Zugeschriebene Geschlechterrollenbilder und Krise der männlichen Herrschaft im Feld des Hooliganismus [1. ed.] 9783848774920, 9783748932833

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Zugeschriebene Geschlechterrollenbilder und Krise der männlichen Herrschaft im Feld des Hooliganismus [1. ed.]
 9783848774920, 9783748932833

Table of contents :
Cover
A. Einleitung
B. Theoretische Grundlegungen
I. Unterscheidung zwischen sex und gender
II. Gewalt und die Lebensphase Jugend
1. Gewalt
2. Die Lebensphase Jugend
3. Fazit und Stellungnahme
III. Einführung in weitere relevante theoretische Konzepte und Begriffe
1. Geschlechterstereotype und Geschlechterrollenbilder
a) Grundzüge
b) Wandeln sich Geschlechterrollenbilder und -verhältnisse?
2. Männerbund und Machismo
3. Gruppensoziologische Konzepte und Szene
4. Fazit und Stellungnahme
IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?
1. Das Konzept des sozialen Raumes, des Feldes und die Theorie der Praxis
a) Kapitalarten
b) Sozialer Raum
c) Lebensbedingungen und Habitus
aa) Klassenhabitus und individueller Habitus
bb) Wesentliche Dimensionen des Analysewerkzeuges Habitus
d) Die Metapher des Spiels
e) Fazit und Stellungnahme unter Berücksichtigung der forschungsleitenden Fragen
2. Die Funktionsweise der männlichen Herrschaft
a) Vergeschlechtlichter und vergeschlechtlichender Habitus
aa) Männlichkeit, Weiblichkeit, homologe Gegensätze
bb) Herausbildung und Konstruktion des vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Habitus
cc) Exkurs: Hegemoniale Männlichkeit nach Connell
dd) Meuser: Homosoziale Männergemeinschaften
b) Symbolische Herrschaft, symbolische Gewalt, symbolische Macht
c) Die männliche Herrschaft
aa) Die paradoxe Logik der männlichen Herrschaft und der weiblichen Unterwerfung
bb) Das Isotimieprinzip
d) Zwischenfazit
3. Gibt es grundsätzlich eine Krise der männlichen Herrschaft?
a) Besonderheiten in Feldern, in denen vorwiegend Erwachsene „spielen“
b) Besonderheiten in (Jugend-)Gruppen und Szenen
aa) In nicht gewaltaffinen Gruppenkontexten
bb) In gewaltaffinen Gruppenkontexten
aaa) (Zugeschriebene) Geschlechterrollenbilder in gewaltaffinen Kontexten
aaaa) Bedingungen, Motive und Auslöser für das Gewalthandeln weiblicher Mitglieder
bbbb) Status weiblicher Mitglieder in gemischtgeschlechtlichen Gruppen
cccc) Ausstieg aus oder Auflösen der gewaltaffinen Gruppe
dddd) Geschlechter- und Gewaltverhältnisse
eeee) Geschlechter- und Gewaltverhältnisse im zeitlichen Verlauf
ffff) Parallelisierung von Abwertungserfahrungen
bbb) (Zugeschriebene) Geschlechterrollenbilder im Rechtsextremismus
aaaa) Anteil weiblicher Personen, Wahrnehmung und Bedeutung
bbbb) Zugeschriebene Geschlechterrollenbilder
cccc) Kategorisierungsversuche innerhalb der Skinhead-Szene
dddd) Eigene Bilder von Weiblichkeit weiblicher Gewaltausübender
eeee) Mögliche Gründe für den Einstieg, Verweilen und Ausstieg
ccc) Exkurs: Häusliche Gewalt – „Gewalt im Geschlechterverhältnis“
cc) Zwischenfazit unter Berücksichtigung der Forschungsfragen
c) Mögliche Diagnosen
aa) „Es besteht in gewisser Weise eine Krise.“
bb) „Es besteht keine Krise, sondern die Geschlechterverhältnisse wandeln sich.“
cc) „Es besteht eine Gleichzeitigkeit von Wandel und Persistenz.“
V. Stellungnahme und Fazit unter Berücksichtigung der Forschungsfragen
C. Das Phänomen des Hooliganismus unter besonderer Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder
I. Historischer Abriss zum Fußballsport und Hooliganismus
II. Ausdifferenzierung und Abgrenzung der Fans und Zuschauer
1. Polizeiliche Kategorisierung
2. Soziologische Kategorisierungen
3. Das Phänomen der Ultras
4. Fazit
III. Wesentliche Charakteristika der Hooligan-Szene
1. Hierarchische Struktur in Hooligan-Gruppen
2. Szeneinterner Ehrenkodex
3. Die Bedeutung der Medien für den Hooliganismus
4. Spiegelbild oder Zerrspiegel der Gesellschaft?
a) Alter, Geschlecht(-erverhältnis), Herkunftsfamilie, Erziehungsstile
b) Schul- und Berufsausbildungen und beruflichen Tätigkeiten
c) Äußeres Erscheinungsbild
d) Nutzung von Rauschmitteln
e) Nutzung von Waffen
f) Politische Einstellungen und Verbindung zu anderen Gruppen
g) Fazit
5. Anlassbezogene Delikte
a) Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze und Datei „Gewalttäter Sport“
b) Paradigmatische Darstellung eines Spieltags
aa) An- und Abreise, im Stadion, Opfer
bb) Die „Dritte Halbzeit“
aaa) Bisherige Rechtsprechung und Kritik
bbb) Vorzugswürdige Lösung
6. Repression, Prävention, Ursachen und Erklärungsansätze
7. Fazit
IV. Motivation und Verlauf einer Hooligan-Karriere unter besonderer Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder
1. Einstieg, Zugang und Motivation
2. Phase der Teilnahme und Motivation
a) (Zugeschriebene) Rollen und Geschlechterrollenbilder aus der Perspektive weiblicher Personen
aa) Aktiv gewalthemmende Rolle
bb) Passiv gewaltverstärkende Rolle
cc) Selbst aktiv gewalttätige Rolle
aaa) Weibliche Personen mit zugewiesenem Sonderstatus
aaaa) Zugang
bbbb) Motive, Anlässe und Geschlechterrollenbild
cccc) Voraussetzungen für die Zuweisung eines Sonderstatus und Selbstpositionierung
Bbb) Weibliche Personen ohne zugewiesenen Sonderstatus
b) (Zugeschriebene) Geschlechterrollenbilder aus der Perspektive männlicher Personen
aa) Zwei Kategorien weiblicher Personen
bb) (Zugeschriebene) Geschlechterrollenbilder
c) Stellungnahme
3. Motivationen und Beweggründe für einen Ausstieg
4. Stellungnahme und Bezug zu den eigenen Forschungsfragen
V. Der Hooliganismus als Feld der „ernsten Spiele des Wettbewerbs“
1. Prinzip gleicher Ehre
2. Gewalt und Riskieren des eigenen Körpers
3. Anerkennung
a) Anerkennung bei Auseinandersetzungen innerhalb der Hooligan-Szene
b) Anerkennung bei Auseinandersetzungen mit der Polizei
c) Unterschiedliche Anerkennung nach Geschlecht der polizeilichen Einsatzkräfte
4. Zweifache Distinktion
5. Exkurs: Strukturelle Ähnlichkeit und Parallelen zu weiteren Phänomenen
6. Fazit und Stellungnahme mit Bezug zu den forschungsleitenden Fragen
D. Konzeption der soziologischen Ethnographie
I. Forschungsfragen: Konkretisierung und Überblick
II. Methodisches Vorgehen
1. Grundzüge der Forschungsstrategie der soziologischen Ethnographie
a) Einsetzbare Methoden
b) Beschreiben von Fremdheit
c) Ziele und Ablauf soziologischer Ethnographien
2. Erhebungsmethoden und Datenauswertung
a) Erhebungsmethode: teilnehmende Beobachtung
aa) Formen der teilnehmenden Beobachtung
bb) Eigenes Vorgehen und Problemreflexion
b) Erhebungsmethode: problemzentrierte Interviews
aa) Grundzüge der Erhebungsmethode der problemzentrierten Interviews
bb) Konkrete Ausgestaltung der Leitfäden und Problemreflexion
c) Transkription, Feldprotokolle und Datenauswertung
3. Zur Form der Darstellung der Erkenntnisse
III. Zugang zum Forschungsfeld
1. Feldexplorative Phase
2. Felderschließendes Verfahren zu (möglichen) Interviewpartnern
a) Gelungene Zugänge und Beschreibung des Samples
b) Misslungene Zugänge, Mitteilungen anderer mit dem Phänomen befasster Personen
c) Überblick über Codenamen, Erhebungszeitpunkt und Zugehörigkeit
3. Selbstreflexion und Probleme während des Forschungsprozesses
E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie und Rückbindung an die theoretischen Vorannahmen
I. Teilnehmende Beobachtungen in der feldexplorativen Phase
II. Teilnehmende Beobachtung im Rahmen einer szeneinternen Feier
1. Mit wem bist du hier?
2. Kannst du Bratwurst verkaufen, wenn deine Begleitung ständig unterwegs ist?
3. Ich stell dir jemanden vor.
4. Komm in den ersten Stock, da ist es besser. und Wenn man randaliert, dann nicht in der eigenen Stadt.
5. Ich pass auf dich auf.
6. Wir müssen aufräumen. und Wann fährt dein Zug?
7. Schlussfolgerungen
a) Geänderter Zugehörigkeitsmodus und methodische Schlussfolgerungen
b) Gruppendynamische Effekte
c) Ende der Kooperationsbereitschaft, Geschlechterrollenbilder und -verhältnis
III. Auswertung der Interviews
1. Kurzbiographien der in die vertiefte Analyse eingegangenen Interviewten
a) Frank
b) Tina
c) Lisa
d) Ronja
c) Zwischenfazit
2. Verlauf einer Hooligan-Karriere
a) Erstes Inberührungkommen und Einstieg
b) Teilnahme und Miterleben
aa) Die Jungs
bb) Szeneinterne körperliche Auseinandersetzungen
cc) Selbstberichtete Häufigkeitsangaben der Beteiligung an szeneinternen körperlichen Auseinandersetzungen
dd) Positionen innerhalb der Gruppe
ee) Kontakt mit Polizei, Verfassungsschutz und Justiz
ff) Die Wahrnehmung von Polizistinnen und Polizisten
gg) Szeneinterne Einstellungen und Besonderheiten
aaa) Hierarchische Struktur
bbb) Grundeinstellungen
ccc) Einsatz von finanziellen Ressourcen
ddd) Machismo, Männlichkeitsnormen
eee) Ansichten zu (weiteren) Minderheiten und politische Einstellungen
fff) Zwischenfazit
hh) Weibliche Personen und (zugeschriebene) Geschlechterrollenbilder
aaa) Bezeichnungen für weibliche Personen
bbb) Die Perspektive männlicher Interviewter
aaaa) (Keine) räumliche Kopräsenz weiblicher Personen
bbbb) Gewalt von und gegen weibliche Personen im szeneexternen und -internen Kontext
cccc) Paarbeziehungen der Hooligans und ggf. stattfindende Gewalt
ccc) Die Perspektive weiblicher Interviewter
aaaa) (Keine) räumliche Kopräsenz weiblicher Personen
bbbb) Verhältnis zwischen Freundinnen der Hooligans und Ronja
cccc) Charakterisierung der selbst aktiv gewalttätigen Rolle durch Ronja
dddd) Lisas und Tinas Perspektive auf Paarbeziehungen der Hooligans und ggf. stattfindende Gewalt
eeee) Ronjas Perspektive auf Paarbeziehungen der Hooligans und ggf. stattfindende Gewalt
ffff) Kontrastierung der Perspektiven auf Paarbeziehungen der Hooligans und ggf. stattfindende Gewalt
gggg) Wahrnehmung des szeneinternen Verhaltens durch die weiblichen Interviewten
c) Ausstieg und Miterleben
aa) Erwachsen werden
bb) Differenzen mit der Gruppe und sich verändernde Szene
cc) Strafverfahren und Sanktionen
dd) Drohung mit Wiedereinstieg
IV. Zusammenführung der Ergebnisse
1. Zugeschriebene Geschlechterrollenbilder in szeneinternen Kontexten
a) Heterogene, zugeschriebene Geschlechterrollenbilder
b) Wesentliche Charakteristika der zugeschriebenen Geschlechterrollenbilder
aa) Schwach, beschützenswert, unverständige Störende
bb) Ablehnendes, aggressives, gewaltförmiges Verhalten
cc) Unterordnung
dd) Gegenpol
ee) Objektiviert werden und Objektives herstellen
ff) Zugeschriebene Geschlechterrollenbilder für Hooligans
2. Induktiv gewonnenes ideales Bild der Personen mit partnervermitteltem Kontakt
a) Gleichgültigkeit und Akzeptanz
b) Vertrauen
c) Verschwiegenheit
d) Räumliche Kopräsenz nur bei vorab erteilter, ausdrücklicher Zustimmung
e) Sonderfall: Äquilibrium der partnerschaftlich Verbundenen
3. Zwischenfazit
V. Rückbindung der gewonnenen Ergebnisse an die theoretischen Grundlegungen
1. Ist der Hooliganismus eine homosoziale Männergemeinschaft?
2. Sind Hooligans verletzungsmächtig und verletzungsoffen?
3. Wie zeigen sich die symbolische Gewalt, Macht und Machtasymmetrien?
4. Wie zeigen sich die homologen Gegensätze?
5. Wie zeigt sich das Isotimieprinzip im Feld des Hooliganismus?
6. Wird das Riskieren des eigenen Körpers und der Grenzen der Rechtsordnung bewusst gesucht und in Kauf genommen?
7. Wie zeigt sich die männliche Herrschaft in den (ggf. gewaltbelasteten) Paarbeziehungen mit und zwischen Hooligans?
8. Wie wird die Anerkennung bei körperlichen Auseinandersetzungen sichtbar?
a) Zwischen Hooligans
b) Mit Polizisten
c) Mit uniformierten Personen unterschiedlichen Geschlechts
9. Welche Hinweise auf Distinktion werden sichtbar?
10. Kurzer Vergleich zu anderen Feldern und Phänomenen
11. Fazit: Keine Krise der männlichen Herrschaft im Feld des Hooliganismus
F. Schluss
G. Literaturverzeichnis

Citation preview

Schriften zur Kriminologie herausgegeben von Prof. Dr. Katrin Höffler, Georg-August-Universität Göttingen Prof. Dr. Johannes Kaspar, Universität Augsburg Prof. Dr. Jörg Kinzig, Eberhard Karls Universität Tübingen Prof. Dr. Ralf Kölbel, Ludwig-Maximilians-Universität München

Band 25

Annemarie Schmoll

Zugeschriebene Geschlechterrollenbilder und Krise der männlichen Herrschaft im Feld des Hooliganismus

Onlineversion Nomos eLibrary

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Zugl.: Regensburg, Univ., Diss., 2022 ISBN 978-3-8487-7492-0 (Print) ISBN 978-3-7489-3283-3 (ePDF)

1. Auflage 2022 © Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2022. Gesamtverantwortung für Druck und Herstellung bei der Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Meinen Eltern und Großeltern

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2021/2022 von der Fa­ kultät für Rechtswissenschaft an der Universität Regensburg als Dissertati­ on angenommen; Rechtsprechung, amtliche Daten und Schrifttum befinden sich auf dem Stand von Juli 2022. Mein Dank gilt an erster Stelle meinem verehrten Doktorvater Herrn Professor Dr. Henning Ernst Müller. Neben der Betreuung der vorlie­ genden Arbeit hat er mir an seinem Lehrstuhl über ein Jahrzehnt die Möglichkeit gegeben, dort in Forschung und Lehre mitzuwirken. Seine beständige Förderung, die Anregung zum kritischen Hinterfragen und die Gewährung von Freiräumen legten früh den Grundstein meines weiteren beruflichen Werdegangs. Frau Professorin Dr. Clarissa Rudolph danke ich für die zügige Erstel­ lung des Zweitgutachtens und den darin enthaltenen Anregungen. Den Herausgebern der Schriftenreihe „Schriften zur Kriminologie“ des Nomos Verlags danke ich für die freundliche Aufnahme darin. Ermöglicht wurde diese Dissertation erst – und nur – durch die Bereit­ schaft der Interviewpartner und weiterer Feldkontakte, mir Einblicke und Eindrücke in ihre Lebenswelt zu geben. Großer Dank gebührt deshalb ihnen und all jenen, die mir die Kontakte zu ihnen mittelten. Den Frauenbeauftragten der Fakultät für Rechtswissenschaft der Univer­ sität Regensburg, Frau Professorin Dr. Inge Hanewinkel, Herrn Professor Dr. Rolf Eckhoff und Frau Professorin Dr. Katrin Gierhake, LL.M., möch­ te ich für die finanzielle Unterstützung während der Feldphase danken. Meinen langjährigen Kolleginnen am Lehrstuhl, Frau Dr. habil. Gabrie­ le Klocke und Frau Andrea Holzer, M.A., danke ich ebenso wie meinen langjährigen Weggefährten an der Universität Regensburg, Frau Susanna Madre, Herrn Dr. Peter Schwabenbauer, Frau Raphaela Schwabenbauer, Herrn Dr. Wolfgang Staudinger, Herrn Dr. Niki Hölzel und Herrn Pro­ fessor Dr. Sönke Gerhold, für die beständige seelische Unterstützung in dieser Zeit, ihre Kollegialität und Freundschaft. Mein Dank für die Unterstützung der letzten Phase dieser Arbeit gilt auch meinen Kollegen am Deutschen Jugendinstitut e.V., insbesondere Herrn Bernd Holthusen und Herrn Dr. Christian Lüders. Für das Korrek­ turlesen des ersten Manuskripts der Arbeit danke ich Frau Dr. Sabrina Hoops, Frau Dr. Diana Willems, M.A. und Frau Andrea Holzer, M.A.

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Vorwort

herzlich. Frau Dr. Anne Berngruber, Herrn Professor Dr. Ulrich Pötter und Herrn Dr. Gerald Prein danke ich für ihre stetige Unterstützung und Freundschaft. Meinen Eltern, Thomas und Gabriele Schmoll, danke ich von Herzen für ihre treusorgende, unermüdliche und bedingungslose Unterstützung in allen Lebenslagen. Meiner Patentante Brigitte Schulte, meinen Groß­ eltern, meiner Schwester Michaela mit Alexander, Louise und Amelie Schmoll danke ich, ebenso wie Andrea, Claus und Cassandra Schörner, für ihre stetige Unterstützung und Ermunterung zur Zerstreuung. Mein größter Dank gilt Herrn Christian Schörner, denn sein Zuspruch, Humor und seine Entbehrungen haben die endgültige Fertigstellung die­ ser Arbeit erst ermöglicht; andernfalls wäre sie unvollendet geblieben. München, im August 2022

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Annemarie Schmoll

Inhaltsverzeichnis

A. Einleitung

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B. Theoretische Grundlegungen

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I. Unterscheidung zwischen sex und gender II. Gewalt und die Lebensphase Jugend 1. Gewalt 2. Die Lebensphase Jugend 3. Fazit und Stellungnahme III. Einführung in weitere relevante theoretische Konzepte und Begriffe 1. Geschlechterstereotype und Geschlechterrollenbilder a) Grundzüge b) Wandeln sich Geschlechterrollenbilder und -verhältnisse? 2. Männerbund und Machismo 3. Gruppensoziologische Konzepte und Szene 4. Fazit und Stellungnahme IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft? 1. Das Konzept des sozialen Raumes, des Feldes und die Theorie der Praxis a) Kapitalarten b) Sozialer Raum c) Lebensbedingungen und Habitus aa) Klassenhabitus und individueller Habitus bb) Wesentliche Dimensionen des Analysewerkzeuges Habitus d) Die Metapher des Spiels e) Fazit und Stellungnahme unter Berücksichtigung der forschungsleitenden Fragen

21 24 24 28 29 30 31 31 34 37 39 43 43 44 46 48 49 51 52 54 56

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Inhaltsverzeichnis

2. Die Funktionsweise der männlichen Herrschaft a) Vergeschlechtlichter und vergeschlechtlichender Habitus aa) Männlichkeit, Weiblichkeit, homologe Gegensätze bb) Herausbildung und Konstruktion des vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Habitus cc) Exkurs: Hegemoniale Männlichkeit nach Connell dd) Meuser: Homosoziale Männergemeinschaften b) Symbolische Herrschaft, symbolische Gewalt, symbolische Macht c) Die männliche Herrschaft aa) Die paradoxe Logik der männlichen Herrschaft und der weiblichen Unterwerfung bb) Das Isotimieprinzip d) Zwischenfazit 3. Gibt es grundsätzlich eine Krise der männlichen Herrschaft? a) Besonderheiten in Feldern, in denen vorwiegend Erwachsene „spielen“ b) Besonderheiten in (Jugend-)Gruppen und Szenen aa) In nicht gewaltaffinen Gruppenkontexten bb) In gewaltaffinen Gruppenkontexten aaa) (Zugeschriebene) Geschlechterrollenbilder in gewaltaffinen Kontexten aaaa) Bedingungen, Motive und Auslöser für das Gewalthandeln weiblicher Mitglieder bbbb) Status weiblicher Mitglieder in gemischtgeschlechtlichen Gruppen cccc) Ausstieg aus oder Auflösen der gewaltaffinen Gruppe dddd) Geschlechter- und Gewaltverhältnisse eeee) Geschlechter- und Gewaltverhältnisse im zeitlichen Verlauf ffff) Parallelisierung von Abwertungserfahrungen

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Inhaltsverzeichnis

bbb) (Zugeschriebene) Geschlechterrollenbilder im Rechtsextremismus aaaa) Anteil weiblicher Personen, Wahrnehmung und Bedeutung bbbb) Zugeschriebene Geschlechterrollenbilder cccc) Kategorisierungsversuche innerhalb der Skinhead-Szene dddd) Eigene Bilder von Weiblichkeit weiblicher Gewaltausübender eeee) Mögliche Gründe für den Einstieg, Verweilen und Ausstieg ccc) Exkurs: Häusliche Gewalt – „Gewalt im Geschlechterverhältnis“ cc) Zwischenfazit unter Berücksichtigung der Forschungsfragen c) Mögliche Diagnosen aa) „Es besteht in gewisser Weise eine Krise.“ bb) „Es besteht keine Krise, sondern die Geschlechterverhältnisse wandeln sich.“ cc) „Es besteht eine Gleichzeitigkeit von Wandel und Persistenz.“

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V. Stellungnahme und Fazit unter Berücksichtigung der Forschungsfragen

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C. Das Phänomen des Hooliganismus unter besonderer Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

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I. Historischer Abriss zum Fußballsport und Hooliganismus II. Ausdifferenzierung und Abgrenzung der Fans und Zuschauer 1. Polizeiliche Kategorisierung 2. Soziologische Kategorisierungen 3. Das Phänomen der Ultras 4. Fazit III. Wesentliche Charakteristika der Hooligan-Szene 1. Hierarchische Struktur in Hooligan-Gruppen 2. Szeneinterner Ehrenkodex 3. Die Bedeutung der Medien für den Hooliganismus

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Inhaltsverzeichnis

4. Spiegelbild oder Zerrspiegel der Gesellschaft? a) Alter, Geschlecht(-erverhältnis), Herkunftsfamilie, Erziehungsstile b) Schul- und Berufsausbildungen und beruflichen Tätigkeiten c) Äußeres Erscheinungsbild d) Nutzung von Rauschmitteln e) Nutzung von Waffen f) Politische Einstellungen und Verbindung zu anderen Gruppen g) Fazit 5. Anlassbezogene Delikte a) Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze und Datei „Gewalttäter Sport“ b) Paradigmatische Darstellung eines Spieltags aa) An- und Abreise, im Stadion, Opfer bb) Die „Dritte Halbzeit“ aaa) Bisherige Rechtsprechung und Kritik bbb) Vorzugswürdige Lösung 6. Repression, Prävention, Ursachen und Erklärungsansätze 7. Fazit IV. Motivation und Verlauf einer Hooligan-Karriere unter besonderer Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder 1. Einstieg, Zugang und Motivation 2. Phase der Teilnahme und Motivation a) (Zugeschriebene) Rollen und Geschlechterrollenbilder aus der Perspektive weiblicher Personen aa) Aktiv gewalthemmende Rolle bb) Passiv gewaltverstärkende Rolle cc) Selbst aktiv gewalttätige Rolle aaa) Weibliche Personen mit zugewiesenem Sonderstatus aaaa) Zugang bbbb) Motive, Anlässe und Geschlechterrollenbild cccc) Voraussetzungen für die Zuweisung eines Sonderstatus und Selbstpositionierung

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210 211 215 217 217 219 225 226 226 227 231

Inhaltsverzeichnis

Bbb) Weibliche Personen ohne zugewiesenen Sonderstatus b) (Zugeschriebene) Geschlechterrollenbilder aus der Perspektive männlicher Personen aa) Zwei Kategorien weiblicher Personen bb) (Zugeschriebene) Geschlechterrollenbilder c) Stellungnahme 3. Motivationen und Beweggründe für einen Ausstieg 4. Stellungnahme und Bezug zu den eigenen Forschungsfragen V. Der Hooliganismus als Feld der „ernsten Spiele des Wettbewerbs“ 1. Prinzip gleicher Ehre 2. Gewalt und Riskieren des eigenen Körpers 3. Anerkennung a) Anerkennung bei Auseinandersetzungen innerhalb der Hooligan-Szene b) Anerkennung bei Auseinandersetzungen mit der Polizei c) Unterschiedliche Anerkennung nach Geschlecht der polizeilichen Einsatzkräfte 4. Zweifache Distinktion 5. Exkurs: Strukturelle Ähnlichkeit und Parallelen zu weiteren Phänomenen 6. Fazit und Stellungnahme mit Bezug zu den forschungsleitenden Fragen D. Konzeption der soziologischen Ethnographie I. Forschungsfragen: Konkretisierung und Überblick II. Methodisches Vorgehen 1. Grundzüge der Forschungsstrategie der soziologischen Ethnographie a) Einsetzbare Methoden b) Beschreiben von Fremdheit c) Ziele und Ablauf soziologischer Ethnographien 2. Erhebungsmethoden und Datenauswertung a) Erhebungsmethode: teilnehmende Beobachtung aa) Formen der teilnehmenden Beobachtung bb) Eigenes Vorgehen und Problemreflexion

232 238 238 240 241 243 245 246 247 247 250 250 251 252 254 256 257 259 259 261 262 262 265 268 269 269 271 274

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Inhaltsverzeichnis

b) Erhebungsmethode: problemzentrierte Interviews aa) Grundzüge der Erhebungsmethode der problemzentrierten Interviews bb) Konkrete Ausgestaltung der Leitfäden und Problemreflexion c) Transkription, Feldprotokolle und Datenauswertung 3. Zur Form der Darstellung der Erkenntnisse III. Zugang zum Forschungsfeld 1. Feldexplorative Phase 2. Felderschließendes Verfahren zu (möglichen) Interviewpartnern a) Gelungene Zugänge und Beschreibung des Samples b) Misslungene Zugänge, Mitteilungen anderer mit dem Phänomen befasster Personen c) Überblick über Codenamen, Erhebungszeitpunkt und Zugehörigkeit 3. Selbstreflexion und Probleme während des Forschungsprozesses E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie und Rückbindung an die theoretischen Vorannahmen I. Teilnehmende Beobachtungen in der feldexplorativen Phase II. Teilnehmende Beobachtung im Rahmen einer szeneinternen Feier 1. Mit wem bist du hier? 2. Kannst du Bratwurst verkaufen, wenn deine Begleitung ständig unterwegs ist? 3. Ich stell dir jemanden vor. 4. Komm in den ersten Stock, da ist es besser. und Wenn man randaliert, dann nicht in der eigenen Stadt. 5. Ich pass auf dich auf. 6. Wir müssen aufräumen. und Wann fährt dein Zug? 7. Schlussfolgerungen a) Geänderter Zugehörigkeitsmodus und methodische Schlussfolgerungen b) Gruppendynamische Effekte c) Ende der Kooperationsbereitschaft, Geschlechterrollenbilder und -verhältnis

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Inhaltsverzeichnis

III. Auswertung der Interviews 1. Kurzbiographien der in die vertiefte Analyse eingegangenen Interviewten a) Frank b) Tina c) Lisa d) Ronja c) Zwischenfazit 2. Verlauf einer Hooligan-Karriere a) Erstes Inberührungkommen und Einstieg b) Teilnahme und Miterleben aa) Die Jungs bb) Szeneinterne körperliche Auseinandersetzungen cc) Selbstberichtete Häufigkeitsangaben der Beteiligung an szeneinternen körperlichen Auseinandersetzungen dd) Positionen innerhalb der Gruppe ee) Kontakt mit Polizei, Verfassungsschutz und Justiz ff) Die Wahrnehmung von Polizistinnen und Polizisten gg) Szeneinterne Einstellungen und Besonderheiten aaa) Hierarchische Struktur bbb) Grundeinstellungen ccc) Einsatz von finanziellen Ressourcen ddd) Machismo, Männlichkeitsnormen eee) Ansichten zu (weiteren) Minderheiten und politische Einstellungen fff) Zwischenfazit hh) Weibliche Personen und (zugeschriebene) Geschlechterrollenbilder aaa) Bezeichnungen für weibliche Personen bbb) Die Perspektive männlicher Interviewter aaaa) (Keine) räumliche Kopräsenz weiblicher Personen bbbb) Gewalt von und gegen weibliche Personen im szeneexternen und -internen Kontext cccc) Paarbeziehungen der Hooligans und ggf. stattfindende Gewalt

307 307 307 309 311 312 314 314 314 319 319 322 323 324 325 326 330 330 332 333 334 341 347 349 349 351 351 355 360

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Inhaltsverzeichnis

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ccc) Die Perspektive weiblicher Interviewter aaaa) (Keine) räumliche Kopräsenz weiblicher Personen bbbb) Verhältnis zwischen Freundinnen der Hooligans und Ronja cccc) Charakterisierung der selbst aktiv gewalttätigen Rolle durch Ronja dddd) Lisas und Tinas Perspektive auf Paarbeziehungen der Hooligans und ggf. stattfindende Gewalt eeee) Ronjas Perspektive auf Paarbeziehungen der Hooligans und ggf. stattfindende Gewalt ffff) Kontrastierung der Perspektiven auf Paarbeziehungen der Hooligans und ggf. stattfindende Gewalt gggg) Wahrnehmung des szeneinternen Verhaltens durch die weiblichen Interviewten c) Ausstieg und Miterleben aa) Erwachsen werden bb) Differenzen mit der Gruppe und sich verändernde Szene cc) Strafverfahren und Sanktionen dd) Drohung mit Wiedereinstieg

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IV. Zusammenführung der Ergebnisse 1. Zugeschriebene Geschlechterrollenbilder in szeneinternen Kontexten a) Heterogene, zugeschriebene Geschlechterrollenbilder b) Wesentliche Charakteristika der zugeschriebenen Geschlechterrollenbilder aa) Schwach, beschützenswert, unverständige Störende bb) Ablehnendes, aggressives, gewaltförmiges Verhalten cc) Unterordnung dd) Gegenpol ee) Objektiviert werden und Objektives herstellen ff) Zugeschriebene Geschlechterrollenbilder für Hooligans

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Inhaltsverzeichnis

2. Induktiv gewonnenes ideales Bild der Personen mit partnervermitteltem Kontakt a) Gleichgültigkeit und Akzeptanz b) Vertrauen c) Verschwiegenheit d) Räumliche Kopräsenz nur bei vorab erteilter, ausdrücklicher Zustimmung e) Sonderfall: Äquilibrium der partnerschaftlich Verbundenen 3. Zwischenfazit V. Rückbindung der gewonnenen Ergebnisse an die theoretischen Grundlegungen 1. Ist der Hooliganismus eine homosoziale Männergemeinschaft? 2. Sind Hooligans verletzungsmächtig und verletzungsoffen? 3. Wie zeigen sich die symbolische Gewalt, Macht und Machtasymmetrien? 4. Wie zeigen sich die homologen Gegensätze? 5. Wie zeigt sich das Isotimieprinzip im Feld des Hooliganismus? 6. Wird das Riskieren des eigenen Körpers und der Grenzen der Rechtsordnung bewusst gesucht und in Kauf genommen? 7. Wie zeigt sich die männliche Herrschaft in den (ggf. gewaltbelasteten) Paarbeziehungen mit und zwischen Hooligans? 8. Wie wird die Anerkennung bei körperlichen Auseinandersetzungen sichtbar? a) Zwischen Hooligans b) Mit Polizisten c) Mit uniformierten Personen unterschiedlichen Geschlechts 9. Welche Hinweise auf Distinktion werden sichtbar? 10. Kurzer Vergleich zu anderen Feldern und Phänomenen 11. Fazit: Keine Krise der männlichen Herrschaft im Feld des Hooliganismus

404 404 405 407 408 408 410 412 412 414 415 417 421 424 425 434 435 436 438 442 444 447

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Inhaltsverzeichnis

F. Schluss

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G. Literaturverzeichnis

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A. Einleitung

Die im Hooliganismus verübte oder erfahrene Gewalt ist nicht nur eine physische oder psychisch vermittelte, sondern auch eine symbolische. Wer im Hooliganismus Gewalt ausübt oder erfährt, ist nicht ausnahmslos männlich und es handelt sich nicht nur um Jugendliche oder Heranwach­ sende, sondern auch um bereits erwachsene Personen. In der HooliganSzene finden sich auch weibliche Jugendliche und junge Frauen, die mit oder ohne zugewiesenen Sonderstatus selbst aktiv gewalttätig handeln. Andere Personen haben einen partnervermittelten Kontakt zur HooliganSzene. Hooligans und Personen mit partnervermitteltem Kontakt können somit männlich und weiblich sein. Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, ob es eine Krise der männlichen Herrschaft im Feld des Hooliga­ nismus gibt und welche zugeschriebenen Geschlechterrollenbilder dort anzutreffen sind. Für die Beantwortung dieser Fragen nutzt die vorliegen­ de Arbeit die Forschungsstrategie der soziologischen Ethnographie. Die gewählte Forschungsstrategie ermöglicht, unterschiedliche Daten zu kom­ binieren, um die empirisch offenen Fragen zu beantworten. Die Intention soziologischer Ethnographien ist es, das, was die Menschen im untersuch­ ten Feld tun, den Menschen begreiflich und nachvollziehbarer zu machen, die sich nicht in diesem Feld befinden und gibt ihnen so die Möglichkeit, Einblicke in diese fremde Welt zu gewinnen.1 Dies verdeutlicht bereits die Perspektive, aus der die Forschungsfragen beantwortet werden sollen: Aus der Innenperspektive der im Feld des Hooliganismus Beteiligten und den mit ihnen partnerschaftlich Verbundenen. Um die einzelnen Themenfelder mit den genannten Forschungsfragen zu verknüpfen, müssen in einem ersten Schritt zentrale Begrifflichkeiten und theoretische Grundlegungen geklärt werden. Ein besonderes Augen­ merk wird auf Bourdieus Konzepte des sozialen Raums, der Theorie der Praxis und die Funktionsweise der männlichen Herrschaft gerichtet und der Frage nachgegangen, ob sich in ausgewählten Feldern der „ernsten Spiele des Wettbewerbs“2 Hinweise auf eine Krise der männlichen Herr­ schaft finden lassen. Anschließend wird das Phänomen des Hooliganismus

1 Von der Heyde, Ad hoc Differenzierung, S. 332; Hitzler, Der staunende Schwamm, S. 24 f.; Hitzler, Ethnographie, S. 215. 2 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203.

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A. Einleitung

unter besonderer Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollen­ bilder betrachtet. Nach der Vorstellung der Konzeption der soziologischen Ethnographie werden als Herzstück der vorliegenden Arbeit die gewonne­ nen Ergebnisse aus teilnehmenden Beobachtungen und Interviews präsen­ tiert, zusammengeführt, die konkretisierten Forschungsfragen beantwortet und die Ergebnisse an die theoretischen Grundlegungen rückgebunden. Das Schlusskapitel fasst die Befunde zusammen.

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B. Theoretische Grundlegungen

Die eben skizzierten Forschungsfragen sollen in der vorliegenden soziolo­ gischen Ethnographie vor den Folien von zunächst zu erklärenden theore­ tischen Grundlegungen betrachtet werden. I. Unterscheidung zwischen sex und gender Zur Unterscheidung der biologischen Geschlechtszugehörigkeit und der kulturellen bzw. gesellschaftlichen Dimension setzten sich die Begriffe sex und gender durch. Sex meint das körperliche, biologische Geschlecht. Aus einer biologistisch-naturalistischen Betrachtungsweise können Men­ schen nur eine Ausprägung von Geschlecht (sex), männlich oder weib­ lich,3 haben. Allein maßgeblich dafür ist der anatomische Unterschied der Körper, deshalb ist die so erfolgende Geschlechtszuschreibung als Ge­ nitalzuschreibung zu verstehen.4 Im Gegensatz dazu steht die Vorstellung, Menschen würden nicht als Frau oder Mann geboren und Geschlecht bezeichne mehr als nur einen anatomischen Unterschied. Der Mensch werde zu Frau oder Mann durch Prozesse der Fremd- und Selbstsozialisa­ tion und -zuschreibung: Somit entsteht das soziale Geschlecht (gender).5 Gender bezeichnet eine soziale Kategorie und soziale Konstruktion. Der der Grammatik entlehnte Begriff gender bezeichnet folglich den kulturel­

3 Mit den Änderungen des § 22 PStG 2013 (BGBl. I, S. 1122) und 2018 (BGBl. I, S. 2635) besteht nun auch rechtlich ein drittes Geschlecht; die dichotome Zweige­ schlechtlichkeit ist aufgelöst. Der Gesetzgeber hat damit dem Umstand Rechnung getragen, dass Menschen aus biologisch-medizinischer Sicht nicht nur männlich oder weiblich sein können. Vgl. zur familienrechtlichen und rechtspolitischen Kritik statt vieler Sieberichs, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2013, 1180, 1180 ff.; Ladiges, Recht und Politik 2014, 15, 15 ff. Die vorliegende Arbeit verzichtet auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen, es sei denn, es kommt beim Beschriebenen gerade auf diesen Unterschied an. 4 Breitenbach, Mädchenfreundschaften in der Adoleszenz, S. 19; Meuser, Körperdis­ kurse und Körperpraxen der Geschlechterdifferenz, S. 129; Reuter, Geschlecht, S. 91; Silkenbeumer, Im Spiegel ihrer Lebensgeschichten, S. 21. 5 Meuser, Geschlechter und Geschlechterverhältnisse, S. 636; Rose, Jugend und Ge­ schlecht, S. 159.

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B. Theoretische Grundlegungen

len Unterschied zwischen Frauen und Männern auf der Grundlage der biologischen Teilung zwischen männlich und weiblich. Dichotomie und Unterscheidung sind der Kern auch dieser Vorstellung.6 Gender berück­ sichtigt, dass das genitale Geschlecht (sex) in sozialen Interaktionen nicht immer sichtbar ist, aber den Interaktionspartnern trotzdem und insbeson­ dere für einen reibungslosen Ablauf der Interaktion eine Zuordnung ge­ lingen soll.7 Wenn Geschlecht als etwas sozial Konstruiertes angesehen wird, wird zugleich die Gesellschaft als Handlungs- und Sinnzusammen­ hang vorausgesetzt. Nur so gelingt in den konkreten sozialen Kontexten „das Zusammenspiel von explizitem und implizitem Wissen, Handeln und wechselseitigen Interpretationsleistungen“8 der Individuen, denn die innerhalb einer Gesellschaft bestehende „soziale Ordnung […] ist immer auch eine Geschlechterordnung“.9 Geschlecht bildet nicht die einzige, aber eine basale Kategorie der sozialen Ordnung bzw. eine zentrale Struktur­ kategorie.10 Die Struktur der Geschlechterordnung „[wird reproduziert und transformiert] durch regelgeleitetes Handeln“.11 Die Herstellung der gesellschaftlichen Verhältnisse erfolgt interaktiv. Die vorfindbaren sozialen Hierarchien sind das Resultat „von verfestigten und institutionalisierten Zuschreibungen“.12 Die Begründungen für jene Zuschreibungen, auch die die Geschlechterordnung betreffen, fußen auf Naturalisierungen.13 Deshalb ist die Sozialisation eines Menschen und Geschlecht als ein von wechselseitigen Zuschreibungen und Interpretationen geprägter Prozess zu verstehen, in dem sich seine Identität im „intersubjektiven Austausch mit signifikanten und generalisierten Anderen generiert“.14 Die Geschlech­ tersozialisation ist ein „aktiver Prozess der Zuschreibung und Konstruk­ tion von Unterschieden und Bewertungen“.15 Die soziale Konstruktion Geschlecht kann die soziale „Ordnung stabilisieren […] oder irritieren“.16 6 7 8 9 10

11 12 13 14 15 16

22

Connell, Gender, S. 26 ff.; Villa, Sex – Gender, S. 24 ff. Equit, Gewaltkarrieren von Mädchen, S. 89. Bereswill/Ehlert, Sozialisation im Kontext des Krisendiskurses über Jungen, S. 96. Bereswill/Ehlert, Sozialisation im Kontext des Krisendiskurses über Jungen, S. 96. Vgl. etwa Bublitz, Geschlecht, S. 108, 115. Auf weitere Fragen nach der Entste­ hung der sozialen Ordnung und z.B. danach, wie Gesellschaft möglich oder was Gesellschaft ist, kann hier nicht weiter eingegangen werden; vgl. statt vieler und zum Überblick z.B. Abels, Einführung in die Soziologie (Band 1), S. 59 ff. Bereswill/Ehlert, Sozialisation im Kontext des Krisendiskurses über Jungen, S. 96. Bereswill/Ehlert, Sozialisation im Kontext des Krisendiskurses über Jungen, S. 96. Bereswill/Ehlert, Sozialisation im Kontext des Krisendiskurses über Jungen, S. 96. Bereswill/Ehlert, Sozialisation im Kontext des Krisendiskurses über Jungen, S. 96. Bereswill/Ehlert, Sozialisation im Kontext des Krisendiskurses über Jungen, S. 96. Bereswill/Ehlert, Sozialisation im Kontext des Krisendiskurses über Jungen, S. 96.

I. Unterscheidung zwischen sex und gender

Innerhalb der Geschlechterforschung besteht zwar keine vollumfängli­ che Einigkeit darüber, ob und wenn ja, wie sex und gender zu trennen sind und es scheinen insbesondere definitorische Unschärfen hinsichtlich des Begriffs gender zu bestehen. Einigkeit besteht aber dahingehend, dass gender sozial konstruiert ist. Mit den später noch vorzustellenden Konzepten Bourdieus können Macht- und Herrschaftsverhältnisse wie auch Geschlechterverhältnisse – die ebenfalls Macht- und Herrschaftsverhältnisse sind – analysiert werden. Dualistisches Denken aufzubrechen und zu überwinden geht bei Bour­ dieu Engler zufolge aber „über die Kategorie Geschlecht hinaus“.17 Nicht Männer und Frauen als Individuen bilden im Verständnis Bourdieus den Ausgangspunkt für Studien dieser Verhältnisse, sondern, wie Bourdieu im Gespräch mit Wacquant verdeutlicht, „Relationen“.18 Für Bourdieu ist „das Wirkliche […] relational: Was in der soziale Welt existiert, sind Rela­ tionen – nicht Interaktionen oder intersubjektive Beziehungen zwischen Akteuren, sondern objektive Relationen, die »unabhängig vom Bewusst­ sein und Willen der Individuen« bestehen [Hervorh. i. Orig., Anm. d. Verf.].“19 Bourdieu versteht somit Gesellschaft und Individuen nicht als Gegensatz, denn sie stellen sich gegenseitig her. Es gibt weder eine „vorso­ ziale Subjektivität“20 noch eine „vorsoziale Geschlechtlichkeit“,21 wie die Geschlechterforschung bisweilen unterstellt, wenn sie „den Schwerpunkt der Reproduktion der bestehenden patriarchalen Geschlechterordnung in den gesellschaftlichen (Makro-)Strukturen und Institutionen verorte[t]“.22 Trotz kontroverser Diskussionen zu den Konzepten Bourdieus, insbesonde­ re der männlichen Herrschaft,23 nutzt die Geschlechterforschung sie zu­ nehmend.24 Besonders geschlechtertheoretische Forschungen, die fragen, wie Herrschaft in unterschiedlichen sozialen Feldern funktioniert, wie sich Ungleichheitsverhältnisse produzieren bzw. produziert werden und sich,

17 Engler, Habitus und sozialer Raum, S. 258. 18 Bourdieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 127; s.a. Engler, Habi­ tus und sozialer Raum, S. 258. 19 Bourdieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 126 f. 20 Engler, Habitus und sozialer Raum, S. 259. 21 Thon, Geschlecht – Habitus – Transformation, S. 131. 22 Jäger/König/Mairhofer, Pierre Bourdieu, S. 31; s.a. Thon, Geschlecht – Habitus – Transformation, S. 131. 23 Vgl. zur Kritik z.B. Beaufaӱs, Habitus, S. 353 f.; Jäger/König/Mairhofer, Pierre Bour­ dieu, S. 24; Krais, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2011, 33, 46 ff. mwN. 24 Vgl. Beaufaӱs, Habitus, S. 355 mwN; Dölling, Männliche Herrschaft, S. 177 mwN; Rudolph, Geschlechterverhältnisse in der Politik, S. 45 ff.

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B. Theoretische Grundlegungen

auch mit den Mitteln des Symbolischen, aufrechterhalten, nutzen die Kon­ zepte Bourdieus und insbesondere sein „Habitus“-Konzept.25 Aufgrund der hier zu beantwortenden Forschungsfragen, die sich der Frage nach einer möglichen Krise der männlichen Herrschaft im Feld des Hooliganismus und den zugeschriebenen Geschlechterrollenbildern widmen, nutzt die vorliegende Arbeit ebenfalls die Konzepte Bourdieus und stellt sie, gerichtet auf die Forschungsfragen, vor.26 II. Gewalt und die Lebensphase Jugend Der nachfolgende Abschnitt widmet sich dem Begriff der Gewalt und der für die vorliegende Arbeit wesentlichen Lebensphase Jugend. 1. Gewalt Inhalt, Reichweite und Verständnis von Gewalt sind so vielschichtig wie die sich mit diesem Phänomen befassenden wissenschaftlichen Diszipli­ nen. Gewalt ist weder eine vorgegebene noch eine frei von gesellschaftlichen Deutungen feststehende Kategorie.27 Im Mittelalter war Gewalt posi­ tiv konnotiert, da sie v.a. als gesellige Form bei Festen und Jahrmärkten für junge Männer sozial integrierend im Übergang zwischen der Lebens­ phase Jugend hin zum Erwachsenenalter stattfand. Die gesellschaftlichen Regeln wurden währenddessen überschritten, galten zugleich prinzipiell weiter fort und wurden anerkannt.28 Selbiges gilt auch noch heute für „gesellige Gewalt in […] (Jugend-)Kulturen“.29 Im Mittelalter war das Recht Gewalt auszuüben, ein Merkmal „freier Männer“.30 Im Laufe der Zeit wandelte sich indes die Konnotation von Gewalt vom Positiven hin zum Negativen. Verständnis, Inhalt und Reichweite des Gewalt-Be­ griffs ist historisch, kulturell, disziplinabhängig, politisch und normativ variabel. Mithin ist Gewalt keine objektiv bestimmbare Größe und stellt

25 Beaufaӱs, Habitus, S. 356; Jäger/König/Mairhofer, Pierre Bourdieu, S. 16 ff.; Ru­ dolph, Geschlechterverhältnisse in der Politik, S. 46. 26 Vgl. B. IV. 27 Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, S. 824; Kürzinger, Gewaltkriminalität, S. 171. 28 Equit, Gewaltkarrieren von Mädchen, S. 24 mwN. 29 Equit, Gewaltkarrieren von Mädchen, S. 24. 30 Elias, Über den Prozess der Zivilisation, S. 361.

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II. Gewalt und die Lebensphase Jugend

(mittlerweile) grundsätzlich ein kulturelles Tabu dar.31 „Die Einordnung eines Verhaltens als gewaltsam“32 ist keine deskriptive Leistung, sondern ein soziales Konstrukt, denn es ist „Ausdruck der [negativen oder positi­ ven] Bewertung eines bestimmten Verhältnisses zwischen Menschen bzw. Gruppen“.33 Eine negative Bewertung kann ggf. mit einer sanktionsbefür­ wortenden Bewertung und eine positive Bewertung ggf. mit einer beloh­ nenden Bewertung einhergehen. Die Bewertung und Interpretation des in Rede stehenden Verhaltens berücksichtigt Eisenberg/Kölbel zufolge Ver­ haltenstypen, konkrete Geschehensabläufe, den sozialen Zusammenhang, Einflüsse äußerer Umstände auf die konkrete Situation, das individuelle Verhalten der beteiligten Personen sowie Persönlichkeitsmerkmale und Einstellungen der Bewertenden selbst.34 Auch sind die Perspektiven und jeweiligen Verständnisse der sich mit diesen Phänomenen befassenden wissenschaftlichen Disziplinen different. In der strafrechtlichen Literatur und Rechtsprechung ist der Gewaltbe­ griff einer der umstrittensten Begriffe, der sich mehrmals im Laufe der Zeit wandelte. Die Nachzeichnung dessen in Gänze unterbleibt hier.35 Un­ ter Rückgriff auf die Rechtsprechung und die mit kleinen Abweichungen untereinander innerhalb der Literatur vertretenen Ansichten kann unter Gewalt der „(zumindest auch) physisch vermittelte Zwang zur Überwin­ dung eines geleisteten oder erwarteten Widerstandes“36 verstanden wer­ den. Der mäandernde, nicht einheitlich und heute noch unklarer denn je gefasste strafrechtliche Gewaltbegriff37 erscheint für die Beantwortung der hier gestellten Forschungsfragen nicht zielführend, denn er ist zu eng für das vorliegende Erkenntnisinteresse. Auch der in der Polizeilichen Kriminalstatistik genutzte, im Summenschlüssel 892000 zusammengefass­ te Begriff der Gewaltkriminalität38 kann nicht für die vorliegende Unter­ 31 Vgl. bspw. Döge, Männer – die ewigen Gewalttäter?, S. 27; Equit, Gewaltkarrieren von Mädchen, S. 25; Heeg, Mädchen und Gewalt, S. 14; Walter/Neubacher, Jugend­ kriminalität, S. 163. 32 Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, S. 824. 33 Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, S. 824; vgl. auch Neubacher, Kriminologie, S. 209. 34 Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, S. 824 f. 35 Vgl. zu den vier unterschiedlichen Phasen der Entwicklung des Gewaltbegriffs ausführlich MüKo/Sinn, § 240 Rn. 31 ff.; Schönke/Schröder/Eisele § 240 Rn. 4 ff. 36 Vgl. statt vieler Fischer, § 240 Rn. 8. 37 MüKo/Sinn, § 240 Rn. 52. 38 Mord (§ 211 StGB); Totschlag und Tötung auf Verlangen (§§ 212, 213, 216 StGB); Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und sexueller Übergriff im besonders schweren Fall einschl. mit Todesfolge §§ 177, 178 StGB; Raub, räuberische Er­ pressung, räuberischer Angriff auf Kraftfahrer (§§ 249–252, 255, 316a StGB);

25

B. Theoretische Grundlegungen

suchung genutzt werden, da u.a. die einfache Körperverletzung (§ 223 StGB) nicht darin enthalten ist. Auch die Jahresberichte der „Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze“ (ZIS)39 benennen lediglich 15 verschie­ dene Straftaten bzw. Kategorien, darunter „Tötungsdelikte (Versuch)“ und „Körperverletzung“,40 und differenzieren nicht zwischen einfacher oder (erfolgs-)qualifizierter Körperverletzung. Die Gewaltdefinition der PKS41 und die in den ZIS-Jahresberichten gebildeten Kategorien sind daher eben­ falls nicht erkenntnistheoretisch zielführend. Innerhalb der Kriminologie und der (Kriminal-)Soziologie ist der Ge­ waltbegriff ebenfalls nicht einheitlich gefasst und zeichnet sich durch vielerlei „Spielarten“ aus.42 Für die vorliegende Arbeit kann der Begriff der Gewalt nach Weber fruchtbar gemacht werden. Dieser Gewaltbegriff ist eng mit dem Begriff „Macht“ verbunden.43 Macht ist nach Weber „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“.44 Gewalt ist zwar nicht das einzige, aber ein sehr effektives Macht­ mittel. Gewalt erzwingt in diesem Sinne unmittelbaren Gehorsam und überwindet Widerstände. Menschen sind, in physischer wie psychischer Hinsicht, verletzbar und selbst verletzungsmächtig. Unter Umständen ist es ausreichend, Gewalt anzudrohen, um den Willen und oder den Wider­ stand des Gegenübers brechen zu können.45 Die Dimensionen, die eine derartige Gewalt annehmen kann, sind vielfältig. Es könnten physische und psychische Gewalt ebenso darunter fallen wie legale, illegale, offene,

39 40

41 42 43 44 45

26

Körperverletzung mit Todesfolge (§§ 227, 231 StGB); gefährliche und schwere Körperverletzung, Verstümmelung weiblicher Genitalien (§§ 224, 226, 226a, 231 StGB); erpresserischer Menschenraub (§ 239a StGB); Geiselnahme (§ 239b StGB); Angriff auf den Luft- und Seeverkehr (§ 316c StGB); BKA, PKS 2021. Übersicht Summenschlüssel 2021, S. 3. Vgl. C. III. 5. Vgl. statt aller: ZIS-Jahresbericht 2020/21, S. 23: Neben den bereits oben genann­ ten benennen die ZIS-Jahresberichte noch „Widerstand“, „Landfriedensbruch“, „Sachbeschädigung“, „Diebstahl“, „Raub“, „Hausfriedensbruch“, „Erschleichen von Leistungen“, „Verstoß gg. Waffengesetz“, „Strafverfahren (rechtsmotiviert)“, „Bedrohung/Nötigung“, „Verstoß gg. BtmG“, „Verstoß gg. SprengG“, „Sonstige (§§ 145d, 185, 315c StGB etc.)“. BKA, PKS 2021. Übersicht Summenschlüssel 2021, S. 3. Vgl. zum Überblick z.B. Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, S. 824 ff.; Imbusch, Der Gewaltbegriff, S. 26 ff.; Imbusch, Macht und Herrschaft, S. 196 ff.; Neubacher, Kri­ minologie, S. 209; Schäfers, Einführung in die Soziologie, S. 63 ff. Vgl. auch Sitzer, Jugendliche Gewalttäter, S. 28. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 28. Sitzer, Jugendliche Gewalttäter, S. 28 f.

II. Gewalt und die Lebensphase Jugend

verdeckte, stille, soziale und politische Gewalt; jede Dimension kann sich gegen Menschen und Sachen richten.46 Ein Unterfall der psychischen Gewalt ist die symbolische Gewalt, die u.a. durch sprachlich vermittelte Gewalthandlung (z.B. anschreien, beschimpfen und beleidigen) erfolgt.47 Dieses Verständnis von Gewalt ist eng mit den unterschiedlichen Arten von Gewalt verbunden, die im Zusammenhang mit der männlichen Herr­ schaft als paradigmatischer Form der symbolischen Herrschaft i.S. Bour­ dieus in dieser Arbeit ausführlich expliziert und genutzt werden.48 Verletzungsmächtigkeit und Verletzungsoffenheit, zwei von Popitz ge­ prägte Begriffe,49 werden ebenfalls im Kontext von Gewalt und Geschlecht sowie im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit genutzt. Nach Popitz ist Gewalt „eine Machtaktion, die zur absichtlichen körperlichen Verletzung anderer führt“.50 Die auf Körperlichkeit fußende Gewalt steht stets im Kontext von Macht und Herrschaft. Der Körper eines jeden Menschen ist verletzungsoffen und verletzungsmächtig und verfügt deshalb über Ak­ tionsmacht i.S.v. Popitz. Die eigene Verletzlichkeit oder die Fähigkeit, Ge­ walt auszuüben, kann kein Mensch aufheben. Verletzungsmächtigkeit und Verletzungsoffenheit i.S.v. Popitz sind mithin Kennzeichen einer jeden menschlichen Existenz51 und schließen an das kulturelle Konstrukt, ent­ lang der Kategorie Geschlecht ungleich verteilt zu sein, an. Danach seien männliche Personen verletzungsmächtig und Täter interpersonaler Gewalt und weibliche Personen verletzungsoffen und Opfer solcher Gewalt.52 Die zugeschriebene, dichotome Differenzierung entlang des Geschlechts ist aber nicht zutreffend.53 Die zugeschriebenen Geschlechterrollenbilder im Hinblick auf das Ausüben und Erfahren von Gewalt werden im Verlauf der vorliegenden Arbeit eine zentrale Rolle spielen.

46 Neidhardt, Gewalt, S. 121 ff.; vgl. auch Silkenbeumer, Im Spiegel ihrer Lebensge­ schichten, S. 16 ff. 47 Sitzer, Jugendliche Gewalttäter, S. 31. 48 Vgl. B. IV. 2. 49 Popitz, Phänomene der Macht, S. 24 ff. 50 Popitz, Phänomene der Macht, S. 48. 51 Popitz, Phänomene der Macht, S. 24 ff. 52 Bereswill, Kriminologisches Journal 2011, 10, 15; Boatcă/Lamnek, Gegenwartsdia­ gnosen zu Gewalt im Geschlechterverhältnis, S. 13; Meuser, Gewalt im Geschlech­ terverhältnis, S. 119; Neuber, „Die Demonstration kein Opfer zu sein“, S. 77. 53 S.a. Bereswill, Kriminologisches Journal 2011, 10, 15; Neuber, „Die Demonstration kein Opfer zu sein“, S. 77 ff.

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B. Theoretische Grundlegungen

2. Die Lebensphase Jugend In den Rechtswissenschaften gibt es keine einheitliche Fassung von Alters­ stufen oder -grenzen, sie variieren je nach (Teil-)Rechtsgebiet und jeweili­ gem Sinn und Zweck.54 Dies findet auch Widerhall in entsprechenden amtlichen Statistiken. Die unterschiedlichen juristischen Altersgrenzen sind allerdings für das Anliegen der vorliegenden Arbeit zu starr, denn nur ein weites Verständnis von Altersspannen und -grenzen ermöglicht es grundsätzlich, Menschen einer Lebensphase zurechnen zu können. Die Lebensphase Jugend ist, anknüpfend an die Befunde des 15. Kinderund Jugendberichts der Bundesregierung,55 als eigenständige Lebenspha­ se56 und als ein „Modus von gesellschaftlicher Integration und generatio­ naler Ordnung“57 und damit als soziales Konstrukt zu verstehen.58 Die die Jugendphase einigenden drei Kernherausforderungen59 „Qualifizierung“,60 „Verselbstständigung“,61 „Selbstpositionierung“62 sind mit Zuschreibun­ gen, sozialstrukturellen Unterschieden und Erwartungen verbunden.63 Die Lebensphase Jugend beginnt „früh im zweiten Lebensjahrzehnt“64, hat aber weder einen klar definierbaren Anfang noch ein klar definiertes En­ de.65 Zwischen Kindheit, Jugend, jungen Volljährigen (i.S.d. § 7 I Nr. 3 SGB VIII) und Erwachsenenalter sind fließende Übergänge und damit auch bei der Bestimmung der Dauer der Phasen zu berücksichtigen. Die

54 Vgl. beispielhaft § 19 StGB; § 1 JGG; § 7 SGB VIII; §§ 104, 828 BGB und exem­ plarisch Meysen/Schönecker/Wrede, Gesetzliche Altersgrenzen im jungen Erwach­ senenalter, S. 6 ff. 55 BT-Drs. 18/11050. 56 BT-Drs. 18/11050, S. 5 et passim. 57 BT-Drs. 18/11050, S. 96. 58 BT-Drs. 18/11050, S. 96, 75. 59 Die für die Lebensphase Jugend identifizierten drei Kernherausforderungen ant­ worten auf die spezifischen, gesellschaftlichen wie funktionalen Zuschreibungen und Anforderungen an die Phase des Jugendalters, BT-Drs. 18/11050, S. 96. 60 „Mit Qualifizierung wird die Erwartung verknüpft, dass junge Menschen eine soziale und berufliche Handlungsfähigkeit erlangen sollen“, BT-Drs. 18/11050, S. 96. 61 „Mit Verselbstständigung wird verknüpft, dass junge Menschen eine individuelle Verantwortung übernehmen sollen“, BT-Drs. 18/11050, S. 96. 62 „Mit den Prozessen der (Selbst-)Positionierung wird verknüpft, dass junge Men­ schen eine Integritätsbalance zwischen subjektiver Freiheit und sozialer Zugehö­ rigkeit ausbilden sollen“, BT-Drs. 18/11050, S. 96. 63 BT-Drs. 18/11050, S. 49, 96 et passim. 64 BT-Drs. 18/11050, S. 48. 65 BT-Drs. 18/11050, S. 48.

28

II. Gewalt und die Lebensphase Jugend

Lebensphase Jugend ist als zeitlich entgrenzt anzusehen.66 Zu beobachten sind „ungleichzeitig verlaufende biografische Prozesse des Erwachsenwer­ dens“.67 Da bestimmte Lebensereignisse wie die drei genannten Kernher­ ausforderungen, die vormals dem Jugendalter i.e.S. oder dem Ende dieser Phase zugeschrieben wurden,68 sich bei einer zunehmenden Anzahl von „jungen Menschen bis in das dritte Lebensjahrzehnt und damit [in] das junge Erwachsenenalter hinein verlängert und [verschiebt]“,69 ist die Le­ bensphase Jugend hierauf auszuweiten.70 „Jugend“ ist aber keine homoge­ ne, sondern eine sehr heterogene Gruppe.71 3. Fazit und Stellungnahme Für das hier im Mittelpunkt stehende erkenntnistheoretische Interesse ist die Bestimmung der Lebensphase Jugend als bis weit in das dritte Lebensjahrzehnt hineinreichend zielführend, da es den Begriff und die Lebensphase Jugend weder eng schneidet noch feste Altersgrenzen oder -stufen beinhaltet. Das weite Verständnis trägt zum einen den drei genann­ ten Kernherausforderungen dieser Lebensphase Rechnung. Zum anderen ist auch das Austesten von Grenzen, riskantes, ggf. mittels Ausübung von Gewalt oder strafbarem Verhalten als typisch für die Lebensphase Jugend anzusehen.72 So ist es möglich, das Phänomen des Hooliganismus, die Hooligans und die an den Rändern der Hooligan-Szene befindlichen Personen weitestgehend einer Lebensphase – der Lebensphase Jugend – zuzurechnen und als peers anzusehen. Ihr Verhalten ist im weitesten Sinne als „jugendtypisches“ Verhalten, das zwischen peers stattfindet, zu werten. Diese Feststellung soll nicht der Verharmlosung der innerhalb der Hooli­

66 BT-Drs. 18/11050, S. 93 mwN et passim. 67 BT-Drs. 18/11050, S. 42. 68 Etwa Schule, Ausbildung, Ablösung in sozialer wie psychischer Hinsicht aus dem Elternhaus. 69 BT-Drs. 18/11050, S. 42, 48; s.a. Scherr, Jugend als gesellschaftliche Institution und Lebensphase, S. 18 ff. 70 BT-Drs. 18/11050, S. 42. 71 Scherr, Jugend als gesellschaftliche Institution und Lebensphase, S. 26, 29; BT-Drs. 18/11050, S. 48 et passim. 72 Vgl. z.B. Heitkötter et al., Bilanz, Herausforderungen und Anregungen, S. 288; Hoops/Holthusen, IzKK-Nachrichten 2011, 36, 38; Willems/van Santen, Diskurs Kindheits- und Jugendforschung 2014, 93, 93 f. mwN.

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B. Theoretische Grundlegungen

gan-Szene beobachtbaren Verhaltensweisen dienen, sondern lediglich der empirischen Einordnung des Phänomens. Die vorliegende Arbeit nutzt auch ein weites, nicht eng schneidendes Verständnis von Gewalt,73 denn es erscheint für das hier bestehende Inter­ esse ebenfalls zielführend, da es erlaubt, unterschiedliches Verhalten von Personen und Dimensionen von Gewalt miteinzubeziehen, die insbeson­ dere in der Lebensphase Jugend sowie für das Phänomen des Hooliganis­ mus typisch sind. Ein weites Verständnis von Gewalt ermöglicht insbeson­ dere, die als Unterfall der psychischen Gewalt zu verstehende symbolische Gewalt, die im Zusammenhang mit der männlichen Herrschaft i.S. Bour­ dieus erläutert wird, miteinzubeziehen und damit den Besonderheiten des Feldes des Hooliganismus Rechnung zu tragen. Auch Verletzungsmächtig­ keit und Verletzungsoffenheit und die damit einhergehenden zugeschrie­ benen Geschlechterrollenbilder hinsichtlich des Ausübens und Erfahrens von Gewalt entlang der Kategorie Geschlecht werden im Verlauf der vor­ liegenden Arbeit ebenfalls von zentraler Bedeutung sein. Obwohl mehrere Veröffentlichungen in diesem Forschungsgebiet die Begriffe „Mädchen“, „Jungen“, „junge Frauen“, „junge Männer“, „Frau­ en“ oder „Männer“ verwenden, lassen sie eine explizite oder implizite Abgrenzung der verschiedenen Altersstufen vermissen.74 Insofern beste­ hen Schwierigkeiten, sie miteinander zu vergleichen. Trotz ihrer definitorischen Schwächen liefern sie Erkenntnisse zu den jeweiligen Phänomenen und werden deshalb einbezogen. III. Einführung in weitere relevante theoretische Konzepte und Begriffe Die hier zu beantwortenden Forschungsfragen knüpfen an weitere theore­ tische Konzepte und Begriffe an.

73 Vgl. zu Bedenken zur Nutzung eines weiten Begriffsverständnisses Silkenbeumer, Biographische Selbstentwürfe und Weiblichkeitskonzepte aggressiver Mädchen und junger Frauen, S. 22 mwN. 74 Vgl. exemplarisch Köttig, Lebensgeschichten rechtsextrem orientierter Mädchen und junger Frauen; Schimpf, Das Selbst kommt zum Bildnis; Silkenbeumer, Bio­ grafische Selbstentwürfe und Weiblichkeitskonzepte aggressiver Mädchen und junger Frauen.

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III. Einführung in weitere relevante theoretische Konzepte und Begriffe

1. Geschlechterstereotype und Geschlechterrollenbilder Der nachfolgende Abschnitt führt in Grundzüge zu Geschlechterstereoty­ pe und Geschlechterrollenbilder ein. a) Grundzüge Geschlechterstereotype75 stellen die Verbindung zwischen Attributen und Geschlechtskategorien dar. Sie sind „strukturierte Sätze von Annahmen über die personalen Eigenschaften von Frauen und Männern“76 sowie „kognitive Strukturen, die sozial geteiltes Wissen über [deren] charakte­ ristische Merkmale enthalten“.77 Die auf Heteronormativität78 fußenden und sich daraus entwickelten Geschlechterstereotype setzen sich aus zwei Anteilen, den deskriptiven und präskriptiven Anteilen, zusammen. Degele zufolge „[müssen] die heteronormativ organisierten Wahrneh­ mungs-, Handlungs- und Denkschemata den Beteiligten keineswegs be­ wusst sein“.79 Deshalb „[funktioniert] Heteronormativität in diesem Zu­

75 Stereotyp setzt sich aus stereos (griech.) und typos (griech.) zusammen. Stereotype sind soziale Kategorisierungen und stellen verbreitete, allgemeine Annahmen über relevante Eigenschaften einer Personengruppe dar. Bestimmte Attribute (z.B. Verhaltensweisen, Einstellungen, Eigenschaften) werden stereotypisch Mitglie­ dern der jeweiligen Personengruppe zugewiesen. Die jeweiligen Unterschiede, die notwendigerweise zwischen Individuen, die einer Personengruppe zugehö­ rig sind, werden vernachlässigt. Die Einteilung von Individuen wird basierend auf der Wahrnehmung von Gruppengemeinsamkeiten und -unterschieden vorge­ nommen; vgl. Alfermann, Geschlechterrollen und geschlechtstypisches Verhalten, S. 9 f.; Ashmore/Del Boca, Sex Roles 1979, 219, 222; Eckes, Geschlechterstereotype, S. 178; Hannover/Wolter, Geschlechtsstereotype, S. 202. 76 Alfermann, Geschlechterrollen und geschlechtstypisches Verhalten, S. 9 f. 77 Eckes, Geschlechterstereotype, S. 178; s.a. Alfermann, Geschlechterrollen und ge­ schlechtstypisches Verhalten, S. 9 f.; Ashmore/Del Boca, Sex Roles 1979, 219, 222; Hannover/Wolter, Geschlechtsstereotype, S. 202. 78 Degele definiert Heteronormativität als „ein binäres, zweigeschlechtlich und he­ terosexuell organisiertes und organisierendes Wahrnehmungs-, Handlungs- und Denkschema, das als grundlegende gesellschaftliche Institution durch eine Natu­ ralisierung von Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit zu deren Verselbst­ verständlichung und zur Reduktion von Komplexität beiträgt bzw. beitragen soll“, vgl. Degele, Heteronormativität entselbstverständlichen, S. 19. 79 Degele, Heteronormativität entselbstverständlichen, S. 20.

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B. Theoretische Grundlegungen

sammenhang wie der Habitus bei […] Bourdieu“.80 Wie das für die vorlie­ gende Arbeit zentrale Habitus-Konzept i.S. Bourdieus konstatiert Degele, ebenfalls unter Rekurs auf Bourdieu, dass „Heteronormativität verinner­ lichte Gesellschaft [ist] und eine strategisch orientierte Praxis und auch Körperlichkeit hervor[bringt], ohne dass die dadurch produzierten Strate­ gien ins Bewusstsein gebracht werden (müssen): ‚Die Somatisierung des Kulturellen ist Konstruktion des Unbewußten‘“.81 Die Lebenswelten von Individuen werden, im Zusammenspiel mit anderen Machtfaktoren, von heteronormativen Erwartungen bestimmt.82 Im Unterschied zu Bourdieus Konzepten ist der für die Queer Theory83 basale Begriff der Heteronor­ mativität „als systematische Reflexion von Widerstandspraxen gegen die hegemoniale Ordnung von Geschlecht und Sexualität“84 zu verstehen. Die Queer Theory beabsichtigt, ebenfalls im Unterschied zu den Konzepten Bourdieus, nicht nur Naturalisierung und Pluralisierung zu „rekonstruie­ ren, sondern auch systematisch aus den Angeln heben [zu] wollen.“85 Die deskriptiven Anteile der Geschlechterstereotype „umfassen traditio­ nelle Annahmen darüber, wie Frauen und Männer sind, welche Eigen­ schaften sie haben und wie sie sich verhalten [Hervorh. d. Verf.]“.86 Werden diese Annahmen verletzt, resultiert daraus Überraschung.87 Die „präskrip­ tiven Anteile beziehen sich auf traditionelle Annahmen darüber, wie Frau­ en und Männer sein […] oder sich verhalten sollen [Hervorh. d. Verf.]“.88 Auf eine Verletzung dieser Annahmen folgt die Ablehnung oder Bestra­ fung der Person.89 Die konkreten Inhalte der deskriptiven und präskriptiven Geschlech­ terstereotype sind unterschiedlich. Mit Männern werden folgende Merk­ male verbunden: Streben nach Individualität, Erweiterung der eigenen

80 81 82 83

84 85 86 87 88 89

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Degele, Heteronormativität entselbstverständlichen, S. 20. Degele, Heteronormativität entselbstverständlichen, S. 20. Hartmann/Klesse, Heteronormativität, S. 9. Innerhalb der Queer Theory werden Foucault und Butler häufig in Bezug genom­ men, vgl. ausführlich Degele, Heteronormativität entselbstverständlichen, S. 17 ff.; Hartmann/Klesse, Heteronormativität, S. 10 ff.; Wagenknecht, Was ist Heteronor­ mativität?, S. 18 ff. Wagenknecht, Was ist Heteronormativität?, S. 18. Degele, Heteronormativität entselbstverständlichen, S. 17. Eckes, Geschlechterstereotype, S. 178. Eckes, Geschlechterstereotype, S. 178; Hannover/Wolter, Geschlechtsstereotype, S. 202. Eckes, Geschlechterstereotype, S. 178. Eckes, Geschlechterstereotype, S. 178; Hannover/Wolter, Geschlechtsstereotype, S. 202.

III. Einführung in weitere relevante theoretische Konzepte und Begriffe

Handlungsmöglichkeiten, soziale Dominanz, Zielstrebigkeit, Ehrgeiz, Kompetenz, Attraktivität, Stärke, Durchsetzungsfähigkeit, Streben nach Leistung sowie Ausrichtung auf die Erreichung der Ziele und das Wohler­ gehen der jeweils eigenen Gruppe.90 Mit Frauen werden folgende Merk­ male verbunden: Bereitschaft zur Kooperation, Rücksichtnahme, Emotio­ nalität wie Einfühlsamkeit und Wärme, Solidarität, Passivität, praktische Intelligenz, Bedachtsein auf das Wohlergehen der Mitglieder der eigenen Gruppe, „Aufrechterhaltung von Harmonie“ sowie das „Streben, mit ande­ ren verbunden zu sein“.91 Individualistische Eigenschaften werden mehr mit Männern assoziiert. Werte, die in einer Kultur als besonders bedeut­ sam erachtet werden, werden tendenziell stärker Männern als Frauen zuge­ schrieben. Männliche Personen genießen, in Relation zu weiblichen Perso­ nen, einen höheren Status.92 Das Konzept der Geschlechterrollen ist eng verwandt mit dem der Geschlechterstereotype. Allerdings beschreiben Geschlechterrollen gesell­ schaftliche Zuschreibungen, die normative Erwartungen an Verhaltenswei­ sen männlicher oder weiblicher Personen umfassen. Das Augenmerk liegt, anders als bei Geschlechterstereotype, auf den sozial zugeschriebenen Ver­ haltensweisen und -erwartungen, die sich auf das konkrete Individuum infolge seines sozial konstruierten Geschlechtes (gender)93 richten.94 Ge­ schlechterrollenbilder sind einem Wandel ausgesetzt, Geschlechterstereo­ type hingegen nicht.95 An den Inhaber einer Rolle richten sich bestimmte Erwartungen („Rollenerwartung“). Die Geschlechterrolle kann je nach Zu­ sammenhang mehr oder weniger stark hervortreten.96

90 Alfermann, Geschlechterrollen und geschlechtstypisches Verhalten, S. 9 ff.; Eckes, Geschlechterstereotype, S. 179; Hannover/Wolter, Geschlechtsstereotype, S. 202 f. 91 Hannover/Wolter, Geschlechtsstereotype, S. 203; s.a. Alfermann, Geschlechterrol­ len und geschlechtstypisches Verhalten, S. 9 ff.; Eckes, Geschlechterstereotype, S. 179; Equit, Forum Erziehungshilfen 2011, 10, 10. 92 Hannover/Wolter, Geschlechtsstereotype, S. 203; vgl. zu einer Taxonomie von Ge­ schlechterstereotype: Eckes, Geschlechterstereotype, S. 182. 93 Vgl. B. I. 94 Eckes, Geschlechterstereotype, S. 178; Farrokhzad et al., Verschieden – Gleich – Anders?, S. 15; Jacobsen, Sozialstruktur und Gender, S. 194. 95 Alfermann, Geschlechterrollen und geschlechtstypisches Verhalten, S. 20 ff.; Jacob­ sen, Sozialstruktur und Gender, S. 194. 96 Alfermann, Geschlechterrollen und geschlechtstypisches Verhalten, S. 31.

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B. Theoretische Grundlegungen

b) Wandeln sich Geschlechterrollenbilder und -verhältnisse? In der Industriegesellschaft zentrierte sich die Lebensführung von Män­ nern noch vorrangig auf den Beruf (Produktion), die von ihnen geleistete Erwerbsarbeit bestand überwiegend in harter, körperlicher Arbeit und bildete die primäre Grundlage von Männlichkeitskonstruktionen. Die Orientierung männlicher Lebensführung an der Familie (Reproduktion) war zweitrangig.97 Daraus resultierte das zugeschriebene, männliche Ge­ schlechterrollenbild des Ernährers der Familie.98 Die Beteiligung an einem Normalarbeitsverhältnis war für männliche Personen die Regel, für weib­ liche Personen die Ausnahme. Mit den gesellschaftlichen Veränderungen etwa seit der Mitte des 20. Jahrhunderts findet ein ungleichzeitiger und mit verdeckten Dynamiken verbundener Wandel und gleichzeitig eine Persistenz von Ungleichheitsverhältnissen statt.99 Seit etwa 60 Jahren ero­ diert folglich das Ausnahme-Regel-Verhältnis. Die Erwerbsarbeit wird als Ausgangspunkt für einen möglichen Wandel der Geschlechterstereotype, Geschlechterrollenbilder und Geschlechterver­ hältnisse betrachtet. Tradierte Verhältnisse, Strukturen und Hierarchien lösen sich u.a. im Zuge von Globalisierungsprozessen auf.100 Die Erwerbs­ arbeit verliert an Bedeutung, obwohl sie noch immer einen großen Teil der Männlichkeits- und Weiblichkeitskonstruktionen trägt.101 Die Berufs­ biographien männlicher wie weiblicher Personen sind nun von Diskonti­ nuitäten (z.B. Übergangslösungen, prekäre Arbeitsverhältnisse) und von ungleichzeitigen Verschränkungen hinsichtlich der Erwerbs- und Famili­

97 Lengersdorf/Meuser, Flexibilität und Reflexivität, S. 34; Meuser, Körperdiskurse und Körperpraxen der Geschlechterdifferenz, S. 127; Meuser, Macht, S. 71; Scholz, Männlichkeit erzählen, S. 256; Scholz, Diversifizierung und Delegitimie­ rung männlicher Herrschaft, S. 38. 98 Lellé, Arrivierte Frauen, S. 55 ff.; Lengersdorf/Meuser, Flexibilität und Reflexivität, S. 34; Meuser/Scholz, Herausgeforderte Männlichkeit, S. 37 f.; Scholz, Männlich­ keit erzählen, S. 25 ff.; Stückler, Geschlecht – Konkurrenz – Androzentrismus, S. 141. 99 Bereswill, Männlichkeit unter Druck?, S. 49; Lengersdorf/Meuser, Flexibilität und Reflexivität, S. 31; Meuser, Macht, S. 70; Rudolph, Geschlechterverhältnisse in der Politik, S. 19 ff. 100 Lengersdorf/Meuser, Flexibilität und Reflexivität, S. 31 ff. 101 Aulenbacher, Gesellschaftsanalysen der Geschlechterforschung, S. 40; Bereswill, Männlichkeit unter Druck?, S. 56; Dück, PROKLA 2014, 53, 57; Lengersdorf/Meu­ ser, Flexibilität und Reflexivität, S. 34; Stückler, Geschlecht – Konkurrenz – An­ drozentrismus, S. 144.

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III. Einführung in weitere relevante theoretische Konzepte und Begriffe

enarbeit und des Geschlechts im Allgemeinen geprägt.102 Es wandelten sich mitunter auch Rollenerwartungen an Männer, indem Männlichkeit stark überbetont und mit einer idealisierten gewaltbetonenden Dominanz verbunden wird.103 Gleichzeitig nimmt die Rolle des Vaters innerhalb der Familienarbeit zu, was zum Teil als Aufgeben der tradierten Rolle der Männer als Ernährer und gleichzeitigem Hinwenden zu neuen Geschlech­ terrollenbildern gesehen wird.104 Meuser zufolge besteht „[e]ine Parallelität von Kontinuität und Wandel“.105 Die Veränderungen sind nicht mehr mit der bis dahin bestehenden, vorherrschenden patriarchalen Ordnung der Geschlechter vereinbar. Die institutionellen, tradierten Männlichkeitspositionen erodieren,106 was sich insbesondere im Wandel der Strukturen und Veränderungen in der Er­ werbsarbeit zeigt, die männliche und weibliche Lebenslagen bzw. Männ­ lichkeiten und Weiblichkeiten gleichermaßen betreffen.107 Männlichkei­ ten werden zur Disposition gestellt, was sich auf das Selbstverständnis der Männer und Frauen auswirkt. Die Geschlechterordnung restrukturiert sich, was Folgen für die Geschlechterrollenbilder evoziert. Die Verände­ rungen in den Geschlechterverhältnissen betreffen somit die hetero- wie homosoziale Dimension.108 Um herauszufinden, wie sich Geschlechterrollenbilder charakterisieren und verändern, bildeten Zulehner/Volz zunächst vier Indizes. Diese waren

102 Bereswill, Männlichkeit unter Druck?, S. 52 ff.; Lengersdorf/Meuser, Flexibilität und Reflexivität, S. 34; Meuser, Geschlecht und Männlichkeit, S. 327 f.; Meuser, Wandel – Kontinuität, S. 56 ff.; Meuser/Scholz, Herausgeforderte Männlichkeit, S. 35 f.; Stückler, Geschlecht – Konkurrenz – Androzentrismus, S. 145. 103 Bereswill, Männlichkeit unter Druck?, S. 55. 104 Väter bilden ein neues Selbstverständnis aus und wenden sich mehr den Kin­ dern und der partnerschaftlich gedachten Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu. Arbeitszeitreduzierungen und die in Deutschland seit 2008 stetig steigenden Zahlen von von Vätern genommenen Elternzeiten und ansteigendem Eltern­ geld für Väter weisen in diese Richtung; BMFSFJ, Väterreport, S. 9 ff., 16 ff.; BMFSFJ, Väterreport. Update 2021, S. 15 ff.; s.a. Meuser, Junge Männer, S. 431 f. 105 Meuser, Junge Männer, S. 432. 106 Lengersdorf/Meuser, Flexibilität und Reflexivität, S. 31; Stückler, GENDER 2013, 114, 115. 107 Aulenbacher, Gesellschaftsanalysen der Geschlechterforschung, S. 35 ff.; Dück, PROKLA 2014, 53, 57; Lengersdorf/Meuser, Flexibilität und Reflexivität, S. 31 f.; Meuser/Scholz, Herausgeforderte Männlichkeit, S. 28; Stückler, Geschlecht – Kon­ kurrenz – Androzentrismus, S. 145. 108 Lengersdorf/Meuser, Flexibilität und Reflexivität, S. 33; Meuser, Körperdiskurse und Körperpraxen der Geschlechterdifferenz, S. 139; Meuser/Scholz, Herausge­ forderte Männlichkeit, S. 28.

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B. Theoretische Grundlegungen

der „traditionelle“109 und der „neue“110 Mann sowie die „traditionelle“111 und die „neue (berufstätige)“112 Frau. Die Mehrheit der Befragten nahm eine Mittelposition zwischen beiden Männerbildern ein.113 Mit Hilfe da­ tenverdichtender Indizes wurden Cluster gebildet, die die Inkonsistenz und Ungleichzeitigkeit in der Rollenentwicklung widerspiegelten und vier Grundtypen zum Vorschein brachten.114 Den ersten Grundtyp bilden die „Traditionellen“. Sie weisen hohe Werte bei den traditionellen und niedrige Werte bei den „neuen“ Indizes auf. Die „Neuen“ als zweiter Grundtyp weisen hohe Werte bei den „neuen“ und niedrige Werte bei den „traditionellen“ Indizes auf.115 Drittens wurden die „Pragmatischen“ als Grundtyp entdeckt, die bei den „traditionellen“ und „neuen“ Indizes je hohe Werte zeigen. Den vierten Grundtyp bilden die „Unsicheren“,

109 Den „traditionellen Mann“ kennzeichnet: Die Frau soll für den Haushalt und die Kinder da sein, der Mann ist für den Beruf und für die finanzielle Versor­ gung zuständig. Der Mann soll bei einer Begegnung mit einer Frau den ersten Schritt tun. Männer können einer Frau ruhig das Gefühl geben, sie würde bestimmen, zuletzt passiert doch das, was er will. Der Mann erfährt in seiner Arbeit seinen persönlichen Sinn. 21 % der befragten Männer und 19 % der befragten Frauen vertraten das traditionelle Männerbild, Zulehner/Volz, Männer im Aufbruch, S. 35, 40. 110 Der „neue Mann“ ist der Ansicht, es stellt eine Bereicherung dar, zur Betreuung der Kinder Erziehungsurlaub – seit etwa der Jahrtausendwende: Elternzeit – zu nehmen. Es ist am besten, wenn Mann und Frau jeweils halbtags erwerbstätig sind, und sich beide zu gleichen Teilen um Haushalt und Kinder kümmern. Die Emanzipation der Frauen stellt eine sehr notwendige und gute Entwicklung dar. Männer und Frauen sollten beide zum Haushaltseinkommen beitragen. Dieses Männerbild vertraten 28 % der befragten Männer und 37 % der befragten Frauen, Zulehner/Volz, Männer im Aufbruch, S. 35, 40. 111 Die „traditionelle Frau“ kennzeichnet die Ansicht, dass ein Beruf gut ist, aber, was die meisten Frauen wirklich wollen, ist ein Heim und Kinder. Eine Frau muss ein Kind haben, um ein erfülltes Leben zu haben. Für eine Frau ist es ebenso befriedigend Hausfrau zu sein wie eine Berufstätigkeit. Frauen sind von Natur aus besser dazu geeignet, Kinder aufzuziehen. 27 % der befragten Män­ ner vertraten dieses Frauenbild, von den befragten Frauen 26 %, Zulehner/Volz, Männer im Aufbruch, S. 35, 40. 112 Die „neue Frau“ kennzeichnet: Eine berufstätige Frau kann ihrem Kind ebenso viel Wärme und Sicherheit geben, wie eine nicht berufstätige Frau. Ein Klein­ kind wird bei einer berufstätigen Mutter nicht leiden. Die Berufstätigkeit ist der beste Weg für eine Frau, um unabhängig zu sein. Dieses Frauenbild vertraten 49 % der befragten Frauen und 34 % der befragten Männer, Zulehner/Volz, Män­ ner im Aufbruch, S. 35, 40. 113 Zulehner/Volz, Männer im Aufbruch, S. 40. 114 Zulehner/Volz, Männer im Aufbruch, S. 40, S. 271 ff. 115 Zulehner/Volz, Männer im Aufbruch, S. 41.

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III. Einführung in weitere relevante theoretische Konzepte und Begriffe

die bei allen Indizes niedrige Werte aufweisen. Sie sind verunsicherte Per­ sonen, denn sie stimmen weder den traditionellen noch den neuen Ge­ schlechterrollenbildern mit Bestimmtheit zu. Bei ihnen könnte es sich um „ängstliche Rolleneskapisten“ handeln.116 Nach Zulehner/Volz gibt es in Deutschland nicht „die“ Männer, vielmehr existieren veränderte, unter­ schiedliche Geschlechterrollenbilder gleichzeitig nebeneinander und Männlichkeiten und Weiblichkeiten im Plural.117 Aufgrund der Fragestel­ lungen118 der vorliegenden Arbeit wurden in den Interviewleitfäden, in Anlehnung an Zulehner/Volz, entsprechende Fragen inkludiert, um die An­ sichten und Einordnungen der Interviewten zu den oben genannten Ge­ schlechterrollenbildern zu erfahren.119 2. Männerbund und Machismo Der Begriff „Männerbund“ wurde Anfang des 20. Jahrhunderts durch Schurtz eingeführt. Nach Schurtz kommen Zusammenschlüssen von Män­ nern in fast allen, besonders in primitiven Gesellschaften eine wichtige Rolle zu.120 Männerbünde sind ein mit eigenen rituellen Formen beste­ hender Zusammenschluss von Männern, deren Zugehörigkeit lebenslang geplant ist und damit eine über Generationen währende Kontinuität hat. Der v.a. gesellige Zusammenschluss und die Mitgliedschaft im Männer­ bund sind freiwillig. Sie basieren auf gemeinsam geteilten Interessen. Die Mitglieder erkennen die geistigen Ziele und Werte des Männerbun­ des an.121 Zwar herrscht innerhalb eines Männerbundes grundsätzlich Egalität zwischen den Mitgliedern, trotzdem sind sie meist hierarchisch organisiert.122 Sofern sie hierarchisch organisiert sind, steht an der Spitze häufig „eine charismatische Führerpersönlichkeit“,123 die es vermag, die übrigen Mitglieder in ihren Bann zu ziehen; die Mitglieder ordnen sich ihr

116 117 118 119 120

Zulehner/Volz, Männer im Aufbruch, S. 41. Zulehner/Volz, Männer im Aufbruch, S. 34. Vgl. A.; D. I. Vgl. D. II. 2. b) bb); E. IV. Vgl. Schurtz, Altersklassen und Männerbünde, S. 1 et passim; vgl. auch Weiß­ mann, Männerbund, S. 17 f. 121 Blazek, Männerbünde, S. 24; Völger/von Welck, Zur Ausstellung und zur Materi­ alsammlung, S. XXI. 122 Blazek, Männerbünde, S. 24; Völger/von Welck, Zur Ausstellung und zur Materi­ alsammlung, S. XXI. 123 Völger/von Welck, Zur Ausstellung und zur Materialsammlung, S. XXI.

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B. Theoretische Grundlegungen

bedingungslos unter.124 Zu Beginn der Mitgliedschaft steht häufig ein In­ itiationsritus, der Neulingen den Anschluss erschwert.125 Ein Männerbund definiert sich schließlich auch über den teils expliziten, teils impliziten Ausschluss von Frauen, deren Abwertung und dient damit der Konservie­ rung männlicher Vorherrschaft.126 Frauen nehmen innerhalb von Männer­ bünden eine passive Rolle ein, werden durch den Männerbund geschützt und leiten ihren Status von dem der männlichen Mitglieder ab, die als aktive, „heldische“ Wesen gesehen werden und als Träger des politischen und kulturellen Lebens dienen.127 Begründet wird der Ausschluss weibli­ cher Personen auch damit, andernfalls eine Störung der Gruppenharmo­ nie zu befürchten.128 In seinem Ursprung kann auch der Sport als Männerbund bezeichnet werden, da er sich vielfach durch die spezifischen Merkmale eines Män­ nerbundes auszeichnet. Der Zugang kann schwierig sein und es gibt ein selbstverordnetes, strenges Regelwerk, das sich im Reglement für Wettkämpfe oder der eigenen Judikatur innerhalb der Sportverbände zeigt. Innerhalb des Sports gelten die Prinzipien der Brüderlichkeit und Gleichheit. Strenge Hierarchien sind im Sport ebenfalls vorhanden. Der Ausschluss weiblicher Personen aus dem Sport wurde lange Zeit systema­ tisch betrieben, denn männliche Mediziner waren der Ansicht, der Sport nehme weiblichen Personen die Energie, die sie für das Gebären und Aufziehen der Kinder bräuchten.129 Bei Machismo und Macho vollzog sich ein Bedeutungswandel vom dummen, tölpelhaften Mann hin zum „mannhaften Kerl“.130 Nach der Kurzdefinition bezeichnet Machismo einen Lebensstil, der Männlichkeit demonstriert und zwar durch die Unterdrückung weiblicher Personen und durch Mut in Situationen, die männliche Personen physisch heraus­ fordern.131 Machismo kann als eigenes Geschlechterrollenstereotyp ange­ sehen werden.132 Die Bezeichnung von Männerbünden, auch der bzw.

124 125 126 127 128 129 130 131 132

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Völger/von Welck, Zur Ausstellung und zur Materialsammlung, S. XXI. Blazek, Männerbünde, S. 20; Weißmann, Männerbund, S. 15. Blazek, Männerbünde, S. 10, 20; Kreisky, Fußball als männliche Weltsicht, S. 33. Blazek, Männerbünde, S. 11; Rastetter, Zeitschrift für Personalforschung 1998, 167, 178 f. Rastetter, Zeitschrift für Personalforschung 1998, 167, 172 f. Vgl. hierzu Fischer, Männerbund Sport, S. 229 ff. „Machismo“ und „Macho“ sind gebräuchliche spanische Worte und bedeuten ursprünglich Tiermännchen; Rünzler, Machismo, S. 14. Rünzler, Machismo, S. 16. Rünzler, Machismo, S. 17.

III. Einführung in weitere relevante theoretische Konzepte und Begriffe

im Sport, Macho und Machismo wird im Rahmen der Auswertung der Da­ ten133 eine besondere Rolle einnehmen. 3. Gruppensoziologische Konzepte und Szene Für die Beantwortung der Forschungsfragen werden auch gruppensoziolo­ gische Konzepte und das Konzept der „Szene“ relevant. Eine soziale Grup­ pe lässt sich wie folgt definieren: Sie „umfasst eine bestimmte Anzahl von Mitgliedern (Gruppenmitglieder), die zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels (Gruppenziel) über längere Zeit in einem relativ kontinuierlichen Kommunikations- und Interaktionsprozess stehen und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit (Wir-Gefühl) entwickeln.“134 Ein System gemeinsa­ mer Normen sowie eine Verteilung der (gruppeninternen) Aufgaben über ein gruppenspezifisches Rollendifferential135 sind nach Schäfers erforder­ lich, um ein Gruppengefühl zu erreichen, die Gruppenidentität zu stabili­ sieren und gewährleistet die Zielerreichung und Konfliktlösung innerhalb der Gruppe.136 Ein so entstehender gruppeninterner, dynamischer Prozess beeinflusst auch das Verhalten der Gruppenmitglieder.137 Als „Bezugsgruppe“ wird diejenige Gruppe verstanden, „deren Ableh­ nung oder Zustimmung dem Individuum wichtig ist“.138 Im Gegensatz zu anderen Gruppenkonzepten (wie z.B. Primär- und Sekundärgruppe, formelle und informelle Gruppe) ist „Bezugsgruppe“ (reference group) kei­ ne Bezeichnung für bestimmte Struktureigenschaften. Vielmehr bezieht sich Bezugsgruppe auf psychische Beziehungen, auf emotionaler und ko­ gnitiver Ebene, zwischen einzelnen Personen und bestimmten Gruppen. Bei Bezugsgruppen geht es folglich um die Selbstverortung einer Person in einem sozialen Bezugssystem.139 Nicht nur Individuen, auch Gruppen

133 Vgl. D., insbesondere D. III. 2. b) gg) ddd); E. 134 Schäfers, Entwicklung der Gruppensoziologie, S. 20. 135 Unter einem Rollendifferential wird „ein Geflecht aufeinander bezogener sozia­ ler Rollen […], das auf das Gruppenziel bezogen ist und unter anderem sowohl die Zielerreichung als auch die Lösung von Konflikten gewährleistet“, verstan­ den, Schäfers, Entwicklung der Gruppensoziologie, S. 21. 136 Schäfers, Entwicklung der Gruppensoziologie, S. 20 f. 137 Abels, Einführung in die Soziologie (Band 2), S. 261. 138 Abels, Einführung in die Soziologie (Band 2), S. 117. 139 Abels, Einführung in die Soziologie (Band 2), S. 117; Gukenbiehl, Bezugsgrup­ pen, S. 113.

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B. Theoretische Grundlegungen

selbst können „Orientierungspunkte für das soziale Handeln des Einzel­ nen sein“.140 Besonderer Bedeutung kommt beim Bezugsgruppenkonzept, und auch im weiteren Verlauf dieser Arbeit, der Unterscheidung zwischen objekti­ ver und subjektiver Zugehörigkeit zu. Unter „objektiver Zugehörigkeit“ versteht man die tatsächliche Mitgliedschaft der Person zu einer Gruppe. Das Zugehörigkeitsgefühl aus Sicht einer Person selbst zu dieser Gruppe wird „subjektive Zugehörigkeit“ genannt. Hieraus ergeben sich drei ver­ schiedene Beziehungsformen zwischen einer Person und einer Gruppe. (1) Eine Person, die sich zwar nicht zu einer Gruppe zugehörig fühlt, kann trotzdem deren objektiv zurechenbares Mitglied sein. In diesem Fall ist die Gruppe nur die Mitgliedsgruppe dieser Person. Die Person bezieht sich aber nicht subjektiv auf die Gruppe. (2) Eine Gruppe ist dann lediglich Bezugsgruppe einer Person, wenn sie sich einer Gruppe zugehörig fühlt und sich auch subjektiv auf sie bezieht, aber der Gruppe nicht objektiv angehört. (3) Mitglieds- und Bezugsgruppe stimmen überein, wenn eine Person sich zur Gruppe zugehörig fühlt, sich subjektiv auf sie bezieht und auch tatsächlich Mitglied ist.141 Eine Person kann unzählig viele Be­ zugsgruppen haben, so dass sie zu Bezugsgrößen hinsichtlich der Bildung der eigenen Einstellungen, Bewertungen und Verhaltensweisen werden können.142 Peer groups143 sind Gruppen von Gleichgesinnten und oder Gleichaltri­ gen. Gerade für die hier besonders relevante Lebensphase Jugend144 ist es charakteristisch, sich in solchen Gruppen zusammenzuschließen. Peer groups spielen eine besondere Rolle während des Prozesses der Persön­ lichkeitsentwicklung in der Lebensphase Jugend, im Übergang zwischen der Kindheits- und Erwachsenenphase. Peer groups sind Sozialisationsin­ stanzen, in denen Handlungskompetenzen erworben werden145 und ge­

140 141 142 143

Dimbath, Einführung in die Soziologie, S. 158. Gukenbiehl, Bezugsgruppen, S. 115 f.; Esser, Soziologie, S. 438 Merton, Soziologische Theorie und soziale Struktur, S. 225. Für den Begriff peer fehlt eine angemessene Übersetzung, denn gemeint ist nicht nur der gleichaltrige Gefährte, sondern v.a. die Gleichheit der Stellung im Verhältnis zueinander und bezeichnet auch Gleiche im Status. Peer ist somit ein als Interaktionspartner akzeptierter Gleichaltriger, vgl. Krappmann, Prozesse kindlicher Persönlichkeitsentwicklung im Kontext von Gleichaltrigenbeziehun­ gen, S. 200; Abels, Einführung in die Soziologie (Band 2), S. 249. 144 Vgl. hierzu B. II. 2. 145 Vgl. z.B. Hurrelmann/Quenzel, Lebensphase Jugend, S. 172 ff.; King, Die Entste­ hung des Neuen in der Adoleszenz, S. 230.

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III. Einführung in weitere relevante theoretische Konzepte und Begriffe

ben Gleichaltrigen biografische Orientierung. Sie vermitteln ihnen ein Ge­ meinschafts- und Zusammengehörigkeitsgefühl. Peer groups dienen auch als Konstruktionsorte und -mittel von Geschlecht i.S.v. gender.146 Stark an ihrer peer group ausgerichtete Jugendliche weisen eine kaum höhere Nei­ gung zu Devianz oder Delinquenz auf als Jugendliche, die nicht in einer peer group sind.147 Allerdings geht die Zugehörigkeit von Jugendlichen zu einer delinquenten Gleichaltrigengruppe mit einer eigenen, höheren Bereitschaft einher, selbst delinquent zu handeln, denn als gewaltaffiner Jugendlicher freundet man sich eher mit ebenso gewaltaffinen an.148 Unter bestimmten Bedingungen sind Gruppen Gleichaltriger als gewaltbegünsti­ gend anzusehen. Insbesondere männliche Jugendliche neigen innerhalb von Gruppen zu Gewalt, insofern sich in solchen Gruppen der Gruppen­ zusammenhalt (auch) durch gewalthaltigen und -fördernden Konformi­ tätsdruck herstellt.149 Männliche Jugendliche sind häufiger als weibliche Jugendliche in delinquenten, gewaltaffinen Kontexten organisiert.150 Unter „Szene“ wird ein thematisch fokussiertes kulturelles Netzwerk von Personen oder von Gruppen verstanden. Szenen sind dynamische Gesinnungsgemeinschaften und kommunikative und interaktive Teilzeit­ gesellungsformen, dienen der sozialen Verortung und sind „Inszenierungs­ phänomene“.151 Szenen weisen ihre je eigene Kultur auf und bieten voror­ ganisierte Erfahrungsräume. Szenen gelten zwar als labile Gebilde, muten im Vergleich zu anderen sozialen Gebilden (z.B. Organisationen) recht unstrukturiert an, lassen aber trotzdem eine Strukturierung um Organisati­ onseliten erkennen. Szenen liegen nach Ansicht Hitzlers (et al.) quer zu bisherigen, festeren Gesellungsformen und zu großen gesellschaftlichen Institutionen. Die Teilhabe an Szenen geht nicht mit den gleichen Bin­

146 Jösting, Jungenfreundschaften, S. 45. 147 Vgl. statt vieler Möller/Kühnel/Matuschek, Gleichaltrigengruppe, S. 365; Steiner, Über den Sinn von Gewalt, S. 216 ff. 148 Baier/Rabold/Pfeiffer, Peers und delinquentes Verhalten, S. 333; Werner/Crick, Social Development 2004, 496, 496 ff. 149 Möller/Kühnel/Matuschek, Gleichaltrigengruppe, S. 365. 150 Popp/Meier/Tillmann, Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation 2001, 170, 172. 151 Hitzler/Niederbacher, Leben in Szenen, S. 18.

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B. Theoretische Grundlegungen

dungen und Verpflichtungen wie etwa in Subkulturen (z.B. Rocker152) einher.153 Eine Subkultur ist ein Teil einer Gesellschaft, der sich in seinen Insti­ tutionen, Bräuchen, Werkzeugen, Normen, Wertordnungssystemen, Prä­ ferenzen, Bedürfnissen sowie Symbolen von der in der Gesellschaft herr­ schenden, dominierenden Kultur unterscheidet. Zu dieser (vermeintlich) hegemonialen Kultur bzw. der Gesellschaft formen sie „einen mehr oder minder radikalen Gegen-Entwurf“.154 Wird eine Subkultur von außen stigmatisiert, bewachen die Mitglieder dieser relativ geschlossenen Grup­ pe die Außengrenzen und erschweren den Ein- und Austritt. Die Theo­ rien zu Subkulturen haben eine lange Tradition, allerdings können sie, gerade auch aufgrund der in der Gesellschaft stattgefundenen Individuali­ sierungen und Pluralisierungen in manchen Bereichen dem nicht mehr Rechnung tragen.155 Zudem nähern sich Subkulturen Hitzler zufolge in jüngerer Zeit allmählich der Szene an, da erstere vermehrt ihren Charakter als Gegenentwurf zur dominierenden Kultur der Gesellschaft aufgeben. Mittlerweile kann Hitzler zufolge von einer „Verszenung“ der Gesellschaft gesprochen werden.156 Die in Szenen befindlichen Personen teilen bestimmte materiale und oder mentale Formen der kollektiven Selbststilisierung, treffen sich an typischen Orten und zu typischen Zeiten zusammen, um Gemeinsamkei­ ten interaktiv zu stabilisieren und weiterzuentwickeln.157 Das Vergemein­ schaftungspotenzial von Szenen gründet sich in der Faszination, an einem bestimmten Thema und den daraus resultierenden Einstellungen teilzuha­ ben.158 Szenen sind auch Netzwerke von Gruppen. Gruppen werden insbeson­ dere dadurch „zu einem Teil von Szenen, dass sie sich auf der Basis gemeinsamer Interessenlagen zu anderen Gruppierungen hin öffnen und 152 Rocker sind ein Beispiel für eine Subkultur, denn sie sind nach wie vor eine relativ geschlossene, von außen nicht leicht zugängliche Gruppierung und stel­ len noch immer einen radikalen Gegenentwurf zur hegemonialen Kultur dar, Hitzler, Brutstätten posttraditionaler Vergemeinschaftung, S. 62. 153 Hitzler/Niederbacher, Leben in Szenen, S. 16 ff.; Hitzler, Brutstätten posttraditio­ naler Vergemeinschaftung, S. 55. 154 Hitzler/Niederbacher, Leben in Szenen, S. 189. 155 Vgl. Schwendter, Theorie der Subkultur, S. 18 et passim; s.a. Farin, generationkick.de, S. 194; Hitzler/Niederbacher, Leben in Szenen, S. 12 f., 189. 156 Hitzler, Brutstätten posttraditionaler Vergemeinschaftung, S. 57 f. 157 Hitzler/Niederbacher, Leben in Szenen, S. 15 ff.; Schulze, Die Erlebnisgesellschaft, S. 463. 158 Hitzler, Brutstätten posttraditionaler Vergemeinschaftung, S. 68.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

sich selbst eben nicht nur als Gruppe, sondern (auch) als Teil einer Szene begreifen.“159 Jeder einzelne „Szenegänger ist in eine oder mehrere Grup­ pierungen eingebunden, die als solche Teil der Szene sind.“160 Die vorlie­ gende Arbeit nutzt das Konzept der Szene, denn diese Folie ermöglicht, neben den objektiv wie subjektiv Zugehörigen auch die als (vermeintliche) Randerscheinungen Wahrgenommenen und sich in der Peripherie der Szene Aufhaltenden161 erfassen zu können. 4. Fazit und Stellungnahme Die eben vorgestellten theoretischen Konzepte dienen im Verlauf der vorliegenden Arbeit als Folien, um die gewonnenen Erkenntnisse davor zu betrachten. Aus gruppensoziologischer Perspektive können Hooligans nicht nur eine Gruppe bilden, sondern auch eine Bezugsgruppe sein und, sofern es sich um Gleichaltrige, größtenteils um in der Lebensphase Ju­ gend Befindliche, um eine peer group. Gruppen können sich in Szenen ver­ gemeinschaften, denn Szenen sind Netzwerke von Gruppen. Das Konzept der Szene ermöglicht es, die objektiv wie subjektiv zugehörigen Mitglieder der einzelnen Hooligan-Gruppen, der Szene und auch die (vermeintlich) am Rand des Phänomens des Hooliganismus befindlichen Personen einzu­ beziehen. IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft? Die Arbeit widmet sich nun der Frage nach einer möglichen Krise der männlichen Herrschaft in den Feldern der „ernsten Spiele des Wettbe­ werbs“.162 Die Beantwortung dieser Frage setzt voraus, einige Konzepte Bourdieus vorzustellen, um sie als Erklärungsfolie für das Phänomen des Hooliganismus nutzen zu können.

159 160 161 162

Hitzler/Niederbacher, Leben in Szenen, S. 20. Hitzler/Niederbacher, Leben in Szenen, S. 20. Vgl. insbesondere D., E. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203.

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B. Theoretische Grundlegungen

1. Das Konzept des sozialen Raumes, des Feldes und die Theorie der Praxis Die soziale Welt lässt sich Bourdieu zufolge in Form eines mehrdimen­ sionalen, geometrischen 163 Raumes darstellen, dem bestimmte Unterschei­ dungs- und Verteilungsprinzipien zugrunde liegen.164 Der soziale Raum ist ein unsichtbarer Raum. Er verleiht den Praktiken und Vorstellungen der Akteure eine Gestalt gebende Realität.165 Bourdieu beschreibt den sozialen Raum in und als Felder. Bourdieus „Feld“-Begriff ist zwar Rehbein/Saal­ mann zufolge „eher eine Konzeptmetapher […] als ein klar definierter Begriff.“166 Trotzdem lässt sich der (zumindest ambivalente) Bedeutungs­ kern des für die vorliegende Arbeit ebenfalls zentralen „Feld“-Begriffs wie folgt fassen und erklären: Bourdieu versteht unter „Feld“ zweierlei:167 Zum einen versteht er darunter ein soziales Kraft- oder Kräftefeld, das für die in ihm engagierten Akteure eine zwingende Notwendigkeit besitzt. Das Kräftefeld ist „ein Ensemble objektiver Kräfteverhältnisse“.168 Alle in das Feld Eintretenden legen sich die objektiven Kräfteverhältnisse auf, die weder auf individuelle Absichten der Einzelnen noch „auf deren direkte Interaktionen zurückführbar“169 sind. Die Akteure sind in unterschiedli­ cher Weise befähigt, Einfluss auf das Feld zu nehmen und ihre Interessen geltend zu machen. Dies verdeutlicht ihre soziale Position, denn aus ihr folgt, dass gewisse Möglichkeiten verschlossen bleiben.170 Zum anderen beschreibt Bourdieu den sozialen Raum als ein Feld von sozialen Kämpfen und Macht. In den Feldern rivalisieren die Einzelnen je nach ihrer Posi­ tion mit unterschiedlichen Mitteln und Zwecken unaufhörlich miteinan­ der. Sie tragen so zum Erhalt oder zur Veränderung der Struktur bei.171

163 Vgl. hierzu insbesondere Barlösius, Pierre Bourdieu, S. 131 ff. 164 Nachfolgende Ausführungen sind Modifizierungen der unveröffentlichten Ba­ chelorarbeit Schmoll, Eine Krise der männlichen Herrschaft?, S. 2 ff. 165 Bourdieu, Praktische Vernunft, S. 23, 48; Bourdieu, Sozialer Raum und „Klassen“, S. 9 f. 166 Rehbein/Saalmann, Feld, S. 100. 167 Bourdieu, Das politische Feld, S. 49; Bourdieu, Sozialer Raum und „Klassen“, S. 74; vgl. auch Hillebrandt, Praktiken des Tauschens, S. 46; Rehbein/Saalmann, Feld, S. 100 ff. 168 Bourdieu, Sozialer Raum und „Klassen“, S. 10. 169 Bourdieu, Sozialer Raum und „Klassen“, S. 10; s.a. Bourdieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 127. 170 Rehbein/Saalmann, Feld, S. 101. 171 Bourdieu, Praktische Vernunft, S. 49 f.; s.a. Bourdieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 134; Rehbein/Saalmann, Feld, S. 100 f.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

Das Feld definiert sich auch als ein Netz von objektiven Relationen zwi­ schen Positionen.172 „Feld“ ist somit ein abkürzender Begriff und fungiert als eine Art methodisches Denk- oder Erkenntniswerkzeug.173 Felder sind „eine bestimmte Auffassung von der Konstitution (sozialer) Wirklichkeiten“.174 Der soziale Raum ist „ein offener Komplex relativ autonomer […] untergeordneter Felder“.175 In den Feldern ringen die Einzelnen um die Wahrung oder Veränderung der Kraftverhältnisse und es herrscht darin jeweils eine eigene, feldspezifische Logik.176 Die Felder können nur existieren, solange es jemanden gibt, der darin seine Ressour­ cen und Interessen investiert.177 In einem Feld herrschen Handlungsregeln und darin ist ein Ziel und eine illusio vorhanden, die auch die Einzelnen selbst mit ihrem jeweiligen Habitus178 und ihren Kapitalien umfassen.179 Ein Feld endet dort, wo Feldeffekte, also Einsätze, Regeln, Ziele und die illusio in ihrer Geltung aufhören. Die Grenzen eines Feldes sind variabel und abhängig von der im Feld und zwischen den Feldern bestehenden Kräfteverhältnisse.180 Da es sich, wie noch aufgezeigt wird, beim Hooliga­ nismus ebenfalls um ein Feld handelt, ist eine auf das Erkenntnisinteresse der Arbeit gerichtete Darstellung der Konzepte Bourdieus notwendig.

172 173 174 175 176 177 178

179 180

Bourdieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 127. Bourdieu, Die Praxis der reflexiven Anthropologie, S. 262. Neumann, Teilnehmende Objektivierung unter Anwesenden, S. 59. Bourdieu, Sozialer Raum und „Klassen“, S. 32. Bourdieu, Das politische Feld, S. 49; Bourdieu, Sozialer Raum und „Klassen“, S. 74; Hillebrandt, Praktiken des Tauschens, S. 46; Hillebrandt, Soziologische Pra­ xistheorien, S. 97; Rehbein/Saalmann, Feld, S. 100. Bourdieu, Das politische Feld, S. 49; Bourdieu, Sozialer Raum und „Klassen“, S. 74. Habitus (lat.) ist , habere (lat.) . „Habitus“ hat eine breite soziologische und philosophische Tradition. Aber erst Bourdieu verwende­ te „Habitus“ als soziologisches Interpretationskonstrukt und Analysekonzept. Habitus ist mit dem Konzept der sozialen Rolle vergleichbar, die auch das soziale Handeln der Subjekte erklären und prognostizieren kann. Allerdings gilt die Rolle als gesellschaftliche Zumutung, als ein von außen an das Subjekt herangetragenes Bündel von Verhaltensregeln und -erwartungen, vgl. Engler, Habitus und sozialer Raum, S. 249; Krais, Geschlechterverhältnis und symboli­ sche Gewalt, S. 216; Rehbein, Die Soziologie Pierre Bourdieus, S. 88; Schwingel, Pierre Bourdieu, S. 60. Rehbein/Saalmann, Feld, S. 100. Bourdieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 131; s.a. Rehbein/Saal­ mann, Feld, S. 101.

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B. Theoretische Grundlegungen

a) Kapitalarten Die Konstruktionsprinzipien des sozialen Raumes bilden nach Bourdieu die verschiedenen Arten von Kapital181 oder Macht.182 In den verschiede­ nen sozialen Feldern wird um unterschiedliche Kapitalien gekämpft. Jedes Feld samt Unterfelder besitzt zwar je eine Eigenlogik,183 aber sie funktio­ nieren homolog, denn es geht immer um Kapital.184 Bourdieu geht von einer ungleichen Verteilung dreier, unterschiedlich auftretenden und untereinander transformierbaren Kapitalarten aus.185 „Ökonomisches Kapital“ ist unmittelbar und direkt in Geld konvertierbar sowie durch Eigentumsrechte institutionalisiert.186 „Kulturelles Kapital“ existiert in drei Subformen187 und ist unter bestimmten Bedingungen in ökonomisches Kapital konvertierbar. „Soziales Kapital“ ist die „Gesamtheit der aktuellen und potentiellen Ressourcen, die mit dem Besitz eines dau­ erhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens oder Anerkennens verbunden sind“.188 Diese Res­ sourcen beruhen „auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe“,189 worunter die objektive Zugehörigkeit im Sinne obiger Ausführungen190 zu verste­ hen ist. Der Umfang des sozialen Kapitals hängt von der Ausdehnung des

181 Bourdieu leitet seinen Kapitalbegriff zwar von Marx ab, allerdings entfernt er sich von dessen Klassentheorie, da er das ökonomische Kapital nicht mehr als einzig signifikante Determinante der Lebenslage bestimmt, Hillebrandt, Praxis­ theorie, S. 382 in Fn. 6; Hillebrandt, Soziologische Praxistheorien, S. 99. 182 Bourdieu, Sozialer Raum und „Klassen“, S. 10 f. 183 Bourdieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 135. 184 Proißl, Adorno und Bourdieu, S. 189. 185 Kapital ist akkumulierte Arbeit. Als vis invista ist Kapital eine Kraft, die den objektiven und subjektiven Strukturen innewohnt. Als lex insita ist Kapital grundlegendes Prinzip der inneren Regelmäßigkeiten der sozialen Welt; Bour­ dieu, Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, S. 183 ff. 186 Bourdieu, Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, S. 185. 187 Das inkorporierte, körpergebundene Kulturkapital setzt einen zeitkostenden Verinnerlichungsprozess voraus (z.B. Bildung). Das objektivierte Kulturkapital ist materielles, symbolisch aktives Kapital (z.B. Bücher), für dessen Genuss, neben ökonomischem Kapital für die Beschaffung, inkorporiertes Kapital not­ wendig ist. Institutionalisiertes Kulturkapital (z.B. Zeugnisse) verleiht offiziell anerkannte Kompetenz; vgl. Bourdieu, Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapi­ tal, soziales Kapital, S. 185 ff. 188 Bourdieu, Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, S. 190. 189 Bourdieu, Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, S. 190 f. 190 Vgl. B. III. 3.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

Beziehungsnetzes und vom Umfang der drei Kapitalsorten ab, über die diejenigen innerhalb des Netzes verfügen.191 Eine besondere Rolle nimmt das „symbolische Kapital“ ein. Es bestehen unterschiedliche Ansichten, ob es sich beim symbolischen Kapital um eine eigenständige, vierte Kapitalart oder, nach vorzugswürdiger Ansicht, um eine wahrgenommene Form der anderen drei Kapitalien als überge­ ordnete oder überlagernde Kapitalart handelt.192 Das symbolische Kapital ist die Anerkennung, das Prestige oder Renommee einer Person, das als wahrgenommene und als legitim anerkannte Form der drei Kapitalarten (ökonomisches, kulturelles, soziales Kapital) gesehen wird. Symbolisches Kapital „[ist] Kredit und dies im weitesten Sinne des Worts, d.h. eine Art Vorschuß, Diskont, Akkreditiv, allein vom Glauben der Gruppe jenen eingeräumt, die die meisten materiellen und symbolischen Garantien bie­ ten.“193 Die „Zurschaustellung des symbolischen Kapitals [ist] einer der Mechanismen, die […] dafür sorgen, dass Kapital zu Kapital kommt“.194 Das symbolische Kapital ist ein Kapital „mit kognitiver Basis, es beruht auf Erkennen und Anerkennen“.195 Bourdieu definiert das symbolische Kapital deshalb als „eine beliebige Eigenschaft […], wenn sie von sozia­ len Akteuren wahrgenommen wird, deren Wahrnehmungskategorien so beschaffen sind, dass sie zu erkennen (wahrzunehmen) und anzuerkennen, ihr Wert beizulegen, imstande sind.“196 Das symbolische Kapital sichert Herrschaftsformen, denn es „[schließt] die Abhängigkeit von denen [ein], die es zu beherrschen erlaubt“.197 Das symbolische Kapital verleiht den drei Kapitalarten (ökonomisches, kulturelles, soziales Kapital) gesellschaftliche Legitimität und insofern Macht.198 Symbolisches Kapital entfaltet seine Wirkkraft nur in einem Feld, so dass eine feldspezifische Wertigkeit des symbolischen Kapitals besteht.199 Das symbolische Kapital kann kaum 191 Bourdieu, Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, S. 191. 192 Vgl. Bourdieu, Sozialer Sinn, S. 223; Hillebrandt, Praxistheorie, S. 383; Hille­ brandt, Soziologische Praxistheorien, S. 100; Müller, Sozialstruktur und Lebens­ stile, S. 268. 193 Bourdieu, Sozialer Sinn, S. 218. 194 Bourdieu, Sozialer Sinn, S. 215 ff.; s.a. Bourdieu, Praktische Vernunft, S. 108; Bourdieu, Sozialer Raum und „Klassen“, S. 11. 195 Bourdieu, Praktische Vernunft, S. 151. 196 Bourdieu, Praktische Vernunft, S. 108. 197 Bourdieu, Meditationen, S. 213; s.a. Bourdieu, Praktische Vernunft, S. 151; Bour­ dieu, Rede und Antwort, S. 140; Bourdieu, Sozialer Sinn, S. 215. 198 Hillebrandt, Praxistheorie, S. 383; Hillebrandt, Soziologische Praxistheorien, S. 100. 199 Jurt, Bourdieus Kapital-Theorie, S. 36.

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B. Theoretische Grundlegungen

in andere Felder transformiert werden und es ist nicht objektivierbar, weil es insbesondere „in Form von Kodifizierungen des ‚Unsichtbaren‘ und als soziale (implizite) Definitionsmacht wirkt.“200 b) Sozialer Raum Die Position des Einzelnen im sozialen Raum ist nach Bourdieu definiert durch seine Stellung innerhalb der Verteilungsstruktur der in den einzel­ nen Feldern wirksamen Machtmittel.201 Den Raum bilden die horizon­ tale x-Achse (Kapitalstruktur202), die vertikale y-Achse (Kapitalvolumen) und die z-Achse (soziale Laufbahn203).204 Je nach Kapitalvolumen können die Akteure nach Bourdieu in drei verschiedene, zueinander hierarchisch relationierte Klassen205 eingeteilt werden: die herrschende Klasse (Bour­ geoisie), Mittelklasse (Kleinbürgertum) und beherrschte Klasse (Volksklas­ se).206 Die Funktion des sozialen Raumes ist es, Unterscheidungen und -teilungen vorzunehmen sowie Grenzen zu ziehen. Die Möglichkeit der Begegnung zweier ungleich mit Kapital ausgestatteter Akteure wird so geringer.207 Die Ordnungsfunktion des sozialen Raumes fußt darauf, dass man nicht jeden mit jedem zusammenbringen kann, sondern die grundle­

200 Hillebrandt, Soziologische Praxistheorien, S. 100. 201 Vgl. die graphische Darstellung zum Raum der sozialen Position und den Le­ bensstilen: Bourdieu, Die feinen Unterschiede, S. 212 f. 202 Die Kapitalstruktur ist die qualitative Dimension: Entscheidend ist, wie das Ver­ hältnis der Kapitalarten untereinander ausfällt; Burzan, Soziale Ungleichheit, S. 127; Müller, Sozialstruktur und Lebensstile, S. 297. 203 Bei der sozialen Laufbahn geht es um die Entwicklung des Volumens und der Zusammensetzung des Kapitals in der Zeit. Mit Hilfe der sozialen Laufbahn kann ersehen werden, ob eine Person einen sozialen Auf- oder Abstieg erfahren hat; vgl. Bourdieu, Der Tote packt den Lebenden, S. 107; Bourdieu, Die feinen Unterschiede, S. 196. 204 Bourdieu, Die feinen Unterschiede, S. 195 f.; Bourdieu, Sozialer Raum und „Klas­ sen“, S. 11. 205 „Klasse“ ist ein Ensemble von Akteuren mit ähnlichen Stellungen, Dispositio­ nen und Interessen. Eine Klasse ist nicht durch ein Merkmal oder eine Kette von Merkmalen definiert, sondern „durch die Struktur der Beziehungen zwi­ schen allen relevanten Merkmalen“, Bourdieu, Die feinen Unterschiede, S. 182, s.a. Bourdieu, Sozialer Raum und „Klassen“, S. 12; Hillebrandt, Soziologische Praxistheorien, S. 97. 206 Bourdieu, Die feinen Unterschiede, S. 409, 541 ff., 585; Bourdieu, Sagten Sie „po­ pulär“?, S. 74. 207 Vgl. Schroer, Leviathan 2006, 105, 109.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

genden ökonomischen und kulturellen Unterschiede zu beachten sind.208 Der soziale Raum der Positionen erfährt zudem eine Ausdifferenzierung durch die horizontal zueinander relationierten sozialen Felder.209 c) Lebensbedingungen und Habitus Wächst eine Person in einer der drei Klassen und den jeweiligen Lebensbe­ dingungen auf, geht zumindest mit hoher statistischer Wahrscheinlichkeit eine weitgehend unbewusste klassenspezifische Habitusform einher („Klas­ senhabitus“).210 Habitus ist ein analytischer Begriff. Bourdieu beschreibt den Habitus als „Systeme dauerhafter Dispositionen, strukturierte Struk­ turen, die geeignet sind, als strukturierende Strukturen zu wirken, mit anderen Worten: als Erzeugungs- und Strukturierungsprinzip von Praxis­ formen und Repräsentationen, die objektiv ‚geregelt‘ und ‚regelmäßig‘ sein können, ohne im Geringsten das Resultat einer gehorsamen Erfüllung von Regeln zu sein; die objektiv ihrem Zweck angepasst sein können, ohne das bewusste Anvisieren der Ziele und Zwecke und die explizite Beherrschung der zu ihrem Erreichen notwendigen Operationen voraus­ zusetzen, und die, dies alles gesetzt, kollektiv abgestimmt sein können, ohne das Werk der planenden Tätigkeit eines ‚Dirigenten‘ zu sein.“211 Der Habitus funktioniert nach Bourdieu wie eine allgemeine Handlungs-, Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Denkmatrix. Er ist die (prä-)reflexive allgemeine Grundhaltung oder vorbewusste Routine einer Person, die sie so sehr internalisiert hat, dass sie ihr selbst als natürlich erscheint.212 Der Habitus ist die Vermittlungsinstanz zwischen dem Handeln bzw. der Pra­ xis und der Struktur.213 Verständnis, Reichweite und die unterschiedlichen Dimensionen des Habitus sind für die später noch zu explizierende männ­

208 Bourdieu, Sozialer Raum und „Klassen“, S. 14. 209 Bourdieu, Rede und Antwort, S. 142, 154; Hillebrandt, Soziologische Praxistheo­ rien, S. 97. 210 Bourdieu, Die feinen Unterschiede, S. 585; vgl. auch Hradil, Soziale Ungleichheit in Deutschland, S. 90. 211 Bourdieu, Entwurf einer Theorie der Praxis, S. 164 f. 212 Bourdieu, Entwurf einer Theorie der Praxis, S. 165, 169; Bourdieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 153; s.a. von Essen, Soziale Ungleichheit, Bildung und Habitus, S. 34. 213 Bourdieu, Zur Soziologie der symbolischen Formen, S. 125 ff.; Wissing, Intellek­ tuelle Grenzgänge, S. 87 f.

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liche Herrschaft i.S. Bourdieus214 und für die Beantwortung der empirisch offenen Fragen wesentlich. Bourdieu zufolge ist der Habitus „gleichzeitig ein System von Schemata der Produktion von Praktiken und ein System von Schemata der Wahr­ nehmung und Bewertung der Praktiken“.215 Der Habitus ist eine struktu­ rierte und zugleich strukturierende Struktur, die die Art und Weise der Ausführung von Praktiken bestimmt, aber weniger die Praxisinhalte.216 Der Habitus ist ein modus operandi, also eine Handlungsweise, und er pro­ duziert Praxisformen, Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Denkschemata, die als fertige Produkte oder Werk (opus operatum) vorliegen und empi­ risch analysiert werden können.217 Der Habitus ist „die Quelle allen menschlichen Tuns“.218 Menschen begegnen sich im Vollzug der Praxis nicht voraussetzungslos, sondern sie tragen „ihre Geschichte und Gesellschaft im wahrsten Sinne des Wortes stets mit sich herum“,219 weil Geschichte und Gesellschaft in ihren Kör­ pern eingeschrieben sind. Mit dem Habitus wird diese inkorporierte Sozia­ lität erfasst.220 Der Habitus ist somit die „Leib gewordene Geschichte“.221 Komplementär dazu ist das Feld die „Ding gewordene Geschichte“.222 Der „Habitus wird durch die Felder strukturiert, und die von ihm erzeugten Praktiken strukturieren wiederum die soziale Umgebung.“223 Der Habitus bildet Hillebrandt zufolge „die mentalen Verkörperungen der Sozialität [und] die emotionalen […] Komplexe der inkorporierten Sozialität [ab]“,224 die wiederum „konstitutiv für die Aktualisierung und Erzeugung von Praktiken“225 sind.226 Der „Habitus ist nicht auf das Be­

214 Vgl. für diese Charakterisierung schon Bourdieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 208. 215 Bourdieu, Rede und Antwort, S. 144. 216 Vgl. Schwingel, Pierre Bourdieu, S. 71. 217 Bourdieu, Die feinen Unterschiede, S. 281; Bourdieu, Entwurf einer Theorie der Praxis, S. 179; vgl. auch Barlösius, Pierre Bourdieu, S. 57. 218 Hillebrandt, Soziologische Praxistheorien, S. 69. 219 Fröhlich, Kapital, Habitus, Feld, Symbol, S. 34. 220 Hillebrandt, Soziologische Praxistheorien, S. 66. 221 Bourdieu, Sozialer Raum und „Klassen“, S. 69. 222 Bourdieu, Sozialer Raum und „Klassen“, S. 69. 223 Trebbin, Zur Komplementarität des Denkens, S. 92. 224 Hillebrandt, Soziologische Praxistheorien, S. 66. 225 Hillebrandt, Soziologische Praxistheorien, S. 66. 226 Hillebrandt, Praxistheorie, S. 377.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

wusstsein oder die Vernunft“227 beschränkt und er ist auch „nicht als psy­ chisches System gefasst.“228 Die aktive Komponente der Praxis ist „auf die komplexen Strukturen des Habitus als inkorporierte Sozialität“229 zurück­ zuführen. Der Habitus hat „die sozial geschaffene Fähigkeit, die soziale Wirklichkeit zu schaffen [, die] eines sozial geschaffenen Körpers, der sozi­ al geschaffene und […] erworbene Gestaltungsprinzipien in der Praxis um­ setzt“.230 aa) Klassenhabitus und individueller Habitus Je nach dem in welcher Klasse eine Person aufwächst oder sich befindet, bildet sich oder erwirbt sie einen entsprechenden Habitus.231 Der inner­ halb der Familie erfolgende Erwerb des primären Habitus ist kein me­ chanischer Prozess i.S. eines Eintrichterns.232 Während des dynamischen Prozesses der Sozialisation geschieht der Prozess der Genese des Habitus als Einschreibung einer hexis (z.B. Körperbeschaffenheit, -haltung, -form, -ausdruck) in die Körper.233 Denn nicht die Psyche, sondern der sie beher­ bergende Körper ist „der Ort, an dem sich der Habitus manifestiert“.234 Der Erwerb des Habitus geschieht in der und durch die Teilnahme an der Praxis.235 Der individuelle Habitus kann als eine Variante des Klassenhabi­

227 Hillebrandt, Soziologische Praxistheorien, S. 66; s.a. Hillebrandt, Praxistheorie, S. 377. 228 Hillebrandt, Soziologische Praxistheorien, S. 66; s.a. Hillebrandt, Praxistheorie, S. 377. 229 Hillebrandt, Soziologische Praxistheorien, S. 66; s.a. Hillebrandt, Praxistheorie, S. 377. 230 Bourdieu, Meditationen, S. 175. 231 Klasse ist charakterisiert durch identische oder ähnliche Existenzbedingungen und Konditionierungen. Sie ist gleichzeitig eine Klasse von Individuen mit demselben Habitus, denn alle hätten dieselben Konditionierungen durchge­ macht. Zwar hätten nicht alle Mitglieder der Klasse genau dieselben Erfahrun­ gen in derselben Reihenfolge gemacht, trotzdem ist die Wahrscheinlichkeit hoch, mit den für seine Klasse häufigsten Situationen konfrontiert worden zu sein; Bourdieu, Sozialer Sinn, S. 111 f. 232 Bourdieu, Meditationen, S. 210. 233 Hillebrandt, Praxistheorie, S. 378; Hillebrandt, Soziologische Praxistheorien, S. 68 f. 234 Hillebrandt, Soziologische Praxistheorien, S. 67. 235 Hillebrandt, Praxistheorie, S. 378 f.; Liebau, Habitus, Lebenslage und Geschlecht, S. 139.

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B. Theoretische Grundlegungen

tus verstanden werden, denn ersterer spiegelt letzteren wider.236 Der Klas­ senhabitus, also der individuelle Habitus soweit er Ausdruck und Wider­ spiegelung der Klasse ist, ist ein „subjektives, aber nichtindividuelles Sys­ tem verinnerlichter Strukturen, gemeinsamer Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata, welche Vorbedingungen für jede Objektivierung und Wahrnehmung sind“.237 Sie begründen nach Bourdieu „objektive Abstim­ mungen der Praktiken und die Einheitlichkeit der Weltanschauung“.238 Die Besonderheiten der sozialen Lebensläufe bilden die Grundlage für die Unterschiede zwischen den individuellen Formen des Habitus.239 bb) Wesentliche Dimensionen des Analysewerkzeuges Habitus Der zentrale Bestandteil des Habitus ist der Geschmack.240 Der Geschmack dient Personen dazu, Handlungsalternativen zu beurteilen, auszuwählen und Handlungsziele zu bestimmen und ist ein Indikator für deren soziale Position und Laufbahn. Da der Geschmack sich an dem der primären Sozialisation orientiert,241 lässt sich an ihm die Stellung der Familie und des Individuums im sozialen Raum erkennen.242 Dies sind die Lebensstile, die als Praxis bezeichnet werden. Der Habitus ist, wie sich v.a. am Beispiel des Habitus der unteren Klasse i.S. Bourdieus erkennen lässt, eine „aus der Not geborene Tugend“243 und „die zur zweiten Natur gewordene, in motorische Schemata und körperliche Automatismen verwandelte gesell­

236 237 238 239 240

Bourdieu, Sozialer Sinn, S. 112 f. Bourdieu, Sozialer Sinn, S. 112. Bourdieu, Sozialer Sinn, S. 112. Bourdieu, Sozialer Sinn, S. 112 f. „Geschmack“ ist nichts Individuelles, sondern etwas von der Gesellschaft Ge­ prägtes. Geschmack ist nicht auf die Fähigkeit des Schmeckens von Speisen beschränkt. Er erstreckt sich z.B. auf die Kleidung, die Art der Freizeitgestaltung oder den Musikgeschmack; Bourdieu, Die feinen Unterschiede, S. 302 f., 442 ff. 241 Rehbein, Die Soziologie Pierre Bourdieus, S. 162; Stein, Lebensstile im Kontext von Mobilitätsprozessen, S. 164. 242 Der der herrschenden Klasse zuzuordnende „legitime Geschmack“ zeichnet sich durch den Sinn für Distinktion aus. Den „prätentiösen Geschmack“ der Mittel­ klasse kennzeichnet das Nacheifern des „legitimen Geschmacks“. Der „populäre Geschmack“ der Volksklasse orientiert sich am Praktischen, vgl. Bourdieu, Die feinen Unterschiede, S. 414, 460, 594, 585. 243 Bourdieu, Die feinen Unterschiede, S. 585: Den Personen der „Volksklasse“ fehlt es Bourdieu zufolge am Notwendigsten, woraus dann der Not-Geschmack ent­ steht.

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schaftliche Notwendigkeit“.244 Zudem hat der Habitus einen kollektiven Charakter, der schon vor subjektiven Erfahrungen existiert und unabhän­ gig von Absichten, Ideen und Überzeugungen wirkt.245 Da der Habitus als Anerkennung der bestehenden Verhältnisse zu verstehen ist und ihm der Wunsch immanent ist, jene aufrecht zu erhalten, tendiert er zur Repro­ duktion.246 Mit dem Habitus ist die inkorporierte Sozialität erfasst, was die zentrale Bedeutung des Körpers in den Konzepten Bourdieus unterstreicht. Der hier wesentliche Begriff ist der der hexis, worunter Bourdieu „die realisierte, einverleibte, zur dauerhaften Disposition, zur stabilen Art und Weise der Körperhaltung, des Redens, Gehens [Hervorh. i. Orig., Anm. d. Verf.]“247 versteht. Das eben Beschriebene ist mit den fünf Sinnen (auditiv, olfakto­ risch, gustatorisch, visuell und taktil) wahrnehmbar. Die Intentionen des Handelns sind als Dispositionen gefasst, die sich im Vollzug der Praxis in die Körper einschreiben.248 Körper sind sozial kon­ struiert, sozial konnotiert und nichts naturgegebenes.249 Körper werden inszeniert durch z.B. Bekleidungen, Gestik, Mimik und sonstigen Bewe­ gungen wie singen, schlagen, wie bei körperlichen Auseinandersetzungen der Hooligans, oder unter Umständen das Trainieren der Körper, um in den körperlichen Auseinandersetzungen bestehen zu können.250 Körper tragen somit die distinktiven Merkmale, die in den Konzepten Bourdieus von besonderer Relevanz sind. Die menschlichen Körper sind wesentlicher Bestandteil des Vollzugs der Praxis, „Teil der Materialität aller Praxis“251 und Voraussetzung dafür, dass sich Praktiken ereignen, zum Teil auch mit der ihnen innewohnenden besonderen Dynamik. Das praktische Handeln basiert auf einem unbe­ wussten, praktischen Sinn.252 Die Körper bilden „zugleich Produkte und Quellen der Praxis“.253 Die Körper sind die eingesetzten Mittel, um Wissen 244 245 246 247 248 249 250 251 252 253

Bourdieu, Die feinen Unterschiede, S. 585, 739; Bourdieu, Sozialer Sinn, S. 100 f. Ebrecht, Die Kreativität der Praxis, S. 229. So auch Liebau, Habitus, Lebenslage und Geschlecht, S. 141. Bourdieu, Sozialer Sinn, S. 129. Budde, Zeitschrift für Qualitative Forschung 2015, 7, 16; Hillebrandt, Praxistheo­ rie, S. 377; vgl. B. IV. 1. c). Friebertshäuser, Denken, Forschen, Verstehen mit Bourdieu, S. 269. Vgl. z.B. Buschmeyer, Zwischen Vorbild und Verdacht, S. 62; Friebertshäuser, Denken, Forschen, Verstehen mit Bourdieu, S. 269; Hillebrandt, Soziologische Praxistheorien, S. 61. Hillebrandt, Soziologische Praxistheorien, S. 61. Bourdieu, Sozialer Sinn, S. 190. Hillebrandt, Soziologische Praxistheorien, S. 62.

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B. Theoretische Grundlegungen

und Strukturen weiterzugeben. Da das praktische Wissen durch den Habi­ tus inkorporiert ist, kann der Akteur die im jeweiligen Feld vorhandenen, unhinterfragt akzeptierten Regeln erlernen.254 Mit dem den Habitus erwei­ ternden Konzept der hexis ist es möglich, Gesellschaft oder Teile davon in Feldern (wie z.B. den Hooliganismus) und Körper zusammenzudenken und zu analysieren, denn sie prägen sich gegenseitig.255 d) Die Metapher des Spiels Bourdieu verwendet häufig den Begriff des Spiels. Felder nennt er mitun­ ter „Spiel-Räume“.256 Als Beispiele verwendet Bourdieu u.a. Kartenspiele, bei welchen Jetons als Einsätze dienen oder den Fußball.257 Um Missver­ ständnissen vorzubeugen: Bourdieu nutzt „Spiel“ nicht im wörtlichen Sinn, sondern als Konzeptmetapher.258 Beim Spiel gibt es Einsätze („Interessens­ objekte“), die als Produkt der Konkurrenz der Spieler untereinander zu verstehen sind.259 In das Spiel finden Investitionen statt. Jedes Feld erzeugt seine eigene illusio über sich selbst. Die Spieler sind vom Spiel gefangen und glauben, es lohnt sich zu spielen (illusio). Sie spielen gegeneinander, weil sie den praktischen „Glauben (doxa) an das Spiel und den entspre­ chenden Einsatz [Hervorh. i. Orig., Anm. d. Verf.]“260 darin teilen und es unhinterfragt anerkennen. Im „heimlichen Einverständnis [der Spieler, Anm. d. Verf.] ist der Ursprung für ihre Konkurrenz und Konflikte“.261 Man entscheidet sich in den Feldern, dadurch werden sie zu Spielen an

254 Buschmeyer, Zwischen Vorbild und Verdacht, S. 63. 255 Vgl. Buschmeyer, Zwischen Vorbild und Verdacht, S. 63. 256 Bourdieu, Die verborgenen Mechanismen der Macht, S. 38; Bourdieu, Prakti­ sche Vernunft, S. 140 f.; Bourdieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 127 f. 257 Bourdieu, Die verborgenen Mechanismen der Macht, S. 38; Bourdieu, Praktische Vernunft, S. 141; Bourdieu, Sozialer Sinn, S. 122 ff.; Bourdieu/Wacquant, Die Zie­ le der reflexiven Soziologie, S. 135; s.a. Krais/Gebauer, Habitus, S. 62. 258 Krais, Das soziale Feld Wissenschaft und die Geschlechterverhältnisse, S. 39 f.; Krais/Gebauer, Habitus, S. 58; Rehbein, „Sozialer Raum“ und Felder, S. 85; Reh­ bein/Saalmann, Feld, S. 100. 259 Bourdieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 127 f. 260 Bourdieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 128. 261 Bourdieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 128; Bourdieu, Prakti­ sche Vernunft, S. 141 f.; vgl. auch Krais/Gebauer, Habitus, S. 58 f.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

sich und nicht länger Spiele für sich selbst. Der Einsatz darin ist umso bedingungsloser, je weniger das Spiel als solches erkannt wird.262 Ob Individuen von den Spielen in den Feldern ausgeschlossen werden können und wie ein Ausschluss geschieht, ist für die Beantwortung der empirisch offenen Fragen von Bedeutung. Viele Individuen befinden sich in einem Spiel-Feld, um „sich von anderen zu unterscheiden, anders zu sein“.263 Die Spieler, die so den Unterschied betonen wollen, weisen oftmals selbst Merkmale auf, aufgrund derer sie „eigentlich gar nicht [dort] sein dürften, mit denen sie von vornherein eliminiert werden müssen“.264 Diese Individuen arbeiten „daran, einen Teil der aktuellen oder potenzielle Teilnehmer aus dem Feld auszuschließen“.265 Als Mittel wählen sie die Erhöhung der Eintrittsgelder oder die Durchsetzung einer bestimmten Zu­ gehörigkeitsdefinition, die sich aus der jeweiligen Logik des Feldes ergibt. Bestimmen lassen sich die Grenzen eines Feldes nur mittels empirischer Untersuchungen,266 was eine der Intentionen der vorliegenden Arbeit be­ zogen auf das Spiel-Feld des Hooliganismus ist. Die Spiel-Metapher kann verdeutlichen, weshalb soziales Handeln nur in geringem Maße als bewusst kalkuliertes, rationales Handeln zu fassen ist. Soziales Handeln ist weitgehend von Spontaneität geprägt und folgt aufgrund des Habitus einer Logik, die die Individuen intuitiv aus ihrer Natur heraus „wissen“; andernfalls kämen sie vor lauter Nachdenken nicht dazu, etwas zu tun oder zu sagen.267 Bourdieu wendet sich folglich gegen die traditionelle mechanistische Vorstellung von einer Gesellschaft, in der, nach anderen Modellen, das soziale Handeln als Befolgen von Regeln ver­ standen wird.268 Die Vermittlung des Intuitiven zwischen dem individuel­ len Handeln und den sozialen Strukturen findet über den Habitus statt. Bourdieu nutzt in Bezug auf den Habitus ebenfalls die Spiel-Metapher, v.a. um seine situativen, unscharfen Momente auszudrücken. Der Habitus ermöglicht es dem Einzelnen im konkreten Moment, „richtig“, also den Spielregeln entsprechend, zu handeln.269 Mit dem Eintritt in ein soziales

262 263 264 265 266 267

Bourdieu, Sozialer Sinn, S. 123. Bourdieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 130. Bourdieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 130. Bourdieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 130. Bourdieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 130 f. Engler, Selbstverständnis und illusio im wissenschaftlichen Feld, S. 132; Krais, Das soziale Feld Wissenschaft und die Geschlechterverhältnisse, S. 39; Krais/Ge­ bauer, Habitus, S. 80. 268 Krais, Soziologie als teilnehmende Objektivierung der sozialen Welt, S. 202. 269 Bourdieu Sozialer Sinn, S. 122.

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B. Theoretische Grundlegungen

Feld und der Teilnahme an den Spielen geht einher, dass diese Aspekte des Habitus dem Individuum „zur zweiten Natur“ werden. So „bleibt uner­ kannt, wie die Logik des Feldes überhaupt funktioniert“.270 Die Metapher des Spiels darf nicht so verstanden werden, es handle sich um unernste, spielerische Bereiche. Der von den Einzelnen hingegebene „Spieleinsatz“ ist ihre soziale Existenz.271 Das Spiel verändert sich mit seinen Akteuren.272 e) Fazit und Stellungnahme unter Berücksichtigung der forschungsleitenden Fragen Bourdieus Konzepte vermögen zu erklären, weshalb sich Ungleichheitsund Herrschaftsverhältnisse stabil reproduzieren, denn die Lebensbedin­ gungen haben sich in den jeweiligen Körpern eingeschrieben und im Habitus manifestiert. Der soziale Wandel steht nicht im Mittelpunkt der Konzepte Bourdieus. Zur Erhellung des hier interessierenden Phänomens des Hooliganismus dienen auch das soziale und symbolische Kapital.273 Trotz Uneinigkeit über den Status des symbolischen Kapitals in den Theo­ rien Bourdieus, sichert das auf Er- und Anerkennen beruhende symbolische Kapital Herrschaftsformen, auch im Hooliganismus, wie die vorliegende Arbeit aufzeigt. Ob der hier in den Blick genommene Hooliganismus überhaupt ein Feld i.S. Bourdieus ist, hängt vom nachgezeichneten Verständnis Bourdieus des sozialen Raums als Feld ab. In und auf dem Feld wird um die Wah­ rung oder Veränderung der Kraft- bzw. Geschlechterverhältnisse gerungen. Auch im Hooliganismus wird hierum, im übertragenen wie im tatsäch­ lichen Wortsinn, gerungen. Die Hooligans investieren unterschiedliche Ressourcen in den Hooliganismus und rivalisieren dort, je nach ihrer Position in dessen Struktur mit unterschiedlichen Mitteln und Zwecken, gegeneinander. Auch symbolische wie tatsächliche Kämpfe finden im Hooliganismus statt und so tragen die Hooligans zum Erhalt oder zur Veränderung seiner Struktur bei. Das Analysewerkzeug des Habitus ist für die vorliegende Arbeit maßgeblich, denn er ist als Vermittlungsinstanz 270 Krais/Gebauer, Habitus, S. 60. 271 Beaufaӱs/Krais, Doing Science – Doing Gender, S. 84 in Fn. 2; Krais, Das soziale Feld Wissenschaft und die Geschlechterverhältnisse, S. 40; Krais/Gebauer, Habi­ tus, S. 58. 272 Krais, Das soziale Feld Wissenschaft und die Geschlechterverhältnisse, S. 40; Krais/Gebauer, Habitus, S. 59. 273 Vgl. B. IV. 1. a).

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

zwischen dem Handeln bzw. der Praxis und der Struktur konzipiert. Bour­ dieu nutzt die Spiel-Metapher für Felder, den Fußball als Beispiel und auch der Hooliganismus trägt sich dort zu. Mit dem Eintritt in ein soziales Feld und mit der Teilnahme an den dort stattfindenden Spielen werden diese Aspekte des Habitus zur zweiten Natur. Wie noch aufzuzeigen sein wird, wird der feldspezifische, im Hooliganismus erkennbare Habitus den Teil­ nehmenden ebenfalls zur zweiten Natur. Da die vorliegende Arbeit zur Aufhellung der Grenzen und der Logik des Feldes beitragen möchte, spricht dies dafür, auch hier die Spiel-Metapher zu verwenden. 2. Die Funktionsweise der männlichen Herrschaft Die Vorstellung der Funktionsweise der männlichen Herrschaft erfolgt, da die Argumentation Bourdieus hierzu sehr voraussetzungsvoll ist, unter Rückgriff auf die bereits ausgeführten Konzepte Bourdieus. Das Geschlech­ terverhältnis, das ebenfalls ein Herrschaftsverhältnis ist,274 bildet für Bour­ dieu bereits in seinen Studien zur kabylischen275 und agrarischen, französi­ schen Gesellschaft einen wichtigen Forschungsgegenstand, obwohl er es damals noch nicht theoretisch ausformulierte.276 Bourdieu erkannte somit bereits früh die enorme Bedeutung der Kategorie „Geschlecht“ für die Re­ produktion sozialer Strukturen, für die Konstruktion von Klassen und für Herrschaftsverhältnisse.277 Bourdieu konstatiert selbst, die ganze Logik sei­ ner Forschung veranlasste ihn zu dieser Erkenntnis, denn er wunderte sich stets „über das, was man das Paradox der doxa nennen könnte [Hervorh. i. Orig., Anm. d. Verf.]“:278 Den praktischen Glauben und die unhinterfragte Weltsicht, denn die „bestehende Ordnung mit ihren Herrschaftsverhältnissen“279 erhält sich derart mühelos. Der Intention und Ausrichtung der

274 Krais, Geschlechterverhältnis und symbolische Gewalt, S. 231; Krais, Soziologie als teilnehmende Objektivierung der sozialen Welt, S. 187. 275 Die Kabylei liegt im Nordosten Algeriens; die Kabylen sind eine Gruppe von dort lebenden Berbern. Ende der 1950er Jahre begann Bourdieu dort seine Forschung; vgl. Engler, Pierre Bourdieus Beitrag zum Verstehen symbolischer Herrschaft, S. 129; König/Berli, Das Paradox der Doxa, S. 305. 276 So auch Barlösius, Pierre Bourdieu, S. 77. 277 Vgl. Jäger/König/Maihofer, Pierre Bourdieu, S. 17; vgl. auch König/Berli, Das Para­ dox der Doxa, S. 315. 278 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 7. 279 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 7; vgl. auch König/Berli, Das Para­ dox der Doxa, S. 308.

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B. Theoretische Grundlegungen

Praxistheorie Bourdieus entsprechend geht es ihm immer um die Frage, wie Macht- und Herrschaftsstrukturen entstehen und sich reproduzieren,280 weil eben auch der (träge) Habitus nicht auf Wandel, sondern auf Repro­ duktion aus ist. a) Vergeschlechtlichter und vergeschlechtlichender Habitus Nach Jäger et al. hat Geschlecht für die Entstehung und Reproduktion gesellschaftlicher Ordnung in Bourdieus Werken eine konstitutive Bedeu­ tung.281 Bourdieu greift bei seinen Werken zur männlichen Herrschaft auf das Analysewerkzeug des Habitus zurück und zwar in Form des verge­ schlechtlichten und vergeschlechtlichenden Habitus, dessen Grundlagen, wie auch beim klassenspezifischen und individuellen Habitus, in der pri­ mären Sozialisation gelegt werden.282 Er fungiert als gesellschaftlicher Ori­ entierungssinn, denn er „erzeugt gesellschaftlich vergeschlechtlichte Kon­ struktionen der Welt und des Körpers“.283 Das Geschlecht – i.S.v. sex284 – ist nach Bourdieu „eine fundamentale Dimension des Habitus“.285 Jeder Mensch ist an seinen Habitus gebunden, denn er hat nur diesen einen – und nicht mehrere – Habitus, in dem sich die Erfahrungen mit der Welt niederschlagen.286 Bourdieus Konzept der männlichen Herrschaft geht Jäger et al. zufolge von einer „binär-hierarchisch[en] heteronormativ[en] Eintei­ lung der Menschen in zwei entgegengesetzte Geschlechter“287 aus. Mit anderen Worten: Charakteristisch für – und zugleich eines der Einfallstore für die bereits erwähnte Kritik288 an – Bourdieus Konzept der männlichen

280 Hillebrandt, Praktiken des Tauschens, S. 47. 281 Jäger/König/Maihofer, Pierre Bourdieu, S. 15. 282 Krais, Geschlechterverhältnis und symbolische Gewalt, S. 217; Krais/Gebauer, Habitus, S. 49; Liebau, Habitus, Lebenslage und Geschlecht, S. 138 ff.; Meuser, Riskante Praktiken, S. 164. Vgl. B. IV. 1. c). 283 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 167; vgl. auch Meuser, Geschlecht und Männlichkeit, S. 114. 284 Vgl. B. I. 285 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 222. 286 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 222; Bourdieu, Eine sanfte Gewalt, S. 222; s.a. Krais, Geschlechterverhältnis und symbolische Gewalt, S. 217; Krais, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2011, 33, 39; Krais/Gebauer, Habitus, S. 76. 287 Jäger/König/Maihofer, Pierre Bourdieu, S. 20; s.a. Engler, Pierre Bourdieus Beitrag zum Verstehen symbolischer Herrschaft, S. 129; vgl. auch schon B. I., III. 1. 288 Vgl. B. I.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

Herrschaft ist, dass er von nur zwei entgegengesetzten Geschlechtern i.S.v. sex289 ausgeht, die in einer hierarchischen Relation zueinander stehen. Obwohl Bourdieu programmatisch vorgibt, die Wirkungsweise des ver­ geschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Habitus und die Bedingun­ gen seiner Ausbildung herausarbeiten zu wollen,290 geschieht dies in sei­ nen Werken nicht systematisch entfaltend, denn er deutet sie dort nur an.291 Die Zurückhaltung bezüglich der systematischen Entfaltung des vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Habitus könnte in den eigenen Zweifeln Bourdieus fußen, ob es überhaupt möglich ist, in glei­ cher Weise von einem vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Habitus zu sprechen wie von einem Klassenhabitus.292 Eingedenk der Un­ schärfen und eigenen Kritik Bourdieus ist es ein Wagnis, hiermit eigene empirisch offene Fragen beantworten zu wollen. Die Konzepte Bourdieus hinsichtlich des vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Habitus und der männlichen Herrschaft bilden trotz dieser Bedenken die maßgeb­ liche Erklärungsfolie der vorliegenden Studie, sich den Dimensionen des Analysewerkezugs des Habitus, die auf den wesentlichen Dimensionen des Klassenhabitus basieren, bedient, da das hinter dem vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Habitus liegende Analysewerkzeug – der Ha­ bitus – nicht derartiger Kritik ausgesetzt ist. aa) Männlichkeit, Weiblichkeit, homologe Gegensätze Männlichkeit und Weiblichkeit stellen für Bourdieu zwei komplementä­ re und doch antagonistische Prinzipien dar.293 Während des Vollzugs der gesellschaftlichen Abläufe werden männliche und weibliche Körper mit einem je unterschiedlichen Habitus ausgestattet. Männlichkeit und Weiblichkeit wird nicht angeboren, sondern erlernt und in Form einer be­ stimmten Weise zu gehen, zu sprechen, zu stehen oder zu blicken den Kör­

289 290 291 292

Vgl. B. I. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 167. So auch Meuser, Geschlecht und Männlichkeit, S. 114. Instruktiv zu diesem kritischen Befund zum eigenen Konzept: Bourdieu, Eine sanfte Gewalt, S. 224 f. 293 Vgl. schon Bourdieu, Entwurf einer Theorie der Praxis, S. 35; vgl. auch Krais, Geschlechterverhältnis und symbolische Gewalt, S. 218; Krais/Gebauer, Habitus, S. 49.

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B. Theoretische Grundlegungen

pern eingeprägt.294 Männliche Personen werden mit einem männlichen Habitus und weibliche Personen werden mit einem weiblichen Habitus ausgestattet. Insbesondere die Geschlechtsorgane verdichten nach Bourdieu den Unterschied der Geschlechter, da sie „prädestiniert sind, ihn zu sym­ bolisieren“.295 Körper werden „gemäß den praktischen Schemata des Ha­ bitus wahrgenommen und konstruiert“.296 Damit unterstreicht Bourdieu, wie bedeutsam der Körper als Dimension des vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Habitus ist.297 Bourdieu zufolge scheint jede Einteilung in Geschlechter „‚in der Natur der Dinge‘ zu liegen: Sie ist gleichermaßen – in objektiviertem Zustand – in den Dingen (z.B. im Haus, dessen Teile allesamt ‚geschlechtlich bestimmt‘ sind), in der ganzen sozialen Welt und – in inkorporiertem Zustand – in den Körpern, in den Habitus der Akteure präsent, die als sys­ tematische Schemata der Wahrnehmung, des Denkens und des Handelns fungieren“.298 Diese Praktiken stecken in der Einteilung der sozialen Welt und in der für die Einteilung zwischen „den Geschlechtern instituierten sozialen Herrschaft- und Ausbeutungsverhältnissen.“299 Überdies stecken diese Praktiken in den Körpern und Köpfen der Menschen.300 Deshalb wird die Unterscheidung jeglicher Gegenstände und Praktiken „auf den Gegensatz von männlich und weiblich zugeführt“.301 Diese willkürliche Einteilung erlangt ihre Notwendigkeit durch die Eingliederung in ein System homologer Gegensätze,302 die auch für die Beantwortung der forschungsleitenden Fragestellungen von besonderer Bedeutung sind.303 Dinge und Tätigkeiten reihen sich in ein System ho­ mologer Gegensätze. Weiblichen Personen ist hierbei die Seite des Drin­ nen, Gekrümmten, Feuchten und das Kontinuierliche zugewiesen. Zudem ist ihnen alles Innerhäusige zugewiesen, worunter die privaten, mitunter 294 Bourdieu, Meditationen, S. 181; vgl. auch Krais, Geschlechterverhältnis und sym­ bolische Gewalt, S. 211; Krais, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2011, 33, 39; Trebbin, Zur Komplementarität des Denkens, S. 267. 295 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 174. 296 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 174. 297 Vgl. B. IV. 1. c) bb). 298 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 19 f.; s.a. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 159. 299 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 160. 300 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 160 f. 301 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 161. 302 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 161; Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 18. 303 Vgl. D.; E.

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im Verborgenen stattfindenden Tätigkeiten fallen (z.B. Kindererziehung). Die weiblichen Personen zugewiesenen Tätigkeiten eint, schmutzig, mo­ noton, mühselig und niedrig zu sein.304 Männlichen Personen ist bei der Einteilung der Dinge und Tätigkeiten die Seite des Draußen, Of­ fiziellen und Öffentlichen zugewiesen. Die ihnen zugeschriebene Seite qualifiziert Bourdieu als aufrecht, trocken, hoch und diskontinuierlich. Männliche Personen beanspruchen nach Bourdieu alle kurz andauernden, spektakulären und gefährlichen, das gewöhnliche Leben unterbrechende Tätigkeiten für sich (z.B. Schlachten von Tieren, Töten).305 Die homolo­ gen Gegensätze sind somit „hoch/tief, oben/unten, vorne/hinten, rechts/ links, gerade/krumm […], trocken/feucht, hart/weich, scharf/fade, hell/ dunkel“,306 „draußen (öffentlich)/drinnen (privat)“.307 Gleichwohl ist ein­ zuräumen, dass Bourdieus grundsätzliche Einteilung der Dinge und Tätig­ keiten und zugeschriebenen Eigenschaften Widersprüche aufweisen. So kann beispielsweise das von Bourdieu angeführte Schlachten der Tiere, das Töten oder auch das Arbeiten in Berufsfeldern, die typischerweise männlich konnotiert sind, wie z.B. die Baubranche oder Müllentsorgung, durchaus z.B. weder „trocken“ noch „sauber“ sein oder auch nicht „drau­ ßen (öffentlich)“ stattfinden. Die auf alles anwendbaren Schemata der homologen Gegensätze schei­ nen stets die in der Natur der Dinge liegenden Unterschiede zu registrie­ ren, was mithin für den Unterschied zwischen den Geschlechtern gilt.308 Die symbolische Ordnung umfasst uneingeschränkt alles.309 Die homolo­ gen Gegensätze werden fortwährend bestätigt und führen zu zwei Syste­ men naturalisierter sozialer Unterschiede. Sie sind in die körperliche hexis (z.B. durch bestimmte Körperhaltungen, Gesten) und in die Köpfe einge­ schrieben.310 Der Unterschied der beiden Geschlechter erscheint folglich nach Bourdieu als natürliche Rechtfertigung und zwar hinsichtlich des ge­ sellschaftlich konstruierten Unterschieds zwischen den Geschlechtern und als natürliche Rechtfertigung der geschlechtlichen Arbeitsteilung.311 Die Arbeitsteilung erscheint den Menschen, in der von Bourdieu untersuchten kabylischen und in unserer Gesellschaft, gleich einer etablierten Ordnung 304 305 306 307 308 309 310 311

Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 161. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 161. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 161. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 18. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 161. Jäger/König/Maihofer, Pierre Bourdieu, S. 25. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 162. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 23.

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B. Theoretische Grundlegungen

als selbstverständlich und natürlich.312 Für Bourdieu war der Umweg über die fremdartige Tradition wie in der kabylischen Gesellschaft unvermeid­ lich, um jenes Verhältnis der „trügerische[n] Vertrautheit aufzubrechen, das uns mit unserer eigenen Tradition“313 verbindet. Das als weiblich Zugeordnete erscheint passiv, nachrangig und unter­ geordnet und das als männlich Zugeordnete aktiv, vorrangig, als der wesentliche Maßstab für das Menschliche und dessen Existenzform.314 Attribute wie Gewaltbereitschaft, Mut und Selbstbewusstsein werden von männlichen Personen bei der Konstruktion von Männlichkeit gefordert.315 Männlich konnotiert sind die Dispositionen, Macht- und Gewaltspiele zu lieben (libido dominandi) und entsprechende Denkweisen, Gefühle und Praxen zu entwickeln. Weiblich konnotiert ist, sich unterzuordnen und die die Herrschaft Ausübenden zu begehren (libido dominantis).316 Zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit besteht eine hierarchische Relation. Männliche Personen sind die Herrschenden und weibliche Per­ sonen die Beherrschten.317 Bourdieu zufolge ist Männlichkeit ein „relatio­ naler Begriff, der vor und für die anderen Männer und gegen die Weiblich­ keit konstruiert ist, aus einer Art Angst vor dem Weiblichen, und zwar in erster Linie in einem selbst“.318 Besonders deutlich wird dies aus der (rhetorischen) Frage Bourdieus „Was ist die Männlichkeit letzten Endes anderes als Nichtweiblichkeit?“319 Dies gilt für die kabylische und alle bekannten, also auch für unsere Gesellschaft,320 die Felder innerhalb der eigenen Gesellschaft und somit auch für den Hooliganismus. 312 Engler, Pierre Bourdieus Beitrag zum Verstehen symbolischer Herrschaft, S. 129; Krais, Geschlechterverhältnis und symbolische Gewalt, S. 215. 313 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 11. 314 Bourdieu, Entwurf einer Theorie der Praxis, S. 35; Bourdieu, Die männliche Herr­ schaft (2016), S. 41; s.a. Krais, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2011, 33, 38. 315 Terlinden, Symbolische Herrschaft und Geschlechterkulturen, S. 202. 316 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 141; s.a. Krais, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2011, 33, 44. Bourdieu übernahm libido aus der Psy­ choanalyse, verbindet damit aber kein triebtheoretisches Verständnis des männ­ lichen Habitus, sondern sieht die libido dominandi als Resultat der männlichen Sozialisation, Meuser, Riskante Praktiken, S. 168; Meuser, Geschlecht und Männ­ lichkeit, S. 123 in Fn. 129. 317 Jäger/König/Maihofer, Pierre Bourdieu, S. 25 f. 318 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 96. 319 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 111. 320 Bourdieu, Feministische Studien 1997, 88, 91; vgl. auch Engler, Habitus und sozialer Raum, S. 251; Jäger/König/Maihofer, Pierre Bourdieu, S. 24; Krais, Öster­ reichische Zeitschrift für Soziologie 2011, 33, 38.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

bb) Herausbildung und Konstruktion des vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Habitus Die Klassifikation in männlich und weiblich ist in den Habitus eines jeden Menschen „als vergeschlechtlichte Sicht auf die Welt“321 eingeschrieben. Im vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Habitus werden zwei Dinge ausgedrückt: eine „Strategie der Differenz und eine Position im Gefüge der Geschlechterordnung.“322 Dabei wirkt der Habitus als modus operandi (Handlungsweise) vergeschlechtlichend, da er „den Akteuren […] vorschreibt, wie sie sein sollten, damit sie eindeutig zuzuordnen sind.“323 Als opus operatum (Werk) wirkt der Habitus vergeschlechtlicht, indem er das Ergebnis einer inkorporierten individuellen wie kollektiven Geschich­ te ist324 und „er ein Ordnungsschema (nämlich ‚männlich‘/,weiblich‘) anbietet, das verschiedene Habitus nach den Geschlechtern klassifizieren kann, also zur Ordnung des eigenen Denkens beiträgt.“325 Die Wirkungs­ weise der männlichen Herrschaft kann ohne das analytische Werkzeug des Habitus nicht verstanden werden, denn die Geschlechtsklassifikation prägt den Habitus eines jeden Menschen. Zudem ist die Herausbildung des vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Habitus „ein zentraler Mechanismus der Reproduktion männlicher Herrschaft.“326 Der Habitus zwingt dem Handeln stets die Anwendung der homologen Gegensätze auf, unabhängig davon, ob es nun sprachliche oder praktische Äußerungen sind.327 Die Formulierung vergeschlechtlichter und vergeschlechtlichender Habitus328 zeigt auf, dass er als Ergebnis von sozialen Praxen und Gegeben­ heiten selbst strukturiert ist durch eben diese sozialen Praxen und Gege­ benheiten. Ebenso wirkt der Habitus durch das Handeln auf die sozialen Strukturen ein; sie werden so wieder reproduziert. Die Grundlage des männlichen Habitus bildet nach Bourdieu die libido dominandi,329 denn sie strukturiert das Handeln der männlichen Personen sowohl gegenüber anderen männlichen als auch gegenüber weiblichen

321 322 323 324 325 326 327

Krais, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2011, 33, 38. Meuser, Geschlecht und Männlichkeit, S. 121. Buschmeyer, Zwischen Vorbild und Verdacht, S. 64. Dölling, Männliche Herrschaft, S. 173. Buschmeyer, Zwischen Vorbild und Verdacht, S. 64. Jäger/König/Maihofer, Pierre Bourdieu, S. 25. Vgl. B. IV. 2. a) aa); s.a. Krais/Gebauer, Habitus, S. 49; Krais, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2011, 33, 38. 328 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 167. 329 Vgl. B. IV. 2. a) aa).

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B. Theoretische Grundlegungen

Personen.330 Bourdieu zufolge ist es „die Größe und das Elend des Mannes […], dass seine libido gesellschaftlich als libido dominandi konstruiert ist, als Wunsch, die anderen Männer zu dominieren und sekundär, als Instru­ ment des symbolischen Kampfes, die Frauen [Hervorh. i. Orig., Anm. d. Verf.].“331 Die libido dominandi ist das Ergebnis der männlichen Sozialisa­ tion,332 denn sie werden dazu erzogen, „die gesellschaftlichen Spiele anzu­ erkennen, deren Einsatz irgendeine Form von Herrschaft ist.“333 Männer werden früh durch spezielle Einsetzungsriten zu Herrschenden bestimmt und mit der libido dominandi ausgestattet.334 Weibliche Personen haben demgegenüber „das gänzlich negative Privileg, von den Spielen, bei denen um die Privilegien gestritten wird, nicht getäuscht zu werden und den Großteil der Zeit zumindest nicht unmittelbar, in eigener Person, in sie involviert zu sein [Hervorh. i. Orig., Anm. d. Verf.].“335 Weibliche Personen sind imstande, die Spiele der Männer zu durchschauen. Solange weibliche Personen nicht in die Spiele hineingezogen werden, ist es ihnen möglich, mit „amüsierter Nachsicht die verzweifelten Anstrengungen des »Kind-Mannes«, den Mann zu spielen, […] zu betrachten.“336 Frauen neh­ men zu den für die Männer noch so ernsten Spielen einen Standpunkt eines distanzierten Betrachters ein. Dies führt zu einer Zuschreibung der männlichen an weibliche Personen, unfähig zu sein, sich für die „ernsten Spiele“ zu interessieren. Die Distanz weiblicher Personen ist jedoch ein Herrschaftseffekt, weshalb sie fast immer verurteilt sind, an dem Spiel als Teilnehmer mit emotionaler Verbundenheit zu den die ernsten Spiele Spielenden teilzunehmen. Es handelt sich um eine bedingungslose Teil­ nahme, die weibliche Personen hinsichtlich des tatsächlichen Spiels und der Einsätze darin als wenig vertraute Anhänger dessen erscheinen lässt.337 Der männliche Habitus wird Bourdieu zufolge „konstruiert und voll­ endet […] nur in Verbindung mit dem den Männern vorbehaltenen Raum, in dem sich, unter Männern, die ernsten Spiele des Wettbewerbs ab­ spielen. Handle es sich um die Spiele der Ehre, deren Grenzfall der Krieg ist, oder um Spiele, die in den differenzierten Gesellschaften der libido dominandi in all ihren Formen, der ökonomischen, politischen, religiösen, 330 331 332 333 334 335 336 337

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Meuser, Hegemoniale Männlichkeit, S. 163. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 215. Meuser, Hegemoniale Männlichkeit, S. 172 in Fn. 6. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 133. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 133. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 133 f. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 134. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 134.

IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

künstlerischen, wissenschaftlichen usf., mögliche Handlungsfelder eröffnen [Hervorh. i. Orig., Anm. der Verf.]“.338 Rechtlich oder faktisch ausge­ schlossen von diesen Spielen sind weibliche Personen, die auf die Rolle der Zuschauerinnen oder der „schmeichelnden Spiegel“ verwiesen sind, „die dem Mann das vergrößerte Bild seiner selbst zurückwerfen, dem er sich angleichen soll und will“.339 Nach Bourdieu „führt die weibliche Unterwer­ fung zu einer unersetzlichen Form von Anerkennung. Eine Anerkennung, die denjenigen, der ihr Gegenstand ist, in seiner Existenz rechtfertigt und darin, so zu existieren, wie er existiert. Und es ist wahrscheinlich, daß der Vermännlichungsprozeß, zu dem die soziale Ordnung sich verschworen hat, nur mit dem insgeheimen Einverständnis der Frauen ganz zu voll­ enden ist, d.h. in und durch die aufopferungsvolle Unterwerfung, bezeugt durch die Opfergabe des Körpers (man spricht von »Sich-Hingeben«), die zweifellos die höchste Form der Anerkennung bildet, die der männlichen Herrschaft in dem, was sie am spezifischsten ist, zuteil wird.“340 Die von Bourdieu angeführten Spiele der Ehre und in den von ihm exemplarisch genannten Feldern des Militärs, der Ökonomie, der Poli­ tik, der religiösen Institutionen, der Kunst und Wissenschaften, werden Meuser zufolge in den Handlungsfeldern gespielt, die „die Geschlechter­ ordnung der bürgerlichen Gesellschaft als die Domänen männlichen Ge­ staltungswillens vorgesehen hat.“341 Weiblichen Personen ist dort eine marginale Rolle zugewiesen, die aber durchaus wichtig für die Konstruk­ tion von Männlichkeit ist.342 Männlichkeit und die Felder der „ernsten Spiele des Wettbewerbs“343 weisen eine kompetitive Struktur und einen homosozialen Charakter auf, denn der Wettbewerb findet unter Männern statt. Der Wettbewerb ist ein Mittel der männlichen Vergemeinschaftung, denn Wettbewerb und Solidarität gehören untrennbar zusammen.344 Der Ausschluss von Frauen von den Orten, an denen die „ernsten Spiele des Wettbewerbs“345 stattfinden, bedeutet dabei auch „[ihnen] in der Tat zu

338 339 340 341 342 343 344 345

Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203 f. Meuser, Männerwelten, S. 5; s.a. Meuser, Hegemoniale Männlichkeit, S. 163; Meuser, Ernste Spiele, S. 5171. Meuser, Hegemoniale Männlichkeit, S. 163. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 83; s.a. Meuser, Hegemoniale Männlichkeit, S. 163; Meuser, Riskante Praktiken, S. 168; Meuser, Geschlecht und Männlichkeit, S. 124. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203.

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B. Theoretische Grundlegungen

untersagen, sich die Dispositionen anzueignen, die durch die Frequentie­ rung dieser Plätze und Spiele erworben werden.“346 Literatur und Forschung zum männlichen Habitus haben eine fast schon unüberblickbare Breite und Tiefe erlangt. Ausführungen zum weib­ lichen Habitus sucht man hingegen fast vergeblich.347 Denkbar ist, im innerhalb der Wissenschaft herrschenden Androzentrismus348 einen mög­ lichen Grund hierfür zu suchen. Ein anderer Grund könnte sich aus der bereits erwähnten (rhetorischen) Frage Bourdieus ergeben, wonach Männ­ lichkeit nichts anderes als Nichtweiblichkeit ist.349 Wenn sich Männlich­ keit aus Weiblichkeit ableitet, dann spiegelt sich das, um in der Logik Bourdieus und seinen Konzepten zu bleiben, auch im vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Habitus wider. Es kann von dem, in Literatur und Forschung recht gut eruierten männlichen Habitus auf den weibli­ chen Habitus geschlossen werden; aus den homologen Gegensätzen ergibt sich, was konstitutiv für den jeweiligen, zur „zweiten Natur“ gewordenen Habitus ist. Zur weiteren Beschreibung des weiblichen Habitus können folgende Charakteristika gezählt werden: Im weiblichen Habitus sind nach Bourdieu Dispositionen der Unterwerfungsbereitschaft, der Herabsetzung und der Verneinung ebenso eingeschrieben wie die von Bourdieu als „ne­ gative Tugenden“ bezeichneten Tugenden der Selbstverleugnung, der Resi­ gnation und des Schweigens.350 Frauen wissen Bourdieu zufolge, aufgrund ihres Habitus implizit, dass sie in der Relation der beiden Geschlechter die niedrigere Position einnehmen.351 Da sich die Disposition zur Unterwer­ fung bzw. die Unterwerfungsbereitschaft in ihre Körper und damit auch im weiblichen Habitus eingeschrieben haben, nehmen Bourdieu zufolge die „Akte des praktischen Erkennens und Anerkennens der magischen

346 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 187. 347 Vgl. aber z.B. Buschmeyer, Zwischen Vorbild und Verdacht, S. 86; Engler, Habi­ tus und sozialer Raum, S. 251 mwN; Lellé, Arrivierte Frauen, S. 4 ff.; RammertFaber, Weiblicher Habitus und betriebliche Einsatzstrategien, S. 149 ff.; Reger, Männlichkeits- und Weiblichkeitskonstruktionen deutschsprachiger Rapper/-in­ nen, S. 31 ff.; Seifert, Weibliche Soldaten, S. 234; Valsky, Erfahrungen und Hand­ lungsstrategien von Frauen in Führungspositionen, S. 84 ff. 348 Vgl. B. III. 1. a), b), IV. 2.; vgl. auch Rudolph, Geschlechterverhältnisse in der Politik, S. 21. 349 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 111; s.a. Krais, Geschlechterver­ hältnis und symbolische Gewalt, S. 211; Krais, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2011, 33, 38. 350 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 187. 351 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 59.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

Grenze zwischen den Herrschenden und Beherrschten“352 verschiedene Formen an, die neben Leidenschaft oder Gefühlen (z.B. Bewunderung) auch körperliche Emotionen (z.B. Erniedrigung, Scham, Ängstlichkeit, Schüchternheit, Beklemmung) umfassen.353 Diese, bereits im Zuge der So­ zialisation erfolgende Einschreibung des Habitus mit Einschreibung einer hexis354 in die Körper verstärkt die Herrschaftsstrukturen, denn Frauen tra­ gen damit zur Herrschaft bei und schließen sich nach Bourdieu selbst frei­ willig aus bestimmten Positionen aus.355 cc) Exkurs: Hegemoniale Männlichkeit nach Connell Nach Connell ist hegemoniale Männlichkeit als die Konfiguration ge­ schlechtsbezogener Praxis zu definieren, die die momentan akzeptierte Antwort auf das Legitimitätsproblem des Patriarchats verkörpert und die Dominanz der Männer sowie die Unterordnung der Frau gewährleistet oder gewährleisten soll.356 Allerdings bilden Männer keine homogene Gruppe, vielmehr wird zu jeder Zeit eine Form der Männlichkeit im Gegensatz zu den anderen kulturell herausgehoben.357 Hegemonie ent­ steht nur, wenn es zwischen dem kulturellen Ideal und der institutionel­ len Macht eine kollektive oder individuelle Entsprechung gibt.358 Unter Männlichkeit versteht Connell „eine Position im Geschlechterverhältnis; die Praktiken, durch die die Männer und Frauen diese Position einneh­ men, und die Auswirkungen dieser Praktiken auf die körperliche Erfah­ rung, auf Persönlichkeiten und Kultur.“ Es ist beiden Geschlechtern mög­ lich, Verhaltensweisen, Tätigkeiten und gesellschaftliche Positionen einzu­ nehmen und oder auszuüben, die als männlich angesehen werden. Für Connell zeigen sich in den Bereichen der Führungsebenen von Wirtschaft, Militär und Politik eine recht überzeugende korporative Inszenierung von Männlichkeit; diese Hegemonie zeichnet sich weniger durch direkte Ge­

352 353 354 355 356

Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 72. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 72. Vgl. B. IV. 1. c) aa). Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 72 f. Connell, Der gemachte Mann, S. 98. „Hegemoniale Männlichkeit“ wurde 1985 in die men’s studies eingeführt und avancierte zu deren Leitkategorie; Carri­ gan/Connell/Lee, Theory and Society 1985, 551, 551 ff. 357 Connell, Der gemachte Mann, S. 98. 358 Connell, Der gemachte Mann, S. 98.

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B. Theoretische Grundlegungen

walt als durch ihren Anspruch auf Autorität aus.359 In der hegemonialen Männlichkeit ist eine derzeitig akzeptierte Strategie verkörpert. Sobald sich die Bedingungen für die Verteidigung des Patriachats verändern, wird auch die Basis für die Vorherrschaft einer bestimmten Männlichkeit aus­ gehöhlt, wodurch eine neue Hegemonie konstruiert werden kann. Die Vorherrschaft jeder Gruppe von Männern kann durch Frauen herausgefor­ dert werden. Hegemonie ist eine historisch bewegliche Relation und hat keinen starren Charakter, sondern ist jene Form von Männlichkeit, die in einer gegebenen Struktur des Geschlechterverhältnisses die bestimmende, aber nie fraglose Position einnimmt.360 Hegemonie reproduziert sich nicht nur zwischen den Geschlechtern, sondern auch im Verhältnis zwischen den zu einander hierarchischen, unterschiedlichen Männlichkeiten: der hegemonialen zu der untergeordneten, der komplizenhaften und der mar­ ginalisierten Männlichkeiten.361 Connell ist deshalb Scholz zufolge wegbe­ reitend für das Denken von Männlichkeiten im Plural anzusehen.362 Connell befasst sich zudem mit zwei Formen von Gewalt. Zum einen spielt in der Geschlechterpolitik Gewalt unter Männern eine Rolle, da die meisten Gewalthandlungen zwischen Männern stattfinden, die der Sicherung der Vormachtstellung privilegierter Männer dient. In Gruppen­ konflikten kann Gewalt zur Versicherung oder Demonstration der eigenen Männlichkeit dienen.363 Zum anderen wird Gewalt von Männern gegen Frauen zur Herstellung der Geschlechter-hierarchie ausgeübt, um ihre Do­ minanz zu sichern.364 Nach Connell gewinnen Meuser zufolge Männlich­ keiten ihre Kontur durch die doppelte Relation zum anderen und zum eigenen Geschlecht, was unter „hegemoniale Männlichkeit“ zusammenge­ fasst wird.365 Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit wurde nicht kritiklos366 aufgenommen. Die für die vorliegende Arbeit relevantesten Kritikpunkte werden nur kursorisch vorgestellt, denn dieses Konzept kann nach hier vertretener Ansicht nicht allein, sondern nur in der Weiterentwicklung

359 360 361 362 363 364 365 366

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Connell, Der gemachte Mann, S. 98. Connell, Der gemachte Mann, S. 97 f. Connell, Der gemachte Mann, S. 99 ff. Scholz, Diversifizierung und Delegitimierung männlicher Herrschaft, S. 18 ff. Connell, Der gemachte Mann, S. 104 f. Connell, Der gemachte Mann, S. 104. So Meuser, Hegemoniale Männlichkeit, S. 162. Vgl. zu weiteren Kritikpunkten statt vieler Scholz, Männlichkeitsforschung, S. 423 ff.

IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

Meusers367 angewandt werden. Es wird u.a. kritisiert, bei Connell verbleibt unscharf, ob die vier genannten Männlichkeiten nun Formen oder Rela­ tionen und wie sie voneinander abgrenzbar sind.368 Die Konstruktion von Männlichkeit in der Sportwelt ist Connell zufolge geprägt von ihrer hierarchischen Wettbewerbsstruktur. In einer Massenkultur wird Männ­ lichkeit immer primär über den Sport definiert, wobei Sport eine ständige Zurschaustellung männlicher Körper bedeutet.369 Die Verkörperung von Männlichkeit im Sport ist verbunden mit einem Muster von Entwicklung und Gebrauch des Körpers. Die institutionelle Organisation beinhaltet bestimmte soziale Beziehungen wie den Wettstreit und die Hierarchie unter Männern sowie den Ausschluss oder Unterordnung von Frauen. Beim Sporttreiben attackieren Leistungssportler ihre Körper im Namen der Männlichkeit und des Erfolgs.370 Im Unterschied zu Bourdieu geht Connell von zwei Differenzierungslinien aus. Die erste Differenzierungslinie besteht, wie bei den Konzepten Bourdieus, zwischen den Geschlechtern (Männer/männlich, Frauen/weiblich). Im Unterschied zu den Konzepten Bourdieus besteht nach Connell eine zweite Differenzierungslinie zwischen Männern bzw. zwischen den bereits genannten vier zueinander hierarchi­ schen relationierten Männlichkeiten. Connell befasst sich somit auch mit der Relation und ggf. der Ausgrenzung von verschiedenen Männlichkei­ ten. Eine Anwendung des Konzept Connells auf die Mitglieder der HooliganSzene würde bedeuten, dass sie bei den körperlichen Auseinandersetzun­ gen ihren eigenen Körper benutzen, um ihn im Namen der Männlichkeit und des Erfolges selbst zu attackieren und ihn attackieren zu lassen. Auch wären nach Connell Frauen vom (Leistungs-)Sport, von der Gewalt und vom Hooliganismus ausgeschlossen; dem kann in der von Connell vertre­ tenen Pauschalität nicht zugestimmt werden. Weibliche Personen sind weder vom (Leistungs-)Sport noch von der Mitgliedschaft in gewaltaffinen Gruppenkontexten ausgeschlossen. Sie üben in Gruppenkontexten und als Einzeltäterinnen Gewalt aus,371 deshalb erscheint Connells Ansicht hier als nicht vertretbar.

367 368 369 370 371

Vgl. B. IV. 2. a) dd). Scholz, Männlichkeitsforschung, S. 425. Connell, Der gemachte Mann, S. 55, 74. Connell, Der gemachte Mann, S. 74, 78. Vgl. ausführlich B. IV. 3. b).

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B. Theoretische Grundlegungen

dd) Meuser: Homosoziale Männergemeinschaften Obwohl Bourdieu und Connell sich wechselseitig nicht rezipieren, ist Meu­ ser zufolge eine Verknüpfung der beiden Ansätze möglich, denn beide präsentieren ein Konzept von Männlichkeit, „dessen Kern eine doppelte, die hetero- wie die homosoziale Dimension umfassende Distinktions- und Dominanzlogik ist.“372 Connell und Bourdieu gehen beide von der Vermitt­ lung zwischen Struktur und Handeln aus. Bei Connell erfolgt diese Ver­ mittlung über das Konzept der hegemonialen Männlichkeit. Bei Bourdieu nimmt der Habitus diese Scharnierfunktion ein.373 Die erfolgte Verknüp­ fung Meusers in seinen Werken über homosoziale Männergemeinschaften ist für das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit gewinnbringend. Nach dem bereits 1976 von Lipman-Blumen eingeführten Begriff „Ho­ mosozialität“374 orientieren sich die Angehörigen eines Geschlechts wech­ selseitig aneinander. Homosozialität ist eine traditionell mehr von männ­ lichen als von weiblichen Personen praktizierte Beziehungs- und Gesel­ lungsform,375 deswegen konzentrieren sich Meusers nachfolgend vorgestell­ te Ausführungen auch auf homosoziale Gemeinschaften von Männern. Homosozialität hat nach Meuser zwei Dimensionen. Bei ihrer ersten, physischen Dimension kommt es zu einer räumlichen Trennung von ex­ klusiv männlichen Sphären. Frauen wird zu diesen konstruierten Orten der Zutritt verwehrt.376 In der zweiten, symbolischen Dimension bilden sich moralische Orientierungen, Wertesysteme und politische Einstellun­ gen aus, was v.a. im wechselseitigen Austausch derjenigen mit gleichem biologischem Geschlecht untereinander geschieht. Die Geschlechtsgenos­ sen sind nach Meuser „sowohl die signifikanten als auch die generalisierten Anderen, an denen der einzelne Mann sich orientiert.“377 Homosoziale Männergemeinschaften sind Meuser zufolge lebensweltli­ che Orte, die es Männern ermöglichen, sich wechselseitig sowohl der Normalität als auch der Angemessenheit der eigenen Weltsicht sowie des eigenen Verständnisses hinsichtlich der Gesellschaft zu vergewissern.

372 Meuser, Hegemoniale Männlichkeit, S. 161. 373 Vgl. insbesondere Meuser, Männerwelten, S. 5 ff.; Meuser, Ernste Spiele, S. 5171 ff.; Meuser, Geschlecht und Männlichkeit, S. 100 ff. et passim; s.a. Scholz, Männlichkeit erzählen, S. 41. 374 Lipman-Blumen, Signs 1976, 15, 16. 375 Lipman-Blumen, Signs 1976, 15, 16; s.a. Meuser, Männerwelten, S. 13; Meuser, Ernste Spiele, S. 5171; Meuser, Junge Männer, S. 430. 376 Meuser, Männerwelten, S. 13; Meuser, Wettbewerb und Solidarität, S. 84. 377 Meuser, Männerwelten, S. 14; Meuser, Wettbewerb und Solidarität, S. 84.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

Dies geschieht umso effektiver, je weniger es den Männern bewusst ist, dass die in Rede stehende Gemeinschaft eben jene Funktion erfüllt. In den homosozialen Männergemeinschaften erfolgt die Aneignung der Strukturlogik spielerisch.378 Insbesondere die geschlechtliche Selbstverge­ wisserung, worunter Meuser die wechselseitige Bestätigung versteht, was einen „normalen“ Mann ausmacht, geschieht für gewöhnlich nicht durch eine ausdrückliche Thematisierung von Geschlechtlichkeit. Befragt man Mitglieder homosozialer Männergemeinschaften nach dem Zweck und den Vorzügen ihres Zusammenseins, sind Meuser zufolge typische Ant­ worten „Spaß haben“ und „blödes Zeug reden“.379 In homosozialen Män­ nergemeinschaften geschieht die Vergegenständlichung des Männlichen z.B. dadurch, dass Männer oftmals ausblenden, welche „konstituierende Bedeutung [die] Gemeinsamkeit des Geschlechts“380 hat. Sie betonen, eine vergleichbare Atmosphäre wäre bei gleichzeitiger Anwesenheit weiblicher Personen unmöglich. Die Geschlechtshomogenität ist in ihrer Wahrneh­ mung eher zufällig als gezielt beabsichtigt.381 Gleichzeitig betonen sie, nicht zusammen zu sein, weil sie Männer sind, sondern weil es ihnen so möglich ist, durch die gemeinsame Aktivität „eine größere Beziehung zu anderen zu finden“;382 es sind „nun zufällig gerade Männer“.383 Dennoch wird relativierend festgestellt, „[t]heoretisch könnten auch Frauen“384 da­ bei sein. Die von den Mitgliedern homosozialer Männergemeinschaften selbst wahrgenommene Intention ist folglich nicht, eine homosoziale Männergemeinschaft zu gründen. Es findet sich dort ein „Rahmen, der es […] mit sich bringt, dass das Bedürfnis nach zwischenmenschlicher Nähe unter und mit Geschlechtsgenossen realisiert wird.“385 Dies ist jedoch nach Meuser gerade nicht zufällig.386 Meuser räumt ein, dass der Ausschluss von Frauen aus homosozia­ len Männergemeinschaften „heute allerdings nicht mehr bruchlos ge­ ling[t]“.387 Meuser zieht jedoch nicht die nach hier vertretener Ansicht zu

378 Meuser, Männerwelten, S. 14; Meuser, Junge Männer, S. 430. 379 Meuser, Männerwelten, S. 14; s.a. Meuser, Ernste Spiele, S. 5173; Meuser, Ge­ schlecht und Männlichkeit, S. 198. 380 Meuser, Männerwelten, S. 15. 381 Meuser, Männerwelten, S. 14 f.; Meuser, Geschlecht und Männlichkeit, S. 190. 382 Meuser, Männerwelten, S. 15. 383 Meuser, Männerwelten, S. 15. 384 Meuser, Männerwelten, S. 15. 385 Meuser, Männerwelten, S. 15. 386 Meuser, Männerwelten, S. 15. 387 Meuser, Männerwelten, S. 25.

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B. Theoretische Grundlegungen

befürwortende Konsequenz: Eine homosoziale Männergemeinschaft wan­ delt sich, sobald dort Frauen nicht mehr ausgeschlossen und, wenn auch nur vereinzelt, Mitglied sind, in eine Gruppe, deren Mitglieder mehrheit­ lich männlich sind und somit in eine männlich dominierte Gruppe. Homosoziale Männergemeinschaften dienen ihren Mitgliedern als Refu­ gium und ermöglichen ihnen, sich in ein entspanntes Klima zurückzuzie­ hen, für dessen Schaffung die Abwesenheit weiblicher Personen konstitu­ tiv ist: Da die Männer nicht die Anstandsregeln zu beachten hätten, die ihrem Selbstverständnis nach Geltung in Interaktionen mit Frauen hätten, dient ihnen die homosoziale Männergemeinschaft als Zufluchtsort.388 Zu­ dem birgt die homosoziale Männergemeinschaft etwas Entlastendes für deren Mitglieder in sich, da „sie dort nicht mit der erotisch aufgeladenen Geschlechterspannung konfrontiert sind, die in Kopräsenz von Frauen zu­ mindest virtuell immer vorhanden sei.“389 Mitglieder homosozialer Män­ nergemeinschaften nehmen ihre interne Interaktion als harmonisch und geprägt von wechselseitiger Offenheit wahr.390 Homosozialen Männerge­ meinschaften wohnen auch kompetitive Strukturen inne, die nicht immer als solche wahrgenommen werden, insbesondere dann nicht, „wenn es um die Abgrenzung gegenüber heterosozialer Interaktion und gegenüber der Welt der Frauen geht.“391 Gerade in dieser Abgrenzung erscheint die homosoziale Männergemeinschaft „als das Handlungsfeld, in dem Männ­ lichkeit authentisch gelebt werden kann.“392 Innerhalb homosozialer Män­ nergemeinschaften herrscht die Ansicht hinsichtlich ihrer Vorzüge vor: Man „[gibt sich] in gemischtgeschlechtlichen Gruppen [nicht so], wie man eigentlich ist.“393 Homosoziale Männergemeinschaften fundieren Meuser zufolge „habitu­ elle Sicherheit in vielfältiger Weise. Sie stiftet Solidarität unter den Män­ nern, versorgt sie mit symbolischen Ressourcen, verstärkt die Grenzen zwi­ schen den Geschlechtern, denen sie ihre Existenz andererseits verdankt“.394 Meuser attestiert in diesem Zusammenhang der Zeit um die Jahrtausend­ wende395 sowie etwa zehn Jahre später,396 davon geprägt zu sein, „die

388 389 390 391 392 393 394 395 396

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Meuser, Männerwelten, S. 15. Meuser, Männerwelten, S. 15; s.a. Meuser, Geschlecht und Männlichkeit, S. 298. Meuser, Männerwelten, S. 15. Meuser, Männerwelten, S. 16. Meuser, Männerwelten, S. 16. Meuser, Männerwelten, S. 16; Meuser, Ernste Spiele, S. 5171 ff. Meuser, Geschlecht und Männlichkeit, S. 299. Meuser, Männerwelten, S. 16. Meuser, Geschlecht und Männlichkeit, S. 299.

IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

gesellschaftliche Vormachtstellung des Mannes verstärkt in Frage“397 zu stellen. V.a. in Zeiten, in denen die Geschlechterordnung im Umbruch ist, ist eine Fundierung habitueller Sicherheit wichtig.398 Aufgrund dessen „dient die wechselseitige Vergewisserung der eigenen Normalität […] der Sicherung männlicher Hegemonie“.399 Homosoziale Männergemeinschaf­ ten sind darüber hinaus „institutionelle Stützen des Leitbildes der hegemo­ nialen Männlichkeit. Sie bieten ihren Mitgliedern [u.a.] die Möglichkeit, tradierte Bilder männlicher Hegemonie auch gegenüber Irritationen auf­ rechtzuerhalten, wie sie durch die Umbrüche im Geschlechterverhältnis erzeugt werden.“400 Meuser begreift homosoziale Männergemeinschaften als männliche Handlungsfelder, in denen sich die männliche Geschlechts­ identität ausbildet und verfestigt.401 Bei Bourdieu entspricht dies den Fel­ dern der „ernsten Spiele des Wettbewerbs“, 402 in denen sich der männliche Habitus konstruiert und vollendet.403 Meuser fügt diesen Feldern beispiel­ haft noch „semi- und nicht-öffentliche Felder, in denen die Männer unter sich sind[, hinzu, Anm. d. Verf.]: in Clubs, Vereinen, Freundeskreise.“404 Den Anspruch männlicher Dominanz behaupten homosoziale Männer­ gemeinschaften gegenüber weiblichen Personen im doppelten Wortsinn. Die homosoziale Männergemeinschaft „ist einer der Orte, an denen die zweite, kompetitive Dimension hegemonialer Männlichkeit inszeniert wird, an denen die ‚ernsten Spiele des Wettbewerbs‘405 ausgetragen wer­ den.“406 Zudem gibt es Meuser zufolge „ernste Spiele“, die „als ernst und weniger als Spiele bewertet werden“,407 da es dort u.a. um Geld, Macht, Einfluss und Positionen geht oder gar „ernsthafte Folgen für Leib und Leben nicht auszuschließen sind“.408 Paradigmatisch führt Meuser zwei derartige Gemeinschaften an, die auch für die vorliegende Arbeit von Be­

397 Meuser, Männerwelten, S. 16. 398 Meuser, Männerwelten, S. 20. 399 Meuser, Männerwelten, S. 16; Meuser, Geschlecht und Männlichkeit, S. 142, 299; Meuser, Ernste Spiele, S. 5174. 400 Meuser, Männerwelten, S. 20. 401 Meuser, Junge Männer, S. 430; Meuser, Ernste Spiele, S. 5171 f. 402 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. 403 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. 404 Meuser, Ernste Spiele, S. 5172. 405 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. 406 Meuser, Männerwelten, S. 20; s.a. Hafeneger, Identität und Körperlichkeit männ­ licher Jugendlicher, S. 208. 407 Meuser, Männerwelten, S. 21. 408 Meuser, Männerwelten, S. 21.

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B. Theoretische Grundlegungen

deutung sind, deren Handlungen wechselseitig aufeinander bezogen sind: Hooligans und Polizisten bzw. die Polizei.409 b) Symbolische Herrschaft, symbolische Gewalt, symbolische Macht Nun wendet sich die Arbeit der Funktionsweise von Herrschaftsverhältnissen zu. Bourdieu befasst sich in seinen Konzepten mit der symbolischen Reproduktion von Macht- und Herrschaftsstrukturen. In der Gesellschaft ereignet sich die Praxis der Über- und Unterordnung von sozialen Akteu­ ren in vielfältiger Weise, ohne dass sie die symbolische Gewalt als solche wahrnehmen.410 Da die männliche Herrschaft die paradigmatische Form der symbolischen Herrschaft ist, ist es unerlässlich, drei basale Begriffe zu erklären: symbolische Macht, symbolische Gewalt und symbolische Herr­ schaft. Grundlage für die Möglichkeit, diese drei auszuüben, bildet die Verfügbarkeit und das Vorhandensein des symbolischen Kapitals. Denn nach Bourdieu hängt „die Macht zur Durchsetzung einer alten oder neuen Sicht der sozialen Trennungen und Gliederungen von der in den vorange­ gangenen Kämpfen erworbenen sozialen Autorität [ab].“411 Die symbolische Macht ist nach Bourdieu „die Macht, Dinge mit Wör­ tern zu schaffen“412 und damit ein mächtiges Medium, das v.a. durch Spra­ che, Kommunikationsbeziehungen, Denk- und Wahrnehmungsschemata wirkt.413 Die symbolische Gewalt wirkt als Verklärung der Herrschaftsbeziehungen zu affektiven Beziehungen.414 Symbolische Gewalt wirkt nur dann, wenn sich ein Individuum damit konfrontiert sieht.415 Neben der Sprache nimmt auch der Geschmack eine zentrale Stellung ein, denn der legitime Geschmack416 ist Ausdruck symbolischer Herrschaft und deshalb ein Mittel zur Aufdeckung hierarchisierter sozialer Konstellationen.417 409 Meuser, Männerwelten, S. 21 ff.; Meuser, Ernste Spiele, S. 5173. 410 Hillebrandt, Praxistheorie, S. 388. 411 Bourdieu, Rede und Antwort, S. 152; s.a. Moebius, Pierre Bourdieu, S. 59; Treb­ bin, Zur Komplementarität des Denkens, S. 98. 412 Bourdieu, Rede und Antwort, S. 153. 413 Bourdieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 179 ff.; Bourdieu, Rede und Antwort, S. 153; s.a. Moebius/Wetterer, Zeitschrift für Soziologie 2011, 1, 4. 414 Bourdieu, Praktische Vernunft, S. 173. 415 Vgl. Krais, Soziologie als teilnehmende Objektivierung der sozialen Welt, S. 186; Krais, Zur Funktionsweise von Herrschaft in der Moderne, S. 53 in Fn. 1; vgl. auch schon Bourdieu, Was heißt sprechen?, S. 71 ff. 416 Vgl. B. IV. 1. c) bb). 417 Suderland, „Worldmaking“, S. 133.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

Abzugrenzen ist die symbolische Gewalt von der nackten, d.h. physi­ schen, körperlichen Gewalt. Die symbolische Gewalt ist sanft, raffiniert und verschleiert. Diese Form nimmt die Gewalt dort an, wo nackte Gewalt gegenüber denjenigen, die ihr unterliegen, unmöglich ist.418 Symbolische Gewalt ist ein „Zwang durch den Körper“;419 Körper sind, wie bereits erläutert,420 eine zentrale Dimension des Habitus. Zwar kann auch Herr­ schaft auf nackter Gewalt beruhen, aber dabei behält sie immer auch eine symbolische Dimension, da „sie in der Sphäre der Bedeutungen, oder genauer gesagt, des Sinns ausgeübt wird, den die Beherrschten der sozialen Welt und ihrem Platz in dieser Welt geben.“421 Die Verwendung von Symbolen (Worte, Gesten, Gegenstände) ist bei der Erzeugung von Machtasymmetrien wirkmächtig, weil sie, wie bei Sym­ bolen üblich, an die Stelle von etwas anderem treten, das nicht expliziert werden muss.422 Symbole erfahren von Beherrschten und Herrschenden eine als legitim empfundene An- und Erkennung.423 Die Kenntnis der Symbole ist in den Habitus eingeschrieben.424 Die symbolische Gewalt wirkt als kaschierte Gewalt durch die Sprache. Symbolische Gewalt reduziert sich per definitionem nie auf die reine Macht­ ausübung. Die symbolische Gewalt kann ihre symbolische Wirkung nur entfalten, wenn sie in Kommunikationsbeziehungen oder durch Gesten, Rituale und Verhaltensweisen ausgeübt wird.425 In solchen symbolischen Machtbeziehungen aktualisieren sich die Machtverhältnisse zwischen den Einzelnen bzw. den Sprechenden.426 Die symbolische Gewalt greift auf sanfte, raffinierte und verschleierte Praktiken zurück, deren Wirkung durch die fehlende Transparenz besonders nachhaltig sind und die die tatsächlich vorhandenen Machtasymmetrien gegenüber den Beherrschten

418 Bourdieu, Sozialer Sinn, S. 244; Bourdieu, Meditationen, S. 220; s.a. Krais, Öster­ reichische Zeitschrift für Soziologie 2011, 33, 41; Mauger, Über symbolische Gewalt, S. 216. 419 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 158. 420 Vgl. B. IV. 1. c) bb), 2. a). 421 Mauger, Über symbolische Gewalt, S. 216. 422 Bourdieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 179 ff.; s.a. Suderland, „Worldmaking“, S. 127. 423 Suderland, „Worldmaking“, S. 127. 424 Suderland, „Worldmaking“, S. 133 ff. 425 Mauger, Über symbolische Gewalt, S. 218 f.; Moebius/Wetterer, Zeitschrift für Soziologie 2011, 1, 4. 426 Bourdieu, Was heißt sprechen?, S. 11.

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B. Theoretische Grundlegungen

verschleiern oder legitimieren.427 Bewirkt wird die Verschleierung durch Naturalisierung, indem sich die Herrschenden bemühen, die „Grundla­ ge ihrer Herrschaft als in der Natur der Beherrschten angelegt darzustel­ len“.428 Deshalb ist auch „von allen Formen der »unterschwelligen Beein­ flussung« [diejenige] die unerbitterlichste, die ganz einfach von der Ord­ nung der Dinge ausgeübt [Hervorh. i. Orig., Anm. d. Verf.]“429 wird. Die symbolische Gewalt ist als subtiler Herrschaftsausübungsmodus zu sehen, „die nur wirksam sein kann, solange sie als solche nicht erkannt wird“.430 Die symbolische Gewalt kommt in face-to-face-Interaktionen zwischen Per­ sonen zum Tragen und Herrschaft wird dort konstituiert, reproduziert, gelöst und immer wieder (neu) hergestellt.431 Die symbolische Gewalt ist die Realisierung und Anwendung einer Sicht der Welt oder einer sozialen Ordnung, die verankert ist im Habitus der Herrschenden und Beherrschten. Voraussetzung für die symbolische Gewalt ist also, „dass die subjektiven Strukturen – der Habitus – und ob­ jektiven Verhältnisse im Einklang miteinander sind, daß verinnerlicht ist, ‚was sich gehört‘“.432 Hieran ist das Wesen der symbolischen Herrschaft zu erkennen: Sie setzt auf der Seite der Beherrschten eine bestimmte Haltung voraus: „Jede ‚Wahl‘, die der Habitus trifft […] geschieht unbewusst und ohne Zwang aufgrund von Dispositionen, die auch ihrerseits – obwohl sie unbestreitbar ein Produkt gesellschaftlicher Determinismen sind – jenseits von Bewusstsein und Zwang entstanden sind“.433 Bourdieu identifiziert so­ mit den Habitus als die über Dinge und Personen wirkende Suggestivkraft. Der Habits befiehlt nicht jemandem, „was [er] tun soll, sondern was [er] ist“.434 Damit bringt der Habitus jemanden dazu, „das zu werden, was [er] werden soll“.435 Dies ist die „Voraussetzung dafür, dass später alle Arten von symbolischer Macht einen für diese Wirkung empfänglichen Habitus erfolgreich beeinflussen können“.436 Der Habitus ist die vis invista, gleich 427 Bourdieu, Sozialer Sinn, S. 231; vgl. auch Krais/Gebauer, Habitus, S. 52; Mauger, Über symbolische Gewalt, S. 219; Suderland, „Worldmaking“, S. 133. 428 Mauger, Über symbolische Gewalt, S. 219. 429 Bourdieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 205. 430 Krais, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2011, 33, 42. 431 Krais, Geschlechterverhältnis und symbolische Gewalt, S. 231 f.; Krais/Gebauer, Habitus, S. 52. 432 Krais/Gebauer, Habitus, S. 52. 433 Bourdieu, Was heißt sprechen?, S. 28. 434 Bourdieu, Was heißt sprechen?, S. 57. 435 Bourdieu, Was heißt sprechen?, S. 57. 436 Bourdieu, Was heißt sprechen?, S. 57; s.a. Engler, Pierre Bourdieus Beitrag zum Verstehen symbolischer Herrschaft, S. 130.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

einer potenziellen Energie, aus der die symbolische Gewalt ihre Wirksam­ keit bezieht.437 Die symbolische Macht sichert die Herrschaft, weil sie auf bereits bestehenden Machtverhältnissen beruht.438 Symbolische Herrschaft impliziert ein Einverständnis der Beherrschten, denn sie kann nur auf solche Individuen wirken, die, wie erwähnt, von ihrem Habitus her dafür empfänglich sind; andere bemerken sie gar nicht.439 Die symbolische Herrschaft ist ein Zwang, der ohne ein Ein­ verständnis nicht zustande kommt, die der Beherrschte dem Herrschen­ den – und damit auch der Herrschaft – nicht verweigern kann. Es be­ steht eine einverleibte Form der Struktur der Herrschaftsbeziehung. Das Einverständnis ist keine „passive Unterwerfung unter einen Zwang von außen“.440 Die symbolische Herrschaft entfaltet Bourdieu zufolge „ihre Wirkung nicht in der reinen Logik des erkennenden Bewu[ss]tseins, son­ dern im Dunkel der praktischen Schemata des Habitus“.441 Aus dem Einverständnis, das die Individuen der symbolischen Gewalt abgeben, entwickeln sie einen Sinn für diese Gewalt, der es ihnen ermöglicht, die entsprechenden Signale (z.B. Gesten, Blicke, Körperhaltungen) zu decodie­ ren und den darin enthaltenen, und doch versteckten sozialen Gehalt zu erkennen, zu verstehen und anzuerkennen. Den Subjekten ist dabei nicht bewusst, welche Intention jene Signale haben: Sie sind Akte der Gewalt.442 Die Basis der Erzeugung einer symbolischen Ordnung ist somit ein gewisses stillschweigendes Einverständnis und infolgedessen eine Art Komplizenschaft der Beherrschten,443 die korrespondierende Handlungen der Herrscher und Beherrschten unter der Voraussetzung hervorbringen, dass sich bei beiden in ihrem Habitus die symbolische Ordnung eingela­ gert hat.444 Für die symbolische Herrschaft und die männliche Herrschaft im Besonderen bedeutet dies, dass Denken und Wahrnehmung der Be­ herrschten bestimmt sind durch die Sicht der Herrschenden auf sie, ihre

437 438 439 440 441

Bourdieu, Die feinen Unterschiede, S. 216. Suderland, „Worldmaking“, S. 131 f. Bourdieu, Was heißt sprechen?, S. 28; vgl. auch Krais/Gebauer, Habitus, S. 53. Bourdieu, Was heißt sprechen?, S. 56. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 165; s.a. Bourdieu, Meditationen, S. 218; Bourdieu, Was heißt sprechen?, S. 27. 442 Krais, Geschlechterverhältnis und symbolische Gewalt, S. 233; Krais, Zur Funk­ tionsweise von Herrschaft in der Moderne, S. 53. 443 Suderland, „Worldmaking“, S. 127. 444 Krais, Geschlechterverhältnis und symbolische Gewalt, S. 233; Krais, Österrei­ chische Zeitschrift für Soziologie 2011, 33, 42; Krais, Zur Funktionsweise von Herrschaft in der Moderne, S. 54.

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B. Theoretische Grundlegungen

Setzung des Männlichen als dem Universellen und des Weiblichen als das Abweichende und die von dieser Sichtweise her entwickelten Dichotomi­ en, die homologen Gegensätze.445 Die Beherrschten können die Welt und sich selbst nicht anders sehen als in dieser Klassifikation, die sie oft herab­ setzt und entwürdigt.446 Herrschende sind in diesem System die Norm, die Beherrschten die Abnorm.447 Deshalb bezeichnet Bourdieu selbst die androzentrische Sichtweise der Welt als den Gemeinsinn unserer Welt, da sie dem Kategoriensystem Aller – allen Menschen jeglichen Geschlechts und den Institutionen – eingeschrieben ist.448 Aufgrund des symbolischen Kapitals reproduzieren und verstärken die symbolischen Kräfteverhältnisse ihrer Tendenz nach die Kräfteverhältnisse, aus denen die Strukturen des sozialen Raumes bestehen.449 Die Legitimati­ on der sozialen Ordnung ergibt sich daraus, dass auf die objektiven Struk­ turen der sozialen Welt solche Wahrnehmungs- und Wertungsstrukturen angewandt werden, die selbst aus diesen objektiven Strukturen hervorge­ gangen sind. Deshalb reproduzieren sich die objektiven Machtbeziehun­ gen ihrer Tendenz nach in symbolischen Machtbeziehungen.450 Die Frage, ob die drei basalen Begriffe – symbolische Macht, symbo­ lische Gewalt und symbolische Herrschaft – möglicherweise synonym verwendet werden können, ist nicht abschließend geklärt. Vieles spricht dafür, dass Bourdieu „symbolische Herrschaft“ verwendet, wenn es um Herrschaft als gesellschaftliches Strukturprinzip und Herrschaftsverhältnisse geht. „Symbolische Gewalt“ verwendet Bourdieu bei Vorliegen eines spezifischen Modus der Herrschaftsausübung. Dies erfolgt v.a. bei der Aktualisierung und Verfestigung eines Herrschaftsverhältnisses in einer unmittelbaren Interaktion. Symbolische Gewalt ist ein besonderer Modus

445 Krais/Gebauer, Habitus, S. 53. 446 Krais, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2011, 33, 42. 447 Für diese Sichtweise hat sich der Begriff Androzentrismus entwickelt, der bereits 1911 von Gilman geprägt wurde: Der Mann wird als Zentrum, Maß­ stab oder Norm gesehen, die Frau hingegen ist die Abweichung von der Norm. Männliche Lebensmuster und Denksysteme haben Gilman zufolge den Anspruch der Allgemeingültigkeit, weibliche Lebensmuster und Denksysteme gelten demgegenüber als „Devianz, mithin als Abweichung“; Gilman, The ManMade World [1911/1971], S. 13 ff. 448 Bourdieu, Feministische Studien 1997, 88, 97. 449 Bourdieu, Rede und Antwort, S. 149. 450 Bourdieu, Rede und Antwort, S. 149.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

des sozialen Handelns.451 Die „symbolische Macht“ stellt das Potenzial dar, symbolische Gewalt zur Durchsetzung von symbolischer Herrschaft erfolg­ reich einsetzen zu können.452 Das symbolische Kapital fungiert hier als Machtressource, das nach außen das Ausmaß an Verfügungsgewalt sinn­ bildlich dokumentiert und nur durch die Anerkennung als solches wirken kann.453 Nach vorzugswürdiger Ansicht ist von einer Bedeutungstrias der drei basalen Begriffe auszugehen, die aus „symbolischer Macht“ als Chan­ ce, „symbolischer Gewalt“ als Handlung und „symbolische Herrschaft“ als Ungleichheitsrelation besteht;454 in der vorliegenden Arbeit werden die Begriffe deshalb nicht synonym verwendet. c) Die männliche Herrschaft Die männliche Herrschaft ist der geeignetste Gegenstand, um zu verste­ hen, wie die symbolische Herrschaft wirkt und funktioniert.455 Im Rah­ men der männlichen Herrschaft sind männliche Personen die Herrschen­ den, weibliche Personen die Beherrschten. Die männliche Herrschaft ist „ein gesamtgesellschaftliches Herrschafts- und Strukturierungsprinzip, das in der gesamten modernen Gesellschaft, das materielle und symbolische Gewalt erzeugt und reproduziert“.456 Die männliche Herrschaft besitzt, insbesondere durch ihre selbstverständliche Legitimität, den Schein des Naturhaften. Mit Hilfe der männlichen Herrschaft ist es möglich, das Be­ harrungsvermögen der sozialen Ordnung zu erklären.457 Im Rahmen der männlichen Herrschaft wirkt die symbolische Gewalt nicht nur auf Struk­ turen und kognitive Dispositionen, also nicht nur in den Köpfen, sondern auch und v.a. auf die Körper, in die sich der Habitus eingeschrieben hat.458 451 Krais, Zur Funktionsweise von Herrschaft in der Moderne, S. 53 in Fn. 1; Peter, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2011, 11, 13 ff.; Suderland, Habitus und Literatur, S. 334 in Fn. 9; Suderland, „Worldmaking“, S. 128 f. 452 Suderland, „Worldmaking“, S. 140. 453 Suderland, „Worldmaking“, S. 140. 454 Suderland, „Worldmaking“, S. 129, 140. 455 Bourdieu, Eine sanfte Gewalt, S. 220; s.a. Krais, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2011, 33, 34, 42. 456 Moebius, Pierre Bourdieu, S. 61. 457 Vgl. statt vieler Mauger, Über symbolische Gewalt, S. 228; Moebius, Pierre Bour­ dieu, S. 61. 458 Krais, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2011, 33, 42; Moebius, Pierre Bourdieu, S. 61; Suderland, „Worldmaking“, S. 138; vgl. zu den Körpern bereits B. IV. 1. c).

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B. Theoretische Grundlegungen

Mit ihrem Einverständnis tragen die Beherrschten meist „ohne ihr Wissen und oftmals sogar gegen ihren bewussten Willen zur Aufrechterhaltung einer Herrschaft bei“. 459 Als Produkt der Einverleibung der sozialen Struk­ tur ist der Habitus, auch im Rahmen der männlichen Herrschaft, die vis in­ sita, die potenzielle Energie, aus der die symbolische Gewalt ihre Wirkung bezieht. Der Habitus bildet die Grundlage für das von der symbolischen Macht Ausgelöste: Das praktische Er- und Anerkennen der zwischen Herr­ schenden und Beherrschten bestehenden Grenzen.460 Der Habitus sorgt als ars inveniendi (Erfindungskunst) für die Anpassung an die unterschied­ lichsten gesellschaftlichen Bedingungen, aber er verliert dabei nie seine Grundstruktur.461 aa) Die paradoxe Logik der männlichen Herrschaft und der weiblichen Unterwerfung Die „paradoxe Logik der männlichen Herrschaft und der weiblichen Un­ terwerfung“462 lassen sich nur dann begreifen, wenn die dauerhafte Ein­ wirkung der Gesellschaftsordnung auf die beherrschten Frauen zur Kennt­ nis genommen wird. Da die symbolische Macht die Mitwirkung und das Einverständnis derer voraussetzt, die sie erleiden, tragen die weiblichen Beherrschten selbst dazu bei, dass sich die symbolische Macht als solche errichtet.463 Die Beherrschten ordnen sich nicht i.S. einer freiwilligen Knechtschaft unter, sondern ihr Einverständnis wird von einer dauerhaft in den Körpern eingeschriebenen Macht bewirkt464 – im und durch den Habitus. Nicht nur die Herrschenden herrschen über die Beherrschten, sondern die Herrschenden selbst werden von der männlichen Herrschaft beherrscht.465 Die Herrschenden sind selbst Gefangene, Unterworfene und

459 Suderland, Die schlafende Kraft des Habitus, S. 250, s.a. Bourdieu, Meditationen, S. 217. 460 Bourdieu, Meditationen, S. 216 f. 461 Krais, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2011, 33, 39; Wetterer, Das er­ folgreiche Scheitern feministischer Kritik, S. 261. 462 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 70. 463 Bourdieu, Meditationen, S. 218. 464 Bourdieu, Meditationen, S. 218 f. 465 Bourdieu, Der Staatsadel, S. 17; Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 122; s.a. Dölling, Männliche Herrschaft als paradigmatische Form der symboli­ schen Gewalt, S. 87; Jäger/König/Maihofer, Pierre Bourdieu, S. 26 f.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

versteckte Opfer der männlichen Herrschaft.466 Diese vorzugswürdige An­ sicht ist nicht selbstverständlich: Im deutschsprachigen Diskurs über die männliche Herrschaft i.S. Bourdieus wurde die Sichtweise, Männer nicht nur als Herrschende, sondern auch als Beherrschte der männlichen Herr­ schaft zu begreifen, Jäger et al. zufolge lange vollständig ausgeblendet oder kritisiert. Erst etwa in der Mitte der 1990er Jahre wurde diese Sichtweise gestärkt durch die Etablierung der Männer- bzw. Geschlechterforschung, die den Blick auf Männer erweiterte.467 Die männliche Herrschaft richtet sich folglich nach vorzugswürdiger Ansicht auch gegen die ihr ebenso unterliegenden Herrscher; dadurch reproduziert sie sich.468 Die Beherrsch­ ten wiederum leisten einen eigenen Beitrag zur Herrschaft, der aufgrund der im Habitus liegenden Dispositionen, die sie zur Mitwirkung verleiten, einen inkorporierten Herrschaftseffekt darstellt. Die beherrschten Frauen wirken durch ihre Komplizenschaft an der Beherrschung mit.469 Das Besondere an der männlichen Herrschaft ist, dass sie verkannt wird: Die Verkörperlichung dieses Herrschaftsverhältnisses ist ein Extremfall der Inkorporierung von symbolischen Ordnungen.470 Die männliche Herr­ schaft wird Wetterer zufolge durch einen doppelten Schleier verborgen und verkannt: Zum einen wird die männliche Herrschaft durch den alten Schleier der tradierten Gewissheiten über Geschlechter verborgen und verkannt. Zum anderen gibt es einen neuen Schleier, der sich durch an Freiheit und Individualisierung ausgerichteten Grundeinstellung auszeich­ net, womit ebenfalls die männliche Herrschaft verborgen und verkannt wird. Durch das Vorhandensein der beiden Schleier kann die männliche Herrschaft sich weiterhin darauf verlassen, im praktischen Handeln anund verkannt zu werden.471 Die männliche Herrschaft hat eine verborgene Konstante: Obwohl sich historisch betrachtet die Lage weiblicher Personen verändert hat,472 bleibt

466 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 187; s.a. Jäger/König/Maihofer, Pierre Bourdieu, S. 26 f. 467 Jäger/König/Maihofer, Pierre Bourdieu, S. 27 mwN. 468 So auch Scholz, Diversifizierung und Delegitimierung männlicher Herrschaft, S. 24. 469 Bourdieu, Feministische Studien 1997, 88, 96; Bourdieu, Der Staatsadel, S. 17. 470 Bourdieu, Feministische Studien 1997, 88, 96; s.a. Krais, Österreichische Zeit­ schrift für Soziologie 2011, 33, 41; Wetterer, Das erfolgreiche Scheitern feministi­ scher Kritik, S. 261. 471 Wetterer, Das erfolgreiche Scheitern feministischer Kritik, S. 262; s.a. Radema­ cher, „Diskursive Umarmung“, S. 108. 472 Vgl. zum Wandel v.a. in der Erwerbs- und Reproduktionsarbeit: B. I. 1. b), 3. a).

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B. Theoretische Grundlegungen

ihre relative Position zu Männern fast unverändert und eine Über- und Unterordnung der Tätigkeiten in den Männern oder Frauen zugewiesenen Tätigkeiten entlang der homologen Gegensätze bleiben bestehen.473 In den den Männern vorbehaltenen Feldern der „ernsten Spiele des Wettbe­ werbs“474 handelt es sich Krais zufolge um die Felder, „in denen es um die Arbeit der institutio geht [Hervorh. i. Orig., Anm. d. Verf.]“.475 In diesen Feldern werden in die sozialen und kulturellen Ordnungen eingegriffen, indem u.a. Machtverhältnisse, Recht und Denk- und Wahrnehmungskate­ gorien durch Männer gesetzt werden.476 Bei diesen Spielen entfaltet sich die von den Männern seit ihrer Kindheit eingeübte libido dominandi.477 Die „Lust oder der innere Antrieb zum Herrschen“478 ist gerichtet auf die Herrschaft „über die anderen Mitspieler, den Wettbewerb um die Macht und auf die Vorrangstellung im jeweiligen sozialen Feld, um darüber vermittelt die gesellschaftlichen Strukturen und Formen der Macht zu bestimmen“.479 Die in den „ernsten Spiele[n] des Wettbewerbs“480 erzeug­ ten Distinktionen sind zentraler Ort der Herausbildung des männlichen Habitus.481 Die illusio eines jeden Feldes bewirkt bei Männern so konditio­ niert zu sein, „dass sie sich wie Kinder von allen ihnen gesellschaftlich zu­ gewiesenen Spielen packen lassen, deren Form par excellence der Krieg ist [Hervorh. i. Orig., Anm. d. Verf.]“.482 All diese „ernsten Spiele“ gereichen männlichen Personen zur Virilitätserfahrung.483 Unter die für die soziale Existenz konstitutiven Spiele fallen Bourdieu zufolge „diejenigen, die ernst genommen werden, die männlichen Personen vorbehalten bleiben“.484 Frauen sind i.S.d. homologen Gegensätze für anderes bestimmt, nämlich „für die Kinder und die Kinderei“.485 Da „Männer dazu erzogen werden, die gesellschaftlichen Spiele anzuerkennen, deren Einsatz irgendeine Form

473 474 475 476 477 478 479 480 481 482 483

Krais, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2011, 33, 43. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. Krais, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2011, 33, 43. Krais, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2011, 33, 43. Vgl. schon oben B. IV. 2. a) aa). Krais, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2011, 33, 43. Krais, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2011, 33, 43. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. Meuser, Riskante Praktiken, S. 168. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 133. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 133; Bourdieu, Feministische Stu­ dien 1997, 88, 96. 484 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 133. 485 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 133.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

von Herrschaft ist“,486 verwundert, dass in diesem Zusammenhang nicht das nach den Konzepten Bourdieus Offenkundigste als Argumentationsfigur angeführt wird: Nämlich, wer sie zu dem (mit-)erzieht, was sie sind und oder sein sollen, wer ihren männlichen Habitus in der primären Sozia­ lisation (mit-)prägt, sie zur Herrschaft bestimmt und ausstattet: die Mütter. Eingedenk der homologen Gegensätze obliegt ihnen die Erziehung und Pflege der Kinder. Damit (re-)produzieren gleichwohl (auch) die Mütter durch die ihnen i.S. Bourdieus obliegenden Aufgaben den männlichen Ha­ bitus und die männliche Herrschaft. Sie wirken, da sie den Grundstein da­ für während der primären Sozialisation (mit-)legen, an der Konstruktion und Vollendung des männlichen Habitus mit und daran, dass Männer zu Herrschenden werden, die über die Beherrschten herrschen und gleichzei­ tig von der männlichen Herrschaft selbst beherrscht werden und sich mit­ hin die männliche Herrschaft (re-)produziert. bb) Das Isotimieprinzip Die Grundlage der „ernsten Spiele des Wettbewerbs“487 und des Ehren­ tauschs ist das Isotimieprinzip (isotimia). Das „Prinzip gleicher Ehre“488 ist somit das fundamentale Gesetz. Bourdieu zufolge ist „[d]er Mensch von Ehre […] per definitionem ein Mann.“489 Insofern zählt die Herausforde­ rung, „weil sie zur Ehre gereicht, nur, wenn sie sich an einen Mann von Ehre richtet“.490 Der Mann muss in der Lage sein, „eine Erwiderung zu geben, die, insofern sie auch eine Form der Anerkennung einschließt, Ehre macht“.491 Nur eine Anerkennung, die von einem Mann gezollt wird, kann wirklich Ehre machen. Dieser Mann muss ein Ehrenmann sein, „der als […] Rivale im Kampf um die Ehre akzeptiert werden kann“.492 Dabei hat die Anerkennung, auf die die Männer in den „ernsten Spielen“ „Jagd machen, in denen das symbolische Kapital erworben und eingesetzt wird, [… umso] größeren symbolischen Wert, je reicher derjenige, der sie zollt, selbst an symbolischem Kapital ist“.493 Folglich kann die Anerkennung 486 487 488 489 490 491 492 493

Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 133. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 204. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 160. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 204. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 204. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 204. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 204.

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B. Theoretische Grundlegungen

nur von anderen (Ehren-)Männern erfolgen und nicht von Frauen. Die libido dominandi der Männer strukturiert ihr Handeln gegenüber anderen Männern und gegenüber Frauen.494 Frauen kommt die Ehre i.S.d. Iso­ timieprinzips nicht zuteil und sie können sie auch nicht zollen; deswegen sind sie „buchstäblich aus dem Spiel“.495 Männern hingegen steht die Ehre qua Geschlechts i.S.v. sex zu. „Die männliche Ehre impliziert die Pflicht des Mannes, seine Männlichkeit unter allen Umständen zu bestätigen“.496 Die Männlichkeit bedarf immer wieder der Beglaubigung durch andere (Ehren-)Männer. Danach „wird die ständige Anspannung im Wettbewerb zum wesentlichen Ausweis von Männlichkeit“.497 Zwar sind Frauen nach Bourdieu grundsätzlich von den „ernsten Spie­ len“ ausgeschlossen. Trotzdem sind sie durch ihre Erziehung darauf vorbe­ reitet, daran durch Stellvertretung aus einer untergeordneten wie außen­ stehenden Position heraus, z.B. über den Ehemann oder Sohn, teilzuneh­ men und teilzuhaben.498 Für Bourdieu folgt dies aus dem Status, der Frau­ en nach den homologen Gegensätzen und hinsichtlich der Arbeitsteilung im Rahmen der Herrschaft zugebilligt wird: „Männer sind dazu bestimmt, die Machtspiele zu lieben und die Frauen bestimmt, die sie spielenden Männer zu lieben“.499 Insofern „ist das männliche Charisma zu einem Teil der Charme der Macht, der verführerische Reiz, den der Besitz der Macht von selbst auf die Körper ausübt“.500 In den Habitus weiblicher Personen hat sich die libido dominantis (Ver­ langen nach dem Herrschenden) eingeschrieben.501 Weibliche Personen, die die illusio nicht kennen, die „einen dazu bringt, sich auf die zentralen Spiele der Gesellschaft einzulassen, [bleiben] auch von der libido dominan­ di (relativ) verschont [Hervorh. i. Orig., Anm. d. Verf.]“502 und neigen dazu, sich eine recht klare Sicht auf die männlichen Spiele zu bilden.503

494 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 215; s.a. Meuser, Riskante Prakti­ ken, S. 168. 495 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 204. 496 Krais, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2011, 33, 44. 497 Krais, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2011, 33, 44. 498 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 139; Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. 499 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 140. 500 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 141. 501 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 141; s.a. Krais, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2011, 33, 44. 502 Bourdieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 210. 503 Bourdieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 210.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

In diesem Kontext muss auch die Asymmetrie des Status berücksichtigt werden, der den Geschlechtern in der „Logik der Ökonomie des symboli­ schen Tauschens“, auf der die männliche Herrschaft ebenfalls beruht,504 zugewiesen wird: Männer sind die Subjekte, die am Erhalt oder der Ver­ mehrung ihres symbolischen Kapitals arbeiten. Frauen hingegen stellen Objekte des Tauschverkehrs dar. Ihnen kommt eine symbolische Funktion zu, die sie zwingt, stets am Erhalt ihres eigenen symbolischen Wertes zu arbeiten, dem männlichen Tugendideal zu entsprechen und sie „dazu bestimmt, zur Reproduktion des symbolischen Kapitals der Männer bei­ zutragen“.505 Nach Ansicht Krais/Gebauers können die Beherrschten gar nicht anders als mit der Inkorporation der geltenden Ordnung sich selbst als minderwertige Subjekte zu identifizieren: Denn Herrschaft heißt für die der Herrschaft unterliegenden Subjekte über weite Strecken die von den Herrschenden entwickelte Meinung zu übernehmen.506 Der Ansicht Krais/Gebauers ist allerdings zu widersprechen,507 denn, mit Bourdieu, sind weibliche Personen im Kontext der männlichen Herrschaft keine Subjekte, sondern (symbolische) Objekte: „Die männliche Herrschaft konstruiert die Frauen als symbolische Objekte, deren Sein (esse) ein Wahrgenommenwer­ den (percipi) ist [Hervorh. i. Orig., Anm. d. Verf.]“,508 was sie in einen fort­ währenden Zustand von körperlicher Verunsicherung oder symbolischer Abhängigkeit bringt; sie sind „liebenswürdige, attraktive, verfügbare Ob­ jekte [Hervorh. i. Orig., Anm. d. Verf.]“.509 Frauen sind nach zutreffender Ansicht Objekte im Kontext der männlichen Herrschaft i.S. Bourdieus, die sich für ihn mithin auf der Logik des symbolischen Tauschens gründet.510 Die symbolische Gewalt „setzt voraus, mit einem praktischen Sinn aus­ gestattet zu sein, was sich für eine Frau gehört, wo ihre Grenzen sind, wel­

504 Bourdieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 211. 505 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 205; Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 80; Bourdieu, Feministische Studien 1997, 88, 97; Bour­ dieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 210 f.; s.a. Hillebrandt, Praktiken des Tauschens, S. 129; Terlinden, Symbolische Herrschaft und Ge­ schlechterkulturen, S. 201. 506 Krais/Gebauer, Habitus, S. 53. 507 Der hier geäußerte Einwand erfolgt in Kenntnis, dass es für Bourdieu notwendig ist, den komplementären Gegensatz zwischen Objektivismus und Subjektivis­ mus zu überwinden, vgl. Bourdieu, Entwurf einer Theorie der Praxis, S. 147; Bourdieu, Sozialer Sinn, S. 49. Die in der Soziologie vorherrschenden Dichoto­ mien zu überwinden ist einer der Kernpunkte der Theorie der Praxis. 508 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 117. 509 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 117. 510 Bourdieu, Feministische Studien 1997, 88, 97.

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B. Theoretische Grundlegungen

che Bewegungsmöglichkeiten sie in einer bestimmten Gesellschaft und in einer bestimmten Situationen hat“.511 Deswegen muss auch die zwischen Männern und Frauen bestehende Arbeitsteilung und die dazugehörigen Bewertungsschemata im Habitus vorhanden sein.512 Frauen sind damit betraut, die den sozialen Rang der Familie ausdrückenden Riten und Ze­ remonien zu gestalten. Sie wandeln somit ökonomisches in symbolisches Kapital um und verwalten es für die Familien,513 was erneut ihre zuge­ schriebene Funktion innerhalb der männlichen Herrschaft i.S. Bourdieus verdeutlicht. Bourdieu selbst gibt zu bedenken: „Allgemeiner bringt der Zugang zu gleich welcher Macht die Frauen in eine double-bind-Situation: Handeln sie wie Männer, drohen sie die obligatorischen Attribute der »Weiblichkeit« zu verlieren und stellen das Naturrecht der Männer auf die Machtposition in Frage, handeln sie hingegen wie Frauen, erscheinen sie als unfähig und für die Stelle untauglich [Hervorh. i. Orig., Anm. d. Verf.].“514 Auf dem Markt der symbolischen Güter sind Frauen als angebotene Objekte diesen widersprüchlichen Erwartungen stets ausgesetzt.515 Frauen sind einerseits aufgefordert, zu bezaubern und zu gefallen und andererseits verpflichtet, den „Verführungsmanövern zu widerstehen, die, wie es scheinen mag, diese Art vorauseilender Unterwerfung unter das Urteil des männlichen Blicks hervorgerufen hat“.516 Die widersprüchlichen Erwartungen stellen einen Zwiespalt dar. Es fragt sich, wie dieser aufgrund der widersprüch­ lichen Erwartungen auf Frauen wirkt und wie er von ihnen aufgelöst werden kann, z.B. wenn sie in Spielen um die Ehre, in den Feldern der „ernsten Spiele des Wettbewerbs“,517 in denen das Isotimieprinzip als fun­ damentales Gesetz gilt, „mitspielen“. Dieses, durch die widersprüchlichen Erwartungen bestehende Dilemma kann aufgelöst werden, indem Frauen gerade nicht dem entsprechen, was einer Person mit weiblichem Habitus zugeschrieben wird. Da Männlichkeit Bourdieu zufolge nichts anderes als Nichtweiblichkeit ist,518 gilt es für Frauen in diesen Dilemmatasituationen zu verbergen, was als weiblich gilt und gleichzeitig sich dem unterzuord­ nen, was als männlich gilt. 511 512 513 514 515 516 517 518

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Krais, Geschlechterverhältnis und symbolische Gewalt, S. 217. Krais, Geschlechterverhältnis und symbolische Gewalt, S. 217. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 211, 173. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 120. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 120. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 120. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 111; s. schon B. IV. 2. a) aa).

IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

d) Zwischenfazit Der Dreischritt Erkennen, Verkennen und Anerkennen repräsentiert die Logik der symbolischen Gewalt. Symbolische Gewalt setzt zum einen voraus, dass die Gewalt, aus der sie hervorgeht – also die Machtverhältnis­ se, auf denen ihre Macht beruht –, verkannt wird. Zum anderen setzt die symbolische Gewalt voraus, dass „die Prinzipien, in deren Namen sie ausgeübt wird, anerkannt wird“.519 Dies gilt auch für die männliche Herrschaft als der paradigmatischen Form. Die symbolische Gewalt ist essenzielles Element der männlichen Herrschaft.520 Die männliche Herr­ schaft setzt voraus, dass die praktischen Ordnungsschemata im Habitus der Beherrschten und der Herrschenden verankert sind. Die männliche Herrschaft reproduziert sich durch zwei Mechanismen, indem sie in der sozialen Welt objektiviert und im Habitus der Individuen inkorporiert ist.521 Die männliche Herrschaft kann aufzeigen, wie die männlichen und weiblichen Personen als soziale Subjekte das Geschlechterverhältnis in ihrer sozialen Praxis, in ihrem Denken und Handeln reproduzieren, modi­ fizieren und weiterentwickeln.522 Der Hooliganismus ist ein Macht-, Kraft- bzw. Kräftefeld, in dem die „ernsten Spiele des Wettbewerbs“523 stattfinden. Nach bisherigen Erkennt­ nissen ist der Hooliganismus auch eine homosoziale Männergemeinschaft. An diesen Orten wird der männliche Habitus unter Männern konstruiert und vollendet. Einer der zentralen Mechanismen der Reproduktion der männlichen Herrschaft ist die Herausbildung des geschlechtsspezifischen Habitus:524 Dies geschieht und gelingt in den homosozialen Männerge­ meinschaften i.S. Meusers ebenso wie in den Feldern der „ernsten Spiele des Wettbewerbs“525 i.S. Bourdieus. Welche Funktionen und Aufgaben weiblichen Personen in den „ernsten Spielen“ zukommen, stellte obiger Abschnitt ebenso vor wie die Scharnierfunktion des Habitus und die Besonderheiten des vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Ha­ bitus.

519 Bourdieu, Praktische Vernunft, S. 171; vgl. auch Mauger, Über symbolische Ge­ walt, S. 218, 225; Trebbin, Zur Komplementarität des Denkens, S. 80. 520 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 166. 521 Engler, Habitus und sozialer Raum, S. 252; Scholz, Männlichkeitssoziologie, S. 29. 522 Krais/Gebauer, Habitus, S. 48. 523 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. 524 Jäger/König/Maihofer, Pierre Bourdieu, S. 25. 525 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203.

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B. Theoretische Grundlegungen

3. Gibt es grundsätzlich eine Krise der männlichen Herrschaft? In der griechischen Antike war der Begriff der Krise526 auf die Diszipli­ nen der Rechtswissenschaften, Theologie und Medizin begrenzt. Ab etwa dem 17. Jahrhundert wird der Begriff der Krise zunehmend auf andere Disziplinen (z.B. Politik, Geschichte) ausgeweitet. Später wurde „Krise“ in die Alltagssprache integriert und avancierte zu einem Schlagwort, das i.S.d. Wortursprungs für einen Wende- oder Entscheidungspunkt oder eine bedenkliche Lage steht.527 Koselleck fasst den Krisen-Begriff in vier typisierte Möglichkeiten, von denen nur zwei528 im weiteren Verlauf rele­ vant sind. „Krise“ kann nach Koselleck als Dauer- oder Zustandskategorie gesehen werden, die auf einen Prozess und auf sich ständig reproduzieren­ de kritische Situationen verweist. „Krise“ kann auch als geschichtsimma­ nenter Überbegriff dienen, aber es hängt von der Diagnose ab, ob die Übergangsphase zum Besseren oder Schlechteren führt und wie lange sie dauert.529 Die typisierten Möglichkeiten den Krisenbegriff zu fassen, sind Annäherungsversuche, um Erfahrung einer neuen Zeit auf einen Begriff zu bringen. Koselleck zufolge wurde „Krise“ zur „strukturellen Signatur der Neuzeit“.530 Bourdieu beschreibt im Gespräch mit Wacquant den Hysteresis-Effekt und nutzt ihn synonym mit der Trägheit des Habitus; die Trägheit stabili­ siert ihn auf Dauer.531 Der Habitus neigt dazu, „sich vor Krisen […] [zu schützen, Anm. d. Verf.], indem er sich ein Milieu schafft, an das er so weit wie möglich vorangepasst ist [Hervorh. i. Orig., Anm. d. Verf.].“532 Bourdieu zufolge haben „[die Akteure] in Krisen oder bei plötzlichem Wandel, vor allem in Situationen wie dem Kolonialismus oder sehr ra­

526 ‚Krisis‘ (gr.) für ; vgl. Koselleck, Krise, S. 617; Schäfers, Krise, S. 245. Im Kontext der Finanzkrise 2008 wurde „Krise“ zum „Wort des Jahres“ gewählt, vgl. Gesellschaft für deutsche Sprache, Pressemitteilung. 527 Friedrichs, Gesellschaftliche Krisen, S. 13; Koselleck, Krise, S. 617; Schäfers, Krise, S. 245. 528 Vgl. zu den beiden anderen typisierten Möglichkeiten: Koselleck, Krise, S. 627. 529 Koselleck, Krise, S. 627. 530 Koselleck, Krise, S. 627. Weitere Definitionsansätze für „Krise“ in ihrer Tiefe und Breite ausführlich vorzustellen ist hier nicht möglich, vgl. z.B. Schäfers, Krise, S. 245; Schäfers, Einführung in die Soziologie, S. 229 ff.; Habermas, Legitimati­ onsprobleme im Spätkapitalismus, S. 12. 531 Bourdieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 164; s.a. Suderland, Hysteresis, S. 127. 532 Bourdieu, Sozialer Sinn, S. 114.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

schen Deplazierungen im sozialen Raum, oft Mühe, die mit unterschiedli­ chen Zuständen oder Etappen verbundenen Dispositionen zu vereinen.“533 Aufgrund der dauerhaften Inkorporation passen sich Suderland zufolge die im Habitus befindlichen „Dispositionen nur verzögert an veränderte äußere Strukturen an. Der Habitus ‚hinkt‘ also den äußeren Entwicklun­ gen immer etwas hinterher.“534 Der Hysteresis-Effekt kann Höhne zufolge als „Nicht-Anpassung von Habitus, Dispositionen und Feld begriffen“535 werden. Der Krisen-Begriff kann mit dem Hysteresis-Effekt i.S. Bourdieus ver­ knüpft werden, denn Suderland zufolge ist in allen Situationen, in denen das Konzept des Habitus genutzt wird, „insbesondere in Fällen, wo dieser nicht mehr mit den äußeren Gegebenheiten zusammenpasst, der Hystere­ sisbegriff zur Analyse unumgänglich“.536 Der erworbene Habitus hat ein über mehrere Generationen fortsetzbares Beharrungsvermögen, dauert in den geänderten Feldern fort und passt infolgedessen nicht mehr zu den veränderten Anforderungen des Feldes; spontane Anpassungen des Habi­ tus sind aufgrund seiner Trägheit nicht möglich.537 Für Bourdieu sind allerdings nur manche Krisen, wie z.B. der während seiner Feldforschungen in Algerien stattfindende Unabhängigkeitskrieg oder „historische Situationen vom revolutionären Typus“,538 mithin gro­ ße gesellschaftliche Krisen,539 derart fundamental und umfassend – und damit im Verständnis der vorliegenden Arbeit eine „echte“ Krise –, „dass Habitus und gesellschaftliche Lage auseinanderfallen und massive persön­ liche und kollektive Krisen die Folge sind“.540 Eine Krisendiagnose kann zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Nach einer Ansicht kann eine diagnostizierte Krise ein Moment des kri­ tischen Wandels oder eine kritische Übergangszeit signalisieren, nach der zwar nicht alles, aber doch grundsätzlich sehr vieles, anders sein wird.541

533 534 535 536 537 538 539 540 541

Bourdieu, Meditationen, S. 207. Suderland, Hysteresis, S. 127. Höhne, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2012, 403, 416. Suderland, Hysteresis, S. 129. Höhne, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2012, 403, 416; Lenger/Schnei­ ckert/Schumacher, Pierre Bourdieus Konzeption des Habitus, S. 24 f. Bourdieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 164. Bourdieu, Die feinen Unterschiede, S. 241 ff.; Bourdieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 164; s.a. Lenger/Schneickert/Schumacher, Pierre Bourdieus Konzeption des Habitus, S. 26. Lenger/Schneickert/Schumacher, Pierre Bourdieus Konzeption des Habitus, S. 26. Koselleck, Krise, S. 627.

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B. Theoretische Grundlegungen

Nicht jedes Phänomen des sozialen Wandels führt zu einer Krise, wie auch Bourdieus obige Ausführungen zu verstehen sind. Unter Zugrundelegung eines soziologischen Verständnisses des Krisen-Begriffs sieht Meuser eine Krise dann als gegeben an, „wenn erwartbare Zukunft zerstört ist […], wenn also Handlungsroutinen nicht mehr den gewohnten Effekt zeitigen, Habitualisierungen gleichsam ‚vernichtet’ werden und wenn dies eine Er­ fahrung ist, die nicht nur einzelne Individuen machen, sondern die für die Angehörigen einer sozialen Gruppe zu einer typischen Erfahrung wird.“542 Einer anderen Ansicht zufolge kann nach einer diagnostizierten Krise, auch bei solchen, die das Geschlechterverhältnis betreffen, die Frage ange­ schlossen werden, welche möglichen Praktiken oder Verfahren genutzt werden können, um sie zu überwinden. Z.B. kann die Krise dafür genutzt werden, um neue Ordnungsmuster zu etablieren, die als Ausweg dienen können, oder sie verfolgt das Ziel einer „‚Rettung‘ der überkommenen Geschlechterordnung“.543 Die Möglichkeit, die männliche Herrschaft zu überwinden, Frauen aus der dort bestehenden symbolischen Gewalt zu befreien, um somit eine wirkliche Veränderung oder Revolution der Geschlechterverhältnisse her­ beizuführen, hält Bourdieu nicht für vollständig ausgeschlossen.544 Eine Veränderung ist ihm zufolge im Wege einer „symbolischen Revolution“545 möglich. Voraussetzung hierfür und damit für eine echte Befreiung der Frauen von der männlichen Herrschaft ist Bourdieu zufolge „nur von einem kollektiven Handeln zu erwarten […], das darauf abzielt, die unmit­ telbare Übereinstimmung von inkorporierten und objektiven Strukturen praktisch aufzubrechen“.546 Im Verlauf dieser symbolischen Revolution müssen nach Bourdieu die Grundlagen der (Re-)Produktion des symboli­ schen Kapitals erschüttert werden und die gesellschaftlichen Produktions­ bedingungen radikal umgestaltet werden.547 Eine symbolische Revolution ist somit unerlässliche Voraussetzung für eine wirkliche Veränderung

542 Meuser, Männerwelten, S. 11. 543 Opitz-Belakhal, L’Homme 2008, 31, 37. 544 Bourdieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 211; s.a. Dölling, Männliche Herrschaft, S. 176. 545 Bourdieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 211. 546 Bourdieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 211; vgl. auch Bour­ dieu, Feministische Studien 1997, 88, 90, 97 547 Bourdieu, Eine sanfte Gewalt, S. 230; Bourdieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 211.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

der Geschlechterverhältnisse.548 Die symbolische Revolution müsste einen Umsturz der Ordnung der Dinge – der materiellen Strukturen – umfas­ sen.549 Nicht ausreichend ist, sich der männlichen Herrschaft bewusst zu sein, um sich davon zu befreien. Die symbolische Revolution hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn sie v.a. einen mentalen Umbruch umfasst und die beherrschte Gruppe versucht, „die legitime Sicht auf die Welt zu verändern“:550 Daraus muss eine Umwandlung der im Habitus liegen­ den Wahrnehmungskategorien folgen, die die Menschen dazu bringt, bei der Reproduktion der bestehenden Gesellschaftsordnung mitzuspielen.551 Eine symbolische Revolution muss Dölling zufolge nicht „mit einer umfas­ senden Emanzipation der Geschlechter enden“.552 Einhergehend mit einer symbolischen Revolution können sich neue Ungleichheiten oder neue symbolische Herrschaftsverhältnisse herstellen.553 Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen wird nun analy­ siert, ob oder inwiefern eine Krise der männlichen Herrschaft in verschie­ denen Feldern der „ernsten Spiele des Wettbewerbs“554 vorliegt, um mög­ liche Ableitungen für das Feld des Hooliganismus zu bilden. Auch wird aufgezeigt, ob oder inwiefern die männliche Herrschaft Effekte zeitigt, welche Funktionen die von den „ernsten Spiele[n] des Wettbewerbs“555

548 Nach Rademacher liegt hier ein Zirkelschluss Bourdieus vor, denn „[nach ihrem Verständnis Bourdieus haben sich, Anm. d. Verf.] [s]ymbolische Revolution und politisch/soziale Revolution in dieser Konstruktion wechselseitig zur Vor­ aussetzung“, Rademacher, Jenseits männlicher Herrschaft, S. 148. Der an Bour­ dieus Konzept der männlichen Herrschaft gerichtete Vorwurf Rademachers ist zudem, dass er entscheidende gesellschaftliche Transformationsprozesse aus­ blendet (S. 149) und verkennt, dass aufgrund von Interventionsstrategien wie Gleichstellungspolitik, Konzepten des Mainstreamings und Frauennetzwerken, ein sozialer Wandel, der unter Rekurs auf Wetterer, „zwar ‚im Schneckentempo‘, aber immerhin: sozialer Wandel“ stattfindet, Rademacher, Jenseits männlicher Herrschaft, S. 155. Eine Vorstellung möglicher Diagnosen und vorzugswürdiger Ansicht erfolgt in B. IV. 3. c). 549 Bourdieu, Feministische Studien 1997, 88, 98. 550 Rademacher, Jenseits männlicher Herrschaft, S. 145. 551 Bourdieu, Feministische Studien 1997, 88, 90, 97 f.; Bourdieu/Wacquant, Die Ziele der reflexiven Soziologie, S. 211; Bourdieu, Eine sanfte Gewalt, S. 230; s.a. Dölling, Männliche Herrschaft, S. 176 f.; Mauger, Über symbolsiche Gewalt, S. 227; Rademacher, Diskursive Umarmung, S. 101; vgl. hierzu kritisch Villa, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2011, 51, 66. 552 Dölling, Männliche Herrschaft, S. 176 f. 553 Dölling, Männliche Herrschaft, S. 177. 554 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. 555 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203.

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B. Theoretische Grundlegungen

rechtlich oder faktisch ausgeschlossenen Frauen556 dort trotzdem einneh­ men, oder, anders gewendet: ob die männliche Herrschaft persistent ist. Mit der Frage nach Hinweisen auf eine mögliche Krise der männli­ chen Herrschaft oder, anders gewendet: hinsichtlich Gründen und Erschei­ nungsformen der Persistenz von Geschlechterhierarchie und -differenz, befassten sich bereits zahlreiche Forschungsarbeiten zu ausgewählten Fel­ dern, z.B. Politik,557 Ökonomie und Erwerbsarbeit,558 Wissenschaft,559 technisch-naturwissenschaftliche Berufsfelder,560 Militär,561 Gewalt in ho­ mosozialen Männergemeinschaften bzw. in männlich dominierten Ge­ meinschaften562 oder Gewalt in Paarbeziehungen.563 Die Beantwortungen und Schlussfolgerungen sind weder abschließend noch eindeutig; sie fo­ kussieren weitgehend auf den männlichen Habitus.564 Die nachfolgenden Ausführungen stellen das Übereinstimmende vor und richten ein besonde­ res Augenmerk zum einen auf den weiblichen Habitus, der zwar implizit mitgedacht erscheint, jedoch nur selten expliziert oder systematisch entfal­ tet wird, und zum anderen auf Weiblichkeitskonzepte bzw. Bilder von Weiblichkeit(en).

556 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. 557 Z.B. Meuser/Scholz, Krise oder Strukturwandel hegemonialer Männlichkeit?, S. 70 ff.; Scholz, Diversifizierung und Delegitimierung männlicher Herrschaft, S. 149. 558 Z.B. Hofbauer, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2006, 23, 26 ff.; Meuser/ Scholz, Krise oder Strukturwandel hegemonialer Männlichkeit?, S. 64 f.; Roock, Psychologie & Gesundheit 2012/2013, 151, 160 f.; Scholz, Diversifizierung und Delegitimierung männlicher Herrschaft, S. 6. 559 Z.B. Beaufaӱs/Krais, Feministische Studien 2005, 82, 83 ff.; Bereswill/Liebsch, Per­ sistenz von Geschlechterdifferenz und Geschlechterhierarchie, S. 11 ff.; Hofbauer, Neue Geschlechterordnung an Hochschule?, S. 434; König/Berli, Das Paradox der Doxa, S. 319 f.; Meuser, Homosoziale Kooptation, S. 22 ff. 560 Z.B. Bereswill/Liebsch, Persistenz von Geschlechterdifferenz und Geschlechter­ hierarchie, S. 13 ff.; Gorlov, Warum gibt es kaum Ingenieurinnen?, S. 4 ff.; Maien­ fisch, „Das spezifische frauliche Element…”, S. 13 ff. 561 Z.B. Ahrens/Apelt/Bender, Einleitung, S. 7 ff.; vom Hagen, Homo militaris, S. 59 ff., 116 ff.; vom Hagen/Tomforde, Militärische Kultur, S. 302 ff.; Kümmel, Frauen in militärischen Organisationen, S. 367 ff.; Mangold, Potsdamer Studien zur Frauen- und Geschlechterforschung 2000, 98, 98 ff.; Scholz, Männlichkeitsso­ ziologie, S. 181 ff. 562 Z.B. Bruhns/Wittmann, „Ich meine, mit Gewalt kannst du dir Respekt verschaf­ fen“. 563 Z.B. Meuser, Gewalt im Geschlechterverhältnis, S. 105 ff.; Müller/Schröttle, Ge­ walt gegen Frauen und Gewalt im Geschlechterverhältnis, S. 668 ff. 564 So auch Bereswill, Männlichkeit unter Druck?, S. 52.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

a) Besonderheiten in Feldern, in denen vorwiegend Erwachsene „spielen“ Dieser Abschnitt widmet sich den Besonderheiten des weiblichen Habitus und Weiblichkeitskonzepten in Feldern, in denen vorwiegend Erwachse­ ne „spielen“. Das Feld der Erwerbsarbeit gilt, wie bereits angedeutet, als Ausgangspunkt für einen möglichen Wandel der Geschlechterverhältnis­ se.565 Im noch immer nach Geschlecht segregierten Arbeitsmarkt treten seit etwa 50 Jahren Wandlungsprozesse ein und für weibliche Personen be­ stehen nun keine grundsätzlichen formalen Hindernisse (mehr), z.B. Füh­ rungspositionen oder gesellschaftliche Machtpositionen einzunehmen.566 Gleichwohl hat sich an der Grundstruktur des Feldes wenig verändert.567 Dies führt zu der Frage, wie es Frauen grundsätzlich möglich ist, in Fel­ dern der „ernsten Spiele des Wettbewerbs“568 mitzuspielen. Nach Stückler müssen Frauen die Spielregeln des Feldes annehmen und tragen so zu dessen Reproduktion bei.569 Zudem müssten sie den jeweils feldspezifischen Habitus internalisieren und bei ihrem Handeln befolgen.570 So gleichen sich Stückler zufolge „Frauen an das männliche Ideal“571 an. Dieser Ansicht ist zu entgegnen, dass von einer Angleichung des Habitus der Frauen an den jeweils feldspezifischen Habitus auszuge­ hen ist. Dies geschieht, indem Frauen i.S.d. männlichen Herrschaft diese an-, ver- und erkennen, selbst reproduzieren und somit zu ihrem Erhalt und Fortbestehen beitragen. Nach Stückler sind „[es] die Frauen […], die ‚männlich‘ werden – oder dies jedenfalls, wie auch jeder Mann, sein müs­ sen, um unter derart kompetitiven Bedingungen zu reüssieren“.572 Das Denken in kompetitiven Strukturen und Zielen erscheint in der Ansicht Stücklers maßgeblich zu sein, denn dieses Denken müssten sich Frauen aneignen, um z.B. Führungspositionen anzustreben oder auszuüben.573 Stückler sieht als wesentliches Differenzkriterium zwischen Männern und

565 Vgl. B. III. 1. 566 Lellé, Arrivierte Frauen, S. 58; Roock, Psychologie & Gesundheit 2012/2013, 151, 160 f.; Stückler, Geschlecht – Konkurrenz – Androzentrismus, S. 138, 147. 567 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203; Lellé, Arrivierte Frauen, S. 58; Stückler, Geschlecht – Konkurrenz – Androzentrismus, S. 147 f. 568 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. 569 Stückler, Geschlecht – Konkurrenz – Androzentrismus, S. 149. 570 Stückler, Geschlecht – Konkurrenz – Androzentrismus, S. 149; s.a. Stückler, GENDER 2013, 114, 118. 571 Stückler, Geschlecht – Konkurrenz – Androzentrismus, S. 149. 572 Stückler, Geschlecht – Konkurrenz – Androzentrismus, S. 150. 573 Stückler, GENDER 2013, 114, 120.

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B. Theoretische Grundlegungen

Frauen die „Liebe zum Wettbewerb“.574 Dieser Ansicht kann nicht durch­ gängig gefolgt werden, denn ein nur auf eine Dimension abstellender Er­ klärungsversuch für den Unterschied zwischen Männern und Frauen wird als zu kurz gegriffen erachtet. Zuzugeben ist, dass die „Liebe zum Wettbe­ werb“ ein Kriterium ist, aber es ist weder das einzige Kriterium noch das alleinig Entscheidende, das sich dann, so erscheint Stücklers Ansicht, auf alle anderen auswirkt, die er wiederum als weit nachrangig zur „Liebe zum Wettbewerb“ und entsprechendem Denken in Kompetitivität betrachtet. Andere, differenziertere, vorzugswürdige Erklärungsversuche gehen da­ von aus, es handele sich um einen Wandel von der formalen hin zu einer informellen Exklusion, bei der im Wesentlichen die exzessive zeitliche Fle­ xibilität und der Habitus maßgeblich zu berücksichtigende Aspekte sind, wenn man das Feld der Ökonomie und Führungspositionen betrachtet.575 Entscheidend sind u.a. bestimmte soziodemographische Daten, berufsbe­ zogene Motivationen oder karrieretaktisches Verhalten.576 Zur Erklärung wird u.a. angeführt, gewisse Merkmale im Feld der Ökonomie würden in Abhängigkeit vom Geschlecht ungleich bewertet. Auszuschließende wür­ den einer anderen sozialen Kategorie zugerechnet und deren Qualifikation und Kompetenz würde als unzulänglich kategorisiert.577 Die Geschlechter­ rollenbilder und die als Bewertungsmaßstäbe für Wissen, Arbeit und Leis­ tung genutzten Zuschreibungen orientieren sich an solchen, die Männern zugeschrieben werden: „a-sexuell, kühl, sachlich und rational agierend“.578 Frauen hingegen wird zugeschrieben „emotional, unberechenbar und fa­ milienorientiert“579 zu sein. Es werden verschiedene Formen der symboli­ schen Gewalt zur Reproduktion und Transformation der Herrschaftsstrukturen sichtbar, denn die Mitglieder einer herrschenden Gruppe verteidigen den Zugang zu knappen sozialen Gütern sowie das damit verbundene Prestige durch Begrenzung der Konkurrenz.580 Dadurch wird der Kampf 574 Stückler, Geschlecht – Konkurrenz – Androzentrismus, S. 152. 575 Hofbauer, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2006, 23, 31 ff.; s.a. Lellé, Arrivierte Frauen, S. 58 ff. 576 Hofbauer, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2006, 23, 26; s.a. Lellé, Ar­ rivierte Frauen, S. 67; Wetterer, Arbeitsteilung und Geschlechterkonstruktion, S. 440 ff. 577 Hofbauer, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2006, 23, 26; Lellé, Arrivierte Frauen, S. 64; Wetterer, Arbeitsteilung und Geschlechterkonstruktion, S. 417. 578 Funder, Geschlechterverhältnisse und Wirtschaft, S. 462. 579 Funder, Geschlechterverhältnisse und Wirtschaft, S. 462. 580 Hofbauer, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2006, 23, 26 f.; Wacquant, Auf dem Weg zu einer Sozialpraxeologie, S. 34; Wetterer, Arbeitsteilung und Geschlechterkonstruktion, S. 444.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

um die Grenzen des Feldes581 sichtbar, denn es wird ein Kampf ausgetra­ gen und zwar um die Verteilung, den Wert der Spieleinsätze und um Rang, Einfluss und Prestige. Die männlichen Spieler sind habituell bereit, sich auf jenen Kampf einzulassen, denn sie teilen die illusio i.S. Bourdieus, Sinn und Leidenschaft für das Spiel, und schließen andere aus dem Feld bzw. dem Spiel aus.582 Die angewandte Strategie des Anwesenheitskults (Präsentismus) wirkt als – subjektiv von Mitgliedern der herrschende Gruppe beabsichtigte oder unbeabsichtigte – informelle Exklusion gegen­ über Frauen, da ihnen durchschnittlich weniger zeitliche Ressourcen zu Verfügung stehen oder sie sie nicht zu Verfügung stellen wollen. Dies steht in Zusammenhang mit den traditionellen Geschlechterrollenbildern, nach denen Männern die Sphäre der Erwerbsarbeit (Produktion) und Frauen die Sphäre der Familienarbeit (Reproduktion) obliegt.583 Hier kön­ nen die im Kontext des vergeschlechtlichenden und vergeschlechtlichten Habitus entwickelten homologen Gegensätze584 erkannt werden und sind einer der Gründe, weshalb sich die männliche Herrschaft im Feld der Ökonomie (re-)produziert.585 Weitere Ausschließungs-, Einstiegs- und Aufstiegskriterien beziehen sich auf die Konkurrenz zwischen weiblichen und männlichen Personen um Führungspositionen im Feld der Ökonomie und den Habitus. Wollen Frauen im Feld der Ökonomie erfolgreich sein, müssen sie „die Geschlech­ terdifferenz herunterspielen“.586 Dies ist eine weitere Erklärung für die (Re-)Produktion der männlichen Herrschaft, denn die vorstehenden Er­ klärungsversuche stimmen insofern überein, dass sie auf traditionellen Geschlechterrollenbildern basieren und mit vergeschlechtlichten Zuschrei­ bungsprozessen arbeiten, die über Klassen und Geschlechter hinweg durchgängig von in empirischen Studien befragten Personen geäußert werden.587 Folglich findet die Ausschließung von „gleichermaßen ([h]och) 581 Vgl. zu den Grenzen eines Feldes und zum Ausschluss daraus bereits B. IV. 1. 582 Hofbauer, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2006, 23, 33 f. 583 Von Alemann, GENDER 2014, 10, 15 ff.; Hofbauer, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2006, 23, 34; Lellé, Arrivierte Frauen, S. 61 f.; Wetterer, Arbeitstei­ lung und Geschlechterkonstruktion, S. 444, 543. 584 Vgl. B. IV. 2. a) aa). 585 Hofbauer, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2006, 23, 34; Lellé, Arrivierte Frauen, S. 65; von Alemann, GENDER 2014, 10, 17 ff. 586 Hofbauer, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2006, 23, 35; s.a. Valsky, Erfahrungen und Handlungsstrategien von Frauen in Führungspositionen, S. 161 f. 587 Von Alemann, GENDER 2014, 10, 19; Hofbauer, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2006, 23, 36.

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B. Theoretische Grundlegungen

[q]ualifizierten“588 Frauen durch die Inszenierung dessen statt, was Bour­ dieu die „feinen Unterschiede“ im vergeschlechtlichenden, vergeschlecht­ lichten Habitus nennt. Die Erwerbsarbeit trägt in besonderem Maße zur (Re-)Produktion der Verhältnisse zwischen den Geschlechtern bei.589 Frau­ en sind nicht durchgängig von Exklusion betroffen, solange sie die zuge­ schriebenen Geschlechterrollenbilder für Männer i.S. Bourdieus er- und an­ erkennen. Damit tragen sie selbst zur Perpetuierung der männlichen Herr­ schaft bei. Zwar ist grundsätzlich der Weg für den beruflichen Aufstieg, und damit für ein „Mitspielen“ in den Feldern der „ernsten Spiele“ für Frauen frei, dieser gestaltet sich jedoch beschwerlich aus, denn es handelt sich um einen blockierten Zugang, der bildhaft als „gläserne Decke“590 umschrieben wird. Nach Bourdieu können, obwohl Frauen u.a. formale Freiheiten, z.B. ver­ mehrte Bildung(-sbeteiligung), Wahlrecht, erworben haben, eigene Selbst­ ausschlüsse von Frauen aus den „ernsten Spielen“ beobachtet werden.591 Der vergeschlechtlichende und vergeschlechtlichte Habitus trifft in den unterschiedlichen Feldern auf die dort bestehenden vergeschlechtlichten Strukturen.592 Feld und Habitus strukturieren und bedingen sich gegensei­ tig.593 Das Mitspielen in den „ernsten Spielen“ erfordert einen spezifischen Habitus.594 Der eigene Anspruch der Frauen ist der zentrale Mechanismus – als bestimmte Disposition des Habitus –, um für sich selbst den Weg in die Felder der „ernsten Spiele“ bzw. in die Spitzenpositionen im hier be­ trachteten Feld der Ökonomie zu wagen.595 Nach Lellé handelt es sich hier­ bei um „das Nichtanerkennen des Herrschaftsverhältnisses als Entgegen­ wirken gegen Abhängigkeitsverhältnisse.“596 Durch die stetigen, subjektiv empfundenen Entmutigungen verkümmert bei Frauen die aktive Haltung und Teilhabe an gesellschaftlichen Praktiken.597 Dem Selbstausschluss von Frauen und ihr Ausschluss durch Männer aus den Feldern der „ernsten

588 Hofbauer, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2006, 23, 38. 589 Hofbauer, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2006, 23, 37 f.; Lellé, Arri­ vierte Frauen, S. 66. 590 Funder, Geschlechterverhältnisse und Wirtschaft, S. 461; Hofbauer, Österrei­ chische Zeitschrift für Soziologie 2006, 23, 23. 591 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 73; vgl. bereits B. IV. 2. a) bb). 592 Rademacher, Jenseits männlicher Herrschaft, S. 152. 593 Vgl. B. IV. 1., 2. 594 Vgl. auch Lellé, Arrivierte Frauen, S. 220. 595 Lellé, Arrivierte Frauen, S. 224. 596 Lellé, Arrivierte Frauen, S. 224. 597 Lellé, Arrivierte Frauen, S. 223.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

Spiele“ bzw. aus Spitzenpositionen im Feld der Ökonomie kann aktiv entgegengewirkt werden, indem Frauen einen eigenen Willen zu Erfolg und Macht ausprägen.598 Zwar kann noch immer ein Selbstabspruch von Frauen beobachtet werden, ebenbürtige Mitspielende i.S.d. Spiel-Metapher Bourdieus sein zu können, allerdings sehen sich Frauen, die in den „ernsten Spielen“ mitspielen, selbst als gleichberechtigte Spielerinnen im Feld an, weshalb sie auch von anderen als solche er- und anerkannt werden.599 Die Basis für dieses Phänomen kann in der Erziehung gesehen werden: Nach Lellé ist der Habitus eines Mädchens, das zu einer „‚Guten Toch­ ter‘, zum ‚Netten Mädchen‘ und zur ‚Guten Ehefrau‘ erzogen“600 wird, entsprechend empfänglich für die männliche Herrschaft.601 Die stetige Unterstützung der Eltern, den eigenen Weg zu gehen, wirken bestärkend und ermutigend dahingehend, diesen Weg einzuschlagen, beizubehalten und damit der männlichen Herrschaft etwas entgegenzusetzen, so dass im Geschlechterverhältnis in aktiver Weise eine entsprechende Position im Spiel eingenommen werden kann.602 Die Geschlechterordnung kann nur von Frauen selbst durchbrochen werden. Bedingung dafür ist, das eigene Selbstbild auf Dinge zu richten, die sich außerhalb der männli­ chen Herrschaft befinden. Denn nur so gelingt es ihnen Lellé zufolge, außerhalb der männlichen Herrschaft zu handeln.603 Jedoch beachtet Lellé nicht, dass die Herrschenden nicht nur im Rahmen der männlichen Herr­ schaft über die Beherrschten herrschen, sondern dass auch die männliche Herrschaft selbst über die Herrschenden herrscht.604 Insofern handeln die Frauen nicht außerhalb, sondern immer noch innerhalb der männlichen Herrschaft. Diese Frauen sind hinsichtlich ihres Habitus näher bei denje­ nigen der männlichen Herrschenden und dem feldspezifischen Habitus anzusiedeln als beim „typisch weiblichen Habitus [Hervorh. i. Orig., Anm. d. Verf.]“.605 Hieraus folgt jedoch eine Dilemmatasituation: Frauen sind keine Männer, orientieren sich trotzdem am männlichen Habitus sowie am feldspezifischen Habitus. Ihr spezifischer weiblicher Habitus, der sie zu gleichwertigen, ebenbürtigen Mitspielenden im Feld macht, ist „als

598 Lellé, Arrivierte Frauen, S. 269 f.; s.a. Hofbauer, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2006, 23, 34 ff. 599 Lellé, Arrivierte Frauen, S. 224. 600 Lellé, Arrivierte Frauen, S. 264. 601 Vgl. bereits B. IV. 2. c). 602 Lellé, Arrivierte Frauen, S. 264. 603 Lellé, Arrivierte Frauen, S. 269. 604 Vgl. B. IV. 2. 605 Lellé, Arrivierte Frauen, S. 270.

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B. Theoretische Grundlegungen

subjektbezogen, selbstständig, entscheidungsfreudig und -fähig“606 zu cha­ rakterisieren; sie streben „eigene Standards und Werte“607 an. b) Besonderheiten in (Jugend-)Gruppen und Szenen Nun werden hinsichtlich der Frage, ob es Hinweise auf eine Krise der männlichen Herrschaft gibt, nicht gewaltaffine und gewaltaffine ge­ schlechtshomogene und -heterogene (Jugend-)Gruppen und Szenen be­ trachtet. aa) In nicht gewaltaffinen Gruppenkontexten Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts ging man davon aus, eher männliche als weibliche Jugendliche schlössen sich in Gleichaltrigengruppen zusammen. Spätere empirische Erkenntnisse verzeichnen einen Bedeutungszuwachs von peer groups für weibliche Jugendliche.608 Zwar scheinen männliche Jugendliche noch immer stärker darin eingebunden zu sein als weibliche Jugendliche, aber sie werden von der (Jugend-)Forschung u.a. auch deswe­ gen seltener in den Blick genommen, weil sie nicht dazu neigen, öffentlich wahrnehmbare Gruppen zu bilden und stattdessen andere Beziehungsfor­ men bevorzugen oder weil, trotz festgestellter „Unsichtbarkeit“609 von weiblichen Jugendlichen in Jugendgruppen, damit im Zusammenhang stehende empirische Untersuchungen nicht erfolgten.610 Bei den Freund­ schaften in der Lebensphase Jugend kommt es zu einer Gleichzeitigkeit von dyadischen Freundschaftsbeziehungen und zu Zusammenschlüssen in informellen wie formalisierten (z.B. vereinsgebundene Gruppen in den Bereichen Sport, Musik, Schulklassen) Gruppen oder fragileren Netzwer­

606 Lellé, Arrivierte Frauen, S. 272. 607 Lellé, Arrivierte Frauen, S. 272. 608 King, Die Entstehung des neuen in der Adoleszenz, S. 249; Schröder, Gruppen, Clique, Freundschaft, S. 156; Schröder/Leonhardt, Jugendkulturen und Adoles­ zenz, S. 37. 609 Schrader/Pfaff, Jugendkulturen und Geschlecht, S. 325. 610 King, Die Entstehung des neuen in der Adoleszenz, S. 249 f., 256; Kolip, Zeitschrift für Sozialisationsforschung und Erziehungssoziologie 1994, 20, 21; Leven/Quenzel/Hurrelmann, Familie, Schule, Freizeit, S. 82 f.; Schrader/Pfaff, Ju­ gendkulturen und Geschlecht, S. 325 f.; Schröder, Gruppen, Clique, Freund­ schaft, S. 155 ff.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

ken.611 Männliche Jugendliche bilden größere Gruppen als weibliche Ju­ gendliche. Männliche Jugendliche neigen eher zu extensiven Beziehungen, weibliche Jugendliche eher zu intensiveren, exklusiven und dyadischen Beziehungen. Hinsichtlich der Gesamtanzahl von Freunden unterscheiden sich männliche und weibliche Jugendliche nicht.612 Informelle Gruppen bieten Jugendlichen die Möglichkeit, sich Freiräu­ me gegenüber der von den Eltern oder der Schule erfahrenden Kontrolle zu verschaffen. Informelle Gruppen können Jugendlichen als Ersatz für die eigene Familie und als Orte der Problembearbeitung, die sich aus den schulischen oder familiären Kontexten ergeben, dienen.613 Weibliche Jugendliche suchen in informellen Gruppen eher freundschaftliche Bezie­ hungen und gemeinsamen Spaß. Männliche Jugendliche gehen dort ge­ meinsam geteilten Interessen, z.B. Sport, nach und schätzen in informellen Gruppen den gemeinsam erlebten Spaß, das „gemeinsame ‚Chillen‘“614 und „‚Partymachen‘“.615 In nicht gewaltaffinen, weiblich-geschlechtshomogenen Gruppen sind Erfahrungen und Erlebnisse der Geborgenheit, Nähe, Wärme, Sicherheit, Zusammengehörigkeit und Solidarität ausgeprägter als in geschlechtshe­ terogenen oder männlich-geschlechtshomogenen Gruppen.616 Weibliche Jugendliche bevorzugen gleichgeschlechtliche Gruppen617 mit bis zu drei weiteren Personen.618 Männliche Jugendliche bevorzugen den Zusammen­ schluss in größeren Gruppen, mit denen sie eher raumgreifenden, körper­ betonten Aktivitäten, die auf Abenteuer und „Action“ abzielen, nachge­ hen. Innerhalb dieser Gruppen sind Statusverhandlungen über die eigene Gruppenposition und damit einhergehenden Zuschreibungen beobacht­ bar. Die Gruppen weisen hierarchische Strukturen auf und dort werden

611 BT-Drs. 18/11050, S. 207 ff. 612 Krappmann/Oswald, Beziehungsgeflechte und Gruppen von Gleichaltrigen Kin­ dern in der Schule, S. 324 f. 613 BT-Drs. 18/11050, S. 210. 614 BT-Drs. 18/11050, S. 210. 615 BT-Drs. 18/11050, S. 210; vgl. auch Köhler, Freunde, Feinde oder Klassenteam?, S. 30. 616 Ferchhoff, Jugend und Jugendkulturen im 21. Jahrhundert, S. 391. 617 Dort besteht die Möglichkeit, sich auch über erste (romantische) Erfahrungen, Liebe und (erste) Partnerschaften auszutauschen und führen zu einer Intimisie­ rung der Freundschaften innerhalb der Gruppe; Köhler, Freunde, Feinde oder Klassenteam?, S. 39 f., 57. 618 Breidenstein, Peer-Interaktion und Peer-Kultur, S. 956; Schröder/Leonhardt, Ju­ gendkulturen und Adoleszenz, S. 38; so auch Jösting, Jungenfreundschaften, S. 313 f.

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B. Theoretische Grundlegungen

u.a. Stärke und Männlichkeit zur Schau gestellt, was dazu dient, einen – wie auch immer gearteten, begründeten oder zugeschriebenen – Opfersta­ tus zu vermeiden. Innerhalb solcher Gruppen kommt es zu Machtdemons­ trationen und sie dienen als Ort und Mittel zur Konstruktion von Männ­ lichkeit.619 Die Atmosphäre, der sich der Einzelne zu unterwerfen hat, ist kampf- und leistungsorientiert. Der Ausschluss weiblicher Personen aus diesen Gruppen stärkt deren symbolische Bedeutung als Konstruktions­ ort von Männlichkeit.620 Im Gegensatz zu weiblich-geschlechtshomoge­ nen Gruppen fehlt es männlich-geschlechtshomogenen Gruppen an einer kommunikativen Kultur und es herrscht Konformitätsdruck. Auch in weiblich-geschlechtshomogenen Gruppen entwickeln sich Lebensentwür­ fe, die sich nicht am traditionellen Geschlechterrollenbild orientieren.621 Insgesamt werden die Unterschiede zwischen den beiden möglichen ge­ schlechtshomogenen Gruppen etwas geringer.622 In der Lebensphase Jugend wächst der Stellenwert von gegengeschlecht­ lichen Freundschaften und Gruppen.623 In gemischtgeschlechtlichen, nicht gewaltaffinen Gruppen sind andere (zugeschriebene) Geschlechter­ rollenbilder anzutreffen und auch die Bedeutung der Gruppe für deren Mitglieder ist unterschiedlich. Weibliche Personen sind dort grundlegend und strukturell benachteiligt. Ihr Zugang erfolgt oftmals als „Anhängsel“ der männlichen Mitglieder. Deshalb unterscheiden sich ihre Rollen und Geschlechterrollenbilder deutlich. Weibliche Jugendliche sind eher die Zuschauenden der Gruppenaktivitäten,624 was zum einen Geschlechterrol­ lenbilder aufzeigt, die nicht von Aktivität, sondern von Passivität geprägt sind. Zum anderen ist ein Definieren der weiblichen über die männli­ chen Mitglieder beobachtbar. Durch das Zuschauen kommt ihnen die Rolle als zusehende, schmeichelnde Spiegel zu, wie Bourdieu es innerhalb 619 Vgl. auch BT-Drs. 18/11050, S. 210; Breidenstein, Peer-Interaktion und Peer-Kul­ tur, S. 956; Jösting, Jungenfreundschaften, S. 313 f.; Köhler, Freunde, Feinde oder Klassenteam?, S. 39; Schröder/Leonhardt, Jugendkulturen und Adoleszenz, S. 38; Seiffge-Krenke/Seiffge, »Boys play sport…?«, S. 282. 620 Jösting, Jungenfreundschaften, S. 293, 314; Köhler, Freunde, Feinde oder Klassen­ team?, S. 58; Seiffge-Krenke/Seiffge, »Boys play sport…?«, S. 282. 621 Jösting, Jungenfreundschaften, S. 314 ff.; Schröder/Leonhardt, Jugendkulturen und Adoleszenz, S. 38 f. 622 Vgl. BT-Drs. 18/11050, S. 209 ff. 623 King, Die Entstehung des neuen in der Adoleszenz, S. 256; Köhler, Freunde, Feinde oder Klassenteam?, S. 39. 624 Engler/Friebertshäuser, Deutsche Jugend 1988, 205, 205; Schimpf, Das Selbst kommt zum Bildnis, S. 58; Schröder, Gemeinschaften, Jugendkulturen und männliche Adoleszenz, S. 303.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

der männlichen Herrschaft für die beherrschten weiblichen Personen be­ schreibt.625 Männliche Mitglieder geschlechtsheterogener Gruppen sind die Akteure und Macher, denen das Sagen dort obliegt. Sollten weibliche Mitglieder trotzdem aktiv werden, sind sie stets an die Verhaltensweisen, Normen und Erwartungen der männlichen Mitglieder gebunden und wer­ den von ihnen häufig verbal abgewertet.626 Die räumliche Kopräsenz weiblicher Jugendlicher dient gemischtge­ schlechtlichen Gruppen als Ausweis der Männlichkeit.627 In geschlechts­ heterogenen, nicht gewaltaffinen Gruppen orientieren sich weibliche Mit­ glieder stärker an männlichen Gruppenmitgliedern als in geschlechtshe­ terogenen, gewaltaffinen Gruppen. Nichtsdestotrotz gibt es auch in ge­ schlechtsheterogenen, nicht gewaltaffinen Gruppen weibliche Mitglieder mit einem hohen Status. Diese weiblichen Mitglieder sind zwar anerkannt, nehmen aber nie die statushöchsten Positionen ein, denn diese sind den männlichen Mitgliedern vorbehalten.628 Die statushohen weiblichen Mit­ glieder charakterisiert, vertrauenswürdig, in organisatorischer Hinsicht kompetent sowie bereit und fähig zu sein, sich auf Probleme anderer Menschen einzulassen. Weibliche Gruppenmitglieder nehmen die status­ hohen männlichen Mitglieder geschlechtsheterogener Gruppen als sie be­ schützend und ihnen gegenüber fürsorglich wahr. Diese Zuschreibungen finden sich nicht dergestalt in gewaltaffinen Gruppen wieder.629 Gruppengründungen obliegen überwiegend männlichen Jugendlichen. Innerhalb geschlechtsheterogener Gruppen können sich aber weibliche Subgruppen bilden. Der damit vollzogene Ausschluss der männlichen Mitglieder erfolgt vor der Folie des impliziten Wissens der weiblichen Mit­ glieder, dass in geschlechtsheterogenen Gruppen Männlichkeit konstruiert wird und dies konstitutiv für diese Gruppen ist. Durch die Subgruppe konstruiert sich ein weiblich-geschlechtshomogener Raum innerhalb des gemischtgeschlechtlichen Raumes.630 Als Beispiele für geschlechtsheterogene, nicht gewaltaffine Gruppen die­ nen die HipHop-Szene oder Metal-Szene. Schrader/Pfaff zufolge zeigen

625 Vgl. B. IV. 2., insbesondere c). 626 Schröder, Gemeinschaften, Jugendkulturen und männliche Adoleszenz, S. 303; Schröder/Leonhardt, Jugendkulturen und Adoleszenz, S. 38. 627 Eckert/Reis/Wetzstein, „Ich will halt anders sein wie die anderen“, S. 403. 628 Bruhns/Wittmann, „Ich meine, mit Gewalt kannst du dir Respekt verschaffen“, S. 217. 629 Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 184; Bruhns/Wittmann, „Ich meine, mit Ge­ walt kannst du dir Respekt verschaffen“, S. 217, 260. 630 Vgl. Bütow, Mädchen in Cliquen, S. 26, 224, 236.

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B. Theoretische Grundlegungen

sich in manchen Subszenen der Metal-Szene Unterschiede hinsichtlich des Habitus der weiblichen Mitglieder und aus Befunden weiteren Studien schließen Schrader/Pfaff, dass weibliche Mitglieder ihre Weiblichkeit ver­ drängten und sich den männlichen Mitgliedern anpassten. In anderen Subszenen würden weibliche Mitglieder den männlichen Habitus aufneh­ men, achteten jedoch darauf, sich selbst als attraktiv zu zeigen.631 Einer der Gründe für die seltene Präsenz weiblicher Personen auf szeneinternen Ver­ anstaltungen (z.B. Festivals) sind Schrader/Pfaff in den (un-)hygienischen Zuständen z.B. von Toilettenanlagen zu sehen. Daraus werden auf eher traditionelle Geschlechterrollenbilder geschlossen, bei denen weiblichen Personen zugeschrieben wird, sich stärker an Sauberkeit, (Körper-)Hygiene und Benehmen im Allgemeinen zu orientieren. Männlichen Personen wird im Gegensatz dazu zugeschrieben, ungehobelt, unhygienisch und dreckig zu sein.632 Die bei den szeneinternen Festivals vorfindbaren Praxen und Zuschreibungen sind demnach geschlechtsspezifisch konstruiert und erschweren den Zugang für weibliche Personen.633 Aus ihren Befunden schließen Schrader/Pfaff eine „Subordination oder Benachteiligung des Weiblichen – begründet über naturalisierende Geschlechtsrollenbilder“.634 Zusammenfassend kann eine Dichotomie hinsichtlich der Mitglieder gemischtgeschlechtlicher Gruppe entlang der Kategorie Geschlecht konsta­ tiert werden: U.a. ist Aktivität dort eher männlich, Passivität eher weiblich konnotiert; dies entspricht traditionellen Geschlechterrollenbildern. Der Zugehörigkeitsmodus ist ebenfalls derart strukturiert, da sich in solchen Gruppen die Zughörigkeit der weiblichen Mitglieder über die männlichen Mitglieder ergibt, weibliche Mitglieder als „Anhängsel“ und als unselbst­ ständiger, ggf. austauschbarer Anhang gesehen werden. bb) In gewaltaffinen Gruppenkontexten Eine detaillierte Darstellung aller verfügbaren Hell- und Dunkelfeldda­ ten zu Delinquenz weiblicher Personen und Gewaltdelinquenz – auch im Gruppenkontext – unterbleibt an dieser Stelle; es wird nur ein kur­ zer Überblick über wesentliche Erkenntnisse hierzu gegeben. Grundsätz­ lich besteht Einigkeit hinsichtlich einer niedrigeren Delinquenzbelastung

631 632 633 634

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Schrader/Pfaff, Jugendkulturen und Geschlecht, S. 330 mwN. Schrader/Pfaff, Jugendkulturen und Geschlecht, S. 334. Schrader/Pfaff, Jugendkulturen und Geschlecht, S. 334. Schrader/Pfaff, Jugendkulturen und Geschlecht, S. 334.

IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

weiblicher im Vergleich zu männlichen Personen.635 Die Deliktsstruktur ist grundsätzlich weniger schwerwiegend.636 Der Abstand zwischen männ­ lichen und weiblichen Personen wird umso größer, je schwerwiegender das Delikt ist.637 Dies gilt für das Hell- ebenso wie für das Dunkelfeld638 und ist einer der Gründe, weshalb die Delinquenz weiblicher Personen seltener in empirischen Studien beachtet wurde. Zwar ist auch bei weibli­ chen Personen ein altersbedingter, typischer Kurvenverlauf zu beobachten, allerdings ist die Spitze bereits zwischen 14 und 16 Jahren – und damit früher als bei männlichen Personen (18 bis unter 21 Jahre) – erreicht.639 Mit Gewaltdelinquenz sind weibliche Personen ebenfalls im Hell- und Dunkelfeld weniger belastet als männliche Personen, jedoch gibt es „‚In­ seln‘ mit angehobener weiblicher Beteiligung“,640 mitunter etwa bei selbst­ berichteter Gewaltdelinquenz.641 Mittlerweile gibt es zunehmend Hinwei­ se darauf, dass der Abstand zwischen männlichen und weiblichen mit Gewaltdelinquenz belasteten Jugendlichen etwas geringer wird. Dieser Befund ist möglicherweise mit der in den vergangenen Jahren gestiege­ nen Aufmerksamkeit gegenüber weiblichen Gewaltausübenden und mit erhöhten Anzeigewahrscheinlichkeiten bzw. -bereitschaften zu erklären.642 Erklärungsversuche zu (Gewalt-)Delinquenz von weiblichen Jugendlichen

635 Vgl. statt vieler Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, S. 978; Neubacher, Kriminologie, S. 83, s.a. Krieg et al., Jugendliche in Niedersachsen, S. 49 ff. 636 Vgl. statt vieler Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, S. 979; Singelnstein/Kunz, Krimi­ nologie, S. 282 f. 637 Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, S. 979; Neubacher, Kriminologie, S. 83; Silkenbeu­ mer, Jugendkriminalität bei Mädchen, S. 376; s.a. Krieg et al., Jugendliche in Niedersachsen, S. 65 f. 638 Arnis, Devianz und Delinquenz von Kindern und Jugendlichen weiblichen Ge­ schlechts, S. 53 ff.; Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, S. 978 ff.; Neubacher, Krimino­ logie, S. 82 ff.; Silkenbeumer, Jugendkriminalität bei Mädchen, S. 375 ff. 639 Vgl. z.B. Arnis, Devianz und Delinquenz von Kindern und Jugendlichen weibli­ chen Geschlechts, S. 57; Equit, Gewaltkarrieren von Mädchen, S. 33; Neubacher, Kriminologie, S. 83; Silkenbeumer, Jugendkriminalität bei Mädchen, S. 376 f. 640 Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, S. 979; vgl. zur „Gewalttäterschaft nach Ge­ schlecht und Schulform“: Krieg et al., Jugendliche in Niedersachsen, S. 65 f., s. a. Boers et al., Jugendkriminalität-Altersverlauf und Erklärungszusammenhänge, S. 2 ff. 641 Arnis, Devianz und Delinquenz von Kindern und Jugendlichen weiblichen Geschlechts, S. 57 ff.; Bruhns/Wittmann, „Ich meine, mit Gewalt kannst du dir Respekt verschaffen“, S. 13. 642 Baier et al., Kinder und Jugendliche in Deutschland, S. 11; Equit, Gewaltkarrie­ ren von Mädchen, S. 31; Görgen et al., JuKrim2020, S. 4, 50 ff., 104; Silkenbeumer, Jugendkriminalität bei Mädchen, S. 376 ff.

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B. Theoretische Grundlegungen

haben mittlerweile an Breite und Tiefe gewonnen, nachdem dieses Phäno­ menen vermehrt beachtet wird.643 Diese multifaktoriell mit einander ver­ knüpften Bedingungen für die als dimensional und nicht als kategorial zu verstehende Gewaltbereitschaft644 und das Gewalthandeln weiblicher Ju­ gendlicher als Allein- oder Mittäterinnen, Teilnehmerinnen oder gemein­ schaftlich mit anderen aus einer Gruppe heraus in allen Einzelheiten dar­ zustellen, überstiege den Umfang der vorliegenden Arbeit. Entsprechend des Ziels dieses Kapitels stellen die folgenden Abschnitte theoretische An­ sätze und empirische Erkenntnisse vor, die sich mit zugeschriebenen Ge­ schlechterrollenbildern und geschlechtshomogenen und -heterogenen, ge­ waltaffinen Gruppenkontexten befassen. aaa) (Zugeschriebene) Geschlechterrollenbilder in gewaltaffinen Kontexten Da Gruppen und insbesondere delinquente, gewaltaffine Gruppen an Bedeutung bei weiblichen Personen in der Lebensphase Jugend gewin­ nen,645 orientieren sie sich auch vermehrt an dem dort vorfindbaren, spezifischen Gruppenhabitus.646 Jugenddelinquenz und Gewaltdelinquenz Jugendlicher findet grundsätzlich häufig in Gruppenkontexten statt,647 so dass mehrheitlich von einem starken Zusammenhang zwischen der jeweiligen Zugehörigkeit zu einer delinquenten Gruppe und dem eigenen gewaltförmigen Handeln ausgegangen wird. „Delinquenz und Gewalt als Bewältigungs- und Distinktionsstrategien, deren Rationalität aus den je­ weiligen lebensweltlichen Erfahrungsräumen erwächst, spielen […] zwar eine Rolle, jedoch ist die soziale Funktion der Gruppe das Entscheiden­ 643 Vgl. z.B. Boatcă/Lamnek, Gegenwartsdiagnosen zu Gewalt im Geschlechterver­ hältnis, S. 13 ff.; Bruhns, Mädchen und Gewalt, S. 275; Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 186 ff.; Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, S. 979 ff.; Equit, Gewaltkar­ rieren von Mädchen, S. 43 ff.; Franke, Frauen und Kriminalität, S. 31 ff.; Heeg, Mädchen und Gewalt, S. 20 ff.; Neubacher, Kriminologie, S. 85 ff.; Schneider, Frauenkriminalität und Mädchendelinquenz, S. 440 ff.; Silkenbeumer, Jugendkri­ minalität bei Mädchen, S. 377 ff.; Silkenbeumer, Biographische Selbstentwürfe und Weiblichkeitskonzepte aggressiver Mädchen und junger Frauen, S. 18 ff. 644 Vgl. Müller, Gewaltbereitschaft als Thema der Kriminologie, S. 184. 645 Vgl. B. IV. 3. b) aa), bb). 646 Görgen et al., JuKrim2020, S. 105. 647 Vgl. statt vieler Baier et al., Kinder und Jugendliche in Deutschland, S. 10; Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, S. 1214 ff., 1222 ff.; Görgen et al., JuKrim2020, S. 102.

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de für die Jugendlichen.“648 Delinquente Gruppen scheinen „einen eigen­ ständigen sozialisatorischen Einfluss auf die Jugendlichen auszuüben, die ihnen angehören.“649 Die Gewaltausübung Jugendlicher „in Peergroups [ist] auch als Moment gemeinschaftlichen (wenn auch: unangemessenen) Bewältigungshandelns zu betrachten, in dem gemeinsam geteilte biografische Erfahrungen von Ohnmacht und Missachtung, von fehlender Aner­ kennung und Sinnstiftung vor allem in familialen, aber auch in schuli­ schen Settings über Gewaltausübung kompensiert werden.“650 Die Zuge­ hörigkeit zu einer delinquenten Gruppe zeigt sich als starker Einflussfaktor für eigenes gewaltförmiges Handeln, unabhängig davon, ob die Person männlich oder weiblich ist.651 Gleichwohl bedeutet das nicht, dass die Zu­ gehörigkeit zu einer delinquenten Gruppe die einzige mögliche Erklärung für delinquentes oder gewaltförmiges Verhalten ist.652 Der nachfolgende Abschnitt zeigt auf, in welchen Konstellationen weibliche Jugendliche oder junge Frauen nicht ausschließlich auf die Rolle der „schmeichelnden Spiegel“ i.S. Bourdieus in gewaltaffinen Gruppen Gleichaltriger verwiesen sind, sondern Gewalt ausüben (können). aaaa) Bedingungen, Motive und Auslöser für das Gewalthandeln weiblicher Mitglieder Es steht außer Frage, dass weibliche Jugendliche Aggressionen entwickeln können. Allerdings zeigen sie sich eher in selbstverletzendem oder -schädi­ gendem Verhalten oder in Form von verbaler oder psychischer Gewalt. Sich so Verhaltende entsprechen dem weiblichen, traditionellen, zuge­ schriebenen Geschlechterrollenbild, das auch gewaltfreie Konfliktlösungsstrategien enthält. Indirekte, schwer berechenbare Formen wie verbale, psychische Gewalt bieten den Vorteil, zwar effektiv zu sein, aber keine direkte Vergeltung zu provozieren.653 Physische Gewaltausausübung wird

648 BT-Drs. 18/11050, S. 211 mwN. 649 Baier et al., Kinder und Jugendliche in Deutschland, S. 11; vgl. auch Bruhns, Mädchen und Gewalt, S. 278; Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 187. 650 BT-Drs. 18/11050, S. 216. 651 Baier et al., Kinder und Jugendliche in Deutschland, S. 11; Heeg, Mädchen und Gewalt, S. 178; Silkenbeumer, Jugendkriminalität bei Mädchen, S. 384. 652 Vgl. etwa zu anderen Faktoren Bruhns, Mädchen und Gewalt, S. 275 ff.; Heeg, Mädchen und Gewalt, S. 31. 653 Bereswill, Mediale Inszenierungen von Weiblichkeit und Kriminalität, S. 90 ff.; Bruhns, Mädchen und Gewalt, S. 272; Heiliger, Mädchen und Gewalt, S. 5; Micus-

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B. Theoretische Grundlegungen

grundsätzlich nicht als „mädchentypisch“654 angesehen. Es gibt jedoch Ausnahmen, wie z.B. Kratzen, Beißen, Ohrfeigen oder an den Haaren ziehen.655 Allerdings sind solche, eher leichteren Formen physischer Ge­ waltanwendungen nicht als gängige „Kampfformen“ weiblicher Jugendli­ cher in geschlechtshomogenen oder -heterogenen gewaltaffinen Gruppen zu sehen.656 Vielmehr beschreiben diese weiblichen Jugendlichen ihre grundsätzlichen gewaltförmigen Verhaltensweisen mit Faustschlägen oder Fußtritten; dies ist eher „jungentypisch“ und daher eher mit männlichen als mit weiblichen Personen assoziiert. Gleichwohl schließen sich die un­ terschiedlichen Formen der Gewaltausübungen (gegen sich selbst, gegen andere, psychisch, verbal, physisch), die auch kombiniert angewandt wer­ den können, nicht aus.657 Weibliche Jugendliche in gewaltaffinen Gruppenkontexten grenzen sich von den männlichen Gruppenmitgliedern dezidiert ab. Sie schreiben ih­ nen zu, brutaler zu sein, denn sie würden selbst dann noch zuschlagen, wenn es nicht mehr erforderlich sei, sie schlügen zeitlich gesehen schneller zu oder wiesen eine geringere Hemmschwelle auf.658 Weibliche Mitglieder versuchen deshalb, die männlichen Mitglieder zu disziplinieren, deren Hemmschwelle zu erhöhen oder sie von „illegale[n] Aktivitäten“659 ab­ zuhalten. Demnach entsprechen weibliche Gewaltausübende in gewaltaf­ finen Gruppenkontexten in mehrfacher Hinsicht nicht zugeschriebenen Geschlechterrollenbildern: Weder ihr Umgang mit Aggressionen durch di­ rektes gewaltförmiges Handeln entspricht den zugeschriebenen Geschlech­ terrollenbildern noch die Gewaltausübung gegen andere Personen, die zusätzlich noch in einem Gruppenkontext stattfindet. Die Motive und Auslöser für das Gewalthandeln weiblicher, in ge­ schlechtshomogene oder -heterogene Gruppenkontexte eingebundene Ju­ gendliche sind von unterschiedlichen Konstellationen und Bedingungen abhängig. Primär sind dies situative Bedingungen, die die Gewaltaus­

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Loos, „Auch Frauen sind zu allem fähig“, S. 45 ff.; Silkenbeumer, Biographische Selbstentwürfe und Weiblichkeitskonzepte aggressiver Mädchen und junger Frauen, S. 37. Bruhns, Mädchen und Gewalt, S. 272. Vgl. Bruhns, Mädchen und Gewalt, S. 273 mwN. Bruhns/Wittmann, „Ich meine, mit Gewalt kannst du dir Respekt verschaffen“, S. 54 ff. Bruhns, Mädchen und Gewalt, S. 273. Bruhns, Mädchen und Gewalt, S. 273. Bruhns/Wittmann, „Ich meine, mit Gewalt kannst du dir Respekt verschaffen“, S. 264.

IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

übung beeinflussen und hierfür förderliche Gelegenheitsstrukturen bil­ den:660 So erhöht sich z.B. die Wahrscheinlichkeit der Gewaltanwendung zur Konfliktlösung, wenn die sie Umgebenden sie auffordern oder ermun­ tern zuzuschlagen oder der Konflikt sich an Orten im öffentlichen Raum mit geringer sozialer Kontrolle zuträgt.661 Maßgeblich ist auch das Ver­ halten des jeweiligen Gegners, z.B. wie widerständig er ist. Eine weitere situative Bedingung ist die „Tagesform“,662 die z.B. von der Laune oder durch Langeweile bestimmt ist.663 Überwiegend richtet sich die Gewalt der weiblichen Mitglieder ge­ waltaffiner Gruppen gegen andere weibliche Personen. Männliche Perso­ nen sind seltener als Gegner in beiden möglichen Gruppenkontexten von weiblichen Gewaltausübenden adressiert, weil sie sie als physisch überle­ gen wahrnehmen und deshalb eine körperliche Auseinandersetzung als riskanter bewerten.664 Männlichen Gegnern wird somit physische Überle­ genheit zugeschrieben. Es scheint, als erfolgt dies ohne Ansehung der konkreten Person des Gegners, sondern als qua Geschlecht schlicht zuge­ schrieben. Weibliche Jugendliche, die gemischtgeschlechtlichen Gruppen zugehö­ rig sind, weisen Erfahrungen in „Gruppenprügeleien“665 auf. Demgegen­ über berichten weibliche Jugendliche aus geschlechtshomogenen Gruppen zwar von entsprechenden, aber noch nicht umgesetzten Vorhaben. Trotz­ dem handelt es sich, im Widerspruch zum eben vorgestellten Befund, bei den bereits stattgefunden körperlichen Auseinandersetzungen nicht ausschließlich um „Eins-zu-Eins-Situationen“, sondern sie fanden gemein­ sam statt, obwohl nicht immer alle Anwesenden gleichzeitig gewaltförmig handeln.666 Hinzu kommen weitere Auslöser und Motive für das gewaltförmige Verhalten: Weibliche Jugendliche bezeichnen dieses Verhalten in den Gruppenkontexten häufig als „Abwehr“. Abgewehrt und verteidigt werden jeweils subjektiv empfundene Beleidigungen oder Verletzungen der eige­ nen Ehre – der „gute Ruf“ ist zu verteidigen –, Verletzungen der Ehre von Familienmitgliedern oder von anderen ihnen nahestehenden Personen,

660 661 662 663 664 665 666

Bruhns, Mädchen und Gewalt, S. 273; Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 189. Bruhns, Mädchen und Gewalt, S. 273; Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 189. Bruhns, Mädchen und Gewalt, S. 273; Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 189. Bruhns, Mädchen und Gewalt, S. 273; Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 189. Bruhns, Mädchen und Gewalt, S. 274. Bruhns, Mädchen und Gewalt, S. 274. Bruhns, Mädchen und Gewalt, S. 274.

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B. Theoretische Grundlegungen

z.B. von anderen Gruppenmitgliedern.667 Darüber hinaus können subjekti­ ve Empfindungen, z.B. Neid, Eifersucht oder Wut, Anlässe sein, Gewalt auszuüben.668 Weibliche Jugendliche aus gleich- und gemischtgeschlechtlichen ge­ waltaffinen Gruppenkontexten fordern „Respekt“669 ein. Dies verweist zum einen auf Machtansprüche. Nur derjenige, der Ehre aufweist, verdient auch Respekt. „Ehre“ meint, dass die Person würdig ist, geachtet zu wer­ den. Die Zuerkennung der Ehre erfolgt durch die Gruppe. Nur die Men­ schen verfügen über Ehre, die aus Pflichtgefühl gegenüber der eigenen Gruppe handeln. Respekt ist demgegenüber normativ aufgeladen, einge­ bunden in den Kontext der jeweiligen Gruppe und verbunden mit Erwar­ tungen an den Einzelnen. Das Einfordern von Respekt, die Zurschaustel­ lung der Gewaltbereitschaft und die tatsächliche Gewaltausübung setzen weibliche Jugendliche auch ein, um möglichen Angriffen von Gegnern vorzubeugen.670 Darüber hinaus weist die Gewaltausübung weiblicher Jugendlicher in gewaltaffinen Gruppenkontexten auf ihre hohe Verletzlichkeit, ihre eige­ nen Opfererfahrungen, Verunsicherungen und Probleme im Selbstwertge­ fühl hin.671 Sie wünschen und suchen soziale Anerkennung, insbesondere ihrer Väter, (sofern vorhanden) Brüder und der männlichen Gruppenmit­ glieder. Die von weiblichen Jugendlichen eingesetzte körperliche Gewalt fungiert in den Gruppen und im sozialen Umfeld als Mittel, um sich selbst durchzusetzen, das Selbstwertgefühl zu verbessern, den eingeforder­ ten Respekt und die gesuchte Wertschätzung zu erhalten und die Konfliktdynamiken, die sich in der Lebensphase Jugend zeigen (z.B. zunehmende Autonomieentwicklung, beginnende Ablösung von den Eltern), zu bear­ beiten.672

667 Bruhns, Mädchen und Gewalt, S. 274; Equit, Forum Erziehungshilfen 2011, 10, 11; Equit, Gewaltkarrieren von Mädchen, S. 127 ff., 165 ff. 668 Bruhns, Mädchen und Gewalt, S. 274 mwN; Equit, Forum Erziehungshilfen 2011, 10, 11. 669 Bruhns, Mädchen und Gewalt, S. 275. 670 Bruhns, Mädchen und Gewalt, S. 275; Equit, Forum Erziehungshilfen 2011, 10, 11; Heeg, Mädchen und Gewalt, S. 192. 671 Bruhns, Mädchen und Gewalt, S. 275; Equit, Gewaltkarrieren von Mädchen, S. 176; Heeg, Mädchen und Gewalt, S. 38; Meuser, Gewalt im Geschlechterver­ hältnis, S. 121; Silkenbeumer, Kriminologisches Journal 2011, 43, 47. 672 Bruhns, Mädchen und Gewalt, S. 275; Meuser, Gewalt im Geschlechterverhältnis, S. 121; Silkenbeumer, Kriminologisches Journal 2011, 43, 47.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

Gewaltausübende weibliche Jugendliche schildern bereitwilliger und detaillierter von den körperlichen Auseinandersetzungen, an denen sie beteiligt waren, als männliche Gruppenmitglieder, denn sie „heben ihre Gewaltbereitschaft und Kompromisslosigkeit stolz hervor“.673 Die Selbst­ darstellung als Siegerin ist verbunden mit der Anerkennung und Zustim­ mung der anderen Gruppenmitglieder und verstärkt ihren bereits erlang­ ten höheren Status. Von einem höheren Gruppenstatus sind weibliche Jugendliche ausgeschlossen, die sich bei gruppeninternen Diskussionen und beim Einsatz von Gewalt zurückhalten.674 Delinquente Gruppen sind häufig hierarchisch.675 Weibliche Jugendli­ che, die vorgeben, gewaltbereit zu sein, aber bei körperlichen Auseinan­ dersetzungen im Hintergrund bleiben, werden von den anderen Grup­ penmitgliedern „verächtlich als ‚Angeberinnen‘“676 bezeichnet; besonders diese weiblichen Jugendlichen empfinden die Gruppe als hierarchisch.677 Gewaltbereite und -tätige, statushohe weibliche Mitglieder üben auf die statusniedrigeren weiblichen Mitglieder einen Konformitätsdruck aus und empfinden die Gruppe nicht derart als hierarchisch.678 Nicht nur die geschlechtshomogene oder -heterogene Gruppe beein­ flusst das Individuum, sondern das Individuum trägt selbst zur Aufrechter­ haltung eines „gewaltbereiten Gruppenklima[s]“ bei.679 Dieses Klima ent­ faltet sich insbesondere deshalb, weil die Gruppe für ihre Mitglieder eine hohe soziale und emotionale Bedeutung hat, denn dort erfahren sie die von ihnen gesuchte Wertschätzung und Unterstützung. Auch stellt die Ge­ waltausübung Gemeinsamkeit her.680 Im Gegensatz zu nicht gewaltaffinen Gruppen ist der Einfluss der gewaltaffinen Gruppe auf ihre Mitglieder als verstärkt anzusehen, denn sie verfügen über wenig andere Ressourcen oder Unterstützungsnetzwerke, auf die sie zur Problembearbeitung von innerfa­ 673 Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 184. 674 Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 184; Equit, Gewaltkarrieren von Mädchen, S. 192 ff. 675 BT-Drs. 18/11050, S. 210. 676 Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 184. 677 Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 184; vgl. auch Heeg, Mädchen und Gewalt, S. 189, 193. 678 Bruhns/Wittmann, „Ich meine, mit Gewalt kannst du dir Respekt verschaffen“, S. 263; Heeg, Mädchen und Gewalt, S. 193 f. 679 Bruhns, Mädchen und Gewalt, S. 278; Bruhns/Wittmann, „Ich meine, mit Gewalt kannst du dir Respekt verschaffen“, S. 271; Silkenbeumer, Jugendkriminalität bei Mädchen, S. 381. 680 Bruhns, Mädchen und Gewalt, S. 278; Heeg, Mädchen und Gewalt, S. 178; Silken­ beumer, Jugendkriminalität bei Mädchen, S. 382.

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B. Theoretische Grundlegungen

miliären Belastungs- und anderen Konfliktsituationen (z.B. Unterbringun­ gen in Heimen, Arbeitslosigkeit, Suchterkrankungen oder Inhaftierungen eines oder beider Elternteile, eigene Opfererfahrungen durch innerfamiliä­ re Gewalt) zurückgreifen können.681 Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass weibliche Jugendliche in gewaltaffinen Gruppen Gleichaltriger ausschließ­ lich „sozial marginalisierte und unterprivilegierte Mädchen“682 sind, son­ dern ihre sozioökonomische Herkunft oder Schulbildung sind sehr hetero­ gen.683 Möglicherweise handelt es sich daher eher um Artefakte aufgrund des methodischen Vorgehens der jeweiligen qualitativ-empirischen Studi­ en. bbbb) Status weiblicher Mitglieder in gemischtgeschlechtlichen Gruppen Bei gemischtgeschlechtlichen gewaltaffinen Gruppen ist es notwendig, sich der Aufgaben, Status und Funktionen der weiblichen Mitglieder gesondert zuzuwenden – in reinen Mädchengruppen verhält es sich natur­ gemäß anders. Die Stellung weiblicher Mitglieder innerhalb gemischtge­ schlechtlicher, nicht gewaltaffiner Gruppen ist häufig randständig und un­ tergeordnet zu den männlichen Mitgliedern. In gemischtgeschlechtlichen gewaltaffinen Gruppen hingegen haben weibliche Mitglieder einen „gu­ ten Stand“,684 denn sie sind, auch weil sie sich selbstbewusst zeigen und sich nicht den männlichen Gruppemitgliedern unterwerfen, anerkannt: Sie behaupten sich ihnen gegenüber und beanspruchen gruppenintern eine gleichberechtigte Position. Mit der Übernahme von Aufgaben, die die anderen Gruppenmitglieder emotional wie sozial unterstützen, stärken sie das gruppeninterne „Wir-Gefühl“, das wiederum auch in der gemeinsa­ men Gewaltbereitschaft und -ausübung begründet ist.685 Gruppenintern existieren normative Übereinkünfte, wie etwa ein das Gruppenbewusstsein

681 Bruhns, Mädchen und Gewalt, S. 278; Bruhns/Wittmann, „Ich meine, mit Gewalt kannst du dir Respekt verschaffen“, S. 264 f.; Equit, Forum Erziehungshilfen 2011, 10, 11; Heeg, Mädchen und Gewalt, S. 221 ff., 231; Silkenbeumer, Krimino­ logisches Journal 2011, 43, 48. 682 Silkenbeumer, Jugendkriminalität bei Mädchen, S. 382 f. 683 Silkenbeumer, Jugendkriminalität bei Mädchen, S. 383; vgl. auch Equit, Gewalt­ karrieren von Mädchen, S. 149; Heeg, Mädchen und Gewalt, S. 208 ff., 294. 684 Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 183. 685 Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 183 f.; Bruhns/Wittmann, „Ich meine, mit Gewalt kannst du dir Respekt verschaffen“, S. 217, 260; Heeg, Mädchen und Gewalt, S. 38, 178, 189 ff., 279.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

stärkender Ehrenkodex, der für männliche wie weibliche Gruppenmitglie­ der gleichermaßen gilt. Er beinhaltet kollektive Werte und Normen, wie z.B. den „guten Ruf“ eines Einzelnen oder der Gruppe zu verteidigen oder dass Nicht-Mitgliedern der Respekt gegenüber „der Gruppe und ihren Mitgliedern beizubringen ist“.686 Bei gruppeninternen Diskussionen zeigen die weiblichen Mitglieder eine wehrhafte Solidarität gegenüber dem gruppenexternen Umfeld und setzen sich für die gegenseitige Unterstützung bei körperlichen Auseinan­ dersetzungen ein.687 Zuträglich für ihren hohen Statuts ist die gruppen­ interne Bildung eines eigenen Beziehungsnetzwerks der weiblichen Grup­ penmitglieder, das von den männlichen Gruppenmitgliedern respektiert wird. Die weibliche Subgruppe bietet den darin Befindlichen sozialen Rückhalt, der es ermöglicht, Dominanzansprüche der männlichen Mit­ glieder zurückweisen zu können.688 Da es innerhalb nicht gewaltaffiner Gruppen ebenfalls zur Bildung weiblicher Subgruppen kommen kann, ähneln sie sich diesbezüglich.689 Ordnen sich die weiblichen den männ­ lichen Mitgliedern in gewaltaffinen, gemischtgeschlechtlichen Kontexten unter, riskieren sie, an Achtung und Anerkennung zu verlieren.690 Die selbstbewusste, gruppeninterne Stellung der weiblichen Mitglieder beruht auch darauf, „nicht als ‚Freundin von …‘“691 in die gewaltaffine Gruppe gelangt zu sein. Erfolgt der Zugang in eine Gruppe als „Freundin von …“ nehmen sie häufig eine entsprechend nachgeordnete Stellung ein.692 Mög­ lich ist auch die Mitbegründung gewaltaffiner, gemischtgeschlechtlicher Gruppen durch weibliche Jugendliche, was in anderen Gruppenkontexten als unmöglich erachtet wird. Zudem können weibliche Jugendliche über andere, bereits in der Gruppe befindliche weibliche Mitglieder Zugang finden. Infolgedessen leitet sich ihr gruppeninterner Status nicht von einem männlichen Mitglied ab. Die eigene objektive Zugehörigkeit gründet sich auf dem eigenen Handeln und dem eines anderen weiblichen Mitglieds. Gewaltausübende weibliche Jugendliche weisen insgesamt eine längere

686 Bruhns/Wittmann, „Ich meine, mit Gewalt kannst du dir Respekt verschaffen“, S. 145; s.a. Equit, Gewaltkarrieren von Mädchen, S. 56, 187 ff. 687 Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 184. 688 Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 183; Bruhns/Wittmann, „Ich meine, mit Ge­ walt kannst du dir Respekt verschaffen“, S. 262. 689 Vgl. B. IV. 3. b) aa). 690 Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 183. 691 Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 183; Bruhns/Wittmann, „Ich meine, mit Ge­ walt kannst du dir Respekt verschaffen“, S. 261. 692 Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 183.

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B. Theoretische Grundlegungen

Verweildauer in gemischtgeschlechtlichen Gruppen auf als weibliche Mit­ glieder in nicht gewaltaffinen Kontexten.693 cccc) Ausstieg aus oder Auflösen der gewaltaffinen Gruppe Gewaltaffine Gruppen bestehen nicht dauerhaft, sondern können sich auflösen, neuformieren oder einzelne Mitglieder lösen sich prozesshaft allmählich heraus.694 Junge Frauen werden innerhalb der (inter-)nationa­ len Desistance-Forschung v.a. „als stabilisierender Faktor in den Ausstiegs­ prozessen von (jungen) Männern in Form von Ehefrauen und Partnerin­ nen“695 thematisiert, aber Forschungen zu eigenen Desistance-Prozessen von jungen Frauen können noch immer als randständig angesehen wer­ den.696 Die Gründe für das Verlassen gewaltaffiner Gruppen und für den Abbruch einer „kriminellen Karriere“697 sind vielfältig und stehen v.a. mit den Veränderungen der Lebensaufgaben in der Lebensphase Jugend im Übergang zum Erwachsenenalter und den daraus resultierenden ver­ änderten Lebenssituationen im Zusammenhang. Die damit verbundenen Neuorientierungen wirken sich destabilisierend auf die Gruppe aus.698 Die vermehrte Konzentration auf die innerhalb der Schule zu erbringenden Leistungen, um spätere berufliche Perspektiven zu verbessern, der Beginn einer Erwerbstätigkeit, einer Ausbildung, eines Studiums oder Ähnlichem sind bei jungen Menschen zu beobachten, während die Gruppenbindung allmählich lockerer wird. Des Weiteren sind Lockerungen oder Ausstie­ ge männlicher wie weiblicher Mitglieder aus der Gruppe mit Umzügen

693 Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 183; Bruhns/Wittmann, „Ich meine, mit Ge­ walt kannst du dir Respekt verschaffen“, S. 261. 694 Bruhns/Wittmann, „Ich meine, mit Gewalt kannst du dir Respekt verschaffen“, S. 266; Neuber, Desistance-Prozesse junger Frauen, S. 222 ff.; Zdun, Soziale Pro­ bleme 2016, 204, 204 f. mwN. 695 Neuber, Desistance-Prozesse junger Frauen, S. 222; s.a. Zdun, Soziale Probleme 2016, 204, 205 ff. mwN. 696 Neuber, Desistance-Prozesse junger Frauen, S. 222; Rodermond et al.; European Journal of Criminology 2016, 3, 3 ff. 697 Vgl. auch Neuber, Desistance-Prozesse junger Frauen, S. 223 ff. mwN zu ver­ schiedenen Strömungen innerhalb der Desistance-Forschung, vgl. auch Stelly/ Thomas, Kriminalität im Lebenslauf, S. 17 ff. mwN; Hofinger, Soziale Probleme 2016, 237, 237 ff. 698 Bruhns/Wittmann, „Ich meine, mit Gewalt kannst du dir Respekt verschaffen“, S. 266.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

verbunden, denn sie ziehen entweder aus dem Elternhaus aus oder die Fa­ milie zieht gemeinsam oder in Teilen um.699 Geschlechtsspezifische Unterschiede sind beim Eingehen von Partner­ schaften beobachtbar. Gehen weibliche Gruppenmitglieder Partnerschaf­ ten ein, nimmt damit oftmals die Kontakthäufigkeit zur Gruppe und die grundsätzliche Bedeutung der Gruppe für die Einzelne ab. Partnerschaf­ ten führen aber überwiegend nicht dazu, dass weibliche Mitglieder die Gruppe verlassen. Die vorstehenden Gründe können einzeln oder kombi­ niert zum vollständigen Auflösen der Gruppe oder Änderungen in der Zusammensetzung der Mitglieder nach Geschlecht führen. Gehen männ­ liche Gruppenmitglieder Partnerschaften ein, zeitigt dies etwas weniger Effekte.700 Mitunter werden weibliche Jugendliche zusätzlich in die Grup­ pe ihres Partners integriert. Vermutlich kann der Umstand, dass sie als „Freundin von…“ angesehen werden, auch ein Effekt ihres mangelnden Interesses sein, sich auf die Gruppe ihres Partners einzulassen, weil sie bereits in eine eigene, andere Gruppe eingebunden sind, in der sie Aner­ kennung erfahren.701 dddd) Geschlechter- und Gewaltverhältnisse Die womöglich als miteinander verwoben anzusehenden Geschlechterund Gewaltverhältnisse können aus der Perspektive der in den geschlechts­ homogenen oder -heterogenen Gruppen gewalttätigen weiblichen Mitglie­ der betrachtet werden.702 Möglicherweise haben sie das Gewalthandeln in ihr eigenes Bild von Weiblichkeit integriert, imitieren die männlichen Gruppenmitglieder bzw. deren Habitus oder haben gar eine maskuline Identität ausgebildet. Bei der Erörterung dieser Fragestellungen steht die Ausprägung des vergeschlechtlichten, vergeschlechtlichenden Habitus der gewalttätigen weiblichen Jugendlichen in gewaltaffinen Gruppen im Fo­ kus. Gewalttätige weibliche Mitglieder gewaltaffiner Gruppen grenzen sich gegen solche Geschlechterrollenbilder ab, „die mit Schwäche und Opfer699 Bruhns/Wittmann, „Ich meine, mit Gewalt kannst du dir Respekt verschaffen“, S. 266. 700 Bruhns/Wittmann, „Ich meine, mit Gewalt kannst du dir Respekt verschaffen“, S. 266 f. 701 Bruhns/Wittmann, „Ich meine, mit Gewalt kannst du dir Respekt verschaffen“, S. 267. 702 Vgl. auch Silkenbeumer, Jugendkriminalität bei Mädchen, S. 380.

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B. Theoretische Grundlegungen

Sein assoziiert sind“;703 nach den homologen Gegensätzen i.S. Bourdieus sind diese mit der weiblichen Sphäre verbunden.704 Hinter der Abgren­ zung verbirgt sich der Wunsch nach Anerkennung und nach einer an­ gesehenen, gruppeninternen Stellung. Gleichzeitig setzen sich die weibli­ chen Jugendlichen durch das gewaltförmige Verhalten mit den eigenen „Erfahrungen der Ohnmacht, der Abwertung und Erniedrigung in der Fa­ milie“705 und mit ebensolchen Erfahrungen, die sie mit Gleichaltrigen ge­ macht haben, auseinander. Durch das gewaltförmige Verhalten versuchen sie, den bereits erlebten Situationen und den sich daraus ergebenden Gefühlen entgegenzuwirken.706 Mit dem gewaltförmigen Verhalten und den sich dahinter verbergenden Wünschen geht jedoch nicht einher, dass die weiblichen Mitglieder gewaltaffiner Gruppen den männlichen Mitgliedern nacheifern oder sie die (zugeschriebene) Männlichkeit der männlichen Mitglieder imitieren.707 Vielmehr grenzen sich die weiblichen von den männlichen Gruppenmitgliedern ab, insbesondere durch die Be­ tonung der bereits oben erwähnten geschlechtsspezifischen Unterschiede hinsichtlich des Gewalthandelns. Ihr Gewalthandeln kann Silkenbeumer zufolge interpretiert werden „als situative Bewerkstelligung eines bestimm­ ten Weiblichkeitsentwurfs und als Ausdruck um verschiedene Formen von Geschlecht“.708 Sie drücken damit auch ihre Abgrenzung und Ablehnung von Geschlechterrollenbildern anderer weiblicher Personen aus. Gewalt wird folglich nicht nur als legitimes Mittel erachtet, um konflikthafte Situationen zu lösen, sondern dient der Herstellung einer subjektiv emp­ fundenen überlegenen Form eines Bildes von Weiblichkeit gegenüber zu­ geschriebenen, tradierten Geschlechterrollenbildern.709 Die Abgrenzung zu männlichen Gruppenmitgliedern vollziehen die weiblichen Mitglieder auch durch die Bekleidung. Sie bevorzugen „weib­ lichkeitsbetont[e]“710 Kleidung, da sie als attraktiv und „nicht als ‚männ­

703 704 705 706 707 708 709 710

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Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 184. Vgl. bereits B. IV. 2. a) aa). Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 184. Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 184; Bruhns, Gewaltbereitschaft von Mäd­ chen und jungen Frauen, S. 223. Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 185; Bruhns, Gewaltbereitschaft von Mäd­ chen und jungen Frauen, S. 213; Silkenbeumer, Jugendkriminalität bei Mädchen, S. 380. Silkenbeumer, Jugendkriminalität bei Mädchen, S. 380. Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 185; Equit, Gewaltkarrieren von Mädchen, S. 191; Silkenbeumer, Jugendkriminalität bei Mädchen, S. 380. Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 185.

IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

lich‘“711 wahrgenommen werden wollen. Da im Habitus-Konzept Bour­ dieus nicht nur der Körper eine zentrale Rolle spielt, sondern auch die von einer Person getragene Kleidung (als Zeichen des Geschmacks als we­ sentlichem Bestandteil des Habitus712), lässt die „weiblichkeitsbetont[e]“713 Kleidung Rückschlüsse auf den vergeschlechtlichenden, vergeschlechtlich­ ten Habitus zu: Die weiblichen Gruppenmitglieder zeigen durch die Wahl ihrer Kleidung ihren spezifischen weiblichen Habitus und grenzen sich dadurch vom männlichen Habitus der männlichen Gruppenmitglieder ab. Es fragt sich nun, ob aus der Perspektive der weiblichen, gewalttätigen Mitglieder gewaltaffiner Gruppen ihre eigene Gewaltbereitschaft und ihr eigenes Gewalthandeln mit weiblichen Geschlechterrollenbildern im Kon­ flikt stehen. Mit Bruhns/Wittmann kann dies verneint werden, da aus der Perspektive der weiblichen Mitglieder ihre Gruppe sie in ihrem gewaltför­ migen Verhalten unterstützt.714 Das gewalttätige Handeln wird nicht „als ‚unweiblich‘ oder ‚männlich‘“715 betrachtet, denn die Orientierung der Gruppe und ihrer Mitglieder ist ebenfalls auf Gewalttätigkeit gerichtet. Das Gewalthandeln der weiblichen Mitglieder wird deshalb als ein Aspekt von Weiblichkeit gesehen, welcher ihre Durchsetzungsfähigkeit aufzeigt, und ihnen durch die Gruppe bestätigt wird.716 Nichtsdestotrotz orientie­ ren sich weibliche Jugendliche in gewaltaffinen Gruppen an traditionellen, weiblichen Geschlechterrollenbildern. Sie sehen z.B. die Kindererziehung als ihre zukünftige, innerfamiliäre Aufgabe, begeben sich in ihren eige­ nen Partnerschaften in Abhängigkeitsverhältnisse, äußern Berufswünsche, die dem weiblichen Geschlechterrollenbild entsprechen und versuchen, durch die bereits erwähnte Wahl der Kleidung, den (zugeschriebenen) weiblichen Schönheitsidealen zu entsprechen, um attraktiv für die männli­ chen Mitglieder zu sein.717 Die weiblichen Jugendlichen konstruieren für sich ein aus mehreren Elementen bestehendes Geschlechterrollenbild: Es 711 712 713 714

Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 185. Vgl. B. IV. 1. c), 2. a), insbesondere aa). Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 185. Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 185; Silkenbeumer, Jugendkriminalität bei Mädchen, S. 382. 715 Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 185. 716 Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 185; Heeg, Mädchen und Gewalt, S. 297; Silkenbeumer, Biographische Selbstentwürfe und Weiblichkeitskonzepte aggres­ siver Mädchen und junger Frauen, S. 334 ff. 717 Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 185; Bruhns, Gewaltbereitschaft von Mäd­ chen und junge Frauen, S. 225; Bruhns/Wittmann, „Ich meine, mit Gewalt kannst du dir Respekt verschaffen“, S. 262 f.; vgl. auch Meuser, Gewalt im Ge­ schlechterverhältnis, S. 122.

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B. Theoretische Grundlegungen

enthält sowohl Elemente traditioneller Geschlechterrollenbilder als auch Elemente, die sich gegen zugeschriebene Geschlechterrollenbilder wen­ den, die damit verbunden sind, hilflos, ohnmächtig und untergeordnet zu männlichen Personen zu sein. Sie selbst sehen sich als selbstwirksam, handlungsmächtig, machtvoll an und fordern eine gleichberechtigte Stel­ lung ein – unabhängig davon, ob sie sich in geschlechtshomogenen oder -heterogenen Gruppen Gleichaltriger, in der Schule oder in der eigenen Familie befinden.718 Demnach ist das Geschlechterrollenbild gewalttätiger weiblicher Mitglieder in gewaltaffinen Gruppen nicht widerspruchslos, sondern ambivalent und an mehreren möglichen Geschlechterrollenbil­ dern orientiert: Sie positionieren sich nicht ausschließlich in tradierten Geschlechterrollenbildern, sondern formen, mit den tradierten und „neu­ en“ Geschlechterrollenbildern, ihre eigenen Weiblichkeitsbilder, die Ge­ waltbereitschaft und Gewalthandeln als Handlungsoption bzw. -ressource ermöglicht und sie integriert.719 Dies verbinden sie mit dem „Anspruch auf persönliche Anerkennung und der Abwehr geschlechtsspezifischer Abwertung.“720 Hier ist ihr weiblicher Habitus erkennbar, der ihnen als Wahrnehmungs-, Denk-, Bewertungs- und Handlungsschema dient. Das Bestreben und der Wunsch weiblicher Mitglieder gewaltaffiner Gruppen nach Anerkennung umfasst auch die Anerkennung ihrer ge­ waltbetonten Weiblichkeit. Ihnen ist die durch die gewaltaffine Gruppe erfahrene Unterstützung wichtig. Nicht in gewaltaffine Gruppen einge­ bundenen weiblichen Jugendlichen fehlt die Unterstützung und Anerken­ nung ihrer gewaltbetonten Weiblichkeit. Sofern sie gewalttätig handeln, sanktioniert ihr soziales Umfeld dieses den zugeschriebenen, weiblichen Geschlechterrollenbildern widersprechende Handeln. Diese Jugendlichen erleben ihr eigenes gewalttätiges Handeln als ambivalent, denn sie genü­ gen aus ihrer Sicht selbst nicht den zugeschriebenen Geschlechterrollenbil­

718 Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 185; Bruhns, Gewaltbereitschaft von Mäd­ chen und jungen Frauen, S. 225; Heeg, Mädchen und Gewalt, S. 162; Silkenbeu­ mer, Jugendkriminalität bei Mädchen, S. 381 f.; Silkenbeumer, Kriminologisches Journal 2011, 43, 49. 719 Bruhns, Gewaltbereitschaft von Mädchen und jungen Frauen, S. 225; Bruhns/ Wittmann, „Ich meine, mit Gewalt kannst du dir Respekt verschaffen“, S. 270; Heeg, Mädchen und Gewalt, S. 297; Meuser, Gewalt im Geschlechterverhältnis, S. 122; Silkenbeumer, Jugendkriminalität bei Mädchen, S. 380 ff.; Silkenbeumer, Kriminologisches Journal 2011, 43, 51, 55; s.a. Campbell, Social Problems 1987, 451, 451 ff. 720 Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 185; vgl. auch Meuser, Gewalt im Geschlech­ terverhältnis, S. 122.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

dern, die sie im Prozess ihrer Sozialisation erworben und internalisiert haben.721 Uneinheitlich bewertet wird, ob junge, weibliche Gewaltausübende eine „female masculinity“ oder „masculine identity“ aufweisen: Studien aus den 1980er Jahren zu Gangs, die den Blick auf weibliche Mitglieder weiteten – zuvor standen insbesondere bei den in den USA durchgeführten Studi­ en männliche Gruppenmitglieder im Fokus –, charakterisierten weibliche Mitglieder in Gangs als „tomboys“ oder „sex toys“. Ihre hauptsächliche, wenn auch untergeordnete Rolle war, den männlichen Mitgliedern zu dienen, indem sie sie unterstützen (z.B. durch das Mitsichführen von Waf­ fen oder Drogen) oder ihnen in sexueller Hinsicht zur Verfügung stehen. Außerdem lag ihre Aufgabe darin, fremde Territorien zu erkunden und, sofern die gegnerische Gang ebenfalls über weibliche Mitglieder verfügte, Gewalt gegen diese auszuüben.722 Um die Jahrtausendwende wurden ver­ mehrt empirische Studien durchgeführt, die weibliche Gangmitglieder be­ rücksichtigten. Dabei griff die Lesart Platz, weibliche Personen, sofern sie einer Gang zugehören und Gewalt ausüben, imitierten das Verhalten der männlichen Gangmitglieder. Ihnen wurde zugeschrieben, sich zu masku­ linisieren und eine weibliche Maskulinität auszubilden. Die Maskulinisie­ rung wurde als unglückliches Nebenprodukt des Wunsches der weiblichen Jugendlichen angesehen, den männlichen Gruppenmitgliedern gleichge­ stellt zu sein.723 Nach anderer Lesart konstruieren sie eine „männlich ge­ prägte Identität“.724 Gewalt wird dabei als männliche Ressource erachtet, mit welcher eine bedrohte Männlichkeit verteidigt und wiederhergestellt wird. Gewalt sei folglich eine Bewerkstelligung von Geschlecht,725 was nicht nur für männliche, sondern auch für weibliche Personen möglich sein soll. Sie könnten eine „oppositional bad girl femininity“ bilden, die jeweils kontextabhängig entsteht. Gewalt wird hierbei als atypische, nicht

721 Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 185; Silkenbeumer, Kriminologisches Journal 2011, 43, 54. 722 Young, Youth Justice 2009, 224, 227 f. 723 Vgl. Althoff, »Bad woman« oder »one of the guys«, S. 233; Batchelor, Probation Journal 2009, 399, 400, 407; Verfassungsschutz Berlin, „Frauen im Rechtsextre­ mismus“, S. 15; ebenfalls ablehnend Bruhns, Gewaltbereite Mädchen in subkul­ turellen Jugendgruppen, S. 190. 724 Vgl. hierzu Heeg, Mädchen und Gewalt, S. 39. 725 Vgl. Bereswill/Neuber, Jugendkriminalität und Männlichkeit, S. 362; Heeg, Mädchen und Gewalt, S. 39; Silkenbeumer, Jugendkriminalität bei Mädchen, S. 380 f.; Silkenbeumer, Biographische Selbstentwürfe und Weiblichkeitskonzep­ te aggressiver Mädchen und junger Frauen, S. 40 ff.

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B. Theoretische Grundlegungen

herkömmlich zugeschriebene Praktik gesehen.726 Nach anderer Ansicht ist es weiblichen Personen möglich, eine „masculine identity“ herzustellen. Die Herstellung der „masculine identity“ geschehe nicht, um eine Ähnlichkeit zu den männlichen Gruppenmitgliedern zu erreichen. Vielmehr ziele sie auf die Abgrenzung zu Weiblichkeitsbildern anderer weiblicher Personen ab. Die „masculine identity“ widerspricht jedoch der in Bourdieus Konzep­ ten enthaltenen Dichotomie von Männlichkeit und Weiblichkeit.727 Das „gender crossing“ dient einerseits dazu, eigene gewaltförmige Handlungen vorzunehmen oder daran in gemischtgeschlechtlichen Gruppen teilzuneh­ men. Andererseits dient es dazu, „bestehende Geschlechterungleichheiten auszugleichen bzw. zu minimalisieren“.728 Da der vergeschlechtlichte, ver­ geschlechtlichende Habitus i.S. Bourdieus im Körper verankert ist, der in Bourdieus Verständnis nur eine der beiden, zueinander hierarchisch relatio­ nierten Ausprägungen von Geschlecht i.S.v. sex aufweist, können weibli­ che Personen keinen männlichen Habitus ausbilden. Deshalb ist es, entge­ gen oben vorgestellter Ansichten, nach dem Habitus-Konzept Bourdieus nicht möglich, dass der vergeschlechtlichte, vergeschlechtlichende Habitus vom biologischen Geschlecht abweicht. eeee) Geschlechter- und Gewaltverhältnisse im zeitlichen Verlauf Gruppeninterne und individuelle Entwicklungen, auch hinsichtlich der jeweils eigenen Geschlechterrollenbilder und der Bedeutung von Gewalt, können, dank der von Bruhns/Wittmann durchgeführten Studie, 729 im zeit­ lichen Verlauf betrachtet werden. Bei den Gruppen, bei denen die weib­ lichen Mitglieder zum zweiten Erhebungszeitpunkt Gewaltbereitschaft und Gewalthandeln in ihre Geschlechterrollenbilder integrierten, besteht nach wie vor ein Interesse, sich an körperlichen Auseinandersetzungen zu beteiligen; entsprechende, gewaltbefürwortende Weiblichkeitsbilder

726 Althoff, »Bad woman« oder »one of the guys«, S. 233; Silkenbeumer, Jugendkrimi­ nalität bei Mädchen, S. 380. 727 Vgl. in diesem Sinne auch ähnlich Silkenbeumer, Jugendkriminalität bei Mäd­ chen, S. 380 ff. mwN; vgl. B. I., IV. 2. a). 728 Althoff, »Bad woman« oder »one of the guys«, S. 241. 729 Die Studie ermöglicht aufgrund des gewählten Forschungsdesigns, Entwicklun­ gen im zeitlichen Verlauf nachzuzeichnen, da die Datenerhebung zu zwei Zeitpunkten im Abstand von etwa einem Jahr erfolgte, Bruhns/Wittmann, „Ich meine, mit Gewalt kannst du dir Respekt verschaffen“, S. 59 ff.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

werden hier gruppenintern nach wie vor anerkannt und unterstützt.730 Bei den anderen Gruppen, die zum Zeitpunkt der zweiten Datenerhebung Ge­ walt ablehnen, verhält es sich anders. Dort wird die Gewaltausübung weib­ licher Jugendlicher nun „übereinstimmend als ‚unweiblich‘ wahrgenom­ men“.731 Die vorgefundenen, divergierenden Entwicklungen der weibli­ chen Geschlechterrollenbilder – friedlich und gewaltablehnend vs. (noch immer) gewaltbefürwortend und aktiv gewalttätig – ist als ein gruppenin­ terner Prozess verändernder Gruppennormen zu werten: Auf diesen Pro­ zess wirken zwar die individuellen Interessen bedingt durch die sich verän­ dernden Lebensumstände in der Lebensphase Jugend ein. Allerdings zei­ gen die individuellen Interessen nur dann innerhalb der Gruppe Wirkung, wenn die Gruppe an sich oder diejenigen, die die Definitionsmacht haben, diese individuellen Interessen mittragen.732 Daraus ist die von der Gruppe ausgehende Macht für die individuelle Entwicklung der Gewaltbereit­ schaft und des eigenen Gewaltausübens der weiblichen Jugendlichen zu er­ kennen. Eine sinkende Bedeutung von Gewalt bzw. die Abmilderung oder Aufgabe des gewaltförmigen Verhaltens kann sich erst dann bei einzelnen Gruppenmitgliedern auswirken, wenn diese Bedeutungsänderungen in­ nerhalb der Gruppe stattfindet.733 ffff) Parallelisierung von Abwertungserfahrungen Zwar hat deviantes, delinquentes und somit auch gewalttätiges Verhal­ ten kein Geschlecht, allerdings ist es mit „geschlechtsspezifischen Deu­ tungs- und Handlungsmustern verwoben.“734 Es darf nicht davon ausge­ gangen werden, dass sich Gewalt und Geschlecht gegenseitig erklären, dass Gewalt ein konstitutives Merkmal für Männlichkeit und ausschließ­ lich Männern vorbehalten ist, dass Verletzungsoffenheit stets mit Weib­

730 Bruhns/Wittmann, „Ich meine, mit Gewalt kannst du dir Respekt verschaffen“, S. 268. 731 Bruhns/Wittmann, „Ich meine, mit Gewalt kannst du dir Respekt verschaffen“, S. 268. 732 Bruhns/Wittmann, „Ich meine, mit Gewalt kannst du dir Respekt verschaffen“, S. 268. 733 Bruhns/Wittmann, „Ich meine, mit Gewalt kannst du dir Respekt verschaffen“, S. 268. 734 Bereswill, Adoleszenz, Devianz und Geschlecht, S. 14; s.a. Bereswill, Kriminolo­ gisches Journal 2011, 10, 11; Bereswill, Betrifft Mädchen 2011, 114, 114; Beres­ will/Neuber, Jugendkriminalität und Männlichkeit, S. 363.

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B. Theoretische Grundlegungen

lichkeit korrespondiert oder dass Gewalthandeln mit Weiblichkeit stets unvereinbar ist.735 Vielmehr sind die sozial konstruierten Entitäten Devi­ anz, Delinquenz und Geschlecht situativ und werden in Interaktionen, die sich gegenseitig mal stützen, mal durchkreuzen oder mal überlagern, ausgehandelt.736 Insofern wendet sich die vorliegende Arbeit dagegen, Ver­ letzungsoffenheit stets mit Weiblichkeit und weiblichen Personen sowie Verletzungsmächtigkeit stets mit Männlichkeit und männlichen Personen in Verbindung zu bringen. Das dichotome, tradierte Bild von Verletzungs­ mächtigkeit und Verletzungsoffenheit entlang der Geschlechter bzw. Ge­ schlechterrollenbilder737 wird somit aufzubrechen versucht. Geschlecht, worunter Bereswill „die intersubjektive Aneignung und intrasubjektive Verarbeitung sozialer Erfahrungen [und damit als] kulturell[e] Konstrukti­ on von Zweigeschlechtlichkeit“738 versteht, wird nicht nur übernommen, sondern die subjektive Ausgestaltung ist „Ausdruck eines lebenslangen, spannungsreichen und mit fortlaufenden Konflikten verbundene[r] Aneig­ nungsprozess.“739 Daraus folgt ein nie abgeschlossener, ständiger „Balan­ ceakt“740 zwischen ambivalenten sozialen Erwartungen und eigenen Wün­ schen. Um diese Erwartungen auszugleichen, müssen Widersprüchlichkei­ ten verarbeitet und die daraus resultierenden Konflikte bewältigt werden; mitunter versuchen männliche wie weibliche Personen diese durch Gewalt zu neutralisieren.741 Weibliche Jugendliche können mittels Gewalthandeln versuchen, sich im Geschlechterverhältnis neu zu positionieren. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass es ihnen gelingt, ihr alleiniges oder im Gruppenkontext

735 Bereswill, Adoleszenz, Devianz und Geschlecht, S. 14; Bereswill, Kriminologi­ sches Journal 2011, 10, 16 f.; Meuser, Gewalt im Geschlechterverhältnis, S. 122; Silkenbeumer, Jugendkriminalität bei Mädchen, S. 381; Silkenbeumer, Kriminolo­ gisches Journal 2011, 43, 45. 736 Bereswill/Neuber, Jugendkriminalität und Männlichkeit, S. 363; Silkenbeumer, Kriminologisches Journal 2011, 43, 45. 737 Vgl. B. II. 1., III. 1. 738 Bereswill, Kriminologisches Journal 2011, 10, 18; s.a. Bereswill/Neuber, Jugendkri­ minalität und Männlichkeit, S. 359. 739 Bereswill, Kriminologisches Journal 2011, 10, 18; Bereswill/Neuber, Jugendkrimi­ nalität und Männlichkeit, S. 366. 740 Bereswill, Kriminologisches Journal 2011, 10, 18; Bereswill/Neuber, Jugendkrimi­ nalität und Männlichkeit, S. 366; Silkenbeumer, Kriminologisches Journal 2011, 43, 46. 741 Bereswill, Kriminologisches Journal 2011, 10, 18; Bereswill/Neuber, Jugendkri­ minalität und Männlichkeit, S. 366 f.; Silkenbeumer, Kriminologisches Journal 2011, 43, 46.

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stattfindendes gewaltförmiges Handeln in ihr eigenes Weiblichkeitsbild zu integrieren.742 Der bereits oben beschriebene Wandel in der Lebensphase Jugend, der mitbedingt ist durch die gesamtgesellschaftlichen Veränderun­ gen in der Produktions- und Reproduktionsarbeit, muss bei männlichen und weiblichen Jugendlichen gleichermaßen beachtet werden.743 Nach einer Lesart kann das Gewalthandeln weiblicher Jugendlicher „als Aus­ druck eines Zuwachses an Handlungsoptionen und als Erweiterung der Selbstbilder von Mädchen gelesen werden.“744 Nach anderer Lesart kann das Gewalthandeln weiblicher Jugendlicher als Zeichen für das Bestehen von zugespitzten Konflikten in der Lebensphase Jugend gesehen werden, die sich aus den unterschiedlichen, teils widersprüchlichen Erwartungen der Gesellschaft und solchen, die sie selbst an sich stellen, ergeben kön­ nen.745 Zur Beantwortung dieser unterschiedlich gelagerten Fragen und Lesarten bietet sich nach vorzugswürdiger Ansicht eine Parallelisierung der Lebenslagen der weiblichen und männlichen Jugendlichen, ihren Be­ lastungssituationen, Konflikten und ihrem Gewalthandeln an: Hinsichtlich des Gewalthandelns männlicher Jugendlicher wird davon ausgegangen, ihr delinquentes Verhalten dient der Kompensation und Be­ wältigung.746 Junge männliche Inhaftierte stellen den Befunden einer von Bereswill durchgeführten Studie eine mehrfach benachteiligte und belas­ tete Gruppe dar. Sie erleben u.a. innerfamiliäre Belastungen, Bildungsbe­ nachteiligung, schlechte Chancen am Arbeitsmarkt, Armut(-sgefahr), differente Erfahrungen mit Institutionen der Hilfe und Kontrolle sowie Wech­ sel von Bezugspersonen.747 Die untersuchten jungen Männer orientieren sich stark an tradierten, gewaltbetonenden Geschlechterrollenbildern. Sie werten zugleich alle weiblich konnotierten Tätigkeiten oder Kontexte ab und lassen eine „Verweiblichung von Opferpositionen“748 erkennen. In­ nerhalb des Strafvollzugs sind Bereswill zufolge Flexibilisierungsprozesse

742 Bereswill, Adoleszenz, Devianz und Geschlecht, S. 14; Bereswill, Betrifft Mädchen 2011, 114, 115; Bruhns/Wittmann, „Ich meine, mit Gewalt kannst du dir Respekt verschaffen“, S. 172. 743 Vgl. B. III. 1., IV. 3. a). 744 Bereswill, Adoleszenz, Devianz und Geschlecht, S. 14; Bereswill, Betrifft Mädchen 2011, 114, 115. 745 Bereswill, Betrifft Mädchen 2011, 114, 115; Silkenbeumer, Kriminologisches Jour­ nal 2011, 43, 44. 746 Bereswill, Adoleszenz, Devianz und Geschlecht, S. 15; s.a. Bereswill, Betrifft Mäd­ chen 2011, 114, 115. 747 Bereswill, Männlichkeit unter Druck?, S. 54 f. 748 Bereswill, Männlichkeit unter Druck?, S. 55.

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hinsichtlich Männlichkeit erkennbar, die auf veränderte Geschlechterver­ hältnisse hindeuten, was auch für das Zusammenspiel von Devianz und Männlichkeit gilt.749 Vor dem Hintergrund des skizzierten Wandels der Produktions- und Reproduktionsarbeit sind gewaltaffine Selbstdarstellun­ gen und gewaltförmiges Handeln eine letzte jungen Männern verbleiben­ de Handlungsressource i.S.v. Männlichkeit, da sie keine andere Möglich­ keit haben, gesellschaftliche Anerkennung erlangen zu können.750 Gewalt dient männlichen Jugendlichen als ein Mittel zur Bewältigung bzw. Be­ werkstelligung von Geschlecht – also Männlichkeit –, was wiederum in Gruppenkontexten stattfindet, denn dort werden „gemeinsame Ideale von Männlichkeit ausgekämpft“.751 Delinquenz stellt Bereswill zufolge eine Handlungsressource dar, die der Stabilisierung von Männlichkeit dient; „Männlichkeit stützt die soziale Konstruktion von Delinquenz […] ab“.752 Dabei kommen zugeschriebene Geschlechterrollenbilder zum Tragen, denn männliche Geschlechterrollenbilder beinhalten Härte, Autonomie sowie Risiko- und Gewaltbereitschaft.753 Deshalb stellt Bereswill zu recht verwundert fest, hinsichtlich des Umgangs mit und der Bewertung von de­ viantem oder delinquentem Verhalten und hinsichtlich der Zuschreibung von Geschlechterdifferenz verhalte es sich wohl so: „[w]enn Frauen und Männer das Gleiche tun, wird dies nicht gleich beurteilt“.754 Gewalthandeln weiblicher Jugendlichen findet, ebenso wie bei männli­ chen Jugendlichen, im Kontext geschlechtshomogener oder -heterogener Gruppen Gleichaltriger statt. Dabei ist das Gewalthandeln weiblicher Jugendlicher als Kämpfe um Anerkennung zu werten, bei welchen sie auch geschlechtsspezifische Abwertung abwehren.755 Gewalt stellt für die­ se weiblichen Jugendlichen eine Selbstermächtigung dar, die sich gegen die (zugeschriebene oder tatsächlich erfahrene) Verletzungsoffenheit – al­ so eine Abgrenzung von der zugeschriebenen Position des Opfers (qua

749 Bereswill, Männlichkeit unter Druck?, S. 56. 750 Bereswill, Männlichkeit unter Druck?, S. 57. 751 Bereswill, Adoleszenz, Devianz und Geschlecht, S. 15; s.a. Bereswill, Betrifft Mäd­ chen 2011, 114, 115. 752 Bereswill, Adoleszenz, Devianz und Geschlecht, S. 17. 753 Bereswill, Adoleszenz, Devianz und Geschlecht, S. 17; Bereswill/Neuber, Jugend­ kriminalität und Männlichkeit, S. 358, 360; Silkenbeumer, Kriminologisches Journal 2011, 43, 47. 754 Bereswill, Adoleszenz, Devianz und Geschlecht, S. 16. 755 Bereswill, Adoleszenz, Devianz und Geschlecht, S. 17; Bereswill, Betrifft Mädchen 2011, 114, 116; Bereswill, Kriminologisches Journal 2011, 10, 20; vgl. auch Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 185.

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Geschlecht) – und die eigene Verletzungsmächtigkeit gegenüber anderen Personen ausdrückt, denn sie beanspruchen für sich eine starke, unver­ letzbare Position. Sie demonstrieren und inszenieren damit Wehrhaftigkeit, Stärke, Kampf- bzw. Gewaltbereitschaft.756 Hier besteht zu recht eine Parallele zu männlichen Jugendlichen: Auch bei ihnen kommt der Demonstration, kein Opfer zu sein und demnach die Abwehr jeglicher Verletzungsoffenheit und Opferposition eine hohe Bedeutung zu. Diese abwehrenden Haltungen gehen einher mit dem Streben nach Ehre, An­ erkennung und Respekt der eigenen Person gegenüber. Die „Tiefenstruk­ tur dieses Deutungsmusters“757 muss mit den individuellen Erfahrungen – z.B. mit ggf. eigenen Viktimisierungserfahrungen – zusammengedacht werden.758 Männliche wie weibliche Jugendliche wenden sich somit gegen Erfahrungen der Abwertung oder von Viktimisierung. Sie befinden sich in Kämpfen um Anerkennung759 und zusätzlich in einer gewaltaffinen Gruppe Gleichaltriger. Das Gewalthandeln weiblicher Jugendlicher deutet möglicherweise da­ rauf hin, dass die kulturelle Konstruktion der Geschlechterdifferenz gleich­ zeitig verdeckt und aufrechterhalten wird. Auch kann das Gewalthandeln ein Zeichen für Konflikte in den individuellen Biographien und z.B. sich während der Lebensphase Jugend zutragende Konflikte sein,760 die bei weiblichen und männlichen Jugendlichen in von ihnen nicht bewältig­ ten Täter-Opfer-Statuswechseln bestehen können.761 Deswegen gehen auch 756 Bereswill, Adoleszenz, Devianz und Geschlecht, S. 18 ff.; Bereswill, Kriminolo­ gisches Journal 2011, 10, 20; Silkenbeumer, Jugendkriminalität bei Mädchen, S. 382; Silkenbeumer, Kriminologisches Journal 2011, 43, 46, 49. Vgl. grundsätz­ lich zur Gewaltbereitschaft als „individuell-subjektive Ursache eines Gewaltak­ tes“: Müller, Gewaltbereitschaft als Thema der Kriminologie, S. 183, 184 ff. 757 Bereswill, Adoleszenz, Devianz und Geschlecht, S. 19. 758 Bereswill, Kriminologisches Journal 2011, 10, 19; Bereswill, Adoleszenz, Devianz und Geschlecht, S. 19, 31; Bereswill/Neuber, Jugendkriminalität und Männlich­ keit, S. 364; Bruhns, Gewaltbereite Mädchen, S. 189; Neuber, „Die Demonstrati­ on kein Opfer zu sein“, S. 85 ff. et passim; Heeg, Mädchen und Gewalt, S. 162 ff. 759 Bereswill, Betrifft Mädchen 2011, 114, 116; Bereswill, Adoleszenz, Devianz und Geschlecht, S. 17 ff.; Silkenbeumer, Biographische Selbstentwürfe und Weiblich­ keitskonzepte aggressiver Mädchen und junger Frauen, S. 329. 760 Bereswill, Adoleszenz, Devianz und Geschlecht, S. 20; Silkenbeumer, Jugendkri­ minalität bei Mädchen, S. 382. 761 Bereswill, Adoleszenz, Devianz und Geschlecht, S. 20. Vgl. zum Täter-OpferStatuswechsel im Jugendalter auch Erdmann, Viktimisierung im Jugendalter, S. 297 ff. mwN; Schmoll, Täter-Opfer-Statuswechsel im Jugendalter, S. 883 mwN; Schmoll/Willems, Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe 2020, 332, 332 ff. mwN.

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B. Theoretische Grundlegungen

Gewalt und Geschlecht nicht ineinander auf. Sie bilden vielmehr jeweils „wechselseitige Deutungsmuster und Handlungsressourcen, wobei soziales Handeln als komplexe Dynamik der Aneignung und Deutung von Wissen sowie der lebenslangen Verarbeitung von Konflikten verstanden werden kann.“762 Die Gewaltausübung weiblicher Jugendlicher stellt sich folglich als ein „Zuwachs an Handlungsressourcen“763 dar. Nutzen sie diesen Zu­ wachs, experimentieren sie womöglich mit der eigenen Risikobereitschaft und dem eigenen Durchsetzungsvermögen während des Kampfes um An­ erkennung. Gewalt ist nach zustimmungsbedürftiger Ansicht eines der möglichen Mittel zur Konstruktion von Geschlecht, in diesem Fall von Weiblichkeit.764 bbb) (Zugeschriebene) Geschlechterrollenbilder im Rechtsextremismus Der folgende Abschnitt widmet sich den im Rechtsextremismus (zuge­ schriebenen) Geschlechterrollenbildern, Aufgaben weiblicher Personen und Hinweisen auf eine mögliche Krise der männlichen Herrschaft. Ein detaillierter Blick in das hierzu bekannte Hellfeld zur politisch motivierten Gewalt rechts oder sie ergänzenden Dunkelfeldforschungen kann nicht geleistet werden.765 Einheitliche Definitionen für verschiedene in diesem Feld genutzten Begriffe, Phänomene, Szenen und Bewegungen wie rechts, Rechtspopulis­ mus, (Neo-)Nazismus, (Neo-)Faschismus, Nationalismus, Rechtsextremis­ mus oder Rechtsradikalismus existieren nicht. Die Definitionsansätze des Bundesamtes für Verfassungsschutz und unterschiedlicher wissenschaftli-

762 763 764 765

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Bereswill, Kriminologisches Journal 2011, 10, 18. Bereswill, Adoleszenz, Devianz und Geschlecht, S. 21. Bereswill, Adoleszenz, Devianz und Geschlecht, S. 22. Da die bundesweiten Fallzahlen für Politisch Motivierte Kriminalität nicht nach Geschlecht differenziert ausgewiesen werden, kann Ausmaß und Umfang der Beteiligung weiblicher Personen im Hellfeld nicht beziffert werden. Abhilfe leisten Dunkelfelduntersuchungen, die den Anteil von Frauen bei politisch rechts motivierten Straf- und Gewalttaten recht stabil in den letzten Jahren auf zwischen 5 und 10 % beziffern; Bitzan, Geschlechterkonstruktionen und Ge­ schlechterverhältnisse in der extremen Rechten, S. 337 ff.; Bitzan/Köttig/Schröder, Zeitschrift für Frauenforschung & Geschlechterstudien 2003, 150, 151; Birsl, Frauen in der rechtsextremistischen Szene, S. 98; Büttner/Lang/Lehnert, Vorgän­ ge 2012, 77, 78.

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cher Disziplinen sind nicht deckungsgleich.766 Nach dem Bundesamt für Verfassungsschutz sind, unter Bezugnahme auf § 3 I Nr. 1 BVerfSchG, solche Bestrebungen extremistisch, „die gegen die freiheitliche demokrati­ sche Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben“.767 Die den Wesenskern des GG bilden­ de freiheitliche demokratische Grundordnung charakterisiert sich durch acht Prinzipien: „Menschenrechte, Volkssouveränität, Gewaltenteilung, Verantwortlichkeit der Regierung, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Un­ abhängigkeit der Gerichte, Mehrparteienprinzip, Chancengleichheit der Parteien einschl. Oppositionsfreiheit“.768 Nach der Rechtsextremismus-De­ finition des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist das Weltbild von na­ tionalistischen, rassistischen Anschauungen geprägt. Infolgedessen besteht die Auffassung, dass „die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder Rasse über den Wert eines Menschen [entscheidet]“.769 Zudem prägt das rechtsextremistische Weltbild Fremdenfeindlichkeit, überhöhter Nationa­ lismus, Antisemitismus, Rassismus, Demokratiefeindlichkeit und mitun­ ter Geschichtsrevisionismus. Folglich widerspricht der Rechtsextremismus eklatant der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.770 Die vorstehende Definition ist Kritik ausgesetzt, die sich auf das Ver­ ständnis von Extremismus und Rechtsextremismus bezieht: Rechts- und Linksextremismus bilden die beiden entgegengesetzten Pole der politi­ schen Landschaft, deren Mitte das verfassungskonforme Spektrum, also alles der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht Widersprechen­

766 Vgl. statt vieler Stöss, Rechtsextremismus im Wandel, S. 10 ff.; Virchow, „Rechts­ extremismus“, S. 13. 767 BMIH, Verfassungsschutzbericht 2021, S. 18; Weitere Aspekte sind, entspre­ chend des § 3 I BVerfSchG, „sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tä­ tigkeiten in Deutschland für eine fremde Macht; Bestrebungen im Geltungsbe­ reich [des BVerfSchG], die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichte­ te Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutsch­ land gefährden oder Bestrebungen in Deutschland, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (…), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (…), gerichtet sind“, BMIH, Verfassungsschutzbericht 2021, S. 18. 768 Stöss, Rechtsextremismus im Wandel, S. 12. Vgl. zu dem nicht im GG legalde­ finierten Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung und dessen Inhaltsbestimmungen nach Rechtsprechung und Literatur: Maunz/Dürig/Dürig/ Klein, Art. 18 GG Rn. 55 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 769 BMIH, Verfassungsschutzbericht 2021, S. 48. 770 BMIH, Verfassungsschutzbericht 2021, S. 48.

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de, darstellt.771 Befürchtet wird eine inhaltliche Gleichstellung von Linksund Rechtsextremismus. Aufgrund dessen besteht die Besorgnis, dass sie zu bagatellisierten Randphänomenen erklärt werden. Diese Annahme ist jedoch für den Rechtsextremismus nicht zutreffend, denn er ist ein „in der Mitte der Gesellschaft [gedeihendes]“772 Phänomen. Dieser zum Teil zustimmungsbedürftigen Kritik wird ebenfalls zu Recht entgegnet, sie übersehe das im verfassungsrechtlichen Bereich liegende Konstruktions­ prinzip des Modells zur Einordnung der politischen Landschaft in ein Links-Rechts-Schema.773 Das Modell bildet weder die Gesellschaft ab noch verfolgt es den Anspruch, (Links- oder Rechts-)Extremismus wissenschaftlich zu interpretieren, sondern es bestimmt die Grenzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.774 Die vom Bundesamt für Verfassungs­ schutz angeführten Maßstäbe entsprechen nicht dem Erkenntnisinteresse der Forschung, da sie sich nicht nur den der freiheitlich demokratischen Grundordnung widersprechenden Phänomenen zuwenden kann, sondern das Phänomen umfassend, von den historischen Wurzeln bis zu Ursachen, Folgen und Bedeutungen für die Strukturen und Prozesse in Politik und Gesellschaft, zu behandeln hat.775 Rechtsextremismus wird hier in einem weiten Sinn776 verstanden, zu dessen Konturen (zu unterschiedlichen Dimensionen, Kategorisierungsan­ sätzen, Gruppierungen) ebenfalls eine Vielzahl von Ansichten existieren, die hier nur kursorisch vorgestellt werden. Üblicherweise wird zwischen rechtsextremistischen Einstellungen und Verhalten differenziert. Dabei fließen auch Teile der Kritik am Rechtsextremismus-Begriff des Bundes­ amtes für Verfassungsschutz ein, der nur gegen die freiheitlich-demokra­ tische Grundordnung sich richtende Handlungen oder Bestrebungen be­ rücksichtigt und Einstellungen ausklammert, auf denen die Handlungen

771 Vgl. statt vieler Stöss, Rechtsextremismus im Wandel, S. 14 f. 772 Stöss, Rechtsextremismus im Wandel, S. 14 f. 773 Üblicherweise wird die politische Landschaft in einem Links-Rechts-Schema unterteilt. Es verläuft von linksextrem, linksradikal, linken Flügel, links, linke Mitte bis zur Mitte. Es folgt die rechte Mitte, rechts, rechter Flügel, rechtsex­ trem und rechtsradikal; vgl. Stöss, Rechtsextremismus im Wandel, S. 14. 774 Stöss, Rechtsextremismus im Wandel, S. 16. 775 Stöss, Rechtsextremismus im Wandel, S. 16. 776 In diesem Sinne auch bspw. Landeskoordinierungsstelle Jugendstiftung BadenWürttemberg, Gender und Rechtsextremismus, S. 7 f.; Grumke, Rechtsextremis­ mus und Rechtspopulismus als Herausforderungen für die Demokratie, S. 2; Stöss, Rechtsextremismus im Wandel, S. 20 ff.

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basieren.777 Angesichts der Meinungsfreiheit (Art. 5 I 1 GG) ist dies aller­ dings wenig verwunderlich, denn ansonsten würde dies Stöss zufolge einer „Zensur der Gedanken“778 gleichkommen. Einstellungen allein führen nicht automatisch zu konkretem Handeln und das in der Bevölkerung vor­ findbare „rechtsextremistische Einstellungspotenzial ist wesentlich größer als das Verhaltenspotenzial“.779 Deshalb sind nicht nur Ursachen und Ver­ breitung des Rechtsextremismus in die Forschung miteinzubeziehen, son­ dern u.a. Fragen nach Entstehungsbedingungen rechtsextremistischer Ein­ stellungen.780 Über deren konkrete inhaltliche Definition besteht jedoch ebenfalls keine Einigkeit. Nach überwiegender Ansicht gibt es vielschich­ tige Einstellungsmuster, die sich aus Antisemitismus, Ethnozentrismus, Nationalismus sowie pronazistischen, den Nationalsozialismus verharm­ losenden bis verherrlichenden Einstellungen zusammensetzen.781 Ebenso besteht keine Einigkeit darüber, ob Autoritarismus verstanden als „ein an­ tidemokratisches Herrschaftssystem, […] antipluralistische und antidemo­ kratische politische Überzeugungen sowie ein ‚autoritätsgebundener Cha­ rakter‘“782 zu den den Rechtsextremismus kennzeichnenden Einstellungen oder den Ursachen dazugehört.783 Die Verhaltensdimension wird überwie­ gend in Wahlverhalten, Partizipation, Mitgliedschaft, Gewalt bzw. Terror und Protest bzw. Provokation unterteilt, wobei zwischen „zielgerichtetem, einem Programm verpflichteten Verhalten und Protestverhalten“,784 wel­ ches u.a. in Provokation besteht, unterschieden wird.785 Rechtsextremisti­ sche Aktivitäten müssen nicht automatisch rechtsextremistisch-politische Ziele beabsichtigen, denn die Motivation kann u.a. darin liegen, die indivi­

777 Grumke, Rechtsextremismus und Rechtspopulismus als Herausforderungen für die Demokratie, S. 2; Stöss, Rechtsextremismus im Wandel, S. 20 f. 778 Stöss, Rechtsextremismus im Wandel, S. 20. 779 Stöss, Rechtsextremismus im Wandel, S. 21. 780 Grumke, Rechtsextremismus und Rechtspopulismus als Herausforderungen für die Demokratie, S. 2; Stöss, Rechtsextremismus im Wandel, S. 20 f. 781 Stöss, Rechtsextremismus im Wandel, S. 22; ähnlich auch Grumke, Die rechtsex­ tremistische Bewegung, S. 480; Grumke, Rechtsextremismus und Rechtspopulis­ mus als Herausforderungen für die Demokratie, S. 3. 782 Häusler/Küpper, Neue rechte Mentalitäten in der Mitte der Gesellschaft, S. 156. 783 Vgl. Frindte et al., Ein systematisierender Überblick über Entwicklungslinien der Rechtsextremismusforschung von 1990 bis 2013, S. 44; Stöss, Rechtsextre­ mismus im Wandel, S. 22. 784 Stöss, Rechtsextremismus im Wandel, S. 22. 785 Vgl. z.B. Stöss, Rechtsextremismus im Wandel, S. 21; Grumke, Die rechtsextre­ mistische Bewegung, S. 480; Grumke, Rechtsextremismus und Rechtspopulis­ mus als Herausforderungen für die Demokratie, S. 3.

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duelle Unzufriedenheit durch das Verhalten auszudrücken. Protestverhal­ ten zielt zumeist auf das öffentliche Aufmerksammachen der individuellen Unzufriedenheit ab. Stöss zufolge bestehen fließende Grenzen zwischen zielgerichtetem und Protestverhalten. Protestverhalten kann u.U. eine Vor­ stufe des zielgerichteten Verhaltens sein, es muss aber nicht automatisch in rechtsextremistische oder politische Aktivität münden.786 aaaa) Anteil weiblicher Personen, Wahrnehmung und Bedeutung Etwa seit Beginn des 21. Jahrhunderts steigen die öffentlich-mediale Be­ richterstattungen und empirische Forschungen über Beteiligungen weibli­ cher Personen jeglichen Alters in rechtsextremistischen Gruppierungen, Szenen und Bewegungen787 an. Dadurch werden sie insgesamt vermehrt wahrgenommen.788 Eine Fokussierung auf Männer birgt die Gefahr in sich, dass weibliche Personen unkontrolliert und unbeobachtet handeln können. Das Wissen darum ist auch szeneintern bewusst eingesetzt worden, z.B. beim Anmieten von Veranstaltungsräumen.789 Besonders nach dem Bekanntwerden der Existenz des „Nationalsozialistischen Un­ tergrunds“ im Jahr 2011 und der Verurteilung Beate Zschäpes als Mittäte­ rin zu u.a. Mord und schwerer Brandstiftung im Jahr 2018 erscheint es umso angezeigter, weibliche Personen im Rechtsextremismus mit ihren

786 Stöss, Rechtsextremismus im Wandel, S. 22 f. 787 Es existieren viele heterogene Strömungen, Parteien, Bewegungsorganisationen, -akteure sowie (sub-)kulturelle Milieus: Sie sind grundsätzlich in Neonazismus, völkische Rechte, deutsch-nationale Rechte, Rechtspopulismus, Neue Rechte und christliche Rechte kategorisierbar. Sie sind nicht immer trennscharf von­ einander abgrenzbar, da es auch fließende Übergänge und Überschneidungen zwischen ihnen gibt, vgl. statt vieler Schedler, Die extreme Rechte als soziale Bewegung, S. 294. 788 Bitzan/Köttig/Schröder, Zeitschrift für Frauenforschung & Geschlechterstudien 2003, 150, 153; Essen, Rechtsextremistinnen heute, S. 287; Köttig, Zur Entwick­ lung rechtsextremer Handlungs- und Orientierungsmuster von Mädchen und jungen Frauen, S. 257; Röpke, „Retterin der weißen Rasse“, S. 18 ff.; Verfassungs­ schutz Berlin, „Frauen im Rechtsextremismus“, S. 4 f.; Wamper, Das rechte Ge­ schlecht, S. 17 ff. 789 Büttner/Lang/Lehnert, Vorgänge 2012, 77, 79; Köttig, Zur Entwicklung rechtsex­ tremer Handlungs- und Orientierungsmuster von Mädchen und jungen Frauen, S. 258 f.

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unterschiedlichen Aufgaben, Funktionen, Rollen und Sichtbarkeiten zu berücksichtigen.790 Es gibt mehrheitlich rein männliche Gruppen; nur etwa ein Viertel ist gemischtgeschlechtlich.791 Seit etwa den 1990er Jahre gibt es zunehmend auch selbstorganisierte, ausschließlich aus weiblichen Personen bestehende Gruppen, die sich u.a. hinsichtlich des Umfangs, der organisatorischen Eingebundenheit und der Zeitdauer des Bestehens unterschieden. Z.B. gründete sich im Jahr 2006 der „Ring Nationaler Frauen“ als Unterorgani­ sation der NPD (mittlerweile gibt es mehrere regionale Gruppen) und, als nichtparteigebundener Zusammenschluss, 2000 die „Gemeinschaft Deut­ scher Frauen“, die aus der Gruppe „Skingirl Front Deutschland“ hervor­ ging.792 Dem Anteil weiblicher Personen in rechtsextremistischen Szenen kann sich nur schätzungsweise angenähert werden.793 Der prozentuale Anteil weiblicher Personen innerhalb der NPD lag im Jahr 2012 etwa bei 25 % der insgesamt 6.000 Mitglieder.794 Nach anderer Schätzung liegt der Frau­ enanteil in rechtsextremistischen Parteien und „regionaler Splittergrup­ pen“ zwischen 10 und 40 %.795 Der geschätzte prozentuale Anteil weibli­ cher Personen in organisierten, nicht parteiförmigen Gruppen oder Kame­

790 S.a. Essen, Rechtsextremistinnen heute, S. 287; Rudolph, Geschlechterverhältnis­ se in der Politik, S. 36 f. 791 Heilmann, Normalisierung und Aneignung, S. 53; Möller/Schuhmacher, Rechte Glatzen, S. 40. 792 Bitzan, Geschlechterkonstruktionen und Geschlechterverhältnisse in der extre­ men Rechten, S. 333; Büttner/Lang/Lehnert, Vorgänge 2012, 77, 78; Essen, Rechts­ extremistinnen heute, S. 300 f.; Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextre­ mismus, Mädchen und Frauen in der extremen Rechten, S. 8; van de Wetering/ Mietke/Sigl, Ausstiegs- und Distanzierungsprozesse als Forschungsgegenstand in der (Rechtsextremismus-)Forschung, S. 38. 793 Hierzu zählen etwa Parteizugehörigkeit, Wahlverhalten, Mitgliedschaft in orga­ nisierten Gruppen, Kameradschaften oder sozialen Bewegungen, Einstellungen oder Beteiligung an politisch motivierten Straftaten (rechts); vgl. Bitzan, Ge­ schlechterkonstruktionen und Geschlechterverhältnisse in der extremen Rech­ ten, S. 337 ff.; Essen, Rechtsextremistinnen heute, S. 289 ff.; Priester, Leviathan 2009, 77, 78 ff.; van de Wetering/Mietke/Sigl, Ausstiegs- und Distanzierungspro­ zesse als Forschungsgegenstand in der (Rechtsextremismus-)Forschung, S. 38. 794 Essen, Rechtsextremistinnen heute, S. 294. 795 Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus, Mädchen und Frauen in der extremen Rechten, S. 6.

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B. Theoretische Grundlegungen

radschaften liegt zwischen 10 und 33 %.796 Insgesamt kann der Anteil weiblicher Personen in rechtsextremistischen Szenen, Bewegungen und Parteien annährungsweise auf etwa zwischen 10 und 40 % geschätzt wer­ den.797 Das rechtsextremistische Spektrum differenziert sich zunehmend aus und professionalisiert sich. Eine immer größere Rolle nimmt die informel­ le wie formelle bundesweite und internationale Vernetzung, auch begüns­ tigt durch das Internet, ein.798 Der von Frauen geleistete Beitrag darf in diesen Kontexten nicht unterschätzt werden, denn er trägt zum Aufrecht­ erhalten und Verbreiten der jeweiligen ideologischen Hintergründe und Strukturen mit bei.799 bbbb) Zugeschriebene Geschlechterrollenbilder Weibliche Geschlechterrollenbilder im Rechtsextremismus weisen ein breites Spektrum auf, das sich in drei grundsätzliche Modelle einteilen lässt. Das breite Spektrum weist „Überschneidungen und Berührungen mit traditionellen, in der Gesamtgesellschaft vertretenen und gelebten Ge­ schlechtsvorstellungen auf“.800 Möglicherweise werden deshalb gesamtge­ sellschaftlich die weiblichen Geschlechterrollenbilder im Rechtsextremis­ mus verharmlost und die dort aktiven weiblichen Personen nutzen diese Verharmlosung für sich, indem sie in anderen als politischen Zusammen­

796 Bitzan, Geschlechterkonstruktionen und Geschlechterverhältnisse in der extre­ men Rechten, S. 339 f.; Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus, Mädchen und Frauen in der extremen Rechten, S. 7. 797 Döhring/Feldmann, Frauen(bilder) in rechten Subkulturen, S. 187; Farin, Der Kick und die Ehre, S. 64; Heitmann, Die Skinhead-Studie, S. 74; Möller, Häßlich, kahl und hundsgemein, S. 121; Röpke, „Retterin der weißen Rasse“, S. 14; Ru­ dolph, Geschlechterverhältnisse in der Politik, S. 37; Stöss, Rechtsextremismus im Wandel, S. 168; Thein, Wettlauf mit dem Zeitgeist, S. 129. 798 Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus, Mädchen und Frauen in der extremen Rechten, S. 10. 799 Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus, Mädchen und Frauen in der extremen Rechten, S. 10; van de Wetering/Mietke/Sigl, Ausstiegs- und Dis­ tanzierungsprozesse als Forschungsgegenstand in der (Rechtsextremismus-)For­ schung, S. 38 f. 800 Van de Wetering/Mietke/Sigl, Ausstiegs- und Distanzierungsprozesse als For­ schungsgegenstand in der (Rechtsextremismus-)Forschung, S. 39 mwN; vgl. auch zum Überblick Wamper, Das rechte Geschlecht, S. 17 ff.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

hängen politische Wirksamkeit erlangen und nutzen, um zu unterstrei­ chen, sich nicht in strafrechtlich relevanten Bereichen aufzuhalten.801 Das „klassische Modell“ „[fokussiert sehr stark] auf Mutterschaft und [reduziert Frauen] auf ihre Funktion als Gebärerin und Erzieherin“.802 Es ist ein Über-Unterordnungsverhältnis erkennbar, bei welchem sich weibli­ che unter männliche Personen unterordnen und ihnen ihre Männlichkeit bestätigen. Die Rolle der Frauen ist zumeist, die „Helden“ der Gruppe in ihrem Handeln zu bestätigen und ihnen zuzuhören.803 I.S. Bourdieus zeigt sich hier die Rolle der Zuschauerin, die Männern als „schmeichelnde Spiegel“ dienen und ihnen das vergrößerte Bild ihrer selbst zurückwer­ fen sollen und wollen.804 Frauen sind anwesend, wenn die männlichen Mitglieder der Gruppe sie benötigen, z.B. um nach körperlichen Auseinan­ dersetzungen die Wunden zu versorgen.805 Eine geschlechtsspezifische Ge­ waltaufteilung ist nach einer Ansicht ebenfalls beobachtbar, indem männ­ liche Personen Täter sind und weibliche Personen „Mittäter“806. Frauen fungieren für Männer als Sexualobjekte, „Putze“ oder Trösterin, was mit dem Bild des „Heimchen am Herd“ korrespondiert.807 Die weiblichen Ge­ schlechterrollenbilder beinhalten auch Zuschreibungen von Friedlichkeit, denn ihnen wird zugeschrieben, weder fähig noch bereit zu sein, Gewalt auszuüben.808 Das „klassische Modell“ schreibt weiblichen Personen zu, für das Gebären der Kinder, deren Pflege und Erziehung sowie für die Brauchtumspflege bestimmt zu sein.809 Es besteht eine Pflicht und Fixie­

801 Van de Wetering/Mietke/Sigl, Ausstiegs- und Distanzierungsprozesse als For­ schungsgegenstand in der (Rechtsextremismus-)Forschung, S. 39 mwN. 802 Bitzan, Geschlechterkonstruktionen und Geschlechterverhältnisse in der extre­ men Rechten, S. 342. 803 Bitzan, Geschlechterkonstruktionen und Geschlechterverhältnisse in der extre­ men Rechten, S. 343; Holzkamp, Wir – nicht nur die anderen…, S. 46; Rudolph, Geschlechterverhältnisse in der Politik, S. 37. 804 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. 805 Groffmann, Das unvollendete Drama, S. 177 f.; Hammann, Frauen im rechtsex­ tremen Spektrum, S. 17 f.; Holzkamp, Wir – nicht nur die anderen…, S. 44. 806 Holzkamp, Wir – nicht nur die anderen…, S. 46. „Mittäter“ kann hier wohl nicht durchgängig als Mittäterschaft i.S.d. § 25 II StGB verstanden werden. 807 Hammann, Frauen im rechtsextremen Spektrum, S. 27; Möller, Häßlich, kahl und hundsgemein, S. 121; Röpke, „Retterin der weißen Rasse“, S. 21. 808 Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus, Mädchen und Frauen in der extremen Rechten, S. 6. 809 Bitzan, Geschlechterkonstruktionen und Geschlechterverhältnisse in der extre­ men Rechten, S. 341; Büttner/Lang/Lehnert, Vorgänge 2012, 77, 81.

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B. Theoretische Grundlegungen

rung auf die Mutterschaft810 und ihnen wird zugeschrieben, „das emotio­ nale Zentrum der Familie zu sein“.811 Hier finden die homologen Gegen­ sätze i.S. Bourdieus ihren Ausdruck, da eine Orientierung an getrennten Sphären zwischen Männern und Frauen erkennbar ist. Das Geschlechterrollenbild im „modernisierten Modell“ ist gegenüber dem „klassischen Modell“ erweitert um die Berufstätigkeit und Engage­ ment in politischen Parteien oder parteiungebundenen Organisationen. Dort sind Frauen aktiv eingebunden sind, indem sie z.B. repräsentative Funktionen oder, seit den 1990er Jahren, vermehrt führende Positionen in rechtsextremistischen Szenen, Bewegungen und Parteien übernehmen.812 Damit soll die Zugehörigkeit von Frauen gefestigt und die Szene selbst stabilisiert werden. Außerdem sollen Frauen nach außen sichtbar werden, mit dem Ziel, dass die entsprechende Politik als ganzheitlich wahrgenom­ men wird.813 Das dritte Modell ist der „nationale Feminismus“ bzw. der „sexismuskri­ tische Nationalismus“,814 für den v.a. eine Gruppierung zwischen 2007 und 2011 besonders eintrat. Die szeneintern nur selten vertretene An­ sicht815 fordert v.a., sich von der Überbetonung der Mutterschaft zu lösen und anzuerkennen, dass Frauen selbstständige Menschen sind, die alle denkbaren Tätigkeiten übernehmen können. Ihr Ziel ist, die Gleichberech­ tigung in allen gesellschaftlichen Bereichen zu erreichen. Sie treten dem in tradierten Geschlechterrollenbildern innewohnendem patriarchalem Bild und dem Bild der politischen Unmündigkeit entgegen.816

810 Birsl, Frauen in der rechtsextremistischen Szene, S. 96 f.; Bitzan, Geschlechter­ konstruktionen und Geschlechterverhältnisse in der extremen Rechten, S. 343. 811 Birsl, Frauen in der rechtsextremistischen Szene, S. 97. 812 Birsl, Frauen in der rechtsextremistischen Szene, S. 97. 813 Bitzan, Geschlechterkonstruktionen und Geschlechterverhältnisse in der extre­ men Rechten, S. 344; Röpke, „Retterin der weißen Rasse“, S. 21. 814 Bitzan, Frauen in der rechtsextremen Szene, S. 96 ff.; Essen, Rechtsextremistin­ nen heute, S. 288 f.; Goetz, Gibt es einen »rechtsextremen Feminismus« in Deutschland?, S. 13 ff.; Köttig, Zur Entwicklung rechtsextremer Handlungs- und Orientierungsmuster von Mädchen und jungen Frauen, S. 258; Röpke, „Retterin der weißen Rasse“, S. 20 f.; Röpke/Speit, „Nicht mehr nur die Freundin eines Nazis“, S. 103. 815 Birsl, Frauen in der rechtsextremistischen Szene, S. 97; Bitzan, Geschlechterkon­ struktionen und Geschlechterverhältnisse in der extremen Rechten, S. 345. 816 Birsl, Frauen in der rechtsextremistischen Szene, S. 97; Bitzan, Geschlechterkon­ struktionen und Geschlechterverhältnisse in der extremen Rechten, S. 345; Es­ sen, Rechtsextremistinnen heute, S. 309.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

In den drei vorgestellten Modellen findet eine Auseinandersetzung da­ rüber statt, wie sich das von Ungleichheit geprägte Geschlechterverhältnis gestaltet. Die „natürliche Ungleichheit“817 zwischen Männern und Frauen wird nicht grundsätzlich bestritten, sondern über die Hierarchie und Un­ gleichwertigkeit diskutiert. Frauen sehen sich nach wie vor für den Nach­ wuchs verantwortlich und dafür, den männlichen Nachwuchs i.S. einer „soldatischen Kampfeshaltung“ zu erziehen.818 Hier ist erneut erkennbar, welche Rolle Frauen bei der Erziehung und Prägung des männlichen Habitus i.S. Bourdieus einnehmen und damit zur Aufrechterhaltung der männlichen Herrschaft beitragen.819 Frauen im Rechtsextremismus sehen sich auch als „‚Kämpferinnen‘ im ‚nationalen Widerstand‘“,820 bei dem sie neben oder auch ohne die männlichen Mitglieder selbst gewaltförmig handeln können oder sie darin unterstützen können.821 Überdies zeigen sich auch männliche Geschlechterrollenbilder im Rechtsextremismus zunehmend heterogener. Es gibt nach wie vor Geschlechterrollenbilder, die Männern Eigenschaften wie etwa Härte, Kampfbereitschaft, Tapferkeit, Todesmut, Mut, Zähigkeit, Soldatenhaftigkeit, das Ernähren und Beschützen der Familie zuschreiben.822 Gleichzei­ tig vollzieht sich mitunter eine Modernisierung und ein Wandel der männlichen Geschlechterrollenbilder, die sich zunehmend flexibel und individueller zeigen und tradierte Geschlechterrollenbilder aufweichen.823 Deshalb kann hier ebenfalls die Frage gestellt werden, ob eine Krise der männlichen Herrschaft zu erkennen ist. Durch die Pluralisierung der mög­ lichen Lebensentwürfe und den daraus resultierenden Verunsicherungen kommt es zu einer tendenziellen Auflösung der tradierten, männlichen

817 818 819 820 821

Birsl, Frauen in der rechtsextremistischen Szene, S. 97. Birsl, Frauen in der rechtsextremistischen Szene, S. 98. Vgl. bereits B. IV. 1. c), 2. c). Birsl, Frauen in der rechtsextremistischen Szene, S. 98. Birsl, Frauen in der rechtsextremistischen Szene, S. 98, vgl. auch Wamper, Das rechte Geschlecht, S. 24. 822 Bitzan, Geschlechterkonstruktionen und Geschlechterverhältnisse in der extre­ men Rechten, S. 347 ff.; Virchow, Tapfer, stolz, opferbereit, S. 42; van de We­ tering/Mietke/Sigl, Ausstiegs- und Distanzierungsprozesse als Forschungsgegen­ stand in der (Rechtsextremismus-)Forschung, S. 40. 823 Bitzan, Geschlechterkonstruktionen und Geschlechterverhältnisse in der extre­ men Rechten, S. 349; Heilmann, Normalisierung und Aneignung, S. 54; Ru­ dolph, Geschlechterverhältnisse in der Politik, S. 37; Sigl, Ausstieg und Ge­ schlecht, S. 168; van de Wetering/Mietke/Sigl, Ausstiegs- und Distanzierungspro­ zesse als Forschungsgegenstand in der (Rechtsextremismus-)Forschung, S. 39 f.; Wamper, Das rechte Geschlecht, S. 27 ff.

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B. Theoretische Grundlegungen

Geschlechterrollenbilder. Männer sehnen sich teilweise nach diesen tra­ dierten Geschlechterrollenbildern und deshalb sind rechtsextremistische Szenen, Bewegungen und Parteien für sie anziehend.824 Wenn sich nun aber gerade dort das Geschlechterrollenbild ebenfalls flexibilisiert und he­ terogenisiert, ist eine Gleichzeitigkeit erkennbar, indem einerseits die tra­ dierten Geschlechterrollenbilder persistent erscheinen und zum anderen sie sich vorsichtig im Wandel befinden. Eine „echte“ Krise825 kann hierin jedoch nicht erkannt werden. cccc) Kategorisierungsversuche innerhalb der Skinhead-Szene Exemplarisch für Kategorisierungsversuche für Frauen im Rechtsextremis­ mus werden nun die beiden idealtypischen Kategorien Skingirls und Renees in der Skinhead-Szene herausgegriffen. Renees können in zwei Gruppen unterteilt werden. Die eine Gruppe hat szeneintern einen schlechten Ruf, denn sie stünden jedem männlichen Mitglied in sexueller Hinsicht zur Verfügung; die szeneinterne Bezeich­ nung „Fickhennen“ unterstreicht diese Funktion.826 Sie begnügen sich mitunter mit dieser zugeschriebenen Rolle und versuchen dadurch Aner­ kennung und soziale Zugehörigkeit zu erreichen.827 Die Mitglieder der zweiten Gruppe der Renees werden teilweise als androgyne Wesen wahrge­ nommen. Aufgrund ihrer Gewaltbereitschaft nehmen sie mit den männli­ chen Gruppenmitgliedern zusammen an körperlichen Auseinandersetzun­ gen teil. Eine eindeutige Zuordnung zu einem Geschlechterrollenbild ge­ lingt bei diesen Renees nicht. Ihnen werden weit überwiegend männliche Attribute (z.B. Härte, Stärke, Widerstandsfähigkeit, aggressives Auftreten) zugeschrieben, was auch mit ihrem als martialisch empfundenen Äußeren, dem feather cut, zusammenhängt.828

824 Bitzan, Geschlechterkonstruktionen und Geschlechterverhältnisse in der extre­ men Rechten, S. 350. 825 Vgl. zu Begriff und Voraussetzungen: B. IV. 3.; vgl. zu den Diagnosen: B. IV. 3. c). 826 El-Nawab, Skinheads, Gothics, Rockabillies, S. 129 f.; Möller, Häßlich, kahl und hundsgemein, S. 121; Möller, Harte Kerle, geile Weiber, S. 137. 827 Möller, Harte Kerle, geile Weiber, S. 137; Röpke, „Retterin der weißen Rasse“, S. 107; Röpke/Speit, Mädelssache!, S. 92. 828 Birsl, Frauen in der rechtsextremistischen Szene, S. 100; Borrmann, Soziale Ar­ beit mit rechten Jugendcliquen, S. 88; Groffmann, Das unvollendete Drama,

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

Ein zumeist unpolitisches Skingirl, auch „Torte“, „Schnecke“ oder „Ma­ tratze“ genannt,829 steht nur einem Mann in sexueller Hinsicht zur Verfü­ gung. Sie hält sich in der Szene als „Freundin von“ jemandem auf, wird über dieses männliche Mitglied definiert und von ihm beschützt. Ihre Gruppenposition und ihr Status sind abhängig vom jeweiligen männli­ chen Mitglied, dessen „Anhängsel“ sie sind. Ihre zugeschriebene Funktion und Aufgabe ist es, sich um ihn zu kümmern und zu sorgen. Endet die Paarbeziehung, verlässt sie häufig die Gruppe.830 Eine Renee hingegen steigt vollkommen in die Szene ein, bewegt sich dort autonom, ist in die Gruppenstruktur intensiver eingebunden und grenzt sich gegenüber männlichen Mitgliedern und den Skingirls ab, die als „Freundin von …“ in die Szene gelangen. Renees orientieren sich in ihrem Selbstkonzept an den als männlich erachteten Durchsetzungsstrategien und lehnen Ver­ haltensweisen ab, die als weiblich gelten (z.B. Autoaggression, Selbstverlet­ zungen, Bulimie, Zurückhaltung, Passivität).831 Renees wollen nicht mit Skingirls verwechselt werden, da diese aufgrund ihres meist nur vorüber­ gehenden Aufenthaltes in der Szene kein vollwertiges Mitglied sind. Den nur partnervermittelten Kontakt der Skingirls verachten die Renees. Um ihre Geringschätzigkeit gegenüber Skingirls auszudrücken, übernehmen sie die auch von den männlichen Mitgliedern genutzten abwertenden Be­ zeichnungen. Der szeneinterne Sexismus gegenüber Skingirls zeigt sich so­ mit bei männlichen und weibliche Gruppenmitgliedern gleichermaßen.832 Die Ursachen der gewaltförmigen Handlungen und Motive der Zugehö­ rigkeit zur Gruppe sind die Suche nach Anerkennung, Respekt und Auf­ merksamkeit.833 Diese Befunde korrespondieren mit den Ursachen und

829 830

831 832 833

S. 96; Möller, Häßlich, kahl und hundsgemein, S. 122; Verfassungsschutz Berlin, „Frauen im Rechtsextremismus“, S. 15. Birsl, Frauen in der rechtsextremistischen Szene, S. 100; Ferchhoff, Jugend und Jugendkulturen im 21. Jahrhundert, S. 256. Borrmann, Soziale Arbeit mit rechten Jugendcliquen, S. 87; El-Nawab, Skin­ heads, Gothics, Rockabillies, S. 128 f.; Möller, Häßlich, kahl und hundsgemein, S. 121; Möller/Schuhmacher, Rechte Glatzen, S. 332; Röpke/Speit, Mädelssache!, S. 91 f.; Thein, Wettlauf mit dem Zeitgeist, S. 131; Uelk, Mädchen und Frauen in rechtsextremer Subkultur und Musikszene, S. 356. Borrmann, Soziale Arbeit mit rechten Jugendcliquen, S. 88; Essen, Rechtsextre­ mistinnen heute, S. 292; Möller, Häßlich, kahl und hundsgemein, S. 122; Verfas­ sungsschutz Berlin, „Frauen im Rechtsextremismus“, S. 15. Birsl, Frauen in der rechtsextremistischen Szene, S. 100; El-Nawab, Skinheads, S. 36 und dort in Fn. 37; Rommelspacher, Frauen und Männer im Rechtsextre­ mismus, S. 59. Rommelspacher, Frauen und Männer im Rechtsextremismus, S. 59.

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B. Theoretische Grundlegungen

Motiven männlicher Gruppenmitglieder und zu weiblichen Mitgliedern anderer gewaltaffiner Kontexte.834 Eine Renee identifiziert sich als NichtMädchen und mit der gesellschaftlich zugeschriebenen Rolle männlicher Jugendlicher. Sie kann „ihren Mann“ stehen, was auch die typische Frisur verdeutlicht, denn das kurze bis kahlgeschorene Haar mit langen Ponyund Nacken-Fransen (feather cut) ist ein Bruch mit zugeschriebenen tra­ dierten Geschlechterrollenbildern.835 Selten lassen sich Renees eine Glatze scheren, was als letzter Schritt der Symbolisierung des Körpers gilt.836 Damit drückt sich der Habitus der Renees auch optisch wahrnehmbar aus, denn Körper stellen eine Dimension des Habitus dar.837 Das Scheren einer Glatze kann im szeneexternen Kontext zu einer entwürdigenden Stigmatisierung führen. Szeneintern widerspricht diese Frisur dem weib­ lichen Geschlechterrollenbild.838 Renees befinden sich in einem unlösba­ ren Dilemma: Bei nicht vollständiger Symbolisierung des Körpers durch die Frisur ist es Groffmann zufolge unmöglich als vollwertige Kameradin integriert zu werden. Bei vollständiger Symbolisierung widerspricht ihr eigenes Selbstbild dem weiblichen Geschlechterrollenbild der männlichen Mitglieder.839 Selten gründen sich szeneintern selbstständig organisierte Frauen- bzw. „Mädel“gruppen. Etwas häufiger organisieren sie sich als Sektions-, Ak­ tions- oder Untergruppe einer männlich dominierten Gruppe.840 Diese Netzwerke dienen als gruppenstabilisierendes Element mit verschiedenen eigenen Aufgaben.841 Eine als passiv gewaltverstärkende, unterstützende 834 Vgl. B. IV. 3. b) bb) aaa). 835 Borrmann, Soziale Arbeit mit rechten Jugendcliquen, S. 88; Groffmann, Das un­ vollendete Drama, S. 191; Hitzler/Niederbacher, Leben in Szenen, S. 141; Möller, Häßlich, kahl und hundsgemein, S. 122. 836 El-Nawab, Skinheads, S. 65; Ferchhoff, Jugend und Jugendkulturen im 21. Jahr­ hundert, S. 256; Groffmann, Die Marginalisierung von Mädchen in kulturellen Prozessen am Beispiel rechtsorientierter Jugendgruppen, S. 345. 837 Vgl. B. IV. 1. c) bb). 838 Groffmann, Das unvollendete Drama, S. 163; Groffmann, Die Marginalisierung von Mädchen in kulturellen Prozessen am Beispiel rechtsorientierter Jugend­ gruppen, S. 345. 839 Groffmann, Die Marginalisierung von Mädchen in kulturellen Prozessen am Beispiel rechtsorientierter Jugendgruppen, S. 346. 840 Z.B. „Skingirl-Freundeskreis Deutschland“, „Das Braune Kreuz“, „Arbeitskreis Mädelschar des Widerstand Nord“, „Freier Mädelbund“, vgl. Röpke, „Retterin der weißen Rasse“, S. 27. Daneben gibt es auch den „Ring Nationaler Frauen“ als Unterorganisation der NPD, der sich auch Nichtparteimitglieder anschlie­ ßen können. 841 Wittmann, Soziale Probleme 2002, 11, 16.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

Aufgabe ist z.B. organisatorischer Natur, indem sie Kassen oder Adressen verwalten oder Propagandamaterial versenden. Ziel ist, das große Potenzi­ al weiblicher Personen besser zu nutzen und die Gleichgesinnten stärker, auch über das Ende einer Paarbeziehung hinaus, an die Gruppe zu bin­ den.842 Die in rechtsextremistischen Szenen geführten Paarbeziehungen sind mitunter konflikt- und gewaltbelastet; dies gilt auch für die SkinheadSzene. Weibliche Personen können dort zu Opfern körperlicher und oder sexualisierter häuslicher Gewalt werden.843 Ob es hierauf auch Hinweise im Zusammenhang mit dem Feld des Hooliganismus gibt, zeigt sich in Kapitel E. dddd) Eigene Bilder von Weiblichkeit weiblicher Gewaltausübender Erhöhte Gewaltbereitschaft zählt zu den konstituierenden Elementen und zum Selbstverständnis der Skinhead-Szene, die gewaltbereiten und -tätigen Renees Möglichkeiten und Gelegenheitsstrukturen bieten.844 Üben Renees gegeneinander Gewalt aus, nehmen männliche Gruppenmitglieder diese Handlungen nicht ernst und belächeln sie.845 Dennoch fordern Renees ein, an den körperlichen Auseinandersetzungen teilzunehmen, da sie sie als Fortführung der zwar männerbündischen SA begreifen, die aber eben­ falls Unterstützung durch weibliche Personen benötigte.846 Nur wenn sich eine Renee durch besondere Aggressivität und Kraft auszeichnet und ihr männliche Attribute zugeschrieben werden, wird sie als kämpfende Kame­ radin ernst genommen und als Gleichwertige gesehen. Sie erhält einen von den männlichen Gruppenmitgliedern zugewiesenen Sonderstatus als selbst aktiv Gewalttätige und hebt sich somit von den übrigen weiblichen Personen qua Zuschreibung und Definitionsmacht der männlichen Mit­

842 Röpke, „Retterin der weißen Rasse“, S. 27, 100; Röpke/Speit, „Nicht mehr nur die Freundin eines Nazis“, S. 88; Sigl, Ausstieg und Geschlecht, S. 171. 843 Lutzenbaeck/Schaar/Storm, Zur Rolle und Bedeutung der Mädchen in rechten Jugendcliquen, S. 110; Köttig, Zur Entwicklung rechtsextremer Handlungs- und Orientierungsmuster von Mädchen und jungen Frauen, S. 269. 844 Birsl, Frauen in der rechtsextremistischen Szene, S. 99; Verfassungsschutz Berlin, „Frauen im Rechtsextremismus“, S. 15. 845 Büttner/Lang/Lehnert, Vorgänge 2012, 77, 80; Essen, Rechtsextremistinnen heu­ te, S. 292; Groffmann, Das unvollendete Drama, S. 184; Hammann, Frauen im rechtsextremen Spektrum, S. 33; Röpke, „Retterin der weißen Rasse“, S. 27; Röp­ ke/Speit, „Nicht mehr nur die Freundin eines Nazis“, S. 87. 846 Büttner/Lang/Lehnert, Vorgänge 2012, 77, 82.

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B. Theoretische Grundlegungen

glieder ab. Nach Groffmann kommt es zu einer Anerkennung, die mit dem Wechsel der Geschlechtskategorie einher geht.847 Die Ansicht, die Geschlechtskategorie wechseln zu können, ist jedoch nach den Konzepten Bourdieus abzulehnen.848 Es stellt sich die Frage, ob sich die eigenen Bilder von Weiblichkeit der weiblichen Gewaltausübenden im Rechtsextremismus, insbesondere der Renees, denjenigen ähneln, die weibliche Jugendliche in gewaltaffinen, geschlechtsheterogenen oder -homogenen Kontexten aufweisen. Die szen­ einternen Anschauungen bezüglich Gewalt ermöglicht es gewaltaffinen weiblichen Jugendlichen dort zugehörig zu sein. Frühere Untersuchun­ gen gingen bei weiblichen Jugendlichen davon aus, sich dabei an männli­ chen und nicht an weiblichen Geschlechterrollenbildern zu orientieren. Auch wurde das gewaltförmige Verhalten der weiblichen Jugendlichen im Rechtsextremismus als eine Imitation des männlichen Verhaltens angese­ hen.849 Eine weitere Erklärung war, die weiblichen Jugendlichen üben Ge­ walt aus, da sie in diesen Szenen dem Einfluss der männlichen Mitglieder ausgesetzt sind und diese gewaltbefürwortend und -ausübend sind.850 Mitt­ lerweile änderten sich jedoch die Erklärungsansätze, insbesondere rekur­ rierend auf die Befunde von Bruhns/Wittmann,851 und gehen nun davon aus, gewaltausübende weibliche Jugendliche im Rechtsextremismus beton­ ten geschlechtsspezifische Differenzen und konstruierten dabei ein eigenes weibliches Geschlechterrollenbild. In diesem wehren sie solche Geschlech­ terrollenbilder ab, die weiblichen Personen zuschreiben, ausschließlich verletzungsoffen und schwach zu sein, sich unterzuordnen und anzupas­ sen zu müssen. Voraussetzung hierfür ist, dass die gewaltaffine Gruppe, der sie angehören, ihre Gewaltausübung versteht.852 Die Konstruktion dieses Geschlechterrollenbildes ist mit einer erhöhten Ächtung der gewalt­ ausübenden Renees durch ihr soziales, szeneexternes Umfeld verbunden. Diese Ächtung kann in Teilen durch die szeneinterne Aufwertung kom­

847 Groffmann, Das unvollendete Drama, S. 184. 848 Vgl. bereits B. IV. 3. b) bb) aaa) dddd). 849 Vgl. zu der Ansicht in früheren Untersuchungen: Verfassungsschutz Berlin, „Frauen im Rechtsextremismus“, S. 15. Vgl. grundsätzlich zur Ansicht der Imi­ tation männlichen Verhaltens durch weibliche Personen in gewaltaffinen Grup­ penkontexten: B. IV. 3. b) bb) aaa) dddd). 850 Verfassungsschutz Berlin, „Frauen im Rechtsextremismus“, S. 15; ebenfalls ab­ lehnend Bruhns, Gewaltbereite Mädchen in subkulturellen Jugendgruppen, S. 190. 851 Vgl. B. IV. 3. b) bb). 852 Verfassungsschutz Berlin, „Frauen im Rechtsextremismus“, S. 15.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

pensiert werden. Dieses auch als „Protestweiblichkeit“853 bezeichnete Ge­ schlechterrollenbild wendet sich zwar gegen tradierte Geschlechterrollen­ bilder, aber sie geben es nicht vollständig auf, sondern erweitern Aspekte dessen und integrieren es in ihr eigenes, gewaltausübungsermöglichendes Geschlechterrollenbild.854 eeee) Mögliche Gründe für den Einstieg, Verweilen und Ausstieg Die Gründe für den Einstieg und das Verweilen männlicher und weib­ licher Jugendlicher im Rechtsextremismus sind vielfältig. Es fragt sich, ob ein Einstieg weiblicher Jugendlicher möglicherweise trotz oder ge­ rade aufgrund der skizzierten vorherrschenden Geschlechterrollenbilder geschieht. Für den Einstieg und das Verweilen weiblicher Jugendlicher können familiengeschichtliche oder biographische Gründe eine Rolle spie­ len: z.B. unbearbeitete familiäre Involvierungen in die Zeit des National­ sozialismus oder die „[Stilisierung der] Großväter zu Helden des Natio­ nalsozialismus“.855 Auch Gelegenheitsstrukturen, wie z.B. das Vorhanden­ sein einer entsprechenden Szene im unmittelbaren räumlichen Umfeld, können Gründe für die Hinwendung sein.856 Ebenso spielen bei männ­ lichen wie weiblichen Jugendlichen mitunter Dominanzansprüche, die verbunden sind mit Wünschen nach Selbstaufwertung aufgrund der sub­ jektiven Empfindung, „einer vermeintlich ‚höherwertigen‘ ‚Volkszugehö­ rigkeit‘“.857 Zum Teil wird vertreten, bei weiblichen Jugendlichen ist ein „Konventionalismus“ vorfindbar, der eine „Sehnsucht nach Normalität, Ruhe, Ordnung und Eindeutigkeit“858 beinhaltet. Dies geht einher mit

853 Vgl. Althoff, »Bad woman« oder »one of the guys«, S. 233; Kersten, Risiken und Nebenwirkungen, S. 111; Verfassungsschutz Berlin, „Frauen im Rechtsextremis­ mus“, S. 16. 854 Birsl, Frauen in der rechtsextremistischen Szene, S. 100, 105; Verfassungsschutz Berlin, „Frauen im Rechtsextremismus“, S. 16. 855 Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus, Mädchen und Frauen in der extremen Rechten, S. 27. 856 Birsl, Frauen in der rechtsextremistischen Szene, S. 99, 102; Forschungsnetz­ werk Frauen und Rechtsextremismus, Mädchen und Frauen in der extremen Rechten, S. 25; Landeskoordinierungsstelle Jugendstiftung Baden-Württemberg, Gender und Rechtsextremismus, S. 27. 857 Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus, Mädchen und Frauen in der extremen Rechten, S. 27. 858 Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus, Mädchen und Frauen in der extremen Rechten, S. 25.

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B. Theoretische Grundlegungen

der Abwehr von als bunt wahrgenommenen, heterogenen Lebenswelten und dem Wunsch, sich fürsorglich um jemanden – die „Eigenen“ – zu kümmern. Verbunden ist dies mit der Angst vor und Ablehnung von allem fremd wirkenden und nicht in eigene politische Einstellungen pas­ sendem.859 Das Geschlechterrollenbild spielt für den Einstieg und den Verbleib eine nachgeordnete Rolle, zumal es, wie skizziert, heterogen und weniger bindend ist. Die Suche und der Wunsch nach Anerkennung sind ebenfalls mögliche Gründe für den Einstieg.860 Des Weiteren stellen der Wunsch nach Zugehörigkeit zu einer von ihnen als elitär wahrgenom­ menen Gruppe, die bewusst gesuchte Abgrenzung zur Herkunftsfamilie und der Wunsch, Spaß haben zu wollen, Gründe für den Einstieg und das Verweilen dar. Zum Teil wird das Inberührungkommen weiblicher Ju­ gendlicher mit rechtsextremistischen Szenen als zufälliges, passives „Hin­ einrutschen“ beschrieben, das nur in geringem Maße mit dem Teilen der politischen Ideologien in Verbindung steht. Ein weiterer Grund für den Kontakt und den Einstieg kann der Beginn einer Paarbeziehung mit einem Gruppenmitglied sein.861 Des Weiteren können auch die in der Lebensphase Jugend bestehenden Konflikte und Problemlagen (z.B. Vereinbarkeit von Beruf und Familie) förderlich für ein Hinwenden und Verweilen sein. Allerdings ist dies nur vordergründig zutreffend, denn derartige Problemlagen würden „ex­ ternalisiert“, so dass nicht mehr die individuellen Problemlagen in den Vordergrund gerückt werden, sondern anderen Menschen oder Themen­ bereichen zugeschrieben wird, Probleme zu sein. Probleme werden auf diejenigen Personen projiziert, die auf sie fremd wirken und auf die sich ihre Ablehnung bereits bezieht.862 Weitere Gründe können mit eigenen Viktimisierungserfahrungen der weiblichen Jugendlichen im Zusammenhang stehen. Möglicherweise wur­ den gewaltförmige, u.a. sexualisierte Opferwerdungen trotz Bearbeitungs­

859 Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus, Mädchen und Frauen in der extremen Rechten, S. 26. 860 Birsl, Frauen in der rechtsextremistischen Szene, S. 103 ff.; Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus, Mädchen und Frauen in der extremen Rech­ ten, S. 25 ff. 861 Birsl, Frauen in der rechtsextremistischen Szene, S. 102 ff.; Forschungsnetz­ werk Frauen und Rechtsextremismus, Mädchen und Frauen in der extremen Rechten, S. 25; Landeskoordinierungsstelle Jugendstiftung Baden-Württemberg, Gender und Rechtsextremismus, S. 27. 862 Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus, Mädchen und Frauen in der extremen Rechten, S. 26.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

bedürftigkeit nicht bearbeitet, was zu einer Projektion der Viktimisie­ rungserfahrungen auf als fremd wirkende Menschen führen kann. Bei der dabei stattfindenden „Zuschreibung von Bedrohlichkeit“863 wird die Ge­ walt der eigenen Gruppe bagatellisiert und die Gewalt derjenigen, denen zugeschrieben wird, fremd und bedrohlich zu sein, überzeichnet.864 Nicht unberücksichtigt bleiben darf, dass es zum Teil gar keines Ein­ stiegs in der Lebensphase Jugend bedarf, da junge Menschen möglicher­ weise bereits in einem Umfeld aufwachsen, das dem Rechtsextremismus zuzurechnen ist, und sie dort möglicherweise bereits entsprechend „sozia­ lisiert“ wurden.865 Insgesamt ähneln sich die Befunde, weshalb weibliche Jugendliche in rechtsextremistische Gruppierungen einsteigen und verweilen, den Befun­ den zu weiblichen Jugendlichen in anderen gewaltaffinen, geschlechtsho­ mogenen wie -heterogenen Kontexten.866 ccc) Exkurs: Häusliche Gewalt – „Gewalt im Geschlechterverhältnis“ Die vorherigen Abschnitte zeigten bei einem Teil der weiblichen Jugendli­ chen in gewaltaffinen Gruppen neben Abwertungs- auch Viktimisierungs­ erfahrungen auf, von denen sie sich dezidiert abzugrenzen suchen. Sie wollen keine „Opferposition“ aufrechterhalten oder zugeschrieben bekom­ men. Der nachfolgende Abschnitt gibt einen kursorischen Überblick über das Phänomen der „Gewalt im Geschlechterverhältnis“, bei dem nach einer älteren Definition867 lange die von Männern an Frauen ausgeübte Gewalt innerhalb von Partnerschaften, Ehe und Familie im Mittelpunkt stand und auf ein strukturelles Machtungleichgewicht oder eine -asymme­ 863 Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus, Mädchen und Frauen in der extremen Rechten, S. 26. 864 Birsl, Frauen in der rechtsextremistischen Szene, S. 104; Bitzan, Geschlechter­ konstruktionen und Geschlechterverhältnisse in der extremen Rechten, S. 331; Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus, Mädchen und Frauen in der extremen Rechten, S. 26. 865 Essen, Betrifft Mädchen 2009, 12, 15; Essen, Rechtsextremistinnen heute, S. 298 f. 866 Vgl. B. IV. 3. b) bb) aaa). 867 Hierunter wurde jegliche Verletzung der physischen wie psychischen Integrität einer Person verstanden, die mit der Geschlechtlichkeit des Täters und mit der des Opfers zusammenhängt; die strukturell stärkere Person fügt nach dieser Ansicht die Verletzung unter Ausnutzung eines Machtverhältnisses der anderen Person zu; vgl. Müller/Schröttle, Gewalt gegen Frauen und Gewalt im Geschlech­ terverhältnis, S. 668.

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B. Theoretische Grundlegungen

trie zwischen den Geschlechtern abstellte. Dichotome, tradierte Geschlech­ terrollenbilder sind zu erkennen, da Männern bzw. Männlichkeit Täter­ schaft und Verletzungsmächtigkeit, Frauen bzw. Weiblichkeit Opferschaft und Verletzungsoffenheit zugeschrieben wird.868 Dabei gelte die von Män­ nern an Frauen ausgeübte Gewalt als Zeichen männlicher Dominanz infolge von Macht- und Ungleichheitsverhältnissen und der männlichen Herrschaft i.S. Bourdieus.869 Seit etwa dem Beginn des 21. Jahrhunderts ist eine differenziertere Sicht auf „Gewalt im Geschlechterverhältnis“ zu erkennen. Das vorherig beschriebene dichotome Bild bricht allmählich auf und die Aufmerksam­ keit richtet sich nun vermehrt auf weibliche Gewaltausübende im Ge­ schlechterverhältnis.870 Trotz empirischer Hinweise darauf, dass sie nicht viel weniger quantitativ, aber qualitativ etwas weniger schwerwiegend ge­ waltförmig innerhalb von Paarbeziehungen handeln als Männer, wird es mitunter als Tabubruch empfunden, sich mit solcher Gewalt (empirisch) zu befassen.871 Mittlerweile werden zusätzlich weitere Konstellationen von Tätern und Opfern berücksichtigt, da nun männliche und weibliche Kin­ der als Opfer von gewaltausübenden bis hin zu tötenden Frauen ebenso vermehrter empirisch beachtet werden wie Gewalt in gleichgeschlechtli­ chen Paarbeziehungen.872 Aufgrund dieser Erweiterungen verfängt die obige, ältere Definition nicht mehr durchgängig, insbesondere was die Geschlechtlichkeit von Täter und Opfer betrifft, denn diese kann auf bei­ den Seiten beide Geschlechter umfassen. Die vermeintlich eindeutige Zu­ schreibung, wer die strukturell stärkere Person ist, ist nicht mehr fraglos gegeben. Das dichotome Bild von Verletzungsoffenheit und Verletzungs­ mächtigkeit entlang des Geschlechts bzw. tradierter Geschlechterrollenbil­ der ist aufgebrochen und als überholt anzusehen. Nach vorzugswürdiger, neuerer Definition sind deshalb unter „Gewalt im Geschlechterverhältnis“

868 Bereswill/Neuber, Jugendkriminalität und Männlichkeit, S. 360; Meuser, Gewalt im Geschlechterverhältnis, S. 105 f. 869 Meuser, Gewalt im Geschlechterverhältnis, S. 105 ff. 870 Meuser, Gewalt im Geschlechterverhältnis, S. 108. 871 Meuser, Gewalt im Geschlechterverhältnis, S. 119 f.; Müller/Schröttle, Gewalt ge­ gen Frauen und Gewalt im Geschlechterverhältnis, S. 668, 672; vgl. ausführlich auch die Pilotstudie aus dem Jahr 2005 des Forschungsverbundes „Gewalt gegen Männer“. Vgl. zum Hellfeld BT-Drs. 19/8053, S. 1 ff. 872 Bereswill, Mediale Inszenierungen von Weiblichkeit und Kriminalität, S. 96 ff.; Kavemann, Gewalt in Paarbeziehung, S. 110; Meuser, Gewalt im Geschlechter­ verhältnis, S. 108; Müller/Schröttle, Gewalt gegen Frauen und Gewalt im Ge­ schlechterverhältnis, S. 668.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

„alle Formen körperlicher, sexueller, seelischer, sozialer und ökonomischer Gewalt [zu verstehen], die zwischen erwachsenen Personen in einer beste­ henden oder ehemaligen Beziehung zueinander ausgeübt wird. Das sind vor allem Personen in Lebensgemeinschaften, aber auch in anderen Ver­ wandtschaftsbeziehungen“.873 Mitumfasst ist Gewalt in Paarbeziehungen, die noch bestehen, sich gerade auflösen oder bereits aufgelöst sind und sol­ che Gewalt, die sich gegen die in der Partnerschaft aufwachsenden Kinder direkt richtet oder die von ihnen beobachtet wird.874 Die geschlechtsneu­ trale Definition erfasst zu recht alle erdenklichen Täter-Opfer-Konstellatio­ nen.875 Zur Erklärung für die von Männern an Frauen ausgeübte Gewalt in Paarbeziehungen ist weit verbreitet, eine zum Teil als ultima ratio ange­ sehene Handlungsressource der Konfliktlösungsstrategie zu sein. Dies kor­ respondiert mit dem zugeschriebenen weiblichen Geschlechterrollenbild, derartige duldende Verhaltensweisen internalisiert zu haben.876 Körperli­ che wie sexualisierte Gewalt im Geschlechterverhältnis diene der Herstel­ lung von Dominanz und der Inszenierung von Männlichkeit und einem Statusgewinn in männlichen peer groups.877 Die von Frauen an Männern ausgeübte Gewalt im Geschlechterverhältnis hingegen wird als „nicht im Sinne der Geschlechterordnung“878 gesehen, denn ihr fehle „eine gewisse ‚Legitimität‘ im Sinne des hierarchisch strukturierten Geschlechterverhält­ nisses“.879 Dennoch können Männer in Paarbeziehungen Opfer von unter­ schiedlicher Formen von Gewalt werden.880 Auch im Kontext von Gewalt in Paarbeziehungen gilt als ein gewichti­ ger Risikofaktor für eigenes Gewalthandeln, selbst Gewalt als Kind oder Jugendlicher erfahren zu haben. Gewalt in Paarbeziehungen kann somit Machtkonstellationen, -diskrepanzen oder -asymmetrien ausdrücken.881 873 BIG Berlin, Dokumentation, S. 8. 874 BIG Berlin, Dokumentation, S. 8. 875 Müller/Schröttle, Gewalt gegen Frauen und Gewalt im Geschlechterverhältnis, S. 669. 876 Meuser, Gewalt im Geschlechterverhältnis, S. 112, 114; vgl. zu Ursachen, Er­ klärungsansätzen, Entstehungszusammenhängen Müller/Schröttle, Gewalt gegen Frauen und Gewalt im Geschlechterverhältnis, S. 697 ff. 877 Meuser, Gewalt im Geschlechterverhältnis, S. 113. 878 Meuser, Gewalt im Geschlechterverhältnis, S. 120. 879 Meuser, Gewalt im Geschlechterverhältnis, S. 120. 880 Forschungsverbund „Gewalt gegen Männer“, Abschlussbericht der Pilotstudie, S. 17 ff., 68 ff., 193 ff.; Kavemann, Gewalt in Paarbeziehung, S. 105 ff. 881 Müller/Schröttle, Gewalt gegen Frauen und Gewalt im Geschlechterverhältnis, S. 681, 683.

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B. Theoretische Grundlegungen

Diese Erwägungen sind auch dann als mögliche Erklärung in Betracht zu ziehen, wenn Frauen Gewalt ausüben. Die oben beschriebenen Phänome­ ne der Gewalt Jugendlicher in gewaltaffinen Gruppenkontexten können mit Viktimisierungen und Gewalthandeln in den Lebensphasen der Kind­ heit, Jugend und dem Erwachsenenalter in Verbindung stehen, aber sie müssen es, und schon gar nicht kausal, nicht. cc) Zwischenfazit unter Berücksichtigung der Forschungsfragen Die Annahme, der Zugang weiblicher Jugendlicher in männlich domi­ nierte Gruppen sei völlig unmöglich,882 ist mit den vorstehenden Aus­ führungen abzulehnen. Obwohl ein Zugang zu männlich dominierten, gewaltaffinen Gruppen mitunter schwierig und an gewisse Voraussetzun­ gen gebunden ist, kann er gelingen. Bei der von männlichen und weib­ lichen Jugendlichen ausgeübten Gewalt in geschlechtshomogenen und -heterogenen Kontexten scheinen die Bedingungen ihres Aufwachsens, die damit verbundenen Risikofaktoren, die Motive für das Gewaltanwenden und die Bedeutung, die die jeweilige Gruppe für das Individuum hat, vergleichbar zu sein. Sie wenden sich auch gegen das Gleiche, nämlich gegen Abwertungen und weitere Viktimisierungen bzw. versuchen sie, (weitere) Viktimisierungen abzuwehren. Eine mögliche Erklärung für das Gewalthandeln weiblicher Jugendlicher scheint zu sein, ihre eigenen Op­ fererfahrungen zu berücksichtigen. Eine, von vielen möglichen Folgen, die sich aus erlittener Gewalt, z.B. im innerfamiliären, schulischen oder im Kontext von Gruppen Gleichaltriger, ergeben kann, ist eigene Delinquenz. Insofern kann zumindest ein Teil der gewalttätig handelnden weiblichen wie männlichen Jugendlichen einen Opfer-Täter-Statuswechsel vollzogen haben.883 Weibliche Jugendliche sind einerseits gefährdet, Opfer zu werden, an­ dererseits sind sie, wenn sie Gewalt ausüben, gefährlich. Aufgrund der Ähnlichkeiten der Lebenslagen mit den identischen zu bewältigenden 882 Bütow, Mädchen in Cliquen, S. 197. 883 Vgl. auch Bereswill, Adoleszenz, Devianz und Geschlecht, S. 20; Heeg, Mäd­ chen und Gewalt, S. 297; Willems/van Santen, Diskurs Kindheits- und Jugendfor­ schung 2014, 93, 93 ff.; Willems/van Santen, MschrKrim 2018, 46, 46 ff.; Schmoll/ Willems, Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe 2020, 332, 332 ff.; Equit, Forum Erziehungshilfen 2011, 10, 14 sieht die selbst ausgeübte Gewalt von weiblichen Jugendlichen als den Versuch an, ihre eigenen Opfererfahrun­ gen zu bearbeiten.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

Krisen und Konfliktlagen in der Lebensphase Jugend (z.B. in der Schu­ le, Familie, Gruppen Gleichaltriger oder auch mit sich selbst), lässt sich Gefährdung und Gefährlichkeit nicht auf eines der beiden Geschlechter reduzieren: Die Differenz hinsichtlich des Geschlechts, die andernorts ins Feld geführt wird, verschwindet; sie sind gleichermaßen gefährdet wie gefährlich. Die jeweilige Wahrnehmung divergiert jedoch je nach Geschlecht. Die von Jugendlichen ausgeübte Gewalt, die aus und in geschlechtshomogenen oder -heterogenen Gruppen stattfindet, ist nicht anders zu beurteilen und ist zu parallelisieren, auch wenn die Körper der Ausübenden sich nach Geschlecht i.S.v. sex unterscheiden. Es sollte eine Abkehr vom androzentrischen Blick auf Gewalt – dem Verständnis „Jugendgewalt ist Jungengewalt“ – und auf Opferschaft – sowohl von der medialen Darstellung als auch von der Forschung und den verfügba­ ren amtlichen Statistiken und Daten – vorgenommen werden, denn die von der Einzelfallbetrachtung gelöste Einteilung erscheint als verzerrend. Eine Überwindung des androzentrischen Blicks erscheint für alle sich mit diesem Phänomen Befassenden zuträglich, um Licht in den Phänomenbe­ reich der Jugendlichen in gewaltaffinen Gruppenkontexten zu bringen. Zusätzlich soll dies als Plädoyer dafür verstanden werden, die Erkennt­ nisse zum Täter-Opfer-Statuswechsel stärker zu berücksichtigen884 und es besteht weiterer Forschungsbedarf. Vor diesem Hintergrund erscheint die Konstruktion von Geschlecht immer vor den konkreten, individuellen und gesamtgesellschaftlich auf die einzelnen Personen wirkenden Umstän­ den betrachtet werden zu müssen. Dabei ist nicht nur das Geschlecht i.S.v. sex maßgeblich, sondern es ist eine von mehreren Dimensionen, die auf junge Menschen zutrifft. Auch die soziale, sozioökonomische Her­ kunft oder die ethnische Zugehörigkeit sind Dimensionen, die auf ihre eigenen Geschlechterrollenbilder und den jeweiligen Habitus einwirken können.885

884 Vgl. hierzu auch Willems/van Santen, Diskurs Kindheits- und Jugendforschung 2014, 93, 93 ff. mwN; Willems/van Santen, MschrKrim 2018, 46, 46 ff. mwN; Schmoll, Täter-Opfer-Statuswechsel im Jugendalter, S. 883 mwN; Schmoll/Wil­ lems, Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe 2020, 332, 332 ff. mwN; Schmoll/Müller, Das Straftatopfer in der Kriminologie und im Strafpro­ zess, S. 301. 885 In diesem Sinne auch Batchelor, Probation Journal 2009, 399, 399 ff.; Bereswill, Adoleszenz, Devianz und Geschlecht, S. 31 et passim; Bruhns/Wittmann, „Ich meine, mit Gewalt kannst du dir Respekt verschaffen“, S. 255 ff.; Silkenbeumer, Jugendkriminalität bei Mädchen, S. 382; Young, Youth Justice 2009, 224, 224 ff.

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B. Theoretische Grundlegungen

Gewaltausübende weibliche Jugendliche haben in ihr eigenes Ge­ schlechterrollenbild Gewalt derart integriert, dass es für sie eine Hand­ lungsoption unter mehreren möglichen darstellt. In ihre eigenen Ge­ schlechterrollenbilder integrieren sie zusätzlich Bestandteile eines tradier­ ten Geschlechterrollenbildes. Aus dem sich daraus ergebenden Repertoire können sie sich bedienen und vermögen auch anders zu handeln. Gewalt­ ausübende weibliche Jugendliche wenden sich gegen die zugeschriebenen Geschlechterrollenbilder, die hinsichtlich Gewalt schematisch-dichotom Verletzungsoffenheit mit Weiblichkeit und Verletzungsmächtigkeit mit Männlichkeit gleichsetzen.886 Des Weiteren sind weibliche Jugendliche, die in gewaltaffinen, ge­ mischtgeschlechtlichen Gruppen Gleichaltriger objektiv wie subjektiv zu­ gehörig sind, als „one of the guys“ zu sehen: Männliche wie weibliche gewaltausübende Mitglieder gewaltaffiner Gruppen sind im Hinblick auf die Ausübung von Gewalt gleichwertig und gleichberechtigt, oder, wie Miller es formuliert: „‚The boys, the girls are no different for real, we are all the same‘ […] ‚It’s all the same‘ […] the boys and girls are ‚the same‘ and there was ‚nothing‘ that stood out in her mind that differentiated between what young men did and what young women did“.887 Die Gewaltaus­ übenden bauen sich somit ein eigenes Bild von Weiblichkeit auf, das es ihnen ermöglicht, eine Person der Gruppe („the guys“) zu sein, sich von ihrem Geschlechterrollenbild als „one of the guys“888 anzusehen und sich mit der Gruppe, die überwiegend aus männlichen Mitgliedern besteht, zu identifizieren. Gestützt wird diese Lesart durch die unterschiedlichen Wortbedeutungen von „guys“: Es muss nicht zwangsläufig „Jungs“ bedeu­ ten, sondern kann i.S.v. „Leute“ genutzt werden, so dass damit Personen beiderlei Geschlechts mitumfasst sein können. „One of the guys“ bedeutet jedoch nicht, dass die weiblichen Jugendlichen in gewaltaffinen Kontexten einen männlichen Habitus oder eine „männliche Identität“889 ausprägen, sondern einen spezifischen weiblichen Habitus, der in Abgrenzung zu nicht gewaltausübenden weiblichen Personen konstruiert wird und der dem feldspezifischen Gruppenhabitus entspricht.

886 So auch Bruhns, Gewaltbereite Mädchen in subkulturellen Jugendgruppen, S. 191. 887 Miller, One of the guys, S. 178 ff. 888 Miller, One of the guys, S. 180; aA wohl Althoff, »Bad woman« oder »one of the guys«, S. 238 ff. 889 So wohl aber Althoff, »Bad woman« oder »one of the guys«, S. 241.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

c) Mögliche Diagnosen Die uneinheitlichen Diagnosen, ob es nun eine Krise der männlichen Herrschaft in den vorgestellten Feldern gibt, lassen sich in drei Argumen­ tationslinien zusammenfassen.890 aa) „Es besteht in gewisser Weise eine Krise.“ Nach einer Ansicht lässt sich „in gewisser Weise von einer Krise von Männlichkeit sprechen“.891 Nach Stückler sind die androzentrischen Struk­ turen so stabil wie nie892 und es besteht „definitiv […] eine (Identitäts-)Kri­ se zahlreicher Männer, die unter den verschärften kompetitiven Bedingun­ gen nicht mithalten können und denen daher eine kohärente männliche Identität verwehrt ist, was sich auf vielfältige Weise niederschlägt, u.a. in einer seit Jahren wieder steigenden Gewalt gegen Frauen, aber auch Ho­ mosexuelle […] [zeigt].“893 Die Ansicht Stücklers verfängt hinsichtlich der maßgeblichen Schlüsseleigenschaft (kompetitives Denken in kompetitiven Feldern) nicht vollumfänglich, da sie u.a. auf einen monokausalen Erklä­ rungsversuch hinausläuft und somit zu undifferenziert ist.894 Die symboli­ sche Gewalt895 ist die Ursache, weshalb sich gesellschaftliche Verhältnisse und auch Geschlechterverhältnisse nicht ad hoc verändern, sondern, wenn überhaupt, langsam wandeln. Eine Krise i.S. Bourdieus oben vorgestelltem Verständnis oder Umstände, die einen Hysteresiseffekt i.S. Bourdieus auslö­ sen,896 liegen nach vorzugswürdiger Ansicht derzeit nicht vor. Eine „echte“ Krise der männlichen Herrschaft besteht nach vorzugswürdiger Ansicht nicht.

890 891 892 893 894 895 896

So auch Scholz, Männliche Herrschaft quo vadis?, S. 160 ff. Stückler, Geschlecht – Konkurrenz – Androzentrismus, S. 146. Stückler, Geschlecht – Konkurrenz – Androzentrismus, S. 153. Stückler, Geschlecht – Konkurrenz – Androzentrismus, S. 146. Vgl. schon B. IV. 3. a). Vgl. B. IV. 2. b). Vgl. B. IV. 3.

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B. Theoretische Grundlegungen

bb) „Es besteht keine Krise, sondern die Geschlechterverhältnisse wandeln sich.“ Nach anderer Ansicht sind die Geschlechterverhältnisse im Wandel begriffen. Trotz unterschiedlicher Benennung des Wandels als „Neu­ justierung“,897 „Neuregulierung“,898 „Neukonfiguration“,899 „Neuformie­ rung“900 oder „Restrukturierung“901 der Geschlechterverhältnisse, weisen diese Ansichten in die gleiche Richtung. Es handelt sich um einen in kleinen Schritten ablaufenden Wandel. Die Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen, aber auch zwischen (homo- und heterosexuellen) Männern wandeln, justieren, regulieren, konfigurieren, formieren oder re­ strukturieren sich neu.902 Aber eine Krise liegt nach den Vertretern dieser Ansicht jedenfalls nicht vor, sondern „Männlichkeit [verliert] den Status des fraglos Gegebenen“903 und wird reflexiv und flexibel: Dies sind jedoch keine von „veränderungswilligen Männern“904 oder von Absicht getragene Errungenschaft, sondern muss begriffen werden als nichtintendiertes Er­ gebnis der beschriebenen Transformationen in den Bereichen der Repro­ duktion und Produktion, mithin der Gesellschaft.905 Der Diskurs um den möglichen Wandel lässt sich auch so deuten, dass das allgegenwärtige Kri­ sennarrativ dazu dient, die männliche Herrschaft zu stärken. Dabei gibt es Krisen oder Verunsicherungen auf der Ebene des männlichen Habitus von einzelnen Männern, aber nicht allumfassend. Allerdings justieren sich die Machtverhältnisse neu.906 Unter Zugrundelegung Meusers Verständnisses von Krise907 ist ihm zufolge „nicht jede Verunsicherung und schon gar nicht jede Reaktion auf veränderte soziale Verhältnisse als eine Krise zu be­ schreiben.“908 Nach Meuser erfordert es, um „[v]on einer gesellschaftlichen Krise des Mannes zu reden, also von einer die Angehörigen des männ­ 897 Lengersdorf/Meuser, Flexibilität und Reflexivität, S. 34; Meuser, Junge Männer, S. 431 f. 898 Lengersdorf/Meuser, Flexibilität und Reflexivität, S. 35. 899 Bereswill, Männlichkeit unter Druck?, S. 52. 900 Meuser/Scholz, Herausgeforderte Männlichkeit, S. 37 f. 901 Bereswill, Männlichkeit unter Druck?, S. 52. 902 Scholz, Soziologische Revue 2013, 397, 405. 903 Lengersdorf/Meuser, Flexibilität und Reflexivität, S. 42. 904 Lengersdorf/Meuser, Flexibilität und Reflexivität, S. 42. 905 Vgl. B. I., III. 1., IV. 3. a). 906 Meuser/Scholz, Herausgeforderte Männlichkeit, S. 37 f.; Scholz, Soziologische Re­ vue 2013, 397, 404. 907 Vgl. B. IV. 3. 908 Meuser, Männerwelten, S. 11.

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IV. Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft?

lichen Geschlechts umfassend tangierenden Krise […], dass nicht nur für einige Männer, sondern für deren Majorität Mannsein Aufgabe und Prob­ lem wird.“909 Zuzugeben ist der Ansicht, dass keine Krise bestehe, sondern dass sich Machtverhältnisse in unterschiedlichen Dimensionen ändern: zwischen Männern untereinander, zwischen Männern und Frauen und zwischen Frauen. Trotzdem kann dieser Ansicht nicht vollumfänglich ge­ folgt werden, da nicht in allen Feldern, in denen sich die „ernsten Spiele des Wettbewerbs“910 ereignen, ein (langsamer) Wandel – und schon gar nicht eine symbolische Revolution i.S. Bourdieus – zu beobachten ist. cc) „Es besteht eine Gleichzeitigkeit von Wandel und Persistenz.“ Nach vorzugswürdiger Ansicht besteht eine, wenn auch widersprüchliche, Gleichzeitigkeit von Prozessen des langsamen Wandels und des Behar­ rungsvermögens bzw. Kontinuität bzw. Persistenz. Die vormals vorfindbaren Geschlechterasymmetrien haben sich in Teilen derart gewandelt, dass keine vollständige Marginalisierung oder Abwertung weiblicher Per­ sonen mehr existierten.911 Die symbolische Ordnung, wie sie in Bourdieus Konzepten angelegt ist, kann erst dann als im Wandel begriffen gesehen werden, wenn sich der Habitus als Wahrnehmungs-, Denk-, Bewertungsund Handlungsschema wandelt: Da sich der Habitus aber in die Körper eingeschrieben hat, kann sich ein Wandel erst einstellen, wenn er mit Kraft- und Zeitaufwand betrieben wird. Dieser Aufwand ist nötig, weil die Substanz der sozialen Realität betroffen ist.912 Weibliche Jugendliche versuchen sich über die eigene Gewaltbereit­ schaft und -ausübung im Geschlechterverhältnis neu zu positionieren. Als Zeichen hierfür sind ihre gewaltbetonenden Selbstdarstellungen zu sehen. Damit grenzen sie sich zwar von tradierten Geschlechterrollenbil­ dern ab, dennoch integrieren sie sie zusammen mit der Gewaltbereitschaft und -ausübung in ihre eigenen, ambivalenten, nicht widerspruchsfreien Geschlechterrollenbilder und drücken so ihr Streben nach einer Neuposi­ tionierung im Geschlechterverhältnis aus. Die Neupositionierung – oder 909 Meuser, Männerwelten, S. 12. 910 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. 911 Bereswill/Liebsch, Persistenz von Geschlechterdifferenz und Geschlechterhierar­ chie, S. 11 ff.; Jäger/König/Maihofer, Pierre Bourdieu, S. 33; Meuser, Wandel – Kontinuität, S. 60 f.; Funder, Geschlechterverhältnisse und Wirtschaft, S. 463; Scholz, Männliche Herrschaft quo vadis?, S. 160 ff. 912 Lellé, Arrivierte Frauen, S. 265, 276.

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B. Theoretische Grundlegungen

das Streben danach – ist jedoch weder dauerhaft noch stabil, sondern nur auf Zeit in der Entwicklungsphase, in der sich weibliche Personen in der Lebensphase Jugend befinden.913 Damit lässt sich einerseits die Neuposi­ tionierung – der Wandel – und andererseits das Abstandnehmen davon – die Beharrung – feststellen. Bei Individuen scheint es eine zeitliche Abfol­ ge zu geben. Gesamtgesellschaftlich betrachtet aber besteht eine Gleichzei­ tigkeit von Neupositionierung und Beharrung des Geschlechterverhältnis­ ses. In der vorliegenden Arbeit bedeutet dies, dass ein besonderes Augen­ merk darauf gelegt wird, wie sich im Kontext des Hooliganismus die Ge­ schlechterverhältnisse darstellen, welcher vergeschlechtlichte und verge­ schlechtlichende Habitus und welche Geschlechterrollenbilder sichtbar ge­ macht werden können. Das Abstandnehmen von der Neupositionierung im Geschlechterverhältnis kann in der vorliegenden Arbeit eine Rolle spie­ len, wenn weiblichen Personen gewalttätiges Verhalten und die begonne­ ne Hooligan-Karriere beenden bzw. aufgeben. In solchen Fällen wenden sie sich Aspekten der tradierten Geschlechterrollenbilder zu. V. Stellungnahme und Fazit unter Berücksichtigung der Forschungsfragen Die in Kapitel B. erfolgten wesentlichen Konturen der theoretischen Grundlegungen bieten die Folien vor denen die empirisch offenen Fra­ gen beantwortet werden.914 Die Begriffe, Konzepte und Theorien sind keinesfalls einheitlich und unumstritten. Die wesentlichen Erkenntnisse der theoretischen Grundlegungen werden nun unter Berücksichtigung der Forschungsfragen sortiert und bewertet. Die männliche Herrschaft setzt sich Bourdieu zufolge „nicht mehr mit der Evidenz des Selbstverständlichen“915 durch, ohne dass er hierfür einen konkreten Zeitpunkt oder -raum nennt. Die männliche Herrschaft muss nach Bourdieu vielmehr begründet werden.916 Dies führt auch zu tiefgrei­ fenden Veränderungen hinsichtlich der Lage von Frauen (gestiegene Bil­ dungspartizipation, veränderter Zugang zu den Sphären der Öffentlichkeit und der Erwerbsarbeit),917 die in eben jenen Sphären erfolgen, die nach 913 Bruhns, Gewaltbereitschaft von Mädchen und jungen Frauen, S. 218, 225 f.; Wittmann, Soziale Probleme 2002, 11, 23. 914 Vgl. E. 915 Bourdieu, Eine sanfte Gewalt, S. 226. 916 Bourdieu, Eine sanfte Gewalt, S. 226; vgl. auch Lengersdorf/Meuser, Flexibilität und Reflexivität, S. 41. 917 Bourdieu, Eine sanfte Gewalt, S. 226; vgl. schon B. III. 1. b), IV. 3. a).

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V. Stellungnahme und Fazit unter Berücksichtigung der Forschungsfragen

den homologen Gegensätzen männlichen Personen vorbehalten sind – und gibt Hinweise darauf, welchen Zeitraum er dabei im Blick zu haben scheint, nämlich die vergangenen etwa 60 Jahre.918 Ein automatisches Auf­ lösen der männlichen Herrschaft geht damit allerdings nicht einher.919 Herrschaft vollzieht sich im Modus der, auch kulturell willkürlichen, Naturalisierung, was ein zentrales Element der Reproduktion der (männ­ lichen) Herrschaft ist.920 Die Wahrnehmungsschemata stehen Bourdieu zu­ folge im Einklang mit der objektiven Ordnung der Dinge und bringen Individuen dazu, die Welt für gegeben zu erachten. Die Übereinstimmun­ gen von gesellschaftlichen und kognitiven Strukturen bilden die Grundla­ ge für die doxische Erfahrung der männlichen Herrschaft, die der Natur der Dinge eingeschrieben sind.921 Die naturgegebenen und natürlich er­ scheinenden Herrschaftsverhältnisse tragen dazu dabei, dass die etablierte Ordnung so reibungslos funktioniert und stetig reproduziert wird.922 Aus dem Zusammenspiel von anatomischen Erscheinungsformen und relati­ ven Auswirkungen folgt eine Verkehrung der Beziehung von Ursache und Wirkung: Jene zirkelhafte Kausalbeziehung lässt mit Hilfe der materiellen und symbolischen Kräfteverhältnisses zwischen den beiden Geschlechtern eine naturalisierte gesellschaftliche Konstruktion entstehen, die keiner wei­ teren Legitimation bedarf: die männliche Herrschaft.923 Dementsprechend ist die männlichen Herrschaft das Produkt einer permanenten Reprodukti­ onsarbeit. Zu durchbrechen ist diese Herrschaftsform deshalb so schwer, weil die gesellschaftlichen Konstruktionen der Geschlechter in die Kör­ per eingedrungen sind, sich im Habitus manifestieren und die sozialen Ordnungen (auf der Makro-, Meso-, Mikroebene samt der Institutionen, Akteure und Werte sowie die physische Ordnung mit ihren Dingen und Räumen) darauf aufbauen.924 Jedes soziale Feld, in dem Spiele gespielt werden, erzeugt über sich selbst seine je eigene illusio, die die darin Be­ findlichen teilen.925 Doch die Spieler können auch versuchen, die Kräfte-

918 Vgl. B. III. 1. b), IV. 3. a). 919 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (2016), S. 100 ff. 920 Jäger/König/Maihofer, Pierre Bourdieu, S. 22 f.; König/Berli, Das Paradox der Do­ xa, S. 315 f.; Villa, Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2011, 51, 54. 921 Bourdieu, Feministische Studien 1997, 88, 93. 922 Engler, Habitus und sozialer Raum, S. 251. 923 Terlinden, Symbolische Herrschaft und Geschlechterkulturen, S. 197 f. 924 Bourdieu, Feministische Studien 1997, 88, 97; Terlinden, Symbolische Herrschaft und Geschlechterkulturen, S. 203. 925 Bourdieu, Praktische Vernunft, S. 142; vgl. zur Metapher des Spiels oben B. IV. 1. d).

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B. Theoretische Grundlegungen

verhältnisse in dem Feld umzustürzen. Durch einen Umsturz oder einen Versuch dessen zollen sie den Einsätzen in das Spiel ihre Anerkennung, denn in einem dieser Felder revoltieren zu wollen, heißt, das Wesentliche anzuerkennen, das dort stillschweigend vorausgesetzt wird: Nämlich, dass das, worauf das Spiel beruht, wichtig genug ist, um einem die Lust auf Revolution zu machen.926 Der vergeschlechtlichte, vergeschlechtlichende Habitus ist, wie heraus­ gearbeitet, auf Reproduktion gerichtet. Deshalb reproduziert sich die männliche Herrschaft so mühelos und die Ungleichheitsrelationen in der Gesellschaft und zwischen den Geschlechtern können bestehen bleiben. Der in den Körper eingeschriebene Habitus „meldet“ sich leiblich, wenn etwas wider seine Natur läuft, deshalb wandeln sich die habituellen Sche­ mata nicht, sondern drängen über den Körper auf Reproduktion. Die Trägheit des Habitus, der Hysteresis-Effekt und Bourdieus Verständnis von symbolischen Revolutionen sind ebenfalls vorgestellt worden. In ausge­ wählten Feldern der „ernsten Spiele des Wettbewerbs“927 kann die Frage, ob hier Anzeichen für eine „echte“ Krise der männlichen Herrschaft vorlie­ gen, verneint werden. Vielmehr zeigen sich Tendenzen einer Gleichzeitig­ keit von Ungleichzeitigkeiten: Die Geschlechterverhältnisse befinden sich sowohl in einem, wenn auch sehr langsamen Wandel und gleichzeitig besteht ein Beharrungsvermögen der männlichen Herrschaft. Deshalb geht die Arbeit im weiteren Verlauf der Frage nach, ob sich auch im Hooliga­ nismus eine derartige Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigkeiten zeigt, also ob dort eine Gleichzeitigkeit von Wandel und Beharrungsvermögen der männlichen Herrschaft besteht, ob sich „nur“ das Geschlechterverhältnis etwas wandelt oder ob Hinweise auf eine echte Krise der männlichen Herrschaft bestehen.

926 Bourdieu, Praktische Vernunft, S. 142. 927 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203.

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C. Das Phänomen des Hooliganismus unter besonderer Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

Der Hooliganismus als ein Feld der „ernsten Spiele des Wettbewerbs“928 ist unter besonderer Berücksichtigung der (zugeschriebenen) Geschlech­ terrollenbilder zu betrachten. Bisherige Forschungen lassen einen derarti­ gen Fokus weitgehend unberücksichtigt, weshalb von einer überwiegend androzentrischen929 Forschung zu Zuschauern, Ultras und Hooligans ge­ sprochen werden kann. Das Forschungsfeld marginalisierte weibliche Per­ sonen in den unterschiedlichen Phänomenen, sofern sie überhaupt explizit berücksichtigt wurden und nicht nur implizit durch die Betonung von Männlichkeit(en). Zum Teil werden weibliche Personen gar nicht wahrge­ nommen, scheinbar ignoriert oder in empirischen Fragestellungen nicht mitbedacht.930 Sülzle konstatiert deshalb eine mediale wie wissenschaftliche Fokussierung auf Männer, die sie durch die Assoziationskette „Fuß­ ballfan = gewalttätig, Gewalttäter = Mann“ pointiert.931 In jüngster Zeit weicht dieser androzentrische Blick etwas auf.932 Die vorliegende Arbeit weitet entsprechend der eigenen Forschungsfragen ebenfalls den Blick und betrachtet den Hooliganismus im Zusammenhang mit von Männern gespieltem Fußball unter besonderer Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder. I. Historischer Abriss zum Fußballsport und Hooliganismus Der Beginn der Entwicklung des Fußballsports und die damit im Zusam­ menhang stehende Gewalt könnte auf bis in das dritte Jahrtausend vor

928 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. 929 Zur Kritik am Androzentrismus vgl. B. III. 1. b), 2., 3. 930 Vgl. bspw. Crawford/Gosling, Sociology 2004, 477, 478; Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 28; Kreisky/Spitaler, Einführung, S. 14; Sülzle, Fußball, Frauen, Männlichkeiten, S. 6, 187; vgl. B. IV. 3. 931 Sülzle, Fußball, Frauen, Männlichkeiten, S. 197. 932 Z.B. von der Heyde, Doing Gender als Ultra – Doing Ultra als Frau; Sülzle, Fußball, Frauen, Männlichkeiten.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

Christus zurückliegende Fußballspiele in China zurückgehen. Möglicher­ weise erfanden auch die Azteken das Fußballspiel.933 Erstmals urkundlich erwähnt wurde der Fußball 1314 in einem Edikt des Londoner Bürger­ meisters Farndorn. Darin wurden Fußballspiele innerhalb Londons verbo­ ten, da sie den öffentlichen Frieden stören sowie zu gewalttätigen Aufruh­ ren führen würden.934 Die häufig an Feiertagen stattfindenden und oftmals von Trinkgelagen begleiteten Spiele dienten damals u.a. dem Austragen von Landkonflikten sowie als Ventil für Spannungen zwischen sozialen Gruppen. Im Mittelalter glichen Fußballspiele eher einem rohen Kampf als einem Spiel, denn die Teilnehmer wurden häufig gravierend bis tödlich verletzt.935 Ab dem 17. Jahrhundert wurde das Fußballspiel an den englischen Public Schools weiterentwickelt, indem mündliche Regelwerke geschaffen wurden, die u.a. die Spieler anhielten, mehr Selbstkontrolle auszuüben und weniger gewaltsam zu spielen.936 Um 1850 wurden die inhaltlich nicht übereinstimmenden Regelwerke der Public Schools jeweils niederge­ schrieben. Sie begrenzten die während des Spiels stattfindende Gewalt, indem sie u.a. Körperkontakte einschränkten und sanktionierten.937 Vor Gründung des englischen Fußballverbands 1863 richteten sich die Zu­ schauerausschreitungen insbesondere gegen die auf dem Platz befindlichen Spieler und Schiedsrichter durch das Werfen von Backsteinen, Rasen­ stücken oder Wasserflaschen, Verletzungen durch Kinnhaken oder bestan­ den in Zerstörungen des Eigentums der Fußballclubs. Mit der Gründung des englischen Fußballverbands und dem Erlass von Regeln, die u.a. die Rollenverteilung zwischen aktiven Spielern und passiven Zuschauern de­

933 Kreisky, Fußball als männliche Weltsicht, S. 24. 934 Vgl. zur Entwicklung des Fußballspiels aus mittelalterlichen volkstümlichen Spielen Bausenwein, Geheimnis Fußball, S. 271 ff.; Elias/Dunning, Folk Football in Medieval and Early Modern Britain, S. 125; Frosdick/Marsh, Football Hooliga­ nism, S. 10 ff.; Kreisky, Fußball als männliche Weltsicht, S. 26; Magoun, History of Football, S. 5; Schulz, Aggressive Handlungen von Fußballfans, S. 21 ff.; Schul­ ze-Marmeling, Der gezähmte Fußball, S. 15. 935 Elias/Dunning, Folk Football in Medieval and Early Modern Britain, S. 120 ff.; Frosdick/Marsh, Football Hooliganism, S. 10 ff.; Schulz, Aggressive Handlungen von Fußballfans, S. 21. 936 Dunning, The Development of Modern Football, S. 133 ff.; Kreisky, Fußball als männliche Weltsicht, S. 25; Schulze-Marmeling, Der gezähmte Fußball, S. 16. 937 Dunning, The Development of Modern Football, S. 143 f.; Frosdick/Marsh, Foot­ ball Hooliganism, S. 14; Kreisky, Fußball als männliche Weltsicht, S. 26.

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I. Historischer Abriss zum Fußballsport und Hooliganismus

finierten, nahm die durch Spontaneität gekennzeichnete Gewalt bei Fuß­ ballspielen indes nicht ab.938 Ab etwa 1900 wird von gegeneinander kämpfenden Anhängern gegneri­ scher Mannschaften berichtet. Schon damals richtete sich ihre Gewalt auch gegen die Polizei.939 In dieser Zeit finden sich auch erste Erwähnungen von Hooliganismus und Hooligans. Deren Ursprung könnte in Großbri­ tannien liegen, denn bereits 1885 wurde eine gewalttätige irische, nach England eingewanderte Familie namens Houlihan, in einem in englischen Musikhallen gespielten Lied besungen.940 1898 erschien „Hooligan“ erst­ mals in einer englischen Tageszeitung. Möglicherweise ist es das Resultat einer missverständlichen Aussprache. Im Londoner Stadtteil Islington gab es eine von einem Mann namens Hooley angeführte Bande junger Krawall­ macher, die Hooley’s gang genannt wurde.941 Eine weitere Möglichkeit ist, die Herkunft des Begriffs Hooligan im slawischen Sprachraum zu suchen, wo er ebenfalls seit etwa 1900 genutzt wird.942 Möglicherweise wurde der in England geprägte Begriff aber auch nur in den dortigen Sprachgebrauch importiert und rezipiert.943 Im Russischen existiert zudem der Begriff khouligan, mit dem Jugendliche benannt wurden, die während der Oktober-Revolution 1917 in Banden formiert gewalttätige Ausschrei­ tungen verübten.944 Eine abschließende Klärung des Ursprungs ist somit nicht möglich. 945 Gleichwohl stimmen die Erklärungsmöglichkeiten darin überein, im Zusammenhang mit gewalttätigem, in Gruppen stattfindendem Verhalten junger Männer erwähnt zu werden, wodurch bereits eine geschlechtsspezifische Konnotation, die dem gesamten Phänomen inne wohnt, erkennbar ist.

938 Dunning/Murphy/Williams, The Roots Of Football Hooliganism, S. 1, 32, 59 ff.; Frosdick/Marsh, Football Hooliganism, S. 16; Schulz, Aggressive Handlungen von Fußballfans, S. 21. 939 Dunning/Murphy/Williams, The Roots Of Football Hooliganism, S. 67 f.; Fros­ dick/Marsh, Football Hooliganism, S. 17. 940 Bodin, Le hooliganisme, S. 13 f.; Govaert/Comeron, Foot & Violence, S. 140; Wyld, The Universal Dictionary of The English Language, S. 560; Onions, The Oxford Dictionary Of English Etymology, S. 447. 941 Simpson/Weiner, The Oxford English Dictionary, S. 369; Hermann, Knaurs ety­ mologisches Lexikon, S. 199. 942 Ek, Hooligans, S. 31. 943 Neuberger, Slavic Review 1989, 177, 177; Neuberger, Hooliganism, S. 1. 944 Govaert/Comeron, Foot & Violence, S. 140. 945 Giulianotti/Robertson, Globalization & Football, S. 139.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

1874 wurde das Fußballspiel in das damals noch junge Deutsche Reich als einem der ersten kontinentaleuropäischen Länder eingeführt.946 Der Fußballsport wurde anfänglich als „englische Krankheit“ bezeichnet, wie mitunter der Hooliganismus selbst.947 Der Fußballsport in Deutschland entwickelte sich hin zum „Volkssport“948 und mit wachsender Anzahl an Vereinen, häufiger stattfindenden Spielen und stetig wachsenden Zu­ schaueranzahlen wird seit den 1920er Jahren zunehmend auch von Zu­ schauerausschreitungen berichtet. Sie beschränkten sich zunächst zumeist auf Schlägereien der Zuschauer auf dem Spielfeld nach einem Spielab­ bruch.949 Die anfänglich üblichen Begriffe hierfür waren Zuschaueraus­ schreitungen, Fußballrowdy bzw. Fußballrowdytum, Fußballvandalismus, Krawalle, Fanhorden,950 Fußballrabauken oder Fußballrocker. Mitte der 1980er Jahre wurden sie, auch infolge historischer Zuschauerausschreitun­ gen,951 von den Bezeichnungen „Hooligan“ und „Hooliganismus“ abge­ löst.952 II. Ausdifferenzierung und Abgrenzung der Fans und Zuschauer Fans und Zuschauer können mit unterschiedlichen Ansätzen kategorisiert werden.

946 Vgl. zu den Entwicklungen Eisenberg, „English Sports“ und deutsche Bürger, S. 179; Hopf, „Wie konnte Fußball ein deutsches Spiel werden?“, S. 54 ff.; Pilz, Zur Geschichte der Fußballbegeisterung, S. 17; Schulze-Marmeling, Der gezähm­ te Fußball, S. 67 f., 76. 947 Planck, Fusslümmelei, S. 1 ff. 948 Eisenberg, „English Sports“ und deutsche Bürger, S. 182 f.; Hopf, „Wie konnte Fußball ein deutsches Spiel werden?“, S. 74; Pilz, Zur Geschichte der Fußballbe­ geisterung, S. 17; Schulze-Marmeling, Der gezähmte Fußball, S. 74 ff. 949 Weis et al., Zuschauerausschreitungen und das Bild vom Fußballfan, S. 62. 950 Ein Fan ist ein begeisterter Anhänger. In England werden sie supporters genannt, vgl. Duden Herkunftswörterbuch, S. 204; Weis/Alt/Gingeleit, Sondergutachten, S. 585. 951 Vgl. hierzu ausführlicher z.B. Ek, Hooligans, S. 55 f.; Frosdick/Marsh, Football Hooliganism, S. 23; Weis/Alt/Gingeleit, Sondergutachten, S. 589; Wichmann, Schriftenreihe der Polizei-Führungsakademie 1991, 64, 71. Vgl. zum ersten Todesfall in Deutschland im Zusammenhang mit Ausschreitungen anlässlich eines Fußballspiels Lauton, Die Polizei 1983, 121, 121. 952 Vgl. Dwertmann/Rigauer, Football hooliganism in Germany, S. 76; Lauenburg, 40 Jahre Skinkheads, S. 72; Lauton, Die Polizei 1983, 121, 121; Pilz, Fußball ist unser Leben!?, S. 54; Pilz, Kriminalistik 2012, 203, 203.

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II. Ausdifferenzierung und Abgrenzung der Fans und Zuschauer

1. Polizeiliche Kategorisierung Die Polizei953 nimmt bei der Kategorisierung eine Dreiteilung vor. Das maßgebliche Abgrenzungskriterium zwischen den Kategorien A, B und C ist die von der Person ausgehende Gewalt.954 Die Grenzen zwischen den Kategorien sind nicht statisch, sondern, bedingt durch Fluktuationen innerhalb der Fan-Szene, fließend: Circa 90 % aller im Stadion befindlichen Personen sollen in die Kategorie A fallen. Sie sind absolut friedlich und distanzieren sich von Gewalt. Abgesehen von dem rund um das Sta­ dion verursachten Verkehrsaufkommen und dem daraus resultierenden Verkehrsregelungsbedarf der Polizei, stellen sie kein (polizeiliches oder sicherheitsrechtliches) Problem dar.955 In die polizeiliche Kategorie B fal­ len gewaltbereite und -geneigte Fans. Bei diesen circa 5 bis 10 % aller Zuschauer rufen v.a. situative Einflüsse, wie z.B. aus ihrer Sicht zweifelhaf­ te Schiedsrichterentscheidungen, gewalttätige Handlungen hervor.956 Das maßgebliche Kriterium für die Zuordnung in die polizeiliche Kategorie C ist das gezielte Suchen gewalttätiger Auseinandersetzungen; dies soll nur auf circa 1 % aller Zuschauer zutreffen.957 Hooligans sind dieser Kategorie zuzuordnen. 2012 wurde im „Nationalen Konzept Sport und Sicherheit“ noch kon­ statiert, Hooligan-Gruppen hätten an Bedeutung verloren,958 da sie sich um die Jahrtausendwende aus den Stadien zurückgezogen hätten. Ab etwa der Mitte der 2010er Jahre kehrte sich der attestierte Bedeutungsverlust durch den Wiedereinzug der Hooligans in die Stadien um.959 Diese Fest­ stellungen sind jedoch als Artefakte zu werten, denn Hooligans werden

953 Die polizeilichen Kategorisierungen wurden erstmals im Abschlussbericht der Arbeitsgemeinschaft Fußball und Gewalt vom 23.07.1991 festgestellt und haben seit dem Bestand, denn der ZIS-Jahresbericht 2020/21, S. 8 verweist insofern auf die ausführliche Darstellung des ZIS-Jahresberichts 2019/20, insbesondere S. 10 f. Auch in England unterteilt die Polizei die Zuschauer in diese drei Kate­ gorien, Sullivan, Gangs, Hooligans, and Anarchists, S. 106. 954 ZIS-Jahresbericht 2019/20, S. 10 f.; Wehrum, Deutsches Polizeiblatt 1990, 21, 21. 955 Bernhardt, Schriftenreihe der Polizei-Führungsakademie 1991, 30, 30; Lösel/Blie­ sener, MschrKrim 2006, 229, 231. Zur Störereigenschaft des Großveranstalters Wahlen, Polizeikostenerstattung kommerzieller Großveranstalter, S. 19 ff. 956 Bernhardt, Schriftenreihe der Polizei-Führungsakademie 1991, 30, 30 f. 957 Bernhardt, Schriftenreihe der Polizei-Führungsakademie 1991, 30, 31; Wehrum, Deutsches Polizeiblatt 1990, 21, 22. 958 Nationaler Ausschuss Sport und Sicherheit, Nationales Konzept Sport und Si­ cherheit 2012, S. 3; statt vieler Duben, Hooligans gegen Salafisten, S. 8. 959 Vgl. etwa Gebhardt, Die »Old School« kehrt zurück, S. 7 ff.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

nun wieder verstärkt wahrgenommen, nachdem das in der Zwischenzeit als neu wahrgenommene, besonders sicht- und hörbare Phänomen der Ul­ tras zwischenzeitlich die Aufmerksamkeit in der polizeilichen und öffentlich-medialen Wahrnehmung sowie innerhalb der (empirischen) For­ schung auf sich gezogen und vom Hooliganismus abgelenkt hatte. 2. Soziologische Kategorisierungen Verschiedene soziologische Kategorisierungen grenzen die Zuschauer ebenfalls mittels einer Dreiteilung voneinander ab. Das Abgrenzungskrite­ rium zwischen den verschiedenen Fan- und Zuschauertypen ist allerdings bei Heitmeyer nicht, wie gewaltbereit oder -tätig die betreffende Person ist. Seine Abgrenzung erfolgt anhand der jeweiligen Bedeutung des Fußballs für den Einzelnen, der sozialen Anerkennungsrelevanz, der Gruppenorien­ tierung und der sozialräumlichen Platzierung.960 Für den „konsumorien­ tierten Fan“ hat das Fußballspiel eine hohe sportliche Bedeutung, wobei die auf dem Feld gebotene Leistung entscheidend ist. Während dieser für ihn eher beliebig austauschbaren Freizeitbeschäftigung sucht er weder soziale Bestätigung noch Akzeptanz; diese schöpft er hinreichend aus und in anderen sozialen Bereichen. Die Gruppenorientierung ist beim konsum­ orientierten Fan ebenfalls schwach ausgeprägt, denn der Stadionbesuch erfolgt entweder allein oder in personell wechselnd besetzten Kleingrup­ pen.961 Für den „fußballzentrierten Fan“ hat das Fußballspiel eine hohe sportliche Bedeutung, ohne rein leistungsfixiert zu sein. Er ist „seinem Verein“ absolut treu, selbst wenn dieser sportliche Misserfolge erleidet. Fußball ist keine beliebig austauschbare Freizeitbeschäftigung, sondern „sein Leben“. Er ist stark an seiner Gruppe orientiert und sucht dort so­ ziale Anerkennung.962 Für „erlebnisorientierte Fans“ hat das Fußballspiel eine ambivalente Bedeutung. Es ist für sie ein Spektakel und sie suchen dort nach spannenden Situationen, die sie ggf. selbst erzeugen. Das Fuß­ ballspiel erachten sie zumeist als nachrangig, denn es ist in ihrem Lebens­ zusammenhang eher austauschbar. Sie nutzen das Stadion eher, um sich selbst zu präsentieren. Sie sind im Stadion an keinem festen Ort anzutref­

960 Heitmeyer, Der sozialisationstheoretische Analyserahmen, S. 31. 961 Heitmeyer, Der sozialisationstheoretische Analyserahmen, S. 33. 962 Heitmeyer, Der sozialisationstheoretische Analyserahmen, S. 33.

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II. Ausdifferenzierung und Abgrenzung der Fans und Zuschauer

fen, sondern die wechselnden Standorte bestimmen sich danach, „wo ’was los ist“.963 Krauß nimmt bei seinem Kategorisierungsansatz ebenfalls eine Dreitei­ lung vor. Die „Normalos“ nehmen in hohem Maße beim Betrachten eines Fußballspiels im Stadion, in einer Kneipe oder im eigenen Wohnzimmer emotional Anteil, was umso höher ist, je stärker sie sich mit dem Verein identifizieren. Im Stadion befänden sie sich in einem sozialen Freiraum, in dem sie vieles machen können, was außerhalb zu Ärger führen würde.964 Der Großteil der Zuschauer eines Fußballspiels fällt in diese Kategorie. Die „Kutten“, benannt nach dem gleichnamigen Kleidungsstück,965 organisie­ ren sich größtenteils in Fanclubs, gehen regelmäßig ins Stadion, begleiten ihren favorisierten Verein zu Auswärtsspielen und unterstützen ihn u.a. mit Gesängen und Fahnen. Je nach Spielverlauf kann auch Gewalt von ihnen ausgehen. Seit den 1990er Jahren ist eine Veränderung bei den „Kutten“ zu verspüren, denn ihr Auftreten bei einem Fußballspiel gleicht eher einem folkloristischen Beiwerk. Sie gelten zumeist als harmlos und aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes mit Kutten und Vereinsschals als schrullig.966 Hinsichtlich der Bedeutung, die das Fußballspiel für sie hat, stimmen „Kutten“ mit den fußballzentrierten Fans nach Heitmeyer überein. Die dritte Kategorie nach Krauß bilden die „Hools“, die meist wenig Interesse am Fußballspiel haben, gewalttätig sind und im Stadion sowie in den Innenstädten ihre Kämpfe gegeneinander austragen.967 3. Das Phänomen der Ultras Das Phänomen der Ultras bedarf einer separaten Betrachtung, da es nicht statisch den vorgenannten Kategorisierungen zuordenbar ist. Die Ursprün­ ge des Phänomens liegen bereits in den 1960er Jahren in Italien.968 In

963 Heitmeyer, Der sozialisationstheoretische Analyserahmen, S. 33; s.a. Pilz, Fuß­ ballfans und Hooligans in Hannover, S. 6. 964 Krauß, Fußball und Gewalt, S. 244. 965 Kutten sind ärmellose Jeansjacken, die mit Aufnähern des favorisierten Vereins sowie der Vereine, mit denen eine Feindschaft besteht, verziert sind, Krauß, Fußball und Gewalt, S. 244. 966 Krauß, Fußball und Gewalt, S. 244 ff. 967 Krauß, Fußball und Gewalt, S. 246 f. 968 1968 gründete sich beim AC Mailand die Ultra-Gruppierung „Fossa dei leoni“. 1971 zeigte die bereits 1969 gegründete „Tito Cuccharoni“ in der Fankurve von Sampdoria Genua das erste Transparent mit der Aufschrift „Ultra“; vgl.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

Deutschland bildeten sich in den 1990er Jahren erste Ultra-Szenen mit dem Ziel, eine neue Atmosphäre in den Stadien zu schaffen durch die Inszenierung969 organisierter, kostenintensiver Choreographien und Kur­ venshows, das Spannen von Spruchbändern über ganze Tribünen und das Singen von Dauergesängen. Dadurch soll der eigene Verein und die auf dem Platz befindlichen Fußballspieler während des gesamten Spiels bedin­ gungslos unterstützt werden. Diese Hingabe fordert von den Mitgliedern der Ultra-Gruppierungen Kraft, Nerven, Zeit und Geld.970 Der als hoch einzustufende Organisationsgrad einer Ultra-Gruppe ist teils formell, teils informell ausgestaltet und zeigt sich auch an den jeweiligen Internetprä­ senzen, die Informationen zur Gruppe, zu deren Einstellungen und Zielen präsentieren.971 Die Führungspersonen sind nicht direkt gewählt, sondern kristallisieren sich im Laufe der Zeit als solche durch vielfaches Engage­ ment für die Gruppe heraus. Ultras wehren sich gegen die Kommerzialisie­ rung des Fußballs und der Fan-Szene, denn ihrer Ansicht nach verliert sie stetig an Niveau und die auf dem Markt befindlichen Merchandisepro­ dukte untergraben die Kreativität der Fan-Szenen.972 Ultra-Gruppierungen weisen eine hohe Heterogenität auf, denn sie unterscheiden sich hinsicht­ lich ihrer politischen Ansichten, ihres eigenen Verhältnisses zu Gewalt

969 970 971 972

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Balestri/Podaliri, Der Übersteiger 1994, 8, 8; Falk, Ultramanie, S. 99; Gabriel, Ul­ tra-Bewegungen in Deutschland, S. 183; Pilz, Kursiv 2005, 50, 54; Reith, Ultras, S. 181. Das dem Theater entlehnte „Inszenierung“ wird aufgrund der Ähnlichkeit der gebotenen Show in den Stadien mit Theateraufführungen verwendet; vgl. Knob­ lauch, Pragmatische Ästhetik, S. 305. Bettag, Bürgerrechte und Polizei 2006, 44, 46 f.; Pilz, Kursiv 2005, 50, 54 f.; Reith, Ultras, S. 183. Zu weiteren Funktionen der Internetseiten für die Ultras: Pilz/Wölki, Ultraszene in Deutschland, S. 99. Reith, Ultras, S. 181 ff. Auf manchen Internetseiten sind Unterstützungsaufrufe (Geld- und Sachspenden), Mitarbeit bei der Organisation von Aktivitäten und Veranstaltungen, Vermittlung von Informationen und Kontakten zu finden, vgl. z.B. Forza Dynamo. Die Kommerzialisierung des Fußballs zeigt sich auch an steigenden Eintrittspreisen oder an der Umbenennung von Stadien nach Sponsoren. Obwohl sich Ultras seit mittlerweile einigen Jahrzehnten gegen die­ se von ihnen als solche empfundene Kommerzialisierung wenden, sie kritisie­ ren und dagegen protestieren, scheinen diese Strategien der stetig fortschreiten­ den Kommerzialisierung nichts entgegensetzen zu können. Stattdessen tragen Ultras durch ihre eigenen Praktiken wohl selbst dazu bei, den Eventcharakter des Fußballspiels zu fördern und für das von ihnen skizzierte Problem keine Lösungen anbieten oder umsetzen zu können; vgl. hierzu ausführlich Thalheim, Heroische Gemeinschaften, S. 46 f.

II. Ausdifferenzierung und Abgrenzung der Fans und Zuschauer

und ihrer Zusammenarbeit mit anderen Szenen.973 Da das Selbstverständ­ nis von Mitgliedern der Ultra-Szenen nach hier vertretener Auffassung ein anderes ist als dasjenige der Hooligans, sich die Szenen selbst vonein­ ander strikt abgrenzen und es sich um zwei unterschiedliche Phänomene innerhalb der Fußballfanlandschaft handelt, soll trotz der umfänglichen Forschung zu Ultra-Szenen im Folgenden nicht umfänglich auf alle deren Verästelungen eingegangen werden.974 Die polizeilichen Kategorisierungen975 sind grundsätzlich auf Ultras an­ wendbar. Im Berichtszeitraum 1999/2000 wurden Ultras „mehrheitlich in die Kategorie A, aufgrund entsprechender Verhaltensweisen und anlassbe­ zogener Vorkommnisse teilweise mit deutlicher Tendenz in die Kategorie B und vereinzelt bereits in die Kategorie C eingestuft“.976 In den ZIS-Jah­ resberichten 2000/01 bis 2003/04 werden Ultras als mehrheitlich (noch) der Kategorie A zurechenbar, aber teilweise mit deutlicher Tendenz zur Kategorie B und vereinzelt bereits in die Kategorie C eingeschätzt.977 Von Berichtszeitraum 2004/05 bis 2011/12 werden Ultras mehrheitlich weiterhin der Kategorie A, aber Teile der Ultra-Gruppierungen ohne Ein­ schränkung in die Kategorien B und C eingestuft.978 Von Berichtszeitraum 2012/13 bis 2013/14 verweisen die ZIS-Jahresberichte auf die Zuordenbar­ keit des überwiegenden Teils der Ultras in die Kategorie A und auf das zunehmend gewaltbereite Potenzial von Ultra-Szenen hin.979 Ab dem Be­ richtszeitraum 2014/15 erfolgt kein Hinweis mehr auf die überwiegende Zuordnung der Ultra-Gruppierungen zur Kategorie A, sondern es wird auf vorherige Jahresberichte verwiesen und signifikante Beispiele980 zum gewaltbereiten Potenzial innerhalb von Ultra-Szenen ausgeführt.981 Die polizeilichen Einschätzungen zur Ultra-Szene veränderten sich in den ver­ gangenen rund 20 Jahren somit maßgeblich hinsichtlich der von ihnen 973 Bettag, Bürgerrechte und Polizei 2006, 44, 46; Gabler, Ultrakulturen und Rechts­ extremismus, S. 122; Kotthaus, Ultras als Szene, S. 91 ff.; Leistner, Gewalt als soziale Situation, S. 114. 974 Vgl. aber Kotthaus, Ordnung des Feldes, S. 30 ff. 975 Vgl. C. II. 1. 976 ZIS-Jahresbericht 1999/2000, S. 4. 977 Vgl. ZIS-Jahresbericht 2000/01, S. 4, 2001/02, S. 4, 2002/03, S. 4, 2003/04, S. 4. 978 Vgl. ZIS-Jahresbericht 2004/05, S. 6, 2005/06, S. 6, 2006/07, S. 6, 2007/08, S. 6, 2008/09, S. 6, 2009/10, S. 7, 2010/11, S. 6, 2011/12, S. 7. 979 ZIS-Jahresbericht 2012/13, S. 6 ff., 2013/14, S. 6 ff. 980 Vgl. etwa ZIS-Jahresbericht 2012/13, S. 7, 2013/14, S. 8. 981 ZIS-Jahresbericht 2014/15, S. 10, 2015/16, S. 10, 2016/17, S. 10, 2017/18, S. 9 f., 2018/19, S. 9 f., 2019/20, S. 10, auf letztgenanntes verweist auch der ZIS-Jahres­ bericht 2020/21, S. 8.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

ausgehenden Gewaltbereitschaft und der Suche nach Gewalt, weshalb auch die polizeilichen Einsatzkonzeptionen stetig fortentwickelt und ange­ passt werden mussten. Die von Ultras vorgeblich bestehende Maxime der Gewaltlosigkeit findet in den ZIS-Jahresberichten keinen Widerhall mehr. Deswegen verwundert ein von Pilz eingeführter, zeitweise, wenn auch nicht stringent verwendeter Begriff „Hooltra“, ein neuer982 „kalkuliert-er­ lebnisorientierter“ Fantyp, nicht,983 der sich aber nicht durchsetzte.984 Mit einem weiteren Begriff zur Abgrenzung und Ausdifferenzierung ist wenig hinzugewonnen, zumal er zur Unübersichtlichkeit und geringerer Vergleichbarkeit unterschiedlicher Forschungsergebnisse führt(e). Ultras, Hooltras und Hooligans weisen Unterschiede und Gemeinsam­ keiten auf. Unterschiede hinsichtlich der Gewaltbereitschaft und -anwen­ dung bestehen, neben der bereits erwähnten vorgeblich bestehenden Maxi­ me der Gewaltlosigkeit, in den Formen, Ausdrucksweisen und Planung der Gewalt, die sich bei Ultras eher in verbalen Provokationen, Beleidi­ gungen sowie in Vandalismus zeigt. Körperliche Auseinandersetzungen zwischen Ultras finden in der Regel nicht derart geplant wie bei Hooli­ gans, sondern weit überwiegend spontan, und, wenn überhaupt, nur im direkten Zusammenhang mit Fußballspielen und nicht spieltags- oder aus­ tragungsortunabhängig statt.985 In der Regel bestehe bei körperlichen Aus­ einandersetzungen zwischen Ultra-Gruppen keine gleiche Gruppenstärke; Hooligans hingegen träten grundsätzlich in einer vorab abgesprochenen gleichen Gruppenstärke an. Körperliche Auseinandersetzungen zwischen Ultra-Gruppen kennzeichnen sich durch Emotionen, die sich in den Anund Abreisesituationen und im Stadion entwickeln und v.a. durch Provo­ kationen erhöhen.986 Hinsichtlich der Frage, wie viele Identitäten Ultras und Hooligans auf­ weisen, wird vertreten, Ultras sollen nur eine Identität, die auch während 982 „Neu“ im Vergleich zum ausschließlich erlebnisorientierten Fan, C. II. 2. 983 Ein Hooltra ist zwar in der Ultrakultur verwurzelt, durch das offene Bekennen zur Gewalt zeigt er jedoch hooliganähnliches Verhalten. Hooltras verabschie­ den sich somit von der ursprünglichen Maxime der Gewaltlosigkeit der Ultras; vgl. hierzu Pilz, Von der Ultra- zur Gewalt-Event-Kultur, S. 1 f.; Pilz, Kursiv 2005, 50, 50, 57; Pilz, Deutsche Polizei 2005, 6, 8; Pilz/Wölki, Ultraszene in Deutschland, S. 217. 984 Pilz, Kursiv 2005, 50, 57; Pilz, Von der Ultra- zur Gewalt-Event-Kultur, S. 2. 985 Brich, Hooliganismus als Bestandteil des sozialen Phänomens „Fußball“, S. 9; Pilz/Wölki, Ultraszene in Deutschland, S. 213; vgl. zu den uneinheitlichen bis widersprüchlichen Erkenntnissen im Zusammenhang mit Gewalt und UltraSzenen Thalheim, Heroische Gemeinschaften, S. 47 ff. 986 Pilz/Wölki, Ultraszene in Deutschland, S. 213.

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II. Ausdifferenzierung und Abgrenzung der Fans und Zuschauer

der Woche ausgelebt und ausgedrückt wird, aufweisen. Schule, Beruf oder Familie müssen sich ihr unentwegt unterordnen. Bei Hooligans wird da­ von ausgegangen, dass sie zwei Identitäten aufweisen, und zwar eine „bür­ gerliche Alltagsidentität“ und eine „subkulturelle Identität“.987 Dieser An­ sicht wird in dieser Arbeit nicht gefolgt.988 Weiteres Unterscheidungsmerkmal ist das Feindbild der jeweiligen Gruppen. Das primäre989 Feindbild der Ultras ist die Polizei.990 Die An­ wesenheit insbesondere von Beweissicherungs- sowie Festnahmeeinheiten wirkt auf Ultras bedrohlich und aggressionsförderlich. Teilweise wird da­ von ausgegangen, Hooligans sähen in der Polizei einen sportlichen Geg­ ner.991 Die unterschiedlichen Sichtweisen auf die Polizei spiegeln sich auch in den unterschiedlichen polizeilichen Deeskalationsmaßnahmen ge­ genüber den beiden Gruppen wider, denn Pilz zufolge ist bei Ultras eher ein verdeckter Polizeieinsatz, bei Hooligans eine deutliche Polizeipräsenz geboten.992 4. Fazit Die polizeilichen und soziologischen Kategorisierungen zur Einteilung der Zuschauer sind aufgrund unterschiedlicher Abgrenzungskriterien nicht kongruent. Internationale Kontexte lassen ebenfalls eine allgemein aner­ kannte Definition von „Hooligan“ vermissen,993 so dass auch (inter-)natio­ nalen empirischen Studien divergierende Definitionen zugrunde liegen,

987 Pilz, Fußball ist unser Leben?!, S. 60; Pilz, Von der Ultra- zur Gewalt-Event-Kul­ tur, S. 1; Pilz, Deutsche Polizei 2005, 6, 8; Pilz/Wölki, Ultraszene in Deutschland, S. 74; Thalheim, Heroische Gemeinschaften, S. 21 ff. 988 Vgl. insbes. C. III. 2., IV. 989 Als weitere Feindbilder der Ultras werden gegnerische Ultras, die Medien, der DFB, die DFL sowie FIFA/UEFA angegeben, Pilz/Wölki, Ultraszene in Deutsch­ land, S. 135 ff. 990 Unter „Polizei“ könnten verschiedene Einheiten, z.B. die Bereitschaftspolizei, die Bundespolizei oder auch Szenekundige Beamte (SKBs), beschrieben worden sein; Pilz/Wölki, Ultraszene in Deutschland, S. 137 ff. 991 Pilz, Von der Ultra- zur Gewalt-Event-Kultur, S. 4; Pilz, Deutsche Polizei 2005, 6, 12; vgl. auch C. V. 3. 992 Pilz, Von der Ultra- zur Gewalt-Event-Kultur, S. 4. 993 Vgl. bspw. Rookwood/Pearson, International Review for the Sociology of Sport 2012, 149, 151.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

die eine Vergleichbarkeit erschweren.994 Nur eine kleine Minderheit der einem Fußballspiel zuschauenden Personen sind der Kategorie C zuzuord­ nen oder können als „Hools“ bzw. „erlebnisorientierte Fans“ kategorisiert werden. Der Hooliganismus erfüllt die beschriebenen Voraussetzungen einer Szene. 995 In der vorliegenden Arbeit muss weitgehend unberücksich­ tigt bleiben, dass sich auch innerhalb der Ultra-Szene gewaltbereite und -tätige Personen befinden, da sie andere Hintergründe, Zielsetzungen, Ein­ stellungen zur Gewaltbereitschaft, Struktur und Selbstverständnis aufwei­ sen. Auch auf das Geschlechterverhältnis, Geschlechterrollenbilder und Rollen von weiblichen Personen innerhalb von Ultra-Szenen996 soll hier nicht eingegangen werden. III. Wesentliche Charakteristika der Hooligan-Szene Der Hooliganismus setzt sich aus vielen einzelnen Gruppen in einer Sze­ ne997 zusammen und bildet ein Feld i.S. Bourdieus.998 Wie einzelne Hoo­ ligan-Gruppen entstehen, ist eine schwierig zu beantwortende Frage, da sich Hooligans oftmals bereits bestehenden Gruppen anschließen oder die Entstehung nicht nachzeichnen können.999 Das Entstehen von weiteren

994 Es existieren weitere Differenzierungsansätze: vgl. z.B. die Differenzierung von Benke/Utz, Kriminologisches Journal 1989, 85, 87 ff. in Novizen, Kutten, Hools und Veteranen; eine medienpädagogische Differenzierung bei Hüther, Fußball, Zuschauer, Gewalt und Medien, S. 9 in vier verschiedene Gruppen nach den Kriterien des Verhaltens sowie den Erwartungen des Zuschauers; eine sportso­ ziologische Kategorisierung mit Zweiteilung in „die-hard fans“ und „fair-weather fans“, vgl. Wann/Branscombe, Journal of Sport and Social Issues 1990, 103, 103 ff. 995 Vgl. B. III. 3. Vgl. auch Ferchhoff, Jugend und Jugendkulturen im 21. Jahrhun­ dert, S. 219 ff.; von Wensierski/Puchert, Die Jugendkulturen der Fußballfans im 20. Jahrhundert, S. 249 ff. 996 Vgl. hierzu bspw. Claus/Gießler/Wölki-Schumacher, Geschlechterverhältnisse in Fußballfanszenen, S. 74 ff.; Degele, Fußball verbindet – durch Ausgrenzung, S. 111 ff.; Pilz/Wölki, Ultraszene in Deutschland, S. 63 ff.; Sülzle, Fußball, Frau­ en, Männlichkeiten, S. 11 ff.; von der Heyde, Doing Gender als Ultra – Doing Ultra als Frau, S. 11 ff.; von der Heyde, Das Verhältnis von jugendkultureller Freizeitpraxis der Ultras und weiblicher Geschlechterpraxis, S. 142 ff.; Volpers, Zeitschrift für Fußball und Gesellschaft 2021, 66, 67 ff. 997 Vgl. B. III. 3. 998 Vgl. B. IV. 1. Vgl. auch Roose/Schäfer/Schmidt-Lux, Fans und soziologische Theo­ rie, S. 28 f. 999 Böttger, Gewalt und Biographie, S. 245; Eckert/Reis/Wetzstein, „Ich will halt an­ ders sein wie die anderen“, S. 380; Schäfer-Vogel, Gewalttätige Jugendkulturen,

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III. Wesentliche Charakteristika der Hooligan-Szene

Hooligan-Gruppen wird durch bereits bestehende Gruppen befördert.1000 Dieses Kapitel stellt die wesentlichen Charakteristika der Hooligan-Szene vor. 1. Hierarchische Struktur in Hooligan-Gruppen Empirische Studien zum Hooliganismus bestreiten zum Teil die Existenz einer gruppeninternen Hierarchie, denn es sei nicht ersichtlich, ob ein einzelnes Mitglied oder mehrere Mitglieder eine dominante Rolle einneh­ men, vielmehr wechsele dies situativ.1001 Hiergegen wenden sich andere Forschungsarbeiten und die Hooligans selbst und nehmen bei der Be­ schreibung der hierarchischen Struktur eine Dreiteilung vor. In einer Hoo­ ligan-Gruppe, die Forschung und Polizei zum Teil auch „Mob“1002 nen­ nen, nehmen Personen unterschiedliche Aufgaben und Rollen wahr. Die Forschung zählt zum „weiteren Kreis“ bzw. zu den „Mitläufern“ Personen, die an körperlichen Auseinandersetzungen nicht regelmäßig, sondern eher sporadisch, wenn sich am Wochenende eine Gelegenheit ergibt, teilneh­ men.1003 Ihre Gewaltbereitschaft ist eher zurückhaltend, sie gehen aber einer Konfrontation nicht unbedingt aus dem Weg. Neueinsteigende und Jugendliche, die sich erst noch bewähren müssen, gehören ebenso zum „weiteren Kreis“ wie ehemals dem „harten Kern“ zugehörige Hooligans, die z.B. aufgrund von „Schwierigkeiten“ mit Strafverfolgungsbehörden nicht mehr so aktiv wie früher sein können oder den Ausstieg aus der Szene noch nicht endgültig vollzogen haben.1004 Den „harten Kern“ bilden die bereits mehrere Jahre zur Gruppe zuge­ hörigen Personen, die beinahe bei jedem Spiel bzw. jeder körperlicher Auseinandersetzung dabei sind, sich durch ihr Kampfverhalten bereits profiliert haben und bedingungslos für alle anderen Gruppenmitglieder

1000 1001 1002 1003 1004

S. 326; Steinmetz, Außeralltäglichkeit und Grenzerfahrung im Kontext von Gewalt, S. 259. Böttger, Gewalt und Biographie, S. 245. Böttger, Gewalt und Biographie, S. 243; Giulianotti/Armstrong, Social Anthropo­ logy 2002, 211, 216; Schäfer-Vogel, Gewalttätige Jugendkulturen, S. 327. Ek, Hooligans, S. 80. Claus, Mundschutz, Auswärtsfahrt und Einbauküche, S. 117; Bodin/Javerlhiac/ Héas, Déviance et Société 2013, 5, 7; Lösel/Bliesener, MschrKrim 2006, 229, 237; Novak, Hooligans und Skinheads, S. 158. Bodin, Le hooliganisme, S. 77; Eckert et al., Diskurs 1998, 72, 75; Novak, Hooli­ gans und Skinheads, S. 159; Stümper et al., Gutachten Polizeipraxis, S. 692.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

einstehen.1005 Die Aufnahme darin ist für neue Mitglieder schwer zu erreichen.1006 Mitglieder des „harten Kerns“ übernehmen eine Kontroll­ funktion gegenüber neu in die Gruppe eingestiegene Personen, indem sie für das Einhalten der szeneinternen Traditionen, Normen, Werte und insbesondere des Ehrenkodex1007 sorgen.1008 Die Eigenschaft als „Alt-Hool“ führt gruppenintern zu einem hohen Ansehen, das von jüngeren, unerfah­ reneren Hooligans als unhinterfragbar, unumstößlich, „quasi-gesetzmäßig“ und als Leitlinie für das szeneinterne Handeln gesehen wird.1009 Die Grup­ penkohäsion der Mitglieder des „harten Kerns“ ist als hoch einzustufen: Gemeinsame Treffen finden nicht nur am Wochenende, sondern auch während der Woche statt.1010 Die erfahrensten und vertrautesten Mitglie­ der des „harten Kerns“ fungieren als Stellvertreter der „Anführer“, die sie beraten und die ihnen gewisse Entscheidungsbefugnisse übertragen.1011 Der „Anführer“ einer Hooligan-Gruppe setzt sich nicht selbst als sol­ cher ein, sondern er wird von Mitgliedern des „harten Kerns“, dem er davor angehörte, durch informellen Konsens „quasi demokratisch ermit­ telt“.1012 Durch die langjährige Zugehörigkeit verfügt er über reichlich Kampferfahrungen und die Gruppe weiß um seine Kampfbereitschaft.1013 Dem „Anführer“ obliegt insbesondere die Aufgabe, die körperlichen Aus­ einandersetzungen mit gegnerischen Hooligan-Gruppen im Vorfeld zu organisieren.1014 Bis etwa zur Mitte der 1990er Jahre waren die Aufeinan­

1005 Bodin, Le hooliganisme, S. 76 f.; Bodin/Javerlhiac/Héas, Déviance et Société 2013, 5, 7; Claus, Mundschutz, Auswärtsfahrt und Einbauküche, S. 119; Lö­ sel/Bliesener/Fischer/Papst, Hooliganismus in Deutschland, S. 122; Novak, Hooli­ gans und Skinheads, S. 159 f. 1006 Spaaij, Understanding football hooliganism, S. 343. 1007 Vgl. C. III. 2. 1008 Eckert et al., Diskurs 1998, 72, 75. 1009 Vgl. auch BGH, Urt. v. 22.01.2015 – 3 StR 233/14, NJW 2015, 1540, 1540, Rn. 27; Novak, Hooligans und Skinheads, S. 160. 1010 Novak, Hooligans und Skinheads, S. 160; Niewiarra, Journal für Psychologie 1994, 28, 33. 1011 Vgl. auch BGH, Urt. v. 22.01.2015 – 3 StR 233/14, NJW 2015, 1540, 1540 ff. 1012 Novak, Hooligans und Skinheads, S. 160. 1013 Bodin, Le hooliganisme, S. 76; Bodin/Javerlhiac/Héas, Déviance et Société 2013, 5, 7; Lösel et al., Hooliganismus in Deutschland, S. 122; Stümper et al., Gutach­ ten Polizeipraxis, S. 691 f.; Utz/Benke, Hools, Kutten, Novizen und Veteranen, S. 111; s.a. BGH, Urt. v. 22.01.2015 – 3 StR 233/14, NJW 2015, 1540, 1540 ff. 1014 Ein weiteres Phänomen, das sich auch mit dem guten Kontakt der Anführer der verschiedenen nationalen Hooligan-Gruppen untereinander erklärt, sind Absprachen und Zusammenschlüsse bei Fußballspielen der deutschen Män­ ner-Fußballnationalmannschaft anlässlich von Welt- und Europameisterschaf­

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III. Wesentliche Charakteristika der Hooligan-Szene

dertreffen nicht derart geplant, sondern von vielen Zufällen abhängig. Nunmehr bestehen Erkenntnisse über die Zunahme der in der Regel via Telefon, Mobilfunk und Internet erfolgenden Absprachen zwischen den gegnerischen Hooligan-Gruppen.1015 Nicht alle Gruppenmitglieder erfahren immer umgehend jegliche Details der Planungen, wie Ort und Zeitpunkt, um die vorzeitige Kenntniserlangung durch die Sicherheitsbe­ hörden möglichst zu verhindern.1016 Bislang konnten von der Polizei entgegen Medienberichten in den öffentlich zugänglichen Bereichen des Internets keine Nachweise für konkrete Absprachen zu Aufeinandertreffen von gegnerischen Hooligan-Gruppen erbracht werden.1017 Dort sind aber Berichte über vergangene körperliche Auseinandersetzungen zu finden, die meist zeitnah online gestellt werden, um die jeweilige Gruppe nach Außen darzustellen. Allerdings bergen derartige Berichte die Gefahr in sich, Erkenntnisse über Ort, Zeit und Personen zu gewinnen, was Hooli­ gans eigentlich vermeiden wollen.1018 Böttger meint, das Entkommen vor den Sicherheitsbehörden hinsichtlich verabredeter Auseinandersetzungen ist für Hooligans zu einer Art Sport geworden.1019 Orte und Zeitpunkte der körperlichen Auseinandersetzungen der Hoo­ ligans sind nicht immer mit dem Fußball-Spieltag identisch, sondern kön­ nen als „Drittortauseinandersetzungen“ zeit- und ortsunabhängig stattfin-

1015

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ten: Der Zusammenschluss erfolgt unabhängig davon, ob die Vereine, für die sie normalerweise während einer Saison ihren Hooliganismus ausüben, aus unterschiedlichen Ligen stammen und ob auf nationaler Ebene eine Freundoder Feindschaft besteht; Wagner, Prävention von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, S. 77; Corti, Darstellung des Phänomens Hooligans, S. 18. Benke/Utz, Kriminologisches Journal 1989, 85, 93; Corti, Darstellung des Phänomens Hooligans, S. 18; Deusch, Polizeiliche Gefahrenabwehr bei Sport­ großveranstaltungen, S. 53; Eckert/Reis/Wetzstein, „Ich will halt anders sein wie die anderen“, S. 382; Ferchhoff, Jugend und Jugendkulturen im 21. Jahrhun­ dert, S. 194; Gehrmann, Fußballrandale, S. 59 f.; Giulianotti/Armstrong, Social Anthropology 2002, 211, 218; Lösel/Bliesener, MschrKrim 2006, 229, 233; Sul­ livan, Gangs, Hooligans, and Anarchists, S. 106 f.; Tessmer, Deutsches Polizei­ blatt 2001, 6, 9; ZIS-Jahresbericht 2008/09, S. 13, 2007/08, S. 13, 2008/09, S. 14; vgl. auch BGH, Urt. v. 22.01.2015 – 3 StR 233/14, NJW 2015, 1450. Farin, generation-kick.de, S. 186; Lösel/Bliesener, MschrKrim 2006, 229, 233; ZIS-Jahresbericht 2008/09, S. 14, 2014/15, S. 27. ZIS-Jahresbericht 2007/08, S. 13, 2008/09, S. 14, 2014/15, S. 27. ZIS-Jahresbericht 2007/08, S. 14. Böttger, Gewalt und Biographie, S. 81.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

den.1020 Hierfür kommen z.B. auch weder mit der Heim- noch Auswärts­ mannschaft übereinstimmende Städte in Betracht. Die Anzahl solcher Drittortauseinandersetzungen ist zwar nicht quantifizierbar, es ist aber von einem hohen Dunkelfeld auszugehen.1021 Verabredete körperliche Auseinandersetzungen sind zum Teil auch zu Zeiten zu beobachten, zu denen „die besondere Aufbauorganisation der Polizei aus Anlass einer Fußballbegegnung entweder noch nicht (Tage vor bzw. am Vorabend der Begegnung) oder nicht mehr (späte Nachspielphase) besteht.“1022 Ver­ einzelt werden auch verabredete körperliche Auseinandersetzungen „voll­ kommen ohne Fußballbezug“1023 festgestellt, bei denen die gewaltberei­ ten, den Kategorien B und C zuzuordnende Personen „äußerst konspirativ und zielgerichtet abgelegene, jedoch mit PKW günstig zu erreichende Orte […] [auswählen].“1024 Hierfür werden Industriegebiete, Parkanlagen in Außenbezirken, Waldränder oder in der unmittelbaren Nähe zu Bundes­ autobahnen liegende Parkplätze genutzt. Vereinzelt dienen Vereinsheime oder szenebekannte Lokale als Treffpunkte für die verabredeten Auseinan­ dersetzungen.1025 Die von Hooligans selbst vorgenommene Dreiteilung der gruppeninter­ nen Hierarchie kann ebenfalls gegen die eingangs erwähnte Ansicht, Hoo­ ligan-Gruppen seien nicht hierarchisch strukturiert, angeführt werden. Hooligans unterscheiden zwischen „Lutschern“, „Mitläufern“ und „Gu­ ten“ und nutzen als maßgebliche Differenzierungskriterien nach Matthesi­ us das Verhalten während des Aufeinandertreffens mit gegnerischen Hooli­ gan-Gruppen und in weiteren Bereichen des Lebens als Hooligan.1026 Die „Guten“ stürmen beim Aufeinandertreffen rivalisierender Hooligan-Grup­ pen als erste los. Aufgrund der langen Zugehörigkeit zur Gruppe achten sie dabei den von ihnen internalisierten Ehrenkodex. Sie prahlen nicht mit 1020 Gabler, Ultrakulturen und Rechtsextremismus, S. 73; Pilz/Wölki, Ultraszene in Deutschland, S. 213; ZIS-Jahresbericht 2018/19, S. 20 f., 2019/20, S. 20 f., 2020/21, S. 15 f. 1021 ZIS-Jahresbericht 2017/18, S. 24, 2018/19, S. 20 f., 2019/20, S. 20, 2020/21, S. 16. 1022 ZIS-Jahresbericht 2019/20, S. 20 und wortlautgleich in ZIS-Jahresbericht 2020/21, S. 16; s.a. ZIS-Jahresbericht 2010/11, S. 13, 2009/10, S. 14, 2008/09, S. 14, 2017/18, S. 24. 1023 Wortlautgleich: ZIS-Jahresberichte 2018/19, S. 21, 2019/20, S. 20, 2020/21, S. 16. 1024 Wortlautgleich: ZIS-Jahresberichte 2017/18, S. 24 f., 2018/19, S. 21, 2019/20, S. 20, 2020/21, S. 16. 1025 ZIS-Jahresbericht 2017/18, S. 24 f., 2018/19, S. 21, 2019/20, S. 20 f., 2020/21, S. 16; s. schon ZIS-Jahresbericht 2013/14, S. 19 f., 2010/11, S. 14 f. 1026 Matthesius, Anti-Sozial-Front, S. 145.

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III. Wesentliche Charakteristika der Hooligan-Szene

vergangenen Kämpfen, indem sie sich als Helden darstellen, sondern sind stattdessen in der Lage, ggf. erlittene Misserfolge zuzugeben. Die „Guten“ sind zuverlässige Kämpfer, an denen sich „Mitläufer“ und „Lutscher“ ori­ entieren. Beide wünschen sich, von den „Guten“ anerkannt zu werden.1027 „Mitläufer“ kämpfen nicht immer in der ersten Reihe, sondern sind bei einem Aufeinandertreffen eher in der Mitte des Feldes zu finden, um sich so die Möglichkeit zur Flucht offen zu halten. Wenn die gegnerische Gruppe einen guten Ruf hat, ängstigen sich die „Mitläufer“ mitunter vor ihr. Wenn sich ein „Mitläufer“ bei körperlichen Auseinandersetzungen über längere Zeit hinweg bewährt, kann er ein „Guter“ werden.1028 „Lutscher“ haben szeneintern einen schlechten Ruf, denn sie prahlen oftmals mit ihrer Kampfbereitschaft und -erfahrung, ohne sie bislang hin­ reichend unter Beweis gestellt zu haben, denn sie flüchten mitunter vor Beginn der körperlichen Auseinandersetzung.1029 „Lutscher“ verweilen oftmals nur eine kurze Zeit in der Hooligan-Gruppe, da sie mitunter die körperlichen Auseinandersetzungen scheuen oder Angst vor der Polizei und den strafrechtlichen Konsequenzen ihres Handelns haben.1030 Wenn „Lutscher“ an Auseinandersetzungen teilnehmen, missachten sie teilweise den Ehrenkodex. Zwar beabsichtigen sie dadurch in der Regel, sich An­ erkennung bei den „Mitläufern“ und „Guten“ zu verschaffen, erreichen allerdings genau das Gegenteil.1031 2. Szeneinterner Ehrenkodex Nach Bekundungen der Hooligans ist ein die Rahmenbedingungen der Kämpfe normativ regelndes Wertesystem entstanden.1032 Der Ehrenkodex beinhaltet Regeln zur richtigen Auswahl des Gegners, zu situationsange­ messenem, fairem Verhalten, und fungiert als Garant für das geordnete Ablaufen der körperlichen Auseinandersetzungen. Die Vermittlung des Wertesystems an neu Hinzukommende erfolgt durch bereits länger in der Szene befindliche Hooligans, ggf. unter Zuhilfenahme von Foto-

1027 1028 1029 1030 1031 1032

Farin, generation-kick.de, S. 189; Matthesius, Anti-Sozial-Front, S. 146. Matthesius, Anti-Sozial-Front, S. 146. Farin, generation-kick.de, S. 187 f.; Matthesius, Anti-Sozial-Front, S. 147. Farin, generation-kick.de, S. 188. Farin, generation-kick.de, S. 188; Matthesius, Anti-Sozial-Front, S. 147. Eckert et al., Diskurs 1998, 72, 77; Findeisen/Kersten, Der Kick und die Ehre, S. 130; Lösel/Bliesener, MschrKrim 2006, 229, 233.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

oder Filmmaterial.1033 Der Ehrenkodex erlaubt z.B. Tritte und Schläge auf den ganzen Körper, mit Ausnahme der Genitalien, und deckt auch die passive Bewaffnung (z.B. das Tragen von Sturmhauben, Schienbein­ schonern, Mundschutz, Handschuhen).1034 Es soll leichtes Schuhwerk wie Sportschuhe getragen werden, denn es erleichtert den Hooligans vor geg­ nerischen Hooligan-Gruppen oder ggf. der Polizei wegrennen zu können. Die körperlichen Auseinandersetzungen sollen grundsätzlich „Mann ge­ gen Mann“1035 stattfinden, wogegen jedoch mitunter verstoßen wird.1036 Die bei körperlichen Auseinandersetzungen teilweise als Schiedsrichter fungierenden Personen überwachen die Einhaltung des Ehrenkodex und unterbinden Verstöße dagegen. Essenzieller Bestandteil des Ehrenkodex soll sein, am Boden liegende oder sich im Rückzug befindliche Personen nicht anzugreifen.1037 Die körperlichen Auseinandersetzungen folgen einem gewissen, grund­ sätzlichen Ablauf, bei dem sich die gegnerischen Gruppen in etwa gleicher Gruppenstärke von etwa 20 bis 40 Personen gegenüberstehen. Nachdem mehrere Reihen aufgestellt wurden, laufen die Hooligans jeweils aufein­ ander zu und beginnen die körperlichen Auseinandersetzungen. Gelegent­ lich gelangt die hinterste Reihe gar nicht mehr zum Einsatz. Das Aufein­ anderzulaufen und Kämpfen kann in mehreren, etwa wenige Minuten andauernden Runden erfolgen.1038 Wenn eine Hooligan-Gruppe von der gegnerischen Gruppe weiß oder zu wissen glaubt, dass sie sich grundsätzlich nicht an den Ehrenkodex hält (z.B. durch den Einsatz eigentlich verbotener Waffen), dann fühlt sich erstere Gruppe auch nicht verpflichtet, am Ehrenkodex festzuhalten. Sie kämpfen trotzdem gegeneinander.1039 Diese selbstwidersprüchliche Praxis lässt an der ernsthaften, verbindlichen Geltung des Ehrenkodex zweifeln, führt ihn ad absurdum und lässt vermuten, das Wertesystem wird in Teilen

1033 Bohnsack et al., Die Suche nach Gemeinsamkeit und die Gewalt der Gruppe, S. 28; Böttger, Gewalt und Biographie, S. 81; Gutmann/Rutschmann, Das Frau­ enbild der Hooligans, S. 100; Zifonun, Zeitschrift für Qualitative Forschung 2007, 97, 103. 1034 Spoenle, NStZ 2011, 552, 552. 1035 Vgl. hierzu auch C. V. 1036 Spoenle, NStZ 2011, 552, 552. 1037 Spoenle, NStZ 2011, 552, 552; vgl. Rathgeber, Fachdienst-Strafrecht 2013, 344679. 1038 Spoenle, NStZ 2011, 552, 552. 1039 Zifonun, Zeitschrift für Qualitative Forschung 2007, 97, 103, 114.

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III. Wesentliche Charakteristika der Hooligan-Szene

überhöht bzw. überhöht dargestellt und verklärt, aber nicht stringent ein­ gehalten. Der Ehrenkodex verdeutlicht nach einer Ansicht, dass Hooligans in einer Doppelwelt leben und deshalb zwei Identitäten aufweisen, die in einem Spannungs- und hierarchischem Verhältnis zu einander stehen. Zum einen lebten sie in der „bürgerlichen Welt“ und verfügten über eine „Alltagsidentität“, in der bürgerliche Werte und Regeln herrschten. Zum anderen lebten sie mit ihrer „subkulturellen Identität“ in der „Hoo­ liganwelt“.1040 Hooligans bewerteten die „bürgerliche Welt“ höher als die „Hooliganwelt“ und versuchten „die Hooliganwelt in die bürgerliche Welt zu integrieren, die erste anhand von Normen und Werten der zweiten zu erklären“.1041 Der Ehrenkodex spiele bei dem Spannungsverhältnis zwi­ schen den beiden Welten eine wichtige Rolle, denn durch ihn gelinge es den Hooligans sich nicht zu weit von ihrer bürgerlichen Welt zu entfer­ nen.1042 Gegen diese Ansicht spricht, dass es sich nach hier vertretener Ansicht bei Hooligans nicht um eine Subkultur, sondern um eine Szene handelt.1043 Zudem mutet die vorgegebene Begründung widersprüchlich an und scheint eher eine Neutralisierungstechnik zu sein. Dem Ehrenkodex ist auch eine Abgrenzungsfunktion immanent. Er ermöglicht den Hooligans, sich von anderen Gruppierungen abzugrenzen und sich ihnen gegenüber überlegen zu fühlen, denn sie verfügen nicht über ein derartiges normatives Regelwerk.1044 Das Wertesystem des Ehrenkodex beinhaltet darüber hinaus ein Kon­ zept der Ritterlichkeit, womit sich die Erwartung und das Verbot verbin­ det, weibliche und vereinzelte gegnerische Fans nicht anzugreifen.1045 Sollten weibliche Personen trotzdem angegriffen werden, obliegt es den Lebenspartnern oder den anderen männlichen Mitgliedern, sie zu beschüt­ zen.1046 Die Ritterlichkeitsnorm gilt auch in szeneexternen Kontexten. Dort sind allerdings seltener physische Angriffe, sondern eher sexuelle

1040 1041 1042 1043 1044

Förtig, Jugendbanden, S. 33; Pilz, Deutsche Polizei 2005, 6, 7; vgl. auch C. II. 3. Gutmann/Rutschmann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 92. Gutmann/Rutschmann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 92, 100 f. Vgl. B. III. 3., C. III. Bohnsack et al., Die Suche nach Gemeinsamkeit und die Gewalt der Gruppe, S. 28; Gutmann/Rutschmann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 101. 1045 Benke/Utz, Kriminologisches Journal 1989, 85, 88; Sülzle, Fußball, Frauen, Männlichkeiten, S. 179; Winands et al., Soziale Passagen 2019, 323, 333. 1046 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 67, 80 f.; vgl. auch Winands et al., Soziale Passagen 2019, 323, 333.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

Belästigungen Anlässe, die Beschützerfunktion auszuüben.1047 Die Exis­ tenz des Ehrenkodex als faire Spielregeln für den Hooliganismus führt auch zur szeneinternen Darstellung des Hooliganismus als gesellschaftlich akzeptiertes Spiel oder (Kampf-)Sport, den sie in ihrer Freizeit zum Spaß betreiben.1048 3. Die Bedeutung der Medien für den Hooliganismus Welche Bedeutung die Medien im Zusammenhang mit dem Hooliganis­ mus einnehmen, wird uneinheitlich bewertet. Nach einer Ansicht fungie­ ren Medien als Katalysator für den Hooliganismus, indem sie einen Kampf um die Statushierarchie von Hooligans entstehen lassen. Dunning/Mur­ phy/Williams zufolge gibt es aus Sicht der Hooligans deshalb zwei unter­ schiedliche Ligatabellen. Einerseits eine offizielle, die Auskünfte zu Fuß­ ballspielen samt erreichten Punkten enthält, andererseits eine zum Teil von den Medien erzeugte, inoffizielle Ligatabelle, die beinhaltet wer, vor wem und wo davongelaufen ist, wer derzeit von offiziellen Stellen und den Medien als gefährlichste Hooligan-Gruppe eingestuft wird.1049 Hoo­ ligans wollen sich in der von Dunning/Murphy/Williams zweitgenannten Tabelle1050 und teils auch in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit Respekt verschaffen, weshalb sie das Fußballstadion als Bühne und die Öffentlichkeit als Publikum nutzen.1051 Deshalb wird davon ausgegangen, Medien und öffentliche Berichterstattung beeinflussen und glorifizieren mitunter sogar den Hooliganismus und fungieren als Katalysator dafür.1052 Dies führt bisweilen zu der Ansicht, es handele sich um eine selbst erfüllende Prophezeiung: Durch die einseitige, verzerrte mediale Darstellung ihrer Gewalt würden Hooligans beginnen, allmählich das dort gezeichnete Bild

1047 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 80. 1048 Gutmann/Rutschmann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 93, 102; vgl. auch C. III. 5. b) bb). 1049 Dunning/Murphy/Williams, Zuschauerausschreitungen bei Fußballspielen, S. 443; vgl. hierzu auch Bausenwein, Geheimnis Fußball, S. 315; Bodin, Le hoo­ liganisme, S. 39; Bodin/Robène/Héas, Sports et violence en Europe, S. 36. 1050 Dunning/Murphy/Williams, Zuschauerausschreitungen bei Fußballspielen, S. 443. 1051 Vgl. Willms, Die dritte Halbzeit, S. 25. 1052 Bodin, Le hooliganisme, S. 39; Bodin/Robène/Héas, Sports et violence en Eu­ rope, S. 36; Braun/Vliegenthart, International Sociology 2008, 796, 802 ff.; Wehrum, Deutsches Polizeiblatt 1990, 21, 23.

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III. Wesentliche Charakteristika der Hooligan-Szene

anzunehmen und derart zu handeln, woraus eine spiralförmige, schlei­ chende Eskalation ihrer Gewalt folgt.1053 Nicht unberücksichtigt bleiben darf der Aspekt der Auflagensteigerung, den sich Medien durch die Be­ richterstattung über körperliche Auseinandersetzungen der Hooligans er­ hoffen, so dass ein mitunter wirtschaftliches Interesse vermutet werden kann, wenn über aufsehenerregende und „spektakuläre“ Ausschreitungen berichtet wird. Die Hooligan-Szene stellt sich in unterschiedlichen Arten selbst medi­ al dar.1054 Hierfür nutzen sie Internetauftritte oder szeneinterne Medien („Hooligan-Fanzines“).1055 Ausweitungen der staatsanwaltschaftlichen Er­ mittlungen sowie strafrechtliche Sanktionen wie hohe Haftstrafen führen zu einem minimierten Interesse der Hooligans, in Medien präsent zu sein. Bebilderte Berichterstattung birgt die Gefahr in sich, nachträglich identifiziert werden zu können;1056 dies kann wiederum als eine Form der Abschreckung gesehen werden. Eine mediale Berichterstattung entspricht, entgegen oben angeführter Ansicht, nicht zwangsläufig dem Interesse der Hooligans.1057 4. Spiegelbild oder Zerrspiegel der Gesellschaft? Ob der Hooliganismus und die ihn ausübenden Personen ein Spiegel­ bild oder Zerrspiegel der Gesellschaft ist,1058 erörtert der nachfolgende Abschnitt. Soweit mit den bislang vorhandenen Erkenntnissen möglich, werden Unterschiede zwischen den männlichen1059 und weiblichen Mit­ gliedern der Hooligan-Gruppen herausgearbeitet.

1053 Aschenbeck, Fußballfans im Abseits, S. 109. 1054 Zifonun, Zeitschrift für Qualitative Forschung 2007, 97, 106. 1055 Vgl. Deusch, Polizeiliche Gefahrenabwehr bei Sportgroßveranstaltungen, S. 53; Krahm, Polizeiliche Maßnahmen zur Eindämmung von Hooligangewalt, S. 54. 1056 Krahm, Polizeiliche Maßnahmen zur Eindämmung von Hooligangewalt, S. 54. 1057 So wohl Kett-Straub, Neue Kriminalpolitik 2012, 98, 102. 1058 Behn/Schwenzer, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus im Zuschauerverhalten und Entwicklung von Gegenstrategien, S. 360 f.; Sülzle, Fußball als Schutzraum für Männlichkeit?, S. 37. 1059 Claus, Mundschutz, Auswärtsfahrt und Einbauküche, S. 125 f.; Eckert et al., Diskurs 1998, 72, 75; Eckert/Reis/Wetzstein, „Ich will halt anders sein wie die anderen“, S. 384; Farin, Der Kick und die Ehre, S. 64; Illi, soz:mag 2005, 6, 8; Kett-Straub, Neue Kriminalpolitik 2012, 98, 100; Köthke, Deutsches Polizeiblatt 2001, 10, 11; Tessmer, Deutsches Polizeiblatt 2001, 6, 9.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

a) Alter, Geschlecht(-erverhältnis), Herkunftsfamilie, Erziehungsstile Mitunter besteht die Annahme, der Hooliganismus sei ein rein männliches Phänomen, eine reine Männerdomäne oder ausschließlich homosoziale Männergemeinschaft, bei der weibliche Personen mangels Teilnahmebe­ rechtigung gar keine oder, wenn überhaupt, nur eine marginalisierte Rolle spielten.1060 Dabei gilt es Claus zufolge sogar als Schwäche einer Hooligan-Gruppe, weibliche Gewalttätige in den eigenen Reihen zu ha­ ben. Ihnen sei deshalb sogar verboten, auf Gruppenfotos oder ähnlichem sichtbar zu sein.1061 Annahmen, weibliche Jugendliche spielten gar keine oder nur eine marginalisierte Rolle, kann mit Hilfe von Befunden und Umkehrschlüssen anderer Forschungsarbeiten widersprochen werden, die ebenfalls zu der Erkenntnis gelangen, dass der Hooliganismus kein rein männliches Phänomen ist.1062 Einer sporthistorischen Forschungsarbeit zufolge wurde erstmals 1898 im Zusammenhang mit einem Fußballspiel eine Rauferei unter weiblichen Personen erwähnt, bei der es eine Ver­ letzte durch einen Steinwurf gab.1063 Für den Beginn der 1990er Jahre konstatierte Pilz, innerhalb der Hooligan-Szene gebe es „so gut wie keine Frauen“.1064 Nach Möller besteht das Phänomen des Hooliganismus zu mindestens 90 % aus Jungen und jungen Männern.1065 Über diesen im Umkehrschluss bestehenden Frauenanteil noch hinausgehend beläuft sich Pilz zufolge nach dem Beginn der 1990er Jahre der Anteil weiblicher Mitglieder der Hooligan-Szene auf 10 bis 15 %.1066 Bei einer französischen Studie waren sogar rund ein Fünftel der Befragten weiblich und dem

1060 Claus, Mundschutz, Auswärtsfahrt und Einbauküche, S. 125 f.; Eckert et al., Diskurs 1998, 72, 75; Eckert/Reis/Wetzstein, „Ich will halt anders sein wie die anderen“, S. 384; Farin, Der Kick und die Ehre, S. 64; Illi, soz:mag 2005, 6, 8; Kett-Straub, Neue Kriminalpolitik 2012, 98, 100; Köthke, Deutsches Polizeiblatt 2001, 10, 11; Lösel et al., Hooliganismus in Deutschland, S. 146; Tessmer, Deut­ sches Polizeiblatt 2001, 6, 9. 1061 Claus, Mundschutz, Auswärtsfahrt und Einbauküche, S. 126; s.a. Claus/Gieß­ ler/Wölki-Schumacher, Geschlechterverhältnisse in Fußballfanszenen, S. 85. 1062 Bodin/Robène/Héas, Science et Motricité 2007, 37, 40 ff.; Bodin et al., Crimino­ logie 2005, 195, 195 ff.; Gutmann/Rutschmann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 1 ff.; Illi, Hooliganismus in der Schweiz, S. 36; Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 1 ff.; s.a. Winands et al., Soziale Passagen 2019, 323, 335. 1063 McDowell, A Cultural History of Association Football in Scotland, S. 297. 1064 Pilz, Fußballfans und Hooligans in Hannover, S. 9. 1065 Möller, Männlichkeit und männliche Sozialisation, S. 37. 1066 Pilz, Mädchen und junge Frauen in gewaltbereiten rechten Fußballszenen, S. 46.

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III. Wesentliche Charakteristika der Hooligan-Szene

harten Kern zugehörig, davon nahmen die Hälfte an körperlichen Ausein­ andersetzungen aktiv teil.1067 Im Sample einer bereits Anfang der 1980er Jahre durchgeführten englischen Studie, die sich mit Straftaten und Straf­ tätern im Zusammenhang mit dem Hooliganismus befasste, begingen weibliche Personen 0,8 % der in die Studie einbezogenen Taten, die zwar keine Gewalttaten waren, sondern u.a. Behinderung der Polizei und Be­ leidigung.1068 Bei der Analyse Trivizas zu Alter, Herkunft, Berufstätigkeit bzw. Arbeitslosigkeit sowie Vorstrafen der Täter unterbleibt eine nach Geschlecht differenzierte Betrachtung, trotzdem dokumentiert die Studie die Anwesenheit weiblicher Personen im Hooliganismus.1069 Bisherige (in­ ter-)nationale empirische Befunde geben somit vorsichtige Hinweise auf das Geschlechterverhältnis innerhalb der Hooligan-Szene. Überwiegend wird davon ausgegangen, Hooligans befänden sich zu Be­ ginn ihrer Hooligan-Karriere in der Lebensphase Jugend.1070 Hooligans, die jünger als 15 Jahre sind, werden „Hoolibabys“1071 genannt. Eine über die wie hier weit verstandene Lebensphase Jugend hinausgehende Zugehö­ rigkeit ist keine Seltenheit.1072 Der Einstieg männlicher Personen erfolgt zumeist zwischen 13 und 22 Jahren,1073 weibliche Personen steigen etwa mit 20 Jahren ein.1074 Die Mitglieder der Hooligan-Szene rekrutieren sich grundsätzlich aus allen Teilen der Gesellschaft. Mit ihrer gesellschaftlichen Situation sind sie nicht immer grundsätzlich unzufrieden.1075 Während des Aufwachsens ha­ ben die Hooligans innerhalb ihrer sehr unterschiedlichen Herkunftsfamilien auch unterschiedlichste Erziehungsstile erfahren. Diese bewegen sich zwischen liebevollen, gewaltfreien Erziehungsstilen bis hin zu auf Gewalt

1067 Bodin/Robène/Héas, Science et Motricité 2007, 37, 40 ff.; Bodin et al., Crimino­ logie 2005, 195, 200 ff. 1068 Trivizas, British Journal of Criminology 1980, 276, 280. 1069 Trivizas, British Journal of Criminology 1980, 276, 276 ff. 1070 B. II. 2. 1071 Novak, Hooligans und Skinheads, S. 142. 1072 Deusch, Gefahrenabwehr, S. 52; Kerner et al., Erstgutachten Kriminologie, S. 543, Rn. 191; Steinmetz, Außeralltäglichkeit und Grenzerfahrung, S. 255. 1073 Bodin, Contribution à l’étude des relations entre sports et violences, S. 82; Bodin/Javerlhiac/Héas, Déviance et Société 2013, 5, 9; Bodin et al., Criminologie 2005, 195, 217; Lösel et al., Hooliganismus in Deutschland, S. 120 f. 1074 Bodin et al., Criminologie 2005, 195, 216; Konstantinidis, Frauen in der Hooli­ gan-Szene, S. 46. 1075 Bodin/Javerlhiac/Héas, Déviance et Société 2013, 5, 15; Böttger, Gewalt und Biographie, S. 246; Ferchhoff, Jugend und Jugendkulturen im 21. Jahrhundert, S. 194.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

basierende Opfererfahrungen durch Eltern oder andere Personensorgebe­ rechtigte.1076 Diese Erkenntnisse weisen Übereinstimmungen auf zu den vorgestellten Erkenntnissen zu weiblichen Jugendlichen in gewaltaffinen gleich- und gemischtgeschlechtlichen Gruppen und zu der dort hergestell­ ten Parallelisierung der Abwertungs- und Opfererfahrungen der weibli­ chen und männlichen Jugendlichen.1077 b) Schul- und Berufsausbildungen und beruflichen Tätigkeiten In der von Lösel et al. durchgeführten Studie erreichten (je gerundet) 9 % keinen Schulabschluss, 36 % einen Hauptschul-, 45 % einen Realschulab­ schluss und 9 % die Hochschulreife. Rund die Hälfte der Befragten wieder­ holte eine, 12 % sogar zwei Klassen. Etwa drei Viertel gaben an, die Schule geschwänzt zu haben.1078 Manche der schulischen Probleme stehen im Zusammenhang mit dem Einstieg in die Hooligan-Szene, denn der hohe zeitliche Aufwand, den szeneinterne Aktivitäten mit sich bringen, kann mit schulischen Anforderungen kollidieren.1079 Mit Ausnahme von zwei Interviewten begannen in der Studie von Lösel et al. alle eine Lehre. Rund zwei Drittel beendete sie erfolgreich, etwa ein Drittel brach sie ab. Nur rund 6 % der Befragten blieben ohne Berufs­ ausbildung.1080 Die von den Hooligans ausgeübten Berufe weisen ein brei­ tes Spektrum auf: Bank- oder Verwaltungsangestellte, selbstständige Klein­ unternehmer, Kaufmänner, Handwerker (z.B. Betonbauer, Installateure, Maler, Mauerer, Mechaniker) und, nach Absolvieren entsprechender Stu­ diengänge (z.B. Rechtswissenschaft, Lehramt), akademische Berufe.1081 Die Quote der Arbeitslosen in der Hooligan-Szene scheint vergleichbar mit

1076 Bodin/Javerlhiac/Héas, Déviance et Société 2013, 5, 16; Böttger, Gewalt und Biographie, S. 247. 1077 Vgl. B. IV. 3. b) bb) aaa) ffff). 1078 Vgl. Lösel et al., Hooliganismus in Deutschland, S. 101 ff. 1079 Lösel et al., Hooliganismus in Deutschland, S. 101. 1080 Lösel et al., Hooliganismus in Deutschland, S. 102 f. 1081 Bodin/Javerlhiac/Héas, Déviance et Société 2013, 5, 15; Eckert et al., Diskurs 1998, 72, 75; Farin, generation-kick.de, S. 175 ff.; Lösel et al., Hooliganismus in Deutschland, S. 102; Pilz, Fußball ist unser Leben?!, S. 57; Steinmetz, Außerall­ täglichkeit und Grenzerfahrung im Kontext von Gewalt, S. 258.

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III. Wesentliche Charakteristika der Hooligan-Szene

der der Gesamtgesellschaft1082 bzw. der betreffenden Bundesligastadt1083 zu sein. Hooligans beabsichtigen nicht, durch ihre Zugehörigkeit zur HooliganSzene ihre beruflichen Karrieren zu gefährden. Sie orientieren sich statt­ dessen an „legalen“ Karrieren.1084 Die berufliche Zukunftsorientierung der Hooligans zeigt somit in Richtung gesellschaftlicher Etablierung und lässt eine Rationalisierung ihres Handelns erkennen, indem sie sich des Etiket­ tierungspotenzials und der möglichen Folgen einer Zugehörigkeit zur Hooligan-Szene bewusst sind. Hooligans geben an, gesellschaftliche und religiöse Bräuche (z.B. Taufe, Konfirmation, Hochzeit) zu akzeptieren und selbst auszuüben. Diese Befunde geben Hinweise darauf, dass Hooligans am szeneexternen Leben orientiert und darin verankert sind.1085 Es lässt darauf schließen, sie strebten eine gesellschaftliche Integration an, die z.B. beinhaltet, eine Familie zu gründen, Kinder zu haben oder ein Haus zu bauen.1086 Die bisherigen Ausführungen bezogen sich auf männliche Hooligans. Empirische Erkenntnisse zu Schul- und Berufsausbildungen sowie ausge­ übten Berufen weiblicher Mitglieder der Hooligan-Szene sind spärlich. Nach einer von Pilz durchgeführten Studie besuchen sie häufig das Gym­ nasium und verfügen überwiegend über eine bessere Ausbildung als die männlichen Gruppenmitglieder.1087 Die vorgestellten Erkenntnisse zu den Schul- und Berufsausbildungen der Hooligans sowie den von ihnen ausgeübten Berufen zeigen eine hohe Heterogenität auf und sind als Spiegelbild der Gesellschaft zu werten. Eine Orientierung am Aufbau einer beruflichen Zukunft und Karriere, mithin an szeneexternen Kontexten und an traditionellen Geschlechterrollenbil­ dern ist ebenfalls sichtbar.

1082 Farin, generation-kick.de, S. 175 ff.; König, Fankultur, S. 82 f.; Wehrum, Deut­ sches Polizeiblatt 1990, 21, 22. 1083 Ek, Hooligans, S. 73 in Fn. 240. 1084 Eckert et al., Diskurs 1998, 72, 75 f. 1085 Vgl. dazu näher Schütz/Luckmann, Strukturen der Lebenswelt, S. 27 ff. 1086 Steinmetz, Außeralltäglichkeit und Grenzerfahrung im Kontext von Gewalt, S. 257. 1087 Pilz, Mädchen und junge Frauen in gewaltbereiten rechten Fußballszenen, S. 48.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

c) Äußeres Erscheinungsbild Hooligans bevorzugen seit jeher modische und teure Marken- und De­ signerbekleidung.1088 In den 1970er Jahren trugen sie z.B. Doc-MartensStiefel, welche damals v.a. von den Werftarbeitern in England getragen wurden, was auf eine enge Verbindung der frühen englischen Hooligans mit dem Arbeitermilieu, dem sie entstammten, schließen lässt.1089 In jün­ gerer Zeit werden v.a. folgende Bekleidungsmarken genannt: Blue System, Chevignon, Chiemsee, High-Tech, Hugo Boss, Lacoste, New Balance, Ni­ ke, Reebok, Replay, Tommy Hilfiger und Ralph Lauren.1090 Szeneintern besteht zum Teil die Erwartung, über einen gewissen materiellen Wohl­ stand zu verfügen, denn während körperlichen Auseinandersetzungen sind teure Kleidung bestimmter Marken als Statussymbole zu tragen.1091 Auf den ersten Blick erscheinen diese Erwartungen paradox, denn die Kleidungsstücke sind oftmals nach einmaligem Tragen während körperli­ chen Auseinandersetzung aufgrund von Beschädigung oder Zerstörung unbrauchbar.1092 Im Tragen teurer Kleidung kann jedoch Corti zufolge der Versuch gesehen werden, die von der Gesellschaft aufgestellten Normen des gutbürgerlichen, teuer gekleideten und netten jungen Menschen zu verspotten oder nicht ernst zu nehmen.1093 Das äußere Erscheinungsbild der Hooligans ermöglicht zudem, sich von anderen Fans optisch abzugrenzen.1094 Hooligans tragen in der Regel auch keine Kleidungsstücke oder Accessoires bei sich, die offensichtlich auf einen favorisierten Verein schließen lassen. Der Vorteil des insgesamt eher unauffälligen und teuren Kleidungsstils der Hooligans besteht darin, sich möglichst der Aufmerksamkeit der Polizei und anderen Sicherheits­ kräften wie den privaten Ordnungsdiensten zu entziehen. Hooligans sind so schwieriger vor, während und nach einem Fußballspiel dem Hooliga­

1088 Ferchhoff, Jugend und Jugendkulturen im 21. Jahrhundert, S. 194; Findei­ sen/Kersten, Der Kick und die Ehre, S. 139; Wehrum, Deutsches Polizeiblatt 1990, 21, 23. 1089 Girtler, Beiträge zur historischen Sozialkunde 1992, 91, 95. 1090 Vgl. Corti, Darstellung des Phänomens Hooligans, S. 7; Ek, Hooligans, S. 77. 1091 Böttger, Gewalt und Biographie, S. 247; Tessmer, Deutsches Polizeiblatt 2001, 6, 9. 1092 Vgl. Böttger, Gewalt und Biographie, S. 247. 1093 Corti, Darstellung des Phänomens Hooligans, S. 7. 1094 Benke/Utz, Kriminologisches Journal 1989, 85, 92 f.; Köthke, Deutsches Polizei­ blatt 2001, 10, 11; Krahm, Polizeiliche Maßnahmen zur Eindämmung von Hooligangewalt, S. 57; Tessmer, Deutsches Polizeiblatt 2001, 6, 9.

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III. Wesentliche Charakteristika der Hooligan-Szene

nismus zuordenbar, denn einem derart Gekleideten ist es verhältnismäßig unauffällig möglich, sich in der Menschenmenge zu bewegen und darin abzutauchen. Das Risiko, entdeckt oder leicht erkennbar kategorisiert zu werden, ist somit durch die Wahl der Kleidung und des äußeren Erschei­ nungsbildes minimiert.1095 d) Nutzung von Rauschmitteln Hooligans selbst geben an, während körperlichen Auseinandersetzungen oftmals nüchtern zu sein. Wenn sie vorher oder währenddessen Alkohol konsumieren würden, erfolgt dies ihren Bekundungen nach in nur mode­ raten Mengen, um die Kampffähigkeit und Treffsicherheit nicht zu gefähr­ den und um einen kühlen, klaren Kopf bewahren zu können.1096 Die Polizei misst hingegen dem Alkoholkonsum eine wichtige Rolle zu, da er aggressionsfördernde und die Hemmschwelle herabsetzende Wirkung hat.1097 Nach körperlichen Auseinandersetzungen geben Hooligans an, Alkohol zu konsumieren, um erfolgreiche wie erfolglose Ausgänge zu feiern.1098 Nach einer Ansicht konsumieren Hooligans Drogen, um für die fights gewappnet zu sein.1099 Innerhalb der Hooligan-Szene wird v.a. der Kon­ sum von eher aufputschenden Substanzen wie Kokain, Ecstasy und Speed beobachtet.1100 Als Begründung für deren Konsum wird mitunter angege­ ben, über die szeneinternen Entwicklungen frustriert zu sein, z.B. weil aus ihrer Perspektive die Grundsätze des Ehrenkodex weniger beachtet werden. Zum Teil wird es aber auch als chic oder sogar alltäglich erach­ tet, Drogen zu konsumieren. Weitere Begründungen für den Konsum 1095 Vgl. auch Corti, Darstellung des Phänomens Hooligans, S. 8; Krahm, Polizeili­ che Maßnahmen zur Eindämmung von Hooligangewalt, S. 57; Wehrum, Deut­ sches Polizeiblatt 1990, 21, 23; Tessmer, Deutsches Polizeiblatt 2001, 6, 9. 1096 Ferchhoff, Jugend und Jugendkulturen im 21. Jahrhundert, S. 194; Hughson, Journal of Sport and Social Issues 2000, 8, 11; Illi, soz:mag 2005, 6, 8; KettStraub, Neue Kriminalpolitik 2012, 98, 102; Kraft, Die Bekämpfung der Gewalt im Umfeld des Sports, S. 75, 142; Wehrum, Deutsches Polizeiblatt 1990, 21, 23; Tessmer, Deutsches Polizeiblatt 2001, 6, 9. 1097 Deusch, Gefahrenabwehr, S. 42. 1098 Hainz et al., Fußball und Gewalt, S. 36; Kirsch, Gewalt bei sportlichen Großver­ anstaltungen, S. 97. 1099 Köthke, Deutsches Polizeiblatt 2001, 10, 11. 1100 Kett-Straub, Neue Kriminalpolitik 2012, 98, 102; Meier, Hooliganismus in Deutschland, S. 62.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

von Drogen liegen in deren Wirkungsweise, die Schmerzempfindlichkeitsschwelle herabsetzen zu können, denn so kann trotz einer Verletzung so­ fort weitergekämpft werden.1101 In der von Steinmetz untersuchten Hooli­ gan-Gruppe gab es alkohol- und drogenabhängige Mitglieder, allerdings wurde dies von den befragten Gruppenmitgliedern heruntergespielt.1102 Hooligans selbst geben an, das körpereigene Adrenalin1103 zu nutzen, um konzentriert und kampffähig zu bleiben. Von Seiten der Polizei wird dies nur bei einer kleinen Anzahl von Hooligans beobachtet.1104 Insofern ist denkbar, bei den Hooligans handelt es sich im Hinblick auf das Nutzen von Rauschmitteln und das Negieren einer Sucht um ein spiegelbildliches Abbild der Gesellschaft. Empirische Erkenntnisse zum Konsum legaler oder illegaler Rauschmittel weiblicher Mitglieder der Hooligan-Szene sind nicht vorfindbar. e) Nutzung von Waffen Grundsätzlich gestattet der Ehrenkodex nicht, Waffen bei körperlichen Auseinandersetzungen einzusetzen.1105 Dennoch werden bei körperlichen Auseinandersetzungen zum Teil Gegenstände wie (angeschliffene) Gürtel(schnallen), Regenschirme, (Ziegel-)Steine, Latten, Leuchtraketen ebenso wie Flaschen, Wurfpfeile, Schlagringe, Golf- oder Baseballschläger sowie präparierte (Quarz-)Handschuhe eingesetzt.1106 In der nicht repräsentativen Studie von Lösel et al. belief sich der Anteil der waffeneinsetzenden Hooligans auf ein Drittel. Sie räumen den damit einhergehenden Bruch des Ehrenkodex ein. Der Einsatz von Waffen ist dabei recht unabhängig von der jeweiligen Position in der gruppeninter­

1101 Ek, Hooligans, S. 142. 1102 Steinmetz, Außeralltäglichkeit und Grenzerfahrung im Kontext von Gewalt, S. 258; s.a. Eckert et al., Diskurs 1998, 72, 75. 1103 Vgl. zur Wirkungsweise von Adrenalin Ek, Hooligans, S. 77 f.; Kirsch, Gewalt bei sportlichen Großveranstaltungen, S. 96 f.; Penzlin, Lehrbuch der Tierphy­ siologie, S. 105 f. 1104 Ek, Hooligans, S. 77 f.; Kirsch, Gewalt bei sportlichen Großveranstaltungen, S. 96 f. 1105 Vgl. C. III. 2. 1106 Dunning, Sport als Männerdomäne, S. 492; Farin, generation-kick.de, S. 176; Girtler, Randkulturen, S. 111; Girtler, Beiträge zur historischen Sozialkunde 1992, 91, 95; Lösel et al., Hooliganismus in Deutschland, S. 126; Spoenle, NStZ 2011, 552, 552.

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III. Wesentliche Charakteristika der Hooligan-Szene

nen Hierarchie festzustellen.1107 Andere Hooligans sind der Ansicht, bei szeneinternen körperlichen Auseinandersetzungen sollten keine Waffen eingesetzt werden, denn das zeichne v.a. schwache und ängstliche Gegner aus, denen es an Kampffähigkeit mangelt.1108 Ein von Böttger interviewter Hooligan gab an, Angst zu haben, beim Waffeneinsatz den Gegner verse­ hentlich zu töten.1109 Der Verzicht auf den Einsatz von Waffen begründet sich auch mit der Angst, sie könnten ihnen bei Polizeikontrollen vor und in unmittelbarer Nähe zu Fußballspielen weggenommen werden.1110 Die­ se Angst kann jedoch nur bei Hooligans bestehen, die noch ins Stadion ge­ hen. Bei den Hooligans, die sich an entlegenen Orten1111 treffen, dürfte die Gefahr derartiger Polizeikontrollen im Vorfeld geringer sein. f) Politische Einstellungen und Verbindung zu anderen Gruppen Nach Weis et al. war die Hooligan-Szene bis zum Ende der 1990er Jahre nicht politisch, obwohl sie eine „historische Anfälligkeit für neonazisti­ sches Gedankengut“1112 aufweise. Damals zeichnete sich wohl die Mög­ lichkeit des zumindest teilweisen Eintretens der Hooligan-Szene in den politischen Straßenkampf auf beiden Seiten des politischen Extremismus ab.1113 Bereits in den 1980er Jahren wird von einem „Schulterschluss“ der „Borussenfront“ aus Dortmund mit Neonazis berichtet.1114 Andere Stim­ men unterscheiden um das Ende der 1980er Jahre und den Beginn der 1990er Jahre zwischen Ost- (bzw. DDR) und Westdeutschland: Im Osten Deutschlands seien Hooligans nie links, sondern eher rechts orientiert gewesen, weil dies eine Möglichkeit darstellte, wie der antifaschistische Staat provoziert werden konnte.1115 Nach der Einschätzung von Steinmetz ist die politische Orientierung und Einstellung uneindeutig, da die von ihr befragten Hooligans bekun­

1107 Lösel et al., Hooliganismus in Deutschland, S. 126. 1108 Böttger, Gewalt und Biographie, S. 244; Giulianotti/Armstrong, Social Anthropo­ logy 2002, 211, 217 f. 1109 Böttger, Gewalt und Biographie, S. 244. 1110 Böttger, Gewalt und Biographie, S. 245. 1111 C. III. 1. 1112 Weis/Alt/Gingeleit, Sondergutachten, S. 591. 1113 Weis/Alt/Gingeleit, Sondergutachten, S. 591. 1114 Gabriel, Eine Fankurve ohne Nazis und Rassisten, S. 6 f. 1115 Farin, generation-kick.de, S. 179.

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den, Politik habe „keinerlei Relevanz für ihr persönliches Leben“.1116 Stein­ metz zufolge lässt sich bestenfalls eine latente rechte Orientierung vermu­ ten, da Aussagen über Politik unverbindlich und offen bleiben und keiner der von ihr Befragten mit einer radikalen Position sympathisiert.1117 Den­ noch wird mancherorts von einer Zweckgemeinschaft zwischen Hooligans und Skinheads oder anderen rechtsextremistischen Gruppen ausgegangen, denn der Fußballsport kann eine eigene Erlebniswelt konstituieren, die sich mit bestimmten politischen, insbesondere rechtsextremistischen Ein­ stellungen verbinden lässt. Der erwartete Eventcharakter im Umfeld von Fußballspielen könnte möglicherweise auf sie anziehend wirken.1118 Auch rechtsextremistischen Einstellungen ist ein gewisser Männlichkeitskult im­ manent, der sich im Stadion auf den Rängen Bahn brechen kann. So­ wohl Hooliganismus als auch Rechtsextremismus enthalten Ideen, die an Mannschaftsgeist, Kameradschaft und Gemeinschaft anknüpfen.1119 Die Mitte der 2010er Jahre kurzzeitig bestandene Aktionsgruppe „Hooligans gegen Salafisten“, mit Querverbindungen zwischen Personen, die dem Hooliganismus, dem Rechtsextremismus oder islamfeindlichen Positionen anhingen,1120 verdeutlicht das mögliche Zusammenschließen solcher Per­ sonen(gruppen). In diese Richtung verweisen auch übereinstimmend die letzten bei­ den ZIS-Jahresberichte 2019/20 und 2020/21, wonach es weiterhin nur eine „vergleichsweise geringe Schnittmenge mit dem rechtsmotivierten Bereich“1121 gibt, wie sich aus der Entwicklung der Straftaten ergibt, die auf eine „rechtsorientierte Gesinnung hinweisen“,1122 wie z.B. § 86a StGB. Laut ZIS-Jahresbericht 2019/20 werden „in deutschen Fußballstadien straf­ bewehrte, rechtsmotivierte Tathandlungen nur in geringer Anzahl zur An­

1116 Steinmetz, Außeralltäglichkeit und Grenzerfahrung im Kontext von Gewalt, S. 266. 1117 Steinmetz, Außeralltäglichkeit und Grenzerfahrung im Kontext von Gewalt, S. 266. 1118 Pilz, Fußball ist unser Leben?!, S. 56; Wippermann, jugend & GESELLSCHAFT 2001, 4, 7. 1119 Harnischmacher, Die Kriminalpolizei 2006, 50, 52; Geisler/Gerster, Fußball als Extrem-Sport, S. 469 ff., 480 ff. 1120 Duben, Hooligans gegen Salafisten, S. 15 ff.; Claus, Mundschutz, Auswärtsfahrt und Einbauküche, S. 121 f., 128 ff. 1121 ZIS Jahresbericht 2019/20, S. 12, 2020/21, S. 10. 1122 ZIS Jahresbericht 2019/20, S. 12, 2020/21, S. 10.

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III. Wesentliche Charakteristika der Hooligan-Szene

zeige gebracht“;1123 im Berichtszeitraum 2020/21 waren es insgesamt vier Verfahren.1124 Nach Auskunft der Bundesregierung können nur durch aufwändige, komplexe Datenabgleiche „Aussagen zu Beziehungen zwischen politisch rechts motivierten Straftaten und Störern oder Straftätern im Zusammen­ hang mit Fußball“1125 getroffen werden; Aussagen „zu einem möglichen rechtsextremen Hintergrund der ‚Gewalttäter Sport‘ bzw. zu deren poten­ ziellen Zugehörigkeit zur rechten Szene [sind] der Polizei nicht abschlie­ ßend möglich“.1126 Informationen zu einer rechten Tatmotivation der gespeicherten Person oder zu politisch rechts motivierten Straftaten ge­ ben drei verschiedene Dateien, nämlich die INPOL-Fall Innere Sicherheit (IFIS) – Az. „rechts“, die INPOL – Marker ermittlungsunterstützender Hinweis (EHW) „rechtsmotiviert“ und die Gewalttäterdatei „rechts“.1127 Der Großteil, nämlich rund 92 % der zum Stichtag 12.06.2017 in der Datei „Gewalttäter Sport“ gespeicherten Personen hat in den drei anderen Dateien keine Eintragungen; im Umkehrschluss lagen 2017 bei rund 8 % der gespeicherten Personen gleichzeitig eine oder mehrere Eintragungen in den anderen drei Dateien vor.1128 Die ZIS-Jahresberichte richten ebenfalls ihre Aufmerksamkeit auf politi­ sche Motivationen. Wie in Vorjahren wurde auch in der Saison 2020/21 ein Datenabgleich mit dem INPOL-Bestand mit dem Ziel getätigt, „die Schnittmenge der dort erfassten Angehörigen der Fußballstörerszenen (‚Gewalttäter Sport‘) aller Fußballligen mit Angehörigen der politisch mo­ tivierten Szenen erhoben.“1129 Dabei wurde festgestellt, dass von den in der Datei „Gewalttäter Sport“ Erfassten circa 1,9 % (etwa 140 Person) dem rechts- und etwa circa 1,3 % (etwa 95 Personen) dem linksmotivierten Bereich zuzuordnen sind;1130 die Zahlen beider Bereiche sind im Vergleich zur Saison 2019/20 geringfügig rückläufig.1131 Insofern bestehen, wenn auch nicht besonders umfangreich, erfasste personelle Übereinstimmun­ gen mit dem politisch rechts und links motivierten Lager. Dabei handelt

1123 ZIS Jahresbericht 2019/20, S. 13. 1124 ZIS Jahresbericht 2020/21, S. 10: Es bezieht sich auf alle erfassten Spiele der beiden Bundesligen und der 3. Liga. 1125 BT-Drs. 18/13068, S. 2. 1126 BT-Drs. 18/13068, S. 2. 1127 BT-Drs. 18/13068, S. 2. 1128 BT-Drs. 18/13068, S. 2 f. 1129 ZIS-Jahresbericht 2020/21, S. 10. 1130 ZIS-Jahresbericht 2020/21, S. 10. 1131 ZIS-Jahresbericht 2019/20, S. 12, 2020/21, S. 10.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

es sich allerdings nur um die in den entsprechenden INPOL-Dateien erfassten Personen. Von einem nicht näher bezifferbaren, aber darüber hinaus gehenden Dunkelfeld ist auszugehen. Weitere Querverbindungen der Hooligan-Szene bestehen zum „allge­ meinen kriminellen Milieu“, zum Drogenhandel, zu Rockern, zur Zuhäl­ ter- und Türsteher-Szene, zum professionellen Kampfsport1132 sowie zur links- oder rechtsextremen Musikszene.1133 Die vorstehenden Erkenntnisse setzen die grundsätzliche Einschätzung der hohen Heterogenität der Personen innerhalb der Hooligan-Szene fort. Hooligans können sowohl unpolitisch als auch politisch, in Richtung des linken oder auch des rechten Spektrums sein. Auch hinsichtlich der Ver­ bindungen zu anderen Szenen zeigt sich die Heterogenität. Eine Zwangs­ läufigkeit der Querverbindungen zwischen den einzelnen Szenen besteht indes nicht. Diesbezüglich stellt sich die Hooligan-Szene eher als ein Zerr­ spiegel dar; hinsichtlich der politischen Ansichten hingegen ist, so wie in der Gesamtgesellschaft, eine weite Spanne der Ansichten zu finden. g) Fazit Das Phänomen des Hooliganismus und seine Mitglieder erscheinen eher als Zerrspiegel denn als Spiegelbild der Gesellschaft, insbesondere da das Geschlechterverhältnis innerhalb der Hooligan-Szene nicht dem der Ge­ samtgesellschaft entspricht. Die in der Hooligan-Szene befindlichen Perso­ nen weisen in den erörterten Themenbereichen eine große Heterogenität auf. Da bislang zu wenig empirisch gesichertes Wissen zu den in der Hoo­ ligan-Szene befindlichen weiblichen Personen hinsichtlich ihrer persönli­ chen Merkmale, Erkenntnisse zu ihren Herkunftsfamilien, Erziehungssti­ len, Schulbildungen, ausgeübten Berufen, politischen Einstellungen, zu ihrer Nutzung von Rauschmitteln und Waffen sowie ihrer Wahrnehmung des szeneinternen Ehrenkodex existiert, ist hier weitere Forschung not­ wendig. Die vorliegende Arbeit leistet hierzu einen Beitrag und stellt im empirischen Teil nicht nur die gewonnenen Erkenntnisse zu den eben ge­ 1132 Vgl. auch BT-Drs. 19/23365. 1133 Lösel et al., Hooliganismus in Deutschland, S. 76; LT Baden-Württemberg-Drs. 13/1535, S. 4. Die Hooligans des FC St. Pauli weisen eine signifikant stärkere Verbindung zur linken Szene auf, Lösel et al., Hooliganismus in Deutschland, S. 76. Auch die Hooligans von BSG Chemie Leipzig sind weit im linken Spektrum zu verorten, vgl. Duben, Herausforderungen der (Extremismus-)Prä­ ventionsarbeit in Fußballfanszenen, S. 693.

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nannten Themenbereichen vor, sondern auch zu weiteren Eigenschaften, Einstellungen und zu (zugeschriebenen) Geschlechterrollenbildern sowohl der männlichen als auch der weiblichen Mitglieder der Hooligan-Szene. 5. Anlassbezogene Delikte Der folgende Abschnitt befasst sich mit anlassbezogenen Delikten im Kon­ text des Hooliganismus. a) Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze und Datei „Gewalttäter Sport“ Nachdem die Einrichtung der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) auf der Innenministerkonferenz 1991 in Bonn beschlossen wurde, begann sie am 03.02.1992 ihre Arbeit.1134 Das „Ziel der ZIS sowie aller anderen beteiligten Polizeibehörden und Netzwerkpartnern ist es, anlass­ bezogene Störungen bei Sportveranstaltungen, insbesondere bei Fußball­ spielen, zu minimieren“.1135 Die ZIS ist für das gesamte Bundesgebiet beim Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen angesiedelt, da es in die­ sem Bundesland die meisten Bundesligavereine gibt und deshalb dort mit dem höchsten Informationsaufkommen zu rechnen ist.1136 Alle 16 Bun­ desländer verfügen über eigene Landesinformationsstellen Sporteinsätze (LIS), die in ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich Informationen sammeln und anschließend an die ZIS weiterleiten, die diese Daten wiederum sam­ melt, analysiert, bewertet und aufbereitet.1137 Die Zuständigkeit der ZIS erstreckt sich neben der polizeilichen Analyse von inländischen Sportver­ anstaltungen auf internationale Sportereignisse mit Beteiligung deutscher Teams.1138

1134 Ek, Hooligans, S. 117. 1135 ZIS-Jahresbericht 2020/21, S. 2. Damit ist das Ziel im Vergleich zu den Vorjah­ ren, vgl. statt aller: ZIS-Jahresbericht 2019/20, S. 2, erweitert, denn darin fand sich nur die Nennung von Fußballspielen ohne die Kategorie der Sportveran­ staltungen. 1136 Halm, Gewalt im Bereich Sport, S. 197; Kant, Bürgerrechte & Polizei 2006, 29, 29. 1137 ZIS-Jahresbericht 2019/20, S. 2, 2020/21, S. 2; Kant, Bürgerrechte & Polizei 2006, 29, 30. 1138 Kant, Bürgerrechte & Polizei 2006, 29, 30.

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Vom BKA bzw. der ZIS wird auch die Datei „Gewalttäter Sport“,1139 eine INPOL-1140 und Verbunddatei – heute nach Maßgabe der § 29 I bis V BKAG betrieben –, deren Errichtung am 03.05.1991 auf der Innenminister­ konferenz beschlossen wurde. Die Rechtsgrundlage hierfür waren damals §§ 7 I, 8 I, II, IV, V, 9 BKAG i.V.m. der gem. § 34 BKAG erlassenen Errichtungsanordnung der Datei „Gewalttäter Sport“,1141 wonach folgen­ de Stellen Daten eingeben und abrufen dürfen: „die Polizeibehörden so­ wie -dienststelle, in deren Zuständigkeitsbereich der speicherungswürdige Sachverhalt festgestellt wurde (Tatortprinzip), weiterer Polizeibehörden nach Festlegung auf Landesebene, die Bundespolizeiämter“,1142 die LIS der einzelnen Bundesländer, „die Informationsstellen Sport der Bundespolizei­ präsidien, die ZIS, die Bundespolizeidirektion.“1143 Zum Kreis der abfrage­ berechtigten Stellen kommen noch das „[BKA], alle Polizeibehörden der Länder sowie die Dienststellen der Bundespolizei“1144 hinzu. Lange währte ein Streit um die Verfassungsmäßigkeit der Datei „Gewalt­ täter Sport“.1145 Dieser Streit erledigte sich 2010 durch Inkrafttreten einer legitimierenden Rechtsverordnung.1146 Welche Daten und wie viele Perso­

1139 Die Datei „Gewalttäter Sport“ war Vorbild für weitere Dateien: „Rechtsmoti­ vierte Gewalt“, „Linksmotivierte Gewalt“ und „Gewalttäter politisch motivier­ te Ausländerkriminalität“, vgl. BT-Drs. 16/13319, S. 1 ff.; Bußmer, Terroristen­ dateien, S. 331. 1140 INPOL-neu steht für Informationssystem der Polizei; es handelt sich um einen Verbund von Datenbanken etwa des BKA, der BPol, Mittendorf, INPOL, S. 134 ff. 1141 BT-Drs. 16/5549, S. 2; LT Brandenburg-Drs. 4/3572, S. 2. 1142 BT-Drs. 16/5549, S. 2. 1143 BT-Drs. 16/5549, S. 2. 1144 BT-Drs. 16/5549, S. 2. 1145 Vgl. ausführlich zur rechtlichen Einordnung der Datei „Gewalttäter Sport“, Datenerhebungsmaßnahmen, allgemeinen und besonderen Voraussetzungen der Datenverwendung, Kehr, Datei Gewalttäter Sport, S. 56 ff. 1146 Hintergrund war die Frage, ob es für die Zulässigkeit der Einrichtung und des Betriebs ausreichend ist, dass sich die alleinige gesetzliche Regelung im BKAG findet oder ob es stattdessen nicht einer darüberhinausgehenden Rechtsver­ ordnung bedürfe, die Anlass und Umfang der gespeicherten Daten regelt. Anlässlich einer Verpflichtungsklage auf Löschung von Daten aus der Datei „Gewalttäter Sport“ hätte das Bundesverwaltungsgericht diesen Streit entschei­ den können. Im Mai 2010 legte das Bundesministerium des Inneren die ent­ sprechende Rechtsverordnung vor, im Juni 2010 stimmte der Bundesrat zu. Sie trat am Tag der mündlichen Verhandlung zu dieser Verpflichtungsklage in Kraft, weshalb die Klage abgewiesen wurde; vgl. z.B. Arzt, NJW 2011, 352, 352 ff.; BVerwG, Urt. v. 09.06.2010 – 6 C 5/09 (OVG Lüneburg), NJW 2011, 405, 405 ff.

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nen in der Datei „Gewalttäter Sport“ gespeichert werden, sorgt immer wie­ der für Diskussionen: Zum Stichtag 05.07.2005 waren ca. 6.200 Personen in der Datei „Gewalttäter Sport“ gespeichert,1147 zum 12.11.2006 bereits 9.399 Personen.1148 Am 12.12.2016 waren 10.907 Personen gespeichert,1149 am 18.06.2018 10.353,1150 am 10.10.2018 10.1001151 und am 05.01.2021 nur noch 7.910 Personen.1152 Gründe für diese jüngste Abnahme könnte die seit März 2020 in Deutschland bestehende Covid-19-Pandemie sein, die zeitweise zu weniger Fußballspielen als sonst in der Saison üblich und damit auch zu weniger Zuschaueraufkommen, Tatgelegenheiten, Speiche­ rungsanlässen oder -gründen führte. Bei den 10.100 gespeicherten Personen im Oktober 2018 gab es 13.415 Speicherungsgründe, da Mehrfacheinträge möglich sind.1153 Allein etwa 3.700 Einträge entfallen auf Landfriedensbruch (§ 125 StGB). Der zweit häufigste Speicherungsgrund ist mit etwa 1.110 ein Platzverweis, knapp gefolgt vom Tatverdacht der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 StGB) und (einfachen) Körperverletzung (§ 223 StGB). Mit jeweils etwa rund 840 Einträgen folgen die Ingewahrsamnahme und die Personalien­ feststellung.1154 Besonders augenfällig ist die nur ein Mal erwähnte Nen­ nung des Speicherungsgrunds der Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 StGB), ebenso oft wie Mord, Gefährdung des Straßenverkehrs und das Sicherstellen von Waffen.1155 Die genaue Aufschlüsselung der Speicheranlässe ist erstmals einer Anla­ ge zu einer Bundestagsdrucksache aus dem Juni 2018 zu entnehmen,1156 mithin über 25 Jahre nach Errichtung der Datei „Gewalttäter Sport“. Ein Eintrag in die Datei „Gewalttäter Sport“ erfordert nicht das Vorausgehen einer tatsächlichen gewalttätigen Handlung, sondern es reicht bereits eine Feststellung der Personalien.1157 Es ist jedoch nicht ersichtlich und auch eine dahingehende Auswertung der Datei „Gewalttäter Sport“ ist nicht 1147 1148 1149 1150 1151 1152 1153 1154

Kant, Bürgerrechte & Polizei 2006, 29, 31 f. BT-Drs. 16/5549, S. 2. BT-Drs. 18/10908, S. 2. BT-Drs. 19/3009, S. 2. BT-Drs. 19/5195, S. 2. BT-Drs. 19/25900, S. 17. BT-Drs. 19/5195, S. 2. BT-Drs. 19/5195, S. 2. Die dort zu findende Tabelle gibt Auskünfte zu weiteren Speicherungsgründen, deren Rechtsgrundlage und die jeweiligen Anzahlen der Speicherungen. 1155 BT-Drs. 19/5195, S. 2. 1156 Vgl. BT-Drs. 19/3009, S. 10. 1157 Vgl. BT-Drs. 19/1951, S. 1.

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möglich, ob gegen die in der Datei gespeicherte Person überhaupt ein Er­ mittlungsverfahren eröffnet oder ob sie wegen des Speicherungsgrundes rechtskräftig verurteilt wurde. Nach zustimmungsbedürftiger Ansicht ist die Aussagekraft über das tatsächliche „Störer“-Potenzial der in der Datei „Gewalttäter Sport“ gespeicherten Personen zweifelhaft, da sie auf einer in­ transparenten empirischen Grundlage basiert.1158 Aus Sicht der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN wäre es für die Polizeibehörden ein besseres Mittel, um geeignete und zielgerichtete Maßnahmen im Kontext des Fuß­ balls treffen zu können, wenn es eine Datei gäbe, in welcher „nur tatsäch­ lich verurteilte Gewalttäterinnen und Gewalttäter und insbesondere auch rechtsextreme Hooligans gespeichert sind.“1159 Mit der Umsetzung dieses zustimmungsbedürftigen Vorschlags wäre das Ausmaß der Gewalt im Zu­ sammenhang mit Fußballspielen transparenter und nachvollziehbarer. In diese Richtung weisen auch datenschutzrechtliche Bedenken:1160 Selbst bei einer Einstellung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nach § 170 II StPO verbleiben die personenbezogenen Daten in der Datei „Gewalttäter Sport“. Diese Vorgehensweise steht nicht mit dem in § 35 III 3 BPolG ver­ ankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Einklang.1161 Zudem könnte es auch gegen das in Art. 2 I GG verankerte Recht auf informationelle Selbst­ bestimmung verstoßen. Die gesammelten Daten werden v.a. im Vorfeld von sportlichen Großveranstaltungen für polizeiliche Maßnahmen (z.B. Ausreiseverbote, Meldeauflagen, Gefährderansprachen) genutzt.1162

1158 Vgl. BT-Drs. 19/1951, S. 1 ff. 1159 Vgl. BT-Drs. 19/1951, S. 1. 1160 Der Koalitionsvertrag 2021–2025 der aus SPD, Bündnis 90/DIE GRÜNEN und FDP gebildeten sog. „Ampelkoalition“ greift diese Bedenken auf und gibt an, die „Datei ‚Gewalttäter Sport‘ in Hinblick auf Rechtsstaatlichkeit, Löschfris­ ten, Transparenz und Datenschutz [zu reformieren]“ (Koalitionsvertrag, S. 90). Die Bundesregierung sieht nach einer Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU – Drucksache 20/1152 – im April 2021 „den Bedarf einer kritischen Überprüfung und, wo erforderlich, einer Anpassung der Rege­ lungen der „Datei Gewalttäter Sport“ (BT-Drs. 20/1359, S. 7). Das Ergebnis der Überprüfung und ggf. erfolgende Anpassungen stehen noch aus (BT-Drs. 20/1359, S. 7). 1161 BT-Drs. 16/4950, S. 74. 1162 Kant, Bürgerrechte & Polizei 2006, 29, 32.

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b) Paradigmatische Darstellung eines Spieltags Anhand der paradigmatischen Darstellung eines Spieltages erfolgt nun die kursorische Vorstellung der einzelnen anlassbezogenen Delikte, auch wenn manche körperlichen Auseinandersetzungen spieltagsunabhängig stattfinden.1163 Die ZIS-Jahresberichte stellen insofern das Hellfeld dar, aber es ist von einem weit größeren Dunkelfeld auszugehen, da es dem szeneinternen Ehrenkodex widerspräche, die bei körperlichen Auseinan­ dersetzungen erlittenen Verletzungen anzuzeigen.1164 Der im Kontext der vorliegenden Arbeit wichtigste Kritikpunkt an den ZIS-Jahresberichten ist, dass sie die Daten nicht nach Geschlecht differenziert ausweisen. Des­ halb kann nicht differenziert werden, ob es sich beispielsweise bei den Tatbeteiligten oder Störern um ausschließlich Männer oder auch um Frau­ en handelt. Dies könnte sich in der in den ZIS-Jahresberichten vorfindbaren Ansicht gründen, dass das in Rede stehende Phänomen „nahezu ausschließlich männlich[e] Personen in einer Altersspanne zwischen 20 und 30 Jahren“1165 betrifft. Die Daten der ZIS-Jahresberichte ermöglichen somit keine auf das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit gerichtete Auswertung. aa) An- und Abreise, im Stadion, Opfer Früher reisten die Hooligans vorwiegend mit dem Zug an. Hierbei kam es v.a. zu Sachbeschädigungen (§ 303 StGB), indem etwa Züge demontiert und Sitze aufgeschlitzt wurden.1166 Es entstanden der Deutschen Bahn pro Fahrt durchschnittliche Sachschäden in fünfstelliger Höhe.1167 Reisen die Hooligans mit dem Zug an, werden sie in der Regel von der Polizei am Zielbahnhof empfangen. Teilweise sehen die Hooligans deshalb von

1163 Vgl. C. III. 1. 1164 So auch Lösel/Bliesener, MschrKrim 2006, 229, 231. 1165 ZIS-Jahresbericht 2019/20, S. 9. Der ZIS-Jahresbericht 2020/21 verweist ohne Änderungen auf diese Erkenntnisse, s. ZIS-Jahresbericht 2020/21, S. 8. Es wäre wünschenswert, in zukünftigen Berichten die Kategorie Geschlecht mitzuerfas­ sen und auszuweisen, so dass ein nach Geschlecht differenzierter Blick auf das Phänomen des Hooliganismus sowie auf das Phänomen der Ultras möglich wäre. 1166 Bernhardt, Polizei-Führungsakademie 1991, 30, 31; Schneider, Vandalismus, S. 30. 1167 Scheidle, Der „B.O.Z. Fan-Express“, S. 171.

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der Anreise mit dem Zug ab und reisen stattdessen wesentlich unauffälliger mit Privatautos oder gemieteten (Klein-)Bussen an, um Sicherheitskräf­ ten und damit einer vorherigen Ingewahrsamnahme ausweichen zu kön­ nen.1168 Bei der Nutzung des öffentlichen Personen(nah)verkehrs werden von den An- und Abreisenden nicht immer die notwendigen Fahrscheine erworben (§ 265a StGB). 1169 Werden bereits vor oder während der Anfahrt – natürlich auch vor oder während der Abreise – Alkohol oder Drogen konsumiert, so macht sich der Fahrer des Pkws gem. § 315c I Nr. 1 lit. a StGB oder subsidiär gem. § 316 StGB strafbar. Hinzu kommen ggf. Ver­ stöße gegen das BtmG. An den Rastplätzen, die auf den Anreisestrecken liegen, kommt es zu Diebstählen (§ 242 StGB), wenn Hooligans anstatt die Getränke und Speisen zu bezahlen, diese lediglich „einstecken“.1170 Nach Eintreffen an den der Polizei bekannten Orten, insbesondere den Bahnhöfen, begleitet die Polizei die Eintreffenden nach dem „Klettenprin­ zip“ bis zum Stadion, um Begegnungen der Rivalisierenden schon vor dem Stadion oder ggf. weitere Sachbeschädigungen zu verhindern.1171 Bei den nach dem „Klettenprinzip“ Begleiteten handelt es sich nicht zwangsläufig um Hooligans, sondern auch um Anhänger anderer Fan-Sze­ nen.1172 Rechtsgrundlage dieser Polizeitaktik sind die Vorschriften in den Landespolizei(aufgaben)gesetzen, die für atypische polizeiliche Maßnahme gelten.1173 Reist eine Person entgegen der gegen sie wirksam erlassenen Passbe­ schränkung aus Deutschland aus, so kann dies eine Strafbarkeit nach § 24 I PassG nach sich ziehen. Über die Anzahl dieser Delikte sind im ZIS-Jahres­ bericht keine Daten zu finden. Sollten die dem hier interessierenden Personenkreis Angehörigen über­ haupt noch ins Stadion gehen, kann bereits mit Betreten des Stadions ein Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) verwirklicht werden, wenn gegen sie vom Hausrechtsinhaber des Stadions ein Stadionverbot erlassen wurde. Werden im Stadion Feuerwerkskörper auf den Rasen oder auf die Tartanbahn

1168 Corti, Darstellung des Phänomens Hooligans, S. 17; Illi, soz:mag 2005, 6, 8; Weigelt, Die Subkultur der Hooligans, S. 102; Wehrum, Deutsches Polizeiblatt 1990, 21, 23. 1169 ZIS-Jahresbericht 2020/21, S. 23. 1170 Gehrmann, Fußballrandale, S. 447. 1171 Deusch, Gefahrenabwehr, S. 63; Nolte, NVwZ 2001, 148, 153. 1172 Meyer, Kriminalistik 1981, 11, 13; Schneider, Vandalismus, S. 30. 1173 Markert/Schmidbauer, Polizeitaktik, S. 53.

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geworfen, so dass ein Schaden entsteht, handelt es sich erneut um die Verwirklichung von § 303 StGB.1174 Treffen die gegnerischen Hooligans im Stadion aufeinander, kommt es zu Diebstählen (§ 242 StGB) oder (schwerem) Raub (§§ 249, 250 StGB), wenn sie sich gegenseitig die Markenkleidung oder Vereins-MerchandiseProdukte, die allerdings nur noch sehr selten bei Hooligans zu finden sind, (gewaltsam) wegnehmen;1175 dies gilt für alle anderen Anhänger anderer Fan-Szenen ebenso. Darüber hinaus kommt es bei verbalen Auseinander­ setzungen zwischen Hooligans und Anhängern anderer Fan-Szenen auch zu Beleidigungen (§ 185 StGB), Bedrohungen (§ 241 StGB) und Nötigun­ gen (§ 240 StGB). Allerdings muss im Zusammenhang mit diesen Delikten die Lehre von der Sozialadäquanz beachtet werden: Danach sind solche Handlungen, die sich im Rahmen dessen bewegen, was in der Szene als normale, geschichtlich gewordene soziale Ordnung angesehen wird, nicht tatbestandsmäßig, selbst wenn sie dem Wortlaut eines bestimmten Tatbe­ standes unterfallen.1176 Hooligans können sich, ebenso wie Anhänger anderer Fan-Szenen, we­ gen (eines besonders schweren Falls des) Landfriedensbruch (§§ 125, 125a StGB) strafbar machen, indem sie etwa durch aufwieglerische, anfeuernde Gesten oder nonverbales Verhalten auf eine die Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise einwirken. Sie können den Tatbestand auch verwirklichen, indem sie aus einer Menschenmenge he­ raus in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise Gewalttätigkei­ ten gegen einen Menschen oder eine Sache ausüben.1177 Waffen werden von Hooligans, aber auch von Anhängern anderer FanSzenen, verwendet. Wer an Sportveranstaltungen oder öffentlichen Veran­ staltungen teilnimmt, darf gem. § 42 WaffG keine Waffen mit sich führen. Wird hiergegen verstoßen, so folgt hieraus die Strafbarkeit nach § 52 III Nr. 9 WaffG. Handelt es sich bei den von den Hooligans oder Anhängern anderer Fan-Szenen im Stadion verwendeten bengalischen Feuern oder Rauch­ bomben um explosionsgefährliche Stoffe i.S.v. § 3 SprengG, so verwirkli­ chen sie §§ 40 I Nr. 3 i.V.m. 27 SprengG. Diese Sprengsätze sind überaus gefährlich, da sie zum Teil von Laien selbst gebastelt werden. Wird ein

1174 1175 1176 1177

Meyer, Kriminalistik 1981, 11, 13. Deusch, Gefahrenabwehr, S. 56 f. Vgl. statt vieler Schönke/Schröder/Eisele, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 69 f. Vgl. statt vieler Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schnittenhelm, Rn. 2 ff.

§ 125

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

solcher Sprengsatz wissentlich inmitten von Menschen gezündet und da­ durch Leben oder Leib eines anderen Menschen oder dadurch eine Sache von bedeutendem Wert gefährdet, wird § 40 III SprengG verwirklicht. Wird ein andere Person verletzt, an der Gesundheit geschädigt oder ähnli­ ches, ist dies gem. §§ 223 ff. StGB strafbar.1178 Widersetzt sich ein Hooligan einem Polizeibeamten, der eine Vollstre­ ckung von Gesetzen gegen ihn vornimmt, kann es sich um Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte i.S.d. § 113 StGB handeln. Dabei wird in den ZIS-Jahresberichten nicht gesondert ausgewiesen, ob es nicht auch zur Verwirklichung des § 114 StGB oder des § 115 StGB kommt.1179 Des Weiteren können sich Hooligans, wie auch Anhänger anderer FanSzenen, gem. § 86a StGB strafbar machen, wenn sie Kennzeichen von verfassungswidrigen Organisationen verwenden.1180 Die ZIS-Jahresberichte geben auch Auskünfte zu verletzten Personen. Unter diesen befinden sich, ob nun im Hellfeld oder im Dunkelfeld ver­ blieben, sowohl Personen, die nach den polizeilichen Kategorisierungen den Kategorien A, B und C zuzuordnen sind, Störer, als auch unbeteiligte Dritte/Geschädigte (z.B. Passanten, Fußballspieler), Schiedsrichter, Ordner und Landes- wie Bundespolizisten. Nach Fußballspielen kommt es manch­ mal zu „Bullenjogging“, wenn Hooligans es darauf anlegen, dass Polizisten ihnen nach einem Fußballspiel hinterher hetzen. Dieses Vorgehen wird in Ermangelung eines anderen Gegners praktiziert.1181 Die Gewalt der Hooligans richtet sich zum Teil gegen Polizisten, wenn sie versuchen, die gegnerischen (Hooligan-)Gruppen voneinander zu trennen.1182 Zudem vermuten manche Hooligans, einige ihrer körperlichen Auseinanderset­ zungen mit gegnerischen Hooligan-Gruppen wären kontrollierter und we­ niger gewaltsam abgelaufen, wenn sie nicht durch einen Polizeieinsatz darin gestört worden wären. Polizeieinsätze können eine Solidarisierung der gegnerischen Hooligan-Gruppen bewirken, so dass gemeinsam gegen die Polizei vorgegangen wird.1183 Unbeteiligte Dritte können zu Opfern im Kontext des Hooliganismus werden, wenn sie sich an Orten aufhalten, an denen die gegnerischen Hooligans aufeinandertreffen. Unbeteiligte Dritte können auch zu Opfern 1178 1179 1180 1181

Deusch, Gefahrenabwehr, S. 55 f. Vgl. ZIS-Jahresbericht 2020/21, S. 12 ff. Vgl. im Übrigen zu Erkenntnissen zu politischen Einstellungen C. III. 4. f). ZIS-Jahresbericht 2019/20, S. 14 f.; 2020/21, S. 10 f.; Findeisen/Kersten, Der Kick und die Ehre, S. 132; vgl. auch Willms, Die dritte Halbzeit, S. 83. 1182 Böttger, Gewalt und Biographie, S. 240. 1183 Böttger, Gewalt und Biographie, S. 240 f.

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III. Wesentliche Charakteristika der Hooligan-Szene

werden, wenn sie sich aus Neugierde oder einer Art Voyeurismus zu nah an die körperlichen Auseinandersetzungen begeben, um etwa Schlich­ tungsversuche zu unternehmen. Manchmal können Hooligans, wenn die Aufeinandertreffen in den Städten oder Stadien stattfinden, gar nicht differenzieren, ob der Gegenüberstehende ein unbeteiligter Dritter oder ein gegnerischer Hooligan ist.1184 Hooligans lehnen grundsätzlich gruppeninterne Gewalt ab, da sie be­ fürchten, der Zusammenhalt und die gemeinsame Stärke der Gruppe reduziere sich dadurch.1185 Trotzdem kann es auch gruppenintern zu Ge­ walthandlungen kommen, wenn sie z.B. die Kontrolle, etwa aufgrund eines erhöhten Adrenalinspiegels oder Alkohol- oder Drogenkonsums, ver­ lieren.1186 Solche Taten verbleiben allerdings aufgrund des Ehrenkodex wohl im Dunkelfeld.1187 bb) Die „Dritte Halbzeit“ Kurz vor Ende des Spiels verlassen die Hooligans zumeist einzeln das Stadion, um möglichst unauffällig durch die davor befindliche Polizeikette zu gelangen. Gelingt es ihnen, den verabredeten Ort der körperlichen Auseinandersetzung mit der gegnerischen Hooligan-Gruppe zu erreichen, beginnt die „Dritte Halbzeit“, in der v.a. Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit (§§ 223 ff. StGB) in allen Variationen begangen werden. Ein im Strafrecht geltender Grundsatz ist, dass eine Einwilligung das Unrecht der Tat ausschließt und folglich nach hM einen Rechtfertigungs­ grund darstellt. Den Grundsatz volenti non fit iniuria („dem Einwilligenden geschieht kein Unrecht“) gab es bereits im römischen Recht.1188 Jene Wir­ kung wird von § 228 StGB vorausgesetzt und nicht erst angeordnet. Bei § 228 StGB handelt es sich um eine Ausnahme der gewohnheitsrechtlich anerkannten, ungeschriebenen rechtfertigenden Einwilligung. Die Frei­

1184 Böttger, Gewalt und Biographie, S. 241 f.; Lösel et al., Hooliganismus in Deutschland, S. 126. 1185 Böttger, Gewalt und Biographie, S. 244. 1186 Steinmetz, Außeralltäglichkeit und Grenzerfahrung im Kontext von Gewalt, S. 264; vgl. auch C. III. 4. d). 1187 Vgl. C. III. 2. 1188 Morgenstern, JZ 2017, 1146, 1146.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

heit, über strafrechtlich geschützte Rechtsgüter disponieren zu dürfen und auf den Schutz des Strafrechts zu verzichten, ist basal für § 228 StGB.1189 aaa) Bisherige Rechtsprechung und Kritik Für die Beurteilung der Strafbarkeit oder Straflosigkeit der in der „Drit­ ten Halbzeit“ begangenen Körperverletzungsdelikte ist nach überwiegen­ der Meinung maßgeblich, ob die Schranke des § 228 StGB greift; greift sie, sind die jeweiligen Körperverletzungsdelikte strafbar. Die Beurteilung dessen ist innerhalb von Rechtsprechung und Schrifttum umstritten. Nach hier vertretener Ansicht sind jedoch bei der hierzu einschlägigen Rechtsprechung bzw. der Rechtsprechung im Zusammenhang mit kör­ perlichen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Jugendgruppen, auch wenn sie nicht stets Hooligans im hier vertretenen Sinne waren,1190 und den darauf bezogenen Ansichten innerhalb des Schrifttums die phä­ nomenologischen Besonderheiten des Hooliganismus in angemessener Weise zu berücksichtigen; dies scheint bislang nicht durchgängig zu er­ folgen.1191 Vielmehr steht zu befürchten, dass anlässlich der rechtlichen Würdigungen der szeneinternen körperlichen Auseinandersetzungen, kri­ minalpolitische Erwägungen vordringlicher erscheinen als die konkret in Rede stehenden Taten. Nicht alles, was in der Gesellschaft nicht erwünscht oder verstanden wird, muss stets strafbar sein. Vielmehr werden der Hooli­ ganismus und die ihn ausübenden Personen mit einem negativen Label versehen, was als wohl rechts- und kriminalpolitisch gewollt und auch als in gewisser Weise medial konstruiert und gefordert erscheint. Ob dies trag­ fähige Gründe für die Begründung oder Herleitung einer Strafbarkeit sein können, bleibt fraglich. Der fragmentarische Charakter des Strafrechts1192 wird nach hier vertretener Ansicht sukzessive aufgelöst.

1189 Vgl. statt vieler MüKo/Hardtung, § 228 Rn. 1; Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 23 Rn. 1. 1190 Vgl. z.B. BGH, Urt. v. 22.01.2015 – 3 StR 233/14, NJW 2015, 1540, 1540 ff.; BGH, Beschl. v. 20.02.2013 – 1 StR 585/12, NJW 2013, 1379, 1379 ff.; OLG München, Urt. v. 26.09.2013 – 4 StRR 150/13, NStZ 2014, 706, 706 ff. 1191 Vgl. etwa Jahn, JuS 2013, 945, 945 ff.; Jäger, JA 2013, 634, 634 ff. 1192 Vgl. hierzu auch Hefendehl, JA 2011, 401, 401 ff.; von der Meden, HRRS 2013, 158, 163.

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III. Wesentliche Charakteristika der Hooligan-Szene

Der 1. Strafsenat des BGH geht in seinem Beschluss1193 nicht auf die allgemeinen Voraussetzungen des § 228 StGB1194 ein. Doch auch sie sind bei körperlichen Auseinandersetzungen unter Hooligans relevant, da die­ ses Phänomen nicht ausschließlich, aber auch in der Lebensphase Jugend stattfindet, so dass eine differenzierte Betrachtung angezeigt ist. Maßgeb­ lich für die Einwilligungsfähigkeit ist die Einsichts- und Urteilsfähigkeit der konkreten verfügungsbefugten Person. Als Kriterien hierfür gelten ihre geistige und sittliche Reife, inwieweit sie imstande ist, das Wesen, die Bedeutung und Reichweite des in Rede stehenden Eingriffs zu erkennen und demgemäß sachgerecht beurteilen zu können.1195 Kinder sind nicht grundsätzlich einwilligungsunfähig. Für Jugendliche gilt § 1 II JGG als Orientierungshilfe mit der Maßgabe, dass sie bei weniger gravierenden Körperverletzungen eine generelle Einsichtsfähigkeit zwischen 14 und 15 Jahren haben, bei gravierenderen Körperverletzungen ist sie jedoch erst ab 16 und 17 Jahren gegeben.1196 Die Einwilligungsfähigkeit ist umso eher zu bejahen, je näher die Person an die Volljährigkeit (§ 2 BGB) gelangt und je leichter der Eingriff ist. Bei Volljährigen ist von einer generellen Einsichtsfähigkeit auszugehen, jedoch sollte bei Heranwachsenden bzw. bei Problemen der Altersstufenneinordnung immer an §§ 1 II, III, 105 JGG gedacht werden.1197 Die Einwilligungserklärung ist eine „bewusste vorherige […] Erklärung der Zustimmung zu dem tatbestandsmäßigen Verhalten“1198 einer anderen Person. Sie bezieht sich nicht nur auf den Erfolg, sondern setzt an der dazu führenden Handlung an.1199 Die Erteilung der Einwilligung muss in Kenntnis und Verständnis der Sachlage geschehen. Der Einwilligende muss eine zutreffende Vorstellung über den voraussichtlichen Verlauf und die zu erwartenden Folgen der Handlung haben.1200 Hierfür kommt es stets auf den konkreten Fall an. Für den Umfang der Kenntnis ist der

1193 BGH, Beschl. v. 20.02.2013 – 1 StR 585/12, NJW 2013, 1379, 1379 ff. 1194 Einwilligungsfähigkeit, Einwilligungserklärung, frei von Willensmängeln, dis­ ponibles Rechtsgut, Dispositionsbefugnis, subjektives Rechtfertigungselement, vgl. Fischer, § 228 Rn. 5 ff. 1195 Vgl. statt vieler von der Meden, HRRS 2013, 158, 159. 1196 Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 23 Rn. 16. 1197 Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 23 Rn. 16. 1198 Fischer, § 228 Rn. 5. 1199 Fischer, § 228 Rn. 5. 1200 OLG München, NStZ 2014, 706, 708; Fischer, § 228 Rn. 5.

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individuelle Reifegrad der Person, die „Bedeutung, Art und Schwere der Verletzung sowie wie die Kenntnis der Risiken“1201 entscheidend. Im Beschluss des 1. Strafsenats des BGH,1202 im Urteil des 3. Strafsenats des BGH1203 und im Urteil des OLG München1204 kann eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung zu § 228 StGB erkannt werden.1205 Der Grad der Gefährlichkeit der Körperverletzungen, in die eingewilligt wur­ de, bestimmt sich dem 1. Strafsenat zufolge insbesondere nach den kon­ kreten Umständen, die die Tatausführung begleiten.1206 Unter Rekurs auf die im Zusammenhang mit sportlichen Wettkämpfen eingetretenen Kör­ perverletzungserfolge ist allgemein anerkannt, dass entsprechende Taten, selbst wenn die Gefahr von erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigun­ gen besteht, nicht gegen die guten Sitten verstoßen, wenn die Verletzun­ gen das Resultat von Handlungen sind, die nach den für diese sportlichen Wettkämpfe geltenden, risikobegrenzenden Regeln gestattet sind. Die Kör­ perverletzungshandlungen und der daraus resultierende Erfolg sind nicht mehr von der Einwilligung gedeckt, wenn sie zwar im Rahmen eines sportlichen Wettkampfs mit entsprechenden Regeln stattfinden und von einem neutralen Schiedsrichter überwacht werden, das Verhalten sich aber als fahrlässige oder gar vorsätzliche Abweichung von den Regeln erweist, auf deren Grundlage die Einwilligung erteilt wurde.1207 Fehlt es gänzlich an Regeln, führt das „erfahrungsgemäß zu einer Erhöhung des Gefährlich­ keitsgrades“,1208 und dann ist, trotz vorab erteilter Einwilligung, die Kör­ perverletzung grundsätzlich sittenwidrig. Selbiges gilt selbst dann, wenn zwar zwischen den sich gegenseitig Körperverletzenden Regeln vereinbart wurden, diese Vereinbarungen aber nicht in angemessener, sicherer Weise

1201 1202 1203 1204 1205

Fischer, § 228 Rn. 5. BGH, NJW 2013, 1379, 1379 ff. BGH, NJW 2015, 1540, 1540 f. OLG München, NStZ 2014, 706, 706 ff. Zur Entwicklung der Rechtsprechung BGH, NJW 2015, 1540, 1541 f. (Rn. 36 ff.) mwN. Bislang spielten bei der Beurteilung die Beweggründe des Täters eine maßgebliche Rolle. Die Schwere der Verletzungen war nicht vor­ dergründig maßgeblich, erst um die Jahrtausendwende gewann der Körperver­ letzungserfolg an Bedeutung; vgl. auch OLG München, NStZ 2014, 706, 708; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 228 Rn. 32; von der Meden, HRRS 2013, 158, 158 ff. 1206 BGH, NJW 2013, 1379, 1381 (Rn. 12); so auch OLG München, NStZ 2014, 706, 708; kritisch hierzu Hardtung, NStZ 2014, 267, 268 f. 1207 BGH, NJW 2013, 1379, 1381 (Rn. 12, 15); so auch OLG München, NStZ 2014, 706, 708. 1208 BGH, NJW 2013, 1379, 1381 (Rn. 13).

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dafür sorgen, dass es zur Verhütung gravierender, „mit der Gefahr des Todes einhergehender Körperverletzungen“1209 kommt. Ein weiteres Kriterium ist, dass wechselseitige Auseinandersetzungen unter Bedingungen stattfinden, die es dem Einwilligenden tatsächlich er­ möglichen, sich zu verteidigen. Hierfür spricht dem 1. Strafsenat des BGH zufolge auch der dem abstrakten Gefährdungsdelikt § 231 StGB zugrunde­ liegende Schutzzweck, der bereits im Vorfeld von Rechtsgutsverletzungen des Lebens und der Gesundheit vor dem Gefährdungspotenzial schützen soll, das bei körperlichen Auseinandersetzungen zwischen Mehreren be­ steht.1210 Die spezifische Gefährlichkeit liegt in der Unkontrollierbarkeit von gruppendynamischen Effekten bei solchen Auseinandersetzungen.1211 Die für § 228 StGB maßgebliche ex ante Perspektive der Bewertung des Gefährlichkeitsgrades der Körperverletzungshandlungen gebietet es, die Eskalationsgefahr bei körperlichen Auseinandersetzungen zwischen rivali­ sierenden Gruppen (die betreffende Gruppe war eine „bloße“ Jugend- und keine Hooligan-Gruppe) mitzuberücksichtigen.1212 Die konkrete Eskalati­ onsgefahr kann sich auch aus der hohen Anzahl der Beteiligten und dem Ereignen im öffentlichen Raum ergeben.1213 Bedeutsamer als der nicht geringe Grad der Gefährlichkeit der Körperverletzungshandlungen ist für die nach § 228 StGB zu beurteilenden Taten, dass jegliche Formen von Absprachen fehlten und keine Vorkehrungen getroffen wurden, „die eine Eskalation der wechselseitigen Körperverletzungshandlungen und damit einhergehend eine beträchtliche Erhöhung der aus diesen resultierenden Rechtsgutsgefährlichkeit“1214 ausschließen. „Fehlen Absprachen und effektive Sicherungen für deren Einhaltung, die bei wechselseitigen Körperver­ letzungen zwischen rivalisierenden Gruppen den Grad der Gefährdung der Rechtsgüter Leben und Gesundheit der Beteiligten auf ein vor dem Hintergrund des Selbstbestimmungsrechts von Seiten des Staats tolerierba­ res Maß begrenzen […], verstoßen die Taten trotz der Einwilligung der Verletzten selbst dann gegen die guten Sitten (§ 228 StGB), wenn mit den einzelnen Körperverletzungserfolgen keine konkrete Todesgefahr verbun­

1209 BGH, NJW 2013, 1379, 1381 (Rn. 13), so schon BayObLG, NJW 1999, 372, 373. 1210 BGH, NJW 2013, 1379, 1381 f. (Rn. 15 f.). 1211 BGH, NJW 2013, 1379, 1382 (Rn. 16). 1212 BGH, NJW 2013, 1379, 1381 (Rn. 16), sich anschließend BGH, NJW 2015, 1540, 1542 (Rn. 39); OLG München, NStZ 2014, 706, 708. 1213 OLG München, NStZ 2014, 706, 708. 1214 BGH, NJW 2013, 1379, 1382 (Rn. 19).

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den war.“1215 Folglich reicht nun eine abstrakte (Todes-)Gefahr aus. Für wen die (abstrakte) Gefahr des Todes oder für die Gesundheit bestehen muss, bleibt allerdings nach dieser Rechtsprechung im Dunkeln: Es kann sowohl für das konkrete Opfer der Delikte, um deren Bestrafung es geht, als auch für weitere Personen sein. Ebenso bleibt unberücksichtigt, dass in dem dem Beschluss des 1. Strafsenats zugrundeliegenden Fall Regeln vereinbart wurden, die eine Beschränkung auf Faustschläge und Fußtritte beinhalteten.1216 Der Verstoß gegen die guten Sitten ergibt sich dem OLG München zufolge überdies aus dem Aspekt der potenziellen Gefährdung von Rechts­ gütern Dritter (z.B. ihre körperliche Integrität, Willensentschließungsfrei­ heit). Da sich die körperliche Auseinandersetzung an einem verkehrsrei­ chen Ort zutrug, wurden zahlreiche Verkehrsteilnehmer genötigt, anzu­ halten. Auch hinter diesen Drittinteressen müsse die individuelle Verfü­ gungsfreiheit der Austragenden zurücktreten, so dass die Einwilligung unwirksam ist.1217 Dies vermag nicht zu überzeugen, da diese Argumenta­ tion nicht nur eine Rechtsgutsvertauschung ist, sondern sich auch (noch weiter) vom Grundansatz der Rechtsgutslösung entfernt: Danach kann sich die Sittenwidrigkeit nur aus einer unvertretbar großen Gefahr für das Individualrechtsgut der körperlichen Unversehrtheit des Opfers der tatbe­ standlichen Körperverletzungen ergeben. Von § 231 StGB sind Gefahren für unbeteiligte Dritte umfasst und diese reichen eben nicht aus, um einen Verstoß gegen die guten Sitten nach § 228 StGB zu begründen.1218 Auf den Beschluss des 1. Strafsenats und das Urteil des 3. Strafsenats des BGH folgte Kritik,1219 Zustimmung und noch darüber hinausgehen­ de Ansichten.1220 So räumt Jahn zwar ein, dass der Verweis auf § 231 StGB „weder systematisch noch inhaltlich trägt – es geht vorliegend um die Rechtfertigung bei einem Erfolgs- nicht aber einem abstrakten Gefähr­ dungsdelikt sui generis – ist die paternalistische Tendenz unseres [sic!]

1215 BGH, NJW 2013, 1379, 1382 (Rn. 21); sich anschließend BGH, NJW 2015, 1540, 1542 (Rn. 39); in diese Richtung ebenfalls OLG München, NStZ 2014, 706, 708 f. 1216 Hardtung, NStZ 2014, 267, 268 f. 1217 OLG München, NStZ 2014, 706, 708 f. 1218 MüKo/Hardtung, § 228 Rn. 39. 1219 Z.B. Hardtung, NStZ 2014, 267, 267 ff.; Jahn, JuS 2013, 945, 945 ff.; Gaede, ZIS 2014, 489, 489 ff.; Sternberg-Lieben, JZ 2013, 953, 956; Zabel, JR 2015, 619, 619 ff.; Zöller/Lorenz, ZJS 2013, 429, 429 ff. 1220 Jäger, JA 2013, 634, 634 ff.

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III. Wesentliche Charakteristika der Hooligan-Szene

Urteils unter Schutzzweckaspekten noch hinzunehmen.“1221 Jahn zufolge ist diese Auslegung des § 228 StGB jedenfalls nicht verfassungswidrig. Obwohl es sich beim zugrundeliegenden Sachverhalt um körperliche Aus­ einandersetzungen von rivalisierenden Jugendgruppen – und eben nicht um Hooligans – handelte, folgert Jahn, dass nun Einwilligungen im Zu­ sammenhang mit körperlichen Auseinandersetzungen zwischen Hooligans regelmäßig gegen die guten Sitten aufgrund der dort immanenten Eskala­ tionsgefahr verstoßen.1222 Noch weiter geht Jäger, denn aufgrund des Beschlusses des 1. Strafse­ nats des BGH ist seiner Ansicht nach zu überlegen, ob nicht die Grenze der Sittenwidrigkeit grundsätzlich bei den in § 231 I StGB genannten Folgen zu ziehen ist.1223 Um der Rechtssicherheit willen ist Jäger zufolge nicht nur auf die abstrakte Eskalationsgefahr abzustellen, sondern „auf den konkreten tatbestandsbezogenen Schweregrad der Verletzungen.“1224 Jäger stellt drei Konstellationen vor, bei denen die Sittenwidrigkeit zu bejahen sein soll: Erstens „wenn der Täter mit seiner Tat eine konkrete Lebensgefährdung für das Opfer bewirkt.“1225 Dabei bezieht er sich auf den Rechtsgedanken des § 216 StGB. Die zweite Konstellation ist, wenn der Täter mit der Tat „eine konkrete Gefährdung des Opfers im Hinblick auf die Verletzungsfolgen des § 226 StGB“1226 eingeht. Jäger begründet dies damit, dass § 226 StGB ein Verbrechen (§ 12 I StGB) ist. Hieraus lasse sich die Bejahung der Sittenwidrigkeit „im Sinne eines extrem gesteiger­ ten Körperverletzungsunrechts ableiten.“1227 Allerdings kann, mit Mitsch, beiden Konstellationen Jägers und damit auch der betreffenden Rechtspre­ chung entgegengehalten werden, dass der vom 1.1228 und 3.1229 Strafsenat angeführte, und auch von Jäger und Jahn geteilte,1230 vorgebliche Wille des Gesetzgebers und den vorgeblichen, mit §§ 216, 231 StGB verbunde­ nen Wertungen wohl nicht dem tatsächlichen Willen des Gesetzgebers entspricht, denn sonst hätte er längst die Chance ergriffen, diese Wertun­

1221 1222 1223 1224 1225 1226 1227 1228 1229 1230

Jahn, JuS 2013, 945, 947. Jahn, JuS 2013, 945, 947. Jäger, JA 2013, 634, 636 ff. Jäger, JA 2013, 634, 636. Jäger, JA 2013, 634, 636. Jäger, JA 2013, 634, 636. Jäger, JA 2013, 634, 636. BGH, Beschl. v. 20.02.2013 – 1 StR 585/12, NJW 2013, 1379, 1379 ff. BGH, Urt. v. 22.01.2015 – 3 StR 233/14, NJW 2015, 1540, 1543 ff. (Rn. 43 ff.). Jäger, JA 2013, 634, 636 ff.; Jahn, JuS 2013, 945, 945 ff.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

gen in § 228 StGB aufzunehmen.1231 Dem Gesetzgeber wird hier ein Wille lediglich zugeschrieben. Bei § 231 StGB sind der Tod und die schwere Körperverletzung als Folge lediglich objektive Bedingung der Strafbarkeit. Mitsch zufolge hat die Anwendung des Strafrechts durch die Gerichte nicht den von ihnen selbst zugeschriebenen Wertungen des Gesetzgebers zu folgen, sondern vorrangig dem Wortlaut des Gesetzes, also hier § 228 StGB, der eben keine Verweise auf § 216 oder § 231 StGB enthält.1232 Nach Jägers dritter Konstellation soll eine Sittenwidrigkeit bejaht wer­ den, wenn „konkret ein Tatbestand verwirklicht wird, der vor diesen Ge­ fahren – und sei es auch nur abstrakt – schützt (wie dies bei § 231 StGB der Fall ist).“1233 Diese Konstellation würde ausnahmslos das Stattfinden von körperlichen Auseinandersetzungen in Form von Schlägereien verbieten. Jäger zufolge ist entscheidend, dass die Täter solcher Auseinandersetzungen mit ihren Körperverletzungshandlungen tatsächlich einen Tatbestand ver­ wirklichen, der nach seinem Wortlaut vor den Folgen (Tod oder schwere Körperverletzung) schützen soll.1234 Dies geht über die abstrakte Eskalati­ onsgefahr weit hinaus, denn nach Jäger reicht die Tatsache aus, dass „die Täter mit den Verletzungshandlungen konkret die Tathandlung des § 231 StGB verwirklicht haben.“1235 Ob Vorkehrungen gegen die Eskalation (Regeln, einen sie überwachenden Schiedsrichter) getroffen wurden, sei unmaßgeblich, denn die Struktur des § 231 StGB schließt dies von Anfang an aus, weil die dort genannten schweren Folgen nur eine objektive Bedin­ gung der Strafbarkeit bildeten.1236 Jäger zufolge löst „die Beteiligung an einer Schlägerei als solche das Sittenwidrigkeitsurteil bezüglich aller damit zusammenhängender Körperverletzungshandlungen aus.“1237 Mit einem abschließenden Satz unterstreicht Jäger, wie strikt und generalpräventiv er den Beschluss des 1. Strafsenats verstanden haben will: „Wenn sich Hooli­ gans zur ‚Dritten Halbzeit‘ treffen, müssen sie trotz der Verabredung zur Schlägerei mit harten Strafen rechnen.“1238 Dieser Ansicht sind jedoch die phänomenologischen Besonderheiten des Hooliganismus entgegenzuhal­ ten. Der Ehrenkodex und die dort enthaltenen Regeln dienen, ebenso wie die Struktur in Hooligan-Gruppen, als Selbstregulierungsmechanismen. 1231 1232 1233 1234 1235 1236 1237 1238

200

Mitsch, NJW 2015, 1545, 1545. Mitsch, NJW 2015, 1545, 1545. Jäger, JA 2013, 634, 636. Jäger, JA 2013, 634, 636. Jäger, JA 2013, 634, 636. Jäger, JA 2013, 634, 636. Jäger, JA 2013, 634, 636. Jäger, JA 2013, 634, 637.

III. Wesentliche Charakteristika der Hooligan-Szene

Zudem sind obiger Auffassung die Ansichten der Hooligans entgegenzu­ halten, die in den Auseinandersetzungen eine Form des Wettkampfs sehen und den Hooliganismus mit legalen Kampfsportarten vergleichen; all dies berücksichtigt Jäger nicht. Nach hier vertretener Ansicht ist dies aber er­ forderlich, um – wenn man überhaupt davon ausgeht, dass § 228 StGB verfassungsgemäß ist bzw. dem Bestimmtheitsgrundsatz genügt – davon auszugehen, dass die Schranke des § 228 StGB nicht greift. Eine weitere Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung zu § 228 StGB erfolgte mit einem Urteil des 3. Strafsenats des BGH,1239 denn die Tatzwe­ cke rückten in den Hintergrund und die Schwere der drohenden Gefahren in den Vordergrund, die nun abstrakte Gefahren ausreichen lassen und keine konkreten Gefahren mehr sein müssen.1240 Hier waren das erste Mal körperliche Auseinandersetzungen zweier Hooligan-Gruppen und die Mit­ gliedschaft in einer kriminellen Vereinigung Gegenstand höchstrichterli­ cher Rechtsprechung. Bereits im Ermittlungsverfahren wurden gegen die Beschuldigten Telekommunikationsüberwachungen nach § 100a II Nr. 1 lit. d StPO durchgeführt. Ohne den Anfangsverdacht hinsichtlich § 129 StGB wären diese Maßnahmen nicht möglich gewesen, denn die §§ 223 ff. StGB stellen keine Katalogtaten i.S.d. § 100a II Nr. 1 StPO dar.1241 Wür­ de man nämlich davon ausgehen, dass körperliche Auseinandersetzungen nicht gegen die guten Sitten verstießen, dann wäre dem § 129 StGB (und ohne einen diesbezüglichen Anfangsverdacht auch den Telekommunikati­ onsüberwachungen) der Boden entzogen. Der 3. Strafsenat geht davon aus, dass es sich bei dieser Hooligan-Grup­ pe um eine kriminelle Vereinigung handelte. Er prüft und bejaht alle Voraussetzungen des § 129 StGB1242 und wendet sich dann dem Zweck der Vereinigung zu, der nach seiner Ansicht bei dieser Hooligan-Gruppe darin besteht, Straftaten zu begehen, da sie körperliche Auseinandersetzungen mit gegnerischen Hooligan-Gruppen organisiere und durchführe.1243 Von der Tatbestandsmäßigkeit der dort begangenen Handlungen i.S.d. §§ 223 I, 224 I Nr. 4 StGB sei auszugehen. Zwar räumt der 3. Strafsenat selbst ein: „Selbst wenn man körperliche Auseinandersetzungen wie die vorlie­ genden, die zum Zwecke des Kräftemessens vereinbart werden, noch als sportliche Betätigung verstehen wollte, folgt daraus nicht, dass sie einem

1239 1240 1241 1242 1243

BGH, Urt. v. 22.01.2015 – 3 StR 233/14, NJW 2015, 1540, 1540 ff. MüKo/Hardtung, § 228 Rn. 36 ff. Vgl. auch Knauer, HRRS 2015, 435, 437. BGH, NJW 2015, 1540, 1540 f. (Rn. 23–29). BGH, NJW 2015, 1540, 1541 (Rn. 30, 32).

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

möglichen Strafanspruch schon allein deshalb entzogen wären, weil bei Einhaltung der selbst aufgestellten Regeln das Verhalten nicht als verbots­ widrig anzusehen wäre. Überlegungen, regelkonformes Handeln stelle sich als tatbestandslos dar […], finden spätestens dort ihre Grenze, wo die körperliche Misshandlung des Gegners Ziel der Betätigung ist“.1244 Im Merkmal des Zwecks der Vereinigung wird inzident geprüft, ob die Taten im Rahmen der körperlichen Auseinandersetzungen zwischen Hooligans gegen die guten Sitten verstoßen. Verstoßen sie gegen die guten Sitten, liegt die Unbeachtlichkeit der vorab erteilten Einwilligungen der Hooli­ gans vor und damit eine Strafbarkeit nach §§ 223 I, 224 I Nr. 4 StGB und auch nach § 129 StGB. Im weiteren Verlauf des Urteils greift der 3. Strafsenat des BGH die Kritik auf, die nach dem Beschluss des 1. Strafsenats im Schrifttum laut wurde – in Teilen liest es sich wie eine Replik auf die geäußerte Kritik aus dem Schrifttum.1245 Die Sittenwidrigkeit der Tat aufgrund der Erfüllung des Tatbestands des § 231 I StGB ist nach Ansicht des 3. Strafsenats nicht nur in den Fällen gegeben, in denen die schwere Folge tatsächlich eintrat. Ein „tatbestandsmäßiger, rechtswidriger und schuldhafter Verstoß liegt un­ abhängig davon vor, weil es sich bei den genannten Folgen ausschließlich um objektive Bedingungen der Strafbarkeit handelt“.1246 Das Abstellen auf die tatsächlich eingetretenen Tatfolgen stünde im Widerspruch dazu, dass nach Auffassung des BGH die Wirksamkeit der Einwilligung aus einer ex ante Perspektive zu beurteilen ist. Die Frage, ob eine der schweren Folgen eintrat, ist notwendigerweise erst ex post beantwortbar. Das Erfordernis des Eintritts der objektiven Bedingung der Strafbarkeit zur Begründung des Sittenwidrigkeitsurteils könne auch nicht daraus hergeleitet werden, dass andernfalls die vom Gesetzgeber aufgestellte Begrenzung der Strafbarkeit ignoriert werde.1247 Die Begrenzung des Eintritts der schweren Folge be­ zieht sich nur auf den § 231 StGB – vom BGH werden ja lediglich dessen Wertungen und die von ihm zugeschriebenen Wertungen und Willen des Gesetzgebers ins Feld geführt. Die Begrenzung durch die objektive Bedingung der Strafbarkeit ist ein notwendiges Korrektiv: Denn aufgrund der sich erfahrungsgemäß stellenden Nachweisprobleme, bedingt durch 1244 BGH, NJW 2015, 1540, 1541 (Rn. 33). 1245 BGH, NJW 2015, 1540, 1541 ff. (Rn. 30 ff.); so auch Knauer, HRRS 2015, 435, 438. 1246 BGH, NJW 2015, 1540, 1544 (Rn. 48); so auch Jäger, JA 2013, 534, 534 ff.; andere Ansicht: Sternberg-Lieben, JZ 2013, 953, 956; Gaede, ZIS 2014, 489, 499. 1247 So aber die Kritik von Sternberg-Lieben, JZ 2013, 953, 956 und von der Meden, HRRS 2013, 158, 163.

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III. Wesentliche Charakteristika der Hooligan-Szene

die Weite des § 231 StGB, ist dies nicht zuletzt angesichts des Schuldprin­ zips geboten. Im vorliegenden Fall sei dies jedoch anders gelagert. Denn hier könne Einzelnen wegen bestimmter Körperverletzungshandlungen ein konkreter Tatvorwurf gemacht werden und deshalb bedürfe es eines Korrektivs wie der objektiven Bedingung der Strafbarkeit nicht.1248 Die verabredeten Auseinandersetzungen zwischen den Hooligan-Grup­ pen begründen bei objektiver Beurteilung ex ante nach Ansicht des 3. Strafsenats jedenfalls eine konkrete Gefahr von schweren „Gesundheits­ beschädigungen [sic!]“, denn nach den „stillschweigend akzeptierten Re­ geln waren Tritte mit dem beschuhten Fuß (mit Sportschuhen) und Schlä­ ge gegen den Kopf des Gegners zulässig.“1249 Die Regeln umfassten auch, dass zahlmäßig Unterlegene von zahlenmäßig Überlegenen angegriffen werden durften. Dass auf am Boden liegende Personen nicht mehr einge­ wirkt werden dürfe, wurde von den Beteiligten wohl dahingehend ausge­ legt, dass auf am Boden kniende Personen, solange sie nicht kampfunfähig waren, weiterhin eingetreten werden dürfe. Dieses Vorgehen fand unter expliziter Berufung auf den Ehrenkodex statt.1250 „[N]icht nur in Einzelfäl­ len, sondern immer wieder“1251 sei gegen die Regeln verstoßen worden und die ausgeführten Handlungen begründeten „schon nach allgemeiner Lebensauffassung ein erhebliches Verletzungspotenzial“.1252 Der Annahme einer konkreten Gefahr stehe auch nicht entgegen, dass keine schwerwie­ genden Verletzungen bei den Beteiligten, bis auf einen Fall im Oktober 2009, festgestellt werden konnten.1253 Die unterschiedliche Behandlung von körperlichen Auseinandersetzun­ gen von einerseits Hooligans oder anderen rivalisierenden Gruppen und anderseits (Kick-)Box- oder Freefight-Kämpfen, bei denen die Verletzungs­ gefahren geringer seien, da neben überprüf- und durchsetzbaren Regeln auch Schiedsrichter und Ringärzte anwesend seien,1254 sei „bereits dadurch gerechtfertigt, dass es für die Fälle der Beteiligung an einer Schlägerei oder einem Angriff durch mehrere eine gesetzliche Regelung gibt, die dies als strafwürdiges Unrecht normiert, eine solche für tätliche Auseinanderset­ zungen von Einzelpersonen hingegen fehlt.“1255 Maßgeblich soll also sein, 1248 1249 1250 1251 1252 1253 1254 1255

BGH, NJW 2015, 1540, 1544 (Rn. 48). BGH, NJW 2015, 1540, 1544 (Rn. 52). BGH, NJW 2015, 1540, 1544 (Rn. 52). BGH, NJW 2015, 1540, 1544 (Rn. 52). BGH, NJW 2015, 1540, 1544 (Rn. 52). BGH, NJW 2015, 1540, 1544 (Rn. 52). BGH, NJW 2015, 1540, 1545 (Rn. 54). BGH, NJW 2015, 1540, 1545 (Rn. 54).

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

ob es sich um eine Auseinandersetzung zwischen Einzelpersonen (wie im Kampfsport) oder Gruppen handelt. Diese Argumentation berücksichtigt nicht, dass sich bei Auseinandersetzungen der Hooligans auch jeweils Ein­ zelpersonen „Mann gegen Mann“ gegenüberstehen. Gleichwohl sind auch Situationen möglich, in denen mehrere auf eine Person einwirken. Den­ noch kämpfen bei Auseinandersetzungen zwischen Hooligans auch Einzel­ personen gleichzeitig auf engem Raum gegeneinander und nicht, wie z.B. bei Tournieren, hintereinander. Schiedsrichter sind mitunter bei körperli­ chen Auseinandersetzungen von Hooligans ebenso anwesend wie Sanitäter und Ärzte. Diese, wenn auch zum Teil situativen, phänomenologischen Umstände müssen jeweils mitberücksichtigt werden; ein pauschalisiertes, stark generalpräventiv geprägtes Urteil verfängt nach hier vertretener Auf­ fassung nicht. Auch gegen die von Sternberg-Lieben geäußerte Kritik wendet sich der 3. Strafsenat des BGH. Sternberg-Lieben wandte ein, dass eine Konturie­ rung der Sittenwidrigkeit i.S.d. § 228 StGB durch die Rechtsgutslehre und eine sonstige Schrankensetzung nicht gegen das Verbot der Rechtsguts­ vertauschung verstoßen dürfe.1256 Denn die §§ 223, 224 StGB schützten Individualrechtsgüter bzw. -interessen, wohingegen das im Beschluss des 1. Strafsenats weiter in Rede stehende Delikt des § 125 StGB die öffentliche Sicherheit schützt, Individualrechtsgüter würden davon nicht zwingend erfasst.1257 Weitere Stimmen beziehen ihre Kritik gegen die Rechtsprechung des BGH auf ganz unterschiedliche Ebenen. So wird ein Tätigwerden des Gesetzgebers gefordert,1258 etwa dass eine gänzliche Streichung des § 228 StGB vorzunehmen sei,1259 oder dass nach § 132 I, III 1 GVG eine Anfra­ ge bei den anderen Senaten oder, nach § 132 II GVG, eine Vorlage an den Großen Senat für Strafsachen nötig sei, aufgrund der maßgeblichen Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung des BGH.1260 Nach weiteren

1256 Sternberg-Lieben, JZ 2013, 953, 955 f. 1257 Sternberg-Lieben, JZ 2013, 953, 956; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schnit­ tenhelm, § 125 Rn. 2; NK/Ostendorf, § 125 Rn. 5 f. 1258 Knauer, HRRS 2015, 435, 441. 1259 Morgenstern, JZ 2017, 1146, 1156. 1260 Von der Meden, HRRS 2013, 158, 162; Zöller/Lorenz, ZJS 2013, 429, 435: Diese Kritik hat der 1. Senat wohl antizipiert, denn er hielt schon im konkreten Verfahren eine Anfrage beim 5. Strafsenat, von dessen Auffassung er zwar abwich, aber es sich nach seiner Ansicht nicht um tragende Ausführungen des 5. Strafsenats handelt, nicht für notwendig, vgl. BGH, NJW 2013, 1379, 1380 (Rn. 10).

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III. Wesentliche Charakteristika der Hooligan-Szene

Stimmen könnten die bei körperlichen Auseinandersetzungen begange­ nen Körperverletzungen deshalb nicht strafbar sein, weil sie der eigenver­ antwortlichen Selbstgefährdung bzw. Selbstschädigung unterfielen, soweit die dabei eintretenden Verletzungen im Rahmen des von den beteiligten Hooligans Erwarteten oder Erwartbaren lägen.1261 Darüber hinaus seien bei der von der hM vertretenen Rechtsgutsleh­ re im Zusammenhang mit § 228 StGB weitere Vorgaben zu beachten. Dazu gehören, neben dem bereits erwähnten Verbot der Rechtsgutsvertau­ schung bzw. Tatbestandsverschleifung, die verfassungsrechtlichen Schran­ ken für die Begrenzungen der Selbstverfügungsfreiheit, denn die darauf bezogenen Schranken zum Schutz des jeweils Einwilligenden vor sich selbst seien nur begrenzt zulässig. Es könne nicht die Aufgabe des Straf­ rechts sein, einen Einwilligenden vor den Folgen zu schützen, die sich aus dem Gebrauch seiner Freiheit ergeben.1262 Ein weiterer Kritikpunkt an der Rechtsprechung ist, dass es weder auf den Eintritt einer konkreten Gefahr noch auf risikobegrenzende Abspra­ chen ankomme, sondern darauf, ob über die Tatbestände der §§ 223, 224 StGB hinaus eine der Einwilligung nicht zugängliche schwere Folge i.S.d. § 231 I StGB eingetreten sei. Die Berufung auf die Wertungen der §§ 216, 231 StGB im Rahmen des § 228 StGB senkt das Sittenwidrigkeitsverdikt auf die Ebene gefährlicher Körperverletzungen ab. Dies sei ein aus § 231 StGB nicht herleitbares Ergebnis, das die Autonomie der Beteiligten mas­ siv beeinträchtigt.1263 Nach einer weiteren Ansicht findet durch die Rechtsprechung des BGH eine Umgehung oder Aushebelung des abstrakten Gefährdungsdelikts des § 231 StGB statt: Gerade die Existenz des § 231 I StGB mit seiner niedri­ geren Strafdrohung als § 224 StGB zeige, dass es einer Systemwidrigkeit gleich komme, „wenn man wegen eben dieser abstrakten Gefahren eine konkrete Körperverletzung trotz Einwilligung für sittenwidrig, folglich für rechtswidrig [erklärt] und dann […] die Strafe aus den deutlich höheren

1261 NK/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 109a. 1262 Sternberg-Lieben, JZ 2013, 953, 955. Rostalski formuliert hierzu pointiert: „Per­ sonen [können] selbst mehrheitlich als ‚unvernünftig‘ beurteilte Eingriffe in ihre Rechte frei von Willensmängeln zulassen. Dies entspricht ihrem verfas­ sungsrechtlich garantierten ‚Recht auf Unvernunft‘ im Hinblick auf die eige­ nen Güter und Interessen. Ein pauschales Ablehnen dieser Freiheit durch Abstellen auf objektive Gefährlichkeitsmaßstäbe versperrt den Blick auf den Einzelnen und tritt damit in Widerspruch zu Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG“, Rostalski, HRRS 2020, 211, 215. 1263 Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 228 Rn. 32.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

Strafrahmen der §§ 223 ff. StGB nehmen würde.“1264 Dadurch werde eine Aushebelung der niedrigen Strafdrohung des § 231 I StGB für nach dem BGH nur abstrakte Gefahren offenkundig, denn die Voraussetzungen des § 231 StGB lägen in keinem der vom BGH zu beurteilenden Fälle vor.1265 Diese Argumente erscheinen überzeugend. Der Wertung des § 231 StGB entspricht es nur, wenn bei solchen Auseinandersetzungen schwere Folgen eintreten. Darüber hinaus vermittelt der Beschluss des BGH den Eindruck, ein Signal setzen zu wollen, dass sich die zu Auseinandersetzungen verab­ redenden Personen per se auf hohe Strafen einzustellen haben.1266 bbb) Vorzugswürdige Lösung Eine weitere Lösungsmöglichkeit der Problematik ergibt sich über die Lehre von der Sozialadäquanz. Es könnte mit Spoenle darauf abgestellt werden, dass die Verletzungen, die bei körperlichen Auseinandersetzun­ gen der Hooligans geschehen, „wegen fehlender Sozialadäquanz als Ver­ stoß gegen die guten Sitten zu werten“1267 sind, und damit einer Ein­ willigung entzogen sind. Zwar ist der Hooliganismus keine allgemein anerkannte Sportart, allerdings kommt es hierauf bei der Beurteilung der Sozialadäquanz gar nicht an.1268 Es müssen zumindest, neben einer grundsätzlichen Chancengleichheit, realistische Verteidigungsmöglichkei­ ten sowie Sicherheitsmaßnahmen gegeben sein. Bei anerkannten Sportar­ ten wird zwar die generelle Verletzung in Kauf genommen, doch die bloße Existenz von Wettkampfregeln, durch ein kodifiziertes Regelwerk, und die Anwesenheit von Kampf- oder Ringrichtern verhindern auch bei allge­ mein anerkannten Sportarten nicht immer, dass schwere Körperverletzun­ gen oder Gesundheitsschädigungen eintreten.1269 Daher kann man fragen, ob sich dies bei körperlichen Auseinandersetzungen der Hooligans anders verhält. Denn auch hier gibt der Ehrenkodex Verhaltensregeln vor, was auch durch Schiedsrichter währenddessen überprüft wird.1270 Unter Be­ rücksichtigung der phänomenologischen Besonderheiten und der Perspek­ 1264 Hardtung, NStZ 2014, 267, 268. 1265 Hardtung, NStZ 2014, 267, 268; MüKo/Hardtung, § 228 Rn. 40; von der Meden, HRRS 2013, 158, 162. 1266 So auch Jäger, JA 2013, 634, 637. 1267 Spoenle, NStZ 2011, 552, 555. 1268 Spoenle, NStZ 2011, 552, 555. 1269 Spoenle, NStZ 2011, 552, 555. 1270 Spoenle, NStZ 2011, 552, 555; C. III. 2.

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III. Wesentliche Charakteristika der Hooligan-Szene

tive der Hooligans ist das Parallelisieren zu sportlichen Wettkämpfen und dem ebenfalls strukturell ähnlichen Duell angezeigt. Liegen die Voraus­ setzungen wie ein die körperlichen Auseinandersetzungen begrenzendes Regelwerk sowie Schiedsrichter vor, spricht viel dafür, körperliche Ausein­ andersetzungen zwischen Hooligans parallel zu den Wettkampfsportarten (Kick-)Boxen und Ringen zu lösen. Dafür streitet, dass Hooligans selbst ihre körperlichen Auseinandersetzungen mit den Kampfsportarten wie (Kick-)Boxen vergleichen.1271 Bei sportlichen Wettkämpfen wird die ihnen immanente Gefahr durch deren Sozialadäquanz aufgewogen. Zudem un­ terfallen nach verbreiteter Ansicht bei der Einhaltung der szeneinternen Regeln des Ehrenkodex, die schwere Verletzungsfolgen ausschließen und Chancengleichheit garantieren sollen sowie dem Vorhandensein von als Schiedsrichter fungierenden Personen diese Handlungen der eigenverant­ wortlichen Selbstgefährdung bzw. -schädigung, sofern sich die Verletzun­ gen im Rahmen des Erwarteten oder des Erwartbaren bewegen.1272 Bei Wettkampfsportarten unterstellt die hM, sofern keine ausdrücklichen Ein­ willigungen vorliegen, sogar die konkludente Einwilligung der sich daran Beteiligenden in alle Handlungen, die verletzungsträchtig sind, sofern sie bei in regelkonformer Ausübung der Sportart eintreten.1273 Dabei hält die hL diese regelkonform verursachten Verletzungen schon nicht für tatbestandsmäßig, denn es fehle an der Verletzung einer Sorgfaltspflicht. Fahrlässige Regelverstöße, die Verletzungen verursachen, sind ebenfalls von der Einwilligung mitumfasst, sofern es sich um Folgen des körperbe­ tonten Einsatzes handelt, sie naheliegend erscheinen und etwa aus Überei­ fer entstehen; dies ist mit der Lehre von der Sozialadäquanz möglich.1274 Bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Missachtung der sportlichen Wett­ kampfregeln hingegen sind diese nicht mehr als von der vorab erteilten Einwilligung gedeckt anzusehen.1275 So kann davon ausgegangen werden, dass körperliche Auseinandersetzungen der Hooligans als Mannschaftskickboxen während der „Dritten Halbzeit“ anzusehen sind, die aufgrund der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung oder -schädigung nicht straf­ bar sind, weil schon die objektive Zurechnung und damit der objektive Tatbestand entfällt, wenn die entstandenen Verletzungen im Rahmen des

1271 Vgl. C. III. 2. 1272 Zu recht annehmend NK/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 109a; s.a. MüKo/Hardtung, § 228 Rn. 44; Spoenle, NStZ 2011, 552, 554 ff.; Wagner, DÖV 2011, 234, 234 f. 1273 Vgl. NK/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 109. 1274 Vgl. NK/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 109. 1275 Vgl. NK/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 109.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

Erwartbaren oder Erwarteten liegen.1276 Danach müsste auch eine Strafbarkeit nach § 129 StGB entfallen, weil der Zweck der Begehung von Straftaten nicht mehr trägt. Dann würden auch die Telekommunikationsüberwa­ chungen nicht zulässig sein. 6. Repression, Prävention, Ursachen und Erklärungsansätze Im Rahmen dieser Arbeit kann nicht auf die einzelnen möglichen repres­ siven Maßnahmen wie die staatlichen und sportjustiziellen1277 – sowohl gegen natürliche Personen als auch gegen den Verein bzw. die Kapitalge­ sellschaft – eingegangen werden. Auch auf die vielen Möglichkeiten und Arten, der präventiven, auch geschlechtssensiblen und -spezifischen1278 An­ gebote und Maßnahmen, die sich seit des vom Bundesministerium des Inneren 1979 in Auftrag gegebenen und 1982 veröffentlichten Gutachtens „Sport und Gewalt“, das erstmals in der Fan-Szene einen zielorientierten Einsatz von Sozialarbeitern forderte,1279 kann nicht näher eingegangen werden. Auf die möglichen Ursachen und möglichen Erklärungsansätzen für den Hooliganismus im Allgemeinen kann ebenfalls nur kursorisch einge­ gangen werden. Es gibt sportbedingte Faktoren, wonach die Gewalt auf dem Spielfeld als Auslöser für den Hooliganismus dienen kann.1280 Die Gewalt der Hooligans wird teilweise mit dem Übergang des Fußballs vom nichtkommerziellen Sport zum professionellen, kommerziellen1281 Sport erklärt.1282 Nachdem der Fußball stetig kommerzialisiert wurde, z.B. durch die Einführung der Profi-Bundesliga 1963 oder durch das Empfinden der Fans, immer mehr zum Wirtschaftsgut degradiert zu werden, sei es zwi­ 1276 Vgl. auch NK/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 109a; Spoenle, NStZ 2011, 552, 552 ff. 1277 Ausführlich hierzu z.B. Müller-Eiselt, Die Gewährleistung der Sicherheit bei Fußballspielen, S. 75 ff., 117 ff., 208 ff. 1278 Vgl. statt aller Sachberichte der KOS: KOS, Fanprojekte 2016, S. 23 ff.; Gerschel, Frauen im Abseits; Piastowski, Polizei und Fanprojekte, S. 40; Winands et al., Soziale Passagen 2019, 323, 337 ff. 1279 Pilz, Soziale Arbeit statt Knüppel?!, S. 235. 1280 Dunning/Murphy/Williams, Zuschauerausschreitungen bei Fußballspielen, S. 442. 1281 Vgl. Böttger, Die Gewalt der Hooligans, S. 12 f.; Deusch, Gefahrenabwehr, S. 38; Giulianotti/Robertson, Globlization & Football, S. 63; Heitmeyer, Der sozialisati­ onstheoretische Analyserahmen, S. 36; Weigelt, Die Subkultur der Hooligans, S. 164. 1282 Böttger, Gewalt und Biographie, S. 79.

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III. Wesentliche Charakteristika der Hooligan-Szene

schen den Fans und den Spielern zu einer Entfremdung gekommen.1283 Die Fußballfans seien durch die Kommerzialisierung in eine passive Rolle als zahlende Konsumenten gedrängt worden und distanzierten sich des­ halb von ihrem favorisierten Verein. Aufgrund dessen suchten ein Teil der Fußballfans eine neue aktive Rolle und fänden diese in den körperlichen Auseinandersetzungen.1284 Die kriminologischen Erklärungsansätze, die für das Phänomen her­ angezogen werden, lassen sich gruppieren: Es werden Aggressionstheori­ en, wie die Frustrations-Aggressions-Theorie,1285 oder die Lerntheorie1286 ebenso zur Erklärung genutzt wie massenpsychologische,1287 schichtbezo­ gene Ansätze, Subkulturtheorien,1288 sozialisations- und zivilisationstheo­ retische Ansätze sowie die Etikettierungstheorie.1289 Jedoch vermag keiner der Ansätze den Hooliganismus umfassend und abschließend zu erklären. Es gibt folglich keine monokausale Erklärung für dieses Phänomen, viel­ mehr gibt es zahlreiche, verschiedenartige, multifaktoriell bedingte Ursa­ che, Ereignisse und (Einfluss-)Faktoren, die es bestimmen, hervorrufen und oder verstärken. 7. Fazit Teile der Forschung und Hooligans selbst nehmen je eine Dreiteilung vor, um die Struktur in der Hooligan-Szene zu beschreiben. Die jeweiligen Ka­ tegorien können jedoch nicht gänzlich gleichgesetzt werden,1290 da ihnen unterschiedliche Abgrenzungskriterien zugrunde liegen. Der szeneinterne

1283 Böttger, Die Gewalt der Hooligans, S. 12 f.; Deusch, Gefahrenabwehr, S. 38; Heitmeyer, Der sozialisationstheoretische Analyserahmen, S. 36; Kett-Straub, Neue Kriminalpolitik 2012, 98, 102; Weigelt, Die Subkultur der Hooligans, S. 164. 1284 Böttger, Gewalt und Biographie, S. 79. 1285 Vgl. z.B. Ek, Hooligans, S. 155 ff., 166; Illi, Hooliganismus in der Schweiz, S. 25; Priks, KYKLOS 2010, 450, 454. 1286 Ek, Hooligans, S. 155 f.; Hainz et al., Fußball und Gewalt, S. 7; König, Fankul­ tur, S. 98 f.; Schwind et al., Endgutachten, S. 96 Rn. 254. 1287 Ek, Hooligans, S. 156 f.; König, Fankultur, S. 99 ff. 1288 Albrecht, MschrKrim 2006, 158, 166; Ek, Hooligans, S. 175; König, Fankultur, S. 109. 1289 Vgl. zum Überblick Albrecht, MschrKrim 2006, 158, 165; Ek, Hooligans, S. 152 ff.; Förtig, Jugendbanden, S. 132 f.; Kett-Straub, Neue Kriminalpolitik 2012, 98, 102. 1290 So jedoch scheinbar Weigelt, Die Subkultur der Hooligans, S. 73 f.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

Ehrenkodex enthält Regelungen, die sich auf die körperlichen Auseinan­ dersetzungen der Hooligans selbst beziehen, und Regelungen zum Verhal­ ten gegenüber weiblichen Personen und lässt somit (zugeschriebene) Ge­ schlechterrollenbilder erkennen. Der Hooliganismus ist eher ein Zerrspie­ gel als ein Spielbild der Gesellschaft, allerdings bleiben die bisherigen Er­ kenntnisse zu weiblichen Mitgliedern der Hooligan-Szene hinter denjeni­ gen zu männlichen Hooligans zurück. Die aktuelle Rechtsprechung des 1. und 3. Strafsenats des BGH zu wechselseitigen Körperverletzungen wäh­ rend der „Dritten Halbzeit“, mit der von der bisherigen Rechtsprechung abgewichen wurde, erscheint, wie dargelegt, zweifelhaft;1291 eine Bestäti­ gung durch weitere Senate ist bislang ebenso ausgeblieben wie eine Diver­ genzvorlage oder ein Anfrageverfahren nach § 132 GVG. Es spricht viel da­ für, dass mit der BGH-Rechtsprechung und der ihr zustimmenden Litera­ tur generalpräventive Zwecke verfolgt werden, die es aus deren Sicht nötig machen, Aufweichungen bei den einzelnen Merkmalen des § 228 StGB vorzunehmen und diese bis zu einer absoluten, nicht mehr von der Wort­ lautgrenze getragenen Grenze zu überdehnen. Dies entspricht jedoch nicht dem fragmentarischen Charakter des Strafrechts. Eine vorzugswürdi­ ge Lösung wurde vorgestellt. IV. Motivation und Verlauf einer Hooligan-Karriere unter besonderer Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder Der folgende Abschnitt beschreibt die sich in drei Phasen vollziehende Hooligan-Karriere1292 und berücksichtigt insbesondere (zugeschriebene) Geschlechterrollenbilder, alters- und geschlechtsspezifische Unterschiede der Mitglieder der Hooligan-Szene.

1291 Vgl. hierzu MüKo/Hardtung § 228 Rn. 37 ff., 44 ff., 19, 24 ff., 29 f. und insbeson­ dere die Übersicht in Rn. 45 in Fn. 129, die mangels konkreter Gefahr die Sittenwidrigkeit verneint haben; vgl. auch Wagner, DÖV 2011, 234, 234 f. 1292 „Gewaltkarriere“ ist an den Karriere-Begriff angelehnt und steht für eine Ent­ wicklung, Laufbahn oder einen Werdegang; vgl. Sutterlüty, Zeitschrift für So­ ziologie 2004, 266, 266 ff.; Sutterlüty, Gewaltkarrieren, S. 11 et passim.

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IV. Motivation und Verlauf einer Hooligan-Karriere

1. Einstieg, Zugang und Motivation Eine zentrale Motivation für den Einstieg männlicher Personen in die Hooligan-Szene ist der Wunsch, von dem unter der Woche als monoton erlebten Alltag sowie den dort herrschenden Regeln und Zwängen aus­ zubrechen.1293 Die körperlichen Auseinandersetzungen am Wochenende ermöglichen, während der Woche erlebten Frust und Druck abbauen zu können.1294 Wesentliche Motive für den Einstieg bilden die Suche nach Spaß, Spannung und Abenteuer.1295 Der Wunsch nach und das Erleben von Grenzerfahrungen in realen Abenteuern und die Möglichkeit, wäh­ renddessen eigene Ängste zu überwinden, sind weitere Motive für den Einstieg männlicher Personen in die Hooligan-Szene.1296 Weitere Gründe sind die Suche und der Wunsch, Zusammenhalt, Anerkennung, Kame­ radschaft, Freundschaft zu erleben und Zeit unter Gleichgesinnten zu verbringen.1297 Die Ausübung der Gewalt wird zum Teil als Flow-Erlebnis bezeichnet, das Erregungszustände hervorruft. Die Suche der Hooligans nach einem Adrenalin-Kick wird auch sensation seeking genannt.1298 Der Hooliganismus ermöglicht den ihn Ausübenden, Männlichkeit zu insze­ nieren und ausleben zu können.1299 Dabei zeigen sie ihre Freude am Kampf und betonen ihre Fähigkeit, „ihren Mann“ stehen zu können.1300 Dunning zufolge drückt sich der bei den männlichen Hooligans vorfindbare Machismo1301 auf zweierlei Weisen aus: Zum einen erfolgt dies in tatsächlicher Hinsicht, indem den gegnerischen Hooligans eine Niederlage beigebracht wird, die diese dazu veranlasst, das Weite zu suchen. Zum anderen drückt sich der Machismo und die besondere männliche Identität

1293 Farin, generation-kick.de, S. 176; Kramer, Bereitschaftspolizei heute 1992, 44, 45; Zdun/Strasser, Von der Gemeinschaftsgewalt zur Gewaltgemeinschaft?, S. 319. 1294 Farin, generation-kick.de, S. 191. 1295 Bodin/Javerlhiac/Héas, Déviance et Société 2013, 5, 12; Ferchhoff, Jugend und Jugendkulturen im 21. Jahrhundert, S. 194; Niewiarra, „Die Zeit des Redens ist vorbei“, S. 62. 1296 Farin, generation-kick.de, S. 190. 1297 Bodin/Javerlhiac/Héas, Déviance et Société 2013, 5, 9, 15; Claus, Mundschutz, Auswärtsfahrt und Einbauküche, S. 119; Farin, generation-kick.de, S. 193. 1298 Illi, soz:mag 2005, 6, 9. 1299 Findeisen/Kersten, Der Kick und die Ehre, S. 133; Gutmann/Rutschmann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 104. 1300 Dunning/Murphy/Williams, Zuschauerausschreitungen bei Fußballspielen, S. 443. 1301 Vgl. B. III. 2.

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symbolisch durch das Medium der Lieder und Sprechchöre aus, in denen sie die Gegner verunglimpfen oder ihnen die Männlichkeit absprechen.1302 Die Liedtexte beinhalten kriegerisch konnotierte Wörter wie „kämpfen“, „kapitulieren“, „hassen“, „sterben“ und vermitteln den Eindruck, als wür­ de eine Eroberung stattfinden oder angestrebt werden.1303 Die Eroberung kann räumlich erfolgen, indem Anhänger gegnerischer Gruppen zurück­ gedrängt werden. Wesentlicher Bestandteil des Hooliganismus ist der Sieg über einen als ebenbürtig erachteten Gegner und die damit einhergehende Darstellung der eigenen Überlegenheit.1304 Das Interesse am Fußball ist oftmals ein weiterer Beweggrund, um in die Hooligan-Szene einzusteigen. Häufig spielen Hooligans bereits seit frühem Kindes- oder Jugendalter selbst Fußball. Von der Kindheit bis zur Lebens­ phase Jugend besuchen sie, zumeist in Begleitung ihrer Väter oder Freun­ de, Fußballspiele im Stadion. Die beim Einstieg in die Hooligan-Szene zu­ meist zwischen 13 und 22 Jahren alten Hooligans wollen beim Besuchen möglichst jedes Heim- und Auswärtsspiels das Spiel selbst verfolgen und im Anschluss daran an körperlichen Auseinandersetzungen mit anderen Hooligans teilnehmen.1305 Sie unterstützen neben der primär von ihnen favorisierten Mannschaft zusätzlich gelegentlich befreundete Vereine und oder die Nationalmannschaft.1306 Manche Hooligans interessieren sich nur geringfügig oder gar nicht für Fußball und gelangen ausschließlich zum Ausleben ihrer Gewaltneigung zur Hooligan-Szene.1307 Überwiegend mitteln Freunde und Bekannte den Kontakt zur Hooli­ gan-Gruppe, manche gelangen auch eigeninitiativ zur Gruppe. Hilfreich sind hierfür erfolgreich geführte körperliche Auseinandersetzungen, denn dadurch kann die Aufmerksamkeit der Gruppe auf sich gelenkt werden. Erfolgreich bedeutet in diesem Kontext entweder den Kampf zu gewin­ nen oder aber, falls es sich um einen stärkeren Gegner handelt, nicht aufzugeben. Dieses Verhalten begünstigt, in eine Gruppe aufgenommen

1302 Dunning, Sport als Männerdomäne, S. 494 f. 1303 Dunning, Sport als Männerdomäne, S. 493 f. 1304 Claus, Mundschutz, Auswärtsfahrt und Einbauküche, S. 116; Zifonun, Zeit­ schrift für Qualitative Forschung 2007, 97, 104. 1305 Bodin, Contribution à l’étude des relations entre sports et violences, S. 82; Bodin/Javerlhiac/Héas, Déviance et Société 2013, 5, 9; Bodin et al., Criminologie 2005, 195, 217; Lösel et al., Hooliganismus in Deutschland, S. 120 f. 1306 Lösel et al., Hooliganismus in Deutschland, S. 121; Bodin/Javerlhiac/Héas, Dévi­ ance et Société 2013, 5, 9. 1307 Lösel et al., Hooliganismus in Deutschland, S. 121.

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IV. Motivation und Verlauf einer Hooligan-Karriere

zu werden oder den eigenen Platz innerhalb der szeneinternen Struktur zu festigen.1308 Zugang zur und Einstiege in die Hooligan-Szene sind auch durch „Quereinstiege“ möglich, insbesondere durch die gleichzeitige räumliche Kopräsenz anderer gewaltaffiner, im Stadion befindlicher Szenen, wie der Skinhead-Szene.1309 Zum Teil verstehen Hooligans die Gewalt, die sie am Wochenende im Rahmen der „Dritten Halbzeit“ ausüben, als eine Art des (legalen) Kampfsports oder als eine Art Mannschaftssportart. Dies ist ein möglicher Grund dafür, sich dem Hooliganismus zuzuwenden. Der Hooliganismus unterscheidet sich von anderen Kampfsportarten durch die Anzahl der Be­ teiligten. Nach einer Ansicht sind im Hooliganismus keine niedergeschrie­ benen Regeln vorhanden, deren Einhaltung durch einen unbeteiligten Dritten – einer Art Schieds-, Ring- oder Kampfrichter wie z.B. im Fußball, im Thai-, Kick- oder anderen Arten des Boxens oder im Taekwondo – gewährleistet wird.1310 Gegen diese Ansicht ist einzuwenden, dass körper­ liche Auseinandersetzungen der Hooligans im Rahmen der „Dritten Halb­ zeit“ nicht regellos stattfinden, wie sich aus dem Ehrenkodex ergibt.1311 Der Ehrenkodex ist zwar kein niedergeschriebenes Regelwerk, beinhaltet aber trotzdem u.a. Regeln für die körperlichen Auseinandersetzungen. Ein von Steinmetz interviewter Hooligan wertet die von ihm als Beispiel angeführten Kampfsportarten Boxen und Karate und die körperlichen Auseinandersetzungen der Hooligans als Sport und nicht als Gewalt.1312 Nach Ansicht eines anderen Hooligans ist der Hooliganismus mit dem Ringkampf oder Kickboxen vergleichbar. Bei den jeweils vergleichbaren Kämpfen steht der Wunsch im Vordergrund, den Gegner zu besiegen. Auch dieser Hooligan sieht den Hooliganismus als Sport an.1313 Eine von Konstantinidis Interviewte vergleicht den Hooliganismus ebenfalls mit einem Kampfsport; die Kämpfe der Hooligans werden zwischen zwei oder mehreren Personen ausgetragen. Sie steigen dabei in einen, wohl symbolisch gedachten, Ring, schlagen sich gegenseitig und die anderen

1308 Lösel et al., Hooliganismus in Deutschland, S. 120. 1309 Steinmetz, Außeralltäglichkeit und Grenzerfahrung im Kontext von Gewalt, S. 259 f.; vgl. auch B. IV. 3. b) bb) bbb). 1310 Böttger, Gewalt und Biographie, S. 239 f.; vgl. auch Schäfer-Vogel, Gewalttätige Jugendkulturen, S. 352; Willms, Die dritte Halbzeit, S. 83. 1311 Lösel/Bliesener, MschrKrim 2006, 229, 229 ff. 1312 Steinmetz, Außeralltäglichkeit und Grenzerfahrung im Kontext von Gewalt, S. 265 f. 1313 Illi, soz:mag 2005, 6, 10; Illi, Hooliganismus in der Schweiz, S. 157.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

Gruppenmitglieder stehen anfeuernd dabei.1314 Aus der Perspektive dieser Hooligans sind die körperlichen Auseinandersetzungen im Kontext des Hooliganismus ein spaßbringendes Hobby mit dem Ziel, die Kräfte fair und sportlich zu messen und den Gegner zu besiegen, mithin sind sie mit den unterschiedlichen Kampfsportarten zu parallelisieren.1315 Nun stellt sich die Frage, ob und inwiefern sich die vielfältigen Gründe für einen Einstieg in die und der Zugang zur Hooligan-Szene männlicher Personen von denen weiblicher Personen unterscheiden. Der augenfälligs­ te Unterschied im Zugang und Einstieg weiblicher Personen in die Hooli­ gan-Szene ist ein geringer ausgeprägtes Interesse am Fußballsport. Zwar mögen weibliche Personen diesen Sport grundsätzlich und oder üben ihn zum Teil selbst im Verein aus, aber sie entwickeln zumeist nicht eine derartige Leidenschaft dafür wie männliche Hooligans.1316 Bei einem Teil der weiblichen Jugendlichen vollzieht sich der Zugang zur Hooli­ gan-Szene und zum Besuch von Fußballspielen über den zu dieser Zeit aktuellen Partner, so dass von einem zweifachen partnervermittelten Kon­ takt gesprochen werden.1317 Der Hooliganismus ermöglicht weiblichen Jugendlichen zum Teil, die Beziehung zu ihrem Partner, den sie ins Stadi­ on begleiten, aufrechtzuerhalten.1318 Der partnervermittelte (Erst-)Kontakt zur Hooligan-Szene darf aber nicht dazu führen, weiblichen Personen abzusprechen, sich einerseits für Fußball zu interessieren und andererseits im Hooliganismus zu engagieren. Der Einstieg weiblicher Jugendlicher in die Hooligan-Szene vollzieht sich später als bei männlichen Jugendlichen, nämlich mit etwa 20 Jah­ ren.1319 Die absolute Zeitspanne, in der weibliche Jugendliche mit dem Hooliganismus in Berührung kommen, ist kürzer als bei männlichen Ju­ gendlichen, denn sie steigen später in die Hooligan-Szene ein und früher

1314 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 132. 1315 Claus, Mundschutz, Auswärtsfahrt und Einbauküche, S. 116 ff.; Eckert/Reis/ Wetzstein, „Ich will halt anders sein wie die anderen“, S. 383. Illi, soz:mag 2005, 6, 10; Niewiarra, „Die Zeit des Redens ist vorbei“, S. 79. 1316 Bodin et al., Criminologie 2005, 195, 216 f. 1317 Bodin et al., Criminologie 2005, 195, 216 f.; Illi, Hooliganismus in der Schweiz, S. 36. 1318 Bodin et al., Criminologie 2005, 195, 217; Steinmetz, Außeralltäglichkeit und Grenzerfahrung im Kontext von Gewalt, S. 255. 1319 Bodin et al., Criminologie 2005, 195, 216; Konstantinidis, Frauen in der Hooli­ gan-Szene, S. 46.

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aus; dies ist der entscheidende Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Personen im Hooliganismus.1320 Ein möglicher Grund für die kürzere Verweildauer könnte in der, im Vergleich zu männlichen Gleichaltrigen, strenger ausgeübten sozialen Kontrolle der Eltern und deren eher traditionellen Geschlechterrollenbil­ dern liegen. Gestützt werden kann diese Vermutung durch eine von Bodin et al. 20-jährige Interviewte, die erst mit 19 Jahren begann, ins Stadion zu gehen und an Auswärtsfahrten teilzunehmen. Zuvor hätten ihre Eltern sie nicht mit so vielen Männern für zwei Tage auswärts fahren lassen.1321 Aufgrund der kürzeren Verweildauer weiblicher Personen im Hooliga­ nismus können sie auch seltener von Forschenden, Polizei oder Medi­ en wahrgenommen werden. Ein Grund für die wenigen empirischen Er­ kenntnisse und entsprechende Forschungslücken zu Motivationen zum Zugang und Einstieg weiblicher Personen zum Hooliganismus dürfte wohl auch an der häufig androzentrischen Forschung liegen. Die vorlie­ gende Arbeit möchte einen Beitrag zum Schließen dieser Forschungslü­ cken leisten. 2. Phase der Teilnahme und Motivation In der Phase der Teilnahme kommen bei männlichen Mitgliedern die Motive weiter zum Tragen, die sie zum Einstieg in die Hooligan-Szene bewegen. Währenddessen spielt auch der Kampf um die gruppeninterne Anerkennung eine wesentliche Rolle, um sich von einem neuen Mitglied hin zu einem dem „harten Kern“ Zugehörigen zu entwickeln.1322 Hierfür muss die eigene Kampf- und Gewaltbereitschaft unter Beweis gestellt wer­ den. Gruppenintern herrscht die Erwartung, für die Gruppe und deren Ehre zu kämpfen und einzustehen, sich für den Gruppenzusammenhalt einzusetzen und sich für sie verantwortlich zu fühlen.1323 Vereinzelt erhoben bisherige Studien die Perspektive von Frauen in der Hooligan-Szene zwar mit, allerdings standen diese Fragestellungen nicht im Zentrum der jeweiligen Ausgangsfragestellungen der Studien. Bei der von Bohnsack et al. durchgeführten Studie wurden mit weiblichen Grup­ penmitgliedern z.B. keine Einzelinterviews wie mit den männlichen Mit­

1320 1321 1322 1323

Bodin et al., Criminologie 2005, 195, 215. Bodin et al., Criminologie 2005, 195, 216. Vgl. C. III. 1., 2. Bodin/Javerlhiac/Héas, Déviance et Société 2013, 5, 14 ff.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

gliedern, sondern Gruppendiskussionen geführt, deren Gegenstand ihre Perspektive auf die Aktivitäten der männlichen Gruppenmitglieder war. Ihr eigener Gruppenstatus oder ihre Beteiligungen bei den mit oder oh­ ne Gewaltbezug stattfindenden Gruppenaktivitäten blieben unberücksich­ tigt.1324 Bei der von Lösel et al. durchgeführten Studie1325 wurden 33 männliche Hooligans mittels biographischen Interviews befragt.1326 Auf die Rollen oder (zugeschriebenen) Geschlechterrollenbilder weiblicher Personen in­ nerhalb der Szene wurde nicht eingegangen, obgleich der Interviewleitfa­ den die Punkte „Frauenbild?“ und „Umgang mit Frauen in kritischen Situationen“ an (vor-)letzter Stelle des Abschnitts „Weiterführende Anga­ ben“ ausweist.1327 Im Gegensatz zu den vorherigen 51 Fragen sind diese beiden Fragen eingeklammert und werden, ohne explizite Begründung, in den Untersuchungsergebnissen nicht angesprochen.1328 Andere Publika­ tionen, die sich mit dem Phänomen des Hooliganismus oder mit den in der Szene befindlichen weiblichen Personen, deren Rollen oder (zuge­ schriebenen) Geschlechterrollenbilder befassen, greifen dieses Fehlen we­ der auf noch kritisieren sie es. Möglicherweise liegt dies am fehlenden Interesse an dem Phänomen als solchem oder im bereits an anderer Stel­ le kritisierten Androzentrismus begründet. Die Auswertung der beiden Fragen wäre sicher aufschlussreich gewesen, gleichwohl hätte nur die Per­ spektive der befragten männlichen Hooligans und nicht die Perspektive weiblicher Personen erhoben und ausgewertet werden können.

1324 Bohnsack et al., Die Suche nach Gemeinsamkeit und die Gewalt der Gruppe, S. 89 ff. 1325 Lösel et al., Hooliganismus in Deutschland, S. 13. 1326 Lösel et al., Hooliganismus in Deutschland, S. 96. 1327 Vgl. Lösel et al., Hooliganismus in Deutschland, S. 205. 1328 Mögliche Gründe hierfür könnten zum einen sein, dass die Interviewenden den Interviewten die Fragen gar nicht stellten. Zum anderen könnten sie, sollten sie gestellt worden sein, von den Interviewten nicht beantwortet wor­ den sein oder es mangelte an der Fähigkeit, sie zu beantworten aufgrund mangelnder Verbalisierungsmöglichkeit/-fähigkeit oder kurzfristiger Reflexionsfähigkeit währenddessen. Ersteres könnte im mangelnden Interesse an der Beantwortung im Hinblick auf die Forschungsfragen liegen. Bei der Konzipie­ rung des Leitfadens wurde zumindest an die Fragestellungen gedacht. Mögli­ cherweise wurden die Fragen auch aus zeitlichen Gründen nicht gestellt, da sie am Ende des Interviews vorgesehen waren.

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IV. Motivation und Verlauf einer Hooligan-Karriere

a) (Zugeschriebene) Rollen und Geschlechterrollenbilder aus der Perspektive weiblicher Personen Wie sich die Rollen, Aufgaben und Bedeutungen weiblicher Personen in der Hooligan-Szene charakterisieren und welche (zugeschriebenen) Geschlechterrollenbilder vorfindbar sind, ist Gegenstand der nachfolgen­ den Abschnitte, die neben empirischen Befunden im Zusammenhang mit Hooliganismus im (Männer-)Fußball auch solche im Eishockey enthal­ ten.1329 Nach bisherigen empirischen Befunden können weibliche Perso­ nen innerhalb der Hooligan-Szene drei1330 unterschiedliche Rollen einneh­ men. Maßgebliches Unterscheidungskriterium ist, wie die im Kontext des Hooliganismus stattfindende Gewalt beeinflusst, zu verhindern versucht oder selbst ausgeübt wird. aa) Aktiv gewalthemmende Rolle Die mit männlichen Hooligans partnerschaftlich Verbundenen können eine aktiv gewalthemmende Rolle einnehmen, indem sich die männlichen Hooligans durch ihre Anwesenheit gehindert fühlen, den körperlichen Auseinandersetzungen nachzugehen.1331 Manche männlichen Hooligans sehen die partnerschaftlich Verbundenen nicht gern im Stadion, denn sie fühlen sich durch ihre räumliche Kopräsenz in zweifacher Hinsicht

1329 Vgl. Bodin/Robène/Héas, Science et Motricité 2007, 37, 40 ff.; Bodin et al., Criminologie 2005, 195, 200 ff.; Gutmann/Rutschmann, Das Frauenbilder der Hooligans; Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene; in Bezug auf „gewalt­ anfällige Auseinandersetzungen im Fußballfankontext“: Winands et al., Soziale Passagen 2019, 323, 323 ff., die wohl, nach dem Verständnis der vorliegenden Arbeit, Ultras oder Hooltras (vgl. C. II. 3.) in den Blick genommen haben. 1330 Pilz unterschied früher vier Rollen: eine passiv gewaltverstärkende, eine aktiv gewalthemmende, eine bewundernd gewaltverstärkende sowie eine selbst ak­ tiv gewalttätige Rolle, vgl. Pilz, Weibliche Fangruppen im Sport, S. 44 f. Später integrierte er die bewundernd gewaltverstärkende Rolle in die passiv gewalt­ verstärkende Rolle, vgl. Pilz, Mädchen und junge Frauen in gewaltbereiten rechten Fußballszenen, S. 47. 1331 Pilz, Mädchen und junge Frauen in gewaltbereiten rechten Fußballszenen, S. 47; Schäfer-Vogel, Gewalttätige Jugendkulturen, S. 318; Trivizas, British Jour­ nal of Criminology 1980, 276, 285 in Fn. 10.

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belastet.1332 Zum einen verlangt die aus dem Ehrenkodex1333 erwachsende Pflicht sowie die männliche Ehre sie gegen tätliche und beleidigende An­ griffe zu schützen. Zum anderen muss er sich selbst auf dem jeweiligen Territorium verteidigen.1334 Gelingt es den männlichen Hooligans nicht, die partnerschaftlich Verbundenen zu verteidigen oder zu beschützen, riskieren sie, ihr gruppeninternes Ansehen zu verlieren und die ihnen zugeschriebenen Geschlechterrollenbilder nicht erfüllen zu können. Sie befürchten, aufgrund der räumlichen Kopräsenz der jungen Frauen auf Spaß verzichten zu müssen.1335 Da Hooligans die negativen Auswirkungen einer räumlichen Kopräsenz verhindern möchten, schließen sie die part­ nerschaftlich Verbundenen zum Teil von vornherein aus, mit ins Stadion zu gehen oder an gemeinsamen Aktivitäten teilzunehmen.1336 In der Hooligan-Szene wirken mehrere Faktoren zusammen, die szen­ eintern ein Geschlechterrollenbild konstruieren, das weiblichen Personen die Beteiligung an körperlichen Auseinandersetzungen „mehr oder we­ niger untersagt“.1337 Szeneintern wird weiblichen Personen zugeschriebe­ nen, physisch unterlegen zu sein.1338 Auch aus dem Ehrenkodex ergibt sich, weibliche Personen nicht angreifen zu dürfen und sie nötigenfalls zu verteidigen (Ritterlichkeitsnorm).1339 Ein weiterer Faktor ist die von Kon­ stantinidis als „Gegenpol-Zuweisung“1340 benannte Funktion. Da Paarbe­ ziehungen männlichen Hooligans Kontinuität, Intimität, Verbindlichkeit bieten und einen legitimen Grund zum Ausstieg aus der Hooligan-Szene darstellen, bilden die weiblichen Jugendlichen oder jungen Frauen einen Gegenpol zur Hooligan-Szene. Paarbeziehungen mit Hooligans sind be­ stimmt von Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten; sie entwickeln sich „schicksalhaft und naturwüchsig“1341 jenseits kommunikativer Steuerung.

1332 Pilz, Mädchen und junge Frauen in gewaltbereiten rechten Fußballszenen, S. 47; Schäfer-Vogel, Gewalttätige Jugendkulturen, S. 318; Trivizas, British Jour­ nal of Criminology 1980, 276, 285 in Fn. 10. 1333 Vgl. bereits C. III. 2. 1334 Becker, Fußballfans, S. 155. 1335 Becker, Fußballfans, S. 155; Brändle/Koller, Goal!, S. 212; Claus, Mundschutz, Auswärtsfahrt und Einbauküche, S. 126. 1336 Becker, Fußballfans, S. 155; Brändle/Koller, Goal!, S. 213. 1337 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 130. 1338 Bodin et al., Criminologie 2005, 195, 207; Konstantinidis, Frauen in der Hooli­ gan-Szene, S. 130; Winands et al., Soziale Passagen 2019, 323, 333. 1339 Vgl. C. III. 2.; Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 130. 1340 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 130. 1341 Bohnsack et al., Die Suche nach Gemeinsamkeit und die Gewalt der Gruppe, S. 93.

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IV. Motivation und Verlauf einer Hooligan-Karriere

Männliche Hooligans abzuhalten, an körperlichen Auseinandersetzungen teilzunehmen, ist den partnerschaftlich Verbundenen häufig nicht mög­ lich, denn sie befürchten, aufgrund dessen von den Gruppenaktivitäten ausgeschlossen zu werden, obwohl sie sie nur vor weiteren Sanktionen oder Verletzungen bewahren wollen.1342 Trotzdem erwarten die männli­ chen Hooligans von ihnen, ihnen einen Freiraum zu gewähren und weder die Gruppensolidarität zu stören noch die Beteiligung an den Auseinan­ dersetzungen zu unterbinden. Sie erwarten von ihnen, nicht gewalthem­ mend zu wirken.1343 Sollten die Erwartungen nicht erfüllt werden und ak­ tiv gewalthemmend auf die männlichen Hooligans eingewirkt werden, ris­ kieren weibliche Personen zur „Störerin“ zu werden und damit die Paarbe­ ziehung zu gefährden.1344 Männliche Hooligans sehen sich mitunter vor die Alternative gestellt, sich zwischen einer festen Partnerschaft oder szen­ einternen Aktivitäten zu entscheiden. Da aus ihrer Sicht Partnerinnen sie davon abhalten versuchen, daran teilzunehmen, gehen sie mitunter gar keine festen Partnerschaften ein oder sind der Ansicht, diese könnten leichter nach einem Ausstieg aus dem Hooliganismus geführt werden.1345 Um dem zugeschriebenen Geschlechterrollenbild zu entsprechen und die Paarbeziehung nicht zu gefährden, üben weibliche Personen selbst zu­ meist keine Gewalt aus;1346 gewalthemmende Effekte und Handlungen sind folglich von den Hooligans unerwünscht. bb) Passiv gewaltverstärkende Rolle Weibliche Jugendliche und junge Frauen können durch unterschiedliche Verhaltensweisen passiv gewaltverstärkend wirken. Dies geschieht z.B. durch das Filmen oder Fotografieren der körperlichen Auseinandersetzun­ gen der Hooligans, um das Erlebte später gemeinsam anzusehen und das „Wir-Gefühl“ zu stärken.1347 Das gemeinsame Ansehen des Materials ist

1342 Bohnsack et al., Die Suche nach Gemeinsamkeit und die Gewalt der Gruppe, S. 93 ff.; Matthesius, Anti-Sozial-Front, S. 155. 1343 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 197 f. 1344 Bodin et al., Criminologie 2005, 195, 207; Konstantinidis, Frauen in der Hooli­ gan-Szene, S. 198. 1345 Matthesius, Anti-Sozial-Front, S. 159 f. 1346 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 198. 1347 Bodin/Robène/Héas, Science et Motricité 2007, 37, 47; Claus, Mundschutz, Aus­ wärtsfahrt und Einbauküche, S. 125; Gutmann/Rutschmann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 106; Matthesius, Anti-Sozial-Front, S. 156; Pilz, Mädchen und

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

eine ebenso zentrale Gruppenaktivität und deren integraler Bestandteil wie die körperlichen Auseinandersetzungen selbst.1348 Währenddessen wird analysiert und diskutiert, wie die Gruppe organisiert war und dient jünge­ ren Mitgliedern als Anschauungs- und Schulungsmaterial, Vorbild und Handlungsanleitung, wie Auseinandersetzungen ablaufen sollen und ver­ mittelt ihnen die innerhalb der Gruppe geltenden Werte, Regeln und Normen (den Ehrenkodex).1349 Das Verbildlichen des Erlebten und das gemeinsame Ansehen des Materials ermöglicht den filmenden oder foto­ grafierenden weiblichen Personen, den Neueinsteigenden und Abwesen­ den, mitreden zu können und führt zu gruppeninterner Anerkennung. Dem Einwand, männliche Hooligans könnten die körperlichen Auseinan­ dersetzungen ebenfalls filmen, um so das spätere Ansehen des Materials zu ermöglichen, kann entgegnet werden, daraus könnte die Gefahr einer zahlenmäßigen Unausgewogenheit der Gruppen erwachsen. Als indirekt gewaltunterstützende Maßnahme mieten weibliche Perso­ nen Busse oder Kleintransporter für Auswärtsfahrten an, da manche Ver­ mietungsfirmen diese teilweise nicht mehr an die männlichen Mitglieder vermieten.1350 Durch die Übernahme der Anmietung von Kraftfahrzeugen, dem Filmen und Fotografieren schließt Pilz, männliche Hooligans – die i.S. Bourdieus die Herrscher sind – instrumentalisieren ihre Freundinnen – die i.S. Bourdieus die Beherrschten sind. Diese wiederum lassen sich instrumentalisieren und es (re-)produziert sich die männliche Herrschaft, weil sie fasziniert sind von der Gewalt der männlichen Hooligans und von deren sportlicher Männlichkeit. 1351 Zudem lässt es den Schluss zu, dass die Hooligans ihren partnerschaftlich Verbundenen vertrauen, denn die ihnen übertragenen Aufgaben sind von zentraler Bedeutung für das Stattfinden der körperlichen Auseinandersetzungen und für die durch das Ansehen des Materials erfolgende Stärkung des Gruppenzusammenhalts. Des Weiteren können weibliche Personen gewaltverstärkend wirken, in­ dem sie die männlichen Hooligans auffordern und ermutigen, sich nichts gefallen zu lassen und zuzuschlagen, womit sie direkt zur Eskalation der

1348 1349 1350 1351

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junge Frauen in gewaltbereiten rechten Fußballszenen, S. 47; Pilz, Weibliche Fan-Gruppen im Sport, S. 45. Bodin/Robène/Héas, Science et Motricité 2007, 37, 47; Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 98. Bodin et al., Criminologie 2005, 195, 209. Pilz, Mädchen und junge Frauen in gewaltbereiten rechten Fußballszenen, S. 47. Pilz, Mädchen und junge Frauen in gewaltbereiten rechten Fußballszenen, S. 47.

IV. Motivation und Verlauf einer Hooligan-Karriere

Gewalt beitragen. Männliche Hooligans kommen den Aufforderungen nach, um nicht als schwach oder unmännlich angesehen zu werden und um sich vor ihnen zu beweisen.1352 Dem eigenen Geschlechterrollenbild der Hooligans entspricht es nicht, Schwäche zu zeigen oder nicht den Er­ wartungen entsprechend zuzuschlagen. Sie verweigern sich nicht, an den „ernsten Spiele[n] des Wettbewerbs“1353 teilzunehmen, sondern demons­ trieren durch ihre Teilnahme, den auffordernden, weiblichen Zuschauen­ den gefallen zu wollen. Diese fungieren als die schmeichelnden Spiegel i.S. Bourdieus, die den männlichen Hooligans das vergrößerte Bild ihrer selbst zurückwerfen. Diesem Bild will und soll er sich angleichen.1354 Weibliche Jugendliche und junge Frauen können die körperlichen Aus­ einandersetzungen auch initiieren, indem sie die gegnerische HooliganGruppe provozieren oder beschimpfen. So beziehen sich die weiblichen Personen selbst in die körperlichen Auseinandersetzungen mit ein und nehmen dadurch mittelbar daran teil. Durch die bloße Kraft ihrer Anwe­ senheit können weibliche Personen mitunter die männlichen Hooligans dazu auffordern, sich selbst zu übertreffen und ihre Männlichkeit durch die ausgeübte Gewalt zu beweisen.1355 Sie verstärken so den Wettstreit und die Demonstration körperlicher Stärke unter den männlichen Hooli­ gans.1356 Dadurch tragen sie zur Konstruktion und Vollendung des männ­ lichen Habitus im Hooliganismus bei. Eine weitere passiv gewaltverstärkende Handlung kann das Schmuggeln von verbotenen Gegenständen (z.B. Waffen, Pyrotechnik) ins Stadion sein, indem die weiblichen Personen sie in ihrer Kleidung verstecken.1357 Er­ möglicht und erleichtert wird dieses Schmuggeln zum Teil durch die nicht ausreichend vorhandenen weiblichen Sicherheitskräfte und die meist nur stichprobenartig und zufällig verlaufenden Kontrollen am Stadioneingang, denn männliche Sicherheitskräfte dürfen die weiblichen Stadionbesucher

1352 Bodin et al., Criminologie 2005, 195, 214 f.; Dunning, Sport als Männerdomä­ ne, S. 497; Pilz, Mädchen und junge Frauen in gewaltbereiten rechten Fußball­ szenen, S. 47; Pilz, Weibliche Fan-Gruppen im Sport, S. 44; Rulofs, Gewalt im Sport aus Perspektive der Geschlechterforschung, S. 156; Trivizas, British Journal of Criminologie 1980, 276, 285. 1353 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. 1354 Vgl. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. 1355 Bodin et al., Criminologie 2005, 195, 214 f. 1356 Bodin et al., Criminologie 2005, 195, 215. 1357 Bodin/Robène/Héas, Science et Motricité 2007, 37, 47; Pilz, Mädchen und junge Frauen in gewaltbereiten rechten Fußballszenen, S. 47.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

nicht kontrollieren.1358 Männliche Stadionbesucher werden am Eingang grundsätzlich strenger beobachtet und abgesucht, da sie grundsätzlich po­ tenziell verdächtiger sind, Hooligans zu sein.1359 Weibliche Jugendliche oder junge Frauen rechtfertigen oder neutralisieren das Schmuggeln ver­ botener Gegenstände ins Stadion, indem sie anführen, es mangele an einer Gefährdung der Gegner.1360 Szeneintern wird das Schmuggeln verbotener Gegenstände auch als Gegengewalt zu der von der Polizei durch Gummi­ geschosse oder Tränengas ausgeübten Gewalt gesehen. Diese Sicht verweist ebenfalls auf Neutralisierungsstrategien.1361 Das Abbrennen von Pyrotech­ nik oder Magnesiumpulver kann auch als Provokation gegenüber den gegnerischen Anhängern bzw. der gegnerischen Mannschaft eingesetzt werden und kann u.U. zu Spielunter- oder -abbrechungen führen. Das Verletzungsrisiko ist als hoch einzustufen und stellt zudem einen Verstoß gegen das SprengG1362 dar. Die männlichen Hooligans erwarten von weiblichen Kopräsenten Für­ sorglichkeit, was ebenfalls als passiv gewaltverstärkendes Element gewertet werden kann und Rückschlüsse auf das Geschlechterrollenbild zulässt.1363 Fürsorgliche, unterstützende Handlungen können währenddessen darin bestehen, Verletzte zu versorgen und entsprechende Medikamente bei sich zu führen, weshalb sie als mütterliche Trösterinnen und Sanitäterinnen beschrieben werden.1364 Weibliche Kopräsente bewundern die männlichen Hooligans und stär­ ken so deren Selbstbewusstsein und den Hooliganismus.1365 Eine die Hoo­ ligans Bewundernde läuft aber u.U. Gefahr, nie als feste Partnerin in Frage zu kommen, denn sie könnte nicht als Gegenpol zum Hooliganis­ mus dienen.1366 Sie hat Konstantinidis zufolge die von ihr als „Stereotyp der sexuellen Verfügbarkeit“1367 benannte Funktion. Diesem Stereotyp Entsprechende haben keinen festen Partner, pflegen mit den männlichen

1358 Bodin/Robène/Héas, Science et Motricité 2007, 37, 47; Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 76. 1359 Bodin/Robène/Héas, Science et Motricité 2007, 37, 47. 1360 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 76. 1361 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 77. 1362 Vgl. C. III. 5. b) aa). 1363 Becker, Fußballfans, S. 155. 1364 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 148; Hofmann, Mädchenarbeit im Fan-Projekt Berlin, S. 130, 27. 1365 Gutmann/Rutschmann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 114. 1366 Gutmann/Rutschmann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 113 f. 1367 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 199.

222

IV. Motivation und Verlauf einer Hooligan-Karriere

Gruppenmitgliedern lediglich kurzfristige, unverbindliche Beziehungen und würden ihnen in sexueller Hinsicht zur Verfügung stehen, ausgenutzt und anschließend fallen gelassen werden.1368 Weibliche Personen mit szen­ einterner fester Paarbeziehung sind hiervor geschützt und sind für Mitglie­ der der eigenen und fremden Gruppe „tabu“.1369 Hier ist das szeneintern vorherrschende traditionelle Geschlechterrollenbild erkennbar, das weibli­ chen Personen zuschreibt, Besitz des männlichen Gruppenmitglieds zu sein und ihm zuschreibt, sie beschützen und verteidigen zu müssen.1370 Wenn weibliche Personen über eine Paarbeziehung zur Gruppe zugehö­ rig werden, kann die Beschützerfunktion, die Bestandteil der Ritterlich­ keitsnorm ist, auf andere männliche Gruppenmitglieder übertragen wer­ den.1371 Endet die Paarbeziehung mit dem den Kontakt zur Gruppe mit­ telnden Hooligan und wird anschließend mit einem anderen Gruppenmit­ glied eine Beziehung eingegangen, dann erhält sie mitunter den Beinamen „Wanderpokal“.1372 Wenngleich das Wechseln der Partner nicht häufiger erfolgt als dies in der Lebensphase Jugend üblich ist, achten männliche Gruppenmitglieder besonders auf solche Wechsel, denn wenn sie nur dazu dienen, den Zugang zur Hooligan-Gruppe aufrechtzuerhalten, dann greift für sie das „Stereotyp der sexuellen Verfügbarkeit“.1373 Zum Teil ziehen Hooligan-Gruppen „Groupiegruppen“ an, die aus weiblichen Personen bestehen, denen es nicht gelingt, eine eigene Zuge­ hörigkeit zur Gruppe herzustellen und akzeptiert zu werden. Sie werden „auf ihre sexuelle Brauchbarkeit hin gewertet“1374 und entsprechend des „Stereotyps der sexuellen Verfügbarkeit“ behandelt. Matthesius zufolge ko­ kettieren diese weiblichen Personen mit ihrer Weiblichkeit, weshalb die männlichen Hooligans wiederum sie darauf reduzieren. Der Grund für das Kokettieren ist der Wunsch, an den Aktivitäten der Hooligan-Gruppe teil­ zuhaben und ein männliches Gruppenmitglied für sich zu gewinnen.1375 1368 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 199 f.; Gutmann/Rutschmann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 114; s.a. Kersten, Risiken und Nebenwirkun­ gen, S. 111. 1369 Gutmann/Rutschmann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 114; s.a. Konstantini­ dis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 200. 1370 Claus, Mundschutz, Auswärtsfahrt und Einbauküche, S. 126; Gutmann/Rutsch­ mann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 114. 1371 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 200. 1372 Matthesius, Anti-Sozial-Front, S. 154. 1373 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 198; Matthesius, Anti-SozialFront, S. 154. 1374 Matthesius, Anti-Sozial-Front, S. 158. 1375 Matthesius, Anti-Sozial-Front, S. 159.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

Weibliche Personen, die entsprechend des „Stereotyps der sexuellen Ver­ fügbarkeit“ gesehen werden, ist es gerade nicht möglich, einen Hooligan für sich zu gewinnen und i.S.d. „Gegenpol-Zuweisung“ als feste Partnerin in Frage zu kommen. Folglich bewirken weibliche Jugendliche und junge Frauen in Groupiegruppen durch ihr Verhalten genau das Gegenteil von dem, was sie zu erreichen beabsichtigen, da sie womöglich nicht mit der szeneinternen Logik vertraut sind. Die in der Hooligan-Szene befindlichen weiblichen Personen teilen Ge­ walt Konstantinidis zufolge in drei Stufen ein:1376 Auf der untersten Stufe stehen (szeneexterne) „Pöbeleien“ oder „Reibereien“. Auf mittlerer Stufe steht das szeneinterne Ritual der wechselseitigen Aggressionssteigerung und auf oberster Stufe stehen die szeneinternen körperlichen Auseinander­ setzungen. Den Übergang zwischen zweiter und dritter Stufe betrachten sie Konstantinidis zufolge als prozesshaftes „Hineinsteigern“.1377 Die von Konstantinidis weiblichen Interviewten differenzieren zusätzlich zwischen begründeter und unbegründeter Gewalt. Szeneinterne körperli­ che Auseinandersetzungen ordnen sie der unbegründeten Gewalt zu, da sie für sie schwierig nachvollziehbar sind. Sie schreiben den sie Ausüben­ den zu, eine persönliche, emotionale Disposition zu gewaltförmigem Ver­ halten aufzuweisen.1378 Für sich selbst lehnen sie teilweise jegliches gewalt­ tätige Handeln grundsätzlich ab. Obwohl manche weibliche Jugendliche oder junge Frauen selbst im (Kampf-)Sport aktiv und deshalb grundsätz­ lich in der Lage sind, sich selbst zu physisch zu verteidigen, leiten sie daraus keine Möglichkeit ab, ihre physischen Fähigkeiten auszubauen oder im Kontext des Hooliganismus anzuwenden.1379 Dennoch wenden sie manchmal situativ Gewalt an, z.B. bei einem konkreten Streit mit dem in der Hooligan-Szene befindlichen Freund, was als Kommunikations- und Konfliktlösungsmittel innerhalb der Paarbeziehung und deshalb, nach der oben erwähnten subjektiven Gewalteinteilung, als begründete Gewalt gilt.1380 Die Gewaltanwendung gegen den männlichen Hooligan kann mit­ unter folgenlos bleiben, da die Ritterlichkeitsnorm vor einer gewaltsamen Reaktion schützt. Weiblichen Personen wird weder zugeschrieben noch zugestanden, Gewalt als effizientes Kommunikations- und Machtmittel einsetzen zu können, denn da die Gewalt keine Reaktion hervorruft oder

1376 1377 1378 1379 1380

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Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 78 f. Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 79. Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 79. Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 81. Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 82.

IV. Motivation und Verlauf einer Hooligan-Karriere

von männlichen Hooligans nicht ernst genommen wird, läuft sie ins Lee­ re.1381 Andere Konstellationen, in denen weibliche Personen gegen ihren in der Hooligan-Szene befindlichen Freund Gewalt anwenden, sind z.B. Si­ tuationen, in denen sie beabsichtigen, ihn physisch von der Teilnahme an Auseinandersetzungen zurückzuhalten.1382 Dieses Vorgehen kann als aktiv gewalthemmendes Verhalten durch selbst aktiv gewalttätiges Verhalten gewertet werden, das eine ambivalente, in sich widersprüchliche Haltung hinsichtlich Gewalt offenbart. Der später noch ausführlich vorzustellenden Rolle weiblicher selbst aktiv Gewalttätigen ohne zugewiesenen Sondersta­ tus1383 kann das skizzierte Verhalten nicht zugeordnet werden, weil nur in­ nerhalb der Paarbeziehung und nicht gegenüber anderen Hooligans oder weiblichen Personen im szeneinternen oder -externen Kontext Gewalt an­ gewendet wird. Eine sich derart Verhaltende lässt in ihrem eigenen Bild von Weiblichkeit somit Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten erken­ nen, denn sie integriert darin gewaltfreies und gewaltförmiges Handeln gleichermaßen.1384 cc) Selbst aktiv gewalttätige Rolle Der Anteil der weiblichen selbst aktiv Gewalttätigen innerhalb der Hoo­ ligan-Szene steigt Pilz zufolge kontinuierlich an.1385 Ob diese Ansicht zutreffend ist, kann nicht beurteilt werden, da hierzu weder quantitati­ ve noch im Zeitverlauf vergleichende Erhebungen vorliegen. Da die For­ schungslandschaft eine angemessene Feindifferenzierung des Forschungs­ gegenstandes durch entsprechende Beschreibung bislang vermissen lässt, besteht im Folgenden ein Hauptaugenmerk darin, eine entsprechende Ka­ tegorisierung und Feindifferenzierung vorzunehmen und zu begründen.

1381 1382 1383 1384 1385

Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 82. Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 82. Vgl. C. IV. 2. a) cc) bbb). Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 74. Pilz, Mädchen und junge Frauen in gewaltbereiten rechten Fußballszenen, S. 47; Pilz, Weibliche Fan-Gruppen im Sport, S. 45.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

aaa) Weibliche Personen mit zugewiesenem Sonderstatus Unter gewissen Voraussetzungen ist es für weibliche Jugendliche oder junge Frauen möglich, an szeneinternen Aktivitäten und körperlichen Auseinandersetzungen beteiligt zu sein. aaaa) Zugang Möglicherweise unterscheiden sich weibliche Gewaltausübende in der Hooligan-Szene nicht nur hinsichtlich der Gewaltbereitschaft und -aus­ übung von anderen weiblichen Kopräsenten. Weiblichen Gewaltausüben­ den kann der Zugang auch über die eigene Fansozialisation, andere ge­ meinsame Freizeitgestaltungen (z.B. Ausübung von Kampfsport) oder die Skinhead-Szene gelingen.1386 Damit unterscheidet sich der Zugang weib­ licher Gewaltausübenden zur Hooligan-Szene maßgeblich von anderen weiblichen Kopräsenten. Ebenso wie die männlichen müssen weibliche Hooligans, bevor sie akzeptiert werden, Initiationsriten bestehen, wie z.B. an körperlichen Aus­ einandersetzungen teilnehmen, „Insignien“ stehlen oder das Lokal einer gegnerischen Gruppe verwüsten.1387 Die der gegnerischen Gruppe entwen­ deten Gegenstände stellen sie später auf den Tribünen aus, um die Gegner erneut zu provozieren und deren Unterlegenheit zu demonstrieren.1388 Die Gruppe überträgt auch den weiblichen Kopräsenten die Verantwortung, auf die die Ehre der Gruppe symbolisierenden Gegenstände aufzupassen und zeigt so, ihnen zu vertrauen und sich auf sie zu verlassen.1389 Die Einschätzung von Bodin et al., wonach „ces femmes semblent devenir ‚des hommes comme les autres‘“1390 deckt sich mit Millers An­ sicht im Zusammenhang mit weiblichen Jugendlichen in gewaltaffinen ge­

1386 Bodin et al., Criminologie 2005, 195, 217; Konstantinidis, Frauen in der Hoo­ ligan-Szene, S. 92 ff. et passim; Claus, Mundschutz, Auswärtsfahrt und Einbau­ küche, S. 125; Spaaij, Understanding football hooliganism, S. 334. 1387 Bodin/Robène/Héas, Science et Motricité 2007, 37, 49; Bodin et al., Criminolo­ gie 2005, 195, 212 f. 1388 Bodin et al., Criminologie 2005, 195, 208. 1389 Bodin/Robène/Héas, Science et Motricité 2007, 37, 49; Bodin et al., Criminolo­ gie 2005, 195, 208. 1390 Bodin/Robène/Héas, Science et Motricité 2007, 37, 49: „diese Frauen scheinen zu ‚Männern wie die anderen‘ zu werden“ (eigene Übersetzung der Verf.); s.a. Bodin et al., Criminologie 2005, 195, 212.

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IV. Motivation und Verlauf einer Hooligan-Karriere

schlechtsheterogenen Gruppenkontexten.1391 Es ist nicht auszuschließen, dass die von weiblichen Personen im Hooliganismus ausgeübte Gewalt eine Antwort auf die männliche Herrschaft ist, die sie dazu veranlasst, ge­ nauso gut oder besser Gewalt auszuüben wie die männlichen Hooligans, um von ihnen anerkannt und akzeptiert zu werden.1392 Aufgrund dessen ist es Bodin et al. zufolge zurecht nicht mehr möglich, die Teilnahme weib­ licher Personen an den gewalttätigen Auseinandersetzungen der Hooli­ gans zu negieren, wie dies laut Bodin et al. in anderen Studien der Fall ist.1393 bbbb) Motive, Anlässe und Geschlechterrollenbild Selbst aktiv gewalttätige weibliche Personen im Hooliganismus suchen und wünschen sich Anerkennung, Durchsetzungsfähigkeit und Macht, streben nach Aktion und wollen Aggressionen und Dominanz ausleben. Diese Motivationen und Ziele korrespondieren mit denen der männlichen Hooligans1394 und mit bisherigen Befunden zu weiblichen Jugendlichen in gewaltaffinen Gruppenkontexten.1395 Weibliche Hooligans suchen Pilz zufolge szeneintern keine Partnerschaft.1396 Die Zugangsmotivationen und -anlässe unterscheiden sich somit von den bereits vorgestellten weiblichen, die aktiv gewalthemmende oder passiv gewaltverstärkende Rolle einneh­ menden Jugendlichen.1397 Bisherige Studien beantworten die Frage, ob weibliche Jugendliche oder junge Frauen nur gegen andere in der Hooligan-Szene befindliche weibliche Kopräsente oder auch gegen männliche Hooligans Gewalt an­ wenden, uneinheitlich. Überwiegend wird davon ausgegangen, dass sie gegen männliche und weibliche Personen in der Hooligan-Szene Gewalt ausüben.1398 Im Gegensatz dazu berichtet eine von Konstantinidis Inter­

1391 1392 1393 1394 1395 1396 1397 1398

Vgl. B. IV. 3. b) cc). Bodin/Robène/Héas, Science et Motricité 2007, 37, 49. Bodin et al., Criminologie 2005, 195, 213 mwN. Bodin et al., Criminologie 2005, 195, 213; Pilz, Mädchen und junge Frauen in gewaltbereiten rechten Fußballszenen, S. 50. Vgl. B. IV. 3. b) bb). Pilz, Mädchen und junge Frauen in gewaltbereiten rechten Fußballszenen, S. 48. Vgl. C. IV. 2. a) aa), bb). Bodin/Robène/Héas, Science et Motricité 2007, 37, 40; Bodin et al., Criminolo­ gie 2005, 195, 202; Pilz, Mädchen und junge Frauen in gewaltbereiten rechten

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

viewte von einer strikt geschlechtergetrennten Gewalt.1399 Aus der Per­ spektive dieser von Konstantinidis Interviewten verstößt eine gemischtge­ schlechtliche körperliche Auseinandersetzung gegen die Regeln eines fai­ ren fights, denn innerhalb der Hooligan-Szene herrscht die Vorstellung vor, weibliche seien männlichen Personen physisch unterlegen und die Annahme, ein fairer Kampf habe nur zwischen gleichwertigen Gegnern zu erfolgen.1400 Da gemischtgeschlechtliche körperliche Auseinanderset­ zungen nach Ansicht dieser von Konstantinidis Interviewten grundsätzlich nicht stattfinden, fragt sich, unter welcher hypothetischen Voraussetzung dies aus ihrer Perspektive trotzdem möglich sein könnte: Hypothetische Voraussetzung hierfür wäre ein männlicher Hooligan, der schwächer als die anderen Gruppenmitglieder erscheint. Diese hypothetisch gedachte, gemischtgeschlechtliche körperliche Auseinandersetzung entspräche unter den Bedingungen des fairen fights nicht dem szeneinternen angemessenen Verhalten für weibliche Personen und widerspräche der für sie szenein­ tern bestehenden Norm, keine Gewalt auszuüben.1401 Würde sie sich da­ rüber hinwegsetzen, könnte die szeneintern übliche Zuschreibung von Stärke und Verletzungsmächtigkeit zu Männlichkeit sowie Schwäche und Verletzungsoffenheit zu Weiblichkeit bei gleichzeitiger Absprache, verlet­ zungsmächtig sein zu können, entsprechend den traditionellen Geschlech­ terrollenbildern und den homologen Gegensätzen i.S. Bourdieus,1402 nicht aufrechterhalten werden. Eine weibliche Gewaltausübende wäre in diesem Fall nach der inneren Logik des Hooliganismus nicht mehr weiblich, aber auch nicht männlich, sondern eine „Kampfmaschine“ ohne zuschreibbares Geschlecht1403 oder „gelte [...] als ‚bekloppt‘“.1404 Um sich an gemischtgeschlechtlichen Kämpfen zu beteiligen, wäre es nach der von Konstantinidis Interviewten hypothetisch möglich, mit einer Waffe gegen einen männlichen Hooligan zu kämpfen oder dass mehrere weibliche Personen gemeinsam gegen einen männlichen Hooligan kämp­

1399 1400 1401 1402 1403 1404

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Fußballszenen, S. 47; Pilz, Weibliche Fan-Gruppen im Sport, S. 45; Spaaij, Understanding football hooliganism, S. 335; Winands et al., Soziale Passagen 2019, 323, 334 f. Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 96. Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 96; vgl. auch Bodin et al., Criminologie 2005, 195, 207. Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 96. Vgl. B. II. 1., IV. 2. a) aa). Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 96 f.; vgl. auch Matthesius, Anti-Sozial-Front, S. 156. Winands et al., Soziale Passagen 2019, 323, 334.

IV. Motivation und Verlauf einer Hooligan-Karriere

fen.1405 Körperliche Auseinandersetzung unter weiblichen Personen bean­ spruchen ebenfalls für sich, faire fights zu sein, weshalb auch sie nur zwischen gleichgroßen Gruppen stattfinden. Da bei den gegnerischen Gruppen selten selbst aktiv gewalttätige weibliche Jugendliche mit zuge­ wiesenem Sonderstatus anwesend sind, ist es schwer bis gar nicht planbar, ob überhaupt solche Kämpfe stattfinden. Grundsätzlich ist von einem seltenen, situativen Stattfinden auszugehen.1406 Eigene gewalttätige Handlungen beschreibt eine von Konstantinidis In­ terviewte als nicht „weiblich“. Als „‚weibliche‘ Kampfformen“1407 nennt sie das Ziehen an den Haaren, kratzen oder beißen; diese Formen lehnt sie zwar nicht grundsätzlich ab, wendet sie aber selbst nicht an. Die Inter­ viewte beschreibt die von ihr szeneintern ausgeübte Gewalt als männlich konnotiert, denn sie nutzt währenddessen, in Anlehnung an die Praxen und Handlungsformen männlicher Hooligans, ihre Fäuste und Füße.1408 Diese Befunde weisen Parallelen zu denjenigen zu weiblichen Gewaltaus­ übenden in gewaltaffinen geschlechtshomogenen wie -heterogenen Grup­ pen auf.1409 Auf den ersten Blick erscheinen die Äußerungen der von Konstantinidis Interviewten widersprüchlich. Aus der Perspektive dieser Interviewten ist eine szeneintern Gewaltausübende eine „Kampfmaschine“ ohne zuschreib­ bares Geschlecht. Auch teilt die Interviewte grundsätzlich die im szenein­ ternen Ehrenkodex enthaltene Ritterlichkeitsnorm1410 und spricht weibli­ chen Personen die Fähigkeit ab, selbst physische Gewalt anwenden zu können. Ihre eigene Gewaltbereitschaft wie -ausübung sieht sie als persön­ liche Eigenschaft und damit als integrierten Teil ihres eigenen Geschlech­ terrollenbildes an,1411 was mit den Befunden zu weiblichen Mitgliedern in gewaltaffinen geschlechtshomogenen oder ‑heterogenen Gruppen über­ einstimmt.1412 Durch das Teilen und Befürworten der szeneinternen Nor­ men hinsichtlich der Gewaltbereitschaft und -ausübung ist es ihr möglich, sich von dem szeneinternen, wahrgenommenen Geschlechterrollenbild in

1405 1406 1407 1408 1409 1410 1411 1412

Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 97. Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 98 f., 74. Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 105. Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 105; vgl. auch Winands et al., Soziale Passagen 2019, 323, 333 ff. Vgl. B. IV. 3. b) bb). Vgl. C. III. 2., IV. 2. a) aa). Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 105; vgl. auch Matthesius, An­ ti-Sozial-Front, S. 156. Vgl. B. IV. 3. b) bb).

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

Bezug auf Frauen zu entfernen und dies als Teil des eigenen Geschlechter­ rollenbildes zu sehen.1413 Erklärbar wird somit, weshalb sie die eigene Ge­ waltanwendung nicht als den szeneinternen körperlichen Auseinanderset­ zungen und den Geschlechterrollenbildern widersprechend ansieht, denn subjektiv entsteht für sie ein Freiraum und die eigene Gewaltausübung entspricht subjektiv einem, unter weiblichen Personen stattfindendem fairen fight.1414 Dieser Befund von Konstantinidis unterscheidet sich von anderen Befunden,1415 nach denen gemischtgeschlechtliche körperliche Auseinandersetzungen möglich sind. Die Wahrnehmung der eigenen Gewaltanwendung wird mit weiteren subjektiven Strategien bearbeitet, so dass das Bild von Weiblichkeit mit den wahrgenommenen Geschlechterrollenbildern in Bezug auf Frauen vereinbar werden kann, denn diese von Konstantinidis Interviewte nimmt in ihrem eigenen Geschlechterrollenbild divergierende Geschlechterrollen­ bilder und Erwartungen wahr.1416 Die Ablehnung der von Männern gegen Frauen angewandten Gewalt beruht dabei auf dem Geschlechterrollenbild, das Männern die Fähigkeit abspricht, Konflikte verbal zu lösen. Frauen sind aus der Perspektive der von Konstantinidis Interviewten hierzu willens und in der Lage. Die physische Gewaltanwendung wird zu einer zweiten Kommunikations- und Konfliktlösungsmöglichkeit, die sie nur anwendet, wenn es sich erstens um ein begründetes Gewalthandeln (z.B. aufgrund von empfundener Wut) handelt und zweitens darf der Konflikt verbal nicht lösbar sein.1417 Die subjektive Definition ihrer, in Gewaltausübung mündenden Gewaltbereitschaft stimmt somit mit ihren eigenen Beteili­ gungsformen bei szeneinternen körperlichen Auseinandersetzungen unter weiblichen Personen überein. Gleichzeitig grenzt sie sich subjektiv gegen­ über der Gewaltanwendung der männlichen Hooligans ab, indem sie die zwischen ihnen stattfindenden Auseinandersetzungen als unpersönlich be­ urteilt, da sie sich durch anschließendes gemeinsames Feiern verbrüdern würden. Ein gemeinsames Feiern kommt für die von Konstantinidis Inter­ viewte aufgrund der zuvor erlebten Aggression und Wut während den Auseinandersetzungen nicht in Frage.1418

1413 1414 1415 1416 1417 1418

230

Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 105. Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 105. Vgl. B. IV. 3. b) bb) aaa) aaaa). Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 105. Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 105 f. Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 106.

IV. Motivation und Verlauf einer Hooligan-Karriere

cccc) Voraussetzungen für die Zuweisung eines Sonderstatus und Selbstpositionierung Der nachfolgende Abschnitt wendet sich der Frage zu, unter welchen drei Voraussetzungen weibliche Personen einen Sonderstatus durch die männlichen Gruppenmitglieder qua ihrer Definitionsmacht zugewiesen bekommen können.1419 Die Gruppe weist der betreffenden weiblichen Person ausdrücklich einen Sonderstatus zu, wenn sie sich loyal gegenüber der Gruppe verhält, deren Anweisungen, die Funktionsweise und die in­ nere Logik des Hooliganismus unhinterfragt akzeptiert.1420 Aufgrund des zugewiesenen Sonderstatus empfindet sie sich, als zweites Element, subjek­ tiv zur Gruppe zugehörig und ist deshalb stets räumlich kopräsent, teilt und akzeptiert die szeneinternen Normen, insbesondere den Ehrenkodex und die darin enthaltene Ritterlichkeitsnorm, und handelt entsprechend ihres eigenen Bildes von Weiblichkeit, in das Gewaltausübung integriert ist.1421 Das dritte Element ist die konkrete Beteiligung an szeneinternen Aktivitäten,1422 wozu das mit Emotionen verbundene Ausüben der szen­ einternen Gewalt zählt. Voraussetzung hierfür ist, dass im eigenen Ge­ schlechterrollenbild der weiblichen Hooligan als fest integrierter Bestand­ teil die emotionale Disposition zur Gewalt vorhanden ist. Eine weibliche Hooligan muss willens und physisch in der Lage sein, Gewalt auszuüben, was auch im Ausüben einer Kampfsportart wie Kickboxen begründet sein kann.1423 Zudem muss eine Motivation zur Zugehörigkeit zur HooliganSzene bestehen. Nur so ist es möglich, vorhandene Wut oder Aggressionen abzubauen, Frustrationen zu bewältigen und Spaß daran zu empfinden, zuzuschlagen.1424 Weibliche Personen mit zugewiesenem Sonderstatus definieren andere weibliche Personen als Gegnerinnen aufgrund ihrer räumlichen Koprä­ senz und damit unabhängig von der gesicherten Kenntnis, ob letztere ebenfalls einen Sonderstatus zugewiesen bekommen haben. Bei solchen Auseinandersetzungen schreiten die männlichen Hooligans weder ein noch beteiligen sie sich hieran, denn nach der szeneinternen Logik einer 1419 1420 1421 1422 1423

Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 97 ff. Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 106, 116. Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 106, 116 ff. Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 98. Bodin et al., Criminologie 2005, 195, 207; Konstantinidis, Frauen in der Hooli­ gan-Szene, S. 104 f.; Pilz, Mädchen und junge Frauen in gewaltbereiten rechten Fußballszenen, S. 50. 1424 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 104.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

von Konstantinidis Interviewten erfolgt die Gewaltanwendung grundsätz­ lich nach Geschlechtern getrennt.1425 Weibliche Gewalttätige positionieren sich zu anderen in der Hooli­ gan-Szene befindlichen weiblichen Personen. Sie nehmen dafür die Per­ spektive der männlichen Mitglieder ein und erwarten von weiblichen Personen ohne zugewiesenen Sonderstatus, Störungen von Gruppenakti­ vitäten durch komplizierte Paarbeziehungen zu unterlassen und sich ent­ sprechend ihrer Position angemessen gegenüber der Hooligan-Gruppe zu verhalten.1426 Die Abgrenzung zu anderen in der Szene Befindlichen er­ folgt, indem ihnen der Status als „Freundin von“ aufgrund der räumlichen Kopräsenz qua partnervermitteltem Kontakt zugewiesen wird. Sie befürch­ ten, eine gezielte Beziehungsaufnahme zu anderen weiblichen Kopräsen­ ten würde ihre eigene gruppeninterne Position gefährden.1427 Die Gewaltbereitschaft und -ausübung von weiblichen Hooligans kann und darf nicht als bloße Nachahmung des männlichen Habitus missver­ standen werden, denn sie sind integrierte Bestandteile ihrer eigenen Ge­ schlechterrollenbilder.1428 Diese Ansicht korrespondiert mit den Befunden zu weiblichen Jugendlichen in gewaltaffinen geschlechtshomogenen und -heterogenen Gruppen.1429 Bbb) Weibliche Personen ohne zugewiesenen Sonderstatus Ob jede weibliche Person innerhalb der Hooligan-Szene eines zugewiese­ nen Sonderstatus bedarf, wird im nachfolgenden Abschnitt ebenso erörtert wie die Frage, inwieweit sie das Gewalthandeln in ihr eigenes Geschlech­ terrollenbild integriert haben und es mit dem szeneinternen, zugeschriebe­ nen Geschlechterrollenbild kollidiert. Eine weitere von Konstantinidis Interviewte übt Gewalt nur als Reaktion auf Gewalttätigkeiten anderer in emotional geprägten Situationen aus, in denen sie persönlich betroffen ist, wenn z.B. ihr Partner gefährdet ist oder sie Eifersucht empfindet. Sie fühlt sich grundsätzlich nicht in der Lage, Gewalt anzuwenden, da sie sich selbst zuschreibt, unsportlich 1425 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 106 f. 1426 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 119, 101; Winands et al., Sozia­ le Passagen 2019, 323, 334. 1427 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 119. 1428 Pilz, Mädchen und junge Frauen in gewaltbereiten rechten Fußballszenen, S. 50. 1429 Vgl. B. IV. 3. b) bb), cc).

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IV. Motivation und Verlauf einer Hooligan-Karriere

zu sein und über eine geringe körperliche Leistungsfähigkeit zu verfü­ gen.1430 Das lässt auf ein traditionelles Geschlechterrollenbild schließen, denn sie sieht sich selbst nicht als verletzungsmächtig an. Ihre subjektiv empfundene fehlende Fähigkeit, Gewalt auszuüben, kombiniert sie mit einer fehlenden emotionalen Disposition dazu. Die emotionale Dispositi­ on kann sich nur durch äußere Einflüsse entwickeln, in denen Gewalt als einziges Kommunikationsmittel erscheint. Wendet sie dennoch Gewalt an, erzeugt dies eine Ambivalenz zwischen ihrem eigenen Geschlechter­ rollenbild und ihrem Körperbild.1431 Danach können sich weibliche Ju­ gendliche situativ an körperlichen Auseinandersetzungen beteiligen, aller­ dings nur im Rahmen der Gruppe und in männlicher Begleitung, die nicht notwendigerweise der eigene Partner sein muss.1432 Für das eigene Gewalthandeln benötigt sie keinen zugewiesenen Sonderstatus. Diese von Konstantinidis Interviewte positioniert sich zwischen anderen weiblichen Mitgliedern liegend. Sie zeigt ein ambivalentes Selbstverständnis, denn ihre Beteiligung an gewaltförmigen Auseinandersetzungen sind situativ möglich. Die Kenntnis der szeneinternen Normen, wie die ritualisierte Ge­ walt bei körperlichen Auseinandersetzungen abläuft, ermöglicht ihr maß­ geblich, sich daran zu beteiligen.1433 Diese von Konstantinidis Interviewte nutzt Geschlechterrollenbilder flexibel. Der der Ritterlichkeitsnorm inne­ wohnende beschützende Aspekt wird vom eigenen Partner auf die ande­ ren männlichen Gruppenmitglieder übertragen. Hiermit wird ermöglicht, sich ohne Partner eigenständig in der Gruppe zu bewegen und schützt vor Gewalt.1434 Eine weitere von Konstantinidis Interviewte1435 berichtet über szenein­ terne Normen bezüglich weiblicher Personen und wie szeneintern eine angemessene Ausübung von Gewalt gewertet wird, woraus weitere Hin­ weise für das (zugeschriebene) Geschlechterrollenbild aus der Perspektive weiblicher Personen gewonnen werden können. Diese von Konstantinidis Interviewte erlernte von einem männlichen Gruppenmitglied Kampftechniken, was angesichts der bisherigen Ausführungen zunächst widersprüch­ lich erscheint. Um diese Techniken anzuwenden, müssen gewisse Voraus­ setzungen vorliegen. Es muss sich um Situationen handeln, in denen die

1430 1431 1432 1433 1434 1435

Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 122, 134 ff., 145 f. Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 136. Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 147 f. Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 145 f., 148. Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 148 f. Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 153 f., 184 f.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

dem Ehrenkodex immanente Ritterlichkeitsnorm versagt, wie z.B. Situa­ tionen, die zur Selbstverteidigung zwingen und kein männliches Grup­ penmitglied die Verteidigung übernehmen kann. Vorstellbar sind solche Situationen z.B. während körperlichen Auseinandersetzungen, in die weib­ liche Personen unbeabsichtigt involviert werden, etwa weil auf Seiten der gegnerischen Gruppe weibliche Hooligans dabei sind, die auf die ebenfalls weiblichen Kopräsenten „losgehen“.1436 Weiterhin sind solche Situationen denkbar, wenn sexuell konnotierte Übergriffe erfolgen. Eine andere von Konstantinidis Interviewte erfuhr bei einem solchen Übergriff, nicht verlet­ zungsmächtig zu sein, denn sie schubste den Angreifer weg, aber dies erzielte keine konfliktlösende Wirkung, da er das Wegschubsen nicht als solches wahrnahm. Anschließend bat sie ein männliches Gruppenmitglied um Hilfe.1437 Weibliche Personen erfahren, dass ihre körperliche Praxis nicht als Gewalt verstanden wird. Dies vermittelt ihnen das Geschlechter­ rollenbild, grundsätzlich unterlegen und nicht fähig zu sein, Gewalt auszu­ üben. Situatives eigenes Gewaltanwenden wird als durch äußere Umstände in Verteidigungssituationen ausgelöst erklärt.1438 Situationen, in denen weibliche Personen unbeabsichtigt involviert oder sie von anderen weiblichen Kopräsenten angegriffen werden, zwingen eine von Konstantinidis Interviewte zur Selbstverteidigung, denn nach der szen­ einternen Logik dürfen männliche Gruppenmitglieder die Angreifende nicht angreifen, um das weibliche Gruppenmitglied zu verteidigen, so dass sie selbst dazu fähig sein muss.1439 Körperliche Auseinandersetzungen bergen also auch für weibliche Personen ohne zugewiesenen Sonderstatus die Gefahr in sich, angegriffen zu werden. Denn aus ihrer räumlichen Ko­ präsenz schließen weibliche Gewaltausübende mit zugewiesenem Sonder­ status auf ihre Kampffähigkeit und -bereitschaft. Das Ausüben von Gewalt durch weibliche Personen, mithin Verletzungsmächtigkeit, ist somit in Situationen, die als Selbstverteidigung und somit als Reaktion auf gewalt­ förmiges Verhalten anderer gewertet werden, von den szeneinternen (zu­ geschriebenen) Geschlechterrollenbildern gedeckt. Nicht davon umfasst

1436 Bodin/Robène/Héas, Science et Motricité 2007, 37, 45; Bodin et al., Criminolo­ gie 2005, 195, 207; Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 158; Matthesius, Anti-Sozial-Front, S. 155; Winands et al., Soziale Passagen 2019, 323, 334. 1437 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 135; s.a. Winands et al., Soziale Passagen 2019, 323, 334. 1438 Bodin et al., Criminologie 2005, 195, 207; Konstantinidis, Frauen in der Hooli­ gan-Szene, S. 135; Matthesius, Anti-Sozial-Front, S. 156. 1439 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 158.

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IV. Motivation und Verlauf einer Hooligan-Karriere

ist Gewalt, die als Aktion zu werten ist. Nach den homologen Gegensätzen i.S. Bourdieus1440 wird das eigentlich erwartete passive Verhalten in aktives, männlichen Personen zugeschriebenes gewaltförmiges Verhalten nur in Selbstverteidigungssituationen umgedeutet. Die Ausübung von Gewalt durch weibliche Personen ist durch weitere Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten geprägt und kann in weiteren Situationen erfolgen. Während einer spontanen körperlichen Auseinan­ dersetzung zwischen männlichen Mitgliedern zweier Hooligan-Gruppen regte sich eine von Konstantinidis Interviewte über eine schlichtend Ein­ greifende der gegnerischen Hooligan-Gruppe auf, bat sie, ruhig zu sein und „[gab ihr] eins auf die Nuss“.1441 Rückblickend sucht sie nach Be­ gründungen für das nicht in ihr eigenes Geschlechterrollenbild passende gewalttätige Verhalten. Der Gewaltausübung wird zugeschrieben, das effizientere Kommunikationsmittel als die verbale, gewaltfreie Konfliktlösung zu sein. Als weitere retrospektive Erklärung, Gewalt angewendet zu haben, dient die situative, unfreiwillig mitreißende Dynamik.1442 Sie nutzt Strate­ gien und Begründungsversuche, das eigene Gewalthandeln in das eigene Geschlechterrollenbild zu integrieren, ohne dieses gänzlich aufzugeben und modifiziert es situativ. Die Fähigkeit, Gewalt ausüben zu können, wird allerdings nicht durchgängig als positiv gewertet, obwohl es dem Selbstschutz dient, sondern die Fähigkeit wird zum Teil ignoriert.1443 Trotz der eigenen Gewaltausübung ist es nicht immer möglich, daraus gegenüber dem partnerschaftlich Verbundenen eine Berechtigung ableiten zu können, sich selbst szeneintern an körperlichen Auseinandersetzungen zu beteiligen, weil es seinem Geschlechterrollenbild widerspricht und ihm die Definitionsmacht innerhalb der Paarbeziehung obliegt, die ihm er­ möglicht, seine Vorstellungen durchzusetzen.1444 Das vom Partner geteilte szeneinterne Weiblichkeitskonzept beurteilt die Gewalttätigkeit weiblicher Personen als negativ. Obwohl die Gewalttätigkeit durch Legitimierungsund Neutralisierungsstrategien und die Notwendigkeit der Selbstverteidi­ gung begründet werden kann, führt die eigene Gewalttätigkeit weiblicher Personen dazu, für die männlichen Hooligans unattraktiv zu sein, weil das

1440 Vgl. B. IV. 2. a) aa). 1441 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 180. 1442 Bodin/Robène/Héas, Science et Motricité 2007, 37, 45; Bodin et al., Criminolo­ gie 2005, 195, 207; Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 180; Win­ ands et al., Soziale Passagen 2019, 323, 333 ff. 1443 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 180. 1444 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 182.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

gewaltförmige Handeln nicht dem idealen, zugeschriebenen Geschlechter­ rollenbild entspricht.1445 Den männlichen Hooligans obliegt die Definitionsmacht darüber, ob, wann und in welchen Situationen weibliche Mitglieder Gewalt ausüben (dürfen) und folglich die Definitionsmacht über deren szeneinterne Betei­ ligung, denn die szeneinterne Kommunikationsformen knüpfen an die Gewaltausübung gewisse Bedingungen.1446 Das Erlernen der Kampftechniken ermöglicht, grundsätzlich an den körperlichen Auseinandersetzungen teilzunehmen. Allerdings vermittelt die szeneinterne Norm der geschlech­ tergetrennten körperlichen Auseinandersetzungen den weiblichen Perso­ nen, dass das gewaltförmige Verhalten grundsätzlich nicht dem von ihnen erwarteten, zugeschriebenen und als angemessen erachteten Verhalten ent­ spricht,1447 denn es widerspricht dem szeneinternen Geschlechterrollen­ bild. Szeneintern gibt es eine Trennung zwischen männlichen und weibli­ chen Sphären, die sich aus den frauenausschließenden szeneinternen Nor­ men und Kommunikationsformen ergibt und die auch das je weiblichen und männlichen Personen zugeschriebene, angemessene Verhalten definiert.1448 Hier werden erneut die homologen Gegensätze i.S. Bourdieus sichtbar. Von weiblichen Personen wird erwartet, sich selbst zu positio­ nieren, wobei sie sich entweder als mit partnervermitteltem Kontakt zur Szene oder als Gewalttätige positionieren können.1449 Weibliche Personen ohne partnervermittelten Kontakt zur HooliganSzene und mit zugewiesenem Sonderstatus sind durch ihre Teilnahme an den szeneinternen Aktivitäten und den körperlichen Auseinanderset­ zungen stärker in die Szene integriert als die partnerschaftlich Verbunde­ nen. Auch in der Wahl der Kleidung ähneln die weiblichen Personen ohne partnervermittelten Kontakt eher den männlichen Hooligans.1450 Hierdurch wird ihr vergeschlechtlichter und vergeschlechtlichender Habi­ tus1451 erkennbar, denn Kleidung ist als dessen Ausdruck zu sehen.

1445 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 182 f.; Matthesius, Anti-SozialFront, S. 156. 1446 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 183. 1447 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 183; Matthesius, Anti-SozialFront, S. 156. 1448 Bodin et al., Criminologie 2005, 195, 207; Konstantinidis, Frauen in der Hooli­ gan-Szene, S. 185; Matthesius, Anti-Sozial-Front, S. 155 f. 1449 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 187. 1450 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 186. 1451 Vgl. B. IV. 2. a).

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IV. Motivation und Verlauf einer Hooligan-Karriere

Kritisch bewerten weibliche Personen die Normen, die ihnen zuschrei­ ben, nicht fähig zu sein, Gewalt auszuüben und sich deshalb nicht an den szeneinternen Aktivitäten beteiligen zu dürfen. Aufgrund dieses, als frauenausschließend erachteten Mechanismus üben männliche Hooligans gegenüber den mit ihnen partnerschaftlich Verbundenen innerhalb der Paarbeziehung ihre Definitionsmacht aus, um ihre männliche Sphäre in­ nerhalb der Szene zu wahren.1452 Gleichwohl profitieren weibliche Perso­ nen innerhalb der Paarbeziehung von der sie vor Gewalt schützenden Ritterlichkeitsnorm. Die Ambivalenz bezüglich des Geschlechterrollenbil­ des entsteht zwischen der eigenen Erfahrung, physisch fähig zu sein, sich selbst verteidigen zu können und der Absprache dieser Fähigkeit.1453 Das szeneintern als beschützend gedachte Verhalten aufgrund der Ritter­ lichkeitsnorm werten weibliche Jugendliche nicht durchweg als positiv, sondern erleben es als besitzergreifendes, kontrollierendes Verhalten.1454 Üben weibliche Jugendliche Gewalt aus, wird das mit physischer Unattrak­ tivität gleichgesetzt. Physische Attraktivität wird mit Passivität, also mit einer sich der Definitionsmacht der männlichen Hooligans unterwerfen­ den weiblichen Person, gleichgesetzt.1455 Ein solches Geschlechterrollen­ bild gereicht weiblichen Personen zum Nachteil und widerspricht u.U. ihren eigenen Geschlechterrollenbildern, die jedoch in sich ambivalent sein können.1456 Wenn weibliche Jugendliche Gewalt in ihr eigenes Ge­ schlechterrollenbild integriert haben und dies kollidierend zum szenein­ ternen Geschlechterrollenbild ist, dann können sie trotzdem die sie vor Gewalt schützenden Elemente nutzen, obwohl sie sie gleichzeitig als kon­ trollierend und für sie nachteilig empfinden. Auch hier wird erneut die Widersprüchlichkeit und Ambivalenz der in der Hooligan-Szene befindlichen weiblichen Jugendlichen in Bezug auf ihr eigenes und das szeneinter­ ne Geschlechterrollenbild deutlich.

1452 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 188; s.a. Bodin et al., Crimi­ nologie 2005, 195, 207; Matthesius, Anti-Sozial-Front, S. 156. 1453 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 188. 1454 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 183. 1455 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 189; vgl. auch Matthesius, An­ ti-Sozial-Front, S. 155. 1456 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 189.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

b) (Zugeschriebene) Geschlechterrollenbilder aus der Perspektive männlicher Personen Anhaltspunkte für die (zugeschriebenen) Geschlechterrollenbilder in der Hooligan-Szene ergeben sich auch aus der Perspektive der männlichen Mitglieder. aa) Zwei Kategorien weiblicher Personen Männliche Hooligans bilden zwei verschiedene Kategorien für weibliche Personen. Ausgangspunkt dieser Kategorien ist die Annahme, Hooligans lebten in einer Doppelwelt1457 und ihr Geschlechterrollenbild in Bezug auf weibliche Personen orientiere sich daran.1458 Das zweigeteilte Ge­ schlechterrollenbild orientiert sich nach der schon seit der Romantik bekannten, dichotomen Zuordnung in „Heilige“ und „Hure“.1459 Mit der „bürgerlichen Frau“ (die „Heilige“) verkehren die Hooligans in ihrer bürgerlichen Alltagsidentität. Zu ihnen zählen die (potenziellen) Freun­ dinnen und andere weibliche Personen in weiteren Bezugsgruppen der Hooligans. Sie halten die „bürgerliche Frau“ von der Hooligan-Szene fern und verheimlichen ihr zum Teil sogar, dort zugehörig zu sein.1460 Die „bürgerliche Frau“ soll bei den körperlichen Auseinandersetzungen weder anwesend sein noch sie als gut bewerten.1461 Die „bürgerliche Frau“ reprä­ sentiert für die männlichen Hooligans eine Bezugsperson, die ihnen als Halt in der bürgerlichen Welt dient und ihnen sichert, dort zugehörig zu sein. Sie fungieren dort als verfestigende Verankerung, als Stabilisator und bieten Orte der Geborgenheit.1462 Die Heirat oder Gründung einer eige­ nen Familie mit einer „bürgerlichen Frau“ ermöglicht es den männlichen

1457 Vgl. C. III. 2. 1458 Gutmann/Rutschmann, soz:mag 2005, 11, 12. 1459 Claus, Mundschutz, Auswärtsfahrt und Einbauküche, S. 126; Gutmann/Rutsch­ mann, soz:mag 2005, 11, 12. 1460 Claus, Mundschutz, Auswärtsfahrt und Einbauküche, S. 126; Gutmann/Rutsch­ mann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 111 f.; Hughson, Journal of Sport and Social Issues 2000, 8, 14 f.; Gutmann/Rutschmann, Das Frauenbild der Hooli­ gans, S. 112. 1461 Gutmann/Rutschmann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 113. 1462 Claus, Mundschutz, Auswärtsfahrt und Einbauküche, S. 126; Gutmann/Rutsch­ mann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 113, 178; Matthesius, Anti-SozialFront, S. 160.

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IV. Motivation und Verlauf einer Hooligan-Karriere

Hooligans, aus der Szene auszusteigen oder der Versuchung zu widerste­ hen, wieder einzusteigen.1463 Konflikte innerhalb der Paarbeziehung kön­ nen durch die Anwendung szeneinterner Normen entstehen, etwa wenn nach dem szeneinternen, eher tradierten Geschlechterrollenbild, nach dem partnerschaftlich Verbundene zu beschützen und zu verteidigen sind und in gewisser Weise der Besitz ihres Freundes sind, gehandelt wird. Diese Auffassung teilen die „bürgerlichen Frauen“ nicht durchgängig, was mit­ unter zu Spannungen in der Paarbeziehung führt.1464 Demgegenüber hat die „Szenefrau“ (die „Hure“), die die Hooligans szeneintern antreffen, die Aufgabe, bei körperlichen Auseinandersetzun­ gen, wenn auch nur als Zuschauerin, teilzunehmen und währenddessen die männlichen Hooligans zu bewundern1465 und als „schmeichelnde Spiegel“ i.S. Bourdieus zu fungieren. Die „Szenefrauen“ stellen für männ­ liche Hooligans zum Teil sogar einen Anreiz dar, zur Szene zugehörig zu sein.1466 Männliche Hooligans wollen zwar von den „Szenefrauen“ be­ wundert werden, verlieren aber gerade deshalb den Respekt vor ihnen.1467 „Szenefrauen“ können nicht als Gegenpol zur Hooligan-Szene i.S.v. Kon­ stantinidis fungieren, denn sie unterfallen dem „Stereotyp der sexuellen Verfügbarkeit“.1468 Eine „Szenefrau“ kommt nicht als feste Partnerin in Frage und läuft Gefahr, aus Sicht der männlichen Hooligans in sexuel­ ler Hinsicht „ohne jegliche Verbindlichkeit zu haben“1469 zu sein. „Szen­ efrauen“ dienen dazu, das Selbstbewusstsein und „Selbstwertgefühl [der männlichen Hooligans] aufzupolieren“,1470 das sie größtenteils erst in der Hooligan-Szene, auch aufgrund der „Eroberungen“ weiblicher Personen, gewinnen. Gelingt eine derartige Eroberung, resultiert daraus ein gruppen­

1463 Gutmann/Rutschmann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 113; Hughson, Journal of Sport and Social Issues 2000, 8, 15; Matthesius, Anti-Sozial-Front, S. 160. 1464 Gutmann/Rutschmann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 114. 1465 Claus, Mundschutz, Auswärtsfahrt und Einbauküche, S. 126; Gutmann/Rutsch­ mann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 113; Hughson, Journal of Sport and Social Issues 2000, 8, 14 f. 1466 Gutmann/Rutschmann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 113. 1467 Claus, Mundschutz, Auswärtsfahrt und Einbauküche, S. 126; Gutmann/Rutsch­ mann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 113. 1468 Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 95; Gutmann/Rutschmann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 114; s.a. Claus, Mundschutz, Auswärtsfahrt und Einbauküche, S. 126; Hughson, Journal of Sport and Social Issues 2000, 8, 14 f. 1469 Gutmann/Rutschmann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 178, 114; s.a. Konstan­ tinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 120–130 et passim. 1470 Gutmann/Rutschmann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 178, 114; s.a. Hughson, Journal of Sport and Social Issues 2000, 8, 13 ff.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

interner Statusgewinn.1471 Die von Hughson untersuchten Hooligans be­ gründen ihr Verhalten als normal für die voreheliche Lebensphase.1472 Das szeneinterne Geschlechterrollenbild beinhaltet somit den ambivalenten Wunsch, mit einer „bürgerlichen Frau“ zusammen zu sein und gleichzei­ tig sich durch die „Szenefrauen“ ihre Männlichkeit bestätigen zu las­ sen.1473 bb) (Zugeschriebene) Geschlechterrollenbilder Nach Hofmann beinhaltet das Geschlechterrollenbild männlicher Hooli­ gans hinsichtlich weiblicher Personen das Verbot, selbst aktiv gewalttätig zu handeln; sollten sie dennoch so handeln, lachen männliche Hooligans sie aus und nehmen sie nicht ernst. Deshalb sind nach Hofmann weibliche Personen gezwungen, die an sie gerichteten Erwartungen zu erfüllen und die passiv gewaltverstärkende Rolle einzunehmen sowie nicht an den kör­ perlichen Auseinandersetzungen teilzunehmen.1474 Gutmann/Rutschmann eruieren die Geschlechterrollenbilder, Normen und Werte hinsichtlich Be­ ziehungen zu weiblichen Personen der von ihnen interviewten Hooligans. Das Spannungsverhältnis zwischen der „bürgerlichen Welt“ und der „Hoo­ liganwelt“ wächst ihnen zufolge mit (zunehmender) normativer Veranke­ rung in der „bürgerlichen Welt“. Eine hohe Anzahl von Bezugsgruppen in der „bürgerlichen Welt“ trägt zu einer starken Verhaftung in dieser Welt bei. Entscheidend ist letztlich nicht die Quantität, sondern die Qualität der Bezugsgruppen sowie das Zugehörigkeitsbedürfnis des Einzelnen zu einer bestimmten Gruppe.1475 Demnach hängt das Geschlechterrollenbild der Hooligans von deren jeweiliger normativer Verankerung ab. Je enger die Verankerung eines Gruppenmitglieds mit der Hooligan-Gruppe und deren Werte- und Normenvorstellungen ist, desto traditioneller ist auch das Geschlechterrollenbild.1476 Je eher die normative Verankerung in der „bürgerlichen Welt“ zu sehen ist, desto eher ist ein „‚emanzipiert‘ gefärb­

1471 Gutmann/Rutschmann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 178; Hughson, Journal of Sport and Social Issues 2000, 8, 14 f. 1472 Hughson, Journal of Sport and Social Issues 2000, 8, 14 f. 1473 Gutmann/Rutschmann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 178. 1474 Hofmann, Mädchenarbeit im Fan-Projekt Berlin, S. 130. 1475 Gutmann/Rutschmann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 171. 1476 Gutmann/Rutschmann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 171.

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IV. Motivation und Verlauf einer Hooligan-Karriere

te[s] Frauenbild“1477 vorhanden. Deshalb sind zwischen den szene- und gruppeninternen und individuellen Geschlechterrollenbildern der einzel­ nen Gruppenmitglieder Diskrepanzen vorhanden und wahrnehmbar.1478 Da die „bürgerliche Welt“ als Zukunftsperspektive dient, wird sie mehr­ heitlich von den männlichen Hooligans höher bewertet.1479 Weibliche Personen werden, entlang der Doppelorientierung, in die bereits vorge­ stellten Kategorien „Szenefrau“ und „bürgerliche Frau“ eingeteilt und ent­ sprechend abgewertet bzw. höher bewertet.1480 c) Stellungnahme Das Verhalten weiblicher Personen muss sich nicht auf eine der drei bislang in der empirischen Forschung eruierten Rollen beschränken, viel­ mehr können die Rollen situativ eingenommen, gewechselt und kombi­ niert werden. Innerhalb der Hooligan-Szene kommen in unterschiedlicher Weise und Situationen frauenausschließende Mechanismen zum Einsatz. Diese gründen sich auf den individuellen Geschlechterrollenbildern der weiblichen Personen selbst, auf den Geschlechterrollenbildern derjenigen, die ihnen den Kontakt zur Hooligan-Szene mitteln und auf den szene- und gruppeninternen Geschlechterrollenbildern. Dennoch können weibliche Personen szeneintern Gewalt ausüben, unabhängig vom Zugang zur Hoo­ ligan-Szene. Obwohl sich ein Teil der in der Hooligan-Szene befindlichen weiblichen Personen selbst den männlichen Hooligans physisch unterle­ gen fühlt und sich somit die physische Unterlegenheit selbst zuschreibt, sind sie fähig, Gewalt gegen andere anzuwenden. Erforderlich hierfür ist, die Gewaltbereitschaft in das eigene Geschlechterrollenbild integriert zu haben. Zum Teil erfolgt dies, wie bei den weiblichen Personen mit zugewiesenem Sonderstatus, ohne weitergehende Rechtfertigungs- oder Legitimierungsstrategien. Zum Teil benötigen weibliche Personen jedoch solche Strategien, um vor sich selbst, ihrem Partner oder der Gruppe ihre Gewaltausübung zu rechtfertigen. Keines der im obigen Abschnitt herausgearbeiteten Geschlechterrollenbilder ist widerspruchsfrei, sondern

1477 Gutmann/Rutschmann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 171; Gutmann/Rutsch­ mann, soz:mag 2005, 11, 11 f. 1478 Gutmann/Rutschmann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 177 ff.; Konstantinidis, Frauen in der Hooligan-Szene, S. 188. 1479 Gutmann/Rutschmann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 179. 1480 Gutmann/Rutschmann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 180.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

geprägt von nur schwer miteinander vereinbaren Ambivalenzen. Auch den Ehrenkodex und die darin enthaltene Ritterlichkeitsnorm nehmen weibli­ che Personen ambivalent wahr. Die jeweiligen Geschlechterrollenbilder sind somit nicht stringent, sondern werden von männlichen wie weibli­ chen Einzelpersonen und der Gruppe je situativ und flexibel gehandhabt und bewerkstelligt und scheinen auch fragile Elemente aufzuweisen. Eine Feindifferenzierung bei weiblichen, selbst aktiv Gewalttätigen ist notwendig und wurde bislang noch nicht derart vorgenommen. Aussagen über die quantitative Relevanz und Häufigkeit zu weiblichen Gewalttäti­ gen innerhalb der Hooligan-Szene können aufgrund der spärlich vorhan­ denen empirischen Forschung hierzu nicht getroffen werden. Die Vermu­ tung liegt nahe, dass es mehr weibliche Gewaltausübende ohne als solche mit zugewiesenem Sonderstatus gibt. Die homologen Gegensätze i.S. Bourdieus sind in der Hooligan-Szene all­ gegenwärtig und werden fortwährend (re-)produziert.1481 Die Trennung in männliche und weibliche Sphären innerhalb der Hooligan-Szene bezieht sich insbesondere sich auf das Ausüben von Gewalt, das im Falle von männlichen Hooligans ausgeübter Gewalt keiner Rechtfertigungs-, Legiti­ mierungs- oder Neutralisierungstechnik bedarf. Zur weiblichen Sphäre gehört es, grundsätzlich keine Gewalt auszuüben. Dieser Grundsatz ist jedoch brüchig und wird durch die individuellen Geschlechterrollenbilder überwunden. Würden sie die gewaltförmige Verhaltensweise dauerhaft übernehmen, würden sie gegen die Zuordnung ihrer Person zum Weib­ lichen aus der Perspektive der männlichen und auch eines Teils der an­ deren weiblichen Personen in der Hooligan-Szene verstoßen. Weibliche Mitglieder weisen mitunter einen vergeschlechtlichten und vergeschlecht­ lichenden Habitus auf, in welchem die eigene Gewaltausübung integriert ist. Mitunter rechtfertigen oder neutralisieren sie ihr eigenes Gewalthan­ deln mit entsprechenden Strategien. In Situationen, die gerade nicht auf willentlicher, geplanter Gewaltausübung beruhen, läuft das gewalttätige Verhalten nicht den szeneinternen Geschlechterrollenbildern zuwider. Aufgrund dessen reproduzieren diejenigen mit partnervermitteltem Kon­ takt zur Hooligan-Szene ihre primäre Strategie zur Konfliktlösung mit verbalen, kommunikativen Strategien. Ein Lösen von Konflikten unter An­ wendung physischer Gewalt kommt jedoch sekundär in Betracht. Grund­ sätzlich halten sie an traditionellen Geschlechterrollenbildern fest, was an der Wahl und Rangfolge ihrer Konfliktlösungsstrategien ableitbar ist. Den­ noch wird die Integration von Gewalt in ihr Geschlechterrollenbild sicht­ 1481 Vgl. B. IV. 2. a) aa).

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IV. Motivation und Verlauf einer Hooligan-Karriere

bar. Die Beherrschten i.S. Bourdieus sind hier die (weiblichen) Personen mit partnervermitteltem Kontakt zur Szene, die den Geschlechterrollenbil­ dern der herrschenden (männlichen) Hooligans entsprechen wollen. Die Herrschenden üben die Definitionsmacht darüber aus, welche Sphären und Tätigkeiten die Beherrschten einzunehmen haben. Die Zuweisung eines Sonderstatus an weibliche Personen lässt auf ein flexibles Geschlechterrollenbild der die Definitionsmacht ausübenden männlichen Hooligans schließen. Sie erkennen damit Ähnlichkeiten zwi­ schen sich selbst und den weiblichen Gewaltausübenden an. Die Ähnlich­ keiten betreffen die Wünsche und Suche nach Anerkennung, die körperli­ che Leistungsfähigkeit und Gewaltbereitschaft. Aufgrund dessen werden weibliche Personen mit zugewiesenem Sonderstatus zu „einer von uns“. Dabei Imitieren sie nicht die Verhaltensweisen der männlichen Hooligans, sondern es sind eigene Verhaltensweisen weiblicher Personen, die den männlichen ähneln oder zum Teil auch gleichen. Sie gleichen sich an den feldspezifischen Habitus an. 3. Motivationen und Beweggründe für einen Ausstieg Der nachfolgende Abschnitt widmet sich den vielfältigen Motivationen und Beweggründen für einen (potenziellen) Ausstieg aus der HooliganSzene. Häufige Ausstiegsgründe (je gerundet; Mehrfachnennungen mög­ lich) sind Lösel et al. zufolge repressive Maßnahmen der Justiz (Haftstrafen 82 %, Geldstrafen 55 %), der Polizei oder Sicherheitsbehörden (58 %). Auch präventive Maßnahmen wie z.B. die Arbeit der Fanprojekte (42 %) und Stadionverbote (36 %) können relevant für einen (potenziellen) Aus­ stieg sein.1482 Weitere Gründe können im persönlichen Bereich liegen, wie familiäre Gründe bzw. Paarbeziehungen (82 %) und im eigenen Alter be­ gründet sein (36 %).1483 Zudem erfolgt ein Ausstieg aufgrund von Ängsten vor einem möglichen Arbeitsplatzverlust (33 %), der aus dem Bekanntwer­ den der „Hooliganaktivitäten“ oder Vorstrafen resultieren kann, aus Angst vor Verletzungen (15 %) und der subjektiv wahrgenommenen Brutalisie­

1482 Lösel et al., Hooliganismus in Deutschland, S. 128. 1483 Lösel et al., Hooliganismus in Deutschland, S. 128; s.a. Bodin/Javerlhiac/Héas, Déviance et Société 2013, 5, 17 ff.; Claus, Mundschutz, Auswärtsfahrt und Einbauküche, S. 128.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

rung der fights (15 %).1484 Mit zunehmendem Alter der Hooligans nimmt ihre Risikobereitschaft ab und die gemeinsam mit der Hooligan-Gruppe erlebten körperlichen Auseinandersetzungen verlieren an individueller Bedeutung. Mit zunehmendem Alter verlieren die zum Einstieg in die Hooligan-Szene bewegenden Motive an Wichtigkeit und die persönlichen Prioritäten verschieben sich zugunsten der Produktions- wie Reprodukti­ onsarbeit.1485 Der Ausstieg aus der Hooligan-Szene geschieht zumeist nicht vollstän­ dig und abrupt, sondern zum Teil nur temporär oder in einem über längere Zeit dauernden Prozess.1486 Während sich Hooligans langsam aus der Szene zurückziehen, besuchen sie nur noch sporadisch Fußballspiele, stehen aber noch immer mit der Hooligan-Szene in Kontakt. Insbesondere Derbys verlieren in der Zeit des prozesshaften Ausstiegs nicht an Faszinati­ on. Deshalb beteiligen sich zum Teil auch schon weit im Ausstiegsprozess fortgeschrittene Hooligans bei diesen „Highlights“.1487 Die mit dem Hooliganismus verbundenen Risiken körperlicher Art und oben beschriebenen Ängsten, insbesondere vor repressiven Maßnahmen, werden in einer wohl zweckrationalen Kosten-Nutzen-Rechnung als höher bewertet als zu Beginn der Hooligan-Karriere, oder anders gewendet: „es steht zu viel auf dem Spiel“ als dass sich der Einsatz in das Spiel i.S. Bourdieus1488 noch lohnen würde. Der praktische Glaube (die doxa) an das Spiel des Hooliganismus und an den entsprechenden Einsatz darin, z.B. die Gewalt und das Riskieren des eigenen Körpers, finanzieller Ressourcen und verschiedene Ängste, könnte mit zunehmender Verweildauer und zunehmendem Alter verloren gehen und sich die anfangs nicht weiter hinterfragte Anerkennung in eine aktiv hinterfragte verwandeln.1489 Weitere Gründe für einen (potenziellen) Ausstieg können Lösel et al. zufolge (jeweils gerundet) die Langeweile aufgrund fehlender fights (24 %), der Verlust der Hooligan-Gruppe, z.B. aufgrund eines Umzugs (12 %), eigene Drogenabhängigkeit (12 %), finanzielle Belastungen durch die Hoo­ liganaktivitäten (6 %) und auch religiöse Ansichten sein (6 %).1490

1484 Lösel et al., Hooliganismus in Deutschland, S. 128; s.a. Bodin/Javerlhiac/Héas, Déviance et Société 2013, 5, 17. 1485 Bodin/Javerlhiac/Héas, Déviance et Société 2013, 5, 17. 1486 Bodin/Javerlhiac/Héas, Déviance et Société 2013, 5, 8 ff., 16 ff. 1487 Lösel et al., Hooliganismus in Deutschland, S. 128. 1488 Vgl. B. IV. 1. d). 1489 Vgl. B. IV. 1. d). 1490 Lösel et al., Hooliganismus in Deutschland, S. 128.

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IV. Motivation und Verlauf einer Hooligan-Karriere

Das Leben der Ausgestiegenen verliert durch den Ausstieg und der Intensivierung des Privat- und Berufslebens an Spannung. Diese Span­ nung und die vermisste Solidarität der Gruppe erhoffen manche durch einen temporären Wiedereinstieg wiederzuerlangen.1491 Weiterer Grund für einen temporären Wiedereinstieg kann im Verlust des Arbeitsplatzes liegen, denn dadurch wird das Leben wieder als sinnhaft empfunden.1492 Der Ausstieg weiblicher Personen aus der Hooligan-Szene vollzieht sich früher als bei männlichen Personen. Aufgrund des späteren Einstiegs dau­ ert ihre „Hooligan-Karriere“ somit kürzer.1493 Da Frauen häufig Zugang zur Hooligan-Szene aufgrund eines partnervermittelten Kontakts erhalten, um Zeit mit ihrem Partner zu verbringen und es ihm gleichzutun,1494 folgt auch der Ausstieg häufig der entsprechenden Logik, so dass das Ende der Paarbeziehung häufig das Ende der „Hooligan-Karriere“ mar­ kiert: Anschließend geht nur eine geringe Anzahl weiblicher Personen weiterhin ins Stadion oder nimmt weiterhin am Hooliganismus teil.1495 Auch der Einstieg in das Berufsleben (Produktionsarbeit) kann einen Aus­ stieg begründen.1496 Weibliche Personen verlassen üblicherweise früher als männliche Personen ihr Elternhaus, um mit ihrem Partner zusammenzu­ ziehen.1497 Demnach ist das Intensivieren einer Paarbeziehung und ggf. die Gründung einer Familie (Reproduktionsarbeit) für männliche und weibliche Personen gleichermaßen ein wichtiger Grund, sich von der Hoo­ ligan-Szene zu entfernen. 4. Stellungnahme und Bezug zu den eigenen Forschungsfragen In den drei Phasen einer „Hooligan-Karriere“ und den jeweiligen Moti­ vationen bestehen geschlechts- und altersspezifische Unterschiede und Ge­ meinsamkeiten. Die Verweildauer in der Hooligan-Szene ist abhängig vom Einstiegs- und Ausstiegsalter und divergiert je nach Geschlecht; bei weib­ lichen Jugendlichen ist die Zeitspanne ihrer Zugehörigkeit kürzer. Insbe­ sondere bei den Gründen für den Ausstieg ist ein wesentlicher Unterschied 1491 1492 1493 1494 1495

Bodin/Javerlhiac/Héas, Déviance et Société 2013, 5, 20 f. Bodin/Javerlhiac/Héas, Déviance et Société 2013, 5, 22 f. Bodin et al., Criminologie 2005, 195, 216. Bodin et al., Criminologie 2005, 195, 217; vgl. C. IV. 1. Bodin et al., Criminologie 2005, 195, 217; Spaaij, Understanding football hooli­ ganism, S. 335. 1496 Bodin et al., Criminologie 2005, 195, 217. 1497 Bodin et al., Criminologie 2005, 195, 217.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

erkennbar, denn weibliche Personen sehen sich nicht durch mögliche re­ pressive Maßnahmen zum Ausstieg veranlasst, da sie insgesamt weniger re­ pressiven Maßnahmen aufgrund ihrer Nichtbeachtung erfahren. Die meisterwartete Rolle für weibliche Personen innerhalb der Hooli­ gan-Szene ist die gewaltverstärkend wirkende, da sie den zugeschriebenen szeneinternen Geschlechterrollenbildern am meisten entspricht. Der ak­ tiv gewalthemmenden Rolle wird eher ablehnend gegenübergestanden. Die selbst aktiv gewalttätige Rolle mit der herausgearbeiteten Feindifferenzierung weiblicher Personen mit und ohne zugewiesenen Sonderstatus scheint nach bisherigen empirischen Erkenntnissen schwerlich mit den szeneinternen, (zugeschriebenen) Geschlechterrollenbildern vereinbar zu sein. Dennoch gibt es weibliche Hooligans. Die Annahme, Hooligans lebten in einer Doppelwelt und orientierten sich entlang ihrer daraus folgenden zwei Identitäten an zwei verschiedenen Geschlechterrollenbil­ dern erscheint nach hier vertretener Ansicht nicht ganz stringent und überzeugend. Überdies besteht weiterer Forschungsbedarf zu zugeschrie­ benen Geschlechterrollenbildern innerhalb der Hooligan-Szene und zu weiteren Erkenntnissen zu weiblichen Personen in den drei Phasen einer Hooligan-Karriere. Hierzu möchte die vorliegende Arbeit einen Beitrag leisten.1498 V. Der Hooliganismus als Feld der „ernsten Spiele des Wettbewerbs“ Das Fußballspiel ist ein zwischen Gruppen stattfindender „Spielkampf“, der vornehmlich in sozial gebilligter und kontrollierter Weise Männlich­ keit zum Ausdruck bringt.1499 Der mit dem Fußballspiel zusammenhän­ gende Hooliganismus wird oftmals als „Männerkultur“ bezeichnet.1500 Nicht in allen Ländern weltweit ist der Fußballsport die hegemoniale Sportkultur (der „Volkssport Nummer 1“) und dort nicht Ausdruck von Männlichkeit, sondern als „Mädchenspiel“ angesehen und weiblich kon­ notiert.1501 Nicht das Fußballspiel als solches macht es zu einer „Männer­ welt“, sondern erst die kulturellen Diskurse und sozialen Umgangsweisen,

1498 Vgl. E. 1499 Dunning, Sport als Männerdomäne, S. 499; Rulofs, Gewalt im Sport aus der Perspektive der Geschlechterforschung, S. 152. 1500 Vgl. statt vieler Pilz, Fußballfans und Hooligans in Hannover, S. 9. 1501 Fuhr, Wie Jungen Geschlecht konstruieren, S. 19; Meuser, Fußballfans, S. 179; Ward, Aggression and Violent Behavior 2002, 453, 456.

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V. Der Hooliganismus als Feld der „ernsten Spiele des Wettbewerbs“

in denen der Fußball praktiziert wird, von den Spielenden, Funktionären, Zuschauenden und Hooligans.1502 Das nachfolgende Kapitel betrachtet den Hooliganismus vor der Folie der Konzepte Bourdieus und Meusers.1503 1. Prinzip gleicher Ehre Das fundamentale Gesetz aller „ernsten Spiele“ ist das Isotimieprinzip („Prinzip gleicher Ehre“).1504 Männer machen in den Spielen, in denen das symbolische Kapital erworben und eingesetzt wird – so auch im Hoo­ liganismus –, Jagd nach Anerkennung, die umso mehr Wert hat, je rei­ cher derjenige, der sie zollt, selbst an symbolischem Kapital ist.1505 Dieser Aspekt ist bei körperlichen Auseinandersetzungen gegnerischer HooliganGruppen besonders relevant, denn in der Fremd- wie Selbsteinschätzung muss es sich um eine Auseinandersetzung zwischen Verletzungsmächtigen handeln. Ihnen wird erst dann Anerkennung zuteil, wenn die fremde Gruppe würdige Gegner waren, da sie szeneintern als angesehene und starke Gruppe gelten.1506 2. Gewalt und Riskieren des eigenen Körpers Die zwischen den gegnerischen Hooligan-Gruppen stattfindenden körper­ lichen Auseinandersetzungen fungieren als Mittel der wechselseitigen An­ erkennung. Dort formt sich der männliche Habitus. Die nach den szen­ einternen Regeln des Ehrenkodexes stattfindenden körperlichen Auseinan­ dersetzungen sind Männlichkeitsrituale und dienen der Strukturübung. Das Durchhalten bis zu deren Ende dient der Selbstvergewisserung der eigenen Männlichkeit und der Männlichkeitsdarstellung gegenüber den

1502 1503 1504 1505

Meuser, Fußballfans, S. 179. B. IV. 1., 2. Vgl. zum Isotimieprinzip B. IV. 2. c) bb). Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 204; s.a. Sülzle, Fußball, Frauen, Männlichkeiten, S. 229. 1506 Lehnert, Auf der Suche nach Männlichkeiten in der sozialpädagogischen Ar­ beit mit Fans, S. 91; Matthesius, Anti-Sozial-Front, S. 200; Meuser, It’s a Men’s World, S. 126; Meuser, Männliche Sozialisation und Gewalt, S. 18; Winands et al., Soziale Passagen 2019, 323, 333 f.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

anderen beteiligten Hooligans.1507 Innerhalb von Hooligan-Gruppen ist die Gewalt bei körperlichen Auseinandersetzungen nur ein Teil der kol­ lektiven Gruppenaktivitäten. Szeneinterne Gewalt ist eine mit anderen Mitteln ausgeführte Fortsetzung von Geselligkeit.1508 Die während den Auseinandersetzungen stattfindende Gewalt ist für Hooligans eine elementare Körpererfahrung, denn währenddessen kann Männlichkeit leiblich erspürt werden, unabhängig davon, ob es sich dabei um selbst verübte oder um am eigenen Leib erfahrene Gewalt handelt. Beide Möglichkeiten der Gewalterfahrung vermitteln die Gewissheit, in der Lage zu sein, „seinen Mann zu stehen“ und verbürgt die eigene har­ te Männlichkeit. Die währenddessen erlittenen Verletzungen werden als Männlichkeitsbeweis präsentiert und stellen demonstrative Zeichen von Männlichkeit dar.1509 Hooligans suchen gezielt nach außeralltäglichen Gewalt- und Rauscher­ lebnissen. Die szeneinternen Auseinandersetzungen dienen den Hooligans dazu, sich emotionale wie körperliche Erregung zu verschaffen, die mit derjenigen Erregung während des Verliebtseins verglichen1510 und als „bet­ ter than sex“1511 beschrieben wird.1512 Durch das Riskieren ihres Körpers in den ritualisierten Auseinanderset­ zungen1513 erfahren die Hooligans dessen (Belastbarkeits-)Grenzen und, durch die möglicherweise darauffolgenden (Repressions-)Maßnahmen, die Grenzen des Straf- und Verwaltungsrechts. Das Erfahren von Grenzen zielt auf die Konstruktion der persönlichen Identität in einer Gesellschaft, in der die leistungsfähigen männlichen Körper als mehrere Mittel fungieren. Sie dienen als Träger von harter, physischer Arbeit, als Symbol der männ­ lichen Herrschaft und als Zeichen von Überlegenheit. In der Gesamtgesell­ schaft sind diese drei Funktionen entwertet worden, so dass der Hooliga­ nismus als „ekstatische Kultur“ sich diesen „problematischen Körpern“ bemächtigt und ihn gleichzeitig in neuer Weise wieder aufwertet.1514

1507 Meuser, Männerwelten, S. 21; Meuser, Geschlecht und Männlichkeit, S. 142; s.a. Hafeneger, Identität und Körperlichkeit männlicher Jugendlicher, S. 208. 1508 Meuser, Männerwelten, S. 23; NK/Paeffgen/Zabel, § 228 Rn. 109a. 1509 Meuser, „Doing Masculinity“, S. 68; Pilz, Fußball ist unser Leben?!, S. 57. 1510 Eckert/Reis/Wetzstein, „Ich will halt anders sein wie die anderen“, S. 381. 1511 Spaaij, Understanding football hooliganism, S. 376. 1512 Meuser, Fußballfans, S. 188. 1513 Dunning, Sport als Männerdomäne, S. 495; Meuser, Ernste Spiele, S. 5174; Meu­ ser, Männerwelten, S. 21; Rulofs, Gewalt im Sport aus der Perspektive der Geschlechterforschung, S. 156. 1514 Zifonun, Zeitschrift für Qualitative Forschung 2007, 97, 105.

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V. Der Hooliganismus als Feld der „ernsten Spiele des Wettbewerbs“

In körperlichen Auseinandersetzungen wird eine spezifische Form von Männlichkeit inszeniert, sich dieser selbst vergewissert und gegenüber anderen demonstriert.1515 Die Gewalt in Auseinandersetzung mit einem überlegenen Gegner, mit einer zahlenmäßig überlegenen oder mit einer szeneintern über höheres Ansehen verfügenden Gruppe oder mit der Po­ lizei,1516 impliziert dabei stets eine potenzielle Gefährdung der eigenen körperlichen Unversehrtheit. Während den körperlichen Auseinanderset­ zungen kann jedoch an Ehre gewonnen werden. Bereswill zufolge stabilisiert die homosoziale Gewalt zwischen Männern die Geschlechterordnung.1517 Sie geht jedoch davon aus, die enge Bezie­ hung zwischen dem devianten Risikoverhalten in Form von Gewalt und dem Geschlechterverhältnis sei lediglich unterstellt, denn es ist bei Con­ nells Konzept der hegemonialen Männlichkeit nicht eindeutig, wie die Strukturzusammenhänge im Geschlechterverhältnis, die kulturellen sym­ bolischen Ordnungen und die individuellen Handlungsmuster von Män­ nern und Frauen zueinander vermittelt sind.1518 Dieser Kritik Bereswills an Connells Konzept ist zuzustimmen. Zudem wird von den Handlungs­ mustern und Handlungsorientierungen von männlichen Jugendlichen auf Männlichkeit und, im Umkehrschluss, auf Weiblichkeit geschlossen. Zwar berücksichtigt die theoretische Erfassung der Beziehung zwischen Gewalt und Geschlecht die optisch wahrnehmbaren Dinge, wie z.B. die hohe Be­ deutung der direkten und symbolischen Gewalt für die körperlichen Aus­ einandersetzungen sowie die Ehre. Vernachlässigt werden aber die dau­ erhafte Verletzungsoffenheit des männlichen Körpers und der Täter-Op­ fer-Statuswechsel für die Aneignung von Geschlecht.1519 Bereswill spricht sich dafür aus, die enge Beziehung zwischen Gewalt und Geschlecht als Hinweis auf Konflikte im Umgang mit der eigenen Angst zu sehen, Männ­ lichkeitsideale zu verfehlen und in eine weiblich konnotierte Position abzusinken.1520

1515 Dunning, Sport als Männerdomäne, S. 495; Hafeneger, Identität und Körper­ lichkeit männlicher Jugendlicher, S. 208; Meuser, Ernste Spiele, S. 5174; Meu­ ser, Geschlecht und Männlichkeit, S. 142; Meuser, Männerwelten, S. 21; Rulofs, Gewalt im Sport aus der Perspektive der Geschlechterforschung, S. 156. 1516 Claus, Mundschutz, Auswärtsfahrt und Einbauküche, S. 121; Meuser, Männer­ welten, S. 22. 1517 Bereswill, Gewalt – eine (deviante) Verkörperung von Männlichkeit?, S. 2552. 1518 Bereswill, Gewalt – eine (deviante) Verkörperung von Männlichkeit?, S. 2552. 1519 Bereswill, Gewalt – eine (deviante) Verkörperung von Männlichkeit?, S. 2552. 1520 Bereswill, Gewalt – eine (deviante) Verkörperung von Männlichkeit?, S. 2558.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

3. Anerkennung In den „ernsten Spielen“ kann die wechselseitige Anerkennung grundsätz­ lich nur von anderen (Ehren-)Männern erfolgen.1521 Im Hooliganismus sind drei Konstellationen denkbar, in denen um Anerkennung gerungen wird. a) Anerkennung bei Auseinandersetzungen innerhalb der Hooligan-Szene Die körperlichen Auseinandersetzungen zwischen gegnerischen Hooligans fungieren als wechselseitige Anerkennung1522 in den „ernsten Spiele[n] des Wettbewerbs“.1523 Im Hooliganismus und während den körperlichen Auseinandersetzungen formt sich der männliche Habitus.1524 Der Aspekt der wechselseitigen Anerkennung vermag zu erklären, weshalb Hooligans körperliche Gewalt gegen weibliche Personen zumindest im Rahmen kör­ perlicher Auseinandersetzungen grundsätzlich ablehnen, denn sie eignen sich nicht als Gegnerinnen in den unter Männern stattfindenden „erns­ ten Spiele[n] des Wettbewerbs“.1525 Würde gegen sie Gewalt angewandt werden, fehle der Männlichkeitsbeweis.1526 Diese Ansicht entspricht dem szeneinternen Ehrenkodex, der verbietet, Frauen zu schlagen und gebietet, sie nötigenfalls zu verteidigen, da ihnen zugeschrieben wird, physisch un­ terlegen und unfähig zu sein, selbst Gewalt auszuüben.1527

1521 Vgl. B. IV. 2., insbesondere c) bb). 1522 Bohnsack et al., Die Suche nach Gemeinsamkeit und die Gewalt der Grup­ pe, S. 69; Eckert/Reis/Wetzstein, „Ich will halt anders sein wie die anderen“, S. 383 f.; Giulianotti/Armstrong, Social Anthropology 2002, 211, 217; Hafeneger, Identität und Körperlichkeit männlicher Jugendlicher, S. 208. 1523 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. 1524 Meuser, Männerwelten, S. 21. 1525 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203; Winands et al., Soziale Passagen 2019, 323, 333. 1526 Meuser, Gewalt, Hegemoniale Männlichkeit und „doing masculinity“, S. 59; Matthesius, Anti-Sozial-Front, S. 156; Winands et al., Soziale Passagen 2019, 323, 333. 1527 Vgl. C. III. 2.

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V. Der Hooliganismus als Feld der „ernsten Spiele des Wettbewerbs“

b) Anerkennung bei Auseinandersetzungen mit der Polizei Auch bei Auseinandersetzungen zwischen Hooligans und der Polizei kommt es zu wechselseitiger Anerkennung, die der zwischen gegnerischen Hooligan-Gruppen erfolgenden Anerkennung gleichkommt.1528 Auch wenn Hooligans Auseinandersetzungen mit der Polizei nicht grundsätz­ lich gezielt suchen, versuchen sie nicht, sich ihnen zu entziehen. Denn auch diese Situationen ermöglichen, während des Kräftemessens mit wür­ digen, ehrenhaften Gegnern i.S. Bourdieus1529 „seinen Mann“ zu stehen. Diese Haltung kommt insbesondere bei (vermeintlich) überlegenen Geg­ nern wie der Polizei zum Tragen.1530 Innerhalb polizeilicher Strukturen sind kämpferisch aufgeladene Männ­ lichkeitsvorstellungen wie bei den Hooligans (weit) verbreitet.1531 Das Feld der Polizei ist ebenfalls ein nach Geschlecht strukturierter Raum und ein Feld der männlichen Herrschaft.1532 Es ist ebenso durch einen Wettstreit unter Männern geprägt und in ihm kommt dem Aspekt der Ehre, als symbolischem Kapital i.S. Bourdieus, eine hohe Bedeutung zu.1533 Körper­ liche Auseinandersetzungen mit Hooligans bieten somit auch Polizisten die Gelegenheiten, kriegerisch-männlichen Selbstentwürfe auszuleben und sich der Leistungsfähigkeit des eigenen Körpers zu vergewissern.1534 Die aggressive Männlichkeit ist nicht nur Bestandteil, sondern Basis der Hand­ lungsmuster innerhalb der Cop Culture, in der eine Affinität zur Gewalt

1528 Meuser, „Doing Masculinity“, S. 66. Behr zufolge sind Polizei und Hooligans grundsätzlich keine gleichrangigen Gegner. Als gleichrangige Gegner können sie jedoch angesehen werden, wenn sich beide neben der Austragung des Konflikts zusätzlich um eine den Konflikt begrenzende Kommunikation be­ mühen, vgl. Behr, Cop Culture, S. 104. 1529 Vgl. B. IV. 2. c), insbesondere bb). 1530 Bohnsack et al., Die Suche nach Gemeinsamkeit und die Gewalt der Gruppe, S. 221; Findeisen/Kersten, Der Kick und die Ehre, S. 132. 1531 Vgl. Behr, Cop Culture, S. 17, 86 ff. et passim; Mangold, Die friedfertige Polizis­ tin?, S. 149; Sturm, „Unter mir wird alles weich“, S. 336. 1532 Behr, Diversität und Polizei, S. 560; Hüttermann, Soziale Welt 2000, 7, 7 ff.; Schöne, Pierre Bourdieu und das Feld der Polizei, S. 65 ff., 265 ff. et passim. 1533 Schöne, Pierre Bourdieu und das Feld der Polizei, S. 269 ff. Seitdem es vermehrt Polizistinnen gibt, hat sich auch das Feld der Polizei verändert. Wie in an­ deren Feldern der „ernsten Spiele“ i.S. Bourdieus hat ein Krisendiskurs um die männliche Herrschaft im Feld der Polizei begonnen, vgl. Schöne, Pierre Bourdieu und das Feld der Polizei, S. 270 f. 1534 Sturm, „Unter mir wird alles weich“, S. 336.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

und eine Krieger-Männlichkeit besteht.1535 Die vorrangig über Sprache wirkende symbolische Gewalt,1536 die in den Ansprachen gegenüber Hoo­ ligans eingesetzt wird, ist für Polizisten zumeist kein Mittel, um Gewalt zu verhindern, sondern notwendiges Übel, da es der vorherigen Androhung der Gewalt bedarf.1537 Die meist jungen (männlichen) Polizisten erleben im Hinblick auf ihren Arbeitsalltag eine Art Austauschverhältnis mit der Gegenseite, denn sie verfügen ebenfalls über eine kriegerische Mentalität. Deshalb gehen sie sowohl freiwillig als auch offensiv auf das „Beziehungs­ angebot“ der ebenfalls meist männlichen Hooligans ein.1538 Polizisten und Hooligans sind auf einander angewiesen, denn zwischen ihnen besteht ein symbiotisches Verhältnis. Jeder befindet sich auf einer Seite desselben Handlungszusammenhangs, beide Seiten kämpfen (auch) um ihre Ehre und riskieren infolgedessen ihre Gesundheit und Körper.1539 c) Unterschiedliche Anerkennung nach Geschlecht der polizeilichen Einsatzkräfte Es macht für Hooligans einen Unterschied, ob ein Polizist oder eine Polizistin in Ausübung seiner bzw. ihrer Tätigkeit vor ihnen steht. Die bei Fußballspielen eingesetzten polizeilichen Einsatzkräfte sind mehrheit­ lich männlich.1540 Zur Begründung dient zum einen ein bei Polizisten bestehender Vorbehalt, gemeinsam mit Polizistinnen bei Fußballspielen zu arbeiten, denn sie befürchten, Hooligans griffen wahrscheinlicher Poli­ zistinnen als Polizisten an, so dass die Polizisten daraufhin ihre Tätigkeit einstellen müssten, um die verletzten Polizistinnen zu versorgen, was rit­ terlichem Verhalten gleichkommt.1541 Von Polizisten wird mitunter ver­ treten, Polizistinnen hätten in der Polizeiorganisation einen anderen Platz einzunehmen als bei Einsätzen mit Fußball- oder Hooliganismusbezug, denn die dort stattfindenden Auseinandersetzungen seien Orte aggressiver

1535 Behr, Polizeiarbeit – immer noch Männersache?, S. 120 f.; Behr, Cop Culture, S. 92 ff. 1536 Vgl. B. IV. 2. b). 1537 Behr, Polizeiarbeit – immer noch Männersache?, S. 121. 1538 Behr, Polizeiarbeit – immer noch Männersache?, S. 122. 1539 Behr, Polizeiarbeit – immer noch Männersache?, S. 122. 1540 Lewis, Sociological Focus 1982, 417, 420; O’Neill, Policing Football, S. 160. Vgl. zur Gewaltanwendung von Polizistinnen Mangold, Die friedfertige Poli­ zistin?, S. 145 ff.; Schöne, Pierre Bourdieu und das Feld der Polizei, S. 277 ff. 1541 Lewis, Sociological Focus 1982, 417, 420.

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V. Der Hooliganismus als Feld der „ernsten Spiele des Wettbewerbs“

Männlichkeit, bei denen sie nicht gebraucht werden können.1542 Die von den Polizisten vorgebrachte vorurteilsbehaftete Begründung kann paralle­ lisiert werden zu der in der Hooligan-Szene herrschenden Ritterlichkeits­ norm und der den Frauen (zugeschriebenen) Eigenschaft, physisch unter­ legen zu sein und verteidigt werden zu müssen. Zum anderen könnte der Grund, weshalb Polizistinnen im Zusammenhang mit Fußballspielen seltener eingesetzt werden, darin liegen, dass Fußball vornehmlich eine von Männern wahrgenommene Freizeitaktivität ist und Polizistinnen die Möglichkeit, ein Fußballspiel sehen zu können, weniger verlockend finden wie Polizisten.1543 Deshalb ist Schöne zufolge grundsätzlich der Einsatz von weiblichen Personen im Feld der Polizei aus der Perspektive der Öffentlichkeit und der Polizei selbst, von einem traditionellen Geschlech­ terrollenbild geprägt. Polizisten sind dabei die wehrhaft Kämpfenden und die die Polizistinnen Beschützenden. Polizistinnen hingegen wird, entsprechend des traditionellen Geschlechterrollenbildes, zugeschrieben, verantwortlich für soziale Belange, sensibel, einfühlsam und körperlich schwach zu sein.1544 Da das Feld der Polizei ebenfalls ein Feld der „ernsten Spiele des Wettbewerbs“1545 ist, in dem sich unter Männern der männliche Habitus konstruiert und vollendet und auch hier traditionelle Geschlech­ terrollenbilder Platz greifen, überraschen die hier vorgestellten Parallelen zwischen dem Feld der Polizei und des Hooliganismus nicht. Hooligans gehen mit Polizistinnen anders als mit Polizisten um, was in der inneren Logik des Hooliganismus begründet ist. Männliche Hooli­ gans fühlen sich diskreditiert und reagieren anders, wenn eine Polizistin sie „hinauswirft“ oder sie in sonstiger Weise Adressat einer ihrer Maßnah­ me werden.1546 Hooligans nutzen mitunter das Mittel des Flirtens mit Polizistinnen, um ihre möglicherweise zu ergreifenden Maßnahmen bei Ausschreitungen zu verhindern. Polizistinnen würden in solchen Situatio­ nen mehr als Frauen denn als Polizistinnen interagieren, was ihre Rolle als Polizistinnen vereitele und jegliche wechselseitige Anerkennung verun­ mögliche.1547 Wechselseitige Anerkennung kann nur mit Polizisten erfol­ gen, denn Hooligans nehmen Polizistinnen nicht in ihrer Rolle als Polizei­ beamte ernst, denn andernfalls würden sie nicht mit ihnen flirten und 1542 Behr, Polizeiarbeit – immer noch Männersache?, S. 133; etwas differenzierter Schöne, Pierre Bourdieu und das Feld der Polizei, S. 279 ff. 1543 Lewis, Sociological Focus 1982, 417, 420; O’Neill, Policing Football, S. 160 f. 1544 Schöne, Pierre Bourdieu und das Feld der Polizei, S. 281. 1545 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. 1546 O’Neill, Policing Football, S. 161. 1547 O’Neill, Policing Football, S. 161.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

versuchen, auf einer anderen Ebene auf sie einzuwirken. Der männliche Habitus der Hooligans kann nicht in Auseinandersetzungen mit Polizistin­ nen konstruiert und vollendet werden, weil sie keine ebenbürtigen Gegner i.S. Bourdieus sind. Polizistinnen sind und werden von diesen „ernsten Spielen“ ausgeschlossen. Eine körperliche Auseinandersetzung mit ihnen stellt für Hooligans auch keinen Männlichkeitsbeweis dar. 4. Zweifache Distinktion Die innerhalb der Hooligan-Szene praktizierten „Spiele“ sind Machtspie­ le. Unterschiede bestehen zwar hinsichtlich der Mittel von den übrigen „ernsten Spiele[n]“1548 unter Männern, jedoch nicht im Hinblick auf die Geschlechtslogik. Die Gewalt bei den körperlichen Auseinandersetzungen sorgt für eine zweifache Distinktion; die Grundlage dessen bildet die libi­ do dominandi1549 der männlichen Hooligans. Zum einen erfolgt die Dis­ tinktion gegenüber den unterlegenen oder sich dem Kampf verweigern­ den Männern. Zum anderen erfolgt die Distinktion gegenüber den von den körperlichen Auseinandersetzungen ausgeschlossenen weiblichen Per­ sonen.1550 Auch Connell formuliert, wenn auch mit anderer Gewichtung, die doppelte Distinktions- und Dominanzstruktur: Als relationale Katego­ rie ist Geschlecht nicht nur in dem Sinne zu sehen, dass Männlichkeit allein in der Relation zu Weiblichkeit bestimmt werden könne und vice versa. Die Relation zeigt sich auch darin, dass der geschlechtliche Status eines Individuums in den Beziehungen zu den Mitgliedern der eigenen Gruppe bestimmt wird.1551 Während den Strukturübungen in Form der körperlichen Auseinandersetzungen im Rahmen des Hooliganismus eig­ nen sich die Hooligans die Spielregeln der „ernsten Spiele“1552 an. Die Ausübenden lernen, diese Spiele sowie den Wettbewerb als solchen zu lieben und lernen, Geschmack am Wettbewerb in Gestalt der körperlichen Auseinandersetzungen zu finden.1553 Der Geschmack als Teil des Habitus, insbesondere in der Form des männlichen Habitus,1554 wird hier offenkundig. 1548 1549 1550 1551 1552 1553 1554

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Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. Vgl. B. IV. 2. a) bb). Meuser, Männerwelten, S. 22. Meuser, Männerwelten, S. 7. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. Meuser, Ernste Spiele, S. 5175. Vgl. B. IV. 1. c), 2. a).

V. Der Hooliganismus als Feld der „ernsten Spiele des Wettbewerbs“

Homosoziale Männergemeinschaften wie die Hooligan-Szene sind kom­ petitiv strukturierte soziale Orte, in denen einerseits der, heute aller­ dings nicht mehr vollkommen gelingende, Ausschluss von Frauen prak­ tiziert wird1555 und in denen andererseits auch Hierarchien von Männ­ lichkeit(en) hergestellt werden.1556 Der Ausschluss weiblicher Personen ermöglicht eine Atmosphäre, die „vielen Männern als Garant männlicher Authentizität gilt“.1557 Die homosoziale Männergemeinschaft der Hooli­ gans vermittelt ihnen, wie andere homosoziale Männergemeinschaften auch, habituelle Sicherheit, die „zumindest junge Männern in der Inter­ aktion mit Frauen, […] immer schwieriger zu gewinnen vermögen.“1558 Folglich erfahren Hooligans die homosoziale Männergemeinschaft als Ort, an dem sie sich „in ein Netz der Solidarität fallen lassen“1559 können. Die Strukturlogik des männlichen Habitus wird sich dort spielerisch an­ geeignet.1560 Der Aneignung ist eine zweifache Abgrenzung immanent und findet zum einen gegenüber weiblichen Personen und zum anderen gegenüber allem statt, was dem Anschein nach weiblich konnotiert ist. Ungewöhnlich ist eine solche Abgrenzung indes nicht, denn in der Le­ bensphase Jugend, in der die drei Phasen einer Hooligan-Karriere größ­ tenteils stattfinden, sind Abgrenzungen in Form von Abwertung alles Weiblichem bzw. alles weiblich Konnotiertem grundsätzlich nicht selten anzutreffen.1561 Die von den „ernsten Spiele[n]“1562 (zumeist) ausgeschlossenen weibli­ chen Personen zögern auch selbst, sich daran zu beteiligen, obwohl sie die dort stattfindende Gewalt fasziniert.1563 Eine sich an körperlichen Aus­ einandersetzungen beteiligende weibliche Person evoziert eher Zweifel an ihrer Weiblichkeit.1564 Nicht ausgeschlossen sind Frauen von der Betei­ ligung an Wortgefechten um die Ehre, bei denen die Ehre der Gegner 1555 Vgl. hierzu C. IV. 1556 Meuser, Männerwelten, S. 25; ferner Hafeneger, Identitäten und Körperlichkeit männlicher Jugendlicher, S. 207; Winands et al., Soziale Passagen 2019, 323, 335. Vgl. zudem die Differenzierungen und Struktur innerhalb der HooliganSzene in C. II. 1. 1557 Meuser, Männerwelten, S. 25. 1558 Vgl. Meuser, Männerwelten, S. 25. 1559 Meuser, Männerwelten, S. 26. 1560 Meuser, Männerwelten, S. 25 f. 1561 Meuser, Ernste Spiele, S. 5173; Hafeneger, Identität und Körperlichkeit männli­ cher Jugendlicher, S. 209. 1562 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. 1563 Meuser, It’s a Men’s World, S. 128; Sülzle, Männerbund Fußball, S. 184. 1564 Meuser, It’s a Men’s World, S. 128.

255

C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

abgewertet wird. Aus der Teilnahme an diesen Wortgefechten folgt jedoch nicht, zu gleichrangigen „Ehrenmännern“ zu werden.1565 5. Exkurs: Strukturelle Ähnlichkeit und Parallelen zu weiteren Phänomenen In den im bürgerlichen und adeligen Milieu stattfindenden Duellen wur­ de Gewalt nicht nur geduldet, sondern in manchen Situationen auch gefordert.1566 An der Institution des Duells, die zu den „Spiele[n] der Ehre“1567 gezählt werden können, und der währenddessen zu verteidigen­ den männlichen Ehre lässt sich ablesen, wie in den „ernsten Spiele[n] des Wettbewerbs“1568 der männliche Habitus konstruiert, vollendet und geformt wird. An der im Duell unter Beweis zu stellenden Männlichkeit hatten nicht alle Männer teil. Ausgeschlossen waren nicht als satisfaktions­ fähig angesehene Männer, mithin solche, die einem niederen sozialen Stand angehörten. Ausgeschlossen waren auch weibliche Personen. Die bereits damals bestehende Begründung für den Ausschluss dieser beiden Personengruppen war, dass nur derjenige wirklich Ehre zollen und Aner­ kennung geben kann, der als Rivale im Kampf um die Ehre akzeptiert werden kann.1569 Klassenzugehörigkeit und Geschlecht i.S.v. sex waren folglich die entscheidenden Kriterien dafür, wer als Rivale im Kampf um die Ehre in Frage kommt, satisfaktionsfähig ist und grundsätzlich berech­ tigt ist, am Kampf teilzunehmen.1570 Die Kämpfe der Hooligans sind dem historischen Phänomen des Duells strukturell ähnlich. Eine weitere strukturelle Ähnlichkeit besteht mit dem Fechten bzw. Schlagen von Mensuren schlagender Studentenverbindungen. Die Men­ sur fördert das Gruppengefühl und erzieht zu männlicher Tapferkeit.1571 Die dabei erlittenen Verletzungen (der „Schmiss“) dokumentieren und beweisen die akademische Ehrenhaftigkeit und die gesellschaftliche Privi­

1565 Sülzle, Fußball, Frauen, Männlichkeiten, S. 232 f.; vgl. zur Abwertung von Frauen bei Hooligans auch Schröder, Gemeinschaften, Jugendkulturen und männliche Adoleszenz, S. 303. 1566 Meuser, Gewalt, Hegemoniale Männlichkeit und „doing masculinity“, S. 58. 1567 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. 1568 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. 1569 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 204; zum Isotimieprinzip B. IV. 2. c) bb); C. V. 1. 1570 Meuser, Männerwelten, S. 6. 1571 Schäfer, Vom Tiefschlaf zur nationalen Euphorie, S. 236.

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V. Der Hooliganismus als Feld der „ernsten Spiele des Wettbewerbs“

legierung.1572 Die „Schmisse“ sind, ebenso wie die bei den körperlichen Auseinandersetzungen der Hooligans erlittenen Verletzungen, Männlich­ keitsbeweise. V.a. aufgrund der Selbstbeschreibungen der Hooligans, die ihre körper­ lichen Auseinandersetzungen mit verschiedenen legalen Kampfsportarten vergleichen oder sogar gleichsetzen,1573 können Parallelen zum Boxsport gezogen werden. Boxen war Anfang des 20. Jahrhunderts eine reine Män­ nersportart und gilt seit jeher als originär maskulin. Die Ausübung des Boxsports zwischen Frauen als „Damenboxen“ war damals auf Varietés oder Jahrmärkte begrenzt.1574 Die Abgrenzung zur Weiblichkeit stellt ein zentrales Kriterium der Boxermännlichkeit dar. Unzureichende Leis­ tungen beim Boxen wurden und werden mit weiblichem Verhalten ver­ knüpft.1575 Weiblichen Personen wurde abgesprochen, fähig zu sein zu bo­ xen, deshalb wurde es auch als „widernatürlich“ deklariert.1576 Auch beim Boxsport treten männliche und weibliche Personen nicht gegeneinander an. Innerhalb der Hooligan-Szene finden zum Teil ebenfalls nach Ge­ schlecht getrennt stattfindende körperliche Auseinandersetzungen statt.1577 6. Fazit und Stellungnahme mit Bezug zu den forschungsleitenden Fragen Nicht nur außenstehende männliche, sondern auch weibliche Personen gelten in der Logik des Hooliganismus nicht als legitime Gegner, da Aus­ einandersetzungen mit ihnen nicht zur Ehre gereichen. Legitime Adressa­ ten der Gewalt der Hooligans sind nur die ebenbürtig erachteten anderen Hooligans oder, in Ermangelung anderer Gegner, Polizisten, mit denen sie reziprok Gewalt ausüben. Denn nur in einem Kampf unter Gleichen kann die männliche Ehre1578 erworben und der männliche Habitus konstruiert und vollendet werden. Weibliche Person bleiben nicht nur von den „erns­ ten Spiele[n] des Wettbewerbs“1579 ausgeschlossen, sie zögern auch selbst, sich daran zu beteiligen.1580

1572 1573 1574 1575 1576 1577 1578 1579 1580

Schäfer, Vom Tiefschlaf zur nationalen Euphorie, S. 238. Vgl. C. III. 2., 5. b) bb). Schaper, „Das Boxen ist ein Sport wahrer Männlichkeit“, S. 11. Schaper, „Das Boxen ist ein Sport wahrer Männlichkeit“, S. 2. Schaper, „Das Boxen ist ein Sport wahrer Männlichkeit“, S. 11. Vgl. etwa C. IV. 2. a) cc) aaa) bbbb). Vgl. auch Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 204. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. Meuser, Fußballfans, S. 188.

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C. Hooliganismus unter Berücksichtigung (zugeschriebener) Geschlechterrollenbilder

Unberücksichtigt bleibt aber bislang, dass Frauen zwar grundsätzlich von den „ernsten Spiele[n] des Wettbewerbs“1581 i.S. Bourdieus ausgeschlos­ sen sind, aber dennoch innerhalb der Hooligan-Szene als selbst Gewalt­ tätige mit oder ohne zugewiesenen Sonderstatus anzutreffen sind. Auch außerhalb der Hooligan-Szene, in anderen gewaltaffinen, geschlechtsho­ mogenen wie -heterogenen Gruppenkontexten, befinden sich gewalttätige weibliche Jugendliche.1582 Deshalb stellt sich die Frage, ob es sich bei der Hooligan-Szene noch immer um eine homosoziale Männergemeinschaft handelt oder ob sie nicht zu einer männlich dominierten, aber trotzdem mit weiblichen selbst gewalttätigen sowie nicht gewalttätigen Mitgliedern, Szene entwickelt hat. Dies führt zu der diese Arbeit leitenden Frage nach Hinweisen auf eine mögliche Krise der männlichen Herrschaft im Feld des Hooliganismus, denn auch dort könnten, wie in anderen Feldern der „ernsten Spiele das Wettbewerbs“,1583 entweder Geschlechterverhältnisse im Wandel sein, es könnte eine Gleichzeitigkeit von Wandel und Persis­ tenz oder eine „echte“ Krise vorliegen.1584 Deshalb ist der vorstehende Abschnitt eine der Folien, vor der die Ergebnisse der eigenen empirischen Untersuchung analysiert werden.1585 Es wird zu zeigen sein, inwiefern die mittels der eigenen Empirie gewonnenen Ergebnisse einen Beitrag zur Präzisierung und ggf. auch zur Weiterentwicklung dieser Perspektive leisten können. Beigetragen wird zudem zur Erhellung des Phänomens des Hooliganismus sowie des Phänomens der weiblichen Personen – der selbst Gewalt ausübenden und nicht gewaltförmig handelnden – in diesem Feld, bei welchem die (zugeschriebenen) Geschlechterrollenbilder sowie der sichtbar werdende spezifische weibliche Habitus vorrangig berücksichtigt wird. Aufgrund der Forschungsfragen und durch die besonders kontrast­ reichen Interviews bzw. Interviewpartner im Hinblick auf den Umfang, den Grad und das Ausmaß der Involvierung in die Hooligan-Szene kön­ nen diese Aspekte zusätzlich aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet und analysiert werden.

1581 1582 1583 1584 1585

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Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. Vgl. B. IV. 3. b). Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. Vgl. B. IV. 3. c), V. Vgl. E.

D. Konzeption der soziologischen Ethnographie

I. Forschungsfragen: Konkretisierung und Überblick Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, die Fragen zu beantworten, ob es eine Krise der männlichen Herrschaft im Feld des Hooliganismus gibt, wie dies für andere derartige Felder diskutiert wird,1586 wie das Geschlech­ terverhältnis ist, welche Geschlechterrollenbilder im Feld des Hooliganis­ mus zugeschrieben werden und wie daraus innerhalb des Feldes stabile Praktiken entstehen, sich erhalten oder ob sie gar „ins Wanken geraten“. In engem Zusammenhang hierzu steht die Frage nach dem vergeschlecht­ lichten und vergeschlechtlichenden Habitus und damit zugleich einem feldspezifischen Habitus der Hooligans und dem Habitus derjenigen, die einen partnervermittelten Kontakt zur Hooligan-Szene haben. Da sich feldspezifische Praxen im Lauf der Zeit verändern, ist auch das darauf bezogene Wissen veränderlich und je unterschiedlich bei den im Feld Befindlichen vorhanden. Die im Feld des Hooliganismus Befindlichen verändern das Feld und ihre Perspektive auf das Feld, wenn sie sich darin bewegen. Das Feld wiederum verändert die darin Befindlichen. Der dort vorherrschende Habitus bedingt das Feld des Hooliganismus, das wiede­ rum ihn bedingt.1587 Die forschungsleitenden Fragestellungen werden, angesichts und mit Hilfe der gewählten Forschungsstrategie der soziologischen Ethnographie, aus der Innenperspektive derjenigen beantwortet, die sich im Feld des Hooliganismus befinden, unabhängig davon, in welcher Rolle oder Zuge­ hörigkeitsform sie daran beteiligt sind oder dem Grad und Ausmaß der eigenen Involviertheit. Die vorliegende Arbeit möchte einen Beitrag dazu leisten, die in den vorherigen Kapiteln identifizierten Forschungslücken zu schließen. Die in der Einleitung nur skizzierten Forschungsfragen1588 werden nun, auch aufgrund der in den vorherigen Kapiteln identifizierten Forschungs­ lücken, konkretisiert und überblicksartig vorgestellt:

1586 Vgl. B. IV. 3. 1587 Vgl. hierzu auch von der Heyde, Ad hoc Differenzierungen, S. 331; s.a. B. IV. 1., 2. 1588 Vgl. A.

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D. Konzeption der soziologischen Ethnographie

– Gibt es eine Krise der männlichen Herrschaft im Feld des Hooliganis­ mus? – Welche zugeschriebenen Geschlechterrollenbilder gibt es im Feld des Hooliganismus? – Wie lassen sich die Geschlechterrollenbilder im Feld des Hooliganismus charakterisieren? – Wie ist das Geschlechterverhältnis im Feld des Hooliganismus? – Welche Realität reproduzieren die Interviewten über die von ihnen erlebte Hooligan-Szene? – Welche Erkenntnisse können zu den Dimensionen persönliche Merk­ male, Herkunftsfamilien, Erziehungsstile, Schulbildungen, ausgeübte Berufe, politische Einstellungen und Verbindungen zu anderen Grup­ pen, äußeres Erscheinungsbild, Nutzung von Rauschmitteln und Waf­ fen, Wahrnehmung des szeneinternen Ehrenkodex gewonnen werden? – Wie ist der Verlauf einer Hooligan-Karriere und wie vollzieht sich das Inberührungkommen, der Einstieg, die Teilnahme, der Ausstieg und das Miterleben der männlichen und weiblichen Hooligans und derer mit partnervermitteltem Kontakt? – Welche Hinweise gibt es auf den jeweiligen vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Habitus und einen feldspezifischen Habitus der Hooligans und dem Habitus derjenigen, die einen partnervermittelten Kontakt zur Hooligan-Szene haben? – Was kennzeichnet das induktiv gewonnene ideale Bild der Personen mit partnervermitteltem Kontakt zur Hooligan-Szene? Die Rückbindung der gewonnenen Erkenntnisse an die theoretischen Grundlegungen beantwortet folgende Fragen: – Ist der Hooliganismus eine homosoziale Männergemeinschaft? – Sind Hooligans verletzungsmächtig und verletzungsoffen? – Wie zeigen sich die symbolische Gewalt, Macht und Machtasymmetri­ en? – Wie zeigen sich die homologen Gegensätze? – Wie zeigt sich das Isotimieprinzip im Feld des Hooliganismus? – Wird das Riskieren des eigenen Körpers und der Grenzen des Rechts­ staats bewusst gesucht und in Kauf genommen? – Wie zeigt sich die männliche Herrschaft in den (ggf. gewaltbelasteten) Paarbeziehungen mit und zwischen Hooligans? – Wie wird die Anerkennung bei körperlichen Auseinandersetzungen (zwischen Hooligans, mit Polizisten, mit uniformierten Personen unter­ schiedlichen Geschlechts) sichtbar? – Welche Hinweise auf Distinktion werden sichtbar?

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II. Methodisches Vorgehen

– Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen zu anderen, in der theoretischen Grundlegung eingeführten Feldern und Phänomenen sowie zu den bisherigen Forschungen zu (zugeschriebenen) Geschlech­ terrollenbildern und Rollen männlicher und weiblicher Personen im Feld des Hooliganismus? II. Methodisches Vorgehen Das jeweilige Forschungsziel und der jeweilige Forschungsgegenstand be­ stimmen darüber, welches methodische Vorgehen in empirischen Studien gewählt wird. Der in der qualitativen Sozialforschung zentrale Begriff der Gegenstandsangemessenheit bringt dies besonders zum Ausdruck. Danach sollen nicht die vorhandenen Daten einer Theorie untergeordnet werden, sondern die Theorien und Methoden müssen sich dem zu erforschenden Gegenstand anpassen und ihm gerecht werden.1589 Die vorliegende Arbeit ist dem qualitativen Paradigma zuzuordnen und folgt der Forschungsstra­ tegie der soziologischen Ethnographie.

1589 Amann/Hirschauer, Die Befremdung der eigenen Kultur, S. 19; Flick, Qualitati­ ve Forschung, S. 13 f.; Hitzler, Der staunende Schwamm, S. 24; von der Heyde, Ad hoc Differenzierung, S. 333. 1590 Ethnographie setzt sich aus ethnos (griech.) und graphein (griech.) zusammen. Ein Ethnograph beschreibt ein Volk, dessen Sitten und Lebensweisen. Die Erkenntnisobjekte der Ethnographie sind Ethnien. Ethnographie spielte bis etwa zum ausgehenden 20. Jahrhundert im deutsch­ sprachigen Raum noch eine eher untergeordnete Rolle, seitdem ist ein Anstieg ethnographischer Forschung zu verzeichnen. Im angelsächsischen Sprachraum erfolgt häufig eine Gleichsetzung der Begriffe „Ethnographie“ und „qualita­ tive Forschung“, was deren Bedeutung dort unterstreicht; vgl. Agar, FQS 2006, Abs. 5; Angrosino, Doing Ethnographic and Observational Research, S. 1; von Bromlej, Ethnos und Ethnographie, S. 190; Fetterman, Ethnography, S. 1; Fischer, Feldforschung, S. 79; Friebertshäuser, Feldforschung und teilnehmende Beobachtung, S. 505 f.; Knoblauch, Sozialer Sinn 2001, 123, 123; Flick, Qualita­ tive Sozialforschung, S. 313; Thomas, Ethnografie, S. 14 ff.

261

D. Konzeption der soziologischen Ethnographie

1. Grundzüge der Forschungsstrategie der soziologischen Ethnographie Die soziologische Ethnographie1590 versteht sich nicht als Methode, son­ dern als Erkenntnis- und Forschungsstrategie oder -stil.1591 Sie zielt auf eine umfassende Erschließung des Forschungsfeldes, woraus eine dichte Beschreibung1592 resultieren soll, durch die sowohl Wissensstrukturen, Deutungsschemata als auch Habitualitäten ergründet werden sollen. Das Konzept der dichten Beschreibung wurde im Verlauf der letzten Jahrzehn­ te zu einem die soziologische Ethnographie prägendem Paradigma.1593 a) Einsetzbare Methoden Bei soziologischen Ethnographien besteht kein Zwang, welche Methode zur Datenerhebung angewandt wird. Der Methodenpluralismus ermög­ licht, grundsätzlich jegliche Methode der empirischen Sozialforschung anzuwenden.1594 Dies gilt auch für die vorliegende kriminologische Un­ tersuchung, da die Kriminologie in Ermangelung eigener Methoden sich derer ihrer Bezugswissenschaften bedienen muss, übernimmt sie, neben deren Methoden, auch deren Denkmuster und verbindet sie gegenstands­ bezogen. Diese Verknüpfungslogik ermöglicht die Entwicklung eigenstän­ diger kriminologischer Fragestellungen und Konzeptionen.1595 Grundsätz­ lich unvereinbar mit der Forschungsstrategie sind solche Methoden, die keine Fremdheitshaltung zu den zu untersuchenden Erscheinungen ein­ nehmen. Erscheinungen in ihrer Fremdheit zu verstehen ist basal für soziologische Ethnographien. Folglich eignen sich besonders, wenn auch nicht ausschließlich, nichtstandardisierte, offene, explorative Verfahren,

1591 Amann/Hirschauer, Die Befremdung der eigenen Kultur, S. 19 f.; Bock, FQS 2019, Abs. 6; Bohnsack, Zeitschrift für Sozialisationsforschung und Erziehungs­ soziologie 1997, 3, 3; Friebertshäuser, Feldforschung und teilnehmende Beob­ achtung, S. 505; Lüders, Von der teilnehmenden Beobachtung zur ethnogra­ phischen Beschreibung, S. 314. 1592 Geertz, Dichte Beschreibung, S. 7 ff. 1593 Geertz, Dichte Beschreibung, S. 7 ff.; Honer, Lebensweltliche Ethnographie, S. 50 f.; Thomas, Ethnografie, S. 23. 1594 Bohnsack, Zeitschrift für Sozialisationsforschung und Erziehungssoziologie 1997, 3, 3; Friebertshäuser, Wege zur Ethnographie, S. 119; Hitzler, Ethnogra­ phie, S. 213; Lüders, Von der teilnehmenden Beobachtung zur ethnographi­ schen Beschreibung, S. 321. 1595 Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, S. 18.

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II. Methodisches Vorgehen

um relativ unbekannte Phänomene zu erkunden.1596 Verschiedene Metho­ den und Daten können grundsätzlich trianguliert werden.1597 Ein dadurch mögliches wechselseitiges Ergänzen und Korrigieren kann dazu beitragen, die im Feld vorgefundenen Situationen angemessen abzubilden.1598 Die Vielfalt der einsetzbaren Methoden ist dem zu untersuchenden Feld geschuldet. Das methodische Vorgehen muss sich den im Feld bestehen­ den situativen Gegebenheiten flexibel ständig anpassen.1599 Würde der Forscher an zuvor festgelegten Verfahrensprinzipien festhalten, bestünde die Gefahr, dass der Zugang zu wichtigen Informationen verschlossen bleibt.1600 Das jeweils eingesetzte methodische Werkzeug muss der For­ schende nicht nur beherrschen, sondern die Anwendung der Methoden erfordert auch „eine gewisse (schwer lehrbare) Kunstfertigkeit“.1601 Insbe­ sondere die persönlichen Kontaktaufnahmen zum Forschungsfeld muss der Forscher subtil handhaben,1602 da sich der Zugang nicht einfach ge­ staltet, sondern bis dahin Hürden und praktische Probleme überwunden werden müssen. Der Zugang zum Forschungsfeld kostet Mühe: Er ist weder plan- noch steuerbar, da der Forscher das Feld und dessen Regeln nicht beherrscht. Der Feldzugang ist „auch mit einer Portion Glück ver­ bunden“.1603 Deshalb wird der Zugang zum Forschungsfeld als „halbe

1596 Von der Heyde, Ad hoc Differenzierung, S. 333; Hitzler, Ethnographie, S. 213; Schütze, Ethnographie und sozialwissenschaftliche Methoden der Feldfor­ schung, S. 237; Thomas, Ethnografie, S. 3. 1597 Atkinson, FQS 2005, Abs. 2; Schütze, Ethnographie und sozialwissenschaftliche Methoden der Feldforschung, S. 235. 1598 Friebertshäuser, Feldforschung und teilnehmende Beobachtung, S. 505; Honer, Lebensweltliche Ethnographie, S. 58; vgl. speziell für die Fußballfanforschung Sülzle, Fußball, Frauen, Männlichkeiten, S. 58. 1599 Hitzler, Ethnographie, S. 213; Hitzler, Der staunende Schwamm, S. 23; Lüders, Beobachten im Feld und Ethnographie, S. 393; von der Heyde, Ad hoc Differenzierung, S. 333. 1600 Lüders, Beobachten im Feld und Ethnographie, S. 393. 1601 Eisewicht, Ins Feld stürzen oder planvoller Zugriff, S. 443; s.a. Reichertz, Quali­ tative und interpretative Sozialforschung, S. 213. 1602 Amann/Hirschauer, Die Befremdung der eigenen Kultur, S. 25. 1603 Girtler, Methoden der qualitativen Sozialforschung, S. 54; s.a. Breidenstein et al., Ethnografie, S. 50 ff.; Eisewicht, Ins Feld stürzen oder planvoller Zugriff, S. 443; Giulianotti, Sociology of Sport Journal 1995, 1, 8; Hitzler, Der staunen­ de Schwamm, S. 17 ff., 24; Lüders, Beobachten im Feld und Ethnographie, S. 393; Lüders, Von der teilnehmenden Beobachtung zur ethnographischen Beschreibung, S. 319; Reichertz, Qualitative und interpretative Sozialforschung, S. 210; Stott/Hutchison/Drury, British Journal of Social Psychology 2001, 359, 364; von der Heyde, Ad hoc Differenzierung, S. 332 f.

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D. Konzeption der soziologischen Ethnographie

Miete“1604 bezeichnet. Unter „Forschungsfeld“ wird ein natürliches sozia­ les Handlungsfeld verstanden. Ein künstliches Arrangement wird nicht geschaffen. „Feldzugang“ verdeutlicht den prozesshaften Charakter des Vorgehens.1605 Zu Beginn des Aufenthalts im Forschungsfeld agiert der Forscher als Fremder. Das Forschen soziologischer Ethnographen wird als „Doppel-“ oder „Grenzgängertum“ bezeichnet. Es geschieht nicht von der Mitte des untersuchten Feldes aus, sondern vom Rand her.1606 Zweierlei Erwartun­ gen treffen hier aufeinander: Nicht nur der Forscher erwartet etwas vom Feld, auch das Feld erwartet etwas vom Forscher. Die Erwartung des Forschers an das Feld und die darin Befindlichen ist, sich unverstellt zu zeigen. Die im Feld Befindlichen erwarten vom Forscher, das Feld so zu sehen, wie sie es sehen. Es sind mitunter auch vertrauensbildende Maßnah­ men sowie ein Bewähren im Feld notwendig:1607 „Bewährung im Feld ist zwar notwendig und wichtig, aber nicht alles. Ohne Beziehungsaufbau und Bürgschaft ist alles nichts. Beziehungsaufbau ist der Schlüssel zum Feld – was alle in Rechnung stellen sollten, die ernsthaft Feldforschung betreiben wollen.“1608 Währenddessen ist der Forscher Grenzgänger zwi­ schen der Kultur seines Forschungsfeldes und seiner Herkunftskultur. Mit dem Eintauchen in das Forschungsfeld geht eine soziokulturelle Entfrem­ dung – eine Enkulturation oder zweite Sozialisation – einher. Sie gibt dem Forscher die Chance zur Klarheit und Klarsicht und ermöglicht ihm Einsichten in diese für ihn fremde Welt.1609 Der Forscher erlebt diesen Vorgang, der going native genannt wird,1610 wenn er zumindest teilweise „die Urteilsmaßstäbe und den semantischen Raum der Beobachteten“1611 übernimmt. Er darf darin nicht gänzlich verfallen, denn sonst bestünde

1604 Amann/Hirschauer, Die Befremdung der eigenen Kultur, S. 26. 1605 Eisewicht, Ins Feld stürzen oder planvoller Zugriff, S. 443; Wolff, Wege ins Feld und ihre Varianten, S. 335. 1606 Honer, Lebensweltliche Ethnographie, S. 46; Zinnecker, Zeitschrift für Erzie­ hungswissenschaft 2000, 381, 393. 1607 Reichertz, Qualitative und interpretative Sozialforschung, S. 212 f. 1608 Reichertz, Qualitative und interpretative Sozialforschung, S. 213. 1609 Amann/Hirschauer, Die Befremdung der eigenen Kultur, S. 27; Honer, Das Perspektivenproblem in der Sozialforschung, S. 254; Hughson, International Review for the Sociology of Sport 1998, 43, 47; Lindner, Die Entdeckung der Stadtkultur, S. 206; Schütz, Der Fremde, S. 53 ff.; Thomas, Ethnografie, S. 20 ff.; von der Heyde, Ad hoc Differenzierung, S. 333. 1610 Hughson, International Review for the Sociology of Sport 1998, 43, 47; Thomas, Ethnografie, S. 20 ff. 1611 Friedrichs/Lüdtke, Teilnehmende Beobachtung, S. 48.

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II. Methodisches Vorgehen

die Gefahr, den Zweck des Feldaufenthaltes zu vereiteln.1612 Insbesondere bei teilnehmenden Beobachtungen in Form des complete participant wird über die Grenzen und Risiken des going native-Prozesses diskutiert: Die Konsequenz aus einem derartigen going native ist eine geringere Vergleich­ barkeit der über die Beobachtungen angefertigten Aufzeichnungen mit denjenigen anderer Beobachter. Zudem kann das going native eine intra­ subjektive Fehlerquelle bilden. Der going native-Prozess stellt für Forschen­ de eine Last dar, denn es besteht die Gefahr, im Feld aufzugehen.1613 b) Beschreiben von Fremdheit Soziologische Ethnographien befassen sich mit dem Beschreiben von Fremdheit, die in der eigenen Gesellschaft, der eigenen Kultur oder in einer fremden Gesellschaft innerhalb der eigenen Gesellschaft vorgefun­ den wird.1614 Soziologische Ethnographien werden also, noch exakter for­ muliert, in den Kulturen der eigenen Gesellschaft durchgeführt.1615 Der soziologische Ethnograph muss sich erst der Fremdheit bewusst werden, was durch eine „artifizielle Einstellungsänderung“1616 geschieht. Dieser Vorgang wird auch „Entdecken der Fremdheit“1617 genannt. Als Gegen­ horizont zur Fremdheit fungiert die Vertrautheit.1618 Die Forschungsstra­ tegie lässt sich entlang dieser beiden Begriffe in zwei Richtungen differenzieren, die grundsätzliche Unterschiede, aber auch Überschneidungen aufweisen.1619 Die eine Seite bildet die sich in der Tradition der Chicago School1620 bewegende Forschung und zielt auf die Rekonstruktion von Lebenswelten und Perspektiven derjenigen ab, die sich in „als fremd

1612 Mulder van de Graaf/Rottenburg, Feldforschung in Unternehmen, S. 21. 1613 Friedrichs/Lüdtke, Teilnehmende Beobachtung, S. 48; Legewie, Feldforschung und teilnehmende Beobachtung, S. 192. 1614 Fischer, Was ist Ethnologie?, S. 4; Reichertz, Soziale Welt 1992, 331, 332; Thomas, Ethnografie, S. 17 ff. 1615 Knoblauch, Sozialer Sinn 2001, 123, 124; Lüders, Beobachten im Feld und Ethnographie, S. 390; von der Heyde, Ad hoc Differenzierung, S. 333. 1616 Hitzler, Soziale Welt 1999, 473, 476. 1617 Eisewicht, Ins Feld stürzen oder planvoller Zugriff, S. 437; Girtler, Randkultu­ ren, S. 210; Hitzler, Soziale Welt 1999, 473, 476; Honer, Lebensweltliche Ethno­ graphie, S. 53; von der Heyde, Ad hoc Differenzierung, S. 333. 1618 Kuhn/Neumann, Zeitschrift für Qualitative Forschung 2015, 25, 26. 1619 Kuhn/Neumann, Zeitschrift für Qualitative Forschung 2015, 25, 26 ff. 1620 Vgl. hierzu ausführlicher Breidenstein et al., Ethnografie, S. 20 f.; Thomas, Eth­ nografie, S. 12 f.

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D. Konzeption der soziologischen Ethnographie

angenommen[e] gesellschaftlich[e] Subkulturen“1621 bewegen. Die ande­ re Seite widmet sich eher der Analyse von alltagsweltlichen, vertrauten Phänomenen.1622 Die hier vorliegende Studie schließt sich aufgrund des Erkenntnisziels der erstgenannten Richtung unter gleichzeitiger Nutzung eines verstehenden Zugangs i.S. Webers1623 an. Die feldexplorative Phase, die teilnehmende Beobachtung der szeneinternen Feier und das Führen der Interviews dienten als „Teilnahme ‚am lokalen Leben‘“.1624 Bei soziologischen Ethnographien begibt sich der Forscher in eine fremde soziale Welt, sucht die dort Lebenden auf, und versucht, deren Lebenswelt aus deren eigener Perspektive zu betrachten und zu beobach­ ten.1625 Der Forscher lernt die fremde Lebenswelt dadurch kennen und erweitert seinen ursprünglichen Horizont.1626 Für den soziologischen Eth­ nographen ist vieles in der eigenen Kultur selbstverständlich, so dass es seiner Aufmerksamkeit entgehen würde, wenn er die Fremdheit nicht entdecken würde.1627 Er muss das Fremde – von der Sprache bis zu den Praktiken – innerhalb der eigenen Gesellschaft wieder entdecken und sich

1621 Kuhn/Neumann, Zeitschrift für Qualitative Forschung 2015, 25, 27. 1622 Die zweite Richtung sieht die Fremdheit nicht als Merkmal der Objekte, Sitten oder Personen, die sie beforscht. Zentrale Kritik und Forschungshindernis ist u.a., dass in der Tendenz bei derartigen Forschungen „zu viel vorausgesetzt wird“ aufgrund der bereits zu Beginn bestehenden Vertrautheit zum unter­ suchten Phänomen, vgl. Kuhn/Neumann, Zeitschrift für Qualitative Forschung 2015, 25, 33 ff. 1623 Unter verstehendem Zugang i.S. Webers wird hier verstanden: „Soziologie... soll heißen: eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will.“, Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 1. Das Prinzip vom Verstehen ist eines der wesentlichen Prinzipien der qualitativen Sozialforschung. Verstehen bedeutet selbstverständlich nicht, dass der Forschende für alles Verständnis hat, sondern dass den Dingen auf den Grund gegangen wird. 1624 Kuhn/Neumann, Zeitschrift für Qualitative Forschung 2015, 25, 30. 1625 Eine weitere Form der soziologischen Ethnographie ist die fokussierte Ethno­ graphie, die v.a. dann genutzt wird, wenn der Forscher das Feld bereits kennt und deshalb eine gezielte Fokussierung vorzunehmen vermag. Bei fokussierten Ethnographien sind die Feldaufenthalte meist kurzfristig, aber zeitintensiv. Ausführlicher hierzu z.B. Knoblauch, Sozialer Sinn 2001, 123, 123 ff.; Kuhn/ Neumann, Zeitschrift für Qualitative Forschung 2015, 25, 27; Reichertz, Quali­ tative und interpretative Sozialforschung, S. 204 mwN. 1626 Friebertshäuser, Wege zur Ethnographie, S. 133; Kalthoff, Zeitschrift für Soziolo­ gie 2003, 70, 74. 1627 Illius, Feldforschung, S. 74; von der Heyde, Ad hoc Differenzierung, S. 333.

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II. Methodisches Vorgehen

dessen befremden.1628 Dafür muss er erst selbst begreifen, die im Feld gesprochene Sprache und die dortigen Praktiken nicht ohne weiteres zu beherrschen.1629 Soziologische Ethnographien sind nicht hypothesengeleitet. Sie konzen­ trieren sich darauf, die vorgefundenen Situationen zu definieren und zu interpretieren. Währenddessen stehen nicht die Analyse von Ursachen und Wirkungen im Vordergrund, sondern die Erfassung von zusammenhän­ genden, sinnhaften Mustern und Prozessen.1630 Stichprobenuntersuchun­ gen wie in der quantitativen, deduktiven Sozialforschung1631 sind nicht zielführend, wenn die interessierende Population sehr klein und heterogen ist. Explorativ ausgerichtete1632 soziologische Ethnographien vermeiden, vorab das Sample festzulegen. Stattdessen setzen sie oft das im Rahmen der Grounded Theory entwickelte theoretical sampling ein, das den Prozess der Datensammlung zur Generierung von Theorien bezeichnet, bei der die Daten gleichzeitig gesammelt, kodiert und analysiert werden. Die Auswahl des Samples wird erst im Laufe der Untersuchung getroffen. Entscheiden­ des Kriterium für die Einbeziehung darin ist, welchen Gehalt an Neuem der Forscher sich von den untersuchten Personen erwartet.1633 Datener­ hebung und -auswertung finden nicht in einem linearen Prozess statt, sondern in einem als vorteilhaft zu wertenden zirkulären, spiralförmigen Erkenntnisprozess. Durch die gleichzeitig verlaufende Datensammlung und -analyse wechselt der Forscher permanent zwischen der Erhebungsund Auswertungsphase sowie der Erhebungs- und Auswertungsperspekti­

1628 Hitzler, Der staunende Schwamm, S. 24 f.; Honer, Lebensweltliche Ethnogra­ phie, S. 53; Schütz, Der Fremde, S. 56 ff.; von der Heyde, Ad hoc Differenzierung, S. 332. 1629 Hitzler, Soziale Welt 1999, 473, 476; Hitzler, Der staunende Schwamm, S. 24 f.; Reichertz, Qualitative und interpretative Sozialforschung, S. 203; von der Heyde, Ad hoc Differenzierung, S. 332. 1630 Honer, Lebensweltliche Ethnographie, S. 50. 1631 Vgl. hierzu ausführlicher Atteslander, Methoden der empirischen Sozialfor­ schung, S. 257; Döring/Bortz, Forschungsmethoden und Evaluation, S. 52 f., 302 ff.; Flick, Qualitative Forschung, S. 79; Lamnek, Qualitative Sozialfor­ schung, S. 193; Zinn, FQS 2002, Abs. 61. 1632 Hitzler, Der staunende Schwamm, S. 24 f.; Honer, Lebensweltliche Ethnogra­ phie, S. 50; Lamnek, Qualitative Sozialforschung, S. 193; Lau/Wolff, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1983, 417, 418; Zinn, FQS 2002, Abs. 61. 1633 Glaser/Strauss, The Discovery of Grounded Theory, S. 45; Glaser/Holton, FQS 2004, Abs. 51; s.a. Honer, Kleine Leiblichkeiten, S. 45; Flick, Qualitative For­ schung, S. 82.

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ve. Die Stärke des zirkulären Prozesses liegt im Zwang, das methodische Vorgehen permanent zu reflektieren.1634 c) Ziele und Ablauf soziologischer Ethnographien Mit Hilfe von soziologischen Ethnographien sollen durch dichte Beschrei­ bungen Generalisierungen im Rahmen des Einzelfalles aufgedeckt und ggf. anschließend Hypothesen generiert werden.1635 Ein weiteres Ziel be­ steht darin, die Stimme und das Handeln, das Wissen – das explizite, diskursiv verfügbare Wissen sowie das stumme Wissen, das sowohl expli­ zierbar als auch nicht explizierbar sein kann –, soziale Praktiken und die Bedeutung des Handelns des untersuchten Feldes zu Papier zu bringen.1636 Soziologische Ethnographien beabsichtigen, das, was die Menschen im untersuchten Feld tun, den Menschen begreiflich, nachvollziehbarer und verständlich zu machen, die sich nicht dort befinden.1637 Das Feld des Hooliganismus ist als eine solche fremde Kultur in der eigenen Gesell­ schaft zu werten.1638 Soziologische Ethnographien geben somit den NichtMitgliedern des Feldes die Möglichkeit, in diese fremde Welt Einblicke und Eindrücke zu gewinnen, obwohl sich diese fremde Welt mitunter in keiner größeren räumlichen Entfernung zur Welt der Nicht-Mitglieder befindet. Deshalb wird soziologischen Ethnographien zugeschrieben, die Rolle eines Übersetzers einzunehmen.1639 Grundsätzlich verlaufen empirische Forschungsarbeiten und -prozesse in mehreren, zumeist zeitlich aufeinander folgenden, wenn auch nicht immer ganz trennscharf abgrenzbaren Phasen ab.1640 Ein solches Vorgehen war jedoch aufgrund der hier zu beantwortenden Fragestellungen und 1634 Flick, Qualitative Forschung, S. 59; Friebertshäuser, Feldforschung und teilneh­ mende Beobachtung, S. 511; Hitzler, Ethnographie, S. 213; Honer, Das Perspek­ tivenproblem in der Sozialforschung, S. 254. 1635 Geertz, Dichte Beschreibung, S. 37. 1636 Kalthoff, Zeitschrift für Soziologie 2003, 70, 74, 86. 1637 Hitzler, Der staunende Schwamm, S. 24 f.; Hitzler, Ethnographie, S. 215; von der Heyde, Ad hoc Differenzierung, S. 332. 1638 B. IV. 1. e). 1639 Hitzler, Der staunende Schwamm, S. 24 f.; Hitzler, Ethnographie, S. 215; König, Soziologie und Ethnologie, S. 23; Kuhn/Neumann, Zeitschrift für Qualitative Forschung 2015, 25, 29; von der Heyde, Ad hoc Differenzierung, S. 332. 1640 Vgl. hierzu ausführlicher statt vieler Atteslander, Methoden der empirischen Sozialforschung, S. 17 f.; Gläser/Laudel, Experteninterviews und qualitative In­ haltsanalyse, S. 35.

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II. Methodisches Vorgehen

des Forschungsfeldes mit seinen Eigenheiten nicht durchführbar, denn es wäre weder gegenstandsangemessen noch erfolgsversprechend gewesen. Deshalb orientierte sich der Forschungsprozess an den zehn von Fischer entwickelten Schritten zum Ablauf soziologischer Ethnographien.1641 2. Erhebungsmethoden und Datenauswertung Die Forschungsstrategie ermöglicht, unterschiedliche Erhebungsmethoden kombiniert einzusetzen. a) Erhebungsmethode: teilnehmende Beobachtung Wie zentral die Methode der teilnehmenden Beobachtung innerhalb em­ pirischer Studien ist,1642 hängt davon ab, inwieweit das (nicht) diskursiv verfügbare Wissen1643 erforscht werden soll. Teilnehmende Beobachtun­ gen sind die basale Methode für soziologische Ethnographien. Ihr Einsatz vermeidet Verzerrungen, die durch den Einsatz anderer Erhebungsmetho­ den (z.B. Experimente, Fragebogenerhebungen) zu befürchten sind, da diese zu sehr in die natürlichen Prozesse des Forschungsgegenstandes ein­ greifen und häufig keine Fremdheitshaltungen aufweisen. Teilnehmende Beobachtungen ermöglichen, sich dem Forschungsgegenstand der frem­ den, zu erkundenden sozialen Welt, anzunähern und dadurch die Innen­ perspektive der Beteiligten kennenzulernen.1644 Grenzen und Risiken von teilnehmenden Beobachtungen können u.a. in nicht gelingenden oder schwierigen Feldzugängen liegen.1645 Forscher, die ihre angestammten Plätze innerhalb der Wissenschaft verlassen, sich in für sie zunächst fremde Territorien begeben und dort „heimisch“ werden, beabsichtigen die im Feld befindlichen Individuen, Kollektive oder Ethnien dabei zu beobach­

1641 Vgl. Fischer, Feldforschung, S. 84 ff. 1642 Friebertshäuser, Feldforschung und teilnehmende Beobachtung, S. 503; Hitzler, Ethnographie, S. 210; Mayring, Einführung in die qualitative Sozialforschung, S. 54 f. 1643 Wissen kann unterteilt werden in explizites und stummes Wissen. Explizites Wissen ist diskursiv verfügbar. Bei stummem Wissen muss zwischen solchem, das expliziert werden kann und solchem, das nicht explizierbar ist, unterschie­ den werden; Kalthoff, Zeitschrift für Soziologie 2003, 70, 74. 1644 Mayring, Einführung in die qualitative Sozialforschung, S. 55. 1645 Vgl. ausführlicher zu Grenzen und Risiken D. III.

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D. Konzeption der soziologischen Ethnographie

ten, „was diese tun und sagen“.1646 Diese Beobachtungen beziehen sich auf die „Praktiken der Individuen“,1647 das „Sprechen der Individuen“,1648 das „soziale und dinghafte Setting“1649 sowie die „temporale Struktur der Praktiken und des Sprechens“1650. Die vorliegende Arbeit wirft einen pra­ xeologischen Blick auf den Hooliganismus.1651 Handlungen im praxeolo­ gischen Sinn, also folgenreiche Bewegungen im sozialen Raum sowohl von Körpern als auch von Sprache, von Artefakten und Dingen, können bei teilnehmenden Beobachtungen beobachtet werden. Handlung und 1646 Kalthoff, Zeitschrift für Soziologie 2003, 70, 74. 1647 „Praktiken der Individuen“ bedeutet die Fragen danach, was die Individuen tun, was sie her- und darstellen, wie sie das tun, was sie tun in konkreten Situationen bezogen auf andere Individuen, Ereignisse, Aktivitäten und Dinge, Kalthoff, Zeitschrift für Soziologie 2003, 70, 74. 1648 „Sprechen der Individuen“ bedeutet die Frage danach, in welcher Weise In­ dividuen mit anderen Individuen über Handlungen, Ereignisse, Aktivitäten und Dinge reden. Das Augenmerk wird darauf gerichtet, welche wortlosen, körperlichen Ausdrucksformen auf Gesagtes, Gemachtes oder Empfundenes benutzt werden sowie die Frage danach, welche Bedeutungen den Dingen, Aktivitäten und Worten zukommen, Kalthoff, Zeitschrift für Soziologie 2003, 70, 74. 1649 „Soziales und dinghaftes Setting“ bedeutet die Frage danach, auf welche Wei­ se die soziale oder die dinghafte Umgebung, in welcher das Handeln und Sprechen stattfindet, eben jenes Handeln und Sprechen evoziert, Kalthoff, Zeit­ schrift für Soziologie 2003, 70, 74. 1650 „Temporale Struktur der Praktiken und des Sprechens“ bedeutet, dass der Frage nachgegangen wird, mit welchem zeitlichen Muster die in den Blick genommenen Praktiken und die Sprechaktivitäten folgen, Kalthoff, Zeitschrift für Soziologie 2003, 70, 74. 1651 Dieses methodische Vorgehen wählten auch andere (kriminal-)soziologische und kriminologische Forschungsarbeiten, die sich mit Szenen, Subkulturen, Milieus von „kleinen Lebenswelten“, Jugendlichen in (nicht) gewaltaffinen Kontexten beschäftigen; auch Forschungen zu Fußballfans und Hooliganismus nutzten es; vgl. etwa Honer, Lebensweltliche Ethnographie, S. 1 ff., Girtler, Forschung in Subkulturen, S. 385 f.; Neumann-Braun/Deppermann, Zeitschrift für Soziologie 1998, 239, 240; Reichertz, Qualitative und interpretative Sozial­ forschung, S. 203. Für soziologischen Ethnographien mit kriminologischen Fragestellungen z.B. Bohnsack et al., Die Suche nach Gemeinsamkeit und die Gewalt der Gruppe; Eckert/Vogelgesang/Wetzstein, Grauen und Lust; Girtler, Vagabunden in der Großstadt; Girtler, Wilderer; Girtler, Der Strich; Girtler, Abenteuer Grenze; Girtler, Schmuggler; Hughson, Journal of Sport and Social Issues 2000, 8, 9; Robson, ‘No One Likes Us, We Don’t Care‘, S. 10 ff.; Spaaij, Understanding football hooliganism, S. 38; Stott/Hutchison/Drury, British Jour­ nal of Social Psychology 2001, 359, 364; Sülzle, Fußball, Frauen, Männlichkei­ ten, S. 55 ff.; von der Heyde, Doing Gender als Ultra – Doing Ultra als Frau, S. 67 ff.

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II. Methodisches Vorgehen

Praktik unterscheiden sich aus praxeologischer Sicht wie folgt: Eine Hand­ lung hat punktuellen oder individuellen Charakter. Eine Praktik ist eine Handlung, die in etwas Soziales, hier: in das Feld des Hooliganismus, ein­ gebettet ist. Verknüpft sind Handlungen und Praktiken durch Inkorporie­ rung auch im Habitus-Konzept.1652 Die soziale Wirklichkeit des Feldes des Hooliganismus entsteht in der und durch die Praxis.1653 Praxistheorien lei­ ten „einen quasi-ethnologischen Blick auf die Mikrologik des Sozialen an; die Ethnographie und die ‚dichte Beschreibung‘ für die Rekonstruktion von Praktiken stellen für sie nicht zufällig eine bevorzugte Forschungsme­ thode dar.“1654 Die während der feldexplorativen Phase und in einer szen­ einternen Feier erfolgten Beobachtungen werden unten ausgewertet und interpretiert vorgestellt. Ethnographen schreiben somit das explizite und diskursive Wissen ebenso auf wie das stumme, aber explizierbare Wissen; so wird es zu etwas Geschriebenem. Das stumme, nicht explizierbare Handlungswissen expliziert der Ethnograph beschreibend; so wird es zu et­ was Expliziertem.1655 Das analytische Augenmerk richtet sich darauf, wie Praktiken vollzogen und dargestellt werden und wie die Verknüpfung der Praktiken mit dem Wissen verläuft. Zudem richtet sich das analytische Au­ genmerk auf das stumme, in den Praktiken verborgene Wissen.1656 aa) Formen der teilnehmenden Beobachtung Ob eine Beobachtung teilnehmend oder nicht teilnehmend ist, richtet sich nach der Rolle des Forschenden im Feld und dem Ausmaß seiner Involviertheit. Der nicht teilnehmend Beobachtende beobachtet das ihn interessierende Geschehen von außen.1657 Der teilnehmend Beobachtende wird währenddessen selbst zum Element des Forschungsfeldes, gleichwohl handelt es sich um eine „Beobachtung auf Distanz“.1658 Die Rolle des

1652 1653 1654 1655 1656 1657

Vgl. B. IV. 1. c), 2. insbesondere a). Vgl. Budde, Zeitschrift für Qualitative Forschung 2015, 7, 14. Reckwitz, Zeitschrift für Soziologie 2003, 282, 298. Kalthoff, Zeitschrift für Soziologie 2003, 70, 74. Kalthoff, Zeitschrift für Soziologie 2003, 70, 74. Vgl. Bock, Grundlagen und Methoden, S. 73; Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, S. 149 f.; Lamnek/Krell, Qualitative Sozialforschung, S. 523 ff. 1658 Reichertz, Qualitative und interpretative Sozialforschung, S. 205; s.a. Bock, Grundlagen und Methoden, S. 73; Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, S. 149 f.; Lamnek/Krell, Qualitative Sozialforschung, S. 528 f.

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D. Konzeption der soziologischen Ethnographie

Beobachters kann grundsätzlich vier idealtypische Formen1659 einnehmen, die hier je situativ eingesetzt wurden. Es wurde sowohl strukturiert als auch unstrukturiert teilnehmend beobachtet. Die beiden Formen unter­ scheiden nach der Art des Vorgehens, stimmen aber darin überein, ein konkret formuliertes Forschungsziel aufzuweisen, systematisch geplant und aufgezeichnet zu werden. Bei strukturierten Beobachtungen zeichnet der Forscher die Beobachtungen nach vorab festgelegten Beobachtungs­ kategorien auf. Bei der unstrukturierten Beobachtung erstellt er vorab nur allgemeine Richtlinien. Unstrukturierte Beobachtungen bieten den Vorteil eines sehr freien Spielraums, was und wie etwas beobachtet und aufgezeichnet wird.1660 Das Feld des Hooliganismus erforderte ein vorwie­ gend unstrukturiertes Vorgehen zur Orientierung im Forschungsfeld, zur Beschreibung von dessen Komplexität, zur Entwicklung einer gezielten Blickrichtung, die nur durch den Kontakt mit dem Forschungsfeld mög­ lich ist, und zur Entdeckung neuer Fragestellungen. Unstrukturierte teil­ nehmende Beobachtungen sind für Forschende besonders herausfordernd, da sie das Gesehene, Gehörte und Erlebte in seiner Komplexität später schriftlich fixieren müssen; eine sofortige Protokollierung scheidet meist aus.1661 Teilnehmende Beobachtungen erfolgten auch in offener und ver­ deckter Form, die sich in der Offenlegung der Identität des Forschenden und damit in der Transparenz unterscheiden. Bei offenen teilnehmenden Beobachtungen tritt der Forscher ausdrücklich als solcher auf, bei der ver­ 1659 Der vollständige Beobachter (complete observer) geht keine Interaktion mit dem zu beforschenden Feld ein, denn er beobachtet, ohne dass die Beobachteten Kenntnis davon erlangen. Der Beobachter als Teilnehmer (observer-as-partici­ pant) ist als Teilnehmer in das zu beobachtende Phänomen integriert. Da der Schwerpunkt seiner Tätigkeit im Beobachten liegt, ist der Grad der eigenen Involviertheit eher gering. Beim Teilnehmer als Beobachter (participant-as-ob­ server) sind sich Beobachtete und Beobachter einer Feldbeziehung bewusst. Der Teilnehmer als Beobachter ist vorrangig Teilnehmer und nachrangig Be­ obachter. Die Beobachteten haben, wenn der Forschende die Rolle des voll­ ständigen Teilnehmers (complete participant) einnimmt, keine Kenntnis von seiner wahren Identität und dem Zweck seiner Teilnahme. Der Forscher agiert verdeckt und es kann für ihn zu einer vollständigen Identifikation mit dem zu beforschenden Feld kommen; vgl. hierzu ausführlicher: Angrosino, Doing Ethnographic and Observational Research, S. 54 f.; Lamnek/Krell, Qualitative Sozialforschung, S. 523 ff., 540 ff.; Schwartz/Schwartz, The American Journal of Sociology 1955, 343, 348. 1660 Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, S. 149 f.; Lamnek/Krell, Qualitative Sozialfor­ schung, S. 526 f. 1661 Friebertshäuser, Feldforschung und teilnehmende Beobachtung, S. 522; Rei­ chertz, Qualitative und interpretative Sozialforschung, S. 223.

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II. Methodisches Vorgehen

deckten Form nicht.1662 Verdeckte teilnehmende Beobachtungen werden zum Teil als forschungsethisch bedenklich erachtet.1663 Ein maßgeblicher Vorteil liegt jedoch darin, ein natürliches Setting zu erhalten.1664 Unabhängig von der gewählten Form der teilnehmenden Beobachtung besteht Uneinigkeit hinsichtlich der Dauer des Aufenthalts im Forschungs­ feld. Es wird vertreten, der Aufenthalt soll grundsätzlich über längere Zeit erfolgen;1665 dies wird „anhaltende Kopräsenz“1666 genannt. Nach vor­ zugswürdiger Ansicht ist die konkrete Dauer zum einen abhängig vom Erkenntnisinteresse. Zum anderen muss das Handeln im jeweiligen Feld verstanden und erklärt werden, was aus der Sicht des jeweiligen Feldes zu geschehen hat. Deshalb kann nach vorzugswürdiger Ansicht die Dauer des Feldaufenthalts nicht fest vorgegeben werden und kann grundsätzlich zwischen mehreren Stunden, Tagen, Wochen, Monaten bis hin zu einem ganzen Jahr oder länger andauern.1667 Teilnehmende Beobachtungen sind nicht frei von forschungsethischen Bedenken1668 und bergen einige Gefahren und Risiken in sich. Der For­ schende kann durch seine bloße Anwesenheit im Feld dieses verändern und beeinflussen. Vorab muss er für sich selbst festlegen, inwieweit er sich und in welcher Rolle beteiligt.1669 Ohne Forscher, die gewillt sind, ver­ deckte teilnehmende Beobachtungen einzusetzen, blieben einige Aspekte der Gesellschaft oder von Kulturen innerhalb der Gesellschaft verborgen. Für die Beobachteten können teilnehmende Beobachtungen zum Nach­ 1662 Friebertshäuser, Feldforschung und teilnehmende Beobachtung, S. 520 f.; Girt­ ler, Methoden der qualitativen Sozialforschung, S. 45; Lamnek/Krell, Qualitati­ ve Sozialforschung, S. 526 ff. 1663 Ihnen wird vorgeworfen, auf Täuschungsabsichten gegenüber dem For­ schungsgegenstand und den Beobachteten zu beruhen. Bei längerfristiger Anwendung würden sie die Gefahr der Bedrohung des Erfolgs der Beobach­ tungen in sich bergen; vgl. Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, S. 149 f.; Girtler, Methoden der Feldforschung, S. 50; Lamnek/Krell, Qualitative Sozialforschung, S. 527 ff., 540 ff. 1664 Merkens, Teilnehmende Beobachtung, S. 27. 1665 Flick, Qualitative Sozialforschung, S. 313; Hammersley/Atkinson, Ethnography, S. 2; Kuhn/Neumann, Zeitschrift für Qualitative Forschung 2015, 25, 30; Lüders, Beobachten im Feld und Ethnographie, S. 391. 1666 Amann/Hirschauer, Die Befremdung der eigenen Kultur, S. 21; Fischer, Feldfor­ schung, S. 81. 1667 Amann/Hirschauer, Die Befremdung der eigenen Kultur, S. 21; Fischer, Feldfor­ schung, S. 81; Reichertz, Qualitative und interpretative Sozialforschung, S. 205. 1668 Vgl. auch bereits D. II. 1. 1669 Bock, Grundlagen und Methoden, S. 73; Giulianotti, Sociology of Sport Journal 1995, 1, 10; Killias, Grundriss der Kriminologie, S. 15.

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D. Konzeption der soziologischen Ethnographie

teil gereichen, was zu vermeiden ist.1670 Weitere Kritik bezieht sich auf die Feldprotokolle: Beobachtungen sind kein „‚reiner’ optisch-physikalischer Vorgang“.1671 Die selektive Wahrnehmung und die Subjektivität des sich selbst als Erhebungsinstrument einsetzenden Beobachters kann die beob­ achteten Handlung verzerren.1672 Nach dem Beobachten und Nieder­ schreiben kann er die beobachteten Handlungen zudem fehlinterpretie­ ren, dem kann u.a. durch Selbstreflexion auch außerhalb der Feldprotokol­ le sowie durch Supervision entgegengewirkt werden.1673 Den Kritikpunk­ ten kann die Gegenstandsangemessenheit als ein wesentliches Merkmal der qualitativen Forschung entgegengehalten werden.1674 Ein weiterer, nicht unerheblicher Nachteil der verdeckten Beobachtung für den For­ schenden ist, sollte er entdeckt werden, der mögliche und wahrscheinliche Ausschluss aus dem Forschungsfeld. Demgegenüber steht jedoch einer der entscheidenden Vorteile von verdeckten teilnehmenden Beobachtungen: Ihr Einsatz ist häufig die einzige Möglichkeit, aussagekräftige und unver­ zerrte Daten zum interessierenden Phänomen zu sammeln.1675 bb) Eigenes Vorgehen und Problemreflexion Während der feldexplorativen Phase wurden bei ausgewählten Derbys1676 sowie einer szeneinternen Feier1677 unterschiedliche Formen der teilneh­ menden Beobachtung genutzt. Das zunächst ausschließlich unstrukturierte Vorgehen während der Beobachtungen in der feldexplorativen Phase, die sich stetig hin zu einem strukturierten Vorgehen entwickelten, war dem zu untersuchenden Feld geschuldet. Die Beobachtungen dienten dazu, sich im Forschungsfeld zu orientieren, dessen Komplexität zu beschreiben und eine gezielte Blickrichtung für das Phänomen zu entwickeln. Dadurch

1670 Pearson, International Journal of Social Research Methodology 2009, 243, 252. 1671 Bock, Grundlagen und Methoden, S. 73. 1672 Siehe ausführlich hierzu Reichertz, Qualitative und interpretative Sozialfor­ schung, S. 215 ff. 1673 Reichertz, Qualitative und interpretative Sozialforschung, S. 215. 1674 Flick, Qualitative Forschung, S. 13, 164; Hitzler, Der staunende Schwamm, S. 24. 1675 Lamnek/Krell, Qualitative Sozialforschung, S. 526 ff.; Pearson, International Journal of Social Research Methodology 2009, 243, 252. 1676 Vgl. E. I. 1677 Vgl. E. II.

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II. Methodisches Vorgehen

wurden neue Fragestellungen entdeckt,1678 bisherige weiterentwickelt und daraufhin die Interviewleitfäden1679 modifiziert. Die Erkenntnisse der feld­ explorativen Phase wurden während den geführten Interviews genutzt, um situativ erzähl- und verständnisgenerierende Fragen1680 zu formulieren. Bei der szeneinternen Feier war die teilnehmende Beobachtung unstruk­ turiert und nur für die als gatekeeper fungierende Person offen. Für alle anderen Anwesenden war die teilnehmende Beobachtung verdeckt. In Kenntnis der bestehenden forschungsethischen Bedenken1681 wurde diese Form gewählt, um die Gefahr zu vermeiden, entdeckt und sanktioniert zu werden, etwa durch den Ausschluss von der Feier durch mündliche oder tätliche Verweisung. Auch wurde dieses Vorgehen gewählt, um die als gatekeeper fungierende Person, Ben, zu schützen und um zu vermeiden, ihn szeneinternen Vorwürfen auszusetzen, einer Person den Zutritt zu gewähren, die nicht zum eigentlich teilnahmeberechtigten Personenkreis zählte. Das natürliche Setting blieb so erhalten und war nicht durch die Forschende bzw. die Offenlegung der Identität gestört. Im Verlauf der szeneinternen Feier wurden mehrere Rollen des Beobachtens, nämlich die des complete observers sowie des observer-as-participants,1682 eingesetzt. Während allen teilnehmenden Beobachtungen wäre es zu keiner Zeit möglich gewesen, Feldnotizen in das Feldforschungstagebuch zu notieren. Aus Sicherheitsgründen wurde es auch nicht bei sich geführt. Stattdessen wurde auf die „Notizfunktion“ des Mobiltelefons zurückgegriffen,1683 da dies für einen objektiven Betrachter aussah, als würde eine alltägliche, und damit unauffällige Handlung ausgeführt. Bei allen teilnehmenden Beobachtungen wurden, soweit möglich, Fotos zur Unterstützung des Ge­ dächtnisses erstellt. Im Anschluss an die Feldaufenthalte wurde zeitnah ein umfassendes Feldprotokoll erstellt, dessen Schreibprozess einen wesent­ lich höheren zeitlichen Aufwand als die teilnehmenden Beobachtungen selbst erforderte; dies ist jedoch bei soziologischen Ethnographien „nor­ mal“.1684 Die Feldprotokolle können nicht als getreue Wiedergaben oder

1678 1679 1680 1681 1682 1683 1684

Vgl. Friebertshäuser, Feldforschung und teilnehmende Beobachtung, S. 522. Vgl. D. II. 2. b). Vgl. D. II. 2. b) aa). Vgl. D. I., II. 2. a) aa). Vgl. D. II. 2. a) aa). So auch beispielsweise von der Heyde, Ad hoc Differenzierung, S. 337. Vgl. Amann/Hirschauer, Die Befremdung der eigenen Kultur, S. 30; Thomas, Ethnografie, S. 96 ff.

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als Zusammenfassungen des Erfahrenen begriffen werden,1685 sondern sie sind Texte, die „das im Rahmen der Feldforschung Beobachtete, Erlebte, Gelesene, Gehörte, Empfundene und/oder Wahrgenommene möglichst adäquat und präzise“ 1686 beschreiben. Insofern sind Feldprotokolle als Tex­ te der sich selbst als Erhebungsinstrumente einsetzenden Forschenden an­ zusehen. Mit den den Forschenden jeweils zur Verfügung stehenden sprachlichen Mitteln werden diese nachträglich sinnhaft verdichtet und in bisherige Forschungsergebnisse kontextualisiert, um daraus nachvollzieh­ bare, schriftliche Protokolle zu fertigen.1687 Diese entstehen in der Absicht, das Erlebte und Niedergeschriebene lebendig erscheinen zu lassen und so „glaubwürdige, nachvollziehbare (bildliche) Vorstellungen, Gedanken, Wahrnehmungen und/oder Emotionen“1688 zu erzeugen. b) Erhebungsmethode: problemzentrierte Interviews Als weitere Erhebungsmethode dienten problemzentrierte Interviews. aa) Grundzüge der Erhebungsmethode der problemzentrierten Interviews Problemzentrierte Interviews, die weitgehend angelehnt sind an das theo­ riegenerierende Verfahren der auf Glaser/Strauss zurückgehenden Groun­ ded Theory, „zielen auf eine möglichst unvoreingenommene Erfassung individueller Handlungen sowie subjektiver Wahrnehmungen und Verar­ beitungsweisen gesellschaftlicher Realität“.1689 Während des Erhebungsund Auswertungsprozesses ist der Erkenntnisgewinn als „induktiv-dedukti­ ves Wechselverhältnis zu organisieren“.1690 Währenddessen wird das Prin­ zip der Offenheit realisiert, denn die „spezifischen Relevanzsetzungen der untersuchten Subjekte [werden] insbesondere durch Narrationen ange­ regt“.1691

1685 Lüders, Beobachten im Feld und Ethnographie, S. 396; Reichertz, Qualitative und interpretative Sozialforschung, S. 215. 1686 Bock, FQS 2019, Abs. 1. 1687 Lüders, Beobachten im Feld und Ethnographie, S. 396; Reichertz, Qualitative und interpretative Sozialforschung, S. 215. 1688 Bock, FQS 2019, Abs. 1. 1689 Witzel, FQS 2000, Abs. 1. 1690 Witzel, FQS 2000, Abs. 3. 1691 Witzel, FQS 2000, Abs. 3.

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II. Methodisches Vorgehen

Das problemzentrierte Interview zeichnet sich durch drei Grundpositio­ nen (Problem-, Gegenstands-, Prozessorientierung) aus. Die Erhebungsme­ thode organisiert einen Erkenntnisprozess des Interviewenden, denn er nutzt währenddessen seine aus Vorinterpretationen resultierende Kennt­ nisse des betreffenden Problembereichs. Dadurch kann er die Äußerungen der Interviewten verstehend nachvollziehen und situativ (nach-)fragen. Bei weiteren Interviews ist es möglich, die Kommunikation während der Interviewsituation konkreter auf das fokussierte Problem zuspitzen zu können.1692 Die Erhebungsmethode zeichnet sich durch eine hohe Flexi­ bilität aus, auch hinsichtlich unterschiedlicher Gesprächstechniken, und kann, wie in der vorliegenden Arbeit, mit anderen Erhebungsmethoden kombiniert werden. Der Interviewer lenkt den „Kommunikationsprozess sensibel und akzeptierend auf die Rekonstruktion von Orientierungen und Handlungen“1693 der Interviewten. Das so aufgebaute Vertrauensverhältnis fördert ihre Erinnerungsfähigkeit, motiviert sie zur Selbstreflexion und trägt dazu bei, neue Perspektiven zu entwickeln sowie bereits getätigte Äußerungen zu korrigieren oder zu reformulieren.1694 Während problemzentrierter Interviews können verschiedene Instru­ mente (Kurzfragebögen, (digitale) Aufzeichnungen des Interviews, Leitfä­ den, möglichst umgehend nach dem Interview anzufertigende Postskripte) unterstützend eingesetzt werden.1695 Die vorliegende Untersuchung ver­ zichtete auf einen schriftlichen Kurzfragebogen und erfragte stattdessen zu Beginn des Interviews biographische und sozioökonomische Eckdaten mündlich. Leitfäden, die „als Gedächtnisstütze und Orientierungsrahmen zur Sicherung der Vergleichbarkeit der Interviews“1696 gedacht werden, wurden erstellt und je nach Interviewtem modifiziert. Postskripte wurden zeitnah zum Interview erstellt. Während problemzentrierter Interviews werden v.a. erzähl- und ver­ ständnisgenerierende Kommunikationsstrategien eingesetzt. Mit einer vor­ formulierten, offenen Einleitungsfrage soll das Interview auf das zu unter­ suchende Problem zentriert werden.1697 Im weiteren Verlauf dienen „allge­ meine Sondierungen“ dazu, die subjektive Problemsicht des Interviewten offenzulegen. Zur Weiterverfolgung des roten Fadens des Interviews greift

1692 1693 1694 1695 1696 1697

Witzel, FQS 2000, Abs. 4. Witzel, FQS 2000, Abs. 4. Witzel, FQS 2000, Abs. 4. Witzel, FQS 2000, Abs. 5 ff. Witzel, FQS 2000, Abs. 8. Witzel, FQS 2000, Abs. 10 ff.

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D. Konzeption der soziologischen Ethnographie

der Interviewende durch Nachfragen die inhaltlichen Aspekte auf, die sich aus der auf die Einleitungsfrage folgende Erzählsequenz ergeben. Nachfragen ermöglichen, „den gewünschten Grad an Detaillierung“1698 zu erreichen, sie regen die Erinnerungsfähigkeit an und tragen dazu bei, abstrakte oder unklare Begriffe zu erläutern.1699 Sollten Themenbereiche, die zur Vergleichbarkeit der Interviews untereinander notwendig sind, ausgelassen worden sein, stellt der Interviewer situativ „ad hoc-Fragen“.1700 Weiterhin kommen verständnisgenerierende Kommunikationsstrategien zum Einsatz. Die drei Arten der „spezifischen Sondierungen“ sind das „Zurückspiegeln“, „Verständnisfragen“ und „Konfrontation“.1701 bb) Konkrete Ausgestaltung der Leitfäden und Problemreflexion Die in schriftlicher Form mitgeführten Leitfäden wurden je nach Inter­ viewtem modifiziert, da die Interviewten in unterschiedlichen Graden und Ausmaßen in die Hooligan-Szene involviert waren. Die nachfolgenden Kategorien, nach denen die Leitfäden konzipiert wurden, bildeten bei der Auswertung die Grundlage für die deduktive Kategorienbildung.1702 Zunächst wurden Fragen zu biographischen und sozioökonomischen Eckdaten der Interviewten und zu verschiedenen Phasen der HooliganKarriere gestellt: zum Einstieg (z.B. Warum? Was reizt daran? Wann? Wie lange dabei?), zur Phase der Teilnahme (z.B. Wie lange?, Wie oft?, Welche finanziellen Ressourcen sind notwendig? Wie sind Einstellungen zu gesellschaftlichen Minderheiten?) und zum Ausstieg (z.B. Warum? Wann?). Bei den Interviewten mit partnervermitteltem Kontakt wurde erfragt, wie sie mit der Hooligan-Szene in Berührung gekommen sind und was sie über den Verlauf der Hooligan-Karriere desjenigen, durch den der partnervermittel­ te Kontakt entstand, wussten. Daran anschließend wendete sich das Inter­ view den körperlichen Auseinandersetzungen zu (z.B. Wo? Wie? Spontan? Geplant? Wer hat organisiert? Wie fühlst du dich, wenn du eine andere Person verletzt hast?). Auch das eigene Verhältnis zu männlichen oder weiblichen Polizisten wurde erfragt. Des Weiteren wurde das Interesse am Fußball

1698 1699 1700 1701

Witzel, FQS 2000, Abs. 14. Witzel, FQS 2000, Abs. 14. Mey, Sozialer Sinn 2000, 135, 135 ff.; Witzel, FQS 2000, Abs. 15. Vgl. hierzu ausführlicher Witzel, Das problemzentrierte Interview, S. 249; Wit­ zel, FQS 2000, Abs. 16. 1702 Vgl. D. II. 2. c).

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II. Methodisches Vorgehen

und die Wahrnehmungen und Beurteilungen von sich in anderen Fußball­ fan-Szenen bewegenden Personen angesprochen. Auf die Rolle von Alko­ hol und Drogen wurde ebenfalls eingegangen. Die Interviewten wurden stets aufgefordert, die unterschiedlichen Phasen ihrer Hooligan-Karriere retrospektiv zu betrachten und zu beurteilen (z.B. Wie würdest du diese Phase deines Lebens rückblickend betrachten?). Fragen, die den Kern der konkretisierten Forschungsfragen betreffen, bildeten das Herzstück des Interviews. Entsprechend wurde vertiefend nach Geschlechterrollenbildern und weiblichen Personen, mit und ohne eigene Gewaltausübung, in der Hooligan-Szene gefragt (z.B. Was machen Frauen, wenn sie dabei sind? Warum sind sie (nicht) dabei? Wie unterscheidet sich euer Verhalten, wenn sie dabei waren? Hast du schlagende Frauen erlebt? Hast du (nicht) schlagende Frauen geschlagen? Warum (nicht)?). Mit Blick auf partnerschaftlich in unterschiedlichen Zeitdauern Verbun­ dene während den Phasen der Hooligan-Karriere wurde z.B. erfragt: Frau/ Freundin/Mann/Freund während den 3 Phasen: Wechsel? Wusste sie/er, dass du Hooligan bist? Wie hat sie/er davon erfahren? Wie hat sie/er reagiert? In wel­ chem Zusammenhang hast du sie/ihn kennengelernt? Wie ging sie/er damit um? Wie fand sie/er das bzw. wie hat sie/er sich dir gegenüber geäußert, dass sie/er das fand? Hat sie/er versucht dich zu ändern? Wie hat sie/er dich unterstützt? Warum gab es während der Beziehung Streit wegen den Hooligan-Aktivitäten? Um Erkenntnisse zu den Geschlechterrollenbildern zu gewinnen, wurden Rating-Fragen in Anlehnung an Zulehner/Volz1703 mündlich ge­ stellt.1704 Dabei sollten sie mit dem Wert 1 angeben, ob sie der Aussage voll und ganz zustimmen, oder Abstufungen bis zum Wert 5 vornehmen, sollten sie der Aussage überhaupt nicht zustimmen. Retrospektiv ist zum Stellen von Rating-Fragen anzumerken, dass die Überleitung zwischen den offenen Fragen im Rahmen der problemzentrierten Interviews von der Verf. sensibel gehandhabt wurde und sie auf etwaige kurzzeitige Irrita­ tionen situativ und angemessen reagierte. Da der eigentliche Erzählfluss während des Interviews für diese Zeit kurz unterbrochen wurde und nur

1703 Vgl. bereits B. III. 1. b). 1704 Grundsätzlich wäre es möglich gewesen, diese Fragen schriftlich abzufragen. Um die Gesprächsatmosphäre nicht zu stören, wurden sie mündlich gestellt, um an einigen Stellen unmittelbar nachfragen zu können. Durch das Vorge­ hen wurde zusätzlich versucht zu eruieren, wie aus Sicht der Interviewten die (ehemals) partnerschaftlich Verbundenen die Fragen beantworten würden und ob die Interviewten glauben, ihre eigene und deren mutmaßliche Ansicht kollidiert mit derjenigen der Gruppe oder stimmen mutmaßlich überein. Die spekulativ beantworteten Fragen wurden nicht in die Auswertung einbezogen.

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D. Konzeption der soziologischen Ethnographie

kurze Antworten in Form von Zahlen angedacht waren, haben sich die In­ terviewten teilweise nur kurz mit der Bezifferung ihrer Einschätzung auf­ gehalten und, da sie sich noch immer im Erzählfluss befanden, passende Erzählsequenzen zur jeweiligen Frage formuliert. Schließlich wurden das Interview abschließende, offene Fragen formu­ liert, z.B.: Was hast du denn gedacht, was ich dich fragen würde? Fehlt aus deiner Sicht noch etwas, was du ergänzen möchtest? Welcher Themenbereich ist zu kurz gekommen? Nach dem Dank für die Bereitschaft zum Interview wurde das digitale Aufnahmegerät ausgeschaltet. Es folgte die Frage, ob es wieder eingeschaltet werden dürfe, für den Fall, dass im Nachgang noch etwas Wichtiges einfalle, was es noch aufzunehmen gelte. Davon wurde auch Gebrauch gemacht und führte zu einem erneuten Beginn des Kommunikationsprozesses. c) Transkription, Feldprotokolle und Datenauswertung Eine Transkription1705 ist unablässige Voraussetzung für die wissenschaftliche Auswertung eines mündlichen Kommunikationsprozesses, denn nur so gelingt es, das kommunikative Verhalten dauerhaft einzufrieren,1706 was aufgrund der Tatsache „verba volant, scripta manent“1707 nötig ist. Die Transkription erfolgte mittels EXMARaLDA Partitur-Editor (Versionen 1.5 und 1.5.21708). Vor dem Interview wurden die Interviewten gebeten, ihr Einverständnis zur Aufnahme des Interviews auf das digitale Aufnah­ megerät zu geben. Die Interviews wurden vollständig transkribiert. Als Transliteration wurde die orthographische Umschrift gewählt und die Sprache, soweit möglich, an das Schriftdeutsch angepasst, um die Gefahr der Deanonymisierung aufgrund des Dialekts oder aufgrund von indivi­ duellen sprachlichen Eigenheiten zu verringern.1709 Mit der vorherigen Zusicherung, keine Pausen zu transkribieren, sollten die Interviewten er­ muntert werden, sich ohne (vermeintlichen) Zeitdruck auf die Erzählun­ gen zu fokussieren. Zudem wurden alle Daten anonymisiert, die einen 1705 Hierunter wird „die Wiedergabe eines gesprochenen Diskurses in einem situa­ tiven Kontext mit Hilfe alphabetischer Schriftsätze und anderer, auf kommu­ nikatives Verhalten verweisender Symbole“ verstanden; Dittmar, Transkripti­ on, S. 50. 1706 Dittmar, Transkription, S. 31, 51. 1707 „Wörter sind flüchtig, Geschriebenes bleibt“, Dittmar, Transkription, S. 52. 1708 Vgl. Schmidt, EXMARaLDA Partitur-Editor Handbuch Version 1.5, S. 5. 1709 Vgl. Dittmar, Transkription, S. 67.

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II. Methodisches Vorgehen

Rückschluss auf die befragte Person, die Orte und die Zeit, an bzw. zu denen Ereignisse stattfanden, erlauben würden. Ihre Klarnamen wurden in Absprache mit ihnen pseudonymisiert. Lüders zufolge bleibt es jedem Ethnographen selbst überlassen, ob er größere Handlungsabläufe, einzelne Ereignisse, wörtliche Rede oder sinn­ gemäße Zusammenfassungen in Feldprotokollen notiert. Die Prozesse können soweit wie möglich in ihrer raumzeitlichen Entwicklung doku­ mentiert oder bereits bei der Protokollierung begonnen werden, inhaltlich zu interpretieren. Mit der Fixierung der Daten durch die Protokollierung liegen sie in einer intersubjektiv verfügbaren Form vor.1710 Hinsichtlich der Auswertung der so gewonnenen Daten besteht Uneinigkeit: Nach einer Ansicht sind Protokolle wie Interviewtranskripte als strukturierte Texte zu betrachten. Nach anderer, zustimmungswürdiger Ansicht sind Protokolle nicht als Protokolle von Ereignissen zu interpretieren, son­ dern sie sind bereits interpretierte Dokumente der Erfahrungen des For­ schers.1711 Die Datenauswertung der transkribierten Interviews und Feldprotolle erfolgte mittels qualitativer Inhaltsanalyse1712 nach Mayring. Hierfür wur­ de unterstützend MAXQDA in den Versionen 12 und 2018 eingesetzt. Das Ziel der qualitativen Inhaltsanalyse besteht darin, eine „Analyse von Material, das aus irgendeiner Art von Kommunikation stammt“,1713 vorzu­ nehmen. Die Analyse umfasst den Inhalt des Materials und auch dessen formale Aspekte.1714 Bei qualitativen Inhaltsanalysen ist das „Material im­ mer in seinem Kommunikationszusammenhang“1715 zu sehen. Da stets an­ zugeben ist, auf welchen Teil im Kommunikationsprozess sich die Schluss­ folgerungen aus der Analyse beziehen,1716 werden bei den Zitaten die Fundstellen der Zeilen der transkribierten Interviews bzw. Feldprotokolle angegeben.

1710 Lüders, Beobachten im Feld und Ethnographie, S. 398; Reichertz, Qualitative und interpretative Sozialforschung, S. 223. 1711 Lüders, Beobachten im Feld und Ethnographie, S. 399 f. 1712 Mayring, Qualitative Inhaltsanalyse, S. 12 f., 63 ff., 92 ff. 1713 Mayring, Qualitative Inhaltsanalyse, S. 11; s.a. Reichertz, Qualitative und inter­ pretative Sozialforschung, S. 225. 1714 Mayring, Qualitative Inhaltsanalyse, S. 59 ff.; Mayring, FQS 2000, Abs. 4; s.a. Reichertz, Qualitative und interpretative Sozialforschung, S. 227. 1715 Mayring, Qualitative Inhaltsanalyse, S. 48. 1716 Mayring, Qualitative Inhaltsanalyse, S. 48.

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D. Konzeption der soziologischen Ethnographie

Qualitative Inhaltsanalysen nach Mayring gehen systematisch und regel­ geleitet nach einem neunstufigen Ablaufmodell vor.1717 Im ersten Schritt wird das Material festgelegt, das der Analyse zugrunde liegen soll.1718 Hier wurden die Protokolle der teilnehmenden Beobachtungen sowie vier der geführten Interviews in die nähere Analyse einbezogen. Die übrigen Interviews werden nur flankierend herangezogen, da sie nur in einem ge­ ringen Ausmaß Erzählsequenzen aufweisen, die die hier interessierenden Forschungsfragen im Kern berühren. Diese Umstände waren vor dem Führen der Interviews nicht vorhersehbar, obwohl die Interviewten i.S.d. theoretical sampling1719 Eingang in die Untersuchung fanden. Zwar deute­ te sich bereits während des Führens der nicht in die vertiefte Analyse einbezogenen Interviews ab, möglicherweise nicht vollkommen der Beant­ wortung der Forschungsfragen dienlich sein zu können. Die Entscheidung und damit die Festlegung des einzubeziehenden Materials wurde aber erst nach vollständiger Transkription aller Interviews getroffen. Diese Um­ stände sind innerhalb derartiger Forschungsvorhaben nicht ungewöhnlich und tragen auch zur Beantwortung der Forschungsfragen bei: Nachdem alle Interviewten nach dem Prinzip der informierten Einwilligung das Er­ kenntnisziel kannten, willigten sie in ein Interview ein und konnten den­ noch zum Kern der Forschungsfragen nur wenig beitragen. Hierfür könn­ te es mehrere Gründe geben: Zum einen sprechen diejenigen, die sich zu einem Interview bereit erklärten, auch aufgrund ihres bereits vollzogenen Ausstiegs oder des Befindens in der prozesshaften Beendigungsphase der Hooligan-Karriere, in einer vertrauensvollen, offenen Gesprächsatmosphä­ re über diese Phase ihres Lebens. Es könnte auch für sie einen Wert gehabt haben, indem sie damit die Chance verbunden haben könnten, selbstre­ flektierend einen weiteren Schritt in Richtung Beendigung und Bewälti­ gung dieser Phase zu gehen. Zum anderen zeigen diese Umstände, dass, obwohl sie den Kommunikationsprozess während des Interviews erlebten, weder ihr explizites, diskursiv verfügbares Wissen noch das nicht diskursiv verfügbare, stumme Wissen über die interessierenden Fragestellungen1720 aktivieren konnten. Soziale Praktiken und die Bedeutung des Handelns zu ergründen, was eines der Ziele soziologischer Ethnographien ist, war schlicht nicht möglich, da den nicht näher in die Analyse eingegangenen

1717 Mayring, FQS 2000, Abs. 4; vgl. auch Reichertz, Qualitative und interpretative Sozialforschung, S. 227. 1718 Mayring, Qualitative Inhaltsanalyse, S. 52 f. 1719 Vgl. D. II. 1. b). 1720 Vgl. Kalthoff, Zeitschrift für Soziologie 2003, 70, 76; vgl. D. II. 1. c).

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II. Methodisches Vorgehen

Interviewten derartige soziale Praktiken und Bedeutungen ihres Handelns weder explizit noch implizit bekannt waren oder sie nicht aktiviert werden konnten. Möglicherweise ist auch das interessierende Phänomen so margi­ nal innerhalb der Hooligan-Szene, so dass sie nur zu Teilfragen Wissen haben und explizit und implizit Auskunft geben können, jedoch nicht über (zugeschriebene) Geschlechterrollenbilder und Geschlechterverhält­ nisse innerhalb der Hooligan-Szene, mithin über den Kern der hier interes­ sierenden Forschungsfragen. Gemäß der „Analyse der Entstehungssituation“ als zweiten Schritt ist in D. III. beschrieben, von wem und unter welchen Bedingungen das Material produziert wurde. Drittens ist anzugeben, in welcher Form das Material vorliegt.1721 Das Material sind die erhobenen und verschriftlichten Daten der (transkribierten) Interviews, Gedächtnisprotokolle, Feldpro­ tokolle sowie -notizen. Der Interpretationsfokus richtet sich, gemäß dem vierten Schritt der „Richtung der Analyse“, auf die Behandlung des Ge­ genstands und die Beantwortung der Forschungsfragen aus der Innenper­ spektive derjenigen, die sich im Feld des Hooliganismus befinden. Die „theoriegeleiteten Differenzierung der Fragestellung“ als fünfter Schritt bestimmt, nach welcher Forschungsfrage das Material untersucht wird.1722 Dies ergibt sich aus den konkretisierten Forschungsfragen.1723 Weiterhin ist mit der „Bestimmung der Analysetechnik“1724 anzugeben, welche der drei Grundformen des Interpretierens (Zusammenfassung, Explikation und Strukturierung)1725 genutzt werden. Sie schließen sich nicht gegensei­ tig aus, sondern können in einer Inhaltsanalyse verwendet werden. Die Entwicklung eines Kategoriensystems steht immer im Zentrum. Die Kate­ gorien können induktiv1726 oder deduktiv1727 abgeleitet werden.1728 Das

1721 1722 1723 1724 1725

Mayring, Qualitative Inhaltsanalyse, S. 53. Mayring, Qualitative Inhaltsanalyse, S. 57. Vgl. D. I. Mayring, Qualitative Inhaltsanalyse, S. 59. Zu den drei Grundformen des Interpretierens und ihren Zielen: Mayring, Qualitative Inhaltsanalyse, S. 65. 1726 Beim induktiven Verfahren werden die Kategorien innerhalb eines „bottom upProzesses“ aus dem Material heraus gebildet. Aus dem Sinngehalt der Textstel­ len werden Kategorien abgeleitet, Mayring, Qualitative Inhaltsanalyse, S. 59; s.a. Ramsenthaler, Was ist „Qualitative Inhaltsanalyse“?, S. 29. 1727 Das deduktive Verfahren beginnt mit der Definition der Kategorien, der Be­ stimmung von Ankerbeispielen und Kodierregeln. Anschließend wird das vor­ ab gebildete Kategoriensystem „top down“ am Material angewandt; Ramsentha­ ler, Was ist „Qualitative Inhaltsanalyse“?, S. 29. 1728 Ramsenthaler, Was ist „Qualitative Inhaltsanalyse“?, S. 29.

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D. Konzeption der soziologischen Ethnographie

Material wurde mittels eines induktiven und deduktiven Verfahrens und mit allen drei Grundformen der Interpretation analysiert; währenddessen wurde das Kategoriensystem mehrfach iterativ überarbeitet. Die „Definition der Analyseeinheit“ als siebter Schritt formuliert Kriterien für die Aus­ wahl und Kategorisierung von Textabschnitten.1729 Als kleinste Kodierein­ heit wurde ein Wort festgelegt; die Kontexteinheit ist eine Aussage eines Interviewten.1730 Der achte Schritt besteht in den Analyseschritten gemäß des Ablaufmodells mittels des induktiv und deduktiv gewonnenen und mehrfach iterativ überarbeiteten Kategoriensystems, bei dem eine stetige Rücküberprüfung des selbigen am Material erfolgte.1731 Die „Zusammen­ stellung der Ergebnisse“, Interpretation entlang der Fragestellungen und Rückbindung an die theoretischen Vorannahmen als neuntem Schritt1732 erfolgt in Kapitel E. 3. Zur Form der Darstellung der Erkenntnisse Die Vorstellung der Erkenntnisse erfolgt entlang der Auswertungen der induktiv wie deduktiv gewonnenen Kategorien. Neben der Vergabe von Codenamen für die Interviewten wurden Orte in nur vier unterschiedliche Bezeichnungen (Nord-, Ost-, West- und Süddeutschland1733) anonymisiert. Exakte Zeitpunkte werden nicht angegeben, sondern nur vage Zeitspan­ nen. Die Darstellungsform der Belege in Fußnoten weicht nun, sofern es sich um Zitate aus den Interviews bzw. Feldprotokollen handelt, zu­ gunsten von Textnoten ab, um einen größeren Textbezug zu erreichen. Die hinter den Zitaten in Klammern gesetzten Zahlen verweisen auf die Zeilenangaben der Interviews oder Feldprotokolle; die kursivierten Wör­ 1729 Mayring, Qualitative Inhaltsanalyse, S. 59. 1730 Mayring, Qualitative Inhaltsanalyse, S. 58; Ramsenthaler, Was ist „Qualitative Inhaltsanalyse“?, S. 28. 1731 Mayring, Qualitative Inhaltsanalyse, S. 60; vgl. E. 1732 Mayring, Qualitative Inhaltsanalyse, S. 60. 1733 Deutschland wurde in vier Gebiete unterteilt. Hierdurch kann einerseits die Anonymität der Befragten gewährleistet werden. Andererseits können dadurch auch keine Rückschlüsse auf Zeitpunkte und Orte der verschiedenen Ereig­ nisse aus den Interviews und bezüglich der teilnehmenden Beobachtungen gezogen werden. Die einzelnen Gebiete setzen sich wie folgt zusammen: Norddeutschland: Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nieder­ sachsen, Schleswig-Holstein; Ostdeutschland: Berlin, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen; Süddeutschland: Baden-Württemberg, Bayern; Westdeutschland: Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland.

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III. Zugang zum Forschungsfeld

ter, Satzteile oder Sätze sind wörtliche Zitate. In Kenntnis der Bedenken, solche Zitate zu verwenden,1734 werden vielfältig Zitate angeführt, auch um den Gütekriterien der qualitativen Forschung (insbesondere der Trans­ parenz und der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit)1735 nachzukommen. III. Zugang zum Forschungsfeld Der Forschungsprozess beginnt mit vielen heterogenen Beobachtungen und Erfahrungen.1736 Wie der zumeist von Zufällen abhängige Zugang zum Forschungsfeld konkret erfolgt und geglückt ist, spielt bei dieser Forschungsstrategie eine zentrale Rolle.1737 1. Feldexplorative Phase Das felderschließende Verfahren begann mittels Analysen von sekundären Datenmaterialien durch Sichtung einschlägiger Literatur, bisheriger For­ schungsarbeiten, das Ansehen von ins Internet gestellten Videos und Bil­ dern auf einschlägigen Plattformen und Internetauftritten von verschiede­ nen Gruppierungen, Strafverfolgungsbehörden, Bundes- wie Landesminis­ terien und die Teilnahme an Tagungen und Podiumsdiskussionen. Ein auf Sekundärmaterialien begrenztes Vorgehen birgt aber Gefahren in sich, die es zu vermeiden gilt. Es hätte z.B. zu Verzerrungen, Fehlinterpretationen oder einseitigen Betrachtungsweisen oder Lesarten kommen können, da es mit den vorgenannten Quellen nicht möglich ist, die empirisch offenen Fragen aus der Innenperspektive der im Feld des Hooliganismus Befindlichen beantworten zu können und es wäre weder alltags- und subjektnah noch gegenstandsangemessen gewesen. Es handelt sich um ein bislang noch nicht bearbeitetes Feld, das ein exploratives Vorgehen erfordert. Um einen tiefen Einblick in das Feld des Hooliganismus zu gewinnen, wurden in der feldexplorativen Phase neun teilnehmende Beobachtungen inner­ halb Deutschlands bei Derbys durchgeführt, wofür u.a. die Bedeutung und 1734 Vgl. hierzu detailliert Reichertz, Qualitative und interpretative Sozialforschung, S. 275 f. 1735 Vgl. statt vieler Steinke, Gütekriterien qualitativer Forschung, S. 319 ff. 1736 Amann/Hirschauer, Die Befremdung der eigenen Kultur, S. 17; Hitzler, Der staunende Schwamm, S. 17 ff. 1737 Eisewicht, Ins Feld stürzen oder planvoller Zugriff, S. 443; Lüders, Beobachten im Feld und Ethnographie, S. 390.

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D. Konzeption der soziologischen Ethnographie

Herkunft des Wortes sprach.1738 Aufgrund der hohen Rivalität und der ge­ ringen räumlichen Distanz mit kurzen Anreisewege der A-, B-Fans, Ultras und Hooligans1739 sowie der vorherigen Einstufung als „Hochrisikospie­ le“,1740 ließen durch die vermutete Gefahrenlagen einen hohen Einsatz von Sicherheits- und Polizeikräften erwarten und es war grundsätzlich davon auszugehen, währenddessen Situationen beobachten zu können, die erste wichtige Einblicke in das Phänomen geben.1741 Die erste teilnehmende Be­ obachtung in der feldexplorativen Phase ist insbesondere von Offenheit, Beweglichkeit und ein wenig strukturiertes Vorgehen charakterisiert.1742 Im späteren Verlauf der feldexplorativen Phase trugen diese Eindrücke zur Weiterentwicklung der Interviewleitfäden bei. Eingesetzt wurden verdeck­ te, zunächst unstrukturierte, später strukturierte teilnehmende Beobach­ tungen. Die neun teilnehmenden Beobachtungen fanden in der Saison 2009/10 statt. Die Austragungen der ausgewählten Spiele waren in Nord‑, Ost- und Süddeutschland in der 2. Bis zur 5. Liga.

1738 Vgl. zur Geschichte und Entwicklung des Begriffs Derby, Gisler, Fußball-Der­ bys, S. 8 f.: Heute sind Derbys Spiele, bei denen zwischen den Herkunftsorten der Mannschaften keine große räumliche Distanz liegt. Ursprünglich waren es Spiele zwischen Mannschaften aus derselben Stadt. Vgl. auch Lösel et al., Hoo­ liganismus in Deutschland, S. 128; Steinmetz, Außeralltäglichkeit und Grenzer­ fahrung im Kontext von Gewalt, S. 275. 1739 Vgl. zur Ausdifferenzierung der Fan-Szene schon C. II. 1740 Auch „Spiele mit erhöhtem Risiko“ oder „Sicherheitsspiele“ genannt; die Be­ zeichnung ist nicht abschließend festgelegt, vgl. statt vieler Ruffert, JuS 2018, 1022, 1022 ff., auch mit der Frage danach, wer die Gebühren für solche Hoch­ risikospiele trägt. 1741 Aufgrund der möglichen Entdeckungsgefahren ließ sich die Verf. eine Bestäti­ gung des Doktorandenverhältnisses ausstellen. Darin fanden sich ihre Persona­ lien, der Arbeitstitel der Doktorarbeit sowie der Hinweis, dass aufgrund des­ sen Beobachtungen und Befragungen in der Hooligan- und Fußballfan-Szene durchgeführt werden. Eine Kopie dieses Briefes wurde an einer unauffälligen Stelle im Geldbeutel verwahrt und während allen Feldaufenthalten und Befra­ gungen bei sich geführt. Dies vermittelte der Verf. ein Gefühl der Sicherheit und Beruhigung. Girtler berichtet ebenfalls davon, zu seiner eigenen Beruhi­ gung während seinen Forschungen in verschiedenen Milieus seinen Universi­ tätsausweis mit sich zu führen, Girtler, Methoden der Feldforschung, S. 127; s.a. Palmer, Qualitative Research 2010, 421, 427. 1742 Girtler, Methoden der Feldforschung, S. 55.

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III. Zugang zum Forschungsfeld

2. Felderschließendes Verfahren zu (möglichen) Interviewpartnern Das felderschließende Verfahren zu den vier Interviewten, deren Inter­ views Eingang in die vertiefte Analyse fanden, wird nun ebenso vorgestellt wie zwei misslungene Zugänge, die exemplarisch für diverse Nicht-Zugän­ ge stehen. Vier verbleibende Interviews konnten nicht in die vertiefte Analyse eingehen, da sie zwar Einblicke in den Hooliganismus, aber zu den interessierenden Forschungsfragen nur wenige bis gar keine Erzählse­ quenzen enthielten.1743 a) Gelungene Zugänge und Beschreibung des Samples Der Kontakt zu Frank gelang über eine Freundin aus dem Bekanntenkreis der Verf., die ihm von diesem Forschungsvorhaben erzählte. Er erklärte sich sofort bereit, für ein Interview zu Verfügung zu stehen. Etwa acht Wochen, nachdem die Verf. hiervon erfuhr, fand das Interview an zwei aufeinander folgenden Tagen im Jahr 2011 an einem See statt. Es dauerte insgesamt 171 Minuten. Der Kontakt zu Tina resultierte aus einer Zufallsbekanntschaft. Nach­ dem die Verf. Tina um ein Interview bat, sagte sie sofort zu. Das Interview fand zweigeteilt, mit einem Abstand von etwa zwei Monaten (2010 face-toface, 2011 per Telefon) statt, da Tina unaufschiebbare berufliche Verpflichtungen hatte. Tina ist die Ex-Freundin eines Hooligans namens Conrad. Die Zeit zwischen dem Interview und dem Ende der Beziehung beträgt in etwa ein bis zwei Jahre. Das Interview mit Tina dauerte 67 Minuten. Der Kontakt zu Ronja und Lisa gelang mittelbar über das Netzwerk eines ehemaligen Dozenten der Verf. Dadurch gelangte die Verf. an ein führendes Mitglied einer Hooligan-Gruppe, das den Kontakt zu Lisa und Ronja mittelte. Die beiden Interviews erfolgten ungefähr acht Wochen nach dem ersten telefonischen Kontakt und fanden am gleichen Tag im Jahr 2017 statt. Die Interviews fanden in zu zwei von diesem Gruppenmit­ glied festgelegten Zeitpunkten einem Café statt, in das die Verf. von ihm gebracht wurde. Das Interview mit Lisa dauerte 57 Minuten, das Interview mit Ronja 148 Minuten. Die vier in die vertiefte Analyse eingegangenen Fälle unterscheiden sich hinsichtlich des Grades und Ausmaßes der Involviertheit in die Hoo­ ligan-Szene. Frank war langjähriges Mitglied einer Hooligan-Gruppe, der 1743 Vgl. schon D. II. 2. c).

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D. Konzeption der soziologischen Ethnographie

bereits ausgestiegen ist. Ronja ist ein langjähriges Mitglied einer HooliganGruppe, die sich zum Zeitpunkt des Interviews noch in der Phase eines fließenden, prozesshaften Ausstiegs befand. Tina ist selbst kein Mitglied einer Hooligan-Gruppe, ist jedoch aufgrund des partnervermittelten Kon­ takts durch ihren Ex-Freund Conrad mit ihr zumindest über einen nicht näher bestimmbaren Zeitraum in Berührung gekommen. Lisa ist ebenfalls selbst kein Mitglied einer Hooligan-Gruppe, aber seit über 20 Jahren mit ihrem Ehemann Lars zusammen, der wiederum langjähriges Mitglied einer Hooligan-Gruppe ist. Bereits seit Lisa 14 Jahre alt ist, besteht ein part­ nervermittelter Kontakt zur Szene durch zwei aufeinanderfolgende Paarbe­ ziehungen. Da Lisa zum Zeitpunkt des Interviews 39 Jahre alt ist, über­ blickt sie einen Zeitraum von etwa 25 Jahren. Der Grad, die Dauer und das Ausmaß der eigenen Involviertheit in die Hooligan-Szene ist bei diesen vier Interviewten besonders different und unterschiedlich stark ausgeprägt. Die vier Fälle wurden ausgewählt, um aus den unterschiedlichen Perspek­ tiven der Interviewten die Forschungsfragen beantworten zu können, was der Intention der gewählten Forschungsstrategie entspricht. Durch die aus­ gewählten Zitate kommen die Interviewten und die bei der szeneinternen Feier angetroffenen Personen selbst zu Wort und geben so besondere Ein­ blicke über die im Feld gesprochene Sprache und ihre Innenperspektive. b) Misslungene Zugänge, Mitteilungen anderer mit dem Phänomen befasster Personen Die Art und Weise, wie eine Szene Forschende abstößt oder integriert, dient als Indiz, wie sie grundsätzlich mit Fremden umgeht.1744 Zwei Bei­ spiele veranschaulichen ein erhöhtes Misstrauen der Hooligans gegenüber Fremden, obwohl sie den gatekeeper1745 als vertrauenswürdige Person aner­ kennen.1746 Angesichts der Bedenken, ob Mitteilungen Anderer über sozia­ le Phänomene als Daten des Phänomens selbst gelten dürfen, werden sie den direkt aus dem Phänomen stammenden Daten hintenangestellt. Nach 1744 Hildenbrand, Methodik der Einzelfallstudie, S. 8. 1745 Gatekeeper sind Personen, die aufgrund ihrer Fähigkeit oder ihrer eigenen Position die Möglichkeit haben, dem Forschenden einen Zugang zum Feld, ähnlich eines Türöffners, zu mitteln. Er eröffnet oder erleichtert den Zugang dorthin oder kann es zumindest versuchen, s.a. Thomas, Ethnografie, S. 41 ff.; Wolff, Wege ins Feld und ihre Varianten, S. 342. 1746 Vgl. zu den Hürden, die im Zusammenhang mit dem Feldzugang überwun­ den werden müssen D. II. 1. a).

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III. Zugang zum Forschungsfeld

vorzugswürdiger Ansicht Honers sind derartige Daten zweifelsfrei Daten der Mitteilung und Daten darüber, wie die Mitteilenden einen Sachverhalt situativ darstellen.1747 Die so gewonnenen Erkenntnisse werden als derarti­ ge Daten von mit dem Hooliganismus befassten Personen angesehen. Der Kontakt zu Ben gelang über den Bekanntenkreis der Verf. Er war interessiert, sich für ein Interview zu Verfügung zu stellen. In einem un­ gefähr vier Wochen später erfolgendem Telefonat bekundete er erneut Interesse und Bereitschaft. Vor der Vereinbarung eines ersten Treffens musste er das Einverständnis eines anderen Gruppenmitglieds einholen. Das anschließend verabredete Treffen sollte zwei Wochen später bei einer szeneinternen Feier stattfinden.1748 Ben bat die Verf. im Vorfeld, keine Fotokamera oder ähnliches mitzubringen. Das Treffen sollte als erstes Ken­ nenlernen und vertrauensbildende Maßnahme dienen. Trotz des aus Sicht der Verf. misslungenen Zugangs zu Ben hinsichtlich des Stattfindens eines Interviews, fand die szeneinterne Feier1749 Eingang in diese Arbeit. Eine Woche nach der Feier wurde bei Ben telefonisch nachgefragt, ob er ein Interview nach wie vor in Betracht ziehe. Jedoch konnte er nicht unge­ stört sprechen, da er unterwegs war und versprach, in der darauffolgenden Woche anzurufen. In dem folgenden Telefonat nahm seine Bereitschaft für ein Interview deutlich ab. Stattdessen wollte er der Verf. die Kontaktdaten eines anderen Gruppenmitglieds sowie einer weiblichen Person, die beide auf der Feier anwesend waren, mitteilen, da sie seiner Ansicht nach geeig­ neter für Interviews seien. Die Übermittlung der Kontaktdaten fand nicht statt. Es folgten weitere circa zehn Wochen ohne telefonischen Kontakt. Zwischenzeitlich wurden zwar etliche Kurznachrichten per Mobiltelefon geschrieben, aber ein Treffen fand nie statt. Etwa fünf Monate später ergriff die Verf. erneut die Initiative und nach einem etwa 40-minütigen Telefonat wurde verabredet, nachdem Bens Bereitschaft für ein Interview wieder zugenommen hatte, einen Termin für ein Treffen zu vereinbaren, das weitere sechs Wochen später stattfinden sollte, da seine Wochenenden bis dahin terminlich belastet waren – es war Saison. Dieses Treffen fand nicht statt. Gründe hierfür darzustellen wäre rein spekulativ, weshalb sie unterbleiben. Mittelsmann Max wurde als Experte interviewt,1750 da er zum Umfeld einer Hooligan-Gruppe gehört. Hierin zeigt sich der relationale Status

1747 1748 1749 1750

Honer, Kleine Leiblichkeiten, S. 29 f. Vgl. hierzu E. II. Vgl. E. II. Vgl. Meuser/Nagel, ExpertInneninterviews, S. 73.

289

D. Konzeption der soziologischen Ethnographie

des Begriffs „Experte“.1751 Das Experteninterview nimmt nur eine Rand­ stellung ein, da es zum Erlangen von Hintergrundwissen diente und eher explorativ-felderschließend eingesetzt wurde.1752 Für das Interview mit Max wurde ein modifizierter Leitfaden erstellt. Das Interview dauerte 67 Minuten. Zum Zeitpunkt des Interviews im Jahr 2009 ist Max 24 Jahre alt und Studierender einer Geisteswissenschaft. Den Kontakt zu Max ermög­ lichte eine gemeinsame Bekannte. Max lernte die Hooligan-Gruppe, zu der er den Kontakt mitteln wollte, zufällig im Jahr 2005 während seines Nebenjobs in einem Gastronomiebetrieb kennen. Beim ersten Kennenler­ nen erfuhr Max sofort, dass es sich bei der Gruppe um Hooligans handelt. Seine Fragen beantworteten sie ihm sehr offen. Max beschreibt das erste Kennenlernen als ganz […] normales Gespräch, letztendlich wie man über sein Hobby oder sonst irgendetwas erzählt und spricht (M 10 f.). Er vermutet, die Gruppe spreche nicht immer so offen darüber und machte ihm gegen­ über eine Ausnahme, weil er ihr sympathisch war (M 12 f.). Max und die Mitglieder der Hooligan-Gruppe tauschten ihre Mobilfunknummern aus, blieben, trotz großer räumlicher Distanz, in Kontakt und die Grup­ pe besuchte ihn regelmäßig. Max ist es aufgrund der Entfernung, seines Studiums und seines Nebenjobs nicht möglich, die Gruppe zu besuchen (M 24 ff.). Durch den regelmäßigen, langandauernden Kontakt und die persönlichen Treffen gewinnt Max tiefere Einblicke in die Gruppe und die Szene: [D]er ein oder andere war dann mal da und der hat irgendeine Wunde, ein blaues Auge oder so, dann ist klar, wurde das dann angesprochen (M 30 f.) und die Gespräche [haben sich] einfach immer so ergeben (M 32). Max hat keine Live-Erfahrungen (M 33), sondern gewann seine Einblicke durch Erzählungen und, da er auch Fotos und Handy-Videos gezeigt bekam, erhielt er optische und akustische Eindrücke: kleine Ausschnitte. Aber so mittendrin war [er] nicht (M 35). Max wollte den Kontakt zur Gruppe mitteln, aber diese hatte große Vorbehalte. Trotz Max weiteren En­ gagements bestand keine Gelegenheit, ein Gruppenmitglied zu sprechen. Der Vertrauensaufbau gelang trotz des engen Kontakts zwischen Max und der Gruppe nicht. Deshalb wurde Max interviewt, um die Erkenntnisse als Daten der Mitteilung, als seine Kommunikationserfahrung mit dem Phänomen, flankierend in die Auswertung einfließen lassen zu können.

1751 Meuser/Nagel, ExpertInneninterviews, S. 73; Pfadenhauer, Das Experteninter­ view, S. 456. 1752 Vgl. Meuser/Nagel, ExpertInneninterviews, S. 75; Pfadenhauer, Das Expertenin­ terview, S. 455.

290

III. Zugang zum Forschungsfeld

Zusätzlich wurde ein informelles Gespräch mit zwei Szenekundigen Beamten (SKB) aus Süddeutschland geführt und darüber ein Gedächtnis­ protokoll erstellt, dessen wesentlicher Inhalt kurz vorgestellt wird. Den zwei SKB zufolge fand kurz vor dem informellen Gespräch ein Treffen aller SKB Süddeutschlands1753 statt. Da das Gespräch mit der Verf. bereits anberaumt war und sie Kenntnis von den Fragestellungen hatten, fragten sie die anderen anwesenden SKB, ob es in deren Zuständigkeitsbereichen weibliche Gewalttätige in der Hooligan-Szene gebe. Diese Frage wurde einhellig verneint (Gedächtnisprot. 31 f.). Insofern gehen die SKB davon aus, es handele sich um ein ausschließlich männliche Personen betreffendes Phänomen, das ohne aktive gewaltförmige Beteiligung weiblicher Per­ sonen stattfindet. Zwar gebe es Freundinnen der Hooligans, die sie gele­ gentlich im Rahmen ihrer Arbeit als SKB antreffen, sie handelten jedoch nicht gewaltförmig. Ein über das informelle Gespräch hinausgehender Kontakt zu der Hooligan-Szene, in der die SKB tätig sind, gelang nicht. Aus den exemplarisch vorgestellten misslungenen Zugängen zum For­ schungsfeld wird erneut deutlich, wie subtil insbesondere persönliche Kontaktaufnahmen zum Forschungsfeld zu handhaben sind. Der Feldzu­ gang gestaltet sich nicht einfach, sondern die bis dahin zu überwindenden Hürden sind hoch; bisweilen sind sie auch nicht überwindbar. Der Zu­ gang zum Forschungsfeld kostet Mühe und ist wahrlich „auch mit einer Portion Glück verbunden“.1754 Die vielen hierfür erforderlichen Zufälle sind weder plan- noch steuerbar und stellen die Forschenden vor viele Herausforderungen.1755 c) Überblick über Codenamen, Erhebungszeitpunkt und Zugehörigkeit Die tabellarische Übersicht stellt die Personen kursorisch vor, die Eingang in die Auswertung gefunden haben und Interviews in transkribierter Form, Gesprächsnotizen, Einträge in das Feldforschungstagebuch oder Feldprotokolle vorliegen. Weitere von ihnen benannte, maßgebliche Rol­ len in den Interviews spielende Personen sind ebenfalls aufgelistet. 1753 Diese Bezeichnung entspricht nicht der dieser Arbeit zugrundeliegenden Definition, vgl. D. III. 1. In diesem Fall handelte es sich um SKB südlich einer gedanklich gezogenen Linie von Kaiserslautern bis Frankfurt, einschließlich Bayern und Baden-Württemberg, außer Stuttgart, vgl. Gedächtnisprot. 26 ff. 1754 Girtler, Methoden der qualitativen Sozialforschung, S. 54; vgl. hierzu auch D. II. 1. a). 1755 Vgl. auch Eisewicht, Ins Feld stürzen oder planvoller Zugriff, S. 443.

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D. Konzeption der soziologischen Ethnographie

Codename

Erhebungsjahr

Zugehörigkeit zum Zeitpunkt der Datenerhebung

Ben

2009/2010

Hooligan

Frank

2011

ausgestiegener Hooligan

Tina

2010/2011

Ex-Freundin eines Hooligans (Conrad)

Conrad



Tinas Ex-Freund, Hooligan

Lisa

2017

Ehefrau eines Hooligans (Lars)

Lars



Lisas Ehemann, Hooligan

Ronja

2017

aussteigende Hooligan

Erik



Ronjas Ex-Mann, Fan-Szene

Tim



Ronjas Ex-Freund, Hooligan

Kai

2016

ausgestiegener Hooligan

Dominik

2014

Hooltra

Max

2009

Mittelsmann zu einer HooliganSzene

2 Szenekundige Beamte

2012

Szenekundige Beamte

3. Selbstreflexion und Probleme während des Forschungsprozesses Unter methodischen Gesichtspunkten muss die Frage gestellt werden, welchen Einfluss das Geschlecht des Forschenden auf den gesamten For­ schungsprozess hat. Das doing gender findet auch in Forschungssituatio­ nen statt.1756 Früher wurden Probleme, die das eigene Geschlecht des Forschenden mit sich bringen, übersehen.1757 In der Literatur findet die Thematisierung von Geschlechtereffekten als Störeffekte noch immer nur selten statt.1758 Es wird allerdings davon ausgegangen, interviewte Män­ ner hätten gegenüber weiblichen Interviewern eine größere Bereitschaft

1756 Behnke/Meuser, Geschlechterforschung und qualitative Methoden, S. 77 ff.; s.a. Jösting, Jungenfreundschaften, S. 61. 1757 Vgl. auch Gurney, Qualitative Sociology 1985, 42, 42. 1758 Vgl. jedoch exemplarisch Gugutzer, Leib und Körper als Erkenntnissubjekte, S. 381 ff.; Reuter, Geschlecht, S. 97 f.

292

III. Zugang zum Forschungsfeld

zur Selbstauskunft und Offenheit.1759 Gutmann/Rutschmann führten eine Studie mit einer Hooligan-Gruppe durch und ihnen zufolge haben sie gerade aufgrund ihres (weiblichen) Geschlechts die Zusagen für die Inter­ views erhalten, da sie aufgrund dessen keine potenzielle Gefahr für die „Männerwelt der Hooligans“ darstellen.1760 Sülzle war ebenso mit dem Problem des Forschens „als Frau“ im Zusammenhang mit der Forschung zur Fußballfankultur und Männlichkeit(en) konfrontiert und zwar nicht nur innerhalb des Forschungsfelds, worauf sie durch die Sichtung der ein­ schlägigen Literatur vorbereitet war. Sie war damit auch im wissenschaftlichen Kontext konfrontiert, denn sie sei regelmäßig als Begleiterin eines männlichen Fans oder Forschers eingestuft worden.1761 Solche Effekte sind von großer Bedeutung für das Erkenntnisinteresse der jeweiligen Studie. Die Verf. hatte stets den Eindruck, sie werde als Gesprächspartnerin innerhalb der Kommunikationsprozesse während der Interviews von den Interviewten, unabhängig ihres jeweiligen Geschlechts, als jemand erach­ tet, dem man sich öffnen und vertrauen könne. Der Eindruck gründet sich in folgenden Wahrnehmungen: Zunächst weisen die geführten Inter­ views eine gewisse Dauer auf, was nicht möglich gewesen wäre, wenn die Interviewten sich unwohl gefühlt hätten und sich nicht hätten öffnen können. Während den Interviews zeigten sich die Interviewten offen und gesprächsbereit und gaben in langen Erzählsequenzen, auch aufgrund der genutzten erzähl- und verständnisgenerierenden Kommunikationsstrategi­ en, tiefe Einblicke in die von ihnen erlebte Hooligan-Szene. Sie positio­ nierten sich selbst dazu, äußerten sich selbstreflektierend und selbstkritisch zu ihrer Hooligan-Karriere bzw. der Phase des Inberührungkommens und Miterlebens und zeigten dabei auch ihre eigenen widersprüchlichen und physischen wie psychischen schmerzhaften Empfindungen, die sie erlebt haben: Die eigenen szeneinternen und -externen Gewaltausübungen, die eigenen erlebten Gewalt- und Opfererfahrungen, die erlittenen Verletzun­ gen, die Abbrüche von Beziehungen (innerhalb der Szene und in den Paarbeziehungen) und den Kontakt mit den Strafverfolgungsbehörden mit den daraus resultierenden Sanktionen. Die plastischen, wortreichen Erzählsequenzen der Interviewten wären nicht möglich gewesen, wenn sie nicht zur Selbstauskunft und Offenheit bereit gewesen wären. Auch sahen die Interviewten in der Verf. keine Gefahr: Sie waren, nach dem Prinzip der informierten Einwilligung, über die Ziele und Fragestellungen der

1759 Vgl. Jösting, Jungenfreundschaften, S. 63. 1760 Gutmann/Rutschmann, Das Frauenbild der Hooligans, S. 46 f., 110 f. 1761 Vgl. Sülzle, Fußball, Frauen, Männlichkeiten, S. 71 f. mit Fn. 59.

293

D. Konzeption der soziologischen Ethnographie

vorliegenden Studie informiert und wussten daher, dass sie nicht zu den Personengruppen gehört, mit denen sie üblicherweise keine Gesprächs­ kontakte suchen und Gespräche führen, auch vor dem Hintergrund des ihnen bekannten Legalitätsprinzips. Die Interviewpartner nahmen im Vor­ feld und Nachgang des Interviews wahr und explizierten ausdrücklich, wie sehr sie journalistischen Zwecken dienliche Arbeiten ablehnen und darin ebenso nicht eingewilligt hätten wie bei möglichen Verbindungen der Verf. zum Verfassungsschutz,1762 der Polizei, Staatsanwaltschaft oder Justiz. Die vertrauensvolle und offene Gesprächsatmosphäre während den Interviews, die sich auch im verstehenden Zugang1763 zu den Interview­ partnern und dem Forschungsfeld gründete, wurde ebenfalls von ihnen ausdrücklich erwähnt. In einem der informellen Gespräche mit Ben sagte er der Verf., es sei problematisch, sie zu Gruppenaktivitäten mitzunehmen, da sie weiblich sei. Er selbst würde sie zwar bedenkenlos mitnehmen, aber dann müsste er ihre Anwesenheit den anderen Gruppenmitgliedern erklä­ ren und er sei sich nicht sicher, ob nicht einige etwas dagegen hätten oder Argwohn hegen würden. Eine für sie Fremde, die „einfach so“ dabei sein würde, würde bei ihnen den Eindruck erwecken, sie sei „bei der Polizei“ oder „von der Presse“; beides wären Ausschlussgründe.1764 Bei männlichen Personen bestehen Ben zufolge diese Assoziationen nicht von Anbeginn. Das Offenlegen der Identität der Verf. wäre ebenfalls ein Grund gewesen, sie abzulehnen.1765 Für die Teilnahme an szeneinternen Gruppenaktivitä­ ten stellte sich das weibliche Geschlecht der Verf. also als Hindernis dar. Allerdings war es weder hinderlich beim Führen der Interviews noch für die Teilnahme an der szeneinternen Feier.

1762 Ein weiterer Feldzugang misslang u.a. deswegen, weil bei einer Gruppe ein erhöhtes Misstrauen gegenüber Forschenden besteht. Dieses Misstrauen grün­ dete sich in der Erfahrung, dass sich eine Person als Forschender ausgegeben hat, Kontakt mit dieser Gruppe hatte und anschließend festgestellt wurde, es handelte sich dabei um eine Person, die, neben dem wohl tatsächlichen wissenschaftlichen Hintergrund, auch einem (nicht näher beschriebenen) Amt für Verfassungsschutz angehörte. Nach Auskunft des gatekeepers zu dieser Hoo­ ligan-Gruppe besteht nun keine Bereitschaft mehr, Kontakte zu Forschenden einzugehen, weil die Mitglieder dieser Gruppe nicht sicher sein können, dass dies der Wahrheit entspricht und das Erkenntnisinteresse der Forschenden ausschließlich darauf beschränkt ist. 1763 Vgl. zum verstehendem Zugang i.S. Webers bereits D. II. 1. b). 1764 Vgl. auch Stott/Hutchison/Drury, British Journal of Social Psychology 2001, 359, 364. 1765 Vgl. auch Pearson, International Journal of Social Research Methodology 2009, 243, 244.

294

E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie und Rückbindung an die theoretischen Vorannahmen

Als Herzstück der vorliegenden Arbeit werden die gewonnenen Ergebnisse entlang der teilnehmenden Beobachtungen und Auswertungen der Inter­ views präsentiert und zusammengeführt. Dabei weicht der Stil der Darstel­ lung der Erkenntnisse der teilnehmenden Beobachtung und der Interviews notwendigerweise und bewusst nicht nur voneinander, sondern auch im Vergleich zum bisher Geschriebenen ab. Insbesondere durch Verwendung von Zitaten und längeren Erzählsequenzen kommen die Perspektiven der ins Feld Involvierten sowie ihre Ausdrucksweise zum Vorschein. Durch ihr häufiges Zuwortkommenlassen soll denjenigen, die sich nicht im Feld aufhalten, Eindrücke in diese für sie fremde Welt ermöglicht werden und die Beantwortung der Forschungsfragen und die Rückbindung an die theoretischen Vorannahmen aus der Innenperspektive nachvollziehbar ermöglichen. I. Teilnehmende Beobachtungen in der feldexplorativen Phase Zu Beginn der feldexplorativen Phase hat die Verf. als Fremde agiert, da sie das Feld an sich nicht kannte und die darin herrschenden Regeln nicht beherrschte. Im Verlauf veränderte sich das, da die den Situationen innewohnenden szeneinternen Logiken und Bewertungen der Situationen langsam verstanden wurden; ein Eintauchen in das Forschungsfeld und das Verstehen von Fremdheit erfolgte. Diese Erfahrungen ermöglichten, einen Teil der Fragen der Interviewleitfäden modifizieren zu können und konnten während den Interviews mit dazu beitragen, erzähl- und verständ­ nisgenerierende Kommunikationsstrategien anzuwenden. Bei den teilnehmenden Beobachtungen während der feldexplorativen Phase wurden vorab Informationen beschafft, ob es sich um ein Hochri­ sikospiel handeln würde, wofür die einschlägigen Internetauftritte von Fan-Szenen, der Polizei und lokaler Medien genutzt wurden. Ziel war es, bei jeder teilnehmenden Beobachtung vor der Ankunft der Auswärtsfah­ renden am relevanten Ort (z.B. Bahnhof, Stadion) zu sein. Bei Hochrisiko­ spielen empfingen verschiedene Einheiten der Bundes- und Landespolizei die Auswärtsfans. Die Einheiten unterschieden sich in Ausrüstungen, Uni­

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

formen und Fortbewegungsmittel: z.B. wurde berittene Polizei eingesetzt, Motorräder, Streifenwagen, Standarduniformen, Sonderbekleidungen der Sonder-, Spezialeinheits- oder Unterstützungseinheiten oder -kommandos, verschiedene Helme, Masken, Überwürfe, Schilder, Schutzwesten, unter­ schiedliche Kennzeichen der Polizeiuniformen und mobile Kamerateams und -wagen. Mithilfe des „Klettenprinzips“ wurden die Fans am Ankunftsort zum Stadion begleitet. Für die hier fokussierten Hooligans kann vermutet wer­ den, sie befanden sich möglicherweise an diesen Orten und gleichzeitig ist von einem nicht näher bezifferbaren Anteil auszugehen, der mit Pri­ vatfahrzeugen oder zu anderen Uhrzeiten eintraf, da körperliche Auseinan­ dersetzungen nicht immer am Austragungsort der Fußballspielbegegnung oder auch spieltagsunabhängig stattfinden. In den An- und Abreisesitua­ tionen waren u.a. Personenkontrollen, Durchsuchungen oder Zugriffe zu beobachten. Um das Stadion herum wurden zum Teil geparkte und im Verlauf des Spieltags eingesetzte Wasserwerfer beobachtet ebenso wie Aus­ schreitungen zwischen Anhängern gegnerischer Mannschaften und mit der Polizei, Steinwürfe, Drohung mit Stangen unterschiedlicher Materia­ lien, Spielunterbrechungen und -abbrüche, Einsatz von Pyrotechnik, Tu­ multe in den Steh- und Sitzplatzbereichen. Im Hinblick auf das Geschlech­ terverhältnis der eingesetzten Kräfte der unterschiedlichen Polizeien konn­ ten überwiegend männliche Personen beobachtet werden. Wie hoch der Anteil weiblicher Einsatzkräfte war, kann nicht abgeschätzt werden. Mit Blick auf die Gruppe der Fußballfan-Szene und den mutmaßlich der po­ lizeilichen Kategorie C zuordenbaren Anhängern, konnten überwiegend männliche Personen beobachtet werden. Als Kriterien dienten z.B. das äußere Erscheinungsbild, welche Kleidung (nicht) getragen wurde (in der Regel tragen Hooligans keine Kennzeichen, die auf einen bestimmten Ver­ ein schließen lassen), welche szeneintern favorisierten Bekleidungsmarken zu sehen waren, welches Schuhwerk getragen wurde, in welcher Gruppen­ stärke sie anzutreffen waren, wie sie zu den jeweiligen Orten (mutmaßlich) gelangt sind und an welchen Orten sie sich im und vor dem Stadion aufhielten. Weibliche Personen waren ebenfalls jeweils vor Ort, allerdings war nicht feststellbar, ob es sich um Fans der Kategorie A, B oder C handelte. In Kenntnis der einschlägigen Forschungsliteratur kann nicht von der räumlichen Kopräsenz weiblicher Personen in einer Gruppe auf die jewei­

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II. Teilnehmende Beobachtung im Rahmen einer szeneinternen Feier

lige, individuelle Gewaltbereitschaft geschlossen werden, was das maßgeb­ liche Kriterium bei der polizeilichen Kategorisierung ist.1766 II. Teilnehmende Beobachtung im Rahmen einer szeneinternen Feier Die folgende Darstellung, Auswertungen sowie Interpretationen der szen­ einternen Feier durch eine teilnehmende Beobachtung sind nicht generali­ sierbar für die gesamte Hooligan-Szene und geprägt von den subjektiven Wahrnehmungen, Deutungen und Wertungen der Verf.; darauf ist vorab ausdrücklich hinzuweisen. Bei der szeneinternen Feier gab sich die Verf. nicht als Forschende zu erkennen, sondern legte vorab mit Ben, auf sein ausdrückliches Bitten hin, eine Legende fest.1767 Dieses Vorgehen war zur eigenen Sicherheit notwen­ dig,1768 denn, wie im Nachgang zu der Feier zu erfahren war, war unter den anwesenden Personen ein Polizist, der zwar Mitglied der Gruppe, aber dessen Beruf bis dahin unbekannt war. Er wurde während der Feier „enttarnt“ und gewaltsam des Grundstücks verwiesen (Prot. 483 ff.). Die teilnehmende Beobachtung dauerte etwa 16 Stunden, von 19 Uhr bis etwa 11 Uhr am Folgetag. Ziel war es, Daten zu gewinnen, die zur Beantwortung der Forschungsfragen beitragen und Bens (weiteres) Vertrauen zu gewinnen. Die Feier fand in einer Stadt eines Erstligisten in Süddeutschland während der Saison 2009/10 statt. Die Feier fand im Freien, auch in aufgestellten Zelten, und in einem Gebäude statt. Im Ver­ lauf des Abends waren nach Bens Einschätzung etwa bis zu 300 Personen anwesend, die auch zum Teil szeneintern favorisierte Bekleidungsmarken trugen (Prot. 57 ff.). Beim Eintreffen der Verf. waren nach ihrer Schätzung etwa 150 Personen anwesend. Nach Bens Auskunft handelte es sich dabei 1766 Vgl. C. II. 1. 1767 So waren Ben und die Verf. Freunde aus Jugendtagen, die sich längere Zeit nicht gesehen hatten. Es wurde abgesprochen, aus welcher Stadt sie sich kann­ ten. Die Verf. sei an diesem Tag zufällig in der Stadt, um Besorgungen zu erledigen und feiere nun ganz spontan mit. Diese Erklärung war aus Bens Sicht nicht problematisch, gefährde den Aufenthalt im Feld nicht, evoziere kein Misstrauen und so willigte die Verf. ein. Das vorherige konkrete Studienfach der Verf. blieb unerwähnt, denn dies könnte aus Bens Sicht die Gefahr in sich bergen, missverstanden zu werden und stattdessen verstanden werden, es handele sich um eine dem Legalitätsprinzip verpflichtete und unterworfene Person. 1768 Vgl. auch Pearson, International Journal of Social Research Methodology 2009, 243, 244.

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

sowohl um Ultras, Hooltras, Hooligans als auch um Mitglieder einer Ro­ cker-Gruppe. Weit überwiegend waren dort männliche Personen zwischen etwa 15 und 50 Jahren. Weibliche Personen in derselben Altersspanne waren ebenfalls anwesend, aber überwiegend, so schien es, auch nach Rückfragen an Ben, als Begleiterinnen oder in kleinen gemischtgeschlecht­ lichen Gruppen. Ben hatte einen guten Überblick über die anwesenden Gäste, da er einer der Mitorganisatoren war (Prot. 57 ff.). 1. Mit wem bist du hier? Eine ganz allein auf dieser Feier befindliche Person verwunderte die wäh­ renddessen zufällig Kennengelernten. Die Frage Mit wem bist du hier? schien dabei zentral für die anderen Anwesenden (Prot. 81 ff.). Die Frage Warum bist du hier? wurde nie gestellt. Das mit wem spielt also eine ent­ scheidende Rolle, lässt Rückschlüsse auf die Forschungsfragen zu und soll daher näher betrachtet werden: Ganz allein, ohne sichtbare Begleitung auf der Feier zu sein, erregt Aufmerksamkeit: Das alleinige, an einer Mauer gelehnte Stehen mit einer Bierflasche in der Hand, ohne sich mit anderen von sich aus zu unterhalten, während um einen herum lauter kleine Gruppen stehen, die miteinander reden, lachen, Bier und andere Getränke trinken. Es passt nicht ins Bild. Es ist eine geschlossene Feier, der Zutritt wird überwacht, Unbekannte haben keinen Zutritt und doch ist da jemand, scheinbar ohne andere Personen zu kennen, anwesend. Wie kann das sein? Die einzige Möglichkeit ist, dass sie doch mit jemandem dorthin gekommen ist, dessen Namen es nun zu erfahren gilt. Dieser Na­ me dient dann der Legitimation der Anwesenheit. Dank der vorab festge­ legten Legende konnte die Frage beantwortet werden. Da jeder Fragende Ben kannte, waren sie zufrieden, hegten keinen Argwohn, konnten ihr Gegenüber einordnen, unterhielten sich kurz. Allein kann man nicht auf dieser Feier sein, nur in Begleitung. Es schien gut ins Bild der Fragenden zu passen, dass die als Bezugspunkt dienende Begleitung männlich und objektiv zugehörig ist. 2. Kannst du Bratwurst verkaufen, wenn deine Begleitung ständig unterwegs ist? Gegen 20:30 Uhr wurde die Frage Mit wem bist du hier? von jemandem gestellt, der Bratwurst verkaufte (Prot. 98 ff.). Nachdem die Antwort, wie in

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II. Teilnehmende Beobachtung im Rahmen einer szeneinternen Feier

den vergangenen anderthalb Stunden, Ben lautete, wurde dieses Mal direkt weitergefragt, ob er [m]ein Mann sei. Damit wird erneut deutlich, eine sich auf den ersten Blick allein auf der Feier Befindliche kann sich dort nicht aufhalten, wenn sie nicht eine Begleitung, in diesem Fall: männlichen Be­ gleiter, hat. Auch dieser Fragende kannte Ben und merkte an, er sei ja viel unterwegs, weil er sich um so vieles kümmern müsse und lasse die Verf. allein. Die Frage, ob er [m]ein Mann sei, wurde unbestimmt beantwortet, dennoch folgte Kannst du Bratwurst verkaufen, wenn deine Begleitung ständig unterwegs ist? Du siehst kompetent dafür aus (Prot. 104 ff.). Da Ben als einer der Mitorganisatoren überall nach dem Rechten sah und sich immer nur kurz nach dem Wohlergehen der Verf. erkundigte, willigte sie ein, diese Aufgabe zu übernehmen. In den erneuten anderthalb Stunden vollzog sich ein langsames, stetiges Eintauchen in das vor Ort befindliche Feld. Mit den sich Essen Kaufenden entstanden viele Gespräche und die eigene Bekanntheit stieg. Die Frage Mit wem bist du hier? verebbte langsam. Zum einen hatten nun schon sehr viele diese Frage gestellt und beantwortet be­ kommen. Zum anderen erübrigt sich die Frage, wenn jemand die Aufgabe des Bratwurstverkaufs übernimmt, denn dafür wird man üblicherweise vorab eingeteilt, dafür muss man bekannt sein. Unbekannte Personen können nicht eingeteilt werden. Irgendeine Art der Zugehörigkeit muss dafür bestehen. 3. Ich stell dir jemanden vor. Im weiteren Verlauf des Abends kam Ben immer wieder auf die Verf. zu und sagte Ich stell dir jemanden vor (Prot. 163 ff.). So lernten die der Verf. vorgestellten Personen durch Ben die Verf. kennen und, bedingt durch die bereits über drei Stunden andauernde Anwesenheit, kannte sie schon einige der Vorgestellten. Die Frage Mit wem bist du hier? verebbte vollends. Eine der Vorgestellten war etwa Mitte bis Ende 30 Jahre alt. Sie habe mit 14 Jahren angefangen ins Stadion zu gehen. Sie betonte, sie sei dorthin gegangen wegen des Fußballs und nicht, wie manch andere, die sie kenne, wegen der Männer (Prot. 179 ff.). Zu dieser Zeit, nach ihren Erzählungen in den 1980er Jahre, sei es ungewöhnlich gewesen, wenn sich Frauen im Sta­ dion und noch dazu ohne männliche Begleitung aufhielten. Sie erzählte eindrücklich aus dieser Zeit und holte, zur Verwunderung und Begeiste­ rung der Verf., im Verlauf des Gesprächs einen schmalen Aktenordner aus ihrer Umhängetasche und zeigte all die alten und neuen Bilder, von ihren Anfängen im Stadion bis zur Gegenwart (Prot. 195 ff.). Sie dokumentiert

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

damit die szeneinternen Aktivitäten und körperlichen Auseinandersetzun­ gen durch die Fotografien; sie konserviert sie. Das Fotografieren dieser Aktivitäten, das als Ausprägung der passiv gewaltverstärkenden Rolle gilt, und das Ansehen des Materials ist eine ebenso zentrale Gruppenaktivität wie die körperlichen Auseinandersetzungen selbst und stärkt das Wir-Ge­ fühl. 4. Komm in den ersten Stock, da ist es besser. und Wenn man randaliert, dann nicht in der eigenen Stadt. Einige Zeit später erhielt die Verf. eine Nachricht auf ihr Mobiltelefon mit Bens Aufforderung: Komm in den ersten Stock, da ist es besser (Prot. 202 ff.). Umgehend machte sie sich auf den Weg, geleitet von der Neugier: Was ist besser? Im Vergleich zu was? Was wird dort geschehen? Mit dem Betreten des Zimmers im ersten Stock konnte die Verf. die Fragen nicht sofort für sich beantworten und wartete ab, ob Bens Einschätzung zutreffen würde. In dem Raum befanden sich etliche Sofas, Sessel und Tische, auf denen sich etwa 30 männliche und sechs weibliche Personen inklusive der Verf. befanden. Es roch nach Bier, Schnaps und Marihuana. Schnell wurde Bekanntschaft mit einigen Anwesenden geschlossen, manche kannte die Verf. bereits. Fürsorglich kümmerte sich Ben um eine Sitzgelegenheit und Nachschub an Getränken. Es erklangen Lieder, u.a. solche der Band „Kate­ gorie C“1769 und andere szeneintern favorisierte Lieder, die laut von allen Anwesenden mitgesungen wurden (Prot. 215 ff.). Auf einmal – wie aus dem Nichts – zertrat eine im Raum befindliche Person einen von drei Stühlen, die vor dem Notausgang standen. Dann die anderen beiden. Andere Anwesende fingen ebenfalls an, Dinge zu zerstören. Die Deckenlampe wurde heruntergeschlagen. Einer der Tische im Raum wurde umgeworfen und alle darauf stehenden Flaschen und

1769 Der Bandname ist eine Anlehnung an die polizeiliche Kategorisierung, vgl. C. II. 1. Im Verfassungsschutzbericht des Landesamtes für Verfassungsschutz Bremen ist u.a. folgendes über diese Band zu lesen: „Die 1997 gegründete, bundesweit bekannte und aktive rechtsextremistische Hooligan-Band ‚Katego­ rie C – Hungrige Wölfe‘ (KC), die mittlerweile ihren Schwerpunkt in Nieder­ sachsen hat, gilt seit Jahren als Bindeglied der Hooligan- und der rechtsextre­ mistischen Szene, weil sie in beiden Szenen vor allem wegen ihrer gewaltver­ herrlichenden Lieder beliebt ist und insbesondere mit ihren Konzerten zum Zusammenhalt und zur Mobilisierung der Szene beiträgt“, vgl. Landesamt für Verfassungsschutz Bremen, Verfassungsschutzbericht 2020, S. 42.

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II. Teilnehmende Beobachtung im Rahmen einer szeneinternen Feier

Gläser gingen mit großem Lärm zu Bruch, die Tischplatte löste sich. Die Stehlampe in der Ecke wurde zerstört. Gegenstände flogen durch den Raum, trafen die Wand, zerschellten. Der neben der Verf. Sitzende riet ihr, den Raum zu verlassen, weil er nicht wisse, was noch alles geschehen werde. Sie blieb und nahm den angedachten Schutz durch das Verlassen des Zimmers nicht an. Die Gesichtsausdrücke, die Körperhaltungen verän­ derten sich, Augen blitzten, Anspannungen entluden sich. Die Gespräche verstummten. Es wurde durcheinandergerufen. Die szeneinternen Lieder begleiteten das Geschehen, das Singen verstummte (Prot. 323 ff.). Nachdem alles, was zerstört werden konnte, von einem kleinen Teil, die genaue Anzahl war währenddessen nicht zählbar, der etwa 40 Anwesenden zer­ stört war, stürmte eine etwa 20-Jährige in das Zimmer und versuchte zu erreichen, dass nicht noch mehr zerstört und in Einzelteile zerlegt wird. Sie schrie Wir müssen hier noch weiter drin sein. Sie forderte alle auf, zu gehen und mit dem Zerstören auch woanders nicht weiterzumachen (Prot. 365 ff.). Draußen vor der Tür erklärte Ben der Verf.: Wenn man randaliert, dann nicht in der eigenen Stadt. Und schon gar nicht in den eigenen Räumen. Wenn man randaliert, dann in einer fremden Stadt. Trotzdem habe er nicht einge­ griffen und es geschehen lassen (Prot. 389 ff.). Seine Worte und Körperspra­ che deuteten darauf hin, es zu bereuen: Breitbeinig stand er da, die Hände in den Hosentaschen vergraben, die Arme vom Körper abgewinkelt und den Kopf nach unten gesenkt. Die Verf. hatte den Eindruck, er wolle sich rechtfertigen und fühle sich nicht wohl in seiner Haut, insbesondere, weil er als Mitorganisator Verantwortung übernommen hatte. Die Verf. gewann den Eindruck, sie diente als eine Art Adressatin der Entschuldigung und Rechtfertigung. Das Geschehene konnte nicht rückgängig gemacht wer­ den. Die Scham war spürbar. Es hätte nicht geschehen dürfen. Nicht in der eigenen Stadt, nicht in den eigenen Räumlichkeiten. An anderen, fremden Orten sei das in Ordnung. Das Zerstören der Gegenstände im Zimmer brach diese szeneinterne Logik. Erst das Eingreifen und Appellieren der etwa 20-Jährigen trug dazu bei, die szeneinterne Logik wieder aufleben zu lassen. Sie nahm somit für alle laut hörbar die aktiv gewalthemmende Rolle, zumindest als Apell für den weiteren Abend, ein. 5. Ich pass auf dich auf. Anschließend gingen wir in einen Raum im Erdgeschoss. Er war voller Sofas, Tische, Plakate, einem Fernseher und einer Bar (Prot. 414 ff.). Es

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

roch wieder nach Bier, anderen alkoholischen Getränken und Marihuana. Unzählige Menschen befanden sich dort. Die Nacht ging friedlich weiter: Es wurde weiter gefeiert, getrunken, gesungen. Mit einer kleinen Gruppe saß die Verf. auf einem Sofa und die regelmäßigen Avancen wies sie zu­ rück. Gegen 5 Uhr stellte sich Müdigkeit ein und, vor einem kurzen Ein­ schlafen, bekundete einer der mit auf dem Sofa Sitzenden Ich pass auf dich auf (Prot. 427). Die Handtasche fest umklammernd, die Füße auf dem Tisch abgestellt, sich anpassend an die sie Umgebenden, verfiel die Verf. in einen kurzen Schlaf, der durchzogen wurde von Gesängen, Musik, Gegrö­ le, jedoch wissend, ein ihr bis vor wenigen Stunden noch vollständig Un­ bekannter passt auf sie auf. Die dadurch empfundene Sicherheit erleichter­ te die Situation. Das Wissen um die szeneinterne Ritterlichkeitsnorm ebenfalls. 6. Wir müssen aufräumen. und Wann fährt dein Zug? Wir müssen aufräumen verkündete Ben gegen 9 Uhr (Prot. 461 ff.). Das Wir bezog sich auch auf die Verf., die ganz selbstverständlich mit Putzzeug aus­ gestattet wurde und anfing, die Tische im Zelt zu wischen und leere Bier­ flaschen in Kisten zu ordnen (Prot. 485 ff.). Die Zugehörigkeit änderte sich im Lauf der Feier und die Selbstverständlichkeit des Mithelfens beförderte das. Das grobe Aufkehren übernahmen einige Jungs, das Zusammenkehren die Verf. Es entwickelte sich ein eingespielter Ablauf und bald war alles aufgeräumt. Gelegentliche Rufe begleiteten das Aufräumen der, abgesehen von der Verf., nur noch männlichen Anwesenden, Wir sind deutsche Hooli­ gans! Ausländer raus! ebenso wie das Singen von szeneinternen Liedern. Dazu folgten Bedankungen bei der Verf., sich so tatkräftig am Aufräumen zu beteiligen (Prot. 499 ff.). Eine Einladung für die kommende Feier erfolg­ te mit der Begründung, das anschließende Aufräumen sei so gesichert. I.w.S. könnte dies als Übernahme der passiv gewaltverstärkenden Rolle durch die Verf. gewertet werden: Es ermöglichte zwar nicht die Feier, aber es trug zu deren Abschluss bei und das Gelände konnte gesäubert übergeben werden, um weitere Feste dort feiern zu dürfen. Morgens kochte Ben für alle noch verbliebenen Anwesenden Kaffee und reichte dazu Jägermeister1770 (Prot. 523 ff.). Im Verlauf des weiteren

1770 Die Strategie des mäßigen Konsums von Alkohol während des Feldaufenthalts war eine wohl be- und durchdachte Strategie, um den Feldaufenthalt und das Sammeln von Daten nicht zu gefährden; vgl. hierzu auch Palmer, Qualitative

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II. Teilnehmende Beobachtung im Rahmen einer szeneinternen Feier

Vormittags tranken viele Anwesende zum Kaffee noch Jack Daniels-Cola. Gegen etwa 10 Uhr wurden die noch verbliebenen Gäste langsam aufge­ fordert zu gehen. Die Häufigkeit der Frage Wann fährt dein Zug?, gestellt von Ben gerichtet an die Verf., nahm stetig zu: Nach dem Aufräumen war alles wieder sauber, es gab keine Aufgabe mehr, die Aufforderung zu gehen, war nicht zu überhören (Prot. 530 ff.). Die Feier wurde gegen 11 Uhr verlassen. 7. Schlussfolgerungen Aus der teilnehmenden Beobachtung lassen sich einige Schlussfolgerun­ gen für die Beantwortung der Forschungsfragen ziehen. a) Geänderter Zugehörigkeitsmodus und methodische Schlussfolgerungen Im Verlauf der szeneinternen Feier, über die etwa 16 Stunden hinweg, stellte die Verf. einen sich währenddessen wandelnden Zugehörigkeitsmo­ dus fest. Eine objektive Zugehörigkeit zur Gruppe sollte und konnte nicht erfolgen. Aus der szeneinternen Logik heraus ist dies auch innerhalb von so kurzer Zeit nicht zu erreichen. Die subjektive Zugehörigkeit allerdings änderte sich maßgeblich: Von der vollkommen Fremden, die allein an einer Mauer lehnt, über das Verkaufen des Essens über den weiteren Abend hinweg, stellte sich, zumindest aus Sicht der Verf., eine gewisse Art der Zugehörigkeit ein. Der Umgang mit ihr, das Übertragen von Auf­ gaben, die Einbindung in die Aktivitäten veränderte sich aus ihrer subjek­ tiven Sicht. Auch Bens Verwenden des Wortes wir im Kontext des Aufräu­ mens des Geländes war auf die Verf. bezogen, so dass in diesem Moment ein direkter Einbezug in die Gruppe, zumindest auf sprachlicher Ebene, erfolgte. Die wahrgenommene, erwartete Aufgabe und Rolle beinhaltete das Helfen und Unterstützen, die Teilaspekte der passiv gewaltverstärken­ Research 2010, 421, 421 ff., 427 f. Das vollständige, stetige Nichtannehmen des angebotenen Alkohols, in Form von Bier, Jack Daniels und Jägermeister, wäre bei der über 16 Stunden andauernden teilnehmenden Beobachtung nicht möglich gewesen. Es wäre als Zeichen eines von den anderen Anwesenden maßgeblich abweichendes Verhalten wahrgenommen worden und hätte zu einem Selbstausschluss geführt. Der mäßige Konsum von Alkohol diente auch dazu, sich möglichst unauffällig innerhalb der Feier bewegen zu können.

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

den Rolle sind. Wie einer sich gegen die Erwartungen verhaltenden Person begegnet wird, ist nicht beurteilbar. Eine sich den Erwartungen entspre­ chend Verhaltende kann, selbst wenn sie zu Beginn unbekannt ist und kei­ nerlei Verbindung zur Szene hat (abgesehen vom gatekeeper), eine gewisse Art der Aufnahme darin erfahren, zumindest geduldet und anwesend sein. Die Erwartung, i.S. der Gruppe unterstützend tätig zu werden, nahm die Verf. mehrfach währenddessen wahr und kam dem, auch um den Feldauf­ enthalt nicht zu gefährden, nach. b) Gruppendynamische Effekte Während des vollständigen Zerstörens des Zimmers wurden gruppendy­ namische Effekte sichtbar. Eine zunächst nicht gewaltförmige Zusammen­ kunft mehrerer Personen, die in Teilen selbstverständlich gewaltförmiges Handeln im Kontext des Hooliganismus aufweisen, da es sich bei den An­ wesenden der Feier um Hooligans, Hooltras, Ultras und Mitglieder einer Rocker-Gruppe handelte, entwickelte sich von einer Sekunde auf die ande­ re, ohne spürbare Vorankündigung, gleichsam einer Eruption, in einerseits eine vandalierende Gruppe und andererseits in eine zusehende, nicht ein­ schreitende und damit das Verhalten der Vandalierenden billigende Grup­ pe. Das als beherzt wahrgenommene Einschreiten der etwa 20-Jährigen, die die Anwesenden unmissverständlich aufforderte, das gewaltförmige Handeln einzustellen, zeigt die aktiv gewalthemmende Rolle, die zumin­ dest für den weiteren Verlauf des Abends nachwirken sollte, wenngleich dadurch das Inventar des Zimmers nicht wieder in seinen ursprünglichen Zustand versetzt werden konnte. Sie wies unmissverständlich auf das aus ihrer Sicht falsche Verhalten hin. Bens Äußerung, Wenn man randaliert, dann nicht in der eigenen Stadt. deutet in eine ähnliche Richtung, obwohl er in der konkreten Situation seiner (mutmaßlichen) Ansicht keine tatkräf­ tigen oder verbalen Äußerungen folgen ließ. Die Anwesenden wagten nicht, der etwa 20-Jährigen zu widersprechen, dem etwas physisch entge­ genzusetzen oder weiterzumachen. Sie erreichte durch ihr Auftreten das Ziel, weitere Zerstörung von Sachen zu unterbinden und verhinderte so­ mit weiteres gewaltförmiges Handeln. In der konkreten Situation wäre es grundsätzlich nicht ausgeschlossen gewesen, dass neben der Zerstörung der Einrichtung auch Gewalt gegen Personen geübt worden wäre. Da die Verf. notwendigerweise nicht an allen Orten des weitläufigen Geländes zeitgleich zugegen sein konnte, ist nicht auszuschließen, dass andernorts Gewalt gegen Personen stattgefunden haben könnte. Im Nachgang zur

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II. Teilnehmende Beobachtung im Rahmen einer szeneinternen Feier

Feier konnte nur eine solche Auseinandersetzung eruiert werden: Es han­ delte sich um das gewaltsame Verweisen des Grundstücks eines Anwesen­ den, der sich als Polizist herausstellte. Hier wurde Gewalt gegen eine Per­ son angewandt, die objektiv wie subjektiv zugehörig zur Gruppe war, je­ doch einen Beruf ausübte, der szeneintern als nicht mit der Gruppenzuge­ hörigkeit vereinbar gesehen wird. Die erfolgte Sanktionierung zeigt auf, wie mit Personen umgegangen wird, die nicht entsprechend den szenein­ ternen Normen, Werte, Einstellungen handeln bzw. leben. Auch konnte beim Aufräumen und Saubermachen des Geländes, auf dem die szeneinterne Feier stattfand, das Bestehen von traditionellen Geschlechterrollenbildern erkannt werden: Die männlichen Anwesenden übernahmen die „groben“ Aufgaben, z.B. das Aufkehren mit einem gro­ ßen Besen, für das „feine“, das Aufkehren mit einem kleinen Besen z.B., wurde auf die Verf. zurückgegriffen, was die homologen Gegensätze i.S. Bourdieus hier verdeutlicht. Es wurde hervorgehoben, das Aufräumen und Putzen sei einer der Gründe, weshalb die Verf. bei einer kommenden Feier anwesend sein solle. c) Ende der Kooperationsbereitschaft, Geschlechterrollenbilder und -verhältnis Im Verlauf der teilnehmenden Beobachtung konnte, in Anlehnung an Kalthoff, erkannt werden, wie das Beobachtenkönnen des Ethnographen von der Bereitschaft der Beobachteten abhängig ist.1771 Bens Frage Wann fährt dein Zug? kann so gedeutet werden, er wollte die räumliche Koprä­ senz der Verf. und damit das Beobachtenkönnen bzw. -werden beenden. Welche Form die Kooperation annimmt, klärt sich somit in Aushandlung mit dem gatekeeper Ben. Diese Aushandlungen sind vor den verschiede­ nen „Türen“ des Feldes zu führen. Dabei steht immer wieder die Rolle und der Status des Ethnographen zur Disposition.1772 Die Aushandlun­ gen markieren die Verständigung über die Machbarkeit des konkreten Forschungsvorhabens und über die Sichtbarkeit der Forschenden. Außer­ dem markieren sie die Fragen danach, ob und auf welche Weise sich die Beforschten auf die Anliegen des Forschenden einlassen (wollen). In diesen Aushandlungen klären die Beforschten ihre Rolle im Rahmen der Beobachtung und zugleich den Status des für sie fremden Forschenden 1771 Kalthoff, Zeitschrift für Soziologie 2003, 70, 76. 1772 Kalthoff, Zeitschrift für Soziologie 2003, 70, 76.

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

in ihrer Sozialität.1773 Bei der teilnehmenden Beobachtung hatte nur der gatekeeper Kenntnis von der Identität der Forschenden und weshalb sie räumlich kopräsent ist. Insofern zeigte derjenige, für den die teilnehmende Beobachtung offen war, auf, es gebe aus seiner Sicht nichts mehr für die Forschende zu sehen oder zu erleben. Durch die oben geschilderten Erlebnisse, insbesondere nach der immer wieder gestellten Frage Mit wem bist du hier?, die, mutmaßlich, im Falle einer nicht zufriedenstellenden Antwort mit dem Verweisen aus dem For­ schungsfeld einhergegangen wäre, wäre die oben beschriebene Tür schnell „zugefallen“. Jedes Beantworten der Frage stellte eine Aushandlung über die eigene Anwesenheit dar. Durch das fortwährende Stellen dieser Frage verdeutlichen die Fragenden, es müsse aus ihrer Sicht einen auf irgendeine Weise vermittelten Kontakt geben. Durch die Frage Kannst du Bratwurst verkaufen, wenn deine Begleitung ständig unterwegs ist? wurde deutlich, der sie Stellende ging davon aus, es handle sich um einen partnervermittelten Kontakt. Die Form der Kooperation bestimmte Ben als gatekeeper. Er bestimmte über die Initiation der Anwesenheit durch die Einladung, den Abend über durch das stetige Kümmern, das Vorstellen anderer Personen, sondern bestimmte auch am nächsten Vormittag durch die Frage Wann fährt dein Zug? über das Ende der Kooperation. Erst retrospektiv erkennbar war, dass dies nicht nur das Ende der Kooperation bei der teilnehmenden Beobach­ tung war, sondern auch, da trotz stetiger Bemühungen seitens der Verf., kein Interview zustande kam und es sich somit, zumindest im Hinblick auf das Führen eines Interviews, um einen misslungenen Feldzugang han­ delte. Nichtsdestotrotz waren alle Telefonate und die teilnehmende Beob­ achtung bei der szeneinternen Feier Zeichen eines gelungenen Zugangs. Zu Beginn der Feier waren weit überwiegend männliche Personen auf der Feier. Am nächsten Morgen beim Aufräumen war die Verf. die einzig verbliebene weibliche Person. Hier kann entgegenhalten werden, sie habe selbst in das Feld eingegriffen bzw. es verändert, da ohne ihre Anwesenheit und ihr Mithelfen die verbliebenen männlichen Anwesenden die Aufga­ ben übernommen hätten, die sie übernahm. Aus einer weit überwiegend durch männliche Anwesende geprägte Feier bis zu Bens Aufforderung mit der Frage Wann fährt dein Zug? war es eine Feier, bei der die Teilnahme weiblicher Anwesenden von Stunde zu Stunde abnahm und, nachdem die Verf. gegangen war, sich nach ihrem Wissenstand keine weibliche Person

1773 Kalthoff, Zeitschrift für Soziologie 2003, 70, 76.

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III. Auswertung der Interviews

mehr dort aufhielt. Zum Ende der Feier gegen Mittag war es eine vollstän­ dig geschlechtshomogene Gruppe. III. Auswertung der Interviews Die vier näher in die Analyse eingegangenen Interviews1774 werden nun entlang der deduktiv wie induktiv gewonnenen Kategorien vorgestellt. Andere geführte Interviews werden lediglich flankierend eingesetzt.1775 Durch die besonders kontrastreich ausgewählten Fälle können deren un­ terschiedliche Perspektiven eingenommen und miteinander kontrastiert werden. 1. Kurzbiographien der in die vertiefte Analyse eingegangenen Interviewten Zur Wahrung der Anonymität der Interviewten werden hier nur weni­ ge biographische Eckdaten und sich aus den Erzählsequenzen ergebende Interpretationen vorgestellt, um die weiteren Auswertungsschritte besser verstehen und einordnen zu können. Weiterführende Details würden die Gefahr der Deanonymisierung in sich bergen. a) Frank Zum Zeitpunkt des Interviews im Jahr 2011 ist Frank 42 Jahre alt. Sein Familienstand ist ledig. Er lebt zu dieser Zeit weder in einer festen Part­ nerschaft noch hat er Kinder (F 2 ff., 51 f.). Er ist im Süden Deutschlands geboren und lebt derzeit auch dort. Franks Eltern sind verheiratet. Frank hat noch ein Geschwister (F 8 ff.). Franks Eltern sind mittlerweile Rentner (F 10 ff.). Franks Mutter beendete ihre vorherige Erwerbstätigkeit mit der Geburt des ersten Kindes; sie war Hausfrau und kümmerte sich um die Kindererziehung. Franks Vater wollte dies so und sie habe sich dem gefügt, denn er wollte finanziell und beruflich derart aufgestellt sein, dass sich seine Frau nur um die Kinder und den Haushalt kümmern sollte (F 8 ff., 14 ff.).

1774 Vgl. D. III. 2. 1775 Vgl. D. III. 2., II. 2. c).

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

Folglich ist Frank in einer Familie aufgewachsen, in der die Eltern traditio­ nelle Geschlechterrollenbilder aufweisen und (vor-)lebten. In der Sekundarstufe I verlor Frank die Lust am Lernen, fügte sich nicht mehr dem von seiner Mutter aufgebauten Lerndruck und [rebellierte] gegen sein Elternhaus (F 22 f.). Nachdem er das Gymnasium im zweiten Halbjahr des Wiederholungsversuchs der 11. Klasse verließ, absolvierte er eine handwerkliche Lehre (F 26 ff.), anschließend schulte er in einen kaufmännischen Bereich um. Er arbeitet zum Zeitpunkt des Interviews in leitender Position in einem Großhandel (F 30 ff.). Franks Hobbies zum Zeitpunkt des Interviews sind das Angeln und Fußball (F 53 ff.). Er verfolgt nicht nur die 1. und 2. Bundesliga, sondern auch die 3. Liga, die Champions League, den Europa Cup, den UEFA Cup/Europa League und den DFB-Pokal via (Bezahl-)Fernsehen, Internet und Zeitung (F 57 ff.). Er richtet sein gesamtes Leben nach dem sich daraus ergebenden Spielplan aus (F 71 ff.). Frank verfolgt sowohl den von Män­ nern gespielten Fußball als auch Frauenfußball (F 80 ff.). Als drittes Hobby nennt er das Nachtleben: Das Feiern in Clubs, auf Privat- und öffentlichen Partys, auf Wein- und Straßenfesten (F 74 ff.). Zudem liest Frank sehr viel über das Angeln und den Fußball (F 64, 77). Frank war im Kindes- und Jugendalter Fan eines anderen Vereins, was er retrospektiv als Jugendsünde (F 156 f.) bezeichnet. Zum Zeitpunkt des Interviews ist er seit 30 Jahren Fan des wahren süddeutschen Vereins (F 161), dessen heißer und glühender Verehrer (F 154 f.) er ist. Frank arbeitet in sei­ nem abschließenden Resümee mit einem Vergleich,1776 welche Bedeutung der Fußball und der Hooliganismus für ihn hat: es gehört für mich zum Fußball dazu wie Senf zu der Wurst (F 1809); „es“ ersetzt hier „Hooliganis­ mus“ und das Themenfeld „Fußball und Gewalt“ (F 1803–1827). Frank arbeitet mit einer sprachlichen Verdeutlichung mit Hilfe eines Bildes. Die zwei unterschiedlichen Sachverhalte „Hooliganismus“ und Senf zu der Wurst werden in Beziehung gesetzt und sollen die Ähnlichkeit miteinan­ der veranschaulichen. Er nutzt den Vergleich, um seine Aussage, Fußball und Gewalt gehörten zusammen, nachdrücklich zu unterstreichen. Inso­ fern benutzt Frank ein alltägliches Phänomen, die Nahrungsaufnahme, 1776 Vergleiche sind die einfachsten und ältesten Formen der sprachlichen Verdeut­ lichung in Bildern. Bei einem Vergleich werden zwei Begriffe zum Aufzeigen von Ähnlichkeiten in Bezug gesetzt. Die stilistische Leistung des Vergleichs besteht in der größeren Veranschaulichung, Verdeutlichung und Präzisierung des Gemeinten. Vergleiche können auch qualifizierenden, argumentativen Charakter haben, Kolmer/Rob-Santer, Studienbuch Rhetorik, S. 105 f.; Sowinski, Stilistik, S. 127 f.

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III. Auswertung der Interviews

mit der Besonderheit, dass auch sie im Zusammenhang mit dem Fußball gesehen werden kann, um es mit dem Hooliganismus beim Fußball in Verbindung zu bringen. Für Frank besteht eine Untrennbarkeit der beiden Bezugswörter Senf und Gewalt mit den in bezuggenommenen Hauptwör­ tern Wurst und Fußball. Beide bilden mit dem Hauptwort für Frank eine Einheit. Man könnte vermuten, Frank „würze“ das Hauptwort und ohne das jeweilige Bezugswort ist das Hauptwort nicht vollkommen. Durch die Verwendung des Profanen (Wurst mit Senf) wird auch deutlich, der Hooliganismus stellt für Frank etwas Alltägliches, Normales und somit nichts Außergewöhnliches dar. Während seiner aktiven Phase war der Hooliganismus ein großer Teil seiner Freizeitgestaltung und auch jetzt noch beschäftigt er sich damit. Er ist nach wie vor Teil seines Alltages, ebenso wie die Nahrungsaufnahme. In der Gesamtschau kann bei Frank die Bedeutung des Fußballs als sehr hoch und als Liebe und Lebensinhalt gesehen werden. Frank kann, nach den gängigen Kategorisierungen, in die Kategorie C, in die „erleb­ nisorientierten Fans“ und die Kategorie „Hool“ eingeordnet werden.1777 Zum Zeitpunkt des Interviews ist Frank bereits aus der Hooligan-Szene ausgestiegen und seine letzten Hauereien liegen etwa acht Jahre zurück (F 216–218). b) Tina Zum Zeitpunkt des Interviews im Jahr 2010 bzw. 20111778 ist Tina 31 Jahre alt. Die Paarbeziehung mit ihrem Ex-Freund Conrad, aufgrund derer sie einen partnervermittelten Kontakt zur Hooligan-Szene hatte, ist zu diesem Zeitpunkt etwa ein bis zwei Jahre vorbei. Tinas Familienstand ist ledig; sie lebt zu dieser Zeit weder in einer festen Partnerschaft noch hat sie Kinder. Sie ist in Süddeutschland geboren, in Westdeutschland aufgewachsen und lebt zum Zeitpunkt des Interviews in Süddeutschland. Tinas Eltern ließen sich scheiden als Tina noch ein Kind war. Beide Elternteile sind berufstätig (T 7 ff.). Den von ihr erlebten Erziehungsstil stellt sie als sehr offen und freizügig dar, trotzdem seien ihr, wenn auch teils implizit, Grenzen gesetzt worden. Die Erziehungsgrundsätze wurden auch bei ihrem Geschwister angewandt (T 11 ff.). Nach dem Abitur schloss Tina ein naturwissenschaftliches Hochschulstudium an und promoviert sich darin (T 17 ff.). Neben 1777 Vgl. C. II. 1778 Vgl. zu den zwei unterschiedlichen Interviewzeitpunkten D. III. 2. a).

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

ihren anderen Freizeitaktivitäten, wie Volleyball spielen und lesen, sind Fußball und das Ansehen jeglicher Sportarten im Fernsehen Tinas Hobbies (T 28–30). Ebenso wie Frank richtet Tina ihre Freizeitaktivitäten und ihr Leben nach dem Fußball-Spielplan aus (F 72; T 28 ff.). Tina erlebte eine durch ihren Vater und Großvater initiierte Fansozia­ lisation (ich bin quasi auf dem Fußballplatz groß geworden, T 32 f.). Tina kann in die polizeilichen Kategorie A, als „fußballzentrierter Fan“ und als „Kutte“ eingeordnet werden; sie selbst verortet sich bei den Ultras (T 43–50 et passim).1779 Da die Abgrenzungskriterien der Kategorisierungsan­ sätze divergieren, kann eine Person unterschiedlich zugeordnet werden. Tina selbst bezeichnet die Bedeutung, die der Fußball in ihrem Leben einnimmt, als Liebe (T 40). Zum Zeitpunkt des Interviews ist sie seit 20 Jahren ihrem Verein treu (T 42). Seitdem sie in Süddeutschland lebt und aufgrund ihrer beruflichen Situation ist der Besuch von Fußballspielen dieses Vereins nur mit Einschränkungen möglich (T 45). Dennoch verfolgt sie, ebenso wie Frank, jeglichen Fußball im Fernsehen (T 50–53). Darunter leiden, wie bei Frank, zum Teil ihre sozialen Kontakte, da diese Zeiten für den Fußball reserviert sind (T 51–53). Conrad ist Mitglied einer Hooligan-Gruppe, der polizeilichen Katego­ rie C, als „erlebnisorientierter Fan“ und als „Hool“ einzustufen.1780 Tina lernte Conrad bei einem ihrer Stadionbesuche ihres favorisierten Vereins kennen (T 67 f.). Im Anschluss an das Spiel gingen sie mit einer Gruppe in eine Kneipe und lernten sich näher kennen. Bei dieser Gelegenheit erfährt Tina, dass Fußball für Conrad an erster Stelle in seinem Leben steht und seinen Lebensinhalt bildet (T 72 f., 75, 179). Dies illustriert sie, indem sie erzählt, Conrad [fährt] auch zum Spiel, selbst wenn er ärztlich krankgeschrieben ist (T 73 f.). Zum Zeitpunkt des Beginns der Beziehung war Conrad 27 Jahre alt und etwa drei Jahre jünger als Tina (T 357). Er hat ein jüngeres Geschwister, das ebenfalls Fan des von ihnen beiden favorisierten Vereins ist, allerdings nicht aktiv in der Hooligan-Szene (T 159–163). Conrads Eltern lebten zu dieser Zeit gemeinsam. Sein Vater war, im Gegensatz zu seiner Mutter, fußballbegeistert vom selben Verein (T 163–166). Nachdem Conrad den Wehrdienst ableistete, war er zum Zeitpunkt der Beziehung handwerklich in der Automobilbranche tätig (T 168–170). Seine Freizeitbeschäftigung bestand vornehmlich im aktiven Fußball spielen und in allem anderen, was mit Fußball zu tun hat (Fußball, Fußball, Fußball, T 179). Der Hooligan-Gruppe, deren Mitglied er war, 1779 Vgl. C. II. 1780 Vgl. C. II.

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III. Auswertung der Interviews

schloss er sich etwa vier bis fünf Jahre vor der Beziehung mit Tina erstmals an; sie bestand aus etwa 20 Personen (T 184–186). c) Lisa Zum Zeitpunkt des Interviews im Jahr 2017 ist Lisa 39 Jahre alt und seit über 20 Jahren mit ihrem Ehemann Lars zusammen, der in einer Hooli­ gan-Gruppe aktiv ist. Lisa ist in Norddeutschland geboren, aufgewachsen und lebt zum Zeitpunkt des Interviews auch dort. Lisa ist verheiratet, hat ein Kind und keine Geschwister. Ihr Vater ist bereits verstorben, ihre Mutter ist Hausfrau (L 6 f.). Bei der Beschreibung ihrer Kindheit und des von ihr erlebten Erziehungsstils zögert sie zunächst zu antworten und, bevor sie auf das Verhältnis zu ihren Eltern eingeht, leitet sie ein mit schwierig, nennen wir es eine schwierige Kindheit (L 11). Sie beschreibt das Verhältnis zu ihrer Mutter als sehr gut, relativ locker, aber auch streng (L 13), auf der anderen Seite beschreibt sie das Verhältnis zu ihrem Vater als sehr schwierig (L 13 f.). In der retrospektiven Erzählung ihrer Kindheit und des Verhältnisses zu ihren Eltern scheint das Verhältnis zu ihrem Vater den gewichtigeren, bedeutungsvolleren Part einzunehmen, denn das schwierige Verhältnis zu ihm überlagert das zur Mutter. Lisa erlernte nach dem Realschulabschluss einen Beruf im Gesundheitsbereich (L 16 ff.). Ihr derzeitiger Beruf steht dazu in keinem Bezug (L 20). Neben ihrem Beruf nennt Lisa ihre Familie und das Treffen von Freunden als ihre Hobbies (L 25). Lisa ist mit ihrem Ehemann Lars seit über 20 Jahren zusammen (L 47). In ihrer Jugend war sie bereits mit einem anderen Mann liiert, der, wie Lars, Hooligan war und ist (L 37). Die beiden Männer kennen sich, da sie gemeinsam in der gleichen Hooligan-Gruppe aktiv waren und zum Zeitpunkt des Interviews sind (L 45 ff.). Ihren Ex-Freund lernte Lisa bereits in der Schule kennen; Lars in einer Diskothek (L 58 f.). Bei beiden wusste sie von Beginn an, dass sie in der Hooligan-Szene aktiv sind (L 60); das war für sie, wenn ich ehrlich bin, das war für mich vollkommen in Ordnung (L 61 f.). Lisa beantwortet die Frage, ob sie Fußballfan sei, zunächst mit pff, nein, nein (L 30). Erweiternd räumt sie anschließend ein, sie schaue Fußball, aber sie lasse dafür nicht alles andere stehen und liegen (L 31 f.). Lisa war noch nie mit Lars gemeinsam im Stadion, allerdings bleibe sie meistens in der Kneipe vor dem Stadion hängen (L 315 f.) und relativiert damit das anfäng­ liche Verneinen, Fan zu sein. Sie hat ein gewisses Maß an Interesse am

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

Fußball. Sie verbringt dort die Zeit vor dem Spiel, die Zeit des Spiels und schildert auch Begebenheiten nach dem Spiel in und vor der von ihr be­ suchten Kneipe (L 396–398). Lisa kann als A-Fan, als „konsumorientierter Fan“ sowie als „Normalo“ kategorisiert werden. Lars interessiert sich für Fußball (L 33) und ist Mitglied einer Hooligan-Gruppe, deren Mitglieder sich aus Lisas Sicht ebenfalls für Fußball interessieren (L 97). Lars kann der polizeilichen Kategorie C, als „erlebnisorientierter Fan“ sowie als „Hool“ zugeordnet werden.1781 Lars arbeitet zum Zeitpunkt des Interviews in einem sehr großen Betrieb in keiner leitenden Position (L 526 f.). Eine Umschreibung der Branche ist ebenso nicht möglich wie die Nennung seines Alters, seiner Hobbies oder Ausbildung, da Lisa es nicht preisgab (Ja, nein, geht nicht, geht nicht, L 529 f.). Das zum Zeitpunkt des Interviews gemeinsame jugendliche Kind weiß Lisa zufolge nicht, dass sein Vater Hooligan ist: es weiß, Papa schaut gerne Fußball und Papas Kumpels schauen auch gerne Fußball, aber das war auch das, was [es] weiß (L 288 f.) und das wollen wir nicht ändern (L 290). Da­ raus kann geschlossen werden, Lisa und Lars sind darüber eingekommen, ihr Kind nicht in die szeneinternen Aktivitäten einzuweihen und es davon fernzuhalten. Lediglich über die Begeisterung für den Fußball ist ihr Kind informiert, da dies kein gesellschaftlich missbilligtes, abweichendes Ver­ halten darstellt. Möglicherweise wollen sie ihr Kind vor gesellschaftlicher Stigmatisierung schützen oder haben Scham, da sie möglicherweise Angst vor dessen Missbilligung haben. d) Ronja Zum Zeitpunkt des Interviews im Jahr 2017 ist Ronja 45 Jahre alt. Sie ist in Norddeutschland geboren, aufgewachsen und lebt zum Zeitpunkt des Interviews auch dort. Sie ist geschieden, alleinerziehend (R 40 ff.) und in einer festen Partnerschaft lebend. Ihre Hobbies, bei denen sie entspannen und ihren Ausgleich finden kann, verortet sie im handwerklichen Bereich (R 43 ff.). Als ihre weiteren Hobbies nennt Ronja das Kümmern um ihren Garten, ihr Haustier, Kochen und Musik (R 45–48), insbesondere Rock oder Heavy Metal. Konzertbesuche sind nur möglich, wenn sie kinderfrei hat, ihr Kind anderweitig betreut ist und sie sich als Ausgleich austoben kann (R 52–57).

1781 Vgl. C. II.

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III. Auswertung der Interviews

Nach dem Hauptschulabschluss absolviert Ronja eine handwerkliche Lehre; aus gesundheitlichen Gründen wechselt sie die Branche, in der sie sich selbstständig macht (R 26 ff.). Ronjas Eltern sind seit Ronjas Jugend nicht mehr zusammen. Sie hat ein Geschwister und sie seien wie Feuer und Wasser (R 10). Ihren Vater be­ schreibt Ronja als sehr streng, sehr pingelig, cholerisch, jähzornig (R 21 f.). Ihre Mutter sei weder verbal noch sonst gegen ihren Vater angekommen (R 22 f.). Ronja beschreibt ihre Mutter als sehr geduldig, auch schon liebevoll (R 23). In diesem Spannungsfeld bewegte sich auch der von ihr beschriebene Erziehungsstil, den sie in ihrer Kindheit erlebt hat. Für Ronja hat der Fußball eher eine nebensächliche Bedeutung. Sie schildert, sie habe sich nie für Fußball interessiert, sondern nur [für] die Randerscheinungen des Fußballs. Sie selbst ist Hooligan (R 61 f.). Die Rander­ scheinungen sind für Ronja die Gewalt, die im Rahmen des Hooliganismus stattfindet. Einschränkend führt sie aus, sie habe sich zwar die Fußball­ spiele im Stadion angesehen, allerdings nur ungefähr bis zur Hälfte der regulären Spielzeit, da sie früher rausgegangen sei, weil es irgendwo knallen sollte oder an der Bierbude oder sonst irgendwas war (R 64–66). Für Ronja ist der Fußball doch eher zweitrangig, wenn nicht sogar drittrangig gewesen und sie habe Prioritäten gesetzt (R 65–67). Diese lagen für sie nicht im Erleben des Fußballspiels, sondern in den sich währenddessen ergebenden, mitunter sich auch im Stadion zutragenden gewaltförmigen Spannungssituationen. Nach den gängigen Kategorisierungen kann Ronja, wie Frank, der polizeili­ chen Kategorie C, als „erlebnisorientierter Fan“ sowie als „Hool“ zugeord­ net werden.1782 Zum Zeitpunkt des Interviews pflegt Ronja noch einen sporadischen Kontakt zur Hooligan-Szene (R 257 f., 325); ihr Ausstieg daraus ist noch nicht vollständig vollzogen und der Kontakt wird sich immer weiter aus­ dünnen. Ronjas Perspektive zum Zeitpunkt des Interviews hierzu ist: Und ich weiß auch, dass wenn ich noch mit 50 oder mit 60 [es handelt sich dabei um Zeitpunkte, die etwa fünf bis 15 Jahre nach dem Zeitpunkt des Interviews liegen werden, Anm. d. Verf.] am Stadion bin und meine Leute treffe, dass man sich immer noch gut ist. Dass man sich sieht, sich umarmt und drückt, so wie vorhin […] weil man Sachen zusammen erlebt hat, weil man so einen losen Kontakt doch immer irgendwie hat. Sich immer mal wieder sieht, auch wenn Monate oder mal ein Jahr zwischen liegen. Ja, find ich gut so (R 1446–1451).

1782 Vgl. C. II.

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

c) Zwischenfazit Da der Hooliganismus und die Hooligan-Szene im Zusammenhang mit von Männern gespieltem Fußball stehen und nicht mit anderen Sport­ arten, stellten die Kurzbiografien auch die je differierende Bedeutung des Fußballs vor. Frank, Ronja, Lisa und Tina konnten ebenso wie ihre (ehemals) partnerschaftlich Verbundenen nach den bestehenden Katego­ risierungsansätzen eingeordnet werden. Da deren Abgrenzungskriterien voneinander abweichen, zeigt das Beispiel von Tina, wie eine Person un­ terschiedlichen Kategorien zuordenbar sein kann. Die vier ausgewählten Fälle unterscheiden sich hinsichtlich der Art und Weise, wie sie mit der Hooligan-Szene in Berührung gekommen sind und dem Grad und Aus­ maß der eigenen Involviertheit. Ebenso unterscheiden sich Frank, Tina, Ronja und Lisa bzw. ihre (Ex-)Lebenspartner Lars, Conrad, Erik und Tim im Hinblick auf den Verlauf der Hooligan-Karriere. Aufgrund der besonders kontrastreichen Fälle können nun ihre unterschiedlichen Perspektiven ein­ genommen und vorgestellt werden. 2. Verlauf einer Hooligan-Karriere Der Verlauf einer Hooligan-Karriere wird nun vom ersten Inberührung­ kommen über die Phase der Teilnahme und des Ausstiegs vorgestellt. Im Falle des nur partnervermittelten Kontakts zur Hooligan-Szene wird das Inberührungkommen sowie das Miterleben der jeweiligen Phase betrach­ tet. Den Forschungsfragen entsprechend richtet sich das besondere Augen­ merk auf die (zugeschriebenen) Geschlechterrollenbilder in der HooliganSzene. a) Erstes Inberührungkommen und Einstieg Das Inberührungkommen mit der Hooligan-Szene erfolgt bei Frank durch den Einstieg in die Skinhead-Szene in den Jahren 1986/87. In letztere ist er v.a. aufgrund modischer Aspekte und seiner schon immer vorhande­ nen rechten Gesinnung (F 129 ff.) reingerutscht (F 130). Für ihn bedeute diese rechte Gesinnung, er sei weder Nazi, Neonazi noch Faschist, sondern Nationalist und Patriot (F 133 ff., 140 f.). Über langjährige Mitglieder der Glatzen-Szene (F 142) kam Frank aufgrund der teilweisen personellen Über­ schneidungen der Skinhead- mit der Hooligan-Szene ins Stadion (F 147).

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III. Auswertung der Interviews

Die Hooligans suchten den Kontakt zu den Skinheads und vice versa (F 166 f.): Sie trafen sich, tranken gemeinsam Bier und suchten anschließend die gleichen Lokale, Szenetreffs, auf (F 145 ff.). Beim Besuch der teils auch unterklassigen Fußballspiele ist Frank heiß drauf (F 151), die Hooligans kennenzulernen, Kontakte zu knüpfen, sich einen Namen zu machen und bekannt zu werden (F 151 ff.). Es stellt für Frank einen Ausbruch aus dem sehr geregelten und braven Leben dar, das er führte, und er möchte seine Grenzen kennenlernen (F 179 ff., 185). Frank wurde etwa zum Zeitpunkt des Einstiegs in die Hooligan-Szene gerade volljährig und befand sich erst im Übergang von der Schule in die handwerkliche Lehre. Dass er dies in der retrospektiven Erzählung als Ausbruch aus seinem geregelten Leben schil­ dert, ist vor dem Hintergrund seiner in der Kurzbiographie enthaltenen Beschreibung seines Aufwachsens zu sehen. Er hat sich damals dem von der Mutter aufgebauten Druck zu lernen nicht mehr gebeugt und spricht hier selbst von einer Rebellion gegen das Elternhaus.1783 Ronjas erste Kontakte zur Hooligan-Szene erfolgen Mitte der 1980er Jah­ re über Bekannte. Zu dieser Zeit trafen sich die Jugendlichen an gewissen Hotspots in der Region, u.a. in einer Eishalle (R 81–83) und dann lernst du da wen kennen, der kennt dann irgendwen, ja dann triffst du dich mal da in der Stadt und so kommen ja Kontakte zustande (R 83 f.). Dabei lernt sie Leute kennen, die zum Fußball gehen und sich da eben auch rumlatten (R 86). In dieser Zeit ist sie mit Freunden, trotz ihres eingangs als nebensächlich beschriebenen Interesses am Fußball, bereits ins Stadion gegangen und lernt dort Glatzen kennen, die sie auf eine Party einluden (R 90–93). Die Kontakte verfestigen sich in der Folgezeit. Es schließt sich das von ihr als erstes Heimspiel (R 96) bezeichnete Spiel an, obwohl sie bereits zuvor Fuß­ ballspiele besucht hatte, wie sich aus ihren Erzählungen ergibt. Es könnte sich jedoch um den von Ronja empfundenen Eintritt in die Szene handeln, so dass sie dieses Spiel als ihr erstes schildert. Bei diesem ersten Heimspiel handelt es sich um ein Derby, wo mir dann auch die Pflastersteine gleich entgegengeflogen sind. Und das hat mich dann so angefixt, naja dann war es halt so, da hab ich gedacht ‚Alter, was geht denn hier ab‘. Naja und so bin ich halt dazu gekommen (R 98–101). Ronja ist fasziniert von den Randerscheinungen (R 62) des Fußballs, die sich in dem Erleben von Gewalt zeigen. Das besondere Erleben eines Derbys verbunden mit den Pflastersteinwürfen ist der Beginn und ihr Einstieg in die Hooligan-Szene. Das Erleben hat in ihr etwas ausgelöst, was sie als anfixen (R 99) bezeichnet, was auch in Bezug auf den Erstkonsum von Drogen gebräuchlich ist. Für Ronja ist das 1783 Vgl. bereits Kurzbiographie Frank E. III. 1. a).

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

Gewalterleben etwas Rauschartiges, Faszinierendes und Wiederholenswer­ tes, dem sie sich nicht entziehen, sondern hingeben möchte. An dieses erste Heimspiel schließt sich bei Ronja eine Phase mit ganz kurzen Haaren an (R 102). Diese Phase initiieren Personen, die bereits der Glatzen-Szene zuzuordnen sind. Ronja schließt sich zu diesem Zeitpunkt einer Gruppe an, die Skinheads sind und ins Fußballstadion gehen. Dies stellt eine Parallele zu Franks Inberührungkommen mit der Hooligan-Sze­ ne dar. Ronjas Verweildauer in dieser Szene ist kurz, da nach ihrem Emp­ finden in dieser Gruppe wenig Zusammenhalt besteht (R 103) und sie die dort ebenfalls befindlichen weiblichen Mitglieder als total furchtbar wahrnimmt (R 102 f.). Sie äußerten gegenüber Ronja, sie befürchteten, Ronja würde etwas mit den männlichen Gruppenmitgliedern anfangen und so die Gruppe insgesamt stören (R 104 f.). Die geäußerten Befürch­ tungen verletzen Ronja. Die Gruppe bestand aus wenigen Mitgliedern und die empfundene und gezeigte Stutenbissigkeit und Zickigkeit (R 108) Ronja gegenüber veranlasst sie über die Gruppe und insbesondere über die weiblichen Mitglieder zu denken haltet doch mal zusammen irgendwie szeneintern (R 107). Nachdem sie von weiblichen Mitgliedern der Gruppe auf einer Toilette abgepasst, körperlich angegriffen und sich daraufhin verteidigt hat (R 109 f.), verlässt Ronja die Gruppe und ist rüber gewechselt (R 112). Das Wechseln von der Skinhead- zur Hooligan-Gruppe, die Ronja als unsere Leute (R 115) bezeichnet, gründet sich somit im Erleben von szeneinterner Gewalt durch andere weibliche Mitglieder. Eine von ihnen, die Ronja auf der Toilette angegriffen hat, hat anschließend von ihrem ebenfalls in der Gruppe befindlichen Partner einen Schlag abbekommen, da er vermutete, seine Freundin habe rumgestänkert, was sich nicht gehöre (R 120 f.). Ronja freut diese Art der szeneinternen Zurechtweisung nach der von ihr erlebten, von diesem weiblichen Mitglied ausgehenden Gewalt (ja, das hast du dir verdient, R 121 f.). Ronjas ehemalige und neue Gruppe stehen im Stadionblock nebeneinander (R 125), so dass das Rüberwechseln keine wesentliche räumliche Veränderung im Stadion für Ronja bedeutet. Die gewaltbereiten Fans sind in einer Ecke im Stadion gestanden, wo [sich] auch möglichst keine normalen Leute auch zwischengestellt haben, wenn sie schlau waren (R 128–130). Ronja stellt fest, im Prinzip [ist] alles eine Meute irgendwie, nur mit und ohne Haare (R 125 f.). Nach Ronja weisen beide Gruppen, trotz optischen Unterschieden, Ähnlichkeiten und Gemeinsam­ keiten auf. Die Gruppe, der sich Ronja Mitte der 1980er Jahre anschließt, bildete sich bereits Anfang der 1980er Jahre (R 137 f.). Im Verlauf des Interviews reflektiert Ronja den Einstieg in die Hooligan-Szene vor der Folie ihres

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III. Auswertung der Interviews

Aufwachsens und der von ihr erlebten Erziehung (R 738 ff.).1784 Der von Ronja als cholerisch wahrgenommene Vater schlug sie beispielweise, wenn sie bei den Hausaufgaben etwas nicht verstand (R 738–740). Es kann somit von eigenen physischen, innerfamiliären Gewalterfahrungen und Opferwerdungen Ronjas gesprochen werden, die als Sanktionierung oder Disziplinierung angewandt wurden. Gewalt sieht Ronja rückblickend selbst schon zu Kindergarten- und Schulzeiten als Handlungsoption und wendete sie auch an (R 749 f., 753 ff.): Sie habe sich nichts gefallen lassen und sich immer irgendwie grade gemacht (R 755). Da sie sich zu Hause nicht respektiert und anerkannt fühlt (R 757), hat sie, auch durch den Einstieg in die Glatzen- und später in die Hooligan-Szene, ihren Weg gefunden, um Anerkennung zu erhalten (R 759). Ronja konstatiert dann geht man seine Wege und boxt sich regelrecht den Weg frei (R 760 f.). Die Suche nach Anerkennung, das Finden von Anerkennung in der Gruppe, auch wenn es auf gewaltförmigem Verhalten basiert, führen für Ronja zum Einstieg und Verweilen in der Szene. Lisa und Tina sehen sich nur über ihre (Ex-)Lebenspartner mit der Hooligan-Szene verbunden. Sie sind nicht wie Frank und Ronja in die Szene eingestiegen, sondern sie kommen mit ihr aufgrund des partnerver­ mittelten Kontakts in Berührung. Lisa wusste bei ihrem Ex-Freund und bei Lars von Beginn an von deren Mitgliedschaft in einer Hooligan-Gruppe (L 60–62). Es war für sie normal und es hat sie nicht abgeschreckt, sondern es [deren Mitgliedschaft, Anm. der Verf.] war okay (L 62 f.). Obwohl Lisa zum Zeitpunkt des Interviews bereits über 20 Jahre eine Beziehung mit einem Hooligan führt, erfährt sie wenig darüber, was dort konkret passiert (L 65). Sie stellt auch weiter keine Fragen und da sie bereits seit sie ein Teenager ist, Beziehungen mit einem Hooligan führt, ist sie da reingewachsen und wusste auch, sie hat keine großen Fragen zu stellen (L 69 f.). Lisa vertritt die Ansicht Umso mehr man fragt, umso weniger bekommt man mit (L 70 f.). Ge­ rade weil sie nicht aktiv nachfragt, hat sie vieles aus dem Inneren der Szene erfahren, da eine gewisse Vertrauensbasis entstand (L 72–74). Schon die An­ fänge des Kontakts über ihren Ex-Freund bzw. Ehemann zur Hooligan-Sze­ ne sind nur möglich und konnten sich über so viele Jahre erhalten, weil sie das Vertrauen ihres (Ex-)Partners und der Gruppe gewann. Aus Lisas Sicht wäre das ihr entgegengebrachte Vertrauen geringer gewesen oder erst gar nicht entstanden, wenn sie sich aktiv für die szeneinternen Aktivitäten interessiert und detailliert nachgefragt hätte, was dort geschieht. Auch durch ihre gleichgültige Haltung gegenüber den szeneinternen Aktivitäten 1784 Vgl. bereits Kurzbiographie Ronja E. III. 1. d).

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

verdeutlicht Lisa, nicht dem Konzept der Störerin1785 zu entsprechen: Sie will weder Lars noch andere Gruppenmitglieder davon abhalten oder es ihnen gar verbieten. Tina kommt erstmals mit der Hooligan-Szene durch die Anfänge der Be­ ziehung zu Conrad in Berührung. Da sie sich im Stadion kennenlernen,1786 gemeinsam Heim- und Auswärtsspiele ihres favorisierten Vereins besuchen (T 76 ff.), lernt sie ihn und seine Gruppe näher im Umfeld von Fußball­ spielen kennen und erlebt so, wie Conrad sich in den Anfängen der Bezie­ hung dort verhält und kann dies zu seinem Verhalten, seinen Ansichten und Äußerungen kontrastieren, wenn sie außerhalb des Fußballkontextes gemeinsam am Telefon aufgrund der räumlichen Distanz oder bei ihm zu Hause (T 68 ff., 80 ff.) Zeit verbringen. Tina erlebte Conrads Einstieg in die Hooligan-Szene nicht selbst mit, da die Beziehung etwa vier bis fünf Jahre nach Conrads Einstieg begann. Deshalb wurde sie gebeten zu erzählen, was Conrad darüber im Verlauf der Beziehung erwähnt hat: Zunächst lernte Conrad den Anführer der Grup­ pe kennen, der ihn zu körperlichen Auseinandersetzungen mitnahm (T 214 ff.). Das gefiel ihm v.a. deswegen gut, weil er dort seinen Aggressionen freien Lauf lassen konnte (T 213–218). Als zu absolvierendes Aufnahmeri­ tual erwähnte Conrad das [V]erpassen eines Elfmeter[s] bei einem Gegner (T 218–221). Von einem Elfmeter spricht man (nicht nur in der HooliganSzene), wenn eine am Boden liegende Person ins Gesicht oder an den Kopf getreten wird (T 129 f.). Tina lernte während der Beziehung zu Conrad auch den damals etwa 35-jährigen Chef (T 186) seiner Gruppe kennen, der vor ihr damit angab, bereits dreimal im Gefängnis gewesen zu sein. Er organisiert die Treffen chiffriert mit der jeweils anderen Gruppe (T 187–195). Die Mitglieder von Conrads Gruppe beschreibt Tina als einen Zusammenschluss von Ultras, Hooltras1787 (die haben noch wunderbar für den Verein gelebt und wollten auch noch das Spiel sehen. Und danach fanden sie es halt toll, wenn sie sich mit den Anderen geprügelt haben, T 202) und Hooligans. Die ausschließlich männlichen Gruppenmitglieder waren zwischen Anfang 20 und Ende 30 Jahre alt (T 196, 225); einer von ihnen hatte ein Stadionverbot (T 204– 205). Conrad war eher ein Mitläufer, der den Anführer vergöttert und ihn als besten Kumpel bezeichnet, was aus Tinas Sicht allerdings nicht auf Gegenseitigkeit beruhte (T 207–209). Conrad fand es gut, wie alle in der

1785 Vgl. C. IV. 2. a) aa). 1786 Vgl. schon oben Kurzbiographie Tina E. III. 1. b). 1787 Vgl. zur Abgrenzung C. II. 3.

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III. Auswertung der Interviews

Gruppe füreinander einstehen und zusammenhalten und war deshalb in der Gruppe (T 209–212). Dies bildet eine Parallele zu Ronjas Ausführun­ gen zum gruppeninternen Zusammenhalt. Das Füreinandereinstehen und sich auf die anderen Mitglieder verlassen zu können scheint konstitutiv für Hooligan-Gruppen zu sein.1788 Sowohl Frank als auch Ronja sind selbst aktive Mitglieder einer Hooli­ gan-Gruppe. Lisa und Tina hingegen haben einen partnervermittelnden Kontakt zur Szene. Nichtsdestotrotz sind sie, solange die Beziehung andau­ ert, auch am peripheren Rand der Gruppe, mithin in der Hooligan-Szene und erleben die jeweilige Phase ihres (Ex-)Lebenspartners mit. b) Teilnahme und Miterleben Der nachfolgende Abschnitt beschreibt die Phase der Teilnahme in der Hooligan-Szene bzw. deren Miterleben. aa) Die Jungs Die Interviewten bezeichnen die Hooligan-Gruppe, deren Mitglied sie sind oder zu der sie einen partnervermittelten Kontakt haben, häufig selbst nicht als solche und nutzen auch das Wort „Hooligan“ kaum selbst. Frank nutzt den Begriff im 1.828 Zeilen umfassenden Interviewtranskript 65 Mal, Ronja bei 1.582 Zeilen nur 28 Mal. Tina nutzt ihn bei 892 Zeilen fünf Mal und Lisa bei 589 Zeilen nur ein Mal selbst. Dies verwundert jedoch angesichts der Interviewsituation und der Fragestellung nur auf den ersten Blick. Je länger das Interview dauerte,1789 desto häufiger wurde „Hooligan“ verwendet. Für die Beantwortung der Forschungsfragen ist somit zu klären, welche Bezeichnungen stattdessen gewählt werden und in welchen Zusammenhängen „Hooligan“ trotzdem verwendet wird. Die von Frank gewählte Bezeichnung des Hooliganismus im Allgemei­ nen, für die Skinhead- sowie die Hooligan-Gruppe, deren Mitglied er war, im Besonderen, lassen Rückschlüsse auf das dort vorherrschende Geschlechterverhältnis zu. Frank nutzt keine geschlechtsneutralen Perso­ nen(gruppen)bezeichnungen, welche auch weibliche Personen mitenthal­ ten (können). Vielmehr kommt es bei Frank zur expliziten Nennung 1788 Vgl. auch E. III. 2. b) gg) bbb). 1789 Vgl. zu den jeweiligen Längen der Interviews D. III. 2. a).

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

des Geschlechts der sich innerhalb der Gruppe befindlichen Personen: Jungs.1790 Eine gedankliche Einbeziehung weiblicher Personen in die Be­ zeichnung Jungs für die Gruppe ist schwer möglich. Es ist deshalb davon auszugehen, Franks Gruppe bestand tatsächlich nur aus männlichen Perso­ nen und deshalb verwendete er keine geschlechtsneutralen Personen(grup­ pen)bezeichnung. Die Bezeichnung Jungs für die Gruppe als peer group,1791 impliziert, sie alle weisen ein ähnliches Alter und gemeinsame Interessen, wie den Hooliganismus, auf. Frank verwendet folglich Jungs als Synonym für die Gruppe als solche und deren Mitglieder. Weder Tina, Lisa noch Conrad oder Lars verwenden Jungs oder Hooli­ gan(s) für ihre Gruppe oder deren Mitglieder (L 583), stattdessen nennen sie sich Kumpels oder Freunde: Aber dass die sich jetzt gegenseitig als Hools betiteln, also nein (L 585). Möglicherweise liegt es an Tinas und Lisas part­ nervermitteltem Kontakt, wodurch sie nicht derart eng mit den Gruppen­ mitgliedern verbunden sind und deshalb nicht diese Bezeichnung wählen. Ganz anders verhält es sich bei Ronja, die Teil einer Hooligan-Gruppe ist: Sie verwendet Jungs vergleichsweise häufig, wenn auch differenziert: die Jungs sind meist Mitglieder anderer Hooligan-Gruppen aus anderen Orten. Sie nutzt den Begriff Jungs nicht schlicht, wenn sie ihre eigene Gruppe oder deren Mitglieder meint, sondern verknüpft ihn mit meine bzw. unsere. Diese Wörter deuten auf das Gefühl der Zugehörigkeit zur Gruppe hin und auch auf die tatsächliche Zugehörigkeit, mit anderen Worten: Ronja ist objektiv wie subjektiv zugehörig zur Gruppe. Ronja ist das einzig weibliche Mitglied der Gruppe. Es handelt sich somit um eine männlich dominierte Gruppe, die ihr einen Sonderstatus zuwies. Sie war Teil dieser Gruppe und nach ihrem Empfinden, sahen die anderen Gruppenmitglieder sie nicht als weibliche Person an, sondern als Teil der Gruppe, als Teil der Jungs. Dies verdeutlicht folgende Schilderung Ronjas: nicht umsonst haben mich meine Jungs mit [nennt einen männlichen Vornamen, Anm. d. Verf.] angesprochen […] ich weiß nicht, wenn ich da war, war ich in dem Sinne nicht unbedingt Frau, sondern ein Teil der Masse oder einfach dabei (R 71–74). Ronjas Vorname wurde im szeneinternen Kontext durch einen männlichen ersetzt, wodurch die sie ansprechenden Mitglie­ der der Hooligan-Gruppe ein Stück weit ihre Zuordnung zur Weiblichkeit

1790 Vgl. insbesondere die Jungs (F 134, Skinheads und Hooligans); gewisse Jungs (F 143, Skinheads); gewisse Jungs (F 202, Hooligans); die Jungs, die ich kannte, dieser Hooliganismus (F 202, Hooliganismus). 1791 Vgl. zu peer group B. III. 3.

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III. Auswertung der Interviews

aufheben. Gleichzeitig schreiben sie ihr männliche Attribute zu und sie entsprach nicht den tradierten szeneinternen Geschlechterrollenbildern. Ronjas weitere Verwendungen von meine Jungs stehen im Zusammen­ hang mit Stärke: Dabei handelt es sich sowohl um Ronjas eigene Stärke als auch derjenigen der Gruppenmitglieder. In einer beispielhaft von Ronja dargestellten Situation ging es um junge Männer, die sie kannte und mit der Hooligan-Gruppe zusammenbrachte, da sie den Wunsch hatten, ebenfalls zur Gruppe zugehörig werden zu wollen. Allerdings [haben es] nicht alle geschafft von meinen Jungs akzeptiert zu werden (R 368). Obwohl es sich um männliche Personen handelte, fehlte es ihnen an Akzeptanz in der Hooligan-Gruppe, die Ronja wiederum genoss, denn sie wurde von der Gruppe als vollwertiges Mitglied akzeptiert. Dies lässt darauf schließen, die Akzeptanz durch die Gruppe fußt nicht nur im oder auf dem Geschlecht, sondern auch in den jeweiligen Eigenschaften der Person, wie sie zur Gruppe als passend erachtet wird. Im Gegensatz zu den jungen Männern wies Ronja dies auf und teilte (größtenteils)1792 die gemeinsamen, gruppen­ internen Normen und Werte. Das kann als Stärke von Ronja gegenüber anderen Männern gesehen werden. Die Definitionsmacht hingegen, wer zur Gruppe zugehörig wird, ist und bleibt, obliegt der Hooligan-Gruppe bzw. dem jeweiligen Anführer und den ihn umgebenden weiteren Kreis. In einer anderen Situation zeigt sich Ronjas Stärke gegenüber der Grup­ pe bei der Verwendung von meine Jungs, da sie ihren Ex-Ehemann Erik gegenüber der Gruppe verteidigt. Erik war Teil der größten Ultragruppie­ rung eines Vereins: mein Mann war nicht aus der Hooligan-Szene, sondern er war aus der Fan-Szene (R 550 f.) und irgendwann [hat sich] keiner mehr getraut darüber noch ein Wort zu verlieren (R 556). Ronja zeigt Stärke gegenüber der Gruppe, indem sie Erik verteidigt, obwohl die Gruppe ihm ablehnend gegenübersteht. Als Erik sie mit einer anderen Frau betrügt, stärken [ihre] Jungs ihr wiederum den Rücken, nehmen sie in Schutz (R 602 ff.). Die Bezeichnung unsere Jungs kommt in Zusammenhängen vor, in denen die Gruppenmitglieder Ronjas Rat suchen und sich damit in schwachen Situa­ tionen befinden, die Ronja für sie lösen soll (R 358 ff.). Neben Jungs haben auch die Worte wir, uns und Gruppe eine hohe Bedeutung, wenn die Interviewten von ihrer Hooligan-Gruppe oder der -Szene erzählen.1793 Dies zeigt die Internalisierung und Teilen der Werte und Normen der Gruppe und insbesondere die stark ausgeprägte Verbun­

1792 Vgl. zu ihren nicht geteilten Normen und Werte der Gruppe E. III. 2. b) gg). 1793 Erwartbar wären auch Begriffe wie „Firma“ oder „Crew“ gewesen; diese wur­ den allerdings nicht von den Interviewten als Selbstbezeichnung für ihre eige­

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

denheit und Zusammengehörigkeit. Neben wir und uns gibt es, i.S.e. othering,1794 „die anderen“, also die Nicht-Hooligans, von denen sie sich regelmäßig abgrenzen: Sie grenzen sich ab von Skinheads, Ultras oder anderen Fußballfans. Hierzu passt ein weiterer Befund: Hooligan(s) oder Hooliganismus verwenden die Interviewten auffällig in solchen Situationen, in denen sie sich selbst bzw. ihre Gruppe von anderen Gruppen (z.B. Kutten,1795 Ultragruppierungen, anderen Hooligan-Gruppen oder Glatzen) abgrenzen (bspw. F 147, 165, 239; R 61, 125; T 201; L 585). Sie nutzen die Begriffe mithin zur Differenzierung, obwohl Frank und Ronja sich selbst als Nicht-Hooligan kategorisieren.1796 bb) Szeneinterne körperliche Auseinandersetzungen Innerhalb der Hooligan-Szene gibt es den Interviewten zufolge für die körperlichen Auseinandersetzungen verschiedene Bezeichnungen; sie un­ terscheiden sich auch je nach regionaler Herkunft der Interviewten: fighten (u.a. R 509), einen auskämpfen (u.a. R 509), prügeln (u.a. T 138), aufklatschen (u.a. F 1435), Scharmützel (u.a. F 195, 215, 291, 367, 521), Hauerei (u.a. F 1269, 1335, 1817), Ärger suchen (u.a. F 213 f.), [knallen] (u.a. F 774, 1647; K 253), [sich gerade] machen (u.a. R 438, 755, 903), rumlatten (u.a. R 86, 220, 722, 820), boxen (u.a. F 242; K 1079), Boxerei (u.a. F 521, 1234) und die Post geht ab (u.a. K 200, 249). Trotz unterschiedlicher Bezeichnungen geht es doch immer um den Kern der Hooligan-Aktivitäten: die szeneinternen körperlichen Auseinandersetzungen. Körperliche Auseinandersetzungen mit Beteiligung der Interviewten finden an den unterschiedlichsten Orten statt: international, national, auf dem Weg zum Stadion, im Stadion, auf Rastplätzen oder bei Feld-WaldWiese-Auseinandersetzungen bzw. -Geschichten (z.B. F 613, 833; R 507; L 384). Gerade bei solchen haben die Anführer der jeweiligen Gruppe eine maßgebliche Bedeutung, denn sie kundschaften die Plätze aus, setzen sich mit der gegnerischen Gruppe in Verbindung, sprechen sich mit dem jeweils anderen Anführer ab, welche (Schutz-)Waffen zum Einsatz ne Gruppe genannt. In Anlehnung an die englische Hooligan-Szene bezeich­ nen sich auch manche Hooligan-Gruppen in Deutschland als Firma (F 872). 1794 Othering kann als Veranderung oder als „Strategien der Nostrifizierung“, als „Exotisierung zu etwas ganz anderem“ verstanden werden, Breidenstein et al., Ethnografie, S. 19. 1795 Vgl. C. II. 2. 1796 Vgl. E. III. 2. b) cc).

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III. Auswertung der Interviews

kommen dürfen. Ebenso werde die Gruppenstärke, in der gegeneinander angetreten wird, abgesprochen und welche Gruppe mit welchem farbigen Oberteil oder oberkörperfrei als Unterscheidungskriterium erscheint (F 834–836). Ronja und Lisa zufolge veränderte sich in der langen Zeit, in der sie mit der Hooligan-Szene verbunden sind, gerade im Bereich der FeldWald-Wiese-Auseinandersetzungen viel: Ihrer Ansicht nach waren sie in den 1980er und 1990er Jahren noch nicht derart üblich wie heute. Die körper­ lichen Auseinandersetzungen fanden hauptsächlich in den oder im Um­ feld der Stadien statt. Bei den Feld-Wald-Wiese-Auseinandersetzungen beteili­ gen sich Ronja zufolge auch andere Hooligans, denn sie sind eher gleich­ zeitig Kampfsportler und gehen regelmäßig mehrmals wöchentlich trainie­ ren. Deswegen nennt Ronja solche, von ihr als kritisch beurteilten Ausein­ andersetzungen auch Kampfsportler-Treffen (R 503). Diese Entwicklung war für Ronja und andere Mitglieder ihrer Gruppe ein Grund, sich nicht mehr daran zu beteiligen, sich aus der Szene temporär oder vollständig zurück­ zuziehen. Ronja beschließt: die Scheiße geb ich mir nicht, da hab ich keinen Bock drauf (R 513). Ronja zufolge sind Feld-Wald-Wiese-Auseinandersetzun­ gen etwas anderes, denn der Hooliganismus gehört für sie irgendwo ins Um­ feld vom Stadion (R 505 f.). Vorteilhaft an Feld-Wald-Wiese-Auseinanderset­ zungen ist jedoch die weitgehende Vermeidbarkeit von Schäden bei unbe­ teiligten Dritten, die so seltener oder gar nicht hineingezogen oder verletzt werden. Auch werden so weitgehend Störungen durch andere Personen, z.B. der Polizei, vermieden (L 387–389; M 73–76). cc) Selbstberichtete Häufigkeitsangaben der Beteiligung an szeneinternen körperlichen Auseinandersetzungen Die selbstberichteten Angaben, wie oft die Interviewten an körperlichen Auseinandersetzungen beteiligt waren, hängen von der Dauer der Zuge­ hörigkeit ab: Frank war von 1987 bis 1994 aktives Mitglied einer Hooli­ gan-Gruppe (F 197), anschließend war er einige Jahre eher in anderen Szenen (House- und Techno-Szene) aktiv, kehrte in die Hooligan-Szene zurück, zwar noch immer als aktives Mitglied, allerdings mit geringerer Regelmäßigkeit. Etwa acht Jahre vor dem Interview datiert Frank seinen endgültigen Ausstieg aus der Szene (F 218). Insgesamt gehörte er, wenn auch mit Unterbrechungen, rund 16 Jahre objektiv wie subjektiv zur Hoo­ ligan-Szene. In dieser Zeit nimmt er nach eigenen Angaben an etwa 50 bis 70 szeneinternen körperlichen Auseinandersetzungen teil (F 522).

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

Ronja stieg etwa 1985 in die Hooligan-Szene ein (R 138) und wechselte, wie Frank, Mitte der 1990er Jahre in die Techno-Szene (R 978 f.). Wie oft Ronja bei körperlichen Auseinandersetzungen dabei war, vermochte sie nicht zu sagen (R 976–984).1797 Ronja war es auch nicht möglich zu beant­ worten, wie lange ihre aktive Zeit in der Szene andauerte, da sie einen losen Kontakt doch immer irgendwie hat (R 1450). Sie versteht nicht, warum man mit Dingen aufhören muss, nur weil man alt wird (R 1452 f.). Ronjas Ausstieg vollzieht sich schleichend und prozesshaft. Tina und Lisa nahmen selbst nie aktiv an körperlichen Auseinanderset­ zungen teil. Bei der bis zum Interview andauernden 21 Jahre Beziehung mit Lars und seiner mindestens gleichlangen, aktiven Mitgliedschaft in der Hooligan-Szene dürfte die Anzahl der währenddessen stattgefundenen Teilnahmen an körperlichen Auseinandersetzungen vermutlich hoch ge­ wesen sein; eine geschätzte Anzahl vermochte Lisa nicht zu nennen. Con­ rad war, bevor er und Tina ein Paar wurden, ungefähr vier bis fünf Jahre aktives Mitglied. Während der Paarbeziehung und auch nach der Tren­ nung blieb er weiterhin aktiv. Die Anzahl der währenddessen bestrittenen körperlichen Auseinandersetzungen ist Tina nicht bekannt. dd) Positionen innerhalb der Gruppe Die eigenen Gruppenpositionen und die Gruppenstärke der HooliganGruppe von Frank und Ronja änderten sich im Laufe ihrer Teilnahme nicht. Alle Interviewten kategorisieren sich selbst bzw. ihre (Ex-)Partner eher als „Mitläufer“ als als „Lutscher“1798: Frank kämpfte auch in der ersten Reihe (F 269) und ist dafür auch an vorderster Reihe gefallen so was öfters mal (F 270). Der Führungsriege (R 1148) fühlte sich weder Frank noch Ronja zugehörig. Dennoch hatten alle Interviewten bzw. diejenigen, die ihnen den Kontakt zur Hooligan-Szene mittelten, direkte persönliche Kontakte

1797 [I:] Kannst du in etwa sagen, wie oft du bei so Aktionen irgendwie dabei warst so in etwa? [R:] Puh, das ist total schwer. Also wenn ich überlege, dass ich praktisch Mitte der 80er aktiv eingestiegen bin bis Anfang der 90er, Mitte 90er, wo das dann wieder eher so in die Techno-Szene ging, also da war jedes Wochenende irgendwo irgendwas also es hat nicht immer geknallt, weil sich das auch gar nicht immer ergibt, hat ich ja auch schon erzählt, dass die Widrigkeiten gegen einen arbeiten. Aber auch wenn es nicht knallt, ist man ja trotzdem dabei und man hat seinen Kick und die Aufregung ist da und ja gut, die Befriedigung nicht immer, aber wenn man viel erlebt hat, auch eine andere Art der Befriedigung. 1798 Vgl. zur Struktur innerhalb der Hooligan-Szene C. III. 1.

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III. Auswertung der Interviews

zum Anführer bzw. der Führungsriege und suchten sie aktiv, auch um ihnen zu gefallen (F 302, 305; T 212–216; R 185, 401). Dieser Befund verwundert angesichts anderer Passagen, in denen sich die Interviewten selbst anfänglich als nicht einer Gruppe bzw. der Szene zugehörig präsentierten oder Umfang und Ausmaß ihrer eigenen Zuge­ hörigkeit herunterspielten: [W]ar ich bin ich vielleicht nicht so der ideale Gesprächspartner für dich […] So der Ober-Hardcore-Hooligan war ich sowieso nicht (F 123 f.). In Anbetracht Franks langjähriger Zeit in der Hooligan-Sze­ ne und der selbstberichteten Anzahl seiner szeneinternen Kämpfe von etwa 50 bis 701799 verwundert diese Selbstkategorisierung als nicht intensiv zugehörig. Auch Kai1800 zweifelt vordergründig an, ob er sich selbst als Hooligan sieht: weiß nicht ob man sagen kann, dass ich ein Hooligan bin, ja, nein (K 72), obwohl er an anderer Stelle auf etwa vier Jahre Zugehörigkeit verweist (K 224). Möglicherweise zeigen diese Erzählsequenzen fließende Übergänge und Grenzen sowie den Einsatz von Neutralisierungstechniken durch die Interviewten auf, denn durch das Interview werden ihre Erinne­ rungen hervorgeholt und sie reflektieren retrospektiv ihre aktive Zeit als Hooligan. ee) Kontakt mit Polizei, Verfassungsschutz und Justiz Während der aktiven Zeit in der Hooligan-Szene sind Kontakte mit Straf­ verfolgungsbehörden und dem Verfassungsschutz aus Sicht der Interview­ ten unvermeidlich und ubiquitär. Die Interviewten differenzieren bei sol­ chen Kontakten, ob er mit oder ohne Bezug zum Hooliganismus erfolgte. Auch ohne Hooliganismusbezug kamen Ronja und Frank mit Polizei, Ver­ 1799 Vgl. E. III. 2. b) cc). 1800 Der Kontakt zu Kai gelang zufällig in einem Biergarten, da er sich zufällig an den gleichen Tisch setzte. Im Verlauf des Gesprächs wurde deutlich, dass er möglicherweise Mitglied einer Hooligan-Gruppe war oder ist. Nach dem Austausch der Telefonnummern wurde in regelmäßigen Abständen mit einan­ der insgesamt acht Mal telefoniert, mögliche Zeitpunkte für ein Interview angedacht und anschließend wieder verschoben. Etwa drei Monate später wurde das Interview per Skype geführt, da sich aufgrund der großen räumli­ chen Distanz und Kais beruflicher Tätigkeit kein erneutes persönliches Treffen in absehbarer Zeit einrichten ließ. Das Interview dauerte 127 Minuten. Die Erzählsequenzen, die die hier interessierenden Forschungsfragen im Kern be­ rühren, waren von geringem Ausmaß. Deshalb wurde entschieden, dieses In­ terview nicht in die vertiefte Analyse einzubeziehen, sondern nur flankierend zu verwenden.

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

fassungsschutz und Justiz in Berührung (R 694 ff.; F 366). Bei Frank waren dies Situationen, in denen er noch in der Glatzen-Szene war. Bei Ronja fand dies im Zusammenhang mit Feiern am Wochenende statt. Frank hat­ te beim Zusammentreffen mit Mitarbeitern eines nicht näher von ihm be­ nannten Verfassungsschutzes den Eindruck, sie wollten ihn als Spitzel in­ nerhalb der Szene gewinnen, um Informationen zu ihm selbst sowie zur ganzen Szene zu erlangen (F 343–361). Er ging nicht darauf ein, weil das ist ganz tödlich in der Szene (F 360). Im Zusammenhang mit dem Hooliganismus berichten die Interviewten von folgenden Straftatbeständen, wegen denen gegen sie bzw. ihre (Ex-)Le­ benspartner ermittelt wurde, ihnen vorgeworfen wurden oder die – mut­ maßlich auch aufgrund des Ehrenkodexes1801 – im Dunkelfeld verblieben: Widerstand gegen [Vollstreckungsbeamte] (F 340), Sachbeschädigung (F 341; R 691), Körperverletzung (F 1061; T 129), gefährliche Körperverletzung (R 454 ff.), Schlägerei (T 121 ff., 425), Landfriedensbruch (F 341; T 212 ff.; R 691). ff) Die Wahrnehmung von Polizistinnen und Polizisten Es stellt sich die Frage, wie die Interviewten Polizistinnen und Polizis­ ten wahrnehmen, wenn sie im Kontext des Hooliganismus mit ihnen in Kontakt kommen. Hier muss zwischen Polizistinnen und Polizisten unterschieden werden, weil dies Rückschlüsse auf die innerhalb der Hoo­ ligan-Szene vorherrschenden (zugeschriebenen) Geschlechterrollenbilder zulässt. Polizistinnen sind weibliche Personen, auf die ein Hooligan im Kontext des Hooliganismus treffen kann und auch trifft. Deshalb muss auch der Umgang mit und das Verhalten gegenüber Polizistinnen hier berücksichtigt werden. Wenn man als Vorannahme davon ausgeht, es kommt bei Kämpfen mit der Polizei zu wechselseitiger Anerkennung,1802 dann fragt sich, ob es in der von den Interviewten reproduzierten Realität einen Unterschied macht, ob ihnen ein Polizist oder eine Polizistin gegen­ übersteht und inwiefern die bisherigen Erkenntnisse dazu1803 von ihnen gestützt werden können. Frank ist der Ansicht, wenn Jungs oder Männer sich schlagen, sollten auch Jungs oder Männer schlichten (F 1586 f.). Demnach sieht er bei geschlechtshomogenen – hier: zwischen Männern stattfindenden – kör­

1801 Vgl. C. III. 2. 1802 Vgl. C. V. 3. b), c). 1803 Vgl. C. V. 3. b), c).

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III. Auswertung der Interviews

perlichen Auseinandersetzungen weibliche Personen nicht als adäquate Schlichter an. Aus Franks Sicht kann keine Anerkennung erfolgen, wenn sich ein Hooligan mit einer von ihm als solche identifizierte Polizistin schlägt oder von dieser aufgefordert wird, das Schlagen einzustellen. Über das Merkmal weiblich hilft die Uniform nicht hinweg, so dass auch daraus nicht die Ehre erwachsen kann, die bei der körperlichen Begegnung mit einem Polizisten oder einem männlichen Hooligan entsteht. Die Bestim­ mung des Ehrenkodexes („Eine Frau schlägt man nicht“)1804 wird bei Polizistinnen nicht eingesetzt. Ich hätte mich da schon sehr ich hätte mich da schon sehr blöd, komisch gefühlt, wenn dir da eine Frau eins einschenkt. Und dann noch als Polizistin dazu (F 1625 f.). Für Frank gereicht es auch nicht zur Ehre, wenn eine von ihm als Polizistin Wahrgenommene männ­ liche Hooligans bei den Auseinandersetzungen schlägt. Für Frank kommt es hier nicht zu wechselseitiger Anerkennung; Polizistinnen verfügen für Frank nicht über die gleiche Ehre i.S. Bourdieus Isotimieprinzip. Frank schildert eine Situation, bei der eine behelmte Polizistin bei einem Fußballspiel umgerannt wurde und Hooligans ihr aufgeholfen ha­ ben: einmal [im Norden] ist eine Polizistin auch mal umgerannt worden sowas, hatte auch noch ihren komischen Helm oder sowas oder was sie da auch aufhatte, verloren und wurde sogar von zwei Jungs […] aufgeholfen. Man merkt schon, dass da Frauen eher ja fast besser behandelt werden (F 1604–1608). Aus Franks Sicht werden Polizistinnen tendenziell besser behandelt, was er am Aufhelfen nach dem Umrennen festmacht. Es entsteht der Eindruck, die Uniform hält die Hooligans nicht davon ab, wahrzunehmen, welches Geschlecht die uniformierte Person hat. Das Verhalten der Hooligans ändert sich je nach wahrgenommenem Geschlecht der Person. Es ereigneten sich auch Situationen, in denen Hooligans mit Polizistinnen Fotos haben machen wollen (F 1598 f.). Die Polizistinnen reagierten Frank zufolge mit den Wor­ ten wir sind doch hier keine Fotomodelle (F 1599). Vermutlich fühlten sich die Polizistinnen auf ihre Körper als Anschauungsobjekte reduziert und sahen sich von den Hooligans als wahrgenommene Attraktion, obwohl sie sich gerade im Dienst befanden. Die Polizistinnen ließen sich dies nicht gefallen und verscheuchten die Hooligans: wir sollen uns doch hier schleichen (F 1600). Die Interviewten vermitteln den Eindruck, sie nehmen die Polizistinnen bei der Wahrnehmung ihrer präventiven oder repressi­ ven Aufgaben nicht durchgängig ernst (F 1615 f.; T 445; K 516 ff.); sie kamen den Aufforderungen nicht nach und fühlten sich den Polizistinnen gegenüber überlegen. Also ich versteht nicht, was die Frauen da sollen. Die soll 1804 Vgl. insbesondere C. III. 2., IV., V.

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

da ihre großen Jungs da holen und sich aber selber da raushalten (K 516–518). Hier kommt ein traditionelles Geschlechterrollenbild zum Vorschein: Die untergeordnete weibliche Person kann dem übergeordneten Mann nicht diese Weisungen erteilen. Auch scheinen Polizistinnen als zu schwach für den Einsatz gegen Hoo­ ligans angesehen zu werden, denn da kann die auch so viele Schlagstöcke haben wie sie will, da hat die keine Chance gegen uns (K 521 f.). Aus den Schilderungen der Interviewten ergibt sich, Hooligans hätten mit Polizis­ tinnen geflirtet (K 495) und sie als Mäuse oder Perle1805 bezeichnet (K 511). Hieraus kann ebenfalls die mangelnde oder geringere Ernstnahme der Polizistinnen im Vergleich zu den ebenfalls vor Ort befindlichen männlichen Kollegen gesehen werden. Ronja bezeichnet die mit Hooli­ ganismusbezug eingesetzten Polizistinnen gar als Mannsweiber (R 1206) und schreibt ihnen damit stark hervortretende männlichen Eigenschaften zu. Wesentliches Charakteristikum für die Mannsweiber ist die von Ronja wahrgenommene fehlende körperliche Attraktivität: keine hübschen, gutaus­ sehenden Frauen (R 1206 f.). Damit ähneln sich Ronjas Beschreibungen hin­ sichtlich der Frau Typ Kampflesbe (R 194)1806 in der Hooligan-Szene und der Mannsweiber (R 1266) in der Polizei: Ronja nutzt bei beiden die kör­ perliche Attraktivität als Erklärungs- und Differenzierungsmerkmal und verdeutlicht, beide entsprechen aus ihrer Perspektive nicht ihren eigenen Weiblichkeitsvorstellungen. Frank wurde von Polizistinnen nie geschlagen, sondern nur festgenom­ men (F 1610 f.). Das hypothetische Geschlagenwerden hätte er als peinlich empfunden, da es sich um eine weibliche Person und zusätzlich um eine Polizistin gehandelt hätte (F 1624 ff.). Daran kann Franks differenzierende Wahrnehmung erkannt werden: In erster Linie ist die Polizistin eine Person weiblichen Geschlechts; erst in zweiter Linie kommt es auf ihre Tätigkeit als Polizistin an. Polizistinnen können, was auf den ersten Blick widersprüchlich er­ scheint, aus Ronjas und Franks Sicht eher deeskalierend wirken, weil sie sich bei einem etwaigen verbalen Angehen nicht in ihrer Ehre verletzt und herausgefordert fühlen (F 1642 ff.; R 1211). Im Falle einer (körperlichen) Eskalation jedoch hält Frank Polizisten für geeigneter (F 1652). Erneut ist erkennbar, Frank präferiert, ebenso wie Kai, im Falle einer (unter Männern stattfindenden) körperlichen Auseinandersetzung männliche Schlichter und spricht weiblichen Personen die Fähigkeit ab, in solchen Situationen 1805 Vgl. E. III. 2. b) gg) ddd), E. III. 2. b) hh) aaa). 1806 Vgl. E. III. 2. b) hh) aaa).

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III. Auswertung der Interviews

schlichten zu können: [I:] Was denkst du über die [Polizistinnen, Anm. d. Verf.], wenn die mit Fußballbezug eingesetzt werden? [F:] Find ich, ich hab da vielleicht ein bisschen ein, ein, ein altmodisches Frauenbild, find ich nicht gut. [I:] Wenn die eingesetzt werden? [F:] Ja. Find ich nicht gut, weil, das bezieht sich jetzt nicht nur auf den Fußball, das bezieht sich auf die ganzen extremen Sachen, die mögen genauso ausgebildet sein wie ihre Kollegen, die müssen genau­ so fit sein und die haben die gleiche Schutzkleidung an, gleichen Vorgaben, was irgendwelche Aktionen angeht, aber ich find einfach, wenn sich da Jungs hauen, sollten auch Jungs oder sich Männer hauen, sollten auch Männer versuchen das Ganze zu schlichten oder irgendwie oder also find ich Frauen etwas deplatziert (F 1580–1588). Ronja hingegen schildert Situationen, in denen sie Polizistinnen und Polizisten in Konfliktsituationen dazu aufforderte: zieht eure Schildkröten­ panzer aus und dann können wir das mal Mann gegen Mann machen (R 1215 f.). Obwohl sie selbst weiblich ist, nutzt sie die Redewendung Mann gegen Mann, um Konflikte mit Polizistinnen oder Polizisten und sich selbst und der Gruppe der Hooligans auszutragen. Die wirkliche Ehre, die nur von einem ebenso ehrenhaften Mann gezollt werden kann,1807 kann aus Ronjas Sicht nur dann von den Polizisten und Polizistinnen in diesem Ersatzkampf gezollt werden, wenn sie ihre Schutzkleidung ausziehen und sich, wie die Hooligans auch, auf die mit ihrem Körper zur Verfügung stehenden Schutz- und Verteidigungsmittel beschränken. Die wechselsei­ tige Anerkennung funktioniert in Ronjas Schilderung nur dann, wenn zwischen beiden Gruppen „Waffengleichheit“ besteht und eine Gruppe nicht durch das Benutzen von Hilfsmitteln im Vorteil ist. Dass Ronja selbst gar kein Mann ist, scheint ihr in dieser Beschreibung der Situation und Nutzung der Redewendung nicht aufzufallen, sondern sie geht als Teil in der männlich dominierten Gruppe auf und das Festhalten an tradierten Geschlechterrollenbildern würde sie an der Teilnahme an den „ernsten Spiele[n]“1808 hindern. Das Festhalten an ihrer Geschlechtszugehörigkeit entspricht jedoch nicht ihrer Intention: Ronja wäre auf die Rolle der zu­ sehenden, „schmeichelnden Spiegel“1809 verwiesen, was allerdings nicht für sie in Frage kommt. Sie beteiligt sich aktiv und lässt sich nicht qua Geschlecht davon ausschließen. Ob dieses Handeln dem entspricht, was szeneintern von weiblichen Personen erwartet wird, was die zugeschriebe­

1807 Vgl. B. IV. 2. c); C. V. 1808 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. 1809 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203.

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

nen Geschlechterrollenbilder stützt oder ob Ronja sie ins Wanken bringt, wird noch zu klären sein.1810 gg) Szeneinterne Einstellungen und Besonderheiten Der folgende Abschnitt widmet sich den szeneintern vorherrschenden Ein­ stellungen, den dort gemeinsam geteilten und gelebten Normen und Wer­ ten und weiteren Besonderheiten. Auffällig sind die von den Interviewten für die Hooligan-Szene genutzten Bezeichnungen als Männerdomäne (F 107; M 311), Männergesellschaft(en) (F 107, 1471), Männerding (L 65, 223), Männersache (T 270) oder männerorientierte Welt (F 184). Die Einblicke, was sie darunter verstehen und wie sie sie erleben, lassen Rückschlüsse auf das dort vorherrschende Geschlechterverhältnis und die szeneintern (zugeschriebenen) Geschlechterrollenbilder zu. aaa) Hierarchische Struktur Ein Charakteristikum ist die hierarchische Struktur der Hooligan-Szene und der Fußballfan-Szene im Allgemeinen. Hooligans sehen sich als deren Elite (F 330) an, die sich wiederum unterteilt in die Leader bzw. Anführer, den harten Kern und die Mitläufer (vgl. z.B. M 181; T 197; F 268; K 221). Dabei werden Personen, die unterschiedliche Funktionen innehaben, un­ terschiedliche Aufgaben und Bedeutungen zugeordnet und zugeschrieben: Die Leader/Anführer leiten die Gruppe, sie organisieren und koordinieren die Aufeinandertreffen mit den gegnerischen Gruppen und pflegen die Kontakte zu den gegnerischen Leadern (F 672 ff., 843 f.; T 192 ff.; M 181 ff.). Sie bestimmen über neu aufzunehmende Mitglieder und geben gewisse Verhaltensrichtlinien vor (M 187 f.). Es muss sich dabei nicht immer um eine einzelne Person handeln, sondern diese Aufgaben können auf mehre­ re Personen verteilt werden, denn Ronja spricht von der Führungsriege und dem Präsi (vgl. bspw. R 1148, 1385, 185) und Frank nennt sie die Handlan­ ger der Leader (F 852 f.). Die Anführenden und die ihnen nahestehenden Personen haben gruppenintern sehr mächtige Positionen inne. Max ver­ gleicht die Position der Anführer mit dem Tierreich, wie bei den Gorillas, der Silberrücken, so der Älteste (M 196 f.): Es handelt sich um erfahrene Krieger (M 199), die sich innerhalb der Gruppe und der Szene bereits einen Namen 1810 Vgl. E. III. 2. b) hh) ccc), IV., V.

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III. Auswertung der Interviews

gemacht haben und denen ein Ruf vorauseilt (M 202 f.). Die Leader behal­ ten den Überblick über die Gruppe und sind stets vor Ort dabei (F 286 f.). Mitläufer sind mal mehr mal weniger vor Ort (F 387 f.). Häufig werden sie nur angerufen und über die Treffen informiert (K 225), ohne selbst in Planungen eingebunden zu sein. Der Kontakt zu den Leadern wurde von allen Gruppenmitgliedern gesucht, auch um in dessen Gunst gewogen zu sein (F 303 f.). Sie sind Vorbilder, die mit Achtung und Respekt behandelt wurden (F 305 f.). Der harte Kern ist immer dabei: die waren immer so auf einer Auswärtsfahrt mit dabei […] [e]s gibt halt immer Leute, […] die fahren immer (K 214 f.). In den Hooligan-Gruppen der Interviewten bzw. ihrer (Ex-)Lebenspart­ ner nahmen stets männliche Personen die führenden Positionen ein. Sie scheinen denjenigen vorbehalten zu sein, die sich im Laufe der Zugehö­ rigkeit zur Szene dort Ansehen verschafft haben, in hohem Maß darin zeitlich involviert sind, über ein hohes Maß an Erfahrungen in szeneinter­ nen Auseinandersetzungen und über durch Vertrauen aufgebaute Kontak­ te zu anderen Gruppen verfügen. Da die Mehrzahl der Mitglieder der Hooligan-Szene männlich ist, verwundert nicht, dass die für die Gruppe verantwortungsvolle Position ausfüllende Person ebenfalls männlich ist. Auch aufgrund der möglicherweise kürzeren szeneinternen Verweildauer von weiblichen Gewalttätigen, bedingt durch spätere Einstiege und frü­ here Ausstiege, könnte es für weibliche Personen erschwert sein, eine derartige Funktion zu übernehmen. Mit kürzeren Verweildauern gehen auch weniger Erfahrungen in szeneinternen körperlichen Auseinanderset­ zungen einher. Dadurch kann seltener die aus den körperlichen Ausein­ andersetzungen resultierende gruppeninterne Anerkennung und schwerer ein entsprechender Ruf erarbeitet werden. Auch das Überlegenheitsgefühl über andere Gruppierungen der Fuß­ ballfan-Szene heben die Interviewten deutlich hervor: Frank und Ronja schildern, man hat über andere Gruppen gelacht (F 172 f.) bzw. sie belächelt (R 1066), weil es sich bei ihnen aus ihrer Sicht z.B. um Gruppen von Prole­ ten handelte (F 172 f.), zugepflastert mit irgendwelchen Aufnähern […], [die] doch meistens totale Assis waren (R 1065 ff.). Höchst vereinzelt gibt es jedoch einen guten, respektvollen Umgang mit ausgewählten Ultragruppierungen (R 1001 ff.). Abwertend äußern sie sich mitunter gegenüber Blockstehern, womit Fans gemeint sind, die in den Stadien in Fanblöcken stehen: das ist für mich so ein bisschen Kindergarten (R 1082 f.). Auf Unverständnis stößt die Sichtweise anderer Personen, die das Fußballspiel als austauschbare Freizeitaktivität erleben und wahrnehmen: Und nicht jemand der sagt, oh, was mach ich denn am Samstag nachmittag, geh ich nach [nennt Orts- und

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

Vereinsname in Westdeutschland] oder geh ich zum Geburtstag von meiner Tan­ te (K 327 ff.). Ihnen wird abgesprochen, Fans zu sein (K 329). Dennoch be­ scheinigen die Interviewten den Ultragruppierungen, sie lieben den Fuß­ ball mehr als viele andere, und bringen die Stimmung zurück ins Stadion (F 656 ff.; D 469; T 589; R 1007 ff.). Diese Stimmung unterscheidet sich je­ doch maßgeblich von den Spannungssituationen und Stimmungen, die Hooligans beim Besuch von Fußballspielen suchen. Die Zugehörigkeit zur Hooligan-Szene ist auch mit Stolz verbunden, denn wenn die Leute schon wieder [wussten], wo du warst oder wo du hingehörst (F 556 f.), dann drückt das ebenfalls das Gefühl der Überlegenheit aus. bbb) Grundeinstellungen Charakteristisch für Hooligan-Gruppen sind das Er-, Aus- und Vorleben von Werten wie Ehre, Stolz und Zusammenhalt (F 1078), Füreinandereinste­ hen (T 209–212), Mut, [Entschlossenheit] (R 904), Geradlinigkeit und Ehrlich­ keit (R 1119). Jede Gruppe entwickelt im Lauf der Zeit ihren eigenen Charakter (K 349 f.). Hooligan-Gruppen oder -Szenen in anderen Ländern, insbesondere England, als dem kolportierten Mutterland des Fußballs und des Hooliganismus,1811 dienen nicht immer als Vorbilder (so aber F 883). Jedes einzelne Mitglied entscheidet sich selbst, diese Art zu leben einzu­ schlagen (D 82), denn der Hooliganismus ist mehr als ein bloßes Hobby. Um Hooligan zu sein, benötigen diese Personen eine gewisse Grundeinstel­ lung (R 366). Da die körperlichen Auseinandersetzungen nicht nur in der näheren Umgebung stattfinden, sondern bei Auswärtsfahrten in weiterer Distanz zum Herkunftsort liegen, spielt der Faktor Zeit eine große Rolle (K 130 ff.). Hooligans müssen bereit sein, die Ressource Zeit in hohem Maße zu investieren und sich aktiv für deren einsetzen entscheiden: die [Jungs], die das über Jahrzehnte oder über Jahre leben. Jedes Wochenende, mit allem Wenn und Aber. Das sind dann für mich die richtigen harten Jungs (F 569–571). Kennzeichnend für die Hooligans ist auch das Verspüren der Lust, Ge­ walt anzuwenden. Das Streben danach, pure Gewalt (K 211) anzuwenden und auszuleben, ist eine der Grundeinstellungen (R 366), die die Mitglie­ der der Szene verinnerlicht haben müssen. Dies geht mit einem richtigen Rausch (F 1371) einher, der nicht leicht zu bremsen ist (F 1372 f.). Infol­ gedessen kommt es zu Verletzungen, die man in Kauf nimmt (F 1374): 1811 Vgl. C. I.

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III. Auswertung der Interviews

Sie reichen von ausgeschlagenen Zähnen bis zu (mehrfach) gebrochenen Nasen (F 552, 1374 f.), Veilchen (F 550) oder Narben im Gesicht, zum Teil verursacht durch Schlagringe (K 278 f.). Währenddessen bemerken oder beachten die Hooligans häufig nicht die Schmerzen und oder Verletzun­ gen aufgrund des hohen Adrenalinspiegels (K 287 f.) oder z.B. aufgrund anderer Substanzen, die die Schmerzempfindlichkeit herabsetzen. Dies er­ klärt sich aus der dahinterliegenden gleichen Logik, weshalb sich die Hoo­ ligans an den jeweiligen Ort der Auseinandersetzung begeben (der wollte das so, F 1375). Als andere eingesetzte Substanzen nennen die Interviewten: [Kokain] (F 250; R 915; K 137), Amphetamine (F 251), Speed (M 97), Pepp (F 251), Trips (F 252). Das hohe Verletzungsrisiko, das den „ernsten Spiele[n] des Wettbewerbs“1812 innewohnt, ist den Hooligans bewusst (das ist ja ein ganz, ganz hohes Risiko dabei, K 125). Sie suchen es bewusst für die angestrebte und resultierende wechselseitige Anerkennung.1813 Obwohl Verletzungen während den körperlichen Auseinandersetzungen in Kauf genommen werden, ist das Ergebnis im szeneexternen Kontext und wäh­ rend des Interviews ein besonderer Moment: Die Interviewten zeigten ihre verletzten Körperteile bzw. fehlenden Zähne. Die Verf. hatte den auch op­ tisch wahrnehmbaren Eindruck, in der retrospektiven Erzählung und dem Zeigen der Verwundungen ein Bedauern zu erkennen, denn die Folgen der Verletzungen wirken, selbst nach erfolgtem Ausstieg oder während des schleichenden Prozesses, nach und begleiten die Interviewten bis zur vollständigen Genesung bzw. dem Ersatz des Verlustes, möglicherweise ein Leben lang. ccc) Einsatz von finanziellen Ressourcen Ebenso nehmen die Hooligans in Kauf, ökonomisches Kapital aufwenden zu müssen, um sich in der Hooligan-Szene bewegen zu können. Zu den Kosten für die Fahrten zu den (inter-)national stattfindenden körperlichen Auseinandersetzungen, den ärztlichen Heilbehandlungskosten kommen auch die Investitionen für szenetypische Kleidung hinzu. Die Intention war, wir wollten dann schon ein bisschen chicer daher kommen (F 1100) oder Hauptsache ich sah besser aus als mein Gegner (K 620 f.). Deswegen sparten sie zum Teil lange für szeneintern angesagte Markenkleidung. Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, die Kleidung nicht zu kaufen. Allerdings galt 1812 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. 1813 Vgl. C. V.; B. IV. 1., 2.

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

derjenige, der die teure Markenkleidung zusammengeklaut hat als völlig asozial […] weil das sind ja Verbrecher, das sind ja kriminelle Asoziale (F 1118–1120). Die Interviewten sahen somit das abweichende Verhalten in Form von Diebstählen als solches an, ihr eigenes abweichendes Verhalten während des Hooliganismus aber nicht. Dies weist auf andere szeneintern bestehende Maßstäbe an „richtig“, „falsch“ und „unrechtmäßig“ als außer­ halb der Hooligan-Szene hin. ddd) Machismo, Männlichkeitsnormen Weiterer Bestandteil und Charakteristikum der Hooligan-Szene ist den Interviewten zufolge der dort vorzufindende und erwartete Machismo:1814 Hooligans zeigen ein starkes Macho-Verhalten (M 319), haben ein Machobild im Kopf (R 1305 f.), kling[en] machomäßig (F 1476) oder machohaft (K 850). Die Verwendung von Macho und die darauf bezogenen Erzählsequenzen lassen Rückschlüsse auf die szeneintern vorfindbaren gewaltbefürworten­ den und gewaltlegitimierenden männlichen Geschlechterrollenbilder und auf die (zugeschriebenen) Geschlechterrollenbilder insgesamt zu. Das Selbstverständnis des Geschlechterrollenbildes für männliche Per­ sonen bei den Mitgliedern von Franks Hooligan-Gruppe ist zweigeteilt: Zum einen entsprechen sie der „harten“ Männlichkeit, zum anderen der „weichen“ Männlichkeit, indem sie für Frauen den Gentleman […] spielen (F 1671). Damit wollen sie ihre eigene Attraktivität steigern und dem vorherrschenden Bild eines Hooligans – besoffener Assi ohne Stil (F 1675) – aktiv entgegenwirken (F 1674 ff.): sowohl ich als auch die anderen Jungs machten hier immer auf ganz hart so was […], aber gegenüber Frauen wollte man immer freundlich, zuvorkommend sein (F 1672–1674). Sie taten dies, um gut dazustehen oder um die ein oder andere da vielleicht auch rumzukriegen (F 1676 f.). Das [Anbaggern] erlebte auch Ronja bei sich selbst und bei anderen in der Szene befindlichen Frauen: [es] versucht sowieso jeder zweite dich anzubaggern (R 215). Max zufolge herrscht innerhalb der Hooligan-Szene das Bild der Frau als Heilige und Hure (M 353) vor: Innerhalb der Gruppe wird mit Frauen­ geschichten geprahlt (M 351 f.); sie sind immer den Röcken hinterher (F 1671). In szeneexternen Kontexten verhält es sich demgegenüber ganz anders: sie [Hooligans in szeneexternen Kontexten, Anm. d. Verf.] [schlüpfen] in eine ganz andere Rolle und [tauchen] in ein ganz anderes Leben ein (M 350), die Frauen 1814 Vgl. B. III. 2.

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III. Auswertung der Interviews

haben zu Hause einen hohen Stellenwert, zum Teil stehen die Männer zu Hause unter dem Pantoffel und sind liebevolle, rücksichtsvolle Ehemänner und Familienväter (M 290–293). Szeneintern pflegen sie dagegen das Image des Ernährers und Versorgers der Familie, des Dominanten und geben vor, die Frauen hätten zu Hause nichts zu sagen, obwohl dem nicht immer so ist (M 302–304). Was kennzeichnet nun das von den Interviewten selbst als Macho-Verhal­ ten (F 184), Machobild (R 1305) bezeichnete Verhalten in der von ihnen selbst als männerorientierte bzw. Männerwelt (F 184; M 315) bezeichneten Hooligan-Szene? Zunächst betonen die Interviewten, es handele sich bei den körperlichen Auseinandersetzungen auch um Kämpfe, denen ein Wettkampfcharakter innewohnt (F 494 f.; K 241–245). Innerhalb der Hoo­ ligan-Szene gibt es besondere Freund- oder Feindschaften, die auch das je­ weilige Aufeinandertreffen prägen (K 230). Das Erleben des Kampfes und die Reflexion, selbst fähig zu sein zu kämpfen und im Kampf kampffähig zu sein, beschreibt Kai folgendermaßen: und irgendwann ist es halt wie so da geht eine Tür auf und dann kannst du einen Raum betreten, den du davor noch nie betreten hast und dann fühlst du dich schnell wohl in dem Raum. Also wenn du schon mal jemandem davor ins Gesicht geschlagen hast, […] man ist total enthemmt. Und befreit. […] Das ist frei, das ist Freiheit, da wird das ganze Adrenalin frei. Das spannt auch, das ist auch Form der Angst, das ist auch eine ganz große Anspannung. Und diese Anspannung wird dann freigesetzt. Das ist so explosionsartig, alles wird freigelassen, deine ganze Kraft, du musst einfach nur schnell sein (K 377–386). Bei den erlebten Kämpfen steht die Demonstration einer harten, starken Männlichkeit im Vordergrund. Die Kampffähigkeit während den körper­ lichen Auseinandersetzungen ist durch Kompromisslosigkeit geprägt (K 465). Es geht darum, das den Kämpfen innewohnende Risiko zu sehen, anzunehmen und aktiv einzugehen (K 663). Max fasst das Gefühl der Hooligans wie folgt zusammen: der Mann geht raus zum Fußball und ein bisschen so da noch dieses sie sind der Mann, der Starke und das war was sie schon auch immer so nach außen projiziert haben, dass sie sich sehr männlich fühlen (M 285–288). Es scheint, als sind aus Sicht der Interviewten der Fußball und der Hooliganismus die letzten Stätten, an denen Hooligans männlich sein können und das ist so dieser Fußball, dieser Männersport. Ja, das das empfinden schon also die älteren als als störend und ein bisschen so ja als würde dadurch [durch Frauen, Anm. d. Verf.] ihre Position geschwächt werden oder ihr vielleicht auch so ihr Reich der Fußball und das Ganze, das Stadion und das ganze Drumherum Fan- und Hooligan-Sein ja gefährdet, dass

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

es so ja kein kein geschlossenes Männer keine geschlossene Männerwelt mehr ist (M 311–315). Die beim Betrachten des Fußballspiels und im Ausüben des Hooliganis­ mus gelebte und empfundene Männlichkeit oder der Wunsch danach, sich so zu empfinden, ist einer der Beweggründe in die Hooligan-Szene einzusteigen und darin zu verweilen: In der Hooligan-Szene können sie die Muskeln spielen lassen, die eigenen Grenzen kennenlernen (F 184), die Sau rauslassen (F 185 f.) und beim Schlagen in einen Rausch (F 1371; M 105) geraten und verspüren. Sie können beim Ausüben des Hooliganismus laut sein (F 638) und haben sich, was im Gegensatz zu szeneexternen Kon­ texten sogar erwünscht ist, nicht ganz im Griff (F 610). Die körperlichen Auseinandersetzungen dienen auch dazu, das Revier zu verteidigen (T 331). In den körperlichen Auseinandersetzungen kann ein Kick erlebt werden, der im Alltag nicht zu erreichen ist (F 1367). Hooligans suchen nach dem Kick und erreichen ihn durch den und im Hooliganismus: Und selbst verletzen ist natürlich so, du merkst selbst, wenn die ersten zwei oder der erste Schlag gut sitzt oder der, dann kriegst du Oberwasser, dann ist es da schon so ein Kick, Adrenalin-Kick und das zum Teil auch recht schwierig, dann wenn du merkst, er ist dir unterlegen, jetzt nicht unbedingt körperlich, da gibt es wahrscheinlich wenige, die mir da noch rein vom Körperlichen her unterlegen sind, aber da kommt es gar nicht mal so drauf an. Es ist dein Auftreten und ja dann, dann kommst du schon zum Teil in so einen richtigen Rausch, sowas, da muss man sich dann schon bremsen, um nicht da nicht noch hier irgendwie Sachen, die früher hier zu dem Kodex gehörten, zu vergessen (F 1365–1373). Die Betonung der Körperlichkeit und das sich aus den oben beschrie­ benen Grundeinstellungen1815 speisende Auftreten sind notwendig, um im Kampf bestehen zu können. Währenddessen ist der szeneinterne Ehren­ kodex zu beachten. Die Beschreibungen sind mit solchen Sequenzen zu interpretieren, die implizit oder explizit betonen, den männlichen Mitglie­ dern werden Eigenschaften wie Körperlichkeit und Kampffähigkeit zuge­ schrieben und von ihnen erwartet. Frauen hingegen wird die Fähigkeiten abgesprochen, ebenso Gewalt anwenden oder die Gewaltanwendung nach­ vollziehen zu können. So fehlt z.B. mitunter die Vorstellungskraft, Frauen könnten im Hooliganismus einen aktiven Part einnehmen: Ja ich weiß nicht, ich kann mir nicht vorstellen, wie wer das dann auch hobbymäßig macht (K 749 f.) und Frauen können glaub ich allgemein mit diesen Gewaltgeschichten recht die meisten können damit recht wenig anfangen, können das überhaupt nicht verstehen (F 1545–1547). 1815 Vgl. E. III. 2. b) gg) bbb).

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III. Auswertung der Interviews

Auch Lisa ist der Ansicht, Frauen kann es grundsätzlich, wenn auch nicht zwangsläufig an körperlicher Kraft fehlen: Und, wenn wir ehrlich sind, Frauen haben die Kraft auch meistens gar nicht. Ja, davon jetzt mal ganz abgese­ hen. Klar, gibt es Frauen, die pustest du an und die fallen um und dann gibt es Frauen, die haben schon ganz schön was auf dem Kasten, also da möchte ich mir auch keine fangen. Aber man kann Frauen nicht, oder man kann Frauen nicht größtenteils nicht vergleichen mit der Kraft, die Männer ganz einfach aufbringen können, das ist nicht machbar. Also wenn man da ehrlich zu sich selber ist, es geht nicht. Da kann man noch so eine große Klappe haben als Frau, hab ich auch, also nein, wenn mir irgendeiner eine zwitschert, das dann, dann seh ich schwarz, das ist ganz einfach so. Also da braucht man sich nichts vormachen. Und dementsprechend haben da Frauen auch, auch nichts verloren (L 223– 233). Lisa unterscheidet hier zwei Arten von Frauen und unterstreicht die bei vielen von ihnen nicht gleichermaßen wie bei Männern vorhandene körperliche Kraft. Anderen Frauen, die mehr körperliche Kraft besitzen, schreibt Lisa zu, sie selbst hat ihnen auch nichts entgegenzusetzen und wäre ihnen unterlegen. Der Ausschluss qua Geschlecht und qua fehlender körperlicher Stärke wird in etlichen Sequenzen des Datenmaterials hervorgehoben: Also ich versteht nicht, was die Frauen da sollen (K 518). Deshalb mache es keinen Sinn, also für mich macht das echt keinen Sinn da die Freundinnen oder die Frauen mitzunehmen (K 668 f.). Aber alles in allem in der Gruppe ist es schon so, dass Frauen da nichts, nichts zu suchen haben eigentlich und dementspre­ chend auch ja gewertet werden sag ich jetzt mal abgewertet. Ja, so ist es. Ja, recht starkes Macho-Verhalten (M 317–319). Lisa wollte bei körperlichen Auseinandersetzungen nicht dabei sein, u.a. weil sie selbst weiblich ist und die anderen Mitglieder von Lars und Ronjas Gruppe das nicht gewollt hätten: Das hätte ich nicht gewollt und das hätten die Männer auch nicht gewollt, weil da haben dann wirklich Frauen mal absolut gar nichts zu suchen, außer die eine, von der wir vorhin schon mal geredet haben, die […] dabei war, aber ansonsten da haben Frauen, auch haben Frauen auch definitiv auch nichts zu suchen (L 218–222). Obwohl es die wohl herrschende szeneinterne Ansicht ist, die von den Interviewten reproduziert wird, Frauen [haben] dort nichts zu suchen oder dort nichts verloren, gibt es trotzdem die mit einem Sonderstatus ausgestat­ teten, weiblichen Gewaltausübenden. Ronja hat es deswegen nicht immer leicht (R 176 f.) und kämpft nicht nur im wörtlichen Sinn unter Nutzung ihrer körperlichen Kräfte und unter Zuhilfenahme von Gegenständen. Sie kämpft auch im übertragenen Sinn mit anderen Szenemitgliedern, um ihre eigene Akzeptanz, wehrt sich gegen das Belächeltwerden und den

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

wiederkehrenden Fragen ‚Was willst du eigentlich hier?‘ (R 178–179). Ronjas Sonderstatus als weibliches Gruppenmitglied hat einen Ausnahmecharak­ ter, der sich abweichend zu den eigentlich in der Szene vorherrschenden Einstellungen zur Anwesenheit von Frauen bei körperlichen Auseinander­ setzungen verhält. Dies nehmen sowohl Lisa als auch Ronja selbst wahr. Die Definitionsmacht über die Anwesenheit haben die männlichen Mit­ glieder, da sie Ronja den Sonderstatus verleihen. Gleichzeitig teilen auch vollständig Ausgeschlossenen wie Lisa diese Ansicht. Damit ist die diesbe­ zügliche szeneinterne Einstellung über die Paarbeziehung vermittelt und wird von den vollständig Ausgeschlossenen angenommen. Die Ansicht, Frauen [haben] nichts zu sagen, basiert auch auf dem ihnen zugeschriebenen Unvermögen, die szeneinternen Normen, Werte und Einstellungen zu verstehen oder verstehen zu können. Neben der be- und zugeschriebenen körperlichen Überlegenheit gibt es noch andere Ansichten der Interviewten und der sie umgebenden Szene, die die Überlegenheit männlicher über weibliche Personen beinhalten. Es wird erlebt, Männer sind gegenüber Frauen dominanter und machen [ihnen] Vorschriften (T 250 f.), z.B. hinsichtlich des adäquaten Konsums von Alkohol (T 251). Tina beschreibt eine Situation, [in der] gabs fast einen Streit, weil er gemeint hat, ja ich wäre eine Frau und er lässt sich ja doch von mir nichts sagen (T 291 f.). Tina führt zu Conrads Ansichten weiter aus: [die] Frau [ist das] Heimchen am Herd und ja, kriegt dann mal die Kinder, soll sich um die Kinder kümmern und der Mann geht weg und hat Spaß und Frau sitzt daheim (T 345–347). Max ergänzt diese Ansicht um das Kochen (M 285), was ein traditionelles Geschlechterrollenbild verdeutlicht, ihnen den Platz zu Hause bei den Kindern zuweist und Männern den Platz außerhalb des Hauses, der mit Spaß verbunden ist.1816 [U]nd dann bist du auch immer so klein gemacht worden und ja ich bin die kleine dumme Frau und wenn ich dann doch mal was anderes gesagt hab oder ich ihn irgendwie mal verbessert hab (T 361–363) zeigt, wie Conrad andere Ansichten abwertet und auf seiner intellektuellen Überlegenheit beharrt. Ronja benennt die innerhalb der Hooligan-Szene wahrgenommene Frauenfeindlichkeit und den Sexismus explizit als solche: Ja, grundsätzlich Umgang mit Minderheiten ja das ist immer ein Thema, in einer Gruppierung, die sexistisch ist, frauenfeindlich ist und minderheitenfeindlich ist, weil sie [die Hooligans, Anm. d. Verf.] selber denken, sie sind die geilsten (R 1349–1351) und also da herrscht Sexismus schlechthin (R 221 f.). Frauen erfahren wenig Anerkennung, was nicht nur in den unterschiedlichen szeneinternen Be­ 1816 Vgl. zu den homologen Gegensätzen B. IV. 2. a) aa).

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III. Auswertung der Interviews

zeichnungen für sie1817 zum Ausdruck kommt, sondern auch darin, wie auf sie im Falle ihrer Anwesenheit und auf die von ihnen begleiteten Männer reagiert wird: Ey schau mal, der hat schon wieder seine Perle dabei (K 672 f.). Über die und zulasten der begleiteten Männer wird sich lustig gemacht. Es scheint als schwach zu gelten, sich mit seiner Freundin als Begleitung zu zeigen. Max konstatiert: im Prinzip [wird] dem Ganzen [Frauen, Anm. d. Verf.] so wenig Achtung entgegen[gebracht] und [ist] mehr so als Objekt zu sehen, was halt dann wie ein Buch, ja jetzt hab ich es ausgelesen, jetzt kannst du es lesen (M 340–342). Dies liegt Max zufolge daran, wodurch manche Frauen mit den Mitgliedern der Hooligan-Szene in Kontakt kommen: das ist oft auch die Sache mit Drogen, dass sie quasi ja das halt der ein oder andere dealt mit denen und da so ein bisschen zustande kommt. Und die ja auch immer so ihre eigenen Stammkneipen haben und da auch immer viel über die Bühne geht, da kommen sie da auch indirekt rein, ich sag mal so, ich weiß von dem ein oder anderen der eben der Preis jetzt nicht für irgendwelche Drogen nicht in, nicht in Euro ausgedrückt wird (M 332–337). Max deutet das szeneinterne Stereotyp der sexuellen Verfügbarkeit1818 weiblicher Personen an: Wenn sie, wie in Max Beispiel, die Drogen nicht mit Geld bezahlen können, wird der eigene Körper dafür eingesetzt. Aufgrund der (gefühlten) Überlegenheit gegenüber Frauen sehen sie sich auch vielfältigen Beleidigungen ausgesetzt, die die Kundgabe der Missachtung gegenüber Ronja und Tina beinhalten (R 233 ff., 264 ff., 785; T 353 f.). Auch ist das Streben der Hooligans nach alleinigem „Besitz“ der (wechselnden) Freundinnen erkennbar. Die bestehende Eifersucht in­ tensiviert sich mitunter durch den Konsum von Alkohol, der gleich eines Katalysators wirkt und befeuert: Und wenn sie dann auch mal angegraben wurde, hatte ich mich oft nicht im Griff. Hauptproblem ist bei mir und sehr vielen anderen Jungs der Alkoholkonsum (F 1302–1304). Tina wurde von Conrad nicht mehr aus den Augen gelassen (T 263); sie fühlte sich von ihm besessen, eingeengt und bedroht.1819 Insbesondere aus Max Perspektive können Geschlechterrollenbilder in­ nerhalb der Hooligan-Szene und in szeneexternen Kontexten voneinander abweichen. Zugleich stellt er ein differenziertes, heterogenes Geschlechter­ rollenbild innerhalb der Hooligan-Gruppe, mit der er im Kontakt stand, fest. Das nachfolgende Zitat illustriert diesen auf den ersten Blick wider­

1817 Vgl. ausführlich E. III. 2. b) hh) aaa). 1818 Vgl. etwa C. IV. 2. a) bb), b) aa). 1819 Vgl. hierzu auch E. III. 2. b) hh) ccc) dddd).

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

sprüchlich erscheinenden Befund: [w]as ich erkennen konnte war auf jeden Fall, dass es in der Gruppe das Frauenbild ja teilweise abwertend war, teilweise ja sehr wenig Anerkennung Frauen gegenüber gebracht wurde dann auch. Ja, ein bisschen so dieses Konservative, Frau zu Hause, kochen, Kinder. Ja, und der Mann geht raus zum Fußball und ein bisschen so da noch dieses sie sind der Mann, der starke und das war, was sie schon auch immer so nach außen proji­ ziert haben, dass sie sich sehr männlich fühlen. [unverständlich] und da Frauen einfach nicht so den Platz haben (M 282–289). Für szeneexterne Situationen konstatiert Max: Und was ich erlebt hab und für mich auch amüsant war, war einfach, dass sie außerhalb der Gruppe im Prinzip teilweise das komplette Gegenteil sind und eher ja wie soll man sagen, fast unter dem Pantoffel stehen und ja und da eigentlich sehr, sehr, sehr verschiedene Ansichten hatten und eigentlich sehr oft sehr liebevoll Ehemänner, Familienväter sind und auch sehr rücksichtsvoll und ja im Haushalt sehr viel machen. Also alles was in der Gruppe natürlich nicht erzählt wird. Und, und ja auf Respekt stößt. Also es ist definitiv ein anderes Bild, es wird außerhalb der Gruppe glaub ich schon dieses ganze sag ich mal Emanzipation und sonst was ja als völlig selbstverständlich und auch als gut angesehen. Also es sind auch einige dabei von denen ich weiß, dass die Frauen ja bessere Jobs haben als die Männer und mehr verdienen oder sonst irgendwas, was ja was eigentlich außerhalb für sie kein Problem für sie darstellt. Innerhalb der Gruppe kommt es natürlich nicht ja so, so offen zur Sprache unter einigen klar, die eine sehr enge Beziehung haben, aber es ist jetzt kein, kein Thema für alle und in der Gruppe wird halt schon wie sie da unterwegs sind dieses, dieses typische Verhalten gezeigt quasi der Mann als, als dominante starke Person und, und ja überhaupt der Mensch, der der Ernährer und Versorger der Familie und ja. Und, und auch so dieses ja die Frau hat quasi bei mir nichts zu sagen. Als das ist schon so, wenn sie die Gruppe verlassen, dann kann schon sein, dass erst mal Staub wischen oder so angesagt ist. Ja, kann durchaus sein (M 289–306). Zur Anwesenheit weiblicher Personen im Stadion führt Max aus: Aber es ist, es ist auch also mittlerweile ist es schon so, dass, dass allgemein Frauen im Stadion und als Fans schon akzeptiert werden. Aber grad bei Älteren in der Gruppe hat man schon gemerkt, die gehören da nicht hin. Die, das noch ein bisschen so vertreten also die […] ja, schon, es schon, es ist so ein bisschen sie dringt dadurch in so eine Männerdomäne ein. Das ist so dieser Fußball, dieser Männersport. Ja, das das empfinden schon also die Älteren als, als störend und ein bisschen so ja als würde dadurch ihre Position geschwächt werden. Oder ihr vielleicht auch so ihr Reich der Fußball und das Ganze das Stadion und das ganze Drumherum Fan- und Hooligan-Sein ja gefährdet. dass es so ja kein, kein geschlossenes Männer keine geschlossene Männerwelt mehr ist (M 306–315). In dieser Sequenz skizziert Max Dichotomien und er stellt

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III. Auswertung der Interviews

differenziert dar, es bestehen den (männlichen) Hooligans vorbehaltene Sphären und solche Sphären, die Frauen zugeschrieben werden. Max zählt Attribute, Räume und Bereiche auf, die Männern das Gefährliche und Außerhäusige (Fußball, Hooliganismus) ermöglichen und sie als aktive Menschen kennzeichnen. Frauen werden Räume, Bereiche und Attribute zugeschrieben, die sich im Innerhäusigen zutragen, z.B. die Erziehung der Kinder oder das Verantwortlichsein für den Haushalt, und vergleichsweise von Passivität gekennzeichnet sind. Diese von Max geschilderte und als natürliche Ordnung der Bereiche in männliche und weibliche Sphären anmutende Einteilung in szeneinternen und -externen Kontexten i.S.d. homologen Gegensätzen1820 relativiert er selbst im Laufe der Erzählung: Ja, aber verändert sich glaub ich was ich so erlebt hab. Dass schon ein bisschen mehr Akzeptanz kommt und ja. Aber alles in allem in der Gruppe ist es schon so, dass Frauen da nichts, nichts zu suchen haben eigentlich und dementsprechend auch ja gewertet werden sag ich jetzt mal, abgewertet. Ja, so ist es. Ja, recht starkes Macho-Verhalten. Aber, aber außerhalb eben, eben gar nicht. Also die, ich mein, teils teils, ist klar, es gibt auch solche, die es auch sind (M 315–320). Auf den ersten Blick erscheint diese Relativierung zwar widersprüchlich. Jedoch kann es als ein Hinweis darauf gesehen werden, szeneintern und -extern gibt es je unterschiedliche Ansichten zu den Rollen und zugeschriebenen Geschlechterrollenbildern der partnerschaftlich Verbundenen und Hooligans, je unabhängig ihres Geschlechts. Mithin rekonstruiert Max die aus seiner Sicht hierzu szenein­ tern bestehenden heterogenen Einstellungen und Ansichten. eee) Ansichten zu (weiteren) Minderheiten und politische Einstellungen Die szeneinternen, minderheitenabwertenden Einstellungen richten sich nicht nur gegen Frauen, die dort ja eine minderheitliche Personengrup­ pe sind, sondern auch gegen „marginalisierte Männlichkeiten“.1821 Den Interviewten zufolge existieren innerhalb der Hooligan-Szene feindliche und stereotype Ansichten hinsichtlich Homosexuellen. Frank erzählt z.B.: [I]n einem Park, wo bekannt war, dass Schwule sich trafen. Dann diese Schlüs­ selspielchen hieß sowas. Sprich die haben sich immer gesucht, indem sie mit den Schlüsseln, so das wurde dann auch gemacht und die wurden dann auch aufgeklatscht sowas (F 1432–1435). Ronja erklärt diese Einstellung folgen­ 1820 Vgl. B. IV. 2. a) aa). 1821 Vgl. B. IV. 2. a) cc).

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

dermaßen: Hooligans [sind] wie gesagt männlich, haben die natürlich da auch ihr Machobild im Kopf und da sind Schwule und Lesben in der Szene doch eher realitätsfremd (R 1305 f.). Die denken, jeder Schwule trägt rosa und wedelt mit dem Taschentuch und alle Lesben sehen geil aus (R 1307 f.). Homosexuelle scheinen weder akzeptiert noch toleriert zu werden. Dies führt zu der Fra­ ge, ob es möglich und vorstellbar ist, als Homosexueller Teil der HooliganSzene zu sein: nein, den gibt es nicht. Nein, nein, den gab es nicht, ich wüsste auch nicht, was die da zu suchen hätten, nein, nein, die gab es da nicht (F 1099–1101). Neben der Vehemenz, die durch die fünfmalige Verwendung des Wortes nein sichtbar ist, ist die Formulierung wüsste nicht, was die da zu suchen hätten auffällig, denn sie erinnert an die Äußerung hinsichtlich der räumlichen Kopräsenz von Frauen während körperlicher Auseinanderset­ zungen: Auch sie [haben] dort nichts zu suchen oder dort nichts verloren.1822 Es scheint, als würde diese Wortfolge bedeuten, ein Ausschluss von Perso­ nen geschieht nicht nur qua biologischen Geschlechts, sondern auch qua (zugeschriebener) sexueller Orientierung. Ronja zufolge [sind] die meisten Männer ja grundsätzlich total schwulen­ feindlich, auch wenn sie behaupten es nicht zu sein. Ja, Lesben keine Ahnung. Die Männer stellen sich ja Lesben immer so als eine Art heiße Porno-Schnecken vor, die meisten sind ja eher so mit kurzen Haaren und die du eher für einen Kerl als für eine Frau halten würdest, rein optisch. Das ist in den Männerköpfen noch nicht so angekommen (R 1288–1292). Innerhalb der Szene sind keine unterwegs, weil jetzt mal ganz ehrlich, weil ich kann mir keinen Schwulen beim Fußball vorstellen (R 1293 f.). Es scheint als ist die Vorstellung, eine homosexuelle Person in der Hooligan-Szene aufzunehmen, unvereinbar mit der männlich konnotierten Sportart Fußball1823 und mit der Hooli­ gan-Szene, den dort vorherrschenden Grundeinstellungen1824 und szenein­ ternen Einstellungen, die in Richtung tradierter Geschlechterrollenbilder und damit verbundener Stärke, Überlegenheit und Machismo weisen.1825 Nichtsdestotrotz erscheint die Möglichkeit nicht vollständig ausgeschlos­ sen, szeneintern auch Personen anzutreffen, die aufgrund der Kenntnis der szeneinternen Stereotype und Vorurteilen hierzu, ihre sexuelle Orien­ tierung nicht innerhalb der Szene preis geben und Mitglied sind. Weitere gesellschaftliche Minderheiten, zu denen sich die Interviewten äußern, sind Migranten, Punks und Anhänger der Antifa. Dabei differen-

1822 1823 1824 1825

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Vgl. bereits E. III. 2. b) gg) ddd). Siehe zum Fußball als männlich konnotiertem Sport: C. V. Vgl. E. III. 2. b) gg) bbb). Vgl. E. III. 2. b) gg) bbb); C. V.; B. I., IV. 1., 2.

III. Auswertung der Interviews

zieren sie zwischen ihren eigenen (politischen) Einstellungen und den szeneinternen, gruppenbezogenen (politischen) Einstellungen. Zu allen Minderheiten wurden entsprechende und als solche auch benannte Feind­ bilder1826 gezeichnet: Ich war da nicht grund also grundlos irgendwie prügeln, sondern [habe] da schon so ein klares Feindbild (F 189 f.); [d]er Gegner, Feind (F 194).1827 Frank positioniert seine politische Einstellung folgendermaßen:1828 Eine rechte Gesinnung hatte ich schon immer, die hat sich bei mir recht früh ent­ wickelt. Ich bin kein Nazi. Auch die Jungs, mit denen ich früher zusammen war, wir sind, ich bin Nationalist, Patriot, aber ich bin kein Nazi (F 132–135) und [a]lso, ich seh mich nach wie vor also ich bin rechtsgerichtet, aber ich bin kein Nazi, kein Neonazi, kein Faschist, also da trenn ich ganz deutlich (F 139–141). Da Frank, bevor er in die Hooligan-Szene wechselte, der Glatzen-Szene angehörte,1829 hatte er selbst Feindbilder: Das hatte ich als Glatze. Und das kann man natürlich schön […] fortführen als Hooligan (F 193). Auch Franks Hooligan-Gruppe hatte diese Einstellung. Insofern kam es, zumindest was die politische Einstellung anbetraf, nicht zu Differenzen oder Streitigkei­ ten innerhalb der Gruppe.1830 Lisa nimmt keine politische Orientierung in der Gruppe von Lars und Ronja wahr (L 313). Aufgrund des nur partnervermittelten Kontakts könn­ te sie womöglich aber auch nur nicht derartige Einblicke in die politischen Einstellungen erlangt haben. Zum anderen könnte sie trotz der ansonsten offenen, vertrauensvollen Gesprächssituation Hemmungen gehabt haben, eine politische Einstellung zu „attestieren“, da sie keine negativen Kon­ sequenzen für die Gruppe evozieren wollte. Ronja zeichnet sowohl hin­ sichtlich der szeneinternen politischen Einstellung bezüglich Migranten als auch gegenüber Mitgliedern im politisch links anzusiedelnden Lager und Mitgliedern der Antifa ein anderes und, im Gegensatz zu Lisa, kein 1826 Nicht nur im Kontext von minderheitenfeindlichen Einstellungen wurde Feind genutzt, auch bei körperlichen Auseinandersetzungen mit gegnerischen Hooligan-Gruppen oder mit der Polizei: Also du du bist dann quasi in zwei Feindeslager aufgeteilt (T 664) (Hooligan-Gruppen); du siehst einfach nur den Feind in dem Sinne (R 1245) (Polizei); Und dann wurden ja praktisch [nennt Ortsname in Norddeutschland] und [nennt Ortsname in Westdeutschland] unsere Feinde (R 280 f.) (Hooligan-Gruppen); Für mich sind Krawalle Fanfeindkontakt (F 620) (Hooligan-Gruppen). 1827 Bei beiden vorstehenden Zitaten werden Punks als Feindbild gemeint. 1828 Vgl. auch schon E. III. 2. a). 1829 Vgl. E. III. 2. a). 1830 Zu divergierenden Ansichten Franks und seiner Gruppe und deren Anführer vgl. E. III. 2. c) bb).

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

politisch neutrales Bild: Wenn du [nennt Name ihrer Hooligan-Gruppe, Anm. d. Verf.] irgendwo hindrängen willst, dann drängen sie eher nach rechts als nach links. Links ist ein no go. Es ist immer so die Frage, was hinter manch rassistischem Spruch oder Gesang steckt, meistens nicht viel. Grundsätzlich sage ich von mir aus kann auch einer ein ekelhafter Nazi sein und eine ganz krasse Einstellung haben, wenn er die für sich in seinem stillen Kämmerlein auslebt. Ich bin so tolerant, es kann jeder machen, was er will. Er soll nur keine ande­ ren Leute missionieren (R 1038–1044). Ronja verortet somit ihre HooliganGruppe eher im politisch rechten Lager, das sich ausdrücklich gegen links­ orientierte Ansichten und Menschen wendet. Ronja differenziert allerdings zwischen ihrer eigenen Einstellung und derjenigen, die sie gruppenintern als vorherrschend wahrnimmt; sie unterstreicht, diese Ansichten nicht zu befürworten. Ronja verdeutlicht durch die Verwendung von ekelhafter Nazi (R 1042) ihre zwar grundsätzliche Distanzierung von derartigen Einstel­ lungen. Jedoch steht sie anderen Menschen nicht verurteilend gegenüber, solange dies ohne Missionieren geschieht und sie nicht versuchen, andere, und sie im Speziellen, zu überzeugen (wenn er die für sich in seinem stillen Kämmerlein auslebt. […] Er soll nur keine anderen Leute missionieren, R 1043–1044). Die Toleranz, die Ronja für sich selbst proklamiert, zeigt ein nicht aktives Eintreten gegen solche geäußerten Ansichten. Rassistische Gesänge sind Ronja zufolge nicht immer Ausdruck einer möglicherweise dahinterliegenden politischen Gesinnung, sondern sind aus ihrer Sicht un­ reflektierte Wiederholungen oder Nachahmungen: Es ist immer so die Frage, was hinter manch rassistischem Spruch oder Gesang steckt, meistens nicht viel (R 1040 f.). Diese Äußerungen könnten sich möglicherweise aus gruppendy­ namischen Effekten oder dem Wunsch nach Anerkennung in der Gruppe gründen. Zudem ist Ronja der Ansicht, Politik, unabhängig davon, ob sie im linken oder rechten Spektrum zu verorten ist, hat nichts im Stadion zu suchen: Und im Prinzip wurde [nennt Name einer linken Ultragruppierung in ihrer Stadt] aus dem Stadion geprügelt und auch alle anderen haben sich ir­ gendwann gegen die ausgesprochen, weil sie einfach Politik ins Stadion gebracht haben (R 1047–1050). Max unterstützt die Ansicht, politische Einstellungen sollen nicht in die Gruppe getragen werden: wenn jetzt jemand, sag ich mal von der politi­ schen Einstellung her so ist, dass er das mit in die Gruppe tragen will, dann empfinden sie das als störend und ja und sehen das dann so, dass da eventuell irgendwie Schwierigkeiten entstehen könnten, dass der quasi ja dann dann gegen die Gruppe arbeiten könnte aufgrund seiner Einstellungen (M 161–164). Ronja attestiert der gesamten Fußballfanlandschaft in diesem Zusammenhang, jeder [wird] toleriert, bei uns gibt es so viele unterschiedliche Fanclubs, jeder wird

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III. Auswertung der Interviews

toleriert und keiner geht den anderen an. Und es ist eigentlich eher ein miteinan­ der. Die Szene ist relativ bunt, außer jetzt eben links (R 1088–1091). Dabei lässt sich vermuten, es handelt sich bei den genannten Einstellungen, die nicht durch einzelne Gruppenmitglieder in die Gruppe transportiert wer­ den sollen, um solche, die von der sonst gruppenintern vorherrschenden politischen Einstellung abweichen. Solche Einstellungen sollen wohl nicht geäußert werden, um den gruppeninternen Frieden nicht zu gefährden und um nicht spaltend zu wirken. Demgegenüber wirken Einstellungen, die szene- und gruppenintern gemeinschaftlich geteilt werden, nicht stö­ rend und werden dort gemeinsam gelebt. Es ist somit ein Ausschluss von Personen qua gegenteilig geäußerter und gelebter politischer Einstellun­ gen erkennbar. Kais Hooligan-Gruppe pflegte Verbindungen zu einer Kameradschaft […] mit rechtem Hintergrund und da hab ich halt ein großes Problem mit (K 150– 152). Er selbst bezeichnet sich als langjährigen Wähler der SPD, der jedoch mittlerweile seit einigen Jahren mit der CDU sympathisiert und nun von sich selbst sagt: Ich bin absoluter Angela Merkel-Freund (K 552 f.) und finde es großartig, großartig was Angela Merkel leistet (K 554 f.). Darüber hinaus erklärt Kai, seine Gruppe hatte auch Kontakte zu [den] Sturmtruppen in [nennt Ortsname in Westdeutschland] […] Und das war glaub ich, die waren, wenn du mich da auch grad so fragst, jedenfalls ein Hauptgrund, warum das halt warum ich da ich da mit denen überhaupt gar keinen Kontakt mehr hab (K 155–159). Die Verbindungen zu Gruppierungen, die aus Kais Sicht rechts­ extrem sind, waren für ihn damals Gründe, sich von der Hooligan-Szene schrittweise zu entfernen. Die politischen Einstellungen seiner Gruppe und derer, mit denen sie Verbindungen pflegten, differieren stark von Kais Ansicht. Diese unterschiedlichen Denkrichtungen verunmöglichen es ihm, weiterhin Teil davon zu sein. Er selbst beschließt seinen eigenen Ausstieg qua unterschiedlicher politischer Einstellungen. Auch innerhalb der Gruppe, zu der Tina einen partnervermittelten Kon­ takt hat, finden sich Einstellungen, die aus ihrer Sicht in eine politische Richtung weisen: auch schon ins rechtsradikale (T 95), rechte Gesinnung (T 504) oder Tendenz zum Rechten (T 285). Aus Tinas Perspektive äußert sich das wie folgt: wenn jetzt zum Beispiel ein farbiger Spieler mit dem Trikot der anderen Mannschaft vorbeigegangen ist, dann ist er natürlich auch schon mal nett bepöbelt worden oder bedroht worden und ja so von wegen ‚Die Nigger-Schweine haben nichts in unserer Kneipe zu suchen‘ (T 96–99). Und er hatte auch so nette Schals gehabt, von […] A–C–A–B1831 […] aber er hat 1831 Das Akronym A.C.A.B. steht für All Cops are Bastards.

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

mir gesagt, man muss das deutsch aussprechen, weil er hat A–C–A–B. […] Doch schon, aber er ist ja Deutscher und da wird das dann auch deutsch ausgesprochen (T 99–103). Und dann hat er mir auch noch erzählt, wie er früher auch noch immer auf die Nationalmannschaftsspiele gefahren ist. Und sich danach auch noch getroffen hat oder davor und fand das dann halt auch lus­ tig, die gegnerischen Mannschaften auszupfeifen und sich mit den gegnerischen Fans dann halt zu prügeln. Weil das ja auch alles Ausländer waren (T 135– 139). Zudem ist Conrads und die Ansicht der Gruppe die Ausländer, die kommen da hin und nehmen uns die Arbeitsplätze weg (T 294 f.). Tina steht diesen Einstellungen kritisch gegenüber und äußert dies auch gegenüber Conrad und der Gruppe, was folgende Reaktion hervorruft: Ich soll meinen Mund halten, ich hab ja eh keine Ahnung (T 287 f.) und ich wäre eine Frau und er lässt sich ja doch von mir nichts sagen (T 292). Es folgen etliche solcher Situationen, die in Streit münden (T 291, 465). Diskussionen und Überzeugungsversuche Tinas, die diese Einstellung einfach total scheiße (T 298) oder total dämlich (T 290) findet, schlagen fehl. Zur Gruppenansicht abweichende politische Einstellungen werden dort nicht akzeptiert. Tina wird die Fähigkeit, diese Einstellungen verstehen oder nachvollziehen und dementsprechend handeln zu können, abgesprochen. Zudem erfolgt ein Verweis auf Tinas Geschlecht, weshalb ihrer Ansicht keine Beachtung geschenkt werden kann und sie unmaßgeblich ist. Auch hierin können tradierte Geschlechterrollenbilder erkannt werden. Es stellt sich die Frage, ob es innerhalb der Hooligan-Szene Perso­ nen mit unterschiedlichen Migrationshintergründen gibt. Bejahendenfalls schließt sich die Frage an, wie diese Personen von den Interviewten gesehen und wie deren szeneinternes Verhalten, auch angesichts der ei­ genen sowie szeneinternen politischen Einstellungen, bewertet werden. Innerhalb der Hooligan-Szene existieren auch Gruppen mit migrantischen Mitgliedern: dann Ausländer dabei und ja gut, das gibt es immer mal wieder […] da war doch da, da war doch ein Türke glaub ich dabei. Der auch hatten die nicht auch eine Kneipe dabei, in der sie sich immer trafen. Oder war es ein Grieche? […] Ja, auf jeden Fall kein irgendwas undeutsches halt (F 948–952). Wenn Migranten bei szeneinternen körperlichen Auseinandersetzungen anwesend sind, ist den Interviewten zufolge der Ehrenkodex1832 außer Kraft gesetzt, denn sie stellen den nicht abgesprochenen Einsatz von Mes­ sern fest: [M]it Ausländern sowas, die bei uns sehr häufig sind und wenn du dann mal ein Messer am Hals hast oder sowas, dann kann ich da auch zugeben, dass mir da richtig der Stift ging (F 1351–1353) und ja, wusstest du früher, 1832 Vgl. C. III. 2.

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III. Auswertung der Interviews

es hat irgendwo geknallt, da war ein Messer im Einsatz, dann wusstest du, da waren Türken mit bei (R 1321 f.). Der Vorwurf, sich nicht an den Ehrenko­ dex zu halten, und Messer direkt gegen die Körper einzusetzen, zieht aus Franks Sicht Angst nach sich (dann kann ich da auch zugeben, dass mir da richtig der Stift ging, F 1351–1353) und transportiert, mit diesen Gegnern ist aus seiner Sicht kein fairer Kampf möglich. Den Ausschluss von den körperlichen Auseinandersetzungen qua Herkunft, auch um einen fairen, regelkonformen Kampf zu ermöglichen, befürworten Ronja und Frank. fff) Zwischenfazit Die szeneinternen Einstellungen und Besonderheiten der Hooligan-Szene konnten aus Sicht der Interviewten nachgezeichnet und dabei verschie­ dene Kategorien gebildet werden: Die hierarchische Struktur, die Grund­ einstellungen, der Einsatz finanzieller Ressourcen, Machismo und damit im Zusammenhang stehende gewaltbefürwortende und -legitimierende Männlichkeitsnormen und entsprechende Geschlechterrollenbilder sowie politische Einstellungen zu gesamtgesellschaftlichen und szeneinternen Minderheiten. Diesen Dimensionen ist, positiv formuliert, gemeinsam, die Anforderungen und Einstellungen der Interviewten über die von ih­ nen erlebte Hooligan-Szene aufzuzeigen und die dort befindlichen Mit­ glieder und deren Ansichten zu charakterisieren. Oder, anders gewendet: Diese Dimensionen beschreiben Ausschlussmechanismen, weshalb Perso­ nen aus unterschiedlichen Gründen ausgeschlossen werden, in die Hoo­ ligan-Szene einzusteigen oder darin zu verweilen. Die Ausschlussmecha­ nismen setzen auf unterschiedlichen Ebenen bei der jeweiligen Person an. Der Ausschluss, sowohl aus der Szene von Anfang an als auch nach erfolgtem Einstieg, kann qua biologischen Geschlechts erfolgen. Da dies den Kern der Forschungsfragen betrifft, widmet sich der nachfolgende Unterabschnitt1833 den weiblichen Personen und den (zugeschriebenen) Geschlechterrollenbildern in der Hooligan-Szene. Die Ausschlüsse können sich auch in der Sexualität oder sexuellen Orientierung der Person gründen. Mit dem Ausschluss qua biologischen Geschlechts und qua Sexualität oder sexueller Orientierung eng verbun­ den ist der Ausschluss qua fehlender körperlicher Stärke bzw. vermuteter fehlender körperlicher Durchsetzungsfähigkeit und Kampffähigkeit. Dies wird auch Personen des anderen – weiblichen – Geschlechts, teilweise 1833 Vgl. E. III. 2. b) hh).

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

unreflektiert, teilweise aufgrund vorherrschender gewaltlegitimierender und -befürwortender Männlichkeitsbilder, Männlichkeitsnormen und tra­ dierter Geschlechterrollenbilder, lediglich zugeschrieben, ohne Ansehung der individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten. Erkennbar ist auch der Ausschluss qua fehlender (zugeschriebener) Grundeinstellungen. Weitere Ausschlüsse sind solche qua fehlender finanzieller Ressourcen, da sie für die Phase der Teilnahme unumgängliche Voraussetzungen sind. Auch zeigen sich Ausschlüsse qua gegenteilig geäußerter und gelebter poli­ tischer Einstellungen. Diese können nach erfolgtem Einstieg zum Tragen kommen und bis zum Selbstausschluss bzw. Ausstieg reichen. Ein weiterer Ausschlussgrund bezieht sich auf die ethnische Herkunft, verbunden mit der Ansicht, Hooligans anderer ethnischer Herkunft beachten die Regeln des fairen fights nicht durchgängig und somit finden keine regelkonformen körperlichen Auseinandersetzungen statt, die der gegenseitigen Anerken­ nung dienen und zur Ehre gereichen können. Die beschriebenen Ausschlussmechanismen sind nicht durchgängig bei allen Interviewten vorhanden. Dass die Ausschlüsse qua gefundener unter­ schiedlicher Dimensionen auch durchlässig sind und es dennoch szenein­ tern Personen gibt, die die beschriebenen Ausschlusseigenschaften (biolo­ gisches Geschlecht, Sexualität bzw. sexuelle Orientierung, körperliche Stär­ ke, finanzielle Ressourcen, politische Einstellungen, ethnische Herkunft) aufweisen, liegt an der Definitionsmacht der Mitglieder der jeweiligen Gruppe. Verleihen sie qua ihrer Definitionsmacht einer Person einen Son­ derstatus, gelingt der Einstieg in die Hooligan-Szene und das Verweilen darin auch Personen, die grundsätzlich die Dimension aufweisen, die zu einem grundsätzlichen Ausschluss führen würden. Somit obliegen die Zu­ sammensetzung der jeweiligen Hooligan-Gruppe und die Verleihung eines Sonderstatus denjenigen Personen innerhalb der Gruppe, die sie anführen und von denen sie unterstützt werden. Besonders auffällig ist Ronjas Be­ schreibung der Hooligan-Szene als sexistisch, frauenfeindlich und minderhei­ tenfeindlich (R 1350). Sie ist somit einer Gruppierung zugehörig, deren Grundeinstellungen sie grundsätzlich teilt und vertritt. Dennoch distanziert sie sich von szeneinternen Einstellungen hinsichtlich Frauenfeindlichkeit und Sexismus sowie der politischen Einstellung. Dieser bestehende Wider­ spruch kann auch nicht aufgelöst. Bis zu einem gewissen Grad stimmen Ronjas Werte und Grundeinstellungen mit denen der Gruppe überein, denn sonst hätte sie nicht den Sonderstatus verliehen bekommen. Der Ausschluss qua biologischen Geschlechts ist bei ihr nicht erfolgt, sondern es zeigen sich die Möglichkeiten der Durchlässigkeit bei der objektiven Zugehörigkeit.

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III. Auswertung der Interviews

hh) Weibliche Personen und (zugeschriebene) Geschlechterrollenbilder Die Arbeit widmet sich nun weiblichen Personen und den ihnen zuge­ schriebenen Geschlechterrollenbildern kontrastierend und vergleichend aus den Perspektiven der männlichen und der weiblichen Interviewten. Angesichts des oben skizzierten Ausschlusses weiblicher Personen qua bio­ logischen Geschlechts1834 wird untersucht, inwiefern sie dennoch objektiv wie subjektiv zur Hooligan-Szene zugehörig sein können. aaa) Bezeichnungen für weibliche Personen Für weibliche Personen innerhalb der Hooligan-Szene bestehen keine ein­ heitlichen Bezeichnungen. Durch die Verwendung von Anhängsel, Anhang und schmückendes Beiwerk (F 1458, 109; K 607) nehmen die männlichen Hooligans eine Marginalisierung vor, was auch die räumliche Verortung weiblicher Personen am Rande des Phänomens zeigt, z.B. beim Filmen oder Fotografieren der körperlichen Auseinandersetzungen von deren Rand aus.1835 Weiterhin nennen die Interviewten Mädel (z.B. R 682; K 708), Mädels (z.B. F 484, 491, 1495) oder Mädchen (z.B. F 1500; L 59). Die Verwendung dieser Verkleinerungsform ist in Analogie zu Jungs1836 zu sehen und verweist auf die peer group,1837 bestehend aus Personen ähnli­ chen Alters und Interessen. Die Bezeichnung Perle erfolgte wie bereits bei Polizistinnen.1838 Außerdem nutzen die Interviewten auch Hooligirl, Hooligirls (R 77, 198, 1550) bzw. Hooligangirls (F 1461). Allerdings sind die szeneinternen Bedeu­ tungen und Wertungen hierzu uneinheitlich. Frank zufolge nannten sich Frauen, die die gleichen Lokale wie die Hooligans aufsuchten, selbst Hooli­ girls. Er selbst fand sie peinlich (F 1460–1463), da sie u.a. versuchten, den Kleidungsstil der Hooligans zu imitieren. Für Ronja ist Hooligirl anders konnotiert: Für sie sind Hooligirls so Schlampen da […] die sich da einmal durch die Gruppe schlafen und sich auch Kacke benommen haben (R 334 f.) und dann schnell wieder out sind (R 199 f.). Aus Ronjas Sicht waren sie Beischlaf-Tussis (R 78). Ronja will nicht mit ihnen gleichgesetzt werden,

1834 1835 1836 1837 1838

Vgl. oben E. III. 2. b) gg) ddd), fff). Vgl. insbesondere C. IV. 2. a). Vgl. E. III. 2. b) aa). Vgl. B. III. 3. Vgl. E. III. 2. b) ff).

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

denn sie [kriegen] jedesmal einen Nervenzusammenbruch, wenn irgendwas [körperliche Auseinandersetzungen zwischen Hooligans, Anm. d. Verf.] ist (R 1170 f.). Sie handelten weder aktiv gewaltförmig noch waren sie geplant bei körperlichen Auseinandersetzungen anwesend (R 326 f.). Wenn sie überhaupt anwesend waren, dann nur im Stadion. Ronja betrachtet sie eher als Zaungäste, die nicht bei szeneinternen Treffen anwesend sein dürfen (R 328 ff.). Bei szeneinternen Treffen war sie die einzig weibliche Anwesende: [das ist] dann mein Privileg gewesen (R 332). Die Definitionsmacht über die Anwesenheit weiterer Personen obliegt den männlichen Mitgliedern und auch Ronja selbst, denn sie wollte auch nicht so Schlampen da rumlaufen haben (R 333 f.). Nach den szeneinternen Feiern waren sie darauf beschränkt, ihre Lebenspartner abzuholen (R 330). Ronja [bittet] die Verf. ausdrücklich den Begriff Hooligirl [zu vergessen] (R 1550, 1559). Eine weitere für weibliche Personen gewählte Bezeichnung ist DekoFrauen, die ebenfalls als [vorzeigefähiges] Anhängsel gesehen werden (R 299, 1182 f.). Sie sind eher die Freundinnen der Hooligans. Deko-Frauen sind ebenfalls im Stadion anzutreffen (R 299). Als weitere Bezeichnung und Charakterisierung für weibliche Personen innerhalb der Hooligan-Szene nennt Ronja die Frau Typ Kampflesbe (R 194). Sie kennzeichnet ein unattraktives äußeres Erscheinungsbild, wes­ halb sie nicht als Deko-Frauen, Anhängsel oder schmückendes Beiwerk fungie­ ren können (R 194 f.). Auch Frau[en] Typ Kampflesbe sind mitunter selbst gewalttätig. Eine Frau Typ Kampflesbe in Ronjas Erzählung [geht] eigentlich nur da hin und [benimmt] sich total assi (R 195). Die Anwendung physischer Gewalt stellt zwar eine Gemeinsamkeit mit Ronja dar, trotzdem möchte sie weder mit ihnen verglichen werden noch mit ihnen in Kontakt sein (R 197). Sie grenzt sich folglich in mehrfacher Hinsicht von anderen in der Szene befindlichen Frauen ab, selbst von anderen Gewalttätigen und nutzt als Differenzierungskriterium die körperliche Attraktivität (die aussieht wie ein Haufen Scheiße, R 194 f.). Damit unterstreicht Ronja den ihr von den männlichen Gruppenmitgliedern zugewiesenen Sonderstatus als einzige weibliche Gewalttätige innerhalb der Gruppe. Für Ronja ist der Gedanke an eine Vergemeinschaftung mit den anderen weiblichen Gewalttätigen undenkbar, gerade weil sie sich derart von ihnen abgrenzt und sich (subjektiv) von ihnen unterscheidet: Ist auch nicht so, dass wir dann da zusammengestanden hätten, nur weil wir die Frauen in der Szene sind. Auf gar keinen Fall. Man hat mit seinen Jungs dagestanden […] aber auf die Idee kommst du gar nicht, dass du dich mit denen irgendwo hinstellst, nur, weil das auch Frauen sind. Nur nach dem Motto ich geb mich gar nicht mit dir ab, du bist zwar da, ich nehm dich zur Kenntnis, Ende (R 307–313). Weder

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III. Auswertung der Interviews

das eine gemeinsam geteilte Besondere (das Geschlecht) noch das andere gemeinsam geteilte Besondere (als Frau szeneintern gewalttätig zu sein, mit entsprechendem eigenem Bild von Weiblichkeit) wirkt verbindend. Je­ de bleibt ihrer eigenen Gruppe zugehörig. bbb) Die Perspektive männlicher Interviewter Der nachfolgende Abschnitt beschreibt die Sicht der männlichen Inter­ viewten, in welchen Situationen und weshalb Frauen an- oder abwesend sind und welche Aufgaben und Rollen sie innerhalb der Hooligan-Szene einnehmen (können). Die Paarbeziehungen der Hooligans werden hin­ sichtlich der (ggf.) dort stattfindenden Gewalt analysiert. aaaa) (Keine) räumliche Kopräsenz weiblicher Personen Die vorliegenden Interviews offenbaren Einschätzungen, Zuschreibungen und Erzählungen, die die unterschiedlichen und nicht widerspruchsfrei­ en Rollen weiblicher Personen und Geschlechterrollenbilder innerhalb der Hooligan-Szene aufzeigen.1839 Im Falle einer räumlichen Kopräsenz sind weibliche Personen nur als Anhängsel praktisch als Freundin eines männlichen Hooligans bei Spielen, Touren und Lokalbesuchen zugegen (F 1458 ff.). Der Grund für ihre Anwesenheit ist Frank zufolge nicht die Liebe und Freude am Fußball, sondern er empfindet ihr Interesse als ein geheucheltes, um den jeweiligen Partnern einen Gefallen zu tun (F 1478 ff.). Frank spricht ihnen ein eigenes Interesse am Fußball ab. Gleichzeitig paral­ lelisiert er sie mit Frauen in der Skinhead-Szene: Auch dort waren Frauen, selbst […] die Hardcore-Renees1840, nur schmückendes Beiwerk (F 108 f.). Ein Mitglied von Franks Hooligan-Gruppe beauftragte seine Freundin, die körperlichen Auseinandersetzungen zu filmen und zu fotografieren, was diese auch tat (F 1483 f.). Diese Tätigkeiten entsprechen und unter­ streichen die Existenz weiblicher Personen, die die passiv gewaltverstär­ kende Rolle ausüben und widerspricht zugleich solchen Ansichten, die ihre räumliche Kopräsenz gänzlich negieren.1841 Außerdem zeigt sich dort die vom Partner i.S.d. Rollentheorie ausdrücklich formulierte Muss-(Rol­

1839 Vgl. hierzu grundsätzlich C. IV. 1840 Vgl. zu Begriff und Bedeutung von Renees B. IV. 3. b) bb) bbb) cccc). 1841 Vgl. C. IV.

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

len-)Erwartung, die die Partnerin erfüllt. Die Definitionsmacht über das Handeln liegt bei dem den Kontakt zur Szene Mittelnden. Wenn Frauen anwesend sind, besteht die Aufgabe der Gruppe darin, sie im Hintergrund zu halten, um zu verhindern, dass ihnen etwas passiert (F 1470; K 650 f.). Dieses Vorgehen und das Ziel des Schutzes der weiblichen Anwesenden vor anderen Hooligans oder der Polizei (F 1485 ff.) entspricht dem Konzept der Ritterlichkeit, das im szeneinternen Ehrenkodex nach den bisherigen Erkenntnissen „geregelt“ ist.1842 Entstehen körperliche Auseinandersetzungen bei gleichzeitig bloßer An­ wesenheit weiblicher Personen empfanden sie sie nach Franks Wahrneh­ mung als schrecklich (F 484). In solchen Situationen war ihre Anwesenheit eigentlich nicht erwünscht, sondern sie sollten schnell den Ort verlassen (F 501 ff.); sie wussten auch um diese Soll-Erwartung (F 503). Nach einer von Frank nachskizzierten Situation, in der eine körperliche Auseinander­ setzung stattfand, reagierten die weiblichen Anwesenden darauf, indem sie anfingen zu weinen (F 498 f.). Die männlichen Hooligans zurückzuhalten, und damit gewalthemmend auf sie einzuwirken,1843 kam hier nicht in Betracht (F 502). Frank zufolge erlebte er nur bei ehemalige[n] Freundinnen im Umfeld (F 1489), dass sie die Jungs von der Teilnahme an den körperli­ chen Auseinandersetzungen abhalten wollten, denn wenn sie wussten, auf was es geht oder wo man hinfährt und sie waren dann dabei, dann nein. Weil da denk ich mir, da hätten die Jungs dann auch reagiert, das hätten sie [die Frauen, Anm. d. Verf.] ein Mal gemacht, weil entweder bleibst du zu Hause oder du hältst einfach die Schnauze und hältst dich einfach zurück sowas (F 1490– 1494). Wenn Frauen bei körperlichen Auseinandersetzungen anwesend waren, erwarteten die Hooligans von ihnen, nicht einzuschreiten und sie nicht an der Teilnahme zu hindern. Die Erwartung war, nicht gewalthem­ mend zu wirken.1844 Sofern dies einmalig erfolgt wäre, hätte die so Han­ delnde nicht mehr bei darauffolgenden Auseinandersetzungen anwesend sein dürfen. Sie beeinflussen folglich selbst mit, ob sie bei körperlichen Auseinandersetzungen anwesend sind. Der Ausschluss von der räumlichen Kopräsenz kann als Sanktionierung der Hooligans gewertet werden. In­ folgedessen sind Frauen explizit aufgefordert, nicht gewalthemmend zu wirken, sollten sie weiterhin räumlich kopräsent sein wollen. Sie sollten die körperlichen Auseinandersetzungen nicht durch Wehklagen oder Ein­ schreiten verhindern, sondern sich ruhig verhalten (du hältst einfach die

1842 Vgl. C. III. 2. 1843 Vgl. C. IV. 2. a) aa). 1844 Vgl. C. IV. 2. a) aa).

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III. Auswertung der Interviews

Schnauze, F 1494). Das von ihnen erwartete Schweigen unterstreicht ein­ mal mehr: Frauen haben den Hooligans bei der Ausübung der körperli­ chen Auseinandersetzungen nichts zu sagen. Die darin innewohnende und erwartete Unterordnung verdeutlicht die Definitionsmacht der Gruppe über die Anwesenheit. Bei nicht erwartungskonformem Verhalten werden Frauen aufgefordert, zu Hause zu bleiben. Damit werden sie an szeneexter­ ne Orte verwiesen. Anders verhielt es sich beim Einschreiten der jungen Frau auf der szeneinternen Feier.1845 Ihre Aufforderung, keine Gegenstän­ de mehr zu zerstören und den Raum zu verlassen, fruchtete. Der Unter­ schied ist möglicherweise durch die Richtung der Gewalt zu erklären: Bei der szeneinternen Feier handelte es sich nicht um Gewalt gegen Personen, sondern gegen Sachen. Deswegen verwundert nicht, wenn Kai erwartet da [bei geplanten Auseinandersetzungen, Anm. d. Verf.] sind die Frauen dann schön zuhause geblieben (K 659). Damit verdeutlicht er einen Bestandteil des szeneintern vorherrschenden Geschlechterrollenbildes: Frauen bilden einen Gegenpol zur Szene.1846 Sie werden an einen außerhalb der Szene liegenden Ort verwiesen, was den homologen Gegensätzen i.S. Bourdieus entspricht.1847 Das seltene Antreffen von Frauen innerhalb der Hooligan-Szene könnte auch im Verhalten der männlichen Gruppenmitglieder begründet sein: Sie könnten sie nicht mitgenommen haben, denn es macht keinen Sinn, Frauen mitzunehmen (K 668 f.); man hätte sich um sie kümmern müssen und sie befürchteten, an der Teilnahme an den körperlichen Auseinandersetzun­ gen gehindert zu werden: Das wäre da super störend gewesen bei irgendwel­ chen Aktionen, Rennen. Das ist doch eh oft so ein Katz-und-Maus-Spiel gewesen. […] Und da wäre eine Frau, da hättest du ja ständig nach ihr kucken müssen alles (F 1564–1570). Hooligans nehmen die partnerschaftlich Verbundenen nicht mit, um deren gewalthemmendes Verhalten zu verhindern. [Mitneh­ men] impliziert etwas Passives. Frauen entscheiden nicht selbst, ob sie mit gehen wollen, sondern es wird für sie entschieden, ob sie mitgenommen werden. Sie sind somit keine aktiven Gestalterinnen. Die Definitionsmacht über die An- bzw. Abwesenheit obliegt aus Sicht der männlichen Inter­ viewten den männlichen Gruppenmitgliedern. Eine wichtige Eigenschaft, die eine bei Hooliganaktivitäten Kopräsen­ te haben muss, ist Frank zufolge die Fähigkeit, sich unterzuordnen (F 1470) und sich zurückzuhalten (F 1483): Weibliche Anwesende haben

1845 Vgl. E. II. 4. 1846 Vgl. hierzu grundsätzlich C. IV. 2. a) aa), bb), b) aa). 1847 Vgl. B. IV. 2. a) aa).

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

sich den im Feld herrschenden Regeln unterzuordnen: Mein Gott, sie als erstes Mal sie ordnen sich als erstes mal unter (F 1470). Das Unterordnen soll geschehen, ohne etwas zu hinterfragen oder zu diskutieren (F 1493). Dementsprechend ändern die Hooligans im Falle der Anwesenheit von Frauen auch nicht ihr Verhalten (F 1496 f.). Die geäußerte Begründung liegt im Hooliganismus selbst, der als Männergesellschaften, in so extremen Männergesellschaften (F 1471) gesehen wird. Frank verdeutlicht hier die Definitionsmacht der Hooligans über die Frauen. Die von Frank für sie gewählte Bezeichnung als schmückendes Beiwerk1848 zeigt ebenfalls seine Erwartung an sie, sich zurückzuhalten und unterzuordnen. Der Ausschluss von Frauen aus der als Männergesellschaft (F 1471) bezeichneten HooliganSzene beruht aus seiner Sicht auf ihrem biologischen Geschlecht. Auch die Daten und Mitteilungen anderer mit dem Phänomen befasster Personen1849 geben Hinweise hierzu: Im informellen Gespräch mit zwei SKB schilderten sie eine Situation, in der eine Freundin eines in ihren Zu­ ständigkeitsbereich fallenden Hooligans gewalthemmend wirkte.1850 Sie nahm mit den SKB Kontakt auf und gab Informationen über geplante Auseinandersetzungen zweier Gruppen weiter, die infolgedessen durch einen geplanten Polizeieinsatz verhindert wurden. Die zur Informations­ weitergabe veranlassende Motivation der jungen Frau an die SKB liegt ihnen zufolge im Bestreben, ihr gemeinsames Kind sowie ihren Freund zu schützen (Gedächtnisprot. 20 ff.). Das geschilderte Ereignis ist selbstver­ ständlich ein nicht generalisierbarer Einzelfall. Max1851 zufolge fungieren Frauen bei körperlichen Auseinandersetzun­ gen in der ihm bekannten Hooligan-Gruppe als Zuschauerinnen (M 228). Die von den „ernsten Spiele[n]“1852 zwar grundsätzlich Ausgeschlossenen nehmen durch ihre räumliche Kopräsenz folgende Funktion ein: Die Zu­ schauerinnen können die Hooligans verarzten, wenn sie sich währenddes­ sen verletzen (M 229). Sie bestätigen den kämpfenden Hooligans deren ei­ gene privilegierte Position als die die „ernsten Spiele des Wettbewerbs“1853 spielenden Männer. Sie dienen auch als Zuschauerinnen, die die gleich­ sam wie auf einer Bühne stattfindenden körperlichen Auseinandersetzun­ gen betrachten, um so den Hooligans ein vergrößertes Bild ihrer selbst

1848 1849 1850 1851 1852 1853

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Vgl. E. III. 2. b) hh) aaa). D. III. 2. b). Vgl. D. III. 2. b). Vgl. D. III. 2. b). Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203.

III. Auswertung der Interviews

zurückwerfen. Diesem vergrößerten Bild wollen sie sich angleichen. Die Zuschauerinnen stellen für die Kämpfenden eine unersetzliche Quelle der Anerkennung dar.1854 bbbb) Gewalt von und gegen weibliche Personen im szeneexternen und -internen Kontext Frank zufolge gab es szeneexterne Situationen, in denen weibliche Perso­ nen verbal angegangen oder durch körperliche Gewalt angegriffen wur­ den. Die Gruppenmitglieder gerierten sich dann als Schutzpolizist und Gentlemen und lösten die Situation verbal oder mittels Gewaltanwendung: auch hatten wir auch mal erlebt, dass irgendwelche […] dass Frauen jetzt […] irgendwie blöd angemacht wurden oder sowas, da hat man sich dann gern so als, als Schutzpolizist oder sowas aufgespielt so hier den Gentleman raushän­ gen zu lassen, aber den Gentleman, der mit, mit Gewalt oder mit der großen Schnauze oder mit der Gruppendynamik dieses Problem löst. Aber jetzt im direk­ ten Hooliganumfeld nein (F 1505–1509). Hier zeigt sich das szeneinterne Konzept der Ritterlichkeit,1855 auch wenn die Situation im szeneexternen Kontext stattfand. Derartige szeneinterne Situationen gab es Frank zufolge nicht (F 1509). Denn Vorfälle, bei denen angetrunkene Kuttenträger1856 weibliche Anwesende angepöbelt und die männlichen Hooligans sie ge­ waltsam verteidigt haben (F 1499 ff.), sind kein szeneinternes Geschehen. Bei Kuttenträger[n] hat die Gruppe kein gesteigertes Interesse zu agieren (F 1502). Zur Erklärung dient die Logik des Hooliganismus, da Kämpfe mit Kuttenträger[n] nicht der wechselseitigen Anerkennung und Steigerung der Ehre gereichen. Eine selbstständig in der Szene Befindliche ohne partnervermittelten Kontakt, die ähnlich wie ein Hooligan als Frau agiert hat, hat Frank nie kennengelernt (F 1466): Aber selbstständige Mädels, die jetzt da nicht einen Freund hatten, waren entweder fanatische Fußballfanmädels sowas aber ich hab nie eine kennengelernt, die ähnlich wie ein Hooligan als Frau agiert (F 1466– 1468). Frank ist somit der Ansicht, Frauen können aufgrund des biologi­ schen Geschlechts kein Hooligan sein und können sich ohne partnerver­ mittelten Kontakt nicht selbstständig in der Szene aufhalten. Unablässige Voraussetzung für die Anwesenheit von Frauen ist Frank zufolge ein Be­

1854 Vgl. hierzu auch B. IV. 2. a) bb), c); C. V. 3. 1855 Vgl. C. III. 2. 1856 Vgl. zu „Kutte“ schon C. II. 2.

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

zugspunkt, den nur ein männlicher Hooligan bilden kann. Zwar können Frauen Frank zufolge fanatische Fußballfanmädels, aber keine selbstständi­ gen Mitglieder einer Hooligan-Gruppe sein. Frank ist der Ansicht, das Verhalten weiblicher Personen kann nur einem Hooligan ähnlich sein, aber ihr Agieren ist nicht mit dem eines Hooligans gleichzusetzen. Damit spricht er ihnen ab, die szeneintern notwendigen Grundeinstellungen1857 aufbringen zu können. Frank stuft sie nicht als derart kampffähig und verletzungsmächtig ein, um im Kampf um wechselseitige Anerkennung und Ehre ein Rivale sein zu können: Sie haben ihm zufolge diese Ehre nicht und können sie nicht zollen.1858 Die einzigen Erlebnisse von weiblichen Gewalttätigen, die Frank im Kontext des Hooliganismus wahrnahm, ereigneten sich während des An­ stehens an Bierständen, wo sie sich gegenseitig an den Haaren zogen und Ohrfeigen gaben (F 1577 ff.). Weder Conrad noch Kai haben jemals eine weibliche Gewalttätige innerhalb der Hooligan-Szene kennengelernt (T 343). Kai fehlt auch das Vorstellungsvermögen hierfür: Ich weiß auch nicht, wie das so wie das so passieren soll. Ja ich weiß nicht, ich kann mir nicht vorstel­ len, wie, wer das [den Hooliganismus, Anm. d. Verf.] dann auch hobbymäßig macht (K 748–750). Männer können dieses [Hobby] seiner Ansicht nach ausüben (K 750). Somit ist für Kai qua biologischen Geschlechts festgelegt, wer am Hooliganismus teilhat und wer außen vor ist. Frank schließt eine eigene Gewalthandlung gegen eine hypothetisch gedachte weibliche Gewalttätige für sich selbst aus: Das finde ich eigentlich fast undenkbar […] also allein der Gedanke, dass da jetzt eine Frau bei einem Mob mitrennt auf dich los geht, ich hätte da so eine ich ich kann da nur für mich reden, es gibt da wahrscheinlich genügend Jungs, die auch in dem Fall die Frauen schlagen würden, weil sie es auch im Privatleben oder in der Beziehung machen. Aber das ist für mich absolut undenkbar (F 1510–1515). Das Ausschließen eigener Gewalthandlungen betrifft den szeneexternen Kontext des Privatlebens und den des Hooliganismus. Den Ausschluss kann er aber nicht generell für alle Hooligans erklären (F 1510 ff., 1515). In dieser Erzählsequenz zeigt sich Franks Differenzierung zwischen seinem Leben in szeneexternen und -internen Kontexten und ist sich seines je un­ terschiedlichen Verhaltens in diesen Kontexten bewusst. Seine Äußerung bezüglich einer hypothetisch gedachten weiblichen Gewaltanwendenden hat zunächst relativierenden Charakter (eigentlich fast undenkbar, F 1510 f.), anschließend wird daraus ein absolut undenkbar (F 1515). Die von Frank 1857 Vgl. E. III. 2. b) gg) bbb). 1858 Vgl. hierzu schon B. IV. 2. c); C. V.

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III. Auswertung der Interviews

gegebene Einschätzung für männliche Hooligans, die szeneintern Gewalt gegen weibliche Personen ausüben, geht für ihn mit solchen Hooligans einher, die auch in szeneexternen Kontexten Gewalt gegen sie ausüben (F 1513 ff.). An anderer Stelle wendet Frank seine Ansicht folgendermaßen: Frauen in der Hooligan-Szene, das ist für mich auch ein no go (F 106). Für Frank sind schlagende Frauen das absolut letzte (F 111) und Frauen, die sich hauen, sind für mich, ist für mich völlig asozial (F 116). Da hat eine schlagende Frau nichts verloren drin. Fand ich und find ich völlig deplatziert, völlig asozial […]. Wie gesagt, Frauen, schlagende Frauen, fand ich schon immer so, wenn man mich so nach den zehn schlimmsten Dingen fragt, die es gibt, da gehört, da gehören schlagende, keifende, prügelnde Frauen ganz sicher dazu, geht gar nicht (F 1660–1664). Weibliche Gewaltanwendende im Kontext des Hooliganis­ mus sind für Frank ein Tabu. Er empfindet derartige Verhaltensweisen als ungemessen, unangebracht und unvereinbar mit seinem Geschlechter­ rollenbild in Bezug auf weibliche Personen. Gewaltförmiges Handeln ist für Frank ein unweibliches und Männern vorbehaltenes Verhalten: Es ist für mich, eine Frau sollte eine Frau sein und bleiben (F 109 f.). Ein asoziales Verhalten stellt ein Verhalten gegen die Gesellschaft dar und widerspricht dem dort bestehenden Normen- und Wertesystem. Somit ist aus Franks Perspektive eine sich [hauende] Frau als eine sich gegen die szeneintern vor­ herrschenden zugeschriebenen Geschlechterrollenbilder Verhaltende und als Tabubruch zu werten. Frank verstärkt seine Ansicht, indem er no go und geht gar nicht verwendet. Die selbst aktiv gewaltausübende Rolle1859 widerspricht Franks Geschlechterrollenbild unabhängig davon, ob er sich in szeneinternen oder -externen Kontexten bewegt: ich hab eigentlich mein ganzes Leben mein gleiches Frauenbild, das hat sich durch keine Strömung von mir, durch keine Zugehörigkeit zu irgendwelchen Gruppen, was auch immer, hat sich das nicht geändert. Ich hab eigentlich immer das gleiche Frauenbild (F 1656–1660). Kai reagiert auf eine hypothetisch gedachte weibliche Gewaltanwenden­ de im szeneinternen Kontext abweichend zu Frank: Hätte eine Frau ihn im szeneinternen Kontext geschlagen, dann hätte Kai zurückgeschlagen, denn wenn sich Frauen genauso viel rausnehmen wie Männer, dann, dann kriegen die auch das gleiche (K 706 f.). […] So und nochmal, wenn eine Frau sich sowas rausnimmt, dann muss sie auch mit einem Echo rechnen. Weil Frauen meinen immer ja, nein, es gibt Frauen, die meinen, nur, weil sie da eine Frau sind, das schützt sie dann. Aber das ist bei mir nicht so (K 717–720). […] 1859 Vgl. C. IV. 2. a) cc).

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

Wenn dir jemand in einer Situation Gewalt auch androht, in welcher Form auch immer, dann bekommt die Person, egal ob diese Person weiblich ist oder männlich ist, dann bekommt die Person das halt zu spüren (K 724–727). Kais Einstellung widerspricht auf den ersten Blick der szeneinternen Norm, weibliche Personen nicht zu schlagen und, nötigenfalls, auch zu verteidi­ gen.1860 Bei näherer Betrachtung handelt es sich aber bei der hypothetisch gedachten Situation um eine Situation, in der die (hypothetisch gedachte) Frau zuerst angreift und das Zuschlagen eine Reaktion auf den Angriff in Form einer Verteidigung ist. Aus Kais Sicht ist Männern vorbehalten, zu schlagen oder anzugreifen: wenn sich Frauen genauso viel rausnehmen wie Männer, K 706 f. Weibliche Angreifende wählen aus seiner Sicht eine ihnen nicht zustehende Handlungsoption. Nehmen sie Handlungen vor, die Männern vorbehalten sind, indem sie mittels Schlagen einen Mann angreifen, reagiert Kai wie auf einen angreifenden Mann: Er verteidigt seine körperliche Integrität durch Zurückschlagen. Tinas Erinnerung, wie Conrad einer hypothetisch gedachten weiblichen Gewaltanwendenden im Kontext des Hooliganismus gegenüberstand, be­ schreibt sie so: Er hätte das Lachen angefangen und eine derart Agierende nicht ernst genommen (T 343 f.). Im Zusammenhang mit Gewalt von Frauen äußerte Frank sich zu Frau­ enboxen und Frauenfußball, den er aufgrund des seiner Ansicht nach eher körperunbetonten Spiels nicht so sehr wie Männerfußball verfolgt (F 98 ff.). Frauenboxen ist für ihn ebenfalls nicht so schön anzusehen, denn es sei ein absolutes no go, eine Frau sollte eine Frau sein und bleiben (F 102 ff., 109 f.). Unabhängig vom jeweiligen Kontext findet Frank sich schlagende Frauen asozial (F 116), ob nun im Sport, Hooliganismus oder in Bezug auf seine Erfahrungen im Nachtleben. Frank verwendet auffällig häufig asozial oder die Kurzform assi in Verbindung mit hypothetisch gedachten oder sportbedingt weiblichen Gewalttätigen. Dieses Verhalten widerspricht sei­ nem Geschlechterrollenbild, unabhängig davon, ob er über szeneinterne oder ‑externe Kontexte spricht.1861

1860 Vgl. schon C. III. 2. 1861 Weitere Verwendungen, neben der Charakterisierung des gewaltförmigen Handelns weiblicher Personen (s.a. Kai: Also ich find das nicht nur unsexy, ich find das total, total asozial, K 686 f.), von asozial oder assi stehen, nicht nur bei Frank, sondern auch weiterer Interviewter, im Zusammenhang mit der Bewertung eines Vereins (bspw. mein letztes Scharmützel beim asozialsten Club des Westens, F 214 f.), des Fußballpublikums (bspw. in gewissen Stadien, wo eh das Publikum für mich recht asozial ist, F 818 f.), dem Verhalten der Hooligans (bspw. Und die Mädels, die ja Rotz und Wasser flennten und einfach nur meinten,

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III. Auswertung der Interviews

Max erzählt von einer Begebenheit in der ihm bekannten HooliganGruppe: Eine Freundin eines Hooligans war bei einer körperlichen Aus­ einandersetzung anwesend, aber zunächst beobachtend. Als sie einen An­ griff auf ihren Freund durch einen anderen Hooligan bemerkt, aus dem er sich nicht mit eigener Kraft befreien kann, geht sie dazwischen (M 231–238). Sie handelt hier in der umgekehrten Variante, wie es der Ehren­ kodex vorsieht, denn sie beschützt und verteidigt ihren Freund und greift in die körperliche Auseinandersetzung zwischen zwei männlichen Hooli­ gans ein. Dieses Dazwischengehen widerspricht dem Ehrenkodex und den szeneinternen Geschlechterrollenbildern. Da sie von der Gruppe nicht den entsprechenden Sonderstatus verliehen bekam und dementsprechend sonst nicht an körperlichen Auseinandersetzungen beteiligt ist, setzt sie sich über die Definitionsmacht hinweg und handelt gewaltförmig ohne zu­ gewiesenen Sonderstatus. Max zufolge wird dieses Vorgehen nicht gern gese­ hen, weil das eigentlich was ist, was [körperliche Auseinandersetzungen, Anm. d. Verf.] unter sich ist (M 236 f.). Max verdeutlicht mit der Formulierung unter sich, die körperlichen Auseinandersetzungen haben nur unter Männern stattzufinden, denn diese „ernsten Spiele“1862 sind ihnen vorbehalten und Frauen ohne zugewiesenen Sonderstatus sind davon ausgeschlossen. Der Mann konnte seine Ehre nicht alleine verteidigen, sondern war auf die Hilfe seiner eigentlich nicht verletzungsmächtigen Freundin verwiesen. Hier übt also eine Person Gewalt aus, die eigentlich von den körperlichen Auseinandersetzungen der Hooligans ausgeschlossen ist. Sie beansprucht damit für sich, gewaltförmig und verletzungsmächtig zu handeln und widerspricht den szeneinternen Einstellungen in zweifacher Hinsicht: Sie spricht ihrem Freund ab, in der Lage zu sein, nach den gewaltbefürworten­ den und -legitimierenden Männlichkeitsnormen zu handeln. Gleichzeitig nimmt eine grundsätzlich Ausgeschlossene die verteidigenden Handlun­ gen vor, obwohl das nach der Logik des Hooliganismus gar nicht zur Ehre gereicht und sie die Ehre auch nicht verteidigen kann. Sie widersetzt sich damit dem zugeschriebenen Geschlechterrollenbild, den an sie gerichteten Erwartungen und insgesamt der Logik des Hooliganismus. Sie verhält sich wie die Ritterlichkeitsnorm es eigentlich von ihrem Freund erwartet, wenn sie angegriffen wird. Somit dreht sie die Rollen um und übt den durch die Verteidigung gezeigten Schutz für den Freund aus. Ihr Verhal­

wir wären so asozial, F 498 f.; schau dir die Assis an hier in, in Argentinien, in Italien damals schon gingen mit Messer auf einander, F 1025–1027; ‚ey, man kann sich assi benehmen, aber man muss ja nicht noch assi aussehen.‘, R 209). 1862 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203.

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

ten entspricht den Erwartungen, die an männliche Hooligans gerichtet werden und dem männlichen Geschlechterrollenbild. Sie übernimmt eine eigentlich den Männern zugeschriebene Aufgabe durch das verteidigen­ de Einschreiten. Sie zeigt damit auf, gewaltförmiges Verhalten in ihr eigenes Geschlechterrollenbild integriert zu haben. Ihr Freund erscheint als schwach und hilfsbedürftig, während sie als stark und wirkmächtig durch das gewaltförmige Handeln erscheint. Die eigentlichen, szeneintern bestehenden Geschlechterrollenbilder dreht sie im beschriebenen Beispiel durch ihr Verhalten um, ohne vorab dazu ermächtigt worden zu sein. Dieses Verhalten bringt die innere Logik des Hooliganismus ins Wanken. cccc) Paarbeziehungen der Hooligans und ggf. stattfindende Gewalt Als ein Charakteristikum seines Hooligan-Lebens stellt Frank heraus, es [gehört] halt auch ein bisschen zu diesem Hooligan-Leben dazu, lockere Bezie­ hungen zu haben, One-Night-Stands. Er und die anderen Mitglieder sind den Damen sehr hinterher gewesen (F 1520 ff.) und man [war] ja immer den Röcken hinterher (F 1671). Dieses Charakteristikum spiegelt sich auch in seinem eigenen Leben wider, denn während den drei Phasen seiner Hooligan-Karriere ist er zwar keine festen, aber viele lockere Beziehungen eingegangen (F 455 f., 1531 ff.): Nein, nein, zu der damaligen Zeit war ich damals noch ein recht wilder Hund. So. Da was heißt mit Treue? Doch, Treue, wenn dann schon, aber da gab es keine festen. Zu der Zeit gab es keine festen Beziehungen (F 1531–1533). Wechselnde, nicht langandauernde Beziehun­ gen sind jedoch in Anbetracht seiner damaligen Alters- und Lebensphase, etwa von der Volljährigkeit bis Anfang 30, nicht ungewöhnlich. Die wech­ selnden Freundinnen konnten nicht verstehen, weshalb er Hooligan ist (F 1538 ff.). Sie hielten ihn nicht davon ab, sondern standen dem eher gleichgültig und mit Unverständnis gegenüber (F 1538 ff., 1558, 1772). Eindrücklich erzählt Frank: Viele konnten es nicht verstehen, aber meinten, ja mein Gott, wenn du dir mit deinen Freunden, wenn du dir nichts Schöneres vorstellen kannst als mit deinen Freunden am Wochenende die Köpfe einzuren­ nen, dann mach es. Mit unterschiedlichen ja, die eine meinte dann, wenn du im Krankenhaus liegst, werd ich dich bestimmt nicht besuchen. Die andere meinte dann, kann ich überhaupt nicht verstehen, du bist doch nicht so doof wie die anderen und du machst doch so einen ganz lieben Eindruck und wirkst doch eher ein bisschen ja, weiß nicht. Ja, aber ich kann sagen, ein Großteil konnte es überhaupt nicht verstehen (F 1538–1545). Auch im Falle von Verletzungen brachten die wechselnden Freundinnen weder Mitleid noch Hilfe auf, son­

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III. Auswertung der Interviews

dern reagierten eher gleichgültig auf die Verletzungen und überließen ihn sich selbst. Außerdem waren sie über seine Aktivität in der Hooligan-Szene verwundert, da sie Frank gegenüber äußerten, er macht auf sie einen lieben Eindruck. Auch dem Hooliganismus und allem, was damit zusammenhing, standen sie gleichgültig gegenüber. Keine dieser Freundinnen wollte Frank zum Ausstieg bewegen (F 1550). Hätten sie es versucht, hätte er sie abser­ viert (F 1551). Da Gewalt auch innerhalb der Paarbeziehung geschehen kann,1863 wur­ den die Interviewpartner hierzu ebenfalls befragt. Für Kai ist häusliche Ge­ walt eine absolute Vollkatastrophe und ein gesellschaftliches no go (K 757 f.). Hätte Kai mitbekommen, einer seiner Gruppenmitglieder würde so etwas tun, dann hätte er eine diesem Mitglied [näherstehende] Personen motiviert, mit ihm darüber zu reden (K 766). Frank schildert eine Situation mit einer seiner wechselnden Freundinnen während seiner Zeit als Hooligan: Da sie recht wortgewandt und vorlaut war, hat sie ihn ab und an zur Weißglut gebracht (F 1310) und es wäre manchmal fast angebracht gewesen, ihr eine zu hauen (F 1311). Ein derartiges Verhalten ist aber ein absolutes no go (F 1312). Frank steht Gewalt innerhalb von Paarbeziehungen ablehnend gegenüber, obwohl er diese Handlungsoption zumindest gedanklich kurz in Betracht zieht, verwirft er sie und setzt sie nicht um, da es seinen ethisch-moralischen Vorstellungen widerspricht. Auch Franks Gruppenmitglieder lehnen ihm zufolge innerfamiliäre Ge­ walt ab: und da steh ich und die Kumpels damals ganz extrem dagegen sowas (F 1517 f.) […] Aber Gewalt gegen Frauen wurde von allen und von mir ganz besonders, geht überhaupt nicht sowas (F 1523 f.). An anderer Stelle führt Frank dazu aus: Ich find auch Gewalt gegen Frauen ist für mich ganz schlimm sowas. Erst ein aktueller Fall von einem von einem Freund von mir, der da sich nicht ganz im Griff hatte und ich da ein Gespräch mit ihm führte, ist für mich was abgrundtief schlechtes und abgrundtief zu verachtendes. Das geht für mich gar nicht (F 112–115). Da Frank von einem aktuellen Fall spricht, er zum Zeitpunkt des Interviews den Ausstieg aus der Hooligan-Szene schon länger vollzogen hat und er gar nicht mehr mit der Gruppe in Kontakt steht (F 331), ist davon auszugehen, es handelt sich hier um einen Freund ohne Hooliganismusbezug. Frank missbilligt derartiges Verhalten sowohl während seiner Zeit als Hooligan als auch nach dem Ausstieg daraus. Frank vertritt diese Ansicht vehement, denn er verstärkt und bekräftigt sie durch die Verwendung von absolutes no go bzw. das geht für mich gar nicht. Aus Sicht der männlichen Interviewten sind ihre Paarbeziehungen 1863 Vgl. grundsätzlich zur Gewalt im Geschlechterverhältnis B. IV. 3. b) bb) ccc).

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

nicht gewaltbelastet. Sie und ihre Gruppe stehen innerfamiliärer Gewalt ablehnend und missbilligend gegenüber. ccc) Die Perspektive weiblicher Interviewter Nun geht es um die Perspektive der weiblichen Interviewten auf Frauen in der Hooligan-Szene und Geschlechterrollenbilder; kontrastiert werden sie zur Perspektive der männlichen Interviewten hierauf. Der Charakteri­ sierung einer selbst aktiv Gewalttätigen und das Ausfüllen dieses Sonder­ status gebührt besondere Aufmerksamkeit. Die Paarbeziehungen werden ebenfalls hinsichtlich der (ggf.) dort stattfindenden Gewalt analysiert. aaaa) (Keine) räumliche Kopräsenz weiblicher Personen Ronja als aktives Mitglied einer Hooligan-Gruppe ist bei allen Gruppen­ aktivitäten anwesend. Da sie gerne fotografiert, macht sie dies auch bei Gruppenereignissen und ermöglicht so deren späteres Ansehen auch nach länger vergangener Zeit, wie z.B. bei Jubiläen (R 161). Ronja hat einen dicken Ordner zu Hause mit ganz vielen Fotos aus der Zeit (R 152). Sie erinnert damit an die Frau, die bei der szeneinternen Feier den von ihr langjährig zusammengestellten Ordner mit Fotografien mitführte.1864 Ron­ ja übernimmt somit auch Aktivitäten, die der passiv gewaltverstärkenden Rolle zuzuordnen sind; sie bleibt nicht in einer Rolle verhaftet. Das Foto­ grafieren ist ein wichtiger Bestandteil der Gruppenaktivitäten und essenzi­ ell für das Gruppengefühl. Ohne ihren Einsatz wäre es nicht möglich, die verbildlichten Erinnerungen heute noch anzusehen und das Wir-Gefühl zu reproduzieren. Die einzelnen Rollen und die sie Ausübenden sind nicht zwangsläufig trennscharf voneinander abgrenzbar, sondern es scheinen fließende Übergänge und Kombinationen möglich. Wie die Mitglieder ihrer und anderer Gruppen auf Ronja reagieren und wie sie sich in der Szene körperlich behaupten konnte, ist eine zentrale Frage. Zu Beginn ihrer Hooligan-Karriere kämpft Ronja darum, anerkannt zu werden: Nach ihrem Empfinden belächelten sie die anderen Hooligans, äußerten ihr gegenüber blöde Sprüche und lehnten sie ab. Paradigmatisch hierfür stehen die Fragen: ‚was willst du hier?‘ (R 179) oder ‚Ja, hey, was ist das denn, Frauen beim Fußball?‘ (R 221). Dennoch behauptet sie sich, denn 1864 Vgl. E. II. 3.

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III. Auswertung der Interviews

sie ist im doppelten Sinne schlagfähig und schlagkräftig (R 179 f.). Ronja erkämpft sich ihre Position, ist anwesend und aktiv. Trotzdem konstatiert Ronja selbst, weibliche sich Schlagende passen nicht in das Weltbild der nicht in ihrer Gruppe befindlichen männlichen Hooligans: also ich hab das schon so oft erlebt, dass das ja überhaupt nicht ins Weltbild passt (R 221 f.). Ronja unterstreicht, gewaltförmiges Handeln verstößt gegen das szenein­ tern zugeschriebene Geschlechterrollenbild in Bezug auf Frauen. Bei körperlichen Auseinandersetzungen zwischen zwei Hooligan-Grup­ pen waren weder Lisa noch Tina selbst anwesend (T 268; L 197). Tina wollte von sich aus nicht dabei sein und Conrad wollte nicht von ihr zu geplanten Auseinandersetzungen begleitet werden, denn das sei Män­ nersache (T 270). Körperliche Auseinandersetzungen sind nach Conrads Ansicht Aktivitäten, von denen weibliche Personen qua biologischen Ge­ schlechts ausgeschlossen sind. Für Conrad finden sie nur unter Männern statt. Tina schildert eine Situation einer nicht geplanten, vor dem Stadion stattgefundenen körperlichen Auseinandersetzung. Als Conrad den Beginn dieser Auseinandersetzung bemerkt, fordert er sie auf, sich nicht dahin zu begeben, sondern stattdessen sein Bier zu halten und auf ihn zu warten (T 683 ff.). Lisa war zwar nicht bei szeneinternen körperlichen Auseinandersetzun­ gen der Gruppe, aber bei solchen ohne Hooliganismusbezug anwesend (L 186 ff.), die sie als eine normale Auseinandersetzung im normalen Leben (L 193) bezeichnet. Sie spürt in der Situation das langsame Entstehen der Auseinandersetzung. Unterdessen kann man Lisa zufolge da als Frau auch [versuchen] gegenzusteuern (L 204), indem man die Hooligans ablenkt, z.B. durch ein Augenklimpern oder die Aufforderung, zum Tanzen zu gehen (L 206). Ihre intendierten Ablenkungsversuche sind aber nicht immer wirk­ sam. Deswegen entscheidet Lisa für sich, in solchen Situationen folgende Handlungsoption zu wählen: dann sollte man einfach nur beiseite und abwar­ ten und sie dann machen lassen, was anderes geht nicht (L 208–210). Für Lisa ist es nicht immer möglich, die körperliche Auseinandersetzung mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln abzuwenden und gewalthemmend zu wirken, deshalb lässt sie der sich entwickelnden Auseinandersetzung ihren Lauf. Aus ihrer Sicht gilt es, deren Ende abzuwarten. Die Anzie­ hungskraft körperlicher Auseinandersetzung besteht demnach in szeneex­ ternen und -internen Kontexten.

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

bbbb) Verhältnis zwischen Freundinnen der Hooligans und Ronja Wie sich das Verhältnis zwischen Ronja und den (wechselnden) Freundin­ nen der männlichen Mitglieder ihrer Hooligan-Gruppe gestaltet, war eben­ falls Gegenstand des Interviews. Ronja kennt in den meisten Fällen schon vor den jeweiligen Freundinnen die männlichen Gruppenmitglieder und Ronja ist auch vor diesen Freundinnen bereits in der Gruppe (R 1100). In Ronjas Wahrnehmung beneiden sie sowohl die kurzzeitig wechselnden Freundinnen der männlichen Gruppenmitglieder als auch die, die längere Beziehungen mit ihnen führten (R 1101–1103). [D]as ist so viel Respekt halt, wobei ich ja jetzt nicht raushängen lass, dass ich eine Tolle bin oder sowas, also ich geh ganz normal mit denen um. […] Ja, klar, ich hab halt ein anderes Standing halt (R 1104–1107). Ronja empfindet, ein Rätsel für die Freundin­ nen zu sein (R 1103), da die Männer auch eine ziemlich hohe Meinung von mir haben, mag für die auch ein Rätsel sein irgendwie (R 1107 f.). Dennoch kommt sie mit den Freundinnen der Hooligans und sie mit ihr gut aus (R 1124 f.). Mit einer ist Ronja sogar seit über 25 Jahren befreundet (R 322) und auch Lisa erwähnt, mit Ronja befreundet zu sein (L 145–152).1865 Nach Ronjas Empfinden bringen die Freundinnen der männlichen Mit­ glieder ihr Respekt entgegen (R 1125): Im Grunde genommen würde ich schon sagen, dass ich mit allen [den Freundinnen der anderen Hooligans, Anm. der Verf.] gut auskomme und das andere mit mir auch gut auskommen können. Also viel Respekt ist da auf jeden Fall mit dabei (R 1123–1126). Das Verhältnis zwischen den Freundinnen der Hooligans und Ronja selbst ist aus ihrer Perspektive [i]m Grunde gut (R 1123 f.). Ronja stellt mit der Verwendung [i]m Grunde (R 1123 f.) eine grundsätzliche Regel auf. Im Umkehrschluss könnte Ronja darauf hinweisen, das gute Verhältnis besteht nicht aus­ nahmslos mit allen Freundinnen der anderen Gruppenmitglieder in den über 25 Jahren ihrer eigenen subjektiven wie objektiven Zugehörigkeit. Dies scheint jedoch keine szeneinterne Besonderheit zu sein, sondern kann sich in jeder anderen alltagsweltlichen Situation und nicht nur in Ronjas Leben zeigen.

1865 Das Interview mit Lisa und Ronja fand am selben Tag statt; vgl. D. III. 2. a). Da Lisa zuerst interviewt wurde, konnte nach dieser Erzählsequenz im Interview vorsichtig gemutmaßt werden, dass beide Interviewpartnerinnen sich kennen und, zumindest aus Lisas Sicht, befreundet sind. Im zeitlich nachfolgenden In­ terview mit Ronja erzählte auch sie, mit Lisa befreundet zu sein. Der Umstand, dass Lisa und Ronja sich kennen und befreundet sind, lässt sich nun für die Auswertung fruchtbar machen.

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III. Auswertung der Interviews

Ronja zufolge scheinen die Freundinnen der männlichen Hooligans un­ terschiedlich gut damit zurecht zu kommen, mit einem Hooligan eine Beziehung zu führen. Aus Ronjas Sicht wirken die von ihr als Tussi-Freudin­ nen Bezeichneten eher gewalthemmend auf ihre Partner ein, indem sie sie zurückhalten und deeskalierend wirken wollen (R 1143 f.). Dies geschieht, so Ronja, indem sie z.B. Oh nein, oh nein! (R 1145) rufen. Ronja selbst denkt darüber: Baby, dann such dir nicht so einen Freund! (R 1146). Ronja versteht nicht, weshalb sie mit einem Hooligan eine Beziehung führen, wenn sie damit nicht zurechtkommen. Ronja ist der Ansicht, diese Freundinnen und ihr Verhalten wirken szeneintern eher störend. Aus Ronjas Sicht geht mit einer Beziehung mit einem Hooligan einher, unterstützend tätig zu werden: [D]as geht einher, wenn du mit so einem Mann zusammen bist, […] dass der sich irgendwo abholen lässt, hinfahren lässt, weil auch eben manchmal Alkohol oder irgendwas im Spiel ist (R 1166–1169). Hooligans erwarten von ihren Freundinnen, passiv gewaltverstärkend und unterstützend zu handeln. Die Einnahme dieser Rolle ist als die am meis­ ten von ihnen erwartete Rolle anzusehen. Die diese Rolle einnehmenden Freundinnen [leben] da mit, aber [haben] nicht selber damit [mit der Hooli­ gan-Szene, Anm. d. Verf.] viel zu tun (R 1173). Sie unterstützen die Hooli­ gans und ermöglichen, die Orte der Auseinandersetzungen zu erreichen und daran teilzunehmen. Sie leisten somit einen wesentlichen Beitrag und sind trotzdem randständig. Die Freundinnen erleben viel von der Szene und den szeneinternen Gepflogenheiten mit. Sie nehmen die Erwartungen wahr, die an sie gestellt werden, und entsprechen ihnen weitestgehend. Dennoch sind sie bei dem Kern der szeneinternen körperlichen Auseinan­ dersetzungen weder anwesend noch erwünscht. Da Ronja und Lisas Ehemann Lars zur selben Hooligan-Gruppe gehören und sie miteinander befreundet sind, konnte auch aus Lisas Sicht erfahren werden, wie sie das Verhältnis zwischen sich und Ronja bewertet, welche Sicht sie auf Ronja und ihr szeneinternes Handeln hat. Lisa beschreibt Ronja als [l]ocker, nicht typisch fraulich, aber auch nicht männlich (L 156 f.). Lisa räumt ein, Ronja [schaut] äußerlich wie eine Frau [aus] und kann sich auch so benehmen (L 158 f.). Zur Charakterisierung fehlt ihr aber ein Wort, um es trefflich zu beschreiben, denn [m]ännlich hört sich doof an (L 161). Sie einigt sich mit sich selbst und schreibt Ronja zu, keine typische Tussi zu sein (L 164). Lisa verdeutlicht, aus ihrer Sicht ist Ronja keine Frau wie jede andere, sowohl hinsichtlich ihres Charakters als auch ihres Äußeren. Die dabei von ihr selbst verwendeten Kategorien männlich/weiblich offenbaren Lisas Schwierigkeiten, Ronja zuzuordnen. Sie kann sich nicht ganz entscheiden, welche Kategorie nun passend ist, verbleibt aber mit ihrer Be­

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

schreibung dennoch in geschlechtlichen Kategorisierungsversuchen. Ronja ist locker und hat sich aus Lisas Sicht wahrscheinlich deswegen so gut in die Gruppe einfügen und integrieren können, da sie die gleichen Eigen­ schaften und Charakterzüge wie die männlichen Mitglieder mitbringt. Da Lisa Ronja seit etwa 25 Jahren kennt ich denk ich war, muss 13, 14 gewesen sein, da hab ich die alle mal so kennengelernt (L 169 f.), ist Ronjas Zugehörig­ keit zur Gruppe für sie das normalste der Welt (L 170 f.). Lisa reflektiert diese szeneinterne Besonderheit, denn die Zugehörigkeit einer weiblichen Gewalttätigen ist nicht selbstverständlich. Sie nimmt Ronjas zugewiesenen Sonderstatus wahr. Lisa selbst wäre nicht gerne derart szeneintern einge­ bunden, wie es Ronja ist (L 181 f.): Lisa will weder selbst gewalttätig sein, noch objektiv oder subjektiv wie Ronja zugehörig sein und möchte selbst keinen entsprechenden Sonderstatus zugewiesen bekommen. cccc) Charakterisierung der selbst aktiv gewalttätigen Rolle durch Ronja Ihr eigenes szeneinternes Bewegen und Handeln umschreibt Ronja damit, halt alleine [ihre] Weg [zu gehen] (R 1177). Sie legt auch allein die Wege zu den Auseinandersetzungen zurück, weil ich das will, weil ich da Bock drauf hab (R 1179). Andere in der Szene befindliche Frauen definieren ihre Zugehörigkeit über ihren Beziehungsstatus. Ronja sagt über sich selbst: ich bin nicht die Freundin von (R 1180). Bei ihr ist das, wenn überhaupt, andersherum: das ist der Mann von mir (R 1181). Ronja verdeutlicht, keinen partnervermittelten Kontakt zu benötigen, um subjektiv wie objektiv zuge­ hörig zu sein. Dies stellt eine Besonderheit innerhalb der Szene dar und demonstriert ihren Sonderstatus, den Ronja auch selbst so wahrnimmt: Sie [war] ja auch immer die einzigste in dieser Stadt und [wird es] wahrscheinlich auch sein, die dieses Hobby hatte oder halt auch noch hat beziehungsweise auch den Status erreicht hat (R 289–291). Auch bei szeneinternen Gruppenaktivi­ täten, war ich grundsätzlich die einzigste Frau, die da Zutritt hatte (R 329 f.). Die Verwendung von einzigste zeigt die Ausnahmslosigkeit auf. Was Ronja während ihrer Anwesenheit in der Gruppe und bei Auseinan­ dersetzungen auszeichnet, wie sie sich verhält und was sie empfindet, wird nun vorgestellt. Ronja führt aus, die für die Hooligan-Szene notwendige Grundeinstellung zu haben: um dich grade [zu machen], gerade beim Fußball […] du musst dich nur irgendwie du musst mutig und entschlossen sein (R 902– 904). Unter (sich) g[e]rade machen versteht Ronja (sich) schlagen: du kannst dich eine gewisse Zeit ganz gut grade machen, aber wenn du einen richtigen Treffer kassierst, dann ist Ende im Gelände (R 437–439). [D]ann hab ich mit

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III. Auswertung der Interviews

dem eine Schlägerei angefangen. Der war gefühlt 2 Meter größer als ich und da hab ich gleich eine aufgeplatzte Lippe gehabt am ersten Schultag also ich hab mich immer irgendwie grade gemacht, ich hab mir das nicht gefallen lassen (R 752–755); ‚ja, [Ronja], die macht sich auch gegen die Männer grade, wenn du der blöd kommst, musst du aufpassen, dass du nicht auch eine gescheuert bekommst‘ (R 789 f.). Weiter führt Ronja zu den Grundeinstellungen aus: [W]enn du dich am Stadion rumlattest, hat das viel mit dem Adrenalin und dem Kick zu tun, ja auch mit Wut (R 721 f.). Ronja fährt sowohl gemeinsam mit anderen zu den körperlichen Aus­ einandersetzungen und zu verschiedenen nationalen wie internationalen Spielbegegnungen als auch ganz allein dorthin, indem sie die Bahn nutzt oder trampt (R 403 ff.). Wenn sie allein unterwegs ist, führt sie stets eine Gasknarre, einen Schlagstock oder ein Springmesser mit sich, um sich selbst [abzusichern] (R 414 f.). Ronja ist sich ihrer grundsätzlichen körperlichen Unterlegenheit bei Auseinandersetzungen bewusst, trotzdem beteiligt sie sich daran: du kannst dich eine gewisse Zeit ganz gut grade machen, aber wenn du einen richtigen Treffer kassierst, dann ist Ende im Gelände (R 437– 439). Deshalb führt sie die oben genannten Mittel mit sich, um sie bei den Kämpfen einsetzen zu können, vorausgesetzt, die Aufeinandertreffen finden nicht im Stadion statt, denn dort wären sie ihr vom Sicherheits­ personal an den Eingängen abgenommen worden (R 441). Durch ihre Be­ teiligung werden die Auseinandersetzungen zu gemischtgeschlechtlichen Auseinandersetzungen. Die anderen Mitglieder haben Ronja den Sonderstatus als selbst aktiv Gewalttätige verliehen, was auch während den Auseinandersetzungen ak­ zeptiert ist: Und ja es ist eigentlich immer unter unseren Leuten, unter den Jungs halt so ‚ja, [Ronja], die macht sich auch gegen die Männer grade, wenn du der blöd kommst, musst du aufpassen, dass du nicht auch eine gescheuert be­ kommst‘ (R 788–790). Der Sonderstatus ist allerdings nicht nur ihr Privileg (R 332), sondern gleichzeitig eine Bürde und bringt Ronja in unangeneh­ me Situationen und Bedrängnisse: das ist halt, also grundsätzlich hast du es als Frau überhaupt nicht leicht (R 191 f.) und du hast halt einen anderen Stand als Frau (R 211 f.). Ronja bemerkt ein unterschiedliches Umgehen mit ihr als Frau im Vergleich zu anderen Mitgliedern der Szene. Qua biologischen Geschlechts hat sie es aus ihrer Sicht schwer, akzeptiert zu werden und kämpft stets um Anerkennung. Im Umkehrschluss haben es Männer aus ihrer Sicht leichter, da es sich beim Hooliganismus um eine männlich dominierte Szene handelt. Aufgrund Ronjas anderem, von der Mehrheit abweichendem Geschlecht erregt sie stets Aufmerksamkeit, gerade weil es etwas Besonderes und Ungewöhnliches ist. Dem anderen Stand als Frau

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

(R 211 f.) wirkt sie entgegen, indem sie überwiegend nicht die anderen, szeneinternen Rollen einnimmt. Sie muss sich innerhalb der Szene bewei­ sen und ist nicht auf Anhieb gleichberechtigt, sondern ihr Geschlecht ist hinderlich. Das nimmt Ronja allerdings nicht hin, sondern überwindet die Grenzen und wird eine von ihnen: eine weibliche Hooligan. Bei den gemeinsamen Fahrten zu den Spielen wurde sie durchbeleidigt, im Zug oder du wurdest beleidigt mit ‚Hey Mäuschen, zeig mal deine Titten‘ oder das ist dann noch so das geringste im Prinzip. Und das muss man dann an sich abprallen lassen (R 234–236). Die Sprüche und Beleidigungen ge­ hen ihr nahe und sind verletzend. Da Ronja nicht durchgängig in der Hooligan-Szene präsent und, wie Frank, eine Weile in der Techno-Szene aktiv ist,1866 hat sie, als sie wieder in die Hooligan-Szene eintaucht, mit neuen in der Gruppe befindlichen männlichen Hooligans Probleme, da sie sie nicht kennen und sie im ersten Moment nicht akzeptieren (R 244– 252). Einer der Neuen fragt Ronja ‚Was willst du denn eigentlich?‘ und prollte mich von der Seite an und dann hab ich mich dann irgendwie vor ihn gestellt und hab ihm gesagt ‚Hey, pass mal auf du Lappen, ich bin schon zum Fußball gefahren, da bist du noch als Samenfaden bei deinem Vater im Sack rumgeschwommen‘ (R 252–255). Die von dem neuen Gruppenmitglied gezeigte offensichtliche Ablehnung lässt Ronja nicht zu und verteidigt sich und ihren Sonderstatus ihm gegenüber. Sie bedient sich dabei zwar recht derben Worten, die jedoch ihre Wirkung bei ihm und den anderen Gruppenmitgliedern nicht verfehlen: Es hallte nur Applaus von allen Seiten und so musst du mit den Leuten umgehen, der hat mir hinterher aus der Hand gefressen (R 255–257). Ronja behauptet damit sich und ihren Sonderstatus gegenüber dem Neuen und er akzeptiert sie schließlich wie die übrigen Gruppenmitglieder auch. Es gab mehrfach Situationen, in denen Ronja, ohne dass es sich um szeneinterne körperliche Auseinandersetzungen handelte, aber dennoch im Kontext des Hooliganismus stattfanden, körperlich angegriffen und be­ leidigt wurde: Das ist hart, aber man ja, man ist das gewohnt und so lange wie mich körperlich keiner angegangen hat oder mich als Schlampe oder so was beti­ telt hat, da bin ich wirklich griffig geworden, da gab es dann schon mal ein Glas an den Kopf, weil das geht gar nicht (R 264–267). Ronja setzt sich zur Wehr, wenn sie jemand beleidigt, und nutzt dafür, wie in anderen Situationen ebenfalls, Gegenstände, die sich in ihrer unmittelbaren Umgebung befinden. Wenn sie im szeneinternen Kontext mit körperlichen und verbalen Angriffen auf sich konfrontiert ist, verhält sie sich wie folgt: Ich muss auch 1866 Vgl. E. III. 2. b) cc).

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III. Auswertung der Interviews

selber schon sagen, wenn wir [die Hooligan-Gruppe, Anm. d. Verf.] unterwegs waren, wie oft ist nach reichlich Alkoholgenuss mir jemand blöd gekommen entweder wir haben mal einen gehabt, der hat mir an die Brust gefasst, dafür hat er eine Flasche Bacardi im Gesicht gehabt oder auch einen von unseren Leuten, der ist sehr beleidigend geworden ist. Dann hab ich gesagt ‚Hey du Arschloch, lass uns nach draußen gehen, wir sind ja hier auch nicht irgendwie‘, und weil da auch kein Platz war, ich sage ‚so eine Scheiße lass ich mir nicht gefallen‘ (R 781–788). Insbesondere nach dem Genuss von Alkohol während den gemeinsamen Unternehmungen der Hooligan-Gruppe kommt es zu für Ronja erwähnenswerten Situationen, in denen sie angegriffen wurde. Diese Angriffe nimmt sie nicht hin, sondern sie setzt sich aktiv zur Wehr und dafür eine Flasche ein, um sich zu verteidigen; dies ist aus ihrer Sicht das einzige Mittel, um sich gegen den Angriff zu verteidigen. Eine diskursive Konfliktlösung kommt für Ronja in dieser Situation nicht in Frage. Auch fordert sie einen anderen Mann in der oben geschilderten szeneinternen Situation auf, gemeinsam nach draußen [zu] gehen, um den Vorfall dort zu klären. Die Art und Weise den Konflikt zu lösen, scheint aus Ronjas Sicht nur mittels Gewalt möglich. Ronja reagiert auf Angriffe auf ihre körperliche In­ tegrität oder auf Beleidigungen mit aktiver, körperlicher Gegenwehr. Ron­ ja behilft sich damit mit einer Konfliktlösungsstrategie, die nicht grund­ sätzlich weiblichen Personen zugeschriebenen Geschlechterrollenbildern und Konfliktlösungsstrategien entspricht. Ronja reagiert auf Angriffe ge­ waltförmig und zeigt den sie Angreifenden damit auf, das ihr gegenüber gezeigte Verhalten selbst zu sanktionieren. Sie integriert somit gewaltför­ miges Verhalten in ihr eigenes Geschlechterrollenbild. Ronja verhält sich bei Kämpfen mit männlichen Hooligans wie folgt: Also ich bin relativ hinterfotzig gewesen, hab eigentlich immer irgendwelche Gegenstände benutzt, irgendwelche Flaschen oder […] Gläser, irgendwelche Feu­ erlöscher. […] [I]m Prinzip alles, was sich werfen lässt, wo du den maximalen Schaden mit anrichtest. Also ich hab auch schon mal einem einen fetten Marl­ boro-Aschenbecher durch das Gesicht gezogen, da war dann die Halsschlagader auf, das war dann nicht ganz so cool (R 448–455). Ronja beschreibt ihre eigenen Handlungen als hinterfotzig, worunter hinterlistige, heimtückische Handlungen zu verstehen sind und impliziert, die Angegriffenen versehen sich im Moment des Angriffs keines Angriffs. Wenn der Angegriffene Ronja und ihren zugewiesenen Sonderstatus nicht kennt, kann ein Angriff überraschend sein, denn das Überraschungsmoment bringt eine ganze Menge beim drauflosgehen, die wenigsten Männern rechnen [damit], dass eine Frau auf sie losgeht (R 471 f.). Bei Ronja kann ein gewisses berechnendes Handeln

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

festgestellt werden, denn sie handelt überlegt und kalkuliert: Sie überlegt, welche Gegenstände, die sie entweder bei sich führt oder sich in Griffweite befinden, wohl den maximalsten Schaden verursachen. Dabei kann das Verwenden von Gegenständen, die sich werfen lassen, als ein minimalerer Aufwand gesehen werden als das selbst Zuschlagen. Das Werfen von Ge­ genständen ist weniger kraftaufwändig und erfolgt aus größerer Distanz, so dass sich der so Getroffene möglicherweise keines Angriffs auf sich versieht. Da Ronja bei den von ihr kritisch gesehenen Feld-Wald-Wiese-Aus­ einandersetzungen1867 keine Gegenstände zur Verfügung stehen, die sie werfen könnte, nimmt sie daran nicht teil. Auf die Frage, ob sie Feuerzeuge benutzt habe, reagiert Ronja mit [a]ch mit so einem Scheiß hält man sich doch gar nicht erst auf (R 450 f.). Feuerzeuge können mit einer Faust umschlossen werden und bewirken so die Verstär­ kung des Faustschlags. Laut Ronja wäre der so entstehende Schaden zu gering und ist somit nicht geeignet, um von ihr eingesetzt zu werden. Das Einsetzen von Gegenständen, Werkzeugen, Messern oder Waffen entspricht eigentlich nicht einem szeneinternen fairen fight. Wenn sie ein­ gesetzt werden sollen bzw. dürfen, müsste dies vorab mit den jeweiligen Anführern der Gruppe zwecks „Waffengleichheit“ abgesprochen werden. Ronja halten diese szeneinternen Regelungen aber nicht davon ab, es trotz­ dem zu tun. Demnach widersetzt sie sich den szeneinternen Vorgaben zu einem fairen fight, was die anderen Beteiligten aber nicht sanktionieren oder unterbinden (R 1321 f.; s.a. F 963 f.; K 204, 211, 502). Zudem entsteht der Eindruck, Ronja kokettiert mit den von ihr zugefüg­ ten Verletzungen: da war dann die Halsschlagader auf, das war dann nicht ganz so cool (R 455). Die von ihr vorgenommene Überlegung, welcher Gegenstand mit minimalem Aufwand den größten Schaden verursacht, ist auch eingetreten. Damit will sie gefallen und auf andere wirken, denn alle in dieser Situation Befindlichen sehen und einer spürt körperlich, wie sie ihre vorherigen Überlegungen erfolgreich umsetzt und sie auch eintreffen (Halsschlagader auf, R 455). Ronja hat nie Angst oder Hemmungen sich zu wehren, zu verteidigen oder Gegenstände einzusetzen: Ich hab halt immer gesehen, wie ich mich verteidige und hab auch keine Angst gehabt oder Hemmungen gehabt irgendwas einzusetzen (R 446 f.). An anderen Stellen zeigt sich Ronja aktiver und agie­ render und nicht derart passiv-reagierend: z.B. durch ‚Hey du Arschloch, lass uns nach draußen gehen‘ (R 786) oder dann lässt du dich mit dem Latten auch nicht lange bitten (R 820). Die Beschreibung Ich hab halt immer gesehen, wie 1867 Vgl. schon E. III. 2. b) bb).

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III. Auswertung der Interviews

ich mich verteidige und hab auch keine Angst gehabt oder Hemmungen gehabt irgendwas einzusetzen (R 446 f.) hat etwas vergleichsweise Zurückhaltendes, indem sie auf die Angriffe reagiert und nicht selbst angreift und agiert. Dies verwundert angesichts der eigentlich szeneinternen Norm des Ehren­ kodexes, Frauen nicht anzugreifen. Es kann vorsichtig gefolgert werden, diese Norm scheint nicht bei bekanntermaßen weiblichen Gewalttätigen, mithin nicht bei Ronja zu greifen. Möglicherweise hängt das mit dem eige­ nen Verstoßen Ronjas gegen die szeneinternen Normen durch ihr selbst aktiv gewaltförmiges Handeln zusammen, weshalb die sie eigentlich schüt­ zenden Normen bei ihr nicht angewendet werden. Das eigene gewalttätige Verhalten ist mit den zugeschriebenen, szeneinternen Geschlechterrollen­ bildern schwerlich vereinbar, deswegen wird Ronja in solchen Situationen auch anders behandelt als andere sich in der Szene bewegende Frauen. Das Ansprechen Ronjas mit einem männlichen Vornamen durch die anderen Gruppenmitglieder zeigt auf, nicht immer als deren Geschlechter­ rollenbild entsprechende Frau wahrgenommen und behandelt zu werden. Ronja räumt ein, sich gegen den ein oder anderen männlichen Gegner zur Wehr gesetzt haben zu können, indem sie das Überraschungsmoment ausnutzte, denn die wenigsten Männer rechnen [damit], dass eine Frau auf sie losgeht (R 471 f.). Hier wird Ronjas aktives Handeln und Agieren deut­ lich und nicht ein bloßes Reagieren wie oben. Auch zeigt sich ihre wider­ sprüchliche und komplexe Persönlichkeit: Sie macht bei körperlichen Aus­ einandersetzungen den ersten Schritt und wartet nicht ab bis Situationen entstehen, auf die sie reagieren muss. Ronja ist nicht immer ohne eigene Verletzungen aus den Auseinander­ setzungen herausgegangen: Seit einer Auseinandersetzung hat sie eine [schiefe] Nasenscheidewand (R 476). Ronja sieht die Verletzlichkeit ihres Körpers ein. Sie lernt, die Gegner einzuschätzen und beschließt, bei kör­ perlichen Auseinandersetzungen nicht immer in erster Reihe zu kämpfen, sondern manchmal auch erst in der dritten Reihe (R 491). Diese Überle­ gungen und dieses Vorgehen sind aber immer von der Gesamtsituation abhängig: es gibt so Sachen, die ergeben sich. Du guckst dir die Leute vorher an, wenn ich sehe, dass das alles so 2 Meter 20 Schränke sind, ja dann, selbst­ mordgefährdet ist man ja auch nicht (R 493–495). Ronja schätzt die Situation erst ein, bevor sie rational und berechnend vorgeht. Nur wenn sie selbst Chancen für sich sieht, begibt sie sich in die Situation. Ansonsten hält sie sich erstmal im Hintergrund zurück, bis sich eine für sie günstige Gelegenheit ergibt, in der sie mit minimalem Aufwand einen maximalen Schaden erzielen kann (R 448–455).

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

Da Ronja auch das äußere Erscheinungsbild als Differenzierungskriterium zwischen sich und anderen in der Szene befindlichen Frauen verwen­ det,1868 sind dem Interview Ausführungen zu ihrer Kleidung bei szenein­ ternen Aktivitäten, beim Fußball und bei gemeinsamen Diskothekenbesu­ chen zu entnehmen: ich war immer jemand, wenn ich zum Fußball gegangen bin, wie gesagt, das liegt auch an dem Beruf, den ich gelernt hab, den ich hatte, ich war immer top gestylt, auch immer geschminkt, Haare gemacht und so weiter.1869 Also das war dann einfach so, ich hab dann zum Fußball im Prinzip die Latzhose angezogen und einen Kapuzenpulli, Turnschuhe natürlich und abends, wenn wir da irgendwo in eine Disko gegangen sind, bin ich dann in Minirock und Stöckelschuhen gekommen also die totale Gratwanderung aber immer mit einem gewissen Stil halt. Also ich hab immer gesagt so ‚Ey, man kann sich assi benehmen, aber man muss ja nicht noch assi aussehen.‘ (R 201–209). Ronja passt die Wahl ihrer Kleidung dem Ort an, zu dem sie geht. Bei szeneinternen körperlichen Auseinandersetzungen (assi benehmen) kleidet sie sich entsprechend praktisch und bequem. Abends bei gemeinsamen Diskothekenbesuchen legt sie viel Wert auf ihr äußeres Erscheinungsbild. Sie selbst benennt dies als totale Gratwanderung und als risikoreich, denn aufgrund des veränderten äußeren Erscheinungsbildes besteht die Gefahr, verwechselt zu werden, wer sie ist und welche Rolle sie innehat. Ähnlich wie Frank, dem das äußere Erscheinungsbild ebenfalls sehr wichtig ist, betont Ronja ihren gewissen Stil. Ronja greift zu einem ange­ sagten Kleidungsstil: ich war definitiv die erste Person wohlgemerkt, die in [nennt Ortsname ihrer Heimatstadt], die eine Chevignon-Lederjacke hatte (R 181–183). Die Reaktion des Anführers und der gesamten Gruppe darauf ist Ronja zufolge Ja, da waren sie halt alle neidisch und man selber ist natürlich im Status wieder drei Etagen höher gewesen (R 188 f.). Ronja erfährt durch dieses Kleidungsstück Respekt und Anerkennung von der Szene, genießt dies währenddessen und retrospektiv. Die Jacke dient ihr als Identifikationsmerkmal für ihre Aktivität und Zugehörigkeit: als die [nennt Stadt in der Schweiz] hier das erste Mal aufgeschlagen sind, das war auch das ‚Wie, hier ist eine Frau in einer Chevignon-Jacke?‘ (R 285–287) und wenn Leute aus einer anderen Stadt da waren, da war das immer ‚Ey, was ist das, eine Frau in einer Chevignon-Jacke? Häh, was geht denn bei euch ab?‘ ‚Äh ja, das ist [nennt den männlichen Vornamen, mit dem sie von den anderen Gruppenmit­ gliedern angesprochen wird], die fährt mit zum Fußball‘ (R 216–218). Das von Ronja getragene Kleidungsstück verwundert zunächst Hooligans anderer 1868 Vgl. E. III. 2. b) hh) aaa). 1869 Vgl. zur Kurzbiographie Ronjas E. III. 1. d).

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III. Auswertung der Interviews

Gruppen, die sie nicht kennen, weil es sie als Hooligan kennzeichnet und dies ein seltenes Phänomen ist. Die Erklärung der Gruppenmitglieder zeigt wiederum Ronjas Status als akzeptiertes Mitglied mit zugewiesenem Sonderstatus auf. Ronja genießt es, diesen Status inne zu haben. In Ronjas abschließendem Resümee formuliert sie nachfolgendes Anlie­ gen, das auch mitbestimmend war, sich für ein Interview bereit zu erklä­ ren: Mir persönlich wäre es im Prinzip ein Anliegen, dass Männer in der Szene oder Leute, die außerhalb der Szene stehen, vielleicht auch irgendwie mal kapieren, dass Frauen, die da mitwirken, aktiv oder passiv, nicht grundsätzlich irgendwelche Assi-Tanten sind. Also, denn es ist genauso wie bei den Männern, wir haben Zahnärzte, Banker und angehende Anwälte dabei gehabt, genauso gibt es Frauen, die genug in der Birne haben und die nicht irgendwelchen Klischees entsprechen (R 1559–1566). Weiter führt sie aus, welche Assoziatio­ nen bei anderen Menschen bestehen, mit denen sie sich konfrontiert sieht und antizipiert: Ich weiß noch so eine Begebenheit, da hat mein Ex-Mann mich einem Kumpel von ihm vorgestellt, der gleichzeitig Fan-Beauftragter von [nennt Name ihres Heimatvereins] ist und er sagte dann so ‚Das ist deine Freundin? Die hab ich mir ja jetzt ganz anders vorgestellt, nachdem du erzählt hast, dass die bei [nennt Name ihrer Hooligan-Gruppe] mitmischt‘. Ich sagte dann ‚Kurzhaarige Kampflesbe oder was?‘ und er so ‚Ja, so in etwa.‘ Ja, das ist dieses Bild im Kopf. Ja, das wäre mir so ein persönliches Anliegen (R 1566– 1572). Ronja spricht sich für ein differenziertes Verständnis für innerhalb der Hooligan-Szene befindliche Frauen aus. Ebenso wie die heterogene Zusammensetzung der Hooligan-Gruppe hinsichtlich der von den Mitglie­ dern ausgeübten Berufen, paradigmatisch nennt sie Zahnärzte, Banker und angehende Anwälte (R 1564), sind auch die Frauen unterschiedlich. Durch Frauen, die da mitwirken, aktiv oder passiv, zeigt Ronja auf, ein Mitwirken kann in der [aktiven] Form, wie sie selbst, und in [passiver] Form gesche­ hen. Obwohl sich diese, von ihr als passiv bezeichneten Frauen nicht aktiv an den körperlichen Auseinandersetzungen beteiligen, wirken sie dennoch in der Hooligan-Szene mit, indem sie ihre unterschiedlichen Rollen, Funktionen und Aufgaben ausfüllen und wahrnehmen. Weibliche Aktive sind Ronja zufolge nicht grundsätzlich dumm (Frauen, die genug in der Birne haben, R 1565) oder [assi] (Assi-Tanten, R 1662 f.), sondern es gibt kluge Frauen, denn sie haben genug in der Birne. Für Ronja schließen sich Klugheit und Mitgliedschaft in der Szene nicht aus, unabhängig davon, welches Geschlecht das Mitglied aufweist. Dennoch bemerkt Ronja, andere bringen für ihre Zugehörigkeit zur Hooligan-Szene kein Verständnis auf und gehen deswegen vorurteilsbehaftet mit ihr um. Ronja ist wichtig, nicht dem Stereotyp zu entsprechen, von dem sie denkt, andere haben es

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

von ihr als weiblicher Hooligan. Ronja muss sich nicht nur szeneintern aufgrund ihres zugewiesenen Sonderstatus mitunter rechtfertigen, verteidi­ gen und um Anerkennung kämpfen, sondern sich auch außerhalb der Szene erklären. Sie begegnet dem (gedanklichen) Konstrukt des Ausschlus­ ses qua biologischen Geschlechts aus der Hooligan-Szene sowohl inner- als auch außerhalb der Hooligan-Szene. dddd) Lisas und Tinas Perspektive auf Paarbeziehungen der Hooligans und ggf. stattfindende Gewalt Der folgende und der nachfolgende Abschnitt eeee) stellen aus zwei Per­ spektiven die Paarbeziehungen der Hooligans und die ggf. dort stattfindende Gewalt1870 vor. Die unterschiedlichen Perspektiven ergeben sich einerseits aus Lisas und Tinas partnervermitteltem Kontakt zur HooliganSzene und andererseits aus Ronjas selbstständiger Zugehörigkeit. Lisa und Tina wurden zu ihren (ehemaligen) Paarbeziehungen mit Hooligans und zu innerfamiliärer Gewalt befragt. Nur weil Hooligans an szeneinternen körperlichen Auseinandersetzungen teilnehmen, sind sie aus Lisas Sicht nicht innerhalb der Paarbeziehung auch gewalttätig (L 411– 422). Lisa relativiert, nicht zu wissen, wie alle zu Hause drauf sind, [sie ist] nicht überall vor Ort (L 417 f.) und meint, die meisten [sind] definitiv zu Hause nicht gewalttätig (L 419). An anderer Stelle arbeitet Lisa mit einem Vergleich, um auf die Frage des gewaltförmigen Verhaltens ihres (Ex-)Freundes, ihres Ehemannes und anderer Gruppenmitglieder innerund außerhalb der Hooligan-Szene zu antworten (L 404–420, 422–430): ich vergleich das jetzt auch wieder mit dem Kickboxer oder mit dem Boxer und nur, weil einer Kampfsport macht, heißt das nicht, dass er daheim immer vollkommen durchdreht bei jeder Kleinigkeit (L 426–429). Dabei setzt sie die beiden Sachverhalte Hooliganismus und Kickboxen jeweils in Bezug zu dem Verhalten außerhalb des „Rings“, was beim Kickboxen der tatsächlich vorhandene Ring ist, und der Zeit außerhalb des sportlichen Wettkampfes und im Hooliganismus, die währenddessen ausgeführten gewaltförmigen Auseinandersetzungen sowie das Verhalten, das auch in der Partnerschaft außerhalb der Hooligan-Szene gezeigt wird. Hooligans, die in einer Paar­ beziehung stünden, würden, ebenso wie Kickboxer, auch nicht nach einer stattgefundenen sportlichen oder szeneinternen körperlichen Auseinander­ setzung nach Hause kommen und der Partnerin da einmal mit den Füßen 1870 Vgl. grundsätzlich zur Gewalt im Geschlechterverhältnis B. IV. 3. b) bb) ccc).

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III. Auswertung der Interviews

ins Gesicht [treten] (L 410 f.). Hooligans sind wie (Kick-)Boxer zu Hause nicht mal ansatzweise gewalttätig, nein, beide nicht (L 412 f.). Lisa differenziert gewaltförmige Handlungen nach Orten, Szenen und beteiligten Per­ sonen, in denen (Kick-)Boxer oder Hooligans in legitimer Weise Gewalt anwenden und in welchen Zusammenhängen dies nicht zu geschehen hat. Sie verwehrt sich gegen die Zwangsläufigkeit, das gewaltförmige Ver­ halten innerhalb des Kampfsports und des Hooliganismus auf die Paarbe­ ziehungen zu übertragen. Sie ist fest überzeugt, weder (Kick-)Boxer noch Hooligans [drehen] daheim immer vollkommen bei jeder Kleinigkeit [durch] (L 428 f.). Tina hingegen schildert, wie aggressiv Conrad ihr gegenüber war. Er hat sogar einmal die Hand gegen sie erhoben (T 377–388). In dieser Situation dachte sie, oje, gleich [knallt es] (T 378). Dazu kam es laut ihren Erzählun­ gen nicht. Conrad wendet gegenüber Tina psychische Gewalt an, da er sie sowohl körperlich einschüchtert und bedrängt als auch ihr verbal droht und telefonisch nachstellt: Tina berichtet von einer Anruffrequenz Conrads abends und nachts von zum Teil 25 Mal pro Stunde (T 471). Tina selbst bezeichnet das als Stalking (T 471). eeee) Ronjas Perspektive auf Paarbeziehungen der Hooligans und ggf. stattfindende Gewalt Ronja gab ebenfalls zu ihren Paarbeziehungen im szeneinternen und -ex­ ternen Kontext Auskünfte, die u.a. auch Anhaltspunkte zu Gewalt1871 ent­ halten. Im Zwischenfazit in ffff) werden die Perspektiven Lisas und Tinas zu Ronjas Perspektive kontrastiert. Aus dem Interview lässt sich eine Chronologie zu Ronjas Beziehungen ableiten, wobei nicht beurteilt werden kann, ob darüber hinaus weitere, nicht erwähnte oder erwähnenswerte Beziehungen bestanden. Eine für die vorliegenden Fragestellungen relevante Beziehung führte sie mit Tim, einem Mitglied der Führungsriege (R 1148, 1385) und somit im szeneinter­ nen Kontext. Darauf folgt ihr (Ex-)Ehemann Erik und anschließend ihr aktueller Lebenspartner. Erik ist nicht Teil der Hooligan-, sondern der Fan-Szene: mein Mann war nicht aus der Hooligan-Szene, sondern er war aus der Fan-Szene, also im Prinzip […] nur Schal schwingen, rumschreien und saufen. Ich weiß auch nicht, wie ich zu dem gekommen bin, aber ja. Hat auch keiner verstanden, aber ich bin dann halt auch so, wenn ich mich für irgendwas 1871 Vgl. grundsätzlich zur Gewalt im Geschlechterverhältnis B. IV. 3. b) bb) ccc).

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

entscheide, dann steh ich dahinter (R 550–554). Retrospektiv beschreibt Ron­ ja Erik, der jünger ist als sie (R 1468), die Beziehung sowie deren Ende wie folgt und kontrastiert sich selbst dazu: Er ist halt so ein ganz ruhiger und ja wie gesagt, mit dem Wissen von heute, gehemmt halt, konfliktscheu und ich bin ja eher so offen und hoppla, hier bin ich. Und wer mir dumm kommt, der kann sich was anhören und ja. Es ist ja oft so, dass sich schwache oder konfliktscheue Menschen sich starke Menschen suchen (R 575–579). Erik und Ronja sind sehr unterschiedlich: Ronja stellt sich selbst als die aktive, starke, bestimmende Person dar, die Dinge offen und direkt anspricht. Erik hingegen mutet in Ronjas Erzählungen eher passiv an. Ronja reflektiert die Beziehung vor dem Hintergrund der erfolgten Tren­ nung und Scheidung. Ronja führt weiter aus: Ja, das geht eine ganze Zeit gut, wenn er mir irgendwie weiß ich nicht, wenn er mich genervt hat oder weiß ich nicht, dann hab ich halt meine Klamotten gepackt und bin nach [nennt Ortsna­ me in Ostdeutschland] gefahren auf eine Party, das hat mich nicht tangiert, ey ich brauch dich nicht. Ich geh meinen Weg und mach du dir ein schönes Wochenende. Wir haben auch zusammen gewohnt und so und dann bin ich weg gewesen. Da hat er angerufen, da lag ich dann noch verkomat und verkatert rum […] Ja, und das Ganze ist dann gekippt als ich Mutter wurde. Als er dann immer weg war und ich nicht weg konnte. Du kannst ja nicht das Kind alleine zu Hause liegen lassen. Und wie gesagt, da ist es dann gekippt. Und das ist das auch mit dem Anspruch, den man da an sich selber hat, ja und da ist das ganze halt gekippt. Da war ich dann im Prinzip immer in der Opferposition, weil er sich nicht darum geschert hat (R 579–592). Die Beziehung zwischen Erik und Ronja scheint in Teilen konflikthaft gewesen zu sein. Die Konflikte wurden nicht diskursiv gelöst, sondern durch Ronja mit der Flucht aus der Situation beendet worden zu sein. Die Geburt des Kindes scheint eine Zäsur darzustellen und Ronja konn­ te die konflikthaften Situationen nicht mehr mit der Flucht daraus lösen, sondern war aus ihrer Sicht gezwungen, zu bleiben – in der Wohnung, bei dem Kind, in dem Konflikt. Nun geht Erik den Konflikten durch Flucht aus der Wohnung aus dem Weg. Insofern verschiebt sich die Strategie der Flucht von Ronja auf Erik. Aus Fürsorge und Sorge um das Kind und Ronjas eigenem diesbezüglichen Anspruch an sich, wie sie für ihr gemeinsames Kind sorgen möchte, gerät Ronja in ihrer Wahrnehmung in eine Opferposition. Sie nimmt sich in den Konflikten als Opfer wahr, das weder die Wohnung noch den Konflikt verlassen kann, sondern sich stattdessen um das Kind zu kümmern hat, während Erik sich weder um sie noch um das Kind kümmert. Für Ronja scheinen dies neue Erfahrungen zu sein, denn statt wie zu Beginn der Beziehung den aktiven, starken,

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III. Auswertung der Interviews

außerhäusigen Part einzunehmen, befindet sich nun Erik in dieser aus Ronjas Sicht stärkeren Position. In dieser Zeit der Zäsur geht Erik regelmäßig ganztägig zum Fußball und [m]anchesmal ist er auch gar nicht nach Hause gekommen [vom Fußball­ spiel und den Feiern danach, Anm. d. Verf.] oder so und das ist ganz super, wenn man ganz allein mit Kind zu Hause sitzt. Keine Möglichkeit zu sagen, ich geh jetzt meinen Weg, nein, das geht ja nicht. Und da ist die ganze Sache [die Ehe, Anm. d. Verf.] dann auch sehr gekippt, zu meinen Lasten, ja (R 592–598). Ronja fühlt sich allein gelassen und in ihren Aktivitäten auf die Wohnung und das Kind beschränkt. Eriks Freizeitgestaltungen belasten Ronja: Er widmet sich v.a. dem Erleben von Fußballspielen und allem, was für ihn dazu gehört, wie z.B. das anschließende Feiern. Ronja kann ähnlichen Aktivitäten mit Hooliganismusbezug nicht nachgehen und scheint sich in ihrer Freiheit eingeengt zu fühlen. In dieser konfliktreichen Phase erfährt Ronja von einer Affäre Eriks, die ihn auch ins Stadion begleitet (R 598–601): Allein das ist schon die bodenlose Frechheit. Meine Leute, meine Jungs [die Hooligans ihrer Gruppe, Anm. d. Verf.] haben dann gesagt ‚Alter, was [gemeinsam mit der neuen Freundin ins Stadion zu gehen, Anm. d. Verf.] traut der [Erik, Anm. d. Verf.] sich, das würde ich mir nicht trauen.‘ Ich sage ja, ich sage ‚Ja, ich weiß es auch nicht.‘ Ich bin ja auch inzwischen so in einem Alter, wenn der das wie gesagt vor 20 Jahren gemacht hätte, dann hätte ich ihm glaub ich den Kopf abgerissen, aber so ja man reift ja auch. Ja, es ist ja nicht toll, wenn man so was mitkriegt, durchlebt und so weiter, zumal das auch das erste Mal war, dass mir so eine Nummer [betrogen werden und die Beziehung beenden, Anm. d. Verf.] passiert ist, normalerweise bin ich immer die gewesen, die Beziehungen beendet hat und gesagt hat ‚Nein lass mal oder so, geht nicht mehr.‘ Und dann so eine Beschiss-Nummer über [nennt Anzahl, Anm. d. Verf.] Monate lang, das wiegt natürlich extrem hart und dann noch als Mutter, wo du auch keinen Job hattest in der Zeit, das ist dann also wirklich puh sehr schwierig (R 601–612). Ronjas Enttäuschung, Wut und Entrüstung werden in dieser Erzählsequenz deutlich. Gleichzei­ tig reflektiert sie, 20 Jahre zuvor hätte sie anders als zu diesem Zeitpunkt gehandelt: dann hätte [sie] ihm [, glaubt sie,] den Kopf abgerissen (R 605). Ronjas eigenes Aggressionspotenzial und ihre körperliche Stärke haben in den vergangenen Jahren nachgelassen. Sie denkt zwar noch daran, gewalt­ förmig auf derartige Verletzungen zu reagieren, doch reflektiert sie ihre Einstellungsänderung mit ihrer hinzugewonnenen Reife und der für sie neuen Rolle als Mutter. Durch die veränderte Situation zu früher glaubt sie, an Stärke verloren zu haben, in Ermangelung eines [Jobs] weniger für sich selbst sorgen zu können und gleichzeitig nicht mehr nur für sich

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

allein zu sorgen zu haben, sondern zusätzlich für ihr gemeinsames Kind. Die subjektiven Einsichten Ronjas vermitteln den Eindruck, sie empfindet sich selbst als schwach, hilflos und nicht mehr wirkmächtig. Dies steht in Kontrast mit ihren andernorts zu findenden Selbsteinschätzungen als stark, durchsetzungsstark, bestimmend und aktiv. Möglicherweise ist die für sie geänderte Situation als Mutter, die Verantwortung und Fürsorge empfindet, für sie einer der Gründe, weshalb sie sich selbst verändert wahrnimmt und präsentiert. Neben dem gewaltförmigen Handeln schei­ nen nun auch Aspekte des tradierten Geschlechterrollenbildes bei Ronja vorhanden und integriert zu sein. Ob Ronja mit Hat auch keiner verstanden (s.o., R 533, weshalb sie mit Erik zusammen ist, Anm. d. Verf.) die Mitglieder ihrer Hooligan-Gruppe, weitere Freunde oder ihre Familie meint, ist nicht abschließend zu klären. Allerdings lässt die nachfolgenden Erzählsequenz auf Konflikte mit ihrer Hooligan-Gruppe schließen, die Ronja aufgrund ihrer Beziehung zu Erik hat: Ich hab [Erik] halt auch immer meinen Jungs [den Mitgliedern ihrer Hoo­ ligan-Gruppe, Anm. d. Verf.] gegenüber verteidigt und da hat sich dann auch irgendwann keiner mehr getraut darüber noch ein Wort zu verlieren. Weil das war dann auch so ‚Ja, was hast du denn da für einen Lappen‘ und ich gesagt ‚Ey, pass mal auf, wenn es passt, dann passt es, weil im Gegensatz zu dir hab ich wenigstens eine Beziehung‘ (R 554–559). Ronja muss sich aufgrund ihrer Beziehung zu Erik gegenüber den anderen Gruppenmitgliedern rechtferti­ gen sowie Erik und die Beziehung zu ihm stets verteidigen. Nicht abschlie­ ßend zu klären ist, ob das daran liegt, weil Erik kein Hooligan, sondern der Fan-Szene zuzuordnen ist. Die Verwendung des Begriffs Lappen lässt vermuten, Ronjas Gruppenmitglieder nehmen Erik eher als Verlierer oder als Person wahr, die keinen Mut hat und die Grundeinstellungen1872 der Hooligans nicht teilt. Es scheint als hätten Ronjas Verteidigungs- und Rechtfertigungsbemühungen nach einer gewissen Zeit Früchte getragen und die Beziehung zu Erik scheint wohl toleriert oder akzeptiert worden zu sein, denn da hat sich dann auch irgendwann keiner [der anderen Gruppen­ mitglieder, Anm. d. Verf.] mehr getraut darüber noch ein Wort zu verlieren. Aus Ronjas Sicht passt es zwischen ihr und Erik, was den Schluss zulässt, sie bezieht sich hier auf die Liebe zu ihm, die Stabilität und das partnerschaftliche Verhalten innerhalb der Paarbeziehung. Ronja schildert von den Anfängen ihrer Beziehung zu Erik: Sie [hat] ihn kennengelernt, [Erik] hat mitbekommen, dass ich aus der Hooligan-Szene komme, dass ich Mitglied bei [nennt Namen ihrer Hooligan-Gruppe, Anm. d. 1872 Vgl. E. III. 2. b) gg) bbb).

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III. Auswertung der Interviews

Verf.] bin und damit war ich schon sehr interessant für ihn (R 561–563). Aus Ronjas Sicht ist ihre Mitgliedschaft in der Hooligan-Gruppe ein Grund, weshalb Erik Interesse an ihr hat. Vorsichtig kann vermutet werden, Erik ist davon fasziniert, dass Ronja Hooligan ist und bewundert sie deswegen. Für Erik scheint Ronjas Zugehörigkeit zur Hooligan-Szene kein Problem darzustellen, denn da hätte er mich da dann nicht aussuchen dürfen (R 574 f.). Diese Formulierung deutet auf einen aktiveren Part Eriks zu Beginn der Beziehung hin. Ronja stellt sich selbst an dieser Stelle eher passiv dar. Dies verwundert angesichts Ronjas eigenem Bild von Weiblichkeit, das eher nicht an traditionellen Geschlechterrollenbildern orientiert ist und Ronja sich bei anderen Erzählsequenzen aktiv agierend und nicht derart passiv reagierend darstellt. Ronja und Erik besuchen ihr zufolge während der Beziehung nur ein Mal gemeinsam ein Fußballspiel und sind dafür an dem Ort, an dem sich Erik üblicherweise im Stadion aufhält: ich bin ein Mal mitgegangen, nach einer Viertelstunde musste ich aufs Klo, es war brechend voll, ich hab nichts gese­ hen […] und dann hab ich mir gedacht ‚Ey, die Scheiße geb ich mir hier nicht.‘ Ich sagte mir dann, wenn ich das Spiel sehen will, dann setz ich mich hin, ab 30 wird sowieso gesessen und dann hab ich gesagt, ich will aber auch das Spiel sehen. Und ey, dann stell ich mich nicht [nennt Standort im Stadion, Anm. d. Verf.], ey, da krieg ich ja Platzangst, also weiß ich nicht, nein. Also er wusste das [das sie sich dort nicht wohlfühlt und dass sie aktives Mitglied einer Hooli­ gan-Gruppe ist, wobei der Prozess des langsamen Ausstiegs daraus sich wohl zu dieser Zeit angebahnt hat, Anm. d. Verf.] (R 656–572). Ronja fühlt sich nicht wohl an dem Ort im Stadion, an dem Erik üblicherweise steht. Es ihr dort zu überfüllt und sie kann das Fußballspiel nicht verfolgen. Wenngleich sie an anderer Stelle betont, sich eher für die Randerscheinungen als für das Fußballspiel selbst zu interessieren, erscheint hier die Hinderung, das Spiel verfolgen zu können, einer der Gründe, weshalb sie sich an dieser Stelle im Stadion nicht wohl fühlt. Ronja selbst räumt ein, zu dieser Zeit auch schon nicht mehr richtig aktiv (R 572) in ihrer Hooligan-Gruppe zu sein. Da es sich bei Ronjas Ausstieg aus der Szene um einen sehr langen und zum Zeitpunkt des Interviews noch nicht abgeschlossenen Prozess handelt, kann vorsichtig gefolgert werden, diese Phase ihrer Hooligan-Kar­ riere hat zum Zeitpunkt des Besuchs des Fußballspiels mit Erik bereits begonnen. Möglicherweise hat zu diesem Zeitpunkt die Häufigkeit oder Intensität ihrer Involviertheit in die Hooligan-Szene bereits im Vergleich zu anderen Zeiten abgenommen. Nichtsdestotrotz kann aus nicht mehr richtig aktiv im Umkehrschluss geschlossen werden, sie war aktiv, wenn auch in veränderter Art und Weise zu früheren Zeitpunkten.

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

Erik selbst war nie bei körperlichen Auseinandersetzungen von Ronja und ihrer Hooligan-Gruppe räumlich kopräsent (R 560). Dies stellt eine Parallele zu Lisa und Tina dar. Ob Erik an szeneinternen Feiern, die für diejenigen geöffnet sind, die einen partnervermittelten Kontakt zur Szene hatten und, wie Lisa, eine vorab erteilte ausdrückliche Zustimmung hin­ sichtlich der räumlichen Kopräsenz benötigen, ist dem Interview nicht zu entnehmen. Wie Ronja sich selbst im Hinblick auf Paarbeziehungen charakterisiert und ob sie dabei Unterschiede ausmacht, ob es sich um Paarbeziehungen mit szeneinternem oder -externem Bezug handelt, sind ebenfalls zentrale Fragen. Ronja sieht sich als stark und durchsetzungsstark und lässt sich auch innerhalb von Beziehungen nichts sagen. Dabei differenziert Ronja zwischen sich und anderen Frauen und verwendet als Differenzierungskriterium das gegenüber den Partnern gezeigte Verhalten: grundsätzlich ist das auch das, was Männer [im Allgemeinen, Anm. d. Verf.] größtenteils fasziniert. Starke Frauen, die sich nichts sagen lassen oder sich auch nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Ich hab mir eigentlich auch immer eher ruhige Männer ausgesucht, weil so wichtigtuerische Proleten, wie ich sie aus unserer Szene [die Hooligan-Szene, Anm. d. Verf.] kenne, die waren […] Wer das nötig hatte, war eh schon irgendwie nicht mein Niveau. Ja und die, die es nicht nötig haben und wo man sich einfach nur mal gut über was unterhalten hat, was jetzt nicht mit Fußball zu tun hat, die das dann entweder mitgetragen haben, weil sie selber in der Szene waren oder es respektiert haben (R 762–770). Ronja widerspricht hier ihren vorherigen Äußerungen, von Erik ausgesucht worden zu sein, denn hier stellt sie es so dar, als würde sie sich „ihre Männer“ aussuchen. Ronja bezeichnet männliche Mitglieder ihrer Hooligan-Gruppe als wichtig­ tuerische Proleten und nicht [ihrem] Niveau entsprechend. Nichtsdestotrotz führt sie über fünf Jahre hinweg eine Beziehung mit einem Mitglied der Führungsriege (R 1148). Ronja charakterisiert die Männer, mit denen sie Paarbeziehungen führt, als ruhige Männer. Dies steht einerseits im Gegensatz zu ihrer eigenen Selbstwahrnehmung als aktiv, hoppla, hier bin ich (R 577) und stark. Ande­ rerseits steht dies im Gegensatz zu ihrer Angabe, einer ihrer erwähnten Ex-Freunde, Tim, war ein Mitglied der Führungsriege. Denn es kann davon ausgegangen werden, ein Mitglied einer Hooligan-Gruppe, der gleichzeitig in deren Führung involviert ist, entspricht nicht notwendigerweise dem, was unter ruhig zu verstehen ist. Diese Widersprüche können nur in An­ sätzen aufgelöst werden. Es wird deutlich, Ronja erwartet als Kriterium von ihren Partnern, Unterhaltungen über andere Themen als Fußball zu führen. Dennoch fordert sie ein, den von ihr ausgelebten Hooliganismus

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III. Auswertung der Interviews

entweder [mitzutragen] oder ihre Zugehörigkeit zur Szene zu [respektieren]. Erik scheint ihre Zugehörigkeit respektiert zu haben, weshalb es möglich war, eine Beziehung mit ihm zu führen. Hierzu eng in Verbindung ste­ hend ist Ronjas Ausführung dazu, wie sie sich selbst und ihre Partner sieht, wobei sie dabei selbst eine Parallele zu den szeneintern gebräuchlichen Bezeichnungen für weibliche Personen bzw. Freundinnen der Hooligans wählt: Und es ist auch so, wie ich immer gesagt habe, ‚ich bin nicht die Freun­ din von‘ bei mir ist das höchstens so ‚das ist der Mann von mir‘ und nicht andersherum. Ich bin nicht die Freundin von oder ich bin ich hab schon ein paar mal zu wem gesagt ‚Ey, du bist eh nur Deko‘, ja das ist so, das sind Deko-Frauen […] Ja, Anhängsel, Vorzeige-Frau, Deko-Frau, aber ansonsten war es das dann auch (R 1179–1184). Hier charakterisiert Ronja andere Frauen, die mit männlichen Hooligans Beziehungen führen und kontrastiert sich selbst zu ihnen. Gleichzeitig parallelisiert sie die Bezeichnung für Erik mit der Bezeichnung für diese Frauen. Ronja ist somit der Bezugspunkt für Erik zur Hooligan-Szene. Da sie dort zugehörig ist, wird Erik aus ihrer Perspektive auch so bezeichnet wie andere Personen, die Beziehungen mit Hooligans führen. Einen weiteren Freund beschreibt Ronja wie folgt: Ich hatte auch mit 20 mal so einen Schlipps- und Krawatten-Träger, das war dann total lustig, der war im Prinzip voll der Schönling abends und ich stand dann da gelegentlich mit Latzhose und Turnschuhen und hab erstmal da beim McDonalds da sowas so eine Alte durch die Küche getreten. Wo er dann da so da stand und blöd geguckt hat ja und komischerweise hat das auch funktioniert. Er fand das zwar immer ganz doof, wenn ich irgendwie mit 50 oder 60 Leuten zum Fußball gefahren bin, weil das sind ja alles Männer und damit potenziell könnten sie ihm ja auch alle die Frau ausspannen. Aber das war ja auch das, was ich eigentlich gar nicht wollte, weil dafür hab ich viel zu tiefe Einblicke gehabt. Und wenn du Leute so lange kennst, da entwickelt sich da so oder so nichts. Aber nein, wenn du so tief in der Szene drin bist (R 770–781). Ronja und der Schlipps- und Krawatten-Träger unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich der Kleidung, denn Ronja trägt Latzhose und [Turnschuhe], sondern auch hinsichtlich der Hemmschwelle, Gewalt anzuwenden und des Aggressionspotenzials. Wes­ halb Ronja beim McDonalds [...] eine Alte durch die Küche getreten [hat], ist dieser Erzählsequenz nicht zu entnehmen, allerdings hat der Schlipps- und Krawatten-Träger Ronjas Gewaltanwendung nicht mitgetragen, denn sie stieß auf Unverständnis. Trotzdem hat die Paarbeziehung komischerweise […] auch funktioniert. Möglicherweise respektiert auch dieser Ex-Freund Ronjas objektive und subjektive Zugehörigkeit zur Hooligan-Szene, auch wenn er in gewisser Weise eifersüchtig ist und sich um sie sorgt: Da Ronja

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

mit 50 oder 60 Leuten zum Fußball gefahren [ist] und dieser Ex-Freund nicht räumlich kopräsent war, befürchtete er [alle würden] ihm ja die Frau ausspannen. Ronja entkräftet seine Befürchtungen, denn sie hat viel zu tiefe Einblicke gehabt, und da sie die Leute [die anderen Hooligans der Gruppe, Anm. d. Verf.] so lange [kennt], […] entwickelt sich da so oder so nichts [keine Beziehung, Anm. d. Verf.], denn dafür ist sie zu tief in der Szene drin. Den­ noch führt sie mit Tim eine fünfjährige Beziehung, was in Widerspruch zu dieser Sequenz steht. Trotzdem kann mit obiger Äußerung die das dann entweder mitgetragen haben, weil sie selber in der Szene waren (R 769) gefolgert werden, aus Ronjas Sicht ist dies nicht widersprüchlich, sondern ebenfalls möglich. Ronjas eigene Ambivalenz zu den Mitgliedern ihrer Hooligan-Gruppe wird hier sichtbar, denn aufgrund ihrer Einblicke in die Szene und der oben dargelegten Ansicht, es handelt sich um wichtigtueri­ sche Proleten (R 765) und der dennoch geführten Beziehung mit Tim, lässt vermuten, er unterscheidet sich in ihrer Wahrnehmung von den anderen Gruppenmitgliedern, weshalb eine Beziehung möglich war. Im Interview finden sich u.a. Hinweise auf Gewalt in der von Ronja und Tim geführten Beziehung: Ronja zufolge sind männliche Hooligans größtenteils alles Frauenschläger und es ist so (R 781). Ihrer Schätzung nach ist etwa die Hälfte aller Beziehungen von Hooligans mit häuslicher Gewalt belastet (R 704 f.), denn wenn du das Hobby [den Hooliganismus, Anm. d. Verf.] hast, verhältst du dich ja nicht nur im Zusammenhang oder rund ums Stadion so, sondern du verhältst dich in deinem Privatleben genauso. Deswegen ist das ja auch der Grund, warum locker 50 Prozent ihre Frauen schlagen (R 702–705). Ronja zufolge sehen Hooligans Gewalt innerhalb der Bezie­ hung als Handlungsoption. Zur Begründung führt sie an, die Hooligans vermögen nicht anders argumentieren [zu] können (R 705). Es scheint für Ronja hier einen Automatismus zu geben: Eine Person wendet Gewalt als Hooligan in szeneinternen und in szeneexternen Kontexten, wie der Beziehung, an. Diesen Automatismus attestiert Ronja zumindest über der Hälfte der männlichen Hooligans. Aus ihrer Sicht sind sie nicht in der Lage, Konflikte gewaltfrei und diskursiv innerhalb der Beziehung zu lösen, sondern sie wählen gewaltförmiges Verhalten als Konfliktlösungsstrategie. [Als] Frau würde sie sich reichlich überlegen, eine Beziehung mit einem Hooligan einzugehen, denn ihres Erachtens besteht keine Hemmschwelle, zuzuschlagen und so bergen sie die Gefahr einer Gewalt- bzw. Opfererfah­ rung in sich: Also ich würde mir, wenn ich ein bisschen was in der Birne habe als Frau reichlich überlegen, ob ich eine Beziehung mit einem Hooligan eingehen wollen würde. Weil die Hemmschwelle ist halt nicht da (R 706–708).

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III. Auswertung der Interviews

Da Ronja selbst Hooligan ist, stellt sich die Frage, ob die von ihr als Au­ tomatismus zur Gewaltanwendung dargestellte Erklärung nur für männli­ che Hooligans oder auch für sie als weiblicher Hooligan gilt. Denn auch sie übt den von ihr als Hobby (R 702) bezeichneten Hooliganismus aus und teilt in weiten Teilen die dort notwendige Grundeinstellung.1873 Deshalb könnte es nicht grundsätzlich auszuschließen sein, auch sie könnte bei Konflikten nicht anders in ihrem Privatleben (R 704) und in den Paarbezie­ hungen argumentieren – nämlich nur gewaltförmig ohne die Fähigkeit, Konflikte diskursiv und gewaltfrei zu lösen –, da sie sich nur hinsichtlich ihres Geschlechts von den anderen Hooligans unterscheidet. Hinweise darauf, ob dies auch für Ronja als weibliche Hooligan gilt, gibt sie an einigen Stellen im Interview. Zunächst beschreibt sie eine Situation mit ihrem Vater:1874 Ich hab auch schon mal mit dem Messer vor meinem Vater gestanden, weil der mir eine Ohrfeige verpassen wollte, da war ich, weiß ich nicht, 20 glaub ich, da hab ich gesagt ‚Na, komm doch her du Arschloch‘ ich sage ‚Du schlägst mich nicht noch mal. Deine ganze Scheiße und von dir lass ich mir deine ganze Kacke nicht mehr gefallen.‘ Da ist so man ist so ohnmächtig, wenn man so einen cholerischen Vater hat, dem dann auch mal die Hand ausrutscht, du bist da ja als Kind in einer totalen Ohnmachtsposition und irgendwann sagst du dann, ‚Nein, Alter, Ende im Gelände‘ und setze eine Grenze. Ja, und da stand er dann und hat geheult, ich mein, das ist nicht schön, aber es ist so (R 726–734). In dieser Situation wollte Ronjas Vater ihr eine Ohrfeige geben und sie reagierte darauf, indem sie drohte, ihn mit einem Messer zu verletzen. Es handelt sich also um einen innerfamiliären Konflikt, den Vater wie Tochter gewaltförmig, auch mit Beleidigungen, zu lösen beab­ sichtigen. Ronja ist in dieser Situation kein Kind mehr, sondern bereits erwachsen, da die geschilderte Situation etwa 25 Jahre vor dem Interview stattfindet. Sie verdeutlicht hier, wie prägend die Situation noch immer für sie ist. Durch das Drohen, ihren Vater mit dem Messer zu verletzen, setzt sie ihm eine Grenze und zeigt ihm auf, diese von ihr als Ohnmachts­ position (R 732) bezeichnete Empfindung nicht länger hinzunehmen und sich aktiv zur Wehr zu setzen. Wie auch in anderen Situationen nutzt sie nicht nur die mit ihrem eigenen Körper zur Verfügung stehenden Mitteln, sondern bedient sich eines Gegenstandes, in diesem Fall eines Messers.1875

1873 Vgl. E. III. 2. b) gg) bbb). 1874 Vgl. zu Ronjas Verhältnis zu ihren Eltern und dem von ihr empfundenen Erziehungsstil E. III. 1. d). 1875 Vgl. zum Einsatz eines Aschenbechers und anderen Gegenständen E. III. 2. b) hh) ccc) cccc).

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

Da Ronja bereits den Einstieg in die Hooligan-Szene vor der Folie ihres Aufwachsens, der von ihr erlebten Erziehung und den innerfamiliären, physischen Gewalterfahrungen reflektiert,1876 kann vermutet werden, auch sie hat ein anderes Argumentieren als mit gewaltförmigem Verhalten im Laufe ihrer Sozialisation nicht oder nur eingeschränkt erlebt bzw. erlernt und wendet dies nun im szeneinternen und -externen, partnerschaftlichen Kontext ebenfalls an. Andere Erzählsequenzen geben hierzu ebenfalls Hinweise, da Ronja Bei­ spiele für Gewalt innerhalb der eigenen Paarbeziehungen nennt: Ich hab es bei mir selber gesehen, also ich hab meinem Ex-Freund ein Küchenmesser in seine Jacke gekloppt, das ist zum Glück abgebrochen, weil es ein billiges Messer war, weil der mich so gereizt hat bis aufs Blut, das ging irgendwie den ganzen Tag und ich hab gesagt ‚Jetzt halt die Fresse, ich will es, es jetzt einfach nicht mehr hören‘ und er hat immer weiter gemacht und irgendwann ist halt wie so ein Rollo, der dann so runter fällt. Und das war bei uns in der Wohnung und dann hab ich mich umgedreht, hab ein Küchenmesser rausgenommen mit so einer Klinge und das ist dann halt am Reisverschluss von der Chevignon-Jacke abgebrochen (R 708–716). Auch in dieser Situation bedient sich Ronja eines Gegenstandes, eines Küchenmessers, um auf ihren Ex-Freund loszugehen. Um welchen Ex-Freund es sich handelt, ist nicht ergründbar. Ihre eigene Hemmschwelle, mit einem Küchenmesser auf ihren Ex-Freund loszuge­ hen, ist ihr zufolge sehr niedrig gewesen. Ronja gerät hier in Rage, verliert die Fassung und löst die Situation mit einer Beleidigung und dem Zuste­ chen, wobei ihr Ex-Freund unverletzt bleibt. Sie versucht, den Konflikt mittels Gewaltanwendung zu lösen. Durch das Verwenden von ist halt wie so ein Rollo, der dann so runterfällt (R 713) gibt sie vor, sich in dieser Situation selbst nicht mehr unter Kontrolle zu haben und die Gewalt über sich zu verlieren. Sie nutzt somit eine Rechtfertigungsstrategie und Neutralisierungstechniken für das eigene Handeln. Zwar schlägt sie ihren Ex-Freund nicht, trotzdem wird ersichtlich, sie selbst vermag in dieser Situation ebenfalls nicht anders zu argumentieren als mit Gewalt. Es scheint als gilt für sie selbst ebenfalls der oben von ihr als Automatismus zur Gewaltanwendung erklärte und beschriebene Zusammenhang zwischen der Gewaltanwendung im Kontext des Hooliganismus und im Privatleben (R 704). Ronja beschreibt anschließend, wie ihre Gruppe darauf reagierte: Und das sind dann wieder so Sachen, wo es dann wieder heißt ja, [Ronja], wieder total durchgeknallt und die hat ja nicht alle Latten am Zaun und so weiter. 1876 Vgl. oben E. III. 2. a).

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III. Auswertung der Interviews

Ja, auch wieder was, wo du dir deinen Respekt mit geholt hast und das ist so (R 717–720). Hieraus können Ronjas Suche und Finden von Anerkennung und Respekt in der Hooligan-Gruppe erneut gesehen werden. Die anderen Gruppenmitglieder stufen dieses Verhalten zwar als verrückt ein (nicht alle Latten am Zaun, R 719), aber sie sanktionieren es nicht. Möglicher­ weise handelt nicht nur Ronja, sondern auch andere Gruppenmitglieder gleichermaßen. Es könnte nur deswegen als verrückt bezeichnet werden, weil sich Ronja hier ebenso wie die anderen, männlichen Gruppenmitglie­ der verhält. Der Einsatz von Gewalt zur Konfliktlösung innerhalb von Paarbeziehungen scheint von den anderen Gruppenmitgliedern akzeptiert zu werden. Ronja zufolge kommt es zu gegenseitiger Gewalt in der Beziehung zwi­ schen ihr und Tim. Ich hatte 5 Jahre da auch einen aus der Szene aus, so im Prinzip aus der Führungsriege (R 1147 f.). [D]ie eine Beziehung mit einem aus der Führungsriege, die hat fünf Jahre gehalten, hätte man aber nach eineinhalb Jahren beenden können. War dann eigentlich auch nur noch so ein Machtkampf und das genau dieses Ding, wenn man sich dann zu Hause auch schon grade macht, dann hört es irgendwann auch schon auf (R 1384–1388). Obwohl Ronja retrospektiv betrachtet die Beziehung nach eineinhalb Jahren hätte beenden können, folgten weitere dreieinhalb Jahre; weshalb die Beziehung nicht eher beendet wurde und was der spätere Trennungsgrund war, ist nicht bekannt. Die Paarbeziehung erscheint ihr rückblickend als Macht­ kampf zwischen ihr und Tim. Der Kampf wurde nicht nur mit Worten geführt, denn Ronja führt aus, dass sie sich dann zu Hause auch schon grade [ge]macht hat (R 1386 f.). Da Ronja sonst die Wendung grade machen für szeneinterne körperliche Auseinandersetzung nutzt (vgl. R 438, 755, 789), lässt das den Schluss zu, auch innerhalb der Beziehung wurde gewaltför­ mig gehandelt. Dort scheint es eine Eigendynamik zu geben, die einem bestimmten Muster folgt und es zu [Machtkämpfen] (R 1386) kommt. In den konflikthaften Situationen scheint Ronja auf die mit ihrem Körper zu Verfügung stehenden Mitteln begrenzt zu sein. Damit entsprechen die körperlichen Auseinandersetzungen innerhalb der Beziehung mit Tim den Gepflogenheiten der Hooligan-Szene, keine Waffen oder sonstigen Gegenstände einzusetzen.1877 Ronja und Tim vermögen gar nicht anders argumentieren [zu] können (R 705) als mittels Gewaltanwendung. Dies lässt vermuten, der von Ronja oben erwähnte und als Automatismus charak­ terisierte Zusammenhang, eine Person wendet Gewalt als Hooligan in entsprechenden szeneinternen und -externen Kontexten und der szenein­ 1877 Vgl. C. III. 2.

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

ternen Paarbeziehung Gewalt an, greift auch hier. Verstärkt wird der von Ronja als Automatismus gemeinte Zusammenhang in diesem Fall durch die Zugehörigkeit beider Partner der Beziehung zur Hooligan-Szene. Der von Ronja als Automatismus gesehene Zusammenhang lässt sich somit nicht auf männliche Hooligans begrenzen, sondern gilt auch für sie selbst als weibliche Hooligan. Ronja und Tim sind vor, während und nach der gemeinsamen Bezie­ hung in der Hooligan-Szene aktiv: Man muss dann ja auch wieder sehen, das war ja vorher auch schon so, ob wir da nun zusammen sind oder nicht, da ändert sich dann ja nichts. Er hat das [den Hooliganismus, Anm. d. Verf.] vorher gemacht und ich hab das vorher gemacht (R 1149–1151). Ronja und Tim geben, unabhängig ihres Beziehungsstatus in diesen Zeiträumen, wäh­ rend den szeneinternen körperlichen Auseinandersetzungen aufeinander acht: Klar achtet man da aufeinander (R 1151 f.). Es finden sich keine An­ haltspunkte, ob es zu einer Störung der Gruppensolidarität oder anderen konflikthaften Situationen aufgrund der Beziehung kam. Ja ich bin auch, ja klar, man springt ja auch für den anderen ein in die Bresche. Ich hab mir auch schon mal so eine fette Ladung Tränengas ins Gesicht eingehandelt, weil ich mich da eingemischt habe. Ja oder zwei auf einen, da siehst du auch zu, dass du das ausgleichst. Ich schau dann ja auch nicht zu, wenn dann mehrere meinen Freund dann angehen. Wenn das ein Eins-zu-Eins-Ding ist, dann seh ich da keine Notwendigkeit, so lange, wie dann da kein Messer gezückt wird, oder wie das heute ist, da irgendwie einzuschreiten oder so was (R 1152–1158). Ronja hat sich in der Zeit der Beziehung auch in von ihr als unfair einge­ stuften Situationen (z.B. zwei gegen eins-Situationen, mit Waffen) in Tims Auseinandersetzungen eingemischt, da sie nicht zusehen konnte, wenn da mehrere [ihren] Freund angehen und versucht, [auszugleichen] (R 1155 f.). Ronja steht folglich unabhängig einer bestehenden Beziehung für ihn und damit für die Hooligan-Gruppe bei körperlichen Auseinandersetzungen ein und bringt sich auch selbst damit in Gefahr. In Situationen eins gegen eins, in denen auch keine Waffen eingesetzt wurden, sieht sie hingegen nicht die Notwendigkeit, Tim zu helfen oder einzuschreiten, da dies für den Hooliganismus übliche Situation sind. ffff) Kontrastierung der Perspektiven auf Paarbeziehungen der Hooligans und ggf. stattfindende Gewalt Die Sicht der weiblichen Interviewten auf Gewalt in Paarbeziehungen mit Hooligans differiert sowohl untereinander als auch mit der Ansicht der

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III. Auswertung der Interviews

männlichen Interviewten. Die in den vorherigen Unterkapiteln aufgezeig­ ten Beschreibungen der Interviewten zeigen einerseits beide Pole des Mög­ lichen sowie anderseits die Bereiche dazwischen auf: Es werden einerseits eigene Erfahrungen als Täter oder Täterin sowie als Opfer von Gewalt in Paarbeziehungen offenbart, was aufgrund der in der Gesamtgesellschaft größtenteils vorhandenen Tabuisierung der Gewalt in Paarbeziehungen beachtlich ist. Andererseits wird die grundsätzliche Ablehnung von Ge­ walt in Paarbeziehungen bekundet sowie die Ansicht, dass die meisten Hooligans innerhalb von Paarbeziehungen nicht gewaltförmig handeln. Die unterschiedlichen Einschätzungen der Interviewten zu diesem Phäno­ men können aufgrund des vorliegenden Datenkorpus nur vorsichtig ge­ deutet werden: Es gibt keine Kausalität – verstanden als conditio sine qua non in dem Sinne, dass es eine Bedingung ist, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele1878 – zwischen dem Ausüben von Gewalt im Kontext des Hooliganismus und innerhalb von Paarbeziehungen. Dennoch scheinen die Hinweise in den Interviews den vorsichtigen Schluss eines möglicherweise erhöhten Risikos zuzulassen, dass in Paarbeziehungen zwischen und mit Hooligans, gewalt­ förmiges Handeln zu finden ist. Zwar wohnt der Gewalt in Paarbeziehun­ gen grundsätzlich kein Wettkampfcharakter wie den körperlichen Aus­ einandersetzungen im Rahmen des Hooliganismus inne, jedoch können dabei das Streben nach Macht und Machtdynamiken greifen sowie Macht­ asymmetrien sichtbar werden. Aufgrund des vorliegenden Datenkorpus, bedingt durch die Fragestellungen und der gewählten Forschungsstrategie, können keine weitergehenden Aussagen getroffen werden. gggg) Wahrnehmung des szeneinternen Verhaltens durch die weiblichen Interviewten Wie das szeneinterne Verhalten der Hooligans auf die weiblichen Inter­ viewten wirkt, wird nun kontrastiert zur Sicht der männlichen Interview­ ten hinsichtlich ihrer Wahrnehmung, wie sie die Wirkung ihres szenein­ ternen Verhaltens gegenüber weiblichen, sich in der Hooligan-Szene be­ findlichen Personen einschätzen. Aus Franks Erzählungen wird deutlich, seine wechselnden Freundinnen schätzen sein Verhalten nicht. Retrospektiv gelangt er zu der Erkenntnis dann machst du dir eigentlich so wie damals wie heute, alles kaputt (F 1327). 1878 Vgl. statt vieler Schönke/Schröder/Eisele, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 73a mwN.

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

Hätte eine seiner wechselnden Freundinnen angestrebt, ihn oder sein Verhalten zu ändern, hätte Frank die Beziehung beendet (F 1551 f.). Das eigentlich angestrebte Ziel der männlichen Hooligans ist, stilvoll [rüberzu­ kommen], freundlich und zuvorkommend gegenüber den Frauen zu sein (F 1674–1676): man pflegte das Image des Gentlemans (F 1678). Trotzdem wur­ de, wenn es zu körperlichen Auseinandersetzungen kam, die Gelegenheit wahrgenommen, daran teilzunehmen und die Mädels fanden das immer absolut schrecklich, dass kein Abend mal ruhig ablief (F 484 f.). Selbst wenn sie [ihren] Mädels vorher geschworen [hatten], sich zurückzuhalten, nehmen die männlichen Hooligans an den körperlichen Auseinandersetzungen teil. Die daraus resultierende, von den männlichen Hooligans wahrgenomme­ ne Reaktion der weiblichen Anwesenden war: die Mädels, die ja Rotz und Wasser flennten und einfach nur meinten, wir wären so asozial (F 489 f.). Der Wunsch zur Teilnahme an den körperlichen Auseinandersetzungen steht dem angestrebten Ziel entgegen; sie entscheiden sich für die Teilnahme an ersteren. Das szeneinterne Verhalten löst bei Tina und Lisa Angst aus und es wirkt für sie erschreckend und befremdlich. Für Tina wirken v.a. die in Conrads Wohnung befindlichen, der Hooligan-Szene zuzuordnenden Sachen befremdlich (T 111–117). Auch die plastische Erzählung, wie Conrad einem anderen Hooligan im Zuge des Aufnahmerituals einen Elfmeter1879 verpasst hat, befremdet Tina (T 126–128). Conrad ging bei ihr davon aus, da­ für Verständnis [zu haben] (T 145). Tina findet das aber ebenso befremdlich wie das blaue Auge, das er nach einer Auseinandersetzung hatte, von der er wiederum ganz glücklich zurückkam (T 190). Das szeneinterne Verhalten kann auch bevormundend wirken: In Situa­ tionen mit Gruppenbezug bevormundet Conrad Tina. Wenn sie allein sind, geschieht das nicht derart (T 250 ff.). Das Bevormunden betrifft Tinas Alkoholkonsum in Conrads Beisein zusammen mit anderen Gruppenmit­ gliedern (T 250–254) sowie das Kontrollieren ihrer Freizeit durch Kontroll­ anrufe (T 257–263). Das Verhalten ändert sich, je nachdem, ob er allein oder mit den anderen Mitgliedern seiner Hooligan-Gruppe zusammen ist. Dies spricht für ein sich währenddessen verstärkendes traditionelles Geschlechterrollenbild in Bezug auf Frauen: Innerhalb der Hooligan-Szene kann sich das traditionelle Geschlechterrollenbild verstärkten Ausbruch verschaffen. Hinsichtlich der Wahl ihres Arbeitsplatzes fühlt sich Tina durch Conrad unterdrückt und bevormundet, da er ihr Vorhaltungen macht, Männern den Arbeitsplatz wegzunehmen: Sie soll bitte was machen, 1879 Vgl. schon E. III. 2. a).

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III. Auswertung der Interviews

was [ihrem] Geschlecht entspricht (T 354). Tina ist promovierte Naturwissen­ schaftlerin.1880 Conrads Ansicht zufolge soll Tina doch lieber zu Neukauf an die Kasse gehen, damit [sie] endlich mal was normales mache (T 348 f.), denn er braucht gar keine Doktorfrau (T 350) und Tina [nimmt] ja sozusagen den Männern den Arbeitsplatz weg (T 353). Tina erzählt, Conrads vorherige Freundin war Kassiererin in einem Supermarkt (T 373) und arbeitete aus Conrads Sicht etwas normales, denn das sind ganz normale Sachen für eine Frau (T 376). Tina teilt Conrads Ansicht nicht und entgegnet: ich lass mir dann erst recht nicht sagen, dass ich mir einen neuen normalen Job suchen soll (T 503 f.). Für Tina kommt es nicht in Frage, den eingeschlagenen beruflichen Weg zu verlassen. Tina fühlt sich von Conrad weder anerkannt noch wertgeschätzt. Sie ist wütend darüber, dass er ihren beruflichen Weg weder akzeptiert noch toleriert. Bei Tinas Ausführungen könnte es sich zum einen um die Schilderung dessen handeln, was sich tatsächlich ereig­ net hat. Es ist allerdings auch möglich, eben jene Ausführungen sind, da sie im Rahmen des Interviews ihre Erinnerungen aktualisiert wiedergibt, Erinnerungen dessen, weshalb die Beziehung beendet wurde. Für Tina wirkt die Beziehung zu Conrad noch auf ihr derzeitiges Leben nach, wie z.B. das Nichtbesuchenkönnen von Fußballspielen ihres favorisierten Ver­ eins. Deshalb könnte Tina besonders die während der Interviewsituation zur Sprache gekommenen Aspekte, die mit der Beziehung als solcher und deren Ende zusammenhängen, besonders eindrücklich hervorgehoben ha­ ben. Zwischen Tina und Conrad kommt es des Öfteren zu Konflikten: Sie kommt sich vor, als will er ihr die Welt erklären (T 359), da sie eine kleine dumme Frau ist (T 361 f.). Tina ist etwa drei Jahre älter wie Conrad, lebt länger als er nicht mehr im elterlichen Haushalt und führt dementspre­ chend länger einen eigenen Haushalt (T 356 ff.). Conrads Ratschläge Tina gegenüber, wie sie Wäsche zu sortieren (T 360) hat, befremden sie deshalb und sie fühlt sich bevormundet. In konflikthaften Situation, in denen Tina Conrad verbessert oder widerspricht, reagierte er mit ach du mit deinem Ab­ itur (T 364) oder jetzt kommst du wieder mit deinem scheiß Abitur (T 390 f.). Conrad verleiht seinen Gefühlen, sich Tina unterlegen und minderwertig zu fühlen, aus Tinas Sicht Ausdruck, indem er über sich selbst sagt ich bin ja viel zu blöd für dich (T 364). Durch das fortgesetzte Rekurrieren auf Tinas höhere schulische Ausbildung und berufliche Qualifikation in Konfliktsituationen ist ersichtlich, die Unterschiede zwischen Tina und Conrad sind

1880 Vgl. Kurzbiographie Tina E. III. 1. b).

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

für ihn nicht erträglich und entsprechen nicht seinem Geschlechterrollen­ bild. Zwischen Conrad und Tina kommt es zu weiteren Konflikten, die v.a. durch Conrads Eifersucht bedingt sind. Besonders ausgeprägt ist die Eifer­ sucht in Situationen, in denen sie mit Conrads Hooligan-Gruppe zusam­ men sind. Tina illustriert dies mit einer beispielhaften Situation: Als sie mit der Gruppe nach einem gemeinsam besuchten Fußballspiel ihres favo­ risierten Vereins eine Kneipe aufsuchen, ist sie mit einem männlichen Gruppenmitglied, das sie schon länger kennt und in einer festen Partner­ schaft lebt, mehrmals vor die Tür gegangen, um eine Zigarette zu rauchen (T 379 ff.). Die ersten beiden Male war das für Conrad noch in Ordnung (T 382). Nach dem dritten Mal ist Conrad ihr hinterher gelaufen, hat sich vor [ihr] aufgebaut, ihr gedroht und sie zurecht gewiesen, er sieht da nicht mehr länger zu, wie [die] zwei mit einander flirten und das kann ja nicht so weiter gehen (T 384–386). Tina empfindet seinen Blick dabei als böse und grimmig. Mit [erhobener Hand] (T 386–388) sagt er, er lässt sich das nicht gefallen und er lässt sich nicht für dumm verkaufen und ich soll doch damit aufhören (T 388–389). Tina versucht, Conrad zu beschwichtigen, indem sie ihm erklärt, das andere Gruppenmitglied schon länger als ihn zu kennen und er eine Freundin hat. Ihre Bemühung ist jedoch erfolglos, denn das würde nicht zählen und immerhin wär ich ja auch mit ihm zusammen und dann hätte ich auch das zu tun, was er sagt (T 393 f.). Er lässt sich so nicht abspeisen und es hätte ein Nachspiel (T 400 f.). Conrad erwartet von Tina, sich ihm unterzuordnen, ihm zu gehorchen und sich ihm nicht zu widersetzen. Zudem droht er Tina mit einem Nachspiel (T 401). Tina reagierte auf dieses Verhalten, indem sie ihn einfach stehen gelassen hat und am nächsten Tag, früher als geplant, nach Hause fährt (T 395). Tina hat sich in dieser Situation ihm nicht gefügt. Das Drohen, Bevormunden und die Eifersucht haben bei Tina nicht das von Conrad gewünschte Verhalten hervorgerufen. Conrads Einschüchterungen liefen bei Tina ins Leere, obwohl bei Tina in den geschilderten Situationen jeweils ein Gefühl der Angst entstanden ist: wenn man [Tina selbst, Anm. d. Verf.] dann in einer Stunde 25 Anrufe oder so was bekommt, irgendwann ist es nicht mehr lustig und dann bekommt man auch Angst (T 534 f.). Auf die Frage, wie Tina sich während des Interviews bezogen darauf fühlt, derart viele Anrufe erhalten zu haben und nicht mehr unbeobachtet zu [ihrem] Verein gehen (T 541) kann, konstatiert Tina: Ja, nicht gut [fühlt sie sich, Anm. d. Verf.], weil ich würd ja schon ganz gern mal wieder zu meinem Verein gehen, aber ich muss ehrlich sagen, ich hab Angst, dass das dann wieder von vorne anfängt [das von ihr als Stalking bezeichnete Verhalten Conrads, Anm. d. Verf.] und dass vielleicht noch irgendwas anderes passiert

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III. Auswertung der Interviews

(T 542–545). Tinas Sorge darum, ob sie in absehbarer Zeit ihren Verein bei einem Fußballspiel sehen kann und die Sorge und Angst darum, was geschieht, wenn Conrad erneut beginnt, sie zu [stalken] (T 471), sind auch während des Interviews, und damit etwa ein bis zwei Jahre nach dem Ende der Beziehung mit Conrad, spürbar. Sie fühlt sich noch immer in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, sich an den Orten aufzuhalten, an denen sie sich aufhalten möchte und fürchtet gleichzeitig um ihre körperliche Integrität (dass vielleicht noch irgendwas anderes passiert, T 545). Neben dem Verlust an Freiheit scheint Angst das überwiegende Gefühl für Tina zu sein, wenn sie sich an die Bezieshung mit Conrad und deren Ende zurück­ erinnert und ihre Erinnerungen im Rahmen des Interviews aktualisiert. c) Ausstieg und Miterleben Bei allen Interviewten sowie von allen weiteren Personen, von denen sie in den Interviews zusätzlich berichteten, verlief der Ausstieg nicht abrupt, sondern prozesshaft, schleichend und fließend (R 810; L 82; F 411 ff.). Nach dem Ausstieg wird trotzdem ein Finger jucken (F 413; K 570, 1022) wahrgenommen, wenn die Befragten im Nachhinein von Ausschreitungen durch Medien erfahren. Der Hooliganismus übt folglich noch immer eine Anziehungskraft auf sie aus, obwohl sie sich in räumlicher Distanz zur Szene befinden und selbst Distanzierungen dazu in den Interviews vornehmen. Die Arbeit betrachtet deshalb nun die von den Interviewten genannten und auch in Kombination vorkommenden möglichen Gründe für einen Ausstieg aus der Hooligan-Szene. Ein derartiger Ausstieg muss nicht dauerhaft sein, sondern es können Wiedereinstiege erfolgen bzw. mit einem solchen im Fall von Conrad gegenüber Tina gedroht werden. aa) Erwachsen werden Ein gewichtiger Grund besteht den Interviewten zufolge und dem, was sie über ihre (Ex-)Partner berichten, darin, im Verlauf der Zeit erwachsen oder reifer geworden (T 91, 109; K 1081; R 517; F 1377) zu sein. Ihre individuel­ len Prioritäten entwickeln sich von der Szene hin zur eigenen Familie. Da­ mit gehen wachsende Verantwortung und eine Verantwortungsübernah­ me einher, sobald neben festen Lebenspartnern auch Kinder hinzukom­ men (F 1734–1742; R 515–517; L 83 f.). Deshalb ist Lars noch andauerndes Eingebundensein in die Szene beachtlich, denn er hat sowohl eine feste

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

Lebenspartnerin und ein zum Interviewzeitpunkt jugendliches Kind (L 4 f.). Lisa zufolge gibt es Situationen, in denen er auch nicht gefahren [ist]. Wo ich dann aber auch sage, das hat jetzt nicht damit zu tun, weil ich das nicht will, sondern das Kind dann einfach wichtiger ist (L 260–262). Lars priorisiert hier und stuft das Zeitverbringen mit dem Kind höher ein als das Ausüben des Hooliganismus. Aus Franks Schlussbetrachtung wird deutlich, eine gut funktionierende, intensive Paarbeziehung hätte ihn abgehalten, Hooligan zu werden oder dazu bewegt, den Hooliganismus aufzugeben (F 1722 f.). Er begründet das mit einem Zitat von Michael Kühnen, einem Anführer der Neonazi-Bewe­ gung am Ende des 20. Jahrhunderts.1881 Danach ist der ideale Terrorist […] ein Mann ohne Verantwortung und ohne familiäre Verpflichtung (F 1728 ff.): Ein solcher Mann hat den Kopf frei und kann nur für sich entscheiden, ohne Rücksicht auf Frau, Familie und Kinder. Eventuell folgende Repres­ sionsmaßnahmen hätten nur für ihn unmittelbare Wirkung und keine mittelbare Wirkung auf die Familie, da sie nicht vorhanden wäre (F 1732 ff.). Da aber für Frank das Führen einer Beziehung damit einhergeht, Verantwortung zu übernehmen, hätte ihn das abgehalten; er hätte es sich nicht erlauben können, Scheiße zu bauen (F 1737). Die abnehmende körperliche Konstitution aufgrund des Älterwerdens kann ebenfalls einen Grund für den Ausstieg bilden: die Knochen werden auch nicht jünger […] man wird nicht schneller, die meisten werden auch nicht schlanker (L 92–94). bb) Differenzen mit der Gruppe und sich verändernde Szene Ein weiterer Ausstiegsgrund kann in Differenzen mit der Gruppe und oder mit dem Anführer (F 672 ff.) liegen. Die Differenzen können im Empfinden begründet sein, sich, im Gegensatz zu den anderen Gruppen­ mitgliedern, weiterentwickelt zu haben und nun andere Dinge im Leben wichtiger werden: Hierzu kann die bereits genannte Orientierung hin zu einer eigenen Familie ebenso führen wie der Eintritt in das Berufsleben nach einer abgeschlossenen Ausbildung oder einem Studium (K 595 ff.; R 515). Unterschiedliche politische Einstellungen können zu Differenzen mit dem Anführer oder der Gruppe führen ebenso wie deren stetiger und

1881 Vgl. zur von Michael Kühnen (1955–1991) begründeten Kühnen-Bewegung: Kniest, Die Kühnen-Bewegung, S. 37 ff. et passim. Das von Frank angeführte Zitat ist allerdings auch dort nicht auffindbar.

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III. Auswertung der Interviews

oder steigender Konsum illegaler Drogen (K 134). Die den Hooliganismus Ausübenden verändern sich und der Hooliganismus selbst ist dadurch Veränderungen ausgesetzt, die nicht von allen Szenemitgliedern geteilt und anerkannt werden. Die Veränderung des Hooliganismus weg von den Stadien hin zu Feld-Wald-Wiese-Auseinandersetzungen gefällt nicht allen Interviewten und Szenemitgliedern, denn für sie geht damit der ursprüng­ liche Charakter des Hooliganismus verloren (R 505–507). cc) Strafverfahren und Sanktionen Des Weiteren können Strafverfahren und daraus resultierende Sanktionen aufgrund der im Zusammenhang mit dem Hooliganismus begangenen Straftaten zu einem Ausstieg aus der Szene führen (F 696–719). Dazu schil­ dert Frank eindrücklich: dass ich dann doch von den Polizeibekanntschaften oder dass ich wie gesagt oft beim Kripo hier oder beim Meister vom Verfassungs­ schutz hier sowas vortanzen durfte und das war dann irgendwann zu viel sowas. Dass hatte sich alles summiert und ich sagte mir dann irgendwann mal und dann war halt diese Geschichte wie gesagt, dass ich die Anklage hatte wegen Widerstand gegen Staatsgewalt und Zerstören öffentlichen Eigentums. Wo ich einen Polizisten geschlagen hatte und dann mit Handschellen im Auto saß hinten. Und die waren aber über die Bomberjacke gemacht und weil ich jetzt nicht so die wahnsinns dicken Arme hatte, kam ich da wieder raus. Und hab ihm so mit der flachen [Hand geschlagen, Anm. d. Verf.], nachher musste ich auch Blutabnehmen und Blasen, ich hatte zwei Komma viereinhalb Promille. Da ist man halt auch nicht ganz zurechnungsfähig. […] Ja und ich hatte dem damals eine im Auto auch noch gegeben und dann kriegte ich mit dem Ellenbogen eine und dann wurden die aber zusammen gemacht, dass es gar nichts mehr ging. […] [D]er Rechtsanwalt, der dann noch meinte, jetzt ist nicht fünf vor 12, jetzt ist eine Minute vor 12, entweder entscheidest du dich jetzt da dafür und ziehst es jetzt richtig durch. Und dann muss ich halt sagen, so als extremen Gewalttäter oder dass ich das unbedingt brauche, und dann da nicht mit aufhören kann, hab ich mich dann doch nicht gesehen (F 696–717). […] [D]as Gesamte hab ich mir dann gesagt, nein, das, jetzt, jetzt musst du, wenn jetzt nicht, dann ist wahrscheinlich das nächste Ding, dass du mal dann wirklich dass du mal richtig dick dabei bist. Dass du halt dann deine Strafe dann auch antreten musst. Und bis jetzt kam ich immer mit einem blauen Auge vorbei (F 727–731). Es scheint, als versetzt der ständige Kontakt zu den genannten Behörden Frank in einen psychisch-emotionalen Stress, der ihm zu viel wird und für ihn ausschlaggebend ist, den Hooliganismus aufzugeben: Und von demher wie

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

gesagt war es dann Zeit zu sagen, war schön, aber (F 742 f.). Frank fühlt sich in seinem Leben an einer Weggabelung angekommen und gezwungen, sich zu entscheiden, welchen der beiden Wege (extremer Gewalttäter oder Auf­ gabe des Hooliganismus) er einschlägt. Befördert wird die Entscheidung an diesem Wendepunkt durch die ihm wohl bevorstehende Strafe, die, so lässt sich deine Strafe dann auch antreten musst deuten, eine Haftstrafe ist. Über sein Leben nach dem Lossagen aus der Hooligan-Szene sagt Frank Ich bin ein geläuterter Mensch (F 1383). Frank fühlt sich von seinen Fehlern und Schwächen – dem Hooliganismus – befreit und lässt sie hinter sich. dd) Drohung mit Wiedereinstieg Die Beendigungsphase einer Paarbeziehung kann dazu benutzt werden, psychisch-emotionalen Druck auf den Partner auszuüben und Drohungen dahingehend auszusprechen, einen Wiedereinstieg in die Hooligan-Szene zu vollziehen, sofern die Beziehung tatsächlich beendet wird: Es war nur, als es dann auseinandergegangen ist […] da hat er dann gedroht und hat gemeint, jetzt wegen, weil es jetzt aus ist, wär ich daran schuld, wenn er wieder in die Szene geht (T 276–278). Weiter führt Tina dazu im Verlauf des Interviews aus: und dann hat er auch schon gedroht, dass ich wie gesagt auch wieder schuld bin, wenn er da wieder in die Szene abrutscht und wenn er kriminell wird und ich werd schon sehen, was ich davon hab (T 482–484). Der Halt, den Conrad durch die Beziehung mit Tina erfahren hat (T 278 f.), geht bei einem Beziehungsende verloren. Für Conrad ist die Konsequenz, wieder voll und ganz in die Szene einzusteigen. Er bezeichnet das [Abrut­ schen] in die Szene als kriminell [werden]. Davor soll ihn Tina schützen, indem sie die Beziehung nicht beendet. Er verhält sich opportunistisch hinsichtlich des Hooliganismus. Er verknüpft die Entscheidung über den Wiedereinstieg an eine Bedingung, nämlich das Beziehungsende, die das Konzept weiblicher Personen als Gegenpol zur Szene1882 aufzeigt: Durch die Schuldzuweisungen an Tina und dem Drohen, erneut vollkommen in die Szene wiedereinzusteigen, obwohl er auch während der Beziehung nicht ausgestiegen war, intendiert Conrad das Fortbestehen der Beziehung. Eine intakte Paarbeziehung soll Conrad als Gegenpol zur Hooligan-Szene dienen. Als weitere eingesetzte Drohung folgt: [u]nd dann wollte er sich auch umbringen, das hat er mir dann auch gedroht und ja ich würde schuld sein, 1882 Vgl. C. IV. 2. a), b).

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III. Auswertung der Interviews

wenn er stirbt (T 484 f.). Das „emotionale Erpressen“ und das vermeintliche Legen seines Schicksals und Lebens in Tinas Hände, die Beziehung mit ihr oder ein Wiedereinstieg in die Szene bzw. ein Suizid, bereiten Tina Angst (T 531, 525). Verstärkt wird diese Angst dadurch, dass vielleicht noch irgendwas anderes passiert. Weil er hat ja dann auch mal gedroht, der schöne Satz wie er nur so kommt, wenn dich keiner hat also wenn ich dich nicht haben kann, darf dich auch kein anderer haben (T 544–547). Auch diese Drohung führt bei Tina zu Angst, die sich nun nicht mehr ausschließlich auf einen möglichen Suizid ihres Ex-Freundes bezieht. Sie fürchtet nun, neben der psychisch ausgeübten Gewalt aufgrund der Vielzahl an Anrufen, um einen Eingriff in ihre körperliche Integrität und um ihr Leben. Tina führt weiter aus: [ich] hatte schon Angst, weil ich ja nicht gewusst hab, also er hat Gott sei Dank nicht gewusst, wo, also er hat meine Adresse nicht gekannt, Gott sei Dank. Ich hab dann wirklich teilweise gesagt, also der kommt jetzt und sucht mich und steht auf einmal vor der Tür (T 530–533). Tinas Angst besteht noch zum Zeitpunkt des Interviews, also etwa ein bis zwei Jahre nach die­ sen Ereignissen. Die Angst vor Conrad führt auch dazu, dass sie eigentlich [auch] ehrlich zugeben muss, seitdem war ich auch nicht mehr im Stadion bei meinem Verein (T 536 f.). Tina will mindestens noch ein Jahr [warten] bis ich mal wieder in mein Stadion gehen kann und das ist mir im Moment ehrlich gesagt noch ein bisschen zu gefährlich (T 555–557). Die Angst führt dazu, ihrer Leidenschaft, Fußballspiele ihres favorisierten Vereins zu besuchen, seit längerer Zeit und für mindestens ein weiteres Jahr nicht mehr nachge­ hen zu können. Damit bestimmt die Angst weite Teile ihres Lebens und schränkt sie erheblich ein. Conrads Drohungen treffen Tina auf verschiedenen Ebenen: Zum einen auf der Ebene des Gewissens durch die Schuldzuweisungen. Es scheint, als würde Conrad intendieren, eine ethisch-moralische Verpflichtung bei ihr zu aktivieren und so versuchen, die Beziehung aufrechtzuerhalten. Die Schuldzuweisungen lässt jedoch seinen Mangel an Selbstreflexion erkennen. Er ist nicht erwachsen geworden ist, wie er Tina1883 als einen seiner Gründe für den Ausstieg erklärt hat. Außerdem übernimmt er keine Verantwortung für sein eigenes Handeln. Zum anderen trifft Conrad Tina auf emotionaler Ebene, da er ihr auch über ein Jahr nach dem Ende der Beziehung noch Nachrichten schreibt Ja so von wegen ich lieb dich doch (T 520). Conrad versucht, Macht auf Tina auszuüben, was seiner eigenen Selbstaufwertung und Selbstvergewisserung dient (T 468–557, 661–664). Begründet scheint dies in seinen tiefen Gefühlen der Minderwertigkeit (ich 1883 Vgl. E. III. 2. c) aa).

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

bin ja viel zu blöd für dich, T 364), v.a. aufgrund Tinas höherem Bildungsab­ schluss und ihrer beruflichen Position, die auch schon während der Bezie­ hung zu konflikthaften Situationen führte. IV. Zusammenführung der Ergebnisse 1. Zugeschriebene Geschlechterrollenbilder in szeneinternen Kontexten Die Vorstellung der zugeschriebenen Geschlechterrollenbilder im Feld des Hooliganismus geschieht, soweit möglich, verschränkt aus allen einbezo­ genen Daten1884 und Perspektiven. Um die zugeschriebenen Geschlechter­ rollenbilder für männliche und weibliche Personen der in die vertiefte Analyse eingegangenen Interviewten, Frank, Ronja, Tina, Lisa und ihren (ehemals) partnerschaftlich Verbundenen Erik, Tim, Lars und Conrad, zu erfahren, wurden je am Ende des Interviews in Anlehnung an Zuleh­ ner/Volz1885 entsprechende Fragen gestellt. a) Heterogene, zugeschriebene Geschlechterrollenbilder Die erhobenen Daten lassen Rückschlüsse zu den szeneintern zugeschrie­ benen Geschlechterrollenbildern zu. Die drei weiblichen Interviewten, Ti­ na, Lisa, Ronja, ähneln sich, da sie traditionellen Geschlechterrollenbildern eher ablehnend gegenüberstehen und moderne Geschlechterrollenbilder eher befürworten. Allerdings unterscheiden sie sich im Grad und Ausmaß der Befürwortung bzw. Ablehnung der jeweiligen Geschlechterrollenbil­ der. Sie unterscheiden sich auch danach, welche Geschlechterrollenbilder sie in den Interviews (abgesehen von dieser Passage) vertreten. Darüber hinaus unterscheiden sie sich hinsichtlich der Zeitdauer, des Grades und Ausmaßes der eigenen Involviertheit und des Inberührungkommens in die Hooligan-Szene, hinsichtlich der Bedeutung des Fußballs für sie und der eigenen Fansozialisation.1886 Die vorliegende Arbeit lässt vorsichtig auf Folgendes schließen: Je eher von partnerschaftlich Verbundenen moderne Geschlechterrollenbilder be­ fürwortet und je eher traditionelle Geschlechterrollenbilder abgelehnt 1884 Vgl. D. II. 1885 Vgl. B. III. 1. b); D. II. 2. b) bb). 1886 Vgl. E. III., insbesondere 1.

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IV. Zusammenführung der Ergebnisse

werden, desto eher übernehmen sie, wie Tina, eine aktiv gewalthemmende Rolle. Wenn die Befürwortung bzw. Ablehnung etwas schwächer ausfällt, nehmen sie, wie Lisa, die passiv gewaltverstärkende Rolle ein. Hinsichtlich der Dimension des eigenen gewalttätigen Handelns, dem Verlauf der Hooligan-Karriere und des Grades und Ausmaßes der eigenen Involviertheit in die Hooligan-Szene ähneln sich Frank und Ronja, obwohl Frank bereits den Ausstieg vollzogen hat und Ronja sich noch im Prozess des Aussteigens befindet. Jedoch ähneln sich Frank und Ronja nicht in den Ansichten bezüglich der Geschlechterrollenbilder i.S.v. Zulehner/Volz: Während Ronja traditionellen Geschlechterrollenbildern eher ablehnend gegenübersteht, befürwortet Frank sie. Ebenso entgegengesetzt verhält es sich hinsichtlich moderner Geschlechterrollenbilder, die Ronja eher befür­ wortet und Frank eher ablehnt. Trotzdem können bei Frank und Ronja durch die Interviews, in denen sie stetig aufgefordert wurden, sich an ihre (aktive) Zeit als Hooligan zurückzuerinnern, die szeneinternen Einstellun­ gen und Besonderheiten herausgearbeitet werden, die charakteristisch für die Hooligan-Szene sind. Zusammenfassend kann festgehalten werden: Aus Sicht der Interview­ ten bestehen innerhalb der Hooligan-Szene differenzierte, heterogene Ge­ schlechterrollenbilder; traditionelle Geschlechterrollenbilder sind nicht durchgängig, aber überwiegend vorhanden. Von vollkommen homoge­ nen, stabilen zugeschriebenen Geschlechterrollenbildern in szeneinter­ nen Kontexten ist auf Grundlage der vorliegenden Arbeit nicht auszuge­ hen. Vielmehr zeigen sich jeweils ganz individuelle, (zugeschriebene) Ge­ schlechterrollenbilder in szeneinternen Kontexten. b) Wesentliche Charakteristika der zugeschriebenen Geschlechterrollenbilder aa) Schwach, beschützenswert, unverständige Störende Im empirischen Material werden die männlichen wie weiblichen partner­ schaftlich Verbundenen als schwache und beschützenswerte Personen dar­ gestellt, um die sich die Hooligans kümmern müssen, sofern sie im Kon­ text des Hooliganismus räumlich kopräsent sind. Die Hooligans lehnen ihre räumliche Kopräsenz eher ab, denn das (antizipierte) Kümmern ver­ hindert, dem eigentlichen Zweck ihrer eigenen Anwesenheit nachgehen zu können.

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

Szeneintern sind Situationen denkbar, in denen die weiblichen Koprä­ senten nach dem subjektiven Empfinden der Hooligans von anderen Män­ nern nicht „ordnungsgemäß“ behandelt werden. Manchmal stellt dies einen willkommenen Anlass dar, mit dem die Situation (vermeintlich) Auslösenden eine körperliche Auseinandersetzung zu beginnen. Aus Sicht der Hooligans sind Frauen nicht in der Lage, sich selbst zu verteidigen. Die Verteidigung muss derjenige übernehmen, der den Kontakt zur Sze­ ne mittelt oder die gesamte Gruppe, denn ihnen wird, im Gegensatz zu den partnerschaftlich Verbundenen, zugeschrieben, über die notwendige Stärke zu verfügen. Für Hooligans ist die räumliche Kopräsenz der part­ nerschaftlich Verbundenen zumeist unerwünscht und störend. Partner­ schaftlich Verbundene, unabhängig ihres Geschlechts, haben dort nichts zu suchen, da ihnen die Fähigkeit abgesprochen wird, den Hooliganismus verstehen zu können. Auch wird von ihnen erwartet, selbst keine Gewalt auszuüben. Ihnen wird die Fähigkeit abgesprochen, überhaupt Gewalt ausüben zu können. Bei der szeneinternen Feier forderte eine etwa 20-Jährige ausdrücklich auf, mit der Zerstörung des Inventars des Zimmers aufzuhören. Mangels persönlichen Gesprächs mit ihr, ist nicht beurteilbar, ob sie sich selbst als Ultra, Hooltra oder Hooligan einordnen würde oder ob sie allein oder mit partnervermitteltem Kontakt zur jeweiligen Szene zugehörig ist. Gleichwohl hat sie durch ihr Verhalten die gruppendynamischen Effekte, die sich im Zerstören des Inventars des Zimmers zeigten, unterbrochen und mit der Aufforderung verbunden, dies an keinem anderen Ort und zu keiner anderen Zeit der Feier fortzusetzen. Vermutlich nahmen die Vanda­ lierenden sie zunächst als störend wahr. Das anschließende Verhalten Bens kann jedoch dahingehend gedeutet werden, die Aufforderung der jungen Frau, keine Gewalt gegen Sachen und Personen auszuüben, entsprach wohl dem von ihm als szeneinternen Grundsatz formulierten Satz Wenn man randaliert, dann nicht in der eigenen Stadt.1887 bb) Ablehnendes, aggressives, gewaltförmiges Verhalten Weibliche Personen mit partnervermitteltem Kontakt und Ronja als weib­ liche Hooligan nehmen sich selbst und anderen partnerschaftlich Verbun­ denen gegenüber aggressives oder ablehnendes Verhalten wahr und üben es zum Teil auch selbst aus. Das angedrohte oder mitunter angewandte 1887 Vgl. E. II. 4., 7.

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IV. Zusammenführung der Ergebnisse

gewaltförmige Verhalten kann sowohl innerhalb der Paarbeziehungen im szeneinternen wie ‑externen Kontext als auch im Rahmen des Hooliganis­ mus und im weiteren Umfeld stattfinden, wie z.B. auf dem Hin- und Rückweg zum Stadion und im Stadion. Partnerschaftlich Verbundene sind grundsätzlich vor Angriffen zu beschützen. Außerkraftgesetzt scheint dieser Schutzmechanismus in Fällen, in denen psychische oder physische Gewalt von innerhalb der eigenen Hooligan-Gruppe bzw. vom partner­ schaftlich Verbundenen zur Hooligan-Szene erfolgt, unabhängig davon, ob der partnerschaftliche Kontakt von einem männlichen, wie Conrad, oder einem weiblichen Mitglied, wie Ronja, ausgeht. cc) Unterordnung Die durch den partnervermittelten Kontakt Verbundenen haben den männlichen wie weiblichen Hooligans in deren Wahrnehmung nichts zu sagen, wie sie sich zu verhalten haben und ordnen […] sich als erstes mal unter (F 1470). Die Mitglieder der Hooligan-Szene und die aufgrund des partnervermittelten Kontakts mit der Hooligan-Szene in Berührung kommenden weiblichen und männlichen Personen befinden sich dem­ nach in einem Über-Unterordnungsverhältnis. Hier wird die symbolische Gewalt, Macht und Herrschaft i.S. Bourdieus und der damit verbundene vergeschlechtlichte und vergeschlechtlichende Habitus sichtbar.1888 Männ­ liche wie weibliche Hooligans erwarten von den partnerschaftlich Verbun­ denen, sich aus der Hooligan-Szene herauszuhalten, sofern derjenige nicht selbst deren Mitglied ist. Zudem erwarten sie von ihnen, ihre aktiven Beteiligungen nicht zu stören, sondern zu akzeptieren, zu tolerieren und zu unterstützen. Dies verdeutlicht nicht nur den männlichen Habitus der männlichen Hooligans, sondern auch Ronjas Habitus, wie in V. herausge­ arbeitet wird. Der Wille der Hooligans steht i.S. eines Über-Unterordnungsprinzips über dem Willen der partnerschaftlich Verbundenen, unabhängig ihres Geschlechts. Die partnerschaftlich Verbundenen empfinden ihre Bedürf­ nisse als nicht gleichrangig zu den Bedürfnissen der Hooligans. Das darin zum Ausdruck kommende Machtgefälle und die Machtdynamiken zeigen sich in den Schilderungen zur szeneinternen und -externen, mittels phy­ sischer und psychisch vermittelter Gewalt in Paarbeziehungen. Zudem zeigen sie sich durch Situationen, die als bevormundend, kontrollierend 1888 Vgl. B. IV. 1., 2.; C. V.

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

und angstauslösend empfunden werden. Es scheint ein Machtungleichge­ wicht, fehlende Toleranz oder Akzeptanz des Anderen als individuelle Per­ sönlichkeit mit eigenen Bedürfnissen und Wünschen vorzuliegen. dd) Gegenpol Partnerschaftlich Verbundene können als Gegenpol1889 zur Hooligan-Sze­ ne wahrgenommen werden. Der vollständige Wiedereinstieg in die Sze­ ne, der aus Sicht der männlichen Hooligans von seiner Freundin als unerwünscht angesehen werden kann, kann in einer Trennungsphase als Druckmittel eingesetzt werden, die Beziehung nicht zu beenden. Sollten Hooligans vor die Wahl gestellt werden, sich endgültig zwischen der Hoo­ ligan-Szene und dem jeweiligen Partner zu entscheiden, ist es einzelfallab­ hängig, zu wessen Gunsten die Wahl des Partners ausfällt. Die Stabilität und Intensität der Beziehung scheint ein Kriterium dafür zu sein, in welchen Fällen es partnerschaftlich Verbundenen gelingt, als Gegenpol zur Szene zu fungieren. Das subjektive Empfinden der männlichen wie weiblichen Hooligans, Verantwortung übernehmen zu müssen, was wohl im Falle des Eingehens einer Ehe und oder gemeinsamen Kindern der Fall sein dürfte, befördert eine Entscheidung gegen die weitere Zugehörigkeit zur Szene.1890 ee) Objektiviert werden und Objektives herstellen Zudem gibt das vorliegende Material Hinweise auf die zumindest in Teilen bestehende Ansicht, die partnerschaftlich Verbundene in gewisser Weise objektiviert. Sie werden teilweise zum Objekt der Begierde, zum Objekt des „Anbaggerns“ oder zum Gegenstand von Beleidigungen ge­ macht. Zum Teil scheint ihre bloße räumliche Kopräsenz zu genügen, um derartiges Verhalten auszulösen. Dies evoziert auf Seiten der betroffenen partnerschaftlich Verbundenen unterschiedliche Reaktionen: Es reicht von erdulden, „aussitzen“, dem verbalen Entgegensetzen bis hin zum physi­ schen Abwehrverhalten, indem Gewalt ausgeübt wird. Auch scheint es eine Aufgabe der partnerschaftlich Verbundenen und von Ronja zu sein, Objektives herzustellen, wie z.B. durch das Fotografie1889 Vgl. oben C. IV. 2. a), b). 1890 Vgl. E. III. 2. c).

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IV. Zusammenführung der Ergebnisse

ren, wie aus den Interviews und der teilnehmenden Beobachtung erkenn­ bar ist. Fotografien sind als Bilder der Erinnerung und als kulturelles Kapi­ tal i.S. Bourdieus wertbar. Die Fotografien können dazu genutzt werden, Erinnerungen zu aktivieren und die identitätsstiftenden Ereignisse, wie z.B. gemeinsame Stadionbesuche, körperliche Auseinandersetzungen, szeneinterne Feiern, Revue passieren zu lassen und verbildlicht vor sich zu sehen. Dadurch können, neben der fotografierenden Person, auch andere in der Szene Befindliche und Fremde, wie die Verf. in ihrer Eigenschaft als Forschende, die Bilder ansehen. Das Herstellen des Objektiven ist wesentli­ cher Bestandteil und unablässige Voraussetzung dafür, die gemeinsam ge­ teilte szeneinterne Geschichte gemeinsam zu betrachten und daran teilzu­ haben. ff) Zugeschriebene Geschlechterrollenbilder für Hooligans Die vorliegende Arbeit fördert das ebenfalls heterogene Geschlechterrol­ lenbild der objektiv wie subjektiv zugehörigen männlichen und weibli­ chen Hooligans zu Tage. Der scheinbare, auch medial vermittelte, Auto­ matismus, es reiche aus, ein männliches Geschlecht zu haben, sich ggf. für Fußball zu interessieren und einen trainierten, im Kampf einsatzbereiten und -fähigen Körper zu haben, um Hooligan zu sein, ist als nicht zutref­ fend anzusehen. Vielmehr wurde herausgearbeitet, welche Eigenschaften, Werte, Einstellungen vorausgesetzt werden und welche Ausschlussmecha­ nismen innerhalb der Hooligan-Szene greifen.1891 Selbst wenn grundsätz­ lich Ausschlussmechanismen greifen würden, ist es trotzdem, in Ansehung der konkreten Person durch Zuweisung eines entsprechenden Sondersta­ tus durch die Definitionsmacht der Mitglieder der Hooligan-Szene für eine Person möglich, objektiv wie subjektiv zugehörig zur Hooligan-Sze­ ne zu werden. So konnten bestehende szeneinterne Einstellungen und Be­ sonderheiten innerhalb der Hooligan-Szene zu hierarchischen Strukturen, Grundeinstellungen, dem Einsatz von finanziellen Ressourcen, Machismo, gewaltbefürwortenden und -legitimierenden Männlichkeitsnormen eben­ so herausgearbeitet werden, wie szeneinterne Ansichten zu verschiedenen gesellschaftlichen Minderheiten. Den Dimensionen1892 ist somit gemein, die Anforderungen und Einstellungen der Interviewten über die von ih­ nen erlebte Hooligan-Szene aufzuzeigen und die dort befindlichen Mitglie­ 1891 Vgl. E. III. 2. b) gg). 1892 Vgl. E. III. 2. b) gg).

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

der und deren Ansichten zu charakterisieren. Wendet man es in die um­ gekehrte, negative Richtung, beschreiben sie die Mechanismen, Prozesse und Praktiken, die Personen aus unterschiedlichen Gründen ausschließen können, dort einsteigen oder verweilen zu können oder es zum Ausstieg daraus kommen kann. Die zugeschriebenen Geschlechterrollenbilder für männliche und weib­ liche Hooligans sind in der Selbst- wie Fremdzuschreibung heterogen. Überdies finden sich im empirischen Material Hinweise auf „harte“ und „weiche“ Bilder von Männlichkeit, die sowohl männliche als auch weib­ liche Interviewte, unabhängig ihrer eigenen Beteiligungsform an der Hooligan-Szene, jeweils zuschreiben bzw. zugeschrieben werden. Unter Rückgriff auf die Geschlechterrollenbilder nach Zulehner/Volz werden die Geschlechterrollenbilder, die dem „traditionellen Mann“ entsprechen, als „harte Männlichkeit“ und Geschlechterrollenbilder, die dem „modernen Mann“ entsprechen, als „weiche Männlichkeit“ im empirischen Material sichtbar. Das zugeschriebene Bild der „harten“ Männlichkeit betrifft mehrere Dimensionen: Es betrifft u.a. die körperliche Konstitution, die für die Beteiligung an körperlichen Auseinandersetzungen notwendig ist. Die Teilnahme an den körperlichen Auseinandersetzungen ist dabei als eine Art Lust an der Gewalt zu sehen: Es handelt sich um körperliche Auseinan­ dersetzungen unter Gleichgesinnten (sofern keine Dritten „dazwischenge­ raten“). Betont werden der Wettkampfcharakter ebenso die Gefühle eines Rausch(zustand)es aufgrund der Teilnahme und aufgrund der körpereige­ nen (Adrenalin) oder künstlichen, zugeführten Substanzen (wie Alkohol, Drogen, Schmerzmittel), die enthemmende Wirkung haben. Bei diesen Kick- und Flow-Erlebnissen testen sie die körpereigenen und rechtsstaatli­ chen Grenzen aus und erfahren ihre bzw. seine Grenzen. Der hier betrach­ tete Hooliganismus findet im Zusammenhang mit Fußball statt. Im empi­ rischen Material sind Fußball und Hooliganismus auch als etwas männlich Konnotiertes beschrieben, der draußen, während der An- oder Abreise, in den Stadien, spieltags(un)abhängig, nach vorherigen Absprachen der Leader oder der Führungsriege erfolgt. Es zeigen sich die zugeschriebene Härte, Stärke, Verletzungsmächtigkeit wie Verletzungsfähigkeit der männ­ lichen wie weiblichen Hooligans. Auf der anderen Seite zeigt sich auch die Verletzungsoffenheit der männlichen wie weiblichen Hooligans durch die erlittenen Verletzungen bei den szeneinternen Auseinandersetzungen und innerhalb der Paarbeziehung. Zudem äußern sie die Angst vor dem Ver­ lust der „letzten männlichen Bastion“, die sie durch mehr Frauen, Famili­ en mit Kindern im Stadion, in der Fan-Szene im Allgemeinen befürchten.

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IV. Zusammenführung der Ergebnisse

Die Beteiligung am Hooliganismus ist, wie herausgearbeitet, mit Kosten und dem Einsatz von Kapitalien verbunden: Sie setzen finanzielle und körperliche Ressourcen ein und nehmen auch deren Verluste und Beein­ trächtigungen in Kauf. Es wurden Zuschreibungen dahingehend sichtbar, Hooligans äußern frauenfeindliche Einstellungen, Beleidigungen und nut­ zen abwertende Bezeichnungen für und gegenüber partnerschaftlich Ver­ bundenen, anderen Frauen und Polizistinnen. Gleichzeitig benennen die Interviewten Frauengeschichten als Charakteristikum des Lebens als Hooligan. Partnerschaftlich Verbundene werden als schwach und beschützenswert angesehen, die von der in der Hooligan-Szene befindlichen Person selbst oder der Gruppe geschützt oder verteidigt werden sollen. Gleichzeitig wer­ den mögliche Risiken der Gewalt- und Opfererfahrungen innerhalb der Hooligan-Szene und innerhalb der Paarbeziehung im empirischen Daten­ material sichtbar. Zu dem zugeschriebenen Bild des starken, verletzungs­ mächtigen in der Hooligan-Szene Befindlichen gehört darüber hinaus, die Rolle des Ernährers und Versorgers der Familie einzunehmen, der sich um die partnerschaftlich Verbundenen und ggf. vorhandene Kinder zu kümmern hat. Diese Umstände zählen auch zu den möglichen Ausstiegs­ gründen in der Phase und im Prozess des Ausstiegs. Gleichzeitig wird das Bild gezeichnet, partnerschaftlich Verbundene, wie etwa Tina und Erik, hätten nichts zu sagen, würden den Hooliganismus nicht verstehen und hätten dort nichts zu suchen. Auf der anderen Seite stehen weitere Dimensionen, die dem Bild der „weichen“ Männlichkeit bzw. den modernen Geschlechterrollenbildern zugeschrieben werden: als liebevolle, rücksichtsvolle Partner, die sich um die Familie und die ggf. vorhandenen Kinder kümmern, die zu Hause Aufgaben übernehmen, um die partnerschaftlich Verbundenen zu entlas­ ten. Das Bild des Gentlemans ist somit auf beiden Seiten, der „harten“ wie „weichen“ Seite zu finden. Die szeneintern zugeschriebenen Geschlechterrollenbilder für männli­ che und weibliche Hooligans sind somit in der Selbst- wie Fremdzuschrei­ bung als heterogen und in sich zum Teil widersprüchlich anzusehen: Es gibt unterschiedliche und widersprüchliche Ansichten zu den eigenen Rol­ len wie auch zu denen der partnerschaftlich Verbundenen und den jeweili­ gen zugeschriebenen Geschlechterrollenbildern – sowohl mit Blick auf die Hooligans selbst als auch mit Blick auf die partnerschaftlich Verbundenen und unabhängig ihres jeweiligen Geschlechts.

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

2. Induktiv gewonnenes ideales Bild der Personen mit partnervermitteltem Kontakt Bislang geht die Forschung von drei Rollen mit einhergehenden zuge­ schriebenen Geschlechterrollenbildern in Bezug auf weibliche Personen innerhalb der Hooligan-Szene aus.1893 Diese drei Rollen sind, wie aufge­ zeigt, nicht immer trennscharf voneinander abgrenzbar, so dass es mög­ lich ist, als weibliche und oder partnerschaftlich verbundene Person zur Hooligan-Szene nicht nur eine Rolle auszuüben, sondern zwischen ver­ schiedenen Rollen wechseln zu können und somit nicht auf eine Rolle und dem damit einhergehenden (zugeschriebenen) Geschlechterrollenbild beschränkt zu sein. Im Zuge des Auswertungsprozesses ließ sich durch in­ duktives Vorgehen1894 das ideale Bild einer partnerschaftlich verbundenen Person zu den Mitgliedern der Hooligan-Szene finden. Der nachfolgende Abschnitt expliziert, was dieses ideale Bild der partnerschaftlich Verbunde­ nen, unabhängig davon, ob sie männlich oder weiblich sind, in der Selbstund Fremdzuschreibung charakterisiert und wie es sich von den bislang in der Forschung gefundenen drei Rollen unterscheidet. a) Gleichgültigkeit und Akzeptanz Das ideale Bild der Personen mit partnerschaftlichem Kontakt zur Hoo­ ligan-Szene kennzeichnet eine Haltung gegenüber den feldspezifischen Charakteristika, den körperlichen Auseinandersetzungen, den daraus re­ sultierenden möglichen Verletzungen und den sich aus der Zugehörigkeit zur Hooligan-Szene ergebenden Konsequenzen für die partnerschaftliche Beziehung, die von einer gewissen Gleichgültigkeit geprägt ist: Franks (wechselnden) Freundinnen während seiner aktiven Phase war es relativ egal (F 1772), dass er Hooligan ist. Auch Lisa hat nach über 20 Jahren Beziehung für sich entschieden: Weil da hab ich nie nachgefragt, wie sie irgendwo hinkommen oder sonst irgendwas, weil das war mir eigentlich immer relativ egal (L 240–242). Auch wenn Lars mit Wunden oder Verletzungen nach einer körperlichen Auseinandersetzung nach Hause gekommen ist, war es Lisa egal (L 283). Diese Einstellung könnte mit Folgendem zusam­ menhängen: Wenn partnerschaftlich Verbundene zu viel nachfragen, sich

1893 Aktiv gewalthemmende, passiv gewaltverstärkende und selbst aktiv gewalttäti­ ge Rolle, vgl. C. IV. 2. a). 1894 Vgl. D. II. 2. c).

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IV. Zusammenführung der Ergebnisse

zu sehr interessieren oder die Partner aus der Szene herauslösen wollen, riskieren sie, abserviert (F 1551) oder [verlassen] (K 1098) zu werden. Da die Beziehung mit oder zwischen Hooligans geführt werden und die feldspezi­ fischen Geschlechterrollenbilder und damit einhergehende Erwartungen und Rollen hinsichtlich des Verhaltens, i.S.v. Tun, Dulden oder Unterlas­ sen, sowohl bei den männlichen wie weiblichen Hooligans an-, ver- und erkannt i.S. Bourdieus werden, kann von einer Gleichgültigkeit gesprochen werden. Die Gleichgültigkeit gründet sich, wie in V. näher ausgeführt, in der im Hooliganismus herrschenden männlichen Herrschaft. Die Gleichgültigkeit kann zusätzlich auch mit der Akzeptanz der Mit­ gliedschaft einhergehen, was wiederum im Dreischritt aus Ver-, Er- und Anerkennen i.S. Bourdieus begründet sein kann: Also wenn ich ehrlich bin, das [die Mitgliedschaft ihres Ex-Freundes und ihres Ehemannes in der HooliganSzene] war für mich vollkommen in Ordnung […] das war jetzt normal […] das war okay (L 61–63). Lars ist den Aktivitäten nachgegangen, ohne von Lisa abgehalten worden zu sein: er [hat] das gemacht, wenn er es wollte (L 264). Im Falle der ausnahmsweisen bestehenden räumlichen Kopräsenz bei körperlichen Auseinandersetzungen ist Lisa zufolge beiseite gehen und abwarten […] und sie dann machen lassen (L 208 f.) das Mittel ihrer Wahl und in solchen Situationen das richtige Vorgehen. Darin zeigt sich erneut ein Charakteristikum des idealen Bildes einer partnerschaftlich verbunde­ nen Person: Lisa hat weder aktiv gewalthemmend eingewirkt noch passiv gewaltverstärkend, sondern durch die akzeptierend-gleichgültige Haltung die Auseinandersetzung mittelbar ermöglicht, ohne sich unmittelbar da­ ran zu beteiligen oder verstärkend einzugreifen. Anders gewendet, wie es Kai formuliert: Also wenn da die Emotionen sind oder der Mann halt einfach Hooligan ist, dann findet sich die Freundin halt damit ab. Der Partner findet sich dann halt einfach damit ab (K 1094–1096). Das Sichabfinden mit der Tatsache, dass der Partner Hooligan ist, ist ebenfalls eine Form der Akzeptanz dessen, die z.B. auch Ronja innerhalb ihrer Paarbeziehungen einfordert. Dies basiert auf dem Ver-, Er- und Anerkennen der im Feld des Hooliganismus herrschenden männlichen Herrschaft, die nicht nur die Beherrschten, wie Lisa, Erik und Tina, beherrscht, sondern auch die Herrschenden, wie Ronja, Ben, Conrad, Lars, Frank und Kai. b) Vertrauen Ein weiteres Kennzeichen des idealen Bildes ist das Vertrauen der männli­ chen und weiblichen Hooligans gegenüber den partnerschaftlich Verbun­

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

denen, indem sie nicht nachfragen und damit ihr Interesse mit Blick auf die feldspezifischen, szeneinternen Aktivitäten nicht offenkundig zu Tage tritt: [u]mso mehr man fragt, umso weniger bekommt man mit (L 71). Daher wusste Lisa recht gut über die Hooligan-Szene Bescheid, obwohl sie weder objektiv noch subjektiv zugehörig war und ist. Das ihr von den Mitglie­ dern der Hooligan-Gruppe entgegengebrachte Vertrauen konnte ihr umso eher entgegengebracht werden, je mehr sie sich über die Jahre hinweg nicht in die Aktivitäten einmischte und eine gleichgültig-akzeptierende Haltung zeigte. Diese Haltung ist im Ver-, Er- und Anerkennen der männ­ lichen Herrschaft i.S. Bourdieus im Feld des Hooliganismus begründet. Die Intensivierung des Vertrauens stärkt auch Lisas Position innerhalb der Hooligan-Gruppe, denn sie durfte zu szeneinternen Feierlichkeiten, die im Anschluss an die körperlichen Auseinandersetzungen stattfinden, hinzukommen. Zuvor musste Lisa bei der Gruppe erfragen, ob, und wenn ja, ab wieviel Uhr sie bei Feiern, die eigentlich nur für die Männer selber gedacht sind (L 114), dabei sein darf. Selbiges kann aus Tinas Schilderungen geschlossen werden: Sie war bei szeneinternen Treffen räumlich koprä­ sent, jedoch verhielt sie sich nicht stets nach dem ideal zugeschriebenen Bild, denn Conrad kritisiert nicht nur Tinas Verhalten, sondern sanktio­ niert es auch (verbal).1895 Lisa erkennt durch das Nichtnachfragen die szeneinternen zugeschriebenen Geschlechterrollenbilder an und verhält sich dementsprechend. Auch wird von ihnen erwartet, selbst keine Gewalt auszuüben und ihnen wird die Fähigkeit abgesprochen, überhaupt Gewalt ausüben zu können. Die Formulierung Es war dann irgendwie relativ in Ordnung, wenn [Li­ sa] dann da war (L 120) zeigt auf, hinsichtlich der eigenen Anwesenheit Lisas scheinen sich aus ihrer eigenen Sicht auch Einschränkungen zu ver­ bergen. Der hieraus mögliche Umkehrschluss ist, dass es zum Teil nicht in Ordnung war, zu den Feiern zu kommen, um am szeneinternen Grup­ penleben und an den identitätsstiftenden Gruppenaktivitäten teilzuhaben. Bei Lisa ist eine gewisse Enttäuschung wahrnehmbar, nicht immer dabei sein zu dürfen und erst nachfragen zu müssen, ob sie bei den Feiern räumlich kopräsent sein darf. Es war somit nicht immer selbstverständlich, immer anwesend sein zu dürfen. Erneut obliegt die Definitionsmacht über die Anwesenheit den objektiv wie subjektiv zugehörigen Mitgliedern der Gruppe. Lisa unterscheidet sich selbst von Ronja und von anderen partnerschaftlich mit der Hooligan-Szene verbundenen Personen: [w]eil ich wahrschein­ 1895 Vgl. E. III. 2. b) hh) ccc) gggg).

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IV. Zusammenführung der Ergebnisse

lich ich bin. Also die [Hooligans, Anm. d. Verf.] können bei mir so sein wie sie sind (L 116 f.). Und müssen sich jetzt irgendwie nicht speziell benehmen oder wenn irgendwas ist, ich tratsche auch nicht (L 117–119). Das heißt, aus Lisas Sicht sind die kommen[den] und gehen[den] (L 137), wechselnden partner­ schaftlich Verbundenen, deren Haltung nicht so locker und akzeptierendgleichgültig und i.S. dieser Interpretation nicht dem idealen Bild eines partnerschaftlich Verbundenen entsprechend. Dem idealen Bild entspricht es somit, die männlichen wie weiblichen Hooligans gewähren zu lassen, die Gruppe und die szeneinternen, feldspezifischen Regeln zu akzeptieren, sie i.S. Bourdieus anzuerkennen. Personen mit partnerschaftlichem Kontakt zur Hooligan-Szene, die dem idealen Bild nicht entsprachen, waren dem­ nach gar nicht bei szeneinternen Feiern oder anderen Gruppenaktivitäten räumlich kopräsent, wie Erik, oder nur anwesend mit vorher erfolgten Zu­ rechtweisungen, wie sie sich zu verhalten haben, und damit verbundener Referenzierung auf das ideale Bild einer partnerschaftlich verbundenen Person. c) Verschwiegenheit Ein weiteres Charakteristikum des idealen Bildes einer partnerschaftlich verbundenen Person ist der Aspekt der Verschwiegenheit. Lisas Verschwie­ genheit hinsichtlich der szeneinternen, feldspezifischen Aktivitäten wird von ihr mit ich tratsche auch nicht (L 119) beschrieben. Aufgrund ihrer Verschwiegenheit hat Lisa aus ihrer Perspektive heraus das Vertrauen von Lars und den Mitgliedern der Hooligan-Szene in und gegenüber sich er­ neut gestärkt. Deswegen war es Lisa aus ihrer Sicht möglich, räumlich kopräsent zu sein. Ihre Anwesenheit ist nur aufgrund des ihr gegenüber bestehenden Vertrauens und ihrer Verschwiegenheit möglich. Lisa zeichnet ebenso aus, nicht sensationslustig (L 123) zu sein. Aus Lisas Sicht ist Sensationslust eines der entscheidenden Kriterien, Personen nicht an den Aktivitäten teilhaben zu lassen. Lisa identifiziert weitere Kriterien für partnerschaftlich Verbundene, die es bedingen, von szeneinternen Ak­ tivitäten ausgeschlossen zu sein: Personen, die Probleme haben, dass sie [die Hooligans, Anm. d. Verf.] irgendwann ihr T-Shirt ausziehen und dann irgendwann oberkörperfrei tanzen oder wenn sie rülpsen oder so lapidare Sachen (L 124–127). All dies trifft auf Lisa nicht zu, weshalb sie bei den szenein­ ternen Feiern teilnehmen darf. Hier zeigt sich wieder die Akzeptanz der szeneinternen Verhaltensweisen und ein weiteres Charakteristikum des idealen Bildes partnerschaftlich Verbundener.

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

d) Räumliche Kopräsenz nur bei vorab erteilter, ausdrücklicher Zustimmung Das ideale Bild einer partnerschaftlich verbundenen Person zeigt sich auch bei körperlichen Auseinandersetzungen. Weder die partnerschaftlich Verbundenen wollen dabei von sich aus anwesend sein noch wollen die männlichen wie weiblichen Hooligans, dass sie währenddessen anwe­ send sind (L 236, 218). Die räumliche Kopräsenz beschränkt sich auf explizit für Personen mit partnervermitteltem Kontakt geöffnete szenein­ terne Gruppenaktivitäten. Vorab ist die ausdrückliche Zustimmung der männlichen wie weiblichen Hooligans erforderlich. Ein selbstständiges Aufhalten, ohne Zustimmung derer, die den partnervermittelten Kontakt herstellen, ist für Personen, die dem idealen Bild einer partnerschaftlich verbundenen Person nicht entsprechen, nicht möglich. Hierbei wird er­ neut sichtbar, dass die szeneinternen, feldspezifischen (zugeschriebenen) Geschlechterrollenbilder und die damit einhergehenden Erwartungen von den Hooligans an die partnerschaftlich Verbundenen transportiert werden und sich eine entsprechende Praxis entwickelt hat. Diese Praxis basiert auf den dahinterliegenden szeneinternen Logiken vom idealen Bild der partnerschaftlich Verbundenen. Jene wiederum er- und anerkennen die Praxis des vorab erforderlichen Nachfragens, ob sie bei szeneinternen Ak­ tivitäten räumlich kopräsent sein dürfen. Hierin zeigt sich ebenfalls die männliche Herrschaft i.S. Bourdieus im Feld des Hooliganismus, denn die die Definitionsmacht innehabenden, herrschenden Hooligans bestimmen über die Anwesenheit der Beherrschten mit partnervermitteltem Kontakt. e) Sonderfall: Äquilibrium der partnerschaftlich Verbundenen Einen Sonderfall bildet das im empirischen Material vorgefundene Äqui­ librium der partnerschaftlich Verbundenen: Ronja und Tim sind beide Hooligans.1896 Bezogen auf die Hooligan-Szene und auch mit Blick auf ihre Paarbeziehung kann grundsätzlich von einem Machtäquilibrium oder einer Machtäquivalenz gesprochen werden. Tim und Ronja sind somit grundsätzlich Herrschende i.S. Bourdieus im Feld des Hooliganismus, sie sind beide objektiv wie subjektiv zugehörig und handeln dort gewaltför­ mig, und beide sind, basierend auf Ronjas Perspektive im Interview, Herr­

1896 Vgl. schon E. III. 2. b) hh) ccc) eeee).

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IV. Zusammenführung der Ergebnisse

schende in der Paarbeziehung, was sich an den wechselseitigen gewaltför­ migen Konfliktlösungsstrategien zeigt. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, die innerhalb von Be­ ziehungen stattfindende Gewalt ist Ausdruck von Machtasymmetrien.1897 Auf den ersten Blick könnte bei den wechselseitigen Gewaltausübungen, die die Verletzungsmächtigkeit und Verletzungsoffenheit beider Körper aufzeigen, das Kriterium der damit verbundenen und daraus resultieren­ den Anerkennung entscheidend sein, denn das Äquilibrium zwischen Ronja und Tim beschreibt Ronja selbst als Machtkampf (R 1386). Solches gewaltförmiges Handeln findet unter Personen gleicher Ehre statt, die sich wechselseitig Ehre zollen können und daraus wechselseitige Anerkennung resultiert.1898 Der von Ronja als Automatismus charakterisierte Zusammen­ hang, eine Person wendet Gewalt als Hooligan in den entsprechenden szeneinternen und -externen Kontexten und in der Paarbeziehung an, wurde bereits herausgearbeitet.1899 Dieser von Ronja als Automatismus gemeinte Zusammenhang wird hier verstärkt, da beide Partner dieser Be­ ziehung der Hooligan-Szene zugehören, und lässt sich somit auf Basis des vorliegenden Materials nicht auf männliche Hooligans begrenzen, sondern gilt auch für Ronja selbst als weibliche Hooligan. Die hier betrachtete Be­ ziehung zwischen Ronja und Tim ist folglich eine szeneinterne Beziehung, in der gegenseitig physische Gewalt angewandt und erlitten wird. Ronja als weibliche Hooligan und Beziehungen zwischen Hooligans entsprechen weder den oben herausgearbeiteten Charakteristika der grundsätzlich zu­ geschriebenen Geschlechterrollenbilder noch dem induktiv gewonnenen idealen Bild partnerschaftlich Verbundener im Feld des Hooliganismus. Das bei Ronja und Tim vorhandene Äquilibrium zeigt, dass die sich daraus ergebenden Spannungssituationen und gewaltförmigen Konfliktlösungsstrategien innerhalb dieser Beziehung anders zu beurteilen sind als in solchen, in denen nur ein Teil der Hooligan-Szene zugehörig ist. Die Machtasymmetrie in dieser Beziehung scheint ein anderes, geringeres Aus­ maß zu haben als in den anderen durch die Interviews ins empirische Material gelangten Beziehungen. Daraus kann der vorsichtige Schluss gezogen werden, bei Ronja und Tim wird eine Anerkennung durch die wechselseitigen Gewaltanwendungen sichtbar. Ronja beschränkt sich nicht immer nur auf die mit ihrem Körper zu Verfügung stehenden Mitteln bei der Gewaltanwendung im Kontext des Hooliganismus und innerhalb der

1897 Vgl. B. IV. 3. b) bb) ccc). 1898 Vgl. B. IV. 2.; C. V. insbesondere 1., 3. 1899 Vgl. E. III. 2. b) hh) ccc) eeee).

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

Paarbeziehungen.1900 Sie setzt die Gewalt mit Hilfe von Gegenständen in beiden Kontexten mit Erfolg ein, was der wechselseitigen Anerkennung zumindest aus Ronjas Perspektive nicht abträglich ist. In der wechselseitig angewandten Gewalt zwischen Ronja und Tim könnte sich ausdrücken, dass beide Herrschende i.S. Bourdieus in „ernsten Spiele[n]“1901 sind. Der jeweils andere Herrschende i.S. Bourdieus – also Tim oder Ronja – ist in Bezug auf den fokussierten Teilbereich – entweder im Feld des Hooliganismus oder innerhalb der Paarbeziehung – dem anderen Herrschenden aus subjektiver Perspektive überlegen, gleichviel wie groß dieses Ausmaß der subjektiven Überlegenheit ist. Da es auf das subjektiv empfundene Ausmaß der Überlegenheit nicht ankommt, ist die subjektive Anerkennung der subjektiv empfundenen Überlegenheit ent­ scheidend. Es kann jedoch mit dem empirischen Material nicht ergründet werden, wer von beiden innerhalb der Paarbeziehung dieses Kriterium aufweist. Dennoch ist auch bei einem grundsätzlichen Äquilibrium der partnerschaftlich Verbundenen wie Ronja und Tim eine gewisse Macht­ asymmetrie zu finden. Die Divergenz zwischen den grundsätzlich zuge­ schriebenen und den individuellen Geschlechterrollenbildern innerhalb des Feldes des Hooliganismus sind in diesem Fall besonders sichtbar. Dass es Paarbeziehungen gibt, die mit Personen eingegangen werden, die nicht mit dem zugeschriebenen idealen Bild übereinstimmen, und diese, wie bei Ronja, von gewisser Dauer sind, ist ein möglicherweise nicht nur in der Hooligan-Szene vorfindbares Ergebnis. Es bedürfte hier weiterer Forschung, wie sich dies in den anderen Feldern der „ernsten Spiele des Wettbewerbs“1902 verhält. 3. Zwischenfazit Die sichtbar gewordenen zugeschriebenen Geschlechterrollenbilder der Hooligans, gleichgültig, ob es sich um männliche oder weibliche Hooli­ gans handelt, mit Blick auf partnerschaftlich Verbundene sind heterogen: Sie sind höchst individuell und jeweils in Abhängigkeit der jeweiligen Person in den verschiedenen szeneinternen wie -externen Kontexten und Situationen. Die soziologische Ethnographie weist jedoch in die Richtung, dass partnerschaftlich mit der Hooligan-Szene verbundene Personen inner­

1900 Vgl. E. III. 2. b) hh) ccc) cccc), eeee). 1901 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. 1902 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203.

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IV. Zusammenführung der Ergebnisse

halb der und durch die Hooligan-Szene wenig Anerkennung erfahren, obwohl sie dort wichtige Funktionen, Aufgaben und Rollen übernehmen und sie dadurch unmittelbar wie mittelbar die körperlichen Auseinander­ setzungen zum Teil erst ermöglichen. Sie wirken häufig nur mittelbar unterstützend i.S.d. passiv gewaltverstärkenden Rolle. Es ist davon auszu­ gehen, dass selbst innerhalb der Hooligan-Szene nicht wahrgenommen wird, welchen Beitrag partnerschaftlich Verbundene leisten, um den Hoo­ liganismus in Teilen erst zu ermöglichen. Die vorliegende Arbeit macht somit (zugeschriebene) Geschlechterrollenbilder sichtbar und zeigt auf, welche Beiträge von partnerschaftlich Verbundenen geleistet werden. Das induktive Vorgehen ermöglichte, ein ideales Bild eines partner­ schaftlich Verbundenen herauszuarbeiten. Es weist in Teilen Übereinstim­ mungen mit den bereits bekannten Rollen weiblicher Personen in der Hooligan-Szene auf,1903 die allerdings darauf gerichtet sind, wie Gewalt gefördert, verhindert oder selbst ausgeübt werden kann. Das ideale Bild zeigt die Dimensionen, Eigenschaften und Erwartungen auf, die in der Fremd- wie Selbstzuschreibung aus Sicht der Interviewten als notwendig erachtet werden, um Paarbeziehungen, die eine gewisse Dauer aufweisen, einzugehen; sie zeichnen sich durch Gleichgültigkeit, Akzeptanz, Vertrau­ en und Verschwiegenheit aus und nur dann räumlich kopräsent zu sein, wenn vorab und ausdrücklich hierfür eine Zustimmung erteilt wurde. Mit der Paarbeziehung zwischen zwei Hooligans konnte eine als Son­ derfall zu qualifizierende Paarbeziehung analysiert werden, in der grund­ sätzlich ein Machtäquilibrium besteht.1904 Trotz des Machtäquilibriums werden die Konflikte wechselseitig gewaltförmig gelöst, was an den sub­ jektiv empfundenen Divergenzen der Macht liegen kann. Paarbeziehun­ gen zwischen Hooligans weichen hinsichtlich der feldspezifischen, zuge­ schriebenen Geschlechterrollenbilder und Idealbilder an partnerschaftlich Verbundene von den Paarbeziehungen ab, bei denen nur ein Partner Teil der Hooligan-Szene ist. Ebenso wurden die Besonderheiten aufgezeigt, die im Zusammenhang mit weiblichen Personen, die einen zugewiesenen Sonderstatus haben und eine selbst aktiv gewalttätige Rolle einnehmen, bestehen. Auch dies wirkt sich auf die Paarbeziehung zwischen Hooligans aus.

1903 Vgl. C. IV. 2., V., insbesondere 4. 1904 Vgl. E. IV. 2. e).

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

V. Rückbindung der gewonnenen Ergebnisse an die theoretischen Grundlegungen Die gewonnenen Ergebnisse werden nun an die theoretischen Grundle­ gungen rückgebunden und analysiert, ob sie daran anschlussfähig sind oder hierzu divergieren. Nach der Beantwortung der nachfolgenden Fra­ gen lässt sich auch die Frage, ob es nun eine echte Krise der männlichen Herrschaft im Feld des Hooliganismus gibt, beantworten. 1. Ist der Hooliganismus eine homosoziale Männergemeinschaft? Der Ansicht, der Hooliganismus sei eine homosoziale Männergemein­ schaft,1905 ist auf Grundlage der vorliegenden Studie zu widersprechen. Voraussetzung wäre die Mitgliedschaft von Personen nur eines Ge­ schlechts i.S.v. sex. Diese Voraussetzung ist allerdings durch die räum­ liche Kopräsenz und Teilnahme von weiblichen Gewalttätigen, andere Rollen einnehmenden weiblichen Personen und diejenigen aus den Kon­ texten der teilnehmenden Beobachtung, an szeneinternen Gruppenaktivi­ täten wie gemeinsamen Feiern oder Stadionbesuchen nicht erfüllt. Der Ausschluss von Frauen gelingt nicht mehr vollständig – wie auch Meuser selbst einräumt, ohne die dafür vorzugswürdige Konsequenz zu ziehen –,1906 was durch das aktive Verleihen des Sonderstatus auch im Interes­ se derjenigen geschieht, die die Definitionsmacht darüber haben, wer zugehörig zur Hooligan-Szene ist – den bereits zugehörigen Hooligans. Hooligans weisen folglich nicht stets das identische Geschlecht i.S.v. sex auf, denn es gibt sowohl männliche als auch weibliche Hooligans. Die Anwesenheit und Teilnahme von Frauen verwandelt homosoziale Männer­ gemeinschaften in männlich dominierte Gruppen, in denen Frauen unter­ schiedliche Rollen, Funktionen und Aufgaben einnehmen können, die von aufgrund eines partnervermittelten Kontakts zur Hooligan-Szene un­ terstützenden, hemmenden Handlungen bis hin zur eigenständig begrün­ deten Zugehörigkeit mit eigenem gewalttätigem Handeln reichen können und miteinander kombinierbar sind. Deshalb kann, in der grundsätzlichen Bedeutung von Homosozialität, nicht mehr (durchgängig) davon ausge­ gangenen werden, dass der Hooliganismus eine homosoziale Männerge­ meinschaft ist. 1905 Vgl. B. IV. 2. a) dd); C. V. 1906 Vgl. B. IV. 2. a) dd); C. V.

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V. Rückbindung der gewonnenen Ergebnisse an die theoretischen Grundlegungen

Das Geschlecht allein ermöglicht aber nicht, zugehörig zur HooliganSzene zu werden, sondern es müssen die herausgearbeiteten nötigen Grundeinstellungen1907 hinzukommen oder (zugeschriebene) Dimensionen müssen abwesend sein, sonst greifen u.U. die Ausschlussmechanismen.1908 Hierin zeigen sich die variablen Grenzen des Feld des Hooliganismus.1909 Die Ausschlüsse qua gefundener unterschiedlicher Dimensionen sind al­ lerdings durchlässig und deshalb befinden sich in der Hooligan-Szene Personen, die die beschriebenen Eigenschaften aufweisen, die sie hiervon grundsätzlich ausschließen müssten. In homosozialen Männergemeinschaften wie der Hooligan-Szene werde sich nach einer Ansicht die Strukturlogik des männlichen Habitus spiele­ risch angeeignet und sich gegenüber weiblichen Personen und gegenüber allem, was dem Anschein nach weiblich konnotiert ist, abgegrenzt.1910 Angesichts der vorliegenden Ergebnisse ist dieser Ansicht in Teilen zu widersprechen, da auch innerhalb der Hooligan-Szene selbst gewalttätige Frauen mit zugewiesenem Sonderstatus existieren. Ronja grenzt sich selbst gegenüber anderen weiblichen gewalttätigen und nicht gewalttätigen Per­ sonen ab und nutzt hierfür spezielle Bezeichnungen und die körperliche Attraktivität als Abgrenzungskriterien. Ronja lehnt sie in gewisser Weise, wenn auch nicht durchgängig, ab, da sie ihrem eigenen Geschlechterrol­ lenbild, ihrem eigenen Bild von Weiblichkeit, nicht vollends entsprechen, obwohl auch sie zum Teil Gewaltausübung in ihr eigenes Geschlechterrol­ lenbild integriert haben. Ronja betont, anders als sie zu sein. Sie weist selbst Merkmale auf, nach denen sie eigentlich in diesem Feld gar nicht sein dürfte. Sie arbeitet mit daran, potenzielle Teilnehmende aus dem Feld auszuschließen, indem sie auch mittels der von ihr als Grundeinstellungen bezeichneten Einstellungen die Eintrittsgelder ins Feld benennt.1911 Ronja wertet grundsätzlich die Geschlechterrollenbilder ab, die tradierten weibli­ chen Geschlechterrollenbilder vollumfänglich oder weit überwiegend ent­ sprechen. Dennoch ist durch die über 25 Jahre andauernde gleichzeitige Kopräsenz Lisas und die Freundschaft mit ihr eine Ausnahme erkennbar, so dass sie nicht alle Frauen oder alles weiblich konnotierte ablehnt. Die Ablehnung der von Ronja als Frau Typ Kampflesbe1912 bezeichneten Perso­

1907 1908 1909 1910 1911 1912

Vgl. E. III. 2. b) gg) bbb). Vgl. E. III. 2. b) gg) fff). Vgl. B. IV. 1. Vgl. C. V. Vgl. B. IV. 1., insbesondere d). Vgl. E. III. 2. b) hh) aaa).

413

E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

nen gründet sind in der Verwehrung, mit ihnen verwechselt zu werden, denn sie nutzt die körperliche Attraktivität sowie die sexuelle Orientierung als maßgebliche Unterscheidungs- und Abgrenzungskriterien. In der Zu­ sammenschau weist dies auf einen spezifischen weiblichen Habitus Ronjas hin, der sich von anderen in der Hooligan-Szene befindlichen Frauen un­ terscheidet. Eine gewisse Orientierung des Habitus Ronjas am männlichen Habitus und am feldspezifischen Gruppenhabitus wird sichtbar, denn auch die männlichen Hooligans grenzen sich von weiblichen Personen ab und wählen szeneintern entsprechende Bezeichnungen für sie.1913 Das Ausüben von Gewalt durch weibliche Personen in der Hooligan-Szene und die nicht mehr durchgängigen homosozialen Männergemeinschaften der Hooligans sind ein vorsichtiges Indiz für sich neu konstituierende Ge­ schlechterverhältnisse. Aber eine „echte“ Krise der männlichen Herrschaft ist hier vorerst noch nicht erkennbar. 2. Sind Hooligans verletzungsmächtig und verletzungsoffen? Ob auch die von Popitz geprägten Begriffe Verletzungsoffenheit und Ver­ letzungsmächtigkeit und der Ansicht, entlang der Kategorie Geschlecht ungleich verteilt zu sein, für Hooligans fruchtbar gemacht werden kön­ nen, ist ebenfalls eine relevante Frage.1914 Die Interviewten berichteten, unabhängig ihres Geschlechts, von physischen und psychischen Verletzun­ gen, im Kontext des Hooliganismus oder innerhalb ihrer (szeneinternen wie -externen) Paarbeziehungen. Gleichzeitig berichteten sie davon, selbst verletzungsmächtig in diesen Kontexten gewesen zu sein, denn sie setz­ ten sich (körperlich) zur Wehr und oder hielten auch bei psychischen oder verbalen Angriffen dagegen. Eine „einseitige Idealisierung von Verlet­ zungsmacht“1915 fand sich im vorliegenden Datenmaterial nicht. Vielmehr können bei den männlichen wie weiblichen Interviewten Sequenzen ge­ funden werden, die gleichermaßen auf Verletzungsmächtigkeit wie -offenheit in szeneinternen und -externen Kontexten schließen lassen. Ronja widerspricht mit ihrem eigenen Bild von Weiblichkeit den innerhalb der Gesamtgesellschaft und den szeneintern (zugeschriebenen) Geschlech­ terrollenbildern, insbesondere in Bezug auf Verletzungsmächtigkeit. Die

1913 Vgl. E. III. 2. b) hh) aaa). 1914 Vgl. u.a. B. II. 1. 1915 Vgl. Bereswill, Gewalt – eine (deviante) Verkörperung von Männlichkeit?, S. 2557.

414

V. Rückbindung der gewonnenen Ergebnisse an die theoretischen Grundlegungen

eigenen gewaltförmigen Handlungen können als Weigerung oder als Wi­ dersetzen angesehen werden, sich an den für Frauen üblichen szeneinter­ nen wie -externen Erwartungen und den (zugeschriebenen) Geschlechter­ rollenbildern, auch hinsichtlich Verletzungsmächtigkeit und -offenheit, zu orientieren. Verletzungsmächtigkeit und Verletzungsoffenheit sind folg­ lich innerhalb der Hooligan-Szene nicht ausschließlich an das biologische Geschlecht der jeweiligen Person gebunden. Zu der in C. V. 2 vorgestellten Ansicht Bereswills, wonach u.a. vernach­ lässigt wird, die dauerhafte Verletzungsoffenheit des männlichen Körpers und die Täter-Opfer-Statuswechsel für die Aneignung von Geschlecht zu berücksichtigen,1916 kann die vorliegende Arbeit folgendes hinzufügen: Sowohl Ronja als auch Frank schildern Situationen, in denen sie nicht nur verletzungsmächtig sind, sondern ebenfalls verletzungsoffen. Bei Frank kann eine Angst erkannt werden, szeneinterne Männlichkeitsideale zu verfehlen und stattdessen in eine Position zu geraten, die weiblich konno­ tiert ist. Der sich im szeneinternen und -externen Kontext zeigende TäterOpfer-Statuswechsel birgt vielfältige Risiken in sich, wie u.a. die eigene Delinquenz aufgrund vorheriger Viktimisierung. Ronja prägte v.a. die in der primären Sozialisation empfundene Zurückweisung, Benachteiligung und Züchtigung durch ihren als cholerisch wahrgenommenen Vater. Sie reflektiert außerdem selbst den Einstieg in die Hooligan-Szene vor der Folie ihres Aufwachsens und ihren frühen Opfererfahrungen.1917 Damit kann bei Ronja die zuerst erlebte Viktimisierung als einer der Gründe gesehen werden, weshalb sie sich der Hooligan-Szene anschließt und ihre eigene empfundene Verletzungsoffenheit in Verletzungsmächtigkeit und Wirkmächtigkeit „umgeschlagen“ ist. 3. Wie zeigen sich die symbolische Gewalt, Macht und Machtasymmetrien? Die vorliegende Arbeit zeigt hinsichtlich der vorgefundenen Bezeichnun­ gen für weibliche Personen (u.a. Anhängsel, schmückendes Beiwerk, Hooligirl, Frau Typ Kampflesbe1918) die in der Sprache liegende Wirkmächtigkeit1919 auf. Sie weisen auf Machtasymmetrien zwischen Herrschenden und Be­

1916 1917 1918 1919

Vgl. C. V. 2. Vgl. E. III. 2. a). Vgl. E. III. 2. b) hh) aaa). Vgl. hierzu B. IV. 2. b).

415

E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

herrschten hin und wirken entsprechend auch in beide Richtungen. Jene Bezeichnungen treten an die Stelle der dahinter zugeschriebenen Rollen und Geschlechterrollenbilder und werden von den herrschenden männ­ lichen wie weiblichen Hooligans ausgesprochen; auch die Beherrschten haben davon Kenntnis. Die Verwendung der Symbole, also die Bezeich­ nungen für die Beherrschten, durch die Beherrschten selbst zeigt die symbolische Macht i.S. Bourdieus auf. Diese Symbole erfahren somit von beiden, den Beherrschten und Herrschenden, eine als legitim empfundene An- und Erkennung. Da symbolische Gewalt durch Sprache wirkt, schließen die von den Interviewten genutzten Personengruppenbezeichnungen Angehörige des anderen Geschlechts schon auf sprachlicher Ebene aus. Sie nennen expli­ zit das Geschlecht der sich (mehrheitlich) in der Gruppe befindlichen Personen: Jungs.1920 Hierbei handelt es sich um die Bezeichnung der peer group,1921 für die Jungs wohl als Synonym verwendet wird.1922 Da die symbolische Macht i.S. Bourdieus, eine Macht ist, Dinge mit Wörtern zu schaffen, zeigt die gruppeninterne Verwendung eines männli­ chen Vornamens für Ronja die Wahrnehmung auf, Teil der Gruppe zu sein.1923 Dadurch wird die eigentliche Asymmetrie aufgehoben, indem sich das Weibliche, zugeschrieben durch den Vornamen, auflöst und in etwas Männliches, den szeneinternen männlichen Vornamen Ronjas, auf­ geht. Die Verwendung des männlichen Vornamens als Symbol für ihre subjektive wie objektive Zugehörigkeit erzeugt eine als legitim empfunde­ ne Anerkennung und Erkennung dessen. In der Selbst- und Fremdwahr­ nehmung werden weibliche Hooligans zu „one of the guys“.1924 Ronja ist Hooligan, den anderen Gruppenmitgliedern ebenbürtig und gleichwertig. In diesem Sinne wird Ronja sowohl für die mit partnervermitteltem Kon­ takt zur Hooligan-Szene, den Beherrschten, eine Herrschende als auch für die (männlichen) Mitglieder der Hooligan-Szene zu einer Mit-Herrschen­ den. Dadurch entsteht eine neue Asymmetrie zwischen ihnen und den partnerschaftlich Verbundenen, die weiterhin mit ihren ursprünglichen Vornamen angesprochen werden. Hierzu korrespondierend sind Lisas Be­ mühungen zu sehen, sich in der Beschreibung Ronjas1925 in geschlechtli­

1920 1921 1922 1923 1924 1925

416

Vgl. E. III. 2. b) aa). Vgl. B. III. 3. Vgl. E. III. 2. b) aa). Vgl. E. III. 2. b) aa). Vgl. B. IV. 3. b) bb) aaa) dddd), cc). Vgl. E. III. 2. b) hh) ccc) bbbb).

V. Rückbindung der gewonnenen Ergebnisse an die theoretischen Grundlegungen

chen Kategorisierungen zu versuchen. Lisa fällt es schwer, Ronja darin zu kategorisieren. Hier zeitigt die symbolische Gewalt bei Lisa Effekte. So­ wohl die Eigenwahrnehmung Ronjas als auch die Fremdwahrnehmung Li­ sas von Ronja verdeutlichen, dass Ronja nicht dem Geschlechterrollenbild entspricht, das üblicherweise Frauen zugeschrieben wird. Vielmehr stim­ men Selbst- und Fremdwahrnehmung überein und zeigen Ronjas individu­ elles Bild von Weiblichkeit, das nicht an das szeneintern zugeschriebene Geschlechterrollenbild angepasst ist. Dieses Geschlechterrollenbild Ronjas wirkt wie der männliche Habitus der anderen, männlichen Hooligans. Es scheint, als würde Ronja sich diesem annähern und in ihren Handlungen diejenigen zeigen, die einer Person mit einem männlichen Habitus zuge­ schrieben sind. Ronja zeigt bei ihrem individuellen vergeschlechtlichten, vergeschlechtlichenden Habitus auf, an dem männlichen Habitus der an­ deren Hooligans orientiert zu sein. Dieser weibliche Habitus ist so weit von gängigen zugeschriebenen Geschlechterrollenbildern und des tradier­ ten weiblichen Habitus entfernt – er ist aber nicht männlich. In Ronjas Körper und Geist ist ein spezifischer weiblicher Habitus eingeschrieben, der zugeschriebene (weibliche) Geschlechterrollenbilder überwindet, sich an (männlichen) Geschlechterrollenbilder anlehnt und sich am feldspezi­ fischen Habitus orientiert. Ronjas spezifischer Habitus kann verkannt wer­ den als männlicher Habitus. Zur Erklärung dient Ronjas Erleben einer ähnlichen Sozialisation wie männliche Gleichaltrige, da sie schon früh eigene, inner- und außerfamiliäre Opfererfahrungen erlebt hat und für sich entdeckt, sich durch die Ausübung von Gewalt aus den von ihr als Ohnmachtspositionen beschriebenen Situationen befreien zu können. In Ronjas weiblichem Habitus ist nicht nur Gewalt integriert, sondern er enthält auch Bestandteile des tradierten Geschlechterrollenbildes in Bezug auf weibliche Personen, was sich u.a. im fürsorglichen Kümmern um ihr Kind zeigt und sie, bedingt durch ihre Mutterschaft, ihre szeneinternen Aktivitäten reduziert. 4. Wie zeigen sich die homologen Gegensätze? Die vorliegende Arbeit zeigt die i.S. Bourdieus für sich genommene will­ kürliche Einteilung der Dinge und Tätigkeiten nach dem Gegensatz von männlich und weiblich auf sowie eine Eingliederung in ein System von homologen Gegensätzen.1926 Diese auf alles anwendbaren Schemata schei­ 1926 Vgl. B. IV. 2. a) aa).

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

nen stets die „in der Natur der Dinge“ liegenden Unterschiede zu registrie­ ren, was auch für den Geschlechtsunterschied gilt und sich auch innerhalb der Hooligan-Szene zeigt. Die Arbeit zeigt verschiedentlich das Rekonstru­ ieren der homologen Gegensätze i.S. Bourdieus auf. Insbesondere Max ver­ deutlicht, dass aus seiner Sicht szeneintern homologe Gegensätze vorhan­ den sind und dass die jeweiligen (zugeschriebenen) Geschlechterrollenbil­ der in szeneinternen und -externen Kontexten voneinander abweichen können. Zugleich konstatiert Max ein szeneinternes, differenziertes und heterogenes jeweiliges (zugeschriebenes) Geschlechterrollenbild. Dieser, auf den ersten Blick widersprüchliche Befund kann jedoch aufgelöst wer­ den, denn in Max Schilderung werden Dichotomien, homologe Gegensät­ ze i.S. Bourdieus, durch das differenzierte Darstellen von grundsätzlich den (männlichen) Hooligans vorbehaltenen Sphären und demgegenüber Sphä­ ren, die Personen mit partnervermitteltem Kontakt zur Hooligan-Szene zugeschrieben werden, deutlich. Dabei zählt Max Attribute, Räume und Bereiche als homologe Gegensätze auf, die Hooligans das Gefährliche, Außerhäusige, den Fußball und den Hooliganismus, ermöglichen und sie als aktive Menschen kennzeichnen. Den mit partnervermitteltem Kontakt zur Hooligan-Szene Verbundenen hingegen schreibt er Räume, Sphären und Attribute zu, die sich im Innerhäusigen zutragen, und die vergleichs­ weise von Passivität geprägt sind. Die von Max geschilderte und als na­ türliche Ordnung der Bereiche in männliche und weibliche Sphären an­ mutende Einteilung in szeneinterne und -externe Kontexten relativiert er anschließend. Folglich gibt es szeneintern wie -extern heterogene Einstel­ lungen und Ansichten zu (zugeschriebenen) Geschlechterrollenbildern, die hier rekonstruiert wurden. Zuzugeben sind gleichwohl die zunächst widersprüchlich erscheinen­ den Ausführungen Max und Ronjas, denn Ronja entspricht nicht dem von Max gezeichneten Geschlechterrollenbild und hält sich nicht nur in den für Frauen aufgezeigten Sphären auf. Angesichts der vorherigen Herausar­ beitung hinsichtlich des anderen Bildes von Weiblichkeit, das Ronja für sich entwickelt hat als jenes, das szeneintern und -extern als vorherrschend anzusehen ist, und der Einschreibung eines spezifischen weiblichen Habi­ tus, können Max in sich schon widersprüchlichen Einschätzungen der Hooligan-Szene durch Ronja weiter konterkariert werden. Ronjas zugewie­ sener Sonderstatus zeigt auf, dass die Definitionsmacht der männlichen Mitglieder es ermöglicht, Frauen mit einem solchen weiblichen Habitus, der so weit mit dem männlichen Habitus übereinstimmende Züge auf­ weist, so dass sie als vollwertig objektiv (und subjektiv) zur Hooligan-Sze­ ne zugehörig angesehen werden kann. Außerdem können die von Max

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V. Rückbindung der gewonnenen Ergebnisse an die theoretischen Grundlegungen

differenziert wahrgenommenen jeweiligen Geschlechterrollenbilder auch von weiblichen Hooligans wie Ronja überwunden werden, sofern die Definitionsmacht der männlichen Mitglieder der Hooligan-Szene es zulässt. Da die Grundlage des männlichen Habitus die libido dominandi ist, lohnt sich auch ein Blick darauf, wie sie das Handeln der männlichen Hooligans sowohl gegenüber anderen Männern als auch gegenüber Frau­ en strukturiert.1927 In der Hooligan-Szene äußert sich dieser Wunsch ge­ genüber all denjenigen, bei denen Ausschlussmechanismen1928 greifen und die als nicht satisfaktionsfähig und Menschen ohne gleiche Ehre angese­ hen werden. Sekundär äußert sich dies darin, diejenigen mit partnerver­ mitteltem Kontakt zur Szene zu dominieren.1929 Die libido dominandi ist das Ergebnis der männlichen Sozialisation, denn Männer werden dazu erzogen, gesellschaftliche (Macht-)Spiele, und damit auch den Hooliganis­ mus, anzuerkennen, deren Einsatz irgendeine Form der Herrschaft ist. Sie werden früh durch Einsetzungsriten zu Herrschenden bestimmt.1930 Auch innerhalb der Hooligan-Szene gibt es Aufnahmerituale, die als sol­ che Einsetzungsriten anzusehen sind.1931 Ronja übernimmt Muster, die grundsätzlich in der libido dominandi als das Ergebnis der männlichen So­ zialisation zum Ausdruck kommen. Aus Ronjas Perspektive ist dieses Han­ deln zielführend auf ihrer Suche nach und dem Finden von Anerkennung. Der Erwerb des Habitus entsteht somit auch hier in der und durch die Teilnahme an der Praxis;1932 ihr spezifischer weiblicher Habitus beginnt sich früh in ihren Körper einzuschreiben. Ronja beginnt bereits ab der Schulzeit aufgrund ihres eigenen Geschlechterrollenbildes sich von zuge­ schriebenen, weiblichen Geschlechterrollenbildern zu lösen und als männ­ lich zugeschriebene Handlungs- und Konfliktlösungsstrategien für sich zu übernehmen. Dies geschieht zweckrational, in Abwägung der Kosten, Mit­ tel und des Nutzens, die ihr zur Erreichung ihrer Ziele, namentlich Aner­ kennung, Wertschätzung, körperliche Integrität und deren Verteidigung mit ggf. aus ihrer Perspektive nötigen Angriffen, dienlich sind. Sie beginnt insofern früh damit, ein eigenes Bild ihrer Weiblichkeit zu konstruieren, das in Teilen an ein für Männer zugeschriebenes Geschlechterrollenbild erinnert.

1927 1928 1929 1930 1931 1932

Vgl. B. IV. 2. a). Vgl. E. III. 2. b) gg) fff). Vgl. B. IV. 2. a) bb), c) bb); C. V. Vgl. B. IV. 2. a) bb), c) aa). Vgl. E. III. 2. a). Vgl. B. IV. 1. c) aa), 2. a), c).

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

Es fällt jedoch schwer, die homologen Gegensätze auf den herausge­ arbeiteten Sonderfall, das Äquilibrium der partnerschaftlich Verbunde­ nen,1933 und auf physische oder psychische Gewalt innerhalb von Paarbe­ ziehungen anzuwenden; hier scheitert auf den ersten Blick das eindeuti­ ge Zuweisen eines antonymen Wortpaares. Sind beide Hooligans, sind beide gleichermaßen verletzungsoffen wie verletzungsmächtig innerhalb der Paarbeziehung und innerhalb der körperlichen Auseinandersetzungen. Beide Personen der Paarbeziehung sind gleichermaßen aktiv wie passiv, stark wie schwach, im Privaten wie im öffentlichen Raum anzutreffen. Bei­ de Personen sind Herrschende i.S. Bourdieus im Feld des Hooliganismus und verfügen über einen sich ähnelnden Habitus, in Gestalt des männli­ chen und eines spezifischen weiblichen Habitus, der sich am feldspezifischen Habitus ausrichtet. Beide sind die jeweils partnerschaftlich Verbun­ denen und beide sind jeweils Hooligans. Beides ist unabhängig ihres bio­ logischen Geschlechts. Führen männliche und weibliche Hooligans eine Paarbeziehung miteinander, sind beide auch Beherrschte, denn sie werden von der männlichen Herrschaft im Feld des Hooliganismus beherrscht. Erst ihr jeweiliger vergeschlechtlichender, vergeschlechtlichter Habitus er­ möglicht sowohl den Einstieg in die Hooligan-Szene, das Verweilen darin und die währenddessen begonnene und beendete Paarbeziehung. Der sich in den jeweiligen Körper eingeschriebene Habitus ist das vermittelnde Element im Konzept Bourdieus. Er ermöglicht die Ausgestaltung der Le­ bensbedingungen, Handlungen und Praxen. Der vergeschlechtlichte, ver­ geschlechtlichende Habitus dient somit als Vermittlungsinstanz zwischen dem Handeln bzw. der Praxis und der Struktur im Feld des Hooliganis­ mus. Der jeweilige, feldspezifische Habitus als Leib gewordene Geschichte konnte mit der vorliegenden Arbeit ebenso erhellt werden wie das Feld des Hooliganismus als die Ding gewordene Geschichte. Der vergeschlecht­ lichende, vergeschlechtlichte Habitus erfasst somit auch im Feld des Hoo­ liganismus die inkorporierte Sozialität. Der jeweilige Habitus erinnert dabei daran, dass es die Fähigkeit eines sozial geschaffenen Körpers ist, die sozial geschaffene und im Laufe einer räumlich und zeitlich situierten Erfahrung erworbenen Gestaltungsprinzipien in die Praxis umzusetzen.1934 Der jeweilige Habitus der im Feld des Hooliganismus Befindlichen bildet deshalb gleichermaßen die mentalen Verkörperungen der Sozialität und die emotionalen Aspekte der inkorporierten Sozialität ab. Diese wiederum

1933 Vgl. E. IV. 2. e). 1934 Vgl. B. IV. 1. c).

420

V. Rückbindung der gewonnenen Ergebnisse an die theoretischen Grundlegungen

sind konstitutiv für die Aktualisierung und Erzeugung von Praktiken im Feld des Hooliganismus. 5. Wie zeigt sich das Isotimieprinzip im Feld des Hooliganismus? Wie sich in den körperlichen Auseinandersetzungen der Hooligans das Prinzip gleicher Ehre (Isotimieprinzip)1935 zeigt, behandelt der nachfolgen­ de Abschnitt. In den körperlichen Auseinandersetzungen mit als ehren­ haften, verletzungsmächtig angesehenen anderen, gegnerischen Hooligans erwerben die Hooligans bei der Jagd nach Anerkennung das symbolische Kapital und setzen es ein. Diese Art des symbolischen und sozialen Ka­ pitals unterscheidet sich von den in Bourdieus Konzepten grundlegend Herausgearbeitetem,1936 denn nach hier vertretener Ansicht ist diese Art des symbolischen und sozialen Kapitals als deren „dunkle Seite“ anzuse­ hen, die im Hooliganismus zum Ausdruck kommt. Wie die vorliegende Arbeit aufzeigt, werden in den körperlichen Auseinandersetzungen der Hooligans Ehre, Anerkennung und Prestige gezollt und entgegengebracht. Die sozialen Ressourcen der Hooligans fördern das im Hooliganismus zum Ausdruck kommende deviante oder delinquente Verhalten. Bislang wird davon ausgegangen, die verletzungsmächtigen, ebenbürti­ gen, ebenso ehrhaften und Ehre zollenden Hooligans müssten stets männ­ lichen Geschlechts sein.1937 Frauen besitzen nach der inneren Logik des Hooliganismus nicht die gleiche Ehre; sie können keine Ehrenmänner sein, da sie weiblich sind. Unberücksichtigt bleibt bislang die aktive szenein­ terne Beteiligung von Frauen mit und ohne zugewiesenem Sonderstatus an den körperlichen Auseinandersetzungen. In Bezug auf das Isotimieprin­ zip, den männlichen Habitus und die männliche Herrschaft im Feld des Hooliganismus zeigt die Einbeziehung von Frauen in den Hooliganismus auf, dass die starre Einteilung, die szeneinternen körperlichen Auseinan­ dersetzungen als „ernste Spiele“ könnten nur „unter Männern [Hervorh. i. Orig., Anm. der Verf.]“1938 stattfinden, weil nur in der Auseinandersetzung „Mann gegen Mann“ der männliche Habitus konstruiert und vollendet wird, in Anbetracht der Existenz weiblicher Gewalttätiger in der Hooli­ gan-Szene schwerlich vollkommen haltbar ist. In den szeneinternen sym­

1935 1936 1937 1938

Vgl. B. IV. 2. c) bb); C. V. 1. Vgl. B. IV. 1., 2. Vgl. C. V. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203.

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

bolischen und tatsächlichen Kämpfen konstruiert und vollendet sich der männliche Habitus.1939 Aus den eigenen Befunden heraus ist dies als zu kurz gegriffen zu erachten. Zusätzlich konstruiert und vollendet sich dort auch der spezifische weibliche Habitus der weiblichen Hooligans. Die vorliegende Untersuchung zeigt die Möglichkeit der Verleihung ei­ nes Sonderstatus von den die Definitionsmacht innehabenden männlichen Hooligans an weibliche Personen wie Ronja auf. Durch eine Delegation verleihen sie Ronja diesen Status, sie ist objektiv wie subjektiv zugehö­ rig und Ronja vermag wie die übrigen Mitglieder der Hooligan-Gruppe gewalttätig zu handeln. Ronja ist verletzungsmächtig und kann i.S.d. Iso­ timieprinzips handeln. Obwohl Ronja weiblich ist, ist sie satisfaktionsfä­ hig und eine Person gleicher Ehre im Kontext des Hooliganismus. Ronja teilt grundsätzlich – wenn auch nicht durchgängig1940 – die spezifischen „Spielregeln“ und Einsätze in das Spiel des Hooliganismus, namentlich die szeneinternen Normen, Werte und Grundeinstellungen, das Riskieren des eigenen Körpers sowie das Prinzip gleicher Ehre. Ronja teilt somit die im „Spiel“-Feld des Hooliganismus erzeugte illusio.1941 Ronja investiert darin außerdem durch ihren Einsatz von finanziellen Ressourcen1942 ökonomi­ sches Kapital.1943 Sie nimmt an den körperlichen Auseinandersetzungen teil, weil sie den praktischen Glauben (die doxa) an den Hooliganismus und an den entsprechenden Einsatz aller nötigen Ressourcen und Kapitali­ en hat. Ronja erkennt das Spiel des Hooliganismus unhinterfragt an. Sie glaubt, ihre Einsätze darin lohnen sich. Damit gibt sie dem Spiel ihr heim­ liches Einverständnis, das der Ursprung für die entstehenden körperlichen Auseinandersetzungen der Hooligans zwischen Personen gleicher Ehre ist. Ronja fehlt aufgrund des zugewiesenen Sonderstatus nicht das symbolische Kapital der Ehre, die üblicherweise nur ebenbürtigen Ehrenmännern zuge­ schrieben wird. Durch ihren spezifischen Habitus wird Ronja eine Person gleicher Ehre, obwohl sie ein anderes Geschlecht aufweist, als diejenigen, denen zugeschrieben wird, Personen gleicher Ehre zu sein. Ronja hat im dynamischen Prozess der Sozialisation eine Genese ihres Habitus durchlaufen, der sich ihr in den Körper eingeschrieben hat.1944 Bei Ronja wird dies besonders durch ihre Schilderungen zu ihrem ersten

1939 1940 1941 1942 1943 1944

422

Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. Vgl. E. III. 2. b) gg) bbbb), dddd), eeee), ffff). Vgl. B. IV. 1. d), 2. c). Vgl. E. III. 2. b) gg) ccc). Vgl. B. IV. 1. a). Vgl. B. IV. 1. c) aa), 2. a), c).

V. Rückbindung der gewonnenen Ergebnisse an die theoretischen Grundlegungen

Schultag deutlich, an dem sie Konflikte gewaltförmig löste.1945 Ronja selbst reflektiert ihren Einstieg in die Hooligan-Szene vor der Folie ihres Auf­ wachsens und der von ihr erlebten Erziehung.1946 In ihrer Wahrnehmung war Ronja in ihrer Kindheit verletzungsoffen, denn sie berichtet von ei­ genen physischen, innerfamiliären Gewalterfahrungen und Opferwerdun­ gen, die sie als Sanktionierung erlebte. Ronja sieht rückblickend bereits zu Kindergarten- und Schulzeiten physische Gewalt als zusätzliche Hand­ lungsoption an und wendet sie auch an. Bereits damals hat sie sich nichts gefallen lassen und sich immer irgendwie grade gemacht (R 755). Da sie sich zu Hause nicht respektiert und anerkannt fühlte, fand sie, auch durch den Einstieg in zwei männlich dominierte Szenen (Glatzen- und Hooligan-Sze­ ne) ihren Weg, um Anerkennung zu erhalten.1947 Ronja spürt, sich mit gewaltförmigem Handeln auch Respekt und Anerkennung verschaffen zu können, indem sie ihren Körper oder die in Reichweite befindlichen Ge­ genstände einsetzt, unabhängig davon, ob der Körper, den sie damit trifft, männlich, weiblich, älter oder größer als sie selbst ist. Ronja empfindet sich, auch in der Logik des Hooliganismus dem Prinzip gleicher Ehre folgend, als Teil der Gruppe. Die Gruppe sieht sie ebenfalls als deren Teil und als Gleichwertige an. Ronjas Schilderung, mit einem männlichen Vornamen angesprochen worden zu sein, impliziert zudem die damit einhergehende Zuschreibung männlicher Eigenschaften.1948 Ronja zeigt durch ihre eigene Gewaltausübung ihren Habitus auf, der auf den ersten Blick wie ein männlicher Habitus wirkt. Ronjas weiblicher Habitus ist ori­ entiert, angepasst und in weiten Teilen übereinstimmend mit demjenigen der übrigen Mitglieder der Hooligan-Szene, die über einen männlichen Habitus verfügen, und er stimmt mit dem feldspezifischen Habitus über­ ein. Ronjas Handlungsmuster und -orientierungen sowie Problem- und Konfliktlösungsstrategien entsprechen weitüberwiegend denjenigen, die Personen männlichen Geschlechts zugeschrieben werden. Somit ist auf ein eigenes Bild von Weiblichkeit Ronjas zu schließen, das sich gegen die in der Gesamtgesellschaft und Hooligan-Szene vorherrschenden Geschlech­ terrollenbilder und geschlechtsspezifischen Erwartungen richtet. Zugleich enthält es auch Elemente tradierter Geschlechterrollenbilder. Mithin ist Ronja eine Person gleicher Ehre innerhalb der Hooligan-Szene. Sie ist satis­ faktionsfähig und kann somit in den körperlichen Auseinandersetzungen

1945 1946 1947 1948

Vgl. E. III. 2. b) hh) ccc) cccc). Vgl. E. III. 1. d), 2. a). Vgl. schon oben bei Kurzbiographie Ronja E. III. 1. d), 2. a). Vgl. E. III. 2. b) aa).

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

würdig Ehre zollen. Es kann zu wechselseitiger Anerkennung gereichen, wenn sie bei körperlichen Auseinandersetzungen teilnimmt. 6. Wird das Riskieren des eigenen Körpers und der Grenzen der Rechtsordnung bewusst gesucht und in Kauf genommen? Die mit gegnerischen Hooligan-Gruppen erfolgenden körperlichen Aus­ einandersetzungen fungieren Meuser zufolge u.a. als Mittel der wechsel­ seitigen Anerkennung, als Männlichkeitsrituale und das Riskieren des eigenen Körpers dient als ein Mittel zur Demonstration der eigenen Männ­ lichkeit, die währenddessen leiblich erspürt wird.1949 Unberücksichtigt bleibt auch hier scheinbar bislang der Gedanke an weibliche Hooligans, die darin involviert sind. Anders verhält es sich in der vorliegenden Ar­ beit. Die Interviewten berichten von der eigenen Beteiligung an körper­ lichen Auseinandersetzungen und dem Riskieren des eigenen Körpers, unabhängig ihres Geschlechts und unabhängig davon, ob es sich dabei um selbst ausgeübte (Verletzungsmächtigkeit) oder am eigenen Leib er­ fahrene (Verletzungsoffenheit) Gewalt handelt.1950 Auch im vorliegenden Datenmaterial bezeichnen die männlichen wie weiblichen Interviewten die körperlichen Auseinandersetzungen als Rausch und schildern, mit wel­ chen körpereigenen und chemischen Substanzen sie ihn typischerweise aufrechterhalten oder welche sie, nach Verletzungen, einsetzen, um die Schmerzen zu reduzieren. Die männlichen und weiblichen Hooligans ris­ kieren in den geplanten oder spontanen körperlichen Auseinandersetzun­ gen bewusst ihren eigenen Körper und nehmen die daraus möglicherweise resultierenden Verletzungen bewusst in Kauf, wie sich aus den eigenen Be­ funden ergibt. Sie erfahren die Grenzen ihres eigenen Körpers und dessen Belastbarkeitsgrenzen. Aufgrund des erhöhten Adrenalinspiegels oder des Konsums von anderen schmerzhemmenden Substanzen werden die kör­ perlichen Schmerzen und Verletzungen in den konkreten Situationen von ihnen nicht als solche wahrgenommen.1951 Zudem erleben sie durch die erfahrenen Repressionsmaßnahmen die Grenzen, die der Rechtsstaat dem Hooliganismus und den körperlichen Auseinandersetzungen setzt.1952 Die Körper sind zum Teil das Ergebnis langjährigen Trainings, das während

1949 1950 1951 1952

424

Vgl. C. V. 2. Vgl. C. V. 2. Vgl. E. III. 2. b) gg), hh) ccc) cccc). Vgl. C. III. 5. b).

V. Rückbindung der gewonnenen Ergebnisse an die theoretischen Grundlegungen

den körperlichen Auseinandersetzungen selbst und durch Sport erfolgt. Um in den körperlichen Auseinandersetzungen bestehen zu können, ist auch ein wie von den Interviewten beschriebenes rationales Einsetzen der körperlichen Kraftressourcen notwendig. Die männlichen wie weiblichen Körper dienen als Symbol der männlichen Herrschaft und gleichzeitig die­ nen sie, im Falle des Sieges über den Einzelnen oder die gegnerische Grup­ pe, als Zeichen von Überlegenheit. 7. Wie zeigt sich die männliche Herrschaft in den (ggf. gewaltbelasteten) Paarbeziehungen mit und zwischen Hooligans? Gegenstand des nachfolgenden Abschnitts ist, ob sich die gewonnenen Erkenntnisse mit Blick auf die Paarbeziehungen mit und zwischen Hoo­ ligans und die dort ggf. vorhandene Gewaltbelastung aus den drei vorge­ stellten Perspektiven1953 an das Konzept der männlichen Herrschaft rück­ binden lassen. In den Konzepten Bourdieus sind die Dispositionen, Macht- und Ge­ waltspiele zu lieben (libido dominandi), das Entwickeln entsprechender Denkweisen, Gefühle und Praxen sowie Aktivität männlich konnotiert. Im Gegensatz dazu ist weiblich konnotiert, sich unterzuordnen, passiv zu sein und diejenigen zu begehren, die die Herrschaft ausüben (libido dominantis). Hier zeigt sich die hierarchische Relation zwischen Männli­ chem und Weiblichem und der männliche und weibliche Habitus.1954 In Bezug auf den Hooliganismus zeigt sich die hierarchische Relation zwischen den herrschenden männlichen wie weiblichen Hooligans und den Beherrschten, die einen partnervermittelten Kontakt zur Szene haben. Die symbolische Macht ist, auch im Rahmen von Beziehungen mit und zwischen Hooligans, das Instrument, das die symbolische bzw. männliche Herrschaft sichert, weil sie auf bereits bestehenden Machtverhältnissen zwischen den herrschenden Hooligans und den beherrschten Personen mit partnervermitteltem Kontakt beruht. Die symbolische Macht ist un­ mittelbar, indem sie an die jeweilige Person des Hooligans gebunden ist. Die männliche Herrschaft impliziert auch im Hooliganismus und den dort existierenden Paarbeziehungen ein Einverständnis der Beherrschten: Da die symbolische Herrschaft nur auf solche Menschen wirken kann, die von ihrem Habitus her dafür empfänglich sind, ist davon auszugehen, dass 1953 Vgl. E. III. 2. b) hh) bbb) cccc), ccc) dddd), eeee), ffff). 1954 Vgl. B. IV. 2. a) aa).

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

die partnerschaftlich Verbundenen, unabhängig ihres Geschlechts, über einen entsprechenden, für die symbolische Herrschaft in den Beziehungen mit den Hooligans empfänglichen Habitus verfügen. Selbiges gilt auch für Ronja bei ihrer szeneinternen Beziehung. Andere, dafür nicht empfäng­ liche Personen bemerken die symbolische Herrschaft im Allgemeinen und im Feld des Hooliganismus im Besonderen erst gar nicht. Somit ist die symbolische Herrschaft auch im Kontext des Hooliganismus ein Zwang, der ohne die Zustimmung derer, die beherrscht werden, nicht zustande kommt. Damit ist die symbolische Herrschaft in Form der männlichen Herrschaft im Feld des Hooliganismus als einverleibte Form der Struktur der Herrschaftsbeziehung in diesem Feld und im Zusammenhang mit den dort vorfindbaren Beziehungen zu sehen.1955 Obwohl das Einverständnis der Beherrschten keine passive Unterwerfung unter den äußeren Zwang der herrschenden Hooligans ist, stellt ihr Einverständnis aber auch keine freie Übernahme von szeneinternen Wertvorstellungen dar.1956 Die symbo­ lische Herrschaft im Feld des Hooliganismus entfaltet ihre Wirksamkeit nicht in der reinen Logik des erkennenden Bewusstseins, sondern in den dunklen Dispositionen des Habitus, der sich in den Körpern der Herr­ schenden und Beherrschten, unabhängig des Geschlechts, eingeschrieben hat. Aus dem Einverständnis entwickeln die im Feld des Hooliganismus Befindlichen einen Sinn für die dort stattfindende symbolische, psychische wie auch physische Gewalt gegen Personen und gegen Dinge wie bei der szeneinternen Feier beobachtet werden konnte.1957 Die vorliegende Arbeit zeigt alle unterschiedlichen Formen von Gewalt sowohl im szenein­ ternen als auch in szeneexternen Kontexten auf, z.B. bei den körperlichen Auseinandersetzungen während des Hooliganismus, bei dem Besuch von Festen oder beim Ausgehen am Wochenende. Das vorliegende Datenma­ terial gibt, wenn auch nur vorsichtig, Hinweise auf eben jene Formen von Gewalt in den Schilderungen der Paarbeziehungen mit und zwischen Hooligans. Die als vorsichtig zu wertenden Hinweise beziehen sich auf das erhöht erscheinende Risiko für Gewaltbelastungen bei solchen Beziehun­ gen; gleichwohl scheint es sich aber nicht um einen Automatismus i.S. einer conditio sine qua non zu handeln. Derartige Aussagen sind mit dem vorliegenden Datenmaterial, auch aufgrund der Fragestellungen und der Forschungsstrategie, nicht möglich.1958

1955 1956 1957 1958

426

Vgl. B. IV. 2. b), c). Vgl. B. IV. 2. c) aa). Vgl. E. II. Vgl. E. III. 2. b) hh) ccc) ffff).

V. Rückbindung der gewonnenen Ergebnisse an die theoretischen Grundlegungen

Die im Feld des Hooliganismus befindlichen Beherrschten vermögen die entsprechenden, feldspezifischen Signale (Gesten, Mimik) und dort gesprochene Sprache zu decodieren. Erkennbar ist das an den im Daten­ material vorfindbaren feldspezifischen Begriffen, wie z.B. Hooligirl, DekoFrauen, schmückendes Beiwerk,1959 Jungs1960 oder die, wenn auch differenten, so doch im Bedeutungskern übereinstimmenden Bezeichnungen für die szeneinternen körperlichen Auseinandersetzungen.1961 Diese feldspezi­ fischen Begriffe bedurften für die Interviewten keiner weiteren Erklärung, da sie Teil der feldspezifischen Sprache sind. Deswegen wurden sie stets aufgefordert, die feldspezifischen Begriffe zu explizieren, um sie auch inter­ subjektiv nachvollziehbar zu machen. Den in der feldspezifischen Sprache und weiteren Signalen enthaltenen, und doch versteckten, sozialen Gehalt vermögen die im Hooliganismus Befindlichen zu erkennen, zu verstehen und anzuerkennen, wie die vorliegende Arbeit herausarbeiten konnte. Den Beherrschten ist mitunter nicht bewusst, welche Intentionen die Signale der Herrschenden haben. Es handelt sich bei der feldspezifisch genutzten Sprache und den weiteren Signalen um Akte der symbolischen Gewalt gegenüber den Beherrschten, die auch die Machtasymmetrien zwischen den Herrschenden und den Beherrschten ausdrücken. Die symbolische Gewalt wirkt bei der männlichen Herrschaft auf Struk­ turen und kognitive Dispositionen, und nicht nur in den Köpfen, sondern auch und v.a. auf die Körper, die sich im Feld des Hooliganismus befinden. In diese sozialisierten Körper sind die sozialen und hooligan-feldspe­ zifischen Verhältnisse einverleibt, auf die sie emotional, affektiv oder ak­ zeptierend reagieren.1962 Dadurch tragen die Beherrschten meist ohne ihr Wissen, und manchmal sogar gegen ihren bewussten Willen, zur Aufrecht­ erhaltung der männlichen Herrschaft im Feld des Hooliganismus bei, wie z.B. im Fall von Tina bei dem von ihr erlebten Stalking durch Conrad.1963 Dieses Einverständnis ist ein „unterirdisches“ Einverständnis und zeigt sich als innerlicher Konflikt und Gespaltenheit, die Bewusstsein und Willen entzogen sind. Der jeweilige Habitus ist dabei die vis insita aus der die sym­ bolische Gewalt auch im Hooliganismus ihre geheimnisvolle Wirkung be­ zieht. Die als Ergebnis der Einverleibung von Herrschaftsbeziehungen gel­ tenden Dispositionen sind die wahre Grundlage für das vom Zauber der

1959 1960 1961 1962 1963

Vgl. E. III. 2. b) hh) aaa). Vgl. E. III. 2. b) aa). Vgl. E. III. 2. b) bb). Vgl. B. IV. 2. c). Vgl. E. III. 2. b) hh) ccc) dddd), gggg).

427

E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

symbolischen Macht nur ausgelöste praktische Erkennen und Anerkennen der magischen Grenze zwischen Herrschenden und Beherrschten. Als ars inveniendi sorgt der jeweilige Habitus für die Möglichkeit der männlichen Herrschaft, sich an die unterschiedlichsten Bedingungen im Feld des Hoo­ liganismus anzupassen und dabei trotzdem nicht seine Grundstruktur zu verlieren.1964 Die paradoxe Logik der männlichen Herrschaft im Allgemeinen und im Hooliganismus im Besonderen sowie der weiblichen Unterordnung sind erst und nur dann zu begreifen, wenn die dauernde Einwirkung der sozialen Ordnung auf die beherrschten männlichen und weiblichen Perso­ nen mit partnervermitteltem Kontakt zur Hooligan-Szene zur Kenntnis genommen wird. Die wirkende symbolische Macht im Feld des Hooliga­ nismus setzt die Mitwirkung derer voraus, die sie erleiden. Dadurch tragen die Personen mit partnervermitteltem Kontakt selbst dazu bei, die symbo­ lische Macht als solche zu errichten. Die Unterordnung der Beherrschten ist keine freiwillige Knechtschaft und ihr Einverständnis ist weder bewuss­ ten oder noch überlegten Ursprungs. Ihr Einverständnis wird von einer Macht bewirkt; diese fußt im und geschieht durch den jeweiligen Habitus der partnerschaftlich Verbundenen. Aber nicht nur die herrschenden Hoo­ ligans herrschen über die Beherrschten. Die Herrschenden selbst werden von der der männlichen Herrschaft immanenten symbolischen Gewalt beherrscht.1965 Die männliche Herrschaft richtet sich somit auch gegen die herrschenden Hooligans, denn auch sie unterliegen ihr und sind damit zu­ gleich deren Gefangene und versteckte Opfer. Eben dadurch reproduziert sich die männliche Herrschaft im Feld des Hooliganismus. Die beherrschten Personen mit partnervermitteltem Kontakt zur Hooli­ gan-Szene leisten einen Eigenbeitrag zur männlichen Herrschaft im Feld des Hooliganismus. Dieser Eigenbeitrag liegt im Einnehmen der unter­ schiedlichen Rollen und Aufgaben im Feld sowie dem nahe kommen oder vollständigem Entsprechen des induktiv gewonnenen idealen Bildes, dem Lisa eher als Tina entspricht.1966 Ihr Eigenbeitrag wird ermöglicht aufgrund von Dispositionen, die sie zu dieser Mitwirkung verleiten, und auch einen inkorporierten Herrschaftseffekt darstellen. Die symbolische Gewalt ist eine Form von Zwang, die nur mit der aktiven Komplizenschaft derer wirksam werden kann, die ihr unterworfen sind. Mit dieser Kom­

1964 Vgl. B. IV. 2. c); E. III. 1965 Vgl. B. IV. 2 b), c) aa). 1966 Vgl. E. III., IV. 2.

428

V. Rückbindung der gewonnenen Ergebnisse an die theoretischen Grundlegungen

plizenschaft wirken diejenigen mit partnervermitteltem Kontakt an ihrer Beherrschung mit. Zwar sind die partnerschaftlich Verbundenen grundsätzlich von den „ernsten Spiele[n] des Wettbewerbs“1967 ausgeschlossen. Dennoch bereitet ihre ganze Erziehung sie darauf vor, am Spiel des Hooliganismus durch Stellvertretung – erfolgend über die Hooligans, mit denen sie eine Be­ ziehung führen –, aus einer außenstehenden, untergeordneten Position heraus, teilzunehmen. Dies folgt für Bourdieu aus dem ihnen im Rahmen der Arbeitsteilung der Herrschaft zugebilligten Status. Nach hier vertrete­ ner Ansicht gilt Selbiges auch für diejenigen, für die die grundsätzlichen Ausschlussmechanismen1968 greifen. Die männlichen wie weiblichen Hoo­ ligans lieben die im Feld des Hooliganismus stattfindenden Machtspiele. Die mit ihnen partnerschaftlich Verbundenen sind dazu bestimmt, sie zu lieben. In den jeweiligen Habitus der partnerschaftlich Verbundenen hat sich nicht die libido dominandi, sondern die libido dominantis eingeprägt, also das Verlangen nach den herrschenden Hooligans. Grundsätzlich sind weibliche Personen und andere grundsätzlich Ausgeschlossenen,1969 die die illusio nicht kennen, die einen dazu bringt, sich auf die zentralen Spiele im Feld des Hooliganismus einzulassen, von der libido dominandi verschont. Sie neigen daher dazu, eine relativ klare Sicht auf die „ernsten Spiele des Wettbewerbs“1970 zu bilden. Dies ist einer der Gründe, weshalb im vorliegenden Sample durch das theoretical sampling1971 eine Ehefrau eines Hooligans (Lisa) und eine Ex-Freundin (Tina) eines Hooligans zu finden sind: Ihre klare Sicht auf den Hooliganismus können dazu beitragen, die Forschungsfragen aus ihrer Innenperspektive zu beantworten. Zudem gilt es auch die Asymmetrie des Status zu berücksichtigen, der den Geschlechtern in der Ökonomie des symbolischen Tauschens i.S. Bour­ dieus zugewiesen wird: Im Feld des Hooliganismus sind die Hooligans die Subjekte, mit deren Hilfe sie am Erhalt oder der Vermehrung ihres sym­ bolischen Kapitals arbeiten. Die partnerschaftlich Verbundenen hingegen stellen sich als Objekte1972 oder als Instrumente dieses Tauschverkehrs dar und werden so behandelt. Die beherrschten, über eine kürzere oder länge­ 1967 1968 1969 1970 1971 1972

Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. Vgl. E. III. 2. b) gg) fff). Vgl. E. III. 2. b) gg) fff). Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. Vgl. D. II. 1. b). Vgl. zu der hier vertretenen Auffassung, dass Frauen symbolische Objekte im Kontext der männlichen Herrschaft sind und einen Objektstatus in Bourdieus Konzept einnehmen bereits B. IV. 2. c) bb).

429

E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

re Zeitspanne Verbundenen1973 zirkulieren in diesem Tauschverkehr als Symbole. Sie haben eine symbolische Funktion inne, die sie zwingt, stän­ dig am Erhalt ihres symbolischen Wertes zu arbeiten. Im Feld des Hooliga­ nismus gelingt ihnen dies, indem sie den dort, wenn auch heterogenen, zugeschriebenen Geschlechterrollenbildern und dem induktiv gewonne­ nen idealen Bild entsprechen.1974 Der Objektstatus der partnerschaftlich Verbundenen zeigt sich insbesondere durch den Stellenwert, den sie am Anteil der Reproduktion im System im Feld des Hooliganismus haben, indem sie sich entsprechend in das Feld des Hooliganismus einfügen, die Rollen und Aufgaben wahrnehmen, die den zugeschriebenen Geschlech­ terrollenbildern entsprechen oder versuchen, dem induktiv gewonnenen idealen Bild eines partnerschaftlich Verbundenen nahe zu kommen.1975 Da Ronja trotz ihres weiblichen Geschlechts satisfaktionsfähig und eine Person gleicher Ehre im Kontext des Hooliganismus ist,1976 kann auch ihr Ex-Mann Erik einen Objektstatus innehaben und zur Akkumulation des symbolischen Kapitals beitragen. I.S. Bourdieus gründet sich also die männliche Herrschaft auch im Feld des Hooliganismus auf der Logik des symbolischen Tauschens.1977 Die Ansicht Terlindens, der zufolge es zwei Formen der Ökonomie der symbolischen Güter gibt, bei denen weibliche Personen versteckte Objekte der männlichen Herrschaft sind,1978 ist auch im Feld des Hooliganismus erkennbar durch das Verstecken und der grundsätzlichen Abwesenheit der partnerschaftlich Verbundenen, allerdings unabhängig ihres Geschlechts. Denn sie haben zumeist den szeneinternen Aktivitäten fernzubleiben, blei­ ben zu Hause und sind dort für die Blicke Anderer nicht einsehbar. Indem die partnerschaftlich Verbundenen z.B. nur mit vorheriger ausdrücklicher Zustimmung zu szeneinternen Feiern kommen dürfen, sind sie nur dann zugegen, wenn die die Definitionsmacht über die räumliche Kopräsenz innehabenden Hooligans es gestatten. Andernfalls sind sie dort grundsätz­ lich nicht anwesend und damit den Blicken Anderer verborgen.1979 Terlinden zufolge zeigt sich in manchen Kulturen die offene Polygamie den Objektstatus der Frauen deutlich, indem Männer dort größere Aner­ kennung und Ansehen erfahren, je mehr Frauen sie ihr Eigentum nennen 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979

430

Vgl. E. III. 2. b) hh) bbb) cccc). Vgl. E. IV. 1., 2. Vgl. E. IV. 1., 2. Vgl. E. III. 2. b) hh) ccc) cccc). Vgl. B. IV. 2. c) bb). Vgl. B. IV. 2. c) bb). Vgl. E. III. 2. b) hh) bbb) aaaa), ccc) aaaa).

V. Rückbindung der gewonnenen Ergebnisse an die theoretischen Grundlegungen

können.1980 Die vorliegende Arbeit zeigt ein Charakteristikum der Hooli­ gan-Szene auf, wonach in den drei Phasen einer Hooligan-Karriere viele lockere Beziehungen und One-Night-Stands bestehen.1981 Die Hooligans erfahren dadurch szeneintern Anerkennung und Ansehen. Auch zeigt es das Vorhandensein des Stereotyps der sexuellen Verfügbarkeit, das ein Zei­ chen von Machtasymmetrien ist. Ebenfalls konnte der Quasi-Eigentumsan­ spruch Conrads und eine Verobjektivierung Tinas durch Conrad herausge­ arbeitet werden. Tina erlebt psychische Gewalt und Druck während ihrer Beziehung mit Conrad. Zum einen droht er, im Falle einer endgültigen Trennung aufgrund dessen wieder in die Hooligan-Szene vollständig ein­ zusteigen. Zum anderen droht Conrad mit einem Suizid im Fall einer endgültigen Trennung. Darüber hinaus droht Conrad Tina in einer Weise, die bei ihr Angst um ihre körperliche Integrität und ihr Leben auslösen. Er droht damit, sollte er sie nicht haben können, dürfe sie keiner haben.1982 Durch die endgültige Trennung Tinas von Conrad ist sie kein verstecktes Objekt der männlichen Herrschaft mehr. Tina leidet zwar an den genann­ ten Ängsten um ihre verschiedenen Rechtsgüter und traut sich auch in­ folgedessen noch nicht wieder, zu einem Fußballspiel ihres favorisierten Vereins zu fahren; dadurch ist sie noch immer als Beherrschte anzusehen. Dennoch befreit sie sich in Teilen bis zum Zeitpunkt des Interviews aus der Verobjektivierung Conrads. Insoweit lässt sie sich weder von Conrad noch von der Hooligan-Szene und der dort herrschenden männlichen Herrschaft mehr beherrschen. Sie befreit sich mit Blick auf Conrad und das Feld des Hooliganismus von der Ökonomie der symbolischen Güter. Bei der zweiten Form der Ökonomie der symbolischen Güter führt das Zeigen der partnerschaftlich Verbundenen zu einem Anheben des Ranges der Männer.1983 Frauen werden, wie aufgezeigt, im Feld des Hoo­ liganismus nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bewertet und es dient auch verschiedentlich als Abgrenzungskriterium. Das subjektiv als attrak­ tiv oder unattraktiv empfundene äußere Erscheinungsbild und das subjek­ tiv zugeschriebene Erscheinungsbild von homosexuellen Frauen führen die Interviewten ins Feld, um Frauen zu charakterisieren und sich von ihnen abzugrenzen, wie an den verwendeten Bezeichnungen für z.B. weib­ liche Personen in der Hooligan-Szene und Polizistinnen1984 zu erkennen

1980 1981 1982 1983 1984

Vgl. B. IV. 2. c) bb). Vgl. E. III. 2. b) hh) bbb) cccc). Vgl. E. III. 2. c) dd). Vgl. B. IV. 2. c) bb). Vgl. E. III. 2. b) hh) aaa), ff).

431

E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

ist. Ronja bezeichnet die im Rahmen von Fußballspielen eingesetzten Po­ lizistinnen als Mannsweiber. Sie schreibt ihnen stark hervortretende männ­ liche Eigenschaften zu und es fehlt ihnen Ronja zufolge an körperlicher Attraktivität. Diese Zuschreibungen ähneln den Beschreibungen Ronjas hinsichtlich der Frau Typ Kampflesbe,1985 die sie für andere szeneintern anzutreffende weibliche Gewalttätige nutzt und für die sie auch die sub­ jektiv wahrgenommene fehlende körperliche Attraktivität als Erklärungsund Differenzierungsmerkmal verwendet. Die Frau Typ Kampflesbe und die Mannsweiber entsprechen aus Ronjas Perspektive nicht ihrem eigenen Bild von Weiblichkeit und den (zugeschriebenen) Geschlechterrollenbil­ dern, auch hinsichtlich des ausgeübten Berufs. Ronja spielt mit dem Bild der Frau Typ Kampflesbe in einer Situation, in der sie auf einen befreun­ deten Fan-Betreuer und gleichzeitig Freund Eriks trifft und fragt, ob sie nicht dem Bild einer kurzhaarigen Kampflesbe entspreche.1986 In dieser Situation antizipiert sie das Bild, das sie meint, dass andere von einer weiblichen Hooligan haben und das in Anwesenheit von Erik, der über sie partnerschaftlich zur Hooligan-Szene verbunden ist, und merkt, den Erwartungserwartungen nicht zu entsprechen. Ronja spielt mit ihrem äu­ ßeren Erscheinungsbild, provoziert durch ihre Frage möglicherweise auch ein Verneinen der Unattraktivität und kokettiert gleichzeitig mit ihrer Zu­ gehörigkeit zu den Hooligans. Damit erhöht sie i.S. Bourdieus selbst ihren Rang in der Ökonomie der symbolischen Güter. Die partnerschaftlich Ver­ bundenen sind folglich symbolische Tauschobjekte und dazu bestimmt, zur Reproduktion des symbolischen Kapitals der herrschenden Hooligans beizutragen.1987 Trotz ihres Objektstatus leisten die partnerschaftlich Ver­ bundenen in der und für die Hooligan-Szene maßgebliche Beiträge. Die unterdrückten, beherrschten weiblichen und männlichen partner­ schaftlich Verbundenen können gar nicht anders als mit der Inkorporation der geltenden feldspezifischen Ordnung sich selbst als minderwertig zu identifizieren. Denn Herrschaft heißt auch, dass die ihr Unterliegenden über weite Strecken die herrschende Meinung übernehmen, die die herr­ schenden Hooligans entwickeln. Die männliche Herrschaft im Feld des Hooliganismus konstruiert weibliche Personen und die partnerschaftlich Verbundenen als symbolische Objekte, deren Sein (esse) Bourdieu zufolge ein Wahrgenommenwerden (percipi) ist.1988 Die partnerschaftlich Verbun­

1985 1986 1987 1988

432

Vgl. E. III. 2. b) hh) aaa). Vgl. E. III. 2. b) hh) ccc) cccc). Vgl. B. IV. 2. c) bb). Vgl. B. IV. 2. c) bb).

V. Rückbindung der gewonnenen Ergebnisse an die theoretischen Grundlegungen

denen sind deshalb in einen dauernden Zustand von körperlicher Verunsi­ cherung und symbolischer Abhängigkeit versetzt, da sie v.a. für und durch die Blicke der Herrschenden existieren. Wie aufgezeigt werden konnte, beschreiben sich die partnerschaftlich Verbundenen entweder selbst als solche oder werden von den Herrschenden derart, in den ihnen zuge­ schriebenen Geschlechterrollenbildern, beschrieben.1989 Ob die Selbstoder Fremdzuschreibungen der Geschlechterrollenbilder nur aufgrund der Interviewsituation, der Aktualisierung der Erinnerungen und dem Kontext des Feldes des Hooliganismus erfolgt sind, ist nicht auszuschließen. Denn derartige Erzählsequenzen geben auch Hinweise auf Erwartungserwartun­ gen, die inkorporierte soziale Ordnung im Feld des Hooliganismus und sind Ausdruck der männlichen Herrschaft. Grundsätzlich spielen Frauen in der männlichen Herrschaft bei ihrer Unterdrückung mit. Die symbolische Gewalt setzt bei ihnen voraus, mit einem praktischen Sinn dafür ausgestattet zu sein.1990 Bezogen auf die Hooligan-Szene muss aufgrund der vorliegenden Arbeit jedoch der Blick geweitet werden. Nicht nur die Perspektiven der weiblichen Personen mit partnervermitteltem Kontakt konnten erhoben werden. Durch das Vorhandensein einer weiblichen Hooligan im Sample können und müssen auch ihre partnerschaftlich Verbundenen einbezogen werden. Durch Ronjas Verwendung des Begriffs Frau Typ Kampflesbe kann vor­ sichtig gefragt werden, ob die objektiv wie subjektiv zur Hooligan-Szene Zugehörigen nicht ausnahmslos heterosexuell orientiert sind. Zwar ist die tatsächliche oder zugeschriebene sexuelle Orientierung eine der Aus­ schlussgründe aus der Hooligan-Szene.1991 Angesichts der diverser werden­ den Gesamtgesellschaft und der Hooligan-Szene ist die Möglichkeit nicht vollständig auszuschließen, dort Personen anzutreffen, die eine andere als heterosexuelle Orientierung aufweisen und dennoch Teil der HooliganSzene sind, wenngleich grundsätzlich die induktiv aus dem Datenmaterial gefundenen Ausschlussmechanismen1992 wirken könnten. Bei den zugeschriebenen Geschlechterrollenbildern sowie den unter­ schiedlichen Aufgaben und Rollen, die sich im Feld des Hooliganismus zeigen, könnte es sich um eine Form der Arbeitsteilung entlang der Herr­ schenden und Beherrschten i.S. Bourdieus handeln.1993 Die Herrschenden

1989 1990 1991 1992 1993

Vgl. E. IV. 1. Vgl. B. IV. 2. c) aa), bb). Vgl. E. III. 2. b) gg) eee), fff). Vgl. E. III. 2. b) gg). Vgl. B. IV. 2. c) bb).

433

E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

sind an jeglicher Form von Gewalt beteiligt, riskieren ihren eigenen, ver­ letzungsoffenen und -mächtigen Körper. Im Zusammenhang mit Paarbe­ ziehungen kann es u.U. zu jeglicher Form von Gewalt, ob symbolisch, physisch oder psychisch, kommen, ob nun als eigene Gewaltausübung oder durch Opferwerdung. Die beherrschten, partnerschaftlich Verbunde­ nen sind bei der feldspezifischen Arbeitsteilung im Hooliganismus durch die Übernahme der verschiedenen Rollen, Aufgaben und dem gefundenen idealen Bild1994 nicht unmittelbar, aber dennoch mittelbar an der Gewalt­ ausübung im Hooliganismus beteiligt. Obwohl die aktiv gewalthemmende Rolle auf die Verhinderung des gewaltförmigen Verhaltens gerichtet ist, stellt sie doch eine mittelbare Verbindung zu den körperlichen Auseinan­ dersetzungen sowie zur Hooligan-Szene dar. Die passiv gewaltverstärkende Rolle dient mittelbar den körperlichen Auseinandersetzungen und ermög­ licht sie zum Teil erst. Selbiges gilt für das induktiv gefundene ideale Bild eines partnerschaftlich Verbundenen, das die Erwartungserwartungen for­ muliert, die an partnerschaftlich Verbundene gestellt werden und aufzeigt, welche Beiträge in mittelbarer wie unmittelbarer Form von ihnen erwartet werden. Hier zeigen die Befunde einmal mehr, dass der Hooliganismus aus mehr Beiträgen und Personen besteht als aus denen der Herrschenden, die selbst gewalttätig handeln. Mittelbare Handlungen der partnerschaftlich Verbundenen sind damit zwar in Abhängigkeit zu den Herrschenden und deren Handlungen zu sehen, aber trotzdem sind auch diese mittelba­ ren Handlungen nicht unerheblich für die Ermöglichung der „ernsten Spiele“1995 im Hooliganismus. 8. Wie wird die Anerkennung bei körperlichen Auseinandersetzungen sichtbar? Der folgende Abschnitt stellt verschiedene Aspekte der Anerkennung dif­ ferenziert vor, die bei szeneinternen körperlichen Auseinandersetzungen zwischen Hooligans sowie mit Polizisten, zusätzlich unterschieden nach Geschlecht, zum Tragen kommen.

1994 Vgl. E. IV. 2. 1995 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203.

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V. Rückbindung der gewonnenen Ergebnisse an die theoretischen Grundlegungen

a) Zwischen Hooligans Die körperlichen Auseinandersetzungen zwischen Hooligans fungieren als wechselseitige Anerkennung. Dabei formt, konstruiert und vollendet sich der männliche wie spezifisch weibliche Habitus.1996 Der Ehrenkodex ver­ bietet es, Frauen anzugreifen; nötigenfalls sind sie zu verteidigen, da sie nach einer zum Teil innerhalb der Szene vertretenen Auffassung physisch unterlegen und unfähig sind, Gewalt auszuüben.1997 Als Gegnerinnen in den „ernsten Spiele[n] des Wettbewerbs“1998 „unter Männern [Hervorh. i. Orig., Anm. d. Verf.]“1999 eignen sie sich nicht. Würde gegen sie Gewalt an­ gewandt werden, fehlt der Männlichkeitsbeweis.2000 Wie herausgearbeitet wurde, ist es auch als weibliche Hooligan möglich, an den körperlichen Auseinandersetzungen teilzunehmen und aufgrund des spezifisch ausge­ prägten Habitus ist sie als Rivale im Kampf um die Ehre akzeptiert. Die vorliegende Arbeit zeigt auf, wie die in den körperlichen Ausein­ andersetzungen erlittenen Verletzungen mitunter als Beweis dargestellt werden. Ob dies stets und bei jedem Verletzten Männlichkeitsbeweise sind, kann nicht abschließend geklärt werden. Zumindest eine in die Stu­ die Eingegangene hat zwar einen spezifischen weiblichen Habitus inkorpo­ riert, ist aber nicht männlich. Den jeweiligen Erzählsequenzen der Inter­ viewten, in denen sie von den erlittenen Schmerzen und Verletzungen berichten, ist nicht ausschließlich eine gewisse Art der Glorifizierung oder Negation der Schmerzen immanent. Vielmehr zeigten die Interviewten in den Erzählsituationen der Verf. die jeweiligen Stellen der verwundeten Körperteile bzw. fehlenden Zähne und drückten spürbar ein Bedauern darüber aus. Ob es sich dabei gleichzeitig um ein Kokettieren mit den erlittenen Verletzungen handelt, was in Richtung Männlichkeitsbeweis bei Frank oder, im Fall von Ronja, als Zeichen ihres spezifischen weiblichen Habitus gesehen werden könnte, kann gleichwohl nicht ausgeschlossen werden. Dennoch sind in den szeneinternen oder im Rahmen von Paar­ beziehungen erlittenen Verletzungen die Verletzungsoffenheit der Körper der männlichen wie weiblichen Hooligans zu erkennen. Deshalb stellen die Verletzungen nicht grundsätzlich demonstrative Zeichen der Männ­

1996 1997 1998 1999 2000

Vgl. C. V. 3. a). Vgl. C. III. 2. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. Vgl. C. V. 3. a).

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

lichkeit dar.2001 Vielmehr sind die in den Interviews erwähnten Verletzun­ gen als auch nach dem Ausstieg noch sichtbare und nachwirkende Erinne­ rungen an Verletzungen oder Verluste zu werten. Demonstrative Zeichen der Männlichkeit, was Stolz impliziert und die mit Prestige und Ehre ein­ hergehen, können bei den Interviewten nicht durchgängig erkannt wer­ den. b) Mit Polizisten Zu wechselseitiger Anerkennung kann es auch in körperlichen Auseinan­ dersetzungen zwischen Hooligans und der Polizei kommen.2002 Hooligans suchen diese Auseinandersetzungen zwar nicht grundsätzlich gezielt, sollte sich jedoch eine Gelegenheit ergeben, entziehen sie sich ihr nicht. In Auseinandersetzungen mit der Polizei Mann gegen Mann (R 1216) können Hooligans „ihren Mann stehen“, was das im Vordergrund stehende Kräftemessen mit und zwischen ebenbürtigen Gegnern aufzeigt. Die Interview­ ten berichteten sowohl von Kontakten mit der Polizei, dem Verfassungs­ schutz und der Justiz im szeneinternen wie -externen Kontext.2003 Die dabei erwähnten, ins Hellfeld gelangten oder mutmaßlich im Dunkelfeld verbliebenen Delikte sind als feldspezifische, ubiquitäre, anlassbezogene Delikte zu werten.2004 Ob bei körperlichen Auseinandersetzungen die Polizisten als Ersatzgeg­ ner angesehen wurden, wird uneinheitlich bewertet.2005 Polizisten und Hooligans stehen währenddessen grundsätzlich ihre eigenen Körper zur Verfügung. Die Polizisten trugen jedoch mitunter bessere Schutzbeklei­ dung, so dass die unterschiedliche Ausrüstung zu einem Ungleichgewicht zwischen den beiden Seiten führt und sich nicht durchgängig Ebenbür­ tige gegenüberstehen. Die rein optisch wahrnehmbare unterschiedliche Schutzbekleidung zeigt die Über-Unterordnung zwischen beiden Seiten auf. Ronjas Aufforderung, Polizisten sollten ihre Schildkrötenpanzer auszie­ hen, um das Kämpfen Mann gegen Mann zu ermöglichen,2006 verdeutlicht folgendes: In der Logik des Hooliganismus verhindert allein schon die

2001 2002 2003 2004 2005 2006

436

Vgl. C. V. 3. a)., so jedoch Meuser, „Doing Masculinity“, S. 68. Vgl. C. V. 3. b). Vgl. E. III. 2. b) ee). Vgl. C. III. 2., 5. Vgl. E. III. 2. b) ff). Vgl. E. III. 2. b) ff).

V. Rückbindung der gewonnenen Ergebnisse an die theoretischen Grundlegungen

wahrnehmbare Schutzbekleidung der Polizisten in den Auseinanderset­ zungen mit Hooligans, Personen gleicher Ehre zu sein. Hooligans sind währenddessen grundsätzlich auf die mit ihrem Körper zur Verfügung stehenden Mitteln beschränkt. Eben jenes Moment kann bei den Hooli­ gans dazu führen, sich in der Jagd nach Anerkennung in Auseinanderset­ zungen mit der Polizei herausgefordert zu fühlen. Die sich aus solchen, möglicherweise aussichtslos erscheinenden Auseinandersetzungen im Falle des Erfolges ergebende Ehre gereicht noch mehr zur Ehre als solche, die in Auseinandersetzungen zwischen ebenbürtigen, in der Gruppenstärke entsprechenden und in den Mitteln gleich ausgestatteten Gegnern erfolgt. Bei Auseinandersetzungen zwischen Hooligans und der Polizei sind die innerhalb polizeilicher Einheiten ebenfalls (weit) verbreiteten Männlich­ keitsvorstellungen mitzubedenken. Auseinandersetzungen mit Hooligans bieten grundsätzlich auch Polizisten die Gelegenheit, kriegerisch-männli­ che Selbstentwürfe ausleben und sich der Leistungsfähigkeit des eigenen Körpers vergewissern zu können.2007 Darin ähneln sich die Hooligan-Szene und die Cop Culture. Die Perspektive von Polizisten wurde im Rahmen dieser soziologischen Ethnographie nicht erhoben, so dass sie nicht zur Innenperspektive der Interviewten kontrastiert werden kann. Die vorliegenden Befunde2008 geben auch Hinweise darauf, wie die Interviewten die Sprache der Polizisten empfanden, auf die sie trafen. Die eigene Empirie lässt wenig Hinweise auf eine kommunikative Bezie­ hung zwischen Polizisten und Hooligans zu. Lediglich Frank berichtet von Gesprächen, wenn auch wohl eher mit Mitarbeitern des Verfassungsschut­ zes.2009 In den übrigen Erzählsequenzen, die einen wie auch immer gearte­ ten Kontakt mit Strafverfolgungsbehörden betreffen, ist das Augenmerk der Interviewten eher auf repressive Maßnahmen gerichtet.2010 Sie fokus­ sieren eher auf die Aspekte, die mit Gewalt als Kommunikationsmittel in Verbindung stehen und weniger auf kommunikative Beziehungen. Ob Polizisten und Hooligans aufeinander angewiesen sind und ob gar von einem symbiotischen Verhältnis zueinander gesprochen werden kann,2011 bei welchem jeder auf einer Seite desselben Handlungszusam­ menhangs steht, sind ebenfalls relevante Fragen. Da die Interviewten uneins sind, ob Polizisten Ersatzgegner sind, können die körperlichen Aus­

2007 2008 2009 2010 2011

Vgl. C. V. 3. b). Vgl. E. III. 2. b) ee), ff). Vgl. E. III. 2. b) ee). Vgl. E. III. 2. b) ee), ff), c) cc). Vgl. C. V. 3. b).

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E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

einandersetzungen zwischen Hooligans und der Polizei zumindest aus teil­ weise vertretener Sicht der Interviewten als symbiotisches Verhältnis ge­ wertet werden. Ob es sich auch für Polizisten als symbiotisches Verhältnis darstellt, kann mit der vorliegenden Empirie nicht beantwortet werden. Sollte es sich bei Polizisten nicht um Ersatzgegner handeln, weist das Ver­ hältnis keinen symbiotischen Charakter auf. Hooligans erkennen Polizis­ ten im Allgemeinen und solche, die mit Hooliganismusbezug eingesetzt werden, bezogen auf die Ausübung ihrer Tätigkeit an (die machen nur halt ihren Job und wir müssen leider sagen leider einen ganz beschissenen Job, K 492 f.), gleichwohl fühlen sie sich teilweise in ihrer eigenen, feldspezifischen Logik gestört und beeinträchtigt. Das gewaltsame Verweisen des „enttarnten“ Polizisten im Rahmen der szeneinternen Feier2012 lässt darauf schließen, dass Personen, die zwar nicht in Ausübung ihrer polizeilichen Tätigkeit, aber dennoch als eingela­ dener Mitfeiernder aufgrund der vorherigen Unkenntnis der beruflichen Tätigkeit auf einer szeneinternen Feier räumlich kopräsent sind, nicht in szeneinternen Kontexten erwünscht sind. Sie können das verpflichtende Legalitätsprinzip weder tatsächlich noch aus Sicht der gewaltsam Verwei­ senden am Eingang der Feier ablegen. Für die ihn Angreifenden war die Gewalt das als richtig und notwendig erachtete Kommunikationsmittel, um ihn vom Gelände der Feier zu verweisen. Ein diskursives Lösen des Konflikts kam augenscheinlich nicht in Frage.2013 Es scheint, als müsse sich aus Sicht der Hooligans entschieden werden, auf welcher Seite teilge­ nommen wird; sowohl auf der Seite der Hooligans als auch auf der Seite der Polizei bei den „Spiele[n] der Ehre“2014 mitzuwirken, scheint nicht möglich. c) Mit uniformierten Personen unterschiedlichen Geschlechts Die vorliegende Arbeit liefert auch Anhaltspunkte, ob die Interviewten danach differenzieren, ob sie einem Polizisten oder einer Polizistin in Ausübung seiner bzw. ihrer Tätigkeit gegenüberstehen und inwiefern sich ihr Umgang mit ihnen je nach Geschlecht unterscheidet. Nach dem Eindruck der Interviewten treffen sie im Kontext des Hooli­ ganismus auf mehr männliche als weibliche Polizisten, was an der Zusam­

2012 Vgl. E. II. 7. b). 2013 Vgl. E. II. 7. b). 2014 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203.

438

V. Rückbindung der gewonnenen Ergebnisse an die theoretischen Grundlegungen

mensetzung der polizeilichen Einheiten liegen dürfte, denn z.B. Spezial­ einheiten verfügen über weniger weibliche als männliche Einsatzkräfte. Bei der Art und Weise der Ausübung der Tätigkeit, ob beim Einsatz von Gewalt bis hin zum aus Sicht der Interviewten angestrebten Ziel der Deeskalation, differenzieren die Interviewten nach Geschlecht der Ausübenden.2015 Die Interviewten schreiben Polizisten, entlang des von ihnen erkannten Geschlechts, je unterschiedliche Fähigkeiten, körperliche Konstitutionen und Aufgaben beim Aufeinandertreffen mit Hooligans, mithin Geschlechterrollenbilder zu, die zu den innerhalb der HooliganSzene herausgearbeiteten, zugeschriebenen Geschlechterrollenbilder2016 in Beziehung gesetzt werden können. Es scheint als parallelisieren die Inter­ viewten die Geschlechterrollenbilder hinsichtlich Frauen innerhalb der Hooligan-Szene und innerhalb der Polizei. Die Interviewten scheinen Po­ lizistinnen grundsätzlich die Fähigkeit abzusprechen, in aus ihrer Sicht angemessener Form Gewalt gegen Hooligans auszuüben bzw. ausüben zu können.2017 Körperliche Auseinandersetzungen zwischen Hooligans und Polizisten finden in der Regel unter Männern statt, zwischen Personen gleichen Geschlechts und gleicher Ehre, die entsprechend Ehre zollen können.2018 Frauen können zwar grundsätzlich bei der Jagd nach Aner­ kennung nicht mitwirken. Von diesem Grundsatz können aber in szen­ einternen Auseinandersetzungen und bei solchen mit Polizistinnen und Polizisten Ausnahmen bestehen. Die weiblichen Einsatzkräften zugeschrie­ bene Fähigkeit, deeskalierend wirken zu können,2019 kann mit der aktiv gewalthemmenden Rolle in der Hooligan-Szene in Verbindung gebracht werden. Die grundsätzlichen Grenzen der zugeschriebenen Geschlechterrollen­ bilder können auf beiden Seiten aufgeweicht werden.2020 Weder auf der Seite der Hooligans noch auf der Seite der Polizei befinden sich ausschließ­ lich Männer. Weibliche Hooligans sind das Gegenstück zu mit Hooliganis­ musbezug eingesetzten Polizistinnen. Der männliche Habitus der männli­ chen Hooligans, Ronjas spezifischer weiblicher Habitus sowie die sich an den körperlichen Auseinandersetzungen im Rahmen ihrer Eigenschaft als Polizisten beteiligten Personen, unabhängig ihres Geschlechts, scheinen 2015 2016 2017 2018 2019 2020

Vgl. E. III. 2. b) ee), ff). Vgl. E. IV. 1. Vgl. E. III. 2. b) ff). Vgl. B. IV. 2. c) bb; C. V. 3. Vgl. E. III. 2. b) ee), ff). Vgl. E. III. 2. b) ff), v.a. durch Ronjas Formulierung Mann gegen Mann (R 1216).

439

E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

sich bei der Teilnahme an den „ernsten Spiele[n] des Wettbewerbs“2021 zu entsprechen: Männliche wie weibliche Hooligans entscheiden sich durch ihre Zugehörigkeit zur Hooligan-Szene und ihrem entsprechenden Habi­ tus daran teilzunehmen. Männliche wie weibliche Polizisten entscheiden sich für ihren jeweiligen Beruf, was ebenfalls Ausdruck des jeweiligen Habitus ist. Aufgrund der Wahl ihres Berufs gehen sie das Risiko bzw. die Verpflichtung ein, auch mit Fußball- bzw. Hooliganismusbezug eingesetzt zu werden. Folglich weisen die in diesen „Spiele[n] der Ehre“2022 Ehrezol­ lenden, unabhängig ihres Geschlechts, auf beiden Seiten einen jeweiligen feldspezifischen männlichen oder weiblichen Habitus auf, der sie dazu bringt, an den körperlichen Auseinandersetzungen teilzunehmen. Erkennbar ist darüber hinaus eine parallele Sichtweise der Interviewten auf Frauen innerhalb der Hooligan-Szene und auf Polizistinnen. Aufgrund der herausgearbeiteten Besserbehandlungen der Hooligans Polizistinnen gegenüber,2023 als Gegenstück zur im Ehrenkodex2024 enthaltenen Ritter­ lichkeitsnorm, können heterogene Umgangsweisen mit weiblichen im Ge­ gensatz zu männlichen Einsatzkräften aus Sicht der Interviewten vermutet werden, die sich auf den ersten Blick widersprechen: Sie sind einerseits „(Ersatz-)Gegner“, da sie der Polizei zuzuordnen sind. Sie sind andererseits weiblich. Insofern müssen die Interviewten aus ihrer Sicht mit den Polizis­ tinnen umgehen, auf sie reagieren und das in Anbetracht der sich wider­ sprüchlich darstellenden Anforderungen, die sich aus den Dimensionen „weiblich“ und „Polizistin“ ergeben. Aufgrund der widersprüchlichen, aus den unterschiedlichen Dimensionen bedingten Anforderungen ergibt sich das vorgefundene, unterschiedliche Verhalten der Hooligans gegenüber Polizistinnen. Es zeigt sich, entsprechend des jeweiligen individuellen Geschlechterrollenbildes und der szeneinternen heterogenen zugeschriebe­ nen Geschlechterrollenbilder, ein je variierendes, individuelles Verhalten gegenüber der Person, das kontext- und situationsabhängig ist. Besonders in der Konstellation „weiblicher Hooligan“ und „Polizistin“ treffen jeweils selbst- und fremdzugeschriebene Geschlechterrollenbilder aufeinander, die auf den ersten Blick überraschend sind. Der jeweilige weibliche Habitus auf Seiten Ronjas und der Polizistinnen kann paralleli­ siert werden zum männlichen Habitus der männlichen Hooligans und der Polizisten. Alle vier möglichen Formen des Habitus der Aufeinandertref­

2021 2022 2023 2024

440

Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. Vgl. E. III. 2. b) ff). Vgl. C. III. 2.

V. Rückbindung der gewonnenen Ergebnisse an die theoretischen Grundlegungen

fenden2025 stimmen insofern überein, da sich die für beide Szenen notwen­ digen Grundeinstellungen entsprechen und in den jeweiligen Körper einge­ schrieben haben. Es gibt vier Konstellationen, in denen diese vier Formen aufeinandertreffen können;2026 je zwei Konstellationen sind geschlechts­ homogen und -heterogen. Die jeweiligen Konstellationen können durch die vorliegende Arbeit nur aus der Perspektive der Hooligans betrachtet werden. In den geschlechtshomogenen Konstellationen kann der jeweilige Habitus als Orientierungsrahmen für eine Person dienen: Im Prozess des Erwerbens des geschlechtsspezifischen Habitus wird immerzu die jeweils andere der beiden Möglichkeiten verworfen und aus dem Bereich des Möglichen ausgeschlossen.2027 Insofern müssen bei den geschlechtshomo­ genen Konstellationen keine Möglichkeiten verworfen werden, sondern es wird, im Einklang mit dem jeweiligen Habitus, gehandelt. Es entsteht dadurch eine (geschlechtshomogene) Praxis bei körperlichen Auseinander­ setzungen und die geschlechtshomogenen Konstellationen zwischen Hoo­ ligans und Polizisten sind als nicht dem jeweiligen Habitus grundsätzlich widersprechend anzusehen. Der feldspezifische Habitus im Hooliganismus tendiert zur Reproduktion, gerade weil er als Anerkennung der bestehen­ den Verhältnisse zu sehen ist und ihm der Wunsch immanent ist, die bestehenden Verhältnisse aufrecht zu erhalten.2028 Allein die Dimension des Geschlechts, das in geschlechtsheterogenen Aufeinandertreffen von Hooligans und Polizisten als der Punkt der Kulmination zu sehen ist, verunsichert die Hooligans. Der männliche Habitus der männlichen Hoo­ ligans und der spezifische weibliche Habitus der weiblichen Hooligans können in diesen Konstellationen nur situativ reagieren. Deswegen ist es nicht möglich, eine einheitliche Praxis der Hooligans beim Aufeinander­ treffen in geschlechtsheterogenen Konstellationen festzustellen. Die her­ ausgearbeitete, unterschiedlich ausfallende Bewertung der Dimensionen „(un-)gleiches biologisches Geschlecht“ und „Hooligan/Polizist“ und den sich daraus ergebenden vier Konstellationen ist Ausdruck des jeweiligen vergeschlechtlichenden, vergeschlechtlichten Habitus. Da der jeweilige Habitus der Personen trotz unterschiedlicher Ausgestaltungen auch Über­ einstimmungen aufweist, können geschlechtsheterogene Aufeinandertref­

2025 Hooligan, männlich; Hooligan, weiblich; Polizist; Polizistin. 2026 Ein männlicher Hooligan trifft auf einen Polizisten; ein weiblicher Hooligan trifft auf einen Polizisten; ein männlicher Hooligan trifft auf eine Polizistin und eine weibliche Hooligan trifft auf eine Polizistin. 2027 Vgl. B. IV. 2. a). 2028 Vgl. B. IV. 1. c) bb).

441

E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

fen zwischen Hooligans und Polizisten, ebenso wie zwischen Hooligans unterschiedlichen Geschlechts, stattfinden. Der Ansicht O’Neills, wonach es männliche Hooligans diskreditiert von Polizistinnen Adressat einer Maßnahme zu werden,2029 kann folgendes entgegengehalten werden: Männliche wie weibliche Hooligans haben be­ zogen auf männliche und weibliche Polizisten jeweils unterschiedliche zugeschriebene Geschlechterrollenbilder und gerade deswegen kann eine wechselseitige Anerkennung möglich sein. Eine wechselseitige Anerken­ nung ist möglich mit weiblichen Hooligans, mit männlichen und weib­ lichen Hooligans und mit Hooligans und Polizisten unabhängig ihres Geschlechts. Solange es sich jeweils um Personen gleicher Ehre handelt, kann während körperlichen Auseinandersetzungen Ehre gezollt und wech­ selseitige Anerkennung erfolgen. Der männliche Habitus der Polizisten und der Hooligans ebenso wie der spezifische weibliche Habitus der Po­ lizistinnen und Hooligans können also in diesen „ernsten Spiele[n] des Wettbewerbs“2030 konstruiert und vollendet werden. Alle vier Habitusfor­ men entsprechen sich nach hier vertretener Ansicht weitgehend. 9. Welche Hinweise auf Distinktion werden sichtbar? Die Gewalt im Rahmen der körperlichen Auseinandersetzungen sorgt nach bislang vertretenen Ansichten grundsätzlich für eine zweifache Dis­ tinktion. Einerseits erfolgt die Distinktion gegenüber den unterlegenen oder sich dem Kampf verweigernden Männern und andererseits gegenüber den von den Kämpfen ausgeschlossenen Frauen.2031 Die Vertreter dieser Ansicht verkennen jedoch weibliche Gewalttätige in der Hooligan-Szene, die, trotz grundsätzlichen Ausschlusses, existieren und für die eben jene Ausschlussmechanismen2032 nicht greifen, da sie einen zugewiesenen Son­ derstatus haben. Ronja erwähnt, neben sich selbst, noch weitere sich an den körperlichen Auseinandersetzungen beteiligende Frauen.2033 Insofern greift die oben genannte Ansicht zu kurz. Erst in Ansehung der konkreten Person und ihres Habitus erfolgt die Distinktion. Es findet kein durch­ gängiger Ausschluss qua Geschlecht oder qua der anderen gefundenen

2029 2030 2031 2032 2033

442

Vgl. C. V. 3. c). Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. Vgl. C. V. 4. Vgl. E. III. 2. b) gg) fff). Vgl. E. III. 2. b) hh) aaa).

V. Rückbindung der gewonnenen Ergebnisse an die theoretischen Grundlegungen

Dimensionen statt.2034 Es ist eine Entscheidung der die Definitionsmacht innerhalb der Hooligan-Szene Innehabenden. Nach einer Ansicht ist den Strukturübungen in Form der körperlichen Auseinandersetzungen im Rahmen des Hooliganismus immanent, sich dort die Spielregeln der „ernsten Spiele des Wettbewerbs“2035 anzueignen. Die Hooligans lernen, diese Spiele und den Wettbewerb als solchen zu lieben und lernen, Geschmack an den Wettbewerben in Gestalt der körperlichen Auseinandersetzung zu finden. Geschmack als zentraler Be­ standteil des Habitus dient den Hooligans dazu, Handlungsalternativen zu beurteilen und auszuwählen und Handlungsziele zu bestimmen.2036 In Bourdieus Konzept des Symbolischen nehmen Geschmack und Spra­ che eine zentrale Stellung ein.2037 Szeneintern besteht ein spezifischer Geschmack, der z.B. durch das Anhören und Erleben von szeneinterner Musik oder dem Tragen szeneintern angesagter Modelabels sichtbar wird. Die szeneinterne Musik, ebenso wie sich der Hooligan-Szene widmende Spielfilme, erwähnten die Interviewten ebenfalls und verdeutlichen so, sie zu rezipieren. Innerhalb der Hooligan-Szene scheint es folglich einen legitimen Geschmack hinsichtlich Musik, Spielfilmen und verschiedener Bekleidungsmarken zu geben, denn die Interviewten zählten recht über­ einstimmend verschiedene Bekleidungsmarken auf und Ronja betonte die Wirkung, die das Tragen ihrer Chevignon-Jacke auf die Mitglieder ihrer eigenen und auf Mitglieder anderer Hooligan-Gruppen hatte.2038 Auch bei der szeneinternen Feier waren Kleidungsstücke von szeneintern an­ gesagten Modelabels zu sehen. Die Mitglieder der Hooligan-Szene der unterschiedlichen Datenerhebungsphasen bedienen sich durch die Wahl ihrer Kleidung des szeneinternen Geschmacks, der auch als ein Schlüssel zur Aufdeckung hierarchisierter sozialer Konstellationen, als Zeichen der Zugehörigkeit bzw. Wissen um die Zeichen der Zugehörigkeit zu sehen ist. Die Kleidung macht an den Körpern, dem Ort, an dem sich der Habi­ tus manifestiert, die männliche Herrschaft sichtbar und trägt dabei dazu bei, sie aufrecht zu erhalten.2039 Im Umkehrschluss zeigen die sich anders Kleidenden, die symbolische Herrschaft nicht anzuerkennen, und den dort vorherrschenden Geschmack nicht zu teilen. Mit der Wahl der Kleidung

2034 2035 2036 2037 2038 2039

Vgl. E. III. 2. b) gg) fff). Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. Vgl. B. IV. 1. c) bb). Vgl. bereits B. IV. 1. c), 2. b). Vgl. E. III. 2. b) hh) ccc) cccc), eeee). Vgl. B. IV. 2. c).

443

E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

finden somit (selbst-)ausschließende oder einschließende Prozesse statt, die wiederum andere optisch wahrnehmen können. Die weiblichen Anwesenden können nicht nur als Zuschauerinnen fungieren, sondern z.B. die während den körperlichen Auseinandersetzun­ gen verletzten Hooligans verarzten.2040 Obwohl jene weibliche Kopräsen­ te von den „ernsten Spiele[n] des Wettbewerbs“2041 ausgeschlossen sind, nehmen sie dort trotzdem eine Funktion ein und zeigen (zugeschriebe­ ne) Geschlechterrollenbilder auf. Die bei den körperlichen Auseinander­ setzungen Zuschauenden stellen für die Kämpfenden eine nicht zu erset­ zende Quelle der Anerkennung dar. Die Zuschauenden bestätigen den in den körperlichen Auseinandersetzungen kämpfenden Hooligans die eige­ ne privilegierte Position als die die „ernsten Spiele des Wettbewerbs“2042 Spielenden, unabhängig ihres Geschlechts. Indem die Beherrschten die Herrschenden verarzten, unterstützen sie die Hooligans und den Hooli­ ganismus. Sie unterstützen beide durch weitere Tätigkeiten und leisten eigene Beiträge zum Stattfinden der körperlichen Auseinandersetzungen, z.B. durch das Hinfahren oder Abholen oder die vorherig abgesprochene Teilnahme an szeneinternen Feiern.2043 Mit diesen Unterstützungshand­ lungen verdeutlichen die partnerschaftlich Verbundenen den Erwartungen der passiv gewaltunterstützenden Rolle oder dem induktiv gewonnenen idealen Bild zu entsprechen. Die vorliegende Arbeit zeigt folglich auf, wie die im Rahmen der männlichen Herrschaft Beherrschten das (weite­ re) Stattfinden der körperlichen Auseinandersetzungen unmittelbar wie mittelbar ermöglichen. Die männlichen wie weiblichen Hooligans sind somit zu gewissen, nicht zu unterschätzenden Anteilen von Beiträgen der partnerschaftlich Verbundenen abhängig. 10. Kurzer Vergleich zu anderen Feldern und Phänomenen Der folgende Abschnitt skizziert kurz Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu anderen Feldern und Phänomenen, die in der theoretischen Grundle­ gung eingeführt wurden, sowie zu den bisherigen Forschungen zu (zuge­ schriebenen) Geschlechterrollenbildern und Rollen aus der Perspektive weiblicher und männlicher Personen innerhalb der Hooligan-Szene.

2040 2041 2042 2043

444

Vgl. E. III. 2. b) hh) bbb) aaaa). Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. Vgl. E. III. 2. b) hh) bbb) aaaa).

V. Rückbindung der gewonnenen Ergebnisse an die theoretischen Grundlegungen

Als wesentlichen Unterschied zu bisherigen Forschungen konnte die vorliegende Arbeit für szeneinterne körperliche Auseinandersetzun­ gen aufzeigen, nicht nur nach Geschlecht getrennt, sondern gemischt­ geschlechtlich stattzufinden. Die gemischtgeschlechtlichen körperlichen Auseinandersetzungen ereignen sich nicht nur in Situationen, in denen sich verteidigt wird oder bei denen von einem „Hineingeraten“ gespro­ chen wird. Sie werden, wie Ronja eindrücklich beschreibt, aktiv gesucht. In Übereinstimmung mit bisheriger Forschung zeigt die Arbeit für weibliche Personen in der Hooligan-Szene auf, unterschiedliche Rollen, Aufgaben und Funktionen während ihrer Verweildauer darin einnehmen zu können und nicht auf einen Aspekt beschränkt zu sein. Langjährige Freundschaften zwischen Personen mit „nur“ partnervermitteltem Kon­ takt zur Hooligan-Szene und selbst Gewaltausübenden können gelingen. Diese Freundschaften gefährden auch nicht die jeweils eigene Position in der Hooligan-Gruppe. Weibliche Gewalttätige mit Sonderstatus scheinen eher ohne partnervermittelten Kontakt Zugang zur Hooligan-Szene zu er­ halten. Ein Zugang zu weiblichen Gewaltausübenden ohne zugewiesenen Sonderstatus, deren Existenz innerhalb des Phänomens kaum bezweifelt werden kann, ist im Zuge der vorliegenden Arbeit nicht gelungen. Der Wunsch, die Suche nach und dem Finden von Anerkennung wäh­ rend den körperlichen Auseinandersetzungen und innerhalb der Gruppe scheint für weibliche wie männliche Gewaltausübende eine wesentliche Motivation für ihren Zugang und das Verweilen in der Hooligan-Szene, aber auch in anderen gewaltaffinen geschlechtshomogenen oder -heteroge­ nen Gruppen zu sein. Gemeinsamkeit der in diesen Phänomenen anzutref­ fenden weiblichen Gewaltausübenden scheint zu sein, in ihr jeweiliges eigenes Geschlechterrollenbild Elemente des tradierten Geschlechterrol­ lenbildes ebenso wie die Fähigkeit, Gewalt ausüben zu wollen und zu kön­ nen integriert zu haben. Weibliche Personen in geschlechtshomogenen oder -heterogenen gewaltaffinen Gruppenkontexten, zu welchen auch die Hooligan-Szene zählt, scheinen einen spezifischen weiblichen Habitus aus­ geprägt zu haben, der es ihnen ermöglicht, gewalttätig in diesen Kontexten handeln zu können und subjektives wie objektives Gruppenmitglied zu werden. Maßgeblich dabei scheint die primäre Sozialisation und die dort ggf. erlebte Viktimisierung, der Wunsch, zukünftige Viktimisierungen oder andere Umstände abzuwenden, die zum Aufwachsen von Jugendli­ chen und mit den Konflikten, Brüchen und Diskontinuitäten im Verlauf der Lebensphase Jugend parallelisiert werden können. Gewalt wird als Handlungsmöglichkeit früh wahrgenommen und dementsprechend als Konfliktlösungsstrategie neben diskursiven Lösungsstrategien eingesetzt.

445

E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

Der Wunsch nach Wertschätzung und Anerkennung und das Ausbrechen aus als einengend empfundenen Geschlechterrollenbildern scheinen dies zu befördern. Durch diesen Habitus ist es den weiblichen Jugendlichen möglich, die Rolle der schmeichelnden Spiegel i.S. Bourdieus zu verlassen und nicht mehr darauf beschränkt zu sein, an den „ernsten Spielen“ nur durch Stellvertretung, sondern selbst aktiv teilzunehmen. Im Gegensatz zu bisheriger Forschung zum Feld des Hooliganismus, die aufgrund der dem Ehrenkodex immanenten Ritterlichkeitsnorm eher von keiner Gewalt in Paarbeziehungen ausgeht, weisen die Befunde dieser Arbeit vorsichtig in eine andere Richtung. Es scheint die Möglichkeit zu bestehen, Gewalt in Paarbeziehungen mit Hooliganismusbezug erfahren zu können. Dies kann als Zeichen gewertet werden, den Hooliganismus und die darin befindlichen Personen als Spiegelbild der Gesamtgesellschaft zu sehen, wenngleich, auch aufgrund der geringen Anzahl von weiblichen selbst aktiv Gewalttätigen, er grundsätzlich einen Zerrspiegel darstellt. Die vorliegende Arbeit fand keine Hinweise auf das Bestehen einer Doppelwelt der Hooligans, die über zwei Identitäten verfügen, so wie es bisherige Forschung vertritt. Die Geschlechterrollenbilder innerhalb der Hooligan-Szene sind heterogen und in gewisser Weise flexibilisiert. Die­ ser Befund stimmt mit Forschungen zu männlichen Geschlechterrollen­ bildern in gewaltaffinen gemischt- oder gleichgeschlechtlichen Gruppen überein. Die innerhalb der Hooligan-Szene bestehenden und herausgearbeiteten Ausschlussmechanismen können in Ansehung der konkreten Person über­ wunden werden. Demnach können auch Personen mit einer oder mehre­ ren Dimensionen der Ausschlussgründe objektiv wie subjektiv zugehörig zur Hooligan-Szene sein. Entsolidarisierungen gegenüber weiblichen Ge­ waltausübenden innerhalb der Hooligan-Szene konnten in der vorliegen­ den Arbeit nicht erkannt werden. Sie fand einen wesentlichen, neuen Aspekt im Feld des Hooliganismus, da partnerschaftlich Verbundene nicht stets weiblichen Geschlechts sind. Sofern die weiblichen Hooligans hetero­ sexuell orientiert sind, gibt es auch männliche partnerschaftlich Verbunde­ ne. Zudem wurde ein ideales Bild der partnerschaftlich Verbundenen zu Mitgliedern der Hooligan-Szene induktiv gewonnen und dessen Charakte­ ristika herausgearbeitet.

446

V. Rückbindung der gewonnenen Ergebnisse an die theoretischen Grundlegungen

11. Fazit: Keine Krise der männlichen Herrschaft im Feld des Hooliganismus Abschließend stellt sich die Frage, ob es nun eine Krise der männlichen Herrschaft im Feld des Hooliganismus gibt. Bourdieu zufolge setzt sich – seit vermutlich etwa 60 Jahren2044 – die männliche Herrschaft nicht mehr mit der Evidenz des Selbstverständlichen durch und dennoch werden die Strukturen der männlichen Herrschaft auch in modernen Gesellschaften, und so auch in der Hooligan-Szene, als deren Teil und Raum, in dem sich die „ernsten Spiele des Wettbewerbs“2045 abspielen, (re-)produziert.2046 Die männliche Herrschaft reproduziert sich, auch im Hooliganismus, durch zwei Mechanismen: Zum einen wird die männliche Herrschaft in der sozialen Welt, und damit auch in der Hooligan-Szene, objektiviert. Zum anderen wird die männliche Herrschaft im Habitus der Individuen inkorporiert und zwar bei den männlichen wie weiblichen Hooligans und auch bei den am Rand der Szene Befindlichen und unterschiedliche Rollen einnehmenden partnerschaftlich Verbundenen, unabhängig ihres Geschlechts. Bei der männlichen Herrschaft geht es darum zu zeigen, wie die sozialen Subjekte, die männlichen und weiblichen Hooligans, das Geschlechterverhältnis in ihrer sozialen Praxis, in ihrem Denken und Handeln reproduzieren, modifizieren und auch weiterentwickeln.2047 Die männlichen Hooligans zeigen durch den an weibliche Personen wie Ronja zugewiesenen Sonderstatus, ihren spezifischen weiblichen Habitus anzuer­ kennen. Die männlichen Hooligans akzeptieren diesen, ihrem eigenen, männlichen Habitus ähnelnden und dem feldspezifischen Gruppenhabitus entsprechenden weiblichen Habitus und ermöglichen weiblichen Hooli­ gans, eine von ihnen, eine der Jungs, oder, wie Miller es wendet, „one of the guys“ zu werden. Im Feld des Hooliganismus weisen, wie herausgearbeitet wurde, die in Rede stehenden Personen nicht nur eines der beiden entgegengesetzten Geschlechter i.S.v. sex,2048 die nach dem Verständnis Bourdieus in einer hierarchischen Relation zueinanderstehen. Die Konzepte Bourdieus müssen daher für das Feld des Hooliganismus modifiziert und auf Personen bei­ derlei Geschlechts erweitert werden. Voraussetzung für eine symbolische

2044 2045 2046 2047 2048

Vgl. bereits B. I., III. 1. b), IV. 3. c). Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. Vgl. B. IV. 3. c). Vgl. bereits B. IV. 2. Vgl. B. I.

447

E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

Revolution und damit einer echten Befreiung der Frauen von der männli­ chen Herrschaft ist Bourdieu zufolge nur von einem kollektiven Handeln zu erwarten.2049 Im Feld des Hooliganismus kann dieses Aufbrechen im übertragenen sowie tatsächlichen Sinne verstanden werden und nur durch eine symbolische Revolution oder einen Kampf2050 innerhalb des Feldes des Hooliganismus erfolgen, denn dort wird gewaltförmig gehandelt, nicht nur während den körperlichen Auseinandersetzungen, sondern auch in anderen szeneinternen wie -externen Kontexten und ggf. auch im Kon­ text von Paarbeziehungen. Die symbolische Revolution oder der Kampf müssten imstande sein, u.a. an den Grundlagen der Produktion und Re­ produktion des symbolischen Kapitals zu rütteln. Folglich ist nach Bour­ dieu eine symbolische Revolution die unerlässliche Voraussetzung für eine wirkliche Veränderung der Geschlechterverhältnisse im Allgemeinen2051 und im hier betrachteten Feld des Hooliganismus im Besonderen. Die symbolische Revolution muss, wie erläutert, nicht nur einen Umsturz der Ordnung der Dinge, der materiellen Strukturen, umfassen, sondern v.a. einen mentalen Umbruch, gleichsam einer Transformation der Kategorien der Wahrnehmung mit sich bringen, der das Feld des Hooliganismus und alle darin Befindlichen (die Hooligans und partnerschaftlich Verbun­ denen) dazu bringt, bei der Reproduktion der bestehenden Ordnung im Feld des Hooliganismus „mitzuspielen“.2052 Die (zugeschriebenen) Geschlechterrollenbilder im Feld des Hooliganis­ mus und der dort Befindlichen, unabhängig ihres Geschlechts, die jeweili­ ge Ausformung des vergeschlechtlichten, vergeschlechtlichenden Habitus sind heterogen. Eine symbolische Revolution ist somit unerlässliche Vor­ aussetzung für eine wirkliche Veränderung der Geschlechterverhältnisse. Diese liegt nach hier vertretener Ansicht, auch basierend auf der vorlie­ genden Untersuchung und aus der Innenperspektive der im Feld Befindlichen, nicht vor. Die Machtverhältnisse zwischen den männlichen und weiblichen Hooligans sowie zwischen den partnerschaftlich Verbundenen justieren sich innerhalb des Feldes des Hooliganismus nur zögerlich neu. In der Folge werden sich wohl auch die Machtverhältnisse zwischen und für andere Personen, die grundsätzlich aufgrund der unterschiedlich her­

2049 2050 2051 2052

448

Vgl. ausführlicher unter B. IV. 3. Vgl. B. IV. 3. Vgl. B. IV. 3. Vgl. B. IV. 3.

V. Rückbindung der gewonnenen Ergebnisse an die theoretischen Grundlegungen

ausgearbeiteten Dimensionen der Ausschlussgründe2053 von der HooliganSzene ausgeschlossen sind, nur zögerlich neu justieren. Die vorliegende Arbeit hat das Bestehen eines feldspezifischen Habitus im Feld des Hooliganismus herausgearbeitet, der sich im männlichen Habitus der männlichen Hooligans und in Ronjas spezifischem weibli­ chem Habitus zeigt. Der feldspezifische Habitus zeigt sich auch in den jeweiligen zugeschriebenen Geschlechterrollenbildern für Hooligans und partnerschaftlich Verbundene, unabhängig ihres Geschlechts. Insbesonde­ re die Charakterisierung der Hooligan-Szene durch die Interviewten und die Beschreibung der Phase der Teilnahme bzw. deren Miterlebens, die spezielle Perspektive auf die in der Hooligan-Szene befindlichen Frauen so­ wie die Erkenntnisse aus den teilnehmenden Beobachtungen beschreiben den feldspezifischen Habitus der männlichen wie weiblichen Hooligans und partnerschaftlich Verbundenen in der Selbst- wie Fremdzuschreibung. Überdies wird der feldspezifische Habitus im induktiv gewonnenen idea­ len Bild eines partnerschaftlich Verbundenen sichtbar. Der jeweilige ver­ geschlechtlichende und vergeschlechtlichte Habitus der Hooligans und partnerschaftlich Verbundenen ist somit das entscheidende Moment für das hier fokussierte Feld des Hooliganismus. Mit dem hier herausgearbei­ teten feldspezifischen Habitus im Hooliganismus ist es möglich, ihn als Ausprägung eines vergeschlechtlichten Klassenhabitus zu fassen, wobei die bereits skizzierte, mögliche Kritik am Analysewerkzeug des vergeschlecht­ lichten und des vergeschlechtlichenden Habitus2054 nicht unberücksichtigt bleiben darf. Grundsätzlich unterscheiden sich die Hooligans, die partner­ schaftlich Verbundenen und die in diese Arbeit einbezogenen Personen hinsichtlich der Zugehörigkeit zu einer der drei Klassen i.S. Bourdieus. Eine mögliche Gemeinsamkeit, ein möglicher die (männlichen und weib­ lichen) Hooligans, (männlichen und weiblichen) partnerschaftlich Ver­ bundenen und die hier Einbezogenen einender Aspekt könnte jedoch bestehen und damit zu einem vergeschlechtlichten Klassenhabitus oder vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Habitus führen: Der sie einende Aspekt ist die jeweils erlebte und erfahrene primäre Sozialisation, die für die Herausbildung beider genannter Habitusformen als maßgeb­ lich gilt. Die männliche Herrschaft kann nur auf solche Menschen wirken, die von ihrem Habitus her dafür empfänglich sind. Besonders die in der primären Sozialisation oder in der Lebensphase Jugend erfahrenen Vikti­ misierungen und Abwertungen könnten die in diese Arbeit einbezogenen 2053 Vgl. E. III. 2. b) gg) fff). 2054 Vgl. B. IV. 2. a).

449

E. Ergebnisse der soziologischen Ethnographie

Personen und damit die Hooligans und die partnerschaftlich Verbunde­ nen einen. Da die symbolische Gewalt die Ursache ist, weshalb sich gesellschaftliche Verhältnisse – auch im Hooliganismus – nicht ad hoc verändern, sondern sich, wenn überhaupt, langsam wandeln, liegt eine „echte“ Krise der männlichen Herrschaft in den Feldern der „ernsten Spiele des Wettbe­ werbs“2055 und auch im Hooliganismus nicht vor. Es handelt sich dort, wenn überhaupt, um einen Wandel in kleinen Schritten. Dort justieren sich zwar die Macht- und die Geschlechterverhältnisse zwischen männli­ chen und weiblichen Personen und ggf. auch zwischen den (homo- und heterosexuellen) Personen neu und es kommt zu einer Gleichzeitigkeit von Wandel und Persistenz.2056

2055 Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203. 2056 Vgl. B. IV. 3. c), V.

450

F. Schluss

Zu den hier fokussierten (zugeschriebenen) Geschlechterrollenbilder im Feld des Hooliganismus und der besonderen Berücksichtigung der im Feld Befindlichen, den objektiv und subjektiv Zugehörigen und den mit partnervermitteltem Kontakt zu ihnen, sowie der Frage nach einer mögli­ chen Krise der männlichen Herrschaft im Feld des Hooliganismus kann zusammenfassend festgehalten werden: Weibliche Jugendliche und junge Frauen sind seltener in nicht ge­ waltaffinen wie gewaltaffinen gemischt- wie gleichgeschlechtlichen Grup­ pen eingebunden. Die Zeitspanne, die sie in den unterschiedlichen Grup­ pen verbringen, ist im Vergleich zu männlichen Jugendlichen in der Regel geringer. Da sich weibliche junge Menschen, sobald eine Paarbe­ ziehung existiert, eher auf sie konzentrieren, steigen sie früher aus den Gruppen, in denen sie involviert waren, aus. In geschlechtsheterogenen oder männlich dominierten Gruppen sind weibliche Jugendliche folglich seltener und mit kürzeren Verweildauern anzutreffen. Das Austesten von Grenzen, risikohaftes, deviantes, delinquentes und gewalttätiges Verhalten sind, eingedenk des Entwicklungs- und Reifeprozesses in der Lebensphase Jugend ebenso als in gewissem Sinne normal zu bewerten, ebenso wie sich gewaltaffinen Gruppen anzuschließen sowie ggf. wieder davon Abstand zu nehmen. Von einer Möglichkeit der Parallelisierung der Lebenslagen der weiblichen und männlichen Jugendlichen, ihren Belastungssituationen, Konflikten und ihrem Gewalthandeln ist auszugehen. Das Fußballspiel ist eine männlich konnotierte Sportart und auch die dort in verschiedenen Gruppen und Szenen Involvierten sind vorwiegend männlich. Dem Hooliganismus selbst wird ebenfalls zugeschrieben, vor­ wiegend männlich und frauenfeindlich zu sein. Deshalb verwundert nicht, wenn sich weibliche Jugendliche und junge Frauen seltener anschließen, zumal deren Zugehörigkeit von der Definitionsmacht der männlichen Hooligans abhängig ist. Die passiv gewaltverstärkende Rolle scheint dem zugeschriebenen Geschlechterrollenbild innerhalb der Hooligan-Szene am nahesten zu kommen. Die aktiv gewalthemmende Rolle weiblicher Perso­ nen wird von den Hooligans eher abgelehnt, da deren Ausübung sie daran hindern würde, an den szeneinternen körperlichen Auseinandersetzungen teilzunehmen. Die selbst aktiv gewaltausübende Rolle passt zwar grund­ sätzlich nicht zu den zugeschriebenen Geschlechterrollenbildern in Bezug

451

F. Schluss

auf weibliche Personen innerhalb der Hooligan-Szene. Dennoch ist es möglich, weibliche Gewaltausübende in der Szene anzutreffen. Ermöglicht wird dies durch ihren spezifischen weiblichen Habitus und dem eigenen Geschlechterrollenbild, in welchem die in Gewaltausübung mündende Gewaltbereitschaft ebenso wie Aspekte tradierter Geschlechterrollenbilder integriert sind. Erkenntnisse und Besonderheiten zum prozesshaften Aus­ stieg aus und dem Abstand nehmen vom Hooliganismus stellte die Arbeit ebenfalls vor. Es kann, wie herausgearbeitet wurde, grundsätzlich nicht von einer „echten“ Krise der männlichen Herrschaft die Rede sein. Vielmehr ist von einem Wandel in kleinen Schritten auszugehen, denn die Machtverhältnis­ se justieren sich nur langsam neu.2057 Im Hooliganismus liegt, wie auch in anderen Feldern der „ernsten Spiele“ eine, wenn auch widersprüchli­ che, Gleichzeitigkeit von Prozessen des Wandels und der Beharrung bzw. Kontinuität bzw. Persistenz vor:2058 Die vormals vorfindbaren Geschlech­ terasymmetrien haben sich – wenn auch nur in Teilen – derart gewandelt, dass keine vollständige Marginalisierung oder Abwertungen von weibli­ chen Personen mehr besteht. So ist es möglich, dass mit einem entspre­ chenden Habitus ausgestattete weibliche Personen vollwertige, ebenbürti­ ge Mitglieder einer Hooligan-Gruppe sein können und dabei auch Men­ schen mit gleicher Ehre sind, die Ehre zollen und geben können. Das Geschlecht tritt in den Hintergrund und der sich spezifisch ausgeprägte Habitus ist entscheidend. Er ermöglicht es, an den körperlichen Ausein­ andersetzungen teilzunehmen. Dies ist keine Imitation des männlichen Habitus, sondern er ähnelt ihm und es ist von einer Angleichung oder An­ lehnung des weiblichen Habitus an den jeweils feldspezifischen Habitus auszugehen. Der Tod von Bourdieu2059 verhindert es, dass er sich zu den aktuellen Entwicklungen in der Welt und zu den von ihm fokussierten Ausschnit­ ten äußern kann. Bourdieu hat sein akademisches Vermächtnis und „Hand­ werkszeug“ hinter- und uns überlassen. Seine unterschiedlichen Konzepte konnten auch in der vorliegenden empirischen Untersuchung genutzt werden. Somit kann mit ihm, mit seinen Gedanken und Konzepten, über den jeweiligen status quo und insbesondere zu den Feldern der „ernsten Spiele des Wettbewerbs“,2060 wie u.a. dem Hooliganismus, nachgedacht

2057 2058 2059 2060

452

Vgl. B. IV. 3. c). Vgl. B. IV. 3. c). * 1930 Denguin, † 2002 Paris. Bourdieu, Die männliche Herrschaft (1997), S. 203.

F. Schluss

und (empirisch) geforscht werden. An der ein oder anderen Stelle ist es möglicherweise auch erforderlich, Bourdieus Ansätze weiterzuentwickeln oder zu modifizieren. Die vorliegende Arbeit nutzte insbesondere seine Konzepte als theoretische Vorannahmen, um die empirisch offenen Fragen zu beantworten, und entwickelte sie auch für das spezifische Feld des Hoo­ liganismus weiter. Bourdieus Einschätzungen hierzu wären wertvoll. Es ist an den (künftig) Forschenden, dies zu übernehmen, indem sie neugierig bleiben und sich einlassen (müssen) auf die sich ständig verändernde Welt.

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