Zur Geschichte des deutschen Umweltrechts [1 ed.] 9783428481088, 9783428081080

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Zur Geschichte des deutschen Umweltrechts [1 ed.]
 9783428481088, 9783428081080

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Zur Geschichte des deutschen UmweItrechts

Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. M ich a e I Klo e p fe r , Berlin

Band 50

Zur Geschichte des deutschen Umweltrechts Von

Prof. Dr. Michael Kloepfer o. Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin

unter Mitarbeit von

Claudio Franzius und Sigrid Reinert Wissenschaftliche Mitarbeiter

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Kloepfer, Michael: Zur Geschichte des deutschen Umweltrechts / von Michael Kloepfer. Unter Mitarb. von Claudio Franzius und Sigrid Reinert. - Berlin : Duncker und Humblot, 1994 (Schriften zum Umweltrecht ; Bd. 50) ISBN 3-428-08108-0 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-4247 ISBN 3-428-08108-0

Inhaltsverzeichnis Einleitung ...............................................................................

7

I. Die vorindustrielle Periode .....................................................

9

1. Allgemeine Nutzungsverhältnisse an natürlichen Ressourcen .... . ........

10

2. Wasserrecht und Abwasserbeseitigung ......................................

15

3. Abfallbeseitigung ...............................................................

20

4. Immissionsschutz ...............................................................

22

11. Frühindustrialisierung ...........................................................

30

1. Entwicklungen im Immissionsschutz ......................................... a) Anfange der industriellen Immissionsbelastung .........................

32 32

b) Anfange der immissionsschutzrechtlichen Entwicklung in Preußen .. c) Anfange der Dampfkessel-Gesetzgebung in Preußen...................

34 39

d) Preußische Gewerbeordnung von 1845 ..................................

41

e) Reichsgewerbeordnung von 1871 ... ......................................

44

2. Entsorgung und Abwasserbeseitigung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

111. Hochindustrialisierung bis 1945 ...............................................

49

1. Entwicklungen im Immissionsschutz ......................................... a) Tatsächliche Problematik ..................................................

50 50

b) Dampfkesselwesen und technische Sicherheit........................... c) Immissionsschutzrechtliche Entwicklungen..............................

52 53

d) Politische Maßnahmen ............... ......................................

58

2. Entwicklungen im Gewässerschutz .... ....................................... a) Die Flußverunreinigungsfrage am Ende des 19. Jahrhunderts ...... ...

58 58

b) Entwicklung des Gewässerschutzes in Preußen ......................... c) Gewässerschutzmaßnahmen auf Reichsebene ........................... d) Entstehung der Kommunalverbände zur Abwasserbeseitigung ........

61 65 66

3. Entwicklungen in der Abfallbeseitigung .....................................

68

4. Entwicklung des Naturschutzrechts .......................................... a) Entwicklung des Naturschutzgedankens um die Jahrhundertwende ...

70 70

b) Naturschutzrecht in der Weimarer Republik ............................ c) Naturschutzrecht im Nationalsozialismus................................

74 77

6

Inhaltsverzeichnis

IV. Entwicklung nach 1945 ..... ... ............... ................... ..... ..... ......

81

1. Rechtsentwicklung bis 1969/70 .............................................. a) Bundesrepublik Deutschland .............................................. aa) Gewässerschutzrecht .................................................. bb) Immissionsschutzrecht ................................................ cc) Naturschutzrecht .......................................................

dd) Atornrecht .............................................................. b) DDR .........................................................................

81 81 84 86 87 89 90

2. Rechtsentwicklung nach 1969/70 ...... .......... ......... ............. ...... a) Bundesrepublik Deutschland .............................................. aa) Allgemeine Entwicklungen ........................................... (1) Legislativer Aufbau ................................... :..........

95 95 95 96

(2) Konsolidierung.................................................... (3) Modernisierung ...................................................

104 106

bb) Fachgebietsbezogene Entwicklungen ...................... ...... .... (1) Immissions- und Klimaschutzrecht ............................. (2) Atom- und Strahlenschutzrecht ................................. (3) Umweltschutz im Planungsrecht ................................ (4) Gewässerschutzrecht ............................................. (5) Natur- und Landschaftsschutzrecht ............................. (6) Abfallrecht ........................................................ (7) Gefahrstoffrecht .................................................. (8) Bodenschutzrecht ................................................. b) DDR ......................................................................... c) Wiedervereinigung und Umweltrecht .. ...... ... ... ... ............. ... ...

109 109 115 118 121 124 127 132 137 138 143

V. Schluß .......................................................... . ...................

145

1. Resümee .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

a) "Lehren" aus der Umweltrechtsgeschichte? ............................. b) Entstehungsvoraussetzungen von Umweltrecht ......... ..... ...........

145 145 146

2. Ausblick......................................................................... a) Bedeutungszuwachs des Umweltschutzes................................ b) Neuartige Umweltschutzinstrumente ................. ;................... c) Zunehmende europarechtliche Vorgaben ................ ..... ........... d) Harmonisierung und Standardisierung ...................................

146 147 147 148 149

Literaturverzeichnis ...................................................................

151

Einleitung Der Begriff des Umweltschutzes ist in der Bundesrepublik Deutschland erst seit Anfang der 70er Jahre dieses Jahrhunderts in Gebrauch. Der Sache nach wird Umweltschutz schon sehr viel länger, freilich eher punktuell, betrieben. In einem weiteren Sinne umfaßt die Geschichte des Umweltrechts die Entwicklung derjenigen rechtlichen Regeln, die unmittelbar den Schutz (vor allem gegenüber menschlichen Aktivitäten) und die Nutzung von Umweltgütern betreffen oder sich mittelbar darauf auswirken. Dabei werden zwar historische Sachverhalte zugrundegelegt mit Fragen, die aus einer modernen Umweltordnung hervorgegangen sind. Der tatsächlichen Bedeutung eines Problems in seinem konkreten historischen Zusammenhang mag dies nicht immer gerecht werden. Andererseits kann jedoch keine historische Betrachtung letztlich vom Vorverständnis des Betrachtenden völlig abstrahieren. Letztlich beruht ja schon die Verwendung des Begriffs "Umweltschutz" auf einem bestimmten Vorverständnis. Insofern hängt der Erkenntniswert bestimmter historischer Sachverhalte gerade auch von ihrer Zuordnung zu bestimmten Fragestellungen ab. Die normativen Grundlagen wichtiger Teile unserer modernen Umweltgesetzgebung reichen regelmäßig allenfalls 150-200 Jahre zurück. In Ökosysteme wurde zwar durch den Menschen immer schon eingegriffen, die Gefährdung bzw. Zerstörung des ökologischen Gesamtgleichgewichts ist jedoch eine Erscheinung des Industriezeitalters, also etwa der letzten 200 Jahre. Bis dahin war auch ein "Umweltbewußtsein" durch das Bewußtsein einer starken existentiellen Abhängigkeit von der Natur und ihren Mangelerscheinungen sowie der von ihr ausgehenden Gefahren geprägt. I Epochenübergreifend bestehen auch zahlreiche Zusammenhänge der Geschichte des Umweltrechts zur Geschichte der Technik. 2 Vielfach können EntwicklunI Allgemein zur Umweltwahrnehmung in verschiedenen Epochen und zum Wandel des Naturbegriffs Nitschke. Umweltschutz und Umweltwahrnehmung, in: Calließ / Rüsen / Striegnitz (Hg.), Mensch und Umwelt in der Geschichte, 1989, S. 35 ff.; Bayerl. Das Umweltproblem und seine Wahrnehmung in der Geschichte, ebenda, S. 47 ff.; Krolzik. Kultivierung der Schöpfung - zur Bewertung der Naturbearbeitung durch den Menschen in Theologie und Kirche vom 12. bis zum 19. Jahrhundert, ebenda, S. 277 ff.; Radkau. Warum wurde die Gefährdung der Natur durch den Menschen nicht rechtzeitig erkannt?, in: Lübbe / Ströker (Hg.), Ökologische Probleme im kulturellen Wandel, 1986, S. 47 ff.; Sprandel. Die Geschichtlichkeit des Naturbegriffes: Kirche und Natur im Mittelalter, in: Mark! (Hg.), Natur und Geschichte, 1983, S. 237 ff.; Lepenius. Historisierung der Natur und Entrnoralisierung der Wissenschaften seit dem 18. Jahrhundert. ebenda, S. 263 ff., jeweils m. w. N.; überwiegend auf literarische Zeugnisse stützt sich Hermand. Grüne Utopien in Deutschland: zur Geschichte des ökologischen Bewußtseins, 1991. 2 Da zur Technikgeschichte eine Fülle leicht erreichbarer Literatur existiert, soll hier auf weitere Nachweise verzichtet werden. Für die Epoche der Industrialisierung, ab der

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Einleitung

gen im Umweltrecht auch als eine Reaktion auf technische Fehlentwicklungen und Gefahren gesehen werden. Welche Faktoren im einzelnen jedoch für umweltpolitische und -rechtliche Entwicklungen letztlich bestimmend sind, ist ein äußerst komplexes Problem, das noch weiterer Klärung bedarf. Gesetzgebungsgeschichtlich läßt sich zwar meist die Entstehung einzelner spezieller Vorschriften und innergesetzlicher Änderungen nachvollziehen. Nicht erklärt wird damit aber, warum in einem bestimmten Zeitraum ein gesellschaftliches und politisches Umfeld für bestimmte rechtliche Entwicklungen und hier für die Wahrnehmung ökologischer Risiken und die Erkenntnis der Notwendigkeit konkreter Maßnahmen für den Umweltschutz entsteht. Die verbreitete Problemdruck-These, deren Ausgangspunkt eigentlich die Entstehung sicherheits technischer und störfallorientierter Regelungen ist, nach der aber in ihrer allgemeinen Form Umweltbewußtsein und Umweltpolitik sich als Reaktion auf die in der Industriegesellschaft gestiegene Umweltbelastung und Naturzerstörung entwickelt, degradiert Umweltrecht in gewissem Maße zu einem bloßen Katastrophen- und Krisenrecht. Für den angegebenen Ausgangspunkt und diverse hierzu zu zählende Rechtsvorschriften mag das weitgehend zutreffen, 3 in seiner Allgemeinheit ist ein solches Erklärungsmodell aber sicher zu kurz gegriffen. So kann es etwa nicht die häufigen Gegenläufigkeiten zwischen Umweltbelastung und gesellschaftlicher und politischer Wahmehmung erklären 4 und übersieht, daß letztlich kulturelle Wahmehmungsbereitschaft und kulturelle Normen darüber entscheiden, welche Schäden und Zerstörungen noch hingenommen werden und welche nicht bzw. welche als regelungsbedürftig angesehen werden. Die vorliegende Studie geht insbesondere den historischen Wurzeln des deutschen Umweltrechts nach, nicht zuletzt, um das geltende Recht besser zu verstehen. Dabei kann hier nicht mehr als eine Einführung in die Geschichte des Umweltrechts vorgelegt werden, um eine erste Basis für die weitere und tiefergehende Bearbeitung historischer Fragestellungen im Umweltrecht zu bieten und das Auffinden von Rechtsvorschriften und Literatur zu erleichtern. Das Buch wäre am Ziel, wenn es die Leser zu weiteren Überlegungen und Untersuchungen zur Geschichte des deutschen Umweltrechts anreizen würde. technische Entwicklungen in besonderem Maße Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche, soziale, gesellschaftliche und staatliche Entwicklung haben, sei nur auf Landes, Der entfesselte Prometheus, 1973, verwiesen; vor allem die gesellschaftlichen und sozialen Folgen technischer Entwicklungen betrachten Troitzsch / Wohlauj(Hg.), Technikgeschichte: historische Beiträge und neuere Ansätze, 1980. 3 Beispiele für ein solches "Katastrophenrecht" sind etwa die frühe Dampfkesselgesetzgebung, in der Gegenwart die Störfallverordnung, das Strahlenschutzvorsorgegesetz u. a. Alle diese Regelungen beruhen allerdings auch auf einem bestimmten Risikoverständnis, das seinerseits der kulturellen Sozialisation unterliegt. 4 Instruktiv v. Prittwitz, Das Katastrophenparadox: Elemente einer Theorie der Umweltpolitik, 1990, S. 13 ff., 103 ff.; ausführlicher unten, S. 100 ff.

I. Die vorindustrielle Periode Umwelthistorisch gesehen weist die recht lange Periode vom frühen Mittelalter bis zum Beginn der Protoindustrialisierung (etwa 1800) zwar keine stagnierende, aber kaum von umweltpolitischen Zäsuren (oder richtiger: ökologisch relevanten Zäsuren der Politik) bestimmte Entwicklung auf. 5 Dabei kann man auch nicht wirklich von einer umweltrechtlichen Entwicklung sprechen. Parallel und in Wechselwirkung zur demographischen, herrschafts-, wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Entwicklung veränderten sich die Anforderungen an die Nutzung der natürlichen Ressourcen und damit die Beziehung des Menschen zu diesen Ressourcen. Diese Veränderungen in den Nutzungsanforderungen schlagen sich z.T. in der Rechtsentwicklung nieder. Dabei lag der Schwerpunkt in diesem ganzen Zeitraum und auch teilweise darüber hinaus immer noch auf den Eigentums- und Nutzungsregelungen. Hier kann man unter Einschränkungen auch für die Umweltrechtsentwicklung bedeutsame Entwicklungslinien feststellen. Nach der Landnahme im Verlaufe der Völkerwanderungen wandelten sich die germanischen Stämme von Nomaden zu Ackerbauern. Die Beziehungen des Menschen zu den natürlichen Ressourcen waren danach für viele Jahrhunderte in weiten Teilen vor allem agrarwirtschaftlich geprägt. Mit der Auflösung der Stammeszugehörigkeiten und der Herausbildung und Festigllng territorialer Herrschaften entstand das Feudalsystem, das bis zum 19. Jahrhundert die ländliche Gesellschaft und landwirtschaftliche Produktion beherrschte. Im Zusammenhang mit dem als Bestandteil des Feudalsystems entstehenden Lehensrecht standen die Versuche der Zentralgewalt, hoheitliche Gewalt auch über die natürlichen Ressourcen zu erlangen. Diese Versuche mündeten dann in das Regalienwesen. 6 Als Ergänzung und z.T. Gegenbewegung hierzu setzte ab der Mitte des 12. Jahrhunderts eine Urbanisierungswelle ein. Das Aufblühen der Städte und die Zunahme ihrer Bevölkerung führten zu den typischen Umweltproblemen der städtischen Zivilisation, insbesondere zu erheblichen Abfallproblemen. Als Rechtsquellen sind hier vor allem die zahlreichen Stadtordnungen und Stadtrechte sowie Polizeiordnungen bedeutsam. Prägend wurden für die größeren Städte, die sich von der Feudalherrschaft befreiten, der Fernhandel und die gewerbliche Produktion. Vor allem die hier erfolgende starke Arbeitsteilung ließ eine "frühka5 Zu frühen Vorläufern von Umweltrecht in der Antike siehe jetzt Kloepjer, Anfänge von Umweltrecht. Umweltrelevantes Recht in den alten Hochkulturen und in der Antike, ersch. demnächst in GAIA. 6 Dazu unten S. 12 ff.

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I. Die vorindustrielle Periode

pitalistische" Wirtschaftsweise 7 entstehen, in der sich Bergbau, handwerkliches Gewerbe, Verlagswesen 8 und Manufakturwesen 9 als wichtige Vorläufer der Industrialisierung entfalteten. In der Stadt bildeten sich die geistigen Auffassungen und Verhaltensformen heraus, die der Natur aktiv und ausbeutend gegenübertraten. 10 Hier sind auch die ersten Ansatzpunkte für den Immissionsschutz in Deutschland zu suchen. Während der gesamten Periode nahm die Bevölkerung langsam, aber stetig zu. Dies führte zu einer beträchtlichen - überwiegend durch Waldrodungen erreichten - Ausdehnung landwirtschaftlich genutzter Flächen. Wichtigster Energieträger war das Holz, was neben der landwirtschaftlichen Nutzung und der Nutzung als Bauholz im besonderen Maße zur Zurückdrängung der Waldflächen und im 18. Jahrhundert zu ersten echten Übernutzungserscheinungen natürlicher Ressourcen geführt hat. 11 Rechtshistorisch wurden die vom Personalitätsprinzip bestimmten Volksrechte (germanische Rechtsordnungen) von den später in Rechtsbüchern überlieferten Territorialrechten im Hochmittelalter (z.B. Sachsenspiegel) abgelöst. Daneben existierten zahlreiche Partikular- und Ortsrechte, Stadtrechte, Ordnungen und Einzelgesetze. Auch Gewohnheitsrecht und ungeschriebene Rechtsüberzeugungen waren von Bedeutung. Zwischen dem 12. und 15. Jahrhundert entstand durch die Rezeption des römischen Rechts als überörtliche Normen in Deutschland das Gemeine Recht, das gegenüber deutschem partikularem Recht aber nur subsidiär galt. 12 Insgesamt war die Rechtslage sehr zersplittert und vor allem wegen der verschiedenen Ortsrechte unübersichtlich.

1. Allgemeine Nutzungsverhältnisse an natürlichen Ressourcen Hinsichtlich der allgemeinen Nutzungsverhältnisse an natürlichen Ressourcen kann man aber eine Entwicklungslinie erkennen, die von gemeinen Nutzungsrechten über Eigentum und private Sondernutzungsrechte bis zum überwiegenden obrigkeitlichen Verfügungsrecht reicht. Dabei haben sich die Nutzungsverhältnis7 Insgesamt zur Städteentwicklung im Mittelalter Henning, Das vorindustrielle Deutschland 800 bis 1800, 4. Aufl., 1985, S. 53 ff., 67 ff., 125 ff., 213 ff. 8 Näher hierzu Schemer, Handwerker und Verleger. Das Verlagssystem der frühen Neuzeit als rechtshistorisches Problem, in: Scherner / Willoweit (Hg.), Vom Gewerbe zum Unternehmen, 1982, S. 7 ff. 9 Näher hierzu Philipp, Art. "Manufaktur", in: Handwörterbuch der Rechtsgeschichte (HRG), Bd. 3, 1984, Sp. 261 ff. 10 Bayerl, Materialien zur Geschichte der Umweltproblematik, Technologie und Politik 16 (1980), 180 ff., 183. 11 Eingehend hierzu unter den Gesichtspunkten des Verhältnisses von Energienutzung und wirtschaftlicher Entwicklung Sie/erle, Der unterirdische Wald: Energiekrise und industrielle Revolution, 1982; Gleitsmann, Rohstoffmangel und Lösungsstrategien: Das Problem vorindustrieller Holzknappheit, Technologie und Politik 16 (1980), 104 ff. 12 Vgl. Schlosser, Grundzüge der Neueren Privatrechtsgeschichte, 6. Aufl., 1988, S. 2 ff.

1. Allgemeine Nutzungsverhältnisse an natürlichen Ressourcen

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se zunächst gewohnheitsrechtlich herausgebildet und orientierten sich an den räumlichen Verhältnissen. 13 Der Grund und Boden, der Wald und das Wasser wie auch die Luft waren nach den germanischen Rechtsordnungen Gemeingut aller bzw. aller zu einer Niederlassung gehörenden Mitglieder in Form eines Gemeinen Nutzungsrechts. Es gab ein Recht zum freien Tierfang und zur Fischerei. 14 Durch Aufteilung der Einzelniederlassungen (Dorffluren und Ackerland) einschließlich der darin befindlichen (kleineren) Gewässer entstanden in der fränkischen Zeit zum erstenmal Sonder( -nutzungs)rechte und später Sondereigentum einzelner an diesen Ressourcen. Größere Gewässer, Seen und der Wald waren aber noch zur Zeit der Entstehung des Sachsenspiegels (1220) Gemeingut aller. 15 Auch hier entwickelten sich aber Sondernutzungsrechte, wie es bei Gewässern die Verfügungsbefugnis am Ufergrundstück (z. B. Fischzucht, Müllerei, Bewässerung) deutlich macht. Dagegen blieb jedoch die Allmende über viele Jahrhunderte Gemeingut. Die vor allem in Süd- und Südwestdeutschland verbreitete Allmende wurde durch die Gemeinschaft der Angehörigen einer Mark gebildet. Ihr Ursprung lag in der Markgenossenschaft. Sie umfaßte vor allem Ödland, Weiden und Wald sowie die die Allmende durchfließenden Gewässer (Allmendegewässer). Die Nutzung erfolgte überwiegend in genossenschaftlicher Weise. 16 Aufteilung und konkrete Form der (sozial und ökonomisch durchaus nicht gleichen) Nutzungsberechtigungen wurde in Märkerversammlungen (Märkerdingen) bestimmt. Ungefähr ab dem 14. Jahrhundert wurde die Allmende als Gesamteigentum der Märker zum Vermögen der sich bildenden politischen Gemeinden (Kämmereigut). Daneben wirkte sich die Ausbreitung des Regalienwesens seit dem 13. Jahrhundert auch auf die Allmendenutzung aus. Forst- und Wildbann erstreckten sich auch auf die markgenossenschaftlichen Wälder. Ebenso waren in Wasserregalien z.T. auch Allmendegewässer einbezogen. 17 13 Vgl. Seiler, Die Gewässerbenutzungen und ihre Rechtsgrundlagen im Verlauf der Geschichte des Wasserrechts, 1976, S. 78 ff. 14 Die aus dieser Zeit bekannte sogenannte Freiangelei gibt es heute noch in den Küstengewässern (vgl. § 16 Abs. 1 Nds. FischG, § 6 Abs. 1 Schl.-H. FischG); für die Binnengewässer spielt sie keine Rolle mehr (vgl. z.B. Art. 7,8 BayFischG, § 6 Abs. 5 BWFischG, die die letzten noch verbliebenen Rechte zum freien Fischfang ausdrücklich aufgehoben haben). 15 Schneider, Wasserrecht in Hessen, 2. Aufl., 1982, S. 3. 16 Das Institut der Genossenschaft hat im Laufe der historischen Entwicklung der Nutzung natürlicher Ressourcen durchgehend Bedeutung und ist in Einzelbereichen weiterentwickelt worden, so z. B. für die Deichgenossenschaften, Wiesenverbände, Waldgenossenschaften oder die Wassergenossenschaften, die heute im Wasser- und Bodenverbandsrecht geregelt sind (siehe hier zur Rechtsentwicklung Bochalli, Wassergenossenschafts- und Deichrecht nach dem Preußischen Wassergesetz, 1925, S. 1 f.). Die Rechtsfigur der Genossenschaft erhält heute durch die Diskussion um die Umweltgenossenschaften eine neue Relevanz. 17 Zum ganzen, vor allem Entwicklung, Rechtsnatur und Nutzungsformen siehe Sachers, Art. "Allmende", in: Handwörterbuch der Rechtsgeschichte (HRG), Bd. 1, 1971, Sp. 108 ff.

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I. Die vorindustrielle Periode

Die Allmende dient heute vielfach als Beispiel für die verhängnisvollen Folgen einer Inanspruchnahme der Umwelt, die natürliche Ressourcen als freie bzw. frei nutzbare Güter betrachtet. 18 Dabei ist richtig, daß es im Rahmen der Nutzung der zur Allmende gehörenden Güter zu Übernutzungserscheinungen gekommen ist, was vor allem bei den Wäldern recht deutlich war. Die Allmende selbst bedeutete jedoch noch nicht als solche eine Freiheit der Nutzung der Allmendegüter. Ursprünglich war Allmendenutzung eine Art Gemeineigentumsgebrauch verbunden mit der Pflicht des Benutzers zur Rücksichtnahme auf das Recht des anderen, 19 wobei die Markordnungen als Selbstverwaltungs- und sozialer Kontrollmechanismus die Nutzung in gewissem Maße stationär hielten. Die Zunahme der Bevölkerung und die wachsende (auch gewerbliche) Nutzung von Allmendegütern führte allerdings, trotz grundsätzlicher Beschränkung der Nutzungsberechtigungen auf die Markgenossen bzw. Gebietsangehörigen, zu einer Verknappung der Allmendegüter und damit zu Verteilungsproblemen innerhalb der Nutzungsberechtigten. Dabei war auch die teilweise Ausdehnung der Regalien auf die Allmende bedeutsam, durch welche die Allmende mit außerhalb ihrer ursprünglichen Nutzungsbestimmung liegenden wirtschaftlichen Nutzungsanforderungen belastet wurde. Zu schwerwiegenden Übernutzungserscheinungen kam es vor allem in der Übergangsepoche von mittelalterlicher sozialer Selbstregulierung zum neuzeitlichen bürgerlichen Rechtsstaat. Die Allmende als solche war zu dieser Zeit, in der die Schwächung der lokalen Selbstverwaltungen noch nicht von einer effektiven hoheitlichen Kontrolle ausgeglichen werden konnte, bereits funktional degeneriert. 20 Versuche der Zentralgewalt, die Hoheit über die natürlichen Ressourcen zu gewinnen, begannen schon sehr früh. Den Königsbann über den Wald (im Zusammenhang mit dem Recht des Königs auf herrenloses Land) sowie die Jagd- und Rodungshoheit gab es schon in der Karolingerzeit im 8. Jahrhundert. 21 Diese Bestrebungen führten schließlich zu den zunächst königlichen, später landesherrlichen und landeshoheitlichen Regalrechten an natürlichen Ressourcen. Die Regalien, die keine spezifisch auf natürliche Ressourcen bezogene Rechte waren, sondern alle der Landeshoheit zugewiesenen Hoheits- und Fiskalrechte umfaßten, so z. B. auch Zoll- und Münzregale, Straßen- und Geleitrechte, Gerichtsherrlichkeit, Erziehungsregale etc., stehen in engem Zusammenhang zur Entwicklung der Staatsgewalt. Umfang und Ausübung der Regalrechte waren immer auch Spiegel der jeweiligen politischen Machtverhältnisse und der prägenden Wirtschaftsstrukturen. 22 In Teilen dem Eigentum nach heutiger Auffassung 18 Vgl. z. B. Hardin, Die Tragik der Allmende, in: Lohmann (Hg.), Gefährdete Zukunft, 1973, S. 29 ff. 19 Seiler (FN 13), S. 80. 20 Eingehend hierzu Sie/erle (FN 11), S. 92 ff. 21 Siehe Rubner, Art. ,,Forst", in: Handwörterbuch der Rechtsgeschichte (HRG), Bd. 1, 1971, Sp. 1168 f.

1. Allgemeine Nutzungsverhältnisse an natürlichen Ressourcen

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verwandt, enthielten sie, auch wenn das Mittelalter im Grundsatz eine Trennung zwischen privatem und öffentlichem Recht nicht kannte, die ersten Ansatzpunkte für eine Differenzierung zwischen privaten und öffentlichen Rechten. Ein Teil der in den Regalrechten gebündelten Funktionen hat sich heute im Recht der öffentlichen Sachen erhalten. Die natürlichen Ressourcen stellten einen der wichtigsten Anwendungsbereiche der fiskalisch nutzbaren und damit vor allem der Einnahmeerzielung und Finanzierung der Staatsaufgaben dienenden Regalien dar. Hier bedeutete das Regal originäre hoheitliche Herrschaft über Ressourcen, allerdings regelmäßig nicht in ihrer Gesamtheit, sondern in einzelnen Beziehungen bzw. Nutzungsfunktionen. So gab es für Gewässer etwa das Stromregal (Schiffahrt), die Floß-, Mühlen- und Fischereiregale. Für den Wald kannte man z. B. Forst- und Rodungsregale sowie Jagd- und Weideregale. Umwelthistorisch fällt die Beurteilung der Regale durchaus ambivalent aus. Zunächst war ihre vermögensrechtliche, auf Einnahmeerzielung gerichtete, Funktion vorrangig: Unter Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs blieben bestimmte Nutzungsmöglichkeiten der Landeshoheit als Reservatrechte vorbehalten, die diese selbst ausüben oder an Dritte gegen Zins oder Dienstleistungen überlassen (Gerechtsame) konnte. Die Inanspruchnahme von Regalrechten orientierte sich also sehr stark an der wirtschaftlichen Ausnutzbarkeit der Ressource, aber auch am Bedarf in bestimmten Wirtschaftsbereichen. So sind Forst- und Rodungsregale 23 u.a. auch aus dem Bedürfnis entstanden und ausgebaut worden, den erheblichen Holzbedarf im Bergbau, Salinen- und Hüttenwesen, Städtebau und Gewerbe zu sichern 24 und zu diesem Zweck andere Nutzungen zurückzudrängen. 25 Sie haben damit selbst zum jahrhundertelangen Raubbau am deutschen Wald beigetragen. Allerdings stand dem Regalinhaber auch ein Aufsichtsrecht zu. Erlassen 22 Siehe ausführlich hierzu und zur Entwicklung der Regalrechte sowie ihrer (umstrittenen) Rechtsnatur Wegener, Art. "Regalien", in: Handwörterbuch der Rechtsgeschichte (HRG), Bd. 4, 1990, Sp. 472 ff.; außerdem Thieme, Die Funktion der Regalien im Mittelalter, ZRG, Germ. Abt., 62 (1942), 57 ff.; zur Verbindung zwischen Regalienlehre, Staatsformdiskussion und juristischer Begründung der Territorialgewalt Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 1, 1988, S. 166 ff. 23 Zur Entwicklung der Forstregale siehe Rubner (FN 21). 24 Zur Quantifizierung des Holzverbrauchs vgl. Gleitsmann (FN 11), 108 ff. 25 Auch zwischen diesen verschiedenen Nutzungen gab es Konkurrenzen. So nutzten die Städte ihre Hoheitsrechte dazu, besonders holzintensive Gewerbe wie z.B. das Hüttenwesen aus ihrem Bannbereich fernzuhalten, um ihren eigenen Bedarf und den der Kleingewerbe zu sichern; vgl. Stromer, Gewerbereviere und Protoindustrien in Spätmittelalter und FfÜhneuzeit, in: Pohl (Hg.), Gewerbereviere und Industrielandschaften vom Spätrnittelalter bis ins 20. Jahrhundert, 1986, S. 39 ff., 95 f. Entsprechenden Regelungen in Stadtrechten werden (aufgrund ihrer gelegentlichen ökologischen Nebeneffekte) z.T. in der neueren populärwissenschaftlichen Literatur primär umweltschützende Funktionen beigemessen bzw. unterstellt. Solche primären oder auch nur sekundären immissionsschutzrechtlichen Zielsetzungen sind regelmäßig historisch kaum belegbar und auch mehr als zweifelhaft.

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I. Die vorindustrielle Periode

werden konnten Verordnungen zurn Schutz des Gerneingebrauchs, aber auch Auflagen hinsichtlich der Nutzungsausübung, Bewirtschaftung und auch Schonung der Ressourcen waren üblich. 26 Erste lokale Forstordnungen gibt es etwa schon seit dern 11. Jahrhundert. 27 Dabei sind die Schutzrnaßnahrnen für größere Waldgebiete wohl zunächst vorrangig fürstlicher Jagdleidenschaft entsprungen. Irn Spätrnittelalter und der frühen Neuzeit entwickelten vor allern die Städte Waldschutzrnaßnahrnen und erste Ansätze zu einer schonenden Nutzung der Waldbestände. 28 Ab dern 16. Jahrhundert erhielten (allerdings in sehr unterschiedlichern Urnfang) alle deutschen Territorien staatswirtschaftlich orientierte Forstordnungen und Forstpolizeien,29 die auch Ansätze zu einer nachhaltigen Bewirtschaftung 30 enthielten, allerdings regelrechte Waldverwüstungen in rnanchen Regionen irn 18. Jahrhundert nicht verhindern konnten. Auch Beschränkungen der Jagd und Fischerei waren überall verbreitet. Aufgrund der Regalität einer Sache waren auch Eingriffe in das Privateigenturn rnöglich, ja Regale karnen bisweilen auch bei irn Privateigenturn stehenden Ressourcen vor (vgl. z.B. das Bergbauregal, aber auch bei privaten Gewässern, privaten Waldgebieten etc.).31 Irn Hinblick auf die Mineralschätze in Grund und Boden haben etwa die Grundsätze der Bergregalität und der Bergbaufreiheit (letztere zugunsten des Bergbauinteressenten) den Grundeigentürner praktisch ausgeschaltet. 32 Auch die Aufsichts- und Schutzbefugnisse aus dern Regal hatten allerdings fast ausschließlich die Erhaltung der (ökonornischen) Nutzbarkeit der Ressource zurn Zweck, haben aber rnittelbar z. T. auch ökologisch günstig gewirkt, was rnan z.B. irn Bereich der Jagd sehr deutlich feststellen konnte. Zwar waren fürstlicher Jagdleidenschaft schon einige Tierarten zurn Opfer gefallen, nach 26 Seiler (FN 13), S. 84. 27 Siehe Bernhardt, Geschichte des Waldeigentums, der Waldwirtschaft und Forstwissenschaft in Deutschland, Bd. 1, 1872, S. 230; Hasel, Forstgeschichte, 1985, S. 103 ff. 28 Vgl. mit Beispielen Schubert, Der Wald: wirtschaftliche Grundlage der spätmittelal-

terlichen Stadt, in: Herrmann (Hg.), Mensch und Umwelt im Mittelalter, 3. Aufl., 1987, S. 257 ff., 263 ff. 29 Rubner, Forstgeschichte im Zeitalter der industriellen Revolution, 1967, S. 40; vgl. z.B. die Forst- und Holzordnung des Kurfürsten August von Sachsen von 1560, in: Schmid, Handbuch aller seit 1560 bis auf die neueste Zeit erschienenen Forst- und Jagdgesetze des Königreichs Sachsen, Bd. 1, 1839, S. 3 ff.; siehe auch Mantel, Forstgeschichte des 16. Jahrhunderts unter dem Einfluß der Forstordnungen und Noe Meurers, 1980. 30 Der Grundsatz der Nachhaltigkeit ist heute ein tragender Grundsatz des geltenden Forstrechts, vgl. §§ I Nr. I, 11 S. I Bundeswaldgesetz v. 2.5.1975 (BGBl. I S. 1037), zuletzt geänd. d. G. v. 27.7.1984 (BGBl. I S. 1034) 31 Seiler (FN 13), S. 84. 32 Über den Ursprung von Bergregal und Bergbaufreiheit herrscht zwar keine völlige Klarheit; allgemeine Anerkennung haben sie aber jedenfalls in Deutschland seit dem 13., spätestens seit Anfang des 14. Jahrhunderts erlangt; vgl. Willecke, Die deutsche Berggesetzgebung. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, 1977, S. 15 ff.

2. Wasserrecht und Abwasserbeseitigung

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Aufhebung der Regalität der Jagd in Art. IX § 169 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. März 1849 verringerte sich die Zahl der jagdbaren Tiere aber in kürzester Zeit derart rapide, daß in allen Ländern im Verlaufe weniger Jahre Jagdgesetze erlassen wurden, die mit der Entwicklung des Reviersystems für einen Großteil der Grundeigentümer die Rechtslage der Regalität faktisch wiederherstellten. Im Laufe der geschichtlichen Entwicklung und mit Aufkommen des Liberalismus fand ein immer stärkerer Abbau der Regalien statt. Im Zuge der zunehmenden Trennung von privatem und öffentlichem Recht entwickelten sich die vermögensrechtliche und die aufsichtsrechtliche Komponente auseinander, wobei die Vermögensrechte, soweit sie nicht fiskalisiert wurden, zu reinen Privatrechten wurden,33 während die übrigen Aufsichtsbefugnisse territorial und zeitlich unterschiedlich etwa ab der Mitte des 19. Jahrhunderts in die spezialgesetzliche öffentlich-rechtliche Landesgesetzgebung eingingen. Funktional mit der Regalität am ehesten vergleichbar sind heute die bewirtschaftungsrechtlich ausgestalteten Rechtsbereiche wie das Wasser- und Forstrecht.

2. Wasserrecht und Abwasserbeseitigung Die Entwicklung des deutschen Wasserrechts 34 erfolgte bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, als die ersten Wassergesetze entstehen, nur langsam und überwiegend gewohnheitsrechtlich. 35 So war das Wasserrecht schon am Ende des Mittelalters wegen der unterschiedlichen regionalen Wasserverhältnisse in den Territorien sehr zersplittert. Bei der Gewässereinteilung wurde im wesentlichen zwischen schiffbaren und nichtschiffbaren Gewässern unterschieden. Hiermit korrespondierte in weiten Bereichen die Unterscheidung zwischen Gewässern im Sondereigentum und Gewässern, die Gemeingut waren. 36 Diese Einteilung setzte sich nach der Rezeption im Gemeinen Recht und in den Landrechten fort, wo zwischen öffentlichen und privaten Gewässern unterschieden wurde. 37 Die konkrete Zuord33 Diese haben als Nutzungsrechte besonderer Art z.T. heute noch geringe Bedeutung, z.B. als alte Rechte und Befugnisse i.S.v. § 15 WHG; vgl. hierzu Staudinger-Kriegbaum, BGB, 12. Aufl., EGBGB, 1985, Art. 73. 34 Ausführlich zur geschichtlichen Entwicklung mit Hinweisen auf Weisthümer und Rechtsbücher Kloess, Das Deutsche Wasserrecht und das Wasserrecht der Bundesstaaten des Deutschen Reiches, 1908, S. 2 ff. 35 Gieseke / Wiedemann / Czychowski, WHG, 5. Aufl. 1989, S. 35; zur Kritik am Begriff "Gewohnheitsrecht" für die Charakterisierung mittelalterlicher Rechtsbildung siehe Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 2, 6. Aufl., 1986, S. 84 ff. 36 Seiler (FN 13), S. 82 ff., 87 f. 37 Für das heutige System der Gewässerbewirtschaftung und den Gewässerschutz ist diese Unterscheidung mit der Beschränkung des Gewässereigentums i. S. einer Gemeinwohlbindung und weitgehenden Überführung in das öffentliche Sachenrecht entfallen (erstmals nicht mehr zwischen öffentlichen und privaten Gewässern unterscheidet das

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I. Die vorindustrielle Periode

nung der Gewässer war zwar uneinheitlich,38 doch unterlagen die wasserwirt schaftlich bedeutsamen (Fließ-)Gewässer jedenfalls grundsätzlich Sonderrechten. Ihre Benutzung bestimmte sich nach den Anlieger-, Allmende- und Regalrechten. An ihnen (wie auch an Privatflüssen) bestand Gemeingebrauch. 39 Dieser umfaßte die Tätigkeiten, die als gewöhnlicher Gebrauch zu den Bedürfnissen des Lebens angesehen wurden, 40 bzw. (noch weitergehend) nach gemeinem Recht die Wahrnehmungen, denen die Gewässer naturgemäß zu dienen bestimmt waren,41 also vor allem Schöpfen, Trinken, Waschen, Baden, Schwemmen und Tränken, aber z.T. auch das Einleiten von Abwässern. 42 Im Laufe der geschichtlichen Entwicklung bis heute sind die in der Form des Gemeingebrauchs zulässigen Benutzungen (wie auch die Dispositionsmöglichkeiten des privaten Gewässereigentümers) zahlenmäßig immer geringer und in der Möglichkeit ihrer Ausübung zugunsten hoheitlicher Gestattungsbedürfnisse zurückgedrängt worden. 43 Als Grundsatz galt aber schon im Mittelalter, daß der Gemeingebrauch nur unter Vorbehalt gewährleistet war und seine Ausübung Sondernutzungen nicht stören durfte. 44 Die wasserwirtschaftlichen Benutzungsregelungen einschließlich gewässerschutzrechtlicher Entwicklungen orientieren sich infolgedessen zu einem großen Teil an den im Laufe der Zeit auftretenden Nutzungskollisionen zwischen Gemeingebrauch und Sondernutzungen und zwischen sich gegenseitig beeinträchtigenden Sondernutzungen. Preußische Wassergesetz von 1913. Die heutige Einteilung in Gewässerklassen nach den Landeswassergesetzen hat Bedeutung nur für die Eigentumsverhältnisse und die Unterhaltslasten). 38 So unterscheidet z. B. das ALR vom 1. 6.1794 zwischen schiffbaren und nichtschiffbaren Flüssen (ALR II 14 § 21). Nach Gemeinem Recht waren (unter Rückgriff auf das Römische Recht) öffentliche Flüsse die größeren ständig fließenden Gewässer; siehe ausführlich hierzu Seiler (FN 13), S. 102 ff.; Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 1853, Nachdruck 1983, § 53, 2, §§ 75 ff. 39 Zu den Wandlungen in der rechtlichen Qualifikation des Begriffs "Gemeingebrauch" siehe Seiler (FN 13), S. 137 ff. 40 Mittermaier, Grundsätze des Gemeinen Deutschen Privatrechts, Bd. I, 7. Aufl., 1847, S. 620. 41 Hesse, Grundzüge des Wasserrechts nach gemeinem Rechte, Jher. JB 7 (1865), S.265. 42 Im übrigen war die Abwässerung aber wenigstens vom Anliegergebrauch umfaßt und mußte oft auch darüber hinaus vom Eigentümer des Ufergrundstücks geduldet werden. Eine genauere Grenzziehung erfolgte allerdings erst mit Herausbildung des deutschen Verwaltungsrechts; vgl. Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, 2. Bd., 3. Aufl., 1924, S. 143 ff. Nicht umfaßt waren jedenfalls zur Ausübung des Gemeingebrauchs eventuell notwendige Anlagen oder wasserbauliche Maßnahmen, die also stets einer wie auch immer gearteten hoheitlichen Gestattung bedurften; Seiler (FN 13), S. 142 f. 43 Seiler (FN 13), S. 76, 137. 44 Vgl. hierzu etwa Kaisenberg, Das Recht des Staates an öffentlichen Flüssen nach römischem und deutschem Recht, München, 1908, S. 26 ff.; heute ergibt sich dies ausdrücklich aus § 23 Abs. 1 Wasserhaushaltsgesetz (WHG) Ld.F. d. Bek. v. 23.9.1986 (BGBI. I S. 1529, ber. S. 1654), zuletzt geänd. d. G. v. 26.8.1992 (BGBI. I S. 1564).

2. Wasserrecht und Abwasserbeseitigung

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Solche Nutzungskollisionen waren auch bedeutsam für den Ausbau der ersten speziellen Sondergesetze in einem Teilbereich des Wasserrechts, dem Mühlenrecht. Die etwa seit dem 15. Jahrhundert entstehenden und bis ins 19. Jahrhundert geltenden Mühlenordnungen sind nicht nur als Konkurrenznorrnen über den Betrieb der Mühlen untereinander, sondern auch im Hinblick auf die städtische Wasserversorgung von umweltrelevanter Bedeutung gewesen. 45 Konfliktreich war etwa bereits das Verhältnis zwischen der Nutzung der Wasserkraft als bloßer Energiequelle und Nutzungen, die auf eine bestimmte Wasserqualität angewiesen waren, wie z. B. die Tuchproduktion oder die Bierbrauerei, 46 aber auch die Trinkwasserversorgung, weil Wasserentnahmen aus dem fließenden Gewässer die energetische Nutzung beeinträchtigten. Bei steigendem gewerblichen Energiebedarf und dem Fehlen standortunabbängiger Energieerzeugung, was z. B. für den Bergbau sehr bedeutsam war, hatte regelmäßig die energetische Nutzung, auch wenn sie ihrerseits mit Wasserverschmutzungen verbunden war, wohl den Vorrang, jedenfalls soweit die Wasserversorgung im übrigen auf anderem Wege (Quellen, Grundwasser) gewährleistet erschien. 47 Obwohl also auch die Ausnutzung der Wasserkraft die Rechte der Nachbarschaft im Grundsatz nicht beeinträchtigen sollte, wurden die hierzu nötigen Privilegien aus gewerbe- und energiepolitischen Gründen großzügig erteilt. 48 Damit entwickelten sich auch gewerbeaufsichts- und bewirtschaftungsrechtliche Elemente im Mühlenrecht. Die Mühlenordnungen gehören insofern auch zu den ersten Gewerbegesetzen und stellten schon am Ende des Mittelalters einen Zusammenhang zwischen technologischer Entwicklung und wachsender Umweltnutzung her. Dem Schutz der Gewässer vor Verunreinigungen widmete man sich im Mittelalter und weit bis ins 19. Jahrhundert nur punktuell und auch regional in unterschiedlichem Umfang. Entsprechend den praktischen Lebensbedingungen erlangte die Frage von Gewässerverunreinigungen rechtliche Relevanz vor allem in größeren Städten des späten Mittelalters und stand dort vor allem in Zusammenhang mit der Frage der Stadthygiene. 49 45 Ebel, Art. "Umweltrechtsgeschichte", in: Handwörterbuch des Umweltrechts (HdUR), Bd. 2, 1988, Sp. 773 ff., 778. 46 So haben sich in Thüringen die Brauberechtigten mehrerer Gemeinden gegen die Neuaufnahme eines Papiermühlenbetriebes gewehrt; vgl. Bayerl, Vorindustrielles Gewerbe und Umweltbelastung - das Beispiel der Handpapiermacherei, Technikgeschichte 48 (1981),206 ff., 215. 47 Siehe die Beispiele Aachen und Augsburg bei Basl, Die "geminderte" Industrialisierung in Bayern, in: C. Grimm (Hg.), Aufbruch ins Industriezeitalter, Bd. 1,1985, S. 22 ff., 63 ff.; zu verschiedenen Aspekten des Mühlenrechts S. 58 ff. Zur Entwicklung der Mühlenordnungen Daumann, Das Mühlengewerbe in Sachsen in der Zeit vom 1l. bis zum 19. Jahrhundert, 1934, S. 125 ff.; zu den Beziehungen zwischen Mühlenrecht und technischer Entwicklung im Mühlenwesen Schlattau, Wechsel wirkungen zwischen der Entwicklung des Mühlenwesens und des Mühlenrechts in der vorindustriellen Zeit, Technikgeschichte 52 (1985), 197 ff. 48 Basl (FN 47), S. 62.

2 Kloepfer

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I. Die vorindustrielle Periode

Wesentlichste Ursache von Gewässerverunreinigungen war die Beseitigung von Fäkalien und anderen (auch gewerblichen) flüssigen Abfällen, die man, soweit sie nicht zu landwirtschaftlichen Zwecken verwendet wurden, entweder in Senk- und Sickergruben sammelte oder über zum Teil offen durch die Straßen laufende Abzugsrinnen 50 in nahegelegene Gewässer einleitete. Für die Trinkwasserversorgung war vor allem das Sammeln in den Gruben problematisch, da sie (aus Kostengründen) vielfach nur im Abstand von mehreren Jahrzehnten geleert wurden (wobei deren Inhalt ebenfalls nahegelegenen Gewässern zugeführt wurde).51 Die Wasserversorgung erfolgte überwiegend durch Grundwasserbrunnen, deren Unterhaltung im wesentlichen Privatsache war. Bedeutung gewann auch das innerstädtisches Quellwasser, sowie die ergänzende Zuleitung von Wasser aus der Umgebung vor allem durch Holzröhrensysteme. 52 Da die Brunnen oft in ungenügendem Abstand zu den unzureichend abgedichteten Fäkaliengruben angelegt wurden, führte dies jahrhundertelang zu massiven Verseuchungen des Trinkwassers und zu Epidemien. In Städten mit fließenden Gewässern innerhalb der Stadtmauern fand die Abwässerung und die Entnahme von Trinkwasser ebenfalls in unmittelbarer Nachbarschaft statt. Die Einstellung gegenüber solchen Verunreinigungen des Wassers, auch wie sie sich aus rechtlichen Regelungen ergibt, ist durchaus widersprüchlich. Zwar war bis zum Beginn der bakteriologischen Ära in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts eine Prüfung der Wasserqualität nur nach Farbe, Geruch und Geschmack möglich, jedoch vermutete man grundsätzlich, daß ein Zusammenhang zwischen verunreinigtem Wasser und körperlichen Schäden und Krankheiten bestand. 53 So war nicht nur die unmittelbare Verunreinigung von Brunnen durch städtische Polizeiordnungen 54 verboten. 55 Mitunter wurden in Bauordnungen 49 Dabei darf man aber nicht übersehen, daß am Ende des Mittelalters insgesamt nur 25 Städte über 10.000 Einwohner besaßen (siehe die Tabelle bei Hösel, Unser Abfall aller Zeiten: eine Kulturgeschichte der Städtebereinigung, 1987, S. 44), also von Großstädten im heutigen Sinne oder auch vergleichbar mit antiken Großstädten (wie z.B. Rom) in Deutschland nicht die Rede sein konnte. Die Entsorgungsproblematik beruhte weniger auf der Bevölkerungsentwicklung als auf der durch die Wehr- und Festungsfunktion der Stadt im Laufe der Jahrhunderte hervorgerufenen räumlichen Enge (siehe auch unten S. 20 ff.). 50 Vereinzelte geschlossene Kanalisationssysteme gab es erst im 16. und 17. Jahrhundert. Eine Rieselfeldanlage ist bis zum 19. Jahrhundert nur aus Bunzlau bekannt; siehe zu dieser ausführlich StreU, Die Abwasserfrage in ihrer geschichtlichen Entwicklung, 1913, S.175ff. 51 Vgl. Hösel (FN 49), S. 52 ff. 52 Diese kombinierte Wasserversorgung blieb bis ins 19. Jahrhundert Standard; vgl. Dirlmeier, Zu den Lebensbedingungen in der mittelalterlichen Stadt: Trinkwasserversorgung und Abfallbeseitigung, in: Herrmann (Hg.), Mensch und Umwelt im Mittelalter, 3. Aufl., 1987, S. 150 ff., 152 ff. 53 Dirlmeier, Umweltprobleme in deutschen Städten des Mittelalters, Technikgeschichte 48 (1981), 191 ff., 192 f. 54 Zu den Rechtsformen mittelalterlicher Umweltgesetzgebung in den Städten siehe SchneidmüUer, Städtische Umweltgesetzgebung im Spätmittelalter, in: Calließ / Rüsen / Striegnitz (Hg.), Mensch und Umwelt in der Geschichte, 1989, S. 119 ff., 131 ff.

2. Wasserrecht und Abwasserbeseitigung

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auch Abdichtungsmaßnahmen und bestimmte Mindestabstände beim Anlegen der Abortgruben für erforderlich gehalten. 56 Auch hinsichtlich der Verunreinigung von Oberflächengewässern durch Abfälle sind die Stadtobrigkeiten vereinzelt tätig geworden. Verboten war regelmäßig das Einbringen von festen unlöslichen Abfällen, da diese die Schiffahrt und Mühlenbetriebe sowie sonstige gewerbliche Benutzungen beeinträchtigten. 57 In Nürnberg war durch eine Ratsverordnung von 1385 nicht nur verboten, Unflat und Abfälle der Lederer und Bader in den Fischbach zu gießen, sondern auch das Waschen am Fischbach. In Regensburg wurde 1853 den Färbern das Waschen und Farbeausschütten in einen Bach verboten. 58 Inwieweit diese Verordnungen praktisch vollzogen wurden, ist schwer zu beurteilen. Offensichtlich wurden auch damals schon gewerblichen Verschmutzern besondere Genehmigungen erteilt. So befanden sich im 16. Jahrhundert am Fischbach in Nürnberg zahlreiche erlaubte Wäschereibetriebe. 59 Andererseits wurde auch die Beseitigung flüssiger Abfälle in Flüsse z.T. ausdrücklich angeordnet. In Nürnberg sollten die Kürschner, Schmiede und die Pergamenthersteller 60 ihre Beizen nachts in die Pegnitz schütten. Den Augsburger Färbern wurde verordnet, ihre Farbabfälle in den Lech zu werfen. 61 Vor allem stark fließende Gewässer und große Flußläufe wurden zur Beseitigung von flüssigen Abfällen, aber auch von Aas, besonders empfohlen. 62 Hier drückte sich die zeitgenössische Überzeugung aus, das fließende Wasser würde mit seiner Reinigungskraft sämtlichen Unrat spurlos beseitigen. Diese Vorstellung hatte man 55 Heine, Umweltbezogenes Recht im Mittelalter, in: Herrmann (Hg.), Umwelt in der Geschichte, 1989, S. 111 ff., 114. 56 Z.B. in Art. 39 der Münchener Bauordnung von 1489, auszugsweise abgedr. bei Schmädel (Hg.), Handbuch der im Gebiete der Baupolizei-Verwaltung und des Bauresp. Nachbarrechts bestehenden Gesetze und Verordnungen in Verbindung mit den Bestimmungen der Bau-Ordnungen der ehemaligen freien Reichs- und der größeren Städte Bayerns diesseits des Rheins, 1846, S. 435 ff., 440, hier auch Hinweise auf weitere Bauordnungen im süddeutschen Raum; weitere Nachweise auf bauordnungsrechtliche Vorschriften hinsichtlich der Abwässerbeseitigung bei Gönnenwein, Die Anfange des kommunalen Baurechts, in: Kunst und Recht, Festgabe für Hans Fehr, 1948, S. 71 ff., 122 ff. 57 Dirlmeier, Die kommunalpolitischen Zuständigkeiten und Leistungen süddeutscher Städte im Spätmittelalter, in: Sydow (Hg.), Städtische Versorgung und Entsorgung im Wandel der Geschichte, 1981, S. 113 ff., 124 f.; ders. (FN 53), 196. 58 Zitiert nach Hösel (FN 49), S. 60; siehe auch Dirlmeier (FN 57), S. 125 f. 59 Heine (FN 55), S. 114. 60 Die Papiermacherei ist auch ein interessantes Beispiel dafür, daß auch vorindustrielle Gewerbe in einer gewissen Ambivalenz zur Umweltbelastung standen, indem sie zwar selbst auf saubere Umweltbedingungen angewiesen waren (hier vor allem reines Wasser), aber gleichzeitig durch ihre Produktion Gewässer- und Luftverschmutzungen verursachten; siehe hierzu Bayerl (FN 46), 212 ff. 61 Heine (FN 55), S. 115; weitere Beispiele bei Dirlmeier (FN 53), 196 ff. 62 Diese Vorstellungen hielten sich recht lange. So wurde in Heilbronn die ausdrückliche Anordnung von 1489, beanstandetes Fleisch in den Neckar zu werfen, erst 1814 aufgehoben; siehe Dirlmeier (FN 57), S. 125. 2*

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I. Die vorindustrielle Periode

auch hinsichtlich des Grundwassers, von dem Leon Battista Alberti behauptete, der Leib der Erde könne das Abwasser der Kanäle verzehren und verdauen, ohne daß sich Dünste und Gestank entwickelten. 63 Dies entsprach der vorherrschenden Lehrmeinung, die vor allem die Luft als Krankheitsträger ansah. 64 Unter diesem Gesichtspunkt bot sich die Beseitigung über fließende Gewässer in der Tat an.

3. Abfallbeseitigung Da die mittelalterliche Stadt im allgemeinen keine gepflasterten Straßen, Kanalisationen, zentrale Wasserversorgungsanlagen kannte und auch keine. auch nur ansatzweise geordnete Abfallbeseitigung besaß, war es um ihre Sauberkeit z.T. ausgesprochen schlecht bestellt. Die Beschaffenheit der unbefestigten Straßen, 65 die sich bei Regen in tiefe Moraste verwandelten, ihre Verschmutzung mit Abfallen und Fäkalien (aus den Häusern und von herumlaufenden Tieren), machte den Gebrauch von Überschuhen und z.T. sogar Stelzen notwendig. 66 Insofern ist es einsichtig, daß, wie in der Antike, Abfallbeseitigung ausschließlich Entsorgung der unmittelbarsten Umgebung und der Stadt bedeutete. Erste Ansätze zu einer städtisch organisierten bzw. beaufsichtigten Abfuhr von Abfallen und Bauschutt - und damit zu einer gewissen obrigkeitlichen Verantwortungsübernahme für die Entsorgung - werden erst im Zusammenhang mit dem Aufkommen von Straßenpflasterungen am Ende des 14. Jahrhunderts erkennbar. 67 Bis dahin hatten die Stadtobrigkeiten - allerdings wenig erfolgreich - versucht, dem Abfallproblem mit Sauberkeitsverordnungen 68 beizukommen. Solche Sauberkeitsverordnungen waren mit unterschiedlichem Inhalt, zunächst als Ratsverordnungen, später meist als Polizeiverordnungen oder städtische Satzungen, bis zum Ende des 19. Jahrhunderts die wichtigste Rechtsquelle für die Abfallbeseitigung. Sie orientierten sich nach heutigem Verständnis am Verursacherprinzip und enthielten zunächst nur Gebote, Abfälle außerhalb der Stadt abzulagern. 69 Später wurden hierfür auch bestimmte gekennzeichnete Plätze vorDe re aedificatoria (um 1450), zitiert nach Dirlmeier (FN 53), 193. Siehe unten S. 24 ff. 65 Straßen mit befestigten Decken kennt man erst im Hochmittelalter; siehe hierzu Hösel (FN49),S. 47 f.; SO'ell (FN 50), S. 136 ff.; insgesamt zu den hygienischen Zuständen in der mittelalterlichen Stadt Hösel (FN 49), S. 46 ff. 66 SchneidmüUer (FN 54), 120; Hösel (FN 49), S. 47 ff. Solche Zustände beklagte für die Städte in der Pfalz (was aber für viele Städte repräsentativ gewesen sein dürfte) der Arzt und Geheimrat Johann Peter Frank noch 1783 in "System einer vollständigen medizinischen Polizei", 1779-1819, Bd. III, zit. nach StreU (FN 50), S. 172. 67 Dirlmeier (FN 52), S. 157. 68 Vgl. die Hinweise bei Hösel (FN 49), S. 67 und bei den Einzelangaben zu größeren Städten, S. 71-110 passim. 69 Siehe z.B. Schultheiß (Bearb.), Satzungsbücher und Satzungen der Reichsstadt Nürnberg aus dem 14. Jahrhundert, Quellen zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg Bd. III, 1, 1965, S. 163 und 304. 63

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3. Abfallbeseitigung

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gesehen 70 und zeitliche Abstände, in denen die Straßen gereinigt werden sollten. 71 Im übrigen war die Entsorgung der Privathaushalte und Gewerbebetriebe wie auch die Straßenreinigung, Straßenunterhaltung und -pflasterung aber vorrangig Privatangelegenheit. Unter diesen Umständen betrachteten die Anlieger lange ihre Hälfte der Straße als Eigentum und leiteten hieraus eine freie Nutzung u. a. auch für die Ablagerung von Unrat, Mist und Abfällen ab. 72 Dies erschwerte die Durchsetzung der Sauberkeitsverordnungen erheblich. 73 Weite Bereiche der Daseinsvorsorge und -sicherung wurden ohnehin der Privatinitiative oder Stiftungen und kirchlichen Institutionen überlassen. Die Funktion der mittelalterlichen Stadtgemeinde war zunächst im wesentlichen nur, Unabhängigkeit nach außen und Rechtssicherheit nach innen zu gewährleisten. Erst etwa seit dem 14. Jahrhundert beanspruchte die Stadt auch umfassendere Kompetenzen und übernahm Verantwortung für die innerstädtischen Lebensbedingungen. 74 Die durch die Wehr- und Festungsfunktion der Stadt bedingte räumliche Enge war aber zu dieser Zeit vor allem im Hinblick auf die Abfallbeseitigung schon zu einem erheblichen Problem geworden. Immerhin erkannten einige Stadtobrigkeiten schon recht früh, Mißstände nicht vermeiden zu können, wenn die Entsorgung ausschließlich durch die privaten Verursacher erfolgt. Etwa ab dem 15. Jahrhundert und verstärkt im 18. Jahrhundert wurden deshalb in Städten Müllabfuhren durchgeführt. 75 Diese Aufgabe wurde zunächst an priva,te Unternehmer vergeben, mit deren Ausführung man jedoch oft unzufrieden war, so daß sich ein allmählicher Übergang zur Kommunalisierung der Abfallbeseitigung vollzog. 76 So besaß Hamburg ab 1710 aufgrund der "Hamburgischen Neuen Gassenordnung", einer Vorläuferin des Hamburgi70 Siehe z. B. die Vorschriften bei Baader, Nürnberger Polizeiordnungen aus dem XIII.-XV. Jahrhundert, 1861 (Nachdruck 1966), S.278; Wolf (Hg.), Die Gesetze der Stadt Frankfurt a.M. im Mittelalter, 1969, S. 375 ff., Nr.289; Eheberg, Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte der Stadt Straßburg bis 1681, Bd. 1, Urkunden und Akten, 1899, S. 393, Nr. 165 und S. 480 ff., Nr. 242; Dreyer, Einleitung zur Kenntnis der in Geist-Bürgerlichen-Gerichts-Handlungs-Policey-und-Kammer-Saehen von E. Hochw. Rath der Reichsstadt Lübeck von Zeit zu Zeit ergangenen allgemeinen Verordnungen, 1769, S. 551 ff. 71 Vgl. Hösel (FN 49), S. 49. 72 Vgl. Hösel (FN 49), S. 47. 73 So wurde auch das Hinausschütten von Unrat aus den Fenstern auf die Straße z.T. noch recht lange praktiziert. Verbote dieser Art der Beseitigung gibt es noch aus der' Mitte des 19. Jahrhunderts, in München z. B. noch 1835, Aussehr. d. KgI.Pol.-Direkt. v. 19.9.1835, KgI.Pol.-Anz. 1835, S. 851 f. (abgedr. bei Schmädel (FN 56), S. 383 ff.). 74 Dirlmeier (FN 52), S. 151. 75 Siehe die Hinweise bei Hösel (FN 49). 76 Vgl. Hösel (FN 49), S. 69 f.; dies hing auch mit der im Laufe der Entwicklung unwirtschaftlicher werdenden Müllverwertung (siehe hierzu Hösel, a. a. 0., S. 197 ff.) insbesondere im landwirtschaftlichen Bereich zusammen, die oft mit der Abfuhr durch private Unternehmer verbunden war und für die zuweilen auch Pacht an die Stadt gezahlt wurde.

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I. Die vorindustrielle Periode

schen Wegegesetzes, eine kommunale Müllabfuhr, Berlin etwa ab 1735. 77 Dabei bestanden diese kommunalen Einrichtungen z.T. nur für bestimmte Stadtteile und neben privaten Abfuhruntemehmen. Auch von einer regelmäßigen Abfallbeseitigung im heutigen Sinne kann nicht gesprochen werden. Oft fanden diese nur im Abstand von einigen Wochen oder Monaten statt. Diese Entwicklung zur Kommunalisierung zog sich bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hin und hatte vor allem mit Finanzierungsschwierigkeiten der Kommunen zu kämpfen. Technisch ging die Entwicklung nur sehr langsam voran. 78 Neben der landwirtschaftlichen Verwertung blieb bis weit in das 20. Jahrhundert das wichtigste Verfahren für die Beseitigung fester Abfälle eine im Grunde vorindustrielle Beseitigungsform, die ungeordnete Ablagerung der Abfälle im Gelände. 79

4. Immissionsschutz Neben der im Mittelalter vor allem relevanten mikrobiellen (oder bakteriellen) Umweltgefährdung durch Fäulniserreger infolge der unzureichenden Abfall- und Fäkalienbeseitigung, die in den Städten eine erhebliche Emmissionsquelle darstellte, gab es auch Umweltbelastungen, die vom gewerblich-handwerklichen Bereich ausgingen, z. B. durch Gerbereien, Färbereien, Schmelzhütten, Papiermühlen, Hammerwerke etc. 80 Üble Gerüche entstanden dabei insbesondere durch Handwerksbetriebe und Manufakturen, die vorwiegend tierische Produkte verarbeiteten. Rauchbelästigungen und Rauchschäden existierten vor allem in der Nähe von Betrieben zur Metallgewinnung, dem seit dem 15. Jahrhundert aufstrebenden Hüttenwesen. 81 Die Steinkohlefeuerung als Immissionsursache spielte aber im Gegensatz zu England, wo es schon im Spätmittelalter Kohlenutzung größeren Umfangs gab,82 in Deutschland bis zum 19. Jahrhundert nur eine sehr geringe Rolle. Hüttenwerke, Gießereien und Siedereien sind neben der Abholzung großer Waldflächen auch für die ersten Waldschäden durch Luftverunreinigungen 77 Vgl. Hösel (FN 49), S.69, 72, 80; kommunale bzw. kommunal beaufsichtigte Einrichtungen für die Abfallbeseitigung gab es davor z.B. in Augsburg, Frankfurt, München, Nürnberg und Straßburg; siehe die Nachweise bei Dirlmeier (FN 53). 78 Zu den technischen Entwicklungen des Abfuhrsystems siehe eingehend Hösel (FN 49), S. 167 ff. 79 Im Zusammenhang mit abfallrechtlichen Entwicklungen im vorindustriellen Deutschland stehen auch die Versuche, die Beseitigung von Tierkörpern und Schlachtabfällen in gewisser Weise durch die Einführung von Abdeckereien und Schlachthäusern zu zentralisieren, die allerdings seuchenhygienischen Anforderungen in keinster Weise genügten; vgl. Hösel (FN 49), S. 55 ff. 80 Vgl. Bayerl (FN 46), 206 ff. 81 Zur geographischen Verteilung verschiedener Gewerbezweige siehe Stromer (FN 25), S. 39 ff.; Kaufhold, Gewerbelandschaften in der frühen Neuzeit (1650-1800), ebenda, S. 112 f. 82 Vgl. Sie/erle (FN 11), S. 108 ff.

4. Immissionsschutz

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verantwortlich. 83 Vor allem in der Umgebung von Erzröstungsbetrieben und Saigerhütten, in denen Kupfererze mit Hilfe von Blei zur Silbergewinnung verhüttet wurden, etwa in den Nürnberg-Oberpfalzer und Thüringer Revieren, war der Zusammenhang zwischen den arsen- und bleihaItigen Abgasfahnen der Hüttenwerke und der verkümmernden Pflanzenwelt offensichtlich. 84 In Ehrenfriedersdorf im Erzgebirge protestierten die Bauern im Jahre 1538 gegen die damals zum Rösten der Zinnerze neu errichteten Brennöfen, weil deren Dämpfe die am Felde reifenden Früchte zerstörten. 85 Überhaupt war das Berg- und Hüttenwesen des Mittelalters wegen der von ihm ausgehenden Umweltbelastungen teilweise auch unter den Zeitgenossen umstritten. Die Argumente der Gegner gibt Georg Agricola 1556 folgendermaßen wieder: "Durch das Schürfen nach Erz werden die Felder verwüstet ... Wälder und Haine werden umgehauen; denn man bedarf zahlloser Hölzer für die Gebäude und das Gezeug sowie, um die Erze zu schmelzen. Durch das Niederlegen der Wälder und Haine aber werden die Vögel und anderen Tiere ausgerottet, von denen sehr viele den Menschen als feine und angenehme Speise dienen. Die Erze werden gewaschen; durch dieses Waschen aber werden, weil es die Bäche und flüsse vergiftet, die Fische entweder aus ihnen vertrieben oder getötet ... ". Nach einer ausführlichen Verteidigung des Bergbaus kommt aber auch er schon zu dem Ergebnis, daß auf diesen aus ökonomischen Gründen nicht verzichtet werden könne. 86 Entsprechend der ökonomischen Bedeutung des Bergbaus spielten die Auswirkungen auf die Umwelt, insbesondere Landschaft und Gewässer, dann auch im Bergrecht selbst keine Rolle. 87 Wenn also schon gewisse (gewerbliche) Immissionsbelastungen in städtischen Ballungsräumen und den protoindustriellen Gewerbe- und Bergbaulandschaften auftraten, so waren diese doch immer noch räumlich beschränkt, von meist lokaler Bedeutung und betrafen vorwiegend die unmittelbare Nachbarschaft der Betriebe. Insgesamt befand sich bis ins 19. Jahrhundert der größte Teil Deutschlands noch 83 Vgl. Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Waldschäden und Luftverunreinigungen, 1983, S. 7, Tz. 6. 84 Vgl. Stromer (FN 25), S. 96 f.; insgesamt zum Einfluß des Hüttenwesens auf die heutige Kulturlandschaft Wald siehe Gleitsmann, Der Einfluß der Montanwirtschaft auf die Waldentwicklung Mitteleuropas, in: Kroker / Westermann (Hg.), Montan-Wirtschaft Mitteleuropas vom 12.-17. Jahrhundert, 1984, S. 24 ff. 85 Vgl. Vogel, Rauchbelästigung in alter Zeit, Rauch und Staub 2 (1911),118 ff., 119. 86 De re metallica Libri XII, dte. Übersetzung von Quarg: 12 Bücher vom Berg- und Hüttenwesen, 4. Aufl., 1977, S. 6,9 ff., 17. 87 Zur Geschichte des Bergrechts Willecke (FN 32); Bergmann, Über die Entstehung und Verbreitung des Bergrechts, zm 130 (1989), 161 ff.; Arndt, Zur Geschichte des Bergrechts von der ältesten Zeit bis auf die Gegenwart, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 70 (1914), 231 ff.; Westhoff/ Schlüter, Geschichte des deutschen Bergrechts, zm 50 (1909),27 ff., 230 ff., 357 ff., 492 ff.; zu den Umweltauswirkungen im geltenden Bergrecht vgl. §§ 52 Abs. 2a u. b, 57a-c Bundesberggesetz (BBergG) v. 13.8.1980 (BGBl. I S. 1310), zuletzt geänd. d. G. v. 12.2.1990 (BGBl. I S. 215).

I. Die vorindustrielle Periode

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im Zustand einer sehr naturnahen Kulturlandschaft mit ausreichenden ökologischen Freiräumen. 88 Dies sagt allerdings über die Erheblichkeit der Belastung im Einzelfall und auch darüber, wie erheblich eine gewerbliche Belastung von den Betroffenen empfunden wurde, nichts aus. In der unmittelbaren Nachbarschaft bestimmter Betriebe und vor allem bei den Handwerkern und Arbeitern selbst drückte sich jedenfalls die Gefährlichkeit mancher Gewerbe durch körperliche Schäden und eine geringere Lebenserwartung aus. 89 Eine vom heutigen Standpunkt aus ökologische Krisensituation dürfte jedoch - soweit erkennbar - zu keinem Zeitpunkt bestanden haben. Für die rechtliche Beschäftigung mit dem Phänomen Luftverschmutzung war zunächst wieder die mikrobielle Umweltbelastung maßgeblich. Ziel von Regelungen in Stadt- und Polizeiordnungen, aber auch späteren territorialen Regelungen war es, Quellen übler Gerüche von den Wohnbereichen zu isolieren und eine Vergiftung der Luft durch Fäulnisausdünstungen zu vermeiden. 90 (Vor)wissenschaftliche Grundlage der entsprechenden Maßnahmen war die Lehre von den Miasmen. Seit Hippokrates betrachtete man die Luft als hauptsächlichen Krankheitsträger. Durch sie wurden die schädlichen Ausdünstungen (Miasmen) der Erde und der verfaulenden menschlichen und tierischen Rückstände verteilt. Der größte Teil der damals bekannten Krankheiten sollte auf diese Miasmen zurückzuführen sein. 91 Darauf aufbauend fand dann im 17. und 18. Jahrhundert eine intensive Erforschung der Luft und ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Eigenschaften statt. 92 Auf der Grundlage dieser Lehre wurde mit der oben 93 beschriebenen Beseitigung bestimmter Abfallstoffe in fließenden Gewässern begonnen. Unter damaligen Gesichtspunkten war diese Form der Abfall- und Abwasserbeseitigung vorrangig eine Maßnahme des Immissionsschutzes. Als Maßnahme gegen gewerbliche Emissionen betraf sie vor allem Betriebe, die vorwiegend mit tierischen Produkten oder Rückständen arbeiteten. Auf die Miasma-Lehre sind auch die Bedenken des Zürcher Rates hinsichtlich der Erlaubnis für den Betrieb eines Färberkessels zurückzuführen, der unter der 88 Vgl. Fehn, Wirtschaftsentwicklung und Umweltbeeinflussung in Mitteleuropa aus historisch-geographischer Sicht, in: Kellenbenz (Hg.), Wirtschaftsentwicklung und Umweltbeeinflussung (14.-20. Jahrhundert), 1983, S. 277 ff., 279. 89 Vgl. Bayerl (FN 46), 212 ff., 217 ff.; Aagard, Gefahren und Schutz am Arbeitsplatz in historischer Perspektive, Technologie und Politik 16 (1980), 155 ff.; Zimmermann, Ansätze zu einer Sozial- und Arbeitsmedizin am mittelalterlichen Arbeitsplatz, in: Herrmann (Hg.), Mensch und Umwelt im Mittelalter, 3. Aufl., 1987, S. 140 ff. 90

Dirlmeier (FN 53), S. 197.

Näher zur Miasmatheorie, die bis zum 19. Jahrhundert vorherrschende Lehrmeinung war, Hirst, The conquest of Plague. A study of the evolution of Epidemiology, 1953, S. 35 ff. 92 Siehe hierzu ausführlich Corbin, Le Miasme et la Jonquille, dt.: Pesthauch und Blütenduft. Eine Geschichte des Geruchs, 1984. 93 S. 18 ff. 91

4. Immissionsschutz

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Auflage bewilligt wurde, daß ein Kamin errichtet würde, damit die Nachbarn möglichst wenig durch üble Gerüche geschädigt würden. 94 Einen ähnlichen Hintergrund hatte eine Verordnung des Frankfurter Rats aus dem 15. Jahrhundert, die gegen das Leimsieden und die Anlage von Gerbergruben innerhalb der Stadt gerichtet war. 95 Mit dem Problem der Rauch- und Staubimmissionen hat man sich vergleichsweise wenig auseinandergesetzt. Zwar wurde z.B. in Zwickau (1348) der Gebrauch von Steinkohle in Schmieden innerhalb des Stadtgebiets verboten und aus Goslar (1407) ist eine Bestimmung gegen die Rauchbelästigung durch Röstfeuer bekannt,96 doch dürften die meisten Beschränkungen solcher Gewerbe, soweit sie in der Stadt vorkamen, auf feuerpolizeilichen Erwägungen beruht haben. Ein Teil dieser Gewerbe mit starker Rauchentwicklung, vor allem Hüttenwerke, war ohnehin aus Gründen der Rohstoff- und Energieverfügbarkeit auf Standorte außerhalb der Städte angewiesen. Die technisch möglichen Maßnahmen zur Verbesserung der Immissionssituation beschränkten sich im wesentlichen auf die Errichtung höherer Kamine. Da ein Verbot der für die städtische Wirtschaftsform notwendigen Gewerbebetriebe aus ökonomischen und anderen Gründen unerwünscht war, wird diese Maßnahme ein seltener Ausnahmefall gewesen sein. So ist ein Fall aus dem spätmittelalterlichen Köln bekannt, wo durch eine Ratsverordnung vom 26. April 1464 die Einstellung eines Schmelzbetriebes binnen 14 Tagen angeordnet wurde. 97 Dieser Fall hatte sich immerhin, wie sich aus den Urkunden ergibt, 3 Jahre hingezogen. Die ersten Klagen der Nachbarn des in Frage stehenden Schmelzbetriebes stammten vom 11. Juni 1461. Im übrigen waren, wenn auch über die Schädlichkeit von Hüttenrauch vielfach Einklang herrschte, die Auffassungen über die Schädlichkeit von Rauchernissionen im allgemeinen durchaus geteilt. Zum Teil wurde Rauch auch desinfizierende Wirkung zugemessen. Friedrich Hoffmann, einer der bekanntesten Mediziner seiner Zeit, erstellte 1695 ein Gutachten ,über die Unschädlichkeit des Steinkohlenrauchs und auch Samue/ Hahnemann, der Begründer der Homöopathie, hatte 1787 die Auffassung vertreten, schwefelhaltiger Kohlerauch (in Maßen) reinige die Luft. 98 Dagegen hieß es 17~8 schon warnend aus England, bei der Verbrennung von Kohle entwichen giftige Gase, "welche auf den Pflanzen-, Menschen94 Zeller-Werdmüller (Hg.), Die Zürcher Stadtbücher des XIV. und XV. Jahrhunderts, Bd.2, 1901, S. 409 f. 95 Wolf (FN 70), S. 375 ff. und 415. 96 Vgl. Leidig, Ökologisch-ökonomische Rechtswissenschaft, 1984, S. 5, FN 20; ähnliche Bestimmungen werden sich auch in anderen Städten finden lassen; auch von Lübeck und Augsburg ist bekannt, daß sie ihre Schmelzhütten wegen Beschwerden der Nachbam außerhalb der Stadt verlegten, vgl. Vogel (FN 85). 97 Siehe hierzu Vogel (FN 85), 118 ff. 98 Hoffmann, Propemticon inaugurale de vapore carbonum fossilium innoxio, 1695, unpag.; Hahnemann, Abhandlung über die Vorurtheile gegen die Steinkohlenfeuerung, 1787.

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I. Die vorindustrielle Periode

und Tierorganismus einen sehr nachteiligen Einfluß ausüben".99 1717 war erstmals in einem ökonomischen Lexikon auf die Nachteile der Steinkohlefeuerung hingewiesen worden. Diese geben einen "sehr bösen und corrosiven Rauch von sich, welcher der Brust und Lungen sehr gefährlich, und ohne Zweiffel Ursach daran ist, daß, ... der dritte Theil der Einwohner zu London, an der Schwindund Lungensucht sterben". 100 Insgesamt wurde gegen gewerbliche Emissionen wie Rauch, Staub und Lärm nur punktuell und in Einzelfällen vorgegangen, in der Regel dann, wenn diese bei der Nachbarschaft Anlaß zu Beschwerden gaben, oder es zu gerichtlich auszutragenden Nachbarstreitigkeiten kam, also auf privatrechtlichem Wege. 101 Im Verhältnis der Bürger untereinander dominierte die subjektiv-rechtliche Konfliktregulierung; Bau- und Handwerksordnungen, sowie Polizeiordnungen und späteren Territorialgesetzen wurden bis zum 19. Jahrhundert auch wechselseitige Verpflichtungen und private Berechtigungen entnommen. 102 Gelegentlich wurden Nachbarn in Statutarrechten Verbietungsrechte hinsichtlich bestimmter gewerblicher Störungen des Eigentums eingeräumt. So machte Art. 12 Tit. 12 Buch III des Revidierten Lübischen Rechts von 1586 für einige spezifizierte sowie weiter alle "dergleichen gefährliche unleidliche Handwerke" die Errichtung von Betriebs stätten von nachbarlicher Einwilligung abhängig. Entsprechende Bestimmungen enthält Art. 16 des Rostocker Stadtrechts von 1755. 103 Immissionsschutzrechtlich relevante Genehmigungserfordernisse waren allenfalls baupolizeilicher Art. Seit dem 14. Jahrhundert findet man in den Stadtrechten weitgehende Einschränkungen der Baufreiheit und auch schon erste Bauerlaubniserfordernisse. In Süddeutschland war das Bauen bereits im Spätmittelalter allgemein an eine behördliche Genehmigung gebunden. Hier könnten auch Immissionsgesichtspunkte eingeflossen sein. In den Bauordnungen war jedoch der Gesichtspunkt der Feuersicherheit beherrschend. 104 Boyle, zitiert nach Speisberg, Rauchplage, 1984, S. 18. Huber, Curienses und Reales Natur-Kunst-Berg-Gewerck- und Handlungs-Lexicon, Art. Stein-Kohlen, 1. Aufl., 1717, Sp. 1555 f. 99

100

101 Die uns heute geläufige kategoriale wissenschaftlich-systematische Unterscheidung von wesensverschiedenen "öffentlichen" und "privaten" Teilrechtsordnungen ist zwar dem mittelalterlichen und auch noch frühneuzeitlichen Rechtsdenken fremd; vgl. Preu, Die historische Genese der öffentlich-rechtlichen Bau- und GewerbenachbarkIagen (ca. 1800-1970), 1990, S. 14. Als der Idee nach sich nicht nur aus der Einrichtung des neuzeitlichen Staates, sondern auch schon aus der Entstehung territorialer Herrschaftsmacht verbunden mit der Inanspruchnahme von Gemeinwohlverantwortung sich ergebendes Recht, existierten aber innerhalb der Gesamtrechtsordnung auch schon zahlreiche "öffentliche" Regelungsprinzipien. 102 Vgl. Preu (FN 101), S. 17 f. 103 Siehe hierzu Palmer, Die Entwicklung des deutschen privatrechtlichen Immissionsrechts im 19 . Jahrhundert verglichen mit dem französischen Recht, zugleich ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des § 906 BGB, 1979, S. 13 f. 104 Vgl. hierzu Gönnenwein (FN 56), S. 103 ff.

4. Immissionsschutz

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Vielfach bemühte man sich um eine städtische Funktionentrennung, indem geruchs- oder lärmintensive Gewerbe in bestimmte Stadtbezirke verwiesen wurden, 105 wobei für die Absonderung auch Standortbedingungen von Bedeutung gewesen sein mögen. 106 Bebauungspläne waren jedoch bis ins späte Mittelalter hinein unbekannt. 107 Gegen den Lärm war die Funktionentrennung neben der Bestellung von Dienstbarkeiten im wesentlichen die einzige Abwehrmaßnahme. 108 Im übrigen kam die Absonderung in bestimmten Gewerbevierteln allerdings wohl überwiegend dem Bürgertum zugute. Die für das Mittelalter typische Einheit von Arbeiten und Wohnen begann sich erst ab dem Ende des 16. Jahrhunderts langsam aufzulösen. Für die Einhaltung spezifischen Gewerberechts sorgten die Innungen und Zünfte, die im 12. und 13. Jahrhundert entstanden. Das Gewerberecht bestand im wesentlichen aus den Innungs- bzw. Zunftordnungen, aus denen sich die Voraussetzungen für die Zulassung zum Gewerbe ergaben. Hier dürften umweltbzw. sozialhygienische Gesichtspunkte praktisch keine Rolle gespielt haben, ebenso bei den Generalprivilegien, durch welche die Innungsordnungen in Preußen 109 zwischen 1734 und 1736 ersetzt wurden. Soweit Gewerbe außerhalb zunftrechtlicher Bindungen betrieben wurden, bedurften sie in der Regel eines landesherrlichen Privilegs. 110

105 Gönnenwein (FN 56), S. 94. Im geltenden Baurecht wird Funktionentrennung vor allem durch die einschlägigen Regelungen der Baunutzungsverordnung (BauNVO) i. d. F. der Bek. v. 23.1.1990 (BGBl. I S. 132) verwirklicht. 106 Vgl. Dirlmeier (FN 53), 197 f.; Cramer, Gerberhaus und Gerberviertel in der mittelalterlichen Stadt, 1981, S. 68; vgl. auch Rublack, Probleme der Sozialtopographie der Stadt im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Ehbrecht, Wilfried (Hg.), Voraussetzungen und Methoden geschichtlicher Städteforschung, 1979, S. 177 ff., 179, 181. 107 Gönnenwein (FN 56), S. 88 ff. 108 Das gelegentlich erwähnte Privileg, kraft dessen Gelehrte lärmende Handwerker nicht in der Nähe ihrer Häuser zu dulden bräuchten, hatte wohl keinen allgemeinen Charakter; vgl. Wandel, Umweltfragen in der altwürttembergischen Gesetzgebung, in: Sydow (Hg.), Städtische Versorgung und Entsorgung im Wandel der Geschichte, 1981, S. 164 ff., 179; allerdings enthält § 2, Nr. 1, IV, 6 des Codex Maximilianeus Bavaricus civilis von 1756 eine in diese Richtung gehende ,,Lärmschutzvorschrift". 109 Die Wirtschafts- und Gewerbepolitik und ihre Entwicklung in den deutschen Territorien ist nicht einheitlich verlaufen. Sowohl die allgemeine Gewerbepolitik als auch die immissionsschutzrechtliche Entwicklung sind für Preußen bisher am besten erforscht, weshalb hierauf im folgenden auch der Schwerpunkt liegen soll. 110 Siehe hierzu Mohnhaupt, Art. ,,Privileg, neuzeitlich", in: Handwörterbuch der Rechtsgeschichte (HRG), Bd. 3, 1984, Sp. 2005 ff. Vereinzelt taucht auch der Begriff Konzession auf, ohne daß eine genaue Abgrenzung schon möglich wäre, auch wenn bei der Konzession im Gegensatz zum Privileg z.T. schon angenommen wird, sie enthalte keine rechtsgestaltende Wirkung; daneben gab es auch schon im 18. Jahrhundert freie Gewerbebetätigungen und unkonzessionierte Manufakturgrundungen; zum ganzen siehe Willoweit, Gewerbeprivilegien und ,,natürliche Gewerbefreiheit", in: Schemer / Willoweit (Hg.), Vom Gewerbe zum Unternehmen, 1982, S. 60 ff., zu Rechtsnatur und Widerruflichkeit des Privilegs, S. 99 ff.

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1. Die vorindustrielle Periode

Die Privilegienerteilung diente im Rahmen einer merkantilistisch (kameralistischen) Wirtschaftsförderung der Errichtung von Manufakturen und Fabriken, 111 die außerhalb des Zunftwesens standen. Auch für die Privilegienerteilung dürften Umweltgesichtspunkte kaum relevant gewesen sein, wenn auch Ansätze in diese Richtung nicht auszuschließen sind. So hat Friedrich der Große 1740 einen Plan zur Errichtung einer Zuckersiederei mit folgender Randbemerkung versehen: " ... es muß aber eine Precotion gebrauchet werden nehmlich das die Zucker Siederei an einen Ohrt geleget wirdt der abgelegen ist auf das der gestank nicht in der Stat hindere ... ".112 Das häufig nur befristet erteilte Privileg verschaffte, soweit Rechte Dritter (z. B. die oben erwähnten nachbarlichen Einwilligungserfordernisse) nicht schon bei der Erteilung verletzt wurden (hier konnte der Dritte auch gegen die Privilegienerteilung selbst vorgehen), seinem Inhaber Schutz vor späteren Einwendungen und Abwehrklagen Dritter, obwohl es als persönliches oder dingliches Privatrecht gedeutet wurde. Wer ein gewerbeberechtigtes Grundstück bestimmungsgemäß nutzte, hatte grundsätzlich Einsprüche gegen das Privileg als solches nicht zu befürchten, I I3 auch wenn die Immissionsbelastung nicht Gegenstand der Privilegienerteilung war.

Im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts und insbesondere nach dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms 11. mehrten sich in Preußen die Konzessionspflichten für einzelne Gewerbezweige, durch die der Zunftzwang für diese Gewerbe aufgehoben wurde. An die Stelle der individuellen Förderung durch das Privileg, das vielfach auch in der Form von Monopolprivilegien ergangen war, trat die Globalsteuerung ganzer Gewerbezweige durch allgemeine gewerberechtliche Grundsätze. 114 Diese gewerbepolitischen Tendenzen bringt das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten (ALR) von 1794 115 zu einem vorläufigen Abschluß, indem es, als Ergänzung zu den noch dem Zunftrecht unterliegenden Materien, eine generelle Erlaubnispflicht für die Anlegung von Fabriken einführt (Teil 11 Tit. 8, § 410 ALR).116 Nach Teil 11 Tit. 8, § 411 Abs.2 S. 8 ALR waren solche Erlaubnisse als Privilegien anzusehen und die allgemeinen Vorschriften über Privilegien anzuwenden. Der Konzessionsempfanger erwarb somit eine gesicherte subjektive Rechtsstellung, die gemäß §§ 70 und 71 Einl. ALR ,,nur aus überwie111 Beide Begriffe wurden vielfach auch synonym gebraucht, vgl. insgesamt P hilipp (FN 9). I I2 Zitiert nach Mieck, Umweltschutz in Preußen zur Zeit der Frühindustrialisierung, in: Büsch/Neugebauer, Modeme Preußische Geschichte 1648-1947, Bd.2, 1981, S. 1141 ff., 1143. 113 Vgl. Preu (FN 101), S. 20. 114 Vgl. Willoweit (FN 110), S. 72 ff. 115 Allgemein zur Entstehung und zum geistigen Hintergrund des ALR siehe Hattenhauer, Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten von 1794, 1979, S. 22 ff.; Conrad, Das ALR von 1794 als Grundgesetz des friderizianischen Staates, 1965; ders., Die geistigen Grundlagen des ALR für die preußischen Staaten von 1794, 1958. 116 Zur Entstehung dieser Vorschrift vgl. Willoweit (FN llO), S. 95 ff.

4. Immissionsschutz

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genden Gründen des gemeinen Wohls, und nur gegen hinlängliche Entschädigung des Privilegierten" wieder aufgehoben werden konnte. Außer einer recht ungenauen Definition der Fabriken 117 enthielt das ALR aber noch keine besonderen Voraussetzungen oder Einschränkungen für die Gestattung gewerblich( -industrieller) Betätigung. 118 Mögliche Einschränkungen der Konzessionserteilung waren ebenfalls nur bau- bzw. feuerpolizeilicher Art. 119 So durften nach Teil I Tit. 8, § 78 ALR "die Straßen und öffentlichen Plätze ... nicht verengt, verunreinigt oder sonst verunstaltet werden". Auch sollten (allgemein) "zum Schaden oder Unsicherheit des gemeinen Wesens, oder zur Verunstaltung der Städte und öffentlichen Plätze, kein Bau und keine Veränderung vorgenommen werden" (Teil I Tit. 8, § 66 ALR) , weshalb vor der Anlegung eines neuen Baues in Städten "der Obrigkeit zur Beurteilung Anzeige" gemacht werden mußte (ebd., § 67). Nach Teil 11 Tit. 20, § 1543 ALR sollten "Gewerbe und Verrichtungen, deren Betrieb mit besonderer Feuersgefahr verbunden, ... in Städten, Flecken, Dörfern und überhaupt in der Nähe von anderen, einer leichten Entzündung ausgesetzten Gebäuden nicht geduldet werden". Auflagen oder Bedingungen, von denen die Konzessionserteilung abhängig gemacht werden konnte, standen im Ermessen des Landesherm. Größere Relevanz in der Beschränkung frühindustrieller Fabrikbetriebe erlangte im Verlaufe der immissionsschutzrechtlichen Entwicklung in Preußen Teil I Tit. 8, § 69 ALR, wonach eine obrigkeitliche Erlaubnis insbesondere dann notwendig war, "wenn, es sei in Städten oder auf dem Lande, eine neue Feuerstelle errichtet, ... werden soll". Auch diese Vorschrift diente ganz vorrangig feuerpolizeilichen Zwecken, bot aber einen derart weiten Interpretationsspielraum, daß sie von der preußischen Ministerialbürokratie später auch in Fällen der Rauch- und Abgasbelästigung herangezogen wurde.

117 "Anstalten, in welchen die Verarbeitung oder Verfeinerung gewisser Naturerzeugnisse im großen betrieben wird" (Teil II Tit. 8, § 407 ALR). 118 Vgl. auch Rüjfer, Das gewerbliche Recht des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten vom 1. Juni 1794 und die Preußische gewerbliche Gesetzgebung von 1810 und 1811, 1903, S. 27 ff. 119 Für Abdeckereien ergaben sich Einschränkungen außerdem noch aus der Kurmärkischen Regierungsverordnung vom 13. März 1734. 120 Allgemein zur wirtschaftlichen Entwicklung und ihren Faktoren in Deutschland in dieser Epoche siehe Kellenbenz, Deutsche Wirtschaftsgeschichte, Bd. II, 1981, S. 11 ff.; Henning, Die Industrialisierung in Deutschland, 1800-1914, 7. Auf!. 1989,

S. 15 ff., 111 ff.

11. Frühindustrialisierung Die Industrialisierung, die in England um 1780 einsetzte und Mitte des 19. Jahrhunderts weite Teile Mitteleuropas erfaßt hatte, bedeutete nicht nur einen wirtschaftlichen und politischen Umbruch, sondern stellt auch umwelthistorisch eine wesentliche Zäsur dar. 120 Deutschland blieb zwar noch bis weit ins 19. Jahrhundert ein vorwiegend agrarisches Land. Bis 1835 hatte sich der überwiegende Teil des Gewerbes kaum von der vorindustriellen Produktionsweise herausgelöst und nur in einzelnen Bereichen, wie etwa im Bergbau, machten sich auch in Deutschland schon um die Jahrhundertwende Modernisierungen stärker bemerkbar. 121 Nach dem verzögerten Ingangkommen führte die Industrialisierung aber ab 1850 in Deutschland besonders rasch zu erheblichen Veränderungen. Innerhalb weniger Jahrzehnte wurde Deutschland von einem in halbfeudale Territorialstaaten zersplitterten Agrarland zu einem Industriestaat mit einheitlichen politischen und gesetzlichen Lenkungsformen. 122 Neben den allgemein- und wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen (liberalistische Wirtschaftspolitik, Einführung der Gewerbefreiheit etc.) sind für die hieraus entstehenden neuen industriellen Umweltprobleme vor allem die Entwicklungen im Maschinenwesen (insbesondere die Entwicklung der Dampfmaschine als erster standortunabhängiger Energieerzeugungsmaschine) und die Entwicklung der anorganischen Chemie 123 relevant. Der Übergang vom Holz zur fossilen Energie markiert den Beginn des relativen Energieüberflusses, der eine bis dahin nicht erahnte Reichtumsvermehrung und Bevölkerungsexplosion erlaubte. 124 Noch um 1800 lebten 90% der 23 Mio. Einwohner in Deutschland auf dem Land oder in Kleinstädten. Die restlichen 10 % lebten fast zur Hälfte in Städten mit nicht mehr als 20.000 Einwohnern und nur 15 % hiervon in Großstädten. Berlin und Hamburg waren die einzigen Städte über 100.000 Einwohner. Bis 1875 hatte sich die Bevölkerungszahl fast verdoppelt (43 Mio.) und bis 1914 verdreifacht (67 Mio.). Dieser Bevölkerungszuwachs betraf fast ausschließlich die Städte und industriellen Kernräume (Ruhr- und Saargebiet, Oberschlesien, 121 So wurde 1787 im Kupferschieferwerk Rothenburg an der Saale die erste aus England eingeführte - Dampfmaschine eingesetzt, 1794 in Oberschlesien die erste Dampfmaschine gebaut. 1796 wurde - ebenfalls in Oberschlesien - der erste Koksofen für den Verhüttungsprozeß in Betrieb genommen. 122 Wey, Umweltpolitik in Deutschland: Kurze Geschichte des Umweltschutzes in Deutschland seit 1900, 1982, S. 25. 123 Zur Geschichte der chemischen Industrie siehe Osterroth, Soda, Teer und Schwefelsäure: Der Weg zur Großchemie, 1985. 124 Sieferle (FN 11), S. 171 ff., 209 ff.

TI. Frühindustrialisierung

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Sachsen, Rheinprovinz). Die Stadt Essen etwa wuchs von 40.000 Einwohnern im Jahre 1800 auf 443.000 Einwohner im Jahre 1910, München von 40.000 auf 110.000 (1870) und 596.000 (1910), Frankfurt a.M. von 49.000 (1800) auf 415.000 (1910) und Berlin von 172.000 (1800) auf 800.000 (1870) und 3 Mio. (1900) Einwohner. 125 Bei den hieraus folgenden Umweltveränderungen handelte es sich vor allem um eine - zunächst noch flächenmäßig und auf die industriellen Verdichtungsgebiete begrenzte - Konzentration und Verstärkung von Raumansprüchen für Gewerbe-, Verkehrs- und Siedlungsflächen. Umweltrechtshistorisch sind in den Anfangen der Industrialisierung vor allem die immissionsschutzrechtlichen Entwicklungen insbesondere in Preußen hervorzuheben. Es ist immerhin bemerkenswert, daß hier schon in einer sehr frühen Phase, in der das Ausmaß künftiger Immissionsbelastungen noch kaum absehbar war, im Rahmen der Gewerbegesetzgebung eine gesetzliche Regelung geschaffen wurde, die dann über mehr als 100 Jahre praktisch weitgehend unverändert die Grundlage für den Immissionsschutz in Deutschland bildete. Gleichzeitig wird mit der Einführung einer generellen behördlichen Anlagenüberwachung ein allmählicher Übergang von der polizeilichen Generalkompetenz zur Kodifizierung umweltrelevanter Spezialbestimmungen erkennbar. Umweltrelevant sind daneben auch die im Zuge der Überwindung feudaler Wirtschafts- und Agrarstrukturen (Bauernbefreiung) erfolgten Veränderungen in den Bodennutzungsverhältnissen, insbesondere durch die Gemeinheitsteilungsund Separationsgesetzgebung, in der bisher gemeinschaftlich genutzte Flächen (Allmenden, Gemeinheiten usw.) durch Aufteilung in individuelle Nutzung überführt und Gemengelagen beseitigt (Separation, Flurbereinigung) wurden. 126 Auch die Beseitigung von Regalien 127 und der Übergang zur Privatwaldwirtschaft 128 hatten ökologische Auswirkungen. Vor allem im Bereich der Waldwirtschaft (aber auch der Jagd und Fischerei) gingen mit der Liberalisierung der 125 Vgl. zur Bevölkerungsentwicklung Kellenbenz (FN 120), S. 26 ff.; Engelsing, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Deutschlands, 1973, S. 143 ff.; Henning (FN 120), S. 17 ff.; zu den wesentlichen Aspekten der Stadtentwicklung vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis zum 1. Weltkrieg Reulecke, Geschichte der Urbanisierung in Deutschland, 1985. 126 Diese Reformen begannen schon im 18. Jahrhundert und ihre letzten Ausläufer reichen bis ins 20. Jahrhundert; siehe hierzu ausführlich Henning (FN 120), S. 37 ff.; zur Umweltrelevanz siehe Schildt, Die Gestaltung der modemen Kulturlandschaft durch Gemeinheitsteilung und Flurbereinigung, in: Calließ / Rüsen / Striegnitz (Hg.), Mensch und Umwelt in der Geschichte, 1989, S. 229 ff.; einen knappen Überblick über die (rechts-)geschichtliche Entwicklung der Flurbereinigung liefert" Frohberg, Flurbereinigung in den politischen Systemen Deutschlands, in: L6pez-Calera / Seele (Hg.), Politisches System und Bodenordnung, 1988, S. 39 ff. 127 Siehe oben S. 12 ff. 128 In Preußen z.B. durch das Edikt zur Beförderung der Landkultur vom 14.9.1811 (PrGS S. 3(0).

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11. Frühindustrialisierung

Bodennutzung auch ökologische Degenerationserscheinungen einher, die schon bald wieder zu gesetzlichen Einschränkungen führten. 129

1. Entwicklungen im Immissionsschutz a) Anfänge der industriellen Immissionsbelastung

Schon in der frühindustriellen Phase kristallisierten sich für die Luftbelastung wesentliche und bis heute bedeutsame Emittentengruppen heraus. Im wesentlichen handelte es sich um die chemische Industrie, die Montanindustrie sowie die Kohleverfeuerung und Kohleveredlung. Die Anfänge der chemischen Industrie in Deutschland liegen, nach einigen früheren Alaun- und Vitriol-Fabriken, in den Gründungen der ersten Sodafabriken um 1820 (u. a. in Berlin, Kassel, Mannheim). Danach beschränkte sich die chemische Industrie mehrere Jahrzehnte im wesentlichen auf die Produktion von Schwefelsäure und Soda. l3O Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts besaß Deutschland im Vergleich zu England jedoch nur eine relativ bescheidene chemische Industrie. 131 Das zur Soda-Herstellung angewendete Leblanc-Verfahren 132 leitete die modeme Geschichte der Luftschadstoffe ein. Den dabei anfallenden Soda-Rückständen, vor allem Calziumsulfid, wurde von der Chemieindustrie zunächst wenig Beachtung geschenkt. Sie wurden auf z.T. riesige Halden geschüttet, aus denen auch heute noch giftige Schwefelverbindungen emittieren (z. B. in Stolberg / Rheinland), aber etwa auch das Grundwasser gefährden. Als Nebenprodukt fiel außerdem Salzsäuregas (Chlorwasserstoff) an, das später große Bedeutung als Ausgangsprodukt für die Gewinnung von Chlor gewann, in den ersten Jahrzehnten der Soda-Fabrikation aber zum größten Teil in die Atmosphäre entwich, die Umgebung der Soda-Fabriken in stinkende Wolken hüllte und zu aufsehenerregenden Schädigungen von Tieren, Pflanzen und Gegenständen führte. 133 Ebenso wie schwefelhaltige Abwässer von den Rückstandshalden beeinträchtigten außerdem auch die säurehaitigen Abwässer der Soda-Fabriken die Gewässer. 129 Vor allem die süddeutschen Länder erließen bald umfassende Forstgesetze, z.B. Bayerisches Forstgesetz v. 28. März 1852 (GBL S. 69 ff.), Badisches Forstgesetz v. 15. November 1833 (Reg.BI. S. 5); in Preußen wurde lediglich durch Gesetz erneut die Möglichkeit zur Bildung von Waldgenossenschaften geschaffen (Preuss. Gesetz betreffend Schutzwaldungen und Waldgenossenschaften vom 6. Juli 1875, PrGS S.416); ähnliche Nutzungsbeschränkungen, die heute noch zu den Grundlagen der neueren einschlägigen Gesetzgebung gehören, führte man im Bereich von Jagd und Fischerei ein. 130 Speisberg (FN 99), S. 20 f. 131 Zur Entwicklung in England siehe Hardie / Prau, A History ofthe Modem British Chemical Industry, 1966. 132 Näher hierzu Osterroth (FN 123), S. 36 ff. 133 Speisberg (FN 99), S. 20 ff.; siehe hierzu auch Schramm, Soda-Industrie und Umwelt im 19. Jahrhundert, Technikgeschichte 51 (1984), 190 ff.

1. Entwicklungen im Immissionsschutz

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Die Probleme dieser Entwicklung der chemischen Industrie wurden auch in Deutschland erst sehr viel später in ihrer ganzen Tragweite erkannt. Nach der unübersehbaren Verwüstung ganzer Landstriche und zahllosen Beschwerden und Prozessen entspannte sich erst mit der Alkali-Akte von 1863 die Situation: In einem ersten nationalen "Umweltgesetz" wurden Emissionsgrenzwerte festgesetzt. Letztlich konnten die mit den Anfängen der Großchemie verbundenen Umweltprobleme aber erst dadurch gelöst werden, daß für die Rückstände und Nebenprodukte eine wirtschaftliche Verwertung gefunden wurde, 134 die ihrerseits allerdings vielfach wieder erst neue Umweltprobleme schuf. Auch Rauch und Ruß traten als Problem schon in der Frühphase der Industrialisierung auf. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde in Deutschland der eingetretenen Holzkrise mit gezielter Förderung des Kohleverbrauchs entgegengetreten. In Preußen gab es Mitte des 18. Jahrhunderts Prämien für Betriebe, die auf Kohle umstiegen. Und überall, wo die Steinkohle Holz als Brennstoff verdrängte, beklagte man Dreck und ungewohnten Geruch. Das "Zeitalter des Dampfes" machte schließlich "Rauch, Geruch und Getöse" I3S zu einem Synonym für industrielle Produktion. Zwar zogen in Deutschland noch nicht wie in England dichte Rauchschwaden über die Städte, 136 doch gab es auch hier schon des öfteren Beschwerden von Nachbarn über Rauchbelästigungen. 137 Auch dehnten sich bereits die sogenannten "Rauchblößen" in einigen Regionen um einzelne Chemiebetriebe, Hütten- und Walzwerke aus (etwa im Harz, in Sachsen, Oberschlesien und im rheinischen Stolberg).138 Angesichts verödeter Felder und Gärten sowie verkrüppelter Bäume entzündeten sich die Konflikte zunächst zwischen Grundbesitzern einerseits und Fabrikunternehmern und Hüttengesellschaften andererseits. Nach vereinzelten früheren Beschwerden kam es z. B. in der Umgebung der Freiberger Hütten in Sachsen wegen Vegetations schäden und Rindererkrankungen seit 1848 zu massiven Protesten der Landwirte und zu einer Flut von Schadensersatzprozessen. 139 Wo Kohle verbrennt, entweichen als sichtbare Rückstände Ruß und Staub, aber auch schweflige Säure 140 in die Atmosphäre. Darüber hinaus enthielten die Speisberg (FN 99), S. 21 ff.; Osterroth (FN 123), S. 43 ff. Wie es der Berliner Stadtbaurat Langerhans schon 1828 formuliert hatte, zitiert nach Mieck (FN (112), S. 1159. 136 Speisberg (FN 99), S. 17 ff. 137 Siehe die Beispiele bei Mieck, "Aerem corrumpere non licet": Luftverunreinigung und Immissionsschutz in Preußen bis zur Gwerbeordnung 1869, Technikgeschichte 34 (1967), S. 36 ff. 138 Siehe hierzu z.B. Andersen / Oft / Schramm, Der Freiberger Hüttenrauch 18491865. Umweltauswirkungen, ihre Wahrnehmung und Verarbeitung, Technikgeschichte 53 (1986), S. 169 ff. 139 Siehe hierzu ausführlich Andersen / Oft / Schramm (FN 138), 175 ff. 140 Bis etwa 1920 werden die wasserlöslichen Verbindungen des vierwertigen Schwefels in der Rauchschadensliteratur als "schweflige Säure" (H2 S03 ) bezeichnet. Historische Gewichts- und Volumenangaben beziehen sich in den meisten Fällen auf das 134

135

3 Kloepfer

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11. Frühindustrialisierung

Röstgase der Metallhütten schweflige Säure in z.T. hohen Konzentrationen. In einem Gutachten, mit dem ihn 1849 das Königlich-Sächsische Finanzministerium, Betreiber der fiskalischen Hütten zu Freiberg, beauftragt hatte, wies der Tharandter Agrarchemiker Adolph Stöckardt nach, daß die SOz-Emissionen (bzw. die schweflige Säure) für die Schäden an der die Hütten umgebenden Vegetation verantwortlich gemacht werden konnten, 141 und leitete damit eine sich über mehrere Jahrzehnte erstreckende Rauchschadensforschung ein. In späteren Laborversuchen wies er nach, daß auch geringste S02-Konzentrationen über längere Zeiträume zu Vegetationsschäden führen können. 142 Nach dem Bau eines Flugstaubkanals und eines 60 Meter hohen Schornsteins 1860 sowie der Einrichtung einer Schwefelsäurefabrik zur wirtschaftlichen Verwertung des Hüttenrauchs konnten Forstleute in der Umgebung von Freiberg das Erkranken und Absterben von Fichten auch in größerer Entfernung beobachten. 143

b) Anfänge der immissionsschutzrechtlichen Entwicklung in Preußen Das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten von 1794 hatte den erst allmählich heraufziehenden Problemen noch kaum Beachtung geschenkt. 144 Daher wurden schon wenige Jahre nach seinem Inkrafttreten ergänzende Bestimmungen notwendig. So verfügte ein Reskript des Generaldirektoriums 145 vom 5. April 1796 146 an alle zuständigen Behörden, Gerbereien, Korduanmachereien, Leirnkochereien und Darmsaitenfabriken dürften künftig nur noch an fließenden Gewässern und in Gebieten, "wo der freie Zug der Luft nicht durch enge Bebauung gehindert ist", angelegt werden. Begründet wurde diese Anordnung damit, daß "Gerbereien und mehrere andere Professionen, welche animalische Materialien verarbeiten und daher bei ihrem Betrieb bösartige, der Gesundheit schädliche Ausdünstungen erzeugen", einer zusätzlichen Regelung bedürften, da es "den Anwohnenden nicht nur höchst unbequem, sondern auch ihrer Gesundheit äußerst nachteilig ist, ... wenn dergleichen Professionen nicht an fließendem Wasser und an solchen Orten der Stadt, die weniger dicht bebaut und bewohnt sind, betrieben werden". Hier wurde erstmals zwischen gesundheitsschädlichen und bloß lästigen Einwirgasfönnige Schwefeldioxid (S02), auch wenn es "schweflige Säure" heißt (Speisberg (FN 99), S. 30). 141 Stäckardt, Über die Einwirkung des Rauches des Silberhütten auf die benachbarte Vegetation, Polytechnisches Centralblatt 16 (1850), Sp. 259 ff. 142 Vgl. Speisberg (FN 99), S. 32 f. 143 Vgl. Andersen / Ott / Schramm (FN 138), 189 ff. 144 Oben S. 28 f. 145 Einen knappen Überblick über die Organisation der preußischen Verwaltung liefert Sonnenberg, Hundert Jahre Sicherheit, 1968, S. 116 ff. 146 In: Rabe, Sammlung preußischer Gesetze und Verordnungen, Bd. 3,1817, S. 318.

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kungen unterschieden. Eine Ergänzung hierzu erfolgte durch ein Reskript vom 21. August 1798. 147 In ihrer Schärfe wurde diese Verfügung zwar durch ein Reskript vom 21. Januar 1800 148 wieder zurückgenommen: Als es um "die mögliche Entfernung der mit bösartiger Ausdünstung und animalischen Stoffen verbundenen Gewerbe ... aus der Mitte der Städte" ging, vertrat das Generaldirektorium - wohl auch mit Blick auf die der Gewerbeförderung verpflichtete merkantilistische Wirtschaftspolitik - die Auffassung, daß eine Gerberei, auch wenn sie nicht an einem fließenden Gewässer gelegen sei, nicht in jedem Fall zu Gesundheitsbeeinträchtigungen bei den Nachbarn führen müsse und ein strenges allgemeines Verbot deshalb nicht angebracht sei. Letztlich verlagerte man hiermit die Entscheidung wieder auf die lokalen Behörden. 149 Allerdings wurde ein Problem deutlich, mit dem die preußischen Behörden bis zum Erlaß der Gewerbeordnung konfrontiert sein sollten. Eingriffe in das Eigentum konnten in Preußen an sich schon nicht mehr ohne gesetzliche Grundlage vorgenommen werden. 150 Das hinderte die zuständigen Ministerien und Behörden nicht, in der Folgezeit durch eine äußerst weite Auslegung von Vorschriften des ALR und auch zahlreiche ministerielle Reskripte, die z.T. contra legern ergingen, Einschränkungen für immissionsverursachende Gewerbe vorzunehmen. So wurde aus der relativ vagen Formulierung in Teil 11 Tit. 20, § 1543 ALR 151 die Befugnis zur Einschränkung von Eisengießereien, EisengußwarenFabriken, Gasbereitungs-Anstalten, Kalkbrennereien, Kohlenschwelereien, Teerund Pechfabriken und Glashütten abgeleitet. Teil I Tit. 8, § 69 ALR wurde zur Reglementierung von Dampfmaschinen-Anlagen, aber auch Gasbereitungs-Anstalten herangezogen. Eine weitere Verfügung des Generaldirektoriums vom 23. Oktober 1801 152 reglementierte Firnißkochereien und Lackfabriken. Danach war Firnißkochen zwar in der Stadt erlaubt, aber nur dort, "wo der Geruch den Nachbarn nicht lästig wird". Ein Ministerialreskript vom 28. Oktober 1823 153 diente der Einschränkung von Darmsaiten-Fabriken, Fettschmelzereien, Leimkochereien, Knochenbrennereien, Poudrette- und Uratfabriken. Andere Verfügungen betrafen z. B. Ziegeleien 154 und Knochenstampfmühlen. 155 Als 1827 die Vorarbeiten für eine allgemeine Schutzgesetzgebung begannen, gab es über ein Rabe (FN 146), Bd. 5, 1817, S. 186 f. Rabe (FN 146), Bd. 6, 1818, S. 9 f. 149 Vgl. hierzu und zum folgenden Mieck (FN 137), 40 f. 150 Teil I Tit. 8, § 32 ALR. 151 Oben S. 29. 152 In: Kamptz (Hg.), Annalen der preußischen inneren Staatsverwaltung, Bd. 9 (1825), S.21O. 153 Vgl. Mieck (FN 137), 53. 154 Ministerialverfügung vom 9. Juni 1829, in: Kamptz (FN 152), Bd. 13, 1829, S. 395 f. 155 Verordnung der Regierung in Minden vom 22. Dezember 1829, in: Kamptz (FN 152), Bd. 13, 1829, S. 906 f. 147

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Dutzend einschlägiger Bestimmungen, die teils in ganz Preußen, teils nur in einzelnen Landesteilen galten. 156 So wurden 1812, 1830 und 1832 insgesamt drei chemische Fabriken in Berlin verlegt und außerhalb des Stadtgebiets weitergeführt. Zwei dieser Fabriken hatte die Polizeibehörde - unter großzügiger Interpretation der Verfügungen von 1796/1798/1800/1823 - anderenfalls mit der Schließung gedroht. 157 Der Verlegung des Betriebs von Berend-Kunheim 1832 war eine Beschwerde von Nachbarn mit 70 Unterschriften vorausgegangen, nach der beim Knochenbrennen und Teerkochen ein starker Gestank und Qualm entstanden sei, der bei den Nachbarn zu Atem- und Schlafbeschwerden, Erbrechen und sogar Ohnmachtsanfällen geführt habe. Die juristische Legitimation der polizeilichen Maßnahmen blieb gleichwohl zweifelhaft, insbesondere wenn es um bloße Belästigungen der Nachbarschaft ging. Seit Einführung der Gewerbefreiheit 158 durch das Oktoberedikt von 1807 159 und das Gewerbesteueredikt vom 2. November 1810,160 nach dem die Eröffnung eines Gewerbebetriebes allein von der Lösung eines Steuerscheines abhängig sein sollte, war außerdem unklar, inwieweit Fabriken überhaupt noch konzessionspflichtig waren. Zwar waren im Steueredikt (§ 21) Ausnahmen vorgesehen für 34 Gewerbe, "bei deren ungeschicktem Betrieb gemeine Gefahr obwaltet" oder für die Unbescholtenheit vorausgesetzt wurde, von Fabriken war jedoch keine Rede. 161 Es mußten sich lediglich alle Gewerbetreibenden nach § 18 des Steueredikts den Beschränkungen unterwerfen, die "die Aufrechterhaltung einer guten Policey" erforderten. Dagegen war mit Einführung der allgemeinen Mühlenfreiheit in Preußen ein präventiv-polizeiliches Genehmigungsverfahren eingeführt worden,162 in dem polizeiliche Belange überprüft wurden und Nachbareinwendungen gegen das bekanntzumachende Vorhaben vorgebracht werden konnten. Auch das Gewerbepolizei-Gesetz von 1811,163 das den Kreis der erlaubnispflichtigen Gewerbe erweiterte, brachte für die Frage der Konzessionspflichtigkeit von Fabriken keine Klarheit. Nach § 3 der Instruktion zur Geschäftsführung der Regierungen in den Königlich Preußischen Staaten vom 23. Oktober 1817 164 waren zwar die Regierungen 156 Mieck (FN 137), S. 49. 157 Ausführlich hierzu Mieck (FN 137), S. 41 ff. 158 Vgl. hierzu Rüffer (FN 118), S. 251 ff., 281 ff. 159 PrGS S. 170. 160 PrGS S. 79. 161 Es handelte sich um Gewerbe wie Ärzte, Apotheker, Maurer, Lotsen, aber z.B. auch Seiltänzer und Schauspieldirektoren. 162 Edikt vom 29. März 1808, in: Rabe (FN 146), Bd. 9, S. 176; Edikt vom 28. Oktober 1810 (PrGS S. 95). 163 PrGS S. 263.

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für die Erteilung von Konzessionen zuständig, "bei wichtigen Fabrikanlagen und bei allen Beschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit" blieb aber dem Ministerium die Entscheidung vorbehalten. Die Regierung in Liegnitz erhielt 1836 auf eine Anfrage in Berlin die Auskunft, Fabrikanlagen bedürften keiner besonderen Konzession, sofern nicht bau- oder feuerpolizeiliche Genehmigungen erforderlich wären. 165 Gesetzliche Grundlage hierfür waren die erwähnten Vorschriften des ALR, die unter Umständen einen weiten Interpretationsspie1raum boten, aber die gewerbehygienischen Zwecke der oben erwähnten Reskripte nur bedingt deckten. Allerdings ging es den zuständigen Behörden nicht primär darum, bestimmte Gewerbe völlig einzuschränken. Hauptziel der behördlichen Reglementierung war es, störende oder lästige Gewerbe von den Wohnbezirken fernzuhalten, so daß die Konzessionserteilung in der Regel eine Standortfrage war. Es wurden aber zunächst auch relativ problemlos Auflagen hinsichtlich der Betriebsweise und der Produktion erlassen. So wurde den Duisburger Kaufleuten Matthes und Weber 1838 die Genehmigung für eine Soda-Fabrik nur unter verschiedenen Auflagen, die die innere Einrichtung der Fabrik betrafen, erteilt. Sie mußten sich außerdem verpflichten, "wenn künftig noch bessere Vorkehrungen zur Verhütung des Entweichens nicht absorbierter salzsaurer Dämpfe" entwickelt und erprobt sein würden, diese in ihrer Fabrik anzubringen. Die begehrte Erlaubnis zur Herstellung von Chlorkalk wurde verweigert. 166 Der Grundkonflikt zwischen der Liberalisierung des Wirtschaftslebens durch die Gewährleistung von Gewerbefreiheit und der Abwehr gesundheitlicher Gefahren für die Bevölkerung mußte jedenfalls in den ersten Jahrzehnten im wesentlichen von den zuständigen Behörden ausgetragen werden. Dabei konnte die lokale Polizei - aufgrund des Fehlens einer einheitlichen Regelung - im wesentlichen ihre Vorstellungen durchsetzen, kam jedoch auch vielfach mit der oft gewerbefreundlicheren Haltung des Ministeriums in Konflikt. Wohl die umfassendste gesetzliche Grundlage für die Einschränkung gewerblicher Emissionen und vielleicht das interessanteste Teilstück frühindustrieller Umweltschutzgesetzgebung in Preußen stellt ein französisches Gesetz dar, das in einigen Teilen der 1815 an Preußen gefallenen westlichen Gebiete galt. In diesen 1810 von Frankreich annektierten Gebieten waren die gewerbepolizeilichen Bestimmungen von 1810/11 nicht in Kraft gesetzt worden, so daß dort weiterhin der status quo der Gewerbeverfassung galt. Ursprünglich war die EinPrGS S. 250. Mieck (FN 137), 44 f. 166 Vgl. Mieck (FN 137),46 f. Nach jahrelangen Verhandlungen, Gutachten und nachbarlichen Einsprüchen wurde aber auch diese Genehmigung schließlich 1848, nachdem die Fabrik in ein kaum bewohntes Gebiet verlegt worden war, doch erteilt. 164

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führung des ALR geplant gewesen, die Immediatkommission zur Revision der rheinischen Gesetze beschloß jedoch die Beibehaltung des französischen Rechts. 167 So kam es, daß in weiten Teilen Nordwestdeutschlands ein französisches Immissionsschutzgesetz galt und angewendet wurde, das Decret imperial relatif aux Manufactures et Ateliers qui repondent une Odeur insalubre ou incommode du 15 Octobre 1810 (Dekret betreffend die Manufacturen und Werkstätten, die einen ungesunden oder ekeln Geruch verbreiten, offizielle Übersetzung). 168 Dieses Dekret, das auf einem Gutachten der "Section de chirnie de la classe des sciences physiques et chimiques" des Institut de France aufbaute, 169 bestimmte, daß alle Betriebe, die unangenehme und ungesunde Dünste verbreiteten, zu ihrer Errichtung der Erlaubnis der Verwaltungsbehörde bedürften. Entsprechend dem Grad der zu erwartenden Belästigung oder Gefährdung wurden die Anlagen in drei Klassen eingeteilt. Die Betriebe der ersten Klasse, die z. B. neben Anlagen zur Verarbeitung tierischer Produkte auch chemische Fabriken sowie Feuerwerkhersteller, Kohlenschweler, Torfbrenner, Lackfabriken umfaßte, durften nicht in Wohngebieten errichtet werden. Zur zweiten Kategorie, deren Betriebe in der Nähe von Häusern zwar geduldet werden konnten, aber besonderer Überwachung bedurften, gehörten z.B. Gerber, Färber, Wachstaft- und Bleiweißfabriken, Metallgießereien und vor allem auch Dampfmaschinen. Die dritte Kategorie umfaßte Betriebe, bei denen man kein Sicherheits- oder Gesundheitsrisiko erwartete und die deshalb überall genehmigt werden konnten, z. B. Betriebe zur Herstellung von Alaun- und Kupfersulfat, Seifenfabriken, Brauereien etc. Entsprechend der in Frankreich schon weiter fortgeschrittenen Industrialisierung umfaßte das Dekret auch Betriebe, die vor allem durch ihre Rauchentwicklung störend oder gefährlich waren und erübrigte deshalb in seinem Geltungsbereich die oft recht weiten Interpretationen allgemeiner Gesetze, mit denen man im restlichen Preußen gegen derartige Anlagen vorging. Das Dekret enthielt allerdings auch sachliche und redaktionelle Mängel und war schon 1815 in Frankreich modifiziert worden. In Preußen galt jedoch weiterhin die ursprüngliche Fassung. Die Aachener Regierung hatte zwar dem Ministerium 1823 Vorschläge zur Ergänzung und Modifizierung der in den Rheinprovinzen noch geltenden französischen Bestimmungen vorgelegt. Im Ministerium sah man jedoch keine Veranlassung, diese zu realisieren und vertrat im übrigen die Auffassung, daß zur Beschränkung solcher Anlagen ein besonderes Gesetz nicht erforderlich sei. 170 Vgl. Latz, Geschichte des deutschen Beamtentums, 1909, S. 352. Recueil des lois, decrets et avis du conseil d'etat publies dans les departements de I'Ems-Superieur, des Bouches-du-Wes!?r, et des Bouches-de-I'Elbe, tom. 4, Paris 1811, p. 452-61 (mit amtlicher deutscher Ubersetzung). 169 Zu Entstehung und Inhalt des Dekrets siehe Mieck, Luftverunreinigung und Immissionsschutz in Frankreich und Preußen zur Zeit der frühen Industrialisierung, Technikgeschichte 48 (1981), 239 ff., 240 ff. 170 Vgl. Mieck, (FN 137), 52. 167

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c) Anfänge der Dampfkessel-Gesetzgebung in Preußen Was für die allgemeine Immissionsschutzgesetzgebung erst 1845 gelang, wurde mit einer landeseinheitlichen gesetzlichen Regelung für die Aufstellung und den Betrieb von Dampfmaschinen bereits 1831 verwirklicht. Bis dahin ergingen Genehmigungen vornehmlich auf der Grundlage von Teil I Tit. 8, § 69 ALR bzw. des Dekrets von 1810. Die zunehmende Verwendung von Dampfmaschinen und die sich dadurch steigernde Belästigung der Nachbarschaft durch Lärm und Dampf, aber vor allem auch die Gefahr von Dampfkesselexplosionen, hatte schon in den 20er Jahren den Erlaß einschlägiger Bestimmungen dringlich gemacht. 1824 beobachtete der spätere Finanzminister Maaßen angesichts des zunehmenden Gebrauchs von Dampfmaschinen einen "Mangel an gehöriger Berücksichtigung der Lokal-Umstände und Achtsamkeit". Unter Verweis auf ein am 6. Mai 1824 im Königreich der Niederlande erlassenes Sicherheitsgesetz für Dampfkessel hielt er auch in Preußen den Erlaß von Vorschriften zum Schutz der öffentlichen Sicherheit für erforderlich. 171 Die erste offizielle ministerielle Stellungnahme zur Frage einer gesetzlichen Regelung stammt jedoch erst vom 12. April1828. 172 Im Ministerium befürchtete man, die Entwicklung der Industrie könne durch eine zu starke Reglementierung behindert werden und hielt es außerdem auch "mit Rücksicht auf die neueren wissenschaftlichen Erfahrungen" für verfrüht, "das Königliche Polizei-Präsidium schon jetzt mit einer ausführlichen Instruktion zu versehen ... ". Von seiten der Polizei oder des Berliner Magistrats bedenklich erscheinende Fälle sollten der Entscheidung des Ministeriums zugeführt werden. Infolge dieser Haltung des Ministeriums herrschte bei den lokalen Behörden in den Einzelfällen große Unsicherheit, was zu häufigen Anfragen beim Ministerium führte und die Genehmigungserteilung stark verzögerte. Im Geltungsbereich des Dekrets von 1810 waren zudem einige Behörden geneigt, ihre Reglementierungsmöglichkeiten in weitem Umfang auszuschöpfen. Der Tuchfabrikant Startz aus Aachen hatte sich deshalb am 3. Januar 1829 in einer Eingabe an das Ministerium beschwert, bis zur Erteilung einer Genehmigung vergehe über ein Jahr, was auf die Industrie nachteilig wirke. Es werde "eine fast leidenschaftliche Unternehmungslust erfordert, um seine Entwürfe, immer im Kriege mit der öffentlichen Verwaltung, zur Ausführung zu bringen". Mit dieser Beschwerde stand er nicht allein. Auch hielten viele Unternehmer inzwischen eine allgemeine gesetzliche Regelung für sinnvoll und erforderlich. Jedoch noch in einem Reskript des Ministeriums des Innern an die Aachener Regierung vom 26. November 1829 - die Aachener Regierung hatte, veranlaßt durch eine 171

Mieck (FN 137), 61; Sonnenberg (FN 145), S. 141.

Reskript des Königlichen Ministeriums des Innem, an das Königliche PolizeiPräsidium zu Berlin, die bei Anlegung und Behandlung der Dampfmaschinen anzuwendenden Vorsichtsmaßregeln betreffend, in: Kamptz (FN 152), Bd. 12 (1828), S. 487 f. 172

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Dampfkesselexplosion dem Ministerium am 26. Januar 1829 einen eigenen Entwurf eines Dampfkessel-Gesetzes vorgelegt - wird ein allgemeines Gesetz über die Konstruktion von Dampfmaschinen weder für zweckmäßig noch für "nach allgemeinen Rechts-Prinzipien hinreichend" begründbar gehalten. 173 Erst unter dem Eindruck zahlreicher Rückfragen und weiterer Initiativen einzelner Provinzialregierungen 174 sowie einer Petition der rheinischen Provinzialstände vom 18. Juni 1830 175 kam es auch beim Ministerium zu einem Sinneswandel: Am 31. Januar 1831 erging zunächst die "Allerhöchste Kabinettsorder die Anlagen und den Gebrauch der Dampfmaschinen betreffend", 176 die die Aufstellung und den Betrieb von Dampfmaschinen prinzipiell erlaubnispflichtig machte. Ergänzend hierzu wurde am 13. Oktober 1831 eine Instruktion 177 zur Vollziehung der Kabinettsorder erlassen, die, basierend auf Gutachten der Technischen Deputation für Gewerbe, genaue Richtlinien hinsichtlich des Orts der Anlage, der Höhe der Schornsteine (60 Fuß) und auch technische Einzelheiten der Dampfkesseleinrichtung enthielt. 178 Durch eine ergänzende Kabinettsorder vom 27. September 1837 179 wurde die Genehmigungspflicht auf alle Arten von Dampfkesselanlagen ausgedehnt. Die Instruktion vom 13. Oktober 1831 wurde durch das Regulativ, die Anlage und den Gebrauch von Dampfkesseln und Dampfentwicklern betreffend, vom 6. Mai 1838 180 aufgehoben. Hiermit wurden die technischen Vorschriften noch einmal verschärft. Auch sollte die Höhe der Schornsteine (60 Fuß hatten sich als regelmäßig unzureichend erwiesen) von nun an durch Art und Menge des Brennmaterials bestimmt werden. Bei allen größeren Dampfkesseln (6 Atmosphären Dampfspannung) sollten Schornsteine soweit erhöht werden, "wie es zur Abwendung von Belästigungen" erforderlich war. Die Dampfkessel-Gesetzgebung - ursprünglich auf die Vermeidung von Dampfkessel-Explosionen abzielend - konnte mit ihrem weiteren Ausbau auch Fortschritte beim Immissionsschutz erzielen, da die technischen Verbesserungen der Dampfkessel-Einrichtungen auch Einfluß auf die Luftverunreinigung und die Lärmentwicklung hatten. Im Königreich Sachsen, dem nach Preußen am stärksten industrialisierten deutschen Staat, wurde das erste Dampfkessel-Gesetz 1849 erlassen. In den übrigen deutschen Staaten ergab sich die Notwendigkeit gesetzlicher Regelungen erst später. Hier sind gesetzliche Regelungen durchweg in enger Anlehnung an die entsprechenden preußischen Bestimmungen entstanden. 181 173 In: Kamptz (FN 152), Bd. 13 (1829), S. 886 ff.; zum Inhalt des Aachener Entwurfs, der weiter ging als die spätere Kabinettsorder, siehe Sonnenberg (FN 145), S. 144 ff. 174 In Düren war z. B. im Februar 1829 ein "Entwurf zu einer Polizei-Verordnung für die Hochdruckmaschinen" ausgearbeitet worden, vgl. Mieck (FN 137), 62. 175 Vgl. Sonnenberg (FN 145), S. 147. 176 PrGS S. 243. 177 PrGS S. 244. 178 Vgl. hierzu Sonnenberg (FN 145), S. 97 ff., 148 ff. 179 PrGS S. 146. 180 PrGS S. 262.

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d) Preußische Gewerbeordnung von 1845 Bemühungen hinsichtlich einer allgemeinen Immissionsschutzgesetzgebung hatte es schon vor Erlaß des Dampfkessel-Gesetzes gegeben. Zweifel am bedingungslosen Wirtschaftsliberalismus hatten schon seit den 1820er Jahren zu Überlegungen bei den obersten preußischen Behörden hinsichtlich einer Revision der Gewerbeverfassung geführt. Dabei lag der Schwerpunkt allerdings auf den arbeits- und sozialpolitischen Überlegungen. Immerhin hatte aber 1827 König Friedrieh Wilhelm Uf. den Innenminister beauftragt, eine allgemeine Verordnung "wegen der Anlage von Fabriken und des Betriebes von Gewerben in bebauten Gegenden" auszuarbeiten. 182 1831 legte schließlich der Polizeirat Bretzing den Entwurf eines Gesetzes über die Beschränkung der gewerblichen Benutzung des Grundeigentums vor. 183 Dieser Entwurf differenzierte für den hier relevanten Zusammenhang nach dem Gefahren- und Belästigungsgrad der verschiedenen jeweils ausdrücklich aufgezählten Gewerbe. Bestimmte Gewerbe, deren Betrieb "einer großen Zahl ... der Menschen sehr große Unannehmlichkeiten etwa selbst bis zum Erbrechen ... (bereitet)", sollten in bewohnten Gegenden unzulässig, in unbewohnten Gegenden erlaubnispflichtig sein. Für bereits bestehende Fabriken sah der Entwurf eine Verlegung aus den Städten vor. Weitere Gewerbe, die, ohne mit einer "gemeinen Gefahr" verbunden zu sein, "bloß unangenehme und belästigende Dünste verbreiten", sollten zwar unter bestimmten Bedingungen in Wohngegenden zulässig, aber von einer polizeilichen Erlaubnis abhängig sein. Gewerbe, mit denen "eine Belästigung des Publikums verbunden ist", weil ihre Tätigkeit "Lärm oder die Entwicklung von Dampf und Rauch in Massen unvermeidlich" macht, sollten in Wohngegenden nur bei geeigneten Maßnahmen zur Abstellung oder Verminderung des Übelstandes betrieben werden dürfen. 184 Der Entwurf enthielt also zwar ausführliche gewerbehygienische Bestimmungen, bezog sich aber in seiner Gesamtheit nicht nur auf den Schutz der Öffentlichkeit vor industriellen Abgasen, Lärm usw., sondern beabsichtigte eine Reglementierung fast aller gewerblichen Bereiche und stand damit zunächst noch in eklatantem Widerspruch zur praktizierten Gewerbefreiheit. Er wurde deshalb vom Ministerium, das eine künftige Gewerbeordnung nicht präjudizieren wollte, nicht weiter verfolgt. Der Bretzing' sehe Entwurf hatte aber schon gezeigt, daß der Trend noch nicht wie in Frankreich zu einem "Umweltschutz"- oder Immissionsschutzgesetz ging, sondern eine Einbindung in eine allgemeine Gewerbegesetzgebung beabsichtigt war.

181 182

183 184

Sonnenberg (FN 145), S. 96. Mieck (FN 137), 54.

Ausführlich zu Entstehung und Inhalt des Entwurfs Mieck (FN 137), 54 ff. Eingehend hierzu Mieck (FN 137), 57 ff.

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Die Allgemeine Gewerbeordnung für Preußen 185 (PrGewO) wurde dann erst am 17. Januar 1845 erlassen. Sie enthielt u.a. die erste landesrechtliche l86 und in ganz Preußen geltende gewerbehygienische Schutzgesetzgebung. Dabei liegt die Bedeutung der betreffenden Vorschriften der Gewerbeordnung weniger darin, daß die Beschränkung störender Gewerbe prinzipiell neu geregelt wurde, sondern vielmehr darin, daß hier Erlasse, Verfügungen, Deklarationen und praktische behördliche Erfahrungen im gewerbehygienischen Bereich eines halben Jahrhunderts zusammengefaßt, präzisiert und im Rahmen eines Landesgesetzes vereinheitlicht wurden. Gesetzgebungstechnisch und in den Verfahrensregelungen orientierte sich der gewerbehygienische Teil der Gewerbeordnung (wie übrigens auch die älteren Entwürfe) vor allem an der französischen Immissionsschutzgesetzgebung. Parallelen sind etwa die Unterscheidung zwischen genehmigungspflichtigen und genehmigungsfreien Anlagen und die Aufzählung der jeweils genehmigungspflichtigen Anlagen, oder auch die Verfahrensbeteiligung Dritter. Hier machte sich der ohnehin starke Einfluß des französischen Verwaltungsrechts auf die damalige Entwicklung des preußischen Verwaltungsrechts bemerkbar. Nach § 26 Nr. 1 PrGewO war jetzt allgemein "zur Errichtung gewerblicher Anlagen, welche durch die örtliche Lage oder die Beschaffenheit der Betriebsstätte für die Besitzer oder Bewohner der benachbarten Grundstücke, oder für das Publikum überhaupt erhebliche Nachtheile, Gefahren oder Belästigungen herbeiführen können" eine besondere polizeiliche Genehmigung erforderlich. Genehmigungsbehörde waren die Bezirksregierungen (§ 28 PrGewO). Der Kreis der in Frage kommenden Anlagen war in § 27 PrGewO aufgezählt. Die meisten der hier genannten Anlagen waren auch bisher schon erheblichen Beschränkungen unterworfen gewesen. Die Anlagen, die bisher zum Teil spezialgesetzlich einem Genehmigungsverfahren unterworfen waren, wurden jetzt ebenfalls vom allgemeinen gewerberechtlichen Genehmigungsverfahren umfaßt, also vor allem Dampfmaschinen, Dampfkessel und Dampfentwickler, durch Wasser oder Wind bewegte Triebwerke (Mühlen etc.), wobei allerdings die hinsichtlich dieser Anlagen ergangenen besonderen (vor allem technischen) Vorschriften weiterhin anzuwenden waren (§§ 37, 38, 39 PrGewO). Genehmigungspflichtig waren auch Veränderungen der Betriebsstätte (§ 36 Abs. 2 PrGewO). Dem Genehmigungsantrag mußten die zur Erläuterung erforderlichen Zeichnungen, Pläne usw. beigefügt sein (§ 28 PrGewO).187 War die beabsichtigte Anlage ,,nach dem Ermessen der Regierung mit so erheblichen Nachtheilen, Gefahren oder Belästigungen für die Nachbarn oder für das Publikum überhaupt verbunden", daß ihre Unzulässigkeit 185 PrGS S. 41. 186 In Württemberg z. B. ergeht 1854 eine Ministerialverfügung über das Verfahren der Erteilung gewerblicher Konzessionen (RegBI. S. 87) und 1862 die Gewerbeordnung (RegBI. S. 67); Sachsen erläßt erst 1861 ein Gewerbegesetz (GVBI. S. 187); das Gewerbegesetz von Braunschweig datiert von 1864 (GV-Slg. S. 145). 187 Auch dieses Erfordernis wurde schon in früheren Konzessionsverfahren praktiziert, vgl. Mieck (FN 137), 72.

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evident war, konnte die Genehmigung ohne weiteres verweigert werden (§ 29 Abs. 1 PrGewO). Anderenfalls wurde das Vorhaben öffentlich bekanntgemacht mit der Aufforderung, Einwendungen innerhalb einer Frist von 4 Wochen anzumelden (§ 29 Abs. 2 PrGewO). Nach Ablauf dieser Frist waren nicht-privatrechtliche Einwendungen präkludiert (§ 29 Abs. 3 PrGewO). 188 Die privatrechtlichen Einwendungen wurden zur richterlichen Entscheidung verwiesen, ohne daß von ihnen der weitere Gang des polizeilichen Genehmigungsverfahrens abhängig war (§ 31 Abs. 1 PrGewO). "Andere" (nicht-privatrechtliche) Einwendungen waren von der Polizeibehörde zu erörtern (§ 31 Abs. 2 PrGewO) und im Genehmigungsverfahren zu berücksichtigen. Die Genehmigung, in deren Verfahren auch die Beachtung der bestehenden bau-, feuer-, gesundheits- oder sonst spezialpolizeilichen Vorschriften zu prüfen war, konnte mit Auflagen versehen werden (§ 32 PrGewO). Die Möglichkeit nachträglicher Anordnungen war jedoch nicht vorgesehen. Bei erst nach der Genehmigungserteilung auftretenden Nachteilen und Gefahren konnte gegen die Anlage gewerbepolizeilich nur nach § 69 PrGewO (Untersagung des weiteren Betriebs der Anlage unter Schadensersatzleistung) vorgegangen werden. Gegen den Bescheid der Genehmigungsbehörde stand dem Antragsteller und den Einwendern der, auch bisher schon möglich gewesene, Rekurs beim Ministerium offen (§ 33 Abs. 1 PrGewO). Ein Rechtsweg war jedoch nicht eröffnet. 189 Die privatrechtlichen Einwendungen konnten zur Stillegung einer Anlage durch das ordentliche Gericht führen. 190 Zunächst war zwar die Frage, wann eine Einwendung privatrechtlicher Natur vorlag, äußerst umstritten. 191 In der Rechtsprechung setzte sich aber schließlich die Auffassung durch, daß alle Einwendungen, die auf "allgemeine oder besondere Gesetze begründet werden, überhaupt solche, die darauf beruhen, daß durch die beabsichtigte Anlage ein Eingriff in die dem Widersprechenden zustehenden Privatrechte geschehe", insbesondere also auch allgemein nachbarrechtliche Einwendungen, privatrechtlicher Natur seien. 192 Dies war eine eher vermittelnde Haltung zwischen den beiden extremen Auffassungen, die entweder nur Einwendungen aus besonderen Privatrechtstiteln kannten oder alle Einwendungen, die auf dem allgemeinen Grundsatz der Ausschließlichkeit und Unverletzlichkeit des Eigentums begründet waren, als privatrechtliche Einwendungen behandelten. 193 Für den Genehmigungsempfänger be188

Zu Begriff und Funktion von Präklusionsregelungen im geltenden Recht siehe

Kloep[er, Umweltrecht, 1989, § 4, Rn. 72 ff. 189 §§ 1, 2 RechtswegG vom 11. Mai 1842 (PrOS S. 192).

190 Ministerialreskript vom 16. Februar 1847 (PrMBl. 1849, S.229), danach beschränkte sich die Genehmigung auf die Feststellung, daß "im landespolizeilichen interesse kein Bedenken" gegen die Anlage bestand; zur materiellen Präklusion privater Rechte Dritter vor 1845, insbesondere zu den schärferen Präklusionsregelungen des älteren Mühlenrechts, siehe Preu (FN 101), S. 35 ff. 191 Siehe hierzu Preu (FN 101), S. 39 f. m. w.N. 192 PreußObertribunal vom 15. November 1864, E 53, 146 (155). 193 Vgl. Preu (FN 101), S. 39 f. m. w. N.

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deutete dies aber immer noch eine erhebliche Unsicherheit. 194 Auch im Hinblick auf spätere Schadensersatzansprüche von durch die Anlage Geschädigten hatte die Genehmigung keine Legalisierungswirkung. 195 Die Preußische Gewerbeordnung erfuhr schon bald Änderungen und Ergänzungen. 1848 und 1856 ergingen neue Vorschriften über die Aufstellung von Dampfkesseln. 196 Das Gesetz betreff die Errichtung gewerblicher Anlagen vom 1. Juli 1861 197 zielte vor allem auf eine schnellere Bearbeitung der Genehmigungsanträge. Zu diesem Zweck wurde z.B. die Einwendungsfrist auf 14 Tage verkürzt. Nach § 10 konnte außerdem die Genehmigungsbehörde auf Antrag des Unternehmers von der öffentlichen Bekanntmachung einer Veränderung absehen, wenn nach ihrer Überzeugung die Veränderung keine neuen oder größeren Nachteile, Gefahren oder Belästigungen als mit der vorhandenen Anlage verbunden, herbeiführen werde. Die Liste der genehmigungspflichtigen Betriebe wurde um bestimmte Anlagen ergänzt, andere Anlagen wurden gestrichen. Das Verfahren zur Genehmigung von Dampfkesselanlagen wurde erheblich vereinfacht, insbesondere das Einwendungsverfahren abgeschafft. e) Reichsgewerbeordnung von 1871

Die preußische Gewerbegesetzgebung von 1845 mit ihren Ergänzungen von 1848, 1856 und 1861 wurde in ihrer Gesamtkonzeption und den meisten Einzelregelungen für das Gebiet des Norddeutschen Bundes in der Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes vom 21. Juni 1869 198 und wenig später für das Deutsche Reich 199 übernommen. § 16 S. 1 RGewO, der § 26 Nr. 1 PrGewO wörtlich entsprach, statuierte hier die Genehmigungspflicht für gefahrliche oder lästige Anlagen, wobei die Liste der genehmigungsbedürftigen Anlagen etwas erweitert wurde. Neben der Veränderung der Betriebsstätte (§ 25 Abs. 1 S. 2 RGewO) bedurfte jetzt auch eine 194 Dagegen blieben in Sachsen nur Privatrechte, die auf besonderen Rechtstiteln beruhten, unberührt (§ 31 der AusführungsV zum GewG von 1861, GVBl. S. 225); siehe hierzu Preu (FN 101), S. 40 f. 195 PreußObertribunal vom 7. Juni 1852, E 23, 252 (265 ff.). 196 Regulativ die Anlage von Dampfkesseln betreffend, vom 6. September 1848 (PrOS S. 321); Gesetz den Betrieb der Dampfkessel betreffend vom 7. Mai 1856 (PrOS, S. 295), durch das zum erstenmal eine Dampfkesselüberwachung eingeführt wurde. 197 PrOS S. 749. 198 BGBI. des Norddeutschen Bundes, S. 245. 199 Durch Art. 4 Nr. 1 der Reichsverfassung wurde die Regelung des Gewerbebetriebs reichsgesetzlicher Zuständigkeit zugewiesen und die Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes durch § 2 des Gesetzes vom 16. April 1871, betreffend die Verfassung des Deutschen Reichs, zum Reichsgesetz erklärt. Erst ab 1869 kommt es auch zur Schaffung des Instituts des Gewerbeaufsichtsbeamten; vgl. zur Entwicklung Roth, in: Rapmund (Hg.): Das Preußische Medizinal- und Gesundheitswesen in den Jahren 18831908, 1908, S. 161 ff.

1. Entwicklungen im Immissionsschutz

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wesentliche Veränderung in dem Betrieb einer genehmigungsbedürftigen Anlage einer Genehmigung (§ 25 Abs. 1 S. 3 RGewO). 200 Die nachträgliche Untersagung des Betriebs war in § 51 RGewO geregelt. Das Genehmigungsverfahren (§§ 17 ff. RGewO) orientierte sich hinsichtlich des Ausschlusses privater Rechte an der sehr viel weitergehenden und industriefreundlicheren Gewerbegesetzgebung in Sachsen. Die Einwendungsfrist hatte materielle 201 Präklusionswirkung für alle Einwendungen, die nicht auf privatrechtlichen Titeln beruhten (§ 17 Abs. 2 RGewO). Eine Verweisung zur richterlichen Entscheidung erfolgte nur noch für Einwendungen, die auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhten (§ 19 Abs. 1 RGewO). § 26 RGewO schloß bereits eine auf allgemeinen privatrechtlichen, insbesondere nachbar- und deliktsrechtlichen Titeln beruhende Privatklage auf Einstellung des genehmigten Gewerbebetriebes aus 202 und reduzierte den privatrechtlichen Anspruch auf Schutzvorrichtungen bzw. (subsidiär) auf Schadensersatz. 203 Dieser Ausschluß privatrechtlicher Abwehrrechte 204 durch die Anlagengenehmigung 205 verschaffte zwar dem Genehmigungsempfänger eine relativ hohe Investitionssicherheit, war aber insofern äußerst problematisch, als ihm noch nicht eine entsprechende Prüfungsdichte hinsichtlich privater Belange im Geneh200 Vgl. im geltenden Recht § 15 Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) Ld.F. d. Bek. v. 14.5. 1990 (BGBl.I S. 880),zuletztgeänd. d. G. v. 26.8. 1992 (BGBl.I S. 1564). 201 Landmann, Kommentar zur Gewerbeordnung, 6. Aufl., Bd. 1, 1911, § 17, Anm. 5; zur nach h. M. ebenfalls materiellen Präklusionswirkung des § 10 Abs. 3 S. 4 BImSchG siehe Jarass, Bundes-Immissionsschutzgesetz, 2. Aufl., 1993, § 10, Rn. 74; zu Entstehungsgeschichte und Inhalt der Präklusionsregelungen der Reichsgewerbeordnung Gallenkamp, Der privatrechtliche Inhalt der §§ 17, 19 und 26 der Gewerbeordnung, Sächs. Arch. f. Bürgerliches Recht u. Prozeß 1 (1891),705 ff. 202 Mit der gewerbegesetzlichen Entscheidung für den Ausschluß privater Abwehrrechte durch die Anlagengenehmigung war dann auch der Streit um die Weitergeltung statutarischer privater Verbietungsrechte endgültig entschieden; siehe hierzu Preu (FN 101), S. 29 ff.; die entsprechenden Bestimmungen des Lübischen Rechts und des Rostocker Stadtrechts wurden durch Gesetz vom 4. November 1874 (RGBl. S. 128) ausdrücklich aufgehoben. 203 Zur Problematik der Subsidiarität des Schadensersatzanspruchs siehe Ogorek, Actio negatoria und industrielle Beeinträchtigung des Grundeigentums, in: Coing / Wilhelm (Hg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. IV, 1979, S. 40 ff., 61 ff. 204 Einen solchen Ausschluß privater Abwehrrechte gab es schon im Bergrecht. Nach dem Allgemeinen Berggesetz für die Preußischen Staaten vom 24. Juni 1865 (PrOS S. 705), das Vorbild für die Berggesetze der meisten übrigen deutschen Staaten wurde, war dieser Ausschluß Ausfluß des mit dem Bergwerkseigentum verbundenen ausschließlichen Gewinnungsrechts (§ 54 ABG). Damit verbunden war einer der ältesten Gefährdungshaftungstatbestände des deutschen Rechts. Nach § 148 ABG galt der, schon vorher von der Rechtsprechung, insbesondere dem Preußischen Obertribunal, entwickelte Grundsatz, daß der Bergwerksbesitzer auch ohne Verschulden für durch den Bergwerksbetrieb verursachte Schäden an fremdem Grundeigentum vollen Ersatz zu leisten hatte; vgl. Boldt / Weller, Bundesberggesetz, 1984, Einl., Rn. 7 ff. 205 Dem entspricht im geltenden Recht § 14 BImSchG. Zu dieser heute sogenannten privatrechtsgestaltenden Wirkung einer Genehmigung (entsprechende Regelungen finden sich z.B. auch in § 7 Abs. 6 AtG, § 11 WHG) vgl. Kloepfer (FN 188), § 4, Rn. 51 ff., § 7, Rn. 52.

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11. Fruhindustrialisierung

migungsverfahren entsprach. Private waren jetzt im wesentlichen nur so weit geschützt, wie ihr Interesse mit dem öffentlichen Interesse "unzertrennlich konkurrierend" 206 war. Die Reichsgewerbeordnung stellte damit nicht nur einen vorläufigen Endpunkt in der immissionsschutzrechtlichen Entwicklung des öffentlichen Rechts (sie bildete fast 100 Jahre, in der Konzeption praktisch unverändert, die Grundlage für den Immissionsschutz in Deutschland), sondern auch hinsichtlich privatrechtlicher Entwicklungen der vorangegangenen Jahrzehnte. Die Herausbildung und Entwicklung der neuzeitlichen actio negatoria aus römisch-rechtlichen Quellen 207 hatte von den 30er bis 60er Jahren des 18. Jahrhunderts mehr oder weniger zur gewerberechtlichen Entwicklung konkurrierend stattgefunden. Allerdings waren auch die ordentlichen Gerichte gegenüber einem privaten nachbarrechtlichen Schutz durch Stillegung gewerblicher Anlagen schon zurückhaltend gewesen und verschafften der actio negatoria eher einen Erfolg als Schadensersatzklage. Unter Abwägung auch öffentlicher Interessen an der industriellen Entwicklung kam es zur Anerkennung gewisser Duldungspflichten. Doch bestanden hinsichtlich Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Negatorienklage gleichwohl vielfliltige Unsicherheiten, die je nach richterlicher Anwendung einen großen Spielraum hinsichtlich des Immissionsschutzes einerseits und der Stabilität der Anlagengenehmigung andererseits ermöglichten. 208 Dieser Spielraum wurde für das Recht der genehmigungsbedürftigen Anlagen wesentlich und zunächst eindeutig zu Lasten Dritter eingeschränkt.

2. Entsorgung und Abwasserbeseitigung Im Gegensatz zur immissionsschutzrechtlichen Entwicklung, in der es aufgrund ihrer Einbindung in die Gewerbegesetzgebung und -förderung zu territorialen Regelungen kam, blieben die Probleme des Gewässerschutzes und der Abfallund Abwasserbeseitigung in der Frühphase der Industrialisierung im wesentlichen ungeklärt. Wasserversorgung, Abfall-, Abwasser- und Fäkalienbeseitigung im Rahmen der Stadthygiene blieben weiterhin ausschließlich private bzw. kommunale Aufgaben. Zwar war der Zustand der deutschen Flüsse bis auf wenige Ausnahmen wegen der relativ günstigen Vorflutverhältnisse mit denen in England nicht vergleichbar, wo es 1857 zum "great stink" der Themse gekommen war (wodurch sich sogar das Parlament gestört fühlte 209). Doch führte das Wachstum Bay.VGH vom 14. Dezember 1880, E 2,295 (299). Siehe hierzu ausführlich Ogorek (FN 203), S. 40 ff.; Baade, Springs, Creeks and Groundwater in Nineteenth-Century German Roman-Law Jurisprudence with a Twentieth-Century Postscript, in: Comparative and Private International Law, Essays in Honor of John Henry Merryman on his Seventieth Birthday, 1990, S. 61 ff. 208 Vgl. Preu (FN 101), S. 32 ff. 209 Vgl. Simson, Die Flußverunreinigungsfrage im 19. Jahrhundert, Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 65 (1978), 370 ff., 371 ff., 374. 206 207

2. Entsorgung und Abwasserbeseitigung

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der Städte und der Ausbau der Industrie auch hier rasch zu Problemen in der Wasserversorgung und der Abwasserentsorgung, mit denen die Städte und Gemeinden völlig überfordert waren. Eine der gewerberechtlichen Immissionsschutzregelung vergleichbare wasserrechtliche Entscheidung zur Abwasserfrage erfolgte jedoch erst Ende des 19. Jahrhunderts. 210 Bis dahin gab es auch in Preußen nur ganz punktuelle und nicht landeseinheitlich geltende Regelungen. 21l So war nach der Allerhöchsten Kabinettsorder, die Verhütung der Verunreinigung der schiff- und flößbaren Flüsse und Kanäle betreffend vom 24. Februar 1816,212 das Hineinwerfen fester Stoffe in Flüsse und Kanäle verboten. Das Gesetz über die Benutzung der Privatflüsse vom 28. Februar 1843 213 untersagte lediglich Verunreinigungen durch Färbereien, Gerbereien, Walken und ähnliche Anlagen, "wenn dadurch der Bedarf der Umgegend an reinem Wasser beeinträchtigt oder eine erhebliche Belästigung des Publikums verursacht wird". Im gemeinen Rechtskreis ist das Bayerische Gesetz über die Benützung des Wassers vom 28. Mai 1852 214 als erstes in ganz Bayern geltendes Wassergesetz zu erwähnen, das schon zwischen erlaubnisfreiem und erlaubnispflichtigem Gemeingebrauch unterschied. 215 Zwar war die Abwassereinleitung nicht ausdrücklich erwähnt, doch ging die Literatur davon aus, daß die Einleitung auch schädlicher Flüssigkeiten und sonstiger Stoffe in Gewässer gemeingebräuchlich sei. 216 Die Gewässerbenutzungen waren in den verschiedenen Wasserrechtssystemen unterschiedlich geregelt. Dies folgte aus den unterschiedlichen Gewässereinteilungen und Eigentumsverhältnissen. 217 Auch bedurften zumindest die Anlagen, die für eine Abwassereinleitung erforderlich waren, eines behördlichen Gestattungsakts. 218 Allgemein wurde freilich davon ausgegangen, daß die Wasserläufe naturgemäß dazu bestimmt seien, nicht nur die häuslichen, sondern auch die in der Wirtschaft anfallenden Abwässer mit allen Schadstoffen aufzunehmen und

Dazu unten S. 58 ff. Einen Überblick über die bis 1913 geltenden Regelungen mit wasserrechtlichem Inhalt (davon befaßten sich allerdings die wenigsten mit Gewässerreinhaltung) gibt § 399 PrWG, in dem 79 alte Gesetze, Verordnungen und Einzelvorschriften aufgehoben wurden. 210 211

PrGS S. 41. PrGS S.41. 214 BayGBl. S.489. 215 Seiler (FN 13), S. 228 ff. 216 Gatterbauer, Das Recht am öffentlichen Wasser nach altem und neuem bayerisehern Recht, 1909, S. 35; Meisner, Das in Bayern geltende Nachbarrecht mit Berücksich212 213

tigung des Wasserrechts, 1901, S. 190 ff. 217 Zu den Gewässerbenutzungsregelungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts siehe Seiler (FN 13), S. 136 ff. 218 Vgl. Seiler (FN 13), S. 142, 145.

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11. Frühindustrialisierung

abzutransportieren. Der Unterlieger an einem Gewässer müsse sich eine Qualitätsverschlechterung solange gefallen lassen, als sie das Maß des Regelmäßigen und Gemeinüblichen nicht übersteige. 219

219 Seiler (FN 13), S. 156 f.; vgl. die zwar später ergangenen, sich aber auf das ALR, das gemeine Recht und das rheinisch-französische Recht beziehenden Entscheidungen RGZ 16, 178 (180); 16, 144 (146); 53, 43 (47).

III. Hochindustrialisierung bis 1945 In der Zeit von der Reichsgründung bis zum Ersten Weltkrieg entwickelte sich Deutschland zum Industriestaat, d. h. die Industrie gewann eine beherrschende Stellung innerhalb der deutschen Volkswirtschaft und beeinflußte die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse entscheidend. In den folgenden Jahrzehnten entstanden die großen Industrieballungen, insbesondere auf dem Gebiet der Montanindustrie und der chemischen Industrie, so z. B. im Ruhrgebiet, Aachener Becken, Saargebiet, im Raum Frankfurt / Mannheim, Ludwigshafen, die thüringisch-sächsische Industrielandschaft und das oberschlesische Bergbaurevier. Teilweise kam es zu einem direkten Nebeneinander von Montan- und chemischer Industrie. Die technischen, ökonomischen, demographischen und sozialen Prozesse in zum Teil exponentiellen Wachstumsraten bewirkten im Verlaufe der Industrialisierung in weiten Gebieten eine Umwandlung der noch Mitte des 19. Jahrhunderts relativ naturnahen Kulturlandschaft. Neben den positiven Folgen machten sich auch die negativen Folgen der wirtschaftlichen Entwicklung immer deutlicher bemerkbar. Die Ausdehnung der Städte, ständige Verkehrszunahme, wachsender Bedarf an Siedlungsland und Land für Infrastrukturmaßnahmen, ein rapide ansteigender Energieverbrauch sind Trends, die z.T. bis heute anhalten, aber schon in den ersten Jahrzehnten zu nachhaltigen Störungen und Zerstörungen der betroffenen Ökosysteme geführt haben. Die industrielle Entwicklung entwickelte eine Eigendynamik, die durch staatliche Interventionspolitik nur noch schwer grundsätzlich zu beeinflussen war. Wissenschaftliche Kenntnisse über die Umweltprobleme, die mit neuen technischen und chemischen Verfahren, neuen Stoffen und deren Anwendungsmöglichkeiten etc. verbunden waren,220 und damit auch politische und rechtliche Einflußnahmen hinkten der industriellen Anwendung weit hinterher und konnten auch mit der (schon damals ansatzweise erkennbaren) zunehmenden Komplexität der Umweltproblematik nicht Schritt halten.

220 Die chemische Industrie etwa machte ab 1870 eine geradezu stürmische Entwicklung durch, die sich z. B. in folgenden Stichworten dokumentiert: künstliche Düngemittelherstellung, Teerfarbenerzeugung, Synthese von Arzneimitteln, am Ende des 19. Jahrhunderts elektrochemische Erzeugung von Chlor- und Alkalilaugen, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges die technische Ammoniaksynthese (Haber-Bosch-Verfahren) als Ausgangspunkt für die Entwicklung der Hochdrucktechnik usw. 4 Kloepfer

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III. Hochindustrialisierung bis 1945

1. Entwicklungen im Immissionsschutz a) Tatsächliche Problematik

Spätestens um die Jahrhundertwende galt die Rauchplage in Deutschland als das wesentliche Problem der Luftverschmutzung in den Städten. Als der "Deutsche Verein für Gesundheitspflege" im Jahre 1900 eine Rundfrage veranstaltete, gab 1/4 bis 1/5 der Städte mit mehr als 15.000 Einwohnern an, daß sie unter der Rauchplage litten. Gerade in den größeren Städten überlagerten sich die Rauchfahnen aus den Schornsteinen unzähliger Hausfeuerungen und der Fabriken. 221 Seit dem schnellen Anwachsen der Städte hatte sich das Klima in den Städten und dann auch im Umland ständig verschlechtert. Kennzeichen waren mehr Nebel und weniger Sonnentage. Besonders bei feuchtem Wetter kondensierten an den Rußteilchen Wassertröpfchen, die sich zu einem grauen Nebel, angereichert mit sauren Gasen, verdichteten. 1905 prägte der Hygiene-Kongreß in London für dieses neue Stadtklima die Bezeichnung Smog (aus "smoke" und "fog"). Daß die sauren Rauchgase Pflanzen schädigten, wußte man seit 1850. 1852 hatte der Engländer A. Smith den Begriff ,,Acid Rain" (Saurer Regen) geprägt. Seitdem hatte es zahlreiche Gutachten und Untersuchungen gegeben. 222 Für die städtischen und stadtnahen Parklandschaften wurden Anfang des 20. Jahrhunderts spezielle "rauchharte" Gewächsarten gezüchtet. Aber schon 1928 wurden die Verluste an pflanzlicher Substanz allein im Ruhrgebiet auf jährlich mindestens 20 Mio. Reichsmark geschätzt. 223 Untersuchungen und Schadenserhebungen am Heidelberger Schloß (1883) und am Kölner Dom (1907) hatten schon künstliche Verwitterungen durch die schweflig-sauren Bestandteile des Rauchs festgestellt. Daß der Rauch auch die Gesundheit schädigte, war ebenfalls schon seit etwa 1880 bekannt. Die Londoner "Nebelkatastrophe" aus diesem Jahr hatte auch in der deutschen Presse Widerhall gefunden. Anhand preußischer Statistiken der Todesursachen ließ sich auch belegen, daß in "Rauchgegenden" mehr Menschen an akuten Lungen- und Atemwegerkrankungen starben als in ländlichen Regionen. 224 SpeIsberg (FN 99), S. 75. Z.B. Hasenclever, Über die Beschädigung der Vegetation durch saure Gase, Chemische Industrie 2 (1879), 225 ff., 275 ff.; Schröder / Reuß, Die Beschädigung der Vegetation durch Rauch und die Oberharzer Hüttenrauchschäden, 1883; Weinlig, Die Rauchplage in den Städten, Zeitschrift des VDI 1884, 915 ff.; Herig, Die Verdichtung des Hüttenrauchs, 1888; Leymann, Die Verunreinigung der Luft durch gewerbliche Betriebe, 1903; Stoklasa, Die Beschädigung der Vegetation durch Rauchgase und Fabrikexhalationen, 1923. 223 Bergerhoff, Untersuchung über die Berg- und Rauchschädensfrage mit besonderer Berücksichtigung des Ruhrbezirks, 1928, S. 65 ff. 224 Schmidt (Hg.), Von ,,Abwasser" bis "Wandern". Ein Wegweiser zur Umweltgeschichte, 1986, S. 85; Andersen / Brüggemeier, Gase, Rauch und saurer Regen, in: Brüggemeier / Rommelspacher (Hg.), Besiegte Natur: Geschichte der Umwelt im 19. und 20. Jahrhundert, 1987, S. 64 ff., 81 f. 221

222

1. Entwicklungen im hnrnissionsschutz

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Der "Kampf gegen die Rauchplage" konzentrierte sich allerdings, trotz der Erkenntnisse über die toxische Wirkung der sauren Gase, im wesentlichen auf die sichtbaren Bestandteile des Kohlenrauchs. Angestrebt wurde zunächst die rauchlose Feuerung. 225 Daneben wurde eine Politik der hohen Schornsteine betrieben, um eine immer weitere Verdünnung und großräumigere Verteilung der Rauchgase zu erreichen. 226 Zwar war diese Maßnahme von Anfang an umstritten. Der Ingenieur Hasenclever meinte bereits 1879, "hohe Schornsteine hätten sich entschieden nicht bewährt" 227. Wie/er erläuterte 1905: "Die hohen Kamine verteilen die Säure auf ein weiteres Gebiet und ziehen dadurch größere Waldpartien in Mitleidenschaft. Infolge der Verteilung auf eine größere Fläche hört die Zerstörung nicht auf, sondern wird nur verlangsamt."228 Doch die Entschwefelung der Gase nach den damals bekannten Methoden wurde allgemein, z.T. auch von Schornsteinkritikern, als zu teuer und damit unwirtschaftlich angesehen. 229 Ab 1908 fanden außerdem elektrische Entstaubungsanlagen Anwendung, allerdings nur in Hüttenwerken und ähnlichen Betrieben. In der Zeit der Weimarer Republik gingen dadurch zwar die unmittelbaren Belästigungen durch Ruß und Staub zurück, die SOrBelastung stieg jedoch weiter an. Auch die Hoffnungen auf einen technischen Entwicklungssprung und damit eine Besserung der Situation, die sich mit der Zentralisierung der Elektrizitätswirtschaft und der Entstehung und Förderung von Großkraftwerken zwischen den beiden Kriegen verbanden, erfüllten sich nicht. 230 Vernachlässigt wurden auch andere Schadstoffe. Neben den Schwefelverbindungen waren schon Stickstoff-, Kohlenstoff- und Chlorverbindungen bekannt, doch Maßnahmen gegen diese Stoffe standen ebenso wenig zur Diskussion wie gegen die mit dem Hüttenrauch emittierten Schwermetalle. Viele Gefahren wurden auch nicht rechtzeitig erkannt. So wurde z.B. erst in den 60er Jahren dieses Jahrhunderts deutlich, daß die Eisen- und Stahlindustrie zu den größten Emittenten toxischer Stoffe wie Blei, Kadmium, Zink, Arsen, Antimon und Fluoride gehörte. 231 Die Chlorchemie, die vor allem in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts Vgl. Sonnenberg (FN 145), S. 241 ff.; Speisberg (FN 99), S. 96 ff. Die "Halsbrücker Esse", der 144 Meter hohe Schornstein der Freiberger HüttenwerSachsen, war - 1899 fertiggestellt - seinerzeit der höchste der Welt. Hasenclever (FN 222); zitiert nach Speisberg (FN 99), S. 172. Wieler, Untersuchungen über die Einwirkung schwefliger Säure auf die Pflanzen, 1905, S. 381 f., zitiert nach Speisberg (FN 99), S. 173; Wieler erkannte auch schon, daß die Säuren in den Boden einsickern und über diesen Weg ebenfalls die Vegetation schädigen. 229 Wey (FN 122), S. 107. 230 Zu den Gründen siehe Speisberg (FN 99), S. 188 ff.; das Energiewirtschaftsgesetz von 1935 verfestigte schließlich diese Branchenstruktur, die heute, auch aus Umweltschutzgründen, vielfach als Hypothek empfunden wird; vgl. Heilige, Entstehungsbedingungen und energietechnische Langzeitwirkungen des Energiewirtschaftsgesetzes von 1935, Technikgeschichte 53 (1986), 123 ff. 231 Schmidt (FN 224), S. 73. 225

226 ke in 227 228

4"

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einen beispiellosen Aufschwung erlebte, deren Anfänge aber bis weit ins 19. Jahrhundert zurückreichen, ist heute ein hinsichtlich Umweltbelastung und Entsorgung ausgesprochen problematischer Zweig der chemischen Industrie.

b) Dampfkesselwesen und technische Sicherheit Die gesetzlichen Entwicklungen im Dampfkesselwesen liegen vor allem im sicherheitstechnischen Bereich. 232 Reichsrechtlich ist hier vor allem die Bekanntmachung betreffend allgemeine polizeiliche Bestimmungen über die Anlegung von Dampfkesseln vorn 5. August 1890 233 zu erwähnen, die durch die Bekanntmachung, betreffend allgemeine polizeiliche Bestimmungen über die Anlegung von Landdampfkesseln vorn 17. Dezember 1908 234 sowie die Bekanntmachung betreffend allgemeine polizeiliche Bestimmungen über die Anlegung von Schiffsdampfkessein vorn 17. Dezember 1908 235 abgelöst wurde. In diesem sicherheitstechnischen Bereich wurde die Notwendigkeit eines einheitlichen Vollzugs im Gegensatz zu den übrigen gewerberechtlichen Gebieten früh erkannt. Die landesrechtlichen Vollzugsvorschriften hierzu ergingen auf der Grundlage der Vereinbarungen der verbündeten Regierungen, betreffend Bestimmungen über die Genehmigung, Untersuchung und Revision der Dampfkessel vorn 17. Dezember 1908. 236 Die sicherheits- und technikrechtliche Entwicklung im Dampfkesselwesen ist eng verbunden mit der Entwicklung der privaten Technischen Überwachung und den Anfängen der modemen Geschichte der technischen Normung. Nachdem das preußische Dampfkesselgesetz vorn 7. Mai 1856 zum erstenmal eine regelmäßige Dampfkesselüberwachung eingeführt hatte, wurde die Dampfkesselrevision in der Folgezeit ausgebaut. Von Anfang an hatte der am 12. Mai 1856 gegründete Verein Deutscher Ingenieure (VDI) für eine Verlagerung der staatlichen Überwachung auf die gerade erst aufstrebenden technisch-wissenschaftlichen Vereinigungen plädiert. 237 Der erste deutsche Dampfkesselüberwachungsverein wurde 1866 in Mannheim gegründet. Eine staatliche Anerkennung der Überwachungs232 Zu den für die gesetzgeberische Entwicklung letztlich erfolglosen Bemühungen hinsichtlich der rauchfreien Feuerung siehe Sonnenberg (FN 145), S. 241 ff. 233 RGBI. S. 136. 234 RGBI. 1909, S. 3. 235 RGBI. 1909, S. 51. 236 HMBI. 1909, S. 660; hierzu näher Sonnenberg (FN 145), S. 58 ff. 237 Dabei waren standespolitische Interessen von besonderer Bedeutung; der Mitbegründer des VDI Richard Peters hatte 1869 über die staatliche Dampfkesselaufsicht gesagt, die ausschließliche Übertragung der Aufsichtsbefugnisse auf die Baubeamten bedeute "eine Kränkung für den sich immer kräftiger entwickelnden Stand der Ingenieure"; vgl. Sonnenberg (FN 145), S. 202 f.; Wolf, Der Stand der Technik, 1986, S. 101 ff.; zu weiteren technisch-wissenschaftlichen Vereinigungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts siehe Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, 1977, S. 183 ff.

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vereine und ihre Einbeziehung in die Dampfkesselrevision erfolgte jedoch erstmals für Preußen durch das Regulativ, die periodische Untersuchung der Dampfkessel betreffend vom 24. Juni 1872 238 und die Ausführungsvorschrift zum Gesetz, den Betrieb der Dampfkessel betreffend, vom 3. Mai 1872 239 • Die übrigen deutschen Staaten folgten diesem Vorbild. Gleichzeitig zog sich der Staat aus dem Bereich der sicherheitstechnischen Bestimmungen zurück und überließ auch hier das Feld den Überwachungsvereinen. Die technischen Grundsätze in den Anlagen zu den allgemeinen polizeilichen Dampfkesselbestimmungen von 1908 beruhten unmittelbar auf Normenwerken, die Normungskommissionen des Internationalen Verbands der Dampfkessel-Überwachungsvereine ab 1877 erarbeitet hatten. 240 Die hier gefundene Kooperation zwischen Staat und technischer Selbstverwaltung wurde später auf die technische Überwachung insgesamt ausgedehnt. 241 Eine staatliche Regelsetzung in der Sicherheitstechnik fand daraufhin nur noch unter Beteiligung privater Normungsorganisationen statt. 242 In der Folgezeit führte dieser Umstand allerdings zu einem starken Übergewicht der privaten Normungsorganisationen bei der sicherheitstechnischen Rechtsetzung.

c) Immissionsschutzrechtliche Entwicklungen Im übrigen ist der vorliegende Zeitraum für grundlegend neue Rechtsentwicklungen im Immissionsschutz relativ wenig ergiebig. Nach Erlaß der Gewerbeordnung wurde die technisch-industrielle Entwicklung vor allem in der stetig wachsenden Liste der genehmigungsbedürftigen Anlagen deutlich. § 16 GewO i.d.F. der Bekanntmachung vom 1. Juli 1883 243 enthielt schon fast doppelt soviele genehmigungsbedürftige Anlagen wie die Vorschrift des § 27 PrGewO auf dem Stand von 1845. In den folgenden Jahren kamen durch Beschluß des Bundesrates (§ 16 Abs.3 RGewO) immer neue Anlagen hinzu. Materielle Änderungen im Genehmigungsverfahren und der Handhabung der Konzession gab es jedoch nicht, obwohl sich nicht nur die tatSächliche, sondern auch die rechtliche Problematik der gewerberechtlichen Genehmigung in der Praxis zunehmend verschärfte. Die Ausführung und zum Teil Auslegung der gewerberechtlichen Vorschriften lag bei den Ländern, die hierzu Ausführungsanweisungen erließen. Für Preußen waren dies vor allem die Technischen Anleitungen zur Wahrnehmung der den Kreisausschüssen hinsichtlich der Genehmigung gewerblicher Anlagen übertraPrOS S. 183. PrOS S. 515. 240 Vgl. Marburger (FN 237), S. 189 f. 241 Ausführlich zur gesamten Entwicklung Sonnenberg (FN 145), S. 193 ff. 242 Vgl. auch Wolf (FN 237), S. 130 ff., 138 ff. 243 RGßl. S. 177; die letzte Neubekanntmachung erfolgte am 26. Juli 1900 (RGßl. S.871). 238

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genen Zuständigkeiten von 1875 244 und 1895. 245 Sie enthielten Angaben über den jeweiligen Prüfungsumfang im Genehmigungsverfahren und wurden auch in anderen Ländern zur Auslegung herangezogen. 246 Diese Technischen Anleitungen (TA) sollten den zur Zeit ihres Erlasses vorhandenen Stand der Technik widerspiegeln 247 und eine detaillierte Überprüfung des zu genehmigenden Vorhabens nach dem damals bekannten Gefahrenpotential ermöglichen. Gleichwohl traten die beiden Grundprinzipien, die die Gewerbegenehmigung lenken sollten - größtmögliche Förderung der gewerblichen Wirtschaft im Rahmen des sogenannten Gemeinwohls unter gleichzeitiger Berücksichtigung der berechtigten Interessen anderer (insbesondere bezüglich der Abwehr technischer Risiken) - , in einen immer schärferen Gegensatz. Die praktische und prozeßrechtliche Relevanz dieser Problematik war weiterhin vor allem durch den Gegensatz zwischen Industrie und Landwirtschaft gekennzeichnet. Hier wurde besonders deutlich, daß auch bei Einhaltung der Genehmigungsbedingungen und dem Bau höherer Schornsteine die Umgebung nicht vor zum Teil erheblichen Schäden zu schützen war. Zwar sank die Toleranz der Anwohner gegenüber Belastungen durch industrielle Anlagen, doch waren die Bewohner der am meisten belasteten Regionen und Stadtteile in der Regel diejenigen, die gleichzeitig von den industriellen Arbeitsplätzen am meisten abhängig waren und sich daher regelmäßig mit der Situation weitgehend abfanden. In wie engem Zusammenhang die Umweltbelastung hier zur sozialen Frage stand, zeigte sich während des Ruhrkampfes 1923. Als die Zechen, Kokereien und Hochöfen stillstanden, trat augenblicklich eine deutliche Verbesserung der Luftverhältnisse ein und die Bauern erzielten wieder gute Erträge. Gleichzeitig herrschte für die Mehrzahl der Arbeiterfamilien Hunger und Elend. 248 Gegenüber dieser Situation hatten Land- und Forstwirte in den Industrieregionen, auch wenn sie sich organisierten, letztlich einen schweren Stand. Schon in den 1870er Jahren war in Wanne der "Verein der Landwirte gegen Schädigungen durch industrielle Anlagen" gegründet worden. Aus ähnlichen PrMBl. S. 105. PrMBl. S. 196. 246 Mit geringfügigen Änderungen in den kommenden Jahren galt die TA von 1895 hinsichtlich der Reinhaltung der Luft bis 1964, hinsichtlich der Lännbekämpfung bis 1968 fort. Das bedeutet, daß - ohne den Wert dieser ersten administrativen Umweltrechtsvorschriften herabzumindem - rund 70 Jahre lang, trotz einer rasanten technischindustriellen Entwicklung und vorhandener rechlicher Grundlagen, keine gesetzliche (bzw. untergesetzliche ) Fortschreibung des Standes der Technik erfolgte. 247 Der Begriff "Stand der Technik" wurde in einer gesetzlichen Regelung erstmals im Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung und Ergänzung des Bürgerlichen Gesetzbuches vom 22. Dezember 1959 (BGBL I S. 781) verwendet, tauchte aber vorher auch schon in Rechtsprechung und Literatur auf, vgl. Wey (FN 122), S. 111; Wislicenus, Über die Grundlagen technischer und gesetzlicher Maßnahmen gegen Rauchschäden, 1908, S.74. 248 Vgl. Speisberg (FN 99), S. 154 ff. 244

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Organisationen bildete sich 1926 die "Industrieschädenschutzkommission". Diese Vertretung agrarischer Interessen im Ruhrgebiet bildete Sachverständige aus, betrieb eigene Forschung und Pflanzenschulen, intervenierte bei Regierungen und Parlamenten und bot den Bauern eine umfassende Rechtsberatung an. 249 An der tatsächlichen Situation wie auch der mit zunehmender Immissionsdichte für Dritte ungünstiger werdenden Rechtslage änderte sich wenig. Problematisch im Genehmigungsverfahren war zunächst der weite Interpretationsspielraum hinsichtlich des Begriffs der erheblichen Nachteile, Gefahren oder Belästigungen. Nach der TA (I. Allgemeine Gesichtspunkte) von 1895 waren von einer Anlage ausgehende Nachteile, Gefahren oder Belästigungen nur dann erheblich, wenn sie das Maß überschritten, "dessen Duldung sowohl dem Nachbam als dem Publikum im Interesse der für die allgemeine Wohlfahrt unentbehrlichen Industrie angesonnen werden kann". Die Frage der Erheblichkeit einer Belastung unterlag damit in weitem Umfang einer Abwägung mit industriepolitischen Gesichtspunkten. Einer Objektivierung dieser Kategorie stand auch entgegen, daß man zwar über die Wirkung bestimmter Luftschadstoffe gewisse Kenntnisse hatte und zum Teil erhebliche Schadstoffkonzentrationen ermittelte,250 aber die Wirkungsforschung sich nur schwer auf quantifizierte Festlegungen über gefährliche Schadstoffkonzentrationen einigen konnte. 251 Ein seltener Ausnahmefall blieb insofern die Angabe eines Grenzwertes für Schwefelemissionen für Glashütten in der TA von 1895 (5 g S03/m3; zum Vergleich: der maximale Emissionswert der TA Luft von 1986 beträgt 0,5 g/m 3). Die TA schloß allerdings nicht aus, daß die Genehmigungsbehörde in Einzelfällen Grenzwerte im Genehmigungsbescheid festsetzte. Verwaltungsgerichtlicher Nachbarschutz existierte bis 1945 praktisch nicht. 252 Zwar gab es vereinzelt die Möglichkeit, als Nachbar eine gewerberechtliche Anlagengenehmigung anzufechten, so in Bayern, 253 Württemberg 254 und Braunschweig. 255 Doch die materielle Durchsetzungskraft beschränkte sich auch hier, mangels Anerkennung subjektiver Schutzansprüche, faktisch auf die vollständige 249 Vgl. Speisberg (FN 99), S. 153 f. 250 Vg!. z.B. Speisberg (FN 99), S. 149, 163. 251 Immerhin hatte Wislicenus 1901 einen Immissionsgrenzwert von 5,8 mg/m3 für schweflige Säure vorgeschlagen, vg!. Speisberg (FN 99), S. 149 (zum Vergleich: der Kurzzeitwert für SOTImmissionen zum Schutz vor Gesundheitsgefahren liegt nach der TA Luft von 1986 bei 0,4 mg/m 3, der Langzeitwert bei 0,14 mg/m 3). 252 Vg!. hierzu Preu (FN 101), S. 79; zur Entwicklung der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage nach 1945 ders., ebenda, S. 81 ff. 253 Art. 8 Nr. 8 Gesetz betreffend die Errichtung eines Verwaltungsgerichtshofes und das Verfahren in Verwaltungsrechtssachen von 1878 (GB!. S. 369). 254 Württ.VGH vom 22. Januar 1931, WürttRPflZ 1931, 125. 255 Bekanntmachung über die Ausführung der Gewerbeordnung vom 1. Dezember 1910 (GV-Sammlung S. 545, 561); hier ersetzte die Klage beim VGH den Rekurs nach § 20 GewO.

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Erörterung der Einwendungen im Genehmigungsverfahren. So sollte z. B. die Frage, ob eine Anlage für die Anlieger oder das Publikum erhebliche Gefahren, Nachteile oder Belästigungen herbeiführen könnte, dem sogenannten technischen Ermessen und damit nicht dem gerichtlichen Kontrollumfang unterliegen. 256 Viele Behörden machten von den ihnen gewerberechtlich eingeräumten Möglichkeiten, wenigstens die wissenschaftlich nachgewiesenen Schädigungen durch Emissionen in Grenzen zu halten, allerdings durchaus regen Gebrauch. 257 Eine Genehmigungsauflage, "stauberregende Apparate und Arbeitsmaschinen" mit Vorrichtungen zur Staubabsaugung auszustatten, so daß unter keinen Umständen Staub ins Freie gelangen könnte, half jedoch letztlich nicht weiter, wenn die zur Verfügung stehenden technischen Schutzvorschriften zwar dem Stand der Technik entsprachen, den erforderlichen Schutz aber nicht gewährleisteten. 258 War eine Anlage jedoch einmal genehmigt, genoß sie grundsätzlich unbefristeten Bestandsschutz, solange keine wesentliche Änderung vorgenommen wurde. Traten nachträglich Nachteile, Gefahren oder Belästigungen auf, konnte gewerbepolizeilich gegen die Anlage nur nach § 51 GewO vorgegangen werden, der jedoch wegen der Verpflichtung zum Schadensersatz bei Untersagung des Betriebs nur geringe praktische Bedeutung gewann. Nachträgliche Anordnungen 259 konnten im Grundsatz nur dann erlassen werden, wenn die Genehmigung mit einem Auflagenvorbehalt versehen war. Dieser war jedoch nur ausnahmsweise zulässig, soweit von der Anlage in besonderem Maße Nachteile, Gefahren und Belästigungen ausgingen und die Genehmigungsbehörde schon im Genehmigungsverfahren nicht sicher sein konnte, ob mit den zunächst erlassenen Auflagen die Belastungen abgewehrt werden könnten. 260 Im übrigen war die genehmigte Anlage gegen ein nachträgliches Vorgehen auch aus anderen als gewerbepolizeili-

256 Vgl.etwaBay. VGHv. 7.9. 1904, Entsch. Bd. 26,S. 126 (zu Art. 13 Abs.1 VGHGesetz); kritisch hierzu schon Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, Berlin, 1914, S. 389 ff. 257 Was von der Industrie nahestehenden Autoren heftig beklagt und kritisiert wurde; diesbezüglich besonders engagiert (und polemisierend) war z.B. Vossen, Das Recht der konzessionierten gewerblichen Anlagen. Sein heutiger Zustand und Reformvorschläge, 1911. Die hier vorgebrachten Argumente gegen Genehmigungseinschränkungen (Gefährdung von Arbeitsplätzen, Beeinträchtigung der Konkurrenzfahigkeit der deutschen industrie, etc.) und die Drohung, Betriebsstätten ins Ausland zu verlegen, klingen auch heute noch allzu aktuell. In diesem Zusammenhang sollte auch § 23 Abs. 3 GewO Ld.F. vom 30. Juni 1900 erwähnt werden, nach dem durch landesrechtliehe Vorschriften bestimmte Anlagen oder bestimmte Arten von Anlagen von einzelnen Ortsteilen femgehalten oder nur unter erschwerten Bedingungen zugelassen werden konnten; siehe hierzu Landmann / Rohmer, Kommentar zur Gewerbeordnung für das Deutsche Reich, 8. Aufl., 1928, § 23 Anm. 4; Vossen, S. 8 ff. 258 Wey (FN 122), S. 110 f. 259 Vgl. im geltenden Recht § 17 BImSehG. 260 PreußOVG vom 1. Juli 1895 (Reger, Entscheidungen, Bd. 16, I ff.); Landmann / Rohmer (FN 257), § 18 Anm. 5.

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chen Gründen geschützt. 261 Dies war allerdings nicht unumstritten. 262 In einigen Fällen sind Polizeibehörden wohl auch gegen Anlagen (z.T. auch mit Erfolg) noch nachträglich vorgegangen, 263 obwohl die Rechtsgrundlage zweifelhaft war. Die ins gesamte Überbetonung des Bestandsschutzes störender Anlagen ließ mit zunehmender Industrialisierung und Immissionsdichte den in der Gewerbeordnung gefundenen Ausgleich von Industrie- und Nachbarinteressen immer fragwürdiger erscheinen. Auch der zivilrechtliche Rechtsschutz, ohnehin das Grundeigentum bevorzugend, bot kaum noch einen gerechten Ausgleich: Während in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Schadensersatzprozesse gegen Hüttenbetriebe und Chemiefabriken noch für die Kläger in der Regel erfolgreich waren,264 wurde es in den industriereichen Regionen nach 1900 zunehmend schwerer, Ersatz für die erlittenen Schäden zu erlangen. Der durch § 906 a.F. BGB eingeführte Maßstab der "Ortsüblichkeit" bei der Bestimmung der Duldungspflicht für Immissionen führte dazu, daß jetzt auch wesentliche Immissionen ersatzlos zu dulden waren. 265 Gleichzeitig verschlechterten sich mit den Erkenntnissen über den Ferntransport von Schadstoffen die Möglichkeiten, unter einer inzwischen entstandenen Vielzahl von Emittenten einen bestimmten Schadensverursacher festzustellen. In den 20er Jahren waren deshalb, obwohl die Schäden tatsächlich zunahmen, gerichtlich anerkannte Rauchschäden selten geworden. 266

261 Vgl. aus der Rechtsprechung des Preußischen OVG z.B. die Urteile vom 29. Oktober 1883, E 10, 260 (263 ff.), vom 19. Januar 1893, E 24, 316 (320); außerdem RGZ 64, 117 ff.; zur hiermit verbundenen Frage der Legalisierungswirkung gewerberechtlicher Genehmigungen siehe Kloepfer (FN 188), § 12, Rn. 141 ff. Etwas anderes galt insofern hinsichtlich eines wasserpolizeilichen Einschreitens gegen eine gewerberechtlich genehmigte Anlage, da zumindest seit Erlaß der Landeswassergesetze (in Preußen z.B. 1913) eine gewerberechtliche Genehmigung wasserrechtliche Genehmigungen bzw. Verleihungen (im Gegensatz zu wasserpolizeilichen Unbedenklichkeitsbescheinigungen, § 23 Abs. 4 PrWG) grundsätzlich nicht eingeschlossen hat; vgl. z. B. Lenhard I Reichau, Preußisches Wassergesetz vom 7. April 1913, 1918, S. 151 ff., 759 ff.; Holtz I Kreutz, Das preußische Wassergesetz vom 7. April 1913, 1914, § 379 Anm. 5; Seiler (FN 13), S. 255 f.; z.T. anders Fluck, Die ,,Legalisierungswirkung" von Genehmigungen als ein Zentralproblern öffentlich-rechtlicher Haftung für Altlasten, Verw Arch. 79 (1988), 406 ff., 432 ff.; allerdings war nach der TA von 1895 die Abwasserfrage auch im Rahmen des gewerberechtlichen Genehmigungsverfahrens zu prüfen. 262 Einen weiteren Spielraum gab der Polizeibehörde eine Verordnung des Sächsischen Ministeriums des Innem vom 29. Oktober 1885 (Reger, Entscheidungen, Band 7,339); ebenso Arndt, Über die Zulässigkeit polizeilicher Anordnungen bei den nach § 16 der Gewerbeordnung genehmigten Anlagen, VerwArch. 10 (1902), 185 ff. 263 Vgl. Vossen (FN 257), S. 33 ff. 264 Vgl. Spelsberg (FN 99), S. 62 f. 265 Vgl. Palmer (FN 103), S. 172 ff.; das BGB vom 18. August 1896 (RGBI. S. 195) trat am 1. Januar 1900 in Kraft. Der Ausgleichsanspruch bei wesentlichen ortsüblichen Immissionen ist erst durch Gesetz vom 22. Dezember 1959 (BGBI. I S. 781) ins BGB eingeführt worden (§ 906 Abs. 2). 266 Vgl. Spelsberg (FN 99), S. 151 ff.

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d) Politische Maßnahmen Eine wesentliche politische Maßnahme auf dem Gebiet der Luftreinhaltung stellte 1921 die Aufnahme der Lufthygiene in das Tätigkeitsprogramm der Preußischen Landesanstalt für Wasserhygiene 267 dar. 268 Wie auf dem Gebiet der Wasserhygiene sollte der Schwerpunkt der Tätigkeit in Forschung, gutachterlicher Tätigkeit und Weiterbildung der Beamten der unteren Aufsichtsbehörden liegen. Die lufthygienische Abteilung erarbeitete im Rahmen ihres Aufgabenbereichs bis zum Ende des 2. Weltkrieges 314 Gutachten, hatte jedoch keine Bestrebungen, die geltenden Rechtsnormen zu verbessern. 1942 wurde die Landesanstalt zur Reichsstelle für Wasser- und Luftgüte aufgewertet. Beachtung fanden auch die Aktivitäten des Siedlungsverbandes Ruhrkohlenbezirk. 269 Im Rahmen seines Aufgabenteilbereichs der Vorsorge für und Erhaltung von Grünflächen nahm er sich auch des Problems der Luftreinhaltung an und setzte 1927 eine "Rauchschadenskommission" mit verschiedenen Fachausschüssen ein, die untersuchen sollte, durch welche Mittel eine Verbesserung der Luftverhältnisse im Revier zu erreichen sei. 270 Die Kommission setzte sich aus Vertretern der Industrie, der Bergbau- und Gewerbeaufsicht, der Reichsbahn und des Dampfkessel-Überwachungsvereins zusammen, war also durch ein Übergewicht von "Verursachervertretern" gekennzeichnet. Dies ließ die Erfüllung des Untersuchungsziels letztlich scheitern. 271

2. Entwicklungen im Gewässerschutz a) Die Flußverunreinigungsfrage am Ende des 19. Jahrhunderts Die eigentliche Auseinandersetzung über die Außverunreinigung begann um 1870 trotz der erheblichen industriellen Abwassereinleitungen zunächst als Fortsetzung der Städtereinigungsfrage. Unter dem Druck der zunehmenden Versorgungs- und Entsorgungsprobleme hatte in den größeren Städten um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Einrichtung zentraler Wasserversorgungssysteme begonnen (z.B. Hamburg 1849, Berlin 1853, Altona 1854, Magdeburg 1858),272 die sich in weitem Umfang auf Außwas267 Siehe unten S. 63. 268 Vgl. hierzu und zum folgenden Wey (FN 122), S. 122 ff. 269 Siehe unten S. 75 f. 270 Hierzu Pflug, Landespflege durch den Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk, in: Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk (Hg.), Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk 19201970, 1970, S. 77 ff., 97 f.; Schmidt, Bisherige Tätigkeit des Ausschusses für Rauchbekämpfung beim Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk, 1928. 271 Vgl. hierzu Wey (FN 122), S. 118 ff.; Speisberg (FN 99), S. 157 ff. 272 Vgl. Hofmann, in: Jeserich / Poh1 / Unruh (Hg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd.3, 1984, S. 578 ff., 589 ff.; zu den Gründen für die städtehygienischen Reformen auch Simson, Kanalisation und Städtehygiene im 19. Jahrhundert, 1983, S. 7 ff.

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ser und zum Teil Fernzuleitungen stützten. Etwa ab 1860 (in Hamburg schon 1854) setzte sich mit der Einführung des Wasserklosetts die Schwemm(Misch-)kanalisation durch, die zwar Abwässer und Exkremente rasch abführte, aber den Wasserbedarf wesentlich steigerte und nur um den Preis erheblicher Flußverunreinigungen möglich war. Die Einführung der Schwemmkanalisation war jedoch umstritten: Ein Teil ihrer Gegner, wie z.B. der Deutsche Landwirtschaftsrat, wollte, aufbauend auf der von Liebig in den Jahren nach 1840 entwickelten ,,Raubbautheorie", die Fäkalien als Dünger nutzen und bezeichneten ihre Abschwemmung als volkswirtschaftliche Verschwendung. 273 Die Flußverunreinigungsfrage bekam durch die Debatte um die Ursache der schweren Cholera- und Typhus-Epidemien, die bis um die Jahrhundertwende häufiger auftraten, zunehmende Bedeutung. In der Diskussion, an der sich die führenden Hygieniker und Mediziner beteiligten, standen sich die "Bodentheorie" von Max Pettenkofer, nach der die Epidemien durch Dünste verursacht wurden, die bei Schwankungen des Grundwasserstands aus dem durch Exkremente und Haushaltsabfälle verunreinigten Boden entweichen, und die "Trinkwassertheorie" des Mediziners Robert Koch, der das Trinkwasser als Infektionsweg erkannt hatte, gegenüber. Da Konsequenz der Kochschen Trinkwassertheorie der für die Kommunen sehr kostenintensive Bau von Kläranlagen und die Aufbereitung von Trinkwasser war, setzte sie sich erst Anfang des 20. Jahrhunderts endgültig durch. Beigetragen dazu hatten u. a. auch die Cholera-Epidemie in Hamburg 1892, bei der innerhalb weniger Wochen 8.000 Menschen starben 274 und die Gelsenkirchener Typhus-Epidemie 1901 mit rund 500 Toten 275 • Der steigende Wasserverbrauch machte parallel zum Ausbau der Kanalisationen die Einspeisung von immer mehr Flußwasser in die Wasserversorgungsnetze notwendig. Die Verfahren zur Reinigung von Abwässern, die im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts entwickelt wurden, waren jedoch noch recht primitiv. Nach 1910 besaßen von den 45 größten Städten in Preußen noch vier keinerlei Reinigungsanlagen. Die übrigen waren meist nur mit mechanischen Reinigungsanlagen ausgerüstet, die lediglich grobe Bestandteile entfernen konnten. Chemische Verfahren wurden selten angewandt. Als biologisches Reinigungsverfahren hatte bis dahin nur die Anlage von Rieselfeldern weitere Verbreitung gefunden; ein Verfahren, das aufgrund der unterschiedlichen Bodenverhältnisse aber nicht überall durchführbar war und außerdem zu Bodenverseuchungen führen konnte. 276 Der 273 Rommelspacher, Das natürliche Recht auf Wasserverschmutzung, in: Brüggemeier / Rommelspacher (Hg.), Besiegte Natur, 1987, S. 42 ff., 44 f.; Simson (FN 209),

S. 375 f.

274 Zum ganzen vgl. Kluge / Schramm, Wassernöte: zur Geschichte des Trinkwassers, 2. Aufl., 1988, S. 105 ff. 275 Ursache war das Einspeisen von ungereinigtem Ruhrwasser in das Wasserversorgungsnetz durch die Gelsenkirchener Wasserwerke, vgl. Emmerich, Die Ursachen der Gelsenkirchener Typhus-Epidemie, 1906.

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größte Teil der städtischen Abwässer wurde also mit den Kanalisationen unzureichend oder überhaupt nicht geklärt in die Flüsse geleitet. Resultat waren zahlreiche Konflikte zwischen Flußanliegern. Wesentlicher Diskussionspunkt in dem sich hieraus entwickelnden Gutachterkrieg 277 war neben der Boden- und Trinkwassertheorie die These von der Selbstreinigungskraft der Gewässer, also die Fähigkeit der Gewässer, (organische) Schadstoffe abzubauen. Pettenkofer hatte den Begriff der "Selbstreinigungskraft" erstmals 1891 gebraucht 278, doch hatte sich die Forschung mit diesem Phänomen systematisch schon wesenlich früher befaßt. 279 Die im Rahmen dieser Forschungen gewonnenen Erkenntnisse über die gewässerbiologischen Zusammenhänge fanden Eingang in die Entwicklung von Kläranlagen. Von interessierter Seite wurde freilich bemängelt, die Theorie von der Selbstreinigungskraft der Gewässer sei als Begründung für die Untätigkeit hinsichtlich der Reinigung von Abwässern oder gar als Unbedenklichkeitserklärung für die Einleitung zu verstehen, zudem auch die bloße Verdünnung schädlicher Abwässer als Selbstreinigung bezeichnet wurde. 280

Einen wesentlichen Anteil an der Gewässerverschmutzung hatte die Industrie. 1877 beschwerten sich in Sachsen 140 Orte über starke Flußverunreinigungen; von den 273 genannten Ursachen wurden nur 7 % den Kommunen angelastet, 93 % aber Betrieben. 281 Gleichzeitig gehörte die Industrie auch zu den größten Wasserverbrauchern. Um die Jahrhundertwende benötigte z.B. die Montanindustrie im Ruhrgebiet 90% des dort geförderten Wassers. Obwohl die Abwasserreinigung bzw. -einleitung durch die Gewerbegenehmigung geregelt werden konnte (in der Preußischen Technischen Anleitung von 1895 war auf die Prüfung der Abwassetlrage ausdrücklich Wert gelegt worden), entwickelten sich auch hier vor allem in industriellen Ballungsräumen höchst bedenkliche Zustände. Besonders stark an der Gewässerverschmutzung beteiligt waren Montanindustrie, chemische Industrie, Zucker- und Papierfabriken sowie der Bergbau. Im Ruhrgebiet kann man sogar mindestens bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts von einer insgesamt krisenhaften Situation in der Trinkwasserversorgung sprechen. Schon in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts war konstatiert worden, die Wupper im Bereich Barmen-Elberfeld gleiche durch das Abwasser der Industrie "meistens einem Tintenstrom". 282 Wenn der Biologe A. Thienemann im Sommer 1911 die Ruhr bei Mühlheim als "braun-schwarze Brühe, die

276 277 278

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Vgl. Wey (FN 122), S. 34 ff. Rommelspacher (FN 273), S. 46 ff. Pettenkofer, Zur Selbstreinigung der Flüsse, Arch. f. Hyg. 12 (1891), 269 ff. Ausführlich hierzu Schua / Schua, Wasser, Lebenselement und Umwelt, 1981,

S. 221 ff. 280 281 282

Schua / Schua (FN 279), S. 222 ff.; Simson (FN 209), S. 384. Simson (FN 209), S. 381. Simson (FN 209), S. 382.

2. Entwicklungen im Gewässerschutz

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stark nach Blausäure riecht, keine Spur Sauerstoff enthält und absolut tot ist" beschrieb,283 war dies nur eine von vielen realistischen Beobachtungen.

b) Entwicklung des Gewässerschutzes in Preußen Preußen als größter deutscher Flächenstaat besaß nicht nur die größten industriellen Ballungsräume, sondern war auch Unterlieger aller wichtigen deutschen Flüsse und insofern besonders vom grenzüberschreitenden Schadstofftransport in Deutschland betroffen. Hinzu kam, daß reichseinheitliche Regelungen weitgehend fehlten und die Einzelstaaten in Fragen der Abwasserreinigung kaum zusammenarbeiteten. Die vorhandenen preußischen Gesetze, 284 zu denen 1874 noch das preußische Fischereigesetz 285 hinzukam, das solche Verunreinigungen verbot, die fremde Fischereirechte schädigen konnten, waren, abgesehen von dem ebenfalls festzustellenden Durchsetzungsdefizit, ungeeignet, die auch nur in Preußen anfallenden Abfall- und Schadstoffe in annähernd geordneten Bahnen zu beseitigen. 286 Während mit Maßnahmen gegen Abwassereinleitungen der Industrie unter dem Eindruck der "Gründerkrise" in den 70er Jahren zunächst noch gezögert wurde, bestand erstaunlicherweise ein politischer Handlungswille hinsichtlich der städtischen Abwassereinleitungen. Die an der Genehmigung von Kanalisationsprojekten beteiligte preußische Königliche Wissenschaftliche Deputation für das Medizinalwesen stellte 1876 in einem Gutachten zu den Frankfurter Kanalisationsplänen fest, "daß nach den traurigen, in England während der letzten Dezennien in Betreff der Verunreinigung der Wasserläufe gemachten Erfahrungen jede direkte Verunreinigung der Flüsse durch die Auswurfstoffe der Städte zu vermeiden respektive zu verhindern sei". 287 Wo dies nicht möglich sei, müsse wenigstens dafür gesorgt werden, daß die Abwässer so gereinigt würden, daß eine erhebliche Verschmutzung vermieden werde. 288 In einem Gutachten zur Kölner Kanalisation warnte die Deputation in Anerkennung der Kochsehen Trinkwassertheorie davor, mit der öffentlichen Gesundheit zu experimentieren und eine Praxis nur deshalb zu genehmigen, weil sie Fäkalstoffe einfach und billig aus der Stadt schaffe. Auf der Grundlage dieser Gutachten erging in Preußen am 1. September 1877 eine ministerielle Circularverfügung, nach der die Genehmigung städtischer Kanalisationsanlagen ministerieller Zustimmung bedurfte. 289 Von den Ministerien 283 Zitiert nach Rommelspacher (FN 273), S. 54. 284 Siehe oben S. 46 f. 285 PrGS S. 197. 286

Simson (FN 209), S. 382.

287 Zitiert nach Rommelspacher (FN 273), S. 46. 288 Simson (FN 209), S. 377. 289 VfgMöS 28 (1878), S. 198 ff.; hierzu auch Salomon, in: Rapmund (FN 199), S. 106 ff., 113.

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wurde dann allgemein die Erreichung eines bestimmten Reinheitsgrades der Abwässer gefordert. Die Verfügung kam zunächst praktisch einem Einleitungsverbot für städtische Abwässer in öffentliche Flüsse gleich, verlor jedoch in der Folgezeit unter dem Druck der Kommunen viel von ihrer Wirkung. Nach den Leitlinien, die die Königliche Wissenschaftliche Deputation 1888 als Basis für Genehmigungsverfahren erarbeitet hatte (und die zudem einen ersten Versuch darstellen, Grenzwerte festzulegen!), war das zulässige Höchstmaß an Verunreinigungen erst überschritten, wenn Anzeichen von Fäulnis mit üblem Geruch und Entwicklung von Gasblasen auftraten. 290 Trotz mehrerer auf den Erlaß eines Wassergesetzes gerichteter Initiativen und Debatten im Preußischen Landtag blieb die Wassergesetzgebung Preußens zunächst hinter der anderer deutscher Staaten zurück. Braunschweig, Hessen, Baden und Württemberg verabschiedeten ihre Wassergesetze jeweils 1876, 1887, 1899 und 1900. Bayern folgte 1907, Sachsen 1909. 291 In Preußen wurden lediglich die in der bestehenden Gesetzgebung enthaltenen Bestimmungen in einem allgemeinen Runderlaß der preußischen Staatsregierung vom 20. Februar 1901 über die Fürsorge für die Reinhaltung der Gewässer zusammengefaßt und durch "Grundsätze für die Einleitung von Abwässern in Vorfluter" ergänzt. Der Erlaß, dessen Ziele erstens die Vermeidung gesundheitsschädlicher Folgen von Gewässerverunreinigungen, zweitens die Reinhaltung des zur Trink- und Brauchwasserversorgung erforderlichen Wassers und drittens der Schutz des Publikums gegen erhebliche Belästigungen und der Schutz des Fischbestandes waren, stellte es den Landespolizeibehörden frei, bestehende Polizeiverordnungen im Interesse eines besseren Gewässerschutzes zu ändern, gab aber im wesentlichen keine Kriterien an, nach denen Wasserverunreinigungen zu beurteilen oder Entscheidungen für oder gegen Gewässerreinhaltungsmaßnahrnen zu treffen gewesen wären. Hinsichtlich industrieller EinleiteT rechnete die Staatsregierung auch weitgehend mit der Kooperation der betreffenden Kreise. Bei vielen der bereits genehmigten Betriebe war jedoch die Abwassereinleitung durch die Genehmigungsurkunde bestandskräftig abgesichert, mangelnde Kooperationsbereitschaft also kaum sanktionierbar. Schließlich machten Defizite in der behördlichen Organisation 292 - es existierte keine einheitliche Wasserwirtschaftsverwaltung und fehlende Sachkenntnis bei den lokalen Behörden eine Durchführung des Simson (FN 209), s. 383. Braunschweigisches Wassergesetz vom 20.6.1876 (GVOSlg. S. 285); Hessisches Bachgesetz vom 30.7.1887 (Reg.BI. S.149, Ld.F. d. Bek. vom 30.9.1899, Reg.BI. S. 758); Hessisches Dammbaugesetz vom 14.6.1887 (Reg.BI. S. 105); Badisches Wassergesetz vom 26.6.1899 (GVBI. S. 309, i.d.F. d. Bek. vom 12.4.1913, GVBI. S. 250); Württembergisches Wassergesetz vom 1.12.1900 (Reg.BI. S. 921); Bayrisches Wassergesetz vom 23. 3.1907 (GVBI. S. 175); Sächsisches Wassergesetz vom 12.3.1909 (GVBI. S.527). 292 Vgl. Wey (FN 122), S. 66 f. 290

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Erlasses weitgehend illusorisch. 293 Fortschritte wurden erst mit der Bildung von Wassergenossenschaften, z.T. durch Sondergesetze, erreicht. 294 Eine wesentliche Maßnahme vor allem für die wissenschaftlich-technische Forschung im Bereich der Gewässerreinhaltung stellte die Einrichtung der Königlich Preußischen Versuchsanstalt für Wasser- und Bodenhygiene im Jahre 1901 dar. 295 Aufgabe der Versuchsanstalt war Forschungs-, Gutachter- und Beratungstätigkeit auf dem Gebiet der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung. Zu diesem Zweck arbeiteten Wissenschaftler in direktem Kontakt mit Kommunen, Behörden, Industrie und Interessengruppen. Zusammengearbeitet wurde auch mit einem eigens gebildeten "Verein für Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung" , dessen Tätigkeit sowohl in der finanziellen Unterstützung der Anstaltsarbeit wie auch in praktischen Großversuchen, der Ausbildung kommunaler Beamter und der Bereitstellung von Sachverständigen bestand. Die wissenschaftlichen Ergebnisse der Versuchsanstalt, die sich in besonderem Maße mit modernen Verfahren der Abwasserreinigung und der Beseitigung von Sonderabwässern befaßte, fanden, wenn auch mit großen zeitlichen Verzögerungen, Eingang in Genehmigungsverfahren und Auflagen der Gewerbeaufsicht. Die Preußische Landesanstalt für Wasser- und Bodenhygiene, wie die Versuchsanstalt seit 1918 hieß, wurde jedoch nicht verbindlich an Genehmigungsverfahren beteiligt, so daß auch eine Koordination und Gesamtbilanz der Abwasserbelastung in Preußen auf diesem Wege nicht möglich war. Nicht zuletzt deshalb verschlechterte sich trotz wesentlich verbesserter Kenntnisse über die Problemzusammenhänge die Gesamtbelastungssituation der Gewässer insbesondere im Hinblick auf industrielle Abwässer. Bis 1932 wurden auf Drängen und in Zusammenarbeit mit der Landesanstalt 7 Flußüberwachungsämter eingerichtet, die jedoch nicht formell zusammenarbeiteten und der Landesanstalt nicht nachgeordnet waren, z.T. auch privat finanziert wurden. Weitere Vorstöße der Landesanstalt, eine konstante Flußüberwachung und bessere Kontrolle der Wassergüte zu erreichen, waren nach 1933 wenig erfolgreich. Die Aufwertung der Landesanstalt zur Reichsanstalt für Wasser- und Luftgüte im Jahre 1942 dehnte zwar ihre Zuständigkeit auf das ganze Reich aus, hatte aber kriegsbedingt keine praktische Wirkung mehr. 296 Nach verschiedenen Entwürfen für ein Wassergesetz, an deren Diskussion sich auch Industrieverbände beteiligt hatten, wurde das Preußische Wassergesetz (PrWG)297 am 7. April 1913 erlassen. In der behördlichen Organisation brachte 293 Zum ganzen Wey (FN 122), S. 49 ff. 294 Siehe unten S. 66 ff. 295 Wey (FN 122), S. 69. 296 Zum ganzen Wey (FN 122), S. 66 ff., 102 ff.; die Reichsanstalt wurde nach 1949 zu einer Abteilung des Bundesgesundheitsamtes abgewertet. 297 PrGS S. 53.

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fil. Hochindusnialisierung bis 1945

es keine wesentlichen Verbesserungen, erweiterte aber die begutachtenden Funktionen der Schauämter (§§ 356 ff. PrWG) für das Genehmigungsverfahren und die Kontrolle sowie führte - ebenfalls zu gutachterlichen Zwecken - Wasserbeiräte (§§ 367 ff. PrWG) ein. 298 Neben den Regelungen über den Gemeingebrauch, der nur noch die andere nicht benachteiligende Einleitung von Abwässern gestattete, und einer entsprechenden Einschränkung von Eigentümer- und Anliegergebrauch, waren für die Benutzung von Wasserläufen durch Abwassereinleitungen vor allem die Vorschriften über die Verleihung von Wasserbenutzungsrechten (§§ 46 ff. PrWG) bedeutsam. 299 Zwar konnten Abwassereinleitungen auch aufgrund einer wasserpolizeilichen Unbedenklichkeitsbescheinigung bzw. einer Genehmigung nach § 16 GewO vorgenommen werden, doch war für erhebliche Gewässerbenutzungen, durch deren Ausübung ein größerer Kreis von Wassernutzem berührt wurde, eine Verleihung (entsprechend etwa der heutigen wasserhaushaltsrechtlichen Bewilligung 3°O) erforderlich. Nach § 47 Abs. 1 PrWG bestand auf die Verleihung ein Anspruch, wenn keine im Wassergesetz genannten Gründe entgegenstanden. 301 Die hierzu gehörenden Rücksichten des öffentlichen Wohls eröffneten den Genehmigungsbehörden jedoch einen relativ weiten Spielraum, den diese wohl häufig nicht in Anspruch nahmen. 302 Die Verleihung konnte befristet oder unbefristet erteilt werden, wobei die befristete Erteilung in der Praxis zur Regel wurde. 303 1935 wurde darüber hinaus durch das Preußische Einschränkungsgesetz 304 die Verleihung von Rechten an Wasserläufen erster Ordnung von der Zustimmung der Fachministerien abhängig gemacht. 298 Zu den Aufgaben der Schauämter und Wasserbeiräte sowie zu den sonstigen Wasserbehörden, insbesondere den Wasserpolizeibehörden vgl. Kloess, Grundriß des Preussischen Wasserrechts, 1913, S. 119 ff.; Weber, Zuständigkeiten und Rechtsmittel im preußischen Wassergesetz und im Entwurf des Reichswassergesetzes, Z. Agr. u. Wasserrecht 28 (1943), 7 ff. 299 Das Abwasserrecht war in den verschiedenen Landesgesetzen durchaus unterschiedlich geregelt. Auch den Begriff der Verleihung kannten nicht alle Wassergesetze. Ein Überblick über das Abwasserrecht in den deutschen Staaten findet sich bei Wüsthojf, Handbuch des Deutschen Wasserrechts, 1. Aufl., 1949, Bd. I, § 24 PrWG, Vorbemerkung. 300 Vgl. §8 Wasserhaushaltsgesetz (WHG) Ld.F. d. Bek. v. 23.9.1986 (BGBL I S. 1529, ber. S. 1654), zuletzt geänd. d. G. v. 26.8.1992 (BGBL I S. 1564); die Erteilung einer Bewilligung für Abwassereinleitungen ist allerdings nach geltendem Recht ausgeschlossen (§ 8 Abs. 2 S. 2 WHG); siehe hierzu Kloepfer (FN 188), § 11, Rn. 73 ff. 301 Anders im geltenden Recht: die Erteilung einer wasserrechtlichen Erlaubnis oder Bewilligung steht im (Bewirtschaftungs-)Ermessen der Genehmigungsbehörde, vgl. § § 6, 7 Abs. 1, 8 Abs. 2 u. 3 WHG; siehe hierzu auch BVerfGE 58, 300 (347). 302 Wey (FN 122), S. 60 f.; in den anderen Wassergesetzen, die eine Verleihung kannten, war ihre Erteilung schlechthin in das freie, aber pflichtgemäße Ermessen der Behörde gestellt, vgl. hierzu Wüsthoff, Einführung in das deutsche Wasserrecht, 3. Aufl., 1962, S.81. 303 Wüsthojf (FN 302). 304 PrGS S. 43.

2. Entwicklungen im Gewässerschutz

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c) Gewässerschutzmaßnahmen auf Reichsebene

Auch im Reichstag und bei der Reichsregierung gab es Endes des letzten Jahrhunderts - teilweise unter Beteiligung der Bundesstaaten - Petitionen und Initiativen, die sich mit der Gewässerverschmutzung befaßten und ein Reichswassergesetz forderten. Besonders engagiert waren hier der Deutsche Landwirtschaftsrat, der Internationale Verein zur Reinhaltung der deutschen Flüsse und der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete und spätere Kanzler der Weimarer Republik Philipp Scheidemann. 305 Zwar lagen nach der Verfassung für das Deutsche Reich von 1871 die Gesetzgebungskompetenzen für wasserwirtschaftliche Belange bei den Ländern, doch besaß das Reich die Gesetzgebungskompetenz für die Medizinal- und Veterinärpolizei, die für gewässerschutzrechtliche Maßnahmen in Betracht gekommen wäre. 306 Nach der Reichsgründung sah sich die Reichsregierung jedoch noch außerstande, Normen über die höchstzulässige Verunreinigung von Flüssen aufzustellen. 307 Die Initiativen Anfang des 20. Jahrhunderts scheiterten, obwohl die Bundesstaaten einem Reichswassergesetz im wesentlichen positiv gegenüberstanden, am Widerstand der Industrie, die bei den regierungstragenden konservativen und rechtsliberalen Parteien eine starke Lobby besaß. 308 Maßnahmen auf Reichsebene beschränkten sich stattdessen auf wissenschaftliche Beratungstätigkeit. In den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts hatte das Reichsgesundheitsamt begonnen, Gutachten zur Gewässerverunreinigung vorzulegen. 309 Nachdem 1899 ein Beschluß des Reichstages zur Bildung einer Kommission für die Aufsicht über die zwischenstaatlichen Gewässer abgelehnt worden war, wurde am 25. April 1901 durch Beschluß des Bundesrates ein Reichsgesundheitsrat gebildet. 3\0 Dessen dritter Ausschuß beschäftigte sich mit Fragen der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung. Insbesondere aufgrund organisatorischer Unzulänglichkeiten hat der Reichsgesundheitsrat auf die Entwicklung von Gewässerschutzmaßnahmen wenig Einfluß gehabt. Der Ausschuß setzte sich aus Verwaltungsbeamten, Hygienikern, Chemikern und je nach Sachlage zu berufenden Experten zusammen, konnte jedoch nicht von selbst tätig werden, sondern nur bei Konflikten zwischen verschiedenen Bundesstaaten. Auch hier konnten jedoch allenfalls Empfehlungen hinsichtlich geplanter Abwassereinleitungen gegeben werden. 3 !1 Wey (FN 122), S. 38 f.; Simson (FN 209), S. 385 ff. Wey (FN 122), S.41. 307 Wey (FN 122), S. 38. 308 Zum ganzen Wey (FN 122), S. 39 ff. 309 Siehe Sammlung von Gutachten über Flußverunreinigung, in: Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte 5, 1889. 3\0 Wey (FN 122), S. 38. 3!1 Vgl. Wey (FN 122), S. 64 ff. 305

306

5 Kloepfer

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III. Hochindustrialisierung bis 1945

Die gesetzlichen Handlungsmöglichkeiten des Reiches veränderten sich auch unter der Weimarer Reichsverfassung nur unwesentlich. Nach Art. 97 WRV hatte das Reich jetzt das Eigentum über die Wasserstraßen, die dem allgemeinen Verkehr dienten und war damit für die Strom- und Schiffahrtspolizei zuständig. Auf dieser Grundlage übernahm die entstehende Reichswasserstraßenverwaltung auch die Sorge für die Reinhaltung der Reichswasserstraßen, wendete hierbei aber das jeweils gültige Landesrecht an. Versuche, diese unbefriedigende Rechtslage zu ändern und Vorarbeiten für ein Reichswassergesetz von 1912 wiederaufzugreifen, scheiterten jedoch diesmal am Widerstand der Länder. Auch in der Zeit des Nationalsozialismus gelang es trotz Gleichschaltung der Länder und theoretisch weitreichender Möglichkeiten zu reichseinheitlicher Gesetzgebung nicht, ein Reichswassergesetz durchzusetzen. 312 Zu einer einheitlichen Regelung kam es nur im Bereich der Wassergenossenschaften.

d) Entstehung der Kommunalverbände zur Abwasserbeseitigung Eine der wichtigsten Entwicklungen im Bereich der Gewässerreinhaltung in diesem Zeitraum war zweifellos die Bildung von Wassergenossenschaften zum Zweck der Gewässerreinhaltung und großräumigen Lösung wasserwirtschaftlicher Aufgaben. Vorbildfunktion hatte die Bildung der Emscher Genossenschaft durch ein Sondergesetz im Jahre 1904.3\3 Im Gebiet zwischen Rhein-Ruhr und Lippe waren die Verhältnisse schon um die Jahrhundertwende unhaltbar geworden und gefahrdeten Leben und Gesundheit der Bevölkerung. Viele Wasserläufe wurden praktisch zu Abwasserkanälen. Hauptvorfluter des Gebietes war die Emscher, die außer der Abwasserlast ihres Einzugsgebietes auch die aus anderen Flußgebieten zugeleiteten Abwässer zum Rhein abführte, allerdings hierfür aufgrund geringer natürlicher Wasserführung und geringen Gefalles außerordentlich ungünstige Vorflutverhältnisse aufwies. Besonders erschwerend kamen die mit dem Kohlebergbau verbundenen Absenkungen der Erdoberfläche hinzu, die zusammen mit den natürlichen Bedingungen Überschwemmungen und Versumpfungen herbeiführten. Kläranlagen gab es um die Jahrhundertwende nur in Essen, Bochum und Dortmund. Handlungsbedarf erkannte man vor allem auch deshalb, weil z.T. auch die Versorgung der Industrie mit Brauchwasser gefahrdet war. Da mit Einzelmaßnahmen die Mißstände nicht mehr zu beheben waren, wurde eine Gesamtlösung zur Sanierung des Emscher Gebietes notwendig. Zum Zwecke der Regelung der Vorflut nach Maßgabe eines einheitlichen Projekts und der Abwässerreinigung sowie der Unterhaltung und des Betriebs 312 Hierzu Wey (FN 122), S. 44 ff. 3\3 Gesetz betreffend Bildung einer Genossenschaft zur Regelung der Vorflut und zur Abwasserreinigung im Emscher Gebiet vom 14. Juli 1904 (PrGS S. 175); ein Sondergesetz war erforderlich, weil das Wassergenossenschaftsgesetz von 1879 (PrGS S. 297) die Bildung von Zwangsgenossenschaften zur Reinhaltung von Gewässern nicht vorsah.

2. Entwicklungen im Gewässerschutz

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der ausgeführten Anlagen erfolgte die sondergesetzliche Bildung der Emscher Genossenschaft. Mitglieder der Genossenschaft wurden alle kreisfreien Städte und Landkreise, die ganz oder teilweise nach der Emscher oder ihren Nebenläufen entwässerten, Kostenträger die sogenannten "Beteiligten", Gemeinden, Bergwerke, gewerbliche Unternehmungen (soweit sie einen in der Satzung vorgeschriebenen Mindestbeitrag erreichten), Eisenbahnen und sonstige Anlagen. 314 Darüber hinaus wurden auch die Interessierten in der Landwirtschaft in der Genossenschaftsversammlung berücksichtigt. 315 Bis zum Ersten Weltkrieg erreichte die Emscher Genossenschaft den Bau von 23 Kläranlagen und konnte insbesondere in den 20er Jahren auch Fortschritte im Bereich der Reinigung von Sonderabwässern erreichen. 316 In relativ kurzer Zeit konnte gegen die vorhandenen Mißstände vorgegangen und eine weitere Verschlechterung der Gewässerreinhaltung weitgehend vermieden werden. Die Emscher selbst wurde zum Hauptabwasserkanal des Ruhrgebiets ausgebaut und erfüllt diese Funktion bis heute. 317 Nach dem Vorbild der Emscher Genossenschaft wurde auch in anderen Gebieten die Aufgabe des Gewässerschutzes angegangen. Etwa zeitgleich mit der Verkündung des Preußischen Wassergesetzes erfolgte die Errichtung des RawaVerbands,318 der Linksniederrheinischen Entwässerungsgenossenschaft (Lineg),319 des Ruhrverbands 320 und des Ruhr-Talsperrenvereins. 321 Obwohl das preußische Wassergesetz die Bildung von Zwangsgenossenschaften zur Reinhaltung von Gewässern vorsah, beruhten diese Genossenschaften wie auch die später gegründeten Verbände in Preußen (Niers-Verband, Lippe-Verband und WupperVerband) 322 auf sondergesetzlicher Grundlage. Ein Grund hierfür liegt darin, daß die zuständigen Aufsichtsbehörden zwar Handlungsbedarf erkannten, sich aber angesichts der in der Abwasserfrage aufeinandertreffenden scharfen Interessengegensätze scheuten, die ihnen eingeräumten gesetzlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. 323 In Sachsen wurde ebenfalls durch ein Sondergesetz 1933 324 die 314 In den späteren Sondergesetzen wurde diese Unterscheidung zwischen Mitgliedern und Beteiligten nicht mehr vorgenommen. Vielmerh sind die Verbandsmitglieder auch zugleich Kostenträger, vgl. Dornheim, Das Recht der Wasser- und Bodenverbände, 2. Aufl., 1980, S. 20 ff. 315 Zum ganzen auch Wey (FN 122), S. 52 ff. 316 Wey (FN 122), S. 78 ff. 317 Vgl. Garbrecht, Wasser. Vorrat, Bedarf und Nutzung in Geschichte und Gegenwart, 1985, S. 234 f. 318 Gesetz vom 21. April 1913 (PrGS S. 238). 319 Entwässerungsgesetz für das linksrheinische Industriegebiet vom 29. April 1913 (PrGS S. 251). 320 Ruhr-Reinhaltungsgesetz vom 5. Juni 1913 (PrGS S. 305). 321 Ruhr-Talsperrengesetz vom 5. Juni 1913 (PrGS S. 317). 322 Lippe-Gesetz vom 19. Januar 1926 (PrGS S. 13); Niers-Gesetz vom 22. Juli 1927 (PrGS S. 139); Wupper-Gesetz vom 8. Januar 1930 (PrGS S. 5). 323 Zum ganzen Wey (FN 122), S. 86 ff. 324 Gesetz über die Mulden-Wassergenossenschaft vom 23. Dezember 1933 (GVBl. 1934, S. 2). 5*

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III. Hochindustrialisierung bis 1945

Mulden-Wassergenossenschaft gegründet. Auf reichsrechtlicher Grundlage beruhten der Aller-Ohre-Verband 325 und der Weißelster-Verband. 326 Durch das Gesetz über Wasser- und Bodenverbände vom 10. Februar 1937 327 wurde der Bereich der Wassergenossenschaften reichseinheitlich geregelt. Der Anstoß für die Bildung der Wassergenossenschaften kam regelmäßig von den lokal Betroffenen (Bürger, Gemeinden, Wasserwerke), jedoch nicht selten auch von der Aufsichtsbehörde beim Regierungspräsidenten. 328 Begünstigt wurde die Entwicklung dadurch, daß sich trotz wachsender gewässerwirtschaftlicher Aufgaben an der Behördenorganisation nichts Wesentliches änderte und Selbstverwaltungskörperschaften insofern als einzig sinnvolle Möglichkeit der Bewältigung dieser Gemeinschaftsaufgaben und stärkeren Beteiligung der vorhandenen Unternehmen am Gewässerschutz erschienen. Nachteilig wirkte sich indessen das Genossenschaftsprinzip sowie das Fehlen genauer gesetzlicher Reinhaltungsvorgaben aus: Die Verursacher konnten das Niveau der Wasserreinhaltung weitgehend selbst bestimmen. Gesichtspunkte des Gewässerschutzes wurden dabei vor allem in konjunkturschwachen Zeiten weitgehend durch Kostenerwägungen relativiert. 329

3. Entwicklungen in der Abfallbeseitigung Am Grundkonzept der Abfallbeseitigung änderte sich praktisch bis zu den 70er Jahren dieses Jahrhunderts nichts. Abfallbeseitigung bedeutete weiterhin in erster Linie Städtereinigung, also Müllabfuhr. Immerhin fielen hier im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts wichtige Entscheidungen für die kommunale Finanzierung. 33o In Preußen wurde 1877 der erste Entwurf eines Gesetzes über die Aufbringung von Gemeindeabgaben eingebracht, um den Städten Voraussetzungen zum Bau von Kanalisationen, für stadteigene Betriebe, Straßenreinigung und Müllabfuhr zu verschaffen. Jedoch erst nach langen politischen Auseinandersetzungen wurde am 14. Juli 1893 das preußische Kommunalabgabengesetz 331 erlassen, mit dem die Städte in Preußen ermächtigt wurden, Beiträge zum Bau von Kanalisationen und Gebühren für die Müllabfuhr und Abwasserbeseitigung zu Gesetz vom 13. Januar 1934 (RGBI. I S. 29). VO des Reichsministers des Innem vom 23. Juli 1934 (RGBI. II S. 416); hierzu Dornheim (FN 314), S. 90 ff. 327 RGBI. I S. 188; wichtigste Ausführungsverordnung hierzu war die WasserverbandVO vom 3. September 1937 (RGBI. I S. 933), die bis zum Inkrafttreten des Gesetzes über Wasser- und Bodenverbände (Wasserverbandsgesetz - WVG) vom 12. Februar 1991 (BGBI. I S. 405) fortgegolten hat; siehe hierzu Dornheim (FN 314), S. 20 ff. 328 Wey (FN 122), S. 86. 329 Hierzu Wey (FN 122), S. 78 ff., 85 f. 330 Hösel (FN 49), S. 156 f. 331 PrGS S. 152; zur Entstehungsgeschichte siehe Nöl! / Freund, Das Kommunalabgabengesetz vom 14. Juli 1893, nebst Ausführungsanweisung vom 10. Mai 1894 und Mustersteuerverordnungen, 6. Aufl., 1907, Einleitung. 325

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3. Entwicklungen in der Abfallbeseitigung

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erheben (§§ 4, 9). Durch Polizeiverordnungen konnte nun auch der Anschlußund Benutzungszwang für die von der Stadt bereitgestellten Anlagen vorgeschrieben werden. 332 Hier liegt der juristische Ursprung der kommunalen Entsorgungspflicht, die als Ausnahme vom umweltpolitischen Verursacherprinzip ein wesentliches Prinzip der rechtlichen Regelung der Abfallentsorgung darstellt. 333 In der Folgezeit fanden Entwicklungen vor allem im technischen Bereich des Abfuhrwesens statt. 334 Als Entsorgungsverfahren war am Ende des 19. Jahrhunderts vor allem die Ablagerung von Abfällen außerhalb der Stadt auf Deponien ohne weitere Behandlung (und ohne besondere Schutzmaßnahmen gegenüber der Umwelt) von Bedeutung. Daneben begann die Müllverbrennung schon eine Rolle zu spielen. Die landwirtschaftliche Verwertung von Abfällen war inzwischen infolge der durch die fortschreitende Industrialisierung veränderten Zusammensetzung des Mülls rückläufig. Im Jahre 1910 hatten nach einer Umfrage der Zentral stelle des Deutschen Städtetages von 120 Städten mit über 25.000 Einwohnern 115 die Müllablagerung als Entsorgungsverfahren in Gebrauch. 335 Dabei wurden keine besonderen Schutzmaßnahmen angewandt, obwohl auch damals schon Hygieniker in der Literatur vor Gefahren für Wasser, Boden und Luft warnten. Das Verfahren einer "geordneten Deponie" ist in Deutschland erst seit 1961/62 bekannt und in größerem Umfang angewendet worden. 336 Dennoch hatten Ende des 19. Jahrhunderts größere Städte wegen des Widerstands von Nachbargemeinden schon Probleme, geeignete Ablagerungsplätze zu finden. 337 Dies führte 1894 nach erfolgreichen Anfangen in England zum Bau der ersten deutschen Müllverbrennungsanlage in Hamburg. Bis zum Ersten Weltkrieg bauten außerdem neun weitere Städte eigene Müllverbrennungsanlagen, darunter Wiesbaden, München und Frankfurt am Main. 338 Die Verwertung von Abfällen erlangte wieder größere Bedeutung im Vorfeld und während des Zweiten Weltkriegs. Infolge der zunehmenden Autarkiebestrebungen wurden Verwertungstechnologien zur Verbesserung der nationalen RohVgl. Nöl! / Freund (FN 331), § 4 Kommunalabgabengesetz, Anm. 4b. Vgl. § 3 Abs.2 S. 1 Abfallgesetz (AbfG) v. 27.8.1986 (BGBL I S. 1410, ber. S. 1501), zuletzt geänd. d. G. v. 26.6.1992 (BGBL I S. 1161); hierzu Schramm, Unser Müllnotstand wurzelt in der Geschichte, universitas 1991, 118 ff., 123 f.; zur geltenden Rechtslage Kloepjer (FN 188), § 12, Rn. 77 ff. 334 Hösel (FN 49), S. 157 ff., 170 ff.; zur Entwicklung im Tierkörperbeseitigungsrecht ebenda, S. 151 ff. 335 Hösel (FN 49), S. 159. 336 Hösel (FN 49), S. 159, 185. 337 Vgl. Schramm (FN 333), 122 ff. 338 Hösel (FN 49), S. 161 f., 187 f.; aufgrund technischer Schwierigkeiten erlangte die thermische Reduzierung von Müll jedoch bis Ende der 60er Jahre keine größere Bedeutung. 332 333

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III. Hochindustrialisierung bis 1945

stofflage entwickelt und ab 1935 ein System der Abfallwirtschaft aufgebaut, in das die verschiedensten gewerblichen und politischen Institutionen einbezogen waren (etwa die Wirtschaftskammern, die Gewerbeaufsicht und auf regionaler Ebene die Gauleiter). 1937 wurde hierfür auch die selbständige Dienststelle eines "Reichskommissars für Altmaterialverwertung im Vierjahresplan" geschaffen. 339 Mit Hilfe einer massiven und politisch wirksamen Propaganda wurden auch Erfolge hinsichtlich einer Reduzierung des noch zu beseitigenden Abfallaufkommens erzielt. Das eigentliche Ziel, die Wirtschaft durch das Recycling von Stofffimporten aus dem Ausland weitgehend autark zu machen, wurde aber nicht erreicht. 340

4. Entwicklung des Naturschutzrechts a) Entwicklung des Naturschutzgedankens um die Jahrhundertwende Schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte es im Gefolge der deutschen Romantik und der Schule der "Landesverschönerungskunst" 341 erste Ansätze für von naturschützerischen Motiven geleitete Regelungen gegeben. So wurde 1836 der Drachenfels im Siebengebirge durch die preußische Regierung unter Schutz gestellt, um dort den weiteren Steinbruchbetrieb zu unterbinden. Etwas später wurden die Teufelsmauer im Harz und das erste größere WaldNaturschutzgebiet am Kubany in Böhmen gesichert. 342 Jedoch handelte es sich hier im wesentlichen um den Schutz einzelner Naturdenkmäler überwiegend aus ästhetischen Gründen; eine besondere rechtliche Grundlage existierte nicht. Im Gegensatz zur - in der Gestaltung von Landschaftsgärten und -parks sich ausdrückenden - "Landesverschönerung" als primär planender und kultivierender Aktivität, ist hier allerdings erstmals im Ansatz Naturschutz als Schutz der spontanen, selbst aufwachsenden und sich erhaltenden "wilden" Natur erkennbar. 343 339 Zum ganzen siehe Huchting, Abfallwirtschaft im Dritten Reich, Technikgeschichte 48 (1981), 252 ff. 340 Vgl. Schramm (FN 333), 127. 341 Näher hierzu Olschowy (Hg.), Natur- und Umweltschutz in der Bundesrepublik Deutschland, 1978, S. 1 ff.; Däumel, Über die Landesverschönerung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, 1961; Buchwald, Geschichtliche Entwicklungen von Landschaftspflege und Naturschutz in Deutschland während des Industriezeitalters, in: Buchwald / Engelhardt (Hg.), Handbuch für Landschaftspflege und Naturschutz, Bd. 1, 1968, S. 97 ff.; Mrass, Gedanken zur Landesverschönerung aus heutiger Sicht, in: Schenkel/ Storm (Hg.), FS für v.Lersner, 1990, S. 249 ff.; Haber, Naturschutz und Landschaftspflege - Ursprünge, Gegenwartsprobleme und Zukunftsperspektiven aus naturwissenschaftlicher Sicht, in: Naturschutz- und Landschaftspflegerecht im Wandel, UTR 20, 1993, S. 5 ff. 342 Vgl. Bernatzky / Böhm, Bundesnaturschutzrecht, 1977 ff., Einleitung, S. 2; Barthelmeß, Landschaft, Lebensraum des Menschen, 1987, S. 129 ff. 343 Vgl. Haber (FN 341).

4. Entwicklung des Naturschutzrechts

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Der Gedanke eines organisierten Naturschutzes mit entsprechenden besonderen Rechtsgrundlagen begann in Deutschland erst Ende des 19. Jahrhunderts Fuß zu fassen. Dabei wirkte befruchtend vor allem die Entwicklung in den USA, wo eine weitgehend unberührte Naturlandschaft schon früher sehr viel stärkeren menschlichen Eingriffen ausgesetzt war und entsprechende Gegenreaktionen daher auch früher, d. h. Mitte des 19 . Jahrhunderts, einsetzten. 344 Wesentliche Bedeutung für die "Conservation"-Bewegung in den USA und über deren Grenzen hinaus hatte das 1864 erschienene Werk ,,Man and Nature" von George Perkins Marsh. Wenige Jahre später, 1872 und 1890, wurden der Yellowstone-Nationalpark und der Yosemite-Nationalpark als erste Nationalparks in den USA gegründet. Um 1900 gab es bereits fünf große Nationalparks in den USA. 345 In Deutschland waren es vor allem Ernst Rudorffin Dresden, Hugo Conwentz in Danzig und der Abgeordnete im Preußischen Abgeordnetenhaus Wilhelm Wetekamp, die seit 1880 darauf hinwirkten, daß der Staat Maßnahmen zum Schutz von gefährdeten Naturräumen ergreifen sollte. Bald nach der Jahrhundertwende fand dieses Ziel Unterstützung in breiteren (vor allem bürgerlichen) Bevölkerungskreisen; seit 1904 wirkte der von Rudorff gegründete "Deutsche Bund Heimatschutz". Der Name des Bundes war auch insoweit Programm, als diese frühen Naturschutzbewegungen nicht primär den Schutz der Natur mit dem Ziel der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen verbanden, sondern von nationalen Zielsetzungen geprägt waren, wie den Schutz des "deutschen Bodens" und der in besonderen Beziehungen zur "deutschen Seele" stehenden Natur. 346 Obwohl die Heimatschutzbewegung gerade auch Ausdruck der Anfang des 20. Jahrhunderts im Bürgertum verbreiteten Kultur- und Zivilisationskritik war Industrialisierung und Verstädterung wurde als Gegenpol der romantische (und romantisierende!) Blick zurück entgegengesetzt - , ließ sie sich letztlich auf eine Auseinandersetzung mit den Formen industrieller Produktion und industrieller Naturzerstörung nicht grundsätzlich ein, sondern beschränkte sich auf den Schutz einzelner Reservate und Einzelerscheinungen der außermenschlichen Natur im Sinne eines ästhetischen Naturschutzes und eines Veränderungsverbots. Träger dieser ersten "Naturschutz"-Bewegungen war vor allem die städtisch gebildete obere Mittelschicht, die ihren Aufstieg und Wohlstand gerade der Industrialisierung verdankte. Verstädterung und Industrialisierung hatten jedoch zu von der 344 Wey (FN 122), S. 129; allgemein zur historischen Umwe1tprob1ematik in den USA vgl. z.B. Petulla, American Environmenta1 History: The Exploitation and Conservation of Natural Resources, 1976; und Nash (Hg.), The American Environment: Readings in the History of Conservation, 1978. 345 Näher hierzu Barthelmeß (FN 342), S. 112 ff., 149 ff. 346 So etwa Rudorff, zitiert nach Wey (FN 122), S. 130; vgl. auch Andersen, Heimatschutz. Die bürgerliche Naturschutzbewegung, in: Brüggemeier / Romme1spacher (Hg.), Besiegte Natur, 1987, S. 143 ff., 149 ff.; Schoenichen, Naturschutz, Heimatschutz. Ihre Begründung durch Ernst Rudorff, Hugo Conwentz und ihre Vorläufer, 1954; Sie/erle, Fortschrittsfeinde? Opposition gegen Technik und Industrie von der Romantik bis zur Gegenwart, 1984, S. 161 ff., 167 ff.

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III. Hochindustrialisierung bis 1945

Natur weitgehend distanzierten Lebensbedingungen geführt und damit auch emotionale Bedürfnisse nach Naturerfahrung und Naturgefühl erzeugt, die Voraussetzung für ein der Natur nicht nur ausbeutend, sondern auch schützend gegenübertretendes Bewußtsein waren. Demgegenüber waren naturorientierte Tendenzen in der Arbeiterbewegung durch eine grundsätzliche Bejahung des technischen Fortschritts und ein eher pragmatisches Naturverständnis gekennzeichnet. Das durch die, 1895 als Touristenverein gegründeten, "Naturfreunde" eingeführte soziale Wandern etwa sollte sich nicht im romantischen Naturerleben erschöpfen, sondern auch das Sammeln sozialer Einsichten umfassen und das Spektrum sozialistischer Kulturarbeit erweitern. Als Konsequenz auch einer kapitalismuskritischen Grundhaltung stand im Vordergrund nicht der Schutz der Natur, sondern die Forderung nach einem freien Zugang zur Natur. 347 Erste systematische staatliche Maßnahme auf dem Gebiet des Naturschutzes vor dem Ersten Weltkrieg, aber auch Kennzeichen dafür, daß das Naturschutzinteresse im wesentlichen auf Einzelerscheinungen, wie z. B. alte Bäume beschränkt blieb, war die Einrichtung einer unter Conwentz' Leitung stehenden "Staatlichen Stelle für Naturdenkmalspflege in Preußen", 348 die bald auch einen eigenen Verwaltungsunterbau erhielt. Ihre Aufgabe bestand darin, die "Erhaltung von Naturdenkmälern im preußischen Staatsgebiet", vor allem durch ermittelnde und beratende Tätigkeit, zu fördern. Die Erhaltung der Naturdenkmäler, die nunmehr durch Verwaltungsakte unter staatlichen Schutz gestellt wurden, sollte jedoch in erster Linie Aufgabe der Beteiligten, d. h. der Grundstückseigentümer selbst sein. Ein flächenhafter Schutz von Naturräumen wurde noch nicht angestrebt. 349 Ähnliche Institutionen wurden kurz danach auch in Bayern, Württemberg und anderen deutschen Ländern errichtet. Zeitlich parallel wurden 1902 und 1907 in Preußen als erste gesetzliche Regelungen mit naturschutzrechtlichem Gehalt Gesetze zum Schutz besonders schöner Landschaftsbestandteile erlassen. 350 Beide Gesetze zielten auf ästhetischen Naturschutz, indem Reklameschilder in der freien Landschaft untersagt und verunstal347 Vgl. Zimmer, Soziales Wandern. Zur proletarischen Naturaneignung, in: Brüggemeier / Rommelspacher (Hg.), Besiegte Natur, 1987, S. 158 ff. und allgemein zur Geschichte der Naturfreundebewegung und zur Naturorientierung in der Arbeiterschaft dens. (Hg.), Mit uns zieht die neue Zeit. Die Naturfreunde: zur Geschichte eines alternativen Verbandes in der Arbeiterkulturbewegung, 1984; Birkert (H.g.), Von der Idee zur Tat: aus der Geschichte der Naturfreundebewegung, 1970; Linse, Okopax und Anarchie: eine Geschichte der ökologischen Bewegungen in Deutschland, 1986, S. 42 ff. 348 Diese Stelle markiert den Beginn institutionalisierten Naturschutzes in Deutschland und war Vorgängerin der heutigen Bundesforschungsanstalt für Naturschutz und Landschaftsökologie mit Sitz in Bonn, vgl. Olschowy (FN 341), S. 3. 349 Zum ganzen Wey (FN 122), S. 131 f. 350 Gesetz gegen die Verunstaltung landschaftlich hervorragender Gegenden vom 2. Dezember 1902 (PrGS S. 159); Gesetz gegen die Verunstaltung von Ortschaften und landschaftlich hervorragenden Gegenden vom 15. August 1907 (PrGS S. 260).

4. Entwicklung des Naturschutzrechts

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tende Bauten in bestimmten, besonders ausgezeichneten Landschaften unterbunden werden konnten. Schon in diesen Gesetzen war freilich gegenläufigen Interessen, insbesondere wirtschaftlicher Art, ein breiter Raum gegeben. Versuche der Flächensicherung für den Naturschutz blieben privater Initiative vorbehalten 351 und deshalb ebenfalls nur von beschränkter Reichweite. So gründete sich 1909 der "Verein Naturschutzpark e.V.", der zwischen 1910 und 1920 4.000 Hektar Heidefläche um den Wilseder Berg aufkaufte. 352 Das Gelände wurde 1921 als erster deutscher Naturschutzpark "Lüneburger Heide" zum Schutzgebiet erklärt. Der hierbei engagierte und für großräumigen - allerdings konservierenden und nicht gestaltenden - Landschaftsschutz eintretende Heimatschützer und Schriftsteller Hermann Löns hatte sich schon 1911 mit der Konzeption der Naturdenkmalpflege äußerst kritisch auseinandergesetzt und geäußert: ,,Es ist ja ganz nett, wenn einige kleine Einzelheiten geschützt werden, Bedeutung für die Allgemeinheit hat diese Naturdenkmälerchensarbeit aber nicht. Pritzelkram ist der Naturschutz, so wie wir ihn haben. Der N aturverhunzung dagegen kann man eine geniale Großzügigkeit nicht absprechen. Die Naturverhunzung arbeitet "en gros" , der Naturschutz "en detail." 353 Leitbild dieses Heimatund Naturschutzes war im wesentlichen die (durch noch wenig modernisierte oder intensivierte Landwirtschaft geprägte) Kulturlandschaft. Daß die Entstehung und auch Erhaltung von Heiden, Streuwiesen, Niederwäldern etc., also zahlreicher Ausprägungen dessen, was wir als landschaftliche Vielfalt bezeichnen, nutzungsbedingt und nicht "natürlich" (i. S. v. spontan) sind, war damals (noch) nicht bekannt. 354 Auf Reichsebene wurden bis zum Ersten Weltkrieg keine Vorschriften oder Behörden, die speziell den Naturschutz berührten, geschaffen. Eine Ausnahme stellte ein 1888 erlassenes Reichsgesetz zum Schutz von Vögeln dar. 355 Im übrigen war Tierartenschutz bis zum Erlaß des Reichsnaturschutzgesetzes im wesentlichen auf jagdbare Tierarten beschränkt. Im Bereich der landesrechtlichen Jagdgesetzgebung wurden schon ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wesentliche bis heute geltende Grundprinzipien des Jagdrechts entwickelt, so das Reviersystem, Jagdschein, Schonzeit, Wildschadensverhütung etc. 356 In Preußen erging 1870 das Gesetz über die Schonzeiten des Wildes. 357 Auch im Bereich der Andersen (FN 138), S. 146. Siehe Barthelmeß (FN 342), S. 134 ff. 353 Zitiert nach Olschowy (FN 341), S. 3. 354 Trotz inzwischen weitergehender Erkenntnisse wirkt dieses Naturschutz-Leitbild heute noch fort; vgl. Haber (FN 341). 355 RGBl. I S. 111. 356 Im geltenden Recht vgl. etwa §§ 1, 4 ff., 15 ff., 22, 26 ff. Bundesjagdgesetz (BJagdG) i.d.F. d. Bek. v. 29.9.1976 (BGBl. I S. 2849), zuletzt geänd. d. Einigungsvertrag v. 31. 8.1990 (BGBl. 11 S. 889, 1017); Verordnung über die Jagdzeiten v. 2.4.1977 (BGBl. I S. 531); Bundeswildschutzverordnung (BWildSchV) v. 25.10.1985 (BGBl. I S.2040). 351

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III. Hochindustrialisierung bis 1945

landesrechtlieh sehr unterschiedlich geregelten Fischereigesetzgebung gab es Beschränkungen, die auf den Schutz fischereiwirtschaftlich bedeutsamer Arten gerichtet waren. Die größte einheitliche Kodifikation war die preußische Regelung, zuletzt im Preußischen Fischereigesetz von 1916,358 das auch einige Regelungen über Hegemaßnahmen und damit verbundene Fischereibeschränkungen enthielt, allerdings ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Fischerei. 359 Ähnlich früh setzte daneben auch im Artenschutz die Entwicklung völkerrechtlicher Vereinbarungen ein. So wurde schon im Jahre 1900 eine "Konvention zur Bewahrung verschiedener in Afrika wildlebender Tierarten, die für den Menschen nützlich oder nicht schädlich sind" 360 und im Jahre 1902 eine "Konvention zum Schutz der für die Landwirtschaft nützlichen Vögel"361 abgeschlossen.

b) Naturschutzrecht in der Weimarer Republik Am Beginn der Entwicklung nach dem Ersten Weltkrieg stand die Aufnahme des Naturschutzes in die Weimarer Reichsverfassung. Art. 150 WRV lautete: "Die Denkmäler der Kunst, der Geschichte und der Natur sowie die Landschaft genießen den Schutz und die Pflege des Staates." Als Programmsatz beruhte diese Bestimmung zwar noch auf dem Gedanken des "musealen" Naturschutzes, war aber auch offen für sozialpolitische Zwecksetzungen, was sich partiell aus ihrer Stellung im Grundrechtsteil am Ende des Abschnitts über "Bildung und Schule" ergibt. 362 In Ausfüllung dieser Vorschrift erließen in der Folgezeit mit Ausnahme Thüringens alle Länder Gesetze bzw. Vorschriften über den Natur- und Heimatschutz. Wichtig war insbesondere die Novellierung des § 30 des Preußischen Feld- und Forstpolizeigesetzes von 1880 im Jahre 1920,363 durch die in Preußen die verbindliche Ausweisung von Naturschutzgebieten und der Erlaß einer Tier- und Pflan357 PrGS S. 120; ausführlicher zur Rechtsentwicldung bis zum Reichsjagdgesetz

Mietzschke / Schäfer, Kommentar zum Reichsjagdgesetz, 3. Aufl., 1942, S. 3 ff. 358 PrGS S.55. Das preußische Fischereigesetz war für viele Fischereigesetze der

Länder beispielhaft und hat damit nach 1945 zur Vereinheitlichung des Fischereirechts in den Ländern beigetragen. Es gilt mit Änderungen bis heute in Sch1eswig-Holstein und Berlin. 359 Zu den naturschutzrechtlichen Bezügen des Jagd- und Fischereirechts siehe nur Lorz, Ein Blick auf den Grenzbereich von Tierschutz-, Naturschutz-, Jagd- und Fischereirecht, NuR 1985,253 ff. 360 Wiedergegeben bei Rüster / Simma, International Protection of the Environment, Vol. IV, 1975, S. 1605 ff. 361 Rüster / Simma (FN 360), S. 1615 ff.; die heute bedeutsamen internationalen Vereinbarungen wurden jedoch erst seit Anfang der 70er Jahre geschaffen. 362 Siehe hierzu Hofmann, JZ 1988, 265 ff., 271 f.; Wey (FN 122), S. 135 f. 363 PrGS S. 437.

4. Entwicklung des Naturschutzrechts

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zenschutzverordnung ermöglicht wurde. 364 Bis 1933 wurden für Preußen etwa 400 Naturschutzgebiete angegeben. 365 Generell verschob sich der Schwerpunkt des Naturschutzes im Gefolge der sozialen Umwälzungen nach dem Ersten Weltkrieg vom rein ästhetischen Naturschutz zum Schutz von Flächen zur Erholung der Bevölkerung, insbesondere der Großstadtbevölkerung. Im Ruhrgebiet wie auch in anderen Ballungsräumen nahm die Wald- und Grünflächenvernichtung als Folge wachsender Ansprüche an Verkehrs- und Siedlungsflächen, aber auch der z.T. schlechten Versorgungslage der Bevölkerung mit Brennmaterial in den Nachkriegsjahren, dramatisch zu. Gleichzeitig erfaßte mit der Verschlechterung der städtischen Lebensbedingungen das Bedürfnis nach Erholung in der Natur weitere Bevölkerungskreise. Hierzu trug auch bei, daß erstmalig Arbeitszeitverkürzungen und Urlaubsregelungen in Tarifverträgen abgesichert werden konnten, und damit die Möglichkeit bestand, Erholungsbedürfnisse in gewissem Umfange zu befriedigen. 366 In Preußen waren es vor allem zwei Maßnahmen, bei denen die "sozialpolitische" Komponente des Natur- und Landschaftsschutzes deutlich wurde: Die Gründung des Siedlungsverbands Ruhrkohlenbezirk (SVR) vom 5. Mai 1920 367 und das Preußische Baumschutzgesetz vom 29. Juli 1922. 368 Aufbauend auf den Vorarbeiten der bereits 1911 in Düsseldorf eingesetzten Grünflächenkommission, deren Zweck in einer übergreifenden Planung von Grünzonen als Puffer zwischen den Großstädten des Ruhrgebietes bestand, wurde 1922 als überkommunaler Planungsverband der Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk SVR (Nachfolger: Kommunalverband Ruhr) gegründet, um das Ruhrgebiet einer überkommunalen Verkehrs- und Bebauungsplanung zu unterwerfen. 369 Die Aufgaben des SVR waren seinerzeit unter anderem die überörtliche Verkehrsund Grünflächenplanung (einschließlich der Sicherung und Erhaltung von Grünflächen)370 sowie die Förderung der Siedlungstätigkeit im weitesten Sinne durch

364 Hierzu Wey (FN 122), S. 137; W. Weber, Das Recht der Landschaft, in: Beiträge zum Recht der Wasserwirtschaft und zum Energierecht. FS für P. Gieseke, 1958, S. 95 ff.,

98.

365

366

Schmidt (FN 224), S. 136. Wey (FN 122), S. 142 f.; Schmidt (FN 224), S. 135 f.

367 Gesetz betreffend Verbandsordnung für den Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk (PrGS S. 286). 368 Gesetz zur Erhaltung des Baumbestandes und der Erhaltung und Freigabe von Uferwegen im Interesse der Volksgesundheit (PrGS S. 213). 369 Zu Entstehung und Geschichte des SVR siehe Steinberg, Geschichte des Siedlungsverbandes Ruhrkohlenbezirk, DV 1968, 165 ff.; und den Sammelband Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk (Hg.), Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk 1920-1970, 1970, insbes. den Beitrag von Schnur, Entwicklung der Rechtsgrundlagen und der Organisation des SVR, S. 9 ff. 370 Ausführlicher zur Landespflege und GTÜnflächenpolitik des SVR Pflug (FN 270), S. 84 ff.

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wirtschaftliche Maßnahmen. 371 Der SVR war damit der erste regionale Sonderverband mit Raumordnungsaufgaben. Die Raumordnung bzw. Landesplanung ist aus dem Städtebau hervorgegangen. Hier hatte es schon Anfang des Jahrhunderts Planungen mit sozialpolitischem Einschlag gegeben, die auf Gestaltung der Stadtlandschaft ausgerichtet waren, z.B. im Gefolge der Bodenreform- und Gartenstadtbewegung. 372 Eine Raumordnung für das gesamte Reich gesetzlich zu verankern, gelang in der Weimarer Zeit nicht. In den 20er Jahren entstanden jedoch als Versuche, den Raum wenigstens regional zu ordnen, durch freiwillige Zusammenschlüsse einige Landesplanungsverbände. Zu erwähnen sind z. B. die Landesplanungsgemeinschaft für den mitteldeutschen Industriebezirk in Merseburg, die Landesplanungsstelle WestSachsen, der Landesplanungsverband Berlin-Brandenburg-Mitte, die Landesplanung der Rhein-Provinz und der Landesplanungsverein für das Rhein-MainGebiet. 373 Im Rahmen seiner Aufgabe der Sicherung und Erhaltung von Grünflächen war der SVR maßgeblich an der Entstehung des Preußischen Baumschutzgesetzes beteiligt, was dazu beigetragen haben dürfte, daß das Gesetz auch gegen den heftigen Widerstand von Landwirtschafts- und Waldbesitzerverbänden ergehen konnte. Das Baumschutzgesetz beschränkte sich auf den Schutz der Baumbestände in den Großstädten und deren näherer Umgebung, wurde aber im wesentlichen nur im Bereich des SVR und im Großraum Berlin effektiv angewandt. 374 Eine über die Einzelstaaten hinaus greifende Organisation des Naturschutzes fehlte weiterhin; die Entwürfe für ein Reichsnaturschutzgesetz wurden bis zum Ende der Weimarer Republik nicht verabschiedet. Generell fehlte fast vollständig eine ökologische Zielsetzung des Naturschutzes; dies galt sowohl für die staatlichen Stellen als auch für die Naturschutzverbände. 375 Zwar war es parallel zu der Entwicklung naturschützerischer Zielsetzungen auch zur Herausbildung ökologischer Denkweisen gekommen. 376 Die Ökologie hat lange - bis in die 70er 371 Vgl. Wey (FN 122), S. 141 ff.; Depenbrock I Reiners, Landesplanungsgesetz Nordrhein-Westfalen, 1985, Einführung, S. 77 f. 372 Näher hierzu Schmidt (FN 224), S. 128 f., 179 f.; Hartmann, Deutsche Gartenstadtbewegung: Kulturpolitik und Gesellschaftsreform, 1976. 373 Vgl. Hoppe I Mencke, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht des Bundes und des Landes Rheinland-Pfalz, 1986, Rn. 5 f.; Schmidt (FN 224), S. 142 f. 374 Wey (FN 122), S. 142 ff. 375 Wey (FN 122), S. 138 ff. 376 Der Begriff "Ökologie" wurde von dem Biologen Ernst Haeckel gepr~gt, der 1866 bei seinen Arbeiten zur Systematisierung der zoologischen Disziplinen die Okologie als "die gesamte Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Außenwelt ... " defmierte. Auf Haeckel gehen auch Ansätze der Synökologie, die man unscharf als ,,Lehre vom Haushalt der Natur" definieren kann, zurück. Mit diesen Ansätzen verknüpfte Haeckel bis dahin spezielle Biologiebereiche, vor allem Pflanzenund Tiergeographie und -soziologie sowie evolutionstheoretische Aussagen von Darwin und bildete damit die Grundlage für die Entwicklung einer ganzheitlichen "Wissenschaft von der Natur".

4. Entwicklung des Naturschutzrechts

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Jahre hinein - nur eine wenig beachtete und wegen ihres "ganzheitlichen" Ansatzes zum Teil sogar mit Skepsis betrachtete Randexistenz neben den traditionellen Naturwissenschaften geführt und - auch wegen ihrer zunächst geringen Anwendungsorientiertheit - bis in jüngere Zeit wenig Einfluß auf den praktischen Naturschutz gehabt. 377 c) Naturschutzrecht im Nationalsozialismus Während des Dritten Reiches wurden umfassende naturschutzrechtliche Regelungen erlassen, die die Grundlagen für das heutige Naturschutzrecht legten. 378 Diese Gesetzgebungsaktivität hing zusammen mit dem Gewicht, das die nationalsozialistische Ideologie - durchaus in Fortführung (aber auch Übersteigerung) von schon in den Anfangen der Naturschutzbewegung herrschenden Gedanken - auf den Schutz der "deutschen Natur" legte; Ziel des Staates war das "schollengebundene, boden verwurzelte Volk". 379 Ferner brauchte der gleichgeschaltete nationalsozialistische Staat nicht mehr auf die demokratischen Institutionen und die Gesetzgebungs- oder Verwaltungskompetenzen der Länder Rücksicht zu nehmen; so wurde das Reichsnaturschutzgesetz vom 24. Juni 1935 durch bloßen Kabinettsbeschluß verabschiedet. Die bereits erwähnte "Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen" wurde als "Reichsstelle für Naturschutz" mit Zuständigkeit für das ganze Reich fortgeführt. Bis auf die typischerweise nationalsozialistisch formulierten Eingangsbestimmungen war das Reichsnaturschutzgesetz inhaltlich jedoch gerade nicht von primär nationalsozialistischem Gedankengut geprägt. Im wesentlichen wurden durch das Reichsnaturschutzgesetz vorhandene Ansätze im Naturschutzrecht vereinheitlicht und verbessert. Daher blieben - bis auf § 24 RNatSchG, der ausdrücklich eine Entschädigung bei Rechtsbeschränkungen durch die Naturschutzbehörden ausschloß - die Regelungen des Gesetzes auch nach dem Krieg zunächst weiterhin in Kraft. 380 377 Erst in der neueren Zeit hat die Ökologieforschung durch ihre Erkenntnisse über die Wechselwirkungen innerhalb der Biosphäre Einfluß auch auf die umweltrechtliche Entwicklung gehabt; prägnantestes Beisp'!el ist die Einführung der Umweltverträglichkeitsprüfung; vgl. zur Entwicklung der Okologie Küppers / Lundgren / Weingart, Umweltforschung - die gesteuerte Wissenschaft?, 1986, S. 50 ff.; Trepl, Geschichte der Ökologie vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, 1987; Schramm (Hg.), Ökologie~esebuch: Ausgewählte Texte zur Entwicklung ökologischen Denkens, 1984; ders., Okologie und Gesellschaft - ihr Verhältnis in der Geschichte, in: Calließ / Rüsen / Striegnitz (Hg.), Mensch und Umwelt in der Geschichte, 1989, S. 97 ff. 378 Vereinzelt gelten diese sogar noch heute als Landesrecht fort; vgl. § 56 Abs. 5 HmbNatSchG. 379 Wey (FN 122), S. 148. 380 Zur Weitergeltung des RNatSchG BVerwGE 2, 35 ff. und später zur Fortgeltung des Gesetzes als bundeseinheitliches Landesrecht BVerfGE 8, 186 ff.; siehe auch unten S.84,88.

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III. Hochindustrialisierung bis 1945

Trotz der an sich überaus weitreichenden Eingriffsmöglichkeiten des totalitären Staates läßt sich im Bereich des Naturschutzes auch im Dritten Reich ein erhebliches Durchsetzungs- oder besser Vollzugsdefizit feststellen, das zum einen auf die unter dem Mantel des Einheitsstaates gegenläufigen staatlichen und privaten Interessen (mit einem beträchtlichen Durchsetzungsvermögen im Geflecht der verschiedenen Staats- und Parteistellen) zurückzuführen ist, zum anderen in der geringen Ausstattung der Naturschutzstellen mit fachlich qualifiziertem Personal begründet war. 381 Zudem konterkarierten die Infrastrukturmaßnahmen (Autobahnbau, Industrieansiedlungen) die Anstrengungen für einen effektiven Naturschutz, die schließlich durch Kriegsvorbereitungen und den Krieg selbst zum Erliegen gebracht wurden. Kern der Gesetzgebungsarbeiten während des Dritten Reiches war das Reichsnaturschutzgesetz (RNG) vom 24. Juni 1935. 382 Das Gesetz nahm Vorarbeiten des preußischen Kultusministeriums aus dem Jahre 1927 auf und stellte eine naturschutzrechtliche Kodifikation dar, die mit Ausnahme der Präambel weitgehend frei von über die gerade gekennzeichneten Einflüsse hinausgehenden natursozialistischem Gedankengut war. 383 Systematisch wurden die schutzwürdigen Objekte den Begriffen Naturdenkmäler (§§ 3, 12 ff. RNG), Landschaftsteile (§§ 5, 19 RNG), Naturschutzgebiete (§§ 4, 12 ff. RNG),384 Artenschutz (§§ 2, 11 RNG) 385 und allgemeiner Landschaftsschutz zugeordnet. Festgeschrieben wurde ein drei stufiger Aufbau der Naturschutzbehörden (§ 7 RNG). Diesen Behörden ordnete man auf jeder Verwaltungsstufe einen Beirat zu (§§ 8 ff. RNG). 386 Inhaltlich wurde die Unterschutzstellung von Naturdenkmälern, Naturschutzgebieten und Landschaftsteilen sowie die zu treffenden Konservierungsmaßnahmen, darüber hinaus aber auch erstmalig die Möglichkeit von Beseitigungsmaßnahmen, geregelt. In § 20 RNG waren die Beteiligung der Naturschutzbehörden bei allen naturschutzrelevanten Planungen vorgeschrieben und dabei auch erstmals ansatzweise ökologische Kriterien eingeführt worden. Die Vorschrift wurde jedoch in der Realität kaum durchgesetzt. Lediglich bei der Planung und dem Bau von 381 Zum ganzen Bernatzky / Böhm (FN 342), S. 3 f.; Wey (FN 122), S. 147 ff.; Rubner, Naturschutz, Forstwirtschaft und Umwelt in ihren Wechselbeziehungen besonders im NS-Staat, in: Kellenbenz (Hg.), Wirtschaftsentwicklung und Umweltbeeinflussung (14.20. Jahrhundert), 1982, S. 105 ff., 109 ff. 382 RGBl. I S. 821; zur Entstehungsgeschichte siehe Mrass, Die Organisation des staatlichen Naturschutzes und der Landschaftspflege im Deutschen Reich und in der Bundesrepublik Deutschland seit 1935, 1970, S. 9 ff.; Wey (FN 122), S. 147 ff. 383 Ebel (FN 45), Sp. 784; zu den wesentlichen Inhalten siehe auch Weber (FN 364), S. 101 ff. 384 Zum Schutz bestimmter Teile von Natur und Landschaft im geltenden Recht vgl. §§ 12 ff. Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz BNatSchG) i.d.F. d. Bek. v. 12.3.1987 (BGBl.I S. 889), zuletztgeänd. d. G. v. 12.2.1990 (BGBl. I S. 205). 385 Zum Artenschutz im geltenden Recht vgl. §§ 20 ff. BNatSchG. 386 Zur Organisationsstruktur der mit dem Naturschutz befaßten Behörden ausführlich Mrass (FN 382), S. 13 ff.

4. Entwicklung des Naturschutzrechts

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Autobahnen wurden sogenannte Landschaftsanwälte eingesetzt, deren Aufgabe es war, durch Begrünung etc. dafür zu sorgen, daß die Autobahnen "organisch in die Landschaft wachsen". 387 Mit der Naturschutzverordnung vom 18. März 1936 388 kam es dann auch zu einer ersten umfassenden artenschutzrechtlichen Regelung, die sich mit dem Schutz der wildwachsenden Pflanzen, nicht jagdbaren Tiere und dem Gehölz- und Heckenschutz in der freien Natur befaßte. 389 Daneben ist als wichtige Regelung mit Naturschutzbezug das Reichsjagdgesetz vom 3. Juli 1934 390 zu erwähnen, das im wesentlichen auf den Grundsätzen des Preußischen Jagdgesetzes vom 18. Januar 1934 391 beruhte, und eine grundlegende Umorientierung des Jagdrechts im Hinblick auf Waidgerechtigkeit, Wildhege und Tierschutz bedeutete. 392 Einheitliche Regelungen gab es auch im Bereich der Forstgesetzgebung. Hier wurde eine umfassende Zwangswirtschaft mit einer Marktgesetzgebung auf dem Gebiet der Holzwirtschaft eingeführt, zu der z. B. auch ein Gesetz gegen Waldverwüstung vom 18. Januar 1934 393 gehörte. Ansätze zu einer naturgemäßen Waldwirtschaft noch aus den 20er Jahren fielen allerdings bald der Autarkie- und Kriegswirtschaftspolitik zum Opfer. 394 Auch zum Erlaß eines Reichsforstgesetzes kam es nicht mehr. Die in dessen Entwurf von 1942 enthaltenen forstpolitischen Ideen sind dann aber in die modeme Forstgesetzgebung nach 1945 eingegangen. 395 Weniger der Naturschutzplanung als der Planung neuer Industriegebiete diente die reichsrechtliche Regelung der Raumordnung. Wesentlich zu erwähnen sind hier das Gesetz über die Regelung des Landbedarfs der öffentlichen Hand 396 von 1935, durch das eine Reichsstelle für Raumordnung geschaffen wurde, sowie die hierzu ergangene erste Durchführungsverordnung (DVO) vom 15. Februar 1936 397 mit dem Ziel, eine das gesamte Reichsgebiet überspannende Organisation

388

Mrass (FN 382), S. 14 ff., 16. RGBl. I S. 181.

391

PrGS S. 13.

387

389 Zu weiteren Erlassen und Verordnungen von 1935 bis 1945 siehe Mrass (FN 382), S. 33 ff. 390 RGBl. I S. 549.

Das Bundesjagdgesetz vom 29. November 1952 (BGBl. I S; 780), als erste in den Grundzügen einheitliche Regelung nach 1945, lehnte sich in der Sache eng an das Reichsjagdgesetz an; zur jagdrechtlichen Entwicklung nach 1945 Mitzschke / Schäfer, Kommentar zum Bundesjagdgesetz, 4. Aufl., 1982, Einl., Rn. 4 fj. 393 RGBl. I S. 37. 394 Ab 1935 wurden die Waldbesitzer zum vermehrten Holzeinschlag gezwungen; vgl. hierzu Rubner, Deutsche Forstgeschichte 1933 - 1945: Forstwirtschaft, Jagd und Umwelt im NS-Staat, 1985, S. 24 ff., 91 ff. 395 Siehe hierzu Rozsnyay / Schulte, Der Reichsforstgesetzentwurf von 1942 und seine Auswirkungen auf die neuere Forstgesetzgebung, 1978; näher zum Scheitern der Entwürfe von 1940 und 1942 Rubner (FN 394), S. 159 ff.; im übrigen zur Rechtsentwicklung Klose / Orjf, Forstrecht, 1982, S. 1 ff. 396 RGBl. I S. 468. 397 RGBl. I S. 104. 392

80

III. Hochindustrialisierung bis 1945

von Planungsbehörden und Landesplanungsgemeinschaften zu schaffen. Die reichsrechtliche Regelung beschränkte sich jedoch auf Verfahrens- und Organisationsvorschriften. Regelungen zum materiellen Planungsrecht konnten kriegs bedingt nicht mehr erfolgen. 398

398

VgI. hierzu Hoppe I Menke (FN 373), Rn. 7 f.; Schmidt (FN 224), S. 143.

IV. Entwicklung nach 1945 Der Zweite Weltkrieg erweist sich nicht nur als menschliche, politische und wirtschaftliche, sondern zunehmend auch als ökologische Katastrophe. Kriegseinwirkungen (z.B. die Zerstörung von chemischen Anlagen oder Treibstofftanks) und Kriegsvorbereitungen (z. B. Munitionsfabriken) führten insbesondere zu längerfristigen Bodenverunreinigungen, die teilweise bis heute (als Unterfall der militärischen Altlasten) nicht beseitigt sind. Auch die Kriegsfolgenbeseitigungen führten zu erheblichen Umweltveränderungen und -belastungen (z. B. Schuttbeseitigung). Die Kriegsvorbereitungen und vor allem der Krieg selbst bedeuteten für den Umweltschutz in allen Bereichen einen schwerwiegenden Rückschlag. Die Fortentwicklung des Umweltrechts wurde lange unterbrochen. Der Krieg hatte im übrigen die meisten einschlägigen Verwaltungsstellen nach Kriegsende organisatorisch zunächst handlungsunfähig gemacht. Der größte Teil der Umweltbelangen dienenden Anlagen, wie etwa Kläranlagen, war zerstört und die Landschaft schwer geschädigt. Nach Kriegsende kam es wegen der weitgehenden Zerstörung der deutschen Industrie naturgemäß zu einer vorläufigen Minderung der Immissionsbelastung. Umgekehrt führte die Not der ersten Nachkriegsjahre teilweise auch zu einem Raubbau an natürlichen Ressourcen, z. B. an Waldbeständen aus Gründen der Brennstoffversorgung. Trotz des Vorhandenseins umweltschützender Rechtsgrundlagen blieben im Zeitalter der technischen Realisation 399 Vorschläge zur Eindämmung umweltbelastender Aktivitäten zunächst weitgehend ungehört. Auch nach dem wirtschaftlichen Wiederaufbau stand im Mittelpunkt zunächst die Frage, welche politischen Maßstäbe der Verwirklichung des Sozialstaates zugrundezulegen seien.

1. Rechtsentwicklung bis 1969/70 a) Bundesrepublik Deutschland

In den Jahren des Wiederaufbaus und des "Wirtschaftswunders" schritt die Landschaftsinanspruchnahme und -zerstörung in einem bisher nicht gekannten Ausmaß fort. Abwasser- und Müllaufkommen nahmen rapide zu. Mit der industriellen Produktion und dem Energieverbrauch steigt auch die Menge der schädlichen Abgase gewaltig an. Gleichzeitig verschärft und differenziert sich das Problem der Luftschadstoffe durch die Zunahme der Emissionsquellen und die neu 399

Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, S. 30 ff.

6 Kloepfer

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IV. Entwicklung nach 1945

hinzukommenden bzw. neu erkannten Luftschadstoffe. In den 60er Jahren gibt es auch in der Bundesrepublik Deutschland (Hamburg, Ruhrgebiet) bedrohliche Smogwetterlagen, die man in diesem Ausmaß bisher nur aus dem Ausland gekannt hatte. 400 In anderen Bereichen stellten sich ebenfalls schon früh gravierende Probleme ein. Anfang der 50er Jahre waren z. B. ein Teil der Oberflächengewässer in den industriellen Ballungsräumen nicht einmal für die industrielle Brauchwasserversorgung zu nutzen. 401 In der Folgezeit steigt vor allem die Gewässerbelastung mit Schwermetallen, Kohlenwasserstoffverbindungen, Nitraten und Pestiziden. In der Bundesrepublik Deutschland gewann der Umweltschutzgedanke in den 60er Jahren indes nur vereinzelt im wissenschaftlichen Spektrum zunehmende Bedeutung. 402 Eine öffentliche Meinung, wie sie heute den für das Umweltrecht typischen Entscheidungsdruck kennzeichnet, hatte sich jedoch vor 1969/70 noch nicht gebildet. Dennoch setzte nach den wichtigen Vorläufern des Wasserhaushaltsgesetzes (1957) und des Atomgesetzes (1959) seit Mitte der 60er Jahre eine - trotz der bereits propagierten Charakerisierung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen als zusammenhängender Aufgabe - eher punktuelle, auf bestimmte Umweltbelastungen bezogene, Gesetzgebung ein. 403 Mit der noch auf die Gewerbeordnung gestützten TA Luft (1964), dem Gesetz zum Schutz gegen Baulärm (1965), der TA Lärm (1968) und dem Altölgesetz (1968) wurden bereits lange vor dem teilweise politikprägenden Erstarken der "Umweltschutzbewegungen" die ersten Bemühungen sichtbar, Umweltgesetze modemen Zuschnitts zu erlassen. 404 Wichtige Vorarbeiten stellten hierbei der Bericht der Bundesanstalt für Vegetationskunde zur Belastung der Landschaft,405 sowie eine Reihe von umweltpolitischen Vorstößen der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft für naturgemäße Wirtschaft (lPA)406 dar. Der IPA und insbesondere ihren engagierten MitglieSiehe Speisberg (FN 99), S. 205 ff. Wey (FN 122), S. 173 f. 402 In der rechtswissenschaftlichen Literatur beginnt die breite Diskussion erst mit dem Aufsatz von Rehbinder, ZRP 1970, 250 ff.; vgl. später etwa Picht, ZRP 1971, 152 ff. - Geprägt waren die Diskussionen von komplexen Prognosen, wie sie bereits in den USA Irritationen ausgelöst hatten, vgl. hierzu die Beiträge in Lohmann (Hg.), Gefährdete Zukunft, 1970. Dort findet sich auch eine deutsche Übersetzung des "berühmten" Aufsatzes von L. White jr., The Historical Roots of Our Ecological Crisis, Science 155 (1967), S. 1203 ff. - Seine These, das Christentum habe entscheidend zur Umweltzerstörung beigetragen, ist als kulturhistorisches Erklärungsmodell noch heute aktuell, vgl. etwa R. Groh / D. Groh, Religiöse Wurzeln der ökologische Krise - Naturteleologie und Geschichtsoptimismus in der frühen Neuzeit, 1991, S. 11 ff. 403 Vgl. Rehbinder (FN 402), S. 250 ff. 404 Kloepfer (FN 188), § 1, Rn. 37. 405 Bundesanstalt für Vegetationskunde, Naturschutz und Landschaftspflege (Hg.), Zur Belastung der Landschaft, 1969. 406 Gegründet im Jahr 1952 bildete die IPA einen Arbeitskreis von Abgeordneten überwiegend aus Länderparlamenten. Jenseits von parteipolitischen Profilierungsinteres400

401

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dem, darunter dem langjährigen Geschäftsführer W. Burhenne, kommt das Verdienst zu, die Begrenztheit der natürlichen Ressourcen frühzeitig erkannt und als Ausgangspunkt für entsprechende Warnungen, Gutachten und Gesetzesentwürfe gemacht zu haben. Im Bereich der Luftreinhaltung und der Lärmbekämpfung, dem Gewässerschutz und dem Naturschutz sind die wesentlichen Initiativen 407 von der IPA ausgegangen. 408 In ihrem Auftrag ist auch die erste Vorschriftensammlung umweltschützender Regelungen des Bundes und der Länder herausgegeben worden. 409 Die Frühphase des modernen Umweltrechts ließ dabei nicht ohne weiteres die spätere Dominanz des öffentlichen Rechts erkennen. Für eine Verbesserung der Maßnahmen zur Luftreinhaltung konnte auch auf das gewachsene privatrechtliche Immissionschutzrecht zurückgegriffen werden. 410 1959 hatte der Gesetzgeber neben der Änderung des § 16 GewO durch die Novellierung der umweltrechtlichen Umorm in § 906 BGB die Grundlage für einen privatrechtlichen Umweltschutz geschaffen. In der Folgezeit erwies sich jedoch ein privatrechtlicher Ansatz zur Lösung der komplexen Umweltprobleme als zu eng, um bereits das Entstehen von Umweltschäden zu vermeiden. Schon im Wasserhaushaltsgesetz und im Atomgesetz hatten die haftungsrechtlichen Vorschriften nur eine flankierende Funktion erhalten. Charakteristisch war für den sich abzeichnenden Eintritt in das Jahrhundert der Umwelt 411 die wachsende Erkenntnis, daß sich der Staat mit sen standen die Sachprobleme, zunächst primär parlamentsrechtsliche Fragen, im Vordergrund, vgl. E. Müller, Aus Parlament und Zeitgeschichte, Beilage Nr. 47 -48 vom 17.11.1989, S. 3 (6). Zur Bedeutung der IPA und frühen Ansätzen einer Beschäftigung mit Umweltfragen in der Bundesrepublik Deutschland jetzt H. P. Vierhaus, Das Verfassungsgebot der Willensbildung "von unten nach oben", untersucht am Beispiel der frühen Umweltpolitik und der Umweltaufklärung, Diss. Berlin, 1993 (MS), S. 14 ff. 407 Zu nennen sind etwa der Entwurf zur Änderung der Gewerbeordnung und Ergänzung des BGB aus dem Jahre 1958, der Entwurf zu einem Baulärmgesetz aus dem Jahr 1965, die Vorlage des Detergentiengesetzes von 1960 sowie verschiedene Vorschläge zur Änderung des WHG aus den Jahren 1955, 1961, 1964 und 1965. 408 Hierzu Burhenne / Kerhan, Neue Formen parlamentarischer Zusammenarbeit. Anhang: Umweltprobleme - zuerst erkannt von Parlamentariern, in: Vogel/ Simon / Podlech (Hg.), FS für M. Hirsch, 1981, S. 324 ff. - Als überparteiliches Gremium hatte es die IPA schwer, sich in den Parteien Gehör für umweltpolitische Maßnahmen zu verschaffen. Die Programmatik der Parteien wurde durch die Arbeit der IPA nicht beeinflußt. Erst die grundlegende Veränderung der politischen Rahmenbedingungen gegen Ende der 70er Jahre, als die "grünen Parteien" erste Erfolge bei Landtagswahlen erzielten, ließ die etablierten Parteien umweltpolitische Forderungen in Parteiprogramme aufnehmen, vgl. E. Müller, Innenwelt der Umweltpolitik: Sozialliberale Umweltpolitik - (Ohn)Macht durch Organisation?, 1986, S. 114 ff. (m. w.N.) 409 Inzwischen unter dem Titel: Umweltrecht. Systematische Sammlung der Rechtsvorschriften des Bundes und der Länder, hrsg. im Auftrag der IPA von W. Burhenne. 410 Vgl. etwa H. Westermann, Welche Maßnahmen zur Luftreinhaltung und zur Verbesserung des Nachbarrechts sind erforderlich?, 1958, S. 14. Gegen eine öffentlichrechtliche Ausgestaltung des Immissionsschutzes aber noch Herschel, JZ 1959, S. 76 ff. 411 E. U. v. Weizsäcker, Erdpolitik. Ökologische Realpolitik an der Schwelle zum Jahrhundert der Umwelt, 2. Aufl., 1990, S. 9. 6*

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einer Flucht in das Privatrecht nicht der Veranwortung für die Risiken' der Technik 412 entziehen dürfe. Eine privatrechtlich vermittelte Selbstregulierung umweltschützenden Verhaltens blieb daher auch in den 70er Jahren, der eigentlichen Aufbauphase des modemen Umweltrechts, weitgehend ausgeblendet. Weiterhin wurde bereits in den 60er Jahren immer deutlicher, daß Verbesserungen im Umweltschutz unübersichtliche und uneinheitliche Regelungen entgegenstanden. Während die immissionsschutzrechtlichen Bestimmungen aus der Zeit vor 1945, also insbesondere die entsprechenden Bestimmungen der Gewerbeordnung, nach Kriegsende weitergalten, hatte die in anderen Bereichen (z. B. im Naturschutz) in der Zeit des Nationalsozialismus teilweise unter Zwang herbeigeführte Rechtseinheit keinen Bestand. Das Reichsnaturschutzgesetz wurde aufgrund der Art. 124 oder 125 GG zwar nicht - wie teilweise angenommenBundesrecht, jedoch stellte das Bundesverfassungsgericht dessen Fortgeltung als bundeseinheitliches Landesrecht fest. 413 Den Ländern war es daher möglich, das Reichsnaturschutzgesetz abzuändern oder aufzuheben. Hiervon machten sie im wesentlichen jedoch nur insoweit Gebrauch, als es regelmäßig lediglich darum ging, es den sich verändernden Verhältnissen anzupassen. Das Reichsnaturschutzgesetz hatte sich trotz seiner nationalsozialistischen Herkunft in der Verwaltungspraxis offensichtlich bewährt. Zu den drängenden Gesetzesvorhaben nach 1969/ 70 zählte die Schaffung eines Bundesnaturschutzgesetzes daher wohl nicht. Nicht genutzt wurde in der (unmittelbaren) Nachkriegszeit die Chance, durch entsprechende Kompetenzzuweisungen an den Bund im Grundgesetz von 1949 die Möglichkeit einer qualitativen Vereinheitlichung der wichtigsten Umweltbereiche zu schaffen. Gerade in so wesentlichen Fragen wie dem Wasserhaushalt und dem Naturschutz räumte das Grundgesetz dem Bund nur eine Rahrnenkompetenz ein; in anderen Bereichen (wie der Abfallbeseitigung und dem Bodenschutz) hatte der Bund überhaupt keine ausdrücklichen Kompetenzen. Umweltrelevante Entwicklungen und Verbesserungen wurden in den folgenden Jahren durch Kompetenzkonflikte und die Regelungszersplitterung gebremst. Unter anderem dürfte auch hier ein Grund (neben anderen) für das relativ verzögerte Ingangkommen der Umweltpolitik im Sinne eines umfassenden Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen zu sehen sein. aa) Gewässerschutzrecht

Besonders ausgeprägt war die Zersplitterung auf dem Gebiet des Wasserrechts. Im Jahre 1937 waren im Gebiet des Deutschen Reiches 11 verschiedene Landeswassergesetze von größerer Bedeutung in Geltung gewesen. 414 Durch die Neuord412

413 414

Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985. BVerfGE 8, 186 ff. Siehe die bei Wüsthoff (FN 302), S. 18 f., aufgeführten Landeswassergesetze.

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nung der Länder ergab es sich, daß nach 1945 in manchen Ländern bis zu vier Wassergesetze galten, die z.T. weit voneinander abwichen. 415 Dies behinderte die Wasserversorgung und Wasserreinhaltung auch innerhalb der Länder und erschwerte wasserwirtschaftliche Vorhaben, die sich über mehrere Rechtsgebiete erstreckten. Außerdem begann sich in den Wasserbehörden die Erkenntnis durchzusetzen, daß die bisherige Orientierung an Einzelfallregelungen nicht ausreichend, sondern eine Gewässerbewirtschaftung unter Berücksichtigung der Gesamtbelastung eines Gewässers sowie die Einbeziehung auch des Grundwassers in die Gewässerreinhaltung erforderlich war. Die Gefährdung der industriellen Brauchwasserversorgung ließ auch die Industrie frühzeitig für eine einheitliche Rahmengesetzgebung eintreten. 416 Das Wasserhaushaltsgesetz (WHG) vom 27. Juni 1957 417 (am 1. März 1960 in Kraft getreten) klammerte allerdings viele wegen Kompetenzund Ressortkonflikten umstrittene Fragen aus. 418 Kernstück des Wasserhaushaltsgesetzes war - in Nachzeichnung bisherigen Wasserrechts - die Erlaubnis- bzw. Bewilligungspflichtigkeit jeder Benutzung eines Gewässers, auch des Grundwassers. Für die Reinhaltung der Gewässer waren Normen gegen nachteilige Einwirkungen, eine Gefahrdungshaftung und der Erlaß von Reinhalteverordnungen vorgesehen. Bestimmungen zur Sicherung der Wasserversorgung, über die Aufstellung eines Wasserbuches und wasserwirtschaftlicher Rahmenpläne ergänzten diese Vorschriften. Das WHG enthielt jedoch noch keine allgemeinverbindlichen Anforderungen an die Einleitung von Abwässern in oberirdische Gewässer. Der Vorstoß im Entwurf eines dritten Änderungsgesetzes, solche Vorschriften ins WHG einzuführen, scheiterte Mitte der 60er Jahre am Widerstand des Bundesrates. 419 Das Gesetz zur Reinhaltung der Bundeswasserstraßen vom 17. August 1960,420 mit dem wenigstens für die größeren Wasserläufe Gütekriterien aufgestellt werden sollten, wurde 1962 vom Bundesverfassungsgericht aus Kompetenzgründen für verfassungswidrig erklärt. 421 Erste zusätzliche Verbesserungen im Gewässerschutz auf bundesrechtlicher Ebene brachte das auf Initiative der IPA 422 erlassene Gesetz über Detergentien in Wasch- und Reinigungsmitteln vom 5. September 1961. 423 415 Vgl. Wüsthoff (FN 302), S. 20 f.; insgesamt waren im Bundesgebiet 119 verschiedene Wasserrechte (Landeswassergesetze, Verordnungen) in Geltung. 416 Wey (FN 122), S. 174 f. 417 BGBI. I S. 1110. 418 Wey (FN 122), S. 176. 419 Dies gelang erst mit dem 4. Änderungsgesetz zum WHG vom 26. April 1976 (BGBI. I S. 1109). 420 BGBI. 11 S. 2125. 421 BVerfGE 15, 1. 422 Dazu oben S. 82 f.

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Auf landesrechtlicher Ebene wurden zugleich mit dem WHG nur die Landeswassergesetze von Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg und Berlin in Kraft gesetzt. Eine einheitliche Regelung der Materie sollten hier Musterentwürfe für die Landeswassergesetze sicherstellen. Dies gelang jedoch nicht immer, da sich die Länder in ihren parlamentarischen Beratungen häufig von diesen Musterentwürfen absetzten. 424 Nach ihrem Inkrafttreten wurden das WHG und die Landeswassergesetze mehrfach novelliert. 425 bb) Immissionsschutzrecht

Zum Teil unter dem Eindruck der Intensivierung der internationalen Diskussion im Anschluß an die teilweise katastrophale Luftbelastung in den großen Städten der USA und in London kam es auch in der Bundesrepublik Deutschland Anfang der 50er Jahre zu Verbesserungsvorschlägen hinsichtlich des Immissionsschutzes, z. B. von seiten des Deutschen Städtetages und des Siedlungsverbands Ruhrkohlenbezirk. 426 Im wesentlichen auf einem Entwurf der IPA beruhte das Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung und Ergänzung des BGB vom 22. Dezember 1959,427 durch das die § § 16 ff. der Gewerbeordnung neu gefaßt wurden. Insbesondere wurde der Erlaß einer neuen Technischen Anleitung als Ersatz für die TA von 1895 vorgesehen, durch die der neueste Stand der Technik berücksichtigt werden sollte. Eine der wichtigsten Änderungen war die Ermöglichung nachträglicher Anordnungen und Auflagen an eine neu genehmigte Anlage in § 25 GewO, ohne daß eine wesentliche Änderung im Betrieb der Anlage vorliegen mußte. 428 Die D.uldungspflicht von Immissionen nach § 906 BGB wurde eingeschränkt und ein Geldausgleich für ortsübliche, duldungspflichtige Immissionen eingeführt. 423 BGBI. I S. 1653; an diese Regelung knüpfte das Gesetz über die Umweltverträglichkeit von Wasch- und Reinigungsmitteln (Waschmittelgesetz) vom 20. August 1975 (BGBI. I S. 2255) an. 424 Vgl. Wey (FN 122), S. 177. 425 Hiervon sind aus den bis zum Umweltprogramm erfolgten Änderungen des WHG hervorzuheben das 2. Änderungsgesetz v. 6.8.1965 (BGBI. I S. 611), durch das Vorschriften über Rohrleitungsanlagen zum Befördern wassergefährdender Stoffe, und das 3. Änderungsgesetz v. 15.8.1967 (BGBI. I S.909), durch das Vorschriften über den Schutz der Küstengewässer eingefügt wurden; zur wasserwirtschaftsrechtlichen Entwick1ung des Bundes nach 1957 Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 2. Aufl., 1987, Rn. 6 ff. 426 Zur für die Entstehung der Umweltpolitik wichtigen Bedeutung des Siedlungsverbandes Ruhrkohlenbezirk vgl. Neufang, DÖV 1963, 812; H. J. Luhmann, Geschichte der Umweltpolitik in Deutschland, Das Parlament Nr.40, 41 vom 30.9./7.10.1988, S. 18 f. 427 BGBI. I S. 781. 428 Siehe hierzu Brunn, Die Entwicklung des Rechtsinstituts der nachträglichen Anordnung im Immissionsrecht der Bundesrepublik Deutschland (§§ 25 Abs. 3 GewO, 17 BlmSchG), 1975.

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Die Veränderungen der Rechtslage betrafen vor allem die Emissionen aus Gewerbebetrieben; Verkehr und Haushalt, die inzwischen einen erheblichen Anteil an der Luftverschmutzung hatten, wurden noch nicht erfaßt. Wesentliche Vorstöße im Immissionsschutzrecht gingen im folgenden von Länderseite aus. 429 Die Bundesländer mit den stärksten Ballungsgebieten erließen die ersten Immissionsschutzgesetze, wie z.B. Nordrhein-Westfalen 1962 mit einem damals relativ modem konzipierten Immissionsschutzgesetz, 430 Baden-Württemberg und Hessen 1964 sowie Rheinland-Pfalz 1966. 431 Zwischen 1960 und 1969 ergingen dann auf Bundesebene auf der Grundlage von § 24 GewO einige wichtige Rechtsverordnungen zum Schutz vor Gefahren durch bestimmte gefährliche Anlagen. 432 Erst 1964 wurde von der Bundesregierung eine Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft)433 und 1968 die TA Lärm 434 erlassen. Ebenfalls aus dem Jahre 1968 stammte ein sich an den weiterführenden Zielrichtungen des nordrhein-westfälischen Immissionsschutzgesetzes orientierender Referentenentwurf für ein "Gesetz zur Reinhaltung der Luft und zum Schutz vor Lärm", der jedoch in der laufenden Legislaturperiode keine Realisierungschancen mehr hatte und lediglich zur Diskussion der Problematik beitrug. 435

ce) Naturschutzrecht Im Naturschutzrecht füllte der Bundesgesetzgeber seine Rahmenkompetenz aus Art. 75 Nr. 3 GG zunächst nicht aus. Im Hinblick auf die Fortgeltung des Reichsnaturschutzgesetzes war in Schrifttum und Rechtsprechung - gegen die Bedenken einiger Länder - überwiegend die Auffassung vertreten worden, daß zumindest die inhaltlich Rahmenrecht darstellenden materiellen Vorschriften des 429 Die wettbewerbsermöglichende, innovationsfördernde Kraft des Föderalismus bewährte sich hier im Umweltschutz. 430 Wey (FN 122), S. 187 ff. 431 Siehe Karl, Deutsches Immissionsschutzrecht seit 1870 bis zum Bundesimmissionsschutzgesetz von 1974: ein rechtsgeschichtlicher Überblick, Technikgeschichte 47 (1980), S. 20 ff., 28. 432 Z.B. die Verordnung über die Lagerung, Abfüllung und Beförderung brennbarer Flüssigkeiten vom 18. Februar 1960 (BGBI. I S.83) und die Verordnung über die Errichtung und den Betrieb von Dampfkesselanlagen vom 8. September 1965 (BGBI. I S. 13(0); vgl. Karl (FN 431), S. 20 ff. 433 GMBI. S. 433, inzwischen geltend in der Fassung vom 27.2.1986 (GMBI. S. 95, ber. S. 202). 434 Beil. BAnz. Nr. 137. Während die TA Luft inzwischen zweimal novelliert wurde, gilt die TA Lärm, obwohl heutigen Erkenntnissen zum Lärmschutz nicht mehr entsprechend, weiterhin unverändert fort; immerhin ist inzwischen für den Bereich des Verkehrslärms, der in der TA Lärm keine gesonderte Berücksichtigung gefunden hatte, als 16. BImSchV die Verkehrslärmschutzverordnung v. 12.6.1990 (BGBI. I S. 1036) ergangen; vgl. hierzu auch BVerfGE 79, 174 (191 ff.) und unten, S. 12; zum Lärmschutz in den 60er Jahren Karl (FN 431), S. 33 f. 435 Vgl. Wey (FN 122), S. 193 f.

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Reichsnaturschutzgesetzes als Bundesrecht fortgalten. 436 Im Jahre 1958 entschied jedoch das Bundesverfassungsgericht auf Vorlage des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, daß das Reichsnaturschutzgesetz im ganzen nicht als Bundesrecht, sondern als Landesrecht fortgelte. 437 Auch im organisatorischen Bereich lag der Schwerpunkt der Naturschutzverwaltung bei den Ländern. Die ehemalige "Reichs stelle für Naturschutz" wurde zwar - gegen erheblichen Widerstand einiger Länder - als "Bundesanstalt für Naturschutz und Landschaftspflege" mit Sitz in Bonn fortgeführt, hatte jedoch nur geringe Kompetenzen. Als Reaktion auf den enormen Landschaftsverbrauch in den Jahren des Wiederaufbaus wurde zum einen unter maßgeblicher finanzieller Beteiligung des Bundes 1956 das "Naturpark-Programm" in Angriff genommen, das bis 1976 zur Ausweisung von 54 Naturparks führte, die 15,3 % der Fläche des Bundesgebietes umfaßten. Zum anderen begann sich der Gedanke durchzusetzen, daß der bisherige Ansatz eines konservierenden, ästhetisch oder auch sozialpolitisch motivierten Naturschutzes nicht mehr ausreichte, das Ziel des Naturschutzes vielmehr in erster Linie die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen zur Sicherung der Gesundheit und sogar des Überlebens sein müsse. 438 Ausdruck fand dieses gewandelte Verständnis von Naturschutz und Landschaftspflege in der "Grünen Charta von der Mainau" vom 20. April 1961, in der es u. a. heißt: "Die Grundlagen unseres Lebens sind in Gefahr geraten, weil lebenswichtige Elemente der Natur verschmutzt, vergiftet und vernichtet werden und weil der Lärm uns unerträglich bedrängt. ... Deshalb ist es notwendig, gemeinsam die Lage zu überprüfen, zu planen, zu handeln, um den Ausgleich zwischen Technik, Wirtschaft und Natur herzustellen und zu sichern."439 In der Gesetzgebung schlug sich dieser Bewußtseinswandel zunächst noch kaum nieder. Die Landesnaturschutzbehörden arbeiteten auf der Grundlage des recht flexiblen, z.T. modifizierten Reichsnaturschutzgesetzes weiter, wobei die Effektivität ihrer Maßnahmen durch die fehlenden Mittel für den Naturschutz stark gemindert wurde. 44O Gesetzgeberische Initiativen auf Bundesebene setzten erst nach dem Regierungswechsel 1969 ein.

436 BVerwGE 3, 335; Bernatzky / Böhm (FN 342), S. 4. 437 BVerfGE 8, 193; zur Geschichte des Reichsnaturschutzgesetzes Zwanzig, NuL 1985,275 ff.; siehe auch dens., Die Fortentwicklung des Naturschutzrechts in Deutschland nach 1945, 1962, S. 9 ff. und oben S. 77,84. 438 Wey (FN 122), S. 196 ff. 439 Vgl. hierzu Bernatzky I Böhm (FN 342), S.5; Barthelmeß (FN 342), S. 238 ff.; insgesamt abgedruckt in: Deutsche Gartenbaugesellschaft (Hg.), Die Grüne Charta von der Mainau mit Kommentar, 1961. 440 Näher zur Entwicklung des Naturschutzes in der Bundesrepublik unter der Geltung des Reichsnaturschutzgesetzes Zwanzig (FN 437), passim.

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dd) Atomrecht Zunächst nur begrenzte Beachtung fanden Umweltbelange in der Entwicklung des Atomrechts. 441 Die heute das Atomrecht beherrschende Risikodiskussion und der fehlende energiepolitische Konsens lassen leicht in Vergessenheit geraten, daß bei der Schaffung des Atomgesetzes weitgehend Einigkeit über die friedliche Nutzung der Atomenergie bestand. Zu Beginn des kalten Krieges prägte die Gefahr militärischer Konflikte die Vorarbeiten zu einem Atomgesetz. 442 In der begründeten Sorge um eine weltweite Ausbreitung von Atomwaffen erklärte am 8. Dezember 1953 der damalige Präsident D. Eisenhower, die USA werde allen Nationen bei der Forschung und Entwicklung der Kernenergie helfen, die freiwillig auf Atomwaffen verzichten (atoms for peace).443 Während der Besetzung Deutschlands konnte jedoch an eine Wiederaufnahme der Atomforschung nicht gedacht werden. Das AHK-Gesetz Nr. 22 vom 2. März 1950 444 verbot jede im Zusammenhang mit der friedlichen Nutzung der Kernenergie stehende Tätigkeit. Nach Erlangung der weitgehenden Souveränität durch die Pariser Verträge am 5. Mai 1955 wurde das Verbot zunächst aufrechterhalten, 445 jedoch der Bundesrepublik Deutschland ermöglicht, von den Besatzungsbehörden erlassene Vorschriften aufzuheben oder zu ändern. 446 Nachdem sich die Bundesrepublik Deutschland verpflichtete, keine Atomwaffen herzustellen, ging es in erster Linie darum, den in der Nachkriegszeit erfolgten technologischen Rückstand der Bundesrepublik aufzuholen. Der erste Versuch, die alliierten Verbotsgesetze durch eine bundeseinheitliche Regelung abzulösen, scheiterte im Juli 1957, weil sich im Bundestag für die notwendige Grundgesetzänderung keine 2/3 Mehrheit finden ließ.447 So fehlte nunmehr eine nationale Regelung über die friedliche 441 Allgemein zur Entwicklung der zivilen Nutzung der Kernenergie W. D. Müller, Geschichte der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland: Anfange und Weichenstellungen, 1990; Radkau, Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft 1945 - 1975: Verdrängte Alternativen in der Kerntechnik und der Ursprung der nuklearen Kontroverse, 1983; Wey (FN 122), S. 220 ff. 442 Vgl. zum "militärischen Ursprung" der Atomwirtschaft Kimminich, Atomrecht, 1974, S.15ff. 443 Die Rede ist auszugsweise abgedruckt bei W. D. Müller (FN 441), S. 6. 444 Gesetz Nr. 22 der Alliierten hohen Kommission vom 2.3.1950 über die Überwachung von Stoffen, Einrichtungen und Ausrüstungen auf dem Gebiet der Atomenergie, geändert durch die Gesetze Nr. 53 vom 26.4.1951 und Nr. 68 vom 14.12.1951 (AHKAmtsblatt S. 122, 882, 990, 1361). 445 Vgl. Art. 2 des Pariser Protokolls vom 23.10.1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes, sowie hierzu das Schreiben der Alliierten Hohen Kommissare, BGBl. II (1955), S. 216, 478. 446 Art. 1 des Vertrages zur Regelung der durch Krieg und Besatzung entstandenen Fragen (Überleitungsvertrag) vom 23.10.1954, BGBl. II (1955), S. 405. 447 Zum Regierungsentwurf eines Atomgesetzes BT-Drucks. II/3026; umstritten war im Zusammenhang mit der Formulierung des Förderungszweckes die Frage, in welchem Umfang die Bundesrepublik auch auf eine Stationierung von Atomwaffen im Rahmen der NATO verzichten sollte. Für erhebliches Aufsehen hatte zuvor die sog. Göttinger

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Nutzung der Kernenergie, als die Bundesrepublik Deutschland den EURATOMVertrag vom 25. März 1957 448 ratifizierte. Da die Errichtung von Forschungsreaktoren unmittelbar bevorstand,449 stellte sich die Frage, inwieweit hierfür eine Genehmigung erforderlich und nach Maßgabe welcher Rechtsgrundlagen sie erteilt werden müßte. 450 Eine Reihe von Bundesländern entschloß sich zu Landesatomgesetzen, die bis zum Erlaß eines entsprechenden Bundesgesetzes vorläufige Regelungen für die friedliche Nutzung der Kernenergie enthielten. Erst fünf Jahre nach Erlangung der Souveränität wurde unter gleichzeitiger Änderung des Grundgesetzes das Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) am 23. Dezember 1959 erlassen. 451

b) DDR

Da auf dem Gebiet der DDR der Wiederaufbau sehr viel langsamer erfolgte als in der Bundesrepublik Deutschland und das gegebene Standortgefüge der Industrie dabei weitgehend erhalten blieb, waren auch die Auswirkungen auf die Umwelt zunächst geringer als in der Bundesrepublik. 452 Mit zunehmendem Industrialisierungsgrad kam es aber auch hier, wenn auch mit einer gewissen Verzögerung gegenüber der Bundesrepublik, zu erheblichen Verschlechterungen der Umweltbedingungen. Auch in der DDR erfolgten im übrigen schon sehr früh, vor allem im Zuge wirtschaftlicher Autarkiebestrebungen, politische und wirtschaftliche Weichenstellungen, die in der Folgezeit zu den spezifischen Beeinträchtigungen der Umwelt führten. Zu erwähnen sind vor allem die Konzentration auf die Braunkohle als überwiegende Basis der Energiewirtschaft, die Kollektivierung und mit hohem Einsatz chemischer Mittel verbundene Industrialisierung der Landwirtschaft sowie der drastische Ausbau der chemischen Industrie seit Ende der 50er Jahre. 453 Erklärung vom 12.4.1957 gesorgt, in der namhafte Atomwissenschaftler, darunter O. Hahn und W. Heisenberg, auf die Gefahren des Einsatzes von Atomwaffen hingewiesen haben, vgl. W. D. Müller (FN 441), S. 546 ff. 448 BGBl. S. 1014, ber. S. 1678. 449 Der erste Versuchsreaktor (Kahl) ging 1960/61 in Betrieb, es folgten Mitte der 60er Jahre die staatlich subventionierten Kraftwerke Grundremmingen, Lingen und Obrigheim. Erstmals 1971 konnte der Betrieb einer kommerziellen Anlage (KKW Stade) aufgenommen werden, vgl. Bender / Sparwasser, Umweltrecht, 2. Aufl., 1990, Rz. 483. 450 W. D. Müller (FN 441), S. 558 ff. 451 BGBl. I S. 814. 452 Rösler (Hg.), Naturschutz in der DDR, 1990, S. 14. 453 Auf die Entwicklung der Umweltsituation in der DDR kann hier im einzelnen nicht eingegangen werden. Hinweise auf spezifische Probleme finden sich etwa bei Melzer, Stichwort "Umweltschutz", in: Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hg.), DDR-Handbuch, Bd. 2, 3. Aufl., 1985, S. 369 ff.; Rösler (FN 452), S. 20 f., 23 f., 27 ff.; Oehler, Umweltschutz und Umweltrecht in der DDR, DVBl. 1990, 1322 ff., 1323 ff.; weitere, über die im folgenden nachgewiesene Literatur hinausgehende, Litera-

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Wie in der Bundesrepublik Deutschland galten nach Kriegsende auch in der sowjetisch besetzten Zone und der späteren DDR zunächst die wesentlichen (vorher auf diesem Gebiet in Kraft gewesenen) umweltrelevanten Gesetze und Vorschriften (auch hier meist als Landesrecht) fort, insbesondere die einschlägigen Bestimmungen der Gewerbeordnung, gesundheitspolizeiliche Vorschriften, das Reichsnaturschutzgesetz 454 und die Landeswassergesetze, aber z.B. auch die jeweiligen Berggesetze 455 der ehemaligen Länder. Da auch in der DDR die Grenzen der zunächst neugebildeten Länder mit den Grenzen der früheren deutschen Staaten nicht übereinstimmten, galten, wie es bei einigen Ländern der Bundesrepublik der Fall war, in den meisten Ländern in den bis dahin landesrechtlich geregelten Bereichen mehrere Gesetze regional nebeneinander. Dies setzte sich z.T. auch noch nach der Verwaltungsneugliederung im Jahre 1952 fort, weil die Vereinheitlichung der Rechtsbereiche in unterschiedlichem Umfang erfolgte. Wie sich die Umgestaltung des Wirtschaftssystems in eine zentral gelenkte Planwirtschaft und der Umbau der Eigentumsordnung zu einem System überwiegenden staatlichen bzw. kollektiven Eigentums an den Produktionsmitteln schon auf die Anwendung des alten Rechts auswirkte, kann hier nicht geklärt werden. Jedenfalls wurden aber in einigen Bereichen, z.T. sogar erstaunlich lange, die aus einer "bürgerlichen" Rechtsordnung übernommenen Rechtsvorschriften aufrechterhalten und auch angewendet. 456 Erst im Laufe der Zeit bildeten sich dann die starken Verflechtungen des Umweltrechts mit den staats- und wirtschaftsrechtlichen Bedingungen des Sozialismus und der Einfluß des ideologisch-ökonomischen Überbaus auch auf die umweltrechtliche Entwicklung so heraus, daß man von spezifischen Merkmalen sozialistischen Umweltschutzes und Umweltrechtes in der DDR sprechen konnte. Neben der staatlichen Planwirtschaft und dem gesellschaftlichen Eigentum an den Produktionsmitteln waren vor allem zwei Aspekte bedeutsam für die ideologische Grundlegung des gesellschaftlichen Verhältnisses zur Natur und der rechtlichen Steuerung dieses Verhältnisses im DDR-Sozialismus. 457 Einmal dominierte unter Berufung auf Marx und Engels in den sozialistischen Staaten das Bild des Menschen als Naturbeherrscher. So wundert es nicht, daß sich die sozialistische Umweltpolitik auf die gesellschaftliche Nutzbarmachung der Natur konzentrierte. turnachweise hierzu und zum folgenden finden sich bei Kloepfer / Reinert, Aspekte des Umweltrechts in der DDR, ZfU 1990, 1 ff. 454 Vgl. Zwanzig (FN 437), S. 19; insgesamt zur Entwicklung des Naturschutzes in der DDR Rösler (FN 452); aus sozialistischer Sicht Weinitschke, Naturschutz gestern - heute - morgen, Leipzig, 1980. 455 Ausführlich zur Entwicklung des Bergrechts in der DDR Krautschneider, Die Entwicklung des Bergrechts in Mitteldeutschland, ab ZfB 100 (1959), 160 ff. in Fortsetzung (siehe Literaturverzeichnis). 456 Bis zur Auflösung der Länder erfolgten z.T. auch noch landesrechtliche Änderungen. Solche Änderungen bezogen sich etwa auf Zuständigkeiten und Behördenaufbau; für den Naturschutz vgl. Zwanzig (FN 437), S. 19. 457 Zum folgenden vgl. Kloepfer / Reinert (FN 453), S. 3 f.

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Eine weitere wesentliche Grundlage war die Marx' sehe Arbeitswertlehre. Wertbildender Faktor ist danach allein die menschliche Arbeit, d. h. natürliche Ressourcen haben allenfalls einen Gebrauchswert, nicht aber einen Tauschwert, da in ihnen keine menschliche Arbeit verkörpert ist. Da der Preis eines Gutes aber vom Tauschwert abhängt, bedeutet dies im Grunde die kostenlose Zurverfügungstellung (und damit in der Konsequenz Vergeudung) natürlicher Ressourcen. Die Arbeitswertlehre hatte damit ähnliche Konsequenzen wie die in marktwirtschaftlichen Systemen lange vertretene (und wohl auch noch nicht völlig überwundene) Lehre von den "freien Gütern". 458 Im Grundsatz war damit die Bestimmung des Umfanges von Umweltschutz maßgeblich durch die ökonomischen Zielsetzungen und volkswirtschaftlichen Erwägungen weitgehend staats- und wirtschaftsideologisch festgelegt. 459 Dies mußte die faktische Durchsetzung gegenläufiger Interessen zwangsläufig sehr erschweren. Als identitätsprägende und vielfach als existentiell empfundene Merkmale einer Staats- bzw. Gesellschaftsordnung sind ideologische Fixierungen schwerer zu relativieren als rein ökonomische Vorgaben. Dies dürfte ein Grund dafür sein, daß Versuche einer Relativierung durch naturwerttheoretische Ansätze in der sozialistischen Wissenschaft erst sehr spät einsetzten. 460 Der erste Bereich, in dem umfassende Neuregelungen erfolgten, war der Naturschutz. Hier ergaben sich wohl dringender als in anderen Bereichen Anpassungserfordernisse an die veränderten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Als wesentliche frühe Regelungen 461 sind hier zu nennen die Verordnung zum Schutze der Feldgehölze und Hecken vom 29. Oktober 1953,462 das Gesetz zur Regelung des Jagdwesens vom 25. November 1953,463 die Anordnung zum Schutze der nicht jagdbaren wildlebenden Vögel vom 24. Juni 1955 464 und 458 Instruktiv dazu Höhmann / Seidenstecher / Vajna, Umweltschutz und ökonomisches System in Osteuropa, 1973, S. 29 ff. 459 Zum ganzen ausführlicher Busch-Lüty, Zur Umweltprob1ematik in sozialistischen Systemen: Ideologie und Realität, Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage Nr. 27 vom 4.7.1981, S. 18 ff. 460 Daß in der westlichen Welt und auch in der Bundesrepublik ähnliche Auffassungen, wie etwa die Lehre von den "freien Gütern" schon früher durch ökologische Ansätze relativiert wurden, sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß, unabhängig von den Unterschieden zwischen den verschiedenen Wirtschaftssystemen, weitgehende gesamtökonomische Zielparallelitäten, etwa was die grundsätzliche Notwendigkeit von Wirtschaftswachstum betrifft, bestanden und bestehen. Eine der wesentlichen (institutionellen) Ursachen für die mangelnde Berücksichtigung gegenläufiger (Umweltschutz-) Interessen in der Umwelt- und Wirtschaftspolitik der DDR war insoweit die Identität von Staat und Wirtschaft. 461 Regelungssystematisch wurde insbesondere unterschieden zwischen Gesetzen, Anordnungen, Durchführungsbestimmungen und Verordnungen; siehe dazu Hochbaum, Gegenstand, Quellen und Systematik des Verwaltungsrechts in der DDR, S. 25 ff. 462 GBl. DDR S. 1105; interessanterweise war Primärzweck der Regelung die Steigerung der Hektarerträge. 463 GBl. DDR S. 1175. 464 GBl. DDR II S. 226.

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insbesondere das Gesetz zur Erhaltung und Pflege der heimatlichen Natur Naturschutzgesetz vom 4. August 1954,465 die jeweils durch weitere Durchführungsbestimmungen.ergänzt wurden. Der materielle naturschutzrechtliche Inhalt orientierte sich allerdings durchaus an den früheren Erfahrungen und Traditionen in der Naturschutzarbeit. Die artenschutz- bzw. tierschutzorientierten Regelungen des Jagdgesetzes der DDR etwa, wie Hegepflichten, Schonzeiten, Verbot bestimmter Jagdarten, entsprachen im wesentlichen den Regelungen, die schon das Preußische Jagdgesetz und das Reichsjagdgesetz getroffen hatten. Ähnliches gilt für die Entwicklung natur- und artenschutzorientierter Regelungen im Bereich des (Binnen-)Fischereirechts. 466 Die materielle Kongruenz einiger naturschutzrechtlicher Regelungen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland beruhte wohl vor allem darauf, daß einige der in der Nachkriegszeit im Naturschutz Verantwortlichen bzw. Engagierten auch schon vorher im Naturschutz entsprechend tätig waren und insoweit in beiden Teilen Deutschlands eine gewisse Kontinuität in der Naturschutzarbeit erhalten wurde. Das Naturschutzgesetz (NSchG) war nicht nur auf Anpassung angelegt, sondern auch auf Weiterentwicklung. Die in ihrem Anspruch sehr weitgehende Präambel wies dem Naturschutz eine hohe gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung zu und betonte vor allem auch die sozialpolitischen und kulturellen Anliegen des Naturschutzes. Darüberhinaus wurde die Notwendigkeit eines harmonischen Verhältnisses zwischen Wirtschaft und Naturschutz hervorgehoben. Die einzelnen Vorschriften selbst beschränkten sich - wenn auch in Weiterentwicklung des Reichsnaturschutzgesetzes - im wesentlichen auf den Naturschutz i. e. S. Geregelt waren insbesondere die Schutzformen der Natur- und Landschaftsschutzgebiete (§§ 1, 2 NSchG),467 der Naturdenkmäler (§ 3 NSchG) und des Artenschutzes (§§ 4, 5 NSchG). Hervorzuheben ist, daß der Zusammenarbeit zwischen wissenschaftlichen Forschungsinstitutionen und der Naturschutzverwaltung ein hoher Stellenwert eingeräumt (§ 13 NSchG) und eine Verpflichtung des Staates, den Naturschutz als nationale Aufgabe zu fördern, anerkannt wurde (§ 11 Abs.2 NSchG).468 Weitere Neuregelungen erfolgten in den 60er Jahren. Diese Neuregelungen waren jetzt immer deutlicher auch von planwirtschaftlichen Aspekten geprägt.

465 GBl. DDR S. 695. 466 Eine einheitliche Neuregelung erfolgte hier durch das Gesetz über die Binnenund Küstenfischerei - Fischereigesetz vom 2. Dezember 1959 (GBl. DDR I S. 864) und die Anordnung über die Ausübung des Fischfangs im Bereich der Binnenfischerei (Binnenfischereiordnung) vom 7. Dezember 1959 (GBl. DDR I S. 868), ersetzt durch die Anordnung über die fischwirtschaftliche Nutzung der Binnengewässer, die Ausübung des Fischfanges und des Angelsports im Bereich der Binnenfischerei der DDR-Binnenfischereiordnung vom 16. Juni 1981 (GBl. DDR I S. 290). 467 Zum Schutz der Wälder, allerdings nicht ausschließlich aus Naturschutzgesichtspunkten, sondern auch zur Sicherung einer effektiven Ausnutzung des Rohstoffes Holz, erging im Jahre 1969 die Anordnung über den Schutz und die Reinhaltung der Wälder (GBl. DDR II S. 203). 468 Zum ganzen Buchwald (FN 341), S. 111 ff.

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Die bis dahin geltenden wasserrechtlichen Bestimmungen wurden durch das Wassergesetz 469 von 1963 außer Kraft gesetzt. Nach den alten Landeswassergesetzen war zwar im wesentlichen auch schon jede über den Gemeingebrauch hinausgehende Benutzung jedenfalls der Oberflächengewässer erlaubnis- oder genehm igungspflichtig. Dessen ungeachtet hatte sich auch in der DDR der Zustand der Gewässer zunehmend - wenn auch mit unterschiedlicher Intensität - verschlechtert. Regelungsschwerpunkte des Wassergesetzes waren die rationelle Nutzung der Gewässer einerseits und Fragen der Abwasserbeseitigung andererseits. U. a. bestand danach für Industriebetriebe grundsätzlich eine Verpflichtung zum Bau und Betrieb von Abwasseranlagen. Die Einleitung von Abwässern durfte danach nur im Rahmen der vom Amt für Wasserwirtschaft festgesetzten Grenzwerte für die Belastung der Gewässer erfolgen. Auch für Wohngebiete sollten Wasserversorgungs- und Abwasserbehandlungsanlagen "in einem zeitgerechten Verlauf' errichtet werden. Nur Investitionsvorhaben und nicht die bestehenden Anlagen betrafen weitere Regelungen zur Reinhaltung der Gewässer und auch der Luft. So waren nach der Anordnung über die Erteilung von Standortgenehmigungen vom 20. Februar 1963 470 (§ 4 Abs. 2) alle Investitionsvorhaben, Veränderungen des Produktionsprogramms, Veränderungen der Flächennutzung und ähnliche Maßnahmen, die "mit einer Gefährdung, Schädigung oder Belastung der Umwelt - beispielsweise durch Brand oder Explosionsgefahr, Rauch, Staub, Lärm, Abgase, Abwässer, Strahlen, Verkippung von Rückständen - verbunden sind oder die Produktionsbedingungen und Funktionen anderer Betriebe und Einrichtungen ... des Gebiets einschränken oder zukünftig beeinträchtigen können", standortgenehmigungspflichtig. Die Standortgenehmigung konnte von den zuständigen staatlichen Organen mit Auflagen versehen werden. Auch die nachfolgenden Verordnungen 471 enthielten eine ähnliche Prüfung von Umweltkriterien im Standortverfahren. Nach den Grundsätzen über die Vorbereitung und Durchführung von Investitionen von 1967 472 waren die Investitionsträger verpflichtet, die Reinhaltung der Luft und des Wassers zu gewährleisten. Die volkseigenen Betriebe waren darüber hinaus verpflichtet,473 "zur Vermeidung volkswirtschaftlicher Verluste und zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Bevölkerung _.~.. die 469 Gesetz über den Schutz, die Nutzung und die Instandhaltung der Gewässer und den Schutz vor Hochwassergefahren - Wassergesetz - vom 17. April 1963 (GBI. DDR I S. 77), zuletzt geltend in der Fassung vom 2. Juli 1982 (GBI. DDR I S. 467). 470 GBI. DDR II S. 147. 471 Verordnung über die Grundsätze zur Planung der Standortverteilung von Investitionen vom 1. März 1968 (GBI. DDR II S. 263); Verordnung über die Standortverteilung der Investionen vom 30. August 1972 (GBI. DDR II S. 573), die zuletzt in der Fassung vom 1. Februar 1979 (GBI. DDR I S. 57) gegolten hat. 472 Beschluß über die Grundsätze der Vorbereitung und Durchführung von Investitionen vom 26. Oktober 1967 (GBI. DDR II S. 813). 473 Nach der Verordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten des volkseigenen Produktionsbetriebes vom 9. Februar 1967 (GBI. DDR II S. 121).

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Abwässer zu reinigen und die Verunreinigung der Luft und andere Störfaktoren, die durch die Produktion ausgelöst werden, auf ein Mindestmaß zu reduzieren". Trotz dieser Vorschriften, die die Betriebe grundsätzlich zu einem umweltfreundlichen Verhalten verpflichteten, spielte der Umweltschutz in der Wirtschaftspolitik der DDR bis zum Ende der 60er Jahre praktisch überhaupt keine Rolle. 474 Die übergeordneten Fünfjahrespläne und überbetrieblichen Jahrespläne, die für die betrieblichen Pläne verbindlich waren, enthielten ausschließlich Vorgaben zur Erhöhung der Produktivität. Die wirtschaftspolitischen Rahrnenbedingungen, aber auch die starke Zersplitterung der Kompetenzen auf dem Gebiet des Umweltschutzes und das Fehlen rechtlicher Grundlagen für ausreichende Sanktionen ließen die gesetzlichen Vorschriften im wesentlichen wirkungslos bleiben. 475

2. Rechtsentwicklung nach 1969/70 a) Bundesrepublik Deutschland aa) Allgemeine Entwicklungen

Die modeme Entwicklung des Umweltrechts in der Bundesrepublik Deutschland ist gekennzeichnet durch einen nach dem Regierungswechsel 1969 ungewöhnlich schnellen Aufbau eines normativen Sockels für ein sich später konsolidierendes Umweltrecht, das freilich eine ständige Modernisierung und Fortentwicklung auch heute nicht entbehrlich macht. Die Umweltgesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland nach 1969 fand ihren Ausgang seit den 60er Jahren in den USA, wo 1963 der Clean Air Act und der Motor Vehicle Air Pollution Control Act auf ein gesteigertes öffentliches Umweltbewußtsein trafen. Für erhebliches Aufsehen hatte zuvor das populärwissenschaftliche Buch von R. Carson "The silent spring" 476 gesorgt. Die apokalyptische Vision einer Welt ohne Vögel, die der ubiquitären Verbreitung von Pflanzenschutzmitteln keinen Widerstand mehr leisten konnten, ließ ein politisches Klima entstehen, das sich für die entstehende Umweltschutzbewegung in den USA erstmals positiv auswirkte: Nach jahrelangen Diskussionen wurde 1972 das Inverkehrbringen von DDT - ursprünglich als chemische Allzweckwaffe gepriesen - verboten. 477 Mit dem von Boulding 478 1966 geprägten Bild vom "Raumschiff Höhmann / Seidenstecher / Vajna (FN 458), S. 129. Zum ganzen ausführlich Höhmann / Seidenstecher / Vajna (FN 458), S. 102 ff. 476 R. Carsan, The silent Spring, 1962; in deutscher Übersetzung: Der stumme Frühling, 2. Aufl., 1987; zur Wirkung des Buches in der Bundesrepublik Deutschland Malunat, Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage 29 vom 18.7.1987, S. 29. 477 Eine überzogene Kritik findet sich bei Schauerhammer, Sackgasse Öko staat, 1990, S. 75 ff. 478 Baulding, The Economics ofthe Corning Spaceship Earth, in: Jarett (Hg.), Enviromental Quality in a Growing Economy, 1966. 474

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Erde" löste sich die eingeleitete Umweltschutzdiskussion von ihrem "medialen" Ansatz und rückte die Notwendigkeit eines schonenden Umgangs mit den begrenzten Ressourcen in den Vordergrund. Einer breiten Öffentlichkeit wurde das zuvor nicht gekannte Ausmaß der Gefährdungslage durch den umstrittenen Meadows-Bericht für den Club of Rome 479 bewußt. Schon der Titel ("Die Grenzen des Wachstums") machte deutlich, in welchen Dimensionen Abhilfestrategien ("Nullwachstum") propagiert wurden. 480 (I) Legislativer Aufbau 481 Waren in der Bundesrepublik Deutschland umweltrechtliche Regelungen bisher in den klassischen Normwerken des Ordnungsrechts "gewachsen", so konnte in den 70er Jahren ein wahrer legislativer Schub verzeichnet werden, der eine Fülle neuer umweltspezifischer Gesetze in Kraft treten ließ und dem Umweltrecht als eigenständigem Rechtsgebiet zum Durchbruch 482 verhalf. An bereits bestehende ausbauflihige Rechtsgrundlagen konnte nur begrenzt angeknüpft werden. Neugefaßt wurden 1976 lediglich das WHG von 1957, ergänzt durch das Abwasserabgabengesetz (1976), sowie das Atomgesetz von 1959. Mit dem Fluglärmgesetz und dem Benzinbleigesetz (1971), sowie dem DDT-Gesetz (1972), dem Waschmittelgesetz und dem Gefahrgutbeförderungsgesetz (1975) reagierte der Gesetz479 Meadows u. a., Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, 1973. 480 Bereits abschwächend Colombo, Der zweite Planet. Bericht für den Club of Rome, 1986; einschränkend jetzt der sog. Brundland-Bericht für den Club of Rome: Die Herausforderung des Wachstums: Hoffnung oder Gefahr? Zur Lage der Menschheit am Ende des Jahrtausends, 1990; einen Überblick über die unterschiedlichen Wachstumstheorien gibt Hartje, Umweltschutz und Wachstum, in: Dreyhaupt / Peine / Wittkämper (Hg.), Umwelt-Handwörterbuch, 1993, S. 104 ff. 481 Die historische Entwicklung des Umweltrechts wird häufig anband von Entwicklungsphasen dargestellt. So unterscheidet Storm, Umweltrecht, 5. Aufl., 1992, S. 27 ff. vier Phasen: die "Vorphase" bis 1970, die "erste legislative Phase" von 1970 bis 1980, die "administrative Phase" nach 1980 und die inzwischen eingetreten "zweite legislative Phase" des Umweltrechts; für die Umweltgesetzgebung ähnlich Peine, Geschichte des Umweltrechts, in: Dreyhaupt / Peine / Wittkämper (FN 480), S. 242 ff. - Der heuristische Wert eines Phasenmodells ist jedoch begrenzt, da es vielfältige Überschneidungen nicht erklären kann. Dies wird auch von E. Müller (FN 408), S. 45 ff. erkannt, die unter Zugrundelegung politischer, ökonomischer und soziokultureller Faktoren den Verlauf der sozialliberalen Umweltpolitik von 1969 bis 1982 ebenfalls in Phasen darstellt: Die erste Phase ist danach von einer "offensiven Umweltpolitik mit einem starken Gewicht der Verwaltung" geprägt. 1974 abgelöst durch eine zweite Phase "defensiver Umweltpolitik mit der Dominanz ökonomischer Kräfte" hat sich bedingt durch Verschiebungen im politischen Kräftefeld von 1978 bis 1982 eine dritte Phase gezeigt (,,Erholungsphase"). Die Geschichte der Umweltpolitik zusammenfassend Barbian, Geschichte der Umweltpolitik, in: Dreyhaupt / Peine / Wittkämper (FN 480), S. 154 ff. 482 In den frühen 70er Jahren konnte an dem Rechtsgebietscharakter des Umweltrechts noch gezweifelt werden, siehe etwa Kimminich, Das Recht des Umweltschutzes, 1973, S. 11 ff.

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geber auf spezielle Gefahrenlagen eher punktuell, während umfassende Neuregelungen durch das Abfallgesetz (1972), das Bundes-Immissionsschutzgesetz (1974), das Bundeswaldgesetz (1975) und das Bundesnaturschutzgesetz (1976) vorgenommen wurden. Abgeschlossen war der normative ,,Rohbau" des modernen Umweltrechts im wesentlichen mit dem Chemikaliengesetz von 1980, daß sich von dem die Aufbauphase charakterisierenden medienbezogenen Ansatz löste und erstmals stoffbezogen einen "medienübergreifenden" Umweltschutz zu ermöglichen versuchte. An die schnell aufeinanderfolgende Rechtsetzung knüpfte die Rechtsprechung an, die wichtige Teile des jungen Umweltrechts konkretisierte und fortentwickelte. 483 Fortentwicklung und Systematisierung des Umweltrechts wurde auch zur zentralen Aufgabe der Umweltrechtswissenschaft, die sich in den 70er Jahren erst zögernd, dann aber immer kraftvoller entfaltete. Mit der Einsicht in die nahezu schicksalhafte Bedeutung staatlichen Umweltschutzes hatte sich bereits in den 70er Jahren die Frage gestellt, ob der Umweltschutz in der Verfassung Aufnahme finden sollte. Zwar enthielten einige Länderverfassungen (insbesondere Art. 141 Abs. 3 S. 1 Bay.Verf.) der Sache nach verfassungsrechtliche Aussagen zum Umweltschutz,484 bevor dieser seinen "Siegeszug" antrat. Die Änderungen des Grundgesetzes beschränkten sich jedoch auf Kompetenzzuweisungen an den Bund. 485 Rechtspolitische Forderungen nach einer stärkeren verfassungsrechtlichen Position des Umweltschutzes stießen auf Ablehnung. Skeptisch wurden insbesondere Vorschläge beurteilt, ein Grundrecht auf Umweltschutz zu schaffen. 486 Mit einem entsprechenden Anspruch des Bürgers gegenüber dem Staat - so ist frühzeitig angemahnt worden - werde letztlich der Jurisdiktionsstaat heraufbeschworen, in dem nicht Parlament und Regierung, sondern die Gerichte gezwungen seien, umweltrechtliche Maßstäbe zu setzen. 487 Maßgeblich durch die Kalkar-Entscheidung des BVerfG488 beeinflußt, rückten in der verfassungsrechtlichen Diskussion die grundrechtlichen 483 Zusammenfassend Sendler, UPR 1991,241 ff. 484 Hierzu H. Hofmann, JZ 1988, 265 (273 ff.); die Entwicklungslinien im Verfassungsrecht werden auch aufgezeigt von Bock, Umweltschutz im Spannungsfeld von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, 1990, S. 53 ff. 485 30. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 74 GG - Umweltschutz) vom 12.4.1972, BGBI. I S. 593. Für das AbfG und das BImSchG wurde mit der eingefügten Gesetzgebungskompetenz des Bundes die entscheidende verfassungsrechtliche Grundlage (Art. 74 Nr. 24 GG) geschaffen. Erstmals enthielt der Titel eines Gesetzes den Begriff "Umweltschutz" . 486 Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hatte in seinem Gutachten 1974 ein solches "Umweltgrundrecht" empfohlen; auch das Umweltprogramm der Bundesregierung von 1971 legte die Überprüfung eines Umweltgrundrechts nahe, BT-Drucks. VI! 2710, S. 9.

487 So schon Rehbinder (FN 402), S. 252; ähnlich Lücke, DÖV 1976, 289 ff. (294); zur kritischen Würdigung siehe weiterhin Dellmann, DÖV 1975, 588; Rauschning, Staatsaufgabe Umweltschutz, VVDStRL 38 (1980),167 ff. (178); ausführlich Kloepfer, Zum Grundrecht auf Umweltschutz, 1978, S. 9 f., 3& ff. 488 BVerfGE 49, 89 ff. 7 Kloepfer

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Schutzpflichten immer stärker in den Vordergrund. Allerdings konnte eine über lediglich punktuelle justiziable Schutzpflichten hinausgehende umfassende Umweltpflicht des Staates nicht überzeugend dargelegt werden. Insgesamt hat das Verfassungsrecht bisher keinen entscheidenden - fördernden oder begrenzenden - Einfluß auf die Herausbildung des bundesdeutschen Umweltrechts ausüben können. Von wesentlicher Bedeutung für das Entstehen des modemen Umweltrechts war dagegen die Einrichtung des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen (1972),489 der durch die Vorlage seiner Gutachten 490 nicht unwesentlich die Umweltgesetzgebung beeinflußt hat, sowie die Gründung des Umweltbundesamtes (1974),491 das insbesondere einen interdisziplinären Informationsaustausch ermöglichen sollte. Die geradezu rasante Entwicklung des Umweltrechts in den 70er Jahren wird - zu Recht - größtenteils auf das Umweltprogramm der Bundesregierung vom 21. September 1971 492 zurückgeführt, das - ausgehend von der Prinzipientrias Verursacher-, Vorsorge- und Kooperationsprinzip - eine umfassende (exekutive!) und bereichsdifferenzierte politische Planung einer erst noch zu entwikkeinden Umweltgesetzgebung enthielt. Eine Vielzahl der später gesetzlich umgesetzten Problemlösungen wurde bereits hier propagiert. Im Vordergrund stand die Formulierung umweltpolitischer Leitziele: Erstens sei dem Menschen eine Umwelt zu sichern, wie er sie für seine Gesundheit und für ein menschen",ürdiges Dasein brauche. Zweitens müßten Boden, Wasser und Luft, Tierwelt und Pflanzenwelt vor nachteiligen Wirkungen menschlicher Eingriffe geschützt und drittens Schäden oder Nachteile aus menschlichen Eingriffen beseitigt werden. Diese Ziele ließen ein neues Politikfeld entstehen, das bisher nicht als eigenständig betrachtet wurde und weder systematisch erfaßt noch die verschiedenen Umweltaspekte gebündelt einer umweltspezifischen Betrachtung unterzogen hatte. 493 489 Erlaß über die Einrichtung eines Rates von Sachverständigen für Umweltfragen bei dem Bundesminister des Inneren vom 28.12.1971, BAnz 1972 Nr. 8. 490 In erster Linie durch die Umweltgutachten 1974 (BT-Drucks. 7/2802),1978 (BTDrucks. 8/1938) und 1987 (BT-Drucks. 11/1568). Daneben hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen eine Vielzahl von Sondergutachten erstellt. 491 Gesetz über die Errichtung eines Umweltbundesamtes vom 22.7.1974 (BGB!. I S. 1505). Als "Umweltgewissen" der Bundesregierung hat sich das UBA wohl bewährt, so H. D. Genseher, in: Schenkel/ Storm (Hg.), FS für v. Lersner, 1990, S. 17 (19 ff.). 492 BT-Drucks. V1/271O, fortgeführt durch den Umweltbericht 1976 (BT-Drucks. 7/ 5684), der die Ziele des Umweltprogramms von 1971 bekräftigt. Mit dem Umweltbericht 1990 (BT-Drucks. 11/7168) wurde die Umweltpolitik der 80er Jahre zusammengefaßt. Programmatischen Charakter hatten jedoch zuvor auch die ,,Leitlinien Umweltvorsorge" von 1986 (BT-Drucks. 10/6028), mit denen die Koalition aus CDU / CSU und FDP in den wesentlichen Grundzügen an die Umweltpolitik der sozialliberalen Koalition anknüpft. Zu den politischen Hintergründen bei der Formulierung des Umweltprogramms Küppers / Lundgreen / Weingart (FN 377), S. 127 ff; E. Müller (FN 408), S. 45 ff; Wey (FN 122), S. 152 ff., 201 ff.

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Angekündigt wurde eine programmatische Umweltpolitik bereits in der Regierungserklärung von W. Brandt am 28. Oktober 1969, der am 6. Juli 1970 die Bildung eines Kabinettausschusses für Umweltfragen und schließlich am 17. September 1970 ein von der Bundesregierung beschlossenes Sofortprogramm folgten. 494 Neben seiner Bedeutung als nachträgliche Zusammenfassung bereits laufender Gesetzesvorhaben 495 diente das Sofortprogramm der formell-organisatorischen Verteilung exekutiver Zuständigkeiten für die Vorbereitung des Umweltprogramms. 496 Kompetentielle Konflikte im Umweltschutz konnten jedoch trotz der klaren Präferenz für das BMI nicht verhindert werden. 497 Der entscheidende Anstoß für die modeme Umweltpolitik in der Bundesrepublik Deutschland ist wohl von der FDP ausgegangen, die sich seit 1969 die Regierungsverantwortung mit der SPD teilte. Im Umweltprogramm konnte der damalige Innenminister H. D. Genscher auch ein politisches Instrument sehen, um seinen Einfluß innerhalb der FDP, aber ebenso den Einfluß der FDP in der Bundesregierung zu stärken. Mit dem (Ressortgrenzen nicht achtenden) Umweltprogramm, daß einen beträchtlichen Kompetenzzuwachs für das BMI vorsah, dürfte er entscheidend zur Profilierung seiner Partei gegenüber der medienwirksamen Ostpolitik der Regierung Brandt / Scheel beigetragen haben. 498 493 Heute scheint sich in den Geschichtswissenschaften eine eigene Teildisziplin der Umweltgeschichte herauszubilden, vgl. hierzu die Beiträge in: C. Simon (Hg.), Enviromental History Newsletter, Sonderheft I, 1993; Die historische Umweltforschung beschränkt sich dabei nicht auf das Aufdecken von Analogien zu aktuellen Umweltproblemen in der Vergangenheit, sondern versucht zur geistigen und politischen Standortbestimmung heutiger Umweltpolitik einen Beitrag zu leisten, so Hennecke. ZfU 1990, 179; in diesem Zusammenhang auch Leidinger (Hg.), Historische Ökologie und ökologisches Lernen im historisch-ökologischen Unterricht, 1986. Zu den Grenzen der Umweltgeschichte Sieferle. GAlA 1993, 8 ff. 494 BT-Drucks. VI/l519, S. 9 ff. 495 Entwürfe für ein Immissionsschutzgesetz, ein Abfallbeseitigungsgesetz sowie ein Änderungsgesetz zum Wasserhaushaltsgesetz lagen bereits vor, als das Sofortprogramm verabschiedet wurde. Eine Legitimationsfunktion kann dem Sofortprogramm nur begrenzt beigemessen werden, vgl. Küppers / Lundgreen / Weingart (FN 377), S. 130 ff.; E. Müller (FN 408), S. 61, weist darauf hin, daß die öffentliche Meinung mobilisiert und der Umweltschutz erst ins Gespräch gebracht werden sollte. 496 Wey (FN 122), S. 201. 497 Konfliktreiche Spannungen begleiteten den Entstehungsprozeß der Umweltpolitik insbesondere im Bereich der Kompetenzen für den Natur- und Landschaftsschutz. Das Landwirtschaftsministerium, in dem die Aufgaben des Natur- und Landschaftsschutzes ressortierten, konnte sich gegenüber Versuchen, diese Aufgaben in das Innenministerium zu verlagern, erfolgreich zur Wehr setzen, vgl. E. Müller (FN 408), S. 56 f. 498 Küppers / Lundgreen / Weingart (FN 377), S. 128 f.; die institutionelle Konsolidierung der Umweltpolitik ist im wesentlichen von G. Hartkopf vorangetrieben worden. Als Sprecher der 1971 gegründeten Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen stärkte er die Position des BMI innerhalb der Regierung. Bis zum Ende der sozialliberalen Koalition übte Hartkopfals Staatssekretär im BMI auch wesentlichen Einfluß auf die Vorbereitung der für für die Zusammenarbeit mit den Ländern - 1972 erstmals zusammengetretenen - Umweltministerkonferenz aus, vgl. E. Müller (FN 408), S. 60 (FN I), 72 f.

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Auch die beispiellose Karriere des Leitbegriffs "Umweltschutz", eine wörtliche Übersetzung des in den USA damals bereits gebräuchlichen Begriffs "environmental proteetion" , hatte ihren Ursprung in den Bemühungen zur Institutionalisierung der Umweltpolitik. Auf der Suche nach einem einprägsamen Begriff für das neue Politikfeld, das im wesentlichen von den Ministerialbeamten G. Hartkopf und P. Menke-Glückert aus dem BMI vorangetrieben wurde, soll Genseher im November 1969 um einen Namensvorschlag für die zuständige Abteilung gebeten haben. Neben ihm dürfte Urheber des Begriffs "Umweltschutz" die Ministerialbürokratie gewesen sein, in der sich der Begriff schnell und weitgehend unbeeinflußt von der öffentlichen Meinung durchsetzen konnte. 499 Aus heutiger Sicht erscheint die Aufnahme des Umweltschutzes in ein politisches Programm als deutlicher Ausgangspunkt in der Entwicklung des modernen Umweltrechts. 5°O Programmatisch verstand die SPD zwar schon ihren Wahlkampfslogan, der "Himmel über der Ruhr müsse wieder blau werden" (1961).501 Doch erzielte dieses Versprechen kaum eine politische Wirkung, 502 wie auch das zur konzeptionellen Neuorientierung der Umweltpolitik geschaffene Aktionsprogramm Ökologie von 1979 503 keine nennenswerte Umweltschutzaktivitäten auslöste. Allein die programmatische Ankündigung, neben die klassischen Politikfelder, wie etwa die soziale Sicherheit, gleichrangig eine Umweltpolitik treten zu lassen, kann daher nicht erklären, warum sich in den frühen 70er Jahren die deutsche Umweltpolitik zu etablieren begann. Richtig ist sicherlich, daß sich die Umweltprobleme gehäuft hatten. Der wirtschaftliche Wohlstand zeigte seine ersten typischen Folgeerscheinungen für die Umwelt. So verdoppelte sich innerhalb von weniger als zehn Jahren die Zahl der privaten Kraftfahrzeuge. 504 Im Ruhrgebiet, aber auch in Hamburg, traten bedrohliche Smogwetterlagen auf. Für den Rhein schien jede Hilfe zu spät zu kommen. Demnach liegt es nahe, in der wachsenden Einsicht dringender Gegenmaßnahmen einen wesentlichen Grund für die Initiierung des Umweltprogramms zu sehen. 499 Hierzu v. Lersner, Zur Entstehung von Begriffen des Umweltrechts, in: Franßen / Redeker / Schlichter / Wilke (Hg.), FS für Sendler, 1991, S. 259 (263); ders., Die ökologische Wende, 1991, S. 11. 500 So ist im Umweltprogramm von 1971 (BT-Drucks. VI/271O, S.7) etwa schon der Hinweis auf die Verantwortung für künftige Generationen enthalten, deren Schutz heute die allgemeine Umweltdiskussion beherrscht ("Erfüllung des ökologischen Generationenvertrages"). Nicht nur das Umweltrecht wird dabei vor erhebliche Probleme gestellt, vgl. nur H. Hofmann, Nachweltschutz als Verfassungsfrage, ZRP 1986, 87 ff. 501 Im Wahlprogramm von Kanzlerkandidat Brandt, vgl. Brandt, Regierungsprogramm, in: SPD, Regierungsprogramm der SPD (Broschüre zur BundestagswahI1961), S. 19 (25); ähnlich jedoch bereits die Forderung des Verbandsdirektors des Siedlungsverbandes Ruhrkohlenbezirk Kegel vom 15.3.1954 ("Die Luft im Ruhrgebiet muß sauberer werden"), auf die sich auch der Gesetzesentwurf der IPA zur Luftreinhaltung bezieht, vgl. IPA-Drucks. Nr. 20 vom 3.6.1954. 502 Küppers I Lundgreen I Weingart (FN 377) S. 103. 503 Ritter, NVwZ 1987,929 ff. (930). 504 Baum, Umwelt (BMI) Nr. 91 (1982), S. 6. Das Bruttosozialprodukt (real) hat sich zwischen 1950 und 1980 verdreifacht, siehe Wey (FN 122), S. 153.

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Diese funktionalistische Betrachtung von Umweltpolitik wird heute von den Politik- und Sozialwissenschaften zunehmend in Zweifel gezogen. 505 Gerade für die Herausbildung einer gezielten Umweltpolitik sei der jeweilige Problemdruck nur von sekundärer Bedeutung. Umweltpolitik drücke sich vielmehr in der gesellschaftlichen und politischen Fähigkeit aus, Umweltprobleme wahrzunehmen und gezielt zu behandeln. 506 Damit erweist sich neben der Umweltbelastung seine kulturelle Wahrnehmungsbereitschaft als wichtiger Einflußfaktor für die Erzeugung umweltpolitischen Problemdrucks. Nachdem materielle und physische Grundbedürfnisse weitgehend befriedigt waren, gleichzeitig durch die Einbindung in das westliche Sicherheitssystem die unmittelbare Gefahr eines Krieges gebannt schien, kündigte sich in Westeuropa ein tiefgreifender Wertewandel an. Dabei dürfte zunächst die Pluralisierung von Wertvorstellungen maßgeblich gewesen sein. Dem Unbehagen an ausschließlich materiellen Zielvorstellungen folgte die Skepsis, ob sich der technologische Fortschritt nicht als das eigentliche Übel für die politisch eingeforderte "Lebensqualität" erwiesen habe. 507 Auch wenn sich mit dieser Forderung nur vage Vorstellungen verbanden, so hatte der Wandel individueller Wertvorstellungen in dem politischen Klima, das u. a. infolge der Regierungsübemahme durch die sozialliberale Koalition von einer allgemeinen Reformstimmung geprägt war, zweifellos eine Verschiebung der Politikpräferenzen zur Folge. Die ausreichende Sicherstellung materiellen Wohlstands reichte jedenfalls nicht mehr aus. Insbesondere Veröffentlichungen zu möglichen Umweltkrisen - etwa die erwähnten Bücher von Carson und Meadows richteten diesen Wertewandel auf das Umweltthema und schufen damit ein erst langsam und dann später immer schneller wachsendes Umweltbewußtsein der Bevölkerung. Ob sich jedoch der Anstieg des Umweltbewußtseins als Ausdruck dieses postmaterialistischen Wertewandels 508 maßgeblich auf die Schaffung des Umweltprogramms ausgewirkt hat, erscheint dennoch zweifelhaft. 505 Ausführlich v. Prittwitz, (FN 4), S. 3 ff.; teilweise anders Jähnike, ZAU 1990, 213 ff. 506 v. Prittwitz, Methodische und theoretische Grundpositionen der Umweltpolitik, in: Dreyhaupt / Peine / Wittkämper (FN 480), S~ 163 ff. (165), ähnlich U. Beck, ZAU 1991, 117 ff.; Schmidt-Salzer, UHG, 1992, Einf., Rz. 24 ff. - Zum Wandel in der sozialen Wahrnehmung des Umweltproblems Bayerl, Das Umweltproblem und seine Wahrnehmung in der Geschichte, in: Cailieß / Rüsen / Striegnitz (FN 1), S. 47 ff.; allgemein zur sozialen Wahrnehmung Lukasczyk, Soziale Wahrnehmung, in: Bernsdorf (Hg.), Wörterbuch der Soziologie, Bd. 3, 1972, S. 745. 507 Kloepjer, EvStL, Bd. 2, 1987, Sp. 3640. Zum Begriff der "Lebensqualität" Kmieciak, Wertstrukturen und Wertwandel in der Bundesrepublik Deutschland, 1976, S. 375 ff. 508 Zur Herausbildung postmaterialistischer Werthaltungen lnglehart, The silent revolution, Changing Values and political Styles among Western Publies, 1977; der Postmaterialismus gilt heute als wichtiger Indikator für empirische Untersuchungen des Umweltbewußtseins, vgl. Kessel/Tischler, Umweltbewußtsein, Ökologische Wertvorstellungen in westlichen Industrienationen, 1984, S. 20 ff.; kritisch gegenüber einer Überbewertung des Umweltbewußtseins Maier-Rigaud, Umweltpolitik in der offenen Gesellschaft, 1989, S. 113 ff.

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Die Medien hatten sich inzwischen zwar des Umweltthemas angenommen 509 und berichteten über die Entwicklung im Ausland. 1968 setzte mit der UNESCOKonferenz "Man and the Biosphere" die institutionelle Beschäftigung mit der Umweltproblematik ein. Die Vorreiterrolle im Umweltschutz hatten die USA übernommen, wo Präsident Nixon 1970 ein Umweltschutz-Programm 5\0 vorlegte, dessen Ziele zwar nicht mehr vollständig verwirklicht werden konnten, aber für die Ausarbeitung des deutschen Umweltprogramms eine Vorbildfunktion hatten. Während jedoch in der politischen Diskussion in den USA frühzeitig pragmatische Auswege aus der ökologischen Krise gesucht wurden, beherrschte in Westeuropa stärker ein systemkritischer Ansatz die allgemeine Politikdiskussion. Die späten 60er Jahre standen im Zeichen der turbulenten Studentenunruhen. 511 Vor dem Hintergrund einer immer radikaler formulierten Kritik am ,,kapitalistischen System" wurde die Forderung nach einer Lösung der Umweltkrise an die Überwindung der Grundstrukturen der Marktwirtschaft geknüpft. In dieser Konsequenz artikulierte sich ein Umweltbewußtsein freilich nur vereinzelt. Für diejenigen, die ihren Mangel an Bereitschaft, die zunehmende Umweltzerstörung hinzunehmen, im "System" nicht äußern wollten, boten sich keine attraktiven Formen der - im Zuge der Reform von Staat und Gesellschaft ohnehin diskutierten - aktiven Teilhabe am politischen Entscheidungsprozeß. Dieser Umstand führte dazu, daß die in den 70er Jahren entstandenen Bürgerinitiativen teilweise raschen Zuwachs erhielten. 512 Insgesamt zeigte sich, daß sich der gesellschaftliche Wertewandel nicht nur auf die Relativierung der Werteordnung beschränkte, sonder auch die Artikulationsebene erfaBte. Der parteivermittelte Willensbildungsprozeß entsprach offensichtlich nicht mehr einem wachsenden Be-

509 Dabei sind einzelne Umweltprobleme in der Presse behandelt worden, während es zu einer umfassenden Berichterstattung über den Umweltschutz als politische Frage erst parallel zu den Aktivitäten der Bundesregierung kam, vgl. Küppers / Lundgreen / Weingart (FN 377), S. 114; zur Presseberichterstattung über das Umweltproblem um 1970 auch Margedant, Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage 29 v. 18.7.1987, S. 15 (19 ff.). 5\0 In deutscher Übersetzung erschienen als Heft A 1 der Beiträge zur Umweltgestaltung, 1971; allgemein zur Entstehung der Umweltpolitik in den USA Uppenbrink, Organisation der Umweltplanung in den USA, Beiträge zur Umweltgestaltung, Heft A 25, 1974; zur frühen US-amerikanischen Umweltgesetzgebung Müller-Stahel, SJZ 1972,49 ff. 511 Zum Umweltschutz als "linkes" Thema der Protestbewegung in den Jahren nach 1968 Sie/erle, Umweltpolitik nach dem Ende der Geschichte, in: Hasenpflug (Hg.), Industrialismus und Ökoromantik, 1991, S. 273; vgl. auchE. U. von Weizsäcker(FN 411), S. 22. - Dagegen blieb vor 1970 das Umweltthema in der Studentenbewegung weitgehend unbeachtet, vgl. Margedant (FN 509), S. 24; ähnlich Dierkes / Fietkau, Umweltbewußtsein - Umweltverhalten, 1988, S. 116. 512 Der sich 1972 als Dachverband vieler Einzelgruppen gebildete Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) zählte 1978 schon 1,5 Mio. Mitglieder. Zur Rolle der Bürgerinitiativen Guggenberger, Bürgerinitiativen in der Parteiendemokratie. Von der Ökologiebewegung zur Umweltpartei, 1980.

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dürfnis, angesichts der als neu empfundenen Gefährdungslage ebenfalls neue Formen der Interessenvertretung zu suchen. Dies umso mehr, als sich mit der Kanzlerschaft H. Schmidts eine deutliche Abkühlung des Reformklimas abzeichnete. Schon die Ölkrise hatte 1973 einen Schock ausgelöst. Das Sonntagsfahrverbot 513 schien ein Zeitalter des Mangels anzukündigen. 514 Das Bruttosozialprodukt sank, die Inflationsrate lag mit 6,9 % deutlich höher als in den Jahren zuvor und der Anstieg der Arbeitslosenquote ließ eine Krisenstimmung entstehen, in der sich die Umweltpolitik wachsender Kritik aus den Wirtschaftskreisen ausgesetzt sah. 515 Ungünstig für die konsequente Fortsetzung einer "offensiven" Umweltpolitik dürften sich auch die Terroranschläge ausgewirkt haben, die seit der Entführung des CDU-Politikers P. Lorenz im Februar 1975 die politische Atmosphäre in der Bundesrepublik Deutschland nachhaltig verändert hatten. Der für die innere Sicherheit zuständige Bundesinnenminister geriet im Juni 1978 erheblich unter Druck, als Fahndungspannen im Entführungsfall Schleyer bekannt wurden. Nach dem Rücktritt von W. Maihofer konnte sein Nachfolger G. Baum nicht verhindern, daß die Umweltpolitik ihren gehobenen Stellenwert für die Bundesregierung immer mehr einbüßen sollte. Dabei dürfte ein maßgeblicher Grund auch darin zu sehen sein, daß sich das Thema Umweltschutz mit anderen hoch brisanten Themen, wie der Energieversorgung durch Kernkraft verband. Es entstand der Eindruck, daß die Bemühungen um den geforderten "starken" Umweltschutz eine radikale Grundhaltung bedingen, wie sie in den zahlreichen Bürgerprotesten zum Ausdruck kam. 516 Das Aufkommen der GRÜNEN schien das zu bestätigen und hat den damals verbreiteten Gedanken der angeblich systemsprengenden Kraft des Umweltgedankens in Reihen der etablierten Politik verankert, ehe diese begriff, daß der Umweltschutz gerade auch als Mittel der System- und Machterhaltung dienen konnte.

513 Vgl. die Verordnung über Fahrverbote und Geschwindigkeitsbegrenzungen für Motorfahrzeuge vom 19.11.1973, BGBI. I S. 1676. 514 Vgl. DIE ZEIT vom 30.11.1973, S. 1. 515 Als Wendepunkt in der Umweltpolitik der sozialliberalen Koalition gilt die Tagung auf Schloß Gymnich vom 3.6.1975, wo sich für die Umweltpolitik erstmals der die kommenden Jahre prägende Konflikt mit den widerstreitenden Interessen der Industrie offenbarte, vgl. E. Müller (FN 408), S. 99 ff.; zur Haltung der Bundesregierung Umwelt (BMI), Nr.45 (1975), 1 ff. 516 Konnten sich umweltpolitische Ideen zu Beginn der 70er Jahre legislativ zügig durchsetzen lassen, so verhinderte die Politisierung des Umweltthemas gegen Ende der 70er Jahre eine Diskussion über den normativen Ausbau des Umweltrechts. Zurückzuführen ist der Stillstand der Gesetzgebungstätigkeit insoweit auch auf die Auseinandersetzungen um den Bau von Kernkraftwerken, mit denen die Kernenergie in den Vordergrund der allgemeinen Umweltdiskussion rückte, andere Umweltthemen jedoch gleichzeitig überdeckte, so die Einschätzung des Sachverständigenrates für Umweltfragen, RSU 1978 (FN 490), Tz. 1484 ff.

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Wenn umweltpolitische Forderungen in dieser Zeit verstärkt aus den Reihen engagierter Bürgerinitiativen kamen, so mag dies auf ein gewachsenes Umweltbewußtsein zurückzuführen sein. Um 1970/71, als die für eine Thematisierung des Umweltschutzes maßgeblichen Entscheidungen getroffen wurden, hatte sich ein solches politikprägendes Umweltbewußtsein jedoch noch nicht gebildet. 517 Ohne jeglichen Druck der öffentlichen Meinung ist die Öffentlichkeit eher durch die Bundesregierung und die Bundesgesetzgebung für das Thema Umweltschutz sensiblisiert worden. 518 Es läßt sich nicht verkennen, daß wohl erst die gesetzgeberischen Aktivitäten im Anschluß an die Formulierung des Umweltprogramms von 1971 den entscheidenden Beitrag zu einem gegen Ende der 70er Jahre bisweilen als übersteigert bezeichneten Umweltbewußtsein lieferten. 519 Der für das normative Fundament 520 des heutigen Umweltrechts maßgebliche Impuls ist letztlich - demokratietheoretisch und verfassungsrechtlich nicht unbedenklich - zunächst entscheidend von der Regierung und Ministerialbürokratie ausgegangen,521 die mit dem Umweltprograrnm eindrucksvoll ein (historisches) Beispiel exekutivischer Möglichkeiten der politisch-rechtlichen Steuerung geliefert haben. (2) Konsolidierung War der unmittelbare gesetzliche Nachholbedarf gegen Ende der 70er Jahre aufgeholt und ein im internationalen Vergleich beachtliches umweltrechtliches Normenwerk auch geschaffen worden, so konnte von einer Entschärfung der 517 Nach Meinungsumfragen konnten sich 92% der Befragten im November 1971 unter Umweltschutz etwas vorstellen, während es im September 1970 nur 41 % waren, vgl. RSU 1978 (FN 490), Tz. 1423 ff. 518 Kloepjer (FN 188), § I, Rn. 37; E. Müller (FN 408), S. 95; dies. (FN 406), S. 3 (4); Küppers I Lundgreen I Weingart (FN 377), S. 125; M. Schmidt, Regieren in der Bundesrepublik Deutschland, 1992, S. 158; Voss, Die veröffentlichte Umweltpolitik: Ein sozioökologisches Lehrstück, 1990, S. 10. 519 Vgl. zur juristischen Bewertung des Umweltschutzthemas gegen Ende der 70er Jahre auch die Diskussion im Anschluß an die Referate von Hoppe und Rauschning zur Staatsaufgabe Umweltschutz auf der Staatsrechtslehrertagung in Berlin, VVDStRL 1980, 331 ff. - Die "Weckung des Umweltbewußtseins" soll in der Anfangsphase der Umweltpolitik im Vordergrund gestanden haben, so Hartkopf, Interview in: Bild der Wissenschaft 4/1980, S. 114 f.; zur Initiierung des Umweltbewußtseins durch die Exekutive ders., in: Hartkopf/Krause u.a. (Hg.), Umweltschutz und Verwaltung - der öffentliche Dienst zwischen politischem Anspruch und Realisierungsnot, 1986, S. 96 (102 f.). Die heutige Informationstätigkeit des Staates (z.B. durch Warnungen und Empfehlungen) hat demnach eine lange Geschichte: Wenn ein solches "erzieherisches" Handeln des Staates unumgänglich geworden ist, so ist dies eben gerade auch auf die "staatliche" Herstellung des Umweltbewußtseins zurückzuführen. 520 Schon das Umweltgutachten 1978 (FN 490) spricht von einem breiten gesetzlichen Sockel für den Umweltschutz und hebt hervor, daß die Voraussetzungen für eine wirksame Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen für den Menschen erheblich verbessert worden sind. 521 Hierzu umfassend H. P. Vierhaus (FN 406), S. 62 ff.

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Umweltkrise gleichwohl nicht die Rede sein. 522 Wenn jedoch in den letzten Jahren der sozialliberalen Koalition die Umweltpolitik: nicht mit derselben Verve gesetzgeberische Aktivitäten auslöste, so nicht zuletzt auch deshalb, weil die Konkretisierung der gesetzlichen Vorgaben für die Perfektionierung des Umweltrechts vorrangig erschien. Augenfällig wird diese Feinabstimmung legislativer Grobziele etwa in der Novellierung der Großfeuerungsanlagen-Verordnung (1983), und der TA Luft (1983). Der "Stillstand" gesetzgeberischer Aktivitäten ist jedoch auch im Zusammenhang mit der Diskussion um die wirtschaftshemmende Wirkung des Umweltschutzes auf die Wirtschaftsentwicklung zu sehen. 523 Von einem "Investitionsstau" von 54 Milliarden DM infolge Umweltschutzmaßnahmen sprach der BDI im Jahre 1978. Den ,,negativen Beschäftigungswirkungen" der Umweltpolitik: im Hinblick auf die Schaffung von Arbeitsplätzen wurden langfristig positive Struktureffekte gegenübergestellt. Trotz der politischen Überzeugung, der Umweltschutz könne nicht auf "bessere Zeiten" vertagt werden, ließ die sich ankündigende Rezession erkennen, daß einer erfolgreichen Umweltpolitik: durch die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft Grenzen gesetzt waren. Die Umweltpolitik: war deshalb seit Ende der 70er Jahre durch Stagnation gekennzeichnet. Für das entstandene Umweltrecht standen überwiegend Fragen seiner Konsolidierung im Vordergrund. Dabei spielte auch die Erkenntnis eine Rolle, daß nicht von der Setzung immer neuen Umweltrechts, sondern vor allem vom effektiven Vollzug des bestehenden Rechts ein wirksamer Schutz der Umwelt zu erwarten sei. Seit dem Umweltgutachten 1974, in dem der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen das zwischenzeitlich geradezu zum Modethema avancierte "Vollzugsdefizit" konstatiert hat,524 ist das nur mangelhafte Ausschöpfen des umweltschützenden Gehalts von Normen ständig beklagt und als ein entscheidendes Hemmnis für die Effektuierung umweltschützender Maßnahmen durch das Umweltrecht angesehen worden. 525 Allerdings wurde auch darauf hingewiesen, daß mit einer zunehmend schwachen Programmierung durch Gesetze (etwa Generalklauseln wie § 5 BImSchG) Vollzugs defizite infolge von Regelungsdefiziten zwangsläufig die Konfliktlösung auf die Vollzugsebene verlagern. 526 Diese Konsolidierungsphase der Umweltgesetzgebung führte aber nicht zur umweltrechtlichen Stagnation. 522 Umweltbericht 1976 (FN 492), S. 9 (S. 87 ff.). 523 Hierzu Baum, Umwelt (BMI), 1979, 1 (3 f.). 524 RSU 1974 (FN 490), Tz. 660 ff. 525 Die Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Bewertung des Vollzugsdefizites ließen die Notwendigkeit empirischer Untersuchungen im Umweltrecht erkennen. Weitgehende Anerkennung fand insbesondere das Gutachten von R. Mayntz u.a., daß im Auftrag des Sachverständigenrates erstellt wurde, R. Mayntz u.a., Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, Empirische Untersuchung der Implementation von Gesetzen im Bereich der Luftreinhaltung und des Gewässerschutzes, 1978. 526 Knoepjel/ Weidner, ZfU 1983,90; Ritter (FN 503), S. 936.

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Der Schwerpunkt der Aktivitäten verlagerte sich vielmehr auf die Fortbildung des Rechts durch die Rechtsprechung, die Verwaltung und eine sich zunehmend herausbildende deutsche Umweltrechtswissenschaft. (3) Modemisierung Obwohl die Grenzen der Regelbarkeit umweltspezifischer Problemlagen erkannt wurden, 527 und sich die umweltpolitische Diskussion stärker der Bedeutung von gesetzlich nur in Form unbestimmter Rechtsbegriffe angedeuteten Umweltstandarts widmete (Grenzwerte), 528 konnte der Gesetzgeber im Umweltrecht auf eine partielle Nachbesserung und Modemisierung einzelner Umweltgesetze nicht verzichten. Auch das immer stärker wachsende Umweltrecht der EG führte zur Notwendigkeit laufender Anpassungsgesetzgebung durch den bundesdeutschen Gesetzgeber. In der Mitte der 80er Jahre kommt es verstärkt zu einer Modemisierung und Fortentwicklung des Umweltrechts. Bereits mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität - 18. Strafrechtsänderungsgesetz vom 28. März 1980,529 durch das die verstreuten Straftatbestände des früheren Nebenstrafrechts - teilweise inhaltlich modifiziert und um weitere Tatbestände ergänzt - in das Strafgesetzbuch aufgenommen wurden, versuchte der Gesetzgeber dem unabweisbaren Bedürfnis einer ökologischen Fortentwicklung des Umweltrechts nachzukommen. 530 Die Dynamik des Umweltrechts zeigte sich deutlich im Jahr 1986, als das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (freilich auch aus wahltaktischen Erwägungen) gegründet wurde. In diesem Jahr wurden die wichtigsten Umweltgesetze einer Novellierung zugeführt. 531 In der Novellie-

527 Ob hierin ein "Steuerungsversagen" gesehen werden kann, mag dahingestellt bleiben. Der inflationär gebrauchte Begriff des "Versagens", ob nun ein Staatsversagen, Marktversagen oder auch (!) Politikversagen festgestellt wird, deutet jedenfalls daraufhin, daß der Umweltschutz in den 80er Jahren Systemgrenzen deutlich werden läßt. Zur aktuellen Diskussion D. Grimm (Hg.), Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990. 528 Vgl. etwa die 1986 erneute Novellierung der erst 1983 geänderten TA Luft mit den entsprechenden Verschärfungen der Anforderungen und die Anpassung an den Stand der Technik. Das Umweltgutachten 1987 bringt überzeugend zum Ausdruck, daß die jeweilige Höhe der Grenzwerte die Ernsthaftigkeit widerspiegelt, mit der eine Gesellschaft die Ziele der Gefahrenabwehr und Risikominimierung verfolgt. In diesem Zusammenhang hatte die Voerde-Entscheidung des BVerwG (E 55,250) erhebliches Aufsehen erregt ("antizipierte Sachverständigengutachten"), zu letzterem bereits Breuer, DVBl. 1978,34 ff. 529 BGBL I S. 373. 530 Ausdrückliches Ziel der Reform war die Schärfung des Bewußtseins der Öffentlichkeit für die Sozialschädlichkeit von Umweltbelastungen, vgl. BT-Drucks. 8/2382, S. 9 ff. - umfassend zu den gesetzgeberischen Intentionen Tiedemann, Die Neuordnung des Umweltstrafrechts, 1980, S. 13 ff.; zur historischen Entwicklung Beine, GA 1989, 116.

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rungswelle kam zum Ausdruck, was in den Umweltleitlinien vom 3. September 1986 von der Bundesregierung als mittel- und längerfristige Politik der Umweltvorsorge formuliert wurde: Medienübergreifend sollte das Handlungsprinzip der Umweltvorsorge als ein dynamisches Prinzip zur schrittweisen Minimierung von Umweltrisiken durch Stoffeinträge entsprechend dem technischen Fortschritt verstanden werden. 532 Seine Kehrseite hatte der technische Fortschritt schlagartig mit dem Reaktorunfall am 26. April 1986 in Tschernobyl533 in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt. Wenn auch - 1983 durch den Einzug der GRÜNEN in den Bundestag augenfällig belegt - eine kritische Haltung gegenüber der ungebremsten technologischen Entwicklung keine Randerscheinung mehr war, so gewann nach der ukrainischen Nuklearkatastrophe der Hinweis auf das reale Gefährdungspotential der Kernenergie eine gewisse Plausibilität. In dem Fehlen territorialer und sozialer Grenzen wurde erstmals weltweit die Bedeutung eines zu beherrschenden Kollektivrisikos erkannt. Organisatorisch-personellen Ausdruck fand der erhöhte Anpassungsdruck an die Umweltpolitik in der erwähnten Gründung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU). Das Strahlenschutzvorsorgegesetz vom 19. Dezember 1986 534 sollte die Informationsdefizite abzubauen helfen, wie sie im Hinblick auf die Folgen des Unfalls bemängelt worden waren. In ihrem Umweltbericht 1990 bekannte sich die Bundesregierung zu der ethischen Forderung nach einem verantwortlichen Umgang mit der Technik. 535 Kernstück einer Ethik für die moderne Zivilisation müsse das Prinzip Verantwortung sein. Jedoch wurde zugleich hervorgehoben, daß eine Antwort auf die Risiken des technischen Fortschritts nicht in dem generellen Verzicht oder Ausstieg, sondern nur in dem umweltpolitischen sowie umweltrechtlichen Bemühen um die Minimierung und Beherrschung dieser Risiken gehen kann. 536 Nicht zu ver531 Vgl. die 2. Novelle zum BImSchG, die 5. Novelle zum WHG, die 4. Novelle zum AbfG sowie die Novellierungen zum Abwasserabgabengesetz, dem Pflanzenschutzgesetz, dem Bundesnaturschutzgesetz und dem Waschmittelgesetz. 532 BT-Drucks. 10/6028, S. 7 ff. - Mißverständlich formulierte dagegen der Umweltbericht 1990 (BT-Drucks. 11/7168, S.26) Vorsorge "in einem weiteren Sinne" als Gefahrenabwehr, Risikovorsorge und Zukunftsvorsorge. Seiner Konkretisierung und rechtsdogmatischen Präzisierung ist mit einer derart unbestimmten Definition nicht gedient. 533 Dazu Stscherbak, Protokolle einer Katastrophe, 1988; Kröger / Chakraborty, Tschernobyl und weltweite Konsequenzen, 1989. 534 BGBl. I S. 2610. 535 Siehe auch die Regierungserklärung von H. Kohl am 18.3. 1987 ("Die Schöpfung bewahren heißt auch: die Umwelt schützen und für die Generationen unserer Kinder und Enkel erhalten"). 536 Sehr deutlich auch das Umweltgutachten 1987 (FN 490), Tz. 9, in dem der Sachverständigenrat vor einem Rigorismus warnt, der die wirklichen Probleme - Entscheidungen über Güterkollisionen, Bewertung von Vorteilen und Risiken einzelner Techniken,

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kennen ist jedoch, daß durch das geschaffene Normengeflecht politisch umstrittene Vorhaben faktisch durch den Mißbrauch des Umweltrechts verhindert werden konnten. Auch wenn die überlangen Verfahren bei der Planung umweltbelastender Vorhaben immer heftiger kritisiert wurden, so ist doch nicht zu übersehen, daß sich die umweltpolitische Diskussion zunehmend von außerrechtlichen Maßstäben leiten ließ. 537 So gewannen die Fragestellungen der Umweltethik für die Politikberatung in Gestalt der Technikfolgenabschätzung stärkere Bedeutung. Im Gegensatz zu dem amerikanischen Vorbild ("Technology Assessment") fanden derartige Untersuchungen einer Bewertung der Bedingungen und potentiellen Auswirkungen von neuen Technologien weniger in institutionalisierter Form statt. Die 1985 vom Bundestag eingesetzte Enquete-Kommission "Technikfolgenabschätzung" hatte zwar Gegenstände einer parlamentarischen Technikfolgenabschätzung zu ermitteln, doch konnte bisher nur in konkreten Gesetzgebungsverfahren auf die Ergebnisse von parlamentarisch initiiertem Sachverstandswissen zurückgegriffen werden. Nicht unerheblich wurde etwa die konkrete Ausgestaltung des 1990 erlassenen Gentechnikgesetzes von der Enquete-Kommission Gentechnologie beeinflußt. Auch das - aufgrund bindender EG-rechtlicher Vorgaben entstandeneUVPG von 1990 versucht den erforderlichen Daten über die möglichen Umweltfolgen für die Genehmigung umweltbelastender Vorhaben stärkeres Gewicht zu verleihen. Mit ihm wurde zugleich der umweltpolitischen Forderung einer ökologischen Gesamtbetrachtung legislativ Rechnung getragen. Das Umwelthaftungsgesetz von 1990 538 , daß in seinen Erwartungen bereits eine Renaissance des Privatrechts im Umweltschutz anzukündigen schien, nimmt das von Umweltmedien unabhängige Gefährdungspotential einer Anlage als Maßstab einer Gefährdungshaftung für Umweltschäden auf. Die erneut einsetzenden Aktivitäten des Normgebers zeigen sich aber auch in der Schließung bestehender Lücken, wie dem Erlaß der lang ersehnten Verkehrslärmschutzverordnung. Lükkenfüllung, Modernisierung und ökologische Fortentwicklung prägen somit die Umweltrechtsentwicklung der letzten Jahre. Dazu gehört auch die bedeutsame Einführung neuer Instrumente (z. B. Kompensationsregelungen). 539 Nachdem sich die Regierungsparteien in ihrer Koalitionsvereinbarung vom März 1987 für eine Staatszielbestimmung Umweltschutz ausgesprochen hatten, bestand im wesentlichen unter den im Bundestag vertretenen Parteien Einigkeit darüber, daß der Umweltschutz als Staatszielbestimmung durch eine Ergänzung Entwurf und Durchsetzung kalkukierbarer realistischer Handlungskonzepte - hinter der unerfüllbaren Forderung nach Null-Emission versteckt. 537 Schlink, VVDStRL 1990,236 (259 ff.) . . 538 Vom 10.12.1990, BGBL I S. 263. 539 Zur Ergänzung (statt einer Ersetzung!) der ordnungsrechtlichen Instrumente Breuer, Verwaltungsrechtliche Prinzipien und Instrumente des Umweltschutzes, Bestandsaufnahme und Entwicklungstendenzen, 1989, S. 18 ff.

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des Art. 20 GG verfassungsrechtlichen Schutz erhalten SOll.54O Jedoch konnte erst nach einer quälenden Debatte in der gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat eine konsensfähige (freilich rechtstechnisch mißglückte) Formulierung für eine geplante Verfassungsänderung gefunden werden, die dem Staatsziel Umweltschutz eine relativ schwache Aussagekraft verleihen würde. 54l

bb) Fachgebietsbezogene Entwicklungen (1) Immissions- und Klimaschutzrecht Die allgemeine Umweltrechtsentwicklung spiegelte sich deutlich im Immissionsschutzrecht wider. Als Modell und Herzstück des bisherigen deutschen Umweltrechts 542 hat es nach wichtigen landesrechtlichen Vorläufern mit dem Bundes-Immissionsschutzgesetz von 1974 543 den Prozeß teilweiser Ablösung des Umweltrechts von der Prägung durch verwaltungsrechtliche Vorgaben eingeleitet. 544 Heute ist es das Umweltrecht, das zentrale Grundannahmen des Verwaltungsrechts in Frage stellt. 545 Ursprung und Rahmen für die Schaffung eines speziellen Gesetzes zum "Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnlichen Vorgängen" war die Gewerbeordnung von 1869. 540 Für eine Staatszielbestimmung bereits der Umweltbericht 1976 (FN 492), Tz. 110; vgl. auch BMI/ BMJ (Hg.), Staatszielbestimmungen / Gesetzgebungsaufträge, Bericht der Sachverständigenkommission, 1983, Tz. 130; ausführlich zum Umweltschutz als Staatspflicht Kloepjer, DVBl. 1988, 305 ff. 54l Siehe den Abschlußbericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BTDrucks. 12/6000, S. 65 ff. 542 Kloepjer (FN 188), § 7, Rn. 1 543 BGBl. I S. 721. Wesentliche Impulse für die Verbesserung der Luft gingen von Nordrhein-Westfalen aus, daß in hohem Maße unter den Folgen der Industrialisierung leiden mußte und in dessen Landesimmissionschutzgesetz vom 30.4. 1962 sich bezeichnenderweise der Begriff "Immissionsschutzrecht" als Gesetzesbezeichnung zuerst findet. Die Bundesregierung hatte bereits am 30.11.1971 einen Entwurf im Bundestag eingebracht (BT-Drucks. VI/2868), der wegen dem vorzeitigen Ende der 6. Legislaturperiode nicht verabschiedet werden konnte. Der unverändert von der Bundesregierung am 22.3.1973 erneut eingebrachte Gesetzesentwurf (BT -Drucks. 7/179) wurde vom Bundestag, nachdem der Bundesrat seine frühere Stellungnahme vom 1.10.1971 am 2.2.1973 bestätigt hatte, federführend dem Innenausschuß überwiesen. Am 18.1.1974 nahm der Bundestag einstimmig das Gesetz in der vom Innenausschuß vorgeschlagenen Fassung an. Nach Zustimmung durch den Bundesrat am 14.2.1974 wurde das BImSchG am 21. 3.1974 verkündet. 544 So wurde etwa das Vorsorgeprinzip zunächst in § 5 BlmSchG normativ eingeführt, bevor es seinen "Siegeszug" in anderen Gesetzen antrat. 545 Kloepjer, Zur Umbildung der Rechtsordnung durch Umweltschutz, 1990, S. 25 ff. Vgl. zur nunmehr aktuellen Diskussion über eine Reform des Verwaltungsrechts Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Schuppert (Hg.), Reform des allgemeinen Verwaltungsrechts - Grundfragen, 1993; Hojfmann-Riem, AöR 115 (1990), S. 400 ff.

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Als Anknüpfungspunkt für einen bundeseinheitlich geregelten Immissionsschutz, der auch einer zu befürchtenden weiteren Rechtszersplitterung vorbeugen sollte, bot sich die Gewerbeordnung schon deshalb an, weil hier ein bereits früh diskutiertes und strukturell mit der Genehmigungspflicht bewährtes Instrumentarium zur Verfügung stand (§§ 16 ff.). Inzwischen war jedoch die Beschränkung des Gewerberechts auf genehmigungsbedürftige Anlagen als unzureichend erkannt worden. 546 Mit der zunehmenden Verdichtung des Siedlungsraums und der wachsenden Bedeutung kleinerer und mittlerer Gewerbebetriebe rückten die nicht-genehmigungsbedürftigen Anlagen in den Vordergrund. Hätte dem Regelungsbedarf insoweit auch durch eine erneute Änderung der Gewerbeordnung entsprochen werden können, ließ sich die Neuregelung des Immissionsschutzrechts jedenfalls mit einer Normierung des Vorsorgegrundsatzes rechtfertigen. Dieser Neuorientierung an umweltpolitischen Forderungen stand die Beibehaltung instrumenteller Verfahren gegenüber. Die Genehmigung selbst blieb eine gebundene Entscheidung, die auch heute grundsätzlich unbefristet und unwiderruflich erteilt wird. Mag das Festhalten an dem historischen Vorbild immer wieder Anlaß zu Kritik 547 gegeben haben, so läßt sich doch mit den urprünglich in hohem Maße gewerberechtlich inspirierten Vorschriften des BImSchG ein "Bewegungsgesetz" der Verwaltungsrechtsordnung 548 und insbesondere der durch das BImSchG forcierten Entwicklung des Umweltrechts erkennen: Eingebettet in die Entwicklungszusammenhänge der gesamten Rechtsordnung konnte das Umweltrecht dann erfolgreich einer Neuorientierung unterzogen werden, wenn ausgehend von dem jeweiligen Problemdruck Lösungsmodelle entwickelt wurden, deren Systemkonformität hinreichend gewährleistet erschien. Die Abkehr von einer Politik der "hohen Schornsteine", die sich noch am Gefahrenbegriff der Gewerbeordnung ausrichtete, konnte - nur scheinbar paradox - durch die auch inhaltliche Anknüpfung an den früheren Regelungen der Gewerbeordnung wenn nicht ermöglicht, so doch wesentlich erleichtert werden. Andererseits haben ökologische Regelungszusammenhänge spezifische Anpassungsleistungen des Rechtssystems erforderlich gemacht. Der weiträumigen Emissionsbelastung, die in den 60er Jahren zu den drängenden Umweltproblemen zählte, versuchte der Gesetzgeber nicht bloß mit einer Verschärfung des anlagenbezogenen Immissionsschutzes entgegenzutreten. Die Einführung produkt-, verkehrs- und gebietsbezogenen ReSo in der Gesetzesbegründung zum BImSchG, BT-Drucks. VI/2868, S. 24 f. Etwa durch Sendler, UPR 1983,33 ff.; in den Fesseln des Gewerberechts befindet sich das BImschG nach Führ, ZUR 1990,54 auch noch nach seiner letzten Novellierung vom I. 9.1990. 548 So als Ausgangspunkt für die Frage, inwieweit sich neue Verfahren, wie das USamerikanische Modell der externen Konfliktmittlung ("Mediation") in Deutschland einführen lassen können, Schmidt-Aßmann, Konfliktmittlung in der Dogmatik des deutschen Verwaltungsrechts, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann (Hg.), Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd.2, 1990, S. 9. 546

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gelungen leitete einen Prozeß ein, der - gewissermaßen systemsprengende Kräfte entfaltend - das Immissionsschutzrecht immer stärker in die Nähe eines umfassenden, Belastungen verteilenden und beschränkenden Planungs- und Wirtschaftslenkungsrechts rückte. 549 Diese Akzentuierung des Immissionsschutzes als planerischer Ressourcenvorsorge führte in der Folgezeit zu heftigen Kontroversen über die rechtsdogmatische Einordnung des immissionsschutzrechtlichen Vorsorgeprinzips. Durch eine entsprechende Formulierung in der Gesetzesbegründung zum BImSchG nahegelegt, 550 entwickelte sich die sog. Freiraumthese, die im Vorsorgeprinzip eine umweltplanerische Grundentscheidung des Gesetzgebers für die im Interesse künfiger Nutzungen zu schaffenden "Freiräume" sieht. 551 Stand diese Interpretation mit der Folge, daß der (gebundenen) Anlagengenehmigung der Charakter einer inzidenten Planungsentscheidung zukommen würde, zunächst im bewußten Widerspruch zu dem Verständnis der Gefahrenvorsorge im Sinne eines emissionsbegrenzenden Minimierungsgebotes, kam es im Verlauf der 80er Jahre zu einer weitgehenden Annäherung beider Ansätze insoweit, als unter risikosteuernden Gesichtspunkten Vorsorge auch dahingehend verstanden werden kann, das Entstehen von Gefahren zu verhindern, um zumindest mittelbar gewisse Spielräume für künftige Nutzungsentscheidungen zu belassen. Vor diesem Hintergrund wurde das BImSchG seit seinem Inkrafttreten einer Reihe von Änderungen unterworfen, die sich zunächst auf relativ geringfügige Abänderungen beschränkten. 552 Erst im Zuge der - bis heute letztlich ungelösten - emittentenfern und großflächig auftretenden Waldschäden erlebte das BImSchG eine tiefgreifende Änderung. Obwohl bereits gegen Ende der 70er Jahre, gefördert durch die deutsche Beteiligung an der Ausarbeitung der Genfer Luftreinhaltekonvention, die umweltpolitische Diskussion um den "Sauren Regen" begann, setzten gesetzgeberische Aktivitäten erst mit dem Erscheinen des Sondergutachtens "Waldschäden und Luftverunreinigungen" ein, das der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen im März 1983 der Bundesregierung vorgelegt hatte. 553 Hinzu kommt, daß mit den ,,neuartigen Waldschäden" ein Umweltschaden auftrat, der für eine Vielzahl von Menschen den befürchteten ökologischen Kollaps erstmals sichtbar werden ließ. Als Verkörperung der Natur schlechthin schien das Waldsterben den Lebensnerv einer ganzen Nation zu betreffen. Da sich die aufgetretenen Schäden individuellen Verursachern oder speziellen irnmissionschutzrechtlichen Genehmigungen nicht zuordnen ließen, vielmehr komplexe miteinander vernetzte Kausalabläufe für das Entstehen der Kloepjer (FN 188), § 7, Rn. 17. BT-Drucks. 7/179, S. 32. 551 Insbesondere Feldhaus, DVBl. 1980, 133 ff. 552 Zur Entwicklung des Immissionsschutzrechts P.M. Huber, Der Immissonsschutz im Brennpunkt modemen Verwaltungsrechts, AöR 114 (1989), 253 ff.; Kunig, Entwicklungslinien des Immissionsschutzrechts, NJ 1992, 55 ff. 553 BT-Drucks. 10/113. 549

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"Waldschäden" verantwortlich gemacht wurden, löste dieses Globalphänomen teilweise Ängste aus, die nicht lediglich im Hinblick auf die hohe Schadstoffbelastung der Luft artikuliert wurden. Angesichts der Sorgen um die "Kosten" der Industrialisierung kam der Luftreinhaltepolitik seit 1983 deshalb eine vorrangige Bedeutung zu. War eine substantielle Änderung des BImSchG 1978 noch an den gegensätzlichen Auffassungen von Bundesregierung und Bundesrat gescheitert,554 erfolgte eine weitreichende, insbesondere den Bestandsschutz von Altanlagen einschränkende, Änderung des BImSchG mit dem 2. Änderungsgesetz vom 4. Oktober 1985. 555 Zuvor hatten bereits verschiedene Störfä.lle - überwiegend in Altanlagen - zur Verabschiedung der Störfallverordnung aus dem Jahr 1980 geführt. Das Auftreten der Waldschäden, als dessen Hauptverursacher neben dem Kraftfahrzeugverkehr die ca. 1500 Großfeuerungsanlagen angesehen wurden, machte die Notwendigkeit einer Verschärfung der Anforderungen im Immissionsschutzrecht deutlich: Mit der Großfeuerungsanlagenverordnung vom 22. Juni 1983 556 konnten vor allem Abgasentschwefelungsmaßnahmen bei Kohlekraftwerken eingeleitet werden. Im Vordergrund der zweiten Änderung des BImSchG stand die gesetzliche Fixierung eines Sanierungskonzeptes für bestehende Anlagen. Mit der Neufassung des § 7 Abs. 2 BImSchG und der neuen Regelung in § 48 Nr. 4 BImSchG, die für die zeitlich gestufte Heranführung der Altanlagen an die Anforderungen für Neuanlagen durch die Gewährung von Übergangsfristen Ennächtigungen zum Erlaß entsprechender Rechtsverordnungen bzw. Verwaltungsvorschriften enthalten, machte der Gesetzgeber deutlich, daß die Sanierung von Anlagen auch im Bereich der Vorsorge eine primäre Aufgabe des Nonngebers ist. Zunehmend heftiger Kritik sah sich das Kriterium der "wirtschaftlichen Vertretbarkeit" für den Erlaß nachträglicher Anordnungen in § 17 Abs. 2 Nr. 2 BImSchG a.F. ausgesetzt. Ein Grund für die Neufassung war die umstrittene Interpretation der "wirtschaftlichen Vertretbarkeit", was die Handhabung der nachträglichen Anordnung für viele Behörden erschwerte. Weiterhin wurde beklagt, daß der durch Art. 14 GG gewährte Spielraum für nachträgliche Maßnahmen nicht voll ausgeschöpft sei. Mit der durch § 17 Abs. 2 BImSchG n.F. gezogenen Schranke der Unverhältnismäßigkeit konnte dem verfassungsrechtlichen Bestandschutz von Altanlagen Rechnung getragen und die Anwendungsmöglichkeit dieser Vorschrift ausgeweitet werden. Von nicht geringerer Bedeutung für die Modernisierung des Immissionsschutzrechts war die Erweiterung der Grundpflichten in § 5 BImSchG. Die Einführung eines Reststoffvenneidungs- und Abwärmenutzungsgebotes spiegelt insoweit einen "Trendwechsel" in der Vorsorgetechnik wider, als die Venninderung von Emissionen nicht mehr allein durch nachgeschaltete Reinigungsmaßnahmen (sog. "end-of-the-pipe"-Technologien) zu erreichen versucht wird, sondern 554 BT-Drucks. 8/2751, S. 10 ff. (Stellungnahme des Bundesrates), BT-Drucks. 8/ 2751, S. 16 ff. (Gegenäußerung der Bundesregierung). 555 BGBI. I S. 1950. 556 13. BlmSchV vom 22.6.1983, BGBI. I S. 719.

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bereits das Entstehen von Emissionen durch spezielle Verfahren weitgehend vermieden werden soll.557 Allerdings wurde in § 5 Nr. 3 BImSchG der Vermeidung von Reststoffen kein Vorrang gegenüber der Reststoffverwertung eingeräumt. Eine Beseitigung der Reststoffe als Abfälle wurde davon abhängig gemacht, ob alternativ eine Vermeidung oder Verwertung technisch nicht möglich oder für den Anlagenbetreiber unzumutbar ist. Der Gedanke vorsorgender Ressourcenschonung findet sich auch in dem neuen § 5 Nr. 4 BImSehG, der mit der Pflicht zur Abwärmenutzung den Primärenergieverbrauch senken und damit auch energiepolitischen Zwecken dienen soll. Ausdrücklich auf den Vorsorgebereich beschränkt wurden mit dem 2. Änderungsgesetz Kompensationslösungen eingeführt (§ 7 Abs. 3 BImSehG), die nach dem US-amerikanischen Vorbild (Bubble Policy) die Möglichkeit schaffen, einen Anlagenbetreiber von den an sich geltenden Vorsorgeanforderungen zu befreien, wenn er (oder ein Dritter) durch überobligationsmäßige Leistungen an einer anderen Anlage innerhalb eines abgegrenzten Luftraums dafür Sorge trägt, daß insgesamt eine höhere Emissionsminderung erzielt wird, als dies sonst bei einer strikten Anwendung der ordnungsrechtlichen Anforderungen der Fall wäre. Obwohl bereits in der TA Luft vom 27. Februar 1986 eine flexible Sanierungsregelung für Altanlagen Eingang gefunden hatte, wurden die teilweise sehr engen Voraussetzungen in § 7 Abs. 3 BImSchG erst mit dem 3. Änderungsgesetz vom 1. September 1990 558 gelockert und eine entsprechende Kompensationsregelung unmittelbar in der Vorschrift über nachträgliche Anordnungen eingefügt (§ 17 Abs. 3a BImSehG). Weitere Änderungen wurden durch diese vorläufig letzte Novellierung vorgenommen, darunter die Verschärfung der Betreiberpflichten für den Zeitraum nach der Betriebseinstellung. 559 Neben der Altlastenproblematik, die seit Ende der 80er Jahre verstärkt in den Mittelpunkt der öffentlichen Umweltdiskussion rückte, waren es zahlreiche Störfälle, vor allem der Unfall bei Sandoz, auf die der Gesetzgeber mit dem Umbau des BImSchG zu einem umfassenden Anlagensicherheitsgesetz zu reagieren versucht. Dennoch wird neuerdings verstärkt auf den zu geringen Sicherheitsstandard deutscher Unternehmen hingewiesen. Neuen Lösungskonzepten (z.B. einem Umwelt-Audit) wird die mangelnde innerbetriebliche Organisation des Umweltschutzes zugrundegelegt. Zukünftig werden Umweltbelange bei Entscheidungen der Unternehmensleitung ein vorrangiges Unternehmensziel bilden. 560 Zu denken ist insbesondere an die Einführung eines Umweltdirektors. 561 557 Vgl. auch den Umweltbericht 1990 (FN 492), S.3, wonach der Weg zu einem die in die Produktionsprozesse und Produkte "integrierten" Umweltschutz führen müsse; allgemein zur 2. Novellierung des BImSchG Feldhaus, UPR 1985, 385 ff.; Jarass, NVwZ 1986,607 ff. 558 BGBI. I S. 870. 559 Neben dieser nun in § 5 Abs. 3 BImSchG normierten Grundpflicht zur AltIastenverhinderung ist von praktischer Bedeutung das in § 15a BlmSchG aufgenommene (neue) Instrument des vorzeitigen Baubeginns. 560 Vgl. zum Thema "Umweltschutz und technische Sicherheit in Unternehmen" die Veröffentlichung der Referate des 9. Trierer Kolloquiums zum Umwelt-und Technikrecht in: UTR 26 (1994), S. 3 ff.

8 Kloepfer

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Trotz der Bemühungen um die Verbesserung des Immissionsschutzes mehren sich jedoch auch die Stimmen, die im Zusammenhang mit der Debatte um den Industriestandort Deutschland eine Pause im Umweltschutz fordern. 562 Bedingt durch Befürchtungen im Hinblick auf Investitionshemmnisse beim wirtschaftlichen Aufschwung in den neuen Ländern trat am 1. Mai 1993 das Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz (InvErlG) in Kraft. 563 Unter den umfangreichen Änderungen finden sich insbesondere Sonderregelungen für die erleichterte Genehmigung von Industrieanlagen. 564 Dokumentiert wird die wachsende Bedeutung des Immissionsschutzrechts auch durch seine Reichweite: Ursprünglich nach dem Abfallrecht zu beurteilende Probleme der Entsorgung werden heute auch vom Immissionschutzrecht erfaßt. 565 Der Verkehrslännschutz, früher durch das Verkehrsrecht und seine Teilgebiete geregelt, ist seit dem 21. Juni 1990 Gegenstand der 16. BImSchV,566 worin sich auch zeigt, daß dem immissionsrechtlichen Regelungsbedarf immer stärker durch den Erlaß von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften Rechnung getragen wurde. Der noch auf eine Ermächtigung in der Gewerbeordnung gestützen TA Länn, wie auch der 1974 erstmals erlassenen TA Luft, wurde bereits früh durch die Interpretation als "antizipierte Sachverständigengutachten" faktische Außenwirkung zugesprochen. Auch wenn sich zwischenzeitlich angesichts der in die technischen Regelwerke einfließenden Wertungen zunehmend eine Deutung als ,,norrnkonkretisierende Verwaltungsvorschriften" durchgesetzt hat, blieb die Überprübarkeit durch die Verwaltungsgerichte doch stark eingeschränkt. Weniger flexibel, aber eine strikte Bindung beanspruchen Rechtsverordnungen, von denen man sich längerfristig eine verstärkte Ersetzung der Verwaltungsvorschriften nicht zuletzt durch die jüngst ergangenen Rechtsverordnungen zum BImSchG, etwa der Verordnung über Verbrennungsanlagen für Abfälle und 561 So etwa § 94 des Professorenentwurfs für ein UGB-AT, Kloepfer / Rehbinder / Schmidt-Aßmann unter Mitwirkung von Kunig, Umweltgesetzbuch - Allgemeiner Teil,.

2. Aufl., 1991. 562 Hierzu Umweltschutz und Industriestandort, UBA-Berichte 1/93. Zur Haltung der Bundesregierung Umwelt (BMU), 1993, 135 ff. - Unverkennbar sind seit Beginn der 90er Jahre Parallelen zur Diskussion über die Umweltpolitik der späten 70er Jahre, die ebenfalls von einer globalen Wirtschaftskrise geprägt waren. 563 Gesetz zur Erleichterung von Investitionen und der Zuweisung und Bereitstellung von Bauland vom 22.4.1993, BGB!. I S.466. Zum Gesetzesentwurf der CDU / CSU und FDP BT-Drucks. 12/3944, zum BT-Beschluß BR-Drucks. 8293, zur Beschlußempfehlung des Bundesrates BT-Drucks. 12/4614. 564 Artikel 8 regelt Änderungen des BImSehG, Artikel 9 die ebenfalls weitreichende Neubearbeitung der 4. BImSchV, die im wesentlichen Regelungen mit primär abfallrechtlicher Zielrichtung betreffen. 565 Zu den Disharmonien infolge der Zweigleisigkeit des materiellen Abfallrechts, daß die Anwendung des anlagenbezogenen Umweltrechts nicht ausschließt, RSU, Sondergutachten Abfallwirtschaft, 1990, Tz. 95; Kunig, NJ 1992,55 ff. (59); Blankenagel / Bohl, DÖV 1993, 585ff. 566 BGB!. I 1036.

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ähnliche brennende Stoffe (17. BImSchV vom 23. November 1990),567 der Sportanlagenlännschutzverordnung (18. BImSchV vom 18. Juli 1991)568 und der Verordnung über Chlor- und Bromverbindungen als Kraftstoffersatz (19. BImSchV vom 17. Januar 1992)569 erhoffen kann. In den 80er Jahren ist spätestens seit der 1983 in Kraft getretenen Genfer Konvention über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung der globale Klimaschutz zu einer der vorrangigen Aufgaben der Umweltpolitik geworden. Im sog. Helsinki-Zusatzprotokoll von 1985 verpflichteten sich die Vertragsstaaten - darunter nicht die USA und Großbritannien - zur Reduzierung von Schwefelemissionen (oder ihrer grenzüberschreitenden Ströme) um 30% bis spätestens 1993. Als Meilenstein für das allmähliche Entstehen eines eigenständigen Klimaschutzrechts gilt das 1987 unterzeichnete Montrealer Protokoll zum Schutz der Ozonschicht, das zunächst eine Halbierung des FCKW-Verbrauchs bis zur Jahrhundertwende vorsah, jedoch bereits 1990 auf der 2. Ozon-Konferenz der Vereinten Nationen in London verschärft wurde. Angestrebt wurde nunmehr die Reduzierung der Verwendung von FCKW um 85 % bis 1997 und die endgültige Einstellung der FCKW-Produktion bis zum Jahr 2000. Über die internationalen Vereinbarungen hinausgehend wurde in der Bundesrepublik Deutschland mit der am 6. April 1991 ergangenen FCKW-Halon-Verbotsverordnung 570 ein stufenweises Verbot von FCKW und anderen Stoffen bis 1995 ausgesprochen. (2) Atom- und Strahlenschutzrecht Wesentliche Impulse für die Fortentwicklung des Umweltrechts in der Bundesrepublik Deutschland gingen vom Atomrecht aus, dessen Regelungsgegenstand wie kaum ein anderer den grundlegenden Konflikt zwischen technischem Fortschritt und der fehlenden Akzeptanz damit verbundener (Rest-)Risiken symbolisiert. 57l Verschiedene in ihrer Bedeutung weit über den den Bereich des Atomrechts hinausreichende Fragen wurden hierbei von der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt. In Grundsatzprozessen waren Entscheidungen wie zur Bedeutung des gestuften Genehmigungsverfahrens, der Präklusion, zum Umfang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle oder zum Restrisiko zu treffen. Vielfach folgten Urteilen zum Atomrecht langjährige Diskussionen, wie etwa zum Grundrechtsschutz durch Verfahrensgestaltung im Anschluß an den Mülheim-KärlichBeschluß des BVerfG.572 Regelmäßig zeichneten sich verwaltungsgerichtliche 567 BGBl. I S. 2545, ber. 2832. 568 BGBl. I S. 1588, ber. 1790. 569 BGBl. I S. 75. 570 BGBl. I S. 1090. 57l Vgl. statt vieler Meyer-Abich/ Schefold, Die Grenzen der Atomwirtschaft, 1986, S. 17 ff.; gegen sie aber Michaelis / Pelz, Grenzen der Kernenergie - Eine kritische Auseinandersetzung mit Meyer-Abich und Schefo1d, 1988, S. 11 ff. 8*

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Verfahren durch ihre überlange Dauer aus, begleitet von erbitterten Auseinandersetzungen, die sich kaum auf juristische Probleme beschränkten, vielmehr vermuten ließen, die Kontroverse über die friedliche Nutzung der Kernenergie habe ihre eigentliche Ursache nicht in den der Kerntechnik innewohnenden Gefahren, sondern in der Sehnsucht nach einer anderen, vage formulierten "besseren" Welt. So betrachtet fehlte der Diskussion bisweilen die rationale Argumentation, wobei freilich festzuhalten bleibt, daß auch irrationale Ängste eine objektive Vorgegebenheit für eine demokratische Umweltpolitik darstellen können. Angesichts der heftigen Kontroversen, die in den 50er Jahren den Erlaß des Atomgesetzes begleiteten, hatte der Förderzweck in § 1 AtG nicht zufallig eine besondere Betonung erfahren. Schon 1972 stellte jedoch das BVerwG in seiner ersten Entscheidung zum Atomrecht die Vorrangigkeit des Schutzzwecks fest. 573 Dem entsprach in weiten Teilen der Bevölkerung eine zunehmende Verunsicherung hinsichtlich der Risiken, die mit dem Ausbau der Atomenergie zwangsläufig Zweifel an ihrer verfassungsrechtlichen Zulässigkeit aufwarfen. In seinem als atomrechtliche Leitentscheidung geltenden Kalkar-Beschluß bejahte das BVerfG zwar einen grundrechtlichen Anspruch auf Risikominimierung, hielt es aber im Interesse der positiven Nutzungsmöglichkeiten des technischen Fortschritts nicht für erforderlich, eine staatliche Schutzpflicht mit dem Inhalt einer völligen Risikovermeidung zu konstruieren. 574 Obwohl mit der 1976 ergangenen Strahlenschutzverordnung der Grundsatz statuiert wurde, daß jede unnötige Strahlenexposition zu vermeiden und darüberhinaus eine Exposition von Personen, Sachgütern oder der Umwelt auch unterhalb der festgesetzten Grenzwerte so gering wie möglich zu halten sind, 575 konnte der hohe Sicherheits standard bundesdeutscher Kernkraftwerke spätestens seit dem Reaktorunfall in Tschernobyl am 26. April 1986 576 die generelle Kritik an der Atomenergie nicht mehr zur Ruhe bringen. Daran änderte auch nichts der Gesetzgeber, der mit dem Strahlenschutzvorsorgegesetz vom 19. Dezember 1986 577 Informationsdefizite abzubauen versuchte, wie sie im Hinblick auf die Folgen des Unfalls bemängelt worden waren. Faktisch führten jedenfalls die weltweiten Störfälle in der Bundesrepublik Deutschland zu einem BVerfGE 53, 30 ff. BVerwG, DVBl. 1972,678 ff., 680 (Würgassen); von einem Vorrang des Schutzvor dem Förderungszweck geht auch die Bundesregierung aus, vgl. den Energiebericht der Bundesregierung vom 26.9.1986 (BT-Drucks. 10/6073), S. 3. 574 BVerfGE 49, 89 ff. 575 Strahlenschutzverordnung vom 13.10.1976, BGBl. I S. 2905, neubekanngemacht in der jetzigen Fassung aufgrund des Art. 2 der 2. ÄndVO der StrlSchV vom 18.5.1989, BGBl. I S. 934. - § 28 StrSchV verwirklicht gegenüber dem nach den Strahlenschutzgrundnormen des EURATOM-Vertrages weltweit anerkannten as-Iow-as-reasonablyachievable-Prinzip das strengere as-Iow-as-possible-Prinzip! 576 Vgl. zur Chronologie des Unfalls und seinen Folgen den Zwischenbericht der Reaktorsicherheitskommission, abgedruckt in Umwelt (BMU), 1986, S. 26 ff., und zur Frage einer Neubewertung der Risiken RSU 1987 (FN 490), Tz. 1975. 577 BGBl. I S. 2610. 572

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Ausbaustop der Kernkraftwerke. 578 Bereits Mitte der 80er Jahre hatte die Diskussion um den kurz- oder langfristigen Ausstieg aus der Kernenergie eingesetzt 579 und heute, nach dem "Aus" für den "schnellen Brüter" in Kalkar, immer stärker die atomare Entsorgung in den Vordergrund gestellt. Nachdem auch ehemalige Befürworter der Kernenergie diese nur noch als technologische Übergangslösung verteidigen, stehen seit dem Verzicht auf die Wiederaufbereitungsanlage für abgebrannte Brennstäbe in Wackersdorf im Brennpunkt der (politischen) Auseinandersetzung wieder die geplanten Endlagerstätten. 580 Trotz einer seit nahezu 20 Jahren massiv geführten gesellschaftlichen Kontroverse über die Kernenergie blieb mit Ausnahme der Novellen aus den Jahren 1976 und 1985 das Atomgesetz in seinen Grundstrukturen unverändert. Obwohl die ursprüngliche Einmütigkeit bezüglich der zivilen Nutzung der Kernenergie unterdessen längst verschwunden ist, wird sie durch das Atomgesetz in die Gegenwart (und Zukunft?) weiter tradiert: Konsens vergeht, Gesetz besteht! Daran wird sich auch langfristig kaum etwas ändern, solange sich keine Mehrheiten im Bundestag und Bundesrat für neue Lösungen finden lassen. Nunmehr soll vor dem Hintergrund der Suche nach verläßlichen Rahmenbedingungen für die zukünftige Nutzung der Kernenergie das Atomgesetz jedoch teilweise einschneidenden Änderungen unterworfen werden. Der am 1. September 1992 vorgelegte Referentenentwurf zur Änderung des Atomgesetzes 581 sieht neben dem (überfälligen) Wegfall des Förderungszweckes insbesondere die Privatisierung der Brennstoffverwendung vor. Als notwendig öffentliche Aufgabe soll die Entsorgung von Brennstoffen nicht mehr verstanden werden. Demnach wird zukünftig die Zwischen- und Endlagerung von radioaktiven Abfällen privatrechtlich organisiert sein. 582

578 Neuplanungen sind dabei jedoch nach Auffassung der Bundesregierung nicht ausgeschlossen, vgl. den Umweltbericht 1990 (FN 492), S. 263; in den USA ist jedoch seit dem Störfall in Harrisburg (1979) kein KKW mehr bestellt worden, vgl. Bender / Sparwasser (FN 449), Rn. 458 (Fn. 26). 579 Zur Energiepolitik in der Bundesrepublik die "statements von Entscheidungsträgern" in: et 1986,909 ff.; siehe auch den Gesetzesentwurf der SPD zur Beendigung der energiewirtschaftlichen Nutzung der Kernenergie und ihrer sicherheitstechnischen Behandlung in der Übergangszeit (Kernenergieabwicklungsgesetz) vom 9.12.1989, BTDrucks. 10/6700. 580 Zum derzeit z. B. von Niedersachsen praktizierten - "ausstiegsorientierten Gesetzesvollzug" Send/er, DÖV 1992, 181. Neue Aktualität gewinnt in diesem Zusammenhang die - (bewußt) provozierte - bundesrechtliche Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG, hierzu BVerfGE 84, 25 ff. 581 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung atomrechtlicher Rechtsvorschriften, RS I 1-11322-3/2, Stand 1. 9.1992; hierzu R. Wolf, ZUR 1993, 11 ff. 582 Vgl. § 9a AtGE. Nach § 58 AtGE besteht allerdings die Verpflichtung z,l;lr Übertragung staatlich betriebener Endlager auf private Unternehmen. Erfolgt die Ubernahme nicht innerhalb von fünf Jahren, so sind die Endlager stillzulegen.

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IV. Entwicklung nach 1945 (3) Umweltschutz im Planungsrecht

Obwohl bereits mit § 906 BGB als umweltrechtlicher Urnorm der raumbedeutsame Charakter des Umweltrechts erkannt wurde, blieb der Planungshorizont des Umweltschutzes lange unberücksichtigt. Dies änderte sich mit der Erkenntnis, dem komplexen ökologischen Wirkungs gefüge nicht allein mit punktuellen Regelungen begegnen zu können. Angestoßen durch das Umweltprogramm der Bundesregierung von 1971, in dem betont wird, es müsse angestrebt werden, unerwünschte Nebenwirkungen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung rechtzeitig zu erkennen und durch weit vorausschauende Umweltplanung zu vermeiden,583 erhielt der Umweltschutz in der Umweltpolitik der 70er Jahre eine deutliche Akzentuierung als Planungs aufgabe des Staates. 584 Als dem klassischen Instrumentarium vorgelagerte "dritte Dimension" verdiente eine Umweltplanung besondere Beachtung,585 konnte man sich doch erhoffen, mit einer planenden Gestaltung der Umwelt geradezu optimal dem Vorsorgegrundsatz zu entsprechen. Vorsorge nicht nur appellativ verstanden, verlange für den Umweltschutz als Querschnittsaufgabe einen systematisch vorausschauenden Entwurf, der staatliches Handeln nicht als Reaktion auf den Zufall beschränkt, sondern unter Zugrundelegung einer breiten planerischen Datenbasis der Pflicht zu einem konzeptionellen Agieren unterwirft. Strukturell an das Raumplanungsrecht anknüpfend ließen sich - vielfach nicht implementierte - Planungsinstrumente einführen, so etwa die Landschaftsplanung nach §§ 5 ff. BNatSchG, die Schutzgebietsausweisungen nach §§ 12 ff. BNatSchG, Bewirtschaftungspläne nach § 36b WHG, Luftreinhaltepläne nach § 47 BImSchG oder Abfallentsorgungspläne nach § 6 AbfG. Trotz des buntscheckigen Bildes, daß die umweltspezifischen Fachplanungen aufweisen, hat sich der Gesetzgeber in der Folgezeit nicht für eine eigenständige Umweltgesamtplanung entscheiden können. Vielmehr ist die Raumordnung stärker auf die Belange des Umweltschutzes ausgerichtet worden, zuletzt durch die Novellierung des Raumordnungrechts. 586 Ihre Fortsetzung hat die vorsorgeorientierte Ausrichtung der Raumordnung auf örtlicher Ebene in der Bauleitplanung gefunden. Ausdrücklich umweltschützende Regelungen enthielt schon das BBauG seit der Novellierung vom 18. August 1976. 587 Mit dem Gebot sparsamer und schonender Bodennutzung (sog. Freiraumschutz) hat das Bauplanungsrecht mit dem am 1. Juli 1987 in Kraft getretenen BauGB einen eigenen umweltspezifischen Weg (§ 1 Abs.5 S. 3, 4 BauGB) eingeschlagen. 583 BT-Drucks. V1/271O, S. 8. Hoppe, VVDStRL 1980,211,231 ff. und zu den unterschiedlichen Modellen der Umweltschutzplanung S. 252 ff. 585 So bereits Steiger, ZRP 1971, 133 ff. 586 BT-Drucks. 11 /3916. 587 BGBL I S. 2257, ber. 3617. Zum umweltschützenden Gehalt der Regelungen Stich, in: Salzwedel, Grundzüge des Umweltrechts, 1982, S. 171 (179 ff.). 584

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Diese im wesentlichen auf dem behutsamen Ausbau von Einzelfachplanungen beruhende Weiterentwicklung einer horizontal verknüpften "additiven" Umweltplanung wurde jedoch schon früh kritisiert. 588 Forderungen nach einer staatlich gelenkten Globalsteuerung aller umweltrelevanten öffentlichen und privaten Aktivitäten waren allerdings noch von der Planungseuphorie der späten 60er Jahre geprägt. Befürchtungen eines planungsbedingten Freiheitsverlustes, aber auch die wachsende Einsicht mangelnder Operationalität und Durchsetzbarkeit globaler Planungsmodelle, führten zu einer deutlichen Planungsernüchterung in den 70er Jahren. Gerade im Umweltrecht häuften sich die Klagen über seine Überinstrumentierung und Übernormierung. 589 Einem Trend in Richtung Entfeinerung und Vereinfachung des Rechtssystems 590 widersprach daher auch das Modell einer isolierten Umweltgesamtplanung. Insbesondere Praktikabilitätserwägungen standen einer Realisierung entgegen. Die rechtliche Ausgestaltung einer tendenziell im Ergebnis statischen Planung erwies sich angesichts des Bedarfs an Flexibilität im Umweltschutz als problematisch. Eine "hochgezüchtete" Gesamtplanung, so wurde angemahnt, verliere auch die Realität aus den Augen. Rationalitätsgewinn könne man sich nicht versprechen, wenn der notwendige Ausgleich widerstreitender Interessen in einem vorgeschalteten Planungsverfahren lediglich aufgeschoben, letztlich aber in einem nachfolgenden Integrationsverfahren, insbesondere der Raumplanung, nachgeholt werden müsse. Um den Aufbau und die Verhärtung von Fronten bei der Suche nach dem erforderlichen Gesamtkompromiß nicht zu provozieren, werde sich die Umweltpolitik lediglich im Rahmen einer längerfristig integrierten Umweltplanung über eine Politik der kleinen Schritte vollziehen müssen. 591 Neuen Auftrieb hat die ,,Planungsdebatte" allerdings durch die Aufnahme einer übergreifenden Umweltleitplanung in den UGB(AT)-Entwurf 592 erhalten. Ob sich die Konzeption einer das bestehende Instrument der Landschaftsplanung ausbauenden Leitplanung des raumbezogenen Umweltschutzes zukünftig realisieren läßt, ist freilich offen. 593 Der DJT 1992 hat sich in seiner Stellungnahme gegen das Modell einer ökologischen Umweltleitplanung ausgesprochen. 594 Statt vieler Rehbinder, Rabe1sZ 40 (1976), 363 ff. (365). Einzelheiten bei Kloepfer, VVDStRL 1982, S. 63 (68 ff.). 590 Hoppe, Umweltleitplanung, in: H. J. Koch (Hg.), Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch, 1992, S. 46 ff. (57). 591 Insbesondere der RSU (FN 490) stand übergeordneten Planungsmodellen sehr skeptisch gegenüber, vgl. zunächst im Umweltgutachten 1974 (FN 490), Tz. 20, bekräftigt im Umweltgutachten 1978 (FN 490), Tz. 1930; anders und tendenziell eine Investitionslenkung fordernd Rehbinder, Umweltschutz, aber wie? Rechtliche Hindernisse, rechtliche Möglichkeiten, Schriften der evangelischen Akademie in Hessen und Nassau, 1972, S. 24 ff., gegen ihn aber Hoppe (FN 584), S. 255 ff. (Fn.99). 592 Dazu unten S. 149 f. 593 Nach Schmidt-Aßmann, in: H. J. Koch (FN 590), S. 37, enthalten die §§ 19-25 UGB-AT bereits einen planungspraktischen Kompromiß, der jedoch - wie er zutreffend betont - eine Gratwanderung zwischen Überlastung der Planungsaufgabe und einer erneuten Sektoralisierung des planerischen Denkens bleibt. 588

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Das Bereitstellen von medienübergreifenden Planungsgrundsätzen ist jedoch in jüngster Zeit immer deutlicher im Zusammenhang mit der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) herausgestellt worden. 595 Auch dieses Instrument dient einer effektiven Vorsorgepolitik, indem sichergestellt werden soll, daß vor Entscheidungen über öffentliche und private Vorhaben deren Umweltauswirkungen frühzeitig und angemessen berücksichtigt werden können. In vielen Fällen erwies sich der bisher verfolgte projektbezogene Ansatz als zu eng. Angestrebt wird eine UVP aber schon seit längerer Zeit auch auf einer dem konkreten Projekt vorhergehenden und übergeordneten Planungsebene (ökologische Planung). Bereits im Umweltprogramm der Bundesregierung von 1971 wurde ein entsprechend weiter Ansatz für die institutionelle Gewährleistung umweltfreundlichen Handelns angedeutet. Beeinflußt durch die Entwicklung in den USA, wo mit dem National Environmental Policy Act (NEPA) am l. Januar 1979 eine Umweltverträglichkeitsprüfung eingeführt wurde,596 erhielt der Bundesinnenminister zunächst durch die Änderung der gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesregierung vom 9. August 1972 für Vorarbeiten zu Gesetzesvorhaben ein Beteiligungsrecht, um die Prüfung der Umweltverträglichkeit sicherzustellen. Zu dem nach umfassenden Vorarbeiten kontrovers diskutierten Referentenentwurf eines UVPGesetzes vom 26. November 1973 konnte jedoch keine Übereinstimmung erzielt werden. 597 Die stattdessen vom BMI nach dem Erlaß einer entsprechenden Verwaltungsvorschrift am 12. September 1975 598 bekanntgemachten "Grundsätze für die Prüfung der Umweltverträglichkeit öffentlicher Maßnahmen" wurden lediglich von drei Bundesländern übernommen und blieben in ihren Anforderungen gegenüber dem ursprünglichen Gesetzesentwurf zurück. 599 Auch die EGRichtlinie zur UVP, die als "Richtlinie des Rates über die Umweltverträgliohkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten" am 27. Juni 1985 600 verabschiedet wurde, konnte erst nach langwierigen Verhandlungen Gestalt annehmen. Von einer Erstreckung der UVP auf planerische Vorentscheidungen mußte Abstand genommen werden, da bedingt durch den unterschiedlichen Entwicklungsstand des Planungsrechts in den Mitgliedstaaten eine europäische Einigung ausgeschlossen erschien. 601 Weitere fünf Jahre nahm die bundesdeutsche Umsetzung der EG-Richtlinie in Anspruch, bis nach überwiegend kritisch begleiteten Vorarbeiten zu dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 29. Juni 1988 das "Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie des Rates vom 27. Juni 1985 594 59. DJT, Bd. 2, 1992, N 209. 595 Zur Vorgeschichte des UVPG ausführlich Cupei, Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), S. 35 ff. 596 Hierzu Delogu. Die Umweltverträglichkeitsprüfung - Die Regelung in den USA als mögliches Modell, in: Beiträge zur Umweltgestaltung, Heft A 34, 1974, S. 11 ff. 597 Cupei (FN 594), S. 45 f. 598 GVBI. S. 717. 599 Erbguth / Schink. UVPG, 1992, Einl., Rn. 2. 600 ABI. L 175 vom 5.7.1985, S. 40. 601 Erbguth / Schink (FN 599), Einl., Rn. 11.

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über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (85/337 /EWG)" vom 12. Februar 1990 602 am 1. August 1990 in seinen wesentlichen Bestimmungen in Kraft treten konnte. Der zukünftige "Königsweg der Umweltpolitik" (Töpfer) findet daher seinen normativen Ausdruck in einem Gesetz, dessen Entstehung einen Leidensweg dokumentiert. Neben Zweifeln an einer entsprechenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes war es die Fülle umweltrechtlicher Regelungen, die zunächst das Bedürfnis nach einer gesetzlichen Regelung der UVP in Frage zu stellen schien. Obwohl noch wesentliche Verwaltungsvorschriften zur Umsetzung des UVP-Gesetzes fehlen, wurden mit der sog. Investitionserleichterungsgesetzgebung 603 wieder wichtige Änderungen und Einschränkungen des UVP-Gesetzes vorgenommen. 604 (4) Gewässerschutzrecht Verhältnismäßig früh gelang es dem Gesetzgeber, das ursprünglich primär der Umweltnutzung verpflichtete Gewässerschutzrecht strukturell den modemen Anforderungen des Umweltschutzes anzupassen. Das Wasserhaushaltsrecht löste sich mit dem 4. Änderungsgesetz zum WHG vom 26. April 1976 605 von seiner Prägung durch das öffentliche Sachenrecht und erhielt zunehmend den Charakter eines modemen Umweltschutzgesetzes. 606 Vorausgegangen waren jahrelange Reformdiskussionen, die durch gravierende Güteverschlechterungen der oberirdischen Gewässer ihre Berechtigung erfahren hatten. Am Rhein kristallisierten sich besonders deutlich die Probleme des Gewässerschutzes. Während die von der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) herausgegebene Gewässergütekarte 1975 für den Rhein noch eine kritische Belastung bis starke Verschmutzung aufwies, konnte schon 1985 eine teilweise erhebliche Verbesserung der Wasserqualität festgestellt werden. 607 Infolge der gestiegenen Nutzungsansprüche an das Wasser wurde darüberhinaus zunehmend die Belastung des Grundwassers als Problem des Gewässerschutzes erkannt. 608 Der BOB!. I S. 205. Neben dem InvErlO ist für Planfeststellungen von Verkehrswegen in den neuen Ländern das Verkehrswegeplanungsbeschleunigunggesetz vom 16.12.1991, BOB!. I S.2174, zu nennen, hierzu BVerwO, NVwZ 1993, 565 ff. - Zu den ökologischen Anforderungen an die Verkehrsprojekte "Deutsche Einheit" siehe die Hinweise vom BMU (N I 4-77122-2) und des BMV (A 16/14.80.15.-00). Komplettiert werden die gesetzgeberischen Bemühungen zur Vereinfachung der Zulassungsverfahren durch das BauOB-Maßnahmengesetz vom 17.5.1990, BOB!. I S. 926. 604 Einen Überblick über die Änderungen des UVPO gibt A. Schmidt, ZUR 1993, 197 ff. 605 BOB!. I S. 1109. 606 Breuer, NuR 1987,49; zu den Änderungen des WHO Breuer (FN 425), Rn. 6 ff. 607 Zur Oewässergüte des Rheins siehe Umweltbericht 1990 (FN 492), S. 128 ff. 608 So stieg der tägliche Wasserverbrauch des Menschen von 10- 30 !. in der vorindustriellen Zeit auf 85 !. in den 50er Jahren an, während er heute bereits 150 !. pro Einwohner 602

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Erkenntnis, daß vielfaltige Störungen der Selbsterneuerungsfahigkeit des Wasserhaushalts Grenzen setzen und Wasser ein knappes Gut geworden ist, versuchte der Gesetzgeber schon mit dem im 4. Änderungsgesetz zum WHG angelegten Ausbau der öffentlich-rechtlichen Benutzungsordnung für die Gewässer Rechnung zu tragen. Aufbauend auf der neuen programmatischen Leitnorm des § la WHG wurde der bestehende Bewirtschaftungsgrundsatz teilweise erheblich erweitert. In seinem "berühmten" Naßauskiesungsbeschluß erklärte das Bundesverfassungsgericht die Abkoppelung der Gewässernutzung vom Grundeigentum wegen der Hochrangigkeit eines hinreichend zu gewährleistenden Gewässerschutzes für verfassungsgemäß. 609 Mit dieser nicht nur für das Wasserrecht richtungsweisenden Entscheidung 610 wurde der Streit um die Zulässigkeit entschädigungsloser Verbote des Kiesabbaus beendet. In der Versagung einer Erlaubnis hatte der Bundesgerichtshof 1973 noch eine entschädigungspflichtige Enteignung gesehen. 611 Folgerichtig hielt er die 1976 eingefügte Vorschrift des § la Abs. 3 WHG, die im Ergebnis den Ausschluß jeder (verfassungsrechtlichen) Entschädigung vorsieht, für verfassungswidrig und legte sie 1978 dem Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung vor. Die deutliche Absage an ein "Eigentümergrundrecht zur Grundwasserbenutzung" bestätigte letztlich die umfassende Konzeption des 4. Änderungsgesetzes, das sich zudem nicht mit einer Modifizierung des bewährten wasserwirtschaftlichen Instrumentariums begnügte, sondern insbesondere mit der Regelung über bundesweit geltende emissionsbezogene Mindestanforderungen an das Einleiten von Abwasser (§ 7a WHG) ein neues, der Ressourcenbewirtschaftung vorgeschaltetes Kontroll- und Steuerungsinstrument geschaffen hatte. In der Zwischenzeit stellten sich Teilerfolge in der Gewässersanierung ein. Schon lange ging es nicht mehr ausschließlich um die Sicherstellung der Trinkwasserversorgung. Wasserschutzmaßnahmen wurden jedoch, wie das Umweltgutachten 1987 feststellt,612 überwiegend auf den eigentlichen Wasserkörper beschränkt. Erforderlich sei aber eine ökosystemare Beurteilung der Gewässer, die es ermöglicht, sie als Teilsysteme von Landschaften zu betrachten, um so die vielfaltigen Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Ökosystemen angemessen erfassen zu können. Hier zeigt sich ein Dilemma des Umweltschutzes: Die Erweiterung der Wissensbasis über die ,,Lage der Umwelt" mit der resultierenden Notwendigkeit einer Änderung der Beurteilungskriterien läßt den Erfolg im Umweltschutz schnell verblassen. Kaum hatte die Sanierung des Sauerstoffhaushaltes der Gewässer erfreuliche Ergebnisse gezeigt, traten aufgrund neuerer erreicht hat, vgl. Berendes I Winter, Das neue Abwasserabgabengesetz, 2. Aufl., 1989, S. l.

BVerfGE 58, 300. 610 Vgl. zur verfassungsrechtlichen Seite der als "sensationell" bezeichneten Entscheidung Salzwedel, ZfW 1983, 13 ff.; Battis, NVwZ 1982,585; Ossenbühl, NJW 1983, 1 ff. 611 BGHZ 60, 126. 612 RSU 1987 (FN 490), Tz. 863 ff. 609

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toxikologischer Erkenntnisse und durch eine verbesserte Schadstoffanalytik weitere Gewässerbelastungen in den Vordergrund. So legte die Gewässerschutzpolitik in den 80er Jahren ihren Maßnahmen überwiegend die Gewässerbelastungen durch "gefährliche Stoffe" zugrunde. 613 Vor diesem Hintergrund wurde das WHG durch das 5. Änderungsgesetz vom 25. Juli 1986 614 erneut geändert. Auch wenn sich die Änderungen im wesentlichen an den vorhandenen Grundlinien orientierten, ist eine deutliche Verbesserung des ordnungsrechtlichen Instrumentariums unverkennbar. 615 Aufsehen erregte die Einführung des sog. Wasserpfennigs in Baden-Württemberg (§§ 17 ff. LWG), der zur Finanzierung der Gelder für die Billigkeitsentschädigung nach § 19 Abs. 4 WHG das Verursacherprinzip durch das Gemeinlastprinzip ersetzt und deshalb umweltpolitisch wie finanzverfasssungsrechtlich nicht unumstritten ist. Dagegen hat das Abwasserabgabengesetz vom 13. September 1976 616 heute einen festen, nahezu unangefochtenen Platz im Gewässerschutzrecht eingenommen. 617 Dies dürfte nicht zuletzt auch auf die rechtssystematische Qualifizierung der Abwasserabgabe als Sonderabgabe im Gegensatz zu einer (verdeckten) Steuer oder Gebühr zurückzuführen sein. Als Lenkungsabgabe mit Anreizwirkung zu umweltfreundlichem Verhalten fügt sich die am Verursacherprinzip orientierte Abwasserabgabe in den Trend "marktwirtschaftlicher" (richtig: Marktmechanismen nutzender bzw. marktsimulierender) Instrumente ein, denen seit Mitte der 80er Jahre eine sektorale Ergänzung ordnungsrechtlicher Lösungsansätze zugesprochen wird. 618 Davon konnte bei dem auf das Umweltprogramm von 1971 zurückgehenden Erlaß des Abwasserabgabengesetzes 1976 noch keine Rede sein. Obwohl sich eine grundsätzliche Übereinstimmung im Hinblick auf die Schaffung eines neuen Instrumentariums zur Verbesserung des Gewässerschutzes erzielen ließ, wurde der durch wissenschaftliche Vorarbeiten 619 beeinflußte Regierungsentwurf vom 18. Juni 1974 620 im Gesetzgebungsverfahren erheblich abgeschwächt. Die unterhalb der wirtschaftlichen Vermeidungskosten liegende Abgabenhöhe, aber auch die Halbierung des Abgabensatzes, waren Gegenstand öffentlicher Kritik. Nach der Verabschiedung des Gesetzes häuften sich die Vorwürfe mangelnder Vollziehbarkeit. Dem hatte der Gesetzgeber jedoch insoweit RechVgl. den Umweltbericht 1990 (FN 492), S. 124. BGBI. I S. 1165. 615 Zu den Änderungen durch die 5. Novelle zum WHG Breuer, NuR 1987,49 (50 f.). 616 BGBI. I S. 2721, ber. S. 3007. 617 So Berendes / Winter (FN 608), S. 10. 618 Zu den Instrumenten indirekter Verhaltenssteuerung Kloepfer (FN 188), § 4, Rn. 142 ff. 619 Salzwedel, Die Erhebung von Abwassergebühren, 1972. Siehe auch das 1974 vom RSU erstellte Sondergutachten "Die Abwasserabgabe - wassergütewirtschaftliche und gesamtökonomische Wirkungen", in dem sich der Sachverständigenrat für die Erhebung einer Abwasserabgabe ausspricht. 620 BT-Drucks. 7/2272. 613

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nung getragen, als das Gesetz erst am 1. Januar 1978 in Kraft trat und die Abgabepflicht erstmalig am 1. Januar 1981 entstand. Nachdem durch die Einfügung des § 12a AbwAG die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage weggefallen war, 621 wurde mit dem 2. Änderungsgesetz zum Abwasserabgabengesetz vom 19. Dezember 1986 einerseits die grundsätzliche Bewährung der umweltpolitisch wie umweltrechtlich zunächst experimentell angelegten Abgabenlösung zum Ausdruck gebracht, andererseits die Korrekturbedürftigkeit der gesetzlichen Regelungen im Hinblick auf eine vollzugsfreundlichere Ausgestaltung deutlich. In der stärkeren Anbindung an die ordnungsrechtlich einzuhaltenden Überwachungswerte (§ 4 AbwAG n.F.) zeigte sich, daß auch umweltökonomische Problemlösungen ohne den Ordnungsrahmen des "interventionistischen" Rechts nicht praktizierbar sind. Auch das in seiner Zielrichtung die Umstellung auf moderne umweltentlastende Produktionsverfahren erleichternde 3. Änderungsgesetz zum Abwasserabgabengesetz vom 2. November 1990 622 hat diese Konzeption nicht geändert. Abgeschwächt würde die Abwasserabgabe freilich mit einer erneuten Änderung des Abwasserabgabengesetzes, wie sie in der Stellungnahme der Bundesregierung zu einem Gesetzesentwurf des Bundesrates vom 4. Februar 1993 vorgesehen ist. 623 Insgesamt hat das Abwasserabgabengesetz trotz seiner ursprünglich engen Verküpfung mit dem Wasserhaushaltsgesetz zur partiellen Differenzierung in gewässerschutzrechtliche Teilgebiete beigetragen. (5) Natur- und Landschaftsschutzrecht In der dichotomischen Gegenüberstellung von Mensch und Natur erweist sich der Mensch als ein auf Ausbeutung programmierter Konsument innerhalb sich selbstregulierender Ökosysteme. 624 Auch wenn das Reichsnaturschutzgesetz als Landesrecht nach Kriegsende weiterhin Geltung beanspruchte, so mehrten sich nach dem Regierungswechsel 1969 die Stimmen, die angesichts der fortschreitenden Beanspruchung der Landschaft als Siedlungs- und Industrielandschaft den bewahrenden und auf größtenteils ideelle Ziele ausgerichteten Schutzzweck des Naturschutzrechts für unzureichend hielten. 625 Eingefordert wurde eine Naturschutzpolitik, die sich nicht allein an dem Erhaltungswert eines Teilausschnitts

621 1. Änderungsgesetz zum Abwasserabgabengesetz vom 14.12.1984, BGBI. I S. 1515. 622 BGBI. I S. 2425; zur Entwicklung des Abwasserabgabenrechts Henseler, WuR 1991, 78 ff. 623 BT-Drucks. 12/4272, kritisch zu den Novellierungsbestrebungen (vorläufiger Höhepunkt im "schleichenden Prozeß der fortlaufenden Entkemung des Lenkungsgedankens") Gawel! Ewringmann, VÖW-Informationsdienst 1993, Nr. 3-4, S. 1 (4). 624 Vgl. zum Verhältnis Mensch Natur das Umweltgutachten 1987 (FN 490), Tz. 351 ff. 625 Ein "Recht der Landschaft" hatte bereits W. Weber (FN 364), S. 95 ff., gefordert.

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der Natur orientieren dürfe (spöttisch "Blümchenschutz" genannt), sondern zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen eine aktive Gestaltung der Natur als Ganzes zu ermöglichen habe. In den Vordergrund rückte zunehmend der Gedanke, nur über einen Schutz des Naturhaushaltes könne der nunmehr öffentlich thematisierten Bedrohung der Tier- und Pflanzenwelt wirksam Einhalt geboten werden. Als 1970 das europäische Naturschutzjahr ausgerufen wurde, setzten die Reformbestrebungen zu einem Bundesgesetz für Natur- und Landschaftsschutz ein. Die Politisierung des Umweltschutzthemas nahmen die Länder zum Anlaß, das Reichsnaturschutzgesetz nicht nur den neuen Bedürfnissen anzupassen, sondern eigene Naturschutzgesetze zu erlassen, deren Regelungsinhalte erheblich voneinander abwichen. Trotz dieser Rechtszersplitterung verzögerte sich die Schaffung bundeseinheitlicher Regelungen, da die Bundesregierung auch für den Naturschutz die Einräumung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz verlangte. Hierfür sah der Bundesrat jedoch kein Bedürfnis, so daß es erst verhältnismäßig spät zum Erlaß des auf Art. 75 GG gestützten Bundesnaturschutzgesetzes vom 20. Dezember 1976 626 kam. Neben der neuen Konzeption der Landschaftsplanung (§§ 5 ff. BNatSchG) ist es die sog. Eingriffsregelung in § 8 BNatSchG, die sich in Ausfüllung des Verursacherprinzips deutlich vom reichsnaturschutzrechtlichen Ansatz abhebt und als brisante Änderung für das Fachplanungsrecht bezeichnet worden ist. 627 Der praktische Erfolg blieb jedoch weitgehend aus. 628 Im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses standen noch immer andere, vermeintlich leichter umzusetzende Aufgaben, wie die Luftreinhaltung und der Gewässerschutz. Dies änderte sich im Verlauf der 80er Jahre, als bekannt wurde, welches Ausmaß die Gefährdung der Arten und die Landschaftszerstörung angenommen hatten. Ausweislich der sog. "Roten Listen" mußte ein dramatischer, sich zunehmend verstärkender Rückgang im Bestand der wildlebenden Pflanzen und Tiere festgestellt werden. Als gefährdet galten 1984 in der Bundesrepublik Deutschland die Hälfte aller höheren Tierarten und fast ein Drittel der höheren Pflanzenarten. 629 Diesem Befund versuchte das 1. Änderungsgesetz zum Bundesnaturschutzgesetz vom 10. Dezember 1986 630 Rechnung zu tragen, indem spezielle Vorschriften zur Erhaltung der Artenvielfalt als Teil des Naturhaushaltes eingefügt wurden. Komplettiert wurden die Regelungen zum Artenschutz durch die Neufassung der Bundesartenschutzverordnung, 631 womit insgesamt ein partieller Ausbau des Na626 BGBL I S.3574, ber. BGBL 1977 I S. 650; zur Ausgangslage Stich, DVBl. 1972, 201 ff. 627 Breuer, NuR 1980,89 ff. (90); zum geschichtlichen Hintergrund der Eingriffsregelung Burmeister, Der Schutz von Natur und Landschaft vor Zerstörung, 1988, S. 7 ff. 628 So die Einschätzung des RSU im Umweltgutachten 1987 (FN 490), Tz. 140. 629 Umweltgutachten 1987 (FN 490), Tz. 361 ff. 630 BGBL I S. 2349; zur Artenschutznovelle Schmidt, NVwZ 1987, 1037 ff. 631 BGBL I 1986 S. 2705.

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turschutzrechts zu einem Biotopschutzrecht erfolgt ist. 632 Mit den Änderungen hatte sich nach Ansicht der Bundesregierung der Novellierungsbedarf des Bundesnaturschutzgesetzes nicht erledigt. 633 Offen blieb insbesondere die geforderte Einschränkung des rechtspolitisch umstrittenen Agrarprivilegs, 634 dessen normative Ausgestaltung im Bundesnaturschutzgesetz durch die damalige Ressortierung des Naturschutzes beim Bundeslandwirtschaftsminister begünstigt worden war. Ein konfliktreiches Spannungsfeld hat sich für den Naturschutz auch im Hinblick auf die verschiedenen Freizeitaktivitäten ergeben. Die Bemühungen um die im Umweltgutachten 1987 als dringlich bezeichnete Verbesserung des Naturschutzgesetzes, insbesondere aber die ausreichende Bereitstellung von sogenannten natürlichen Sukzessionsflächen, führten bisher nicht zu einer erneuten Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes. Zurückzuführen ist das Ausbleiben der erforderlichen "Trendwende" im Naturschutzrecht auch auf den immer noch schwelenden Streit, in welchem Umfang die Natur und Landschaft "an sich" für schützenswert zu erklären ist. 635 Immerhin sind in der 12. Legislaturperiode von der Bundesregierung, von der SPD sowie vom Bündnis 90/Die GRÜNEN Novellierungsvorschläge erarbeitet worden, 636 deren Realisierung freilich noch ungewiß ist. Erstaunlich zügig hat das BNatSchG dagegen durch das InvErlG eine Änderung erfahren: Mit den §§ 8a und c BNatSchG ist die Eingriffsregelung zugunsten baulicher Interessen erheblich abgeschwächt worden. 637 So ist diese für das Naturschutzrecht wichtige Regelung trotz ihrer besseren Handhabung im Vollzug nunmehr auf Bauvorhaben im Geltungsbereich von Altplänen nach § 8 a Abs. 2 BNatSchG nicht mehr anwendbar. Weiterhin ist zuungunsten der Belange des Naturschutzes die Möglichkeit geschaffen worden, Ausgleichs- und Ersatzrnaßnahmen in der Abwägung nach § 8a Abs. 1 S. 1 BNatSchG zurückzustellen. Somit zeigt sich gerade im Naturschutzrecht die Relativität umweltschützender Belange. Auch wenn ein hohes Niveau des Umweltschutzes in Deutschland erhalten bleiben wird, so ist doch nicht zu verkennen, daß die politische Bedeutung anderer Belange einer Verbesserung des Umweltschutzes deutliche Grenzen setzt.

632 Die Stärkung des Biotopschutzes sieht sich freilich ebenfalls der Gefahr eines isolierten, zu wenig ganzheitlich ausgerichteten Naturschutzes ausgesetzt, vgl. RSU, Umweitgutachten 1987 (FN 490), Tz. 363. 633 Töpfer. Umwelt (BMU), 1988, S. 517 ff.; vgl. auch iwl-Umweltbrief2/l992, S. 3 f. 634 Zu entsprechenden Änderungsvorschlägen BT-Drucks. 10/2653 (Gesetzesentwurf der SPD), BT-Drucks. 10/3628 (Gesetzesentwurf der GRÜNEN). 635 Zum Streit über Eigenrechte der Natur Stone. Should trees have standing, 1972, dt. Umwelt vor Gericht. Die Eigenrechte der Natur, 2. Aufl., 1992; Bosselmann. KJ 1986,1 ff.; Meyer-Abich. Wege zum Frieden mit der Natur, 1986; siehe auch zum sog. ,,Robbensterben" in der Nordsee die Entscheidung des VG Hamburg, NVwZ 1988, 1058. 636 Veröffentlicht sind der SPD-Entwurf (BT-Drucks. 12/3487) und der Entwurf vom Bündnis 90/Die Grünen (BT-Drucks. 12/4105). 637 Zu den Änderungen Runkel. UPR 1993, 203 ff.; Louis. ZUR 1993, 146 ff.

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(6) Abfallrecht In kaum einem Gebiet des Umweltrechts zeigt sich der Wandel in den umweltpolitischen Zielsetzungen klarer als im Abfallrecht. Gefördert durch die von allen politischen Parteien eingeklagte Erfüllung des Vorsorgegrundsatzes löste sich das Abfallrecht zunehmend von seinen ordnungsrechtlichen Ursprüngen mit dem Ziel der (schlichten) Abfallbeseitigung und stellte immer stärker die Abfallvermeidung in den Vordergrund. So ist unter Berücksichtigung eines prinzipiellen Vorrangs der Abfallvermeidung eine der zentralen Fragestellungen heute, in welchem Umfang die rechtliche Ausgestaltung der akzeptierten "Vermeidungsphilosophie" eine ordnungsgemäße Entsorgung 638 ersetzen kann. 639 Seit vorindustrieller Zeit hatten weder praktisch noch rechtlich wesentliche Entwicklungen hinsichtlich der Bewältigung der Abfallproblematik stattgefunden. 64O Abfall wurde als Müll behandelt, der regelmäßig im Gelände abgelagert wurde. Noch in den 70er Jahren galt die Auffüllung ausgebeuteter Kiesgruben als eine der üblichen Formen der Abfallbeseitigung. 1970 wurde bei 50 % der Einwohner der Bundesrepublik, die zu dieser Zeit immerhin bereits ein führender Industriestaat war, der Müll nicht regelmäßig eingesammelt und abgefahren. Von ca. 200 Millionen Kubikmetern an Abfallstoffen aller Art wurden 80 % auf etwa 50.000 Müllkippen meist ohne Schutzmaßnahmen gegenüber der Bevölkerung und ohne Rücksicht auf bedenkliche Verunreinigungen von Wasser, Boden und Luft (sog. ungeordnete Müllkippen) abgelagert. Zu Beginn der 70er Jahre existierten erst 100 sog. geordnete Deponien, auf denen lediglich 15 % des Hausmüllaufkommens entsorgt wurden. 641 Geregelt war die Entsorgung der Abfalle nur rudimentär. Neben den kommunalen Satzungen mit dem Anschluß- und Benutzungszwang ergaben sich einzelne Verplichtungen zur unschädlichen Abfallbeseitigung aus dem Bundes-Seuchengesetz, der Gewerbeordnung, dem WHG und den Wassergesetzen der Länder. Die Etablierung der Industriegesellschaft hatte jedoch in den Jahren 1950 bis 1961 zu einer Verdoppelung des Anfalls an Hausmüll geführt. 642 Ende der 80er Jahre betrug die Menge des Hausmülls pro Einwohner bereits 380 kg jährlich. 643 638 § 1 Abs. 2 AbfG faßt im Begriff der Entsorgung Maßnahmen der Beseitigung und Verwertung zusammen; zur "erstaunlichen Karriere" dieses Begriffes v. Lersner (FN 499), S. 265 f. 639 Verneinend etwa Salzwedel, NVwZ 1989, 820 ff.; vgl. auch den Umweltbericht 1990 (FN 492), S. 150, wo sich die Bundesregierung für das Bereitstellen ausreichender Versorgungseinrichtungen im Inland ausspricht. 640 Siehe oben S. 68 ff. 641 Vgl. die Antwort der Bundesregierung auf eine große Anfrage im Bundestag, BTDrucks. VI/l519, S. 5. 642 v. Lersner, Art. ,,Abfall", in: Kimminich / v. Lersner / Storm (Hg.), Handwörterbuch des Umweltrechts (HdUR), Bd. 1, 1986, Sp. 1. 643 UBA, Daten zur Umwelt, 1988/89, S. 4320.

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Allein 50 % davon sind auf Verpackungsmaterial zurückzuführen. 644 Dabei fällt die Bilanz für die Bundesrepublik Deutschland vergleichweise günstig aus. In den USA stieg der jährlich anfallende Hausmüll auf heute durchschnittlich 744 kg. 645 Neben der sich bereits frühzeitig abzeichnenden Müll-Lawine waren es jedoch seit der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts insbesondere die qualitativ neuartigen Abfälle, die zu Beginn der 60er Jahre die Vorbereitungen zur rechtlichen Bewältigung der Abfallproblematik einsetzen ließen. Als dringlich erwiesen sich zunächst Regelungen für eine sachgemäße Entsorgung von Autowracks, Altreifen und Altöl. 646 Die 1962 von der IPA eingeleiteten Bemühungen um eine umfassende Ausgestaltung der geordneten Abfallbeseitigung beschränkten sich zunächst auf die Klärung technischer und organisatorischer Fragen. Nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern, in deren Verlauf dem Referentenentwurf des Bundes ein Musterentwurf für ein umfassendes Abfallgesetz der Länder gegenübergestellt wurde, kam es erst nach dem Regierungswechsel 1969 zu einem ersten Regierungsentwurf vom 8. Januar 1971. 647 Durch die Stellungnahme des Bundesrates aufgefordert, entschloß sich die Bundesregierung mit der geplanten Verfassungs änderung auch die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für ein Abfallgesetz in Art. 74 Nr. 24 GG klarzustellen. 648 Inkrafttreten konnte das Abfallgesetz vom 7. Juni 1972 649 am 11. Juni 1972. Neben der Statuierung einer kommunalen Entsorgungspflicht war primäres Anliegen des Gesetzes angesichts der sorglosen Praxis ("Verkippung") zunächst die Sicherstellung einer geordneten Abfallbeseitigung, obwohl bereits in den Beratungen zur Vorlage des Abfallgesetzes auf die Notwendigkeit einer Rückführung des verwertbaren Abfalls in den Rohstoffkreislauf als Maßnahme des präventiven Umweltschutzes hingewiesen worden war. 650 Auch die erst seit Mitte der 80er Jahre im Abfallrecht kontrovers diskutierte Frage des grenzüberschreitenden Abfallexportes sowie die Verpackungs- und Einwegproblematik waren bereits 1971 Gegenstand der parlamentarischen Beratungen. Dennoch überwog die tradierte Vorstellung, durch ein Unterbinden der ungeordneten Ablagerung von Abfällen drohenden Umweltgefahren ausreichend begegnen zu können. Mit einer ordnungsgemäßen, am Wohl der Allgemeinheit (§ 2 AbfG) orientierten Abfallbeseitigung verbanden sich andere Begriffsinhalte als heute: Die besorgniserregende Müll-Lawine drohte erneut hygienische Gefahren und Bodenbelastungen entsteKluth, JURA 1991,289 ff. (291). Weitere Zahlenangaben bei Versteyl, in: Kunig / Schwermer / Versteyl, AbfG, 2. Aufl., 1992, Ein!., Rn. 2 ff. 646 Vg!. Versteyl (FN 645), Rn. 5. Zur neueren Entwicklung des Abfallrechts Hösel/ v. Lersner, Recht der Abfallbeseitigung des Bundes und der Länder, 1972 ff., Kennz. 1020. 647 BR-Drucks. 24/71. 648 30. Gesetz zur Änderung des GG vom 12.4.1972, BGB!. I S. 593, zur verfassungsrechtlichen Diskussion Hösel/ v. Lersner (FN 646), Kennz. 1020, S. 9 ff. 649 BGB!. I S. 873. 650 RSU, Sondergutachten Abfallwirtschaft, 1990, Tz. 87. 644 645

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hen zu lassen, Staub- und Geruchsbelästigungen in erhöhtem Maße hervorzurufen, störte aber auch zunehmend den ungetrübten Blick in der Natur. Dagegen fehlte es, wie das Umweltprogramm der Bundesregierung von 1971 selbst konstatiert, an abfalltechnischen und wirkungsbezogenen Kenntnissen, die es im Hinblick auf das immense Ausmaß der Aufgabenstellung erlaubt hätten, kurzfristig abfallspezifische Fragen legislativ überzeugend zu lösen. So wurde etwa die bereits 1971 dikutierte TA Abfall erst 1991 bekanntgegeben. Vor dem Hintergrund der Ölkrise von 1973 wurde im Abfallwirtschaftsprogramm der Bundesregierung von 1975 die umweltpolitische Forderung nach einer zu forcierenden Verwertung der Abfälle als Wirtschafts güter aufgenommen. Gesetzlichen Niederschlag fand das Verwertungs gebot in der 1. Novellierung des Abfallgesetzes vom 27. Juni 1976 651 lediglich insoweit, als derneu eingeführte Betriebsbeauftragte für Abfall verpflichtet wurde, auf die Einführung von Verfahren zur Reduzierung und Wiederverwendung von Abfall hinzuwirken. Eine stärkere Umsetzung des Abfallwirtschaftsprogramms, das den Übergang von der Abfallbeseitigung zu einer Abfallwirtschaft angekündigt hatte, scheiterte zunächst an starken Widerständen (vor allem des privaten Altstoffhandels), die sich insbesondere gegen einen weitgehenden Vorrang der Abfallverwertung vor der Entsorgung (Beseitigung) richteten. 652 Nachdem in der 2. Novellierung des Abfallgesetzes vom 4. März 1982 653 die gesetzlichen Voraussetzungen für eine umweltschonende Klärschlammverwertung vervollständigt wurden, reagierte der Gesetzgeber mit der 3. Novellierung des Abfallgesetzes vom 31. Januar 1985 654 auf die erhebliches Aufsehen erregende Problematik des "Sondermülltourismus". Die seit 1981 aus verschiedenen Bundesländern beschickte Deponie Schönberg in der früheren DDR,655 aber auch die Irrfahrt der Fässer mit den dioxinhaltigen Rückständen, die infolge der unkontrollierten exothermen Zersetzungsreaktion in der italienischen Gemeinde SeveS0656 angefallen waren, führten die Notwendigkeit einer gesetzlichen Kontrolle für die Abfallausfuhr und -durchfuhr eindringlich vor Augen. Um eine Entsorgung am Ort des Abfallanfalls zu gewährleisten, sollte mit der Neufassung des § 13 AbfG auch der Ausbau einer nationalen Entsorgungsinfrastruktur ermöglicht werden. 657 Beide Ziele gelten als bis heute nicht erreicht. 658 651 BGBl. I S. 1601. 652 Hierzu Hösel/ v. Lersner (FN 646), Kennz. 1111, Rn. 1. 653 BGBl. I S. 281. 654 BGBl. I S. 204. 655 Noch 1989 wurden über 1 Mio. Tonnen Abfälle aus der Bundesrepublik zur Deponie Schönberg verbracht, vgl. den Umweltbericht 1990 (FN 492), S. 163. 656 Zu den rechtspolitischen Konsequenzen Schneider, UPR 1983, 253 ff. 657 So die Bundesregierung, BT-Drucks. 10/849, S. 2; vgl. auch Kunig, in: Kunig / Schwermer / Versteyl (FN 645), § 13, Rn. 12. 658 Kunig (FN 645), ebenda. 9 K10epfer

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Mit dem Abfallgesetz vom 27. August 1986 659 trat das Abfallrecht in eine neue Phase. 660 Schon im Titel brachte der Gesetzgeber in Abkehr zu der vorausgegangenen Entwicklung eine andere Schwerpunktsetzung zum Ausdruck. Wenn sich das grundsätzliche Verwertungs gebot auch erstmals hier normativ durchsetzte, so wurde doch zugleich mit der Betonung, eine Akkumulation von Schadstoffen und der davon ausgehenden Umweltbelastungen sei zu verhindern, der Weg für eine verstärkte Vermeidung von Abfällen aufgezeigt. Im Gesetzgebungsverfahren wurde mehrfach versucht, die weitgehend unbestrittene ökologische Prioritätenfolge gesetzlich durch detaillierte Vermeidungs-, Wiederverwendungs- und Verwertungspflichten festzulegen. Im Ergebnis verzichtete der Gesetzgeber jedoch darauf, der abgestuften Zielhierachie Normcharakter zu verleihen. Der in § 1 a AbfG niedergelegte Vermeidungs ansatz konnte daher lediglich als "Handlungsrichtlinie" für den Verordnungsgeber nach § 14 AbfG661 verstanden werden. Folgerichtig rückten die auf § 14 AbfG gestützten Rechtsverordnungen gegen Ende der 80er Jahre in den Mitelpunkt des Interesses. Zunächst hatte die Bundesregierung von der Verordnungsermächtigung keinen Gebrauch gemacht, weil man sich von der freiwilligen Selbstbeschränkung der abfallerzeugenden Unternehmen eine effektivere Verwirklichung der Vermeidungsziele erhoffte. Inzwischen hat § 14 AbfG seinen appellativen Charakter verloren und zählt als manifester Ausdruck des Kooperationsprinzips662 in einem immer stärker marktwirtschaftlich orientierten System der Abfallentsorgung zu den zentralen Normen des modernen Abfallrechts. Nach Bekanntgabe der auch auf immissionsschutzrechtlichen Vorschriften gestützten Altölverordnung vom 27. Oktober 1987,663 der Verordnung über die Rücknahme und Pfanderhebung von Getränkeverpakkungen aus Kunststoff vom 20. Dezember 1988 664 sowie der Verordnung über die Entsorgung gebrauchter halogenierter Lösemittel vom 23. Oktober 1989,665 machte insbesondere die Kontroverse um den Erlaß der Verpackungsverordnung vom 12. Juni 1991,666 mit der das Ende der Wegwerfgesellschaft propagiert wurde,667 die Brisanz neuartiger, abfallrechtlich motivierter Regelungstechniken deutlich.

659 BGBl. I S. 1410, ber. S. 1501. Zum neuen Abfallgesetz KreJt, UPR 1986,402 ff. 660 RSU, Sondergutachten Abfallwirtschaft, 1990, Tz. 89; zu den konträren Auffassungen während der Beratungen BT-Drucks. 10/5656, S. 42 ff. 661 Zur Entstehungsgeschichte des § 14 AbfG Jekewitz, DÖV 1990,51 ff. 662 Nach Ansicht des Bundesrates soll sich § 14 AbfG als nicht zielführende Überbetonung des Kooperationsprinzips erwiesen haben. deshalb sei die Vorschrift entbehrlich, vgl. BT-Drucks. 12/631, S. 9. 663 BGBl. I S. 2335. 664 BGBl. I S. 2455. 665 BGBl. I S. 1918. 666 BGBl. I S. 1234. 667 Töpfer, Umwelt (BMU) 1990,567; kritisch Versteyl, NVwZ 1991, 848 ff.

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Sollte das geplante Kreislaufwirtschaftsgesetz 668 realisiert werden, würde das Abfallrecht erneut in eine neue Phase treten. Unter Abfall sollen in Zukunft nur noch die Rückstände verstanden werden, die nicht als Sekundärrohstoffe ordnungsgemäß und schadlos verwertet werden können. Damit wird mit der Förderung der Kreislaufwirtschaft ein neues Regelungssystem geschaffen, das den bisherigen Abfallbegriff durch den Rückstandsbegriff ersetzt und damit den Regelungsbereich des Gesetzes wesentlich vorverlagert. Verantwortlich für die heute zunehmend sensibler auf die Abfallproblematik reagierende Öffentlichkeit ist auch die spätestens seit Mitte der 80er Jahre verstärkt einsetzende Diskussion über die umweltpolitischen Lösungen des Altlastenproblems. Zuvor hatten sich Behörden und Öffentlichkeit überwiegend mit denjenigen Altlasten beschäftigt, die auf Altablagerungen zurückzuführen waren. Die verstärkte Einbeziehung von Altstandorten infolge des Auftretens spektakulärer Fälle von teilweise gravierenden Umweltschäden (etwa in der Deponie HamburgGeorgswerder) zeigte jedoch, daß in der Vergangenheit - bedingt durch eine falsche Einschätzung der Gefahrdungspotentiale und dem leichtfertigen Umgang mit Produktionsabfällen, Zwischenprodukten und Betriebsstoffen - das Selbstreinigungsvermögen der Böden und des Untergrundes erheblich überschätzt wurde. 669 Waren 1983 erst 28.000 altlastverdächtige Flächen in der Bundesrepublik Deutschland erfaßt, so hatte sich die Zahl bereits 1988 auf knapp 50.000 erhöht. 670 Die damaligen Schätzungen von insgesamt über 70.000 Verdachtsflächen 671 mußten nach der Wiedervereinigung auf heute ca. 140.000 korrigiert werden. 672 Nachdem sich zunächst im Hinblick auf die Auswahl des Instrumentariums bei der erforderlichen Altlastensanierung mangels spezieller Rechtsgrundlagen für die sog. echten Altlasten eine "Renaissance des Polizeirechts" ankündigte,673 trat gegen Ende der 80er Jahre der Kostenfaktor in den Vordergrund. Bereits 1986 wurden für den Zeitraum von 10 Jahren Kosten in Höhe von rund 17 Mrd. DM genannt. 674 Da sich eine Kostenabwälzung auf den Verursacher in vielen Fällen 668 Siehe hierzu den Entwurf der Bundesregierung zu einem "Gesetz zur Vermeidung von Rückständen, Verwertung von Sekundärrohstoffen und Entsorgung von Abfällen", BT-Drucks. 12/5672, S. 2 ff.; zu dem entsprechenden Bundestagsbeschluß FAZ vom

15.4.1994, S. 14.

RSU, Sondergutachten "Altlasten", 1989, Tz. 891. 670 RSU (FN 669), Tz. 63. 671 V. Franzius, Umwelttechnik Berlin, Sonderheft 3/89, S. 5 f. 672 Mehr als ein Drittel davon entfallen auf das Gebiet der ehemaligen DDR, vgl. Wieczorek, Umwelt (BMU), 1993, S. 140. 673 Vgl. Breuer, NVwZ 1987,753 m. w.N.; die Leistungsfähigkeit des Polizeirechts ist dabei unterschiedlich beurteilt worden, vgl. die Beiträge von Kloepfer und Papier in UTR I, 1986, 17 ff., 59 ff.; anders H. J. Koch, Bodensanierung nach dem Verursacherprinzip, 1985, S. 116 ff. 674 V. Franzius, WuB 1986, 169 ff. (170); nach jüngsten Vereinbarungen zwischen der Treuhandanstalt und den neuen Bundesländern soll für die Finanzierung der Altlastensanierung bis zum Jahr 2001 allein für Ostdeutschland 1 Mrd. DM jährlich aufgebracht werden, FAZ v. 24.10.1992. 669

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als nicht durchführbar erwies, setzte mit der zunehmenden Problematisierung der Kostenlast für die Allgemeinheit eine breite Diskussion über die unterschiedlichen Modelle einer Abgabenlösung aus Sanierungsfonds ein. Nachdem sich Vorschläge entsprechend dem Vorbild des US-amerikanischen "Super-Fund" zur Schaffung "abgabengespeister" Sanierungsfonds bundeseinheitlich nicht verwirklichen konnten,675 konzentrierte sich die "Finanzierungsdebatte" auf das nordrhein-westfälische Modell einer Lizenzgebühr für die Sondermüllentsorgung, deren Aufkommen jedoch der Altlastensanierung zufließen soll.676 Erhebliche Probleme bereitet derzeit die Sanierung der sog. Rüstungsaltlasten. 677 Die Altlastenproblematik wird nunmehr auch in dem von der Bundesregierung im Herbst 1993 vorgelegten Entwurf eines Bodenschutzgesetzes (§§ 17 - 26) erfaßt. 678 (7) Gefahrstoffrecht

Dem Umweltschutz dienten mittelbar schon zu Beginn dieses Jahrhunderts unterschiedliche Regelungen mit einer stoffrechtlichen Zielrichtung. Als sich der Umweltschutzgedanke zu etablieren begann, konnte vielfach an ein bereits vorhandenes, primär gesundheitsbezogenes Normenwerk angeknüpft werden. 679 In Anlehnung an das Regelungsmodell des Arzneimittelgesetzes wurde angesichts der frühzeitig erkannten Gefährdungen der Gesundheit durch Chemikalien insoweit das (strenge) Zulassungsverfahren für das Inverkehrbringen von Pflanzen675 Hösel/ v. Lersner (FN 646), Kennz. 1200, Rn. 41; zum Entwurf eines Altlastenfondgesetzes der GRÜNEN BT-Drucks. 10/5529; zur Haltung der Bundesregierung BTDrucks. 11/4101. 676 Vgl. § 15 AbfG NRW, hierzu Matthiesen, NWVBl. 1987,74 ff.; die Abgabenlösungen in Zwangsverbandsmodellen sind allerdings verfassungsrechtlich problematisch, vgl. Kloepfer / Follmann, DÖV 1988, 573 ff.; Peine, NWVBl. 1988, 193 ff.; Salzwedel, NVwZ 1989, 820 ff. 677 RSU (FN 669), Tz. 804 ff.; Peine, DVBl. 1990, 733 ff.; Becker, DVBl. 1991, 346 ff. 678 Referentenentwurf vom 22.9.1993, BMU, WA III 1-73102/0. 679 Die Wurzeln des Stoffrechts sind sehr verschiedenartig: Polizeirechtlich geprägt ist das Giftrecht, primär gesundheitsbezogene Regelungen finden sich im Arzneimittel-, Futtermittel-, Düngemittel- und Pflanzenschutzrecht. Zum Stoffrecht werden auch das Lebensmittelrecht, das Recht der gefährlichen Arbeitsstoffe und das Recht der wassergefährdenden Stoffe gezählt. Vgl. aus den Regelungen vor 1945 die Verordnung betreffend die Verwendung giftiger Farben vom 1.5.1882 (RGBI. S.55), die Bekanntmachung betreffend die Einrichtung und den Betrieb der Bleifarben- und Bleizukkerfabriken vom 12.4.1886 (RGBI. S. 69), das Gesetz betreffend den gesundheitsgefährdenden Verkehr mit blei- und zinkhaltigen Gegenständen vom 25.6.1887 (RGBI. S. 237), die Verordnung betreffend die Herstellung, Verpackung, Lagerung und Einfuhr von Thomas-Mehl (Thomas-Phosphat) vom 30.1. 1931 (RGBI. S. 17), die Verordnung über die Schädlingsbekämpfung mit hochgiftigen Stoffen vom 29.1. 1919 (RGBI. S. 165) - Vgl. zur Geschichte des Pflanzenschutzrechts Micklitz, Entwicklungslinien der Geschichte des deutschen Pflanzenschutzrechts, in: Rehbinder (Hg.), Bremer Kolloquium über Pflanzenschutz, 1991, S. 44 ff.; Milles, Von Schädlingen und Schädigungen - zur Geschichte der Pestizidzulassung, ebenda, S. 17 ff.

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schutzmitteln gewählt. Ein allgemeines Gefahrstoffgesetz gab es zu dieser Zeit nicht,680 wenngleich das Arbeitsschutzrecht bereits detaillierte Regelungen über gefährliche Arbeitsstoffe hervorgebracht hatte. In der ,,Aufbruchphase" des Umweltrechts zu Beginn der 70er Jahre überwog die Vorstellung, durch die medienbezogenen Umweltgesetze auch Chemikalien einer ausreichenden Kontrolle unterziehen zu können. Allerdings beschränkte sich insoweit der Schutz vor Chemikalien auf eine im nachhinein einsetzende Kontrolle ihrer Verwendung. Erst verhältnismäßig spät setzten unter Berufung auf das Vorsorgeprinzip 681 die ersten Bemühungen zur Vorverlagerung der Gefahrstoffkontrolle ein. Zum Schutz der Umwelt schlechthin sollten Chemikalien bereits vor deren Vermarktung einer präventiven Produktkontrolle unterworfen werden. Waren solche Regelungen schon im Benzinbleigesetz und dem Waschund Reinigungsmittelgesetz vorhanden, so konnte sich ein allgemeiner produktbezogener Ansatz erst im Chemikaliengesetz vom 25. Juni 1980 682 durchsetzen. Dem ursprünglichen Konzept, mit einem "Umweltchemikaliengesetz" umfassend das Inverkehrbringen von neuen Stoffen einschließlich der Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung zu regeln, konnte nicht entsprochen werden. In der sog. "großen Lösung" wurden vielmehr neben dem Inverkehrbringen auch der Umgang mit Stoffen und deren Zubereitung in das Chemikaliengesetz einbezogen. 683 Mit der Aufnahme der Entwicklungslinien auch aus dem Gift- und Arbeitsschutzrecht 684 verlor das Chemikaliengesetz freilich teilweise seinen umweltpolitisch eingeforderten Impetus. In den langjährigen Beratungen zum Erlaß dieses Gesetzes konnte zwar Einigkeit darüber erzielt werden, daß Regelungen für das Inverkehrbringen aller Stoffe zu schaffen seien. Die Gefahrstoffkontrolle sollte nicht mehr von dem Verwendungszweck der jeweiligen Chemikalie abhängig gemacht werden. Umstritten war jedoch die konkrete Ausgestaltung des Verfahrens, mit dem eine effektive, aber die Innovationsfähigkeit der chemischen Industrie schonende, Produktkontrolle gewährleistet werden konnte. Im Ergebnis entschied sich der Gesetzgeber in Anlehnung an die weitgehend parallel zu den laufenden Beratungen ausgearbeitete 6. EG-Änderungsrichtlinie vom 18. September 1979 685 für ein Anmeldeverfahren mit Eingriffsvorbehalt statt - wie es insbesondere für gefährliche Stoffe gefordert wurde - für ein 680 Zur Systematik des Gefahrstoffrechts Kloepfer (FN 188), § 13, Rn. 5 ff. 681 Im Chemikaliengesetz hat das Vorsorgeprinzip indessen nur eine schwache Ausprägung erfahren, vgI. Kloepfer, ChemG, 1981, S. 41-zust. Rehbinder, in: ders. / Kayser / Klein, ChemG, 1985, Einf., Rn.20. 682 Gesetz zum Schutz vor gefahrlichen Stoffen (BGBI. I S. 1718). 683 Uppenbrink, Chemikaliengesetz, Einf., Rn. 110. 684 Zur historischen Entwicklung Uppenbrink (FN 683), Rn. 13 ff. 685 ABI. L 259 vom 15.10.1979; vgI. zur EG-Richtlinie (und dem Einfluß des VCI auf deren nähere Ausgestaltung) V. Schneider, Politiknetzwerke der Chemikalienkontrolle, 1988, S. 189 ff.

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Vennarktungsverbot mit Zulassungsvorbehalt. 686 Die Zahl der neu in den Verkehr gebrachten Stoffe ging dennoch zunächst erwartungsgemäß stark zurück, da viele neuentwickelte Stoffe noch kurz vor Inkraftreten des Chemikaliengesetzes in den Verkehr gebracht wurden. Doch schwächte sich dieser Effekt bald ab: Von lediglich 4 Anmeldungen im Jahr 1983 stieg die Zahl der Anmeldungen über 19 im Jahr 1986 auf 61 im Jahr 1987. EG-weit kamen seit 1981 bisher 781 neue Stoffe zur Anmeldung. Davon entfielen 152 auf die Bundesrepublik Deutschland. Verhinderte die frühzeitige Identifizierung gefährlicher Eigenschaften von Stoffen auch regelmäßig die schnelle Vennarktung eines Produktes, konnte mit der Auferlegung von Prüfpflichten für neue Stoffe doch eine erhebliche Verbesserung des ökologischen Kenntnisstandes über die möglichen Umweltgefährdungen durch Chemikalien erreicht werden. Dennoch sind die Regelungen des Chemikaliengesetzes auf Kritik gestoßen. Neben gesetzessystematischen Mängeln blieben wesentliche Probleme, darunter eine Regelung über Altstoffe,687 weitgehend ausgeklammert. Zu berücksichtigen ist jedoch, daß sich der Gesetzgeber unter erheblichem Tennindruck befand. Obwohl bereits in der Koalitionsvereinbarung von 1976 der Erlaß eines Chemikaliengesetzes angekündigt wurde, drohte das Gesetzesvorhaben in der 8. Legislaturperiode noch zu scheitern. 688 Nachdem der Bundesrat die Konzeption der Regierungsvorlage vom 15. November 1979 zwar grundsätzlich begrüßt, aber teilweise weitreichende Änderungsvorschläge vorgetragen hatte, verzichtete der Bundestag auf die Einschaltung des Vennittlungsausschusses. Als das Chemikaliengesetz am 16. September 1980 verabschiedet wurde, hatte sich der Bundesrat in vielen Fragen durchgesetzt. Vorangegangen waren Ressortstreitigkeiten, die zunächst keine zielgerichtete Abstimmung erkennen ließen. Dem Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums zu einem "Umweltchemikaliengesetz" wurde vom Bundesgesundheitsministerium der Entwurf eines Bundesgiftgesetzes gegenübergestellt. Der Streit endete in dem Komprorniß, die Bundesrepublik Deutschland international auf OECD-Ebene durch den Innenminister, dagegen auf EG-Ebene durch den Gesundheitsminister vertreten zu lassen. Am 1. Januar 1979 wechselte die Federführung vom Innenministerium zum Gesundheitsministerium. Nach den zahlreichen Kontroversen im Gesetzgebungsverfahren, in denen sich die verschiedenen Grundanschauungen zu einer "vernünftigen" Chemiepolitik 689 widerspiegelten, spielte das Chemikaliengesetz in den 80er Jahren für die allgemeine Umweltdiskussion doch nur eine eher untergeordnete Rolle. Zunächst konnte die praktische Durchsetzungskraft des Chemikaliengesetzes ohnehin nicht verläßlich beurteilt werden. Durch eine Vielzahl teilweise sehr weiter Verordnungsennächtigungen hatte der Gesetzgeber Rehbinder, in: Salzwedel (Hg.), Grundzüge des Umweltrechts, 1982, S. 462. 687 Heute sind durch das europäische Altstoffverzeichnis EINECS über 100.000 Stoffe legalisiert, vgl. BT-Drucks. 11/5008, S. 2. 688 Zur Entstehungsgeschichte des Chemikaliengesetzes Kloepfer, ChemG, 1981, S. 26 ff. 689 V gl. zu den zwei "Grundpositionen" Hartkopf / Bohne, Umweltpolitik, Bd. 1, 1983, S. 259 ff. 686

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insoweit Neuland betreten, als - rechtsstaatlieh nicht unbedenklich - ein (offener) Lern- und Problemlösungsprozeß für Staat, Wirtschaft und Verwaltung in rechtlich verbindlicher Weise institutionalisiert werden sollte. 690 Der Gefahrstoffverordnung vom 26. August 1986 kommt hierbei eine herausragende Bedeutung ZU. 691 Durch sie wurden die Arbeitsstoffverordnung i.d.F. der Bekanntmachung vom 11. Februar 1982 und weitere Rechtsverordnungen des Bundes sowie die Giftverordnungen der Länder außer Kraft gesetzt. Nach Auffassung der Bundesregierung hatte sich die Konzeption des Chemikaliengesetzes grundsätzlich bewährt. Obwohl ein Novellierungsbedarf schon beim Erlaß des Gesetzes erkannt worden war, kam es erst 1990 zu der bisher einzigen Änderung des Chemikaliengesetzes. 692 Mit Ausnahme der als besonders dringlich angesehenen Schaffung der gesetzlichen Voraussetzungen für die erleichterte Erfassung von Altstoffen stellten die Änderungen jedoch im wesentlichen nur eine Weiterentwicklung der vorhandenen Grundlinien dar. 693 Auch durch die vorgesehene erneute Novellierung des Chemikaliengesetzes 694 werden trotz wesentlicher Neuerungen seine Grundstrukturen beibehalten werden. An die zwischenzeitliehen Entwicklungen wurden mit dem Pflanzenschutzgesetz vom 15. September 1986 695 auch die bisherigen Regelungen des Pflanzenschutzgesetzes vom 10. Mai 1968 angepaßt, die ihrerseits die Regelungen des Kulturpflanzenschutzgesetzes vom 26. August 1949 abgelöst hatten. 696 Das Gefahrgutbeförderungsrecht erfuhr spätestens durch die Tanklastzugexplosion in Herborn (1987) neue Aktualität. Die politische Diskussion führte jedoch überwiegend nur zu Forderungen nach einem konsequenteren Vollzug der bestehenden Regelungen. 697 Gegen Ende der 80er Jahre prägte das entstehende Gentechnikrecht die Diskussion über gefährliche Stoffe entscheidend mit. Die heftigen Kontroversen kulminierten in der fundamentalen Frage, ob es dem Menschen rechtlich gestattet 690

Hartkopfl Bohne (FN 689), S. 331.

Durch die GefStoffV werden wesentliche Ziele des Chemikaliengesetzes überhaupt erst vollziehbar. Auch die Umsetzung der EG-Richtlinien erfolgt durch die GefStoffV (§ 25 ChemG), vgl. Storm, NVwZ 1987, 113 ff. 692 1. Änderungsgesetz zum Chemikaliengesetz vom 14.3.1990, BGBl. I S.493, hierzu Redeker, JA 1991,81 ff. 693 Zur Altstoffkonzeption der Bundesregierung BT -Drucks. 11/6148, Anlage 1; ein umfassendes Stoffgesetz ist jedenfalls entgegen der Einschätzung der Bundesregierung - Umweltbericht 1990 (FN 492), S. 79 - nicht geschaffen worden. Für nationale Alleingänge ist jedoch wegen der notwendigen EG-rechtlichen Harmonisierung des Stoffrechts regelmäßig kein Raum. 694 Zu den Novellierungsbestrebungen siehe den Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des Chemikaliengesetzes, Stand: 9.8.1993, BMU, IG II 1-61011/52. 695 BGBl. I S. 1505. 696 Zur Geschichte des Pflanzenschutzrechts Staar, Betrachtungen zur Entwicklung der deutschen Pflanzenschutzgesetzgebung, 1952, S. 21 ff.; Micklitz (FN 679), S. 44 ff. 697 Vgl. etwa Eilenberger, TransportR 1987, 174 ff. 691

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werden könne, manipulativ in die Schöpfung einzugreifen. 698 Mit einer zeitlichen Verzögerung von über 10 Jahren setzte in der Bundesrepublik Deutschland ein Meinungsbildungsprozeß ein, der in den USA bereits abgeschlossen war und zu einer schrittweisen Lockerung der Sicherheitsrichtlinien geführt hatte. 699 Lange bevor die Gentechnologie in Deutschland die allgemeine Risikodiskussion auslöste, legte das Bundesforschungsministerium in den Jahren 1978 und 1979 zwei Referentenentwürfe für ein Gesetz zum Schutz vor Gefahren der Gentechnologie vor. 700 Nachdem beide Entwürfe auf Kritik stießen, wurden sie nicht weiterverfolgt. Differenzierende und vorsichtig abwägende Vorschläge einer rechtlichen Steuerung der Gentechnik enthielt der 1986 vorgelegte Bericht der EnqueteKommission "Chancen und Risiken der Gentechnologie". 701 Obwohl zunächst empfohlen wurde, die gesetzliche Regelung durch eine Erweiterung des BundesSeuchengesetzes vorzunehmen, mehrten sich die Stimmen, die ein eigenständiges Gentechnikgesetz für erforderlich hielten. Als das Gesetzgebungsverfahren im Anschluß an den Regierungsentwurf vom 12. Juli 1989 702 einen Komprorniß in weite Feme zu rücken schien, erklärte der Hess VGH in seinem Beschluß vom 6. November 1989 703 den Betrieb einer gentechnischen Anlage bis zum Erlaß einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung für generell nicht genehmigungsfähig. Diese Entscheidung löste einen Sturm der Empörung aus,704 dürfte sich jedoch für das Gesetzgebungsverfahren auch konsensfördernd ausgewirkt haben. 705 Nachdem in den Ausschußberatungen unter Federführung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zahlreichen Änderungsvorschlägen des Bundesrates Rechnung getragen wurde, konnte das Gentechnikgesetz vom 20. Juni 1990 706 wenig später verkündet werden. Nach Protesten wegen Forschungs- und Wirtschaftsbehinderungen durch das Gentechnikgesetz wurden die Anforderungen an dieses Gesetz in einer grundlegenden Novellierung verändert, insbesondere um das Zulassungsverfahren zu 698 Vgl. Eibach, Grenzen und Ziele der Gentechnologie aus theologisch-ethischer Sicht, in: Klingmüller (Hg.), Genforschung im Widerstreit, 2. Aufl., 1986, S. 145 ff. 699 Zur Vorgeschichte des Gentechnikgesetzes, dessen Ausarbeitung durch die Entwicklung in den USA nachhaltig beeinflußt worden ist, siehe Breuer, UTR 14 (1991), S. 39 ff.; zur Risikodiskussion in den USA Mahro, in: Mellinghoff / Trute (Hg.), Die Leistungsfähigkeit des Rechts, 1988, S. 261 (269 ff.). 700 Abgedruckt in Lukes / Scholz (Hg.), Rechtsfragen der Gentechnologie, 1986, S. 142 ff. 701 BT-Drucks. 10/6775, S. 7 ff. 702 BT-Drucks. 11/5622; zum Gesetzgebungsverfahren Opjermann, ZG 1990,31 ff. 703 NVwZ 1990, 276. 704 Statt vieler Sendler, NVwZ 1990,231 ff.; weiterführend Wahl! Masing, JZ 1990, 553 ff. 705 Kloepjer, Technikverbot durch gesetzgeberisches Unterlassen?, in: Badura / Scholz (Hg.), FS für Lerche, 1993, S.755 (756); Hirsch / Schmidt-Didczuhn, GenTG, 1991, Einl., Rn. 18. 706 BGBl. I S. 1080, hierzu Kloepjer / Delbrück, DÖV 1990, 897 ff.

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vereinfachen. 707 Das Gentechnikrecht wird sich zukünftig, weitgehend losgelöst vom Gefahrstoffrecht, eigenständig weiterentwickeln. Hier dürfte die "Risikodiskussion"70s ihren Nährstoff erhalten, die bisher nahezu ausschließlich das Atomund Strahlenschutzrecht geprägt hat. Weitere Änderungen des Gentechnikgesetzes sind zu erwarten. (8) Bodenschutzrecht Der Bodenschutz führte als typische Querschnittsmaterie lange ein Schattendasein. 709 Bis zum heutigen Tag existiert für den Schutz der Böden auf Bundesebene kein medienspezifisches Schutzgesetz. Die umweltpolitische Vernachlässigung eines effektiven Bodenschutzes kann historisch einerseits darauf zurückzuführen sein, daß anders als die "klassischen" Umweltmedien Luft und Wasser der Boden nach der Abschaffung der Allmende im 18. Jahrhundert nicht in gleichem Maße als Gemeingut betrachtet wurde. Die individuelle Zuordnung an einen Eigentümer oder Nutzungsberechtigten ließ vermuten, derjenige, der den Boden nutze, werde ihn auch hinreichend schützen, pflegen und erhalten. 710 Zu dieser sich jedenfalls nicht generell bestätigenden Einschätzung tritt andererseits die fehlende Individualisierbarkeit und Unselbständigkeit der Böden. Die jeweilige Bodenentwicklung bringt keine scharf abgrenzbaren Naturkörper hervor, so daß Böden aus ökologischer Sicht kaum eine eigenständige Beurteilung erfahren können. 711 Die Bedeutung der Böden für den Naturhaushalt wurde mit dem Auftreten der Waldschäden schlagartig offenbar. Da sich eine Versauerung der Waldböden destabilisierend auf die gesamten Waldökosysteme auswirkt, begann zu Beginn der 80er Jahre eine breite Bodenschutzdiskussion, 712 die ihren Ausdruck in der Bodenschutzkonzeption der Bundesregierung vom 7. März 1985 713 fand. Den in der Folgezeit durchgeführten Maßnahmen zur Aufwertung der Belange des Bodenschutzes in anderen Gesetzen wurden zwei zentrale Handlungsansätze zugrundegelegt. Zu einer Minimierung von qualitativ und quantitativ problematischen Stoffeinträgen sollte eine Trendwende im Landverbrauch hinzutreten. Verschärft durch die Problematik der Altlasten wurde der Bodenschutz zunehmend ernster genommen. Die Bundesregierung verabschiedete am 8. Dezember 1988 einen Maßnahmekatalog von "Leitlinien und Maßnahmen zum Bodenschutz", mit dem 707 Zur Novellierung des Gentechnikgesetzes Simon / Weyer, NJW 1994,759 ff. 70S Hierzu aus philosophischer und juristischer Sicht Gethmann / Kloepfer, Handeln unter Risiko im Umweltstaat, 1993. 709 Zur Umweltgeschichte des Bodens siehe Schramm, in: Brüggemeier / Rommelsbacher (FN 224), S. 86 ff. 710 v. Lersner, NuR 1982, 201 ff. 711 So der RSU im Umweltgutachten 1987 (FN 490), Tz. 534 ff. 712 Einzelheiten im Umweltgutachten 1987 (FN 490), Tz. 534 ff. 713 BT-Drucks. 10/2977.

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die vagen Handlungsanweisungen der Bodenschutzkonzeption von 1985 in konkrete Vorhaben umgesetzt werden sollten. 714 Auch auf internationaler Ebene wird der Bodenschutz inzwischen zu den vordringlichen Aufgaben des Umweltschutzes gezählt. Dagegen bleibt noch abzuwarten, ob sich in dieser Legislaturperiode eine Zusammenfassung und Systematisierung der bodenschützenden Normen in einem eigenen Bundes-Bodenschutzgesetz realisieren läßt. Ein entsprechender Entwurf ist von der Bundesregierung jedenfalls nunmehr vorgelegt worden. 715 Mit Erlaß eines Bodenschutzgesetzes wäre die letzte Lücke im Umweltrecht der Bundesrepublik Deutschland geschlossen. b) DDR

Auch in der DDR hatte sich gegen Ende der 60er Jahre gezeigt, daß die bestehenden Rechtsvorschriften nicht ausreichten, um die zunehmenden Beeinträchtigungen und Zerstörungen der Umwelt in den verschiedensten Bereichen aufzuhalten. Hinzu kam, daß im Rahmen ihres verstärkten Strebens nach internationaler Anerkennung die DDR den Eindruck vermitteln wollte, sie passe sich voll in die sich damals verstärkenden internationalen Bemühungen (etwa auf UN-Ebene) um eine Verbesserung des Umweltschutzes ein. Eine Zäsur in der umweltpolitischen und umweltrechtlichen Entwicklung der DDR stellte der Erlaß des Landeskulturgesetzes im Jahre 1970 dar. Vorausgegangen war 1968 die Verankerung des Umweltschutzes bzw. - wie es in der DDR hieß - der ,,Landeskultur" in der Verfassung der DDR,716 insbesondere durch Art. 15 Abs. 2 DDRV. In Verbindung mit ergänzenden ebenfalls umweltschützenden Aspekten aus Art. 34 Abs. 1 DDRV (Recht auf Erholung) und Art. 35 Abs. 1 DDRV (Recht des Bürgers auf Schutz seiner Gesundheit und seiner Arbeitskraft) wurde damit der Bereich "sozialistische Landeskultur" erstaunlich umfassend verfassungsrechtlich erfaßt. Diese verfassungsrechtliche Verankerung des Umweltschutzes bedeutete zunächst einmal dessen nicht unerhebliche politische und gesellschaftliche Aufwertung. Nach sozialistischem Verfassungsverständnis folgte jedoch aus den verfassungsrechtlichen Bestimmungen kein Grundrecht auf Umweltschutz im Sinne eines subjektiven öffentlichen Rechts jedes Bürgers auf günstige Umweltverhältnisse und damit auf staatliche Schutzmaßnahmen oder gar auf Unterlassung von Umweltbeeinträchtigungen. Das hing damit zusammen, daß die Grundrechte nach sozialistischem Verständnis keine Abwehrrechte gegenüber dem Staat darstellen konnten, weil der Bürger nicht primär als Individuum mit vom Staat verschiedenen Interessen verstanden wurde, sondern vielmehr 714 Anhang zu BT-Drucks. 11 /1625, S. 20 ff. 715 Referentenentwurf vom 22.9.1993 für ein Gesetz zum Schutz der Böden, BMU, WA III 1-73102/0. 716 Siehe Verfassung der DDR von 1968 in der Fassung vom 7. Oktober 1974 (GBl. DDR I S. 425).

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als Teil der sozialistischen Gesellschaft, wobei (theoretisch) eine Identität der Interessen von Allgemeinheit und sozialistischer Persönlichkeit angenommen wurde. 717 Auch existierte keine strikte Verfassungsbindung der Staatsorgane wie in der bundesdeutschen Verfassung. Der Primat der Partei (als Grundentscheidung des Art. 1 Abs. 1 DDRV) führte dazu, daß die Verfassung durch bloße Parteibeschlüsse faktisch abgeändert werden konnte, der Verfassung damit praktisch auch kein unbedingter Geltungsvorrang gegenüber einfachgesetzlichen Normen zukam. Da auch die juristischen Garantien zur Durchsetzung der verfassungsrechtlichen Umweltschutzbestimmungen, wie Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit, fehlten, waren etwa auch Rechtsvorschriften nicht gerichtlich überprüfbar, wenn sie mit Art. 15 DDRV offensichtlich unvereinbar waren. 718 Bei den angeführten Verfassungsbestimmungen handelte es sich also lediglich um einen objektiv-rechtlichen Auftrag zur Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft. 719 Gleichzeitig mit der Aufnahme des Umweltschutzes in die Verfassung hatte der Ministerrat die Ausarbeitung eines umfassenden Umweltgesetzes veranlaßt. 720 Ein Entwurf dieses Gesetzes wurde im Dezember 1969 vorgelegt und zur Diskussion gestellt. 721 Auf der Grundlage von Art. 15 DDRVerging dann im Mai 1970 das Landeskulturgesetz (LKG). 722 Wesentlichen Einfluß auf die umweltrechtliche Entwicklung um 1970 in der DDR hatten u.a. auch die Vorbereitungen für die UNO-Umweltkonferenz in Stockholm 1972. 717 Im Ergebnis wurden damit aber real bestehene futeressengegensätze verschleiert und letztlich ein Vorrang der Ökonomie sowohl vor der Ökologie als auch vor dem futeresse des einzelnen an einer gesunden Umwelt bewirkt. Symptomatisch hierfür war die Unterdrückung der öffentlichen Diskussion über Umweltfragen. 718 Der fast bis zuletzt fehlende (Verwaltungs-)Rechtsschutz des Bürgers gegen Umweltbeeinträchtigungen im besonderen und gegen staatliche und Verwaltungsentscheidungen im allgemeinen - erst im Dezember 1988 wurden erstmals, in ganz engem Rahmen (wenn auch nicht im umweltrechtlichen Bereich), Möglichkeiten zur gerichtlichen Nachprüfung von Verwaltungsentscheidungen geschaffen - wurde im wesentlichen mit dem Prinzip der Einheit der Staatsgewalt (auch Prinzip der Gewaltenkonzentration) begründet. Dieses Prinzip galt (und gilt) aber allgemein auch in anderen sozialistischen Staaten, in denen es z.T. durchaus Verwaltungsrechtsschutz in größerem Umfang gab. fu der DDR traf interessanterweise ein auf den Aspekt kollektiver futeressen konzentriertes Rechts- und politisches System auf eine deutsche Verwaltungsrechtstradition, die individuellen Rechtsschutz vom Vorliegen eigener subjektiver Rechte abhängig gemacht hatte. Möglicherweise hat sich auch deshalb der Verwaltungsrechtsschutz auch in der Verwaltungsrechtstheorie der DDR so schwer getan. 719 Zum ganzen vgl. Kloepjer IReinert (FN 453), S. 4 f., 15 f. 720 Oehler (FN 453), S. 1325. 721 Beschluß des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik über die planmäßige Gestaltung der sozialistischen Landeskultur in der Deutschen Demokratischen Republik und über die öffentliche Diskussion zum Gesetzentwurf (GBI. DDR I 1969 S. 244); näher hierzu Höhmann I Seidenstecher I Vajna (FN 458), S. 108. 722 Gesetz über die planmäßige Gestaltung der sozialistischen Landeskultur in der Deutschen Demokratischen Republik - Landeskulturgesetz - vom 14. Mai 1970 (GBI. DDR I S. 67), das zuletzt in der Fassung des Wassergesetzes vom 2. Juli 1982 (GBI. DDR I S. 467) gegolten hat.

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IV. Entwicklung nach 1945

Unter dem Begriff ,,Landeskultur", 723 dessen terminologische Verwandtschaft zur "Landes"- bzw. "Landschaftspflege" auf die Ursprünge des LKG im Naturschutzrecht hinweist, schuf sich die DDR immerhin als einer der ersten Staaten in Europa ein von seiner Konzeption her umfassendes und von seiner Intention her damals durchaus ökologisch fortschrittliches Umweltgesetz. Das LKG faßte bis dahin in einzelnen Gesetzen geregelte Materien zusammen und entwickelte sie weiter. Erstmals als eigenständige Komplexe umfassender geregelt wurden dabei der Immissionsschutz (Reinhaltung der Luft und Lärmschutz), die Abfallwirtschaft (Nutzbarmachung und schadlose Beseitigung der Abprodukte), sowie die Erschließung, Pflege und Entwicklung der Landschaft für die Erholung. Als Rahmengesetz normierte das LKG allerdings nur die grundsätzlichen Verhaltensanforderungen in den Bereichen Planung und Leitung der sozialistischen Landeskultur, Landschaftspflege und Naturschutz, Bodenschutz, Schutz der Wälder, Gewässerschutz, Luftreinhaltung und Lärmschutz, Abfallwirtschaft. Auf der Grundlage des LKG und zu seiner Konkretisierung sind deshalb in der Folgezeit zahlreiche Einzelgesetze, Verordnungen, Anordnungen und Durchführungsbestimmungen ergangen,724 die z.T. frühere spezialgesetzliche Regelungen wie z.B. das Naturschutzgesetz ablösten. 725 Andere Regelungen blieben - im Hinblick auf einen über das Landeskulturrecht hinausreichenden Regelungsbereich - vom LKG unberührt bzw. wurden als Spezialgesetze in den Bereich der Landeskultur eingebunden und im Hinblick auf landeskulturelle Erfordernisse

723 Zum Inhalt des Begriffs der "sozialistischen Landeskultur" (aus sozialistischer Sicht) Christoph, Zur Bedeutung des Landeskulturgesetzes, StuR 1970, 1453 ff. 724 Auf Einzelheiten kann und soll im Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen werden, da die Literatur hierzu relativ umfangreich ist. Aus sozialistischer (und der offiziellen Seite entsprechenden) Sicht sei deshalb nur noch verwiesen auf Oehler u. a., Landeskulturrecht, Berlin (Ost), 1986. 725 Hier seien nur die wichtigsten genannt: Gleichzeitig mit dem LKG am 14. Mai 1970 ergingen die Erste Durchführungsverordnung zum Landeskulturgesetz - Schutz und Pflege der Pflanzen- und Tierwelt und der landschaftlichen Schönheiten - (Naturschutzverordnung) (GBL DDR 11 S. 331), Neufassung vom 18. Mai 1989 (GBL DDR I S. 159), die Zweite Durchführungsverordnung zum Landeskulturgesetz - Erschließung, Pflege und Entwicklung der Landschaft für die Erholung (GBL DDR 11 S. 336), die Dritte Durchführungsverordnung zum Landeskulturgesetz - Sauberhaltung der Städte und Gemeinden und Verwertung von Siedlungsabfällen (GBL DDR 11 S. 339), und die Vierte Durchführungsverordnung zum Landeskulturgesetz - Schutz vor Lärm (GBL DDR 11 S. 343). Weitere wichtige Verordnungen waren die Fünfte Durchführungsverordnung zum Landeskulturgesetz - Reinhaltung der Luft - vom 17. Januar 1973 (GBL DDR I S. 157), zuletzt in der Fassung vom 12. Februar 1987 (GBL DDR I S. 51), und die Sechste Durchführungsverordnung zum Landeskulturgesetz - Nutzbarmachung und schadlose Beseitigung von Abprodukten - vom 11. September 1975 (GBL DDR I S. 662), zuletzt in der Fassung vom 1. September 1983 (GBL DDR I S. 257), und hierzu ergänzend die Verordnung vom 11. Dezember 1980 zur umfassenden Nutzung von Sekundärrohstoffen (GBL DDR I 1981 S.23).

2. Rechtsentwicklung nach 1969/70

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novelliert; 726 dazu gehörten etwa das Wassergesetz 727 und das Berggesetz. 728 Außerhalb des Landeskulturrechts verblieb u. a. das spezialgesetzlich geregelte Atomrecht. 729 Über die bloße Zusammenfassung und medienübergreifende Regelung bis dahin getrennter Regelungsbereiche hinaus sollte mit dem LKG erstmals eine ausdrückliche und umfassende Einordnung der Umweltmedien und der einzelnen Umweltrechtsbereiche in den gesamtwirtschaftlichen sozialistischen Planzusammenhang erreicht werden. Wie auch in den anderen sozialistischen Staaten (und zeitweise auch in Westeuropa) wurde die Erwartung gehegt, ein umfassendes Planungssystem könne auch die komplexen Umweltprobleme besser bewältigen als eine stärker auf dezentralen Entscheidungen beruhende Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Gegenstand des LKG war die "planmäßige Entwicklung der sozialistischen Landeskultur als System zur sinnvollen Gestaltung der natürlichen Umwelt und zum wirksamen Schutz der Natur mit dem Ziel der Erhaltung, Verbesserung und effektiven Nutzung der natürlichen Lebens- und Produktionsgrundlagen der Gesellschaft - Boden, Wasser, Luft sowie Pflanzen- und Tierwelt in ihrer Gesamtheit - und zur Verschönerung der sozialistischen Heimat" (§ 1 Abs. 1 LKG). Landeskultur war Teil der Entwicklung des Sozialismus und diente der "Sicherung eines kontinuierlichen Wachstums der Volkswirtschaft und der Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Bürger". Das Landeskulturrecht verfolgte also zugleich ökologische und ökonomische Ziele. Es wurde eine Gleichwertigkeit von Schutz und Nutzung natürlicher Ressourcen propagiert 730 und das Prinzip der Einheit von Ökologie und Ökonomie rechtlich verankert. 731 Als Teil des Komplexes Volkswirtschaftsplanung (für die maßgeblich der Ministerrat zuständig war), sollte die Entwicklung der sozialistischen Landeskultur in die zentrale staatliche Planung integriert sein. Umweltschutzmaßnahrnen waren 726 Das hieraus folgende gesetzestechnische Nebeneinander von ,,komplexen Umweltgesetzen" und einer (teilweise älteren, überwiegend medienspezifischen) ,,zweiggesetzgebung" war auch in den meisten anderen Ländern des Sozialistischen Rechtskreises in Osteuropa festzustellen; vgl. Kloepfer (FN 188), § 6, Rn. 179. 727 Zum Wasserrecht in der DDR Lübbe-Woljf, Wasserrecht und Wasserwirtschaft in der Deutschen Demokratischen Republik, DVBI. 1990,855 ff. 728 Berggesetz der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Mai 1969 (GBI. DDR I S. 29); Anordnung über die Wiederurbarmachung bergbaulich genutzter Bodenflächen - Wiederurbarmachungsanordnung - vom 10. April 1970 (GBI. DDR 11 S. 279); unberührt blieb auch die Verordnung zum Schutz des land- und forstwirtschaftlichen Bodens und zur Sicherung der sozialistischen Bodennutzung - Bodennutzungsverordnung - vom 17. Februar 1964 (GBI. DDR 11 1965 S. 233), novelliert durch die Verordnung vom 26. Februar 1981 (GBI. DDR I S. 105). 729 Wesentliche Vorschriften waren hier die Strahlenschutzverordnungen von 1969 (GBI. DDR 11 S. 627) und 1984 (GBI. DDR I S. 341) sowie das Atomenergiegesetz von 1983 (GBI. DDR I S. 325). 730 Vgl. nur Oehler u.a. (FN 724), S. 30 ff., 36 f. 731 Vgl. hierzu etwa Kloepfer / Reinert (FN 453), 7 f.

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IV. Entwicklung nach 1945

in die Fünfjahresplanung und die jährlichen Volkswirtschaftspläne sowie von den Betrieben in die betrieblichen Perspektiv- und Jahrespläne zu integrieren. Im Ergebnis blieben allerdings die Planvorgaben für den Umweltschutz im Gegensatz zu den detaillierten Zielvorgaben bezüglich der Erhöhung der Produktivität auch in der Folgezeit eher allgemein gehalten. Die Möglichkeit, den Produktionsprozeß nach festgelegten Zielen zu steuern (als ein möglicher Strukturvorteil des Umweltschutzes im Sozialismus gegenüber verkehrs wirtschaftlichen Systemen) wurde im Hinblick auf konkrete Umweltverbesserungsziele praktisch nicht genutzt. Die Instrumente zur Durchsetzung landeskultureller Erfordernisse und der Erfüllung der Planvorgaben enthielten Elemente sowohl aus dem Bereich der direkten Verhaltenssteuerung (z.B. Genehmigungs- und Zustimmungserfordernisse und damit verbundene Befristungen, Widerrufe, Auflagen, Festsetzung von Grenzwerten etc.) wie auch aus dem Bereich der indirekten Verhaltenssteuerung. 732 Bei den letzteren sind vor allem die sog. ökonomischen Instrumente zu erwähnen (Wassernutzungsentgelt, Bodennutzungsgebühr, Abwassergeld, Staubund Abgasgeld). Die Entwicklung dieser Instrumente erfolgte - seit 1969 nach den Grundsätzen des 1963 beschlossenen "Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung". 733 Im administrativen Bereich waren insbesondere das im Jahre 1972 geschaffene Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft, die 1985 eingeführte staatliche Umweltinspektion und das Ministerium für Gesundheitswesen sowie die staatliche Hygieneinspektion von Bedeutung. Während die Ministerien insbesondere an der volkswirtschaftlichen Planung und Leitung von Umweltschutzmaßnahmen beteiligt waren, nahmen die staatlichen Umwelt- und Hygieneinspektionen vor allem Kontrollaufgaben wahr. 734 Trotz einer insgesamt relativ hohen Regelungsdichte im Umweltrecht hat sich die Umweltsituation selbst in der DDR auch nach 1970 ständig verschlechtert. Insbesondere vor dem Hintergrund der nach der politischen Wende im Jahre 1989 allmählich in ihrem vollen Ausmaß deutlich werdenden Umweltprobleme muß die Umweltpolitik der DDR als weitgehend gescheitert angesehen werden. Die Gründe hierfür sind vielfaltig und sowohl systemabhängiger als auch systemunabhängiger Natur. Sie können an dieser Stelle nicht mehr erörtert werden.

Allgemein zu den Unterschieden Kloepfer (FN 188), § 4, Rn. 31 ff., 142 ff. Vgl. ausführlich zu einzelnen ökonomischen Instrumenten und ihren praktischen Problemen Höhmann / Seidenstecher / Vajna (FN 458), S. 117 ff. I. d. R. war die Höhe der Abgaben und Sanktionen zu gering im Vergleich zu den Kosten für die entsprechenden Umweltschutzmaßnahmen und stellte für die Betriebe keinen ausreichenden Anreiz dar, Umweltschutzmaßnahmen zu planen. 734 Ausführlich zur Regelung der Zuständigkeiten für Umweltschutzmaßnahmen Höhmann / Seidenstecher / Vajna (FN 458), S. 109 ff. 732 733

2. Rechtsentwicklung nach 1969/70

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In Teilen der Bevölkerung hatte sich ein zunehmend kritisches Bewußtsein für Fragen des Umweltschutzes gebildet. Dies führte etwa auch zur Gründung erster kirchlicher Umweltinitiativen in den 70er Jahren. Bemerkenswerterweise war die Ökologiebewegung in der DDR eine wesentliche (personelle) Basis für die Protestbewegungen des Herbstes 1989 und schließlich den Sturz des alten DDR-Systems, ein Umstand, der sich in der folgenden Einigungsgesetzgebung nur bedingt niedergeschlagen hat.

c) Wiedervereinigung und Umweltrecht Entsprechend ihrer juristischen Ausgestaltung als Beitrittsfall hat der historische Vorgang der Wiedervereinigung das Umweltrecht der Bundesrepublik Deutschland nur geringfügig verändert. Im wesentlichen ging es darum, das bestehende Umweltrecht der Bundesrepublik Deutschland mit wenigen ModifIkationen 735 und kurzen Anpassungsfristen auf die neuen Länder zu übertragen. Dies geschah noch während des Bestehens der DDR durch das Umweltrahmengesetz (der DDR)736 sowie durch Vorschriften über eine Umweltrechtsangleichung im Rahmen einer von beiden deutschen Staaten anzustrebenden Umweltunion (Art. 16 des Staatsvertrags über eine Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion) 737 und mit dem Beitritt durch entsprechende Regelungen im Einigungsvertrag. 738 Bei dieser (gerade von den DDR-Vertretern) gewünschten schnellen Übernahme westdeutschen Rechts wurden die außerordentlich schweren Umweltbelastungen, die wirtschaftlichen Probleme einer Sanierung und das Fehlen einer für den Vollzug westdeutschen Rechts geeigneten Umweltverwaltung weitgehend übersehen. Die Chance einer Neubesinnung des Umweltrechts aufgrund der Wiedervereinigung (etwa im Sinne einer stärkeren Vereinfachung bei gleichem Schutzniveau) wurde im wesentlichen vertan. Da außenpolitisch nur ein sehr begrenzter Zeitraum für die Realisierung der deutschen Wiedervereinigung zur Verfügung stand, gab es indessen schon aus Zeitgründen kaum eine andere Möglichkeit zur Umweltrechtsangleichung in Deutschland als die (gestufte) Übernahme des bundesdeutschen Umweltrechts. Für die Erarbeitung eines "gemeinsamen" Umweltrechts - wenn es denn angesichts der außerordentlich unterschiedlichen Grundkonzeptionen über die Bedeutung und Bindungskraft von Recht überhaupt möglich gewesen wäre - fehlte die (noch beim Beschluß über die Umweltunion 735 Zu den wichtigsten Modifikationen des bundesdeutschen Rechts in seiner Geltung auf dem Gebiet der ehemaligen DDR Peine, in: Dreyhaupt/Peine/Wittkämper (FN 480), S. 263 ff. 736 GBL DDR I 1990 S. 649. 737 BGBI II 1990, S. 518. 738 BGBL II 1990 S. 885 ff. -

Weiterführend Kloepfer, Das Umweltrecht in der deutschen Einigung: Zum Umweltrecht im Einigungsvertrag und zum Umweltrahmengesetz, 1991; ders., DVBl. 1991, S. 1 ff.; Schrader, IUR 1990, S. 22 ff.

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IV. Entwicklung nach 1945

vorausgesetzte) Zeit. Daß Anregungen aus dem Umweltschutz der DDR 739 (z.B. Sero-System) nahezu ausnahmslos nicht übernommen wurden, liegt im übrigen sicherlich auch daran, daß angesichts der verheerenden Umweltsituation in der DDR die Steuerungskraft dieser Vorschriften als sehr gering eingeschätzt wurde. Sonderregelungen werden für die neuen Länder zukünftig nur noch ausnahmsweise anzutreffen sein.

739 Zu den teilweise fortschrittlichen Instrumenten des Umweltrechts der DDR siehe Kloepjer (Hg.), Instrumente des Umweltrechts der früheren DDR, 1991.

v. Schluß 1. Resümee a) "Lehren" aus der Umweltrechtsgeschichte?

Es wäre vennessen, wollte man aus den vorangegangenen, nur einführenden Darstellungen zur deutschen Umweltrechtsgeschichte einfache "Lehren" im Sinne historisch erhärteter Verhaltensempfehlungen ableiten. Die prinzipielle Frage, ob man überhaupt aus der Geschichte und hier: aus der Geschichte des Umweltrechts lernen kann, muß notwendigerweise an dieser Stelle offen bleiben. Immerhin: Der Einfluß des Umweltrechts auf die Umweltsituation sollte einerseits zwar nicht unterschätzt werden, darf aber andererseits auf keinen Fall überschätzt werden. Ohne effektive Rechtsbindung im allgemeinen und ohne entsprechende gerichtliche Erzwingungsmechanismen nützen - wie das Beispiel der DDR lehrt - umweltrechtliche Nonnen nur wenig. Darüberhinaus darf nicht verkannt werden, daß für eine effektive Verbesserung des Umweltschutzes durch Umweltrecht gewisse grundsätzliche politische, ökonomische, aber auch ökologische Grundvoraussetzungen gegeben sein müssen (etwa Umweltschutzakzeptanz, Finanzierbarkeit, Revidierbarkeit ökologischer Belastungen etc.). Der Erfolg von Umweltrecht hängt entscheidend vom politischen und ökonomischen Umfeld ab: Was nützen etwa immissionsschutzrechtliche oder naturschutzrechtliche Regelungen, wenn ein politisches Regime - wie das NS-Regime - einen Krieg beginnt, in dem es u. a. auch zu schwerstwiegenden Umweltverwüstungen kommt? Oder: Lassen sich z. B. Rodungsverbote in Notzeiten wirklich durchhalten, wenn ohne solche Rodungen Menschen erfrieren würden? Entscheidend für den tatsächlichen Erfolg von Umweltrecht (wie für anderes Recht auch) ist seine inhaltliche Qualität. Gelingt es dem Gesetzgeber gute, zeitlose Regelungen zu finden, können diese lange gelten und verschiedene politische Phasen überdauern, wie das in der preußischen GewO von 1845 gefundene Modell der Zulassungskontrolle für Anlagen zeigt, das - wenn auch modifiziert - der Sache nach noch immer das Herzstück des Bundes-Immissionsschutzgesetzes darstellt. Modemes Umweltrecht muß den Versuch machen, einen Ausgleich zwischen Stabilität und Flexibilität zu suchen, damit einerseits gesetzliche Umweltschutzmaßnahmen hinreichend langfristig und verläßlich wirken können, andererseits aber auch die gerade im Umweltschutz so wichtigen, fortlaufenden Veränderungen der einschlägigen naturwissenschaftlichen, insbesondere ökologischen Erkenntnisse sowie der technischen Möglichkeiten berücksichtigt werden können. Eine äußere und innere Übernonnierung durch zu viele und zu detaillierte 10 K10epfer

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v.

Schluß

Gesetze ist auf jeden Fall zu vermeiden. Wie das bundesdeutsche Umweltrecht lehrt, ist es jedenfalls ein Irrtum zu meinen, viele Umweltrechtsnormen bedeuteten stets auch viel Umweltschutz.

b) Entstehungsvoraussetzungen von Umweltrecht Die Umweltrechtsgeschichte lehrt insbesondere, die grundsätzlichen Voraussetzungen zu erkennen, die für die Entstehung von Umweltrecht erforderlich sind. Erste Voraussetzung ist regelmäßig die überhöhte Inanspruchnahme von Umweltgütern. Als zweite Voraussetzung müssen hieraus Konflikte erwachsen. Solche können einmal zwischen konkurrierenden Umweltnutzern (z.B. im Wasserrecht) auftreten und zum anderen vor allem bei Umweltbelasteten (z.B. Nachbarn). Dieser zweite Fall setzt freilich enge und evidente Kausalitätsbeziehungen zwischen Umweltschädigern und Schadensfällen voraus. Für die modemen Umweltprobleme ist dies aber nicht typisch. Breitflächige Umweltbelastungen beruhen häufig auf einer unüberschaubaren Vielzahl von Ursachen mit teilweise unüberschaubaren Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Umweltmedien und müssen lange vor dem Eintritt einer Gefahr oder gar eines Schadens bekämpft werden. Potentiell Umweltbelastete ist praktisch die Allgemeinheit, die sich im wesentlichen nur über die öffentliche Meinung artikulieren kann. Deshalb ist in diesen wichtigen Fällen für das Entstehen von Umweltrecht typischerweise die ßrkenntnis von Umweltproblemen und vor allem ein entscheidendes Problembewußtsein wichtig. Von daher wird deutlich, welches Gewicht das Umweltbewußtsein für das Entstehen von Umweltrecht in einer Demokratie hat. Die - historisch nicht völlig erklärbaren - "Schübe" des Umweltbewußtseins (z.B. Naturschutzbewegungen im 19. Jahrhundert, die ,,Explosionen" des Umweltbewußtseins in den 70er Jahren) haben deshalb ein eminentes Gewicht für das Entstehen von Umweltrecht. Damit wird freilich keineswegs eine Entwicklung gutgeheißen, die Umweltgesetze primär als Reaktionen auf Störfälle begreift, um durch die möglichst schnelle Schaffung von einschlägigen Rechtsnormen der sensibilisierten Bevölkerung darzulegen, jedenfalls von nun an reagiere der Staat, um die Wiederholung von solchen Störfällen zu verhindern. Soll Umweltrecht mit Zukunft geschaffen werden, muß es mehr sein als ein kurzatmiges Krisenreaktionsrecht.

2. Ausblick Am Schluß ger geschichtlichen Darlegungen bleibt eine Frage: Wie wird sich das deutsche Umweltrecht in der Zukunft fortentwickeln? Mögen politische Prognosen über die künftige Gestaltung des deutschen Umweltrechts auch schwerfallen, so können gleichwohl bestimmte - bereits angestoßene - Entwicklungen für die Zukunft erwartet werden. Das künftige deutsche Umweltrecht wird voraussichtlich geprägt sein u. a. durch:

2. Ausblick

147

-

einen weiteren Bedeutungszuwachs des Umweltschutzes

-

einen Zuwachs neuartiger, insbesondere ökonomischer Instrumente

-

einen zunehmenden Einfluß EU-rechtlicher und internationaler Vorgaben

-

Bemühungen zur verstärkten Harmonisierung, Vereinheitlichung und Standardisierung

a) Bedeutungszuwachs des Umweltschutzes Die Prognose eines weiteren Bedeutungszuwachses des Umweltschutzes mag in einer Zeit erstaunen, in der aufgrund wirtschaftlicher Krisenerscheinungen und Standortdebatten der Umweltschutz in eine politische Defensive geraten ist. Aber abgesehen davon, daß wirtschaftliche Krisen überwindbar sind, ist der Ernst und die Spürbarkeit der ökologischen Krise gerade auch auf globaler Ebene 740 sichtbar geworden und wird zukünftig die Bedeutung der Umweltpolitik eher noch stärken. Das beachtliche Umweltbewußtsein der Bevölkerung wird einen umweltpolitischen Minimalismus nicht zulassen. Die Entwicklung (auch) Deutschlands zu einem rechtsstaatlichen, demokratischen und sozialen Umweltstaat hat längst begonnen. 741 Die nunmehr von der Verfassungskommission beschlossene Aufnahme des Staatsziels Umweltschutz wird diese Entwicklung nicht nur verfassungsrechtlich festhalten, sondern politisch auch verstärken. Trotz der gewaltigen Anstrengungen und Fortschritte des deutschen Umweltrechts ist der große Durchbruch zur Verbesserung der Umweltsituation bisher ausgeblieben. Die Erfolge umweltrechtlicher Fortschritte im einzelnen werden immer wieder durch ein Wachstum der Wirtschaft und der Produktion insgesamt aufgehoben oder doch relativiert. Der Staat muß deshalb als Umweltschutz die Unversehrtheit der Umwelt verstärkt zum Ziel und Maßstab seiner Entscheidungen machen. Dabei ist der Gefahr eines ständigen Machtzuwachses des Staates durch den verstärkten Einsatz von gesellschaftlichen Selbststeuerungsmechanismen (z. B. gesellschaftliche Setzung technischer Regelungen, gesellschaftliche Umweltkontrollen, Eigenüberwachungen etc.) zu begegnen.

b) Neuartige Umweltschutzinstrumente Mehr Umweltschutz ohne ständigen Machtzuwachs des Staates kann auch durch eine stärkere (wenn auch nicht unbegrenzte) Verlagerung staatlicher Umweltschutzmaßnahmen von Instrumenten der direkten, "imperativen" Verhaltens740 Auf der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro (Juni 1992) hat zumindest die Globalisierung des Themas Umweltschutz einen vorläufigen Höhepunkt gefunden; zur ,,Erklärung von Rio" und der sog. Agenda 21 Oberthür, Europa-Archiv 1992, S. 595 ff.; Ruffert, ZUR 1993, 208 ff. - Allgemein zum Umweltvölkerrecht Kloepjer (FN 188), § 6, Rn. 47 ff. 741 Kloepjer (Hg.), Umweltstaat, 1989, S. 39 ff.; ders., DVBl. 1994, 12 ff.

10*

148

v.

Schluß

steuerung (durch Gesetz und Verbote) auf Instrumente der indirekten, nur anreizenden Verhaltenssteuerung durch weiche Lenkungsformen erfolgen, bei denen den Lellkungsadressaten die (rechtliche) Handlungsfreiheit erhalten bleibt, ob sie einem staatlichen Handlungsanreiz folgen wollen oder nicht. Dies kann vor allem auch ökonomisch effiziente Lösungen ermöglichen. Die dafür erforderliche Entwicklung neuartiger Instrumente hat längst begonnen (z. B. im Recht der Umweltabgaben 742 und der Flexibilisierung durch Kompensationsmöglichkeiten). Auch der verstärkte Einsatz zivilrechtlicher Instrumente (insbesondere Haftungsrecht) erscheint möglich, ohne daß das Umweltrecht wieder ganz an seine Ursprünge zurückkehren wird. Informative Instrumente (Warnungen, Empfehlungen etc.) beginnen sich zu entfalten und akzentuieren zunehmend die Rolle des Umweltrechts auch als Informationsrecht. Die Hinwendung zu unternehmensinternen Strukturen und Vorgängen (Umweltzuständigkeiten in Unternehmen, ÖkoAudit etc.) ist unverkennbar. 743 Insgesamt werden freilich für diese weicheren Lenkungsformen noch spezifische rechtliche und prozessuale Kontrollmechanismen zu entwickeln sein. Da hier das vom Staat erwünschte Verhalten nicht vorgeschrieben wird, sondern (aufgrund von Anreizen) "freiwillig" erfolgt, versagen die klassischen verwaltungsprozessualen Abwehrmöglichkeiten. 744

c) Zunehmende europarechtliche Vorgaben Der zunehmende Einfluß internationalrechtlicher, vor allem aber EU-rechtlicher Vorgaben ist nicht schwer zu prognostizieren. Er hängt mit der sich zunehmend ausbreitenden Erkenntnis der buchstäblichen Begrenztheit der nationalen Umweltpolitiken und den hieraus wachsenden internationalen und EU-rechtlichen Aktivitäten zusammmen. Insbesondere der mit Art. BOr bis BOt EWGV geschaffenen Kompetenzzuwachs der EU (und dessen Fortentwicklung im Vertrag von Maastricht) läßt - verbunden mit der Regelungswut von Brüssel und manchem Rigorismus des EuGH - bisweilen die Frage aufkommen, ob nicht die meisten der umweltpolitischen Vorgaben für Deutschland längst außerhalb seiner Grenzen formuliert werden. Der entscheidende politische Durchbruch des europäischen "Umweltrechts" dürfte freilich erst erfolgen, wenn das bisherige starke demokratische Defizit des europäischen Sekundärrechts insbesondere durch Entscheidungsrechte des Europäischen Parlaments beseitigt sein wird. Mit zuneh742 Zur Umweltrechtsentwicklung unter dem Einfluß der ökonomischen Analyse des Rechts Köck, NuR 1992,412 ff.; siehe auch Hansmeyer / Schneider, Umweltpolitik. Thre Fortentwicklung unter marktsteuernden Aspekten, 2. Aufl., 1992. 743 Zur aktuellen Diskussion über die umweltschutzorientierte Betriebsorganisation Knopp / Striegl, BB 1992,2009 ff.; zu unternehmensinternen Umweltschutzmaßnahmen de lege ferenda Kloepjer, DB 1993, 1125 ff. 744 Siehe dazu Kloepfer, Rechtsstaatliche Probleme ökonomischer Instrumente im Umweltschutz, in: Wagner (Hg.), Unternehmung und ökologische Umwelt, 1990, S. 250 ff.

2. Ausblick

149

mender Bedeutung und Ausweitung des Umweltrechts der Europäischen Union wird der in den ersten Jahrzehnten erhebliche Einfluß der US-amerikanischen Umweltpolitik auf das bundesdeutsche Umweltrecht dagegen eher abnehmen. Allerdings werden europarechtliche Vorgaben zunehmend auf europäisch-amerikanischen (und sonstigen internationalen) Verständigungen beruhen. d) Harmonisierung und Standardisierung

Schließlich wird das angesprochene Bedürfnis nach Harmonisierung, Vereinheitlichung und Standardisierung bei der Gestaltung des deutschen Umweltrechts ständig zunehmen. Das geht über punktuelle Umweltreparaturen durch Beseitigung normativer Widersprüche zwischen den verschiedenen Umweltgesetzen, aber auch über Standardisierungen von Umweltverfahren und -anforderungen, weit hinaus. Angestrebt wird vielmehr eine KodifIkation des deutschen Umweltrechts in einem'Umweltgesetzbuch (UGB). Durch eine Gesamtkonzeption des Umweltrechts, die insbesondere das umweltrechtliche Instrumentarium einer Systematisierung unterzieht, könnte gerade auch die praktische Umsetzung legislativer Zielvorstellungen erleichtert werden. Der Gedanke einer UmweltrechtskodifIkation selbst ist nicht neu. Bereits der Umweltbericht der Bundesregierung von 1976 äußerte eine entsprechende Prüfungsabsicht. 745 Zunächst überwogen jedoch ablehnende Stellungnahmen. So wurde etwa bereits die Notwendigkeit einer KodifIkation bezweifelt. Auch Einwände dahingehend, traditionelle Gebiete und Zusammenhänge der Rechtsordnung würden mit der Folge einer Rechtszersplitterung in den betroffenen Sachgebieten zerissen werden, haben die Kontroverse um die UmweltrechtskodifIkation nicht unmaßgeblich beeinflußt. Im Auftrag des Umweltbundesamtes wurden jedoch in den Jahren 1978 746 und 1986 747 zwei Forschungsvorhaben durchgeführt, die als wissenschaftliche Vorarbeiten 7411 für den 1990 vorgelegten Professoren-Entwurf zum Allgemeinen Teil eines Umweltgesetzbuches 749 dienten. Inzwischen hat die Professoren-Kommission auch die Arbeit an dem Besonderen Teil abgeschlossen 750, Umweltbericht 1976 (FN 492), Tz. 109. Kloepfer, Systematisierung des Umweltrechts, UBA-Berichte 8/78, 1978. 747 Kloepfer I Meßerschmidt, Innere Harmonisierung des Umweltrechts, UBA-Berichte 6/86, 1986. 7411 Noch 1981 stellte Sendler (UPR 1981, 1 ff.) fest, das Umweltrecht sei mangels 745

746

wissenschaftliche Vorarbeiten noch nicht reif für eine Kodifikation. 749 Kloepfer I Rehbinder I Schmidt-Aßmann unter Mitwirkung von Kunig, Umweltgesetzbuch-AT, UBA-Berichte 7/90,1991; vgl. auchHJ. Koch (FN 590); einen Überblick über das UGB-AT geben auch Kloepfer I Kunig I Rehbinder I Schmidt-Aßmann, DVBl. 1991, S. 339 ff. 750 Siehe dazu: Jarass I Kloepfer I Kunig I Papier I Peine I Rehbinder I Salzwedell Schmidt-Aßmann, Umweltgesetzbuch - Besonderer Teil- (UGB-BT), ersch. in: UBA Berichte 1994; einen Überblick über das UGB-BT gibt Kloepfer, DVBl. 1994, S. 305 ff.

150

V. Schluß

so daß erstmals ein wissenschaftlicher Gesamtentwurf einer deutschen Umweltrechtskodifikation vorliegt. Eine aus Praktikern und Wissenschaftlern bestehende unabhängige Sachverständigen-Kommission wird nun einen weiteren Entwurf eines UGB ausarbeiten. Jedenfalls wird trotz der prinzipiellen, aber als solcher nicht überzeugenden Kritik, im demokratischen Rechtsstaat sei eine umfassende Kodifikation nicht mehr möglich, gerade auch politisch die Kodifikationsreife des Umweltrechts ganz überwiegend bejaht. 751 Die derzeitige Koalition hat sich durch ihre Koalitionsvereinbarung vom 16. Januar 1991 752 und der Bundeskanzler durch seine Regierungserklärung 753 grundsätzlich zum Ziel einer Umweltrechtskodifikation bekannt. Die "politische Gunst der Stunde" nutzend, erscheint eine Kodifikation nicht zuletzt auch durch das Vorhandensein einer konzeptionell seit 1970 an den gleichen Leitmaximen orientierten Umweltpolitik 754 bis zur J ahrhundertwende realisierbar zu sein. Mit einem Umweltgesetzbuch würde der seit Beginn der Umweltpolitik im Jahre 1971 erhobenen Forderung, komplexe ökologische Wirkungszusammenhänge durch ein Umweltrecht mit einem medienübergreifenden Ansatz zu erfassen, Rechnung getragen werden können. Dem neuzeitlichen Verständnis der Natur in Philosophie und Naturwissenschaften entsprechend könnte eine "ganzheitliche Betrachtung" der Umwelt durch eine umfassende Umweltrechtskodifikation ermöglicht werden.

751 Vgl. etwa Töpfer, Auf dem Weg zu einem Umweltgesetzbuch, Dokumentation zur 15. wissenschaftlichen Fachtagung der Gesellschaft für Umweltrecht, 1991, S. 18 ff. 752 Vgl. XII. Umweltpolitik Nr. 33. 753 BT-Stenographische Berichte 12/5 vom 30.1. 1991, S. 77. 754 Vgl. etwa die Umweltleitlinien der Bundesregierung von 1986 (FN 492), S. 15, in denen sie sich für eine Kontinuität der Umweltpolitik ausspricht; siehe auch Weidner, Die Umweltpolitik der konservativ-liberalen Koalition, Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage Nr. 47 -48 vom 17.11. 1989, S. 16 (27 f.).

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50 Jahre Reichsnaturschutzgesetz (RNG), NuL 1985, 275 ff.