Bibel und Alter Orient: Altorientalische Beiträge zum Alten Testament [Reprint 2019 ed.] 3110100916, 9783110100914

In der Reihe Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft (BZAW) erscheinen Arbeiten zu sämtlichen Ge

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German Pages 238 [236] Year 1985

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Bibel und Alter Orient: Altorientalische Beiträge zum Alten Testament [Reprint 2019 ed.]
 3110100916, 9783110100914

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungen
Quellenverzeichnis
Eine babylonische Volksüberlieferung von Nabonid in den Danielerzählungen
Zu ZAW 52, 53 f.
Zur Herkunft des Flußnamens Jordan
Akkadisch ta'ü und hebräisch tä' als Raumbezeichnungen
Verkündigung des Gotteswillens durch prophetisches Wort in den altbabylonischen Briefen aus Mari
Tempus und Modus im Semitischen
Zur Einteilung der semitischen Sprachen
Vedisch magham, „Geschenk" - neuarabisch maggämja, „Gebührenfreiheit" Der Weg einer Wortsippe
Das Fragen nach der Gerechtigkeit Gottes im Alten Orient
Fischgalle als Heilmittel für Augen
Jahwe „Er ist, Er erweist sich"
Kleine Beiträge zum Ugaritischen und Hebräischen
Alter Orient und Altes Testament
n als Wurzelaugment im Semitischen
Zur Herkunft von hebr. 'ebjön „arm"
Akkadisch häsum I „sich sorgen" und hebräisch hüs II
Mirjam - Maria „(Gottes-)Geschenk"
Etemenanki vor Asarhaddon nach der Erzählung vom Turmbau zu Babel und dem Erra-Mythos
Altbab. GA'ÜM = hebr. GÄ'Ä „sich überheben"
Sanherib vor Jerusalem 701 v. Chr.
Der neubabylonische Funktionär simmagir und der Feuertod des §amas-sum-ukin
Der Mensch bescheidet sich nicht Überlegungen zu Schöpfungserzählungen in Babylonien und Israel
Verschlüsselte Kritik an Salomo in der Urgeschichte des Jahwisten?
Trunkenheit im babylonisch-assyrischen Schrifttum
Zum hebräischen Wörterbuch
Mottoverse zu Beginn babylonischer und antiker Epen, Mottosätze in der Bibel
Abraham treibt Geier zurück: Was soll Gen 15 11 besagen?
Register

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Bibel und Alter Orient

Bibel und Alter Orient Altorientalische Beiträge zum Alten Testament von Wolfram von Soden

Herausgegeben von

Hans-Peter Müller

w DE

G_ Walter de Gruyter • Berlin • New York 1985

Beiheft zur Zeitschrift f ü r die alttestamentliche Wissenschaft Herausgegeben von O t t o Kaiser 162

CIP-Kurztitelaufnahme

der Deutschen

Bibliothek

Soden, Wolfram von: Bibel und Alter Orient. Altoriental. Beitr. zum Alten Testament / von Wolfram von Soden. Hrsg. von Hans-Peter Müller. — Berlin ; N e w York : de Gruyter, 1985. (Beiheft zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft ; 162) ISBN 3-11-010091-6 N E : Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft / Beiheft

gedruckt auf säurefreiem Papier (alterungsbeständig — p H 7, neutral) © 1985 by Walter de Gruyter & C o . , Berlin 30. Alle Rechte des Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Ubersetzung, der Herstellung von Mikrofilmen und Photokopien, auch auszugsweise, vorbehalten. Printed in Germany. Satz und D r u c k : Werner Hildebrand , Berlin 65 Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer, Berlin 61

Vorwort Alttestamentliche Wissenschaft und Altorientalistik, deren Zusammenarbeit in den Zeiten H. Gunkels und H . Zimmerns beiden Seiten reichen Gewinn brachte und seither wenigstens bei den philologisch orientierten Vertretern der einen wie den religionsgeschichtlich interessierten Bearbeitern der anderen Disziplin ihre Früchte getragen hat, scheinen sich wieder auseinanderzuleben. Auf alttestamentlicher Seite mag dazu auch die Neigung beitragen, zur Begründung des Absolutheitsanspruchs biblischer Offenbarung die Einheit und Eigenart der alttestamentlichen Botschaft zu betonen und dabei der Umwelt des alten Israel nicht eben viel Aufmerksamkeit zu schenken; das Anliegen etwa einer Biblischen Theologie, die die Konvergenz mit der neutestamentlichen Botschaft sucht, scheint im Blick auf die kirchliche Verkündigung dringender als der Aufweis der Verwurzelung alttestamentlicher Texte in einem diffusen religiösen Hintergrund, der die Bibel für den mythenvergessenen modernen Menschen ohnehin eher suspekt macht. Auf altorientalistischer Seite mag man den Argwohn hegen, man hätte im Gegenüber zur Alttestamentlichen Wissenschaft mit der bescheidenen Rolle einer ancilla theologiae zufrieden zu sein, wenn nämlich pseudochristlicher Hochmut den Keilschrifttexten nur eine Folienfunktion für die Zeugnisse kerygmatischer Wahrheiten zugesteht. Zudem scheinen außerliterarische Dokumente, vor allem die vielen Verwaltungs- und Wirtschaftstexte Mesopotamiens, wenn man einmal vom modischen sozio-ökonomischen Reduktionismus absieht, nicht von großem religiös-theologischem Interesse. Und schließlich haben sich Material und Fragestellungen in beiden Disziplinen derartig vermehrt, daß ein einzelner Forscher nur bei ungewöhnlicher Arbeitskraft oder durch In-Kauf-Nahme bewußten Informationsverzichts in der eigenen wenigstens sektoreil noch die andere Disziplin zu überschauen vermag. Das Ergebnis ist ein beiderseitiges Spezialistentum, das zwar Bäume sieht, aber keinen Wald und sich damit zuletzt der Relevanz seines jeweiligen Gegenstandes beraubt, sofern diese bei dessen historischem Zusammenhang aufzusuchen ist. Ob sich daran in nächster Zeit etwas ändern läßt, steht dahin. Einstweilen haben wir willkommenen Anlaß, einen der Großen auf dem internationalen Felde der Assyriologie zum Thema des Alten Testaments und der Hebraistik im Rahmen der vergleichenden semitischen Sprachwissenschaft zu hören. Einige der hier wieder vorgelegten Aufsätze haben in der alttestamentlichen Wissenschaft und der hebräischen Philologie bereits eine tiefe Spur hinterlassen; auf andere, bislang schwer zugängliche mag die Neuveröffentlichung hinweisen. Einrede, die die eigene Disziplin von

VI

Vorwort

außen erfährt, kann, auch wo sie zunächst befremdet, die Willkür fixierter Denkgewohnheiten aufdecken, Selbstverständlichkeiten als interessierte Konventionen entlarven und aus Sackgassen befreien, in die methodische Monomanie und allzu kühne Konstruktion geführt haben. Gar nicht abzuschätzen ist im übrigen der Beitrag, den W. von Soden mittelbar durch seine assyriologischen Arbeiten, Standardwerke wie den „Grundriß der akkadischen Grammatik" (Rom 1952; Ergänzungsheft 1969) und das „ A k kadische Handwörterbuch" (Wiesbaden I 1965, II 1972, III 1981), für die Alttestamentliche Wissenschaft und andere mit dem Alten Orient beschäftigte Disziplinen geleistet hat. Indem die Wiederveröffentlichung seiner alttestamentlichen und hebraistischen Aufsätze einen hochbedeutenden Gelehrten ehren will, ruft sie zugleich das Bild einer Universität in Erinnerung, die bei allen bekannten Mängeln die Voraussetzungen für diese und ähnliche Arbeiten schuf; Wertbewußtseinsverlust und Vermassung lassen begründeten Zweifel aufkommen, ob Konzentration und Leistungswille uns Nachfolgenden auch nur in entfernt vergleichbarem Maße erhalten bleiben. Mein Dank gilt Herrn Kollegen O . Kaiser, dem Herausgeber der „Beihefte der Zeitschrift für die Alttestamentliche Wissenschaft", für seine spontane Bereitschaft zur Realisierung dieses Buches und dem Verlag Walter de Gruyter Sc C o . für alle ihm gewidmete Arbeit. Die Artikel erscheinen im Originalwortlaut; lediglich einige Fehler wurden verbessert. Münster, den 30. 5. 1985

Hans-Peter Müller

Inhaltsverzeichnis Vorwort

V

Abkürzungen

IX

Quellenverzeichnis

XI

Eine babylonische Volksüberlieferung von N a b o n i d in den Danielerzählungen

1

Z u Z A W 52, 53f

9

Zur H e r k u n f t des Flußnamens J o r d a n

11

Akkadisch tau

12

und hebräisch ta

als Raumbezeichnungen

Verkündigung des Gotteswillens durch prophetisches Wort in den altbabylonischen Briefen aus Mari

19

T e m p u s und M o d u s im Semitischen Zur Einteilung der semitischen Sprachen

32 36

Vedisch magham „ G e s c h e n k " — neuarabisch maggänija freiheit". D e r Weg einer Wortsippe

„Gebühren51

D a s Fragen nach der Gerechtigkeit G o t t e s im Alten Orient Fischgalle als Heilmittel für A u g e n

57 76

J a h w e „ E r ist, Er erweist s i c h "

78

Kleine Beiträge z u m Ugaritischen und Hebräischen Alter Orient und Altes Testament

89 99

n als Wurzelaugment im Semitischen 109 Zur H e r k u n f t von hebr. ' e b j ö n „ a r m " 122 Akkadisch häsum I „ s i c h s o r g e n " und hebräisch hüs II 127 Mirjam — Maria „ ( G o t t e s - ) G e s c h e n k " 129 Etemenanki vor A s a r h a d d o n nach der Erzählung v o m T u r m b a u zu Babel und dem E r r a - M y t h o s 134 Altbab. GA'ÜM = H e b r . GÄ'Ä „ s i c h ü b e r h e b e n " 148 Sanherib vor Jerusalem 701 v. C h r 149 D e r neubabylonische Funktionär simmagir und der Feuertod des §amas-sum-ukin 159 D e r Mensch bescheidet sich nicht. Überlegungen zu Schöpfungserzählungen in Babylonien und Israel 165 Verschlüsselte Kritik an Salomo in der Urgeschichte des Jahwisten? 174 Trunkenheit im babylonisch-assyrischen Schrifttum Z u m hebräischen Wörterbuch

187 195

VIII

Inhaltsverzeichnis

Mottoverse zu Beginn babylonischer und antiker Epen, Mottosätze in der Bibel 206 Abraham treibt Geier zurück: Was soll Gen 15, 11 besagen? 213 Register 219

Abkürzungen die nicht im Hebräischen und Aramäischen Lexikon zum Alten Testament, 3. Auflage, Lieferung II, S. VIff. verzeichnet sind AbB ABL ADD Al.T. AMT AOS

Altbabylonische Briefe, Leiden 1964 ff. R. F. Harper, Assyrian and Babylonian Letters I - X I V , Chicago 1894-1914; alle sind in RCA bearbeitet C. H . W. Johns, Assyrian Deeds and Documents, Cambridge 1898-1923 D. J. Wiseman, The Alalakh Tablets, London 1953 R. C. Thompson, Assyrian Medical Texts, London 1923 American Oriental Series

AR AS BA BAM

A. Ungnad, Assyrische Rechtsurkunden, Leipzig 1913 (zumeist aus ADD) Assyriological Studies (Chicago) Beiträge zur Assyriologie; in H A L BzA Fr. Köcher, Die babylonische Medizin in Texten und Untersuchungen I—VI, Berlin 1963-1980

BE

The Babylonian Expedition of the University of Pennsylvania, Philadelphia; in H A L BEUP The Babylonian Expedition, Researches, Philadelphia Babylonian Records in the Library of Pierpont Morgan I—IV, New York, New Haven 1912-1923 Berichte der Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften

BER BRM BSGW CCEBK DACG GC

L. W. King, Chronicles Concerning Early Babylonian Kings I. II, London 1907 R. C. Thompson, A Dictionary of Assyrian Chemistry and Geology, Oxford 1936 R. P. Dougherty, Goucher College Cuneiform Inscriptions I. II, New Haven 1923. 1933 GGA Göttingische Gelehrte Anzeigen HSS Harvard Semitic Series, Cambridge, U.S.A. JEN Joint Expedition with the Iraq Museum at Nuzi I—VI, Paris, New Haven 1930— 1939 JEOL Jaarbericht Ex Oriente Lux, Leiden; in H A L J b E O L KAR E. Ebeling, Keilschrifttexte aus Assur religiösen Inhalts, Leipzig 1915 — 1923 LKU A. Falkenstein, Literarische Keilschrifttexte aus Uruk, Berlin 1931 MAD I. J. Gelb, Materials for the Assyrian Dictionary I - V , Chicago 1952-1970 Math. Cun. Texts (MCT) O . Neugebauer and A. Sachs, Mathematical Cuneiform Texts, New Haven 1945 MDOG Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft MDP Mémoires de la Délégation en Perse, Paris MIO Mitteilungen des Instituts für Orientforschung MSL Materialien zum Sumerischen Lexikon, Rom 1937ff. Nbn. J. N . Strassmaier, Inschriften von Nabonidus, Leipzig 1889 Nuzi Pers. Names ( N P N ) I. J. Gelb usw., Nuzi Personal Names, Chicago 1943 OEC Oxford Editions of Cuneiform Inscriptions, Texts

X

Abkürzungen

OIP Oriental Institute Publications, Chicago Racc. F. Thureau-Dangin, Rituels accadiens, Paris 1921 RSO Rivista degli Studi Orientali RTC F. Thureau-Dangin, Recueil de tablettes chaldéennes, Paris 1903 SGL A. Falkenstein, J . van Dijk, Sumerische Götterlieder I. II, Heidelberg 1959f. §L A. Deimel usw., Sumerisches Lexikon, Rom 1928 — 1950 SRT E. Chiera, Sumerian Religious Texts, Upland 1924 STT O . R. Gurney, The Sultantepe Tablets I. II, London 1957. 1964 TCL Textes Cunéiformes. Musée du Louvre, Paris 1912ff. Thompson, Reports ( R M A ) R. C . Thompson, The Reports of the Magicians and Astrologers of Nineveh and Babylon I. II, London 1900 TMH Texte und Materialien der Hilprecht Collection . . . Jena, Leipzig 1932 ff. UCP University of California Publications in Semitic Philology, Berkeley UET U r Excavations. Texts, London/Philadelphia 1928ff. UM = U M B P in H A L VS

Vorderasiatische Schriftdenkmäler der . . . Museen zu Berlin, Leipzig, Berlin 1907 ff. W b . d. Klass. Arab. Spr. J . K r a e m e r - M . Ullmann, Wörterbuch der Klassisch-Arabischen Sprache, Wiesbaden 1957 ff. WO Die Welt des Orients; in H A L W d O W V D O G Wissenschaftliche Veröffentlichungen der Deutschen Orient-Gesellschaft Zimolong B. Zimolong, Das sumerisch-assyrische Vokabular Ass. 523, Leipzig 1922 (jetzt = MSL 14, 249ff.)

Quellenverzeichnis Die Beiträge des vorliegenden Bandes erschienen erstmals in folgenden Zeitschriften und Sammelwerken: Eine babylonische Volksüberlieferung von Nabonid in den Danielerzählungen in: ZAW 53 (1935), 8 1 - 8 9 Zu ZAW 52, 53 f. in: ZAW 53 (1935), 291 f. Zur Herkunft des Flußnamens Jordan in: ZAW 57 (1939), 153f. Akkadisch tau

und hebräisch ta als Raumbezeichnungen

in: W O 1/5 (1960), 3 5 6 - 3 6 1 Verkündigung des Gotteswillens durch prophetisches Wort in den altbabylonischen Briefen aus Mari in: W O 1/5 (1950), 3 9 7 - 4 0 3 Tempus und Modus im Semitischen in: Akten des 24. Internationalen Orientalisten-Kongresses München (1959), 263—265 (kürzere Fassung) Zur Einteilung der semitischen Sprachen in: W Z K M 56 (1960), 1 7 7 - 1 9 1 Vedisch magham

„Geschenk" — neuarabisch maggänija,

„Gebührenfreiheit". Der Weg einer

Wortsippe in: J E O L 18/1964 (1965), 3 3 9 - 3 4 4 Das Fragen nach der Gerechtigkeit Gottes im Alten Orient in: M D O G 96 (1965), 4 1 - 5 9 Fischgalle als Heilmittel für Augen in: A f O 21 (1966), 8 1 - 8 2 Jahwe „ E r ist, Er erweist sich" in: W O 3/3 (1966), 1 7 7 - 1 8 7 Kleine Beiträge zum Ugaritischen und Hebräischen in: Festschrift W. Baumgartner (1967), 2 9 1 - 3 0 0 Alter Orient und Altes Testament in: W O 4/1 (1967), 3 8 - 4 7 n als Wurzelaugment im Semitischen in: W Z U H X V I I (1968) G, H. 2/3, 1 7 5 - 1 8 4 Zur Herkunft von hebr. 'ebjön

„arm"

in: M I O 15 (1969), 3 2 2 - 3 2 6 Akkadisch häsum I „sich sorgen" und hebräisch hüs II in: U F 1 (1969), 197 Mirjam

— Maria „(Gottes-)Geschenk"

in: U F 2 (1977), 2 6 9 - 2 7 2 Etemenanki vor Asarhaddon nach der Erzählung vom Turmbau zu Babel und dem ErraMythos in: U F 3 (1971), 2 5 3 - 2 6 3

XII

Quellenverzeichnis

Altbab. GA'ÜM = hebr. GA*A „sich überheben" in: U F 4 (1972), 160 Sanherib vor Jerusalem 701 v. C h r . in: Festschrift H . E. Stier (1972), 4 3 - 5 1 Der neubabylonische Funktionär simmagir und der Feuertod des §amas-sum-ukln in: ZA 61 (1972), 8 4 - 9 0 Der Mensch bescheidet sich nicht. Überlegungen zu Schöpfungserzählungen in Babyl und Israel in: Festschrift F. M. T h . de Liagre Böhl (1973), 3 4 9 - 3 5 8 Verschlüsselte Kritik an Salomo in der Urgeschichte des Jahwisten? in: W O 7/2 (1974), 2 2 8 - 2 4 0 Trunkenheit im babylonisch-assyrischen Schrifttum in: Festschrift J. Henninger (1976), 3 1 7 - 3 2 4 Z u m hebräischen Wörterbuch in: U F 13 (1982), 157-164 Mottoverse im Alten Testament in: U F 14 (1983), 2 3 5 - 2 3 9 Abraham treibt Geier zurück: Was soll Gen 15, 11 besagen? in: Festschrift G . Molin (1984), 3 6 0 - 3 6 6

Eine babylonische Volksüberlieferung von Nabonid in den Danielerzählungen Es ist heute wohl allgemein anerkannt, daß die Danielerzählungen (Dan 1—6), obwohl sie mit ihren genauen Datierungen den Anspruch erheben, Geschichtsdarstellung zu sein, Legenden sind. Über die Herkunft dieser Legenden ist allerdings noch keine Einhelligkeit erzielt. Manche Forscher sind der Meinung, daß irgendwelche bestimmten geschichtlichen Ereignisse den Anstoß für die Bildung der Legenden gegeben haben, wobei die Frage, welche Ereignisse dies getan haben, verschieden beurteilt wird. H Ö L S C H E R hat demgegenüber in seinem grundlegenden Aufsatz »Die Entstehung des Buches Daniel« (ThStKr 1919, 113ff.) darauf hingewiesen, daß die Danielerzählungen, die ursprünglich wohl einzeln umgelaufen sind, zahlreiche m ä r c h e n h a f t e Züge enthalten, für die sich in der Sagenund Märchenliteratur viele Parallelen finden. An diese zweifellos richtige Beobachtung H Ö L S C H E R S knüpfte dann besonders B A U M G A R T N E R in seinen wertvollen Arbeiten zum Buch Daniel (vgl. vor allem »Das Buch Daniel« (1926) und ZAW 44, 38ff.) an; er bezeichnet die Erzählungen als »orientalische Hofgeschichten« nach Art der Märchen in 1001 Nacht und sieht die Aufgabe der Forschung nicht so sehr darin, den vermeintlichen geschichtlichen Hintergrund der Erzählungen aufzuspüren, als vielmehr darin, die Parallelen zu den einzelnen Motiven der Erzählungen aus der Märchenliteratur zu sammeln, um auf Grund davon die besondere Gestaltung der Märchenmotive im Buch Daniel herauszuarbeiten und zu erklären. An die Verwirklichung von B A U M G A R T N E R S t Forderung ist in umfassender Weise zuerst K Ü H L gegangen, der in seiner Arbeit »Die drei Männer im Feuer« (Beih. ZAW Nr. 55, 1930) zu der Erzählung in c. 3 und ihren einzelnen Motiven eine außerordentlich umfangreiche Sammlung von Parallelen aus der gesamten Sagen- und Märchenliteratur zusammentrug. Auf S. 58 f. seiner Arbeit zog K Ü H L aus seinen märchenvergleichenden Untersuchungen den Schluß, daß c. 3 ebenso wie die anderen Danielerzählungen im Grunde an keine bestimmte Zeit gebunden sei und daß daher das Suchen nach einem »historischen Kern« bei einer solchen Erzählung müßig sei. Ich kann diesem Schluß nicht zustimmen und muß, so dankbar ich K U H L S reichhaltige Zur M. A. BEEK, Das Danielbuch (Diss. Leiden 1936) erschien erst nach Ablieferung des Manuskripts. Es kann allerdings nicht verschwiegen werden, daß die historischen Folgerungen dieses Buches selten überzeugen; der Hauptgrund dafür ist die mangelnde Vertrautheit des Verf. mit den außerbiblischen Quellen.

2

Eine babylonische Volksüberlieferung von N a b o n i d

[82]

sammenstellungen begrüße \ doch ein grundsätzliches Bedenken anmelden: B A U M G A R T N E R sowohl als K Ü H L vergleichen Märchen und Sagen aus den verschiedensten Zeiten und von den verschiedensten Völkern, ohne vorher die Frage, wie viel solche Vergleiche für das Verständnis einer bestimmten Sage austragen können, hinreichend zu erörtern. Für die Danielforschung hat dieses Bedenken dadurch besonderes Gewicht, daß ein sehr großer Teil der verglichenen Sagen und Märchen aus erheblich späterer Zeit als das Buch Daniel überliefert ist und darum zur Erklärung von Motiven der Danielerzählungen nur mit großer Vorsicht herangezogen werden darf. Manches Motiv, das in 1001 Nacht oder bei Firdosi schon vielen Sagen und Märchen gemeinsam ist, muß in einer Legende aus vorchristlicher Zeit vielleicht noch aus einer bestimmten geschichtlichen Situation abgeleitet werden. Daher glaube ich, daß in der Danielforschung das Aufsuchen der geschichtlichen Voraussetzungen der Legenden neben der vergleichenden Märchenforschung auch heute noch ein Recht hat und nicht deswegen abgelehnt werden darf, weil es bisher nicht immer in der rechten Weise betrieben worden ist. BAUMGARTNER knüpft in ZAW 44, 38 ff. bei seiner Zurückweisung der Versuche, den Danielerzählungen eine gewisse geschichtliche Glaubwürdigkeit zuzusprechen, vor allem an S I D N E Y SMITH, Babylonian Historical Texts (London 1924) an. Von den in diesem Buch behandelten sechs neubabylonischen Texten haben für das Buch Daniel nur Nr. 3 und 4 Bedeutung. Nr. 4 ist die schon lange bekannte sog. Nabonid-Chronik, deren Tendenz trotz scheinbarer Objektivität ganz eindeutig gegen Nabonid gerichtet ist. Nr. 3, von S M I T H zum erstenmal veröffentlicht, ist ein Bruchstück eines bisher in der Keilschriftliteratur einzig dastehenden strophischen Schmähgedichts, das offenbar von einem Mardukpriester bald nach dem Einzug von Kyros in Babylon gegen Nabonid verfaßt worden ist, um dessen Niederlage als gerechte Strafe seiner Frevel gegen Marduk zu erweisen. Für eine geschichtliche Würdigung beider Texte muß ich hier auf L A N D S BERGER und T H . B A U E R in ZA 37, 96ff. verweisen, wo auf S. 88ff. auch eine verbesserte Neuübersetzung des Schmähgedichtes geboten ist 2 ; an dieser Stelle kommt es nur darauf an zu prüfen, wie viel beide Texte zum Verständnis der Danielerzählungen beitragen können. SMITH hat nämlich beobachtet, daß einige der in Schmähgedicht und Chronik Nabonid vorgeworfenen Handlungen dem auffällig ähnlich sind, was die Danielgeschichten von Nebukadnezar und Belsazar berichten; er schließt daraus (a. a. 0 . S. 36), daß der Nebukadnezar 1 Wichtig ist besonders auf S. 62ff. seine eingehende Schilderung des persischen Milieus, in das c. 3 und die anderen Geschichten gestellt sind. Daß dieses Milieu nur eine äußere Zutat zu den Erzählungen ist, hat K. selbst betont. 1 An L A N D S B E R G E R - B A U E R schließen sich die Zitate in diesem Aufsatz an.

[83]

Eine babylonische Volksüberlieferung v o n N a b o n i d

3

des Danielbuches im wesentlichen die Züge Nabonids trage. Das von ihm für diesen Schluß zusammengetragene Beweismaterial ist allerdings von sehr ungleicher Art, und BAUMGARTNER ist daher durchaus im Recht, wenn er in ZAW 44, 45ff. die meisten der von SMITH aufgestellten Parallelen zwischen Danielbuch und Keilschrifturkunden als verfehlt oder zu unsicher zurückweist. BAUMGARTNERS Folgerung allerdings ( a . a . O . S. 51), daß nach Ausscheidung der falschen Parallelen SMITHS nur unerhebliche Ähnlichkeiten zwischen dem Nebukadnezar der Danielerzählungen und Nabonid übrigblieben, kann ich nicht für richtig halten; ich glaube vielmehr, daß SMITHS Ansicht trotz der Irrtümer und methodischen Mängel seiner Beweisführung im wesentlichen zutrifft. Es ist nur notwendig, die beiden zum Vergleich stehenden Überlieferungen genauer zu umgrenzen und danach ihre Beziehungen zueinander neu zu bestimmen und zu kennzeichnen. In den Danielerzählungen müssen wir zunächst einmal zwischen den auf ältere Überlieferung zurückgehenden aramäischen Kapiteln 2 — 6 und dem, wie HÖLSCHER a. a. O . gezeigt hat, als Einleitung zu c. 2—6 später hinzugefügten hebräischen c. 1 scharf scheiden. In den Erzählungen c. 2—6 sind nun, wie ich glaube, (mindestens) zwei Überlieferungsstränge von ganz verschiedener Herkunft verarbeitet. Der eine wurzelt im Judentum; aus ihm stammen offenbar die Gestalten des weisen Daniel und der drei jüdischen Frommen mit ihren babylonischen Namen 1 sowie die in allen Geschichten gleichartige erbauliche Tendenz. Die andere Überlieferung ist in Babylonien gewachsen und enthält Geschichten von neubabylonischen und persischen Königen; sie wurde von den Juden in Babylonien aufgenommen und zusammen mit den Legenden der jüdischen Überlieferung nach und nach zu den jetzt vorliegenden Danielerzählungen ausgestaltet. Die Nähte zwischen beiden Überlieferungen sind noch deutlich genug erkennbar; die selbstverständlich heidnische Ausdrucksweise der babylonischen Überlieferung ist z. B. nur sehr unvollkommen getilgt worden (vgl. dazu HÖLSCHER a. a. O . 123). Wie die Verarbeitung beider Überlieferungen zu den heute vorliegenden Danielerzählungen im einzelnen vor sich gegangen ist, kann hier nicht untersucht werden; nur Herkunft und Eigenart der babylonischen Überlieferung stehen im folgenden zur Erörterung. 1

E s darf bei dieser Gelegenheit darauf hingewiesen werden, daß die noch im

Danielkommentar

von CHARLES auf S. 18 zu lesenden

»Ableitungen« der

Namen

Sadrak und Mesak, die aus den Anfangszeiten der Assyriologie stammen, mit ihrer Vermengung sumerischer,

akkadischer und hebräischer Namensbestandteile

heute

keinesfalls mehr aufrechterhalten werden können. Da beide Namen ebenso wie 'AbedNego von der Uberlieferung bewußt entstellt worden sind, wird eine wirklich überzeugende Erklärung von ihnen wohl nie gelingen.

4

Eine babylonische Volksüberlieferung von Nabonid

[84]

Die in c. 2—6 erhaltenen babylonischen Erzählungen knüpfen sich an die Königsnamen Nebukadnezar, Belsazar und »Darius der Meder«. Wir wissen nicht, welcher König der Geschichte in der Sage als »Darius der Meder« fortlebt; am nächsten läge es, an Kambyses zu denken, doch läßt sich das nicht beweiseh 1. Wohl aber können wir feststellen, wer der »Nebukadnezar« von c. 2—4 ist: Er ist nicht eine beliebige orientalische Despotengestalt, die von Nebukadnezar und Nabonid einige individuelle Züge entlehnt hat, sondern er ist Nabonid. Allerdings nicht der Nabonid der Geschichte, sondern der Nabonid einer von den feindlichen Mardukpriestern bewußt entstellten Volksüberlieferung. Der Formung dieser Volksüberlieferung dienten, gewiß zusammen mit anderen, heute verlorenen Darstellungen, die beiden von S M I T H behandelten Texte, die scheinbar objektive Nabonidchronik und das grob entstellende und karikierende Schmähgedicht. Daß diese Elaborate ihren Zweck erfüllt haben, zeigen uns die Danielgeschichten c. 2—5 mit aller wünschenswerten Deutlichkeit. Der Name Nabonids ist allerdings im Laufe der Zeit wenigstens in der jüdischen Überlieferung verloren gegangen ; es hatte natürlich mehr Reiz, solche demütigenden Geschichten von Nebukadnezar, dem Eroberer Jerusalems, zu erzählen, als von dem für die jüdische Geschichte bedeutungslosen Nabonid 2. Daß in c. 5 nicht Nebukadnezar, sondern Belsazar an die Stelle Nabonids getreten ist, ist auch verständlich; denn man wußte natürlich auch später noch, daß Babylon nicht unter Nebukadnezar schon erobert worden war. Es gilt nun, in den einzelnen Danielerzählungen die Nabonidüberlieferung aufzuzeigen. c. 2 berichtet von einem Traum »Nebukadnezars«, den die »Chaldäer« trotz königlichen Befehls nicht erraten konnten. Das daraufhin über alle Chaldäer ausgesprochene Todesurteil kam nur dadurch nicht zur Vollstreckung, daß Daniel einsprang und den Traum erriet und deutete. Die Erzählung schildert »Nebukadnezar« als einen Herrscher, der sich viel mit Traumdeutung befaßt und der Priester nur deswegen hinrichten lassen will, weil sie Unmögliches nicht leisten 1 Prof. H E M P E L verweist mich zu dieser Frage nach Abschluß des Manuskripts auf das neue Buch von R O W L E Y , Darius the Mede and the four world empires in the Book of Daniel (Cardiff 1936). R. sieht in »Darius dem Meder« das Ergebnis einer vielfachen Verwirrung der geschichtlichen Uberlieferung. [Vgl. jetzt auch B E E K , Das Danielbuch 69fl.] 1 Wie frühzeitig in der babylonischen Volksüberlieferung die Namen der letzten einheimischen Könige durcheinandergeworfen wurden, zeigt Herodot, der annahm, daß auch Nebukadnezar den Namen Nabonid (Aaßüvr|-ros) gehabt hätte (vgl. I 74.188). Wenn demgegenüber einige spatere griechische Geschichtsschreiber die Königsnamen richtig überliefern, so haben sie anders als Herodot an die babylonische G e l e h r t e n -

überlieferung anknüpfen können.

[85]

Eine babylonische Volksüberlieferung von N a b o n i d

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können. Daß sich von dem den Mardukpriestern besonders freundlich gesonnenen Nebukadnezar der Geschichte eine solche Sage gebildet hat, erscheint ausgeschlossen. Wohl aber zeigt das Schmähgedicht, daß Nabonid jedenfalls in den letzten Jahren seiner Regierung in einen scharfen Gegensatz zu den Mardukpriestern (»Chaldäer«) geraten ist, da diese seine Bevorzugung des Sin-Kultus und seine Vernachlässigung der gegen Persien schlecht zu verteidigenden Hauptstadt Babylon mit allen Mitteln bekämpften. Von einem Todesurteil gegen Mardukpriester steht zwar in dem erhaltenen Teil des Schmähgedichts — etwa zwei Drittel der Tafel sind verloren ( S M I T H a. A. O. S . 27) ! — nichts, es ist aber sehr wohl denkbar, daß Nabonid im Verlauf des Kampfes auch zu Todesurteilen gegen verräterische Priester genötigt wurde bzw. daß die Mardukpriester, um das Volk aufzuhetzen, ihm die willkürliche Hinrichtung von Priestern vorwarfen. In diesem Fall müßten wir dann eine priesterliche Märtyrergeschichte als babylonische Vorstufe von c. 2 annehmen. Von einer Neigung Nabonids zur Traumdeuterei berichtet der erhaltene Teil des Schmähgedichts auch nichts; Nabonids eigene Inschriften zeigen aber zur Genüge, daß er Träumen eine viel größere Bedeutung beimaß als irgendein anderer babylonischer oder assyrischer König. Da wäre es merkwürdig, wenn die feindlichen Mardukpriester nicht auch diese Neigung des Königs zu karikierenden Darstellungen ausgenutzt hätten. — Der Nabonid feindlichen Tendenz einer in ihren Einzelheiten nicht mehr zu rekonstruierenden babylonischen Priestererzählung der gekennzeichneten Art hat dann später die jüdische Überlieferung noch einige die »Chaldäer« lächerlich machende Züge hinzugefügt, so daß die Spitze der Erzählung nunmehr gleichmäßig gegen König und Chaldäer gerichtet ist, da beide Exponenten eines polytheistischen Heidentums sind. c. 3 erzählt die Aufstellung eines riesengroßen Gottesbildes aus Gold durch »Nebukadnezar« in der Ebene Dura. Schon S M I T H hat damit richtig den in Kol. I des Schmähgedichts teilweise erhaltenen Bericht von der Schaffung eines fremdartig-barbarischen Bildes des Mondgottes durch Nabonid verglichen. B A U M G A R T N E R S Einwand gegen S M I T H (ZAW 44, 47), die Errichtung eines Götterbildes sei in Babylonien nichts so Seltenes gewesen, trifft m. E . nicht das Entscheidende : Gerade weil die Aufstellung eines normalen Götterbildes in Babylonien nicht selten war, kann'solch ein gewöhnliches Ereignis nicht den Anlaß zur Sagenbildung gegeben haben ; die Sage kann vielmehr nur an ein ungewöhnliches Vorkommnis anknüpfen. Das Schmähgedicht zeigt nun, daß die Errichtung einer Sinstatue von irgendwie auffallendem Aussehen durch Nabonid in Babylon erhebliches Aufsehen erregt hat ; die Mardukpriester haben das ausgenutzt und durch Ausstreuung gehässiger Gerüchte dafür gesorgt, daß das Ereignis

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nicht vergessen wurde. Die spätere Sagenentwicklung machte dann aus einem Bild von ungewöhnlicher Gestalt ein solches von außerordentlicher Größe und Pracht, wobei der Einfluß der bei Herodot I 183 erhaltenen Sage von einem goldenen Bild im Marduktempel eine gewisse Rolle gespielt haben mag. Aber auch noch ein anderes Motiv in c. 3 lehrt uns das Schmähgedicht verstehen. In c. 3 wird weiter berichtet, daß der König bei Androhung der Todesstrafe allen Babyloniern befohlen habe, das neue Bild anzubeten. In dieser Anordnung tritt eine religiöse Unduldsamkeit zutage, wie sie der fremden Göttern gegenüber sonst sehr weitherzigen Einstellung der babylonischen Religion ganz fremd ist. Wenn nun das Schmähgedicht bei einer solchen Einstellung der Babylonier Nabonid Unduldsamkeit sogar gegen den altheiligen Mardukkult vorwirft, mußte das eine besonders nachhaltige Wirkung im Volke ausüben. So wird z. B. in Kol. V 14ff. behauptet, Nabonid hätte den Marduk aus seinem Haupttempel Esangila zugunsten von Sin verdrängen wollen; Kol. II 11 sieht in dem auch durch die Chronik bezeugten mehrjährigen Ausfall des Neujahrsfestes unter Nabonid einen bewußt feindlichen Akt gegen Marduk, ja, Kol. VI 12ff. spielt vielleicht sogar auf eine Wegführung von Götterbildern aus Esangila durch Nabonid an. Gewiß ä u ß e r t sich die angebliche Unduldsamkeit Nabonids in den erhaltenen Teilen des Schmähgedichts anders als die »Nebukadnezars« in c. 3; wichtig ist aber, daß die Babyloniern und Persern gleich fremde H a l t u n g an beiden Stellen dieselbe ist. Somit ist die Nachwirkung des Schmähgedichts in den Danielerzählungen gerade in c. 3 sehr klar erkennbar 1 . c. 4 ist die Erzählung von dem Wahnsinn »Nebukadnezars«, der den König 7 Jahre den Tieren gleich in der Wüste leben ließ. Daß hierin die Erinnerung an Nabonids etwa gleichlangen Aufenthalt in der Wüstenoase Tema weiterlebt 2 , ist schon früh erkannt und oft ausgesprochen worden. Gewiß hatte Nabonids langjähriger Aufenthalt in Tema in Wirklichkeit ganz andere, sehr politische Gründe (vgl. L A N D S B E R G E R - B A U E R ZA 3 7 , 97f.), das Schmähgedicht zeigt aber in Kol. II deutlich, daß man diese Gründe nicht verstanden hat oder nicht verstehen wollte; denn die Mardukpriester bezeichneten den Zug nach Tema offenbar einfach als einen Ausdruck sinnloser 1 BEEK, Das Dänielbuch S. 55ff. erklärt c. 3 als jüdische Streitschrift gegen die Aufstellung von Bildern der Göttin Anahita durch Artaxerxes II. Da aber die griechischen Quellen von religiöser Unduldsamkeit des Artaxerxes II. nichts wissen, ist diese Deutung von c. 3 recht unwahrscheinlich. 8 BAUMGARTNER hielt es in ZAW 4 4 , 4 8 für möglich, daß eine andere Stelle des Schmähgedichts auf den »Wahnsinn« Nabonids anspiele. Seine Erwägungen sind aber dadurch, daß LANDSBERGER und BAUER in ZA 37, 89 SMITHS Deutung von Kol. I 17 f. berichtigt haben, gegenstandslos geworden.

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despqtischer Launen. Von dieser — übrigens auch unvollständig erhaltenen — Deutung des Schmähgedichts ist der Weg zu der Meinung von c. 4, daß der Wahnsinn den König in die Wüste geführt habe, nicht weit. Merkwürdig ist nur, daß in c. 4 die Erinnerung an die Regentschaft Belsazars während der 7 Jahre ganz verloren gegangen ist; wer während des siebenjährigen Wahnsinns des Königs das Land regierte, um dann nach Ablauf der Frist gutwillig dem früheren König wieder Platz zu machen, interessiert den Erzähler nicht, ein Zeichen dafür, daß man vom wirklichen Ablauf der Dinge nichts mehr wußte, als die Geschichte niedergeschrieben wurde. Daß der letzte Redaktor der Erzählung, dessen Arbeit schon oft als besonders ungeschickt gekennzeichnet worden ist, ehrlich glaubte, daß der Eroberer Jerusalems der Held der Geschichte sei, beweist v. 27, wo er Nebukadnezar sich seiner Palastbauten in Babylon rühmen läßt. c. 5 ist die Erzählung von Belsazars Frevel an heiligen Gefäßen und der darauf unmittelbar folgenden Strafe. Auch ihr liegt gewiß eine babylonische Geschichte aus der Nabonidüberlieferung zugrunde, die ursprünglich von Nabonid erzählt sein dürfte; erst eine spätere Zeit hat dann den langjährigen Reichsverweser und Thronfolger Belsazar an die Stejle des in Vergessenheit geratenen Nabonid gesetzt (vgl. dazu auch o. S. 84) 1 . In dieser Erzählung ist besonders merkwürdig, daß es »Belsazar« in der Weinlaune gerade nach den Gefäßen des Tempels von Jerusalem gelüstete, wo doch die Eroberung von Jerusalem, für Babylonien ohnehin kein allzu bedeutsames Ereignis, schon fast 50 Jahre zurücklag. Ich glaube, auch hier gibt das Schmähgedicht die Lösung wenigstens eines Teils der Schwierigkeiten an die Hand. Der schwerste Vorwurf, den das Schmähgedicht gegen Nabonid erhebt, ist der des vielfachen Kultfrevels an Marduk. Als Beispiele dafür werden im erhaltenen Teil angegeben die Aussetzung des Neujahrsfestes (Kol. II 11), der Raub des Neumondemblems von Esangila (Kol. V 18), der Versuch der Einsetzung Sins in Esangila (ebd. 19ff.) u . a . m . In Anbetracht, solcher Vorwürfe ist es wohl nicht zu kühn, wenn wir aus Dan 5 schließen, daß man ihn — vielleicht in einem abgebrochenen Teil desselben Schmähgedichts — auch des Mißbrauchs heiliger Gefäße des Marduktempels beschuldigt hat. Für einen Zusammenhang zwischen Kol. V des Schmähgedichts und c. 5 spricht auch die Tatsache, daß der Bericht von der Eroberung Babylons durch Kyros dort anscheiriend ebenso unmittelbar an die Erzählung der (angeblichen) Schändung Esangilas durch Nabonid anschloß wie die Bestrafung Belsazars in c. 5 an seinen 1

Daß das Schmähgedicht auch von Belsazar (angebliche) Schandtaten erzählte, haben wir nach den von ihm erhaltenen Teilen keinen Grund anzunehmen.

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Frevel. Daß spätere Juden dann den ihnen herzlich gleichgültigen Kultfrevel an Marduk durch einen an Jahwes heiligen Gefäßen ersetzten, liegt in der gleichen Linie wie die Umgestaltung der anderen Erzählungen. Ob auch die Legende von der geheimnisvollen Schrift an der Wand und ihrer Deutung schon ein babylonisches Vorbild im Schmähgedicht oder ähnlichen Werken hatte, läßt sich nicht mehr feststellen. Wenn wir so den Belsazar von c. 5 mit Nabonid gleichsetzen, macht es auch keine Schwierigkeiten mehr, daß er als Sohn des Nebukadnezar, der Jerusalem erobert hat, bezeichnet wird. Hält doch schon Herodot I 188 Nabonid (Aocßüvr)TOS II) für den Sohn von Nebukadnezar (Aaßuvr|TOS I), da seine Gewährsmänner anscheinend nicht mehr wußten, daß Nabonid Usurpator war und auf Nebukadnezar auch gar nicht unmittelbar folgte. Gegen diese Gleichsetzung kann auch nicht angeführt werden, daß in 5 i8«. der Vater Belsazar-Nabonids mit dem Nebukadnezar-Nabonid von c. 4 verwechselt wird; denn diese Verse sind doch offensichtlich Zusatz eines späteren Redaktors, der beide »Nebukadnezars« nicht mehr auseinanderhalten konnte 1. Im Gegensatz dazu muß der Redaktor, der c. 1 den aramäischen Erzählungen hinzufügte, noch gewußt haben, daß der Nebukadnezar, der Jerusalem eroberte, mit dem Nebukadnezar von c. 2—4 nicht identisch war; Beweis dafür sind seine Datierungen der einzelnen Erzählungen, c. 1 läßt Daniel und seine Gefährten bald nach der ersten (?) Eroberung Jerusalems, d. h. also nach 597, als ganz kleine Knaben an den Hof Nebukadnezars kommen, damit sie dort als Pagen erzogen würden. In c. 2 sind sie bereits erwachsen; es müssen also m i n d e s t e n s 20 Jahre seit der Eroberung Jerusalems verflossen sein. Trotzdem wird c. 2 nach dem 2. Jahre »Nebukadnezars« datiert. Ich glaube, wir dürfen selbst einem so unbehilflichen Redaktor wie dem der Danielerzählungen nicht zutrauen, daß er c. 2 in eine frühere Zeit als c. 1 verlegt. Wir müssen vielmehr, solange das Gegenteil nicht zwingend erwiesen ist, annehmen, daß die Chronologie des Danielbuchs in sich eindeutig und ohne offenkundige Widersprüche ist; ob sie auch geschichtlich richtig ist, kann dabei offen bleiben. 1 D O U G H E R T Y stellt in seinem Buch »Nabonidus and Belshazzar« (New Häven 1929) alle bis dahin bekannten Quellen über Nabonid und Belsazar zusammen. Seine Folgerungen aus Keilschrifturkunden und späteren Überlieferungen kann ich allerdings zum großen Teil nicht für richtig halten; seine [von BEEK, Das Danielbuch S. 41ff. wiederholte und weiter ausgebaute] Behauptung z. B. (S.200), Dan. 5 bewahre noch die Erinnerung an eine »Doppelregierung Nabonid-Belsazar«, beruht auf einem Mißverständnis des Titels »Dritter« (6 29) (vgl. für diesen häufigen babylonischen Beamtentitel vor allem K L A U B E R , Assyrisches Beamtentum (LSS V 3 ) S . 1 1 1 ff.). Da DOUGHERTYS Darlegungen die hier behandelten Fragen nicht unmittelbar berühren, muß ich mir ein näheres Eingehen auf sein Buch an dieser Stelle versagen.

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Als in sich widerspruchslos läßt sich die Chronologie des Buches aber nur dann retten, wenn wir annehmen, daß c. 2 anders als c. 1 nach N a b o n i d datiert ist, der, wie wir sahen, ja auch in den E r z ä h l u n g e n von c. 2—4 »Nebukadnezar« genannt wird. Damit gewinnen wir aus chronologischen Erwägungen heraus eine schöne Bestätigung der Schlüsse, die wir oben aus der Sagengeschichte ableiteten. Wir können also zusammenfassend das Folgende feststellen: Die Danielerzählungen c. 2—5 enthalten neben ursprünglich jüdischen Überlieferungen auch heidnisch-babylonisches Überlieferungsgut, dessen Ausgangspunkt die von den Mardukpriestern aus politischen Gründen bewußt entstellten Nachrichten über Regierungshandlungen Nabonids in Chroniken und einem Schmähgedicht sind. Spätere jüdische Überlieferer haben in den Erzählungen c. 2—4 den Namen Nebukadnezars, in c. 5 den des Thronfolgers Belsazar an die Stelle von Nabonid gesetzt und die Erzählungen auch sonst in mancher Hinsicht umgestaltet, um sie der Erbauung jüdischer Frommer dienstbar zu machen. Wie diese Umgestaltung im einzelnen vor sich gegangen ist, können wir vorläufig schon deswegen nicht genau ermitteln, weil uns die babylonischen Vorbilder der Danielerzählungen nur sehr unvollkommen erhalten sind. Für eine ganze Anzahl von Erzählungsmotiven in c. 2—5 lassen sich aber in den erhaltenen Teilen der babylonischen Nabonidüberlieferung noch die Entsprechungen mit Sicherheit oder doch großer Wahrscheinlichkeit nachweisen. Durch die Feststellung dieser Entsprechungen wird nicht nicht nur die Leistung der jüdischen Sagengestalter und manche bisher unklare Einzelheit der Danielerzählungen besser verständlich, sondern wir gewinnen auch die Möglichkeit, aus dem Fortleben der tendenziösen Nabonidüberlieferung die politische Kraft und Wirksamkeit der Propaganda der Mardukpriesterschaft zu erkennen und zu würdigen. W i e v i e l Kyros bei der Eroberung Babyloniens dem Verrat der Mardukpriester verdankte, wird erst jetzt ganz klar.

Zu ZAW 52, 53 f. G. R. DRIVER hat in seinen »Hebrew Notes« ( Z A W 52, 51—56) u. a. versucht, einige Stellen, an denen die gewöhnlichen Bedeutungen von mit Hilfe akkadischer Etymologien zu erklären. wo L X X und Syrer für

nicht zu passen scheinen,

Die erste von diesen ist Jes 58 10,

vielmehr ¿tpTOV (aoO) bzw. y n r A

»(dein) Brot« lesen:

soll hier nach D. ebenso wie akk. napSu »Fülle« bedeuten. Diese Auffassung D.s ist aber sicher unrichtig; denn 1. ist akk. napSu kein Substantiv mit der Bedeutung »Fülle«, sondern, wie schon seine Bildungsweise eindeutig zeigt, ein Adjektiv mit der

Zu ZAW 52, 53 f.

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Bedeutung »reichlich« 1 ; 2. liegt m. E. kein Grund vor, lediglich für Jes 58 10 ein B>B3 II bzw. eine neue Grundbedeutung von BtB3 anzusetzen, da doch die übliche Übersetzung »(wenn) du dem Hungrigen deine Seele 'heraustreten läßt' ( = eröffnest)« 2 durchaus unanstößig ist. — An zwei anderen Stellen (Jes 3 20; Prov 27 9) soll #B3 nach D., der hier im ganzen der exegetischen Tradition folgt, akk. niplu »das Anblasen 3 , Duft« entsprechen und demnach mit »Duft« übersetzt werden. Auch von der Richtigkeit dieser Ansetzung kann ich mich nicht überzeugen. Denn die übliche Übersetzung »Riechfläschchen« für VQ ist Jes 3 20, obwohl schon bei Hieronymus 4 bezeugt, durchaus willkürlich und keineswegs durch den Zusammenhang nahegelegt. Da hinter tipjn einD'^lVp »Amulette« folgt, läge es näher, hier an ein Bekleidungs- oder Schmuckstück der Kehle 5 zu denken; vielleicht wurden irgendwelche auffällige Halskrausen oder dgl. spöttisch »Häuser der Kehle« genannt 6 . — Prov 27 9b ist der Text offensichtlich verderbt und wird ja auch tatsächlich von allen irgendwie emendiert, wenn auch in sehr verschiedener Weise. Die von D. angenommene Lesung »Duftbäume« paßt aber weder in den Zusammenhang, noch wird sie durch L X X befürwortet. Ich m ö c h t e glauben, daß die Änderung eines einzigen Buchstaben genügt, um einen sinnvollen und zu L X X wenigstens ungefähr passenden Text zu gewinnen. Lesen wir nämlich statt VIJCjHp besser "3XJ7Q, so lautet der Spruch: »öl und Räucherwerk erfreut das Herz, aber »Süßes« für ihren Nächsten kränkt die Seele« 7. Bei dieser Auffassung würde der Spiuch kleinlichen Neid auf Genüsse des Nächsten anprangern, ein gewiß n i c h t unnützes Unterfangen. 1

An den von D. für das angebliche naplu »Fülle« angeführten Stellen THOMPSON, Reports I 91 Rs. 2 und 269, 5 f. steht: mätu akla (bzw. mab'ra) nap-lä ik-kal (ikkal) »Das Land wird reichliche Speise (bzw. reichlichen Handel) genießen«. 2 Ich kann trotz der Schwierigkeit einiger der Belegstellen keinen Grund für die Ansetzung von zwei homonymen Wurzeln plB finden; an den klaren Stellen kommt man mit piB »herausgehen«, hiph. »herausbringen, herausholen« gut aus, und an den schwierigen Stellen Jes 28 7, Jer 10 4, Ps 140 9 führt die Ansetzung einer zweiten Wurzel plB auch nicht weiter. Die Ansetzung von zwei homonymen Verbalwurzeln kann bei der Seltenheit echter Homonyma in den semitischen Sprachen immer nur auf Grund e i n d e u t i g e r Belegstellen erfolgen. 3 Daß »Anblasen« die Grundbedeutung von niplu ist, zeigt die 6. Tafel des Gilgameäepos (Z. 123, 126, 129), die vom tödlichen niplu des Himmelsstieres spricht. 4 Hieronymus gibt für seine Übersetzung olfactoriola in seinem Jesaja-Kommentar keine philologische Begründung. In L X X zeigt die Aufzählung der Putzstücke viele Abweichungen; »Riechfläschchen« kommen aber nicht vor. 5 Daß »Kehle« die Grundbedeutung von akk. uapihu

und tt'DJ ist, erscheint

mir, zumal nach 1.. DÜRFS grundlegenden Ausführungen in ZAW 43, 202 fl., sicher. 6 DÜRR ZAW 43, 208 f. d e n k t etwas abweichend an a m Hals getragene kleine Kästchen mit Talismanen, was natürlich auch möglich ist. Eine Entscheidung zwischen den verschiedenen Dculungsmögliclikeiten könnten nur neue Eunde bringen. 7 1 . X X bietet: K a r a p p i i y v u r a i 6E OTTO cvnTTrconaTcov STEUERNAGEL, KAUTZSCH4 11 315 emendierte daher den Text zu CE3VC2£I'p N^H , eine reichlich weitgehende Änderung. Yulgata •weicht hier ganz ab.

Zur Herkunft des Flußnamens Jordan

Im ersten Teil eines »Lexikologisch-Geographisches« überschriebenen Aufsatzes behandelt L. K Ö H L E R in ZDPV 62 S. 116—20 die Herkunft des Flußnamens Jordan. E r kommt darin nach kritischer Überprüfung einiger früherer Ableitungsversuche meist aus dem Semitischen zu einer neuen Ableitung aus dem Iranischen, die er selbst für »endgültig« hält: Der Name Jordan bedeutete danach »Jahresfluß« (iran. yär-dan(uü)) und wäre dem Hauptfluß Palästinas wegen seines das ganze J a h r hindurch verhältnismäßig gleichmäßigen Wasserstandes gegeben worden. K. selbst weist dabei auf zwei wichtige Gesichtspunkte hin: 1) Flußnamen sind vielfach sehr alt, d. h. spätere Bewohner eines Gebietes übernehmen sie sehr oft von den früheren und 2) es begegnen im Mittelmeerkreis noch mehrere ganz ähnlich klingende Flußnamen (Jardanos, Vardanes, Vuardo, dazu vielleicht noch Rhodanos), die auch von anderen Forschern schon mit gutem Grund als Spielformen des gleichen Flußnamens betrachtet worden sind. K . findet in ihnen allen den gleichen iranischen Namen wieder, hat aber versäumt, die recht naheliegende Frage zu stellen, wann und unter welchen geschichtlichen Umständen die Iranier Gelegenheit gehabt haben sollen, Flüssen in Palästina, Kreta, Elis, Gallien und noch anderen Ländern auch von anderen Völkern übernommene Namen zu geben. Diese Frage stellen, heißt aber schon, K.s Ableitung als s i c h e r f a l s c h zu erkennen. Der Name des palästinischen Jordan ist schon im X I I I . vorchr. J h . durch ägyptische Inschriften von Ramses II. in der Form irdn bezeugt; daß es damals in Palästina keine Iranier gab, da diese erst viel später nach Vorderasien kamen, bedarf keines erneuten Nachweises (vgl. dazu zuletzt H. SCHMÖKELS Buch »Die ersten Arier im Alten Orient«). Die Namen des kretischen wie des elischen Jardanos kennt schon Homer; eine iranische Besiedelung Kretas und der Peloponnes in vorhomerischer Zeit wird entgegen den Ergebnissen der Bodenforschung aber wohl niemand auf Grund des einen Flußnamens annehmen. In Gallien schließlich wäre ein iranischer Flußname noch weit unverständlicher. Mit der iranischen Herkunft des Namens Jordan ist es also nichts. Von den früheren Ableitungen des Namens aus dem Semitischen gilt das gleiche: Rein philologisch mag eine Erklärung wie »Fluß von Dan« durchaus tragbar erscheinen, historisch ist sie es wegen des Vorkommens des gleichen Flußnamens in von Semiten nie besiedelten Gebieten nicht. Wir bleiben aber mit den Ergebnissen der Vorgeschichtsforschung durchaus in Einklang, wenn wir in all diesen Flußnamen mit H. W I N C K L E R , Altor. Forsch. I 423, J . H E M P E L P J B 1927, 64 und anderen eine altmediterrane Bezeichnung sehen, die sich aus der indogermanischen bzw. semitischen Besiedelung weit voraufliegenden Zeiten erhalten hat. Über einige Sagen im Zusammenhang mit diesen Flüssen handelt E . H O M M E L in J S O R X I (1927) S. 169ff., der auch noch weitere, z. T. der Nachprüfung bedürftige Zeugnisse verzeichnet (u. a. auch für den mythischen Flußnamen Eridanos, der vielleicht ebenfalls hierhergehört).

A k k a d i s c h ta'ü u n d h e b r ä i s c h tä' als R a u m b e z e i c h n u n g e n

Die letzten Kapitel des Buches des Propheten Hesekiel von Kap. 40 an sind großenteils einer sehr eingehenden und durch zahlreiche Maßangaben erläuterten Beschreibung des künftigen Jerusalem und seines Tempels in der Gestalt, wie sie der Prophet vor seinem geistigen Auge schaute, gewidmet. Diese Beschreibung ist für uns nicht zuletzt deswegen noch in verschiedenen Punkten unklar, weil in ihr mehrere noch nicht ganz sicher gedeutete Bauausdrücke begegnen. Zu diesen nicht einheitlich gedeuteten Ausdrücken gehört auch das in Kap. 40 oft erwähnte (V. 7. 10. 12 f. 16. 21. 29. 33.36) Xri, das von den mir bekannten Wörterbüchern durchweg als „Gemach, Kammer" übersetzt wird, von den Exegeten Hesekiels aber, wenn ich recht sehe, ebenso regelmäßig mit „Nische". Die Lexikographen stützen sich dabei auf die Etymologie; denn jüd.-aram. NW sowie jüd.-aram. und syr. NJ1FI bedeuten „Kammer" (vgl. die Wörterbücher). A!s wahrscheinliche akkadische Entsprechung dieser Wörter führt H. Z I M M E R N , Akkadische Fremdwörter S. 32, tu'u an, das er mit „Gemach" übersetzt. Diese Etymologie ist aber unrichtig. Denn tu u/du u ist ein Lehnwort aus sum. d u 0 „Hügel" ( = akk. tillu) und bezeichnet kultische Postamente verschiedener Art (daher oft in Parallele mit parakku), aber keine Räume, wie es z. B. St. L A N G D O N in VAB IV 326 auch schon richtig erkannt hat. Die wirkliche akkadische Entsprechung von SR hingegen ist ta'ü, ein Wort, das bisher noch in keinem Wörterbuch oder Glossar verzeichnet wurde, weil seine Belegstellen falsch gelesen oder gedeutet wurden. Wir müssen uns daher zunächst einmal mit diesem Wort ta'ü beschäftigen. ta'ü begegnet schon in einer altakkadischen Inschrift des Königs Rimus von Akkad (etwa 2294—2285), die uns durch die große Sammeltafel UM V 34 + X-V 41 und das Bruchstück RA VIII139 überliefert ist. Hier sagt der König (UM V 34 XXVII17 ff. =

RA VIII 139 Rs. 1 ff.): tä-is i-li süm-su u-sa-mi-id1) „in die (bzw. der) 'Kammer' der Götter ließ er seinen Namen ". Beide Tafeln überliefern diese Inschrift zweisprachig; der entsprechende sumerische Satz lautet: n i - d u , d i n g i r - r e - n e k a m e - t e (n) - n i 1 - SID, trägt aber leider zum Verständnis des schwierigen Verbums des Satzes sehr wenig bei 2 ). Sehr bedeutsam ist aber, daß wir dadurch die 1) So ist die Verbalform gegen F. T I H ' R E A U - D A N O I N ' auch in RA VIII a. a. O. zu lesen (vgl. auch AnOr. 27, 109); SL Nr. 314, 29 ist daher zu streichen. 2) Eine Lesung u-sa-mi-it und damit eine Ableitung der Form vom D-Stamm von smt „abpflücken o. ä." (vgl. dazu ZA XVI 162, 16; Math. Cun. Texts S. 82, 20 ff.) kommt wegen der Bedeutung von smt gewiß nicht in Frage. Demnach kann wohl hier nur der S-Stamm von emedu vorliegen, dessen Bedeutung vorläufig noch nicht sicher zu bestimmen ist, da eindeutige Belege aus dem jüngeren Schrifttum fehlen (die von L. W A T K R M A N in RCA IV 58 verzeichneten beruhen auf Falschlesungen) und ü-sa-mi?-id RA 35 PI. VI Nr. 12, 9 (altakk. Leber aus Märi) in unklarem Zusammenhang steht. Ein weiteres Zeugnis für die Entsprechung SID = sümudu würden wir gewinnen, wenn wir das unverständliche su-du-um in der altbab. Zeichenliste UM V 153 V 9 zu su-(mu)-du-um emendieren dürfen. su-(mu)-du-um folgt hier auf na-sa-qü und be-ru-um (! verbessere SL 314, 23 entsprechend) „auswählen". Auf eine ähnliche Bedeutung könnte auch ein weiterer altakkadischer Beleg in dem Brief HSS

X 5 führen, der in Z. 4—8 sagt: se'am su a-na iprim a-si-tu a-na zerim li-sa-mi-id-ma

li-di-in „Das Korn, das ich für die Verpflegung übrig gelassen hatte, möge er zur Saat aussondern (?) und geben"; jedoch würden hier auch andere Ubersetzungen von

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Akkadisch ta'ä und hebräisch ta' als Raumbezeichnungen

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sumerische Entsprechung von ta'ü gewinnen, nämlich n i - d u7. A . DEIMEL verzeichnet in SL 231,196 einige weitere Belegstellen für n i - d u 7 , die, soweit ich sie nachprüfen kann 3 ), in diesem Zusammenhang nichts ausgeben. Schon F. T H U R E A U - D A N O I N hat aber in RA VIII 1401 vermutet, daß n i - d u 7 , dessen richtige Deutung er damals noch nicht finden konnte, nur eine phonetische Variante von n i - d u , (SL 597, 363, < n i g - d u 7 ) sei. Während dieses n i - d u , nun an verschiedenen Stellen, vor allem in den Inschriften Gudeas, als ein akk. simtu „notwendiges Zubehör" entsprechender abstrakter Begriff aufzufassen ist, hat A . DEIMEL a. a. O. schon richtig gesehen, daß es in der von M. I. H U S S E Y in HSS III Nr. 42 veröffentlichten neusumerischen Gebäudebeschreibung ein Bauausdruck sein muß. Denn dieser Text gibt die Maße von Räumen und anderen Gebäudeteilen wahrscheinlich eines Tempels oder eines dazu gehörigen Bauwerkes an. Er führt dabei im Anschluß an zwei „Seitenräume" (e - u s) und vor dem e - s ä , dem „Innenraum"4), zwei n i - d u7 genannte Räume auf, deren zweiter als „zweites n." ( n i - d u , m i n - k a m - m a ) bezeichnet wird. Beide Räume sind je 6 X V/2 Ellen, also etwa IIV2 qm groß, somit recht klein, wie ja auch die übrigen Räume dieses Gebäudes nicht sehr groß sind. Leider ist es vorläufig noch nicht möglich, die Funktion des n i - d u 7 bzw. tau genannten Tempelraumes und seine Lage im Verhältnis zum Allerheiligsten genau zu bestimmen. Daß es kein Nebenraum von geringerer Bedeutung sein kann, ergibt sich nicht nur aus der Aufstellung einer Königsstatue in ihm durch Rimus, sondern auch aus einer von H. ZIMMERN, Istar und Saltu (BSGW 68,1) S. 22 falsch gelesenen Stelle der 1. Tafel des Aguäaja-Liedes (VS X 214). Hier ist in Kol. VI 35 nach der Photographie zu lesen: al-ka-si ta-i-is'-sa „geh fort zu ihrer (der Istar) Kammer!", d. h. Saltu, die als Feindin der IStar geschaffene Göttin der Zwietracht, soll sich bei ihrem Vorstoß zu Istar nicht in den Vorräumen abweisen lassen, sondern Istar in ihren innersten Gemächern aufsuchen. ta'ü wäre danach ein Raum, in dem sich die Gottheit wenigstens zeitweilig auch aufhält. Diesen Raum in den uns erhaltenen Tempelgrundrissen der Zeit um 2000 v. Chr. eindeutig zu bestimmen, ist schon deswegen vorläufig nicht möglich, weil diese Grundrisse trotz ihrer geringen Zahl zeigen, wie verschiedenartig die Tempel li-sa-mi-id einen Sinn ergeben. Rimus erzählt in der oben erwähnten Inschrift die Aufstellung seiner Statue im Tempel; eine Übersetzung „seinen Namen sonderte er aus" würde da in den Zusammenhang nicht sehr gut passen. Merkwürdig ist ja auch, daß dem akk. süm-su dort sumerisch nicht m u - n i , sondern m e - t e ( n ) - n i entspricht, für das man die akk. Ubersetzung simassu (wörtlich) „sein Gehöriges" erwarten würde. Vielleicht sind daher der sumerische und der akkadische Text gar nicht ganz genau sinngleich, sondern nur ungefähr, so daß die beiden Fassungen sich nur beschränkt gegenseitig erläutern würden. Eine zuverlässige Deutung des Satzes dürfte deswegen ohne neue Parallelstellen kaum möglich sein. 3) Die dort zitierte Textausgabe von NIKOLSKI ist mir z. Z. nicht zugänglich. 4) Vgl. die Belege SL Nr. 324,229. Das besonders in hethitischen Texten sehr häufige Ideogramm — für die Lesung tunnakesnas pir vgl. H. EHELOLF in ZA 43, 186 ff. — bezeichnet in Hatti offenbar die Zella der Tempel. Aus sumerischen Texten vgl. noch die mir von A. FALKENSTEIN freundlichst genannten Belegstellen OEC I PI. 42,29 und besonders SRT Nr. 4,9, wonach das e - s ä ein „dunkler Ort" (k i - g i 6 g i 8 - g a) ist, in dem man Tempelschätze aufbewahrt. Diese Tatsache und die Wortbedeutung „Innenraum" legen es nahe, in dem e - s ä in Ubereinstimmung mit dem u. S. 358 zu besprechenden Tempelplan RTC 145 den besonders deutlich auf den Tempelgrundrissen von ESnunna (vgl. z. B. V. CHRISTIAN, Altertumskunde I Taf. 404) hervortretenden Raum zu sehen, der meistens links des Allerheiligsten gelegen und nur durch dieses zugänglich ist. Dieser Raum ist gegen Unberufene noch stärker geschützt als die Zella mit dem Gottesbild selbst und daher der gegebene Aufbewahrungsort für alle Kostbarkeiten. Wie er akkadisch genannt wurde, ist vorläufig noch unbekannt.

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Akkadisch ta'ü und hebräisch ta'als Raumbezeichnungen

dieser Zeit angelegt waren (vgl. etwa die von V. C H R I S T I A N , Altertumskunde I Taf. 401—405 zusammengestellten Tempelpläne). Eine mit keinem dieser Grundrisse übereinstimmende Raumverteilung läßt der vielleicht in die altakkadische Zeit zu datierende beschriftete Tempelgrundriß erkennen, den F. T I I U R E A U - D A N G I N in RTC als Nr. 145 veröffentlicht hat. In diesem kleinen Tempel schließt an einen Vorraum die Vorzella (k i s a 1 , vgl. dazu A. F A L K E N S T E I N , Topographie von Uruk I 21°), die Zella (p a p ab) und erst an diese die — von der Vorzella nicht direkt zugängliche — „Wohnung" (k i - 1 u s) mit der Kultnische an. Hinter der „Wohnung" liegen noch zwei innerste Räume, das e - s ä (vgl. dazu o. S. 357) und ein weiterer, dessen Benennung und Maße infolge Abreibung der Tafel heute nicht mehr erkennbar sind. Wir dürfen wohl wenigstens die Frage aufwerfen, ob das nicht der n i - d u , bzw. ta'ü genannte Raum ist. In der Nachbarschaft der Zella müßten wir diesen Raum ja auch abgesehen von diesem alten Plan suchen. Wenn wir das e - s ä in Anm. 4 sachlich richtig bestimmt haben, dürfte der in verschiedenen Tempelgrundrissen nachweisbare Raum rechts der Zella, der von der Vorzella aus zugänglich ist, am ehesten als ta'ü anzusprechen sein (vgl. Taf. 17 A). Doch bleibt das unsicher, solange nicht alle überlieferten Ausdrücke für Tempelräume zusammengestellt und untersucht sind. Es gibt aber einen ta'ü genannten Raum auch außerhalb von Tempeln in Privathäusem, wie wir aus Omina der Serie summa älu entnehmen können. Bei Boissn:i:, Doc. ass. 2, 22 und in dem Duplikat dazu KAR 376 Rs. 21 findet sich nämlich folgendes Omen: summa kulbäbü-') ina blt ameli ina ta-foe-e innatnrfimes „Wenn Ameisen im Hause eines Menschen im gesehen werden". F . N Ö T S C H E R hat in seiner Bearbeitung des Textes in Orientalia 39/42, 232 schon richtig auf die Parallelstelle CT XL 15 ff., 11 und 56 hingewiesen, an der das Wort pseudoideographisch etwas anders geschrieben wird: summa katarru pesü (56: sämu) ina blt DA-IJI-A (56: DA-liA-A) it-tab-si „Wenn ein weißlicher bzw. rötlicher Schwamm im -Haus entsteht". Die Schreibung des Wortes mit ¡} statt ' hier geht gewiß auf altbabylonische Texte zurück, die das Alef ja oft mit den ¿-haltigen Zeichen schreiben (vgl. AnOr. 27, 7 f.). Während aber auf Grund der Schreibungen aus alter Zeit die Form des Wortes bedenkenlos in Ubereinstimmung mit der hebr. Form als tau angesetzt werden könnte, weisen diese jüngeren Schreibungen auf die Aussprache ta'ü (mit langem Schlußvoka ). In Anbetracht der Seltenheit des Wortes bleibt natürlich die Möglichkeit, daß die Schreiber der späteren Zeit ältere, hinsichtlich der Vokalqualitäten nicht eindeutige Schreibungen mißdeutet haben, so daß als älteste Form vielleicht doch, wie nach dem Hebräischen und Aramäischen zu erwarten, taum anzusetzen wäre; solange eine solche Annahme aber nicht aus der akkadischen Überlieferung selbst heraus gestützt werden kann, ist es methodisch sauberer, ihr keinen Raum zu geben. Während der ta'ü nun in den zuerst zitierten Ameisenomina zwischen dem Speicher (naspaku) und verschiedenen Gefäßarten genannt ist, was auf einen Vorratsraum im Hause deuten würde, folgt in den Schwamm-Omina die Zella (papä/iti) auf das ta'ü; nach dem ganzen Zusammenhang dürfte die „Zella" hier eine Art Hauskapelle sein und nicht ein Tempelraum, so daß ta'ü auch hier ein Raum in einem Privathaus sein wird. Schließlich gehört in diesen Zusammenhang vielleicht auch noch das nicht ganz klare Omen CT 38, 12, 65: summa bltu hähüni'n^-sü ana ta-l}i-ni pelüm««„Wenn in einem Hause die Türen nach geöffnet sind". In den diesem vorangehenden Omina ist das Offnen der Türen nach den verschiedenen Himmelsrichtungen behandelt, denen in Z. 64 ina püti-sü folgt. Sollte ana ta-fa-ni hier „nach innen" bedeuten? ta-lii-ni würde dann wohl auf einen alten Lokativ-Adverbialis "ta'iänum zurückgehen. Mit unserem 5) Für die Lesung kulbabu statt des bisher üblichen zirbabu MVAeG 44, 2545 (nach H. S . S C H U S T E R ) .

vgl. J.

STAMM

in

[359]

Akkadisch ta'ü und hebräisch ta'als Raumbezeichnungen

15

ia'ültaftü schwer in Zusammenhang zu bringen ist hingegen das Omen „Wenn ein Falke (surdü) und" ta-lje-e ameli ittallakak (CT X L 4 0 , 4 8 , 2 ) bzw. id-di-ma illikik (ebd. 12) bzw. Uliklk (ebd. 16), da ta-be-e hier ein präpositionaler Ausdruck sein muß. F . NÜTSCHER meint in Orient. 51/54, 182, ta-fye-e könnte hier den Sinn von „neben" haben, doch ist das ganz unsicher. Hier ein ganz anderes Wort ta[iü anzutaühatyü setzen, ist freilich deswegen nicht unbedenklich, weil schon ein von unserem sicher ganz zu trennendes ta/jü mit der Bedeutung „Kind, Junges" (vgl. dazu J. STAMM MVAeG 4 4 , 3 8 und B E X I V 99, 48) bekannt ist und ein drittes Homonym daher wenig wahrscheinlich ist. Weitere Belege für das ta-(je-e der Falkenomina bleiben abzuwarten, ehe eine Entscheidung über dessen Herkunft und Bedeutung getroffen werden kann. Zusammenfassend können wir sagen, daß ta'ü, das bisher nur in literarischen Texten nachweisbar ist, ein innerer Raum des Tempels und des Hauses ist, dessen Funktion vorläufig noch nicht näher bestimmbar ist. Dieses Ergebnis spricht also dafür, daß die hebräischen Wörterbücher für Nfl richtig „Kammer" als Grundbedeutung angesetzt haben. Gegen eine an sich denkbare Entlehnung des hebräischen Wortes aus dem Akkadischen spricht aber nicht nur die nach den obigen Feststellungen wahrscheinlich etwas abweichende Lautgestalt des akkadischen Wortes, sondern auch die nicht ganz gleichartige Verwendung von Hfl. Dieses scheint nämlich in erster Linie ein Wachraum zu sein. Nach 1. Kön. 14, 28 (parallel 2. Chr. 1 2 , 1 1 ) werden die von Rehabeam gestifteten ehemen Schilde des Tempels von den Leibwächtern im KU des Palastes aufbewahrt. Daß damit die neben dem Eingang gelegene Wachstube des Wachhabenden gemeint ist, wird allerdings dadurch unwahrscheinlich, daß man für die Aufbewahrung wertvoller heiliger Gegenstände gewiß einen besonders sichcicn und möglichst wenigen zugänglichen Raum gewählt hat, vermutlich also den weiter im Inneren des Palastes gelegenen Raum des Kommandanten der Leibwache. Die L X X vermeidet in 1. Kön. 14, 28 ebenso wie in Hes. 4 0 " ) eine Übersetzung des Wortes, indem sie einfach den hebräischen Ausdruck in der Form ifts übernimmt; vermutlich fanden die Ubersetzer kein wirklich passendes griechisches Wort dafür. Bei Hesekiel flankieren die Xfl genannten Räume zu je dreien die in gewaltigen Dimensionen gedachten Tordurchgänge zum Tempel. Die Grundfläche jedes dieser Räume ist mit 6 x 6 Ellen = 9 qm der der beiden n i - d u ; der o. S. 357 besprochenen sumerischen Tempe'beschreibung fast gleich. Daß diese Räume nach den Tordurchgängen zu offen gedacht waren, zeigt die Tatsache, daß in Vers 13 die gesamte lichte Weite des Tores von Nischenwand zu Nischenwand als 25 Ellen gerechnet wird; diese 2 5 Ellen setzen sich aus den je 6 Ellen Nischentiefe und der in V. 11 mit 13 Ellen angegebenen Breite des Tordurchganges zusammen"). Nicht eindeutig zu interpretieren 6) In 2. Chron. 12, 11 weicht der griechische Text vom hebräischen ab. 7) K. GALLINGS auf umfassender Kenntnis des damals verfügbaren Vergleichsmaterials beruhende Erklärung und zeichnerische Erläuterung von Hesekiels Tempelvision in A. BERTHOLETS Hesekielerklärung im „Handbuch zum Alten Testament I 13 (1937)" S. 135 ff. bedarf in Abschnit 1 b ß in einigen wenigen Punkten der Berichtigung. Die 25 Ellen Breite des Tores nach V. 13 sind kein Außenmaß, das in diesem Zusammenhang ja auch ohne Interesse wäre, sondern das lichte Innenmaß. Durch seine falsche Deutung der 25 Ellen Breite wurde G. gezwungen, trotz der eindeutigen Angabe von V. 11, daß alle Nischen einerlei Maß halsen, für das vordere Nischenpaar eine geringere Tiefe von je nur 4'/2 Ellen anzunehmen. Wenn wir in den 25 Ellen das Maß der lichten Weite erkennen, können wir uns genau an die Angaben des Textes, daß j e d e Nische 6 Ellen tief sei, halten. F ü r die Breite des Tordurchganges zwischen den Pfeilern gibt der Text in V. 11 das Maß von 13 Ellen, also wie zu erwarten die Differenz zwischen 25 und 2 x 6 . Neben diesem Maß von 13 Ellen gibt

16

A k k a d i s c h ta'ü u n d h e b r ä i s c h ta' als R a u m b e z e i c h n u n g e n

[360]

ist hingegen die weitere Aussage in V. 12, daß sich „vor" jedem Sil auf beiden Seiten ein von je einer Elle befinde; da die doppelte Übersetzung „Grenze" und „Gebiet, Bezirk" zuläßt, besteht für die bauliche Ausdeutung dieser auch sonst weder im hebräischen noch im griechischen Text ganz deutlich formulierten Angabe ein recht weiter Spielraum. Wenn wir uns aber erinnern, daß sowohl akkad. ta'ü wie aram. KID und IMID einen kammerartigen Raum bezeichnen, werden wir eine Ausdeutung von Vaa

in V. 12 bevorzugen, die geeignet ist, die Bezeichnung der Nischen als „ R ä u m e " verständlich zu machen. Unter den bisher geäußerten Vorschlägen zur architektonischen Deutung von V. 12 scheint mir dazu am besten der zu passen, der in der „Grenze" ein von den Pfeilern je eine Elle in den Nischenraum vorspringendes Gitter oder einen Holzverschlag sieht. Damit wäre die vierte Wand des Raumes wenigstens in Stümpfen angedeutet und außerdem der Torwache, für die diese Nischen doch wohl Aufenthaltsräume sein sollten, etwas Deckung gegeben"). Toranlagen von der in Kap. 40 geschilderten Art kann der Prophet im Exil in Babylonien nicht kennen gelernt haben, wenn uns die bisherigen Grabungsergebnisse (vor allem in Babylon) ein zutreffendes Bild von den dort üblichen Toranlagen vermittelt haben. Wohl aber gab es Tore dieser Art in Syrien und Palästina. Einige der durch Ausgrabungen festgestellten Torgrundrisse stellt K. GALLING in seinem „Biblischen Reallexikon" Sp. 523 f. zusammen. Statt der drei Nischenpaare in Hesekiels Vision weisen sie in der Regel nur zwei auf, die meist ziemlich flach sind und nur in Karkemisch etwa doppelt so tief wie breit. Hinter den Nischen liegen aber manchmal (besonders deutlich in Beth-Pelet) noch weitere geschlossene Räume, die dann gewiß als die Unterkunftsräume der Wachen und vielleicht auch als Gefangenenzellen aufzufassen sind. Unter den bisher aufgefundenen Torgrundrissen den von Hesekiel geschauten Toren am ähnlichsten ist ein in Megiddo (Teil el-Mutesellim) freigelegtes Tor aus dem 10. Jahrhundert, das drei Nischenpaare von je 5 m Tiefe und knapp 3 m Breite der V. 11 für die „ T o r ö f f n u n g " ( i V ^ H T i r i S ) das wesentlich geringere Maß von nur 10 Ellen. G. hat richtig gesehen, daß die 3 Ellen Unterschied zwischen „Tor"- und „Toröffnungs"-Maß durch die Breite der Aufhängevorrichtung der gewiß sehr schweren Torflügel mit den Türangelsteinen verursacht sind, hat aber in der Rekonstruktion trotzdem die beiden Maßangaben nicht richtig in Ansatz gebracht. Der Tordurchgang von Pfeiler zu Pfeiler ist 13 Ellen breit. Die Aufhängevorrichtung der Torflügel an den vordersten Pfeilern ragt aber auf jeder Seite IV2 Ellen in den Tordurchgang hinein, so daß die geöffneten Torflügel nur eine 10 Ellen breite „Öffnung" ( n n s ) lassen; bei dem von G. als Parallele angeführten assyrischen Tor von Balawat entsprechen einer Tordurchgangsbreite von 3,70 m 2,70 m Öffnungsbreite, was bei erheblich geringeren Gesamtausmaßen etwa das gleiche Zahlenverhältnis ergibt wie die lichten Maße 13 und 10 Ellen bei Hesekiel. G.s Rekonstruktionszeichnung auf S. 137 müßte also entsprechend unseren Feststellungen geändert werden, um den Maßangaben des Textes voll gerecht zu werden; die geöffneten Torflügel würden dann auch nicht wie in der Zeichnung die erste Nischengruppe ganz vom Tordurchgang abschließen. 8) Vgl. hierzu K. GALLING a. a. O. S. 138, der diese Deutung erwähnt, sie sich aber nicht zu eigen macht. Seine Deutung von als „abgesperrtes Gebiet" und der Maßangabe 1 Elle als Höhe des Nischenfußbodens über dem Pflaster wird allerdings m. E. durch die Formulierung des Textes vor allem in der griechischen Fassung (xctl nfi%vs

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ausgeschlossen.

Darüber, ob der Fußboden der Nischen gegenüber dem Pflaster des Tordurchganges erhöht gedacht war (wie im Tor von Karkemisch) oder nicht, sagt der Text nichts aus, da es dem Propheten nur auf die für den Gesamteindruck der Anlage wesentlichen Maßangaben ankam und nicht auf eine erschöpfende Baubeschreibung.

[361]

A k k a d i s c h ta'ü u n d h e b r ä i s c h ta'als

Raumbezeichnungen

17

aufweist, aber keine geschlossenen Räume hinter den Nischen (vgl. Taf. 17 B) 9 ). Zu geschlossenen Räumen ausgestaltet sind die Nischen aber in einer Toranlage aus dem 7. Jahrhundert, die in Teil Beit Mirsim freigelegt wurde 10 ). Es gab also Tore mit Tornischen und solche mit Torkammern sowie auch solche, die Nischen und dahinter Kammern hatten. Bei den Toranlagen nur mit Nischen ist es natürlich möglich, daß einige von ihnen mit Verschlägen aus vergänglichem Material zum Schutz der Wachposten anstelle der vierten Nischenwand ausgestattet waren, wie sie Hesekiel nach Kap. 4 0 , 1 2 anscheinend vorschwebten (s. o.). Die architektonischen Begriffe „Nische" und „Kammer", die gegeneinander abzugrenzen sonst doch gar keine Schwierigkeit macht, sind im Sonderfall der hier besprochenen flankierenden Torräume also Ausdrücke für untereinander nur geringfügig verschiedene Raumanlagen: je nach Ausgestaltung sind die Ö'Xfi nischenartige Kammern oder kammerähnliche Nischen. Damit löst sich der Widerspruch zwischen der lexikalischen und der exegetischen Tradition zu Hesekiel, von dem wir hier ausgingen, auf: Hfl ist wohl eine „Kammer", aber nicht eine beliebige wie ~ n n ; es ist auch eine „Nische", aber nicht im üblichen Sinne als architektonische Schmuckform. Ein den Begriff NU genau deckendes Wort steht uns zur deutschen Wiedergabe ebenso wenig zur Verfügung wie den griechischen Ubersetzern, die mit gutem Grund einer eigentlichen Ubersetzung durch die Übernahme des Wortes als &ee aus dem Wege gingen. In der Bibelübersetzung können wir also ruhig bei der bisherigen Wiedergabe bleiben; im Wörterbuch sollte aber künftig der Begriff KU etwas genauer umschrieben werden, auch wenn wir damit rechnen müssen, daß das Alte Testament uns nicht alle Gebrauchsweisen dieses Wortes überliefert hat. Zusatz vom 16. 5.1950. Als der vorstehende Artikel bereits seit längerem abgeschlossen und dem Herausgeber eingereicht war, wurde mir vor einigen Tagen BASOR Nr. 1 1 7 ( 1 9 5 0 ) zugänglich, in dem sich auf S. 1 3 — 1 9 ein Artikel von C A R L GORDON H O W I E „The east gate of Ezekiel's temple enclosure and the Solomonic gateway of Megiddo" findet. Howi1: versucht ebenfalls, unter Vergleichung des in Megiddo ausgegrabenen Tores zu einer besseren Rekonstruktion des Hesekiel in seiner Vision gezeigten Tempeltores ^u kommen, wobei er einige Angaben, insbesondere V. 11, anders deutet als hier geschehen, loh glaube allerdings nach Prüfung seiner gründlichen Studie, daß meine Auffassung dem Text und den architektonischen Gegebenheiten doch besser gerecht wird, und habe daher meinen Artikel unverändert gelassen. Auch H O W I E faßt wie G A L L I N G die 25 Ellen nach V. 13 als Außenmaß und ist dadurch gezwungen, dem Propheten eine architektonisch unzureichende Vorstellung von seinem Tor zu unterstellen (S. 17 f.), da er selbst erkennt, daß eine nach seiner Rechnung sich ergebende Mauerstärke von nur IV2 Ellen für ein solches Bauwerk eine Unmöglichkeit ist. Bei meiner Deutung der Maßangaben ist eine solche unbefriedigende Annahme unnötig. 9) Ich verdanke die Vorlage dieser Zeichnung nach fig. 105 auf S. 48 des II. Bandes der endgültigen Veröffentlichung der Megiddograbung durch G. L O U D (OIP 6 2 ) der Liebenswürdigkeit von W. F . A L B R I G H T ; mir selbst ist diese Veröffentlichung unzugänglich geblieben. A L B R I G H T verweist ferner auf seine Besprechung dieser Anlage im 3. Band seiner Veröffentlichung der Grabung auf dem Teil Beit Mirsim in AASOR X X I / X X I I S. 1 5 — 1 9 und auf ein von N E L S O N G L U E C K , The Other Side of the Jordan S. 1 0 0 — 1 0 4 beschriebenes Tor, das, in Teil el-Kheleifeh ausgegraben wurde (auch diese Werke konnte ich nicht selbst einsehen). Ich möchte ihm für seine freundlichen Hinweise auch an dieser Stelle sehr herzlich danken. 10) Vgl. W. F. A L B R I G H T , Teil Beit Mirsim III PI. 8 nach freundlicher brieflicher Mitteilung des Verfassers (s. auch Anm. 9).

18

A k k a d i s c h ta'u und hebräisch ta'als

pa-pah

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Raumbezeichnungen

kisal

i

I

A. Tempelgrundriß R T C Nr. 145



0 1

5 I

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10 I

15 I

20

B. Toranlage von Megiddo

I

[Tafel 17]

Verkündigung des Gotteswillens durch prophetisches Wort in den altbabylonischen Briefen aus Mari

Den Willen der Gottheit zu erforschen, um dadurch vor Fehlschlägen im eigenen Tun bewahrt zu bleiben, ist ein Anliegen jeder Religion. Dieses Anliegen zu befriedigen, gibt es sehr verschiedene Wege auch im alten Orient. Der wichtigste Weg in Babylonien ist zweifellos die Beobachtung der Vorzeichen. Unter den unendlich vielen Vorzeichen, die zu beobachten möglich war, spielten in der altbabylonischen Zeit, d. h. in den Jahrhunderten, in deren Mittelpunkt der große Gesetzgeber H a m m u r a b i (1728—1686) 1 stand, die aus der Opferschau abgelesenen vor allem für das öffentliche Leben nach Ausweis der Briefe und der Omentexte die bei weitem überragende Rolle. Ihr gegenüber trat insbesondere die später so ausgiebig betriebene Astrologie noch ganz zurück, vermutlich weil der damalige Stand der Himmelskunde die Beobachtung der Sterne mit der erforderlichen Genauigkeit noch nicht zuließ. Die der Opferschau entnommenen Vorzeichen sind nun im Gegensatz zu vielen anderen künstlich herbeigeführte, d. h. ein Gott kann seinen Willen durch das Aussehen und Verhalten der Opfertiere während des Opfers und besonders nach der Schlachtung nur kundtun, wenn eine Opferschau vom Menschen, in der Regel mit einer ganz bestimmten Fragestellung, veranstaltet wird. Verzichtet der Mensch 1

Die neuesten Versuche, das Cornelius-Albrightsche Hammurabidatum entweder noch weiter zu drücken (so K. Schubert nach E. F. Weidner in W Z K M 51 (1948, S. 21 ff.) oder heraufzusetzen (so S. Smith auch in seinem neuen Buch über die Inschrift des Idrimi), haben mich nicht überzeugt, so daß ich diesen Ansatz auch heute noch festhalte, ohne dies hier erneut begründen zu können.

20

[321]

Verkündigung in den Briefen aus Märi

darauf, den G o t t auf diese Weise zu befragen, kann es für den G o t t schwer sein, seinen Willen den Menschen rechtzeitig

kundzutun.

Hören wir doch von einer unmittelbaren Befehlsübermittlung etwa durch Träume in Babylonien nicht allzu oft. In dem Babylonien nordwestlich benachbarten Königreich von Märi (vgl. dazu W O I 187 ff.) stand die Opferschau, wie wir aus dem großen Briefarchiv wissen, gleichfalls in hoher Blüte

und

wurde bei jeder irgendwie wichtig erscheinenden Gelegenheit durchgeführt. Einige Briefe aber, die meist erst nach Abschluß meines früheren Artikels bekannt geworden sind, zeigen uns, daß die G ö t ter von Märi auch Wege kannten und ausnutzten, ihren Willen dem König ungefragt kundzutun. In den Fällen, die uns aus der Zeit Hammurabis überliefert sind, taten sie das nun nicht direkt, sondern durch Entsendung eines inspirierten Menschen zum König oder seinen Vertretern, so wie J a h w e zu den Königen Israels und Judas und allen Menschen durch seine Propheten sprach. D a m i t erhebt sich die Frage, ob zwischen der inspirierten Verkündigung des göttlichen Willens in Märi und dem israelitischen Prophetentum irgendein Zusammenhang besteht. Eine Beantwortung dieser bei der Bedeutung der Propheten des Alten Bundes gewiß nicht belanglosen Frage können wir erst versuchen, wenn wir das bisher leider wenig umfangreiche Quellenmaterial aus Märi vorgeführt und gedeutet haben. Es handelt sich dabei um vier Briefe, von denen zwei leider schlecht erhalten sind. Die in diesem Zusammenhang wesentlichen Teile dieser Briefe seien zunächst in Umschrift und Ubersetzung gegeben, um jedem eine unbefangene

Urteils-

bildung zu ermöglichen. 1) Brief des Itür-asdu an König Zimrilim von Märi (etwa 1716 bis 1695), veröffentlicht und bearbeitet von G . Dossin, in: R A 42 ( 1 9 4 9 ) , S. 1 2 5 — 1 3 4 . A-na

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21

Verkündigung in den Briefen aus Märi

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*Zu meinem Herrn sprich: 3 S o sagt dein Diener Itür-asdu: 5 An dem Tage, an dem ich diesen meinen Brief an meinen Herrn abschickte, 7 k a m M a l i k - D a g a n , ein Mann aus S a k k a , zu mir und berichtete mir folgendermaßen: 9 „ I n meinem T r a u m wollte ich und ein Mann mit mir vom Distrikt von S a g a r ä t u m u i m oberen Bezirk nach Märi gehen. 1 3 In meinem Gesicht ging ich nach T e r q a hinein und trat gleich nach meinem Hineinkommen in den Tempel des D a g a n ein und warf mich vor D a g a n 1 5 nieder. Während ich auf den Knien lag, öffnete D a g a n seinen Mund und sprach folgendes zu mir: 1 7 'Haben die Schechs ( „ K ö n i g e " ) der Benjaminiten und ihre Leute 1 9 mit den Leuten des Zimrilim, die heraufkamen, " F r i e d e n geschlossen?' Ich sagte: 'Sie haben keinen Frieden gechlossen'. 2 3 Als ich im Begriff war, hinauszugehen, sagte er (noch) folgendes zu mir: 'Warum halten sich die Abgesandten 2 5 des Zimrilim nicht ständig vor mir auf, 2 7 und warum erstattet er nicht vollständig (über alles) vor mir Bericht? 29 Ich hätte doch sonst schon seit vielen Tagen die Schechs der Benjaminiten 3 1 in die H a n d des Zimrilim gegeben! J e t z t geh! Ich habe dich geschickt, 3 3 zu Zimrilim wirst du folgendermaßen sprechen: Schicke deine Abgesandten zu mir 3 5 und erstatte mir vollständigen Bericht! 3 7 D a n n will ich auch die 2

So ist hier etwas abweichend von G . Dossin zu lesen.

22

V e r k ü n d i g u n g in den Briefen aus Mari

[323]

Schechs der Benjaminiten in einem Fischerfangkorb zappeln lassen und 39 vor dir hinstellen!'" Dieses sah jener Mann in seinem Traum 41 und sagte es mir. Jetzt nun habe ich an meinen Herrn geschrieben. 43 Mein Herr möge die Angelegenheit dieses Traumes nachprüfen! 45 Außerdem möge mein Herr, wenn es ihm beliebt, seinen vollständigen Bericht 47 vor Dagan erstatten. Auch mögen die Abgesandten meines Herrn 49 ständig zu Dagan hin (auf dem Wege) sein! Der Mann, der mir diesen Traum 51 erzählte, wird ein Tieropfer vor Dagan darbringen, deshalb habe ich ihn nicht geschickt. 5 3 Und weil dieser Mann geringer Herkunft ist, nahm ich sein Haar und seinen Gewandsaum nicht 3 . 2) Brief des P r ä f e k t e n von T e r q a K i b r i - D a g a n an Zimrilim, im Keilschrifttext veröffentlicht in T C L X X I V N r . 40, bearbeitet als A R M 3, N r . 40. 1[a-n]a

be-li-ia 2qi-bi-ma 3um-ma Ki-ib-ri-^Da-gan *warad-ka-a-ma ü aIk-ru-ub-il [sa-]al-mu 6a-lum Ter-qakl ü }}a-al-sü sa-lim 7sa-ni-tam u4-um tup-pi an-ne-e-em ea-na se-er be-li-ia ü-'sa-bi-lam 9'"muna-wa-tam u(p-^u-um sa ADa-gan 10il-li-[k]am-ma ki-a-am iq-be-e[-em] uum-ma-a-mi nilum*um is-pu-ra-an-ni uf?u-mu-ut a-na sarrim lssu-pu11 sa Ia-a}?-du-un-li[-im] i9li-ikur-ma 16ki-is-pi a-na i-te4-em-m[i-im] i9 20 ru-bu an-ni-tam ^mii-ulj-fyu-Hm su-ü iq-be-e-em-ma a-na be-li-ia 21as22 23 ta-ap-ra-am be-li sa e-li-su ta-ba-at li-ptt-üs 5''Da-gan

'Zu meinem Herrn sprich: 3 So sagt dein Diener Kibri-Dagan: 5 Dagan und Ikrub-el sind wohlbehalten; die Stadt Terqa und der Bezirk ist wohlbehalten. 'Ferner: Am Tage, an dem ich diesen meinen Brief an meinen Herrn abschickte, 9 kam der mufehüm-Priester des Dagan zu mir und u sagte mir ein Wort in folgender Weise: 13 'Der Gott hat mich geschickt. Eile, dem König 15schreibe, daß man Totenopfer dem Totengeist 17 des Jaljdullim zelebrieren 4 möge!' 10 Dieses hat jener muhhiim mir gesagt, und ich habe es nun meinem Herrn "geschrieben. Mein Herr möge, was ihm gut scheint, 23 tun! 3) A u s einem Briefbruchstück des K i b r i - D a g a n an Zimrilim, im Keilschrifttext veröffentlicht in T C L X X I V N r . 78, bearbeitet als A R M 3, N r . 78. Haar und Gewandsaum sollen den Mann den Dämonen ausliefern, wenn er das Gesicht nur erfunden hat. 4 Oder ist Z. 18 zu li-ik-si\-pu „sie mögen Totenopfer darbringen" zu emendieren? 3

[324]

23

V e r k ü n d i g u n g in den Briefen aus Mari

10[sa-ni-tam]

as-sum a-bu-ul-lim edistim n[e-pe-si-]im i-na pa-ni-tim 12[... 14[. . ..] .] lnmu-uf}-}}u-ü-um ii[iq-be-e-e]m-ma -rum? 15[....] -ma 16[«f> as-sum 18[i-na-an-na a-bu-]ul-lim sa-a-ti 17[dan-na-tim is-ku]-un 20[u'm«-«]&ux-u]m tup-pi an-ne-e-em 19 [a-na se-]er be-li-ia ü-sa-bi-lam 21 22 ¡pu-ü-um su-ü i-tu-ra-am-ma [.. . .]? iq-be-e-em [« da]n-na-tim is-kuna-am um-ma-a-mi 23[i-na-an-na] a-bu-ul-lam sa-a-ti 2l[mi-im-ma ü-]ul 2i[ma?-ti? 26[mi-im-ma te-ep-pe-sa d]u-ul-lum is-sa-ak-ka-an ii-]ul kalnmu-u}}-hu-ü-um as-da-tu-nu 21[an-m]-tam su-ü 2S[iq-]be-e-em ii a-na 29[pu-u]l-lu-sa-ku e-bu-ri-[i]m sü-lpn-ur ™[ki?-sa?]-di-ia ü-ul e-le-[i] 32 ^[ast-siif-urt-ri?} be-li i-qa-ab-bi [um-ma-a-mi lu?-ul?-]li-kam-ma (Rest abgebrochen, sicher nur wenige Zeilen) 10[Ferner:] 12[

Wegen ]

der

des

[Baus]

eines neuen Stadttores zu mir

mufphum-'Prlester

hatte

[gesprochen]

und

früher (zwei

Zeilen fehlen) 16 [Auch? redete er wegen] jenes [Stadt]tores [sehr e n e r gisch. 1 8 [Jetzt am Tage], an dem ich diesen meinen Brief [an] meinen H e r r n abgesandt habe, 2 0 kam jener mu}?hum zurück und sagte mir [

]

22

[auch]

redete er zu mir sehr energisch mit

W o r t e n : W o l l t ihr [ j e t z t ] jenes S t a d t t o r [Wann]

wird die Arbeit getan werden?

[Dies]es sagte mir jener muhfpüm, [be]sorgt: Ich kann meinen daß]

2 4 [denn

2 8 und

[Nack]en

mein H e r r sagen w i r d :

28[Nichts]

habt ihr

erreicht!'

idh bin (nun) um die

3 0 nicht

['Idi will}]

folgenden

überhaupt] nicht bauen?

umwenden!

kommen

[Ich

und

Ernte fürchte, (Text

bricht ab).

4) Aus einem Briefbruchstück des Kibri-Dagan an Zimrilim, im Keilschrifttext veröffentlicht in T C L X X I I I N r . 90, bearbeitet als A R M 2, N r . 90. Der Anfang, soweit erhalten, handelt von anderen Dingen; nach einer Textlücke heißt es dann: 17sa dDa-gan

18um-ma-a-mi a-wa[-tam iq-be-e-em] as-sum niqim 19e20a-na 21warjjam pe-si-im aDa-gan is-pu-[ra-an-ni] be-lt-ka su-pu-ur-ma 23mi-im-ma e-ri-ba-am i-na UD-XIV-KAM 22riiq pa-ag-ra-i$ li-in-ne-pi-is 25i-na-an-na niqam se-tu la ü-se-te-qü 2ian-ni-tam awilum su-ü iq-be-e-em 2i 21mu-us-taa-nu-um-ma a-na be-li-ia as-ta-ap-ra-am be-li a-na ki-ma 28 lu-ti-su sa e-li-su tä-ba-at li-pu-us 5

O b die Lesung pa-ag-ra-i

korrekt ist oder nicht vielmehr

pa-ag-ra-

tim\ zu lesen ist? Letzteres wäre Plural zu der in Mari ö f t e r bezeugten Benennung für Schlachtopfer pagrum

(s. auch N r . 1, 51), die wegen der

Wortbedeutung „Leib, Leiche" vielleicht ein G a n z o p f e r eines schon vorweg geschlachteten Tieres bezeichnet {s. jetzt A H w . S. 809 a zu

pagrä^um).

24

[325]

Verkündigung in den Briefen aus Märi 16

[

der

folgender

Weise:

[mich] D a g a n :

20

den

ein

Monats

22

'Wegen

] des D a g a n der

Durchführung

[sagte mir ein] des

Wort

Opfer-Kultes

18

in

schickte

S c h r e i b e a n deinen H e r r n , d a ß a m 1 4 . T a g des k o m m e n Tieropfer-Kult

durchgeführt

werden

O p f e r - K u l t soll m a n keinesfalls v o r ü b e r g e h e n l a s s e n ! ' j e n e r M a n n . J e t z t nun h a b e ich a n m e i n e n H e r r n m ö g e seiner W e i s h e i t e n t s p r e c h e n d

28

26

24

soll.

Selbigen

Dieses sagte m i r

geschrieben. Mein H e r r

d a s , w a s i h m gut scheint, t u n !

Was erfahren wir aus diesen Briefen? In ihnen allen wird von einem Mann berichtet, der unaufgefordert zu einem Statthalter oder einem anderen hohen Beamten des Königs Zimrilim kommt, um ihm einen Befehl des Gottes Dagan, dessen Hauptheiligtum sich in der kleinen Stadt Terqa bei Märi befindet, zwecks Weitergabe an den König zu übermitteln. Dieser Mann wird in Nr. 1 nur mit Namen genannt ohne Berufsbezeichnung oder Titel; es heißt am Ende des Briefes nur ausdrücklich, daß es ein geringer Mann (qallum) sei. In Nr. 2 und 3 wird der Mann ein muhhüm des Dagan genannt, und die gleiche Bezeichnung ist vielleicht auch in Nr. 4 am Ende der abgebrochenen Z. 16 zu ergänzen. Das Wort muhhüm ist zweifellos nur eine lautliche Variante zu dem schon lange bekannten Priestertitel mahhüm-, die Schreibung des ersten Vokales als u, die sich außerhalb von Märi m. W. nur noch in einer späteren Wortliste (AfO X I 357 I I I 20) findet, weist auf eine Aussprache mohhüm. Dieser muhhüm hat nach einem Ritual (vgl. G. Dossin, R A 35, 13 2 ) auch im Kult der Ischtar von Märi noch nicht genau bestimmbare Funktionen. In Babylonien gehört der mahhüm und sein weibliches Gegenstück mahhütum (auch mahhltum) zu den ekstatischen Priestern; das mehrfach gebrauchte Bild „wie eine mahhütum" besagt etwa so viel wie „von Sinnen, verrückt" (vgl. jetzt AHw. S. 582 f.). Welche Funktionen der m. in Babylonien und Assyrien versah, läßt sich aus den nicht allzu zahlreichen Textbelegen nur unzureichend erkennen. Altassyrische Briefe sprechen mehrfach von „mein mahhä^um", was J . Lewy in Kültepetexte Hahn S. 21 als „mein Traumdeuter" verstehen möchte. Assarhaddon aber nennt „die Botschaft (nasparti) der Götter und Göttinnen" sipir mahhe „Werk des mahhü" (Prisma Thompson II 6); der m. gilt also auch bei ihm offenbar als Vermittler göttlicher Offenbarungen, wobei wir nur leider nicht erfahren, wie er die Offenbarungen erhielt und wie er

[326]

25

V e r k ü n d i g u n g in den Briefen aus Märi

sie weitergab. A u f G r u n d dieser und einiger ähnlicher Stellen hat schon H . Zimmern in seinem leider nicht in extenso veröffentlichten Leipziger A k a d e m i e v o r t r a g v o m 11. J a n u a r

1930 den

mabhüm

mit den Propheten Israels in Verbindung gebracht. D i e hier behandelten vier M a r i b r i e f e helfen uns nun zu einer etwas bestimmteren Vorstellung von seinem Wesen. Wie der m. zu der U b e r z e u g u n g gekommen ist, v o m G o t t D a g a n die in den Briefen erwähnten A u f t r ä g e erhalten zu haben, erfahren wir aus N r . 2 — 4 nicht. In N r . 1 erscheint D a g a n dem M a n n im T r a u m , so d a ß wir vielleicht auch bei dem m. Traumgesichte unterstellen dürfen. D i e M ä n n e r hören in diesen T r ä u m e n Befehle des Gottes, die sie s o f o r t weitergeben; werden sie wie in N r . 3 nicht gleich befolgt, f ü h l t sich der m. durch seinen G o t t zu einer „energischen" Sprache bevollmächtigt, wie sie sonst nur Vorgesetzten zusteht. D e r Statthalter gibt die Befehle D a g a n s an den K ö n i g nun nicht als Befehle, sondern in höfischen Wendungen als E m p f e h l u n gen weiter. Wie das zu beurteilen ist, läßt sich bei dem geringen M a t e r i a l noch nicht sagen. Vielleicht verbot nur das höfische Zeremoniell unter allen U m s t ä n d e n , dem K ö n i g anders als in unterwürfiger F o r m zu schreiben. E s w ä r e aber auch denkbar, daß die Briefschreiber v o n der Echtheit der ihnen vorgetragenen Gottesoffenbarungen nicht in allen Fällen g a n z überzeugt w a r e n (vgl. N r . 1, 43 f.!) und daher dem K ö n i g die Beurteilung der D a g a n zugeschriebenen

Anweisungen

anheimstellten.

In

Nr. 3

freilich

scheint K i b r i - D a g a n von den energischen Worten des m. ernstlich beeindruckt, da er ausdrücklich sagt, d a ß er sich doch nicht weigern könne, sie anzuhören. D e r unbekannte M a n n , der in N r . 1 z u m E m p f ä n g e r der Befehle D a g a n s wurde, muß nach Weitergabe des Befehls dem D a g a n ein O p f e r bringen, das als D a n k o p f e r , aber auch als reinigendes S ü h n o p f e r gedeutet werden kann. Inhaltlich sind die Befehle D a g a n s v o n verschiedener A r t . In N r . 2 und 4 geht es u m die D u r c h f ü h r u n g v o n K u l t h a n d l u n g e n , genauer v o n O p f e r n , die im ersten Fall dem Totengeist des Vaters des K ö n i g s , dem durch M o r d gefallenen J a h d u l l i m , gelten. In N r . 3 verlangt der G o t t in nachdrücklicher F o r m den B a u eines S t a d t tores; aus welchem G r u n d e er an diesem B a u so interessiert ist, erfahren wir nicht. A m eigenartigsten ist N r . 1, w o D a g a n zunächst

26

V e r k ü n d i g u n g in den Briefen aus Märi

[327]

darüber klagt, über den Verlauf der K ä m p f e mit den Benjaminiten nicht gebührend informiert zu sein. Bedeutet die Frage, ob der Friede geschlossen wurde, wirklich, daß Dagan ohne die Meldungen des Königs nicht Bescheid wußte? Nach dem, was wir vom babylonischen Götterglauben wissen, erscheint eine solche Annahme undenkbar; die großen Götter der Babylonier wissen natürlich, was auf Erden vorgeht. Aber es bleibt immerhin möglich, daß die Kanaanäer von Märi den Gott an sein Kultbild im Tempel von Terqa so gebunden dachten, daß er sich nicht überall selbst informieren konnte und daher der Berichterstattung durch Abgesandte unmittelbar vor seinem Bild bedurfte. Denn die Frage Dagans nach dem Friedensschluß als lediglich rhetorisch zu erklären, fällt auch nicht leicht. Sei dem nun, wie ihm wolle, jedenfalls hat der König durch sein Verhalten dem Gott nicht die schuldige Ehre erwiesen, sondern versucht, aus eigener, menschlicher K r a f t zu handeln. Der Gott hat ihm daher seine Hilfe entziehen müssen, stellt sie aber nun erneut in Aussicht, wenn der König das Versäumte sofort nachholt und künftig seinen Forderungen getreulich nachkommt. Denn er möchte offenbar seinem König gern helfen. Es erhebt sich nun die weitere Frage, warum Dagan seine Befehle dem König nicht unmittelbar gibt, sondern durch einen Dritten, der nach Nr. 1 anscheinend nicht einmal unbedingt priesterliche Funktion haben muß. Der sumerische Stadtfürst Gudea von Lagasch (ca. 2060 v. Chr.) erhält von Ningirsu den Tempelbaubefehl im Traum persönlich, und auch Gilgamesch sieht die hochbedeutsamen Träume im Mythus selbst. Bei dem Assyrer Assurbanipal hingegen erfahren wir von beidem: von Träumen, die er bzw. ein anderer Fürst wie z. B. Gyges von Lydien selbst sah, und solchen, die die Götter Priestern oder Priesterinnen für den König sandten (vgl. M. Jastrow, Religion II 154 ff.). In Märi ist nun bisher nur die mittelbare Offenbarung des Gotteswillens an den König über den muhhüm oder von Fall zu Fall beauftragte Personen bezeugt; ob die unmittelbare wirklich gar nicht vorkam, können wir auf Grund des dürftigen Materials noch nicht entscheiden. Unsere noch ganz unzureichende Kenntnis der im Märi Zimrilims herrschenden Gottesvorstellung macht es außerdem unmöglich, festzustellen, ob für den Gott nach damaligem Glauben grundsätzliche Schwierigkeiten

[328]

V e r k ü n d i g u n g in den Briefen aus Märi

27

bestanden, mit dem König unmittelbar so zu sprechen, wie es mit dem Mann von Nr. 1 geschah. Wir wissen nur, daß auch im Alten Testament Gott zu den Königen sehr oft durch Dritte spricht und daß es in Israel einen besonderen Stand gab, der im besonderen Maße Träger der göttlichen Offenbarungen war, eben die näbV „Prophet" genannten Männer (sehr viel seltener auch Prophetinnen). Damit kommen wir nun auf die eingangs gestellte Frage zurück, ob zwischen der Verkündigung des Willens Dagans, von der wir in den hier besprochenen Briefen aus Märi erfahren, und der israelitischen Prophetie ein Zusammenhang besteht. Eine Parallele besteht zweifellos darin, daß dem Stand des näbV in Märi der Stand des muhhüm entspricht. Die Offenbarungsträger sind in beiden Fällen in der Regel nicht die Kultpriester, denen der Opferdienst obliegt. Die prophetische Verkündigung geschieht in Israel weithin in der Form des sog. Prophetenspruches, also sehr kurzer Einheiten, die ganz knapp das Wesentliche sagen. In Märi haben wir es bisher nur mit solchen kurzen Sprüchen zu tun; von einer prophetischen Predigt erfahren wir nichts. Für eine weitergehende formale Vergleichung der Sprüche ist das Material aus Märi noch zu dürftig, und eben diese Dürftigkeit setzt auch der inhaltlichen Vergleichung Grenzen. Immerhin bleibt an Parallelen zu beachten: 1) Der Gott verlangt auch in Märi die Weitergabe seiner Befehle an den König ohne Rücksicht darauf, ob sie dem König genehm sind. 2) Wie im A T übt auch in Märi der prophetische Spruch Kritik am Verhalten des Königs ohne Rücksicht darauf, daß von der Unzufriedenheit des Gottes mit dem König durch den Spruch auch Untertanen des Königs erfahren. 3) Der Brief Nr. 1 klingt in eine Heilsweissagung aus; sie ist aber bedingt, da Voraussetzung für ihr Eintreten die Erfüllung des Gotteswillens durch den König ist. Wir finden also auch in Märi den Willen des Gottes zu helfen, wenn der Mensch das Seine tut. Auf der anderen Seite sind bei Vergleich der großen Propheten des Alten Bundes die Unterschiede deutlich genug. Die Sprüche in Märi sind prosaisch, ihre Forderungen an den König sehr äußerlicher Art; der König wird weder in seiner inneren H a l tung dem Gott gegenüber noch in seinem ethischen Handeln angesprochen, sondern nur an äußere, meist kultische Verpflichtungen erinnert. Eschatologische Themen werden nicht berührt. Es muß

28

V e r k ü n d i g u n g in den Briefen aus Märi

[329]

hier allerdings wiederholt werden: Unser Wissen um den Inhalt der Sprüche der muhhü ist noch ganz dürftig und lückenhaft, nach dem, was wir über die Religion der Hammurabizeit sonst wissen, erscheint es durchaus möglich, daß sie auch einmal Verstöße des Königs gegen das Recht rügten. Aber das, was uns tatsächlich vorliegt, geht über den Bereich der im AT verurteilten Kultprophetie nicht hinaus. Schon das AT weiß, daß es nicht nur Propheten Jahwes gegeben hat, sondern auch solche des Ba c al und anderer kanaanäischer Götter. Wir können ihm entnehmen, daß das Prophetentum eine Institution war, die auch für die Heranbildung ihres Nachwuchses selbst sorgte. Wenn wir die hier behandelten Briefe aus Märi recht deuten, reichen die Wurzeln dieser Institution im Bereich der kanaanäischen Staatenwelt, zu der ja trotz weitgehender Babyionisierung auch Märi zu rechnen ist, zeitlich um mehr als ein halbes Jahrtausend weiter zurück, als wir nur auf Grund der Berichte des AT annehmen durften. Das Nebeneinander von Prophetie und Kultpriestertum mit ihren Gegensätzen untereinander scheint also ein altes Erbe der kanaanäischen Religion zu sein. In Babylonien und Assyrien gab es, wie schon erwähnt, den mahhüm auch; wir erfahren aber über seine Funktionen in der älteren Zeit fast nichts. Erst im neuassyrischen Reich der Sargoniden begegnen wir, wie schon H. Zimmern erkannt hatte (s. o. S. 326), Erscheinungen, die an die Prophetie Israels erinnern; es scheint, daß zur Zeit des Jesaja etwa eine prophetische Bewegung durch große Teile Vorderasiens ging, an deren Bedeutung in Assyrien vielleicht auch das Buch Jona noch eine Erinnerung bewahrt hat. Das, was wir über diese Bewegung noch erkennen können, herauszuarbeiten, muß einmal Aufgabe einer besonderen Untersuchung sein, die auch das neuassyrische Orakelwesen einbeziehen müßte und dadurch schwierig ist; hier können wir darauf nicht eingehen. Für das geschichtliche Verständnis der großen Propheten des Alten Bundes dürfen wir als Ertrag dieser kurzen Untersuchung aber wohl noch die Erkenntnis buchen, daß weltweite Wirkungen, wie sie von diesen Männern noch heute ausstrahlen, nicht notwendig das Entstehen ganz neuer religiöser Institutionen voraussetzen. Zu Empfängern und Vermittlern neuer Gottesoffenbarungen wurden hier vielmehr Männer ausersehen, die

[330]

29

Verkündigung in den Briefen aus Mari

in einer sehr alten und vielleicht sogar schon recht erstarrten Uberlieferung standen; erst die neue Botschaft machte es, daß wir in ihnen heute weniger die Träger eines alten Erbes sehen als vielmehr die Wegbereiter eines Neuen, das sich einige Jahrhunderte nach ihnen vollenden sollte. Korrektur-Zusatz: Während des Druckes dieses Artikels erschien von F. M. Th. De Liagre Böhl, Profetisme en Plaatsvervangend Lijden in Assyrie en Israël, in: Nederlands Theologisch Tijdschrift 4 (1950), S. 81 ff., worin die oben besprochenen Texte in ganz ähnlichem Sinne behandelt sind. — Einen weiteren hierhergehörigen Brief veröffentlichen A. Lods f und G. Dossin u. d. T.: Une tablette inédite de Mari, intéressante pour l'histoire ancienne du prophétisme sémitique, in: Studies in Old Testament Prophecy, presented to Th. H . Robinson, Edinburgh 1950, S. 103 ff. Nach ihm konnte sich auch der Wettergott Adad in ähnlicher Weise offenbaren; die Offenbarungsempfänger heißen in diesem Fall „Antwortender" (äpilum) bzw. „Antwortende" (äpiltum) wohl als Beantworter von Orakelfragen. [Zusatz 1976: Die Bezeichnung „Antwortender" (äpilum) für die Überbringer göttlicher Botschaft findet sich jetzt in mehreren Briefen.] Der Hauptteil des Briefes sei hier wenigstens noch übersetzt: 8

In Orakeln (sprach) A d a d , der Herr v o n Kallassu, f o l g e n d e r m a ß e n : 'Bin

ich nicht

10

[ A d ] ad, der Herr v o n Kallassu, der ich ihn (d. h. Zimrilim)

auf meinem Schoß großzog und ihn auf den Thron seines Vaters ^zurückführte? Als ich ihn auf den Thron seines Vaterhauses zurückgeführt hatte, gab ich ihm außerdem noch eine Wohnstätte (d. h. seinen Palast).

14

Jetzt

so, w i e ich ihn auf den Thron seines Vaterhauses zurückführte, will ich (den Ort) Nel)latum aus seiner H a n d nehmen.

16

Wenn er nicht geben

will, so bin ich der Herr v o n Thron, Erde und Stadt: Ich werde, was ich gab,

18

w e g n e h m e n ! Ist es nicht so und will er das v o n mir Gewünschte

geben, werde ich Thron über Thron, Stadt über Stadt ihm geben.

22

20

H a u s über Haus, Erde über Erde,

Auch werde ich das Land v o n S o n n e n a u f -

gang bis -Untergang ihm geben!'

24

Dieses sagten die 'Beantworter'; auch

hält er sich immer w i e d e r bei den Orakeln auf. Jetzt obendrein

26

bewacht

der 'Beantworter' des A d a d , Herr v o n Kallassu, die Tenne(?) von A l a h t u m für N e h l a t u m . 30

28

Mein Herr möge wissen: Früher, als ich in Mari wohnte,

pflegte ich jedes Wort, das 'Beantworter' und 'Beantworterin' mir sagten,

meinem Herrn zu berichten.

32

Jetzt w o h n e ich [in] einem anderen Lande:

30

[331]

Verkündigung in den Briefen aus Mâri

soll ich d a , w a s ich höre u n d m a n mir s a g t ,

34

m e i n e m H e r r n nicht schrei-

ben? Wenn k ü n f t i g e i n m a l irgendeine V e r s ä u m n i s entstehen sollte,

36

wird

d a mein H e r r nicht f o l g e n d e r m a ß e n s a g e n : ' D a s W o r t ( d e s G o t t e s ) sagte der ' B e a n t w o r t e r ' dir, w ä h r e n d er deine T e n n e ( ? ) du (es) mir nicht geschrieben?' N u n m e h r

38

b e w a c h t ; w a r u m hast

habe ich (es) m e i n e m

Herrn

" g e s c h r i e b e n ; mein H e r r soll es wissen! F e r n e r : der ' B e a n t w o r t e r ' Adad,

Herrn

von H a l a b

(Aleppo),

kam

42

[zu A b u j h a l i m

[ f o l g e n d e r m a ß e n ] : [ S c h r e i ] b e deinem H e r r n ! [das L a n d

Rand

1

und

des

sprach

(Textlücke)

v o m S o n n e n a u f g a n g ] bis -Untergang w e r d e ich [selbst]

dir g e h e n ! ' ' [ D i e s e s ] s a g t e A d a d , der H e r r v o n H a l a b , v o r Abulfoalim. Mein H e r r soll dieses w i s s e n !

So äußerlich hier der Wunsch des A d a d ist, die A n k l ä n g e an manche Prophetensprüche des A T in der Ausdrucksweise sind unverkennbar. Literaturnachträge

(April

1976)

Über die Prophetie in M â r i zur altbabylonischen Zeit und ihr Verhältnis zur Prophetie in Israel ist seither sehr viel geschrieben worden. N u r eine A u s w a h l wichtiger Titel, die mir bekannt gew o r d e n sind, kann hier gegeben werden. a) 4 weitere Briefe wurden herausgegeben und bearbeitet von J . Bottéro und J . - R . K u p p e r , in: Archives royales de M â r i X I I I , Paris 1964, die Briefe N r . 23 und 1 1 2 — 4 . b) 14 neue Briefe enthält im Keilschrifttext der B d . X der gleichen E d i t i o n ; sie wurden bearbeitet und ausführlich kommentiert von W. L . M o r a n , N e w E v i d e n c e f r o m M â r i on the H i s t o r y of Prophecy, in: Biblica 50 (1969), S. 1 5 — 5 6 . Z u den meisten dieser Briefe vgl. ferner Fr. E i lermeier, Prophetie in M â r i und Israel, H e r z b e r g am H a r z 1968, und W. H . Ph. R ö m e r , Frauenbriefe über Religion, Politik und Privatleben in M â r i ( =

Alter Orient und Altes Testament, B a n d

12), K e v e l a e r und Neukirchen-Vluyn 1971, S. 1 8 — 2 9 . Z u allen bisher bekannten Briefen ist noch zu nennen: J . - G . H e i n t z , O r a c l e s p r o p h é t i q u e s et 'guerre sainte' selon les Archives r o y a l e s de M â r i

et l ' A n c i e n

Testament,

in:

Supplements

T e s t a m e n t u m X V I I ( 1 9 6 9 ) , S. 1 1 2 — 1 3 8 m. B i b l i o g r .

to

Vêtus

[332]

V e r k ü n d i g u n g in den Briefen aus M â r i

31

—, Prophetie in Mâri und Israel, in: Biblica 52 (1971), S. 543—55 m. ergänz. Bibliogr. A. Finet, Les symboles du cheveu, du bord de vêtement et de l'ongle en Mésopotamie, in: Eschatologie et Cosmologie. Annales du Centre d'Étude des Religions 3 (Bruxelles 1969), S. 101—30. J. Ross, Prophecy in Hamath, Israel and Mari, in: H a r v a r d Theological Review 63 (1970;, S. 1—28. J. Scharbert, Die prophetische Literatur. Der Stand der Forschung, in: H . Cazelles, De Mâri à Qumran, Paris 1969, S. 58—118. Es soll noch weitere unveröffentlichte Briefe aus Mari zur Prophetie geben.

Tempus und Modus im Semitischen* Das semitische und weithin auch das hamitische Verbum ist, verglichen mit dem indogermanischen, arm an Tempusformen. U m so manigfacher ist der Gebrauch der vorhandenen Formen, deren ursprüngliche Funktionen auch heute erst teilweise geklärt sind. Besondere Schwierigkeiten machen dabei die Präfixkonjugationen. Von ihnen anerkennen manche für das Akkadische nur zwei, das Präsens iparras und das Präteritum iprus, für das Westsemitische jedoch nur das Imperfekt in den beiden Formen jaqtulu und jaqtul. Dabei ist es noch nicht gelungen, überzeugend zu erklären, wie sich die vor allem präsentisch-futurische Funktion von jaqtulu aus der präteritalen von iprus entwickelt haben soll. Einige helfen sich damit, jaqtul(u) als die einzige ursprüngliche Tempusform anzusehen, deren Funktion eben deswegen nur eine ganz unbestimmte gewesen sein könne; dagegen wurden jedoch oft gewichtige Einwände erhoben. Trotzdem gilt es auch heute noch weithin als ausgemacht, daß das westsemitische Tempussystem - der Begriff Tempus kann hier nicht erörtert werden! - nur zweistufig ist und aus dem Imperfekt und dem affigierenden Perfekt qatala besteht. Demgegenüber möchte ich einige bisher nicht genügend beachtete Gesichtspunkte zur Geltung bringen und aufzeigen, daß das semitische Tempussystem immer mindestens dreistufig ist; ich knüpfe dabei vor allem an G. Bergsträsser, Hebräische Grammatik II (Leipzig 1929), § 3 an, aber auch an Beobachtungen von B. Landsberger und anderen. Mit Bergsträsser, R. Meyer in seiner Hebräischen Grammatik und anderen sehe ich im Jussiv des Hebräischen, Arabischen und Äthiopischen keinen Modus des Imperfekts neben Indikativ und Subjunktiv, sondern ein Tempus, eben das alte Präteritum. Ich meine, daß die Übernahme dieser Erkenntnis auch in unsere Lehrbücher den Lernenden das Verständnis des semitischen Tempus- und Modusgebrauchs sehr erleichtern kann, gerade auch im Arabischen. Mit den bei dieser kurzen Zusammenfassung unvermeidlichen Vereinfachungen und Vergröberungen möchte ich den Formenbestand des sogenannten Ursemitischen und der älteren Einzelsprachen so skizzieren: * Das hier im Auszug wiedergegebene Referat, das am 2. September 1957 auf dem 24. Internationalen Orientalistenkongress in München gehalten wurde, liegt nicht im vollen Wortlaut vor, weil es ganz kurzfristig angesetzt wurde und ich daher aufgrund nur von Stichworten frei sprechen mußte. Für die von der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 1959 herausgegebenen Akten dieses Kongresses (in Kommission bei Franz Steiner Verlag, Wiesbaden) mußte ich das Referat so stark verkürzen, dass es für Nichtsemitisten nicht überall voll verständlich war (vgl. S. 263-265 der Akten). Ich gebe daher hier einen etwas erweiterten Auszug. Die Einbeziehung der Diskussion der letzten 25 Jahre und eigener neuer Beobachtungen ist im Rahmen dieses Bandes nicht möglich.

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A. Ursemitisch. Neben dem ursprünglich nur dem Zustandsverbum und dem Adjektiv zugehörigen Stativ qatil/qatul/qatal steht das Präteritum jaqtu/il, zu dem wie in einigen Hamitensprachen zwei Formen mit vor allem Präsens-Futur-Funktion gebildet werden: a) mit Vokalanfügung das (zunächst punktuale?) Imperfekt jaqtu/ilu und b) mit Einfügung eines betonten a das durative Präsens jaqatta/il. Zu beachten sind hier Parallelentwicklungen im Formengebrauch in den Einzelsprachen: 1. Die Vergangenheitsformen Präteritum, das akkad. i-Perfekt iptara/is und das westsem. Perfekt werden nichtpräterital gebraucht a) in Bedingungssätzen und deren Nachsätzen; b) für positive und negative Wünsche im Prekativ mit /«-Präfix, dem akkad. Vetitiv (e taprus), dem westsem. Jussiv, dem Perfektum propheticum usw., für die nur selten präsentische Formen wie der akkad. Prohibitiv lä taparras bezeugt sind; c) im sog. Koinzidenzfall (akk. attarad „hiermit schicke ich", dafür äth. fannökü-ka, hebr. berakti ötö „hiermit segne ich ihn"). 2. Die Gegenwartsformen werden auch gebraucht a) für unvollendete Handlungen in der Vergangenheit (vgl. das Präs. nach akk. läma „bevor", das Impf, nach hebr. b'terem „bevor"); b) in den vor allem akk. und arab. Zustandssätzen, zu denen auch die hebr. Impf.-Sätze nach az „damals" zu stellen sind; c) für wiederholte Handlungen in der Vergangenheit (vgl. akk. usebbil „er pflegte zu senden"; hebr. tilbasnä „sie pflegten sich zu kleiden"). Für den sog. Extratemporaiis z.B. in Sprichwörtern usw. („wer sucht, der findet") ist der Tempusgebrauch nicht einheitlich; dem akk. Präs. steht das äth. Perf. gegenüber, hebr. vgl. sippör mäse'ä bait „ein Vogel findet eine Behausung". B. Akkadisch: Der Stativ paris/parus/paras wird noch nicht als Perf. gebraucht, kann bei transitiven Verben aber passivisch und aktivisch verwendet werden (sabit „er ist, war gepackt" und „er hält, hielt gepackt"). Die präfigierenden Formen sind das Präs. iparra'^s, das Prät. ipru'-'s mit den Wunschformen, dem Prek. liprus und dem Vetitiv ai iprus sowie als Neubildung das tPerfekt iptara''"s. Der Subjunktiv auf -a ging nach der ältesten Zeit verloren; der nur akk. Subordinativ auf -u (sa iprusu) ist kein Modus, wenn er auch im Eid bisweilen modusähnlich gebraucht wird. C. Ugaritisch: Der Stativ wird auch schon als Perf. und Perf. des Wunsches gebraucht. Dem Indikativ des Impf, jaqtulu steht wie im Byblischen der Amarna-Briefe (s. W. Moran, Early Canaanite yaqtula, Or.NS 29,lff.) der Subjunktiv jaqtula gegenüber; daneben steht jaqtul als Prät. und Jussiv wie in den altkanaan. Namen. Ein Präs. jaqattal ähnlich altkanaan. (nur bei Verben ult. inf.) jabanni in Namen ist wegen der ausser bei Alef vokallosen Schrift noch nicht nachgewiesen. D. Hebräisch: Neben dem alten Stativ wie z.B. käbed steht viel häufiger das Perfekt qätal, das vor allem als Perf. consecutivum nach we auch Präs.- und Jussiv-Funktionen hat. Das Prät. als Kurz-Impf. blieb nach wart- z.B. in wajjbmer noch lange erhalten, ebenso in Jussiv-Funktion. Lautgesetzlich fiel es dann mit dem Impf, zusammen, das sowohl das •« des Ind. als auch das -a des Subj. früh verlor; funktional blieben Impf, und Kurzimpf, aber zwei Tempo-

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ra. Neben jaqtulu >jiqtöl stand lange noch das alte Durativ-Präs, japarras z. B. in fdabber, fzammer, fkasse „er spricht, singt, bedeckt"; zu diesen Formen sind noch Partizipia des Qal wie döber, kose und k'süi bezeugt. Infolge lautgesetzlichen Zusammenfalls des Präs. Qal mit dem Impf. Pi. wurde fdabber dann als Pi.-Form verstanden. Die alte Dreistufigkeit des hebr. Verbums ging etwa zur Zeit des Exils nach und nach verloren, wurde aber wiederhergestellt durch die Erhebung des Partizips im altsem. Status absolutus zur finiten Verbalform für den kursiven Aspekt z.B. in m'sauwe „er befiehlt". Auf den Inf. abs. als zusätzliche finite Form in einigen Gebrauchsweisen sei hier nur kurz hingewiesen. E. Aramäisch: Der Tempus- und Modusgebrauch im Aramäischen entspricht weithin dem des Hebräischen. Das Perf. ist Vergangenheits- und teilweise Wunschform. Spuren des alten Präs. japarras sind vorläufig nicht erkennbar, da die altaram. und die meisten reichsaram. Texte nicht oder mit Vokalbuchstaben nur unzureichend vokalisiert sind. Daß das Prät. lange lebendig war, geht aus dem Gebrauch des Prek. nach lü wie im Akkad. hervor; vgl. altaram. l'klw „sie sollen essen" und Restformen im Reichsaram. wie vor allem leh'we ..er sei!" und lintor „er schütze!" sowie Prek.-Formen im Jüd.Aram. wie l'salle „er bete!". Wie das Hebr. und das Altsüdarab. kennt das Altund Reichs-Aram. auch den negierten Jussiv als Prohibitiv nach 'al. Die alte Dreistufigkeit beim Verbum ging schon im Altaram. immer mehr verloren; dafür gebrauchten das Reichsaram. und die jüngeren aram. Sprachen noch mehr als das Hebr. das Partizip als dritte finite Form nicht nur für den kursiven Aspekt z.B. in säleq-nä „ich steige auf". F. (Nord-)Arabisch: Neben dem Perf.-Stativ qatala, 'alima, hasuna auch als Wunschform steht das Impf, mit den Modi Ind. jaqtulu und Subj.jaqtula. Das alte Prät. jaqtul, das auch im Arab. kein Modus ist, behält die Funktion als Tempus der Vergangenheit nur noch nach der Negation lam und - neben dem Perf. - in Bedingungssätzen; sonst steht es als Jussiv für den positiven und negativen Wunsch. Zusätzlich werden zusammengesetzte Konjugationen mit käna und jakünu gebildet. In jüngeren Dialekten begegnet wie im Hebr. und Aram. auch das Aktiv-Partizip als finite Verbalform. Damit entsteht eine neue Mehrstufigkeit im Tempussystem. G. Äthiopisch (Ge'ez): Hier finden wir wieder das Perf. qatala und den Stativ labsa „er ist bekleidet", dazu wie im Akkadischen das Präs.j"qattel nur im Ind. Der Subj. jeqtel mit Abfall der Endung -a ist von dem nicht erhalten gebliebenen Ind. des Impf. *jaqtulu aus gebildet und dann wegen des Vokalabfalls formal mit den Jussiv jeqtel zusammengefallen (vgl. nendeq „wir wollen bauen"); die Kategorien Impf. Subj. und Jussiv blieben aber (gegen die Grammatiken) geschieden. Das eigentliche Prät. erhielt sich nur in jebe(l) „er sagte", einem der meistgebrauchten Verben; ein ähnliches Überbleibsel ist jihöm „er wollte" im Mehri. Zu den vier genannten Tempusformen treten ähnlich wie im Arabischen mit den Verben köna und hallö „sein" zusammengesetzte Konjugationen und bewirken die Mehrstufigkeit des Verbums.

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Die anderen abessinischen Sprachen und das nur durch unvokalisierte Texte bezeugte Altsüdarabische müssen hier beiseitebleiben. Eine stärker differenzierende ausführliche Behandlung der Drei- oder Mehrstufigkeit beim Verbum in den semitischen Sprachen wird diese Sprachen und jetzt auch das Eblaitische einbeziehen müssen.

Zur Einteilung der semitischen Sprachen

Die uns bekannten semitischen Sprachen wurden seit der Entzifferung der babylonischen Keilschrift meist in fünf Gruppen eingeteilt, nämlich das Akkadische, Kanaanäische, Aramäische, (Nord-) Arabische und Südarabisch-Äthiopische. Dabei wurde das erstere als Ostsemitisch den als westsemitisch bezeichneten übrigen Sprachen gegenübergestellt; bei diesen wurden die beiden letzten Gruppen als Südsemitisch vom Nordwestsemitischen des Kanaanäischen und Aramäischen unterschieden. Das Stemma, in dem man diese Beziehungen der Sprachgruppen des Semitischen zueinander gern darstellte, wurde schon vor Jahrzehnten dadurch etwas fragwürdig, daß wichtige Isoglossen sichtbar wurden, die gerade dem Stemma nach einander fernerstehende Sprachen verbanden; dazu gehört z. B. der dem Akkadischen und Äthiopischen gemeinsame Gebrauch des Präsens jaqattal, das den anderen Sprachgruppen früh verlorenging. B. L A N D S B E R G E R zog daher noch vor dem Bekanntwerden des Ugaritischen vor, diese fünf Gruppen kreisförmig so anzuordnen, daß das Südarabisch-Äthiopische vom Akkadischen und vom Nordarabischen flankiert wurde, das Kanaanäische aber vom Akkadischen und Aramäischen, das seinerseits zum Nordarabischen überleitete. Die Einreihung der bekannten Einzelsprachen je in eine dieser fünf Gruppen erschien lange nicht problematisch. Schwierigkeiten machte zuerst das Nordwestsemitische. H A N S B A U E R folgerte aus seiner Auffassung der sog. Tempora des Semitischen (zuerst in „Die Tempora im Semitischen", Berlin 1910), daß im (Alt-) Hebräischen eine Sprachenmischung zwischen Kanaanäisch und Aramäisch vorliegen müsse. Diese These wird, mehr oder minder modifiziert, auch heute noch oft vertreten und z. T. durch historische Argumente gestützt. Ihre Kritik muß bei dem Ausgangspunkt B A U E R S , dem Problem der sog. Tempora, ansetzen und soll an anderer Stelle unternommen werden (vgl. vorläufig den knappen Auszug aus meinem Vortrag „Tempus und Modus im Semitischen" in „Akten des 24. Int. Or.-Kongr. München", S. 263—265). Eine weitere Schwierigkeit wurde

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sichtbar, als es nicht gelang, alle frühen nordwestsemitischen Inschriften eindeutig als kanaanäisch-phönikisch oder als altaramäisch zu klassifizieren. J . FRIEDRICH zog daraus die Folgerung (Phönizisch-Punische Grammatik, 1951, S. 153ff.), daß man „eine besondere westsemitische Sprache" von Ja'udi in Nordsyrien, bezeugt nur im 8. Jahrhundert vor Christi, ansetzen müsse, deren Eigentümlichkeiten er a. a. 0 . kurz skizziert. Andere rechneten in solchen Inschriften nur mit Einflüssen der älteren phönikischen Schriftsprache auf das Aramäische, das damals mit den phönikischen Buchstaben zuerst geschrieben wurde. Schließlich entstand eine ganz neue Situation, als vor 30 Jahren die ugaritischen Denkmäler entziffert wurden. Während manche das Ugaritische bedenkenlos als Altkanaanäisch in das herkömmliche Schema einordnen (so anfangs auch C. H. GORDON), sehen andere in ihm eine weitere westsemitische Sprache (so jetzt auch C. H. GORDON in „Ugaritic Manual", 1955, S. 123), die dann eine sechste semitische Sprachgruppe mit besonders nahen Beziehungen zum Kanaanäischen und Akkadischen vertreten würde. Klarheit über die strittigen Fragen zu gewinnen, ist bekanntlich vor allem deswegen sehr schwierig, weil die ugaritische Schrift mit Ausnahme der drei Alef-Zeichen vokallos ist und das verfügbare Schrifttum nur einen geringen Umfang hat. Ungeklärt ist u. a. noch, ob es im Ugaritischen ein Präsens des Typs jaqattal gab oder nicht. Vor die hier notgedrungen nur ganz knapp angedeuteten Probleme sah sich auch der Semitist der Universität Rom, SABATINO MOSCATI, bei seinen Studien zum ältesten Nordwestsemitischen gestellt. Während er nun noch vor wenigen Jahren im wesentlichen der eingangs skizzierten communis opinio anhing (z. B. in seiner Geschichte und Kultur der semitischen Völker, 2. Aufl. 1955), ist er seither zu einer anderen Auffassung gelangt, die er, von Zeitschriftenartikeln abgesehen (s. Riv. d. Studi Or. ( = RSO) 31/1956, 229—234, und, auf Englisch, The Journal of Bible and Religion 24/1956, 245—254), in dem Buch vertritt, von dem wir hier auszugehen haben 1 . Kurz gesagt, bestreitet er jetzt die Berechtigung einer auch für das 2. und frühe 1. vorchr. Jahrtausend gültigen Unterscheidung von Kanaanäisch und Aramäisch innerhalb des Nordwestsemitischen. Es erscheint nur konsequent, daß er neuestens (in 1 I Predecessori d'Israele. Studi sulle più antiche genti semitiche in Siria e Palestina (Università di Roma, Studi Orientali pubblicati a cura della Scuola Orientale, Vol. IV). Roma, G. Bardi, 1956. 140 S„ 5 Tafeln. 8°. 3000 Lire.

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RSO 34/1959, 33—39) auch die Berechtigung bestreitet, das Südsemitische in der herkömmlichen Weise in Nordarabisch und SüdarabischÄthiopisch aufzuteilen, da nicht alle erkennbaren Isoglossen diese Aufteilung befürworten. Nach ihm hätten wir es also nur mit den drei großen Gruppen der Akkader, Nordwestsemiten und Südsemiten zu tun, wenn wir die Frage der Zugehörigkeit der Berbersprachen zum Semitischen, die O . R Ö S S L E R Z. B. in ZA 50/1952, 121—150 verficht, einmal beiseite lassen, da sie nicht ohne Einbeziehung des SemitenHamiten-Problems behandelt werden kann. M.s Fragestellung ist zunächst historisch und knüpft damit an die älteren Darstellungen des gleichen Themas durch F B . B Ö H L (Kanaanäer und Hebräer, Leipzig 1913) und B. M A I S L E R (Untersuchungen zur alten Geschichte und Ethnologie Syriens und Palästinas, Gießen 1930) an. Die Frage ist: Wann kamen die Semiten nach Syrien-Palästina? Man antwortet meist: um 3000 v. Chr. Nun hat man in Syrien nach unserer Kenntnis im 3. Jährt, noch nicht geschrieben. Semitisch geschriebene Quellen können also erst im 2. Jährt, einsetzen. Da man aus den stellenweise reichlich verfügbaren Bodenfunden aus dem 3. Jährt, nach allen Erfahrungen auf anderen Gebieten nicht ohne weiteres auf bestimmte Bevölkerungen schließen kann, können wir eindeutige Hinweise auf eine semitische Besiedlung Syriens vor 2000 also nur bei den Nachbarvölkern suchen, von denen im 3. Jährt, nur Ägypten und Babylonien schon schrieben und daher im vollen Licht der Geschichte stehen. Außerdem erscheint eine Überprüfung der ältesten geographischen Bezeichnungen angezeigt. Als ein Beweis für das Vorhandensein von Semiten in Syrien vor 2000 gelten z. B. weithin ägyptische Fremdvölkerdarstellungen aus dem Alten Reich (etwa 2850—2200 nach der von M. angenommenen Chronologie). Es sind vor allem sechs Bilder, die M. hier erneut abbildet, auf denen man Semiten findet. M. hat m. E. recht, wenn er diesen jede Beweiskraft abspricht; wissen wir doch gar nicht, ob die Semiten sich damals anthropologisch von nichtsemitischen Bevölkerungselementen in Syrien so deutlich unterschieden, daß das in den Darstellungen zum Ausdruck kommen müßte. Die schon für das 3. Jährt, vorauszusetzende Bevölkerungsmischung verhindert ja auch in Babylonien trotz der Fülle der erhaltenen Bildwerke eine sichere Unterscheidung von Sumerern und Semiten in allen Fällen. Anschließend (S. 28ff.) prüft M. die nach seiner Meinung sicher

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alten topographischen Bezeichnungen, wobei das Prinzip für die Auswahl nicht recht ersichtlich ist; das innere Syrien von Damaskus bis Aleppo bleibt jedenfalls außer Betracht. Ein beträchtlicher Teil der Namen wirkt unsemitisch, andere sind nur vielleicht semitisch, da man auch mit nachträglicher Semitisierung fremder Namen rechnen muß, wofür es überall in der Welt zahllose Analogien gibt. M. schließt aus den Namen, daß Semiten sehr wahrscheinlich um 2000 im Lande waren, ohne daß deren Sprache näher gekennzeichnet werden kann, doch lassen die Namen auch auf ältere nichtsemitische Volksgruppen als Namengeber schließen. Hier ist darauf hinzuweisen, daß die Bedeutung der Fluß-, Berg- und Ortsnamen für unser Problem gering ist, wie ein Blick auf Babylonien zeigt. Dort sind die meisten Namen dieser Art im 3. Jährt, weder sumerisch noch akkadisch und würden uns, wenn wir aus ihnen Schlüsse auf die Bevölkerung in dieser Zeit ableiten wollten, sehr in die Irre führen. Manche Namen können einige tausend Jahre älter sein als ihre erste Bezeugung, wenn die Siedlung entsprechend alt ist. Andererseits werden Orte, die nach einer Zerstörung durch Naturoder Kriegskatastrophen lange unbewohnt bleiben, bei der Neubesiedlung oft neu benannt; die Namen ermöglichen dann keinen Schluß auf die Sprache früherer Bewohner2. Von den geographischen Namen, die es in Syrien um 2000 gegeben haben muß, kennen wir übrigens nur einen verschwindend kleinen Bruchteil! Der Hauptteil des Buches befaßt sich mit den viel, aber leider durchaus nicht immer im gleichen Sinn gebrauchten Bezeichnungen Kanaanäer und Amoriter (S. 42—74, 75—126). In beiden Kapiteln geht es in erster Linie um die Termini als solche. So werden für den Landesnamen Kanaan nacheinander die akkadischen Belege (nur in den 2 Als Neubenennung haben wir z. B. vielleicht den Namen der uralten Stadt Jericho aufzufassen, die nach Ausweis der Ausgrabungen vor der Besitznahme durch den israelitischen Stamm Benjamin lange wüst dalag bzw. ein kleines Dorf ohne Stadtmauer war. Die Benjaminiten der Mari-Briefe hatten nämlich unter anderen einen Unterstamm mit dem Namen Jarihû (s. J . R. K ü p p e r , Les nomades en Mésopotamie au temps des rois de Mari, 1957, S. 49ff.). Wenn, wie mir nach wie vor wahrscheinlich ist, der Stamm Benjamin aua jener älteren Stammesgruppe, die in der Hammurabi-Zeit um Harrän herum zeltete, hervorgegangen ist (s. Welt des Orients I 197f.), erscheint es als gut möglich, daß die Jarihû der neubesiedelten Stadt ihren Namen gegeben haben. Wenn diese natürlich nicht beweisbare Vermutung zutrifft, wäre dor alte Name von Jericho ganz unbekannt. — Zu S. 29: Der Antilibanos hieß altbabylonisch Saria (s. Th. B a u e r , J N E S 16/1957, 260); der Name ist also sicher nicht semitisch.

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Amarnabriefen und der Idrinii-Inschrift aus Alalah), sechs ägyptische und der einzige ugaritische Beleg sowie die Bibelstellen und hellenistische Zeugnisse vorgeführt. Dann wird auf die den Urkunden aus Nuzi zu entnehmende Bedeutung des nichtsemitischen Namens (Land des roten Purpurs, also sinngleich mit Phönikien!) hingewiesen, der „questione linguistica" aber nur ein kurzer Abschnitt (S. 70/2) gewidmet, der jetzt durch den Aufsatz „II Semitico di Nord-Ouest" in „Studi orient. in onore de G. Levi Deila Vida" II, S. 202—221, ergänzt wird. Das Ergebnis ist, daß die Ableitung einer Sprachgruppenbezeichnung aus dem erst um 1500 v. Chr. bezeugten Landesnamen Kanaan an sich unzweckmäßig sei, für das 2. Jährt, aber ganz unberechtigt, weil die von vielen — nicht allen! — als kanaanäisch zusammengefaßten nordwestsemitischen Sprachen — außer dem Ugaritischen ziemlich dürftig bezeugt! — noch keine innerhalb des Nordwestsemitischen nur ihnen eigentümlichen Gemeinsamkeiten aufwiesen. Wir werden auf diese Frage noch zurückkommen müssen. Das Kapitel über die Amoriter ist für den Teil, der die sumerischakkadischen Quellen bis zum Untergang der 1. Dynastie von Babylon behandelt, infolge seither erschienener, wesentlich ausführlicherer Behandlungen durch Assyriologen schon weithin überholt; denn außer J. R. K Ü P P E R in seinem S. 180, Anm. 2 genannten Buch, S. 147—247, befaßte sich auch D. O. E D Z A R D in seinem gleichzeitig (1957) erschienenen Buch „Die ,zweite Zwischenzeit' Babyloniens" vor allem in Teil I (S. 30—69) sehr eingehend mit diesen (unter der sumerischen Bezeichnung MAR .TU). Zu ganz eindeutigen Ergebnissen kommt infolge der oft unklaren Terminologie der alten Texte keine dieser Untersuchungen; wir müssen auch darauf noch zurückkommen. M. behandelt darüber hinaus noch den Begriff Anmrru in den Amarna-Briefen und, ganz knapp, in den hethitischen und jüngeren Quellen. Er erkennt richtig, daß Amurru in allen diesen ein geographischer oder politischer Begriff, nie aber ein ethnischer ist. Schließlich behandelt er auf S. 116fF. noch die ägyptischen Erwähnungen von imr und die semitischen Namen in ägyptischer Schreibweise in den sog. Ächtungstexten sowie den in keiner Weise klar umschriebenen Begriff 'emori des Alten Testaments. Ergänzungen bietet sein Artikel „La questione degli Amorrei" (Accademia Nazionale dei Lincei, Rend., Serie VIII, vol. XIII 7—12/1959, S. 356 —365). Als Bezeichnung für eine bestimmte Sprache oder Volksgruppe empfiehlt sich der Begriff Amoriter wenig, da dieser im Altertum schon

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so mehrdeutige Begriff von der modernen Wissenschaft noch weit mehr mit sehr verschiedenen Inhalten gefüllt wurde; populäre Geschichtswerke der Hitlerzeit machten aus ihnen in völligem Mißverstehen der Tatsachen sogar bisweilen Arier! Uns geht es hier nicht in erster Linie um Fragen der Terminologie. Viele längst eingebürgerte Termini sind, wenn man ihrer Herkunft nachgeht, höchst problematisch. Dieses gilt vor allem auch für Semiten bzw. semitisch und Hamiten bzw. hamitisch, da die Völkertafel der Genesis (Kap. 10), der diese Begriffe entnommen sind, zu den Nachkommen Sems und Hams bekanntlich etliche nicht-semitische bzw. nicht-hamitische Völker und Stämme zählt. Wir brauchen unsere Begriffe nicht vor der Terminologie des alten Orients zu rechtfertigen; sie sollten nur für uns einen eindeutigen Inhalt haben oder, wo das noch nicht der Fall ist, möglichst bald gewinnen. M.s Hinweis, daß die im Bereich des Nordwestsemitischen gebrauchten Termini dieser Eindeutigkeit meist ermangeln, ist sehr berechtigt; Ursache ist aber weniger die Unzweckmäßigkeit einzelner Termini als die Unklarheit über die in historische Begriffe zu fassenden Tatbestände. Unnötige Änderungen eingeführter Termini erschweren nur die Arbeit an der Aufklärung der Tatsachen, auf die es allein ankommt. Ich möchte mich daher den Umbenennungsvorschlägen M.s nicht anschließen. Es kann nicht die Aufgabe dieses kurzen Aufsatzes sein, die vielen noch bestehenden Unklarheiten wegzuräumen; soweit die verfügbaren Quellen das überhaupt gestatten, kann das nur in einer sehr sorgfältig vorbereiteten, umfangreichen Monographie geschehen. Mir liegt hier nur daran, vor der von M. vorgeschlagenen allzu großen Vereinfachung des Begriffssystems zu warnen. Wir brauchen ein differenziertes Begriffssystem, wenn wir die geschichtliche Wirklichkeit so genau wie erreichbar beschreiben wollen. Der Aufstellung eines solchen vorzuarbeiten, ist die Aufgabe der folgenden Überlegungen, die nicht Ergebnisse noch ausstehender Untersuchungen vorwegnehmen wollen. Der Begriff Nordwestsemiten (NWSem.) ist zunächst ein historischer und umfaßt die Semiten, die vor dem Einsetzen der ersten AraberEinfälle im 9. vorchr. Jahrhundert nach Mesopotamien, Syrien und Palästina kamen. Wann kamen die ersten von ihnen ? Als ältestes Zeugnis für sie gilt ein Siegel (s. JEA 7/1921, 196—199), das in Keilschrift einen Kanaanäer Ia8-ki-in-ilum und in Hieroglyphen einen Pharaonennamen nennt, der wohl am ehesten der des Amenemhet I. (1991—72)

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ist. Wenn diese Datierung richtig ist — daß einer von zwei Königen gleichen Vornamens der unbedeutenden 13. Dynastie Ägyptens gemeint ist, hat wenig für sich —, müßte man um 2000 schon in Phönikien — der Fundort des Siegels ist unbekannt — Keilschrift in syrisch-mesopotamischer Schreibweise, für die der Lautwert ias kennzeichnend ist, geschrieben haben. Die erste Einwanderung von NWSem. läge also wahrscheinlich wesentlich früher. Für noch viel frühere Semiteneinbrüche sprechen die folgenden Erwägungen: Die ersten Semiteneinfälle nach Babylonien und Ägypten (zur Zeit der Reichsgründung) dürften kaum später als um 3000 anzusetzen sein. Sollte die damalige Semitenexpansion anders als spätere nur auf Babylonien und Ägypten gezielt, den Norden und Westen des „fruchtbaren Halbmonds" aber ganz verschont haben? Das wäre nur glaubhaft, wenn diese Gebiete damals viel stärkere Abwehrkräfte entfaltet hätten als die beiden ältesten Zentren altorientalischer Kultur und Staatsbildung; das ist aber höchst unwahrscheinlich. Wenn damals Semiten nach Syrien kamen, so war ihre Sprache vermutlich dem ältesten Akkadischen, über das wir freilich sehr wenig wissen, verwandt. Ein solches hypothetisches Westakkadisch dürfte auf die späteren nwsem. Sprachen irgendwie eingewirkt haben; wir haben keine Mittel, solche Einwirkungen zu erkennen, können aber ebensowenig abstreiten, daß es sie gegeben hat. Wesentlich schwieriger schon für Babylonien zu beantworten ist die Frage nach weiteren Semiteneinbrüchen während des 3. Jährt. Ihrer Erörterung vorausgehen muß eine Besinnung darüber, wie wir uns überhaupt solche Einbrüche vorzustellen haben. Es gibt vor allem zwei Theorien, die den Wechsel zwischen Zeiten vieler Einbrüche und solchen, in denen sie selten sind oder fehlen, erklären wollen. Die eine ist die Wellentheorie. Nach ihr gibt es Perioden, in denen sich die semitischen Stämme in Arabien im ganzen mit ihrem Wohnraum dort begnügen, weil der kärgliche Bodenertrag und die Gewinne aus dem Durchgangshandel ihre Nahrungsbedürfnisse leidlich befriedigen. Wächst dann die Bevölkerung und stagniert der Handel, so müssen ganze Stämme neuen Nahrungsraum suchen, wenn sie nicht hungern oder verhungern wollen. Sie brechen dann in die Länder des fruchtbaren Halbmonds ein und setzen sich, wenn sie deren Widerstand überwinden können, dort fest. Geht es ihnen dort gut, kommen andere Stämme nach, um am Wohlstand dort auch teilzuhaben. Die Zurückbleibenden können sich dann ausbreiten und haben wieder ausreichenden Raum, so daß

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der Druck auf das Kulturland nachläßt oder aufhört. Man spricht dann von der akkadischen, kanaanäischen, aramäischen oder arabischen Welle bzw. von jeweils zwei oder mehr Einbruchswellen dieser Semitengruppen. Die andere Theorie ist die Infiltrationstheorie. Nach ihr versuchen die Stämme am Rande des Kulturlandes dauernd, in diesem nicht nur zu plündern, sondern auch Fuß zu fassen. Ob das Erfolg hat, hängt weniger von der Stärke des Druckes der Nomadenstämme ab als von der größeren oder geringeren Kraft der Staaten des Kulturlandes, diesem Druck zu widerstehen. Wo ein starker Staat ist, werden die Stämme nicht nur abgewiesen, sondern oft auch noch aus den als Sicherungszonen für das Kulturland angesehenen Gebieten hinausgedrängt. Sie suchen dann andere Stellen, wo sie weniger Widerstand finden. Wenn diese Auffassung richtig ist, dürften wir von kanaanäischen, aramäischen usw. Einbruchswellen nicht sprechen, da sich die kanaanäischen usw. Volksgruppen erst im Kulturland aus neu Hinzugekommenen und länger Ansässigen gebildet hätten. M. neigt, wenn ich recht sehe, dieser Theorie zu. Die Betrachtung der Semiteneinbrüche, die wir auf Grund der Quellen einigermaßen überblicken können, rechtfertigt m. E. weder die eine noch die andere Theorie ganz. Um 2000 war der Druck der sog. Ostkanaanäer so stark, daß auch das sumerische Reich von Ur III ihm nicht gewachsen war. Andererseits führte der Zusammenbruch des Hammurabi-Reichs nicht zu neuen größeren Einbrüchen, weil damals die Nomaden jedenfalls im Osten nicht mit stärkeren Kräften gegen das Kulturland vorstießen. Wir werden also für manche Zeiträume vor allem mit der allmählichen Infiltration kleiner Gruppen oder einzelner Familien rechnen müssen, zu anderen Zeiten aber auch mit Einbruchsversuchen großer Stammesgruppen. Kehren wir nun von diesen Erwägungen zum 3. Jährt, zurück, so darf es schon a priori als unwahrscheinlich gelten, daß es vom Beginn dieses Jahrtausends, über das wir auch im Orient noch so wenig wissen, bis zu seinem Ende keine größeren Semiteneinbrüche im fruchtbaren Halbmond gegeben haben soll. Halten wir aber solche Einbrüche für wahrscheinlich, so steht in keiner Weise fest, daß die Sprachen von in der Mitte des Jahrtausends ins Kulturland gekommenen Semitenstämmen entweder zum akkadischen Zweig gehörten oder nwsem. im üblichen Sinn des Wortes waren. Wir müssen vielmehr durchaus damit rechnen, daß es noch ganz andere Semitensprachen gegeben hat, auch wenn diese

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vielleicht nie zu Literatursprachen wurden. In der „klassischen" Einteilung der indogermanischen Sprachen vor etwa 50 Jahren war für die seither bekannt gewordenen Sprachen der hethitischen Gruppe und das Tocharische auch kein Platz, und man hat in manchem umlernen müssen, als es galt, diese „neuen" Sprachgruppen einzuordnen. Die Semitistik wiederum wurde vor 30 Jahren durch das U^aritische in manchem vor eine neue Situation gestellt, und das zu einer Zeit, als etliche Semitisten noch nicht einmal das jetzt seit über 100 Jahren bekannte Akkadische recht verarbeitet hatten. Was berechtigt uns angesichts solcher Überraschungen zu der Annahme, daß wir schon alle semitischen Sprachgruppen, die es einmal gegeben hat, kennen? Ich habe nun in den letzten Jahren erneut die Überzeugung gewonnen, daß wir uns für das 3. Jährt, jedenfalls in Babylonien und Mesopotamien durchaus nicht auf theoretische Erwägungen, wie wir sie eben gepflogen haben, beschränken müssen. Es spricht vielmehr sehr viel dafür, daß in der Mitte dieses Jahrtausends in der Tat große Semitengruppen in diese Länder kamen, die weder akkadische Dialekte — im weitesten Sinn dieses Wortes — noch eine nwsem. Sprache sprachen. Nur wenn wir die dadurch bewirkte Verstärkung des semitischen Elements in Vorderasien in Rechnung stellen, wird die explosionsartige Expansion der Akkader unter Sargon und Naram-Suen von Akkade nach 2400 verständlich. Der Hauptgott dieser Semiten war Dagan, dessen Kult in Syrien-Palästina noch viele Jahrhunderte lang in bestimmten Gegenden feststellbar ist, während Dagan in Babylonien und Assyrien nur als Hypostase des Ellil später noch eine bescheidene Rolle spielte. In dem Sammelbändchen „Aufstieg und Untergang der Großreiche des Altertums" (hrsg. von W. F. MÜLLER, Stuttgart, Kohlhammer 1958) habe ich auf S. 47 ff. für diese Semiten die Bezeichnung Altamoriter vorgeschlagen, da eine besser zu begründende Bezeichnung vorläufig nicht verfügbar ist und der einfache Name Amoriter, wie wir schon sahen, viel zu vieldeutig ist. Die Rechtfertigung dieser Bezeichnung liegt in der Tatsache, daß Teile dieser Semiten von den Akkadern Amurrum-Leute (von den Sumerern Martu-Leute) genannt wurden, ohne daß man diesen Namen nur für sie gebraucht hätte. B. LANDSBEBGER hatte bereits 1923 diese semitische Gruppe erkannt (s. ZA 35, 236 ff.; etwas ausführlicher TH. BAUER, Die Ostkanaanäer, 1926, S. 2FF., 83FF.), bezeichnete ihre aus Namen zu erschließende Sprache aber damals noch als einen akkadischen Dialekt. Er hat mit der

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Zur Einteilung der semitischen Sprachen

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Unterscheidung dieser Gruppe von den sog. Ostkanaanäern mehr Widerspruch als Zustimmung erfahren, wobei der Widerstand durchaus nicht nur die gewählten Bezeichnungen, sondern auch die sprachlichen und historischen Abgrenzungen im Auge hatte. Es ist völlig unmöglich, hier die Fülle der seither zu diesen Fragen geäußerten Auffassungen auch nur aufzuzählen; die wichtigsten nennt J. Ii. K U P P E R , Les nomades, S. 147 ff. Zu den Gregnern zählt auch S. M O S C A T I , ferner noch in allerneuesten Äußerungen A. G O E T Z E und I. J. G E L B . Ersterer besprach in „Journal of Semitic Studies" (JSS) IV/1959, 142ff. K U P P E R S genanntes Buch und ergänzte diese Besprechung soeben durch den Aufsatz „Amurrite Names in Ur III and Early Isin Texts", ebd. S . 193ff. G O E T Z E glaubt dort, L A N D S B E R G E R mit dem durch zahlreiche Belege gestützten Hinweis widerlegen zu können, daß die Babylonier zu den Martu/Amurrum-Leuten sowohl Träger der (alt-)amoritischen Namen wie Träger (ost-)kanaanäischer Namen gerechnet haben. Dieser Hinweis hätte nur dann Beweiskraft, wenn wir in den Amurrum-Leuten eine sprachliche oder ethnische Einheit sehen müßten. Wie ich kürzlich in anderem Zusammenhang in BiOr. XVI/1959, S. 131 ff. feststellte, haben die Babylonier aber in der Regel nicht Volksbegriffe geprägt, sondern die Menschen nach ihren Wohnsitzen oder auch ihren sozialen Ordnungen unterschieden. Auch Amurrum-Leute ist, wie schon erwähnt, primär ein geographischer Begriff und meint die Bewohner von Amurrum, wird dann aber auch zur Bezeichnung einer bestimmten Klasse gebraucht; weder auf die umstrittene Lage des Landes Amurrum um 2000 noch auf den sozialen Status der Amurrum-Leute brauche ich hier einzugehen. G O E T Z E S sehr verdienstliche Materialsammlung besagt also durchaus nicht, daß alle angeführten Namen nach Meinung der Babylonier derselben Sprache angehörten; ein Blick auf seine Liste zeigt ja auch nur zu deutlich, daß diese Namen wohl alle semitisch, aber schwer aus einer einzigen Sprache zu erklären sind. Damit aber verliert diese Liste wegen der nicht durchgeführten Klärung des Begriffs Amurrum ihre Beweiskraft in der Auseinandersetzung mit L A N D S B E R G E H S Auffassungen. Auf sehr umfassende Materialsammlungen stützt sich I . J . G E L B . Auch er faßt die altamoritischen und die (ost-)kanaanäischen Namen unter der Bezeichnung amoritisch als Einheit, hat aber in einer großen Monographie versucht, die Eigentümlichkeiten dieser Sprache genau festzustellen; das seit T H . B A U E R S Ostkanaanäerbuch vor allem durch die Ausgrabungen in Märi, Alalah, Ugarit und im Dijala-Gebiet verviel-

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fachte Material erfordert ja dringend eine neue Bearbeitung. Von seinem Buch liegt vorläufig allerdings nur ein italienischer Vorbericht vor (La Lingua degli Amoriti, Accademia Nazionale dei Lincei, Rend. Serie VIII, vol. XIII/3—4, 1958), der auf 22 Seiten eine ganz knappe Einführung und eine äußerst gedrängte Zusammenfassung des wichtigsten Materials ohne jede Angabe von Belegstellen bietet. Wenn auch ein abschließendes Urteil bis zum Erscheinen des Buches selbst zurückgestellt werden muß, so darf ich doch schon jetzt darauf hinweisen, daß das vorgelegte Namenmaterial sprachlich durchaus nicht einheitlich wirkt. Ich kann mir schwer vorstellen, daß das Verbalpräfix für die 3. Person bei demselben Verbum einmal i- und einmal ja- sein soll oder daß beim Determinativpronomen (Absatz 3. 1. 2) die Formen dü und Sü in derselben Sprache nebeneinanderstehen. Ähnliche Einwendungen habe ich gegen beträchtliche Teile des überaus reichen Sprachmaterials zu machen, das G E L B S für alle Assyriologen unentbehrliches Glossary of Old Akkadian (Chicago 1954) enthält. Auch hier würde ich nicht nur die auf S. 313ff. verzeichneten „Names possibly Akkadian" größtenteils ausscheiden, sondern auch viele andere, die teilweise jetzt auch vom Chicago Assyrian Dictionary (CAD) als akkadisch behandelt werden. Eine altakkadischc Grammatik, die alle dort genannten Namen in gleicher Weise zu berücksichtigen versucht, würde oft zu recht widersprüchlichen Feststellungen kommen müssen, die sich auch durch den sicher richtigen Hinweis, daß es im Altakkadischen Dialektverschiedenheiten gegeben hat, nicht befriedigend erklären lassen. Ich bin der Überzeugung, daß ein großer Teil des von G O E T Z E , und anderen als „amoritisch", „syrianisch" oder nwsem. bezeichneten Sprachmaterials auszusondern ist und mit einer sehr großen Zahl von vermeintlich altakkadischen oder altbabylonischen Namen zusammen gründlich untersucht werden muß. Das Ergebnis dieser gewiß sehr schwierigen Untersuchung wird sein, daß wir lernen, das Altamoritische (nach der von mir vorgeschlagenen Terminologie) sowohl gegen das Akkadische wie gegen das frühe Kanaanäische (Amoritisch, Syrianisch) abzugrenzen. Wahrscheinlich werden sich dabei innerhalb des arbeitshypothetisch zunächst als Einheit angesprochenen Altamoritischen auch mehr oder minder erhebliche Dialektunterschiede aufweisen lassen. Ja, es ist möglich, daß es überhaupt nicht gelingt, alle diese Namen aus e i n e r Sprache zu erklären; die Sprachenfrage könnte noch komplizierter sein, als es derzeit den Anschein hat. Zeitliche GELB, MOSCATI

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und örtliche Unterschiede werden beachtet werden müssen; denn von der Akkade-Zeit bis m m Ausgang der altbabylonischen Zeit zählen wir rund 800 Jahre, und der Bereich dieser Namen umfaßt Babylonien, Mesopotamien und Syrien bis hin nach Alalah sowie wahrscheinlich auch Assyrien. Eine saubere Scheidung zwischen akkadischen, altamoritischen und kanaanäischen Namen in jedem Fall wird sicher nicht möglich sein, da nicht nur zahlreiche Wortwurzeln, sondern auch manche Bildungselemente (z. B. die Endung -änum) allen drei Sprachen oder doch zwei von ihnen gemeinsam sind. Nicht akkadisch ist z. B. auch ein beträchtlicher Teil der zuerst von H . H o l m a (Die assyrisch-babylonischen Personennamen der Form quttulu, Helsinki 1941) untersuchten Namen nach der Nominalform purrusu. Denn in ihnen treffen wir oft Wortwurzeln, die dem akkadischen Wörterbuch nach unserer Kenntnis sonst fremd sind und lediglich auf Grund dieser Namen nicht bedenkenlos in es eingeführt werden dürfen (so oft auch im CAD). Hier muß von Fall zu Fall sorgfältig geprüft werden, aus welcher Sprache der Name erklärt werden kann. Besonders zahlreich bezeugt sind die (wahrscheinlich) altamoritischen Namen in den altbabylonischen Texten aus dem Dijala-Gebiet, vor allem in den in JCS I X von R. H a r r i s herausgegebenen Urkunden aus Tutub; ich denke, um nur wenige Beispiele zu nennen, da etwa an Namen wie in Nr. 4 dort Ba-zi-nu-um und Kuhn-süm, in Nr. 5 Ba-ak-si-sum, Hu-ud-hu-du-um, Nu-uk-ra-nu-um usw., in Nr. 42 Ar-ta-nu-um und viele ähnliche. Außerhalb der Personen- und Ortsnamen könnten sich auch einige aus dem Akkadischen mindestens heute nicht verständlich zu machende Wendungen in altakkadischen und altbabylonischen Briefen und Urkunden eines Tages als altamoritisch entpuppen. Schließlich muß wenigstens die Frage gestellt werden, ob nicht auch das Ugaritische eine mehr oder minder stark kanaanäisch beeinflußte altamoritische Sprache war; eine Antwort darauf könnte erst nach Vorliegen der hier geforderten Namenuntersuchungen versucht werden. Sollte sie positiv ausfallen, würde sie erweisen, daß man doch zu Recht auch schon im frühen 3. Jahrt. mit Semiten in Syrien und Phönikien gerechnet hat; viel für sich hat diese Annahme ja auch jetzt schon. Ich meine, daß diese Überlegungen es einleuchtend machen werden, warum der Vorschlag S. Moscatis, die semitischen Sprachen nur noch in die drei großen Gruppen Ost-, Nordwest- und Südsemitisch einzuteilen, wegen der in ihm liegenden Gefahr, komplizierte Tatbestände zu sehr zu vereinfachen, mir durchaus nicht empfehlenswert erscheint.

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Nicht ganz zu eigen machen kann ich mir auch die andere These M.s, nach der eine Unterscheidung zwischen der kanaanäischen Sprachgruppe (Phönizisch-Punisch, Hebräisch, Moabitisch) und der aramäischen erst für das 1. vorchr. Jährt, berechtigt sein soll (vgl. dazu besonders seinen schon genannten Aufsatz in „Stud. or. Levi Deila Vida" II, S. 202 —221). M. hat sicher recht, wenn er sich dagegen wehrt, diese Unterscheidung mit zu großer Selbstverständlichkeit weit in die für diese beiden Sprachgruppen prähistorische Zeit (vor 1500 bzw. 2000) zurückzuprojizieren. Auf der anderen Seite aber arbeitet er angesichts der außerordentlich dürftigen Überlieferung des Früharamäischen vor etwa 700 doch zu sehr mit argumenta e silentio. Wir haben z. B. derzeit kein Mittel, festzustellen, wann und wo im Aramäischen der bestimmte Artikel -ä, der sog. Status emphaticus, zuerst ausgebildet wurde. Die aus den Inschriften erkennbaren Eigentümlichkeiten des frühen Altaramäischen stellt G. G A K B I N I in seiner Schrift „L'Aramaico antico" (Atti della Accad. Naz. dei Lincei, Memorie, Serie VIII, vol. VII, Fase. 5, S. 237—285) mit allen Belegstellen wesentlich genauer dar als M., dessen allzu summarische Angaben a. a. O. doch teilweise mißverständlich sind. M. geht z. B. auf die lexikalischen Unterschiede zwischen Aramäisch und den kanaanäischen Sprachen kaum ein, obwohl neben den grammatischen Gesichtspunkten auch diese Beachtung verdienen. Geschichtlich liegt es so, daß nach der — gewiß lückenhaften! — akkadischen Überlieferung den Jahrhunderten starken Drucks der Kanaanäer auf Mesopotamien und Babylonien (etwa 2000—1700) etwa 300 Jahre zu folgen scheinen, während deren größere Nomadeneinbrüche aus Arabien anscheinend nicht erfolgt sind. Das spiegelt sich vor allem in der Namengebung : die kanaanäischen Namen werden in Babylonien zunächst — unter den letzten Königen der 1. Dynastie von Babylon — seltener und sind gegen Ende des 15. Jahrh., wo die Überlieferung in Babylonien und Assyrien wieder einsetzt, fast ganz verschwunden. Im 14. Jahrh. beginnen dann die Aramäereinbrüche zunächst nach Mesopotamien, das in der Zwischenzeit von den Churritern überflutet worden war. Wir wissen nicht, wie die Sprache dieser Aramäer beschaffen war, ehe die — für uns nur zum kleinen Teil greifbaren —- Substrate im Kulturland auf sie einzuwirken begannen. Doch ist es höchst unwahrscheinlich, daß die Nomaden der Zeit um 1300 und später noch in etwa ebenso sprachen wie diejenigen, die zwischen 2000 und 1700 ins Kulturland einbrachen. Weitaus näher liegt die bisherige Annahme, daß bei

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ihnen mindestens einige den späteren Aramäersprachen gemeinsame Eigentümlichkeiten gegen Ende des 2. Jährt, bereits vorgeformt waren. Die von M. und anderen beobachteten Kanaanismen in den ältesten aramäischen Inschriften lassen verschiedene Erklärungsmöglichkeiten offen. Sie können rein literarische Stilelemente sein, die aus örtlicher Überlieferung in die Inschriften übernommen wurden, vergleichbar etwa den vielen französischen Wendungen im Deutschen des 18. Jahrhunderts. Die sprachlichen Unterschiede, die zwischen aramäischen Inschriften aus verschiedenen Gegenden, vor allem denen aus Syrien und Assyrien beobachtet wurden, sind erst recht kein Argument gegen eine Verselbständigung des aramäischen Sprachzweiges schon vor der Zeit dieser frühesten Inschriften; denn in dem weiten Gebiet, in dem damals Aramäisch allein oder neben anderen Sprachen gesprochen wurde, muß man erhebliche Dialektunterschiede schon a priori postulieren, um so mehr als eine normierte Schriftsprache wie das spätere Reichsaramäische damals noch nicht ausgebildet war. Alle diese Erwägungen sind nicht neu, müssen aber doch hier noch einmal angedeutet werden, um vor einer vorzeitigen Preisgabe von Sprachgruppen-Unterscheidungen zu warnen, die sich mindestens als Arbeitshypothesen bewährt haben. So gewiß es in den Grenzgebieten zwischen dem kanaanäischen und dem aramäischen Sprachraum Vermischungen gegeben hat wie überall in Grenzgebieten, so wenig sehe ich vorläufig Gründe, die gewichtig genug sind, M.s Auffassungen zu rechtfertigen. M.s weiterer, eingangs erwähnter Vorschlag, auch innerhalb des Südsemitischen auf die herkömmliche Unterscheidung zwischen (Nord-) Arabisch und Südarabisch-Äthiopisch zu verzichten, bedürfte einer wesentlich eingehenderen Begründung, als sie der kurze Artikel in RSO 34, 33—39 bieten konnte. Solange eine solche nicht gegeben wird, habe ich auch hier stärkste Bedenken gegen den Verzicht auf in der Arbeit bewährte Unterscheidungen. Es dürfte zweckmäßig sein, eine weitere Behandlung dieser Frage zurückzustellen, bis ausreichende Hilfsmittel für das Altsüdarabische und seine Dialekte zur Verfügung stehen. Der für mich entscheidende Punkt dieser unvermeidlich sehr skizzenhaften Ausführungen ist, daß unsere Aufgabe in der Semitistik nicht darin besteht, die bekannten Sprachen zu möglichst wenigen, ganz großen Gruppen zusammenzufassen, sondern ganz im Gegenteil darin,

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möglichst scharf zu differenzieren. Dabei müssen wir damit rechnen, daß es mehr semitische Sprachen gegeben hat, als wir heute kennen oder schon ganz sicher nachgewiesen haben. Noch erkennbaren Resten solcher Sprachen, zu denen ich das sog. Altamoritische rechnen möchte, nachzuspüren, ist eine der wichtigsten Aufgaben der Semitistik für die nächste Zukunft.

Vedisch magham, „ G e s c h e n k " - neuarabisch maggämja, „Gebührenfreiheit" Der W e g einer Wortsippe Ohne jede Rücksicht auf eine Etymologie wurde für das in Kol. II 15 und 54 sowie III 58 des Mitanni-Briefs (VS 12,200) vorkommende churritische Wort ma-ka-a-an-ni/na aus dem Zusammenhang die Bedeutung „Geschenk" erschlossen (s. F. B O R K , MVAG 14/1,35 u.ö.). Als dann in den akkadischen Urkunden aus Nuzi die Wörter mak/gannu und das damit offenbar gleichbedeutende Abstraktum mak/gannütu auftauchten, bestätigte sich die frühere Bedeutungsansetzung (s. P. K O S C H A K E R , ZA 41, 2Ö3; 48,200f.72). Die in diesen Urkunden häufigste Verbindung ist ana mak/gann(üt)i nadänu „zum Geschenk geben"; kima ma-qa-an-ni-ia . . . elteqe „nahm ich" begegnet in HSS 5,17,9 und die Urkundenbezeichnung tuppi ma-qa-an-nu-ti in JEN 492,1; 605,1; TCL 9,35,1. Der Palatal des Wortes wird als ka oder qa — dieses Zeichen dient in Nuzi als Kurzform von ka — geschrieben (s. noch ana ma-ka-an-ni iddin JEN 493, 6; ana ma-qa-an-na HSS 9,30,5; ana ma-qa/ka-an-nu-ti HSS 5,17,5; JEN 492,10.15; 605,8; HSS 9,35,14; 19,147,5). Als daher H. K R O N A S S E R (Die Sprache 4/1958,127) und gleichzeitig M . M A Y R H O F E R (S. ebd. und ZDMG 111/1961,454) erkannten, dass dieses Wort eine -nnu- Weiterbildung aus vedisch magham „reiches Geschenk" sei, schrieben sie das Wort als makanni-. Diese Schreibung wird an sich auch nicht dadurch widerlegt, dass man heute auch Schreibungen mit ga nachweisen kann. In Nuzi gibt es einen Personennamen Ma-qa/ga(-an)-na-TI (s. Nuzi Pers. Names 94b), der bisher nicht gedeutet wurde. Er ist sicher als Mak/gann-Addi „Geschenk des Adad" zu interpretieren, entspricht also den in Nuzi gleichfalls bezeugten (s. ebd. 88f.) akkadischen Namen des Typs Qisti-GN. In den Urkunden aus Alalah wird der Palatal in ein und demselben Text verschieden geschrieben (vgl. ana ma-qa-an-na AI. T. 224 Rs.9 mit ana ma-ga-nu-ti Z.4), während mir aus Ugarit nur die Schreibung mit g bekannt ist (ana ma-ga-ni nadän-su liddin PRU 4, 83,36). Bis hierher bringe ich ausser einigen zusätzlichen Belegen für mak/gannu und makjgannütu (s. noch HSS 19, 146, 1) nichts Neues. Nun bemerkte ich vor einiger Zeit, dass das Wort auch im Ugaritischen vorkommt, und zwar dort eindeutig mit g geschrieben, sodass es sich empfiehlt, künftig die Normalform des Wortes als magannu anzusetzen. Während das Ugaritic Manual von C. H. G O R D O N (1955) ein Substantiv mgn noch nicht kennt, wird es von J. A I S T L E I T N E R , Wörterb. d. ugarit. Sprache (Berlin 1963)

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Vedisch magham - neuarabisch maggänija

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auf S . 179 neben dem auch von G O R D O N ( S . 268 Nr. 1061) schon aufgeführten Verbum mgn mit zwei Belegen verzeichnet, deren einen G O R D O N noch als Verbalform zitierte (bei ihm Nr. 51 I 22). Beide halten das Verbum offenbar für semitisch, weil es sich auch im Hebräischen findet und eine scheinbare Ableitung davon, aramäisch maggän und arabisch maggänan „gratis, umsonst", den Eindruck erwecken könnte, als sei eine Wurzel mgn „schenken" gemeinsemitisch. Dieser Eindruck täuscht aber. Das ugaritische Substantiv mgn kann wegen der völligen Bedeutungsgleichheit mit magannu, das, wie wir sahen, auch in den akkadischen Texten von Ugarit vorkommt, nur aus diesem entlehnt sein und dürfte dann ebenfalls magannu zu lesen sein, magannu lebt aber ausserdem in aram. maggän und arab. maggänan weiter; wir wissen nicht, ob das Wort über das Ugaritische ins Aramäische übernommen wurde oder auf einen anderen Wege. Wichtig ist, dass maggän nicht nur für das Palmyrenische (C. F. J E A N - J . H O F T I J Z E R , Dict. des inscr. sem. de l'ouest, S. 142), das Syrische und das Jüdisch-Aramäische bezeugt ist, sondern auch für das Reichsaramäische; denn es wurde aus ihm in der Form ana ma-ga-nu „gratis" ins Spätbabylonische entlehnt (vgl. in Briefen U E T 4,192,15.22 und BIN 1,53,30). Wenn in den jüngeren Formen anders als im Mitanniwort das g gelängt ('verdoppelt') gesprochen wurde, so war das vermutlich die Folge der häufigen Verwendung von maggän in dringenden Bitten um geschenkweise Überlassung von Speisen usw. Ohne die Konsonantenlängung wäre das Wort zu einem einsilbigen *mgän verkürzt worden und hätte dann im Satz kein grosses Gewicht. Die Beschränkung des alten Substantivs auf den adverbialen Gebrauch hatte offenbar seine Ursache darin, das man für den Begriff Geschenk ein Wort fremder Herkunft nicht brauchte. Im adverbialen Gebrauch hat aber auch im Deutschen das lateinische gratis das Wort 'umsonst' aus der Alltagssprache weithin verdrängt. Die Meinung, dass ein Fremdwort feiner klingt als ein vielleicht etwas abgebrauchtes eigenes Wort, mag bei uns wie bei den älteren Aramäern eine Rolle gespielt haben. Da also das ugaritische mgn{magannu) ein akkadisch-churritisch-arisches Lehnwort ist, kann es von dem Verbum mgn "schenken" nicht abgeleitet sein, sondern dieses muss von magannu denominiert sein. Die Masoreten folgten sicher einer guten Tradition, als sie das im A T dreimal bezeugte Verbum überall als Pi'el vokalisierten; denominierte Verben werden in den semitischen Sprachen ja sehr oft im D-Stamm gebraucht (vgl. z . B . G . B E R G S T R Ä S S E R , Hebr. Gramm. II §170; G A G §88g). Anders als G O R D O N und A I S T L E I T N E R möchte ich nun auch im Ugaritischen durchweg den D-Stamm und nicht den G-Stamm ansetzen. Die bisher belegten Formen lassen sich als D und G vokalisieren; Formen wie das Partizip, bei denen auch das Konsonantengerüst in den beiden Stämmen verschieden ist, sind bisher nicht bekannt geworden.

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Vedisch

magham

- neuarabisch

maggaiiija

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Die Vokalisierung der Masoreten auf der einen Seite und die nach dem bisher Gesagten wohl nicht mehr zu bestreitende Tatsache der Denominierung auf der anderen Seite zwingen nach meiner Auffassung dazu, in den bezeugten ugaritischen Formen solche des D-Stammes zu sehen. Übrigens entfällt danach auch die an sich schon höchst unwahrscheinliche etymologische Verknüpfung von mgn mit akkad. magäru „einwilligen, zustimmen", die das Wörterbuch von G E S E N I U S - B U H L (17. Aufl. S. 397a) als möglich und L. K Ö H L E R in seinem Lexicon (S. 493b) als sicher hinstellt. Die Bedeutungen beider Verben sind doch grundverschieden. War also bisher eine Linie erkannt worden, die von vedisch magham zu churritisch und akkadisch mag/kannu führte, und eine andere, die ugaritisch mgn mit arab. maggänan verknüpfte, so eröffnet die nun gelungene Verbindung beider Linien zu einer einzigen Perspektiven, die in der Wortgeschichte nicht ganz gewöhnlich sind. Es lohnt daher, noch etwas dabei zu verweilen. Wir können nicht mit Sicherheit behaupten, dass das denominierte Verbum miggen gerade aus dem Ugaritischen in das Biblisch-Hebräische entlehnt wurde. Die Möglichkeit, dass ein frühkanaanäischer Dialekt im churritisch überlagerten Gebiet von Syrien-Palästina das Wort magannu gleichfalls übernahm und das Verbum mgn denominierte und dass Israel das Wort dort kennen lernte, lässt sich nicht ausschliessen. Wir wissen über die frühen kanaanäischen Dialekte viel zu wenig. Ebenso können wir nicht behaupten, dass ma(g)gän „gratis" dem Bibelhebräischen ganz unbekannt war; es kommt nur im A T nicht vor. Nachdem man oft verzweifelt nach indogermanischen Wörtern im A T Ausschau gehalten hatte und dabei die unmöglichsten Verknüpfungen konstatieren wollte (z.B. I. S C H E F T E L O W I T Z , Arisches im AT, 1901), hat sich nun ganz ungesucht (bei der Arbeit an meinem AHw.) ein solches Wort ergeben, das nicht einmal zu den sogenannten Wanderwörtern (Bezeichnungen von Rohstoffen und Gegenständen, die mit diesen zusammen wandern) gehört. Es konnte als solches gar nicht erkannt werden, solange die Zwischenglieder nicht bekannt waren. Auch ist die Denominierung von Verben aus Wörtern fremder Herkunft im älteren Semitischen höchst selten, und wir tun auch in Zukunft gut, damit nicht vorschnell zu rechnen. Bemerkenswert ist noch, wie bei diesem Wort auf eine Erweiterung der Wortsippe in Ugarit die Verengung auf ein einziges Adverbium und später wieder eine neue Erweiterung folgte. Denn das denominierte Verbum miggen ist im Hebräischen anscheinend ziemlich früh ungebräuchlich geworden; es wurde jedenfalls ins Mittelhebräische der Mischna offenbar nicht mehr übernommen. Ein Beleg, der verbal und nominal gedeutet werden kann, findet sich in einer phönizischen Inschrift aus Ur aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. (vgl. H. D O N N E R - W . R Ö L L I G , Kan. u. Aram. Inschr. Nr. 29,1 und die Bemerkung dazu auf S. 47). Das Syrische leitet aber spätestens zur Zeit des Bar Hebräus

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Vedisch magham - neuarabisch maggämja

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aus maggän ein neues Adjektiv maggänäjä „gratis gegeben" ab (C. BROCKELMANN, Lex. Syr,2, 374a). Das Aramäische des Talmud verwendet l'maggänä „umsonst" auch im Sinn von hebr. laS-Sau* „umsonst, leichtfertig" (zu Ex. 20,7). Im Arabischen blieb das aus dem Aramäischen entlehnte maggänan „gratis, umsonst" lange unproduktiv. In neuerer Zeit wurde daraus aber die Nisbe maggäni „unentgeltlich" abgeleitet und daraus wieder das Abstraktum maggänija „Gebührenfreiheit" (s. H. WEHR, Dict. of Modern Written Arabic 894a); statt maggänan sagt man auch bil-maggän. Ein denominiertes Verbum wurde, soweit mir bekannt ist, noch nicht gebildet. Das Neuhebräische des heutigen Israel übernahm aus dem Aramäischen zunächst maggän „gratis, umsonst". Aus dem A T wurde aber auch das Verbum maggen übernommen, und zwar im Anschluss an die traditionelle Deutung von Gen. 14,20 im Sinn von '.ausliefern" (vgl. M. D. GROSS, Neues Hebr.-Dt. \Vb.t Teil Aviv 1949, S. 232a). An sich ist dort nur gesagt „Gepriesen sei der Höchste ('el 'eljon), der deine Feinde in deine Hand übergab (miggen; L X X Ttap¿Sowcev)". Wie an den anderen Stellen (Hos. 11,8 und Prov. 4,9) ist auch hier „schenken, hingeben" gemeint, nicht der Akt einer Auslieferung als solcher. Bei einer künstlich wieder ins Leben gerufenen Sprache wie dem Neuhebräischen können aber bestimmte Ausdeutungen einer Textstelle von nun an den Sprachgebrauch bestimmen, und der Sprachgebrauch folgt dann seinen eigenen Gesetzen ganz unabhängig von der Textdeutung, aus der heraus er einst entstanden ist. Das Neuhebr. gebraucht maggen aber auch im Sinne von „beschützen". Dieses Wort ist von mägen „Schild" abgeleitet (jüd.-aram. m'ginnä, arab. migann), einem im A T häufigen Wort. Dieses denominierte Verbum verzeichnen die mir bekannten Wörterbücher für die Sprache von Mischna und Talmud nicht, es muss aber zur Zeit der Ubersetzung des A T ins Griechische gebräuchlich gewesen sein. Denn die L X X übersetzt in Hos. 11,8 und Prov. 4,9 die dort stehenden Formen von mgn durch U7tepaa7ttö bzw. unepxantay), setzt somit das Verbum Ü7repa ga-hi-im, einem aus sum. n a - g a - a h = nu'ü(m) „Barbar, roher K e r l " nur erschlossenen sumerischen Fremdwort. A H w . 273b zitiert die Stelle unter gahhu. D a jedoch anstatt des dort angegebenen [k]a-ah-hu-um nach M S L 12 (1969), 202, 12 \m\u-si-ih-hu-um „ C l o w n " zu lesen ist, ist gahhu wohl zu streichen. Ich würde heute ohne Emendation a-na ga-'i-im „dem überheblichen K e r l " zu lesen vorschlagen. Die Bestätigung durch weitere Belege bleibt abzuwarten. Altbab. ga'üm ist wohl ein kanaanäisches Fremdwort.

Sanherib vor Jerusalem 701 v. Chr. Über politische Auseinandersetzungen und über Verlauf und Ausgang von Kriegen im alten Orient sind wir meistens nur sehr einseitig unterrichtet, weil uns nur Berichte der einen Seite, in der Regel des Siegers, zur Verfügung stehen. Um so mehr Aufmerksamkeit verdienen die Fälle, in denen uns Aussagen beider Parteien überliefert sind, und das nicht nur dann, wenn alle Quellen aus der Zeit der Ereignisse stammen. Zur Korrektur der fast immer stark propagandistisch gefärbten Königsinschriften können bei kritischer Auswertung sogar sagenhafte Überlieferungen aus viel jüngerer Zeit dienen, sofern wir uns davor hüten, diesen zu viele Einzelheiten entnehmen zu wollen. Ganz eindeutige Ergebnisse werden wir in solchen Fällen allerdings oft nicht gewinnen können. Für den Feldzug des Assyrerkönigs Sanherib im Jahre 701 gegen Hiskia von Juda und andere Fürsten von Syrien und Palästina stehen außer den assyrischen Inschriften sogar zwei jüngere Überlieferungen von allerdings sehr verschiedener Aussagekraft zur Verfügung. Dieser Feldzug ist daher besonders oft behandelt worden; eine befriedigende Klärung aller Fragen, die sich an ihn knüpfen, gelang aber noch nicht, weil der Quellenwert der jüngeren Überlieferungen umstritten ist. Meistens wird er sehr niedrig eingeschätzt. Ein bisher fast unbeachtet gebliebener assyrischer Brief etwa aus dem Jahr 731, der 1955 veröffentlicht wurde, zeigt, daß die Erzählung des Alten Testaments trotz ihres teilweise legendären Charakters doch mehr Beachtung verdient, als ihr meist zuteil wird. Es lohnt daher, auf einige der mit diesem Feldzug zusammenhängenden Fragen erneut einzugehen, auch wenn keine abschließenden Ergebnisse zu erzielen sind; denn an dieser Auseinandersetzung waren so bedeutende Persönlichkeiten wie die Könige Sanherib und Hiskia und der Prophet Jesaja beteiligt. Dafür müssen wir uns zunächst die verfügbaren Quellen kurz in die Erinnerung zurückrufen. Die einzige Quelle aus Assyrien stellen die Inschriften Sanheribs dar. In den wenig zahlreichen Briefen aus seiner Zeit wird auf den Feldzug, soweit ich sehe, nirgends Bezug genommen, und der sog. Eponymenkanon B, der für jedes Eponymatsjahr auch das wichtigste Ereignis nennt, ist für 701 nicht erhalten (s. RIA 2, 428ff.). Die viel jüngere „Babylonische Chronik" übergeht das Jahr 701, weil sie an Ereignissen

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fern von Babylonien wenig interessiert ist. Sanherib zählt seinen Westfeldzug als den dritten. Berichte darüber finden sich in der nach dem sechsten Feldzug abgefaßten Stierinschrift (D. D. Luckenbill, The Annais of Sennacherib, Chicago 1924, S. 68,18-70,32) und in der großen Prisma-Inschrift, die noch den achten Feldzug behandelt (ebd. S. 29,37—34,49); ganz kurze Hinweise enthalten auch andere Inschriften (ebd. S. 77,17-22 und 86,13-15). ANET 3 gibt auf S. 287f. eine Übersetzung des Prismaberichts neben Auszügen aus den anderen Inschriften. Der Prismabericht übernimmt die Darstellung der Stierinschrift fast wörtlich, fügt aber bei geringen Auslassungen sehr viel hinzu, darunter die Phantasiezahl von angeblich 200150 Verschleppten aus Juda. Es handelt sich bei ihm also deutlich um eine Neuredaktion, die die wirklichen und angeblichen Erfolge noch deutlicher herausstellen will. Das Alte Testament erzählt Sanheribs Feldzug und die wunderbare Errettung Jerusalems in 2. Könige 18,13-19,37 und in einem Zusatz zum Buch Jesaja (Kap. 36 und.37). Beide Berichte sind fast gleichlautend; das Königsbuch enthält jedoch in Kap. 18,14-16 einen dort etwas ungereimten Zusatz, nach dem Hiskia schon vor dem Feldzug Sanheribs diesem den Tribut gesandt haben soll, den er nach Sanheribs Darstellung, wie zu erwarten, erst nach dem Feldzug nach Ninive schickte. Das Buch Jesaja nimmt auf Situationen vor und nach dem Feldzug auch noch in Kap. 18 und 1 Bezug; vgl. die übersichtliche Zusammenstellung bei H. Donner, Herrschergestalten in Israel (BerlinHeidelberg 1970), S. 79ff. Viel jünger ist Herodots Bericht (Buch II 141) von Sanheribs mißlungenem Angriff auf Ägypten, in dem von Juda, Jerusalem und Hiskia mit keinem Wort die Rede ist. Über diesen Bericht spricht ausführlich W. Baumgartner in Archiv Orientälni XVIII 1/2 (1950), S. 89ff. (mit Nachträgen wieder abgedruckt in seiner Aufsatzsammlung „Zum Alten Testament und seiner Umwelt" [Leiden 1959], S. 305ff.). Da Herodot hier offenbar an ägyptische Überlieferungen anknüpft, die aus Sanheribs Sieg über ein ägyptisches Hilfsheer bei Elteqe in Palästina eine Niederlage der Assyrer bei einem angeblichen Angriff auf Ägypten selbst machen, erkennt Baumgartner ebenso wie die meisten Alttestamentler dieser Erzählung keinerlei Quellenwert für die Rekonstruktion der Ereignisse im Jahre 701 zu. Es besteht kein Anlaß, hier auf den ersten Teil von Sanheribs Feldzug bis hin zur Schlacht von Elteqe (ass. Altaqü) erneut einzugehen. Sanheribs Bericht über die Vertreibung des Königs Luli von Sidon und die in Asdod, Ekron und Gaza getroffenen Maßnahmen dürfte, von

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den üblichen Übertreibungen abgesehen, den Verlauf der Ereignisse im wesentlichen korrekt schildern. Nach dem Rückzug der Ägypter hielt es Hiskia für zweckmäßig, den von ihm gefangen gehaltenen König Padi von Amqarruna/Ekron freizulassen. Sanherib setzte diesen wieder als König ein und vergrößerte das Gebiet von Ekron nach Festsetzung eines entsprechenden Tributes um einen Teil der 46 befestigten Ortschaften Judas, die er, nach dem Prisma unter Einsatz von Belagerungsgerät, erobert hatte. Anschließend schritt er zur Belagerung Jerusalems: „Ich schloß Hiskia wie einen Käfigvogel ein; Befestigungen errichtete ich gegen ihn und machte ihm das Hinausgehen aus dem Stadttor unmöglich." Jeder Hörer und Leser des Berichtes erwartet nun, daß entweder die Eroberung Jerusalems anschließend berichtet wurde oder aber der Verzicht auf Eroberung und Ausplünderung nach vollständiger Unterwerfung Hiskias. Statt dessen hören wir von der Verteilung des judäischen Gebietes und danach von einer sehr umfangreichen Tributleistung Hiskias, die er nach Ninive sandte. Warum die Belagerung Jerusalems vor der Unterwerfung und Tributleistung abgebrochen wurde, erfahren wir nicht, eine Merkwürdigkeit des Feldzugsberichtes, die schon vielen aufgefallen ist. Über die Gründe für die Schweigsamkeit Sanheribs am Ende seines sonst so wortreichen Berichtes über den dritten Feldzug gibt es noch keine einhellige Meinung. Wir müssen daher hier mit unseren Überlegungen einsetzen. W. Baumgartner vermutet a. a. O. S. 307 mit anderen, daß Nachrichten über einen erneuten Aufstand in Babylonien Sanherib zu dem schnellen Abzug aus Palästina veranlaßt hätten. Tatsächlich richtete sich der vierte Feldzug von 700 gegen Babylonien. Der ziemlich kurze Bericht darüber in den beiden Inschriften (Luckenbill a . a . O . S. 71, 33-37 und S. 34/5, 5 0 - 5 4 ) läßt aber ebensowenig wie die „Babylonische Chronik" ( C T 3 4 , 4 7 : Kol. I I 2 5 - 3 0 ; ANET 3 , S. 301b) erkennen, daß der Feldzug durch einen Aufstand ausgelöst wurde. Sanherib zog 700 vielmehr sofort nach Bit-Jakin in Südbabylonien, um dort die 703 nicht zum Abschluß gekommene Pazifizierung fortzuführen, und ersetzte erst auf dem Rückmarsch den von ihm selbst eingesetzten König Bel-ibni von Babylon durch seinen eigenen Sohn Assur-nädin-sum. Über die Gründe für diese Maßnahme erfahren wir auch aus der Chronik nichts. Einen der Absetzung vorausgegangenen Aufstand des Bel-ibni hätte Sanherib uns kaum verschwiegen, da ein solcher die beste Rechtfertigung für sein Vorgehen dargestellt hätte. Es spricht daher nichts für die Vermutung, daß die Verhältnisse in Babylonien Sanherib zu einem überstürzten Abbruch der Belagerung Jerusalems ohne Zurücklassung eines Heeres, das die Belagerung weiterführen sollte, veranlaßt oder gar gezwungen hätten.

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Die assyrischen und babylonischen Quellen klären uns über die Gründe für den Abbruch der Belagerung Jerusalems nicht auf. Um so beredter ist das Alte Testament. Die Frage ist nur, inwieweit die mit legendären Zügen stark ausgeschmückten Erzählungen als Geschichtsquellen für das, was 701 tatsächlich geschehen ist, gelten können. Als Geschichtsquellen allgemein anerkannt werden die Berichte über Hiskias Tributzahlung (2. Kön. 18,14-16) und über die Gesandtschaft des Chaldäerfürsten Merodachbaladan (Marduk-apliddin II.), der unter Sargon II. von 722-711 und erneut im Jahre 703 auch König von Babylon war, an Hiskia (2. Kön. 20,12-19). Natürlich entbehrt auch letzterer nicht der Ausschmückungen, und beide Berichte sind falsch eingeordnet: Der erste müßte auf die Erzählung von der vergeblichen Belagerung folgen, der zweite ihr vorangehen, weil die Gesandtschaft, die über die Abstimmung von antiassyrischen Aktionen verhandeln sollte, Jerusalem 703 besucht haben muß, wenn sie wirklich aus Babylon kam. Die Umstellung der Berichte durch einen späteren Redaktor entwertet diese als solche aber nicht. Als geschichtliche Tatsache anerkannt ist auch das Eingreifen des Propheten Jesaja in Hiskias Politik gegenüber Assyrien, wie immer sich das im einzelnen abgespielt haben mag. Auch hierauf brauchen wir nicht erneut einzugehen. Sehr umstritten ist aber die ausführliche Erzählung über die Errettung Jerusalems. Bisweilen wird sie als völlig ungeschichtlich behandelt, so etwa von M. Noth, Geschichte Israels (2. Aufl. 1954), der auf S. 243 nur in der Dreizeilen-Anmerkung 3 ganz kurz auf diese Erzählungen verweist, ihnen aber nichts entnimmt. Andere Darstellungen stellen immerhin die Frage, ob eine Epidemie den unerwartet schnellen Rückzug Sanheribs veranlaßt haben könnte. Die novellistisch breit ausgemalte Erzählung von dem Versuch des Rabsake (akk. rab säqe), eines der höchsten Hofbeamten, die Einwohner Jerusalems zur Kapitulation auch gegen den Willen Hiskias zu überreden, wird meist ganz übergangen. Wir wissen aber seit einiger Zeit, daß gerade sie in ihrem Kern geschichtlich sein dürfte, weil die Assyrer ähnliche Versuche, ihren Truppen eine kostspielige und verlustreiche Belagerung zu ersparen, auch sonst unternommen haben. Den Beweis dafür liefert ein in Kalach (heute Nimrud) gefundener assyrischer Brief wahrscheinlich aus dem Jahr 731, der über Verhandlungen mit den Bewohnern von Babylon berichtet. H. W. F. Saggs hat ihn in Iraq 17/1955, S. 23ff. veröffentlicht und bearbeitet; S. 47 verweist er auf die Ähnlichkeit der Erzählung in 2. Kön. 18f. Leider ist der Brief teilweise schlecht erhalten und vielleicht auch nicht überall ganz korrekt kopiert. Da ich ihn nicht kollationieren konnte, gebe ich hier nur eine Übersetzung der verständlichen Teile

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und in Klammern die Umschrift der Zeilen, die ich anders lese als Saggs. (1) An meinen Herrn König (2) dein Diener [Sama]s ? -bunaja (und) Nabü-etir (3) Meinem Herrn König möge es wohl gehen; (4) Nabu (und) Marduk mögen meinen Herrn König segnen! (5) Am 28. gingen wir nach Babylon (6) (und) stellten uns vor dem Marduk-Tor hin. (7) Mit (issil) einem Babylonier sprachen wir. (8) [ . . . ] . nu, ein Diener des Ukinzer 1 - (9) ein Kaldu-Mann war bei ihm (i-se\-e\-su) - , (10) sie kamen heraus (und) standen mit Babyloniern (11) vor dem Tor. Wir sprachen wie folgt (12) zu den Babyloniern: (13) „Der K[öni]g (Ji[arr]u!) hat uns zu euch1 geschickt (i\-[sap\-]ra-na-si) (14) mit dem Auftrag: ' (15) (16) Babylon' möge zustimmen! (17) Euer Schutzverhältnis zu bestätigen 2 (18)komme ich nach Babylon'". Viele [Wor]te (19) sprachen wir mit ihnen, (aber) die (20) der Truppen waren offenbar nicht ein [verstanden7] (21) (und) kamen nicht heraus; sie sprachen nicht mit uns, (22) schrieben uns nur einige Male. Wir (23) sprachen zu ihnen: „Öffnet das Stadttor, (24) wir wollen nach Babylon hineingehen!" Er willigte nicht ein (25) und sagte „Euch (allein) haben wir nach Babylon (26) hereingelassen3". Wir sagten: „Wenn (27) der König selbst kommt, was (28) sollen wir ! dem König sagen? Wenn (29) der König kommt, werden sie das Stadttor öffnen?" (30) Sie glaubten nicht, daß der König kommen 4 würde. (31) Wie folgt sprachen wir zu ihnen: (32) „ und die Diener (33) des Ukin-zer sollen zu euch herabkommen (lu-[r]il-du\-niku-nu)! (34) Bis der König kommen wird, (35) [bleiben] wir in KärNergal". (36) Vor ? den Babyloniern werden wir sprechen. (37) Was immer ihr Bescheid sein wird ( t e - m u - s a - n u - n i l ? ) (38) werden wir meinem Herrn König schreiben. (39) Leute vom Litamu-Stamm haben uns geschrieben: (40) „Wir sind Diener des Königs. Am 30. Tag 5 (41) werden wir kommen (und) mit euch sprechen. (42) Die werden mit uns zum König gehen". (Rest schlecht erhalten) Die Situation vor Babylon, von der die Schreiber berichten, ist nicht die gleiche wie die im Königsbuch geschilderte vor Jerusalem. Es scheint nicht, daß die Belagerung von Babylon unmittelbar bevorstand. Wohl aber ging es auch hier darum, daß der König von Assyrien in eine Stadt 1 2

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Ukin-zer war 732-730 knapp 3 Jahre lang König von Babylon. a\-na\ ka\-u\-un. Eine Kollation der Zeile gab Saggs in Archaeology and Old Testament Study (Oxford 1967), S.55 Anm.55 (vgl. ebd. S.47 zu unseremBrief). Dieser Satz kann wegen des Verbums im Perfekt wohl nur so verstanden werden. Der Name ist vorläufig nicht zu lesen. Hier liegt offenbar dieselbe Funktionärsbezeichnung wie in Z. 19 vor. Ich kann sie nicht deuten.

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einziehen wollte, die ihn als Fremdherrscher ansah. Die beiden Beauftragten Assyriens stellten sich vor dem Marduk-Tor auf und sprachen mit verschiedenen Leuten, nicht nur mit dem Stadtkommandanten oder von ihm bevollmächtigten Sprechern. Sie versuchten also, Bewohner der Stadt in ihrem Sinn zu beeinflussen ähnlich, wie das nach dem biblischen Bericht der Rabsake vor Jerusalem tat. Das Briefende ab Z. 39 hat mit dem Hauptthema wohl nichts zu tun. Die Rabsake-Erzählung zeigt also einige Vertrautheit mit den politischen Praktiken der Assyrer, die sie zur Unterstützung ihrer militärischen Maßnahmen anwandten. Das spricht dafür, daß sie auf einen noch in assyrischer Zeit abgefaßten Bericht zurückgeht. In die gleiche Richtung weisen die Erinnerungen an Strafgerichte, die die Assyrer an feindlichen Städten vollstreckt hatten, in der Botschaft Sanheribs an Hiskia, wie wir sie in 2. Kön. 19,10-13 lesen. Zwar finden wir hier mehrere Stadtnamen, die heillos verderbt und daher nicht mehr zu identifizieren sind. Aber die Hinweise auf die Niederschlagung eines Aufstandes in Gusana 758, auf das nach dreijähriger Belagerung 740 über Arpad verhängte furchtbare Strafgericht und auf die Eroberung von Hamath 720 sind historisch. Sie müssen aus einer älteren Quelle stammen, da nach der Assyrerzeit die Erinnerung an diese Ereignisse kaum noch lebendig war. Dasselbe gilt für die in der Erzählung erwähnten hohen Hofämter in Assyrien, während die Nennung des Äthiopierkönigs Thirhaka (Taharka) in 19,9 einen Anachronismus darstellt. Die Erzählung mischt also einwandfreie historische Reminiszenzen, Anachronismen und legendäre bzw. novellistische Elemente, was auf etliche Umformungen im Laufe der Zeit bis zur endgültigen Niederschrift deutet. Der Historiker muß versuchen, hier die Spreu vom Weizen zu sondern, soweit das aufgrund unserer Kenntnis der Vorgänge und Zustände in der Zeit Hiskias und vorher möglich ist. Das kann heute nur sehr unvollkommen glücken und wird auch nach Bekanntwerden neuer Quellen sicher nie ganz befriedigend gelingen. Ganz ausklammern dürfen wir das, was sie sagt, aber keinesfalls, umsomehr als die assyrischen Quellen wegen ihrer propagandistischen Färbung ja auch mit viel Kritik aufgenommen werden müssen und nicht mit einigen Retuschen einfach ausgeschrieben werden können. Wenn nun die Erzählung von Sanheribs Versuchen, durch Überredung der Einwohner Jerusalems und einen Drohbrief an Hiskia die Kapitulation zu erreichen, in ihrem Kern auf alten Quellen beruht, so darf die Erzählung von der wunderbaren Errettung Jerusalems in 2. Kön. 19,35f. auch nicht von vornherein als nur legendär und damit für den Historiker wertlos abgetan werden. Natürlich, die Behauptung, eine von Jahwe gesandte Seuche hätte in einer einzigen Nacht 185000

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Assyrer hingerafft, wird kein Historiker so hinnehmen. Daß das ganze assyrische Heer einschließlich Tross an die 200000 Mann stark gewesen sein soll, ist an sich schon ganz unwahrscheinlich. Wie sollten solche Menschenmassen auf dem Marsch und in Palästina ernährt werden? Auch war für einen Feldzug gegen die Kleinstaaten von Syrien und Palästina ein so großes Heer nicht notwendig. Wenn wir nun aber aus dieser Zahl schließen wollen, daß die ganze Nachricht eine späte Legende sei, müssen wir uns daran erinnern, daß nach unserem Zahlensystem sechsstellige Zahlen in den Berichten der Assyrer wie in denen des Alten Testaments sehr beliebt waren. Wir nannten schon o. S. 44 die Zahl 200150, die Sanherib als Zahl der aus Juda Verschleppten angibt. Ähnliche Zahlen finden sich oft in den assyrischen Königsinschriften der Großreichszeit. Im Alten Testament sind die Geschichten von Saul, David und Salomo voll von fünf- bis sechsstelligen Zahlen, ohne daß diese deswegen ganz ins Reich der Fabel verwiesen werden. 185000 besagt daher auch hier nicht mehr als „sehr viele". Entsprechend zu beurteilen ist die Zeitangabe „in derselben Nacht". Sie ist rein legendär und erlaubt doch nicht den Schluß, daß die Erzählung von der plötzlich auftretenden Seuche im Assyrerheer nur eine Legende sei. Ein verständlicher Grund für den schnellen Abzug der Assyrer war eine Seuche auch dann, wenn sie etliche Tausend Opfer in einigen Wochen forderte. Das Vorkommen schwerer Seuchen (akkad. mütänu) ist für das 8. Jahrhundert durch den assyrischen Eponymenkanon bezeugt. Die Niederwerfung des Aufstandes in Gusana (heute Teil Halaf) mußte wegen mütänu von 759 auf 758 verschoben werden. Die Seuche von 765 war, wie ich in Ug. Forschungen III/1971 zeigen werde, der Anlaß zur Abfassung des Mythus vom Pestgott Erra durch den Dichter KabtiläniMarduk 764. Vielleicht war überhaupt die geringe Aktivität der Assyrerkönige zwischen 780 und 745 nicht zuletzt durch die Seuchen verursacht. Eine Seuche im Assyrerheer vor Jerusalem ist also durchaus nichts Unwahrscheinliches, und sie wäre für den so schnellen Abzug von Sanherib in der Tat eine plausible Erklärung. An dieser Stelle erinnern wir uns an die von Herodot in Buch II 141 seines Werkes überlieferte Sage, daß Sanheribs Heer bei seinem Angriff auf Ägypten nachts von großen Mäuseschwärmen überfallen worden sei, die das Lederzeug zerfressen und damit große Teile des Heeres wehrlos gemacht hätten. W. Baumgartner hat in seinem o. S. 44 genannten Aufsatz Herodots Erzählung eingehend analysiert und gezeigt, daß sie einige verbreitete Märchenmotive enthält und auch als „Denkmalnovelle" oder „Bildsage" für ein Gottesbild mit einer Maus gedeutet werden kann. Aufgrund dieser Beobachtungen kann man die Mäusegeschichte in der Tat als eine freie Erfindung ansehen. Die Frage ist

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nur, ob man das tun muß. Wir hatten gesehen, daß phantastische Zahlen- und Zeitangaben im Alten Testament nicht ausreichen, um eine Erzählung als ganz unhistorisch abzutun. Denn die assyrischen Königsinschriften gehen mit Zahlen auch sehr frei um, und die Propaganda in der modernen Kriegsberichterstattung manipuliert Zahlen ebenfalls nach Belieben. Wenn also Berichte mit überreichlich „aufgerundeten" oder sogar bewußt gefälschten Zahlen im Kern historisch sein können, so gilt das Gleiche für Erzählungen, die weit verbreitete Märchenmotive verarbeiten. Es kann sein, daß in ihnen außer einigen Namen nichts historisch ist. Es kann aber auch sein, daß die Märchenmotive nur der Ausschmückung von Erzählungen dienen, die jedenfalls teilweise auf historische Berichte zurückgehen. Welches Gewicht die Märchenmotive und ätiologische Ausdeutungen in einer Geschichte haben, muß von Fall zu Fall unter Heranziehung aller erreichbaren Quellen untersucht werden. Tun wir dieses im Fall von Herodots Mäusegeschichte, so kann nicht bestritten werden, daß sie bei einem Vergleich mit der Erzählung von der Seuche im Assyrerheer im Alten Testament weniger absurd wirkt als bei isolierter Betrachtung. Daß Mäuse und Ratten Seuchen übertragen, ist ebenso bekannt wie ihre Neigung, beim Fehlen der gewohnten Nahrung Leder und anderes anzuknabbern. Da nun beide Geschichten mit dem Namen Sanheribs verbunden sind, aber wegen ihrer verschiedenen Ausgestaltung nicht auseinander abgeleitet werden können, fällt es schwer, sie ganz in den Bereich des Märchens zu verweisen. Gestützt werden sie ferner dadurch, daß für den unerwartet schnellen Abzug von Sanherib aus Palästina eine Seuche die wahrscheinlichste Motivierung ist, da politische Gründe nicht erkennbar sind. Daß Sanherib selbst nichts von der Seuche berichtet, ist kein Gegenargument. Die Inschriften verschweigen Mißerfolge fast immer. Eine Seuche konnte überdies auch in Assyrien als Strafe der Götter für schwere Sünden des Königs gedeutet werden. Gerade Sanherib hat sich bekanntlich von seinen Priestern das gewaltsame Ende seines Vaters Sargon II. in einem Hinterhalt, in den er bei einer tollkühnen Unternehmung in Iran geraten war, als Folge seiner Sünden gegen die Götter deuten lassen. Er hatte also allen Anlaß, über die Seuche zu schweigen. Als Gegenargument kann schließlich auch nicht die Tatsache dienen, daß das Königsbuch nichts über Opfer der Seuche unter den Juden, die es sicher gegeben haben muß, berichtet. Sie paßten in die als Wunderbericht stilisierte Erzählung nicht herein. Als ein Wunder durften die Juden die unerwartete Errettung aber wirklich ansehen. Hiskia jedoch war Realist genug, um auf die Errettung nicht gar zu viel zu bauen. So sorgte er durch seine große Tributsendung nach Ninive dafür, daß Sanherib keinen Anlaß fand,

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noch einmal nach Palästina zu kommen. I m Gegensatz zu manchen neuen Darstellungen sagt ja auch Sanherib ausdrücklich (Luckenbill, S. 34,48), daß Hiskia den Tribut „hinter mir her (arki-ja)" nach Ninive gesandt habe. Die Tributsendung kann also nicht der Anlaß für die Aufhebung der Belagerung gewesen sein! Selbstverständlich gab sich Hiskia außerdem auch mit dem Status eines Vassalien zufrieden. D a ß er oder sein Nachfolger Manasse dem Reichskult des Assur im Tempel R a u m geben mußte, wie man oft lesen kann, wird übrigens auch nirgends gesagt. Gegen gar zu große Verluste durch die Seuche im Assyrerheer spricht die Tatsache, daß Sanherib schon 700 wieder mit einem großen Heer nach Babylonien ziehen konnte. Zusammenfassend dürfen wir also feststellen, daß wir bei kritischer Auswertung der in den jüngeren und legendär gefärbten Erzählungen im Alten Testament und bei Herodot erhaltenen Nachrichten zu einem glaubwürdigeren Bild von den Ereignissen vor Jerusalem 701 v . C h r . gelangen, als es Sanheribs Inschriften allein zu entnehmen ist. Selbstverständlich bleiben auch da noch Fragen offen, und nicht alles in der hier versuchten Rekonstruktion der Ereignisse ist sicher. Sanherib aber zeigte vor Jerusalem noch mehr Sinn für die Realitäten, wenn er der Seuche auswich, ehe sie zur Katastrophe führte, als 689 in Babylon, wo er meinte, das Zentrum Babyloniens auslöschen zu können. Das Handeln aller Beteiligten war, wenn wir die Ereignisse richtig deuten, im Rahmen ihrer Möglichkeiten zweckmäßig und angemessen; an der Verfolgung von Zielen, die sich als unerreichbar erwiesen, hielt keiner fest. Für J u d a und die Philisterstaaten brachte das den Gewinn, d a ß sie danach jahrzehntelang von größeren Kriegen verschont blieben.

Der neubabylonische Funktionär simmagir und der Feuertod des Samas-sum-ukin

Erstmals am Hofe des SamaSäumukin begegnet uns ein Funktionär, für den aus älterer Zeit m . W . noch kein Beleg bekannt geworden ist, der simmagir in der Schreibung l ü äSin-ma-gir (Asb. A V I I 481). Der scheinbare Personenname als Bezeichnung eines Funktionärs am Königshof hat natürlich schon mehrfach die Aufmerksamkeit von Fachgenossen auf sich gezogen, zumal da sich aus noch jüngerer Zeit weitere Belege in teilweise noch merkwürdigerer Schreibweise beibringen lassen. Eine umfassende Behandlung des Titels mit Zusammenstellung der Personen, die ihn tragen, ist allerdings noch nicht unternommen worden. Sie soll hier nachgeholt werden, da eine von O. Krückmann 1933 in T M H 2/3, S. 49® angekündigte Studie nie erschienen ist. Ich bespreche zunächst die Träger des Titels und die mit diesem zusammengesetzten Ortsbezeichnungen. Danach soll über die Frage der Herleitung des Wortes gesprochen werden. 1. Nabü-qäte-sabat ist der Name des von Assurbanipal a.a.O. IÜ dSin-ma-gir m d$ama$-sum-ukin genannten Mannes. Wir erfahren, daß der König ihm den abgeschlagenen Kopf des Chaldäers Nabübel-sumäti um den Hals hängen ließ, weil beide im Auftrag des SamaSsum-ukln Elam gegen Assyrien aufgehetzt hätten. Was mit dem simmagir des Sama§-§um-ukin nach dieser entehrenden Behandlung geschah, wird nicht gesagt. Über Nabü-bel-sumäti handelt sehr ausführlich M. Dietrich in A O A T 7,108ff. Nach weiteren Belegen für Nabü-qäte-sabat hat schon M. Streck in V A B 7, S. CCCV Umschau gehalten und dort mit Recht betont, daß es gewiß nicht nur einen Träger dieses Namens gab (vgl. auch A P N 157 a; RCA IV 130 b). Hier sollen nur die Belege besprochen werden, die sicher oder sehr wahrscheinlich auf den simmagir zu beziehen sind. In A B L 617+699 (Join von M. Dietrich) wird N. Rs. 5 vor Sama§-[sum-ukin] genannt; was über beide gesagt wurde, ist aber fast ganz abgebrochen. Nur ein hoher Funktionär konnte vor seinem König genannt werden. Sehr 1

M. Streck gibt in V A B 7,62 zu d Sin- unter f) eine Variante MUN, ohne den mir unbekannten Textzeugen zu nennen. Sie ist nicht nachprüfbar. Verlesung aus

sim-?

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D e r neubabylonische F u n k t i o n ä r

simmagir

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fragmentarisch erhalten ist auch der ebenfalls neubabylonische Brief A B L 1309, der in Z. 26 den N. zwischen den Königen Ummanigas (Z. 19) und Samas-sum-ukin (Rs. 2) erwähnt; w a s über ihn berichtet wurde, ist für uns verloren. Um so ergiebiger ist das neuassyrisch geschriebene Brieffragment A B L 972 bei richtiger Ergänzung von Rs. 8f. (auf der Vs. war von Nabü-bel-sumäti die Rede). Ich lese abweichend von RCA I I : m dNdbü-qäteu-sa-bat sa bel-sü [a-na] i-sä-a-ti ik-ru-ur-u-ni [ ina?] päni-ka iz-zi-zu-ni „Nabü-qäte-sabat, der seinen Herrn [ins] Feuer geworfen hatte [und ] vor dich hingetreten war" 2 . Obwohl die Fortsetzung abgebrochen ist, lernen wir aus diesem Brief, daß bei der Eroberung von Babylon 648 Samassum-ukin nicht selbst in das in seinem Palast wütende Feuer sprang, sondern von seinem simmagir in dieses gestoßen wurde. Es ist nicht ganz undenkbar, daß dieser damit einem Wunsch des verzweifelten Königs entsprach; wahrscheinlich ist das angesichts des qualvollen Feuertodes allerdings nicht. Assurbanipal sagt in Prisma A IV 51, die Götter hätten seinen feindlichen Bruder in den Feuerschlund geworfen (anä mi-qit dGira a-ri-ri id-du-sü), nennt aber den Vollstrecker des Willens der Götter nicht. Nach A B L 972 war Nabü-qäte-sabat vielleicht nach seiner grausigen T a t vor Assurbanipal erschienen in der Hoffnung, dafür belohnt zu werden. Die entehrende Behandlung, der der König ihn später unterwerfen ließ (s.o.), zeigt, daß diese Rechnung nicht aufgegangen war. Wir dürfen vermuten, daß auch er später getötet wurde. Ebenfalls zur Zeit des Samas-sum-ukin gab es in Uruk ein Haus des simmagir, wie die zuletzt in T C L 12,13 veröffentlichte Inschrift des Statthalters Sin-sarr-usur in Z. 4 zeigt (s. dazu J. Nougayrol, R A 36, 32). Der Titel erscheint hier schon in der später vorherrschenden spielerischen Schreibweise 1 Ü U D . S A R . S E . G A , deren richtige Deutung A. T. Clay bereits in B E 10 (1904), S. 70 a gegeben hatte. Das Wortzeichen für die Mondsichel (ujaskaru) wird hier für Sin gebraucht. Ob dieses Haus des simmagir das Haus des Nabü-qäte-sabat in Uruk war oder das eines anderen simmagir, entzieht sich vorläufig unserer Kenntnis. Über Sin-sarr-usur handelt gleichfalls M. Dietrich in A O A T 7 oft (s. das Register S. 214). 2. E t w a 60 Jahre später begegnet als der zweite uns bekannte simmagir der spätere König Nergalsarrusur-Neriglissar. Er trägt den 2

Die richtige Lesung gibt j e t z t (nach A b s c h l u ß des Artikels) auch C A D K 208 b ohne Übersetzung. [Korr.-Zusatz. M. W e i p p e r t verweist j e t z t in G G A 224/1972, 159 1 3 bei anderer D e u t u n g auf die Vokalisierung Semeger- des Titels in Jer 39,3 bei Hieronymus.]

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D e r neubabylonische Funktionär simmagir

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T i t e l l ü d Sin-ma-gi-ir in dem Verzeichnis hoher Beamter des Nebukadnezar II., das E . Unger, Babylon, S. 285 veröffentlicht hat (Z. 22, also etwas vor der Mitte der sehr langen Liste). Datiert ist diese Inschrift nicht. An erster Stelle unter einigen hohen Würdenträgern Nebukadnezars nennt ihn hingegen das Buch Jeremia im Alten Testament in seinem Bericht über die Eroberung Jerusalems 587. Der Konsonantentext Nygl-sr-^sr smgr ist in 39,3 durchaus in Ordnung; die Verderbnis setzt erst danach ein. Die Masoreten freilich haben einen Namen Samgar-Nebö hier herausgelesen; die L X X liest einen Namen 2a(i.ayco& oder EiffCTa[i.ayaO-. Die Emendation des hebräischen Textes zu sr-smgr, die oft vorgenommen wird (z.B. Biblia Hebraica, ed. R. Kittel, von 1951), ist unnötig. Im masoretischen Text begegnet derselbe Nrgl-sr-'sr in V. 13 als rb-mg, was dem akkadischen rab mu(n)gi (AHw. 967b) entspricht. In dem hier viel kürzeren L X X - T e x t erscheint der Paßajiay in demselben Vers 3 nach Ea^aycoft als Titel eines Nayapyaavaasp, also eines anderen Mannes, dessen Name aufgrund der verderbten Form babylonisch nicht sicher gedeutet werden kann. Der hebräische Text ist offenbar durch Einschübe, die sich teilweise in K a p . 52 wiederfinden, erweitert. E s ist daher sehr fraglich, ob wir ihm entnehmen dürfen, daß Neriglissar gleichzeitig die Titel eines simmagir und eines rab mugi führte. A n sich ist es vorstellbar, daß der hohe Funktionär Neriglissar die beiden Ämter in seiner Hand vereinigte, da vermutlich mit keinem von ihnen umfangreiche Verwaltungsaufgaben verbunden waren. Der rab mugi wurde nach G. Klauber, LSS 5/3,522 in militärischen und diplomatischen Funktionen verwendet, stand also wohl dem König für besondere, mit hoher Verantwortung verbundene Aufgaben zur Verfügung. Als simmagir wird Neriglissar in dem erwähnten Verzeichnis aus Babylon zwischen dem Statthalter des Meerlandes (sakin mät\ tam-ti) und einem Funktionär aus Tuplijas genannt. Das erlaubt den Schluß, daß sein Funktionsbereich das Osttigrisland zwischen dem Meerland und dem weiter nordwestlich gelegenen Tuplijas umfaßte. Vielleicht hat er diese Funktion auch von Uruk aus wahrgenommen 3 . 3. Auch unter der Regierung des Kyros hat es in Uruk einen simmagir gegeben. Sein Name ist m.W. noch unbekannt. Für das Jahr 7 (532/1) ist jedoch sein Vertreter in einer in AnOr. 8 als Nr. 56 3

Uber die Aktivitäten Neriglissars vor seiner Thronbesteigung als Großgrundbesitzer mit vielen Sklaven in Babylon handelt jetzt V. A. Beljawski in In memoriam Eckhard Unger. Beiträge zur Geschichte, Kultur und Religion des alten Orients (Baden-Baden 1971), S. 203 ff. ausführlich aufgrund der Urkunden.

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D e r neubabylonische Funktionär simmagir

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veröffentlichten Urkunde genannt: In Z. 7 und 13f. begegnet lü dBel-le-e/TiA sanüu sä lixsi-im-ma-gir. Hatte der simmagir damals so wichtige Funktionen, daß es nötig wurde, einen sanü für ihn zu bestellen? In der genannten Urkunde entschied er, wem eine bestimmte Sklavin gehörte. —• Infolge des für die spätere Achämenidenzeit aus dem Fehlen von Urkunden zu erschließenden Niederganges der Stadt Uruk sind weitere Inhaber des simmagir-Amtes dort nicht mehr bezeugt. 4. Unter der Regierung des Artaxerxes I. oder auch schon früher wurde der Dienstsitz des simmagir nach Nippur verlegt. Dementsprechend wird der Titel in den Urkunden aus dem Muraäsü-Archiv ziemlich oft genannt. Anders als früher standen jetzt zeitweise zwei Titelträger nebeneinander. Als Schreibung begegnet nur einmal m si-im-ma-gi-ir (BE 10,123,1), sonst immer < 1 Ü >UD.SAR.SE.GA. Bezeugt sind als simmagir Tattannu, Sohn des Aplä, zwischen 425 und 419 (s. BE 9, p. 47a sub Addannu; 10, p. 64b; UM 2/1, p. 38a) in 11 Urkunden und Bel-uballit, Sohn des Bel-sunu, 425/4 (BE 9, p. 55 a; TMH 2, S. 24b) in 2 Urkunden. Dazu kommen Belege für blt simmagir aus den Jahren 421—-416 (BE 10,62,3; 71>7'< 125,3 f-) u n d für Närsimmagir, den Kanal des s., zwischen 424 und 415 (BE 9 Nr. 86 a, auch Titurru sa s. „Brücke über den s.-Kanal"; 10, p. 70a; UM 2/1, p. 38a; sehr oft). Die Benennung eines Kanals nach diesem Funktionär spricht dafür, daß der simmagir auch im Nippur der späteren Achämenidenzeit eine hochgestellte Persönlichkeit war. Welche Funktionen er hatte, geht aus den Urkunden, soweit ich sehen kann, nicht hervor. Es erscheint denkbar, daß der nur zweimal genannte simmagir Beluballit lediglich der Vertreter des Tattannu war, daß also nicht zwei Titelträger gleichberechtigt nebeneinander standen. Beweisen läßt sich diese Vermutung nicht.

m

Fassen wir die Dokumentation zusammen, so stellen wir fest, daß bisher fünf Inhaber des simmagir-Amtes in etwa 240 Jahren zwischen Samas-Sum-ukln und Dareios II. (423—404) bezeugt sind. Das ist, gemessen an der Zahl bekannter Träger anderer hoher Ämter, eine sehr kleine Zahl. In der älteren Zeit — Samas-sum-ukin bis Kyros — war der Amtssitz offenbar Uruk. Vermutlich wegen des Niedergangs von Uruk in der späteren Achämenidenzeit wurde der Amtssitz des simmagir spätestens unter der Regierung des Artaxerxes I. nach Nippur verlegt. Belege vor etwa 660 und nach etwa 410 fehlen m.W. Eine systematische Durchprüfung der gesamten Literatur war mir allerdings nicht möglich. Es kann sein, daß ich einige Belege übersehen habe. Der prominenteste Titelträger war der spätere König Neriglissar,

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simmagir

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der sogar in Juda als simmagir bekannt war. D a die Belege von den Funktionen des simmagir kein klares Bild vermitteln, müssen wir nun versuchen, eine Deutung des Titels zu finden, und dazu unseren Blick auch in frühere Zeiten lenken. Bisher wurde, wenn ich recht sehe, nie ernstlich daran gezweifelt, daß in simmagir der altbabylonische Eigenname Sin-mägir 'Sin gewährt' vorliegt, der zu irgendeinem, nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt zum Titel geworden sein müßte. Für diese Deutung spricht die ganz große Mehrzahl der Schreibungen zu allermeist mit dem offenbar sehr künstlichen Wortzeichen U D . S A R . S E . G A , dem meistens das Determinativ lü vorausgeht. Je einmal findet sich bei den beiden frühesten Titelträgern die Schreibung l ü ASin-ma-gir\gi-ir, die in die gleiche Richtung weist. Daß diese Deutung nicht ganz selbstverständlich war, zeigt die aus Uruk und Nippur je einmal belegte Schreibung lü, msi-im-ma-gir/gi-ir (unter 3 und 4). Für die Deutung des Titels als alter Eigenname wurde seit langem auch ins Feld geführt, daß viel früher, in mittelbab. Texten der Zeit zwischen dem Kassitenkönig NazimaruttaS und Marduk-§äpik-zeri von der 2. Dynastie von Isin, also etwa in der Zeit zwischen 1300 und 1075, ein Bezirksname Bit-m ASin-ma-gir bezeugt sei (Belege geben E. Ebeling in RIA 2,51a und A. Ungnad, Or. NS I3,95f.) 4 . Dieses Gebiet gehörte zum Seeland (Mät-tämti) als ein Unterbezirk, bildete aber vermutlich den nördlichen Teil dieses Gebietes (vgl. dazu J. A. Brinkman, AnOr. 43,i35 800 ). Ungnad I.e. äußerte die Vermutung, daß mit diesem Bit-Sin-mägir möglicherweise identisch sein könnte ein Bezirk Bit-m dSin-se-me, der in dem von W. Hinke in B E R 4 veröffentlichten Kudurru Nebukadnezars I. oft genannt ist, aber auch in einer sehr langen Liste von Orts- und Bezirksnamen in der großen Stele des Silhak-Insusinak von Elam (etwa 1150—1120; F . König, A f O Beih. 16, Nr. 54 II 82) vorkommt. Da dieser Bezirk aber anscheinend weiter nördlich im Ost-Tigrisland liegt — von einer Provinz sollte man nicht bei jedem pihätu genannten Bezirk sprechen! — , ist diese Gleichsetzung wenig wahrscheinlich. Stn-se(m)me ist ein in Kassitenurkunden mehrfach bezeugter Name (s. CPN 126 b), Sinmägir hingegen war nach der altbab. Zeit, aus der auch ein König von Isin dieses Namens bekannt ist (1763—-1753), ungebräuchlich geworden. Daher wäre ein Bezirk im nördlichen Seeland, der nach einem Mann namens Sin-mägir genannt ist, mindestens auffällig.

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Ein weiterer Beleg findet sich UM I 2,56,10 in einem Brief. Unvollständig erhalten liegt der Name wohl ebd. 59,13 vor.

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D a als Dienstort des simmagir-Funktionärs im 7. und 6. Jhdt. Uruk bekannt ist, das dem Seeland nah benachbart ist, wird m a n den simmagir trotz eines Zwischenraums von über 400 Jahren zwischen den Königen Marduk-§äpik-zeri und Samas-§um-ukin von Babylonien von dem Bezirksnamen Bit-Sin-mägir nicht gern ganz trennen. Nun müssen wir uns vergegenwärtigen, daß das Seeland eine babylonische Grenzprovinz zu Elam ist, die im Laufe der Jahrhunderte öfter mindestens teilweise von Elam beherrscht wurde. Diese Tatsache führt zu der Frage, ob der Name Sin-mägir hier nicht ebenso wie der spätere Titel als volksetymologische Umdeutung eines elamischen Titels erklärt werden kann. Nach freundlicher Auskunft von W . Hinz ist ein solcher Titel nach seiner Kenntnis in elamischen T e x t e n nicht bezeugt. D a ß eine elamische Bildung vorliegen k a n n , ist aber wohl kaum zu bezweifeln 5 . W e n n wir simmagir als si-ma-k-ir analysieren, würde das Wort die folgenden vier Bildungselemente enthalten: 1. die Verbalwurzel si-, die mit „weihen, to dedicate" übersetzt wird; 2. das angehängte Wurzelaugment -ma-, das nach E . Reiner, The Elamite Language (Handbuch der Orientalistik II 2, 1969, 54ff.), S. 79 (4.5.2) jeder Verbalwurzel angefügt werden kann; 3. das ein Passiv-Partizip kennzeichnende -k- (ebd. S. 84: 5.1.2); 4. das Nominalaffix -ir, dessen Funktion ebd. S. 77 (4.2.1) als delocutive animate angegeben wird. A u s dieser Analyse ergäbe sich eine Bedeutung wie „Geweihter, O b l a t " o.ä. W e n n sie richtig ist, müßte sich die Funktion eines solchen 'Oblaten' allerdings sehr stark von der des babylonischen serku unterschieden haben, der in der Hierarchie des Kultpersonals eine recht untergeordnete Rolle spielte. In E l a m müßte der sz(m)ma&iV-0blat, wenn wir von den babylonischen Belegen ausgehen, zugleich ein Staatsfunktionär gewesen sein, dem ein eigener Bezirk, eben das erwähnte Btt-si(m)makjgir6, zugewiesen wurde. Als dieser Bezirk in

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Zu vergleichen ist etwa noch altelam. sunkir/sukkir „ K ö n i g " gegenüber neuelam. sunkuk. Die Endung -ir könnte auch an eine kassitische Herkunft des Wortes denken lassen (s. AOS 37,219:63); die Bezeugung des Wortes vor allem im Raum von Uruk und Nippur sowie das Fehlen jeglicher Belege aus der Zeit vor Samas-sum-ukm würde sich dann jedoch gar nicht erklären lassen. In diesem Zusammenhang lohnt ein Hinweis auf die Tatsache, daß die oben erwähnte Stele des Silhak-Inäusinak (s.S. 88) viele mit Bit- beginnende Orts- und Bezirksnamen enthält (Schreibung Pi-it-). Das verdoppelte mm in simmagir zwingt übrigens zu der Frage, ob wir anstatt von si- „weihen" nicht ein anderes Verbum in diesem Wort suchen müssen. Hinweise auf Wurzeln wie *sim- oder *sip- fand ich jedoch nicht. Bei dieser Gelegenheit mag die Bitte an die Elamisten erlaubt sein, doch wenigstens einmal ein

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Zeiten der Schwäche Elams Babylonien angegliedert wurde, behielt er seinen N a m e n bei, und die Babylonier machten diesen sich mundgerecht. Irgendwann einmal müßte m a n dann einen si(m)maklgir in babylonische Dienste übernommen und ihm Uruk als A m t s s i t z zugewiesen haben. Im Laufe der Zeit traten dann an die Stelle der elamischen Funktionäre Babylonier, denen der K ö n i g dieses A m t als eine A r t von Pfründe verlieh. Dieser letzte Zustand ist uns zuerst unter Samas-sum-ukin nach einer langen Periode intensiver babylonisch-elamischer Berührungen (im Guten wie im Bösen) bezeugt. Vielleicht darf man in dem simmagir von Uruk eine Art von Resident oder Kommissar des Königs sehen, der ihn gegenüber der Stadtverwaltung vertrat. E s ist nicht zu bestreiten, daß die hier versuchte Konstruktion mehrere sehr unsichere Elemente enthält. Ich würde auf sie verzichten, wenn es irgendwo ein Zeugnis dafür gäbe, daß ein archaischer Personenname auf dem Wege über einen mit Bit- zusammengesetzten Bezirksnamen zu einer Funktionärsbezeichnung wurde. E i n Hinweis auf die Entwicklung von Herrschernamen wie Caesar zu Kaiser, K a r o l zu slawisch Krol/Kral oder heth. Labarna zum Titel T a b a r n a hat wohl kein Gewicht, weil Herrschertitel einen Sonderfall darstellen. Solange also eine glaubhafte Verbindung zwischen dem altbab. Personennamen Stn-mägir, der übrigens auch in Susa gut bezeugt ist (vgl. die Namenregister zu M D P 22—24), und dem neu- und spätbabyl. Titel Sin-magirjsimmagir nicht hergestellt werden kann, wird die hier vorgeschlagene Herleitung aus dem Elamischen zusammen mit den sie stützenden historischen Überlegungen wenigstens als eine Arbeitshypothese gelten dürfen. Wenn diese These andere dazu führt, nach weiteren Belegen für den Titel und vielleicht auch anderen Möglichkeiten für die Erklärung der hier besprochenen Tatsachen zu suchen, so würde sie selbst dann nicht ohne Sinn sein, wenn sie einmal einer besseren Deutung weichen müßte.

Glossar des Elamischen zu erstellen. Gewiß, der „Mut zum Irrtum" wird hier ärgerlich oft gefordert. Trotz aller unvermeidlichen Mängel würde ein solches Buch aber von vielen begrüßt werden und der weiteren Forschung Auftrieb geben.

Der Mensch bescheidet sich nicht Überlegungen zu Schöpfungserzählungen in Babylonien und Israel Zu viel tun wollen oder zu früh resignieren: zwischen diesen beiden Polen wird ein verantwortlich geführtes Leben immer wieder hin- und hergerissen. Das eine wie das andere kann vielen Menschen Unglück und den Tod bringen und diejenigen, die um falsche Entscheidungen wissen, in Verzweiflung stürzen. Ist diese, hier in der Sprache unserer Zeit formulierte Erkenntnis, deren ganzes Gewicht sich meistens erst älteren Menschen erschließt, neu, oder hat man auch in ferner Vergangenheit schon darum gewußt? Wenn wir hier einen Mann ehren wollen, der am Ende des von einem assyrischen Schreiber littütu genannten neunten Jahrzehnts des Lebens steht1 und sich in diesem Leben in beispielhafter Weise mit der Gedankenwelt Israels und Babyloniens beschäftigt hat, liegt es nahe, danach zu fragen, ob babylonische Dichtungen oder das Alte Testament dazu etwas zu sagen haben. Mir scheint, daß gerade in einigen Schöpfungsmythen das Problem, wieweit der Auftrag der Gottheit an den Menschen reicht, eine wesentliche Rolle spielt. Ich will versuchen, einige Beobachtungen, zu denen immer erneutes Nachdenken geführt hat, im Folgenden in der hier gebotenen Kürze zur Diskussion zu stellen. Aussagen anderer Texte können hier nicht erörtert werden. Der Hauptgrund für die Erschaffung der Menschen durch die Götter wird im altbabylonischen Atramhasis-Mythus (AM) 2 und dem etwa im 14. Jhdt. gedichteten Weltschöpfungsepos Enüma elis (Ee) klar angegeben: die Menschen sollen den Göttern die Arbeit, mit der sie zuvor belastet waren, abnehmen und damit gleichzeitig ermöglichen, daß schwere Konflikte zwischen zwei gegeneinanderstehenden Göttergruppen aus der Welt geschafft werden. Der Götterkonflikt war nach dem AM dadurch entstanden, daß die stärkeren Anunnaku-Götter unter der Führung von Enlil die schwächeren Igigu-Götter gezwungen hatten, die schwere Arbeit an den Flüssen Euphrat und Tigris, um „das Leben des Landes ([nty-pi-is-ti ma-tim 122.24)" zu ermöglichen, allein zu leisten: 1

Die Auszugstafel S T T 400 läßt in Z. 47 auf das mit 80 Jahren endende

Sibutu „Greisenalter"

littutu „sehr langes Leben" folgen, für das sie 90 Jahre rechnet. 2

Außer auf die Textausgabe des Mythos durch W. G. Lambert und A. R. Miliard (Oxford 1969) verweise ich auf die Erörterung grundsätzlicher Fragen in meinen Aufsätzen „Als die Götter (auch noch) Mensch waren" (Or. NS 38/1969, 415-32) und „Einige Fragen zur Deutung des altbabylonischen Atramhasis-Mythus" (Actes de la XVIIe Rene. Ass. 1969, 142-6), von deren Ergebnissen hier ausgegangen wird.

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„Die großen Anunnaku wollten nun die nur sieben Igigu die (ganze) Mühsal tragen lassen" (I 5f.). Nach [x] + 40 (etwa 2500?) Jahren waren die Igigu „der Arbeit Nacht und Tag" (I 38) müde. Sie beschlossen, zu streiken, verbrannten ihr Gerät (I 64) und wollten Enlil zum Nachgeben zwingen. Eine Gerichtsversammlung wurde einberufen (I 104), und schließlich entschloß man sich, zu verhandeln. Nach Kol. II lff. der vom Haupttext A teilweise abweichenden Rezension G - A ist an dieser Stelle zerstört! - schlug Ea vor, man solle den Menschen schaffen und ihm die Arbeitsverpflichtung auferlegen. Dieser Vorschlag wurde dankbar angenommen, und Enki/Ea und Belet-ili erhielten den Auftrag, den Menschen zu erschaffen (I 192ff.). Ebenso wie später Ee VI 6f. und das Gilgames-Epos in dem Bericht über die Erschaffung des Enkidu verwendet der AM hier neben dem üblichen Wort awllum „Mensch" das sumerische Lehnwort lullüfm), das den von den Göttern unmittelbar geschaffenen Menschen, den Urmenschen, bezeichnet (s. AHw. 562b zu lullü I 1). Nach dem Gilgames-Epos muß dieser sich erst allmählich zum Vollmenschen (awilum/amtlu) wandeln. Nach dem Haupttext A wird der erste Mensch e-diim-mu genannt (1215.217.228.230); der Text E schreibt Wl-di-im-mu. Was bedeutet dieser Name? W. G. Lambert liest, was orthographisch auch in einem Text, der sonst te4 schreibt, möglich ist, e-te-em-mu und übersetzt „spirit, Totengeist". Diese Deutung ist höchst unbefriedigend. Es trifft zwar zu, daß dem Menschen das ewige Leben anscheinend von Anbeginn an versagt werden sollte. Der Totengeist aber ist ein Dämon, in dem der Geist von unbestattet gebliebenen Menschen weiterwirkt und andere Menschen geisteskrank machen kann. Ein Totengeist konnte nicht der Stammvater des Menschengeschlechts werden, das einmal große Leistungen vollbringen sollte. Die Menschen sind sterblich, aber keine Totengeister. Gibt es eine bessere Deutung? Ich fand sie lange nicht, bis ich bei der Arbeit am AHw. auf die in jungbab. lexikalischen Listen m.W. fünfmal belegbare Gleichung(l"d'm)idim = sak/sa-ak-lu „einfältig, schwerfällig" stieß (MSL 3, 135, 61a; 12, 143, 5; Zimolong 16, 33; CT 11, 34a Rs. 5; RA 17, 201, 27). Sogleich erinnerte ich mich an den Namen Edimmu: sollte in diesem Namen das akkadisierte i d i m vorliegen? Die Frage bedurfte näherer Prüfung, weil es nicht nur ein einziges sumerisches Wort i d i m gibt, sondern offenbar deren drei, die alle mit demselben Zeichen IDIM geschrieben werden, das später mit BAD zusammenfiel. i d i m bezeichnet einmal die „Grundwassertiefe" und wird in diesem Sinn in lexikalischen Listen und zweisprachigen Texten durch nagbu(m) wiedergegeben (viele Belege AHw. 710b; dazu jetzt altbab. MSL 13,22,167e). Ebenfalls durch Listen und einen zweisprachigen Beleg bezeugt ist i d i m = kabtufm) „schwer, gewichtig" (Belege AHw. 418 und jetzt auch CAD K 24-8). i d i m steht hier neben dem weitaus gebräuchlicheren d u g u d und a 1 i m sowie g u r4, um hier nur die durch zweisprachige Texte bezeugten Gleichsetzungen zu

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nennen. An der einzigen zweisprachigen Stelle (Serie Angim III 29) ist i d i m // kabtu ein Epitheton der Waffe Anu's, also anders als das Substantiv a 1 i m ein Adjektiv. Sowohl für nagbu als auch für kabtu im Sinne von „vornehm, Notabel" dient IDIM sehr oft als Wortzeichen. Anders als diese beiden Homonyma scheint das dritte Wort i d i m nach freundlicher Mitteilung von J. Krecher durch sumerische Texte nicht bezeugt, sondern nur durch alt- und jungbab. lexikalische Listen. Die kürzlich veröffentliche Liste Proto-Izi I (MSL 13, 22) gibt in Z. 167a-f 6 Entsprechungen, nämlich außer nagbu und kabtu und ekletum „Finsternis" (i d i m steht hier für i t i m a = etütu „Finsternis"!), das Epitheton wilder Hunde segu sowie die noch nicht sicher deutbaren Wörter se-b/pu-ü und sa-as-lu? Viel umfangreicher ist das jungbab. Aa-Fragment CT 11, 34a III, das in Z. 5-12 die Wörter sak-lu, sak-ku, suk-ku-ku, nag-bu, ek-du, pe-hu-u, si-ku, pu-u, kab-tu, ü-la-lum, piis-na-qu, la le-'u-u, se-lu-u und se-gu-u aufführt. Es ist nicht möglich, hier alle diese 14 „Gleichsetzungen" philologisch zu interpretieren; bei einigen mögen Mißverständnisse späterer Abschreiber vorliegen. Auffällig ist aber die Häufung von Wörtern, die behinderte, schwächliche oder geistig nicht voll entwickelte Menschen bezeichnen (vgl. die Wörterbücher zu lä le'ü untüchtig, schwach; pehü dumm, unfähig; pisnä/uqu kraftlos, Kümmerling; sakku taub; sukkuku taub, (geistig) beschränkt; ulälu schwächlich, jämmerlich).4 Bei Tieren bezeichnet i d i m = ekdu und segu wilde Arten im Gegensatz zu domestizierten, so u d u - i d i m = bibbu „Mufflon" und u r - i d i m = kalbu segu und (mythisch) uridimmu „wilder Hund" (s. noch. A. Falkenstein, ZA 57,90); die Wildarten gelten als primitiver als die gezähmten Haustiere. Aus den verschiedenen akkadischen Äquivalenten, deren Gebrauch im einzelnen eine besondere Untersuchung lohnen würde, kann für dieses dritte i d i m eine Bedeutung wie „noch nicht voll entwickelt (geistig oder körperlich)" erschlossen werden. Der Urmensch Edimmu wäre also eine Art von Wildmensch. Das Nebeneinander von drei Wörtern i d i m, die mit demselben Zeichen geschrieben werden, ist selbst im Sumerischen auffällig, umsomehr, als zwei von ihnen Menschengruppen sehr gegensätzlicher Art kennzeichnen. Da das dritte i d i m anscheinend in sumerischem Kontext nicht vorkommt, darf man vielleicht die Vermutung wagen, daß dieses Wort aus einer anderen Sprache stammt und nur in den Listen unter die sumerischen Wörter eingereiht wurde. Bei dieser Vermutung würde die oben erwähnte Lautvariante des Namens Edimmu, Wi/Wa/Wu-di-im-mu weniger anstößig. Denn den in sumerischen Wörtern nicht bezeugten w-Anlaut könnte es etwa in einer der uns unbekannten Sprachen Irans durchaus gegeben haben. Wie verträgt sich nun mit unserer Deutung des Namens Edimmu die An3

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AHw. 1032b. 1037a. Die in MSL 13 erwogene Emendation von sa-as-lu saklu ist fragwürdig, weil in UET V (s. S. 55a) ein Personenname Saslum bezeugt ist. s'tku k ö n n t e hier auch den Sinn von „ b e h i n d e r t " haben; selü kann ich nicht deuten. Sollte/;«-« aus dem altbab. se-pu-ü (s. oben) verschrieben sein?? Vgl. zu diesen W ö r t e r n zu

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gäbe des A M , daß man den Lehm für seine Erschaffung mit dem Blut eines Gottes gemischt habe, „der Verstand h a t " (sa i-su-ü te4-ma\ I 223)? I 239 sagt dazu noch eindeutiger „Ihr habt den Gott geschlachtet nebst seinem Verstand' (qa-du te4-mi-su)". Der hier verfügbare Raum erlaubt es leider nicht, den Sprachgebrauch von temufm) in den Dialekten und Schrifttumsgattungen eingehend zu untersuchen. Die ganz große Mehrheit der Belegstellen findet sich in Briefen, deren Sprachgebrauch hier von den literarischen Texten erheblich abweicht. Eine weitere große Gruppe von Belegen treffen wir in Omentexten, in deren Deutungen Voraussagen wie tem-su isanni „sein Sinn ändert sich" sehr häufig sind. Meistens ist da wohl eine politische Sinnesänderung gemeint. In Dichtungen begegnet temu viel seltener und, wenn ich recht sehe, nur vereinzelt in der sonst so gängigen Bedeutung „Bescheid" (vgl. dafür CT 16,19f., 54.117). temu bezeichnet anscheinend auch nicht wie milku, nemequ, tafimtu, hastsu und uznu die göttliche Weisheit. Dieser Feststellung widerspricht nicht der in A M III in Kol. III 51 und V39f. zu lesende Vers: „Wohin ist denn Anu gekommen, der be-el te/-e)-mi}". Diese etwas bittere Frage meint doch wohl, daß Anu, dem planmässiges Handeln in besonderem Maße anstände, sich der von ihm erwarteten Initiative einfach entzogen hat. Wenn wir dem A M also entnehmen dürfen, daß das Planen für temu im Sprachgebrauch von Dichtungen konstitutiv ist, so harmoniert das ausgezeichnet mit der Erkenntnis von S. N . Kramer, A. Falkenstein und Ä. Sjöberg, daß sum. d i m - m a bzw. d i m m u ( K A . H I ) aus temu sehr früh entlehnt wurde (vgl. dazu z.B. ZA 52, 63; 5 7 , 1 0 3 ; 54, 58 15 mit Belegen); übersetzt wird dieses meist mit „Planen", doch auch mit „Sinn (eines Textes)" (vgl. M. Civil, JCS 20, 123 zu 5.2). Im A M muß temum an allen vier genannten Stellen die Fähigkeit, (sachgemäß) zu planen, bezeichnen; diese Fähigkeit konnte mit der Schlachtung des Pl-e durch sein Blut auf den ersten Menschen übertragen werden. Für diesen Namen Pl-e (I 223) erscheint mir der Vorschlag von Br. Groneberg (mündlich), sum. G e s t u ( g ) - e zu lesen, immer noch am wahrscheinlichsten, auch wenn die exakte Deutung des Namens wegen der Mehrdeutigkeit des Elements -e nach g e s t ü g „Verstand" noch Schwierigkeiten macht. Wenn wir nach dieser ganz kurzen und vorläufigen Uberprüfung des Sprachgebrauchs von temu in der altbab. Dichtung zu der Frage zurückkehren, warum aus dem Blut eines als planungsfähig bezeichneten Gottes nur ein Edimmu hervorging, so müssen wir erneut auf den Zweck der Menschenschöpfung hinweisen: Der Mensch sollte die Götter von der Arbeit entlasten. Während es dabei im jüngeren Ee vor allem um den Tempelbau ging, sollte Edimmu die Götter zunächst einmal von der Schwerarbeit an Flüssen und Kanälen entlasten (s. I 337ff.). F ü r diese Arbeit genügten aber Körperkräfte und die Bereitschaft, hart zu arbeiten, nicht; es mußte auch auf lange Sicht und für ein größeres Gebie'c geplant werden. Deswegen mußte der Mensch als ein zur Planung befähigtes Wesen mit Verstand geschaffen werden. Es genügte aber auch der Verstand; die mit den oben genannten W ö r t e r n für Weisheit u.ä. um-

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schriebenen Eigenschaften konnten den Göttern ebenso wie das ewige Leben vorbehalten bleiben. Warum kam es nun nach dem AM schon frühzeitig - die Zeitangabe ist unvollständig erhalten - zu so schweren Konflikten zwischen Göttern und Menschen, daß die Götter zunächst mit schweren Plagen die Menschen züchtigten und schließlich mit der Sintflut sie fast ganz ausrotten wollten? Da die Verse 1341ff., in denen von den ersten Anfängen des Konflikts die Rede gewesen sein muß, fast ganz zerstört sind, ist es schwierig, eine begründete Antwort auf die Frage zu finden. Es ist schon immer gesehen worden, daß den Göttern nach I 352ff. vor allem das Lärmen der Menschen mißfiel, für das neben rigmum „Geschrei" und dem Verbum sapüm etwa „dumpf lärmen" das sonst wenig gebräuchliche Wort hubürum verwendet wird. Ich habe dieses in AHw. 352b vor Bekanntwerden der neuen Stücke des AM mit „Lärmen" übersetzt, weil hubürum neben rigmum steht und wie dieses sum. m u7 (= s i18)mu7 entspricht (Text jetzt CT 46:5,18). hubüru wird aber auch in ähnlichem Sinn wie temu gebraucht, so altbab. JCS 11, 86 IV 5; ein sum. Paralleltext bietet dafür das eben besprochene d i m - m a (s. J. van Dijk, SGL 2, 9234). Eine Ubersetzung „lautes Tun" oder „lärmende Aktivität" (van Dijk „Treiben") wird also dem Sinn des Wortes, dem der späte Text 2A 43,18, 61 das bezeichnenderweise im PI. fem. stehende Attribut samru „heftig, ungestüm" beigibt, sicher besser gerecht; sie paßt auch zu den Belegen im Erra-Mythus (141.73.82; IV 68), die wieder vom Auslöschen des hubüru reden. Wenn dem so ist, wird also die Störung der Götter im AM nicht durch den Lärm als solchen, sondern durch lärmende Aktivitäten verursacht. Das bedeutet aber, daß die Menschen damals bereits über ihren ursprünglichen Auftrag, den Göttern schwere Arbeit abzunehmen, hinausgingen und selbständig viel mehr unternahmen. Die Fähigkeit dazu war ihnen mit dem Blut des planungsfähigen Gottes auf den Weg gegeben worden. Es ist gut möglich, daß Enki/Ea, der den Schlachtungsvorschlag gemacht hatte (I 208ff.), dieses auch beabsichtigt hatte. Die große Mehrheit der Götter unter der Führung von Enlil aber wollte den Menschen soviel Selbständigkeit nicht zugestehen und verhängte nun die im AM beschriebenen Plagen, die die Menschen dezimieren und auf den Stand zurückwerfen sollten, der ihnen zunächst zugedacht worden war. Das Unternehmen mißlang, weil Enki/Ea die Menschen aufforderte, im Gegenzug den Göttern die Opfer und Gebete zu verweigern, jeweils einem Gott aber besonders viele Opfer darzubringen, damit dieser eine katastrophale Auswirkung der Plagen verhindere. Der Auftrag des Gottes, dieses zu veranlassen, ging an Atramhasis, dessen Name schon zeigt, daß wenigstens die Könige damals bereits nicht nur Verstand und Planungsfähigkeit (temum) besassen, sondern auch schon Klugheit und Weisheit (hasisum). Die ,Schuld' der Menschen vor der Sintflut war also nicht einfach ihre „Sünde" (so G. Pettinato, Or. 37, 165ff.), sondern ihr Bemühen, durch mannigfache Aktivitäten immer mehr zu erreichen, mehr als die Götter ihnen zugestehen wollten. Sie waren nicht bereit, sich zu bescheiden.

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Der Mythus sieht aber nicht nur die Schuld der Menschen, sondern kritisiert durch die Art, wie er erzählt, auch die über menschliches Fühlen noch nicht genügend hinausgewachsenen Götter. Diese nämlich hatten noch nicht gelernt, ihre Geschöpfe ganz anzunehmen und damit uneingeschränkt zu ihrer Schöpfung ja zu sagen. Sie waren also in einem noch tieferen Sinn „auch noch Mensch" geblieben, als ich das in Or. NS 38, 425ff. zu 11) und 12) dargestellt hatte. Aus dem halbherzigen Ja zu den als Arbeitskräfte gesehenen Menschen wurde, als auch die dritte Plage nicht den angestrebten Erfolg hatte, das ganze Nein des Vernichtungsbeschlusses vor der Auslösung der Sintflut. Erst als die Götter das durch die Flut angerichtete Unheil sahen, das auch ihnen Hunger und Durst brachte, kamen sie zu der Besinnung, der zuerst die Nintu Ausdruck verlieh, indem sie sich weinend anklagte: „Wie konnte auch ich in der Götterversammlung mit diesen zusammen den unwiderruflichen Beschluß5 verkünden?" (III Kol. III 36f.). Schließlich mußte auch Enlil einsehen, daß das Problem Mensch durch Auslöschungsbeschlüsse nicht gelöst werden kann. Schwere Strafen sollten künftig nur verhängt werden, um wirklich schwere Schuld zu sühnen. Leider ist der Schlußteil des AM, der diese Gedanken sicher noch konkreter ausgesprochen hat, größtenteils zerstört. Die hymnischen Schlußverse zeigen aber, daß die Erhaltung des Lebens der Menschheit von nun an das Ziel göttlichen Handelns an ihr sein sollte. Wir wissen nicht, ob in den verlorenen Teilen des AM-Schlusses auch von einer Besinnung der Menschen die Rede war. Sicher aber wurde die Entwicklung des Menschen vom lullüm Edimmu zum awilum des Kulturlandes nicht verneint, sondern bejaht. Allerdings wußte die Zeit des AM-Dichters auch, daß die Grenze zwischen Gott und Mensch unaufhebbar war und von den Menschen bedingungslos respektiert werden mußte. Das übermenschliche Wollen eines Gilgames gehörte einer fernen Vergangenheit an. Gilgames scheiterte nur an dem Halt, das die Götter ihm geboten. Allen Menschen nach ihm setzten auch die Mitmenschen schon Grenzen. Der Aufriß der Urgeschichte, den im Alten Testament der Jahwist in Genesis 2-8* gibt, entspricht in den Hauptstationen den babylonischen: Erschaffung des Menschen, erste schwere Konflikte mit Gott, das Tun von Ubermenschen mit überlangen Lebenszeiten und schließlich das Strafgericht der Sintflut. Der erste Konflikt entzündet sich hier an dem Verbot Jahwes an Adam und Eva, von dem im Paradies stehenden Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen. Adam und Eva übertreten es unter dem Einfluß der Schlange, deren Worte Misstrauen gegen Gott säen, und ziehen sich damit die schwere

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ga-me-ergamertum

L a m b e r t versteht das in ähnlichem Z u s a m m e n h a n g anderswo m. W. nicht belegte

tam/ta-am des A M als gämertum " t o t a l d e s t r u c t i o n " . Ich meine, daß dinum gamrum „endgültiges U r t e i l " stellen muß. In der Sache beinhaltet lichkeit natürlich die Vernichtung.

man

hier zu

hier die Unwiderruf-

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Strafe des Ausschlusses aus dem Garten Eden zu, in dem die befohlene Arbeit am Boden noch keine bedrückende Last war. Man hat über diese auch im Alten Testament einzigartige Geschichte viel nachgedacht und viel Wesentliches gesagt; aber noch kein Ausleger hat alle Probleme, vor die sie stellt, überzeugend lösen können. Auch hier kann das geheimnisvolle Halbdunkel, in dem der Erzähler vieles läßt, nicht erhellt werden. Unsere Überlegungen zum AM geben uns aber vielleicht die Möglichkeit, etwas mehr über einige der Uberlieferungen zu sagen, die dem Erzähler vorgegeben waren. Im Mittelpunkt muß auch hier wieder die Frage stehen: Wie konnte das Essen der Frucht vom Baum der Erkenntnis - dieses Motiv ist anscheinend kein babylonisches - zu einer Art von Ursünde werden? Oft sieht man diese Sünde vor allem im Ungehorsam Adams und Evas gegenüber Gottes Verbot. Aber Gen. 3 spricht nicht vom Gehorsam, und auch später geht die Forderung des Gehorsams - die Sprache des A T kennt dieses Substantiv nicht! - in den entscheidenden Stücken des Alten wie des Neuen Testaments mehr auf die Erfüllung des Auftrages Gottes (Abraham, Propheten, Paulus) als auf die Beachtung der Verbote. Dieses letztere ist im übrigen das Thema der Brudermordgeschichte in Gen. 4. Andere werfen Adam vor, er habe gottgleich sein wollen; aber der etwas hilflos wirkende Adam ist kein Prometheus. Adam und Eva waren jedoch in der Tat nicht bereit, sich an dem Auftrag genügen zu lassen, der ihnen zuteil geworden war, obwohl dieser anders als im AM keine Fronarbeit forderte. Als sich ihnen die Gelegenheit bot, wesentliche Erkenntnisse zu gewinnen, nahmen sie sie trotz des Verbotes wahr. Wir dürfen aufgrund des A M vermuten, daß in einer Vorform der biblischen Erzählung der dort handelnde Gott den ersten Menschen durch Verweigerung grundlegender Erkenntnisse in der Tat klein halten wollte, vom Menschen aber überspielt wurde. Jahwe im A T motiviert sein Verbot in einer merkwürdig wenig einleuchtenden Weise. Die einzige Begründung, das Essen der Frucht würde den Tod bringen, legt den Gedanken nahe, daß das Verbot eine Schutzmaßnahme war: die Begrenzung des Auftrages sollte den Menschen vor zu schwerer Belastung bewahren. Da der Baum der Erkenntnis aber gepflanzt war, dürfen wir vielleicht vermuten, daß das Verbot ein vorläufiges sein sollte. Gott behielt sich den Zeitpunkt vor, zu dem er den Auftrag des Menschen erweitern und ihm die dann erforderliche Erkenntnis freigeben wollte. Aber der Mensch wollte nicht warten und sich bescheiden und mußte nun für die usurpierte Erkenntnis ein Lehrgeld des Leides zahlen, das bis heute nicht abgezahlt ist. Die erste Reihe der Katastrophen reichte über den Brudermord bis zur Sintflut. Eine weitere Merkwürdigkeit der Erzählung, der die gängige Überschrift „der Sündenfall" mit ihrem moralisierenden Grundton nur unzureichend gerecht wird, liegt darin, daß Gott dem schwer gestraften Menschen die angemaßte Erkenntnis mit ihrer Last und ihren positiven Möglichkeiten läßt und sie ihm nicht entzieht. Der Mensch wird dadurch über die verdiente Strafe

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hinweg w e i t e r geführt auch in der Erkenntnis Gottes. In diesen Rahmen fügen sich auch, wie immer schon gesehen wurde, die Verse 3, 21ff., die von einer ersten Hilfestellung Jahwes für den aus dem Paradiese verstoßenen Menschen berichten. Die erste Hilfe im Kleinen weist vorweg auf spätere Hilfe von ungleich größerem Ausmaß. Wir müssen hier einhalten und noch einmal kurz zurückblicken. Der Ausgangspunkt war die hier erstmalig vorgeschlagene Deutung des Namens des ersten Menschen Edimmu als „Wildmensch" im Atramhasis-Mythus (s. S. 167). Aus ihr ergaben sich weitere Überlegungen vor allem über die Ursachen der ersten Konflikte zwischen Gott und Mensch im AM und im Schöpfungsbericht des Jahwisten im AT. Wie alle wirklich ernsthaften und tragischen Konflikte entziehen sich diese jeder primitiv moralisierenden Deutung. Es ergab sich, daß in Babylonien wie in Israel die Gottheit dem ersten Menschen nur einen begrenzten Auftrag auf den Weg gab. In Babylonien war die Begrenzung auf Entlastung der vorher zerstrittenen Götter von Schwerarbeit für den Menschen im Grunde unzumutbar. Von den Göttern sah dieses Enki/Ea zuerst ein und half daher den Menschen, als sie über die ihnen gesetzten Grenzen durch das als hubürum gekennzeichnete Verhalten hinausgriffen. Der Auftrag Jahwes an Adam, im Garten Eden Arbeit ohne Leid in seiner Nähe zu leisten, war ganz gewiß nicht unzumutbar, wurde aber nicht so begründet, daß dieser den Sinn der auferlegten Beschränkung erkennen konnte. So war auch Adam nicht bereit, sich zu bescheiden bei dem, was er hatte, und wollte mehr. Die Götter des AM haben die Konsequenzen ihres Beschlusses, Menschen zu erschaffen, zunächst offenbar nicht überschaut; sie gaben ihnen wohl ungewollt mit dem planenden Verstand (temum) mehr auf den Weg mit, als für den ersten Auftrag notwendig war. Der Jahwist maßt sich nicht an, das Geheimnis zu ergründen, das Jahwes begrenzter, nicht umfassend begründeter Auftrag an Adam und Eva stehen läßt; die Motivierungen seiner zu vermutenden Vorlagen konnte er nicht übernehmen. Dadurch wächst seine Erzählung über den alten Orient weit hinaus und wird trotz des unverkennbaren Lokalkolorits zeitlos gültig. Was am babylonischen Mythus überzeitlich gültig ist - es ist nicht wenig! - , kann eine nachdenkende Interpretation nicht nur wegen der vielen Textlücken nur mühsam und unvollkommen herausarbeiten. Eine sehr wesentliche Eigentümlichkeit verbindet aber wieder das, was die Erzähler in Babylon und Israel zu sagen haben. Für beide ist die Schöpfung mit den aus ihr erwachsenen Konflikten bis hin zu der einmaligen Katastrophe der Sintflut mehr als ein Geschehen der Vorzeit, das einmal abgelaufen und nun Vergangenheit geworden ist. Mochte in die Uberlieferungen von den Urkönigen Babyloniens und den Urvätern in der Bibel da und dort noch eine historische Erinnerung eingeschmolzen sein, die Schöpfungserzählungen waren ein Produkt spekulativen Denkens vieler Generationen, die jeweils von ihrer Gegenwart aus dachten. Damit enthalten sie eine aktuelle Problematik und weisen in die Zukunft. Das Geschichtswerk des Jahwisten hörte ja mit der Sintflut nicht auf, sondern führte bis in die frühe geschichtliche Zeit Israels als

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ein Werk von offenbar sehr einheitlicher Konzeption. Der AtramhasisMythus hatte nur die Schöpfung, die drei großen Plagen und die Sintflut zum Thema. Er war aber eingebettet in den Strom einer viele hundert Jahre zurückreichenden Uberlieferung, aus der heraus auch andere Werke gestaltet worden waren. Der Dichter dieses Mythus kannte diese und durfte voraussetzen, daß seine Hörer mindestens manche von diesen auch kannten. Er wie die Hörer wußten um das Grübeln über die Todverfallenheit der Menschen, wie es in so verschiedenartiger Weise in den Gilgames-Sagen und im Etana-Mythus Gestalt gewonnen hatte. E r wußte aber gewiß auch um das Ringen um ein angemessenes Gottesbild, das schon in manchen altbabylonischen Gebeten und anderen Dichtungen sowie Spekulationen über die Vielzahl der sumerischen Götter zum Ausdruck kam (vgl. etwa meine Überlegungen hier S. 57ff. über „ D a s Fragen nach der Gerechtigkeit Gottes im Alten Orient"). D a s Problem, daß menschliche Gemeinschaften und Einzelmenschen die ihnen gesetzten Grenzen überschreiten wollten, war mit dem Neuanfang nach der Sintflut nicht erledigt, sondern stellte sich immer wieder neu. Wer sich nicht bescheiden konnte wie Gilgames oder manche Könige, führte Katastrophen herauf und schuf doch auch wieder Bleibendes. Wer sich zu schnell beschied, konnte manchmal katastrophale Entwicklungen aufhalten, wurde aber dem auf Erhaltung des menschlichen Lebens gerichteten Willen der Götter oft auch nicht gerecht. Die alten Mythen zeigen aus der damit gegebenen Aporie keinen billigen Ausweg, der vor der Wirklichkeit nicht bestehen könnte. N o c h heute werden Nationen, Kirchen und einzelne zwischen einem „ z u viel tun wollen" und einem „ z u früh resignieren" hin- und hergerissen, sie kennen kein Rezept für einen Weg der Mitte, der ohne Katastrophen weiterbringt. Wir müssen ihn gleichwohl suchen, und dabei kann uns das, was Menschen auch einer fernen Vergangenheit durchdacht und durchlitten haben, doch bisweilen helfen. Billige Utopien bestehen weder vor der Vergangenheit noch vor der Zukunft! [Weiterführende Überlegungen hier S. 176f.]

Korrekturzusatz. N a c h der Einsendung dieses Beitrages im Februar 1972 erschien der Aufsatz von Anne Draffkorn Kilmer " T h e Mesopotamian Concept of Overpopulation and Its Solution as Reflected in the M y t h o l o g y " (Or. N S 41/1972, 160-77). Für Frau Kilmer geht es im A M vorrangig um das Problem der Übervölkerung. Sie stützt ihre Auffassung allerdings weder auf eine gründliche Untersuchung der wesentlichen Termini noch auf die Prüfung der Frage, was in Texten anderer Gattungen zu diesem Problem gesagt wird. Ich kann hier auf ihren gedankenreichen Aufsatz nicht mehr näher eingehen, möchte nur betonen, daß man eine Beschäftigung mit dem Problem der Übervölkerung doch vor allem in den Omendeutungen erwarten sollte. Mir ist keine Omendeutung erinnerlich, die Bevölkerungszuwachs als ein Unglück wertet. Auch in Königsinschriften klingt eine solche Wertung m.W. nirgends an. Ich meine daher, daß Frau Kilmers Aufsatz keine Argumente gegen die hier vorgetragenen Gedanken entnommen werden können.

Verschlüsselte Kritik an Salomo in der Urgeschichte des Jahwisten? Seit die Wissenschaft das Werk des sogenannten Jahwisten (J) als eine der Hauptquellen des Pentateuchs erkannt und die hohe Erzählkunst seines Verfassers ebenso wie das Gewicht seiner theologischen Aussagen immer besser zu würdigen gelernt hat, kam natürlich auch die Frage nach seiner Entstehungszeit nicht zur Ruhe. Die Ansichten darüber waren und sind nicht ganz einheitlich, jedoch nimmt die Mehrzahl der Forscher an, daß man es in die Zeit Davids oder Salomos noch eher anzusetzen habe als in die Niedergangszeit kurz danach (vgl. z.B. M. Noth, Geschichte Israels, S. 203, und G. von Rad, Das erste Buch Mose, Genesis, 9. Aufl. S. 10)1). Neuerdings hat H.-P. Müller in Anm. 102 seines Buches „Ursprünge und Strukturen alttestamentlicher Eschatologie" (Berlin 1969) sieben Beobachtungen aufgeführt, die in ihrer Gesamtheit für die Zeit Salomos sprechen und die Zeit der Reichsteilung ausschließen. Er sagt dort auf S. 52 auch: „So ist es, wie mir scheint, eindeutig, daß J noch ganz unter dem Eindruck jenes ersten (und einzigen) umfassenden geschichtlichen Triumphes steht, der Israel zuteil wurde." Wie dieser Eindruck die Darstellung von „Volkwerdung und Landnahme" beeinflußt, wird dann auf S. 52ÍF. näher ausgeführt. Die dieser Darstellung vorgeschaltete Urgeschichtserzählung (Gen 2,4b-11,9 ohne Zusätze von P) bleibt hier außerhalb der Überlegungen Müllers, weil es ihm um die Heilsgeschichte geht. Auch andere Gelehrte haben, soweit mir bekannt geworden ist, noch nicht im einzelnen die Frage erörtert, ob die besonderen Umstände der Zeit Salomos auf die Darstellung der Urgeschichte bei J in irgendeiner Weise eingewirkt haben. Ich darf daher hier, ohne mich mit der kaum noch überschaubaren Literatur zu Gen 2-11 näher auseinanderzusetzen, einige Beobachtungen und Überlegungen zur Diskussion stellen, die mich in den letzten Jahren beschäftigt haben 2 ). Es gibt auch radikal abweichende Ansichten, die entweder immer noch eine viel frühere Entstehung mindestens großer Teile des Pentateuchs verfechten oder aber die uns vorliegende Textgestalt in eine viel jüngere Zeit datieren. D a mir überzeugende Argumente für diese Auffassungen nicht bekannt geworden sind, darf ich hier von der Datierung von J ausgehen, die — mit allerlei Abweichungen im einzelnen — heute eine communis opinio darstellt. 2 ) Ich kann die Möglichkeit nicht ausschließen, daß das eine oder andere, das hier als eigener Gedanke zur Sprache kommt, doch schon einmal von anderer Seite so oder ähnlich gesagt wurde. Sollte das zutreffen, bitte ich um Entschuldigung wegen unterlassener Hinweise. Als Orientalist kann ich mich wohl mit einigen biblischen Texten beschäftigen, aber nicht mit der ganzen Literatur dazu.

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Schon seit langer Zeit habe ich immer wieder über die Geschichte vom Turmbau zu Babel (Gen 11,1-9) nachgedacht. Der Frage, ob man aus dieser Geschichte auch Erkenntnisse über den „Babylonischen Turm", die Ziqqurrat Etemenanki, gewinnen könne, habe ich in meinem Aufsatz „Etemenanki vor Asarhaddon nach der Erzählung vom Turmbau zu Babel und dem Erra-Mythus" (Ugarit-Forschungen 3/1971, 253-263) einige Überlegungen gewidmet, ohne dabei auf besondere Probleme der Zeit Salomos einzugehen. Auf die jahwistische Geschichte von der Menschenschöpfung, dem Paradies und dem „Sündenfall" führte mich meine Beschäftigung mit dem altbabylonischen Atramhasis-Mythus. Anfang 1972 erwuchs daraus mein Beitrag zur Festschrift zum 90. Geburtstag von F. M. Th. De Liagre Böhl, S. 329-338 (hier S. 165ff.) mit dem Titel „Der Mensch bescheidet sich nicht. Überlegungen zu Schöpfungserzählungen in Babylonien und Israel". Der Ausgangspunkt für ihn war die Deutung des babylonischen Namens des ersten Menschen Edimmu oder Wedimmu, die ich erst nach dem Erscheinen meiner früheren Aufsätze zum Atramhasis-Mythus in Or. NS 38/1969, 415-432 und Actes de le XVII e Rene. Ass. 1969, 142146, bei der Arbeit am AHw. gewonnen hatte. Die Erkenntnis, daß die Götter dem „Wildmenschen" Wedimmu nur den planenden Verstand (temum), aber noch nicht die Weisheit (haslsum oder nemequm) auf den Weg gegeben hatten, und eine neue Deutung von akk. hubürum hatten mich auf den Gedanken geführt, daß die Ursache für den so früh ausgebrochenen ersten Konflikt zwischen den Göttern und den Menschen nicht ganz allgemein in „der Sünde" liegen könne. Entscheidend war vielmehr offenbar, daß die Menschen sich mit der ihnen zugewiesenen Rolle als Arbeiter für die Götter nicht zufrieden gaben und sich mit Unterstützung durch Enki/Ea in zusätzliche „lärmende Aktivitäten" stürzten. Die Götter versuchten zuerst die Dämpfung dieser Aktivitäten durch die Verhängung schwerer Plagen, sahen aber schließlich keinen anderen Ausweg als den Vernichtungsbeschluß, konnten jedoch auch diesen nicht ganz verwirklichen, weil Enki/Ea zugunsten von Atramhasis eingriff. Aus der neuen Deutung des Konflikts im Atramhasis-Mythus erwuchsen Überlegungen über das, was eigentlich die Schuld von Adam und Eva in Gen 3 ausmachte. Ich schloß aus der Tatsache, daß Jahwe nach der Erzählung die durch das Essen der verbotenen Frucht gewonnene Erkenntnis den Menschen beließ und daß der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse überhaupt gepflanzt wurde, daß das Verbot, von dem Baum zu essen, nicht als Dauerverbot gedacht war. Gott hat sich den Zeitpunkt für die Freigabe der Früchte des Baumes der Erkenntnis vorbehalten, aber der Mensch wollte nicht warten und griff vor der Zeit zu. Er verlor dadurch den ihm noch für längere Zeit zugedachten besonderen Schutz im Paradies und wurde draußen auf sich gestellt ohne die Möglichkeit, erneut im Paradies Zuflucht zu finden. Seither wollten viele Menschen immer wieder zu viel zu

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früh tun, während andere ohne Not vor der Zeit resignieren oder auf jeden Einsatz verzichten. Bisher hatte man die eigentliche Schuld der ersten Menschen zumeist in ihrem Ungehorsam gegen das von Gott ausgesprochene Verbot gesehen. Dabei wurde an der Schwierigkeit, daß die Nichtbefolgung eines in der Erzählung nicht einsichtig formulierten Befehles das Gewicht einer Ursünde erhalten sollte, gewiß nicht immer vorbeigesehen. Als einer der letzten hat der im Erscheinen begriffene große Genesis-Kommentar von Claus W e s t erm a n n (Biblischer Kommentar, Neukirchener Verlag, 1966ff.) die bisherigen Deutungen noch einmal umfassend kritisch gewürdigt (vgl. insbesondere S. 344ff. und 374ff.) und für die Auslegung fruchtbar gemacht; ich möchte hier ausdrücklich auf ihn verweisen. Da Geschichten vom Range der Genesiserzählungen immer mehrschichtig sind und sich nicht auf einen einzigen „Skopus" reduzieren lassen, möchte ich auch keineswegs fordern, das herkömmliche Verständnis ganz über Bord zu werfen. Es behält sein Recht, wenn man den Blick nicht zu einseitig auf den Ungehorsam richtet 3 ). Wir würden aber die eigentliche Tiefendimension der Geschichte verfehlen, wenn wir die Einsicht des Jahwisten in die Neigung des Menschen, ohne Gott vorschnell zu handeln und sich zuviel zuzumuten, nicht als ein bestimmendes Moment für die Ausgestaltung der Erzählung erkennen würden. Er hat diese Einsicht aus dem Durchdenken der Überlieferungen Israels gewonnen, aber sicher nicht nur aus der Vergangenheit, sondern auch aus seiner Gegenwart. Das im einzelnen aufzuzeigen, wäre die Aufgabe einer Monographie, die sich mit vielen Gestalten der Überlieferung beschäftigen müßte. Ich muß das Berufeneren überlassen. Hier kann es nur darum gehen zu fragen, welche Bedeutung die Auseinandersetzung mit einigen der uns aus der Überlieferung bekannten Persönlichkeiten seiner Zeit für den Anfang seines Werkes hat. Wir gingen davon aus, daß der Jahwist aller Wahrscheinlichkeit nach zur Zeit Salomos geschrieben hat. Während man nun bei den Propheten und vielfach auch bei den Psalmen schon immer auch gefragt hat, was die Verfasser den Menschen ihrer Zeit sagen wollten, hat man bei der Ur3 ) Erst als dieser Aufsatz fast abgeschlossen war, wurde mir die Schrift von O. H. Steck, Die Paradieserzählung, eine Auslegung von Genesis 2 , 4 b - 3 , 2 4 (Biblische Studien 60, Neukirchener Verlag 1970) bekannt. Auch Steck hat erkannt, daß der Gehorsam kein zentrales Thema der ,,Sündenfall"-Erzählung ist. Er sieht in dem Verbot, vom Baum der Erkenntnis von gut und böse zu essen, einen Akt der Fürsorge Jahwes (S. 98); das (von S. nicht als vorläufig angesehene) Verbot ziele nicht primär auf Gehorsam (S. 88). Es gehe in der Erzählung um den Gegensatz zwischen der ursprünglichen Ausstattimg des Menschen durch Gott und seiner späteren Vorfindlichkeit (S. 71 und ähnlich oft). Für die Entstehungszeit denkt er an die Zeit von Davids Großreich (S. 29). Im übrigen geht er wie die meisten Ausleger auf geschichtliche Fragen kaum ein und mißt der Vergleichung altorientalischer Mythen weniger Bedeutung bei als Westermann. Eine Einzelauseinandersetzung mit der gedankenreichen Schrift ist hier nicht möglich.

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geschieht« etwas zu einseitig nur auf die über die Abfassungszeit hinausweisenden Aussagen geachtet. Gewiß, für uns sind diese die wesentlichen; sie können aber manchmal noch besser verstanden werden, wenn wir auch auf zeitgebundene Aussageinhalte achten. Ich meine nun, daß in einigen Fällen auch eine verschlüsselte Kritik an bestimmten Verhaltensweisen des Königs Salomo intendiert ist. Wenn ich recht sehe, findet sich eine solche Kritik vor allem am Anfang und am Ende des Urgeschichtsberichtes, also in den Erzählungen vom „Sündenfall" und vom Turm zu Babel. Ich möchte mich daher hier auf diese beiden Stücke beschränken. Denn es ist methodisch untunlich (obwohl es sehr oft geschieht), Beobachtungen, die an einzelnen Erzählungen gemacht wurden, vorschnell zu verallgemeinern und Zeitkritik auch da heraushören zu wollen, wo einleuchtende Argumente für eine solche fehlen oder noch nicht erkannt sind. Erst wenn die ersten Beobachtungen sich bewährt haben, können weitere Schritte auf noch unsicherem Boden sinnvoll werden. Angesichts des geistigen Ranges von J ist es weiterhin klar, daß wir in den Erzählungen mit primitiver und stark vergröbernder Kritik, wie sie im Schrifttum aller Völker verbreitet und stellenweise auch in den Daniel-Erzählungen zu finden ist, nicht zu rechnen haben. Wir werden nur eine sublimere, theologisch bestimmte Kritik erwarten können, die eben deswegen nicht so leicht erkennbar ist. Wenn wir nun nach Ansatzpunkten für eine solche theologisch-politische Kritik fragen, so müssen wir uns die besondere Situation Israels unter Salomo ganz kurz vergegenwärtigen. Israel war durch den Tod Sauls in den unglücklich verlaufenen Philisterkämpfen fast auf den Nullpunkt zurückgeworfen worden. Die lange Regierungszeit Davids brachte dann trotz zeitweiliger politischer Rückschläge einen Aufstieg, von dem vorher wohl niemand auch nur zu träumen gewagt hätte. Große Teile Syriens wurden in das Reich einbezogen, das damals keinen äußeren Gegner ernsthaft zu fürchten hatte. Unter Salomo gingen die syrischen Gebiete teilweise wieder verloren; ernsthafte Versuche, sie zurückzugewinnen, wurden offenbar aus guten Gründen nicht unternommen. Dafür folgte nun dem politischen Aufstieg der wirtschaftliche, da Salomo in Zusammenarbeit mit Tyrus aus dem Handel große Reichtümer zu gewinnen verstand. Mit einem modernen Schlagwort könnte man von einem Wirtschaftswunder sprechen. Es gelang außerdem, den kulturellen Rückstand gegenüber den alten Stadtkulturen in vielem aufzuholen und die neue Hauptstadt Jerusalem auch zu einem geistigen Mittelpunkt zu machen. Wen will es da wundern, daß der Stolz auf das Geleistete und die Freude darüber nicht nur das Selbstvertrauen des Königs und aller Beteiligten stärkte, sondern auch zu Selbstüberschätzung und Maßlosigkeit in der Planung führte? Unter rücksichtsloser Ausnutzung der Arbeitskraft des Volkes wurden militärische Anlagen, ein Palast und vor allem der Tempel in Jerusalem errichtet und prächtig ausgestattet. Auch wenn wir an den hier oft märchenhaften

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Angaben des Königsbuches die gebührenden Abstriche machen, bleibt der Eindruck bestehen, daß das kleine Land durch die Bauten weit überfordert wurde. Auch ohne ein literarisches Zeugnis müßten wir unterstellen, daß die Maßlosigkeit im Planen und die Überforderung der Menschen schon damals von Menschen, die trotz der überaus eindrucksvollen Leistungen einen kühlen Kopf behielten, mit Sorge beobachtet und im Rahmen des Möglichen auch kritisiert wurde. Nun besitzen wir aber das Werk des Jahwisten, der gerade damals, wir dürfen vermuten auch im Auftrag des Königs, die Überlieferungen über die Volkwerdung Israels zusammenstellte und sehr persönlich gestaltete. Daß auch er den Stolz auf das Erreichte teilte, geht aus seiner Darstellung deutlich genug hervor. Er ließ sich durch die Erfolge aber nicht so verblenden, daß ihm die aus seinem Glauben an die Führung des Volkes durch Jahwe erwachsenen Maßstäbe verlorengegangen wären. Daher nutzte er die ihm gegebenen Möglichkeiten, in sein Werk einiges an verschlüsselter Kritik einzubauen. Er tat dies, wenn ich es richtig sehe, gleich zu Beginn in der Darstellung der Urgeschichte, in der Sündenfall und der Babelturmerzählung. Ehe wir das im einzelnen ausführen, müssen wir zunächst die kritische Frage stellen, ob wir unter den gegebenen Umständen überhaupt in der Lage sind, eine verschlüsselte Kritik zu erkennen. Die Hauptschwierigkeit liegt darin, daß wir die Quellen von J , seien es nun ältere Aufzeichnungen oder mündliche Überlieferungen, nicht kennen. Wir wissen daher nicht, wie die Erzählungen aussahen, die ihm als Grundlage dienten, was er von ihnen übernahm, was er umgestaltete, was er fortließ und was er hinzusetzte. Die Forschung hat natürlich immer wieder versucht, aus bestimmten Eigentümlichkeiten der Erzählweise, aus nicht ganz ausgeglichenen Widersprüchen in Einzelheiten, aus den vorkommenden Namen und anderem Schlüsse auf die Vorlagen zu ziehen. Einige nehmen an, daß er ältere Werke, die „Laienquelle" (0. Eissfeldt) oder die „Nomadenquelle" (E. Fohrer), bearbeitet hat. Selbstverständlich hat man auch nach außerisraelitischen Überlieferungen gefragt, denen mehr oder weniger wichtige Motive entlehnt sein können. Man könnte aus den angeführten Schwierigkeiten und der Tatsache, daß vieles so verschieden beurteilt wird, den Schluß ziehen, daß die hier gestellte Frage nicht beantwortbar und daher auch nicht legitim sei. Eine solche Skepsis geht aber doch wohl zu weit, da Fragen ähnlicher Art überall in der Literaturwissenschaft gestellt werden, auch wenn die Quellenlage nur Antworten zuläßt, die teilweise hypothetisch sind. Berechtigt ist allerdings die Forderung, unter solchen Umständen sehr vorsichtig zu argumentieren und auf den Versuch zu verzichten, gar zu viel an Einzelheiten zwischen den Zeilen lesen zu wollen. Auch dürfen die im folgenden zu besprechenden Beobachtungen in ihrer Bedeutung für das Gesamtverständnis der Erzählungen nicht überbewertet werden; die Zeitkritik steht für sie nicht im Mittelpunkt.

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Der Gedanke, daß in Gen 2-3 auf Salomo angespielt sein könnte, kam mir nicht zuerst bei der Beschäftigung mit der Gestalt Adams. Es liegt auf der Hand, daß Adam und Salomo an sich sehr wenig gemeinsam haben 4 ). Adam ist alles andere als eine königliche Gestalt, und er steht in Gen 3 eher im Schatten seiner Frau Eva. Die führende Rolle der Frau aber in der Erzählung ist um so merkwürdiger, als in den babylonischen Menschenschöpfungsberichten des Atramhasis-Mythus und in Enüma elis die Erschaffung der Frau überhaupt nicht besonders erwähnt wird. In Ägypten gibt es noch weniger irgendein Vorbild dafür. Hier nun erinnert man sich daran, daß in l . K ö n 3 nach dem Bericht über die Strafgerichte Salomos an seinen Gegnern vor allem anderen erzählt wird, daß Salomo eine „Tochter des Pharao" geheiratet habe. In Kap. 7,8 und 9,24 hören wir dann, daß sie einen eigenen Palast erhielt 5 ); die Stadt Geser war nach 9,16 ihre Mitgift gewesen. Obwohl sonst über diese Königin fremder Herkunft verständlicherweise fast nichts gesagt wird, deutet die bevorzugte Nennung in 3,1 darauf, daß sie eine starke Stellung und vermutlich auch einen beträchtlichen Einfluß besaß. Ich möchte vermuten, daß das seinen Niederschlag in der Adam-Eva-Geschichte gefunden hat. Indem diese Adam in einer etwas unwürdigen Abhängigkeit von seiner Frau zeigt, die doch zuvor aus seiner Rippe geschaffen war 6 ), könnte sie in der Tat auf eine als unwürdig kritisierte Abhängigkeit des Salomo von seiner ägyptischen Frau hinweisen. Dabei ist die weitere Merkwürdigkeit beachtenswert, daß Eva in keiner Weise ihre weiblichen Reize ausspielt, sondern rein intellektuell argumentiert. Sie ist daher durchaus kein Urbild weiblicher Verführungskünste. Wollte der Jahwist Salomo hier auf verschlüsselte Weise nahelegen, den als verderblich angesehenen Einfluß seiner Frau einzuschränken? 4 ) Mit dem babylonischen Urkönig Adapa des Adapa-Mythus hat Adam eine gewisse Hilflosigkeit gemeinsam, die nicht ohne leise Ironie gezeichnet wird. Auf den Adapa-Mythus und einige neue Lesungen in ihm möchte ich an anderer Stelle eingehen (Festschrift für S . N . Kramer). 5 ) Die Motivierung, die 2.Chr 8,11 für den Bau eines besonderen Palastes für die aus Ägypten stammende Königin gibt, hat gewiß eine spätere Zeit David unterstellt, die Menschen aus den heidnischen Gebieten grundsätzlich als unrein ansah. 6 ) Ob das so schwer zu deutende Motiv von der Erschaffung der Eva aus einer Rippe Adams in diesem Zusammenhang auch der Königin aus dem auf Israel sicher mit Hochmut herabsehenden Pharaonenhaus eine kleine Lehre geben soll ? Übrigens kann ich die oft vertretene Meinung, daß die Homonymie zwischen sumerisch t i „Rippe" und ti(l) „Leben" ein Anlaß war, Eva als „die Lebende" aus der Rippe ihres Mannes entstehen zu lassen, nicht für wahrscheinlich halten. Aus Babylonien ist das Motiv nicht bekannt, und nichts spricht dafür, daß man in Palästina selbständig Volksetymologien aus dem im Westen wohl nie gesprochenen Sumerischen mythisch auswerten konnte. Ebensowenig für sich haben übrigens Ableitungen des Namens Hawwä aus sum. ama „Mutter" oder dem churritischen GöttinNamen Hepat (so als mögliche Deutungen aufgeführt bei W. Baumgartner, HAL 284b).

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Daß die Ägypterin wahrscheinlich die Mutter des späteren Königs Rehabeam war, wird in l.Kön 11,43 verschwiegen. Eva bewog den Adam, gegen Jahwes Verbot eine Frucht vom Baum der Erkenntnis von gut und böse zu essen7). Widerstand hatte sie dabei anscheinend nicht zu überwinden; der Wunsch, die von Gott noch nicht freigegebene Erkenntnis zu gewinnen, und Neugier wurde also bei Adam offenbar auch vorausgesetzt. Ich kann es nun nicht als einen Zufall ansehen, daß Salomo in seinem ersten großen Gebet in l.Kön 3,9 Jahwe gerade um die Fähigkeit bittet, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden8). Die vielen politischen Morde unter David und Salomo, die unterschiedlich bewertet wurden, sowie andere Aktionen, die verschieden beurteilt wurden — zu ihnen gehört nach 2. Sam 24 Davids Volkszählung —, hatten offenbar die Diskussion über das, was vor Gott als gut oder böse galt, stark angefacht. Der Wunsch Salomos, da ein sicheres und von anderen nicht anfechtbares Unterscheidungsvermögen zu gewinnen, war unter diesen Umständen nur zu verständlich. Es ist zu vermuten, daß die Königin in den Auseinandersetzungen darüber nicht geschwiegen hat. Ich möchte nun annehmen, daß der Jahwist nicht von ungefähr das Motiv des Baumes der Erkenntnis von Gut und Böse so in den Mittelpunkt seiner Erzählung gestellt hat. Er wollte seine Zeitgenossen und gewiß auch seinen König darauf hinweisen, daß Gott die Maßstäbe für Gut und Böse setzt und daß es böse Folgen hat, wenn der Mensch da eigenmächtig und voreilig vorgeht8). Als besonders verderblich hat er gewiß die Einflußnahme der Königin aus Ägypten auf die Diskussion über Gut und Böse angesehen. Worum es im einzelnen in diesen Diskussionen ging, verraten uns unsere Quellen nicht. Ein zentrales Motiv war die Unterscheidung von Gut und Böse in der Frühzeit Israels, soweit ') Mit Cl. Westermann und anderen bin ich der Meinung, daß der in Gen 2,9 neben diesem Baum noch genannte Lebensbaum für die Paradiesesgeschichte ohne Bedeutung ist. Zum Verbot Jahwes in Gen 2,17 von den Früchten des Baumes zu essen, möchte ich noch bemerken, daß das Hebräische „noch nicht" von „(überhaupt) nicht" sprachlich nicht unterscheidet. Die Möglichkeit, daß das Verbot nur als vorläufiges (zum Schutz der Menschen) gedacht war, läßt sich also nicht ausschließen. 8 ) Die Frage, was mit gut und böse hier gemeint sei, erörtert u.a. H. Stoebe, Gut und Böse in der jahwistischen Quelle des Pentateuch (ZAW 65/1953, 188-204). Er erwähnt die Stelle l . K ö n 3,9 auf S. 199 auch, meint aber, daß sie für das Verständnis von Gen 3 wenig Bedeutung habe, weil es da tun anderes gehe, etwa das für den Richter erforderliche Unterscheidungsvermögen. Ich kann seine Auffassung nicht teilen, da sich das Unterscheidungsvermögen des Richters doch auch an den geltenden ethischen Normen orientiert. Die Auseinandersetzungen unserer Zeit sind dafür ein Zeugnis. 9 ) O. H. Steck sagt in seinem in Anm. 3 genannten Buch auf S. 101, „die fatale, sich von Gott emanzipierende Art" sei kein Teil der ursprünglichen Ausstattung des Menschen. Es war für den eigenmächtig handelnden Menschen kein Segen, daß er „nun Förderliches und Abträgliches selbst bestimmen" kann (S. 107). Vgl. auch Westermann, S. 330ff. zum Problem mit Hinweisen auf Auffassungen anderer Interpreten der Geschichte.

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wir sehen können, noch nicht. In den Geschichten von den Erzvätern und von Mose wird nicht davon gesprochen. Doch bedarf es hierzu noch eingehender Untersuchungen auf breiterer Basis. Mit der ägyptischen Prinzessin könnte nun auch das so schwierige Motiv des Eingreifens der Schlange als Verführer der Eva gegenüber zu tun haben. Aus Babylonien kann dieses Motiv kaum stammen, weil wir in keinem sumerischen oder babylonischen Mythus von einem ähnlichen Handeln einer Schlange und von ihrer Kennzeichnung als besonders listig hören. Die Rolle der Schlange im Etana-Mythus ist eine ganz andere; sie bedarf da zur Durchsetzung ihres Rechts der Hilfe des Sonnengottes Samas. Die Unterscheidung zwischen gefahrlichen Giftschlangen und den Schlangen, denen Schutzfunktionen zugeschrieben wurden10), war aber in Babylonien durchaus geläufig. In Ägypten sind die Beziehungen der Schlangen zur Götterwelt von verwirrender Vielfalt (vgl. die vielen Nachweise bei E. Hornung, Der Eine und die Vielen [Darmstadt 1971], im Register S. 269a). Als Verkörperung von Klugheit oder List scheint sie aber nicht gegolten zu haben. E. Lipinski verwies mich mündlich auf die Geschichte vom Schiffbrüchigen, dem auf einer paradiesischen Insel eine göttliche Schlange als deren Wächter begegnet (s. Hornung, ebd. 118f.). Es erscheint denkbar, daß der Jahwist bei der Konzeption der Schlangenepisode auch an diesen Schlangengott gedacht hat. Seine Schlange hat zwar nichts Furchtbares an sich und erinnert nicht an gefährliche Giftschlangen, sie hat aber mit dem Inselwächter die Fähigkeit gemeinsam, tiefsinnige Gespräche zu führen, mag der Inhalt der Gespräche auch grundverschieden sein. Nimmt man hinzu, daß ein Schlangenleib mehreren ägyptischen Göttinnen zugeschrieben wird (s. Hornung, I.e.), so muß die Möglichkeit, daß die Schlange die damaligen Hörer an unerwünschte ägyptische Einflußnahmen auf den Hof zu Jerusalem erinnern soll, immerhin ernsthaft in Betracht gezogen werden11). Die bisherigen Überlegungen zur Schlange in Gen 3,1 ff., die insbesondere bezeugte oder nur vermutete kanaanäische Schlangenkulte ins Auge faßten (vgl. Cl. Westermann, I.e. 322ff.) und dabei auf die „eherne Schlange" in 10 ) Vgl. dazu D.O. Edzard, Wb. der Mythol. I 120. Die Unterscheidung zwischen den gefährlichen Giftschlangen, von denen im AT oft genug die Rede ist, und anderen vernachlässigt m . E . O.H. Steck zu sehr, wenn er auf S. lOOff. seines Buches von der Schlange als dem Erzfeind des bäuerlichen Menschen spricht. Die Schlange in Gen 3 kann man sich schwer als eine Giftschlange, etwa die Puffotter, vorstellen; sie erinnert eher an die Schlangen, die Heilgottheiten als Begleiter zugeordnet wurden, weil sie wegen ihrer Fähigkeit, sich zu häuten, als Symbole der K r a f t zur Regeneration galten. u ) An die ägyptische Uräusschlange (Kobra) ist in diesem Zusammenhang gewiß nicht zu denken, obwohl sie als Symbol der Königsherrschaft in Ägypten galt und ein auffälliges Kennzeichen am Diadem des Pharao war. Sie ist ihrem Wesen nach aggressiv und gewährt dadurch dem König Schutz. Die Schlange im Paradies hat damit keine Ähnlichkeit.

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Num 21,9 hinwiesen, waren ja zu allgemein anerkannten Ergebnissen nicht gelangt. Daher ist es legitim, neue Gesichtspunkte in die Diskussion einzubringen, auch wenn diese nur für einige Aspekte der Problematik hilfreich werden können. Soviel vorläufig zu Gen 3. Wenn wir nun zur Erzählung vom Turmbau zu Babel übergehen, so muß zunächst ergänzend zu meinem Aufsatz in UF 3 (s. dazu S. 229) festgestellt werden, daß noch keineswegs geklärt ist, warum der Jahwist gerade dieses Stück als Abschluß seiner Urgeschichtsdarstellung gewählt hat. Es lag zwar sehr nahe, eine Erklärung dafür zu suchen, warum die Menschen so viele verschiedene Sprachen sprachen. Der Gedanke, das Geschehen der Sprachenverwirrung mit den Erzählungen über einen unvollendet gebliebenen Riesenbau in Zusammenhang zu bringen, bot sich aber keineswegs von selbst an. Und warum sollte man sich damals in Israel gerade für Babylon so stark interessieren ? Wenn Ausleger im Zusammenhang mit dieser Geschichte von der Weltstadt Babylon sprechen, so unterläuft ihnen dabei ein Anachronismus. Zur Weltstadt wurde Babylon erst unter Nebukadnezar II. nach 600. Ob es zur Zeit Salomos auch nur die größte Stadt Babyloniens war, wissen wir nicht, obschon man einiges dafür anführen könnte. Politisch war Babylon damals ebenso wie Assur durch die Aramäer so geschwächt, daß es für Israel keine Bedeutung gehabt haben kann. Unmittelbare Handelsbeziehungen werden angesichts der großen Entfernung zwischen beiden Ländern kaum bestanden haben. Weswegen also hat man sich über die Bauruine von Etemenanki so viele Gedanken gemacht? Die nächstliegende Antwort ist doch die, daß man sich für Großbauten anderswo deswegen interessierte, weil Salomo in seinem Lande soviel baute und bemüht war, den ersten Tempel für Jahwe ebenso wie seinen Palast in Jerusalem prächtig auszugestalten. Man konnte die neuen Bauten in Israel unter verschiedenen Gesichtspunkten mit denen in anderen Ländern und Städten vergleichen. Man konnte voll Stolz feststellen, daß die Bauwerke des jungen Staates sich neben denen der älteren Staaten durchaus sehen lassen konnten. Man konnte dem König aber auch vorwerfen, daß er die wirtschaftlichen Möglichkeiten des Landes weit überschätzte und überdies kaum noch tragbare Dienstleistungen für die Bauten forderte. Mancher wird auch an der Durchführbarkeit der Planungen gezweifelt haben. Wenn der Jahwist nun seine Gedanken über Bauen als Ausdruck menschlicher Überheblichkeit und Rücksichtslosigkeit nicht an Werken wie den damals schon über 1500 Jahre alten gewaltigen Pyramiden der 4. Dynastie Ägyptens oder anderen Großbauten erläutert, sondern eben an Etemenanki in Babylon, das damals wahrscheinlich die größte Bauruine war, so zeigt das, daß er auch zu denen gehörte, die mit Sorge Salomos übermäßige Bautätigkeit ansahen. Das Schicksal des Turmes zu Babel, so wie er es sah, sollte als ein warnendes Exempel dienen: auch Salomo müsse damit rechnen, daß Gott ihm in den Arm fallen und die Vollendung zu prächtiger

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Bauten verhindern kann. Verstanden hat der König die Warnungen sicher; ob er aus ihnen irgendwelche Folgerungen zog, wissen wir nicht. Möglicherweise boten Salomos Bauten auch für die Behandlung des Themas Sprachenverwirrung einige Anregungen. Neben phönizischen Künstlern und Handwerkern mußten nach l . K ö n 9 , 2 0 auch Amoriter, Hethiter, Pheresiter, Hiwwiter und Jebusiter Bauarbeiten leisten. Da mag es schon manchmal erhebliche Verständigungsschwierigkeiten gegeben haben, wenn sie auch nicht zum Abbruch des Unternehmens führten. Ganz gewiß, die Kritik an Salomos Bautätigkeit ist nicht der Hauptinhalt der Babelturm-Geschichte. Wäre sie es, die Erzählung würde heute nur noch wenige interessieren. Diese Kritik zu hören, beeinträchtigt aber nicht das Hören auf die zentralen theologischen Aussagen, sondern kann zu ihrem noch besseren Verstehen helfen. Mehr möchte ich über die von mir vermutete verschlüsselte Kritik an Salomo in den beiden Erzählungen vorläufig nicht sagen. Die vorgetragenen Beobachtungen ermöglichen es, wie ich meine, einiges in ihnen, was die bisher fast allein betriebene überlieferungsgeschichtliche und theologische Betrachtung nicht befriedigend verständlich machen konnte, besser zu verstehen. Wenn es nun richtig ist, daß der Jahwist neben den theologischen Aussagen auch an den König gerichtete politische intendiert hat, so erhebt sich noch eine Reihe von anderen Fragen, die hier wenigstens kurz noch besprochen werden müssen. 1. Haben wir überhaupt das Recht, zur Zeit Salomos in Erzählungen, die in manchem noch recht urtümlich anmuten, solch eine verschlüsselte Rede zu suchen ? Bekanntlich ist die Schlüsselerzählung an sich dem Alten Testament nicht fremd. Aber das Paradebeispiel dafür, die Danielerzälilungen, die von einem Nebukadnezar sprechen und Antiochos Epiphanes meinen, sind fast 800 Jahre jünger. Es gibt, soweit mir bekannt ist, noch keine umfassende Behandlung des Themas Schlüsselerzählungen im alten Orient. So muß ich mich auch hier beschränken und auf ein Beispiel aus Assyrien hinweisen, das ich vor fast 40 Jahren behandelt habe. Ich meine die Erzählung von der „Unterweltsvision eines assyrischen Kronprinzen", die ich nach der nicht ganz geglückten Erstausgabe durch E. Ebeling in ZA 43/1936, lff. ausführlich bearbeitet habe. Diese ist wegen ihres ganz andersartigen Inhalts gewiß mit der Urgeschichte von J nur begrenzt vergleichbar, und die Mahnung des Unterweltgottes Nergal an den Kronprinzen, die im Rahmen der Vision ausgesprochen wurde, geht die politische Thematik viel deutlicher an. Aber der Deckname Kummä für den Kronprinzen und das Verschweigen anderer Namen zeigen deutlich, daß politische Kritik im Assyrien der Zeit Assarhaddons wie auch sonst im alten Orient meistens nur verdeckt geäußert werden konnte. Riskant war sicher auch die verdeckte Kritik, und immer nur wenige werden sie gewagt haben. Interessant ist immerhin, daß sie gewagt werden konnte, wenn auch gewiß nicht unter jedem König. Für unsere Überlegungen hier

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ist vor allem wichtig, daß das Beispiel aus Assyrien zeitlich der SalomoZeit viel nähersteht als die Daniel-Erzählungen. 2. Bei einer wie auch immer verschlüsselten Kritik am König ist die Frage, wer sie verfaßt hat, besonders brennend. Für den assyrischen Text habe ich als Verfasser eine der interessantesten Gestalten der Zeit Assarhaddons und Assurbanipals vermutet, den in der Magie, Medizin und Astrologie in gleicher Weise bewanderten Adad-sum-usur. Wir kennen ihn unmittelbar aus seinen teilweise in einem recht blumigen Stil geschriebenen Briefen, in denen bisweilen übrigens auch direkte Kritik an Maßnahmen des Königs geübt wird. Über diesen Mann hat nach früheren Bemerkungen von mir zuletzt ausführlich K. Deller in AOAT 1/1969, 45-64 gehandelt; er gab auch bis dahin unveröffentlichte Brieffragmente bekannt. Neu bearbeitet hat dann die über 50 sicher oder wahrscheinlich von Adad-sum-usur stammenden Briefe S. Parpola in AOAT 5,1/1970 (Letters from Assyrian Scholars to the Kings Esarhaddon and Assurbanipal) als Nr. 119-170; von dem Kommentarband erschien erst ein Teildruck. Einen Beweis dafür, daß Adad-sum-usur die Unterweltsvisionserzählung verfaßt hat, gibt es auch heute noch nicht. 3. Wie steht es nun mit der Verfasserfrage bei J? Die nicht sehr schöne Bezeichnung Jahwist ist ein Verlegenheitsprodukt; sie macht es Fernerstehenden nicht leichter, diese bedeutende Persönlichkeit angemessen zu würdigen 12 ). Sein Werk ist jedenfalls in dem Teil, der später in den Pentateuch einbezogen wurde, anonym, und eindeutige Hinweise auf die Verfasserschaft sind bis heute nicht gefunden worden. Ich meine nun, es gibt einen sehr bekannten Mann der Zeit Davids und Salomos, dem wir dieses Werk wohl zutrauen können: das ist der Prophet N a t h a n , den David auch mit der Erziehung Salomos betraut hatte. Wir kennen zwar nur eine späte Notiz, die auf Betätigung Nathans auch in der Geschichtsschreibung hinweist; das ist 2 . C h r l l , 2 9 , wo für ergänzende Mitteilungen über die Regierungszeit Salomos auf ein Buch Nathans, auf die Weissagung des Ahlja von Silo und auf Gesichte des Je'do verwiesen wird. In l . K ö n 11,41 ist in gleichem Zusammenhang nur ein anonymes Buch der Geschichte Salomos erwähnt. Trotz der späten Bezeugung ist es schwer vorstellbar, 12

) Daß alle zum jahwistischen Werk gerechneten Stücke im Pentateuch ihre, von späteren redaktionellen Zusätzen abgesehen, endgültige Gestaltung durch einen einzigen Mann erhalten haben, ist durchaus nicht erwiesen. Auf der anderen Seite wurde bisher aber auch nichts beobachtet, das zwingend gegen einen einzigen Verfasser spräche. Die Urgeschichte, um die es hier zunächst geht, ist jedenfalls so einheitlich konzipiert, daß man sie sich nicht als irgendwie kompiliert vorstellen kann. Da sie als Einleitung zu einem größeren Werk angelegt ist, führt man die jahwistischen Geschichten von den Erzvätern und Mose im allgemeinen auf den gleichen Verfasser zurück und spricht daher vom Jahwisten. Für die hier zu behandelnde Frage, wer dieser Mann sein könnte, ist es nicht von Bedeutung, ob alle Stücke, die man ihm zuzuschreiben pflegt, Teile seines Werkes waren.

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daß Nathans Nennung in der Chronik auf freier Erfindung beruhen soll. Aber selbst dann, wenn man der Chronik-Notiz kein großes Gewicht beimessen will, würde Nathan als Verfasser von J , evtl. zusammen mit Schülern, in Frage kommen. Der mögliche Einwand, daß die Abfassung eines Geschichtswerkes nicht die Sache eines Propheten sei, geht davon aus, daß der Träger einer Funktion, eben der des Propheten, nicht in den Bereich der Träger anderer Funktionen eingreifen könne. Das eben angeführte Beispiel des Assyrers Adad-sum-usur zeigt aber, daß bedeutende Persönlichkeiten auch über ihren eigentlichen Arbeitsbereich hinausgreifen und sich vielseitig betätigen können. Sollte man Nathan nicht zutrauen dürfen, was für Adad-sum-usur klar bezeugt ist? Man könnte nun einwenden, daß eine so stark verschlüsselte Kritik wenig zu Nathan passe, der David nach dem Frevel an Uria so hart direkt angeredet hatte. Aber nach 2.Saml2,7ff. hatte Nathan damals eine Strafankündigung Jahwes zu verkünden, weil ein schweres Verbrechen geschehen war, für das es bei Salomo keine Analogie gab. Überdies hatte Nathan auch bei David mit der berühmten Parabel 2.Sam 12,1-4 begonnen, nach deren Anhörung David, ohne es zu wissen, sich selbst verurteilte. Ein Zornausbruch gegen Nathan selbst war danach nicht mehr möglich. Ein weiterer nicht unwesentlicher Unterschied zwischen der Zeit Davids und Salomos liegt doch wohl darin, daß bei David das Königtum noch mehr charismatisch war, bei Salomo aber bereits institutionell verfestigt. Es ist sehr fraglich, ob Salomo sich selbst von seinem früheren Erzieher eine allzu direkte Kritik noch hätte gefallen lassen, vor allem dann, wenn durch sie gleichzeitig die Königin betroffen war. Im übrigen ist ja nicht auszuschließen, daß Nathan manchmal auch direkte Kritik geübt hat, daß diese aber von der Überlieferung, die von Salomo ein so ganz überwiegend positives Bild zeichnet, nicht weitergegeben wurde, wie ja auch die indirekte Kritik in der Urgeschichte, die damals gewiß verstanden wurde, später als solche nicht mehr gehört wurde. Wenn man nun die Frage stellt, ob der Stil der J-Erzählungen zu den uns von Nathan überlieferten Äußerungen paßt — vorausgesetzt, daß diese überhaupt in ihrem Wortlaut und nicht nur in ihrem Sinn authentisch sind! —, so kann man nur feststellen, daß bei dem wenigen, was überliefert ist, die Vergleichsbasis viel zu schmal ist. Wenn ich recht sehe, spricht nichts dagegen, daß wir in den J-Erzählungen, soweit diese nicht vielleicht aus noch früherer Zeit übernommen wurden, den Propheten reden hören, aber man wird ihnen eben auch nicht viele positive stilistische Argumente entnehmen können. H.-P. Müller hat auf S. 52 seines oben S. 228 genannten Buches gesagt: „Seine Strukturierung empfängt es (sc. das jahwistische Werk) durch zwei an zentralen Stellen eingeschaltete Ankündigungen: Gen 12,1-3 und E x 3 , 7 f . (16f.)." Er geht dann näher auf die Bedeutung beider Ankündigungen für die Gesamtdarstellung in J ein (S. 53-56 mit vielen wichtigen Argumenten).

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Obwohl Müller damals nicht an einen bestimmten Propheten als möglichen Verfasser dachte, darf festgestellt werden, daß seine Beobachtungen unsere Vermutungen, Nathan oder ein Schüler von ihm könnte der Verfasser von J gewesen sein, begünstigen. Ich habe meine Vermutung, daß jedenfalls in zwei der Erzählungen der Urgeschichte des Jahwisten verschlüsselte Kritik an Salomo enthalten sein könnte, im Titel dieses Aufsatzes bewußt mit einem Fragezeichen versehen. Es ging mir mit der Äußerung und kurzen Begründung dieser Vermutung nicht um die Aufstellung einer vielleicht etwas sensationell wirkenden These, sondern um die Einbringung einiger neuer Gedanken in eine Diskussion, die vor allem bei der Geschichte vom „Sündenfall" auf wichtige Fragen noch keine alle überzeugenden Antworten erbracht hat. Da ich die Fertigstellung meines Akkadischen Handwörterbuchs als meine vordringliche Aufgabe übernommen habe, muß ich mir bei der Beschäftigung mit anderen Problemen leider starke Beschränkungen auferlegen und mich damit begnügen, Fragestellungen und Lösungsversuche zu skizzieren, die einer sehr viel gründlicheren Behandlung unter ausgiebiger Heranziehung der Literatur bedürften. Ich muß es anderen überlassen, den Fragen auf breiter Basis intensiver nachzugehen. Dieses gilt auch für den zweiten Vorschlag, in Nathan den Verfasser des jahwistischen Werkes oder doch wesentlicher Teile von ihm zu sehen. Eine weiterführende Auseinandersetzung mit ihm würde eine erneute eingehende Beschäftigung mit der Rolle der Propheten in Israel vor der Zeit der großen Schriftpropheten erfordern, die andere besser leisten können. Sie könnte ergeben, daß eben auch einige der älteren Propheten schon „Schriftpropheten" waren, nur in etwas anderer Weise als später Arnos, Jesaja oder Jeremia. Das Heraushören einer Art von prophetischer Gegenwartsverkündigung aus einigen Urgeschichtserzählungen und später vielleicht auch einmal aus Erzvätergeschichten und Einwanderungsüberlieferungen wird übrigens, wenn wir hier auf einem richtigen Wege sind, dazu helfen können, das Wesen der theologischen Verkündigung im Alten Testament an einigen Stellen noch schärfer zu erfassen als bisher. Es könnte sich ergeben, daß Verkündigung viel häufiger auch einen aktuellen und damit oft zeitgebundenen Gegenwartsbezug hat, als das nach dem Wortlaut der Texte zunächst den Anschein hat. Diesen Gegenwartsbezug zu erfassen, verhilft uns auf der einen Seite zu vertieften geschichtlichen Einsichten, führt uns auf der anderen Seite aber auch zu Erkenntnissen, die es uns erleichtern, eine der Intention der Texte gemäße Aktualisierung der Aussagen für die jeweils neue Gegenwart zu finden.

Trunkenheit im babylonisch-assyrischen Schrifttum

Überall, wo der Mensch Bier, Wein und noch stärkere alkoholische Getränke um ihrer für eine gewisse Zeit belebenden und stimulierenden Wirkung willen trinkt, neigt er zum Übermaß, das die verschiedenen Stadien der Trunkenheit oder des Betrunkenseins hervorruft. Eine leichte Trunkenheit wird dabei oft positiv bewertet, was sich sprachlich in bildlichen Ausdrücken, wie z. B. freudetrunken, äußert. Die schwere Betrunkenheit mit ihren abstoßenden Nebenwirkungen und der weitgehenden Ausschaltung des klaren Denkens wird hingegen wohl überall negativ beurteilt und moralisch verdammt. Weil es nun oft so schwer gelingt, beim Trinken Maß zu halten, wird in einigen Religionen der Genuß alkoholischer Getränke ganz untersagt. Besonders bekannt ist das Alkoholverbot im Islam, das freilich ebenso wie Prohibitionsgesetze aus neuerer Zeit nur eine beschränkte Wirkung gehabt hat. Ob im Altertum die Trunksucht in den verschiedenen Kulturen eine unterschiedliche Verbreitung gehabt hat, wird sich schwer feststellen lassen. Wohl aber ist es möglich zu untersuchen, wie häufig und in welchem Sinn in den Literaturen von der Trunkenheit und ihren Folgen gesprochen wird. Mir fiel bei der Arbeit an meinem Akkadischen Handwörterbuch auf, wieviel seltener die gemeinsemitische Wurzel Skr „sich betrinken, betrunken werden" mit ihren Ableitungen in dem für uns kaum noch überschaubaren Schrifttum der Babylonier und Assyrer vertreten ist als im Alten Testament mit seinem vergleichsweise bescheidenen Umfang. Für hebräisch iäkar und seine Ableitungen säkür und sikkör „(be)trunken" sowie sikkärön „Trunkenheit" verzeichnet die Konkordanz von G. LisowSKY insgesamt 35 Belege, von denen zwei (Jes 63,6 und Nah 3,11) textkritisch angefochten werden. Demgegenüber fand ich für akkadisch iakäru und seine Ableitungen sakru I, sakränü, lakkarü lakküru und iakartu nur insgesamt 20 Belege in 14 Texten. Selbst wenn mir einige Belege entgangen sein sollten und wenn später in neuen Textveröffentlichungen einige mehr auftauchen, ist dieses Zahlenverhältnis sehr merkwürdig. Es wird noch merkwürdiger, wenn wir die Verteilung der Belege auf die Gattungen des Schrifttums prüfen. Die Belege im Alten Testament stehen alle im Kontext literarischer Werke, wobei 20 Belegen aus den Propheten-

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büchern nur 1 Psalmbeleg gegenübersteht. Ganz anders verhält es sich in Babylonien und Assyrien. Hier stammen von den im Akkadischen Handwörterbuch (pp. 1139-41) verzeichneten Belegen alle fünf für sakkarü „trunksüchtig" und sakküru „Trunkenbold" aufgeführten Stellen aus altbabylonischen bzw. jungbabylonischen lexikalischen Listen, ebenso zwei Belege für das Verbum sakäru. Damit stehen insgesamt 7 Stellen nicht in einem signifikanten Kontext. Von den übrigen finden sich 5 in medizinischen Rezepten und 4 in Briefen der mittelbabylonischen und neuassyrischen Zeit, also in Textgattungen, die im Alten Testament nicht vertreten sind. Es bleiben ganze fünf Belege aus literarischen Texten im eigentlichen Sinn, 4 für sakru „betrunken" und ein neuassyrischer Beleg für sakartu „Trunkenheit". Wenn wir berücksichtigen, welche Rolle in der Volksernährung in ganz Vorderasien das von uns als „Bier" bezeichnete Getränk 1 spielte, aber vor allem in Assyrien auch der Wein, so wird die geringe Zahl der Belege für sakäru und Ableitungen noch auffälliger. Dieser auffällige Befund bleibt auch dann bestehen, wenn wir bei einer Analyse der Belege im einzelnen auch die Aussagen mit heranziehen, die von sehr reichlichem oder übermäßigem Genuß von Bier oder Wein handeln, ohne die Wörter für „betrunken" und „Trunkenheit" zu verwenden. Aussagen dieser Art habe ich allerdings nicht systematisch gesammelt und kann daher nur diejenigen nennen, die mir aufgefallen sind. In den Tausenden von Briefen aus mehr als 2000 Jahren habe ich keine Stelle gefunden, in der ein Wort wie Trunkenbold dem Empfänger an den Kopf geworfen oder von einem Dritten ausgesagt würde. Ein altassyrischer Brief aus Kappadokien erinnert den Empfänger an einen Geldbetrag, „den du bei deinem Bier dem Ikuppia gegeben und dann vergessen hast" (Akkadisches Handwörterbuch 12 [...], sxxb sikärul). Weitaus gröber ist der babylonische König Adad-Sum-usur (etwa 1223-1193), wenn er seinen von ihm nicht als ebenbürtig anerkannten Kollegen in Assur Assur-naräri und Ilu-hadda schreibt „[durch] ,Vergessen des

1 Akkadisch Sihäru, auch Sikru, bezeichnet offenbar nicht nur ein Gerstengebräu gleich unserem Bier, sondern, sicher viel seltener, auch andere alkoholische Getränke, z. B. ein „Dattelbier". Auf die Wörter für Bier, Wein usw. hier des näheren einzugehen, besteht kein Anlaß; vgl. dazu L. F. HARTMAN und A. L. O P P E N H E I M 1 9 5 0 und, auch unter kulturgeschichtlichen Gesichtspunkten, W. R Ö L L I G 1 9 7 0 . Meistens wird akkadisch iikäru ebenso wie das möglicherweise daraus entlehnte hebräische Sekär vom Verbum Skr „sich betrinken" abgeleitet. Nach der Nominalform ist Sikäru jedoch eher ein nicht deverbales Nomen, vielleicht sopar ein uraltes Wanderwort; die Konsonantengleichheit von Sikäru usw. und Sakäru wäre dann zufällig. Für ein Wanderwort könnte das an Sikäru anklingende hethitische SeSSar „Bier" sprechen.

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Fleisches (= Leibes)', wiederholtes Betrinken und Unüberlegtheit kam euer Verstand immer wieder durcheinander" (WEIDNER 1959: Nr. 42,6F.; Übersetzung leicht korrigiert). Im Akkadischen Handwörterbuch 11416 sind zwei Stellen aus Briefen an Assurbanipal von Assyrien (669-627) zitiert. Der erste, noch an ihn als Kronprinz gerichtet, beklagt, daß ein Schreiber den Vater des Briefschreibers zur Berechnung einer Arbeit „Betrunkenen" überantwortet habe. Der andere sagt von drei Soldaten: „Sie waren betrunken. Wenn sie sich betrinken, wendet der eine sein Eisensch wert nicht vom anderen ab." Der Schreiber spielt hier auf die Aggressivität Betrunkener an. Aus diesen nur vereinzelten Hinweisen auf negative Folgen von Trunkenheit darf gewiß nicht gefolgert werden, daß Trunkenheit nur selten vorkam. E s muß aber darauf hingewiesen werden, daß die Briefe aus Babylonien und Assyrien ganz überwiegend nur geschäftliche, berufliche oder politische Themen behandeln. Von persönlichen Angelegenheiten wie etwa Krankheiten ist nur selten die Rede. Nur sehr selten wird auch in den so zahlreichen medizinischen Texten auf überreichliches Trinken als Krankheitsursache Bezug genommen. In einem Werk, dessen Hauptthema Darmkrankheiten sind, finden sich etwa die folgenden Diagnosen: „Wenn jemand Bier erster Qualität trinkt und dann seine Beine wie zerschlagen sind, er schlecht sieht"; „Wenn jemand Bier trinkt und dann sein Kopf ihn dauernd ,packt' [d. h. er Kopfschmerzen hat], er seine Worte immer wieder vergißt, beim Reden ,austilgt' [d. h. wohl: sich dauernd widerspricht], [wenn er] entschlußunfähig ist" (vgl. KÜCHLER 1904: 32, 49 ff. und Duplikat). Für den ersten Fall wird empfohlen, fünf Drogen in Wein zu lösen und als Medizin einzugeben; sollte das vermutlich scheußliche Getränk die Freude am Trinken nachhaltig vergällen? Einige weitere Diagnosen sind noch nicht sicher zu deuten. Merkwürdigerweise gibt es aber auch Rezepte, die mithilfe von Drogen in Wein einen Rausch bewirken wollen; versprach man sich von einem solchen Rausch eine Erleichterung anderer Leiden ? (vgl. KÖCHER 1963 ff.: Nr. 260, 1 ff. mit Duplikat 414 Rs. 7 ff.). Solchen Fragen kann nur im Rahmen einer umfassenden Behandlung babylonischer Rezepturen nachgegangen werden. In den allermeisten Fällen wird ja nicht angegeben, welche Ursache für die beobachteten Krankheitssymptome vermutet wurde. Die im engeren Sinn literarischen Texte nehmen auf Trunkenheit auch nur sehr selten Bezug. Ein magischer Text vergleicht das Erbrechen eines Säuglings mit dem eines Betrunkenen 2. In Mythendichtungen fin2 Vgl. den ersten Beleg sub sakru 1 im Akkadischen Handwörterbuch 11416; der seither durch Zusammenschlüsse von Fragmenten erweiterte Text befaßt sich mit dem Geschrei von Säuglingen.

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den sich gelegentlich Flüche wie „Ein Betrunkener soll dein Festgewand mit (seinem) Gespei besudeln" 3 oder „Der Betrunkene und der Durstige sollen dich ohrfeigen" 4. In Gestalt eines Fuchses sieht der Verfasser kurzer Witz-Histörchen von jeweils nur wenigen Zeilen Länge einen Betrunkenen: „Ein Fuchs lief im Stadtgraben hin und her, fiel immer wieder [hin]. Als neben ihm ein Wolf (aus dem Graben) hochstieg und sagte ,Heil sei [dir!]', antwortete er dem Wolf: ,Das (viele) Bier hält mich fest, ich kann nicht [heraufkommen]'" (nach LAMBERT 1 9 6 0 : 2 1 6 , 4 4 ff. mit zusätzlichen Ergänzungen). Geschichtchen solcher Art wurden in Mesopotamien sicher ebenso oft erzählt wie anderswo, aber nur sehr selten aufgezeichnet. Vorläufig unergiebig ist die Aussage in einer neuassyrischen Schülertafel „sie tranken bis zur Trunkenheit" 5, weil wir nicht wissen, aus was für einem Text das dort wiedergegebene Stück exzerpiert ist. Trunkenheit gab es nach altmesopotamischen Mythen nun bisweilen auch bei den Göttern. Sumerische Mythen weisen deutlich auf ihre negativen Folgen hin. Der Mythus „Inanna und Enki" 6 berichtet von einem Besuch der Göttin Inanna von Unug/Uruk bei Enki von Eridu. Beim Gastmahl „trinken sie Bier im Abzu 7, lassen sich den süßen Wein munden; die Bronzegefäße machen sie übervoll '. Enki gerät bei der Zecherei in Schenkerlaune und schenkt der Inanna, die sich anscheinend mehr zurückgehalten hatte, seine me, die göttlichen Kräfte, die sein Regiment erst ermöglichen 8. Inanna zieht mit ihnen ab. Als Enki ernüchtert auf3 Gilgamei-Epos, Tafel VII nach B. LANDSBERGER 1968: 125, 17 (das dort nur vermutete Wort für „Gespei" ist nach Kollation türü). 4 In Zeile 27 des Textes (Anm. 3) nach GADD 1966: 128, wo dieser Fluch des sterbenden Enkidu der Dirne galt, die ihn einst nach Uruk geführt hatte. Den gleichen Fluch gegen einen göttlichen Buhlknaben spricht die Unterweltsfürstin EreSkigal in Vers 108 von „IStar's Unterweltsfahrt" aus (zuletzt R. BORGER 1963: 92). Die akkadische Fassung dieser ursprünglich sumerischen Dichtung stammt wahrscheinlich vom Dichter der jüngeren Fassung des Gilgamei-K-pos, SIN-LEQEUNNINI von Uruk, der dort um 1100 gelebt haben dürfte. In den Fluchandrohungen der Königsinschriften begegnet ein solcher Fluch m. W. nicht. 5 Wir wissen vor allem nicht, wer Subjekt zu dieser im Akkadischen Handwörterbuch 1139a sub iakartu zitierten Aussage ist. 6 Vgl. G. FARBER-FLÜGGE 1973: 20/21, 28 f. Es ist interessant, daß der Mythus es vermeidet, von Trunkenheit des Gottes zu reden. Übrigens kennen wir bisher außerhalb von lexikalischen Listen noch kein sumerisches Wort für betrunken oder sich betrinken, wie mir J. KRECHER freundlich bestätigt hat. Die Möglichkeit, daß ein Wort dieser Bedeutung bisher noch unverstanden blieb, läßt sich allerdings nicht ausschließen. 7 Abzu ist das als ein unterirdischer Ozean aufgefaßte Grundwasser, in dem der Palast des Gottes Enki, babylonisch Ea, lag. 8 Zu dem nicht übersetzbaren Begriff me vgl. zuletzt grundlegend die Arbeit von G. FARBER-FLÜGGE (1973:197: „Die göttliche Kraft me ist ein pluralistischer Begriff, der sich aus sämtlichen .abstrakten' Begriffen zusammensetzt, die das

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wacht, befiehlt er, der Göttin die me wieder abzujagen, kann aber nach mehreren Fehlschlägen erst in Inannas Stadt Unug erreichen, daß er sie wieder zurückerhält. Schlimmer noch wirkt sich die Trunkenheit des Enki bei einem Trinkgelage mit der Muttergöttin Ninmah aus. Hier treten die beiden Gottheiten, die bei der Erschaffung der Menschen die führende Rolle gespielt hatten, in einen Wettstreit ein, in dem der Sieger sein soll, der das hilfloseste Geschöpf in die Welt setzen kann. Ninmah schafft allerlei Gestalten, teilweise sexuell Abartige, denen Enki dann doch noch einen Beruf zuweisen kann. Enki erschafft dann aber den ganz hilflosen Greis, und ihm gegenüber versagt die Kunst der Ninmah: ihm kann keine positive Rolle übertragen werden 9. So wird hier die Trunkenheit von Göttern für das Elend der Hilflosen verantwortlich gemacht. Doch der Mythos kennt nicht nur negative Folgen reichlichen Trinkens. Die Babylonier der jüngeren Zeit hatten die beiden eben erwähnten Dichtungen als zu anstößig empfunden und daher nicht weiter überliefert. Von einem feucht-fröhlichen Göttergelage ist aber auch in dem vermutlich um 1300 zur Ehre des Gottes Mard.uk von Babylon gedichteten Weltschöpfungsepos Enüma elis „Als droben" die Rede. In ihm geht es in Tafel II und I I I darum, daß die älteren Götter sich nicht in der Lage sehen, das von der urweltlichen Meergöttin Tiamat gegen sie aufgestellte Heer von vielen Ungeheuern unter dem Befehl des Kingu aufzuhalten und Tiamat und Kingu zu vernichten. Man wendet sich nun an den jungen Marduk, und er erklärt sich bereit, den Kampf aufzunehmen, wenn ihm zuvor das Königtum über alle Götter übertragen würde. Für diese Übertragung wurde eine Götterversammlung mit einem Festmahl einberufen, bei der dem Bier - der Text verwendet drei verschiedene Wörter für den Gerstensaft! - so reichlich zugesprochen wurde, daß „(ihre) Leiber schwollen, sie sehr müde wurden und ihr Gemüt frohlockte" (Tafel I I I 136 f.). Erst danach wurde die Einsetzung Marduks zum Götterkönig vollzogen (Tafel IV 1 ff.). Von eigentlicher Trunkenheit ist hier nicht die Rede; man könnte eher sagen, daß die Götter sich Mut antrinken mußten, um dem HerrschaftsLeben und die Kultur ausmachen. ... Diese einzelnen sog. abstrakten Begriffe hat man sich konkret als göttliche Attribute vorzustellen, die man verleihen kann, die man sich anlegen oder auf die man sich stellen kann"). 9 Der Text wurde bisher nur in der Dissertation von C. A. BENITO (1969) behandelt, die lediglich als Xerographie bezogen werden kann. Das Trinken hatte nach Zeile 52 die beiden Götter übermütig gemacht, so wie in anderen Streitgesprächen gut gesättigte Tiere übermütig wurden. Überreichliches Trinken als Motiv für einen Streit begegnet in der noch nicht umfassend behandelten sumerischen Streitgesprächsliteratur auch sonst gelegentlich.

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verzieht zugunsten Marduks zuzustimmen. Ein moderner Leser wird geneigt sein, in dem Bericht über das dem Einsetzungsakt vorausgehende Gelage eine gewisse Abwertung des Aktes durch den Dichter zu sehen. Da aber die ganze Dichtung als ein Hymnus besonderer Art auf Marduk konzipiert ist, kann die Darstellung des Einsetzungsaktes keinesfalls einen auch nur andeutungsweise persiflierenden Charakter gehabt haben. In diesem Zusammenhang ist es notwendig, darauf hinzuweisen, daß Trinkgelage ja auch in den Mythen anderer Völker vorkommen. Man hat oft vermutet, daß in Erzählungen solcher Art, etwa in griechischen und germanischen Mythen, schon eine Kritik am herkömmlichen Götterglauben zum Ausdruck komme, die in der Antike die karikierende Kritik eines L U K I A N (etwa 120-180) teilweise vorwegnehme. Vor allem A. L E S K Y (1961: 30 ff.) und 0 . H Ö F L E R (1971) haben gezeigt, daß eine solche Auffassung irrig ist 1 0 . Man kann von den Göttern durchaus Geschichten erzählen, die zum Lachen reizen, und sie doch ganz ernst nehmen. Das gilt z. B. für H O M E R , A R I S T O P H A N E S , E U R I P I D E S und die Edda, aber auch für babylonische Dichtungen. Erzählungen über Gelage und besondere Trinkkünste bei den Göttern dienen der Auflockerung, wie man meint, vielleicht auch bei szenischen Aufführungen anläßlich von Tempelfesten. Götter, über die man auch schmunzeln konnte, blieben den Menschen so nah, daß man sich vertrauensvoll an sie wenden konnte. Was sonst im Mythus berichtet wurde, erlaubte es den Sterblichen nicht, den gleichwohl unaufhebbaren Abstand zu vergessen. Nun zurück zur Trunkenheit als Übel: warum ist in den Texten so selten von ihr die Rede? Wir können darauf keine sichere Antwort geben. Man darf vielleicht vermuten, daß der Begriff eben wegen der oft so unheilvollen Wirkungen der Trunkenheit als tabu galt; man sollte ihn nicht unnötig gebrauchen, weil möglicherweise dämonische Kräfte dadurch geweckt werden konnten. Außerdem aber sollte gewiß auch einer Verharmlosung des Begriffes, wie sie sich in unseren Sprachen weithin eingebürgert hat, vorgebeugt werden, und es hat den Anschein, als sei das im Alten Mesopotamien gelungen u . Werfen wir nun zum Schluß noch einen kurzen Blick auf die Bibel! Auch hier ist - mit einer nur scheinbaren Ausnahme 12 - nur im negativen 10 Das Thema Humor in Keilschriftliteraturen ist wegen der nicht überreichlichen Quellen dafür bisher noch kaum behandelt worden; einen Anfang macht B. R. F O S T E R ( 1 9 7 4 : 6 9 ff.), geht aber auf Enüma eliS nicht ein. 11 Zusätzlich sei hier noch vermerkt, daß wir sumerische Hymnen an die Biergöttin Ninkasi kennen (vgl. C I V I L 1 9 6 4 : 6 7 ff. und WILGKH 1 9 6 9 : 9 0 f.); sie erwähnen die Möglichkeit übermäßigen Genusses des gepriesenen Getränkes bis hin zur Trunkenheit mit keinem Wort. 12 Die scheinbare Ausnahme ist Jeremia 23, 9, wo sich der Prophet unter der

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Sinn von der Trunkenheit die Rede, die in Palästina gewiß ganz überwiegend durch den Weingenuß bewirkt wurde. Vergleicht man nun die Aussagen im Alten und Neuen Testament mit denen aus Babylonien, so könnte die Mehrzahl von ihnen so oder ähnlich wohl auch in einem babylonischen Text stehen. Aber es gibt zwei sehr wichtige Ausnahmen. Zum einen findet sich im Alten Testament der in Babylonien m. W. unbekannte Gedanke, daß Gott Trunkenheit oder Zustände gleicher Wirkung über Völker als Strafe verhängen kann. Dieser Gedanke wird vor edlem von Jeremia ausgesprochen (13,13; 48, 26; 51,7.39.59), aber auch von Habakuk (2,15) und Jesaia (19,14) in einer Strafrede möglicherweise jüngerer Entstehungszeit. Babylonier und Assyrer wagten es offenbar nicht, ihren Göttern ein so unheimliches Strafhandeln zuzuschreiben. Den Gründen dafür kann nur im Rahmen einer umfassenden Betrachtung göttlichen Strafhandelns im Alten Testament und in den Religionen der orientalischen Umwelt nachgegangen werden. Ohne Parallelen in Mesopotamien sind ferner die biblischen Aussagen über Trunkenheit von Blut. Das Motiv findet sich zuerst wohl in dem vermutlich vordeuteronomischen Lied des Mose Dt 32,42 („meine Pfeile sollen trunken werden vom Blut"), dann aber auch bei den Propheten (Jes 34,5 und Ez 39,19) sowie im Neuen Testament (Apk 17,6). Es darf wohl vermutet werden, daß die Ursprünge für das Reden von Bluttrunkenheit von Personen oder Waffen in orgiastischen Stierkulten zu suchen sind, wie wir sie vor allem aus Kleinasien kennen, aber auch für phönizische ßa'a/-Kulte teilweise voraussetzen dürfen 13. In Babylonien und Assyrien gab es solche Kulte nicht; für ein Sprechen von Bluttrunkenheit fehlen daher dort alle Voraussetzungen. Israel mußte sich mit solchen Kulten auseinandersetzen, und das hat vor allem die prophetische Bildrede beeinflußt. Es liegt jenseits meiner derzeitigen Möglichkeiten, das Reden oder auch Nichtreden über Trunkenheit auch in anderen Kulturen des Orients auf seine Schwerpunkte hin zu befragen. Der Jubilar, dem ich diesen bescheidenen Beitrag verehrungsvoll widme, wird aus seiner umfassenden Kenntnis heraus sicher manches dazu sagen können. Last der von ihm zu verkündenden Gottesbotschaft mit einem Trunkenen vergleicht; eine positive Bewertung der Trunkenheit ist diesem Vergleich aber nicht zu entnehmen. Im griechischen Denken wurzelt die Aussage in Sirach 1,16 „die Weisheit... macht sie trunken aufgrund ihrer Früchte"; Griechisch (it6üttv mit seinen Ableitungen entspricht aber nicht nur hebräisch Sä^ar und Ableitungen, sondern auch räwä „sich satt trinken" und Ableitungen (vgl. z. B. Jesaia 55,10 und Threni 3,15); im verlorenen hebräischen Original von Sirach 1,16 stand gewiß das Perfekt oder Imperfekt von hirwä „satt zu trinken geben". 13 Das Trinken des Blutes von zwei Opfertieren wird schon im ugaritischen 'Anat-Mythus erwähnt (HERDNER 1963: Nr. 4 I I I 17), muß in Syrien also ein sehr alter Kultbrauch sein.

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Zum hebräischen Wörterbuch Für die Bedeutungsansetzungen in den hebräischen Wörterbüchern sind neben der über 2000 Jahre weit zurückreichenden exegetischen Tradition vor allem Überlegungen zur Etymologie der Wörter bestimmend. Die Forschung hat aber erwiesen, daß schon die ältesten Traditionen in der Septuaginta und den Qumran-Texten keineswegs immer zuverlässig sind und daher kritisch geprüft werden müssen. Die Erwägungen zur Etymologie leiden auf der einen Seite oft darunter, daß die arabischen Wörterbücher, die eine viel jüngere Sprachstufe widerspiegeln und überdies durch Theorien der mittelalterlichen arabischen Philologen belastet sind, zu schnell und unkritisch herangezogen werden. Auf der anderen Seite werden für das Akkadische zahlreiche längst überholte Lesungen und Wortdeutungen immer wieder mitgeschleppt, obwohl für Teile des Alphabets die neuen Wörterbücher inzwischen schon eine ganze Weile vorliegen. Schließlich wird von den in den letzten Jahrzehnten gewonnenen neuen Erkenntnissen der Semitistik viel zu wenig Kenntnis genommen, was unter anderem zur Folge hat, daß für nicht verbale Gegenstandsnomina immer wieder nach Verbalwurzeln gesucht wird, von denen diese abgeleitet sein sollen, auch wenn in keiner semitischen Sprache die gesuchten Wurzeln bezeugt sind. Eine Intensivierung der hebräischen Sprachstudien auf semitistischer Basis muß für alle Theologen, die sich der Bibelwissenschaft widmen wollen, gefordert werden. Was in allen anderen Philologien als selbstverständlich gefordert wird, kann für eine Bibelwissenschaft, die das bestmögliche Verständnis der Bibel erzielen will, nicht entbehrlich sein. Für die Wissenschaft vom Alten Testament hat es sich auch sehr nachteilig ausgewirkt, daß die Zusammenarbeit mit Altorientalisten nur noch selten gesucht wird mit dem Erfolg, daß Bibelwissenschaft und Orientalistik sich zum Schaden beider Forschungsgebiete zunehmend auseinanderentwickeln. Es sollte baldigst nach Wegen gesucht werden, auf denen man zu mehr Zusammenarbeit im Dienste der Aufgaben, die beiden gestellt sind, gelangen kann. Im folgenden möchte ich an einigen schwierigen Wörtern und bisher m.E. nicht befriedigend gedeuteten Bibelstellen aufzeigen, wie man heute ohne unnötige Emendationen ein besseres Verständnis vieler Bibelstellen gewinnen oder wenigstens anbahnen kann. 1. bsr in der Erzählung vom Turmbau zu Babel Genesis 11 Die Angaben zu bsr sind in den Wörterbüchern nicht einheitlich. Einige (so E. König, Hebr. und aram. Wb. zum AT 4 / 5 , 1931, 46a; Fr. Zorell, Lexicon Hebraicum Veteris Testamenti, 1968, 123b) rechnen nur mit einem einzigen

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Verbum, andere (so Gesenius-Buhl und HAL 1 ) unterscheiden drei homonyme Wurzeln, HAL 3 aufgrund einer Konjektur sogar vier Wurzeln.1 Ich kann mit König und Zorell keinen Grund sehen, drei homonyme Wurzeln anzunehmen; von der Grundbedeutung „abschneiden" aus lassen sich alle Gebrauchsweisen des Verbums erklären; für Ps 76,13 eine Bedeutung „demütigen" anzusetzen (so auch G. Lisowsky, Konkordanz), besteht gegen HAL kein überzeugender Anlaß. Es ist hier nicht notwendig, alle Verwendungsweisen von bsr noch einmal vorzuführen; es geht hier vielmehr nur um das Niphal, für das als übertragene Verwendungsweise auch Zorell die Bedeutung „unmöglich sein" ansetzt, König etwas abweichend und besser „unausführbar für ihn sein". Diese stativische Bedeutung wird angesetzt, obwohl nur das normalerweise fientische Imperfekt bezeugt ist, das in Sir 37,20 auch von allen passivisch wiedergegeben wird („ausgeschlossen werden von" u.a.). jibbäser steht nur in Sir 37,20 in einer positiven Aussage; in Gen 11,6 und Hi 42,2 geht die Negation 15 voraus. Daß diese beiden Stellen inhaltlich eng zusammenhängen, hat Cl. Westermann, Genesis I 733f. richtig hervorgehoben. Da nun aber die Hiob-Dichtung wesentlich jünger ist als das Geschichtswerk des Jahwisten (Nathan?), dürfte bei Hiob eine bewußte Anlehnung an die ältere Formulierung vorliegen, obwohl dort als Subjekt zu 15 jibbäser Gott an die Stelle der Menschen getreten ist. bsr bedeutet „abschneiden" (z.B. bei der Weinlese), „fernhalten von". In Gen 11,6 meint also 15 jibbäser mehem kol '"ser jäz3(m)mü2 la- cas5t „nicht könnte ferngehalten werden von ihnen alles das, was sie (einmal) planen". Hiob aber sagt: 15 jibbäser mimm'kä m'zimmä „nicht kann ferngehalten werden von dir ein Vorhaben". In freierer Wiedergabe könnte man sagen: a) „Nicht könnte man sie hindern an allem dem, was sie (einmal) planen"; b) „Man kann dich an keinem Vorhaben hindern". Der Sinn ist klar: Gott kann von niemandem an irgendetwas gehindert werden, die Menschen aber lassen sich im Rahmen der Freiheit, die Gott ihnen läßt, oft genug an nichts hindern, das zu tun sie die Macht haben, mag das Tun auch für sie selbst und andere noch so schädlich sein. Die zeitlose Richtigkeit beider Aussagen ist so unmittelbar einleuchtend, daß sie einer besonderen Erläuterung nicht bedürfen. Wie kommt es nun, daß in Ubersetzungen, Kommentaren und Lexika in beiden Versen immer wieder der Begriff „unmöglich" auftaucht? Den Ausgangspunkt dafür bietet offenbar die LXX, die Hi 42,2b wiedergibt durch dSuvaxsi 8£ crov ouöfcv „nichts ist dir unmöglich". Das Wort „Vorhaben" erscheint in dieser Wiedergabe nicht. Davon abgesehen, ist die Aussage der L X X theologisch unanfechtbar und hat daher wohl die modernen Ubersetzer 1

H A L 3 142b und andere setzen aufgrund einer Emendation ein Verbum bsr IV an, für das ich keine Rechtfertigung finden kann.

2

Die bei einem Verbum med. gem. paradigmawidrige Vokalisierung mit Schwa statt des zu erwartenden

jazommü

findet ihre m . W . einzige Entsprechung in

naba(l)lä

anstatt

naboflßä

Vers 7. Ich möchte vermuten, daß die reduzierten Tonvokale in beiden Formen das Spöttische in Gottes Reden über die menschliche Uberhebung untermalen sollen.

in

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bestimmt. Wie aber steht es in Gen 11,6? Hier weicht die LXX-Wiedergabe vom MT stark ab: vüv oiik ekXeúJjei e'E, avTÖ)v j t á v t a öoa äv ejuöüjvtcii jtoielv „jetzt wird von ihnen aus nichts unterbleiben, was sie sich vornehmen könnten". Aus gutem Grund verzichtet die LXX hier auf die Einführung des Begriffes „unmöglich"; denn ein Wesen, dem nichts unmöglich ist, wird damit gottähnlich, ja in seinen Fähigkeiten fast gottgleich. Das aber wollte weder der hebräische noch der griechische Text aussagen! Die modernen Ubersetzer und Lexikographen haben da fragwürdige theologische Konsequenzen, die man aus ihren Ubersetzungen ziehen könnte, zu wenig bedacht. Dazu kommt das eingangs angemeldete Bedenken, daß das Imperfekt eines Niphal normalerweise keine stativischen Funktionen hat. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch die LXX-Wiedergabe von Hi 42,2 zu beanstanden. Das Wort „unmöglich" sollte also aus den deutschen Übersetzungen beider Verse verschwinden, umsomehr als, wie wir schon sahen, ein besonderes Verbum bsr III im Hebräischen nicht anerkannt werden kann. Aber wir dürfen noch einen Schritt weitergehen. Das Hebräische hat für die Begriffe möglich, Möglichkeit, unmöglich und Unmöglichkeit überhaupt keine Wörter. Es mag Stellen geben, an denen mit Gesenius-Buhl niplä' „ist (zu) wunderbar" sinngemäß einmal mit unmöglich wiedergegeben werden kann. Besser aber wäre immer eine Wiedergabe wie „undurchführbar" (z.B. Gen 18,14; Jer 32,17) oder „unerreichbar" (z.B. Jer 32,27), umsomehr als auch dem Akkadischen das Begriffspaar „möglich - unmöglich" fehlt. Wenn ich recht sehe, wurde das Begriffspaar zuerst im 5. Jhdt. v. Chr. in Griechenland verwendet (Suvaxóq-áSúvaxoi;) und gelangte von dort auch in die LXX und später in das Neue Testament.

l.jkl und misse't „tragen" Wer in einigen gängigen Wörterbüchern den Artikel jäköl „können" durchsieht, bemerkt zu seinem Erstaunen, daß dieses Verbum, das wie die Verben des Könnens in allen Sprachen normalerweise den Akkusativ regiert, einmal mit min „von" konstruiert sein soll. Der einzige Beleg, der dafür aufgeführt wird, ist Hi 31,23b, wo wir lesen: vf-misse'etö 15 'ükäl „ihn (d.h. den Schrecken) (er)tragen kann ich nicht". In misse'etö sehen die Wörterbücher von Gesenius-Buhl, HAL 1 und HAL 3 die Verbindung von min mit dem Infinitiv von näsä' in der üblichen Form und können sich dabei auf die hier wie im Hiobbuch sehr oft recht freie Paraphrase der LXX berufen, die ditö xoC >.f|miaTO.iav. Wie die L X X auf diese Wiedergabe gekommen ist, bleibt unklar; vermutlich wurde sie durch den Inhalt der Satzung, in der es in der Tat um geschlechtlichen Umgang mit dem Mädchen geht, bestimmt. Sprachlich läßt sich die Deutung des Wortes nicht rechtfertigen, da es weder eine Wurzel 'ni noch eine Wurzel 'ün gibt, die in Aussagen über den Geschlechtsverkehr verwendet wird. Ich meine nun, daß die übliche Wiedergabe des Wortes aber auch sachlich ganz fragwürdig ist. Selbstverständlich braucht das Mädchen bis zu ihrer Uberführung in ein anderes Haus (gute) Nahrung und Bekleidung. Dient es ihm aber, wenn der (bisherige) Herr von Zeit zu Zeit die Nacht mit ihm zu-

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bringt? Ich meine, nein. Es ist in altorientalischen Gesetzen, soweit ich sehen kann, auch nicht üblich, einem freien Mann Vorschriften darüber zu machen, mit welchen Frauen er außerhalb seiner Ehe Umgang haben soll. Das Mädchen braucht aber in der Tat neben Nahrung und Kleidung ein Drittes, nämlich ein Dach über dem Kopf, damit es nicht Nächte auf der Straße zubringen muß. 3 Und eben dieses fordert das Gesetz. Vielleicht war es die Fremdartigkeit einiger Bestimmungen dieses Gesetzes, die es bewirkte, daß man hier schon frühzeitig nicht mehr an die Wohnung als notwendige Ergänzung von Speise und Kleidung dachte. Dazu kam dann die Seltenheit des Wortes. Das Verbum 'ün „ w o h n e n " ist im A T nicht sicher bezeugt, da die Ableitung der Perfektform 'änä Jes 13,22 von 'ün trotz KaxoiKT|aouCTiv in der L X X wegen des Auslautes -ä fragwürdig bleibt. Die meistgebrauchte nominale Ableitung von 'ün ist mä'ön „ W o h n u n g " , das im A T freilich merkwürdigerweise nur für Tierwohnungen und die Wohnung Gottes verwendet wird. D a mä'ön terminologisch auch im Sinne einer Dauerwohnung festgelegt war und das sonst gebräuchliche bet hier nicht anwendbar war, mußte eine andere Ableitung von 'ün gewählt werden, über deren Gebräuchlichkeit in der gesprochenen Sprache Israels in der David-Zeit wir nichts sagen können. Als Vokalisierung sollte man 'ünä erwarten; nach Analogie von 'ölä „Verkehrtheit" erscheint aber auch die masoretische Vokalisation denkbar. Ins Mittelhebräische wurde weder das Verbum 'ün noch 'ü/önä übernommen und mä'ön nur im Sinne von Wohnung Gottes. Das Mißverständnis der L X X in Ex 21,10 blieb für den späteren Sprachgebrauch also ohne Bedeutung und sollte künftig auch unsere Wörterbücher und Ubersetzungen nicht mehr bestimmen: 'ü/önä ist ein seltenes und wohl archaisches Wort für eine zeitweilige Wohnung. Exkurs zum Motto-Vers des Bundesbuches Wie alle Rechtssatzungen und Gesetzesbücher ist das Bundesbuch in Prosa abgefaßt. Es ist bisher aber m.W. noch nicht bemerkt worden, daß die erneute Einschärfung des Bilderverbots des Dekalogs in Ex 20,23 die Form eines Doppelverses hat, d.h. eines Verses mit 11 + 11 Silben, die sich auf 11 Jamben verteilen: lö ta'"sün 'im 'Höhe kesep welöhe zähäb lö ta'"s'ü lä-kem „Ihr sollt neben mir keine Götter aus Silber machen, und Götter aus Gold sollt ihr euch nicht machen!" Doppelverse ähnlicher Art, bei denen nicht nur die Hebungen gezählt 3

Die hier vorgetragene Deutung von Ex 21,10 hat, wie sich aus einem Gespräch ergab, unabhängig von mir auch P.-R. Berger gefunden.

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werden, 4 verwendet auch der Jahwist zur Hervorhebung von Aussagen, denen er eine besondere Bedeutung beimißt. So findet sich ein Doppeldreizehner mit 5 + 5 Hebungen nach dem Halbversschema Jambus + 3> Anapäst + Jambus in Gen 21,1: •uf-Jahwe päqad et-Särä ka-'"ser 'ämar waj-ja'as Jahwe le-Särä ka-'"ser dibber „ U n d Jahwe suchte Sara heim, wie er gesagt hatte, und es tat Jahwe an Sara, wie er gesprochen hatte." Doppelverse ähnlicher Art mit strengem tautologischem Parallelismus finden sich in den Prosa-Erzählungen des A T sicher viel öfter, als bisher bemerkt wurde. D a das Erkennen solcher Verse auch für die Auslegung eine erhebliche Bedeutung hat, sollte auf sie künftig viel mehr geachtet werden. 5. süp. Zur Wurzel süp sagt Fr. Zorell in seinem Lexicon, daß weder die Alten noch Forscher unserer Zeit über die Bedeutung des Verbums einig seien. Das trifft zu. Ehe ich erneut auf das Verbum eingehe, muß klar gesagt werden, daß es ein akkadisches Verbum sdpu als Entsprechung dazu nicht gibt, weder in der Bedeutung „überwältigen" (so Ges.-Buhl) noch, als angebliches Grundwort zu sepu(m) „ F u ß " , in der Bedeutung „treten" (so Zorell und H A L 1 sowie neue Kommentare). Das Akkadische hilft uns also überhaupt nicht bei dem Versuch, süp zu deuten. Auseinander gehen Lexika und Exegeten auch in der Frage, ob wir mit nur einem Verbum süp auskommen (so z.B. Zorell und Ges.Buhl) oder, ob zwei H o m o n y m e anzusetzen sind (so HAL 1 ). Für zwei Homonyme scheint das Strafurteil Jahwes in Gen 3,15 zu sprechen, weil das Verbum dort sowohl von der zubeißenden Schlange ausgesagt wird als auch vom Menschen, der ihr den Kopf zertritt. D a beißen und zertreten recht verschiedene Handlungen sind, meinen viele, daß auch zwei Verben vorliegen müßten. In Hi 9,17 ist Gott das Subjekt: im Sturmwind oder durch ihn fsüpeni. Die gleiche Form wird in Ps 139,11 auch von der Finsternis als Subjekt ausgesagt; hier allerdings wird wegen der Wiedergabe ¿TtiaKETtäaai bei Hieronymus oft zu fsukkerii emendiert, was m.E. überhaupt nicht überzeugt. Die L X X übersetzt dort KaTOWicmicei („wird niedertreten"), in Hi 9,17 (a.e ¿Kigiapr] „vertilge mich!") und in Gen 3,15 für beide Subjekte „auflauern" (tr|pf|a£i, xr|prioeiq). Die L X X spricht also eindeutig gegen zwei H o m o n y m e an dieser Stelle und für ein Wortspiel mit zwei Verwendungsweisen eines Verbums. Ges.-Buhl 4

Silbenzählende Metren kann man im A T auch in anderen Büchern wie etwa H i o b und Qohelet beobachten. O b es daneben auch Metren gab, bei denen, wie bisher meist angenommen, nur die Hebungen bei einer beliebigen Zahl von Senkungen gezählt wurden, bedarf noch der Untersuchung. Über silbenzählende Metren in den älteren babylonischen Dichtungen werde ich in einem der nächsten Hefte der Z A ausführlich handeln (71/1981, 161 ff.).

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schwankt zwischen der Übersetzung „zermalmen" und der Annahme einer Nebenform zu s'p „schnappen nach". Zorell vermutet „zerreiben" oder „zermalmen", HAL sieht in süp II eine Nebenform von s'p und findet süp I „zermalmen" nur in der ersten Form in Gen 3,15 mit dem Objekt Kopf (der Schlange). Ich möchte annehmen, daß man mit einer Ubersetzung „hart angreifen" die vier verschiedenen Gebrauchsweisen am besten erfaßt; der stark abweichende Sprachgebrauch des Mittelhebräischen („blasen; reiben") hat sich offenbar erst viel später herausgebildet. Das Verbum s'p „schnappen nach" u.ä. weicht in seiner Verwendung von süp stark ab und kann daher nicht als eine Wurzelvariante dazu angesehen werden. Es gibt innerhalb des Hebräischen ja auch sonst keinen Wechsel zwischen Wurzeln med.' und med. ü bei fientischen Verben, da diese zu verschiedenen Bedeutungsklassen gehören. 6. hiskim hiskim „am Morgen tun, früh tun" wird als Denominativum von sfkem „Schulter" angesehen, obwohl keiner der 66 Belege die vermutete Grundbedeutung „auf die Schulter nehmen", die im Grundstamm für das Ugaritische und das Äthiopische bezeugt ist, erkennen läßt. Wenn wir diese Annahme kritisch prüfen, müssen wir einiges bedenken, das bisher in die Überlegungen nicht einbezogen wurde. 1) Denominativa von Körperteilbezeichnungen sind in den älteren semitischen Sprachen sehr selten und übrigens auch in neueren Sprachen keineswegs sehr weit verbreitet.5 Gut bezeugt im Hebräischen ist das von 'ozen „Ohr" abgeleitete he*zin „hinhören". Üblicherweise von regel „Fuß" wird abgeleitet riggel „ausspähen", doch ist das keineswegs sicher. Wenn riggel wirklich denominiert sein sollte, müßte das Wort aus dem Jargon der Späher und Spione stammen, die um der Geheimhaltung ihrer Tätigkeit willen gern Deckbezeichnungen für ihr Tun verwenden. Sicher denominiert sind das überwiegend im Partizip mapris bezeugte hipris „gespaltene Klauen haben," das von parsä „gespaltene Klaue" abgeleitet ist und ein Fachwort der Opfersprache zu sein scheint, sowie maqnn „gehörnt" (Ps 69,32 und mittelhebr. Belege), vermutlich ebenfalls ein Fachwort. Im Arabischen gibt es natürlich wie in anderen Bereichen auch hier mehr denominative Verben. 2) Nach dem tatsächlichen Sprachgebrauch gehört hiskim zusammen mit dem von 'ereb „Abend" abgeleiteten ha '"rib „am Abend, spät tun" (1 S 17,16 und mittelhebr.) sowie dem von solfraim ,,Mittag(szeit)" denominierten hishir „den Mittag verbringen" (nur Hi 24,11 und Sir 43,3, nicht mittelhebr.). Wegen des so häufigen boqer „Morgen" sollte man ein hihqir erwarten; das jedoch ist nicht bezeugt und wird durch hiskim ersetzt. Von jöm „Tag" wird 5

Im Deutschen werden nur von den folgenden Körperteilen des Menschen Verben abgeleitet: Kopf, Auge, Zähne, Gurgel, Hals, Schulter, Brust, Arm, Hand, Finger, Knie, Herz.

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wie in den anderen semitischen Sprachen außer dem neueren Arabischen nicht denominiert; an die Stelle eines Denominativum von lailä „ N a c h t " tritt das Verbum Im „übernachten" im Qal. Das Akkadische leitet von müsu(m) „ N a c h t " sumsitfm) „die Nacht abwarten, verbringen" ab und, wenn Cl. Wilcke in ZA 70, 138-40 trotz grammatischer Bedenken dagegen Recht haben sollte, von muslälufm) „Siesta" sumsulu(m) „den Tag verbringen". 6 Das Syrische schließlich denominiert von nughä „Morgenzeit" 'aggah „übernachten". Der Gebrauch der arabischen Denominativ-Verben im IV. Stamm weicht ab; vgl. z.B. asbaha „in den Morgen eintreten; werden". Wenn ich aufgrund des bisher Gesagten nun vorschlagen möchte, für hiskim ein im Hebräischen und den anderen semitischen Sprachen m.W. nirgends erhaltenes Wort für den Morgen, das etwa sokem gelautet haben könnte, als Grundwort zu erschließen, so kann ich noch darauf hinweisen, daß die Bezeichnungen für die Tageszeiten in den semitischen Sprachen recht mannigfach sind. Eine ursemitische Tageszeitenterminologie läßt sich aus den verschiedenen Wörtern kaum rekonstruieren. O b das Phönizische für „Morgen" das hebräische boqer gebrauchte oder ein anderes Wort, ist m.W. derzeit nicht bekannt. Nur wenn hiskim auch seiner Herkunft nach ein Wort für „am Morgen tun" war, läßt es sich verstehen, daß hibqir, das es mindestens dialektisch auch gegeben haben dürfte, in die Schriftsprache keinen Eingang fand. Die übliche Herleitung von hiskim von ?kem „Schulter" ist semasiologisch um so mehr ganz unwahrscheinlich, als man doch mehr auf dem Kopf als auf den Schultern trug. Vielleicht führen uns eines Tages neu bekannt werdende Inschriften weiter. 7. Zu einigen akkadischen Entsprechungen hebräischer Wörter In den hebräischen Wörterbüchern finden sich zum Akkadischen teilweise unrichtige Angaben. In anderen Fällen sind akkadische Entsprechungen zu hebräischen Wörtern nicht genannt. Im Folgenden gebe ich einige Korrekturen vor allem zu H A L 1 und HAL 3 . 1 tabba'at „ R i n g " hat mit tibbuttum/timbuttu „Harfe; Grille" (AHw. 1354b), das immer mit t geschrieben wird, nichts zu tun. 2 kesep „Silber" ist ebenso wie akk. kaspufm) (auch gegen W. Eilers, W O 2,322ff.) sicher kein ursprüngliches Verbaladjektiv, wie der schon altassyrische St.cstr. kasap zeigt, sondern ein nicht deverbales Substantiv vielleicht nichtsemitischer Herkunft; denn die altsemitischen Substantive der Form pars haben als mittleren Radikal fast immer ein /, r, n oder m, also Laute, die ursprünglich auch vokalisch artikuliert werden konnten. 6

Die in A H w . 1274b sub

sumsulu 2 zitierte Kommentarstelle R A 11,124,15 findet sich jetzt in sum-sil und in C A D K 142b tak-nun gelesenen Zeichen werden

MSL 14,269,15. Die von mir

dort als Teil eines (ohne Emendation nicht verständlichen) Wortzeichens angesehen. Die von mir zitierte altbabylonisch-sumerische Entsprechung u 4 - z a l - l a zu sum-su-li bestätigt meine frühere Lesung!

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3 kam III kann wegen des Anlautes und der abweichenden Bedeutung nicht zu akk. qerüfm) „einladen" gestellt werden. Ob kärä nicht auch in 2 K 6,23 einfach „kaufen" bedeutet und damit kärä III entfällt? Die Übersetzung des Hapax legomenon kerä beruht ja ohnehin nur auf der Verknüpfung mit akk. qeritufm). Das Wort könnte a.a.O. auch eine Bezeichnung für Lebensmittel o.a. sein. 4 ntl: Gegen HAL 1 gibt es kein akk. Verbum natälu „heben"! 5 Nisrok ist sicher ein (sehr alter) Schreibfehler für Nimrod (vgl. meinen Artikel Nimrod in RGG 3 IV 1496f.). 6 nps Ni. erscheint als kanaan. Lehnwort im Akkadischen von Märi (vgl. AHw. 1578a zu ARM 14,69,24). 7 Zu näse „Hüftnerv" o.a. gibt es keine akk. Entsprechung (vgl. zu nusü AHw. 806 und CAD N 2 354f.) 8 skk Hi.: Ein akk. Verbum sakäku „spreizen" gibt es nicht (s. AHw. 1010b zu sakäkufm) „verstopfen"). 9 samgar/simmäger ist über das Akkadische aus dem Elamischen entlehnt; vgl. meinen Aufsatz „Der neubabylonische Funktionär simmagir" in ZA 62/1972, 84-90 (hier S. 158ff.). 10 Zu fne „Brombeerstrauch" gibt es keine akk. Entsprechung (s. AHw. 1529b zu z/sinü(m) „Palmwedelrippe"). 11 säpi'h ist als aram. Fremdwort sippihu „Wildwuchs" ins Spätbabylonische übernommen (vgl. AHw. 1049a). 12 Akk. uplu(m) „Kopflaus" (AHw. 1423b) hat mit 'opel „Geschwür" o.ä. wohl nichts zu tun. 13 Das in HAL 1 zu 'ss „schwach werden" genannte akk. [ussu\ „Betrübnis" gibt es nicht, nur ussatu (AHw. 1442a), das aber von asäsufm) abzuleiten ist und daher mit 'ss nicht zusammengehört. 14 Das zu pol „Dickbohne" o.ä. zitierte akk. [pulilu] gibt es nicht (s. die Wörterbücher zu abutilu und bulili). In den Bearbeitungen von Märi-Texten wird das Wortzeichen für kakküfm) „Erbse" fälschlich oft pulilum gelesen. 15 pelek „Spinnwirtel" ist aus dem sumerischen Lehnwort „Stilett, Spindel" (AHw. 863a) entlehnt. 16 Zu pannäg vgl. akk. pananikum, pa/ennigu, heth. punniki- ein Gebäck (AHw. 818b und 1581b).

pilakk/qqu(m)

mittelass. punnigu und

17pa'am „Fuß" entspricht akk.pemu(m)/penu „Oberschenkel" (s. AHw. 854). 18 Zu pere' streiche akk. \purlmu\, weil dafür serremu „Onager" zu lesen ist (s. AHw. 1038a). 19 pered „Maultier" ist nicht von prd abzuleiten, sondern gehört mit altass. perdum (AHw. 855a und 1582b) zusammen, das einen Equiden bezeichnet. 20 säbüac „Hyäne" entspricht auch akk. büsu(m) I (mit Umstellung von 5 und b; AHw. 143a und CAD B 349), das auch einen Vogel bezeichnet.

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Z u m hebräischen Wörterbuch

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21 sauwär „Hals" ist auch altakk. (s. AHw. 1087a zu sawärum; das Wort ist nicht deverbal). 22 Zu spd vgl. akk. naspadu etwa „Brustbeinfortsatz" (AHw. 757a und CAD N 2 29a). 23 Zu qös I gibt es keine akk. Entsprechung. Die Ansetzung eines qös II in HAL 1 („Dochtabfälle") ist höchst fragwürdig. 24 Zu qäli „Röstkorn" ist akk. qalltu (s. AHw. 894a) zu stellen. Ein Wort [taqlimu] gibt es gegen HAL 1 nicht; für taklimufm) „Schauopfer" vgl. AHw. 1307b. 25 qäse „Ende" ist als kasüm „Steppe" in das Altbabylonische von Märi entlehnt (vgl. AHw. 459a und CAD K 268f.). 26 rimmä „Made" begegnet in einem Vergleich auch im Altbabylonischen (s. AHw. 986a). 27 Die Annahme, daß Sgl „vergewaltigen, schänden" von dem assyrischen Fremdwort segäl