Krise der Printmedien: Eine Krise des Journalismus? 9783110231083, 9783110231076

The future of journalism as seen from various perspectives is the subject of the essays in this volume: the training of

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Krise der Printmedien: Eine Krise des Journalismus?
 9783110231083, 9783110231076

Table of contents :
Frontmatter
Inhalt
Zur Einführung
Die Presse in der Wohlfahrtsfalle
Das Jahrhundert des Journalismus ist vorbei
Voreilige Nachrufe
Journalisten in der Mediengesellschaft
Journalistische Ausbildung als Herausforderung

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Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung

Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung Band 64 Herausgegeben von Hans Bohrmann und Gabriele Toepser-Ziegert Institut für Zeitungsforschung der Stadt Dortmund

De Gruyter Saur

Krise der Printmedien: Eine Krise des Journalismus?

Mit Beiträgen von Gabriele Bartelt-Kircher, Hans Bohrmann, Hannes Haas, Otfried Jarren, Horst Pöttker und Siegfried Weischenberg

De Gruyter Saur

ISBN 978-3-11-023107-6 e-ISBN 978-3-11-023108-3 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2010 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin / New York Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt Hans Bohrmann

Zur Einführung

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Otfried Jarren

Die Presse in der Wohlfahrtsfalle Zur institutionellen Krise der Tageszeitungsbranche

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Siegfried Weischenberg

Das Jahrhundert des Journalismus ist vorbei Rekonstruktionen und Prognosen zur Formation gesellschaftlicher Selbstbeob­achtung

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Hannes Haas

Voreilige Nachrufe Warum Journalismus unverzichtbar bleiben wird

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Horst Pöttker

Journalisten in der Mediengesellschaft Daten zu Innovationsbereitschaft und professionellem Autonomiebewusstsein von DJV-Mitgliedern

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Gabriele Bartelt-Kircher

Journalistische Ausbildung als Herausforderung

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Zur Einführung 1. Zeitungen sind ein Informations- und Kommunikationsmittel, das uns allen im Alltag immer wieder begegnet. In Zeitungen wird aus der lokalen und regionalen Umgebung regelmäßig und breit berichtet, wie es andere Medien (Zeitschriften, Fernsehen, Hörfunk oder die unterschiedlichen digitalen Angebote: Online-Dienste von Zeitungen, Nachrichten- und Anzeigenportale, Blogs und soziale Netzwerke) nicht leisten wollen oder können. Zeitungen stellen auch Öffentlichkeiten über Stadt und Region hinaus her, über Bundesländer und ganz Deutschland, über EU und Europa bis zu den Nachrichten aus aller Welt. Dabei geht es nicht nur um die Diversität des inhaltlichen Angebots, sondern auch um dessen Umfang einschließlich der gebotenen Bewertung. Zeitunglesen ist in unserer Kultur ein eingespieltes Ritual, das auch gegenwärtig recht preisgünstig geübt werden kann. Zeitungsinformation kann mit der jeweils persönlichen Lesegeschwindigkeit rezipiert werden. Auch mehrfaches Lesen ist möglich. Manche schneiden Artikel auch aus, um sie aufzubewahren und um andere auf die Inhalte aufmerksam zu machen. Solche Medieneigenschaften sind zu bekannt, als das sie hier eigens belegt werden müssten.

2. Die Zeitung war das historisch erste Massenkommunikationsmittel. Es entstand im deutschen Sprachgebiet zu Beginn des 17. Jahrhunderts und hat sich über die ganze Welt ausgebreitet. Die Zeitung hatte bis 7 

Hans Bohrmann

in die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts eine Alleinstellung. Mehr als 400 Jahre Zeitungsgeschichte stellen sich allerdings nicht als ungebrochene Kontinuität dar. Der Umfang der Zeitungen, ihr Format, Art und Weise der bildlichen Mitteilungen etc. haben sich gewaltig verändert. Die Inhalte und deren quantitative Verteilung über die einzelnen Nummern heute sind nur von Ferne mit den Inhaltsstrukturen des 17. Jahrhunderts vergleichbar. Das Papier als materieller Träger der Informationen hat durch die Erfindung und alsbaldige Einführung des Holzschliffs als Grundstoff (30er Jahre des 19. Jahrhunderts) eine erhebliche Verbilligung und fast grenzenlose Verfügbarkeit erfahren. Und noch etwas anderes ist in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als gravierende Veränderung festzuhalten: lebte die Zeitung finanziell in den ersten mehr als zwei Jahrhunderten ausschließlich vom Lesermarkt, der mit dem Kaufpreis alle Herstellungskosten (plus den erforderlichen Gewinn des Verlags) abwerfen musste, so verkauft sich die Zeitung seitdem auf zwei gekoppelten Märkten: hinzugekommen ist seit der Gewährung der Gewerbefreiheit und dem Beginn der ersten industriellen Revolution (die Geld in die Hände der breitesten Volksschichten brachte) der Anzeigenmarkt. Im Laufe der vergangenen mehr als 150 Jahre hat sich kontinuierlich ansteigend das finanzielle Aufkommen beider Märkte im Verhältnis zueinander stark verändert. War die Zeitung zunächst lesermarkt-betont, so ist sie spätestens seit Ende des neunzehnten Jahrhunderts im Allgemeinen anzeigenbetont. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts sind in einzelnen Fällen die Margen von 80 und mehr Prozent keineswegs vereinzelt erreicht worden. Die Verlage haben davon profitiert. Der dem Zeitungsverlagswesen inhärente Konzentrationsprozess hat einen neuen Motor erhalten, der von der Dynamik der Marktführer (Auflage, Kaufkraft der Leser) und der mit mehr oder weniger Abstand folgenden konkurrierenden Titel angetrieben wurde.

3. Gegenwärtig wird, zu Recht, um die Zukunft der Zeitungen gestritten. Manche Indikatoren, beispielsweise Auflagenhöhe, Leserreichweiten, 8

Zur Einführung

Anzeigenaufkommen, fallen nicht unerheblich. Die Gesamtauflage der deutschen Zeitungen ist bereits seit etlichen Jahrzehnten, inzwischen um mehr als ein Fünftel geschrumpft. Von über 25 Millionen in der alten Bundesrepublik vor drei Jahrzehnten auf gut 20 Millionen in der Bundesrepublik nach der Vereinigung. Die Titelanzahl ist seit den 60er Jahren noch deutlicher zurückgegangen. Die Ursachen sind vielfältig und auch nicht in allen Fällen dieselben. Dem soll hier nicht weiter nachgegangen werden. Festzuhalten ist aber, dass diese Entwicklung der Entwicklung der digitalen Welt voraus war, also nicht von ihr verursacht, sondern nur erkennbar beschleunigt worden ist. Es handelt sich um eine Krise des Mediums Zeitung, die offenbar deutlich unter die Oberfläche geht und der mit kosmetischen Korrekturen kaum beizukommen ist. Relaunch mit Formatwechsel, Neuordnung nach Ressorts, Wechsel der Schrift nach Größe und Varianz, stärkerer Betonung von Bildern, Illustrationen und Grafiken und Verstärkung der Farbe, besonders des Anzeigenteils, Inhaltsverzeichnisse sind im Einzelnen sicher Verbesserungen, aber nicht durchgreifend. Anknüpfung der Texte an den Onlineauftritt und weitergehende Information dort sind zu begrüßen, aber nicht durchschlagend, wenn das Zeitungsangebot die Gratismentalität im Internet noch stärkt. Dadurch wird Print geschwächt und die Illusion genährt, dass qualitativer Journalismus kostenlos sein, dass die kostenlose Zeitung Wirklichkeit werden könne. Doch nicht nur an dieser Stelle des virtuellen Raumes, sondern noch deutlicher bei den zunächst ohne Zeitungsbeteiligung entstehenden Immobilien- und Automobilportalen sind den Zeitungen Anzeigen verloren gegangen, die nicht mehr zurückkommen werden. Früher hatten die Verlage mit sicherem Instinkt – besonders den lokalen – Anzeigenmarkt für sich erfolgreich reklamiert. Anzeigenblätter und Lokalradios sind dafür die Stichworte. Das waren zusätzliche Standbeine. Wie problematisch dann der weitergehende Versuch ist, durch Gratis-(Pendler-) Zeitungen den eigenen Blättern Konkurrenz zu machen, ist gegenwärtig im Ausland (Schweiz, aber auch Niederlande und Frankreich, Nordamerika) zu beobachten. Der übliche Trost der Wissenschaft, bisher sei noch kein einmal erfundenes und eingeführtes Medium wieder von der Bildfläche verschwunden (Rieplsches Gesetz) und die naive Vorstellung, jeweils 9 

Hans Bohrmann

neue Medien ersetzten die alten, sei falsch, ist nur oberflächlich richtig. Denn er besagt eben nicht, dass ältere Medien durchaus an den Rand gedrängt und ihres Einflusses beraubt werden können. Eine neue Medienhierarchie kann sich durchaus herstellen. Ob das im Falle der gedruckten Zeitungen heute etwa ansteht, bedarf detaillierter Untersuchungen. Das gilt gerade auch, wenn unsere Beispiele darauf hinweisen, dass es bei der Zeitungszukunft nicht um Details, sondern ums Ganze geht. Zeitung kann nur durch ein Gesamtkonzept gesichert werden, das nach der Unverzichtbarkeit der Zeitungen fragt und von daher die Folgerungen zieht. Dies Konzept gilt es zu entwickeln und aus ihm müssen die Maßnahmen, die die Entwicklung steuern, abgeleitet werden. Es geht um ein ganzes Bündel von Ursachen, die teilweise untereinander verwandt sind, und die „Heilmittel“ stellen sich auch als komplex, untereinander zusammenhängend und in der Abschätzung nicht immer durchschlagend zukunftssicher heraus. Um etwas Ordnung in diese Vorstellungen zu bringen, hat der Förderverein des Instituts für Zeitungsforschung im Frühjahr 2009 zu einer Tagung bekannte wissenschaftliche Fachautoren des deutschen Sprachraums nach Dortmund eingeladen, die sich seit Jahren mit der Zeitung und ihrem Publikum auseinandersetzen. Gabriele Bartelt-Kircher (Essen), Hannes Haas (Wien), Otfried Jarren (Zürich), Horst Pöttker (Dortmund) und Siegfried Weischenberg (Hamburg) haben in ihren Veröffentlichungen erkennen lassen, dass sie von unterschiedlichen Ansatzpunkten ausgehen und in ihren Schlussfolgerungen ebenfalls divergieren. Dass sich daraus eine teilweise kontroverse Debatte ergeben könnte, war schon aus den Titeln der Tagungsbeiträge abzulesen und vom Veranstalter durchaus beabsichtigt. Die analytischen Instrumentarien unterschieden sich erheblich, in der Analyse waren die Autoren eher zusammen und in der Prognose konnte der Stein der Weisen von keiner Seite präsentiert werden. Das war auch nicht zu erwarten, weil ganz offensichtlich die Entwicklung stark im Fluss ist und Faktoren, die für eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Zeitungen auf hohem Niveau sprechen, ebenso identifiziert werden können wie Faktoren, die eine völlige Umordnung der Medienhierarchie nahelegen. Einig waren sich alle darin, dass einige kleine Retuschen nicht ausreichen, um 10

Zur Einführung

das Zeitungs­wesen dauerhaft zu festigen. Die ökonomische Krise hat bereits eine Schärfe erreicht, die an die Substanz geht. Jarren argumentiert von der Institutionentheorie her, die er für die Zwecke seiner Analyse speziell anwendet und weiterentwickelt. Kern ist die Frage nach Informationsleistungen der Zeitungen und wie sie zur Funktionsfähigkeit einer demokratischen Gesellschaft erbracht werden müssen. Die berechtigte Frage bleibt, ob auch künftig gewährleistet ist, dass dem Bürger die Basis demokratischer Meinungs- und Willensbildung in einer lebendigen Zeitungspresse zur Verfügung steht. Weischenberg und Haas stellen die berufliche Leistung des Journalisten in den Mittelpunkt. Ihre Aussagen scheinen bereits im Titel nicht nur widersprüchlich, sondern geradezu gegenteilig zu sein, weil der eine das „Jahrhundert des Journalismus“ am Ende sieht, der andere eine Zukunft des Journalismus, der länger in die Geschichte zurückreiche, durchaus erkennen kann und will. Pöttker stellt erstmals seine Daten aus einer neuen Erhebung zum Berufsverständnis der Journalisten in der Bundesrepublik vor, die in Bezug auf unsere Frage aufschlussreich sind. Gabriele Bartelt-Kircher, die die Notwendigkeit der fundierten Journalistenausbildung gerade im Blick auf die ungesicherte Zukunft der Zeitungen unterstreicht, kann ebenso plausible Gründe anführen. Qualitativ hochwertiger Journalismus braucht auch künftig bestens ausgebildete Journalisten. Wer an der Ausbildung spart, wird es bald in seiner Kasse spüren.

4. In der Diskussion waren die analytischen Positionen miteinander zu vermitteln, Unterschiede blieben bei der Abschätzung der Wahrscheinlichkeit, mit der negative Entwicklungen eintreten dürften oder positive erreicht werden könnten. Das ist aber nicht verwunderlich, denn, wie der Spötter Karl Kraus gesagt hat, sind Prognosen besonders schwierig, sofern sie die Zukunft betreffen. Weitere Diskussionen sind natürlich erforderlich. Über eine positive Entwicklung der Zeitung als Massenmedium muss viel mehr und intensiver in der Öffentlichkeit gesprochen werden, 11 

Hans Bohrmann

denn das Thema ist viel zu wichtig, als dass man es kleinen Zirkeln von Verlagsmanagern, Verlegern, den Mediaagenturen und den oft selbsternannten Medienpolitikern und schon gar nicht den Interessenten der digitalen Medien allein überlassen dürfte. Deswegen hat sich der Vorstand des Vereins zur Förderung der Zeitungsforschung entschlossen, die Tagungsbeiträge rasch in der Schriftenreihe Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung der Öffentlichkeit vorzulegen als Beitrag zur Meinungsbildung und Einladung zur vertieften Diskussion. Ich danke den Referenten unserer Tagung, die den Text ihrer Referate für die Buchform schnell bearbeitet haben. Ich danke den Tagungsteilnehmern der Tagung, die durch ihre Fragen und Diskussionsbeiträge die vorgetragenen Argumentationen immer wieder kritisch geprüft haben. Nicht zuletzt danke ich Frau Karen Peter für die Redaktion und dem Verlag De Gruyter für die zügige Drucklegung. Dortmund, im September 2009 Hans Bohrmann

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Otfried Jarren

Die Presse in der Wohlfahrtsfalle Zur institutionellen Krise der Tageszeitungsbranche

Vorbemerkung: Krise der Presseverlage, nicht des Journalismus Was ist der Unterschied zwischen einer Sparkasse und einer Geschäftsbank? Beide erbringen vergleichbare Leistungen, können in Krisen geraten, doch sind die Tiefe der Krise und die Krisenfolgen unterschiedlich. Der Grund für die Unterschiede bei beiden Typen von Banken, die dem gleichen Institutionentyp zugehörig sind, liegt in den verschiedenen Organisationen und damit auch in der unterschiedlichen Eigentümerstruktur. Beide gehören deshalb innerhalb des Bankensektors unterschiedlichen organisationalen Feldern an. Die Geschäftsbank ist eine Aktiengesellschaft, die Aktien werden gehandelt, die Eigentumsverhältnisse sind anonym. Auch die Sparkasse kann eine Aktiengesellschaft sein, doch sind die Geschäfts­ anteile in bestimmten – hier: politisch definierten – Händen, und es bestehen bestimmte Aufsichtsformen. Die Organisation der Sparkasse weist aufgrund ihrer politischen Institutionalisierung intersystemische Merkmale auf. Intersystemische Organisationen, und das ist eines ihrer Merkmale, unterliegen der gesellschaftlichen Mitkontrolle und diese ist 13 

Otfried Jarren

öffentlich sichtbar (vgl. dazu grundlegend Bode/Brose 2001). Auch Sparkassen können natürlich versagen, aber es gibt bei dieser Organisation besondere Haftungspflichten. In Deutschland heißt das so schön: Gewährträgerhaftung. Damit Sie mich nun nicht missverstehen: Die krassen Managementfehler und die obszönen politischen Beziehungen zwischen einzelnen Sparkassen bzw. den öffentlichen Banken und manchen Politikern in Deutschland will ich damit nicht weg­reden. Aber, und dieses Aber ist wichtig: Die Institutionalisierungsform selbst ist nicht das Problem, im Gegenteil, und das lerne ich aus der Finanzkrise, die in meinen Augen eine Institutionalisierungskrise ist, wohl aber die gelebte – oder besser: die eingerissene – Praxis. Doch was hat das Beispiel aus der Bankenwelt mit dem Journalismus und den Medien zu tun? Sehr viel: Nicht der Journalismus als soziale Institution ist in der Krise, wohl aber ist ein Teil der Medien­ unternehmen mit ihren Organisationen in eine Krise geraten, und das hat die gesellschaftliche Akzeptanz der Printmedienbranche partiell gefährdet. Vor allem die Tageszeitungsverlage haben Probleme bekommen, weil sie ihren anerkannten intermediären Status einbüßten, indem sie statt auf Organisations- und Produktvielfalt auf organisatorische Homogenität und auf Einfalt gesetzt haben (vgl. Bonfadelli/Schwarb 2006: 34–37; Lange 2008: 191f.). Sie haben Probleme, weil sie auf Einfalt gesetzt haben, statt ihre Vielfalt und damit zugleich ihren intermediären Charakter zu betonen. Der Presse sind, um es ein wenig überspitzt und übergeneralisiert zu formulieren, die sie konstituierenden und sie in der Gesellschaft legitimierenden Leitideen abhanden gekommen. Nur: Die licence to operate wurde ihr nicht entzogen, die Branche selbst hat sich um ihre Begründung gebracht. Und im Unterschied zur Banken- oder Automobilbranche kann, darf und wird ihr der Staat nicht beistehen. Das wäre auch fatal, denn die Krise der Presse ist eine Chance für die Revitalisierung der publizistischen Kultur und somit auch für die Demokratie. Und die Presse unter Verweis auf ihre Kulturleistung doch noch mittels Staatsknete zu retten zu versuchen, das macht keinen Sinn, denn das süße Gift einer Abwrackprämie zwingt leider nicht zum schöpferischen Neuanfang oder zumindest zu Innovationen.

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Die Presse in der Wohlfahrtsfalle

Presse ohne institutionelle Leitideen Bezogen auf Presse und Journalismus wird heute gefragt: Was bitte war, was bitte ist die Leitidee der Tageszeitungsbranche? Was ist die institutionelle Logik? Worauf basierte und worauf basiert die institutionelle Legitimität? Was sie einmal war, das wissen wir: bürgerliche Freiheiten, nationalstaatliche Demokratie (vgl. Keane 1991: 37–50; Schulz 2000; Wilke 1983). Doch was sie derzeit ist bzw. sein soll, das wissen wir nicht. Immer noch bürgerliche Freiheiten für eingeborene Inländer mit der richtigen (und in Deutschland mit seinem Staatsvolk ja auch der einzig wirklich erlaubten) Staatsbürgerschaft und – etwa immer noch – nur die nationalstaatliche Demokratie? Das wären Fragen von Rang und publizistische Streitfragen zudem. Wo ist der Journalismus, wo sind die Medien, die die Fragen der europäischen, der globalen Zukunft anpacken wollen? Wir hören im Zusammenhang mit der Pressekrise vieles: Das Geschäftsmodell würde nicht mehr tragen, die Konkurrenz wäre größer geworden, zum Überleben unter sog. Konvergenzbedingungen müsse man alle Medientechnologien einsetzen und sich aller multimedialen Produktions- und Verteiltechnologien bedienen, und man müsse sich zudem aller nur denkbaren Einnahmequellen versichern dürfen. Zudem bedürfe man weiterer Steuerprivilegien (vgl. Herbermann 2009). Doch was ist der soziale Zweck dieses Tuns? Wozu werden Expansions-, Konzentrations- und Subventionsrechte einverlangt? Wozu sollen Marktbegrenzungen für Dritte dienen? Publizistik sei das Ziel, so wird behauptet, und das sei gar zu schützen, aber was für eine publizistische oder gar journalistische Leistung wird denn jetzt erbracht, die schutzwürdig sein muss? Welche publizistischen Leistungen erbringen Verlagshäuser beim privaten Radio, beim kommerziellen Fernsehen oder auf der einen oder anderen Internetplattform? Die Argumentation der Branche war und ist klar: Alles, was nach einem Medium aussieht, muss unter die verlegerischen Fittiche kommen, koste es was es wolle. Und es kostet! Und damit meine ich weniger das Kapital, denn das ist ja da, sondern das Vorgehen in eigener Sache hat publizistische Substanz verzehrt und die mit der Branche verbundene institutionelle Basis Stück für Stück brüchiger werden lassen. 15 

Otfried Jarren

Verlage und Verleger als Beratungsopfer? Content for people – mit diesem Spruch springen bzw. sprangen Verlage in die vermeintliche multimediale Medienzukunft, prüften dabei kaum die publizistische Relevanz der sog. Neuen Medientechnologien (vgl. Büffel 2008). Es wurde – und wird – Geld verbrannt. Denn: Content is king. Die großen wie kleinen Multimediahäuser übernahmen und übernehmen sich, weil sie für diese Innovationen Geld, zum Teil sehr viel Geld, benötigen und weil sie Managementkapazitäten aufbauen mussten, die sie nicht hatten und zumeist auch heute noch nicht haben. „Neues“ Management hielt in den Häusern Einzug, zumindest die Berater durften ins Haus (vgl. Schulz 2008). Kapitalbeschaffung und Nachfolgregelungen wurden zu zentralen, aufmerksamkeitsabsorbierenden Tätigkeiten. Alle Medienhäuser marschierten, wie die Geschäftsbanken auch, gut beraten von der sie fortan treu begleitenden Beratungsindustrie in die gleiche multimediale Zukunft, bauten ihre Organisationen – wie beraten – um, und alle strebten nach der nötigen größeren Größe. Größe! Doch Größe wozu? Dabei, und das ist das Fatale, wurden sie nicht aufgehalten, obwohl die traditionellen Presseunternehmen mit ihren Journalisten ansonsten ja recht aktiv und wirksam im Aufhalten von Dingen sind, die ihnen nicht gefallen. So wurde und wird den öffentlich-recht­ lichen Medien stets die rote Karte gezeigt, wenn sie beispielsweise im Internet agieren wollen. Audio- und Videofiles, die können die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, im Gegensatz zu vielen Pressehäusern, nun tatsächlich professionell machen, die Pressehäuser aber nicht, doch egal: Das sollen, das dürfen sie nicht machen (vgl. Mantel 2008; Marohn 2008). Wer so argumentiert, der übersieht, was er eigentlich kann bzw. was er eben nicht kann. Hauptsache die interessenpolitische Richtung stimmt und kann als Ordnungspolitik ausgegeben werden. Schließlich kann man dann ja, es lebe die Hinter­tür, mit den Öffentlich-Rechtlichen kooperieren. Aber – und das ist nur scheinbar paradox – die Warnungen von Verlagsseite an den öffentlichen Rundfunk haben und hatten auch ihre gute Seite: Es wurden dadurch dem öffentlichen Rundfunk Grenzen aufgezeigt und gesetzt, und damit wurde sogar seiner 16

Die Presse in der Wohlfahrtsfalle

institutionelle Logik gedient: Selbstbegrenzung durch Fokussierung auf die publizistischen Kernaufgaben. Nicht alles, was möglich wäre, passt nämlich mit der institutionellen Logik zusammen. Die Presse als Mahner, doch wer mahnt und warnt die Presse in diesem Land?

Presse als machtvolle, diskursschwache Institution Institutionen entwickeln und legitimieren sich im öffentlichen Diskurs (vgl. Aldrich/Fiol 1994: 647–650). Nur wenige aber durften und dürfen etwas zur Verlags- und Journalismusentwicklung sagen, zumal in den Medien. Hier gibt es eine eigentümliche heimliche Koali­tion zwischen Journalisten und ihren Verlegern: Sie jammern über die – natürlich immer schlimmen – Verhältnisse, andere lassen sie aber nicht oder nur selten über sich sprechen. Die Presse verbot sich in eigener Sache die Debatte. Ihre eigenen Journalisten konnten und durften nicht mahnen, Kritik in den eigenen Medien, so in Form der Medienberichterstattung, wurde aus den Blättern verbannt und allenfalls noch im Wirtschaftsteil gepflegt, dort dann aber ganz im Sinne und Interesse der vermeintlichen Modernisierer und ihrer Strategien (vgl. Schader 2005: 309–312). In die Öffentlichkeit der Medien gelangten dadurch kaum kritische, mahnende Stimmen (vgl. für die USA Fengler 2002: 303f.; vgl. Malik 2004: 265–272, 335). Die organisationale Umbau- und multimedial inspirierte Modernisierungspraxis, aus traditionellen Bestandserhaltungsgründen ebenso wie aus marktaggressiven Zielsetzungen heraus betrieben, wurden nicht in den Medien und damit nicht öffentlich debattiert. Die öffentliche Debatte aber ist für jede Institution, die sich im sozialen Wandel befindet, notwendig. Die Debatte aber haben die Verleger und Verlage nicht nur nicht gewollt, sondern systematisch unterbunden. Sie haben damit gegen ihre vormaligen Leitideen selbst verstoßen. Die Krise der Presse kann damit zu einer Krise der liberalen Ordnung werden, denn die Presse hat das Staats-, Gesellschafts- und Marktverständnis der westlichen Länder wesentlich mitgeprägt.

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Otfried Jarren

Institutionenwandel durch Debatte und Diskurs Institutionen sind dynamisch, über ihre Werte, ihre Leitideen und damit über ihre Grundlagen wird – zumeist sogar öffentlich – diskutiert. Damit werden die mit den Institutionen verbundenen Organisationen debattiert, und zur Erhaltung der institutionellen Leitidee kommt es zumeist zu organisationalem Wandel. Die Ehe, politische Parteien und die Kirchen seien hier als Beispiele genannt: Alle drei sind soziale Institutionen in unserer Gesellschaft, allen drei Institutionen liegen Leitideen zugrunde, sie sind alle auf Dauer gestellt, auch wenn sie – wie die Parteien oder die Ehe – stets und erneut in den Medien für tot erklärt werden (vgl. Csigó 2006: 119; Schimank/ Lange 2001). Kirchen, Parteien und die Ehe sind dauernd in der Krise, aber wohl deshalb so quicklebendig und quietschvergnügt! Denn: Sie funktionieren durch Wandel. Alle drei Institutionen enthalten komplexe Regelsysteme, an die wir uns halten, sie regeln Erwartungen und sind trotz aller sozialen Dynamik höchst stabil (vgl. Donges 2006: 565 f.). Wir können also ein Höchstmaß an sozialer Mikrovariabilität und sozialer Makro­ stabilität bei allen drei Institutionen beobachten. Nur die Ehe hat dabei keine Organisationen ausgebildet, doch ihr Regelwerk hat sich unter den Bedingungen häufiger wie heftiger öffentlicher Debatte massiv gewandelt: Man darf heute nicht nur mehrfach verheiratet sein, sondern man darf auch das eigene Geschlecht für eine Partnerschaft wählen, und das nun sogar mit staatlicher Anerkennung. Was für ein Leben, was für eine Vielfalt. Parteien, nur zu gerne von den Journalisten und den Medien totgesagt, sind sozial äußerst stabil und wandlungsfähig: die Grenzen zwischen sozialen Bewegungen, Vereinen und Verbänden sind fließend, kleine Parteien werden größer und große können auch mal ganz verschwinden (vgl. Ladner 2007: 76, 81–83). So what – das institutionelle Prinzip der Parteien besteht und entwickelt sich fort, wir erleben tagtäglich die Gladiatorenkämpfe der Parteiführer – und die Bürgerinnen und Bürger freuen sich sogar an diesem Theater. Selbst partiell rückläufige Vertrauenswerte, die einzelne Parteien betreffen mögen, haben nicht diese soziale Institution in Frage stellen können. Es sind allerdings immer jene Kräfte und Kreise daran interessiert, 18

Die Presse in der Wohlfahrtsfalle

denen die Macht schwindet, die Konkurrenz als das Problem für „die Demokratie“ zu bezeichnen oder gar „Weimarer Verhältnisse“ auszurufen. Doch dabei handelt es sich, wie wir gerade lernen dürfen, um Machtrhetorik. Es darf nämlich nicht übersehen werden: Parteiensysteme sind äußerst komplex, und zwischen Parteien und in ihren Umwelten wird stets um die richtigen Wege gestritten und gerungen. Die normative Debatte, sogar der Regelverstoß – das macht Parteien und ihre Personen so spannend, und das stärkt institutionell Parteien als moderne Intermediäre. Es sind die politischen Gegner und es sind die Journalisten, die über die Dinge in den – anderen oder in den neuen – Parteien stets die Nase rümpfen und Probleme sehen. Der jeweils geführte Streit, über die Medien ausgetragen, hilft der Debatte über die Leitideen aber weiter. Und zum Schluss ein kurzer Blick auf die Kirche als soziale Institution: Auch hier sehen wir organisationale Vielfalt, erleben wir häu­fige und ausgeprägte normative Konflikte. Alle religiösen Institutionen wandeln sich, selbst die Katholische Kirche, und sie tun dies unter massiven normativen internen wie externen Konflikten. Vor allem aber geschieht dies organisations- wie partiell dann auch medienöffentlich. Und natürlich hat diese Debatte ihren Preis, so beispielsweise für eine Einzelorganisation der oder Positionsinhaber in der Katholischen Kirche. Wer aber wie die Verlagsbranche glaubt, ohne Debatte sich behaupten zu können, der ist auf dem Holzweg, weil dann nämlich die Gesellschaft nicht mehr weiß, was denn Verleger, Verlage und ihre Journalisten wollen.

Kommunikationsverweigerung der Pressebranche Die öffentliche Debatte ist für jede Institution notwendig, wenn sie sich wandeln will oder muss (vgl. Imhof 2006). Nur so, im Diskurs über die Leitwerte und Ziele, kann sie sich in demokratischen und pluralen Gesellschaften ihre gesellschaftliche Akzeptanz und Anerkennung sichern (vgl. Donges 2006: 572–574). Es ist paradox: Eine Branche, die vormals zur Herstellung von Öffentlichkeit angetreten 19 

Otfried Jarren

war, hat sich selbst – um des kurzfristigen ökonomischen Vorteils und vielleicht sogar nur um des eigenen Profits willen kollektiv – kollektiv! – um die öffentliche Debatte gebracht, weil gedrückt. In der Kommunikationsverweigerung liegt der eigentliche Kernwie Ausgangspunkt der Krise, zumindest von Pressewirtschaft und Pressejournalismus: Die Branche hat über Technik, Technologien, neue Geschäftsfelder und -modelle, über Konvergenz und was noch immer treulich unter sich diskutiert, aber nicht über den sozialen Sinn und Zweck, auch nicht über den sozialen Sinn und Zweck von neuen Produkten oder publizistischen Angeboten. Es ist zum einen die öffentliche Nichtkommunikation – ja, das gibt’s: in der Medienöffentlichkeit über das nicht Relevante sprechen oder über Relevantes schweigen zu lassen – es ist also zum einen diese öffentliche Nichtkommunikation, die die institutionelle Legitimationsbasis heute brüchig gemacht hat. Und zum anderen hat man vor lauter technischen Details den Blick für den sozialen Zweck verloren, den soziale Institutionen aufweisen müssen, wenn sie denn gesellschaftliche Anerkennung erhalten bzw. gewinnen wollen. Denn wer nicht sagt, warum er welche Technologien einsetzt, um damit gewisse Ziele zu erreichen, der kann eben auch nicht Zuwendungs- oder gar Zahlungsbereitschaft aktivieren. Und wer zudem niemals seine Finanzquellen offen legt, wer sich aus allen nur denkbaren Quellen finanzieren lässt, aber für die publizistischen Kernprodukte und „echte“ journalistische Leistungen uns keinen Wert und damit auch keinen Preis zu nennen vermag, dessen Probleme werden größer (polemisch formuliert bei Picard 2009). Das ist umso problematischer übrigens dann, wenn man für dieses Tun auch noch öffentliche Anerkennung verlangt oder gar auf die Wahrnehmung eines öffentlichen Auftrages, den man habe, hinweist. Es leidet die Glaubwürdigkeit.

Pressebranche verliert institutionelle Legitimität Es geht heute für die Presse um viel. Es geht um die gesellschaftliche Anerkennung publizistischer Leistungen wie Werte. Und der Wert publizistischer Produkte wie auch von journalistischen Leistungen ist 20

Die Presse in der Wohlfahrtsfalle

nicht einfach zu ermitteln oder zu definieren – das wissen wir seit Jahrzehnten aus der medienökonomischen Forschung (vgl. Heinrich 1999: 38–41; Jäckel 2003: 32–44). Ähnliches gilt übrigens für die „Bewertung“ der Leistungen von Kirchen und Parteien auch. Leistung und Preis werden bei publizistischen Produkten letztlich aus institutionellen Überlegungen heraus gesellschaftlich festgelegt. Und welche Preise für ein Exemplar einer Tageszeitung oder für ein Jahres­ abonnement als legitim erachtet werden, das hat mit dem institutionellen Vertrauen in die Verlage wie auch in einzelne Verlagshäuser zu tun. Die Branche handelt ja Vertrauensgüter (vgl. Siegert 2006: 136f., 145f.). Die Verlage aber haben zumeist Leistungen und Preise nicht kommuniziert, haben kein Interesse an der Qualitätsdefinition wie an der Preisbildung gezeigt, und das rächt sich nun, da man nicht mehr allein – und vor allem: nicht mehr politisch gestützt – auf den vielen Märkten agiert. Jetzt, in Zeiten schärferer Konkurrenz und schwächerer korporatistischer Strukturen auf der nationalstaatlichen Ebene, ist sogar branchenintern das bislang so sorgsam gemeinsam abgestimmte Verhalten nicht mehr sichergestellt – es herrscht, mehr und mehr, reine Marktkonkurrenz. Ist nun die Pressekrise eine Krise des Journalismus? Es ist wohl (noch) keine Krise des Journalismus, weil der Journalismus als soziale Institution gesamtgesellschaftlich nach wie vor – aber immer weniger stark (vgl. Donsbach 2009) – etabliert ist. Er stellt Leistungen bereit, die die Gesellschaft benötigt, so aufgrund seiner gesellschaftsweit akzeptierten Selektions- und Thematisierungsregeln. Journalismus ist regelgeleitetes soziales Handeln, und die erbrachten Leistungen werden nachgefragt und sie sind anerkannt (vgl. Altmeppen 2006: 115). Doch wir sind es nicht gewohnt, direkt für diese Leistung zu zahlen. Das aber kann sich ändern. Allerdings, und das ist das zentrale Problem für den Journalismus in den traditionellen Presseverlagen, allerdings gibt es noch keinen Journalismus jenseits von Medienorganisationen. Journalismus ist kein gesellschaftliches Teilsystem, Journalismus kann sich nicht selbst finanzieren und reproduzieren, sondern Journalismus ist elementar auf den organisationalen Rahmen, in dem er erst seine Rollen auf Basis einer Leitidee seiner Organisation entwickelt und ausprägt, angewiesen (vgl. dazu ausführlich Jarren 2008). Nur Organisationen sind auf eine relative Dauer gestellt, nur 21 

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Organisationen können systematisch längerfristige Ziele entwickeln und verfolgen, nur Organisationen können kontinuierlich auf sich und ihre Leistungen aufmerksam machen, und nur Organisationen können über längere Zeit bestimmte Leistungen zu vorab definierten Qualitäten erbringen. Und Organisationen sind – für uns alle – die verlässlicheren Vertragspartner. Journalismus bedarf, um erkannt, anerkannt und „verkäuflich“ zu sein, der Organisation. Somit hat die Krise der Pressebranche mit ihren Organisationen natürlich auch den Journalismus erreicht.

Pressemedien als intermediäre Organisation Journalismus ist also auf Organisationen angewiesen, aber eben nicht auf eine x-beliebige Organisationsform: Journalismus kann nicht in irgendeiner Organisation betrieben werden oder gedeihen, denn ansonsten würden ja Stadtverwaltungen, Volksbanken und Autokonzerne sich Journalismus und Medien längst geleistet haben. Das tun sie aber nicht, sie betreiben stattdessen PR und geben Kunden- oder Bürgerzeitschriften heraus, deren journalistischen Wert wir alle rasch erkennen. Nachgefragter Journalismus aber gedeiht nur in Organisationen, die nicht oder nicht dominant spezifische Eigeninteressen verfolgen – seien diese nun politisch oder religiös oder ökonomisch ausgerichtet (vgl. Altmeppen 2006: 119; Blöbaum 2004). Die bekannten wie anerkannten Zwecke einer Organisation sind es, die die relevanten Unterschiede ausmachen: Medienorganisationen haben sich im Idealfall die Vermittlung gesellschaftlicher Interessen als Aufgabe gegeben, und sie agieren deshalb – wie Parteien, Verbände oder Kirchen – als Intermediäre (vgl. Neidhardt 2007). Sie können, müssen aber nicht, auch eigene normative Zielsetzungen verfolgen. Aber: Sie nehmen vor allem einen Vermittlungsauftrag wahr. Und dafür beanspruchen sie Rechte (Presse- und Medienfreiheit) und Privilegien und sie erhalten zudem für ihre spezifische Vermittlungsleistung die öffentliche Anerkennung. Journalismus und eine bestimmte Organisationsform, die intersystemische Organisation, gehören zusammen, wenn publizistische 22

Die Presse in der Wohlfahrtsfalle

Leistungen entstehen sollen. Von einer publizistischen Leistung können wir dann sprechen, wenn das Ergebnis von einer Mehrheit in der Gesellschaft als gesellschaftliches Vermittlungsangebot aufgefasst und anerkannt wird (vgl. u. a. Kohring 1999: 263; Marcinkowski 1993: 107, 118; Scholl/Weischenberg 1998: 77f.). Die Rezipienten bzw. Bürgerinnen und Bürger kennen die Unterschiede zwischen den Medien gut, und sie sind mit der sozialen Ordnung der Medien im Überblick recht gut vertraut, ohne in jedem Einzelfall oder bezogen auf jedes Medium oder gar Medienangebot eine Zuordnungsantwort sofort zu wissen. Aber sie wissen, wie ein „Käseblatt“ aussieht, sie erkennen jene Zeitschriften, die uns beim Backen helfen und uns zugleich die „richtigen“ Produkte dazu verraten wollen, und sie zappen durch die Kanäle und wissen durchaus um die Unterschiede der Formate. Und wenn sie mal nicht so sicher sind, so suchen sie oder fragen sie nach dem Absender, nach dem Medienhaus, nach dem Verlag, nach den anderen Produkten. Publizistik, und so ist sie historisch entstanden, wird von intermediären Organisationen ermöglicht, in denen Journalisten auf Basis eines publizistischen Programms eben einer gesellschaftlich bekannten und anerkannten Organisation wirken. Publizistische Organisationen, zumal Verlage, haben lange Zeit explizit bestimmte normative Vermittlungszielsetzungen verfolgt, also sich auf bestimmte politische, ökonomische oder kulturelle Leitwerte verpflichtet und dementsprechend auch ihr Personal ausgewählt bzw. auswählen dürfen (vgl. u. a. Künzler/Schade 2007: 101f.; Pürer/Raabe 2007: 67–69, 103–132). Intermediäre Organisationen verfolgen gesellschaftliche Ziele auf Basis eines normativen Programms. Sie wollen auch, zumal heute, Geld verdienen, aber sie verdienen dieses Geld für ihre – in ihren Augen: „gute“ – Sache.

Anforderungen an intermediäre Organisationen Intermediäre Organisationen haben sich vor allem im Zuge der Industrialisierung der modernen Gesellschaften ausgebildet, gleichsam im Schatten zwischen Staat und Gesellschaft, und sie wurde immer 23 

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zahlreicher und vielfältiger. Sie übernahmen subsidiäre Funktionen und Leistungen für den Staat und heute, so in Form der NGOs, mehr und mehr auch für die Gesellschaft, und sie erhalten dafür Geld oder rechtliche Privilegien (vgl. Jarren/Steiner/Lachenmeier 2007: 12). Die Presse hat sich in eine solche intermediäre Funktion gebracht, der öffentlich-rechtliche Rundfunk wurde eben genau in dieser „Zwitterposition“ institutionalisiert, und unsere traditionellen Massenmedien sind zwar staatsfrei und unabhängig, aber sie agieren im Schatten des Staates und sie wollen in der Gesellschaft vermittelnd wirken (vgl. Garnham 1992: 361). Und da geht, besser: da ging es ihnen auch ganz gut, denn das Füllhorn öffnete sich für sie stets. Vor allem die privatwirtschaftlichen Verlage haben aufgrund der Behauptung der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben äußerst privilegierte Positionen erlangen können. Und nun ist diese komfortable Position, so meine These, nun ist diese Position im wie jenseits – im wie jenseits – des Marktes, diese Position ist ihnen zum Verhängnis geworden. Die mit dieser Position verbundenen Privilegien haben den Ideen- wie Marktwettbewerb schlussendlich ausgeschaltet oder zumindest gemildert. Printmedienhäuser ohne Ideen, ohne publizistische Innovationen und ohne intermediären Esprit sind entstanden. Ein Regionalblatt gleicht dem anderen, ein multimediales Zeitungshaus sieht aus wie das andere, und fast – fast! – überall blüht ein bestenfalls nachrichtlicher, ideen- und zukunftsloser, unkritischer – ja, das musste alles mal wieder gesagt werden – langweiliger Journalismus. Immerhin aber hat sich der Akademikeranteil unter den Journalisten stets erhöht. Wer in den 70er Jahre im Zuge der Professionalisierungsdebatte des Journalismus geglaubt hatte, dass mit dem „Diplom-Journalisten“ alles zum Besseren gerichtet werden kann, der muss heute enttäuscht sein. Medien agieren nicht nur als Intermediäre, sondern sie sind – wie die Sparkasse – zudem als intersystemische Organisationen konstituiert. Und das meint Folgendes: ▪▪ Medienorganisationen nehmen eine öffentliche Aufgabe wahr (Habermas 2006: 412; Padovani/Tracey 2003: 131). Alle, die dies tun, wie Rentenversicherungen oder Sparkassen, werden in einer bestimmten Weise öffentlich kontrolliert oder zumindest mitkontrolliert. 24

Die Presse in der Wohlfahrtsfalle

▪▪ Medienorganisationen versprechen eine bestimmte publizistische Leistung in einer bestimmten Qualität, aber so genau geben Redaktionen und Verlage das nicht an, und wir als Rezipienten können erst nach der Lektüre vielleicht feststellen, ob eine Mitteilung für uns relevant und wichtig war. Wir investieren in den Medienkonsum Geld und Zeit – und investieren Vertrauen in eine uns dann als relevant erscheinende Leistung. Qualität und Preis im Medienbereich sind nicht so einfach zu bestimmen. Das ist wie bei der Rentenkasse – wir hoffen, dass im Fall des Falles noch genug für uns bleibt. ▪▪ Medienorganisationen agieren als öffentliche Plattformen, so indem sie öffentliche Veranstaltungen organisieren oder sich für bestimmte kulturelle oder politische Aktivitäten einsetzen (vgl. Jarren/Donges 2002: 118). Sie sind unter uns, agieren mit oder gegen uns, sie vermitteln und agieren gleichermaßen. Wenn Medienorganisationen sich heute nun weniger als Intermediäre begreifen und wenn sie zunehmend ihre intersystemische Organisation, die eben Offenheit zur Gesellschaft und Formen der gesellschaftlichen Mitkontrolle meint, einschränken, dann verlieren sie ihre herkömmliche institutionelle Legitimität. Das geschieht nicht sofort, das betrifft nicht alle Medienunternehmen zugleich und im gleichen Maße, wirkt sich aber mittelfristig auf alle Medienorganisationen – zumindest auf alle Medienunternehmen in bestimmten organisationalen Feldern – aus. Deshalb ist es richtig, von einer Krise der gesamten Branche zu sprechen.

Schlussbemerkung: Die Pressekrise als Herausforderung Die Printmedienverlage sind, so meine Erklärung für die Krise, in eine selbstgebaute Wohlfahrtsfalle getappt: Wohlfahrtsfalle deshalb, weil es der Mehrzahl der Branchenakteure immer noch wirtschaftlich sehr gut geht. Das betrifft das Kapital und die Unternehmen, weniger den Journalismus und konkret die Journalistinnen und Journalisten. 25 

Otfried Jarren

Weshalb aber sind sie in die Wohlfahrtsfalle getappt? Weil sie sich institutionell durch politischen Schutz, durch vom Staat gewährte rechtliche und ökonomische Privilegien, und durch die damit errungene Marktmacht über lange Zeit dem sozialen Wandel entziehen konnten. Als gesellschaftlich privilegierte Branche konnte sie, ohne größere öffentliche Diskussionen fürchten zu müssen und ohne diese zu führen, ihre Domänen stets ausbauen. Dieser Ausbau erfolgte vorrangig nach ökonomischen Kriterien, weniger aufgrund des gesellschaftlichen Wandels und darauf gründender publizistischer Innovationsstrategien. Die Presse war, in ihrer eigenen Lesart, seit langem schon in einer ständigen Abwehrhaltung. Abwehrstrategien verfolgten über Jahrzehnte die Verlage, sei es bei Anzeigenblättern, Stadtmagazinen, den lokalen Radio- bzw. Fernsehstationen, bei den sog. Gratisblättern. Diese reaktiv-aktive Strategie, zunächst geprägt durch physisches Marktdenken und somit durchaus zu beherrschen, und sodann beeinflusst durch Technologien in virtuellen Räumen, die nun aber nicht mehr so einfach beherrschbar sind, hat die publizistischen Zielsetzungen vergessen lassen. Und der ökonomische und organisationale Umbau, von Beratungsindustrie und Finanzanlagemanagern empfohlen, hat die Besonderheit wie die Sichtbarkeit der intersystemischen Organisation verschwinden lassen. Nun hat die Branche zwar immer noch Geld, doch kann sie die Konkurrenten aus der eigenen Branche wie die vielen neuen Konkurrenten mit ihren Produkten einfach nicht mehr alle aufkaufen. Und aufgrund des partiellen Einflussverlustes der nationalstaatlich geprägten Medien- und Kulturpolitik, die die Branche auch so haben wollte, ist der ökonomische Wettbewerb zumindest europäischer geworden (vgl. Dörr 2009; Puppis 2007). Der Wettbewerb ist deshalb schwieriger geworden, weshalb nun – unter Anrufung des Nationalstaates um Hilfe – vor „Finanzhaien“, „Hedge Funds“ und „Investoren“ gewarnt wird – doch zu spät, und zudem ist der Hilferuf nicht – mehr  – überzeugend und glaubwürdig. Die Krise der Pressebranche ist ja nicht ein Geldproblem, es ist eine, durchaus als tiefergehend einzuschätzende, institutionelle Krise. Davon ist auch die Presse betroffen. Wir wissen von anderen Institutionen, dass Krisen keineswegs das Ende bedeuten müssen. Es geht deshalb um zwei Projekte: Es geht zum einen um das Projekt der 26

Die Presse in der Wohlfahrtsfalle

Revitalisierung der licence to operate und zum anderen um ein Projekt der Neugründung publizistischer Organisationen (vgl. Nichols/ McChesney 2009). In beiden Projekten werden publizistisch-journalistische Leitideen maßgeblich sein für die Erneuerung oder Wiedererlangung institutioneller Anerkennung.

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Ich bedanke mich bei Dr. Matthias Künzler und lic. phil. Pascal Zwicky, IPMZ – Institut für Publizistikwissenschaft und Medien­ forschung, Universität Zürich, für Hinweise und Kritik.

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Siegfried Weischenberg

Das Jahrhundert des Journalismus ist vorbei Rekonstruktionen und Prognosen zur Formation gesellschaftlicher Selbstbeob­achtung

1. Krise der Printmedien – Krise des Journalismus Für die Konjunktur des Wortes ‚Krise‘ gibt es gute Gründe; die Krise der Printmedien ist mit Händen zu greifen. „Was wir über unsere Ge­sellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Mas­sen­medien“ – kennen wir alle (Luh­mann 1996: 9). Aus den Massen­medien und speziell den Printmedien wissen wir, wie schlecht es den Printmedien geht. Seit Mo­naten häufen sich die Katastrophen­meldungen – vor allem aus den USA. Dort geht es Tages­zeitungen ökonomisch an den Kragen. Erst die von branchenfremden Gei­ern ruinierte „L. A. Times“, dann verschie­dene Provinzblätter, zuletzt fast das To­tenglöcklein für die „New York Times“, deren lang­samer Tod inzwischen zu den „news that’s fit to print“ gehört. Und auch ihre einst höchst profitable Tochter „‚Boston Globe’ wackelt“ (FAZ v. 6.4.2009: 33). Was in der WAZ-Gruppe los ist, wissen alle. Sogar die „Süd­deutsche Zeitung“, erfolgreiches Qualitätsblatt mit stei­gender Auflage, entlässt gerade wieder Personal. 32

Das Jahrhundert des Journalismus ist vorbei

Das sind spektakuläre Einzelbeispiele, doch in Wirklichkeit wackelt der ganze Zeitungsglobus (nicht nur der „Boston Globe“); sein altes Geschäftsmodell funk­tioniert nicht mehr. Nur die zwei von der Berliner Rudi-Dutschke-Straße (bzw. der Axel-Springer-Straße) – die „taz“ und Springer-Chef Döpfner – haben ihren Sinn fürs Positive nicht verloren: „Die Medienkrise ist auch eine Chance“, texten sie in unge­wohnter Eintracht (Döpfner sagt sogar: „rie­sige Chance“). International flankiert werden sie vom Verleger der „Inter­national Herald Tribune“, Stephen Dunbar-Johnson: „Wir glauben an die Zukunft, auch die von Print“, verkündet er. Doch das ist eine Einzelstimme. Eine Krise des Journalismus könnte man direkt aus den ökonomischen Zuständen ableiten. Und in der Tat ist es ja so, dass seine finanzielle Basis immer fragiler wird. Immer weniger Journa­lis­ten, so haben unsere Untersuchungen gezeigt, kön­nen vom Journalismus leben (vgl. Weischenberg/Malik/Scholl 2006). Die berufliche Belas­ tung nimmt zu, weil die Infra­struktur unzureichend ist. Und bei den Freien gibt es „signifikante Auftrags­einbrü­che“. Doch für eine Krise des Journalismus gibt es nicht nur ökonomische, sondern auch professionelle Indikatoren. Indikatoren für Zerfalls­ er­schei­nun­­gen sind hier z. B. die APP (Autopoietische Pro­minenzProduk­tion), auch bei den ‚Qualitätsmedien’. Das „SZ-Magazin“ (Nr.  4 v. 3.4.2009: 6) schreibt in diesem Zusam­men­hang  –  leider nicht selbstkritisch – vom „Prinzip Verona Pooth“, das aber in diesen Zei­ten ausgedient habe: „Auch für den faulsten Kredit der Fernsehunterhaltung, das Falschgeld der Prominentenwelt, ist nun der Augenblick der Wahrheit gekommen. Die Frau machte fast 15 Jahre lang aus Scheiße Geld, doch in einer Zeit, die um ver­lässliche Werte ringt, findet solche Alchemie keinen Zuspruch mehr.“

Ich zähle zu den Krisensymptomen aber auch die wundersame Vermehrung von ‚Journa­listen­preisen’ – ein Vorgang, für den es das wunderbare englische Wort ‚Mushrooming’ gibt. Ne­ben den bekannten Verdächtigen gibt es neuerdings den „Liberty Award“. Den dies­­­ jährigen Gewinnern Thomas Roth und Stephan Stuchlik wurde in einer 33 

Siegfried Weischenberg

ganz­sei­tigen Anzeige im „Spiegel“ gratuliert – vom Stifter Reemtsma („Reemtsma. Wer­­te fördern – Haltung zeigen“). Das Rauchverbot gilt hier nicht – denn es handelt sich ja um den „Liberty Award“. In Deutschland sind bald alle Journalisten aus­ge­zeichnet – worden; diverse sogar mehrmals. Kaiser Romu­lus Augustulus („der Große“) soll kurz vor dem Untergang des Römischen Rei­ches noch jede Menge Ehrungen ver­teilt haben – jedenfalls, wenn man Friedrich Dürrenmatt Glauben schenkt. Belege für die These, dass es eine Krise der Printmedien und des Journalismus gibt, scheinen insgesamt überwältigend zu sein. Die „Süddeutsche Zeitung“ hat dem Thema in den letzten Monaten eine 21-tei­li­ge Interview-Serie mit Experten vor allem aus den USA gewidmet, die gerade auch als Buch erschienen ist (vgl. Wei­chert/ Kramp/Jakobs 2009). Die Überschriften kann man gleichermaßen als Katastro­phen­­­szenarien wie als Überlebensstrategien lesen; zum Beispiel: „Presse ist Vergangenheit“, „Zeitungen in der Todes­spirale“, „Nicht mehr täglich“, „Bei Null beginnen“, „Zeitungen retten sich nicht selbst“, „Qualität als Statussymbol“, „Journalisten sol­len wieder an ihren Beruf glauben“ oder „Einzigartige Inhalte bleiben wertvoll“. Ich selbst mag der Krisen-These nicht so ohne Weiteres folgen. Der Titel „Das Jahrhundert des Journalismus ist vor­bei“ soll also nicht die Diagnose einer Apokalypse sein. Ob der Jour­nalismus – in the long run – eine Zukunft hat und wie sie aussieht: Ich weiß es nicht und miss­traue allen, die so tun, als wüssten sie es. Als Empiriker weiß man Sachen erst, wenn sie passiert sind. Etwas sichereren Boden hat man unter den Füßen, wenn man eine Rekonstruktion von Ent­wick­lungen – hier: in Bezug auf journalistische Medien und ihre Akteure – be­treibt. Natürlich kann man das dann in die Zukunft extrapolieren und als Progno­se verkaufen. Diesem riskan­ten Unter­fan­gen will ich am Ende nicht völlig aus dem Weg gehen und zumindest skiz­zie­ren, wie man sich hier schlau machen könnte. Zuvor und vor allem soll es aber darum gehen, wie und warum sich der moderne Journalismus entwickelt hat. Meine zen­trale These ist dabei, dass die aktuelle Krisendebatte insofern neben der Spur liegt, als die große Zeit des Jour­na­lismus (und der ihn lange Zeit tragenden Print­me­dien) schon vor mehr als 20 Jahren zu En­de gegangen ist. Man hat es nur nicht so richtig gemerkt. 34

Das Jahrhundert des Journalismus ist vorbei

2. Die Entwicklung des modernen Journalismus Schon seit Jahren befindet sich der Journalismus – umzin­gelt von ökonomischen und profes­sionellen Proble­men – in ei­ner Phase des Übergangs. Sein großes Jahrhundert scheint vorbei zu sein. Es begann in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts; seither gibt es ‚moder­nen Journa­lis­mus’ – mit professionellen Akteuren und Berufsverbänden, die sich um ihre sozialen Be­lan­­ge, um ihre Ausbildung und um ihre Ethik kümmern. Das ‚Jahrhundert des Journalismus’ endete, als in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts glo­ba­le Informations-Netzwerke entstanden, die den Nachrichtenmedien ihr Vermittlungs­mono­pol raub­ten. Seither ist fast nichts mehr, wie es war; seit es das Internet als ‚Massen­ medium’ gibt, ist fast alles anders. Vor allem: Das Geschäftsmodell des Journalismus, der seine hohen Kos­ten durch Werbung refinanzieren kann, steht aufgrund der globalen Billig­konkurrenz im In­for­­ mationssektor zur Disposition. Dies bedeutet nicht zwangsläufig das Ende des Journa­lis­mus, das gleichwohl schon seit Jahren vielstimmig beschworen wird (vgl. z. B. Katz 1991; Blum/Künzi 1998); für apokalyptische Szenarien gibt es trotz aller Proble­me keinen Anlass. Doch der Weg des Journalismus scheint – zumal angesichts ständig wech­ selnder Rahmenbe­din­gungen – un­be­stimmt. Die soziale Lage seiner Akteure ist prekär. Und deshalb befinden sich auch die JournalistenVerbände in einer Situation der Unsicherheit. Diese Unsicherheit hat professionelle und ökonomische Ursachen. Der moderne Journalismus ent­­­­stand auf der Basis von allgemeinen sozio-ökonomischen Pro­zessen, die unter den Stich­wor­­­ten Industrialisierung, Urbanisierung, Liberalisierung, Techni­sierung und Alphabeti­ sie­rung zusammengefasst werden können (vgl. Wei­schenberg 2004a: 124f.). Diese Prozesse pro­­vozierten (auch) Kommunikationsverhältnisse, die mit der Genese von ‚Massenmedien’ (vgl. Wei­schen­berg 1998) verknüpft sind; organisatorisch begünstigten sie einen bestimmten Typ der Organisation von Aussagenproduktion, der als ‚Redaktion’ be­zeichnet wird (vgl. Groth 1928: 381ff.). Technologisch ba­sier­ten diese Massenmedien auf Erfindungen, deren wich­­tig­ste  –  im Sinne der Schließung eines Systems zur rationellen und schnel­len Mas­sen­ pro­duk­tion und -distri­bu­tion von Print­er­zeug­nissen – die Zeilensetz­ 35 

Siegfried Weischenberg

ma­schi­ne von Ott­mar Mer­gen­thaler (vgl. Goble 1984) war. In der Praxis wurde sie seit 1886 ein­ge­setzt, so dass man die­ses Jahr als Ge­burts­jahr des modernen Journalismus bezeichnen könnte. Mergenthalers ‚Linotype’ voraus­ge­gan­gen war ins­besondere die von Friedrich Koenig schon 1812 ent­wi­ckelte Zylin­derdruck­maschine, welche den Abschied von den jahrhunderte­alten Druck- und Setz­ ver­fah­ren in der Tra­dition Guten­bergs einleitete. Immense Bedeutung für die Reproduktion von Bildern und damit die Entstehung des Fotojour­na­lis­mus besaß dann auch die Erfindung der Zink­ätzung. Neue ‚journalistische’ Medien erleb­ten um die Jahr­hundert­­wen­de ihre erste Blütezeit. Als gravierend für die Entstehung des modernen Journalismus hatten sich schon einige Zeit frü­her auch die immensen Fortschritte bei der Sammlung und Verbreitung von ‚Nach­richten’ durch Agen­ turen erwiesen, die von neuen elektrischen Übertragungstechniken profitierten. Zum Pionier wurde hier insbesondere Paul Julius Reuter, der mit dem Geschäfts­modell der nach ihm be­nann­ten Nachrichtenagentur seit den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts reüssierte; inso­ fern kann man für die Frühgeschichte des moder­nen Journalismus seinen Namen neben den Mer­gen­thalers setzen. (Vgl. Weischenberg 1985a) Auf der Basis all dieser und an­derer Akti­vitäten bildeten sich dann die For­mati­onen heraus, welche die gesellschaftliche Selbst­ be­ob­ach­tung durch Journalismus zu ei­nem finanziell tragfähigen und professionell recht stabilen Bestandteil moderner Gesell­schaf­ten (jedenfalls: westlichen Typs) werden ließen und die Be­rufsrolle des Journalisten und die Bin­nenstruktur der Aussagenentstehung in ihrer im Prinzip bis heute gültigen Form schufen (vgl. z. B. Habermas 1990 [zuerst 1962]: 275ff.). Der Name ‚Reuter’ wurde dann auch zum Symbol für Entwicklungen, die zur Krise der ver­trauten Form gesellschaftlicher Selbstbeobachtung geführt haben und gleich­falls auf neuen Techniken basierten. Bereits 1985 – also genau 100 Jahre nach Mer­gen­­tha­ler – wur­de in die­sem Zusammenhang auf den drohenden Monopolverlust für den Jour­na­lis­mus als Gate­keeper an den Schleusen der Informations- und Kommunikationspro­zesse auf­merk­sam ge­macht (vgl. Weischenberg 1985b). Zu diesem Zeitpunkt war aus der eins­ tigen Nach­­­­rich­ten­agen­tur Reu­ters schon ein mehrgleisig agierender 36

Das Jahrhundert des Journalismus ist vorbei

globaler Informations-Trans­por­­teur ge­wor­den, der die klas­sischen Medien umgehen konnte und vom Nachrichten-Groß­händ­­ler auch zum Einzel­händ­ler wurde. Damit, so ließ sich schon absehen, bahnte sich das Ende des ‚Zeit­alters des Jour­nalismus’ an. (Vgl. Scholl/ Weischenberg 1998: 263ff.) Mitte der 80er Jahre des 20. Jahr­hunderts war vom ‚Internet’ als einer globalen tech­no­lo­gi­schen Infrastruktur zwar noch nicht die Rede, weil die gigantischen Potentiale der Daten­kom­pri­mierung, -archivierung und -distribuierung, die im Prinzip jeden zum medialen Kom­mu­ni­kator machen können und den herkömmlichen Nachrichtenmedien ihre ökonomische Basis ent­ziehen, noch nicht absehbar waren. Dies änderte sich dann aber innerhalb we­niger Jahre. In­zwischen, mehr als zwei Jahrzehnte später, haben wir völlig veränderte Kommuni­ka­tions­verhältnisse und dadurch gewandelte Voraussetzungen für die gesellschaftliche Selbst­be­ob­ach­tung. Das, was sich bis Ende des 19. Jahrhunderts formiert hatte und als ‚Journalismus’ zur zentra­len In­stanz für die Beobachtung der Gesellschaft geworden war, beruhte auf einem Set von technologischen, aber auch und vor allem organisatorischen und pro­­fessi­onellen Struktu­ren, die aufeinander abgestimmt waren: ▪▪ kommerzielle Informationszulieferer (Nachrichtenagenturen) ▪▪ skalare und funktionale Zuordnung der Akteure (Redaktionen/Ressorts) ▪▪ Satz- und Druckverfahren (Massenproduktion) ▪▪ Distributionsroutinen (Vertrieb) ▪▪ jeweils marktförmige Produktion journalistischer Aussagen (diverse Medientypen) ▪▪ professionelle Akteure (hauptberufliche Journalisten) ▪▪ Interessenvertretungen für Beschäftigte und Eigentümer (Verbände)

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Siegfried Weischenberg

3. Die Entstehung der journalistischen Berufsrolle Erste Ansätze für die Berufsrolle ‚Redakteur’ hatte es bereits im 17. Jahr­hundert gegeben. Ab Ende des 18. Jahrhunderts richteten die größeren Zei­tun­gen dann Redaktionen ein und be­schäf­­tig­­ten Re­dak­ teu­re und Korrespon­denten. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts gab es die ur­sprüngliche Identität von Verleger- und Redakteurrollen durch­ weg schon nicht mehr; der Ver­leger wurde zum Unternehmer, der Jour­nalist zum abhängig Beschäftigten. (Vgl. Koszyk 1966: 218ff.) Die veränderten Rahmenbedingungen bedeuteten einen grund­ le­gen­den Wandel der jour­na­listi­schen Berufsrolle innerhalb weniger Jah­re. Denn nach 1830 hatte sich zunächst der Typ des ‚philoso­ phisch-politischen Journalisten’ in den Vordergrund gedrängt (vgl. Nipperdey 1993a: 593f.). Der Berufstyp des ‚Nur-Journalisten’ entstand erst im Nachmärz, also ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Mit dem Wandel von der Gesinnungs- zur Geschäfts- oder Mas­ sen­­­­­­­­­presse wur­de inner­halb von rund 50 Jahren die Zeit des ‚Räson­ ne­­­­­ments’ voll­ständig abgelöst durch ein Medien­sys­tem, das primär nach Rentabilitäts­aspekten funktioniert. Die aus dem kapitalträch­ tigen Bo­den der Industri­alisierung schießen­den Publikationen dienten zu­nächst vorwiegend dem Massen­pub­li­kum und damit dem Interesse an Un­terhaltungsinhalten und knappen Informa­tio­nen. Der damalige „Strukturwandel der Öffentlichkeit” (Habermas 1990 [zu­erst 1962]) führte auch zu einem grundlegenden Struktur­ wandel des Journalismus; dieser hatte die berufli­che und auch ideo­ lo­gische Abhängigkeit der Journalisten von den Verlegern zur Folge. Auf­stiegs­mög­lichkeiten versprach der Beruf nun einem großen Per­ sonen­kreis, der zuvor von die­ser gehobe­nen Tätigkeit ausge­schlos­ sen gewesen war. Ob sich der Journalismus damit bis zum Ende des Jahr­hunderts tatsächlich vom Akademikerberuf zum Treffpunkt für al­le mögli­chen Laufbah­nen ent­wickelte, ist umstritten; fest steht aber, dass es nun viele Stu­dien­abbre­cher und Be­rufs­wechsler in die Redak­tio­nen zog und dass die Zusammensetzung der Berufs­gruppe zuneh­mend heterogener wurde. Der Journalismus wurde zum ty­pischen „Aufstiegs- oder […] Auf­fang­beruf: für die einen eine Art des zwei­ten Bildungsweges, für die anderen eine Modifika­tion ihrer ur­sprünglichen Richtung” (Engelsing 1966: 43). 38

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Die wachsende Bedeutung von Presse und Journalismus wurde schon früh von einer hef­tigen Presse- und Journalismuskritik begleitet. Jour­na­listen galten als Leute, die säen, ohne zu ern­ten, als ‚Proletarier der Gei­stesarbeit’; den Konservativen erschienen sie als potentielle Um­stürz­ler, den Linken wie Ferdinand Lassalle als opportunistische Hand­lan­ger der gewinn­süch­ti­gen Pressekapitalisten (vgl. Nipperdey 1993a: 594). Doch die zunehmende Kommerzialisierung der Publizistik war nur die Vor­aus­set­zung für die Verberuflichung des Journalismus und das Ent­ste­hen der pro­fessionellen Kommuni­kator­rolle. In den USA wurde gleich­zeitig die ‚Objek­ti­ve Bericht­erstattung’ als Muster für den Jour­na­lismus in den Gesellschaf­ten west­lichen Typs etabliert. Damit ent­wickelte sich der Journalist „vom unab­hängigen Beobachter und Kri­ti­ker zu einem relativ passiven Glied in der Kommu­nikationskette” (Carey 1969: 33; übers. v. Verf.). Der Historiker Thomas Nipperdey hat Folgen dieser be­rufs­struk­ turellen Prozesse in seinem zwei­bändigen Werk „Deut­sche Geschichte 1866–1918” mit folgenden Sätzen auf den Punkt ge­­bracht und dabei auf die deutschen Besonderheiten auf­merk­sam ge­macht: „Die Art des Jour­nalismus und die Selbstdeutung der Journali­sten än­dern sich im Zeit­alter des Massen­publi­kums von Zei­tungs­lesern. Der Ty­pus des philosophierenden, Poli­tik normativ interpre­tie­ renden, partei­neh­menden Intellektuellen, der das ‚Allgemeine’ for­ muliert und die Not­wen­digkeit der Veränderung, tritt zurück; der Nachrichtenredak­teur, der Lo­kalreporter, der Be­richt­erstatter rücken gegenüber dem Leitartikler nach vorn, ideenpolitische Meinung verliert, gu­tes Handwerk gewinnt an Gewicht – wenn auch die strikte Trennung von Nachricht und Mei­nung und der ame­­rikanische Stil der Fak­tenreportage sich in Deutschland kaum durch­set­zen. Auch bei den Kommentato­ren treten dem Geist der Zeit ge­mäß die ‚Realisten’ vor die Phi­­losophen. Mit den politisch weniger profilierten Generalanzei­ gern wächst die Zahl der neu­traleren Journalisten. Ins­gesamt geht die ältere eingefleischte Opposition der Jour­na­listen ge­gen die herr­ schen­den Zustände zurück. […] Die Journalisten wollen eher sa­­gen, was das Publikum denkt.” (Nipperdey 1993b: 806)

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4. Der Prozess der Professionalisierung Professionalisierung als Erfassung der Verberuflichung von Berufen un­ter­scheidet auf einer glei­tenden Skala Tätigkeiten unverbindlicherer und an­spruchsloserer Art von den soge­nann­ten ‚Professionen’. Als sol­che voll­pro­fessionalisierten Berufe haben sich seit dem Ende des Mit­telalters im Zuge der Arbeitsteilung und Säkularisierung – als Trend „from cleric to ex­pert” (Mok 1969: 771) – vor allem die Juristen zu­sam­men mit den Geistlichen, den Wissen­schaft­lern und den Medizi­nern eta­bliert; sie bildeten ursprünglich die lokale Ober­schicht. Kennzeichen für diese traditionellen Professionen war, dass sie sich sozusagen nicht auf den Markt begaben, das heißt, z. B. nicht über Preise für ihre Tätigkeit verhandelten, sondern in sou­veräner Wei­se von ihrer Kompetenz Ge­brauch machten. Diese Kompetenz war, jedenfalls im lokalen Umfeld, nicht bedroht durch scharfe Konkur­renz; die Berufsverbände dieser Pro­fes­sionen garantierten die Inte­gri­tät ihrer Mitglieder. Seit der Aufklärung im 18. Jahrhundert haben sich die Struktur dieser Pro­fes­sionen und der An­spruch der Gesellschaft gewandelt. Die Kon­kur­renz wurde verstärkt, die Laienkontrolle nahm aufgrund des ge­stei­ger­ten Wissens der Klienten zu. Nunmehr wurde die berufliche Kom­pe­tenz gegenüber der Inte­grität favorisiert. Der Beruf spielte sich im größeren organisa­torischen Rah­men ab, so dass bessere Transpa­renz hin­sichtlich der Leistungen anderer Professions­mit­ glieder herrsch­te. Etwa 30 bis 40 Berufe sind nach Schätzung des amerikanischen Be­rufssoziologen Harold Wilensky (1972: 199) ins „ge­lobte Land der Pro­fessionen” gelangt und haben sich dort ein­gerichtet. Dann gibt es eine zweite Gruppe: Berufe, die mitten im Prozess der Profes­siona­li­sie­rung stehen – etwa Sozialarbeiter, Stadtplaner und verschiedene Ver­wal­tungsberufe. Und schließ­lich sind da noch Berufe, die Anspruch auf professionellen Status erheben, ohne dass ir­gendjemand diesen An­spruch honoriert: Berufe, in denen die kommerzielle Markt­orientie­rung deutlich überwiegt. Explizit nennt Wilensky für diese Berufe die Bei­spiele Public-Rela­tions-Mana­ger, Werbeleute und – originellerweise – Be­erdigungsunternehmer (vgl. ebd.: 198f.). Diese allenfalls semipro­fes­sio­nellen Berufe haben nur 40

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wenige Schritte hin zur Professio­na­lisie­rung tun können – oder aber sie haben in der Entwicklung einige Etap­pen übersprun­gen. Für den Prozess der Professionalisierung hat Wilensky auf empiri­scher Grundlage die folgen­den fünf Ent­wicklungsstufen herausgefun­den, die Berufe nacheinander durch­lau­fen müssten, um zu ‚Professio­nen’ zu werden (vgl. ebd.: 202ff.): ▪▪ Zusammenfassung der Berufsfunktionen in einer Vollzeit- und Haupt­beschäftigung für die Berufsträger und Definition eines ‚Vollberufs’; ▪▪ Einrichtung von Ausbildungsinstitutionen für den berufli­chen Nach­wuchs (in Kontakt zu den Hochschulen) sowie Eini­gung über Aus­bil­dungs­inhalte zur Sicherstellung gewis­ser Fer­tigkeiten; ▪▪ Bil­dung von Berufsverbänden zur Interessenvertretung; Änderung der Berufsbe­zeich­nung, Trennung von inkompe­tenten Be­rufs­an­ge­hö­rigen; ▪▪ staatlicher/gesetzlicher Schutz des eigenen Titels (Diplom usw.) und der eigenständigen Berufsausübung sowie der Be­rufskontrolle; ▪▪ Zusammenfassung der Berufsregeln in einer Berufsethik und Ver­such, die Berufsausübung zu monopolisieren. Berufe, die diese Stadien erfolgreich hinter sich gebracht ha­ben, be­an­ spru­chen vor allem zwei­­er­lei: Autonomie und Kompetenz. Beruf­li­che Kom­­petenz beruht auf spezifischen, in ei­ner systematischen Aus­ bil­dung er­wor­benen Kenntnissen, Wertvorstellungen, Normen und Ver­hal­tensstandards eines Berufs (vgl. Weischenberg 1990); beruf­­li­ che Auto­nomie bedeutet die weit­gehend selbständige Regelung von Pro­ble­men der Berufsgruppe im Rah­men dieser Kompetenz, also die rela­tiv geringe Kontrolle durch Laien. Professionen sind darüber hin­aus aber auch durch die beruf­ lichen Einstellun­gen der Berufs­ver­treter ge­kenn­zeichnet: eine spezifische altruistische Orien­tierung (Ausrich­tung des Han­delns eher am Ge­meinwohl als an eigenen Inter­essen) und, da­mit verbunden, eine Be­friedi­gung durch Belohnungen, die eher ide­el­ler Natur sind (wie Freude an der Arbeit, Ansehen, Lob usw.). Die Fak­toren ‚Kompetenz’ 41 

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(expertise), ‚Autonomie’ (autonomy), ‚altruistische Orien­tierung’ (responsibility) und ‚idealistische Belohnun­gen’ wegen be­sonderen En­gage­ments (commitment) sind aber selbst bei den ‚klas­si­schen Profes­sio­nen’ nur in unterschied­lich starker Aus­prägung aus­zu­ machen. Von all dem war und ist der Journalismus weit entfernt – auch wenn es etwa im Bereich der Aus­bildung durchaus Fortschritte gegeben hat. Über die Situation der Journalisten am Ende des 19. Jahrhunderts schreibt Nipperdey (1993b: 805): „Der Journalismus profes­sio­nali­siert sich, wird ein eigener Be­ruf. […] Die Vorberei­tung auf diesen Beruf ist vor allem die Pra­xis, viel sel­tener – wie in früheren Zeiten – das Studium; die moderne Nachrichten­­ tech­nik macht die ehe­dem nötige Fremdsprachenkenntnis nicht mehr unabdingbar. Mit dem wach­sen­den Bedarf wächst auch die Zahl mittelmäßiger Journalisten. Die ökonomische Lage der Jour­nalisten war unterschiedlich und kaum glänzend.”

5. Die Or­ganisation journalistischer Interessen 1904 zählte man im Deutschen Reich rund 4.600 Journalisten. Zu ihrer Profes­sio­nalisie­rung ge­hörte auch die Organisation in Journalistenver­ bän­den. Ihre Vorläufer waren sogenannte Deut­sche Journalistentage, bei de­nen seit 1863 soziale und professionelle Anliegen der Be­rufs­­vertre­ter the­matisiert wurden; bis 1881 waren dabei aber nur Zeitun­gen durch ihre Dele­gier­ten, nicht aber einzelne Journalisten vertre­ten.1895 wird der Verband deutscher Jour­na­listen- und Schrift­ stellervereine gegründet, 1909 der „Bund deutscher Redakteure“ und 1910 dann der „Reichsverband der deutschen Presse“ (RdP), der erstmals explizit journalistische In­­ter­essen vertrat. Womöglich hätte eine umfassende Interessenvertretung der Jour­ na­listen noch länger auf sich war­ten lassen, wenn nicht 1894 der „Ver­ein Deutscher Zeitungsverleger” entstanden wäre, in dem die Ver­leger der Großzeitungen bald die Übermacht besaßen. Damit hat­ ten sich die Be­sitzer der Produktionsmittel formiert. Im „Reichs­ver­ 42

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band der deutschen Presse“ gingen der 1902 in Berlin gegründete „Ver­ein Deut­scher Redakteure”, der 1909 in Berlin gegründete „Bund Deut­scher Redakteure” sowie der „Verband der Deutschen Journalisten- und Schrift­steller­ver­eine” auf. Der RdP vertrat freilich zunächst kaum di­rekt gewerkschaft­liche Zielset­zungen, son­dern verstand sich als Stan­desvertretung mit Selbsthilfeeinrichtungen und Ehren­gericht. Sei­­ne führenden Vertreter waren fast ausschließlich Chefredakteure, so dass die Ver­folgung be­rufsständischer Ideologien zu Lasten tarifver­ trag­licher Aktionsfelder begünstigt wurde. (Vgl. Prott 1976: 72ff.) Die Folgen des Ersten Weltkrieges führten dann jedoch zu einer ge­werkschaftlichen Umori­en­tierung. Auf Antrag des Landesverban­ des der Bayerischen Presse gab sich die Delegierten­ver­sammlung des RdP im Oktober 1919 eine neue Satzung, in der gewerkschaft­ liche Ziel­set­zun­gen festgeschrieben wurden. Nun war die Grundlage ge­legt, über tarifvertrag­liche Ver­hand­lungen die schlechte materielle Lage der Journalisten zu verbessern. Am 25. April 1922 einigten sich dann Zei­tungsverleger und RdP nach langen Ver­handlungen auf die Bildung einer „Reichsarbeitsgemein­schaft Deut­sche Presse”. Dies war eine Sozialpartnerschaft, die den Verle­gern zunächst noch nicht viel abverlangte. Nur knapp jeder vierte Journalist gehörte 1920 dem Reichsverband an; diesem fehlte also zu jener Zeit auch aufgrund der geringen Mitglie­der­stärke eine größere Schlagkraft. Das änderte sich jedoch inner­halb eines Jahrzehnts erheblich: 1929 hatte der RdP 3.700 Mitglieder und damit eine Organisationsquote von schätzungsweise 90  Prozent er­reicht. Inzwischen war es dem Ver­band im Rahmen der Reichsar­beits­ge­meinschaft – am 9. Januar 1926 – sogar gelungen, erst­mals einen Ta­rif­ver­trag für Redakteure durchzusetzen. Der Versuch, Presse­kam­mern und Kom­petenzabgrenzungen im redaktionellen Alltag durch­zu­set­zen, scheiterte jedoch. Immer­hin hieß es aber im § 1 des Tarifvertrages, dass „vom Verleger auf den Redakteur kein Ge­wis­sens­zwang ausgeübt werden” darf und dass dem Redakteur im Rah­men der mit dem Verleger vereinbarten Richtlinien für die Redakti­ons­füh­rung „die geistige Bewegungsfreiheit auch bei der Gestaltung des Textteils im einzelnen gewährleistet” werde. Die Bemühungen um ein re­gel­rechtes ‚Journalistengesetz’ blieben dann ohne Erfolg. (Vgl. Matthies 1969: 61ff.) 43 

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Die nach wie vor berufsständische Orientierung des RdP machte es 1933 den Nazi-Machtha­bern nicht schwer, die Journalisten geschlos­ sen in den NS-Staat zu überführen. Widerstand leis­tete die Standes­ or­gani­sa­tion nicht. Nach dem Schriftleitergesetz vom 4.  Oktober 1933, das am 1. Januar 1934 in Kraft trat, war die Indienstnahme dann auch formal voll­zogen. (Vgl. Frei/Schmitz 1989: 26ff.) Nach dem Zweiten Weltkrieg war die – für Professionen kenn­zeich­ nen­de – Zwangsmit­glied­schaft in einer Standesorganisation pres­se­­ recht­lich verboten. Die Mehrheit der Journa­listen fand aber schnell eine berufsständische Heimat im „Deutschen Journalisten-Verband“ (DJV), der nach regionalen Neugründungen von elf Landesverbänden am 10. Dezember 1949 als Nach­folger des Reichsverbandes der deut­schen Presse ins Leben gerufen wurde. Journa­listen und Verleger fanden – wie in der Weimarer Republik – am Ende recht pro­ blemlos zuein­an­der, wenn es darum ging, Voraussetzungen für eine zumindest existenzsichernde ökono­mi­sche Absiche­rung der Akteure zu schaffen. Dies war nach dem Zweiten Weltkrieg besonders dringend; noch bis in die 1950er Jahre erwies sich die „soziale Lage des deutschen Journalisten­standes“ (Hagemann 1956) als prekär. Schon 1949 hatten Verleger und Journalisten partner­schaftlich das Versorgungswerk der Presse gegründet. 1956 folgte der Deutsche Presserat als ‚joint venture’, der – nachdem die Gefahr eines Pressegesetzes gebannt war – 1973 seine ‚Publi­zis­tischen Grundsätze’ vorlegte. Der DJV verstand sich lange Zeit als ständische Vertretung, zu de­ren Mitgliedern auch Verle­ger gehörten. Erst seit Ende der 1960er Jah­re – und aufgrund der Konkurrenz durch die Ge­werk­schaften im Deut­schen Gewerkschaftsbund (DGB) – war eine zunehmende ge­werk­schaft­liche Orientierung auch im DJV fest­zustellen. Dazu trugen ins­besondere Erschei­nun­gen der Presse­kon­zen­tra­tion bei, die viele Jour­na­listen den Arbeitsplatz kosteten, sowie der Kampf um die Mit­be­stim­mung in den Redaktionen. Bestrebun­gen, sich an ei­ner Me­dien­ge­werk­­schaft unter dem Dach des DGB zu betei­ligen, wur­ den jedoch nach jahrelangen Dis­kus­sionen aufgege­ben. Eine solche Mediengewerkschaft wurde dann im Jahre 1989 von der IG Druck und Papier (mit der Deutschen Journalisten-Union und dem VS-Schriftstellerverband), der Gewerkschaft Kunst (mit der Rund­funk-Fernseh-Film-Union sowie einigen künstlerischen Gruppie­ 44

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rungen) im Deutschen Gewerkschaftsbund gegründet. Drei Jahre vor­her schon hatten sich die IG Druck und Papier und die Gewerk­ schaft Kunst zu einer Dachgewerkschaft zusammenge­schlos­­sen. Die im DGB organisierten Medienschaffenden wurden dann 2001 in der Dienst­leis­tungsgewerkschaft „ver.di“ vereinigt, die heute offiziell auch rund 20.000 Journalistinnen und Journalisten vertritt. Im Deutschen Journalisten-Verband sind nach eigenen Angaben knapp 40.000 Jour­nalistinnen und Journalisten or­ganisiert. Man könnte aus diesen Zahlen, die im vergangenen Jahrzehnt stark angestiegen sind, auf ei­nen Organisati­ons­grad von über 90  Prozent im deutschen Journalismus schließen. Doch bei die­sen Gewerkschaftsmitglie­dern han­delt es sich zu einem beträchtlichen Teil nicht um Per­so­nen, die haupt­beruf­lich für ein journalistisches Medium arbeiten. So gehören auch Öffent­lich­keits­­arbeiter dazu, die in der Logik einer professionellen Abgrenzung nicht zum Jour­na­ lismus ge­rechnet werden können. Von den rund 48.000 Perso­nen, die in der Bundesrepublik haupt­be­ruflich für journalistische Medien tätig sind, gehören nur knapp 27.000 einer Gewerk­schaft an, so dass der tatsächliche Organisati­onsgrad seit Jahren konstant bei 56 Prozent liegt. (Vgl. Wei­schenberg/Malik/Scholl 2006: 58)

6. Die „Souffleure der Mediengesellschaft” Journalisten nehmen – so hat ihnen das Bundesverfassungsgericht im ‚Spiegel-Urteil’ vom 5. August 1966 attestiert (vgl. Weischenberg 2004a: 131f.) – eine öffentliche Aufgabe wahr; fak­tisch stellen sie die ‚vierte Ge­walt’ im Staate dar, auch wenn dieser verfassungs­ mäßig nicht der­selbe Rang zukommt wie der Exekutive, Legislative und Judikative. Ihre Leistungen sind ge­meint, wenn von ‚den Medien’ die Rede ist  – und das gilt nicht immer als Kompliment. Da schimmert stets ein Manipulationsverdacht durch (vgl. Luhmann 1996: 9), Angst vor einem (nicht legitimierten) Einfluss, Ärger über Aussetzer einzelner Berufs­ver­treter und Neid, weil Journalisten Protagonisten einer Welt zu sein scheinen, in der Freiheit und Aben­teuer den Alltag bestimmen. 45 

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Journalisten sind immer noch eine einflussreiche Berufsgruppe  – vielleicht in mancher Hin­sicht sogar die einflussreichste der Republik. Diese Aussage bedeutet nicht die Renaissance des „ge­tarnten Elefan­ ten”, als den einst Elisabeth Noelle-Neumann speziell das Fernsehen und sei­ne Journa­listen tituliert hat: wirkungsmächtig, Wahl entscheidend, prinzipiell manipu­la­tionsfähig und manipulationsbereit (vgl. Weischenberg 1989). Denn die Macht der Medien und ihrer Journalisten wird in der ‚Mediengesellschaft’ vielfach ge­bro­chen: durch institutio­nelle Einflüsse bei der Produktion und durch soziale und personale Faktoren bei der Rezep­tion. Journalisten kann man als die „Souffleure der Mediengesellschaft” (Weischen­berg/Ma­lik/Scholl 2006) bezeichnen. Diese Metapher veranschaulicht ihre Rolle – und ihre aktuellen Probleme. Zur reinen Lehre des Journalismus scheint sie zunächst gut zu passen. Danach sol­­len seine Ak­­teure das tun, was das französische Verb ‚souffler’ ausdrückt: vorsagen, ein­flüs­tern, zubla­sen  –  und zwar das, was in der ‚Medien­ge­sellschaft’ der Fall ist. Die meisten Jour­nalisten blei­­ ben dabei unsichtbar – wie der Souffleur in seinem Kasten. Doch es gibt heut­zu­tage auch Journalisten, die auf die Bühne streben, wel­che ihnen das Fern­sehen bietet; sie spielen mit und sagen eigene Texte auf. Mehr noch: Sie ent­scheiden, welches Stück gespielt wird – oder bilden sich das zumindest ein und merken nicht, dass sie doch nur Statisten sind. Für diese Rollenprobleme hat der Bundestagswahlkampf 2005 bemerkenswerte Bei­spiele ge­liefert, die von der Branche durchaus selbstkritisch bewertet wurden. Im Zentrum des profes­sionellen Diskurses stand dabei die Frage, ob nicht ein Teil der Berufsvertreter durch Gesin­nungsjournalismus aus der Rolle gefallen sei. Schon vor der Wahl hatte Susanne Gaschke in der „Zeit” einen grundlegenden Zusam­men­­hang zwischen den Bedingungen des Journalismus und seinem ‚Wirklichkeitsverlust’ postu­liert: „Es gibt nun einmal seit zehn, fünfzehn Jahren eine kon­kurrenzbedingte, mörderi­sche Beschleunigung der Berichterstattung. Gedanklich spielen Redakteure die politischen Ent­wick­­lungen oft schon so früh durch, dass sie gelangweilt sind, wenn die Dinge tatsächlich ge­schehen. Und geradezu beleidigt, wenn die Wirk­lichkeit es wagt, unter ihren

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Das Jahrhundert des Journalismus ist vorbei voraus­eilen­den Deutungen weg­zu­robben. […] Solch wählervergessene Bericht­erstattung ist dann in der Tat genau das, was die Bild­Zeitung in unfreiwilliger Offenheit über die Konterfeis jener Chef­­­re­ dakteure schrieb, die nach dem TV-Duell in ihrer Mehrheit die CDUChefin bejubelten: Mei­nungsmache von den ,Meinungs-Machern’.” (Gaschke 2005)

Die Metapher des Souffleurs fordert somit auch dazu heraus, über das aktuelle Rollen­bild der Jour­nalisten – oder zumindest einer Gruppe von Journalisten – neu nachzudenken. Denn die Ein­drücke irritierten, welche der – öffentlich inszenierte und vorge­führte – Journalismus in den vergange­nen Jahren hinterließ. Es schien so, als wenn offenbar zunehmend mehr Leute am Werk sind, die es nicht mehr im Souffleurkasten hält. Die als Journalisten-Dar­steller be­kannt werden und dann Texte aufsagen, über die sich das Publikum wundert. Sie sind weder Souff­leure noch Kontrolleure. Als dieses Phänomen vor einem Jahrzehnt im Fernsehen sichtbar wurde, konnte man sich da­r­über (z. B. auf Medientagungen) noch aufregen. Die Warnung galt damals einer Auf­wei­chung der Standards: „Auch der Journalist verändert sich in diesem System zu einem neu­en Ty­pus des Unseriösen. Er wird der Journalistendarsteller, der in getürkten Redaktions­kon­ferenzen auf den Tisch haut oder als rasender Reporter seinem Anspruch hinterherhe­chelt.” (Allmaier 1996)

7. ‚Déformations professionelles’? Sind solche Deformationen die Ursache für den Glaubwürdigkeitsverfall der Medien, für das geringe Berufsprestige, das Journalisten und Politiker beim Sinkflug des öffentlichen Respekts vereint? Und dafür, dass die TV-Moderatoren – also die kontinuierlich sichtbaren Medienakteure – seit Jahren be­sonders schlecht ab­schneiden bei der traditionellen Umfrage des Instituts für Demoskopie Al­lensbach? „Déformations professionelles” des Journalismus (Weischenberg 1996) lassen sich in­zwischen nicht mehr ­übersehen: Seine Grenzen 47 

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lösen sich auf, seine ver­trauten Ge­schäfts­modelle erodieren und seine Ak­teu­re irri­tie­ren durch Verhaltensauffälligkeiten und wechselnde Formen der Adaption an gewandelte Rah­menbedin­gun­gen  – z. B. durch neue Organisations- und Kommunikationsformen; sie wer­den durch Be­grif­­fe wie ‚newsdesk’ oder ‚weblog’ be­schrieben. Beide Termini stehen für eine zu­mindest partielle De­-Pro­ fessionalisierung des Jour­nalismus: Ers­tens aufgrund von Ratio­ nalisie­rungs­prozessen, die inzwi­schen auch den Kern des Berufs bedrohen und die Zahl der haupt­beruflichen Journalisten be­reits drastisch reduziert haben; in­zwischen, so wird paradigmatisch vorge­ führt, lassen sich Texte wie Texti­lien dort im Aus­land pro­duzieren, wo die Lohnkosten be­sonders niedrig sind (vgl. z. B. Hornig 2008). Zwei­tens durch Ama­teure, die als „kulturelle Ressource” (Reichert 2008: 215ff.) den Beruf öko­no­misch bedrohen, weil ihre Kommunikations­­an­ge­bo­te erheblich kosten­günstiger zustande kom­­­­ men (vgl. Weischen­berg/Malik/Scholl 2006: ins­bes. 189f.; Neuber­ ger/Nuern­bergk/Risch­­­­­­­ke 2007). Und drittens gerät der Journalismus öko­no­misch und profes­sio­nell auch da­durch unter Druck, dass selbst Großverlage nicht mehr für die pro­fessio­nelle Informations­samm­lung durch unabhängige Nachrichtenagenturen be­zahlen wol­len und sich stattdessen wie Privat­leute kostenloser An­gebote im Netz bedienen (vgl. z. B. Schilder 2009). Diese Auf­kündigung des Solidarprinzips, dem die Presse u. a. ihr Versorgungswerk verdankt, bedeutet eine Zeitenwende. Krisenerscheinungen des Journalismus werden seit Jahren sowohl in wissenschaftlichen Ver­öffentli­chun­gen als auch in praktischen (Selbst-)Beschreibungen thematisiert; insofern richtet sich die journalistische Beobachtung inzwischen durchaus auch auf sich selbst. Kritik und Selbst­­kri­­tik lassen sich dabei anhand einer Liste von Thesen aufzeigen, die Indikatoren für eine ernste – und womöglich existenz­ bedrohende – Krise des Journalismus enthalten: ▪▪ Die Grenzen zwischen seriösem Journalismus und Boulevardjournalismus verschwimmen. ▪▪ D er gesamte Journalismus funktioniert inzwischen nach den Selektions- und Prä­senta­tions­re­geln des Fernsehens. ▪▪ Der Journalismus hat ein Eliteproblem (‚Alphajournalisten’). 48

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▪▪ D er Journalismus wird durch die zunehmende Komplexität der Berichterstattungsobjekte überfordert. ▪▪ D er Journalismus verabschiedet sich immer mehr vom Selek­ tionsfaktor der Relevanz. ▪▪ D er Journalismus versagt als Frühwarnsystem für gesellschaft­ liche Fehlentwick­lun­gen. ▪▪ Der Journalismus hat seine ökonomische Basis verloren. ▪▪ D er Journalismus verliert dramatisch an Ansehen und Glaubwürdigkeit in der Bevölke­rung. ▪▪ D er Journalismus hat sein (junges) Publikum aus den Augen verloren. ▪▪ D er Journalismus hat (durch den Einfluss von PR) die Kontrolle über die Medien­inhalte verloren. ▪▪ D er Journalismus nimmt seine Kri­tik- und Kontrollfunktion nicht mehr wahr. ▪▪ D er Journalismus verliert seine professionelle Identität und wird zunehmend zur Tä­tigkeit von (nebenberuflichen) Freelancern. Dies sind z. T. zugespitzte Aussagen, die in dieser pauschalen Form einer systematischen em­pi­ri­­schen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten würden; natürlich gibt es nach wie vor her­vorragenden Journalismus, der auch die verdiente Anerkennung findet. In der  – wissen­schaft­­lichen und nicht­wis­sen­­schaft­­lichen – Literatur finden sich aber für derartige Kri­senbe­schrei­­bun­gen schon seit Jah­ren vie­­le Beispiele und valide empirische Belege (vgl. z. B. Scholl/Wei­schenberg 1998: 261f.). Dabei fällt zum einen auf, dass die­se Medienkritik hin­sicht­lich zentraler Dimen­sio­nen –  Boulevardisierung, Ökono­mi­­ sie­rung, De­professio­nalisie­rung –  international ähnlich ausfällt (vgl. Wei­schenberg/Ma­lik/Scholl 2006: 18f.); zu den schar­fen Kritikern des ‚Unterhaltungsjournalismus’ gehört neu­er­­dings z. B. auch der perua­ ni­sche Schriftsteller Mario Vargas Llosa (2007). Und zum an­de­ren, dass sich inzwischen auch die Medien selbst – und hier ins­besondere die Ta­ges­zeitungen – in sehr grundsätzlicher Form mit sich und ihrer Zukunft be­schäfti­gen. 49 

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Im Zusammenhang mit dem Zusammenbrechen der Finanzmärkte im Herbst 2008 wur­den auch professionelle und ideolo­gi­ sche Schwä­­chen des Wirtschafts- und Finanzjournalis­mus deut­lich, denn als Frühwarnsystem war er weitgehend ausgefallen (vgl. Meier/ Winter­bauer 2008). Die „Frank­furter Allgemeine Zeitung” übte danach Selbstkritik an ihrer Wirt­schafts­bericht­er­stattung und deren offensichtlich zu schmalen Kompetenzbasis (vgl. Hank 2008). Und die „Süd­deutsche Zei­­­tung” klagte sich und andere an mit der Feststellung, „dass die jour­nalistische Wahr­neh­mung des öffentlichen Lebens nicht angemessen funktioniert” (Stein­feld 2008). Der Schrift­ stel­ler Rainald Goetz (2008: 131) hält es nun wegen der Verhältnisse für geboten, dass der Jour­nalismus als „gesellschaftlich installierte Zentralinstanz für Beob­ach­tung und Dro­hung mit Beobachtung” eine solche Beobachtungsdrohung auch permanent ge­gen sich selbst richtet – was angesichts der ausgeprägten Selbstreferenz und insbe­ sondere Kolle­gen­orientierung im (deutschen) Journalismus aber auf Grenzen stößt (vgl. Wei­schen­berg/Ma­­lik/Scholl 2006: 145ff.). Die Lagebeschreibungen wirken zunehmend nicht punktuell (bzw. in ökonomischer Hinsicht: kon­­junk­turell) motiviert, sondern thematisieren Strukturprobleme und ihre Lösun­gen in Hin­blick auf gesell­schaft­liche Interessen. Intensiv wird neuerdings insbesondere behauptet (und mit Bei­­spielen vor allem aus den USA belegt; vgl. z. B. Schweitzer 2008), dass die (an­zeigen­fi­nan­zierte) Zeitung ein aus­laufendes Geschäftsmodell sei. Die nach der globalen Finanzkrise einsetzende Umorientierung des öffentlichen Dis­kurses – weg von neoliberalen Markt­ideo­logien hin zu (zumindest) behutsamen Formen staatlicher Re­gu­­lierung der (Finanz-)Märk­te – hat inzwischen auch ihren Nie­der­schlag in der Diskussion über die Zukunft der Medien gefunden. Sogar Vorschläge zur Subventionierung des ‚Kultur­gu­­tes Zei­tung’ durch Stiftungs­modelle, die u. a. von Habermas (2007) aufgegriffen und pro­pa­­giert wurden, gelten im Rahmen allgemeiner Überlegungen zur Regulierung für meritori­sche Güter (vgl. Weischenberg 2004b) nicht mehr von vornherein als abwegig.

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8. Eine Skizze zur Untersuchung der (künftigen) Verhältnisse Die derzeitigen Probleme gesell­schaftlicher Selbstbeobachtung durch Journalismus lassen sich auf folgende Weise strukturieren bzw. vierteilen: ▪ Der Monopolverlust des Journalis­mus in seiner Zuständigkeit für die Selbstbe­ob­achtung der Ge­sellschaft führt zu einem Konkurrenz­ problem. Auf dem Markt öffentlicher Kommunika­tion agieren nicht nur die traditio­nellen Massenmedien, und diese auch nicht mehr in ihrer traditio­nel­len Form, sondern zahl­reiche wett­bewerbsfähige Anbieter von Informationen. ▪ Damit einher geht ein Kom­plexitätspro­blem, das gleichermaßen die Unüber­schau­­barkeit der zugänglichen Informationen über öffentlich kommunizierte The­men wie den Gegenstand der Berichterstattung selbst betrifft. ▪ Die Akteure sind von den geschilderten De-Formationen im Kern betroffen. Hier­­­bei handelt es sich insofern um ein Professionali­ täts­problem, als sich das Berufsbild der Journalisten ver­ändert, aber auch die Abgrenzbarkeit der journa­listischen Rolle von anderen Rol­len öffentli­cher Kommunikation (etwa PR-Prak­tikern). ▪ Diese De-For­ma­tio­nen basieren auf einem Finanzie­rungsproblem, das nicht nur re­trospektiv als Hauptursa­che konstatiert wird, sondern zu dem mittlerweile pro­spektiv Lösungsvorschläge öffentlich dis­kutiert werden, welche die verschiede­nen De-Formationen wieder ‚in Form’ zu bringen ver­­sprechen. Wieder ‚in Form bringen’ – das ist nicht nur in der Fußball-Bundesliga möglich, son­dern auch im Bereich der gesellschaftlichen Selbstbeobachtung, für die immer noch in weiten Bereichen der Journalismus zuständig ist. Normativ ohnehin – aber diese Zustän­dig­keit lässt sich (bei allen Einschränkungen und Gefährdungen) auch empi­risch immer noch nach­weisen. Insofern erscheinen apokalyptische Szenarien voreilig. Um aber so­zusagen ein Rettungspaket (auch) für diesen 51 

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systemrelevanten Bereich schnüren zu kön­nen, müsste man besser über die Verhältnisse Bescheid wissen und intensiver an Pro­blem­ lösungen arbei­ten. Dazu will ich nun in erster Näherung ein paar Überlegungen präsentie­ren. Sie skiz­zie­ren ein größeres Foschungsprojekt zur Zukunft gesellschaftlicher Selbst­beobachtung, an dem wir zurzeit arbeiten.

Das Konkurrenzproblem: Marktstruktur- und Journalismusanalyse Die beschriebene historische Formation des Journalismus Ende des 19. Jahrhun­derts bedeute­te seine enge Bin­dung an die Massen­ medien. Insbesondere die Tages­zei­tung gilt bis heute als journalistisches Medium, so dass gerade ihre aktuellen öko­­nomischen Probleme (sowohl auf dem publizistischen als auch auf dem werb­ lichen Markt) als Bedrohung für den Journalismus insgesamt diskutiert werden. Dieser Druck auf die Tagespresse wird verstärkt durch die rasante Entwicklung des In­ternets, das veränderte Nutzungsverhalten des jüngeren Publikums, ins­be­sondere von Informations­angebo­ten, bei gleichzeitigem deut­lichen Auflagen-, Reichweiten- und An­zeigenschwund der Tages­pres­se. Online-Auftritte mit neuen Kommunika­tions­formen wie beispielsweise Web­logs zählen in­zwischen zu den zentralen aktu­el­len Strategien von Medienunternehmen, um das verlorene Publi­­kum als aktive Nut­zer zurückzugewin­nen. Das hat gleichzeitig Auswir­kungen auf die re­dak­tionel­len Strukturen. Bisherige Untersu­chungen haben sich vor allem auf me­dien­ ökonomi­sche Aspekte und die Optimierung von Workflows sowie An­gebotsstrukturen konzentriert; Stu­dien, die sich mit den Konse­ quenzen dieser Angebotsdifferenzierung für den re­daktionellen Jour­nalismus be­schäfti­gen, sind rar. Notwendig wäre deshalb hier insbesondere, nicht nur Formationsprozesse im Markt und Strategien der Medien­institutionen auf der Organisationsebene näher zu unter­ suchen, sondern auch neue re­daktionelle Konzepte, u. a. in Hinblick auf Machtstrukturen und journalistische Autonomie.

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Das Komplexitätsproblem: Analyse der Berichterstattungsqualität Inhaltsanalytische (Qualitäts-)Untersuchungen journalistischer Be­richt­ erstattung sind immer wieder speziell an das Aufkommen neuer Medien oder Strukturen und Konkur­renzver­hält­nisse auf den Medien­märkten gekoppelt worden. Beispiele hier­für sind Studien zu den Folgen der Pres­se­konzentration Ende der 1960er Jahre oder zur Qualität der Medieninhalte und den Leistun­gen der Medien in Folge der Ein­füh­­­rung des privaten Rundfunks Mitte der 1980er Jahre sowie zu den Folgen der Me­­dienkrise Anfang 2000 für die Qualität im Journalis­mus und die Diskus­sion mög­­licher Gegenmaßnahmen. Notwendig wäre nun, hier ein neues Fass aufzuma­chen: Kontexte, Faktoren und Einflüsse, welche die journalistische Aussagenent­stehung betreffen, direkt auf die Thematisierungs- und Informationsleistungen zu be­ziehen. Hierfür könnte die Analyse der PISA-Berichterstattung besonders ge­eig­net sein, weil sie den Journalismus – z. B. in Hinblick auf die Einschätzung der ver­wendeten Methoden – offen­kundig vor ein besonderes Komplexitätsproblem stellt.

Das Professionalitätsproblem: der Generationenwechsel im Jour­nalis­mus Noch einmal: Die dargestellten De-Formationen der journalistischen Profession ha­­ben viel­fältige Ur­sachen, die in ihren gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, tech­ni­schen und organi­satori­schen Rahmenbedin­ gungen liegen. Das provoziert die Fra­ge, inwiefern die Verände­rungen im journalistischen Be­rufs­bild auf Veränderun­gen der Journalisten selbst zu­rück­zu­führen sind. Oder resultieren sie aus dem Aus­scheiden alter und dem Nachrücken neuer Jour­nalistenkohorten, ohne dass sich die einzelnen Journalisten verändern? Um diese Frage zu beantworten, stehen die Be­funde aus unseren beiden Studien zum Journalis­ mus (1993/2005) für eine Sekun­där­analyse (Kohortenanalyse) zur Verfü­gung. Notwendig wäre, auf dieser Datengrundlage und mit diesem methodischen Zugriff weiterrei­chen­de Erklärungen für den heutigen 53 

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Zu­stand der Profession zu gewinnen und – auf der Basis der heutigen jungen Journalistengenerationen – Prognosen über die künftige Formation des Berufs zu formulieren.

Das Finanzierungsproblem: Maßnahmen zur Sicherung von Journalismus Am Geld hängt alles – auch im Journalismus. Doch wie kommerziell darf es hier zu­ge­hen? An­­ders gefasst: Sind journalistische Medien meritorische Güter, die man beson­ders pflegen muss? Fast eine rhetorische Frage, doch die Verhältnisse sind ge­rade hier nur scheinbar übersichtlich. Die Annahme, dass es sich bei journalistischen Produkten um meritorische Güter han­delt, im­pli­ziert eine Präferenz für ein Sozialverantwortungsmodell gegenüber einem libe­ralistischen Markt­­ modell. Doch diese ist in der medienökonomischen Literatur durchaus umstritten. So lässt sich z. B. dar­über diskutieren, welche Be­dürfnisse gesellschaftlich eigentlich wün­schenswert sind. Man könnte nun − so le­gen die vorlie­gen­den Publikationen nahe − entweder auf die Schaf­fung von Be­din­gun­gen für einen funktionsfähi­gen journalistischen Wett­bewerb setzen oder vor­sich­ ti­ge und allen­falls ergänzende Regulie­rungs­­maßnah­men vornehmen. Praktische Schluss­­­folge­rungen umfassen zum einen inhalts­bezo­ gene Vorschläge, wie die Be­richt­erstat­tung durch Web 2.0-For­men parti­zipativ und nutzerorien­tiert moder­ni­siert werden können, und zum anderen neue Fi­nanzie­rungs­möglichkeiten in Form von Lizenz­ gebühren, Quersub­ven­tionierungen, Stif­tungs­modellen oder staat­ lichen Sub­ventionen (vgl. Weichert/Kramp/Jakobs 2009). Notwendig wäre es, solche (und andere) Vor­schläge näher zu untersuchen und mithilfe von Experten zu beantworten.

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Aus alldem resultiert (mindestens) das folgende Forschungsprogramm: ▪ Die Untersuchung der De-/Formationsprozesse im Markt, die sich durch die in­ter­mediale Kon­kurrenz auf der Angebotsebene des Journalismus ergeben. Des Wei­teren die Unter­su­chung der De-/Formationsprozesse bei Medienunter­neh­men aufgrund der Eigentums­ struk­­­turen und Konzentrationsprozesse. Schließ­lich stehen die Untersuchung der For­ma­tions­­prozesse von Strukturen in den Re­­ dak­­tionen durch Kooperationen und Synergien so­wie die Folgen für die re­dak­­tionellen Arbeitsweisen im Mittelpunkt. Eine solche Un­ter­ suchung wird man als regionale Fallstudie anlegen müssen. ▪ Die Untersuchung der aus der Konkurrenz entstehenden oder mit ihr korres­pon­­die­­ren­den Kom­plexität der journalistischen und außer­ journalistischen Be­reit­stel­lung von Informa­tionen über ihrerseits komplexe Berichterstattungs­ge­genstände in Hinblick auf ihre Leis­ tung für den gesellschaftlichen Diskurs und seine Quali­tät. Hier geht es also um die Ana­lyse der De-/Formationsprozesse des Leistungsund Funktionskontextes im Journalis­mus. Eine sol­che Untersu­chung wird man als thematische Fallstudie anlegen müssen. ▪ Die Untersuchung journalistischer Akteure in Hinblick auf Veränderungen von pro­fes­sio­nel­len Merkmalen. Dabei geht es insbesondere um die Frage, ob es sich um Ef­fek­te des Alters, der Generationen oder Kohorten oder um externe ge­sell­schaft­­liche Effekte handelt – also um die Analyse der De-/For­ma­tions­­­pro­zesse der pro­fessionellen journalistischen Akteure. Eine solche Unter­su­chung wird man, wie schon beschrieben, als Kohorten­analyse anlegen müssen. ▪ Die Untersuchung von Möglichkeiten zur (dauerhaften) Finanzierung von (Qua­­li­täts-)Jour­na­lismus. Hierzu ist die Diskussion über mögliche Neu-For­mations­pro­­zes­se auf­zugreifen und in einem wissenschaftlichen Diskurs auf ihre Legiti­ma­tion, Leistungs­fähigkeit und Realisierbarkeit hin zu überprüfen. Hier geht es also um die Ana­lyse der möglichen Neu-/Re-Formationsprozesse des professio­ nellen Qualitätsjournalis­mus. Eine solche Untersuchung wird man als Delphi-Studie (Expertenbefragung) anlegen müssen. 55 

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9. Jenseits des Deutungsmonopols Der moderne Journalismus hat den Anspruch, für die Beobachtung der modernen, unüber­sicht­­­lichen und hete­roge­nen Gesellschaft zuständig zu sein, seit seinen Anfängen erhoben – und später fast in ein Deutungsmonopol transformiert. Da das System und seine Akteure selbst Teil die­­ser Ge­sell­schaft sind, handelt es sich dabei um eine Form von Selbstbeob­ach­tung, die zwangs­läu­fig mit diversen blinden Flecken operiert. Das ‚Erfolgsgeheimnis’ bestand des­­halb da­rin, diese Selbst­beobachtung als Fremdbeobachtung zu organisieren, was vor allem mit­hilfe ge­wisser profes­sioneller Methoden gelang, die um das Postulat der ‚Objektivität’ krei­sen (vgl. Tuchman 1971–72). Diese Selbstbeobachtung als Fremdbeobachtung ist (zuneh­mend) riskant (vgl. Malik 2008), wie nicht nur durch Medien­ kritik in den etablierten Medien, son­dern auch und vor al­lem durch gera­dezu leidenschaftliche Ablehnung des professionellen Journalismus und seiner Prak­tiken in vielen Blogs deutlich wird. Auf der Seite der Akteure wird nun eine wachsende Irritation spürbar, die strukturelle und ak­tuel­le Ursachen hat. Dass sich die Arbeit von Journalisten ständig in Situationen von Unsi­cher­­­heit abspielt, ist von der Kommunikationswissenschaft mehrfach the­ ma­tisiert worden (vgl. z. B. Dimmick 1974). Dabei mag nicht nur der eindeutige Bewer­tungs­maßstab für Ent­schei­dungen über die Berichterstattung unter großem Zeitdruck eine Rol­le spielen, sondern auch allgemein der prekäre soziale Status von Medienakteuren, die zu­dem auf keiner ein­deu­tigen Kompetenzbasis agieren. Hier und in anderen Zusammenhän­gen ist der Jour­na­lis­mus durch diverse Paradoxien gekennzeichnet (vgl. Pörksen/Loosen/Scholl 2008). In einer Pha­se des Übergangs, die den Journalismus seit Jahren kennzeichnet, verstärken sich sol­che Un­si­cherheiten. Offensicht­ licher Effekt ist dann eine verstärkte In-Group-Orientierung. Ein Teil der Journalisten sucht nach Selbstbestätigung –  was sich bei den „Alphajournalisten” (Wei­chert/Zabel 2007) z. B. in Form von Fernsehauftritten in Talkshows oder in Buchpubli­katio­nen niederschlägt, die natürlich auch der Selbstvermarktung dienen (vgl. z. B. Plasberg 2007). Erkennbar ist aber auch die Bereitschaft zu forcierter Selbst­ 56

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kritik in einer Zeit, da der Journa­lismus offensicht­lich erhebliche Selbstfindungsprobleme hat (vgl. z. B. Bruns 2007). Struktu­rell wird deutlich, dass sich wesentliche Merkmale des Journalismus verändern: ▪▪ die Bindung der Berichterstattung an einzelne, abgrenzbare Medien wird aufgehoben; ▪▪ die Abgrenzbarkeit hauptberuflicher ‚professioneller’ Journalisten von anderen Aus­sagen­pro­duzenten wird immer schwieriger; ▪▪ und die Determinierung der Tätigkeit durch bestimmte (zeitliche) Frequenzen (‚Redak­tions­­schluss’) entfällt bis zu einem gewissen Grade. Stattdessen entstehen neue Verhältnisse, in denen es technische Kommunikation ohne Me­dien­­­­­bin­dung gibt, neue Berufsfelder wie z. B. das Management von ‚Community-Kommu­ni­ka­­­tion’ und eine völlig neue Taktung des Arbeitsalltags. Schon wird auch das Ent­stehen einer neu­en Me­­dienelite mit anderen biographischen, beruf­lichen und ideologischen Hintergründen und Ein­stellungen beobachtet (vgl. Weichert/Zabel 2008); unter diesen ‚Alpha-Journalisten’ muss man auch mit neuartigen Konkurrenzkämpfen rechnen. Ob der Journalismus eine Zu­kunft hat und wie diese genau aus­ sehen kann, bleibt einstweilen offen.

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Voreilige Nachrufe Warum Journalismus unverzichtbar bleiben wird

Karl Kraus nannte Österreich die „Versuchsstation des Weltuntergangs“ (Kraus 1914: 46). Diese Einschätzung mag für manches gelten und vielleicht sogar grundsätzlich stimmen, für unseren konkreten Kontext ist sie allerdings ungeeignet, denn im Medienbereich zeichnet sich Österreich durch traditionelle Verzögerungen aus. Wir machen die Fehler der anderen erst mit sicherem Abstand. Was nun Krisen betrifft, so sagt man uns eine Haltung nach, die man als „Hoffnungslos heiter“ (Plakolb 1968) bezeichnen könnte. Aber daran liegt es nicht, dass ich fast allem, was Siegfried Weischen­berg gesagt hat, zustimme. Indes: Seiner zentralen These, wonach das Jahrhundert des Journalismus vorbei wäre, wider­spreche ich. Einerseits, weil Journalismus als Kind der Aufklärung mehr als zwei Jahrhunderte Geschichte mit heftigen Zäsuren, Krisen und Rückschritten hinter sich hat, und andererseits, weil Journalismus eine „soziale Institution“ (vgl. dazu den Beitrag von Otfried Jarren in diesem Band) ist, weil kein funktionales Äquivalent für jene gesellschaftlichen Leistungen erkennbar ist, die er erbringt bzw. erbringen soll. Meine These lautet daher, dass Journalismus unverzichtbar ist und bleiben wird. Das Thema der Dortmunder Tagung: „Ist die Krise der Printmedien eine Krise des Journalismus?“ enthält in der Frage­ form bereits jene sinnvolle Differenzierung zwischen Medien und Journalismus, die in diesem Beitrag weiter verfolgt wird. 62

Voreilige Nachrufe

Medienkrise und Journalismuskrise Die Krise der Medien hat wie auch die Krise der Finanzmärkte ihren Ursprung in den 1980er Jahren. Medien- und Finanzmärkte sind Deregulierungsopfer, auch wenn sie über die Jahre hervorragend verdient und eine – manchmal wörtlich zu nehmen – blendende Performance abgeliefert haben. Die Mediensysteme haben sich seither verändert, die alten Monopolisten verloren ihren Status, Marktbereinigung, Fusions- und Konzentrationswellen folgten, und neue Modelle wie die Gratiszeitungen oder Internetportale begannen ihren Erfolgslauf. Wenn nunmehr die Sanierung der Medien durch Einsparungen und multimediale Synergien des journalistischen Angebots versucht wird, wenn Kosten durch Frühpensionierungen und „Golden Handshakes“ für die Geburtenjahrgänge ab 1953 gesenkt werden sollen, indem die erfahrenen und teuren Kräfte durch den günstigeren Nachwuchs ersetzt oder überhaupt die ohnehin nicht üppigen Redaktionen weiter verkleinert werden, wenn man Tochterfirmen und „Inhouse Agencies“ gründet mit nicht ganz zynismusfreien Namen wie „Content Engine“, um das journalistische Personal aus dem teureren Kollektivvertrag für Journalisten in kostensparende Gewerbe-Kollektivverträge zu überführen, wenn also die Medienmanager den Journalismus und sein Personal flexibel und klein machen, dann gilt es umso mehr, Medien und Journalismus analytisch zu differenzieren. Dass diese Unterscheidung in der Journalismusforschung immer wieder eingemahnt wurde und wird, ist bekannt. Dass sie bisher auf schwacher theoretischer Basis stattgefunden hat ebenso. Mit dem gerade im Druck befindlichen Buch „Journalismus und Medien als Institutionen“ von Marie-Luise Kiefer liegt aber nunmehr eine inspirierte und inspirierende interdisziplinäre institutionentheoretische Grundlegung vor, die wichtige theoretische und empirische Impulse geben wird (vgl. Kiefer 2009).1 In der aktuellen Situation ist der Journalismus ein Opfer der beschriebenen Umstände und durch die Finanz-, die Medienstrukturund die damit zusammenhängende Anzeigenkrise zentral gefährdet. Doch dem nicht genug, gibt es doch auch eine Krise des Journalismus 1 Ich danke Frau Hon.-Prof. Dr. Marie-Luise Kiefer herzlich für den Austausch und die Zusendung ihres Buchmanuskripts.

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in der Krise. Als höchst beunruhigend erweist sich vor diesem Hintergrund die Beobachtung, dass vor allem von einer Krise der Geschäftsmodelle bzw. dem Fehlen geeigneter neuer Geschäftsmodelle die Rede ist. Publizistische Argumente finden allenfalls dann Beachtung, wenn der Gang zum Staat um Förderungen und Subventionen vorbereitet werden soll. Die Fehler und Versäumnisse in den wunderbar margenreichen Jahren werden dagegen kaum thematisiert. „Eine Zeitung ist ein Wertpapier – aber kein Spekulationsobjekt“, betonte BDZV-Präsident Helmut Heinen (zit. in BDZV 2009: 3). Ich will in diesem Beitrag zunächst die dramatische Verschlechterung der Rahmenbedingungen durch strukturellen Wandel und die akute Finanz- und Wirtschaftslage skizzieren, die dadurch verstärkten, aber unabhängig davon beobachtbaren Krisensymptome des Journalismus – die Krise in der Krise – beschreiben, sondieren, ob es sich dabei um einen Schwellenzustand, um Übergangsphänomene handeln könnte, vielleicht um die für negative Entwicklungen besonders anfällige Zwischenphase der Liminalität in den „Rites de passage“ (van Gennep 1986 [zuerst 1909]), um schließlich darzulegen, warum ich davon überzeugt bin, dass Journalismus als kontinuier­licher Produzent von gesellschaftlichem Mehrwert durch nichts ersetzt werden kann und die Nachrufe verfrüht scheinen.

Status: problematisch, Prognosen: düster Die Nachrichten – vor allem die transatlantischen – vom Ende der Massenmedien wie wir sie kennen, reißen nicht ab. Es gab sie schon vor der Selbstzerstörung der Finanzmärkte, sie scheinen aber jetzt eine neue Dimension zu erreichen. Die Zeit der „langen Wellen“, so nennt der Ökonom Joseph A. Schumpeter konstante Konjunkturzyklen, ist vorbei. Aber: Befinden sich die Medien und mit ihnen der Journalismus in einem Prozess der „schöpferischen Zerstörung“ (Schumpeter 1993 [zuerst 1911], der Neues schafft? (Vgl. Ruß-Mohl 2009) Noch sind die „neuen Kombinationen“ nicht erkennbar, die Ressourcen nicht eindeutig zugeteilt. Der Zustand der Schwebe – zwischen neuen und alten Engagements – lässt Vorsicht walten und den Sparstift regieren. 64

Voreilige Nachrufe

Werbeeinbrüche sind immer ein Problem für mischfinanzierte Branchen, dieser trifft aber mit Strukturproblemen des Medienmarktes wie Reichweitenverlusten, demographischen Verschiebungen, einer schwer einschätzbaren Veränderung der Mediennutzung und dem Siegeszug der Gratiskultur zusammen. Die klassischen Medien finden kein Modell, ihre Strategien sind daher halbherzig und das rächt sich. Wer nicht in das Produkt investiert, setzt eine „Todes­ spirale“ in Gang. Oder anders formuliert: wenn Mc Kinsey kommt, geht der Journalismus. Die Prognosen sind so düster wie ihr Vokabular, das böse Wort vom „Newspaper Endgame“ geht um. Marc Fisher, seit 20 Jahren Journalist bei der „Washington Post“, meint: „Vor einem Jahr hätte ich noch gesagt, dass gedruckte Zeitungen sicher noch mindestens ein Jahrzehnt existieren werden. Heute bin ich mir da nicht mehr so sicher.“ (Weichert/Kramp/Jakobs 2009: 95) Philip Meyer, Journalismusprofessor an der University of North Carolina, gibt den Zeitungen eine längere Gnadenfrist, er prophezeit ihr Ende für das Jahr 2040 (Meyer 2004). Unterstützung finden solche Prognosen durch empirische Daten: In den letzten 15 Jahren schrumpfte die Auflage um 14 Prozent, 2007 verlor die US-Zeitungsindustrie 26 Prozent ihres Aktienwerts, jetzt ist er im freien Fall. Das „Project for Excellence in Journalism“ (2009) legte mit weiteren Zahlen nach: 23 Prozent Verluste im Anzeigengeschäft in den letzten beiden Jahren, seit 2001 hat ein Fünftel der Journalisten die Redaktionen verlassen (müssen). Die laufende Abwanderung des Publikums ins Internet (auch um Nachrichten zu konsumieren) geht dynamisch und schneller als bisher weiter. Und es gibt eine Vertrauenskrise, für die folgende Gründe genannt werden: Es kam – nicht zuletzt durch Rationalisierungsprogramme in den Redaktionen – zu einer Reduktion der Themenvielfalt, in der Folge verstärkt zu Konsonanzphänomenen in der Berichterstattung, wobei generell eine deutliche Verengung der Berichterstattungsagenda festzustellen war. Darüber hinaus wurden die Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsboni der amerikanischen Medien durch gravierende Fehler im Wahlkampf angegriffen, in dem die Medien reagiert und nicht agiert und die Public Relations Themen und Timing vorgegeben hätten. 65 

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Solche Nachrichten mehren sich und sie sind beunruhigend: Die Zeitungen stecken in einer existenziellen Krise, die Auflagen schwinden, der Werbemarkt bricht weg und das hat Folgen für den Journalismus, der für Fehler anfälliger wird, in kleineren Redaktionen mehr Output produzieren muss und dadurch Zeit für Recherche, Themengenerierung und damit Vertrauen und Glaubwürdigkeit verliert. Die Hauptquellen dieser Nachrichten sind (noch) in den USA.

Fallbeispiel Österreich Lassen sich solche Diagnosen und Prognosen auf Europa übertragen? Derzeit wohl nur bedingt. Die soeben veröffentlichte Studie „Printnutzung in Zeiten digitalisierten Contents“ der TNS Emnid Medienforschung (2009) stellt vielmehr eine „stabile und sogar steigende Nutzung von Printmedien bei gleichzeitig wachsendem Internetkonsum“ fest. Und das Beispiel Österreich zeigt, dass die Gesamtauflage der bezahlten Tageszeitungen trotz heftiger Penetration des Marktes durch Gratismedien relativ stabil bei fast 73 Prozent (Quelle: Media-Analyse 2008) liegt, dass es Investitionsbereitschaft für Neugründungen und den Ausbau bestehender Zeitungen gibt und dass zumindest für das Jahr 2008 im Vergleich zum Vorjahr die Werbeeinnahmen der Zeitungen um 8 Prozent gestiegen sind. Wie seltsam schizophren sich das darstellen kann, zeigt das Beispiel der „Presse“: Da wird auf der Titelseite als Schwerpunktthema die Frage nach dem Ende des Journalismus gestellt, aber zugleich am Cover die neue „Sonntagszeitung“ angekündigt. Das antizyklische Projekt: „Presse am Sonntag“ erscheint seit 15.3.2009, ein beachtliches Qualitätsprodukt, aber – und darum wird es an dieser Stelle erwähnt – es wird mit Bordmitteln gemacht, vorerst ohne neue Stellen für Journalistinnen und Journalisten. In Österreich wird über die Medienkrise noch im Ressort „Ausland“ berichtet, im Inland finden andere Themen statt: so geht es beispielsweise seit Monaten um die Ethik im Journalismus, v. a. um den Opferschutz bei der Berichterstattung über Kriminaldelikte. Nach wie vor herrscht hier ein Vakuum, denn seit nunmehr sieben Jahren gibt 66

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es keinen Presserat. Erst angesichts der Kritik an der journalistischen Bankrotterklärung mancher Blätter im Umgang mit den Kriminalopfern „Kampusch“, den Kindern von „Amstetten“ etc. und angetrieben durch öffentliche Forderungen des Bundespräsidenten, der zuständigen Ministerin, des Wiener Kardinals, der „Initiative Qualität im Journalismus“ und wissenschaftlichen Akteuren wird ernsthaft an einer Reetablierung dieses Selbstkontrollorgans gearbeitet. Dass aber auch unter den funktionierenden Presse- und Medienräten in Europa das Interesse und Problembewusstsein für notwendige Reflexionen zum Opferschutz unter den Bedingungen des Internets und Satellitenempfangs erst geweckt werden muss, zeigte sich bei der Wiener Tagung „Europäische Öffentlichkeit und journalistische Verantwortung“2. Immerhin wurde das Interesse an Forschung zur Frage deponiert, welchen Sinn nationale Regelungen zum Opferschutz machen, wenn sich Zeitungen an die rigoroseren nationalen Gesetze halten und Namens- und Bildschutz beachten, die Rezipientinnen und Rezipienten über das Netz aber aus Zeitungen oder Portalen mit lockereren Rechtsrahmen mit Fotos und Namen der Opfer und mutmaßlichen Täter bedient werden. Dass nicht nur Printmedien, sondern auch elektronische Medien, ja sogar öffentlich-rechtliche Anstalten unter dem oben beschriebenen Krisenbündel leiden, beweist der ORF, der durch Veranlagungsverluste, Werbeeinschränkungen, die rasche Digitalisierung, eine große Programmreform und die Machtspiele der Politik tief in die roten Zahlen zu rutschen droht. Eine parlamentarische Enquête am 17. September 2009, bei der neben den Politikern auch Vertreter aus Medien, Verbänden und Experten sprachen, brachte wenig neue Erkenntnisse. Weitgehend Einigkeit herrschte darüber, dass der ORF „Public Value“ produzieren solle und er dazu entsprechende finanzielle Rahmenbedingungen brauche. Die nach Abschluss des EU-Beihilfeverfahrens vorgesehene Novellierung des ORF-Gesetzes wird wohl den akuten Finanzierungsbedarf des ORF, nicht aber seine insti­tutionellen, organisatorischen, ökonomischen und publizistischen Strukturprobleme lösen. 2 „Europäische Öffentlichkeit und journalistische Verantwortung“, Internationale Expertentagung im Presseclub Concordia, 26.– 28. Februar 2009, Wien.

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Gesellschaftlicher Bedarf an journalistischer Leistung Diese Beobachtungen am Fallbeispiel lassen sich durch Schweizer, deutsche, französische, englische etc. Berichte ergänzen, die ähnlich gelagert sind. Auch wenn nach wie vor die amerikanischen Nachrichten zur Medienkrise dominieren, die grundlegenden gesellschaft­ lichen, ökonomischen und medialen Veränderungen finden in Europa genauso statt wie in den USA. Die Digitalisierung ist Auslöser und Folge dieser Entwicklungen. Sie verändert unsere Mediennutzung, Privates und Öffentliches, Beruf und Alltag wachsen zusammen. Gespart wird an anderer Stelle: in der „Gratis­kultur“ ist es selbstverständlich geworden, dass man für Nachrichten, Filme oder Musik nichts zu zahlen braucht und das nicht nur im Netz. Mehr als ein Viertel aller Zeitungen in Europa ist bereits gratis. Die Hoffnung vieler Verleger, dass in späteren Lebensphasen aus den jungen „Nulltariflern“ zahlende Abonnenten der Papierzeitung würden, könnte trügerisch sein. Während für die Generation der Älteren Rituale wie das Frühstück mit der Zeitungslektüre verbunden sind, ist es bei den Jungen das Einschalten des Laptops oder die erste SMS des Tages. Die Domestizierung der neuen Apparate hat längst stattgefunden. Ich will aber noch einmal auf die Lage in den USA zurückkommen: Der wirklich erschütternde Kern der Krise besteht nicht nur im Inhalt der Nachrichten, sondern in der Hoffnungslosigkeit, mit der diese überbracht werden. Man rechnet mit dem Schlimmsten und schreibt es eifrig herbei. Da ist kein Aufbäumen, keinerlei Selbstsicherheit, keine Gewissheit, wonach Krisenzeiten den Bedarf an Medien und Journalismus steigern sollten. Ein müde gewordener Berufsstand scheint sich in sein Schicksal zu ergeben. Wer das einigermaßen konsequent verfolgt, kann nur zum Schluss kommen: die Partezettel sind gedruckt, der Trauerzug hat sich formiert und im Hintergrund kann man die Totenglocken hören. Dem widerspricht Otfried Jarren, der in seiner Argumentation darauf hinweist, dass die Deutung eines generellen Niedergangs der traditionellen Massenmedien den „erheblichen Ausdifferenzierungsprozess im Bereich der gesamten medial vermittelten Kommunikation und den sich daraus ergebenden Folgen“ (Jarren 2008: 330) übersehen würde. Massenmedien ermöglichen erst und auch weiter­hin 68

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öffentliche Kommunikation, gerade wegen der zunehmenden Ausdifferenzierung der Öffentlichkeitsebenen und der Individualisierung der Sprecherrollen im Netz braucht es Massenmedien als Intermediäre, sie „vermögen durch ihr redaktionelles Auswahl- und Entscheidungsprogramm den gesellschaftlichen Entscheidungshaushalt fokussiert darzustellen und dadurch einen Beitrag für den Einzelnen und für dessen Entscheidungsverhalten und zugleich auch für die gesamt­ gesellschaftliche Koorientierung zu leisten“ (Jarren 2008: 330).

Zwei Krisen Ist aber nun – wie im Titel unserer Veranstaltung gefragt wurde – die Krise der Printmedien eine Krise des Journalismus? Die Antwort muss mehrere Ebenen berücksichtigen: 1. Es gibt nicht nur eine Krise der Printmedien, sondern ebenso eine des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und auch eine des privaten Rundfunks. Und es gibt eine Krise der Institutionen. Was es nicht gibt, ist eine konsequente Strategie im Umgang mit einer mediengesellschaftlichen Transformation: nämlich mit dem Entstehen einer „Convergence Culture“, wie sie der MIT-Professor Henry Jenkins (2006) nennt. In dieser Konvergenzkultur kollidieren alte und neue Medien, komplementäre Projekte sind dagegen rar. Meckel sieht nur einen Weg für die Zeitung, „das epische Medium“: „Die Zeitung der Zukunft wird zwei Gesichter haben: ein gedrucktes und ein vernetztes.“ (Meckel 2009) 2. Die Krise der Medien bedingt eine Krise des Journalismus. Sparkurse, kleinere Redaktionen, verstärkter Produktionsdruck, höhere Output-Forderungen sowie mehr oder weniger offene Rücksichtnahmen gegenüber Inserenten sind Indizien dafür. 3. Aber der Journalismus weist auch unabhängig von Konjunktur und Strukturwandel krisenhafte Symptome auf, für die er nicht nur die Medienunternehmen verantwortlich machen kann. Es gibt eine Journalismuskrise, die exogene und endogene Ursachen hat. 69 

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Das Publikum hat langfristig relativ konstante Einstellungen zum Image von Journalisten. Sie folgen Schlüssel-Narrativen und liegen zwischen „Hitler-Tagebüchern“ und „Watergate“ (vgl. Lieske 2008). Tatsächlich aber verändert sich das Berufsfeld Journalismus in dramatischer Weise. Es gewinnt an Diversität und verliert an Kontur, weshalb die traditionellen Definitionen nicht mehr greifen, wenn es um Journalismus in den Zeiten von Entgrenzung und Content-Großhandel geht. Für diese Veränderungen werden vorwiegend exogene Faktoren wie Strukturwandel, technische Innovationen und Prozesse der Ökonomisierung als Verursacher verantwortlich gemacht. Der Wandel wird als Ausdifferenzierung, Entdifferenzierung und Entgrenzung (vgl. Altmeppen/Quandt 2002; Loosen 2007) beschrieben. Durch die genannten Entwicklungen entsteht ein wechselseitig interdependentes, zunehmend verwobenes, ein vermischtes publizistisches System mit neuen journalistischen, journalismusnahen und nicht-journalistischen Berufen. Aber der Wandel ist auch binnenjournalistisch verursacht als Reaktion auf gesellschaftliche Entwicklungen wie die Erlebnisorientierung oder die Segmentierung der Publika. Sie initiieren markt­ strategische Entscheidungen zur Spezialisierung und Formatierung der Medienangebote. Das Resultat der Diversifizierung ist Diversität, eine neue Vielfalt der Kanäle, der Strukturen und Organisationen, der Rollen und Programme (vgl. Haas 2009). Diese neue Vielfalt führt zu Grenzauflösungen. „Journalismus verliert als fest umrissener, identifizierbarer Sinn- und Handlungszusammenhang deutlich an Konturen; er ist deshalb als Einheit kaum noch beschreib- und beobachtbar.“ (Weischenberg 2001: 77) Das macht eine trennscharfe Definition dessen, was Journalismus ist, zunehmend schwieriger, aber zugleich auch dringend notwendig. Die Diversifizierung verlangt nach einer Erweiterung der Perspektive der Journalismusforschung, um neue Phänomene und hybride Formen des Netz-Journalismus ohne definitorische Beliebigkeit erfassen zu können. Dazu ist beides notwendig: eine Öffnung für neue Phänomene, die Suche nach gesicherten Kernbeständen und deren kontinuierliche Überprüfung sowie eine Analyse der Zusammenhänge und Folgen der exogenen wie endogenen Krisenursachen. Ich will versuchen, das beispielhaft anhand zentraler Problemfelder zu diskutieren. 70

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Die Privatisierung der Öffentlichkeit Die Privatisierung der Öffentlichkeit, ihr zweiter (oder dritter?) „Strukturwandel“ ist gekennzeichnet durch eine Transformation von Öffent­ lichkeit mit neuen – durch Public Relations-Expertise professionell betreuten – Sprecherrollen sowie durch private Akteure, die sich in diversen Medienformaten über ihre Alltagsprobleme äußern. Dadurch wird Öffentlichkeit vom Ort des rationalen Austauschs von Argumenten zur Arena der Interessen und der Unterhaltung, die Grenzen zwischen Öffentlichem und Privatem verschieben sich (vgl. Sennett 1983) oder lösen sich tendenziell auf (vgl. Haas 2001). Zygmunt Bauman (1999, 2000) hat die Konsequenzen beschrieben und warnt vor der Bedrohung des Öffentlichen und der Politik durch den Siegeszug des Privaten. Mit Aristoteles unterscheidet er den Oikos – das Private, im antiken Griechenland die Hausgemeinschaft bestehend aus Familie, Bediensteten und Sklaven sowie Land, Gebäude und Inventar – und die Ecclesia – die öffentlichen Angelegenheiten. Der Austausch zwischen diesen beiden Bereichen findet an einem dritten Ort statt, der Agora, einem nicht privaten und auch nicht gänzlich öffentlichen Raum. Die Agora wird von der Politik immer seltener heimgesucht, sie hat selbst ihre Gestaltungsmöglichkeiten eingeschränkt. Die Agora ist verlassen, aber sie ist nicht leer, die neuen Besucher kommen aus dem Oikos und sie verhandeln öffentlich private Themen wie Sexualität, Nachbarschaftsstreit, Figurprobleme etc. Damit scheint der Triumph der Privatisierung des Öffentlichen perfekt: die Beute besteht in der gewonnenen Aufmerksamkeit: „Die massenmediale Darstellung wird wichtiger als der Inhalt, Vereinfachung und dramatisierte Verzerrungen werden zu strategischen Mitteln der Erzeugung von Aufmerksamkeit.“ (Münch 1992: 215) Aber nicht jede Erregung von Aufmerksamkeit ist auch schon Journalismus und es sollte gerade dem Journalismus wichtig sein, darauf hinzuweisen. (Vgl. Kiefer 2009)

Quotenlogik oder: die Reiz-Aufmerksamkeits-Spirale Wenn der Wettbewerb um Rezipienten und Werbeanteile das Handeln von Medienunternehmen dominiert, wirkt sich das auch auf deren 71 

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Produkte aus. Publizistische und wirtschaftliche Unternehmensziele werden vermischt. Journalismus muss die avisierten Zielgruppen möglichst vollständig erreichen und ans Medium binden, denn das Maß, in dem das gelingt, schafft die Argumente für die ökonomische Performance. Aber mit seinen Reichweitenerfolgen generiert diese Art des Journalismus immer nur eine Aufmerksamkeit der Vorläufigkeit, denn rasch ersetzt Gewöhnung die Überraschung. Dem Neuen muss ein neues Neues folgen, noch effektvoller, um aufzufallen. Im Kampf um Aufmerksamkeit entsteht eine RAS, eine „Reiz-AufmerksamkeitsSpirale“ (Haas 2001: 48). Eine journalistische Strategie zur Erzeugung von Aufmerksamkeit sind Nachrichten. „News“ reklamieren durch ihr Versprechen, neu und jetzt aktuell und relevant zu sein, Aufmerksamkeit für sich. Das Neue folgt Selektions- und Präsentationsmustern, die prinzipiell Bekanntes und Vertrautes in aktuellen Kontexten neu erscheinen lassen. Unfälle, Naturkatastrophen oder Kriminalfälle sind etwas Ungewöhnliches, dennoch zählen sie seit jeher zum Nachrichteninventar. Pierre Bourdieu nennt sie das „gewöhnliche Ungewöhnliche“ (1998: 26). Hier setzt auch Klaus Schönbach an, der im „Prinzip der zuverlässigen Überraschung“ (2008) den Garanten dafür sieht, dass Medien und Journalismus überleben werden. Dieses Prinzip müsse aber durch Investitionen gesichert werden – Investitionen in die Redaktion, um durch Selektion, Recherche, Überblick, alternative Quellen, Mut und Risiko solche zuverlässigen Überraschungen möglich zu machen. Neue Konkurrenten wie Bürgerjournalismus sind eine wichtige Ergänzung, eine heilsame Herausforderung, aber keine Bedrohung: dafür sprächen die menschliche Neugier, gepaart mit Bequemlichkeit und der Wunsch, vertrauen zu dürfen. (Schönbach 2008: 509)

Ökonomisierung und Entmeritorisierung Die Prozesse der Ökonomisierung des Medienmarktes (vgl. Jarren/ Meier 2001) hatten historisch und haben aktuell den Journalismus verändert. Ökonomisierung meint eine über das notwendige wirtschaftliche Handeln hinausgehende Orientierung an primär ökonomischen Zielen. Sie unterwirft auch jenes Handeln einer ökonomischen Logik, 72

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das bisher von dieser ausgenommen war. Das Ziel solchen Handelns ist nicht länger mit einem journalistischen und verlegerischen Anspruch verbunden, sondern mit dem Interesse, mit einem mehr oder weniger journalistischen Medienprodukt möglichst viel Gewinn zu erwirtschaften. Als „take-the-money-and-run“-Plan bezeichnet Meyer dieses Modell einer „Harvest market position“ (Meyer 2009: 37). Das ist zwar ein Geschäftsmodell, aber es konfligiert mit einem Verständnis, das Medien nicht nur als reine Wirtschaftsgüter, sondern als ein gesellschaftliches Gut und journalistische Funktionen als meritorische Aufgaben betrachtet. (Vgl. Jarren/Meier 2001: 147) Auch hier sind die Bedingungen schlechter geworden: Die Vielfalts­versprechen der medienpolitischen Deregulierer und Liberalisierer haben sich nicht bewahrheitet, der Staat hat sich aus der medienpolitischen Verantwortung zur Vielfaltssicherung weitgehend zurückgezogen. Das außenplurale Modell begünstigt eine Entwicklung von den auch ökonomisch voraussetzungsreichen meritorischen Gütern zu den „wanted goods“ (vgl. Musgrave/Musgrave/Kullmer 1994), deren Konsequenz eine „Entmeritorisierung von Medienleistungen“ (Kiefer 2001: 22) ist, und auch Altmeppen beobachtet eine „Ökonomisierung des Angebots“: „Die Medienunternehmen besinnen sich immer weniger auf die Stärkung der publizistischen Dienstleistung, sondern vermehrt auf eine (absatz-) marktgerechte Produktgestaltung.“ (Altmeppen 2001: 201) Das hat unweigerlich auch Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen der Journalisten und damit auf deren Produkte.

Stagnationen und Resignationen Es zeigen sich also heterogene Ergebnisse bei der empirischen Beobachtung aktueller Entwicklungen im Journalismus. Sie lassen sich systematisieren und als Stagnationen und Resignationen beschreiben (vgl. Haas 2009). Resignationen zeigen sich in Autonomieverlusten und Deprofessionalisierungserscheinungen. So werden beispielsweise typische journalistische Aufgaben wie Analyse und Kommentar vermehrt an Experten, besonders oft an Meinungsforscher delegiert. Diese neuen Kommentatoren fungieren in Nachrich73 

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tensendungen als Journalistenersatz, wobei ihre Expertenrolle häufig nicht eindeutig zuzuordnen ist. Brigitte Huber (2008) untersuchte anlässlich der österreichischen Nationalratswahl 2006 über einen Zeitraum von fünf Wochen die mediale Präsenz von Meinungsforschern „mit Umfrageergebnissen“ und „ohne Umfrage­ergebnisse“ in den österreichischen Tageszeitungen „Standard“, „Presse“, „Kurier“, „Krone“ und „Österreich“. Ihre Inhaltsanalyse zeigte, dass 61,3 Prozent dieser Medienauftritte gänzlich ohne Umfragedaten auskommen (Huber 2008: 93, 104). Für die TV-Analyse zeichnen sich noch deutlichere Ergebnisse ab. Welche Folgen hat solche Praxis? Beim Publikum könnten Irritationen über die Rolle der Eingeladenen entstehen. Sind Meinungsforscher Überbringer und Deuter von Daten oder sind sie Experten zur Einschätzung von Status und Entwicklung der Meinungslage auch ohne Umfrageergebnisse? Zu den Stagnationen im Journalismus zähle ich das Feld der politischen Kommunikation, wo eine auf internationaler Consulting­Expertise beruhende, personell und finanziell beeindruckende Professionalisierung des Marketings vor sich geht, die den Journalismus zunehmend dominiert (vgl. Haas 2006). Die Forschung konzentriert sich auf die „Kolonisierung der Politik durch das Mediensystem“ (Meyer 2001), dagegen wissen wir noch zu wenig über die Folgen solcher Transformation für den Journalismus. Die Verschlechterung der Rahmenbedingungen lässt wenig Gutes erwarten. Der journalistische Nachwuchs wechselt von Praktikum zu Praktikum, nicht selten zahlt er für die Teilnahme an Lehrredaktionen Gebühren. In den Redaktionen gibt es kaum Unterstützung durch erfahrene Redakteure, weil diese selbst unter zunehmendem Produktionsdruck stehen. Es steigen die Anforderungen an Journalisten, aber zugleich findet eine Entwertung der journalistischen Arbeit durch Tarifflucht oder Outsourcing statt, die mittelfristig auf Kosten der Sicherung des Unternehmenserfolges und der Konkurrenzfähigkeit des Produkts gehen könnte. Dass nicht in die Infrastrukturen für Qualität investiert wird, vermittelt auch einen Eindruck, welches Publikumsbild in den Köpfen der Medienmanager existiert. Diese Beispiele für endogene Krisenherde verweisen auf die zentrale Gefahr des Verlusts der Glaubwürdigkeit und damit des Vertrauens der 74

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Rezipienten, der „dem Nachrichtenproduzenten genauso vertrauen (muss, HH.) wie in der Regel der Patient dem Arzt oder der Klient dem Anwalt“ (Kiefer 2009: 81). Vertrauen setzt die kontinuierliche und verlässliche Erfüllung der zentralen journalistischen Aufgaben der Themen- und Faktenselektivität, der Richtigkeit von Beschreibungen und der Qualität expliziter Bewertungen voraus (vgl. Kohring 2004). Die stabilen Erwartungen auf Seiten der Rezipienten, der Medienunternehmen, der Redaktionen und der Journalisten müssen kontinuierlich erfüllt werden, sie sind die Grundlage des Vertrauens. Ihre Verletzung erzeugt Irritation. Vertrauen braucht Gewohnheit, journalistische Angebote müssen markiert und zweifels­frei als journalistische erkennbar sein und bleiben. Dazu ist eine deutliche „Abgrenzung journalistischer Kommunikatoren von der wachsenden Zahl nichtjournalistischer Kommunikatoren vor allem aus den Bereichen Unterhaltung, PR und Werbung“ (Kiefer 2009: 101) notwendig, mehr noch, zu fordern ist auch eine „Firewall zwischen den Redaktionen und den Geschäftsführungen“ (Donsbach et al. 2009: 137). Um das Gut der inneren Pressefreiheit war es auch schon vor den Zeiten der Krise still geworden, dabei hätte sich so manche „Medienkooperation“ vermeiden und generell die Zunahme der „Schleichwerbung“ (vgl. Horninger 2008) verhindern lassen. Nicht nur dem „missachteten Leser“ (Glotz/ Langen­bucher 1969), sondern auch dem von seiner Organisation „missachteten Journalisten“ sollte Beachtung geschenkt werden. Als Organisationen und Wirtschaftsunternehmen bilden Medien die institutionelle Infrastruktur für Journalismus, sie stellen Ressourcen bereit oder halten diese knapp. Die Reduktion des journalistischen Personals in den Redaktionen verlangt von den einzelnen Journalistinnen und Journalisten erhöhten Output, was wiederum auf Kosten von Recherche, eigener Themengenerierung und Zeit für die adäquate Umsetzung geht. So entstehen „Flat Earth News“ (Davies 2008), Nachrichten ohne Wert. Das aber muss sich – so Jürgen Habermas – „auf das Leistungsniveau und den Bewegungsspielraum der Redaktionen“ auswirken, es drohen „politisch-kulturelle Flurschäden“ (Habermas 2007). Die Krise des Journalismus scheint unmittelbar mit der Krise der Medien zusammenzuhängen. Aber bei einer analytischen Trennung der Institution Journalismus und der Institution Medien zeigen sich 75 

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Symptome einer Krise, für die Medienorganisationen und Journalismus verantwortlich sind. Wenn professionelle Leitwerte vernachlässigt werden, so hat das Folgen. Donsbach et al. (2009: 129f.) haben diese empirisch erhoben: Journalismus hat gegenüber anderen Insti­tutionen und Professionen überdurchschnittlich an Vertrauen verloren, den „Journalisten im Allgemeinen“ vertrauen nur ein Drittel der Deutschen, bei der jüngeren Generation ist es gar nur mehr ein Viertel.

Journalismus braucht PR für Journalismus Eine groß angelegte Kampagne für Journalismus könnte Funktionen und Leistungen erklären und diese a) dem Publikum, b) den Medienmanagern und c) den Journalisten selbst vermitteln. Die Leitidee des Journalismus sollte allen drei Teilöffentlichkeiten in Erinnerung gerufen werden. Dazu müssen die elementaren Funktionen und Leistungen des Journalismus zweifelsfrei gestellt werden, nämlich dass er eine gesellschaftliche Primärfunktion erfüllt, dass er einen stabilen Eigenwert der modernen Gesellschaft repräsentiert. Dass man Journalismus nicht einfach unterlassen kann, ohne katastrophale Folgen auszulösen, weil es keine funktionalen Äquivalente gibt. Für die Journalismusforschung gilt es, Journalismus nicht nur als Objekt empirischer Analyse abzuhandeln, sondern ihn als eigenständiges soziales Erkenntnissystem zu fassen, als ein kritisch-emanzipatorisch zu begleitendes Aufklärungsprojekt (Brosda 2008), an dem auch weiterhin Bedarf besteht. Journalismus ist nur dann unverzichtbar, wenn er Funktionen für die Gesellschaft erfüllt, die wiederum auf die Erbringung dieser Leistungen angewiesen ist. Der Journalismus ist jene gesellschaftliche Instanz, jene Institution, die konstant „gesellschaftsweite Resonanz“ (vgl. Imhof 2005: 276) für die öffentlich relevanten Themen herstellt, die Debatten und Diskurse ermöglicht, ohne die eine demokratische Gesellschaft nicht existieren kann. Journalismus sorgt durch das Herstellen von Mitteilungen für die öffentliche Kommunikation und damit für die unverzichtbare Selbstbeobachtung und -beschreibung der 76

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Gesellschaft, er generiert gesellschaftliche „Selbstverständnis­diskurse“ (Jarren 2000: 23) und eröffnet die Möglichkeit zur Anschlusskommunikation. „What Are Journalists For?“ fragt Jay Rosen (1999) und gibt zur Antwort: „to hear the confessions of the public.“ Journalismus werden viele gesellschaftliche Funktionen zugeschrieben, Komplexitätsreduktion, Entlastung, Koordination oder Kohäsion. Ich beschränke mich auf drei m. E. zentrale Funktionen: Aufklärung, Kontrolle und Erkundung (vgl. Haas 2009). Aufklärung bedeutet den Auftrag, die Rezipienten mit jenen Nachrichten zu versorgen, die aus professioneller Umweltbeobachtung erwachsen, nach nachvollziehbaren Relevanzkriterien selektiert sowie adäquat vermittelt werden. Aufklärung beinhaltet auch Kritik in differenzierten Ausformungen. Kontrolle ist längst zu einer zentralen Imagenarration für Journalismus, zu einer stabilen Erwartungshaltung der Bürger geworden (vgl. Lieske 2008). Jedes Land hat seine eigene „Watergate“-Erfahrung und immer hat diese mit Engagement und Mut, vor allem aber mit der Recherche zu tun, dieser journalistischen Schlüsselkompetenz und grundlegenden Methode des Journalismus. Geschichte und Gegenwart des Journalismus zeigen, dass dafür insti­ tutionelle Unterstützung und Ressourcen notwendige oder zumindest begünstigende Voraussetzung sind. Gerade in der Medienkrise gerät der investigative Journalismus in Gefahr, die Budgets für lange und ungewisse Recherchen fehlen und wo diese zwar vorhanden, aber nicht genehmigt werden, fehlt es am Bekenntnis zu journalistischen Leitideen. Umso wichtiger werden jene Initiativen, die hier einspringen: z.B. das traditionsreiche Center for Investigative Reporting und Pro Publica in den USA oder der „Investigation Fund“ in England mit dem Ziel, „public interest journalism“ zu fördern. Bemerkenswert ist, dass zur Lösung der Finanzierungskrise der New York Times ausgerechnet Analysten als erste die Idee eines öffentlich-rechtlichen Modells auch für Zeitungen ins Gespräch brachten – die gesellschaftliche Alimentierung wird vermutlich eher nicht zustande kommen, aber dass dies öffentlich seriös diskutiert wird, zeigt zumindest die gesellschaftliche Bedeutung dieser medialen und journalistischen Institution. Aber so verdienstvoll die genannten Initiativen auch sind, vor allem indem sie Problembewusstsein für die demokratische Notwendigkeit der Investigation 77 

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schaffen, so problematisch wäre die Auslagerung des Journalismus, vor allem des kritischen, investigativen, in Fonds und Stiftungen. Es wäre höchst fatal, wenn am Ende der anspruchsvolle und voraussetzungsreiche Journalismus als mediales Outsourceprogramm stünde und die Medien mit marketingjournalistischen, gewerblichen Dienstleistern betrieben würden. Schließlich ist die Recherche jenes Verfahren, das den Journalismus als Erkenntnis­system moderner Gesellschaften etabliert hat, das ihn zur Erkundung von Realität befähigt. In jeder Recherche, die über die Kurzfristigkeit und Einseitigkeit unmittelbarer (oft außengeleiteter) Kommunikationsbedürfnisse hinausgeht, manifestiert sich sein „gesellschaftlicher Mehrwert“ (vgl. Haas 1999: 21), durch den „Zufluss an Informationen, die sich aufwändiger Recherche verdanken“ (Habermas 2007). Demokratische Gesellschaften brauchen Journalismus, der Beobachtung und Validierung beherrscht, dessen thematische Selektion nach Relevanzkriterien erfolgt, der Erklärung, Hintergrund und Zusammenhang bietet und dessen Verfahren elabo­riert sind. Damit gibt er Orientierung, wird zum Kompass im Nachrichtenchaos. Diese Stärken werden immer gefragt bleiben, und nicht nur dann, wenn wir den Luxus der Entschleunigung suchen und das Multitasking Pause macht.

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Horst Pöttker

Journalisten in der Mediengesellschaft Daten zu Innovationsbereitschaft und professionellem Autonomiebewusstsein von DJV-Mitgliedern1

Die Leitfrage dieses Bandes, ob die gegenwärtige Krise der Presse auch eine Krise des professionellen Journalismus bedeute, ist mit einem klaren Ja zu beantworten2, wenn man das Wort „Krise“ genau nimmt: Gipfel- und Wendepunkt einer existenziellen Gefährdung, deren Überwindung Veränderungen erfordert. Die andere, darin verborgene Frage, ob der Journalismus die Krise überwinden oder an ihr zugrunde gehen wird, lässt sich (noch) nicht beantworten, jedenfalls nicht empirisch. Ich wage aber eine Prognose: Der Journalismus wird die Krise der Presse überstehen, wie er schon andere Medien­ umbrüche überstanden hat, weil er sich nicht in erster Linie materiellen Bedingungen öffentlicher Kommunikation verdankt, sondern einem fundamentalen Bedarf moderner Gesellschaften an Öffentlichkeit, den keine Medienentwicklung zum Verschwinden bringt. Das heißt freilich nicht, dass der Journalismus sich nicht verändern wird. 1 Für technische Unterstützung danke ich Sarah Hubrich und Karen Peter. Wenn im Folgenden von Journalisten die Rede ist, sind immer Journalistinnen und Journalisten gemeint. 2 Vgl. die Diagnose von Siegfried Weischenberg in diesem Band.

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1. Fragestellung: Die Mediengesellschaft fordert einen Wandel des journalistischen Selbstverständnisses heraus. Sind Journalisten dazu bereit? Die Großgesellschaften der Antike und des Mittelalters brauchten Informationsvermittler vor allem, um geografische Kommunika­ tionsbarrieren zu überwinden. Händler, Politiker und Militärs dieser Gesellschaften mussten wissen, wie es anderswo zuging, um erfolgreich handeln zu können. In der Moderne ist infolge zunehmender gesellschaftlicher Parzellierung und gleichzeitiger Demokratisierung ein ungleich stärkerer Bedarf an öffentlicher, nicht nur Eliten zugänglicher Information entstanden. Um diesen Bedarf zuverlässig zu decken, ist im Zuge funktionaler Differenzierung der Journalismus als ein auf die Aufgabe Öffentlichkeit3 spezialisierter Beruf mit besonderen Verhaltensstandards, Arbeitstechniken, Ausbildungswegen und Interessenorganisationen entstanden. Konstitutiv für die Verberuflichung des Journalismus, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vollzogen wurde, ist zweierlei: erstens, im Sinne der Berufsdefinition Max Webers, dass Journalisten für ihre spezialisierte Tätigkeit und das Bündel der dafür notwendigen besonderen Kompetenzen ein regelmäßiges, zum Leben ausreichendes Einkommen (vgl. Weber 1972: 80) erwarten (können); und zweitens, dass Journalisten die Aufgabe Öffentlichkeit, das Vermitteln richtiger und wichtiger Informationen an viele Menschen, als eine eigene, an keine andere Aufgabe gebundene Pflicht betrachten, weshalb sie auf ihre professionelle Unabhängigkeit von den Interessen aller anderen Berufe und Bereiche (Politik, Wirtschaft, Militär, Religion, Sport, Wissenschaft usw.) pochen. Dass die Medienentwicklung nicht das Ausschlaggebende für die Entstehung des Journalistenberufs war, lässt sich an der kulturellen Ungleichzeitigkeit des Professionalisierungsprozesses ersehen. Die Ideen der unabhängig hergestellten, der ganzen Gesellschaft dienen­ den Öffentlichkeit und der dafür notwendigen Pressefreiheit sind 3 Hier verstanden als das Herstellen eines Optimums an Unbeschränktheit der gesellschaftlichen Kommunikation, an Transparenz der gesellschaftlichen Verhältnisse. Vgl. Pöttker 2005a.

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Anfang des 18. Jahrhunderts in England aufgekommen, der damals sozio-ökonomisch avanciertesten Gesellschaft (vgl. Pöttker 1998). Zu der Zeit gab es im sozialhistorisch verspäteten Deutschland (vgl. Wehler 1987, bes: 53–58) schon ein Jahrhundert Wochen- und ein halbes Jahrhundert Tageszeitungen. Ohne ein Optimum an Transparenz sind moderne, hochkomplexe Sozialformationen nicht in der Lage, ihre Probleme zu erkennen und sich selbst zu regulieren. Es ist der Journalismus, der ihnen das Vorhandensein der existenznotwendigen Ressource Öffentlichkeit garantiert. Moderne Gesellschaften ohne halbwegs autonomen Journalismus sind auf die Dauer zum Scheitern verurteilt, wie z. B. der Zusammenbruch der realsozialistischen Systeme in Ost­ europa gezeigt hat. Es ist daher anzunehmen, dass der Journalismus nicht verschwinden wird, nur weil aufgrund eines Umbruchs in der Medien­welt4 die materiellen Bedingungen für öffentliche Kommunikation sich verändern. Bedingung ist allerdings, dass die Gesellschaft einen bedrohlichen Verlust an unabhängig hergestellter Öffentlichkeit und journalistischer Qualität rechtzeitig wahrnimmt, was wiederum voraussetzt, dass der Journalismus sich und seine Probleme zu Gegenständen der öffentlichen Kommunikation macht. Hier wird die Bedeutung eines zur Selbstkritik fähigen Medienjournalismus für die ganze Gesellschaft deutlich. Angesichts der noch sehr begrenzten öffentlichen Aufmerksamkeit für die wenigen Institutionen der journalistischen Selbstregulierung5 mögen Skeptiker an der Berechtigung meiner Grundprämisse vom Überleben des unabhängigen Journalismus zweifeln. Wenn diese optimistische Annahme jedoch stimmt und der Journalistenberuf bleibt, heißt das noch nicht, dass er so bleiben wird, wie wir ihn heute kennen. Das sei an zwei auch durch die Medienentwicklung hervorgerufenen gesellschaftlichen Umbrüchen erläutert, die zu 4 Der Ausdruck „Medien“ wird hier mit der Bedeutung „materielle Bedingungen von Kommunikation“ verwendet, eine „Medienwelt“ ist demnach die Gesamtheit aller Kanäle, deren sich (öffentliche) Kommunikation in einer bestimmten Kultur zu einem bestimmten Zeitpunkt bedienen kann. Vgl. Pöttker 2008b: 159f. 5 Nicht nur Selbstkontrolleinrichtungen wie der Deutsche Presserat, sondern auch Initiativen wie „Netzwerk Recherche“ (nr), „European Journalism Observatory“ (EJO) oder „Initiative Nachrichtenaufklärung“ (INA).

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tiefgreifenden Veränderungen des Journalismus und seiner tradierten Selbstbilder herausfordern.

1.1.  Herausforderung Medialisierung Auch wenn sich der Bedarf an Öffentlichkeit und professionellem Journalismus nicht in erster Linie der Medienentwicklung verdankt: Medienwelten haben Einfluss darauf, wie Journalisten arbeiten (können) und welches Selbstverständnis sie dabei entwickeln. In der Medienwelt, in der das heute vorherrschende journalistische Selbstbild entstand, existierte als technisch-organisatorische Basis öffentlicher Kommunikation nur die Presse. Es ist naheliegend, dass die bei diesem Medium stets gegebene Zeitdistanz zwischen Ereignis und Bericht sowie der distanzierende Effekt der Schriftsprache das Selbstbild des unbeteiligten Beobachters6 gefördert haben. In dieser Konzeption wird Unabhängigkeit mit Unbeteiligtsein gleichgesetzt. Die professionelle Wahrheitspflicht wird als Pflicht zur Distanz und Indifferenz ausgelegt. Dass diese Gleichsetzung zum vorherrschenden Begriff von Professionalität gehört, ist z. B. am allmählichen Verschwinden der Ich-Form aus dem Journalismus seit Ende des 19. Jahrhunderts erkennbar7. Mittlerweile sieht die Medienwelt, mit deren Bedingungen der Journalistenberuf zurechtkommen muss, anders aus. Zu den Printmedien sind Radio und Fernsehen gekommen, und an der Wende zum 21. Jahrhundert findet mit der Digitalisierung und dem Internet der bisher wohl tiefgreifendste Medienumbruch statt. Um die Sozialformation zu charakterisieren, die durch die veränderte Medienwelt geprägt wird, hat sich der Begriff „Mediengesellschaft“ eingebürgert (vgl. Imhof u.a. 2004; Pöttker 2006b: 1–4). Damit ist der Idealtyp einer Sozialstruktur gemeint, in der die Produktion von öffentlicher Wahrnehmung und daran orientierte Handlungskalküle 6 Die Systemtheorie nennt es Selbstbeobachtung der Gesellschaft in der Form der Fremdbeobachtung. Vgl. den Beitrag von Siegfried Weischenberg in diesem Band. 7 Mittlerweile scheint sie sogar aus Genres wie Kommentar oder Reportage verschwunden zu sein, deren subjektiver Charakter sie geradezu erfordert.

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zu beherrschenden Faktoren geworden sind, die die Eigenlogiken der Politik, des Sports, der Wissenschaft und anderer Handlungsfelder dominieren. Journalismus in der Mediengesellschaft, so meine These, muss sich vor allem damit auseinandersetzen, dass er nolens volens selbst zur strukturellen Bedingung, ja zur Ursache von Ereignissen und Zuständen geworden ist, über die er berichtet, und zwar bloß, weil er darüber berichtet oder berichten wird. Genau genommen ist Journalismus schon immer ein Teil des Geschehens gewesen, über das er informiert. Das wird z. B. in Presse­kodizes an Vorschriften zur Prozessberichterstattung erkennbar, die Vorverurteilungen entgegenwirken sollen, weil diese das Gericht beeinflussen könnten8. Hier wurde bereits vor dem Medien­ umbruch für ein bestimmtes Ressort die professionelle Pflicht zur Selbstreflexion der Artefakt-Wirkung des journalistischen Handelns angesprochen. Für den Journalismus in der Mediengesellschaft hat sich diese Problematik auf dramatische Weise verschärft. Das tradierte Selbstbild, in dem Unabhängigkeit mit Unbeteiligtsein gleichgesetzt wird, droht zur Ideologie zu werden, mit der Journalisten Verantwortung für die Folgen ihres Tuns und Lassens abwälzen (können). Zu einer Revision dieses von der Presse geprägten Selbstverständnisses wird der Journalismus erst von der Mediengesellschaft herausgefordert, weil er erst in ihr zu einem zentralen Faktor der Realitätskonstitution geworden ist. Es geht darum, dass Journalisten sich nicht nur bei Gerichtsprozessen, sondern überall als nolens volens beteiligten Faktor des Geschehens begreifen. In einem revidierten Selbstverständnis, das auf die Mediengesellschaft adäquat reagiert, kann journalistische Unabhängigkeit, die nach wie vor zu verteidigen ist, nicht mehr mit Distanz und Unbeteiligtsein gleichgesetzt werden9. Das hieße: gesellschaftliche Selbstbeobachtung nicht 8 Im deutschen Pressekodex die Ziffer 13 mit drei konkretisierenden Richtlinien. Vgl. Deutscher Presserat 2007: 13. 9 Für die Frage, wie das geschehen kann, ist möglicherweise viel von Journalisten zu lernen, die sich bereits um professionelle Unabhängigkeit bemüht haben, bevor das Selbstbild des unbeteiligten Beobachters entstand. Mir fällt dazu in Deutschland Heinrich Heine ein. Vgl. Pöttker 2008a.

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mehr in Form von Fremdbeobachtung, sondern von unabhängiger Selbstbeobachtung.

1.2.  Herausforderung Kostenökonomie Eine zweite Herausforderung ist die sogenannte „Ökonomisierung“ des Journalismus. Die Annahme, dass ein Widerspruch zwischen der ökonomischen Bedingtheit journalistischer Arbeit und ihrer publizistischen Qualität bestehe, ist weit verbreitet. Vor diesem Hintergrund lässt sich z. B. sensationslüsterne Berichterstattung auf die Profitgier von bloß an Auflagen, Einschaltquoten und Werbeeinnahmen interessierten Medieneignern schieben. So leicht sollte man es sich mit der Verdammung ökonomischer Triebkräfte des Journalismus freilich nicht machen. Auch Ärzte, Rechtsanwälte oder Architekten, ja sogar Lehrer und Pfarrer lassen sich für ihre Tätigkeit bezahlen. Max Weber hat den wirtschaftlichen Wert der Spezialisierung ja sogar ins Zentrum seiner Berufsdefinition gestellt. Und die meisten Standards dessen, was heute als professioneller Journalismus gilt10, sind im durch und durch kommerziellen Mediensystem der USA entstanden. Dort entwickelte sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, mit einem Höhepunkt in den 1880er Jahren, journalistische Professionalität, weil Zeitungsverleger wie James Gordon Bennett oder Joseph Pulitzer die Produktivität bestimmter Recherchetechniken und Darstellungsformen für den wirtschaftlichen Erfolg ihrer Blätter entdeckt hatten und erproben wollten (vgl. Pöttker 2003a). Dieser Erfolg war gleichzeitig auch ein publizistischer, denn ökonomisches Kalkül und publizistische Leidenschaft haben das Interesse gemeinsam, mit Informationen möglichst viele Menschen zu erreichen – gleichviel, ob sie nun Käufer oder Leser, Kundschaft oder Publikum genannt werden. Es ist kein Zufall, dass das für die Selbstregulierungsfähigkeit moderner Gesellschaften entscheidende Öffentlichkeitsprinzip sich historisch mit dem und nicht gegen den Kapitalismus entfaltet hat, 10 Vom Gegenchecken bei der Recherche über die Pyramidenform der Nachricht bis zur Trennung von Fakt und Meinung.

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während mehr politisch oder ideologisch als ökonomisch gesteuerte Systeme nicht zuletzt an einem Mangel an Öffentlichkeit gescheitert sind. Die Verbindung zwischen Unternehmerinteressen auf freien Medienmärkten und publizistischer Professionalität findet u. a. darin ihren Ausdruck, dass in Presseräten Journalisten und Verleger trotz des Antagonismus zwischen Arbeitnehmer- und Arbeit­ geberinteressen bei Beschwerdearbeit und Selbstkontrolle erfolgreich kooperieren11. Dennoch enthält die summarische Kritik an der Ökonomisierung des Journalismus etwas Richtiges. Das tritt hervor, wenn man den Begriff der Ökonomie genauer betrachtet. Ursprünglich ist damit ein rationales Nutzen-Kosten-Kalkül gemeint, das als subjektiver Sinn die wirtschaftliche Handlungsweise prägt. Die Zeitungsverleger, die im 19.  Jahrhundert Richtigkeit und kommunikative Qualität der Information zu steigern suchten, um die Auflagen ihrer Blätter zu erhöhen, blickten zuerst auf den Nutzen und erst dann auf die Kosten. Sie waren Unternehmer, die diese Bezeichnung verdienten, denn sie unternahmen etwas, um den Nutzwert des von ihnen angebotenen Gutes zu erhöhen und daraus dann ökonomischen Gewinn zu ziehen. Im Vergleich dazu sind heutige Medieneigentümer und -lenker – oft keine Verlegerpersönlichkeiten, sondern anonyme „shareholder“ oder Manager aus beliebigen Branchen – vor allem an der Kosten­ seite interessiert. Gespart wird etwa an Ausgaben für Recherchen oder für publizistisch erfahrenes Personal. Wenn solche Maßnamen auf der spontanen Annahme beruhen, damit auch auf Dauer der Glaubwürdigkeit und Verkaufbarkeit der Produkte nicht zu schaden, fehlt es den Entscheidern meistens an publizistischer Kompetenz. Journalistische Professionalität, die durch das rationale NutzenKosten-Kalkül in der Medienwirtschaft einst hervorgebracht wurde, droht von der Kostenökonomie wieder verzehrt zu werden, die an die Stelle der ausbalancierten, weitblickenden und risikobereiten ökonomischen Rationalität getreten ist.

11 Das gilt besonders, wenn das Publikum als dritter Partner beteiligt ist, wie es etwa die britische Press Complaints Commission (PCC) oder der Presserat der Schweiz praktizieren. Letzterer hat allerdings erst kürzlich die Verleger ins gemeinsame Boot holen können. Vgl. Studer 2008.

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Das auf Kostenüberlegungen reduzierte Kalkül vieler Medienmanager stellt eine neue Herausforderung für den Journalismus dar, die es gebietet, u. U. nun auch gegenüber dem „eigenen“ Unternehmen an professioneller Unabhängigkeit festzuhalten und sie gegen Übergriffe der „ökonomischen“ Logik zu verteidigen. Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn ursprünglich gingen Ökonomie und professioneller Journalismus ja Hand in Hand – einer der Gründe, warum sich Journalisten mit ihrer Zeitung oder ihrem Sender identifizierten. Offenbar fordert der Kostenfetischismus der Medienunternehmen eine Veränderung des beruflichen Selbstverständnisses heraus, die dazu führt, dass die Identifikation von Professionalität und Ökonomie nicht mehr für selbstverständlich gehalten wird und Journalisten die Notwendigkeit erkennen, u. U. auch gegen Medieneigentümer und -manager professionelle Interessen zu verteidigen. Die Gleichsetzung von Unabhängigkeit und ökonomischem Erfolg bedarf ebenso der Lockerung wie die von Unabhängigkeit und Unbeteiligtsein. Es geht nicht mehr nur um die Autonomie des Journalismus gegenüber Staat und Politik, sondern auch gegenüber Medienkonzernen, denen es gleich ist, mit welcher Art von Produkten sie Geschäfte machen. Möglicherweise ist sogar – nach dem Modell der balance of powers – eine Äquidistanz des Journalismus zu Politik und Ökonomie notwendig, um ein Optimum an beruflicher Unabhängigkeit zu realisieren – wofür ein Tabu zu brechen und über die absolute Staatsferne des Journalismus nachzudenken wäre. Vielleicht bedarf es ebenso der Unterstützung von politischer Seite, um Verleger, die zu viel Redaktionspersonal einsparen, vom Nutzen der Recherche für Neuigkeitswert und Glaubwürdigkeit ihrer Produkte (und damit auch für den eigenen wirtschaftlichen Erfolg) zu überzeugen, wie es gewinnorientierter Medienunternehmen bedarf, damit Journalisten sich nicht vor die Karren politischer Parteien spannen lassen. Und vielleicht bedürfen Presseräte neben Journalisten, Verlegern und Publikum auch noch – horribile dictu – gewählter Parlamentarier als weiterer Partner, um angesichts der Medienkrise und ihrer Folgen für den Journalismus das gesellschaftliche Interesse an unabhängig und fair hergestellter Öffentlichkeit vertreten zu können. Allerdings bleibt hier noch zu überlegen, wie sich die Ausgangsthese vom Überdauern des Journalistenberufs mit dem – nicht nur 89 

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von mir festgestellten12 – Befund verträgt, dass die Medienkrise und der Kostenfetischismus in Presseverlagen und Rundfunkanstalten die publizistische Qualität des dort praktizierten Journalismus verzehren. Wie kann sich der Journalismus halten, wenn die ökonomischen Entscheidungen branchenfremder, auf Shareholder-Interessen verpflichteter Manager die professionellen Standards in den Redaktionen preisgeben oder explizit in Frage stellen? Wie kann sich das gesellschaftliche Interesse an unabhängig hergestellter Öffentlichkeit, das wie alle Allgemeininteressen schwer organisierbar ist, durchsetzen, wenn den Medienunternehmen der Preis für professionellen Journalismus zu hoch erscheint? Darauf lassen sich zwei Antworten geben. Die erste nimmt wahr, dass nicht alle Medienunternehmen und Redaktionen in gleichem Maße in Schwierigkeiten geraten sind. Es gibt Qualitätsblätter, deren Auflagen steigen, wie „Die Zeit“ oder die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ (FAS).13 Manches weist darauf hin, dass sich in einer Zeit der rasanten Vermehrung aktueller Informationen der wirtschaftliche Erfolg von Qualitätsjournalismus mit dessen Abkehr von der Nachrichtenfunktion und einer Hinwendung zur Orientierungsfunktion zusammenhängt. Das allein forderte freilich bereits ein Überdenken des mit dem angelsächsischen Nachrichtenparadigma tradierten, seit 1945 auch in Deutschland vorherrschenden Begriffs von journalistischer Professionalität (vgl. Høyer/Pöttker 2005: 137–165) heraus. Die zweite Antwort spitzt die Herausforderungen der Krise für Medienunternehmen ins Existentielle zu: Das Internet als technologische Plattform von (öffentlicher) Kommunikation führt nicht nur zur Auflösung gewohnter Verknüpfungen zwischen Anzeigengeschäft und Journalismus14; es senkt auch die Investitionskosten, die zur Produktion von marktfähigen (periodischen) Publikationen notwendig sind. Unter diesen Bedingungen können im Prinzip auch wieder 12 Vgl. u. a. den Beitrag von Siegfried Weischenberg in diesem Band. 13 Laut IVW stieg zwischen den Quartalen 2/07 und 2/09 die Auflage der „Zeit“ um 2,20 % von 507.058 auf 518.231 und die der FAS sogar um 9,27 % von 345.268 auf 377.283 verbreitete Exemplare. 14 Anzeigenunternehmen neuen Typs platzieren heute im Netz erfolgreich Stellen-, Auto- oder Immobilienannoncen ohne redaktionellen Köder und ohne Rückführung von Erlösen in den Journalismus.

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Individuen mit mehr oder weniger berechtigten Erfolgshoffnungen versuchen, das Bedürfnis nach richtigen und wichtigen Informationen – und damit den gesellschaftlichen Bedarf an Öffentlichkeit – zu bedienen. Beispielsweise können aus Weblogs, wenn sie glaubwürdig und attraktiv gemacht sind, bekannte publizistische Marken werden, wie sich gegenwärtig vor allem in vernachlässigten Themenbereichen wie dem Medienjournalismus zeigt15. Daraus folgt, dass professioneller Journalismus immer weniger an große Medienunternehmen oder organisatorisch strukturierte Redaktionen gebunden sein wird. Möglicherweise erleben wir, ohne es schon richtig bemerkt zu haben, eine neue publizistische Gründerzeit. Wenn die Phase des „redaktionellen Journalismus“, die Dieter Paul Baumert in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts anbrechen sah (vgl. Baumert 1928: 47–84), heute in eine neue Phase der Berufsentwicklung übergeht, die man als technologischen Journalismus bezeichnen könnte, bedeutet das jedenfalls nicht, dass die professionellen Standards für journalistisches Handeln – Recherche wie Darstellungsformen – aufgegeben werden müssen, die teilweise schon vor dem (vgl. Pöttker 2000) und dann vor allem vom modernen redaktionellen Journalismus (vgl. Pöttker 2003a) entwickelt worden sind.

1.3.  Unabhängigkeit steht nicht zur Disposition Fazit: Offenbar fordert die Medienkrise Journalisten zu tiefgreifenden Veränderungen ihres Selbstverständnisses heraus. Unter den Vorzeichen von Mediengesellschaft und Kostendiktat ist die Selbstverständlichkeit zu überdenken, mit der bisher berufliche Unabhängigkeit mit den Rollen des unbeteiligten Beobachters und des Begleiters der Medienökonomie gleichgesetzt worden ist. Dabei darf jedoch diese Unabhängigkeit, die verlässliche Orientierung an der Aufgabe Öffentlichkeit, nicht abhandenkommen. Nicht die Epoche des professionellen Journalismus neigt sich ihrem Ende zu, sondern

15 Ein gutes Beispiel ist www.bildblog.de, „ein Watchdog für deutsche Medien“.

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die Zeit, in der dieser fraglos als Selbstbeobachtung der Gesellschaft in Form einer allenfalls durch ökonomische Vorgaben regulierten Fremdbeobachtung aufgefasst worden ist. Organisationen, denen die Institutionalisierung journalistischer Professionalität obliegt – Berufsverbände, Presseräte (vgl. Deutscher Presserat 2006; Baum u. a. 2005: 79–131), Ausbildungseinrichtungen – zeigen bisher wenig Neigung, über einen Wandel der Berufsauffassung nachzudenken. Lieber setzt man weiter auf einen seit Jahrzehnten bewährten Kanon wie den 1973 in Kraft getretenen Pressekodex (vgl. Deutscher Presserat 2006: 23–25; 2007). Diese verhärteten Strukturen sind mittlerweile recht gut erforscht (vgl. Pöttker 2002; 2003c; 2005b; 2006b; 2006c; 2007a; 2007b; Fischer 2006). Weniger bekannt ist, wie Journalisten selbst über die Tauglichkeit ihrer professionellen Traditionen in der Mediengesellschaft denken. Sind sie zur Selbstkritik bereit, vielleicht sogar zu einem grundlegenden Wandel überkommener Selbstbilder und Regeln? Und wenn es eine solche Bereitschaft gibt – ist dann zu befürchten, dass das Bemühen der Journalisten um professionelle Unabhängigkeit nachlässt? Oder kann die Gesellschaft ihnen zutrauen, dass sie das unerschrockene und faire Herstellen von Öffentlichkeit als professionelle Aufgabe fest im Blick behalten?

2. Methode: Sekundäranalyse selbst erhobener Umfrageresultate Die Daten stammen aus einer Journalistenbefragung, die im Sommer 2007 im Projekt „Mediale Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland, Kanada und den USA“16 realisiert wurde. Sie zielte nicht primär darauf, subjektive Bedingungen für einen Umbruch des professionellen Selbstverständnisses festzustellen. Wenn einige der Ergebnisse hier in diesen Kontext gestellt werden, handelt es sich also um eine Sekundäranalyse selbst erhobenen Materials. 16 Das Projekt gehörte zum DFG-Forschungskolleg 615 „Medienumbrüche“ an der Universität Siegen.

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Im Vergleich zur Studie „Journalismus in Deutschland“ (vgl. Weischenberg/Malik/Scholl 2006), die den Umfang des journalistischen Berufsfeldes zu bestimmen suchte, haben wir ein ein­ stufiges, relativ simples Auswahlverfahren gewählt, welches auf der Annahme basiert, dass die Mitgliedschaft von großen, nicht auf ein Segment des Berufs spezialisierten Journalistengewerkschaften als repräsentativ gelten kann, wenn es um professionelle Einstellungen geht17. Die DJV-Geschäftsstelle Nordrhein-Westfalen hat uns in einem Verfahren, das dem Datenschutz diente, Zugang zu einer Zufallsstichprobe von 200 Personen aus den rund 8.000 DJV-Mitgliedern im bevölkerungsreichsten Bundesland gewährt. Nach Mitteilung Kajo Döhrings, damals Geschäftsführer in NRW, heute im Bund, vertritt der DJV mit seinen rund 40.000 Mitgliedern „etwa die Hälfte der hauptberuflich tätigen Journalisten“ in Deutschland. Nach Einschätzung Döhrings deckt die DJV-Mitgliedschaft „die ganze Palette des Journalismus ab, dürfte also als repräsentativ einzuschätzen sein.“ Diese Annahme wird dadurch gestützt, dass sich bei sozialstatistischen Merkmalen und Medienverteilung Übereinstimmungen zwischen unserer Erhebung und der Studie „Journalismus in Deutschland“ zeigen (vgl. Pöttker 2009: 166). Die einzige gravierende Abweichung hängt mit unterschiedlichen Zielgesamtheiten zusammen. In ihr kommt zum Ausdruck, dass unsere Auswahl nicht nur organisatorisch (DJV), geografisch (NRW) und statistisch (erheblich kleinere Stichprobe) enger gefasst ist, sondern in einer nicht unwichtigen Dimension auch weiter. Während die Studie „Journalismus in Deutschland“ den Bereich Öffentlichkeits­ arbeit/PR per definitionem ausgeklammert hat, haben wir ihn durch die Entscheidung für die Zielgesamtheit DJV-Mitglieder bewusst mit ins Auge gefasst. Der Deutsche Journalisten-Verband nimmt nämlich auch Personen auf, die hauptberuflich in Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations oder Unternehmenskommunikation arbeiten. Diese 17 Bei Anfragen an verantwortliche Gewerkschaftsvertreter stellte sich heraus, dass die dju (Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union in ver.di) aus Datenschutzgründen grundsätzlich zu keiner Kooperation bereit ist, während die Offenheit für Belange empirischer Berufsforschung beim DJV von Landesverband zu Landesverband schwankt.

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umfassendere Betrachtungsweise erscheint sinnvoll, weil spätestens seit der Untersuchung von Barbara Baerns aus den 1980er Jahren (vgl. Baerns 1985) bekannt ist, wie stark die journalistische Produktion durch die Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen, Interessenverbänden und anderen Institutionen beeinflusst wird. Von dem Fragebogen, der an 180 nordrhein-westfälische Journalisten geschickt wurden, die auf Anfrage der DJV-Geschäftsstelle einer Teilnahme an der Befragung nicht widersprochen hatten, wurden 107 (59,4 %) brauchbar ausgefüllt zurückgesandt. Angesichts dieser hohen Rücklaufquote wurde auf ein Nachfassen verzichtet. Offenbar stoßen Probleme des beruflichen Selbstverständnisses bei Journalisten auf starkes Interesse – möglicherweise bereits eine Reaktion auf die Medienkrise.

3. Daten zur Reformbereitschaft beim beruflichen Selbstverständnis Zunächst zwei Fragenkomplexe, die darauf schließen lassen, ob unter Journalisten eine grundsätzliche Bereitschaft besteht, das überlieferte Selbstverständnis in Frage zu stellen: Anders als in der journalistischen Kultur der angelsächsischen Länder ist in deutschen Medien die Bereitschaft zur Richtigstellung in der Praxis wenig ausgeprägt. Es gibt in Deutschland kaum institutionalisierte Vorkehrungen, die absichern, dass die in Ziffer 3 des Pressekodex vorgeschriebene Korrekturpflicht18 im Berufsalltag erfüllt wird. Vor allem fehlt es an regelmäßigen Korrekturspalten, wie sie sogar in der nordamerikanischen Provinzpresse durchgehend zu finden sind. Ob deutsche Journalisten zu einem Wandel der traditionellen Einstellung bereit sind, die sich hinter diesem Defizit verbirgt, lässt sich aus den Reaktionen auf folgendes Statement schließen, dem die

18 „Ziffer 3 Richtigstellung: Veröffentlichte Nachrichten oder Behauptungen, insbesondere personenbezogener Art, die sich nachträglich als falsch erweisen, hat das Publikationsorgan, das sie gebracht hat, unverzüglich von sich aus in angemessener Weise richtig zu stellen.“ Deutscher Presserat 2007: 4.

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Befragten auf einer fünfstufigen Skala mehr oder weniger zustimmen konnten: Dass Fehler in der Berichterstattung später korrigiert werden, ist eine wichtige journalistische Regel, die in deutschen Medien zu wenig beachtet wird. Darauf wurde folgendermaßen reagiert: Grad der Zustimmung/Ablehnung Stimme voll und ganz zu Stimme teilweise zu Weiß nicht Stimme eher nicht zu Stimme überhaupt nicht zu Summe

% 39,3 44,9 5,6 9,3 0,9 100,0

Erkennbar ist eine starke Zustimmung zu der Forderung, dass die Korrekturpflicht in Deutschland besser beachtet werden müsse. Graphisch stellt sich das folgendermaßen dar (Häufigkeit absolut): 80 70 60 50

48 42

40 30 20

6

10

10 1

0 stimme voll und stimme teilweise zu ganz zu

weiß nicht

stimme eher nicht stimme überhaupt zu nicht zu

Die Bereitschaft zur stärkeren Beachtung der Korrekturpflicht, also zu einer Veränderung von professioneller Praxis und dahinter stehendem beruflichem Selbstverständnis, ist bei Printjournalisten allerdings 95 

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weniger ausgeprägt als bei Journalisten, die für Hörfunk, Fernsehen, Online-Medien oder PR-Agenturen arbeiten: Nur Printjournalisten (Häufigkeit absolut): 80 70 60 50 40 30

26

25

20

5

10

9 0

0 stimme voll und stimme teilweise zu ganz zu

weiß nicht

stimme eher nicht stimme überhaupt zu nicht zu

Andere Journalisten (Häufigkeit absolut): 80 70 60 50 40 30 20

23 16

10

1

1

1

0 stimme voll und stimme teilweise zu ganz zu

weiß nicht

stimme eher nicht stimme überhaupt zu nicht zu

Um sicher zu sein, dass Resultate nicht auf Akquieszenz oder schema­ tisches Ankreuzen zurückzuführen sind, und um die Konsistenz der Antworten zu prüfen, wurde bei jedem Komplex ein spiegelbildliches Statement an entfernter Stelle in den Fragebogen eingefügt. In diesem Fall: 96

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Viele US-amerikanische Zeitungen veröffentlichen regelmäßig Korrekturspalten. Diesem Vorbild sollte man in Deutschland nicht folgen, weil das dem Ansehen der Medienbranche schaden würde. Hier reagierten die Befragten folgendermaßen: Grad der Zustimmung/Ablehnung Stimme voll und ganz zu Stimme teilweise zu Weiß nicht Stimme eher nicht zu Stimme überhaupt nicht zu Summe

% 4,7 11,3 14,2 30,2 39,6 100,0

Häufigkeit absolut19: 80 70 60 50

42

40

32

30 20 10

12

15

5

0 stimme voll und stimme teilweise zu ganz zu

weiß nicht

stimme eher nicht stimme überhaupt zu nicht zu

Unabhängig von gewissen Differenzen, je nachdem, für welche Medien Journalisten arbeiten, zeigt sich ein starker und konsistenter Wunsch, die in Deutschland gängige Ignoranz gegenüber der 19 Hier und im Folgenden erklären sich Abweichungen von n=107 daraus, dass nicht alle Befragten überall Antworten gegeben haben.

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Korrekturpflicht aufzugeben und diese angelsächsische Regel in der deutschen Medienpraxis besser zur Geltung zu bringen. Die Ansicht, dass man damit dem eigenen Ansehen schade, wird nur von wenigen Befragten geteilt. Im Licht unserer Fragestellung kann das als Hinweis auf eine unter Journalisten vorhandene Bereitschaft betrachtet werden, selbstkritisch überkommene berufliche Einstellungen in Frage zu stellen und diese gegebenenfalls zu verändern. Das könnte Einrichtungen der journalistischen Selbstregulierung zu eigenen Aktivitäten anregen. Hier wäre eine Gelegenheit für den Deutschen Presserat, von der in seiner Beschwerdeordnung vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch zu machen, von sich aus tätig zu werden20. Da die große Mehrheit der Journalisten für eine Reform der problematischen, aber bisher tolerierten Praxis plädiert, die der Korrekturpflicht nicht entspricht, wäre dies für den Presserat auch ein Mittel, seine Akzeptanz in der Medienpraxis21 und damit seine Wirksamkeit zu verbessern.

20 „§1 – Beschwerdeberechtigung: (1) Jeder ist berechtigt, sich beim Deutschen Presserat allgemein über Veröffentlichungen oder Vorgänge in der deutschen Presse zu beschweren. […] Der Deutsche Presserat kann auch von sich aus ein Beschwerdeverfahren einleiten.“ (Deutscher Presserat 2007: 15) Seit Inkrafttreten des Presskodex 1973 hat der Presserat von diesem sich selbst eingeräumten Recht nie Gebrauch gemacht. 21 Zu Defiziten von Bekanntheit und Akzeptanz des Presserats vgl. Fischer 2006.

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Ein zweiter für die Reformbereitschaft von Journalisten aufschlussreicher Komplex sind ihre Einstellungen zur öffentlichen Selbstkritik der Medienbranche. Dazu wurden zwei Statements zur Beurteilung angeboten: Medien beschäftigen sich kaum mit sich selbst. Etwas mehr öffentliche Selbstkritik der Branche würde den Journalismus entscheidend verbessern.

Antworten prozentual: Grad der Zustimmung/Ablehnung Stimme voll und ganz zu Stimme teilweise zu Weiß nicht Stimme eher nicht zu Stimme überhaupt nicht zu Summe

% 40,2 34,6 7,5 14,0 3,7 100,0

Häufigkeit absolut: 80 70 60 50 40

43 37

30

15

20

8

10

4

0 stimme voll und stimme teilweise zu ganz zu

weiß nicht

stimme eher nicht stimme überhaupt zu nicht zu

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Journalisten, die an den Medien herumkritteln, schaden ihren Kollegen und der ganzen Branche. Antworten prozentual: Grad der Zustimmung/Ablehnung Stimme voll und ganz zu Stimme teilweise zu Weiß nicht Stimme eher nicht zu Stimme überhaupt nicht zu Summe

% 0,0 6,8 1,9 33,0 58,3 100,0

Häufigkeit absolut: 80 70

60

60 50 40

34

30 20 10 0

7 0 stimme voll und stimme teilweise zu ganz zu

2 weiß nicht

stimme eher nicht stimme überhaupt zu nicht zu

Auch hier deuten die Antworten auf eine grundsätzliche Revisions­ bereitschaft unter Journalisten gegenüber herkömmlichen Praktiken und Selbstverständnissen hin. Beim Statement „Medien beschäftigen sich kaum mit sich selbst. Etwas mehr öffentliche Selbstkritik der Branche würde den Journalismus entscheidend verbessern“ ist die Zustimmung unter Printjournalisten wiederum niedriger als unter den für Rundfunk-, Online-Medien und Pressestellen Tätigen – hier sogar ziemlich deutlich (Mittelwert 2,26 gegenüber 1,76). 100

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4. Daten zum Festhalten an professioneller Unabhängigkeit Ein Indiz für die Bereitschaft, an der professionellen Unabhängigkeit festzuhalten, ist die Einschätzung von leitendem Personal in den Medienunternehmen. Wie wichtig ist Journalisten, dass Chef­ redakteure sich für einen auch von Verlegerinteressen unabhängigen Journalismus engagieren, und wie beurteilen sie deren tatsächliches Verhalten? Manche Chefredakteure lassen sich zu leicht zum Werkzeug von Verlegerinteressen machen. Sie sollten mehr Mut haben, sich für einen unerschrockenen Journalismus einzusetzen. Antworten prozentual: Grad der Zustimmung/Ablehnung Stimme voll und ganz zu Stimme teilweise zu Weiß nicht Stimme eher nicht zu Stimme überhaupt nicht zu Summe

% 55,7 33,0 10,4 0,9 0,0 100,0

Häufigkeit absolut: 80 70 60

59

50 40

35

30 20

11

10

1

0 stimme voll und stimme teilweise zu ganz zu

weiß nicht

0

stimme eher nicht stimme überhaupt zu nicht zu

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Neun von zehn Journalisten stellen mangelndes Rückgrat von Chef­redakteuren fest, wenn es um Konflikte zwischen beruflichen Belangen und Verlegerinteressen geht. Diese Einstellung ist unter Printjournalisten noch etwas verbreiteter als unter Rundfunk-, Onlineund PR-Leuten: Nur Printjournalisten (Häufigkeit absolut): 80 70 60 50 40

40

30

21

20 10

3

0 stimme voll und stimme teilweise zu ganz zu

weiß nicht

0

0

stimme eher nicht stimme überhaupt zu nicht zu

Andere Journalisten (Häufigkeit absolut): 80 70 60 50 40 30 20

19

14 8

10

1

0 stimme voll und stimme teilweise zu ganz zu

weiß nicht

0

stimme eher nicht stimme überhaupt zu nicht zu

Etwas anders sieht es bei den Einstellungen der Befragten zur Professionalität des leitenden Personals aus, wenn man das Statement 102

Journalisten in der Mediengesellschaft

umpolt, so dass die fundamentale Bejahungsneigung bei den Antworten stärker zum Tragen kommt: Es ist unvermeidlich, dass leitende Redakteure im Konflikt zwischen ökonomischen und publizistischen Interessen zuerst an das Wohl des Medienbetriebs denken. Antworten prozentual: Grad der Zustimmung/Ablehnung Stimme voll und ganz zu Stimme teilweise zu Weiß nicht Stimme eher nicht zu Stimme überhaupt nicht zu Summe

% 6,6 30,2 13,2 40,6 9,4 100,0

Häufigkeit absolut: 80 70 60 50

43

40

32

30 20 10

14 7

10

0 stimme voll und stimme teilweise zu ganz zu

weiß nicht

stimme eher nicht stimme überhaupt zu nicht zu

Da hier nur der Konflikt zwischen publizistischen und ökonomischen Interessen in Rede stand, während in dem kritisch formulierten Statement zuvor Verlegerinteressen allgemein genannt waren, mag in der Differenz zwischen den Reaktionen auf diese beiden Aussagen auch 103 

Horst Pöttker

eine höhere Legitimität von wirtschaftlichen gegenüber (partei-)poli­ tischen Zielen zum Ausdruck kommen, also eine Distanzierung von der altdeutschen Tradition des Gesinnungsjournalismus (vgl. Pöttker: 2006a). Immerhin überwiegt aber auch beim zustimmend formulierten Statement der professionelle Eigensinn in Form der zwar schwachen, aber durchaus noch messbaren Ablehnung einer Dominanz der ökonomischen Fremdlogik (Mittelwert 3,16 > 3,00); eine knappe Mehrheit der Journalisten hält die Öffentlichkeitsaufgabe im Zweifel für wichtiger als das wirtschaftliche Wohl des Medienbetriebs. Zusammengenommen zeigen die Ergebnisse bei den beiden Statements, dass die meisten deutschen Journalisten bei einem notwendigen Wandel des beruflichen Selbstverständnisses wahrscheinlich an der genuinen Öffentlichkeitsaufgabe ihres Berufs und am Bemühen um Unabhängigkeit festhalten werden. Bei diesen Statements kann die Pflicht zur Unabhängigkeit freilich von den meisten Befragten auf andere, nämlich das leitende Personal, projiziert werden. Es ist daher wichtig, auch zu betrachten, welche Einstellungen Journalisten zu konkreten Problemen zeigen, bei denen die professionelle Unabhängigkeit berührt ist und mit denen sie selbst im Berufsalltag zu tun haben. Eines dieser Probleme ist der Informantenschutz. Der Pressekodex bindet die Pflicht zum Informantenschutz an eine zwischen Informant und Journalist ausdrücklich vereinbarte Vertraulichkeit, die sogar in staatspolitisch begründeten Ausnahmefällen gebrochen werden dürfe22. Und die Spruchpraxis des Presserats ist in diesem Punkt alles andere als eindeutig. Neben Entscheidungen von Anfang der 1990er 22 Ziffer 5 des Pressekodex „Berufsgeheimnis“ schreibt vor: „Die vereinbarte Vertraulichkeit ist grundsätzlich zu wahren.“ Richtlinie „5.1 – Vertraulichkeit“ erläutert näher: „Hat der Informant die Verwertung seiner Mitteilung davon abhängig gemacht, dass er als Quelle unerkennbar oder ungefährdet bleibt, so ist diese Bedingung zu respektieren. Vertraulichkeit kann nur dann nicht bindend sein, wenn die Information ein Verbrechen betrifft und die Pflicht zur Anzeige besteht. Vertraulichkeit muss nicht gewahrt werden, wenn bei sorgfältiger Güter-und Inter­ essenabwägung gewichtige staatspolitische Gründe überwiegen, insbesondere wenn die verfassungsmäßige Ordnung berührt oder gefährdet ist.“ Deutscher Presserat 2007: 9.

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Jahre, die für den Informantenschutz hilfreich waren, hat es später auch „Freisprüche“ von Journalisten gegeben, die Whistleblower nur nicht in der betreffenden Publikation, wohl aber in privater Kommunikation mit der Institution preisgegeben hatten, die von den Informationen negativ betroffen war (vgl. Pöttker 2007a: 127–130). Der Informantenschutz zählt zu den Bereichen journalistischer Selbstregulierung, an denen sich zeigt, dass der Deutsche Presserat bei Konflikten zwischen Öffentlichkeitsaufgabe und politischer Opportunität im Zweifel eher auf der Seite der (politischen) Institutionen steht23. Absolut verlässlicher Informantenschutz ist Kernelement eines unabhängigen, unerschrocken an der Öffentlichkeitsaufgabe orien­ tierten Journalismus. Wenn Informanten nicht davon ausgehen können, dass ihre Identität von Journalisten geheim gehalten wird, denen sie heikle Informationen anvertrauen, dann werden Journalisten Missstände kaum an den Tag bringen können. Die allgemeinen, für alle geltenden Gesetze nehmen auf die besondere Öffentlichkeitsaufgabe von Journalisten insofern Rücksicht, als sie ihnen das Recht einräumen, die Identität von Informanten auch gegenüber Judikative und Exekutive nicht preiszugeben. Wird dieses Recht im beruflichen Selbstverständnis als grundsätzliche Pflicht zum Informantenschutz aufgefasst, von der nur explizite Vereinbarungen mit den Informanten entbinden können, spricht das für verlässliche Professionalität.

23 Diese Schlagseite hängt mit der Entstehungsgeschichte des Presserats zusammen: Gegründet in den 1950er Jahren, um staatlicher Medienregulierung zuvorzukommen, hat er von Anfang an eine Kritik antizipiert, die von außen an den Journalismus herangetragen werden könnte.

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Horst Pöttker

Zum Informantenschutz generell wurden zwei gegensätzlich gepolte Statements angeboten: Ein Journalist sollte seine Informanten grundsätzlich nicht preisgeben. Ausnahme: Ein(e) Informant(in) stimmt dem ausdrücklich zu.

Antworten prozentual: Grad der Zustimmung/Ablehnung Stimme voll und ganz zu Stimme teilweise zu Weiß nicht Stimme eher nicht zu Stimme überhaupt nicht zu Summe

% 62,3 28,3 2,8 6,6 0,0 100,0

Häufigkeit absolut: 80 70

66

60 50 40 30

30

20 10

3

0 stimme voll und stimme teilweise zu ganz zu

weiß nicht

7 0 stimme eher nicht stimme überhaupt zu nicht zu

Starke Zustimmung zum grundsätzlichen Informantenschutz also, die bei Umpolung des Statements wegen der Aquieszenzneigung zwar an Intensität verliert, aber nicht verschwindet: 106

Journalisten in der Mediengesellschaft

Vertraulichkeit zwischen Journalist und Informant muss vereinbart werden. Ein Journalist sollte seine Infor­mant(inn)en nur schützen, wenn sie es ausdrücklich verlangen.

Antworten prozentual: Grad der Zustimmung/Ablehnung Stimme voll und ganz zu Stimme teilweise zu Weiß nicht Stimme eher nicht zu Stimme überhaupt nicht zu Summe

% 13,1 25,2 3,7 28,0 29,9 100,0

Häufigkeit absolut: 80 70 60 50 40

20

30

27

30

32

14

10

4

0 stimme voll und stimme teilweise zu ganz zu

weiß nicht

stimme eher nicht stimme überhaupt zu nicht zu

Knapp 60 Prozent der Journalisten lehnen also die im Pressekodex vorgesehene Regel zum Informantenschutz als zu schwach ab.

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Noch deutlicher wird das Ergebnis, wenn das allgemeine Thema Informantenschutz konkret auf Whistleblower zugespitzt wird: Menschen, die Journalisten Missstände in Betrieben und Ämtern verraten, sind für den Journalismus wichtig, auch wenn sie damit ihre Pflicht zur Verschwiegenheit verletzen. Solche ‚Whistleblower’ sollten durch Anonymität geschützt werden. Es genügt, wenn der verantwortliche Journalist mit seinem Namen für die Richtigkeit der Information bürgt.

Antworten prozentual: Grad der Zustimmung/Ablehnung Stimme voll und ganz zu Stimme teilweise zu Weiß nicht Stimme eher nicht zu Stimme überhaupt nicht zu Summe

% 64,5 32,7 1,9 0,9 0,0 100,0

Häufigkeit absolut: 80 70

69

60 50 40

35

30 20 10

2

0 stimme voll und stimme teilweise zu ganz zu

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weiß nicht

1

0

stimme eher nicht stimme überhaupt zu nicht zu

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97 Prozent stimmen zu, dass die Anonymität von Whistleblowern prinzipiell zu wahren ist. Dieses konkrete Engagement für den Informantenschutz schwächt sich auch bei Umpolung des Statements und im Hinblick auf ausdrückliche Vereinbarungen kaum ab: Es ist okay, wenn ein Journalist gegenüber einer interessierten dritten Person die Identität eines Informanten preisgibt, wenn dessen Anonymität nur für die Veröffentlichung vereinbart war.

Antworten prozentual: Grad der Zustimmung/Ablehnung Stimme voll und ganz zu Stimme teilweise zu Weiß nicht Stimme eher nicht zu Stimme überhaupt nicht zu Summe

% 1,9 3,8 3,8 30,2 60,4 100,0

Häufigkeit absolut: 80 70

64

60 50 40

32

30 20 10

2

4

4

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90 Prozent der Journalisten lehnen ausdrücklich ein Statement ab, das mit einer Entscheidung des Deutschen Presserats übereinstimmt24. Kann ein Selbstkontrollorgan wirksam sein, wenn es mit der unter Journalisten entwickelten Auffassung vom Informantenschutz nicht Schritt hält und sich – zumindest in Einzelfällen – mit Interessen berufs­fremder Institutionen identifiziert? Gleichgerichtete signifikante Unterschiede zwischen Print- und anderen Journalisten sind bei den Statements zum Informantenschutz nicht festzustellen. Auch hier zeigt sich, dass es unter deutschen Journalisten ein beachtliches Maß an Autonomiebewusstsein gibt. Auf dessen Stabilität dürfte sich die Gesellschaft auch dann verlassen können, wenn in anderer Hinsicht ein Wandel des beruflichen Selbstverständnisses vollzogen wird.

5. Fazit: Journalisten sind flexibler und autonomiebewusster als ihre Institutionen Nach diesen Umfragedaten sind deutsche Journalisten besser als ihr Ruf. Sie zeigen sowohl Bereitschaft zur Selbstkritik und zu einem notwendigen Wandel ihres beruflichen Selbstverständnisses als auch Autonomiebewusstsein und professionelle Identität. Die Balance von Eigensinn und Fremdverstehen (vgl. Pöttker 2003b), die von den Berufen und Institutionen einer funktional differenzierten Gesellschaft erwartet werden muss, um soziale Integration und effektive Problemverarbeitung zu sichern, erscheint bei vielen Journalisten gegeben. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass journalistischer Eigen­ sinn gegenwärtig auch deshalb kaum gefährdet erscheint, weil die Logik der Öffentlichkeitsproduktion zu einem hegemonialen Kalkül geworden ist. Vor diesem Hintergrund dürfte beim Journalismus das für Umweltanpassung und Reformen notwendige Fremdverstehen das größere Problem sein. Aber auch hier zeigen die zuerst präsentierten Umfrageergebnisse, dass der Journalismus nicht nur wegen

24 Es handelt sich um den Fall mit der Kennziffer B 62/96.

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Journalisten in der Mediengesellschaft

des objektiven Bedarfs an unabhängig hergestellter Öffentlichkeit, sondern auch wegen seiner subjektiven inneren Verfassung gute Überlebenschancen hat. Die Daten rechtfertigen die Annahme, dass die gegenwärtige Krise der Presse eine produktive Krise des Journalismus auslösen kann, z. B. einen Wandel des Selbstverständnisses, bei dem einerseits zwar das überholte Selbstbild des unbeteiligten Beobachters aufgegeben, anderseits aber das Streben nach professio­neller Autonomie durchgehalten wird. Erwartungsgemäß scheinen dabei professioneller Eigensinn und Autonomiebewusstsein bei Printjournalisten, Fremdverständnis und Flexibilität in den anderen Medienbereichen etwas ausgeprägter zu sein. Damit daraus weder starres Anklammern an Traditionen noch opportunistisches Verbiegen wird, sollten Journalisten der verschiedenen Medienbereiche wechselseitig ihre Perspektiven wahrnehmen und voneinander lernen. In Zeiten der multimedialen Ausbildung und Praxis am Newsdesk gibt es dafür günstige Voraussetzungen. Immer noch entlang der Medienspezifik differenziert, wenig untereinander kooperierend und vor allem selbst kaum am Öffentlichkeitsprinzip, sondern im Zweifel an ihren korporatistischen Eigeninteressen orientiert arbeiten dagegen maßgebliche Einrichtungen der journalistischen Selbstkontrolle wie der Deutsche Presserat (vgl. Fischer 2006; Pöttker 2006b). Es ist daher kein Wunder, wenn solche Institutionen im Hinblick auf notwendige Veränderungen des Journalismus in der Mediengesellschaft zu Innovationshindernissen werden. Wenn der Journalismus zu wenig selbstkritisch und innovationsbereit erscheint, dürfte das, wie die präsentierten Befunde zeigen, jedenfalls weniger an den Journalisten selbst liegen als vielmehr an den Brancheninteressen der Medien und deren Organisationen. Das stimmt grundsätzlich mit institutionenkritischen Überlegungen zu den Überlebenschancen des Journalismus überein25.

25 Vgl. dazu den Beitrag von Otfried Jarren in diesem Band.

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Literatur

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Horst Pöttker Sicht. In: Debatin, Bernhard (Hrsg.) (2007), Der Karikaturenstreit und die Pressefreiheit. Wert- und Normenkonflikte in der globalen Medienkultur. The Cartoon Debate and the Freedom of the Press. Conflicting Norms and Values in the Global Media Culture. Münster, S. 73–84. Pöttker, Horst (2008a), Modellfall Heinrich Heine. Über das Verhältnis von Journalismus und Schriftstellertum in Deutschland. In: Hahn, Oliver / Schröder, Roland (Hrsg.) (2008), Journalistische Kulturen. Internationale und interdisziplinäre Theoriebausteine. Köln, S. 56–75. Pöttker, Horst (2008b), Grundsätze für den Journalismus in sich verändernden Medienwelten. Vom Ludwigslied bis heute: Variationen nach einem Thema von Ulrich Pätzold. In: Hausmann, Lothar / Kretzschmar, Sonja / Opitz, Stefanie / Röper, Horst (Hrsg.) (2008), „Wir müssen mehr experimentieren.“ Journalistenausbildung zwischen Wissenschaft und Praxis. Ein Lesebuch für Ulrich Pätzold. Dortmund, S. 158–176. Pöttker, Horst (2009), Wann werden Diskriminierungsverbote von Journalist(inn)en akzeptiert? Eine Untersuchung zum Widerspruch von Migrantenschutz und Öffentlichkeitsaufgabe. In: Geißler, Rainer / Pöttker, Horst (Hrsg.): Massenmedien und die Integration ethni­scher Minderheiten in Deutschland. Bd. 2, Forschungs­ befunde. Bielefeld 2009, S. 161–187. Studer, Peter (2008), Aufwertung des schweizerischen Presserats: Verleger und SRG treten dem „System Presserat“ bei. In: Jusletter, 9. Juni 2008. Auf: http://www.jusletter.ch, S. 1–5. Weber, Max (1972 [zuerst 1922]), Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Tübingen. Wehler, Hans-Ulrich (1987), Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Erster Band. Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur Defensiven Modernisierung der Reformära 1700–1815. Frankfurt a. M. Weischenberg, Siegfried / Malik, Maja / Scholl, Armin (2006), Die Souffleure der Mediengesellschaft. Report über die Journalisten in Deutschland. Konstanz.

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Gabriele Bartelt-Kircher

Journalistische Ausbildung als Herausforderung

Journalistische Standards für die Qualitätssicherung Journalistenschulen begleiten in ihren Seminarprogrammen kontinuierlich die Entwicklung des Berufsfeldes. Im günstigen Fall nehmen sie neue Entwicklungen vorweg. Verlagsangehörige Schulen reagieren im Besonderen auf die sich abzeichnenden Veränderungen im redaktionellen Prozess. So auch die Journalistenschule Ruhr (JSR) in Essen. In ihrem Curriculum spielen die Folgen des Mediums Internet, die Erosion der Anzeigenmärkte und die mit Web 2.0 dramatische Veränderung des Lesermarkts eine immer größere Rolle. Denn sie zwingen Medienhäuser wie die WAZ-Mediengruppe zu einem dramatischen Umbau der Produktions-Strukturen, Journalisten zu einem neuen Selbstverständnis ihrer Rolle. Sie sind nicht länger nur Chronisten und Kritiker des gesellschaftlichen Geschehens, sondern im besten Fall Dialog-Partner und „Seismologen“ der Gesellschaft. Niemand ist näher an der Leserschaft als der Regional- und Lokaljournalist. Er spürt vor Ort die Trends, führt den Dialog, betätigt sich als Moderator und zugleich als Lotse durch den NachrichtenDschungel. 115 

Gabriele Bartelt-Kircher

In dieser Situation bietet die JSR als Aus- und Fortbildungsinstitut die Chance, als Transmissionsriemen zwischen Verlag und Redaktion zu wirken. Seit dem Launch des gemeinsamen Internet-Portals für die NRWTageszeitungen der WAZ-Mediengruppe „Der Westen“ spielt die crossmediale Aus- und Fortbildung eine immer größere Rolle im Curriculum. In dieser Situation kommt es darauf an, gemeinsame Standards für Genres und Ethik zu definieren. In einem modular aufgebauten System werden die Basis-Kompetenzen in der Aus- und Fortbildung für die Praxis angepasst und fortentwickelt. Unabhängig von den technischen Kanälen, die jetzt und zukünftig zur Verfügung stehen, vermittelt das Programm wichtige zentrale Elemente des QualitätsJournalismus: ▪▪ Augen- und Ohrenzeuge ▪▪ Sprachschulung und Sensibilität ▪▪ Empathie und authentisches Schreiben ▪▪ barrierefreies Schreiben ▪▪ Quellen-Transparenz. So bewahrt der Qualitäts-Journalismus im Regionalen und Lokalen sein wichtigstes Gut, die Glaubwürdigkeit in der Kakophonie der Meinungen und Mutmaßungen. Zukünftig wird es darauf ankommen, in Projekten die Leistungs­ fähigkeit diverser Kanäle zu erproben. Das Zusammenspiel der Kanäle wird durch die Einführung von crossmedialen Newsdesks erleichtert. Die notwendigen Organisations-Modelle und die notwendig veränderte „Denke“ im Produktionsprozess kann im NewsLab in der JSR entwickelt, simuliert und in der Praxis getestet werden. Ein professionelles Gespür für Themenführung über alle Kanäle muss sich entwickeln. Durch Kooperation mit wissenschaftlichen Instituten und Austausch mit journalistischen Ausbildungseinrichtungen entwickelt die JRS ein Rahmenprogramm, das die zukünftigen Redakteure in Stand setzt, den derzeitigen „Aderlass“ an Erfahrung und Routine durch einen Mix aus Praxis und Wissenschaft zu ersetzen. 116

Journalistische Ausbildung als Herausforderung

Die digitale Welt wird die Medien zukünftig miteinander verschmelzen, Leser und User wechseln zukünftig immer häufiger zu internetbasierten Präsentationen. Das bedeutet, dass Hörfunk und Podcast und Vodcast und TV auf der Produktionsseite viele ähnliche Werkschritte beinhalten und von den Produzenten ihre Beherrschung verlangen.

Zukünftige Anforderungen In der Volontärausbildung spielt die Zukunftsorientierung die zentrale Rolle. Dazu gehört notwendig die Information über die Vernetzung von Online- und Print-Redaktion durch Einbeziehung der Online-Recherche in die Grundseminare, die Vorbereitung auf eine möglicherweise freie Tätigkeit, in der u. a. der Online-Journalismus immer wichtiger wird. Die crossmediale Redaktionsarbeit in allen Lokalredaktionen, am Regio- und Content-Desk wie Ausbildung und Mitarbeit in den diversen Teams bei „Der Westen“ gehören zum Volontariat. Journalistenschulen waren bisher auf den generalisierenden Charakter des Informationstransfers in ihrem Medium ausgerichtet. Um den Nutzerprofilen im Online-Medium gerecht werden zu können, bedarf es einer ganz neuen Vernetzung von Online- und Print-Produktion. Die Entwicklung des Web 2.0 beteiligt die Nutzer weitaus intensiver an der Erstellung von Basismaterial und zwingt die journalistischen Profis in direkten Dialog mit den Lesern, Usern und Anbietern. Die Weiterentwicklung der mobilen Kommunikation verlangt von Journalisten die Kenntnis von Moderations- und Mediations-Methoden. Die unprätentiöse Beobachtung und Einbeziehung auf Augenhöhe von User-/Leser-Beiträgen in und aus den Blogs, Kommentaren, Social Communities wie Facebook, Twitter usw. wird Journalisten in professioneller Beziehung zum Publikum halten. Das bedarf allerdings des in Workshops geschützten Trainings. Die weitere Entwicklung wird die Nutzerqualitäten und -oberflächen rasant verändern. Journalistenschulen müssen in ihrem Ausbildungsprogramm darauf reagieren. Die Alltagspraxis der Redaktionen 117 

Gabriele Bartelt-Kircher

wird daraufhin zu beobachten sein. Um die Entwicklung und Anpassung zu begleiten, werden die bisherigen Seminarformen noch häufiger als bisher durch offene Workshops und Projekte abgelöst. E-Mail bildet eine besondere Herausforderung an die Redaktionen – ihre Beantwortung bei knappsten Personalressourcen erfordert ein verlässliches System für die Strukturierung und presse-, zivil- und urheberrechtliche Handhabung. In Workshops werden die Erfahrungen zusammengetragen und mit redaktionellen E-Mail-Experten und einem Rechtsexperten diskutiert. Die ethische Dimension schließlich entscheidet über die Glaubwürdigkeit der Medienkanäle.

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