ἀδυνατοῦμεν. ⁴⁴⁵ Siehe z. B. K. G 1914, 124; F. X. R 1999, 215–217 Anm. 328. ⁴⁴⁶ K. G 1914, vi entzieht sich in seiner Arbeit ausdrücklich der Aufgabe, die Umgestaltung der verschiedenen Lehren bei Basilius und Gregor zu untersuchen. F. X. R 1999, 217 Anm. 328 beurteilt die Elementenlehre Gregors zusammenfassend als »verhältnismäßig anspruchsvoll, aber auch … etwas eigenwillig«. ⁴⁴⁷ Aristoteles, der davon ausgeht, daß alle Elemente aus allen entstehen können, skizziert in GC 2,4 (331a25) den Kreislauf der Elemente, bei dem konsekutive Elemente auseinander entstehen: Feuer / Luft / Wasser / Erde / Feuer. Diese Umwandlungen verlaufen schneller als die Umwandlungen der Gegensätze, weil jeweils nur eine Eigenschaft ausgetauscht werden muß. Vor ihm skizzierte Platon in Ti. 49c den Kreislauf der Elemente ausgehend vom Wasser: Wasser / Luft / Feuer / Luftgestalt; Wolke bzw. Nebel / Wasser / Erde bzw. Steine. Der Kreislauf ist bei ihm nicht geschlossen. Klassisch ist die aufsteigende Anordnung der Elemente Erde / Wasser / Luft / Feuer. Timaeus Locrus, nat. et anim. 32 (215,13–15 Marg) folgt dieser Reihenfolge in Abweichung von Platon, Ti. 53c4. Sie ist auch bei Galen die natürliche Anordnung, wenn er die Umwandlung der Elemente ineinander diskutiert (Elem. 4,2 [86,21–23 de Lacy]; 4,11 [90,1–2]). Sie findet sich auch im Timaeuskommentar des Calcidius (in Ti. 317 f. [313,5– 314,16 Waszink]). Bei Galen findet sich aber auch die absteigende Ordnung des Aristoteles, wenn er vom Feuer ausgeht (Elem. 4,2 [86,24–88,2]). Vor dem Hintergrund der stoischen

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Wie bei Aristoteles läuft auch bei Gregor die Umwandlung der Elemente über die gemeinsamen, verbindenden Eigenschaften. Wie Aristoteles charakterisiert er daher die Elemente durch mehr als eine Eigenschaft. An einem Punkt weist er aber wie viele nacharistotelische Autoren die Eigenschaften anders als Aristoteles zu: Die Luft ist nicht warm, sondern kühl.⁴⁴⁸ Unklar ist, ob Gregor mit Aristoteles die Luft für feucht hält. Hex. 55 läßt diese Frage offen und bezeichnet die Luft nur als kühl und leicht. Hex. 56 (70,1–4) deutet allerdings darauf hin, daß für Gregor die Luft – im aristotelischen Sinne als Dampf gedacht⁴⁴⁹ – feucht ist.⁴⁵⁰ Dampf in einer bestimmten Form ist damit für Gregor keine Mischung aus Wasser und Luft, sondern Luft selbst.⁴⁵¹ Diese Charakterisierung der Luft erklärt, warum Gregor den Gegensatzpaaren warm/ kühl, trocken/feucht den Gegensatz leicht / schwer hinzufügt. Denn wenn sowohl Wasser als auch Luft feucht-kühl sind, können sie nur durch ein weiteres Gegensatzpaar, nämlich leicht/schwer unterschieden werden. Wasser ist somit feucht-kühl-schwer, Luft dagegen feucht-kühl-leicht. Außerdem verbindet die Leichtigkeit die Luft (feucht-kühl) mit dem Feuer (trocken-warm), obwohl sie ansonsten gegensätzliche Eigenschaften besitzen. Letztlich geht es Lehre von der Entstehung der Elemente durch Verdichtung bzw. Ausdehnung bildet in stoischen Texten die Umwandlung der Elemente in aufsteigender Reihenfolge keinen Kreislauf, sondern steigt in umgekehrter Reihenfolge wieder ab (siehe Cicero, nat. deor. 2,33,84 [83,25– 29 Plasberg / Ax]). Insgesamt zeigt sich, daß nicht dogmatisch feststeht, von welchem Ausgangspunkt die Reihenfolge der Elemente beschrieben wird. ⁴⁴⁸ Johannes Philoponus suggeriert, daß es schon zur Zeit des Aristoteles Leute gab, die annahmen, daß die Luft kühl und feucht ist (in GC 224,15 f. [Vitelli ]). Bereits Theophrast wendet sich von der aristotelischen Charakterisierung der Luft ab und betrachtet sie als kühl (Theophrast bei Plutarch, pr. frig. 16 [952ab = Theophrast, frg. 174 Fortenbaugh]). Siehe dazu R. W. S 1998, 114 f. Vor allem die Stoiker bezeichnen die Luft als kühl und sehen in ihr die τῆς ψυχρότητος αἰτίαν (z. B. nach Plutarch, Stoic. 43 [1053f]; pr. frig. 17 [952c] = beide SVF II 429; Galen, Temp. 2,20 = SVF II 431). Welche Position Poseidonius vertrat, ist umstritten. Siehe Poseidonius, frg. 94 (Edelstein / Kidd) und dazu I. G. K 1988a, 379; Poseidonius, frg. 93 und K, a. a. O., 375–379; S, a. a. O., 120 f. Nach dem pseud-aristotelischen Traktat De mundo ist die Luft ebenfalls kühl (Mu. 2 [392b5 f.]). ⁴⁴⁹ Siehe Aristoteles, GC 2,3 (330b4). In diesem Sinne auch später ganz selbstverständlich Calcidius, in Ti. 318 (314,4 Waszink); Johannes Philoponus, in GC 224,14 f. (Vitelli). ⁴⁵⁰ In hex. 53 (70,1–4) faßt Gregor den Kreislauf der Elemente ein erstes Mal zusammen: ἀλλ᾽ τὸ μὲν ὕδωρ πρὸς τὸ ἀέρα διὰ τῶν ἀτμῶν ἀνεχέθη, οἱ δὲ ἀτμοὶ τὴν φλόγα θρέψαντες, πάλιν ἀπεγεώθησαν, οἷόν τις σποδιὰ μετὰ τὸ τῷ πυρὶ καθομιλῆσαι γενόμενοι· In dieser Schilderung läuft der Kreislauf Wasser / Dämpfe bzw. Luft / Flamme bzw. Feuer / Asche bzw. Erde. Vgl. mit der Schilderung des Kreislaufs in hex. 62 (78,8–12), wo es unter der Überschrift der Veränderung der Elemente ineinander heißt, … τὸ ὕδωρ πρὸς τὸν ἀέρα διὰ τῶν ἀτμῶν ἀναχθέν, ἀὴρ ἐγένετο· Dieser Satz weist darauf hin, daß die unmittelbar folgende Formulierung ὁ ἀὴρ ὑγρανθεὶς … nicht so verstanden werden sollte, als ob die Feuchtigkeit in die Luft akzidentiell hinzutritt. Die Annahme, daß die Luft ihrem Wesen nach trocken ist, hätte meines Wissens keine Parallele. Daß die Umwandlung von Wasser in Luft allgemein als Verdunstung gedacht ist, geht auch aus der allgemeinen Stellungnahme bei Johannes Philoponus hervor (in GC 224,31 f. [Vitelli]), die dieser allerdings als Argument dafür anführt, daß die Luft warm ist. ⁴⁵¹ Gegen F. X. R 1999, 216 Anm. 328.

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ebenfalls auf Aristoteles zurück, den Gegensatz leicht/schwer in die Charakterisierung der Elemente einzubeziehen. In den Ausführungen über den natürlichen Ort der Elemente in Cael. 4,2 f. (310ab) spielt dieser Gegensatz eine wichtige Rolle. Gregor verbindet wie andere Autoren die Charakteristika der Elemente aus De generatione et corruptione und De caelo miteinander.⁴⁵² Dabei ordnet er die Betrachtung strikt seinem Vorhaben unter, die Umwandlung der Elemente plausibel zu machen. Im Rahmen der Auslegung von Gen 1,7 ist Gregor vor allem an der Natur des Wassers interessiert. Er meint, daß gegenüber den anderen kühlen Elementen die Kühle auf besondere Weise dem Wasser zukommt. Hier klingt die aristotelische Tradition an, bei jedem Element eine Eigenschaft besonders zu betonen.⁴⁵³ Für die anderen Elemente gibt Gregor nicht an, welche Eigenschaften sie spezifisch charakterisieren. Aus seinen Ausführungen über die Elemente ergibt sich aber, daß er sie anders als Aristoteles oder Basilius bestimmen muß. Denn die spezifische Eigenschaft eines Elements ist bei Aristoteles immer die Eigenschaft, die ein Element mit dem unmittelbar vorangehenden Element teilt und durch die es das vorangehende Element dominiert. Sie ist daher die Eigenschaft, die seine Entstehung aus dem vorangehenden Element ermöglicht.⁴⁵⁴ So teilt das feuchte Wasser mit der trockenen Erde die Kühle, welche die spezifische Eigenschaft des Wassers ist. Wenn die Kühle die Erde dominiert, entsteht aus ihr Wasser.⁴⁵⁵ Analog dazu müßte Gregor als spezifische Eigenschaften für die Luft die Feuchtigkeit, für das Feuer die Leichtigkeit und für die Erde die Trockenheit annehmen. Da er aber im Kontext seiner ⁴⁵² Siehe z. B. den Kommentar des Alexander von Aphrodisias zu De generatione et corruptione, überliefert durch Jābir b. H.ayyān, Kitāb al-Tas.rīf (Abschnitt 36–40 [101 f. Übersetzung Gannagé]; dazu die Einleitung a. a. O., 27 f.). Die Verbindung beider Texte wird dadurch begünstigt, daß Aristoteles die Gegensätze leicht/schwer und das Streben zur Grenze bzw. zur Mittellage auch in GC 2,3 (330b32 f.) nennt, wenn auch weniger exponiert als in De caelo. Gregor verbindet an anderen Stellen der Apologia Leichtigkeit und Leichtbeweglichkeit bzw. Schwere und Schwerbeweglichkeit in der Charakterisierung der Elemente, was auf eine platonisch-aristotelische Schultradition zurückgeht (siehe M. B 1972, 118 f.). ⁴⁵³ Siehe Aristoteles, GC 2,3 (331a3–6): Die vier Elemente sind jeweils durch eine Eigenschaft besonders gekennzeichnet: Erde – Trockenes; Wasser – Kaltes; Luft – Feuchtes; Feuer – Warmes. In einem etwas anderen Zusammenhang in Mete. 4,4 (382a3 f.) schreibt er dagegen das Feuchte dem Wasser zu. Siehe dazu den Kommentar von H. H. J 218 f. zu GC 2,3 (331a3–6). Basilius folgt in hex. 4,5 (64,23–65,11 Amand de Mendieta / Rudberg) Aristoteles der Sache nach. ⁴⁵⁴ Siehe dazu die Erläuterung von Alexander von Aphrodisias in seinem Kommentar zu GC, überliefert durch Jābir b. H.ayyān, Kitāb al-Tas.rīf (Abschnitt 42 [103 Übersetzung Gannagé]). ⁴⁵⁵ Die Frage, warum nach Aristoteles Wasser eher durch Kühle als durch Feuchtigkeit charakterisiert ist und Feuchtigkeit die spezifische Eigenschaft der Luft ist, beschäftigt die Kommentatoren des Aristoteles. Siehe den Kommentar des Alexander von Aphrodisias zu GC bei Jābir b. H.ayyān, Kitāb al-Tas.rīf (Abschnitt 42 [103 Übersetzung Gannagé]); Alexander von Aphrodisias, Quaest. 1,6 (14,1–15,22 Bruns); Johannes Philoponus, in GC 230,22– 231,13 (Vitelli).

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Fragestellung in hex. 55 f. an den Übergängen zwischen den anderen Elementen nicht in gleichem Maße interessiert ist, äußert er sich zu ihnen nicht. Der Gedanke, daß konsekutive Elemente ineinander umgewandelt werden können, weil die gemeinsame Eigenschaft zweier Elemente die jeweils andere Eigenschaft eines Elements potentiell enthält, findet sich in dieser Form weder bei Aristoteles noch in den erhaltenen Kommentaren zu De generatione et corruptione.⁴⁵⁶ Aristoteles spricht zwar davon, daß jedes Element in jedem potentiell enthalten ist, insofern ihnen ein und dasselbe Substrat zugrunde liegt.⁴⁵⁷ An anderer Stelle sagt er, daß der Dampf (feucht-warm) potentiell eine Art von Wasser und die trockene Ausdünstung (warm-trokken) potentiell eine Art von Feuer sei, um deutlich zu machen, wie die Luft in ihren verschiedenen Regionen dem Wasser bzw. dem Feuer verwandt ist.⁴⁵⁸ Auch nach Alexander von Aphrodisias ist ein Element aufgrund der zugrunde liegenden Materie potentiell das Element, in das es umgewandelt wird.⁴⁵⁹ Diese Aussagen stellen aber keine wirklichen Parallelen zu Gregors Ausführungen dar. Gregor beruft sich zwar an verschiedenen Stellen darauf, daß das Maß des Wassers gleich bleibt, weil die stoffliche Masse des Wassers in der Umwandlung der Elemente nicht verloren geht. Er nimmt hier stillschweigend ein materielles Substrat an, um die Umwandlungsprozesse erklären zu können.⁴⁶⁰ Diese Stellen könnte man dahingehend interpretieren, daß die zugrunde liegende stoffliche Masse der Elemente immer im gleichen Umfang potentielles Wasser ist. Diesen Gedanken äußert Gregor aber gerade nicht. Er scheint die Annahme eines materiellen Substrats vielmehr bewußt zu vermeiden, wenn er feststellt, daß die Erde in ihrer Eigenschaft der Kühle potentiell Wasser enthält. Gregor verwendet die aristotelische Kategorie von ⁴⁵⁶ Von den griechischen Kommentaren zu GC hat nur wenig überlebt: der Kommentar des Johannes Philoponus; Fragmente des Kommentars des Alexander von Aphrodisias bei Johannes Philoponus sowie in einem arabischen Traktat; außerdem Alexanders Traktat De mixtione, der Themen aus GC, vor allem die Theorie der Mischung, diskutiert. Außerdem gehen die Aristoteles-Kommentatoren auch in den Kommentaren zu anderen Schriften des Aristoteles auf Themen aus GC ein. Erst im 12. Jahrhundert wurde der Traktat des Aristoteles ins Lateinische übersetzt und erst im 13. Jahrhundert beginnt die lateinische Kommentierung (siehe J. M. T / H. A. B 1999). Die Fachtagung, die diesem Band zugrunde liegt, ging nur am Rande auf die arabische Rezeption ein. Mit der Arbeit von E. G zu den Fragmenten des Kommentars des Alexander von Aphrodisias in einem arabischen alchemistischen Werk, das eine arabische Übersetzung des Kommentars zu GC 2,2–5 enthält, ist aber auf diese Traditionslinie hingewiesen. Weder bei Johannes Philoponus noch bei Alexander von Aphrodisias (in seinem Kommentar zu GC, überliefert durch Jābir b. H.ayyān, Kitāb al-Tas.rīf) begegnet eine Ansicht, die Gregors Ausführungen nahekommt. ⁴⁵⁷ Aristoteles, Mete. 1,3 (339ab). Auf diese Vorstellung spielt auch Plotin, Enn. II 1 (40) 6,17 f. (I 152 Henry / Schwyzer) an. ⁴⁵⁸ Aristoteles, Mete. 2,3 (340a). ⁴⁵⁹ Siehe Alexander von Aphrodisias bei Johannes Philoponus, in GC 62,11–27 (Vitelli) und dazu P. M 2001, 246. ⁴⁶⁰ Siehe dazu Kapitel 2.1.2.c.

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Potentialität-Aktualität hier auf sehr eigenständige Weise, um die Umwandlung der Erde in Wasser plausibel zu machen, ohne auf ein zugrunde liegendes Substrat zurückzugreifen.⁴⁶¹ An verschiedenen Punkten zeigt sich somit, daß Gregor die aristotelische Elementenlehre schöpferisch für sein Argumentationsziel einsetzt, anhand der Umwandlung der Elemente das gleichbleibende Maß des Wassers aufzuzeigen. Daß die aristotelische Elementenlehre auch unter den späteren Platonikern die vorherrschende zeitgenössische philosophische Elementenlehre ist, trägt gegenüber seinen Zeitgenossen zur Plausibilität und zur Überzeugungskraft seiner Argumentation bei.⁴⁶² d) Gregors wissenschaftliche Methode in der Erläuterung des Elementenkreislaufs. Gregor verweist an mehreren Stellen seiner Argumentation in der Apologia auf Erfahrung (πεῖρα)⁴⁶³ oder Beobachtungen. Theologisch-philosophi⁴⁶¹ Vielleicht haben GC 2,7 (334b21–24) und 2,8 (335a4–9) für die Vorstellung Gregors eine Rolle gespielt. Allerdings geht es an diesen Stellen bei Aristoteles um das ἐνεργείᾳ-δυνάμει-Verhältnis von Gegensatzpaaren, nicht um die Beziehung von benachbarten Eigenschaften. ⁴⁶² Gregor setzt in der Tradition der aristotelischen Elementenlehre in der Apologia voraus, daß alle Elemente ineinander umgewandelt werden. Allein aus rhetorischen Gründen fragt er, ob bei der Umwandlung der Erde der Kreislauf zu einem Ende gekommen ist, um daraufhin die Umwandlung der Erde in Wasser ausführlich darzulegen (Hex. 53 [70,4–6]). Bei Platon ist dagegen der Kreislauf der Elemente nicht geschlossen (zu Platons Elementenlehre siehe den Kommentar von F. M. C 1952, 178–181.210–219.222–230). Seine Lehre von der Unwandelbarkeit der Erde wird von nachfolgenden Platonikern einerseits übernommen (siehe die Belege bei M. B 1972, 119). Das geht anschaulich z. B. aus Timaeus Locrus hervor, dessen Elementenlehre an anderen Punkten aber auch aristotelischen Einfluß verrät (siehe dazu B, a. a. O., 111–135). Die Selbstverständlichkeit, mit der Timaeus Locrus unter aristotelischem Einfluß Schwerbeweglichkeit und Schwere der Erde miteinander verbindet, weist nach B auf eine etablierte platonische Schultradition hin. Spätere Platoniker dagegen wie z. B. Calcidius kritisieren Platon wegen seiner Lehre von der Unwandelbarkeit der Erde (Calcidius, in Ti. 317 f.324 [313,5–314,16; 318,22–319,11 Waszink]). Siehe dazu den Kommentar von J. C. M.  W 1959, 161–165.179–181. Aus der gleichen Perspektive übt auch Alexander von Aphrodisias Kritik an der platonischen Lehre von der Unwandelbarkeit der Erde (Quaest. 2,13). Platons Aussage, daß die Erde unwandelbar ist, erklärt Calcidius mit der Methode, die Platon in seinen Ausführungen zu den Elementen im Timaeus verfolge (in Ti. 324 [318,22–319,11]). Platons Darstellungsmethode bedeute aber nicht, daß dieser einen unvollständigen Kreislauf der Elemente lehre. Tatsächlich sei auch nach Platon davon auszugehen, daß die Erde wandelbar ist, da sonst früher oder später alles Erde sei. Die Auseinandersetzung des Calcidius mit Platons Elementenlehre zeigt, daß die aristotelische Elementenlehre auch unter Platonikern als verbindlich angesehen wurde und Platons Lehre mit ihr in Übereinstimmung gebracht werden mußte. ⁴⁶³ Hex. 39 (54,7–9): Ἐν τῇ καθ’ ἡμᾶς τοῦ πυρὸς ἐνεργείᾳ τοῦτο διὰ τῆς πείρας μανθάνομεν, ὅτι οὐ πάσας τὰς ποιότητας τῆς ὕλης τὸ πῦρ ἐπιβόσκεται ἧς ἂν περιδράξηται· In der Formulierung ἐν τῇ καθ’ ἡμᾶς τοῦ πυρὸς ἐνεργείᾳ klingt die Unterscheidung zwischen dem sublunaren Feuer ›bei uns‹ und dem himmlischen, ätherischen Feuer an. Gregor hebt aber nicht auf die Unterschiede, sondern auf die Vergleichbarkeit und Verwandtschaft der Feuerphänomene ab. Ähnlich, ohne den Begriff der Erfahrung zu nennen, auch hex. 47 (64,13 f.):

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sche Axiome, Naturbeobachtungen, experimentelle Analogien und folgerichtige Lehrbildung stehen dabei in einer Wechselbeziehung, die an die wissenschaftliche Methode zum Beispiel Galens erinnert.⁴⁶⁴ Sie wird in der Apologia in den Dienst der folgerichtigen Schriftauslegung genommen. Gregors Anspruch, ausgehend vom biblischen Schöpfungsbericht auf wissenschaftliche Weise die Folgerichtigkeit in den Phänomenen zu suchen, entspricht der Methode, die er selbst Aristoteles zuschreibt. Ihn unterscheidet er von Platon als den, der wissenschaftlich den Phänomenen folgt.⁴⁶⁵ Dabei dienen Gregor sichtbar ablaufende Vorgänge im Kleinen als Beispiele, von denen auf die Vorgänge im Kosmos insgesamt geschlossen werden kann. Ziel ist es, durch Verallgemeinerung zu einer naturphilosophischen Grundaussage über globale Kosmosabläufe zu gelangen, die für die weitere Argumentation den Status eines prinzipiellen Ausgangspunktes (ἀρχή) besitzt.⁴⁶⁶ Voraussetzung für Gregors Schluß von Einzelphänomenen auf globale Kosmosabläufe ist die Annahme, daß das, was an den Teilen beobachtet wird, auf den ganzen Kosmos übertragbar ist, weil Teil und Ganzes qualitativ identisch sind.⁴⁶⁷ Beobachtbare Naturabläufe können dabei unterschiedlichen ἀκολουθίαι unterworfen werden. Entscheidend ist es, die Erklärung zu finden,

Ἀλλὰ μὴν οἶμαι δυνατὸν εἶναι καὶ περὶ ἐκείνου διὰ τῶν γνωρίμων ἡμῖν ὑποδειγμάτων στοχάσασθαι· In hex. 58 (74,6–8) zieht Gregor die Erfahrung heran, um seine theoretischen Erwägungen zu stützen: Εἰ δέ τις τὴν πεῖραν εἰς μαρτυρίαν τῆς τοιαύτης ὑπολήψεως δέχοιτο, ἑτοίμως ἀποδείξομεν, μάρτυρας τοῦ λόγου τοὺς φρεωρύχους παράγοντες· ⁴⁶⁴ In Gregors Verknüpfung von philosophischen Axiomen, Beobachtung, Erfahrung und folgerichtiger Theoriebildung sieht J. D 1953, 247 f. Parallelen zu Galen. ⁴⁶⁵ J. D 1953, 243 weist auf eine Aussage Gregors in De anima et resurrectione hin. Gregor äußert sich hier zur Methodik der verschiedenen philosophischen Lehren über die Seele und unterscheidet Platon, der im Phaedon über die Seele δι’ αἰνίγματος philosophiere, von dem Philosophen nach ihm (Aristoteles), ὁ τεχνικῶς τοῖς φαινομένοις ἀκολουθῶν (PG 46, 52a). ⁴⁶⁶ Die Schlußfolgerungen, die Gregor aus dem Beispiel des verbrannten Öls zieht, dienen als ἀρχή für die weitere Betrachtung (siehe hex. 42 [56,33–35]: Καί μοι δοκεῖ καλῶς ἔχειν τῆς ἀρχῆς ταύτης λαβομένους, μὴ διαφεῖναι τὴν ἀκολουθίαν τῆς ἐξετάσεως, εἰς ἣν πρόεισι διὰ τῶν εἰκότων ἡ θεωρία, χειραγωγοῦσα πρὸς τὴν ἀλήθειαν·). Weitere Beispiele für diese Methode finden sich in folgenden Passagen: die Verbrennung von Öl als Illustration für die Wirkung von Feuer auf Wasser in hex. 39 f. (54,6–56,5); die Beobachtungen von Rußablagerungen aus der Ölverbrennung als Hinweis auf die Umwandlung von Wasser in Erde in 47 (64,13–66,2); die Beobachtung von Flüssigkeitsmischungen als Demonstration für die διάκρισις innerhalb des Lichts in hex. 74 (88,13–90,3). ⁴⁶⁷ Siehe hex. 40 (54,32–56,2): τοῦτό τις καὶ περὶ τοῦ παντὸς ἐννοῶν, τοῦ εἰκότος οὐχ ἁμαρτήσεται· δῆλον γὰρ ὅτι ἐκ μερῶν τὸ ὅλον συνέστηκεν· ὅπερ δ’ ἂν ἐν τῷ μέρει ἐμάθομεν, τοῦτο καὶ περὶ τοῦ παντὸς ἐδιδάχθημεν· μίαν δὲ τῷ γένει τὴν ὑγρότητα εἶναι, οὐδ’ ἂν τῶν ἐριστικῶν τις ἀντείποι· Vgl. hex. 48 (66,12–15): τὸ δὲ ἐν τῷ μέρει τοῦ ἀέρος δεικνύμενον ἀπόδειξίς ἐστι τοῦ καὶ ἐν τῷ παντὶ τὸ τοιοῦτον εἶναι· ἐπειδὴ συνεχές ἐστι τὸ πᾶν ἑαυτῷ, καὶ ἐκ μερῶν συμπληροῦται τὸ ὅλον. Siehe dazu F. X. R 1999, 209 Anm. 290. Für die Stoa siehe M. P 1970, 77; 1972, 144.

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die mit den Grundaxiomen der Naturbetrachtung übereinstimmt, die Gregor in der Apologia anhand des Schöpfungsberichtes entwickelt.⁴⁶⁸ Die Verbindung von Beobachtung und Erfahrung einerseits und theoretischer Betrachtung ἐξ ἀρχῆς andererseits ist ein zentrales Merkmal der Hexaemeronauslegung Gregors. Sie prägt auch seine Beweisführung dafür, daß aus Erde wieder Wasser entsteht. So reicht es ihm nicht, lediglich Einzelbeispiele für die Verflüssigung bzw. Verfestigung von Stoffen anzuführen, um die Umwandlung von Erde in Wasser plausibel zu machen, sondern er strebt danach, eine folgerichtige Theorie über die Umwandlung von Erde in Wasser zu finden.⁴⁶⁹ Nachdem er mit seiner Elementenlehre eine theoretische Folgerichtigkeit für die Umwandlung der Erde in Wasser entwickelt hat, führt er wiederum Beispiele aus der Beobachtung und Erfahrung an, die diese Theorie unterstützen und bezeugen sollen, daß Erde über die Eigenschaft der Kühle in Wasser umgewandelt wird.⁴⁷⁰ So zeigt die Arbeitsweise der Brunnengräber, die durch verschiedene Erdschichten hindurch in der kühlen Tiefe nach Wasser graben, daß Wasser aus Erde entsteht.⁴⁷¹ Auch der Wasserreichtum der nördlichen und kühlen Weltregionen bezeugt, daß Kühle einen Ausgangspunkt für die Entstehung von Wasser darstellt.⁴⁷² Gregor führt schließlich an, daß im Unterschied zur sogenannten Behältertheorie die Annahme, daß Wasser aus Erde entsteht, eine tragfähige und überzeugende Erklärung für die Entstehung von Quellen und für den gleichbleibenden Wasserstand der Flüsse bietet.⁴⁷³ Gregor stützt hier die Plausibilität seiner Elemententheorie dadurch, daß er ihre Vereinbarkeit mit der gebräuchlichen nacharistotelischen Quellentheorie hervorhebt.⁴⁷⁴ Gregor greift dabei sichtbar auf naturkundliches Material zurück, das in nacharistotelischer meteorologischer und naturphilosophischer Fachliteratur enthal⁴⁶⁸ Siehe Gregors Ausführungen zu dem Problem, daß der Beobachtung nach Wolken durch große Hitze aufgezehrt werden (hex. 36–38). ⁴⁶⁹ In hex. 54 führt Gregor an, daß man beobachten kann, wie viele trockene Substanzen (Salz, Honig) unter bestimmten Bedingungen von selbst feucht werden (70,10–18). Er fährt dann aber fort (hex. 55 [70,19 f.]): Ἀλλὰ παρείσθω ταῦτα· κρεῖττον γὰρ ἐξ ἀρχῆς τινος ἀναγκαίας δοῦναι τὴν ἀκολουθίαν τῷ θεωρήματι. ⁴⁷⁰ Hex. 58 (74,6–8). ⁴⁷¹ Hex. 58 (74,26–29). ⁴⁷² Hex. 59 (74,32–34). ⁴⁷³ Hex. 60–62 (76,10–78,1). ⁴⁷⁴ Vgl. Aristoteles, Mete. 1,13 und dazu H. S 1970, 157–159. Aristoteles lehnt es ab, unterirdische Seen anzunehmen, die u. a. durch versickerndes Regenwasser aufgefüllt werden (Behälter- bzw. Versickerungstheorie). Er erklärt die Entstehung von Wasser in der Erde durch die Umwandlung von Luft in Wasser als Folge der Kälte im Erdinneren (Mete. 1,13 [349b]). Gregor bezieht dagegen alle Argumente darauf, daß die Erde direkt in Wasser umgewandelt wird. Diese Theorie ist bei nacharistotelischen Autoren zu greifen, z. B. Seneca, nat. 3,10,5 (Z. 254–257; 121 Hine); 3,29,4 f. (Z. 909–911; 159). Siehe dazu N. G 1989, 122– 127.145–147.

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ten ist. Er listet dabei aber nicht einfach doxographisches Material auf, sondern fügt die Frage nach dem Grundwasser sowie die weiteren Naturbeobachtungen schlüssig in seinen übergeordneten Gedankengang ein.⁴⁷⁵ Einerseits untermauert die Erfahrung der Naturbetrachtung seine Theoriebildung; andererseits ist seine Theorie der Umwandlung der Elemente, die er vor dem Hintergrund seiner Auslegung von Gen 1,6 f. in der Apologia entwickelt, das Kriterium, anhand dessen er sich für eine der verschiedenen Grundwassertheorien entscheidet. 3.2.3. Die Theorie der Umwandlung der Elemente in Gregors Argumentation: Behauptet Gregor die Unvergänglichkeit der Welt? Die Theorie von der konsekutiven Umwandlung der Elemente, in der das ursprüngliche Maß der Elemente erhalten bleibt, dient Gregor dazu, Basilius’ Auslegung von Gen 1,6 f. zu widerlegen und seine eigene Auslegung des Bibelverses zu untermauern. Umgekehrt führt seine Interpretation des Bibeltextes dazu, daß er die nacharistotelische Elementenlehre aufgreift und in charakteristischer Weise weiterentwickelt. Bibelauslegung und Naturtheorie wirken wechselseitig aufeinander. Daß Gregor mit seiner Elementenlehre eine exegetische Absicht verfolgt, geht deutlich aus den Abschnitten 62 f. der Apologia hervor, mit denen Gregor die Erläuterung seiner Auslegung abschließt und den Bogen zurück zur Eröffnung des Arguments in hex. 27 f. schlägt: Es ist gezeigt, daß die kreisförmige Umwandlung der Elemente ineinander ununterbrochen und ungehindert ist, wobei bei den Elementen nichts verzehrt und nichts vermehrt wird, sondern alles für immer in seinen ursprünglichen Maßen bleibt. Damit ist aus der Untersuchung folgerichtig erwiesen, daß das Wasser oberhalb der Feste als etwas anderes als die feuchte Natur des sinnlich wahrnehmbaren Wassers zu denken ist.⁴⁷⁶ Diese Argumentation Gregors bildet für Eugenio Corsini den Ausgangspunkt, die Kosmologie der Apologia in Hexaemeron philosophisch einzuordnen.⁴⁷⁷ Als Antwort auf die Untersuchung Karl Gronaus fragt er nach der Absicht Gregors in der Apologia, um aus dieser Perspektive ein Licht auf Gre⁴⁷⁵ Dieser Charakter von hex. 58 ff. macht es methodisch unmöglich, aus einer mechanischen Kompilation der Ausführungen bei Basilius und Gregor und deren Gegenüberstellung mit Seneca eine gemeinsame Vorlage herauszuschälen, wie es K. G 1914, 129–139 versucht. ⁴⁷⁶ Siehe hex. 62 f. (78,12–19): καὶ οὕτως ἀδιάλειπτός ἐστι καὶ ἀνεμπόδιστος ἡ εἰς ἄλληλα τῶν στοιχείων περιφορά, οὐδενὸς ἐν τούτοις δαπανωμένου καὶ οὐδενὸς πλεονάζοντος· ἀλλ’ ἐν τοῖς ἐξ ἀρχῆς μέτροις εἰς τὸ διηνεκὲς διαμένοντος. Οὐκοῦν ἄλλό τι παρὰ τὴν ὑγρὰν φύσιν τὰ ὑπερκείμενα τοῦ στερεώματος ὕδατα νοεῖν, ἡ τῶν ἐξετασθέντων ἀκολουθία δίδωσιν· εἴπερ τὸ μὴ τρέφεσθαι τῇ τοῦ ὑγροῦ δαπάνῃ τὴν τοῦ πυρὸς φύσιν, ἐκ τῶν εἰρημένων κατενοήσαμεν· ⁴⁷⁷ E. C 1957, 101.

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gors Quellen zu werfen. Gregors eigene Angaben zum Ziel seiner Abhandlung – eine Erläuterung und Verteidigung der Hexaemeronauslegung seines Bruders zu geben – hält Corsini für vorgeschoben, die aufgezählten Fragen betrachtet er als Erfindung Gregors. Eigentliche Absicht Gregors sei es, gegenüber Basilius’ Lehre von der Ekpyrosis die Ewigkeit und Unzerstörbarkeit der Welt zu verteidigen. Die Apologia gehöre somit in die Reihe der Schriften, in denen Gregor die Ewigkeit der Welt favorisiere.⁴⁷⁸ Als naturphilosophische Quelle Gregors in der Apologia sei daher nicht Poseidonius, sondern der Stoiker Panaetius anzunehmen.⁴⁷⁹ Die Quellentheorie Corsinis hat Ablehnung erfahren,⁴⁸⁰ seine Bestimmung der Intention Gregors ist dagegen auch auf Zustimmung gestoßen.⁴⁸¹ Corsinis Blick auf die Zielsetzung Gregors beruht aber unter anderem auf einer unzutreffenden Einschätzung der basilianischen Hexaemeronauslegung.⁴⁸² Außerdem beachtet er nicht ausreichend, welche argumentative Funktion die Theorie von der Umwandlung der Elemente in Gregors Apologia erfüllt.⁴⁸³ Gregor verwendet in der Tat ein philosophisches Argument, wenn er das Gleichgewicht der Elemente hervorhebt und ihr gleichbleibendes Maß auf ihre fortwährende Umwandlung ineinander zurückführt. Diese Gedanken begegnen zum Beispiel bei Philo von Alexandrien, Timaeus Locrus, im pseud-aristotelischen Traktat De mundo, bei Cicero und Seneca, um die Unzerstörbarkeit des Kosmos oder seine Wohlordnung zu begründen. Philo gibt in seinem Traktat De aeternitate mundi eine Argumentation wieder, welche die ἰσονομία innerhalb des Kosmos betont und die Reziprozität der Kräfte der vier Elemente hervorhebt, die deren gegenseitige Umwandlung bestimmt. Er skizziert die auf- und absteigende Umwandlung der Elemente ineinander. Dabei unterstreicht er, daß die Umwandlung eines Elements in ein anderes nicht dessen absolutes Vergehen zugunsten des nachfolgenden Elements bedeutet, sondern daß alle Elemente durch die unaufhörliche und endlose Kette der Umwandlungen ›Unsterblichkeit‹ erlangen. Die unabänderliche und notwendige ἰσονομία der Elemente wird in der Umwandlung beständig bewahrt. Zu meinen, daß eine Welt, die von dieser ἰσονομία regiert wird, vergehen werde, sei die Ansicht von Leuten, die die Abfolge der Natur (φύσεως εἱρμός) und die zusammenhängende Abfolge der Dinge (πραγμάτων συνηρτημένη ἀκολουθία) nicht erkennen.⁴⁸⁴ Wie der polemische Schluß zeigt, ist diese ⁴⁷⁸ E. C 1957 101. ⁴⁷⁹ E. C 1957 102. Am Ende seines Beitrags relativiert Corsini diese These, indem er

Doxographien und Schulmanuale stoischer Lehren als Quelle annimmt (103). ⁴⁸⁰ Siehe F. X. R 1999, 54 f. ⁴⁸¹ Siehe z. B. M. A 1976, 182; . , 1988, 110. ⁴⁸² Siehe dazu Kapitel B II 2.5.2. ⁴⁸³ Darauf weist bereits F. X. R 1999, 54 f. hin. ⁴⁸⁴ Philo, Aet. 21,108–112 (106,1–107,5 Cohn / Reiter). Die Autorschaft Philos für diesen Traktat ist angezweifelt worden. Siehe die Forschungsübersicht von R. A, Oeuvres de

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Argumentation gegen die Stoiker gerichtet und sucht gegen die These von der Ekpyrosis die Ewigkeit der Welt zu erweisen.⁴⁸⁵ Der Gedanke, daß das Gleichgewicht der elementaren Kräfte die Welt vor dem Vergehen bewahrt, erweist sich als platonische Tradition. Timaeus Locrus führt in seiner relecture des Timaeus diesen Gedanken ausgehend von Ti. 32b vor, indem er darlegt, daß die Welt keine innere Verfallsursache besitzt. Alle Elemente sind durch das Band der Analogie zusammengefügt und stehen in einem ausgewogenen Kräfteverhältnis (ἐν ἰσοδυναμίᾳ). Aus diesem Grund ist es ausgeschlossen, daß eines das andere überwältigt und ein Element Zunahme, ein anderes Verminderung erfährt. Timaeus Locrus richtet sich hier implizit gegen die stoische Lehre einer kosmischen Ekpyrosis.⁴⁸⁶ Weil zwischen den Elementen Machtgleichheit (ἰσοκρατία) besteht, bleibt das All nach dem besten Verhältnis in unlösbarer Verbindung.⁴⁸⁷ Dieser platonische Gedanke ist in der Argumentation bei Philo mit der aristotelischen Vorstellung verknüpft, daß die Umwandlung der Elemente, d. h. der Kreislauf von Werden und Vergehen, ewigen Bestand ermöglicht.⁴⁸⁸ Eine ähnliche Verbindung von platonischen und aristotelischen Elementen findet sich in der pseud-aristotelischen Schrift De mundo. Die Schrift stellt zunächst Phänomene in den einzelnen Kosmosregionen dar, die Entstehung und Vernichtung einzelner Teile des Kosmos bedeuten, bei denen das All insgesamt jedoch unentstanden und unvergänglich bewahrt wird.⁴⁸⁹ Danach stellt sie grundsätzliche Erwägungen an.⁴⁹⁰ Der Kosmos ist aus gegensätzlichen Prinzipien (trocken, heiß, kalt, feucht) zusammengesetzt und geht dennoch nicht zugrunde, weil die Gegensätze in Harmonie zusammengebunden sind. Ursache dieser Bewahrung ist die Übereinstimmung der Elemente (ὁμολογία τῶν στοιχείων), die auf deren ausgewogener Verteilung (ἰσομοιρία) beruht und darauf gründet, daß kein Element an Kraft überwiegt. Trotz Veränderung, Entstehen und Vergehen in den verschiedenen Kosmosbereichen werden alle Dinge bewahrt, so daß das All insgesamt ewig und unvergänglich ist. Hier wird Philon 30, 12–37. D. T. R 1981 hält den Traktat für ein Werk Philos, das unvollständig überliefert ist. Die erhaltene Argumentation enthalte nicht Philos Ansicht, sondern eine Übersicht philosophischer Argumente, die er im verlorenen Teil der Schrift durch einen Beweis, daß der Kosmos geschaffen und vergänglich ist, entkräftet habe. Siehe zusammenfassend mit einer Diskussion der kritischen Einwände auf seinen Aufsatz . , 1988, 394–396. ⁴⁸⁵ Aet. 21, 112 (106,19–107,1 Cohn / Reiter) greift zentrale Stichworte des stoischen Naturbegriffs auf. ⁴⁸⁶ So auch M. B 1972, 62. ⁴⁸⁷ Timaeus Locrus, nat. et anim. 14 f. (207,19–208,4 Marg). Siehe dazu den Kommentar von M. B 1972, 60–62. ⁴⁸⁸ Nach Aristoteles führt der Kreislauf von Werden und Vergehen zur Unsterblichkeit der Arten (GA 2,5 [341b24], aufgenommen z. B. bei Philo, Opif. 12,43 f.). ⁴⁸⁹ [Aristoteles], Mu. 4 (394a7–396a32). ⁴⁹⁰ [Aristoteles], Mu. 5 (396a33–397b8).

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der Kreislauf des Werdens und Vergehens nicht bezogen auf die Elemente geschildert, sondern auf den Kreislauf der Arten und Kosmosphänomene angewendet. Das Gleichgewicht der Elemente beruht in dieser Schilderung weniger auf ihrer Umwandlung, als vielmehr auf ihren harmonischen Verhältnissen, in denen die Gegensätze ausbalanciert werden. Die Polemik gegen stoische Lehre tritt dabei zurück. Daß die vier Elemente in ihrem wechselseitigen Übergang ineinander die Welt in einem ununterbrochenen Zusammenhang halten und dadurch ihren Bestand garantieren, hebt Cicero in einem Referat stoischer Lehre hervor. Die auf- und absteigende Umwandlung der Elemente, aus denen das All besteht, hält die Verbindung der einzelnen Teile des Weltalls aufrecht. Diese Verbindung ist ewig oder besteht zumindest sehr lange, so daß ihr Ende nicht ermessen werden kann. Wie auch immer die Frage nach der Unvergänglichkeit des Kosmos entschieden wird, die beständige Umwandlung der Elemente, die den Zusammenhalt aller Kosmosteile garantiert, belegt in Ciceros Augen in jedem Fall das Walten einer vernünftigen Naturkraft.⁴⁹¹ Auch Seneca verbindet im Wasserbuch seiner Naturales Quaestiones die Lehre von der Umwandlung der Elemente mit dem Gedanken eines ausgewogenen Verhältnisses der Elemente, auf dem die Wohlordnung des Kosmos beruht. Auf die Frage nach einer Erklärung für den beständigen Wasserreichtum der Flüsse anwortet er: Was in sich selbst zurückkehrt, geht nie aus. Zwischen allen Elementen besteht ein wechselseitiger Austausch. Was eines einbüßt, kommt dem anderen zugute. Die Natur überwacht ihre Bestandteile, als ob sie auf einer Waage lägen, damit die Welt nicht durch eine Störung des inneren Verhältnisses aus dem Gleichgewicht kommt.⁴⁹²

Seneca führt das Maß des Wassers, das trotz Zuflüssen und Verdunstungsprozessen unveränderlich bleibt, auf den ständigen Kreislauf der Elemente zurück und betont die Natur als Urheberin dieses Gleichgewichts der Elemente. Das schließt für ihn aber nicht aus, daß der Kosmos nach dem Willen Gottes vergehen wird.⁴⁹³ Es zeigt sich, daß das Gleichgewicht der Elemente, die Ausgewogenheit ihrer Gegensätze sowie der Erhalt ihrer gleichbleibenden Maße im Kreislauf ⁴⁹¹ Cicero, nat. deor. 2,33,84 f. (82,25–83,2 Plasberg / Ax). ⁴⁹² Seneca, nat. 3,10,3 (Z. 243–247; 121 Hine): nihil deficit quod in se redit. omnium ele-

mentorum alterni recursus sunt: quidquid alteri perit in alterum transit, et natura partes suas velut in ponderibus constitutas examinat, ne portionum aequitate turbata mundus praeponderet (Übersetzung M. F. A. B, 191). ⁴⁹³ Siehe z. B. nat. 3,13,1 f. (Z. 311–317; 124 f. Hine), wo Seneca die stoische Lehre der Ekpyrosis und der Neuentstehung der Welt aus Feuer skizziert; außerdem 3,28,7 (Z. 872– 878; 157 f. Hine), wo Seneca die Sintflut und den Weltenbrand auf die gleiche Ursache, den Willen Gottes, zurückführt, der das Naturgesetz außer Kraft setzt und eine neue, bessere Welt entstehen läßt.

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ihrer Umwandlung in philosophischen Texten begegnet, um die Wohlordnung des Kosmos aufzuzeigen, das Walten einer vernünftigen Vorsehung zu demonstrieren und eine innere Ursache seiner Zerstörung auszuschließen. Diese Argumentation setzt auch Plotin als bekannt und einleuchtend voraus.⁴⁹⁴ Die Akzente können aber in den einzelnen Texten recht verschieden gesetzt sein. Nicht in allen Fällen richtet sich die Argumentation gegen die stoische Lehre von der Ekpyrosis bzw. wird die Vergänglichkeit des Kosmos grundsätzlich ausgeschlossen. Für die Beurteilung, welche Absicht Gregor mit seiner Darlegung des Kreislaufs der Elemente verfolgt, ist nun unbedingt ernst zu nehmen, daß er diese Darlegung in ihren Rahmenstücken in hex. 29 und hex. 63 ausdrücklich auf die Auslegung von Gen 1,7 bezieht. Ihm geht es darum, die Argumentation zu widerlegen, die Basilius in seiner Hexaemeronauslegung vorgetragen hatte. Basilius verfolgte dabei nicht das Ziel, die stoische Lehre von der Ekpyrosis zu vertreten, sondern er beabsichtigte, mit naturphilosophischen Mitteln nachzuweisen, daß die Annahme realer Wassermassen oberhalb des Firmaments notwendig ist und die vorausschauende Fürsorge des Schöpfers für den Erhalt des Kosmos demonstriert. Damit zeigte Basilius auch, daß ein wörtliches Verständnis von Gen 1,6 f. der Intention des biblischen Textes entspricht und eine übertragene Deutung der Verse dem Willen der Schrift entgegensteht. Gregor verwendet nun seinerseits naturphilosophische Argumente, um die übertragene Deutung der oberen Wasser als schriftgemäß zu erweisen und sie naturphilosophisch plausibel zu machen. Dabei setzt er die Wohlordnung des Kosmos, die auf Gottes vorausschauenden Schöpferwillen zurückgeht, voraus. Aus Gottes Schöpferwillen leitet er das gleichbleibende Maß der Elemente und das Gleichgewicht ihrer Kräfte ab. Die Beobachtung, daß die Elemente aufeinander einwirken, bringt er durch die Theorie von der konsekutiven Umwandlung der Elemente mit diesem Grundaxiom in Übereinstimmung. Mit dem Gedanken eines Gleichgewichts der Elemente sowie der Vorstellung, daß der Kreislauf der Elemente ihren Bestand bewahrt, greift er dabei Argumente aus naturphilosophischen Diskussionen auf und baut sie in seinen Argumentationsgang ein, der ein eigenes Ziel verfolgt. Die Frage nach der Vergänglichkeit oder Unvergänglichkeit der Welt stellt Gregor in der Apologia nicht. Hier befaßt er ⁴⁹⁴ Plotin setzt in Enn. II 1 (40) die Ewigkeit des Weltalls voraus (1,1 f. [I 145 Henry / Schwyzer]). Er untersucht, welcher Art diese Ewigkeit ist. Bezogen auf den sublunaren Bereich setzt er voraus, daß der ewige Bestand sich nicht auf das individuelle Einzelne, sondern auf die allgemeine Gestalt bezieht, die im Wechsel von Werden und Vergehen erhalten bleibt (1,22–33 [I 146 H. / S.]; 2,1–6 [I 147 H. / S.]). Das in den Umwandlungsprozessen gleichbleibende Maß der Elemente zieht Plotin als Argument für die materielle Identität des Weltalls heran (3,1–12 [I 148 H. / S.]; vgl. 4,25–30 [I 150 H. / S.]). Plotin fragt in dem Traktat weiter, ob im Unterschied zur sublunaren Welt der Himmel und die Himmelswesen Ewigkeit bezogen auf das Individuelle besitzen, d. h. Dauer ohne Veränderung besitzen.

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sich ausschließlich mit der Erschaffung und der Erhaltung der Welt durch Gottes allmächtigen Schöpferwillen.

4. Zusammenfassung und Systematisierung Der biblische Schöpfungsbericht ist nach Gregor ein naturphilosophischer Traktat über die Entstehung der Welt in Form einer Erzählung, der den Leser von der Untersuchung der sichtbaren Dinge zur Erkenntnis Gottes führt. Der Gedankengang des Schöpfungsberichtes bildet die Abfolge der natürlichen Prozesse bei der Entstehung des Kosmos ab, aus der die Weisheit und Kraft Gottes erschlossen werden können. Aufgrund des naturphilosophischen Charakters des Schöpfungsberichtes kann Gregor in seiner Hexaemeronauslegung die Entstehung des Kosmos nachzeichnen, indem er die Aussagen und Begriffe von Gen 1 fortlaufend auslegt. Der erzählerische Charakter der biblischen Darstellung zeigt sich u. a. darin, daß sie nicht in philosophischer Fachsprache abgefaßt ist, sondern naturphilosophische Sachverhalte in eigener Sprache formuliert und daher Redeformen wie die κατάχρησις (den uneigentlichen Gebrauch eines Wortes) verwendet. Daß Gregor die katachretische Rede identifiziert und im übertragenen Sinne deutet, stellt keinen Verstoß gegen seine hermeneutische Grundregel dar, den biblischen Bericht im Wortsinn zu interpretieren, sondern ist gerade die konsequente Umsetzung dieser Regel. Denn wo die Bibel als literarischer Text in uneigentlicher Redeweise spricht, wie beim vielfältigen Gebrauch der Worte ›Himmel‹ und ›Firmament‹, muß der intendierte Sinn durch übertragene Deutung ermittelt werden. Gregor beharrt keineswegs mechanisch auf dem Literalsinn des biblischen Textes. Vor dem Hintergrund dieses Textverständnisses ist Gregors Exegese von der Frage geleitet, wie der biblische Schöpfungsbericht Gott angemessen (θεοπρεπῶς) ausgelegt werden kann. Gregor setzt voraus, daß die Welt allein von Gott geschaffen wurde und keine Ursache neben ihm hat. Die Schöpfertätigkeit Gottes muß aber seinem Wesen angemessen gedacht werden. Dabei muß plausibel gemacht werden, wie Gott die ihm gänzlich unähnliche Welt erschaffen konnte. Der Weg, die Schöpfungserzählung Gott angemessen zu interpretieren, indem Gen 1 f. als didaktische Entfaltung des eigentlich augenblicklichen, instantanen, durch Gottes allmächtigen Willen gewirkten Schöpfungsaktes gedeutet wird, steht Gregor nicht offen. Denn die Erzählfolge von Gen 1 ist für ihn keine rhetorisch-didaktische Form der Darstellung, sondern ist wörtlich zu nehmen als Schilderung des Prozesses der Kosmosentstehung. Die Vorstellung eines mühelosen, augenblicklichen und instantanen Schöpfungsaktes Gottes, die Vorgänger wie Philo, Origenes oder Basilius in Anknüpfung an eine anti-epikureische philosophische Tradition vertraten, greift Gregor den-

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noch auf, weil sie besonders geeignet ist, die Lehre von der allmächtigen Schöpferkraft Gottes zu veranschaulichen. Mit Hilfe zeitgenössischer Handlungstheorie arbeitet er heraus, daß Gottes Schöpferhandeln sich vom menschlichen Handeln kategorial unterscheidet, insofern die einzelnen Momente einer Handlung (Überlegen, Willensentschluß, Willensstreben, Akt und Ergebnis) bei Gott zusammenfallen, so daß der Wille und das Vermögen zur Schöpfung sowie das Vollbringen des Werkes bei ihm identisch sind. Gregor verbindet diesen Gedanken mit dem Verständnis des Schöpfungsberichtes als Darstellung eines geordneten Prozesses und gelangt dadurch zu einem besonderen kosmogonischen Konzept: In einem unausgedehnten, augenblicklichen Schöpfungsakt bringt Gott in einer einzigen Regung seines Willens die materielle Körperlichkeit als undifferenzierte Mischung aller Qualitäten hervor und schafft auf diese Weise die Welt im Status der Potentialität. Diesen Akt der stofflichen Grundlegung des Alls (καταβολή) sieht Gregor in Gen 1,1 f. ausgesagt. Mit ihm beginnt zugleich die Ausgestaltung des Kosmos (κατασκευή), bei der sich die einzelnen Elemente und Kosmosglieder aus der Mischung des Anfangs aussondern und nach und nach sichtbar hervortreten. Auf diese Weise differenziert sich der Kosmos in einem Prozeß fortlaufender Entmischung aus. Gregors Beschreibung der Ausgestaltung des Kosmos skizziert eine Form von Diakrisis-Kosmogonie, die sich von anderen antiken Diakrisis-Kosmogonien dadurch unterscheidet, daß sie inhaltlich von der Erzählfolge Gen 1 geprägt ist. Der Schöpfungsbericht schildert die sukzessive Entstehung der Elemente und Kosmosglieder ab Gen 1,3 in der Form aufeinanderfolgender Schöpfungsakte. Die göttlichen Befehlsworte weisen dabei auf die Naturkraft hin, die Gott der Grundlegung des Anfangs als immanente Bewegungskraft und Ordnungsprinzip eingelegt hat, um diesen Prozeß nach dem Plan zu lenken, den er in seiner Vorsehung beschlossen hat. Gregors kosmogonisches Konzept der καταβολή-κατασκευή berührt sich mit einem neuplatonischen Verständnis von φύσις, insofern es die Schöpfung im Anfang als intelligible οὐσία bzw. φύσις betrachtet. Diese stellt einerseits die Gesamtheit aller intelligiblen Ursachen der Körperwelt dar und ist ontologisch ›früher‹ als die sichtbare Welt. Andererseits enthält sie ein dynamisches Moment, das als immanente Ursache der Entstehung und Erhaltung der sichtbaren Welt inhärent ist und nicht von ihr getrennt werden kann. Gregor betrachtet die Schöpfung im Anfang zum einen aus der Perspektive der von Gott geschaffenen intelligible οὐσία bzw. φύσις, die die Ursachen und Kräfte der sichtbaren Welt enthält, zum anderen aus der Perspektive der materiellen Körperlichkeit, die durch diese intelligiblen Ursachen konstituiert wird. Die Perspektive der materiellen Grundlegung, die er als undifferenzierte Materiemischung im Sinne einer Mischung aller Qualitäten beschreibt, dient ihm dann als Ausgangspunkt, um die weitere Ausgestaltung der Welt als einen

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Prozeß fortschreitender Entmischung zu beschreiben. Indem Gregor die Naturkraft als das geschaffene Prinzip einer realen zielgerichteten Entwicklung auffaßt, das in allen Kosmosbereichen gleichermaßen und ohne Abstufung wirkt, verläßt er den neuplatonischen Rahmen. Die Frage, wie der unkörperliche, intelligible Gott die ihm gänzlich unähnliche körperliche Welt erschaffen konnte, wird durch den Rekurs auf die Allmacht Gottes nicht beantwortet. Gregor weist sie einerseits sogar zurück, da sie das menschliche Fassungsvermögen übersteigt. Durch kritische Einwände gegen die christliche Schöpfungslehre, vor allem aber durch seinen eigenen fragenden Verstand drängt sie sich ihm andererseits immer wieder auf. Gregor erwägt eine Lösung, indem er die Materie, d. h. die körperliche Natur in ihrer Gesamtheit, als Komplex an sich intelligibler Eigenschaften auffaßt. Er geht dabei von der erkenntnistheoretischen Reduktion der Körper auf ihre Eigenschaften aus und zieht daraus die ontologische Schlußfolgerung, daß Körper durch die Verbindung von Eigenschaften entstehen. Der göttliche Intellekt ist Urheber der Qualitäten, die für sich genommen Gedanken und Konzepte sind, indem er sie denkt. Außerhalb von ihm treten die Eigenschaften zusammen und konstituieren so die körperliche Natur. Gregor negiert auf diese Weise die Existenz einer Materie im Sinne eines eigenschaftslosen Substrats. Einzelne Elemente dieser Lösung, die gelegentlich als ›idealistisches Materiekonzept‹ bezeichnet wird, begegnen in sehr unterschiedlichen Kontexten bei früheren Autoren (z. B. Origenes, Plotin, Basilius). Aber erst Gregor bezieht die verschiedenen Motive systematisch aufeinander und präsentiert sie als Antwort auf das philosophische Problem, wie der unkörperliche Gott die körperliche Welt erschaffen kann. Aus verschiedenen philosophischen Elementen, die je für sich genommen als platonisch angesehen werden können (der Methode der ἀφαίρεσις als gedanklicher Reduktion der Körper ausgehend von Ti. 52b; den Theorien zur Wahrnehmung und Erkenntnis von Körpern ausgehend vom Tht. 157bc; der Lehre von den Qualitäten als unkörperlichen Kräften; der Auffassung, daß der göttliche Intellekt die Intelligibilia erschafft, indem er sie denkt) entwickelt er ein Argument christlicher Apologetik, durch das die Konzeption von Materie als einem eigenschaftslosen Substrat und als der Voraussetzung von Körperlichkeit verabschiedet wird. Dieses Verständnis von Materie bzw. Körpernatur als Komplex an sich intelligibler Eigenschaften stellt Gregor allerdings vor Probleme, wenn es darum geht, innerkosmische Prozesse wie die Mischung oder die Umwandlung der Elemente zu beschreiben. Denn die Erklärung dieser Vorgänge setzt nach allgemeiner Auffassung ein materielles Substrat als Trägerin dieser Prozesse voraus. Gregor spricht daher in diesen Zusammenhängen von einem zugrunde liegenden Substrat (ὑποκείμενον). Daß der Begriff von Materie, der die Entstehung der Körperwelt aus dem unkörperlichen Gott erklärt, nicht ohne weiteres

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in der Lage ist, die Vorgänge innerhalb der Körperwelt zu erklären, verdeutlicht, daß Gottes Schöpferhandeln nicht innerkosmischen Gesetzen unterworfen ist. Gregors Erklärung der Umwandlung von Erde in Wasser im Rahmen seiner Auslegung von Gen 1,6 f., nach der ein Element nicht in der Materie, sondern in den verwandten Eigenschaften eines benachbarten Elements potentiell vorhanden ist, kann allerdings als Versuch gedeutet werden, die Umwandlung der Elemente allein auf der Grundlage der Eigenschaften ohne ein materielles Substrat zu beschreiben. Gregor ist sich des unzureichenden, modellhaften Charakters seiner Lösung, die Erschaffung der Körperwelt durch den unkörperlichen Gott plausibel zu machen, durchaus bewußt. Er kennzeichnet sie ausdrücklich als einen Versuch an der Grenze der menschlichen Erkenntnisfähigkeit, der den anerkannten Satz des Glaubens für den fragenden christlichen Verstand annehmbar machen soll. Es kommt ihm darauf an, den Übergang von intelligibler zur körperlichen Natur so stattfinden zu lassen, daß Gott zwar Ursache der Körpernatur ist, sein Wesen aber auf keinen Fall mit Körperlichkeit in Verbindung gebracht wird. Dabei fällt auf, daß Gregor im Zusammenhang dieses Problems in der Apologia den Gedanken einer creatio ex nihilo nicht erwähnt. Die körperliche Welt ist ›aus Gott‹, wie Gregor in De hominis opificio als einen Satz des Glaubens anführt; sie ist aber nicht ›aus Gottes Natur‹.⁴⁹⁵ Ist nun dieser Vorschlag Gregors, wie die Entstehung der körperlichen Welt aus Gott gedacht werden kann, als eine Form von Emanationstheorie anzusehen? Harry A. Wolfson⁴⁹⁶ hat diese Ansicht bezogen auf die verwandte Stelle aus De hominis opificio vorgetragen. Wenn die Klassifikation ›Emanationstheorie‹ eine eindeutige Verweisfunktion behalten soll, nämlich auf die neuplatonische Vorstellung von der Entstehung aus dem Einen, die als ewig-andauernde und willenlose Hervorbringung gedacht ist, so sollte man den Vorschlag Wolfsons zurückweisen. Denn Gregor versteht Gottes Schaffen der intelligiblen Qualitäten als einen willentlichen Akt, der im Anfangsmoment der Schöpfung stattfindet und somit zwar zeitlos ist, insofern der unausgedehnte Anfang selbst noch nicht Zeit darstellt, aber gerade nicht zeitlos ist im Sinne von zeitloser Ewigkeit. Außerdem betont er, daß die sichtbare Welt aus Gott, jedoch nicht aus Gottes Natur ist. Gregors Konzept steht an diesen Punkten im klaren Gegensatz zur neuplatonischen Emanationstheorie. Und auch aus einem zweiten Grund sollte Gregors Materiekonzeption nicht als Emanation bezeichnet werden. Gregor verwendet für die Erschaffung der intelligiblen Eigenschaften ⁴⁹⁵ D. W 2006, 749 urteilt im Anschluß an H. A. W 1970, daß Gregor »der Lehre von der Schöpfung aus dem Nichts eine sehr bestimmte Interpretation« gebe. Genaugenommen vertritt Gregor in der Apologia jedoch keine creatio ex nihilo. W geht von einer fest verankerten traditionellen Lehre der Schöpfung aus dem Nichts aus (siehe a. a. O., 746 zu Basilius) und betrachtet daher Gregors Konzept als deren Interpretation. ⁴⁹⁶ H. A. W 1970.

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und die Entstehung der Körpernatur den Ausdruck καταβάλλειν bzw. καταβολή und scheint damit bewußt den Fachterminus für Emanation προβολή zu vermeiden. Er verfährt damit terminologisch auf die gleiche Weise wie die Verfasser des sogenannten Basilidesreferats bei Hippolyt, die unter dem Schlagwort καταβολή eine Kosmogonie bieten, die das Konzept der προβολή ablehnt. Gregor zieht für seine Erklärung der Weltentstehung in der Apologia die Analogie von der Ausbringung und Entfaltung von Samen heran. Darauf weisen bereits die Begriffe καταβολή / καταβάλλειν für die stoffliche Grundlegung des Alls im Anfang hin, die Gregor nicht im origenianischen Sinne zur ethischen Charakterisierung der sichtbaren Welt, sondern als termini technici für die Ausbringung von Samen verwendet. Gregor vergleicht die stoffliche Grundlegung des Alls mit einem samenhaften Vermögen (σπερματικὴ δύναμις). Wie ein Same zum vollendeten Lebewesen in einem Verhältnis von Potentialität zu Aktualität steht, so verhält sich die Welt im anfänglichen Zustand der καταβολή zum ausgestalteten Kosmos. Der Prozeß der Ausgestaltung der Welt weist an vielen Punkten Analogien zur Entwicklung aus Samen auf: Den Anfang bildet ein Zustand undifferenzierter Vermischung, in der die Gestalt der Welt angelegt ist, die Elemente und die einzelnen Kosmosglieder aber noch nicht ausgebildet und sichtbar sind. Erst in einem Prozeß fortlaufender Entmischung und Aussonderung entstehen die verschiedenen Glieder des Kosmos. Triebkräfte dieses Entfaltungsprozesses sind die spezifischen Eigenschaften der Elemente. Sie sind Instrumente der Naturkraft, die der Mischung im Anfang eingelegt ist und den Prozeß der Ausgestaltung nach einem feststehenden Plan lenkt. Dieser Prozeß beginnt sofort, sobald der ›Samen‹ ausgebracht ist, d. h. sobald die Qualitäten entstanden und zur Mischung des Anfangs zusammengetreten sind. Gregor vergleicht die Erschaffung der Welt mit dem Ausbringen eines Samens, der die Materie samt inhärentem Entwicklungsprinzip umfaßt. Auf diese Weise stützt Gregor sein Anliegen, den biblischen Schöpfungsbericht auf Gott angemessene Weise zu interpretieren. Denn die Analogie zum biologischen Konzept der Entstehung aus Samen unterscheidet die augenblickliche Schöpfung des Kosmos im Status der Potentialität von dessen sukzessiver Ausgestaltung und Vollendung und verhindert zugleich, daß die Kosmosentstehung in zwei getrennte Schöpfungsakte auseinanderfällt: Eine Willensregung Gottes schafft die stoffliche Grundlage und setzt den naturgeleiteten Prozeß der Kosmosgestaltung in Gang. Es ist daher nicht sachgemäß, von einer doppelten Schöpfung bei Gregor zu sprechen. Der Auswurf (καταβολή) von Samen ist ein Bild für die Entstehung aus Gott, das in der Lage ist zu integrieren, daß diese Hervorbringung willentlich im Anfangspunkt der Zeit geschieht. Gregor ist nicht der erste, der das biologische Modell der Entstehung aus Samen kosmologisch interpretiert. Seine Aufnahme des biologischen Modells

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unterscheidet sich allerdings deutlich von der stoisch-materialistischen Adaption dieses Modells. Denn ähnlich den Platonikern faßt er die einem Samen vergleichbare Schöpfung im Anfang als eine intelligible Größe mit transzendentem Ursprung auf. Seine Aufnahme des biologischen Modells unterscheidet sich aber auch sowohl von Plutarchs platonisch-dualistischer Adaption des biologischen Modells als auch vom neuplatonisch-monistischen Konzept des Porphyrius. Man kann Gregors kosmologisches Modell als eine christlichmonistische Adaption des biologischen Modells der Entstehung aus Samen bezeichnen. Eine damit vergleichbare Aufnahme des biologischen Konzepts begegnet interessanterweise in gnostischen Kreisen des zweiten Jahrhunderts. Anders als das sogenannte Basilidesreferat des Hippolyt bezeichnet Gregor die Schöpfung im Anfang aber nur auf der Vergleichsebene als Samen. Außerdem verfällt er nicht in einen biologisch akzentuierten Mythos von der Weltschöpfung wie die gnostischen Kosmologen, sondern skizziert in Auslegung von Gen 1 eine streng naturphilosophische Kosmologie. Die Prinzipien der sukzessiven Entstehung und Aussonderung der Elemente, die Gregor im Schöpfungsbericht ab Gen 1,3 behandelt sieht, beschreibt er auf drei Ebenen. Die erste Ebene bilden die physikalischen Eigenschaften der Elemente wie spezifische Schwere, Dichte und Geschwindigkeit. Sie bewirken die Aussonderung der Elemente und ihre Differenzierung in Unterarten nach dem Gesetz der Anziehung von Gleichem und dem Gesetz von den natürlichen Orten der Elemente. Die zweite Ebene stellt die Naturkraft dar, die Gregor als immanente Kraft und Weisheit Gottes auffaßt. Sie bedient sich der physikalischen Ursachen als Werkzeuge und lenkt auf diese Weise als rationale Ursache den Prozeß der Ausgestaltung nach einer von Gott festgesetzten Ordnung. Auf der dritten Ebene ist Gott die transzendente Ursache des Prozesses. Er legt die Naturkraft in die Schöpfung ein und stößt den Ausgestaltungsprozeß an. Indem Gregor die κατασκευή des Kosmos auf diesen drei Ebenen beschreibt, gelingt es ihm, die physikalisch-mechanischen Ursachen, die in atomistischen Kosmogonien die eigentlichen Ursachen der Kosmosentstehung sind, teleologisch einzuholen. Sie unterliegen der Naturkraft und damit den Regeln, die Gott festgesetzt hat. Indem Gregor die Naturkraft als immanente Weisheit und Kraft des transzendenten Gottes auffaßt, bindet er die sichtbare Welt eng an Gott. Der Wirkbereich der Natur ist kein Raum einer autonomen, eigengesetzlichen Kraft, sondern der Bereich, in dem die Weisheit und Kraft Gottes wirkt. Nur unter dieser Voraussetzung kann Gregor die Untersuchung der Entstehung der sichtbaren Welt als Einführung in die Gotteserkenntnis betrachten. Der Gedanke, daß die Naturkraft einen Impuls Gottes empfängt, greift aristotelische Bilder für die Naturkraft auf, nach denen die Natur ohne Überlegung und mechanisch wirkt, sobald sie in Gang gesetzt wird. Gregor bemüht diese Vorstellung, um die Differenz zwischen der Natur als immanen-

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ter Kraft und Gott als transzendenter Ursache deutlich zu machen, um die Naturkraft Gott unterzuordnen und auf diese Weise eine Gleichsetzung von Natur und Gott zu verhindern. Gregor unterscheidet den transzendenten Schöpfergott, dessen Wesen unerreichbar ist, von dessen Kraft und Weisheit, die in der Schöpfung wirkt und erkannt werden kann. Auf diese Weise erklärt er, wie der transzendente Gott in der Immanenz wirken kann, ohne seine Transzendenz zu gefährden. Ähnliche Lösungen des Transzendenz-Immanenz-Problems begegnen auch bei anderen Autoren wie Philo, Clemens von Alexandrien, Origenes, im pseud-aristotelischen Traktat De mundo oder auch in Ansätzen bei Numenius. Anders als beispielsweise Origenes identifiziert Gregor die Weisheit und Kraft Gottes aber nicht mit Christus, sondern mit der Naturkraft. Die Transzendenz Gottes wird nach Gregor gewahrt, insofern Gott direkter Eingriffe in die Ausgestaltung des Kosmos enthoben ist, nachdem er den Entwicklungsplan und die Bewegungskraft in Gestalt der Naturkraft der Schöpfung eingelegt hat. Aus der Perspektive der geschaffenen Welt reflektiert Gregor dabei auch die relative Eigenständigkeit und Abgeschlossenheit des natürlichen Raumes, wenn er den transzendenten Gott als Impulsgeber der Naturkraft beschreibt, die in gewisser Weise ›mechanisch‹, d. h. nach beständigen, geordneten und zum Teil einsehbaren Gesetzen wirkt. Die natürliche Welt unterliegt der Vorsehung Gottes, die in den natürlichen Prinzipien und Gesetzen Gestalt gewonnen hat. Einige dieser Prinzipien und Gesetze können auch für sich erkannt, untersucht und verstanden werden und enthalten dennoch einen ›Mehrwert‹, insofern sie für den Beobachter, der tiefer sieht und durch den biblischen Schöpfungsbericht angeleitet wird, auf Gott verweisen. Indem Gregor die Naturkraft als immanentes Bewegungsprinzip der Ausgestaltung des Kosmos auffaßt, die Schritt für Schritt zur Vollendung des Kosmos voranschreitet, erhält sein Naturkonzept zugleich eine teleologische Dynamik, die den Gedanken einer Entwicklung des Kosmos einschließt. In der Apologia in Hexaemeron führt Gregor diesen Aspekt kaum aus. Die Rede von der Vollendung des Kosmos bezieht sich hier auf die Vollendung der einzelnen Elemente und Kosmosglieder, die mit deren Aussonderung aus der Mischung des Anfangs erreicht zu sein scheint. In anderen Zusammenhängen klingt jedoch ein Ziel an, auf das der Kosmos insgesamt ausgerichtet ist. So führt Gregor in De anima et resurrectione aus, daß alle Dinge darauf zulaufen, in gewisser Ordnung und Folgerichtigkeit gemäß der kunstfertigen Weisheit des Weltlenkers mit der göttlichen Natur vereinigt zu werden.⁴⁹⁷ ⁴⁹⁷ Gregor, anim. et res. (PG 46, 105a): Gregor / Makrina wendet sich an diejenigen, … ἀγνοοῦντες πρὸς ὅντινα σκοπὸν τὰ καθ’ ἕκαστον ἐν τῷ παντὶ οἰκονομούμενα φέρεται, ὅτι πάντα χρὴ τάξει τινὶ καὶ ἀκολουθίᾳ κατὰ τὴν τεχνικὴν τοῦ καθηγεμόνος σοφίαν τῇ θείᾳ προσοικειωθῆναι φύσει. Zur Teleologie des Naturgeschehens nach Gregor siehe J. D 1953, 226–231.

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Anhand des kosmogonischen Konzepts, das Gregor in seiner Auslegung des Schöpfungsberichtes entwickelt, ist er in der Lage, einige der Fragen zu beantworten, die der biblische Schöpfungsbericht kritischen Zeitgenossen aufgegeben hat. So erklärt er die Finsternis Gen 1,2 als natürliches Phänomen und wehrt damit dualistische Interpretationen ab. Mit der Unterscheidung von stofflicher Grundlegung im Anfang (Gen 1,1 f.) und sukzessiver Ausgestaltung des Kosmos (Gen 1,3 ff.) kann er die Eigenschaften der Erde Gen 1,2 erklären. Außerdem kann er das Verhältnis zwischen Gen 1,3 und Gen 1,14 bestimmen, indem er die Erschaffung des Lichts, d. h. die Aussonderung des allgemeinen Feuers, von der Ausgestaltung der Gestirne als Differenzierung qualitativ unterschiedener Unterarten des Feuers unterscheidet. In diesem Zusammenhang klärt sich auch der erste Wechsel von Tag und Nacht als Umlauf des allgemeinen Feuers vor der Erschaffung der Gestirne. Die Fragen, die sich aus Basilius’ Interpretation von Gen 1,6 f. ergeben, beantwortet Gregor im Zusammenhang seiner eigenen Auslegung der Scheidung zwischen den Wassern, die einen großen Teil der Apologia in Hexaemeron ausmacht. Sie unterscheidet sich von der Deutung des Basilius grundlegend, weil Gregor das Firmament (Gen 1,6) nicht wie Basilius vom Himmel (Gen 1,1) unterscheidet und als Grenze der meteorologischen Zone zwischen dichterer und feinerer Luftschicht auffaßt, sondern unter ›Himmel‹ und ›Firmament‹ gleichermaßen die Grenze zwischen sichtbarer und intelligibler Schöpfung bezeichnet sieht, die im Anfang ἐν δυνάμει und nach der Aussonderung des Feuers ἐνεργείᾳ existiert. Gregor interpretiert Gen 1,6 in einer Weise, die mit dieser Auffassung vom Himmel / Firmament sowie mit der Lehre von den natürlichen Orten der Elemente entsprechend ihrer Eigenschaften vereinbar ist. Die Scheidung zwischen den Wassern oberhalb und unterhalb des Firmaments versteht Gregor daher als Unterscheidung zwischen der intelligiblen Schöpfung einerseits und der körperlichen Welt andererseits. Seine Auslegung von Gen 1,7 berührt sich dabei mit der Deutung des Origenes. So verbindet Gregor wie Origenes die Interpretation der Wasser Gen 1,7 mit Gen 1,2. Er unterscheidet sich von Origenes aber darin, daß er die unteren Wasser sowie den Abgrund Gen 1,2 nicht ethisch-moralisch, sondern naturphilosophisch als das Element Wasser auffaßt, das pars pro toto für die sinnlich wahrnehmbare Schöpfung steht. Große Anstrengungen unternimmt Gregor, um die naturphilosophische Begründung des Basilius für die Existenz oberer Wassermassen zu entkräften. Er weist nach, daß Basilius eine falsche Vorstellung von der Interaktion der Elemente hat, insofern er davon ausgeht, daß gegensätzliche Elemente einander verzehren, so daß ein Vorrat an Wasser vorhanden sein muß, um die Wirkung des Feuers zu kompensieren. Im Anschluß an Aristoteles, der sich bereits gegen die Nahrungstheorie in der Elementenlehre gewandt hat, entwickelt

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Gregor einen Kreislauf der Umwandlung der Elemente, bei dem das Maß der Elemente bewahrt wird, und weist auf diese Weise nach, daß der Kreislauf der Elemente im sublunaren Raum geschlossen ist. Er rezipiert dabei die Elementenlehre des Aristoteles auf eigenständige und schöpferische Weise. Gregor verbindet die theoretische Analyse der Elementenumwandlung mit der Beobachtung der sichtbaren Phänomene. Dabei weist er nach, daß seine Elementenlehre mit den anerkannten nach-aristotelischen Beobachtungen und Theorien zur Wolken- und Regenbildung sowie zur Entstehung des Grundwassers übereinstimmt. Hinweise auf die Erfahrung (πεῖρα) führen bei Gregor einerseits auf die theoretische Betrachtung ἐξ ἀρχῆς hin und werden andererseits durch sie gedeutet. Theologisch-philosophische Axiome, Naturbeobachtung, experimentelle Analogien und folgerichtige naturphilosophische Lehrbildung stehen damit in einer Wechselbeziehung, die an die wissenschaftliche Methode Galens erinnert. Gregor zieht die Naturlehre, darunter besonders die Meteorologie und die Elementenlehre, heran, um die Folgerichtigkeit seiner Auslegung von Gen 1,6 f. zu demonstrieren. Andererseits fußt seine Auslegung von Gen 1,6 f. auf den naturphilosophischen Prinzipien seiner Kosmogonie. Hier zeigt sich erneut die Wechselwirkung von Naturphilosophie und Bibelauslegung, die Gregors Hexaemeronexegese prägt. Gregors Auslegung des Schöpfungsberichtes steht in einem Verhältnis kreativer Abhängigkeit zur Exegese des Basilius, die ihm vorlag und als deren Schüler er sich betrachtet. So stimmt er mit Basilius in den hermeneutischen Prämissen der Exegese überein. Beide erkennen an, daß die Bibel Formen übertragener Rede gebraucht. Am Beispiel der Auslegung von Gen 1,6 f. zeigt sich aber, daß sie einerseits das Vorhandensein übertragener Rede nicht einheitlich identifizieren und andererseits den Gehalt übertragener Rede unterschiedlich bestimmen. Gregor nimmt verschiedene Punkte der basilianischen Auslegung auf und entwickelt sie dabei systematisch weiter. So greift er aus den verschiedenen Bedeutungen von ἀρχή, die Basilius anführt, die Bedeutung im Sinne eines zeitlosen, unausgedehnten Anfangs der Zeit auf. Wie Basilius versteht er ›Himmel und Erde‹ in Gen 1,1 als Angabe der äußeren Grenzen der sichtbaren Schöpfung, in die alles summarisch eingeschlossen ist. Bereits Basilius sieht an einer Stelle die Differenz von Gen 1,2 zu Gen 1,9 in der Aussage über den Zustand der Erde in der Vermischung mit dem Wasser einerseits und in der Beschreibung der Erde, die vom Wasser getrennt ihre wesentlichen Eigenschaften und Kräfte besitzt, andererseits. Gregor legt diese Differenz seiner Auslegung von Gen 1 insgesamt zugrunde, wenn er die undifferenzierte Mischung des Anfangs (Gen 1,2) von der Entmischung und der Entstehung der Elemente jeweils für sich (Gen 1,3 ff.) unterscheidet. Innerhalb seines kosmogonischen Konzepts gelingt es Gregor überzeugender als Basilius, erstens die Finsternis als natürliches Phänomen zu erklären und zweitens die

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Entstehung des Lichts zwanglos als Grundlage der späteren Gestirne darzustellen. Wie Basilius interpretiert Gregor die Schöpfungsbefehle als Hinweise auf die immanente Naturkraft, bezieht sie aber nicht nur auf das Wesen der Einzeldinge, sondern auf die Dynamik der Kosmosentstehung insgesamt. Dabei unterläßt Gregor die theologische Deutung der Schöpfungsbefehle als Hinweise auf Christus als Mitschöpfer, wie er auch dem Geist Gottes (Gen 1,2) keine Schöpfungsfunktion beilegt. In der Analyse der Körpernatur als Komplex an sich intelligibler Eigenschaften geht Gregor über Basilius hinaus, indem er nicht bei einer gedanklichen, erkenntnistheoretischen Analyse stehen bleibt, sondern daraus ontologische Schlußfolgerungen zieht. Während bei Basilius neben die grundlegende Vorstellung einer simultanen, augenblicklichen Schöpfung gelegentlich unverbunden der Gedanke eines Entstehungsprozesses tritt, bezieht Gregor in seinem kosmogonischen Konzept, das καταβολή und κατασκευή unterscheidet, beides aufeinander. Weil Gregor in seiner Genesisauslegung die Entstehung der Welt folgerichtig und ausgehend von grundlegenden Prinzipien beschreibt, hat seine kosmologische Darstellung einen ungleich systematischeren und naturphilosophisch kohärenteren Charakter als die Hexaemeronauslegung des Basilius. Anders als Basilius polemisiert Gregor nicht gegen naturphilosophische Erklärungen und Theorien, sondern nutzt sie undramatisch zu seinem Zweck der Bibelauslegung. Er wendet sich auch nicht wie Basilius ausdrücklich gegen eine neuplatonische Kosmologie. Gleichwohl kann man sein kosmologisches Konzept als ein christliches Alternativkonzept zu einer neuplatonischen Kosmologie auffassen.

C. Christliche Kosmologie und kaiserzeitliche Philosophie: Zusammenfassung und Ergebnis Die Auslegungen des biblischen Schöpfungsberichtes Gen 1 f. bei Origenes, Basilius und Gregor von Nyssa speisen sich aus einer doppelten Quelle: Zum einen blicken sie auf jeweils frühere Auslegungen des Bibeltextes zurück; zum anderen steht ihnen die zeitgenössische Naturphilosophie und besonders die Diskussion um die Auslegung des platonischen Timaeus vor Augen. Die Auseinandersetzung mit den exegetischen Vorgängern prägt die Auslegungen der drei Autoren. Man kann vermuten, daß Origenes der erste war, der in seinem umfangreichen, aber größtenteils verlorenen Genesiskommentar die vorangehenden orthodoxen und heterodoxen Auslegungen gesammelt hat. Origenes selbst ist wiederum ein wichtiger Gesprächspartner für Basilius und Gregor von Nyssa. In der Auseinandersetzung mit exegetischen Vorgängern nehmen Origenes, Basilius und Gregor auch Stellung zu früheren Versuchen, den biblischen Text mit zeitgenössischer Philosophie ins Gespräch zu bringen. Sie richten sich gegen Interpretationen des Schöpfungsberichtes im Sinne eines Prinzipiendualismus, wie sie bei Autoren des zweiten Jahrhunderts wie Hermogenes oder Valentinus, Markion und deren Schülern begegnen. Vor allem Origenes wendet sich außerdem gegen eine platonisierende Interpretation, wie sie Philo, aber auch Clemens von Alexandrien vertreten.

Der philosophische Charakter des biblischen Schöpfungsberichtes Origenes legt den Schöpfungsbericht entsprechend seiner Bibelhermeneutik auf verschiedenen Ebenen aus. Einige Fragmente seines Genesiskommentars, in denen er ausführlich die Geschaffenheit der Materie erörtert, zeigen, daß er auf einer Ebene seiner Auslegung eine naturphilosophische Interpretation des Bibeltextes geboten hat. Das Hauptgewicht liegt aber auf einer kosmologischanagogischen Deutung des Textes. Demgegenüber lesen Basilius und Gregor die biblische Schöpfungserzählung vor allem als einen kosmologischen Bericht, der seiner Gattung und seiner Terminologie nach zwar kein fachwissenschaftlicher Text und überdies an etlichen Stellen unvollständig ist, durch den kundigen Leser aber naturphilosophisch interpretiert und ergänzt werden kann. Das zeigt sich beispielsweise daran, daß sie ausgehend vom biblischen Text

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auf unterschiedliche Weise die Frage nach einer zugrunde liegenden Materie diskutieren oder eine Elementenlehre entwickeln. Der Wortlaut des biblischen Berichtes bietet außerdem beiden Exegeten vielfältige Anknüpfungspunkte, reiches naturkundliches Material zu allen Bereichen des Kosmos auszubreiten. Die Auswahl richtet sich dabei nach dem übergeordneten Auslegungsinteresse des Autors. So wählt Basilius die naturphilosophischen Themen und Fragen vor allem danach, inwiefern ihre Behandlung der geistlichen Erbauung der Hörer seiner Predigten dient. Gregor dagegen entwirft in seinem systematisch ausgerichteten Traktat die Vorstellung einer sukzessiven Ausgestaltung der Welt, in die er Ausführungen zu den Elementen, zum Aufbau des Kosmos und zur Astronomie integriert. Sowohl bei Basilius als auch bei Gregor sind exegetische Entscheidung und naturphilosophische Darlegung eng miteinander verbunden. So versucht Basilius, mithilfe einer umfangreichen Schilderung des Nutzens und der Umwandlung der Elemente seine Deutung des Firmaments Gen 1,6–8 gegenüber konkurrierenden Auslegungen naturphilosophisch plausibel zu machen. Die naturphilosophische Plausibilität wird hier zu einem exegetischen Argument. Gregor wiederum widerspricht nicht nur der Interpretation des Firmaments von Gen 1,6–8 durch Basilius, sondern auch dessen Elementenlehre und bekräftigt seine Auslegung mithilfe einer recht eigenwilligen Fortschreibung der vorherrschenden aristotelischen Elementenlehre. Dabei erläutert er umfassend verschiedene meteorologische Sachverhalte, um seine Interpretation des Firmaments zu stützen. Dieser Zusammenhang von exegetischer und naturphilosophischer Folgerichtigkeit, den vor allem Gregor zum hermeneutischen und systematischen Grundsatz erhebt, zeigt, daß Basilius und Gregor den biblischen Schöpfungsbericht anders als Origenes als wesentlich naturphilosophischen Text lesen.

Der philosophische Skopos der christlichen und der platonischen Kosmologie Die christlichen Autoren betreiben in ihren Auslegungen des biblischen Schöpfungsberichtes auf unterschiedliche Weise christliche Naturphilosophie. Das zeigt sich in dem Skopos, dem sie den biblischen Text und ihre Auslegungen unterwerfen. Nach Origenes handelt Gen 1 f. von der Erschaffung der intelligiblen und sichtbaren Wirklichkeit, wobei die intelligible Wirklichkeit nicht im Sinne eines platonischen Ideenkosmos verstanden werden soll. Die Benennung des sichtbaren Himmels und der sichtbaren Erde (Gen 1,6–8) nach den himmlischen Größen (Gen 1,1) sieht Origenes als Hinweis darauf, daß die irdische Welt gegenüber der himmlischen Welt einen abgeleiteten Charakter besitzt, zugleich aber auf die himmlische Welt verweisen kann. Origenes betrachtet die

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sichtbare Welt als den von Gott geschaffenen Raum für die Vervollkommnung und das spirituelle Wachstum der Seelen. Analog dazu haben der biblische Text und dessen Auslegung einen pädagogisch-anagogischen Skopos, insofern sie zum Streben nach der himmlischen Wirklichkeit anleiten, die auch die Erkenntnis des wahren Wesens des Menschen umfaßt. Der richtigen Ausrichtung und dem entsprechenden Verhalten des Menschen sind vor allem die Predigten des Origenes über den Schöpfungsbericht gewidmet. Für Basilius ist die Genesiserzählung ähnlich dem platonischen Timaeus eine kosmologische Schrift über die Entstehung und den Aufbau des Kosmos. Sie soll auf leicht faßbare Weise zu einem vernünftigen Staunen über die Schöpfungswunder anleiten. Basilius sieht Mose und sich selbst Naturlehre betreiben, die auf die Erkenntnis des dreieinigen Gottes als des Schöpfers sowie auf die Natur und die Bestimmung des Menschen ausgerichtet ist und somit die Hörer der Predigten über das Sechstagewerk zur Erkenntnis des göttlichen Gesetzes und zur Vervollkommnung der Seelen anleitet. Auch für Gregor hat der Schöpfungsbericht zum Ziel, in der Schilderung der Entstehung und des Aufbaus der Welt den Leser von der Untersuchung der sichtbaren Dinge über die sichtbare Welt hinaus zur Erkenntnis des transzendenten Gottes zu führen. Diese Aufgabe übernimmt Gregor für seine Auslegung, in der er die geordnete und folgerichtige Entstehung der Welt skizziert. Sie führt zur Erkenntnis der göttlichen Kraft und Weisheit in der Schöpfung und schafft dadurch ein Bewußtsein für die transzendente Ursache der Kosmosordnung. Im Vergleich zu Basilius ist Gregors Kosmologie stärker theistisch geprägt. Die genannten Ausrichtungen der christlichen Genesisauslegungen verbinden diese mit den Aufgaben zeitgenössischer platonischer Kosmologien. Diese zielen auf die Erkenntnis der göttlichen Fürsorge für die Welt und die Stellung des Menschen im Kosmos sowie auf seine ethische Disposition und sein Handeln, die der Ordnung des Kosmos und der Würde ihres göttlichen Ursprungs entsprechen sollen. Das Erfassen der Schönheit und Vernunftgemäßheit der Kosmosordnung soll zu einem Bewußtsein ihres göttlichen Urhebers führen. Die Beschäftigung mit dem platonischen Timaeus kann dabei wie bei Porphyrius als ein durch die Lektüre Platons angeleiteter Schritt hin zur Vervollkommnung des Menschen verstanden werden, die über die Angleichung der menschlichen Seele an die Ordnung des Kosmos zu einer Angleichung des Menschen an Gott führt. Christliche und platonische Kosmologen teilen somit die Überzeugung, daß die Betrachtung der Natur und des Ursprungs der sichtbaren Welt Aufschluß über die Position des Menschen im Kosmos und sein Verhältnis zu Gott gibt.¹ ¹ Die Beobachtung von D. W 2006, 670, daß die Kosmologie der Kaiserzeit »(gleichgültig von welcher schulphilosophischen Couleur sie eingefärbt ist, nur ausgenommen wieder die skeptische u. epikureische Richtung) stets eingebunden in einen religiösen Gesamtkontext« ist, muß auf die christliche Kosmologie ausgedehnt werden.

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Beide Gruppen wenden sich daher vehement gegen eine atomistisch-epikureische Weltbetrachtung, weil diese es umöglich macht, eine Einsicht in die rationale Struktur der Welt zu gewinnen und das Ziel des menschlichen Lebens zu erkennen. In beiden Gruppen stellen die Auslegungen der kosmologischen Grundtexte ein bestimmtes Stadium des philosophischen-theologischen Curriculums dar, das auf die Vervollkommnung des Menschen und die Erkenntnis Gottes zielt.

Die christliche und die platonische Kosmologie als exegetische Projekte Die antiken christlichen und platonischen Kosmologen verbindet, daß sie jeweils Kosmologie in der Auslegung eines autoritativen Textes betreiben. Für die Christen ist der Schöpfungsbericht Gen 1 f. der normative Text für die Kosmologie, der unter Berücksichtigung anderer Bibeltexte ausgelegt wird, wobei Fragestellungen, Themen und Einzellehren der zeitgenössischen Philosophie aufgegriffen werden. In der Auseinandersetzung mit dualistischen bzw. platonisierenden Auslegungen erhalten einzelne Passagen des Textes ein besonderes Gewicht. So werden ausgehend von Gen 1,1 f. Fragen der Prinzipienlehre verhandelt. Die doppelte Erwähnung von Himmel und Erde in Gen 1,1 und 1,6–8 fordert auf zu klären, was an diesen Stellen jeweils gemeint ist, und ob Gen 1 f. nur die Erschaffung der sichtbaren Welt behandelt oder auch von einer intelligiblen Welt spricht, und was unter dieser intelligiblen Welt zu verstehen ist. Für die kaiserzeitlichen Platoniker stellt der platonische Timaeus den maßgeblichen Grundtext dar, der je nach individueller Prägung des Auslegers im Zusammenhang mit anderen Texten Platons sowie unter Aufnahme aristotelischer, stoischer oder neupythagoreischer Lehren, Fragestellungen oder Terminologien interpretiert wird. Im Laufe der Auslegungsgeschichte des Timaeus kristallisiert sich dabei eine Art ›Kanon‹ zentraler Textpassagen heraus, die in der kosmologischen Diskussion immer wieder auftauchen. Besonders deutlich läßt sich diese Entwicklung in den kosmologischen Kapiteln des Didaskalikos beobachten sowie in der Auseinandersetzung, die Porphyrius mit den dualistischen Timaeusauslegern Plutarch und Atticus führt. Sowohl Platoniker als auch Christen sind in der Auslegung ihrer kosmologischen Grundtexte genötigt, die Erzählfolge dieser Texte philosophisch zu deuten. Für die Christen gilt es, die anthropomorph gestaltete Schöpfungsschilderung der Genesiserzählung philosophisch-theologisch zu interpretieren und die Allmacht des Schöpfergottes herauszustellen. Unter der Voraussetzung, daß Gott die Welt in einem einzigen zeitlosen und instantanen Moment erschuf, verstehen sie die Erzählung des Mose als eine didaktische Form, welche die Ordnung und das Wesen des Kosmos anschaulich darstellt (Origenes,

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Basilius) oder die göttliche Einsetzung der Naturgesetze bezeugt (Basilius). Gregor geht zwar von einem grundlegenden instantanen Schöpfungsakt aus; er interpretiert die Erzählfolge des Genesisberichtes aber als Abriß eines geordneten und folgerichtigen Entwicklungsprozesses der Welt, in der das vernünftige Wirken der Naturkraft sichtbar wird. Die didaktische Erklärung der Genesiserzählung berührt sich mit der Interpretation des Timaeus, wie sie seit der Alten Akademie die Mehrheit der Platoniker vertrat. Da diese die Anfangslosigkeit und Ewigkeit des Kosmos lehren, erklären sie die Schilderung einer Entstehung des Kosmos im Timaeus als didaktische Darstellung der Ursachen und des Wesens des Kosmos. Bereits Philo von Alexandrien hat die didaktische Erklärung in die Genesisauslegung eingeführt. Den jüdischen und christlichen Kosmologen geht es anders als den Platonikern aber nicht darum, die reale Entstehung der Welt zu verneinen, sondern darum, die Lehre von der Unvergleichlichkeit des Schöpferwirkens mit der Genesiserzählung in Einklang zu bringen. Indem die Textauslegung die Gestalt der christlichen bzw. der platonischen Kosmologie bestimmt, treten bei christlichen und platonischen Kosmologen unter Umständen Spannungen in der Beschreibung der Welt auf, die auf der Unvereinbarkeit der Auslegung verschiedener Texte beruhen oder durch die Unvereinbarkeit mit einer Weltbetrachtung entstehen, die wie beispielsweise der zeitgenössische astronomische Weltaufbau nicht aus den kosmologischen Grundtexten gewonnen wurde. Daran zeigt sich deutlich, daß die christliche und die platonische Kosmologie jeweils im wesentlichen Textauslegung ist. Das läßt sich exemplarisch am Versuch des Origenes zeigen, den aus Gen 1 gewonnenen Weltaufbau mit dem zeitgenössischen astronomischen Weltbild zu verbinden. Dabei zeigt sich, daß der an Gen 1 gewonnene Kosmosaufbau nicht mit dem zeitgenössischen ptolemäischen Sphärenmodell in Deckung gebracht werden kann. Denn die Unterscheidung von sichtbarer Erde, sichtbarem Himmel einerseits und noch nicht zu sehender Erde und noch nicht zu sehendem Himmel des zurkünftigen Kosmos andererseits, die Origenes aus Gen 1,1 f.6–8 ableitet, kann der Gliederung in sublunaren Raum, Planetensphären, Fixsternsphäre und ptolemäische neunte Himmelssphäre nicht entsprechen. Ein vergleichbarer Befund zeigt sich für den Platoniker Numenius. Bei ihm treten Spannungen auf zwischen der dualistischen Weltbetrachtung, die er anhand des platonischen Timaeus entwickelt, und der Beschreibung des Kosmosaufbaus, die er in der Auslegung des platonischen Er-Mythos (R. 614b–e), des Phaedrus-Mythos (Phdr. 249a8) bzw. der homerischen Grotte von Ithaka gewinnt.

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Die Abwehr dualistischer Auslegungen und die philosophische Argumentation gegen einen Prinzipiendualismus Zwischen der christlichen Genesisexegese und der platonischen Timaeusauslegung der Kaiserzeit besteht eine weitere Gemeinsamkeit. In der Auslegung beider Texte begegnet vor allem im ersten und zweiten Jahrhundert die Tendenz zu Interpretationen im Sinne einer dualistischen Kosmologie. Auf der Seite der Genesisausleger vertreten später als heterodox betrachtete Interpreten wie Hermogenes, Valentinus und Markion sowie deren Schüler dualistische Deutungen des biblischen Textes, die sie vor allem aus Gen 1,1 f. entwickeln. Bereits christliche Apologeten des zweiten Jahrhunderts wenden sich gegen diese Interpretationen, aber wohl erst bei Origenes findet sich in der Auslegung von Gen 1,1 f. eine umfassende Begründung der Geschaffenheit der Materie, die dann von seinen Nachfolgern und unter ihnen auch Basilius fortgeführt wird. Origenes selbst interpretiert die umstrittenen Verse nicht im Sinne eines kosmischen, sondern eines ethischen Dualismus. Dieser wird gleichwohl von späteren Auslegern und auch von Basilius und Gregor in die Nähe jener kosmisch-dualistischen Deutungen gerückt. Basilius und Gregor entkräften daher durch naturphilosophische Interpretationen von Gen 1,1–3 dualistische Auslegungen, die diese Verse im Sinne eines Widerstreits kosmischer Kräfte deuten. Auf platonischer Seite vertreten zum Beispiel Plutarch, Atticus oder Numenius eine dualistische Interpretation des Timaeus. Zwar begegnen auch unter den sogenannten mittelplatonischen Autoren Versuche, die dualistischen Ansätze des Timaeus abzuschwächen (Alkinoos). Systematisch tritt jedoch erst Porphyrius in seinem Kommentar den dualistischen Auslegungen von Passagen wie Ti. 30a oder Ti. 52d–53e entgegen. Es zeigt sich also, daß sowohl Christen als auch Platoniker sich ab dem dritten Jahrhundert systematisch mit den dualitischen Strömungen und Auslegungsrichtungen innerhalb ihrer Traditionen auseinandersetzen. Ein deutlicher Beleg dafür, daß platonische und christliche Kosmologen in einem gemeinsamen philosophischen Diskussionsraum agieren, begegnet dabei in den philosophischen Argumentationen gegen einen Prinzipiendualismus. So bedienen sich Theophilus von Antiochien, Origenes, Didymus von Alexandrien, Basilius von Caesarea, Porphyrius und Alexander von Lycopolis eines ähnlichen philosophischen und rhetorischen Instrumentariums, um gegen die Annahme einer ungewordenen, Gott gleichewigen Materie vorzugehen. Daß die christliche philosophische Polemik gegen einen philosophischen Prinzipiendualismus zeitlich früher zu greifen ist als die innerplatonische Diskussion, könnte die Spekulation darüber anregen, ob sie unter Umständen auf die neuplatonische Diskussion gewirkt hat. Das läßt sich nicht ausschließen, ist aber auch nicht eindeutig zu belegen. In den Ausführungen des Platonikers

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Porphyrius beispielsweise lassen sich keine aussagekräftigen sprachlichen Berührungen zu christlichen Argumentationen nachweisen. Die Gemeinsamkeiten der Argumentation lassen sich gut dadurch erklären, daß dieselbe philosophische Frage, die in der Auslegung der kosmologischen Grundtexte aufbricht, vor einem ähnlichen prinzipientheoretischen Hintergrund mit ähnlichen philosophisch-rhetorischen Mitteln bearbeitet wird.

Die Frage nach der Ewigkeit bzw. dem Anfang und dem Ende der Welt Die Auseinandersetzungen um die Auslegung des platonischen Timaeus rükken die Frage nach der Ewigkeit der Welt in das Zentrum der kosmologischen Diskussion der Kaiserzeit und legen sie damit auch den christlichen Kosmologen vor. Deren Ausführungen lassen an einigen Punkten erkennen, daß sie die Debatte um den Timaeus kennen. Origenes nimmt in den erhaltenen Texten zwar nicht direkt auf sie Bezug. Er greift aber Argumente aus der Diskussion auf, wie den bekannten Grundsatz, daß das Gewordene notwendig vergeht, oder spielt auf die umstrittene Passage Ti. 41ab an, um in ganz anderen Kontexten eigene kosmologische Positionen zu entwickeln und zu begründen. Basilius dagegen wendet sich in seiner Auslegung von Gen 1,1 direkt gegen die Platoniker, die mit altakademischen Argumenten aus der Geometrie die Anfangslosigkeit des Kosmos begründen wollen. Seine umfangreiche exegetische Analyse von Gen 1,1 ἐν ἀρχῇ erscheint in diesem Zusammenhang geradezu als Entsprechung zu der von Ti. 28b7 ausgehenden platonischen Debatte um die Bedeutung von γενητόν. An einigen Stellen behauptet Basilius implizit, daß der biblische Schöpfungsbericht und die christliche Weltentstehungslehre als dessen Auslegung das Anliegen des platonischen Timaeus, eine von der göttlichen Vorsehung geleitete Kosmosordnung zu präsentieren, im Unterschied zu den platonischen Ausleger des Timaeus recht eigentlich verwirklicht. Diese Passagen der Hexaemeronhomilien zeigen nicht nur das rhetorischpolemische Geschick des Basilius, sondern verdeutlichen, daß in seinen Augen Platoniker und Christen gemeinsame kosmologische Grundannahmen teilen. Die christlichen Kosmologen bestreiten gegenüber der Mehrheit der Platoniker, daß die Welt anfangslos und unvergänglich ist. Mit ihrer Verteidigung der Lehre vom Anfang und Ende der Welt nehmen sie somit unmittelbar an der philosophischen Debatte teil, die durch die Diskussion um den platonischen Timaeus seit Aristoteles ausgelöst wurde. Ausgangspunkt ist für sie dabei nicht so sehr die Genesiserzählung. Denn diese könnte ähnlich der Weltschöpfung nach dem Timaeus durchaus als eine didaktische Analyse der ungeschaffenen, ewigen Welt interpretiert werden. Das zeigt sich z. B. daran, daß nicht alle christlichen Exegeten die ersten Worte des Schöpfungsberichtes ἐν

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ἀρχῇ in einem zeitlichen Sinne deuten. Der biblische Schöpfungsbericht muß vielmehr erst im Lichte der Lehre vom Anfang und Ende der Welt interpretiert werden. Wie die Argumentation bei Basilius zeigt, ist dabei die biblisch vielfältig belegte Lehre vom Ende der Welt, der notwendig ein Anfang korrespondieren muß, ein Ausgangspunkt. Ein weiterer Grund liegt in der Überzeugung, daß nur einem real entstandenen Werk Fürsorge von Seiten seines Schöpfers zukommen kann und nur so Gott als gerechter Richter der Menschen angenommen werden kann. Diese Annahme äußert bereits Philo von Alexandrien. Ähnlich sehen die Platoniker Plutarch und Atticus mit der Leugnung einer realen Entstehung des Kosmos die Lehre von der göttlichen Vorsehung gefährdet. Aus Sicht der Mehrheit der Platoniker zählen daher die Christen zu den oberflächlichen Philosophen wie Plutarch und Atticus, die sich wie die einfachen und ungebildeten Leute unter dem Verhältnis von Ursache und Verursachtem nur das Verhältnis eines Schöpfers zu seinem real entstandenen Werk vorstellen können. In der Tat ist für die Christen die göttliche Vorsehung für die Welt und ihre Geschöpfe einschließlich des Menschen daran gebunden, daß die Schöpfung ein willentlicher und vor allem kontingenter Akt Gottes ist. Das schließt für sie aus, die Entstehung der Welt im übertragenen Sinne wie die Mehrheit der Platoniker als eine metaphysische Abhängigkeit der Welt von einer vorgeordneten Ursache zu verstehen. Daß die Welt einen realen Anfang hat und sich einem willentlichen und kontingenten Akt ihres Schöpfers verdankt, ist aus Sicht der christlichen Kosmologen auch aus theologischen Gründen erforderlich. Denn nur dann kann Gott als allmächtig und keiner Notwendigkeit unterworfen gedacht werden. Dieses Gottesverständnis ist aber wiederum die Voraussetzung für die christliche Lehre von der Auferstehung und von der eschatologischen Vollendung der Welt. Letztlich setzt aus christlicher Sicht die platonische Lehre von der Anfangslosigkeit und Ewigkeit der Welt diese Welt auf unangemessene Weise Gott gleich. Einen Anhalt für diesen Vorwurf können die Christen in den vielen platonischen Äußerungen finden, die sich auf Ti. 34ab zurückführen lassen und nach denen die Welt ein Gott, ein jüngerer Gott oder ein Gott im Werden ist. Den Christen dürfte die Argumentation des Platonikers Atticus für einen realen Anfang der Welt bekannt gewesen sein, wie die bei Eusebius von Caesarea überlieferten Fragmente des Atticus zeigen. Anders als Eusebius in seiner Praeparatio Evangelica berufen sich Origenes, Basilius und Gregor von Nyssa in ihren erhaltenen Genesisauslegungen aber nicht auf ihn. Der wichtigste Grund dürfte darin zu suchen sein, daß die Autoren im Zusammenhang ihrer Genesisauslegungen über den Prinzipiendualismus des Atticus nicht hinwegsehen konnten. Für Basilius kann die Berufung auf einen paganen Philosophen in einer grundlegenden kosmologischen Frage in den Hexaemeronhomilien außerdem deshalb kein argumentatives Gewicht tragen, da nach ihm die Prin-

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zipien der christlichen Kosmologie dem biblischen Text und nicht den paganen Schriften entnommen werden sollen. Mit der Lehre, daß die Welt einen Anfang hat, sehen sich die Christen polemischen Anfragen ausgesetzt, die ähnlich von aristotelischer und epikureischer Seite an ein wörtliches Timaeusverständnis gestellt wurden. Origenes läßt erkennen, daß die Christen sich dabei ähnlicher Argumente bedienen konnten wie diejenigen Platoniker, die einen Anfang der Kosmosordnung behaupteten. Denn er entgegnet der Aporie, was der Schöpfer getan habe, bevor er die Welt erschuf, indem er in Parallelität zur ewigen Zeugung des Sohnes durch den Vater die ewige Existenz der Geschöpfe im Sohn denkt. Bevor die Welt substantialiter erschaffen wurde, existierte sie vorgebildet in der göttlichen Weisheit. Diese Lösung weist Parallelen zu der Vorstellung des Platonikers Atticus auf, nachdem der Demiurg immer Schöpfer ist, insofern er durch beständiges Schauen das intelligible Paradigma erschafft und erhält. Die wiederholte Aussage der christlichen Autoren, daß Gott die Welt willentlich und in einem zeitlosen und instantanen Moment erschaffen hat, kann auch als eine Antwort auf die polemische Frage gelesen werden, wie Gott wohl die Mühsal der Schöpfung auf sich nehmen konnte. Insgesamt würdigen Origenes in den erhaltenen Fragmenten sowie Basilius und Gregor in ihren Auslegungen ebensowenig wie die betroffenen Platoniker die teilweise sehr überzeichneten, polemischen Anfragen einer umfassenden Antwort. In der Betonung des göttlichen Willens im Zusammenhang der Lehre vom Anfang der Welt liegt in ihren Genesisexegesen aber der Schlüssel, mit dem man dem philosophisch brisanten Vorwurf entgegnen konnte, daß ein Anfang und ein Ende der Welt Veränderungen in der göttlichen Ursache implizieren.

Die Auseinandersetzung mit der neuplatonischen Kosmologie bei Basilius und Gregor Im Zusammenhang der Auseinandersetzung um den Anfang der Welt richtet sich Basilius ausführlich gegen die neuplatonische Konzeption der Entstehung der sichtbaren Welt als ewige Emanation aus der intelligiblen, göttlichen Ursache. Er setzt sich mit der platonischen Kosmologie auseinander, weil ihre Positionen gebildete christliche Leser des Schöpfungsberichtes verunsichern und so deren seelischer Zurüstung im Wege stehen können. Seine Argumentation wird von späteren Christen (Aeneas von Gaza; Zacharias von Mytilene) aufgegriffen. Die Gestalt der basilianischen Polemik legt nahe, daß er sich mit nachplotinischen Vertretern einer neuplatonischen Kosmologie auseinandersetzt. Basilius betont, daß die Hervorbringung der Welt als ein willentlicher Akt verstanden werden muß. Dafür beruft er sich in hintergründiger Weise auf die

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Rede des platonischen Timaeus vom Wollen des Demiurgen. Er unterstellt den Neuplatonikern, mit ihrem Modell den Kosmos seiner Ursache zu berauben, und setzt damit die Konzeption der Platoniker auf eine Stufe mit der epikureischen Kosmologie. Angesichts der gemeinsamen anti-epikureischen Grundhaltung der Platoniker und Christen hat diese Unterstellung eine besondere polemische Kraft. Überraschend ist, daß in der Auseinandersetzung mit der neuplatonischen Kosmologie der Gedanke einer creatio ex nihilo nur eine untergeordnete Rolle spielt. Es begegnet zwar die Formulierung, daß Gott das Nichtseiende ins Sein stellt. Diese Aussage ist aber nicht gleichbedeutend mit einer creatio ex nihilo, denn sie zielt lediglich auf die Allmacht Gottes sowie den realen Anfang der geschaffenen Welt und kann in dieser Bedeutung auch von Platonikern verwendet werden, die einen Anfang der Welt lehren oder die Wirkmacht der göttlichen Ursache hervorheben wollen (Atticus). Gregor gebraucht in seiner Hexaemeronauslegung ebenfalls nur diese vorsichtige Formulierung. Der Gedanke einer Schöpfung aus dem Nichts begegnet bei ihm in einem anderen Zusammenhang, nämlich um aus der Allmacht des Schöpfers der Welt die Auferstehung der Toten plausibel zu machen. In der Auseinandersetzung um den Anfang der Welt hat die Vorstellung der creatio ex nihilo für ihn offensichtlich keine argumentative Bedeutung. Gregors eigenes kosmologisches Modell kann vielmehr als eine christliche Konzeption einer creatio ex deo verstanden werden, das den Charakter eines Gegenentwurfs zum neuplatonischen Modell hat.

Die Rede vom Willen des Schöpfers: Vom philosophischen Grenzargument zur christlichen Kernaussage Die Rede vom Willen des göttlichen Schöpfers wird für gewöhnlich als Spezifikum der christlichen Weltentstehungslehre angesehen. Dieses Urteil kann sich auf die Äußerungen antiker christlicher Autoren berufen, die wie Basilius die Entstehung durch den Willen Gottes dem neuplatonischen Konzept einer Entstehung aus Notwendigkeit gegenüberstellen. Diese polemische Distinktion ist jedoch zu einfach und verstellt den Blick auf den eigentlichen Kern der christlichen Kritik und auf das Spezifikum ihres Willensbegriffes.² Denn ausgehend von der Erwähnung des Willens des Demiurgen im platonischen Timaeus können auch die Neuplatoniker die ewige Erzeugung des Kosmos als willentliche Hervorbringung bezeichnen. Das ist besonders gegenüber jenen Forschungspositionen zu betonen, die diese Aussagen auf einen jüdisch-christli² Das bemerkt in einem knappen Überblick bereits R. S 1983, 317 f.

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chen Einfluß zurückführen wollen.³ Die Anpielungen des Basilius auf den Timaeus zeigen, daß ihm dies nicht verborgen ist. Die christliche Kritik richtet sich folglich dagegen, wie die Platoniker die Ausübung des göttlichen Willens beschreiben. Sie nimmt Anstoß daran, daß nach den Platonikern Wollen bzw. Denken ewige Wirkungen der göttlichen Ursache sind, die eine statische Beziehung zu der verursachten Welt konstituieren, und daß die Existenz der Welt gleichsam eine ewige, sekundäre Begleiterscheinung der selbstbezogenen Existenz Gottes ist. Die Entstehung der Welt durch den Willen Gottes bedeutet dagegen aus der Sicht des Christen eine kontingente, vorsätzliche Entscheidung Gottes für genau diese Welt, in der seine fürsorgende Zuwendung zu allen Einzelgeschöpfen wurzelt, die wiederum das eschatologische göttliche Gericht begründet. Oder anders formuliert: Aus christlicher Sicht schließt die Schöpfung der Welt die Hinwendung der göttlichen Ursache zu dem Verursachten ein, was die Neuplatoniker gerade vehement verneinen. Sie sehen in Hinwendung der Ursache zum Verursachten, d. h. zu dem ontologisch Tieferstehenden, geradezu den »Sündenfall«. Hier zeigt sich, daß der Begriff der göttlichen Vorsehung von Platonikern und Christen unterschiedlich gefüllt wird. Der schöpferische Wille Gottes wird im Schöpfungsbericht Gen 1 f. nicht thematisiert. Die christlichen Autoren bringen ihn vor allem ins Spiel, um den zeitlichen Anfang der Welt oder die Erschaffung der Materie zu begründen. Dabei betonen sie die Wirkmächtigkeit des göttlichen Willens, für den Wollen und Verwirklichen des Gewollten zusammenfallen und keiner Voraussetzung unterliegen. Dieser Gedanke hat eine Entsprechung in der neuplatonischen Beschreibung der Denktätigkeit des göttlichen Intellekts, die in ihrem Vollzug wirkt. Die Identität von Wollen und Verwirklichen im Wirken der göttlichen Ursache schlägt sich zum Beispiel in den Spitzenformulierungen Gregors nieder, daß der göttliche Wille voraussetzungslos und instantan zur Natur bzw. zum substantiellen Sein der Dinge wird. In einer Aufnahme zeitgenössischer Handlungstheorie entfalten Origenes, Basilius und vor allem Gregor diese Vorstellung und grenzen sie anschaulich von der Tätigkeit menschlicher Handwerker ab. In diesen Zusammenhängen tritt der göttliche Wille gemeinsam mit oder sogar als Synonym zur Allmacht des Schöpfergottes auf. Diese Verbindung, aus der folgt, daß Gott theoretisch auch das Unmögliche bzw.

³ Das ist z. B. gegen E. B 1932 hervorzuheben, der die Betonung des Willens in der Timaeusauslegung des Calcidius als eine voluntaristische Umformung des Timaeus betrachtet durch »die Bekanntschaft mit dem voluntaristischen Gottesgedanken des Ostens und der mosaischen Schöpfungsgeschichte, die hier das platonische Weltbild umzuformen beginnt« (a. a. O., 345). Zwar ist im Falle des Calcidius umstritten, ob er selbst Christ war. Die Thematisierung des Willens ergibt sich aber auch aus dem Timaeus selbst und begegnet auch bei anderen Neuplatonikern. Ähnlich unzutreffend vermutet J. C. M.  W 1959, 109 für den Rekurs des Numenius auf die Allmacht des Demiurgen einen jüdischen Einfluß.

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das Naturwidrige wollen könnte, wird von nicht-christlichen Autoren wie z. B. Galen als spezifisch jüdisch-christlich angesehen und kritisiert.⁴ Der Wille des Schöpfers spielt ausgehend von den Schlüsseltexten Ti. 29e.30a.41ab auch in platonischen Kosmologien eine zentrale Rolle. In der Auseinandersetzung um die Anfangslosigkeit und Ewigkeit des Kosmos verweisen Porphyrius und seine Vorgänger auf die Güte und das Wollen des Demiurgen um zu begründen, daß die Welt unmöglich einen realen Anfang haben kann. Der Wille erscheint in den platonischen Ausführungen als Synonym zum Denken oder zur Vorsehung des göttlichen Demiurgen. Folglich drückt das Urteil, daß der Kosmos dem Willen und dem Vorsatz des Demiurgen gemäß ist, die Rationalität der Kosmosordnung aus. Diese Verwendung des Willensbegriffs bei den von mir untersuchten Autoren bestätigt die Einschätzung, daß der spätantike platonische Willensbegriff wesentlich rationalistisch geprägt ist.⁵ Darüber hinaus begegnet der Rekurs auf den Willen oder die Macht des göttlichen Demiurgen bei den kaiserzeitlichen Platonikern aber auch in ganz anderen Zusammenhängen. So entwickelt Atticus in seiner Auslegung von Ti. 41b eine Theologie des göttlichen Willens, die von seinen aristotelischen und platonischen Kritikern mit Argumenten angegriffen wird, die ähnlich auch gegen die jüdisch-christliche Kosmologie erhoben werden. Wille und Kraft des Demiurgen sind hier Ursache neben und über dem Naturzusammenhang, die begründen, warum ein naturgesetzlicher Grundsatz für Gott nicht gilt. Der Rekurs auf den göttlichen Willen fungiert hier als ein philosophisches Grenzargument. Alexander von Aphrodisias, Porphyrius und Proclus bestreiten es und beharren gegenüber Atticus wie Galen gegenüber der jüdisch-christlichen Kosmologie auf der Rationalität des göttlichen Willens. Auf vergleichbare Weise spekuliert Numenius über das Verhältnis der göttlichen Macht zur Natur und behauptet, daß sie die Natur transzendiert. Der Rekurs auf die Macht des Demiurgen stellt auch bei ihm ein philosophisches Grenzargument dar, das einen Einwand gegen seine Lehre von der Materie entkräften soll und ansonsten nicht in die Prinzipienlehre oder Kosmologie integriert ist.⁶ Die Rekurse der Platoniker Atticus und Numenius auf den Willen bzw. die Macht des Demiurgen dürfen nicht auf christliche Einflüsse zurückgeführt werden.⁷ Vielmehr zeigen sie, daß es im kaiserzeitlichen Platonismus in der ⁴ Siehe die berühmte Äußerung Galens, UP 11,14 (II 158,23–159,3 Helmreich) und dazu R. W 1972, 780–782. ⁵ Siehe die Untersuchung von A. D 1982, 1–19. ⁶ Den Aussagen des Atticus und Numenius ist eine Passage verwandt, in der Seneca angesichts des ewigen und ausgeglichenen Kreislaufs der Elemente das Ende der Welt auf den Willen und die Allmacht des Demiurgen zurückführt, die den Naturzusammenhang außer Kraft setzen (nat. 3,28,7 [Z. 872–878; 157 f. Hine]). Diese Aussage läßt sich nicht widerspruchslos in Senecas sonstige Ausführungen zum Weltende (dazu knapp D. W 2006, 674) einfügen. ⁷ Gegen die Einschätzung von J. C. M.  W 1959, 109 zu Numenius.

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Form von philosophischen Grenzargumenten Spekulationen um den Status des Willens bzw. der Macht des Demiurgen gab. Bei den christlichen Autoren stellen ähnliche Argumentationen gerade keine Grenzargumente dar, sondern sind in die Prinzipienlehre und Kosmologie integriert.

Gregors Materietheorie: Ein Beispiel für die philosophische Formulierung der christlichen Schöpfungslehre Daß der Wille des Schöpfers die einzige Ursache der Welt darstellt, durchdenkt in seiner Genesisauslegung Gregor von Nyssa besonders konsequent. Vor dem Hintergrund der Frage, der sich auch neuplatonische Kosmologen stellen müssen, nämlich wie der unkörperliche Gott die körperliche Welt erschaffen kann, kommt Gregor zu einer Konzeption, die eine zugrunde liegende Materie als Voraussetzung von Körperlichkeit überflüssig macht. Der göttliche Intellekt schafft durch seine Denktätigkeit die intelligiblen Qualitäten, die durch ihr Zusammentreten die Körpersubstanz konstituieren. In einem Spitzensatz kann Gregor formulieren, daß Gottes Wille die Materie der Dinge ist. Gregors Konzeption der Materie beruht im Einzelnen auf platonischen Voraussetzungen, ist aber in ihrer Gesamtheit unplatonisch, weil sie die Definition des Körpers als Zusammensetzung von Materie und Form aufhebt. Das zeigt sich im Vergleich mit der Lösung, die Porphyrius für das Problem der Entstehung von Körperlichkeit entwickelt. Dieser hält an einem gleichwohl untergeordneten Prinzip der Vielheit fest, das auf der Ebene der Körperwelt die notwendige Grundlage für die Abbildung der Formen darstellt. Gregors Konzeption der Körpernatur kommt freilich an eine Grenze, wenn es darum geht, die Mischung und Umwandlung der Elemente ineinander zu beschreiben. Gleichwohl versucht Gregor, in einer eigenwilligen Interpretation der aristotelischen Elementenlehre die Umwandlungsprozesse ohne die Annahme eines zugrunde liegenden Substrats zu beschreiben. An Gregors Ausführungen zur Körperlichkeit zeigt sich exemplarisch, wie der christliche Denker das philosophische Instrumentarium seiner Zeit benutzt, um eine eigene Antwort auf eine zentrale Frage der antiken Philosophie zu formulieren.

Christliche und platonische Modelle für das Wirken der Transzendenz in die Immanenz In der Auseinandersetzung mit der stoischen, aber auch der epikureischen Kosmologie stehen die platonischen Kosmologen vor der Aufgabe zu erklären, wie Gott, d. h. die höchste transzendente Ursache, in die sichtbare Welt hinein

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wirkt. Auch die kaiserzeitlichen Aristoteliker mußten auf diese Frage eine Antwort finden und dabei Aristoteles vor dem Hintergrund der platonischen Kritik weiterentwickeln ([Aristoteles], De mundo; Alexander von Aphrodisias). In den kosmologischen Entwürfen, die die kaiserzeitlichen Platoniker in der Auslegung des Timaeus entwickeln, spielt im Zusammenhang dieser Frage die Weltseele eine zentrale Rolle. Sie wird als Teil Gottes (Plutarch), als göttliche Kraft (Atticus) oder als göttliche Hervorbringung bzw. Hypostase (Alkinoos; Porphyrius) aufgefaßt. In der Weltseele und ihrer kosmologischen Funktion hat Heinrich Dörrie eines der Charakteristika des antiken Platonismus gesehen, das von den antiken Theologen bewußt vermieden worden sei.⁸ Die untersuchten Genesisauslegungen zeigen aber, daß einige ihrer Funktionen auch in der christlichen Kosmologie besetzt werden. So schreibt Origenes die Funktion der Schöpfungsmittlerschaft und der Weltverwaltung Christus zu. Dabei spielt er einerseits auf das platonische Konzept der Weltseele an, steht aber andererseits in der philosophischen Tradition, die die Weltverwaltung der immanenten Kraft Gottes zuschreibt, dessen transzendentes Wesen auf diese Weise davon unberührt bleibt. Basilius findet in den Schöpfungsbefehlen des Genesisberichtes ebenfalls Andeutungen auf die Schöpfungsmittlerschaft der zweiten Person der Trinität, ohne sie näher auszuführen. An vielen Stellen spricht er außerdem von der Naturkraft als dem Instrument der Weltverwaltung Gottes. Bei Gregor von Nyssa sticht vor diesem Hintergrund hervor, daß er die Genesiserzählung ohne alle Bezüge auf die Schöpfungsmittlerschaft Christi auslegt. Stattdessen führt er die Naturkraft ein, die als immanente Kraft und Weisheit Gottes die Ausgestaltung des Kosmos lenkt und auf die transzendente Kraft und Weisheit in Gottes Wesen verweist, die nicht erkannt werden können. Mit dieser Unterscheidung steht er in der philosophischen Tradition, die auch bei Origenes begegnet, ohne sie aber christologisch zu interpretieren. Es scheint, daß dieses zweite Modell, das Wirken der Transzendenz in die Immanenz zu beschreiben, das ähnlich zum Beispiel bei Philo von Alexandrien, im pseud-aristotelischen Traktat De mundo, bei Alexander von Aphrodisias oder bei Galen begegnet, für die christlichen Kosmologen eine Alternative zu dem Modell einer Weltseele darstellt. Freilich stehen beide Modelle nicht hermetisch nebeneinander, wie die platonischen Bestimmungen der Weltseele als göttlicher Kraft (Atticus) oder die Bezeichnung der immanenten Kraft der göttlichen Vorsehung als Seele bei Alexander von Aphrodisias zeigen. Die Zurückhaltung, die immanent wirkende göttliche Kraft mit Christus zu identifizieren, die bei Basilius und vor allem bei Gregor sichtbar wird, kann möglicherweise darauf zurückgeführt werden, daß aus der Perspektive der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts die Schöpfungsmittlerschaft Christi, ⁸ Siehe H. D 1987, 16–32.

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wie sie Origenes beschreibt, die Gefahr einer Subordination der zweiten Person der Trinität birgt, was für Basilius und Gregor nach den christologischen Auseinandersetzungen ungleich problematischer ist als für Origenes.

Die christliche Interpretation philosophischer φύσις-Konzeptionen Indem Basilius und vor allem Gregor an stoische und neuplatonische φύσιςKonzeptionen anknüpfen und die Naturkraft als immanente Weisheit und Kraft Gottes interpretieren, können sie die geschaffene Welt an Gott binden und zugleich dem natürlichen Raum eine gewisse Selbständigkeit und Abgeschlossenheit zuschreiben, die gleichwohl über sich selbst hinausweisen. Außerdem können sie durch diese Identifikation die zeitgenössische, von Aristoteles ausgehende Naturlehre in ihre Kosmologie integrieren und mit ihr die Entstehungs- und Veränderungsprozesse innerhalb der sichtbaren Welt beschreiben. Die Fülle des naturkundlichen Materials, das Basilius und Gregor in ihre Hexaemeronauslegungen aufnehmen, sind dafür beredte Zeugnisse. Unter der Voraussetzung, daß die weise Vorsehung und Kraft Gottes in den natürlichen Prinzipien und Gesetzen Gestalt gewonnen hat, besitzen die Beobachtung und Beschreibung der natürlichen Vorgänge immer einen »Mehrwert«, insofern sie für den Beobachter, der tiefer sieht und durch den biblischen Schöpfungsbericht angeleitet wird, auf Gott (Gregor) bzw. auf den dreieinigen Gott (Basilius) verweisen.

Charakteristika einer christlichen Kosmologie im dritten und vierten Jahrhundert Origenes, Basilius und Gregor von Nyssa nehmen mit ihren Auslegungen des biblischen Schöpfungsberichtes an der kosmologischen Debatte ihrer Zeit teil. Dabei bedienen sie sich des zeitgenössischen philosophischen und rhetorischen Instrumentariums, das ihnen dank ihrer fundierten Bildung zur Verfügung steht. Ihre Genesisauslegungen richten sich in erster Linie an Christen, die aus dem biblischen Text und nicht etwa aus dem Timaeus die Prinzipien einer christlichen Naturphilosophie entnehmen sollen. Auf dieser Grundlage behandeln sie Fragen, die durch die naturphilosophische Diskussion der Zeit vorgegeben sind. Die Genesisauslegungen sind dabei deutlich durch ihren unmittelbaren Anlaß sowie durch die intellektuelle Persönlichkeit ihrer Autoren geprägt. Origenes pflegt im Rahmen seines Schulbetriebs eine Auslegung, die in polemische Auseinandersetzung mit früheren Exegeten tritt. Sie hat einen suchenden und zugleich spekulativen Charakter und vermeidet lehrhafte

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Festlegungen. Dabei entwickelt er Gedanken und Argumente, die von späteren Autoren systematisch weiter entfaltet werden. Seiner Genesisauslegung kommt daher eine grundlegende Bedeutung für spätere Autoren zu, die einerseits in den zahlreichen methodischen und sachlichen Anknüpfungen, andererseits in den kritischen Auseinandersetzungen Späterer mit seiner Auslegung zu sehen ist. Basilius rückt in seinen Predigten den Aspekt der seelischen Erbauung in den Vordergrund seiner Auslegung. Dabei erörtert er die kosmologischen Grundsatzfragen erstaunlich umfassend. Spezialfragen weist er dagegen in der Regel zurück. Gregor von Nyssa wiederum ist in seiner kosmologischen Spezialschrift besonders an einer intellektuellen Durchdringung der christlichen Schöpfungslehre interessiert. Die direkte Polemik sowohl gegen christliche Vorgänger als auch gegen pagane Kosmologien tritt dabei bis auf die Auseinandersetzung mit Basilius stark zurück. Diskussionspartner Gregors sind die ihm vorgelegten Einwände gegen den biblischen Schöpfungsbericht und vor allem sein eigener fragender Verstand. Trotz der jeweils individuellen Prägung der drei untersuchten Genesisauslegungen lassen sich einige Eckpunkte bestimmen, die für eine christliche Kosmologie des dritten und vierten Jahrhunderts als wesentlich gelten können. Die darin zum Ausdruck kommende christliche Beschreibung der Welt und ihres Verhältnisses zu Gott antwortet auf die zentralen Fragen der antiken Kosmologie. Als eine Antwort ist sie jedoch für keine andere zeitgenössische philosophische Schule annehmbar: Erstens: Eine christliche Kosmologie wird in der Auslegung des biblischen Schöpfungsberichtes gewonnen. Das ist kein banales Kriterium, wenn man bedenkt, daß in der Antike die Frage, welche Personen bzw. Schriften maßgeblichen, autoritativen Charakter besitzen, die Identität einer Schule und die Zugehörigkeit zu ihr bestimmen.⁹ Oder anders gewendet: Ein Platoniker würde eine Kosmologie, der keine Auslegung des Timaeus Platons zugrunde liegt, niemals als platonisch ansehen. Aus dieser Perspektive gibt es streng genommen keinen christlichen Platonismus. Zweitens: Eine christliche Kosmologie lehrt, daß die Welt Anfang und Ende besitzt, die von Gott gesetzt sind. Voraussetzungen dafür sind die christliche Eschatologie sowie die christliche Vorsehungslehre, die mit dem göttlichen Endgericht ebenfalls einen eschatologischen Fluchtpunkt hat und in deren Zentrum der voraussetzungslose, kontingente Wille Gottes steht. Vorsehung und göttlicher Wille werden dabei grundlegend anders als bei Platonikern bestimmt. Drittens: In einer christlichen Kosmologie wird die sichtbare Welt als Geschöpf Gottes beschrieben. Anders als für Platoniker ist sie kein Abbild einer intelligiblen Wirklichkeit, keine Emanation aus der göttlichen Substanz, nicht selbst Gott. Origenes, Basi⁹ Die Frage, ob Calcidius – Autor eines ausführlichen Kommentars zu Platons Timaeus – Christ war, ist vor diesem Hintergrund umso drängender.

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lius und Gregor von Nyssa nehmen zwar eine geschaffene intelligible bzw. himmlische Welt an und können platonische Beschreibungen der intelligiblen Wesenheit auf sie beziehen. An keiner Stelle, auch bei Origenes nicht, hat diese himmlische Welt jedoch die Funktion eines Urbildes für die sichtbare Welt. Es ist also geradezu irreführend, wenn die Unterscheidung zwischen sichtbarer und intelligibler Welt bei den christlichen Autoren einfach als »platonischer Einfluß« erklärt wird.¹⁰ Bild (εἰκών) Gottes ist für die christlichen Kosmologen nach dem biblischen Schöpfungsbericht nicht der Kosmos, sondern der Mensch. Der biblische Schöpfungsbericht kann im dritten und vierten Jahrhundert als ein naturphilosophischer Text gelesen und interpretiert werden, weil in der Naturphilosophie dieser Zeit und vor allem im Platonismus Kosmologie maßgeblich in der Auslegung autoritativer Texte betrieben wurde. Im gegenwärtigen Kontext des 21. Jahrhunderts stellen die Naturwissenschaften hingegen keine Textwissenschaften mehr dar. Das antike Modell, den biblischen Schöpfungsbericht und zeitgenössisches Naturwissen aufeinander zu beziehen, steht daher nicht mehr zur Verfügung. Somit müssen heute andere Modelle gefunden werden, um die Aussagen des biblischen Schöpfungsberichtes in einer gegenwärtig verantworteten christlichen Weltbetrachtung zur Geltung zu bringen.

¹⁰ So beispielsweise zuletzt für Gregor von Nyssa durch J. A. G-T 2007b.

Erörterung

Auslegung von Gen 1,1–19: Schöpfung und Entfaltung

Auslegung von Gen 1,1: Die Schöpfung im Anfang ›Gott schuf‹ ›Himmel und Erde‹ ›Im Anfang‹

7–76

7–74

7–9: 7 8 9

καταβολή Materie als körperliche Gesamtheit im Anfang

16 17

16 f.:

Rekapitulation der Auslegung von Gen 1,1 und zweite Auslegung von Gen 1,2 im Kontext der Entfaltung der Schöpfung ›unsichtbar und unbereitet‹ Auslegung der Übersetzungsvarianten (Aquila; Symmachus; Theodotion)

Materie als Grundlage für die Sonderung und die Umwandlung der Elemente (Element Erde)

10–15: Erste Auslegung von Gen 1,2: Die anfängliche Finsternis und die Entstehung des Lichts (und des Firmaments) 10 ›Finsternis‹; ›unsichtbar und unerschienen‹ κατασκευή Gen 1,3: ›Es werde Licht‹ Sonderung / Entstehung der Elemente 11 Gen 1,4: ›Gott sprach‹ Element Feuer 12 Gen 1,4: ›Gott sah, daß das Licht gut war‹ 13 Gen 1,4: Scheidung von Licht und Finsternis 14 f. Gen 1,5: Benennung von Licht und Finsternis in Tag und Nacht

Einleitung

1–6

Anhang: Gliederung der Apologia in Hexaemeron des Gregor von Nyssa unter dem Gesichtspunkt der ausgelegten Bibelverse

544 Anhang: Gliederung der Apologia in Hexaemeron des Gregor von Nyssa

Rückkehr zu der Betrachtung im Anschluß an Kap. 15 Gen 1,6: Das Firmament (als Folge der Sonderung des Feuers)

77–78: Schlußteil

75–76: Der dritte Himmel des Paulus (Die Äquivokation von Himmel Gen 1,1.8)

Sonderung innerhalb des Feuers zu den individuellen Gestirnen

Auslegung von Gen 1,8: Zusammenfassung der ersten zwei Schöpfungstage; die Entstehung der Zahl Element Luft (in Gen 1 impliziert) Auslegung von Gen 1,9 f.: Die Trennung von Wasser und Erde Element Wasser Element Erde Verteidigung der Auslegung von Gen 1,6 gegenüber der Auslegung des Basilius Darstellung der Deutung des Basilius und Wiederholung der ›Äquivokationsthese‹ Umwandlung der Elemente ineinander Darstellung der darin implizierten Theorie der Elemente Abwehr des darin implizierten kosmologischen Nahrungsbegriffs Der meteorologische Kreislauf des Wassers Die Umwandlung der Elemente ineinander Ergebnis: 1) Unterstützung der Deutung von Gen 1,6 gegen Basilius 2) Ablehnung der Theorie der Elemente als gegenseitiger Nahrung

64–74: Auslegung von Gen 1,14–19: Entstehung der Gestirne

27–63: 27 28 28–32 33–35 36–61 62 f.

24: 25 26:

19–23 (–63): Auslegung von Gen 1,6 f.: Die Scheidung der Wasser oberhalb und unterhalb (Äquivokation von ›Wasser‹) des Firmaments und die Deutung der oberen Wasser als ›Fülle des Intelligiblen‹ 19 f. Gen 1,6: Die Scheidung der Wasser Die Deutung der oberen Wasser in Verbindung mit Gen 1,2 (Geist Gottes über dem Wasser) 21 Damit verbunden die Abwehr einer allegorischen Deutung des Abgrunds (Gen 1,2) 22 Die Natur der oberen Wasser (Fortsetzung) 23 Gen 1,7: ›war‹: Unvermischtheit beider Wasser im Anfang als Argument für die Deutung der oberen Wasser.

18:

Anhang: Gliederung der Apologia in Hexaemeron des Gregor von Nyssa

545

Literaturverzeichnis Die Abkürzungen für Zeitschriften und Reihen folgen in der Regel S. M. S, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin / New York, 2. Auflage 1992. Zusätzliche oder abweichende Abkürzungen: CMG = Corpus Medicorum Graecorum (Berlin) CUFr = Collection Université France LACL = Lexikon der antiken christlichen Literatur LCL = Loeb Classical Library LSJ = H. G. L / R. S / H. S. J, A Greek-English Lexicon, Oxford 1996. KRS = G. S. K / J. E. R / M. S, Die vorsokratischen Philosophen, Einführung, Texte und Kommentare, übersetzt von K. H, Stuttgart 1994 (zitiert nach der Nummer der Fragmente) SVF = Stoicorum veterum fragmenta (zitiert nach Band und Nummer der Fragmente) L / S = A. A. L / D. N. S, The Hellenistic Philosophers, Cambridge / New York 1987 (zitiert nach der Nummer der Fragmente). H. G / H. K = Origenes, Vier Bücher von den Prinzipien, hg., übersetzt, mit kritischen und erläuternden Anmerkungen versehen von H. G / H. K, TzF 24, 2. verbesserte und um einen Nachtrag erweiterte Auflage, Darmstadt 1985.

Die Abkürzungen der antiken Quellen richten sich in der Regel nach: – griechische pagane Quellen: H. G. L / R. S, A Greek-English Lexicon, revised and augmented throughout by H. S. J with assistence of R. MK, Oxford 1996. – griechische christliche Quellen: G. W. L, A Patristic Greek Lexicon, Oxford 1987. – Philo von Alexandrien: R. R / D. T. R / R. A. B u. a., Philo of Alexandria. An annotated bibliography 1937–1986, SVigChr 8, Leiden 1988. – lateinische Autoren (außer Augustinus): Thesaurus Linguae Latinae. Index librorum scriptorum inscriptionum ex quibus exempla afferuntur, editio altera, Leipzig 1990. – Augustinus: Augustinus-Lexikon 1, hg. von C. P. M, Basel 1994, 21*–41*.

Für die Traktate einzelner Autoren, die in den genannten Indices nur unter Sammeltiteln erfaßt sind (z. B. die Traktate Senecas und Plutarchs), werden die Titel der Einzeltraktate verständlich abgekürzt. Zusätzliche oder abweichende Abkürzungen: Cat. in Gen. = La Chaîne sur la Genèse, édition intégrale par F. P, TEG 1, Louvain 1991.

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Alexander von Aphrodisias Alexandri Aphrodisiensis In Aristotelis Metaphysica commentaria, edidit M. H, CAG 1, Berlin 1891. Die durch Averroes erhaltenen Fragmente Alexanders zur Metaphysik des Aristoteles, untersucht und übersetzt von J. F, mit Beiträgen zur Erläuterung des arabischen Textes von S. F, AAWB, philosophisch-historische Klasse 1884/ 1, Berlin 1885. Alexandri Aphrodisiensis In Aristotelis Meteorologicorum libros commentaria, edidit M. H, CAG 3/2, Berlin 1890. Alexandri Aphrodisiensis Scripta minora reliqua, De anima liber cum mantissa, edidit I. B, SA 2/1, Berlin 1887. Alexandri Aphrodisiensis Scripta minora reliqua (Questiones, De fato, De mixtione), edidit I. B, SA 2/2, Berlin 1892. Alexander of Aphrodisias, On Aristotle. Metaphysics 1, translated by W. E. D, Ancient Commentators on Aristotle, London 1989. Alexander of Aphrodisias, On Aristotle. Metaphysics 2–3, translated by W. E. Dooley, Ancient Commentators on Aristotle, Ithaka / N. Y. 1992. Alexander of Aphrodisias, On Aristotle. Metaphysics 4, translated by A. M, Ancient Commentators on Aristotle, London 1993. Alexander of Aphrodisias, On Aristotle. Metaphysics 5, translated by W. E. D, Ancient Commentators on Aristotle, London 1993. Alexander of Aphrodisias, On Aristotle’s Meteorology 4, translated by E. L, Ancient Commentators on Aristotle, Ithaka / N. Y. 1996. Alexander of Aphrodisias on Stoic Physics. A study of the De mixtione, with preliminary essays, text, translation and commentary by R. B. T, PhAnt 28, Leiden 1976. Alexander of Aphrodisias, On Aristotle On Coming-to-Be and Perishing 2.2–5, translated by E. G, Ancient Commentators on Aristotle, London 2005. Alexander of Aphrodisias, On Fate, text, translation and commentary by R. W. S, Duckworth Classical, Medieval and Renaissance editions, London 1983.

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Cosmas Indicopleustes Cosmas Indicopleustès, Topographie chrétienne, Tome 1–3, introduction, texte critique, traduction et notes par W. W-C, préface par P. L, SC 141.159.197, Paris 1968.1970.1973.

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Geoponica Geoponica sive Cassiani Bassi Scholastici De re rustica eclogae, recensuit H. B, editio stereotypa editionis primae (1895), Stuttgart / Leipzig 1994.

Glossen und Scholien Glossen und Scholien zur Hesiodischen Theogonie mit Prolegomena, hg. von H. F, Neudruck der Ausgabe 1876, Osnabrück 1970. G. P, Doxographica aus Basiliusscholien, NGWG.PH 1910, 195–201.

1. Antike und mittelalterliche Autoren (Texte und Übersetzungen)

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Register 1. Biblische Bücher und Apokryphen Altes Testament

1,2b

Genesis

1,2c 1,2 f. 1,2–5 1,3

1

1 f. 1,1

1,1 f.

1,1–2a 1,1–3 1,1–5 1,1–25 1,2

1,2a

239, 244, 256 f., 267, 275– 277, 293, 295, 297, 305, 307 f., 359, 362, 365, 395, 397, 411, 454, 517 f., 522, 525, 531 294, 305, 309, 315, 325, 517, 527 f., 530 231–235, 240–247, 248– 263, 266 f., 270–279, 298, 305–309, 315, 317, 325– 350, 357, 363, 375 f., 379, 389, 392–394, 397 f., 401, 411, 424–426, 453, 524 f., 528, 530, 533 2, 123, 227, 229–236, 247–256, 278 f., 302 f., 305 f., 308 f., 343, 348– 351, 411, 425, 433–437, 449, 518, 524, 530–532, 537 229, 255 532 248, 249, 309 312, 316, 324, 394 29, 233–236, 238–240, 271, 278 f., 287 f., 291 f., 315, 325, 347, 348–350, 356–361, 382, 385 f., 391, 393 f., 401, 426 f., 428– 435, 446, 453, 484 f., 487, 524–526 242, 247, 253–256, 309, 345, 348–351, 356, 394, 428–431, 487

1,3 f. 1,3 ff. 1,3–10 1,3–14 1,3–5 1,3–6 1,3–8 1,4 1,5 1,5 f. 1,6 1,6 f.

1,6–8 1,6–9 1,6–10 1,7 1,7 f. 1,8 1,8–10 1,9

324, 356, 358, 394, 426, 483 483 239, 483 325 244, 361–366, 372, 376, 395, 401, 408, 444–448, 453, 455, 458 f., 480, 518, 522, 524 361 453, 524, 525 428, 435 438 428 461 454 363, 427 241, 376, 444, 449 448, 455 231, 244, 248, 257 f., 273, 343, 365, 375–379, 384, 389, 404, 408, 481, 524 257, 316, 363, 374–376, 384–391, 397, 448, 450, 481, 487, 491, 499, 512, 516, 520, 524 f. 257, 325, 374 f., 396, 452 f., 482, 485 f., 528, 530 f. 384 262 f., 273, 305 f. 271, 386, 388, 390, 401, 480–488, 507, 516, 524 487 264, 266, 276, 375, 401, 444, 449 231, 247 f., 258 317, 349 f., 366, 394, 482, 525

588 1,9 f. 1,9–10 1,10 1,11 1,11 f. 1,11–13 1,14 1,14–16 1,14–19 1,16 1,20 f. 1,20 1,20–23 1,20–25 1,24 1,24 f. 1,26 1,26 f. 1,31 2,2 2,4 2,7 5,1 6,2 7 7,11 7,19 f. 28,12 f. 49,1 f.

Register

453 f. 325 257, 264, 266, 271, 343, 347 f., 385, 387, 503 317, 349 f., 365–374, 396 361 325 274, 324, 361–365, 372, 394 f., 401, 408, 455–460, 524 455–460 325, 461 332, 349 389 325, 365 f. 325 388 349 f., 365, 369, 371 325, 389 312, 324 f., 366 f. 244, 248 f. 307, 484, 491–495 238–240, 256, 266, 274, 235, 238–240, 256, 266, 274 248 f. 225 239 499 357, 499 499 278 294

Exodus 3,14 24,10 31,3

102 379 331

Numeri 33,1–49 33,8

387 387

Deuteronomium 5,4–5 8,7 32,1 33,13 33,13–15

270 357 387 357 375

Psalmen 1,3 8,9 18(19),2.4 32(33),9 26(37),3–6 32(33),9 36(37) 36(37),9 36(37),34 36–38(37–39) 76(77),17 101(102),27 f. 102(103),22 103(104),24 104(105),27 106(107),26 135(136),6 137(138),1 145(146),5 148,2 148,4 148,4 f. 148,7

265 375 445 239 257 480 271 228 228, 256 262 484 294 387 245, 300, 445 445 375 375 387 244 387 376, 387, 390 385–387 358, 390

Sprüche 1,7 8,22 8,22–25 8,30 f. 8,31 f. 9,10 16,7

241, 333 231, 234, 242, 244, 246 230, 242, 244 300 300 241 241, 333

Jesaja 6,8 66,1 66,22 51,6 40,22 42,5 44,27 40,12

260 257 297 343 357 f., 380 378 383 495 f., 499, 502

Jeremia 11,19

257

Daniel (LXX) 3,64–70 39

589

1. Biblische Bücher und Apokryphen

3,58–60

390

17,16 17,24

Apokryphen zum Alten Testament

Römer

Jesus Sirach

1,20 1,21 f. 8,20 8,20 f.

29,21(28)

241

260 264

317 f., 445 330 294 258, 294 f., 304

1. Korinther

Neues Testament

7,31 13,12

294, 330 270

Matthäus 5,5 6,20 13,31 18,7 19,4 24,35 25,34 25,41

257 267 478 259 294 294, 330 265 386

478

Lukas 8,31 10,20 13,18 f.

359 257 478

Johannes 1,1 1,1–3 1,3 1,6 1,9 1,10 5,39 8,23 8,12 12,31 17,14

4,16–18 4,18–5,1 12,2 12,2 12,4

234, 241–246, 308, 334, 487 243, 246 243 f., 246 260 480 259 269 260 f. 364 386 260

307 258, 304 448 376 376

Epheser 1,3

Markus 4,30–32

2. Korinther

267

Philipper 2,10 2,15 3,13

260 364 409

Kolosser 1,15 1,15 f. 1,16

242–244 242 331

Hebräer 1,2 11,3

244 413, 423

Offenbarung 4,6 9,1 12,7–9 20,3

379 359 386 359, 386

2. Antike und mittelalterliche Schriften Abu-᾽l-Fath῾ Muh.ammad aš-Sah.arastânî (Übers. Haarbrücker) 209,1–20

183 f., 190

Acacius von Caesarea Comm. in Gen. frg. in Coll. Coisl. (ed. Petit) 10 334 39 378

Achilles Intr. arat. 7

449

Aeneas von Gaza dial. (ed. Colonna) 44,1–45,2 45,4–9 45,21–23 46,2 f. 46,8–11

302 216, 221 201 339 339

Aetius Plac. 1,9

434

Alexander von Aphrodisias de An. (ed. Bruns) 122,16–125,4 172,25–173,2 173,25–32

422 412 f. 413

Fat. 4 6

134, 135, 282 441

8 11 f. 78

135 413 282

in GC (Übers. Gannagé) 101 f. 507 103 507 119–121 70 in Metaph. (ed. Hayduck) 103,35–104,15 f. 440 104,3–16 441 408,5–7 284 498,5 f. 134 498,8 f. 134 in Metaph. frg. (ed. Freudenthal) 10 282, 284 10a 135 10b 135, 137 in Mete. 4

422

Mixt. (ed. Bruns) 213,21–23 223,34–36 225,18–27 226,28–30

138 165 440 137, 372

Mu. (Übers. Genequand) 127–144 472 139 f. 70 Prov. (Übers. Ruland) 2,9–4,28 138 4,23–26 138 16,1–6 69 16,1–12 70 34,1–52,6 441, 472 70,4–8 202 70,9–77,12 472 76,1 f. 441 76,11–14 441

591

2. Antike und mittelalterliche Schriften

76,16 78,17–80,12 78,17–84,8 80,15 f. 82,7–17 94,18–96,5 Quaest. 1,6 1,18 2,13 2,21 3,13

441 440 440 441 470 472

16 25 26 27 36

104, 112, 168 149, 156, 159, 162 143, 160 170 128

Ambrosius von Mailand 507 68–71, 74 417, 419 f., 434 f., 509 55, 68 413

hex. 1,1,1–4 1,4,12 3,6,27 4,1,1 4,1,3 4,2,5

2 332 362 362 362 362

Alexander von Lycopolis Man. 2 5 6 6–9 8

Anaxagoras 359 359 353, 359 351 198, 355

Alkinoos Intr. 1 4 7 8 8–10 8–15 9 10 11 12–15 12 13 14 15

frg. (KRS) 467–469 476 481 f. 495

463 f. 463 f. 342 463 f.

Anaximander 128, 314, 319, 337 132, 149, 421 132, 138 f., 141, 167 23, 129, 132, 141– 145, 147 f., 154 f., 231, 283, 346, 431 139, 147 f., 170 156 131, 136, 139 f., 141, 152, 301, 422 90, 136, 138 f.,140 f., 148–157, 159–162, 167, 171 f., 282 87 f., 159, 422 90 22, 32, 127, 132, 138 f., 143–148, 156, 165 f., 170, 282 143–148, 156, 166, 169, 172, 259 132, 139, 149 f., 154– 156, 158, 160–168, 171 f., 332, 496 168 f.

frg. (KRS) 139–141

327

Antipater von Bostra adv. Orig.

303

Apuleius Plat. 1,5 1,12

140, 142 104

Aristoteles frg. (ed. Ross) 16 19c 20

64 64, 66, 299 64, 299

Cael. 1,2 (269b) 1,8 (276a) 1,9 (277b) 1,10–12 1,10 (279b)

451 376 376 60–65 61, 63

592

Register

1,10 (279b–280a) 1,10 (280a) 1,12 (188b) 1,12 (282a–283a) 1,12 (283a) 3,1 (298b) 3,3 3,6 4,2 f. (310ab)

188, 329 60 331 60 63, 70 434 434 434 507

de An. 1,2 (404b) 1,5 (410b) 1,5 (411b) 2,1 (412a) 2,6 (417b–418a) 2,7 (418a)

149 165 f. 165 f. 112 160 123

GA 1,2 (716a) 1,19 (726b) 1,20 (729a) 1,21 (729b) 1,22 (730b) 2,1 (734b) 2,1 (735a) 2,2 (736a) 2,3 (737a) 2,4 (331a–332a) 2,4 (331b) 2,5 (341b)

39, 471 429 39, 471 39, 471 39 440 160 473 39, 471 500 500 514

GC 1,1 1,3 (317a) 1,3 (317b) 1,4 (319b–320a) 1,6 2,2 2,2 (329b–330a) 2,2–5 2,3 (330b) 2,3 (331a) 2,4 (331a) 2,4 2,7 (334b) 2,8 (335a) 2,8 (334b–335a) 2,10 (336a–336b) 2,10 (336b) 2,10 f.

434 434 434 434 434 434 490 508 506 f. 348, 507 505 343, 500 509 509 379 f. 373 370 370

EN 3,1–7 6,2 (1139a) 6,2 (1139ab) 8,6 (1157b)

412 122 134 160

Metaph. 1,3 (983b) 1,4 (985a) 1,6 (988a) 1,8 (989a–989b) 2,2 (994b) 5,1 (1012b–1013a) 5,1 (1025b) 5,2 (1013b) 5,6 (1016a) 5,12 (1019a) 6,7 (1032ab) 7,1 (1028b) 7,1 (1042ab) 7,3 (1029a) 7,7 7,7 (1032a) 7,7 (1032b) 7,9 (1034ab) 7,10 (1036a) 8,1 (1042a) 8,6 (1045a) 9,1 (1046a) 9,8 (1050a) 10,8 (1058a) 12,2 (1069b) 12,2 (1070a) 12,3 12,3 (1070a) 12,5 (1071a) 12,6 f. 12,7–9

232, 327 463 141 463 241 241 336 39, 471 251 142 353 87 434 29 282 134, 140 134 284 251 112 251 142 112 251 463 135 284 369 112 64 149

Mete. 1,3 (339) 1,13 (349b) 1,13 (350a) 2,1 (353b) 2,2 (354b) 2,2 (355a) 2,2 (355a–356b) 2,2 (355b) 2,3 (340a) 2,3 (357a) 4,1 (378b)

508 490, 511 343 373 382, 498 382 f. 383 383 508 373 422

593

2. Antike und mittelalterliche Schriften

4,1 (379b) 4,4 (382a)

422 507

Ph. 1,4 (187a) 1,6–9 1,7 (191a) 1,8 (191b) 2,1 (196a) 2,2 (194b) 2,3 (194b) 2,3 (194b–195b) 2,4 (196a) 2,4 (196a–196b) 2,4–6 2,5 (197a) 2,7 (198a) 2,8 (198b) 2,8 (199a) 4,2 (209b) 4,11 (218b) 4,11 (219b) 4,12 (220b) 4,12 (220b–221a) 4,12 (221b) 6,4 (235a) 8,1 (251b)

29 434 29 29, 434 133 374 135, 333, 446 135 287 137, 168, 288 282 135 135 287 440 284 241 241 241 241 241 241 30, 241, 333

Top. 6,4 (142b) 6,6 (143a) 6,6 (145a) 8,1 (157a)

196 196 336 336

Sens. 1 (437a) 3 (439b) 3 (440a)

123 123 123

[Aristoteles] Mu. 2 (392a) 2 (392b) 4 4 (394a–396a) 5 (396a–397b) 5 (397a–397b) 6 (397b) 6 (398b–399b) 6 (400a) 6 (400b)

Atticus frg. (ed. Des Places) 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 14 15 19 23 25 26 28 29 30 32 35 37 38a 38b 40–44

55 54, 56 56, 58, 77, 289 57–68, 73 f., 77 f., 126, 54–56 54–56 54–56, 75 f. 42, 56 , 74–81, 155, 166 55 47, 53 f., 78 78 67 53 78 54, 60 53, 60 62, 72, 188 140 78 60 60 60, 62 53, 78 60 54 54 54 f.

Athanasius decr. 27,2

234

Augustinus 451 506 490 514 514 494 472 472 343 104, 321, 472

c. ep. Man. 30,33

357

civ. 10,31

201

conf. 12 12,17 12,17,25 12,20,29 13,5,6

253 253 253 251, 253 253

594 doctr. chri. 3,29,40 f.

Register

3,7

Gn. adv. Man. 1,3,5 1,4,7

401 357, 359

Gn. litt. 1,1

253

Basilius von Caesarea hex. 1,1 1,2 1,2–7 1,3 1,4 1,5 1,6 1,7 1,8 1,8–11 1,9 1,10 1,11 2,1 2,2 2,3 2,4 2,5 2,7 2,8 2,18 3,1 3,2 3,3 3,4 3,5 3,5–7 3,6

4,7 5,1 5,2 5,3 5,5 5,6 5,7 5,9 5,10 6 6,1 6,2 6,3 6,4 6,8 6,11 7,1 7,3–5 7,5 7,6 8,1 8,3 8,5 f. 8,8 8,17–9,10 9,1 9,2 9,3 9,4 9,6 10

257, 377 f., 381–384, 451, 495, 497 488 375 f., 381, 384 358, 384–391, 482 313, 317 f., 494 313, 317, 321, 328 349, 366 342 f., 347 f., 350, 366, 380, 503, 507 322 367 f., 371 f. 317, 367–370 368 366 317, 319 318 317 368 f. 320 313 f., 317 f., 320 f. 361–364, 366, 401 332, 363 f. 361 332, 361 317 f. 366, 368, 371 319 320 321 371 f. 313 320 317 f. 318 318, 322, 388, 390 f. 369–371, 381 320 320 312, 336 319

leg. lib. gent. 3

314

486

313 f., 317–320, 325 f., 328, 334, 339 327 f., 340, 424 327 f. 198, 329–331, 352, 380 331 f., 339 243, 318, 331–333 233, 318, 334 f., 341, 425 317, 328, 334, 336– 341, 342 f., 424 322, 343, 345–348, 378, 380, 420 343, 380 378, 380 381 317, 344 321, 349 f., 401 198, 346, 350–354, 391, 424 198, 350, 352, 354– 356 351, 356 f., 359–361, 364, 391, 427 357–360, 391, 401 343, 361–363, 365 f. 358, 363, 372, 381, 383 340 313 f., 318 f. 365 f., 376 313, 343, 363, 376, 380, 401 257, 342 f., 377–380, 401, 453, 489 313, 381 f., 491, 495 489 381–384

3,7–9 3,8 3,9 3,10 4,1 4,2 4,5

Calcidius in Ti. 8 21 29

257 447 80

595

2. Antike und mittelalterliche Schriften

31 32 38 101 120 130 133 135 165–168 169 f. 188 269 274 276 276–278 277 278 280 286 f. 289 292 293 294 295 295–299 299 300 303 304 305 307 313 317 318 319 320 323 324 330 353 354

80 257 257 332 169 169 169 169 110 197 104 355 346, 435 234, 240–242, 255 f. 229–237, 239, 247, 430 231, 234, 248, 250, 256, 270 f., 292, 386 232, 235, 242, 248, 250, 253–255, 281, 287 351 197 106 29 29 106, 281 84 f., 200 104–117 197, 435 197 346 140 447 140, 355 29 435, 509 435, 506, 509 112, 142 f. 142 435 509 140 145 145

241

330 110, 116 494

Cicero ac. post. 1,28

290

nat. deor. 1,20 f. 1,21 f. 1,22 1,51 f. 1,54 1,63 1,67 1,85 1,105 1,121 1,123 f. 2,4 2,15 2,19 2,19,49 2,21,57 f. 2,26 2,33,84 2,33,86 2,62,154 2,64,161 2,85 f. 2,87–90 2,90 2,91 f. 2,93 2,95 f. 2,97 2,98–114 2,115 3 frg. 2 (ed. Pease)

296 296 299 286 286 286 287 286 287 286 286 288 288 287 363 440 f. 290 506, 515 466 321 466 288 288 168, 288, 293 288 288 168 168, 288, 293 288 168, 288 279, 291

fin. 1,20

288

[Cicero] rhet. her. 4,33 f.

Chrysipp frg. (SVF) II 509

II 574–578 II 1170 II 1177

486

596

Register

Cleanthes frg. (SVF) I 497 I 1065 II 604 f. II 1052

Didymus der Blinde 473 f. 474 474 474

Clemens von Alexandrien str. 1,153,1–5 1,158 f. 1,50,4 5,90,1 5,94,1

314 314 84 279 273

ecl. 1,1–3 2,1

390 357

comm. in Gen. 33,23–35,16

239

Diodor von Sizilien bibl. hist. 1,7 1,7,3–6 2,52,1 2,52,2 2,52,6–9

462 373 373 379 373

Diogenes Laertius 3,69 3,76 7,141 7,135 7,150

141 141 330 257, 473 281

Cleomedes frg. (SVF) II 534

Diogenes von Oenoanda 114

frg. (ed. Smith) 13

277

Commentaria in Aratum (ed. Maass)

Dionysius von Alexandrien

90 f. 90,8 91,14

adv. Sabell. bei Eus. Caes., h. e. 7,19,1–8

463 463 463

Cosmas Indicopleustes

Empedokles

Top. 2,20

frg. (KRS) 346 369 370 371ab 382

375

Critolaus frg. (ed. Wehrli) 12

370

327 379 379 373 373

Epikur bei Diogenes Laertius

Demokrit frg. (KRS) 557 f. 563 565–569 571 583 f. bei Plutarch, Col. 4 (1109a)

198, 355

327 133 133 133, 287 327 446

10,68 f. 10,74 10,123 10,139

421 330 286 286

597

2. Antike und mittelalterliche Schriften

Epiphanius von Salamis haer. 64,4,11 64,7,1–4

385 269

ep. ad Iohann. Hier. bei Hieronymus, ep. 51 385

Eusebius von Caesarea h. e. 3,1,1–3 6,24,2 6,25,7–10 188,1–11 p. e. 6,11 6,11,78 7,19 7,19,1–8 7,19,2–5 7,19,8 7,20 7,20,1

226 f. 225 269 227

7,20,6 7,20,7 7,20,8 7,20,9 7,21 11,1,2 11,9,8 11,32,3 15,6,1–17

226 f. 274 226 198, 355 198 278 226, 235, 353 235, 280, 355, 413, 415 278 281 281, 285 197, 279, 282, 291, 356 197, 279, 282, 283, 290, 356 283, 287, 353 283 f., 287, 353 f. 285, 288, 291 278, 280 197, 282, 356 55 84 333 57

Marcell. 1,4

226, 234, 242, 298

7,20,1–9 7,20,2 7,20,3 7,20,4 7,20,5

Galen Med. Phil. 4

337

UP 11,14 17

538 372, 493

Elem. 4,2 4,11

505 f. 505

Temp. 2,20

506

Foet. Form. 3,1 3,9 6,4 f. 6,12 6,25 6,32

467 468 441 441 79 79, 137, 493

Sem. 1,6 1,7,1 1,9,15 1,13,16 2,3,13 2,4,32 2,5,5 2,5,67 2,5,76

469 467 468 467 467 f. 467 467 468 467

Nat. Fac. 1,6 2,3

467, 469, 471 467

[Galen] qual. incorp. 10

257

Scholien zu Basilius (ed. Pasquali) 200,23 f.

178

Gregor von Nazianz or. 43,23

323

Ep. 6 115

324 324

598

Register

Gregor von Nyssa hex. (ed. Forbes) 1 1 f. 2 3 4 5 6 7 8 9 10 10–15 11 12 13 14 15 16 17 18 18–23 18–26 19 19–23 20 21 22 23 24 25 26 27

400–403 312 401 f. 362, 400 f. 313, 404, 406, 409 f. 361, 400 f., 408 f., 458 401 f., 404–407 411–418, 421, 425– 429, 432 f., 435, 437, 439, 464, 481 233, 335, 408 f., 411, 424–428, 438, 453 424–426, 428, 437– 446, 453, 460, 469, 471 426–428, 431 f., 438, 444–448, 458, 460 f., 464, 469, 471, 483 428, 435 444 f., 458 446 f., 460 427, 441, 445, 457, 460, 483 408, 425, 438, 448 f. 446 f., 449 422, 424, 426, 428– 436, 454 f., 464 f., 471 426, 428–436, 446, 461, 464 257, 357, 378, 434, 448–452, 488 425 435 481–488 483 481 f. 427, 481–488 481 f. 481, 487 434, 444, 453, 464, 481 408, 445 f., 454 434, 445, 454 f., 460, 481 389, 489, 512

28 27–63 28 29 31 32 33 34 35 36 36–38 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 f. 53 54 55 56 57 58 59 60–62 62 62 f. 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74

405 f., 512 435 401, 404 f., 491 490, 516 434, 492–497 489, 494 f. 382, 497 497 498 409, 450, 489, 498 f. 511 409, 450 f., 489, 499 499 499, 501, 509 f. 500, 510 500 f. 461, 510 499 408, 450, 485, 499 496 502 509 f. 451, 510 461 343, 497, 501–504, 506, 509 511 453 , 502, 506–508, 511 501, 503 f., 506–508 504 f. 490, 504, 510–512 511 f. 511 506 512 516 404, 408, 434, 445 438, 447, 455, 460, 464, 469 408, 448, 456 456, 458 458 448, 456, 458 f. 457 f. 458, 460 455 f., 459–461 458, 464 438, 457, 461, 464, 510

599

2. Antike und mittelalterliche Schriften

75 76 77 78

377, 408 f., 448, 450, 485 f. 377, 448 400 f., 404, 406 f., 411, 462 401

anim. et res. (PG 46) 32b–33b 457 32c 457 57c 405 105a 440, 523 121a–125a 413 121b 413 121cd–124a 415 124a 414 124b 413, 436, 471 124c 414, 416 124d 416 209d–212a 414 hom. opif. (PG 44) 1 (129a) 8 (145a) 16 (185a) 23 (209d–212a) 23 (212c) 23 (212d–213b) 23 (213c) 23 f. 24 (212c–213b) 24 (212d) 29 (236ab) 44 (212b)

450 425 405 414 424 346 424 421 416 f., 422 423 465 414

v. Mos. (ed. Musurillo) 2 (68,11–13) 490 2 (83,23–84,4) 409 2 (84,8–20) 409 v. Gr. Thaum. (ed. Heil) 24,10–12 418 hom. in Cant. 6

417

pss. titt. (ed. Langerbeck) 1,7 450 2,13 493 Steph. (ed. Lendle) 90,5–14 483 virg. (ed. Cavarnos) 11 417

Eun. (ed. Jaeger) 1,370 2,224 f. 3,7,6

432 446 432

beat. (ed. Callahan) 6 445 deit. (ed. Rhein) 560,22–32

446

Gregor Thaumaturgus pan. Or. 7,93–101 8,109–112 8,112

318 320 321

Hegemonius Arch. 7,1

359

Heraklit frg. (KRS) 203 213

108 108

Hermias von Alexandrien in Phdr. (ed. Couvreur) 102,20–27 79

Hermes Trismegistus (ed. Nock) 1,25

277

Hieronymus adv. Rufin. 1,16 1,18

268 237

ep. adv. Ruf. 11

268

ep. 33,4 51,5 51,7 124,5

225 385 385 275

600

Register

c. Ioh. 7 19

385 278

adv. Pelag. prol. 1

237

in Ier. prol. 3

268

I 382,12–383,22

Hippolyt haer. 1,19,3 7,20–22 7,21,4 7,21,5 7,22,1 7,22,2 7,22,3 f. 7,22,7 7,22,8 7,23,1 7,24,3–5 7,27,8–12 10,33,8

[Jamblich] Theol. Ar. 8 10 11 12

112, 142 476–481 478 477 f. 466, 477 f. 477 478, 480 479 477, 479 480 479 479 424

hom. in Gen. (PG 53) 4 (42a) 453

Johannes Philoponus Procl. 1,4 6 6,2 6,8 6,10 6,12 6,14 6,17 6,21

Homer 117 f. 118 f.

Irenaeus von Lyon haer. 2,1,2 2,10,2 2,30,9

108 34 108, 113 108

Johannes Chrysostomus

frg. (ed. Bonwetsch / Achelis) 2 453

Od. 13,109–112 24,12

191–194

198, 355 418 418

Jamblich bei Stobaeus, Anth. 1,49,37 48 1,374,21–25 84 bei Proclus, in Ti. (ed. Diels) I 19,24–29 180 I 29,31–30,4 175, 182 I 77,25–78,27 180 I 204,24–29 180

6,25 6,27 7,15 11,11 13,15 14,3

176, 201, 204 f., 339 201 176 140 f., 159, 185–187, 189 176, 183, 185, 187– 189 193 22, 191 f., 206, 211 176, 189 f. 59, 132, 176, 183– 185, 188, 329 185–187 54, 106, 176, 185, 188, 190, 194, 329 54 179 106, 176 22, 107, 176, 191– 193, 211

opif. 1,3 2,5 4,4

335 234, 430 227, 234

in GC (ed. Vitelli) 62,11–27 224,14–16 224,31 f. 230,22–231,13

508 506 506 507

601

2. Antike und mittelalterliche Schriften

Julian Imperator

Lukian von Samosata

Gal. 49d 138a 143bc

315, 359, 401 315 366

or. 4 (113c)

373 f.

Alex. 25

286

Lukrez rer. nat. 5,110–234 5,235–256

296 330

Justin Macrobius

1 apol. 10,2 59,1–5 59,2–5

279 253 279

dial. 5,5 f.

198

[Justin] qu. et resp. 62

401

291, 295, 301 385

diss. 41,4

104

Methodius von Olympus

Katenen Catenae Graecae in Genesim (Coll. Coisl., ed Petit) 10 334 39 378 48 227, 367 73 227 Catena in Genesim (Cat. in Gen., ed. Petit) 100 227 119 227 173 227 191 227, 235 193 227, 238, 274

Laktanz inst. 2,8,8–10 2,8,8–59 2,8,10 f.

119, 123 119–121 117, 121 122 121 121 177 176

Maximus von Tyrus

Justinian ep. ad Menam a. Or.

somn. 1,11,10–11 1,11,11 1,12,1–4 1,12,11 1,12,13–15 1,12,5–7 2,3,15 2,3,16

291 285 279

bei Photius, cod. 253

300

Nemesius von Emesa nat. hom. 7 43

123 58 f.

Numenius frg. (ed. Des Places) 1a 2 3 3–8 4 4a 4b 5 5–8 6 7

85 86 f., 91, 119, 123 87, 108, 388 95 296 87 f., 108 88 f. 88 f. 89 f. 87, 89 86, 89

602 8 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 24 27 30 31 31–35 33 34 35 39 41 42 43 44 46b–c 50 51 52

Register

86, 88 f. 87, 91 f., 95–97 90, 92, 98, 100–102, 104, 119 95, 101–104 99 89–92 89, 91–93, 98 f., 101, 103, 117 90 f., 93, 99, 102, 174 87, 95 f., 98, 108 91, 99, 122 90, 91, 99 90, 93 f., 99, 330 91–93, 98, 100, 117 94 388 122 117 f., 120 120 87 118 f., 121 101, 117–119 122 123 101, 123 116 109 99 111 342, 379 43, 85, 87, 91, 104– 117, 120, 122 f., 197, 200, 231, 291, 296, 346

Origenes Cels. praef. 1–4 1,15 2,9 4,37 4,51 4,55 4,65 4,74 5,7 5,21 5,38

269 84 366 225 84 366 21 265 94 297 84

5,44 5,57 6,17 6,21 6,49

6,69 7,44 8,52

386 84 284 274, 278 225, 228, 234 f., 240, 247 238, 256 225 258 225, 239, 244, 361, 401 269 258 277

comm. in Gen. frg. in philoc. 14 23

227, 263 226 f., 274, 324

6,50 6,51 6,59 6,60

bei Eus. Caes., p. e. 6,11,78 274 7,20 197, 226, 235, 239, 247, 255, 278–293, 353–356, 413, 415 bei Eus. Caes., Marcell. 1,4 226, 234, 242, 298 bei Eus. Caes., h. e. 3,1,1–3 226 f. bei Pamphilus, apol. Orig. 5 236, 247, 268–271, 386 7 236, 247, 268–271, 386 bei Calcidius, in Ti. 276–278 229–237, 240–242, 247–256, 266, 270, 273, 280 f., 287, 292, 386, 430 in Coll. Coisl. (ed. Petit) 48 227, 367 73 227 in Cat. in Gen. (ed. Petit) 100 227 119 227 173 227 191 227, 235 193 227, 238–240, 256, 274

603

2. Antike und mittelalterliche Schriften

comm. in Mt. 13,20 14,9

259 238

comm. ser. in Mt. 71

264 f.

comm. in Ro. in philoc. 9,1

263

comm. in Ps. prol. bei Epiphanius, haer. 64,7,1–4

269

hom. in Ex. 1,1

402

hom. in Gen. 1 1,1

1,3 1,8 1,11 2,5

225 234, 240 f., 243, 273, 359, 386, 427, 484 235, 247, 250, 253, 257, 262, 266 f., 273, 306 f., 386, 484, 488 388 f. 388 f. 389 278

hom. in Jer. 9,4 20,1

284 264

hom. in Lc. 23,7

386 f.

1,2

hom. in Num. 26,5 27,2 27,5 27,10 hom. in Ps. 36 2,4 5,4 Jo. 1,7,8 1,15,87 1,16,90–1,19,118 1,16,92 1,19,104 f.

228, 256 f., 263, 266, 375 387 387 387 229, 256 f., 263 f., 271, 275 228, 248, 256–258, 263, 275 243 259 234, 240, 242 253 244

1,19,109–115 244 1,19,110 244 1,19,111 243, 245 f. 1,19,113–114 245, 445 1,19,115 245, 302, 445 1,19,116–118 246 1,21,125 243 1,33,241–1,34,246 246 1,34,244 245 1,36,266–1,38,279 246 1,36,266–1,39,288 243 1,39,289–292 246 1,16,90–1,18,108 241 2,4,36 235 2,10 298 2,10,70–72 246 2,10,72 244 2,10,73–75 284 2,12,90 246 2,13,91–96 254 2,19,130 234 2,29,175 260 6,42,217 239 13,9,51 271 13,16,98 271 13,21,127 290 19,20,127–19,22,150 260 19,22,146 261 19,22,147 245, 261 19,22,149 264 prol. bei Eus. Caes., h. e. 6,25,7–10 269 5 prol. in philoc. 5,1 269 orat. 27,8

255, 290

Pascha 1,8

228, 241, 266

princ. 1,1,3 1,2,1–13 1,2,2 1,2,3 1,2,9 1,2,10 1,3,3 1,4,1 1,4,3

298 246 234, 242, 262, 265, 298, 300 f. 243 298 297 f., 300 298, 495 303 300

604 1,4,3–5 1,4,4 1,4,5 1,5,3 1,5–8 1,6,2 1,6,4 1,7,3 1,7,5 2,1,1 2,1,3 2,1,4 2,2,2 2,3,4 2,3,6

2,3,7 2,9,1 2,9,2 2,9,3 2,11,6 3,5,1 3,5,1–3 3,5,2 3,5,3 3,5,4 3,5,5 3,6,4 3,6,6 3,6,7 3,6,8 4,1,4 4,2,4–6 4,2,8 4,3,1 4,3,5 4,4,1 4,4,5 4,4,6 4,4,7 4,4,8 4,5,8

Register

298–303 234, 297, 298–300 300 f., 303 278 303 260 290 277 294 290 246 111, 278, 281, 285 f., 289 f., 293, 309, 353 266 297 166, 225, 235, 242, 247 f., 256 f., 259– 263, 267, 274–276, 303–305, 349, 375 275–277, 291 235, 248, 250, 281, 291, 295, 302 303 259 307 228, 241, 294 f., 298, 304 293–298 295, 297 296 f. 264 264–266 252, 290 290 250 235, 256 289 273 269 269 269 234 279 235, 242, 253, 278 f., 289–292 254, 280, 291 f., 416, 420, 435 291, 303 295

sel. in Ps. (PG 12) 1,3 (1089c) 148,4 (1680a)

265 387

Ovid Met. 1,5–9 1,15–20 1,21

463 f. 463 463

Papyri PGM 7 (ed. Preisendanz) 529–537 374

Pamphilus / Eusebius von Caesarea apol. Orig. 5 7 9 20 47 f.

236, 268 f., 271, 386 236, 247, 268–271, 386 224 224 226, 242, 298

Philo von Alexandrien Abr. 21,121 Aet. 13,39–43 15,52 21,108–112 21,112 24

64, 66, 299 167 513 f. 514 330

Leg. 1,14,43

242

Mos. 1,2,8 f. 1,5,20–1,7,33

314 314

Mut. 4,28 f.

299

Opif. 2,8 f. 3,13 4,16 4,17–5,20 4,17 5,20

355 274 248 f. 245, 309 277 301

299

605

2. Antike und mittelalterliche Schriften

5,21 7,26 7,27 f. 7,29 7,29–9,32 8,31 10,36 12,43 f. 14,45–47 22,67 46,134 61,171

299 241, 332 241, 332, 342 248, 455 357 482 249, 257, 273, 375 514 362 238, 468 249 58

Prov. 1,7 1,9–17 2,50–51 2,91–94 2,99 f. 2,103 f. 2,104

302 330 197, 282, 356 494 494 494 494

Spec. 1,13 f.

362

Photius cod. 235

300

Platon Ap. 21d

271

Cra. 389a 396a 396bc 400a

104 100 375 75, 155

Lg. 10 869d 896a 896c 896ce–897d 896d 896d–898c 896e 897d 904b

11 112 75 75 79 f. 111–113 13 108 f. 108 100

Men. 75b 75c

123 123

Phd. 78c 83b 97c 99c 105c–107a

89 159 155 75, 165 160

Phdr. 227b 245c 245c–246a 245c 245d 245e 246b 246c 246e 246f 247a–c 247b 247c 248d 249a

318 156 13, 24 75 61 109 100, 102 75, 402 100, 102, 155 155 258, 261, 277 258 258, 482 102 121, 531

Phlb. 16 23c 24a–25 25e–d 28c 28e 30d 35a 48c 54a 65a

13 200, 216, 220 13 13 100 155 100 156 307 97 148–151

Plt. 73b 268d–274e 269c 269d 270b 272d–273e 272e–273d 272e 273a

24 17–22 19 18 f. 19 388 19 18–20, 36, 101, 111, 113 18

606 273b

Register

273c 273c 273d 273e 305d

18, 20, 25, 47, 111, 113 20 18 18 18 100

R. 258b–e 443d 485b–487a 506–509 508a 508b 508e 509b 509d 525b 527–530 529 534a 535a–c 546a 571d 614b–e 616b 656a

336 34 314, 319 148–151, 156 149 149, 199 f., 220 30, 90 67, 91, 200 375 97 167 321 97 319 72 318 117 f., 120, 126, 531 119 61

Smp. 202e–203a 211a

168 89

Sph. 238a 245d 246c 248e 263e 265c

216 97 97 91 40 446

Tht. 157bc 176 176a 176b 209a–c

421, 519 74 71 108 421

Ti. 17a 17a–27b 21a 21d

179, 182 181 180 180

27a 27b 27c 27c–28c 27d–28a 28 28–30 28a–29b 28a 28b

28c 29 29a 29b 29c 29d 29d–30a 29e

29e–30b 29e–30a 29e–34 29e–30a 30 30–41 30a–34 30a

30b 30c 30d–31a 31a 31b

130 318 180, 184–190, 194, 219 158 60, 86, 89, 159 130, 138, 282 326 139 f. 18, 180 22, 60, 123, 158 f., 164, 180, 184–190, 194, 218 f., 339, 376 f., 533 18, 31 f., 39, 90, 102, 124, 136, 152–158, 174, 353, 475 138, 281 f. 11, 60, 95, 214, 220, 341 47, 74, 89, 214, 330 74, 156, 217 67, 190, 217 139 f., 189 f. 36, 66 f., 71, 90, 98, 112 f., 124, 138, 151 f., 190, 195, 203, 205, 214, 309, 538 341 29 165 67 130, 431 130 143 18, 22–28, 49, 53, 59 f., 98, 106 f., 109– 113, 125, 138, 143 f., 151, 173, 183, 191– 194, 196, 201, 214, 205, 218 f., 221, 254, 282, 309, 350 f., 356, 431, 532, 538 31 f., 139, 165, 341 165 183 56 f., 60 f., 180, 210 f., 276 22, 56 f., 60 f., 257, 276, 344

2. Antike und mittelalterliche Schriften

31b–32c 31c 32 32a 32b 32c 32c–33a 32c–33c 33b 34 34a 34b 34b–37c 34c 34c–35a 34e 35a 35a–36b 35b 35b–36b 36 ff. 36a 36c 36c–e 36d 36e 37a 37b 37c–38b 37c 37d 38a 38c 39b 39e 40a 40b–c 40d 41–42 41–53 41a 41ab

34 f., 50, 342, 379 34 130 29, 275 29, 514 34, 77, 320 211, 276 f. 282 329 328 60, 165, 330, 534 60, 75, 155, 164– 168, 330, 534 166 60, 75 159–164 155, 164 9–17, 20, 22, 29, 35, 42–47, 49, 53, 116, 122, 254 33 9–17, 42–47, 20, 22, 29, 35, 49, 116, 254 33, 50 41 f. 21 19–21 164–168 42, 49 42, 49, 75, 165 21, 88, 179, 89 332 47 47, 330 332 262 362 91, 168–170 166, 168 130 168–170 104 431 61, 72 42, 49, 68, 72, 73– 74, 188, 258, 304, 310, 331, 533, 538

41b 41b–46 41c 41d 41e 42a 42d 43ab 47e 47e–48a 49a 49b 49c 50b–51a 50c 50e 51a 51b 52 f. 52–56 52a 52b 52d 52d–53a 52d–53b 52d–53e 52e 52e–53a 53a 53b 53c 53c–55a 53c–55d 56c 56c–57c 56d–57d 56e 57d 57e–58c 58c 58d 68e 68e–69a

607 56, 60–62, 66–68, 72, 77, 81–83, 121, 152, 339 66 102 149, 121, 183 102, 104, 179 102–104, 124 102, 332, 373 144 170 f. 13, 35 f., 44, 111–115 254, 183 290 290, 505 23 179 23 159, 213, 283, 350 350 144 130, 419–421, 423 418 213, 215, 231, 254, 346, 421, 519 50, 109 f., 144, 170 431 12, 18, 22–28, 36, 49, 143, 173, 462 532 18, 144, 153, 170, 254 143 f. 18, 29, 53, 60, 170 18, 28–30, 122, 125, 145–147, 170, 192, 197 192, 505 36 376 77, 111–115 87 144 13 110 144 144 130 18 13, 111 f.

608 69a 69b 69c 69e–69a 73c 74c 92c

Register

26 18, 26 f., 53, 60, 110, 113, 192, 254 192 423 102 77 47, 330, 377

[Platon] Ep. 2

92 f., 100, 199 f., 220

Epin. 977a 984c 987b

330 169 166

Gaius Plinius Secundus nat. 2,10,7

363

Plotin Enn. I 1 (53) 10 I 6 (1) 2 I 8 (51) I 8 (51) 5 I 8 (51) 8 I 8 (51) 9 II 1 (40) 1 II 1 (40) 3 II 1 (40) 4 II 1 (40) 6 II 2 (14) 1 II 2 (14) 2 II 3 (52) 11 II 3 (52) 12 II 3 (52) 17 II 3 (52) 18 II 4 (12) II 4 (12) 1–5 II 4 (12) 2 II 4 (12) 2–5 II 4 (12) 3–5 II 4 (12) 4 II 4 (12) 5 II 4 (12) 6 II 4 (12) 8

307 352 196, 217 352 352 352 516 447, 449, 516 516 342, 508 447, 449 330 437 437 443, 497 202, 442, 437 251 252 196 252 215 252 252 290, 434, 436 217

II 4 (12) 8–10 II 4 (12) 10–11 II 4 (12) 10 II 4 (12) 11 II 4 (12) 12 II 4 (12) 16 II 5 (25) 4 II 6 (17) 1 II 6 (17) 1–3 II 7 (37) 3 II 9 (33) 6 III 2 (47) 1 III 2 (47) 16 III 2 (47) 2 III 2 (47) 3 III 5 (50) 1 III 6 (26) 22 III 7 (45) 1 III 7 (45) 6 III 7 (45) 11 III 8 (30) 1 III 8 (30) 10 III 8 (30) 2 III 8 (30) 4 III 9 (13) 1 IV 4 (28) 13 IV 7 (2) 83 IV 8 (6) 6 IV 9 (8) 3 IV 9 (8) 5 V 1 (10) 2 V 1 (10) 5 V 1 (10) 6 V 1 (10) 8 V 1 (10) 10 V 2 (11) 1 V 3 (49) 12 V 3 (49) 15 V 4 (7) 2 V 5 (32) 4 V 7 (18) V 7 (18) 2 V 9 (5) 5 V 9 (5) 6 VI 1 (10) 6 VI 1 (10) 8 VI 1 (42) 10 VI 3 (44) 8 VI 3 (49) 12

346 217 346, 352 418–420, 431 f. 419 352 429 208 422 422 93 203, 336, 338, 340, 354 203 203, 208, 475 203 352 352 332 487 208, 475 442 201 442 43 209 436 f., 443 442 208, 475 208, 475 208, 475 330 252 202, 414 200 307 414 202 202 252 99 f. 301 352 104 208, 475 202 216 422 422 202

609

2. Antike und mittelalterliche Schriften

VI 7 (2) 8 VI 7 (38) 8 VI 8 (39) 13 VI 8 (39) 14 VI 8 (39) 17 VI 8 (39) 9 VI 9 (9) 6 VI 9 (9) 9

422 203 203 201 f. 203 202 202 201 f.

Plutarch von Chaironea an. procr. 1 (1012d) 2 (1012f–1013a) 2–4 (1012d–1013f) 3 (1013a) 3 (1013b) 3 (1013c) 4 (1013ef) 5 (1014a) 5 (1014a)–7 (1015f) 5 (1014b) 5 (1014c) 6 (1014d) 6 (1014e) 6 (1014f) 6 (1015a) 6 (1015b) 6 (1015c) 6 f. (1014e–1015e) 7 (1015c) 7 (1015d) 7 (1015e) 8 (1016b) 9 (1016c) 9 (1016ef) 9 (1017a) 11 (1017d–e) 17 (1020e) 21 (1022e) 21 (1022f) 22 (1023c) 23 (1024a) 23 (1024b) 23 (1024c) 23 f. (1024a–d) 24 (1024c)

9 163 9 132 9, 17, 132 23 10 15, 17 17 11, 14, 18, 22, 28 f., 191 12, 14, 29, 33, 37, 191 12 f., 33, 109, 200 13, 15, 47 23 17 f., 23, 25, 254, 287 29, 45, 109, 135 45, 109 14 23 14, 18 13 f., 18, 22, 109 14 13–15, 24, 32 29 13, 23, 30, 38 34 46 15, 28 14, 27 36 11 f., 14, 24 f. 12–25, 27 12 27 14 f., 20, 26–28, 31, 35, 38, 160, 173

24 (1024d)

15, 20 f., 28, 31, 38, 45 f., 160 24 (1024d–f) 12, 31 24 (1024e) 48 24 (1024f) 40 25 (1025a) 35 25 (1025a–c) 12 26 (1025b–1026a) 43 26 (1025f) 46 27 44 27 (1026a) 36, 46 27 (1026a–e) 116 27 (1026a–e) 21, 43 27 (1026b) 36, 43 27 (1026b–d) 43 27 (1026c) 42 f., 45 f., 75 28 (1026e) 19, 21, 24 28 (1026f) 19 f., 40, 160 28 (1027a) 13 f., 34, 43, 46 29 (1027d) 34 31 (1028a) 33 31 f. (1028a–1029a) 41 33 (1029d) 15, 26, 35, 41 33 (1029e) 15, 26, 34 f., 41 33 (1029e–1030b) 46 33 (1029f) 41 33 (1030a) 46 33 (1030b) 46 33 (1030c) 15, 34, 41, 48, 155 Col. 4 (1109a) 22 (1119e)

446 286

comm. not. 14 (1065f) 32 (1075e) 34 (1076cd) 43 (1082e) 49 f. (1085e–1086b)

76 286 23, 76, 108, 254, 290 289 422

de E 20 f. (393b–e) 31, 90 1–21 (384d–394d) 33 def. or. 12 f. (416c–417c) 19 (420b) 35 (428ef)

48 137 f. 31

fac. 13 19 (921f)

447 363

610

Register

8,2 8,2,1 (718c) 8,2,4 (719f) 8,2,4 (720a) 8,2,4 (720b) 8,2,4 (720c)

35–38, 40, 47 9, 38 36 36 36 f., 47, 140 37, 41, 47

sept. sap. conv. 21 (1063de)

39

Stoic. 2 (1033c) 6 (1034c) 21 (1044d) 32 (1049a) 34 (1050c) 38 (1041d–f) 43 (1053f) 43 (1054a)

289 289 494 494 289 286 506 23, 254, 287

virt. 6 (444f)

15

30 (944cd) 30 (944f.945a–d) 30 (945a)

48 48 38

gen. Socr. 22 (591b)

31, 48

Is. 25 f. (360d–361c) 45–48 45 (369bd) 45 (369c) 53 (372f) 55 (373e) 59 (375ab) 66 (377e)

48 108 21, 44, 48 44–46, 116 28 28 116 31

Non posse 20 (1101b) 20 (1101c) 22 (1102e) 23 (1103cd)

286 286 286 286

plat. quaest. 2 2,1 (1000e–1001b) 2,1 (1000e–1001c) 2,1 (1001a) 2,1 (1001b) 2,2 (1001b) 3,1 (1001d) 3,1 (1001e) 3,2 (1002bc) 3,2 (1002d) 4 4 (1003a) 4 (1003b) 5,1 (1003d) 8,4 (1006f–1007e) 8,4 (1007b) 8,4 (1007c) 8,4 (1007d) 9,1 f. (1007e–1009b)

50 39, 471, 475 31–33, 40, 91 14, 39, 209, 341 209, 259, 341 36, 38 14, 23 23 42 23 50 12, 23 f., 30, 38 39, 475 166 332 30 28, 30, 47, 330 47, 330 34

[Plutarch]

pr. frig. 16 (952ab) 17 (952c)

506 506

Pyth. 8 (397f)

237F 275F 368F

33

quaest. conv. 8,1,3 8,1,3 (718a)

39 f. 40, 475

Gaur. (ed. Kalbfleisch) 49,19–21 201 60,1–4 466 60,8–11 466

fat. 9 (572f)

281

Epit. 1,7,18

91

Porphyrius Antr. 5 10 21–23 28 34 frg. (ed. Smith) 55F 120F 172F 236F

388 388, 118 118 118 118 347 f. 334 176, 189 f. 178, 200, 212–214, 352 178 307 216 f., 221

611

2. Antike und mittelalterliche Schriften

60,18–20

466

in Ti. frg. (ed. Sodano) 1 179 1–33 175 2 182 10 179 11 180 12–18 179 19 206 21–22 179 26 182 27 180 30 180, 185 32 65, 180 33 182 34 187 34–39 176 35 183, 185 36 176, 185 f. 37 185 38 185, 187 f. 40–46 175 40 205, 353 41–43 341 47–50 176 47 176, 184, 191 f., 206 48 107, 192 f. 49 22, 191 50 107, 192 51–57 175 51 64, 183, 188 f., 191– 197, 199 f., 204–207, 209, 211, 215 f., 221, 356, 475 53 183 54 180 55 210, 215 f. 58–60 176 61–64 175 65–68 176 69–71 175 72 176 73–81 175 74 179 80 183 82 f. 176 84–91 177 93 183, 190

in Cat. (ed. Busse) 95,22–33

346

Intr. 4

349

Sent. 5 11 20 21 29 30 31 37 41

211, 214 211 217 211 288 210, 215, 311 311 209 211

VP 3,19 14,10–14 14,12 17,4–6 17,35–39 20,71–76 20,74–76

90 54 84, 183 86 86 212 86

Poseidonius frg. (ed. Edelstein/ Kidd) 92 281 93 507 94 506 131a 499 131b 499 132 499

Proclus in R. (ed. Kroll) I 78,7–10 II 96,11 II 128,26–130,14 II 130,15–131,8 II 131,8–14 II 377,15–378,6 II 377,15–378,4

388 84 117 120 117 62, 72, 106 188

in Prm. (ed. Stallbaum) 564,3 f. 214 in Ti. (ed. Diehl) I 271,31–272,6 I 8,5–9 I 10,13–12,30

302 439 442

612 I 10,13–22 I 11,9–14 I 11,9–20 I 12,10–25 I 14,7 I 14,28 f. I 14,28–15,22 I 18,31 I 19,24–29 I 29,31–30,4 I 77,22 I 77,25–78,27 I 86,24 f. I 94,4–9 I 116,27 I 146,8 I 147,6 I 152,12 I 159,9–12 I 202,2 I 202,5–13 I 204,24–29 I 207,23 I 211,6 f. I 211,22–24 I 212,4 I 213,12–16 I 217,31–272,6 I 218,28–30 I 218,28–219,18 I 218,28–219,31 I 219,13–20 I 219,20–22 I 219,23–31 I 219,29 I 227,8–14 I 262,2–29 I 271,28–272,6 I 271,30 I 275,22–25 I 276,30–277,7 I 287,24 I 299,13–19 I 300,1–6 I 304,5–7 I 304,5–22 I 305,6–16 I 306,32–307,4 I 319,15–21 I 322,1

Register

437 439 437 439 180 180 179 180 180 f. 175, 182 180 180 180 180 180 180 180 180 206 180 182 180 180 72, 188 72, 188 72, 188 188 65 180 185 184 184 185 182 185 175 f. 338 180 180 182 54 56 338 205, 353 99 90 90, 67 341 31 180

I 322,1–7 I 352,8–10 I 357,12–23 I 352,13 I 366,20–368,11 I 367,21–24 I 381,26 f. I 381,26–383,12 I 383,2 f. I 382,12 I 382,12–20 I 382,12–383,1 I 382,12–383,22 I 382,24–30 I 382,30–32 I 383,1–11 I 383,22–387,5 I 384,14 f. I 384,24–385,17 I 388,19 f. I 391,4 f. I 391,4–6 I 391,4–396,26 I 391,6–393,31 I 391,12–392,2 I 391,13 I 392,3–5 I 392,7–19 I 392,9–13 I 392,19–25 I 392,23 I 392,25–393,1 I 392,28 I 393,3–8 I 393,6–8 I 393,11 I 393,9–13 I 393,14–31 I 393,23–27 I 393,23–31 I 394,2–4 I 394,2–8 I 394,11–16 I 394,12 I 394,12–19 I 394,17–19 I 394,21 I 394,23 I 394,24 I 394,25–31

341 206, 217, 222 67 180 194 201 193 53, 191 192 192 197 176, 183, 193 191 193 192 176 216 207 200 216 180 199 183, 195 195 195 209 196 197 197 199 209 204 302 204 205 209 194, 204, 299, 356 199 200 216 211 195 194 209 64 197 205 338 205 193

613

2. Antike und mittelalterliche Schriften

I 394,26 f. I 395,1–10 I 395,5–10 I 395,6–10 I 396,10–26 I 395,12 I 395,13–396,3 I 395,18 I 395,21 I 395,22–396,3 I 395,26–29 I 396,5 I 396,5–24 I 396,5–9 I 396,6 I 396,22–26 I 431,20–23 I 437,25–438,11 I 439,22–25 I 439,29 f. I 439,29–440,3 I 531,20–23 II 102,6–14 II 102,6–9 II 102,7–11 II 109,3 II 147,23–166,14 II 153,25–154,1 II 300,23–301,2 III 107 III 212,6–11 III 212,6–213,16 III 212,9 f. III 212,11 f. III 212,11–14 III 212,14–21 III 212,21–23 III 212,23–29 III 212,31–213,6 III 213,10–12 III 213,12–16 III 234,18–30 III 247,12–15

191 190 188, 211 192 207, 475 204 f., 209 207 205 201 204 205 205 f. 221, 414, 421 207 206 206, 214 183 180 210 180 210 341 201 205 205 f., 221 180 10 53 179 168 62 72 68, 71 74 72 71 74 72 72 72 72 183 53

mal. subst. 40

79

Prokop von Gaza comm. in Gen. (PG 87/1) 64c 376, 380, 453

64c–72d 68c–69a 68d 69a

375 489 379 f., 453 381

Ptolemaeus Alm. 9,2

274

Tetr. 1,2,22

274

Hyp. 2,2–5

274

Rufin epil. in expl. Orig. Rom. 276 f. 256

Quintilian inst. 1,3,1 2,18,1–2 8,6,34 f.

249 f. 226 486

Sallust dis 1 5 7 9 13 16 17

319 337 338 201, 204, 337 201, 204 f., 337, 354 337 337

Seneca ben. 4,13

287

ep. 56,6 58,28 f. 68,10 73,2 73,9

287 58 286 287 287

nat. 2,2–11 2,4,1 f.

453 382

614

Register

2,5,1 2,7,1 f. 2,24,1 3,10,3 3,10,4 3,10,5 3,12,2 f. 3,13,1 f. 3,25,12 3,28,7 3,29,3 3,29,4 f. 7,19,1–7,21,2

382 482 447 515 342 511 382 515 279 515, 538 466 511 499

ot. 1,4 5,5 f.

286 287

Sextus Empiricus P. 2,30 2,240 3,14 3,2 3,5 3,39 3,148 3,152

257 165 157 286 287 257 29 257

M. 1,194 9,58 9,60 9,75 9,111–114 9,122 10,312

265 286 288 288 168, 288 288 290

Simplicius in Cael. (ed. Heiberg) 288,28–289,15 64, 299 346,16–27 60 355,24–28 60 358,27–359,1 60 358,27–360,3 68 359,2 f. 69, 71 359,4 f. 69 359,6 f. 70 359,8–11 69 f. 359,11–20 70

359,19 359,20 359,20–30 359,21–26 359,21 359,26 f. 359,30–360,3

70 70, 74 74 71 74 71 74

in Cat. (ed. Kalbfleisch) 48,1–33 347 48,6–11 348 208–219 422 in Ph. (ed. Diels) I 10,23–11,17 I 34,21 I 155,2 I 163,20–24 I 164,24 I 230,34–231,12 I 230,34–231,24 I 230,36–231,5 I 231,7–24 I 231,9 f. I 231,16–18 I 247,30–248,20 I 256,31–257,4 I 260,27–261,2 I 310,25–311,36 I 311,1–16 I 311,7 f. I 312–314 I 314,5 I 314,6 I 327,23 I 327,23–26 I 329–333 I 331,25 f. I 331,25–332,5 I 331,31 I 332,4 f. I 332,4–15 I 371,27–372,14 I 371,27–372,15 I 384,29–32

334 463 f. 463 464 463 93, 200 178, 212, 352 212 213 214 214 141 141 196 440 470 f. 440 441 440 446 287 133 137 137 168 137 137 288 287 137 423

Stobaeus Anth. 3,21,28

307

615

2. Antike und mittelalterliche Schriften

Stoikerfragmente (SVF ed. von Arnim) I 85 106 I 87 106 I 93 241 I 98 473 I 102 455, 473 I 128 31, 39, 473 I 497 473 II 88 140 II 125 290 II 172 75 II 311 23 II 320 23 II 326 23 II 327 76 II 416 42 II 429 506 II 431 506 II 439 165 II 440 165 II 441 42 II 442 89 II 448 89 II 449 254 II 450 89 II 452 89 II 499 466 II 509 254 II 510 167 II 527 259, 425 II 528 259 II 529 259 II 534 114 II 549 75 II 574–578 330 II 577 330 II 589 330 II 591 330 II 596 473 II 604 474 II 605 474 II 619 455 II 638 259, 425 II 645 76 II 917 442 II 919 442 II 920 442 II 921 442

II 945 II 1027 II 1052 II 1065 II 1130 II 1141 II 1156 f. II 1168 II 1170 III 228–236

75 42, 442, 473 474 474 76 76 265 108 110, 116 110

Tatian or. 5,7

198, 352

Tertullian adv. Hermog. 18,1 f. 19,1 20,2 23,1 25,1 f. 27 f. 27,1 29

231 279 279 279 253 253 279 253

Thales frg. (KRS) 139–141

328

Theologie des Aristoteles (Übers. Dieterici) 1 113

204 204

Theophilus von Antiochien Autol. 2,4 2,10 2,13 2,25

198, 280, 284, 352– 354 242, 253 253, 255, 273, 349, 357 f., 381 362

616

Register

Theophrast

Zacharias von Mitylene

frg. (ed. Fortenbaugh) 174 506 230 141

opif. 1–5 522–526 523–526 528–534 895–902

Metaph. 4a9–17

441

vit. Sev. (ed. Kugener) 53,18 339

Timaeus Locrus nat. et anim. 7 14 f. 24–26 26 29 30 32 44

132, 140 514 166 167 167 167, 332 505 75

Vettius Valens Anth. 1,11

330 201 338 339 329

277

Zenon frg. (SVF) I 85 I 87 I 93 I 98 I 102 I 128 I 171 II 499 II 742 II 1027

106 106 241 473 455, 473 31, 39, 473 441 f. 473 473 473

3. Moderne Autoren Alexandre, M. 227, 234, 239, 247, 253, 257, 279, 349 f., 357, 359, 367, 376, 379, 386, 402, 408 f., 420, 427, 429– 433, 435, 446, 453, 484, 513 Alt, K. 44, 85, 106, 112, 115, 121 f., 143 f., 163, 173 Amand de Mendieta, E. 3, 312 f., 316, 318, 322–324, 328, 342–344, 360, 363, 379, 385 Amand, D. 312 Armstrong, A. H. 345, 418, 420 Arruzza, C. 420, 433 Babut, D. 8, 44 Baeumker, C. 142, 251, 504 Baltes, M. 2, 31 f., 44, 53 f., 57–60, 63– 66, 75, 78–80, 85, 93 f., 98, 100–102, 104, 106, 121–123, 132, 140 f., 158 f., 163, 168, 175 f., 181, 183–186, 189, 192–195, 199, 201, 204, 207, 218, 293, 296, 299, 302, 323, 339, 487, 507, 509, 514 Balthasar, H. U. von 417, 432, 482 Bammel, C. 235 Barbel, J. 438 Beatrice, P. F. 227, 229, 236 f. Benz, E. 537 Bergjan, S.-P. 289, 308 Bernard, W. 272 Bernardi, J. 312 f., 318 Beutler, R. 84, 92 f., 105, 121, 175–178, 201, 205, 221, 318, 374, 388 Bidez, J. 175 Bienert, W. A. / Kühneweg, U. 405 Biondi, G. 103, 208, 476, 478 Boeft, J. den 110, 169, 178, 237 Böhm, T. 91 Bostock, D. G. 4, 267, 289, 297 Boulogne, J. 8, 289 Brisson, L. 209–212, 217

Broek, R. van den 224 Buffière, F. 117 f. Burn, R. 403, 410 Burnyeat, M. F. 115 Burton, A. 462 Cadiou, R. 242 Callahan, J. F. 4, 323 Capelle, W. 494, 499 Cherniss, H. J. 10, 11, 17, 23–25, 27 f., 33, 41, 46, 146, 423 Colonna, M. Minniti 339 Cornélis, H. 254, 261, 277 Cornford, F. M. 10, 12, 341, 431, 462, 509 Corrigan, K. 346, 352 Corsini, E. 383, 435, 490, 512 f. Courcelle, P. 175, 177, 322 f. Courtonne, Y. 322 f., 330, 333, 340 f. Crouzel, H. 6, 245, 262 f., 277, 298 Cürsgen, D. 117 Cumont, F. 337 Daniélou, J. 324, 407, 433, 440, 450, 481 f., 510, 523 Desalvo, C. 417, 422 Deuse, W. 12, 24 f., 44, 54, 78–80, 85, 94, 105 f., 121–123, 146, 160, 162, 192, 197, 209, 211 f., 217 Devreesse, R. 227, 233, 265 Diekamp, F. 438 Dihle, A. 538 Dillon, J. M. 2, 8, 20 f., 31, 33, 48, 53, 56, 85, 93, 102, 104, 112, 118, 127, 130, 140, 143, 145 f., 154, 159 f., 165–169, 182, 193, 209, 212, 214, 272, 314, 421 f. Dines, J. M. 233 Dodds, E. R. 92, 94, 100, 102, 121, 196, 212–214 Donini, P. L. 8, 127 f., 151, 156 f., 168

618

Register

Dorival, G. 225, 253 Dörrie, H. 2, 6, 12, 100, 129, 140 f., 186, 199 f., 204, 208, 374, 540 Dörrie, H./Baltes, M. 12, 21, 31 f., 35, 44, 67, 75, 77, 80, 88, 106 f., 111, 117 f., 120, 122, 131 f., 140 f., 158, 163, 172, 209, 212–214, 217, 284 Dooley, W. E. 440 Dreyer, J. L. E. 274 Drobner, H. 400 Duhem, P. 1, 5, 274 Duhot, J.-J. 141 Edelstein, L. 2 Edwards, M. J. 102 f., 115, 254, 267, 291, 303, 308 Effe, B. 64, 296 Erler, M. 79 Fedwick, P. J. 312 f., 324 Festugière, A. M. J. 102, 121, 168, 195 f., 212, 217 Fialon, E. 328, 336 Fitschen, K. 387 Flach, H. 463 Flashar, H. 328 Frede, M. 84–87, 91–94, 157 f. Friedländer, P. 18 Früchtel, E. 242 Fuhrmann, M. 128 Gatzemeier, M. 267 Genequand, C. 370, 440 f. Gerlach, W./Bayer, K. 296 Gersh, S. 104, 177 f., 229 Giet, S. 312, 322–326, 328–330, 333, 340, 345, 351, 379 Gil-Tamayo, J. A. 407, 543 Girgenti, G. 175 Gnilka, C. 490 Graeser, A. 296 Granger Cook, J. 401 Grant, R. M. 275 Gregg, J. A. F. 267 Greschat, K. 3, 253, 279, 487 Gribomont, J. 316, 324, 390 Gronau, K. 1, 257, 322 f., 326–330, 332 f., 335, 342, 344, 423, 447, 490, 504 f., 512 Gross, N. 511 Guinot, J.-N. 233 f.

Gundel, W. 457, 499 Gundel, W. / H. 274 Guthrie, W. K. C. 133 Haar Romeny, R. B. ter 233 Hadot, I. 273, 316 Hadot, P. 89, 100, 121, 175, 184, 212, 214, 245 Hahm, D. E. 441, 473 f. Halfwassen, J. 91, 93, 150 f., 212–214, 216 Hanson, R. P. C. 236 Happ, H. 251 Heine, R. E. 225–228, 235, 242, 250, 256, 316 Helmer, J. 12, 17, 23 f., 26, 33, 40 Henke, R. 3, 312, 320, 325, 328 Hirsch, U. 133 Hoek, A. van den 238 f., 241, 249 Holtz, L. 268 Horst, P. W. van der / Mansfeld, J. 90, 353 Hossenfelder, M. 403, 413 Hübner, R. 346 Hübner, W. 277 Invernizzi, G. 127, 153 Ivánka, E. von 312, 491 Jahn, A. 322 Jay, P. 268 Jones, F. S. 256 Jones, R. M. 9, 31, 44, 48, 112 Judson, L. 69 Junod, É. 224, 227 f., 269, 270, 324 Kamesar, A. 236 Kenney, J. P. 93 f. Kettler, F. H. 244, 298, 302 f. Kidd, I. G. 499, 506 Klostermann, E. 242 Koch, H. 6, 308 Koetschau, P. 234, 273, 298 Kovačić, F. 441, 472 Krabinger, J. G. 413 Krämer, H. J. 18, 90–92, 94, 101, 103, 105, 107, 140 Lämmli, F. 464 Lapidge, M. 473

3. Moderne Autoren

619

Lardet, P. 268 Laurent, J. 442 Leemans, E.-A. 100 f., 106 f., 117, 121 Levi, J. 323 Ley, H. de 100, 102, 117–119, 121–123, 438 Leys, R. 438 Lilla, S. R. C. 254, 350, 445 Lim, R. 313, 316, 385, 388–390 Lloyd, A. C. 346 f. Loenen, J. H. 129, 148, 161 Löhr, W. A. 90 f., 230, 466, 476–480 Lorenz, R. 242

Pasquali, G. 344 Pasquier, A. 228 Pauli, J. 312, 324 Penati Bernardini, A. 117 Pépin, J. 2, 180 f., 253, 307, 330, 336, 351, 385 f., 389 Perrone, L. 235, 405 f. Petit, F. 238 Pinès, S. 204 Pohlenz, M. 510 Pokorný, P. 242 Praechter, K. 175, 179, 181 Prinzivalli, E. 405 f.

Malingrey, A.-M. 404, 409, 452 Mansfeld, J. 43, 90, 105, 108, 150, 156, 160, 353 Markschies, C. 224, 235, 286, 316 Mateo-Seco, L. F. 438 Matter, P. P. 5 May, G. 279, 487 Meissner, H. M. 457 Melsbach, D. 337 Mercati, G. 233 Meredith, A. 5 Merlan, P. 68, 92–94, 99, 129 Metzler, K. 225 f., 235, 273, 278 Moeller, E. W. 1 Moraux, P. 2, 55, 76, 128, 134, 137, 140 f., 172, 268, 372, 422, 441, 471 f., 490, 508 Mras, K. 97, 177, 278, 281, 283

Reinhardt, K. 323, 373 f., 490 Reydams-Shils, G. 141, 152, 156 f. Risch, F. X. 3, 123, 343, 400, 403, 409– 412, 417, 425, 430–432, 438, 444, 446, 448–451, 457, 462, 465 f., 481–483, 487, 490–493, 499 f., 505 f., 513 Rist, J. M. 2, 5, 93, 104, 322 Rizzi, M. 224 Rius-Camps, J. 284 Robbins, F. E. 1, 312, 481 Robertson, D. G. 345 f. Rondeau, M.-J. 265, 387 Rousselet, R. 412, 431 f. Runia, T. 227, 237–242, 248 f., 257, 274, 299, 301, 324, 332, 342, 362, 366, 375, 471, 513 f.

Naldini, M. 3, 312, 314, 322–324, 335 f., 340, 342, 345, 360–364, 373, 379 Narbonne, J.-M. 252 Nautin, P. 224, 227, 232 f., 242, 247 f., 253, 259, 279 Nemeshegyi, P. 284 Neumann, U. 486 Neuschäfer, B. 227, 235 f., 268, 316, 444 Nikiprowetzky, V. 443 Nock, A. D. 319, 337 O’Cleirigh, P. M. 281, 292 O’Connell, R. J. 178 Opsomer, J. 9, 17 Orbe, A. 477 Orphanos, M. A. 312, 322

Salvesen, A. 232 Schäfers, A. 196 Schäublin, C. 268 Scholten, C. 3, 4, 224 f., 234, 257, 349, 357 f., 379 f., 382, 427, 430, 452, 483, 489 Schoppe, C. 31 Scharples, R. W. 68 f., 71, 135, 265, 420, 441, 506 Simonetti, M. 225 f., 277, 298 Smith, A. 175, 178 f. Smith, R. 374 Smorónski, K. 483 Sodano, A. R. 175–177, 179, 181–184, 189 Solmsen, F. 434 Sorabji, R. 2, 221, 345, 347, 417 f., 421– 424, 431–433, 476, 536 Spoerri, W. 462 f.

620

Register

Stahl, W. H. 176 f. Stead, G. C. 6 Stéphanou, E. 312 Strohm, H. 342, 472, 490, 511, 549 Strutwolf, H. 228, 284, 298, 303 Switalski, B. W. 227 Tarán, L. 168 Tardieu, M. 2 Tarrant, H. S. R. 102 f. Taylor, A. E. 10 Theiler, W. 121, 131, 160, 177 f., 201, 205, 208, 212, 215, 221, 284, 323, 338, 352 f. Thévenaz, P. 10, 12, 28, 30, 33, 35 Thijssen, J. M. M. H. 508 Thillet, P. 204 Thümmel, H. G. 234 Thomassen, E. 103, 208 Todd, R. B. 106, 412 f., 473 Torchia, N. J. 322 Torjesen, K. J. 267, 273 Verrycken, K. 185, 187, 189 Villey, A. 353 Vogt, H. J. 271 Völker, W. 448 Wacht, M. 302 Wallraff, M. 374

Walzer, R. 179, 204, 538 Waszink, J. H. 80, 84 f., 104 f., 111, 118, 121, 169, 177 f., 212, 227 Weber, K.-O. 90 Wehrli, F. 292 Wendland, P. 274 Whittaker, J. 31, 93, 102, 127–129, 145 f., 151, 159, 166–168 Wildberg, C. 134 Wildberger, J. 473 Williams, C. J. F. 434, 549 Winden, J. C. M. van 2, 102, 105 f., 108 f., 112, 114 f., 126, 146, 148, 177, 197, 227, 230–233, 241, 248, 250–253, 255, 325 f., 333–335, 402 f., 423, 425, 431, 433, 444, 509, 537 f. Witt, R. E. 128–130, 140, 153 Wolfson, H. A. 151, 204, 279, 299, 336, 423, 520 Wyrwa, D. 2, 6, 66, 259, 401, 424, 428, 520, 529, 538 Zachhuber, J. 345 f., 412, 436, 439, 490 Zambon, M. 183 Zeller, E. 85, 214 Zemp, P. 422 f., 428, 432 f., 438, 481 f. Ziebritzki, H. 85, 92–94, 97, 100, 129 f., 148 f., 154, 172 Ziegler, K. 8, 10 Zöckler, D. O. 1

4. Stichworte (Begriffe, Namen, Sachen) ἄβυσσος / Abgrund 356–361, 386, 390³⁶², 391³⁶⁵, 394, 401⁶, 427¹²², 483–485 ἀκολουθία 366²⁶¹, 369²⁷³– ²⁷⁵, 404, 406– 408, 423, 439 f., 442, 458, 461, 467, 489, 497, 505, 510, 511⁴⁶⁹, 514 Allegorese 269–273, 485–487 – Ablehnung der A. 316, 324, 360, 384–391 Alte Akademie 9–11, 34, 58–60, 65, 128⁹, 132²⁶, 140⁶⁴, 141⁶⁵, 163, 168¹⁸⁶, 183, 188 f., 216¹⁷², 531 ἀντιζώνη 275–277 ἀρχή 13 f., 31 f., 67, 89³¹, 97⁶⁹, 132, 138, 141, 150 f., 156, 185, 189 f., 195–201, 204¹³⁰, 234, 240–247, 266, 279, 325– 335, 339, 425 f., 470 Aquila 229, 233⁴⁸, 235⁵⁵, 255, 317³⁰, 335, 367²⁶⁶, 425, 426¹¹⁹, 430 f., 446¹⁹⁵ ἀφαίρεσις 107, 215, 254¹⁵⁸, 345, 519 Astronomie 118, 123, 167, 273–278, 329, 395, 489 f., 494, 528, 531 Atlantis-Mythos 179–181 Äther 131, 168 f., 290, 343 f., 378 f., 382, 425, 449–452, 495, 499, 509 Atomisten 133–138, 255, 287 f., 291 f., 327, 414, 445 f., 457, 460, 522 Calvenus Taurus 59³⁶, 183, 132²⁶, 140⁶³, 141⁷¹, 183, 185–188, 193, 329⁹⁴ Christus 364, 523, 526, 540 – ἀρχή 240–247, 308 – Schöpfungsmittler / Demiurg 244, 300, 315, 366 – δύναμις 246, 308 – Erlöser 243, 308 – κόσμος νοητός 245 f., 261, 300 f. – Logos 234, 242–247, 261, 300–303, 308 – Weisheit 242–247, 261, 300, 308 f., 445

Dämonen 48, 130¹⁷, 168–170, 173, 207, 386–389 Demiurg 124 f., 139 f., 156, 167 f., 171, 209, 244, 341, 373 f., 467, 477–479 – Christus 244 – Funktion / Wirken des D. 9, 11, 18⁶², 22, 59, 65, 94–104, 112, 201–207, 207–212 – Idee des Guten 30 f., 67⁶⁹, 111 – Logos 205, 214 – Naturkraft 468 – Weltseele 209 – zweiter Gott 90–94, 96–98, 101 f., 104¹⁰³, 157 f. Diakrisis / διάκρισις 455–459, 461–465, 479 Diakrisis-Kosmogonie 461–465, 518 Drei-Prinzipien-Lehre 139 f., 199, 219 Drei-Götter-Lehre 92–94, 99⁸⁰, 104¹⁰³ Dualismus 15 f., 43–47, 52, 106–117, 125, 153, 169–173 – Widerlegung eines D. 52, 195–201, 350–356, 358–361, 394 f., 415, 352 f. Dyas / Zweiheit 12¹⁶, 31¹¹², 95 f., 106– 108, 113 f., 121 f., 200, 252 δύναμις – Gottes / des Demiurgen 40, 42, 50, 59 f., 62 f., 73, 77–81, 126, 202 f., 246, 299, 341, 411, 438 f., 445, 471 f. – σπερματικὴ δύναμις 428, 465 – s. Christus, Weltseele, Naturkraft – intelligible δυνάμεις s. Qualitäten Eigenschaften s. Qualitäten Eines / ἕν / Monas 14, 31¹¹², 91–94, 99⁸¹, 106 f., 121 f., 199–204, 208, 211¹⁵⁸, 213–216, 252, 474, 520 Ekpyrosis 383 f., 397, 435, 473 f., 513–516 Elementarkörper 35 f., 87, 130¹⁷, 144 f., 191 f., 344, 379³²⁰, 418–420, 450 f., 454

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Register

Elemente – E. als Prinzipien 327 – Eigenschaften der E. 168 f., 250¹⁹⁰, 343–348, 415 f., 446–448, 491–497, 502–505 – Entstehung der E. 130¹⁷, 191–194, 442, 446–448, 453–455, 459–461, 469 – Mischung der E. 342 f., 427 f. – Umwandlung der E. 87, 290, 435, 452, 488 f., 499–509, 512–517 – Spuren der E. 26, 143–148, 170 f., 191–194, 197 – Nahrungstheorie der E. 381–383, 491–497 Embryo / Embryologie 79, 201, 466–469, 474, 478 Emanation 201, 208, 337, 480 f., 520 f., 535, 542 Entstehen – allgemein 28–30, 134, 204, 434, 464 – aus Gott 103, 207–210, 213, 476, 480 – aus dem Nichts 28, 30 – aus Samen 466–473 – κατὰ δύναμιν 204, 337 – spontan / αὐτομάτως 134, 137, 284, 371 f., 493 Engel 267, 314, 357, 359, 386, 389, 427, 481 Epikur / epikureisch 8, 29¹⁰⁵, 44, 58, 194, 205, 286–288, 296, 298 f., 330, 421 f. Epikureismusvorwurf 11, 45¹⁷², 56, 58, 285–289, 338 f., 441 f. epikureische Kosmologie – Ablehnung 137 f., 168, 285–289, 441⁶⁷, 443–446 Er-Mythos 117–123 Erde – »himmlische E.« 256–259, 263 f., 275–278, – »unsichtbar und unbereitet« 253– 256, 348–351, 429–431 – Element 315, 334, 342–348, 429– 431, 454 f., 500 f., 503 f. – Materie 253–256, 350 f. – Region des Kosmos 47 f., 118 f., 169¹⁸⁸ f., 275 f. – s. Elemente Erkenntnis – geistig 268–271

– Gottes 148–151, 253¹⁵¹, 298³⁷⁶, 307 f., 314 f., 317, 319, 321, 403–405, 408 f., 443 f. – des Guten 86 f. – des Intelligiblen 15, 40¹⁵⁵, 166, 408 – der Wahrheit 182, Etymologie 90, 342, 375, 379³¹⁸ Ethik / ethisch 15, 45, 55, 75¹¹², 128, 130, 224 f., 266²²⁵, 318, 321 f., 490, 529 εὐκοσμία s. Wohlordnung Ewigkeit 47, 332, 487 – Gottes 67, 82, 89, 136, 150, 194 f., 201 f., 310 – des Sohnes 234⁵⁰ f., 242⁹⁴, 300, 487³⁷⁹ – der Seele 10 f., 16, 27 f., 158–161, 160 – des Kosmos 10 f., 42, 57–72, 82, 89, 132 f., 155 f., 158 f., 183–194, 194 f., 201–206, 239 f., 293, 300, 328 f., 336– 340, 370, 374, 512–517, 533–535 – der Materie 24 f., 27 f., 105–107, 195–201, 278–293, 350–356, 487, 532 f. Feuer – Element 315²⁰, 342 f., 381–384, 408⁴³, 425, 427, 446–451, 455–459, 486³⁷⁴, 502 f., 505–509 – Gott 473 – metaph. für Gott 488 – Region des Kosmos 168 – s. Elementenlehre »Finsternis« 349 f., 356–361, 363 f., 394 f., 401, 426–428, 483–485, 524 Firmament 228, 247 f., 255¹⁶⁸, 257 f., 263 f, 266 f., 273–278, 343, 374–381, 389³⁶¹, 448–453, 481 f., 485³⁷³, 487 f., 489³⁸⁶, 534 Fixsternsphäre 48¹⁸⁷, 101⁸⁸, 117–123, 166 f., 172, 274–278, 304, 448 φύσις s. Natur γενητός (bezogen auf Kosmos) 10, 57– 62, 158 f., 164, 182, 184–190 Genesiskommentar des Origenes – Fragmente zu Gen 1 f. 225–228 – bei Calcidius 229–237 Gestirne 102, 110, 196¹⁸⁸, 259, 278, 349, 361–365, 373, 455–459 Gliederung des Kosmos 48, 78–81, 117– 123, 169¹⁸⁹, 276 f.

4. Stichworte (Begriffe, Namen, Sachen)

Gnosis / gnostisch 90³⁴, 103¹⁰¹, 228, 244, 254¹⁶⁵, 271²⁴⁵, 279, 298, 351, 476–481 Gott – erster G. / zweiter G. 90–94, 96–98, 148–151, 244 – πατὴρ καὶ ποιητής (Ti. 28c3 f.) 18⁶², 23⁷⁶, 30–32, 38, 90, 99⁸¹, 152 f., 156 f., 174, 205 f., 281 f., 362²³⁷, 373 f. – Künstler 65 f., 288, 317, 334, 413 – Mathematiker 32–38 – Intellekt 14, 20, 30 f., 90³³, 91 f., 104, 109, 111, 148–151, 171, 201–203, 205 f., 208–217, 416 f., 422 – Idee des Guten 30¹¹², 89 f., 90³³, 99, 148–151, 373²⁹¹ – Richter 308, 339, 393 – γεωργός 101–104 – νομοθέτης 101, 104 – wie ein Same 207–210 – Steuermann 19 f., 94 f., 193 – unbewegter Beweger 149 Götter der Mythologie 100, 168 f. Güte – Gottes / des Demiurgen 66 f., 71, 90, 98 f., 296, 337, 341, 358, 372 – des Kosmos 98–100, 116, 138, 189 f., 194⁸⁷ – der Schöpfung 307, 317, 372, 443 f., 492 f. Handlungstheorie, antike 280, 412 f. Handwerkervergleich 63, 65 f., 73, 82 f., 153, 187, 198, 205 f., 239, 279 f., 288, 340 f., 351, 353–355, 369, 477 Heiliger Geist 284³⁰¹, 298³⁷⁶ f., 302³⁹⁰, 315 f., 483 f., 526 Hermogenes 247, 253¹⁵⁶, 279, 351, 414⁶⁷, 487³⁷⁹, 527, 532 Hexapla 232 f. – s. Aquila, Theodotion, Symmachus »Himmel und Erde« 243, 247–267, 315, 325, 334, 341–348, 411, 424 f. Homonymie 259, 263 f., 375, 397, 408⁴¹, 485–488, 499⁴²⁰ Hypostasen, göttliche – Zusammenfassen der H. 111 f., 209 f. Ideenlehre, plat. 20, 35–38, 42, 94 f., 131 f., 136, 140 f., 149 f., 213–217, 248 f., 252, 258 f., 301 f., 422 – Polemik gg. I. 258–261, 277 f., 369²⁷⁶

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καταβολή 264 f., 428 f., 436, 465 f., 468, 477–481 κατάχρησις 408, 485 f., 517 Körper / Körperlichkeit – Eigenschaften der K. 22⁷⁵, 87 f., 123¹⁹⁴, 132, 159, 165, 187 f., 191 f., 254, 257 f., 349, 377 f., 421 f. – Entstehung der K. 32, 34 f., 38 f., 145, 207, 209 f., 210–212, 217, 415–418, 418–420, 422–424 Kosmologie – Stellung innerhalb der Philosophie 128, 129–131, 224, 181–183 – Skopos der K. 129–131, 174, 181– 183, 266 f., 307, 313–322, 406–410, 528–530 Kosmos – Begriffsbedeutungen 32¹¹⁷ f., 259– 261, 424 – geworden 10 f., 16 f., 67–60, 330 f., 338 f. – Ewigkeit des K. (s. Ewigkeit) – ἐκ τοῦ αὐτόματου 133–137, 190, 219, 283, 287, 338 f., 443 f. – σύστημα 32¹¹⁸, 172, 259 f., 424 – vernünftiges Lebewesen 42, 139, 165, 473 f. – Gott 47 f., 210, 330 – κ. αἰσθητός 132, 258 – κ. νοητός (s. a. Christus) 47¹⁸⁴, 245, 248, 258, 261 – »K. der Heiligen« / himmlischer K. 256–267, 274–278, 303–305, 357 – Polis 76 f. – Theater 317 – Erziehungsstätte 307, 318 Kosmostheologie 329 f. Kosmoszyklen 17–22, 97⁷², 101, 279 f., 384 Leib / Seele / Geist – des Bibeltextes 273 Logos / λόγος 13, 36, 40, 444 f. – σπερματικὸς λ. 209, 467²⁹², 473 f. – δημιουργικὸς λ. 209, 214 – ἑνιαῖος λ. 213 f. – ὁ τοῦ εἶναι λόγος 346 f. – göttlicher L. 35, 44, 205–207, 207– 210, 213–217, 221 f., 234, 270, 301³⁸⁸, 416 f., 475

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Register

– der Schöpfung 458 – s. Christus, Demiurg, Weltseele – (intelligible) λόγοι 35 f., 39, 202, 208, 213, 245 f., 261, 301, 422, 466, 468 Luft – Element 315²⁰, 342 f., 350, 356 f., 362 f., 375, 378 f., 425, 450²¹⁶, 453– 455, 492 f., 498 f., 502–509 – Kosmosregion 168 f., 259 – s. Elementenlehre

– der Timaeusauslegung 8 f., 17, 18 f., 33 f., 60, 128, 130, 153 f., 173, 179–181, 184, 192 – s. Allegorese, Homonymie, κατάχρησις Monismus / monistisch – christlich 476 – platonisch 47, 125, 200, 476 – pythagoreisch 105 Mose 58³⁵, 238, 270, 307, 313 f., 328, 361, 404, 408 f.

Manichäer / manichäisch 198, 351, 359 f., 392, 401⁶, 414 f., 423, 427¹²², 487 Markion / Markioniten 351, 359, 427, 532 Materie – Begattung der M. 39 f., 475 – Charakteristika der M. 22 f., 28 f., 87 f., 95, 106–111, 114 f., 142 f., 253– 256, 289–293, 352, 357, 388, 431 f. – M. der Zeit 30 – Eignung der M. 64, 145 f., 197, 283 – Entstehung der M. 206–217, 414– 418 – intelligible M. 215–217, 251–253 – kein unabhängiges Prinzip 195–201, 278–289, 351–356 – Schatten 215–217 – Negation der M. 291 f., 416–418, 508 f. – potentieller Körper 112, 142 f. – Prinzip des Übels 108–111, 116 f., 173, 359 – Status als Prinzip 27, 106 f., 140 f. – σῶμα ἁπλῶς 22 f., 28 – Widerständigkeit der M. 35, 112 f., 115 Materiekonzept, kappadozisch 345 f., 411–424 Mensch 42, 48, 100, 109, 116, 121, 129 f., 169¹⁸⁸, 172, 218, 243, 248 f., 259, 264, 266, 317, 347, 360, 389, 450²¹⁶ – innerer 253, 262, 266 f., 306 f., 389, 485 – äußerer 266, 306 f., 389, 485 »Metaphysik der Präpositionen« 131, 284 Methode / Hermeneutik – der Genesisauslegung 235, 239, 241, 247, 267–273, 308, 314, 316 f., 347, 383, 390, 404 f., 407, 444, 487, 517

Nacht 167 f., 240 f., 358, 361 f., 363, 381³²⁹, 446¹⁹⁸, 449 Natur / φύσις – Gott 114, 441 f., 443¹⁸³ – Gott untergeordnet 61–65, 68–72, 73 f., 114 f., 125 f., 216¹⁷³, 448, 459 f., 469–473, 522 f. – irrationale Ursache 440 f., 469 f. – rationale Ursache 439–443, 444–446, 515 – selbsttätig 446¹⁹⁹, 466 – unterste intelligible Ursache 436– 439, 518 – vorkosmischer Zustand 22, 25, 36 – Wille / Kraft Gottes 72, 365–374, 395 f., 438–443, 459 f. – ψυχή 31¹¹², 48, 442¹⁷¹ Naturgesetz 83, 320, 365, 367 f., 515⁴⁹³ negative Theologie 150, 477 (Neu)pythagoreer / (neu)pythagoreisch 13, 31¹¹², 33 f., 37, 85 f., 91, 93 f., 103, 105–108, 113, 117¹⁷³, 122, 150¹¹⁰, 200, 208, 212 f., 216, 252, 254, 475 Notwendigkeit – ausgehend von Tht. 176a 71, 108 – ausgehend von Ti. 41b2 / Plt. 272e 13, 18, 36, 44, 48, 68, 108, 112 – das Notwendige / das Mögliche / das Unmögliche 61 f., 68–72 – N. und Naturkraft 439–441 – in der neuplat. Ontologie / Kosmologie 201–206 – in der Polemik gg. Neuplat. 339 f. Origenes – Kritik an O. 300, 303, 405, 385–391, 445

4. Stichworte (Begriffe, Namen, Sachen)

Pädagogik – göttliche P. 307 f. – des Timaeus 60, 192, 181 f. – der Bibel 263 f., 265, 307, 315, 361, 366 – der Auslegung 307 f., 405 Phaedrus-Mythos 123 Planetensphären 118–122, 166 f., 275– 277, 377 Polemik – gg. Aristoteles 55 f., 58 f., 76 f. – gg. Atomisten 133–138, 445 f. – innerplatonisch 10 f., 58 f., 76 f., 194 – gg. Kosmostheologie 329 f. – gg. Neuplatonismus 335–341 – gg. Pythagoreer 105, 107 – gg. Prinzipiendualismus 195–201, 278–293, 350–356 – gg. Stoa 289, 514 f. Politicus-Mythos 17 f., 19–21, 94 f., 101, 154, 160 – Beziehung zum Timaeus 18 Poseidoniushypothese 1 f., 323⁶⁴, 490 f. Präexistenz – der Schöpfung 298–303 Pythagoras 84 f., 89, 104, 118 Qualitäten – an der Materie 145, 211¹⁵⁶, 280, 344, 422 – der Elemente 454, 469, 500, 507–509, 515 – Entstehung 222, 415–418 – intelligible δυνάμεις 415–418, 422– 425, 469 – machen Körpernatur aus 291 f., 415– 418, 432 »Rücken des Firmaments« 258 Same – der Seele 101–103 – des Kosmos 476–478 – Gott / Demiurg 101–103, 207–210, 221 f., 473 f., 476 f. – Logos 476 – rationale Seele 31, 209¹⁵⁰ – Welt im Anfang 429, 456–473 – Weltseele 39 f., 476 – Wort Gottes 396, 478 – der feuchten Natur 504

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Samenlehre 456–470 Schöpfung – als καταβολή 264 f., 428 f., 436, 465 f., 468, 477–481 – als Mimesis 97–100 – aus dem Nichts 30, 221, 424 – aus Gott 205, 207–210, 213 f., 476, 480 – ewig 220 – geistige / intelligible S. 248, 251, 253, 332, 395, 415, 425, 448 f., 481 f., 485, 543 – instantan / simultan 220, 238, 335, 411–413, 425 f. – Ordnung / Harmonisierung 28–30 – primäre / sekundäre S. 265 f., 331 f. Schöpfungsbefehl 244, 315, 365–371, 444–446 Schöpfungsbericht, biblisch – Kritik am S. 322⁵⁶, 359, 361, 368, 401, 407 Sechs-Tage-Schema 238–240 Seele / Seelenlehre – causa contentativa 88 – Einzelseelen 38¹⁴⁷, 75, 78, 100–104, 119, 121–123, 162, 211¹⁵⁸, 264, 481 – göttlicher Ursprung der S. 101–104, 202 – Monas 121 f. – Prinzip der Einheit 89 – übelwirkende S. 13, 79, 109, 112 – Urseele 12–14, 24–27, 35, 43, 64, 78, 80 – Ursprung von Bewegung 13 f., 75, 155 f. – vegetative Seele 75, 80 – Vervollkommnung der S. 182, 317– 321, 387 f., 403 f. – s. Weltseele (Seelen)aufstieg 117–122, 403, 258¹⁸¹, 293, 318⁴¹, 387, 408 f. Sokrates 271 Sonnenverehrung 374 σοφία s. Weisheit στερέωμα s. Firmament Steuermann-Analogie (Plt. 272) 19 f., 94 f., 193 Stimme Gottes – Welt als S. 443–445 συμπληρωτικὰ τῆς οὐσίας 344–346, 430

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Register

Symmachus 229, 233⁴⁸, 255, 287³¹⁵, 426¹¹⁹, 430 Tag 167 f., 238 f., 240 f., 332, 362, 374, 381, 449 Teufel 359, 386, 427¹²² Theodotion 233, 426¹¹⁹, 430 f. Timaeus – Kritik am T. 60, 65, 184 f., 188, 204 f., 295 f., 298 f. Timaeuskommentierung – des Calcidius 80, 104, 128, 177, 227, 229 – des Porphyrius 176–183 – des Numenius 85 – Plotins 176 – des Proclus 175 f. Übel – Ursache / Prinzip d. Ü. 13 f., 23, 44– 46, 53 f., 79, 108–111, 116 f., 135, 254¹⁶¹, 359 f. Unordnung, (vor)kosmisch 16–28, 53, 125, 144, 191, 194 Unvergänglichkeit – des Kosmos 42, 57–62, 66–68, 337, 513–515 – des Kosmos der Heiligen 303–305 Valentin / Valentinianer 198, 351¹⁸⁵, 355²⁰³, 427¹²², 527 Vorsehung Gottes / πρόνοια 49, 56–59, 68⁷², 74, 77 f., 81, 100, 104, 108, 111, 129, 138, 172, 193 f., 202 f., 264 f., 280– 289, 308, 338¹⁸⁴, 339–341, 354, 381, 441, 472³¹⁷, 516 Vorsokratiker 137⁴⁴, 291 f., 327, 460, 462 f. Wasser – Element 342 f., 454, 500–509 – s. Elementenlehre – Kosmosregion 168 – »obere Wasser« 380–383, 385–387, 390 f., 450 f., 481–488 Weisheit Gottes / σοφία – allgemein 280, 291, 317, 390, 411 f. – Christus 230, 234, 240–247, 261, 265²²¹, 300–303 – immanent (Naturkraft) 438–443, 445 – transzendent 443, 445

Weltbildung nach dem Timaeus – real 10 f., 57 f. – uneigentlich 106, 132, 155, 158 f., 184–190, 203 Weltseele – rational 78, 159–164 – dualistische Struktur 43 f., 46 f. – schlafende W. 159 f. – Bildung der W. 11–16, 158–164 – Funktion der W. 38–42, 75 f., 164–168 – Prinzip der Einheit 34, 45, 75–78, 165 f., 246 – Werkzeug Gottes 38 f. – gleich einem Samen 39 f. – δύναμις (Gottes) 31 f., 42, 75–78, 246 – λόγος 35, 37, 40 Wille / Wollen Gottes 536–539 – ausgehend von Ti. 29e.41 59–68, 71 f., 73 f., 138, 152, 171, 194⁸⁴, 202 f., 205 f., 214, 258, 304, 341 – christliche Autoren 258, 280–283, 289–291, 304 f., 335 f., 339–341, 411– 413, 415, 425, 470 f., 497 – Materie des Kosmos 418 – über der Naturkraft 59–68, 515 – Naturkraft 75–78, 365–367, 439 f. – Weltseele 75–78 Wille der Schrift 316, 360, 390, 516 Wohlordnung des Kosmos 46 f., 76¹¹⁷, 182, 281, 498, 513, 515 f. Zeit – aristotelisch 241⁸⁴ – platonisch 29 f., 47, 167¹⁸³, 332 – stoisch 167¹⁸³ – christlich 240 f., 331–333, 362, 374, 376³⁰³ Zeugung – biologisch 39¹⁵¹, 471³¹⁴ – des Sohnes 242⁹⁴, 284³⁰¹, 300, 535 – kosmologisch 39 f., 210 – s. Emanation Zeugungskraft – der Erde / des Wassers 396, 371 f. Zufall / zufällig 25, 44, 110 f., 134 f., 137, 195 f., 202, 281 f., 285 f., 318³⁷, 327, 338, 443–446 Zwei-Götter-Lehre 92 Zwei-Prinzipien-Lehre 12¹⁶, 106–111, 140 f., 351